Nr. 173
Besuch im Totenreich Er reist in die Vergangenheit - und kehrt in seinen alten Körper zurück von H. G. Ewers
...
99 downloads
885 Views
263KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 173
Besuch im Totenreich Er reist in die Vergangenheit - und kehrt in seinen alten Körper zurück von H. G. Ewers
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man den Anfang des Jahres 2844. Lordadmiral Atlan, der seit seinem Besuch auf Komouir eine ganze Serie lebensgefährlicher Abenteuer hinter sich hat, ist, kaum daß er die Sicherheit seines Hauptquartiers Quinto-Center erreichte, erneut im All unterwegs – und zwar diesmal allein und rein privat. Grund für das Unternehmen Atlans ist das Wirken eines geheimnisvollen Fremden namens Chapat, der dem Lordadmiral sehr ähnlich sieht und der seit seiner Auffindung auf dem Mond Gostacker schnell von sich reden macht, als er auf Kantanong, dem Show-Planeten der Galaxis, erstmals auftritt. Lordadmiral Atlan folgt den Spuren des mysteriösen Fremden. Er gerät dabei – zusammen mit Chapat – in den Bann von Alfo Zharadins Illusionsmaschinen, die, durch das Ischtar-Memory umprogrammiert, Atlans und Chapats mit anderen Körpern versehene Bewußtseine in die Zeit Orbanaschols, des unrechtmäßigen Herrschers von Arkon, transportieren. Durch das lange Verschwinden ihres Chefs beunruhigt, beginnen die Verantwortlichen der USO eine großangelegte Suchaktion. Allen voran gehen Ronald Tekener und Sinclair M. Kennon, die beiden Mitglieder des Psycho-Teams, in den Einsatz. Kennon, der Halbroboter, macht dabei BESUCH IM TOTENREICH …
Besuch im Totenreich
3
Die Hautpersonen des Romans: Ronald Tekener und Sinclair M. Kennon - Die USO-Spezialisten suchen ihren Chef. Alfo Zharadin - Ein Verbrecher wird gestellt. Atlan und Chapat - Die Träumer werden aus der Vergangenheit zurückgeholt. Talad-y-Borgh - Ein Intelligenzwesen mit dem Aussehen einer Bestie.
1. Das Ausgrabungssystem hatte mir soeben mitgeteilt, daß es in den fragmentarischen Überresten der ehemals blühenden Riesenstadt Quatuaro einen interessanten Fund gemacht hätte, als ARGUS Alarm gab. Ich drückte sofort meinen Luftgleiter herunter, landete ihn neben einem abgebrochenen Obelisken aus diamantähnlichem Material und schaltete die Triebwerkssysteme aus. »Was ist los?« sprach ich ins Mikrophon meines Armbandfunkgeräts, mit dem ich in ständiger Kommunikation mit meinem Überwachungssystem ARGUS stand. »Physikalisch-energetisch übergeordnete Impulse, Sir!« meldete der Kommandosektor von ARGUS mit seiner melodischen Synthostimme. »Auswertung ergibt Hinweis auf Linearraumaustritt eines kleinen Raumschiffs. Laut Lokalisierungsergebnis kamen die Impulse aus unmittelbarer Nähe der Sonne.« Ich runzelte die Stirn, traf aber keine Anstalten, meinen Luftgleiter zu verlassen. Allerdings war die Ankunft eines Raumschiffs nahe der Sonne Syannah ungewöhnlich. Seit ein Forschungskommando der USO vor rund sechzehn Jahren die Überreste der uralten Kultur der Manjythus auf Hyrion, dem vierten Planeten der Sonne Syannah, entdeckt und beim Anflug ein Robotüberwachungssystem installiert hatte, war nicht ein einziges Mal die Ankunft fremder Raumschiffe im Syannah-System registriert worden. Das geschah ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, zu dem ich auf Hyrion weilte, um während eines Urlaubs private Studien in den Ruinen zu betreiben und zu ergründen,
warum die Kultur der Manjythus zugrunde gegangen war. »Sir, ich rate dringend, das Ausgrabungssystem stillzulegen«, erklärte ARGUS. »Meine Energieortungssysteme messen Emissionen starker Impulstriebwerke an, die sich Hyrion nähern. Das herausgekommene Schiff nimmt offensichtlich Fahrt in unsere Richtung auf.« »Danke!« erwiderte ich, obwohl ein positronisches Kommandogehirn naturgemäß nicht auf Höflichkeiten zu reagieren pflegt. Ich schaltete das positronisch gesteuerte Ausgrabungssystem ab. Die gigantischen Maschinen kamen zur Ruhe. Sie ragten wie Silhouetten urweltlicher Saurier in den bleichen Himmel. Einen Herzschlag lang überlegte ich, ob in dem unbekannten Raumschiff vielleicht die Nachkommen von ehedem ausgewanderten Manjythus saßen, die dem Ursprungsplaneten ihres Volkes einen Besuch abstatten wollten. Doch dann verwarf ich diesen Gedanken wieder. Der Planet Hyrion war vor rund sechzigtausend Jahren verwüstet worden – von Angreifern aus dem Weltraum. Was mich daran besonders erschütterte, war die Tatsache, daß die Angreifer mit großer Wahrscheinlichkeit Lemurer gewesen waren, also die unmittelbaren Vorfahren von uns Terranern. Jedenfalls hatte ich die Überreste von sieben lemurischen Raumschiffswracks entdeckt, die eindeutig von bodengebundenen planetarischen Abwehrwaffen abgeschossen worden waren. Warum die Lemurer den Planeten Hyrion angegriffen hatten, hatte ich bis heute nicht klären können. Allen meinen Untersuchungsergebnissen zufolge waren die Manjythus zu jener Zeit ein hochzivilisiertes Volk gewesen, dessen Ziele aus-
4 schließlich friedlicher Natur waren. Ganz sicher hatten sich schon lange vor der Verwüstung Hyrions und der brutalen Auslöschung seiner Bewohner zahllose Raumschiffe von hier aus auf den Weg gemacht, um fremde Planeten zu besiedeln – vielleicht sogar fremde Galaxien. Aber nichts deutete darauf hin, daß seit der Verwüstung des Planeten Besucher hier gewesen wären – außer dem USOForschungskommando, das aber wegen eines wichtigeren Auftrags bald wieder zurückgerufen worden war, und mir, USOSpezialist Ronald Tekener. Allerdings befand ich mich nicht im Auftrag meiner Organisation hier, sondern als Privatmann, der einmal ausspannen und dabei seinem neuesten Hobby, der KosmoArchäologie, frönen wollte und den außerdem in seiner Eigenschaft als Kosmopsychologen und Spezialisten für humanoide, nichtirdische Völker die Entwicklung der Manjythus-Zivilisation brennend interessierte. Und ausgerechnet da flog ein Raumschiff den Planeten Hyrion an! Natürlich lag der Gedanke nahe, daß es sich dabei um ein Schiff der USO handeln könnte, vielleicht mit einem Kurier, der mir eine wichtige Nachricht von Quinto-Center brachte. Doch ein Kurier hätte längst seinen Identifizierungsimpuls abgestrahlt. Genau das aber tat die Besatzung jenes Raumschiffs nicht, weshalb ich es für angemessen hielt, die Annäherung an Hyrion zuerst einmal als bedrohlich einzustufen. Ich dachte kurz an mein Raumschiff, das am anderen Ende der Ruinenstadt unter einem Spiegeltarnfeld lag. Wahrscheinlich konnte ich es noch erreichen, bevor das fremde Schiff zur Landung ansetzte – falls das beabsichtigt war. Aber wenn die Fremden über hochwertige Energietaster verfügten, würden sie die Energieemissionen meines Fluggleiters orten und dadurch sofort wissen, daß sich jemand auf Hyrion befand. Und an Bord meiner OUDE GENEVER
H. G. Ewers würde ich kaum sicherer sein als hier. Das Schiff war eine Space-Jet, die auf den Namen des Archäologen Professor Dr. Godwin Bokma eingetragen war – meines Decknamens –, und die nur über leichte Energiestrahler zur Meteorabwehr verfügte. Keinesfalls konnte sie es mit einem schwerbewaffneten Raumschiff aufnehmen. Also beschloß ich, in meinem Gleiter den weiteren Verlauf der Dinge abzuwarten.
* Zehn Minuten später meldete ARGUS, das fremde Schiff sei erneut in den Zwischenraum gegangen. Abermals überlegte ich, ob ich diese Zeitspanne, in der die Ortungssysteme des fremden Raumschiffs unempfänglich für Impulse aus dem Normalraum waren, benutzen sollte, um in meine OUDE GENEVER zu eilen. Doch ich rechnete mir aus, daß die Zeit dafür zu knapp war, wenn, wie ich vermutete, das fremde Schiff nur ein Kurzlinearmanöver ausführte, das es bis dicht an den Planeten Hyrion bringen sollte. Meine Vermutung bestätigte sich, denn ARGUS meldete nur eine halbe Minute später den Rücksturz des fremden Schiffes in den Normalraum – dicht über den oberen Ausläufern der Planetenatmosphäre. Seine Besatzung hatte also tatsächlich den Planeten Hyrion als Ziel gewählt. Schweren Herzens befahl ich dem Überwachungssystem, seine Aktivitäten zu drosseln, das heißt, bis auf die sogenannten Passiv-Systeme wie Infrarotsucher, Empfangsantennen und so weiter alles abzuschalten, was eine Entdeckung durch Fremdortung erleichtert hätte. ARGUS gehorchte. Aber auch mit Hilfe der Passiv-Systeme ließ sich ein landendes Raumschiff ausmachen, vorausgesetzt, es landete auf der gleichen Seite des Planeten, auf dem sich diese Ortungssysteme befanden. Das tat das fremde Raumschiff leider nicht. Die Impuls-Empfangsantennen von
Besuch im Totenreich ARGUS maßen eine Strahlungsquelle an, die schnell von Norden nach Süden über »unsere« Seite des Planeten wanderte und dann hinter der Krümmung des Horizonts untertauchte. Ich schaute auf meinen ArmbandChronographen, berechnete überschlägig die Zeit, die das fremde Raumschiff bei gleichbleibender Geschwindigkeit brauchen mußte, um wieder über dem nördlichen Ortungshorizont zu erscheinen – und wartete. Daraus ließ sich ein Schluß ziehen, dessen Wahrscheinlichkeitsgrad ziemlich hoch war: Das Raumschiff war auf der gegenüberliegenden Seite des Planeten gelandet! Ich zog einen weiteren Schluß daraus: Wenn das fremde Raumschiff auf der anderen Seite des Planeten Hyrion gelandet war, obwohl hier, auf »unserer« Seite, der Hauptkontinent mit den besten Fundgruben für Wißbegierde lag, dann mußte es etwas angemessen haben, das auf meine Anwesenheit deutete. Ich beschloß nach kurzem Nachdenken, mein Verhalten danach auszurichten und dafür zu sorgen, daß der verlorengegangene Überraschungseffekt zurückgewonnen wurde. Über Fernschaltung veranlaßte ich die Kommandopositronik meines Raumschiffs, einen Gewaltstart durchzuführen und sich in die Nähe der Sonne Syannah zurückzuziehen. Die Fremden sollten annehmen, ich wäre in Panik geflohen. Natürlich mußte ich damit rechnen, daß sie mein Schiff beschossen und vernichteten, aber ich selbst würde ja dadurch nicht betroffen werden. Ich war viel zu neugierig auf die Fremden. Vor wenigen Tagen hatte ich unterhalb der zuletzt ausgegrabenen Überreste eines Kuppelbaus ein altes, teilweise noch gut erhaltenes Bunkersystem entdeckt. Dorthin gedachte ich mich zurückzuziehen, die Ankunft der Fremden abzuwarten und festzustellen, wer sie waren und was sie hier suchten. Meinen Luftgleiter schickte ich vorher –
5 ebenfalls per Fernsteuerung – in die OUDE GENEVER zurück, damit die Fremden nicht auf den Gedanken kämen, jemand wäre zurückgeblieben. Alles andere blieb so, wie es vor dem Auftauchen des fremden Raumschiffs gewesen war. Nachdem mein Schiff gestartet und am Himmel verschwunden war, machte ich mich zu Fuß auf den Weg zu der zirka dreieinhalb Kilometer entfernten Kuppelbau-Ruine. Ich besaß genügend Konzentrate sowie einen Desintegrator, einen Paralysator und einen kleinen Translator. Das sollte genügen, um das zu erledigen, was ich mir vorgenommen hatte.
* Unterwegs blieb ich immer wieder stehen und spähte zum Himmel hinauf. Selbstverständlich konnte ich meine Space-Jet schon lange nicht mehr sehen, aber wenn sie in einer Entfernung von nur wenigen Millionen Kilometern abgeschossen wurde und explodierte, mußte die Explosion des in den Treibstofftanks befindlichen hochkatalysierten Deuteriums sekundenlang deutlich als heller Lichtfleck am Tageshimmel zu sehen sein. Doch ich sah nichts dergleichen. Das brauchte nicht zu bedeuten, daß mein Schiff entkommen war. Ich konnte schließlich nicht auf einem Fleck stehen und ununterbrochen in den Himmel starren. Wenn es während meines Marsches explodiert war, hatte ich den Moment verpaßt. Der eventuelle Verlust meines Schiffes bedeutete aber noch lange nicht, daß ich für immer – und das wäre wegen meines Zellaktivators sehr, sehr lange gewesen – auf Hyrion festsaß. Mein Partner Sinclair Marout Kennon, der während meiner Abwesenheit als Stellvertreter des mit unbekanntem Ziel verreisten Lordadmirals fungierte, würde spätestens dann nachdenklich werden, wenn der Zeitpunkt meiner Rückkehr ins Hauptquartier verstrich, ohne daß ich mich zu-
6 rückmeldete. Das war der 15.1.2844, also in elf Tagen. Und wenn Ken nachdenklich wurde, dann dauerte es gewöhnlich nicht lange, bis er enorme Aktivitäten entwickelte. Er wußte, wo ich mich befand. Folglich würde er entweder jemanden mit einem Schiff nach Hyrion schicken oder selber kommen. Dann konnte ich den Planeten verlassen, wenn ich dann noch lebte. Als ich die Überreste des Kuppelbaus erreichte, stand die Sonne Syannah genau im Zenith. Es war angenehm warm, aber nicht heiß, denn der vierte Planet erhielt von seinem Muttergestirn nur dreißig Prozent mehr Sonnenstrahlung als der solare Mars. Und auf dem Mars war es vor Installierung der Atomsonnen und der planetenweiten Klimaregulierung bekanntlich auch mittags empfindlich kühl gewesen. Noch einmal blickte ich nach oben. Doch der Himmel spannte sich friedlich über dem Land. Kein Explosionsblitz ließ auf den Untergang meiner Space-Jet schließen. Aber auch kein fremdes Fahrzeug ließ sich sehen – und das machte mich stutzig. Die Besatzung des fremden Raumschiffs – immer vorausgesetzt, es war tatsächlich gelandet – mußte die Flucht meines Schiffes angemessen und daraus geschlossen haben, daß sich niemand mehr auf Hyrion befand. Das hätte sie eigentlich veranlassen sollen, auf überspitzte Zurückhaltung zu verzichten und den Startplatz der Space-Jet mit Beibooten oder Gleitern mehr oder weniger offen anzufliegen. Da sie das offenkundig nicht taten, mußten sie entweder von Natur aus übervorsichtige Intelligenzen sein oder aus irgendeinem Umstand, der mir nicht aufgefallen war, schließen, daß jemand auf Hyrion zurückgeblieben war. Oder man kannte mich – allerdings dann nicht als Professor Dr. Godwin Bokma, sondern als Ronald Tekener. Die Frage war nur, woher Fremde wissen sollten, daß sich der USO-Spezialist Tekener
H. G. Ewers auf dem Planeten Hyrion aufhielt – und woher sie so genau mit meiner Psyche vertraut waren, daß sie meine Handlungsweise vorausberechnen konnten. Ich hatte nur meinem Freund und Partner Ken verraten, wohin ich mich während meines Urlaubs zurückziehen wollte – und nur Kennon kannte mich so genau, daß er meine Verhaltensweisen in bestimmten Situationen vorausberechnen konnte. Ich runzelte nachdenklich die Stirn. USO-Spezialist Sinclair Marout Kennon, das geniale, aber auch mit zahlreichen Komplexen behaftete Gehirn in einem perfekten Roboterkörper, war genau der Mensch, der es fertigbringen würde, mir auf äußerst unkonventionelle Art und Weise einen Besuch abzustatten und damit sein Gehirn mit meinem messen zu wollen. Plötzlich mußte ich grinsen. Ja, ich traute es Kennon durchaus zu, daß er mit einem Raumschiff nach Hyrion gekommen war und sein Psychospiel mit mir trieb, um sich wieder einmal zu beweisen, daß er mir geistig ebenbürtig war, obwohl er »nur« ein Gehirn mit robotischer Vollprothese war. Allerdings mußte sein Flug nach Hyrion einen schwerwiegenden Grund haben. Ohne Anlaß würde auch Kennon mich nicht in meinem wohlverdienten Urlaub stören. Immerhin, wenn er versuchte, ein Psychospiel mit mir zu treiben, konnte ich ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen versuchen – und die Aussicht auf ein Psychoduell mit Ken war nicht ohne intellektuellen Reiz. Ich setzte mich in den Schatten eines zusammengeschmolzenen Mauerrests und dachte nach. Nach einer Weile hatte ich mir einen Plan zurechtgelegt, der auf ein Psychoduell mit Sinclair Marout Kennon abgestimmt war, aber auch die Möglichkeit berücksichtigte, daß ich es tatsächlich mit fremden Intelligenzen zu tun hatte. Von da an achtete ich sorgfältig darauf, daß ich auf meinem Weg in die subplanetarischen Bunkeranlagen eine Spur hinterließ,
Besuch im Totenreich die fremde raumfahrende Intelligenzen auf keinen Fall erkennen würden, die aber einem Halbroboter wie Kennon mit seinen zahlreichen Detektorgeräten auffallen mußte. Nach ungefähr einer halben Stunde erreichte ich das große Schmelzloch, das den Eingang zum Bunkersystem darstellte. Während meiner ersten Untersuchungen hier unten hatte ich rekonstruiert, daß die Manjythus, die sich in diese Bunkeranlagen geflüchtet hatten, nicht durch das Strahlenbombardement getötet worden waren, sondern von eingedrungenen Gegnern, wahrscheinlich lemurischen Kampfrobotern, die die Insassen ermordet hatten. »Ermordet«, war der einzig richtige Ausdruck, denn ich hatte keine Spuren von Kämpfen gefunden. Die Manjythus im Bunkersystem hatten sich nicht zur Wehr gesetzt, sondern waren von den Angreifern förmlich abgeschlachtet worden. Wieder überkam mich das Gefühl der Scham. Ich schämte mich meiner menschlichen Abstammung, obwohl die solare Menschheit niemals für die Verbrechen verantwortlich gemacht werden konnte, die ihre Urahnen aus unerfindlichen Gründen auf Hyrion begangen hatten. Aber ich konnte diese Regung unterdrücken. Es gab keinen Grund, aus dem ich mich schämen mußte. Im Gegenteil, ich war stolz auf meine menschliche Abstammung, denn die solare Menschheit war es schließlich gewesen, die den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt auf ihrem Heimatplaneten durchbrochen hatte. Selbstverständlich konnten auch wir nicht auf hochmodern ausgerüstete Streitkräfte verzichten, aber die durften nur dann zuschlagen, wenn die Menschheit angegriffen wurde – und auch dann nur in angemessener Weise und ohne Vergeltungsabsichten. Ich holte tief Luft. Mir war klar, daß ich vorübergehend nicht an das Schicksal der Manjythus denken durfte. Ich mußte mich ganz darauf konzentrieren, entweder meinem Psychopartner
7 Kennon eine freundschaftlich gemeinte Lehre zu erteilen – oder, wenn tatsächlich Fremde auf Hyrion gelandet waren, ihre Motive zu durchschauen und eventuell friedlichen Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Auf gar keinen Fall durfte ich einen Ausbruch von Feindseligkeiten provozieren. Die Erfahrungen hatten bewiesen, daß die erste Begegnung zwischen Vertretern zweier verschiedener Zivilisationen über die künftigen Beziehungen entschied – und oft über Krieg und Frieden. Ich lehnte mich an die Wand und öffnete den winzigen Behälter aus Chnytatronplast. In der Konservierungskammer lag ein grüngoldener Käfer, ein unscheinbar aussehendes Tier, das allerdings über phantastische Fähigkeiten verfügte. Es handelte sich um einen Raumkäfer, den ich persönlich auf dem Lashat-System geholt hatte, als ich mich dort absichtlich mit den Lashatpocken infizierte, um, in meiner Eigenschaft als »Einsickerungsspezialist«, als der harte Bursche und Abenteurer auftreten zu können, dessen Rolle ich verkörpern sollte. Die Lashatpockennarben zierten noch heute mein Gesicht. Kennon behauptete stets, sie würden mir ein abschreckendes Äußeres verleihen. Ich hatte sehr oft das Gegenteil festgestellt – ganz besonders beim weiblichen Geschlecht. Olga, wie ich meinen – weiblichen – Traumkäfer nach einer Tante mütterlicherseits genannt hatte, erwachte allmählich aus seiner Stasis. Zuerst zitterten die Fühler, dann bewegten sich die sechs langen Beine. Ich nahm Olga behutsam aus ihrem Behälter und legte sie in meine offene Handfläche. Bald war sie ganz zu sich gekommen und hellwach. Ich spürte es daran, daß die Umgebung sich in eine Alptraumlandschaft verwandeln wollte, eine Folge von Olgas parapsychischer Ausstrahlung. Durch einen Gedankenbefehl beauftragte ich Olga damit, in der geräumigen Vorhalle des Bunkersystems versteckt zu warten und beim Anmessen von Kennons Gehirnimpul-
8
H. G. Ewers
sen – aber auch nur dann – meinen Freund und Partner überfallartig in eine Traumwelt zu versetzen, die ihn veranlaßte, sich in der Realwelt wie ein Hund zu verhalten, der seinen Herrn sucht. Kurz darauf breitete Olga ihre schillernden Flügel aus und schwirrte fast lautlos davon. Ich sah ihr nach. Sie war wirklich ein schönes Tier, meine Olga. Doch dann besann ich mich auf meine Aufgabe und ging tiefer in das Bunkersystem hinein.
* In der ehemaligen Klimazentrale des Bunkersystems setzte ich mich auf ein Schaltpult und wartete. Die Klimaanlage funktionierte längst nicht mehr. Die Einrichtung war von den Angreifern zerstört worden. Aber es gab – zusätzlich zu einer ebenfalls zerstörten positronischen Überwachungsanlage – noch ein Netz aus zahllosen dünnen Rohren, durch die alle Geräusche aus den unzerstörten Bunkern in die Klimazentrale übertragen wurden. Wenn jemand den Bunker betrat, dann würde ich ihn auf jeden Fall hören können, auch wenn er ein Antigravgerät benutzte und durch die Luft schwebte, wie Ken es voraussichtlich tun würde. Ich nahm mir vor, drei Stunden zu warten. War bis dahin niemand meiner Spur gefolgt, wollte ich daraus schließen, daß ich es nicht mit Kennon, sondern mit Fremden zu tun hatte. Dann würde ich vorsichtig wieder nach oben gehen und nachschauen. Nach zwei Stunden hatte sich immer noch nichts gerührt. Ich nahm eine andere Sitzhaltung ein und wartete weiter. Das fiel mir nicht schwer, denn als USO-Spezialist hatte ich gelernt, der Langeweile vorzubeugen, indem ich in meinem Kopf wissenschaftliche oder auch höchst profane Probleme wälzte. Es gab immer etwas, worüber sich nachzu-
denken lohnte. Als ich wieder auf meinen ArmbandChronographen schaute, waren zweieinhalb Stunden verstrichen. Und noch immer ließ Aladin sich nicht blicken … Ich gähnte und zog an der Wasserpfeife, während ich mich fragte, wo der Bursche mit seiner Wunderlampe denn blieb. Er wollte mich aufsuchen, wenn die Sonne am höchsten stand, aber dieser Zeitpunkt war bereits überschritten. Wenn nur diese vermaledeiten Fliegen nicht gewesen wären! Sie schwirrten ständig um meinen Kopf herum, ließen sich auf Nase, Ohren und Mund nieder und waren die schlimmste Belästigung, die man sich denken konnte. Erbost spie ich das Mundstück der Wasserpfeife aus und klatschte in die Hände. Fast augenblicklich teilte sich der dünne Vorhang vor mir. Suleika trat hüftenschwenkend vor mich hin, in ein schleierartiges Gewand von Hrearkyn, dem bekanntesten arkonidischen Modeschöpfer, gekleidet und ein verführerisches Lächeln auf dem Madonnengesicht. »Wo bleibt Aladin?« fuhr ich sie an. »Er wird in einen Verkehrsstau geraten sein, mein Sultan«, antwortete Suleika. Irgend etwas an dieser Antwort kam mir seltsam vor. Ich konnte allerdings nicht ergründen, was. Außerdem irritierten mich die Reize, die Suleika mir in wahrhaft gekonnter Manier präsentierte. »Ich brauche einen Drink!« erklärte ich mürrisch. »Sofort, mein Sultan!« erwiderte Suleika und verschwand hinter dem schleierartigen Vorhang. Als sie zurückkehrte, griff ich durstig nach der Silberschale, die sie mir anbot. Der Inhalt schwappte über den Rand, und eine weiße Flüssigkeit rann über meine Hände. »Was ist das?« fragte ich verblüfft. »Kamelstutenmilch, mein Sultan«, antwortete Suleika. »Ganz frisch gemolken. Sie ist noch körperwarm.«
Besuch im Totenreich Ich schüttelte mich und gab die Schüssel an Suleika zurück. »Dummes Kind!« schimpfte ich. »Wenn ich sage, ich brauche einen Drink, dann meine ich nicht Kamelmilch, sondern Whisky. Am besten holst du mir eine ganze Flasche.« »Whisky?« fragte Suleika und blickte mich aus ihren großen dunklen Augen unschuldig an. »Verzeiht mir meine Unwissenheit, mein Sultan, aber was ist das, Whisky?« Meine Verblüffung stieg. »Du weißt nicht, was Whisky ist?« fragte ich. »Selbst auf den entferntesten Welten ist terranischer Whisky inzwischen ein Begriff geworden, und du willst nicht wissen, was Whisky ist!« Suleika stellte die Schale ab, sank auf die Knie und flüsterte: »Gnade, mein Sultan! Ich bin unwürdig, unter Eure Augen zu treten, und ich kann nur um Gnade flehen.« Langsam erhob ich mich, beugte mich über Suleika und strich ihr sanft mit der Hand über den Rücken. Im nächsten Augenblick flog ich unter der Gewalt einer kraftvollen Ohrfeige zurück … Und starrte in das Gesicht von Sinclair Marout Kennon …! Sinclair starrte mich ebenfalls verblüfft an, dann musterte er seine Hand, die noch halb erhoben in der Luft schwebte. Im nächsten Moment grinste er niederträchtig. »Ich war also Suleika und habe dir eine Ohrfeige verpaßt, weil du mich beinahe unsittlich berührt hättest«, meinte er. »Man soll eben nicht mit Traumkäfern spielen.« Ich schluckte, als ich klar erfaßte, daß nicht nur Kennon in einem Traum gefangen gewesen war, sondern ich ebenfalls. Was allerdings meinem Gedankenbefehl an Olga widersprach. Wo steckte Olga eigentlich? Als ich das Surren von Käferflügeln vernahm, erblickte ich auch Olga. Sie flog genau auf mich zu und landete auf meinem Kopf.
9 »Was hast du mit Olga angestellt, Ken?« erkundigte ich mich und rieb meine brennende Wange. Kennon zuckte mit den Schultern. »Als ich deine Spur entdeckte, ahnte ich, daß du mein kleines Spiel durchschaut haben könntest«, antwortete mein Partner. »Vorsichtshalber blockte ich mein Gehirn ab, wodurch offensichtlich die Traumbeeinflussung Olgas modifiziert wurde.« »Es läßt tief blicken, daß du dich ausgerechnet in Suleika verwandelt hattest«, erwiderte ich ironisch. »Und du in einen Sultan«, entgegnete Kennon mit dem gleichen Maß an Ironie. Ich holte tief Luft, nahm meinen Traumkäfer aus meinem Haar und verpackte ihn wieder in seinem Stasisbehälter, in dem seine Lebensvorgänge angehalten wurden, so daß er praktisch unsterblich war. »Schön, du hast also versucht, dein Psychospiel mit mir zu treiben, Partner«, erklärte ich. »Aber warum bist du überhaupt nach Hyrion gekommen?« Sinclair Marout Kennon wurde ernst. »Ich mache mir große Sorgen um den Lordadmiral, Tek«, antwortete er. »Was ist mit Atlan?« fragte ich beunruhigt. »Er hat Quinto-Center verlassen, nachdem ihn ein Spezialist namens Mergan Frayser aufgesucht hatte. Angeblich wollte er eine private Sache erledigen.« Kennon nickte. »Richtig, Tek. Aber das ist schon über zwei Monate her, und Atlan hat sich in der Zwischenzeit nicht ein einziges Mal gemeldet. Ich habe Nachforschungen angestellt und bin dabei auf eine Spur gestoßen. Der Lordadmiral sucht offenbar nach einer männlichen Person namens Chapat, die irgendwie mit seiner fernen Vergangenheit zu tun haben muß – und wahrscheinlich mit einer Dame namens Ischtar.« Ich dachte nach, aber ich fand keine Lösung. »Atlan hat sich ausdrücklich jede Einmischung von seiten der Organisation verbeten«, erklärte ich. »Es muß eine äußerst
10
H. G. Ewers
wichtige private Angelegenheit sein, die er zu erledigen hat, wenn er eine so drastische Maßnahme ergreift. Vielleicht sollten wir nicht daran rühren, Ken.« »Vielleicht«, erwiderte Kennon. »Aber ich habe das Gefühl, daß unser Lordadmiral in höchster Gefahr schwebt. Ich halte es einfach für unsere Pflicht, einzugreifen – mit dem Ziel, ihm zu helfen. Von mir aus kann er mich hinterher zum Teufel jagen.« Ich nickte. »Mich auch, Ken!« sagte ich entschlossen. »Ich komme mit!« Sinclair Marout Kennon lachte erleichtert und streckte mir die Hand entgegen. »Ich wußte, daß ich auf dich zählen kann, Tek!« sagte er. »Beeilen wir uns! Die Zeit drängt!« Ich drückte seine Hand, innerlich aber schüttelte ich mit dem Kopf. Die Zeit drängt! hatte mein Partner gesagt. Dennoch hatte er sich den zeitraubenden Luxus erlaubt, unserer Begegnung ein Psychospiel vorauszuschicken. Das Gehirn in seiner Vollprothese war psychisch instabil. Ich würde aufpassen müssen, daß Kennon nicht irgendwann durchdrehte.
2. »Beeilt euch!« befahl Alfo Zharadin mit heller Stimme und ließ die Neuropeitsche knallen. Die Männer, die auf einer Antigravplattform eine geheimnisvoll anzuschauende Konstruktion vor sich herschoben, zuckten zusammen, obwohl die blanke Peitschenschnur aus Quytrex-Metall einige Meter neben ihnen auf den Hartplastikbelag des Transportdecks knallte. Zharadin lachte. Er amüsierte sich über die Furcht der Arbeiter – und er empfand Befriedigung darüber, daß er, ein nur 1,55 Meter großer, unglaublich fetter Albino, den viel größeren und stärkeren Männern Furcht einflößen konnte.
Er wußte allerdings auch, daß sie sich nicht vor seiner Körpergröße fürchteten, sondern vor ihm als der Verkörperung ihres Abhängigkeitsverhältnisses. Als Besitzer und Chef des Weltraumzirkus TRAUMPALAST herrschte er über seine Angestellten und Untergebenen wie ein absolutistischer Feudalherr über seine Leibeigenen. Sicher, sie hätten sich nicht zu unterwerfen brauchen. Die Gesetze des Solaren Imperiums hätten sie geschützt, wenn sie sich von Alfo Zharadin losgesagt hätten. Aber Zharadin hatte sie mit raffinierten Mitteln so abhängig von sich gemacht, daß keiner es wagen würde, aus dieser Abhängigkeit auszubrechen. Man munkelte, früher hätte es einmal jemand versucht, sei aber wenige Tage später tödlich verunglückt, ohne daß die Polizei Beweise für ihren Verdacht, Zharadin hätte dabei die fetten Finger im Spiel gehabt, beibringen konnte. Das festigte Zharadins Stellung natürlich noch, denn wenn nicht einmal die Polizei in der Lage war, Abtrünnige vor Zharadins Rache zu schützen, dann muckte man eben am besten gar nicht erst auf. Außerdem zahlte Zharadin höhere Löhne und Gehälter als andere Direktoren gleichartiger Unternehmen. Das alles wußte Alfo Zharadin und er war intelligent genug, um den Bogen niemals zu überspannen. Diesmal allerdings, so überlegte er, konnte es sein, daß er den Bogen überspannt hatte. Nachdenklich musterte er die beiden Männer, die in die geheimnisvolle Konstruktion auf der Antigravplattform halb eingebettet waren und schliefen. Und träumten! Denn sie waren an Traumanlagen angeschlossen, die mit Daten aus dem IschtarMemory programmiert waren. Und es waren keine gewöhnlichen Männer, sondern es handelte sich dabei um Lordadmiral Atlan und seinen Sohn Chapat – und genau das war der Anlaß von Zharadins
Besuch im Totenreich Überlegung gewesen, ob er diesmal den Bogen nicht doch überspannt hatte. Immerhin war Lordadmiral Atlan Chef der USO, der von allen galaktischen Gesetzesbrechern am meisten gefürchteten Organisation. Wenn es jemals herauskam, daß Alfo Zharadin Atlan gewaltsam an eine Traumanlage angeschlossen und außerdem entführt hatte, würde keine Macht des Universums Zharadin vor der Verurteilung durch ein Gericht der USO retten können – und auf ein derartiges Verbrechen stand die totale Persönlichkeitsumwandlung. Doch nach einigem Nachdenken grinste Zharadin gelöst vor sich hin. Niemand würde jemals erfahren, daß er Atlan und dessen Sohn in seine Gewalt gebracht hatte. Chapat wurde ohnehin von niemandem vermißt, und Lordadmiral Atlan hatte sich dazu hinreißen lassen, alle Brücken hinter sich abzubrechen, um nach seinem Sohn zu suchen. Niemand in der USO wußte, wohin Atlan gereist war und aus welchen Gründen. Zharadin nahm sich vor, weder Atlan noch Chapat zu töten. Er wollte sich keinen vorsätzlichen Mord zuschulden kommen lassen. Aber er würde die beiden Männer niemals aus der Traummaschine nehmen, bis sie in ihrer Traumwelt einen natürlichen oder gewaltsamen Tod starben und damit auch in ihrer Realität. Denn Zharadin wußte, daß jemand, der in einem vom Ischtar-Memory programmierten Traum starb, auch in der Realität aus dem Leben schied. Als die Arbeiter die Plattform durch das geöffnete Schott in den Beiboothangar dirigierten, folgte Alfo Zharadin. Er überwachte die Überführung der beiden Traumanlagen mit Atlan und Chapat in einen Frachtraum des kleinen Kugelraumschiffs sehr sorgfältig, denn er wollte nicht, daß etwas beschädigt wurde. Als die wertvolle Fracht sicher verankert war, begab sich Zharadin in die Hauptzentrale des Beiboots. Hier wartete bereits die Besatzung, achtzehn Männer, die Zharadins
11 Vertrauen genossen, weil er sie alle in seiner Hand hatte. Kommandant des Beiboots war Jigweder Tschumlueg, ein früherer Raumpirat. Jigweder war kein Terraner, obwohl er genauso aussah wie ein Erdgeborener. Er war ein waschechter Haagrijder, aber das bedeutete nicht, daß alle Haagrijder geborene Verbrecher waren. Im Gegenteil, die Bewohner des Planeten Haagrijd zählten zu den friedlichsten Intelligenzen des bekannten Universums. Jigweder Tschumlueg war eine der wenigen unrühmlichen Ausnahmen und wurde deshalb von der Polizei seines Planeten gesucht. Das und die Tatsache, daß Jigweder ein hervorragender Raumschiffspilot war, hatten Alfo Zharadin bewogen, den Haagrijder unter seine Fittiche zu nehmen. Auf ihn konnte er sich verlassen, denn ohne den Schutz Zharadins wäre Jigweder längst gefaßt worden. Und für Schwerverbrecher kannten die ansonsten friedlichen Haagrijder nur eine Strafe: den Tod. Zharadin nickte dem Haagrijder zu und fragte: »Alles klar, Jigweder?« »Alles klar, Alfo«, antwortete Tschumlueg. »Alle Systeme sind durchgecheckt und für einwandfrei befunden worden, und der Autopilot ist für den Flug nach Meggion programmiert.« »Danke!« erwiderte Zharadin und setzte sich in einen freien Kontursessel. »Starten Sie, sobald Sie die Freigabemeldung erhalten!« »Jawohl!« sagte Jigweder. Er rief einige Befehle, die die übrige Besatzung veranlaßten, auf ihre Plätze zu eilen. Dann setzte er sich vor das Kommandopult und stellte eine Funkverbindung mit der Hauptzentrale der TRAUMPALAST her. Zharadins Stellvertreter meldete sich und erteilte die Startfreigabe persönlich. »Richten Sie dem Chef aus, daß wir nach dem Start des Beiboots planmäßig weiterfliegen nach Tevafor, um das vertraglich vereinbarte Gastspiel zu starten!« schloß er.
12
H. G. Ewers
»Der Chef hat selbst mitgehört«, erwiderte Jigweder. »Danke und Ende!« Er schaltete das Funkgerät ab. Wenig später öffnete sich das äußere Hangarschott. Das Beiboot wurde von einem Abstoßfeld erfaßt und in den Weltraum geschleudert. Als Jigweder Tschumlueg die Impulstriebwerke einschaltete, war von dem Raumgiganten mit dem Namen TRAUMPALAST schon nichts mehr zu sehen. Nur auf dem Bildschirm der Tasterortung kennzeichnete ein grünlich leuchtender Punkt noch das Mutterschiff, das sich mit rasender Geschwindigkeit entfernte.
* Als wir uns, meine Space-Jet im Energieschlepp, der galaktischen Position näherten, in dem sich das geheime Hauptquartier der USO befand, schaltete Sinclair Marout Kennon den Impulskodegeber ein. Der überlichtschnelle Impuls war so schwach, daß er nur in einer Entfernung von maximal dreiundsiebzig Lichtstunden empfangen werden konnte. Damit sollte verhindert werden, daß fremde Raumschiffe, die zufällig in die Nähe dieses Raumsektors kamen – wobei unter »Nähe« eine Entfernung ab drei Lichtjahren verstanden wurde –, den Impuls auffingen und ihre Besatzungen sich fragten, was er zu bedeuten hätte. Wir erhielten keine Bestätigung für den Empfang des Kodeimpulses außer vielleicht der, daß wir eine halbe Minute später immer noch lebten. Wäre der Impuls nicht von Empfangsantennen des Hauptquartiers empfangen und für richtig befunden worden, dann hätte uns innerhalb dieser halben Minute der Tod ereilt. Vollrobotische Abwehrsysteme wie die, die Quinto-Center schützten, kannten keine Skrupel. Das klang unmenschlich, aber es wurde verständlich, wenn man berücksichtigte, daß der Raumsektor, in dem sich Quinto-Center befand, bisher noch nie von einem fremden
Raumschiff angeflogen worden war, weil es hier – scheinbar – nichts gab, was sich anzufliegen lohnte. Daher wurde als gegeben vorausgesetzt, daß ein fremdes Raumschiff, das sich doch einmal diesem Sektor nähern wollte, zum Zwecke der Spionage ausgeschickt worden war. Dreieinhalb Minuten später zeigten die Instrumente eine Erschütterung des RaumZeit-Gefüges in unmittelbarer Nähe unserer beiden Schiffe an. Im selben Augenblick bildete der Ortungsschirm die elektronische Silhouette eines Schlachtkreuzers ab, der in nur acht Kilometern Entfernung in den Normalraum zurückgefallen war. Acht Kilometer waren für die interstellare Raumfahrt keine Entfernung, deshalb konnte der Kommandant des Schlachtkreuzers statt des Hyperkoms den einfach lichtschnell sendenden Telekom benutzen. »USO-Schiff SK OTHELLO, Kommandant Xachtei!« schallte es aus dem Empfangsteil unseres Bordtelekoms, und auf dem Bildschirm war das Konterfei eines Wesens zu sehen, das eine Kreuzung zwischen Ratte und Kartoffel zu sein schien und die Uniform eines Majors der United Stars Organisation trug. Ich identifizierte den Major als Angehörigen des Volkes der Shailachiten, das generell technisch hochbegabt war und durch ein Förderprogramm der USO behutsam ins Zeitalter der galaxisweiten Kommunikation, Politik und des Handels geleitet wurde. Vor ihrer Entdeckung hatten die Shailachiten niemals an einen Vorstoß in den Weltraum gedacht. Das hing damit zusammen, daß sich ihr Sonnensystem als einziges in einem Hohlraum innerhalb einer kleinen Dunkelwolke befand, so daß die Bewohner von Shailach außer der eigenen Sonne niemals einen echten Stern gesehen hatten. Sie hatten ihren relativ winzigen Hohlraum als die Gesamtheit des Universums betrachtet. Das Erscheinen anderer intelligenter Wesen, die aus dem Nichts zu kommen behaupteten und abstritten, daß es dieses Nichts gä-
Besuch im Totenreich be, hatte den Shailachiten einen schweren Schock versetzt. Die ersten Besucher aus dem Weltraum wurden von der einzigen religiösen Instanz Shailachs öffentlich hingerichtet, weil ihre Erzählungen angeblich die Ruhe und den Frieden störten. Aber den ersten galaktischen Boten folgten weitere, und als die Shailachiten erst einmal begriffen, daß hinter der Finsternis tatsächlich eine unvorstellbar große Anzahl anderer Sonnen lag, die von Planeten umkreist wurden, auf denen intelligentes Leben existierte, da entmachteten sie die Religion, die auf der Einmaligkeit intelligenten Lebens gegründet war. Kriege flackerten auf und erloschen wieder, als die Vernunft sich durchsetzte. Für die Shailachiten war es ein großes Glück, daß die Vernunft sich bei ihnen so schnell durchgesetzt hatte. Die Spezialisten der USO hätten nicht viel helfen können. Sie durften nicht direkt eingreifen, denn welchen Weg ein Volk einschlug, das wurde ganz allein ihm selbst überlassen. Major Xachtei war rund sechzig Jahre nach diesen Ereignissen geboren worden. Nach entsprechender Ausbildung stand er innerhalb der Organisation ebenso seinen Mann, wie es ein Erdgeborener getan hätte. Ich salutierte und verzog mein Gesicht zu einem Lächeln. »Lordadmiral-Stellvertreter Tekener und Lordadmiral-Stellvertreter Kennon bitten um Begleitung nach Quinto-Center!« erklärte ich. Die Juvenus-Buckel in Xachteis Gesicht, völlig normale Unterhautverdickungen für einen Shailachiten, bewegten sich in bestimmtem Rhythmus. Es war ein Äquivalent menschlichen Lächelns, das Ken und ich ebenso zu deuten wußten wie Xachtei das, was wir Terraner ein freundliches Lächeln nannten, obwohl wir dabei unsere Zähne zu zeigen pflegten, was eigentlich eher einer Drohung entsprochen hätte. »Ich bin beauftragt, Sie nach Quinto-Center zu geleiten, Sir«, erwiderte der Major. »Soll ich Sie mit einem Traktorstrahl nach-
13 schleppen oder fliegen Sie der OTHELLO frei nach?« »Wir folgen Ihrem Schiff frei, Major«, antwortete ich, »Danke!« Der Shailachite salutierte ebenfalls, denn er besaß Arme und Hände wie ein Mensch, auch wenn die Hände jeweils nur vier Finger hatten. »Es ist mir eine Ehre, Sir«, sagte er. »Bitte folgen Sie mir. Ich lasse Fahrt aufnehmen.« »Wir folgen Ihnen«, erwiderte ich. »Nochmals vielen Dank. Ende!«
* Anderthalb Stunden später tauchte auf dem Wandlerschirm der Ortung die grünlich leuchtende Silhouette eines kleinen, kraterübersäten Mondes auf. Der zweiundsechzig Kilometer durchmessende Mond war ein Himmelskörper, der in diesem sternenleeren Raumsektor von rund vierzig Lichtjahren Durchmesser an und für sich nichts zu suchen hatte. Er war allerdings auch nicht auf natürliche Weise hierher gelangt, sondern von Tendern mit starken Druck- und Zugstrahlern aus seiner früheren Umlaufbahn um einen toten Planeten gerissen und an diesen einsamen Ort geschleppt worden. Danach hatten Techno-Kommandos ihn ausgehöhlt, wie man beispielsweise einen Kürbis aushöhlt. Anschließend war in dem riesigen Hohlraum das Hauptquartier der USO mit seinen zahlreichen starken Fusionskraftwerken, Depots aller Art, Raumschiffhangars, Ortungsund Verteidigungsstationen, Unterkünften, Freizeitzentren und Verwaltungsräumen installiert worden – und nicht zuletzt eine hochwertige Hauptpositronik, ohne die eine Koordinierung aller Aktionen dieser weitverzweigten Organisation undenkbar wäre. Ich fröstelte unwillkürlich, als ich den von außen toten Himmelskörper sah. Mir war nie besonders wohl gewesen, wenn ich dort zu arbeiten hatte. Ich brauchte, wenn ich nicht
14 gerade mit einem Raumschiff flog, über mir freien Himmel, eine natürliche Atmosphäre und das wärmende Licht einer Sonne. Sinclair Marout Kennon beobachtete mich mit einem wissenden Lächeln. Er kannte meine Abneigung gegen Himmelskörper wie Quinto-Center, aber er teilte sie nicht. Nachdem alle drei Schiffe in die ihnen zugewiesenen Hangars eingeflogen waren, fühlte ich mich etwas besser. Im Innern des ausgehöhlten Mondes konnte ich zeitweilig vergessen, daß ich mich in einem toten Himmelskörper befand. Bevor wir uns zur Datenzentrale des Hauptquartiers begaben, mußten wir die routinemäßige, aber peinlich genaue Untersuchung über uns ergehen lassen, ohne die niemand – nicht einmal der Lordadmiral selber – ins Innere des Mondes eindringen durfte. Die Untersuchung diente nicht nur der Überprüfung unserer Identität, sondern auch der Feststellung, ob unsere Gehirne einer Programmierung unterzogen worden waren und ob wir eventuell gefährliche Keime in uns trugen. Erst als das negative Ergebnis feststand, durften wir mit der Rohrbahn zum Zentrum des ausgehöhlten Mondes fahren. In der Datenzentrale waren unterdessen zahllose Informationen über den Lordadmiral und sein mutmaßliches Ziel eingegangen. Die Hauptpositronik hatte außerdem alle Daten, die über die ferne Vergangenheit Atlans zu erhalten waren, gesammelt und zur Auswertung der Meldungen mit herangezogen. Sinclair Marout Kennon und ich wechselten bedeutungsvolle Blicke, als wir die vorläufige Endauswertung lasen. »Diese Ischtar scheint die Zentralfigur zu sein, um die sich alles dreht, Tek«, meinte Kennon, dessen geniales Gehirn die Zusammenhänge schneller erfaßte als ich. »Sie muß in Atlans Jugend eine bedeutende Rolle gespielt haben. Offensichtlich war sie seine Geliebte.« »Und Atlan zeugte mit ihr einen Sohn, der identisch mit diesem geheimnisvollen Cha-
H. G. Ewers pat sein soll«, ergänzte ich. »Ich verstehe nur nicht, wie Chapat heute noch leben kann.« Kennon lächelte. Das organisch lebende Gewebe seines Synthokörpers reagierte auf Hirnimpulse genauso wie das Gewebe eines auf natürliche Weise gewachsenen Körpers, und das Gesicht konnte alle menschlichen Gefühlsregungen zeigen, die sein Besitzer durchlebte. »Atlan lebt schließlich auch noch und er muß als Erzeuger Chapats naturgemäß älter sein als dieser«, erklärte er. Er wurde wieder ernst. »Es scheint nach den Informationen, die das Gehirn gesammelt hat, festzustehen, daß Chapat keinen Wert auf Popularität legte und deshalb versuchte, in der TRAUMPALAST unterzutauchen. Atlan muß das herausgefunden haben und ihm gefolgt sein. Von da an blieben beide Männer verschwunden.« Ich nahm die Datenfolie, auf der die Daten über das Zirkusschiff mit dem Namen TRAUMPALAST ausgedruckt waren. »Die TRAUMPALAST ist zwar genauso riesig und so gebaut wie die sogenannten Weltraumzirkusse, aber sie ist innen anders gestaltet«, sagte ich nachdenklich. »Sie trägt den Namen TRAUMPALAST offenbar zu Recht, denn dort, wo bei den Zirkusschiffen die Arena ist, sind bei ihr in zahlreichen Nischen rundum die Traum- und Illusionsmaschinen angebracht. Außerdem gibt es zahlreiche Spielkasinos und vermutlich auch Rauschgifthöhlen.« »Der Besitzer heißt Alfo Zharadin und ist aus der Verbindung zwischen einem Terraner und einer Mervanerin hervorgegangen«, sagte Kennon. »Es kommt äußerst selten vor, daß aus einer solchen Verbindung Kinder entstehen – und wenn, dann sind sie immer geschlechtslos.« Ich nickte und erklärte: »Alfo Zharadin hat sich allerdings entschlossen, als Mann aufzutreten. Er ist nur 1,55 Meter groß, sehr fett und besitzt alle Merkmale eines Albinos. Die Polizei des
Besuch im Totenreich Imperiums verdächtigt ihn zahlloser Vergehen, darunter Menschen- und Rauschgifthandel sowie Mord. Sie konnte ihm allerdings bisher nichts nachweisen.« »Also genau der Typ, dem ich zutraue, daß er sowohl den Lordadmiral als auch seinen Sohn verschwinden läßt, wenn der dadurch zu erreichende Vorteil in entsprechendem Verhältnis steht«, meinte Kennon finster. »Ich denke, wir sollten diesem Zharadin auf die Finger schauen.« »Die TRAUMPALAST soll zur Zeit ein Gastspiel auf dem terranischen Kolonialplaneten Tevafor geben«, sagte ich. »Ich schlage vor, wir sehen uns das Schiff gründlich an.« »Einverstanden, Tek«, erwiderte Kennon. »Wir sollten allerdings eine Raumlandedivision der USO mitnehmen, um das Schiff notfalls blitzschnell besetzen und durchsuchen zu können. Die TRAUMPALAST ist ein riesiger Irrgarten, den zwei Menschen nur in Wochen durchsuchen können.« Ich nickte. »Das ist richtig, Ken, aber zuerst versuchen wir es allein – mit der Raumlandedivision im Hintergrund. Ich werde veranlassen, daß uns ein kleiner Offensivverband unterstellt wird. Traust du diesem Zharadin zu, daß er Atlan und Chapat umbringen läßt?« »Diesem Verbrecher traue ich alles zu«, antwortete der Halbroboter grimmig. »Deshalb müssen wir schnell zuschlagen, wenn wir Atlan noch retten wollen.« Falls es nicht schon zu spät dafür ist! dachte ich. Aber ich sprach es nicht aus, denn Atlans Tod wäre für die gesamte USO ein unersetzlicher Verlust gewesen.
3. Alfo Zharadin beobachtete, wie sein Beiboot im Thalaika-Tal auf Meggion landete. Lange Zeit musterte er den kristallklaren See, die exotischen Haine und den weißen Sandstrand, die vor einer Kulisse aus hohen zerklüfteten Bergen lagen. Tränen quollen aus Zharadins Augen und
15 rannen über sein häßliches Gesicht. In seiner Brust entstand ein brennender Schmerz, breitete sich aus und strahlte bis in den entlegensten Winkel seines Körpers. »Wäre ich nur ein richtiger Mensch, ein Mann oder eine Frau!« flüsterte Zharadin. »Ich sehne mich so nach Liebe und kann sie doch niemals erhalten.« Seine Stimmung schlug um. Zornig wischte er sich die Tränen vom Gesicht, nahm eine kostbare Vase und schleuderte sie gegen den Bildschirm, auf dem das Thalaika-Tal zu sehen war. Die Vase zersplitterte in unzählige kleine Stücke; der Bildschirm allerdings blieb ganz. Zharadins Zorn verrauchte sehr schnell, während er seinen Inhalator einschaltete und das ausströmende Gas in tiefen Zügen in seine Lungen sog. Das TVW-Gas löste die psychischen Verkrampfungen, stimulierte durch eine milde Euphorie und stärkte die Zuversicht. Außerdem aktivierte es bestimmte Regionen des Zentralnervensystems, so daß Alfo Zharadin sich bald nicht nur wie ein Supermann fühlte, sondern infolge einer Erweiterung seiner geistigen Fähigkeiten zu bestimmten Handlungen und Denkvorgängen fähig war, wie sie sonst nur einem Supermann zugeschrieben wurden. Nach einiger Zeit schaltete Zharadin den Inhalator wieder aus. Mit glänzenden Augen blickte er sich um, dann ging er zu dem Wandtresor seiner Kabine, öffnete ihn und nahm den Gegenstand heraus, wegen dem er zuerst Chapat und danach Atlan in seine Gewalt gebracht hatte. Der Gegenstand war kreiselförmig, sieben Zentimeter hoch und mit fünf Zentimetern Grundflächendurchmesser. Seine Färbung war blau, und auf halber Höhe umlief eine kaum sichtbare Kerbe den Kreisel. Behutsam stellte Zharadin den Kreisel auf den Tisch. »Ischtar-Memory« hatte Chapat dieses geheimnisvolle Gerät genannt, mit dem es Zharadin möglich gewesen war, Traummaschinen so zu programmieren, daß sie eine
16 ganz neue Qualität von Träumen hervorbrachten. Träume, die den Träumenden in eine Phantasiewelt versetzten, die auf einer realen Welt basierte und die sich wiederum auf die reale Welt auswirkten. Beispielsweise dann, wenn der Träumende in einem Traum starb. In diesem Fall starb auch sein an die Traummaschine angeschlossener Körper. Zharadin hatte es am Beispiel eines von zwei Technikern erlebt, die sich als Versuchspersonen an die ersten beiden, mit dem Ischtar-Memory programmierten Traummaschinen angeschlossen hatten. Einer von ihnen war, wie der zweite nach dem Abschalten der Maschinen berichtete, im Traumerlebnis in einen Streit verwickelt und getötet worden – und er war tatsächlich gestorben. Alfo Zharadin strich mit zitternden Fingern über den Kreisel. Er atmete schwer. Bisher hatte er darauf verzichtet, sich an eine Traummaschine anzuschließen, die durch das Ischtar-Memory programmiert worden war. Doch jetzt, nach der TVWStimulierung, fühlte er sich befähigt, auch die gefährlichsten Traumerlebnisse zu bestehen und alle Gefahren zu meistern. Entschlossen ging er zum Interkom und schaltete das Gerät ein. »Zharadin hier!« sagte er. »Professor Keevaar soll sofort zu mir kommen!« Wenige Minuten später trat Professor Keevaar ein, eine hochgewachsene Gestalt mit dem Körper eines Gottes und dem Gesicht eines Idioten. Doch das Gesicht täuschte. Professor Keevaar mochte zwar sehr einseitig begabt und in dieser Beziehung tatsächlich ein Idiot sein, auf dem Gebiet synthetischer Träume machte ihm jedoch kein anderer Spezialist im bekannten Universum etwas vor. Keevaar war anderthalb Jahre lang im Auftrag Zharadins unterwegs gewesen und erst kurz vor dem Start des Beiboots wieder auf die TRAUM-PALAST zurückgekehrt, um mit seinem Chef nach Meggion zu fliegen. Ohne Umschweife erklärte Zharadin: »Ich will einen Traum haben, dessen Pro-
H. G. Ewers grammierung aus dem Inhalt des IschtarMemorys stammt, Professor. Können Sie das innerhalb einer Stunde veranlassen?« Keevaar verzog das Gesicht zu einem Grinsen, das dadurch, daß nur eine Gesichtshälfte daran beteiligt war, den idiotischen Eindruck noch verstärkte. »Ich brauche eine halbe Stunde, Chef«, antwortete er. »Wollen Sie in dem Traum sterben?« »Natürlich nicht, du Idiot!« fuhr Zharadin den Traumspezialisten an. »Ich werde eine simultanpsionische Schaltverbindung zwischen unseren Gehirnen herstellen lassen, so daß du im gleichen Moment stirbst, in dem ich sterbe.« »Das wäre schön, Chef«, erwiderte Keevaar, wobei ihm ein Speichelfaden aus dem linken Mundwinkel floß. »Das ist mir egal!« befahl Zharadin. »Du sorgst jedenfalls dafür, daß die Programmierung ungefährlich ist. Und nun beeile dich!« Keevaar steckte einen Finger in seinen Mund, kniff ein Auge zusammen und sagte: »Das wird ein Spaß, Chef!« Kichernd entfernte er sich aus der Kabine. Angewidert blickte Zharadin ihm nach, bis er verschwunden war, dann schaltete er abermals seinen Inhalator ein und atmete das Gas in gierigen Zügen.
* Anderthalb Lichtjahre vor dem CyclosSystem kehrten wir zum letzten Orientierungsmanöver in den Normalraum zurück. Wir, das waren Sinclair Marout Kennon und ich mit unserem Prospektorenschiff NUGGET sowie ein Offensivverband der USO, der allerdings nur aus einem Schnellen Kreuzer, einem mittelgroßen Trägerschiff und dem Truppentransporter TROJA bestand. Gleich nach dem Rücksturz in den Normalraum rief ich die Kommandanten der USO-Schiffe an und erteilte ihnen den Befehl, in einem letzten Linearmanöver bis an die äußeren Ausläufer der smaragdgrünen
Besuch im Totenreich Sonne Cyclos heranzugehen und dort in ihrem Ortungsschutz zu bleiben, bis ich von Tevafor aus den Einsatzbefehl gab. Kennon und ich dagegen wollten mit der NUGGET, einem narbenzerfressenen Prospektorenschiff, in einem Linearmanöver bis zur Grenze des Cyclos-Systems fliegen und die Systemüberwachung auf normalem Wege passieren. Da wir auf Tevafor nicht als USOSpezialisten erkannt werden wollten – und Kennons und mein Gesicht waren galaxisweit bekannt –, hatten unsere Maskentechnos uns äußerlich als zwei leicht verwahrloste Prospektoren hergerichtet, deren Papiere auf den Namen Hilgan Orthos (für mich) und Framm Jocelyn (für Kennon) lauteten. Im Unterschied zu anderen Geheimeinsätzen hatten wir uns nicht die Namen von wirklich existierenden Personen ausgeliehen, sondern Phantasienamen benutzt. Hinter Zharadin stand schließlich keine gigantische Organisation wie beispielsweise die ehemalige Condos Vasac. Für uns kam es in diesem Fall nur darauf an, unerkannt in die TRAUMPA-LAST zu gelangen. Als der USO-Verband erneut im Zwischenraum verschwunden war, schaltete ich die Impulstriebwerke des hundert Meter durchmessenden Kugelraumschiffs hoch und beschleunigte behutsam. Eine jähe Beschleunigung hätten die Andruckabsorber des uralten Schiffes nicht ausgehalten, und wenn zirka tausend Gravos durchkämen, dann würde nicht nur ich im Bruchteil einer Sekunde zerquetscht sein, sondern auch Kennon mit seiner Vollprothese. Nach etwa fünfzig Minuten waren siebzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht. Der Kahn bebte so stark, daß ich fürchtete, er könnte im nächsten Augenblick aus den Fugen gehen. Das war eine Folge der fehlerhaft arbeitenden Synchronautomatik der Triebwerkssteuerung. Seufzend schaltete ich den KalupKonverter ein. Die NUGGET verschwand in einem silb-
17 rig schimmernden Strudel, der weder eine Ähnlichkeit mit dem Normalraum, noch mit dem Zwischenraum aufwies. Rein theoretisch war mir das Medium bekannt, in das unser Schiff geraten war. Es handelte sich um eine energetische Struktur, die – bildlich gesprochen – als Kupplungsscheibe zwischen dem Normal- und dem Zwischenraum fungierte. Sie verhinderte eine gegenseitige Beeinflussung der beiden Kontinua. Sie war allerdings nicht für die Fortbewegung von Raumschiffen geeignet. Unser Kalup mußte nicht richtig funktioniert haben, wenn wir in der Kupplungszone hängengeblieben waren. »Schalte den Kalup aus!« sagte Kennon. Ich schüttelte den Kopf. »Nicht so hastig, Ken«, entgegnete ich. »Wenn ich den Kalup ausschalte, stürzen wir mit Nullfahrt in den Normalraum zurück, und das ganze haarsträubende Beschleunigungsmanöver beginnt von vorn.« Ich verringerte und erhöhte die Arbeitsleistung des Kalupschen Kompensationkonverters in schnellem Wechsel, was einige Feldsicherungen durchschlagen ließ. Die Schiffszelle geriet in bedrohliche Vibrationen. Und plötzlich machte der silbrig schimmernde Strudel den vertrauten Farb- und Formspielen des Zwischenraums Platz. Ich atmete auf. »Das hätte ins Auge gehen können, Tek«, bemerkte Kennon. Ich zuckte mit den Schultern. »Ein bißchen Glück braucht man schon, um mit diesem Schrottkahn lebend ans Ziel zu kommen«, erklärte ich. »Sobald wir auf Tevafor gelandet sind, sage ich der NUGGET für immer Lebewohl.« Ich konzentrierte mich auf die Navigation durch den Zwischenraum, die normalerweise vom Autopiloten unter Anleitung der Hauptpositronik durchgeführt wurde. Doch ich traute weder der Hauptpositronik der NUGGET noch dem Autopiloten. Also flog ich nach Sicht, was mit einem Linearschiff durchaus möglich ist, da der Reliefschirm das Bild der im Normalraum
18 befindlichen Zielsonne präzise abbildet. Statt einer Sonnenscheibe zeigte der Reliefschirm der NUGGET zwar nur einen verwaschen wirkenden grünen Farbklecks, aber für einen erfahrenen Raumfahrer wie mich genügte das. Als wir in den Normalraum zurückkehrten, hatten wir die anvisierte Stelle der Grenze des Cyclos-Systems tatsächlich nur um hundertneunzig Millionen Kilometer verfehlt, was für die NUGGET keine schlechte Leistung darstellte. Allerdings waren wir um genau diese hundertneunzig Millionen Kilometer über die Grenze des Systems hinausgeflogen beziehungsweise hineingeflogen. Die Systemüberwachung reagierte entsprechend allergisch. Der Kommandant eines Patrouillenbootes rief uns an und teilte uns mit, wir müßten das System wieder verlassen und uns von der Grenze her ordnungsgemäß anmelden, wenn unser Schiff nicht beschlagnahmt werden sollte. Erst nachdem ich darauf hingewiesen hatte, daß wir uns wegen Maschinenschadens in einer Notlage befanden und nachdem ich mit Engelszungen eine Viertelstunde lang auf den Mann eingeredet hatte, durften wir unseren Flug nach Tevafor direkt fortsetzen. Einen halben Tag später landeten wir auf dem Planeten, einer Welt mit der anderthalbfachen Masse der Erde, einer entsprechend höheren Schwerkraft und einem feuchtkalten Klima, bei dem ich mich bestimmt nicht wohl gefühlt hätte, wenn ich dort länger als eine Woche hätte leben müssen. Dennoch war Tevafor von rund sieben Millionen terranischen Kolonisten bewohnt. Sie hatten die hohe Schwerkraft und die schlechten klimatischen Bedingungen dieser Welt in Kauf genommen, weil Tevafor reich an seltenen Mineralien war, die zudem im Tagebau gefördert werden konnten. Wer hier als qualifizierter Techniker, Ingenieur oder Produktionsprogrammierer arbeitete, der konnte in wenigen Jahren ein Vermögen
H. G. Ewers erwerben, für das er auf der Erde sein ganzes Leben geschuftet hätte. Ein ansehnlicher Teil der Gewinne war allerdings gemäß einem speziell für Tevafor erlassenen Gesetz dafür aufgewandt worden, die Lebensbedingungen der Tevaforer denen ihrer Heimat so gut wie möglich anzugleichen. So lag denn beispielsweise die Hauptstadt Benson's Ark unter einem riesigen, kuppelförmigen Panzertroplondach und war zusätzlich auf einem natürlichen Felsplateau errichtet worden, das ungefähr siebenhundert Meter über dem Meeresspiegel lag. Am Fuße des Plateaus befand sich der größte Raumhafen Tevafors und auf ihm stand, neben zahlreichen Frachtschiffen, die TRAUMPALAST. Nach zähen Verhandlungen mit dem Towerchef erhielten wir die Genehmigung, unsere NUGGET am äußersten Nordrand des Raumhafens zu landen. Die Genehmigung wurde allerdings zurückgezogen, als wir während des Landevorgangs drei lose Landestützen verloren. Doch da wenig später noch zwei Triebwerke im Ringwulst aussetzten, mußte man uns eine Notlandung genehmigen. Kaum hatten die verbliebenen Landeteller der NUGGET den Platzbelag berührt, als auch schon ein grellroter Gleiter vom Tower her auf sie zuschoß. Mit düsteren Ahnungen stiegen Kennon und ich aus, um die Gleiterbesatzung zu begrüßen. Drei Männer entstiegen dem Gleiter. Einer trug die Uniform eines Raumhafeninspekteurs, die beiden anderen waren von der Hafenpolizei. Der Inspekteur musterte Kennon und mich mit unverhohlenem Abscheu, räusperte sich dann und erklärte uns, daß die NUGGET gemäß den Vorschriften zur Sicherung des Raumverkehrs sichergestellt würde und Startverbot bekäme, bis alle technischen Mängel behoben wären und das von einer Prüfungskommission bestätigt worden sei. Anschließend besetzten die beiden Hafen-
Besuch im Totenreich polizisten die Hauptzentrale des Schiffes. Kennon und ich durften unser Gepäck holen und mußten dann den Hafenbezirk verlassen. Als wir vor einem billigen Hotel ankamen, sagte Kennon sarkastisch zu mir: »Wären wir mit der NUGGET auf einer Primitivwelt gelandet, hätte man uns als Götter gefeiert – und hier sind wir nur ein paar arme Raumstreicher.« Ich erwiderte nichts darauf, denn ich litt im Unterschied zu meinem Partner stark unter der hohen Schwerkraft Tevafors. Müde schleppte ich mich in unser Zimmer, setzte mein Gepäck ab und ließ mich auf eines der beiden Pneumobetten fallen. Als das Luftpolster unter der Belastung nachgab und ich unsanft mit dem Stahlrost in Berührung kam, lachte Sinclair Marout Kennon schallend. Ich schloß die Augen und wünschte mir, ich hätte auch die Ohren verschließen können. Aber Sekunden später war ich eingeschlafen.
* Ich erwachte davon, daß sich kaltes Wasser über mein Gesicht ergoß. Als ich hochfuhr, blickte ich in Kennons lächelndes Gesicht. Er hielt die Wasserkaraffe noch in der Hand. »Erhebe dich, du Faulpelz!« forderte er mich auf. »In einer halben Stunde öffnet der TRAUMPALAST!« »Die TRAUMPALAST!« verbesserte ich ihn. Im nächsten Moment erschrak ich. »Wir haben noch keine Karten und Zharadins TRAUMPALAST soll immer überfüllt sein!« sagte ich. »Wenn ich keine besorgt hätte, dann allerdings hätten wir keine Karten und würden heute wohl auch keine mehr bekommen«, erwiderte mein Partner. »Ich mußte unsere Karten ohnehin bei einem Schwarzhändler kaufen – für hundertdreißig Solar das Stück.«
19 »Hundertdreißig Solar?« fragte ich. »Das ist ja Wucher, Ken.« Kennon zuckte mit den Schultern. »Was sollte ich machen, ohne aufzufallen. Nur ein einziger Schwarzhändler hatte noch ein paar Karten. Das heißt, es gab noch drei andere Burschen, die Karten verkauften, aber die waren gefälscht.« »Zustände sind das!« erregte ich mich. »Der normale Eintrittspreis beträgt siebzehn Solar, und das ist schon viel, denn damit erwirbt man nur das Recht, die TRAUMPALAST zu besichtigen. Alle übrigen Dienstleistungen müssen extra bezahlt werden.« Kennon lächelte stärker. »Es gibt eben überall Menschen, die die Knappheit von Waren ausnutzen, um sich zu bereichern. Aber ›mein‹ Schwarzhändler hat diesmal ein Verlustgeschäft gemacht. Ich habe ihm heimlich seine Brieftasche abgenommen – mit rund hunderttausend Solar.« Ich stöhnte unterdrückt. »Ein USO-Spezialist als Taschendieb!« sagte ich vorwurfsvoll. »Das bringt dir ein Disziplinarverfahren ein, Ken.« »Das glaube ich nicht«, meinte Kennon gleichmütig. »Wie sollten die Bürokraten auf QC schon davon erfahren?« »Durch mich«, erklärte ich eisig. »Ich bin verpflichtet, den Vorfall in meinem Einsatzbericht zu erwähnen.« »Daran dürftest du kaum interessiert sein, es sei denn, du möchtest ebenfalls ein Disziplinarverfahren angehängt bekommen. Ich habe die Summe nämlich geteilt und jeweils die Hälfte auf Konten eingezahlt, die ich für Hilgan Orthos und Framm Jocelyn bei der hiesigen Filiale der Imperiumsbank eingerichtet habe.« Ich blickte meinen Partner lange an, dann seufzte ich und erwiderte: »Du hast mich also zu deinem Komplizen gestempelt, wie? Unter diesen Umständen kann ich den Vorfall leider nicht im Bericht erwähnen, denn ich werde ihn sehr schnell vergessen.« Ich stieg aus meinem Marterbett, reckte mich und richtete mich im Bad einigerma-
20 ßen menschlich her. Kennon und ich trugen die bei Prospektoren üblichen leichten Universalkombinationen, die sowohl auf Raumschiffen als auch auf Planeten mit atembarer Sauerstoffatmosphäre üblich waren. Da wir als arm gelten wollten, hatten wir allerdings Modelle gewählt, die bereits aus der Mode waren. Was niemand erkennen konnte, war, daß unsere veralteten Kombinationen mehr als tausendmal mehr wert waren als die allerneuesten Luxusmodelle. In ihnen waren nämlich Ausrüstungsteile siganesischer Mikrofertigung verborgen, die ein normaler Bürger gar nicht käuflich erwerben konnte. Wir benutzten eines der zahllosen Gleitertaxis, um zur TRAUMPALAST zu kommen. Vor dem riesigen Raumschiff hatte sich bereits eine unüberschaubare Menschenmenge angesammelt. Die meisten Menschen waren Bewohner des Planeten Tevafor, deren kostbare Kleidung von Wohlstand zeugte. Aber es gab auch Besatzungsmitglieder von Frachtern, die ihren Aufenthalt auf Tevafor ausnutzten, um die berühmtberüchtigte TRAUMPA-LAST zu besuchen. Kennon und ich reihten uns in einer der vielen Menschenschlangen ein und warteten geduldig. Kurz darauf begann es zu regnen. Graue Wasserschleier gingen hernieder und verhüllten die TRAUMPALAST. Ich verwünschte den Regen und die hohe Schwerkraft, die sehr rasch müde machte. Endlich wurden die Tore der TRAUMPALAST geöffnet. Unsere Schlange schob sich schnell vorwärts. Nur zweimal gab es eine Stockung, als mehrere Personen abgewiesen wurden, weil sie gefälschte Eintrittskarten besaßen. Als die Leute lautstark protestierten, ging das Wachpersonal des Schiffes mit Schockknüppeln auf sie los und verjagte sie. Ich kochte innerlich vor Wut, doch die übrigen Wartenden betrachteten die Zwischenfälle offenbar als willkommene Abwechslung, denn sie feuerten die Wachen durch Zurufe an. Als wir vor den Kontrollrobots standen,
H. G. Ewers schoben wir unsere Karten in die Prüfschlitze. Ein Posten beobachtete uns, den Schockknüppel zwischen zwei Fingern balancierend. Er schien zu erwarten, daß unsere Karten gefälscht waren. Als die Roboter Grünlicht gaben, verzog sich sein Gesicht vor Enttäuschung. Im Innern der gigantischen Arena bewegte sich eine große Menschenmenge. Die Männer und Frauen drängten sich, um die Traummaschinen in den Wandnischen zu besichtigen. Noch ging niemand in die Nischen hinein, obwohl die Träume und anderen Illusionen durch Leuchtschrift und Lautsprecherdurchsagen angepriesen wurden. Kennon und ich mußten unsere Ellbogen benutzen, um uns durch die Menge zu arbeiten. Glücklicherweise herrschte in der TRAUMPALAST eine auf einen Gravo reduzierte Schwerkraft, so daß ich mich bald erholt hatte. Ohne daß wir darüber gesprochen hatten, waren Kennon und ich uns darin einig, daß wir hier unten keine Spur von Atlan oder Chapat finden würden. Wenn sie sich an Bord befanden, dann waren sie gut versteckt – und zwar dort, wo Besucher normalerweise nicht hinkamen. Wir kannten den Konstruktionsplan des Schiffes genau und vermuteten, daß sich die Gesuchten auf einem der Decks befinden mußten, in denen sich die Behälter für seltene exotische Tiere und sonstige Waren befanden, die Raumschiffe dieser Art mitzuführen pflegten. Es gelang uns, unbemerkt durch eine Nebentür zu kommen, die nur von einem älteren Mann bewacht wurde. Sinclair Marout Kennon beeinflußte den Mann mit Hilfe des kleinen Hypnostrahlers, den er, als monokulares Fernglas getarnt, bei sich trug. Der Mann schaute nach der kurzen »Behandlung« durch uns hindurch und nahm uns nicht wahr, als wir an ihm vorbei durch die Tür gingen. Hinter der Tür lag ein schmaler Gang, der zu einigen Räumen führte, von denen aus die Techniker der TRAUMPALAST die
Besuch im Totenreich Traummaschinen kontrollierten und bei Pannen die notwendigen Reparaturschaltungen vornehmen konnten. In diesem Trakt gab es auch einen separaten Antigravlift, der zu den Unterkünften der Techniker führte. Es handelte sich um eine Doppelröhre, von denen eine ein aufwärts, die andere ein abwärts gepoltes Kraftfeld barg. Ungesehen erreichten wir die Röhre mit dem aufwärts gepolten Kraftfeld und schwangen uns hinein. Als wir eine der ovalen Öffnungen passierten, die als Ein- und Ausstiege gedacht waren, schaute der Lockenkopf eines etwa fünfzehnjährigen Mädchens in den Schacht. Der Kopf wurde zurückgezogen, bevor Kennon seinen Hypnostrahler einsetzen konnte. Mein Partner stieß eine Verwünschung aus, sah aber ein, daß es sinnlos gewesen wäre, umzukehren. Das Mädchen brauchte noch keinen Verdacht geschöpft zu haben. Es würde aber zweifellos Verdacht schöpfen, wenn wir umkehrten – und wenn es ihm gelang, uns zu entkommen, dann schlug es bestimmt Alarm. Wir mußten hoffen, daß es unserem Auftauchen keine Bedeutung beimaß und darüber schwieg. Im Unterkunftsdeck der Techniker endete der Antigravlift. Wir stiegen aus und ließen uns von einem Transportband zum Hauptlift tragen, der durch die Längsachse des Schiffes führte. Hier war die Gefahr der Entdeckung besonders groß, aber es gab keinen anderen Weg in den Sektor, den wir als Ziel gewählt hatten. Es sei denn, wir wären eine der Nottreppen hinaufgestiegen. Doch das hätte uns zuviel Zeit gekostet. Glücklicherweise schien das Schiffspersonal auf den Stationen zu sein, um den Gästen einen perfekten Service zu bieten. Jedenfalls begegneten wir niemandem. In dem Deck, in dem sich die Käfige für exotische Tiere befanden, verließen wir den Hauptlift. Kaum standen wir wieder auf festem Bo-
21 den, als sich hinter uns das Oval der Liftöffnung schloß. Gleichzeitig vernahmen wir weit vor uns das Knallen hart zuschlagender Schleusenschotte. Jemand hatte unseren Sektor durch eine Katastrophenschaltung hermetisch abgeriegelt. Mein Partner und ich blickten uns kurz an, dann meinte Kennon ironisch: »Die Falle ist zugeschlagen, Partner. Was schlägst du vor?« »Warten wir ab!« erwiderte ich. »Man wird ein Suchkommando in diesen Sektor schicken. Wenn es uns gelingt, uns vor ihm zu verbergen, wird man die Suche als ergebnislos abbrechen und an blinden Alarm glauben.« »Und wo sollen wir uns verbergen?« erkundigte sich Kennon. »In einem der Käfige«, antwortete ich. »Und zwar in einem belegten Käfig.«
* Der Zafguir sah so aus, wie sich der durchschnittliche Mensch eine mordlüsterne Bestie vorstellt: groß wie ein Kaffernbüffel, mit dem Schädel, der Haut und dem Schwanz eines Raubsauriers, mit dolchlangen und ebenso scharfen Reißzähnen und mit großen krallenbewehrten Tatzen. Kennon und ich wußten es besser. Wir hatten einen gemeinsamen Urlaub auf Tsakoree, der Heimat des Zafguirs, verlebt und diese tierähnlichen Lebewesen dabei recht gut kennengelernt. Sie waren trotz ihres Aussehens keine Tiere, sondern verfügten über einen IQ, der sogar etwas höher als der durchschnittliche menschliche Intelligenzquotient lag. Es war ein Verbrechen, daß Zharadin einen Zafguir in einem Käfig gefangenhielt. Aber vielleicht ahnte er nicht, daß der Zafguir intelligent war. Diese Wesen waren so zurückhaltend, daß sie niemals von sich aus Kontakt mit anderen intelligenten Wesen aufnahmen. »Die Wälder mögen dich beschützen!«
22 sagte ich den zafguirischen Gruß, nachdem der Zafguir und wir uns eine Weile schweigend angesehen hatten. Ich benutzte selbstverständlich die Zafguir-Sprache, denn Kennon und ich hatten sie während unseres Aufenthalts auf Tsakoree gelernt. »Auf daß stets eine gute Sonne über euren Häuptern scheine!« antwortete der Zafguir mit der Erwiderungsformel. Weiter sagte er nichts, obwohl er sicher neugierig war, aber Zafguirs waren eben von Natur aus sehr zurückhaltend. »Wir brauchen deine Hilfe«, erklärte ich. »Die Männer dieses Schiffes suchen uns, denn wir sind heimlich eingedrungen, um jemanden zu suchen, der hier widerrechtlich gefangengehalten wird – wie du.« »Ich werde euch helfen«, sagte der Zafguir. »Wenn euch meine Behausung nicht zu schmutzig ist, könnt ihr euch hier verstecken.« »Wir nehmen dein Angebot dankbar an«, erwiderte ich. »Gestattest du, daß wir die elektronische Verriegelung deiner Behausung beseitigen?« Ich zog den Impulskodegeber aus der Tasche, mit dessen Hilfe ich elektronisch verriegelte Schlösser relativ schnell öffnen konnte. Aber der Zafguir wehrte ab. »Ich besitze einen programmierten Kodegeber«, erklärte er und zog das daumengroße Gerät aus einer Vertiefung hinter seinem rechten Ohr. Im Nu hatte er die elektronische Verriegelung beseitigt. Die Käfigtür schwang auf. Kennon und ich hielten uns nicht mit Fragen auf, denn wir hörten, wie irgendwo in der Nähe ein Schott geöffnet wurde. Unser Verfolger würde bald auftauchen, dann mußten wir verschwunden sein. Wir stiegen in den Käfig. Der Zafguir verschloß die Gittertür wieder und sagte: »Ich lege mich so hin, daß ihr euch bequem hinter mir verstecken könnt.« Er streckte sich aus, und Kennon und ich verbargen uns mühelos hinter dem Gebirge
H. G. Ewers aus Knochen, Sehnen und Muskeln. Kurz darauf erschienen fünf schwerbewaffnete Männer. Sie gingen langsam durch den Gang zwischen den Käfigen und prüften überall die elektronischen Verriegelungen. Damit lagen sie zwar richtig, aber sie kamen nicht auf den Gedanken, daß jemand eine elektronische Verriegelung geöffnet und wieder geschlossen haben könnte. Auch vor dem Käfig des Zafguirs blieben sie stehen und prüften das Schloß. Einer meinte grinsend: »Wenn die Burschen hier eingestiegen sind, stecken sie längst im Magen dieses Monstrums.« Der Zafguir riß den Rachen auf und stieß ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus. Die Männer schrien erschrocken auf, und als das Gebrüll verstummte, hörte ich einen von ihnen sagen: »Ich möchte bloß wissen, warum der Chef sich diese Bestie hält. Wenn er sie wenigstens anzapfen ließ, damit die Kunden sein Instinktspektrum träumen könnten!« Sie gingen weiter. Die letzte Bemerkung stimmte mich nachdenklich. Wenn Zharadin den Zafguir nicht benutzte, um das Spektrum seiner Gedanken und Gefühle auf Traummaschinen zu übertragen, dann wußte er wahrscheinlich um die Intelligenz dieses Wesens. Folglich hatte er bewußt ein Verbrechen begangen, als er den Zafguir in einen Käfig sperrte. Als die Männer außer Hörweite waren, sagte ich zu dem Zafguir: »Wir werden dafür sorgen, daß du freikommst, mein Freund.« »Wie wollt ihr das anstellen, wo ihr euch doch selbst verbergen müßt?« erkundigte sich der Zafguir. »Wir brauchen uns nicht mehr lange zu verbergen«, antwortete Kennon. »Mein Partner und ich sind USO-Spezialisten. Ein Funksignal von uns genügt, um die TRAUMPA-LAST von einer Raumlandedivision besetzen zu lassen. Wir müssen nur vorher versuchen, zwei Männer zu finden, die von Zharadin gefangengehalten wer-
Besuch im Totenreich den.« »Heißen diese Männer Atlan und Chapat?« fragte der Zafguir. »Ja!« rief ich überrascht. »Was weißt du von ihnen? Atlan ist der Lordadmiral der USO.« »Zwei Wärter sprachen miteinander darüber, daß Zharadin die von euch Gesuchten an eine Traummaschine angeschlossen hätte«, antwortete der Zafguir. Ich atmete auf. »Danke!« sagte ich. »Du hast uns einen großen Dienst erwiesen. Wenn wir dir einen Wunsch erfüllen können, dann nenne ihn uns. Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht.« »Laßt mich hier«, sagte der Zafguir. »Wie, bitte?« fragte Kennon verblüfft. »Legst du denn gar keinen Wert darauf, frei zu sein?« »Doch«, erwiderte der Zafguir. »Aber ich bin hier, weil ich mich absichtlich von Zharadins Leuten habe einfangen lassen. Unsere Ältesten vermuten, daß Zharadin es war, der vor mehreren Jahren dreißig neugeborene Zafguirs hat entführen lassen. Ich wurde beauftragt, mich von Zharadin einfangen zu lassen und herauszubekommen, ob dieser schuldig an der Entführung ist. Außerdem soll ich die Entführten befreien.« »Diesen Wunsch können wir dir nicht erfüllen«, erklärte ich bedauernd. »Da Zharadin Atlan und Chapat gefangenhält, muß er verhaftet werden. Dadurch ist es dir unmöglich, weiter bei ihm zu bleiben. Aber ich verspreche dir, daß wir dafür sorgen, daß Nachforschungen über den Verbleib der entführten Zafguirs angestellt werden. Wenn sie noch leben, wird unsere Organisation sie aufspüren und zurück nach Tsakoree bringen.« »Danke!« erwiderte der Zafguir sichtlich gerührt. »Ich bitte euch, die Namen mit mir zu tauschen.« »Es ist uns eine große Ehre«, antworteten Ken und ich wie aus einem Mund. »Talad-y-Borgh!« sagte der Zafguir. »Sinclair Marout Kennon«, sagte mein
23 Partner. »Ronald Tekener«, sagte ich. Talad-y-Borgh senkte den mächtigen Schädel und legte behutsam je eine Pranke auf Kennons und meinen Kopf. Mein Partner und ich erwiderten die Geste. Es war ein uraltes Ritual der Zafguirs, von dem wir bisher nur gehört hatten. Und es bedeutete mehr als eine Vorstellung. Von nun an waren Talad-y-Borgh und wir so etwas wie Blutsbrüder, die immer und überall füreinander einzustehen hatten. Nach dem Ritual kehrten unsere Gedanken wieder zu unserer Aufgabe zurück. »Wenn Atlan und Chapat an Traummaschinen angeschlossen sind, dann befinden sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit in einem Technolabor der TRAUMPALAST«, überlegte Kennon laut. »Ich schlage vor, wir geben unser Versteckspiel auf und stoßen notfalls gewaltsam in den Sektor vor, in dem sich die Technolabors befinden.« Ich nickte. Kennons Absicht war ganz klar. Durch einen schnellen Vorstoß wollte er, daß wir die beiden Gefangenen befreit hatten, bevor Zharadin dazu kommen konnte, sie als Geiseln zu verwenden. »Einverstanden, Ken«, sagte ich. »Aber vorher gebe ich das Angriffssignal für die Raumlandedivision. Wir kommen sicher nicht mehr aus dem Schiff hinaus und müssen uns so lange verteidigen, bis die Soldaten es gestürmt haben.« »Das werden wir«, erklärte Talady-Borgh. Verblüfft sah ich den Zafguir an, bis mir einfiel, daß er aufgrund des Namenstausches verpflichtet war, uns beizustehen – und wir mußten ihn akzeptieren, wenn wir nicht gegen den Ehrenkodex seines Volkes verstoßen wollten. »Kannst du mit Energiewaffen umgehen?« fragte ich ihn, während mein Partner und ich einen Teil der in den Kombinationen verborgenen Ausrüstung hervorholten, darunter mehrere Giftnadler, Thermalbomben und STOG-Säureladungen.
24
H. G. Ewers
»Ich brauche eure Waffen nicht«, antwortete der Zafguir. »Ihr werdet es sehen.« »Gegen moderne Energiestrahler bist du wehrlos, Talad-y-Borgh«, wandte Kennon ein. »Ihr werdet sehen!« beharrte der Zafguir auf seinem Standpunkt. Uns blieb nichts weiter übrig, als uns damit zufriedenzugeben. Flüsternd legten wir unser Vorgehen fest.
* Da die Schotte hinter dem Suchtrupp wieder geschlossen worden waren, benutzten wir eine münzengroße STOG-Säureladung, um das Schott zum Hauptlift geräuschlos zu zerstören. Die organische Säure fraß sich rasend schnell durch das Terkonit des Schottes hindurch, und wenige Sekunden nach der Zündung waren von ihm nur noch dünne Randlappen vorhanden. Kennon und ich sprangen durch die Öffnung und erblickten im gleichen Moment vier Bewaffnete, die von oben herabschwebten. Die Männer stutzten, dann zogen sie ihre Waffen. Sie kamen jedoch nicht zum Schießen, denn vorher hatten sich unsere Giftpfeile in ihre Körper gebohrt. Sie erschlafften, ließen ihre Waffen fallen und trieben wie leblos weiter nach unten. Das Gift war nicht tödlich; es rief nur eine rund zehn Stunden anhaltende Bewußtlosigkeit hervor. Da ich vor unserem Angriff das Signal für die Raumlandedivisionen gegeben hatte, würden die vier Männer erst wieder zu sich kommen, wenn sie bereits Gefangene der Raumlandesoldaten waren. Kennon und ich stießen uns nach oben ab und hielten unsere Giftnadler weiterhin schußbereit. Der Zafguir folgte uns und bewegte sich recht geschickt im Antigravschacht, obwohl sein Volk selbst keine Antigravlifts baute oder benutzte. Wir blieben unbehelligt, bis wir im Deck der Technolabors ausgestiegen waren. Kaum
standen wir in einem langen Flur, als überall in der TRAUMPALAST Sirenen heulten. Jemand mußte die vier Bewußtlosen gefunden und Vollalarm gegeben haben. Im Grunde genommen war mir das nur recht, denn es bedeutete, daß alle Besucher aus dem Schiff gewiesen wurden, so daß beim Angriff der Raumsoldaten keine Unschuldigen zwischen die Fronten gerieten. Es bedeutete allerdings auch, daß Zharadin nunmehr wußte oder doch ahnte, daß jemand nach Atlan und Chapat suchte. Wir mußten uns beeilen, denn wenn der Verbrecher sich in die Enge getrieben sah, tötete er vielleicht den Lordadmiral oder dessen Sohn – oder beide. Wir rannten, und plötzlich schoß der Zafguir zwischen uns hindurch. Hinten im Korridor tauchte ein Bewaffneter auf. Der Mann schoß, ohne daß Kennon und ich das Feuer erwidern konnten, weil der Zafguir sich in unserer Schußlinie befand. Ich preßte die Lippen zusammen, als der Zafguir von einem Impulsstrahl getroffen wurde. Aber Talad-y-Borgh reagierte offensichtlich überhaupt nicht darauf. Er stürmte weiter. Der Mann brach schreiend zusammen, kaum daß der Strahl aus seiner Impulswaffe den Zafguir getroffen hatte. Als ich ihn erreichte, sah ich, daß er fast völlig verkohlt war. Es schien, als wäre die Energie, die er dem Zafguir in Form eines Waffenstrahls entgegengeschickt hatte, vom Körper Talad-y-Borghs reflektiert und direkt auf ihn geschleudert worden. Da wurde mir klar, daß wir noch längst nicht alles über das Volk der Zafguirs wußten. In einer Verteilerhalle kam es dann zum ersten richtigen Kampf. Außer drei Bewaffneten stellten sich uns fünf Kampfroboter entgegen, die neuesten terranischen Flottenmodelle, gegen die ein Mensch normalerweise keine Chancen im Kampf hatte. Doch Sinclair Marout Kennon besaß in seiner Vollprothese selbst einen Robotkörper – und zwar den stärksten und wendig-
Besuch im Totenreich sten, den es überhaupt gab. Und ich war in zahllosen Hypnoschulungen und Gefechtsübungen auf die Bekämpfung von Kampfrobotern spezialisiert worden. Ich reagierte beinahe wie ein Schlafwandler. Anders war ein Überleben im Kampf mit hochwertigen Robotern gar nicht möglich. Man mußte alle möglichen Reaktionen von Kampfrobotern kennen und selbst so reagieren, daß keine Roboterpositronik die eigenen Reaktionen vorausberechnen konnte. Kennon und ich schossen in den ersten Sekunden des Kampfes zwei Maschinen ab und verletzten einen der Männer Zharadins. Danach hätte es nach unserer Meinung heiß hergehen müssen, denn es blieben immer noch drei Roboter und zwei Männer übrig. Dennoch kam es nicht dazu. Es wurde schlagartig still – unnatürlich still. Ich bewegte mich nicht weiter, sondern richtete mich auf und starrte beinahe fassungslos auf fünf zerstörte Maschinen und zwei tote Männer. Dann blickte ich zu Talad-y-Borgh, und auch mein Partner blickte den Zafguir an. »Wie funktioniert das?« wollte Kennon wissen. »Natürliche Energiereflexion«, antwortete Talad-y-Borgh. »Diese Fähigkeit wurde von unseren fernen Vorfahren erworben, als Tsakoree noch ein wilder Planet war, auf dem täglich furchtbare Gewitterstürme tobten. Nur das überlebte, was sich entweder unter die Oberfläche verkroch oder eine natürliche Schutzfunktion erwarb.« »Aber heute ist Tsakoree keine Gewitterwelt mehr«, warf ich ein. »Die Sonne Tsakorees war daran schuld«, erklärte der Zafguir. »Nachdem sie stabilisiert war, nahmen die Gewitter an Stärke und Häufigkeit ab.« »Wer hat die Sonne Tsakorees stabilisiert?« fragte Kennon. »Ihr Volk?« »Das ist in Vergessenheit geraten«, erwiderte Talad-y-Borgh. »Alte Überlieferungen berichten von einer Gruppe schwarzhäutiger Lebewesen, die schneller und stärker waren
25 als wir Zafguirs, aber sich nur mit Hilfe von ›Zaubermitteln‹, wahrscheinlich Schutzschirmen, gegen die Blitze schützen konnten.« »Haluter«, sagte ich nachdenklich. »Diese Definition könnte auf Haluter zutreffen.« »Vielleicht wollten sie auf Tsakoree einen Stützpunkt errichten«, meinte Kennon. »Die Haluter waren ja einst das mächtigste raumfahrende Volk der Galaxis.« Ich nickte. Wieder einmal war mir bewußt geworden, wie wenig wir Menschen eigentlich von der Geschichte alter galaktischer Völker und Kulturen wußten. Wahrscheinlich würden wir auch niemals alles erfahren, was es Wissenswertes gab. Aber darüber konnten wir später nachdenken. Kennon und ich blickten uns an, dann liefen wir weiter. Wir erreichten die Technolabors ohne weiteren Zwischenfall und entdeckten in einem von ihnen tatsächlich die Anschlußstellen für zwei Traummaschinen. Doch weder von den Traummaschinen noch von Atlan und Chapat war etwas zu finden. »Wir müssen zur Hauptzentrale«, erklärte Kennon. »Vielleicht hat Zharadin seine Gefangenen fortbringen lassen. Wenn die Hauptpositronik etwas davon weiß, kann ich es von ihr erfahren.« Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es würde nicht leicht sein, die Hauptzentrale dieses Riesenschiffes zu erobern, denn sie wurde bestimmt gut verteidigt. Doch ich sah ein, daß uns gar nichts anderes übrigblieb. »Also, los!« sagte ich. Wir kamen gegen erstaunlich schwachen Widerstand ziemlich schnell bis zur Hauptzentrale durch. Dort aber schlug uns aus robotgesteuerten Waffen in den Panzerwänden ein verheerendes Abwehrfeuer entgegen. Wir mußten uns ein Stück zurückziehen, gingen in Deckung und bereiteten den Abschuß einer DWARF-Rakete vor. Talad-
26 y-Borgh schleppte die Hinterbeine nach. Er war von einem starken Lähmstrahl getroffen worden. Diese Art von Strahlen reflektierte sein Körper nicht, allerdings konnten auch sie ihn nicht völlig ausschalten. Nachdem die DWARF-Rakete abschußbereit war, schaltete ich mich in das Netz der Rundrufanlage ein und sagte: »Hier spricht USO-Spezialist Tekener. Ich rufe die Besatzung der TRAUMPALAST auf, ihren Widerstand gegen uns aufzugeben. Zharadin ist ein Verbrecher und wird vor Gericht gestellt. Alle anderen Personen an Bord, die sich nichts zuschulden kommen ließen, werden frei sein, sofern sie sich ab sofort nicht mehr gegen die Vertreter des Gesetzes stellen. Besonders wende ich mich an die Besatzung der Hauptzentrale. Wir haben eine DWARF-Rakete abschußbereit gemacht. Wenn wir sie abfeuern, wird die Hauptzentrale in ihrem Atomfeuer vergehen. Niemand von Ihnen wird das überleben. Deshalb fordere ich Sie auf, innerhalb der nächsten zehn Sekunden das Panzerschott zu öffnen und waffenlos herauszukommen.« Ich blickte auf meinen ArmbandChronographen. Die zehn Sekunden verstrichen, ohne daß sich etwas gerührt hätte. Gerade wollte ich die letzte Aufforderung durchsagen, als sich das Panzerschott lautlos öffnete. Doch niemand kam heraus. »Sie sind geflohen, Tek«, meinte Kennon. »Schließlich kann man die Hauptzentrale direkt durch einen Antigravschacht nach oben oder unten verlassen.« Ich nickte. »Das hatte ich gleich vermutet, Ken, aber es kann auch eine Falle sein.« »Gleich wissen wir es«, sagte Kennon und spurtete los. Mit angehaltenem Atem sah ich ihm nach, wie er mit unglaublicher Geschwindigkeit zum offenen Panzerschott stürmte und in ihm verschwand. Im nächsten Moment sprach mein Armband-Funkgerät an.
H. G. Ewers »Der Bau ist verlassen, Tek«, berichtete Kennon. »Kommt nach, damit ich mich an die Positronik anschließen kann!« Talad-y-Borgh und ich folgten meinem Partner. Wir schlossen das Panzerschott hinter uns und verschlossen auch die Zugänge zum Antigravschacht. Kennon hatte sich unterdessen am Hauptschaltpult der Bordpositronik zu schaffen gemacht und eine kleine rote Abdeckplatte geöffnet. Er steckte die Hand durch die Öffnung, dann würde sein Blick geistesabwesend, und er erstarrte förmlich zur Salzsäule. »Was macht Kennon?« erkundigte sich der Zafguir. »Wie kann ein Mensch sich an eine Positronik anschließen?« »Kennon ist kein richtiger Mensch, sondern nur noch ein Gehirn, das in einer robotischen Vollprothese lebt«, antwortete ich. Durch unseren Namensaustausch war gewährleistet, daß der Zafguir keines unserer Geheimnisse preisgab. »Das ist sehr interessant, Tekener«, erwiderte Talad-y-Borgh. »Kennon ist demnach praktisch ein Roboter, der von einem menschlichen Gehirn gesteuert wird.« »Stimmt!« erwiderte ich. »Aber das lassen Sie ihn lieber nicht hören. In diesem Punkt ist er sehr verwundbar – psychisch, meine ich. Ich hätte es beispielsweise nie so konkret ausgedrückt, wenn ich nicht wüßte, daß er uns zur Zeit nicht hören kann, weil sein Bewußtsein mit dem der Positronik verschmolzen ist.« »Ich verstehe«, sagte der Zafguir. Nach ungefähr zehn Minuten löste sich Kennon von der Positronik und sagte: »Zharadin ist mit Atlan und Chapat nach dem Planeten Meggion geflogen, wo der Verbrecher eine geheime Station unterhält, in die er sich zurückzuziehen pflegt, wenn er vorübergehend von der galaktischen Bildfläche verschwinden muß oder wenn er streng geheime Versuche durchführt.« »Und hast du die Koordinaten von Meggion?« fragte ich gespannt, denn wenn Meggion einen Geheimstützpunkt Zharadins enthielt, würden die Koordinaten nicht ohne
Besuch im Totenreich weiteres zugänglich sein. Kennon lächelte triumphierend. »Ich habe sie.« Schlagartig verfinsterte sich sein Gesicht wieder, und er fügte tonlos hinzu: »Die Positronik hielt mich für eine robotische Schaltsektion, vor der sie keine Geheimnisse zu haben braucht. Andernfalls wäre ich nie an die kunstvoll verschlüsselten Koordinaten herangekommen.« »Danke, Ken!« sagte ich. »Die Positronik hat sich geirrt.« Ich wollte noch mehr sagen, schwieg aber, als die Lautsprecher der Rundrufanlage ansprachen. »Hier spricht General Hathira, Kommandeur einer Raumlandedivision der USO!« dröhnte eine Stimme aus den Geräten. General Hathira war ein Ertruser und hatte ein entsprechend starkes Stimmorgan. »Die unteren Sektionen des Schiffes mitsamt den Maschinenräumen sind von meinen Truppen besetzt. Ein Start ist unmöglich. Ich fordere die Besatzung dieses Schiffes auf, ihren sinnlosen Widerstand einzustellen und sich zu ergeben. Achtung! Dieser Einsatz gilt vor dem Gesetz als Polizeiaktion. Jeder Widerstand ist damit automatisch ein Widerstand gegen die Vertreter des Gesetzes, dem auch die TRAUMPALAST untersteht. Er wird dementsprechend geahndet werden. Ende!« Wir drei sahen uns an. »Die Besatzung wird sich ergeben«, sagte ich. »Bis auf wenige Ausnahmen, die zuviel auf dem Kerbholz haben. Damit ist der Weg frei zum Flug nach Meggion. Talady-Borgh, ich bedaure, daß wir uns schon so bald trennen müssen.« »Ich sehe keinen Grund zum Bedauern, denn wir werden uns nicht trennen«, entgegnete der Zafguir gelassen. »Wenn Zharadin nach dem Planeten Meggion geflohen ist, ist Meggion auch mein Ziel. Ich bitte euch, mich mitzunehmen, denn ich muß Zharadin verhören, um herauszubekommen, was er mit den entführten Zafguirs angestellt hat.« Ich zögerte.
27 Doch Kennon erklärte: »Da kann man nichts machen, Tek. Du wirst unserem Freund doch nicht diese Bitte abschlagen, oder?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht«, antwortete ich.
4. Professor Keevaar sah immer noch aus wie ein Kretin, aber er benahm sich wie ein hochqualifizierter Wissenschaftler, der genau wußte, was er anordnete. Die Wissenschaftler und Techniker, die ihm unterstellt waren, gehorchten ihm aufs Wort. Anzuspornen brauchte Keevaar sie ohnehin nicht. Sie fieberten darauf, das Geheimnis des Ischtar-Memorys endgültig zu entschleiern. »Dieses Ding ist der kostbarste Schatz des Universums«, sagte Dr. Schiwa Tsung. »In ihm scheint mehr Wissen zu stecken, als alle Positronengehirne der Galaxis in sich gespeichert haben. Es muß Aufzeichnungen über eine Vergangenheit enthalten, von der wir heute nichts mehr wissen.« »Das ist mir klar«, erwiderte Zharadin. »Dennoch müssen wir äußerst behutsam vorgehen, um nichts zu verderben.« Er wandte sich an Keevaar. »Wann kann ich endlich angeschlossen werden, du Idiot?« fragte er barsch. Professor Keevaar rieb sich die Hände und sagte: »Es ist soweit, alter Esel.« »Was?« fuhr Zharadin auf. Keevaar lächelte, aber es war nicht das Lächeln eines Idioten, sondern das kalte Lächeln eines Mannes, der seinen Wert kannte. »Wenn ich will, gehorcht das IschtarMemory nur mir – mir allein. Hast du verstanden, du Narr?« Alfo Zharadin schluckte mehrmals, dann erklärte er: »Ich verstehe, Professor. Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Sie beleidigt habe. Es soll nicht wieder vorkommen.« Insgeheim überlegte er bereits, wie er
28 Keevaar unschädlich machen konnte. Der Mann wurde ihm zu anmaßend. Keevaar lächelte, als hätte er seinen Chef durchschaut. »Sicher wird es nicht wieder vorkommen, Chef«, meinte er wie beiläufig. »Dafür sorgt mein Wissen über das Ischtar-Memory, das kein anderer Wissenschaftler so schnell erlangen dürfte. Möchten Sie sich anschließen lassen?« »Natürlich!« erwiderte Zharadin finster. Er ließ sich von Keevaar helfen und achtete darauf, daß eine simultanpsionische Schaltverbindung zwischen ihm und Keevaar hergestellt wurde. Dadurch sicherte er sich gegen eventuelle Mordversuche des Wissenschaftlers ab, denn Keevaar würde das gleiche Schicksal erleiden wie er. Als sich die Haube über seinem Kopf schloß, wallte für einen Herzschlag lang Panik in ihm auf. Aber im nächsten Augenblick atmete er tief die klare würzige Luft ein, die ihn umspielte. Eine hellgelbe Sonne strahlte wärmend auf ihn und die grasbewachsene Ebene herab, auf der er stand. Alfo Zharadin reckte sich unternehmungslustig. Er wußte, daß das, was er sah und erlebte, ein Traum war, den er gemäß einer Programmierung durch das Ischtar-Memory träumte. Dennoch hatte er den Eindruck, als befände er sich in der Realität. Und er wußte, daß eine gewisse Realitätsbezogenheit bestand, denn wenn er in dieser Halbtraumwelt starb, dann wurde auch sein Körper in der Traummaschine sterben. Allerdings sah es nicht so aus, als würde diese Welt ernste Gefahren für ihn bergen. Er kniff die Augen zusammen, als er am westlichen Horizont Bewegung entdeckte. Eine Weile später sah er, daß von dort mehrere Lebewesen in seine Richtung kamen. Sie bewegten sich in einer dichten Reihe auf ihn zu. Kurz darauf erkannte er die hochgewachsenen braunhäutigen Gestalten von Menschen oder menschenähnlichen Lebewesen.
H. G. Ewers Sie waren fast nackt und trugen ovale Lederschilde und lange Lanzen mit langen und breiten Klingen, die in der Sonne funkelten. Zharadin wollte nach seiner Waffe greifen – und merkte, daß er unbewaffnet war. Er trug lediglich eine Leinenhose und Lederstiefel, und sein Bauch wölbte sich über den breiten Ledergürtel, der die Hose hielt. Alfo Zharadin wandte sich zur Flucht und erstarrte, als er hinter sich ebenfalls eine lange Reihe von Kriegern erblickte, die unaufhörlich näher kam. Die Angst trieb kalten Schweiß auf seine Stirn. Am liebsten hätte er sich im Boden verkrochen, aber er war intelligent genug, um zu wissen, daß er nicht fliehen konnte. Er beschloß, möglichst keine Furcht zu zeigen und die Krieger herankommen zu lassen. Sie würden ihn sicher nicht gleich töten. Wahrscheinlich waren sie bloß neugierig. Außerdem hatte Keevaar den Befehl erhalten, die Traummaschine nach einer halben Stunde wieder abzuschalten, und immerhin waren von der halben Stunde schon zirka fünf Minuten verstrichen. Als die Krieger nur noch wenige Schritte von ihm entfernt waren, blieben sie stehen. Ihre bemalten Gesichter zeigten keine Regung, aber ihre muskulösen, eingeölten Körper und die Lanzen wirkten bedrohlich genug. Zharadin hob die Arme und rief: »Ich komme in Frieden!« Niemand antwortete. Dafür drängten die Krieger noch dichter an ihn heran, umschlossen ihn gleich einer lebenden Mauer, in der es nur eine kleine Lücke gab, gerade groß genug, um einen einzelnen Mann durchzulassen. Als ihm einer der Krieger einen Stoß mit seinem Lanzenschaft versetzte, begriff Zharadin, daß er durch die Lücke gehen sollte. Er gehorchte. Die Krieger trieben ihn nach Westen. Sie trieben ihn jedoch keineswegs zur Eile an, sondern begnügten sich mit einem langsamen, aber stetigen Marschtempo. Zharadin beruhigte sich wieder etwas, als
Besuch im Totenreich er merkte, wie die Zeit verstrich. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Keevaar die Traummaschine wieder ausschaltete. Plötzlich tauchte vor ihm ein Dorf auf. Es erschien so plötzlich in der Steppe, als wäre es durch Zauberei dorthin versetzt worden. Einen Augenblick zuvor hatte Zharadin es jedenfalls noch nicht gesehen. Die Krieger führten ihn durch eine schweigend starrende Menge aus Männern, Frauen und Kindern auf den Dorfplatz zwischen den Hütten. Trommeln dröhnten dumpf. Mitten auf dem Platz war aus Stämmen und Zweigen ein Podest errichtet, auf dem mehrere braunhäutige Männer standen und dem Gefangenen entgegensahen. Sie sahen genauso aus wie die Krieger, aber ihre Gesichter waren nicht bemalt. Alfo Zharadin musterte die Gesichter, und plötzlich begann er zu zittern. Die Gesichter waren ebenfalls braun, aber die Gesichtszüge waren nicht die von Eingeborenen, sondern die von Menschen, die er einmal gekannt hatte. Da war das Gesicht von Gorian Bathom, dem Magier, den er hatte zu Tode peitschen lassen. Neben ihm entdeckte Zharadin das Gesicht von Krethe Los, seinem ehemaligen Ersten Offizier, den er ohne Raumanzug ins All hatte werfen lassen, weil er versucht hatte, der Polizei eine Nachricht über eine Ladung Rauschgift zukommen zu lassen, die sich an Bord der TRAUMPALAST befand. Und die anderen Gesichter: Alakkos Hran, Werkossim Tlphedyr, Helge Ross, Iwan Kosselowski, Malik y Thodos und Vre Eahim – alles Männer, deren Tod er befohlen hatte. Sie starrten Alfo Zharadin maskenhaft starr und drohend an, und er begriff, daß er von ihnen keine Gnade zu erwarten hatte. Dennoch war Zharadin nicht bereit, aufzugeben. »Wie ihr seht, habe ich dafür gesorgt, daß ihr nicht sterben mußtet«, sagte er in dem verzweifelten Versuch, sich durch einen Bluff zu retten. »Das dürfte Grund genug für
29 euch sein, sich mit mir zu versöhnen.« »Wir sind tot«, sagte Gorian Bathom, der Magier, mit tonloser Stimme, die direkt aus einem offenen Grab zu kommen schien. Und tatsächlich wehte Zharadin ein nach Fäulnis riechender Atem entgegen, der ihn fast betäubte. »Dann bin auch ich tot«, erklärte Zharadin mit belegter Stimme. »Und zwischen den Toten soll es weder Haß noch Groll geben.« »Du bist noch nicht tot, Alfo Zharadin«, sagte Vre Eahim. »Du wirst bei lebendigem Leibe verwesen, sobald dich der DorghaimZweig berührt hat.« Er hob einen schwarzen, mit schillernden Blüten besetzten Zweig. Die Blüten glichen Schlangenköpfen mit aufgerissenen Mäulern und geifernden Giftzähnen. »Nicht!« schrie Zharadin und schlug die Hände vors Gesicht, als Vre Eahim zum Schlag ausholte. Im nächsten Augenblick wurde es dunkel um ihn. Er vernahm ein schwaches Summen, dann glitt die Übertragungshaube von seinem Kopf. »Ich hoffe, Sie haben gut geträumt, Chef«, sagte Keevaar mit vor Sarkasmus triefender Stimme. Alfo Zharadin war nicht in der Lage, darauf zu antworten. Er brachte gerade noch die Kraft auf, aufzustehen und sich schweigend in seine Kabine zu schleppen.
* Kennon und ich hatten darauf verzichtet, unsere NUGGET wiederzusehen. Nachdem die Raumlandedivision die TRAUMPALAST besetzt und die Besatzung verhaftet hatte, erteilte ich General Hathira klare Anweisungen. Die TRAUMPALAST war beschlagnahmt und würde versteigert werden, sobald die Nachricht darüber überall in der Galaxis verbreitet worden war. Von dem Erlös würde ein Teil der Kosten gedeckt werden, die der USO durch die Aktion gegen Zharadins Schiff
30 und Organisation entstanden waren. Wir mußten schließlich auch rechnen und verfügten nicht über unbegrenzte finanzielle Möglichkeiten. Kennon, Talad-y-Borgh und ich aber gingen an Bord des Schnellen Kreuzers, der zu unserem Verband gehörte. Kennon übergab die Daten über die Position von Meggion und des Occad-Systems dem Kommandanten, und eine halbe Stunde später startete der Schnelle Kreuzer. Nach drei Linearetappen hatten wir das Occad-System erreicht. Die gelbweiße Sonne vom Normaltyp verbarg sich unter einer leuchtenden Wolke interstellaren Gases, die die Form einer menschlichen Hand besaß und einen durchschnittlichen Durchmesser von siebenundachtzig Lichtjahren. Ohne die Positionsdaten aus der Bordpositronik der TRAUMPALAST hätten wir die Sonne Occad wahrscheinlich nicht gefunden, denn sie lag so unter der gekrümmten »Hand« der Gaswolke, daß sie erst aus vierzehn Lichtjahren Entfernung zu sehen war und die starke Radiostrahlung des leuchtenden Staubes überlagerte die Strahlung der Sonne und verhinderte, daß sie erst aus größerer als vierzehn Lichtjahren Entfernung geortet werden konnte. Einen besseren Schlupfwinkel hätte sich Zharadin kaum aussuchen können. Aber wir profitierten ebenfalls von der Deckung, die die Staubwolke dem OccadSystem gab, denn sie verhinderte ebenfalls, daß unsere Annäherung von Meggion aus geortet werden konnte. Ich befahl, den Schnellen Kreuzer mit einer letzten Linearetappe in den leuchtenden Staub direkt über der Sonne Occad zu steuern und dort anzuhalten. Das Manöver wurde von der Besatzung des Schiffes schnell und präzise ausgeführt. Anschließend stiegen Kennon, der Zafguir und ich in eine Space-Jet um und schleusten uns aus. Da die Space-Jet über das neueste Ortungssystem der USO verfügte, durften wir hoffen, mit ihr unbemerkt auf Meggion landen zu können.
H. G. Ewers Wären Atlan und Chapat nicht in der Gewalt Zharadins gewesen, hätten wir natürlich auch mit einem ganzen Einsatzverband direkt neben der Station des Verbrechers landen und jeden Widerstand niederkämpfen können. So aber mußten wir auf alle Fälle heimlich in die Station eindringen, um Atlans und Chapats Leben nicht zu gefährden. Sinclair Marout Kennon fungierte als Pilot, und Talad-y-Borgh sah meinem Partner aufmerksam zu. »Kannst du ebenfalls mit einem Raumschiff umgehen?« fragte ich den Zafguir. »Ich bin dafür ausgebildet, Tekener«, antwortete der Zafguir zu meiner Verwunderung. Ich hatte angenommen, mit den krallenbewehrten Tatzen wäre der Umgang mit komplizierten Schaltanlagen zumindest mit Schwierigkeiten verbunden. »Wer hat dich ausgebildet, Talady-Borgh?« erkundigte ich mich. »Eine Hypno-Schablone«, sagte der Zafguir. »Wir hatten die Schablone durch einen Springer beschaffen lassen, der seit vielen Jahren Handel mit uns treibt.« »So eine Schablone ist aber schwer zu beschaffen«, warf Kennon ein. »Jedenfalls, wenn sie ein Hypno-Schulungsprogramm für eine Kampf-Jet der USO enthält. Oder war es nur eine Schablone für die Grundausbildung an Handelsschiffen?« »Soll ich beweisen, daß ich diese SpaceJet steuern kann?« fragte Talad-y-Borgh. Kennon zögerte, aber ich erklärte: »Deine Zweifel haben unseren Freund gekränkt, Ken. Folglich mußt du ihm Gelegenheit geben, sein Können zu beweisen.« Mein Partner verschluckte eine Verwünschung, dann räumte er seinen Platz für den Zafguir. Talad-y-Borgh setzte sich vor das Pilotenpult, musterte die zahlreichen Schaltungen und Kontrollen und setzte dann zielsicher seine ungeschlacht wirkenden Pranken ein. Etwa eine Minute lang wurde der Flug der Space-Jet unsicher, dann bekam der Zafguir sie völlig unter seine Kontrolle und steuerte sie beinahe so sicher, wie Kennon sie vorher
Besuch im Totenreich gesteuert hatte. »Ausgezeichnet!« rief Kennon überrascht. »Wenn ich bedenke, daß du nur eine Hypnoschulung, aber keinerlei Flugerfahrung hinter dir hast, muß ich deinen Umgang mit dem Schiff bewundern, Talad-y-Borgh.« »Es war schwieriger, als ich vermutet hatte, Kennon«, erwiderte der Zafguir. »Aber du hast die anfänglichen Schwierigkeiten schnell überwunden«, warf ich ein. »Das beweist, daß ein Zafguir schneller lernt als ein Terraner. Wärest du nicht daran interessiert, ein USO-Spezialist zu werden wie Kennon und ich?« »Ich habe meine Aufgabe, Tekener«, erwiderte Talad-y-Borgh. »Wenn sie vollbracht ist, können wir darüber sprechen.« Ich nickte. Die Antwort des Zafguirs war soviel wie eine Bejahung. Aber ich verstand, daß er nicht offen zustimmen wollte, bevor er nicht seinen Auftrag erfüllt hatte. »Einverstanden«, sagte ich. »Jetzt läßt du allerdings lieber wieder Kennon an die Steuerung. Beim Landeanflug können sich Situationen ergeben, auf die die Hypnoschulung dich nicht vorbereitet hat.« »Kampf?« fragte der Zafguir. »Nur, wenn wir entdeckt werden«, antwortete ich und wechselte einen schnellen und unauffälligen Blick mit Kennon. »Hieß der Springer, der euch die Schablone verkaufte, vielleicht Urdach?« Talad-y-Borghs Augen glitzerten mich an. Er schien von meiner Frage total überrascht zu sein und vor allem von der Nennung des Namens. »Ja!« sagte er offen. Kennon und ich lachten schallend. »Warum lacht ihr?« erkundigte sich der Zafguir. Ich hörte auf zu lachen und antwortete: »Patriarch Urdach arbeitet seit dreißig Jahren für die USO, Talad-y-Borgh. Er ist zwar weiterhin Galaktischer Händler, aber er kundschaftet Völker aus, deren Angehörige nach den Basiskriterien geeignet erscheinen, nützliche USO-Spezialisten abzugeben. Ver-
31 treter dieser Völker erhalten von ihm unauffällig technische und wissenschaftliche Hilfe. Die Überlassung einer Hypnoschablone zur Ausbildung eines Kampf-Jet-Piloten war eine solche Hilfe.« »So ist das«, meinte der Zafguir nachdenklich. Ich wollte ihn nicht auf falsche Gedanken kommen lassen, deshalb erklärte ich: »Selbstverständlich kommt es unserer Organisation nicht nur darauf an, potentielle Spezialisten aufzuspüren. Völker, die die Kriterien erfüllen, werden früher oder später auch darauf angesprochen, ob sie sich der Gemeinschaft der Sonnensysteme des Solaren Imperiums oder dem Interessenverband der United Stars Organisation anschließen möchten. In jedem Fall bringt ein solcher Anschluß – ob er nun fest oder locker ist – dem betreffenden Volk nur Vorteile.« »Urdach hätte uns die Entdeckung der Zafguirs längst melden sollen, Tek«, warf Kennon ein. »Ob er eigene Pläne verfolgt?« »Das glaube ich nicht, Ken«, antwortete ich. »Urdach spielt gern ein wenig Schicksal. Er wird geahnt haben, daß dann, wenn ein Zafguir sich an Zharadins Fersen heftet, früher oder später sein Weg sich mit dem von USO-Spezialisten kreuzt.« »Nur konnte er nicht wissen, daß Talady-Borgh ausgerechnet mit uns zusammentreffen würde«, meinte mein Partner. Er ging zum Pilotensitz, und der Zafguir machte ihm bereitwillig Platz. Während ich die Waffenschaltungen übernahm, steuerte Kennon die Space-Jet, die sich im Schutz ihres aktivierten Ortungsschutzes befand, in eine weite Kreisbahn um Meggion. Wir durften keine Hypertaster einsetzen, denn die Ortungsgeräte von Zharadins Station oder Stützpunkt hätten die auftreffenden Tasterimpulse registriert und Alarm gegeben. Doch unser hochwertiges Elektronenteleskop leistete aus der geringen Entfernung die gleichen Dienste. Wir kreisten in anderthalb Stunden einmal um den Planeten, und
32
H. G. Ewers
bei der zweiten Umkreisung entdeckte ich die Station – und neben ihr ein kleines Kugelraumschiff. Es war von der gleichen Größe wie das Beiboot, das in der TRAUMPALAST gefehlt hatte, was die letzte Bestätigung war, daß es sich um das Schiff handelte, mit dem Zharadin seine TRAUMPALAST verlassen hatte. »Lande in tausend Kilometern Entfernung, Ken!« sagte ich. »Von dort aus werden wir uns in der Nacht mit Flugaggregaten der Station nähern.« »Einverstanden, Tek!« erwiderte Kennon.
* Sinclair Marout Kennon und ich halfen dem Zafguir, das Flugaggregat anzulegen, das wir für ihn aus dem Schnellen Kreuzer mitgenommen hatten. Das Aggregat gehörte einem Epsaler, der Zweiter Feuerleitoffizier an Bord des Kreuzers war. Zwar war der Epsaler nicht so groß wie ein Zafguir, aber er hatte fast das gleiche Gewicht, so daß sein Flugaggregat unseren neuen Freund sicher tragen konnte. Wir hatten die Space-Jet in einer engen Schlucht, rund tausend Kilometer von Zharadins Stützpunkt entfernt, versteckt, so daß es nicht zufällig von einem vorbeifliegenden Gleiter entdeckt werden konnte. Es erschien uns unwahrscheinlich, daß Zharadin die Oberfläche des Planeten regelmäßig absuchen lassen würde. Der Verbrecher fühlte sich hier offensichtlich wohl. Er konnte selbstverständlich nicht ahnen, daß ein Halbroboter die Positionsdaten seines Schlupfwinkels aus der Bordpositronik der TRAUMPALAST geholt hatte. Als Talad-y-Borghs Flugaggregat ordnungsgemäß befestigt war, verließen wir die Space-Jet. Es war noch nicht dunkel, aber die Sonne Occad hing bereits wenige Strich unter dem Horizont. Wir schalteten unsere Flugaggregate ein und schwebten langsam aus der Schlucht. In der Richtung, in der Zharadins Station lag,
sahen wir die düsteren Umrisse einer langgestreckten Bergkette. »Wir fliegen mit normaler Marschgeschwindigkeit, bis wir nur noch fünfzig Kilometer von dem Tal entfernt sind, in dem Zharadins Station steht!« erklärte ich. »Das wird in zirka zwei Stunden sein, also rund zweieinhalb Stunden nach Einbruch der Dunkelheit. Danach nähern wir uns dem Tal mit geringer Geschwindigkeit, landen zwei Kilometer davor und gehen zu Fuß weiter, damit die Streustrahlung unserer Aggregate nicht angemessen werden kann. Klar?« »Alles klar, Tek!« antwortete Kennon. »Verstanden, Tek!« sagte Talad-y-Borgh, der sich inzwischen auch meines abgekürzten Namens bediente. Ich nickte. Wir schalteten die Flugaggregate hoch, stiegen bis auf zweitausend Meter Höhe und jagten dann mit über dreihundert Stundenkilometer Geschwindigkeit auf die Berge zu. Nach einer halben Stunde versank die Sonne hinter dem Horizont. Es wurde dunkel. Wir schalteten die Positionslampen ein, die sich an den Flugaggregaten befanden. Das war notwendig, damit der Zafguir uns sah, denn er trug keine Nachtsichtausrüstung wie wir, da er sich geweigert hatte, sich einen Kampfanzug anfertigen zu lassen und nur die Kampfanzüge über fest installierte IFR-Geräte verfügten. Als wir das Gebirge überflogen hatten, gingen wir auf fünfhundert Meter herunter. Kurz darauf gingen die beiden Monde Meggions auf, zwei leblose Steinkugeln von nur jeweils achthundert Kilometern Durchmesser, die aber Meggion in einer Entfernung von nur hundertzwanzigtausend Kilometern umkreisten und dabei selbst in geringer Distanz um sich selbst kreisten. Es war ein faszinierender Anblick. Ich hatte noch nie zwei Monde gesehen, die sich in nur knapp dreitausendzweihundert Kilometern relativ schnell umkreisten. Nach drei Stunden Flug landeten wir auf einem Hügel, schalteten die Flugaggregate aus und nahmen einen kleinen Imbiß zu uns.
Besuch im Totenreich Auch der Zafguir aß; an Bord des Schnellen Kreuzers hatte man seinen Metabolismus untersucht und eine für ihn optimale Verpflegung hergestellt. Danach starteten wir wieder und flogen sehr langsam, bis wir unserer Schätzung nach rund zwei Kilometer vor dem bewußten Tal sein mußten. Dort landeten wir. »Es ist rund drei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit«, sagte ich. »Wir werden uns bis zum Tal schleichen und beobachten. Sicherheitshalber dringen wir aber erst vier Stunden nach Einbruch der Dunkelheit in die Station ein.« »Bei Anbruch der Geisterstunde«, bemerkte Kennon lächelnd. »Jedenfalls werden wir uns so leise wie Geister bewegen«, erwiderte ich. »Zuerst suchen wir die Traummaschinen, an die Atlan und Chapat angeschlossen sein sollen. Wenn wir sie befreit haben, müssen wir das Ischtar-Memory in unsere Hand bringen, von dem einige der Gefangenen berichtet haben.« »Danach rufen wir den Kreuzer zu Hilfe«, ergänzte Kennon. »Auf keinen Fall dürfen Zharadin und seine Komplizen entkommen.« Wir behielten unsere Flugaggregate auf, als wir in Richtung Station gingen. Möglicherweise benötigten wir sie, um uns mit Atlan und Chapat schnell zurückzuziehen. Das Gelände war eben, so daß wir gut vorankamen. Das heißt, eigentlich konnte nur ich diesen Umstand begrüßen, denn für Kennon mit seinem Robotkörper stellte der Marsch überhaupt keine Anstrengung dar, und der Zafguir verfügte über die Kraft und Schnelligkeit eines Präriebüffels. Als wir den oberen Rand des Tales erreichten, legten wir uns flach auf den Boden und spähten nach unten. Mit Hilfe meines IFR-Gerätes konnte ich die Stationsgebäude und das kleine Raumschiff deutlich sehen. Sie standen in der Nähe eines kristallklaren Sees mit weißem Sandstrand, und auf der anderen Seite des Sees standen kleine Wälder vor der Kulisse
33 aus hohen zerklüfteten Bergen. »Ein kleines Paradies!« flüsterte Kennon. »Still!« sagte Talad-y-Borgh leise. »Ich höre verdächtige Geräusche – oder vielmehr vertraute Geräusche.« Kennon schwieg, und ich schwieg auch, während ich überlegte, wie jemand vertraute Geräusche als verdächtig bezeichnen konnte. Plötzlich richtete sich der Zafguir zu seiner vollen Größe auf. Ich wollte schon fragen, was das zu bedeuten hätte, als ich aus den Augenwinkeln zwei riesige tierhafte Gestalten bemerkte, die sich nur etwa zehn Meter von uns aufgerichtet hatten. Es waren Zafguirs! Und im nächsten Augenblick setzten sie zum Angriff an! »Halt!« befahl Talad-y-Borgh in der Sprache seines Volkes. Als die beiden Zafguirs nicht darauf reagierten, wiederholte er seine Aufforderung in Interkosmo. Die beiden Angreifer hielten an. »Wollt ihr einen Vertreter eures eigenen Volkes angreifen?« fragte Talad-y-Borgh auf Interkosmo. Die Frage kam mir dumm vor, denn schließlich griffen Menschen auch Menschen an, ohne sich an der Tatsache der gleichen Abstammung zu stören. »Du siehst aus wie wir«, sagte einer der beiden Zafguirs in akzentfreiem Interkosmo. »Aber du gehörst nicht zu den Wächtern.« »Nein, aber ich bin ein Vertreter unseres Volkes, der ausgeschickt wurde, um nach dreißig Angehörigen zu suchen, die als Neugeborene entführt wurden«, entgegnete Talad-y-Borgh. »Wie kamt ihr hierher?« »Wir waren schon immer hier«, antwortete der Zafguir. »Und wir sind dreißig Wächter. Wer nicht zu uns gehört, und wer nicht zur Stationsbesatzung gehört, muß von uns getötet werden.« Talad-y-Borgh atmete schwer. »Ihr seid nicht dreißig Wächter, sondern dreißig Zafguirs, die von einem Verbrecher namens Zharadin entführt wurden!« erklärte
34 er eindringlich. »Natürlich hatte er leichtes Spiel mit euch, da er euch als Neugeborene entführte und euch sicher niemals erzählte, woher ihr stammt.« »Zharadin ist unser Herr«, erwiderte der Zafguir. »Er sagte, wir wären vor langer Zeit als Kinder in einem Raumschiffswrack gefunden und von ihm gerettet worden. Aber du siehst aus wie wir. Wem können wir glauben?« »Wenn ihr nicht bloßen Worten glaubt, so hört die Botschaft des Hajun-Kamdir!« rief Talad-y-Borgh. Er stimmte einen Singsang an, der für meine Ohren so schauerlich klang, daß es mir abwechselnd heiß und kalt den Rücken herabrieselte. Für die Ohren der beiden Zafguir-Wächter schien es dagegen Balsam zu sein oder wohl eher eine Melodie, die schon von ihren Urahnen bei heiligen Riten gesungen worden und irgendwie in den Genen verankert war, so daß nun eine bislang unbenutzte Saite anklang. Nach und nach tauchten immer mehr Zafguirs auf, bis es insgesamt dreißig waren. Sie umringten uns, trafen aber keine Anstalten zu feindseligen Handlungen, sondern hörten nur zu. Als Talad-y-Borgh geendet hatte, trat der Zafguir, der vorher schon gesprochen hatte, vor und erklärte: »Wir haben gehört und verstanden, und wir glauben dir. Darf ich, stellvertretend für meine Kameraden, mit dir den Namen tauschen?« »Sie kennen den alten Brauch!« sagte Talady-Borgh, und es klang gerührt. Er wandte sich an den Sprecher. »Ich bin einverstanden.« »Mein Name ist Helgiry-Borgh!« sagte der Sprecher. »Und mein Name ist Talad-y-Borgh«, antwortete unser Freund. »Dann bist du der Sohn meines ältesten Bruders, Helgir. Ich freue mich, daß ich Gorshuny-Borgh die Freude bereiten darf, ihm seinen Sohn zurückzubringen.«
H. G. Ewers »Ich werde meinen Vater kennenlernen?« fragte Helgiry-Borgh. »Und deine Mutter«, antwortete Talad. »Aber was suchen die beiden Menschen bei dir, Talad?« erkundigte sich Helgir. »Sie sind meine Freunde«, erklärte Talady-Borgh, »und sie sind Feinde Zharadins wie ich. Wir suchen zwei Männer, die von Zharadin gefangengehalten werden.« »Atlan und Chapat?« fragte Helgir. »Zharadin brachte sie hierher und erklärte uns, es seien zwei Freunde von ihm, die schwerkrank seien und denen er zu helfen versuche.« »Zharadin ist ein Verbrecher«, erklärte ich. »Er hat Atlan und Chapat entführt. Mein Partner Kennon und ich, Ronald Tekener, vertreten das Gesetz und werden Zharadin verhaften, sobald wir Atlan und Chapat befreit haben. Könnt und wollt ihr uns dabei helfen?« »Wenn ihr Talads Freunde seid, dann seid ihr auch unsere Freunde«, antwortete Helgiry-Borgh. »Wir wissen, wo sich Atlan und Chapat befinden und können euch hinführen.« »Nicht alle!« wehrte Talad ab. »Es genügt, wenn du, Helgir, uns führst. Deine Kameraden können außerhalb der Station warten und uns helfen, falls wir in Gefahr geraten sollten.« »So soll es sein!« erklärte Helgir.
5. Helgiry-Borgh führte uns einen schmalen Weg hinab ins Tal. Unterwegs erfuhren wir von ihm, daß es außer den Zafguirs keine Wächter gab. Das wunderte mich nicht, wenn ich an die Qualitäten dachte, die die Zafguirs vor uns Menschen auszeichneten. Sie waren nicht nur intelligenter als wir Terraner, sondern außerdem von Natur aus gegen Strahlwaffenbeschuß geschützt. Damit gaben sie die idealen Wächter ab. Zharadin mußte sich in ihrem Schutz völlig sicher wähnen. Allerdings konnte der Verbrecher nicht
Besuch im Totenreich ahnen, daß sich ein Zafguir seiner Station genähert hatte, der mit der Aufspürung der dreißig Entführten beauftragt war – und daß es ihm mit der Botschaft des Hajun-Kamdir möglich gewesen war, alle Wächter auf seine Seite zu ziehen. Unter dem kugelförmigen Raumschiff, das auf seinen Landestützen über uns stand, verharrte Helgir und sagte: »Atlan und Chapat befinden sich noch in diesem Schiff, mit dem Alfo Zharadin vor wenigen Tagen ankam. Allerdings habe ich keine Möglichkeit, in das Schiff einzudringen, ohne Alarm auszulösen.« »Wir haben diese Möglichkeit«, erwiderte Kennon und blieb ruhig stehen. Außer mir wußte niemand, was in meinem Partner vorging. Sinclair Marout Kennon beherrschte zwar mit seinem eigenen Gehirn seine Vollprothese total, aber für Notfälle, wie beispielsweise Ausfall des Gehirns durch äußere Einflüsse, beherbergte sein Robotkörper zusätzlich ein Mikro-Positronengehirn, das nicht nur die Körpersteuerung übernehmen, sondern auch andere Aufgaben erfüllen konnte. Beispielsweise die Aufgabe, mit einer anderen Positronik durch Symbolfunk in Kontakt zu treten. Diese Aufgabe war ihm zur Zeit von Kennons Gehirn übertragen worden. Die MikroPositronik, ein bisher einmaliges Wunderwerk siganesischer Mikrotechnik, hatte Kontakt mit der Hauptpositronik des Beiboots aufgenommen und während der Kommunikation durch seine hochgezüchtete positronische Logik und Psychologie erreicht, daß es von der Hauptpositronik als übergeordnete Einheit anerkannt wurde. Durch diesen Schachzug wurde die Hauptpositronik des Schiffes zu einem bloßen Befehlsempfänger Kennons. Das alles dauerte nur wenige Sekunden, dann öffnete sich lautlos das Außenschott der Mannschleuse in der Mittelstütze des Beiboots. Wir stiegen ein. Als sich das Außenschott hinter uns ge-
35 schlossen hatte, glitt das Innenschott auf. Dahinter kam der Achslift des Schiffes in Sicht. Wir ließen uns von dem Antigravfeld des Lifts nach oben tragen und stiegen in dem Deck aus, das Helgir uns bezeichnete. Der Zafguir führte uns vor ein Panzerschott. »Hier befinden sich Atlan und Chapat«, teilte er uns mit. »Allerdings weiß ich nicht, ob dieser Raum durch besondere Alarmsysteme abgesichert ist.« »Das Schott enthält eine separate Levertin-Anlage«, erklärte Kennon. »Sie könnte ich nicht überwinden, ohne Alarm auszulösen – wenn sie eingeschaltet wäre.« »Sie ist nicht eingeschaltet?« fragte ich verwundert. Eine Levertin-Anlage war ein hochwertiges positronisches Sicherungs- und Alarmsystem, das durch fünfdimensionale Energiefelder abgekapselt und daher auch durch Kennons Mikro-Positronik nicht zu beeinflussen war. Eigentlich hätte Zharadin sie gar nicht besitzen dürfen, denn Levertin-Anlagen wurden ausschließlich auf einem Techno-Planeten der USO gebaut und nur an die USO und die Solare Abwehr geliefert. Wer weiß, wie Zharadin an eine solche Anlage geraten war. »Vermutlich hat ein Befugter und demnach ein Vertreter Zharadins sie desaktiviert und befindet sich in dem Raum hinter dem Schott«, sagte Kennon. »Wir müssen vorsichtig sein und blitzschnell handeln, sobald wir darin sind.« Er wandte sich an die beiden Zafguirs und sagte: »Bitte, wartet hier! Tekener und ich haben in solchen Dingen Erfahrung, ihr nicht.« Er öffnete das Schott. Im nächsten Augenblick sprangen er und ich durch die Öffnung, kamen nach einer Rolle vorwärts wieder auf die Beine und standen Rücken an Rücken, die Waffen schußbereit erhoben. Aber nichts rührte sich, wenn man vom leisen Summen der drei Traummaschinen absah, die sich in dem Raum befanden. Drei Männer lagen in den Traummaschi-
36 nen. Wir konnten nicht sehen, wer von ihnen Atlan war, denn ihre Köpfe steckten unter den Übermittlerhauben, und sie trugen alle drei die gleichen Bordkombinationen. »Schalten wir alle Maschinen ab?« fragte Kennon. »Ja!« antwortete ich. Wir kannten uns mit den Traummaschinen aus, da wir uns vor dem Verlassen der TRAUMPALAST die dortigen Geräte genau angesehen hatten. Deshalb hatten wir keine Schwierigkeiten, alle drei Maschinen innerhalb weniger Sekunden auszuschalten. Automatisch hoben sich die Übermittlerhauben von den Köpfen. Ich hielt den Atem an, als ich in einem der drei Männer unseren Lordadmiral Atlan erkannte. Der Arkonide hielt die Augen geschlossen und flüsterte kaum hörbar: »Der Traum ist aus!« Ich blickte zu dem zweiten Mann und wieder hielt ich unwillkürlich den Atem an, denn das Gesicht des zweiten Mannes war auch das Gesicht von Atlan. Doch im nächsten Moment erkannte ich, daß es einige erhebliche Unterschiede gab. Zwar glichen die Gesichtszüge denen Atlans, aber die Haut war bronzefarben, und er war deutlich größer und jünger als der Lordadmiral. Atlans Sohn Chapat? Ich widmete meine Aufmerksamkeit dem dritten Mann. Sein Gesicht war mir nicht bekannt, aber ich sah, daß es das Gesicht eines Idioten war. Es war zu einer Grimasse des Grauens verzerrt – und die Augen waren offen und blicklos. Als ich den Puls des Mannes fühlte, bestätigte sich mein Verdacht. Der Mann war tot, in der Traummaschine gestorben, und sein Gesichtsausdruck zeugte davon, daß er einen schweren Tod gehabt hatte – im Traum oder in einer unbegreiflichen Realität. Ich hatte nicht bemerkt, daß die beiden Zafguirs neben mich getreten waren. Erst als Helgiry-Borgh sprach, wurde ich mir dessen bewußt.
H. G. Ewers »Das ist Keevaar«, sagte Helgir und deutete auf den Toten. »Er war der Erste Illusionswissenschaftler Zharadins und hat die Experimente auf Meggion geleitet.« »Aber er hat das Gesicht eines Idioten!« entgegnete ich. »Sicher war er ein Idiot«, warf Kennon ein. »Jedenfalls auf den meisten Gebieten. Deshalb konnte er aber durchaus auf einem Gebiet ein Genie gewesen sein. Genialität und Wahnsinn liegen oft dicht beisammen, und manchmal brechen beide durch.« Wir wandten uns Atlan und Chapat zu. Die beiden Männer hatten inzwischen ihre Augen geöffnet, aber sie waren noch so benommen, daß sie uns nicht erkannten. »Wir müssen sie tragen«, entschied ich. »Das übernehmen Helgir und ich«, sagte Talad-y-Borgh. Ich war einverstanden, und so nahmen die beiden Zafguirs Atlan und Chapat auf und trugen sie mühelos aus dem Raum. Plötzlich erscholl ein Schrei. Ich hatte soeben den Flur betreten und sah, daß jemand in der nicht weit entfernten Öffnung des Achslifts schwebte und einen tiefblau schimmernden Metallkreisel in den Händen hielt. »Zharadin!« rief Kennon. »Bleiben Sie stehen!« Als mein Partner den Namen aussprach, erkannte ich das von Schatten und Lichtreflexen veränderte Gesicht des Verbrechers ebenfalls und zog meinen Paralysator. Doch Alfo Zharadin hörte nicht auf Kennon. Er stieß sich ab und war im nächsten Moment verschwunden, den Antigravschacht aufwärts geschwebt. »Bleib hier, Tek!« rief Kennon mir zu und eilte dem Verbrecher nach. Sekunden später heulten die Alarmpfeifen durch das Schiff und erfüllten es mit nervenzerfetzendem Lärm. Es mußte Zharadin gelungen sein, an einen Alarmgeber heranzukommen. Ich wandte mich an Helgir und sagte: »Laufe zu deinen Kameraden und bitte sie, ins Schiff zu kommen. Wenn die ganze
Besuch im Totenreich Besatzung zu den Waffen greift, brauchen wir Hilfe.« Helgir eilte davon, nachdem er den schlaffen Körper Chapats seinem Verwandten übergeben hatte. Lordadmiral Atlan regte sich und sagte mit schwerer Stimme: »Wo bin ich?« Ich ging zu ihm und erklärte: »Kennon und ich haben Sie aus der Traummaschine Zharadins befreit, Lordadmiral.« Der Arkonide seufzte erleichtert und flüsterte: »Dann bin ich also wieder in meiner richtigen Zeit. Wo ist Chapat?« »Ihr Sohn ist ebenfalls in Sicherheit, Sir«, antwortete ich. Atlan blickte mich zum erstenmal voll an, dann lächelte er eigentümlich und meinte: »Sie wissen also, daß Chapat mein Sohn ist. Ich hätte mir denken können, daß Ihnen und Kennon nichts verborgen bleibt. Wo ist Zharadin?« »Er floh vor uns, aber Kennon ist hinter ihm her«, erwiderte ich. »Außerdem bekommen wir bald Hilfe.« Hoffentlich! dachte ich, denn im Schiff wurde es lebendig. Stimmen schrien durcheinander, Schritte trampelten durch die Gänge. Ein Strahlschuß entlud sich mit donnerndem Krachen. Wahrscheinlich befand sich Kennon in Gefahr. Doch ich konnte ihm nicht helfen, solange Atlan und Chapat noch nicht in der Lage waren, auf sich selbst aufzupassen. »Zurück!« sagte ich zu Talad-y-Borgh und deutete auf den Raum mit den Traummaschinen. Der Zafguir zog sich mit Atlan und Chapat zurück – keinen Augenblick zu früh, denn an der Öffnung des Antigravschachts tauchten Bewaffnete auf. Ich feuerte meinen Paralysator auf die Männer ab und traf einen. Der andere Mann schoß mit einem Impulsstrahler auf mich, und er hätte mich voll getroffen, wenn ich mich nicht mit einem Sprung in den Raum
37 mit den drei Traummaschinen gerettet hätte. Ich warf eine Säurebombe in den Gang und schloß das Panzerschott. Bald mußten die Zafguirs im Schiff sein, dann hatten wir gewonnen.
* Eine Weile blieb es ruhig. Ich hörte nur von draußen das Zischen und Brodeln, mit dem die STOG-Säure Boden und Wände zerfraß. Ich hatte die Bombe in Richtung des Achslifts geworfen, so daß sie diesen Zugang zu unserem Versteck vorerst blockierte. Doch es blieb zu lange still. Als fünf Minuten verstrichen waren, blickte ich den Zafguir fragend an. »Sie müßten längst eingegriffen haben, Tekener«, sagte Talad-y-Borgh. »Ich kann mir auch nicht erklären, was sie daran hindern sollte.« Ich runzelte die Stirn und dachte nach. Die Zafguir-Wächter der Station standen auf unserer Seite, daran zweifelte ich nicht. Aber ich wußte, daß es Möglichkeiten gab, Lebewesen derart zu präparieren, daß ein bestimmtes Signal ganz bestimmte Reaktionen auslöste, so daß sie ihren freien Willen verloren und das taten, was ein Dritter ihnen befahl. Zharadin war durchaus zuzutrauen, daß er die Zafguirs mit einem Hypnoblock versehen hatte. Immerhin waren diese Intelligenzen fast unbesiegbare Kämpfer, und ein Mann wie Zharadin mochte vorausgesehen haben, daß sie sich eines Tages gegen ihn stellen könnten. Wie funktionierte der Hypnoblock? Würden die Zafguir-Wächter nun gegen uns kämpfen oder nur einfach passiv sein? Ich wußte es nicht, aber ich wußte, daß wir so oder so gegen eine Übermacht standen, gegen die wir uns nicht lange halten konnten. Dazu wurde ich durch Atlan und Chapat behindert, die sich noch nicht selber schützen konnten. Atlan allerdings konnte sich mit Talad-
38 y-Borghs Hilfe schon auf die eigenen Füße stellen. Nachdenklich blickte er sich um. »Wenn Sie die Traummaschinen nicht abgeschaltet hätten, wären Chapat und ich gestorben«, erklärte er. »So wie dieser Mann, der in der dritten Traummaschine liegt. Wer ist es?« »Ich weiß nur, daß er Keevaar heißt und ein Illusionswissenschaftler war.« Ich schaltete mein Helmfunkgerät ein und aktivierte den automatischen Frequenzsucher. Als ich eine Stimme im Empfänger hörte, drückte ich den Fixierungsknopf ein. »Der eine hätte mich beinahe erwischt«, sagte eine knabenhaft helle, etwas schrille Stimme. »Ich konnte ihn nur ablenken, indem ich ihm das Ischtar-Memory vor die Füße warf. Tötet ihn und die anderen Fremden und bringt mir das Ischtar-Memory zurück.« »Zharadins Stimme«, bemerkte Atlan. Nun rührte sich auch Chapat. Er schlug die Augen auf, starrte scheinbar durch mich hindurch und murmelte benommen: »Ischtar! Das Memory, wo ist es?« »Was ist das genau, ein Ischtar-Memory?« fragte ich den Lordadmiral. »Ein blauer Metallkreisel«, sagte Atlan. »Er enthält geheimnisvolle Aufzeichnungen aus einer Vergangenheit, aus der ich komme – in der Wirklichkeit und im Traum.« Ich begriff nicht ganz, was der Arkonide meinte, aber ich konnte mich diesem Problem nicht länger widmen. Auf der anderen Seite des Panzerschotts polterte etwas. Wahrscheinlich bereiteten sich Zharadins Leute darauf vor, das Schott zu öffnen und uns anzugreifen. Ich nahm meinen Impulsstrahler und verschweißte die Fugen des Schotts, so daß es sich nicht mehr normal öffnen ließ. Dennoch wußte ich, daß unsere Lage verzweifelt war. Der Schnelle Kreuzer konnte in frühestens zwei Stunden landen. Wenn die Verbrecher entschlossen genug vorgingen, vermochten wir uns nicht die Hälfte dieser Zeitspanne zu halten. »Dort oben!« rief Talad-y-Borgh und deu-
H. G. Ewers tete an die Decke. »Schieß, Tek!« Ich legte den Kopf in den Nacken und entdeckte einen roten Glutfleck an der Decke unseres Raumes. Jemand versuchte, ein Loch durch die Decke zu brennen. »Zur Seite!« sagte ich. »Mit einem nadelfeinen Strahl können Sie den Schützen treffen, Tekener«, sagte Atlan. Ich schüttelte den Kopf. »Er verläßt sich darauf, daß ich nicht schieße, Sir«, erklärte ich. Als ich Atlans verständnisloses Gesicht sah, wurde mir klar, daß seine Denkvorgänge noch nicht mit gewohnter Präzision abliefen, sonst hätte er begriffen, wie meine Antwort gemeint war. »Das dort oben muß Kennon sein, Sir«, fügte ich hinzu. »Ein Gegner hätte aus der Deckung des benachbarten oberen Raumes geschossen, um nicht von mir getroffen zu werden. In dem Fall aber wäre der Glutfleck nicht kreisrund gewesen, sondern elliptisch.« Atlan nickte. In seine albinotisch rötlichen Augen trat der Schimmer des Verstehens. »Hoffentlich ist er hier, bevor Zharadins Leute das Schott aufgesprengt haben«, meinte er. Als ob das einen großen Unterschied machte! dachte ich, sprach es aber nicht aus. Der Arkonide lächelte. »Es macht einen Unterschied, Tekener.« »Können Sie Gedanken lesen, Sir?« fragte ich verblüfft. »Nein«, antwortete Atlan. »Aber mein Extrasinn regt sich wieder. Er teilte mir mit, was Sie von meiner Bemerkung halten würden – halten müßten, denn Sie können nicht wissen, daß Chapat das Ischtar-Memory dazu bewegen kann, ihm zu helfen. Wir haben uns während unseres Traumes lange darüber unterhalten.« »In einem Traum?« sagte ich zweifelnd. »In einem Traum, der offenbar in einer längst vergangenen Realität spielte«, erwiderte Atlan. Im nächsten Augenblick ereigneten sich zwei Dinge gleichzeitig. Einmal brach eine
Besuch im Totenreich glühende Stahlplatte aus der Decke und prallte funkensprühend auf den Boden, und zum anderen bildeten sich auf dem Panzerschott einige rosa Glutflecken, die sich langsam ausbreiteten. Sinclair Marout Kennon sprang durch das Loch, landete auf dem Boden neben der Stahlplatte und federte nach. In seinen Händen hielt er den tiefblau schimmernden Metallkreisel, den ich zuvor bei Zharadin gesehen hatte. Chapat richtete sich ruckartig auf, gestützt von dem Zafguir. Seine Augen waren auf das Ischtar-Memory gerichtet und hatten sich unnatürlich geweitet. Atlans Sohn sagte nichts, aber ich sah, wie sehr er bemüht war, sich zu konzentrieren. Sein Gesicht bedeckte sich mit Schweiß, und seine Augen tränten vor Anstrengung. Kennon wollte etwas sagen, aber Atlan legte den Zeigefinger beredt auf seine Lippen und verhinderte so, daß mein Partner Chapats Konzentration störte. Plötzlich barst das Panzerschott. Glühende Bruchstücke flogen in den Raum. Es war ein Wunder, daß sie niemanden verletzten. Die Verbrecher hatten das glühende Schott gesprengt. Jeden Moment würden sie stürmen. Chapat seufzte – und um das IschtarMemory bildete sich eine orangefarbene Aureole. Draußen ertönten einige Entsetzensschreie – und brachen wieder ab. Mehrere Körper stürzten polternd zu Boden. Chapat seufzte abermals. Die Aureole um das Ischtar-Memory erlosch. Kennon legte das seltsame Gerät auf den Boden und eilte in den Flur. Als er zurückkehrte, war sein Gesicht sehr nachdenklich geworden. »Zharadins Leute sind paralysiert«, erklärte er. »Jedenfalls die dort draußen. Ich nehme aber an, daß alle, einschließlich Zharadin selbst, paralysiert wurden. Was ist das für ein geheimnisvolles Gerät?« »Das Ischtar-Memory«, antwortete Cha-
39 pat und lächelte glücklich.
* Nachdem wir uns überzeugt hatten, daß Zharadin und alle seine auf Meggion befindlichen Leute paralysiert waren, kümmerten wir uns um die dreißig Zafguirs. Wir fanden sie am Ufer des Sees, wo sie in Stellungen erstarrt waren, die darauf hindeuteten, daß sie im Begriff gewesen waren, uns zu Hilfe zu eilen. Sie waren starr, aber nicht tot, wie eine flüchtige Untersuchung ergab. Kennon behauptete, sie wären durch Aktivierung eines alten posthypnotischen Befehls erstarrt. Während Talad-y-Borgh bei seinen Artgenossen blieb, kehrten Kennon und ich zum Beiboot zurück. Irgendwo im Schiff mußte sich der Signalgeber befinden, mit dem die posthypnotische Starre der Zafguirs aktiviert worden war – und mit dem sie sich – so hofften wir – auch wieder aufheben ließ. Zuerst schauten wir in Zharadins Kabine nach. Der Besitzer der TRAUMPALAST war durch die Impulse des Ischtar-Memorys paralysiert worden, während er einen Stapel von Geheimdokumenten vor dem Abfallvernichter aufgestapelt hatte, in der offenkundigen Absicht, sie notfalls zu vernichten. Wir nahmen die Dokumente an uns. Sie würden uns sicher wertvolle Aufschlüsse über Zharadins dunkle Geschäfte und Machenschaften geben. Anschließend suchten wir nach einem Impulsgeber. Doch das Gerät war nirgends zu finden, obwohl wir in der Untersuchung von Räumen große Erfahrung besaßen. Ich entdeckte es durch Zufall, als ich Zharadins starren Körper herumdrehte. Dabei legte sich seine linke Hand nach oben, und ich sah einen metallischen Gegenstand zwischen den Fingern. »Wir werden alt, Ken«, sagte ich ironisch. »Kein Wunder!« entgegnete mein Partner, der das Gerät einen Augenblick später entdeckte. »Zellaktivator- und Vollprothesen-
40 träger werden nun einmal sehr alt.« Er kniete sich neben Zharadin und bog dessen Finger auseinander. Sekunden später drückte er auf einen der beiden Schaltknöpfe des Impulsgebers. Ich ging zur Beobachtungswand und schaltete sie an. Nachdem ich das Aufnahmegerät auf den See gerichtet hatte, zeigte die Wand die Gruppe der Zafguirs, die in Bewegung geraten waren und Talady-Borgh umringten. Aufatmend erklärte ich: »Damit können wir das Kapitel Zafguir vorerst abschließen und uns wieder um Atlan und Chapat kümmern.« Kennon blickte mich eigentümlich an und fragte: »Du vermutest also, daß der Lordadmiral und sein Sohn während ihres gemeinsamen Traumes in den Illusionsmaschinen in einer ehedem realen Vergangenheit real existiert haben, Tek?« Ich nickte. Wir ließen Zharadin liegen und nahmen nur den Impulsgeber mit. Kurze Zeit später saßen wir mit Atlan und Chapat in der Hauptzentrale des Beiboots. Nachdem ich ein kurzes Gespräch mit dem Kommandanten des Schnellen Kreuzers geführt und erfahren hatte, daß das Schiff sich bereits im Landeanflug befand, setzte ich mich zu den anderen. Lordadmiral Atlan nickte mir lächelnd zu, dann sagte er: »Zuerst möchte ich mich bei Ihnen, Tekener und Kennon, bedanken. Chapat und ich wären gestorben, wenn Sie auch nur wenige Minuten später die Traummaschinen ausgeschaltet hätten.« »Wir haben uns in Ihre Privatangelegenheiten gemischt, Lordadmiral«, sagte Kennon. »Das stimmt«, erwiderte Atlan. »Aber Sie hatten durch mein langes Fernbleiben Grund zur Sorge, so daß ich Ihnen daraus keinen Vorwurf machen kann.« Er nickte Chapat zu und fuhr fort: »Zuerst möchte ich Ihnen meinen Sohn
H. G. Ewers vorstellen. Während meiner Jugend lernte ich Ischtar, die Königin der Varganen, kennen. Wir liebten uns. Ischtar prophezeite mir, daß aus unserer Vereinigung ein Sohn namens Chapat hervorgehen würde. Ich kann mir zwar nicht erklären, wieso mein Sohn erst jetzt, mehr als zehntausend Jahre nach seiner Zeugung, auftauchte, aber mit Tatsachen haben wir uns abzufinden.« Chapat lächelte flüchtig, sagte aber nichts, sondern richtete seinen Blick auf das Ischtar-Memory, das vor ihm auf dem Kartentisch lag. »Zharadin brachte uns beide in seine Gewalt«, fuhr der Arkonide fort. »Ich war unvorsichtig, sonst wäre das nicht geschehen, was danach geschah. Zharadin ließ uns an Traummaschinen anschließen, die er nach seiner eigenen Aussage mit Hilfe des Ischtar-Memorys programmierte.« Er sah uns der Reihe nach an und holte tief Luft. »Wir fanden uns beide auf Arkon I wieder – und zwar in jener Zeit, in der Imperator Orbanaschol III. regierte.« »Ein interessanter Traum, Sir«, warf Kennon ein. »Ich bin mir nicht klar darüber, ob es ein Traum im Sinne irrealer Erlebnisse war«, erklärte Atlan. »Alles stimmte mit der Wirklichkeit jener Zeit überein – und wir waren für diese längst vergangene Realität wirklich vorhanden. Orbanaschol III. ließ uns jagen. Ich bin überzeugt davon, wenn es mir in diesem Traum gelungen wäre, Orbanaschol zu töten, hätte er in der Vergangenheit genau zu dem betreffenden Zeitpunkt zu leben aufgehört.« An Kennons Mienenspiel merkte ich, daß mein Partner seine Zurückhaltung und Skepsis aufgegeben hatte. Er wirkte erregt. »Davon sind Sie überzeugt, Lordadmiral?« erkundigte er sich. Atlan nickte. »Ich bin davon überzeugt, obwohl wir nichts mitbringen konnten, was einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten würde, Kennon«, antwortete er. »Es muß an
Besuch im Totenreich dem Ischtar-Memory gelegen haben, daß uns durch den Traum eine körperliche Rückkehr in die Vergangenheit möglich war.« »Dann hätte es zu jener Zeit zwei Atlan gegeben«, meinte Kennon. »Einmal Atlan, der zur Regierungszeit Orbanaschols III. hinter dem Stein der Weisen herjagte – und dann den Atlan, der sich auf Arkon I befand.« »Das weiß ich nicht«, sagte der Lordadmiral. »Aber es muß wohl so gewesen sein.« »Faszinierend!« entfuhr es Kennon. »Was würde geschehen, wenn ich an eine der mit dem Ischtar-Memory programmierten Traummaschinen angeschlossen würde?« »Das lassen Sie lieber bleiben, Kennon«, entgegnete Atlan. »Es ist gefährlich. Außerdem wissen wir nicht, welche Verwicklungen daraus entstehen könnten.« Sinclair Marout Kennon machte ein undurchdringliches Gesicht. »Sir, ich bitte darum, zu einem Traumeinsatz abkommandiert zu werden!« sagte er. »Nein!« erwiderte Atlan hart. Kennon warf mir einen hilfeheischenden Blick zu, und plötzlich begriff ich, was mein Partner tatsächlich vorhatte – und ich wußte, daß es ihm viel bedeutete, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. »Ich unterstütze die Bitte meines Partners, Sir!« warf ich ein. »Und wenn Sie sie nur deshalb erfüllen sollten, weil sie ihm Ihr Leben verdanken, dann wäre das Grund genug.« Der Lordadmiral hieb mit der Faust auf den Kartentisch und erklärte eisig: »Versuchen Sie nicht, mich durch Sentimentalitäten zu einem unsinnigen Entschluß zu bringen, Tekener!« Ich lächelte kalt zurück. »Kennons Bitte ist logisch begründet, Sir«, entgegnete ich. »Sie müßten eigentlich daran interessiert sein, mehr über diese Traumwelt zu erfahren. Wir sollten dem Schicksal dankbar sein, daß es uns das Ischtar-Memory und Zharadins Traummaschinen gleichzeitig zuspielte.« Atlans Gesicht verfinsterte sich. Der Ar-
41 konide dachte fast eine Minute lang nach, dann sagte er bedächtig: »Ich bin einverstanden – vorausgesetzt, die betreffende Traummaschine wird nach spätestens zwei Stunden wieder ausgeschaltet.« Kennon erhob sich. »Danke!« sagte er. Er blickte mich an. »Hilfst du mir dabei, Tek?« Ich stand ebenfalls auf. »Gehen wir, Ken!« sagte ich.
6. Der Krüppel stand auf der weiten Ebene aus Metallplastik. Er kniff die Augen zusammen, denn das Licht der großen weißen Sonne spiegelte sich auf dem glatten Metallplastik und blendete ihn. Langsam drehte der Krüppel sich um, legte eine Hand über die Augen und versuchte, die Gebäude am Horizont der Metallwüste genauer zu erkennen. Er bewegte sich unsicher und linkisch und sah aus, wie man sich einen Schwachsinnigen vorstellt: mit zartgliedrigem Körperbau, schwachen Muskeln, einem Riesenschädel, spitz zulaufendem Kinn, dünnem strohgelbem Haar und großen abstehenden Ohren. Die vorquellenden wasserblauen Augen schauten allerdings kühl und abschätzend drein. Das änderte sich, als ein Luftgleiter sich neben dem Krüppel herabsenkte und ein hochgewachsener Mann mit blassem Gesicht, albinotisch rötlichen Augen und silbrig schimmerndem Haar den Kopf durch eine Luke steckte. Das Gesicht des Krüppels zeigte plötzlich Verlegenheit, und die Augen blickten unsicher und ängstlich drein. »Was machen Sie hier?« herrschte der Mann aus dem Luftgleiter den Krüppel an. »Der Kriegshafen Arp' Tudor ist Sperrgebiet!« »Verzeihung!« erwiderte der Krüppel devot. »Aber ich wollte nach Daar N'aang.«
42 »Daar N'aang liegt auf der anderen Seite von Arkon III!« erklärte der Mann unwirsch. »Ich möchte nur wissen, wie Sie hierhergekommen sind. Wie heißen Sie?« »Sinc Markenn«, antwortete der Krüppel devot. »Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin, Erhabener.« Plötzlich grinste der andere Mann. Er schaltete den Telekom seines Fahrzeugs ein und sagte: »Avrist an Überwachungspunkt Letikon! Ich habe hier auf dem leeren Feld von Arp' Tudor einen Schwachsinnigen aufgegriffen. Stellt euch vor, er redete mich mit ›Erhabener‹ an. Ich werde ihn verpacken und ins Sanatorium von Kemarest einliefern. Bestehen irgendwelche Bedenken dagegen?« Er lauschte eine Weile, dann meinte er: »Einverstanden. Bis später!« Er zog seinen Paralysator, richtete ihn auf den Krüppel und sagte: »Es muß sein, Sinc Markenn. Bald werden Sie in guten Händen sein.« »Ja, Erhabener!« erwiderte der Krüppel zaghaft. Er kippte stocksteif um, als die Lähmungsenergie ihn traf. Der Polizist stieg aus, hob den leichten Körper des Krüppels hoch und legte ihn auf die hintere Sitzbank seines Gleiters. Dann setzte er sich wieder hinter die Kontrollen und startete. Sinclair Marout Kennon dachte auf der Rückbank voller Groll, daß die Bewohner von Arkon III nicht gerade sanft mit schwachsinnigen Krüppeln umzugehen pflegten. Es war nicht schön, vollständig gelähmt zu sein und dennoch weiterhin zu denken, alles zu hören und alles zu sehen. Andererseits, überlegte er, hätte es auch schlimmer ausgehen können. Nur sein Aussehen und sein Benehmen hatten ihn davor bewahrt, in der nächsten Polizeistation einem peinlichen Verhör unterzogen zu werden. Kennon wußte, daß er alles eigentlich nur träumte. Er wußte auch, daß sein Gehirn in
H. G. Ewers der Vollprothese auf Meggion war. Dennoch hatte er vorausgesehen und erhofft, daß das Experiment mit der Traummaschine ihm seinen alten Körper wiedergeben würde. Er entsann sich noch genau der Zeit, da er – in der Jetztzeit – noch seinen alten Körper besessen hatte. Wie oft hatte er das verkrüppelte, monströse Gefängnis seines Intellekts damals verwünscht! Nicht nur, daß er niemals die Liebe einer Mutter kennengelernt hatte, denn er war als Baby ausgesetzt und staatlich erzogen worden, sondern es war ihm auch wegen seines abschreckend wirkenden Körpers niemals die echte Liebe einer Frau vergönnt gewesen. Und dann war der Tag im August des Jahres 2406 gekommen, an dem er während eines Geheimeinsatzes gegen die Condos Vasac, die mächtigste Verbrecherorganisation der Galaxis, durch einen Strahlschuß tödlich verwundet worden war. Er hatte es noch geschafft, mit seinem kleinen Raumschiff nach Tahun, dem berühmten Medo-Center der USO zu fliegen. Doch sein fast völlig verbrannter Körper war nicht mehr zu retten gewesen. Die Mediziner auf Tahun hatten das noch aktive und lebensfähige Gehirn aus dem Schädel entfernt und auf Weisung Atlans, der mit dem Gehirn die Fähigkeiten des genialen Kosmo-Kriminalisten retten wollte, in einen Robotkörper eingebaut. Kennon, der immer den athletischen Körper seines Partners Ronald Tekener bewundert hatte, wünschte sich einen ähnlichen Körper wie sein Partner. Diesem Wunsch war entsprochen worden. Und zum erstenmal in seinem Leben hatte Sinclair Marout Kennon einen Körper besessen, der mit seiner äußeren Erscheinung die bewundernden Blicke der Frauen und Mädchen auf sich zog, denn der eigentliche Robotkörper war mit lebendem Biostoff verkleidet, so daß Kennon äußerlich nicht von einem richtigen Menschen zu unterscheiden war. Doch was nutzten die bewundernden Blicke der Frauen, wenn er nicht fähig war,
Besuch im Totenreich seine Chancen bei ihnen auszukosten. Von ihm selbst existierte nur noch das Gehirn – und seltsamerweise auch jene Regungen, die eigentlich mit den entsprechenden Drüsen seines verbrannten Körpers hätten verschwinden müssen. Er war ein Neutrum, konnte die Liebe, die er empfand, nicht in die Tat umsetzen. Die Folge war eine psychische Instabilität gewesen, die zeitweise in einen regelrechten Roboterhaß ausartete. Niemals hatte Kennon seinen neuen Körper einen Robotkörper genannt. Er hatte es auch nicht zugelassen, daß andere diesen Körper so bezeichneten. Statt dessen hatte er beschönigend »Vollprothese« dazu gesagt. Und oft hatte er sich danach gesehnt, seinen alten Körper wieder zu besitzen. So häßlich er auch gewesen war, es war ein Körper aus Fleisch und Blut gewesen, mit allen Schwächen, aber auch mit allen Vorteilen eines solchen Körpers. Die Traummaschine Zharadins, von dem Ischtar-Memory programmiert, hatte ihm seinen alten Körper wiedergeschenkt – wenn auch nur für die Dauer eines zweistündigen Traumes. Allerdings konnte er mit diesem Körper nichts anfangen, denn er war von einem Lähmstrahl total paralysiert worden und wurde in einem Gleiter ins nächste Sanatorium für Geisteskranke gebracht. In die Klapsmühle! dachte er verächtlich, obwohl er wußte, daß die Arkoniden schon zur Zeit Orbanaschols III. keine Irrenhäuser mehr kannten, sondern nur Heilanstalten, in denen geistig Kranke echte Heilungs- oder Besserungschancen erhielten. Er spürte, daß der Gleiter landete, dann kam der Polizist und hob ihn heraus. Sinclair Marout Kennon erhaschte einen kurzen Blick auf eine Pfortenkuppel und zwei Medoroboter, bevor er auf eine Antigravtrage gelegt wurde und nur mehr den blauweißen Himmel sehen konnte. Natürlich, auf Arkon III, dem Kriegsplaneten des Großen Imperiums, gab es keine Sanatorien auf der Oberfläche. Sie war größ-
43 tenteils startenden und landenden Raumschiffen vorbehalten, denn im Kriegsfall mußten mehrere hunderttausend Raumgiganten gleichzeitig Platz finden, um überholt zu werden, sowie Nachschub und Mannschaftsersatz aufzunehmen. Deshalb befanden sich die Städte, Fabrikationsanlagen, Werften und anderen Einrichtungen alle unter der Oberfläche. Das traf auch auf die Sanatorien zu, in denen wahrscheinlich größtenteils Raumfahrer untergebracht waren, die durch jahrelange Einsamkeit im Weltraum psychisch angeknackst waren. Die Medoroboter brachten Kennon in einen Raum, in dem er entkleidet und von mehreren Ärzten untersucht wurde. Er hörte die Düse einer Injektionspistole zischen und spürte, wie die Muskelstarre seines Körpers wich. Er setzte sich auf und blickte in die Gesichter von drei Ärzten. Zwei waren Arkoniden, der dritte ein Ara, also ein Angehöriger der Galaktischen Mediziner. Es kam selten vor, daß ein Ara in einer Klinik praktizierte, die nicht seinem Volk gehörte. Die wenigen Ausnahmen waren meist Spezialisten oder Studenten, die einen bestimmten Patientenkreis in ihrer natürlichen Umgebung beobachten wollten. Kennon lächelte blöd und ließ einen Speichelfaden aus seinem linken Mundwinkel rinnen. »Es lebe Imperator Orbanaschol!« krähte er. Die beiden Arkoniden lächelten. Nur das Gesicht des Aras blieb ernst. »Der Mann kommt in das Labyrinth!« erklärte der Galaktische Mediziner.
* Sinclair Marout Kennon wußte nicht, was mit dem Labyrinth gemeint war – als er es merkte, war es zu spät. Zwei Medoroboter setzten ihn in einem stockdunklen Raum ab und ließen ihn allein. Eine Weile stand Kennon still, während er
44 die Erkenntnis verarbeitete, daß der Ara ihn wahrscheinlich als Simulanten durchschaut hatte und seine Diagnose in einem PsychoLabyrinth bestätigt sehen wollte. Kennon beschloß, das Spiel des Aras eine Weile mitzuspielen, aber den ersten günstigen Moment zu nutzen, um aus dem Sanatorium zu fliehen. Hier konnte er kaum etwas über die Verhältnisse im Großen Imperium im allgemeinen und auf Arkon III im besonderen erfahren. Als der Boden unter seinen Füßen schwankte, wimmerte er und setzte sich auf den Boden. Er hielt die Hände vor sein Gesicht, schaute aber zwischen den leicht gespreizten Fingern hindurch. In der Finsternis, die ihn umgab, tauchte ein Gebilde auf, das wie eine im Sonnenlicht schillernde Seifenblase aussah. Es schwebte auf Kennon zu und hielt dicht vor seinem Gesicht an. Plötzlich kippte der Boden weg, drehte sich um hundertachtzig Grad herum. Kennon hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen. Er breitete die Arme aus und bewegte sie wie Flügel auf und ab. Doch in Wirklichkeit fiel er nicht, sondern blieb auf dem Boden haften. Kennon vermutete, daß der Boden einen Schwerkraftgenerator enthielt. Unter ihm bildeten sich filigranhafte leuchtende Muster, formten sich zu einer Bogenbrücke. Das eine Ende der Brücke führte ins Nichts – jedenfalls scheinbar –, das andere in einen zauberhaften Garten mit blühenden Blumen und Sträuchern und einem plätschernden Springbrunnen. Wie verhält sich ein Geisteskranker bei diesem Anblick? überlegte Kennon fieberhaft. Würde er versuchen, in den Garten zu gelangen? Kennon vermutete es. Daher beschloß er, so zu tun, als wolle er den Garten erreichen. Er stieß sich kräftig vom Boden ab und segelte mit ausgebreiteten Armen auf die Brücke zu. Als er sie erreichte, blieb er einen Augenblick stehen, dann stürmte er zu
H. G. Ewers dem Ende, das scheinbar ins Nichts führte. Ein Ausruf der Überraschung ertönte. Er spornte den Krüppel noch mehr an. Als Kennon das Ende der Brücke erreichte, wurde es vor ihm hell. Er entdeckte den Ara, der ihn mit ausgebreiteten Armen aufzuhalten versuchte. Obwohl Kennons schwächlicher Körper über nicht halb soviel Kraft verfügte wie der des Aras, ließ Kennon sich auf einen Kampf ein. Er konnte das tun, weil er alle Dagorgriffe beherrschte – und ein Dagorkämpfer braucht nur wenig Kraft, um einen ungeübten zu besiegen. Kennons Rechte schnellte vor, und der Ara sank lautlos zusammen. Er würde mindestens eine halbe Stunde bewußtlos sein. Damit hatte der Mediziner nicht gerechnet, deshalb traf Kennon auf keinen Widerstand, als er durch einen Gang eilte und sich in den nächsten Antigravlift stürzte. Er schwebte bis zur Sohle des Schachtes, stieg aus und suchte nach einem Ausrüstungsraum. Ohne jemanden zu treffen, fand er ihn schließlich. Kennon streifte sich eine viel zu lange und zu weite grüne Kombination über, nahm eine Schachtel mit chirurgischen Instrumenten an sich und verließ den Raum wieder. Diesmal fuhr er mit einem Transportband bis zur Gleitergarage des Sanatoriums. Mit Hilfe einiger Instrumente und seines Geschicks im Umgang mit provisorischer Ausrüstung gelang es ihm, die Alarmanlage auszuschalten und das Impulsschloß eines Gleiters zu überbrücken. Danach war alles weitere ein Kinderspiel. Mit der im Gleiter befindlichen Fernsteuerung aktivierte er die Öffnungsautomatik der Garage, steuerte den Gleiter hinaus und beschleunigte auf der subplanetarischen Straße, die vom Sanatorium in die nächste – ebenfalls subplanetarische – Stadt führte. Sinclair Marout Kennon lächelte triumphierend. Seine Erfahrungen und sein Können hatten ihn befähigt, aus der Isolation eines Sanatoriums zu entkommen – und er besaß
Besuch im Totenreich wieder seinen alten Körper. Beinahe wäre Kennon in Euphorie verfallen. Er zügelte seine Emotionen gerade noch rechtzeitig, um keinen Fehler zu begehen. Als er die Stadt erreichte, schaltete er die Signalpfeifen des Gleiters ein. Daraufhin wurde ihm die Stadtschleuse anstandslos geöffnet. Allerdings würde sich der Kontrollroboter an den Gleiter erinnern, sobald der Ara wieder zu sich gekommen war und die Fahndung nach dem »Geisteskranken« ausgelöst hatte. Kennon wußte, daß ihn sein verkrüppelter Körper leicht verraten würde. Er mußte sich also einige Zeit verborgen halten, und er wußte auch schon wo. Vergnügt pfiff er vor sich hin – und er schrie erschrocken auf, als die Umgebung plötzlich für ihn verblaßte und er sich erinnerte, daß die zwei Stunden um waren …
* Als die zwei Stunden verstrichen waren, die Lordadmiral Atlan genehmigt hatte, schaltete ich die Traummaschine ab. Automatisch hob sich die Übertragungshaube. Das Biomolplastgesicht Kennons kam zum Vorschein. Ich lächelte und fragte: »Wie war der Traum, du Schlafmütze?« Aber noch während ich sprach, wurde mir klar, daß meine scherzhafte Bemerkung nicht die erwünschte Resonanz auslösen würde. Kennons Gesicht verzerrte sich zuerst zu einer weinerlichen Grimasse, dann zu einer Grimasse der Wut. »Einschalten!« stieß er mit rauher Stimme hervor. »Wieder einschalten, sage ich!« »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Atlan vom Schott her. »Stehen Sie auf, Kennon!« Sinclair Marout Kennon stand langsam auf und ging ebenso langsam auf den Arkoniden zu. Dicht vor ihm blieb er stehen. »Sir, es gibt so etwas wie das Recht auf Freiheit und menschliche Würde!« erklärte
45 er mit bebender Stimme. »Ich war in meinem Traum wieder im Besitz meines echten Körpers.« Seine Stimme wurde hoch und überschlug sich fast. »Und ich will zurück, will wieder in meinem Körper leben. Niemand wird mich daran hindern, auch Sie nicht!« Mit einer blitzschnellen Bewegung zog er den Paralysator aus Atlans Gürtelhalfter, trat drei Schritte zurück und richtete die Waffe drohend auf den Lordadmiral. »Befehlen Sie Tekener, die Traummaschine wieder einzuschalten, nachdem ich in sie zurückgekehrt bin!« sagte er drohend. »Beruhigen Sie sich, Kennon!« sagte Atlan. »Wenn Sie es nicht befehlen, paralysiere ich Sie und schließe Sie an die Traummaschine an, Sir«, erklärte Kennon. Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Du kannst uns beide paralysieren, Ken. Ich werde trotzdem die Traummaschine nicht aktivieren – und du weißt genau, daß ich mich nicht einschüchtern lasse, Ken.« »Aber ich muß zurück!« sagte Kennon, mehr zu sich selbst als zu uns. »Und wenn ich euch alle umbringen muß. Dann kann ich in aller Ruhe eine Automatikschaltung in die Traummaschine einbauen und mich selbst dorthin schicken, wo ich meinen richtigen Körper habe – und wo ich nicht in diesem Gefängnis aus Stahl, Plastik und Biomasse eingesperrt bin.« »Willst du zum Verbrecher werden, Ken?« fragte ich, während ich überlegte, wie ich den Halbroboter unschädlich machen konnte. Kennon stand zweifellos unter Schockeinwirkung, hervorgerufen durch das Traumerlebnis, wieder in seinem eigenen Körper zu leben. Ebenso zweifellos war er aufgrund der enormen Fähigkeiten seines Robotkörpers in der Lage, uns und die Besatzung des Schnellen Kreuzers zu überwältigen oder gar zu töten. Natürlich konnte auch sein Robotkörper kampfunfähig gemacht werden, aber nicht von zwei einzelnen Männern.
46 In unserer Lage konnte ich nur an seine Vernunft appellieren. »Was hast du erlebt?« fragte ich. Sinclair Marout Kennon starrte mich an. Er atmete schwer. Die Aggregate seines Robotkörpers reagierten auf jeden Hirnimpuls, also auch auf emotionale Impulse des Gehirns in der Schädelhülle aus AtronitalCompositum. Ich ließ mir meine Erleichterung nicht anmerken, als mein Partner die Waffe senkte und tonlos sagte: »Ich befand mich auf Arkon III – und zwar in der gleichen Zeit, in der auch Atlan und Chapat im Traum dort waren. Ich wurde aufgegriffen und wegen meines Aussehens und Benehmens in ein Sanatorium für Geisteskranke eingeliefert.« Er grinste. »Aber sogar der Ara-Mediziner, der mich als Simulanten einstufte, unterschätzte die Fähigkeiten meines Gehirns. Ich überlistete ihn, nahm einen Gleiter an mich und floh in die nächste subplanetarische Stadt.« »Was wollten Sie dort?« fragte Atlan, der meine Taktik aufgriff. »Ich wollte den Gleiter abstellen und mich dann einige Wochen in dem Kanalisationsnetz verbergen, bis die Suche nach mit eingestellt worden war«, antwortete Kennon bereitwillig. »Leider wurde ich zurückgeholt, bevor ich meinen Vorsatz ausführen konnte.« Mit einem verlegenen Lächeln reichte er den Paralysator an Atlan zurück, der ihn kommentarlos in seinem Gürtelhalfter verstaute. »Es tut mir leid, daß ich die Nerven verloren habe«, erklärte er. »Schon gut«, erwiderte Atlan. »Ich verstehe Ihre Gefühle. Sprechen wir nicht mehr davon, Kennon.« »Aber wir müssen davon sprechen, Sir!« protestierte mein Partner. »Ich habe meine Ansicht nicht geändert. Ich will in die Traummaschine und damit in die Vergangenheit zurück. Lieber will ich mich den Gefahren auf Arkon III aussetzen als in mei-
H. G. Ewers nem stählernen Gefängnis bleiben.« »In deinem ›stählernen Gefängnis‹, wie du deine Vollprothese nennst, bist du extrem langlebig, Ken«, wandte ich ein. »In deinem natürlichen Körper dagegen lebst du höchstens noch sechzig Jahre, denn er war schwächlich und anfällig.« »Viel wahrscheinlicher ist, daß Sie nach viel kürzerer Zeit den Gefahren erliegen, die auf den Arkon-Planeten auf Sie zukommen«, erklärte Lordadmiral Atlan. »Das ist mir alles gleichgültig«, beharrte Kennon. Er zuckte die Schultern. »Danke, daß Sie, Lordadmiral, sich Sorgen um mich machen«, meinte er. »Und auch dir danke ich, Tek. Aber niemand kann mich von meinem Ziel abhalten, wieder in meinem eigenen Körper zu leben. Könnt ihr euch vorstellen, was für ein Gefühl das war?« Ich nickte. Das konnte ich meinem Freund gut nachfühlen. Dennoch wurde ich den Verdacht nicht los, daß Kennon nicht allein deshalb in die Traumwelt zurückkehren wollte, weil er sich nach seinem Körper sehnte. Ich kannte ihn viel zu gut, als daß ich das geglaubt hätte. Nein, Kennon verfolgte zusätzlich einen ganz bestimmten Plan. Das Gehirn in seinem Robotkörper wäre nicht mehr Kennons Gehirn gewesen, wenn es nicht längst Pläne geschmiedet hätte. Ich lächelte den Freund vielsagend an. Kennon lächelte zurück. Das genügte mir als Antwort. Sinclair Marout Kennon hatte tatsächlich ganz bestimmte Pläne, was seine Rückkehr in die ferne Vergangenheit anging – und ich ahnte bereits, wie diese Pläne aussahen. »Was meinen Sie, Tekener?« fragte Atlan. »Wir können ihm seinen Wunsch, wieder in seinem natürlichen Körper zu leben, nicht abschlagen, Sir«, antwortete ich. »Daneben sollten Sie seine großen Verdienste um die USO und die gesamte Menschheit berücksichtigen.« Der Arkonide blickte mich prüfend an, dann nickte er bedächtig.
Besuch im Totenreich »Ja, das muß ich wohl«, meinte er gedehnt. Plötzlich lächelte auch er. Da wurde mir klar, daß auch Atlan Kennons Absichten durchschaut hatte. Der Arkonide mußte wissen, daß dadurch Verwicklungen auftreten konnten, die an den Grundfesten zahlreicher geschichtlicher Tatsachen rüttelten. Dennoch sagte er: »Genehmigt, Kennon. Sie müssen uns nur gestatten, die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen, was ungefähr drei Tage dauern dürfte.« »Drei Tage?« fragte Kennon enttäuscht. Doch dann seufzte er und erwiderte: »Einverstanden, Sir – und vielen Dank.«
* Nachdem ich nacheinander die Besatzungsmitglieder des Beiboots und die drei ständigen Bewohner von Zharadins Geheimstation verhört hatte, kam Alfo Zharadin selbst an die Reihe. Der ehemalige Besitzer der TRAUMPALAST hockte wie ein Häufchen Elend in seinem Sessel, knetete seine Finger und sah mir nicht in die Augen. Am ersten Tag seiner Haft hatte er einen Selbstmordversuch unternommen. Seitdem war er noch schärfer bewacht worden. Vorschriftsmäßig wies ich Zharadin auf seine Rechte hin, die jedem von uns Verhafteten zustanden. In seinem Fall gab es jedoch kein Recht der Aussageverweigerung, da er bei frischer Tat ertappt worden war und somit erwiesenermaßen eines Verbrechens schuldig war. Die Klärung der anderen Beschuldigungen mußten wir dem Gericht überlassen. »Was haben Sie sich gedacht, als Sie nicht nur Chapat, sondern auch Lordadmiral Atlan in Ihre Gewalt brachten und an Traummaschinen anschlossen, deren Programmierung ihren Tod bedeuten konnte?« fragte ich ihn. »Ich wußte nicht, daß es sich um den Lor-
47 dadmiral der USO handelte«, erwiderte Zharadin leise. »Ich dachte, der Mann wäre ein Verbrecher, der mir das Ischtar-Memory stehlen wollte.« Seine Frechheit erstaunte mich. Alfo Zharadin mußte doch wissen, daß wir genügend Beweise gegen ihn in der Hand hatten, um eine Verurteilung zur totalen Persönlichkeitslöschung zu erreichen – und nur ein Schwachsinniger konnte behaupten, Atlan nicht erkannt zu haben. »Sie lügen, Zharadin!« sagte ich ihm auf den Kopf zu. »Das wird Ihnen vom Gericht erschwerend angerechnet werden. Und das Ischtar-Memory gehörte nicht Ihnen, sondern Chapat. Sie hatten es ihm gestohlen.« »Ich schwöre, daß Chapat mir das IschtarMemory für hunderttausend Solar verkaufte!« rief Zharadin. »Wenn er etwas anderes behauptet, lügt er!« »Bei einem so wertvollen Objekt hätten Sie einen Kaufvertrag abgeschlossen, Zharadin!« erklärte ich kalt. »Ich werde ein Psycholaborverhör anordnen, dann brauche ich mir nicht länger Ihre unverschämten Lügen anzuhören.« »Das dürfen Sie nicht!« fuhr Zharadin auf und blickte mir zum erstenmal voll ins Gesicht. »Dazu brauchen Sie meine Zustimmung!« Ich lächelte eisig. »Haben Sie Atlan und Chapat gefragt, ob sie einem Anschluß an Ihre Traummaschinen zustimmen würden?« erkundigte ich mich. »Es erstaunt mich, wie oft Verbrecher Rechte für sich in Anspruch nehmen wollen, die sie ihren Opfern nicht zugestanden haben. Aber vielleicht sind Sie zur Zeit schizophren. Dann lasse ich Sie für entmündigt erklären und brauche zu nichts mehr Ihre Zustimmung.« Ich wandte diese nicht ganz saubere Argumentation absichtlich an, um Zharadin aus seiner Reserve zu locken, denn ich hatte immer stärker den Eindruck, daß seine Lügereien eine kalkulierte Verzögerungstaktik waren. Erwartete Zharadin vielleicht Hilfe? Aber
48 woher? »Sie treten das Galaktische Recht mit Füßen, Tekener!« brauste Zharadin auf. »Aber nicht mehr lange, dann ist das Spiel aus!« Ich nickte, während ich die Hand ausstreckte und die Rundrufanlage einschaltete. »Tekener an alle!« sagte ich ins Mikrophon. »Zharadin scheint einen Trumpf zu verbergen. Sichern Sie bitte das Schiff und die Station sorgfältig ab, und suchen Sie mit Spezialtastern nach versteckten Bomben.« Als ich sah, daß Zharadin erschrak, fügte ich hinzu: »Ich bin sicher, daß irgendwo in unserer Nähe eine Bombe versteckt ist. Setzen Sie alle Kräfte zur Suche danach ein. Ende!« Ich blickte den Verbrecher wieder an und meinte: »Wie gefällt Ihnen das, Zharadin?« Da brach der Verbrecher endgültig zusammen. »Mein Leben ist verpfuscht – durch die Schuld der Umstände und durch meine eigene Schuld«, sagte er tonlos. »Ich wollte sterben und meine Feinde mit in den Tod nehmen.« Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Sie halten wohl sehr wenig von unserer Therapie für Straffällige, Zharadin! Wir üben weder Vergeltung noch Rache. Der einzige Zweck der Therapie ist es, Verbrecher von den Teilen ihrer Persönlichkeit zu befreien, die für die Ausübung ihrer verbrecherischen Handlungen verantwortlich sind. Im krassesten Fall ist das logischerweise die ganze Persönlichkeit. Aber dadurch erlischt das Leben des Betroffenen nicht. Seine Psyche wird so nah wie möglich an der früheren Psyche neu aufgebaut, und in einigen Jahren ist er geheilt und damit frei.« »Aber dann ist er nicht mehr der frühere Mensch!« entgegnete Alfo Zharadin. »Natürlich nicht«, erklärte ich. »Aber haben Sie noch nie darunter gelitten, daß Sie so sind, wie Sie sind?« Zharadin nickte. »Mein schlimmster Mangel war meine völlige Geschlechtslosigkeit, Tekener«, sag-
H. G. Ewers te er. »Und das wird immer so bleiben.« Ich seufzte. »Wenn das schuld an Ihrem irregulären Verhalten war, dann wird es ebenfalls behoben«, erwiderte ich. »Überlegen Sie sich inzwischen, ob Sie ein Mann oder eine Frau sein wollen.« Alfo Zharadin blickte mich lange an, als glaubte er mir nicht. Dann sah ich an seinem Gesichtsausdruck, daß er entschlossen war, mir Glauben zu schenken. »Danke, Tekener«, sagte er. »Die Bombe befindet sich im Körper von Helgiry-Borgh. Sie wäre in einer halben Stunde explodiert und hätte uns alle getötet.« Ich aktivierte die Rundrufanlage und gab das Versteck der Bombe bekannt, dann erhob ich mich und sagte: »Sie haben den ersten Schritt in eine neue Zukunft getan, Zharadin. Ich wünsche Ihnen viel Glück.« Zharadin hatte Tränen in den Augen, als die Wachen ihn abführten. Ich konnte mein Mitgefühl für ihn nicht unterdrücken. Zharadin hatte schwere Verbrechen begangen, aber er schien tatsächlich unter einem starken Minderwertigkeitskomplex gelitten zu haben – und solche Menschen wurden entweder große Wissenschaftler, Künstler oder Wirtschaftsmanager oder Verbrecher. Ich verließ den Schnellen Kreuzer, um nach Talad-y-Borgh zu sehen, mit dem ich noch einiges zu besprechen hatte.
* Talad-y-Borgh hörte mir aufmerksam zu, dann erwiderte er: »Ich bin dir sehr dankbar, Tekener. Sobald ich die dreißig Entführten zurückgebracht habe, werde ich mit den Mitgliedern unseres Rates über deinen Vorschlag sprechen.« »Dränge nicht auf eine schnelle Entscheidung, Talad«, sagte ich. »Die führenden Leute deines Volkes müssen Zeit haben, sich alles reiflich zu überlegen. Niemandem kann mit einer überstürzt gefällten Entschei-
Besuch im Totenreich dung gedient sein. Am besten wäre es, wenn eure Ratsmitglieder eine Rundreise durch das Solare Imperium unternehmen würden. Ein Schiff dafür läßt sich auftreiben. Dann können sich die Zafguirs ein Bild davon machen, was wir unter Zusammenarbeit verstehen.« »Das denke ich auch, Tek«, erwiderte der Zafguir. »Doch, unabhängig von der Entscheidung unseres Rates, möchte ich heute schon den Antrag auf Aufnahme in die USO stellen.« Ich lächelte, denn das hatte ich erhofft. »Ich werde den Antrag persönlich befürworten, Talad«, erklärte ich. »Aber nun laß uns zu Kennon gehen.« Der Zafguir begleitete mich in den größten Raum der Station, in den eine der Traummaschinen gebracht worden war. Lordadmiral Atlan und Sinclair Marout Kennon waren bereits anwesend, außerdem einige Wissenschaftler, die der Arkonide über Hyperkom vom nächsten Wissenschaftsplaneten der USO angefordert hatte. Kennon wirkte sehr entschlossen und in gewissem Sinne freudig erregt. »Ich hoffe, du bist dir über die Tragweite deines Schrittes völlig im klaren, Ken«, sagte ich. Kennon nickte. »Das bin ich, Tek, alter Junge«, erwiderte er. »Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast. Es war faszinierend, mit einer so schillernden Persönlichkeit wie dir zusammenzuarbeiten. Ich werde dich vermissen.« Ich schluckte, bevor ich sagen konnte: »Ich werde dich ebenfalls vermissen, Ken, auch wenn du mir oft schlaflose Nächte bereitet hast und ich manchmal Blut geschwitzt habe wegen deiner Verrücktheiten. Lebe wohl, alter Knabe – und bringe dort, wohin du gehst, nicht alles durcheinander. Denke an die Verantwortung gegenüber der Jetztzeit.« Kennon grinste. »Ich werde daran denken, Tek.« Er wandte sich an den Lordadmiral und sagte:
49 »Sir, Sie werden bald von mir hören. Leider werde ich Sie so, wie Sie jetzt sind, nicht wiedersehen. Ich danke Ihnen für alles.« »Ich danke Ihnen auch, Kennon«, erwiderte der Arkonide ungewöhnlich ernst. »Sie haben unschätzbar viel für die Menschheit und die anderen galaktischen Völker getan und haben Ihr schweres Schicksal besser verkraftet, als die Psychologen auf Tahun zu hoffen wagten. Auf Wiedersehen!« Kennon lächelte gerührt. »Auf Wiedersehen, Sir!« Er wandte sich an den Zafguir. »Lebe wohl, Talad-y-Borgh!« sagte er herzlich. »Ich wünsche dir und deinem Volk eine glückliche Zukunft.« »Lebe wohl, Kennon!« erwiderte Talady-Borgh ernst. Sinclair Marout Kennon winkte uns noch einmal zu, dann legte er sich auf das Konturbett der Traummaschine. Die Wissenschaftler schlossen ihn an das separate Lebenserhaltungssystem an, das einspringen sollte, wenn die Energieversorgung durch den Robotkörper einmal versagte. Ich salutierte, als sich die Übermittlerhaube über Kennons Kopf senkte. Es war der Abschied von einem Freund, mit dem ich Freude und Leid geteilt hatte und der mir ans Herz gewachsen war. Ob es ein Abschied für immer sein würde? Wahrscheinlich, denn Kennon hatte erreicht, daß Atlans Anordnung lautete, den USO-Spezialisten lediglich ständig zu überwachen, damit er nicht durch eine Panne an der Traummaschine oder am Lebenserhaltungssystem umkam. Die Traummaschine aber sollte nicht ausgeschaltet werden. Jedenfalls nicht, solange das Gehirn in dem Robotkörper noch lebte. Es würde leben, bis Kennon in seinem Traum starb – eines gewaltsamen oder eines natürlichen Todes. Ich bedauerte, daß ich niemals erfahren würde, was Kennon in seinem Traum erlebte – und ahnte plötzlich, daß es trotz allem eine
50
H. G. Ewers
Chance gab, das zu erfahren. Ich blickte zu Atlan hinüber. Und der Arkonide verstand, denn er nickte mir lächelnd zu. Alles war offen in dem gefährlichen Spiel, auf das sich Sinclair Marout Kennon eingelassen hatte. ENDE
»Viel Glück, mein Freund!« flüsterte ich. ENDE