g.a.e. bogeng berühmte erstdrucke berlin 1920
g. a. e. bogeng
berühmte erstdrucke paul graupe berlin
19 2 0
E.T.A...
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g.a.e. bogeng berühmte erstdrucke berlin 1920
g. a. e. bogeng
berühmte erstdrucke paul graupe berlin
19 2 0
E.T.A. Hoffmanns Zauberbuch
D
AS Bibliophilenbuch sondergleichen ist jenes Zauberstück, das E. T. A. Hoffmann, in seiner
Berlinischen Geschichte: die Brautwahl, den Herrn Geheimen Kanzlei-Sekretär Tusmann sich erraten läßt. Denn man brauchte diesen kleinen Pergamentband mit den leeren Blättern nur aus der Tasche zu ziehen, um in ihm jede gerade gewünschte Ausgabe zu finden. Ein unvergleichliches Bibliophilenvergnügen, alle Bücher, alle Büchersammlungen am Herzen tragen zu können!? Armer Theodor Amadeus, du hast den Bibliophilen nicht gekannt, als du ihm ein Buch schenken wolltest, das die vergangenen, das die zukünftigen Bücher in sich schließet. Der Bibliophile, der die fremden Kostbarkeiten nicht ohne gründliche Kritik läßt — amicus bibliophilus, magis amica veritas — möchte widersprechen: »Alle Bücher in dem gleichen Einband zu haben, könnte mir nicht passen. Der närrische Herr Geheime 3
Bibliophilische Desiderata
Kanzlei-Sekretär Tusmann gibt sich mit einem Buch zufrieden, ich aber bin kein Schmökerer, ich habe eine Bibliothek, und dazu gehört, nach Adam Riese, denn doch etwas mehr als ein womöglich noch ganz glattes Pergamentbändchen. Das Zauberstück, das den Bibliophilen zufriedenstellt, ist nicht so einfach. Er wünscht sich nicht allein die Bücher, die gedruckt sind, er wünscht sich auch die Bücher, die hätten gewesen sein können. Bibliographien und Kataloge predigen ihm, wo er sie aufschlägt, Resignation. Warum schenkte denn Goethe nicht an Schiller den ersten Faustdruck mit einer handschriftlichen Widmung? Weshalb fehlte gerade diesem Buche ein Besitzvermerk Schillers auf dem Titelblatte? Wozu blieb es bloß nicht nur unerfunden, sondern auch noch ungebunden? Ein nicht auszudenkender Prachtband des berühmtesten Buchbinderkünstlers ›der Zeit‹, der den Abzug des Verfassers auf besserem Papier, im alten Umschlage unbeschnitten, so lange verwahrt hätte, bis der Weg des Buches in meiner Büchersammlung endete, wäre gerade gut genug gewesen.« Unzählige Biblio4
Statistisches
philenwünsche wie diesen hätte ein Zauberer, der sie erfüllen sollte, zu zählen; er hätte länger zu leben, als die Erde bestehen wird, um allein die endlich gefundene Zahl in Ziffern auszudrücken, und das Papier, das er benötigen würde, sie aufzuschreiben, entspräche so und so vielemal dem Erdballgewichte. In der Bibliophilenphantasie verschwindet die Bücherwelt, die Gutenberg hervorrief, zum Sonnenstäubchen, um das Desideratawirbel unausdenkbare Welten wirken. Es ist immer angenehm, sich mit solch einem kühnen Sprunge in die nüchternen Realitäten statistischer Wissenschaft retten zu können. Hier beweisen die Zahlen, hier kann kein Zauberer mit scherzhaften Taschenbüchern verblüffen, hier hilft nachrechnen und nichts weiter. An den mathematischen Beweis, daß ihm die ganze Bücherwelt gehöre, schließt der Bibliophile gern eine moralische Heldentat. Er verzichtet auf den Glanz und die Größe jener Welt, er begnügt sich mit dem Erstgeburtsrecht, mit der Erstausgabe, mit dem Erstdruck. Keine Klopstockische Ode könnte mit Worten das Wunder eines Erstdruckes anstaunen, 5
Weltschrifttumsurkunden
es läßt sich nur ahnen, es ist unsagbar. Daß etwas zum ersten Male gedruckt wurde, das ist das Köstliche. Der Bibliograph, der mißvergnügt fragt, warum ein Werk darin seinen höchsten Wert erreiche, daß es der Buchdrucker X und der Buchhändler Y zu Papier brachten, ohne sich um dessen Verfasser sonst noch viel weiter zu kümmern, ohne zu achten, daß es auch so gedruckt wurde, wie es geschrieben stand, ist ein Neidling. Er fühlt nicht, daß die Erstausgabe ein kühnstes Mittel des Bibliophilen ist, aus den vielzuvielen Büchern die vielzuwenigen zu machen. Und er einigt sich vielleicht mit dem Bibliophilen auf die Formel, die auch dieser gelten läßt, weil sie ihm nicht seiner Sehnsucht Traum zerstört: die Erstausgabe eines hervorragenden Schriftwerkes, mag sie sonst sein, wie sie will, ist ein Denkmal der Geschichte des menschlichen Geistes, ist eine Urkunde der Weltschrifttumsgeschichte, die mit einer ersten Buchveröffentlichung den Anfang eines sich ausbreitenden bedeutenden Lebenskreises bestimmt, in dessen Mitte durch sie sich auch der Bibliophile 6
Bibliographischer Patriotismus
versetzen will. Wenn er an seinen Bücherschrank tritt, in dem die Klassiker-Original-Ausgaben stehen, wenn er den, wenn er jenen Band prüfend zur Hand nimmt, bevorzugt er die Bücher seines eigenen Landes und seiner eigenen Sprache, gewillt, sie mit den höchsten Liebhaberpreisen anzuerkennen. Aus dergleichen nationalem Ehrgeiz haben die berühmten Erstausgaben neben ihrem bibliographischen noch ihren bibliophilen, noch ihren buchhändlerischen Rang gewonnen, der kennzeichnend ist für den internationalen Herrschaftsbereich eines Meisterwerkes des Weltschrifttums. Freilich auch für den der Geldmacht eines Staates. Braucht man noch hinzuzufügen, daß die berühmten Erstausgaben ihre Reihen vollständig nur in den Bücherpalästen der Huntington und Morgan zeigen, daß bescheideneren Sammlern der Beweis höchsten Buchruhmes die Faksimileedition bleiben muß? Aber auch der bescheidenste Bibliophile, der auf alles, der sogar auf die Bücher verzichtet, darf wenigstens von den Originalen reden. — Das berühmteste Buch, das »Buch der Bücher«, 7
Die Gutenberg-Bibel
ist der christlich-europäischen Kultur die Bibel. »Sie ist nicht etwa nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker, weil sie die Schicksale eines Volks zum Symbol aller übrigen aufstellt« (Goethe, Geschichte der Farbenlehre. 1810). Ihre Ausgaben bilden eine Bibliothek für sich, in der die ältesten neben den neuesten, die billigsten neben den teuersten Büchern stehen, eine Bibliothek, deren viele Sprachen kein Bibliothekar meistern kann, eine Bibliothek, deren Katalog selbst eine kleine Bibliothek sein würde und dazu eine das Buchwesen umfassende Geschichte. Mit Fug und Recht steht auf dem Ehrenplatz der berühmteste Erstdruck: die z w e i u n d v i e r z i g z e i l i g e Bibel, Gutenbergs Meisterwerk, das um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts entstand, das erste gedruckte Buch größeren Umfanges und das höchstbezahlte, seitdem es in Mazarins Bibliothek für die Bibliophilen entdeckt wurde. Ihm fehlen noch Schlußschrift und Titelblatt, der Verleger war noch nicht erfunden, der eine Erstausgabe ihre Bibliographie in seinem Namen reden läßt. Den lateinischen Über8
Erstausgaben des „Neuen Testaments“
setzungen folgten erst in den achtziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts Drucke des hebräischen Bibeltextes, erst 1514 wurde in der auf Befehl und Kosten des Kardinals Francesco Ximenez de Cisneros in Alcala de Henares hergestellten Biblia polyglotta, die nach ihrer Titelangabe die „ C o m p l u t e n s i s c h e Po l y g l o t t e “ heißt, das griechische Neue Testament gedruckt. Da aber dieser Privatdruck in sechs prunkvollen Folianten erst 1520 ausgegeben wurde, gelten die 1518 in Ve n e d i g von der Aldus-Werkstätte veröffentlichten Sa c r a e s c r i p t u r a e v e t e r i s , n ov a e q u e o m n i a als die Editio princeps des griechischen Neuen Testaments — ein für die Unterscheidung zwischen Erstausgabe und Erstdruck lehrreiches Beispiel. Daß in einem jeden Lande nicht allein die ältesten gedruckten Bibelübersetzungen, sondern auch die ältesten autorisierten Bibelübersetzungen in höchster Schätzung stehen, und daß gerade die letzteren nicht immer in ihrem Erstdruck Geltung haben, gilt auch für L u t h e r s Sprachtat, mit der er seinen Deutschen dienen wollte. Der Erstdruck seines 9
Die Luther-Bibel
Wartburgwerkes, die Se p t e m b e r - Bi b e l , so genannt, weil sie der Wittenberger Me l c h i o r L o t t h e r, sie auf drei Pressen gleichzeitig herstellend, im September 1522 beendet hatte und noch im Dezember desselben Jahres die zweite Auflage fertigstellen konnte, müßte richtiger allerdings das September-Testament heißen, da er allein die Übersetzung des Neuen Testamentes enthält. Die Nachfrage nach dem Buche war trotz des hohen Preises von anderthalb Gulden so stark gewesen, daß die erste Auflage teilweise gleichzeitig mit der zweiten gedruckt wurde, das heißt, daß einzelne Bogen in einer noch für die zweite Auflage hinreichenden Höhe ausgegedruckt wurden — ein Beispiel für die bibliographischen Rätselstellungen der Reformationsliteratur, in der Doppeldrucke, Mischauflagen häufig sind und den Erstdruck verfälschen. Daß in Basel bereits im Dezember des Erscheinungsjahres der September-Bibel ihr erster Nachdruck erschien, daß auch ihre Holzschnitte, mit denen sie vermutlich ihr wahrscheinlicher Mitverleger Lucas Cranach verziert hatte, nachgeschnitten 10
Die doppelte Vulgata-Edition
wurden, mag ein kurzer Hinweis auf die nicht seltenen Verwirrungen sein, die dem Auffinden eines alten Erstdruckes unter seinen Nachdrucken sich entgegenstellen. Kommt es doch sogar vor, daß ein Erstdruck überhaupt nicht veröffentlicht, sondern nach seiner Fertigstellung vernichtet wird, um von einem zweiten Drucke als von der anerkannten Erstausgabe ersetzt zu werden. Ein Schicksal, das die Bi b l i a s a c r a v u l g a t a e e d i t i o n i s , die, dort von Aldus Manutius betreut, Ro m a e , e x t y p o g r a p h i a a p o s t o l i c a Va t i c a n a : 1 5 9 0 hervorging, traf. Diese, auf Befehl des Papstes Sixtus V. veranstaltete amtliche Bibelausgabe für das Herrschaftsgebiet der Katholischen Kirche wurde ihrer Druckfehler wegen zurückgezogen, und ein von Papst Clemens VIII. als authentischer Text approbierter Neudruck Ro m a e , e x t y p o g r a p h i a a p o s t o l i c a Va t i c a n a : 1 5 9 2 trat an ihre Stelle. Den Bemühungen der Bibliophilen, den ›Erstdruck‹ von 1590 zu erlangen, kamen Buchfälscher auf die einfachste Weise entgegen. Sie druckten das alte Titelblatt nach und stellten es dem Neudruck vor. Und 11
Die Imitatio Christi
sie machten aus einem Erstdruckabzug ein Dutzend, indem sie die Exemplare mischten. Woraus zu lernen ist, daß die alten, die echten Druckfehler häufig den Erstdruck bezeugen und daß weder Bibeln noch Bibliophilen den Buchtäuschern heilig sind. — In Auflagen des lateinischen Textes, Bearbeitungen und Übersetzungen hat nach der Bibel wohl die ›Im i t a t i o C h r i s t i ‹ die weiteste Verbreitung gefunden. Der Editio princeps dieses Andachtbuches der Christenheit, die 1471 von G ü n t h e r Z a i n e r in Au g s b u r g gedruckt worden ist, reihten sich in den folgenden dreißig Jahren an die neunzig Drucke an. Die Übergangszeit von der Buchhandschrift zum Druckwerk, als welche die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, die Inkunabelnperiode, anzusehen ist, zeigte sich auch in der Vervielfältigungslust, in den Wiederholungen der, damals klassischen, kanonischen Literatur. Man beeilte sich durchaus nicht, die Erstdrucke, die uns jetzt die wichtigsten der Wiegendruckzeit scheinen, zu besorgen. Fast gleichzeitig mit der Editio princeps 12
Aurelius Augustinus
der Imitatio Christi ist, um 1470 bei Me n t e l i n in St r a ß b u r g gedruckt, das andere Buch christlicher Weltanschauung zuerst erschienen, das seitdem Weltgeltung gewonnen hat, des Kirchenvaters Au re l i u s Au g u s t i n u s C o n f e s s i o n u m l i b r i . Die Erstausgaben jener Frühdruckjahre haben mehr historisch-typographischen als bibliographischkritischen „Wert. Das, was den Bibliophilen auf den Erstdruck schwören läßt, die, wenigstens angenommene, Beteiligung des Verfassers an der Drucklegung seines Werkes, können sie größtenteils nicht haben. Sie waren, soweit sie keine Nachdrucke waren, Abdrucke, häufig nachlässige Abdrucke einer Handschrift, die oft nur eine Abschrift von Abschriften war. Wenn trotzdem die Wiedererweckung der antiken, der griechischen und römischen Schriftsteller durch die Humanisten um die Editiones principes den Glanz eines begeisterungstreuen Bibliophilenglaubens wob, wenn die Erstdruckreihe eines Werkes künstlich verlängert wurde, indem man der editio primaria princeps die eigentliche editio princeps nachstellte, weil das vollstän13
Die erste editio princeps
dige Werk erst allmählich, nach und nach in verschiedenen Ausgaben, gedruckt worden ist, dann könnten deshalb diese alten Buchdenkmäler lächelnden Skeptikern leicht als Wahrzeichen eines beginnenden Buchnarrentums erscheinen. Aber die Editio-princeps-Bibliomanen hatten nicht ganz und gar unrecht. Mancher Erstdruck eines antiken Klassikers hat uns seine beste Handschrift überliefert, die später verloren wurde. Und die Wissenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts erfuhr aus den Papyrusfunden, daß die eleganten Konjekturen-Kritiker der klassischen Philologie nicht überall recht gehabt hatten. Der erste Druck eines antiken Klassikers überhaupt war der 88 Blätter zählende Foliant, den J . Fu s t und P. S c h o e f f e r 1 4 6 5 von Ma i n z ausgehen ließen: Ma r c u s Tu l l i u s C i c e r o , D e o f f i c i i s , e t p a r a d o x a . Auch Q u i n t u s Ho r a t i u s Fl a c c u s erschien, freilich nur mit einer Ode, in dem dünnen Bande zum erstenmal gedruckt, und dieser bringt weiterhin, wofern ihm die am 30. Oktober des gleichen Jahres in Subiaco vollendete Lactan14
Humanisten-Typographen
tiusausgabe nicht voranging, dazu die ersten Druckproben in griechischer Sprache. In der Mönchsklosterwerkstätte Su b i a c o , die dort die deutschen Meister C . Sw e y n h e y m und A . Pa n n a r t z errichtet hatten, entstand 1465 noch eine andere C i c e r o Editio princeps, die der Schrift D e o r a t o re , das älteste erhaltene (?) in Italien gedruckte Buch. Und das (vermutlich) erste in Ro m (von den gleichen Meistern) gedruckte Buch war wiederum eine Ciceroausgabe, der 1467 veröffentlichte Erstabdruck der Ep i s t o l a e a d f a m i l i a re s . Daß Cicero neben dem Do n a t u s , dem lateinischen Lehr- und Lesebuch für Anfänger jener Tage, sich der besonderen Vorliebe der Wiegendruckzeit erfreute, verdankte er weniger dem Inhalt seiner Schriften als deren Sprache, er war der Sprachführer für die Fortgeschritteneren. In den meisten Offizinen, in denen bedeutendere editiones principes erschienen sind, wirkte als ihr Herausgeber und als treibende Kraft der Unternehmungen ein bescheiden im Hintergrunde der Schlußschriften und Widmungsbriefe sich zurückhaltender Humanist, ein Bibliophile, um 15
Deutsche Erstausgaben Drucker
dessentwillen der Eifer seiner geistigen Nachfahren für die Editio princeps auch noch einige Entschuldigung verdienen würde. In der Sw e y n h e y m Pa n n a r t z -Werkstätte war das Jo h a n n e s A n d re a s , Bi s c h o f v o n A l e r i a . Wir verdanken dem vortrefflichen Mann noch den ersten römischen Ve r g i l druck (1469; die editio princeps des Vergil hatte wahrscheinlich J . Me n t e l i n in St r a ß b u r g einige Monate früher vollendet) sowie die Erstdrucke der P h a r s a l i a des Ma r c u s A n n a e u s L u c a n u s ( 1 4 6 9 ) , der O p e r a des L u c i u s Ap u l e i u s ( 1 4 6 9 ) , der C o m m e n t a r i i des G a i u s Ju l i u s C a e s a r (1469) und der Hi s t o r i a r u m l i b r i q u i s u p e r s u n t des Ti t u s L i v i u s ( 1 4 6 9 ) . Die erste Ausgabe der O p e r a des Q u i n t u s Ho r a t i u s Fl a c c u s ist vermutlich 1 4 7 0 in Ve n e d i g , die der Sa t i r a e des D e c i m u s Ju n i u s Ju v e n a l i s ebenfalls 1 4 7 0 von N . G a l l u s ( H a n ) in Ro m (wofern ihr nicht der Ve n e d i g er Druck gleichen Jahres von Vi n d e l i n u s d e Sp i r a voranging) gedruckt worden. Auch die Ep i g r a m m a t o n l i b r i des Ma r c u s Va l e r i u s Ma r t i a l i s hat ver16
Altrömische Dichter
mutlich der römische Drucker Si l v i u s It a l i c u s 1 4 7 1 mit einem kleinen Vorsprunge vor der im Juli dieses Jahres in Fe r r a r a erschienenen Martialedition herausgegeben. Den Anspruch, die editio princeps der O p e r a des Pu b l i u s O v i d i u s Na s o zu sein, dürfte die 1 4 7 1 in B o l o g n a von Ba l t h a s a r A z o g u i d i u s veröffentlichte Ausgabe behaupten können, obschon auch die im gleichen Jahre in Ro m von Sw e y n h e y m und Pa n n a r t z veranstaltete ihn vielleicht erheben würde. Der C a t u l l i , Ti b u l l i , Pr o p e r t i i c a r m i n a e t St a t i i Si l v a e , die, Ve n e d i g : 1 4 7 2 , Vi n d e l i n u s d e Sp i r a in einer Sammelausgabe vorlegte, werden in dieser nicht allein zum ersten Male vereinigt, sondern auch zum ersten Male gedruckt sein, wie denn überhaupt bisweilen editiones principes in Ausgaben anderer Autoren eingeschlossen sind, die selbst in diesen bereits nicht mehr als Erstdrucke erschienen. Die C o m o e d i a e d e s Pu b l i u s Te re n t i u s A f e r sind bei J . Me n t e l i n in St r a ß b u r g um 1 4 6 9 erstmalig gedruckt erschienen, des Ti t u s Ma c c i u s P l a u t u s C o m o e d i a e 1 4 7 2 in Ve n e d i g bei Vi n 17
Altrömische Geschichtsschreiber
d e l i n u s d e Sp i r a . Die In s t i t u t i o n e s O r a t o r i a e des Ma r c u s Fa b i u s Q u i n t i l i a n u s gab 1 4 7 0 J . A . C a m p a n u s , Bi s c h o f v o n Te r a m o , in Rom heraus, der dritte Drucker Roms, J . P. d e L i g n a m i n e , hatte die Ausgabe hergestellt. Im gleichen Jahre besorgte dieser Herausgeber auch die ebenfalls von J . P. d e L i g n a m i n e gedruckte Editio princeps der Vi t a e X I I C a e s a r u m des G a i u s Su e t o n i u s Tr a n q u i l l u s . Als N . Je n s o n in Ve n e d i g 1 4 7 1 die Vi t a e e xc e l l e n t i u m i m p e r a t o r u m veröffentlichte, galt als der Verfasser dieses jetzt dem C o r n e l i u s Ne p o s zugeschriebenen Werkes noch A e m i l i u s Pr o b u s . 1 4 7 0 waren des G a i u s C r i s p u s Sa l l u s t i u s B e l l u m C a t i l i n a r i u m e t Ju g u r t h i n u m von Vi n d e l i n u s d e Sp i r a in einer Auflage von 400 Abzügen (die Durchschnittsauflagen der Wiegendrucke betrugen 200 bis 500 Abzüge) gedruckt worden, höchstwahrscheinlich zum ersten Male, und um 1 4 7 3 die O p e r a des C o r n e l i u s Ta c i t u s . Die Editio princeps des Lehrgedichtes d e re r u m n a t u r a des Ti t u s L u c re t i u s C a r u s ist etwa in das Jahr 18
Griechische Wiegendrucke
1 4 7 3 zu setzen (Bre s c i a , T. Fe r r a n d u s ), die der O p e r a des L u c i u s A n n a e u s Se n e c a datiert aus dem Jahre 1 4 7 5 (Ne a p e l , Ma t t h i a s Mo r a v u s ). Ähnlich wie die bedeutenden lateinischen Klassiker sind auch die griechischen anfangs zumeist in Italien veröffentlicht worden, nur daß, entsprechend den später ausgebildeten griechischen Studien, ihre Reihen später beginnen, und daß ein gelehrter Verleger, A l d u s Ma n u t i u s in Ve n e d i g , ihre Editiones principes im ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts gewissermaßen für sich monopolisiert hatte. Der erste gedruckte griechische Klassikertext dürfte, vermutlich von T. Fe r r a n d u s um 1 4 7 4 in Bre s c i a hergestellt, die Ba t r a c h o m y o m a c h i a gewesen sein. T h e o c r i t und He s i o d hat, um 1 4 8 0 , B o n u s Ac c u r s i u s in Ma i l a n d zu einer Editio princeps vereinigt, die erste griechische Ho m e r ausgabe Ba r t o l o m m e o d i L i b r i in Fl o re n z , seinem Namen Ehre machend, gedruckt. 1 4 9 4 – 9 5 gab A l d u s Ma n u t i u s einen Quartanten, in dem er verschiedene griechische Werke zusammen gedruckt hatte, heraus, die älteste 19
Die Aldinen-Klassiker
Aldine. Von den 28 editiones principes griechischer Klassiker dieser Offizin sind des A r i s t o p h a n e s Komödien 1 4 9 8 , die Tragödien des So p h o c l e s 1 5 0 2 , des Eu r i p i d e s
1 5 0 3 , des A e s c h y l u s
1 5 1 8 , die Reden des D e m o s t h e n e s 1 5 0 4 , die Geschichtswerke des He r o d o t und des T h u c y d i d e s 1 5 0 2 , die Gesamtausgabe des A r i s t o t e l e s in fünf Foliobänden 1 4 9 5 – 9 8 , die erste griechische Ausgabe der Werke P l a t o s 1 5 1 3 (die in der lateinischen Übersetzung des Ma r s i l i u s Fi c i n u s schon 1 4 9 1 — zu Fl o re n z bei B e r n a rd i n u s d e C h o r i s & Si m o n d e L u e r o für A . To r re s a n u s — veröffentlicht waren) bekannt gemacht worden. Jedenfalls zeigt die lang auszudehnende, an philologischen und typographischen Zweifelsfragen reiche Liste der Editiones principes antiker Klassiker, daß von Anfang an dem auf den Erstdruck schwörenden Bibliophilen das Leben nicht leicht gemacht war, selbst wenn er sich mit Gleichgültigkeit gegen gute oder schlechte Texte wappnen wollte. Datierungsrechnungen, die deshalb so große Schwierigkeiten machen, weil die abweichenden 20
Dante Alighieri
Zeitrechnungen der verschiedenen Druckorte beinahe schon auf die Sekunde Genauigkeit verlangen, will man die ›echte‹ editio princeps herausfinden, Ungenauigkeiten und Unwahrheiten der Drucker und Herausgeber, Unvollständigkeiten der Werke beeinträchtigen in immer neuen Wiederholungen die Erstdruckrechte. Kurz, der gewissenhafte Mann, der die editio princeps sucht, hat mit der Wahl allzuoft die Qual, für welche von mehreren gleichartigen und gleichzeitigen Ausgaben er sich entscheiden soll. Aber jene dem Bibliophilen wohl anstehende Entschlußkraft beseitigt alle Zweifel. Er erkennt die editio princeps an, die er hat. D a n t e A l i g h i e r i s Di v i n a C o m m e d i a — der Erstdruck mit dem Titelwort ›Divina‹ ist freilich erst das in Ve n e d i g 1 5 5 5 von G a b r i e l Gi o l i t o d e Fe r r a r i gedruckte Bändchen — hat in den Ausgaben Fo l i g n o , J . Nu m e i s t e r : 1 4 7 2 ; Je s i , Fe d e r i c u s Ve r o n e n s i s : 1 4 7 2 ; Ma n t u a e , G e o r g i u s e t Pa u l u s Te u t o n i c i : 1 4 7 2 dreifache Erstdruckgeltung. Trotzdem ist der Bibliophile auch mit diesem Dreigestirn nicht zufrieden, vielleicht, 21
Bocaccio — Petrarca
weil es Sterne sind, die man nicht begehrt. Er braucht noch die Ausgaben mit den Erstdrucken der Kommentare und die Ausgaben, die Erstdrucke neuer Textrezensionen sind, er kommt mit einem halben hundert Ausgaben, die diese oder jene Eigentümlichkeit zum ersten Male gedruckt zeigen, gerade aus. Etwas voreilig war es freilich, auf den Auktionserfolg der Va l d a r f e r schen Ausgabe von B o c c a c c i o s D e c a m e r o n e ( Ve n e d i g : 1 4 7 1 ) in der Roxburgh-Versteigerung 1812 den Roxburghclub zu gründen. Denn nun glaubte und glaubt alle Welt, dies sei die Erstausgabe, während doch eigentlich jedermann wissen sollte, daß schon ein Jahr früher ein unbekannter Druckmeister Deo gratias gerufen hatte, als er mit dem Geschichtenbuch des lustigen Hans fertig geworden war. Der ersten Ausgabe von Fr a n c e s c o Pe t r a r c a s Canzoniere (So n e t t i e Tr i o n f i . Ve n e d i g : 1 4 7 0 ) hat Vi n d e l i n u s d e Sp i r a bei weitem nicht diejenige Sorgfalt zugewendet, die er für die Editio princeps eines antiken Klassikers zu haben pflegte. Den Gefallen, auch die Drucklegung ihrer Werke zu leiten, 22
Ariosto — Tasso
haben so, wie das die Bibliophilen und Philologen verlangen, auch die meisten modernen Klassiker ihnen nicht getan. L o d ov i c o A r i o s t o machte eine Ausnahme, wenn er die drei bei seinen Lebzeiten erschienenen Originalausgaben des O r l a n d o Fu r i o so genau überwachte. Wenn von seiner Erstausgabe (Fe r r a r a , J [ o a n n e ] M [ a z o c c o ] : 1 5 1 6 ) heute auch kaum ein halbes Dutzend Exemplare nachzuweisen ist, so liegt, ein Widerspruch mit dem Bibliophilenverlangen, auch das in den Wünschen des Dichters. Sein Werk sollte in der endgültigen Gestaltung, die er ihm gegeben hatte, leben, nicht in der anfänglichen Fassung, die der Erstdruck wiedergab. Die bibliographischen Probleme von Erstausgabe und Erstdruck, berechtigter späterer und unberechtigter früherer Ausgabe, schlechter und unvollständiger Erstausgabe und besserer, vollständigerer folgender Ausgabe, Teilveröffentlichung und Vorveröffentlichung lassen sich an den Erstausgabenreihen der G e r u s a l e m m e l i b e r a t a To r q u a t o Ta s s o s studieren, zu deren Übersicht man schon eine Tabelle aufstellen müßte. Das befreite 23
Cervantes — Camoens
Jerusalem haben Freunde Tassos herausgegeben, er selbst hat nur die gegen dessen Erstausgaben gerichtete Umarbeitung seines Gedichtes (G e r u s a l e m m e c o n q u i s t a t a . Ro m , Fa c c i o t t i : 1 5 9 3 ) veröffentlichen lassen, um sein Meisterwerk zu widerrufen. Daß C e r v a n t e s schreiben konnte, beweist sein Do n Q u i x o t e . Ob er auch das Korrekturenlesen übte und verstand, bleibt eine nicht ganz gelöste Frage. Freilich erschien die Erstausgabe des Don Quixote (Ma d r i d , Po r Ju a n d e l a Cu e s t a , Ve n d e s e e n c a s a d e Fr a n c i s c o d e Ro b l e s , l i b re r o d e l Re y ñ r o s e ñ o r. I 1 6 0 5 , I I 1 6 1 5 ) in einem Lande, in dem die Zensurbehörden über jedes Komma wachten und in dem der Verfasser weder sagen noch schreiben, geschweige denn drucken lassen konnte, was er wollte. Die Approbation war die Drohung, die jeder Feder ihren Lauf vorschrieb. Womöglich noch achtsamer war die Heilige Inquisition in Portugal auf die gedruckten Gedanken. Ob sie es auch verschuldet hat, daß die Erstausgabe der L u s i a d e n des C a m o e n s ( L i s s a 24
Die édition originale
b o n , A n t o n i o G o n ç a l e z : 1 5 7 2 ) bis auf einen kleinen ›Rest‹ von 2 bis 3 Stück verschwunden ist? Die Anwendung der Bezeichnung Editio princeps auf die Erstdrucke antiker Klassiker und das Begehren dieser Editiones principes durch die Sammler hatte eine historische und eine praktische Tendenz gehabt, war Bemühung um die Antiquität und den authentischen Codexersatz gewesen. Die bibliographisch-kritisch-literarhistorische Tendenz, die die Bibliophilen gegenwärtig als ihre ErstausgabenMeinung hochhalten, entstand recht eigentlich erst im neunzehnten Jahrhundert und hat sich mit der französischen édition originale herausgebildet. Als nach der napoleonischen Zeit die Erinnerung an das Grand siècle entschiedener hervortrat, als die Gesamtausgaben der Klassiker ihren Aufbau auf die Erstdrucke gründeten, kamen allmählich die Bibliophilen im Einvernehmen mit der Buchforschung von ihrer Bewunderung der altertümlich gotischen Drucke, der anderen Seltenheiten, wie der Elzeviers, die noch in Verbindung mit dem 25
Rabelais — Montaigne
Klassikergeschmack der eleganten Philologie des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts stand, auf die bibliographisch-kritische Wertschätzung auch der neueren Schriftwerke. Das läßt sich deutlich in der Auflagenreihe des Brunet verfolgen, in dem Eifer, mit dem etwa die alten R a b e l a i s -Ausgaben geprüft und gewertet wurden, in der sich ändernden Zusammensetzung der großen Liebhabersammlungen. Die bibliographischen Untersuchungen vermehrten jetzt in Frankreich und den anderen Ländern, entsprechend den verschiedenen klassischen Literaturperioden, den Ausgabenschatz der wichtigen Erstdrucke durch fortgesetzte Ausgrabungen, die auch die Kuriositäten- und Raritätensucht in andere Bahnen lenkten, bis dann die Buchkunst und die Liebhaberausgabe auch den Gegenwartsbüchern, aber in Verbindung mit denen der Vergangenheit, den Rang von Sammlerstücken verliehen. Daß etwa die beiden Kleinoktavbände der Erstausgabe der E s s a i s Mi c h e l d e Mo n t a i g n e s , die der Imprimeur ordinaire du Roy S . Mi l l a n g e s 26
Erstdruck Freuden
in B o u rd e a u s 1 5 8 0 veröffentlicht hatte, historische Repräsentanten französischer »culture« waren, eben weil sie mit ihrem Datum einen Höhepunkt des bibliographisch-literarhistorischen Systems zeigten, fand seine sinngemäße Anwendung in den Erstausgabenreihen, die den nationalen Bildungsschatz in den Privatbibliotheken zu einer klaren Aufstellung bringen sollte. Die psychologische und sentimentalische Freude an der Anekdote, an der Anmerkung verstärkte weiterhin die nüchterne Wissenschaftlichkeit, nicht allein an der Ausgabengeschichte erfreute sich der Bibliophile, auch der einzelne Abzug, in der Gestalt eines bemerkenswerten Provenienzexemplares, diente jetzt seiner feingebildeten Bücherlust. Die Einzelheiten, durch gelehrte Monographien erforscht, führten ihn dazu von dem Einzelstück wieder zurück auf dessen Bedeutung, die es für einen Verfasser und sein Werk, für den geschichtlichen Zusammenhang hatte. Wer die Erstausgabe der Erstauflage von L e C i d . Tr a g i - C o m é d i e . A Pa r i s , c h e z Au g u s t i n C o u r b é , Im p r i m e u re t L i b r a i re d e Mo n s e i 27
Corneille — La Fontaine
g n e u r, f r è re d u Roy, d a n s l a p e t i t e Sa l l e d u Pa l a i s , à l a Pa l m e : M D C X X X V I I zur Hand nehmen durfte, man kennt von dem kostbaren Quartanten nur einige Exemplare, der schritt an der Hand Pi e r re C o r n e i l l e s durch die Tore von Versailles und erlebte mit dem großen Dichter allen Glanz versunkener Stunden von neuem, war mit ihm auf einem Gipfel nationaler Tradition. Und wer einen der zwei oder drei Abzüge besaß, deren Titel: No u v e l l e s e n v e r s t i r é e d e B o c a c e e t d e l’ A r i o s t e . Pa r M . d e L . F. A Pa r i s , c h e z C l a u d e Ba r b i n : 1 6 6 5 nicht ohne Druckfehler ihm verkündete, daß er mit dem schmächtigen Duodezbändchen den Erstdruck der Contes L a Fo n t a i n e s erworben hatte, hatte von einem, solchen bibliographischen Anfangspunkt einen weiten Erstausgabenrundblick. Wozu noch kam, daß eine äußere Einheitlichkeit, eine Formatgleichheit vieler wertvoller französischer Originalausgaben des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts ihre Formationen auch in den Bücherschränken sehr repräsentabel aufmarschieren ließ. Aus dieser Buch28
Pascal — Molière
größeneinheit sowie einigen anderen verlegerischen Gewohnheiten waren schon in der Entstehungszeit jener Erstdrucke die Recueils factices entstanden, häufig mit besonderen Titelblättern ausgestattete Sammelausgaben, in welcher Form zum Beispiel die Originalausgaben von Pa s c a l s L e t t re s p r o v i n c i a l e s den Bibliophilen um so schätzbarer geworden sind, als die Sammler und Verleger jener frühen Tage unbedenklich erste und spätere Auflagen durcheinander mischten. Dafür, daß die erhöhte Beachtung auch der bibliographischen Geringfügigkeiten nicht gleichgültig ist, können die MolièreErstdrucke entschieden erstaunenswerte Proben zeigen. Von der Originalausgabe des S g a n a re l l e o u l e c o c u i m a g i n a i re , c o m é d i e , a v e c l e s A r g u m e n t s d e c h a q u e S c è n e . A Pa r i s , c h e z Je a n R i b o u : 1 6 6 0 sind etwa ein Dutzend Abzüge bekannt, die fast alle voneinander durch Abweichungen ihres Druckes verschieden sind. Freilich, wenn ein Werk bei Lebzeiten des Verfassers nicht gedruckt wurde — das gilt zum Beispiel für die L e t t re s d e Ma r i e Rabutin-Chantal, marquise de Sévigné à 29
Sévigné — Racine
Ma d a m e l a C o m t e s s e d e Gr i g n a n s a f i l l e . ( Ro u e n : ) 1 7 2 6 [ I I . 1 2 ° ] — mußte man den Erstdruck, der keinen Esprit der Originalausgabe hatte, wenigstens als einen Ersatz inzwischen verlorener Urhandschriften wieder schätzen. Den Bibliophilen zeichnet eine ungewöhnliche Konsequenz aus, und er beendet den Streit, welches die besten Dramen R a c i n e s sind, durch die Antwort, L a T h e b a y d e ( Pa r i s , C l a u d e Ba r b i n : 1 6 6 4 ) , A l e x a n d re l e Gr a n d ( Pa r i s , Pi e r re Tr a b o u i l l e t : 1 6 6 6 ) , A n d r o m a q u e ( Pa r i s , C l a u d e Ba r b i n : 1 6 6 8 ) seien die seltensten, wenigstens in reinen, mit nachgedruckten Bogen nicht ergänzten, Erstdrucken. Ist doch überhaupt der Karton, das Ergänzungsblatt, das Verfasser oder Zensor forderten, der Schrecken des Erstdrucksammlers. Denn es gibt manche Originalausgaben, die sich im Erstdruck, das heißt, mit ihren ursprünglichen Blättern und Bogen, überhaupt nicht mehr, es sei denn in öffentlichen Bibliotheken, vorfinden. Da muß dann der beschämte Bibliophile sein durch Kartons makuliertes Exemplar vor den neidischen Freunden ver30
Le Sage — Prévost
stecken. Andere Autoren wiederum haben nicht schnell genug gearbeitet, und L e Sa g e hat für die Veröffentlichung der vier Bände seiner Hi s t o i re d e Gi l Bi a s d e Sa n t i l l a n e , die in Paris bei Pi e r re
R i b o u erstmals 1 7 1 5 - 1 7 2 4 - 1 7 3 5 er-
schienen sind, zwanzig Jahre gebraucht, um schließlich doch noch den Erstdruck durch eine andere Fassung (A Paris, par les Libraires associés: 1747. IV. 12°) zu ersetzen. Oder aber sie brachten den Erstdruck in einem Sammelwerk unter, das der Bibliophile mit einem nassen und einem trockenen Auge betrachtet. Ein Vorwurf, der A n t o i n e Fr a n ç o i s Pr é v o s t nicht erspart werden kann, denn der Erstdruck der Ma n o n L e s c a u t steht im letzten, siebenten, Bande der M é m o i re s e t Av e n t u re s d ‘u n h o m m e d e q u a l i t é q u i s ‘e s t re t i r é d u m o n d e . A A m s t e rd a m , a u x d é p e n s de la Compagnie: 1731. Die berühmten englischen Erstausgaben sind in den englisch sprechenden Ländern, in den Vereinigten Staaten von Amerika vor allem, längst zu einer Angelegenheit des Nationalstolzes geworden, der 31
William Caxton
den Ausdruck ihrer Verehrung zu einem Bekenntnis angelsächsischen Volkstums werden ließ. Durch Bestandsaufnahmen, durch einen bibliographischen Zensus vergewissert man sich, daß diese Wahrzeichen englischen Schrifttums da oder dort noch vorhanden sind, durch hohe Liebhaberpreise schützt man sie gegen ausländische Begehrlichkeit. Und wie der Brite sich die »kontinentale« Literatur solcherart aneignet, daß er sie auf die englische bezieht, so gibt er seiner Hochschätzung der Meisterwerke des Weltschrifttums nicht zum wenigsten dadurch einen eigenen Ausdruck, daß er sie auch in ihren englischen Erstdruckübersetzungen wertet. Daß viele berühmte englische Erstdrucke den Glanz ihrer Heimat in anderen Ländern nicht zeigen, darf aus derartigen Gründen sich erklären lassen. Und während die Druckerstlinge kontinentaler Prototypographen meist lateinische Werke gewesen sind, hat der erste englische Wiegendrucker, Wi l l i a m C a x t o n , seine Arbeit begonnen, indem er ein englisches Buch veröffentlichte (Raoul le Fèvre, Recuyell of the historyes of troye. Brügge, Colard 32
William Shakespeare
Mansion & William Caxton um 1474). Seit 1 4 7 6 in We s t m i n s t e r, druckte er hier die Erstausgabe von G e o f f re y C h a u c e r s C a n t e r b u r y Ta l e s , und, da dieser Druck sehr fehlerhaft war, wiederholte er ihn etwa 1484 in einer zweiten verbesserten Auflage. Die Caxtons, gleichzeitig als Inkunabeln hochgewertet, sind von großer Seltenheit, von einer anderen auch literarhistorisch bedeutsamen Erstausgabe der Caxtonwerkstätte, Si r T h o m a s Ma l o r y s Mo r t e d’ A r t h u r ( We s t m i n s t e r : 1 4 8 5 ) , von der keine Handschrift mehr vorhanden ist, sind überhaupt nur zwei Abzüge bekannt. Die dramatischen Werke Wi l l i a m Sh a k e s p e a re s sind bei Lebzeiten des Dichters in von ihm anerkannten Ausgaben nicht erschienen. Das lag teils daran, daß Dichterruhm Dramatikern in der Elizabethanischen Epoche nicht zuerkannt wurde und das Buchdrama keine Schrifttumsgeltung hatte, teils daran, daß der Schauspieler Shakespeare aus wirtschaftlichen Gründen keine Verbreitung seiner Stücke wünschen konnte. Für ihren Erfolg zeugen trotzdem die nicht wenigen schlecht und recht gedruckten Einzelausgaben, die 33
Die Shakespeare Quartos
sogenannten Quartos, die nicht ohne weiteres als Raubausgaben zu bezeichnen sind. Denn nach dem englischen Verlagsrechte jener Zeit war wohl der Besitzer einer Handschrift auch zu ihrer Veröffentlichung autorisiert. Abschriften der auf dem Shakespearetheater gespielten Bühnenbearbeitungen brauchten nicht auf unredliche Weise erworben zu sein, sondern konnten auf Nachschriften zurückgehen, die stenographierende Zuhörer genommen hatten. Daß auf diese Weise die Überlieferung des Wortlautes nicht gerade gut wurde, zumal da das benutzte Stenographiesystem nur ungefähre Wiedergaben gestattete, versteht sich von selbst. Trotzdem sind die Shakespearequartos von unschätzbarem Wert für den Shakespearetext und die bibliographische Würdigung dieser Erstnachdrucke trifft mit ihrer bibliophilen zusammen. Die Entdeckung eines bisher unbekannten Quartos, noch die letztverflossenen Jahrzehnte brachten dergleichen Funde, pflegt deshalb mit Recht gefeiert zu werden, nicht zum wenigsten von ihrem Entdecker, dem sie den Millionärsrang (nach deutscher Valuta) verleiht, 34
Die Shakespeare Folios
wenn er sich von seinem Schatze trennt. Ob die vielgepriesene, von Freunden Shakespeares besorgte erste Folio, unter deren 36 Stücken 20 zum ersten Male gedruckt wurden, hinsichtlich ihres Textes nach den Versicherungen ihrer Herausgeber auf Treu und Glauben hinzunehmen ist, darüber ist die Shakespeare-Philologie durchaus nicht einig. Jedenfalls aber sind M r. Wi l l i a m Sh a k e s p e a re s Comedies, Histories, & Tragedies. Published a c c o rd i n g t o t h e Tr u e O r i g i n a l l C o p i e s . L o n d o n , Pr i n t e d b y Is a a c Ja g g a rd , a n d E d . Bl o u n t : 1 6 2 3 ein Buch, das selbst den Erstdrucksammler strengster Observanz verführen wird, um so mehr, als ihr Titelblatt das gepriesene, »Martin Droeshut sculpsit London« unterzeichnete, Porträt weist. Die drei anderen Folios (1632, 1664, 1685) gehören zur vollständigen Reihe, wie der kaltblütige Antiquar sagt. Aber es ist doch nicht ganz einfach, sich eine solche zusammenzubringen. Alle bekannten Exemplare sind nach ihrer Schönheit und Vollständigkeit registriert. Es ist ein von Mißtrauen gegen die Fälscherkünste veranlagter Ge35
Edmund Spenser
brauch, daß keine Shakespeare-Folio aus ihrem Einbände entfernt und gewaschen werden darf, und neuerdings ist man hier sogar so empfindlich geworden, daß man nicht einmal aus zwei defekten Exemplaren ein ganzes zu machen wagt. Da nun die meisten gelegentlich noch im Handel auftauchenden Abzüge fehlerhaft sind, bleibt dem korrekten Bibliophilen, der etwas auf sich hält, nichts weiter übrig, als mehrere sich gegenseitig ergänzende Exemplare nebeneinander zu stellen. Man sieht, auch die großen Sammler haben ihre kleinen Sorgen, und man versteht, weshalb Mr. Huntington jede auf den Markt kommende erste Folio erwirbt. Der Erstdruck von E d m u n d Sp e n s e r s Fa e r i e Q u e e n e , dessen beide Quartanten 1 5 9 0 und 1 5 9 6 im L o n d o n er Verlage von Wi l l i a m Po n s o n b i e unvollständig veröffentlicht wurden, ist nur eines der nicht wenigen Beispiele jener Rücksichtslosigkeit der Buchhändler und Schriftsteller, die zu erdulden der Erstdrucksammler so lange genötigt sein wird, bis nicht ein Gesetz sich seiner annimmt, 36
Milton — Walton — Bunyan — Boswell
indem es bestimmt, daß endgültige und vollständige Erstdrucke erscheinen müssen, ganz zu schweigen von der Unverschämtheit der Titelblattausgaben. Ist doch die Erstauflage von Jo h n Mi l t o n s Pa r a d i s e L o s t [ L o n d o n , Pe t e r Pa r k e r & Ro b e r t B o u l t e r & Ma t t h i a s Wa l k e r : 1 6 6 7 ] in sechs Titelblattausgaben vorhanden, die der Bibliophile, wenn er nicht gerade an die veränderte und vermehrte zweite Auflage von 1674 denkt, alle haben müßte, um ganz zufrieden zu sein. Daß ein Abzug heute dem Verfasser mehr als das ihm für das ganze Werk zugebilligte Honorar, mehr als 10 Pfund kosten würde, sei nebenbei erwähnt. I z a a k Wa l t o n s C o m p l e a t A n g l e r. L o n d o n ( Pr i n t e d b y T. Ma xe y f o r R i c h . Ma r r i o t : ) 1 6 5 3 zum ersten Male gedruckt und seitdem immer von neuem wieder aufgelegt, ist das Record Sportbuch, das in einer englischen Klassikerbibliothek ebenso unentbehrlich ist wie Jo h n Bu n y a n s Pi l g r i m s Pr o g re s s [ Pa r t I & I I , L o n d o n , Na t h . Po n d e r : 1 6 7 8 - 8 4 ] und T h e L i f e o f Sa m u e l Jo h n s o n L L . D . b y Ja m e s B o s w e l l , E s q . ( L o n d o n , C h a r l e s 37
Freyherr v. Münchhausen
Di l l e y : 1 7 9 1 ) , die populärste Biographie, vielleicht nicht nur in englischer Sprache, ein Werk, das englische Denkweise kennen lehrt wie kein zweites. Von den abenteuerlichen englischen Reisen des achtzehnten Jahrhunderts haben drei nicht immer streng bei der Wahrheit bleibende Bücher Weltruf: der Robinson Crusoe, der Gulliver und der Münchhausen. Die Bearbeitung, die Bürger der englischen Schrift des Deutschen Raspe angedeihen ließ, war mehr als eine Rückübersetzung der auch von Raspe verwerteten deutschen Vorlagen und so dürfen wir wohl den Münchhausen trotz seines englischen Erstdruckes den deutschen Meisterwerken zurechnen. Aber Defoes Verwertung der Berichte eines Schiffbrüchigen bleibt trotzdem ein Original nach Anlage und Wirkung und die Beziehungen zu ihrer Quelle, die den Erstdruckruhm des Robinson in Frage stellen könnten, erhöhen ihn vielleicht noch, weil der Robinson die früheste Großtat modernen Reportertums ist. Und wer wollte wohl den Urrobinson unter seinen Büchern nicht verwahren, auch wenn er dessen sehr zahlreicher 38
Robinson Crusoe
Nachkommenschaft
die
Bücherschranktür
ver-
schließt. (Als die Erstausgabe des ersten Teiles gilt und wird in den Bücherschlachten heiß umstritten: T h e L i f e a n d s t r a n g e s u r p r i z i n g Ad v e n t u re s o f Ro b i n s o n C r u s o e , o f Yo r k , Ma r i n e r. Wr i t t e n b y Hi m s e l f. L o n d o n , W. Ta y l o r : 1 7 1 9 . ) Ob der eigentliche Erstdruck des Robinson in einer Zeitschrift (The Original London Post, Heathcote’s Intelligencer) zu finden ist, darf als eine bibliographische Streitfrage deshalb erwähnt werden, weil diese Frage auf die seit dem neunzehnten Jahrhundert sich ausbreitende Erstdruckverwirrung durch Erstabdrucke und Vorveröffentlichungen in Zeitschriften und Zeitungen verweist. Wie denn überhaupt die Neigung der Verfasser zu veränderten, verbesserten, vermehrten Auflagen seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts immer stärker wurde. Daran, daß sein Werk als ein Kinderbuch weiterleben würde, hat indessen Defoe ebensowenig gedacht wie Swift, als er seine grandiose Satire schrieb, die am Ende in ihrer Menschenverachtung erstickte. Er hat seinem im November 39
Lemuel Gulliver
1 7 2 6 zum erstenmal ausgegebenen Buche (Tr a v e l s i n t o s e v e r a l Re m o t e Na t i o n s o f t h e Wo r l d , By L e m u e l Gu l l i v e r. Vo l . I . L o n d o n , B e n j . Mo t t e : 1 7 2 6 ) eine Verbreitung vorhergesagt, die der des Pilgrims Progress gleichen würde. Er hatte sich nicht getäuscht. Bereits im Dezember 1726 erschien die geänderte, um einen Band vermehrte zweite Auflage, 1727 die erste Neuauflage beider Teile, der Beginn eines noch immer anhaltenden Bucherfolges, obschon die alten Schiffskapitäne ausgestorben sind, die beschworen, auch die Länder gesehen zu haben, die Gullivers Karten zeigten, und obschon die die Bosheiten Swifts verstehenden Leser nicht zahlreicher wurden. Die Amerikaner haben neben den berühmten englischen Erstdrucken noch ihre eigenen, nämlich die Americana, jene Bücher, in denen zum ersten Male etwas über oder von Amerika gedruckt worden ist, und sie haben das Americanaaufspüren zu einem Erstdrucksport ausgebildet, der den großzügigen amerikanischen Verhältnissen entspricht. An der Spitze dieser Americana stehen die sagen40
Americana
umwobenen Erstdrucke des (in seiner spanischen Originalfassung unbekannten) Ko l u m b u s b r i e f e s , das heißt jenes Berichtes über die Entdeckung Amerikas, den Kolumbus am 14. Februar 1493 an den spanischen Kronschatzmeister geschrieben hat. Will man das amerikanische Buch nennen, das in Europa die größte Verbreitung und Wirkung hatte, so ist der Titel von M r s . H a r r i e t B e e c h e r St ow e s Un c l e To m s C a b i n . ( B o s t o n : 1 8 5 2 . I I » K e y « . B o s t o n : 1 8 5 3 ) anzuführen. Es ist ganz gewiß kein Meisterwerk der schönen Wissenschaften, aber es gibt Leute, die es einen Hebel der Politik des neunzehnten Jahrhunderts nennen. Kleine Ursachen — grobe Wirkungen. Daß der Bucherfolg, die Buchverbreitung auch über den Erstdruckruhm entscheidet, bedarf keiner Beweise. Beschränkt sich doch der Klassikerruhm des europäischen Kulturkreises auf die Literaturen der bekanntesten europäischen Sprachen, und die berühmten Erstdrucke der kleineren Literaturen sind außerhalb ihrer Länder wenig genannt. Die allerberühmtesten und die berühmtesten deut41
Deutsche Klassiker und Romantiker
sehen Erstdrucke sind durch die Bemühungen der Bibliographie und Bibliophilie in den letztverflossenen dreißig Jahren immer zahlreicher geworden. Die Antiquariats- und Auktionskataloge entdecken beinahe tagtäglich bisher unbekannte Erstdrucke hinzu und, wenn sie auch nur gelegentlich den erstaunenden Sammlern das letzte Halbdutzend eines Unikums verschaffen können, so lassen sie ihnen doch wenigstens die Hoffnung auf bisher noch unbeachtete und daher unbekannte Erstausgaben. Erwägt man weiterhin, daß diese Bemühungen sich großenteils auf einen kleinen Zeitraum erstrecken, auf die Klassiker- und die mit ihr verbundene Romantikerepoche, so läßt sich leicht verstehen, weshalb vorsichtige Sammler jedes etwa von 1770 bis 1820 gedruckte deutsche Buch, das einigermaßen nach Dichtung aussieht und nicht durch einen Auflagenvermerk verschandelt wird, behalten möchten. Es ist vielleicht noch kein Erstdruck, aber es könnte einer werden. Da mag schon die Entschuldigung gelten, daß gegenüber solcher Gewissenhaftigkeit eine kurze Aufzählung der deut42
Der Erstdruck des „Faust“
schen Erstdrucke ersten Ranges, für die hier die Bände fehlen, Vermessenheit sein würde. Und nur zwei seien erwähnt, die Erstausgaben des ›Fa u s t ‹ und die der ›R ä u b e r ‹. ›Bekanntlich‹ ist das Faustfragment zum ersten Male in der Göschenschen Ausgabe von Goethes Schriften 1787 gedruckt und durch Sonderausgaben verbreitet worden, nicht ohne bibliographische Verwirrungen der Titelfrage, die O. Denekes Untersuchungen gelöst haben. Weit weniger ›bekanntlich‹ aber scheint es zu sein, daß der ›ächte‹ erste Druck des ›Faust‹ sich im achten Bande der zwölf-, dreizehn-, zwanzigbändigen Ausgabe der Werke (Tübingen, Cotta: 1806 [1817]— 1808—1810—1819) befindet. Denn der ebenfalls noch im Jahre 1808 von dem Verleger Cotta veranstaltete Druck, der als erste Ausgabe des ersten Teils verehrt wird, ist nach dieser Gesamtausgabe hergestellt worden und Goethe selbst hat ihn, wie er an Zelter schrieb, erheblich später kennengelernt. Auch der Erstdruck der »Räuber« ist keine ganz ungetrübte Bücherlust, da er kaum noch anders aufzufinden ist als in einem teilweisen Zweitdruck. 43
Der Erstdruck der „Räuber“
Aus seinem Schauspiel hatte Schiller zwei Stellen schon im November 1780 in dem »Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen« drucken lassen. Die Drucklegung des ganzen Werkes, im März und April 1781, scheint dann aber noch zu einer Vorausgabe geführt zu haben, die wir nicht kennen, und die vielleicht nur in Aushängebogen Ende April unter den Karlsschülern zirkulierte. Jedenfalls waren in der zur Jubilatemesse 1781 veröffentlichten Erstausgabe Bogen des Erstdruckes durch geänderte, neugedruckte Bogen ersetzt worden, so daß der Erstdruck der ›Räuber‹ in einer unterdrückten Fassung vorhanden war, von der bisher zwei Bogen (der der Vorrede und der Bogen B) aufgefunden und mit einer ausführlichen Darstellung des Sachverhaltes in der, von Carl Schüddekopf besorgten (Leipzig: 1905 erschienenen) Faksimileausgabe wiedergegeben sind. — So ist die Begeisterung des Bibliophilen für den Erstdruck überall von der kritischen Nörgelei des Bibliographen gestört. Dem Bibliographen kann 44
Bibliographischer Pessimismus
es kein Verfasser und kein Verleger recht machen. Kümmerte sich der Verfasser nicht um die Drucklegung seines Werkes, hatte der Verleger nicht die beste Druckvorlage mit der höchsten Sorgfalt in die schönste Buchform gebracht, dann fragte der Bibliograph nachher, was denn eigentlich an diesen druckgeschwärzten Papieren wertvoll sei. Und hatten Verfasser und Verleger immer von neuem Blätter und Bogen durch andere, ihrer Ansicht nach bessere, ersetzt, dann ließ der Bibliograph auch den defekten Erstdruck nicht gelten. Er möchte die Fehldrucke vollständig beisammen haben, die Handschrift, die Korrekturbogen vergleichen, damit er über die Druckgeschichte unfehlbar urteilen kann. Nicht daß etwas gedruckt wurde, sondern wie es gedruckt wurde, ist ihm zunächst wichtig, und dem im Stande der Unschuld dahinlebenden Büchersammler vernichtet er den letzten Rest schöner Träume, in denen dieser gläubige Mann den Erstdruck aus den Händen des Verfassers zu empfangen glaubt, mit den kalten Worten: Waren Sie denn dabei, als das gedruckt wurde? Der Biblio45
Ahasver als Bibliophile
phile, der sonst vielleicht nicht mit dem ewigen Juden tauschen würde, hätte dessen ruhelose Wanderfahrten wenigstens dazu benutzt, eine einwandfreie Reihe der berühmt werdenden Erstdrucke zustande zu bringen. In Mainz und in Rom und Venedig, in London, Madrid und Paris, in Frankfurt und Leipzig, überall, wo ein Erstdruck ersten Ranges entstand, hätte er sich zur rechten Zeit eingefunden, und er hätte vielleicht sogar, wofern das damals schon üblich war, ohne Mäkeln den Sortimenterzuschlag auf den Ladenpreis bezahlt. Ob er freilich, Zins auf Zinzeszins gerechnet, dabei billiger gekauft hätte, als die Bibliophilen des zwanzigsten Jahrhunderts, die die alten Erstdrucke sich durch Liebhaberpreise streitig machen, mag ein Mathematiker nachrechnen. Einen Nutzen hätte aber auch der ewige Jude von der Bücherjagd nach den Erstdrucken gehabt, er wäre nicht zur Selbstbesinnung gekommen, er hätte, durch die Jahrhunderte weiterziehend, den ihm begegnenden Neugierigen nicht einmal auf die verfänglichen Fragen, die einem Bibliophilen gern entgegentreten, 46
Das Tittelblatt-Denkmal
etwas anderes erwidern können als: Ich sammle Erstdrucke, ich bin jedoch kein Sachverständiger für die sonstige Weltgeschichte, und ich habe mich bisher nur ein einzigesmal aufgehalten, es mag um 1500 gewesen sein, weil sie dem Erfinder des Titelblattes ein Denkmal setzen wollten. Er hat mir das Leben leichter gemacht.
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Di e We i h n a c h t s g a b e w u rd e i n 1 0 0 0 n u m e r i e r t e n E xe m p l a re n f ü r Pa u l Gr a u p e A n t i q u a r i a t , B e r l i n b e i Po e s c h e l & Tre p t e , L e i p z i g i m Ja h re 1 9 2 0 g e d r u c k t . D a v o n k o m m e n N r. 5 0 1 — 1 0 0 0 i n d e n H a n d e l . Di e s i s t Nu m m e r