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Seewölfe 342 1
Burt Frederick 1.
Hesekiel Ramsgate fuhr aus seinen Gedanken hoch. Er kniff die Augen zusammen und starrte durch das kleine Fenster seines Kontors. Männerstimmen waren zu hören, barsch und im Befehlston, begleitet von harten, gleichmäßigen Schritten. Ramsgate runzelte die Stirn und blinzelte. Seine Augen gewöhnten sich nicht mehr so schnell an unterschiedliches Licht. Draußen war es noch taghell, aber die sinkende Sonne warf bereits lange Schatten auf das Werftgelände. Hier drinnen, im Kontor, lastete trübes Halbdunkel, und er hatte die kleine Ölfunzel über dem Pult angezündet. Plötzlich tauchten sie in seinem Blickfeld auf. Ein Trupp von Uniformierten, vornweg ein herausgeputzter Geck in Zivil. Das Kontorhäuschen würdigten sie mit keinem Blick. Schnurstracks marschierten sie auf die beiden Schiffsneubauten zu und taten geradeso, als hätte niemand außer ihnen auf dieser Werft etwas zu sagen. Der alte Ramsgate spürte Zorn in sich aufsteigen. Aber während er die unverschämten Kerle sah, wie sie umherstolzierten und die fast vollendete „Le Vengeur III.“ begafften, hielt ihn eine dumpfe Ahnung davon ab, hinauszulaufen und sie zur Rede zu stellen. Eilends raffte er die Zeichnungen und Berechnungen zusammen, über denen er gebrütet hatte. Im Geheimfach seines Pults verstaute er den Papierpacken und vergewisserte sich, daß auch sonst nichts mehr herumlag, was auch nur den geringsten Aufschluß über die Neubauten gegeben hätte. Er fluchte leise. Diese Leute dort draußen hatten sich einen Zeitpunkt ausgesucht, der für sie verdammt günstig war. Die Arbeiter waren nicht mehr da, und Jean Ribault war schon gegangen. Dies ausgerechnet heute, obwohl der Franzose sonst meist bis in die späten Abendstunden mit Ramsgate zusammenhockte, um über die Neubauten zu fachsimpeln.
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Entschlossen trat er ins Freie, und sein Zorn war beileibe nicht abgeklungen. Die dreisten Besucher hatten sich von den Schiffsneubauten abgewendet und marschierten geradewegs auf den grauhaarigen Werftbesitzer zu, dessen mächtiger Vollbart ihm ein würdevolles Aussehen verlieh. Wenige Schritte von seinem Kontorhäuschen entfernt versperrte er ihnen den Weg, indem er breitbeinig stehenblieb. Der vornehm gekleidete Anführer musterte ihn von Kopf bis Fuß. Dem Offizier und den fünf Soldaten, die ihn begleiteten, gab er ein Haltzeichen. „Darf man fragen, was Sie hier zu suchen haben?“ sagte Ramsgate grollend und stemmte die Fäuste in die Hüften. Der Vornehme verzog das gepuderte, bartlose Gesicht zu einem herablassenden Lächeln. „Bevor Sie fragen dürfen, Mister, sollten wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.“ Seine Stimme klang schnarrend. „Hesekiel Ramsgate, Schiffbaumeister. Mir gehört diese Werft.“ „Fein, dann sind wir an der richtigen Adresse. Mein Name ist Harold Dudley, Clerk of the Ship im Marineministerium. Ich habe Ihnen einige Fragen zu stellen, Mister Ramsgate.“ Ramsgate atmete tief durch. Ein Hofbeamter also. zuständig für den Schiffbau. Was, in aller Welt. konnte das bedeuten? Gutes wohl auf keinen Fall. „Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig“, entgegnete er knurrend. „Wenn Sie sich da nur nicht irren.“ Dudley stieß ein leises. blasiertes Lachen aus. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die beiden schlanken Schiffsneubauten. „Wer ist der Auftraggeber?“ „Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig“, wiederholte Ramsgate. Der Hofbeamte legte die Hände auf den Rücken, schob den Kopf vor, und ein lauernder Ausdruck trat in seine Augen. „Ich denke, wir wissen es auch so. Killigrew ist es. Habe ich recht? Killigrew hat diese Neubauten bei Ihnen bestellt. Sie sind ja sowieso ein Herz und eine Seele.“
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Ramsgate preßte die Lippen aufeinander. „Sehr schön“, sagte Dudley nach einer Weile. Er grinste. „Ich werte Ihr Schweigen als Zustimmung, verehrter Mister Ramsgate.“ „Denken Sie, was Sie wollen. Niemand hindert Sie daran.“ Dudley tat, als überhörte er es. „Wir sind an Einzelheiten interessiert, Ramsgate. Tonnage, Abmessungen, Armierung, Takelung und so weiter. Außerdem möchte ich den vorgesehenen Ablieferungstermin wissen.“ Hesekiel Ramsgate lief rot an. Es reichte. Er hatte keine Lust, sich länger als dummen Jungen behandeln zu lassen. Von einem Atemzug zum anderen platzte ihm der Kragen. „Verschwinden Sie!“ brüllte er. „Verlassen Sie meine Werft!“ Der Hofbeamte Dudley sah ihn mit einem Ausdruck rätselnden Erstaunens an. „Ist das Ihr Ernst, Ramsgate? Sie wollen sich einer Amtshandlung widersetzen?“ „Allerdings. Ob es auf meiner Werft eine Amtshandlung gibt, entscheide ich. Sonst keiner.“ Dudley schüttelte mitleidig den Kopf. Dann gab er dem Offizier einen Wink. „Lassen Sie die Bude dort durchsuchen. Und bringen Sie mir alles, was wichtig sein könnte.“ Hesekiel Ramsgate verlor endgültig die Beherrschung. „Niemals!“ donnerte seine Stimme den Eindringlingen entgegen. „Ihr verdammten Bastarde werdet euch nicht an meinem Eigentum vergreifen.“ Mit einem Schritt zur Seite trat er dem Offizier in den Weg. Der Uniformierte verharrte und zögerte noch. Die Haltung der Soldaten spannte sich. „Machen Sie sich nicht lächerlich, alter Mann“, sagte Dudley, und er spie die Worte regelrecht aus. „Ich warne Sie. Vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben. Leisten Sie sich noch mehr Unverschämtheiten, lasse ich Sie in Ketten legen!“ Für den Offizier war es das Signal. Sein Degen fuhr mit einem harten, metallischen
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Laut aus der Scheide. Ramsgate erstarrte, als er die Degenklinge auf seiner Brust spürte. Die beiden Soldaten hinter dem Offizier brachten ihre Musketen in Anschlag, während die anderen lauernd abwarteten. „Ich werde mich bei Hof über Sie beschweren“, sagte Ramsgate zornbebend, „es gibt dort auch anständige Leute.“ „Selbstverständlich steht Ihnen dieser Weg offen“, antwortete Dudley höhnisch, „aber zuvor haben Sie meinen Anordnungen Folge zu leisten.“ Der Schiffbaumeister schwieg jetzt. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte, sich mit diesen Kerlen auseinanderzusetzen. Den kürzeren zog er sowieso, und mit Worten war ihnen ohnehin nicht beizukommen. Grinsend schob der Offizier seinen Degen zurück in die Scheide und erteilte den beiden Soldaten Befehl, den alten Mann weiterhin mit den Musketen in Schach zu halten. Mit den übrigen Uniformierten begab sich der Truppführer in das Kontor. Der geckenhafte Clerk of the Ship legte die Hände auf den Rücken und begann im Kreis herumzuspazieren, wobei er die Haltung eines Gockels annahm. Dabei blieb er mehrmals stehen und spähte zu den Neubauten hinüber. Von Ramsgate nahm er keine Notiz mehr. Aus dem Kontor war das Rumoren der Soldaten zu hören. Wahrscheinlich rissen sie sämtliche Schubfächer heraus und warfen alles zu Boden, was nicht niet- und nagelfest war. Ramsgate schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß sie das Geheimfach mit den Unterlagen nicht entdeckten. Fast eine halbe Stunde verging in diesem nervenzermürbenden Schweigen. Dann kehrte der Offizier mit kurzen, schnellen Schritten zurück und erstattete Meldung. „Wir haben eine Menge Zeichnungen gefunden, Sir. Aber es ist nichts von diesen beiden Kähnen dabei.“ „Wie wollen Sie das beurteilen?“ Der Hofbeamte zog geringschätzig die Mundwinkel nach unten. „Sie als Landsoldat dürften davon wohl herzlich wenig verstehen.“ „Sir, ich ...“
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„Schweigen Sie. Ich überzeuge mich selbst.“ Dudley stolzierte los und überließ Ramsgate den beiden Bewachern. Schon kurze Zeit später waren der Hofbeamte und die Uniformierten wieder zur Stelle. Dudleys gepudertes Gesicht war wutverzerrt. Auf den Zehenspitzen wippend, baute er sich vor dem graubärtigen Mann auf. „Das ist Absicht von Ihnen, Ramsgate“, sagte er zischend. „Sie verbergen die Pläne mit gutem Grund. Und damit, lieber Freund, schneiden Sie sich ins eigene Fleisch. Diese Geschichte wird noch ein Nachspiel haben. Verlassen Sie sich darauf.“ Mit unverhohlener Wut zogen der Clerk of the Ship und sein Begleittrupp ab. Hesekiel Ramsgate atmete auf. Aber er wußte bereits, daß die Erleichterung nicht von langer Dauer sein würde. Dieser Dudley hätte ihn foltern lassen, ohne mit der Wimper zu zucken - wenn er nur die Befugnis dazu gehabt hätte. Unruhige Tage standen bevor. Das spürte der alte Ramsgate mit jeder Faser seiner Nerven. * 5. Mai 1593. Philip Hasard Killigrew schrieb das Datum mit schwungvollen Buchstaben auf die neue Seite des Logbuches. Dann legte er den Federkiel wieder beiseite und sah seinen Gegenüber an. „Ich werde die heutige Eintragung erst später vornehmen. Vielleicht sollten wir unsere Pläne doch ändern.“ Ben Brighton schüttelte abwehrend den Kopf. „Du bist der Kapitän. Ich kann nicht verlangen, daß du meine Meinung annimmst.“ Der Seewolf lächelte. Er stand auf und nahm eine der zusammengerollten Seekarten aus dem Schapp. Gegen die Bleiglasscheiben der Kapitänskammer trommelte Regen. England zeigte sich zum bevorstehenden Empfang in altvertrauter
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Weise. Hasard breitete die Karte auf dem Tisch aus und setzte sich wieder. „Du weißt, daß ich deine Ansichten immer respektiert habe, Ben. Und in diesem speziellen Fall scheint es mir, daß du den Nagel auf den Kopf getroffen hast.“ Der Erste Offizier der „Isabella IX.“ zog die Schultern hoch. Es stimmte ihn verlegen, so offen gelobt zu werden. „Ich denke nur, daß es besser ist, wenn wir die Kerle so schnell wie möglich loswerden“, sagte er bedächtig. „Deshalb sollten wir diesen verdammten Sir Andrew und seine Brut einfach irgendwo an Land setzen. Und zwar so bald wie möglich, solange uns das noch einen Zeitgewinn bringt.“ „Vielleicht überschätzt du den ehrenwerten Sir Andrew. Wer weiß, ob er überhaupt einen Einfluß bei Hofe hat.“ „Wie auch immer, in Plymouth würden wir durch ihn nur Scherereien kriegen, wenn wir ihn mitnähmen. Erstens haben wir dort mit Lord Cliveden zu verhandeln und zweitens mit Hesekiel Ramsgate. Nein, Sir, ich meine, wir sollten alle Vorteile nutzen, um so schnell wie möglich mit Kurs auf die Karibik zu verschwinden. Eben weil wir nicht wissen, welche Gönner Sir Andrew bei Hofe hat.“ „Ich sagte schon, daß ich dir in dem Punkt absolut recht gebe.“ Ben Brighton nickte. „Und außerdem“, fuhr er fort, „ist Lord Cliveden ein viel zu ehrlicher Mann. Er kann dieses ganze elende Intrigenspiel überhaupt nicht durchschauen.“ Der Seewolf preßte nachdenklich die Lippen aufeinander und warf einen Blick auf die Seekarte. Die „Isabella“, im Verband mit dem Schwarzen Segler und der „Wappen von Kolberg“ auf Südkurs segelnd, stand zur Zeit in der Irischen See, im Saint George's Channel, westlich der Cardigan Bay. Es gab dort, an der Küste von Wales, relativ gute Möglichkeiten, ohne großes Aufsehen ein paar Leute an Land zu setzen. Hasard hob den Kopf. „Also einverstanden“, sagte er entschlossen, „wir setzen Sir Andrew und sein hochwohlgeborenes Pack an Land.“
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„Darüber bin ich froh“, entgegnete Ben Brighton. „Und was wird mit O'Brien und seinen Leuten? Hätten die nicht verdient, mit nach Plymouth genommen zu werden?“ Hasard überlegte nur einen Moment. „Geht nicht“, sagte er dann, „wir würden O'Brien in eine Lage bringen, die für ihn verdammt unangenehm werden kann. Immerhin war er der Kapitän von Sir Andrews Flaggschiff, und an seiner Dienststellung hat sich insofern nichts geändert. Wenn wir ihn bis Plymouth an Bord behielten, würde der feine Sir Andrew das garantiert falsch auslegen und annehmen, O'Brien hätte sich mit uns gegen ihn verbündet.“ „Stimmt“, sagte Ben, „daran habe ich nicht gedacht. O'Brien würde Schwierigkeiten kriegen, die ihm über den Kopf wachsen.“ „Also sind wir uns einig“, faßte der Seewolf zusammen. „Voll und ganz“, erwiderte der Erste Offizier der „Isabella“. Er stand auf. „Ich denke, ich werde auf dem Achterdeck gebraucht.“ Er nickte dem Seewolf zu und verließ die Kapitänskammer. Es war alles gesagt, was gesagt werden mußte. Beide Männer schätzten es nicht, zu viele Worte zu verlieren. Hasard lehnte sich zurück. Je mehr er darüber nachdachte, desto logischer erschienen ihm die Überlegungen Bens. Der stets besonnene Ben mischte sich nur selten ein, doch wenn er etwas zu sagen hatte, dann war es wirklich gut, ihm zuzuhören. Und in diesem Fall konnte man seine Argumente nicht von der Hand weisen. Es war die beste Lösung, um mit der vertrackten Angelegenheit einigermaßen fertig zu werden. Hasard und seine Männer hatte es wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen, als sie nach Abflauen des Sturms vor der Rockall-Bank Schiffbrüchige zu sich an Bord nahmen. Niemand anders als der sehr ehrenwerte Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland, und seine noble Gesellschaft hatten das Kommando an Bord des Flaggschiffs „Vanguard“ geführt, jener Galeone, die in den .Flippen
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zerschellt war. Mit besagtem Sir Andrew hatten die Arwenacks schon in der Ostsee unliebsame Bekanntschaft geschlossen. Er gehörte zu den unbelehrbaren Ignoranten, vor denen man ständig auf der Hut sein mußte. Oliver O'Brien, der eigentliche Kapitän der „Vanguard“, konnte ein Lied davon singen. Ihn und seine Crew hatten die Seewölfe als anständige, aufrechte Burschen kennengelernt, die nach ihrer Rettung auf der „Isabella“ kräftig mit zupackten. O'Brien traf keine Schuld daran, daß die „Vanguard“ und ihre Begleitschiffe „Serapis“ und „Antiope“ gesunken waren. Denn O'Brien hatte rechtzeitig vor den Tücken des aufziehenden Weststurms gewarnt -und vor der Rockall-Bank. Aber Sir Andrew würde wohl nie begreifen, was er mit seinem Starrsinn angerichtet hatte. Daß er durch seine unsinnigen Kursanweisungen den Tod der gesamten Besatzungen der beiden Begleitschiffe zu verantworten hatte, würde in seinen adligen Schädel bestimmt nie hineingehen. 2. Am späten Nachmittag des 5. Mai ankerte die „Isabellavor einem öden Küstenabschnitt der Cardigan Bay. Es war einer dieser typisch englischen Tage, an denen es nie richtig hell wurde. Von einem wolkenverhangenen grauen Himmel sank feiner Regen in nicht endenwollenden Schwaden nieder. Mit erheblich verringerter Segelfläche liefen die „Wappen von Kolberg“ und der Schwarze Segler unterdessen weiter auf Südkurs. Der Wind blies handig aus Nordnordwest. Unter Vollzeug würde die „Isabella“ innerhalb weniger Stunden wieder aufschließen können. Hasard verließ das Achterdeck. Bei der Quarterdeckbalustrade am Niedergang an Steuerbord blieb er stehen. Die Männer hatten bereits die große Jolle abgefiert. Oliver O'Brien und seine zusammengeschmolzene Crew von der „Vanguard“ warteten am
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Backbordschanzkleid der Kuhl. Ben Brighton hatte sie über den vorgesehenen Ablauf informiert. Edwin Carberrys dröhnende Stimme war schon aus den unteren Decksräumen zu hören. „Hurtig, hurtig, ihr müden Schnecken, bewegt euch! Oder müßt ihr erst Dampf unter dem Hintern haben?“ Die freundlichen Worte des Profos wurden von rauhem Gelächter und barschen Kommandos begleitet. Smoky, Blacky, Bob Grey und Sam Roskill unterstützten Ed dabei, die Hochwohlgeborenen ans Tageslicht zu befördern, was ihnen allem Anschein nach besonderes Vergnügen bereitete. Die restliche Crew der „Isabella“ war auf der Back und beim Großmast versammelt, um das Geschehen zu verfolgen. Luke Morgan, Stenmark, Nils Larsen, Batuti und Ferris Tucker waren bereits in die Jolle abgeentert. Den sechsten Platz hatte Ed Carberry für sich reservieren lassen. Er wollte sich nicht nehmen lassen, dem gepuderten Pack von der „Vanguard“ das Geleit zu geben. Besondere Aufmerksamkeit widmete er dabei zweifellos seinem Profos-Kollegen, diesem Gorilla, den er wahrhaft zum Fressen gern hatte. „Nicht einschlafen, ihr Trantiere!“ brüllte Carberry, als sie mit polternden Stiefelschritten die Decksplanken erreichten. Sir Andrew und seine Begleiter sahen ganz und gar nicht mehr nobel aus. Mit verkniffenen Gesichtern, ohne Puder, bleich und stoppelbärtig, schlurften sie auf die Pforte im Schanzkleid zu. Ihre feinen Perücken saßen nicht mehr korrekt, und auch die elegante Kleidung hatte manche Knitterfalte und manchen Fleck abbekommen. „Halt!“ donnerte Ed Carberry. „Stehenbleiben, ihr erlauchten Kanalratten!“ Die Männer vom Achterdeck der „Vanguard“ gehorchten widerstrebend. Der Gorilla warf seinem Amtskollegen von der „Isabella“ einen scheelen,
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mordlüsternen Seitenblick zu. Die Prügel, die er von Carberry bezogen hatte, waren noch in bester Erinnerung. „Mister Carberry!“ rief der Seewolf energisch und doch mit unübersehbarem Grinsen. „Sir?“ Ed ruckte herum, schob sein Rammkinn vor und stemmte .die Riesenpranken in die Hüften. „Mister Carberry, ich wünsche, daß Sie die Gentlemen von der ,Vanguard' ihrem Rang entsprechend behandeln. Mit Respekt und Hochachtung, verstanden?“ Die Männer an Deck konnten sich ein Glucksen hinter vorgehaltener Hand nicht verkneifen. „Das will ich mir auch ausgebeten haben!“ rief Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland, schnaubend. „Ich verlange ...“ „Aye, aye, Sir!“ schnitt ihm Carberry das Wort ab, indem er zum Quarterdeck hinaufbrüllte. „Ich werde die ehrenwerten Affenärsche mit Samthandschuhen anfassen.“ „Recht so, Mister Carberry“, sagte Hasard mit breiterem Grinsen, „ich sehe, du weißt, was sich gehört.“ „Hatte eine gute Kinderstube, mit Verlaub, Sir“, antwortete der Profos in geschraubtem Tonfall und warf sich in die Brust. Sir Andrew erbleichte und lief im nächsten Moment krebsrot an. „Mister Killigrew!“ schrie er schrill. „Ich lasse mir dies nicht länger bieten. Ich werde Sie dafür ...“ Ed Carberry baute sich mit zwei schnellen Schritten vor ihm auf, verschränkte die Arme vor dem mächtigen Brustkästen und fixierte ihn von oben herab. „Wie war das?“ grollte er. „Habe ich mich verhört, was, wie? Der Kapitän unseres Schiffes heißt Sir Hasard, und so wird er auch angeredet. Klar?“ Sir Andrew schluckte krampfhaft, und sein Adamsapfel bewegte sich ruckend auf und ab. „Sir Hasard“, sagte er bebend, „ich protestiere gegen diese Behandlung. Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, daß ich
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Sie wegen Ihres und Ihrer Mannschaft ungebührlichen Verhaltens zur Rechenschaft ziehen werde. Im übrigen verlange ich eine Erklärung, was dies zu bedeuten hat.“ „Die sollen Sie haben, Sir Andrew“, entgegnete der Seewolf. „Ich entspreche Ihrem Wunsch und lasse Sie mitsamt Ihren Männern an Land bringen.“ Sir Andrews eckiges Kinn sackte nach unten. Sein schmallippiger Mund, sonst stets boshaft verkniffen. öffnete sich weit. Er starrte zur Küste und dann wieder zur Quarterdecksbalustrade. „Sind Sie von Sinnen?“ sagte er keuchend. „Ich habe Ihnen klare und unmißverständliche Anweisungen gegeben, die Sie bislang allerdings samt und sonders mißachtet haben. Auch das wird noch ein Nachspiel haben, verlassen Sie sich darauf. In diesem Fall muß ich allerdings darauf bestehen, nach London gebracht zu werden. Sie werden sich nicht erdreisten, mich in dieser Einöde auszusetzen.“ „Ich werde“, erwiderte der Seewolf trocken. „Dann ist das Maß voll, und Sie können nach Herzenslust Ihr Nachspiel inszenieren. Zu Ihrer Information: Etwa zwei Meilen südlich von hier liegt das Dorf Llangronog. Dort werden Sie und Ihre Männer Gelegenheit haben, sich eine Kutsche zu besorgen. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise. Schluß der Besprechung.“ „Ich protes ...“, setzte Sir Andrew an. „Schluß der Besprechung!“ brüllte Ed Carberry ihn an. „War das so schwer zu verstehen? Und jetzt abwärts, Kerls! Los, los, bewegt euch!“ Sir Andrew Clifford zuckte zusammen und riskierte keine Widerworte mehr. Seine Offiziere und der Profos zogen ohnehin vor zu schweigen. Die drohende, unmißverständliche Haltung der Männer von der „Isabella“ ließ es nicht angeraten erscheinen, sich ihnen noch einmal zu widersetzen. Die diesbezüglichen Erfahrungen nach der Bergung vor Rockall Island reichten den hochwohlgeborenen Gentlemen.
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Gehorsam enterten sie über die Jakobsleiter ab - zuerst Sir Andrews Adjutant Raymond Keefer, dann George Snyders, der Offizier für Sonderaufgaben, Christopher Norton, der Navigationsoffizier, schließlich der Erste, der Zweite und der Dritte Offizier sowie der Profos. Der Gorilla wandte sich mehrmals besorgt um. Nicht ohne Grund, denn von seinem Kollegen Carberry hatte er jederzeit mit einem Tritt in den Hintern zu rechnen. Als letzter folgte Sir Andrew. Der Profos der „Isabella“ wechselte indessen einen Blick mit dem Seewolf, grinste und hielt sich zurück. Das Aussetzen der Achterdecksclique von der „Vanguard“ nahm nicht mehr als eine halbe Stunde in Anspruch. Währenddessen hatten Hasard und seine Crew Gelegenheit, sich von Oliver O'Brien und seinen Männern zu verabschieden. Es war ein herzlicher Abschied, denn sie hatten sich gegenseitig schätzen gelernt. O'Brien und seine Leute waren ein wackerer Haufen. Keiner von ihnen hatte sich vor der Arbeit auf der „Isabella“ gedrückt. „Ich danke Ihnen noch einmal von ganzem Herzen, Sir Hasard“, sagte O'Brien, bevor er und die Überlebenden der „Vanguard“Crew in die zurückgekehrte Jolle abenterten. „Und seien Sie unbesorgt. Es ist besser, wenn wir uns Sir Andrew anschließen. Es würde sonst zu viele Nackenschläge für uns geben.“ Hasard nickte und drückte ihm wortlos die Hand. Drüben, am geröllübersäten Strand, traten die Gentlemen unter Sir Andrew von einem Bein auf das andere - frierend in der feuchten Luft, obwohl es nicht einmal sonderlich kühl war. Noch vor Einbruch der Dämmerung ging die „Isabella“ ankerauf, nachdem auch der Kapitän und die Decksleute des gesunkenen Flaggschiffs an Land gebracht worden waren. 3.
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Heiserer Gesang erfüllte den Schankraum der „Bloody Mary“ an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street in Plymouth. Drei irische Decksleute waren es, die für dreißig grölten. Rebellische Lieder, die sofort für Krawall gesorgt hätten, wenn noch andere Gäste anwesend gewesen wären. Nathaniel Plymson legte sein aufgequollenes Gesicht in steile Unmutsfalten. Dieser 8. Mai im Jahre des Herrn 1593 war wie ein ganz normaler Tag verlaufen. Zu guter Letzt sollte es nicht noch Verdruß geben. Plymson klatschte sein feuchtes Trockentuch auf den Tresen und walzte auf den Tisch zu, an dem die Iren im Takt zu ihren aufmüpfigen Liedern mit den Bierkrügen knallten. „Gentlemen!“ brüllte der Schankwirt. Die Gröler hielten nur kurz inne, sahen den feisten Plymson grinsend von der Seite an und stimmten dann einen neuen Vers an. „... und zieht den Briten das Fell über die Ohren - und zieht den Briten das Fell über ...“ Die Iren verstummten jäh, als Plymson mit der Faust auf die Tischplatte hieb, daß die Bierkrüge tanzten. In ihrer alkoholträchtigen Stimmung konnten sie nichts mehr klar unterscheiden. Sollten sie nun über ihn lachen oder Respekt haben vor diesem wandelnden Faß mit dem dreifachen Wabbelkinn und den wäßrigen Äuglein, die fast hinter den Fettpolstern seiner Wangen verschwanden? „Haltet gefälligst das Maul!“ knurrte Plymson. „Falls euch das nicht klar ist: Ihr befindet euch in einem englischen Gasthaus. Und wenn die Stadtgarde aufkreuzt und eure Töne hört, kriegt ihr morgen zum Frühstück trockenes Brot und klares Wasser.“ „Pfui Teufel“, sagte der älteste der drei, ein stämmiger rothaariger Bursche. „Was bist du nur für ein Schankwirt, daß du einem so die Stimmung vermiesen mußt.“ Plymson legte ihm eine Hand auf die Schulter, grinste ihn an und beugte sich zu ihm nieder, wobei die strähnigen Locken seiner Perücke vor und zurück pendelten.
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„Zu Hause, auf deiner grünen Insel, Paddy, kannst du gegen die Briten stänkern, soviel du willst. Und wenn nicht gerade ein Lord in der Nähe ist, wird auch keiner was dagegen haben. Aber hier, in England, wollen wir nur fröhliche Lieder hören. Kapiert?“ Der Rothaarige schnaufte, und seine beiden Saufkumpane stierten trübsinnig in die Krüge. „Warum, in aller Welt, glaubt ihr Engländer nur, daß alle Iren Paddy heißen?“ „Wie heißt denn du, Freund?“ „Paddy.“ Plymson starrte ihn einen Moment entgeistert an, dann brach er in schallendes Gelächter aus, und seine Fettmassen gerieten in wägende Bewegung. Die Iren stimmten grölend mit ein, und Paddy, der Rothaarige, war der lauteste von allen. „Darauf“, sagte Plymson, keuchend vor Heiterkeit, „gibt's einen auf Kosten des Hauses, Freunde. Nur mal eben Luft schnappen. Ihr irischen Hundesöhne bringt einen ganz außer Atem.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, watschelte er zur Tür, trat hinaus und pumpte die frische Abendluft tief in seine Lungen. Im nächsten Moment, als sein Blick zur gegenüberliegenden Pier fiel, riß er Mund und Augen fassungslos auf. „Nein!“ stieß Plymson tonlos hervor. „Um Himmels willen, nein!“ Mindestens zwei der drei Schiffe; die dort drüben vertäut hatten, waren ihm so verteufelt gut bekannt, daß er schon im voraus zu schlottern begann. Selbst im dichtesten Mastenwald hätte er die Umrisse der „Isabella“ und des Schwarzen Seglers auf Anhieb erkannt. Aber so unübersichtlich war dieser Teil des Hafens von Plymouth nicht einmal. Und vor dem hellen Hintergrund der Pechlichter zeichneten sich die Schiffe deutlich genug ab. Plymson warf sich herum. So schnell er konnte, stürmte er zurück in den Schankraum. „Tut mir leid, Freunde“, rief er, heiser vor Aufregung, „aus der Lokalrunde wird
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nichts mehr! Los, los, raus mit euch! Wir holen das morgen nach, klar?“ „He, he, Mann, was ist los?“ entgegnete der Rothaarige mit schwerer Zunge. „Welcher Teufel sitzt dir im Nacken? Du bist ja ganz blaß geworden, und schwitzen tust du auch.“ „Die Stadtgarde“, sagte Plymson reaktionsschnell, „da ist ein Trupp am Ende der Straße. Besser, ihr verzieht euch. Sonst gibt's Ärger für -euch und für mich. Bestimmt hat ein Nachbar eure sauberen Lieder gehört.“ Die Iren waren schlagartig ernüchtert und beeilten sich, die Schenke zu verlassen. Plymson hastete hinter ihnen her und verrammelte die Fensterläden. Dann schloß er die Tür von innen, legte beide Riegel vor und lehnte sich aufatmend dagegen. Doch schon nach einer Minute geriet er erneut in Bewegung, öffnete die Kellerluke hinter dem Tresen, löschte alle Lichter und stieg mit einer kleinen Ölfunzel in den Keller hinunter. Sorgfältig schloß er die Luke über sich und hastete bis zur Straßenseite des kühlen Gewölbes, wo sich jene schwere Bohlen-platte befand, die nur zum Ein- und Auslagern der Bierfässer geöffnet wurde. Eilends vergewisserte er sich, ob auch hier die Riegel fest saßen. Dann erst löschte er die Ölfunzel und lehnte sich schwer atmend gegen eins der Fässer. Es blieb nicht mehr lange ruhig. Kaum eine Viertelstunde mochte vergangen sein, als haargenau das eintrat, was der dicke Schankwirt so sehr befürchtet hatte. Obwohl er kein frommer Mensch war, schickte er ein Dankgebet zum Himmel, daß er das drohende Unheil rechtzeitig bemerkt hatte. Schritte näherten sich vom Hafen her, begleitet von rauhen Stimmen, die noch nicht zu verstehen waren. Es hörte sich an wie eine ganze Heerschar, die auf die „Bloody Mary“ zumarschierte. Nathaniel Plymson erschauerte, und die kühle Feuchtigkeit des Kellers verstärkte sein Unwohlsein noch.
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Die Stimmen wurden deutlicher, und die Schritte hallten dröhnend von den Hauswänden zurück. „Da wird doch der Elch in der Pfanne verrückt!“ tönte ein Reibeisenbaß. „Beim guten, alten Plymmie sind alle Schotten dicht, kein Licht, rein gar nichts. Das gibt's doch nicht, was, wie?“ Unter Tausenden hätte Plymson diese Stimme herausgehört. Niemand anders als Carberry war das, dieses Monster von der „Isabella“. Mit Entsetzen dachte der Schankwirt daran, wie viele unzählige Male Carberry und die anderen salzgewässerten Rauhbeine die Einrichtung der „Bloody Mary“ zu Kleinholz verarbeitet hatten. Gewiß, sie hatten den Schaden jedesmal großzügig beglichen, aber die nervliche Belastung, o Mann! Plymson konnte sich eines nachträglichen Zitterns nicht erwehren. Die Schritte endeten jetzt haargenau vor dem Eingang der Schenke. Stiefelsohlen polterten auch auf der Bohlenplatte, unter der Plymson regungslos ausharrte. Jemand rüttelte an der Tür. „Dicht und verrammelt! Unserem lieben Nathaniel wird doch nichts zugestoßen sein?“ Auch diese Stimme erkannte Plymson sofort. Es handelte sich um Ferris Tucker, den hünenhaften Schiffszimmermann, der auf dem Gebiet der Holzverarbeitung über erschreckend gründliche Kenntnisse verfügte. „Unmöglich. Unkraut vergeht nicht.“ Das war Matt Davies, der Mann mit der furchterregenden Hakenprothese. Die ganze Meute begann zu johlen. „Ruhe!“ brüllte Ed Carberry. „Vielleicht horcht der Saufsack seine stinkige Matratze ab. Also, Männer, es liegt an euch, ob wir ihn wach kriegen oder nicht.“ „Dann wollen wir mal!“ rief ein anderer. Auch ihn erkannte Plymson sofort an der Stimme. Smoky, der Decksälteste der „Isabella“. Einer von denen, die weniger redeten und eher zuschlugen, wenn es denn sein mußte. Auf Smokys Kommando begann die ganze Meute im Chor zu brüllen:
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„Plym-son! Plym-son! Reise-reise aufstehen!“ So ging es mehrere Minuten lang, und dem feisten Schankwirt erschien es wie eine Ewigkeit. Schweißperlen traten auf seine Stirn, und er mußte mit aller Gewalt die Zähne zusammenbeißen, damit sie nicht zu klappern begannen. Er verfluchte seinen Entschluß, ausgerechnet hier unter der Bohlenplatte auszuharren, um alles mitzukriegen. Aber andererseits wäre er auch weiter hinten im Haus von dem Höllenspektakel nicht verschont geblieben. Und die Stadtgarde, die er vorhin so mahnend heraufbeschworen hatte, ließ sich jetzt natürlich nicht blicken. Immer dann, wenn man sie wirklich brauchte, waren die nicht zur Stelle. Endlich wurde es ruhig. „Sieht so aus, als ob er nicht zu Hause sei“, rief einer, den Plymson nicht sofort erkannte. Aber das mochte daran liegen, daß außer der „Isabella“ auch noch der Schwarze Segler und diese dritte Galeone drüben an der Pier vertäut hatten. Möglich also, daß es diesmal nicht nur die Seewölfe auf die „Bloody Mary“ abgesehen hatten. Wie auch immer, wer sich mit Carberry und seinen Rabauken anfreundete, mußte mindestens genauso schlimm sein. Davon war Nathaniel Plymson fest überzeugt. Wieder ließ sich der Profos der „Isabella“ vernehmen. „Alles zwecklos, Männer. Ich nehme an, daß die fette alte Kellerassel bis oben hin voll ist. Der Schmierlappen war ja selbst immer sein bester Kunde ...“ Bei dem Wort „Kellerassel“ zuckte Plymson zusammen. Er fühlte sich ertappt und glaubte schon, daß dieser dreimal verfluchte Profos eine Art sechsten Sinn hatte. Aber diese Befürchtung erwies sich im nächsten Moment doch als unbegründet. „... aber egal, wir kriegen ihn nicht auf die Beine, und wenn wir uns auf den Kopf stellen.“ „Wie wär's, wenn wir den Laden einfach aufbrechen?“ ließ sich Sam Roskill vernehmen, der ehemalige Karibik-Pirat.
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Auch er gehörte zu jenen, die Plymson in besonders schlechter Erinnerung hatte. „Kommt nicht in Frage“, sagte Ed Carberry energisch. „Ihr wißt, daß der Kapitän keinen Ärger haben will. Vor allem diesmal nicht. Wir können uns das nicht leisten.“ „Ja - und jetzt?“ brummte Ferris Tucker enttäuscht. Dumpfes Gemurmel setzte ein. Unvermittelt war eine helle Jungenstimme zu hören. Leichtfüßigere Schritte drängten sich in den Vordergrund. „Mister Carberry, Sir, was wird denn mit uns? Wir hatten Erlaubnis, mit an Land zu gehen, damit Plymmie noch mal ihr Geschäft erledigen kann.“ „Und damit sie ihren Namengeber kennenlernt“, fügte eine zweite Jungenstimme hinzu. „Darüber hätte sich unser Dicker natürlich am meisten gefreut!“ rief Matt Davies, und die Männer brachen in schallendes Gelächter aus. Nathaniel Plymson runzelte die Stirn. Die beiden Jungen waren die Söhne des Seewolfs, ohne Frage. Und Plymmie? Was, zum Teufel, bedeutete das nun wieder? Was hatte das Gerede vom Namengeber zu bedeuten, und warum erheiterte das die rauhen Burschen so sehr? Unvermittelt, als die Männer sich wieder beruhigt hatten, hörte der Schankwirt ein anderes Geräusch, das ihn zusammenzucken ließ - ein Schnüffeln und ein Scharren, und es war direkt über ihm. Dann wieder dieses Schnüffeln, es war deutlich durch die Ritzen der Bohlenplatte zu hören. Ein herzzerreißendes Winseln folgte. „Sie riecht ihn!“ rief einer der Männer begeistert. „Seht euch das an, sie riecht ihren Patenonkel!“ „Plymsons Fuselgestank ist hier überall“, sagte Carberry glucksend, „das muß nichts zu bedeuten haben.“ Abermals grölten die Männer vor Vergnügen. Der Schankwirt spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. Diese Himmelhunde, diese verdammten Arwenacks, sie hatten sich ein
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Hundevieh zugelegt. Der Affen- und Papageienzirkus an Bord genügte ihnen noch nicht. Und ausgerechnet ihn, Nathaniel Plymson, hatten sie bei der Namensgebung Pate stehen lassen - in Abwesenheit gewissermaßen. Plymmie! Allein der Klang des Wortes trieb dem feisten Wirt der „Bloody Mary“ die Zornesröte ins schwammige Gesicht. Wenn dieses Vieh so war wie seine Besitzer, dann mußte es sich um ein wahres Ungeheuer handeln. Plymson beglückwünschte sich zu dem Entschluß, die Schenke zu schließen. Der Gedanke an so ein vierbeiniges Monstrum, das ihn geifernd und zähnefletschend anknurrte, ließ seine Kopfhaut unter der Perücke kribbeln. Wieder wurde es oben vor der Schenke ruhig, und in diese Ruhe hinein plätscherte es plötzlich laut und vernehmlich. Plymson erstarrte. Das war über ihm, haargenau über ihm! Und schon Tröpfelte etwas durch die Ritzen, präzise in die strähnigen Locken seiner Perücke. Zwei oder drei Tropfen klatschten vernehmlich auf seine speckige Weste. Plymson hätte heulen können vor Wut, und nur mit äußerster Beherrschung gelang es ihm, mucksmäuschenstill zu bleiben. Draußen grölten sie schon wieder los, als wüßten sie haargenau, wer da unter der Bohlenplatte betröpfelt wurde. Richtig schadenfroh klang es. „Ruhe!“ brüllte Ed Carberry wieder. „Plymmie hat ihr Geschäft an geeigneter Stelle erledigt. Damit ist der Landgang für euch Rübenschweinchen erledigt. Matt und Blacky, ihr beide bringt sie zur Pier zurück und wartet ab, bis sie ordnungsgemäß von der Bordwache übernommen worden sind. Der Kapitän will nicht, daß die Söhnchen mal wieder ihren eigenen Kurs bestimmen.“ Zu hören waren jetzt die maulenden Jungen, die sich wohl oder übel der Anordnung beugen mußten. Die Männer hatten unterdessen immer noch ihr Vergnügen an der Bordhündin, die auf so passende Weise die Vorderfront der
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„Bloody Mary“ angefeuchtet hatte. Carberry bestimmte einen Treffpunkt bei einer anderen Schenke weiter stadteinwärts, und das Begleitkommando zog mit den Seewolf-Söhnen los in Richtung Pier. Dann endlich verzog sich auch die übrige Meute, und Nathaniel Plymson wich erleichtert unter der Bohlenplatte weg, von der es noch immer niedertropfte. Aber erst als von den Arwenacks nichts mehr zu hören war, riskierte er es. in seinen Schankraum zurückzukehren und die kleine Funzel hinter dem Tresen versteckt anzuzünden. Auf den überstandenen Schreck in der Abendstunde war ein gehöriger Schluck fällig. Plymmie! Nicht zu fassen. Auf den Bodendielen hinter der Theke hockend, murmelte er das Wort immer wieder vor sich hin. Und je mehr Schlucke er nahm, desto öfter murmelte er es. Es begann in seinem Schädel zu kreisen, wie in Wolken auf und ab zu wogen, und dann, als er sanft besäuselt entschlummerte, hauchte es eine Traumfee mit nicht enden wollendem Echo in sein Ohr. Plym-mie - Plym-mie – Plym… 4. Hasard und Ben Brighton verließen die „Isabella“ am 9. Mai noch vor Sonnenaufgang. Bei einem der Fuhrleute in der Nähe des Hafens hatten sie bereits am Vorabend zwei Reitpferde gemietet, die nun gesattelt und frisch versorgt bereitstanden. Das Kommando an Bord hatte der Seewolf für die Dauer seiner Abwesenheit Dan O'Flynn übertragen, denn er legte Wert darauf, seinen Ersten Offizier bei sich zu haben. Überdies hatten Arne von Manteuffel und der Wikinger alle Vollmachten für eine etwaige Unterredung, falls Lord Cliveden oder ein Kurier doch noch auftauchen sollte. Das war bislang nicht der Fall gewesen. Noch in den Abendstunden des Vortages hatten Hasard und Ben ganz Plymouth abgeklappert. Von Lord Cliveden keine Spur. Auch hatte er sich in keiner der
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Herbergen durch einen Kurier ankündigen lassen. Der Nieselregen hielt auch an diesem Tag an, als der Seewolf und sein Erster die Stadt in nordwestlicher Richtung verließen. Mit der ungewohnten Fortbewegungsart auf dem Pferderücken waren sie rasch wieder vertraut. Umhänge schützten die beiden Männer vor der Feuchtigkeit. Die grüne Landschaft des heimatlichen Cornwall auf diese Weise zu durchstreifen war wohltuend, und sie brauchten dazu nicht einmal den Sonnenschein, der alles in ein noch freundlicheres Licht getaucht hätte. Der Frühling, der hier, im südlichen England, viel früher eingesetzt hatte als in den rauheren Breiten der Baltenländer, ließ Gräser und Sträucher, Büsche und Bäume in üppiger Pracht austreiben. Noch in den Mittagsstunden trafen sie auf dem Landsitz von Doc Abraham Freemont am Tavy River ein. Der Gehilfe des Arztes nahm sich der Pferde an, um sie zu versorgen. Noch bevor Hasard und Ben den Hauseingang erreichten, trat Doc Freemont ihnen entgegen. Freudestrahlend breitete er die Arme aus und hieß sie in seiner herzlichen Art willkommen. Wenn der Seewolf und seine Gefährten in England einen wirklichen Freund hatten, dann war es dieser Mann, der für sie schon so unendlich viel getan hatte. Ihre letzte Begegnung, im Dezember 1592 beim Stapellauf der „Isabella IX.“, lag nun schon fast ein halbes Jahr zurück. „Das nenne ich eine Überraschung!“ rief der Arzt mit leuchtenden Augen. „Ich weiß nicht mehr, wann ich euch das letztemal in meinen vier Wänden begrüßen konnte. Wie ist es euch ergangen? Was führt euch her? Kommt ins Haus, ihr müßt mir alles genau berichten.“ Sie ließen ihre nassen Mäntel im Korridor zurück und folgten Doc Freemont in die Behaglichkeit des Kaminzimmers, wo ein Feuer prasselte und den Duft von Birken ausströmte. Der Doc rief ein Dienstmädchen und ließ einen Punsch bringen. Das heiße Getränk weckte die Lebensgeister der Männer nach dem stundenlangen Ritt.
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Hasard und Ben setzten sich in den gemütlichen Lehnstühlen zurück, und beide dachten daran, daß sie diesen Mann und dieses Land für eine sicherlich lange Zeit nicht mehr wiedersehen würden. „In einer halben Stunde gibt es für euch etwas zu essen“, sagte Doc Freemont, „solange haben wir erst einmal Zeit, miteinander zu reden. Später können wir unser Gespräch dann fortsetzen. Ich hoffe doch, ihr bleibt auch über Nacht meine Gäste.“ „Gern“, erwiderte Hasard lächelnd, „aber morgen früh müssen wir rechtzeitig aufbrechen. Ich habe zur Zeit einen von Rastlosigkeit geplagten Ersten Offizier.“ Doc Freemont sah Ben Brighton erstaunt an. „In der Tat? Ich kenne dich als einen stets ruhigen und besonnenen Mann, Ben. Was gibt es, das euch auf den Nägeln brennt?“ Ben verzog verlegen das Gesicht. „Ich will nicht den Wichtigtuer spielen. Aber es hat gewisse Ereignisse gegeben, die uns schwer auf dem Magen liegen. Gestern abend sind wir in Plymouth eingelaufen, und ich bin sicher, daß man uns nicht lange in Ruhe lassen wird.“ „Ben hat sicherlich recht“, sagte Hasard, „nur ändert das nichts daran, daß wir unsere Angelegenheiten regeln müssen. Wir hatten eine Geheimorder auszuführen, und Lord Cliveden erwartet unsere Berichte. Was die Schwierigkeiten betrifft, begann eigentlich alles schon früher, bevor wir diese Order erhielten.“ „Ich fange an zu verstehen“, sagte Doc Freemont. „Es fing mit dem sauberen Marquess Henry of Battingham an, der euren Schiffsneubau in Plymouth beschlagnahmen wollte und schließlich an die Kette legen ließ.“ „Richtig“, sagte Hasard und nickte, „wir befürchten jetzt, daß die damaligen Ereignisse noch nicht ganz begraben sind. Deshalb sind wir hier, um von Ihnen zu hören, welche Neuigkeiten in London kursieren. Aber ich muß von Anfang an erzählen ...“ Er schilderte in knappen Worten den geheimen Auftrag der Krone, aufgrund dessen sie im Ostseeraum
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Handelsbeziehungen angeknüpft hatten. Es war der Grundstein dafür, daß England künftig unter Umgehung der Hanse direkte Geschäfte mit den Lieferanten im Baltikum aufnehmen konnte. Hasard berichtete auch über seinen Vetter Arne von Manteuffel, den er durch einen Zufall in Wisby auf Gotland getroffen und der sich ihm nun für die gemeinsame Reise in die Karibik angeschlossen hatte. Dann kehrte der Seewolf zu den Zusammenhängen zurück, die für seinen Gesprächspartner wichtig zu wissen waren. „Was uns jetzt Verdruß wittern läßt, ereignete sich. schon zu Anfang der Ostseemission. Ein gewisser Sir Henry Clifford, Earl of Cumberland, geriet uns mit seiner ‚Goliath' in die Quere und versuchte, von uns zwölf Mann zu requirieren. Wir haben ihm den Marsch geblasen und ihn mitsamt seinen Offizieren vor der schwedischen Küste ausgesetzt. Der Mannschaft haben wir das Schiff überlassen, allerdings mit der Empfehlung, es schleunigst in einem deutschen Hafen zu verkaufen.“ „Die Geschichte wird in London etwas anders erzählt“, sagte Doc Freemont, „was dich sicher nicht wundern wird. Sir Andrew ist mit großem Geschrei zum Hof zurückgekehrt und hat sich beklagt, daß der Pirat Killigrew ihn an der Ausführung seines Ostsee-Auftrags gehindert habe. Sir Andrew hatte nämlich ebenfalls Order, im Baltikum Handelsbeziehungen anzuknüpfen.“ „Ich weiß“, erwiderte Hasard und nickte. „Nur hatte man ihn längst abgeschrieben, weil er nach einem Jahr immer noch nicht zurückgekehrt war. Im übrigen war sein Schiff leer, als es unseren Kurs kreuzte.“ „Für uns war das kein Wunder“, fügte Ben Brighton hinzu, „mit so einem blasierten Mann wollte natürlich kein Mensch an der Ostsee Geschäfte anfangen. Wer diesen Gecken als Vertreter der englischen Krone losgeschickt hat, muß ein Narr gewesen sein.“ „Sir Andrew hatte lediglich die richtigen Freunde am Hof“, erwiderte Doc Freemont
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lächelnd, „in manchen Fällen kommt es einzig und allein darauf an.“ „Was diesen Punkt betrifft“, sagte Hasard, „hat der saubere Sir Andrew anscheinend immer die Nase im Wind. Wir sind ihm nämlich noch ein zweites Mal begegnet.“ Er schilderte die Geschehnisse in den Klippen der Rockall-Bank bis hin zum Aussetzen der hochwohlgeborenen Offiziers-Clique in der Cardigan Bay. , Doc Freemont sah den Seewolf betroffen an. „Dann habt ihr allerdings guten Grund, mit Problemen zu rechnen. Ich bin zuletzt vor zwei Wochen in London gewesen. Von den jüngsten Geschehnissen weiß ich natürlich nichts. Ich habe lediglich gehört, daß Sir Andrew für den erkrankten Kapitän Frobisher eingesprungen ist. Sein Auftrag war, mit der ,Vanguard' und den beiden Begleitschiffen eine Expedition zur Erkundung der Nordwestpassage durchzuführen. Es ist bekannt, daß Sir Andrew diesen Auftrag nur mit Tricks und Winkelzügen und durch einflußreiche Gönner erhielt. Nun“, Doc Freemont preßte die Fingerspitzen gegeneinander, „wenn ihr ihn am fünften Mai ausgesetzt habt, dann dürfte er London bereits erreicht haben.“ „Und ungehindert seine Lügengeschichten über uns verbreiten“, sagte Ben Brighton erbittert. „Nicht alle Ohren hören ihm wohlwollend zu“, meinte Doc Freemont, „es besteht aber Grund zur Besorgnis, wie schon gesagt. Denn unser gemeinsamer Freund Marquess Henry hat längst wieder Oberwasser. Von der Bildfläche war er nur für ein paar Monate verschwunden. Inzwischen führt er wieder sein lasterhaftes Leben und spinnt ungehindert seine Intrigen in London. Es wird euch nicht wundern zu hören, daß Marquess Henry zu ebenjener Adels-Clique gehört, die auch Sir Andrew seinen Freundeskreis nennt.“ Hasard und Ben Brighton wechselten einen Blick. „Es wäre zu schön gewesen, wenn es sich nicht so verhielte“, sagte der Seewolf kopfschüttelnd.
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„Gleich und gleich gesellt sich gern“, fügte Ben Brighton grimmig hinzu, „das Sprichwort paßt doch immer wieder. Aber ich denke, der Duke of Battingham hat sein mißratenes Söhnchen damals im Dezember zusammengestaucht und in die Verbannung geschickt!“ „Stimmt“, erwiderte Doc Freemont, „nach den Gerüchten, die in Umlauf sind, hat sich folgendes abgespielt: Der Duke of Battingham steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Sein Sohn Henry wußte das natürlich, und nachdem er seine Pflichtzeit auf einem öden Gutshof abgesessen hatte, ließ er seine Beziehungen zu der Clique in London spielen. Ergebnis war, daß das Früchtchen Henry über die Gläubiger seinen eigenen Vater unter Druck setzen ließ. Angeblich wurde Henry für Sonderaufgaben am Hof gebraucht, und wenn der Duke ihn nicht laufenließ, dann sollten bei ihm die geldlichen Daumenschrauben angezogen werden.“ Dann wissen wir also, was uns bevorsteht“, sagte Hasard nachdenklich. „Marquess Henry und Sir Andrew - ein wahrhaft erlesenes Gespann!” Er sah seinen Ersten Offizier an. „Ich bin froh, daß ich auf dich gehört habe, Ben. Wenn wir Sir Andrew und seine Halunken nicht an Land gesetzt hätten, gäbe es jetzt nicht den Zeitvorsprung für uns.“ „Die Zeit ist trotzdem knapp“, sagte Ben Brighton pessimistisch, „wir können den Lauf der Dinge nicht mehr zurückdrehen.“ „Aber zum Guten wenden“, sagte Doc Freemont. Er beugte sich vor und wandte sich eindringlich an den Seewolf : „Du solltest unbedingt sofort nach London reisen und um eine Audienz bei der Königin bitten. Grund genug hast du, und Elizabeth l hat immer ein offenes Ohr für dich gehabt. Diese Audienz wäre die beste Möglichkeit, deine Widersacher matt zu setzen.“ „Ich weiß diesen Rat zu schätzen, Doc. Aber es geht beim besten Willen nicht. Wir müssen uns auf Lord Cliveden verlassen.“ „Sicher ist Lord Cliveden ein anständiger und auch einflussreicher Mann. Aber er hat
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nicht alle Dinge in der Hand. Überlege es dir gut, Hasard.“ „Das habe ich schon getan, Doc. Ich muß nach Plymouth zurück. Nach allem, was Ben und ich von Ihnen gehört haben, ist das jetzt umso dringender. Ich muß Jean Ribault sprechen und außerdem zum alten Ramsgate, um zu sehen, was aus den beiden Neubauten geworden ist, die Jean bestellt hat. Im übrigen habe ich noch meinen Ersten Offizier im Nacken, der mich bekniet, England so schnell wie möglich zu verlassen.“ „Mit Recht“, sagte Ben Brighton grimmig. „über uns ziehen sich dunkle Wolken zusammen, und das ist kein Gefühl, das aus der Luft gegriffen ist.“ Doc Freemont zog resignierend die Schultern noch. „Nun gut. Ich bin zwar nach wie vor überzeugt, daß eure Entscheidung falsch ist, aber ich will euch nicht überreden. Also bleibt nur eins: Ich werde selber nach London reisen und um eine Audienz bei Königin Elizabeth bitten.“ „Das können wir nicht verlangen“, sagte Hasard erschrocken. Doc Freemont schüttelte energisch den Kopf. „Keine Widerrede. Ich tue das gern, und es ist mein eigener Entschluß. Damit, denke ich, ist das Thema abgeschlossen.“ Hasard mußte das akzeptieren, und wieder einmal wurde ihm und auch Ben bewußt, daß sie in dem Arzt einen wirklichen Freund hatten, der in guten und schlechten Zeiten stets zu ihnen hielt. So brachten sie es nicht fertig, sich vorzeitig zu verabschieden, obwohl sie am liebsten Hals über Kopf nach Plymouth zurückgeritten wären. * Die Wolkendecke hatte sich ein wenig aufgelockert, als Hasard und Ben Brighton am 10. Mai gegen Mittag nach Plymouth zurückkehrten. Von Zeit zu Zeit lugte sogar die Sonne zaghaft auf das grüne Land. Die beiden Männer werteten es dennoch nicht als ein positives Zeichen.
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Die dunklen Wolken, von denen Ben gesprochen hatte, blieben, selbst wenn sich der Himmel in strahlendem Blau gezeigt hätte. Sie lieferten ihre Reitpferde ab und legten die kurze Strecke bis zur Mill Bay zu Fuß zurück. Dort war es still. Die Lösch- und Ladearbeiten ruhten, und auch von den Betrieben der Schiffsausrüster und Lagerhalter und von den Werften war kein Laut zu hören. Erst in ein bis zwei Stunden würde es im Hafen wieder lebendig werden. Der Seewolf und sein Erster Offizier wurden bereits bemerkt, als sie die Pier gegenüber der „Bloody Mary“ erreichten. Auf der „Isabella“, aber auch auf dem Schwarzen Segler und der „Wappen von Kolberg“ erschienen die Männer einer nach dem anderen am Schanzkleid und begrüßten Hasard und Ben mit freudigem Gebrüll. Dan O'Flynn und Ed Carberry enterten über die Stelling ab und liefen ihnen entgegen. Vom Schwarzen Segler schloß sich ihnen Thorfin Njal an. Auch Arne von Manteuffel verließ seine Galeone, die er in der Ostsee einem polnischen Generalkapitän abgeknöpft hatte. Nils Larsen bemerkte es von der Back der „Isabella“ aus und eilte ebenfalls herbei, um notfalls als Übersetzer zu fungieren. Arne verstand die englische Sprache zwar schon recht gut, um aber selbst an einem Gespräch teilnehmen zu können, fehlten ihm doch noch etliche Wörter. „Donnerwetter!“ sagte Hasard überrascht. „Welch ein Empfangskomitee! Haben wir irgendeinen Feiertag, an den ich nicht gedacht habe?“ „Sollte uns freuen, wenn ein Feiertag daraus wird“, entgegnete Ed Carberry brummig. „Hauptsache, ihr seid erst mal hier!“ rief der riesenhafte Wikinger dröhnend und hieb dem Seewolf seine Pranke auf die Schulter. „Wäre doch nicht schön, wenn wir die Torfköppe ohne euch auseinandernehmen müßten.“ Hasard und Ben wechselten einen rätselhaften Blick. Dan O'Flynn deutete wortlos zum Ende der Pier. Über die Mill
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Bay hinaus war dort die offene See zu sehen. Das Vorschiff einer Galeone schob sich ins Blickfeld, kurz darauf waren die prallstehenden Segel zu erkennen. Hasard schätzte die Entfernung auf etwa zwei Seemeilen. Eine weitere Galeone folgte, dann eine Karavelle. „Wir beobachten sie schon eine Weile“, berichtete Dan. „Bill hat sie vom Großmars aus entdeckt. Zwei Galeonen und drei Karavellen, ein recht ansehnlicher Verband.“ Hasard hielt für einen Moment den Atem an. „Auf Südwestkurs, wenn ich richtig sehe.“ Die anderen nickten. „Warum sprichst du es nicht aus?“ fragte Ben Brighton. „Der Verband segelt auf Rame Head zu.“ Hasard sah ihn an. „Ich hoffe, daß es nicht so ist, Ben. Aber leider müssen wir damit rechnen.“ „Eins steht jedenfalls fest“, sagte Ed Carberry grollend, „wer auch immer diese Rübenschweine da draußen sind - die sehen mir ziemlich danach aus, als ob sie die Luft verpesten wollten.“ „Also, was gibt's da noch zu überlegen?“ Thorfin Njal packte entschlossen den Griff seines „Messerchens“. „Ankerauf, hinterher, und wenn sie Ribault und den ' alten Ramsgate ärgern wollen, klopfen wir ihnen was auf die Köpfe.“ Hasard schüttelte energisch den Kopf. „So geht das nicht, Thorfin. Wir haben überhaupt keinen Anhaltspunkt. Und die Dinge liegen hier in England nun einmal so, daß wir uns keinen Trubel leisten können. Das muß bei allen Überlegungen an erster Stelle stehen.“ „Bei Odin und seinen Raben, das verstehe ich nicht. Ist dir die Nacht an Land nicht gut bekommen?“ Der Wikinger kratzte sich verwundert an seinem Helm. Im selben Moment ertönte ein schneidender Ruf, und seine Hand zuckte zurück, als hätte er sich die Finger verbrannt. „Thorfin!“ Es folgten nur wenige energische Worte, die den Wikinger
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buchstäblich um Helmeslänge kleiner werden ließen. Die Köpfe der Männer ruckten herum. Gotlinde, frisch angetraute Ehefrau Thorfins, stand an der Achterdecksbalustrade des Schwarzen Seglers und winkte ihnen zu - eine kühle nordische Schönheit mit langem, rotblondem Haar und fast so groß wie der Wikinger. Die Männer winkten zurück. „Was ist los, Thorfin?“ erkundigte sich Ed Carberry feixend. „Sie ist doch ganz freundlich, oder was, wie?“ „Zu euch, natürlich“, erwiderte der Wikinger mit gequältem Grinsen, als müsse er sich entschuldigen. „Aber ich 'muß mich erst dran gewöhnen, daß ich einen neuen Offizier an Bord habe.“ Er deutete verstohlen zum Achterdeck, aber so, daß Gotlinde es nicht bemerkte. „Ich vermute“, sagte Arne von Manteuffel lachend, „Thorfin hat etwas getan, was er nicht durfte! Aber was, um Himmels willen? Er steht doch ganz friedlich da und tut keiner Fliege etwas zuleide.“ Nils Larsen übersetzte rasch. Der Wikinger verdrehte die Augen. „Also, ich will euch was sagen“, flüsterte er. „Dieses Weib muß Donar geschickt haben. Sie schenkt einem den strahlendsten blauen Himmel auf Erden. Aber dann, wenn man nicht damit rechnet, läßt sie Blitz und Donner herabzucken, und zwar ganz fürchterlich.“ „Aber warum, Thorfin, warum?“ drängte Dan O'Flynn. „Gerade eben muß sie doch einen Grund gehabt haben.“ „Ach, das ist nichts.“ Der Wikinger winkte zerknirscht ab. „Ich glaube, Gotlinde ist eine Frau mit festen Grundsätzen“, sagte Hasard, „und dir schadet es nichts, wenn sie dir bei passender Gelegenheit die Hammelbeine langzieht, Thorfin. Also heraus damit, bei uns gibt es keine Geheimnisse.“ Der Seewolf sah seinen Vetter an, der dem Wortwechsel lächelnd zuhörte. Arne hatte sich gut erholt. Den tragischen Tod seiner Verlobten Gisela von Lankwitz hatte er sicherlich noch nicht überwunden. Doch er
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bewältigte die Trauer für sich allein, wie es einem aufrechten Mann anstand. Thorfin Njal trat unterdessen zaudernd von einem Bein auf das andere. „Also gut“, murmelte er schließlich, denn er spürte, daß die Männer nicht lockerlassen würden. „Es dreht sich darum - also - hm - ja, ich darf mich nicht mehr am Helm kratzen.“ Hasard und den anderen verschlug es die Sprache. Und sie mußten an sich halten, um nicht vor Heiterkeit lauthals loszubrüllen. „Es ist so“, murmelte Thorfin in die Stille hinein, „sie sagt, das sei Blödsinn, wenn man sich am Helm kratze. Eine saudumme Angewohnheit und was nicht alles.“ Er grinste wieder. „Sie behauptet, unter so einem Helm könne man gar kein Gefühl haben. Ich habe ihr dann erklärt, daß sie mich noch gar nicht lange genug kenne, um zu wissen, wo ich Gefühle habe und wo nicht.“ Nun konnten sie nicht anders, sie mußten einfach losprusten. „Aber“, sagte Hasard, nach Atem ringend, „ob mit oder ohne Gefühl, zwischen den Hörnern kratzen darfst du dich trotzdem nicht mehr, stimmt's?“ „Na ja, ich muß eben aufpassen.“ Der Seewolf wechselte das Thema, um den Wikinger nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen. Außerdem gab der Fünferverband dort draußen vor der Mill Bay ohnehin keinen Anlaß zu länger anhaltender Heiterkeit. „Dan“, sagte Hasard kurz entschlossen, „du nimmst die kleine Jolle und siehst in Rame Head unauffällig nach dem Rechten. Ferris, Batuti, Smoky, Luke und Blacky werden dich begleiten.“ „Aye, aye, Sir!“ Dan O'Flynn wirbelte herum und lief voraus, zur „Isabella“. 5. Kurze Zeit, nachdem die Werftarbeiter ihre Mittagsruhe beendet hatten, verließ Hesekiel Ramsgate sein Kontor, um nach dem Rechten zu sehen. Die vertrauten Geräusche hallten über das Gelände -
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Hammerschläge, kreischende Sägen und knappe Kommandos, die sich die Männer gegenseitig zuriefen. Ein wenig Wehmut beschlich den Schiffbaumeister. Dies alles sollte bald der Vergangenheit angehören und nicht mehr existieren. Gewiß, es war sein Entschluß, den er aus Überzeugung und erfüllt von neuem Tatendrang gefaßt hatte. Doch Hesekiel Ramsgate kannte auch die Momente im Leben, die einem Mann Angst vor den eigenen Entscheidungen einflößen konnten. Und das war gut so. Es schützte vor Leichtfertigkeit. Die beiden Neubauten waren die letzten, die auf der Werft von Rame Head ihrer Vollendung entgegengingen. Danach, so hatte Ramsgate beschlossen, würde er den Seewolf und seine Männer in die Karibik begleiten. Die Werftarbeiter hatten Hervorragendes geleistet und wie wild geschuftet. Schon sehr bald, beim Stapellauf, konnten sie stolz sein auf die Früchte ihrer Arbeit. Noch ruhten die beiden schlanken Schiffsrümpfe auf einem wahren Dschungel von Kanthölzern und Verstrebungen. Beide Schiffe ähnelten in ihren Konstruktionsmerkmalen der „Isabella IX.“, waren jedoch geringfügig kleiner. Jean Ribault liebte wendige, schnelle Schiffe, und Hesekiel Ramsgate hatte in allen Einzelheiten exakt das verwirklicht, was sich der Franzose vorgestellt hatte. Der graubärtige Schiffbaumeister schlenderte mit prüfenden Blicken an den Neubauten entlang, wechselte ein paar Worte mit den Arbeitern und erwiderte den Gruß Jean Ribaults, der ihm von hoch oben, vom Schanzkleid der künftigen „Le Vengeur III.“ zuwinkte. Der schlanke, dunkelhaarige Franzose zog sich zurück, um sich seiner täglichen Lieblingsbeschäftigung zuzuwenden, nämlich in den unteren Decksräumen umherzukriechen und das neue Schiff Quadratinch für Quadratinch zu erforschen. Ramsgate wußte indessen, daß Ribault keineswegs den Besserwisser spielte. Es
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ging ihm lediglich darum, sein künftiges Schiff bis ins kleinste Detail kennenzulernen. An der Ausführung der Arbeiten hatte er kein einziges Mal Kritik geübt. Das wiederum erfüllte Hesekiel Ramsgate mit Stolz, bestätigte es ihm doch, daß seine Männer und er nur hochwertige Qualität lieferten. Ramsgate ging weiter, auf die Helling zu, die bald zum letztenmal für einen Stapellauf dienen würde. Er war im Begriff, den hoch aufragenden Bug des Schiffsneubaues zu umrunden, als er den Verband sah, der auf Rame Head zuhielt. Der graubärtige Mann verharrte, spähte seewärts und runzelte die Stirn. Zwei Galeonen und drei Karavellen waren es, alle mit beachtlicher Armierung. Daß es sich um Schiffe der Königlichen Marine handelte, erkannte Ramsgate trotz der Entfernung. Und auf Anhieb witterte er den Verdruß, der buchstäblich in der Luft lag. Er mußte an das Auftauchen des Hofbeamten Dudley denken. Das Nachspiel, das Dudley angedroht hatte, schien bevorzustehen. Der Kurs des Fünferverbandes war so eindeutig, daß Ramsgate keinen Augenblick daran zweifelte. Erstaunlich war nur, wie schnell diese Reaktion erfolgte. Alles Weitere spielte sich haargenau so ab, wie der Schiffbaumeister befürchtet hatte. Die beiden Galeonen und die drei Karavellen ankerten in Kanonenschußweite vor der Werft. Schneidende Kommandos wehten herüber, Boote wurden abgefiert, zwei Jollen von jeder Galeone und je eine von den Karavellen, also insgesamt sieben Boote, und alle waren mit Seesoldaten besetzt, deren Helme matt blinkten. Die Riemenblätter peitschten das Wasser mit hoher Schlagzahl. Hesekiel Ramsgate stand wie erstarrt. Das glich einer Invasion. Wer es auch war, der diese Truppe von bestimmt siebzig Mann an Land scheuchte - er beabsichtigte offenbar, eine nicht vorhandene Festung zu erobern.
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Ramsgate spielte mit dem Gedanken, Alarm zu schlagen und die Arbeiter im Eiltempo nach Hause zu schicken. Doch er verwarf diese Überlegung sofort wieder. Er hatte nichts zu verbergen, und niemand auf seiner Werft hatte einen Grund, sich zu verkriechen. Egal, was dieses Landungsmanöver zu bedeuten hatte derjenige, der es inszenierte, sollte nicht glauben, daß man vor ihm den Schwanz einzog und ein schlechtes Gewissen vorspielte, das gar nicht vorhanden war. So verzichtete Hesekiel Ramsgate auch darauf, seinen Auftraggeber zu verständigen. Wenn Ribault schlau war, versteckte er sich im Schiffsrumpf und gab keinen Ton von sich, bis der Spuk vorüber war. Die ersten Boote knirschten mit ihren Kielen auf das flache, steinige Ufer. Soldaten mit hohen Stulpenstiefeln sprangen ins seichte Wasser und zogen die Boote höher. Dann halfen sie einem an Land, der auf der Achterducht der größten Jolle gesessen hatte und ohne Zweifel der Kopf des Unternehmens war. Das zeigte sich nicht allein an seiner kalten und herablassenden Art, mit der er die Soldaten behandelte. Auch durch seine elegante Kleidung hob sich der Mann deutlich von den Uniformierten ab. Er trug eine lange blaue Jacke, an der dichte Reihen von silbernen Knöpfen funkelten. Von der gleichen blauen Farbe war die knielange Hose. Darunter leuchteten blütenweiße Strümpfe, und die kostbaren Schnallenschuhe waren so gründlich poliert, daß man sich darin spiegeln konnte. Der Mann sah sich kurz um und rief den Soldaten schnarrende Befehle zu. Nachdem sie sich formiert hatten, setzte er sich an die Spitze der „Invasionstruppe“ und marschierte auf den Neubau der „Le Vengeur III.“ zu. Nach und nach erstarb das Hämmern und Sägen auf dem Werftgelände. Ramsgates Männer hatten längst beobachtet, was sich dort an der Wasserseite der Werft abspielte.
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„Sir!“ rief einer der Arbeiter hinter dem Rücken des Schiffbaumeisters. „Sollen wir den Kerlen ein paar Kanthölzer um die Ohren hauen?“ Ramsgate erschrak. Gleichzeitig erfüllte ihn der Vorschlag mit geheimer Freude. Seine Männer waren bereit, für ihn, für ihre gemeinsame Sache in die Hölle zu marschieren. Aber sie hatten keine Chance. und es sollte kein Blutvergießen geben. Denn letzteres würde unweigerlich der Fall sein, wenn sie sich zur Wehr setzten. „Nein“, sagte Ramsgate energisch, indem er sich nur halb umwandte, „ihr bleibt, wo ihr seid. Keiner rührt sich vom Fleck, verstanden?“ „Ja, Sir.“ In strammem Marschschritt waren die Soldaten inzwischen herangerückt. Auf einen Wink des Elegantgekleideten gab ein Offizier heiser bellend das Kommando zum Halten. Die Stiefel knallten aneinander, Musketenkolben wurden wie mit einem einzigen Schlag auf den Boden gesetzt. Hesekiel Ramsgate blieb ruhig, als der Anführer des Unternehmens mit kurzen, stelzenden Schritten auf ihn zuging und dann breitbeinig stehenblieb. Er erkannte auf Anhieb, mit was für einem Burschen er es hier zu tun hatte - einem von der menschenverachtenden Sorte, einem, der auf alles herabblickte und mit Füßen trat, was nicht von gleichem Rang und Stand war wie er. Dieses gepuderte Gesicht mit dem schmalen und verkniffenen Mund und den mitleidlosen Augen sprach Bände. „Mein Name ist Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland. Spreche ich mit dem Inhaber dieser Werft?“ „So ist es, Sir. Ich bin Hesekiel Ramsgate.“ Er blieb beherrscht und zwang sich, seine Worte so höflich klingen zu lassen wie nur möglich. „Darf ich fragen, was die vielen Soldaten zu bedeuten haben?“ „Die Werft wird inspiziert“, erklärte Sir Andrew schroff. „Order der Königin.“ Er wandte sich zur Seite, ohne den Schiffbaumeister weiter zu beachten. Mit einer herrischen Geste winkte er zwei Soldaten heran und befahl ihnen; die
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Jakobsleiter straff zu halten, die vom Schanzkleid des Schiffneubaues niederhing. In steifer Haltung begann er aufzuentern. „Ich protestiere!“ rief Hesekiel Ramsgate. „Sie haben kein Recht dazu.“ Sir Andrew hielt nur kurz inne, und seine Worte waren wie ein Hieb. „Ich warne Sie, Ramsgate. Wollen Sie das Recht der Königin anzweifeln? Zügeln Sie Ihre Zunge, oder ich lasse Sie auf der Stelle in Ketten legen!“ * Jean Ribault schwang sich mit einem kraftvollen Klimmzug aus der noch offenen Luke des vorderen Laderaums nach oben. Fast lautlos landete er auf den Decksplanken. „... auf der Stelle in Ketten legen!“ hörte er diese verächtliche und herablassende Stimme jetzt in voller Lautstärke. Es reichte. Er spürte, wie die Wut in ihm zu kochen begann. Was er vorher nur gedämpft mitgekriegt hatte, war schon genug gewesen, um ihn in Rage zu versetzen. Geduckt schlich er über die Planken und verharrte im Schutz des Schanzkleides an Backbord. Was auch immer dieser aufgeblasene Halunke beabsichtigte, er sollte seine Überraschung erleben. Jean Ribault war voller Empörung darüber, daß man sein Eigentum als einen zur Besichtigung freigegebenen Gegenstand betrachtete. Das gepuderte Gesicht tauchte über der Verschanzung auf, und umständlich kletterte Sir Andrew an Bord. Da er Ribault in diesem Moment den Rücken zuwandte, bemerkte er die Gefahr viel zu spät. Mit raubtierhafter Gewandtheit war der Franzose bei dem ehrenwerten Sir, packte ihn an der Schulter und drehte ihn wie einen Kreisel herum. Wie vom Blitz getroffen zuckte er zusammen, als Ribault ihn am Kragen seiner teuren Jacke ergriff. „Haben Sie um Erlaubnis gebeten, mein Schiff betreten zu dürfen?“ zischte Ribault.
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Starr vor Entsetzen, brachte Sir Andrew nicht sofort eine Antwort heraus. Seine Gesichtsmuskeln begannen zu zucken. Dann, als er sich gegen den eisenharten Griff des Franzosen zu wehren versuchte, mußte er feststellen, daß er der Körperkraft dieses Mannes fast nichts entgegenzusetzen hatte. „Was erdreisten Sie sich!“ schrie Sir Andrew schrill mit sich überschlagender Stimme. „Wissen Sie nicht, wen Sie vor sich haben? Nehmen Sie auf der Stelle Ihre dreckigen Finger weg, oder ...“ Er verstummte, als Ribault ihn mit einem jähen Ruck näher zu sich heranzog. Die dunklen Augen des Franzosen sprühten gefährlich. „Damit Sie wissen, wen Sie vor sich haben“, sagte er leise und drohend, „mein Name ist Jean Ribault. Ich bin der Eigner dieses Schiffes, und ich dulde nicht, daß Leute wie Sie mein Eigentum in irgendeiner Weise antasten!“ Sir Andrew lief purpurrot an. Er riß den Mund auf und wollte losbrüllen. Doch alles Weitere geschah viel zu schnell. Ribault ließ ihn plötzlich los und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige, die ihn quer über die Decksplanken schleuderte. Sir Andrew quiekte vor Schmerz und Schreck. Im nächsten Moment krachte er mit dem Rücken gegen den Großmast und sackte zusammen. Auf seinem immer noch geröteten Gesicht zeichneten sich Ribaults Finger weiß und scharf umrandet ab. Bevor er sich jedoch aufrappeln konnte, war der schlanke und katzenhaft gewandte Mann schon wieder bei ihm, packte ihn abermals am Kragen und stellte ihn mühelos auf die Beine. Ein unbarmherziger Fausthieb schleuderte den hochwohlgeborenen Sir bis zum Quarterdecksniedergang an Steuerbord. Dort sank er in sich zusammen und rührte sich nicht mehr. Ribault wirbelte herum. Keinen Augenblick zu spät, denn ein behelmter Kopf tauchte an Backbord auf. Mit zwei, drei federnden Sätzen war Ribault beim Schanzkleid und versetzte dem Soldaten einen brettharten Hieb gegen
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den Brustkasten. Die Finger des Mannes lösten sich von der Jakobsleiter, mit einem gellenden Aufschrei stürzte er rücklings in die Tiefe. Der Zufall wollte es, daß haargenau in seiner Sturzrichtung ein großer Holzbottich mit noch warmem Pech stand. Klatschend landete der Soldat in der schwarzen Brühe. Sein Schrei erstarb in einem Gurgeln. Gleich darauf erhielt Ribault Besuch von einem zweiten Mann, den er auf die gleiche Weise abwärts beförderte. Dann jedoch wendete sich das Blatt. Ein schneidender Befehl ertönte. Ribault sah noch, wie die beiden Gestalten schwarz und triefend aus dem Pech auftauchten. mit immerhin unversehrten Knochen. Dann zog er sich mit einem Sprung vom Schanzkleid zurück, denn vier Soldaten gingen unten eilends in Stellung und brachten ihre Musketen in Anschlag. „Feuer!“ gellte die schneidende Stimme. Die vier Musketen krachten, und es klang wie ein einziger Schlag. Jean Ribault glaubte die Kugeln zu sehen, wie sie haarscharf am Schanzkleid vorbei in den Himmel rasten. Pulverrauch wölkte auf. Und jetzt waren auch polternde Geräusche zu hören, Stiefel, die gegen die Bordwand der „Le Vengeur III.“ schlugen. Soldaten enterten abermals auf, und diesmal würden sie sich nicht mehr so ohne weiteres abwehren lassen. „Zweite Gruppe - Feuer!“ ertönte unten die Befehlsstimme von neuem, und wieder krachten mehrere Musketen. Ribault schüttelte fassungslos den Kopf. Sie betrieben einen mächtigen Aufwand, um es mit einem einzigen Mann aufzunehmen. Er blieb vor dem Großmastfuß stehen, bereit, sich abzustoßen und den Angreifern entgegenzustürmen. Mit einem entschlossenen Ruck zog er den Säbel aus der Scheide. Einen Atemzug später schob sich der nächste Soldat über das Schanzkleid. Der Mann hielt eine schußbereite Steinschloßpistole in der Rechten. Mit einem Satz schwang er sich auf die Planken und richtete die großkalibrige
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Laufmündung auf den Franzosen. Sofort war der zweite Soldat zur Stelle, gleichfalls mit einer Pistole bewaffnet. Ribault ließ den Säbel sinken. Er war kein Selbstmörder, und eine Pistole hatte er nicht bei sich. Kein Mensch konnte damit rechnen, auf einem friedlichen Werftgrundstück heimtückisch überfallen zu werden. Innerhalb von wenigen Sekunden verdreifachte sich die Zahl der Soldaten an Deck. Ribault stieß den Säbel zurück in die Scheide und hob die Arme. Einer der Soldaten brüllte nach unten, daß der Fall erledigt sei. Aus den Augenwinkeln heraus sah Ribault, wie der Geck, der sich Ramsgate gegenüber als Sir Andrew Clifford vorgestellt hatte, stöhnend auf die Beine gelangte. Mit wutverzerrtem Gesicht und noch leicht schwankend stelzte er auf die Soldaten zu. „Schafft ihn weg!“ schrie er und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Ribault, ohne ihn jedoch eines Blickes zu würdigen. „Der Mann wird in Eisen gelegt und an Bord meines Schiffes gebracht. Er wird verhört und dann gehängt.“ Jean Ribault glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Woher nahm dieser aufgeblasene Hanswurst das Recht, sich hier derart aufzuspielen? Und das noch mit Unterstützung königlicher Soldaten! Was hier passierte. war eine Dreistigkeit sondergleichen. Und die Hintergründe, davon war Ribault überzeugt; konnte er noch nicht einmal ahnen. Sir Andrew ging steifbeinig auf das Schanzkleid zu, um abzuentern. Jean Ribault sah noch, daß das rechte Auge des hochwohlgeborenen Halunken dunkelblau anzulaufen begann. Ein schwacher Trost. Er leistete keinen Widerstand, als zwei Soldaten ihn packten und zur Jakobsleiter bugsierten. Ein Mann mußte den Zeitpunkt erkennen können, an dem es sinnlos wurde, weiterzukämpfen. Mit ungläubig geweiteten Augen beobachtete Hesekiel Ramsgate, wie Jean Ribault abgeführt und zu einem der Boote gebracht wurde.
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Sir Andrew verfolgte das Geschehen mit wohlgefälligem Nicken, wobei er die Hände auf den Rücken gelegt hatte. An die sechzig Seesoldaten standen noch in Reih und Glied vor dem Schiffsneubau, während die erste Gruppe mit dem Gefangenen bereits auf die ankernden Schiffe zupullte. Sir Andrew wandte sich wieder dem Schiffbaumeister zu, hob in seiner verächtlichen Art den Kopf und blickte seinen Gegenüber aus halb geschlossenen Augen an. Bei jenem, das nun schon blauschwarz gerändert war, fiel ihm das nicht sonderlich schwer. Ramsgate hütete sich, darüber schadenfroh zu grinsen, obwohl ihm danach zumute war. Der sehr ehrenwerte Earl of Cumberland war in seinem derzeitigen Gemütszustand unberechenbar. „Damit Sie Bescheid wissen“, sagte Sir Andrew herablassend, „die beiden Neubauten sind hiermit beschlagnahmt. Ab sofort werden Sie nur noch Schiffe der Krone bauen. Bei Nichtbefolgung droht Ihnen die Todesstrafe. Das ist eine Order Ihrer Majestät Königin Elizabeths.“ Ramsgate wußte augenblicklich, daß der Mann log. Niemals würde die königliche Lissy eine solche Order erteilen, denn sie kannte Philip Hasard Killigrew und wußte auch von dessen freundschaftlichem Verhältnis zu dem Schiffbaumeister von Rame Head. Aber dieser selbstherrliche Bursche, der hier mit seiner Streitmacht aufmarschiert war, hatte mit Sicherheit eine Menge einflußreiche Freunde bei Hof. Und mit solchen Beziehungen konnte man auch die hinterhältigsten Winkelzüge vollführen, ohne daß die Königin jemals davon erfuhr. Für Hesekiel Ramsgate war das Maß voll. Es reichte jetzt. Noch mehr dieser Unverschämtheiten ließ er sich nicht bieten. „Auf Ihre angebliche Order pfeife ich!“ brüllte er und stemmte wütend die Fäuste in die Hüften. „Bisher hat die Krone meine Schiffe abgelehnt, weil sie angeblich zu modern sind und nicht den Vorstellungen der Navy entsprechen. Jetzt, auf einmal,
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will die Krone meine Werft beschlagnahmen? Und die Neubauten auch noch? Hören Sie, so was können Sie einem erzählen, der sich die Hosen mit der Kneifzange anzieht!“ Sir Andrew erbleichte. Einen Moment schnappte er nach Luft. „Reißen Sie sich zusammen, Mann!“ schrie er dann. „Hier handelt es sich um einen Befehl von höchster Stelle. Und den haben Sie zu befolgen!“ „Einen Dreck werde ich tun!“ brüllte Ramsgate zurück. „Diese Werft ist geschlossen, sobald die beiden Neubauten fertig sind! Denn die sind längst bezahlt und können von niemandem beschlagnahmt werden, auch nicht von der englischen Krone!“ Sir Andrew starrte den wütenden graubärtigen Mann ungläubig an. Was dieser Ramsgate sich herausnahm, war nicht nur ein Höchstmaß an Dreistigkeit gegenüber einem Vertreter des Adelsstandes, nein, es mußte mehr dahinterstecken. Dieser Ramsgate schien eine gewisse Rückenstärkung zu haben, denn sonst konnte er sich kaum so aufführen. Wenn das so war, dann handelte es sich zweifellos um den verdammten Killigrew, der hinter allem steckte. Jetzt verlor auch Sir Andrew die Beherrschung. „Festnehmen den Kerl!“ schrie er den Offizier an, der ihm am nächsten stand. „Bringt ihn auf mein Schiff, und dann wird er verhört, bis er redet. Aber ich will ihn lebend. Ihm und dem anderen Bastard lösen wir die Zunge, so wahr ich Earl of Cumberland bin. Und dann - ja, dann holen wir uns diesen verfluchten Seewolf.“ Hesekiel Ramsgate gab seinen Werftarbeitern ein verstohlenes Zeichen, um Himmels willen keinen Widerstand zu leisten. Angesichts von sechzig schwerbewaffneten Seesoldaten wäre das heller Wahnsinn gewesen. Wortlos und ohne die geringste Gegenwehr ließ sich der graubärtige Mann abführen. Wenn es eine Gerechtigkeit gab, dann würde dieses adlige Schlitzohr nicht ungestraft bleiben.
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Dan O'Flynn und Ferris Tucker verharrten regungslos hinter einem mächtigen Stapel von Kanthölzern, kaum mehr als eine Steinwurfweite von der „Le Vengeur III.“ entfernt. Fast jedes Wort, das gefallen war, hatten sie mitgehört, und jetzt, während es zu dämmern begann, beobachteten sie voller Zorn, wie Hesekiel Ramsgate zu den ankernden Schiffen hinausgepullt wurde. Dan und Ferris fiel es höllisch schwer, ihren Grimm hinunterzuschlucken. Gewiß, sie hätten die anderen herbeiholen können, die mit der kleinen Jolle hinter einer Landzunge warteten - in Sicherheit, außer Sichtweite. Aber es wäre unklug gewesen, und niemals hätte Hasard eine solche Entscheidung angesichts der Übermacht von sechzig Seesoldaten gebilligt. Mit zusammengepreßten Lippen beobachteten die beiden Männer, wie Sir Andrew in aller Ruhe begann, die Schiffsneubauten zu inspizieren. Wie es der blasierte Kerl angestellt hatte, so rasch nach seiner Aussetzung an der Cardigan Bay mit einem kompletten Verband in Plymouth aufzukreuzen, war vorerst noch ein Rätsel. „Prachtvolle Schiffe“, flüsterte Ferris Tucker, „die brauchen sich beide hinter der ‚Isabella' nicht zu verstecken.“ „Wenn sie überhaupt noch gemeinsam mit uns auslaufen“, erwiderte Dan O'Flynn ebenso leise. „Im Moment sieht es ganz und gar nicht danach aus.“ Der rothaarige Schiffszimmermann der „Isabella“ nickte und presste grimmig die Lippen aufeinander. Es war ein Trauerspiel, was hier auf der Ramsgate-Werft ablief. Das schlimmste war im Augenblick, daß man tatenlos zusehen mußte. Aber der adlige Strolch würde noch eine Menge Schwierigkeiten kriegen, und zwar sehr bald. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Sir Andrew verließ jetzt die „Le Vengeur III.“ und stolzierte hinüber zu dem zweiten Neubau, einer gleichfalls großen und stark armierten Galeone. Keine Frage, daß der noble Sir solche modernen Schiffe wie
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diese noch nie gesehen hatte -außer der „Isabella“, von der er allerdings überwiegend nur die Vorpiek zu Gesicht bekommen hatte. „Diesen Schnösel könnte ich unangespitzt in den Boden rammen“, sagte Ferris leise und knurrend. „Ich sage dir, Dan, wir haben einen großen Fehler begangen. Es war falsch, ihn an Land zu setzen. Du siehst, was daraus wird. Dreck schwimmt immer sofort wieder oben.“ „Hasard konnte nicht anders entscheiden“, widersprach Dan O'Flynn halblaut. „Wahrscheinlich nicht, das sehe ich ein. Aber wenn man das geahnt hätte, verdammt noch mal, dann hätte man den Kerl auf einer unbewohnten Insel aussetzen sollen. Mitsamt seiner Adelsclique.“ „Wenn und Aber bringen uns jetzt nicht weiter. Warten wir ab, was sich noch tut. Und dann verschwinden wir schleunigst. Hasard muß so schnell wie möglich erfahren, was passiert ist.“ Sie brauchten nicht lange zu warten, um zu sehen, wie Sir Andrew seine Besichtigung des zweiten Neubaues beendete. Dann marschierte er an der Spitze der Soldaten zurück zu den am Ufer liegenden Booten. Minuten später war es, als hätte sich der ganze Spuk in der einsetzenden Dunkelheit verflüchtigt. Die Werftarbeiter standen ratlos und mit verbissenen Gesichtern da. Keiner von ihnen mochte nach Hause gehen. Die Vorstellung, einfach nichts tun zu können, ging ihnen höllisch gegen den Strich. Das wußten Dan und Ferris, denn sie kannten diese aufrechten Männer, die für Hesekiel Ramsgate arbeiteten. Sobald die Boote des ehrenwerten Sir Andrew außer Sichtweite waren, liefen die beiden Männer von der „Isabella“ zu ihrer Jolle zurück. Im Hafen von Plymouth herrschte auch zu dieser Stunde noch rege Betriebsamkeit, so daß sie das kleine Segel setzen und unauffällig Kurs auf die Mill Bay nehmen konnten. *
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„Ich freue mich, Sie an Bord meines Schiffes begrüßen zu können, Sir James“, sagte der Seewolf. Er führte den Gast in die Behaglichkeit der Kapitänskammer, wo Thorfin Njal, Ben Brighton, Arne von Manteuffel und Nils Larsen - als Übersetzer für Arne - bereits warteten. „Und mir ist es eine Ehre. Sie endlich einmal persönlich kennenzulernen, Sir Hasard“, entgegnete der schlanke, hochgewachsene Mann, dessen Kleidung von schlichter Eleganz war. Er begrüßte die Männer, die der Seewolf ihm vorstellte. Sir James Hamilton, der Kurier Lord Clivedens, war ein überaus intelligenter Mann, der auf See bereits große Verdienste erworben hatte. Er hatte in der Schlacht gegen die Armada mitgekämpft und nicht zuletzt dadurch auch eine Menge über Philip Hasard Killigrew erfahren. Sir James war etwa vierzig Jahre alt, seine hohe Stirn wurde von vollem, dunklem Haar umrahmt. Durch einen Boten hatte er dem Seewolf vor einer knappen halben Stunde seine Ankunft in Plymouth melden lassen. Dann, nach einem nur kurzen Aufenthalt in seiner Unterkunft, war Sir James sofort zum Liegeplatz der „Isabella“ an der Mill Bay geeilt. Hasard kredenzte einen edlen spanischen Rotwein und begann unverzüglich mit seinem Bericht über die erfolgreich verlaufene Mission in der Ostsee. Auch der Wikinger hatte dabei Gelegenheit, von jenen Geschehnissen zu erfahren, die ihm noch nicht bekannt waren. Sir James unterbrach den Seewolf kaum und hörte aufmerksam zu. Als die Rede auf Arne von Manteuffel und die tragischen Geschehnisse um seine Verlobte kam, trat ein Ausdruck aufrichtigen Mitgefühls in das Gesicht des hohen Gastes. „Worte sind wenig hilfreich, Mister von Manteuffel“, sagte Sir James, „trotzdem möchte ich Ihnen meine herzliche Anteilnahme aussprechen. Ich glaube, Ihre Gefühle nachempfinden zu können.“ „Ich danke Ihnen“, entgegnete Arne leise, nachdem Nils Larsen übersetzt hatte. „Es ist die Zeit, die am hilfreichsten ist. Je
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weiter die Vergangenheit zurückliegt, desto besser kann man mit ihr fertig werden, denke ich. Für mich war es ein besonderes Glück, daß ich meinen Vetter Hasard traf. Ich habe mich ihm angeschlossen, und dabei wird es bleiben.“ Der Seewolf lächelte dankbar. „Ohne Arne hätten wir einen Teil unseres Ostsee-Auftrags nicht bewältigen können. Das muß einmal gesagt werden.“ Arne winkte verlegen ab. Abgesehen von seinem blonden Haar, sah er seinem Vetter ähnlich wie ein Bruder. „Die besondere Problematik des Bernsteinhandels läßt sich nicht vom Tisch fegen“, sagte er, „daran kann auch ich nichts ändern.“ „Aber du hast uns geholfen, die richtigen Quellen zu finden und die Hintergründe kennenzulernen. Wer auch immer sich von England aus in den Bernsteinhandel einschaltet, er wird nicht wie ein Elefant in den Porzellanladen tappen.“ „Ich bin sicher, daß diese Dinge sich mit der Zeit regeln lassen“, sagte Sir James. „König Sigismund von Polen wird es auf die Dauer nicht durchhalten, das Bernsteinmonopol zu beanspruchen. Im übrigen wird die englische Krone stets auf der Seite der ehrlichen Handelsleute stehen. Auch in dieser Beziehung haben Sie uns wertvolle Aufschlüsse geliefert, Sir Hasard. All Ihre Informationen werden sorgfältig notiert und später von den zuständigen Stellen des Handelsministeriums ausgewertet.“ Der Seewolf nickte. „Was Holz, Felle und andere Massengüter betrifft, dürfte es kaum Schwierigkeiten geben. Vor allem die finnischen Händler sind in der Lage, Hölzer von bester Qualität zu liefern. Ich nehme an, daß das für den englischen Schiffbau noch von besonderer Bedeutung sein wird.“ „Ohne Zweifel“, erwiderte Sir James. „Wie steht es mit Ihrer Ladung?“ „Wir haben bereits angefangen, die Güter in einem Schuppen einlagern zu lassen. Neben meiner Crew arbeiten auch die Männer vom Schwarzen Segler und von der ,Wappen von Kolberg` mit. Ich denke,
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daß wir die Löscharbeiten sehr bald abschließen können.“ „Ausgezeichnet“, sagte der Kurier Lord Clivedens. „Ich werde dafür sorgen, daß Stadtsoldaten die Bewachung des Schuppens übernehmen. Der zuständige Kommandant wird mit seinem Leben für die Ostseegüter haften.“ Hasard lehnte sich zurück. „Es gibt noch einige andere Dinge, die uns im Magen liegen“, sagte er rundheraus. „Und zwar handelte es sich um einen gewissen Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland.“ Sir James zog die Augenbrauen hoch. „Erzählen Sie“, forderte er knapp. In kurzen Zügen begann Hasard die Begegnung mit der „Goliath“ vor der Südküste Schwedens zu schildern. Dann berichtete er über das unerfreuliche Wiedersehen mit Sir Andrew vor Rockall Island. Sir James Hamilton wurde mit jedem Satz nachdenklicher. * Die Dunkelheit hatte sich über Plymouth gesenkt. In den Hafengassen und an den Piers wurden die Pechlichter angezündet. Immer noch schwebten von den düsteren Wolken feine Regenschwaden nieder, von einem mäßigen Wind durch die Stadt getrieben. In den Bürgervierteln war Ruhe eingekehrt, mattes Licht hinter kleinen Fenstern ließ die Gemütlichkeit in den Wohnungen ahnen. Rund um die Mill Bay begann der Hochbetrieb in den Schenken. Heisere Männerstimmen drangen ins Freie, dazu das Kichern und Kreischen jener Frauen, die sich in dieser Umgebung heimisch fühlten. Nathaniel Plymson hastete auf die Pier zu, an der die „Isabella“ und die beiden anderen Schiffe vertäut lagen. Der feiste Schankwirt schwitzte unter seiner Perücke. Das Unbehagen trieb ihm dicke Schweißperlen auf die Stirn, dennoch hielt es ihn nicht zurück. Eine Art von Pflichtgefühl beseelte ihn - stärker als das Bewußtsein, daß er sich schnurstracks in die Höhle jener Löwen begab, die
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regelmäßig seine „Bloody Mary“ zu Kleinholz verarbeiteten. Sein Unbehagen wuchs, sobald er nur daran dachte, daß sie ihn zur Rede stellen würden. Carberry und die anderen Kerle vergaßen garantiert nicht so schnell, daß sie vor verschlossener Tür gestanden hatten. Sosehr Plymson sein Hirn auch zermarterte, ihm fiel keine Entschuldigung ein, die sie ihm abkaufen würden. Er erschrak fast, als er unvermittelt vor der Stelling der „Isabella“ stand. Zaudernd blickte er nach oben. Ein Teil der Ladung war bereits gelöscht worden, das erkannte man deutlich am steilen Winkel der Stelling. Plymson griff nach seiner Perücke, die verrutscht war. Das verdammte Ding wollte sich einfach nicht mehr in die richtige Lage bringen lassen. Er seufzte und schickte sich an aufzuentern. Im selben Moment huschte ein Schatten durch die Pforte im Schanzkleid, fegte die Stelling hinunter und wie ein Blitz auf ihn zu. Plymson riß erschrocken die Hände hoch und wollte zurückweichen. Doch mehr als einen unsicheren Schritt schaffte er nicht. Das hechelnde graue Ungeheuer bremste seinen Ansturm haargenau vor ihm, richtete sich kerzengerade auf und warf ihm beide Vorderpfoten auf die Schultern. Plymson erstarrte zur Regungslosigkeit und hatte das Gefühl, von einem bärenstarken Kerl in die Knie gedrückt zu werden. Mit angstvoll aufgerissenen Augen sah er die weiß schimmernden Reißzähne und die funkelnden Wolfsaugen. Doch seltsamerweise gab das Untier kein zorniges Knurren von sich, nur dieses aufgeregte Hecheln. Ehe der Schankwirt einen weiteren Gedanken fassen konnte, spürte er eine feuchte, rauhe Zunge, die ihm quer durchs Gesicht fuhr - immer wieder, von links nach rechts und von rechts nach links. „Bitte nicht!“ jammerte Plymson. „Aufhören - laß das sein, du Mistv… du liebes Tierchen, bitte aufhören, um Himmels willen ...“ Er wagte aber nicht, den Wolfshund von sich zu stoßen. Zu
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deutlich leuchtete das mächtige Gebiß vor seinen Augen. Plötzlich erklang ein scharfer Ruf: „Plymmie, zurück!“ „Ja, ich bin's“, keuchte der Schankwirt. „Helfen Sie mir, verdammt noch mal!“ Zu seinem Erstaunen ließ das graue Ungeheuer von ihm ab, winselte und blickte schwanzwedelnd zu ihm auf. Stenmark, der blonde Schwede, schob seinen Kopf über das Schanzkleid. „Plymmie, hierher!“ „Gern, sofort“, erwiderte der Schankwirt, erleichtert, ein bekanntes Gesicht zu sehen. „Nimm aber erst das Vieh weg, sonst ...“ Erstaunt unterbrach er sich, als er sah, wie der Wolfshund eine flinke Kehrtwendung vollführte und mit eingezogenem Schwanz die Stelling „Du bist nicht gemeint, Nathaniel!“ rief Stenmark lachend. „Du hättest Plymmie längst kennengelernt, wenn dein Laden nicht dicht gewesen wäre, als wir dich besuchen wollten. Aber wie es aussieht, kann sie dich verdammt gut leiden. Das ist ein Wunder. Du solltest mächtig stolz darauf sein. Hunde erkennen, ob ein Kerl eine gute Seele hat oder nicht.“ „Sie?“ ächzte Plymson entgeistert. „Eine Hündin mit meinem Namen? Ich bin doch nicht weiblich!“ „Eher weibisch, wie?“ Stenmark lachte schallend. Dann wurde er ernst. „Was willst du? Weshalb kriechst du aus deiner Räuberhöhle und tauchst hier auf?“ „Ich muß deinen Kapitän sprechen“, sagte der Schankwirt hastig, „es ist dringend, unerhört dringend.“ Stenmark runzelte die Stirn. Dann trat er durch die Stückpforte, lief mit federnden Sätzen die Stelling hinunter und packte den Feisten am Kragen. Plymson begann zu schlottern, und seine Perücke rutschte ihm über das rechte Ohr. „Heraus mit der Sprache!“ sagte Stenmark drohend. „Jeder von uns kennt dich. Du willst mir doch nicht erzählen, daß du was Anständiges im Sinn hast.“ „Laß mich los!“ schrie Plymson erregt. „Du kannst von mir aus denken, was du
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willst! Ich verlange, auf der Stelle Sir Hasard zu sprechen.“ Dann mußt du schon einen verdammt guten Grund haben. Und das nehme ich dir einfach nicht ab, alter Freund und Bierpanscher.“ „Das wird dir noch leid tun“, ereiferte sich Plymson. Vergeblich versuchte er, sich aus dem Griff Stenmarks zu entwinden, und der Schweiß lief jetzt in Strömen über sein Gesicht. „Es handelt sich um euren Freund Ribault und um den alten Ramsgate.“ „Was ist mit ihnen?“ „Denen geht es an den Kragen, verdammt! Man hat sie festgenommen, und sie werden gehängt, wenn keiner was unternimmt. Ich sag's dir jetzt zum letzten Mal, Stenmark: Ich muß Sir Hasard sprechen.“ Stenmark runzelte die Stirn, lockerte seinen Griff, und dann ließ er den Feisten los. „Ich warne dich, Plymson. Wenn du dich hier aufspielst und uns zum Narren halten willst ...“ Der Schankwirt schniefte beleidigt. „Also gut. Ich habe keine Lust mehr. Wozu rege ich mich auf? Wenn du nicht kapieren willst, was für euch wichtig ist, dann lassen wir das eben.“ Er wandte sich ab, vor sich hin murmelnd: „Da nimmt man so eine Mühe auf sich, und was ist der Dank? Erst wird man von einem Hundevieh abgeschlachtet, und dann ...“ Stenmark packte ihn an der Schulter und zog ihn zurück. Plymson war als gerissener Schmierenkomödiant bekannt. Möglich aber, daß er diesmal eine wahre Geschichte erzählte. Man konnte das zumindest nicht ausschließen. Hasard mußte selbst entscheiden, ob er dem Halunken Glauben schenken wollte. „In Ordnung, an Bord mit dir“, erklärte Stenmark. „Aber ich sage es dir im voraus, Nathaniel: Wenn du versuchst, dem Kapitän einen Bären aufzubinden, läßt er dich kielholen und anschließend geteert und gefedert an der Großrah zum Trocknen aufhängen. Klar?“ „Ich bin ja nicht von gestern“, sagte Plymson maulend.
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„Das habe ich nie angenommen“, entgegnete Stenmark grinsend. Er ging voraus, und der dicke Schankwirt folgte ihm, schnaufend wie ein Walroß. Gehorsam wartete Plymson am Schanzkleid der Kuhl, während sich der blonde Schwede in Richtung Achterdecksräume entfernte. Aus dem Mannschaftslogis waren die rauhen Stimmen der Crew nur gedämpft zu hören. Nervös trat der Feiste von einem Bein auf das andere. Er hatte kein Verlangen, einem von den Rauhbeinen zu begegnen. Und eine leise innere Stimme meldete sich, die Plymson sagte, daß es vielleicht doch ein irrwitziger Entschluß gewesen war, sich ausgerechnet auf dieses stolze Schiff zu wagen. Polternde Geräusche waren unvermittelt zu hören, dann Schritte. Plymson fuhr erschrocken herum. Die Statur, die dort von dem Galion her auf der Back auftauchte, kannte er nur zu gut. Der Schankwirt wünschte sich ein Loch, das sich für ihn auftun sollte, damit er darin verschwinden konnte. Aber es gab keine gütige Macht, die ihm diesen Wunsch erfüllte. Oberhalb des Niedergangs an Steuerbord blieb Edwin Carberry verblüfft stehen. Im Schein der Deckslaterne war Plymsons Leibesfülle eindeutig zu erkennen. Der Profos wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, schüttelte den Kopf und blinzelte - zwecklos. Das Bild war keine Luftspiegelung oder so was. Nathaniel Plymson war Wirklichkeit - und das an Bord der „Isabella“! „Ich glaube, mich streichelt eine Meerjungfrau!“ rief Carberry dröhnend. „Der liebe alte Plymmie an Bord der ,Isabella`! Das muß im Logbuch notiert werden. Du bist hier, um dich zu entschuldigen, was, wie?“ Plymson knetete verzweifelt seine fleischigen Finger und flehte zum Himmel, daß ihm eine passende Antwort einfallen möge. Im nächsten Moment packte ihn erneutes Entsetzen. Aus dem offenen Kombüsenschott flitzte der graue Schatten,
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den er schon zur Genüge kennengelernt hatte. Jäh durchzuckte ihn die schreckliche Erkenntnis, daß das Hundevieh ja ausgerechnet auf seinen Spitznamen reagierte. „Nein!“ schrie er. „Nicht schon wieder!“ Abwehrend streckte er die Arme aus. Dann riß er die Hände hoch, um sein schweißnasses Gesicht zu schützen. Plymmie hechelte mit freudigem Schwanzwedeln auf ihn zu, sprang an seinem Bauch hoch und beleckte eifrig seine Hände - in Ermangelung der rosigen Schankwirtswangen. Ed Carberry enterte grinsend über den Niedergang zur Kuhl ab. „Ihr hattet schon das Vergnügen, was, wie? Sieht verdammt danach aus, als ob du ein Hundefreund seist, Plymmie. Nur für Menschen hast du neuerdings nichts mehr übrig, stimmt's? Oder warum verrammelst du früh am Abend deinen Laden und sperrst halbverdurstete Seelen aus?“ „Nimm das Vieh weg, um Himmels willen!“ keuchte Plymson. „Wie soll ich denn ein vernünftiges Wort rauskriegen, wenn dieses Monstrum mich dauernd besabbert!“ „Sitz!“ brüllte Carberry. daß Plymson gleich mit zusammenzuckte. Plymmie ließ gehorsam von dem Feisten ab, setzte sich mit heraushängender Zunge neben die Füße des Profos, ihr wedelnder Schwanz fegte jetzt über die Decksplanken. „Da siehst du, was Gehorsam ist“, sagte Carberry mit zufriedenem Brummen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Also: Wie war das vorgestern abend?“ „Eine dringende Familienangelegenheit“, sagte Plymson schnell, „ich mußte Hals über Kopf weg und konnte keine Aushilfe auftreiben. „Seit wann hast du Rübenschwein Familie? Armes England, wenn es noch mehr von deiner Sorte gibt.“ Der Profos beugte sich vor und grinste über sein ganzes wüstes Narbengesicht. „Es könnte nicht zufällig sein, daß du dich vor uns verkrochen hast?“
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Plymson begann zu schlottern, schwitzte noch heftiger, und die Perücke rutschte ihm von der Seite her in die Stirn. Mit zitternden Fingern schob er sie zurück. Im nächsten Moment fühlte er einen Felsbrocken von seinem Herzen poltern, als er Stenmark hörte. „In Ordnung, Plymson. Der Kapitän ist bereit, dich zu empfangen.“ Carberry sperrte den Mund auf. „Himmeldonnerwetter! Wenn das jetzt keinen Gedenktag wert ist, fresse ich eine Ankerklüse.“ Triumphierend wandte sich der Schankwirt ab. 7. Als Stenmark ihn in die Kapitänskammer führte, erbleichte Nathaniel Plymson vor Ehrfurcht. Einen so hohen Offizier wie Sir James Hamilton hatte er nicht im entferntesten hier vermutet. Und die Anwesenheit von Thorfin Njal, Ben Brighton und dem blonden Mann, der dem Seewolf so verteufelt ähnlich sah, trug zu Plymsons Gefühl bei, plötzlich sehr klein und häßlich zu sein. Er senkte den Kopf, starrte krampfhaft auf seinen Bauch und suchte nach den passenden Worten. „Sagen Sie, was Sie zu sagen haben!“ forderte Hasard energisch. „Was soll mit Jean Ribault und Hesekiel Ramsgate passiert sein? Ich rate Ihnen dringend, uns keine Lügen aufzutischen.“ „O nein, Sir, niemals, da kennen Sie mich aber schlecht“, haspelte Plymson los. Dann gab er sich einen Ruck. „Ich habe es von Ramsgates Werftarbeitern erfahren. Ein paar von denen sitzen jetzt noch in der ,Bloody Mary'. Die Jungs sind restlos fertig. Also folgendermaßen, Sir: Da taucht ein Verband von fünf Schiffen der Royal Navy auf, zwei Galeonen und drei Karavellen, und die ankern haargenau vor Rame Head. Ein gewisser Sir Andrew Clifford spaziert mit einer halben Armee an Land und nimmt erst Mister Ribault und dann Mister Ramsgate gefangen. Die Werftarbeiter haben mit eigenen Ohren
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gehört, daß die beiden verhört und gehängt werden sollen. Vor seiner Festnahme hat Mister Ribault diesem Sir Andrew aber noch ein hübsches blaues Auge verpaßt!“ Der Seewolf sah den Schankwirt fassungslos an und brachte nicht sofort eine Antwort heraus. Auch Sir James und die anderen Männer waren sprachlos. „Ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen dies sofort mitzuteilen“, sagte Plymson voller Stolz darüber, daß seine Nachricht nicht ohne Wirkung geblieben war. „Und noch etwas: Dieser saubere Sir soll angeblich planen, im Morgengrauen über Ihre Schiffe hier in der Mill Bay herzufallen. Das haben die Werftarbeiter mitgekriegt, als die Seesoldaten sich unterhielten. Sir Andrew soll ja ziemlich viel Zeit damit verbracht haben, die beiden Schiffsneubauten zu besichtigen.“ Thorfin Njal war es, der als erster reagierte. „Scher dich raus, Plymson!“ brüllte er. „Kein verdammter Holzkopf riskiert so einen Schwachsinn! Nicht mal dieser lausige Sir Andrew ist dämlich genug für so was. Zieh Leine, du Wichtigtuer, bevor ich dir eins auf die Rübe ...“ Hasard unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Ich glaube, es ist etwas Wahres daran“, sagte er beschwichtigend, „so unglaublich das auch klingt. Aber wir haben diesen Fünferverband mit Kurs auf Rame Head selbst gesehen.“ Plymson, der erneut zu schlottern begonnen hatte, atmete auf. „Aber die Geschichte mit Sir Andrew ist doch unwahrscheinlich“, wandte Ben Brighton ein. „Wie sollte der Halunke so schnell hier in Plymouth auftauchen können?“ „Vergiß nicht unseren speziellen Freund, Marquess Henry of Battingham“, entgegnete der Seewolf. „Wenn der Bursche seine Finger im Spiel hat, ist alles denkbar. Der Verband kann längst nach Plymouth unterwegs gewesen sein, bevor wir Sir Andrew aussetzten. Und dann brauchte er nur noch eine schnelle Kutsche.“
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Stimmen waren plötzlich vom Hauptdeck her zu hören, begleitet von eiligen Schritten. Stenmark öffnete das Schott, als jemand dagegen hämmerte. Dan O'Flynn stürmte herein. Seine Miene spiegelte Alarmstimmung, und sein Atem ging keuchend. „Verzeihung, wenn ich hereinplatze“, sagte er mit einem Blick in Sir James Hamiltons Richtung und deutete eine Verbeugung an. „Aber es handelt sich um eine dringende Angelegenheit.“ Der Kurier Lord Clivedens bewegte abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf, womit er zu verstehen gab, daß seine Person nicht von übermäßiger Wichtigkeit sei. „Was ist passiert, Dan?“ rief der Seewolf drängend. Dan O'Flynn streifte den feisten Schankwirt mit einem irritierten Seitenblick. Dann berichtete er in knappen Zügen. „Wir waren Augenzeugen, haben uns aber zurückgehalten, weil wir nichts ausgerichtet hätten. Und jetzt haltet euch fest: Der Verband steht unter dem Kommando von Sir Andrew Clifford. Er ist mit siebzig Seesoldaten aufmarschiert und hat die Werft besetzt.“ Hasard sprang auf. Ein erleichtertes Leuchten glitt über das speckige Gesicht Nathaniel Plymsons. Jetzt ging es nicht anders, jetzt erfuhren alle, daß er die Wahrheit gesagt hatte. „Es stimmt also“, sagte der Seewolf hart, und ein metallischer Klang lag in seiner Stimme. „Mister Plymson hat uns bereits berichtet, daß Jean Ribault und Hesekiel Ramsgate gefangengenommen wurden.“ Dan O'Flynn musterte den Schankwirt erstaunt. „Ja. Wir haben es beobachtet. Es war eine elende Lage, nichts unternehmen zu können. Für Jean und den alten Ramsgate sieht es verdammt miserabel aus. Dieser hochwohlgeborene Schweinehund wird sie foltern lassen. Er hat die Schiffsneubauten lange und gründlich inspiziert. Er will um alles in der Welt herauskriegen, was
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dahintersteckt -und dann wird er sich die Schiffe unter den Nagel reißen.“ Thorfin Njal hieb mit der Faust auf den Tisch, daß es wie ein Donnerschlag krachte. Selbst Sir James zuckte erschrocken zusammen. Alle Blicke hefteten sich auf den Wikinger, der mit einem Ruck aufsprang. Hinter ihm polterte der Stuhl zu Boden. „Niemals!“ brüllte Thorfin, und unter dem Helm rötete sich sein Gesicht vor Zorn. „Dieser Drecksack wird Ribault und Ramsgate nicht anfassen. Und es reicht, daß er mit seinen ungewaschenen Füßen auf unseren nagelneuen Schiffen rumgelatscht ist. Ich sage euch, diesem Dummbeutel reiße ich eigenhändig den Kopf ab.“ Thorfin brüllte sich in Rage. Wütend riß er sein „Messerchen“ aus der Scheide, hob es an und schüttelte es drohend, daß die mächtige Klinge im Lampenlicht funkelte. „Diese gepuderten Lackaffen haben uns lange genug geärgert. Die brauchen Feuer unter dem Hintern, sage ich euch. Und zwar so, daß sie es für den Rest ihres Lebens nicht vergessen.“ Sir James musterte den riesenhaften Nordmann mit deutlichem Respekt. Wer sich diesem Koloß in den Weg stellte, konnte nicht frei von selbstmörderischen Absichten sein. Sir James dachte daran, wie viel Angst und Schrecken die Heerscharen der Nordmänner verbreitet hatten, als die vor Jahrhunderten über England und Irland hergefallen waren. Dieser Thorfin Njal sah aus, als sei er aus dieser grauen Vorzeit übriggeblieben. Und wenn von dieser Sorte einer allein schon so furchterregend wirkte, dann konnte sich Sir James leicht vorstellen, welchen Eindruck die Wikingerheere bei seinen Vorfahren hinterlassen hatten. „Steck das ,Messerchen` weg, Thorfin“, sagte Hasard energisch, „mit der Hauruckmethode erreichen wir überhaupt nichts.“ „Blödsinn!“ brüllte der Wikinger. „Wenn wir hier noch lange überlegen, ziehen sie Ribault und Ramsgate schon das Fell über die Ohren. Da gibt es nur eins: auslaufen
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und die ganze Saubande zusammenzuhauen!“ Ben Brighton verlor seine Ruhe und sprang gleichfalls auf. „Da spiele ich nicht mit!“ rief er aufgebracht. „Wenn wir anfangen, wie die kopflosen Hühner draufloszugehen, lassen wir es besser gleich bleiben. Ohne einen vernünftigen Plan geht überhaupt nichts.“ „Was?“ donnerte ihn der Wikinger an. „Du nennst mich ein kopfloses Huhn, Mister Brighton?“ Die Schläfenadern des behelmten Hünen schwollen an. „Schluß jetzt!“ brüllte der Seewolf. Und es wirkte. „Thorfin, weg mit der Waffe! Wir sind uns einig, daß wir sofort etwas unternehmen werden. Aber Ben hat recht, wenn er sagt, daß wir nicht den Kopf verlieren dürfen. Der Fall wird jetzt in Ruhe besprochen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“ Der Wikinger knurrte zornig. Dann preßte er die Lippen aufeinander, stieß das „Messerchen“ mit einem Ruck in die Scheide, hob seinen Stuhl auf und ließ sich darauf fallen, daß das Möbelstück bedrohlich knarrte. Auch Ben Brighton setzte sich wieder. „Mister Plymson“, wandte sich Hasard dem Schankwirt zu, „ich danke Ihnen für den Dienst, den Sie uns erwiesen haben. Es tut mir leid, wenn wir Ihnen zu Anfang unrecht getan haben.“ „Oh, es war mir eine Ehre, Sir Hasard“, antwortete Plymson, vollführte eine mühsame Verbeugung und watschelte hinaus. „Dan!“ „Sir?“ „Die Männer sollen sich an Deck versammeln. Es geht in wenigen Minuten zur Sache.“ „Aye, Sir!“ Dan O'Flynn eilte hinaus. Stenmark folgte ihm unaufgefordert und schloß das Schott von draußen. Hasard wandte sich den anderen zu. „Wir werden weder Ribault noch Ramsgate der Folter aussetzen. Dagegen werden wir jetzt sofort etwas unternehmen, wenn es nicht schon zu spät ist.“
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Sir James Hamilton räusperte sich, sah erst den Seewolf an und blickte dann in die Runde. „Verzeihen Sie, Gentlemen, ich. möchte mich nicht in Ihre Entscheidungen mischen. Aber ich bitte Sie dringend, sich in diesem Konflikt soweit wie möglich zurückzuhalten.“ „Sir James“, entgegnete Hasard rauh, „ich kann Ihre Bedenken verstehen. Aber begreifen Sie auch unsere Lage. Zwei Freunde von uns sind auf unrechtmäßige Weise in eine Situation geraten, die das Schlimmste befürchten läßt. Wie würden Sie denn, an unserer Stelle reagieren?“ „Ich wäre genauso aufgebracht wie Sie. Aber ich halte es in diesem Fall für das vernünftigste, Ruhe zu bewahren. Ich werde noch heute abend Plymouth wieder verlassen und Lord Cliveden verständigen. Das ist das Beste, was jetzt zu tun ist.“ „Dauert zu lange und nützt nichts“, sagte der Wikinger grimmig. Er hatte sich halbwegs beruhigt. „Ihr Angebot in Ehren, Sir James, aber wir können uns nicht darauf verlassen.“ Der Kurier des Lords erhob sich. „Ich weiß“, sagte er gepreßt. Dann reichte er dem Seewolf die Hand. „Ich kann Ihre augenblickliche Stimmung nachempfinden, Sir Hasard. Aber ich bitte Sie trotzdem noch einmal inständig, sich in allem, was Sie beabsichtigen, zu mäßigen.“ Sir James Hamilton ahnte, daß folgenschwere Zusammenstöße zwischen englischen Schiffen der Navy und dem Seewolf und seinen Gefährten kaum zu vermeiden waren. Deshalb mußte Lord Cliveden unbedingt eingreifen, bevor das Ganze so weit eskalierte, daß sich auch die Krone gegen Philip Hasard Killigrew wenden mußte. In einem solchen Entschluß konnte die Königin zweifellos durch ein Heer von Intriganten und Neidern bestärkt werden. Denn weder der Ritterschlag noch der Kaperbrief, den Elizabeth I. für den Seewolf ausgestellt hatte, waren vergessen. Natürlich kursierten bei Hofe auch die ungeheuerlichsten Gerüchte über einen angeblichen Stützpunkt des Seewolfs. Dort
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sollten er und seine Gefährten ungeheuerliche Schätze horten¬, die sie der Krone vorenthielten.' Dies war aber der Punkt, den der erfahrene Kurier Lord Clivedens nicht unterschätzte, denn er kannte die Habgier der Königin. Doch darüber konnte er nicht reden, geschweige denn eine Andeutung von sich geben. Er wußte indessen nur zu gut, daß den Seewölfen genau von dieser Seite ernste Gefahr drohte. „Wir werden das tun, was notwendig ist, um Ribault und Ramsgate zu befreien“, erklärte Hasard knapp, „nicht mehr und nicht weniger, Sir James. Etwas anderes kann ich Ihnen nicht sagen.“ „Das habe ich befürchtet“, entgegnete Hamilton niedergeschlagen. Er verabschiedete sich von den Männern, und Hasard geleitete ihn hinaus Deck. Die übrigen Männer schlossen sich an. Auf der Kuhl waren bereits sämtliche Crewmitglieder versammelt. Es herrschte Schweigen. Dan O'Flynn hatte berichtet, was vorgefallen war, und in jedem der Männer kochten Wut und Empörung. r Seewolf wandte sich ihnen zu, dem der Kurier des Lords. das f verlassen hatte. „Es gibt Für und Wider“, sagte Hasard, und seine Augen waren schmal. „Aber wir werden uns ein langes Palaver ersparen. Wir müssen Jean Ribault und Hesekiel Ramsgate befreien. Und zwar sofort. Ich lasse darüber abstimmen. Wer ist dagegen?“ Kein Laut war zu hören, keine Hand wurde gehoben. „Ich habe es nicht anders erwartet“, fuhr Hasard fort. „Dan, Batuti, Ferris, Smoky und ich selbst werden das Kommando durchführen. Ben, du übernimmst das Kommando an Bord.“ „Aye, aye, Sir!“ antwortete der Erste Offizier knapp. Die übrigen Männer murrten halblaut, denn jeder von ihnen hätte eine Menge darum gegeben, bei der Befreiungsaktion dabei zu sein. Aber sie wußten auch, daß gerade eine solche Aufgabe nur von einer kleinen Gruppe gelöst werden konnte. Die
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absolute Autorität des Seewolfs wurde von jedem respektiert. „Mister Carberry“, sagte Hasard, „laß das kleine Beiboot abfieren.“ „Aye, Sir!“ antwortete der Profos nur. Daß er keine weiteren Worte verlor, bewies, wie sehr auch ihm die Nachricht von der Gefangennahme der beiden Männer an die Nieren gegangen war. „So ist das also“, sagte Thorfin Njal knurrend und legte dem Seewolf seine schwere Hand auf die Schulter. „Du willst mich nicht dabeihaben, stimmt's?“ „Thorfin, sei vernünftig“, erwiderte Hasard ernst. „Du wirst jetzt an Bord des Schwarzen Seglers gebraucht, genau wie Arne auf der ,Wappen von Kolberg` bleiben wird.“ „Schon gut, schon gut. Aber ich schwöre dir, wenn ich diesen stinkigen Sir in die Finger kriege, werde ich ihm den Hintern versohlen, daß er keine Verwandten mehr kennt.“ Vor sich hin fluchend, wandte sich der Wikinger ab und polterte die Stelling hinunter. Hasard wußte, wozu Thorfin in seiner Wut fähig war. Deshalb war es in der Tat angeraten, wenn er bei der bevorstehenden Aktion unter der Kontrolle seiner Angetrauten Gotlinde blieb. 8. Es war stockfinster geworden. Sehr rasch blieben die Lichter des Hafens von Plymouth zurück. Der wolkenverhangene Himmel begünstigte das Vorhaben der Männer. Sie hatten das kleine Gaffelsegel gesetzt, und ein steter ablandiger Wind brachte die Jolle auf rauschende Fahrt. Smoky hatte den Platz an der Ruderpinne übernommen, während der Seewolf knappe Kursanweisungen gab. Er achtete sorgfältig darauf, daß sie dicht unter Land blieben. Denn trotz der Dunkelheit war höchste Vorsicht geboten. Sir Andrew wußte, daß die Seewölfe in der Nähe waren. Also würde er Sicherheitsmaßnahmen getroffen haben. Daran zweifelten Hasard und seine Männer nicht.
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Sie hielten auf jene Landzunge vor Rame Head zu, die Dan O'Flynn und die anderen schon einmal als Sichtschutz benutzt hatten. Noch etwa zwei Kabellängen entfernt, ließ Hasard das Segel bergen. Für aufmerksame Beobachter war es auch in der Finsternis allzu leicht zu entdecken. Die restliche Distanz legten sie pullend zurück, wobei sie die Riemenblätter so geräuschlos wie nur möglich eintauchten. Mit einem leisen Knirschen glitt der Kiel der Jolle in den Uferschlick. Batuti sprang als erster an Land. Hasard, Dan und Ferris folgten ihm. Der Seewolf bedeutete dem Schiffszimmermann und dem Gambianeger, bei Smoky zu warten. Gemeinsam mit Dan O'Flynn kletterte Hasard auf die Landzunge. Flach auf den feuchten Erdboden gepreßt, spähten sie auf die jenseitige Wasserfläche hinaus. Der Anblick ließ sie den Kopf schütteln. Auf der größten Galeone - zweifellos handelte es sich um das Schiff Sir Andrew Cliffors - hatten sie eine Festbeleuchtung angezündet. Auf und im Achterkastell brannten sämtliche Laternen und Lampen. Auch die übrigen Schiffe waren beleuchtet, allerdings weniger prunkvoll. „,Glorious` heißt der Kahn“, flüsterte Dan O'Flynn, der von allen Seewölfen die schärfsten Augen hatte und den Schriftzug unter der Heckgalerie der großen Galeone mühelos entziffern konnte. „Ein erstklassiges Schiff“, entgegnete Hasard leise, „und verdammt gut bestückt.“ Einen Überblick über die Lage verschaffte sich der Seewolf im Handumdrehen. Die Entfernung bis zu dem vor Anker liegenden Verband betrug etwa eineinhalb Kabellängen. Das Werftgelände war von der Landzunge aus nicht einzusehen, da die ankernden Schiffe die Sicht versperrten. Möglicherweise war das aber auch ein Vorteil für die geplante Aktion. Hasard und Dan zogen sich zu ihren wartenden Gefährten zurück. „Smoky“, sagte der Seewolf, „du bleibst hier beim Boot. Denke nicht, daß deine Aufgabe unwichtig ist. Du mußt uns den Rückzugsweg offenhalten.“
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„Aye, Sir!“ antwortete der Decksälteste der „Isabella.“ „Wir schwimmen zu der ,Glorious` hinüber“, fuhr Hasard fort. „Schußwaffen müssen hierbleiben, wir nehmen nur die Messer mit. Batuti, du nimmst das Seil mit dem kleinen Wurfanker.“ Der Gambianeger brummte zustimmend. Die Männer begannen, sich ihrer überflüssigen Kleidung zu entledigen. Stiefel, Westen und Hemden blieben zurück. Ferris Tucker half Batuti, den Wurfanker auf den Rücken zu binden und das Seil um die Hüfte zu schlingen. Lautlos glitten die vier Männer diesseits der Landzunge ins Wasser. Es umschloß sie wie eine große eisige Faust. Die Kraft der Frühjahrssonne reichte noch nicht aus, um die Fluten auf eine annehmbare Temperatur zu bringen. Mit zügigen Schwimmstößen strebten die Seewölfe durch den leichten Wellengang. Sorgfältig achteten sie darauf, keine klatschenden Geräusche zu verursachen. Einen Moment dachte Hasard daran, daß es besser gewesen wäre, die Gesichter zu schwärzen. Aber das Wasser hätte Ruß oder Asche wahrscheinlich doch wieder abgespült, ehe sie das Ziel erreichten. Sie ließen die Landzunge hinter sich zurück, und die Schiffe ragten nun wie Kolosse in der Dunkelheit vor ihnen auf. Auf der „Glorious“ brannte noch immer die Festbeleuchtung. Während sie zügig auf den Verband zu schwammen, waren bald auch die Namen der anderen Fahrzeuge zu erkennen. Die zweite Galeone, mit etwa 450 Tonnen geringfügig kleiner als die ..Glorious“, hieß „Sunderland“. Die Namen der drei Karavellen lauteten „Crown“, „Golden Gull“ und „Tham es“. Als sie nur noch eine halbe Kabellänge entfernt waren, gab der Seewolf den anderen ein Zeichen. Die Männer verstanden sofort. Sie hielten jetzt auf das riesige reichverzierte Heck der „Glorious“ zu. Wie auch immer die Bordwachen postiert waren, hier hatten sie die größte Chance, nicht auf Anhieb entdeckt zu werden.
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Die gekräuselte Wasseroberfläche glitzerte im Schein der Achterdecksbeleuchtung. Zufrieden stellte Hasard fest, daß sie von den übrigen vier Schiffen des Verbandes nicht zu beobachten waren, da sie sich achteraus der „Glorious“ im toten Winkel befanden. Was sein Sicherheitsbewußtsein betraf, war der erlauchte Sir Andrew wirklich ein Narr. Die „Glorious“ war schon von weitem zu erkennen, so klar und so deutlich wie ein Leuchtfeuer. Sie glitten bis nahe an das Heck der großen Galeone und begannen, Wasser zu treten. Batuti wußte, was zu tun war. Selbst auf kurze Entfernung war er kaum zu sehen, wie er auf das Ruderblatt zuschwamm, dort verharrte und das Seil mit dem Wurfanker von seiner Hüfte löste. Hasard war sich von vornherein darüber im klaren gewesen, daß es keinen Sinn hatte, an der Ankertrosse aufzuentern. Denn von den Bordwachen wären sie sofort bemerkt worden. Der Gambianeger schnellte ein Stück aus dem Wasser und schleuderte den kleinen Anker mit kraftvollem Ruck. Es gelang ihm, seinen Wurf so zu berechnen, daß der Anker mit nur schwach hörbarem Aufprall an der Heckgalerie faßte. Batuti zog das Seil straff und vergewisserte sich, daß der Anker absolut sicher platziert war. Dann wandte er sich zu seinen Gefährten um, entblößte seine perlweißen Zähne und stieß triumphierend die freie Faust in die Luft. „Aufentern!“ zischte der Seewolf. Batuti brauchte keine näheren Anweisungen. Wie alle anderen Männer von der „Isabella“ gehörte er zu einer Crew, die sich in unzähligen gefahrvollen Situationen bewährt hatte, die aufeinander eingestellt war und selbst mitten im Höllenfeuer noch einen klaren Kopf behielt. Mit geradezu spielerischer Leichtigkeit hangelte der Gambianeger an dem Seil hoch. Seine Füße berührten das Schiffsheck kaum merklich, und federnd schwang er Yard um Yard höher. Dann rollte er sich über die Balustrade der Heckgalerie und verharrte geduckt im
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Dunkeln zwischen zwei erhellten Fenstern. Hasard, Dan und Ferris sahen, wie Batuti sein Messer zog und nach beiden Seiten sicherte. Aber nirgendwo rührte sich etwas. Trotz der Festbeleuchtung des Achterkastells war es erstaunlich ruhig. Die Deckswachen der „Glorious“ schienen sich ihrer Sache allzu sicher zu fühlen. Die Männer verloren jetzt keine Zeit mehr. Hasard schwamm als erster auf das Seil zu, packte es und zog sich behende nach oben. Lautlos landete er neben Batuti auf der Heckgalerie. Dan O'Flynn und Ferris Tucker folgten in Minutenabständen und verharrten ebenfalls geduckt hinter der Balustrade und unterhalb der erhellten Fenster. Batuti stieß den Seewolf an und deutete nach Backbord. Hasard sah sofort, was der schwarze Herkules meinte. Das reichverzierte Schott zur Kapitänskammer stand offen. Warmes, gelbes Licht fiel heraus auf die Heckgalerie. Hasard überlegte nicht lange. Es war die beste Möglichkeit, im Handumdrehen in das Schiffsinnere vorzudringen - einerlei, ob sich der Kapitän in seiner Kammer aufhielt oder nicht. Mit knappen Handzeichen bedeutete der Seewolf Ferris Tucker und Batuti, auf der Galerie auszuharren. Die beiden Männer nickten wortlos. Auch der hünenhafte Schiffszimmermann hatte inzwischen sein Messer gezogen. Dan O'Flynn folgte dem Seewolf auf dessen Wink. Geduckt pirschte sich Hasard an das offene Schott heran. Dan war mit nur einem Schritt Abstand hinter ihm. Augenblicke später spähte Hasard in die Kammer. Eine zweiflammige Öllampe brannte, und da war nichts als gähnende Leere. Die Koje leer und geordnet, die beiden Stühle schräg gegen den Tisch gelehnt. Hasard hob die Linke. Dan wußte, was sich abspielen würde. Mit einem Satz schnellte der Seewolf in die Kammer. Knapp vor dem Tisch wirbelte er herum.
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Die jähe Bewegung hinter seinem Rücken hatte er mehr geahnt als gespürt. Mit einem Ruck riß er das Messer hoch, die Muskeln angespannt. Im selben Moment zuckte er zurück. Grenzenlos erstaunt blickte er in das Gesicht von Kapitän Oliver O'Brien. Gerade noch rechtzeitig konnte Hasard Dan O'Flynn ein abwehrendes Zeichen geben. Denn Dan war bereits im Begriff, sich auf den dann zu stürzen, den er nur schräg von hinten sehen konnte. O'Brien nickte nur, als die beiden Männer ihre Stichwaffen sinken ließen. Er selbst entspannte die beiden Hähne seiner doppelläufigen Pistole und legte die Waffe auf das Schapp. „Ich wußte, daß Sie kommen würden, Sir Hasard“, sagte der stämmige. dunkelblonde Mann, und in seinem kantigen Gesicht formte sich ein geradezu erleichtertes Lächeln. ..Sind Sie beide allein?“ Er sah Dan O'Flynn mit einem Seitenblick an. „Zwei weitere Männer sind auf der Heckgalerie“, antwortete der Seewolf. Er hatte sich noch immer nicht ganz von seiner Überraschung erholt. „Dann holen Sie sie herein, Mister O'Flynn“, bat O'Brien, „die beiden könnten draußen entdeckt werden.“ Einen Atemzug lang sah Dan den früheren Kapitän der „Vanguard“ mit grenzenlos erstauntem Blick an. Dann folgte er der Aufforderung. Batuti und Ferris waren nicht weniger erstaunt, als sie hereinhuschten. Aber sie hatten O'Brien als einen aufrechten Mann kennengelernt, und sie wußten, daß er kein falsches Spiel mit ihnen trieb. Ferris Tucker drückte leise das Schott zu. „Wie konnten Sie das wissen?“ fragte Hasard kopfschüttelnd. „Daß Sie hier auftauchen würden?“ O'Brien lächelte noch immer. „Ganz einfach. Ich habe vom Achtereck der ,Glorious` aus gesehen, wie sich Ihre Männer auf das Werftgelände pirschten und beobachteten, was sich dort abspielte. Dann habe ich zwei und zwei zusammengezählt. Ich hätte Sie wohl sehr falsch eingeschätzt, wenn ich nicht
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vermutet hätte, daß Sie sofort etwas unternehmen würden.“ Der Seewolf atmete tief durch. „Was Sie jetzt tun, kann Sie den Kopf kosten, Mister O'Brien. Sind Sie sich darüber im klaren?“ „Natürlich. Aber ich habe es mir reiflich überlegt. Ich spiele dieses teuflische Spiel nicht mehr mit, und ich werde Ihnen und Ihren Männern helfen. Ich stehe sowieso in Ihrer Schuld.“ „Nein“, widersprach Hasard mit belegter Stimme, „daß wir Sie und Ihre Männer vor Rockall Island retteten, war unsere Pflicht. Jeder anständige Seefahrer hätte sich genauso verhalten.“ „Ich weiß.“ O'Brien nickte. „Trotzdem rechne ich Ihnen Ihr Verhalten verdammt hoch an. und daran können Sie mich bei all Ihrer Bescheidenheit nicht hindern, Sir Hasard. Was die Sache selbst angeht: Ich habe endgültig genug. Ich hasse diesen aufgeblasenen und selbstherrlichen Sir Andrew wie die Pest. Außerdem ist alles, was er tut, völlig ungesetzlich. Ich weiß das. Ich habe nämlich zufällig ein Gespräch mitgehört, das nicht für meine Ohren bestimmt war. Er hat überhaupt keine Order von der Krone.“ Hasard und die anderen wechselten einen Blick. Sie alle hatten genau das vermutet. Daß es sich wirklich so verhielt, war dennoch überraschend. Sir Andrew mußte ein Ausbund an Skrupellosigkeit sein. Und seine Gönner bei Hof mußten mächtiger und einflußreicher sein, als man ursprünglich angenommen hatte. „Wie konnte der Kerl so schnell hier in Plymouth auftauchen?“ fragte der Seewolf. „Marquess Henry of Battingham steckt dahinter“, antwortete O'Brien und sah sein Gegenüber mit ernster Miene an. „Ich muß Ihnen dringend raten, auf der Hut zu sein. Einzeln sind diese beiden adligen Halunken schon eine Pest, aber gemeinsam sind sie eine Ausgeburt der Hölle. Das schlimme ist, daß sie verdammt gute Beziehungen zum Königshof haben. Es muß dort noch mehr Schweinehunde von ihrer Sorte geben, die 'genügend Macht haben, um sie zu unterstützen.“
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„Ich weiß“, erwiderte Hasard. „Marquess Henry hat Sir Andrew also dieses Geschwader verschafft?“ „Richtig. Den Kapitän der ,Glorious' hat der saubere Sir Andrew davongejagt und mich stattdessen eingesetzt. Auch dabei hat ihm natürlich der Marquess geholfen. Übrigens befinden sich die beiden hochwohlgeborenen Gentlemen zur Zeit auf der Werft. Sir Andrew läßt eine Menge Fackeln anzünden, um seinem Verbündeten Henry die Schiffsneubauten zu zeigen, die er beschlagnahmen will.“ Hasard zog die Augenbrauen hoch und stieß einen leisen Pfiff aus. „Dann haben wir einen günstigeren Zeitpunkt erwischt, als wir annehmen konnten. Oder sind die beiden Gefangenen nicht an Bord?“ „Aber ja, natürlich“, entgegnete O'Brien hastig. Er geriet plötzlich in Alarmstimmung, als ihm klar wurde, daß höchste Eile geboten war. „Sir Andrew hat sie in die Kammer des Ersten Offiziers sperren lassen, nicht erst unter Deck, weil die Folterung sowieso in Kürze stattfinden soll. Ich schätze, das wird spätestens soweit sein, wenn Sir Andrew und Marquess Henry von der Werft zurückkehren. Sie müssen sich beeilen, Sir Hasard. Ich bin sicher, daß diese verdammte Adelsbrut nicht lange fackeln wird und Ramsgate und Ribault noch in dieser Nacht hängen läßt.“ „Dazu wird es nicht kommen“, sagte Batuti grollend, stieß die Faust mit dem Messer hoch und rollte zornig mit den Augen. Auch Hasard, Dan und Ferris empfanden unbändigen Zorn. Sir Andrew meinte es ernst. Vielleicht hatten sie bislang noch eine leise Hoffnung gehegt, daß der Halunke ein solches Verbrechen nicht wirklich riskieren würde. Jetzt aber, durch O'Briens Worte, war ihnen endgültig klar, daß der ehrenwerte Sir auch vor dem Äußersten nicht zurückschreckte. „Wie werden die Gefangenen bewacht?“ fragte Hasard rasch. „Vor der Kammer steht nur ein Posten“, antwortete O'Brien.
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„Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Mister O'Brien.“ Der Kapitän schüttelte den Kopf. „Wenn ich Ihnen nichts schulde, dann schulden Sie mir erst recht nichts. Aber eins ist mir wichtig: Halten Sie mich nicht für einen Verräter. Ich kann dieses verfluchte Spiel, das Sir Andrew betreibt, nicht mehr länger mitspielen. Natürlich bin ich bereit, die Konsequenzen meines Handelns auf mich zu nehmen.“ O'Brien sog die Luft durch die Nase. „Ich werde meinen Abschied nehmen und mich dem Gericht stellen. Aber wenn das soweit ist, das schwöre ich Ihnen, dann werde ich auspacken.“ Hasard und seine Männer waren wie vom Donner gerührt. Sie kannten O'Brien gut genug, um zu wissen, was eine solche Entscheidung für diesen ehrlichen und anständigen Mann bedeutete. Und der Seewolf brauchte nicht lange zu überlegen, um eine Antwort zu finden. „Sie sollten sich überlegen, Mister O'Brien, ob Sie sich uns anschließen wollen. Auf einem unserer Schiffe ist immer ein Platz für Sie frei.“ Oliver O'Brien riß die Augen auf. Er wollte etwas erwidern, doch seine Stimme versagte. Einen Moment konnte er den Seewolf nur ansehen. „Wirklich ein guter Gedanke“, sagte Ferris Tucker in die Stille. „Kerle wie Sie sind bei uns am richtigen Platz, O'Brien.“ „Und das ist nicht nur dahergeredet“, fügte Dan O'Flynn hinzu. Er lächelte und klopfte Ferris auf die Schulter. „Unser Holzwurm hat genau das ausgedrückt, was wir alle denken. Schließlich kennen wir Sie lange genug.“ O'Briens Augen wurden feucht vor Rührung. Dann, als der Seewolf ihm die Hand entgegenstreckte, schlug er sofort ein. „Ich danke Ihnen, Sir Hasard“, sage heiser. Er wandte sich den anderen zu. „Und auch euch. Aber ich will England nicht unehrenhaft verlassen. Das müssen Sie verstehen.“
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Hasard nickte. Ein Gedanke durchzuckte ihn, von dem er aber noch nichts verlauten lassen konnte. „Ich werde mich darum kümmern“, sagte er lediglich. „Melden Sie sich bei mir an Bord, wenn dies alles per vorbei ist. Sie können sich darauf verlassen, daß der sehr ehrenwerte Sir Andrew diesmal gehörig Federn lassen wird.“ 9. Das weitere Vorgehen war im Handumdrehen besprochen. Kapitän O'Brien löschte das Licht und ließ die Männer in seiner Kammer allein. Die Seewölfe warteten lange genug, bis sie sicher waren, daß O'Brien das Achterdeck erreicht hatte, um die dort postierte Deckswache zu kontrollieren und einen ausgedehnten Blick zur Werft hinüberzuwerfen. Dann verriegelten sie das zur Heckgalerie führende Schott der Kapitänskammer. Hasard öffnete geräuschlos das vordere Schott, das in den Gang zu den übrigen Achterdeckskammern führte. Ohne den geringsten Laut zu verursachen, pirschten sich die Männer von der „Isabella“ durch das Halbdunkel voran. Es roch nach gewachstem Holz und nach Sauberkeit. Immerhin auf den Schiffen der Royal Navy herrschte Ordnung. Doch in diesem Fall war es wohl mehr dem Kapitän als dem hochwohlgeborenen Sir Andrew zuzuschreiben. Der Gang vollführte einen rechtwinkligen Knick, und unvermittelt war Lichtschein zu sehen. Hasard streckte den Arm nach hinten aus und gab seinen Gefährten das Zeichen zu verharren. Er riskierte einen vorsichtigen Blick um die Ecke. Der Wachtposten war nicht mehr als drei Schritte entfernt, ein bulliger, flachsblonder Seesoldat. Seinen Helm hatte er abgenommen und neben sich auf die Planken gelegt. Der Mann lehnte neben dem Eingang zu der Kammer, die O'Brien beschrieben hatte. Bewaffnet war er lediglich mit einem Cutlass und einer
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einschüssigen Pistole, die in einer großen Lederschlaufe am breiten Hüftgurt steckte. Eine Öllampe, die an der Decke baumelte, erhellte den Gang. Weiter vorn war ein verriegeltes Schott, das allem Anschein nach auf das Quarterdeck hinausführte. Hasard beobachtete den Posten minutenlang. Der Soldat hatte die Augen halb geschlossen und döste vor sich hin. Wahrscheinlich hatte er die Fähigkeit, im Stehen zu schlafen, wie man es den meisten Soldaten nachsagte. Der Seewolf zögerte nicht länger. Er verließ seine sichere Position, spannte im selben Moment die Muskeln und schnellte los. Mit einem pantherhaften Satz warf er sich auf den ahnungslosen Mann. Der Soldat zuckte zusammen, wollte herumwirbeln und zur Waffe greifen. Doch er schaffte die Bewegung nur noch im Ansatz. Hasards Anprall warf ihn zu Boden. Sofort federte der Seewolf wieder hoch, und mit einem unbarmherzigen Hieb beförderte er den Mann ins Traumland. Eilends drehte er den Bewußtlosen auf den Rücken und entdeckte einen handspannenlangen Schlüssel, der an seinem Gurt hing. Dan, Ferris und Batuti waren inzwischen zur Stelle. Ferris nahm die beiden Riegelbalken weg, die das Schott sicherten, und legte sie lautlos zu Boden. Dan und Ferris packten den Bewußtlosen und schleiften ihn hinter Hasard her, der das Schott aufstieß und in die Kammer vordrang. Drinnen war es dunkel gewesen. Nur vom Gang her fiel jetzt das Licht herein. Es reichte aus. Jean Ribault und Hesekiel Ramsgate hockten vor der Koje auf dem Boden. Ihre Fußgelenke waren mit Stricken zusammengebunden, die Ketten ihrer Handgelenke durch ein Vorhängeschloß miteinander verbunden. Zudem hatte man sie geknebelt. Aus großen runden Augen starrten sie die vier Männer an. Hasard befreite sie zuerst von ihren Knebeln.
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„Mon Dieu!“ sagte Jean Ribault in grenzenloser Erleichterung. „Und wir haben uns in Gedanken schon an der Großrah eines englischen Kriegsschiffes baumeln sehen. Ein wahrhaft erhebender Gedanke!“ „Wie habt ihr Himmelhunde das bloß geschafft?“ flüsterte der alte Ramsgate tonlos. „Ohne euch wären wir verraten und verkauft gewesen.“ Der Seewolf lächelte nur. „Seid jetzt still“, sagte er halblaut, „wir wollen leise wieder verschwinden. Und das sollten wir uns nicht selbst vermasseln.“ Die beiden Männer begriffen sofort und nickten. Batuti durchtrennte ihre Fußfesseln mit dem Messer, und gemeinsam mit Dan benutzte er die Strickreste, um den bewußtlosen Soldaten zu fesseln. Währenddessen öffnete Hasard das Vorhängeschloß. Ferris übernahm den Schlüssel und stieß damit die Bolzen heraus, die die Schellen an den Handgelenken von Ribault und Ramsgate sicherten. Aufatmend rappelten die beiden sich auf. Durch die plötzlich wieder einsetzende Blutzirkulation waren sie einen Moment unsicher auf den Beinen. Doch sie erholten sich beide sehr rasch, und dann folgten sie dem Seewolf und Dan O'Flynn, die vorausgingen. Niemand behelligte sie auf dem Weg zu der weiter achtern gelegenen Kammer, die ihnen O'Brien ebenfalls beschrieben hatte. Ferris Tucker und Batuti sicherten den Rückzug. Wie es schien, befanden sich fast alle Offiziere mit Sir Andrew und dem Marquess auf dem Werftgelände. Die Offizierskammer war ähnlich eingerichtet wie die Kapitänskammer. Wie O'Brien gesagt hatte, gab es auch hier ein Schott zur Heckgalerie. Der Rest war ein Kinderspiel. Nachdem die Männer hinausgeschlüpft waren, ließen sie das Schott zur Heckgalerie offenstehen. Hasard hatte diese Entscheidung getroffen und sich damit gegen O'Brien durchgesetzt. Denn wegen der weiteren
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Planung war es vor allem wichtig, daß auf O'Brien nicht der geringste Verdacht fiel. Natürlich hatte es der ehemalige Kapitän der „Vanguard“ zunächst abgelehnt, einem anderen den Verdacht zuzuschanzen. Es entsprach der geradlinigen Art O'Briens, eine Suppe selbst dann noch auszulöffeln, wenn dies absolut widersinnig war. Schließlich hatte er sich aber überzeugen lassen, als Hasard ihm erklärt hatte, daß der Verdacht nur jemanden treffen würde, der es ohnehin nicht besser verdient hatte. Während Batuti und Dan O'Flynn auf der Heckgalerie die Sicherung übernahmen, hangelten die Männer am Seil abwärts. Selbst der alte Ramsgate schaffte dies mit einer erstaunlichen Behändigkeit. Auch diesmal wurde kein Posten aufmerksam. Möglich sogar, daß Kapitän O'Brien die Achterdeckswache in ein Gespräch verwickelt hatte. Als die Männer auf die Landzunge zu schwammen, sahen sie die Fackeln, die überall auf dem Werftgelände brannten. Geschäftig hin und her stolzierende Silhouetten waren zu erkennen. Der alte Ramsgate stieß eine Verwünschung aus und nahm es in Kauf, daß er dabei Wasser schluckte. Smoky, der sie im Boot erwartete, half ihnen, sich mit den bereitliegenden trockenen Sachen zu versorgen. * Gemeinsam mit dem Lieutenant der Seesoldaten, der die Deckswachen befehligte, nahm Kapitän Oliver O'Brien auf dem Hauptdeck der „Glorious“ Aufstellung. Vor dem hellen Licht der Fackeln waren die beiden Jollen deutlich zu sehen, die bei der Werft abgelegt hatten und nun von zügigen Riemenschlägen auf die Galeone zugetrieben wurden. Vier Jollen lagen drüben noch am Ufer. Etwa dreißig Seesoldaten waren zu Bewachung der Werft zurückgeblieben. Sir Andrew Clifford und Marquess Henry of Battingham enterten als erste über die Jakobsleiter auf. Ihnen folgte jene
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Offiziersclique, die O'Brien auf der „Vanguard“ zur Genüge kennengelernt hatte. Marquess Henry war ein ungesund aussehender Mann mit leichenblassem Gesicht. Einen krassen Gegensatz dazu bildete seine Uniform in schreiend bunter Farbgestaltung. Steif und würdevoll stelzte er an Sir Andrews Seite auf den Kapitän und den Lieutenant zu. O'Brien hatte es längst aufgegeben, den Mann bei solchen Gelegenheiten darauf hinzuweisen, daß es eigentlich ihm oblag, die volle Autorität an Bord auszuüben. Sir Andrew hatte nie etwas unternommen, um diese Dinge in die rechten Bahnen zu lenken. Sir Andrew nahm die Meldung mit einer herablassenden Handbewegung zur Kenntnis. „Schon gut, Lieutenant. Lassen Sie jetzt die beiden Gefangenen herschaffen. Wir werden mit dem Verhör sofort beginnen.“ „Jawohl, Sir!“ Der Lieutenant salutierte abermals, vollführte eine abgehackte Kehrtwendung und beorderte zwei seiner Soldaten herbei, die mit ihm gemeinsam in Richtung der Achterdeckskammern marschierten. Marquess Henry gähnte ungeniert, ohne die Hand vor den Mund zu halten. „Muß das jetzt noch sein? Wenn ich mich nicht irre, ist es weit nach Mitternacht. Diese Werftbesichtigung hat doch sehr viel Zeit in Anspruch genommen.“ „Ja, und?“ Sir Andrew verzog das Gesicht zu einem öligen Grinsen. Beiläufig fiel sein Blick auf den Kapitän. „Sie können wegtreten, O'Brien.“ Dann wandte er sich wieder dem Marquess zu. „Hat es sich etwa nicht gelohnt? Haben Sie jemals zwei Schiffe von einer solchen modernen Bauweise gesehen, Henry?“ Oliver O'Brien enterte zum Achterdeck auf und verfolgte das weitere Geschehen von der Schmuckbalustrade aus. „Doch, schon“, erwiderte der Marquess mit einem abermaligen Gähnen, „und zwar das Schiff von diesem verdammten Bastard Killigrew. Erinnern Sie mich nur nicht daran.“
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„Auch das kriegen wir in den Griff“, sagte Sir Andrew wegwerfend, „warten Sie nur ab. Wir haben jetzt alles in der Hand. Killigrew wird spätestens morgen vor uns auf den Knien kriechen und winseln wie ein getretener Hund. Und dann, mein lieber Henry, haben wir nicht nur die Neubauten, sondern auch die ‚Isabella'. Darauf können Sie Gift nehmen.“ „Lieber nicht. Ich habe meine Erfahrungen. Ich glaube erst daran, wenn es wirklich soweit ist.“ „Glauben Sie, was Sie wollen.“ Sir Andrew zog die Schultern hoch und wandte sich seinen Offizieren zu, die am Schanzkleid standen und miteinander tuschelten. „Gentlemen, ich bitte um Ruhe. Wir wollen doch das Schauspiel, das jetzt bevorsteht, in aller Ehrfurcht erleben.“ Er lachte glucksend, und die hochwohlgeborenen Gentlemen stimmten pflichtschuldigst mit ein. Auf dem Achterdeck verzog Oliver O'Brien angewidert das Gesicht. Im nächsten Moment geschah es. Polternde Schritte wurden laut. Keuchend stürmte der Lieutenant auf die Kuhl. „Sir!“ brüllte er. „Sir, die Gefangenen! Sie sind geflohen!“ Schlagartig herrschte Totenstille. Das Getuschel der Offiziere erstarb, und die Seesoldaten und Decksleute, die weiter vorn auf dem Hauptdeck standen, spähten erschrocken herüber. Sir Andrew starrte den Lieutenant an, als handle es sich um ein Fabelwesen, das ihm gegenüberstand. Marquess Henry wurde um noch einen Grad bleicher. „Jetzt fängt das Theater wieder an”, stöhnte er, „ich habe es geahnt. O verdammt, dieser Hurensohn Killigrew steht mit dem Teufel im Bunde!“ „Halten Sie den Mund!“ fauchte Sir Andrew. Auf den Zehenspitzen wippend, wandte er sich wieder dem Lieutenant zu, und dabei wahrte er nur mühsam seine Beherrschung. Deutlich war das Vibrieren in seiner Stimme zu hören. „Lieutenant, ich rate Ihnen, schleunigst das Schiff durchsuchen zu lassen. Stellen Sie alles auf
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den Kopf, und gnade Ihnen Gott, wenn Sie die Burschen nicht in einer halben Stunde herbeigeschafft haben.“ Der Armeeoffizier erbleichte. „Sir, ich fürchte, das wird nicht möglich sein“, sagte er standhaft, „die vorhandenen Spuren belegen nämlich eindeutig, daß die Gefangenen das Schiff längst verlassen haben. Eindeutig mit fremder Hilfe, muß ich hinzufügen.“ „Waaas?“ brüllte Sir Andrew. Seine Schläfenadern schwollen an, und sein Gesicht färbte sich krebsrot. Es sah aus, als würde er sich vor Wut auf den Lieutenant stürzen. Dieser zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern. „Es ist so, wie ich gesagt habe, Sir.“ „Das will ich sehen!“ schrie Sir Andrew. „Auf der Stelle! Zeigen Sie es mir, Lieutenant!“ Während er schon losstapfte, drehte er sich noch einmal um. „Keiner rührt sich vom Fleck, bis ich zurück bin!“ Letzteres war bereits nach wenigen Minuten der Fall. Mit hochrotem Kopf und außer sich vor Wut stürmte Sir Andrew auf die Kuhl. In der Nähe des Großmastes blieb er stehen, zitternd vor Zorn. Marquess Henry betrachtete ihn mit schläfrigen Augen. Er selbst hatte nicht damit gerechnet, daß es ohne Komplikationen abgehen würde. Gegen den Bastard Killigrew mußten schwerere Geschütze aufgefahren werden. Sir Andrew würde das noch begreifen. Oliver O'Brien hatte den Eindruck, daß der hochwohlgeborene Sir jeden Moment platzen konnte. Es sah tatsächlich so aus, daß ein Funke genügte, um den Wütenden wie ein Pulverfaß explodieren zu lassen. Da O'Brien ahnte, was jetzt passieren würde, belustigte es ihn dennoch nicht sonderlich. Er beobachtete die Szene mit eher gemischten Gefühlen. „Mister Snyders!“ brüllte Sir Andrew. „Vortreten!“ George Snyders, der Offizier für Sonderaufgaben, verzog sein gepudertes Gesicht zu einem Ausdruck höchsten Erstaunens. Dann legte er die Hände auf
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den Rücken und stelzte mit erhobenem Kopf auf seinen Vorgesetzten zu. „Sir“, sagte er näselnd, „ich erlaube mir den Hinweis, daß ich mir des Ernstes der Lage durchaus bewußt bin. Dennoch halte ich die Art Ihres Tonfalls mir gegenüber nicht für angebracht.“ „So!“ keuchte Sir Andrew. „Halten Sie nicht! Schön, schön! Dann erklären Sie mir mal, warum das Schott Ihrer Kammer zur Heckgalerie nicht verriegelt war! Weiter erklären Sie mir bitte, was ein Wurfanker mit einem daran befindlichen Strick bedeuten könnte, der eben vor besagtem Schott an der Balustrade der Galerie hängt! Nicht zu erklären brauchen Sie mir, auf welchem Weg die Gefangenen das Schiff verlassen haben und welchem Umstand es zu verdanken ist, daß der Wachtposten gefesselt und bewußtlos dort liegt, wo sich eigentlich der Franzose und dieser Ramsgate befinden sollten!“ George Snyders erstarrte. „Das ist ungeheuerlich“, stieß er hervor, „ein Vorwurf, der durch nichts gerechtfertigt ist! Ich verwehre mich entschieden dagegen, Sir Andrew. Das Schott muß aufgebrochen worden sein. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, daß es verriegelt war.“ „Wie gut, daß Sie das so genau wissen“, sagte Sir Andrew mit falscher Freundlichkeit. Seine Stimme triefte vor Hohn. „Wenn Sie dann die Güte haben, mir die Spuren zu zeigen, die die Hebelwerkzeuge der Eindringlinge hinterlassen haben ...“ „Selbstverständlich, sofort, Sir.“ „Nicht nötig!“ brüllte Sir Andrew jäh. „Es gibt nämlich keine Spuren, Sie verdammter Trottel! Ihr Schott war nicht verriegelt, verstanden? Alle anderen Kammern sind nämlich dicht.“ „Nun mal langsam“, mischte sich Marquess Henry ein. „Kann es nicht sein, daß die Befreier über einen anderen Weg an Bord gelangt sind und das Schiff lediglich durch die Kammer von Snyders verlassen haben?“ „Kann nicht sein!“ schnaubte Sir Andrew. „Wozu haben wir denn Wachen? Nein,
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dieser dämliche Idiot Snyders hat uns das alles eingebrockt!“ Nun war es Snyders, der vor Zorn zu zittern begann. „Sir!“ schrie er aufgebracht. „Ich verbitte mir das! Sie haben kein Recht, einen Offizier in Anwesenheit von Untergebenen zu maßregeln I' „Der Mann hat recht“, sagte Marquess Henry leise und warnend. „Wenn ich mir den Hinweis erlauben darf - wir können hier an Bord keine wirren Verhältnisse gebrauchen.“ Sir Andrew runzelte nachdenklich die Stirn, dabei musterte er Snyders mit dem Blick einer Schlange, die ein gelähmtes Kaninchen betrachtet. Der Einwand des Marquess war zumindest nicht von der Hand zu weisen. Bei den bevorstehenden Auseinandersetzungen mit dem Bastard Killigrew waren interne Schwierigkeiten in der Tat nicht wünschenswert. Und bei dem Strafgericht, das für den nächsten Morgen in der Mill Bay geplant war, mußten sie mit allen verfügbaren Kräften losschlagen wie ein einziger Mann. Anders war dem verfluchten Seewolf, dem Wikinger und diesem von Manteuffel nicht beizukommen. „Also gut.“ Sir Andrew nickte gnädig. „Snyders, begeben Sie sich in Ihre Kammer. Ich will Sie vorläufig nicht an Deck sehen. Verstanden?“ Der Offizier für Sonderaufgaben verzog beleidigt das Gesicht. „Sir, ich erlaube mir noch einmal den Hinweis, daß es für eine Verdächtigung meiner Person nicht den geringsten Grund gibt.“ „Ja, ja, schon gut“, brummte Sir Andrew geistesabwesend, „gehen Sie jetzt, Mister Snyders. Tun Sie mir einen Gefallen, und verschwinden Sie!“ George Snyders gehorchte. Seine Offizierskollegen blickten ihm nach. In ihren gepuderten Gesichtern lag unverholene Schadenfreude. Keiner dachte daran, für Snyders Partei zu ergreifen. Hier war sich jeder selbst der Nächste. „Alle Offiziere sofort in den Achterdeckssalon“, befahl Sir Andrew, ..es findet sofort eine Lagebesprechung statt.“
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Die hochwohlgeborenen Gentlemen und auch der Lieutenant der Seesoldaten setzten sich in Bewegung. „Hat das denn nicht bis morgen früh Zeit?“ sagte Marquess Henry unwillig und träge. Sir Andrew wandte sich ihm mit einem spöttischen Grinsen zu. „Bei Ihrem Eifer ist mir langsam klar, warum Sie gegen Killigrew nichts ausgerichtet haben. Bei einem solchen Gegner muß man erbarmungslos zuschlagen. Dabei darf man auch gegen sich selbst keine Nachsicht zeigen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg, mein Lieber.“ „Da bin ich mal gespannt.“ Marquess Henry gähnte herzhaft. „Ich hoffe und wünsche, daß Sie recht behalten, lieber Freund.“ „Sie werden sehen“, versicherte Sir Andrew grimmig. „Im übrigen hatten Sie sich ausdrücklich ausbedungen, dabeizusein, wenn es dem Bastard an den Kragen geht. Also schützen Sie jetzt keine Müdigkeit vor. In wenigen Stunden werden wir Killigrew und seine Halunken in die Hölle schicken.“ Diese Aussicht ließ das Gefühl der Schläfrigkeit in Marquess Henry ein wenig weichen. Immerhin schien der Earl of Cumberland von seinem eigenen Tatendrang überzeugt zu sein. Da er über immerhin fünf Schiffe und eine beträchtliche Truppenstärke verfügte, war die Aussicht auf Erfolg gar nicht mal so gering. 10. Knapp zwei Stunden später riß Kapitän O'Brien die hochwohlgeborenen Gentlemen aus der Harmonie ihrer Lagebesprechung. Rücksichtslos hämmerte er gegen das Schott des Achterdeckssalons und öffnete es, ohne eine Antwort abzuwarten. Abgestandene Luft und der Geruch von Wein wehten ihm entgegen. „Alarm!“ brüllte der Kapitän, und die angeregten Gespräche der Gentlemen brachen schlagartig ab. Sir Andrew sprang auf.
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„Was ist los, O'Brien?“ schrie er wütend. „Drücken Sie sich gefälligst klarer aus!“ „Sehen Sie selbst, Sir. Wenn Sie sich freundlicherweise an Deck begeben wollen ...“ Den Spott in O'Briens Stimme begriff Sir Andrew nicht. Notgedrungen eilte er hinter dem stämmigen Kapitän her, da dieser kurzerhand eine Kehrtwendung vollführte und losmarschierte. Auch Marquess Henry und die übrigen Hochwohlgeborenen bequemten sich nach und nach, sich in Bewegung zu setzen. Auf dem Achterdeck erging es ihnen nicht anders als ihrem erlauchten Vorgesetzten. Es traf sie wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Starr vor Entsetzen standen sie da, kreidebleich und mit geweiteten Augen, die aus den Höhlen zu quellen schienen. Der Weg zur offenen See war dicht. Das zeichnete sich in der eben einsetzenden Morgendämmerung erschreckend deutlich ab. Drei Schiffe lagen dort, nicht einmal zwei Kabellängen entfernt. Drei Schiffe, deren Anblick den Gentlemen einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Die Stückpforten waren geöffnet, die Geschütze ausgerannt. Und bei genauem Hinsehen konnte man sogar erkennen, daß Männer mit glimmenden Luntenstöcken bereitstanden. Das allein hätte die Gentlemen aber nicht zum Zittern gebracht. Vor allem die Tatsache, um welche Schiffe es sich handelte, ließ ihre Knie weich werden. Da war der Schwarze Segler mit diesem fürchterlichen Wikinger. Dann die „Isabella“ mit dem entsetzlichen Seewolf. Und von Manteuffel auf der „Wappen von Kolberg“ stand dem Seewolf eigentlich in nichts nach. „Wir werden angepreit, Sir“, sagte Oliver O'Brien und deutete auf ein Signal aus dem Großmars der „Isabella“. Sir Andrew wollte etwas sagen, doch die schneidende, metallische Stimme, die über die Wasserfläche hallte, ließ ihn zusammenzucken.
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„Sir Andrew Clifford! Hier spricht Philip Hasard Killigrew! Unsere Geschütze sind feuerbereit! Wenn irgendwo bei Ihnen eine Kanone ausgerannt wird, wenn eins Ihrer Schiffe den Anker lichtet oder Segel setzt, wird das Feuer eröffnet!“ Sir Andrew und seine Gefolgsleute hielten den Atem an. Wie günstig und beherrschend sich die drei gegnerischen Schiffe postiert hatten! Keines behinderte das Schußfeld des anderen, und die Distanz war so gering, daß jede Breitseite nahezu tödlich sein mußte. Wieder erklang die schneidende Stimme des Seewolfs. „Eine zusätzliche Anweisung, Sir Andrew Clifford! Niemand verläßt bei Ihnen die Schiffe!“ Marquess Henry spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Die Erinnerung an jene Geschehnisse, die er selbst erst Ende vergangenen Jahres im Hafen von Plymouth heraufbeschworen hatte, wurde plötzlich wach. Voller Unbehagen dachte er jetzt daran, wie er die „Isabella“, seinerzeit eben erst vom Stapel gelaufen, an die Kette hatte legen lassen. Sir Andrew schluckte mehrmals. Dann sah er den Kapitän an. „O'Brien, zum Teufel, wie konnte das passieren? Haben unsere Wachen etwa geschlafen, als diese Schweinehunde da drüben vor Anker gegangen sind?“ „Vermutlich war es viel zu dunkel, um überhaupt etwas zu bemerken, Sir.“ Der Earl of Cumberland hörte schon nicht mehr hin. Sein Blick wanderte an O'Brien vorbei zur Werft hinüber. Der rettende Gedanke hatte ihn durchzuckt. „Wir haben noch einen Trumpf in der Hand“, flüsterte er. Ohne sich um die Gentlemen zu kümmern, trat er an die Backbordbalustrade, lehnte sich hinüber und schleuderte dem Seewolf haßerfüllt seine Worte entgegen. „Verschwinden Sie, Killigrew! Sie und Ihre verdammte Brut werden sofort verschwinden! Andernfalls setzen wir die Ramsgate-Werft mitsamt Neubauten in Brand. Das Gelände ist nämlich noch von uns besetzt.“
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Zufrieden richtete sich Sir Andrew auf. Das hatte gewirkt. Drüben blieb es still. Dem Bastard Killigrew mußte es wahrhaft die Sprache verschlagen haben. Lächelnd wandte er sich ab. Der Lieutenant mußte die nötigen Anweisungen erhalten, damit sie auf der Werft bereit waren, die Drohung erforderlichenfalls in die Tat umzusetzen. Marquess Henry erschrak plötzlich und sperrte Mund und Augen weit auf. „Was ist in Sie gefahren?“ knurrte Sir Andrew. „Haben Sie jetzt schon bei meinem Anblick die Hosen voll?“ Der Marquess überhörte es. „Sehen Sie doch!“ schrie er und deutete mit ausgestrecktem Arm nach Backbord. Sir Andrew wirbelte herum. Im nächsten Atemzug klappte seine Kinnlade nach unten. Statt einer Antwort des Seewolfes erfolgte die Reaktion vom Schwarzen Segler. Grelle Leuchtspuren stiegen zischend auf, entfalteten sich in I steilem Bogen und begannen zu lodern. Marquess Henry kreischte vor Angst, als das Feuer vom Himmel fiel. Seine Entsetzenslaute wollten nicht enden, denn nachdem die feurige Lohe nieder geregnet war, begann die Wasserfläche zwischen den gegnerischen Schiffen zu brennen. Oder vielmehr das Feuer schwamm auf dem Wasser. Auch Sir Andrew traf es wie ein Schock. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Um Himmels willen, wenn Feuer auf dem Wasser schwamm, dann bedeutete das doch, daß man es nicht löschen konnte! Und das wiederum bedeutete, daß dieser teuflische Wikinger über eine Waffe verfügte, gegen die nichts aber auch gar nichts auszurichten war. Was diese Demonstration bedeuten sollte, begriffen Sir Andrew und seine Gefolgsleute sehr schnell, während sie in die Flammen auf dem Wasser starrten. Selbst wenn sie Befehl gaben, die Werft in Brand zu stecken, nützte ihnen das gar nichts. Denn noch vorher würden ihre eigenen Schiffe in Flammen aufgehen.
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Hasard beobachtete das Geschehen mit gemischten Gefühlen. Auf dem Schwarzen Segler ertönte wüstes Gebrüll. Hohngelächter hallte zu den Schiffen des ehrenwerten Sir Andrew hinüber, und unter dem Beifall seiner Männer ließ Thorfin Njal ein Faß Rum an Deck mannen. Wie es schien, hatte sein Eheweib Gotlinde die Dinge nun nicht mehr recht unter Kontrolle. „Thorfin muß sich zurückhalten“, sagte Ben Brighton nachdenklich. „Vielleicht war diese kleine Demonstration ganz angebracht, aber weitere Eigenmächtigkeiten darf er sich nicht leisten.“ „Richtig“, sagte Hasard und nickte, „ich werde ein paar Worte mit ihm wechseln. Übernimm du solange das Kommando, Ben.“ „Aye, aye, Sir!“ Der Seewolf verließ das Achterdeck und begab sich auf die Back. Von dort aus war das Achterdeck des Schwarzen Seglers zum Greifen nahe. Drüben war bereits eins jener wilden Feste im Gange, wie es nur der Wikinger und seine Männer feiern konnten. Hasard sah den Boston-Mann auf dem Achterdeck und rief ihm zu, daß er den Wikinger sprechen wolle. Kurz darauf erschien Thorfin Njal an der Heckbalustrade und schwenkte einen Trinkbecher in der Rechten. „War das ein nettes kleines Feuerchen, was? Ich wette, die Erlauchten da drüben haben die Hosen voll bis oben hin. Die wagen jetzt nicht mehr, sich zu mucksen. Wetten?“ „Thorfin“, entgegnete Hasard ernst, „die Sache ist in Ordnung, und wir wollen nicht weiter darüber reden. Aber ich sage es noch einmal: Wir müssen uns unbedingt zurückhalten. Das da drüben sind Kriegsschiffe der Royal Navy.“ „Ich weiß, ich weiß, ich habe begriffen. Aber was auf diesen feinen königlichen Kriegsschiffen herumkrebst, sind Mörder und ein feiges Lumpenpack. Die haben
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nicht verdient, daß man sie mit zarten Fingern anpackt.“ „Darüber sind wir uns einig, Thorfin. Aber wir müssen vernünftig sein. Keine voreiligen Handlungen! Ist das klar?“ „Natürlich“, entgegnete der Wikinger dröhnend, „alles völlig klar. Warum kommst du nicht rüber und feierst ein bißchen mit?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Wo ist Gotlinde?“' Thorfin Njal lachte schallend. „Die Gute hat sich in ihre Kammer zurückgezogen. Ihr ist es an Deck zu laut geworden. Mit mir allein wird sie ja noch fertig. Aber mit der ganzen Bande ...“ Der Wikinger lachte von neuem dröhnend los, winkte dem Seewolf noch einmal zu und wandte sich dann ab. Hasard konnte nicht behaupten, daß ihn das Gespräch zufriedener stimmte. Erst sehr viel später, in den Mittagsstunden, wurde es auf dem Schwarzen Segler ruhiger. Sie hatten das Faß Rum geleert, und es war nichts weiter geschehen. Thorfin Njal hatte keine neuen Brandsätze abfeuern lassen, obwohl das bei ihm in einem Anfall von Übermut durchaus denkbar gewesen wäre. Für den Rest des Tages blieb es totenstill vor Rame Head. Die Zeit des gegenseitigen Belauerns hatte begonnen. * Während der Nachmittagsstunden und auch nach Einbruch der Dunkelheit hatte sich nicht das geringste ereignet. Die ständige Wachsamkeit war für die Soldaten und Besatzungsmitglieder an Bord der beiden Galeonen und der drei Karavellen nervenzermürbend und ermüdend zugleich. Eineinhalb Stunden nach Mitternacht wurde der Kapitän der Karavelle „Crown“ von der Deckswache aus dem ohnehin nur leichten Schlaf gerissen. Da alle Mann in ständiger Bereitschaft lagen, hatte auch der Kapitän in voller Montur in seiner Koje geruht. Die Wache ließ einen triefend nassen Mann herein. Der Kapitän erkannte jenen
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Lieutenant, der an Bord der „Glorious“ die Seesoldaten befehligte. „Keine Sorge, Sir“, sagte der Offizier, als er das erschrockene Gesicht des Kapitäns sah, „ich bin an der Landseite herübergeschwommen. Man hat mich nicht beobachten können. Folgendes: Sir Andrew erteilt Ihnen Order, Segel zu setzen und mit der ,Crown` die Sperre zu durchbrechen. Und zwar sofort, noch bei Dunkelheit. Sobald wir die offene See erreicht haben, habe ich eine versiegelte Order für Sie.“ „Verstanden“, erwiderte der Kapitän. Obwohl über das hohe Risiko einer solchen Aktion kein Zweifel bestand, war er doch froh, daß die Zeit der Untätigkeit vorüber war. Und ausgeschlossen war es nicht, im Schutz der Dunkelheit durchzubrechen. Schließlich hatten der Seewolf und seine Männer es auf die gleiche Weise geschafft, sich unbemerkt zu nähern. Der Kapitän alarmierte seine übrigen Offiziere und veranlaßte, daß die Decksmannschaft möglichst geräuschlos aus den Kojen geholt wurde. Vom Achterdeck aus beobachtete er die Schiffe des Seewolfs und seiner Gefährten. Drüben rührte sich nichts. Die Befehle an Bord der „Crown“ wurden nur geflüstert. Auf nackten Sohlen liefen die Männer über die Decksplanken und enterten in den Wanten auf. Ein handiger ablandiger Wind begünstigte ihr Vorhaben. Und alle hielten den Atem an, als die sechs Mann, die zum Ankerhieven eingeteilt waren, das Spill betätigten. Es bewegte sich mit leisem Knarren. Würde es bei den Belagerern zu hören sein? Alle Männer an Bord der „Crown“ waren auf ihren Plätzen, als der Wind die Segel füllte. Langsam, unendlich langsam, so schien es, nahm die Karavelle Fahrt auf. Mit zusammengebissenen Zähnen befolgte der Rudergänger die Kursanweisungen des Kapitäns. In einem Bogen würden sie steuerbords am Viermaster des Wikingers vorbeirauschen. Sir Andrew hatte durchaus richtig gehandelt, eine der Karavellen mit
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dieser Maßnahme zu betrauen. Das Schiff war wendig und schnell genug, um dieses Manöver erfolgreich durchzuführen. Leicht drängte die Karavelle nach Steuerbord, als sie zunehmend an Fahrt gewann. Auf dem Hauptdeck standen die Männer geduckt an den Brassen und korrigierten laufend die Segelstellung. Jäh blitzte es am Nachthimmel auf, wie von einem Gewitter, das urplötzlich ausbrach. Kapitän, Offiziere und Decksleute an Bord der „Crown“ erstarrten. Schlagartig wurde ihnen klar, daß sie die scheinbare Ruhe an Bord der gegnerischen Schiffe falsch eingeschätzt hatten. Zischend stiegen zwei Leuchtspuren auf, fanden mit höllischer Präzision ihren Weg, und dann regnete das Feuer auf die Karavelle nieder. Die ersten Schreie gellten. Innerhalb von Sekunden fingen die Segel Feuer. Gierig fraßen sich die Flammen in das Tuch und loderten hoch auf. Brennende Fetzen wehten auf das Wasser hinaus. Ohne Vortrieb jetzt, lief die „Crown“ aus dem Ruder. Wie glühende Lava klatschte das Feuer auf die Decksplanken, breitete sich mit durchdringendem Gestank rasend schnell aus und fand überall rasch Nahrung. Unter der starken Hitzeeinwirkung begann das Holz zu prasseln. Flammen züngelten bereits an Nagelbänken, Balustraden und Mastfüßen hoch. „Löschen!“ brüllte der Kapitän verzweifelt. „Verdammt noch mal, fangt endlich an zu löschen!“ Die Männer, die sich in wilder Flucht an die Schanzkleider und zu den Niedergängen gerettet hatten, erwachten aus ihrer Erstarrung. Ketten wurden in wilder Hast gebildet, Pützen mit Wasser flogen von Hand zu Hand, und das Naß rauschte auf die wabernde Lohe nieder. Doch es trieb die Männer in neues Entsetzen. Das Feuer ließ sich nicht löschen. Nein, es wurde vom Wasser über die Planken geschwemmt und in die Luken und Niedergänge gespült.
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Panische Schreie gellten, als schwarzer Rauch aus den unteren Decksräumen zu quellen begann. Mit geweiteten Augen sah der Kapitän, was sich abspielte. Und jäh begriff er, daß es keine Chance gegen die teuflischen Brandsätze des Wikingers gab. Die erste Demonstration dieser furchtbaren Waffe hatte das schon gezeigt, und jetzt erlebte man es am eigenen Leib. „Verlaßt das Schiff!“ brüllte der Kapitän. „Alle Mann von Bord!“ Der Befehl pflanzte sich fort. Pützen wurden fallen gelassen. Im rötlichen Flammenschein sprangen die Männer über die Verschanzungen, tauchten als schwarze Silhouetten in das Wasser hinunter und flohen mit wilden Schwimmzügen. Der Kapitän ging als letzter von Bord, als die Flammen schon zum Achterdeck hinaufleckten, gefräßig und durch nichts mehr aufzuhalten. Ein düsterer Rauchpilz stieg von der „Crown“ auf und vereinigte sich mit der Schwärze des Nachthimmels. Von Bord des Schwarzen Seglers ertönte wildes Triumphgebrüll. * Die Angst stieß den Männern auf dem Achterdeck der „Glorious“ bis ins Mark. Ihre Gesichter waren grau vor Entsetzen. Sir Andrew und Marquess Henry konnten nichts gegen das Zittern tun, das sie befiel. Für sie war es kein Trost, daß sich die gesamte Besatzung der „Crown“ auf die nahe „Golden Gull“ retten konnte. Zu niederschmetternd war die Tatsache, daß die Aktion gescheitert war, ehe sie richtig begonnen hatte. „Ich habe es gewußt“, flüsterte Marquess Henry tonlos, und seine Zähne schlugen dabei aufeinander, „dieser Seewolf steht mit dem Teufel im Bunde. Anders ist es nicht zu erklären.“ „Das war der Wikinger“, keuchte Sir Andrew, „nicht Killigrew. Aber es spielt letzten Endes keine Rolle. Diesen Schweinehunden hat die Krone den Verlust eines Kriegsschiffes zu verdanken.
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Darüber wird noch nicht das letzte Wort ...“ Eine urgewaltige Detonation schnitt ihm die Stimme ab. Wie eine grellrote Fontäne zuckte ein Feuerblitz aus dem Innern der „Crown“, stieg hoch empor und erhellte weithin sichtbar den Nachthimmel. Endlos hielt der Nachhall der Explosion an. Trümmerteile wirbelten in hohem Bogen durch die Luft und segelten in einem mächtigen Funkenregen auf die Wasseroberfläche nieder. Die Besatzung der „Crown“, die das Inferno von der „Golden Gull“ aus beobachtete, wußte, daß sich das
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Teufelsfeuer bis zur Pulverkammer durchgefressen hatte. Nur langsam, scheinbar widerwillig, senkten sich die Flammen. Dann, innerhalb von Minuten, hob sich das Heck des brennenden Wracks. Und gleichfalls in Minutenschnelle sank die „Crown“ über den Bug in die Tiefe. Weder an Bord der „Glorious“ noch auf den übrigen Schiffen wurde ein Wort gesprochen. Sir Andrew, Marquess Henry und ihre Gefolgsleute hatten die Angst und das Entsetzen noch lange nicht überwunden. Das Triumphgebrüll des Wikingers und seiner Männer gellte ihnen in den Ohren ...
ENDE