Petra Warschburger (Hrsg.) Beratungspsychologie
Petra Warschburger (Hrsg.)
Beratungspsychologie Mit 24 Abbildungen und 29 Tabellen
K
Prof. Dr. Petra Warschburger Universität Potsdam Institut für Psychologie, Abt. Beratungspsychologie Karl-Liebknecht-Straße 24/25, 14476 Potsdam E-mail:
[email protected]
ISBN-13 978-3-540-79060-0 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
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2126 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Beratungspsychologie ist in Deutschland – im Vergleich zu vielen anderen Ländern – kein eigenständiges Lehr- und Forschungsgebiet. Dies spiegelt sich auch darin wieder, dass Lehrstühle für Beratungspsychologie an psychologischen Instituten oftmals an die Pädogogische, Klinische oder Arbeits- und Organisationspsychologie gekoppelt sind und kein expliziter Bestandteil der Denomination darstellen. Dies lässt den Eindruck entstehen, dass Beratung gar kein orginär psychologisches oder für die Psychologie relevantes Thema ist, sondern ein »Ableger« der Klinischen, respektive Pädagogischen oder Arbeits- und Organisationspsychologie. Demgegenüber findet man in verwandten Disziplinen wie der Sonder- oder Sozialpädagogik wie auch der Medizin viel häufiger Beratung als eigenständiges Berufsfeld. Gesellschaftliche Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten haben gezeigt, dass Beratung und Beratungsstellen innerhalb der psychosozialen Versorgungsstrukturen nicht nur nicht wegzudenken sind, sondern auch zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dennoch ist »Berater« kein geschützter Titel und – gerade im kommerziellen Bereich – ist schwer sicherzustellen, dass stets eine empirisch fundierte, effektive und effiziente Beratungsarbeit angeboten wird. Daher ist es besonders wichtig, Strukturen aufzubauen, die eine qualitätsgesicherte Versorgung sicherstellen und befördern helfen. In den letzten Jahrzehnten hat es vermehrt Versuche gegeben, die orginären Ansätze innerhalb der Beratung darzustellen und den Stellenwert gerade der Psychologie für die Beratungsarbeit und -forschung herauszustellen. Die Zusammenschau und der Austausch gerade zwischen den verschiedenen Anwendungsfeldern innerhalb der Psychologie ist dabei oftmals nicht erfolgt. Ich danke allen Autoren, die mit ihren Ausführungen dazu beigetragen haben, Beratung im Lichte der unterschiedlichen Anwendungsfelder der Psychologie zu beleuchten und zur Diskussion über den aktuellen Forschungsstand innerhalb der Beratungspsychologie beigetragen haben. Neben den unterschiedlichen Entwicklungen zeigen sich doch auch viele parallele Entwicklungen und mögliche Synergieeffetke. Mein Dank gilt auch Frau Dr. Wahl und Herrn Michael Barton vom Springer-Verlag für ihre Unterstützung des Vorhabens sowie Frau cand. psych. Anja Wusterhausen und Frau cand. psych. Madlen Winkler für ihre akribische Bearbeitung aller Texte. Potsdam, im Juli 2008 Petra Warschburger
VII
Mitarbeiterverzeichnis Eva Bamberg, Prof. Dr.
Fritz Mattejat, Prof. Dr.
Universität Hamburg FB Psychologie Von-Melle-Park 11, 20146 Hamburg
Universitätsklinikum Marburg Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Hans-Sachs-Str. 4-6, 35039 Marburg
Petra Buchwald, Prof. Dr. Bergische Universität Wuppertal Bildungs- und Sozialwissenschaften Fachbereich G, Gaussstr. 20, 42097 Wuppertal
Holger Domsch, Dipl.-Psych. Universität Bielefeld Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld
Jan Pauschardt, Dipl.-Psych. Universitätsklinikum Marburg Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Hans-Sachs-Str. 4-6, 35039 Marburg
Christine Schwarzer, Prof. Dr. Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Abt. für Weiterbildung und Beratung Universitätsstrasse 1, 40225 Düsseldorf
Norbert R. Krischke, PD Dr. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Fakultät V, Abt. Gesundheitsund Klinische Psychologie 26111 Oldenburg
Arnold Lohaus, Prof. Dr. Universität Bielefeld Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld
Petra Warschburger, Prof. Dr. Universität Potsdam Institut für Psychologie Abt. Beratungspsychologie Karl-Liebknecht-Str. 24/25, 14476 Potsdam
IX
Inhaltsverzeichnis I
Theoretischer Hintergrund . . . . .
1
5
Mediengestützte Beratungskommunikation . . . . . . . . . . 107
1
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Definitionsversuch und Einteilung . . . . . Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Telefonberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetbasierte Beratung . . . . . . . . . . . . . Herausforderungen für die Zukunft . . . .
108 110 116 120 124
II
Anwendungsfelder . . . . . . . . . . . . . .
129
6
Beratung in der Pädagogischen Psychologie . . . . . . . . 131 Chr. Schwazer, P. Buchwald
6.1 6.2
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist Beratung in der Pädagogischen Psychologie? . . . . . . . . . . . Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der drei großen psychologischen Schulen für die Beratung . . . . Systemisch orientierte Ansätze . . . . . . . . Ressourcenorientierte Beratung . . . . . . . Beratung von Lehrern und Lehrerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolle des Lehrenden in der Schule – Eine sich wandelnde Aufgabe . Stress in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis . . Burnout von Lehrern und Lehrerinnen . Individuelle Beratung von Lehrenden . . Beratung von Lehrerkollegien . . . . . . . . . . Institutionsberatung Schule . . . . . . . . . . . Beratung von Jugendlichen . . . . . . . . . . . . HIV/AIDS-Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schulangst und Prüfungsangst . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1
Problemfelder in der Beratung/ Beratungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Zeitliche Trends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Beratungspsychologie – Eigenständig oder Anhängsel? . . . . . . . . . . 1.2 Aufbau des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 5 8 8
2
Theoretischer Hintergrund . . . . . . . . . . . 11
2.1
2.5 2.6
Rahmenbedingungen professioneller Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . Felder psychosozialer Beratung . . . . . . . . . Definitionsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung von Psychotherapie und Erziehung . . . . . . . . . . Besondere Beratungsformen . . . . . . . . . . . Kennzeichen von Beratung . . . . . . . . . . . . .
3
Beratungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.1 3.2 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.5
Inanspruchnahme von Beratung . . . . . . . . Beratungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirksamkeit von Beratung . . . . . . . . . . . . . . Wirkfaktoren der Beratung . . . . . . . . . . . . . . Spezifische Therapiefaktoren . . . . . . . . . . . Klientenvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beratervariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berater-Klient-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . Modelle allgemeiner Wirkfaktoren . . . . . .
40 46 57 68 68 69 70 72 75
4
Neuere Modelle zur Veränderung . . . . Transtheoretisches Modell . . . . . . . . . . . . . . Kernannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stufen der Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . Stufenspezifische Intervention . . . . . . . . . . Empirische Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritik und Implikationen des TTM . . . . . . . Motivational Interviewing . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung zu anderen Beratungsansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Wirksamkeit des Motivational Interviewing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Motivational Interviewing – Für wen? . . .
83
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.2 4.2.1
84 85 85 88 91 92 93 94
2.2 2.3 2.4
12 20 21 23 33 36
97 100 101
6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 6.4.7 6.5 6.5.1 6.5.2 6.6
132 133 135 135 138 139 140 140 141 141 142 143 144 145 146 146 148 151
7
Gesundheitsberatung . . . . . . . . . . . . . . . 155 H. Domsch, A. Lohaus
7.1 7.2 7.3
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Eingrenzung des Begriffes . . . . . . . . . . . . . 156 Von der Patientenaufklärung zur Gesundheitsberatung . . . . . . . . . . . . . . 157
X
7.4 7.5 7.5.1 7.5.2 7.6 7.6.1 7.6.2 7.6.3 7.6.4 7.6.5 7.7 7.8 7.9
Inhaltsverzeichnis
Ziele einer Gesundheitsberatung . . . . . . . . 157 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Zielgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Gesundheitsberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Theoretischer Hintergrund und neuere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Modelle der Gesundheitspsychologie . . . 160 Subjektive Krankheitstheorien . . . . . . . . . . 161 Beratungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Empowerment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 »E-Health«: Beratung im Internet . . . . . . . . 164 Gesundheitsberatung bei Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . 166 Beispiel einer Gesundheitsberatung an chronisch Kranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Anforderungen und Effektivität . . . . . . . . . 169
8
Beratung in der Klinischen Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 F. Mattejat, J. Pauschardt
8.1 8.2
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Theoretisch-konzeptuelle Aspekte: Was bedeutet »Beratung« in der Klinischen Psychologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Klinisch-psychologische Beratungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Psychodynamische Beratung . . . . . . . . . . . 178 Kognitiv-behaviorale Beratung . . . . . . . . . 182 Personzentrierte Beratung . . . . . . . . . . . . . . 185 Systemische Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Psychoedukation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Eltern- und Familienberatung nach dem Familien-Kooperations-Modell . . . . . 198 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.4
8.4.1 8.4.2 8.5
9
Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie . . . . . . . . . . . . 207 E. Bamberg
9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.2
Handlungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Suchtberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 IT-Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Outplacementberatung . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Merkmale von Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . 210
9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.4 9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.5 9.5.1 9.5.2 9.6 9.7 9.7.1 9.7.2 9.7.3 9.7.4 9.8
Beratung als Arbeitstätigkeit . . . . . . . . . . . . 211 Interaktionsbezogene Anforderungen . . 212 Arbeitsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Organisationaler Kontext . . . . . . . . . . . . . . . 213 Konzepte zu Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Beratung von Individuen . . . . . . . . . . . . . . . 214 Organisationsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Direktivität – Nondirektivität . . . . . . . . . . . . 217 Akteure in der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Klienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Beraterinnen und Berater . . . . . . . . . . . . . . 220 Anforderungsorientierte Beratung . . . . . . 222 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Mentoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Supervision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . 231 Status quo und Entwicklungsperspektiven – Ein Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
10
Beratung bei Psychischen Krisen . . . . . 235 N. R. Krischke
10.1 Primat ambulanter Hilfen bei Psychischen Krisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 10.2 Begründungszusammenhänge für Beratung im Verlauf Psychischer Krisen . . 237 10.3 Kommunale Strukturen der Beratung bei Psychischen Krisen . . . . . . . . 237 10.4 Häufigkeit und Charakteristika von Menschen in Psychischen Krisen . . . . . . . . 239 10.5 Kennzeichnung Psychischer Störungen im Verlauf Psychischer Krisen . . . . . . . . . . . 240 10.6 Theoretische Grundannahmen zu Psychischen Krisen und Krisen im Lebensvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 10.7 Beratung bei schweren Psychischen Krisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 10.8 Grundhaltungen, Aufgaben und Funktion von Beratung in Psychischen Krisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 10.8.1 Grundhaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 10.8.2 Aufgaben als Berater bei Psychischen Krisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 10.8.3 Funktion von Beratung für Menschen in Psychischen Krisen . . . . . . . . 251
XI Inhaltsverzeichnis
III
Integration
11
Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
11.1 Beratung – Ein dynamisches Anwendungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Differenzierung und Spezialisierung in der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Beratung in den etablierten Anwendungsfächern der Psychologie – Konvergenzen und Divergenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Science-Practioner-Modelle . . . . . . . . . . . . . 11.6 Beratungspsychologie – Ein eigenständiges Anwendungsund Forschungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
258 259
260 261 263
264
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . 267 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
1
I Theoretischer Hintergrund 1
Einführung – 3
2
Theoretischer Hintergrund – 11
3
Beratungsprozess – 37
4
Neuere Modelle zur Veränderung – 81
5
Mediengestützte Beratungskommunikation – 105
1 Einführung 1.1
Problemfelder in der Beratung/Beratungsanlässe
1.1.1 1.1.2
Zeitliche Trends – 5 Beratungspsychologie – Eigenständig oder Anhängsel? – 8
1.2
Aufbau des Buches – 8 Literatur
– 9
– 4
4
1
Kapitel 1 . Einführung
Wendet man sich der Thematik »Beratung« zu, dann stellt man sehr schnell fest, dass es sich dabei um kein spezifisch psychologisches Feld handelt, sondern im Gegenteil »Beraten« ein alltägliches Phänomen, fast schon ein Schlagwort ist. So sind Rat-Suchen und Rat-Geben in allen Gesellschaften zu allen Zeiten zu finden: Die Älteren und/oder Erfahrenen lassen die Jüngeren an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben. Diese »Form der Beratung« erfolgt in der Regel in sozialen Verbänden und herrscht in traditionellen Gesellschaften immer noch stark vor. Auch heute noch finden rund 70% aller Beratungsgespräche in Alltagssituationen (z.B. Austausch mit Freunden etc.) statt. Hier geht es in der Regel aber »nur« um den Austausch von Informationen und dies muss daher von professioneller Beratung (7 Kap. 2) abgegrenzt werden. Psychologisch-fundierte, professionelle Beratung ist hingegen ein relativ junger Bereich, der sich mit Beginn der zunehmenden Industrialisierung und Spezialisierung in der modernen Gesellschaft etabliert hat. Die Geschichte der Beratung ist dabei sehr eng mit der Entwicklung in der Psychotherapie verbunden und über weite Strecken von dieser nicht zu trennen. Der Ursprung von Beratung und Psychotherapie kann bereits auf das 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden, als die ersten Heime für geistig minderbegabte Menschen gegründet wurden. Diese Menschen galten als »unproduktiv« und durch die zunehmende Industrialisierung brachen familiäre und soziale Versorgungsnetzwerke zusammen; staatliche Versorgungssysteme mussten an ihre Stelle treten. Diese Einrichtungen, sog. »workhouses«, beinhalteten aber keineswegs eine psychiatrische oder psychologische Versorgung der Insassen, sondern waren mehr oder weniger reine Arbeits- oder auch Verwahrorte. Dies galt auch für die später gegründeten psychiatrischen Anstalten für psychisch kranke Menschen. Langsam »entdeckte« die Medizin die psychischen Störungen; sie postulierte medizinische und biologische statt dämonische Ursachen und entwickelte erste Behandlungsformen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich innerhalb der Medizin ein neues Spezialgebiet heraus: die Psychotherapie, die sich mit der Heilung des Körpers durch die Psyche beschäftigte. Sigmund Freud gilt als einer der ersten Vertreter der Psychotherapie, indem er sich von der Hypnose als Behandlungstechnik abwandte
und sein Konzept der Psychoanalyse entwickelte. Gerade in den USA fand die Psychoanalyse regen Anklang und viele »amerikanische Adaptationen« sowie neue Theorierichtungen formierten sich (wie in den 50er Jahren die Gesprächspsychotherapie von Rogers oder in den 60er Jahren die Verhaltenstherapie). Gerade der humanistische Ansatz von Rogers (2001) hat die psychologische Beratung entscheidend geprägt. Erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann sich Beratung als spezifisches Berufsfeld zu etablieren. Die Wurzeln dafür liegen im Bereich des Erziehungs- und Bildungswesens sowie im ehrenamtlichen Sektor. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden an verschiedenen amerikanischen Schulen und Hochschulen Berufsbildungsprogramme aufgebaut. Erste Bücher zur Thematik erschienen, Fachzeitschriften wurden gegründet. Die ehrenamtliche Beratungstätigkeit wurde (und wird) stark von kirchlichen Einrichtungen geprägt und steht eher in der Tradition der Pädagogik. So wurden nach und nach – erst private und dann zunehmend auch staatliche – Beratungseinrichtungen aufgebaut, die sich vor allem aktuellen gesellschaftlichen Problemen (wie Jugenddelinquenz, Kindesmissbrauch, Ehekonflikte etc.) zuwandten. Beiden Richtungen ist gemeinsam, dass sie – im Gegensatz zur psychotherapeutischen Tradition von Beratung – betonen, dass es sich um »normative« Orientierungs-, Entscheidungs-, Planungsund Handlungsanforderungen »normaler« Personen in ihrem Lebenslauf mit seinen kritischen Übergängen und problemträchtigen Phasen handelt. Damit rückt auch die entwicklungsbezogene Perspektive von Beratung in den Vordergrund.
1.1
Problemfelder in der Beratung/Beratungsanlässe
Die Problemfelder, die innerhalb einer Beratung behandelt werden, sind sehr breit gestreut. In einer Studie von Mellor-Clark, Connell, Barkham und Cummins (2001) zeigte sich zum einen, dass in der Regel mehr als ein Problembereich als Anlass genannt wurde, zum anderen die Fokussierung auf bestimmte Themenbereiche. Am häufigsten wurden Ängste/Stress, Depression, Beziehungsschwierigkeiten, Selbstwertprobleme und Verlusterlebnisse
1
5 1.1 . Problemfelder in der Beratung/Beratungsanlässe
. Tab. 1.1. Beratungsanlässe der 2004 beendeten Beratungen in der BR Deutschland. (Kinder- und Jugendhilfestatistik, 2004) Beratungsanlass
Weiblich [%]
Männlich [%]
Insgesamt [%]
Beziehungsprobleme
41,3
39,0
40,0
Entwicklungsauffälligkeiten
24,5
29,8
27,6
Schul-/Ausbildungsprobleme
19,6
30,2
25,7
sonstige Probleme in der Familie
21,5
18,1
19,5
Trennung/Scheidung der Eltern
27,1
23,2
24,8
Anzeichen von sexuellem Missbrauch
4,6
1,2
2,6
Straftat Jugendlicher
0,5
1,1
0,9
Suchtprobleme
1,1
1,3
1,2
Wohnungsprobleme
0,6
0,5
0,5
Anzeichen für Kindesmisshandlungen
1,7
1,1
1,3
* Mehrfachnennungen möglich, Beratungsanlass bezüglich der angemeldeten Kinder und Jugendlichen
genannt. Immerhin bei mehr als 10% ihrer Klienten spielten Traumata/Missbrauch, Probleme am Arbeitsplatz und in der allgemeinen Lebensführung eine Rolle. Psychosen wurden nur von 1,1% genannt, hier vor allem in einer milden Form. Diese Studie verdeutlicht das breite Spektrum, das mit Beratung abgedeckt wird (vgl. Hemmings, 2000; Nettleton et al., 2000; Setiawan, 2006). Diese Breite der Fragestellungen und Anlässe gilt auch für den Bereich der Institutionellen Beratung. . Tab. 1.1 zeigt die Daten der Kinder- und Jugendhilfestatistik aus dem Jahre 2004. Hinter den Oberkategorien wie z.B. Entwicklungsauffälligkeiten können sich sehr unterschiedliche Erscheinungen wie Ängste, Enuresis oder Störungen des Sozialverhaltens verbergen. Gerade im Bereich der professionellen Beratung können wir in der jüngeren Zeit eine beinahe explosionsartige Verbreitung von Beratungsangeboten und -konzepten beobachten. Nicht nur, dass sich immer mehr Professionen mit Fragen der Beratung auseinandersetzen (sei es nun die Wirtschaftswissenschaften oder die Sozialwissenschaften), sondern auch innerhalb der »pädagogisch-psychologischen Beratungsprofessionen« (wie Psychologie, Pädagogik oder Medizin) hat sich sowohl eine Ausweitung
und enorme Spezialisierung der Beratungsfelder (z.B. HIV-Beratungsstellen; Beratungsstellen für MigrantInnnen etc.) und Beratungswege (wie z.B. Mediation oder Intervision) ergeben, als auch eine zunehmende Nachfrage nach Beratungsangeboten. So berichtet beispielsweise das Statistische Bundesamt für den Bereich der Erziehungsberatung, dass im Jahre 2005 307.800 junge Menschen (im Alter bis 27 Jahren) eine erzieherische Beratung in Anspruch genommen haben. Das waren 1% mehr als 2004 und sogar 42% mehr als 1994. Damit wächst der Bedarf seit einigen Jahren stetig.
1.1.1
Zeitliche Trends
Ob dies Ausdruck eines Anstiegs der psychischen Störungen und der psychosozialen Probleme innerhalb der Bevölkerung oder Ergebnis eines verstärkten Aufmerksamkeitsfokus oder einer verbesserten Versorgungslage ist, lässt sich nur schwer beantworten. Generell lässt sich wohl festhalten, dass zumindest bei einigen Störungsbildern wie beispielsweise der Suchtproblematik ein leichter Anstieg in der Verbreitung über die letzten Jahre zu finden ist.
1,8
1,6
1,43
0,8
Suchtprobleme
Straftaten des Jugendlichen/ jungen Volljährigen
Wohnungsprobleme
Anzeichen für Kindesmisshandlung
13,22
Sonstige Probleme in und mit der Familie
2,98
18,62
Schul-/Ausbildungsprobleme
Anzeichen für sexuellen Missbrauch
23,75
Entwicklungsauffälligkeiten
9,99
26,67
Beziehungsprobleme
Trennung/Scheidung der Eltern
1991
0,72
1,59
2,01
1,80
2,90
11,10
12,66
18,25
23,02
25,91
1992
0,81
1,36
2,07
1,65
3,31
11,81
12,86
17,76
22,37
25,96
1193
0,79
1,22
2,09
1,58
3,05
12,49
13,23
17,24
21,83
26,43
1994
0,75
1,09
2,40
1,72
2,91
12,96
13,58
17,09
21,05
26,40
1995
0,71
1,17
1,85
1,74
2,83
13,70
13,96
17,05
20,67
26,27
1996
0,67
0,93
1,72
1,78
2,78
14,04
14,13
17,48
19,91
26,50
1997
0,71
0,94
1,57
1,85
2,56
14,20
13,97
17,80
19,55
26,80
1998
0,76
0,85
1,61
1,83
2,49
14,68
13,57
18,51
18,95
26,69
1999
0,90
0,85
1,36
1,71
2,34
14,44
13,14
19,34
18,71
27,17
2000
0,89
0,65
1,37
1,65
2,25
14,90
13,69
19,09
18,28
27,16
2001
1,11
0,79
1,38
1,73
2,62
17,36
15,53
21,37
21,08
31,04
2002
0,98
0,66
1,26
1,65
2,30
15,55
13,51
18,23
18,25
27,56
2003
1,00
0,55
1,17
1,62
2,17
15,97
13,77
17,62
18,29
27,80
2004
1,10
0,54
1,22
1,52
2,20
16,42
14,10
17,48
17,75
27,62
2005
1
Beratungsanlass
. Tab. 1.2. Ranking der Beratungsanlässe in der Kinder- und Jugendhilfe von 1991 bis 2005 (Angaben in %)
6 Kapitel 1 . Einführung
1
7 1.1 . Problemfelder in der Beratung/Beratungsanlässe
. Tab. 1.3. Beratungsanlässe zwischen 1988 und 2001 (Häufigkeiten in %). (Nach Benton et al., 2003) Problembereiche
1988–92 (=1; in %)
1992–96 (=2; in %)
1996–2001 (=3; in %)
Post-hocVergleich
Beziehungsprobleme
46,54
57,25
56,16
2,3 > 1*
Stress/Angst
36,26
63,42
62,87
2,3 > 1*
Familienprobleme
32,87
42,85
44,82
3,2 >1*
Situationsbezogen
21,91
43,19
58,24
3 > 2 > 1*
Bildungs-/berufsbezogen
21,76
17,12
21,74
1,3 >2*
Depression
21,10
34,49
40,67
3 > 2 > 1*
Entwicklungsbezogen
18,98
28,99
41,41
3 > 2 > 1*
Missbrauch
11,70
15,40
12,31
2 > 1,3
Medikamentengebrauch
8,97
12,04
22,22
3 > 2 > 1*
Akademische Fähigkeiten
8,50
24,66
34,46
3 > 2 > 1*
Körperliche Probleme
6,58
11,79
13,52
2,3 > 1*
Substanzmissbrauch
6,38
6,39
6,64
Essstörung
5,26
6,00
5,59
Persönlichkeitsstörung
2,61
6,12
7,23
2,3 > 1*
Suizidal
4,80
9,01
8,98
2,3 > 1*
Trauer
4,41
8,01
10,23
Chronisch psychische Störung
2,90
2,44
3,49
Juristische Probleme
2,12
3,06
3,00
Sexuelle Nötigung
0,17
3,66
3,45
Das Ranking der einzelnen Beratungsanlässe hat sich jedoch nicht verändert (. Tab. 1.2): Demnach gaben über die letzten 15 Jahre am häufigsten Beziehungsprobleme, gefolgt von Entwicklungsauffälligkeiten und Schul- bzw. Ausbildungsproblemen Anlass zur Beratung. Zu einem etwas anderen Ergebnis gelangen Benton, Robertson, Tseng, Newton und Benton (2003), die über den Zeitraum von 13 Jahren die Beratungsanlässe innerhalb einer Studienberatungsstelle dokumentierten. Sie fanden vor allem für die Bereiche entwicklungsbezogene Probleme, situationsbezogene Probleme, Depression, Trauer, Medikamentengebrauch und akademische Fertigkeiten einen stetigen
3 > 2 > 1*
2,3 > 1*
Anstieg, während sich in den Bereichen Substanzabusus, juristische Probleme, Essstörungen oder chronische psychische Störungen keinerlei zeitliche Veränderungen ergaben (. Tab. 1.3). Kontrovers wird diskutiert, ob die Schwere der psychosozialen Belastung angestiegen ist. Die Daten sind hierbei oftmals schwer zu interpretieren, da eine retrospektive Erfassung, z.B. der Sichtweise der Berater, nicht aussagekräftig genug ist. Es finden sich allerdings Hinweise darauf, dass sich der Anteil der stark auffälligen Studierenden, die Beratung nachfragen, in den letzten Jahrzehnten erhöht hat (vgl. Cornish, Kominars, Riva, McIntosh & Henderson, 2000; Kitzrow, 2003).
8
1
Kapitel 1 . Einführung
Beratung und Beratungsbedarf scheinen ein kennzeichnendes Merkmal unserer modernen Gesellschaft zu sein. Die Hintergründe hierfür sind sicherlich vielfältig: Wir erleben in jüngster Zeit eine sehr schnelle Veränderung sämtlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen; die wissenschaftlichen Fortschritte und Erkenntnisse sind enorm gestiegen. Viele Informationen, auch wenn diese durch die neuen Medien schnell vielen Personen zugänglich sind, erfordern spezialisiertes Hintergrundwissen, um überhaupt Handlungsrichtlinien davon ableiten zu können. Die Informationsfülle, aber auch Widersprüchlichkeit der verfügbaren Informationen, stellen viele Menschen vor Herausforderungen, denen sie nicht gewachsen sind. Die genaue Zahl der psychosozialen Beratungsstellen (privater und öffentlicher Trägerschaft) in Deutschland ist schwer zu bestimmen. Nach den Angaben der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e. V. (DAJEB) sind 11.777 Beratungsstellen online abfragbar (Stand: 30.07.2007).
1.1.2
Beratungspsychologie – Eigenständig oder Anhängsel?
Auch wenn die Entwicklung der Beratung in Deutschland und den USA in vielen Punkten sehr ähnlich verlaufen ist, gibt es doch entscheidende Unterschiede. Während in Amerika, wie zum Beispiel auch in Kanada und England, sich »Counselling Psychology« als eigenständiges Anwendungsfeld etabliert und institutionalisiert hat (mit mehr als 100 akkreditierten Instituten in den USA und eigenen Gesellschaften wie der American Counseling Association mit mehr als 45.000 Mitgliedern), führt die Beratungspsychologie in Deutschland ein Schatten- und Zwitterdasein. Neuere Entwicklungen zur Beratung finden sich in allen Anwendungsgebieten der Psychologie wie der Pädagogischen, Klinischen und Gesundheitspsychologie, Arbeits- und Organisationspsychologie, aber auch in neueren Spezialisierungen wie der Rechtspsychologie und Kriminologie, der Umwelt- oder Sportpsychologie. Dabei ist die Beratung in Deutschland ein dynamisches Forschungsfeld der Psychologie. Krampen und Schui (2006) überprüften den Anteil beratungsbezogener Literatur – identifiziert über das Schlagwort »counseling« – in einer deutschen (»PSYNDEX«)
und internationalen (»PsycINFO«) psychologischen Literaturdatenbank von 1967 bis 2003. Während in der internationalen Literatur der Anteil der Beratungsliteratur sich mehr oder minder konstant bei 1,5% hielt, ist er in der deutschsprachigen Literatur mit ca. 3-4% deutlich höher. Beratungsrelevante Literatur macht innerhalb der Klinischen Psychologie und Gesundheitspsychologie etwa 3-4% des Gesamtliteraturaufkommens aus, zählt man die Aus- und Weiterbildungsliteratur hinzu erreicht man einen Anteil von 9%. Vergleichbar hoch liegen die Anteile in der Pädagogischen respektive A&O-Psychologie mit jeweils rund 7%. Diese Analyse verdeutlicht, dass psychologische Beratung Schnittstellen zu einer Vielzahl von Anwendungsbereichen aufweist. Im deutschsprachigen Raum – entgegen dem internationalen Trend – befassten sich die Publikationen v.a. mit psychotherapeutischer Beratung (international: Berufsberatung), Partner- und seelsorgerischer Beratung. Neue Bereiche wie genetische oder interkulturelle Beratung weisen steigende, wenn auch absolut betrachtet, geringe Literaturaufkommen auf. Ein Problem dieser Schnittstellenfunktion ist sicherlich, dass kein Austausch zwischen den einzelnen Fachdisziplinen erfolgt und sich in den jeweiligen Fachrichtungen voneinander unabhängige Entwicklungen ergeben.
1.2
Aufbau des Buches
Das vorliegende Buch versteht sich weder als »Handanweisung« für Beratungstechniken oder praktische Beratungsarbeit noch als umfassender Überblick zu Theorien und Anwendungsfeldern der Beratung. Für beide Bereiche liegen mittlerweile national und international zahlreiche Publikationen vor. Es soll vielmehr der Versuch unternommen werden, aktuelle Fragen und Themen in der Beratung zu beleuchten und dabei aktuelle Trends, Konvergenzen und Divergenzen in ausgewählten Anwendungsgebieten der Psychologie aufzuzeigen. Dabei konzentriert sich das Buch auf die »klassischen Anwendungsbereiche« der Klinischen, der Pädagogischen, der A&O-Psychologie, der Gesundheitspsychologie sowie im Anwendungsfeld der Psychiatrie bei Psychischen Krisen. Für jeden dieser Bereiche wird die aktuelle Diskussion von ausgewiesenen Experten auf diesem Gebiet dargestellt. Eingerahmt werden diese
9 Literatur
Darstellungen von einer allgemeinen theoretischen Einführung in den Bereich der Beratung und einer abschließenden Synopsis. Im zweiten Kapitel wird daher eine Begriffsbestimmung vorgenommen, um Beratung genauer gegenüber verwandten Begriffen und Anwendungsgebieten abzugrenzen. Im dritten Kapitel werden der Beratungsprozess und der Problemlöseprozess als Metakonzept der Beratung dargestellt. Im Rahmen der Diskussion der Veränderungsprozesse werden neuere Ansätze in der Beratungslandschaft – das transtheoretische Modell und das Konzept des Motivational Interviewing – vorgestellt. Als eine aktuelle Entwicklung werden Fragen der mediengestützten Beratung diskutiert. Abschließend erfolgt eine kurze Darstellung der Ergebnisse von Beratung und Maßnahmen zur Qualitätssicherung.
Literatur Benton, S. A., Robertson, J. M., Tseng, W. - C., Newton, F. B. & Benton, S. L. (2003). Changes in counseling center client problems across 13 years. Professional Psychology: Research and Practice, 34, 66-72. Cornish, J. A., Kominars, K. D., Riva, M. T., McIntosh, S. & Henderson, M. C. (2000). Perceived distress in university counseling center clients across a six-year period. Journal of College Student Development, 41, 104-109. Hemmings, A. (2000). Counselling in primary care: A review of the practice evidence. British Journal of Guidance & Counselling, 28, 233-252. Kitzrow, M. A. (2003). The mental health needs of today‘s college students: Challenges and recommendations. NASAPA Journal, 41, 167-181. Krampen, G. & Shui, G. (2006). Beratung im Spiegel wissenschaftlicher Information und Dokumentation. In C. Steinebach (Hrsg.), Handbuch psychologischer Beratung (S. 134-146). Stuttgart: Klett-Cotta. Mellor-Clark, J., Connell, J., Barkham, M. & Cummins, P. (2001). Counselling outcome in primary health care: A CORE system data profile. European Journal of Psychotherapy, Counselling and Health, 4, 65-86. Nettleton, B., Cooksey, E., Mordue, A., Dorward, I., Ferguson, J., Johnston, J. & Jones, L. (2000). Counselling: Filling a gap in general practice. Patient Education and Counselling, 41, 197-207. Rogers, C. R. (2001). Die nicht-direktive Beratung. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. Setiawan, J. L. (2006). Willingness to seek counselling, and factors that faciliate and inhibit the seeking of counselling in Indonesian undergraduate students. British Journal of Guidance & Counselling, 34, 403-419.
1
Statistisches Bundesamt (2007). Statistik der Kinder- und Jugendhilfe: Institutionelle Beratung 2004. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.
2 Theoretischer Hintergrund 2.1
Rahmenbedingungen professioneller Beratung
2.2
Felder psychosozialer Beratung
2.3
Definitionsversuche – 18
2.4
Abgrenzung von Psychotherapie und Erziehung – 21
2.5
Besondere Beratungsformen
2.6
Kennzeichen von Beratung Literatur
– 34
– 12
– 17
– 29 – 32
12
2
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
Im ersten Teil soll nun der inhaltliche und formale Rahmen von Beratung und Beratungspsychologie gesteckt werden. Dabei soll kurz auf die Definition von Beratung und deren Abgrenzung von anderen Formen der Intervention eingegangen werden.
2.1
Rahmenbedingungen professioneller Beratung
Beratungstätigkeit findet sich in vielen Kontexten, am häufigsten im Alltag. Rund 80% der Beratungsgespräche finden im Alltag statt. Die ratsuchende Person sucht sich – in der Regel in ihrem unmittelbaren Freundes- und Bekanntenkreis – eine oder mehrere Personen, die sie für geeignet hält – oder aber auch, die zurzeit gerade verfügbar sind ihr bei der Lösung ihres Problems zu helfen. Professionelle Beratung unterscheidet sich jedoch in wesentlichen Punkten von der Beratung im Alltag: die gefragte Person (=Ratgebende) muss weder über besondere Kompetenzen in Bezug auf Beratungsverhalten, noch unbedingt über besondere theoretische Kenntnisse bezogen auf das Problem verfügen, der Ratgebende kann i.d.R. nicht rechtlich belangt werden, um nur einige Unterschiede zu benennen. In Abgrenzung zum »Ratgeben« im Alltag ist professionelle Beratung an einen Beratungsvertrag gebunden. Dieser »Beratungsvertrag«, der formell oder auch informell geschlossen werden kann, hat eine Reihe von rechtlichen Implikationen, in erster Linie für den Berater, aber es ergeben sich auch eine Reihe von relevanten rechtlichen Vorschriften für den Ratsuchenden (▶ Kasten »Rechtliche Rahmenbedingungen professioneller psychosozialer Beratung«). »Ratgeber« im Alltag ist in der Regel eine dem Ratsuchenden aus anderen Kontexten bekannte Person, die dann auch meist keine finanzielle Entlohnung für ihre »Beratungstätigkeit« erhält, sondern Beratung wird hier als »Freundschaftsdienst« verstanden. Professionelle psychosoziale Beratung ist eine Dienstleistung: Während eine institutionalisierte Beratung (z.B. in Institutionen zur Ehe- und Familienberatung, Schwangerschaftskonflikt- oder Suchtberatung) in der Regel kostenfrei ist, gibt es auch eine Reihe von »gewerblichen« Beratungsangeboten, die kostenpflichtig sind (vgl. z.B. Online-Beratung, ▶ Kap. 5). Bei einer professionellen Beratung nimmt der Berater in Bezug auf den Klienten keine weiteren
Rollen (z.B. beste Freundin, Arbeitskollege) ein. Die Professionalität der Beratung ergibt sich aber nicht nur aus der klaren Trennung zwischen verschiedenen Funktionen, sondern im Wesentlichen aus der fachlichen Expertise des Beraters. Damit rekrutiert der professionelle Berater nicht nur auf sein Erfahrungswissen, sondern v.a. auch auf empirisch gesicherte Erkenntnisse zur spezifischen Problemlage des Ratsuchenden (in diesem Fall »Klienten«). Auch in der Vermittlung dieser Erkenntnisse, in der Interaktion mit dem Klienten, greift er auf seine fachliche Kompetenz zurück. Ein wesentliches Kriterium für eine professionelle psychosoziale Beratung ist, dass es sich bei den Beratern um speziell ausgebildete Personen handelt, die einerseits über theoretisches Wissen zur Entstehung und Aufrechterhaltung des der Beratung zugrunde liegenden Problems verfügen sowie zu potentiellen Lösungsansätzen, gleichzeitig aber operative Kompetenzen in der Interaktion mit dem Klienten aufweisen (beispielsweise Gesprächstechniken; Strategien zum Beziehungsaufbau; Diagnosefertigkeiten; Handlungsstrategien; sog. »Doppelverortung der Beratung«; ▶ Kap. 11.2). McLeod (2004) spricht in diesem Zusammenhang auch von so genannten »Beraterqualitäten« und nennt folgende notwendige Fähigkeiten und Fertigkeiten: 4 Interpersonelle Fertigkeiten (wie Zuhören, Kommunikationsaufbau und -aufrechterhaltung, Empathie, Präsenz, Bewusstsein über nonverbale Kommunikationsstrategien, Ausdruck von Gefühlen, etc.), 4 Persönliche Überzeugungen (wie Fähigkeit andere zu akzeptieren, Glaube an das Veränderungspotenzial von Menschen, Bewusstsein über ethische und moralische Wahlmöglichkeiten, etc.), 4 Konzeptionelle Fähigkeiten (wie Fähigkeit, Probleme des Klienten einzuschätzen und verstehen zu können (diagnostische Kompetenzen), kognitive Flexibilität, Problemlösefähigkeit, etc.), 4 Persönliche Integrität (darunter versteht er, dass der Berater keine persönlichen Bedürfnisse verfolgt, (möglichst) keine Vorurteile gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Gruppen aufweist; Fähigkeit, unangenehme Gefühle gegenüber dem Klienten zu tolerieren; keinen
13 2.1 . Rahmenbedingungen professioneller Beratung
persönlichen Nutzen aus der Beratung zu ziehen, keine persönlichen Ziele verfolgen, etc.),
oftmals auch die kulturelle Sensibilität von Beratern gezählt, die besonders in der Arbeit mit Personen mit Migrationshintergrund oder bei der Beratung von internationalen Firmen (Zusammenarbeit mit sehr unterschiedlichen Nationen) eine zunehmend wichtige Rolle spielt.
4 Beherrschung der therapeutischen bzw. Beratungstechniken (dies umfasst auch das
Wissen über die Effektivität von verschiedenen Interventionsstrategien inklusive deren differentielle Indikation, Erfahrung und Übung in der konkreten, sachgerechten Umsetzung von verschiedenen Interventionsstrategien, etc.), 4 Fähigkeit soziale Systeme zu verstehen und mit ihnen zu arbeiten (wie Kenntnis der rele-
vanten Familien- und Arbeitsbeziehungen; Fähigkeit für seine eigene Arbeit auch Unterstützungsnetzwerke und Supervision in Anspruch zu nehmen; Sensibilität gegenüber der sozialen Welt des Klienten, etc.). Zu diesem Punkt wird
Rogers (1971, 2001) hat sich sehr ausführlich mit den Anforderungen an den Berater beschäftigt und fokussiert hier vor allem auf den Bereich der interpersonellen Kompetenzen. Er definierte Basisqualitäten von Beratern/Therapeuten, die sich in allen Theorien zur Beratung und Therapie als Grundelemente zum therapeutischen/beraterischen Handeln wieder finden (▶ Exkurs »Basisqualitäten von Beratern nach Rogers«).
Exkurs Basisqualitäten von Beratern nach Rogers Rogers beschäftigte sich sehr intensiv mit der Frage, was eine erfolgreiche Beratung ausmacht. Er kritisierte in erster Linie, dass Beratung in vielen Fällen zu direktiv, zu ermahnend, zu suggestiv, zu interpretativ sei. Rogers (1971) geht davon aus, dass jeder Mensch das Bedürfnis nach einer positiven Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt hat (sog. Selbstexploration). Der Mensch strebt laut Rogers nach Selbstverwirklichung sowie nach Liebe und Wertschätzung durch andere. Diese Tendenz zur Selbstverwirklichung umfasst Elemente wie Unabhängigkeit, Wachstum, Komplexität, aber auch Bedürfnisbefriedigung und Spannungsreduktion. Wichtige Motoren für das Verhalten sind der Wunsch nach Konsistenz, d.h. mein Verhalten sollte mit dem Bild, was ich selbst von mir habe, übereinstimmen, und Kongruenz, d.h. mein wahrgenommenes Selbst und aktuelle Erfahrungen sollten übereinstimmen. Probleme entstehen, wenn Erfahrungen ausgeblendet, nicht mehr in das Selbstbild integriert werden, verzerrt werden, um dem Selbstbild angepasst zu werden, oder sich als inkongruent erweisen. Die Gesprächssituation sollte daher nach Rogers einige Qualitäten aufweisen, damit der Klient aktiv und eigenständig
2
sich weiterentwickeln kann. Rogers (2001; S. 28) sieht eine erfolgreiche Beratung wie folgt: »Wirksame Beratung besteht aus einer eindeutig strukturierten, gewährenden Beziehung, die es dem Klienten ermöglicht, zu einem Verständnis seiner selbst in einem Ausmaß zu gelangen, das ihn befähigt, auf Grund dieser neuen Orientierung positive Schritte zu unternehmen.« Die therapeutische Beziehung und damit das Verhalten des Beraters ist eine notwendige, wie auch hinreichende Bedingung, damit der Klient sich verändert. Die dafür erforderlichen Basisqualitäten sind Empathie, Echtheit und Wärme. 4 Empathie (Einfühlung) meint in die persönliche Erfahrungswelt einer anderen Person einzutauchen und völlig in ihr zu Hause zu sein. Die unterschiedlichen Gefühlsbedeutungen werden empfindsam wahrgenommen. Empathie meint Verstehen, nichtwertendes Eingehen auf die Person und ihre Empfindungen und Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte. Der Gegenpol hierzu ist wertendes, beurteilendes Verhalten, das eigene Maßstäbe anlegt. 4 Echtheit (Kongruenz) bedeutet, dass der Berater nichts »vorspielt«, sondern auf allen Kommunikationskanälen (verbal, nonverbal, paraverbal etc.) die gleiche Botschaft
6
14
2
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
sendet, die auch »gemeint« ist. Dies setzt voraus, dass der Berater sich seiner eigenen Gefühle bewusst ist. Der Gegenpol hierzu ist Unaufrichtigkeit oder Fassadenhaftigkeit. 4 Wärme (Akzeptanz, unbedingte positive Wertschätzung) bedeutet Sorge und Respekt für den Klienten ausdrücken und die Person, nicht unbedingt das konkrete Verhalten, wertzuschätzen, ohne dass daran Bedingungen geknüpft werden. Gegenpol ist eine sachliche, distanzierte, oder gar abwertende Atmosphäre. Alle drei »Ingredienzien« tragen zu einer erfolgreichen Beratung bei, sind notwendig für eine erfolgreiche Beratung. Wärme sichert eine angstfreie Atmosphäre und steigert das Selbst-
Psychosoziale Beratung ist damit eine Dienstleistung, die bestimmten Qualitätskriterien genüge zu leisten hat. Der Berater hat nicht nur eine ethischmoralische, sondern auch eine rechtliche Verantwortung, dass die angebotene Dienstleistung, d.h. die Beratung, definierten Qualitätskriterien entspricht (Barabas, 2004a, b; Joussen, 2004). Neben entsprechenden gesetzlichen Grundlagen (▶ Kasten »Rechtliche Rahmenbedingungen professioneller psychosozialer Beratung«) regeln auch Fachgesell-
schaften die Anforderungen, die eine professionelle psychosoziale Beratung erfüllen muss. Die Berufsordnung der Diplom-Psychologen ist im ▶ Kasten »Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie« (▶ Anhang) in Auszügen beispielhaft für solche Reglements dargestellt. Für den Bereich der Beratung gibt es keinen einheitlichen Dachverband, sondern es finden sich sehr viele verschiedene Organisationen – auch je nach zugrunde liegender Profession. Die formulierten Richtlinien sind jedoch in ihren Grundaussagen mit denen für die Diplom-Psychologen (wie z.B. Vertraulichkeit, sorgsamer Umgang mit Daten sowie Abstinenz
akzeptanz, Empathie, Kongruenz
wertempfinden. Empathie wirkt anregend und erlebnisaktivierend, Echtheit baut Vertrauen auf. Das Modell Rogers’ ist in . Abb. 2.1 dargestellt.
Akzeptanz
Empathie
angstfreie Atmosphäre
Kongruenz
Vertrauen
Anregung Erlebnisaktivierung Steigerung des Bereicherung Selbstwerts Selbstexploration aktive Auseinandersetzung
⊡ Abb. 2.1. Rogers’ Modell der Basisqualitäten der Beratung/Therapie.
bezogen auf persönliche Beziehungen mit den Klienten) vergleichbar. Als allgemeine ethische Richtlinien, die sich in vielen ethischen Leitlinien finden lassen, sind zu nennen: 4 durch die Beratung keinen Schaden zufügen, 4 Recht des Klienten auf Selbstbestimmung anerkennen, 4 Ehrlichkeit im Umgang mit Klienten, aber auch der eigenen Person, 4 gerechtes, nicht-diskriminierendes Verhalten gegenüber allen Klienten, 4 Klienten mit Respekt und Würde behandeln, 4 aufrichtiges Bemühen um die Belange des Klienten, 4 qualitativ-hochwertige Dienstleistung erbringen sowie 4 Professionalität durch Wahrung der Grenzen. Moralische Fragestellungen (wie z.B. in welchem Interesse gehandelt wird oder wie lenkend oder manipulierend das eigene Verhalten sein darf) sind zentrale Aspekte, mit denen sich jeder professionelle Berater intensiv auseinander setzen sollte.
15 2.1 . Rahmenbedingungen professioneller Beratung
Exkurs Rechtliche Rahmenbedingungen professioneller psychosozialer Beratung
te von Kindernottelefonen (Telefonseelsorge etc.).
Rechtsanspruch auf Beratung So regelt das Sozialgesetzbuch (SGB) für verschiedene Sozialleistungsanbieter, dass unentgeltliche Beratung angeboten werden muss. Dies gilt u.a. für: 4 Arbeitsämter (SGB III; §3 und §§29ff ), 4 Krankenkassen (SGB V; §1), 4 Rehabilitationsträger (SGB IX; §23, 60, 61), 4 Unfallkassen (SGB VII; §17), 4 …
Haftung für unsachgemäße Beratungen Professionelle Beratung unterliegt einem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch. Dies wird im Rahmen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB §280) geregelt. Demnach haftet der Berater für eine fehlerhafte, unvollständige oder pflichtwidrig überlassene Beratung. Das bedeutet, dass mangelnde Fachkenntnisse und mangelnde Sorgfalt (fahrlässiges Verhalten, z.B. wenn die diagnostische Abklärung unzureichend war) einen Haftungsgrund darstellen, nicht jedoch beispielsweise das in den Augen des Ratsuchenden unzufriedenstellende Ergebnis der Beratung. Daneben haftet der Berater auch, wenn beispielsweise Informationen wie Tonbandmitschnitte ohne Zustimmung des Klienten weitergegeben werden (»Bruch des Beratungsgeheimnisses«).
Im Rahmen dieser Gesetze wird geregelt, dass eine persönliche Betreuung und allgemeine Lebenshilfe zu den Aufgaben der jeweiligen Leistungsträger gehört. Auch Kinder und Jugendliche haben einen Rechtsanspruch auf Beratungsangebote und weitere unterstützende Maßnahmen in unterschiedlichen Lebens- und Krisensituationen. Dies ist im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) geregelt, das beispielsweise auch präventive Beratung vorsieht. Das KJHG von 1991 umfasst 20 Paragraphen zum Thema Beratung; es sind neben Beratungen aber auch andere Hilfemaßnahmen wie beispielsweise Psychotherapie oder eine Familienhilfe vorgesehen. Demnach sollen Kinder, Jugendliche sowie deren Erziehungsberechtigten Hilfe erhalten: 4 zur Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme, 4 bei Erziehungsfragen oder 4 in Trennungs- und Scheidungssituationen. Die konkrete Art der Hilfestellung muss fallbezogen entschieden werden. Wichtig ist hier die Sonderstellung von Kindern: Eine Beratung ohne Kenntnis der Sorgeberechtigten ist nur dann möglich, wenn eine besondere Konflikt- oder Notlage vorliegt (z.B. sexueller Missbrauch, aber auch Alkoholismus der Eltern). Solche Einschränkungen gelten beispielsweise nicht für die (in der Regel anonymen) Angebo-
Abstinenzgebot – Haftung bei Sexualdelikten Innerhalb von Beratungsgesprächen und therapeutischen Settings wird ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Berater/Therapeuten aufgebaut. Bedingt durch die doch recht asymmetrische Beziehung benötigen die Klienten in einer solchen Beziehung besonderen Schutz. Strafrechtlich relevant sind nach §§174ff StGB sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung sowie sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen. Persönliche, emotionale Beziehungen des Beraters zu seinem Klienten sind nicht strafbar, fallen jedoch unter das Abstinenzgebot (▶ Kasten »Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie«) und sollten aufgrund der asymmetrischen Beziehung zwischen Klient und Berater und der besonderen Machtposition des Beraters unterlassen werden.
6
2
16
2
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
Garantie der Vertraulichkeit (sog. Schweigepflicht) Eine der zentralsten rechtlichen Regelungen betrifft die Garantie der Vertraulichkeit, die im Strafgesetzbuch (StGB) geregelt ist. Nach § 203 StGB gilt: »Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis (...), offenbart, das ihm als 1. Arzt, (...) oder Angehörigen eines anderen Heilberufes, der für die Berufsausübung oder für die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, 2. (...) anvertraut war oder sonst bekannt geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.« Als Geheimnis werden Informationen sowohl aus dem privaten als auch dem geschäftlichen Bereich verstanden, von denen der Betroffene nicht will, dass sie weitererzählt werden sowie Tatsachen, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und an denen der Betroffene ein schützenswürdiges Interesse hat. Die Garantie der Vertraulichkeit endet nicht mit dem Tod. Als »Geheimnisträger« werden neben Berufspsychologen explizit auch Berater (Ehe-, Jugend-, Suchtberater etc.) genannt. Die »Schweigepflicht« darf nur in eng geregelten Ausnahmefällen gebrochen werden. Hierzu gehört beispielsweise die Verhinderung eines Offizialdeliktes (z.B. Mord), der nicht auf andere Weise hätte verhindert werden können. Vergangene Straftaten unterliegen der Schweigepflicht.
Zeugnisverweigerungsrecht Der Schweigepflicht steht aber kein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber. Das Zeugnisverweigerungsrecht bezeichnet das Recht, vor Gericht nicht auszusagen. Hier unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Zivil- und Strafrechtsprozessen. Während dies in Zivilrechtsprozessen in der Regel gegeben ist, ist die Auslegung bei Strafrechtsprozessen enger. Hier werden explizit aus dem Bereich der psychosozialen Beratung nur Berater einer Drogenberatungsstelle, Berater inSchwangerschaftsberatung sowie Psychologische Psychotherapeuten genannt. Dokumentationspflicht Vom Gesetzgeber werden genauestens auch die Regelung zur Dokumentation der Arbeit und Aufbewahrung von Notizen geregelt (Regelungen zur Strukturqualität von Beratung). So müssen beispielsweise persönliche Notizen bzw. die Dokumentation des Beraters über den Beratungsverlauf von den Sozialdaten getrennt aufbewahrt werden. Sie dienen v.a. der Diagnosestellung und sollten danach vernichtet werden. Generell besteht die Verpflichtung nur relevante Sozialdaten zu erheben und zu speichern; diese sollten nach Abschluss der Beratung oder im Falle eines Beratungsabbruchs sechs Monate nach dem letzten Gesprächstermin vernichtet werden. Statistische Daten zum Tätigkeitsnachweis müssen anonymisiert werden.
Definition Definition zur psychosozialen Beratung Beratung ist ein zwischenmenschlicher Prozess, in welchem eine Person oder eine Gruppe, d.h. die Ratsuchenden/Klienten in der und durch die Interaktion mit einer anderen Person, dem sog. Berater/ Team, mehr Klarheit gewinnt über eigene Probleme und deren Bewältigungsmöglichkeiten. Die Hilfe zur Selbsthilfe, d.h. die Steigerung der Problemlösefertigkeiten seitens des Ratsuchenden, ist ein entscheidendes Element von Beratung. Psychosoziale Beratung soll damit nicht nur bei der »Lösung« eines aktuellen, spezifischen Problems stehen bleiben, sondern den Klienten Möglichkeiten aufzeigen, wie ähnlich gelagerte Probleme in Zukunft zu bewältigen sind.
17 2.2 . Felder psychosozialer Beratung
In weiterer Abgrenzung zur Alltagsberatung, die als aufsuchender freiwilliger Prozess beschrieben werden kann, muss für die professionelle Beratung hervorgehoben werden, dass Freiwilligkeit wünschenswert ist, dass es jedoch dennoch Fälle unfreiwilliger Beratung gibt. Zu nennen sind hier beispielsweise Beratungen im Rahmen der Schwangerschaftskonfliktberatung, im Rahmen von Insolvenzverfahren zur Restschuldbefreiung oder auch gerichtlich angeordnete Beratungen (z.B. vom Jugendgericht für einen straffällig gewordenen Jugendlichen). Beratungsgespräche im Alltag sind nicht mit professionellen Beratungen vergleichbar und auch nicht austauschbar. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass professionelle Beratung ein rationaler, strukturierter Prozess ist, der auf theoretischem, empirisch-fundiertem Grundlagenwissen zur jeweiligen Thematik und einem besonderen Methodenrepertoire bezogen auf die Problemeinschätzung (Diagnose), die Problembehandlung (Intervention) und Bewertung (Evaluation) beruht. »Beratungskompetenz« und »Beratungsqualität« sind zentrale, kennzeichnende Merkmale jeglicher professionellen Beratung.
2.2
Felder psychosozialer Beratung
Beratung(skompetenz) wird als eine »Schlüsselkompetenz« in vielen verschiedenen psychologischen und gesundheitsbezogenen Berufsfeldern (wie Sozialarbeit, Medizin, Seelsorge, Pädagogik, etc.) angesehen. Der Zugang zur professionellen psychosozialen Beratung steht – mit einer angemessenen Ausbildung und Supervision – damit vielen verschiedenen Berufsgruppen offen. Diese Heterogenität im jeweiligen beruflichen Hintergrund der Berater ist ein wichtiges Kriterium zur Abgrenzung von Therapie und anderen Interventionsformen (▶ Kap. 2.4). Dennoch hat Beratung als Interventionsform gerade innerhalb der Psychologie eine herausragende Stellung: So gehört Beratung nicht nur in die Ausbildung der Klinischen Psychologie, der Pädagogischen und Arbeits- und Organisationspsychologie, sondern natürlich auch in die »neuen« Anwendungsbereiche der Psychologie wie Gesundheits-, Medien-, Sportoder Umweltpsychologie, um nur einige Beispiele
2
zu nennen. Selbst in Lehre und Forschung werden von den dort Tätigen »Beratungskompetenzen« und »Beratungstätigkeit« erwartet. Das Feld der Beratungsarbeit und der damit verfolgten Beratungsthemen ist somit sehr weit gesteckt. Neben der groben Kategorisierung nach den Anwendungsfeldern der Psychologie kann natürlich auch eine Einteilung nach den Themenbereichen, die Inhalt der Beratungsarbeit sind, erfolgen. So beschäftigt sich die Klinische Psychologie, deren Gegenstand vor allem die psychischen Störungsbilder sind, u.a. mit der Beratung von Familienangehörigen von schizophrenen, alkoholkranken oder depressiven Patienten, die Gesundheitspsychologie mit der Beratung von Rauchern oder übergewichtigen Personen, die Medizinische Psychologie mit der Beratung von krebskranken oder asthmakranken Menschen, die Arbeits- und Organisationspsychologie u.a. mit der Beratung von einzelnen Personen wie zum Beispiel Managern oder ganzen Systemen zur Optimierung der Arbeitsabläufe, um nur einige Beispiele zu nennen. Es finden sich hinsichtlich der Themen jedoch auch deutliche Überschneidungen: So werden Beratungen zur Stressbewältigung beispielsweise in der Medizinischen Psychologie (z.B. Stressbewältigungskompetenzen zur Linderung der Krankheitssymptomatik), der Pädagogischen und Arbeits- und Organisationspsychologie (für Führungskräfte) eingesetzt (auch ▶ Kap. 11). Konzepte der Personalentwicklung finden sich innerhalb der Pädagogischen wie der Arbeits- und Organisationspsychologie. Eine Kategorisierung nach Beratungsanlässen ist sehr schwierig, da im Prinzip hier der Vielfalt von möglichen Problembereichen keine Grenzen gesetzt sind (▶ Kap. 1.1 zu Beratungsanlässen). Es gibt jedoch häufig auftretende Themenkomplexe, die sich auch in den Benennungen der Beratungsstellen niederschlagen wie: 4 Ehe-, Familien- und Erziehungsberatungen, 4 Schuldner- und Insolvenzberatung, 4 Alkohol- und Suchtberatungsstellen, 4 Schwangerschaftskonfliktberatung, 4 Beratungsstellen für Studierende, 4 Opferberatungsstellen, 4 Beratungsstellen für Frauen, 4 Beratungsstellen für Migranten, 4 AIDS-Beratungsstellen, 4 Beratungsstellen für Essstörungen, 4 Beratung für todkranke Menschen,
18
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
4 Krebsberatungsstellen, etc.
2
Generell kann man sagen, dass gesellschaftliche Entwicklungen (seien es Fortschritte in der Medizin, der Technologie oder wachsende Spezialisierungen in einzelnen Berufsbildern, zunehmende Mobilität, aber auch hohe Arbeitslosigkeit) neuen Beratungsbedarf und damit neue Beratungsfelder entstehen lassen. So sind in den letzten Jahrzehnten neue Felder wie »Medienberatung« oder auch genetische Beratung erst dadurch entstanden, dass die Entwicklungen in der Technologie einen neuen Bedarf »erzeugt« haben. Weiterhin trägt eine pluralistische Gesellschaft, die viele individuelle Lebensformen und –entscheidungen toleriert, auch dazu bei, dass Entscheidungsbedarf entsteht, der zu früheren Zeiten noch nicht vorhanden war. Wir leben zudem in einer Zeit der zunehmenden Individualisierung und Fragmentisierung von Wissen. Wissen ist zwar leicht (z.B. über das Internet) zugänglich, aber die vertretene Meinungsvielfalt ist ohne fundiertes Grundwissen zu deren Bewertung nur verwirrend. Durch den starken Wandel der Lebensformen und gesellschaftliche Veränderungen stehen ältere Generationen nicht mehr als »erfahrene Berater« zur Verfügung. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass der Beratungsbedarf wächst, was anhand der steigenden Zahl von Beratungsangeboten und deren immer stärker werdenden Spezialisierung zu beobachten ist. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass das Vorhandensein eines Beratungsangebots selbst wieder Nachfrage erzeugen kann. In ihrem »Handbuch der Beratung« unterscheiden Nestmann, Engel und Sickendieck (2004) 26 verschiedene Beratungsfelder ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Psychosoziale Beratung ist damit in nahezu jedem Bereich der Angewandten Psychologie (aber auch der Medizin, Soziologie, Pädagogik und Seelsorge) zu finden. Beratung ist zielgruppenspezifisch, d.h. die besonderen Belange und Möglichkeiten der jeweiligen Zielgruppen müssen in besonderer Weise berücksichtigt werden. Kategorisiert man psychosoziale Beratung nach den Adressaten der Beratung, kann man beispielsweise danach unterscheiden, ob sich die Beratung an: 4 Angehörige (als potentielle Mediatoren oder als Selbst-Belastete) oder Betroffene, 4 Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, 4 Männer oder Frauen,
4 Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft (Bildungsniveau, ökonomische Verhältnisse), 4 an bestimmte kulturelle und ethnische Gruppen, 4 an Einzelpersonen, Gruppen oder Systeme (wie Familien oder Arbeitseinheiten), 4 … richtet. Damit gehen nicht nur andere Anforderungen an das Methodenrepertoire (z.B. bezogen auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen oder bezogen auf die Arbeit mit Gruppen) einher, sondern die Inhalte der Beratung und vor allem auch die Ziele, die mit der Beratung verfolgt werden, können sich sehr deutlich unterscheiden. Beratung ist aber kein genuin psychologisches Handlungsfeld; Beratungsarbeit spielt auch eine zentrale Rolle in (sozial-)pädagogischen und medizinischen Berufsbildern. Deutliche Überschneidungen zeigen sich beispielsweise im Bereich der Schuldnerund Insolvenzberatung, die in aller Regel von Steuerfachkräften oder Juristen durchgeführt werden oder der Betreuung von todkranken Menschen, die klassisch sehr stark in den Bereich der Seelsorge fällt. Veränderungen in diesen Berufsfeldern tragen ihrerseits natürlich nicht nur zur Ausweitung der Anwendungsbereiche der psychosozialen Beratung bei, sondern auch zur Spezifizierung und Erweiterung der Beratungsgrundlagen. Die Erkenntnisse dieser Professionen prägen das Berufsbild des Beraters mit. Damit ist eine wesentliche Kennzeichnung der psychosozialen Beratung gegeben: Beratung ist ein interdisziplinäres Anwendungs- und Forschungsfeld. Nestmann et al. (2004) sprechen in diesem Kontext von verschiedenen Beratungsdisziplinen. So ist beispielsweise eine Trennungs- und Scheidungsberatung ohne Berücksichtigung der rechtlichen Grundlagen nicht denkbar; Erziehungsberatung muss auch immer die sozialen Bezüge und die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse berücksichtigen. Dies bringt auch mit sich, dass sich oftmals die Arbeitsfelder der einzelnen Berufsgruppen nicht mehr so klar voneinander abgrenzen lassen (Kühnl, 2000; Kurz-Adam, 1997).
2.3
Definitionsversuche
Angesichts der vielen verschiedenen Handlungsfelder, in denen Beratung stattfindet, mit ihren diversen Aufgabenstellungen und Zielsetzungen, ist es nicht verwun-
19 2.3 . Definitionsversuche
2
Definition Definitionen zur Beratung »Beratung ist in ihrem Kern jene Form einer interventiven und präventiven helfenden Beziehung, in der ein Berater mittels sprachlicher Kommunikation und auf der Grundlage anregender und stützender Methoden innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums versucht, bei einem desorientierten, inadäquat belasteten oder entlasteten Klienten einen auf kognitiv-emotionale Einsicht fundierten aktiven Lernprozess in Gang zu bringen, in dessen Verlauf seine Selbsthilfebereitschaft, seine Selbststeuerungsfähigkeit und seine Handlungskompetenz verbessert werden können.« (Dietrich, 1983, S. 2) »Beratung ist eine freiwillige, kurzfristige, oft nur situative, soziale Interaktion zwischen Ratsuchenden (Klienten) und Berater mit dem Ziel, im Beratungsprozess eine Entscheidungshilfe zur Bewältigung eines vom Klienten vorgegebenen aktuellen Problems durch Vermittlung von Informationen und/oder Einüben von Fertigkeiten gemeinsam zu erarbeiten.« (Schwarzer & Posse, 1986, S. 634) »Beratung ist eine professionelle, wissenschaftliche fundierte Hilfe, welche Rat- und Hilfesuchenden Einzelnen und Gruppen auf der Basis des kommunikativen Miteinander vorbeugend, in Krisensituationen sowie in sonstigen Konfliktlagen aktuell und nachbeteuend, dient. Somit darf Beratung keinesfalls bestimmte Entscheidungen dem Ratsuchenden aufdrängen bzw. diese durch offenen oder verdeckten Machtmissbrauch erzwingen. Kennzeichnend [...] ist, dass die Probleme des Ratsuchenden den Mittelpunkt bilden.« (Brem-Gräser, 1993, S. 15) »Counselling is a principled relationship characterised by the application of one or more psychological theories and a recognised set of communication skills, modified by experience, intuition and other interpersonal factors, to clients' intimate concerns, problems or aspirations. Its predominant ethos is one of facilitation rather than advice giving or coercion.« (Feltham & Dryden, 2004, p. 51)
derlich, dass es keine allgemeinverbindliche Definition von Beratung gibt. Beratung wird im deutschsprachigen Raum oft als Oberbegriff für eine Vielzahl, teilweise stark divergierender Angebote gesehen. Diese divergierenden Angebote sind z.T. davon abhängig, in welchem Handlungsfeld die Beratung stattfindet, mit welcher Klientel gearbeitet wird und natürlich welche
theoretische Orientierung der professionelle Berater hat. In der Literatur liegen zahlreiche Versuche zur Definition von Beratung vor. Dabei werden, je nach Autor und dessen inhaltlichen Schwerpunkten, theoretischer Orientierung etc., unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund gestellt. Generell lässt sich festhalten, dass Beratung zu den so genannten »interventi-
Exkurs Kompetenzwahrnehmung von Beratern Die Befragung von Sharpley et al. (2004) zeigt, dass die persönliche Hemmschwelle für den Kontakt mit einem Berater geringer ist als die für den Kontakt mit einem Psychologen, Sozialarbeiter oder Psychiater. Auch in dieser Reihung würden die Berufsgruppen einem Freund empfohlen, der Hilfe für ein persönliches Problem braucht. Allerdings zeigte sich hier eine leichte Differenzierung der Berufsgruppen in Abhängigkeit von der Problemstellung, aber auch die
große Überlappung, die zwischen den einzelnen Berufsgruppen wahrgenommen wird. Generell deutet sich an, dass Berater für »normale Krisen und Problemlagen« im Alltag (wie Trauer oder Probleme in der Ehe) als kompetent und zuständig (⊡ Tab. 2.1), während schwerere psychiatrische Probleme eher als Aufgabenbereich von Psychologen und Psychiater wahrgenommen werden. Diese Einschätzung in der Bevölkerung deckt sich damit im Wesentlichen mit der wissenschaftlichen Literatur.
20
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
⊡ Tab. 2.1. Kompetenzwahrnehmung von Spezialisten in der Bevölkerung. (Nach Sharpley et al., 2004) Problemkategorie
2
Gesundheitsspezialist, den die Teilnehmer aufsuchen würden* Berater
Psychologe
Psychiater
Sozialarbeiter
Trauer und Verlust
82,7%
27,0%
10,2%
29,2%
Eheprobleme
74,8%
25,2%
3,5%
28,3%
Alkoholprobleme
73,9%
32,7%
17,3%
40,3%
Drogenprobleme
73,0%
33,2%
21,7%
44,7%
Mentale Gesundheit
19,0%
43,8%
69,9%
9,3%
Vergewaltigung
69,5%
33,2%
24,8%
45,1%
Finanzielle Schwierigkeiten
66,4%
9,7%
2,2%
48,7%
Sexueller Missbrauch
65,9%
35,4%
25,2%
45,1%
Stress
65,5%
42,0%
16,4%
14,2%
häusliche Gewalt
64,6%
15,0%
13,3%
30,1%
Verhalten des Kindes
58,0%
50,4%
27,0%
34,1%
Depression
52,7%
49,1%
41,6%
11,5%
Ängste
49,1%
50,9%
34,5%
8,8%
Phobien
17,7%
50,0%
49,6%
4,0%
Essstörungen
28,3%
47,4%
43,4%
8,4%
Panikattacken
38,9%
45,6%
39,4%
9,3%
Berufliche Probleme
40,3%
31,4%
9,3%
23,0%
Sexuelle Dysfunktion
39,8%
43,8%
36,3%
10,6%
Lernschwierigkeiten
38,5%
37,2%
11,1%
24,7%
* fett gedruckt ist jeweils die am häufigsten angesprochene Berufsgruppe
ven Maßnahmen« zählt. Unter Intervention wird jede Form planvollen, psychologisch begründeten eingreifenden Handelns gefasst, das das Ziel verfolgt, seelischen Störungen vorzubeugen, diese zu beheben oder zu lindern. Im folgenden ▶ Kasten sind einige gängige Definitionen zusammengestellt.
Diese Definitionen rücken verschiedene Aspekte in den Vordergrund, die für den Beratungsansatz immer wieder betont werden. Sie zeigen auch sehr deutlich die Vielfalt von Beratungsansätzen. Hier die Definition, die diesem Buch zugrunde gelegt wurde.
21 2.4 . Abgrenzung von Psychotherapie und Erziehung
Beratung ist somit mehr als eine externe Ressource, die in einer »Konfliktsituation« aufgesucht wird, sondern sie soll auch dazu beitragen, die personalen (wie z.B. Selbstwirksamkeit, Problemlösekompetenz) und sozialen Ressourcen (wie z.B. soziales Netzwerk) zu stärken und ihre Aktivierung/Nutzung zu ermöglichen. Beratung ist »Hilfe zur Selbsthilfe« (Hofer, 1996). Lenz (2003, 2004) spricht in diesem Zusammenhang von »ressourcenorientierter Beratung«, ein Konzept, das sämtliche Beratungsangebote kennzeichnen sollte. Auch Grawe (1998; Grawe & Grawe-Gerber, 1999) sieht in der Ressourcenaktivierung das wesentliche Wirkelement der Psychotherapie und der Beratung. Fiedler (1996) betont den Prozess der vernetzten Hilfestellung, die sich eben nicht nur auf den Therapeuten / Berater, sondern auch z.B. auf weitere Familienmitglieder oder andere professionelle Helfer erstrecken müsse, um die verfügbaren Ressourcen zu nutzen, aber auch weiter anzureichern. Gerade diese allgemeine Zieldefinition (»Ressourcenaktivierung« statt »Linderung von Symptomen«) grenze Beratung von einer »kurzen Verhaltenstherapie« ab (▶ Kap. 2.2). Die Betonung der sozialen Bezüge (auch als Gründe für die Entstehung von Problemen) heben Berater – im Gegensatz zu Therapeuten – besonders hervor (Brehms & Johnson, 1997). Angesichts der Verwirrung über die Begrifflichkeiten und Zuständigkeiten der Berufsgruppen, die sich auch für Professionelle zeigen, ist es nicht verwunderlich, dass auch in der Bevölkerung relativ große Verwirrung darüber herrscht, wie beispielsweise Sozialarbeiter, Psychologen, Berater oder Psychiater von einander zu trennen sind – selbst in Ländern, in denen Beratung ein eigenständiges Berufsfeld ist. Welches Bild in der allgemeinen Bevölkerung von Beratern vorherrscht, untersuchten Sharpley, Bond und Agnew (2004). Die Berater wurden von den Befragten als jemand gekennzeichnet, der vor allem zuhört (56,2%), unterstützend ist (40,3%) und Probleme löst (25,2%). Empowerment – ein wichtiger und zentraler Ansatz in der psychosozialen Beratung – wurde nur von rund ein Zehntel der Befragten (9,7%) genannt. Der Nutzen wurde vor allem für die eigene Person gesehen und auch hier wieder die Rolle des Beraters als Zuhörer, Unterstützer und Problemlöser hervorgehoben.
2.4
2
Abgrenzung von Psychotherapie und Erziehung
Die Abgrenzung der Beratung gegenüber anderen Formen des interventiven Eingreifens ist recht schwierig. So stellt sich z.B. die Frage, was ein kurzfristiger Kontakt ist und wie sich die soziale Interaktionssituation zwischen Berater vs. Therapeut und Klient vs. Patient in Beratung und Psychotherapie unterscheiden. Im Folgenden soll eine Abgrenzung der Beratung gegenüber den Begriffen Erziehung und Psychotherapie erfolgen. Ausführlich wird dies nochmals in ▶ Kap. 6 und ▶ Kap. 8 thematisiert. Die meisten Probleme bereitet sichtlich die Abgrenzung zwischen Beratung und Psychotherapie. So wird oftmals Beratung als die »kleine Therapie« benannt oder von einem »beraterischen Anteil« gesprochen, wenn innerhalb der psychotherapeutischen Arbeit Psychoedukation betrieben wird. Dryden und Feltham (1994) sprechen davon, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen psychologischer Beratung und Psychotherapie gebe. Die Autorinnen führen aus, dass beide Verfahren zum Ziel hätten »… menschliches Leiden zu lindern, Probleme zu lösen, und den Menschen zu einem zufriedeneren Leben zu verhelfen« (S. 10). Daher verwundert nicht, dass »Beratung« in vielen Lehrbüchern zur Klinischen Psychologie – als Interventionsverfahren (primär i. S. einer Informationsvermittlung; vgl. z.B. Borg-Laufs & Schmidtchen, 2005; Fiedler, 1996) diskutiert wird. Psychotherapie wird als »… besondere Form zwischenmenschlicher Interaktion …« gesehen, bei der ein Therapeut »… versucht, mit Mitteln der verbalen und nonverbalen Kommunikation … »Patienten« … in ihrem Verhalten, ihren Einstellungen oder Denkweisen zu beeinflussen« (Hoffmann, 2005, S. 3). Zur Anwendung kommen dabei verschiedene psychologische Theorien. Nimmt man diese Definition, so zeigen sich keine Unterschiede zu den gängigen Definitionen zur Beratung. Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch die rechtliche Seite. Das psychotherapeutische Setting ist aufgrund seiner juristischen wie theoretischen Rahmenbedingungen von anderen Formen der professionellen (Arbeits-) Beziehung und kontrollierter Interaktion deutlich zu unterscheiden. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich beim Berater um einen Diplompsychologen handelt.
22
2
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
Die Begriffe »Beratung« und »Berater« sind nicht rechtlich geschützt, während »Psychotherapeut« und damit »Psychotherapie« rechtlich geschützte Begriffe darstellen. Beratung und Therapie müssen daher voneinander abgegrenzt werden. Durch das Psychotherapeuten-Gesetz (PsychThG) vom 16.06.1998 ist diese Unterscheidung formalrechtlich vollzogen worden. Im Rahmen des Psychotherapeuten-Gesetzes wird klar zwischen Psychotherapie und Beratung unterschieden. Dabei wird der juristische Rahmen für die Ausübung der »heilkundlichen Psychotherapie« geregelt. Nach § 3 des PsychThG ist Psychotherapie »… jede mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung und Linderung von Störungen mit Krankheitswert…«. Psychotherapeutische Tätigkeit bedarf demnach der Approbation als Psychologischer / Medizinischer Psychotherapeut oder als »Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut«. Psychotherapie ist nur dann indiziert, wenn Störungen mit Krankheitswert vorliegen. Ausgeschlossen sind damit normative Lebenslagen mit damit einhergehenden Entscheidungskonflikten (wie z.B. Entscheidung über den weiteren beruflichen Werdegang) oder psychosoziale Belastungsreaktionen in nicht normativen Lebenslagen (z.B. in Reaktion auf eine medizinische Diagnose), die nicht die Kriterien einer psychischen Störung erfüllen. Hierzu werden i. d. R. die Kriterien der ICD-10 herangezogen. Im Gesetzestext heißt es weiter: »Zur Ausübung von Psychotherapie gehören nicht psychologische Tätigkeiten, die die Aufarbeitung und Überwindung sozialer Konflikte oder sonstige Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben.« Auch wenn Beratung zu den primären Aufgaben von Psychologen zählt, wird Beratungstätigkeit nicht aufgenommen. Im Gegenteil, es werden explizit »soziale Konflikte« und deren Aufarbeitung ausgeschlossen – und damit ein wesentliches Tätigkeitsfeld von Beratung. Psychotherapie – als wesentlicher Teil des Gesundheitswesens – bezieht sich damit auf die Linderung und/oder Behebung bereits vorhandener psychischer Probleme. Die Förderung von Kompetenzen im Sinne einer Ressourcenstärkung zur präventiven Abwendung von psychischen Störungen gehört nicht in den engeren Bereich der Psychotherapie. So sprechen beispielsweise auch Dietzfelbinger, Oetker-Funk, Struck und Volger (2003) davon, dass die methodischen Heran-
gehensweisen innerhalb von Beratung und Therapie sich weniger zur Abgrenzung eignen, sondern vielmehr die Trennungslinie anhand der subjektiven Selbstdefinition verlaufe. Ein ähnliches Kriterium hatte bereits Dietrich (1991) vorgeschlagen. Lueger (1995) integriert Beratung in ein Phasenmodell der Veränderung innerhalb einer Psychotherapie, indem er davon ausgeht, dass Beratung bei Klienten mit einer Verschlechterung des subjektiven Wohlbefindens ohne Symptomatik bei allgemein gutem Funktionsniveau angezeigt sei, da diese auch ihre Bewältigungsressourcen gut mobilisieren könnten (s. ressourcenorientierte Sichtweise von Beratung). In der Literatur herrscht Einigkeit darüber, dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Interventionsformen sehr stark verwischen, dies gilt vor allem für die Unterscheidung zwischen Psychotherapie und Beratung im klinischen Setting (hier in erster Linie für die Berufsgruppen der Mediziner und Dipl. Psychologen bzw. approbierten (Kinder- und Jugendlichen)-Psychotherapeuten). Man kann davon ausgehen, dass es einen gewissen Überlappungsbereich gibt und eine Beratung durchaus in eine Therapie übergehen kann und umgekehrt. Kriterien wie das Methodenrepertoire oder die Aufgaben/Ziele sind in der Regel nicht zur Abgrenzung von psychosozialer Beratung und Therapie geeignet. In Anlehnung an die Einteilung von Dietrich (1991) erscheint es sinnvoll zur Abgrenzung verschiedene Kriterien heranzuziehen. Dietrich empfiehlt hierzu vor allem die folgenden sechs Kriterien: 4 den Anlass bzw. Grund für die Inanspruchnahme, 4 die an der jeweiligen Interventionsform beteiligten Personen, 4 das Ziel der Intervention, 4 die Zeitdauer, die für die Intervention normalerweise veranschlagt wird, 4 die eingesetzten Hilfsmittel bzw. Interventionsmethoden sowie die jeweilige Rollenbeziehung. Hierzu soll allerdings kritisch angemerkt werden, dass die von ihm vorgeschlagenen Kriterien in vielen Fällen keine Abgrenzung von Beratung und Therapie erlauben. So ist beispielsweise fraglich, ob die Dauer des Kontaktes, die rein arbiträr als kurzoder längerfristig definiert werden kann, ein gutes
23 2.4 . Abgrenzung von Psychotherapie und Erziehung
Entscheidungskriterium ist: Eine Psychotherapie kann auch nach bereits wenigen Sitzungen beendet werden, beispielsweise wenn die Intervention bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgreich war und sich kein weiterer Behandlungsbedarf ergibt. Auf der anderen Seite kann eine Erziehungsberatung eines Elternpaares mit einem verhaltensauffälligen Jugendlichen durchaus mehr als 5 oder 10 Kontakte erfordern und u.U. über ein Jahr lang erfolgen, bis das Ziel der Beratung erreicht ist. Über den Abbruch bzw. Verlängerung einer Beratung oder Psychotherapie entscheidet nicht ein Zeitkriterium, sondern ob die jeweiligen Beratungsbzw. Therapieziele erreicht wurden. Nicht jedes Kriterium eignet sich gleichgut zur Abgrenzung. Rein formal betrachtet ist durch die Regelung des Psychotherapeutengesetztes die trennschärfste Abgrenzung erreicht: Psychotherapie ist nur bei Problemen mit Krankheitswert, d.h. Störungen indiziert. Ist der Krankheitswert nicht gegeben oder auch eine Linderung der Symptomatik bzw. eine Verhinderung einer weiteren Verschlimmerung infolge einer Therapie nicht zu erwarten, kann nicht von Psychotherapie gesprochen werden. In ⊡ Tab. 2.2 sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeiteinige der wichtigsten Kriterien zur Abgrenzung zwischen psychosozialer Beratung und Psychotherapie aufgelistet. Dabei zeigt sich nochmals sehr deutlich wie groß die Überschneidungen zwischen psychosozialer Beratung und Psychotherapie sind, da eine eindeutige Zuordnung zur Beratung bzw. Psychotherapie nicht immer erfolgen kann. Diagnostische, interventive und evaluative Aspekte spielen sowohl bei der professionellen Beratung als auch der Psychotherapie eine zentrale Rolle. Die konkreten Methoden, die herangezogen werden, um den jeweiligen Auftrag zu erfüllen, überschneiden sich sehr stark. Hier greift gerade die Beratung auf das große Repertoire der Psychotherapie zurück. Beratung und Psychotherapie unterliegen zudem einem historischen Wandel: So werden beispielsweise präventive Aspekte auch in der Psychotherapie betont; in der Beratung finden sich auch zunehmend eigene interventive Strategien, die nicht aus der Psychotherapie entstanden sind. Problematisch wird die Abgrenzung der Beratung und Therapie innerhalb von Beratungssettings, wie z.B. der Erziehungsberatung (vgl. Hundsalz, 1996). Diese Unterscheidung wird anhand der
2
Dauer der Intervention, weniger nach Form und Inhalt, getroffen (Kühnl, 2000). Kurz-Adam (1997) weist hier allerdings auch darauf hin, dass gerade im Zuge der Entwicklung von Kurzzeittherapien diese Unterscheidung nach Anzahl der Sitzungstermine nicht haltbar ist. Generell lässt sich festhalten, dass anhand eines einzigen Kriteriums – wie der Zeit – die Abgrenzung sehr schwierig ist. Psychotherapie hat auch beraterische Anteile und bezieht soziale Aspekte mit ein. Der normative Charakter der Problemlagen und die stärkere Ressourcenbetonung auf Seiten der Beratung eignen sich wohl mit am besten zur Abgrenzung. Im konkreten Fall kann die Abgrenzung jedoch sehr schwierig sein. Mattejat und Pauschardt (▶ Kap. 8) gehen in ihrem Beitrag nochmals ausführlich auf die Abgrenzung ein und verdeutlichen vor allem auch, dass nicht nur im Rahmen der Beratung Therapie erfolgt, sondern dass auch umgekehrt die Psychotherapie starke beraterische Elemente enthält. Schwierig gestaltet sich auch die Abgrenzung von Psychotherapie und Beratung im Kontext körperlicher Erkrankungen. Entwickeln sich im Verlauf einer chronischen Erkrankung psychische Störungen, dann ist eine Psychotherapie zur Linderung dieser Probleme indiziert, welches sich dann auch positiv auf die Bewältigung der chronischen Erkrankung auswirken sollte. Steht jedoch die emotionale Bewältigung der veränderten gesundheitlichen Situation, die Re-Organisation des Alltags, etc. im Vordergrund, spricht man in der Regel von Beratung. Patientenschulungsprogramme bzw. Patientenberatung fokussieren auf eine Verbesserung der Krankheitsbewältigung, der Lebensqualität und Compliance von chronisch Kranken und deren Familien und reihen sich damit in die Gruppe der besonderen Formen von Beratung (hier im medizinischen Kontext) ein. Diese Form wird in ▶ Kap. 7 und ▶ Kap. 2.5 näher erläutert. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Beratung und Psychotherapie als ergänzende, nicht als konkurrierende psychologische Interventionsformen verstanden werden sollten. Im klinischen Setting konzentriert sich psychosoziale Beratung eindeutig auch auf psychische Gesundheitsprobleme, wobei jedoch hier der normative Charakter betont wird. Im deutschen Sprachraum wird Beratung – vor allem im klinischen Setting nicht im Sinne einer allgemeinen Bewusstseins-
4 Störung mit Krankheitswert 4 Leidensdruck 4 Chronische Probleme Person mit Störungsbild steht im Vordergrund der Betrachtung
4 Handlungsfähigkeit kann beim Klienten/Patienten eingeschränkt sein 4 Autonomie kann eingeschränkt sein 4 freiwilliger Charakter für den Erfolg von Therapie betont; dennoch auch bei Selbst- und Fremdgefährdung ohne Zustimmung des Patienten 4 je nach theoretischer Ausbildung unterschiedliche Herangehensweisen zur Linderung der Symptomatik 4 diagnostische Kompetenzen 4 interventive Kompetenzen 4 evaluative Kompetenzen 4 Strategien sollen konkret zum Abbau unangemessenen und Aufbau angemessenen Verhaltens beitragen 4 Linderung/Heilung der psychischen Störung (kurativer Charakter) 4 Prävention von sekundären Folgeerscheinungen 4 Unmittelbare Veränderungen der Lebenssituation nicht angestrebt 4 Persönlichkeits- und Verhaltensänderung
Vielfalt von Beratungsanlässen wie 4 »normative« Entwicklungsprobleme 4 Probleme im alltäglichen Lebensvollzug 4 Entscheidungsanforderungen (z.B. weitere schulische Laufbahn) 4 Umgang mit veränderten Lebensbedingungen (z.B. neue Arbeitsstelle; Verlust der Arbeitsstelle; Krankheit, etc.) 4 eher: akuter Charakter Ausschluss: Störung mit Krankheitswert (a Therapie)
4 man geht von einer generellen Handlungsfähigkeit der Klienten/Ratsuchenden aus 4 supportiver Charakter betont: zeitweilige Unterstützung in einer Problemsituation 4 starke Betonung von Autonomie und Freiwilligkeit der Inanspruchnahme (Ausnahmen möglich; z.B. Schwangerschaftskonfliktberatung)
4 je nach theoretischer Ausbildung unterschiedliche Herangehensweise zur Beseitigung des Problems 4 diagnostische Kompetenzen 4 interventive Kompetenzen (hier steht der informative Aspekt im Vergleich zur Psychotherapie stärker im Vordergrund) 4 evaluative Kompetenzen 4 Strategien haben eher anregenden, unterstützenden Charakter
4 entwicklungsorientierter Charakter 4 Stärkung des Selbsthilferepertoires (unterstützender Charakter) 4 Aktivierung von Ressourcen Je nach Beratungsanlass sehr unterschiedlich: 4 Beheben eines Informationsdefizits 4 Orientierungshilfe geben
Anlass
Inanspruchnehmende
Methodenrepertoire
Ziel/Aufgabe
Psychotherapeut mit einem oder einer Gruppen von Klienten oder Patienten
Berater (i.d.R . psychosozialer Profession) mit einem oder einer Gruppe von Klienten oder Ratsuchenden
Beteiligte
Psychotherapie
Beratung
2
Merkmal
⊡ Tab. 2.2. Gegenüberstellung von Beratung und Psychotherapie
24 Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
4 Linderung/Behebung von Störung im Vordergrund 4 präventiver Charakter tritt in den Hintergrund Starke Betonung/Zentrierung auf Person mit Störung sowie deren unmittelbares soziales Umfeld
4 i.d.R. längerfristig (25 Sitzungen und mehr; je nach therapeutischer Orientierung) 4 höhere zeitliche Verdichtung; regelmäßige Treffen in zeitlich engen Abständen 4 nicht unbedingt notwendig 4 Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen erfolgt (u.a. Diagnostik) 4 4 4 4
4 keine eindeutige Fokussierung nur auf den interventiven Bereich 4 zahlreiche präventive Angebote (indizierte sowie universelle Prävention)
Starke Betonung von: 4 Ressourcenorientierung (personale wie soziale Ressourcen) 4 Entwicklungsorientierung 4 sozialer, lebensweltlicher Bezug/unmittelbarer Alltagsbezug
4 i.d.R. eher kurzfristig (5-10 Sitzungen) 4 »lockerer« Rhythmus je nach Problemlage und Unterstützungsbedarf
4 Interdisziplinarität explizit gefordert 4 in institutionalisierten Beratungseinrichtungen in Form von interdisziplinären Teams realisiert
4 staatliche Einrichtungen (wie z.B. Erziehungs-, Sucht-, Schwangeren-, Arbeitslosenberatungsstellen) 4 karitative Einrichtungen
Einsatzbereich
Fokus
Dauer und Intensität
Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen
Institutionalisierung
private Praxen universitäre Ambulanzen Krankenhäuser Rehabilitationseinrichtungen
i.d.R. formaler Behandlungsvertrag
oftmals informelle Beratungsverträge
Regelungen zur Zusammenarbeit
Unterstützung bei Entscheidungsfindung Bewältigungskompetenzen/Problemlösefertigkeiten steigern Veränderung der sozialen Bedingungen Prävention des Auftretens psychosozialer Hindernisse im Entwicklungsverlauf Anstoßcharakter: Weitervermittlung zu anderen Interventionsangeboten/ Dienstleistungsangeboten
4 4 4 4 4
Ziel/Aufgabe
Psychotherapie
Beratung
Merkmal
⊡ Tab. 2.2. Fortsetzung
2.4 . Abgrenzung von Psychotherapie und Erziehung 25
2
4 i.d.R. Kostenübernahme durch (gesetzliche bzw. private) Krankenkassen 4 selten: Selbstzahler 4 Psychotherapeut stellt nach Eingangsdiagnostik Antrag auf Kostenübernahme 4 »hochschwelliges« Angebot
4 Ausbildung an einem erkannten Ausbildungsinstitut (nach definierten Curricula, s. Approbationsordnung) zum Erwerb der Approbation ( = Zulassung) auf der Basis eines anerkannten Richtlinienverfahrens (verhaltenstherapeutisch; tiefenpsychologisch)
4 kostenfreie, institutionalisierte Beratungsangebote (a Recht auf Beratung in bestimmten Bereichen; staatliche Finanzierung) 4 kostenpflichtige, private Angebote
4 in vielen Bereichen (z.B. Schulen; Beratungsstellen) Angebote vor Ort verfügbar; kein spezielles Antrags- und Bewilligungsverfahren 4 kostenpflichtige und –freie anonyme und sehr kurzfristig verfügbare Angebote (z.B. Internetforen; Telefonhotlines) 4 niedrigschwelliges Angebot
4 zahlreiche Ausbildungsinstitute, die beispielsweise in verschiedenen Beratungsformen wie z.B. Coaching oder lösungsorientierte Beratung ausbilden; keine offizielle Anerkennung 4 oftmals: eklektizistische Orientierung 4 Ausbildung in Verfahren humanistischer Orientierung (Gesprächspsychotherapie; systemische Beratung) häufig anzutreffen
Finanzierung
Zugangswege für Inanspruchnehmende
Zugangswege für Professionelle
Beratung und Psychotherapie teilen sich gemeinsame Wurzeln
Historische Wurzeln
4 i.d.R. auf face-to-face Kontakte mit einer oder mehreren Personen begrenzt
4 Enge Verzahnung mit der Entwicklung in der Medizin
Vielfalt von Interaktionsformen: 4 face-to-face Kontakte 4 technologie-basierte Beratung (Te-lefonberatung; Online-Beratung) 4 Informationsmaterial
Interaktionsformen
Psychotherapie
2
Wurzeln aus: 4 Psychotherapie 4 Erziehung 4 ehrenamtliche Tätigkeiten 4 psychosozialen Berufsfeldern (wie Pädagogik; Sozialpädagogik)
Beratung
Merkmal
⊡ Tab. 2.2. Fortsetzung
26 Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
4 Klinische Psychologie
4 4 4 4 4 4
4 Keine Begrenzung; »Beratung« findet in allen Berufsgruppen statt; psychosoziale Beratung in allen Berufsgruppen, die sich mit den psychosozialen Problemlagen von Menschen befassen; wie z.B. Psychologie, Medizin, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Seelsorge, etc.
Zuordnung zu Anwendungsfeldern in der Psychologie
Verortung in Berufsfeldern / Berufsprofil
Sehr eng begrenzt und vom Gesetz klar geregelt; im Wesentlichen: 4 Psychologie 4 Medizin 4 Pädagogik 4 Sozialpädagogik
4 staatlich geschützte Titel: Psychologischer Psychotherapeut sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
4 kein staatlich geschützter Titel
Rechtliche Aspekte
Klinische Psychologie Gesundheitspsychologie Rehabilitationspsychologie/ Medizinische Psychologie Arbeits- und Organisationspsychologie Pädagogische Psychologie neuere, sich gerade etablierende Felder wie bspw. Medien- oder Sportpsychologie
Psychotherapie
Beratung
Merkmal
⊡ Tab. 2.2. Fortsetzung
2.4 . Abgrenzung von Psychotherapie und Erziehung 27
2
28
2
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
erweiterung verstanden, sondern der Fokus auf eine zugrunde liegende Problemstellung gelegt. Der komplementäre Charakter zeigt sich wie bereits dargestellt einerseits daran, dass Beratung als niedrigschwelliges, jeder Person offen stehendes, (potentiell) kostenfreies Angebot den Weg für die Inanspruchnahme einer Psychotherapie ebnen kann (z.B. indem informiert wird über Zugangsmöglichkeiten; Ängste durch Verdeutlichen der Herangehensweise reduziert werden), andererseits Beratungsangebote auch psychotherapeutische Maßnahmen begleiten und unterstützen können, z.B. durch spezielle Beratungsangebote für Angehörige (vgl. auch Mattejat & Pauschardt, in diesem Buch). Hier kann Psychotherapie gerade von dem lebensweltlichen Bezug von Beratung profitieren, um die Erfolge der Behandlung zu stabilisieren und in den Lebensalltag des Patienten zu transferieren. Auf der anderen Seite darf nicht außer acht gelassen werden, dass psychosoziale Beratung nicht nur auf den Kontext der Klinischen Psychologie und deren Historisch/aktuelle Einflüsse
Ehrenamt
Fragestellungen beschränkt ist, sondern auch in weiteren Anwendungsbereichen der Psychologie – im Gegensatz zur Psychotherapie – verankert ist und eine zentrale Interventionsform darstellt. Eine weitere Abgrenzung ist laut Dietrich (1991) in den pädagogisch-psychologischen Kontexten gegenüber der Erziehung notwendig. Bei Erziehung geht es allgemein darum, die zu Erziehenden, i.d.R. Kinder und Jugendliche, an gesellschaftlich gültige Normen und Werte heranzuführen und auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Erziehungsinstanzen sind oftmals Eltern oder Lehrer. Eine professionelle Ausbildung ist nicht zwingend erforderlich. In der Erziehung finden wir damit – wie in der Beratung – eine Verzahnung zwischen »professionellen« und »nichtprofessionellen« Angeboten. In Abgrenzung zur Beratung ist auch auf den deutlichen Alters- und Machtunterschied zwischen »Erzieher« und »Erziehendem« hinzuweisen. Erziehung erfolgt »lebensbegleitend und kontinuierlich«, wird nicht sporadisch bei Bedarf wie eine Beratung
Soziologie/ Sozialarbeit
Pädagogik
Psychologie
Medizin
Wirtschaft
Anwendungsfelder der Psychologie
A- & OPsychologie
Medizinische Psychologie/ Gesundheitspsychologie
Pädagogische Psychologie
Erziehung Schulung Interventionsformen
Beratung Coaching/Supervision/ Intervision/Mentoring/ Consulting/Mediation/ Patientenberatung etc.
Psychotherapie
⊡ Abb. 2.2. Abgrenzung der Beratung von anderen Interventionsformen
Klinische Psychologie
29 2.5 · Besondere Beratungsformen
(oder auch Psychotherapie) in Anspruch genommen. Schwarzer (▶ Kap. 9) geht in ihrem Beitrag auf Beratung in pädagogischen Kontexten ein und berührt dabei auch Fragen nach Erziehung. In ⊡ Tab. 2.3 sind die wichtigsten Kennzeichen von Erziehung und Beratung nochmals kurz gegenübergestellt. Auch bei dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass eine solche Charakterisierung nur verkürzt erfolgen kann und die Aspekte nicht stets als allgemeingültig für die jeweilige Interventionsform betrachtet werden sollten. Erziehung, Beratung und Psychotherapie ist gemeinsam, dass es sich um Formen der Lebens- und Entwicklungshilfe handelt. Dietrich (1991) sieht Beratung in einer Mittelstellung auf einem Kontinuum von Erziehung zur Therapie verankert. Diese Sichtweise bezieht sich sicherlich nur auf bestimmte Anwendungskontexte der Beratungspsychologie: eine Anwendung auf den arbeits- und organisationspsychologischen Kontext kann hier nicht erfolgen. Generell scheint die Abgrenzung gegenüber der Psychologie im Setting der Klinischen Psychologie erforderlich, während die Abgrenzung gegenüber der Erziehung im Kontext der Pädagogischen Psychologie erforderlich erscheint. Insofern erscheint es nicht gerechtfertigt von einer Mittelstellung der Beratung zu sprechen. In ⊡ Abb. 2.2 sind nochmals die verschiedenen Quellen von Beratung und deren Überschneidung mit anderen Interventionsformen dargestellt. Nicht einbezogen wurden Einflüsse aus dem rechtlichen Bereich, die als »Grundrahmen« für alle Bereiche gelten. 2.5
Besondere Beratungsformen
Beratung kann sehr unterschiedlichen Facetten annehmen wie 4 reine Informationsvermittlung, 4 direkte Anweisung, 4 Hilfe zur Verhaltensänderung, 4 Hilfe zur Problemlösung, 4 nicht-direktive Intervention, 4 Deutung und Aufdeckung verdrängter Bedürfnisse, 4 Notfallbremse, 4 »Weichensteller« für weitere Unterstützungsangebote, 4 etc.
2
Die Vielfalt der Beratungsformen macht die Abgrenzung sehr schwierig – was sich bereits bei der Abgrenzung von Beratung und Psychotherapie sowie Erziehung gezeigt hat. Die Methoden gelten als wenig trennscharf, wenn auch immer wieder mit einem »besonderen Methodenrepertoire« argumentiert wird. Vor allem im Bereich der Arbeitsund Organisationspsychologie zeigt sich, dass unabhängig von den Entwicklungen im Bereich der Psychotherapieforschung bzw. Theorien aus der Klinischen Psychologie sich spezielle Formen für den diesen Anwendungsbereich ergeben (▶ Kap. 9). So werden spezielle Methoden der Beratung wie Coaching, Mentoring und Supervision von Bamberg in ihrem Beitrag zur Beratung in arbeits- und organisationspsychologischen Kontexten dargestellt. Im Folgenden sollen kurz nochmals einige zentrale Beratungsformen vorgestellt werden.
Mediation Unter Mediation versteht man die (Unterstützung bei der) Vermittlung zwischen Konfliktparteien durch eine neutrale Person mit dem Ziel, eine konstruktive, konfliktfreie Einigung zwischen den (beiden) Parteien herbeizuführen. Der Mediationsprozess läuft nach einem strukturierten Schema ab. Klassische Mediationsfelder sind zum Beispiel die Schlichtung von Tarifkonflikten. Innerhalb der Pädagogischen Psychologie sind häufige Anwendungsgebiete Trennungs- und Scheidungsprozesse, Mobbing in der Schule oder Gewaltanwendung. Beim Mediator handelt es sich um eine besonders ausgebildete Person (vgl. auch Montada &, Kals, 2007). Es gibt aber auch Sonderformen wie »PeerMediation«, in denen Schüler als Streitschlichter ausgebildet werden. Mediation wird von vielen Autoren als eine Sonderform der Beratung (Bastine, 2006; Bastine & Theilmann, 2004) aufgefasst.
Coaching Der Begriff des Coaching wird vor allem in der Arbeits- und Organisations-Psychologie benutzt. Beim Coaching handelt es sich um eine professionelle Beratung und Begleitung einer Person (des sog. Coachee) durch einen Coach (»Trainer«) bei der Ausübung von komplexen Handlungen (z.B. Unternehmensführung; sportliche Wettkampfleis-
Ehrenamt, Sozialarbeit, pädagogik, Medizin, Erziehung, Psychotherapie
30
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
⊡ Tab. 2.3. Gegenüberstellung von Beratung und Erziehung
2
Merkmal
Beratung
Erziehung
Anlass
4 Vielfalt von Beratungsanlässen 4 kein direkter Bezug zum Entwicklungsstand der Person 4 »akuter« Anlass
4 »Unmündigkeit« des jungen Menschen Æ Entwicklungsbedarf, um verantwortliche Position innerhalb der Gesellschaft zu übernehmen 4 Anlass durch Entwicklungssituation bestimmt
Zielgruppe
4 alle Altersgruppen 4 in der Kindheit richtet sich die Beratung aus rechtlichen Gründen sowie aufgrund des Entwicklungspotential v.a. an die Erziehungspersonen
4 Kinder und Jugendliche 4 erwachsene Personen mit Entwicklungseinschränkung
Beteiligte
Berufsgruppen aus dem psychosozialen Bereich (wie Psychologen, Mediziner, (Sozial-) Pädagogen, Seelsorger, etc.)
4 i.d.R. alle Mitglieder einer Gesellschaft als potentielle Erziehende 4 Eltern als »private Erziehungsinstanzen« 4 »staatliche Erziehungsinstanzen«, v.a. Schulen, Kindergärten, Heime etc.
Ziel
4 Hilfe zur Selbsthilfe 4 Hilfe zur Lösung eines aktuellen Problems, das nicht alleine bewältigt werden kann
4 Aufbau erwünschter und Abbau unerwünschter Verhaltensweisen, um Leben in der Gesellschaft zu sichern 4 Vermitteln von Normen und Wertdispositionen einer Gesellschaft 4 Erlangen von Mündigkeit und Selbstbestimmung
Zeitraum
4 eher kurzfristig 4 bedarfsorientiert – diskontinuierlich
4 sehr langfristig 4 i.d.R. bis zur Volljährigkeit 4 kontinuierlich andauernd
Mittel
4 4 4 4
4 Unterrichtung 4 Unterweisung 4 Erziehungsmaßnahmen wie Lob/Tadel, Übung, Vorbild, Strafen etc. Æ positive wie negative Rückmeldungen
Rollenbeziehung
4 partnerschaftliches Verhältnis 4 eher symmetrisch 4 Klient/Ratsuchender soll aktiv Entscheidungen treffen
4 Autoritätsverhältnis 4 eher asymmetrische Beziehung 4 wenig Freiräume für den zu Erziehenden
Institutionen
4 öffentliche Beratungsstellen 4 private Beratung
4 staatliche Erziehungsinstanzen 4 private Erziehungsinstanzen (= Eltern)
Finanzierung
4 kostenfreie wie kostenpflichtige Beratungsangebote
4 Eltern 4 staatliche kostenpflichtige (z.B. Kindergärten) wie kostenlose (z.B. Schulen) Angebote 4 (meist kostenpflichtige) Fort- und Weiterbildung in der Erwachsenenbildung
anregende, stützende Strategien Informationsvermittlung direkte Anweisungen Reflektion etc.
31 2.5 · Besondere Beratungsformen
tungen). Oftmals wendet sich Coaching an Menschen in beruflichen Veränderungssituationen. Das konkrete Ziel wird vom Coachee vorgegeben. Das Coaching soll ihn dazu befähigen, optimale Ergebnisse hervorzubringen (vgl. Schreyögg, 2004). Der Coach hilft beispielsweise die unterschiedlichsten beruflichen Problemfelder zu klären, er dient als Katalysator und Förderer, um Neuorientierungsprozesse, Persönlichkeits- und Verhaltensveränderungen anzuregen und diese punktuell zu trainieren. Als Themenbereiche sind beispielsweise Karriereplanung, Klärung persönlicher Ziele, Zeitmanagement, effizientes Kommunizieren oder Gestaltung der Führungsrolle zu nennen. Manche Autoren verstehen Coaching als eine Form der Einzelsupervision, wobei beim Coaching – in Abgrenzung zur Supervision und Beratung – die Begleitung der Person im Alltag im Vordergrund stehen kann und damit der Kontext der Beratungs- und Supervisionsarbeit überschritten wird. Im Englischen wird auch häufig vom guidance gesprochen. Im Gegensatz zur Supervision findet sich Coaching vor allem im Profitbereich (mittleres bis höheres Management). Der »Coach« ist eine vom »Coachee« persönlich ausgewählte und ihm zugeordnete Person.
Mentoring Wie Coaching kann Mentoring als Personalentwicklungsinstrument bezeichnet werden und richtet sich vor allem an Menschen zu Beginn ihrer beruflichen Entwicklung. Ein Mentor bezeichnet einen väterlichen Freund, Ratgeber oder auch Beschützer. Es geht also darum, dass eine erfahrene Person (Mentorin bzw. Mentor), ihr Wissen und ihre Fähigkeiten an eine noch unerfahrene Person (Mentee) weitergibt, um diese in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung innerhalb eines Unternehmens zu fördern. Im Gegensatz zum Coach ist die Mentorin bzw. der Mentor nicht neutral und unabhängig, sondern engagiert sich in besonderem Maße für die Belange ihres Mentee. Mentoren verfügen über keine besondere Ausbildung; ihre Beratungsarbeit erfolgt ehrenamtlich. Es besteht eine klare Hierarchie innerhalb der Beziehung. Mentorenprogramme werden zum Beispiel im wissenschaftlichen Bereich aufgelegt, um Frauen den Einstieg in eine wissen-
2
schaftliche Karriere zu erleichtern. Mentoring kann damit als eine Form der Alltagsberatung aufgefasst werden.
Supervision Supervision kann als besondere Form der Beratung bezeichnet werden, die der Sicherung und Verbesserung der Qualität beruflicher Arbeit dient. Supersvision dient der systematischen Reflexion des eigenen beruflichen Handelns und versteht sich als Entscheidungshilfe. Supervision kann sowohl kontinuierlich (z.B. einmal monatlich) oder bei besonderen Anlässen (z.B. Problemsituationen, Konfliktlagen, zur Klärung und Gestaltung von Aufgaben bzw. Aufträgen) in Anspruch genommen werden. Supervision ist vor allem im Bereich der psychosozialen Arbeit (z.B. für Therapeuten, Berater oder Erzieher) weit verbreitet, wo ein direkter Kontakt mit Klienten/Patienten besteht. In Abgrenzung zum Coaching wird der Begriff der Supervision vor allem für den »Non-Profit«-Sektor gebraucht. Supervisor ist in der Regel eine Person, die neben einer umfangreichen Erfahrung auch über eine spezielle Supervisionsausbildung verfügt. Die Supervision kann in Form von Einzel- wie auch Gruppensupervision durchgeführt werden. Eine Sonderform stellt die Intervision dar, die als kollegiale Supervision verstanden werden kann.
Patientenschulung Patientenschulung oder auch –beratung ist ein Beratungskonzept, das sich im Rahmen der Medizin und Medizinischen Psychologie etabliert hat. Wie bereits ausgeführt fokussiert Patientenschulung auf die Gruppe der Chronisch Kranken und deren Angehörigen und zielt in erster Linie darauf ab, die Krankheitsbewältigung und den Gesundheitszustand zu verbessern. Wie breit das Konzept der Patientenschulung ist, soll anhand von drei Definitionen exemplarisch verdeutlicht werden. Die Delphi-Group (1985) versteht unter Patientenschulung eine geplante Lernerfahrung, die eine Kombination von verschiedenen Methoden wie Beratung, Informationsvermittlung oder Verhaltensmodifikationstechniken benutzt, um das Wissen des Patienten über seine Erkrankung, aber auch sein Krankheitsverhalten zu beeinflus-
32
2
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
sen. Damit wird das breite Spektrum von Patientenschulung betont: von einer reinen »Edukation« in Form von Vorträgen oder Informationsbroschüren bis hin zu persönlichen Beratungen und dem Einsatz verschiedener, v.a. verhaltenstherapeutischer Strategien wie Schließen von Verträgen, klassische Konditionierung oder Verhaltensübungen. Barlett (1985) grenzt Patientenschulung auf interaktive Konzepte ein, die Patienten dabei unterstützen sollen, eine aktive Rolle in ihrer Gesundheitsversorgung einzunehmen. Der direkte Austausch mit den Betroffenen und die Konfrontation mit deren Anliegen spielt in seinen Augen eine zentrale Rolle. Warschburger (2000, S. 248) definiert Patientenschulung als »…einen geplanten, strukturierten Lern- und Erfahrungsprozess, der die Betroffenen in die Lage versetzen soll, eigenverantwortlich mit der Erkrankung und den Behandlungsanforderungen umzugehen.« Wie für die psychosoziale Beratung wird auch hier die theoretische Fundierung besonders hervorgehoben (▶ Kap. 2.3) sowie die aktive Mitarbeit der Betroffenen mit dem Ziel, deren Selbstmanagementfertigkeiten zu steigern.
Training Der Begriff des Trainings wird in vielen verschiedenen Kontexten gebraucht und muss eher als Oberbegriff verstanden werden, der vor allem den Übungscharakter von Maßnahmen herausstellt. So finden sich in der Klinischen und Gesundheitspsychologie beispielsweise Raucherentwöhnungstrainings, AntiDiättrainings oder Stressbewältigungstrainings. Auch in der Pädagogischen und Arbeits- und Organisations-Psychologie wird häufig von Trainings (Trainingsprogramme für aufmerksamkeitsgestörte oder aggressive Schüler; Trainings für Eltern und Lehrer; Trainings für Führungskräfte) gesprochen. Betont wird mit diesem Begriff auch der interventive Charakter, d.h. das aktive Eingreifen in das aktuelle Geschehen. (Diese Abgrenzung ist sehr schwierig, da in vielen Definitionen Intervention als der Oberbegriff verwendet wird und Beratung als eine besondere Interventionsform aufgefasst wird, die sich nicht auf die Kommunikation zwischen zwei Parteien begrenzen lässt).
Psychoedukation Psychoedukation kann innerhalb der Klinischen Psychologie als eine besondere Form der Beratung verstanden werden. Innerhalb der Psychoedukation werden Patienten und ihre Angehörigen über das Störungsbild aufgeklärt, indem z.B. ein Störungskonzept vermittelt wird. Hierzu gehören aber auch grundlegende Informationen zur Symptomatik und Behandlungsmöglichkeiten (vgl. auch Mattejat & Pauschardt, in diesem Buch).
Krisenintervention Krisenintervention bezeichnet eine oftmals kürzere, manchmal auch einmalige Soforthilfe, mit dem Ziel die akute Belastung zu reduzieren, autonomes Funktionieren wieder herzustellen, sicheren Rahmen zu geben und Verstehen zu erleichtern. Krisenintervention ist auf krisenhafte Situationen (z.B. traumatische Ereignisse wie Unfall, Todesfälle oder Vergewaltigung) begrenzt, wo die betroffene Person die Situation nicht mehr angemessen bewältigen kann. Gekennzeichnet ist die Krisenintervention häufig auch durch den aktiv eingreifenden Charakter und eine starke Verantwortungsübernahme für die Betroffenen in der aktuellen Situation. Eine ausführliche Darstellung findet sich auch in ▶ Kap. 10. Natürlich könnte man noch zusätzlich nach der jeweiligen theoretischen Orientierung Beratungsformen unterscheiden. Dies würde jedoch den Rahmen des Buches sprengen und wurde an vielen anderen Stellen bereits ausführlich dargestellt (z.B. Brown & Srebalus, 2003; Gibson & Mitchell, 2003, McLeod, 2004; Nestmann et al., 2004; Seligman, 2001).
2.6
Kennzeichen von Beratung
Angesichts der Vielfalt von Beratungsformen erscheint es sinnvoll, die wesentlichen Elemente von professioneller psychosozialer Beratung zusammenzufassen. Im Folgenden sollen einige Prinzipien formuliert werden, die für alle Beratungskonzepte – unbelassen der theoretischen Ausrichtung – gelten sollten. Beratung sollte 4 vertrauensvoll sein. Die Vertraulichkeit der Klient-Berater-Beziehung spielt eine zentrale
33 2.6 . Kennzeichen von Beratung
4
4
4
4
Rolle für das Beratungsgeschehen und ist ein wesentliches Element professioneller Beratung. Sollte die Vertraulichkeit nicht gegeben sein, ist dies transparent zu machen. theoretisch fundiert sein: Das Vorgehen, das zur Lösung des Problems angestrebt wird, sollte auf Theorien (z.B. zur psychosozialen Entwicklung, zur Entstehung von Konflikten in Arbeitskontexten oder adaptiven vs. maladaptiven Stressreaktionen) beruhen. evidenzbasiert sein. Die eingesetzten Techniken und Strategien in der Beratungssituation sollten aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Lösung des der Beratung zugrunde liegenden Problems entsprechen. Dies schließt mit ein, dass für das gewählte Vorgehen und die herangezogene Theorie empirische Belege vorliegen sollten. problem- und lösungsorientiert sein. Problemorientierung beinhaltet, dass eine Konzentration auf die als problematisch erlebte Situation, die damit in Zusammenhang stehenden auslösenden und kausalen Bedingungen sowie deren Konsequenzen erfolgt. Beratung konzentriert sich auf das Hier und Jetzt. Die Beratung darf aber nicht bei der Analyse des Problems stehen bleiben, sondern soll ganz bewusst mögliche Problemlösungen in den Vordergrund rücken. ressourcenorientiert sein. Jede Analyse der Problemsituation sollte auch die jeweiligen Ressourcen der Person und ihrer Umwelt mit berücksichtigen. Die Analyse der Ressourcen sollte über das konkrete Problem hinausgehen und andere Bereiche beinhalten, die dem Klienten verdeutlichen, über welche – u. U. kompensatorischen– Ressourcen er verfügt.
4 Handlungskompetenzen aufzeigen und erweitern. Ein wesentliches Ziel von Beratung ist
es, das Selbsthilfepotential der Ratsuchenden zu stärken, zu erweitern oder gar aufzubauen. Die Betroffenen sollen nicht nur in die Lage versetzt werden, das aktuell anstehende Problem zu lösen, sondern auch ähnlich gelagerte Probleme in der Zukunft. 4 partizipativ gestaltet sein. Es geht in vielen Fällen nicht nur darum, dass auf Seiten des Klienten Informationsdefizite oder fehlerhafte Informationen bestehen, sondern v.a. psycho-
2
soziale Faktoren die Lösung des Problems behindern. Im kommunikativen Austausch zwischen Ratsuchenden und Berater bemühen sich beide gemeinschaftlich um eine Problemlösung. Die aktive Rolle des Klienten wird in der Beratung sehr stark betont. Damit zeichnet sich zugleich ab, dass besondere Anforderungen an den Klienten gestellt werden: Er muss eine gewisse Reflexionsfähigkeit besitzen und in der Lage sein, die gemeinsam erarbeiteten Schritte zur Lösung oder Linderung der Problemlage in die Realität umzusetzen. 4 planvoll sein. Beratung ist ein prozesshaftes Geschehen. Dabei kann zwischen der Mikrostruktur (= Ablauf einer konkreten Beratungssitzung) und der Makrostruktur (= Ablauf der gesamten Beratung über u.U. mehrere Termine) des Beratungsgeschehens unterschieden werden. Der Ablauf ist damit nicht dem Zufall überlassen, sondern die einzelnen Schritte bauen auf einander auf. 4 zielgerichtet sein. Herausgearbeitet wird mit dem Klienten die Bearbeitung eines (oder gestuft mehrerer) Problems (Probleme). Das weitere Vorgehen richtet sich dann nach dieser Vorgabe. 4 klientenspezifisch (zielgruppenspezifisch) und differenziert sein. Die konkreten Inhalte
und Methoden der Beratung müssen dem Klienten und der Fragestellung angepasst werden, generell ist entwicklungspsychologischen Aspekten (betrifft v.a. die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, aber auch mit älteren Menschen) Rechnung zu tragen. 4 die Lebenswelt der Betroffenen berücksichtigen. Das bedeutet, dass der Berater genaues-
tens eruieren muss, welche Barrieren, aber auch Ressourcen in der unmittelbaren (z.B. Familie), aber auch mittelbaren (z.B. Schule, Arbeitsstelle) Umwelt vorliegen, die zur Aufrechterhaltung des Problems, aber auch zu dessen Lösung beitragen können. So weit möglich, sollten zentrale Personen aus dem Umfeld direkt in die Arbeit einbezogen werden. 4 interdisziplinär sein. Ein wesentliches Bestimmungsstück von Beratung ist die Vernetzung mit anderen Berufsgruppen, sei es konkret in einem multiprofessionellen Team, oder aber
34
2
Kapitel 2 . Theoretischer Hintergrund
in Form einer Zusammenarbeit mit anderen Hilfseinrichtungen. 4 qualitätskontrolliert sein. Das bedeutet, dass die Wirksamkeit der Beratungsarbeit überprüft wird. Die evaluative Begleitung der eigenen Arbeit sollte den wissenschaftlichen Standards genügen und quantifizierbar sein. 4 offen für neue Formen der Beratung sein.
Unsere Gesellschaft unterliegt einem ständigen Wandel, was neue Anforderungen an die Beratungsarbeit mit sich bringt (s. z.B. neue Erkrankungen; andere Bevölkerungsgruppen). Darüber hinaus ermöglicht der technologische Fortschritt aber auch immer wieder neue Formen der Kommunikation, die berücksichtigt werden sollten. Zu denken ist hierbei an das Internet oder die Mobiltechnologie. Auch hier gilt, dass die Effektivität und Effizienz dieser neuen Angebotsstruktur stets empirisch geprüft werden sollte. 4 niedrigschwellig sein. Beratungen sollten – gerade auch in Abgrenzungen zu psychotherapeutischen Angeboten – eine niedrige Schwelle für die Inanspruchnahme aufweisen. Dies bedeutet nicht nur eine strukturelle Anbindung in sozialen Brennpunkten, sondern auch Formen der aufsuchenden Hilfeleistung zu realisieren.
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2
3 Beratungsprozess 3.1
Inanspruchnahme von Beratung
3.2
Beratungsprozess
3.3
Wirksamkeit von Beratung
– 55 – 64
– 44
3.4
Wirkfaktoren der Beratung
3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4
Spezifische Therapiefaktoren – 66 Klientenvariablen – 67 Beratervariablen – 67 Berater-Klient-Beziehung – 70
3.5
Modelle allgemeiner Wirkfaktoren Literatur
– 74
– 38
– 72
38
3
Kapitel 3 . Beratungsprozess
Der Begriff »Prozess« weist sehr unterschiedliche Bedeutungsebenen auf: Zum einem bezeichnet er eine sequentielle Abfolge von Ereignissen. Diese Veränderungen können auf einer Makro- und einer Mikroebene beschrieben werden. Die Makroebene betrachtet die gesamte Beratung und beschreibt deren Prozesscharakter. Hierzu werden verschiedene Beratungsphasen unterschieden und entsprechende Aktivitäten von Klient und Berater zugeordnet (z.B. das »Skilled Helper Model« von Egan (Val Wosket, 2006); das Modell integrativer Beratung von Culley, 2002). Auf der Mikroebene können einzelne Sitzungen in ihrem Ablauf oder einzelne Sequenzen innerhalb von Sitzungen analysiert und beschrieben werden. In der Forschungsliteratur wird oft von Prozessvariablen im Sinne von Faktoren gesprochen, die beim Klienten zu einer Veränderung beitragen, und in diesem Zusammenhang zum Beispiel auf die Beziehung zwischen Berater und Klient fokussiert. In der humanistischen Tradition bezeichnet der Begriff Prozess eher wichtige menschliche Fähigkeiten zur Entwicklung. Im Folgenden soll der Begriff des Prozesses im Sinne einer Sequenz von einzelnen Schritten betrachtet werden. Mit Hilfe des Problemlösemodells soll ein metatheoretisches Modell zum Verständnis des Beratungsgeschehens vorgestellt werden. Dabei wird im ersten Schritt untersucht, wie die Inanspruchnahme von Beratung abläuft. In die Darstellung fließen auch die Erkenntnisse aus der Psychotherapieforschung und Gesundheitspsychologie mit ein, da davon ausgegangen wird, dass die grundlegenden Mechanismen vergleichbar sind.
3.1
Inanspruchnahme von Beratung
Nicht jede beratungsbedürftige Person sucht tatsächlich professionelle Hilfe auf. So gehen Schätzungen davon aus, dass nur ein Drittel der psychisch auffälligen und damit behandlungsbedürftigen Personen professionelle Hilfe aufsuchen – ein gut dokumentierter Effekt in der Literatur (vgl. Greenberg, Constantino & Bruce, 2006). Noch etwas höher liegen die Nicht-Inanspruchnahme-Raten, wenn es um Gesundheitsthemen bei bestimmten Gruppen, z.B. Jugendlichen, oder bestimmte Störungsbereiche geht (Andrews, Issakidis & Carter, 2001; Hyun,
Quinn, Madon & Lustig, 2006; Joffe, Radius & Gall, 1988; Pirkis et al., 2003; Vessey & Howard, 1993; Witt, Kasper & Riley, 2003). Damit erhalten oder ersuchen viele, die von einer Beratung profitieren könnten, keinerlei Hilfestellung (Versorgungslücke oder »service gap«). Generell ist die Bereitschaft, eine Beratung aufzusuchen, eher gering ausgeprägt – ein Ergebnis, das sich für verschiedene Gruppen zeigt (z.B. Davidson, Yajushka & Sanford-Martens, 2004; Setiawan, 2006). Die Hilfsbedürftigkeit alleine kann damit die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten nicht erklären. Diese Diskrepanz hat dazu beitragen, genauer zu analysieren, wer welche Angebote in Anspruch nimmt und welche Faktoren diesen Prozess beeinflussen. Wie kann der Prozess der Inanspruchnahme am besten beschrieben werden? Die meisten Beratungsmodelle beginnen mit dem Kontakt des Klienten mit einem Berater und lassen den Prozess bis zur Inanspruchnahme (»Vor-Beratung«) außen vor. Dabei wird aber nicht der Tatsache Rechnung getragen, dass die Entscheidung eine Beratung aufzusuchen, bereits das Ergebnis eines vielschichtigen Prozesses ist, der zahlreichen Einflussfaktoren unterliegt, und Klienten, die eine Beratung aufsuchen, eine selektive Stichprobe darstellen. Systematische Modellvorstellungen zum zeitlichen Verlauf der Inanspruchnahme liegen in der Literatur kaum vor; die vorliegenden Studien sind zudem, was die Zielpopulationen und Settings angeht, sehr unterschiedlich, so dass allgemeine Schlussfolgerungen nur sehr schwer zu ziehen sind. Einigkeit besteht darin, dass das Inanspruchnahmeverhalten in verschiedenen Schritten abläuft. Der Vorschlag von Saunders (1993) eignet sich sehr gut, um diesen schrittweisen Prozess der Inanspruchnahme zu beschreiben. Er unterscheidet vier disjunkte Stufen, die von den Klienten in der Regel durchlaufen werden: 4 die Problemwahrnehmung und damit einhergehende Versuche, das Problem eigenständig zu lösen (»Selbstheilung« im weitesten Sinne), 4 Akzeptanz, dass Beratung ein nützlicher Weg zur Problemlösung darstellt, 4 Entscheidung eine Beratung aufzusuchen und 4 Kontaktaufnahme mit einem Berater oder einer Beratungsstelle. Dieser Prozess kann sehr langwierig sein: Die Mehrzahl der Ratsuchenden berichten über
39 3.1 . Inanspruchnahme von Beratung
Probleme, die seit mehr als zwei Jahren bestehen (Saunders, 1993). Auf jeder Stufe des Prozesses werden eine Reihe von Informationsverarbeitungsschritten relevant. In einem ersten Schritt muss die Person ein Problem als solches erkennen. Probleme werden als Ist-Soll-Diskrepanz verstanden: Der jetzige Zustand weicht in einem als unangenehm und belastend erlebten Maße von dem angestrebten Zielzustand ab. Diese Diskrepanz kann durch verschiedene Aspekte entstanden sein: der Ist-Zustand hat sich verändert, indem zum Beispiel neue Anforderungen hinzu getreten sind (z.B. Eröffnen einer medizinischen Diagnose; Verlust des Arbeitsplatzes; Kind kommt in die Pubertät; etc.); Wegfall von Bewältigungsmöglichkeiten, die vorher zu einer Angleichung von Ist- und Zielzustand zur Verfügung standen (z.B. verändertes soziales Netzwerk; veränderte finanzielle Ressourcen) oder die Ziele haben sich verändert. Die Problem- und Zieldefinition muss dabei nicht konkret sein, sondern es handelt sich oftmals um diffuse, unpräzise Beschreibungen der Problemlage. Die Betroffenen haben ihre eigenen Theorien darüber wie das Problem entstanden ist (»Ursachenattribution«), welche Konsequenzen damit verbunden sind, ob eine Änderung der Situation möglich ist, wer darauf Einfluss hat, um nur einige interne Informationsverarbeitungsschritte zu nennen. Diese Einschätzungsprozesse nehmen Einfluss darauf, ob professionelle Hilfe aufgesucht wird. Eine »reine« Ist-Soll-Diskrepanz ist nicht ausreichend, um einen professionellen Berater in Betracht zu ziehen, sondern sie muss in ihrer Valenz (positive oder negative Abweichung) und Relevanz (»Handelt es sich um eine für mich bedeutsame Veränderung?« »Bin ich davon im meinen Wohlbefinden und Funktionsniveau betroffen?«) eingeschätzt werden. In den gesundheitspsychologischen Modellen wird hier oftmals von der Risikowahrnehmung gesprochen, die als Funktion der Schwere und Vulnerabilität gesehen wird; in der psychotherapeutischen Literatur spricht man vom subjektiven Leidensdruck, der entscheidend die Inanspruchnahme von Angeboten bestimmt. Dieser erste Schritt der Problemwahrnehmung wird als der schwierigste Schritt beschrieben - mehr als die Hälfte der Betroffenen tun sich damit schwer (Saunders, 1993). Vor allem jüngere Menschen berichten, dass die soziale Unterstützung (von Freun-
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den, Familie, etc.) ganz wichtig bei der Problemwahrnehmung sei (Saunders, 1996). Es werden nach Saunders (1993, 1996) zuerst eine Reihe von Problemlöseversuchen (»Selbstheilungsversuchen«) unternommen, um die festgestellte Ist-Soll-Diskrepanz wieder auszugleichen. Freunde und Familienmitglieder spielen hier eine wichtige Rolle als erste Anlaufstelle (Manthei, 2005, 2006; Saunders, 1996). Weitere »Selbsthilfeversuche« sind, das Problem alleine mit sich auszutragen, sich Material zur Problematik zu besorgen (z.B. im Internet) oder sich abzulenken. Solche Selbsthilfeversuche liegen bei ca. 99% der Ratsuchenden vor und sind oftmals der Suche nach einem professionellen Berater vorgeschaltet. Kommt es zu keiner Problemlösung oder verschärft sich die Problemlage noch, werden weitere Schritte unternommen. Allerdings berichtet nicht jeder Klient, der eine Beratung aufsucht, über fehlgeschlagene Selbstbehandlungsversuche, auch wenn dieser Anteil größer ist als der Anteil derer, die erste »Vor-Behandlungserfolge« (ca. 25%) berichten (Manthei, 2005). Das Fehlschlagen eigener Lösungsversuche motiviert professionelle Hilfe aufzusuchen. Die überwiegende Zahl nennt jedoch einen spezifischen Auslöser für die Beratung (wie z.B. auch der Rat von anderen, eine Beratung aufzusuchen) oder gab an, dass sie merkten, mit dem Problem alleine nicht mehr klar zu kommen. Externer Druck (z.B. von der Familie; Freunden; Arbeitgeber oder auch gesetzliche Auflagen) kann auch eine Motivation zur Beratung darstellen (Manthei, 2006). Damit lassen sich hier grob zwei Wege unterscheiden: der eigene Entschluss (u.U. mit Unterstützung von außen) oder aber das widerwillige Nachgeben auf den Druck von außen. Die Einschätzung der professionellen Beratung als nützliche, hilfreiche oder notwendige Strategie zur Problemlösung (»positive Ergebniserwartungen«) gilt als zentraler Einfluss für die Entscheidung, eine Beratung aufzusuchen. Weitere Einflussfaktoren in dieser Phase sind die Erfahrungen mit Beratungsangeboten, die Erwartungen an den Berater, die Kosten, die mit einer Beratung verbunden sind, sowie die Normen in der Subgruppe bezüglich Beratungsangeboten. Erst auf der Basis dieser Überlegungen wird die Entscheidung getroffen, einen Berater aufzusuchen, und letztendlich der Kontakt zu einer Beratungsstelle hergestellt. Hier bietet es sich
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Kapitel 3 . Beratungsprozess
an von einer individuellen Kosten-Nutzen-Bilanz zu sprechen, die intern von den Klienten aufgestellt wird (vgl. auch die Ausführungen zum Transtheoretischen Modell). In diese Überlegungen fließen neben rationalen Aspekten auch die emotionalen mit ein. Die Entscheidung für eine Beratung wird mit der Kontaktierung einer Beratungsstelle oder eines Beraters abgeschlossen. Zwischen Problemwahrnehmung und Kontaktaufnahme vergehen bei vielen Betroffenen ein Jahr und mehr (Hemmings, 2000), allerdings ist die Variabilität sehr groß (Manthei, 2005). Für die konkrete Wahl eines Beraters scheinen vor allem die Empfehlungen aus dem sozialen Umfeld entscheidend zu sein, aber auch die örtliche Lage sowie finanzielle Aspekte (Manthei, 2005, 2006). Die meisten Entscheidungen einen konkreten Termin zu vereinbaren beruhen auf Empfehlungen von professionell im Gesundheitswesen Tätigen (z.B. Ärzten; Saunders, 1996). Die sequentielle Darstellung soll nicht suggerieren, dass alle Klienten diesen Prozess komplett durchlaufen: Ein Ausstieg ist zu jedem Zeitpunkt möglich, z.B. zwischen Schritt 3 (Entscheidung für Beratung) und Schritt 4 (Kontaktaufnahme), weil z.B. kein geeigneter Berater für das Anliegen gefunden wurde. Mit jedem Informationsverarbeitungsschritt vermindert sich die Zahl derer, die den weiteren Prozess durchlaufen. Man muss auch davon ausgehen, dass diese Informationsverarbeitungssequenzen wiederholt durchlaufen werden bis letztendlich dann eine Beratung aufgesucht wird oder das Problem nicht mehr besteht. Die empirische Erforschung des Inanspruchnahmeverhaltens hat eine lange Tradition – gerade auch in der Gesundheitspsychologie. Die Forschung steht hierbei immer vor dem Problem, dass entweder mit hypothetischen Szenarien gearbeitet wird oder in erster Linie mit Klienten, die bereits eine Beratung aufgesucht haben und damit eine selektive Stichprobe darstellen. Die Zielgruppe derer, die Probleme aufweisen, aber nicht in Beratung gehen, ist nur schwer zu erreichen. Dies gilt v.a. für diejenigen, die noch keine Problemwahrnehmung aufweisen und damit für sich selbst keinen Beratungsbedarf definieren. Einer objektiven Definition des Beratungsbedarfs – wie dies im Rahmen der Psychotherapie anhand der Kriterien für eine psychische Störung oder in der Medizin anhand der Definition von Krankheiten oder Risikofaktoren für
die Entwicklung solcher geschieht – sind in der Beratungspsychologie deutliche Grenzen gesetzt. Die Selektivität der Stichproben und die eingeschränkte Validität der Ereignisse sind bei der folgenden Darstellung stets zu beachten. So ergaben sich Hinweise, dass die generelle Nachfrage nach Hilfe in der Bevölkerung und die in der Untergruppe der besonders stark Belasteten durch andere Faktoren vorhergesagt werden (Rickwood & Braitenwait, 1994). Auch wenn von einer Sequenz von Informationsverarbeitungsschritten ausgegangen wird, sind in der Literatur zumeist nur die Eckpunkte wie »Kontakt mit einer Beratungsstelle« untersucht worden. Welche Faktoren zu welchem Zeitpunkt Einfluss nehmen, ist aufgrund der empirischen Befundlage nur sehr schwer zu beantworten. Grob wird bei den Einflussfaktoren zwischen erschwerenden und erleichternden Bedingungen unterschieden. Diese können nach Fischer, Winter und Abramowitz (1983; zitiert nach Setiawan, 2006) wieder in drei Kategorien unterteilt werden: 4 personenbezogene Faktoren (wie demographische Variablen; Persönlichkeitsvariablen), 4 soziokulturelle Faktoren (wie z.B. subgruppenspezifische Normen) und 4 organisatorische Faktoren (wie Bekanntheit des Angebots, Wissen über den Zugang zur Beratung, Kosten etc.). Gerade die Klientenvariablen – demographische wie Einstellungsvariablen - wurden in vielen Studien thematisiert. Eine herausragende Stellung nimmt dabei natürlich das zugrunde liegende Problem ein. Im Rahmen von gesundheitspsychologischen Modellen wird v.a. die wahrgenommene Schwere der Erkrankung als eine zentrale Größe für die Motivation, gesundheitsbewusstes Verhalten zu zeigen oder eine professionelle Unterstützung anzunehmen, empirisch unterstützt (vgl. Conner & Norman, 1995; Schwarzer, 1997), im Rahmen der Psychotherapieforschung erwies sich der subjektive Leidensdruck als wichtiger Prädiktor für die Psychotherapiemotivation (Drieschner, Lammers & van der Staak, 2004; Maercker, Enzler, Grimm, Helfenstein & Ehlert, 2005). Die Relevanz des Problems scheint damit eine wichtige Rolle bei der Inanspruchnahme von Angeboten zu spielen. Studenten, die Hilfe nachsuchen und solche, die es nicht tun, unterscheiden sich signifikant in ihrem
41 3.1 . Inanspruchnahme von Beratung
psychischen Wohlbefinden (Sharkin, Plageman & Coulter, 2005), die Belastungen, die von Klienten berichtet werden liegen über denen in der Allgemeinbevölkerung (Hemmings, 2000), aber unterhalb der Werte von ambulanten Psychotherapiepatienten (Green, Lowry & Kopta, 2003). Damit nehmen die Beratungsklienten die postulierte Mittelposition gegenüber der Psychotherapie ein. Es stellt sich die Frage, ob zwischen dem Erleben der Symptomatik und Ersuchen von professioneller Hilfe eine lineare Beziehung besteht. Bekannt ist, dass bei geringer Schwere des Problems eher keine Hilfe aufgesucht wird (vgl. Setiawan, 2006) und nicht immer die besonders schwer belasteten Personen professionelle Hilfe aufsuchen (Rickwood & Braithwait, 1994). Hier spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Zum einen ist aus der Forschung zur Risikowahrnehmung bekannt, dass viele Menschen einen optimistischen Bias aufweisen, d.h. ihr persönliches Risiko im Vergleich zu anderen unterschätzen (Leventhal & Crouch, 1997; Renner & Schwarzer, 2003; Scharloo & Kaptein, 1997; Weinstein, 1993). Hilfe wird nicht als notwendig erachtet und daher auch nicht nachgefragt. Ein besonderes Problem stellt dies im Rahmen der Prävention dar, bei der möglichst noch vor dem ersten Auftreten von Risikofaktoren angesetzt werden soll. Präventive Angebote werden generell sehr schlecht angenommen. Zum anderen ergibt sich ein Ranking der Probleme, für die Behandlung nachgefragt wird. Im Rahmen der Psychotherapie unterscheiden sich die Behandlungsquoten in Abhängigkeit vom Störungsbild sehr stark. So weisen die Panikstörungen/Agoraphobie mit 67,4% die höchste Behandlungsquote auf, gefolgt von der Affektiven Störung mit 50,1%; das Schlusslicht bilden Missbrauch sowie Abhängigkeit von psychotropen Substanzen mit 29% (Wittchen & Jacobi, 2001). In diesen Daten drückt sich nicht nur der unterschiedliche Leidensdruck aus, sondern auch die befürchtete Stigmatisierung, die je nach Störungsbild unterschiedlich stark ausgeprägt ist. So fanden auch andere Autoren eine unterschiedlich stark wahrgenommene Dringlichkeit in Abhängigkeit von der Problemstellung: Einschränkungen der psychischen Gesundheit wurden am ehesten als behandlungsbedürftig erachtet, Fragen der beruflichen Karriere oder Studienplanung weniger (Setiawan, 2006; Uffelman & Hardin, 2002).
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Zahlreiche Einstellungsvariablen wurden in ihrem Einfluss untersucht. Vor allem die Wahrnehmung der Wirksamkeit von Beratung beeinflusst das Inanspruchnahmeverhalten (und den Beratungsprozess) zu einem nicht unerheblichen Anteil und hat seit den 50er Jahren sehr viel Forschungsinteresse erfahren. Während die meisten Studien sich mit der Frage beschäftigt haben, ob und wie die Behandlungserwartungen der Klienten sich auf die Wirksamkeit auswirken, liegen doch einige Studien vor, die Auswirkungen auf den Beratungsprozess thematisieren (Dew & Bickman, 2005; Greenberg et al., 2006). Personen, die eine Beratung aufsuchen, scheinen eine geringere Schwelle zu haben, was die Definition eines beratungsrelevanten Problems angeht (Sharkin et al., 2005). Negative oder geringe Behandlungserwartungen scheinen nur selten vorzuliegen (ca. bei 20-25%) (z.B. Setiawan, 2006; Sharpley, Bond & Agnew, 2004; Tinsley, Bowman & Barich, 1993). Geringe Erwartungen über die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit von anderen wirkt sich negativ auf die Beratungsbereitschaft aus (Lopez, Melendez, Sauer, Berger & Wyssmann, 1998). Gerade dieser Gruppe muss in Zukunft vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das Wissen darüber, welche Gruppen welche Form von Beratungsangeboten annehmen, kann helfen, maßgeschneiderte Angebote zu etablieren. Dabei sollten sicherlich neben den Vorteilen einer Beratung auch die kognitiven und emotionalen Barrieren erfasst werden, die letztendlich Klienten an einer Inanspruchnahme einer Beratung hindern können. Generell zeigte sich, dass Frauen eher bereit sind einen Berater aufzusuchen als Männer und mit dem Alter die Akzeptanz steigt (z.B. Cusack, Deane, Wilson & Ciarrochi, 2004; Davidson et al., 2004; Flisher, De Beer & Bokhorst, 2002; Sharpley et al., 2004; Tinsley, Hinson, Holt & Tinsley, 1990; Vogel & Wester, 2003; Yoo, Goh & Yoon, 2005). Der Einfluss des Geschlechts ist vielschichtig: So fanden Albizu-Garcia, Alegria, Freeman und Vera (2001) – entgegen den Berichten in der Literatur – zwar keine unterschiedlichen Daten in der Nutzung von Serviceleistungen bei Männern und Frauen, aber einen unterschiedlichen Stellenwert der psychischen Symptomatik zur Vorhersage der Inanspruchnahme: Bei beiden Geschlechtern ist die Symptomatik der wichtigste Faktor, bei Männern aber wesentlich stärker ausgeprägt. Männer mit
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Kapitel 3 . Beratungsprozess
einer ausgeprägten Symptomatik waren eher bereit als Frauen Hilfe aufzusuchen. Andere Autoren berichteten, dass v.a. das weibliche Geschlecht bei Vorliegen einer Symptomatik zwar die Nachfrage nach informeller Hilfe vorhersagte, sich aber nicht als relevant für die Vorhersage zum Aufsuchen der professionellen Hilfe erwies (Rickwood & Braithwaite, 1994). Auch ergeben sich Unterschiede in den Zugangswegen zur Beratung: Männer geben sehr häufig an, von anderen Personen stark beeinflusst worden zu sein bzw., dass die Beratung überhaupt nicht ihre eigene Entscheidung war (Cusack et al., 2004). Dies unterstreicht den Einfluss, den die Variable Geschlecht auf andere Faktoren, z.B. Einstellung gegenüber Beratung, hat. Daher wird Geschlecht – wie auch Alter oder soziodemographischer Status - oft als Hintergrundvariable konzipiert. Auch in Abhängigkeit vom Bildungsstand fanden sich unterschiedliche Inanspruchnahmeraten von Beratung: diese sind in den höheren Bildungsschichten in der Regel höher (z.B. Flisher et al., 2002; Howard, Cornille, Lyons, Vessey, Lueger & Saunders, 1996; Vessey & Howard, 1993). Auch steigt mit der Erfahrung früherer Beratung die Akzeptanz einer Beratung an (Ciarrochi & Deane, 2001; Cusack et al., 2004; Kuhl, Jarkon-Horlick & Morrissey, 1997; Vogel & Wester, 2003). Als Hinderungsgründe werden oftmals Aspekte wie Angst vor Konfrontation und dem Ausdruck/ Wiedererleben unangenehmer Erfahrungen, aber auch die Tatsache, dass man einen Berater braucht und sich dadurch inkompetent fühlt, sowie Angst vor negativen Bewertungen bzw. Reaktionen und Angst zu scheitern genannt (Roddy, Antoniak, Britton, Molyneux & Lewis, 2006; Sharpley et al., 2004; Setiawan, 2006). Vogel und Wester (2003) fanden einen negativen Zusammenhang zwischen der Einstellung gegenüber Beratung sowie der Absicht eine Beratung aufzusuchen mit der Tendenz, Informationen über die eigene Person nicht preiszugeben. Generell ist zu beachten, dass bis zu zwei Drittel der Klienten Informationen für sich behalten (Farber, 2003; Kelly, 1998). Der Aspekt der als notwendig erachteten Selbstöffnung und der Angst vor einer negativen Bewertung scheint ein wichtiger Hinderungsgrund zu sein – vor allem für Personen, die über eine geringe emotionale Kompetenz verfügen. So beobachteten Ciarrochi und Deane (2001) einen signifikanten Zusammenhang zwischen der
emotionalen Kompetenz und der Bereitschaft, eine professionelle (Arzt; Psychologe; Berater) und nicht-professionelle Beratung (Familie; Freunde) in Anspruch zu nehmen. Der Wunsch, anonym zu bleiben, macht beispielsweise auch die Attraktivität von telefonischen Beratungen aus (Reese, Conoley & Brossart, 2006). Die Bedeutung der Angst vor Selbstöffnung wird durchaus kontrovers diskutiert: Es fanden sich Hinweise auf eine höhere Bedeutsamkeit gegenüber dem Leidensdruck (Yoo et al., 2005), aber auch Befunde, die dies in Frage stellen (Cepeda-Benito & Short, 1998). Die Wechselwirkungen sind sehr vielfältig: Personen, die ungern persönliche Informationen preisgeben, erleben eher mehr Stress und weniger soziale Unterstützung (Cramer, 1999). Die erwartete negative Wahrnehmung von Beratung im sozialem Umfeld stellt einen weiteren wichtigen Hinderungsgrund dar, ebenso die vorhandene soziale Unterstützung als Alternative zu einer professionellen Beratung (Setiawan, 2006; Watson, 2006). Sharkin et al. (2005) fanden Hinweise dafür, dass die subjektiv wahrgenommenen Gruppennormen für die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten bei Personen, die Beratung in Anspruch nehmen, positiver ausgeprägt sind als bei denen, die keine Beratung in Anspruch nehmen. Dies würde dafür sprechen, dass im Vorfeld bereits viel Aufklärungsarbeit erfolgen muss, um die Normen in spezifischen Gruppen zu verändern. In diesen Bereich fallen auch die vielfältigen kulturellen Unterschiede, die für die Inanspruchnahme, aber auch Einstellung gegenüber Beratung berichtet wurden (z.B. Gonzales, 2001; Kuhl et al., 1997). In eine ähnliche Richtung deuten die Ergebnisse zum Einfluss organisatorischer Aspekte. Erschreckend viele Betroffene sind nicht sehr gut über mögliche Anlaufstellen für eine professionelle Beratung oder auch die konkreten Bedingungen informiert (Hyun et al., 2006; Roddy et al., 2006; Winickoff, Tanski, McMillen, Hipple, Friebely & Healey, 2006). So nannten Studierende als förderliche Faktoren für die Inanspruchnahme einer Beratung innerhalb bzw. außerhalb des universitären Settings in erster Linie Informationen über das Serviceangebot (wie Öffnungszeiten, Lage, Angebote und Ablauf; 47 bzw. 46,6%), strenge Vertraulichkeit durch den Berater (37,1 bzw. 46,2%), Verständnis für ihre Sichtweise (36,7 bzw. 41,4%), kostenloser
43 3.1 . Inanspruchnahme von Beratung
Service bzw. Anpassung der Gebühren an ihre finanziellen Verhältnisse (33 bzw. 42,1%) sowie Informationen über den Nutzen und die Funktion von Beratung (29,2 bzw. 34%). Interessanterweise werden als förderliche Faktoren oftmals eher organisatorische Aspekte genannt, während die Hindernisse eher im persönlichen (wie Scheu sich anderen mitzuteilen; Zweifel an der Nützlichkeit der Beratung) oder sozialen Bereich (mangelnde Akzeptanz von Beratung in der Gruppe; ausreichende Unterstützung durch andere) liegen (Le Surf & Lynch, 1999; Watson, 2006). Klienten scheinen zudem je nach Problemlage zu differenzieren, welche Beratungsstelle angemessen ist (Setiawan, 2006). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Entscheidung für und das Aufsuchen einer Beratung ein schrittweiser Prozess ist, der entscheidend von sozial-kognitiven Variablen bestimmt wird. Die Rolle der sozial-kognitiven Faktoren wird gerade in den gesundheitspsychologischen Modellen (vgl. Renner & Schwarzer, 2003; Schwarzer, 1997) sowie in den neueren transtheoretischen Ansätzen
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(Prochaska, DiClemente & Norcross, 1992) besonders betont. Als wesentliche Determinanten wurden die Problemwahrnehmung, der Leidensdruck, der wahrgenommene Nutzen der Beratung, die damit verbundenen Kosten (soziale Aspekte; finanzielle Aspekte) und der Druck von außen herausgestellt (vgl. auch Drieschner et al., 2004; Meichenbaum & Turk, 1987). In ⊡ Abb. 3.1 ist das vierstufige Prozessmodell der Inanspruchnahme von professioneller Hilfe nochmals kurz zusammengefasst. Die Zuordnung der Einflussfaktoren zu einzelnen Stufen ist an einigen Stellen sicherlich etwas willkürlich, da echte längsschnittliche Untersuchungen, die Klienten begleiten, nicht existieren. Die soziodemographischen Variablen wie Alter, Geschlecht oder Bildungsstand wurden als Hintergrundvariablen konzipiert, die auch Einfluss auf andere Variablen wie z.B. die Einstellung gegenüber Beratung nehmen. Auch wenn Beratung als »Komm-Struktur« verstanden wird, bedeutet dies nicht, dass bei Kontaktaufnahme eine intrinsische Beratungsmotivation vorhanden sein muss – die Entscheidung kann auch extrinsisch mo-
Hintergrundvariablen Wahrgenommener Nutzen einer Beratung Externer Druck Kulturelle/ethnische Zugehörigkeit
Aufmerksamkeitsfokus
Problemwahrnehmung
Relevanz? Leidensdruck
Emotionale Kompetenz
Externe Ressourcen Verfügbarkeit & Zugänglichkeit von Beratung
Auslöser
Akzeptanz des Problems/ Selbsthilfeversuche Freunde Familie Selbsttherapie …
Einstellung gegenüber Beratung
Entscheidung, Berater aufzusuchen (Beratungsmotivation)
Kontaktaufnahme
Fehlgeschlagene Versuche/Krisen
Optimistischer Bias
Wahrgenommene Passung
Sozioökonomischer Status
Soziales Netzwerk
Selbstwirksamkeitserleben
Kosten einer Behandlung (ökonomisch/sozial) Alter
Geschlecht
Bildungsstand
⊡ Abb. 3.1. Inanspruchnahme von Beratung als vierstufiger Prozess und diskutierte Einflussvariablen
Problemwahenehmung, Akzeptanz des Problems, Beratungmotivation, Ressourcen, Leidensdruck, Optimistischer Blas, Selbstwirksamkeitserleben,
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Kapitel 3 . Beratungsprozess
tiviert sein. Das gleiche Ereignis – Aufsuchen einer Beratung - ist damit das Ergebnis sehr unterschiedlicher Informationsverarbeitungsprozesse und deren individueller Gewichtung. In ⊡ Tab. 3.1 sind die wichtigsten Einflussfaktoren in ihrer Wirkungsrichtung nochmals kurz zusammengefasst (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Zwischen den einzelnen Faktoren ergeben sich vielfältige Interaktionen – die Wirkungsrichtung kann oftmals nur im spezifischen Kontext bestimmt werden. So zeigt beispielsweise die empirische Forschung zur sozialen Unterstützung, dass sozialer Rückhalt im Sinne eines informellen Hilfesystems die Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Beratungsangeboten reduziert (vgl. auch Klauer, 2005), während eine deutlich herabgesetzte Qualität der sozialen Unterstützung bei späteren Klienten einer Beratungsstelle zu finden ist. Die verminderte soziale Unterstützung geht oftmals mit einem erhöhten Leidensdruck einher. Zudem kann aber auch soziale Unterstützung im Sinne eines Kompetenzmodells dazu beitragen, dass Hilfebedürftige
Hinweise auf professionelle Angebote erhalten. Aus den Studien zur Inanspruchnahme von Beratungsangeboten wird zudem deutlich, dass viele Personengruppen, bei denen von einem Beratungsbedarf auszugehen ist, Barrieren in der Inanspruchnahme aufweisen. Im medizinischen Bereich haben sich Patientenratgeber bedingt bewährt, um das Hilfesucheverhalten zu verändern (Milewa, Calman, Almond & Hunter, 2000). Zusätzlich ist an Maßnahmen zu denken, die auf eine Veränderung der Einstellung gegenüber Beratung in spezifischen Gruppen abzielt, wobei sicherlich ein wichtiger Aspekt ist, über die ethischen Aspekte der Beratung (wie Vertraulichkeit) aufzuklären. Auch neue Beratungskonzepte wie die mediengestützte Beratung (▶ Kap. 5) mögen die Lücke schließen.
3.2
Beratungsprozess
Das Beratungsgeschehen ist ein hoch strukturierter Prozess, der einer inneren Logik folgt. Um Bera-
⊡ Tab. 3.1. Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten
Soziodemographische/personenbezogene Faktoren
Förderlich
Hinderlich
4 4 4 4 4
4 4 4 4
weibliches Geschlecht mittleres Alter hohes Bildungsniveau positive Erwartungen Veränderbarkeit des Problems 4 hohe emotionale Kompetenz 4 positives Selbstkonzept
4 4 4 4 4 4 4
männliches Geschlecht geringes oder hohes Alter geringes Bildungsniveau Angehöriger einer kulturellen Minorität negative Erwartungen keine Veränderbarkeit geringe Selbstöffnung Probleme, die als stigmatisierend erlebt werden zu geringe Problemschwere optimistischer Bias Problemleugnung
Soziokulturelle Faktoren
4 unterstützende Normen 4 soziale Unterstützung (zur Aufnahme prof. Beratung)
4 erwartete Stigmatisierung in der Gruppe 4 soziale Unterstützung (informelle Beratung nutzbar)
Organisatorische Bedingungen
4 Schutz der Privatsphäre 4 Vertraulichkeit 4 kostenloser bzw. kostengünstiger Service
4 zeitliche Einschränkung 4 bekannter Ort (keine Privatheit) 4 fehlende Informationen über Angebote und deren Struktur 4 fehlende Information über Ablauf einer Beratung
45 3.2 . Beratungsprozess
tungsprozesse zu beschreiben, eignet sich am besten ein Problemlöseansatz. Ganz allgemein gesprochen geht man dabei davon aus, dass ein Problem eine Ist-Soll-Diskrepanz darstellt, die es zu »beheben« gilt. Dies geschieht in einem komplexen Prozess der Interaktion zwischen dem Klienten und dem Berater (⊡ Abb. 3.2), der sich in verschiedene Teilschritte unterteilen lässt. Diese Schritte werden innerhalb einer Beratung sukzessive durchlaufen. Von Klient zu Klient können die einzelnen Phasen in ihrer Dauer und subjektiven Bedeutsamkeit variieren. Wird eine Phase nicht zufrieden stellend durchlaufen, dann wird der Prozess wieder an der Stelle aufgenommen, wo eine Klärung stattfinden soll. Allgemein – und grob vereinfacht - lassen sich vier Phasen unterscheiden, die auch ineinander übergehen können: 4 Problemdefinition, 4 Zieldefinition, 4 Intervention, 4 Evaluation. Die Problemdefinition ist die erste Phase des Problemlöseprozesses. Ziel der Diagnostik ist es u.a. Problemlagen zu klären und Entscheidungen über weitere, erforderliche Hilfe zu fällen (z.B. Überweisung an weitere Stellen; Beratungsangebot; Angebot über zusätzliche Hilfeleistungen) und das konkrete Vorgehen planen zu können (z.B. welche Strategien zur Veränderung eingesetzt werden sollen, wo soll angesetzt werden; vgl. Exkurs zur Aufgabe der Diagnostik und ihre Rolle während des Beratungsprozesses). Das diagnostische Herangehen beinhaltet nicht nur standardisierte Testverfahren zur Selbst- und Fremdbeschreibung, sondern auch (un-, halb- und standardisierte) Interviews, psychophysiologische wie somatische Verfahren sowie (systematische) Beobachtungen. Auch die unterschiedlichen Informationsquellen sind denkbar wie der Klient selber, bedeutsame Personen aus seinem Umfeld, die Sichtweise des Beraters und/oder weiterer Experten (wie Kollegen, Supervisoren), um nur einige Beispiele zu nennen. Die Anforderungen an das diagnostische Vorgehen in der Beratung als multimodale, multimethodale Praxis sind Teil der psychologischen Ausbildung und werden in diagnostischen Lehrbüchern umfassend dargestellt. Eine besondere Herausforderung innerhalb des Beratungssettings ist der unter Umständen kurze Zeitraum, der für die Diagnostik zur Verfügung steht, da – im Gegensatz
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zur Therapie – oftmals nicht ein konkreter Zeitrahmen (wie 5 Sitzungen für die erste diagnostische Abklärung) festgelegt ist. Auch die Rahmenbedingungen können hier klare zeitliche Restriktionen auferlegen (s. z.B. Krisenintervention, Telefonberatung). Der Klient stellt sein Problem dar und gleichzeitig können zusätzliche Datenquellen bei der genaueren Hypothesenbildung zum Problem und dessen Hintergrund notwendig und hilfreich sein. Der theoretische Hintergrund des Beraters, sein Bedingungs-, Vergleichs- und Änderungswissen (vgl. Kaminski, 1970) spielen hier eine wichtige Rolle. Im Austausch mit dem Klienten kommt es zu einer gemeinsamen Problemdefinition (= Ist-Zustand). Dieser erste Schritt der gemeinsamen Problemdefinition kann als entscheidend für das weitere Beratungsgeschehen betrachtet werden. Dabei muss beachtet werden, dass die subjektive Sicht des Klienten nicht unbedingt mit der »objektiven« Sichtweise des Beraters übereinstimmen muss. Die Sichtweise des Klienten kann durch Ängste oder auch selbstwertdienliche Kausalattributionen verzerrt sein, er kann aber auch wichtige Informationen bewusst oder unbewusst verschweigen. Gerade in dieser Phase zeigt sich ganz deutlich der interaktive Aspekt der Beratung. Im zweiten Schritt wird die Zielentwicklung auf Seiten des Klienten angesprochen: Der Klient soll – mit Unterstützung des Beraters – ein Ziel für die Beratung formulieren. In vielen Fällen handelt es sich nicht um ein Ziel, sondern es werden mehrere Ziele genannt, die konkretisiert – und damit später auch überprüfbar sind – werden müssen und in eine Zielhierarchie gebracht werden sollten. Dabei sollte jedoch auch beachtet werden, dass die Beratungsziele in einem konflikthaften Verhältnis zu anderen Lebenszielen des Klienten stehen, und sich dadurch negativ auf die Motivation zur Mitarbeit auswirken können. So zeigten beispielsweise Michalak und Schulte (2002), dass ein höheres Ausmaß an Zielkonflikten mit einer geringeren Mitarbeit, weniger Selbstöffnung, stärkerem Widerstand und einer geringeren Bereitschaft zur Erprobung neuer Verhaltensweisen verbunden ist. Die Berücksichtigung der Änderungsmöglichkeiten ist eine der zentralen Aufgaben des Beraters. In der dritten Phase werden die Schritte zur Problemlösung eingeleitet. Auf
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Kapitel 3 . Beratungsprozess
Exkurs Aufgabe der Diagnostik in der Beratung
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Leider wird der Aspekt der Diagnostik in der Beratungsliteratur oftmals stiefmütterlich behandelt, obwohl der Diagnostik – auch in der Praxis – eine sehr hohe Bedeutung zukommt. Die Beratungsdiagnostik ist unverzichtbar und erfüllt zahlreiche Aufgaben (vgl. auch Laireiter, 2000): 4 deskriptive Funktion: Diese gilt als die grundlegende Aufgabe von Diagnostik auf der alle weiteren Funktionen basieren. Hierzu zählen die umfassende Beschreibung der jeweils aktuellen Problemlage, der angestrebten Ziele und deren Erreichbarkeit. 4 erklärende Funktion: Hierbei geht es darum, dass Diagnostik dazu beitragen soll, die Entstehung und den Verlauf eines Problems zu erklären. 4 indikative (adaptive) Funktion: Auswahl geeigneter Beratungsstrategien und –vorgehensweisen für die aktuelle Problemlage und den betroffenen Klienten (unter Berücksichtigung der relevanten Kontextvariablen), Diagnostik zur Feinsteuerung des Beratungsprozess (adaptive Funktion). Der Berater erhält beispielsweise Informationen darüber, in welchen Bereichen die bislang initiierten Beratungsstrategien noch nicht die erwünschte Wirkung erzielt haben und kann sich im folgenden mit diesem Themenfeld intensiver beschäftigen. 4 prognostische Funktion: Diagnostik soll dazu beitragen, den Beratern Informationen an die Hand zu geben, welche Interventionen (z.B. Ratschläge oder Informationen, die erteilt bzw. gegeben werden) mit welchen Konsequenzen verbunden sind. 4 evaluative Funktion: Die Messung von Veränderungen, die mit dem Beratungsgeschehen assoziiert sind, ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil von Diagnostik. Eine empirisch-fundierte psychosoziale Beratung impliziert, dass der Berater die Ergebnisse seiner beraterischen Arbeit
ständig überprüft. Dabei ist sicherlich zu fordern, dass dies nicht nur mit Hilfe von direkten Erhebungen nach Beratungsende (z.B. bezogen auf die Zufriedenheit mit dem Beratungsprozess und dessen Ergebnissen) erfolgt, sondern ein breites, an die jeweilige Fragestellung angepasstes Spektrum an direkten und indirekten Veränderungsmaßen beinhaltet und dabei unerwünschte Nebenwirkungen von Beratung nicht außen vor gelassen werden. Weiterhin sollte das Beratungsergebnis nicht nur direkt nach Beratungsende, sondern auch dessen Transfer in den Alltag und zeitliche Persistenz geprüft werden. 4 therapeutische Funktion: Diagnostik ist kein Selbstzweck; diagnostische Erkenntnisse werden vom Berater gemeinsam mit dem Klienten gewonnen. Die Rückmeldung und Besprechung der Ergebnisse oder die Diagnostik selbst (z.B. das Ausfüllen der jeweiligen Fragebögen) kann bereits Veränderungen in die angestrebte Richtung (z.B. Abbau von Hilflosigkeit und Gefühle des Kontrollverlusts) erzielen. Dadurch kann beispielsweise auch die Motivation des Klienten gesteigert werden. 4 qualitätssichernde und dokumentative Funktion: Diese ist eng mit der deskriptiven Funktion von Diagnostik verbunden. Soll Diagnostik jedoch eine qualitätssichernde Funktion besitzen, ist darauf zu achten, dass beispielsweise die erhobenen Maße den Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Validität) entsprechen und ein enger Bezug zu den Ergebnisparametern der Beratung besteht. Auch sollten sie veränderungssensitiv sein, um Veränderungen abbilden zu können. 4 transparenzsichernde Funktion: Durch die beispielsweise beratungsbegleitende Diagnostik wird das beraterische Handeln des Beraters gegenüber dem Klienten transparent. Auch der Berater erhält aktuelle Informationen darüber, in welchen Bereichen
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47 3.2 . Beratungsprozess
von Seiten des Klienten noch mehr Unterstützungsbedarf gewünscht wird oder wie sein beraterisches Handeln vom Klienten erlebt wird. Rolle der Diagnostik in der Beratung Diagnostik ist ein inkrementeller Bestandteil jeder Beratung. Die oben skizzierten Funktionen von Diagnostik werden in einem schrittweisen, rekurrenten Abklärungsprozess bearbeitet. Nach Krapp (1979; zitiert nach Wild & Krapp, 2001) sind rational gesteuerte Handlungen – wie eine Beratung zum Beispiel – in ihren verschiedenen Phasen direkt wie indirekt mit diagnostischen Prozessen verbunden. Krapp unterscheidet eine: 4 treatmentvorbereitende Diagnostik, 4 treatmentbegleitende Diagnostik und 4 treatmentabschließende Diagnostik. In der vorbereitenden Diagnostik geht es darum, die Ist-Soll-Diskrepanz zu bestimmen. Dies geschieht durch eine genaue Beschreibung der aktuellen Situation des Klienten, aber auch seiner Ziele und Vorstellungen. Damit umfasst diese Phase den Bereich der Problemdefinition und Zieldefinition im Problemlöseprozess. Es sind in einem ersten Schritt nach einer ersten Sichtung des Beratungsanlasses und Screenings auch all jene Informationen zu sammeln, die zu einer begründeten Entscheidung bezogen auf die Indikation (z.B. Beratung durchführen; an andere Stellen überweisen) notwendig sind. Im weiteren Verlauf folgt das Sammeln diagnostischer Informationen, die erlauben das Problem und dessen Entstehung einzuschätzen sowie solche, die die Entscheidung ermöglichen, welche Beratungsstrategie wohl am ehesten im konkreten Fall erfolgreich sein wird. Damit kommt im Bereich der Beratung neben einer problemfokussierten Diagnostik (z.B. mit Hilfe von störungsspezifischen Messinstrumenten (Fragebögen; Interviews) oder allgemeineren Problemfragen) auch der ressourcenorientierten Diagnostik – wie beispielsweise auch von Klemenz (2003) für Kinder und Jugend-
liche gefordert – eine zentrale Bedeutung zu (z.B. bezogen auf die soziale Unterstützung; die personalen Ressourcen). Hier zeigt sich beispielsweise auch der reaktive Effekt der Diagnostik, da den Klienten bereits von Beginn an ihre eigenen Möglichkeiten rückgemeldet werden können. Die starke Ressourcenorientierung in der Diagnostik ist nicht nur ein wichtiges kennzeichnendes Element von Beratung in Abgrenzung zu anderen Hilfeformen (wie Erziehung oder Therapie), sondern auch bereits im frühen Stadium notwendig, um das Selbsthilfepotential der Klienten zu stärken (s. Beratung als Hilfe zur Selbsthilfe). Diagnostik und Beratung lassen sich – gerade bezogen auf die Diagnostik von vorhandenen Ressourcen – kaum voneinander trennen und gehen ineinander über. Das Ende dieser Phase bildet eine so genannte »terminale Treatmententscheidung«. Der Weg zu dieser Entscheidung ist oftmals spiralförmig und wird als investigatorische Entscheidung bezeichnet. Während der so genannten interventiven Phase sollten zeitnah und regelmäßig Informationen zu den Wirkungen der ausgewählten Beratungsstrategie erhoben werden; dies wird unter dem Begriff der begleitenden Diagnostik (Verlaufsdiagnostik) subsumiert. Das berücksichtigte Wirkungsspektrum sollte sich an den angestrebten Zielen und jeweiligen Problemlagen orientieren und auch unerwünschte Nebenwirkungen berücksichtigen. Diese Informationen sind notwendig, um den aktuellen Beratungsprozess immer wieder an die Situation adjustieren zu können. Wild und Krapp (2001) sprechen hier von einer formativen Evaluation. In der abschließenden Diagnostik, auch summative Evaluation genannt, soll systematisch geprüft werden, ob die angestrebten Beratungsziele auch erreicht wurden bzw. ob die erzielten Veränderungen als inhaltlich bedeutsam bezeichnet werden können. Neben positiven Wirkungen sollte auch hypothesengeleitet nach möglicherweise aufgetretenen negativen Wirkungen geschaut werden.
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3
Kapitel 3 . Beratungsprozess
Seiten des Beraters können dies die Vermittlung von notwendigem Wissen zur Lösung des Problems (z.B. bei bestehendem Informationsdefizit) oder in der Vermittlung von notwendigen Kompetenzen (z.B. kritische Reflexion; Problemlösestrategien) sein, um nur zwei Beispiele zu nennen. In Abgrenzung zur Therapie stehen das Selbsthilfepotential und der »Anstoßcharakter von Beratung« im Vordergrund. Vorhandene Ressourcen sollen aufgedeckt werden, um dem Klienten eine möglichst eigenständige Umsetzung der Lösungsschritte zu ermöglichen. Auch zeigen sich in Beratungsprozessen nicht die stark individuumszentrierten Sicht- und Herangehensweisen bei der Betrachtung von Lösungswegen. Diese Phase ließe sich nochmals in verschiedene Teilschritte wie die Erarbeitung von verschiedenen Lösungswegen, die Entscheidung für einen Lösungsweg gemeinsam mit dem Klienten – wenn es über eine reine Informationsvermittlung hinausgeht–, die Planung der Umsetzung des konkreten Verhaltens verbunden mit der Prüfung, ob die notwendigen
KlientIn
Fertigkeiten und Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Problemlösung vorliegen und natürlich dessen Umsetzung unterteilen. Im letzten Schritt erfolgt die Evaluation. Haben die durchgeführten Interventionen zu einer Behebung oder mindestens Besserung des Problems beigetragen? Hier ist neben den subjektiven Sichtweisen des Klienten und Beraters auch eine Objektivierung (z.B. durch Außenstehende; standardisierte Verfahren) notwendig. Sollte keine Besserung erfolgt sein, muss u.U. der gesamte Problemlöseprozess wieder von vorne durchlaufen werden. Wie bereits anhand der Interaktionspfeile angedeutet findet im Beratungsprozess ein ständiger Austausch zwischen den Sichtweisen von Berater und Klient statt, die zunehmend in Einklang gebracht werden sollen, um eine Arbeitsbeziehung herzustellen. ⊡ Abb. 3.2 konzentriert sich dabei auf das unmittelbare Beratungsgeschehen in der Situation – lässt dabei die zahlreichen Einflussfaktoren auf das Beratungsgeschehen und dessen Ergebnis außen vor.
BeraterIn plant Diagnostik und stellt Hypothesen zum Problem und dessen Hintergrund auf
entwickelt Ziel
entwickelt Hypothesen zu Ziel & Änderungsumständen
entscheidet, führt Schritt aus, reagiert auf Intervention
interveniert; schlägt Interventionen vor
vergleicht „Ist“ - mit „Sollzustand“
überprüft Wirkung der Intervention
Ende
Ende
Erfassen/ Definieren des Problems („Ist-Zustand“)
Formulieren des Ziels/ der Lösung („Soll-Zustand“)
Intervenieren (Schritte vom Problem zur Lösung)
Evaluieren
⊡ Abb. 3.2. Der problemzentrierte Beratungsprozess als Interaktion zwischen Berater und Klient
Aufbau
Schrittweiser Aufbau einer Arbeitsbeziehung
exponiert Problem
3
49 3.2 . Beratungsprozess
Der ökosystemische Ansatz von Bronfenbrenner (1981) eignet sich gut, um die verschiedenen Einflussfaktoren zu verdeutlichen. Bronfenbrenner (1981) strukturiert die Umwelt in vier Systeme – das Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystem. Das Mikrosystem beschreibt die Interaktionen zwischen Personen – wie auch im Rahmen von Beratungsprozessen. Zusätzlich beschreibt das Chronosystem die zeitliche Veränderung in den einzelnen Systemen. Jede der beiden handelnden Personen ist jedoch selbst wieder in verschiedene Systeme eingebunden, die ihre aktuelle Sichtweise und ihr Handeln erklären (⊡ Abb. 3.3). Neben diesem vierstufigen Modell gibt es zahlreiche weitere Ansätze. Lampropoulos (2001) schlägt auf der Basis der Theorie der gemeinsamen Faktoren innerhalb von Psychotherapie und Beratung ein neunstufiges Prozessmodell vor, das folgende Stufen umfasst: 1. Der Klient stellt ein Problem vor. 2. Der Berater baut eine therapeutische Arbeitsbeziehung auf. 3. Emotionale Erleichterung und »Katharsis« stellen sich infolge der Unterstützung und des empathischen Verhaltens des Beraters ein.
4. Es kommt zum Aufbau/Bearbeiten von Erwartungen und dem Vermitteln von Hoffnung. 5. Selbstexploration und Einsicht in das Problem werden aufgebaut. 6. Der Berater erarbeitet mit dem Klienten eine theoretische Erklärung (Rational) für das problematische Verhalten und dessen Veränderung. 7. Es folgt die Phase der aktiven Problembearbeitung, die in 8. dem Erlernen neuer Sicht- und Verhaltensweisen mündet, die innerhalb und außerhalb des therapeutischen Settings getestet werden. 9. Der Prozess endet, wenn eine Lösung erreicht wurde und das neue Wissen und Verhalten gemeistert wird. Lueger (1995, 1998) geht im Sinne des Dosis-EffektModells davon aus, dass sich Verbesserungen im Verlauf von Interventionen als negativ beschleunigte Kurven darstellen lassen, wobei sich unterschiedliche Bereiche im Erleben und Verhalten des Patienten in unterschiedlichem Ausmaß verändern. Unterschieden werden drei Phasen, die sequentiell aufeinander aufbauen:
Berater
Klient
Makrosystem
Makrosystem Religion
Normen
Religion
Normen
Mesosystem
Freunde/ Bekannte
Arbeitskollegen Freunde
Freunde
Mikrosystem Familie
Klienten
Institutionen
Klienten
Be
Freunde/ Bekannte
Arbeitsplatz Familie
Mikrosystem
ra te tra us b ild un g
A
Arbeitskollegen
Arbeitskollegen
er eb itg e rb
Freunde
e ich ftl ha sc en ung iss W rsch Freunde Fo
Familie
Medien
Familie
W i Hi ssen nt erg scha ru ftli nd ch er Arbeitskollegen
Medien
Mesosystem
Exosystem
Exosystem
Gesetze
Gesetze Ideologien Kultur
⊡ Abb. 3.3. Beratungsgeschehen unter ökosystemischer Perspektive
Ideologien Kultur
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Kapitel 3 . Beratungsprozess
4 Die Remoralisierung beinhaltet die Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens und wird als allgemeine Wirkgröße jeder hilfreichen Beziehung betrachtet. 4 Die Remediation beschreibt die Verbesserung der Symptome und die Lösung aktueller Probleme. Hier werden vorhandene Bewältigungsmöglichkeiten mobilisiert, alternative Bewältigungsstrategien erlernt und dann auch dauerhaft angewandt. 4 Die Rehabilitation bezeichnet die Verbesserung des Funktionsniveaus in bestimmten Lebensbereichen (wie Schule/Beruf; Partnerschaft etc.). Die Bedeutung der Evaluation im Beratungsgeschehen wird in der Praxis oft unterschätzt. Dabei gibt es viele gute Gründe für den Praktiker seine praktische Arbeit ständig zu evaluieren. Es hilft ihm, seine Behandlung zu verbessern, klinisch bedeutsame wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln und seiner ethischen Verantwortung gegenüber dem Klienten und der Gesellschaft gerecht zu werden. Ein wichtiges Element ist dabei sicherlich, die Sichtweise des Klienten (z.B. seine Zufriedenheit mit dem Beratungsgeschehen und dessen Ergebnis) zu berücksichtigen. Berater und Klient unterscheiden sich nicht nur in ihrer Sichtweise des Therapeutenverhaltens, sondern auch ihrer Sicht, welche Ereignisse in der Beratung bedeutsam waren oder welche Hausaufgabe vorgeschlagen wurde. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass objektive, möglichst standardisierte Messinstrumente zum Einsatz kommen. Dies ist besonders schwierig im Beratungssetting, da sehr unterschiedliche Problemstellungen berücksichtigt werden müssen. Eine weitere Anforderung ist sicherlich, dass die Instrumente ökonomisch und hoch sensitiv sind. Im ▶ Kasten »Clinical Outcome in Routine Evaluation« und im ▶ Kasten »Outcome Rating Scale« werden beispielhaft zwei Herangehensweisen aus dem internationalen Setting vorgestellt, die diesen Kriterien entsprechen und zudem in Kooperation mit Praktikern entstanden sind.
Exkurs Clinical Outcome in Routine Evaluation (CORE; vgl. Evans, Mellor-Clark, Barkham & Mothersole, 2006a, b) Das CORE besteht aus 34 Items, die vom Klienten beratungsbegleitend (ca. 5 – 10 Minuten) ausgefüllt werden sollen. Das Instrument fokussiert auf folgende Bereiche: 4 subjektives Wohlbefinden (4 Items), 4 Symptome/Probleme (12 Items), 4 Leben/soziale Funktion (12 Items), 4 Selbstgefährdung (4 Items), 4 Gefährdung anderer (2 Items). In Befragungen mit mehr als 2000 Klienten ergaben sich gute psychometrische Kennwerte bezogen auf die Reliabilität und Validität. Es konnten Normwerte für klinische und nicht-klinische Stichproben vorgelegt werden ebenso Daten zur Berechnung klinisch relevanter Veränderungen (vgl. Barkham et al., 2001; Mellor-Clark, Connell, Barkham & Cummins, 2001). Zusätzlich stehen den Beratern je ein Instrument zur Protokollierung der Eingangsdiagnostik (zur Feststellung des Kontextes) und eines zum Abschluss der Therapie/Beratung zur Verfügung. Die Testautoren entwickelten auch eine PC-Version, die es den Anwendern erlauben soll, die notwendigen Auswertungen (z.B. Vergleich mit Referenzdaten) selbst vorzunehmen. Ein Benchmarking wurde anhand der ersten Daten entwickelt, das den Vergleich mit anderen Serviceeinrichtungen erlaubt.
Auch im deutschsprachigen Raum haben sich mittlerweile einige Messinstrumente etabliert. Zu unterscheiden sind hier einerseits allgemeine Fragebögen zur Qualitätssicherung im Beratungssetting, die eher auf die Beurteilung einzelner Beratungstermine oder die Beratung insgesamt abzielen, als auch allgemeine und störungsspezifische Verfahren. Einen guten Überblick zu ausgewählten Verfahren – vor allem aus dem Bereich der Ehe-, Familien- und Lebensberatung
51 3.2 . Beratungsprozess
3
Exkurs Outcome Rating Scale (Miller, Duncan, Brown, Sparks & Claud, 2003) Hierbei handelt es sich um eine Kurzversion des Outcome Questionnaire von Lambert, der mit Hilfe einer visuellen Analogskala (0-10) aus Sicht des Klienten die Veränderungen in relevanten Lebensbereichen erfasst: 4 allgemeines Wohlbefinden, 4 individuelles, symptombezogenes Funktionsniveau, 4 interpersonelle Beziehungen (Familie; enge Beziehungen), 4 soziales Funktionsniveau (Arbeit, Schule; Freundschaften). Die Autoren stellten eine hohe interne Konsistenz und zufrieden stellende Konstruktvalidität (Vergleich mit dem Q-45.2; Vergleich klinischer und nicht-klinischer Gruppen) fest (vgl. auch Lambert et al., 1996). Obwohl ursprünglich im psychiatrischen Kontext entwickelt, liegen mittlerweile auch Daten zur Anwendung in Beratungssettings vor (Vermeersch, Whipple, Lambert, Hawkins, Burchfield & Okiishi, 2004). Eine online und PC-Version erlauben es, dass der Berater die Daten schnell auswerten kann und zusätzlich ein kurzes Feedback über die
– bieten Klann, Hahlweg und Heinrichs (2003). Die Autoren stellen verschiedene Verfahren zusammen, die in diesem Bereich zur Anwendung kommen können. Viele der Erhebungsverfahren sind klassische Prä-Post-Verfahren, d.h. es wird beispielsweise zu Beginn und gegen Ende das Ausmaß der Problembelastung oder die Einschränkung der Lebensqualität erfragt und mittels statistischer Analysen berechnet, ob es im Verlauf der Beratung zu einer signifikanten und vor allem auch klinisch bedeutsamen Veränderung kam. Mittlerweile liegen jedoch auch normierte und validierte Verfahren vor, die eine Beurteilung des Behandlungsprozesses erlauben. Hier sollen beispielhaft jeweils ein Verfahren für den Bereich der Arbeit mit Kindern und eines für die Arbeit mit Erwachsenen vorgestellt werden. Beiden Verfahren ist gemeinsam, dass sie nicht störungsspezifisch ausgerichtet
Entwicklung seines Klienten und Feedback bei möglichen Problemen (z.B. sehr geringe Veränderungswerte in den ersten Sitzungen) erhält (Miller, Duncan, Sorrell & Brown, 2005). Diese Skala kann zusammen mit der »Session Rating Scale« (SRS; Duncan et al., 2003), die die vom Klienten wahrgenommene therapeutische Beziehung – ein wesentlicher Prädiktor für den Beratungserfolg – erfasst, eingesetzt werden. Die Skala beruht auf der »Kliententheorie der Veränderung« und besteht aus vier visuellen Analogskalen: Grad der Übereinstimmung mit dem Berater in Bezug auf Ziele und Themen, Grad der Übereinstimmung mit dem Berater in Bezug auf Methoden und den allgemeinen Ansatz, Bewertung der therapeutischen Beziehung, allgemeine Bewertung der zurückliegenden Sitzung. Die Skala erwies sich als reliabel, valide und prognostisch relevant. Studien zeigen zudem, dass durch die kontinuierliche Auswertung der Bewertungen und deren Feedback an den Therapeuten der erzielte Behandlungserfolg gesteigert und die Abbrecherquote reduziert werden können (Lambert, Whipple, Hawkins, Vermeersch, Nielsen & Smart, 2003; Miller et al., 2005; Miller, Duncan & Hubble, 2004).
sind und zentrale Elemente des Beratungsgeschehens mit erfassen. Abschließend soll ein bereichsspezifisches Instrument für die Erziehungs- und Familienberatung vorgestellt werden (▶ Kästen). Exkurs Fragebögen zur Beurteilung der Behandlung (FBB; Mattejat & Remschmidt,1999) Die Fragebögen zur Beurteilung der Behandlung (FBB) sind ein Instrumentarium zur Beurteilung der Behandlung im kinderpsychiatrischen und psychotherapeutischen Kontext. 6
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Kapitel 3 . Beratungsprozess
Sie lassen sich jedoch auch gut in Beratungssettings anwenden, die über zwei Beratungstermine hinausgehen. Die Qualität der Behandlung soll aus der Sicht des Behandlers, dem behandelten Kind und dessen Eltern eingeschätzt werden. Die Skalendefinitionen sind für die einzelnen Berichterstatter angepasst. Für jeden Bereich wird zusätzlich ein Gesamt-Skalenwert ermittelt. 4 Kinderversion (3 Skalen): Die Kinder sollen den Erfolg der Behandlung einschätzen, sowohl für sich selbst als auch bezogen auf die familiären Beziehungen, die Beziehung zum Behandler, sowie die Rahmenbedingungen der Behandlung bewerten. 4 Elternversion: Die Eltern sollen differenziert den Erfolg der Behandlung einschätzen. Hier wird nicht nur der Erfolg der Behandlung für das Kind erfragt, sondern auch bezogen auf die Beziehung des Elternteils zum Kind, den Erfolg bezogen auf die eigene Person und schließlich auch hinsichtlich der Familienbeziehungen. Auf einer zweiten Skala soll der Behandlungsverlauf eingeschätzt werden. 4 Behandlerversion: Die Behandlerversion umfasst 5 Skalen: Skala 1 - Therapieerfolg hinsichtlich des Patienten, Skala 2 - Therapieerfolg hinsichtlich der Familie, Skala 2.1 - Erfolg bezüglich der Mutter, Skala 2.2 - Erfolg bezüglich des Vaters, Skala 2.3 - Erfolg Familienbeziehungen, Skala 3 - Kooperation mit dem Patienten, Skala 4 - Kooperation mit der Mutter, Skala 5 - Kooperation mit dem Vater. Die Testbearbeitung dauert in der Regel rund 15 Minuten. Die Angaben zu Reliabilität und Validität sind zufrieden stellend. Es liegen Angaben aus einer umfangreichen klinischen Stichprobe vor, die sich als Vergleichsgruppe für die eigenen Erhebungen eignet. Mittlerweile liegen auch von den Autoren Kurzversionen vor, die mit 7 bis 15 Fragen in wenigen Minuten zu beantworten sind und sich in
vielen Beratungssituationen als deutlich angemessener erweisen. Am Beispiel der Evaluation eines präventiven Beratungskonzepts für Kinder körperlich kranker Eltern (Paschen et al., 2007) soll der Einsatz des FBB kurz vorgestellt werden. Der Ansatz baut darauf auf, dass Kinder körperlich kranker Eltern offen über die Erkrankung ihres Elternteils informiert werden sollten, dies gilt auch für Erkrankungen mit infauster Prognose. Die offene Kommunikation innerhalb der Familie gilt als ein wichtiger protektiver Faktor. Ziele der Beratung für Eltern und deren Kinder sind daher unter anderem, das elterliche Kompetenzerleben zu steigern, eine aktivere Bewältigung zu ermöglichen, die innerfamiliäre Kommunikation zu verbessern, die emotionale Verfügbarkeit des gesunden Elternteils zu erhöhen, das kognitive Verständnis von Seiten des Kindes herbeizuführen wie auch antizipierende Trauerarbeit anzubahnen. Das Konzept umfasst psychoedukative und therapeutisch-orientierte Elemente; der Ablauf ist halb-standardisiert. Auf eine diagnostische Phase (1-2 Sitzungen) folgt eine Interventionsphase (2-6 Sitzungen), in der spezifische Beratungsziele verfolgt werden. Die Fragebögen wurden sechs Monate nach Beratungsende eingesetzt. Die Eltern und Kinder (N = 25) beurteilten die Beratung als überwiegend erfolgreich, die Berater waren kritischer und kamen zu zurückhaltenderen Urteilen (sie sprachen nur von einem »mäßigen Fortschritt«). Besser fielen die Urteile für die Bewertung der Prozessqualität aus; es zeigte sich jedoch auch hier das Gefälle zwischen Familienmitgliedern und Beratern. Die Prozessqualität wurde von den Eltern und Kindern sehr positiv bewertet. Zusätzlich schätzen die Berater die Prozessqualität nicht nur für die Responder, sondern auch für die Abbrecher ein. Dabei zeigte sich, dass diese nicht schlechter eingeschätzt wurden. Die zusätzlich eingesetzten Zielerreichungsskalen zeigten wieder eine sehr positive Einschätzung der Familienmitglieder, während die Therapeuten dies etwas kritischer sahen.
53 3.2 . Beratungsprozess
Exkurs Bonner Fragebogen für Therapie und Beratung (BFTB; Fuchs, Sidiropoulou, Vennen & Fisseni, 2003) Der Bonner Fragenbogen für Therapie und Beratung dient der Erfassung von Ergebnis und Prozess einer Beratung und wurde als katamnestisches Instrument entwickelt. Der Einsatzbereich ist breit gestreut und nicht auf bestimmte Störungsbilder bezogen. Der Fragebogen ist für erwachsene Klienten entwickelt worden; hierfür liegen auch Vergleichswerte vor. Der Fragebogen setzt sich aus zwei Teilbereichen zusammen: 4 Ergebnisskala: Diese besteht aus 31 Items, die Veränderungen im Selbstbild nach der Therapie im sozialen Bereich (z.B. Kontaktfähigkeit), im emotionalen Erleben (z.B. Selbstwertgefühl) und auf der Verhaltensebene (z.B. Leistungsfähigkeit) erfassen. 4 Zehn Prozessskalen: Diese sollen das therapeutische Verhalten erfassen. Hierbei orientierten sich die Autoren an dem allgemeinen Wirkmodell der Psychotherapie (▶ Kap. 3.5) und wollten die Wirkprinzipien der Therapeut-Klient-Beziehung (3 Skalen: Echtheit, Empathie, Wertschätzung), Einsicht/Klärung (4 Skalen: Deutung, Bewusstheit, Strukturierung, Konfrontation) sowie Integration/Verhaltensänderung (3 Skalen: Durcharbeiten, emotionszentriertes Arbeiten, Verstärkung) berücksichtigen. Dies soll auch gewährleisten, dass das Instrument in verschiedenen Therapie- bzw. Beratungsschulen einsetzbar ist.
Die durchschnittliche Bearbeitungszeit liegt bei 25 Minuten und ist daher oftmals für die sehr kurzen Beratungssettings nur bedingt geeignet. Die beiden Teilbereiche können jedoch getrennt zur Anwendung kommen. Gerade der Einsatz der Prozessskalen kann im Rahmen von Wirksamkeitsanalysen wichtige Erkenntnisse liefern. Kritisch muss der Umfang des Bogens und die ausschließliche Itemformulierung bezogen auf »Therapie« angemerkt werden. Zwar liegen Normierungswerte vor; die Stichprobe ist jedoch mit nur sehr niedrigen Rücklaufquoten als selektiv zu bezeichnen. Auch für den BFTB liegt eine aktuelle Evaluationsstudie aus dem Beratungssetting vor. Kühnl (2007) berichtet über den Einsatz des BFTB im Rahmen eines SOS-Beratungs- und Familienzentrums. Die Ergebnisse von acht Klienten, die mindestens an drei Sitzungen teilgenommen hatten, werden vorgestellt. Weitere Angaben zu den Klienten und den Rahmenbedingungen seitens des Autors liegen nicht vor. Verglichen werden die Einschätzungen der Klienten mit den Werten in der Normierungsstichprobe. Hier zeigte sich beispielsweise, dass die Klienten die Veränderung im Bereich der Ergebnisqualität als durchschnittlich bezeichnen, allerdings sich auch in einem Fall eine Verschlechterung nach der Beratung ergeben hatte. Aus Sicht einer Praxiseinrichtung wurde kritisiert, dass der Fragebogen einen sehr elaborierten Sprachcode aufweist, mit dem viele Klienten nicht zurechtkommen und der damit schlecht anwendbar ist.
Exkurs Fragenbogen zur Erziehungs- und Familienberatung (Vossler, 2001, 2003) Die Instrumentenentwicklung erfolgte vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer Dokumentation der Prozess- und Outcomequalität
von Beratung unter Einbezug der Klienten, wobei die Spezifika von Beratung wie Heterogenität der Problemlagen, stark fluktuierende Rahmenbedingungen, unterschiedliche Zielkriterien etc. berücksichtigt werden sollten, aber
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Kapitel 3 . Beratungsprozess
gleichzeitig ein normiertes und standardisiertes Instrumentarium zur Verfügung gestellt werden sollte. Der Fragenbogen besteht aus vier Hauptskalen, die den gesamten Prozess der Beratung berücksichtigen. Deren Einsatz kann nach dem »Baukastenprinzip« erfolgen, d.h. es werden nur die Skalen eingesetzt, die gerade im Vordergrund stehen. 4 Die Skala FEF-1: Zugang zur Beratung besteht aus einer offenen Eingangsfrage zum Beratungsanlass sowie weiteren Fragen, die aus dem Bereich der Psychotherapieforschung abgeleitet wurden. Hierbei handelt es um Fragen zur Motivation zu und Vorerfahrung mit einer Beratung, den Erwartungen und Bedenken, zum Leidensdruck in der Familie, zur Zufriedenheit mit den Rahmenbedingungen. 4 Die Skala FEF-2: Beratungsprozess erfasst mit 14 Items wesentliche Aspekte der Berater-Klient-Beziehung (wie hilfreiche Beratervariablen) und des Vorgehens in der Beratung (wie Beratungstechniken). 4 Die Skala FEF-3: Beratungszufriedenheit beinhaltet acht Items der deutschen Übersetzung des«Client Satisfaction Questionnaire« ergänzt durch eine Unterskala zur Organisationszufriedenheit. 4 Die Skala FEF-4: Beratungseffekte beschreibt sechs relevante Bereiche (Problemsituation und -sicht, Emotionen, Situation des Kindes, Familie, Selbsthilferessourcen) für die im Sinne einer direkten Veränderungsmessung Einschätzungen abgegeben werden sollen. Zusätzlich kann angegeben werden, inwieweit diese auf die Beratung zurückgeführt werden. Die Daten zur Reliabilität und Validität sind zufrieden stellend. Zusätzlich liegt auch ein Fragebogen für BeraterInnen vor. Hervorzuheben ist, dass es sich beim FEF um ein Instrumentarium handelt, das speziell für den Bereich der Be-
Evaluation sollte jedoch nicht bei der Erhebung des Beratungserfolgs (hier nicht nur retrospektiv, sondern auch prä-post) stehen bleiben, sondern mög-
ratung entwickelt wurde, und anstrebt den Beratungserfolg multidimensional zu erfassen, indem nicht nur Zufriedenheitsmaße, sondern auch Einschätzung der Veränderungen im intra- und interpersonalen Bereich vorgenommen werden. Vossler (2003) selbst setzte den Fragebogen im Rahmen einer Evaluationsstudie zur Erziehungsberatung ein. Elf Beratungsstellen der Caritas nahmen an der Studie teil; jeweils 20 Fälle wurden per Zufall ausgewählt und die Eltern kontaktiert. Die Rücklaufquote betrug 59%. Aus der Vielzahl der Ergebnisse sollen nur beispielhaft einige Aspekte vorgestellt werden. So zeigte sich beispielsweise, dass die Eltern der Diagnostik einen hohen Stellenwert bei den Veränderungen zumessen, während beispielsweise Settings, in denen sie aktiv einbezogen werden, als weniger veränderungsintensiv erlebt werden. Eltern erleben neben der Beratung vor allem auch die Unterstützung durch die soziale Umgebung wie auch altersbedingte Entwicklungen (Reifeprozesse) als häufige Einflüsse auf erzielte Veränderungen. Insgesamt wurden als besonders hilfreiche Aspekte die Klärung der Problemlage (wie die Diagnostik, Ursachenklärung), Tipps und Ratschläge des Beraters, das Reden über die Schwierigkeiten, die Hinweise auf eine Re-Interpretation der Problemsicht, das Einüben von Verhaltensweisen oder konkrete Anregungen zur eigenständigen Reflexion genannt. Ein hoher Prozentsatz der Eltern (70 – 82%) sahen positive Veränderungen in der Problemsituation, der Problemsicht, im emotionalen Bereich, der Situation des Kindes, der familiären Situation sowie im Bereich der Ressourcen. Zwischen 6-10% der Eltern gaben in diesen Bereichen allerdings auch Verschlechterungen an. Die Eltern waren zum größten Teil zufrieden mit der Beratung und kritisierten in erster Linie die fehlende Kooperation mit anderen Stellen.
lichst prozessbegleitend erfolgen. Hierzu eignen sich besonders kurze Stundenbeurteilungen oder Feedbackbögen im Sinne von »goal attainment
55 3.3 . Wirksamkeit von Beratung
scales«, die eine globale Einschätzung der aktuellen Befindlichkeit und des Zielerreichungsgrades erlauben. Solche Instrumente können leicht der jeweiligen Beratungssituation angepasst werden und lassen sich unproblematisch auswerten (▶ Kasten »Stundenbeurteilungsfragebogen für die Allgemeine und Differentielle Einzelpsychotherapie«). Exkurs Stundenbeurteilungsfragebogen für die Allgemeine und Differentielle Einzelpsychotherapie (Krampen, 2002) Stundenbeurteilungsfragebögen dienen einer detaillierten Analyse der jeweiligen Beratungssitzung. Sie sind zeitökonomisch und liefern Berater und Klient Hinweise zum Verlauf und dem Ergebnis in der Sitzung und eignen sich u.a. auch dazu diskrepante Einschätzungen von Berater und Klient aufzuzeigen. Krampen (2002) hat einen Stundenbeurteilungsbogen für den psychotherapeutischen Kontext entwickelt, der auf dem allgemeinen Wirkfaktoren-Modell von Grawe (▶ Kap. 3.5) beruht und aus jeweils drei Subskalen (getrennt für Therapeut und Patient) besteht: 4 motivationale Klärung auf Seiten des Patienten (z.B. Einsicht in die Charakteristika der Schwierigkeiten; 5 Items), 4 aktive Hilfe zur Problembewältigung (z.B. Fortschritte bei der Bewältigung der Schwierigkeiten im Alltag; 4 Items), 4 therapeutische Beziehung (z.B. sich verstanden fühlen; dem Prozess folgen können; 3 Items). Die Auswertung erfolgt auf Skalenebene – die Einschätzung von Therapeut und Patient können gegenübergestellt werden. Normwerte aus einer größeren Stichprobe liegen vor. Allerdings sollte darauf hingewiesen werden, dass der Bogen für den psychotherapeutischen Bereich entwickelt und die Übertragbarkeit für das Beratungssetting nicht getestet wurde. Die Anwendung solcher Skalen bei Beratungen im klinisch-gesundheitspsychologischen Bereich ist sicherlich gegeben, v.a. wenn mehrere Beratungssitzungen erfolgen.
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Wie anhand der vorgestellten Studien gezeigt werden konnte, sind die begleitenden Informationen zur Bewertung der Beratung seitens des Klienten besonders wichtig, da dadurch Missverständnisse und Unstimmigkeiten rechtzeitig angesprochen werden können. So ließ sich der Therapieerfolg anhand von Beobachtungen der ersten Sitzungen relativ gut vorhersagen und Rückmeldungen zur therapeutischen Allianz erwiesen sich als hilfreich, um die Angemessenheit der aktuellen Beratungsarbeit/therapeutischen Strategie zu bestimmen (Howard et al., 1996; Lambert, Hansen & Finch, 2001; Lambert et al., 2001; Lueger, 1998; Lueger et al., 2001; Miller, Duncan, Sorrell & Brown, 2005). Zusätzlich bieten solche Verfahren den Vorteil, die Selbstreflexion des Klienten zu steigern und damit auch die Selbsthilfekräfte zu aktivieren. (7 Kasten »Wirksamkeitsforschung – Evaluationsforschung«) 3.3
Wirksamkeit von Beratung
Die Wirksamkeitsforschung innerhalb der Beratungspsychologie steht sicherlich noch sehr am Anfang, trotz der Tatsache, dass Beratung in unserer Gesellschaft eine sehr hohe Bedeutung zukommt. Da Beratung in Deutschland nicht als eigenständige Profession aufgefasst wird, gehen die Beratungsansätze – das gilt vor allem in der klinischen Forschung – unter. In wohl keinem Bereich zeigt sich hier die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis stärker. Viele Angebote haben sich in der Praxis bewährt, können aber keine wissenschaftlichen Daten aufweisen, die dies untermauern. Viele Evaluationsansätze genügen wissenschaftlichen Kriterien nicht. Viele wissenschaftliche Ansätze – so auf der anderen Seite die Meinung der Praktiker – sind nicht praktikabel und nicht ökologisch valide. Von verschiedenen Seiten werden immer wieder so genannte »Science-Practitioner-Modelle« gefordert, die auf einer Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis, gerade auch auf dem Gebiet der Wirksamkeitsüberprüfung, basieren (Carter, 2002; Lampropoulos, Goldfried, Castonguay, Lambert, Stiles & Nestoros, 2002).
56
Kapitel 3 . Beratungsprozess
Exkurs Wirksamkeitsforschung – Evaluationsforschung
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Die wissenschaftliche Fundierung des praktischen Beratungshandelns ist eine Grundvoraussetzung der psychosozialen Beratung. Neben der Forderung, dass jeder Berater die Wirksamkeit seiner Arbeit auch wissenschaftlich überprüfen sollte, bezieht sich dieser Aspekt auch auf die Forderung nach Belegen für die Wirksamkeit einer bestimmten Beratungsstrategie, die im aktuellen Fall eingesetzt werden soll. Evaluation dient damit auch der Optimierung und Planung von Beratungsmodellen und soll den Nutzen einer bestimmten Beratungsstrategie wissenschaftlich dokumentieren. Evaluation ist damit immer ziel- und zweckorientiert; sie bedient sich des Methodenrepertoires der Sozialwissenschaften, um diese Beurteilung leisten zu können. Psychosoziale Berater sollen – im Interesse des Wohls ihrer Klienten – die Beratungsstrategie einsetzen, für die es die beste empirische Unterstützung gibt und die für den konkreten Fall (Beratungssetting; Klientel) als am erfolgversprechendsten angesehen wird. Es gibt nicht die Wirksamkeit oder den Nutzen einer Beratungsstrategie, sondern der Begriff muss weiter präzisiert werden. Nach Hager (2000) sollte ein Verfahren nur dann als wirksam bezeichnet werden, wenn es nachweislich: 4 eine hinreichend intensive Veränderung der angestrebten Ziele erreicht (Aspekt der klinischen Bedeutsamkeit) und 4 diese Veränderungen auf den Alltag übertragen werden können (»Transfer«) und zeitlich persistieren (»Nachhaltigkeit«). Nachweislich bedeutet, dass mögliche Störeinflüsse, die eine Veränderung herbeiführen könnten, als Erklärung ausgeschlossen werden können. Generell werden in der Forschung unterschieden zwischen: 4 »efficacy«: Hierbei handelt es sich um den Nachweis der Wirksamkeit einer Beratungsstrategie in einem kontrollierten Setting. Dies bedeutet, dass unter in der
Regel optimalen Rahmenbedingungen die Wirksamkeit belegt werden konnte. Dieser Wirksamkeitsnachweis kann immer nur im Vergleich mit einer geeigneten Vergleichsgruppe (unbehandelte Kontrollgruppe, Vergleich mit anderer Beratungsstrategie etc.) und bezogen auf ein vorher definiertes Ziel erfolgen. Zu wünschen ist der Einsatz von Randomisierungsstrategien. 4 »effectiveness« beschreibt die Einsetzbarkeit und Brauchbarkeit in der klinischen Praxis. Dies bedeutet, dass die Verfahren sich auch unter weniger optimalen Bedingungen als wirksam erweisen, wenn beispielsweise die Klientel multiple Problemlagen aufweist oder der Berater sich die Technik durch Fortbildungen oder Bücher angeeignet hat. 4 »Effizienz« betrifft das Kosten – Nutzen – Verhältnis der eingesetzten Beratungsstrategie – auch unter Einbezug von alternativen Herangehensweisen. In manchen Bereichen – dies gilt in erster Linie für die Psychotherapieforschung - liegen mittlerweile so viele Studien vor, dass man die Ergebnisse nur noch schwer rezipieren kann. Meta-Analysen fassen die Ergebnisse von verschiedenen kontrollierten Primärstudien zu einer Fragestellung zusammen, indem die statistischen Ergebnisse zu einem Gesamtergebnis aggregiert werden. Damit sollen Aussagen darüber getroffen werden, wie groß und wie wahrscheinlich der postulierte Effekt ist. Als Gesamtwert werden in der Regel Effektstärkenmaße angegeben, die eine Aussage darüber erlauben, wie stark sich Kontroll- und Experimentalgruppe voneinander unterscheiden. Diese werden in der Regel als δ angegeben. Folgende Klassifikation der Effektgrößen hat sich durchgesetzt: 4 δ= 0,2 a kleiner Effekt 4 δ= 0,5 a mittlerer Effekt 4 δ= 0,8 a großer Effekt
57 3.3 . Wirksamkeit von Beratung
Wirksamkeitsforschung in Beratungssettings gestaltet sich schwierig; als relevante Barrieren sind die folgenden Aspekte zur berücksichtigen: 4 Berater rekrutieren sich aus sehr unterschiedlichen Berufsgruppen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund. So wurden Studien mit Medizinern, Krankenschwestern, Sozialarbeiter und/oder Psychologen durchgeführt. 4 Unterschiedliche Definition von Beratung, die herangezogen wurde: So wurde in einigen Arbeiten eindeutig auf die non-direktive Beratung fokussiert und auch nur solche Ansätze als Beratungsansätze akzeptiert. Viele Untersuchungen (z.B. die Arbeiten zum Motivational Interviewings ▶ Kap. 4) werden nicht explizit unter dem Begriff Beratung geführt. 4 Vielzahl von Erhebungsinstrumenten, die die Vergleichbarkeit von Studien einschränken. Froyd, Lambert und Froyd (1996) kamen in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass in 334 Wirksamkeitsstudien insgesamt 1430 Messinstrumente verwandt wurden, davon alleine 851, die in keiner anderen Studie zum Einsatz kamen. 4 Mangelnde Abgrenzung zwischen Beratung und Psychotherapie; die Grenzen zwischen Beratung und Psychotherapie verschwimmen oftmals. Gerade im Bereich der klinischen Beratungsarbeit ist die Trennung zwischen Beratung und Psychotherapie sehr schwierig und beide Formen sind auf vielfältige Art miteinander verwoben (z.B. Beratung der Eltern, aber Therapie mit dem Kind), so dass die Effekte der Beratung schwer herauszurechnen sind bzw. nicht getrennt betrachtet wurden. In vielen Übersichtswerken und Studien zur Therapieforschung werden – u.U. unter dem Begriff der Kurzzeittherapie – auch Beratungsansätze mit betrachtet, so dass auch hier eine Unterscheidung sehr schwer ist. 4 Unterschiedliche Definition der Effektebenen. Evaluation der Wirksamkeit von Beratung darf nicht nur auf den klassischen Bereich der Wirksamkeitsanalysen beschränkt werden. Beratung hat einen viel umfassenderen Ansatz, der sich nicht auf den Begriff der Symptomreduktion begrenzen lässt. Während für den Bereich der Symptombesserung mittlerweile zahlreiche, auch für den Beratungskontext
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hinreichend valide Messinstrumente vorliegen (▶ Kasten »Clinical Outcome in Routine Evaluation« und ▶ Kasten »Outcome Rating Scale«), sind weitere Zielebenen der Beratung wie z.B. zunehmende Netzwerkunterstützung, Vermittlung an weitere, für den individuellen Fall angemessene Serviceangebote, Förderung des Problembewusstseins, gesteigerte Akzeptanz für Hilfsangebote oder Ressourcenaktivieriung schwieriger zu erfassen. 4 Unterschiedliche Beratungssettings mit sehr unterschiedlicher Zeitdauer. Im Rahmen von telefonischen Beratungsangeboten ist es oftmals nicht möglich, die Anrufer katamnestisch nachzubefragen, da die entsprechenden Daten zur Kontaktaufnahme nicht vorliegen. Die Kontakte sind hier auch nur von sehr kurzer Dauer, was Wirksamkeitsanalysen zusätzlich einschränkt. Hier ist oftmals ein hoher Dropout in den Nachbefragungen festzustellen, da zwischen Berater und Klient keine intensive Arbeitsbeziehung aufgebaut werden konnte, die eine nachfolgende Befragung erleichtert. Andererseits können die Drop-out Quoten auch Ausdruck fehlender Effekte sein (s. intention-to-treat-Analysen in der Medizin, um diesen Effekt auszugleichen). Diese Faktoren mögen erklären, warum sich bislang keine starke Beratungsevaluationsforschung etabliert hat, vor allem im deutschsprachigen Raum. Da im Rahmen der Psychotherapie-Forschung auch Beratungsansätze mit evaluiert worden sind, soll kurz auf die Befundlage in diesem Bereich hingewiesen werden. Die empirische Psychotherapieforschung ist sehr umfangreich und aufgrund der Vielzahl der Studien fast unüberschaubar (Grawe, Donati & Bernauer (1994) recherchierten mehr als 4.000 kontrollierte Studien – Tendenz steigend). Meta-Analysen fassen die Ergebnisse dieser Arbeiten zusammen. Die wohl bekannteste Arbeit zur Wirkung von Psychotherapie legten Smith und Glass im Jahre 1977 vor. Sie analysierten 375 Arbeiten und gelangten zu dem Schluss, dass Psychotherapie wirksam ist. Die durchschnittliche Effektstärke betrug .68, d.h. 75% derer, die behandelt wurden, hatten einen besseren Outcome als der durchschnittliche Kontrollgruppenpatient. Sie fanden erstaunlich geringe Unterschiede zwischen den einzelnen Therapieformen; die höchsten Werte
58
3
Kapitel 3 . Beratungsprozess
wiesen die systematische Desensibilisierung (δ = .91), die Verhaltensmodifikation (δ = .76) und die rationalemotive Therapie (δ = .71) auf. Die Höhe der Effektstärken variierte in Abhängigkeit des betrachteten Outcomes (mit hohen Werten bei Angstreduktion und Selbstwertsteigerung und niedrigeren Werten bei Anpassung und Leistungen in Schule und Beruf). Sie fanden keine Zusammenhänge mit dem Setting (Einzel- vs. Gruppentherapie), der Dauer, der Erfahrung des Therapeuten, der Diagnose und Alter des Klienten; geringe zum Veröffentlichungsjahr und IQ des Klienten (positiv), zum Katamnesezeitraum und Ähnlichkeit zwischen Therapeut und Klient (negativ) sowie etwas höhere (r= .3) mit der Reaktivität des verwandten Outcomes. Zahlreiche weitere Arbeiten folgten mit vergleichbarem Ergebnis (vgl. Übersicht bei Lambert & Bergin, 1994; Lambert & Ogles, 2004). Meta-Analysen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychotherapie unterstützen die Wirksamkeit auch für diesen Altersbereich (Beelmann & Schneider, 2003; Casey & Berman, 1985; Kazdin, Bass, Ayers & Rodgers, 1990; Weisz, Weiss, Alicke & Klotz, 1987; Weisz, Weiss, Han, Granger & Morton, 1995). Neben diesen »allgemeinen« Meta-Analysen, die sich eher auf Psychotherapie konzentriert haben, gibt es unzählige Arbeiten, die sich speziellen Störungsbildern (wie z.B. Depression,
Angst oder Substanzabhängigkeit) zugewandt haben. Mittlerweile liegen auch speziell zum Bereich der Beratung Meta-Analysen vor, allerdings oftmals bezogen auf spezielle Felder. So untersuchte die Arbeitsgruppe um Bower (Bower & Rowland, 2006; Bower, Rowland & Hardy, 2003) den Einsatz von Beratung in der ärztlichen Versorgung bei psychischen Problemen (wie Angst; Depression). So verglichen Bower et al. (2003) ärztliche Beratungsangebote mit der üblichen medizinischen Versorgung. Ihre Daten unterstützen die prinzipielle Wirksamkeit von Beratung bezogen auf einen kurzfristigen Zeitraum (δ = 0.28), nicht jedoch bezogen auf eine längerfristige Stabilisierung (δ = 0.07). Die Autoren konnten zur Thematik insgesamt nur sieben kontrollierte Studien lokalisieren. Dieser Ansatz erwies sich allerdings auch langfristig als Kosten sparend. Gerade im medizinischen Kontext liegen weitere Studien vor, die sich mit dem Einsatz von Beratung (z.B. im telefonischen Kontakt; ▶ Kap. 5) beschäftigen (auch ▶ Kap. 4 zum Einsatz des Motivational Interviewing). Beispielhaft sollen in den folgenden ▶ Kästen einzelne Meta-Analysen vorgestellt werden, die sich mit dem Einsatz von Beratung in verschiedenen Settings und bei unterschiedlichen Altersgruppen beschäftigen.
Exkurs Schulbasierte Beratung – Meta-Analyse von Prout und Prout (1998) Im schulischen Rahmen werden von Psychologen in der Regel kurze Interventionen, oftmals individuelle Beratungsgespräche – meist mit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Orientierung – durchgeführt. Als Beratungsanlässe werden zumeist familiäre Probleme und schulische Angelegenheiten (unter dem Leistungsniveau bleiben; Lernschwierigkeiten; mangelnde Motivation) genannt. Die Autoren untersuchten Studien aus dem Jahr 1985 – 1994 (bis 1984 gibt es bereits eine Meta-Analyse), die sie in den psychologischen Datenbanken »Psychlit« und »ERIC« suchten. Der Interventionsbegriff war breit: Es sollte sich um geplante Anwendungen von Techniken handeln, die auf psychologischen Prinzipien beruhen, von einer speziell ausgebildeten Person angewandt
werden und darauf abzielen, Gefühle, Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen, die als maladaptiv eingeschätzt werden, zu verändern. Damit werden eher therapeutisch-orientierte, aber auch trainings- und beratungsorientierte Ansätze mit berücksichtigt. Die Intervention musste in der Schule stattfinden oder sich auf ein schulisches Problem beziehen. Eine Veröffentlichung musste in einer Fachzeitschrift erfolgt sein und die Studie eine Kontrollgruppe beinhalten. 17 Studien mit 74 Outcome-Maßen wurden auf diese Weise in die Studie einbezogen – leider erfährt der Leser nicht, wie viele und mit welcher Begründung ausgeschlossen wurden. Die Effektstärke insgesamt – über alle Studien und Variablen – betrug .97. Wurden die Outcome-Maße pro Studie gemittelt, ergab sich eine Effektstärke von .95. Die meisten Studien waren
66
59 3.3 . Wirksamkeit von Beratung
Gruppeninterventionen. Die höchsten Effektstärken zeigten sich für die kognitiv-behavioralen Ansätze (ES = 1.45 bzw. ES = 1.55), gefolgt von Entspannung (ES = .84 bzw. ES = .92) und Fertigkeitsansätzen (ES = .50 bzw. ES = .49). Bei den jüngeren Kindern wurden die besseren Ergebnisse erzielt (Grundschule vs. weiterführende
Schule: ES = 1.31 bzw. ES = 1.35 vs. ES =.73 bzw. ES =.68). In ⊡ Tab. 3.2. sind die Ergebnisse je nach Outcome-Maß und Erfassungsstrategie zusammengefasst. Die unterschiedlichen Effekte für die verschiedenen Datenquellen verdeutlichen noch einmal die Wichtigkeit einer multimethodalen Ergebnismessung und -dokumentation.
⊡ Tab. 3.2. Mittlere Effektstärken nach Art des Outcomes. (Zit. nach Prout & Prout, 1997; p. 129; dtsch. Übersetzung durch die Autorin) Art der Variablen
Anzahl der Studien
Effektstärken
Standardabweichung
Selbstbericht
51
1.18
1.08
Informantenrating
12
.52
.39
Leistung
6
.00
.24
Verhalten
5
.88
.32
Angst
18
.74
.54
Depression
15
1.96
1.04
Selbstwert/-konzept
14
.74
.79
Soziale Fertigkeiten
9
.38
.34
Performanz
6
.00
.24
Einstellung
5
.85
.79
Datenquelle
Interessierende Variable
Exkurs Ernährungsbezogene Beratung zur Gewichtsreduktion (Dansinger, Tatsioni, Wong, Chung & Balk, 2007) Aufgrund der hohen Verbreitung von Übergewicht und Adipositas sind effektive Maßnahmen zur Gewichtsreduktion notwendig. Die Autoren bezogen in ihre Meta-Analyse kontrollierte Studien der Jahre 1980 – 2006 ein. Durch ihre Suchkriterien, die sich vor allem auf verhaltenstherapeutische und lebensstilbezogene Interventionen bezogen, konnten sie
13.732 Studien finden, von denen 46 in die Studie einbezogen wurden, wobei 6.386 Personen eine Ernährungsberatung erhielten und 5.467 Personen die übliche Versorgung (= Kontrollgruppe). Die Studie bezog nur Erwachsene ein. Als Ergebnisvariable wurde die Veränderung im BMI für die unterschiedlichen Messzeitpunkte (auch bezogen auf aktive Phase vs. Aufrechterhaltung) getrennt untersucht. Dabei zeigten sich insgesamt viel versprechende Ergebnisse. Die Daten zur BMI-Veränderung während der
6 6
3
60
3
Kapitel 3 . Beratungsprozess
aktiven Phase variierten zwischen den jeweiligen Messzeitpunkten relativ stark; die geringsten Veränderungen bzw. sogar Anstiege ließen sich für die Zeitpunkte 18., 24. und 30. Monat feststellen; es ergaben sich sowohl für die früheren wie auch die späteren Zeitpunkte BMI-Veränderungen um einen Punkt bis zu maximal 2.89 Punkten. Für die Phase der Aufrechterhaltung zeigten sich ab dem 48. Monat keine bedeutsamen BMI-Verringerungen mehr; zuvor lagen jedoch deutliche Veränderungen um einen bis zu 2.87 Punkten vor. Diabetiker scheinen insgesamt von
Mittlerweile liegen im psychotherapeutischen Bereich so viele Meta-Analysen vor, dass Meta-Analysen von Meta-Analysen durchgeführt werden. So stellten Lipsey und Wilson (1993) 302 Meta-Analysen nicht nur aus dem Bereich der Psychotherapie, sondern auch aus den Bereichen Beratung (hier vor allem für den medizinischen Bereich) und edukative Maßnahmen zusammen. Nur sechs der Arbeiten wiesen negative Effektstärken auf (▶ Kasten »Die Meta-Analyse der Meta-Analysen«).
den Ernährungsberatungen profitiert zu haben. Die Analyse der BMI-Anstiege lässt schlussfolgern, dass während der aktiven Behandlung im Schnitt 0.1 BMI-Punkte pro Monat (dies gilt für das erste Jahr) verloren werden, während in der Aufrechterhaltungsphase zwischen 0.02 und 0.03 BMI-Punkte dazu gewonnen werden. Dieses Ergebnis zeigt auch, wie schwer eine Veränderung des Lebensstils ist und wie leicht die Betroffenen wieder in ihre alten Verhaltensmuster fallen.
Bei diesen Studien handelte es sich in erster Linie um so genannte »efficacy«-Studien. Diese Studien wurden von zahlreichen Forschern – u.a. auch von Seligman (1995) – kritisiert, da sie die interne Validität zu Kosten der externen Validität optimieren. Die Frage, ob solche Verfahren auch in der Praxis wirken (»effectiveness«), konnte ebenfalls bejaht werden. Einer der einflussreichsten und kontroversesten Studien ist die »Consumer Report Study« von Seligman (1995), die die »effectiveness« von
Exkurs Die Meta-Analyse der Meta-Analysen: Lipsey und Wilson (1993) Lipsey und Wilson (1993) hatten sich zum Ziel gesetzt, die Literatur zu psychologischen Interventionen zu sichten. Sie bezogen die Meta-Analysen ein, deren Ziel es war psychische Variablen wie Einstellungen, Verhalten, Kognitionen oder Emotionen zu verändern. Zudem sollte es sich um Interventionen handeln, die eine praktische Relevanz aufwiesen (z.B. aufgrund der einbezogenen Problemlagen). Die Vielzahl der Studien wurden Kategorien zugeordnet: 4 psychische Gesundheit (hier u.a. Psychotherapie – allgemein; VT, Beratung; gesundheitsbezogene Interventionen), 4 Intervention im Arbeitsfeld, 4 Edukation.
Um die Vielzahl der Studien zu verdeutlichen ist in ⊡ Abb. 3.4. ein Ausschnitt der berücksichtigten Studien mit den erzielten Effektstärkenmaßen dargestellt (Lipsey & Wilson, 1993, p. 1184-1185). Die Effektstärken variierten von Studie zu Studie enorm: Sie lagen im Schnitt bei .50, variierten zwischen -0.2 (und damit kein Effekt) bis zu 1.6 (in einer Studie); der Median lag bei .47. Die meisten Studien berichteten mittlere Werte zwischen 0.3 und 0.4, gefolgt von 0.4-0.5. Die Autoren untersuchten im Folgenden einige Moderatoren, die dieses Ergebnis erklären könnten. In ⊡ Tab. 3.3. sind einige der Ergebnisse zusammengestellt. Diese deuten darauf hin, dass reine prä-post-Studien die Effektstärken überschätzen sowie groß angelegte Studien zu geringeren Effektstärken gelangen.
61 3.3 . Wirksamkeit von Beratung
⊡ Abb. 3.4. Überblick zu den untersuchten Studien und deren Effektstärkenmaße. (Nach Lipsey & Wilson, 1993, p. 1184f )
3
62
Kapitel 3 . Beratungsprozess
⊡ Abb. 3.4. Fortsetzung
3
⊡ Tab. 3.3. Zusammenstellung einiger untersuchter Einflussgrößen in der Meta-Analyse von Lipsey und Wilson (1993) Vergleich
Effektstärke
Standardabweichung
Anzahl der Studien
Randomisierung Keine Randomisierung
0.46 0.41
0.28 0.346
74 74
Kontrollgruppe/ Vergleichsgruppe Ein-Stichproben-Vergleich
0.47 0.76
0.29 0.40
45 45
Hohe methodische Qualität Geringe methodische Qualität
0.40 0.37
0.27 0.29
27 27
Publizierte Studie Nicht-publizierte Studie
0.53 0.39
0.30 0.28
92 92
N geringer als 50 N 51 – 100 N > 100 Keine aktive Behandlungsgruppe
0.58 0.52 0.35 0.67
0.32 0.43 0.30 0.44
39 39 39 30
Placebokontrolle
0.48
0.26
30
63 3.3 . Wirksamkeit von Beratung
Exkurs Die »Consumer Report Study« (Seligman, 1995) Seligman kritisierte an den »efficacy«-Studien vor allem die damit verbundenen Ein- und Ausschlusskriterien: 4 In kontrollierten Wirksamkeitsstudien werden klare Kriterien für die zu behandelnden Personen aufgestellt. Dabei werden in der Regel vor allem auch Komorbiditäten ausgeschlossen. Dieser Ausschluss entspricht aber nicht der Realität in Beratung und Therapie, wo ein Großteil der Patienten unter multiplen Problemen leidet. Dadurch lassen sich die Zielkriterien nicht so genau beschreiben (Wirksamkeit für welchen Problembereich?). 4 Vorgesehen ist eine klar fixierte Dauer der Behandlung, die in der Realität aber oftmals so nicht gegeben sei, da die vorgeschriebene Dauer nicht unbedingt mit den Fortschritten der Patienten übereinstimmen muss. 4 Die Entscheidung für eine bestimmte Therapie- oder Beratungsform ist ein aktiver Prozess, der durch die Randomisierung in eine aktive Behandlungsgruppe und eine Kontrollgruppe (oder auch eine andere Interventionsform) nicht gut abgebildet werden kann. 4 »Efficacy«-Studien werden dem adaptiven Charakter von Psychotherapie und Beratung nicht gerecht. Ein Wechsel der Behandlungsmodalitäten wird vorgenommen, wenn der Berater feststellt, dass die vorgesehene Strategie bei einem Patienten nicht wirkt. In der Praxis werde eher eklektizistisch gearbeitet und Behandlungsmanuale selten eingesetzt. 4 Psychotherapie (und Beratung) konzentriert sich auch auf eine Verbesserung der allgemeinen Befindlichkeit, ein Aspekt, der in den »efficacy«-Studien häufig zugunsten der Erfassung störungsspezifischer Symptomreduktionen vernachlässigt wird. All diese Aspekte gefährden die ökologische Validität von Studien. Seligman erfasste die Ergebnisse von Beratung, indem eine unausgelesene Stichprobe von Lesern einer Zeitschrift »Consu-
mer Reports« einen Fragebogen erhielt, der sie zu ihrem Umgang mit psychischen Problemen befragte. Von mehr als 7.000 Befragten, die angaben solche Probleme in der Vergangenheit erlebt zu haben, gaben rund 2.900 an mit einem Psychologen, Psychiater, Sozialarbeiter oder (Ehe-) Berater gesprochen zu haben. Die 26 Fragen konzentrierten sich unter anderem auf die subjektive Zufriedenheit und die erlebte Unterstützung bei der Lösung des Problems, die Kompetenz des Therapeuten und die Gründe für die Beendigung des Kontakts. Die Wirksamkeit der Intervention sollte anhand eines zusammengesetzten Scores aus drei Maßen festgestellt werden: 4 Besserung des spezifischen Problems, das Anlass für die Inanspruchnahme der Hilfe war, 4 Zufriedenheit mit der erfahrenen Hilfestellung durch den Therapeuten, 4 Einschätzung der globalen Verbesserung. Die meisten Patienten erlebten eine Besserung ihrer Symptomatik und waren zufrieden mit der Unterstützung. Von denen, die sich zu Beginn sehr schlecht fühlten, erlebten 87% jetzt eine Besserung ihres Zustandes. Von denen, die sich zu Beginn schlecht fühlten, erlebten 92% eine Besserung ihres Zustandes. Mit zunehmender Dauer der Intervention (von einem Monat bis zu mehr als zwei Jahren) wurde auch eine größere Besserung der Befindlichkeit berichtet. Zwischen den Berufsgruppen gab es leichte Unterschiede, die darauf hindeuten, dass die Eheberater »die schlechtesten Ergebnisse« erzielten. Patienten, die sich freiwillig für eine professionelle Hilfe entschieden, schnitten in der Regel besser ab. Einige ausgewählte Ergebnisse sollen das nochmals verdeutlichen. In ⊡ Abb. 3.5. (zitiert nach Seligman, 1995, p. 970) ist der prozentuale Anteil der Befragten wiedergegeben, die eine deutliche Besserung in der Symptomatik angaben, die Anlass der Beratung/Therapie war, in ⊡ Abb. 3.6. (zitiert nach Seligman, 1995, p. 970) der Anteil, die eine deutliche Besserung in den Bereichen der Arbeit und des sozialen Lebens erlebten, in ⊡ Abb. 3.7. (zitiert nach Seligman, 1995,
6
3
64
3
Kapitel 3 . Beratungsprozess
p. 971) im persönlichen Bereich (Leben mehr genießen, persönlicher Wachstum, Selbstwert und Zutrauen, Besserung der Stimmung). Eingeteilt wurde stets nach Behandlungsdauer: unter bzw. über sechs Monate. Die Kritik am Vorgehen und den Interpretationen von Seligman (1995) ist mannigfaltig. Seligman selbst verweist unter anderem auf die fehlende Kontrollgruppe, das retrospektive Vorgehen, die mangelnde Repräsentativität der Stichprobe sowie die alleinige Fokussierung auf den
Beratung unterstrich (▶ Kasten: Die »Consumer Report Study«). In eine ähnliche Kategorie fallen die Nachbefragungen der Beratungsstellen, die bei anfallenden Patientenstichproben – allerdings mit Hilfe von begleitenden Messungen ‒ positive Effekte einer Beratung in den unterschiedlichsten Kontexten fanden (z.B. Draper, Jennings, Baron, Erdur & Shankar, 2002; Klann & Hahlweg, 1994; Mellor-Clark et al., 2001; Vossler, 2003). Untersuchungen zur Zufriedenheit mit den Beratungsangeboten, die zur Verfügung gestellt werden, unterstreichen die Akzeptanz (z.B. Huber, Brandl, Henrich & von Rad, 2003; Thompson, Coll, Wilkinson, Uitenbroek & Tobias, 2003), sind aber zur Beurteilung der Wirksamkeit wenig aussagekräftig. Problematisch sind hier der retrospektive Charakter der Studien sowie die hohe Drop-out-Rate: In der Studie von Klann und Hahlweg (1994) standen für die Post-Messung der Beratungserfolges nur noch 51% der ursprünglichen Stichprobe, für den 6-Monats-Follow-up nur noch 24% zur Verfügung. Die hohen Ausfallraten stellen damit ein deutliches Problem in der Forschung im Rahmen natürlicher Settings dar, da nicht bekannt ist, ob es sich um einen selektiven Drop-out handelt. Allerdings unterschieden Shadish et al. (1997, 2000) in ihrer Meta-Analyse nach der klinischen Repräsentativität des Settings und fanden keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit. Diese Ergebnisse sind ermutigend für die Praxis, da sie dafür sprechen, dass die Ergebnisse aus kontrollierten Studien auf den »Beratungsalltag« übertragen werden können.
Selbstbericht der Leser. Der Vorteil der Studie ist sicherlich, dass nicht nur unter Studienbedingungen, die zu einer Verzerrung der Motivation des teilnehmenden Klienten und Berater wie auch eine Selektion der behandelten Probleme führen können, positive Effekte gefunden wurden. Solche Studien ergänzen die Daten aus »efficacy«-Studien, Sie ersetzen Sie nicht. Beide Varianten haben ihre Spezifische Aussagekraft und Berechtigung.
3.4
Wirkfaktoren der Beratung
Wenn Beratung bzw. Therapie prinzipiell wirksam ist, was sind dann die Faktoren, die zu einer Veränderung beitragen? Das genaue Verständnis der Wirkfaktoren ist grundlegend für die Etablierung einer evidenzbasierten Beratungspraxis. In den meisten theoretischen Modellen wird vor allem auf den Input des Beraters (im Sinne von spezifischen Interventionen) als Wirkelement fokussiert. Wie die empirischen Untersuchungen aber zeigen, spielt dieser Faktor eine weniger wichtige Rolle als allgemein postuliert. Weiterhin sind auch die Klienten- (wie soziodemographische Merkmale, Erwartungen, Leidensdruck, soziale Unterstützung, Motivation, etc.) und Beratermerkmale (wie dessen theoretische Orientierung, Glaubwürdigkeit, soziodemographische Variablen, Erwartungen, etc.) untersucht worden. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass viele Variablen nicht einseitig auf Seiten des Klienten oder Beraters betrachtet werden dürfen, sondern das Ergebnis einer komplexen Interaktion darstellen (z.B. die Klient-Berater-Beziehung, aber auch die Erwartungen, Glaubwürdigkeit des Beraters, etc.). Solche Analysen können nur im Rahmen komplexer Interaktionsmodelle durchgeführt werden. Bei der Untersuchung der Einflüsse wurden verschiedene Einteilungen vorgenommen. Im Folgenden wird zwischen spezifischen Therapiefaktoren, Klienten- und Beratervariablen und deren Interaktion unterschieden. Diese Einteilung ist sicherlich nicht trennscharf, da vielfältige Wechselwirkungen zu beachten sind. Eingegangen wird in erster Linie auf die Ergebnisse groß angelegter Meta-Analysen
65 3.4 · Wirkfaktoren der Beratung
% derjenigen mit Besserung
60 < 6 Monate > 6 Monate
50 40 30 20 10 0 Psychiater Psychologen Sozialarbeiter Eheberater (n=639) (n=1052) (n=381) (n=250)
Ärzte (n=616)
⊡ Abb. 3.5. Besserung der Symptomatik. (Zit. nach Seligman, 1995, p. 970)
% derjenigen mit Besserung
35 < 6 Monate > 6 Monate
30 25 20 15 10 5 0
Psychiater Psychologen Sozialarbeiter Eheberater (n=639) (n=1052) (n=381) (n=250)
Ärzte (n=616)
⊡ Abb. 3.6. Besserung in den Bereichen der Arbeit und des sozialen Lebens. (Zit. nach Seligman, 1995, p. 971)
40 < 6 Monate > 6 Monate
% derjenigen mit Besserung
35 30 25 20 15 10 5 0 Psychiater (n=639)
Psychologen Sozialarbeiter Eheberater (n=1052 ) (n=381) (n=250)
Ärzte (n=616)
⊡ Abb. 3.7. Besserung im persönlichen Bereich. (Zit. nach Seligman, 1995, p. 971)
3
66
Kapitel 3 . Beratungsprozess
und Reviews (Lambert, 2004; Norcross, 2002). Zuerst erfolgt die Betrachtung, welchen Einfluss die theoretische Orientierung auf die Wirksamkeit hat: Hierbei wurden in erster Linie verschiedene Therapieverfahren miteinander verglichen.
3 3.4.1
Spezifische Therapiefaktoren
Konsistent wurde gezeigt, dass ein kognitiv-behaviorales Vorgehen, gerade bei Ängsten und affektiven Störungen, gegenüber anderen, Vorgehensweisen, vornehmlich psychodynamischen Therapien, vorteilhaft ist und die verhaltenstherapeutischen Ansätze die meisten Wirksamkeitsstudien aufweisen (Grawe et al., 1994; Lambert & Bergin, 1994). Allerdings sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Herangehensweisen weniger stark ausgeprägt als erwartet. Dies hat zur Formulierung des so genannten »Dodo-Bird«-Prinzips geführt, das besagt, dass Psychotherapie generell wirksam ist und die Unterschiede zwischen den einzelnen Therapieformen vernachlässigbar sind (vgl. Wampold, 2000). Neuere Untersuchungen zu den wirksamen Therapieformen extrahieren in der Regel allgemeinere Wirkfaktoren, die in verschiedenen Therapieformen – teils in unterschiedlichem Maße – realisiert werden (Beutler et al., 2006; Critchfield & Smith Benjamin, 2006). Diese Beobachtung konnten Ahn und Wampold (2001) nochmals bestätigen. Das Bild homogener Effekte und der Wirkungsäquivalenz verschiedener Therapieverfahren wird allerdings auch von vielen Autoren kritisiert, die darauf hinweisen, dass gerade für den psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Bereich kaum Studien vorliegen (z.B. Beelmann & Schneider, 2003; Weisz et al., 1995), so dass auch keine letztendliche Beurteilung erfolgen kann. Allerdings sollte das »Dodo-Bird«- Prinzip auch nicht so verstanden werden, dass die Herangehensweise irrelevant ist, aber ihr Einfluss ist im Vergleich zu den persönlichen Einflüssen begrenzt. Wampold (2000) geht noch weiter und sieht den Stellenwert der therapieschulen-spezifischen Elemente innerhalb von Beratung und Therapie als vernachlässigbar an. Allgemeine theorienschulenübergreifende Modelle und Wirkfaktoren seien für die Effekte von Beratung entscheidend. Sexton und Whiston (1991) fassen den Forschungsstand
treffend mit folgenden Worten zusammen: »It does seem, however, that it is not the school of thought but the skillfulness of the counselor and a number of aspects of the counseling process common to all approaches that may be most important in successful counseling.« In diesem Zusammenhang werden von verschiedenen Autorengruppen in der Literatur allgemeine Wirkfaktoren diskutiert: So postulierten Grencavage und Norcross (1990), dass Gemeinsamkeiten in fünf verschiedenen Bereichen vorherrschen: 4 Klientenvariablen: positive Erwartungen/Hoffnung; Klient gestresst oder im Zustand der Inkongruenz; Klient sucht aktiv Hilfe. 4 Beraterqualitäten: allgemein positive Beschreibungen; unterstützt Erwartungen/Hoffnung; Wärme und positive Wertschätzung. 4 Veränderungsprozess: Möglichkeit zur emotionalen Erleichterung/Katharsis; Erwerb und Einüben neuer Verhaltensweisen; Erklärungsmodell anbieten. 4 Behandlungsstruktur: Einsatz von Techniken/ Ritualen; Fokussierung auf die innere Welt/Exploration emotionaler Inhalte; theoriegeleitetes Vorgehen. 4 Beziehung: Aufbau einer therapeutischen Beziehung/Allianz; Engagement; Übertragung. Zu einer vergleichbaren Schlussfolgerung gelangen auch Goldfried und Davila (2005), die folgende Prinzipien postulieren: 4 Aufbau von positiven Ergebniserwartungen bezüglich der Therapie, 4 Aufbau einer optimalen therapeutischen Beziehung, 4 Anbieten von Rückmeldung, die zu einer Bewusstseinssteigerung bezüglich der Problemsicht führt, 4 Aufforderung zu korrektiven Erfahrungen, 4 Betonen kontinuierlicher Realitätstestung. Auch von anderen Autoren werden vergleichbare Aspekte genannt (Lambert & Bergin, 1994; McLeod, 2004; Prochaska & Norcross, 2003). Aus dieser Diskussion hat sich eine Arbeitsgruppe gegründet, die empirisch-basierte Prinzipien der Veränderung bei verschiedenen Störungsbildern abgeleitet hat (Beutler, Castonguay & Follette, 2006; Critchfield & Smith Benjamin, 2006; Newman & Stiles, 2006).
67 3.4 . Wirkfaktoren der Beratung
3.4.2
Klientenvariablen
Bei den Klientenvariablen kann wiederum eine Einteilung in unterschiedliche Klassen vorgenommen werden. In den großen Meta-Analysen wurden in der Regel die soziodemographischen Variablen wie Alter, Geschlecht und soziale Schicht untersucht. Diese Variablen nehmen – wie bereits herausgestellt – Einfluss auf die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten. Die Studien zum Alter und Geschlecht des Klienten deuten auf keine signifikanten Einflüsse auf das Therapieergebnis hin – die Ergebnisse sind allerdings sehr widersprüchlich (Garfield, 1994). Zu beachten sind in diesem Kontext sicherlich auch kulturelle Unterschiede. In einer Analyse von Newman und Stiles (2006) zu wirksamen Faktoren bei der Behandlung von Ängsten erwies sich ein geringer soziökonomischer Status als negativer Prädiktor, aber auch hier sind die Ergebnisse sind eindeutig (Clarkin & Levy, 2004). Generell handelt es sich hierbei jedoch um nichtveränderbare Größen auf Seiten des Klienten, auf die sich der Berater sensibel in seinem Vorgehen einstellen muss. Solche Fähigkeiten werden im Rahmen von Ausbildungsprogrammen auch systematisch trainiert. Kontrovers wird die Rolle der Schwere der Störung diskutiert: Hier wurden sehr widersprüchliche Ergebnisse gefunden, die in ihrer Gesamtheit darauf hindeuten, dass der Schweregrad der Störung nicht per se einen negativen Behandlungsverlauf vorhersagt. Generell sind die Einstellungen und Mitarbeit des Klienten bedeutsamer. Hier ergibt sich stets das Problem der sehr unterschiedlichen Operationalisierungen. So handelt es sich beispielsweise bei der Mitarbeit des Klienten um ein sehr heterogenes Konstrukt, das unter sehr verschiedenen Begrifflichkeiten untersucht wird. Während in medizinisch-gesundheitspsychologischen Kontexten oft von Compliance oder Therapiemitarbeit (»Adherence«) die Rede ist, wird in der psychotherapeutischen und Beratungsliteratur von Behandlungsmotivation, Therapiemotivation oder von subjektivem Leidensdruck gesprochen. Behandlungsmotivation wurde einerseits zur Bezeichnung der Motivation, eine Behandlung in Anspruch zu nehmen, andererseits sich innerhalb einer Behandlung aktiv zu engagieren, verwandt. Hier sind dringend konzeptuelle Klärungen erforderlich. Insgesamt deutet sich
3
jedoch an, dass Variablen auf Seiten des Klienten wie Engagement, Zusammenarbeit, Zustimmung zum Therapeuten oder Expressivität in der Kommunikation zu einem positiven Prozess und Ergebnis beitragen (Hill & Williams, 2000; Orlinsky et al., 1994), ihr Gesamtbeitrag jedoch eher gering erscheint (Garfield, 1994). Clarkin und Levy (2004) weisen in ihrer Übersicht darauf hin, dass einige methodische Aspekte bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden sollten: So sind die meisten Studien nicht so angelegt, dass die Vielzahl der möglichen Einflussfaktoren systematisch und mit ausreichender Power untersucht werden kann; die Analyse der Einflussfaktoren ist ein Nebeneffekt. Zudem werden oftmals nur Klientenvariablen vor der Behandlung berücksichtigt – Variablen wie Offenheit oder Engagement sollten sich aber im Verlauf der Beratung verändern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass eine systematische und theoriegeleitete Forschung in diesem Kontext oftmals fehlt und die Rolle der Klientenvariablen – als Mediator oder Moderator – nicht spezifiziert wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Klientenvariablen nicht separat betrachtet werden sollten, sondern Muster von Variablen untersucht werden, damit den vielfältigen Interdependenzen Rechnung getragen wird. Zudem muss berücksichtigt werden, dass sich Klientenvariablen auch auf das Beraterverhalten auswirken und es sich bis auf wenige Ausnahmen nicht um stabile Größen handelt.
3.4.3
Beratervariablen
In der Literatur ist relativ gut belegt, dass die Erfolgsrate zwischen einzelnen Therapeuten sehr stark variiert (z.B. Crits-Christoph, Baranackie & Kurcias, 1991; Luborsky, McLellan, Diguer, Woody & Seligman, 1997). Dies wirft die Frage nach möglichen Einflussfaktoren und den Merkmalen eines effektiven Beraters auf. Zu den untersuchten Variablen auf Seiten des Beraters zählen u.a. soziodemographische Variablen wie Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, die therapeutische Orientierung, persönliche Überzeugungen oder Variablen des sozialen Einflusses. Die Befundlage ist mittlerweile so umfassend, dass nur noch anhand von
68
3
Kapitel 3 . Beratungsprozess
Meta-Analysen Aussagen getroffen werden können. In verschiedenen Reviews (Beutler, Machado &Neufeldt, 1994; Beutler et al., 2004; Orlinsky, Grawe & Parks, 1994) wurde die umfangreiche Literatur gesichtet und aufbereitet. So scheint weder das Alter (konfundiert mit der Erfahrung) noch das Geschlecht des Therapeuten einen signifikanten Einfluss auf die Wirksamkeit der Beratung zu haben. Bei der ethnischen Zugehörigkeit zeigt sich tendenziell, dass eine Ähnlichkeit zwischen Berater und Klient vorteilhaft ist (s. aktuelle Diskussionen zur multikulturellen Beratung). Hier scheint es im Vorfeld bereits zu einem selektiven Zuweisungseffekt im Sinne einer Passung zwischen Klient und Berater zu kommen – ein Effekt, der allerdings bislang nicht systematisch untersucht wurde. Andere Variablen, die oft als so genannte persönliche Beraterqualitäten bezeichnet werden, wie sich seiner selbst bewusst sein und hohes Ausmaß an Verständnis, eine hohe seelische Gesundheit, Sensitivität und Verständnis für ethnische und kulturelle Faktoren, Offenheit und Objektivität (vgl. Cornier & Hackney, 2005), zeigten nur geringe oder gar keine Zusammenhänge. Einschränkend muss hier darauf hingewiesen werden, dass sich die Forschung nur auf wenige Variablen wie seelische Gesundheit oder Kontrollüberzeugung konzentriert hat. Zusätzlich sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich diese persönlichen Qualitäten oftmals in der Interaktion mit dem Klienten entfalten und möglicherweise eine Passung zwischen Berater und Klient entscheidend ist. Orlinsky et al. (1994) verweisen allerdings auf den förderlichen Aspekt einer hohen Selbstakzeptanz beim Berater hin. Auch hier sollte die Interpretation der Ergebnisse vorsichtig erfolgen: Allgemein ist davon auszugehen, dass die Gruppe der Berater und Therapeuten eine sehr homogene Gruppe darstellt, einerseits durch Selbstselektion, andererseits aufgrund der Anforderungen, die an Berater in den Ausbildungs- und Akkreditierungsprogrammen gestellt werden. Hier spielt neben den fachlichen Aspekten auch die persönliche Eignung eine wichtige Rolle. Dies führt dazu, dass sich die Therapeuten nur sehr wenig voneinander unterscheiden und sich daher in den Studien zur Wirksamkeit keine signifikanten Wirkungen ergeben. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass diese Variablen unwichtig sind, da positive Zusammenhänge mit beratungsspezifischen Variablen wie
den interpersonellen Fertigkeiten berichtet wurden. Diese haben generell einen höheren Einfluss als die betrachteten persönlichen Einstellungen, zumal sie näher am Beratungsgeschehen sind. Auch der therapeutische Stil wurde immer wieder als Wirkgröße thematisiert. So kommt Pope (1977) in seiner Übersicht zu der Schlussfolgerung, dass die therapeutischen Stilmerkmale nicht als schmückendes Beiwerk des Therapieprozesses zu betrachten sind, sondern als wichtige Elemente desselben. Dabei muss vor einer einseitigen Sichtweise – ein bestimmter therapeutischer Stil ist per se hilfreich – gewarnt werden. Er weist ferner darauf hin, dass die Reziprozität zwischen Klient und Therapeut berücksichtigt werden muss (vgl. Gelso, 2005). Zu den beraterspezifischen Fertigkeiten gehören interpersonelle Fertigkeiten wie Zuhören, Fragen stellen, Verständnis für nonverbale Kommunikation, Sensibilität, Empathie, zeitliche Strukturierung, aber auch konzeptuelle Fertigkeiten wie Fähigkeit die Probleme des Klienten einzuordnen, Problemlösefertigkeiten und kognitive Flexibilität sowie das Wissen um und der effektive Einsatz von Interventionstechniken (vgl. McLeod, 2004). Diese basalen beraterischen Fertigkeiten werden in entsprechenden Trainingsprogrammen den zukünftigen Beratern vermittelt (z.B. Cornier & Hackney, 2005; Culley, 2002; Val Wosket, 2006; Young, 2001). Anders als bei den bereits vorgestellten Variablen gibt es in diesem Bereich zahlreiche Studien, die den Einfluss auf unterschiedlichen Beschreibungsebenen unterschiedlich differenziert untersucht haben (z.B. auf das Auftreten innerhalb kürzerer Satzsequenzen; innerhalb einer Sitzung; die retrospektive Beurteilung im Rückblick auf die Sitzung oder gesamte Beratung). Orlinsky et al. (1994) haben einen umfangreichen Überblick über die Studienlage – bezogen auf den Einfluss auf Prozess und das Outcome einer Beratung/Therapie – zusammengestellt. In einer Zusammenschau des Einflusses der verschiedener Beratertechniken kommen Hill und Williams (2000) zu folgenden Schlussfolgerungen: 4 Interpretationen können als eine hilfreiche Intervention angesehen werden, solange sie vorsichtig angewandt, spezifisch für den Klienten formuliert werden, in ihrer Tiefe ein mittleres Niveau erreichen, oft wiederholt werden und sich auf verschiedene Situationen bezie-
69 3.4 . Wirkfaktoren der Beratung
hen. Interpretationen zur Gegenübertragung erscheinen hingegen nicht hilfreich. 4 Konfrontationen können zu negativen Reaktionen und Verteidigungshaltung auf Seiten des Klienten führen, was wiederum die Konfrontationsbereitschaft beim Berater erhöht. Hier entsteht eher ein negativer Interaktionszyklus. 4 Mitteilungen des Beraters über seine eigene Person können hilfreich sein. Neuere Untersuchungen zeigen vor allem, dass die weniger privaten Informationen (die sich zum Beispiel auf die berufliche Erfahrung beziehen) oder solche, die dem Klienten Hinweise auf alternative Lösungswege geben, hilfreich sind. Einigkeit besteht darüber, dass sich der Berater mit selbstenthüllenden Aussagen eher zurückhalten sollte. Weitere differenzierende Untersuchungen (welche Klientel; zu welchem Zeitpunkt; was wurde von wem enthüllt; etc.) stehen noch aus. 4 Hausaufgaben sollten sich vor allem auf die Stärken der Klienten konzentrieren (s. ressourcenorientiertes Vorgehen) und dadurch die Selbstwirksamkeit steigern. Bei der Mitarbeit bei Hausaufgaben spielt die Veränderungsbereitschaft des Klienten eine wichtige Rolle; standardisierte Vorgehensweisen haben sich bewährt. Aus den Untersuchungen wird insgesamt deutlich, dass die so genannten Beraterfertigkeiten nicht einseitig als eine Fähigkeit auf Seiten der Person konzipiert werden dürfen, sondern in Interaktion mit dem Klienten sich unterschiedlich entfalten und eine unterschiedliche Wirksamkeit aufweisen können. Daher sind die neueren mikroanalytischen Prozessuntersuchungen hilfreich und notwendig. Hier deuten sich bereits die vielfältigen Interaktionen zwischen Klienten- und Beratervariablen an, die eine Betrachtung des Einflusses der Beraterfertigkeiten auf globaler Ebene als unangemessen erscheinen lassen. Bei globalen Analysen werden oftmals retrospektiv oder begleitend die Ausrichtung und Fertigkeiten des Beraters betrachtet, ohne jedoch die konkrete Realisierung in der Situation zu berücksichtigen. Dadurch erhält man ein sehr grobes Maß, das Unterschiede zwischen Therapeuten und solche im Interaktionsverlauf mit dem Klienten verdeckt. Ein wesentlicher Nachteil der mikro-
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analytischen Studien ist, dass es sich in der Regel um Analogiestudien mit eingeschränkter Validität für die reale Beratungssituation handelt. Als eine weitere Erklärungsvariable wurde auch die Expertise des Beraters diskutiert. Entgegen den Erwartungen weisen verschiedene Untersuchungen keine Unterschiede zwischen erfahrenen und unerfahrenen Therapeuten auf (z.B. Stein & Lambert, 1984; Strupp & Hadley, 1979; gegenteiliger Befund: Crits-Christoph et al., 1991) und auch die Unterschiede zwischen professionellen und paraprofessionellen Helfern sind gering bzw. nicht existent (Beutler et al., 2004; Hattie, Sharpley & Rogers, 1984; Lambert & Bergin, 1994). Die oftmals fehlenden Unterschiede sind umso erstaunlicher, da in der Literatur durchaus Unterschiede zwischen erfahrenen und unerfahrenen Therapeuten zum Beispiel bezogen auf den Aufbau einer therapeutischen Beziehung gefunden wurden (Auerbach & Johnson, 1977). Wenn auch keine oder nur geringe Zusammenhänge zwischen den therapeutischen Richtungen und der Wirksamkeit gefunden wurden, zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Manualtreue bzw. Therapietreue des Therapeuten und der Wirkung der Beratung (Beutler et al., 1994; Luborsky, Diguer & Seligman, 1999; Moncher & Prinz, 1991; Orlinsky et al., 1994). Die Therapietreue kann sich auf unterschiedliche Art und Weise auswirken: Verfahren, die gegenübergestellt werden, werden sich ähnlicher, es werden in den Verfahren unterschiedlich erfahrene Therapeuten eingesetzt, etc. Moncher und Prinz (1991) empfehlen zum Beispiel den Einsatz von Therapiemanualen, Supervision, ein Training der Therapeuten in dem interessierenden Verfahren und eine Dokumentation, wie sehr sich die Therapeuten an die Vorgaben gehalten haben, um den konfundierenden Einfluss auszuschließen. Die Verwendung von Manualen, die in der Regel mit besseren Ergebnissen einhergeht, wird von Praktikern durchaus ambivalent gesehen (Addis & Krasnow, 2000). Während in der psychotherapeutischen Praxis hier ein Trend zu einer verstärkten Publikation von Therapiemanualen zu beobachten ist, findet sich Vergleichbares für die Beratungspsychologie nicht. Dies mag unter anderem an der etwas anderen Struktur der Dienste (Kurzzeitberatung) und der sehr vielfältigen Problemfelder liegen.
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70
Kapitel 3 . Beratungsprozess
3.4.4
Berater-Klient-Beziehung
Gerade die Beziehung zwischen Therapeut/Berater und Klient wurde besonders intensiv untersucht, sicherlich auch vor dem Hintergrund, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Therapieschulen weniger groß waren, als man zu Beginn erwartet hatte. Die therapeutische Beziehung wird zu den so genannten allgemeinen Wirkfaktoren gezählt, die einen Großteil der Varianz in den Effekten von Therapie und Beratung aufklären. Die therapeutische Beziehung hat sich in allen MetaAnalysen als sehr wichtige und vielleicht auch bedeutsamste Einflussgröße erwiesen (z.B. Ahn & Wampold, 2001; Lambert & Barley, 2002; Lambert & Bergin, 1994; Martin, Garske & Davies, 2000; Orlinsky et al., 1994); dies gilt im gleichen Maße auch für den Bereich der Kinder und Jugendlichen (Karver, Handelsman, Fields & Bickman, 2006; Shirk & Karver, 2003). Obwohl sich die Sichtweise zur Bedeutung und die Operationalisierung der therapeutischen Beziehung in den verschiedenen Therapieschulen stark unterscheiden, lassen sich über die einzelnen Therapieschulen hinweg keine Unterschiede im Ausmaß der therapeutischen Beziehung noch in ihrer Prädiktionskraft für den Outcome finden (Kruppnick et al., 1996). Die genaue Untersuchung des Einflusses der therapeutischen Beziehung gestaltet sich jedoch sehr schwierig, da nicht nur unterschiedliche Begriffe für teils identische Konzepte genutzt werden, sondern sich diese konzeptuelle Vielfalt auch in den Messinstrumenten widerspiegelt (international z.B. die »Penn Helping Alliance Scales« – Alexander & Luborsky, 1986; »Relationship Inventory« – Barrett-Lennard, 1986; »Therapeutic Alliance Rating System« – Marmar, Horowitz, Weiss & Marziali, 1986; »Therapy Process Observational Coding System – Alliance Scale« – McLeod & Weisz, 2005; »Vanderbildt Process Measures« – Suh, Strupp & O’Malley, 1986; »Working Alliance Inventory« – Horvath & Greenberg, 1986, 1989; sowie national z.B. Bonner Fragebogen für Therapie und Beratung – Fuchs et al., 2003; Fragenbogen zur therapeutischen Arbeitsbeziehung – Faller & Rudolf, 1998; »Therapeutic Alliances Scales for Children« – Kronmüller, Hartmann, Reck, Vicotr, Horn & Winkelmann, 2003; um nur einige Beispiele zu nennen), die teils auch die Einflussfaktoren auf die therapeutische Beziehung mit einbeziehen.
Die therapeutische Beziehung soll im Folgenden in Anlehnung an Gelso und Carter (1994) als ein multidimensionales Konstrukt verstanden werden, das nicht nur die »reale Beziehung« als Ergebnis der gegenseitigen Gefühle, Wahrnehmungen, Handlungen und Einstellungen beinhaltet, sondern auch irreale Beziehungen, die auf Übertragung und Gegenübertragungsmechanismen beruhen, sowie die Arbeitsbeziehung zwischen Berater und Klient. Als nachweislich wirksame Elemente der therapeutischen Beziehung gelten nach Schmidt-Traub (2003) die therapeutische Allianz, die Empathie des Therapeuten, der Zielkonsens und die Kooperation sowie im Gruppensetting die Kohäsion. Betont wird, dass Klient und Berater/Therapeut gemeinsam zum erfolgreichen Aufbau einer therapeutischen Allianz beitragen (der Berater durch die Gewährleistung von förderlichen Therapiebedingungen; der Klient z.B. durch das Hinarbeiten auf vereinbarte Therapieziele) und die Qualität der therapeutischen Beziehung sich im Verlauf einer Beratung/Therapie auch verändern kann. Als wahrscheinlich wirksame Elemente der therapeutischen Beziehung werden Wertschätzung, Kongruenz und Echtheit, das Geben von Feedback und persönliche Mitteilung des Beraters/Therapeuten bezeichnet. Die Zusammenhänge sind auch hier sehr komplex. So unterscheiden sich persönliche Mitteilungen in Ziel und Form. Persönliche Mitteilungen sollten eher dann gemieden werden, wenn der Berater sich aus eigenem Bedürfnis heraus äußern will, sie vom Augenmerk des Patienten weglenken, der Sitzungsverlauf gestört, der Patient belastet oder verwirrt oder die Grenze zwischen Nähe und Distanz verwischt wird. Generell sollte sich der Berater eher seltener persönlich mitteilen und am ehesten, um für den Klienten Normalität herzustellen oder ein Modell anzubieten. Zudem lässt sich festhalten, dass die therapeutische Beziehung im Verbund mit Berater- und Klienteneigenschaften unabhängig von der Therapie-/Beratungsrichtung substanziell und konsistent zur Wirksamkeit der Intervention beiträgt. Es deutet sich an, dass die Sicht des Patienten und sein Beitrag zur Arbeitsbeziehung wichtiger zur Prädiktion des Outcomes sind als die Sicht des Therapeuten (Kruppnick et al., 1996). Sexton und Whiston (1994) betonen in einer Übersicht zum Status der Berater-Klient-Be-
71 3.4 . Wirkfaktoren der Beratung
ziehung, dass bislang kein Modell die therapeutische Beziehung adäquat beschreibt. Sie fordern, dass andere theoretische Einflüsse wie zum Beispiel das Modell der sozialen Einflussnahme mitberücksichtigt werden. Strong (vgl. Corrigan, Dell, Lewis & Schmidt, 1980; Heppner & Clairborn, 1989) postulierte ein zweistufiges Modell des Beratungseinflusses, das Beratung als einen Prozess der sozialen Einflussnahme sieht, der so strukturiert werden sollte, dass die soziale Machtposition des Beraters gesteigert und der Widerstand auf Seiten des Klienten gemindert wird, um das gewünschte Beratungsziel zu erreichen. Dieses doch sehr autoritäre und hierarchische Beratungskonzept entspricht nicht mehr den aktuellen Konzeptionen von Beratung, hat aber dennoch die Forschungspraxis nachhaltig beeinflusst. In einem ersten Schritt soll der Berater erreichen, dass er als Experte, als attraktiver und vertrauenswürdiger Gesprächspartner wahrgenommen wird. Diese Merkmale seien darauf angelegt, dass der Berater vom Klienten nicht diskreditiert wird, um seine erlebte Dissonanz zu mindern. Darauf aufbauend sollten die spezifischen Wirkelemente der Beratung zum Tragen kommen. Die meisten sozialpsychologisch orientierten Untersuchungen (vgl. Corrigan et al., 1980; Heppner & Clairborn, 1989; Heppner & Dixon, 1981) haben sich mit dem Thema der Expertise, Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit befasst. Dabei ergab sich relativ konsistent, dass Hinweise für Erfahrung und Statusmerkmale (wie z.B. ein Doktortitel), positive selbstbezogene Äußerungen des Beraters sowie responsives nonverbales Verhalten mit einer stärkeren Attribution von Expertise, Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit verbunden sind. Bei den persönlichen Merkmalen des Beraters wie ethnische Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung ergaben sich keine konsistenten Befunde. Generell zeigt sich, dass den Beratern ein deutlicher Vertrauensvorschuss gewährt wird und vor allem die Klienten eine positive Einschätzung abgeben, die weniger intime Probleme präsentierten. Mit dem Beratungsprozess verändern sich aber auch die Einschätzungen der Klienten – eine Dynamik, der in den meisten Untersuchungen nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. Unklar ist bislang auch, welche Relevanz die einzelnen untersuchten Faktoren im Gesamtbild einer Beratung haben.
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Heppner und Clairborn (1989) kritisieren, dass sich die bisherigen Untersuchungen meist nur auf Analogiestudien oder Vignetten mit sehr kurzen Interaktionssequenzen beziehen, die den vielschichtigen Beratungsprozess nicht angemessen widerspiegeln. Sexton und Whiston (1994) sehen in einer sozial-konstruktivistischen Sichtweise eine sinnvolle Erweiterung. Diese geht davon aus, dass interaktionale Muster nur im Kontext der einzelnen Beziehung, in der sie auftreten, Bedeutung erhalten. Als konstruiertes Phänomen sei damit die Beraterbeziehung eine dynamisch entstehende behaviorale, kognitive und verbale Interaktion, die sich durch Sprache und Diskussion entwickelt. Damit wird der Fokus von der Beziehung auf die Interaktion, den Dialog zwischen Berater und Klient, als wesentliches Element für eine Veränderung gelegt. Wie auch generell in der Diskussion zur Beratung mit Ansätzen zum Empowerment, muss auch in der Diskussion zur Arbeitsbeziehung der aktive Beitrag des Klienten stärker betont werden. So zeigen Untersuchungen, dass der Aufbau einer Arbeitsbeziehung zwischen Klient und Berater auch von den Erwartungen des Klienten mit beeinflusst wird (Dew & Bickman, 2005; Greenberg et al., 2005). Hill (2005) postuliert u.a., dass die Arbeitsbeziehung stärker als Prozessvariable gesehen wird, und Veränderungen über den Verlauf einer Intervention berücksichtigt werden. Sie sieht eine deutliche Wechselwirkung zwischen den Klientenvariablen, den Techniken des Beraters und der Arbeitsbeziehung und geht auf die Unterscheidung von Gelso und Carter zwischen realer und Arbeitsbeziehung ein. In ⊡ Abb. 3.8 ist ihr Modell – angepasst auf die Situation in der Beratung – dargestellt. ⊡ Abb. 3.8 verdeutlicht, dass je nach Phase unterschiedliche Beratermerkmale zum Aufbau einer Arbeitsbeziehung beitragen und die Interaktion zwischen Berater und Klient ganz entscheidend ist. Der Berater wirkt in vielem nur als Katalysator. Die konkrete Rolle der Arbeitsbeziehung wird kontrovers diskutiert: Es wird sowohl die These vertreten, dass die Beziehung und die spezifischen Techniken zu einer Veränderung beitragen, die Beziehung als eine Technik betrachtet werden kann oder die Beziehung die Wirksamkeit von spezifischen Techniken verändert (Goldfried & Davila, 2005).
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Kapitel 3 . Beratungsprozess
Stufe 1: initialer Eindruck
Stufe 2: Therapiebeginn
Unterstützende/ informierende Techniken
Explorative Techniken
Theoriespezifische Techniken
Abschlusstechniken
Einbindung Klient (Vertrauen)
Stärkere Einbindung des Klienten (berichten)
Stärkere Einbindung des Klienten (Verpflichtung zu Therapieaufgaben)
Stärkere Einbindung des Klienten (Aufarbeitung Beziehung und Planung der Zukunft)
Beginn der therapeutischen Beziehung
Tiefere Arbeitsbeziehung
Tiefere Arbeitsbeziehung
Reale Beziehung wächst
Stufe 3: Aufgaben der Therapie
Stufe 4: Abschluss
⊡ Abb. 3.8. Aufbau der Arbeitsbeziehung als schrittweiser Interaktionsprozess zwischen Klient und Berater. (Mod. nach Hill, 2005, p. 432)
3.5
Modelle allgemeiner Wirkfaktoren
Anhand der Ausführungen wurde deutlich, dass die so genannten allgemeinen Wirkfaktoren, die den Beratungs- bzw. Therapieansätzen unterschiedlicher theoretischer Provenienz zugeschrieben werden, zu den stärksten Prädiktoren des Beratungsergebnisses zählen und mehr Varianz aufklären als die spezifischen Techniken. Der wichtigste allgemeine Wirkfaktor ist die therapeutische Beziehung – dies gilt nicht nur für die oftmals länger andauernden Therapien, sondern auch für die Beratungen. Auch in diesem Bereich wurde immer wieder von Beratern und Klienten sowie in empirischen Untersuchungen die besondere Rolle der BeraterKlient-Beziehung herausgestellt. Lambert und Barley (2002) versuchten den Beitrag der verschiedenen Faktoren zum Behandlungserfolg zu schätzen, und kamen zu folgendem Ergebnis: 4 15% der Veränderungen lassen sich durch Placeboeffekte (z.B. positive Erwartungen), 4 15% durch die Anwendung von spezifischen therapeutischen Techniken, 4 30% durch allgemeine Wirkfaktoren (wie eine gute Arbeitsbeziehung; Wärme; etc.) und weitere
4 40% durch Veränderungen außerhalb des therapeutischen Settings (z.B. Mobilisierung des sozialen Stützsystems) erklären. Auch wenn man über den konkreten Beitrag einzelner Faktoren sicherlich streiten kann, deuten die Ergebnisse auf die Bedeutung der so genannten allgemeinen Wirkfaktoren hin. Orlinsky und Ko-Autoren (1994, 2004) haben auf der Basis ihrer Meta-Analysen ein allgemeines Wirkmodell der Therapie entwickelt. Die Autoren weisen darauf hin, dass das therapeutische Geschehen nur auf der Grundlage der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden kann. Die Akteure – Berater und Klient – sind auch Teil dieser funktionalen Umgebung, auch wenn ihre Interaktionen den therapeutischen Kontext konstituieren. Gesellschaft, Berater und Klient bilden zusammen die Gruppe der so genannten Inputvariablen und stehen in Wechselwirkung zueinander sowie zu anderen Wirkvariablen. Sie unterscheiden auf der Prozessebene sechs verschiedene Kategorien: 4 Organisatorischer Aspekt: der Kontrakt, der die Rahmenbedingungen (Rollen, finanzielle Aspekte, Rollenbeziehung, etc.) regelt.
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73 3.5 . Modelle allgemeiner Wirkfaktoren
4 Technischer Aspekt: die therapeutischen Ope-
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4
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rationen, bestimmt durch das rollenspezifische Wechselspiel zwischen Klient und Berater (Problempräsentation – Experteneinordnung – Interventionsstrategie – Kooperation des Klienten). Interpersoneller Aspekt: die Arbeitsbeziehung. Intrapersonaler Aspekt: die »Selbst-Bezogenheit« von Patient und Berater. Darunter verstehen die Autoren die Aufnahmebereitschaft oder Offenheit als reflexives Moment für die eigene Selbstwirksamkeit, Selbstwert und Selbstkontrolle. Klinischer Aspekt: Einfluss innerhalb der Sitzung wie Realisieren von Problemlösungen oder Veränderung des Selbstwirksamkeitserlebens. Zeitlicher Aspekt: die Mikromuster innerhalb einer Therapiesitzung.
Patient • soziodemographischer Status • persönlicher Stil, Entwicklung, Selbstsystem • Adaption an aktuelle Lebenssituation
Nach ihrem Modell wirken die Arbeitsbeziehung und die Einflüsse innerhalb der Sitzung direkt auf den Behandlungserfolg, während der therapeutische Kontrakt vermittelt über die therapeutischen Operationen auf die Arbeitsbeziehung wirkt. Das Modell ist in einer vereinfachten Version in ⊡ Abb. 3.9 dargestellt. Auch Grawe hat sich der Frage nach allgemeinen Wirkfaktoren verschiedener Therapieschulen gewidmet. Grawe et al. (1994) unterscheiden vier therapieschulenübergreifende Wirkmechanismen: 4 Erhöhen von Bewältigungskompetenzen: Der Therapeut unterstützt den Patienten mit geeigneten Maßnahmen aktiv darin, mit einem bestimmten Problem besser fertig zu werden. 4 Klärung, Veränderung von Bedeutungen:
Hierbei geht es darum, dass der Therapeut dem Patienten dabei hilft, sich über die Bedeutungen seines Erlebens und Verhaltens im
Therapeut • soziodemographischer Status • persönlicher Stil • aktuelle Lebenssituation • beruflicher Status & Erfahrung
Gesellschaft • Kultur, Normen…
Versorgungssystem • Setting
Soziales Netzwerk
Berufliches Umfeld
Behandlungsmodell Patientenrolle
Therapeutischer Vertrag
Problempräsentation
Therapeutenrolle
Problemverständnis Therapeutische Maßnahmen
Kooperation
Patient:
Intervention
Therapeut:
Therapeutische Beziehung
Beziehungsverhalten
Beziehungsverhalten Therapeut: Selbstbezogenheit
Patient: Selbstbezogenheit Therapeut: Auswirkung der Sitzung
Patient: Auswirkung der Sitzung Psychische Anpassung Ergebnis der Sitzung Alltagsleben Soziales Netz des Patienten Langzeitergebnis
Setting - Versorgungssystem Gesellschaft
⊡ Abb. 3.9. Allgemeines Psychotherapie-Modell. (Nach Orlinsky et al., 1994, p. 362)
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Kapitel 3 . Beratungsprozess
Hinblick auf seine Ziele und Werte klar(er) zu werden. 4 Problemaktualisierung: Probleme werden am besten in einem Setting behandelt, in dem eben diese Probleme real erfahren werden. Dann ist mit den höchsten Effekten zu rechnen. 4 Ressourcenaktivierung: Eine Fülle von Forschungsergebnissen weist darauf hin, dass man Patienten besonders gut helfen kann, indem man an ihre positiven Möglichkeiten, Fähigkeiten und Motivationen anknüpft, d.h. der Patient sich seiner Stärken und positiven Seiten bewusst werden kann. Die Rezeption dieser Modelle (auch ▶ Kap. 4) in der Beratungsforschung kann dazu beitragen, dass auch in diesem Bereich eine Forschungstradition erwächst, die sich über die generellen Wirkfaktoren von Beratung – und nicht über die Unterschiede zwischen verschiedenen Beratungsansätzen – Gedanken macht. Dies soll nicht missverstanden als ein Plädoyer für das Unterlassen von Evaluationsstudien für Beratungsansätze, – etwas, was in der Vergangenheit im Gegenteil eher sträflich vernachlässigt wurde und wozu in der Beratungspsychologie ein enormer Nachholbedarf besteht – sondern als Anregung im Rahmen systematischer Untersuchungen genauer zu eruieren, welche Aspekte genau Beratung zu einer erfolgreichen Beratung werden lassen.
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3
4 Neuere Modelle zur Veränderung 4.1
Transtheoretisches Modell
– 82
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6
Kernannahmen – 83 Stufen der Veränderung – 83 Veränderungsprozesse – 86 Stufenspezifische Intervention – 89 Empirische Evidenz – 90 Kritik und Implikationen des TTM – 91
4.2
Motivational Interviewing
– 92
4.2.1 Abgrenzung zu anderen Beratungsansätzen – 95 4.2.2 Wirksamkeit des Motivational Interviewing – 98 4.2.3 Motivational Interviewing – Für wen? – 99
Literatur
– 100
82
4
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
Das Ziel von Beratung ist es, Klienten bei der Lösung von Problemen zu unterstützen und Veränderungsprozesse (beim Klienten, im sozialen Umfeld etc.) in Gang zu setzen. Eine der wichtigsten Fragen in der Beratung (wie auch der Therapie) ist damit die Frage danach, wie inhaltlich bedeutsame Veränderungen beim Klienten stattfinden und wie Beratung dazu beitragen kann, diesen Veränderungsprozess bei möglichst vielen Klienten verlässlich zu initiieren. In der Klinischen und Beratungspsychologie versuchen verschiedene Schulen diesen Veränderungsprozess bei Menschen zu erklären (▶ Kap. 8). Je nach therapeutischer/ beraterischer Ausbildung kommen auf Seiten des Beraters unterschiedliche Techniken zum Tragen, um diesen Veränderungsprozess beim Klienten einzuleiten und zu unterstützen. Die Zahl der verschiedenen Theorien ist mittlerweile fast unüberschaubar. Einige Autoren sprechen von mehreren Hundert verschiedenen Erklärungsmodellen (McLeod, 2004; Prochaska & Norcross, 2003; Seligman, 2001), wobei die meisten dieser Erklärungsansätze nicht empirisch geprüft sind. In der Praxis ergibt sich dann wieder eine Konzentration auf einige wenige prominente Ansätze. In amerikanischen Umfragen zeigte sich beispielsweise, dass psychologische Berater in erster Linie eine eklektische/integrative Orientierung angaben (29%), 26% bezeichnen sich als kognitiv orientiert und 13% geben eine psychodynamische Orientierung an. Die Berater (nicht psychologischer Profession) geben zu 37% eine eklektische/integrative Orientierung an, zu 10% eine kognitive, gefolgt von 13%, die sich als existentiell/humanistisch beschreiben. Insgesamt lassen sich ca. 16 verschiedene theoretische Orientierungen beschreiben, die von mehr als 1% der Professionellen im Gesundheitssystem genutzt wurden (vgl. Prochaska & Norcross, 2003). Generell scheint eine Kombination von verschiedenen theoretischen Ansätzen von Therapeuten bevorzugt zu werden (Mellor-Clark, Connell, Barkham & Cummins, 2001). Trotz der Vielfalt der Modelle, die zur Erklärung von Veränderungen vorliegen, ist unser Wissen darüber, wie sich Personen oder Organisationen verändern können, ohne dass es gleichzeitig zu einer Gefährdung ihrer Stabilität kommt, nur sehr lückenhaft. Wird von verhaltenstherapeutischer Seite vor allem die Bedeutung des Verhaltens als Motor von Veränderungen betont, stellen humanistische
Ansätze vor allem die Rolle des Beraters in den Vordergrund. Dabei mehren sich in der jüngeren Zeit national und international die Versuche integrative Modelle der Veränderung zu definieren, die sich den Konvergenzen und Ergänzungen der verschiedenen theoretischen Ansätze widmen. In der jüngeren Literatur ist jedoch als ein wesentlicher Trend erkennbar, dass sich die einzelnen – teilweise doch sehr konträren Sichtweisen – aufeinander zu bewegen und versucht wird, integrative Modelle der Verhaltensänderung zu formulieren. Diese finden gerade in der klinischen und gesundheitspsychologischen Literatur eine sehr hohe Verbreitung (vgl. Grawe, 1998). Gesucht werden allgemeine Wirkprinzipien der Beratung. In den letzten Jahren wurden eine Reihe von Modellen entwickelt, die versuchen Verhaltensänderungen zu erklären und daraus abzuleiten, wie der Berater diese Prozesse erkennen und darauf differenziert reagieren kann. Diese Modelle besitzen einen unterschiedlichen Geltungsbereich: All diese Modelle in ihrer Gänze darzustellen, würde den Rahmen sprengen. Die folgende Darstellung konzentriert sich daher auf das sicherlich bekannteste und zurzeit auch am stärksten rezipierte, wie auch diskutierte Modell, das Transtheoretische Modell.
4.1
Transtheoretisches Modell
Das Transtheoretische Modell (TTM) von Prochaska und DiClemente (1983) stellt einen Versuch dar, die Wirkelemente der einflussreichsten Schulen zu identifizieren und so genannte allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie herauszuarbeiten. Der dieser Arbeit zugrunde liegende PsychotherapieBegriff ist ein sehr weiter: »Psychotherapy is the informed and intentional application of clinical methods and interpersonal stances derived form established psychological principles for the purpose of assisting people to modify their behaviors, cognitions, emotions, and/or other personal characteristics in directions that the participants seem desirable« (Prochaska & Norcross, 2003, p. 4-5). Psychologische Beratungsangebote erfüllen diese Definitionskriterien und werden explizit mit in die Analyse einbezogen. Der theorie-/schulenübergreifende und der stark prozessorientierte Ansatz des TTM haben zur hohen Verbreitung im Rahmen der
83 4.1 · Transtheoretisches Modell
psychologischen Forschung beigetragen. Bevor die Nützlichkeit für beratungspsychologische Fragen diskutiert wird, soll das Konzept detaillierter vorgestellt werden.
4.1.1
Kernannahmen
Beim Vergleich von 16 verschiedenen Psychotherapieformen identifizierten die Autoren 10 verschiedene Veränderungsprozesse (»processes of change«), die erklären, wie Veränderung stattfindet. Zum anderen unterscheiden die Autoren sechs (fünf) verschiedene Stadien der Veränderung (»stages of change«); diese erläutern, wann Veränderung stattfindet. Als weitere zentrale Konzepte stellen sie die Entscheidungsbalance (Pro- und Contra-Argumente für die Veränderung und deren Verhältnis) und die Selbstwirksamkeit (Vertrauen, Veränderungen in schwierigen Situationen umzusetzen und beizubehalten) als zentrale Variablen heraus. Das Modell ist durch die folgenden sieben Kernannahmen gekennzeichnet: 4 Keine einzelne Theorie kann die Komplexität von Verhaltensänderungen erfassen. Praktikable Modelle müssen daher integrativ sein. 4 Verhaltensänderung ist ein zeitlicher, stufenförmiger Prozess. 4 Diese Stufen sind gleichzeitig stabil und offen für Veränderungen. 4 Ohne eine gezielte Intervention kommt es nicht zu einer Veränderung, die über die ersten Stufen hinausgeht. Eine inhärente Motivation, die einzelnen Stufen zu durchlaufen, liegt nicht vor. 4 Gesundheitsförderungsmaßnahmen sollen sich von einer handlungsorientierten Sichtweise zu einer stufenspezifischen Sichtweise bewegen, da die meisten Menschen noch nicht zu einer Veränderung bereit sind, und daher nicht von solch traditionellen Maßnahmen profitieren. 4 Interventionsmaßnahmen müssen stufenspezifisch angepasst werden. 4 Die Interventionsmaßnahmen richten sich vor allem auf die Steigerung der Selbstkontrolle. Diese Kernannahmen finden sich in den wesentlichen theoretischen Konzepten des TTM wieder. Begonnen wird im Folgenden mit den Stufen der Veränderung.
4.1.2
4
Stufen der Veränderung
Eine wesentliches organisierendes Element des TTM sind die Stufen der Veränderung. Sie stellen die zeitliche und motivationale (Bereitschaft zur Veränderung) Dimensionen des Veränderungsprozesses dar. Die Autoren (Prochaska, Norcross & DiClemente, 1994a) unterscheiden in der Regel fünf bis sechs verschiedene Stufen der Veränderung, wobei sie darauf hinweisen, dass die letzte Stufe kaum nachweisbar bzw. oftmals nicht erreichbar ist. Das Kriterium für die einzelnen Stufen ist ein zeitliches: Für welchen Zeitpunkt wird eine zukünftige Verhaltensänderung erwogen oder wie lange wird diese neue Verhaltensweise bereits umgesetzt. Die Bereitschaft aktiv zu werden ist das entscheidende Element. Die einzelnen Stufen sollen nacheinander durchlaufen werden; wie lange jemand in einer Stufe »verharrt«, ist von der jeweiligen Person abhängig. Essentiell ist aber für den Erfolg einer Verhaltensänderung, dass die den Stufen zugeordneten Veränderungsprozesse auch umgesetzt werden. Stufen können nicht übersprungen, wohl aber sehr schnell durchlaufen werden. Rückfälle gehören zum Stufenkonzept dazu, sie sind integraler Bestandteil des Modells. Sie können auf jeder Stufe erfolgen, ereignen sich aber besonders häufig auf den Handlungs- und Aufrechterhaltungsstufen. Eine Person auf der Stufe der Sorglosigkeit hat noch keinerlei Absicht in den nächsten sechs Monaten, das – von anderen als problematisch angesehene - Verhalten zu ändern. Die Phase der Sorglosigkeit wird als eine sehr stabile Phase betrachtet, die ohne aktive Intervention nicht verlassen wird. Als Gründe für die Sorglosigkeit werden genannt: 4 Mangel an Informationen und/oder 4 Mangel an Problembewusstsein bezüglich negativer Konsequenzen, 4 Resignation nach erfolglosen Versuchen. Das Verhalten werde nicht als Problemverhalten erkannt und Personen in dieser Phase tendieren dazu, andersartige Informationen auszublenden oder sich nicht damit auseinander zu setzen. Ein hoher sozialer Druck in Richtung Verhaltensänderung führe daher oft zu Reaktanz. Bezogen auf das Beispiel des Rauchens bedeutet dies, dass das Aufgeben nicht in Betracht gezogen wird; Rauchen
84
4
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
wird nicht als Problem, nicht als gesundheitsschädlich angesehen (»Die Nichtraucher liegen ja auch auf dem Friedhof.«). Ist man in der Beratung überhaupt mit Personen in der Stufe der Sorglosigkeit konfrontiert? Man könnte ja argumentieren, dass der Schritt aktiv ein Beratungsangebot aufzusuchen, egal wie niedrigschwellig das Angebot auch sein mag, bereits eine bestimmte Änderungsbereitschaft und ein Problembewusstsein erkennen lässt. Auf der anderen Seite zeigen beispielsweise Arbeiten mit alkoholkranken Menschen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Patienten, obwohl sie sich zur Behandlung im Krankenhaus befanden (5,9% in der Studie von John, Hapke, Rumpf, Meyer, Schumann & Bischof, 1999), nicht in absehbarer Zeit zu einer Verhaltensänderung bereit waren. Zu denken ist auch an die »Sonderform« der so genannten unfreiwilligen Beratung (z.B. im Rahmen einer Straftat), wo nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Betroffenen ihr Verhalten als problematisch und veränderungsbedürftig ansehen. In ▶ Kap. 3 wurde detailliert auf die Möglichkeit, der verschiedenen Zugangswege zur Inanspruchnahme einer Beratung eingegangen. Weiterhin muss der in der Beratung vorgebrachte Anlass für die Konsultation nicht unbedingt der endgültige Beratungsgegenstand sein. Im Rahmen der diagnostischen Abklärung kann sich durchaus herausstellen, dass andere, schwerwiegendere Probleme vorhanden sind, der Klient jedoch nicht unbedingt bereit ist, diese Lebensbereiche zu verändern. Gerade im Bereich der Gesundheitsberatung sowie generell in den präventiven Arbeitsfeldern der Beratung sind die Berater mit Klienten auf der Stufe der Sorglosigkeit konfrontiert. Viele psychologische Konzepte setzen eine Veränderungsbereitschaft oder zumindest Leidensdruck voraus, da die aktive Mitarbeit des Klienten erforderlich ist. Dem expliziten Aufbau von Veränderungsmotivation wird zu wenig Raum eingeräumt. Dabei ist es sicherlich ein Fehler, die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten mit dem Vorhandensein von Veränderungsbereitschaft gleichzusetzen. In der nächsten Stufe, der Bewusstwerdung, beginnen sich die Personen bewusst und ernsthaft mit dem Problemverhalten auseinanderzusetzen. Sie erkennen jetzt das Verhalten als problematisch an, ohne unmittelbar eine Verhaltensänderung ein-
leiten zu wollen. Die Situation, in der sie sich befinden, ist durch eine hohe Ambivalenz geprägt: Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Handlungserwartungen, die für eine Verhaltensänderung sprechen, auf der anderen Seite gibt es jedoch mindestens genau so viele Gründe, die gegen eine solche Änderung sprechen. Das Verhältnis von Pro- und Contra-Argumenten ist mehr oder minder ausgeglichen; der Zeiger der Waagschale pendelt mal zu der einen, mal zu der anderen Seite. Der Raucher in dieser Phase ist sich erster negativer Konsequenzen seines Verhaltens bewusst geworden (z.B. beim Sport nicht mehr so gut wie die Nichtraucher mithalten zu können) und sieht auch die positiven Konsequenzen, wenn er das Rauchen aufgibt. Andererseits werden aber auch Gegenargumente, die eine Verhaltensänderung behindern, gesehen (z.B. »Dann nehme ich ganz sicher zu, weil ich dann viel Süßes esse.«). Sie fühlen sich noch nicht bereit für eine Veränderung. Rein kognitiv wissen sie um die Notwendigkeit einer Veränderung, aber die mit einer Änderung verbundenen Kosten (wie Anstrengung, Verzicht auf lieb gewonnene Gewohnheiten) sowie die positiven Aspekte des problematischen Verhaltens lassen sie zurückschrecken. Gerade die Konfrontation mit negativen Ereignissen im näheren sozialen Umfeld (z.B. ein guter Freund, selbst Raucher, erhält die Diagnose Lungenkrebs) scheint den Übergang von der Phase der Sorglosigkeit in die Phase der Bewusstwerdung einzuleiten. Von dieser Stufe der Bewusstwerdung bewegen sich die Personen in die Phase der Vorbereitung. Sie äußern die feste Absicht, innerhalb des nächsten Monats, das neue, angestrebte positive Verhalten zu zeigen (z.B. mit dem Rauchen aufzuhören). Während sich in der Phase der Bewusstwerdung die Gedanken um das neue Zielverhalten eher auf der Ebene eines generellen »Wunsches« konzentrierten, wird in dieser Phase ein klarer Entschluss zur Verhaltensänderung gefasst. Dieser Entschluss ist mit einer Selbstverpflichtung (»commitment«) zur Zielerreichung verbunden. Konkrete Pläne zur Verhaltensänderung liegen vor. Damit werden in dieser Phase zum ersten Mal Intention und Handlung miteinander kombiniert. Bezogen auf das Beispiel des Rauchens hat sich die betreffende Person mittlerweile über die verschiedenen Methoden zur Raucherentwöhnung informiert und sich für eine Herangehensweise entschieden. Sie hat vielleicht
85 4.1 · Transtheoretisches Modell
auch bereits ausprobiert, wie es ist, morgens nicht gleich nach dem Aufstehen die erste Zigarette anzuzünden. In der Stufe der Handlung wird die geplante Handlung dann konkret initiiert. Die Person zeigt aktiv das neue Zielverhalten und bemüht sich (z.B. durch Veränderungen in ihrer Umgebung) dieses auch beizubehalten. Während in den vorherigen Phasen die Bereitschaft zur Verhaltensänderung eher auf der affektiv-kognitiven Ebene beobachtbar war, ist sie jetzt direkt am Verhalten feststellbar. Der Raucher hat nun das Rauchen aufgegeben und fährt jetzt beispielsweise nicht mehr im Raucher-, sondern im Nichtraucherabteil. Personen werden dann dieser Gruppe zugeordnet, wenn sie erfolgreich ein Problemverhalten für einen Tag (bis zu einem Zeitraum von sechs Monaten) verändert haben. Der Übergang von der Phase der Handlung zur Phase der Stabilisierung ist vor allem zeitlich gekennzeichnet: Das Zielverhalten muss mindestens sechs Monate beibehalten werden, damit man von einer Aufrechterhaltung spricht. Diesen Zeitpunkt wählten die Autoren, weil sich in Studien zur Raucherentwöhnung dieser Zeitraum als stabile Raucherentwöhnung erwiesen hat. Das Zielverhalten wird weiter stabilisiert und es werden Maßnahmen ergriffen, um nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen (z.B. werden die Aschenbecher aus der Wohnung entfernt). Bei einigen Verhaltensweisen ist der Veränderungsprozess mit dieser Stufe abgeschlossen: Das neue Zielverhalten muss ein Leben lang gegen den Rückfall in alte Verhaltensmuster verteidigt werden. Zu denken ist hierbei zum Beispiel an die Stabilisierung von Gewichtsabnahmen oder die Umsetzung regelmäßiger körperlicher Aktivität. Gerade anhand der Untersuchungen aus dem Suchtbereich, wo es primär um die Aufgabe – das Nicht-Zeigen – eines problematischen Verhaltens geht, wurde eine weitere Stufe, die der Beendigung postuliert. Diese Stufe ist dadurch gekennzeichnet, dass keinerlei Gefahr mehr besteht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Die Person sieht in dem alten Verhalten keinerlei Versuchung mehr und ist sich absolut sicher, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Im folgenden ▶ Kasten sind die Stufen der Veränderung nochmals kurz zusammengefasst.
4
Die sechs Stufen des Transtheoretischen Modells und deren Operationalisierung 4 Sorglosigkeit/Absichtslosigkeit (»precontemplation«) − Keine Intention, das problematische Verhalten in den nächsten sechs Monaten zu verändern. 4 Bewusstwerden/Absichtsbildung (»contemplation«) − Es wird erwogen, das problematische Verhalten in den nächsten sechs Monaten zu verändern. − Abwägen von positiven und negativen Handlungserwartungen (Ambivalenzphase). 4 Vorbereitung einer Handlung (»preparation«) − Erste Schritte zur Veränderung wurden eingeleitet, Zielverhalten wird in den nächsten 30 Tagen angestrebt. 4 Handlung (»action«) − Zielverhalten wird seit weniger als sechs Monaten gezeigt. 4 Aufrechterhaltung (»maintenance«) − Zielverhalten wird seit mehr als sechs Monaten beibehalten (bis zu 5 Jahren). 4 Beendigung (»termination«) − wie Aufrechterhaltung, keine situative Versuchung bzw. Rückfallgefahr mehr vorhanden.
Diese Ebene des Modells wird auch die deskriptive Ebene genannt; die Stufen beschreiben lediglich den Prozess des Fortschreitens in fünf bzw. sechs von einander abgegrenzten Stufen. Den zeitlichen Ablauf sollte man sich nicht linear vorstellen, sondern wird von den Autoren (Prochaska et al., 1994a) als Spirale dargestellt. Rückfälle führen zwar dazu, dass eine Person auf eine frühere Stufe zurückfällt, aber nicht wieder »bei Null beginnen« muss. Wichtig ist hierbei, dass die Rückfälle konstruktiv verarbeitet werden. Sieht die betroffene Person alle ihre bisherigen Versuche als komplett misslungen an, steigt die Gefahr, dass sie wieder in der Stufe der Sorglosigkeit »landet«. Allerdings – so die Untersuchungen der Arbeitsgruppe bei Rauchern – treffe dies nur auf 15% der »Rückfaller« zu. In
86
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
Beendigung
Aufrechterhaltung
4
Sorglosigkeit
Sorglosigkeit
Bewusstwerden/ Vorbereitung Absichtsbildung einer Handlung
Bewusstwerden/ Absichtsbildung
Vorbereitung einer Handlung
Handlung
Handlung
. Abb. 4.1. Spiralförmiger Veränderungsprozess im TTM
. Abb. 4.1 ist die spiralförmige Entwicklung des Veränderungsprozesses dargestellt. Je nach Stufe – so argumentieren die Autoren – verändern sich die Balance zwischen Pro- und Contra-Argumenten sowie das Ausmaß der erlebten Selbstwirksamkeit. Prochaska et al. (1994b) stellten in Querschnittsanalysen für 12 verschiedene Verhaltensweisen fest, dass in der Phase der Sorglosigkeit die Argumente gegen eine Verhaltensänderung stärker ausgeprägt waren als die Argumente dafür. Bei vielen Verhaltensweisen (wie Gewichtskontrolle, sicherer Geschlechtsverkehr, Rauchen, Benutzen eines Kondoms, Einstellen des Kokainkonsums und Vereinbaren von regelmäßigen Nachuntersuchungsterminen) hatte sich das Verhältnis in der Phase der Bewusstwerdung/ Absichtsbildung bereits umgekehrt, spätestens ab der Phase der Vorbereitung bzw. Handlung (wie Fettreduktion, Gebrauch von Sonnenmilch, körperliche Aktivität, Delinquenz, Mammographie). In einer früheren Studie (Velicer, DiClemente, Prochaska & Brandenburg, 1985) ergaben sich schon unterschiedliche Pro- und Contra-Muster in Abhängigkeit der verschiedenen Stufen. Zusätzlich lagen hier längsschnittliche Daten vor, die die Entscheidungsbalance als Prädiktor für die zukünftige Gruppenzugehörigkeit auswies. Diese Zusammenhänge zwischen Entscheidungsbalance sowie Selbstwirksamkeit bzw. Gruppenzugehörigkeit wurden auch von anderen Autoren gefunden (z.B. Basler, Jäle, Keller & Baum, 1999; Berry, Nay-
lor & Wharf-Higgins, 2005; Schumann, Rumpf, Meyer, Hapke & John, 2003).
4.1.3
Veränderungsprozesse
Die Veränderungsprozesse bilden das zweite Kernkonstrukt des TTM. Sie charakterisieren wie Veränderung stattfinden kann und beschreiben damit therapeutische Wirkprinzipien. Diese Veränderungsprozesse helfen den Klienten, die nächst höhere Stufe zu erreichen. Sie können von den Betroffenen selbst eingesetzt werden, aber auch von Beratern und Therapeuten systematisch angewandt werden, um diesen Veränderungsprozess zu unterstützen. Im ▶ Kasten »Veränderungsprozesse im TTM« sind die Strategien kurz zusammengefasst. Anhand dieser Auflistung wird der transtheoretische Charakter des Modells deutlich: Es finden sich Strategien, die sich verschiedenen Therapieschulen zuordnen lassen: beispielsweise die Stimuluskontrolle den verhaltenstherapeutischen Ansätzen oder die Strategie des emotionalen Erlebens eher den dynamischen Ansätzen. Grob werden die Strategien in kognitive und verhaltensorientierte eingeteilt. Die kognitiv-affektiven Strategien beziehen sich im Wesentlichen auf die subjektiven Bewertungen und das emotionale Erleben des problematischen Verhaltens, die verhaltensorientierten Strategien zielen stärker auf die Veränderung des manifesten Verhaltens ab.
87 4.1 · Transtheoretisches Modell
Das Steigern des Problembewusstseins beinhaltet, dass die Person sich der Gründe und Ursachen für das problematische Verhalten, der damit verbundenen Konsequenzen, aber auch der möglichen Behandlungs-/Lösungswege bewusst wird. Hierzu werden Konfrontieren mit dem eigenen Verhalten (sowie den defensiven Verhaltensstrategien), aber auch Rückmeldungen und Aufklärung (Edukation) sowie die Erarbeitung von alternativen Interpretationen gezählt. Im Gegensatz zu diesen eher kognitiv-orientierten Strategien stehen beim »emotionalen Erleben« die Affekte im Vordergrund: Es soll ein emotionaler Bezug zum problematischen Verhalten und persönliche Betroffenheit erzielt werden. Hierunter subsumieren die Autoren Techniken wie Rollenspiele, Psychodrama oder die Vergegenwärtigung des problematischen Verhaltens und dessen negativen Konsequenzen im unmittelbaren sozialen Umfeld. Bei zunehmender Bewusstheit über die eigene Person und die Art des Problems kann ein Prozess der Neubewertung (bezogen auf die eigene Person und die Umwelt) einsetzen. Bei der Selbstneubewertung geht es um eine bewusste Wahrnehmung des eigenen Selbstbildes: Welches Selbstbild ist mit dem Problem-, welches ist mit dem Zielverhalten verbunden? Es sollen die positiven und negativen Konsequenzen sowohl des eigenen Problem- als auch Zielverhaltens analysiert werden. Hervorgehoben wird, dass die Analyse der eigenen Wertvorstellungen diesen Prozess unterstützen kann. Die Neubewertung der persönlichen Umwelt umfasst im Wesentlichen die Konsequenzen des eigenen Verhaltens auf die Umwelt, vor allem auf nahe stehende Personen. Das kann durch den bewussten Austausch mit Familienmitgliedern oder die Steigerung der Empathie geschehen. Das Wahrnehmen förderlicher Umweltbedingungen
beschreibt, dass man aktiv und bewusst die förderlichen, unterstützenden Umweltbedingungen wahrnimmt: Wer oder was kann mich bei meinem Veränderungsvorhaben unterstützen? Zu denken ist nicht nur an die unmittelbare Umgebung (z.B. die Nichtraucher in der Familie und im Freundeskreis), sondern auch an größere gesellschaftliche Zusammenhänge (z.B. zunehmende Ächtung von Rauchern, Verfügbarkeit von Nichtraucher-Bereichen in Zügen und Restaurants).
4
Zu den verhaltensorientierten Strategien zählen die Selbstverpflichtung, die Kontrolle der Umwelt, die Gegenkonditionierung, die Nutzung hilfreicher Beziehungen und die (Selbst-)Verstärkung. Wenn die Personen sich auf die Umsetzung der Verhaltensintentionen vorbereiten, dann ist es wichtig, dass sie einen hohen Grad an Selbstverpflichtung aufweisen. Diese beinhaltet nicht nur das Gefühl, an dieses gesteckte Ziel, an den Verhaltensplan gebunden zu sein, sondern auch die Überzeugung, dass eine solche Umsetzung des Plans möglich ist. Die Selbstverpflichtung kann dadurch gefördert werden, indem das eigene Tun öffentlich kundgetan (Herstellen von sozialer Kontrolle) oder die Verbindung zu so genannten Ankerpunkten (z.B. einen bestimmten Tag für die Verhaltensänderung auswählen) hergestellt wird. Generell gilt das Bereitstellen von verschiedenen Handlungsalternativen und die aktive Beteiligung des Klienten bei der Auswahl einer Handlungsalternative (s. Partizipationsprinzip der Beratung) als selbstverpflichtungsstärkend. Die Kontrolle der Umwelt stellt eine klassische verhaltenstherapeutische Strategie (»Stimuluskontrolle«) dar. Die diskriminativen Reize für die Auslösung des problematischen Verhaltens sollen systematisch abgebaut (z.B. alle Aschenbecher entfernen) und gleichzeitig die unterstützenden Reize für das Zielverhalten hergestellt werden. Bei der Gegenkonditionierung sollen ungünstige Verhaltensweisen durch günstige ersetzt werden (z.B. Entspannungstechniken in angstbesetzten Situationen einsetzen). Beim Nutzen hilfreicher Beziehungen wird auf die Rolle der sozialen Unterstützung als instrumentelle und emotionale Hilfestellung fokussiert. Mit Hilfe von Kommunikationstrainings, Rollenspielen etc. soll vermittelt werden, wie man um soziale Unterstützung bitten kann, wie man vertrauensvolle Beziehungen aufbaut und aufrechterhält. Die (Selbst-)Verstärkung beschreibt das Prinzip der Operanten Konditionierung, dass Verhalten dann aufrechterhalten wird, wenn man dafür positive Konsequenzen erfährt. Durch Selbstbelohnungsprogramme kann der Aufbau neuer Verhaltensweisen nach dem Prinzip der Kleinen Schritte unterstützt werden (Bsp.: sich für eine Woche nicht rauchen mit einem besonderen Essen belohnen; Erfolgskurve der abstinenten Tage sichtbar im Zimmer aufhängen).
88
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
Veränderungsprozesse im TTM
4
Kognitiv-affektive Strategien (»experiental processes«) 4 Steigern des Problembewusstseins (»consciousness raising«) − Aktives Aufnehmen von Informationen über sich selbst und das Problemverhalten. − Beispiel: Lesen von Broschüren zu gesunder Ernährung. 4 Emotionales Erleben (»dramatic relief«, »emotional arousal«) − Bewusstes Erleben und Ausdrücken der Gefühle bzgl. des Problemverhaltens und möglicher Lösungen. − Beispiel: Ausdrücken von Besorgnis über Folgen der eigenen ungünstigen Ernährung. 4 Neubewertung der persönlichen Umwelt (»environmental reevaluation«) − Wahrnehmen und Bewerten, in welcher Weise das Problemverhalten die persönliche Umwelt und andere Personen betrifft. − Beispiel: Wahrnehmen der (positiven) Modellfunktion günstiger Essgewohnheiten für die Kinder. 4 Selbstneubewertung (»self-reevaluation«) − Emotionale und rationale Analyse, in welcher Form das Problemverhalten oder die Änderung des Verhaltens die eigene Person und das Selbstbild betrifft. − Beispiel: Sich selbst mit günstigem Verhalten vorstellen. 4 Wahrnehmen förderlicher Umweltbedingungen (»social liberation«) − Wahrnehmen von Umweltbedingungen, die die Veränderung des Problemverhaltens erleichtern. − Beispiel: Das Angebot fettarmer Lebensmittel sehen.
Verhaltensorientierte Strategien (»behavioral processes«) 4 Selbstverpflichtung (»self-liberation«, »commitment«) − Fassen eines festen Vorsatzes, Selbstverpflichtung zur konsequenten Veränderung des Problemverhaltens. − Beispiel: Andere über den Vorsatz der Verhaltensänderung informieren. 4 Kontrolle der Umwelt (»stimulus control«) − Kontrolle von Situationen, Personen oder anderen Stimuli, um das Auftreten des Problemverhaltens zu verringern und das Zielverhalten zu erleichtern. − Beispiel: Obst an häufig frequentierten Stellen bereitlegen. 4 Gegenkonditionierung (»counterconditioning«) − Ersetzen ungünstiger Verhaltensweisen im Sinne einer Problemlösung durch günstiges Verhalten. − Beispiel: Spazieren gehen statt Schokolade essen. 4 Nutzen hilfreicher Beziehungen (»helping relationships«) − Aktives Nutzen von sozialer Unterstützung zur Erleichterung der Verhaltensänderung. − Beispiel: Andere um fettarme Rezepte bitten. 4 (Selbst-) Verstärkung (»reinforcement management«, »reward«) − Gezieltes Nutzen von (Selbst-) Belohnungsstrategien zur Erreichung und Stabilisierung des Zielverhaltens. − Beispiel: Wenn Vorsätze eine Woche durchgehalten wurden, ins Kino gehen.
89 4.1 · Transtheoretisches Modell
Neben den Stufen und Prozessen der Veränderung enthält das Modell zwei ergänzende Konstrukte: die Entscheidungsbalance (»decisional balance«) und die Selbstwirksamkeitserwartung. Die Selbstwirksamkeitserwartung beschreibt – in Anlehnung an Bandura (1977, 1998) die wahrgenommene Fähigkeit einer Person, trotz Hindernissen ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Die Entscheidungsbalance beinhaltet motivationale und kognitive Aspekte der Entscheidungsfindung, indem die Vor- und Nachteile einer Verhaltensänderung bzw. des bestehenden Problemverhaltens erfasst werden (vgl. O’Connell & Velicer, 1988).
4.1.4
Stufenspezifische Intervention
Die Veränderungsprozesse und Stufen der Veränderung werden dann im Weiteren miteinander verbunden. Die Grundlage hierfür waren Untersuchungen mit Rauchern, die sich ohne Hilfe das Rauchen abgewöhnen wollten (Prochaska & DiClemente, 1983). Das TTM geht davon aus, dass Interventionsmaßnahmen stufenspezifisch erfolgen müssen, um optimal wirksam zu sein. Beklagt wird, dass gerade im Bereich der Gesundheitsprävention oftmals handlungsorientierte Strategien bevorzugt werden, die jedoch von den Betroffenen nicht umgesetzt werden können, weil beispielsweise die
Änderungsbereitschaft noch gar nicht vorhanden oder noch nicht stabil genug ist. Wie in . Tab. 4.1 dargestellt, sollten die kognitiv-affektiven Strategien vorwiegend in den ersten drei Stufen des Veränderungsprozesses zur Anwendung kommen, verhaltensorientierte Strategien vor allem ab der Stufe 4. Diese Zuordnung der Interventionen zu den einzelnen Stufen ist nicht immer gleich; es finden sich hier verschiedene, wenn auch recht ähnliche Darstellungen. Rosen (2000) hat in einer Meta-Analyse die Beziehung zwischen den Stufen und den Veränderungsprozessen bei körperlicher Aktivität untersucht und fand durchweg hohe Effektstärken für den Zusammenhang (δ = 0,70 – 0,80). Diese Zuteilung von Strategien zu den einzelnen Stufen soll dem Berater helfen, diese systematischer und theoriegeleitet einzusetzen. So weisen Prochaska und Norcross (2003) darauf hin, dass empirische Untersuchungen zu Personen im Stadium der Sorglosigkeit zeigen, dass diese weniger Informationen zu ihrem Problem verarbeiten, weniger Zeit damit verbringen, ihre eigene Situation zu überdenken, weniger offen mit Bekannten und Freunden über das Problem reden, ihre Aufmerksamkeit nicht in Richtung einer Problemlösung verlagern, die Folgen des Problems als geringer einschätzen und emotional weniger belastet sind. Hier hilft es nicht, mit handlungsorientierten Strategien das Problemverhalten zu verändern,
. Tab. 4.1. Verhaltensstrategien und Stufenzuordnung im TTM Sorglosigkeit
Bewusstwerden/ Absichtsbildung
4
Vorbereitung einer Handlung
Handlung
Aufrechterhaltung
Steigern des Problembewusstseins :DKUQHKPHQI¸UGHUOLFKHU8PZHOWEHGLQJXQJHQ Emotionales Erleben Selbstneubewertung Selbstverpflichtung (Selbst-)Verstärkung Gegenkonditionierung Kontrolle der Umwelt Nutzen hilfreicher Beziehungen
90
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
sondern es geht in erster Linie darum, Problembewusstsein zu etablieren.
4.1.5
4
Empirische Evidenz
Das TTM hat im Bereich der Gesundheitsforschung eine enorme Rezeption erfahren. Hintergrund des Modells sind zwar in erster Linie die Studien der Autoren im Bereich der Raucherentwöhnung, aber der spezifizierte Prozess der Verhaltensänderung wird als unabhängig vom Verhaltensbereich betrachtet. Dementsprechend findet sich auch eine Ausbreitung auf viele verschiedene Risikoverhaltensweisen wie Fragen der Ernährung und des Essverhaltens, der Inanspruchnahme von Untersuchungen zur Krebsvorsorge, der Zahnvorsorge, der Prävention und Behandlung des Alkoholkonsums, des Umgangs mit Schmerzen, der fehlenden medikamentösen Compliance, um nur einige Beispiele zu nennen. Mittlerweile finden sich alleine in medizinischen Datenbanken über 500 Publikationen, die sich direkt auf das TTM beziehen. Die Arbeiten konzentrieren sich entweder auf die Umsetzung des damit verbundenen Beratungsansatzes (»tailored interventions«), die Erfassung der Veränderungsbereitschaft ihrer Klientel oder auf methodische Aspekte bei der Operationalisierung des Stufenkonzepts. Da die methodischen Herangehensweisen zwischen den einzelnen Studien sehr variieren, ist eine Zusammenschau oft schwierig. Für den Bereich der körperlichen Aktivität legten Marshall und Biddle (2001) eine Meta-Analyse vor. Sie konnten 71 Publikationen extrahieren, die mindestens eine der Kernvariablen des TTM erhoben hatten. Generell kamen sie zu der Schlussfolgerung, dass die Ergebnisse die Anwendung des TTM unterstützen, da sich Unterschiede in der Ausprägung dieser Variablen zwischen den Stufen fanden und die Veränderungen zumeist theoriekonform waren. Allerdings weisen die Autoren darauf hin, dass die vorliegenden Daten keine Schlussfolgerungen darüber zulassen, ob es sich um diskrete Stadien oder ein zugrunde liegendes Kontinuum handele. Die fehlende Standardisierung der Messinstrumente und deren teilweise unbefriedigende Reliabilität sind Probleme, die die zukünftige
Forschung angehen sollte. Besonders betonen sie, dass die Zuordnung von Strategien zu den Stufen nochmals genauer untersucht werden sollte, da diese häufig nicht den theoretischen Annahmen entsprechen. Zu dieser Schlussfolgerung gelangt auch Rosen (2000), die 47 Studien für verschiedene Verhaltensbereiche berücksichtigte. Sie konnte zeigen, dass beim Rauchen der Einsatz von verhaltensbezogenen Strategien deutlich früher auftrat als postuliert, während im Bereich der Ernährung und körperlichen Aktivität der Gebrauch von kognitiven und verhaltensbezogenen Strategien gemeinsam anstieg. Grimshaw und Stanton (2006) analysierten die Wirksamkeit von verschiedenen Raucherentwöhnungsprogrammen für junge Menschen unter 20 Jahren. Unter den 15 kontrollierten Studien, testeten drei explizit das TTM. Die Untersuchungen zum TTM wiesen eine moderate EinJahres-Wirksamkeit auf, deren Werte bis zwei Jahre danach leicht abfielen. Im Gegensatz dazu erwiesen sich die pharmakologischen Ansätze als unwirksam; Ansätze, die Motivational Interviewing beinhalteten (▶ Kap. 4.2), wiesen die höchsten Effektstärken auf. Das TTM erhielt aber nicht nur Zustimmung, sondern es finden sich auch zunehmend Stimmen, die vor einer unkritischen Ausweitung warnen. So sehen Spencer, Pagell und Adams (2005) die empirische Evidenz im Bereich des Mammographie-Screenings trotz erster positiver Resultate als noch nicht ausreichend an, während Wilson und Schlam (2004) sowie Sutton (2001) zu der Schlussfolgerung gelangen, dass es keine hinreichenden Belege dafür gibt, dass therapeutische Interventionen den Stadien angepasst werden müssten und die bisherigen Studien zur prädiktiven Validität des TTM nicht überzeugend sind. So fand beispielsweise die Project Match Research Group (1998a, b), in dem nach elf verschiedenen Klientenvariablen, u.a. der Veränderungsbereitschaft der Klienten, eine Zuweisung zu bestimmten Behandlungsmodalitäten erfolgte, keinen überzeugenden Effekt hinsichtlich der stadienan- und unangepassten Interventionsstrategien (»readiness to change«). Zwar erwiesen sich die Selbstwirksamkeit und die Veränderungsbereitschaft als wichtige Prädiktoren für den längerfristigen Interventionserfolg, aber es ergaben sich keinerlei Wechselwirkungen.
91 4.1 · Transtheoretisches Modell
4.1.6
Kritik und Implikationen des TTM
Beim TTM handelt es sich um einen »Grenzgänger«: Das Modell postuliert einerseits allgemeine Prozesse der Veränderung im Leben von Menschen, andererseits steht die Übertragung auf psychotherapeutische Prozesse im Vordergrund. Viele der Arbeiten finden sich klar im gesundheitspsychologischen Bereich (z.B. Raucherentwöhnung oder HIV-Prävention durch Kondomnutzung). Dies spiegelt sich dann in den Prozessen der Veränderung wieder. Das TTM hat bereits Eingang in die praktische Arbeit von Beratern gefunden und sich als »Wegweiser« für die Durchführung von Beratungsgesprächen oder im Rahmen der Beschreibung von Veränderungen in Organisationen bewährt (z.B. Levesque, Prochaska & Prochaska, 1999; Levesque, Prochaska, Prochaska, Dewart, Hamby & Weeks, 2001). Die besondere Stärke des TTM liegt einerseits im dynamischen Charakter des Modells, das neben der prä- auch eine aktionale und post-aktionale Phase umfasst, andererseits in der Herausarbeitung der vormotivationalen Stufen und deren Relevanz für die Effizienz therapeutischer Arbeit. Das TTM liefert dem Berater einen theoretischen Rahmen für die Auswahl von Interventionsschritten/-maßnahmen. Das TTM betont nicht nur im besonderen Maße die vormotivationale Phase, sondern es verbindet mit den einzelnen Stufen der Veränderungen auch konkrete Hinweise zur praktischen Arbeit. Kritisch muss allerdings angemerkt werden, dass die Überprüfung und die Konzeption des Modells sich auf diskrete, oftmals gut operationalisierbare Probleme (z.B. Rauchen) konzentriert. Gerade die Operationalisierung der Stadien der Veränderung wirft noch viele methodische Fragen auf. Eine Definition der Zielverhaltensweisen zum Beispiel im Bereich der Ernährung, wo es nicht einfach um die Reduktion eines Verhaltens geht, sondern eine qualitative Veränderung, gestaltet sich deutlich schwieriger als im Bereich des Drogenkonsums. Auch im Beratungsalltag, wo oftmals miteinander verwobene, teilweise sehr diffuse Probleme eine Rolle spielen, fällt die Erfassung der Stadien der Veränderung und die damit verbundenen theoretischen Ansatzpunkte sicherlich sehr viel schwerer.
4
Auch finden sich bislang im Modell noch keine Hinweise wie mit vielfältigen Problemkonstellationen umzugehen sei, da sich ja Personen in verschiedenen Bereichen auf unterschiedlichen Stufen der Veränderung befinden können: Werden dann für jeden einzelnen Bereich einzelne »Modelle« konzipiert, gibt es ein Globalmodell? Welche Auswirkungen haben einzelne Problembereiche aufeinander (z.B. Rauchen und Probleme in der Partnerschaft)? Die volle Komplexität beraterischen Handelns stellt eine Herausforderung für die Zukunft dar. Hinreichend geklärt werden konnte bislang auch nicht, ob es sich wirklich um diskrete Stadien oder um kontinuierliche Abläufe handelt. Es finden sich in der Literatur immer wieder Hinweise, die für eine Betrachtung der Veränderungsbereitschaft als ein Kontinuum sprechen (z.B. Budd & Rollnick, 1996). Dies trifft auch auf eine der zentralen Annahmen des Modells zu, dass die Passung zwischen motivationspsychologischer Grundposition und der vom Berater angewandten Verhaltensstrategien gegeben sein muss. Für diese – für jeden Berater implizit nachvollziehbare Forderung, wie sie auch von anderen Autoren gestellt wird (z.B. Grawe, 1998; Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 1996) – fehlen bislang überzeugende experimentelle Belege. Die konkrete Stufeneinteilung scheint schwierig. So unterscheidet sich in vielen Studien beispielsweise die Entscheidungsbalance nicht über alle Stadien hinweg, sondern zwischen den ersten und letzten Stufen (z.B. Prochaska et al., 1994b). Wie viele Stufen sich konkret unterscheiden lassen, muss Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Zieht man das Rubikon-Modell der Handlungsphasen zu Rate, dann werden vier verschiedene Handlungsphasen unterschieden: 4 Prädezisionale Phase: Hier spielen vor allem motivationale Aspekte eine wichtige Rolle. Wünsche und Vorstellungen werden gegeneinander abgewägt. 4 Präaktionale Phase: Diese bezeichnet die erste Phase nach Überschreiten des Rubikons und beinhaltet die Zielentscheidung, die Absichtsbildung, die Selbstverpflichtung und die Handlungsplanung. 4 Die Handlungsinitiierung kennzeichnet den Übergang zur aktionalen Phase, die sich durch zielgerichtetes Handeln charakterisieren lässt.
92
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
4 Die postaktionale Phase bildet den Abschluss, in der die Zielrealisierung nochmals bewertet wird.
sprächsführungstechniken in der Arbeit mit alkoholabhängigen Patienten entwickelt. Definition
4
Diese Sichtweise, die von Phasen statt von Stufen spricht, ist kompatibel mit aktuellen Modellen der Gesundheitspsychologie (vgl. Schwarzer, 1997) und gibt u.U. den kontinuierlich fortschreitenden Prozess der Veränderung besser wieder. Eine der wichtigen Fragen für die zukünftige Forschung wird zudem sein, welche Faktoren den Übergang zwischen den Stadien mediieren und moderieren. Rosen (2000) schlägt hierzu vor, Variablen wie Verpflichtung eingehen, neue Verhaltensweisen aufnehmen oder Belohnung zu erfahren genauer zu untersuchen, da diese zwischen den Stufen am stärksten variierten.
4.2
Motivational Interviewing
Das »Motivational Interviewing« (MI) ist zugleich eine Sinneshaltung und therapeutische Strategie, ein Gesprächsstil, der sich zwar gerade im Zusammenhang mit dem TTM etabliert hat, allerdings eine eigenständige Strategie und theoretische Konzeption darstellt. Das MI bindet viele theoretische Richtungen wie die Attributionstheorie und die Theorie der kognitiven Dissonanz, der Selbstwirksamkeit und die Empathie ein. Viele Probleme, die mit Verhaltensstilen wie mangelnde Bewegung, Stress, Rauchen etc. verbunden sind, sind nur sehr schwer behandelbar, sie erfordern viel Zeit und auch Motivation seitens des Klienten. Die klassische Herangehensweise ist oft, dass der Berater Ratschläge erteilt oder Informationen zum Gefahrenpotential des Verhaltens gibt – die Erfolge sind hier sehr gering. Als Ursache hierfür werden die mangelnde Motivation und der Widerstand des Klienten gesehen. Eine ausreichende Motivation des Klienten muss erst im Gespräch mit dem Klienten geschaffen werden. Eine wesentliche Grundannahme des MI ist, dass Motivation keine intrapersonelle Eigenschaft ist, sondern ein interpersoneller Prozess. Die Motivation muss in der Interaktion mit dem Klienten erarbeitet werden. Das Konzept des »Motiviational Interviewing« wurde als Alternative zu eher konfrontativen Ge-
Miller und Rollnick (2002, p. 25) definieren »… motivational interviewing as a clientcentered, directive method for enhancing intrinsic motivation to change by exploring and resolving ambivalence«.
Die Autoren betonen damit wesentliche Kernelemente des MI: Es handelt sich um einen patienten-zentrierten Ansatz, wie er auch einheitlich in der Beratungsarbeit immer wieder betont wird, grenzt sich aber von vielen personenzentrierten Ansätzen (wie z.B. dem Konzept von Rogers) dadurch ab, indem die Direktivität des Ansatzes betont wird. Zwar greift das MI die individuellen Bedürfnisse und Sichtweisen des Klienten auf, verfolgt aber bei der Exploration der Ambivalenz das klare Ziel, die Wahrscheinlichkeit für eine Verhaltensänderung des Klienten zu erhöhen. Dabei sollte jedoch Direktivität nicht im Sinne von Anweisung oder Überzeugung verstanden werden; in neueren Arbeiten sprechen Rollnick und Kollegen (Rollnick, Butler, Cambridge, Kinnersley, Elwyn & Resnicow, 2005) von »guidance«, um zu betonen, dass es darum geht, die Klienten zu ermutigen, ihre eigenen Motive und Wünsche zu untersuchen. Die Motivation einer Person kann auch intraindividuell variieren - über die Zeit und verschiedene Situationen – und sie ist beeinflussbar. Die Veränderungsbereitschaft einer Person wird aus drei Komponenten gespeist: 4 »willing« (Bereitschaft): »Möchte/Wünsche ich mir eine Veränderung?« Hier geht es vor allem um die Bedeutung, die der Diskrepanz zwischen einem jetzigen Zustand und einem Ziel zugemessen wird. 4 »ready«: In vielen Kontexten kann nicht von einer ausreichenden Änderungsbereitschaft der Klienten ausgegangen werden, sondern diese befinden sich noch in der Phase der »Sorglosigkeit« oder maximal der »Absichtsbildung«. Welche Priorität hat dieser Verhaltensbereich im Vergleich zu anderen Angelegenheiten, die als wichtig erachtet werden (= Rangplatz in der Hierarchie)?
93 4.2 · Motivational Interviewing
4 »able«: »Welches Vertrauen setze ich in meine eigenen Fähigkeiten zur Veränderung?« »Glaube ich, dass eine Veränderung auch wirklich mit positiven Aspekten verbunden ist?« Hier zeigen sich klare Überschneidungen zu Banduras (1977, 1998) Konzept der Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen. Fehlende Verhaltensänderung ist demnach zu beobachten, wenn die persönliche Bedeutung der Thematik für den Klienten gering ist, aber auch wenn er nur eine geringe Zuversicht aufweist, eine solche Verhaltensänderung zu realisieren. Ambivalenz (wie Annäherungs-Annäherungskonflikte oder Annäherungs-Vermeidungskonflikte) werden als Schlüsselelement fehlender Veränderung angesehen. Ambivalenz stellt jedoch kein Hindernis dar, sondern ist der erste Schritt einer Veränderung. Wesentliche Ziele des MI sind den Klienten zu ermutigen: 4 seine Sorgen und Sichtweise auszudrücken, 4 sich selbst aktiv einzubringen, 4 Informationen einzufordern, 4 aktiv über Verhaltensänderungen nachzudenken (Rollnick, Mason & Butler, 1999).
Hauptcharakteristika des MI im Überblick 4 »Motivational Interviewing« basiert auf der Identifikation und Mobilisierung der intrinsischen Werte und Ziele des Klienten, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. 4 Die Motivation zur Veränderung wird durch den Klienten hervorgebracht und nicht von Außen erzeugt. 4 Motivational Interviewing soll Ambivalenz hervorbringen, diese klären und auflösen, sowie die damit verbundenen Vor- und Nachteile wahrnehmbar machen. 4 Die Bereitschaft zur Veränderung ist keine Eigenschaft einer Person, sondern ein sich veränderndes Produkt zwischenmenschlicher Interaktion.
4
Die Kernelemente des Motivational Interviewing sind nochmals kurz im folgenden ▶ Kasten zusammengefasst. Die Entscheidungen über mögliche Ansatzpunkte sollten demnach beim Klienten liegen. Miller und Rollnick (2002) benennen vier Basisprinzipien des MI, um diese Ziele zu erreichen: 4 Ausdruck von Empathie, 4 Entwicklung von Diskrepanz(erleben), 4 Umgang mit Widerstand und 4 Unterstützen des Selbstwirksamkeitserlebens. Empathie wird als Fundament des MI betrachtet und beinhaltet die Akzeptanz für die Sicht des Klienten und dessen Ambivalenz. Die Steigerung des Diskrepanzerlebens wird als Hauptmotor einer Veränderung betrachtet – zentral ist, dass der Klient selbst die Argumente für eine Veränderung präsentiert (»change talk«). Der Berater hat nur die Funktion, die vom Klienten bereits empfundene Diskrepanz bewusster zu machen und zu verdeutlichen. Ist die Person sich eines Problems überhaupt nicht bewusst, sind auch keine Schritte angeraten (Miller, 1994). Diskrepanzerleben wird
4 Widerstand und »Verleugnung« sind häufig ein Zeichen dafür, motivierende Strategien zu verändern. 4 Das Hervorbringen und Verstärken des Glaubens an die Fähigkeit ein bestimmtes Ziel zu erarbeiten und erfolgreich zu erreichen (Selbstwirksamkeitserleben) ist wesentlich. 4 Die therapeutische Beziehung ist eine Partnerschaft, welche die Autonomie des Klienten akzeptiert. 4 Motivational Interviewing ist sowohl eine Sammlung von Techniken, als auch ein Beratungsstil. 4 Motivational Interviewing ist eine direktive und klientenzentrierte Beratung, die sich auf das Verstehen und Hervorrufen von Verhaltensänderungen konzentriert.
94
4
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
v.a. aufgebaut, indem die aktuellen Verhaltensweisen mit den zentralen Zielen und Werten der Klienten kontrastiert werden. Widerstand auf Seiten des Klienten wird als »Warnsignal« dafür gesehen, dass der Berater nicht ausreichend die patienten-zentrierte Vorgehensweise berücksichtigt und einen zu »ratschlagenden oder konfrontierenden« Gesprächsstil praktiziert. Hier ist es wichtig, dass der Berater ausgewogen beide Seiten reflektiert und die persönliche Kontrolle auch betont. Er sollte auf keinen Fall mit zu vielen Ratschlägen den Klienten überfordern. Die Selbstwirksamkeit wird als eine wichtige Motivationsquelle gesehen (s. »able«). Der Berater sollte an frühere Erfolge anknüpfen, gemeinsam Möglichkeiten zum Umgang mit dem Problem erarbeiten oder auch Reframing einsetzen. Insgesamt kann die Rolle des Beraters beim MI wie folgt beschrieben werden: Der Berater gibt Struktur, Unterstützung, Richtungshilfe und auch notwendige Informationen, er arbeitet die Sicht des Klienten heraus, respektiert dessen Sichtweise und »verhandelt« die Veränderungsbereitschaft. Der Klient ist der aktive Entscheidungsträger. Der Berater sollte sich immer wieder versichern, ob er Themen ansprechen darf, ob er Vorschläge machen soll, um so die Entscheidungsfreiheit beim Klienten zu belassen und die aktive Rolle des Klienten bei der Entscheidungsfindung zu betonen. In . Tab. 4.2 sind einige Anzeichen für Widerstand, wie sie von
Miller und Rollnick (2002) systematisiert wurden, zusammengefasst. Das Ausmaß des Widerstands auf Seiten des Klienten erwies sich als Prädiktor für eine geringere Wirksamkeit einer Kurzintervention und steht im engen Zusammenhang mit einem konfrontativen Beratungsstil (Miller, Benefield & Tonigan, 1993). Der Berater erkennt die zunehmende Veränderungsbereitschaft an einer verstärkten Verbalisierung der Nachteile des Status quo und Vorteile einer Veränderung, Äußerungen von Optimismus bezogen auf einen solchen Schritt (»change talk«), einer selteneren Diskussion über das Problem oder an konkreten Fragen zur Änderung. Der Klient zeigt dann auch deutlich höhere Redeanteile, denkt über die Situation nach und entdeckt neue Seiten oder fragt ganz direkt um Hilfestellung oder nach Informationen. Die Gesprächsführung sollte die folgenden fünf allgemeinen Techniken beachten: 4 Offene Fragen als Einstieg in die Thematik und Herausarbeiten der Patientensicht, 4 Reflektierendes Zuhören, 4 Bestätigen und Unterstützen, 4 Zusammenfassen der wichtigsten Informationen und deren Bündelung, 4 selbstmotivierende Äußerungen herausarbeiten. Offene Fragen sollen die Klienten dazu motivieren, ihre eigene Position darzustellen. Dies löst
⊡ Tab. 4.2. Kategorien von Widerstand. (Nach Miller & Rollnick, 2002, p. 48) Kategorie
Beschreibung
Streiten/Diskutieren
Der Klient testet die Genauigkeit, Expertise, oder die Integrität des Beraters. Hierzu zählen Verhaltensweisen wie Herausfordern, Herabwürdigen der Aussagen des Beraters oder feindseliges Verhalten.
Unterbrechen
Der Klient unterbricht den Berater in Abwehrhaltung, d.h. er redet, während der Berater noch spricht oder unterbricht den Berater mit einer Wortwahl, die darauf abzielt, ihn zum Schweigen zu bringen.
Negativieren
Der Klient zeigt sich nicht willens das Problem einzusehen, zu kooperieren, die Eigenverantwortung zu akzeptieren, oder auch nur einen Ratschlag anzunehmen. Hierzu gehören Beschuldigen anderer, Ablehnen von Berateräußerungen, sich für das eigene Verhalten entschuldigen, Probleme verleugnen oder verharmlosen, pessimistische Äußerungen (selbst- und fremdbezogen), Ratschläge werden widerstrebend angenommen, Veränderungsnotwendigkeit wird verneint.
Ignorieren
Der Klient weist Verhaltensmerkmale auf, die andeuten, dass er den Ratschlägen des Beraters nicht nachkommen wird. Zu nennen sind hier Unaufmerksamkeit, das Wechseln des Themas, Nicht-Beantworten von Fragen.
95 4.2 · Motivational Interviewing
einen Reflektionsprozess aus. Reflektierendes Zuhören ist im Sinne des empathischen Zuhörens von Rogers (2001) zu verstehen. Es soll dem Klienten das Gesagte/seine Lebenswelt widerspiegeln, ein Sicherheitsgefühl beim Klienten aufbauen, das Gespräch vertiefen und dem Klienten dabei helfen, sich selbst zu verstehen. Damit spiegelt der Berater dem Klienten wider, dass er sich in seine Welt einfühlen kann. Als kontraindiziert gelten konfrontatives Verhalten, das Erteilen von direkten Anweisungen oder Ratschlägen, moralisierende Bemerkungen oder Schuldzuweisungen. Es geht darum, die aktive Rolle des Klienten bei der Bearbeitung und Interpretation seiner Lebenssituation zu unterstützen. Diese Techniken werden von Rollnick, Heather und Bell (1992) als »Mikroskills« bezeichnet und kennzeichnen generell die Gesprächsführung. Zusätzlich kommen verschiedene Strategien zur Anwendung, die sich nach dem Grad der Veränderungsbereitschaft des Klienten richten. Zur Eröffnung des Gesprächs kann beispielsweise allgemein über den Lebensstil und erlebten Stress gesprochen werden, um dann das jeweilige Thema einzuleiten; alternativ kann ein Zusammenhang mit der Gesundheit im Allgemeinen hergestellt werden. Weitere Strategien sind: 4 einen typischen Tag beschreiben lassen, 4 die guten und weniger guten Dinge beschreiben lassen, 4 Informationen geben, 4 die Gegenwart mit der Zukunft kontrastieren lassen, 4 Gründe für Besorgnis explorieren, 4 Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung geben. So bedeutet die Hilfe bei der Entscheidungsfindung beispielsweise, dem Klienten Zeit zu lassen, verschiedene Alternativen für die Zukunft aufzuzeigen, die Verhaltensweisen anderer Personen in der gleichen Situation zu beschreiben, den Klienten in seiner Expertenrolle zu stärken, die Informationen neutral, nicht wertend darzubieten, eine nicht-erfolgte Entscheidung nicht als fehlgeschlagene Beratung zu betrachten, Akzeptanz für sich verändernde Entscheidungen und für gebrochene Vorsätze. Angestrebt wird ein ressourcenorientiertes, partnerschaftliches Beratungsverhältnis.
4.2.1
4
Abgrenzung zu anderen Beratungsansätzen
Es gibt in der Literatur zahlreiche unterschiedliche Beratungsansätze. Die Abgrenzung der einzelnen Ansätze ist teils sehr schwierig. Miller und Rollnick (2002) haben anhand verschiedener Kriterien versucht, das MI von einer Kurzberatung und einer verhaltensorientierten Beratung abzugrenzen. In . Tab. 4.3 sind die Ergebnisse zusammengefasst. Die Abgrenzungen sind im konkreten Fall oftmals sehr schwierig; die Autoren des MI betonen, dass gerade der Beraterstil, der Einsatz des reflektierenden Zuhörens, eine wichtige Komponente des MI darstellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass zum Beispiel eine Kurzberatung bei einem klaren Infodefizit und vorliegender Motivation des Klienten nicht die Methode der Wahl sein kann. Ethisch kann es u.U. zentral sein, wichtige Informationen an den Klienten weiterzugeben. Bei der Kurzberatung ist die asymmetrische Beziehung besonders ausgeprägt, weniger stark bei der verhaltensorientierten Beratung. Auch ansonsten finden sich viele Gemeinsamkeiten mit dem MI, der Fokus liegt jedoch nicht so sehr auf dem reflektierendem Zuhören und der Anregung des Change Talk, wie er beim MI im Mittelpunkt steht. Lewis und Osborn (2004) betonen die Gemeinsamkeiten zwischen MI und lösungsorientierter Beratung (Bamberger, 2001). Diese Gemeinsamkeiten sehen sie in folgenden Aspekten: 4 Nicht-pathologischer, salutogener Fokus: Konzentration der Arbeit richtet sich auf die Bereiche, die positiv verlaufen, um dann die Erkenntnisse und Ressourcen auf die weniger positiven Bereiche zu übertragen. Diagnosen werden i.d.R. nicht vergeben. 4 Sozial-konstruktivistische Perspektive, die das Vorhandensein von verschiedenen Sichtweisen, »Realitäten« und Möglichkeiten betont und anerkennt. 4 Verankerung in der Veränderung: Beide Modelle betonen sehr stark die Veränderung, die bei der lösungsorientierten Beratung v.a. durch neue Verhaltens- und Denkweisen erreicht wird. In beiden Ansätzen werden Veränderungen in Stufenmodellen dargestellt. 4 Veränderte Sichtweisen von Widerstand: In beiden Ansätzen wird Widerstand nicht als
96
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
⊡ Tab. 4.3. Gegenüberstellung der Kurzberatung, der verhaltensorientierten Beratung und des MI
4
Kurzberatung
Verhaltensorientierte Beratung
MI
Sitzungszeit
5-15 Minuten
5-30 Minuten
30-60 Minuten
Sitzungsanlass
Informationsbedürfnis/ Infodefizit
von außen, aber auch hilfeorientiert
hilfeorientiert
Ziele
4 Respekt zeigen 4 Risiko verdeutlichen 4 Informationen anbieten
Zusätzlich: 4 Rapport herstellen 4 Ziele des Klienten identifizieren 4 Informationsaustausch 4 Strategien auf der Grundlage der Bereitschaft des Klienten auswählen
Zusätzlich zu den ersten beiden: 4 Beziehung herstellen 4 Ambivalenz auflösen 4 Diskrepanzerleben aufbauen
Beratungsziel
Gedanken über eine Verhaltensänderung in Gang setzen
Motivationsaufbau für eine Verhaltensänderung
Verpflichtung für eine Verhaltensänderung
Beziehung Klient –Berater
aktiver Experte – passiver Klient
Klient als aktiver Teilnehmer
Partnerschaftliches Verhältnis
Empathie
manchmal
in der Regel
stets
Konfrontation
manchmal
selten
nie
Information
wird zur Verfügung gestellt
ausgetauscht
ausgetauscht, um Diskrepanzerleben zu stärken
offene Fragen stellen
teils/teils
teils/teils
notwendig
Bestätigen
teils/teils
teils/teils
notwendig
Zusammenfassen
nicht notwendig
notwendig
notwendig
um Erlaubnis bitten
teils/teils
notwendig
notwendig
aktive Entscheidungsfindung des Klienten
teils/teils
notwendig
notwendig
Rat anbieten
notwendig
teils/teils
nicht notwendig
Reflektieren
nicht notwendig
teils/teils
notwendig
Gezielter Einsatz reflektierenden Zuhörens
nicht notwendig
teils/teils
notwendig
Beraterstil
97 4.2 · Motivational Interviewing
4
⊡ Tab. 4.3. (Fortsetzung) Kurzberatung
Verhaltensorientierte Beratung
MI
Reflektion auf unterschiedlichem Niveau
nicht notwendig
teils/teils
notwendig
Change Talk anregen
nicht notwendig
teils/teils
notwendig
Umgang mit Widerstand
nicht notwendig
notwendig
notwendig
Unterstützung bei der Formulierung von Werten
nicht notwendig
nicht notwendig
notwendig
Merkmal der Person betrachtet, das durch konfrontatives Verhalten abgebaut werden soll. Beim MI ist der Widerstand ein Zeichen dafür, dass der Berater wichtige Anzeichen beim Klienten übersehen hat, bei der lösungsorientierten Beratung ist es ein Zeichen, dass der Berater die idiosynkratische Sicht des Klienten noch nicht richtig berücksichtigt hat. 4 Starke Betonung der Kooperation seitens des Klienten. Die aktive Mitarbeit des Klienten ist zentraler, unabdingbarer Bestandteil des Herangehens. 4 Betonen der Ressourcen und Stärken des Klienten. Der Fokus liegt auf den bereits vorhandenen Lösungsmöglichkeiten und dem –repertoire des Klienten. 4 Klar zeitlich begrenzte Ansätze (wenn auch unterschiedliche Dauer). Es handelt sich in beiden Fällen um Kurzzeitinterventionen, wobei das MI die deutlich geringere Zeitdauer aufweist. Diese Auflistung ist sicherlich noch durch das humanistische Weltbild, das beiden Ansätzen gemeinsam ist, zu ergänzen. Die Unterschiede werden v.a. darin gesehen, dass: 4 die lösungsorientierte Beratung Sprache dazu nutzt, um eine neue Realität, eine neue Perspektive zu erschaffen, während es im MI eher darum geht, Empathie auszudrücken, 4 die lösungsorientierte Beratung davon ausgeht, dass Klienten eine Veränderung herbeiführen
wollen, wenn sie eine Beratung in Anspruch nehmen, 4 die lösungsorientierte Beratung eher zukunftsorientiert ist, 4 das MI zielorientierter als die lösungsorientierte Beratung ist. Insgesamt lässt sich festhalten, dass das MI zahlreiche empirische Untersuchungen nach sich gezogen hat, während die lösungsorientierte Beratung weniger empirische Evidenz aufweisen kann. Anhand dieser Abgrenzungsversuche zeigt sich eine große Überschneidung des MI zu anderen Beratungsansätzen: Nicht die Einzelelemente, wohl aber deren Kombination und Ausprägungsgrad grenzen das MI gegenüber anderen Ansätzen wie einer verhaltensorientierten Beratung ab. Das MI setzt reflektierendes Zuhören viel häufiger und direkter ein, der Klient soll ganz bewusst zu selbstmotivierenden Äußerungen und zum Nachdenken über Werte (und deren Passung mit dem aktuellen Verhalten) angeregt werden. Informationen werden nicht nur mit dem Ziel angeboten, dass eine Entscheidungsgrundlage vorhanden ist, sondern dass dadurch Diskrepanzerleben erzeugt wird. Mittlerweile liegen auch verschiedene Messinstrumente vor, die das Beraterverhalten (Genauigkeit in der Umsetzung) beim MI erheben (vgl. Madson & Campbell, 2006 für einen Überblick; Lane, HiwsThomas, Hood, Rollnick, Edwards & Robling, 2005). Da die »Umsetzung des Geistes von MI« als zentrale Wirkvariable betrachtet wird, kommt der
98
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
Messung des Beraterverhaltens eine zentrale Bedeutung zu.
4.2.2
4
Wirksamkeit des Motivational Interviewing
Die Verbreitung des MI ist gerade in gesundheitsbezogenen Beratungskontexten sehr groß, ebenso die empirische Datenlage zur Wirksamkeit. Allein die Homepage des amerikanischen Gesellschaft (motivationalinterview.org) listet für das Jahr 2004 mehr als 60 Ergebnisstudien auf. Die berichteten Ergebnisse sind sehr viel versprechend und betreffen die unterschiedlichsten Bereiche. Dabei wird MI teilweise als einzige Intervention angeboten (z.B. Monti et al., 1999) oder mit klassischen VT-Behandlungen kombiniert (z.B. Smith, Heckenmeyer, Kratt & Mason, 1997). Die Anwendung erfolgte in vielen verschiedenen Bereichen. So liegen beispielsweise Studien bei Typ 2 Diabetes (Clark & Hampson, 2001; Smith, Heckemeyer, Kratt & Mason, 1997), bei Essstörungen (Treasure, Katzman, Schmidt, Troop, Todd & de Silva, 1999) oder Typ 1 Diabetes bei Jugendlichen (Knight et al., 2003) vor. Das MI wird dabei nicht nur im face-to-face Kontakt, sondern auch über
telefonische Beratung realisiert (z.B. Resnicow et al., 2000). Eine erste Meta-Analyse aus dem Jahre 2001 (Dunn, DeRoo & Rivara, 2001) analysierte 29 kontrollierte, randomisierte Studien: 69% der Studien wiesen mindestens einen Verhaltensparameter auf, der das MI unterstützte. Burke, Arkowitz und Menchola (2003) grenzten ihre Analyse auf 30 kontrollierte Studien mit Einzelgesprächen ein. In den meisten Fällen handelte sich um eine sog. adaptierte Form des MI (kurz: AMI), in dem den Klienten im Rahmen der Beratungssitzung ein Feedback zum individuellen Risikoprofil im Stil des MI gegeben wurde. Sie fanden eine gute Unterstützung der Wirksamkeit in den Bereichen Alkoholkonsum, Drogenabhängigkeit sowie Ernährung und Bewegung (. Tab. 4.4). Die positiven Wirkungen zeigten sich dabei nicht ausschließlich in Form einer Symptomreduktion, sondern auch im sozialen Lebensbereich der Betroffenen. Wie aus . Tab. 4.4 ersichtlich wurde das MI selten mit einer aktiven Behandlungsgruppe verglichen; hier zeigte sich bislang keine höhere Wirksamkeit des MI. In einer jüngeren Meta-Analyse von Hettema, Steele und Miller (2005) mit 72 Ausgangsstudien konnten diese Aussagen im Wesentlichen bestätigt werden. Die Autoren fanden eine hohe Variation der Wirksamkeit in Abhängigkeit vom Problembereich,
. Tab. 4.4. Kombinierte Effektgrößen zum Motivational Interviewing (MI) unterteilt nach Problembereichen. (Zit. nach Burke et al., 2003, p. 854) Problembereiche
MIs verglichen mit einer unbehandelten oder PlaceboKontrolle
MIs verglichen mit aktiver Behandlung
d (95% CI)
TA d (95% CI)
d (95% CI)
Alkohol (SEC)
0,25 (0,13, 0,37)
0,21 (0,09, 0,22)
0,09 (- 0,04, 0,23)
Alkohol (BAC)
0,53 (0,20, 0,86)
–
–
Rauchen
0,11 (- 0,05, 0,27)
0,11 (-0,06, 0,27)
–
Drogenabhängigkeit
0,56 (0,31, 0,82)
–
- 0,01 (-0,25, 0,25)
HIV-Risikoverhalten
0,01 (-0,29, 0,31)
- 0,01 (- 0,30, 0,29)
–
Ernährung & Bewegung
0,53 (0,32, 0,74)
0,57 (0,33, 0,81)
–
Anmerkung: Effektgrößen sind signifikant bei p <.05; CI = Konfidenzintervall; TA = Berücksichtigung des Stichprobenschwundes; SEC = Standard Ethanol Gehalt (Maß für Trinkfrequenz); BAC = (Höchstwert) Blutalkoholkonzentration (Maß für den Grad der Intoxikation); Anstriche zeigen, dass keine Daten verfügbar waren.
99 4.2 · Motivational Interviewing
wobei hier neben den Bereichen Alkohol- und Drogenkonsum die Wirksamkeit auch für HIV (d = .71) unterstrichen wurde, während sie beim Rauchen keine Effekte fanden (d = .04). Die Autoren bezogen auch andere Bereiche wie zum Beispiel MI bei Projekten zur Bewässerung mit ein und fanden hier positive Effekte. Weiterhin finden sich Studien, die darauf hinweisen, dass durch MI die Teilnahmequote und –compliance an herkömmlichen Interventionsprogrammen erhöht werden (z.B. Brown & Miller, 1993 für Alkohol; Smith et al., 1997 für Adipositas) und dies die besseren Outcomes mediieren kann (Brown & Miller, 1993). Positive Effekte von MI zeigten sich eher, wenn die Katamnesezeiträume drei Monate übersteigen und mehr als ein Kontakt erfolgte. Die Effekte waren unabhängig davon, ob ein Psychologe (79% Erfolgsquote) oder ein Arzt (83% Erfolgsquote) das MI durchführte, allerdings waren die Erfolgsraten mit 46% bei anderen Berufsgruppen deutlich geringer, was u.U. darauf hindeutet, dass ein intensives Training bzw. Erfahrung in professioneller Gesprächsführung wichtig sind (Rubak, Sandbæk, Lauritzen & Christensen, 2005). MI findet im Gesundheitsbereich breite Anwendung (Britt, Hudson & Blampied, 2004; Resnicow et al., 2000). Unterschiede zum »traditionellen« Suchtbereich werden vor allem darin gesehen, dass es nicht darum geht ein bestimmtes Verhalten zu stoppen wie beim Alkoholkonsum, sondern dass ein konkretes Verhalten (z.B. Essverhalten) in seiner Qualität und Ausprägung modifiziert werden soll. Für den Einsatz in diesem erweiterten Indikationsbereich liegen positive Ergebnisse vor (s. auch Burke et al., 2003, mit den Ergebnissen zum Einhalten von Diäten). Eine weitere aktuelle Übersicht von Knight, McGowan, Dickens und Bundy (2006), die sich nur auf den Bereich der körperlichen Erkrankungen konzentrierte, unterstreicht diese Beobachtung. Kontrovers scheint bisher die Datenlage zu sein, wie viel MI nötig ist, um klinisch bedeutsame Effekte zu erzielen. In den meisten Studien wurde MI mit einer unbehandelten Kontrollgruppe oder einer klassischen Informationsgruppe verglichen. Eine systematische Variation des Ausmaßes des MI wurde jedoch deutlich seltener berichtet. In vielen Studien reichte eine einzige Sitzung aus, um klinisch bedeutsame Effekte zu erzielen. Problematisch scheint die Aufrechterhaltung der Effekte über
4
einen längeren Zeitraum (z.B. 1-Jahres-Katamnese) und die Anwendung bei sehr komplexen Verhaltensweisen zu sein (Harland, White, Drinkwater, Chinn, Farr & Howel, 1999).
4.2.3
Motivational Interviewing – Für wen?
MI ist sicherlich ein sehr faszinierender und vielversprechender Ansatz, aber nicht unbedingt für jeden Klienten und jede Problemlage geeignet. So geht das MI von zwei Prämissen aus – der Autonomie des Klienten und Veränderungen sollten dessen Wohlergehen verfolgen. Hier ergeben sich – wie bei der Beratung generell – einige Probleme. Die Autoren selbst sagen zwar, dass MI nicht generell geeignet ist, benennen aber keine expliziten Kontraindikationen. Es wird betont, dass eine gewisse Ambivalenz bestehen muss, damit der Berater das Diskrepanzerleben steigern kann. Altersbegrenzungen für das MI wurden nicht genannt. Erste positive Erfahrungen wurden von Baer und Peterson (2002) in der Anwendung des MI mit Kindern bzw. Jugendlichen berichtet (vgl. auch Erickson, Gerstle & Feldstein, 2005). Slesnick, Meyers, Meade und Segelken (2000) beschreiben die Anwendung von Elementen des MI bei Jugendlichen, die von zu Hause ausgerissen sind. Colby et al. (1998) wandten MI bei jugendlichen Rauchern an und fanden zwar keine signifikanten Unterschiede in der Abstinenzrate im Vergleich, wohl aber eine beträchtliche Effektstärke (d = .28). In beiden Gruppen gab es einen Anstieg der Veränderungsmotivation, gemessen über die Stages of Change. Wesentlich positiver fallen die Ergebnisse von Monti et al. (1999) bei Jugendlichen mit Alkoholabusus aus. Im Vergleich mit einer Gruppe, die lediglich schriftliches Infomaterial erhielt, wiesen die Jugendlichen in der MIGruppe eine Reduktion ihrer Risiken bezogen auf die Bereiche Alkohol am Steuer, alkoholbedingte Verletzungen und interpersonelle Probleme auf. Explizite Untersuchungen, die sich mit einer Mindestaltersgrenze oder Definition von notwendigen kognitiven Voraussetzungen bei MI befassen, liegen m.W. nicht vor. So ist durchaus denkbar, dass MI sich nicht in der Arbeit mit geistig behinderten Menschen eignet. Bei jüngeren Kindern müssten
100
4
Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
auf jeden Fall die Eltern hinzugezogen werden, da ansonsten auch keine erfolgreiche Beratungsarbeit erfolgen kann. Vorsicht scheint nach Ansicht der Autoren bei universellen Präventionsangeboten geboten zu sein. Hier fehlt die wichtige Komponente der Ambivalenz bzw. grundlegendes Problembewusstsein. Auch die Anwendung in Gruppen wird kritisch gesehen, aber nicht generell verworfen (Walters, Ogle & Martis, 2002). Als wichtiges Element wird diskutiert, dass ein persönliches Feedback erfolgen soll und die Techniken des MI auf das Gruppensetting übertragen werden. Probleme sind generell sehr ähnlich zu denen bei Gruppenberatungen oder –settings ‒ wie z.B. dominante Teilnehmer. Demmel (2005) nennt als besondere Indikationsbereiche: 4 Substanzgebundene Abhängigkeiten (Nikotin, Alkohol, Opiate, Cannabis etc.), 4 Vorliegen komorbider Störungen, 4 HIV-Prävention, 4 Ess- und Gewichtsstör ungen, 4 Diabetes, aber auch der Einsatz in der betrieblichen Suchtprävention, der Bewährungs- und Entwicklungshilfe sowie bei Sexualdelikten. Dabei wird betont, dass es sich um Patienten handeln sollte, deren Veränderungsbereitschaft gering bzw. Problemverhalten sehr ausgeprägt ist. Als Kontraindikation wird darauf hingewiesen, dass bei bestimmten Patientengruppen die Tendenz zu einer inflationären Selbstwirksamkeitserwartung auf jeden Fall nicht noch gestärkt werden sollte. Trotz der zahlreichen Forschungsarbeiten in den letzten Jahren sind noch viele Fragen offen. So ist die Frage nach den Wirkprinzipien des MI und wirksamen Behandlungselementen unbeantwortet: Reicht es beispielsweise aus, Feedback zu geben oder müssen andere Komponenten hinzukommen? So zeigen einige Untersuchungen, dass die Komponente Feedback geben, einen positiven Effekt hat (z.B. Velicer, Prochaska & Redding, 2006). Die Wirkung wird v.a. für das personalisierte Feedback gesehen, das in Bezug auf normative oder ipsative Werte, eine Rückmeldung über das aktuelle Risiko, den aktuellen Zustand oder die Veränderungsmöglichkeiten gibt. Möglicherweise entfaltet das Feedback über verschiedene Wege seine Wirksamkeit: über
die Information, durch die Steigerung der Motivation, die Veränderung von Überzeugungen und Einstellungen, durch die Bereitstellung einer hilfreichen Beziehung, indem Vergleichswerte angeboten werden, um nur einige Beispiele zu nennen (Di Clemente, Marinelli, Singh & Bellino, 2001). Ein weiterer Bereich, der intensiverer Untersuchungen bedarf, ist die Tatsache, dass in vielen Untersuchungen die Länge oder Intensität nur selten einen differentiellen Effekt hatte (Miller, 1996, 2000). Diese Beobachtung ist nicht so sehr verwunderlich, da sich dies auch in der allgemeinen Psychotherapieforschung zeigte (vgl. Lambert, Whipple, Hawkins, Vermeersch, Nielsen & Smart, 2003; Lueger, 1995), hier allerdings nicht so ausgeprägt wie im Rahmen des MI, wo teils eine einzige Sitzung ausreichte, um positive Veränderungen zu erzielen. Mögliche Erklärungen sind der therapeutische Stil, der sich insgesamt als sehr wirksam erwiesen hat, und das Ausmaß an Veränderungsbereitschaft der Klienten. Hier zeigten sich die größten Effekte bei den Klienten, die am wenigsten bereit für eine Veränderung sind (sog. Sorglosigkeit; Butler, Rollnick, Cohen, Bachmann, Russell & Stott, 1999).
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Kapitel 4 · Neuere Modelle zur Veränderung
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4
5 Mediengestützte Beratungskommunikation 5.1
Definitionsversuch und Einteilung
5.2
Vor- und Nachteile – 108
5.3
Telefonberatung
5.4
Internetbasierte Beratung
5.5
Herausforderungen für die Zukunft Literatur
– 123
– 106
– 114 – 118 – 122
106
5
Kapitel 5 . Mediengestützte Beratungskommunikation
Wir leben in einer medialen Welt – der Zugang zu Medien wie Internet, Telefon oder Fernseher ist geradezu flächendeckend. So waren in Deutschland 2004 laut Statistischem Bundesamt 61% der Haushalte mit Computer ausgestattet, 42% mit Internetzugang, 95% besaßen ein Festnetztelefon und 72% ein Mobiltelefon. Die Verbreitung neuer Medien ist gerade in den jüngeren Altersgruppen sehr umfassend. Die Bedeutung für Beratungsangebote ist groß. Rund 60% der Bevölkerung nutzt beispielsweise das Internet, um gesundheitsrelevante Informationen zu erhalten (Eichenberg, 2004). Damit besitzen die neuen Medien ein enormes Potential, um bestimmte Zielgruppen besser oder überhaupt erst zu erreichen. In den letzten Jahrzehnten haben sich mit dem technologischen Fortschritt denn auch zunehmend neue Settings der Beratung ergeben, die mediale Zugangswege zur Beratung und Vermittlungsformen im Gegensatz zu einer face-toface-Interaktion nutzen und damit die Möglichkeit bieten, über räumliche wie zeitliche Dimensionen hinweg zu kommunizieren (sog. »Fernberatung«).
5.1
Definitionsversuch und Einteilung
In der Literatur wird eine Vielzahl von Begriffen verwandt, um dieses Phänomen zu beschreiben: Die Rede ist von Online-Beratung, auch mediengestützter Beratung, Fernberatung, distance-counseling, e-counseling, internetbasierte Beratung, media assisted counseling, cyber counseling, telehealth oder telemedicine. Unter diesen Begriffen verbergen sich wiederum sehr unterschiedliche Formen. Haley (2005) unterscheidet folgende Formen des »distance counseling«: 4 Telefonische Beratung (auch menuegesteuert); 4 Beratung im Radio; 4 E-Mail Beratung; 4 Nachrichten Board: Anfragen werden an eine virtuelle Pinnwand angebracht und danach beantwortet. Die Fragenden benutzen hierbei in der Regel ein Pseudonym; 4 Chat-Rooms: Hierbei handelt es sich um eine synchrone Form des Austausches im Netz, die oft im Rahmen von »Peer counseling«, aber auch für Gruppen genutzt wird; 4 Telefonische Beratung über das Internet;
4 Videoberatung/Videokonferenzen; 4 Computerbasierte oder simulierte Beratung: Die Beratung erfolgt nicht durch eine reale Person, sondern durch ein (interaktives) Computerprogramm; 4 E-Coaching/Internet-Therapie: Interaktive Module für einen bestimmten Problembereich. Zusätzlich ist im Zeitalter der neuen Technologien noch an die Informationsangebote (Gesundheitstipps; Informationen zu bestimmten Krankheitsbildern etc.) zu denken, die sich im Internet als leicht zugängliche Informationsquellen finden. Das Angebot ist groß: Unter dem Begriff Online-Beratung werden mehr als 1 Million Seiten gelistet! (Stand: März 2007). Die Auflistung der Anwendungsmöglichkeiten ist sicherlich nicht vollständig. So finden sich in der Zusammenstellung von Haley (2005) beispielsweise noch nicht die Möglichkeiten moderner Mobiltelefone, die Text-, aber auch Videobotschaften versenden können. In diesem Zusammenhang hat sich ein neuer Bereich – die M(obile)-Therapie/-Beratung – entwickelt (vgl. Döring & Eichenberg, 2007). Die Unterschiede zwischen diesen verschiedenen Formen hinsichtlich ihrer Verbreitung, Zugänglichkeit für bestimmte Gruppen sowie notwendigen technischen Ausrüstung und Know-how sind sehr groß; gemeinsam ist ihnen allen wohl nur, dass sie mediengestützt arbeiten, d.h. neue Technologien wie Telefon oder Internet verwenden, um eine Beratung zu realisieren bzw. in eine Kommunikation zu treten, die nicht mehr – wie eine herkömmliche face-to-face Beratungsinteraktion – auf eine zeitliche und räumliche Kopräsenz von Klient und Berater angewiesen ist. In der aktuellen Literatur werden darunter allerdings nicht »traditionelle Kommunikationsformen« wie Briefe schreiben oder Austeilen von Handouts in Beratungssitzungen oder gar die reine textbasierte Vermittlung im Rahmen einer Bibliotherapie verstanden. Ein wichtiges Kriterium für neuere mediengestützte Beratungsformen ist das Potential einer schnellen Kontakt- und Interaktionsaufnahme. Die Interaktion muss dabei nicht mehr unbedingt direkt mit einer realen Person erfolgen. Wie schon bei der Definition von Beratung fällt auch im Bereich der mediengestützten Beratung auf, dass meist vermieden wird, eine genaue Definition
107 5.1 . Definitionsversuch und Einteilung
vorzulegen. Die Vielfalt der verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten erschwert eine solch allgemeine Definition noch zusätzlich. Verschiedentlich wird darauf verwiesen, dass in diesem Setting die Abgrenzung zu anderen Formen wie der OnlineTherapie noch schwerer fällt. Einige Autoren sprechen davon, dass es überhaupt keine Online-Therapien gäbe, da eine Therapie ohne direkt mit dem Patienten in Kontakt zu treten nicht möglich und nicht vertretbar sei, zumal keine Diagnostik erfolgen könne. Zusätzlich sind auch die besonderen beruflichen Einschränkungen für die Leistungserbringung über das Internet zu beachten (vgl. Hausdorf & Erlinger, 2004). Der häufig anzutreffende Umkehrschluss, alle Intervention seien »nur« Beratung, da in diesem Rahmen keine Diagnostik erfolge oder notwendig sei, wird dem Verständnis und der Praxis einer professionellen psychosozialen Beratung nicht gerecht. Zudem finden sich auch Hinweise für Online-Therapien in der Literatur, die mit Gruppen von klinisch auffälligen Personen – und damit einer klaren Indikation für eine Psychotherapie – durchgeführt wurden (vgl. Laszig & Eichenberg, 2003). Hier sollte allerdings darauf hingewiesen werden, dass dies meist als Ergänzung zu einer face-to-face-Behandlung erfolgte. Mediengestützte Beratung heißt aber auch nicht, dass beispielsweise Telefonate zur Terminabsprache geführt werden. Man sollte immer nur dann von Beratung sprechen, wenn die als zentral erachteten Kriterien für eine Beratung erfüllt werden: es sollte eine helfende Beziehung vorliegen, die mindestens durch einen professionellen Berater und mindestens einen Klienten mit einer Problemstellung gekennzeichnet ist. Alle ethisch-rechtlich definierten Anforderungen für eine professionelle psychosoziale Beratung treffen auch auf die mediengestützte Beratung – als eine Sonderform der Beratung – zu. Zur Einteilung der vielfältigen Formen der mediengestützten Beratung werden verschiedene Kriterien verwandt. Am häufigsten ist die Einteilung nach der zeitlichen Latenz im Kommunikationsverlauf in synchrone und asynchrone Kommunikation. So zählt die Telefonberatung ebenso wie die Videoberatung zu den synchronen, die e-mail-Beratung oder die Chat-Rooms zu den asynchronen Angeboten. Weitere Untergliederungsformen sind: 4 Kommunikationsbasis: Schrift- (z.B. Chats, E-Mail, SMS) oder gesprochene Sprache (z.B.
5
Telefonberatung; Videoübertragungen). Damit wird nicht nur eine Aussage über den primären Kommunikationsweg – Hören/Sprechen vs. Textform – getroffen, sondern auch über die Kommunikationskanäle, die dem Berater für seine diagnostische und beraterische Arbeit zur Verfügung stehen: Im Rahmen einer E-MailBeratung konzentriert sich das im Wesentlichen auf den geschriebenen Text und dessen Analyse. Zwar können in Chats und E-Mails auch so genannte »emoticons« verwandt werden, aber nonverbale Kommunikationsanteile wie paraverbale Anteile (Sprachtempo; Stimmhöhe), Blickverhalten, Gestik oder räumliche Distanz können weder in die Analyse eingehen, noch in der konkreten Beratungsarbeit genutzt werden. Bei der sprachbasierten Beratung in Form einer telefonischen Beratung stehen dem Berater auch die paraverbalen Kommunikationsphänomene zur Verfügung; in einer Videoübertragung ist zudem die Mimik und Gestik zu beobachten, aber es fehlen immer noch einige Phänomene, die im Rahmen einer face-to-face-Interaktion zur Verfügung stehen wie olfaktorische Eindrücke, Berührung oder auch räumliche Distanz. Die psychologischen Implikationen v.a. einer computervermittelten Kommunikation werden in verschiedenen Modellen expliziert und kontrovers diskutiert (vgl. Döring, 1999). 4 Mit dieser Unterscheidung ist auch in der Regel ein weiteres Merkmal verbunden: die Reaktionen des Beraters sind für den Klienten direkt archivierbar und damit immer wieder abrufbar: Dies ist bei den textbasierten Formen oftmals automatisch gegeben (s. E-Mail) oder leicht herstellbar (s. Chat-Protokolle), bei der Telefonberatung nur, wenn der Berater ein Aufnahmegerät mitlaufen lässt. Live-Videoübertragungen können – müssen aber nicht unbedingt – mitgeschnitten werden. Handelt es sich um eine zeitversetzte Form, dann ist eine Wiederabrufbarkeit gegeben. Dieser Aspekt der Archivierbarkeit wird im Zusammenhang mit einer verstärkten Kontrolle auf Seiten des Klienten diskutiert; sie hat aber auch eine Reihe von ethisch-rechtlichen Implikationen. Mediengestützte Beratungangebote verstehen sich häufig nicht als Ersatz für die klassische face-to-
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5
Kapitel 5 · Mediengestützte Beratungskommunikation
face-Kommunikation, sondern als Ergänzung. Das damit verfolgte Ziel kann zum Beispiel die Herstellung eines face-to-face-Kontaktes, die Weitervermittlung an geeignete Institutionen oder die Nachbetreuung einer herkömmlichen Beratung sein. Es sind auch so genannte Mischformen, z.B. indem die Berater anbieten zwischen den Sitzungen Kontakt via SMS oder E-Mail aufzunehmen oder Berater die Medien nutzen, um Klienten in kritischen Situationen zu unterstützen, denkbar. Im Sinne des Ergänzungsansatzes können nicht nur schwer erreichbare Zielgruppen besser angesprochen werden (z.B. Jugendliche), sondern bestimmten Gruppen wird erst der Zugang zu Beratungsangeboten ermöglicht. Ziel mediengestützter Beratung kann und wird es nicht sein, die klassischen Beratungssettings komplett zu ersetzen und im Extrem nur noch Beratung in einer virtuellen Welt durchzuführen, sondern das Arsenal an Möglichkeiten, über die Berater wie auch Klienten verfügen, um miteinander in Kontakt zu treten, zu erweitern. Dies gilt auch für die angewandten Beratungsmethoden, wobei sich hier eine Fokussierung auf kognitiv-behaviorale und lösungsorientierte Methoden abzeichnet. Prinzipiell wurden aber bereits Fallberichte zu fast allen klassischen Beratungsansätzen vorgelegt.
5.2
Vor- und Nachteile
Diese Spezifika mediengestützter Beratung haben eine heftige Diskussion um ethische und rechtliche Aspekte einer Online-Beratung hervorgerufen. In ⊡ Tab. 5.1 wurden einige Aspekte, die aktuell diskutiert werden, kurz zusammengefasst (vgl. Cline & Haynes, 2001; Coman, Burrows & Evans, 2001; Döring, 2006; Haas, Benedict & Kobos, 1996; Kenny & McEachern, 2004; Robson & Robson, 2000; Rochlen, Zack & Speyer, 2004; Rosenfield, 2006; Sampson, Kolodinsky & Greeno, 1997; Shaw & Shaw, 2006; Tait, 1999). Die Diskussion dreht sich im Wesentlichen um die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Beratungsangeboten in der allgemeinen Bevölkerung, die veränderte Beratungssituation durch Wegfall nonverbaler Informationen und deren Konsequenzen für das Erleben und Verhalten, ethisch-rechtliche Bedenken, Fragen der theoretischen Fundierung und Ökonomie.
Als wesentlicher Vorteil der mediengestützten Kommunikation wird die örtliche und zeitliche Ungebundenheit betrachtet und damit die Möglichkeit schwer erreichbare Randgruppen anzusprechen, um der oftmals beobachteten psychosozialen Unterversorgung in diesen Gruppen entgegenzuwirken. Folgende Personengruppen könnten von einem Angebot mediengestützter Beratung besonders profitieren: 4 Personen in ländlichen Gebieten, wo es wenig Angebote, v.a. spezialisierter Art, vor Ort gibt, 4 Personen, die über eine eingeschränkte Mobilität verfügen (z.B. ältere Menschen; Menschen mit einer körperlichen Erkrankung), 4 Personen, die aufgrund ihrer beruflichen und privaten Situation, Beratungsstellen nicht während der herkömmlichen Öffnungszeiten aufsuchen können, 4 Personen, die eine unmittelbare, schnelle Unterstützung benötigen (Krisenintervention), 4 Personen, die in ihrer mündlichen Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt sind, 4 Personen, die sich aus persönlichen Gründen (z.B. Schamgefühle; Angst vor Stigmatisierung; erlebter sozialer Druck) einen anonymen, weniger verbindlichen Erstkontakt wünschen, oder 4 Personen, die eine kostengünstige Variante der Beratung benötigen, um nur einige Aspekte zu benennen. Zusätzlich ist zu beachten, dass gerade jüngere Menschen sowie Männer – Gruppen, die sonst schwer erreicht werden können – zu den Hauptnutzern neuer Medien gehören (Döring, 1999). Ein wesentlicher Vorteil wird auch darin gesehen, dass die ethnische, soziale und kulturelle Herkunft ohne face-to-face-Kontakt nicht so offensichtlich ist, und solche Aspekte die Beratung weniger beeinflussen. Auf der anderen Seite sollte natürlich beachtet werden, dass eine reine mediengestützte Beratung ohne Kontakt mit dem Klienten nicht für alle Gruppen indiziert ist. Ausgeschlossen werden sollten z.B. suizidale, zwangsgestörte, psychotische und generell hoch belastete Personen. Handelt es sich um eine kostenpflichtige Dienstleistung muss der Berater feststellen, ob der Klient im geschäftsfähigen Alter ist oder die Zustimmung der Erziehungspersonen vorliegt. Ungeeignet ist die mediengestützte Beratung für Klienten, die Berührungsängste mit solchen Medien haben, ihre Probleme nicht klar verbalisie-
109 5.2 . Vor- und Nachteile
⊡ Tab. 5.1. Vor- und Nachteile mediengestützter Beratungskommunikation Dimension
Vorteile
Nachteile
Zielgruppen/ Verfügbarkeit
4 Unabhängigkeit von Ort und Zeit 4 bessere Erreichbarkeit von bestimmten Zielgruppen (ländliche Umgebung; körperliche Behinderung; hoch-spezifische Probleme; mangelnde Erreichbarkeit von Beratungsstellen; Jugendliche) neue Zielgruppen erreichen
4 Kontraindikationen sind schwerer zu bestimmen 4 keine Kriseninterventionen bei zeitversetzter Kommunikation 4 hoch belastete Klienten sollten weitervermittelt werden 4 gerade schriftliche Formen der Kommunikation schränken den Kreis der Zielgruppe wieder ein (gewisses Maß an schriftlicher Ausdrucksfähigkeit ist erforderlich; Zugang zu modernen Kommunikatiosmedien muss gegeben sein)
Beratungssituation
4 i.d.R. anonymere Kommunikations-situation (höhere Selbstoffenbarung (»Enthemmungseffekt«); erniedrigte Kontakt-aufnahmeschwelle) 4 Zeit zum Überlegen, da oftmals zeitversetzte Kommunikation 4 Klient kann Taktfrequenz selbst bestimmen 4 Neutralisierung/Nivellierung »ethnischer, geschlechtsspezifischer« Variablen (»Fairness«) 4 Internalisierung von Hinweisen durch die Möglichkeit, die Mitteilung wiederholt zu lesen (schriftbasierte Beratung) 4 Unpersönlichere Beratungssituation als Vorteil für die Erhöhung der intrinsischen Motivation 4 Privatheit und Sicherheit
4 nonverbale Informationen werden stark (Telefon) oder ganz (Internet) reduziert (»Kanalreduktionstheorie«) 4 Auswirkungen auf den Aufbau einer Arbeitsbeziehung (Empathie; mögliche Idealisierung des Beraters; zu salopper Kommunikationsstil) 4 verstärkte Anforderungen an den Berater (zeitversetzte Kommunikation; verbale Informationen einseitig betont; Lese- und Schreibkompetenz) 4 Anforderungen an die verbale Ausdrucksfähigkeit des Klienten 4 Internetbasiert: Anforderungen an den Umgang mit Medium (Gestaltung von Websites; Navigationsprobleme) 4 persönliche Berater-/ Feedbacksituation erhöht die soziale Einflussnahme
Ethische Aspekte
4 es gelten im Prinzip die gleichen ethischen und rechtlichen Richtlinien wie in anderen Beratungssituationen 4 Fachgesellschaften haben Richtlinien erlassen 4 besondere Transparenz der Inhalte durch automatische Archivierung des Kontaktes
4 die Vielzahl der Angebote ist nicht kontrollierbar und eine freiwillige Selbstkontrolle nötig 4 Klient: 5 Professionalität des Beraters (Gütesiegel) 5 Datenschutzfragen 5 Verbindlichkeit 5 Transparenz des Angebots 5 Vertraulichkeit der Informationen 4 Berater: 5 Reales Anliegen? 5 Immer dieselbe Person? 5 Umgang mit Notsituationen 5 Alter des Klienten 5 besondere Datenschutzanforderungen
Theoretische Fundierung
therapeutischer Effekt des Schreibens diskutiert
es fehlen noch spezifische Theorien und Leitlinien zur Umsetzung und spezifische Beratungskonzepte
5
110
Kapitel 5 · Mediengestützte Beratungskommunikation
⊡ Tab. 5.1. Fortsetzung Dimension
Vorteile
Nachteile
Ökonomie
4 kostengünstige Durchführung der Diagnostik durch Online-Fragebögen 4 kostenlose ehrenamtliche Angebote 4 Zeitersparnis
4 Klient: 5 i.d.R. private Bezahlung 5 aber: oftmals günstiger 4 Berater: 5 Gefahr der fehlenden Individualisierung des Vorgehens 5 Online-Angebote alleine sind nicht kostendeckend 5 Kosten für die Medienausstattung beachten
Wirksamkeit
4 Ergänzung von traditionellen Angeboten
4 noch relativ wenige Wirksamkeitsstudien 4 differentielle Indikationsfrage offen
5
ren können und sich noch in einem Problemdefinitionsprozess befinden. Klare Kontraindikationen sind hier nicht beschrieben; es ist durchaus vorstellbar, dass die Konfrontation mit den spezifischen Anforderungen einer mediengestützten Beratung (z.B. Probleme prägnant zu beschreiben) den Problemlöseprozess beim Klienten in Gang setzt. Als wesentlicher Nachteil einer mediengestützten Beratung wird der Wegfall des nonverbalen Kommunikationskanals genannt mit postulierten weit reichenden Konsequenzen für das Beratungsgeschehen. Dies trifft wie bereits erwähnt auf die schriftbasierten Formen stärker zu als z.B. auf das telefonische Beratungssetting. Daher wird die mediengestützte Beratung als kritisch eingestuft, da es leichter zu Missverständnissen und Interpretationsschwierigkeiten kommen kann und wichtige Informationen für eine diagnostische Einschätzung fehlen. Das beraterische Handeln wird komplett auf die gesprochene oder geschriebene Sprache reduziert. Sinneserfahrungen können nicht einbezogen werden. Die Effekte dieser Kommunikationsverarmung werden kontrovers diskutiert; je nach theoretischem Modell wird auch von einigen Forschern postuliert, dass diese unter bestimmten Bedingungen zumindest kompensierbar sind (vgl. Döring, 1999) oder sogar einen Vorteil darstellen, da Störeinflüsse wegfallen (Rosenfield, 2006). So geht beispielsweise Suler (2004) von einem so genannten »disinhibition effect« aus. Aufgrund der Anonymität, Unsichtbarkeit als Person und
Asynchronizität der Kommunikation würde eine Sicht unterstützt, die den Kommunikationspartner als Einheit mit der eigenen Person erleben lässt, die Grenzen von Autoritäten verschwimmen. Dies könne sich auf zweierlei Art äußern: Die Klienten zeigen im Internet-Kontakt extrem sexistisches oder antisoziales Verhalten, da die gesellschaftlichen Normen in diesem Kontext als nicht relevant erachtet werden. Der erwünschte Effekt ist, dass sich Scham und Peinlichkeit nicht im gleichen Maße einstellen, da man als Person »unerkannt bleiben« kann und so die Hemmschwelle zum Ansprechen sensibler Themen reduziert werde. Dadurch könne nicht nur der Zugang zur Beratung erleichtert werden, sondern auch offener und intensiver über die Probleme gesprochen werden. Der Beziehungsaufbau zum Berater werde dadurch erleichtert. Ungeklärt ist bislang noch, auf welchem Weg die mediengestützte Beratung wirksam wird. Können die klassischen Erklärungsansätze einfach übertragen werden, obwohl diese Theorien aus einer face-to-face-Interaktion entstanden sind? Entsprechend dem Modell der allgemeinen Wirkfaktoren (vgl. Wampold, 2001) wird die Beziehung zwischen Berater und Klient als wesentlich erachtet. Stellt in der mediengestützten Beratung die Berater-KlientBeziehung auch eine zentrale Wirkgröße dar? Sind andere Vermittlungswege zu beachten? Schreiben per se kann bereits zu einer Verbesserung der emotionalen Befindlichkeit führen (Stroebe, Schut & Stroebe, 2006) und dadurch den Klärungsprozess
111 5.2 . Vor- und Nachteile
vorantreiben. Zusätzlich haben beide Parteien die Möglichkeit, sich den gesamten Schriftverkehr nochmals zu vergegenwärtigen und u.U. auch beraterisch zu nutzen (z.B. indem Veränderungen, neue Sichtweisen oder widersprüchliche Informationen angesprochen werden). Dadurch kann eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik erfolgen. Durch die Asynchronität der Kommunikation können schriftliche Ausführungen nochmals überdacht werden – die intensive Auseinandersetzung mit dem Problem auf Seiten des Klienten wird weit über die eigentliche Zeit des konkreten Austausches ausgedehnt. Der Klient muss sich nicht auf seine Erinnerung verlassen, sondern kann die Kommentare des Beraters immer wieder nachlesen. Ein Vorteil in der veränderten Beratungssituation bestehe darin, dass die Klienten in ihrer vertrauten Umgebung bleiben können und sich so sicherer fühlen (s. Zielgruppe: sozial unsichere Personen). So müssen sie beispielsweise auch nicht befürchten, Bekannten in einer Beratungsstelle zu begegnen; die Problembearbeitung kann im privaten Umfeld erfolgen, was wiederum den Veränderungsprozess unterstützen könnte. In der Diskussion um das Für und Wider der mediengestützten Beratung spielen die ethischen und rechtlichen Aspekte eine zentrale Rolle. Diese Implikationen stellen auf den ersten Blick kein Problem dar: Es sollten doch die gleichen ethischen und gesetzlichen Richtlinien gelten, die für eine professionelle Beratungsarbeit kennzeichnend sind. Zu diesen Standards gehören u.a. die Autonomie des Klienten, die Vertraulichkeit der Beratung, der Schutz des Klienten vor Ausbeutung und die Verpflichtung des Beraters, die bestmögliche Versorgung auf der Grundlage evidenzbasierter Ansätze zu realisieren (▶ Kap. 2). Die Autonomie des Klienten scheint gerade im Setting der mediengestützten Beratung besonders gegeben zu sein: Der Klient bestimmt nicht nur den Zeitpunkt der Kontaktaufnahme und dessen Ende, sondern zu einem hohen Grad auch den Interaktionsverlauf. Die Vertraulichkeit der Informationen ist ein weiterer wichtiger Aspekt: Zwar gibt es ein Briefgeheimnis und Telefonate dürfen nicht abgehört werden, aber E-Mails sind relativ einfach auch für Fremde zu öffnen und fallen nicht unter das Briefgeheimnis. Diese erleichterte Möglichkeit des Abhörens trifft auch auf viele Mobiltelefone zu. Um die zugesicherte Anonymität der Telefonberatung bei den Freien
5
Trägern zu sichern, werden u.a. die Telefonnummern in der Anzeige unterdrückt und es erfolgen auch keine Einzelnachweise der getätigten Anrufe. Bei einer Telefonberatung muss daran gedacht werden, dass über die Funktion der Wahlwiederholung die Gesprächspartner ausfindig gemacht werden können und Berater dürfen natürlich fremden Personen oder auf dem Anrufbeantworter keine Nachrichten hinterlassen. Die internetbasierte Beratung muss auf einem technischen Standard erfolgen, der keinen Zugriff von Dritten auf die ausgetauschten Informationen erlaubt (z.B. Verschlüsselungssysteme nutzen). Außenstehende dürfen keinen Zugriff auf Computer mit den gespeicherten Daten haben. Ausdrucke müssen entsprechend sicher archiviert und dokumentiert werden. Gerade auf die Probleme mit der Datensicherheit muss im Vorfeld hingewiesen werden. Die Fragen der Datensicherheit betreffen aber nicht nur unmittelbar den Berater, auch die Klienten sollten in eigenem Interesse sicherstellen, dass niemand Zugriff auf ihren Rechner bzw. ihre Daten hat. Ein weiterer Aspekt betrifft die Frage der fachlichen Qualifikation des Beraters. Durch den fehlenden Schutz des Titels kann im Prinzip jeder seine Dienste als Berater im Telefonbuch oder auch im Internet anbieten. Die entsprechenden Hinweise auf die fachliche Qualifikation wie universitärer Abschluss oder Weiterbildungszertifikate kann sich der Klient nicht einfach wie in einer Praxis vor Ort ansehen, sondern er ist auf die Selbstangaben des Beraters angewiesen. Hier hat der professionelle psychosoziale Berater die Verpflichtung, diese Informationen so zugänglich zu machen, dass der Klient dies auch nachverfolgen kann. Zu dieser Transparenz gehören selbstverständlich weitere Eckdaten zur Person. Auf der anderen Seite kann auch der Berater sich nicht sicher sein, ob er mit einem »wirklichen Klienten« kommuniziert und wahrheitsgemäße Angaben gemacht wurden. Studien deuten darauf hin, dass in telefonischen Kontakten dieses Problem stärker ausgeprägt ist als bei internetbasierter Kommunikation (Hancock, Thom-Santelli & Richie, 2004). Zu den weiteren ethischen Verpflichtungen des Beraters gehört die Anfragen der Klienten in einer vertretbaren Zeit (i.d.R. innerhalb von drei Tagen) zu beantworten. Er sollte Transparenz bezüglich Indikationen und Kontraindikationen für ein solches Setting schaffen und sicherstellen, dass
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5
Kapitel 5 · Mediengestützte Beratungskommunikation
so »abgewiesene Klienten« Informationen zu Beratungsstellen vor Ort erhalten. Die mediengestützte Beratung soll eine bestmögliche Versorgung für das konkrete Anliegen bieten. Diese Anforderung stellt ein besonderes Problem dar, da es noch viel zu wenig Evidenz zu den Effekten und den differentiellen Indikationsstellungen gibt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich zwar die ethischen Richtlinien der Fachgesellschaften prinzipiell anwenden lassen und auch in ihrer globalen Form Gültigkeit besitzen, aber sie müssen an die spezifische Situation der mediengestützten Beratung adaptiert werden.
4 Zertifikate angegeben und Links zu deren Überprüfung bereitgestellt werden, 4 Klienten darauf aufmerksam gemacht werden, dass es zu Missverständnissen aufgrund der eingeschränkten Kommunikationssituation kommen kann, und 4 eindeutig auf Kontraindikationen der internetbasierten Beratung (bei sexuellem Missbrauch; gewalttätigen Beziehungen; Essstörungen; psychiatrischen Störungen mit verzerrter Realitätswahrnehmung) hingewiesen wird.
Erste Versuche der Fachgesellschaften, die im Zusammenhang mit der Fernberatung diskutierten ethischen und rechtlichen Probleme zu klären, liegen vor. So vergibt der Berufsverband der Deutschen Psychologen (http: //www.bdp-verband.org/ html/siegel.html) ein Gütesiegel für Online-Beratungen auf der Basis von sechs Qualitätskriterien: die Unmittelbarkeit der Beantwortung von Anfragen, die nachgewiesene Qualifikation der Berater, die Orientierung an den rechtlichen und berufsethischen Richtlinien, technische Sicherheit, verantwortlicher Umgang mit Grenzen der Beratung und Echtheit des Siegels. Deutlich ausführlicher sind die ethischen Richtlinien der amerikanischen Fachgesellschaften. Die NBCC (National Board for Certified Counselors) fordert, dass: 4 in der Region für den Klienten auch ein face-toface-Berater gefunden und die Möglichkeit von telefonischem Kontakt (Hotline) gegeben ist, 4 bei Minderjährigen sichergestellt wird, dass die elterliche Zustimmung vorliegt, 4 Informationen auf der Homepage enthalten sind, in welchem Zeitabstand die Beantwortung der Anfragen erfolgt,
Die ACA (American Counseling Association) hat einen Katalog von neun Punkten erlassen, der noch über die Forderungen der NBC hinausgeht. Demnach sollten die Online-Berater: 4 darauf hinweisen, dass die Vertraulichkeit nicht gewährleistet werden kann, 4 nur mit sicheren Websites oder verschlüsselten E-Mails arbeiten, 4 den beruflichen Hintergrund zur eigenen Person angeben, 4 nur im Bereich der eigenen Kompetenz Beratungsangebote realisieren, 4 Informationen einfordern, wie sie den Klienten im Notfall erreichen können, 4 die Beratung nur aufnehmen, wenn der Klient explizit zugestimmt hat, dass er die Beratung trotz der Einschränkungen der Vertraulichkeit im Internet wahrnehmen möchte, 4 die Kontaktdaten des Klienten aufnehmen, 4 den Klienten Kontakte vermitteln, wenn die vorliegenden Problemstellungen sich nicht für eine Online-Beratung eignen und 4 alternative Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme anbieten.
Exkurs Ethische Standards von Websites zu Online-Beratung Auf der Grundlage dieser beiden ethischen Richtlinien entwickelten Shaw und Shaw (2006) einen 16 Punkte umfassenden Kriterienkatalog und untersuchten die ethischen Standards von
88 Websites, die in der Zeit vom November 2001 und Januar 2002 Online-Beratung angeboten haben. Ausgeschlossen wurden Angebote mit reiner Informationsvermittlung, solche, die sich in Ergänzung zu traditionellen Angeboten etabliert hatten sowie Telepsychiatrie als ergänzendes
6
5
113 5.2 . Vor- und Nachteile
an; 14% machten überhaupt keinen Angaben. Immerhin 66% waren zertifizierte Berater. Die Zertifizierung ging prinzipiell mit einem höheren Prozentsatz an erfüllten Kriterien einher und unterstreicht nochmals, dass die Fachgesellschaften hier eine wichtige Funktion für die Einhaltung der ethischen Standards haben und Klienten vor möglichen unlauteren Angeboten schützen. Online-Beratung weist eine enorm hohe Fluktuation auf: Innerhalb von zwei Monaten verschwanden 20% der Websites, waren zu verkaufen oder haben sich komplett verändert. Dies bringt natürlich besondere Probleme für die Klienten mit sich, die nochmals ihren Berater kontaktieren wollen.
Angebot von Kliniken. 38% der Websites boten ausschließlich E-Mail Beratung an, 56% in Kombination mit anderen Angeboten (Chat, Telefon oder Videoberatung), 7% boten nur Chat, Telefon oder Videoberatung an. Zwei Websites erfüllten alle der aufgestellten Kriterien, zwei nur zwei der 16 Kriterien; die meisten erfüllten nur vier Kriterien. Die Ergebnisse im Einzelnen sind ⊡ Abb. 5.1 zu entnehmen. Daraus wird ersichtlich, dass Fragen der Datensicherung in den wenigsten Fällen geklärt sind, während doch in den meisten Fällen der Ausbildungshintergrund des Beraters und allgemeine Kontaktangaben vorliegen. 38% gaben einen Master aus dem psychosozialen Bereich oder Doktor in Psychologie
Als Vorteil für die mediengestützte Beratung werden die damit verbundenen geringen Kosten genannt. Im deutschsprachigen Raum sind die meisten Angebote als kostenloses Angebot der Freien oder Staatlichen Träger von Beratungseinrichtungen realisiert – dies gilt auch im 10 20 Verschlüsselung sichern
30
40
traditionellen Setting. Als Kosten für die Inanspruchnahme solcher Angebote schlagen damit eher die indirekten Kosten (wie Zeitaufwand; Fahrtkosten etc.) zu Buche. Einen nachteiligen Kostenaspekt stellen die Anschaffungskosten für die entsprechende Technologie dar – wie inter50
60
70
80
90
27
Beratungsbedingungen Hinweis Unsicherheit Internet
32 34
Hinweis keine Beratung Minderj.
35
Angabe Hauptfach & Ort d. Abschluss
38
Aufnahmeprozedur vor Beratung
38
Erfassung d. vollen Namens und Adresse Erfassung Alter d. Klienten oder Geburtsdat.
45 46
Hinweis zu Fällen von Vertraulichkeitsbruch
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Weiterempfehlungen für ungeeignete Klienten Hinweis, dass „online“nicht das Gleiche wie persönliche B. Angabe Kontaktadresse und/oder Telefonnummer Hinweis, dass Beratung nicht für alle Klienten geeignet Auflistung der Abschlüsse Seite gibt Ort der Berufsausübung an
59 61 62 67 75 79
Angabe des vollen Namens des Beraters ⊡ Abb. 5.1. Prozentualer Anteil von Websites, die bestimmten ethischen Anforderungen entsprechen
88
100
114
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Kapitel 5 · Mediengestützte Beratungskommunikation
netfähiger Computer oder Telefon, obwohl viele Teile der Bevölkerung bereits Zugang zu solchen Technologien besitzen. Auch der Berater muss über die entsprechende Technik verfügen und sie sicher bedienen können (»Medienkompetenz«). Damit sind u.U. zusätzliche Ausbildungskosten verbunden. Die aufgelisteten Vor- und Nachteile (⊡ Tab. 5.1) treffen in unterschiedlichem Ausmaß auf die mediengestützten Beratungsformen zu und hängen zusätzlich von der Situation, der Aufgabenstellung sowie den beteiligten Personen ab. So kann beispielsweise die Anonymität wie auch die Freiwilligkeit gezielt genutzt werden (s. Konzept der Telefonseelsorge). Petzold (2006) führt aus, dass beispielsweise eine textbasierte Kommunikation, wie sie im Rahmen einer E-mail-Beratung erfolgt, für einfache Kommunikationsaufgaben wie Informationen vermitteln oder in Verbindung bleiben besser geeignet ist als eine face-to-face-Interaktion oder das Telefon. Jede dieser Kommunikationsformen habe spezifische Vor- und Nachteile, es komme bei der Medienwahl auch sehr stark auf die spezifischen Zielsetzungen an. Die mediengestützte Beratung nur auf die Kommunikationsverarmung zu reduzieren, wird der Situation sicherlich nicht gerecht. Angemessener ist es von einer veränderten Beratungssituation zu sprechen (Tait, 1999). Die sorgfältige Abwägung der Gefahren und Chancen einer mediengestützten Beratung kann nur individuell erfolgen. Eine Pauschalisierung wie sie teils in der Literatur anzutreffen ist, eine Online-Beratung sei per se die Methode zweiter Wahl, ist so aus den bisher vorgelegten Daten nicht ableitbar. Die Chancen der neuen Medien liegen gerade darin, bisher nur schwer zugängliche Gruppen zu erreichen. Daher muss bei der Beurteilung der Wirksamkeit berücksichtigt werden, wie gut es gelingt, die jeweilige Zielgruppe zu erreichen. In diesem Bereich ist deutlich mehr Forschung notwendig, um zu evidenzbasierten Beratungskonzepten in der mediengestützten Beratung zu gelangen. Die mediengestützte Beratungskommunikation ist mehr als eine Kommunikationsform ohne oder mit reduzierter nonverbaler Information. Sie erfordert auf Seiten des Beraters neben den beraterischen Kompetenzen, auch spezifische Medienkompetenz, um die Interventionen dem jeweiligen
Medium und dessen Möglichkeiten entsprechend anpassen zu können. So ist das konkrete Anforderungsprofil unterschiedlich, ob ich innerhalb einer Krisenintervention relativ schnell reagieren muss oder mir zwei Tage mit der Beantwortung einer E-Mail Zeit lassen kann. Entsprechende Ausbildungsprogramme und Anforderungsprofile an die Beratungskompetenzen liegen für die verschiedenen Bereiche der mediengestützten Beratung bereits vor (vgl. Rosenfield, 2006). Allerdings ist zu bemängeln, dass in vielen Bereichen keine ausführliche Einführung in die Spezifika der mediengestützten Beratung erfolgt. Generell lässt sich festhalten, dass die neuen Medien als Zugang zur Beratung in der Bevölkerung auf eine breite Akzeptanz stoßen. Professionelle Berater scheinen hier etwas skeptischer und zögerlicher zu sein. In den letzten Jahren konnte jedoch ein zunehmendes wissenschaftliches Interesse festgestellt werden. Dieses konzentriert sich im Wesentlichen auf die Telefonberatung und die E-mail-Beratung als die am weitesten verbreiteten Formen.
5.3
Telefonberatung
Die Telefonberatung hat die längste Tradition und ist aus der aktuellen Beratungslandschaft nicht mehr wegzudenken. Eine Umfrage der APA ergab, dass 98% der Befragten das Telefon einsetzen, nicht nur um Routineaufgaben wie Terminabsprachen zu erledigen, sondern auch um individuelle Beratungen oder Kriseninterventionen durchzuführen (Mallen, Vogel, Rochlen & Day, 2005). Es handelt sich demnach um eine etablierte mediengestützte Beratungsform, die allerdings zu Beginn genauso stark diskutiert wurde, wie die neueren Formen der mediengestützten Beratung. Der Ursprung der telefonischen Beratung liegt in der Seelsorge. Die ersten telefonischen Beratungsangebote wurden 1892 in New York und 1953 in London als Krisenintervention gegen die steigende Zahl von Suiziden und Suizidversuchen realisiert. Daraus entstand eine weltweite Bewegung; in Deutschland wurden die ersten Telefonseelsorgestellen 1956 gegründet. Bereits 2006 gab es in Deutschland 105 Beratungsstellen mit zahlreichen und differenzierten Angeboten für bestimmte Zielgruppen,
115 5.3 . Telefonberatung
beispielsweise das Kinder- und Jugendtelefon oder der Frauennotruf. Ein Großteil der Angebote ist im karitativen Bereich angesiedelt, d.h. es handelt sich in der Regel um kostenlose oder –günstige Angebote. Weiterhin gibt es auch eine Reihe von privaten Angeboten, die ausführliche Beratung am Telefon – entweder ausschließlich oder in Kombination mit einer face-to-face-Beratung - gegen Honorar anbieten. Die Nachfrage nach telefonischer Beratung ist groß und steigend. Dies belegen u.a. die Statistiken der Telefonseelsorge. Insgesamt gehen pro Jahr rund 2 Millionen Anrufe ein, die meisten Anrufer sind namentlich nicht bekannt, da die Telefonseelsorge Anonymität zusichert. Jugendliche (11-19 Jahre) stellen einen Drittel der Anrufer, die Altersgruppe zwischen 30 und 59 Jahren nochmals nahezu 50%. Die besprochenen Themen ähneln doch sehr den bereits angesprochenen Beratungsanlässen. Als wesentliche Beratungsthemen in der Telefonseelsorge werden psychische Störungen (nicht näher differenziert; 11,6%), Probleme in der Partnerschaft (10,1%) und Familie (8,8%) gefolgt von Einsamkeit (6,8%) und körperlicher Erkrankung (5,1%) genannt. Das Thema »Suizid« spielte bei 1,9% der Anrufer eine Rolle – hier wird die Rolle der Telefonseelsorge in der Krisenintervention und als Vermittler an weiterführende Beratungs- und Therapieeinrichtungen deutlich (www.telefonseelsorge.de/hintergrund/statistik_telefon.html - Statistik 2003 bis 2005). Auch für das Kinder- und Jugendtelefon liegt eine relativ ausführliche Statistik vor. Demnach wurden im Jahre 2005 insgesamt 896.657 Gespräche am Kinder- und Jugendtelefon geführt, die in 236.588 Beratungsgesprächen (intensivere Besprechung eines Themas) mündeten. Der Altersschwerpunkt der Anrufer lag mit 74% bei den 12- bis 16-jährigen, rund zwei Drittel sind Mädchen oder junge Frauen. Es zeigten sich sowohl leichte Alters- und Geschlechtsunterschiede bei den angesprochenen Themen. Die Mädchen bzw. Jungen sprachen am häufigsten das Thema Liebe (33% bzw. 24%), gefolgt von Sexualität (20% bzw. 29%), persönliche Themen (20% bzw. 22%), Familie (17% bzw. 12%) und Freunde (16% bzw. 11%) an. Themen wie Gewalt, Schule und Sucht beschäftigten je rund 10% der Anrufer – hier v.a. die Jungen (www.kinderundjugendtelefon.de).
5
Die Vorteile telefonischer Beratung werden von Klienten vor allem in dem bequemen und erreichbaren Zugang, in den geringen Kosten und der Kontrolle über den Verlauf gesehen (Reese, Conoley & Brossart, 2006). Gerade Jugendliche werden mit solchen Angeboten sehr gut erreicht – wie die Zahlen der jährlichen Kontaktaufnahmen bei Beratungstelefonen belegen. Die Unmittelbarkeit der angefragten Beratung – gerade in Krisensituationen – ist ein weiterer Vorteil, der von vielen Ratsuchenden betont wird (Coman et al., 2001). Mobiltelefone bieten neue Beratungsmöglichkeiten. So können nicht nur Klient und Berater das Telefon orts- und zeitflexibel nutzen, sondern sie bieten auch durch SMS zusätzliche Möglichkeiten des Kontaktes. Viele gemeinnützige Beratungsstellen (z.B. pro familia, Sorgentelefon für Kinder in der Schweiz, Internet-Seelsorge) bieten zusätzlich SMS-Beratungen an. SMS eignen sich in der Regel für Erstkontakte, Terminabsprachen, Kurzkontakte oder als Kurzerinnerungen. Peyer (2003; zitiert nach Döring, 2006) analysierte die Kontakte für das Schweizer Sorgentelefon: 27.722 Telefonkontakte, 6.000 Besuche auf der Website, 3.163 SMS-Anfragen und 630 E-Mails. Die Themen der Anfragen umfassten Sexualaufklärung, Freundschaft, Familie, allgemeine Sachfragen, Suchtprobleme, Fragen zur Schule, Missbrauch, Schwangerschaft, Gewalt und Umgang mit Gruppen. Besonderer Nachteil dieses Mediums ist, dass die Kurznachrichten eine starke finanzielle Belastung für die ratsuchenden Kinder und Jugendlichen darstellen. Abbrechende Kontakte sind daher mehrdeutig: Kam es zu einer Krise, herrscht Unzufriedenheit mit dem Berater oder sind die finanziellen Ressourcen erschöpft? Die Beschränkung der Nachrichtenlänge hat Vor- und Nachteile: Beide Seiten müssen klar und prägnant formulieren, können aber keine längeren Erklärungen geben. Bei Anzeichen einer akuten Krise wird empfohlen das Medium zu wechseln. Bei den beschriebenen Angeboten handelt es sich um so genannte reaktive Hilfsangebote, die auf eine ganz bestimmte Zielgruppe (Kinder oder Frauen in Not) abzielen. Ziel dieser Angebote ist es oftmals, den Betroffenen Gesprächspartner für ihre aktuelle Problemsituation zu sein, aber auch in »schwierigeren Fällen« auf andere Hilfseinrichtungen
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Kapitel 5 · Mediengestützte Beratungskommunikation
(Beratungs- und Therapieangebote) zu verweisen. Solche reaktiven Hilfsangebote gibt es auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel Hotlines für Raucher, Schwangere, Diabetiker oder im Bereich der Genetikberatung. Dabei wurden unterschiedliche Vorgehensweisen erprobt, unter anderem auch menuegeleitete Informationen ohne einen persönlichen Ansprechpartner, wobei der Anrufer durch die Wahl einer Tastenkombination bestimmen konnte, welchen Service er wünscht (vgl. Lichtenstein, Glasgow, Lando, Ossip-Klein & Boles, 1996). Bei proaktiven Ansätzen wird der direkte Kontakt zu bestimmten Zielgruppen auf Initiative eines Beraters gesucht. Eine Kombination zwischen reaktivem und proaktivem Ansatz realisierten Borland, Segan, Livingston und Owen (2001), indem sie den Anrufern einer »Quitline« kurze Nachberatungsanrufe zu vorher vereinbarten Zeitpunkten anboten. Dieses Angebot ging kurz- und langfristig mit einer höheren Rate an erfolgreichen Raucherentwöhnungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe einher. Daneben gibt es alleinige proaktive Angebote, die von den Behandlern aus initiiert und als Ergänzung oder als alleinige Intervention angeboten werden. Solche Angebote finden sich vor allem im Bereich der Gesundheitsberatung (z.B. Raucherentwöhnung; Gewichtsabnahme; Rückfallprophylaxe nach ambulanter/stationärer Behandlung) und in Forschungskontexten. So beschreiben beispielsweise Zhu, Tedeschi, Anderson und Pierce (1996) ausführlich den Aufbau einer telefonischen Beratung für den Bereich der Raucherentwöhnung. Das Vorgehen ähnelt sehr stark dem Vorgehen in der traditionellen face-to-face-Beratung. So werden in der ersten Sitzung die persönliche Situation besprochen, die Motivation und die Selbstwirksamkeit gestärkt, schwierige Situationen und deren Umgang damit besprochen und ein konkretes Datum für das Aufhören gemeinsam festgelegt. Die weiteren Follow-up Anrufe dienen der Verhinderung von Rückfällen; gemeinsam mit dem Klienten soll der individuelle Fortschritt eingeschätzt, die Entzugserscheinungen diskutiert und entpathologisiert, die Wirksamkeit der besprochenen Copingstrategien erörtert, Rückfallsituationen analysiert, das Vorgehen u.U. nochmals revidiert, Selbstwirksamkeitserleben und Motiva-
tion gestärkt und ein Selbstbild als Nichtraucher aufgebaut werden. Solche Angebote haben sich als wirksam erwiesen. Insbesondere jugendliche Raucher, die die leichte Zugänglichkeit und SemiAnonymität als Vorteil erleben, profitieren von solchen Angeboten (Tedeschi, Zhu, Anderson, Cummins & Ribner, 2005). Coman et al. (2001) betonen, dass diese Programme nicht nur gut aufbereitete Informationen zu einem bestimmten Thema präsentieren, sondern auch emotionale Unterstützung bieten. Auch Ormond, Haun, Cook, Duquette, Ludowese und Matthews (2000) unterteilen die Beratungssituation am Telefon in verschiedene Phasen: 4 Klärung des Anlasses: Hier ist es besonders wichtig, den Anrufer sein Anliegen vorbringen zu lassen, spezifische Informationen zu erhalten und vor allem voreilige Schlussfolgerungen zu vermeiden. Der Vertrauensaufbau muss am Telefon schneller erfolgen - i.d.R. trägt die Situation auch dazu bei. 4 Einschätzung des Beratungsbedarfs: Hier ist wichtig zu klären, über welche Informationen der Klient bereits verfügt, welche psychosoziale Belastung in der Situation vorliegt; eine Vermittlung an eine andere Einrichtung kann u.U. notwendig sein. 4 Informationsvermittlung: Hier sind die bereits erwähnten Punkte zu beachten wie keine vertraulichen Informationen auf den Anrufbeantworter sprechen, aber auch auf die Stimmführung zu achten (▶ Kasten »Empfehlungen zur vertraglichen Regelung bei Telefonberatungen«), langsam und klar zu sprechen, auf Hin-
tergrundgeräusche zu achten und sich ständig rückzuversichern, dass die Informationen verstanden wurden. 4 Abschluss und Follow-up betrifft v.a. die Dokumentation der Telefonberatung direkt nach dem Gespräch. Rosenfield (2006) hat ausführliche Hinweise für die Gestaltung einer telefonischen Beratung erarbeitet; sie geht davon aus, dass eine telefonische Beratung mit einem »Vertrag« beginnt, der einige wichtige Punkte (▶ Kasten) klärt. Erst im Anschluss daran erfolgt die eigentliche Beratungsarbeit.
117 5.3 . Telefonberatung
Empfehlungen zur vertraglichen Regelung bei Telefonberatungen (nach Rosenfield, 2006) 4 Thematik und Ziele der jeweiligen Sitzung; 4 Länge der Sitzung (sollte nicht länger als eine Stunde und nicht weniger als 45 Minuten betragen); 4 Zeitinterwall zwischen den einzelnen Sitzungen (idealer Weise eine Woche); 4 Anzahl der Sitzungen bevor eine Bilanz gezogen wird (ein Block von 6 Sitzungen mit einer Zwischenbilanz nach der 5. Sitzung wird vorgeschlagen, weitere 6 Sitzungen können vereinbart werden, wenn es gewünscht wird); 4 Spezifizierung des Ortes, an dem der Klient telefoniert, um Privatsphäre zu sichern und Unterbrechungen zu vermeiden; 4 Klären, wer wen anruft und für die Kosten aufkommt; 4 Klären, was als zu Spät kommen und Nichterscheinen gewertet wird und wie damit umgegangen wird;
Angesichts der enormen Verbreitung von telefonischer Beratung hat es relativ wenige Bemühungen zu einer theoretischen Fundierung und Qualitätssicherung gegeben. Allgemein wird immer wieder von »ermutigenden Ergebnissen« gesprochen, obwohl die Datenlage immer noch sehr gering ist und häufig auf sehr ausgewählten Stichproben beruht (vgl. Mallen et al., 2005; Rochlen et al., 2004). Die reaktive Telefonberatung wie sie in den klassischen Krisentelefonen realisiert wird ist mit Hilfe von klassischen Wirksamkeitsstudien nicht zu evaluieren, da die notwendigen Rahmenbedingungen (Möglichkeit der Nachbefragung der Ratsuchenden; Kontrollgruppen) nicht gegeben sind. Erfahrungsberichte deuten auf eine hohe Zufriedenheit mit diesen Angeboten hin. So sprechen Stein und Lambert (1984; zitiert nach McLeod, 2004) von rund 60% positiven Bewertungen des Serviceangebots der telefonischen Beratungen. Die Stichproben sind in solchen spontanen Berichten oder Befragungen immer sehr selektiv. Dies trifft auch auf eine
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4 Absprechen, welche Art von Notizen, Mitschnitten oder anderen Archivierungen der Sitzungen akzeptiert werden (bei Aufnahmen müssen beide Parteien zustimmen); 4 Besprechen, was der Klient tun kann, um den »Raum zu verlassen«, um sich nach einer Sitzung wieder zu adaptieren; 4 Spezifika der Bezahlung (wie viel, wann und wie genau); 4 Klären, wie eine Sitzung abgesagt wird; 4 Klären, ob Fotos ausgetauscht werden, um sich ein Bild von der anderen Person zu machen (siehe ethische Richtlinien der Fachgesellschaften); 4 Klären, was einen Vertrauensbruch darstellt und unter welchen Umständen Informationen preisgegeben werden dürfen; 4 Spezifizierung der technologischen Aspekte, die Einfluss auf die Vertraulichkeit der Informationen haben; 4 Entscheiden, wie mit Anrufen zwischen zwei Sitzungen umgegangen wird.
Untersuchung von Reese, Coloney und Brossart (2002) zu, die Klienten einer privaten Telefonberatungsagentur befragten. Von 500 angeschriebenen Klienten antworteten nur 186. Die Befragung erfolgte zudem retrospektiv, was die Aussagekraft noch weiter einschränkt. Die Ergebnisse wurden mit dem Consumer Report (Seligman, 1995) verglichen, in der ein vergleichbares Vorgehen für face-to-face-Situationen realisiert wurde (▶ Kap. 3). Insgesamt ergaben sich kaum Unterschiede in den berichteten Verbesserungen und der Zufriedenheit mit der Beratung in beiden Settings. Die Zufriedenheit bei der telefonischen Beratung erreichte sogar höhere Werte als in der face-to-face-Beratung. Die Einschätzung des Beraters hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit, Expertenstatus und (sozialer) Attraktivität unterschied sich nicht zwischen beiden Gruppen. Damit finden sich erste Hinweise für die Wirksamkeit einer telefonischen Beratung. Die Vergleichbarkeit mit einer face-to-face-Intervention wurde auch in einer randomisierten Studie
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Kapitel 5 · Mediengestützte Beratungskommunikation
bestätigt (Day & Schneider, 2002). Verglichen mit einer Online-Beratung zeigte sich in einer naturalistischen Studie, dass die telefonische Beratung nicht nur zu einer signifikanten Besserung der psychosozialen Befindlichkeit führen kann, sondern auch höhere Effekte erzielt. Unklar blieb jedoch, auf welchen Wirkfaktoren dies beruht: Es ergaben sich hohe Werte für die Klient-Berater-Beziehung, aber diese prädizierten nicht die Veränderungen (King, Bambling, Reid & Thomas, 2006b). Auch die Angebote, die im Rahmen der Gesundheitsberatung, hier speziell Raucherentwöhnung, angeboten werden, werden von Lichtenstein et al. (1996) in einem Überblick als positiv und wirksam bewertet. Sie sind jedoch nicht unbedingt wirksamer als schriftliche Informationen und eignen sich kaum zur Rückfallprävention. Bei den proaktiven Telefonberatungen unterstreichen die Ergebnisse der Meta-Analyse die kurzfristige und längerfristige Wirksamkeit. Die einzelnen Studien wiesen jedoch eine gewisse Heterogenität auf, so dass gerade die Frage nach der Anzahl der Anrufe und der Beratungsinhalte nochmals genauer untersucht werden sollten. Diese Ergebnisse wurden im Wesentlichen in einer jüngeren Meta-Analyse von Stead, Perera und Lancaster (2006) bestätigt: Diese legt zudem nahe, dass drei oder mehr Anrufe die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Raucherentwöhnung erhöhen. Pan (2006) fanden eine höhere Wirksamkeit bei männlichen, jüngeren und weniger starken Rauchern. Die Telefonberatung wurde in Folge dessen als eine möglicherweise positive Interventionsstrategie in den AWMFLeitlinien zur Tabakentwöhnung aufgenommen (http://leitlinien.net; Nr.076/006). Untersuchungen liegen aber auch aus anderen Bereichen vor. McBride und Rimer (1999) bezogen 74 Studien ein, die in einem randomisierten Design die Effekte einer zusätzlichen oder alleinigen Telefonberatung untersucht haben. Die Studien wurden hinsichtlich drei verschiedener Fragestellungen analysiert. Zum einen die Erreichbarkeit der Zielgruppe. Hier kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die reaktiven Angebote nicht so viele Menschen der jeweiligen Zielgruppe erreichen wie angenommen, während die proaktiven Angebote erfolgreicher sind, sich allerdings gerade bei den sozial Schwächeren noch Lücken auftun. Zum zweiten untersuchten sie die Stärkung einer Verhaltensänderung. Im Bereich
des Suchtverhaltens beziehen sich die Analysen im Wesentlichen auf die bereits genannten Studien zur Raucherentwöhnung, bei den Herzerkrankungen ließen sich positive Effekte nachweisen, während sich bei der telefonischen Beratung zur Steigerung der körperlichen Aktivität nur begrenzte Erfolge abzeichneten. Hier scheinen die Motivation des Klienten und die Einbindung in ein komplexes Programm ganz entscheidend zu sein. Hinsichtlich der Förderung der Rückfallprophylaxe ergaben sich gute Effekte. Erfolgversprechende Ergebnisse zeichneten sich auch hinsichtlich der Inanspruchnahme von Screeninguntersuchungen ab. Telefonische Beratungen scheinen zudem zu einer Kostenreduktion im Gesundheitssystem beizutragen, da seltener unnötige Leistungen abgefragt werden. Nicht nur im Bereich der körperlichen Gesundheit und Prävention ist eine Telefonberatung erfolgreich, positive Effekte wurden auch im Bereich der psychischen Störungen berichtet (Leach & Christensen, 2006). Hier besteht allerdings ein hoher Forschungsbedarf, da oft nur mit kleinen Untersuchungsgruppen gearbeitet wurde und randomisierte Studien fehlen. Die Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass ein strukturiertes Vorgehen zentrales Element wirksamer Beratung am Telefon ist. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Telefonberatungen Zielgruppen mit psychosozialen Barrieren und limitiertem Zugang zu Beratungsangeboten gut erreichen. Sie sind sowohl als alleiniges, aber auch als ergänzendes Angebot sinnvoll. Die Wirksamkeit konnte in einer Reihe von ersten Studien belegt werden.
5.4
Internetbasierte Beratung
Die internetbasierte Beratung begann in den 90er Jahren als zum ersten Mal individuelle kostenpflichtige Beratungsangebote im Web auftauchten; deren Zahl hat sich mittlerweile auf über 300 Webseiten erhöht (Shaw & Shaw, 2006). Sampson et al. (1997) sprechen von jährlichen Wachstumsraten von über 70%. Vergleichbare Anstiegsraten finden sich auch für den deutschsprachigen Raum (Kral, 2005). Beinahe 60% der Internetnutzer jeden Alters und beiderlei Geschlechts suchen Informationen zu gesundheitsrelevanten Themen im Internet (Ybarra & Suman, 2006). Beratung im Internet ist längst keine Zukunftsmusik mehr, sondern findet aktuell
119 5.4 . Internetbasierte Beratung
bereits von ausgebildeten Fachkräften statt. Letzteres ist wichtig, da gerade das Internet eine Form der Informationsvermittlung darstellt, die oftmals nicht auf ihre inhaltliche Genauigkeit überprüft wird. Den Löwenanteil der Beratungsangebote stellen die kostenlosen Angebote freier und staatlicher Träger. Einige Beispiele für Online-Beratungsangebote in Deutschland sind im folgenden ▶ Kasten zusammengestellt. Die Beratungen erfolgen über Gruppenchats, Diskussionsforen, die zu bestimmten Themen (z.B. Mobbing in der Schule, Sexualität) eingerichtet werden, und E-Mails.
Beispiele für kostenlose Online-Beratungen 4 Aidshilfe (www.aidshilfe-beratung.de) 4 BKE Jugendberatung (www.bke-jugendberatung.de) 4 Die Medialen (www.diemedialen.de) 4 Online-Beratung der Caritas (www.caritas.de / www.beratung-caritasnet.de) 4 Kinderschutzzentren (www.youngavenue.de) 4 Pro Familia Online-Beratung (www.profamilia.de) 4 Telefonseelsorge: Beratung und Seelsorge im Internet (www.telefonseelsorge.de)
Die E-Mail Beratung ist die gängigste und privateste Form der internetbasierten Beratung und ein aufgrund der geringen technischen Voraussetzungen und Anforderungen stark expandierender Bereich. In vielen Bereichen haben E-Mails längst die Funktion von Telefonaten übernommen und deren Nachfolge angetreten. Der Einsatz von EMails kann – wie auch bei der Telefonberatung diskutiert - in unterschiedlicher Weise erfolgen. Der Ansatz kann reaktiv (z.B. die Online-Angebote vieler karitativer Organisationen) oder proaktiv sein (Konzepte, die vor allem von größeren Institutionen, wissenschaftlichen Einrichtungen etc. genutzt werden). Die Kontaktformen können sehr unterschiedlich sein: als reine Informationsnachfrage, als Beratung zu einem mehr oder weniger klar defi-
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nierten Thema, als Einstieg in eine klassische faceto-face-Beratung oder als Krisenberatung, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Beratungssituation via E-Mail weist im Vergleich zur herkömmlichen Beratungssituation einige besondere Spezifika auf: Bei der E-Mail Beratung handelt es sich um eine asynchrone Kommunikation, die rein auf schriftlichen Mitteilungen beruht und damit sämtliche nonverbalen Reize, die für die Eindrucksbildung so zentral sind und eine wichtige Funktion innerhalb der Psychotherapie spielen (vgl. Hermer & Klinzing, 2004), wegfallen (»Kanalreduktionstheorie«). Der asynchrone Charakter bedingt, dass der Berater keinerlei Informationen über die aktuelle emotionale Befindlichkeit seines Klienten hat: Die E-Mail kann bereits vor langer Zeit geschrieben, dann erst abgeschickt worden sein; die Situation kann sich auch innerhalb kurzer Zeit verändert haben. Auf der anderen Seite bietet das Medium Internet – wie auch das Telefon – die Möglichkeit zum Zeitpunkt z.B. des krisenhaften Erlebens Kontakt zu einem Berater zu suchen und seine aktuelle Gefühlswelt zu beschreiben. Im Gegensatz zu herkömmlichen Angeboten bestimmt der Klient Ort und Zeitpunkt der Kontaktaufnahme, die Frequenz des Kontakts, auch der Zeitpunkt der Beendigung des Kontakts liegt viel stärker in seiner Hand. Die Verbindlichkeit eines E-Mail-Kontakts ist geringer als in einer face-to-face-Kommunikation. Auf der anderen Seite bewirken die starke Distanz (örtlich; zeitlich; physisch) eine besondere Nähe, die dazu führen kann, dass die Inhalte der Mitteilungen sehr offen sind (Joinson, 2001) und durch das Schreiben und Formulieren des Anliegens bereits eine intensive Auseinandersetzung mit dem Problem erfolgte. Durch die Möglichkeit des Speicherns der Nachricht und des wiederholten Abrufens kann eine andere, intensivere Auseinandersetzung mit den Inhalten erfolgen. Auch die Bearbeitung kann in Teilschritten erfolgen und immer wieder verändert werden. Befragungen von Jugendlichen, die Online-Angebote nutzen, bestätigen diese teils widersprüchliche Bewertung der Situation: Die Privatsphäre und Sicherheit wurden als wichtige Faktoren hervorgehoben, die Anforderungen an die schriftliche Kommunikation durchaus im Sinne von den bereits diskutierten Chancen und Nachteilen gesehen. Als problematisch wurden Wartezeiten und die »Stoßzeiten« bei Online-Chats bewertet (King et al., 2006a).
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Kapitel 5 · Mediengestützte Beratungskommunikation
Internet und E-Mails stellen ein attraktives Angebot für viele Ratsuchende dar - dies soll anhand der aktuellen Daten der Telefonseelsorge verdeutlicht werden (www.telefonseelsorge.de/hintergrund/ statistik_internet.html). 2006 waren 32 der 105 Telefonseelsorge-Stellen in der Mailberatung tätig. Damit hat sich seit 2000 die Zahl der Telefonseelsorgestellen mit Mailberatung und der damit involvierten Mitarbeiter beinahe verdreifacht. Mit über 4.500 Ratsuchenden haben 2006 rund 2.000 Ratsuchende mehr als im Jahr 2003 auf diesem Weg eine Beratung angefragt; in über 55% kommt es noch mindestens zu einer Folgemail. Die meisten Kontakte sind spätestens nach zwei bis drei Wochen beendet. Über zwei Drittel der Ratsuchenden sind weiblich. Im Vergleich zur Telefonberatung der Telefonseelsorge wird ein deutlich jüngeres Klientel erreicht: 26,6% der Ratsuchenden sind zwischen 10 und 19 Jahren alt, 37,8% zwischen 20 und 29 Jahren. Bei den Beratungsthemen zeigen sich kaum Unterschiede zur Telefonberatung: Themenbereiche wie »Beziehung, Ehe, Partnerschaft«, »Familie, Verwandtschaft« und »Freunde, Nachbarn, Kollegen« machen rund ein Drittel der Problembereiche aus, psychische Erkrankungen spielen bei 15% der Anfragen eine Rolle. Risau (2005) wertete die Ergebnisse der »BKK Lebenshilfe Online« aus dem Jahr 2004 mit über 4.351 Online-Beratungen aus. Folgende Themenfelder standen bei den Beratungsanlässen im Vordergrund: Ängste und Depressionen, Beziehungs- und Partnerschaftsprobleme, Suizidgedanken, Essprobleme und Probleme innerhalb der Familie. Diese Daten zeigen, dass die Beratungsanlässe sich nicht so sehr von traditionellen Formen unterscheiden. Was sind die Gründe für eine Online- im Vergleich zu einer traditionellen Beratung? Ybarra und Sumann (2006) stellten bei Nutzern von Internetseiten mit Gesundheitsinformationen fest, dass oftmals ein eigenes Gesundheitsproblem oder das einer geliebten Person der Anlass war. Während ältere Menschen gerade die große Verfügbarkeit von unterschiedlichen Informationen als Pluspunkt hervorhoben, wurde von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen die schnelle Verfügbarkeit betont. Auch Peinlichkeit und Schamgefühle spielen eine Rolle. Männer betonten stärker als Frauen, dass die Informationen auch leicht zu finden seien. Zenner und Oswald (2006) befragten die Nutzer einer Online-Beratung zu ihren Motiven. Die schnelle Hilfe
wurde von 62% der Befragten als Motiv für die Wahl des Mediums genannt, immerhin 32% nannten noch die Anonymität dieses Beratungsangebots. Zeitliche und örtliche Flexibilität spielten hingegen entgegen den Erwartungen kaum eine Rolle. Es scheint, dass die Unmittelbarkeit einer Beratung im Gegensatz zu den erwarteten Wartezeiten bei einer »traditionellen« Beratung im Vordergrund steht. Die meisten Nutzer (über 70%) erwarteten sich von der Online-Beratung eine neutrale Sicht auf ihre Probleme zu erhalten, deutlich seltener (je rund 20%) wurden die Aspekte wie Probleme besser erkennen und klären zu können, Beziehung verbessern und Beratung durch Fachleute erhalten genannt. Die Beurteilung der Nützlichkeit und Wirksamkeit solcher Ansätze kann nicht unabhängig von der Diskussion der Inhalte und des Aufbaus »therapeutischer E-Mails« und sonstiger OnlineAngebote erfolgen. So zeigen die experimentellen Studien von Dzeyk (2005), dass die Informationen auf einer Homepage zur Qualifikation des Beraters, zum Datenschutz und den Kontaktmöglichkeiten zu einer höheren Glaubwürdigkeit des Beraters beitragen und damit – im Sinne der Theorie der sozialen Einflussnahme (vgl. Heppner & Clairborn, 1989) – die Wahrscheinlichkeit für eine gewünschte Verhaltensänderung erhöhen. Alemi, Haack, Nemes, Aughburns, Sinkule und Neuhauser (2007) weisen darauf hin, dass folgende Aspekte beim Verfassen einer E-Mail (für einen proaktiven Ansatz) beachtet werden sollten: 4 Alias des Klienten (zum Personenschutz); 4 Name des Beraters und Titel; 4 Angabe, wann die E-Mail gesendet und wann sie geöffnet wurde; 4 Notwendige Bearbeitungszeit für Berater; 4 Persönliche Begrüßung; 4 Anliegen/Thema formulieren; 4 u.U. Beispiel formulieren; 4 Frage stellen/Antwort auf Frage geben etc.; 4 Unterzeichnen mit Name und Titel; 4 Hinweis auf die Vertraulichkeit von E-Mails. Die Autoren entwickelten ein strukturiertes Beratungskonzept für die Arbeit bei Substanzmissbrauch. Der inhaltliche Ablauf ähnelt dabei sehr stark einem klassischen Interventionsprogramm (Aufbau des Kontakts; Diagnostik; Konsequenzen herausarbeiten; Veränderungsplan aufstellen;
121 5.4 . Internetbasierte Beratung
Unterstützung mobilisieren; problematische Beziehungen identifizieren etc.). Ihre Erfahrungen deuten an, dass klassische face-to-face-Konzepte auch in eine E-Mail Beratung übertragen werden können – zumindest, was die kognitiven Elemente angeht. Die Anforderungen an den Berater innerhalb einer reaktiven Beratungssituation sind etwas anders geartet: Die Kontaktaufnahme erfolgt seitens des Klienten mit einem mehr oder weniger klar definiertem Problem. Ball (2006) empfiehlt hier generell zuerst einmal die E-Mail auszudrucken und sich auf keinen Fall unter Zeitdruck setzen zu lassen. Bei der Beantwortung der Mail sollen fünf Fragen zur Orientierung helfen: 4 Welche Wirkung hat die Mitteilung auf die eigene Person? 4 Was ist der Informationsgehalt? 4 Was ist das Ziel der Anfrage? 4 Um welches Problem geht es? 4 Welche Ressourcen sind auf Seiten des Klienten vorhanden? Knatz (2006) schlägt ein Vier-Folien-Konzept der Online-Beratung vor, das sehr stark an das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun angelehnt ist. Beim Lesen und Beantworten von E-Mail Anfragen sollten die folgenden vier Punkte berücksichtigt werden: 4 Wie ist die eigene Wahrnehmung? 4 Was ist das Thema und der psychosoziale Hintergrund des Ratsuchenden? 4 Welche »Diagnose« kann bezüglich der Erwartungen und Wünsche gestellt werden? Ist der Auftrag klar? 4 Die Intervention beinhaltet die Antwort. Hier sollte der Berater auf die Ausdrucksweise des Ratsuchenden eingehen, positive Wertschätzung ausdrücken und die generellen Fragen des Ratsuchenden beantworten. Das Feedback sollte die sachlichen und emotionalen Inhalte trennen. Die Empfehlungen von Knatz zur Verschriftlichung entsprechen den generellen Empfehlungen zur allgemeinen Gesprächsführung: Hypothesen auch als solche formulieren sowie Alternativen aufzeigen. Wichtig ist von ihrer Seite noch, dass zu einer Antwort explizit eingeladen wird. Zu bedenken ist sicherlich, dass ein Großteil der Anfragen aus einer
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einzigen E-Mail bestehen – längere Kontakte sind eher die selteneren Formen. Die Online-Beratung erfordert besondere Kompetenzen auf Seiten des Beraters. Zu nennen sind insbesondere Lese-, Schreib- und Internetkompetenzen. Sie müssen nicht nur besondere Fähigkeiten haben, die geschriebenen Texte in ihren Absichten und Aussagen zu analysieren (wenn notwendig auch »zwischen den Zeilen zu lesen«, auch dann, wenn ihnen Angaben zum soziokulturellen und persönlichen Hintergrund der Person fehlen), sondern auch auf die Formulierung der eigenen Textpassagen besonderes Augenmerk legen, da der Kontakt zum Klienten nur über den geschriebenen Text erfolgt und nur auf dieser Basis eine Wirkung erzielt werden kann. Erste Studien zeigen, dass eine vergleichbar hohe Selbstöffnung im Online-Setting wie im face-to-face-Kontakt erzielt werden kann (Skinner & Latchford, 2006). Befragungen von Online-Nutzern, wie sie das Angebot empfunden haben und ob sie es wieder nutzen würden, unterstützen die Attraktivität und subjektive Zufriedenheit mit solchen Angeboten (z.B. Mangunkusumo, Brug, Duisterhout, de Koning & Raat, 2007; Ybarra & Suman, 2006; Zenner & Oswald, 2006). Wie schon für den Bereich der reaktiven Telefonberatung lässt sich festhalten, dass systematische Untersuchungen direkt zu den Effekten der Online-Beratung – wie sie von den Krisendiensten angeboten werden – fehlen. Wie schwer es ist solche Gruppen für Studien zu gewinnen, zeigte unlängst eine Arbeit von Skinner und Latchford (2006): Sie konnten nur 3 Klienten einer E-mailBeratung trotz intensiver Versuche gewinnen! Die Forschung konzentriert sich oft auf bestimmte Bereiche – wie zum Beispiel die Durchführung von webbasierten Programmen oder die Rolle von SMS-Botschaften bei der Aufrechterhaltung von Interventionseffekten. Die Studien wurden oftmals an hoch selektiven Gruppen durchgeführt, die Studienergebnisse sind so nicht unbedingt generalisierbar. Laut Mallen et al. (2005) fallen die Effekte von Online-Beratung fast durchweg positiv aus. Zu diesem Schluss gelangten auch Ott (2003; zitiert nach Eichenberg, 2004) in einer ersten Meta-Analyse mit 30 Studien zur Wirksamkeit internetbasierter Interventionsprogramme. Der Fokus der Studien war breit – Angststörungen, Essstörungen, Depression, Adipositas,
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Kapitel 5 · Mediengestützte Beratungskommunikation
substanzbezogene Störungen –, es handelte sich vor allem um interventive Maßnahmen, aber auch der Einsatz im Rahmen präventiver und rehabilitativer Maßnahmen wurden untersucht. 86,7% der Studien wiesen einen positiven Effekt nach. Die oftmals geringe Anzahl der Probanden und die in vielen Studien fehlende Randomisierung schränken die Aussagekraft der Ergebnisse stark ein. Zu einer positiven Beurteilung webbasierter Programme gelangten auch Wantland, Portillo, Holzemer, Slaughter und McGhee (2006), die 20 verschiedene Studien zur Verbesserung des Selbstmanagements bei chronischen Erkrankungen analysierten. Es ergaben sich nicht nur Hinweise auf die Wirksamkeit webbasierter Programme, sondern auch kleine bis mittelgroße Effektstärken im Bereich der Wissensund Verhaltensänderungen, die die webbasierten Programme favorisierten.
5.5
Herausforderungen für die Zukunft
Mediengestützte Beratung ist ein sehr aktuelles Thema. Die Positionen der Forscher lassen sich zwei Lagern zuordnen – Begeisterung angesichts der Möglichkeiten vs. Skeptizismus und Zurückhaltung. Die empirische Befundlage lässt bisher noch keinen eindeutigen Schluss zu, welche der beiden Positionen angemessener ist. Diese Frage kann zudem nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Zielsetzung beantwortet werden. Professionelle Berater im psychosozialen Bereich müssen mit den technologischen Veränderungen Schritt halten und dürfen sich nicht aus diesen Entwicklungen heraushalten. Dies würde bedeuten, die hohen Standards in der Beratung zu gefährden, da unseriöse Angebote sich stark verbreiten könnten. Das Interesse von Seiten der professionellen Berater steigt an: So wurde im Jahre 2005 eine Zeitschrift speziell zur Online-Beratung gegründet und die Deutsche Gesellschaft für Online-Beratung e.V. (DGOB) widmet sich speziell der Professionalisierung der Online-Beratung. Internet ist ein Medium, das gerade von Jugendlichen sehr stark genutzt wird. Wir müssen dringend mehr darüber lernen, was die Gruppe derjenigen, die Angebote einer Fernberatung in Anspruch nehmen von anderen Gruppen (Allgemeinbevölkerung; traditionelle In-
anspruchnahme) unterscheidet. Hier deuten erste Daten darauf hin, dass man mit Online-Angeboten vor allem jüngere Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss und aus dem städtischen Umfeld erreichen kann. Dies würde der These widersprechen, dass damit Personen erreicht werden, die vor Ort nur wenige Möglichkeiten für ein Beratungsangebot haben (Zenner & Oswald, 2006). Die neuen Medien besitzen aber nachweisbar das Potenzial, die Versorgung für stark belastete Gruppen (z.B. in der onkologischen Nachsorge, vgl. Bensink et al., 2007) zu verbessern. So können »stepped-care« Ansätze realisiert werden, die die Beratungsmodalitäten von den individuellen Bedürfnissen der Klienten und ihrem Resssourcenpotential abhängig machen. Aktuell werden in vielen verschiedenen Bereichen z.B. auch strukturierte Nachsorgeprogramme mit Hilfe von computergestützten Programmen durchgeführt (Bauer, Golkaramnay & Kordy, 2005) und erste positive Effekte berichtet (Kordy, Golkaramnay, Wolf, Haug & Bauer, 2006). Auch die Realisierung von Online-Gruppen kann sehr sinnvoll sein (White & Dorman, 2001). Ein wesentlicher Punkt für die zukünftige Forschung wird die Frage sein, inwieweit die modernen Beratungsformen Einfluss auf die Entwicklung einer Klient-Berater-Beziehung haben. Diskutiert wurden in der Literatur vor allem erwartete negative Aspekte, da der Beziehungsaufbau wesentlich über nonverbale Signale gesteuert wird. Erste Untersuchungen haben sich dieser Frage zugewandt und fanden Hinweise für ein hohes Niveau der Beziehungsqualität, das sogar das Niveau in face-to-faceSituationen übersteigt (Knaevelsrud & Maercker, 2006; Lingely-Pottie & McGrath, 2006; Reynolds, Stiles & Grohol, 2006). Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den bereits berichteten Beobachtungen, dass gerade in einer solch anonymen Atmosphäre ein hohes Maß an Selbstöffnung zu finden ist und dadurch Intimität aufgebaut wird. Unklar ist bisher noch, ob der Berater-Klient-Beziehung in einem solchen Setting die gleiche Bedeutung zukommt wie in herkömmlichen Beratungssettings. So fanden Knaevelsrud und Maercker (2006) nur geringfügige Korrelationen zwischen Beziehungsaufbau und Erfolg der Intervention, während in anderen Studien gegenteilige Befunde berichtet wurden (Day & Schneider, 2002; Reese et al., 2002). Zukünftige Studien müssen sich der theoretischen
123 Literatur
Fundierung von mediengestützter Beratung stärker widmen. Dies könnte auch auf der Grundlage des Konzepts von Grawe et al. (1994; Grawe, 1998), der die Wirkmechanismen – Erhöhung der Bewältigungskompetenz, Klärung und Bedeutungsänderung, Problemaktualisierung sowie Ressourcenaktivierung (▶ Kap. 3) – in den Vordergrund stellte, erfolgen. Dieses Metamodell der therapeutischen Intervention eignet sich auch als heuristischer Rahmen für die Beratungsforschung. Relativ wenig ist darüber bekannt, wie sich die verschiedenen mediengestützten Beratungsformen in ihren Wirkungen voneinander unterscheiden. Es deutet sich an, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Formen wie Audio, Video, Telefon und face-to-face geringer als erwartet bzw. gar nicht zu beobachten sind (Day & Schneider, 2002; Reese et al., 2002), aber auch hier liegen gegenteilige Ergebnisse vor (King et al., 2006b). Eine der wesentlichen Fragen der zukünftigen Forschung wird die der differentiellen Indikationsstellung sein. Welche Klienten profitieren in besonderer Weise von mediengestützter Beratung? Gibt es besondere Problemphasen oder -konstellationen, die ein solches Angebot erforderlich machen? Welche Kontraindikationen müssen – auf der Grundlage empirischer Forschungen – beachtet werden? Aktuell steckt die Forschung zur mediengestützten Beratung noch in den Kinderschuhen. Viele Fragen sind noch zu klären; die Erforschung der potentiellen Gefahren, aber auch des möglichen Nutzens für die Klienten ist die Grundlage einer professionellen Nutzung solcher Angebote (Oravec, 2000).
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5
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6
II Anwendungsfelder 6
Beratung in der Pädagogischen Psychologie – 129
7
Gesundheitsberatung – 153
8
Beratung in der Klinischen Psychologie – 171
9
Beratung in der Arbeitsund Organisationspsychologie – 205
10 Beratung bei Psychischen Krisen – 233
6 Beratung in der Pädagogischen Psychologie C. Schwarzer und P. Buchwald 6.1
Einleitung – 130
6.2
Was ist Beratung in der Pädagogischen Psychologie? – 131
6.3
Theoretische Grundlagen
– 133
6.3.1 Bedeutung der drei großen psychologischen Schulen für die Beratung 6.3.2 Systemisch orientierte Ansätze – 136 6.3.3 Ressourcenorientierte Beratung – 137
6.4
Beratung von Lehrern und Lehrerinnen
6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 6.4.7
Rolle des Lehrenden in der Schule – Eine sich wandelnde Aufgabe Stress in der Schule – 139 LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis – 139 Burnout von Lehrern und Lehrerinnen – 140 Individuelle Beratung von Lehrenden – 141 Beratung von Lehrerkollegien – 142 Institutionsberatung Schule – 143
6.5
Beratung von Jugendlichen – 144
6.5.1 HIV/AIDS-Prävention – 144 6.5.2 Schulangst und Prüfungsangst
6.6
Ausblick
– 149
Literatur
– 149
– 146
– 133
– 138 – 138
6
130
Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
6.1
Einleitung
Beratung hat Konjunktur und boomt in fast allen Lebensbereichen. Durch die veränderten Lebensbedingungen in Familie, Ausbildung, Beruf und Freizeit kommen Menschen immer häufiger in die Lage, kurzfristig professionellen Rat einholen zu müssen, weil Entscheidungen getroffen werden müssen, für die noch keine Handlungsmuster oder Vorbilder da sind. Beratung versteht sich also nicht als eine leichte Version von Psychotherapie, sondern sie richtet sich an gesunde Menschen, die kurzfristig handlungsund entscheidungsunsicher sind. Ziel einer solchen Beratung ist es, diese Handlungssicherheit wieder herzustellen und möglichst langfristige Bewältigungsstrategien aufzubauen. Diese Strategien sollen Personen ermöglichen, zukünftig selbst erfolgreich mit Problemen umzugehen, indem sie z. B. die Gemeinsamkeiten von Schwierigkeiten erkennen. Eine solche Beratung versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe und hat das Ziel, sich letztendlich überflüssig zu machen. Die Bereiche, auf die sich Beratung beziehen kann, sind so vielfältig wie das Leben selbst und reichen von der Steuerberatung und Kaufberatung bis hin zur Gesundheits- und Lebensberatung. Im Kontext der Pädagogischen Psychologie als ein Anwendungsbereich der Psychologie treten dann allerdings Probleme in den Vordergrund, die mit erziehen, unterrichten, lernen, lehren und sich entwickeln zu tun haben. Dabei geht es nicht nur um Problemfälle, sondern zentral auch um Prävention und Optimierung. Lernprozesse verlaufen über die gesamte Lebensspanne hinweg, denn Menschen haben nicht irgendwann ausgelernt und wissen, »wie das Leben so läuft«, sondern sie müssen ständig neue Herausforderungen meistern. Daher gilt pädagogisch-psychologische Beratung in zunehmendem Maße auch älteren Menschen und nicht nur Kindern und Jugendlichen. Dieser Trend ist u. a. darin begründet, dass so etwas wie eine Normalbiographie von deutschen Frauen oder Männern kaum noch vorhanden ist. Es gibt zwar noch gewisse normierende Markierungspunkte im Leben wie die Einschulung oder der Beginn der Pubertät, aber alle anderen Ereignisse, z. B. die Heirat oder Geburt des ersten Kindes, sind nicht für jeden selbstverständlich und treten, wenn überhaupt, in jedem individuellen Lebenslauf zu unterschiedlichsten Zeitpunkten auf. Das kann
dazu führen, dass in Familien Kinder und Eltern mit der Lösung ähnlicher Probleme beschäftigt sind, wenn etwa die Kinder für das Abitur lernen und die Mutter sich auf die Prüfung im Rahmen einer Weiterqualifizierungsmaßnahme vorbereitet. Die Adressaten einer pädagogisch-psychologischen Beratung sind also Menschen jeden Alters, die in institutionellen Kontexten wie Familie, Kindergarten, Schule, Universität oder Weiterbildungseinrichtungen versuchen, ihre Adaptivität an veränderte Lebensbedingungen zu erweitern oder zu erhalten. Aber nicht nur einzelne Personen sind Ansprechpartner beraterischer Bemühungen, sondern auch die genannten Institutionen selbst bedürfen einer Beratung. Sie werden als lernende Organisationen verstanden, die sich weiterentwickeln müssen, um den veränderten Ansprüchen gerecht zu werden und den in ihr Tätigen die Erfüllung ihrer Aufgaben zu ermöglichen. Beispielhaft seien hier die Schulen in unserem Lande genannt. Nach dem Schock über das schlechte Abschneiden bei den PISA-Erhebungen werden unterschiedliche Qualitätssicherungsmaßnahmen wie Zentralabitur, Vergleichsarbeiten, selbständige Schulen, Erweiterung der Aufgaben der Schulleitung, Integration von Schülerinnen mit Migrationshintergrund u. ä. eingeführt. Solche Maßnahmen müssen beratend begleitet werden, sollen sie Institutionen verändern und nicht im Sande verlaufen. Das führt dazu, dass systemisch orientierte Ansätze verstärkt ins Blickfeld rücken. Das sind solche, die das gesamte System und alle in ihr arbeitenden Menschen mit in den Beratungsprozess einbeziehen, weil sie davon ausgehen, dass die Verursachung von Schwierigkeiten in der Regel nicht an einer einzelnen Person liegt, sondern an Kommunikations- und Interaktionsprozessen zwischen den Mitgliedern eines Systems. Zudem kommen in diesen Institutionen durch solche neuen Aufgaben für Bildungs- und Erziehungsinstitutionen auch verstärkt berufsbezogene Beratungsprozesse in Form von Supervision, Coaching und Mentoring zum Tragen (Schwarzer & Buchwald, 2004; in Vorb. a/b). Bei den beteiligten Personengruppen eines Systems bzw. einer Institution wirft sich oft die Frage nach der zentralen Aufgabe bzw. Kompetenz auf. Wenn Lehrende erziehen, unterrichten, beurteilen, beraten und innovieren können sollen (Deutscher Bildungsrat, 1970), steht dann das Unterrichten nicht im Zentrum? Und kann ein Lehrender eigentlich mit seiner Ausbildung auch Beratungsaufgaben erfüllen?
131 6.2 · Was ist Beratung in der Pädagogischen Psychologie?
Sollten in pädagogisch orientierten Institutionen nicht die Aufgaben getrennt werden und LehrerInnen, BeratungslehrerInnen und SchulpsychologInnen voneinander getrennt agieren? Diese Auffassung scheint in der Praxis durchaus verbreitet zu sein. So konstatiert Rosenbusch (2005), dass SchulpsychologInnen oft die Kompetenz abgesprochen wird, wenn es nicht um die klassische Einzelfallberatung geht, sondern um eine Verbesserung von Schule im Interesse von SchülerInnen und LehrerInnen. Kompetenz von SchulpsychologInnen (nach Rosenbusch, 2005, S. 180f) 4 SchulpsychologInnen wird die fachliche Kompetenz, bei pädagogischen, methodischen, schulorganisatorischen Fragen beraten zu können, in der Regel nicht zugetraut. 4 Der Status der SchulpsychologInnen als LehrerInnen mit Zusatzausbildung oder DiplompsychologInnen entspricht nicht dem Status von SchulleiterInnen oder SchulaufsichtsbeamtInnen. 4 SchulpsychologInnen als ModeratorInnen von Schulentwicklungsprozessen sind noch wenig im Blickfeld von SchulleiterInnen. 4 Als LehrerInnen arbeitende SchulpsychologInnen sind vorwiegend durch Einzelfallberatung völlig ausgelastet.
Vorherrschend sollte es tatsächlich zu einem Synergieeffekt, zu einer Netzwerkbildung kommen, damit die mit unterschiedlichem professionellem Profil ausgebildeten Akteure einer Institution das Optimum für die Einrichtung leisten können. Eine solche Kooperation mit anderen Personen und Institutionen wird derzeit auch innerhalb von Schulen stark gefördert. Beispielsweise in dem Netzwerk für »Gute und gesunde Schulen« (Israel, 2005), an dem in NRW über 600 Schulen teilnehmen. Dort werden ganz unterschiedliche Projekte verfolgt, die aber alle der Grundidee einer salutogenetischen Gesundheit verpflichtet sind (Antonovsky, 1997). Hier wird die theoretische Fundierung von pädagogisch-psychologischen Beratungsprozessen berührt. Will sich diese nicht auf dem Niveau von Alltagsberatung bewegen, so muss sie eine theore-
6
tische Legitimierung besitzen. Da es bei einer Beratung um die Initiierung von Veränderungsprozessen geht, gibt es hier eine Fülle von unterschiedlichsten Vorstellungen darüber, wodurch und mit welchen Mechanismen diese Veränderungen erreicht werden können. Federspiel, Lackinger und Karger (1996) stellen in ihrem »Kursbuch Seele« z. B. 120 Psychotherapien auf den Prüfstand und niemand weiß genau, wie viele Beratungs- und Therapieansätze es tatsächlich gibt. Fest steht, dass sich die Ansätze zu größeren Gruppen zusammenfassen lassen und dass die Beratungswissenschaft auf denselben Annahmen fußt wie die Therapie. Letztere richtet sich allerdings nicht an gesunde, sondern an kranke bzw. gestörte Personen und dauert in der Regel wesentlich länger. Auch geht es in der Therapie nicht nur um das Bearbeiten eines Hindernisses zur optimalen Problembewältigung, sondern eher um die Umstrukturierung der Persönlichkeit. Alle theoretischen Positionen, lerntheoretische, personzentrierte, ressourcenorientierte oder systemische Ansätze, haben ihre Vor- und Nachteile. Es gibt in allen Beratungsansätzen Aspekte oder Probleme, die sie nicht optimal erklären können und so bieten sich Annäherungen zwischen den einzelnen Ansätzen an. Allerdings nicht im eklektizistischen Sinne, sondern in einer geleiteten Form. Ein besonders interessantes Beispiel hierfür bietet z. B. die Vorstellung von Eigner und Ritter (2006), Sigmund Freud als ersten Berater zu bezeichnen, obwohl seine Psychoanalyse und die moderne, auf Effizienz und Zielerreichung ausgerichtete Beratungswissenschaft konträrer nicht sein könnten. Nach diesem kurzen Problemaufriss sollen die wichtigsten Aspekte noch einmal systematisch aufgegriffen werden.
6.2
Was ist Beratung in der Pädagogischen Psychologie?
Das Ziel von Beratung als kurzfristiger, sozialer Interaktion zwischen mindestens zwei Personen, besteht darin, in einem gemeinsam verantworteten Prozess die Entscheidungs- und damit Handlungssicherheit zur Bewältigung eines vom Ratsuchenden bzw. ratsuchendem System vorgegebenen aktuellen Problems zu erhöhen. Diese werden in der Regel durch die Vermittlung von neuen Informationen und der Analyse,
132
Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
⊡ Tab. 6.1 Themen der Beratung im Kontext der Pädagogischen Psychologie. (Aus Schwarzer & Posse, 2004, S. 75)
Erziehung und Sozialisation
6
Lernen und Bildung
Organisation und Bildung
Pädagogisches Handeln
Adressaten der Handlungen
Personen
Eltern, Lehrer, Sozialarbeiter, Altenpfleger, Ärzte
Kinder, Jugendliche, Arbeitnehmer, alte Menschen, Rekonvaleszenten
Themen der Beratung
Erziehungsfragen, Gesundheitsförderung, Suchtprävention, Pflegschaft und Adoption
Trotz, Aufsässigkeit, Missbrauch, Mobbing (Bullying), Werteerziehung, Umgang mit Belastung und Frustration, Scheidungsfolgen, Umgang mit Handikaps
Personen
Lehrer, Erwachsenenbildner, Dozenten
Schüler, Auszubildende, Teilnehmer in Kursen und Seminare
Themen der Beratung
Gestaltung von Lehr-/ Lern-prozessen, Supervision, Diagnostische Fragen
Lernblockaden, Prüfungsangst, Bildungsgangsentscheidungen, Berufsinteressen
Personen und Systeme
Heimleitungen, Schulleitungen, Bildungsbürokratie, Jugendamt, (Weiter-)Bildungseinrichtungen, …
Mitarbeiter, Personal, „Kunden“
Themen der Beratung
Konzeptentwicklung, Evaluation, Organisationsentwicklung
Mobbing, Personalentwicklung
Neustrukturierung und Neubewertung vorhandener Informationen erreicht (vgl. Schwarzer & Posse, 1986). Beratung aus der Sicht der Pädagogischen Psychologie will dementsprechend die Entscheidungsfähigkeit in Problemlagen erhöhen, in denen es um das Gelingen oder Misslingen von Lernen, Erziehen, Entwicklung, Evaluation, Bildung und Weiterbildung geht. Pädagogisch-psychologische BeraterInnen beschäftigen sich also mit Erziehungs- und Sozialisationsprozessen in Familie, Kindergarten, Schule, Hochschule und Weiterbildung. Sie kümmern sich primär um Lern- und Bildungsprozesse von Einzelpersonen und Gruppen wie z. B. SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern. Heute rücken aber vermehrt auch pädagogisch relevante Institutionen in das Zentrum des Handelns von BeraterInnen. Dies ist bedingt durch eine neue Fokussierung auf das Lernen von Institutionen (vgl. Göhlich, Hopf & Sausele, 2005). Im schulischen Bereich wird dieser Tatbestand in Nordrhein-Westfalen z. B. durch das neue Schulge-
setz (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2006) deutlich, in dem vom Schulsystem gefordert wird, jedes Kind optimal durch das System zu führen durch individuelle Förderung, durch eine Erhöhung der Durchlässigkeit, durch stärkere Eigenverantwortlichkeit der Schulen und durch Qualitätsanalysen von Schulen. Hier entsteht Beratungsbedarf für ganze Systeme (alle Lehrkräfte einer Schule, alle Eltern und SchülerInnen) und nicht nur für Einzelpersonen. Auch viele Hochschulen verspüren zurzeit eine erhöhte Veränderungsmotivation bzw. einen Leidensdruck, hervorgerufen durch eine Internationalisierung der Studiengänge (BA/MA-Studiengänge) und einen Wettbewerb um Exzellenz und zahlende Studierende. Auch hier genügt z. B. nicht die Beratung der Leitung einer Universität. Soll die neue Ausrichtung der Hochschulen gelingen, so muss das ganze System, die gesamte Universität in den Beratungs- und Begleitungsprozess einbezogen werden.
133 6.3 · Theoretische Grundlagen
Ohne eine vollständige Auflistung aller Beratungsthemen in der Pädagogischen Psychologie liefern zu können, lassen sich diese doch den drei großen Bereichen »Erziehung und Sozialisation«, »Lernen und Bildung« sowie »Organisation und Bildung« zuordnen, wie aus . Tab. 6.1 hervorgeht. Die Aufstellung zeigt, dass Beratung eine immer stärkere Verzahnung mit Personal- und Organisationsentwicklung erfährt und die Ratsuchenden längst nicht mehr nur Kinder und Jugendliche sind (vgl. Schwarzer & Buchwald, 2006). Auf eine einzelne schulpsychologische Beratungsstelle bezogen (hier des Rhein-Kreises Neuss), können die Kernbereiche der Arbeit z. B. so wie im ▶ Kasten »Mögliche Kernbereiche einer Psychologischen Beratungsstelle« zusammengefasst aussehen: Mögliche Kernbereiche einer Psychologischen Beratungsstelle (Rhein-Kreis Neuss, 2006)
Beratung, Diagnostik und Förderung 4 Teilleistungsschwierigkeiten (Lesen, Rechtschreiben, Rechnen) in Abgrenzung zu allgemeinen Lernschwierigkeiten 4 Schullaufbahnfragen an den Schnittstellen Einschulung und Wechsel zur weiterführenden Schule 4 schulische Fragen bei besonderen Begabungen
Die Grundlagen für professionelles Beratungshandeln liegen dabei einmal in den Konzepten therapeutischer Schulen und zum anderen in systemund ressourcenorientierten Ansätzen.
6.3
Theoretische Grundlagen
In Abgrenzung zur Alltagsberatung, die von Personen ohne professionelle Ausbildung geleistet wird (z. B. von Müttern, PartnerInnen, FreundInnen, usw.) und die ohne ein explizites theoretisches Gerüst oder eine Leitlinie auskommt, bedienen sich BeraterInnen im Kontext einer Pädagogischen Psychologie bestimmter theoretischer Konzepte zur Erklärung, Intervention und Evaluation von Problemlagen bzw. deren Bewältigung. Weit verbreitet sind dabei theoretische Kon-
6
zepte, die in der Therapie entstanden sind. Eine solche Anleihe scheint gerechtfertigt, wenn man sich die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede von Beratung und Therapie vor Augen hält (. Tab. 6.2). Wie der . Tab. 6.2 zu entnehmen ist, unterscheiden sich die beiden Formen hilfreicher Interaktion lediglich in der Dauer und der Art des Inhalts. Während es sich bei der Beratung um aktuelle Probleme wie Laufbahnprobleme oder psychosoziale Probleme handelt, die einer kurzfristigen Beratung bedürfen, befasst sich die Therapie mit der Veränderung von Problemverhalten mit Krankheitswert, die eine längere Zeit in Anspruch nimmt. In beiden Fällen muss neu gelernt bzw. umgelernt werden (Schwarzer & Buchwald, 2007), und die dahinter liegenden Prozesse sind in beiden Fällen wirksam. Wir sind mit Großmaß (2004, S. 101) der Meinung, dass der größte Unterschied zwischen Psychotherapie und psychosozialer Beratung darin besteht, dass beide unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen angehören: Während Psychotherapie zum medizinischen Versorgungssystem gehört, findet sich psychosoziale Beratung in verschiedenen Settings, in denen sie feldspezifische Orientierungsleistungen vollbringen soll. 6.3.1
Bedeutung der drei großen psychologischen Schulen für die Beratung
Die aus der Therapie entlehnten theoretischen Beratungsmodelle können alle auf eine der großen psychologischen Schulen, nämlich Tiefenpsychologie, Kognitivismus und Behaviorismus zurückgeführt werden. Diese unterscheiden sich erheblich im Menschenbild, dem zentralen Untersuchungsgegenstand, den vermuteten Ursachen für Störungen und Probleme sowie deren Diagnostik und Behandlung (. Tab. 6.3). Beratung in der Pädagogischen Psychologie bedient sich heute auch solcher theoretischer Perspektiven, die sich teilweise widersprechen, unterschiedliche Perspektiven eines Problemzusammenhangs beleuchten bzw. von verschiedenen Präventionsund Interventionsstrategien ausgehen. Beratungsansätze, die im Sinne eines lerntheoretischen Paradigmas davon ausgehen, dass jedes Verhalten gelernt wird und Fehlverhalten deshalb auch wieder verlernt werden kann, glauben an die Kraft von Lernumwelten und Verstärkern. Ein cha-
134
Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
⊡ Tab. 6.2 Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Beratung und Therapie
6
Kriterium
Beratung
Therapie
1. Motiv
Freiwillig
Freiwillig
2. Dauer
Meist sporadisch, kurzfristig, situativ
Kontinuierlich, längerfristig
3. Form
Individuell, Gruppen selten
Individuell, Gruppen selten
4. Inhaltsbestimmung
Selbstbestimmt (Klienten)
Selbstbestimmt (Klienten)
5. Art des Inhalts
Aktuelle Probleme, ohne Krankheitswert
Veränderung von Verhalten, Probleme mit Krankheitswert
6. Ziel
Individuelle Entscheidungshilfe zur Bewältigung aktueller Aufgaben
Individuelle Bewältigung zurückliegender Probleme
7. Methoden
Gespräch: Informationen über Handlungsalternativen, übende Verfahren
Gespräch: regelgeleitete, übende Verfahren
8. Komponenten
Studium und Zusatzausbildung
Studium und Zusatzausbildung
⊡ Tab. 6.3. Die drei großen psychologischen Theorien: Unterschiede auf einen Blick. (Nach Schönpflug & Schönpflug, 1989, S. 52) Kognitivismus
Psychoanalyse
Behaviorismus
Zentraler Untersuchungsgegenstand
Bewusstsein
Triebe und unbewusste Inhalte
Äußeres Verhalten (Reaktionen, Reflexe)
Maßgebende Ursachen des Verhaltens
Erkenntnisstrukturen
(unbewusste) Komplexe, Triebfixierungen
Milieubedingungen (Reize, Verstärker)
Menschenbild
Der Mensch besitzt Einsicht und Voraussicht und daher auch Verantwortung und Entscheidungsfreiheit
Der Mensch ist Gefangener seiner Triebe
Freiheit und Vernunft sind vorwissenschaftliche Begriffe. Das Verhalten des Menschen ist voll durch seine Umgebung und seine Triebreize bestimmt.
Bevorzugte Untersuchungsmethode
Offene Befragung
Suche nach Symbolen des Unbewussten in Sprache und nichtsprachlichem Ausdruck
Messung von Reizen und Reaktionen
Bevorzugte Behandlungsmethode
Beratung, Hilfe zur Selbstreflexion und Selbstregulation
Aufklärung über Komplexe, Traumata, Verdrängungen
Verhaltensmodifikation durch Reizkontrolle, Verstärkungspläne, Verhaltenspläne
135 6.3 · Theoretische Grundlagen
6
Beispiel Vorgehensweise bei der Systematischen Desensibilisierung Uwe leidet an Prüfungsangst. Ihm ist schon vor dem entscheidenden Prüfungstag übel und er kann sich auf nichts mehr konzentrieren. Frau Sommer, die Beraterin, lässt Uwe zunächst darstellen, was ihm im Kontext der Prüfung am meisten und was am wenigsten Angst macht. Uwe fällt es kaum schwer, sich vor der Prüfung noch einmal in die Sprechstundenliste des Prüfers einzutragen, unerträglich ist ihm hingegen die Vorstellung, nach einer Frage des Prüfers schweigend und »mit einem Brett vor dem Kopf« dazusitzen, den Eindruck vermittelnd nichts zu wissen. Diese schwierigste Situation schreibt Frau Sommer oben auf ein Blatt, die am wenigsten mit der Angst besetzte Situation nach ganz unten. Dazwischen
rakteristisches Beispiel dafür ist die Verhaltensmodifikation. Der folgende ▶ Kasten stellt die Vorgehensweise der Systematischen Desensibilisierung, einer häufig dort angewandten Technik, dar.
Ein Berater, der sich einem personzentrierten Ansatz von Carl Rogers (1999) verpflichtet fühlt, würde nicht mit Verstärkern arbeiten, sondern durch Empathie (einfühlendes Verstehen in das Erleben des Ratsuchenden), Akzeptanz (unbedingte Wertschätzung des Ratsuchenden) sowie Kongruenz (hohes Maß an Echtheit des Beraters) eine Beratungsatmosphäre schaffen, in der es dem Ratsuchenden gelingt, sein Selbstkonzept wieder in den Zustand der Kongruenz zu bringen. Rogers ging nämlich davon aus, dass aktuelle Erfahrungen, die nicht mit dem Bild, das eine Person von sich hat, übereinstimmen, zum Zustand der Kongruenz führen, was soviel heißt, dass eine Spannung zwischen Selbstbild und Erfahrung entstanden ist, die Leidensdruck erzeugt. Damit Menschen nach Rogers prinzipiell in der Lage sind, sich positiv zu entwickeln (Aktualisierungstendenz), muss in der Beratung eine optimale soziale Beziehung zwischen Beratenden und Ratsuchenden hergestellt werden. Durch dieses Beziehungsangebot der Beratenden eröffnet sich für den Ratsuchenden die Möglichkeit, sich optimal zu öffnen und seine
werden nun weitere, unterschiedlich stark angstauslösende Situationen eingetragen, die Uwe benennt. So entsteht eine Rangordnung von Situationen, die jetzt in der Beratung von unten aufgerollt werden, beginnend mit der leichtesten, am wenigsten Angst einflößenden Situation. Die Beraterin fordert Uwe auf, sich vorzustellen, er ginge jetzt zur Sprechstunde, trüge sich in die Liste ein, usw. Als Variante käme auch eine »in vivo«Version in Frage, bei der Uwe und Frau Sommer zunächst zusammen zum Sprechstundentermin gehen, bis es Uwe dann alleine schafft. Wenn eine Stufe in der subjektiven Angst-Hierarchie der Problemsituationen bewältigt ist, wird die nächste in Angriff genommen. In vielen Fällen wird diese Vorgehensweise mit Entspannungsübungen gekoppelt. Im Sinne dieses Ansatzes ist es wichtig, jede Veränderung zu verstärken, sei es mit materiellen, sozialen oder generalisierten Verstärkern.
eigenen Problembewältigungsmöglichkeiten zu aktivieren. Diesem Ansatz geht es nicht primär um das anstehende Problem, sondern vielmehr um die Beziehungsgestaltung und eine daraus resultierende kognitive Aktivierung. Es spielen dabei die in folgendem ▶ Kasten wiedergegebenen Prinzipien eine Rolle: Prinzipien der Gesprächstherapie nach Carl Rogers 4 Prinzip des Gewährens und Akzeptierens 4 Das Prinzip des Erkennens und Reflektierens der Gefühle 4 Das Prinzip der Förderung von Problemlösekompetenzen 4 Das Prinzip des Begrenzens 4 Das Prinzip der Echtheit
Wäre Uwe mit seinem Problem zu einem psychodynamisch ausgebildeten Berater gegangen, sähe sein Beratungsprozess wieder anders aus, denn psychodynamisch orientierte Schulen, deren bedeutendste die Psychoanalyse nach Sigmund Freud darstellt, rekrutieren nicht so sehr auf äußeres Verhalten als zentralen Untersuchungsgegenstand (. Tab. 6.3) wie lerntheo-
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Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
retisch orientierte Schulen oder auf Bewusstsein und Metakognition wie humanistische Ansätze, sondern sehen zum einen biologisch verankerte Mechanismen wie Triebe und zum anderen Erlebnisse in der frühen Kindheit als Motor der psychischen Entwicklungen. Deswegen steht dabei auch nicht das »Hier und Jetzt« im Vordergrund, sondern die Erkundung unbewusster Motive und Konflikte. Eine solche, eher vergangenheitsorientierte Beratung benötigt in der Regel viel Zeit, denn es wird nachträglich mit Hilfe von freier Assoziation, Traumdeutung sowie Übertragung und Gegenübertragung nach verborgenen Konflikten gesucht. Diese Beratung kann darin münden, dass die Handlungssicherheit von Menschen in schwierigen Lagen gestärkt wird, so dass sie ihre eigene Situation und Problematik neu betrachten und sich zu einer Therapie entschließen. In Uwes Fall wäre das angeraten, wenn sein Problem Krankheitswert erreicht hätte, er z. B. bereits an einer Prüfungsphobie leiden würde. Die drei »großen Schulen« haben natürlich ihre Erweiterungen erfahren und existieren in der Praxis kaum in reiner Form. Die Tatsache, dass alle drei Beratungsansätze in der Praxis Erfolge zu verzeichnen haben, kann u. a. darin begründet liegen, dass alle auf Zuwendung und Zuhören basieren und somit Hilfe und Unterstützung bzw. Social Support gewähren (vgl. Schwarzer & Buchwald, 2004b). 6.3.2
Systemisch orientierte Ansätze
Die drei genannten Schulen halten ganz bestimmte Ursachenerklärungen bereit, die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts immer stärker diskutiert werden. Es setzte sich nämlich die Einsicht durch, dass in der Regel komplexe Verursachungsprozesse zur Beratungsbedürftigkeit von Menschen führen und nicht einfache Ursache-Wirkungs-Verhältnisse. Der Grund für ein Problem ist deshalb nicht entweder nur in der Person oder nur in der Umwelt zu suchen, sondern in der komplizierten Interaktion zwischen beiden. So könnte eine Störung auch ihre Ursache in misslungener Kommunikation haben. Daher werden zunehmend bei systemischen Beratungsprozessen nicht nur der Ratsuchende selbst einbezogen, sondern auch die Personen aus seinem familialen oder schulischen Umfeld. Auf diese Weise lässt sich eher der dynamische Prozess der Kommunikation in Systemen wie Familie, Schule oder Betrieb feststellen.
Unter System werden aufeinander bezogene Personen verstanden, die im lebendigen Austausch miteinander stehen, der nach ganz bestimmten Regeln abläuft. Es muss allerdings nicht immer zur Beratung von Systemen kommen, denn Systeme können sich auch selbst regulieren in dem sie sich selbst organisieren, sich den wandelnden Gegebenheiten anpassen und somit veränderbar und flexibel bleiben. Alle Personen eines Systems tragen zum Bestehen eines Systems bei und wirken auf sein Gleichgewicht oder Ungleichgewicht ein. Es gibt verschiedene Systemtheorien, wobei insbesondere das Regelkreismodell in der Beratung eine Rolle spielt. Auf der Grundlage systemtheoretischer Annahmen hat eine Vorgehensweise, die sich nicht nur mit dem Symptomträger, sondern mit dem gesamten System der sich gegenseitig beeinflussenden Personen befasst, größere Erfolgsaussichten. Beispiel Rektor Müller stellt sehr hohe Anforderungen an sein Lehrerkollegium. Er tadelt und fordert deshalb sehr häufig, lobt aber fast nie. Das hat im Kollegium eine niedrige Arbeitsmotivation, wenig Innovationsfreude und einen hohen Krankenstand zur Folge. Hätte die Beratung nur den Motivations- und Anwesenheitsverlust der Lehrkräfte in den Blick genommen, wäre die verursachende Dynamik gar nicht zutage getreten und diese hätte dann in Zukunft ähnliche Probleme immer wieder produziert.
Veränderung in einem Teil des Systems
verursacht
verursacht
Veränderungen in einem zweiten Teil des Systems
⊡ Abb. 6.1. Regelkreismodell. (Nach König & Volmer, 2005, S. 16)
137 6.3 · Theoretische Grundlagen
Es gibt im Rahmen der systemischen Beratung, die bisher besonders im Bereich der Familienberatung Anwendung gefunden hat, eine Fülle von Ansätzen (vgl. www.systemische-beratung.de). Sucht man nach deren Gemeinsamkeiten, so lassen sich drei Merkmale finden (vgl. Schiepek, 1999): Merkmale systemischer Beratung 4 Berücksichtigung der Autonomie und Eigendynamik des Klientensystems, 4 Einbeziehung der Systemwelt, Veränderung der von den Beteiligten konstruierten Wirklichkeiten. Für die am Beratungsprozess Beteiligten hat eine systemische Vorgehensweise folgende Vorteile: 4 die Wahrnehmung neuer, bisher unbekannter Perspektiven, 4 Verständnis für die Haltung der übrigen Beteiligten, 4 die Analyse von Mustern in Kommunikations- und Interaktionsvorgängen, 4 angemessene Interventionen, 4 die ganzheitliche Hypothesenbildung.
6.3.3
Ressourcenorientierte Beratung
Ressourcenorientierte Beratung geht davon aus, dass in jedem Menschen Ressourcen stecken, die ihn befähigen sein Leben aktiv zu gestalten. Ziel der Beratung ist es, diese Stärken des Ratsuchenden zu aktivieren, um seine Selbstheilungspotenziale zu mobilisieren. Eine solche Beratung richtet sich auf die Kräfte und Energien anstatt auf die Probleme und Defizite. Für KlientInnen sollen die bestehenden persönlichen und sozialen Kräfte und Entwicklungsmöglichkeiten sichtbar werden. Ressourcenorientierte Fragen lauten: Wo liegen neben den Defiziten bewältigungsförderliche Ressourcen? Wie lassen sich diese Ressourcen im Beratungsprozess entwickeln? Welche Potenziale werden in Krisen, bei Belastungen und Verlusten sichtbar, die bisher nicht erkannt wurden? Bei diesem Vorgehen wird der Ressour-
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cenpool eines Ratsuchenden genauer analysiert, sein Lebensumfeld wird systematisch erfasst, um daraus ressourcenorientierte Handlungsstrategien abzuleiten. »Beratung als umfassende Ressourcenförderung fordert Sensibilität für Entwicklungspotentiale von Personen und Umwelten und Kompetenzen in der Erschließung, Erhaltung und Konservierung von Ressourcen der Einzelnen wie der sozialen, institutionellen und natürlichen Umwelt.« (Nestmann, 1997, S. 21). Nestmann folgt bei der Kategorisierung von Ressourcen der Theorie der Ressourcenerhaltung Hobfolls (1998; Hobfoll & Buchwald, 2004). Hobfoll unterscheidet zwischen Objektressourcen (Wohnraum, Kommunikations- und Transportmittel), Bedingungsressourcen bezogen auf die Lebensumstände (Status, Sicherheit, soziale Netzwerke), persönlichen Ressourcen wie Selbstwert, Bewältigungs- und soziale Kompetenz und den Energieressourcen Geld, Zeit und Wissen. Der Ressourcendiagnostik folgt die Ressourcenaktivierung, zu verstehen als ein positiver Rückkoppelungsprozess zwischen aktivierender Intervention, tragfähiger Berater-Klient-Beziehung und Prozessen auf Seiten des Klienten (vgl. Grawe & Grawe-Gerber, 1999). Eine ressourcenaktivierende Beratung beruht auf Verhaltensweisen, die die Beratungsbeziehung produktiv unterstützen und bestimmte Stärken und Fähigkeiten des Klienten stärken. Eine ressourcenorientierte Beratung ist als eine Form der humanistischen Beratungsschulen anzusehen und orientiert sich primär an den vorhandenen, entwicklungsfähigen Ressourcen. Dies erfordert von Beratenden unbedingt eine erhöhte Ressourcensensibilität (Nestmann, 1997). Berät man eine Klientin, die reich an Ressourcen ist, steht die sinnvolle Erweiterung der vorhandenen Ressourcen im Vordergrund, z. B. durch ein offensiveres, riskanteres Ressourceninvestment. Bei einem ressourcenarmen Klienten geht es in der Beratung primär um die Prävention von weiteren Verlusten und um das Durchbrechen von Verlustspiralen. Erst im zweiten Schritt können dann Ressourcengewinne angestrebt werden. Ressourcenverlustspiralen können oftmals dadurch unterbrochen werden, dass Schutzmaßnahmen für die Betroffenen eingeleitet werden. Ressourcengewinnspiralen können meist erst nach
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Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
Stressoren • am Arbeitsplatz • zu Hause • in der Gesellschaft
Verlustspirale
Gewinnspirale
Ressourcenpool • Familienressourcen • Arbeitsplatzressourcen • personale/interpersonale Ressourcen
Stress Burnout
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erfolgloses Coping
Wohlbefinden Gesundheit
erfolgreiches Coping
fehlinvestierte Ressourcen, Ressourcenschwund
Ressourcenerhalt, Ressourcengewinn
⊡ Abb. 6.2. Ressourcenspirale. Gewinn- und Verlustspiralen. (Nach Buchwald & Hobfoll, 2004)
der Vereitelung weiterer Verluste etabliert werden. Dies kann durch die Schaffung oder Implementierung neuer Ressourcen erreicht werden, etwa durch Anregung zur Teilnahme an einem Training, durch Aktivierung von Ressourcenreserven, die bislang unter Verschluss gehalten wurden oder durch Aktivierung des sozialen Netzwerkes und Zugriff auf deren Ressourcenpool (Buchwald & Hobfoll, 2004; . Abb. 6.2). Bestimmte Ressourcen sind, abhängig von Setting und Kulturkreis, als Schlüsselressourcen für den Aufbau von Gewinnspiralen anzusehen. Für die westlichen Industriestaaten ist dies vor allem die Selbstwirksamkeit (Bandura, 1977). Beim Aufbau von Gewinnspiralen ist es sinnvoll, an genau dieser persönlichen Ressource anzusetzen. Außerdem sind Ressourcen wechselseitig miteinander verknüpft. Eine multiple Interventionsstrategie der Ressourcenaktivierung berücksichtigt diese Verknüpfung zwischen z. B. personalen, sozialen und materiellen Ressourcen (Hobfoll & Schumm, 2004), denn die Stärkung einer einzelnen Ressource reicht meist nicht aus, insbesondere wenn andere wichtige Ressourcen fehlen.
6.4
Beratung von Lehrern und Lehrerinnen
6.4.1
Rolle des Lehrenden in der Schule – Eine sich wandelnde Aufgabe
Die Schule ist mit der erkennbaren Wandlung der Kindheit einer neuen Aufgabe verpflichtet. Dazu gehört die Anpassung der Institution an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen (z. B. als Ganztagsschule), aber auch ein erweiterte Rolle der Lehrenden. Um im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklungen die Handlungsfähigkeit der Heranwachsenden zu sichern, wird Lehrkräften neuerdings eine stärkere Verantwortung für die Lernund Bildungsprozesse zugeschrieben. Lehrende müssen nun vermehrt Beratungs-, Förderungs- und Fürsorgefunktionen übernehmen, die es den Lernenden von ihren individuellen Voraussetzungen her ermöglicht, an Lern- und Bildungsprozessen erfolgreich teilzunehmen. Lehrende müssen dazu Lernvoraussetzungen und –prozesse von Lernenden diagnostizieren, um SchülerInnen dann gezielt zu fördern, verbunden mit der Beratung der Lernenden und deren Eltern. Damit kommen zu den
139 6.4 · Beratung von Lehrern und Lehrerinnen
bereits bestehenden, enormen Herausforderungen an Lehrende weitere hinzu, die sehr belastend sein können, die mit Stresserleben und Burnout verbunden sind und eine Beratung der Lehrenden selbst erforderlich macht.
6.4.2
Stress in der Schule
Der Schulalltag kann aufgrund der generellen Belastungen, aber auch durch die neuen Rollenanforderungen für Lehrende sehr belastend und stressreich sein. Gemäß der Theorie der Ressourcenerhaltung (Hobfoll, 1998; Hobfoll & Buchwald, 2004) entsteht Stress bei der Arbeit durch einen vermehrten Verlust von Ressourcen, der den Ressourcengewinn übersteigt (auch . Abb. 6.2). Ein direkter Ressourcenverlust, beispielsweise in Form eines Kontrollverlusts durch uneffektive Klassenführung (Kanders, Rolff & Rösner, 1996) kann dabei genauso belastend sein wie eine erfolglose Ressourceninvestition. Gerade letzteres erleben LehrerInnen häufig. Von ihnen wird erwartet, dass sie ihre Kräfte und Ressourcen in die Schule bzw. ihre SchülerInnen investieren, aber sie erhalten meist nur wenig für ihre Anstrengung zurück. Selten sehen sie ihre SchülerInnen heranreifen oder haben die Gelegenheit, neu erlernte Fähigkeiten bei ihren SchülerInnen zu beobachten, die sie ehemals selbst gefördert haben. Auch von Seiten der Eltern, der Schulleitung und der Gesellschaft erhalten Lehrende eher negative als positive Rückmeldungen (Buchwald & Hobfoll, 2004; Neuenschwander, 2003). Dabei steigt die Zahl von Kindern mit Disziplinund Lernproblemen (Hurrelmann, 2005; Ihle, Esser, Laucht & Schmidt, 2004) und verlangt von LehrerInnen zunehmend pädagogische Schwerstarbeit beim Lehren, Unterrichten, Erziehen und Beraten. Dieses enorme Investieren in die Arbeit geht aber wiederum kaum mit Ressourcengewinnen einher, da die steigende Zahl massiver schulischer Verhaltensprobleme eher therapeutischer Intervention bedarf und pädagogisch-beratend nicht immer zu beeinflussen ist. Für Lehrende entsteht dann leicht der Eindruck, dass SchülerInnen mit Lern- und Verhaltensproblemen von ihrem pädagogischen Einsatz und ihrer Beratung nicht profitieren. Darunter kann das LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis erheblich leiden und macht die so wichtigen zwischenmenschlichen, pädagogischen Interaktionen
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zu besonders stresshaften Situationen im sozio-emotionalen Bereich (vgl. Stähling, 1998).
6.4.3
LehrerInnen-SchülerInnenVerhältnis
In der Schule ist neben dem Ziel der Wissensvermittlung vor allem die persönliche Beziehung zwischen SchülerInnen und LehrerInnen elementar, geht aber zugleich mit hohen psychosozialen Kosten einher (Buchwald, 2002, 2003; Schweer & Thies, 2000). Das Schaffen eines fruchtbaren LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnisses wird dem Lehrenden zugeschrieben. Seibert (1994, S. 817) führt dazu aus: »Der Erziehungsauftrag der Schule verpflichtet den Lehrer, Verantwortung für das gegenwärtige und zukünftige Leben zu übernehmen. Es ist ihm nicht freigestellt, eine Beziehung abzubrechen oder einen Schüler abzuweisen. Er muss Verantwortung übernehmen und tut dies auch, indem er individuelle Förderungsmöglichkeiten schafft, individuelle Zuwendung erfahrbar werden lässt, in Einzelgesprächen während der Pausen zur Verfügung steht, sich telefonisch und in den wöchentlichen Sprechstunden vor den Eltern verantwortet (…). Der Lehrer ist allen Schülern verpflichtet und muss vor allem auch durch Sachzwänge, insbesondere durch die Aufbereitung der Lerninhalte und deren methodische Gestaltung, erziehend wirken. Hier vereinigt sich die Inhaltsebene mit der Interaktionsebene auf der Beziehungsebene.« Somit sind Lehrende also ständig dazu aufgefordert, positive soziale Beziehungen zu ihren Schülern aufzubauen, aber die realen Umstände (große Klassen, hoher Lärmpegel, verhaltensauffällige Kinder, Unterrichtsstörungen) erschweren dies erheblich. Zusätzlich besteht eine Diskrepanz zwischen Realität und Erwartung, die das soziale Verhältnis von Lehrern und Schülern weiter belastet. LehrerInnen erhoffen Respekt, prosoziales Verhalten und Aufmerksamkeit von ihren Schülern und benennen das Ausbleiben als eine wesentliche Stressquelle und als ein Grund für ihre emotionale Erschöpfung bzw. Burnout (Friedman, 2004). Aus der Perspektive der Schüler stellt sich die Lehrer-Schüler-Beziehung ebenfalls als unbefriedigend dar (Holtappels, 1987, S. 133). Schüler benannten die im folgenden ▶ Kasten aufgelisteten Probleme:
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6
Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
Probleme in LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehungen 4 Schüler erleben ihre Lehrer in einer formellen Rolle; die Beziehung scheint versachlicht. 4 Schüler erleben wenige Mitbestimmungsmöglichkeiten und vermissen Verständnis für ihre Interessen. 4 Schüler erfahren Lehrererwartungen (z. B. durch Zurechtweisungen, Bloßstellungen und Sanktionen über schlechte Noten) als restriktiv. 4 Schüler beklagen die ungerechte Behandlung von Lieblingsschülern und Leistungsschwächeren.
Raufelder (2006) beobachtete das LehrerInnenSchülerInnen-Verhältnis im Klassenraum und konstatiert die besondere Rolle der Sympathie der SchülerInnen und Empathie der LehrerInnen für das pädagogische Verhältnis. Sie kommt nach umfassenden Analysen zu dem Schluss, dass die institutionellen Rahmenbedingungen des deutschen Schulsystems aber nur wenig Spielraum lassen, das LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis auf eine tragfähige menschliche und pädagogische Grundlage zu stellen. Vielmehr erleben die Beteiligten einen beachtlichen Leidensdruck. »Sie werden allein gelassen und gegeneinander ausgespielt, oder besser gesagt sie tun es selbst, weil sie in eine Situation geworfen werden, in der ihnen gar keine andere Wahl bleibt. So wird Lehrersein und Schülersein zu einem andauernden Kampf und der Lehrerberuf zu einem anstrengenden und wirklich aufreibenden Beruf, der sehr vielen LehrerInnen seelische und gesundheitliche Probleme generiert« (Raufelder, 2006, S. 272). Auf der Grundlage solcher Befunde kann eine systemorientierte Beratung nun noch weitere Bedingungen eruieren, die das Schulsystem stören und z. B. ein angemessenes LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis behindern. Eine solch weitere Bedingung ist u. a. der Selektionsauftrag der Schule verbunden mit der Bewertung der Leistung von Lernenden durch die Lehrenden. Aus Sicht des Systems Schule kann es dabei durchaus sinnvoll erscheinen, schlechte SchülerInnen auszusieben,
obwohl aus Sicht der Lehrkräfte eine individuelle Förderung sinnvoller erscheinen könnte. Die Verpflichtung der Lehrkräfte einerseits gegenüber dem System Schule und andererseits gegenüber dem einzelnen Lernenden führt dann zu einer doublebind-Situation, die Beratungsbedarf impliziert und auf der Systemebene am sinnvollsten erscheint, um ein positives Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden auf der jeweils individuellen Ebene zu ermöglichen. 6.4.4
Burnout von Lehrern und Lehrerinnen
Die krankheitsbedingte Frühpensionierung von Lehrkräften liegt seit ca. zehn Jahren über 50 % und erfolgt durchschnittlich zehn Jahre vor der Regelaltersgrenze von 65 Jahren. Sozialmedizinische Untersuchungen belegten in den letzten Jahren die herausragende Bedeutung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen bei Frühpensionierungen (Weber, Weltle & Lederer, 2004). Als häufigste Leiden wurden depressive Störungen, Burnout, Stress- und Anpassungsstörungen diagnostiziert. Auch junge Lehrende sind bereits gefährdet. Wissenschaftliche Studien und Erfahrungsberichte schildern besonders die Referendariatszeit als eine Zeit größter physischer und psychischer Belastung (Katzenbach, 2005, Schwarzer, in Vorb.). Schwierige Unterrichtssituationen werden von ReferendarInnen intensiv erlebt und führen zu Gefühlen der Hilflosigkeit, Versagensängsten und Burnout (Dückers-Klichowski. 2005; Gecks, 1990). Burnout wird als Konsequenz chronischen Arbeitsstresses verstanden in einer Umwelt, die nur wenig Gelegenheit zur Erneuerung von Ressourcen bietet. Aus Sicht der Theorie der Ressourcenerhaltung (Buchwald & Hobfoll, 2004, . Abb. 6.2) ist Burnout ein kontinuierlicher Prozess, dessen zentrale Ursache das stetige aber schleichende Schwinden von Ressourcen ist. Die Entwicklung von Burnout kann man sich als eine Ressourcenverlustspirale vorstellen, die ihre Dynamik durch das Zusammenwirken von andauerndem Arbeitsstress und dessen erfolgloser Bewältigung erlangt. Es gehen mehr und mehr Ressourcen verloren und mit diesem verringerten Vorrat an Ressourcen fällt die Bewältigung von weiteren Stressereignissen
141 6.4 · Beratung von Lehrern und Lehrerinnen
immer schwerer. Ausgebrannte Menschen erleben also permanent Ressourcenverluste oder erhalten nach andauernder Fehlinvestition von Ressourcen nur minimale Ressourcengewinne (Hobfoll & Buchwald, 2003; Schaarschmidt, 2002). Vereinfacht kann man sich einen Menschen vorstellen, der über lange Zeit Energie verbraucht, aber nicht genug Energienachschub bekommt. Beispiel Entwicklung von Burnout Hans Meier hatte vor 12 Jahren als Lehrer an einer Hauptschule begonnen. Er ging mit großem Enthusiasmus in das Referendariat und wollte es anders machen, als die Lehrer, die er zu seiner Schulzeit erlebt hatte. Bereits in der Anfangszeit wurde ihm klar, dass er von seinen KollegInnen größtenteils alleingelassen wurde und sich auf sich selbst gestellt durch den Schulalltag kämpfen musste. Er traute sich auch nicht Hilfe einzufordern, denn offensichtlich waren alle im Kollegium hoffnungslos ausgelastet und froh, wenn sie die Schule endlich verlassen konnten. Nach ein paar schwierigen Anfangsjahren hatte er sich dann eine gewisse Routine angeeignet, die aber mehr schlecht als recht funktionierte. Er lieferte einen langweiligen Unterricht nach immer gleichem Konzept ab und die Schüler reagierten dementsprechend mit Unaufmerksamkeit. Die Führung von Klassen ist ihm schon lange entglitten und er kann SchülerInnen zumeist nur durch angedrohte Tests in Schach halten. Er versucht sich tapfer zu schlagen in seinem täglichen Kampf gegen die aus seiner Sicht impertinenten und unverschämten Jugendlichen. Meistens schleppt er sich nach der Arbeit völlig erschöpft nach Hause. Dort muss er sich dann sehr zusammenreißen, wenn er einen Stapel von Klassenarbeiten zu korrigieren hat. Oft überkommt ihn eine massive Niedergeschlagenheit und Müdigkeit. Dann fühlt er sich ausgelaugt und hat nicht einmal mehr Lust fern zu sehen. In letzter Zeit hat er schon morgens solche Rückenschmerzen, dass er kaum aufstehen kann.
6.4.5
6
Individuelle Beratung von Lehrenden
Ziel einer Individualberatung oder Supervision von LehrerInnen ist es, ihre Ressourcen auf der Sach-, Ich- und Sozialebene zu stärken. Ein ressourcenorientierter Beratungsansatz setzt z. B. an den beschriebenen Ressourcenspiralen an, und unterstützt den Prozess, von einer Verlust- in eine Gewinnspirale zu wechseln. Im schulischen Kontext stellt sich u. a. die Frage, wie durch Interventionen weitere Ressourcenverluste verhindert werden können. Beispielsweise könnte ein Lehrer eine bestimmte Klasse, mit der er nicht zurechtkommt an eine Kollegin abgeben oder ein Lehrer nimmt ein Sabbatical oder lässt sich an eine andere Schule versetzen. Inhaltlich geht es bei der Beratung von Lehrenden meist um Themen, die zur Bewältigung des Schulalltags beitragen. Der Beratende erschließt die persönlichen Ressourcen und ermutigt zu einem flexiblen Umgang mit den sich verändernden Lebenswelten. Konkrete Themen der individuellen Beratung von Lehrenden sind z. B. die Unterrichtsgestaltung verbunden mit der Frage nach einem angemessenen Erziehungsstil, der LehrerInnen-SchülerInnnen-Interaktion und dem Klassenklima. Beratung kann sich auch auf das Erarbeiten von Konfliktlösungen richten. Dazu zählt u. a. Unterstützung beim Umgang mit SchülerInnen und deren Eltern bei Verhaltensauffälligkeiten, Gewalt und Vandalismus. Konfliktlösungen können sich ebenso auf Strategien für den Umgang mit KollegInnen und Schulverwaltung richten. Beratung kann weiterhin ansetzen beim LehrerInnenverhalten im Sinne einer Erweiterung des Handlungsrepertoires, des Umgangs mit Gruppen. Das Anwenden neuer Lerntechniken und Lernförderung kann beratend begleitet werden und schließlich kann insgesamt Beratung zu mehr Berufszufriedenheit durch optimierten Umgang mit Stress, Zeitmanagement und Rollenkonflikten beitragen (▶ Kasten »StressmanagementProgramm für LehrerInnen«).
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Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
Stressmanagement-Programm für LehrerInnen
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1. Stress und Belastungen im Lehrerberuf 4 LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis 4 Subjektive Arbeitszeiten 4 Arbeitsplatz 4 Belastungsempfinden 4 Berufsunzufriedenheit 4 Krankheitsrisiko, vorzeitiger Ruhestand 4 Gesellschaftliche Erwartungen, Image von Lehrkräften 2. Stress – was ist das? 4 Transaktionale Stresstheorie 4 Theorie der Ressourcenerhaltung 4 Verlustspiralen und Möglichkeiten, sie zu durchbrechen 3. Stressbewältigung im Schultag 4 Zeitmanagement und Arbeitsorganisation – Unterbrechungen und Pausen – Ruhezonen – Koordination von Familie, Freizeit, Beruf – Klassenarbeiten korrigieren
6.4.6
Beratung von Lehrerkollegien
Eine Verlustspirale anzuhalten ist häufig dann möglich, wenn gemeinschaftliche, interpersonelle Beziehungen am Arbeitsplatz bestehen. Teams sind viel eher als Einzelpersonen in der Lage, über viele verschiedene unterstützende Ressourcen zu verfügen. Teams können beispielsweise auf die Ressourcen derer zurückgreifen, die mit dem Team verbundenen sind (KollegInnen, FreundInnen, Familien, professionelle HelferInnen; vgl. Schwarzer & Schmitz, 1999). Durch gegenseitig unterstützende Anstrengungen werden so Stärken geteilt, Schwächen ausglichen und man kommt in die Lage, Verlustspiralen zu begrenzen, anzuhalten oder umzukehren, bis Kollegien oder ganze
4 Schulklima, Schulorganisation – Entscheidungsspielraum, Autonomie – Aufstiegschancen – Entlastung durch gemeinsame Bewältigung im Kollegium – Team Teaching – Gelungene Kommunikation – Soziale Kompetenzen 4 Unterrichtsorganisation – Methodenvariation im Unterricht – Regeln und Rituale – Rollenkonflikte – LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehungen pflegen 4 Selbstmanagement – Aufbau von Selbstwirksamkeit, Optimismus – Entspannung, Blitzentspannung – Unrealistische Erwartungen – Unterstützung mobilisieren – Innerliche Distanz zur Schule vs. »innere Kündigung« – Mentales Training
Institutionen ihren Halt zurück gewonnen haben und ihren Erholungsprozess wieder selbst vorantreiben können. Inhaltlich geht es bei der Beratung von Gruppen bzw. Lehrerkollegien u. a. um Themen der Kooperation im Arbeitsfeld Schule. Das betrifft die Kommunikation und Kooperation unter den Lehrenden und mit der Schulleitung, die gemeinsame Konfliktbewältigung oder den Konsens in Disziplinfragen. KollegInnen können in kleinen Gruppen betreut und beraten werden. Durch die Moderation des Beratenden werden Änderungen der Einstellung und des Verhaltens ermöglicht. Hierbei gilt es, die Balance zu halten zwischen den Bedürfnissen des Einzelnen, den Anforderungen des sozialen Systems Schule und den damit verknüpften Rollenvorgaben.
143 6.4 · Beratung von Lehrern und Lehrerinnen
Exkurs Team Teaching Team Teaching ist eine kooperative Lehrmethode, bei der zwei oder mehr Lehrende gemeinsam eine Lerngruppe unterrichten. Es bietet die Möglichkeit, den Unterricht gemeinsam mit anderen zu planen und zu gestalten. Dabei wird der einzelne Lehrende durch die Zusammenarbeit entlastet, aber auch stärker in seinen didaktischen Gewohnheiten und Verhaltensweisen kollegial supervidiert (Huber, 2000; Riegel, 2004). Team Teaching kann im Idealfall stressmindernd wirken durch die Verteilung der Aufgaben, der Planung, durch gegenseitiges Versichern bei der Diskussion der Ziele, Inhalte und Methoden im Unterricht, Insbesondere die Unterrichtsplanung liegt in den Händen mehrerer Personen und Probleme können leichter gemeinsam bewältigt werden. Durch die Kooperation erhält der einzelne Lehrende die Möglichkeit, seine didaktischen Kompetenzen zu erweitern, aber auch seine eigenen didaktischen Handlungen mit Hilfe des Feedbacks des Mitlehrenden zu reflektieren bzw. sich bewusst zu machen. Hier können auch erfolgreiche kollegiale Supervisionen entstehen, insbesondere in der Zusammenarbeit mit jungen Lehrenden in der Ausbildung. Lehrende entlasten sich nicht nur in Konfliktsituationen durch die gegenseitige Unterstützung, sie haben auch mehr Zeit für die SchülerInnen, was sich wiederum positiv auf das Klassenklima und die Lernprozesse der Lernenden auswirkt. Ein konsequentes, durchgängiges und damit effektives pädagogisches Arbeiten stellt sich durch die Arbeit im Team allerdings nie von selbst ein.
6.4.7
Institutionsberatung Schule
Die zentrale Qualitätsdimension der Institution Schule betrifft die Initiierung, Vertiefung und
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Fortsetzung von Lern- und Bildungsprozessen durch die Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Einstellungen. Die Qualität von Schule wird erheblich beeinträchtigt, wenn dies nicht realisiert wird, also z. B. SchülerInnen in Bildungsgänge platziert werden, denen sie nicht gewachsen sind oder LehrerInnen schulischen Rahmenbedingungen ausgesetzt sind, die die pädagogische Qualität mindern. Um Schule weiter zu entwickeln bedarf es spezifischer Schulentwicklungsprogramme (z. B. »gesunde Schule«; »autonome Schule«), die durch professionelle Beratung der Organisation Schule begleitet werden und die Qualität von Schule sichern. Die Qualität von Schule hängt also nicht allein von der Qualität des Unterrichts ab, sondern auch von ihrer Organisation. Die Beratung der Institution Schule kann von folgenden Fragen geleitet sein: 4 Welche Organisationsformen bieten sich für verschiedene Aufgabenbereiche an (Förderkurse, Arbeitsgemeinschaften, integrierte/ gesonderte Formen)? 4 Welche pädagogischen Kräfte kommen für die Aufgaben in Frage (MitschülerInnen, Lehrkräfte, BeratungslehrerInnen, schulpsychologische Dienste, SonderpädagogInnen, Eltern)? 4 Welche Qualifikation verlangt die Aufgabe? Sind Ausbildungs-/ Fortbildungsangebote für Lehrkräfte notwendig? Inhaltlich geht es bei der Beratung der Institution Schule u. a. um Themen wie die Reduzierung von Klassenstärken, der Auswahl und Entwicklung von Führungskräften, der Entlastung der Schulleitung durch einen Verwaltungsassistenten, die Unterstützung von Erziehungsarbeit (Schulsozialarbeit, Einforderung der Elternverantwortung), der Einrichtung einer Expertenkommission Lehrergesundheit in Kultusministerien. Zu letzterem könnte eine arbeitsmedizinische bzw. psychologische Betreuung gehören oder es könnten Gesundheitszirkel an der Schule etabliert werden. Eine Veränderung des Ruhestandseintritt durch Altersteilzeit, Lebensarbeitszeitmodelle, Alternativtätigkeiten oder die Herabsetzung der Regelaltersgrenze sind weitere denkbare Inhalte der Institutionsberatung Schule.
6
144
Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
6.5
Beratung von Jugendlichen
In einer sich rasant wandelnden Lebenswelt ändern sich gleichzeitig permanent die Bedingungen, unter denen Kinder und Jugendliche aufwachsen. Somit müssen sich auch die Beratungskonzepte anpassen, die Jugendliche adäquat auf das Leben vorbereiten wollen. Phänomene wie Jugendlichkeitswahn und Jugendarbeitslosigkeit beeinflussen die Lebenswelt und geben Anlass zu Auseinandersetzungen, der sich die pädagogische Beratung stellen muss. Die Ausrichtung der Beratung von Jugendlichen auf deren Lebenswelt hat die Blickrichtung auch wieder mehr auf die Eigenverantwortlichkeit der Familie und deren Ressourcen gerichtet. Hier kann pädagogische Beratung neue Methoden und Zugangswege erschließen. AIDS-Prävention bei Jugendlichen und Beratung bei Schul- und Prüfungsangst sollen im Folgenden als ein Beispiel der pädagogischen Beratung bei Jugendlichen vorgestellt werden.
6.5.1
HIV/AIDS-Prävention
AIDS wird in der Öffentlichkeit kaum noch als lebensbedrohliche Krankheit wahrgenommen, gleichzeitig stecken sich aber Jugendliche immer frühzeitiger mit dem HI-Virus und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten an (Robert Koch Institut, 2006). Dieser Entwicklung können Elternhaus, Schulen, Lehrbetriebe und Freizeitinstitutionen durch eine intensivere Aufklärung entgegenwirken. Pädagogische Beratung in der AIDS-Prävention hat zum Ziel, Jugendlichen aufzuzeigen, dass sie sich durch eigenständiges und kritisches Verhalten vor einer HIV-Infektion schützen können. Wie in anderen Präventionsbereichen (Sucht-, Gewaltprävention) stellt sich der Ansatz der Persönlichkeitsstärkung und des Trainings allgemeiner Lebenskompetenzen auch in der AIDS-Prävention als wirkungsvoller Weg dar (Buchwald & Perez, 2006; Schwarzer & Buchwald, 2002). Im Sinne einer ressourcenorientierten Beratung (▶ Abschn. 6.3.3) können die Stärkung des Selbstwertgefühls und der Eigenverantwortung Ansatzpunkte sein, aber auch äußere Ressourcen wie Kommunikation, Schulklima und soziale Unterstützung sollen gestärkt werden.
Jugendliche sind insbesondere während der Pubertät mit ihren körperlichen Veränderungen konfrontiert und aufgrund dessen gegenüber Fragestellungen, Aufklärung und Beratung im Bereich Sexualität grundsätzlich offen. Sigusch (1997) stellt sogar eine kulturelle Entmystifizierung der Sexualität fest. Er resümiert zahlreiche Untersuchungen, die zeigen konnten, dass für die heutige Jugend bei einer Beziehung Zärtlichkeit, emotionale Bindung und Gefühle an erster Stelle stehen und sie nicht nur Aufklärung hinsichtlich sexueller Aktivitäten und Risiken benötigen (Sigusch, 1998). Sexualität kann nicht auf Fragen zu Techniken des Pettings, Schwangerschaftsverhütung und sexuell übertragbare Krankheiten reduziert werden, sondern muss sich auch mit sozialen Situationen, Gefühlen, Mythen, Ängsten, Bindung und Scham beschäftigen. Eine HIV/AIDS-Prävention erreicht Jugendliche optimalerweise in der Schule und dann am besten in Form einer Kombination aus sachlicher Information und emotionaler Auseinandersetzung mit dem Thema. Hier sind die individuelle und unterschiedliche Reife wie auch die verschiedenen Erfahrungen der Jugendlichen eine besondere Herausforderung. Außerdem können in der Schule nicht alle Aspekte von Sexualität und AIDS mit der letzten gewünschten Offenheit diskutiert werden. Eltern und andere Partner aus dem Sozialraum der Jugendlichen sind in den Themenkreis Sexualkunde und AIDS-Information mit einzubeziehen. Die in der Schule übliche Koedukation kann im Kontext der AIDS-Prävention eine notwendige geschlechtsspezifische Schwerpunktarbeit behindern. Die verschiedenen Vorstellungen der Geschlechter sollten in geschlechterhomogenen Gruppen mit einer gleichgeschlechtlichen Lehrkraft thematisiert werden, da es Mädchen und Jungen dann leichter fällt, über Erfahrungen, Rollenverständnis, Erwartungen und Ängste in diesem Bereich zu sprechen. Winter und Neubauer (2004) unterstreichen nach einer qualitativen Untersuchung zur Sexualaufklärung und Beratung von Jungen, dass Jungen häufig in Konflikt mit ihren Aneignungs- und Bewältigungsversuchen von Sexualität geraten. Die jungenhafte Art, Sexualität auch in den Schmutz zu ziehen oder lächerlich zu machen wird nicht zum Anlass einer Erweiterung
145 6.5 · Beratung von Jugendlichen
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Exkurs HIV/AIDS im Spiegel der Forschung Prävention als Teil der Sexualaufklärung in der Schule sollte nicht allein den Lehrkräften überlassen sein. Eine Untersuchung in Züricher Schulen ergab, dass SchülerInnen externe Fachpersonen für diese Aufklärung bevorzugen (Schlumpf, Wydler & Hornung, 2002). Weiterhin deckte diese Studie bedenkliche Wissensdefizite der Jugendlichen auf. Nur 40 Prozent wussten, dass HIV/AIDS nicht heilbar ist. Ebenso groß ist der Anteil derer, die glaubten, ein HIV-Antikörpertest sei eine sichere Präventionsmaßnahme. Ein Drittel nahm an, man könne sich gegen HIV/AIDS impfen lassen. Die Wissensdefizite in diesem Bereich sind also noch erheblich. Aus der aktuellen DurexStudie für 2005 geht hervor, dass das Durchschnittsalter für das »Erste Mal« in Deutschland bei 16 Jahren liegt. Diese breit angelegte Online-Befragung zur Sexualität zeigt zudem, dass deutsche Kinder im internationalen Vergleich sehr früh, nämlich bereits mit etwa 11 Jahren aufgeklärt sind, und die heute 16 - 20 Jährigen schon mit 12,7 Jahren über das We-
ihrer Kompetenzen genommen, sondern sie vielmehr zurechtzuweisen und zu begrenzen. »Weit weniger wird gesehen, dass sie vielleicht weniger eingeschränkt werden müssen, als vielmehr auch behutsam an eine Erweiterung ihres Repertoires herangeführt werden können« (Winter & Neubauer, 2004, S. 122). Schulen scheinen ihre Aufgabe in der AIDSPrävention nur zum Teil wahrzunehmen. Es gibt Lehrkräfte, die keine AIDS-Information geben, da sie Mühe haben, Sexualität und AIDS im Unterricht zu thematisieren. Somit sind in Zukunft für die Prävention andere Unterrichtsmodelle zu diskutieren als die Übertragung der Aufgabe an die KlassenlehrerInnen. Denkbar wäre beispielsweise, dass pro Schule ein oder zwei Teams, bestehend aus
sentliche informiert waren. In der Altersgruppe der jetzt 16 – 20 Jährigen hat trotzdem ein Drittel ungeschützten Geschlechtsverkehr. Damit gehen Jugendliche bezüglich einer HIV-Infektion hohe Risiken ein. Schlumpf et al. (2002) stellten fest, dass Jugendliche dieses Verhalten mit rationalen Kriterien begründen. Zum Beispiel »Der/die PartnerIn ist sicher« oder »Es lag ein negativer HIV-Antikörpertest vor«. Es wird aber auch emotional argumentiert mit »Er/sie liebt mich«. Die Begründungen zeigen nach Auffassung der Autoren, dass das Wissen um Übertragungswege des HI-Virus und über Schutzmöglichkeiten risikoreiches Handeln nicht ausschließt. Also auch wenn eine Einsicht vorhanden ist, bedarf es besonders in Risikosituationen, die emotional geprägt sind, zur Verhaltensänderung zusätzliche Kräfte wie Selbstvertrauen, Konfliktfähigkeit, Eigenverantwortung und soziale Kompetenzen. Emotionale und soziale Themen sollten daher bei der HIV/AIDS-Prävention und Beratung eine gleichberechtigte Bedeutung haben wie biologische Fragen.
einem Lehrer und einer Lehrerin gebildet werden könnten, die den Unterricht für Sexualkunde und AIDS-Prävention übernehmen. Ein solcher Ansatz bietet gegenüber dem alleinigen Einsatz der KlassenlehrerInnen den Vorteil, dass Lehrpersonen dem tabubesetzten, komplexen Thema nicht mehr allein gegenüberstehen und der Unterricht in geschlechterspezifischen Gruppen erteilt werden kann. Der Einbezug von Fachkräften ist für spezielle Aktivitäten oder Veranstaltungen, zum Beispiel für eine spezifische Fragestunde, denkbar und sinnvoll. Für einen Zugang zum Thema Solidarität wurden an verschiedenen Schulen HIVpositive Menschen zu einem Gedankenaustausch eingeladen.
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6
Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
Schulische Ziele der AIDS-Prävention 4 Wissen über das HI-Virus und seine Übertragungswege vermitteln 4 Schutzmöglichkeiten und sicheres Verhalten aufzeigen 4 Fähigkeit entwickeln, Risikosituationen zu erkennen und zu vermeiden 4 risikoarme Verhaltensweisen praktizieren 4 Kommunikative Kompetenzen stärken 4 Emotionale, soziale und rollenspezifische Aspekte von Beziehungen diskutieren 4 Notwendigkeit des Kondomgebrauchs bei neuen, spontanen Begegnungen betonen 4 Richtige Anwendung von Kondomen zeigen 4 Sinn und Grenzen des HIV-Antikörpertests erläutern 4 Verständnis und Toleranz für das Verhalten von Menschen mit andern Normen wecken 4 Krankheitsbild und -verlauf von AIDS erklären 4 Solidarität gegenüber Betroffenen fördern und leben
Neuere Aspekte der HIV/AIDS-Prävention betreffen u. a. Migration und Prostitution (Kelek, 2006), sowie Homosexualität und Safer Clubbing in der Partyszene (Buchwald & Perez, 2006) und die diesbezügliche Weiterbildung von Lehrkräften.
6.5.2
Schulangst und Prüfungsangst
Immer mehr SchülerInnen leiden unter Schulangst und oft ist Leistungsdruck die Ursache (Petersen, 2006). Vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosigkeit und sinkender staatlicher Förderung nimmt vor allem die Prüfungsangst zu, denn schulische Leistungen und Zeugnisnoten werden immer wichtiger für die Zuweisung von Lebens- und Berufschancen (Buchwald, 2002). Schul- und Prüfungsangst sind Phänomene, unter denen Schüler-
Innen aller Schularten leiden können, unabhängig von ihren tatsächlichen Leistungen. Leistungsdruck entsteht dann, wenn ein guter Schüler gute Schulnoten von sich erwartet oder auch Eltern bzw. autoritäre LehrerInnen starken Druck ausüben. Unterschiedlichste Maßnahmen können angezeigt sein, um SchülerInnen zu helfen ihre schulspezifischen Ängste zu bewältigen. Meistens sind Jugendliche damit aber allein überfordert, so dass Eltern und LehrerInnen miteinbezogen werden sollten. Tritt aus der Sicht des Lernenden, der Lehrkraft und der Eltern keine Veränderung ein, sollte eine neutrale Beratungsinstitution zu Hilfe gezogen werden. Das können sowohl der Schulpsychologische Dienst als auch die Erziehungsberatungsstellen der Städte und Kommunen sein.
Was ist Angst – Schulangst – Prüfungsangst? Generell wird Angst definiert als ein unangenehmes Gefühl, das in Situationen auftritt, die als bedrohlich und unsicher eingeschätzt werden. Schulangst ist eine spezifische Angst vor Situationen in der Schule, z. B. Angst vor einem bestimmten Fach, Trennungsangst, aber auch Angst vor einer Lehrkraft oder vor MitschülerInnen. Angst vor einer bestimmten Leistung ist eine weitere Art der Schulangst, genannt Prüfungsangst oder Leistungsangst. Sehr prüfungsängstliche SchülerInnen reagieren auf schwierige Leistungsanforderungen mit Besorgnis und Aufgeregtheit, wobei es zu starken Stressreaktionen kommen kann, verbunden mit Leistungsbeeinträchtigungen (Rost & Schermer, 2006; Zeidner, 1998). Prüfungsangst kann sich als ein dauerhaftes Gefühl einstellen, das nicht mehr von einem konkreten Ereignis abhängt. Wer prüfungsängstlich ist und Angst vor Klassenarbeiten hat, bekommt schon allein bei dem Gedanken an eine solche Arbeit Herzklopfen. Dieses Gefühl der Angst kann sich auf die gesamte Institution Schule ausdehnen und spiegelt das Gefühl wider, bestimmte Gefahren im Zusammenhang mit der Schule nicht bewältigen zu können. In neuen, ungeübten Situationen kann diese Angst besonders stark zu Tage treten.
6
147 6.5 · Beratung von Jugendlichen
Beispiel Klara ist vor kurzem in die 5. Klasse des Gymnasiums gekommen und wird nun schon seit einigen Wochen von ihrer Mutti jeden Morgen mit dem Auto zur Schule gebracht. Als sie heute vor der Schule anhalten, will Klara nicht aussteigen. Die Mutter lacht und sagt: »Also Klara, was soll das denn jetzt? Schau auf die Uhr, du musst los!« Klara regt sich nicht und schaut auf den Boden. Die Mutter steigt aus und öffnet die Autotür auf Klaras Seite. Sie versucht, Klara aus dem Auto zu zerren. Klara gerät in Panik und wehrt sich. »Jetzt sei doch endlich vernünftig!«, schimpft die Mutter. »Dir kann doch hier nichts passieren, was soll denn das?« Wieder versucht sie Klara aus dem Auto zu ziehen, doch Klara schreit und weint und hält sich im Auto mit aller Kraft fest. Ärgerlich setzt sich die Mutter wieder hinter das Steuer und fährt mit Klara nach Hause.
Schul-
Ressourcen
Spezifische
Klara fehlte die Überzeugung, die Situation in der Schule selbst erfolgreich bewältigen zu können im Sinne einer Selbstwirksamkeitsüberzeugung (Bandura, 1977). Angenommen die Situation in der Klasse unter den MitschülerInnen ist sehr kompetitiv und einige LehrerInnen haben den SchülerInnen auch schon zu verstehen gegeben, dass diejenigen, die den Anforderung im Gymnasium nicht gewachsen sind, wohl nicht auf diese Schule gehören. Klara fühlt sich dadurch möglicherweise unter Druck gesetzt, sie hat Angst die von ihr erwarteten Leistungen nicht erbringen zu können. Vielleicht hat sie auch schon in einer ersten Klassenarbeit eine schlechte Note geschrieben. Eine wesentliche Rolle spielt dabei, welche Erklärung Klara selbst für das Zustandekommen der schlechten Note heranzieht (Kausalattribution). Sieht sie die Ursache z. B. in ihrer mangelnden Begabung, muss sie annehmen, diese nicht ändern zu können. Gefühle von Hilflosigkeit in Bezug auf die gesamte Schulsituation können so stark werden, dass ein Kind Hilfe und Unterstützung braucht. Das Verhalten der Mutter
Kognitive Bewertung
Emotion
Symptome
Stressquellen Kind
physisch persönliche
Magenprobleme
Überforderung Wenig/falsch gelernt Pubertät Eltern
Übelkeit Erwartete Hilfe Selbstwirksamkeitserwartung Attributionsstil Lernstil …
Erbrechen Herausforderung
Freude
Essstörungen
Angst
Erschöpfungszustände Kopfschmerzen
Müdigkeit
Bedrohung Unrealistische Erwartungen Scheidung Erziehungsstil
Schule Lehrer-SchülerBeziehung
Einnässen soziale Schaden Erhaltene Hilfe durch Eltern Lehrende Geschwister Nachhilfe Wohnbedingung …
Ärger
psychisch Konzentrationsstörung
Verlust
Trauer
Alpträume Trödeln Aggression
Mitschüler
Depression
Schulklima
Schulverweigerung
⊡ Abb. 6.3. Entstehung von Schulangst
148
Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
⊡ Tab. 6.4. Beratungsprozess bei Schulangst Stufe 1 Beteiligte
4 BeratungslehrerIn, Eltern, KlassenlehrerIn und evtl. Schüler
Inhalt des Gesprächs
4 Konkrete Fakten (Unterrichts-, Konzentrationsstörung, Fehlzeiten, Krankheiten) 4 Zusammenhang zwischen Symptomen und Schulangst erläutern 4 Erwartungen der Klassenlehrerin, Eltern, des Schülers klären 4 Entwicklung möglicher Hilfestellungen, Vereinbarung der nächsten Schritte 4 Datum, Inhalt des Gespräches dokumentieren; Folgetermin festlegen
6
Stufe 2 Beteiligte
4 Wie in Stufe 1 und Schulleitung
Inhalt des Gesprächs
4 Benennen neuer Fakten 4 Zusammenhang zur Schulangst erneut aufzeigen 4 Besprechen weitergehender Hilfen 4 Festlegen und vereinbaren der nächsten Unterstützungsschritte 4 Fachliche Unterstützung und Diagnostik einholen 4 Datum, Inhalt des Gespräches dokumentieren; Folgetermin festlegen
Stufe 3 Beteiligte
4 Wie in Stufe 2 und evtl. weitere Hilfspersonen
Inhalt des Gesprächs
4 Benennen neuer Fakten auf der Basis der vorangegangenen Gespräche 4 Zusammenhang zur Schulangst erneut aufzeigen 4 Besprechen weitergehender Hilfen 4 Wenn nötig Aufnahme einer Psychotherapie empfehlen 4 Andere weiterreichende Maßnahmen veranlassen 4 Festlegen und vereinbaren der nächsten Unterstützungsschritte 4 Datum, Inhalt des Gespräches dokumentieren; Folgetermin festlegen
Stufe 4 Beteiligte
4 Wie in Stufe 2 und evtl. weitere Hilfspersonen
Inhalt des Gesprächs
4 Benennen neuer Fakten auf der Basis der vorangegangenen Gespräche 4 Aufzeigen der bislang erreichten Forschritte 4 Bewertung der Erreichung des erwünschten Zielzustandes 4 Festlegung der wesentlichen persönlichen und sozialen Ressourcen zur Zielerreichung 4 Festlegen, ob weitere Unterstützungsschritte noch notwendig sind
149 Literatur
von Klara, die nicht verstand, warum Klara plötzlich nicht mehr in die Schule wollte, bot nicht die Hilfe, die sich Klara gewünscht hatte. Im Gegenteil versuchte die Mutter sogar, sie der »Gefahr« geradezu auszusetzen, denn sie konnte sich nicht in Klara hineinversetzen. Im Rahmen der transaktionalen Stresstheorie nach Lazarus (1995) lässt sich Prozess der Entstehung von Angst bzw. Schulangst abbilden (. Abb. 6.3). Die Symptome von Schulangst können individuell sehr unterschiedlich sein. Es sollte daher eine medizinische und pädagogisch-psychologische Diagnose erstellt werden.
Beratung Die Kooperation aller Beteiligten (Kind, Eltern, Schule, Kinderarzt/ärztin, Beratungsstelle, PsychotherapeutIn, etc.) zu einem möglichst frühen Zeitpunkt ist sinnvoll, z. B. in Form der Einberufung einer Helferkonferenz. Das folgende Ablaufschema eines Beratungsprozesses bei Schulangst (. Tab. 6.4) soll ein Beispiel für die Einleitung unterstützender Maßnahmen sein.
6.6
Ausblick
In diesem Beitrag wurde die Bedeutung und Konzeptualisierung von Beratung für den Bereich der Pädagogischen Psychologie dargelegt und theoretische Grundlagen vorgestellt. Beispielhaft wurden einige Anwendungsfelder vorgestellt, u. a. die Beratung von LehrerInnen und die Beratung von SchülerInnen bei psychosozialen Schwierigkeiten wie Burnout und Prüfungsangst. Es soll deutlich geworden sein, dass noch viele weitere Beratungsanlässe für beide Adressatengruppen denkbar sind, die hier keine Erwähnung finden, z. B. Laufbahnberatung für SchülerInnen, Beratung von SchülerInnen und Eltern mit Migrationshintergrund oder Coaching für SchulleiterInnen. Aus unserer Sicht sind zukünftig einige Themen für die pädagogische Beratung von besonderer Bedeutung. Dazu gehört u. a. die Förderung des lebenslangen Lernens mit dem Ziel des Erhalts von Beschäftigung. Dabei gehört die Lernund Karriereberatung zu einem zunehmend
6
wichtigen Aufgabenfeld, die in der Weiterbildung als Unterstützung für selbstorganisierte Qualifizierungsprozesse zu verstehen ist. Lernberatung hat aber auch für die Kinder in der Schule eine stärkere Bedeutung gewonnen, nachdem PädagogInnen durch PISA wieder darauf aufmerksam geworden sind, dass Lernen unter ganz bestimmten Bedingungen funktioniert. Außerdem wird die individuelle Situation des Ratsuchenden immer wichtiger, da sozio-kulturelle, geschlechterspezifische, interkulturelle und altersspezifische Aspekte in der Beratung an Bedeutung gewinnen. Beratung benötigt daher möglichst passgenau zugeschnittene Beratungsangebote, z. B. für Migranten, Ältere und Benachteiligte. Damit einher geht auch die spezifische Qualifizierung der Beratenden. So benötigen Lehrkräfte beispielsweise im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse der Eltern und Kinder mit Migrationshintergrund interkulturelle Beratungskompetenz, die sie für die Belange von Migranten sensibilisiert.
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Kapitel 6 · Beratung in der Pädagogischen Psychologie
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7 Gesundheitsberatung H. Domsch und A. Lohaus 7.1
Einleitung – 154
7.2
Eingrenzung des Begriffes
7.3
Von der Patientenaufklärung zur Gesundheitsberatung – 155
7.4
Ziele einer Gesundheitsberatung
7.5
Rahmenbedingungen
– 154
– 155
– 156
7.5.1 Zielgruppe – 156 7.5.2 Gesundheitsberater – 157
7.6
Theoretischer Hintergrund und neuere Ansätze – 157
7.6.1 7.6.2 7.6.3 7.6.4 7.6.5
Modelle der Gesundheitspsychologie – 158 Subjektive Krankheitstheorien – 159 Beratungsansätze – 160 Empowerment – 161 »E-Health«: Beratung im Internet – 162
7.7
Gesundheitsberatung bei Kindern und Jugendlichen – 164
7.8
Beispiel einer Gesundheitsberatung an chronisch Kranken
7.9
Anforderungen und Effektivität Literatur
– 168
– 167
– 165
7
154
Kapitel 7 . Gesundheitsberatung
7.1
Einleitung
Die Gesundheit gilt seit jeher als eines der höchsten und wichtigsten Güter eines Menschen. Beratung in Gesundheitsfragen ist somit von besonderer Relevanz und Gesundheitsberatung nimmt damit einen hohen Stellenwert ein. Während früher Gesundheitsberatung vor allem in der Arzt-Patient-Dyade gesehen wurde (z.B. in Form eines Aufklärungsgespräches über ein bestimmtes Medikament), ist in Deutschland in den letzten Jahren eine zunehmende Professionalisierung, die über den Arztbesuch hinausgeht, in diesem Themenfeld festzustellen. In der Praxis lässt sich eine Fülle von Ansätzen, Formen, Settings und Anbietern zum Thema Gesundheitsberatung finden. Der Begriff bündelt damit eine stetig wachsende Heterogenität. Eine definitorische Eingrenzung des Begriffes und eine Professionalisierung in der Praxis, die sich auf wissenschaftlich fundierte Befunde stützt, scheint daher angebracht.
7.2
Eingrenzung des Begriffes
Gesundheitsberatung im weitesten Sinne bezeichnet jegliche Beratung, die gesundheitliche Belange betrifft. Unter diese Definition fallen beispielsweise auch gesundheitliche Ratschläge in der Nachbarschaft, Ratgeberliteratur und Beratung in Lebensfragen. Die Breite dieser Definition lässt sich veranschaulichen, wenn zunächst die Definition des Wortes »Gesundheit« näher beleuchtet wird. Wurde Gesundheit früher vornehmlich als das Gegenteil vom Krankheitszustand betrachtet, weitete sich die Bedeutung in neueren Begriffsbestimmungen zunehmend aus. Die WHO versteht zum Beispiel unter dem Begriff Gesundheit einen »Zustand des vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen« (Präambel der Verfassung der WHO, 1946). Diese Definition gibt einen Blick auf ein sehr viel allgemeineres und umfassenderes Verständnis von Gesundheit. Gesundheitsberatung auf der Grundlage einer solchen Sichtweise bezieht sich nicht mehr allein auf das körperliche oder psychische Wohlbefinden, sondern schließt auch die soziale
Situation des Individuums mit ein. Der Einbezug der sozialen Dimension wird in Konzeptionen der Gesundheitsberatung deutlich, die zum Beispiel die Befähigung zur politischen Einflussnahme als Bestandteil von Gesundheitsberatung sehen (Brinkmann-Göbel, 2001). Zudem weist der Begriff Gesundheitsberatung mit einer Reihe verwandter Konstrukte starke Überschneidungen auf, wobei hier insbesondere die Gesundheitskommunikation zu nennen ist (Hurrelmann & Leppin, 2001). Beide Begriffe beziehen sich auf die Vermittlung bzw. den Austausch von Informationen. In einem Dialog zwischen zwei Experten, die sich über ein neues Therapieverfahren austauschen, findet zwar Kommunikation, nicht aber Beratung statt. Genauso ist die alleinige Weitergabe von Informationen (z.B. durch ein Informationsportal im Internet) noch nicht als Beratung zu bezeichnen. Eine Beratung ohne Kommunikation ist dagegen nicht denkbar. Insofern finden sich zwar Überschneidungen zwischen beiden Begrifflichkeiten, es sind jedoch ebenso Ansatzpunkte für Abgrenzungen erkennbar. Um den Begriff der Gesundheitsberatung klarer abzugrenzen, bietet die Begriffsdefinition von Faltermeier (2004) einen praktikablen Ausweg: Definition »Gesundheitsberatung kann [...] als eine professionelle Beratung verstanden werden, die sich auf Gesundheitsthemen und -probleme bezieht und das Ziel hat, über psychologische und soziale Veränderungsmethoden Krankheiten zu verhindern, Gesundheit zu fördern und die Bewältigung einer Krankheit zu unterstützen.« (Faltermeier, 2004, S. 1064).
Zunächst grenzt diese Definition das Feld der Gesundheitsberatung auf eine professionelle Beratung ein und schließt somit die einfache Informationsweitergabe, zum Beispiel innerhalb der Familie, aus. Weiterhin enthält sie bereits Hinweise, welcher Methoden sich die Beratung bedient und welche Ziele sie verfolgt. Sie beschreibt damit einen adäquaten Ansatzpunkt, das Feld der Gesundheitsberatung zu beschreiben und einzugrenzen.
155 7.4 . Ziele einer Gesundheitsberatung
7.3
Von der Patientenaufklärung zur Gesundheitsberatung
Ende der 50er Jahre wurde in Deutschland die Pflicht zur Patientenaufklärung eingeführt (Beller, 2000). Danach waren Ärzte vor allem aus rechtlichen Gründen verpflichtet, ihre Patienten über die Maßnahmen und deren mögliche Konsequenzen zu informieren. Der Patient spielte dabei eher die Rolle des passiven Rezipienten. In den letzten Jahren hingegen hat sich der Bürger bzw. Patient in dieser Hinsicht zu einem immer aktiveren und kritischeren Ratsuchenden entwickelt. Anstelle lediglich Empfänger von Ratschlägen und Anweisungen zur Verhaltensänderung zu sein, tritt der Patient als Koproduzent seiner eigenen Gesundheit auf (Hurrelmann, 2001). Er wird somit immer mehr zum gleichwertigen Akteur im Gesundheitssystem. Verstärkt wird dieser Trend sicherlich durch eine wachsende Kommunikationsgesellschaft, in der der Bürger in stärkerem Maße nach Informationen sucht und so, vermittelt durch vermehrte Kompetenz, nach Mitbestimmungsrecht strebt. Unterschiedliche Erhebungen untermauern, dass diese Wünsche von vielen Patienten bisher als noch nicht befriedigend erfüllt angesehen werden (Zok, 2002). Die Forderung nach einer stärkeren Selbstbestimmung des Patienten wird auch in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (WHO, 1986) deutlich: »Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.« Bereits diese Definition läutet den Wechsel von der vornehmlichen Orientierung an einem Defizitmodell zu einer Betrachtungsweise im Sinne eines Kompetenzmodells ein. Im Vordergrund steht nicht mehr die alleinige Beseitigung von Krankheitszuständen, sondern auch die Nutzung der Ressourcen und Selbstbestimmungsfähigkeiten des Patienten. Das Zugestehen von mehr Eigenverantwortung an den Bürger überträgt ihm dennoch nicht nur mehr Rechte, sie bürdet ihm möglicherweise auch mehr Arbeit und Pflichten (im Sinne einer aktiven Beteiligung) auf. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit diese neue Rolle von Patientenseite überhaupt gewollt ist. In einer repräsentati-
7
ven amerikanischen Stichprobe erhoben Levinson, Kao, Kuby und Thisted (2004) den Wunsch nach Partizipation bei der ärztlichen Behandlung. Von den 2765 befragten Personen äußerten nahezu alle den Wunsch, verschiedene Behandlungsoptionen unterbreitet zu bekommen und nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Dennoch präferierte die Hälfte der Befragten, die letztendliche Entscheidung ihrem Arzt zu überlassen. Frauen sowie gebildetere und gesündere Befragte wünschten sich tendenziell mehr Partizipationsmöglichkeiten. Diese und andere Ergebnisse (Arora & McHorney, 2000) zeigen, dass Ratsuchende mehr Informationen vermittelt bekommen möchten und viele auch in den Entscheidungsprozess eingebunden werden wollen. Gesundheitsberatung soll jedoch nicht bedeuten, dem Patienten eine aktive Rolle im Entscheidungsprozess zu oktroyieren. Stattdessen wählt der Bürger bzw. Patient in einem gewissen Ausmaß selbst, wie viel Beteiligung er wünscht.
7.4
Ziele einer Gesundheitsberatung
Brinkmann-Göbel (2001) hält, ausgehend von einer Patientenorientierung, die folgenden drei Ziele einer Gesundheitsberatung fest: Stärkung der Selbstbestimmung des Patienten, Stärkung der Beteiligung des Bürgers/ Patienten sowie eine Verringerung sozialer Ungleichheit im Hinblick auf das Gesundheitsrisiko.
Stärkung der Selbstbestimmung des Patienten Gesundheitsberatung soll den Bürger bzw. Patienten in seiner Selbstbestimmungsfähigkeit stärken. Er soll somit in den Möglichkeiten des Gesundheitssystems autonomer agieren und entscheiden können. Notwendig zur Erfüllung dieses Zieles ist die Weitergabe von Informationen. Dies kann z.B. folgende Inhalte betreffen: 4 Informationen über die Angebote des Versorgungssystems, 4 Informationen über bestimmte Gesundheitsleistungen und deren Vor- und Nachteile und 4 Informationen über Rechte des Bürgers bzw. Patienten.
156
Kapitel 7 . Gesundheitsberatung
Sicherlich können als weitere zentrale Inhalte auch Informationen über Aspekte der Gesundheit bzw. bestimmte Krankheiten und psychische Beeinträchtigungen ergänzt werden.
Stärkung der Beteiligung (Partizipation) des Bürgers/Patienten
7
Gesundheitsberatung soll zu einer Stärkung der Partizipationsmöglichkeit des Bürgers führen. Diese Partizipationsmöglichkeit kann nach Brinkmann-Göbel dabei sowohl das eigene gesundheitsbezogene Verhalten als auch politische Einflussnahmemöglichkeiten betreffen. In dieser Rolle wird der Bürger bzw. Patient nicht mehr nur als Ratsuchender, sondern auch als Experte über seine eigene Lebensweise, seine Präferenzen, seine Ressourcen, Wünsche und Möglichkeiten anerkannt. Neuere Konzepte, wie z.B. das shared decision making, kommen diesem Ziel entgegen, indem der Patient in die Therapieentscheidungen mit eingebunden wird (Wills & Holmes-Rovner, 2006). Weiter unten wird des Weiteren auf den Ansatz des Empowerments eingegangen, bei dem der Patient und Ratsuchende z. B. befähigt werden soll, sich aktiv an seinem Genesungsprozess zu beteiligen.
Verringerung sozialer Ungleichheit im Hinblick auf das Gesundheitsrisiko Brinkmann-Göbel sieht als drittes zentrales Ziel der Gesundheitsberatung, den Zugang zur Beratung besonders niedrigschwellig anzubieten bzw. zu verbessern. Dies betrifft insbesondere vermehrt risikogefährdete Gruppen, die mit geringen Ressourcen (Geld, Bildungsstand, Selbstbewusstsein, soziale Unterstützung) ausgestattet sind. Besonders ortsnahe Beratungsangebote, die in gewohnten und bekannten Settings angeboten werden, wie z.B. in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Volkshochschule, scheinen dafür vielversprechend zu sein. Weitere Ziele können in der Zunahme des subjektiven Wohlbefindens und der Reduktion potentieller Risiken gesehen werden. Diese Ziele implizieren Hilfestellungen bei einer akuten Krankheitsbewältigung, aber auch gesundheitsfördernde und präventive Ansätze. So kann zum Beispiel das Ziel einer Beratung neben einer Bewältigung der Krankheitssymptome auch die Stärkung von Ressourcen umfassen.
7.5
Rahmenbedingungen
7.5.1
Zielgruppe
Gesundheitsberatung richtet sich an alle Bürger, Patienten, Versicherte und Organisationen, die an Gesundheitsthemen Interesse zeigen (s. Faltermeier, 2004). Orientierend an der Dreiteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention lässt sich auch die Zielgruppe der Gesundheitsberatung grob in drei Gruppen einteilen: Gesunder Bürger, Patient in der akuten Hilfssituation und Patient in der Rehabilitationsphase. Je nachdem, in welcher Phase der Ratsuchende sich befindet, ergeben sich andere Beratungsschwerpunkte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht ausschließlich der Patient selbst in eine Beratung eingebunden sein muss, sondern diese sich auch auf die Angehörigen erstrecken kann. Im Fall von Kindern ist dies sofort einleuchtend, da die Eltern die Verantwortung für das Wohlergehen des Kindes haben. Aber auch im Erwachsenenalter kann eine Beratung der Angehörigen sinnvoll erscheinen. Schließlich stellen einige Erkrankungen und Störungen eine schwere Belastung für die Angehörigen dar (Buijssen, 1996). Davon gesondert kann schließlich noch die Beratung von Organisationen und Institutionen betrachtet werden.
Gesunder Bürger und seine Angehörigen Gesundheitsberatung, die nicht nur beim Patienten in einer akuten Situation, sondern bereits beim (relativ) gesunden Bürger ansetzt, beinhaltet vor allem Präventionsarbeit und Gesundheitsförderung. Ein einfaches Beispiel hierfür ist eine Ernährungsberatung von Schwangeren, die unter anderem die Wahrscheinlichkeit einer beim Kind auftretenden Allergie minimieren möchten.
Patient in der akuten Hilfssituation und seine Angehörigen Bei der Beratung eines Patienten in einer akuten Hilfssituation und seiner Angehörigen wird üblicherweise ein anderer Schwerpunkt gesetzt. Hier liegt die Aufklärungs- und Beratungsarbeit vornehmlich bei den gesundheitsbeeinträchtigenden Ursachen, Symptomen, potentiellen therapeutischen Maßnahmen sowie bei der Krankheitsbewältigung. Umfang und Inhalt der Beratung werden hier stark durch die Art der Erkrankung, ihr Stadium sowie die
157 7.6 . Theoretischer Hintergrund und neuere Ansätze
Patientenmerkmale mitbestimmt. Darüber hinaus kann sich die Beratung auf die Stärkung von Ressourcen und damit die positiven Anteile der Gesundheit beziehen. Weiterhin müssen Angehörige zum Teil instruiert werden, wie sie in alltäglichen aber auch kritischen Situationen Hilfestellungen geben können. So ist beispielsweise bei einer Demenzerkrankung die Aufklärung der Angehörigen über die Symptome und über Unterstützungsmöglichkeiten angebracht (Wils, Adler & Gunzelmann, 2001).
7
nomische Anreiz Unternehmen zu Maßnahmen der Gesundheitsförderung motivieren. Mit diesem ökonomischen Anspruch wird sich der Gesundheitsberater dementsprechend im betrieblichen Setting fortlaufend auseinandersetzen müssen. 7.5.2
Gesundheitsberater
Ein Patient in der Rehabilitationsphase hat im Vordergrund seines Interesses meist die Wiedergewinnung bzw. spätere Aufrechterhaltung eines möglichst positiven Gesundheitszustandes. Dabei spielt auch die Angehörigenberatung eine wichtige Rolle. Was müssen sie zu Hause beachten und welche Unterstützungsmöglichkeiten haben sie für die Rehabilitation des Patienten? Ein Schlaganfallspatient zeigt zum Beispiel oft motorische und verbale Einschränkungen und kann nach einem schwereren Anfall eine depressive Phase durchleben (Malevani, 2005). Angehörige übernehmen nicht nur Pflegetätigkeiten, sondern erfüllen gleichzeitig andere unterstützende Funktionen (z.B. Hilfestellung bei motorischen Übungen). Sie müssen daher mit dem nötigen Wissen und einer entsprechenden Handlungskompetenz ausgestattet werden. Zudem sollten sie auf die eigenen emotionalen Belastungen vorbereitet und bei deren Bewältigung unterstützt werden (Grässel, 2001). Gerade die Beratung von Angehörigen scheint jedoch ein Bereich zu sein, dem in der Praxis von Ärzten und Therapeuten leider noch zu wenig Beachtung geschenkt wird. Diese Aufgabe wird stattdessen häufig von Selbsthilfegruppen übernommen.
In traditioneller Hinsicht werden Ärzte mit dem Thema Gesundheitsberatung in Verbindung gebracht. Auch Patienten sehen Ärzte als wichtigste Informationsquelle an (Tautz, 2002). Gleichzeitig zeichnet sich aber ab, dass Ärzte dieser Rolle oft nur ungenügend entgegenkommen (Zok, 2002). Im Hinblick auf diese Befundlage lässt sich daher berechtigterweise nach anderen Berufsgruppen fragen, denen die Aufgabe einer Gesundheitsberatung zukommt. Eine ebenfalls traditionelle Rolle nehmen dabei Pflegekräfte und medizinische Fachangestellte ein. So wird zum Beispiel in vielen zahnärztlichen Praxen die Aufklärung und Beratung zur Mundhygiene von medizinischen Fachangestellten übernommen. In der US-amerikanischen Pflege ist die Aufgabe der Beratung bzw. Patientenedukation stärker in das Berufsbild der Pflegekräfte integriert als dies in Deutschland der Fall ist (Müller-Mundt, Schaeffer, Pletschberger & Brinkhoff, 2000). Letztendlich kommen jedoch jegliche Berufsgruppen in Frage, die im Gesundheitssystem tätig sind. In der Schnittstelle Medizin, Gesundheitspsychologie und Beratung scheint die Berufsgruppe der Psychologen besonders geeignet zu sein, Gesundheitsberatung durchzuführen (Faltermeier, 2004), da sie über geeignete Kommunikations- und Beratungskompetenzen verfügen. Zudem verfügen Psychologen über ein breites Theoriewissen, das in die Beratungssituation mit eingebracht werden kann.
Beratungen von Organisationen und Institutionen
7.6
Gesundheitsförderliche Maßnahmen in Unternehmen können unter anderem die Gestaltung der Arbeitsmittel, der Arbeitsumgebung, der Arbeitsabläufe, des Arbeitsplatzes sowie die Planung von Arbeitszeiten und das Arbeitsklima betreffen. Neben einer existierenden Gesetzgebung (Arbeitsschutzgesetz, § 3, 5, 6), die die Unternehmen zur Auflistung von potentiellen Gefahren und eingeleiteten Schutzmaßnahmen verpflichtet, dürfte vor allem der öko-
In den Themenfeldern Beratung und Gesundheitspsychologie existieren eine Vielzahl an Theorien und Ansätzen, die in das Feld der Gesundheitsberatung übertragen werden können. Eine komplette Auflistung dieser Punkte dürfte den Rahmen des vorliegenden Buchkapitels sprengen. Daher soll an dieser Stelle nur auf ausgewählte Ansätze eingegangen
Patient in der Rehabilitationsphase und seine Angehörigen
Theoretischer Hintergrund und neuere Ansätze
158
Kapitel 7 . Gesundheitsberatung
werden. Dabei werden zunächst Konzepte zur Gesundheit und zum Gesundheitsverhalten erläutert.
7.6.1
7
Modelle der Gesundheitspsychologie
Gerade für eine stärkere Professionalisierung einer Gesundheitsberatung scheint der Rückgriff auf wissenschaftliche Theoriekomplexe und Modelle angebracht zu sein. Dabei bieten die Gesundheitswissenschaft und die Gesundheitspsychologie eine Reihe an Theorien, die hierfür brauchbar sind. Sie geben dem Berater nicht nur Hintergrundwissen und ein besseres Verständnis von Gesundheit und Gesundheitsverhalten, sondern zeigen auch Ansatzpunkte für eine Beratung auf. Grundlegend dürften dabei wissenschaftliche Konzepte von Gesundheit sein, wie zum Beispiel das Risikofaktorenmodell oder das salutogenetische Modell von Antonovsky (1979, 1989). Während das Risikofaktorenmodell versucht, alle potentiellen und bedeutsamen Risikofaktoren für eine spezifische Krankheit festzuhalten (pathogenetischer Ansatz), bezieht Antonovsky auch die krankheitsverhindernden Komponenten bzw. Ressourcen einer Person mit ein. Die distinkte Aufteilung zwischen »krank« oder »gesund« ist damit aufgehoben und wird durch ein Modell ersetzt, bei dem Krankheit und Gesundheit Eckpunkte eines Kontinuums darstellen, auf dem sich eine Person bewegen kann. Auch Lazarus (1966, 1991) greift die Ressourcen (Copingfähigkeiten) einer Person in seinem kognitionspsychologisch geprägten transaktionalen Stressmodell mit auf. Für das Stressausmaß sind nach dem Modell nicht nur die Anforderungen der Situation, sondern auch die subjektive Bewertung der Person entscheidend, die unter anderem auf der Wahrnehmung der eigenen Bewältigungsfähigkeiten basiert. Gesundheitsberatung aus dieser Sichtweise kann dementsprechend nicht nur das Ziel verfolgen, Risiken und Krankheiten zu vermeiden, sondern sollte auch die Ressourcen des Klienten berücksichtigen und stärken. Eine Reihe an Modellen fand Verwendung, um den Einfluss verschiedener Variablen auf das Gesundheitsverhalten zu bestimmen (Sniehotta & Schwarzer, 2003). Eines der wohl am häufigsten zi-
tierten Modelle in diesem Bereich stellt das Health Belief Model dar. Es basiert auf der Grundannahme, dass das Gesundheitsverhalten einer Person abhängig ist von der subjektiv wahrgenommenen Bedrohung durch eine Krankheit (z.B. die Wahrscheinlichkeit einer AIDS-Infizierung und das Ausmaß der daraus resultierenden Konsequenzen), vom wahrgenommenen Nutzen einer Handlung (z.B. verhindert die Verwendung eines Kondoms Krankheiten) sowie den wahrgenommenen Barrieren (z.B. ist der Kauf und die Verwendungen von Kondomen mit zusätzlichem Aufwand verbunden). Diese Variablen werden in einer Art KostenNutzen-Analyse miteinander verbunden. Ebenfalls zur Vorhersage von Gesundheitsverhalten wurde die Theorie des geplanten Verhaltens von Aijzen (1985, 1991) herangezogen und in verschiedenen Settings angewendet (Montano, Kasprzyk & Taplin, 2002). Auch aus derartigen Konzepten ergeben sich Ansatzpunkte für die Beratung, da sie Variablen identifizieren, die für das gesundheitliche Handeln von Bedeutung sind. Für die Beratungssituation dürften jedoch besonders dynamische Modelle zur Erklärung einer Veränderung des Gesundheits- bzw. Risikoverhaltens von Nutzen sein. Prochaska und DiClemente (1983, 1984) beschreiben in ihrem Transtheoretischen Modell verschiedene Stadien der (Bereitschaft zur) Verhaltensänderung. Dieses ursprünglich für das Suchtverhalten konzipierte Modell zeigt einige Implikationen für eine Gesundheitsberatung auf (. Abb. 7.1). Das Modell betont die Prozesshaftigkeit einer Verhaltensänderung und stellt die unterschiedlichen Stadien (Stages of Change) einer Person auf diesem Weg heraus. Eine Bewusstmachung der distinkten Stadien (Sorglosigkeit, Bewusstwerden, Vorbereitung, Handlung, Aufrechterhaltung und Termination) erleichtert die Anwendung der jeweils adäquaten Beratungsstrategie zum richtigen Zeitpunkt (▶ Kap. 4). In Anlehnung an das Modell lässt sich beispielsweise eine stufenspezifische Beratung verwirklichen. Eine Beratung einer Person, die sich im Stadium der Sorglosigkeit befindet, kann beispielsweise zunächst das Ziel verfolgen, die Person für die Problematik zu sensibilisieren. Genauso ist es möglich, dass in diesem Stadium ganz auf eine eingehendere Beratung verzichtet wird, da die Person kein Anliegen in die Beratung einbringt. Befindet
159 7.6 . Theoretischer Hintergrund und neuere Ansätze
Termination
Aufrechterhaltung
Handlung
Vorbereitung
Bewusstwerden
Sorglosigkeit . Abb. 7.1. Transtheoretisches Modell. (Mod. nach Prochaska & DiClemente, 1983, 1984)
sich eine Person in der Phase des Bewusstwerdens, kann dieser Prozess in einer Beratung unterstützt werden, um eine höhere Motivation zur Veränderung aufzubauen. Erst wenn ein ausreichendes Problembewusstsein geschaffen ist, werden weitere Schritte besprochen. Zudem macht das Transtheoretische Modell auch die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls des Ratsuchenden (z.B. bei einer Beratung zum veränderten Essverhalten) bewusst und eröffnet damit Möglichkeiten, potentielle Rückfälle in den Kreislauf einer Veränderung zu integrieren. Obwohl einige Studien positive Befunde bezüglich einiger Modellannahmen liefern konnten, wurde in letzter Zeit auch Kritik an dem Modell ausgesprochen (Littell & Girvin, 2002; Sutton, 2000). Im deutschen Sprachraum hat Schwarzer (1992; Sniehotta & Schwarzer, 2003) ebenfalls ein dynamisches Modell zur Erklärung und Vorhersage gesundheitsförderlicher und gesundheitsschädlicher Verhaltensweisen entwickelt. Das sozial-kognitive Prozessmodell (Health Action Process Approach) unterscheidet verschiedene Phasen. Zunächst bildet sich eine Motivation (Motivationsphase) zu einem positiven Gesundheitsverhalten bzw. dem Unterlassen eines Risikoverhaltens heraus. Dieser Phase folgt die Volitionsphase, die sich wiederum aufteilt in eine (a) präaktionale Phase, in der eine Planung des Verhaltens stattfindet, eine (b) aktio-
7
nale Phase, in der es zur Handlungsausführung bzw. Unterlassung des Risikoverhaltens kommt, und eine (c) postaktionale Phase, in der eine Handlungsbewertung stattfindet. Eine zentrale Variable innerhalb dieses Modells stellt zudem die Selbstwirksamkeitserwartung einer Person dar, da sie auf alle postulierten Phasen und Prozesse Einfluss nehmen soll. Als ein drittes dynamisches Modell sei hier außerdem noch auf das Precaution Adoption Process Model von Weinstein, Lyon, Sandman und Cuite (1998) hingewiesen.
7.6.2
Subjektive Krankheitstheorien
Bei der Gesundheitsberatung spielen die subjektiven Krankheitstheorien des Ratsuchenden eine wesentliche Rolle. Sie beeinflussen unter anderem Vorannahmen sowie die Verarbeitung und die Interpretationen innerhalb des Informationsaustausches. Nicht nur bei Erwachsenen, sondern vor allem auch bei Kindern kommt subjektiven Annahmen über den eigenen Körper, über bestimmte Krankheiten, über therapeutisches Personal und über Therapieansätze innerhalb einer Beratung besondere Relevanz zu (Jensen, 1995; Rushforth, 1999; Lohaus & Ball, 2006). Das Wissen über solche Annahmen hilft nicht nur das Auffassungsvermögen der Kinder und Jugendlichen richtig einzuschätzen, sondern auch Ängste und Sorgen adäquat zu berücksichtigen (Lohaus, 1993). Bei jüngeren Kindern steht zum Beispiel zur Erklärung von Zusammenhängen häufig noch ein »magisches Denken« im Vordergrund. So wird die Wirkung eines Medikamentes möglicherweise einfach durch den guten, wohltuenden Geschmack erklärt (Beales, Lennox Holt, Kenn & Mellor, 1983). Zudem unterstellt das Kind dem medizinischen Personal oft eine negative Absicht, da es noch nicht genügend zwischen unangenehmen medizinischen Maßnahmen und den Ärzten oder Pflegekräften differenzieren kann (Steward & Steward, 1981). . Tab. 7.1 fasst die wichtigsten Punkte zur Entwicklung von subjektiven Krankheitskonzepten zusammen. Die Einteilung orientiert sich dabei am kognitiv-strukturalistischen Ansatz. Auch wenn der kognitiv-strukturelle Ansatz einen guten Überblick über die Entwicklung von subjektiven Krankheitskonzepten bei Kindern ermöglicht, wurden einige Kritikpunkte daran ange-
160
Kapitel 7 . Gesundheitsberatung
. Tab. 7.1. Entwicklung von subjektiven Krankheitskonzepten. (Nach Lohaus, 1998) 3 bis 6 Jahre
Konzentration auf sichtbare oder fühlbare Symptome Wenig realistische Vorstellungen über Krankheitsursachen und Krankheitsverläufe Geringes Verständnis für die Prozesshaftigkeit von Erkrankungen Geringes Verständnis für die Intentionen sowie Fähigkeiten anderer, die eigene Situation zu verstehen
7 bis 11 Jahre
Verständnis einfacher Relationen zwischen Krankheitsursache und -wirkung Zunehmendes Verständnis für die Prozesshaftigkeit von Erkrankungen Verständnis für konkrete Sachverhalte (z.B. konkrete Symptome oder Therapien) Fähigkeit, Gedanken und Gefühle anderer zu erschließen, und das Wissen, dass auch andere dies können
7
ab 12 Jahre
Verständnis für komplexe Funktionszusammenhänge Fähigkeit, abstrahierte Modelle auf andere Sachverhalte zu übertragen, sowie Fähigkeit, auch hypothetische Gedankengänge zu erfassen Fähigkeit, Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten (wie z.B. Krankheit aus individueller und gesellschaftlicher Sicht) Verständnis für komplexe Funktionszusammenhänge
führt. So lassen sich zum Beispiel bereichsspezifische Unterschiede innerhalb derselben Altersstufe vorfinden, die sich mit einem rein strukturgenetischen Ansatz nicht mehr ausreichend erklären lassen (Schmidt & Fröhling, 1998). Stattdessen werden in neueren Forschungsarbeiten informationsverarbeitungstheoretische Ansätze stärker fokussiert wie z.B. der skriptanalytische Ansatz von Nelson (1986), die Theorie der konzeptuellen Veränderung von Carey (1985) oder der Novizen-Experten-Ansatz (Yoos, 1994). Erwachsene scheinen vielfach sehr ausdifferenzierte subjektive Gesundheitsvorstellungen zu besitzen (Faltermeier, 2003). Überwiegend herrscht ein eher positiv geprägtes Gesundheitskonzept vor, bei dem Gesundheit z.B. als psychisches Wohlbefinden, funktionale Leistungsfähigkeit und/oder körperliche Stärke betrachtet wird und sich sowohl auf die körperliche als auch psychische und soziale Dimension erstreckt (Faltermeier & Kühnlein, 2000). Faltermeier und Kühnlein zeigten darüber hinaus, dass häufig positive und negative Gesundheitskonzepte zusammen auftreten und in ihrer Kombination die subjektive Gesundheitsvorstel-
lung bilden. Dennoch finden sich auch subjektive Konzepte, bei denen Gesundheit lediglich als Abwesenheit von Krankheit definiert wird (Waller, 1995) und die damit ein sehr einfaches negatives Gesundheitskonzept repräsentieren. Interessanterweise wird die Bedrohung durch Erkrankungen bezüglich der eigenen Person in der Regel unterschätzt. Im Sinne eines »Glauben an die eigene Unverwundbarkeit« (Filipp & Aymanns, 1997) werden eigene Risiken eher verleugnet bzw. heruntergespielt (Colvin & Block, 1994; Weinstein, 1987). Auch diese Tendenzen, die Bestandteile subjektiver Theoriebildungen sind, können bei der Gesundheitsberatung eine Rolle spielen.
7.6.3
Beratungsansätze
Eine Reihe unterschiedlicher Beratungsansätze scheint für die Beratung im Hinblick auf Gesundheitsthemen geeignet. Wie bereits mehrfach erwähnt, steht ein ressourcenorientierter Beratungsansatz einer Gesundheitsberatung sehr nahe. Dieser Ansatz
161 7.6 . Theoretischer Hintergrund und neuere Ansätze
wird von der Annahme geleitet, dass das Vorhandensein und die Nutzung von Ressourcen zu einem erfolgreichen Coping und damit zu Wohlbefinden und Gesundheit führt. Beratung verfolgt nach dieser Auffassung daher das primäre Ziel, Unterstützung bei der Wahrnehmung, Erweiterung und gezielten Nutzung von Ressourcen anzubieten (Nestmann, 2004). Daneben dürften vor allem die Techniken der Gesprächsführung und die Grundhaltung des Beraters (Kongruenz, Empathie und Akzeptanz) aus der personenzentrierten Beratung für eine Gesundheitsberatung von besonderer Bedeutung sein und sie gehören daher zu den klassischen Methoden einer Beratung. Darüber hinaus sind jedoch – je nach Beratungsanlass – auch systemische oder kognitivbehavioral orientierte Ansätze denkbar. Faltermaier (2004) führt zudem biographische und lebensweltorientierte Konzepte für eine Gesundheitsberatung mit auf. Diese Auflistung könnte sicherlich noch ergänzt werden, da Gesundheitsberatung in vielen verschiedenen Varianten und Problemfeldern stattfinden kann. Je nach den Bedürfnissen und Wünschen des Ratsuchenden kann auch die Adäquatheit eines spezifischen Ansatzes wechseln bzw. eine Kombination notwendig erscheinen. So mag zum Beispiel bei einem Klienten mit Übergewicht in einer ersten Motivationsphase vornehmlich eine personenorientierte Beratung angebracht sein. Hat sich beim Klienten eine Intention zur Änderung seines Ernährungsverhaltens aufgebaut, könnte in
der nachfolgenden Volitionsphase eher ein kognitiv-behavioraler Beratungsansatz im Vordergrund stehen, in dem konkrete Maßnahmen, z.B. zur Erlangung einer höheren Selbstkontrolle und eines besseren Selbstmanagements, Thema sind. In jüngerer Zeit wird im Bereich der Gesundheitsberatung verstärkt auch vom Konzept des Empowerments gesprochen. Auf diesen Ansatz soll im folgenden Abschnitt separat eingegangen werden.
7.6.4
Empowerment
Empowerment bezieht sich auf eine Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung. Gesundheitsberatung bedeutet in dieser Sichtweise letztendlich vor allem Hilfe zur Selbsthilfe. Die Mündigkeit des Ratsuchenden wird nicht nur anerkannt, sondern vor allem auch gestärkt. Feste und Anderson (1995, S. 139) definieren Empowerment im Gesundheitsbereich dementsprechend als »educational process designed to help patients develop the knowledge, skills, attitudes, and degree of self-awareness necessary to effectively assume responsibility for their health-related decisions«. Es gibt zahlreiche Ansätze, wie das Konzept des Empowerments in der Praxis umgesetzt werden sollte. Eine allgemein gültige Einigung auf grundlegende Methoden des Ansatzes existiert jedoch nicht.
Exkurs Zentrale Eigenschaften dieses Beratungsansatzes 1. Da letztendlich der Patient bestimmt, welchen Weg er gehen möchte, spielt Akzeptanz eine entscheidende Rolle. Dies impliziert eine positive Sichtweise des Klienten und seiner Eigenschaften, Wünsche und Entscheidungen. So kann ein Patient mit Diabetes den Rat seines Arztes ablehnen und seine Lebensweise nur bedingt verändern. Der Arzt oder Gesundheitsberater hat diese Entscheidung zu akzeptieren und mit dem Klienten an dessen individuellen Zielen zu arbeiten. Mit dieser Grundhaltung der Ak-
7
zeptanz ist eine Situation geschaffen, in der der Klient mit einer höheren Wahrscheinlichkeit den Berater zu einem Zeitpunkt erneut aufsucht, zu dem er bereit ist, seine Lebensweise zu verändern. 2. Weiterhin zählen die Autoren das Ansprechen der Emotionen, die der Klient bei seiner Krankheit empfindet, zur Umsetzung des Empowermentansatzes hinzu. Dieser Punkt mag vor allem bei der Beratung von chronisch Kranken wichtig sein, da die jeweilige Erkrankung oft sehr einschneidende Konsequenzen mit sich bringt.
6
162
Kapitel 7 . Gesundheitsberatung
3. Dem Klienten sollte möglichst viel Autonomie übertragen werden, so dass er am Beratungs- und Entscheidungsprozess partizipiert. Die Aufgabe des Beraters ist es dabei, die adäquaten Informationen zu liefern, um eine Partizipation überhaupt erst zu ermöglichen. 4. Berater und Klient sollten in einer Allianz zusammenarbeiten.
7
Exemplarisch soll daher auf Vorschläge von Skinner und Cradock (2000) eingegangen werden, die ausgehend von einer Beratung bei Personen, die an Diabetes erkrankt sind, fünf zentrale Eigenschaften dieses Beratungsansatzes herausstellen(▶ Kasten). Auch wenn Skinner und Cradock ihren Ansatz auf die Behandlung von Diabetes bezogen haben, lässt sich dieser auf andere Bereiche ausdehnen. Die Ähnlichkeit zu einem humanistisch orientierten Beratungsansatz dürfte offensichtlich sein. Eine Patientenberatung, die Aspekte des Empowermentansatzes berücksichtigt, scheint nicht nur zu einer höheren Patientenzufriedenheit (Golin, DiMatteo & Gelberg, 1996), sondern auch zu einer höheren Compliance (Kyngas, Hentinen & Barlow, 1998) und zu einer höheren Befähigung zum Selbstmanagement zu führen.
7.6.5
»E-Health«: Beratung im Internet
Das Internet hat in den letzten Jahren immer mehr Nutzer gefunden. Dies betrifft auch die Suche nach gesundheitsrelevanten Informationen im Netz. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge nutzten 42% der Patienten das Internet im Zusammenhang mit einer Erkrankung. Diesem fortgeschrittenen Interesse der Nutzer steht eine kaum mehr überschaubare Fülle an Informationen zu Gesundheitsthemen gegenüber. Beratung über das Internet ermöglicht es, eine breite Masse an Personen zu erreichen. Gleichzeitig ist das Internet relativ losgelöst von Zeit und Raum. Die Informationen liegen zu jeder Tagund Nachtzeit bereit und können von jedem beliebigen Internetanschluss abgerufen werden. Die
5. Der letzte Punkt betrifft ein gewisses Ausmaß an Aktivität. Dies schließt nicht nur den Klienten ein, der aktiv am Entscheidungsprozess beteiligt wird, sondern gilt auch für den Berater. Diesem kommt neben der Informationsweitergabe auch die Rolle des aktiven Zuhörers zu, der die allgemeinen Gesprächsführungsregeln einhält.
Sammlung von gesundheitsrelevanten Informationen kann dabei wiederum einer Vorbereitung auf den Arzt- bzw. Therapeutenbesuch dienen, so dass der Patient mit einem höheren Informationsniveau in die Beratung eintritt (Tautz, 2002). Schließlich stellt das Internet einen sehr anonymen Rahmen dar, um gesundheitsrelevante Informationen bzw. Beratung einzuholen. Das Internet kann daher gerade bei möglicherweise subjektiv als peinlich empfundenen Themen (z.B. sexuelle Funktionsstörungen, Geschlechtskrankheiten, psychische Störungen) eine erste Anlaufstelle bieten und schafft in Kombination mit den bereits erwähnten Punkten ein niedrigschwelliges Beratungsangebot. Diese positiven Seiten des Internets kommen gerade Jugendlichen zugute. In der Adoleszenz lassen sich viele körperliche aber auch psychische Veränderungen beobachten, die neben Aspekten von Belastung (Roth, Rudert & Petermann, 2003) auch viele Fragen für die Jugendlichen mit sich bringen. Besonders durch die Niedrigschwelligkeit und die gleichzeitige Anonymität ist das Internet für viele Jugendliche eine attraktive Informationsquelle, um gesundheitsrelevante Informationen und Beratungen einzuholen (Fridrici & Lohaus, 2007; Gray, Klein, Noyce, Sesselberg & Cantrill, 2005). Hinzukommt, dass der Zugriff auf das Internet für viele einfach zu erreichen ist. Während in den USA professionelle Beratungsangebote bis hin zu E-Therapie bereits seit langem stark verbreitet sind, finden sich solche Angebote in Deutschland eher seltener. Ein Beispiel ist jedoch die bke-Projektgruppe-Online-Beratung vom Webportal der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. Dieses Projekt wird im folgenden Beispiel exemplarisch ausführlicher dargestellt.
163 7.7 . Gesundheitsberatung bei Kindern und Jugendlichen
7
Beispiel bke-Online-Beratung Im Oktober 2000 wurde von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) ein neues Internetportal (www.bke.jugendberatung.de) für Jugendliche beschlossen. Neben Gruppenchats und Diskussionsforen besteht auch die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung (Weißhaupt, 2004). Jugendliche, die sich per Mail melden, erhalten innerhalb von 48 Stunden eine Antwort, auch an Feiertagen oder Wochenenden. Dieser Regel liegt der Gedanke zugrunde, dass möglicherweise gerade an solchen Tagen, an denen Jugendliche mehr Zeit haben, Belastungen und Sorgen spürbarer sind. Damit können gerade auch akut auftretende Probleme besprochen werden. Mittlerweile wurde das Angebot der bke von vielen Jugendlichen in Anspruch genommen. Bezüglich des Geschlechts der Ratsuchenden zeigt sich, dass auch bei einer E-Beratung ein Ungleichgewicht vorhanden ist: 80 Prozent der Ratsuchenden gaben ein weibliches und 20 Prozent ein männliches Geschlecht an. Nach Weiß-
Neben den oben benannten positiven Aspekten des neuen »E-Health« bringt jedoch die unausgelesene Flut an Informationen und Gesundheitsangeboten Gefahren mit sich. Für den Nutzer kann es dementsprechend schwer sein, wissenschaftlich fundierte Informationen von weniger fundierten zu trennen bzw. die hinter den Angeboten stehenden Interessen zu durchschauen. So werden auf US-amerikanischen Internetseiten zum Beispiel nur in 20 Prozent der Fälle klare Angaben über die Autorenschaft von gesundheitsbezogenen Informationen gegeben, weniger als die Hälfte der Webseiten geben Angaben zu finanzieller Unterstützung und möglichen Interessenskonflikten (Shon & Musen, 1999). Durch ungenaue Beschreibungen und provisorisch zusammengestellte Checklisten und Fragebögen können Befürchtungen, ob man vielleicht ebenfalls an den beschriebenen Symptomen erkrankt ist, bei den Nutzern geweckt werden. Inhalt von Gesundheitsberatung und Gesundheitserziehung kann damit auch der richtige Umgang mit Informationen und Beratungsangeboten aus dem Internet sein.
haupt (2004) gaben sowohl Jungen als auch Mädchen am häufigsten Probleme und Konflikte im familiären Umfeld als Grund zur Kontaktaufnahme an. Zudem wurden häufig Themen rund um Partnerschaft und Liebe besprochen. Ca. 6-7 Prozent der Mädchen gaben Angaben über sexuellen Missbrauch und Gewalt beim Erstkontakt an. Weitere Themen waren unter anderem: Schule, Suizidgedanken, Drogen, psychische und psychiatrische Auffälligkeiten und Sozialverhalten. Nach Weißhaupt konnten aus der täglichen Praxis unterschiedliche Prozesse beobachtet werden, die bei den Jugendlichen durch die Aufnahme eines Kontakts angestoßen werden. Dies betrifft zum einen, dass Jugendliche sich als handlungsfähig erleben, da sie nach selbstständiger Kontaktaufnahme eine zeitnahe Antwort erhalten. Weiterhin ermöglicht das Verfassen einer E-Mail bereits eine Strukturierung des Problems. Schließlich kann es auf diesem Weg auch zu einer ersten Entlastung kommen.
Schließlich ist zu erwähnen, dass der oben benannte Vorteil des niedrigschwelligen Angebots auch Nachteile mit sich bringen kann. So können Nutzer des Internets schnell und anonym Kontakt bei Beratungsangeboten im Internet aufnehmen. Dementsprechend muss ein Ratsuchender relativ wenig Kosten und Mühen auf sich nehmen, um in Kontakt mit einem Berater zu gelangen. Dementsprechend leicht kann es einer Person aber auch fallen, den Kontakt wieder abzubrechen. Das Einverständnis zur kontinuierlichen gemeinsamen Arbeit, wie es möglicherweise eher in einer face-to-face Situation hergestellt wird, kann hier weniger gegeben sein. Dabei muss bewusst sein, dass gerade der Erstkontakt eine besondere Relevanz hat. Hier muss beim Ratsuchenden bereits Vertrauen aufgebaut und Interesse für einen weiteren Kontakt geweckt werden. Für den Beratenden bedeutet dies, dass er auch in einer E-Beratung, die über eine einfache Informationsvermittlung hinausgehen soll, eine positive Beziehung aufbauen muss. Für den Beratenden stellt dies eine besondere Aufgabe dar, da Kommunikationsmittel wie Gestik, Mimik oder bestimmte Into-
164
Kapitel 7 . Gesundheitsberatung
nationen beim Sprechen nicht zur Verfügung stehen. Zudem erfolgt bei einer Beratung per E-Mail die Kommunikation zeitversetzt (auch ▶ Kap. 5).
7.7
7
Gesundheitsberatung bei Kindern und Jugendlichen
Bereits bei der weiter oben angeführten Übersicht zu subjektiven Krankheitskonzepten dürfte deutlich geworden sein, dass eine Beratung von Kindern nicht losgelöst von ihrer Entwicklung, ihrem kognitiven Auffassungsvermögen sowie ihrem Krankheits- bzw. Gesundheitsverständnis stattfinden kann. Für eine entwicklungsangemessene Aufklärung und Beratung sollten demnach zunächst relevante Konzepte erfragt werden, bevor mit der eigentlichen Wissensvermittlung begonnen wird (Lohaus & Ball, 2006). Die Beachtung und Veränderung von Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen von Kindern kann nach Burbach und Peterson (1986; s.a. Eisert & Kopel, 1997) mit folgenden Zielen verbunden sein: 4 Durchführung einer altersangemessenen Gesundheitserziehung, 4 Reduktion von Ängsten und Befürchtungen während der Behandlung, 4 Einbindung von Kindern in Therapieentscheidungen und Erhöhung der Compliance. Mittlerweile existieren für einige Bereiche Materialien, die zur Störungs- und Krankheitsaufklärung und zur Unterstützung bei der Problembewältigung im Kindesalter verwendet werden können. In therapeutischen Geschichten können z.B. an das jeweilige Kind angepasste Probleme angesprochen
und gleichzeitig Lösungsvorschläge und Bewältigungsmöglichkeiten eingeflochten werden (Brett, 2001; Freeman, 1991). Diese Form der Geschichten bietet eine gute Möglichkeit, um über Krankheitsvorstellungen, Ängste und Befürchtungen sowie den Umgang mit Problemen ins Gespräch zu kommen. Zudem können sie Kindern veranschaulichen, dass es auch andere Kinder gibt, die mit ähnlichen Problemen und Befürchtungen zu kämpfen haben und diese positiv bewältigen. Darüber hinaus existieren Programme, in denen eine krankheitsbezogene Wissensvermittlung stattfindet. Petermann und Wiedebusch (2001) nennen drei Ebenen auf denen diese Wissensvermittlung erfolgen soll. 1. Inhaltliche Ebene: Auf der inhaltlichen Ebene wird das Krankheits- und Behandlungswissen vermittelt und so eine inhaltliche Ausdifferenzierung der bestehenden Konzepte erreicht. 2. Strukturelle Ebene: Während unter der ersten Ebene reiner Wissenszuwachs gemeint ist, wird auf der strukturellen Ebene eine Entwicklung komplexerer Erklärungsmodelle angeregt. 3. Organisatorische Ebene: Auf der letzten Ebene sollen schließlich Hilfen zur Wissensorganisation z.B. durch Kategorienbildung (welche Medikamente gehören zu derselben Wirkstoffgruppe) gegeben werden. Wissensvermittlung und Beratung kann auch bei Kindern stattfinden, deren Eltern erkrankt sind. In jüngster Zeit rücken zum Beispiel Kinder psychisch kranker Eltern näher in das Interesse von Wissenschaft und Praxis (▶ Kasten). Im Jugendalter erschweren verschiedene Bedingungen eine Beratung. Zum einen erfüllt ein negatives Gesundheitsverhalten (z.B. Rauchen, Alko-
Exkurs Kinder psychisch kranker Eltern Nach Schätzungen von Remschmidt und Mattejat (1994) leben etwa 300 000 minderjährige Kinder von psychotisch erkrankten Eltern in Deutschland. Trotz dieser relativ hohen Zahl gibt es bisher nur wenige Beratungsansätze für diese Kinder und Jugendlichen. Angehöri-
genarbeit beschränkt sich meist auf Erwachsene. Dennoch kann bei diesen Kindern und Jugendlichen von einer erhöhten Risikoverdichtung ausgegangen werden. Dementsprechend weisen Kinder psychisch kranker Eltern einen ungünstigeren Entwicklungsverlauf als Kinder gesunder Eltern auf (Cummings &
6
165 7.8 . Beispiel einer Gesundheitsberatung an chronisch Kranken
Davis, 1994). Zum einen sind genetische Ursachenanteile bei vielen Erkrankungen und Störungen mittlerweile nachgewiesen, zum anderen sind diese Kinder und Jugendliche einer oft sehr tief greifenden Belastung ausgesetzt, die aufgrund der Symptomatik der Eltern direkt auf das Kind einwirken können. Ein Vater mit akuten Wahnphantasien kann zum Beispiel von dem Kind als sehr bedrohlich oder verwirrend wahrgenommen werden. Indirekte Auswirkungen der elterlichen Erkrankung zum Beispiel durch Ehekonflikte können die Situation zusätzlich erschweren. Darüber hinaus kann eine Überbetonung und Fixierung auf die Erkrankung, aber auch eine Tabuisierung der Störung zu Belastungen des Kindes bzw. Jugendlichen führen (Mattejat & Lisofsky, 2001). Wird die psychische Störung (aufgrund von Peinlichkeit oder Rücksichtnahme) innerhalb der Familie nicht angesprochen, konstru-
holkonsum, Fahren ohne Führerschein) häufig eine bestimmte Funktion. Tabakkonsum kann zum Beispiel der Akzeptanz und Anerkennung bei der Peergroup, gleichzeitig aber auch als Übernahmeversuch der Erwachsenenrolle dienen. Innerhalb einer Gesundheitsberatung sollten solche Funktionalitäten immer Berücksichtigung finden. Die reine Wissensvermittlung über die negativen Konsequenzen reicht hier nicht aus. Stattdessen müssen alternative Verhaltensweisen aufgebaut werden, um andere Lösungswege zu verdeutlichen und zu erleichtern. Dieser Ansatz wird zum Beispiel in einem Life Skills Training verfolgt, bei dem unter anderem Problemlösekompetenzen, soziale Kompetenzen und das Selbstwertgefühl der Jugendlichen gestärkt werden. Auf diese gestärkten Ressourcen soll der Jugendliche zurückgreifen können, wenn es zum Beispiel zu sozialen Einflussnahmeversuchen durch die Peergroup kommt. Auch innerhalb einer Beratung kann auf Elemente eines solchen Trainings zurückgegriffen werden. Weiterhin erschwert eine hohe Spaß- und Gegenwartsorientierung vieler Jugendlicher eine Gesundheitsberatung, da die Folgen negativen Verhaltens häufig erst in ferner Zukunft zu spüren sind.
7
ieren viele Kinder ihrerseits Erklärungen über das Verhalten des Elternteils. Dies kann nicht nur zu starker Verunsicherung führen, sondern birgt auch die Gefahr, dass solche Erklärungen mit eigenen Schuldgefühlen und Ängsten einhergehen. Eine entwicklungsangemessene Aufklärung über die Störung und die Besprechung alltäglicher Sorgen, die sich in solchen Familien häufig potenzieren, stellen eine starke Entlastung dar (Wagenbass, 2003). In Amerika hat die Arbeitsgruppe um Beardslee ein präventives Programm zur Unterstützung von Familien mit depressiven Elternteilen entwickelt (Beardslee, Wright, Rothberg & Salt, 1996). Im deutschen Sprachraum existieren mittlerweile ebenfalls einige Projekte (z.B. Dierks, 2001; Staets & Hipp, 2001). Dabei legen einige Programme den Fokus lediglich auf das Kind, andere beziehen auch die Eltern mit ein (Lenz, 2006).
7.8
Beispiel einer Gesundheitsberatung an chronisch Kranken
Chronische Erkrankungen sind vor allem aus zwei Gesichtspunkten für eine Gesundheitsberatung relevant: Zum einen nahm der Anteil an chronischen Erkrankungen in der Bevölkerung über die letzten Jahrzehnte immer stärker zu. Zum anderen reicht eine vornehmlich an Symptomen ansetzende Akutversorgung bei dieser Patientengruppe nicht mehr aus. Nicht die Heilung, sondern eine Symptomminderung und die Stärkung der Krankheitsbewältigung im Alltag des Patienten (aber auch seiner Angehörigen) stehen im Vordergrund. Dementsprechend benötigen chronisch Kranke vermehrt Informationen und Beratung über Möglichkeiten der Krankheitsbewältigung, eine Stärkung vorhandener Gesundheitspotenziale und angemessene Behandlungs- und Betreuungsstrategien (Hurrelmann, 2001). So verlangt die Chronizität der Erkrankungen unter anderem von Patienten, dass sie andauernde Maßnahmen wie zum Beispiel die regelmäßige Verwendung eines Asthmasprays einhalten. Es gilt in diesem Beispiel, den Patienten
166
7
Kapitel 7 . Gesundheitsberatung
so zu schulen und zu informieren, dass er durch sein Verhalten Asthmaanfälle präventiv vermeiden bzw. nahende Anfälle selbstständig entdecken und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen kann. Der Patient wird in seinen Selbstmanagementfähigkeiten gestärkt und kann damit autonomer agieren. Ziele einer Gesundheitsberatung bei chronisch Erkrankten und ihren Angehörigen können daher sein: 4 Wissensaufbau über die Erkrankung wie z.B. Symptome und geeignete Maßnahmen, 4 Akzeptanz der damit einhergehenden veränderten Lebenssituation, 4 Compliance z.B. bei der Medikamenteneinnahme sowie einer Veränderung der Lebensweise, 4 Empowerment und Selbstmanagement, 4 Reduktion der Symptomatik, 4 Erhöhung der Lebensqualität und Kostenreduktion für das Gesundheitssystem.
Unter dem Stichwort »Patientenschulung« oder »Patientenberatung« sind einige Ansatzpunkte und Programme zur Unterstützung von chronisch Erkrankten entwickelt worden (z.B. LamparterLang, 1997; Petermann, 1997). Exemplarisch soll Grobziele
das Asthma-Verhaltenstraining mit Kindern und Jugendlichen (AVT) von Petermann, Walter, Köhl und Biberger (1993) vorgestellt werden. Vorrangiges Ziel des Programms ist, dass die Kinder und Jugendlichen lernen, eigenverantwortlich und sozial kompetent mit der Erkrankung umzugehen. Dies beinhaltet, Wissens- und Verhaltensdefizite zu reduzieren, und somit die Selbstmanagementfähigkeiten der Trainingsteilnehmer zu stärken. . Abb. 7.2 gibt die Trainingsziele des Programms wieder. Insgesamt sind für das Training elf Sitzungen vorgesehen, die sich in zwei Einzel- und neun Gruppensitzungen aufteilen. Die Einzelsitzungen dienen vornehmlich dem Kennen lernen, einer Diagnostik sowie der Vorbereitung zur Gruppentherapie. Innerhalb der Diagnostik wird unter anderem das krankheitsspezifische Wissen der Kinder und Jugendlichen sowie der Umgang mit Medikamenten erfragt. Das Training setzt daher, soweit dies in der Gruppe möglich ist, am Kenntnisstand der Trainingsteilnehmer an. Für das eigentliche Training benennen Petermann et al. (1993) neben einer medizinischen Wissensvermittlung (u.a. über die Anatomie der Lungen, Medikamente sowie die Prognose) vier psychologische Interventionsmethoden.
Psychologische Variablen
Wissen
Feinziele Medizinische Informationen Hilfstechniken (z.B. Notfallplan)
Eigenverantwortung
Wahrnehmung
Auslöser (z.B. Unverträglichkeiten) Selbstwahrnehmung (z.B. Warnsignale) Krankheitsmanagement (z.B. Compliance)
Selbstkontrolle
Motorik (z.B. Umgang mit Sport) Sozialverhalten (z.B. Regeln)
Soziale Aspekte
Abbau sozialer Angst Soziale Fertigkeiten Abbau verweigerndem Verhalten ⊡ Abb. 7.2. Ziele des Asthma-Verhaltenstrainings mit Kindern und Jugendlichen. (Mod. nach Petermann et al., 1993)
167 7.9 . Anforderungen und Effektivität
4 Dies betrifft Verfahren zur (1) Verbesserung von Selbstbeobachtungskompetenzen. Die Kinder und Jugendlichen sollen anhand von Selbstbeobachtungsprotokollen (AsthmaProtokolle) lernen, ihre eigene Befindlichkeit sowie die anfallsauslösenden Bedingungen zu erkennen. 4 Verfahren zur (2) Veränderung der Selbstwahrnehmung verfolgen das Ziel, die Selbstmanagementkompetenzen zu verbessern. Alltägliche Situationen wie schulische Leistungen und sportliche Aktivitäten werden bezüglich ihrer Bedeutung bewertet und die Setzung von realistischen Selbsteinschätzungen gefördert. Da gerade sportliche Aktivitäten häufig Anfallsauslöser darstellen, wird diesem Bereich eine besondere Bedeutung zugeschrieben. 4 Die Vermittlung von (3) Selbstkontrollverfahren soll die Bewältigung des Asthmas stärken. Beispiele sind die Verwendung von Selbstinstruktion, Entspannungs- und Atemtechniken oder auch das Einnehmen von atemerleichternden Körperstellungen. Schließlich ziehen die Autoren Verfahren zur Einübung (4) sozialer Fertigkeiten heran. Durch Rollenspiele und Modelllernen sollen unter anderem Kommunikations- und Interaktionsfertigkeiten verbessert werden, um die Alltagsbewältigung sowie ein kompetenteres Verhalten beim Arzt zu stärken. In Evaluationsarbeiten konnte eine Wissenszunahme und eine Verbesserung im Umgang mit der Erkrankung verzeichnet werden. Darüber hinaus nahm die asthmaspezifische Selbstwirksamkeit zu (s. hierzu als Übersicht Petermann & Walter, 1997).
7.9
Anforderungen und Effektivität
Aufgrund der großen Vielfalt an Beratungsansätzen im Themenfeld Gesundheit ist nach Qualitätsmerkmalen und Anforderungen an eine Gesundheitsberatung zu fragen. Hurrelmann und Leppin (2001) zählen verschiedene Hauptkriterien für eine gelungene Gesundheitsberatung auf, die als Zusammenfassung im Folgenden noch einmal aufgelistet
7
werden. Zwar beziehen sich Hurrelmann und Leppin dabei vornehmlich auf die Arzt-Patient-Dyade, die Kriterien können jedoch problemlos auch auf andere Beratungssituationen übertragen werden. 4 Zwischen Berater und Klient müssen genügend Informationen ausgetauscht werden. Dabei setzt der Klient fest, welches Maß an Informationsvermittlung als genügend angesehen werden kann. 4 Die Kontrolle über die Therapie liegt nicht alleine beim Berater, sondern sollte geteilt werden. Auch hierbei ist entscheidend, in welchem Ausmaß dieses vom Klienten erwünscht ist. So ist eine starke Partizipation des Klienten im Entscheidungsprozess denkbar. Genauso ist es jedoch ebenfalls möglich, dass der Klient alle Entscheidungen an den Berater oder Therapeuten abgibt. 4 Klientenschilderungen ist genau zuzuhören. 4 Der Gesundheitsberater sollte über angemessene Kommunikationsfähigkeiten verfügen. 4 Dem Gegenüber sollte das nötige Maß an Empathie entgegengebracht werden. Der Gebrauch von medizinischer Terminologie sollte vermieden bzw. – wo notwendig – erläutert werden. Interessanterweise finden sich einige der aufgeführten Punkte auch in einem Beschluss der WHO European Consultation on the Rights of Patients (Declaration on the Promotion of Patients’ rights in Europe, 1994) wieder. Darin wird Patienten das Recht über die vollständige Aufklärung ihres Gesundheitszustandes, über die geplante Behandlungsmethode (einschließlich der damit verbundenen Risiken), über alternative Maßnahmen als auch die Folgen einer Nichtbehandlung zugestanden. Diese Informationen dürfen nur unter besonderen Bedingungen vorenthalten werden und müssen dem Patienten auf eine angemessene Art und Weise (mit einem minimalen Gebrauch an Fachtermini) übermittelt werden. Schließlich ist die Einwilligung des Patienten für jegliche medizinische Intervention einzuholen. Viele Länder haben sich mittlerweile an diesen und weiteren Patientenrechten orientiert und diese in der eigenen Gesetzgebung berücksichtigt. Welche Auswirkung eine angemessene Kommunikation hat, wurde in einer Übersicht aus 21 Studien von Stewart (1995) betrachtet. In der Mehr-
168
7
Kapitel 7 . Gesundheitsberatung
zahl der Studien zur Arzt-Patient-Kommunikation fand sich ein Zusammenhang zwischen einer effektiven Kommunikation und einer Verbesserung des Gesundheitszustandes. Diese Verbesserung betraf unter anderem die Dimensionen emotionale Gesundheit, Symptomverringerung und in einigen Studien sogar physiologische Variablen (Blutdruck und Blutzuckerspiegel). Die Art der Kommunikation scheint daher nicht nur auf die Patientenzufriedenheit, sondern darüber hinaus auch auf dessen weiteren Gesundheitszustand Einfluss zu nehmen. Auch in anderen Bereichen der Gesundheitsberatung finden sich positive Effekte. Für unterschiedliche Patientenschulungen konnten in Metaanalysen bedeutsame Effektstärken nachgewiesen werden (Brown, 1999; Devine, 1996; Devine & Reifschneider, 1995). Zudem zeigte sich, dass solche Programme kosteneffektiv ausfallen (Liljas & Lahdensuo, 1997) und somit bei steigenden Gesundheitskosten auch unter ökonomischen Gesichtpunkten ihre Berechtigung haben. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass sich häufig nur eine geringe Korrelation zwischen gesundheitsbezogenem Wissen und gesundheitsbezogenem Handeln einstellt und damit Wissen in vielen Präventionsbereichen ein notwendiger, aber kein hinreichender Prädiktor für gesundheitsbezogenes Handeln ist (Larisch & Lohaus, 1992). Eine Übertragung auf den Bereich der Gesundheitsberatung lässt die Schlussfolgerung zu, dass auch hier eine reine Wissensvermittlung für viele Bereiche nicht ausreicht. Stattdessen sollte in der Beratung auch ein Einbezug der Verhaltensebene Berücksichtigung finden, wie es zum Beispiel bei dem oben angeführten Asthma-Verhaltenstraining für Kinder und Jugendliche (Petermann et al., 1993) der Fall ist. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass dem Gebiet der Gesundheitsberatung in unserem komplexen Gesundheitssystem – mit einer Zunahme an chronisch Erkrankten und einer veränderten Patientenrolle – eine wichtige Aufgabe zufällt. Eine Beratung in Gesundheitsfragen scheint von Bürgern und Patienten nicht nur gewollt, sie eröffnet auch die Möglichkeit, mehr Beteiligung zuzulassen und damit eine höhere Compliance und Zufriedenheit zu fördern. Es existieren mittlerweile unterschiedliche Modelle und neuere Ansätze, die im Bereich der Gesundheitsberatung Anwendung finden kön-
nen. Zudem liegen einige empirische Befunde vor, die die Berechtigung dieses Feldes begründen.
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Kapitel 7 . Gesundheitsberatung
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8 Beratung in der Klinischen Psychologie F. Mattejat und J. Pauschardt 8.1
Einführung
– 172
8.2
Theoretisch-konzeptuelle Aspekte: Was bedeutet »Beratung« in der Klinischen Psychologie? – 172
8.3
Klinisch-psychologische Beratungsansätze
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4
Psychodynamische Beratung – 176 Kognitiv-behaviorale Beratung – 180 Personzentrierte Beratung – 183 Systemische Beratung – 186
8.4
Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie – 189
8.4.1 Psychoedukation – 189 8.4.2 Eltern- und Familienberatung nach dem FamilienKooperations-Modell – 196
8.5
Zusammenfassung Literatur
– 202
– 202
– 176
8
172
Kapitel 8 . Beratung in der Klinischen Psychologie
8.1
Einführung
Klinische Psychologie ist die Teildisziplin der Psychologie, die sich mit psychischen Problemen bzw. psychischen Störungen und den psychischen Aspekten körperlicher Erkrankungen beschäftigt. In der Klinischen Psychologie werden die Bedingungen von Krankheit und Gesundheit untersucht und es werden Interventionen entwickelt, durch die Veränderungen in Erleben und Verhalten erreicht werden können. Wichtige Anwendungsfelder sind Diagnostik und Beratung; weiterhin Prävention, Therapie und Rehabilitation. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit Beratung in der Klinischen Psychologie, d.h. Beratung im Zusammenhang mit 4 psychischen Störungen (Ätiologie, Diagnostik, Therapie) und 4 Erziehungs-, Beziehungs- und Familienproblemen. Auf psychologische Aspekte bei körperlichen Erkrankungen und auf Prävention von psychischen Erkrankungen - die zunehmend wichtigere Themenfelder der Klinischen Psychologie darstellen wird hier nur am Rande eingegangen, da sie im Kapitel zur Gesundheitspsychologie im vorliegenden Band abgehandelt werden. Zunächst wird auf konzeptionelle Fragen eingegangen. Im nächsten Abschnitt werden dann die Beratungskonzepte, so wie sie in den wichtigsten psychotherapeutischen Traditionslinien entwickelt wurden, vorgestellt (psychoanalytische, verhaltenstherapeutische, humanistische und systemische Beratung). Der letzte Abschnitt geht auf die praktische Umsetzung bzw. Realisierung der Beratung ein, so dass exemplarisch ersichtlich wird, wie klinisch-psychologische Beratung konkret durchgeführt wird.
8.2
Theoretisch-konzeptuelle Aspekte: Was bedeutet »Beratung« in der Klinischen Psychologie?
Beratung und Psychotherapie sind in unterschiedliche Denkmodelle und in verschiedene institutionelle Kontexte eingebunden (vgl. Engel, Nestmann & Sieckendiek, 2004, S. 36): Psychotherapie bestimmt sich primär durch den Kontext der Heil-
behandlung, so wie sie z.B. in Deutschland im Psychotherapeutengesetz erläutert wird (PsychThG). Definition Nach dem § 1 des Psychotherapeutengesetzes (vgl. Bundesgesetzblatt, 1998) ist Psychotherapie »jede mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert… Zur Psychotherapie gehören nach diesem Gesetz nicht solche psychologischen Tätigkeiten, die die Aufarbeitung und Überwindung sozialer Konflikte oder sonstige Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben.«
In Abhebung hierzu wird psychologische Beratung von den meisten Autoren eher als offenere Hilfestellung verstanden, die sich an unterschiedliche Klientel mit sehr unterschiedlichen Problemlagen richten kann. Ein typischer institutioneller Kontext, in dem klinisch-psychologische Beratung stattfindet, sind die Erziehungs- und Lebensberatungsstellen in Deutschland, deren Aufgabe im Kinder- und Jugendhilfegesetz (= Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) - Kinder und Jugendhilfe) geregelt ist. Psychotherapie und Beratung sind somit in verschiedene Begründungs- und Argumentationszusammenhänge eingebettet und können durch jeweils unterschiedliche institutionelle Kontexte voneinander abgegrenzt werden. »Psychotherapie« richtet sich an »Patienten« und bezieht sich primär auf Störungen mit Krankheitswert, bei denen eine Heilbehandlung angezeigt ist; »Beratung« dagegen ist ein inhaltlich weniger festgelegtes, entwicklungsorientiertes Angebot, das besonders in problematischen Situationen bedeutsam sein kann und den »Klienten« hierbei Hilfe zur Orientierung, Planung, Entscheidung und Problembewältigung vermitteln soll. Im Kontext der Erziehungs- und Lebensberatung kann Psychotherapie als Teilaspekt der gesamten Beratungstätigkeit verstanden werden. Im Rahmen einer heilkundlichen Tätigkeit, in deren Zentrum die Therapie steht, sind im Verlauf des diagnostisch-therapeutischen Ablaufs immer wieder Beratungsprozesse notwendig. Je
173 8.2 . Theoretisch-konzeptuelle Aspekte
nach Kontext kann Beratung also als ein Bestandteil der Psychotherapie betrachtet werden oder aber auch umgekehrt Psychotherapie als ein Bestandteil der psychosozialen Beratungstätigkeit. Wenn man nun - unabhängig von den institutionellen Kontexten - überlegt, ob und wie Beratung und Psychotherapie in der klinisch-psychologischen Arbeit inhaltlich sinnvoll differenziert werden können, dann wird man schnell feststellen, dass sich auf der Handlungsebene (Was wird tatsächlich getan? Wie wird konkret kommuniziert?) zwischen Beratung und Therapie sehr viele Ähnlichkeiten und Überschneidungen ergeben. Die meisten Autoren sind der Auffassung, dass eine klare Abgrenzung sehr schwierig ist, da Beratung und Therapie fließend ineinander übergehen können. In . Tab. 8.1 sind die wichtigsten Merkmale von Beratung und Therapie einander gegenübergestellt. Bei der Betrachtung dieser Gegenüberstellungen ist jedoch zu beachten, dass die Unterschiede relativ und im Fluss sind: 4 So wurde beispielsweise in der Psychotherapie auch zunehmend der Aspekt der Orientierung an den Stärken und Ressourcen der Patienten betont und die Therapie zielt natürlich auch auf die Förderung der individuellen Entwicklung und der Lebensqualität ab. Umgekehrt sind auch im Beratungskontext psychische Störungen »zugelassen« und können in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. 4 Auch bei der genaueren Betrachtung des Informationsaspektes wird deutlich, wie Beratung und Therapie ineinander übergehen. In der Regel ist die Information des Patienten durch den Therapeuten nicht unbedingt der zentrale Baustein einer Psychotherapie. Wenn wir uns aber einmal die Entwicklung der Psychotherapie in den letzten Jahren betrachten, dann ist zweifelsfrei festzustellen, dass der Informationsaspekt enorm an Bedeutung dazu gewonnen hat: Eine moderne Psychotherapie beginnt damit, dass der Patient in umfassender Weise informiert wird; so ist z.B. die gemeinsame Entwicklung eines Störungskonzeptes eine gute Information des Patienten. Wenn wir also Therapie und Beratung voneinander abheben, sollten wir bedenken, dass die Unterschiede schon seit jeher relativ sind und dass sich beide in den letzten Jahren noch mehr aneinander
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angenähert haben (vgl. hierzu auch ausführlich Borg-Laufs, 2003). Für den vorliegenden Artikel wollen wir von der im ▶ Kasten dargestellten Arbeitsdefinition von Beratung ausgehen (vgl. auch Nußbeck, 2006; Rechtien, 2004). Definition Arbeitsdefinition »Klinisch-psychologische Beratung« Beratung in der Klinischen Psychologie bezeichnet ein Gespräch oder einen anderen kommunikativen (z.B. schriftlichen) Austausch zwischen einem Ratsuchenden und einem Beratenden, wobei der Beratende dem Ratsuchenden Informationen, Anregungen, Anleitungen und sonstige Hilfestellungen zu Fragestellungen gibt, um ihn 4 bei der Orientierung in Lebenssituationen, 4 beim Treffen von Entscheidungen, 4 bei der Planung von Handlungen und bei der Lösung bzw. Bewältigung von Problemen zu unterstützen. Durch die Beratung sollen die Fähigkeit zur Problemlösung, die Handlungskompetenz und die Selbststeuerungsfähigkeit verbessert werden.
Eine qualifizierte klinisch-psychologische Beratung ist theoretisch fundiert; zu diesen theoretischen Grundlagen gehören (vgl. Rechtien, 2004) Theorien über 4 die Persönlichkeit, über menschliche Lernund Entwicklungsprozesse und über soziale Beziehungen und Systeme; 4 die Entwicklung individueller Probleme (z.B. Konzepte über Beziehungskonflikte) bzw. Störungen (z.B. über einzelne Krankheitsbilder) sowie von Beziehungsproblemen; 4 die Wirkweise, Indikation und Gestaltung von Hilfestellungen und Beratungen. Je nach psychotherapeutischer Schulorientierung können die verwendeten theoretischen Konzepte unterschiedlich sein; die wichtigsten Konzepte der einzelnen Schulrichtungen werden im nächsten Abschnitt dargestellt. Sowohl aus praktischer wie
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Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
⊡ Tab. 8.1. Unterschiede zwischen Beratung und Therapie Beratung
Psychotherapie
Begriffe zur Kennzeichnung der Rollenverteilung
Berater – Klient
Psychotherapeut – Klient
Inhaltlicher Schwerpunkt
Inhaltlicher Fokus wenig festgelegt: Es kann um eine Vielfalt unterschiedlicher Fragestellungen oder Probleme gehen.
Inhaltlicher Fokus eher festgelegt: Psychische Störungen oder psychische Aspekte bei körperlichen Erkrankungen stehen im Mittelpunkt.
Traditionell steht eher die Förderung der Entwicklung und des Wohlbefindens im Blickpunkt: Ressourcenorientierung
Traditionell stehen eher die psychischen Beeinträchtigungen im Blickpunkt: Diagnosen- und Störungsorientierung.
Aufgabenstellung
Hilfestellung bei der Beantwortung von offenen Fragestellungen, für die Orientierung und Handlungsplanung notwendig ist, beim Treffen von Entscheidungen und Hilfe bei der Lösung bzw. Bewältigung von Problemen.
Heilung oder Linderung einer Erkrankung mit psychologischen Mitteln; psychologische Hilfe bei der Bewältigung von körperlichen Erkrankungen.
Auftrag
Beratungsauftrag: Häufig weniger klar umrissen; Unterstützung in einer Lebenssituation oder bezüglich einer Problemlage.
Therapieauftrag: Veränderung des Erlebens, Verhaltens oder Leidenszustandes des Patienten.
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Die Person (Eigenschaften, Erleben, Verhalten) des Ratsuchenden steht weniger zur Diskussion.
Damit steht die Person (Eigenschaften, Erleben, Verhalten) des Patienten stärker zur Diskussion.
Einschränkungen beim Klienten/Patienten
Es bestehen im typischen Falle keine oder nur geringe Einschränkungen bei der Steuerung des eigenen Verhaltens (Eigenverantwortung nicht eingeschränkt; geringerer Störungsgrad); es wird unterstellt, dass der Klient über ein Mindestmaß an Handlungsfreiheit (Autonomie) verfügt. Beratung ist in der Regel freiwillig.
Im typischen Falle bestehen aufgrund der psychischen Störung Einschränkungen bei der Steuerung des eigenen Verhaltens (höherer Störungsgrad). Es wird davon ausgegangen, dass die Handlungsfreiheit (Autonomie) beim Patienten eingeschränkt sein kann. Therapie kann auch in besonderen Fällen (Selbst- und Fremdgefährdung) gegen den Willen des Patienten erfolgen.
Intensität, Zeitperspektive und Fokussierung
In der Regel weniger intensiv, zeitlich umgrenzter, thematisch stärker fokussiert.
In der Regel intensiver, länger und thematisch umfassender.
Informationsaspekt
Information für den Klienten steht stärker im Vordergrund.
Information für den Patienten steht weniger stark im Vordergrund.
Zugang
Zugangsschwelle ist eher niedrig (häufig kostenfrei; teilweise anonyme Beratung).
Zugangsschwelle ist eher höher (i.d.R. Finanzierung durch Krankenkassen; anonymer Zugang kaum möglich).
Persönlicher Kontakt
Beratung kann auch telefonisch, schriftlich oder online erfolgen. Ein persönlicher Kontakt ist nicht unbedingt notwendig.
Therapie sollte immer persönliche Kontakte einschließen; wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, können auch andere Kommunikationsmittel genutzt werden.
175 8.2 . Theoretisch-konzeptuelle Aspekte
auch aus wissenschaftlicher Sicht erscheint aber die Begrenzung auf eine Schulrichtung immer weniger dem heutigen Kenntnis- und Erfahrungsstand angemessen. In der Praxis werden häufig Ansätze, die ursprünglich aus verschiedenen Schulrichtungen stammen, kombiniert (▶ Kap. 4). Neben der Kenntnis der theoretischen Grundlagen liegt eine weitere Voraussetzung für eine qualifizierte klinisch-psychologische Beratung darin, dass der Berater über eine hinreichende Kompetenz in zweierlei Hinsichten verfügt (▶ Kap. 10): 4 Allgemeine Beratungs- bzw. Therapiekompetenz: Zum einen sollte der Berater über Wissen
verfügen, wie Beratungs- und Therapiesituationen gestaltet werden können, damit die Interaktion mit den ratsuchenden Gesprächspartnern möglichst hilfreich und produktiv verläuft, und zum anderen sollte er über Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, dieses Wissen in praktisches Beratungshandeln umzusetzen. Damit dies gelingen kann, sind hinreichende interaktive bzw. kommunikative Fähigkeiten unabdingbar. Die allgemeine Beratungs- und Therapiekompetenz kann deshalb als ein Spezialfall sozialer Kompetenz für den beruflichen Kontext und die professionellen Aufgaben von Klinischen Psychologen betrachtet werden. 4 Spezifische Kompetenz zum Handlungsfeld und zur Problemlage: Weiterhin sollte der Be-
rater über spezifisches Wissen zum jeweiligen Handlungsfeld und zu den Problemen, die Thema der Beratung sind, verfügen und darüber, wie die angesprochenen Probleme gelöst oder bewältigt werden können und wie er hierbei hilfreich sein kann (Interventionsmöglichkeiten). Schließlich sollte er auch die entsprechenden praktischen Fähigkeiten besitzen, dieses Wissen in praktisches Handeln umzusetzen. Engel et al. (2004) sprechen in diesem Zusammenhang von der »Doppelverortung« der Beratung. Die möglichen klinisch-psychologischen Handlungsfelder, in denen eine spezifische Kompetenz gefordert ist, sind äußerst vielfältig; dementsprechend unterschiedlich ist das Wissen und die Kompetenz, die in den verschiedenen Bereichen gefordert ist (s. BDP: http://www.bdp-klinische-psychologie.de).Beratung im Sinne unserer Arbeitsdefinition kann als Teilaspekt jeglicher klinischer Tätigkeit verstanden wer-
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den. Ein großer Teil der Tätigkeit ist Beratung im definierten Sinne; auch ein großer Teil dessen, was als Therapie verstanden wird, ist mit beraterischen Aspekten »durchtränkt«. Im Kontext der Erziehungs-, Familien- und Lebensberatung steht die Beratung im Zentrum der Tätigkeit; dabei beinhaltet Beratung meist auch therapeutische Elemente. Im klinischen Kontext der Krankenbehandlung wird Beratung als Teilaspekt der diagnostisch-therapeutischen Tätigkeit verstanden. Hier können wir unterscheiden: 4 Beratung im Anschluss an die Diagnostik (Information über Ergebnisse der Diagnostik); 4 Beratung im Anschluss an die Diagnostik als therapeutische Kurzintervention; 4 Beratung als Bindeglied zwischen Diagnostik und Therapie (z.B. als Abschluss der Diagnostik und Vorbereitung der Therapie); 4 Beratung als Teilkomponente therapeutischer Interventionen (z.B. psychoedukative Beratung im Verlauf einer Therapie); 4 Beratung als Begleitung des therapeutischen Prozesses (z.B. begleitende Elternberatung bei einer Kindertherapie). Im klinisch-psychologischen Arbeitsfeld umfasst Beratung eine ganze Reihe von unterschiedlichen Teilkomponenten; die wichtigsten sind: 1. Allgemeine Informationsvermittlung über Möglichkeiten von Diagnostik und Intervention (Beratung = Gesamtorientierung); 2. Information über die diagnostischen Prozeduren und die Ergebnisse der Diagnostik (z.B. Befunde erläutern bis zur Diagnose); 3. Information über Erkrankung im allgemeinen, die spezielle individuelle Ausprägung und über die Interventionsmöglichkeiten; 4. Hilfestellungen, die allgemeinen Informationen auf den konkreten vorliegenden Fall anzuwenden; gemeinsame Entwicklung eines Handlungskonzepts; 5. Beraterische Hilfe zur Orientierung, Entscheidungsfindung, Handlungsplanung und Problemlösung bzw. Problembewältigung. Zusätzlich zu diesen beraterischen Aktivitäten, die sich direkt an die Patienten und ihre Angehörigen richten, haben wir im klinisch-psychologischen Bereich eine ganze Reihe von speziellen Beratungsformen, wie z.B. die kollegiale Beratung in Form
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Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
von Supervision, Intervision oder Coaching oder die Ergänzung der klinisch-psychologischen Tätigkeit durch Beratungsformen, die sich auf spezielle Themenbereiche beziehen (z. B. Schuldnerberatung; Ernährungsberatung; Schullaufbahnberatung; genetische Beratung). Beratung in der Klinischen Psychologie umfasst somit ein sehr weit gefächertes Themenfeld, das im vorliegenden Artikel nicht erschöpfend abgehandelt werden kann. Wir wollen uns hier vielmehr auf die Kernaspekte klinisch-psychologischer Beratung konzentrieren. Im folgenden Abschnitt stellen wir die Beratungsansätze, so wie sie in den verschiedenen psychotherapeutischen Traditionen entwickelt wurden, vor. Hierbei beziehen wir uns auf Konzepte sowohl aus dem beraterischen als auch therapeutischen Bereich, wobei beide – wie bereits erwähnt – nur graduell voneinander abgrenzbar sind.
8 8.3
Klinisch-psychologische Beratungsansätze
8.3.1
Psychodynamische Beratung
Mit den Arbeiten von Sigmund Freud (1856-1939) begann die psychoanalytische Bewegung, die das geistige Leben des 20. Jahrhunderts wesentlich prägte. Schon in den ersten Jahrzehnten entwickelten sich Abspaltungen von der Freudschen »Schule« und im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts differenzierten sich die psychoanalytischen Ansätze weiter aus; teilweise begründeten Autoren aus der psychoanalytischen Tradition neue Therapieansätze. Sehr viele psychotherapeutische Modelle aber stellen sich auch heute noch in die von Freud begründete Tradition; diese können unter dem Oberbegriff »psychodynamische Ansätze« zusammengefasst werden.
Im Folgenden wird die Beratung aus psychodynamischer Sicht anhand ihrer theoretischen Grundkonzepte sowie zweier Beratungsmodelle erläutert. Eine Unterscheidung zwischen Therapie und Beratung ist nicht einfach zu treffen. Insbesondere die psychodynamische Kurztherapie weist eine hohe methodische Nähe zur psychodynamischen Beratung auf (Houben, 1998). Für eine solche Beratung eignen sich grundsätzlich eher umgrenzte, konkrete und nicht chronifizierte Probleme, zu deren Lösung der Ratsuchende genügend Stabilität und Ressourcen mitbringt. Explizite psychodynamische Beratungsansätze finden sich in der Literatur selten (vgl. Datler, Steinhardt & Gstach, 2004; Rechtien, 2004). Zentrale Annahme psychodynamisch orientierter Therapien bildet das Konzept der verschiedenen Bewusstseinsqualitäten. Sigmund Freud stellte die Bedeutung des Unbewussten für Psyche und Verhalten des Menschen in den Mittelpunkt. Er verwies darauf, dass viele Bereiche der Psyche für den Menschen nicht willentlich zugängig seien, so etwa Triebwünsche oder Traumata, die vornehmlich der Kindheit entstammen. Triebwünsche, die als unzulässig erlebt werden, oder schmerzhafte Erfahrungen können verdrängt werden, so dass sie nicht bewusst wahrgenommen werden. Verdrängte Erfahrungen können sich in Träumen, Fantasien oder psychischen Störungen ausdrücken. Ziel der psychodynamischen Therapie und Beratung ist es, stark vereinfacht gesprochen, das verdrängte Unbewusste dem Bewusstsein des Patienten zugänglich zu machen, und bewusste Entscheidungen und damit Veränderungen zu erreichen. Diese Grundidee wurde über die Jahre in viele verschiedene Richtungen differenziert und weiterentwickelt. Basale Begriffe des psychodynamischen Ansatzes finden sich im folgenden Exkurs. Psychodynamische Interventionen stellen das Konfrontieren (Ansprechen relevanten Erlebens
Exkurs Grundbegriffe des psychodynamischen Ansatzes Zu den Rahmenvorgaben psychoanalytischer Therapien gehört die Grundregel der freien Assoziation (König, 2004). Sie besagt, dass
sich der Patient so offen wie möglich zu einem Thema äußern soll. Er soll alles beschreiben, was ihn bewegt. Ziel ist das Auffinden weniger bewusster Inhalte, die für die Behandlung relevant sind. Damit der Patient möglichst un-
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177 8.3 . Klinisch-psychologische Beratungsansätze
beeinflusst vom Gegenüber berichtet, sitzt der Therapeut in der klassischen Psychoanalyse hinter dem Kopf des liegenden Patienten. Die freie Assoziation wird im Rahmen der tiefenpsychologischen Therapie durch das Gegenübersitzen sowie die stärkere Strukturierung durch den Therapeuten eingeschränkt. Der Begriff des Widerstandes bezeichnet die vornehmlich unbewusste Abwehr unangenehmer, peinlicher oder verdrängter Inhalte im Rahmen der Therapie. Er kann auch als Schutz vor schmerzhaften Gefühlen oder Kränkungen verstanden werden und verschiedene Formen annehmen. Übertragung und Gegenübertragung kennzeichnen die Interaktion bzw.
oder Verhaltens), das Klarifizieren (Vertiefung und Verdeutlichung von Zusammenhängen), das Deuten (das Erleben oder Verhalten wird in einen neuen Kontext gestellt) und das Durcharbeiten (Umsetzung der gewonnenen Einsicht in neues Verhalten, Bearbeitung der Widerstände) dar. Als Beispiele für Beratungsmodelle werden im Folgenden die psychodynamische Gesprächsführung sowie die psychodynamische Kurztherapie vorgestellt.
Psychodynamische Gesprächsführung Ziel der psychodynamischen Gesprächsführung ist nach Rudolf (2005) eine produktive Beziehungsaufnahme. Sie dient der Erarbeitung von Kooperationsmöglichkeiten zwischen Klient und Berater. Die Beziehung stellt das zentrale Medium sowohl aus diagnostischer, als auch aus beratender Sicht dar. In Abgrenzung zum therapeutischen Gespräch verhält sich der psychodynamisch-orientierte Berater aktiver, leitender und trifft mehr Entscheidungen. In . Tab. 8.2 sind die wichtigsten Prinzipien einer psychodynamischen Gesprächsführung dargestellt.
Psychodynamische Kurztherapie Neben der zeitlich intensiven Psychoanalyse entwickelten Autoren wie Alexander und French
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Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Als Übertragungsphänomene werden Gefühle, Wahrnehmungen und Impulse des Klienten betrachtet, die er dem Therapeuten gegenüber entwickelt. Sie beruhen auf früheren Beziehungserfahrungen. Beispielsweise kann ein Patient in der Kindheit erlebte Abhängigkeitsgefühle von der Mutter im Gespräch auf seine Therapeutin übertragen. Auch der Therapeut kann aufgrund seiner eigenen Geschichte spezielle Impulse oder Gefühle dem Klienten gegenüber entwickeln, dieses wird entsprechend als Gegenübertragung bezeichnet. Beide Phänomene können in der Therapie thematisiert und bearbeitet werden.
(1964), Dührßen (1969) und Balint, Ornstein und Balint (1973) bereits früh Ansätze, die versuchten, die Therapiedauer und den –inhalt der psychodynamischen Therapie zu begrenzen. Die klassisch geringe Aktivität und Leitung des Therapeuten in der Sitzung sowie die ausführliche Analyse von Widerstand und Gegenübertragung wurde reduziert, stattdessen rückte die Bestimmung eines eingegrenzten Behandlungsziels bzw. neurotischen Behandlungsfokus in den Vordergrund. Der Schwerpunkt liegt auf einem aktuellen, bewussten oder bewusstseinsnahen, zentralen Konflikt des Patienten. Mit Hilfe des Therapeuten soll es dem Patienten gelingen, diesen zu identifizieren und durch Klärung, Konfrontation und Deutung zu bearbeiten. Dabei soll er erkennen, wie sich dieser in verschiedenen Beziehungssituationen manifestiert und welche Rolle er in gegenwärtigen und vergangenen Beziehungen spielt bzw. spielte. Aktuelle Konflikte in der Therapeuten-Patientenbeziehung werden ebenfalls aufgegriffen und in den Therapieprozess eingebracht. Moderne Ansätze der psychodynamischen Kurztherapie finden sich bei Strupp und Binder (1991) sowie Biskup (2004). Zur Bestimmung des Behandlungsfokus zitieren wir ein gekürztes, anschauliches Beispiel nach Reimer und Rüger (2000, S.95).
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Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
⊡ Tab. 8.2. Allgemeine Prinzipien der Gesprächsführung aus psychodynamischer Sicht. (Mod. nach Rudolf, 2005) Zur Verfügung stehen
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Den inhaltlichen Rahmen der Gesprächssituation definieren Die Ungestörtheit der Situation sicherstellen Die verfügbare Zeit definieren Zum Sprechen ermutigen (durch offene Fragen) Raum geben, Zeit lassen, zuhören Im Kontakt bleiben (durch Blick, Mimik, paraverbale Äußerungen)
Störend: Die Rahmenbedingungen offen lassen, unter Zeitdruck sprechen, selber reden wollen, drängen Anteilnehmende Beobachtung (≈ Empathie)
4 Sich innerlich mit Interesse auf den Anderen ausrichten 4 Sich in die Gefühlslage und Lebenssituation des anderen einfühlen 4 Sich von seinen Mitteilungen und seiner Ausstrahlung berühren lassen 4 Versuche, den anderen zu verstehen 4 Die entstehende Beziehungsgestalt erfassen Störend: Rasch nach Ursachen und Erklärungen suchen, Fakten ermitteln wollen, »bohrende« Fragen stellen
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Positive Resonanz geben (≈ Wertschätzung)
4 4 4 4 4
Signale des Interesses und des Verstehens geben Das Gehörte aufgreifen wiederholen, paraphrasieren, zusammenfassen Die emotionalen Erlebnisinhalte in Worte fassen Das Gehörte akzeptieren und unterstützen
Störend: Das Gehörte bewerten (»richtig/falsch«), dagegenhalten (»Sie haben keinen Grund ...«) Differenzieren (≈ Unterstützung der Selbst- und Problemexploration)
4 4 4 4
Weiterführende und klärende Fragen stellen Differenzierungen vornehmen Benachbarte Themen eröffnen Zum Fragen ermutigen
Störend: Ein einzelnes Thema »totreden«, ohne Vorbereitung das Thema wechseln Wir-Bildung (≈ Kooperative Beziehungsgestaltung)
4 Sich über die Vorgehensweise einigen 4 Gemeinsamkeiten in der Zielsetzung erarbeiten (Arbeitsbeziehung etablieren) 4 Unterschiede und Gegensätze der Zielsetzung akzeptieren (Grenzen der Kooperationsmöglichkeiten anerkennen) Störend: Zusammenarbeit als selbstverständlich unterstellen, Patienten moralisierend verpflichten, auf die Autorität des Experten pochen
Selektiv-authentische Mitteilungen (≈ Echtheit)
4 Mitteilen der Wahrnehmungen des Therapeuten (spiegeln, aufmerksam machen) 4 Mitteilen des Erlebens und der Emotionen des Therapeuten (»Antwort«) 4 Mitteilen von Vermutungen über Zusammenhänge (Interpretationen, Deutungen) Störend: Den Patienten durch den eigenen Affekt überfordern; überredende Ratschläge geben, theoretische Interpretationen geben
179 8.3 . Klinisch-psychologische Beratungsansätze
8
Beispiel Behandlungsfokus in einer psychodynamischen Kurztherapie Ein 36jähriger Mann sucht psychotherapeutische Hilfe, nachdem ihm seine Partnerin, mit der er seit sechs Jahren zusammenlebte, von ihren Trennungsgedanken berichtet hatte. Sie hatte dies damit begründet, dass er […] ihr keine »Luft« mehr lasse für sich selbst und dass er selbst offenbar nicht genügend Vertrauen in den Bestand und die Stabilität ihrer Gefühle zu ihm habe. Als Beispiel dafür hatte sie ihm vorgehalten, dass er sie fast täglich mindestens einmal frage, ob sie ihn noch lieb habe. Sie fände das ausgesprochen nervig und auch infantil. […] Der Patient unternahm daraufhin einen Suizidversuch mit Tabletten und wurde nach kurzer Entgiftung im Krankenhaus in die psychosomatische Ambulanz überwiesen. Im Erstgespräch thematisierte er seine Verzweiflung wegen der drohenden Trennung von seiner Freundin. Er könne zwar verstehen, was
Die Bestimmung des Behandlungsfokus kann unterschiedlich erfolgen. Lachauer (nach Biskup, 2004) schlägt beispielsweise die Methode der Bildung eines Fokalsatzes vor. Therapeut und Patient erarbeiten sich einen, die Hauptthematik betreffenden Satz, der aus zwei Teilen besteht. Die erste Hälfte soll eine möglichst treffende Problembeschreibung wiedergeben; deren Bestimmung wird als erste Zentrierung bezeichnet. Der zweite Teil des Fokalsatzes beinhaltet die zentrale Hypothese über die unbewusste Dynamik, die zur Entstehung des Problems beitrug. Diese Hypothesenfindung nennt Lachauer die zweite Zentrierung. Im Rahmen der ersten Zentrierung, also der Bestimmung des zentralen Problems, haben verschiedene Bereiche unterschiedliche Prioritäten. Probleme in der Therapeuten-Patientenbeziehung müssen vorrangig thematisiert und bearbeitet werden, um den Therapiefortgang und -erfolg nicht zu gefährden. Finden sich hier keine Schwierigkeiten, kann die Symptomatik des Patienten zur Problemdefinition herangezogen werden. Ist die psychische Dynamik zwischen Symptom und Konflikt gut erkennbar
sie kritisiere, aber er könne sich nicht anders verhalten. Bei der Erhebung der biographischen Anamnese ergab sich, dass der Patient von klein auf mit einer besonderen Dynamik zwischen den Eltern konfrontiert worden war: Die Eltern hatten häufig gestritten, wobei die Mutter in solchen Episoden dem Vater und den Kindern stets mit Trennung, z. T. auch mit Suizid, gedroht hatte. In diesem Kontext war es auch zweimal zu Suizidversuchen gekommen, und die Mutter war einige Male im Affekt von zu Hause weggelaufen und musste gesucht werden. Als der Therapeut den Patienten daraufhin fragte, was er aus diesem Erleben für sich geschlossen habe, sagte der Patient: »Man kann sich nie sicher sein, dass jemand den man liebt, bei einem bleibt«. An dieser Thematik und der emotionalen Reaktion darauf war sehr gut der Fokus »Verlustängstlichkeit« herauszuarbeiten.
und vom Patienten akzeptiert, wird sie als zentrales Problem definiert. Ist dies nicht möglich, erfolgt eine gemeinsame Neudefinition des Problems, auf die der Patient sich einlassen kann. Die nun gefundene, treffende Problembeschreibung des Fokalsatzes wird durch das Wort »weil« mit dem zweiten Teil des Satzes, der die Hypothese zur Genese darstellt, verknüpft. Im Rahmen dieser zweiten Zentrierung wird die Hypothese vornehmlich aus Informationen zweier Bereiche formuliert. Zum einen wird sie aus der Therapeuten-Patienten-Interaktion abgeleitet, hier spielt die Analyse der Übertragung und Gegenübertragung eine zentrale Rolle. Zum anderen werden biographische Hintergründe des Patienten herangezogen. Der so gefundene Fokalsatz wird möglichst in der Sprache des Patienten formuliert, erfasst dessen Hauptproblem, ermöglicht Einsicht in eigenes Verhalten und Erleben und bietet damit Ausgangspunkt für Veränderung. Neben der Fokusbildung durch Fokalsatzfindung sollte der Therapeut den Patienten unterstützen, seine Gedanken und Gefühle sowie deren Bedeutung auszudrücken und zu explorieren. Die
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Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
Gesprächsführung sollte durch Akzeptanz, kurze und einfache Antworten, einem Kooperationsgedanken zwischen Therapeut und Patienten sowie Strukturgebung gekennzeichnet sein. Die Methode bietet sich vornehmlich bei umgrenzter Problematik, weniger bei ausgeprägten Persönlichkeitsstörungen, an. Voraussetzung sind eine angemessene Motivation und Realitätsbezogenheit des Patienten sowie Leidensdruck und Fähigkeit zur Regression. 8.3.2
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Kognitiv-behaviorale Beratung
Die kognitiv-behaviorale Beratung stützt sich auf die Konzepte der Verhaltenstherapie, die in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts begründet wurde. Ursprünglich war die Verhaltenstherapie behavioristisch ausgerichtet und ausschließlich auf die Lerngesetze bezogen. Schon zum Ende der 60er und im Verlaufe der 70er Jahre öffnete sie sich aber neuen Entwicklungen: So entwickelte Arnold Lazarus eine Art »Breitband-Verhaltenstherapie«, die sich nicht mehr nur auf Methoden beschränkte, die sich direkt aus den lerntheoretischen Grundlagen ableiten ließen, sondern die auch andere in der klinischen Praxis bewährte Methoden nutzten. Einen weiteren wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung leistete Frederick Kanfer, der sich seit Anfang der 60er Jahre mit dem Thema Selbstkontrolle und mit der Analyse von komplexen Selbstregulationsprozessen beschäftigte; in diesem Zusammenhang vertrat er die Auffassung, dass ein verhaltenstherapeutischer Ansatz die Bedeutung der individuellen Verantwortlichkeit und der Zielgerichtetheit des Verhaltens nicht verleugnen dürfe. Als drittes Beispiel für die Weiterentwicklung der Verhaltenstherapie in den 70er Jahren können die Therapieansätze genannt werden, nach denen die Therapie als Problemlösungsprozess aufgefasst wird. Schließlich wurden von Verhaltenstherapeuten auch kognitive Therapiemodelle interessiert aufgegriffen, die schon in den 50er und 60er Jahren zunächst außerhalb der Verhaltenstherapie entwickelt worden waren. Dazu zählen insbesondere die Arbeiten von Ellis (1977) und von Beck (1967). Mit der Aufnahme dieser Anregungen bahnte sich die »kognitive Wende« der Verhaltenstherapie in den 80er Jahren an. Heute stützt sich die Verhaltenstherapie auf eine Vielfalt von theoretischen Ansätzen und auf die Ergebnisse der empirischen Psychologie; dabei spielen Lerntheorien und
die kognitiven Theorien noch immer eine zentrale Rolle (s. Hautzinger, Eimecke & Mattejat, 2006). Im Folgenden sollen zwei Beratungsmodelle vorgestellt werden, der Selbstmanagement-Ansatz nach Kanfer sowie die sokratische Gesprächsführung.
Selbstmanagement-Ansatz Frederick Kanfer (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2004) integriert die Ergebnisse der Lern- und kognitiven Psychologie sowie Theorien zur Motivation in seinem Selbstmanagement-Ansatz. Ziel ist eine erhöhte Selbststeuerungsfähigkeit und -regulation des Menschen. Im Rahmen eines bio-psycho-sozialen Modells betont er die aktive Rolle des Menschen bei seiner Lebensgestaltung. Dieser soll unterstützt werden, sich eigene Ziele zu setzen, selbst Pläne für deren Umsetzung zu erarbeiten und diese dann auch konsequent zu verfolgen. Dieser Ansatz eignet sich gut für die Beratung und auch Therapie, da er Wert auf zeitliche Begrenztheit der Interventionen und wissenschaftliche Orientierung legt. Außerdem bietet er empirisch belegbare Effektivität. Im Zentrum steht ein zielorientiertes siebenstufiges Problemlösemodell, mit dessen Hilfe eine strukturierte Anleitung zur Selbststeuerung und Autonomie des Individuums erfolgt. Die Fertigkeiten des Selbstmanagements beinhalten Selbstbeobachtung, Selbstinstruktion, Zielklärung und -setzung, Selbstverstärkung und Selbstkontrolle. Sie sind erlernbar. Phase 1 zielt auf die Schaffung günstiger Ausgangsbedingungen ab. Es erfolgt eine Abklärung der organisatorischen Rahmenbedingungen, Informationen werden gesammelt und ein positiver Beziehungsaufbau angestrebt. Die Beziehungsgestaltung ist einerseits von Empathie geprägt, andererseits jedoch auch von den jeweiligen Eigenschaften und Störungsbildern des Klienten abhängig. So betonen Kanfer et al. (2004), dass bei der Arbeit mit sozial unsicheren Klienten berücksichtigt werden muss, dass sich deren zunächst begrenzten sozialen Fertigkeiten auch während des Aufbaus einer therapeutischen Allianz bemerkbar machen (z. B. in Form von Angst, Zurückweisung, Schwierigkeiten beim Äußern eigener Meinungen). Bei depressiven Klienten muss sich der Therapeut auf gewisse Tendenzen zu Unmut, Ungeduld und verstecktem Ärger einstellen. Hier besteht auch die Gefahr, dass sich der Therapeut von der melancholischen Stimmung des Klienten anstecken lässt, angesichts des-
181 8.3 . Klinisch-psychologische Beratungsansätze
sen Passivität ungeduldig oder ablehnend reagiert, oder aufgrund von Suizidäußerungen überängstlich wird und sich aus dem Konzept bringen lässt. Dabei betonen sie die aktive Rolle des Klienten im Therapieprozess, der folgende Aufgaben übernehmen soll: 4 der Klient liefert nötige Informationen, 4 der Klient macht eigene Vorschläge (z. B. »Könnte ich nicht ...probieren?«, Soll ich meine(n) Mann/ Frau fragen, ob er/sie mitkommt?«), 4 der Klient bringt von sich aus wichtige Unterlagen mit (z. B. Zeugnisse, Arztbefunde, persönliche Notizen), 4 gemeinsam getroffene Vereinbarungen und Abmachungen werden eingehalten, 4 der Klient erledigt therapeutische Aufgaben und »Hausaufgaben«. In der zweiten Phase sollen Veränderungsmotivation aufgebaut und erste Veränderungsbereiche ausgewählt werden. Dies geschieht mit grundlegenden Motivationsfragen: 1. Wie wird mein Leben sein, falls ich mich ändere? 2. Wie werde ich besser dastehen, falls ich mich ändere? 3. Kann ich es schaffen? 4. Was muss ich für eine Änderung investieren? (»Lohnt« es sich?) 5. Kann ich auf die Unterstützung dieses Therapeuten (und dieser Institution) bauen? Phase 3 bildet das Kernstück des diagnostisch-inter-
venierenden Prozesses. Hier erfolgen Verhaltensund Problemanalysen, ein funktionales Bedingungsmodell wird aufgestellt. In der situativen Analyse wird auf Mikroebene das Verhalten anhand des SORKC-Schemas selektiv, detailliert und verhaltensnah untersucht. Die kontextuelle Analyse findet hingegen auf der »gröberen« Makroebene statt und beschäftigt sich mit Oberplänen und Regeln, also den handlungsleitenden Kognitionen (z.B. Analyse von subjektiven Krankheitsmodellen). Hierzu gehören Fragen nach den vermuteten Ursachen von Seiten des Klienten, deren Objektivität und Realitätsgehalt und seinen Schlussfolgerungen (z. B. Selbstkontroll- und Änderungsversuche, Kontrollverlust, Delegation der Verantwortung an andere).
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Der Therapeut sollte einschätzen, welche Chancen er sieht, das momentane Health-Belief-Modell des Klienten konstruktiv zu nutzen oder zu ändern. Die vierte Phase dient der gemeinsamen Klärung von Zielen und deren Konsens. Die Planung, Auswahl und Durchführung spezifischer Methoden, die sich an wissenschaftlicher Effektivität orientieren, erfolgen in Phase 5.
Folgende Aspekte sollten hierbei Berücksichtigung finden (Kanfer et al., 2004, S. 307): 1. Wähle die Methode erst, wenn die vorigen Phasen angemessen durchlaufen wurden. 2. Nutze die Verhaltensanalyse und setze an konkreten, änderbaren Bedingungen an. 3. Setze Prioritäten. 4. Arbeite an konkreten Zielkriterien. 5. Berücksichtige Ergebnisse der Therapieforschung. 6. Wähle Interventionen, die der Klient bewältigen kann und für die er motivierbar ist. 7. Prinzip der minimalen Intervention: Unterstütze nur solange, bis der Klient sich selber wieder helfen kann. 8. Prinzip der kleinen Schritte: Bilde Zwischenziele mit angemessenem Schwierigkeitsgrad. 9. Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg: Schaffe Lernerfolg und Selbstwirksamkeit. 10. Berücksichtige Kosten und Nutzen. Anschließend wird der Fortschritt bewertet, d.h. das eigene Vorgehen evaluiert (Phase 6). Ziel ist eine Prozesssteuerung und -verbesserung. Evaluation kann prozessbegleitend mit dem Klienten mittels Hausaufgaben durch die Selbstbeobachtung subjektiver Veränderungen erfolgen. Mittels reliabler Messinstrumente können auch Veränderungen vor und nach der Therapie erfasst werden. Ebenso kann man zielabhängig evaluieren, beispielsweise aus Sicht des Patienten (z.B. höhere Lebensqualität) oder des Therapeuten (z. B. Anzahl der gebesserten Patienten, Kosten- Nutzen-Relation). Die siebte Phase beinhaltet die Erfolgsoptimierung und den Abschluss der Intervention. Hier soll das neue Verhalten stabilisiert und generalisiert werden. Das Individuum soll lernen, aus der bereits erfolgten Veränderung übergeordnete Regeln abzuleiten und diese bei neu auftretenden Problemen selbständig anzuwenden.
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Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
Sokratische Gesprächsführung
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Bereits in der Antike wurden Methoden der Gesprächsführung mit dem Ziel entwickelt, das selbstbestimmte und eigenverantwortliche Denken des Menschen zu fördern. Ausgangspunkt bildeten für den Menschen bedeutsame, metaphysische Fragen, auf die es keine einfachen oder eindeutigen Antworten gab. Mittels der sokratischen Gesprächsführung wurde versucht, den Ratsuchenden durch geschicktes Fragen einen eigenen, für ihn gültigen und befriedigenden Erklärungsansatz entwickeln zu lassen. Heute ist die sokratische Gesprächsführung Bestandteil verschiedener Beratungsansätze und auch kognitiver Therapien (z.B. Ellis, Beck, Meichenbaum). Mit ihrer Hilfe werden dysfunktionale Kognitionen bearbeitet und so versucht, eigene Verhaltensmuster zu reflektieren, ihre Widersprüche zu erkennen und selbständig funktionalere Einsichten und Erkenntnisse zu gewinnen. Der Berater steht hierbei zur Hilfe, indem er sich naiv-fragend verhält und versucht, die Annahmen und Schlussfolgerungen des Patienten so gut wie möglich nachzuvollziehen. Dabei vermeidet er Wertungen, Belehrungen und Erklärungen. Um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, müssen alte Sichtweisen des Ratsuchenden zunächst gezielt in Frage gestellt werden. So entsteht ein innerer Zustand der Verwirrtheit, der die Voraussetzung für das Erlangen neuer Ein-
sichten bildet. Berater und Ratsuchender befinden sich somit in einem offenen, geduldigen und akzeptierenden Entdeckungsprozess. Das Ziel der sokratischen Gesprächsführung ist die Entwicklung eines inhaltlich logischen und widerspruchsfreien Erklärungsmodells, das Handlungs- oder Entscheidungsimplikationen beinhaltet. Die Sokratische Gesprächsführung spielt eine große Rolle in der kognitiv-behavioralen Beratung. Für Stavemann (2007) stellt die sokratische Gesprächsführung nicht nur eine Ansammlung von Fragetechniken dar, sondern vielmehr einen strukturierten Prozess, der zu drei verschiedenen Zwecken eingesetzt werden kann: (1) explikativ zur Begriffsklärung (Fragen wie z. B. »Was ist Vertrauen? Was ist moralisch oder gerecht?«) (2) normativ zur ethischmoralischen Überprüfung von Handlungen und Einstellungen (»Darf ich lügen, wenn ich Vorteile davon habe? Darf ich abtreiben?«) (3) funktional zur Bestimmung, ob und wie man seine Ziele erreichen kann (»Soll ich abtreiben? Soll ich mich trennen, um nach einer besseren Beziehung zu suchen?«). Hierzu werden Frage- und Disputtechniken eingesetzt, um ein besseres Verständnis des Ratsuchenden zu erzielen, seine kognitiven Konzepte zu prüfen und ihm neue Erkenntnisse zu ermöglichen. Im Folgenden wird die Struktur und der Ablauf eines funktionalen sokratischen Dialogs anhand eines gekürzten Fallbeispiels nach Stavemann (2007, S. 269 ff ) dargestellt.
Beispiel Beratung mittels Sokratischen Dialogs Ein 42-jähriger, verheirateter Vater zweier Kinder sucht in beruflichen Gründen Beratung. Er habe einen neuen, besser dotierten und verantwortlicheren Job angeboten bekommen, für den er jedoch seinen jetzigen, sicheren Arbeitsplatz aufgeben müsse. Die Beratung mittels sokratischen Dialogs durchläuft nach Stavemann (2007) folgende Phasen: 1. Themenauswahl: »Soll ich meinen sicheren Arbeitsplatz kündigen, um eine neue Chance wahrzunehmen?« 2. Konkretisieren der Fragestellung und Herstellen des Alltagsbezuges: »Können Sie diese Fragestellung so konkretisieren, wie sie
sich für Sie gerade stellt, damit ich verstehe, wie weit sie Ihren Lebensalltag tangiert?«. 3. Sammeln der positiven und negativen Aspekte einer Entscheidung oder Handlung: Hier animiert der Berater den Klienten, sich Gedanken über Vor- und Nachteile eines solchen Wechsels zu machen. Diese werden gemeinsam gesammelt und schriftlich fixiert. 4. Zusammenfassen positiver und negativer Aspekte und Prüfung ihrer Entscheidungsrelevanz: In einem längeren Prozess werden die Gedanken konkretisiert und geprüft, ob noch weitere Problemaspekte vorhanden sind. Hierbei wechselt er zwi-
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183 8.3 . Klinisch-psychologische Beratungsansätze
schen Frage- und Disputtechniken, die Pro- und Kontra-Argumente werden für die anschließende Gewichtung zusammengefasst. 5. Suche nach eventuell weiteren Aspekten: Der Berater fragt explizit nach, ob in dem Gespräch neue Argumente aufgetaucht sind, und gibt bei Bedarf entsprechend Zeit zum Nachdenken. 6. Gewichten und Abwägen der gefundenen Aspekte: Der Berater erklärt die Gewich-
Die sokratische Gesprächsführung kann in vielen Bereichen angewandt werden, sofern der Klient änderungsmotiviert und in der Lage ist, sich selbst zu reflektieren. Ihr Vorteil liegt in nachhaltigen kognitiven Umstrukturierungen aufgrund des eigenen Erarbeitens. Die Methode stärkt die Eigenverantwortlichkeit, fördert das selbständige Denken, reduziert Widerstand und wirkt sich positiv auf das Selbstvertrauen des Ratsuchenden aus. Der geleitete Entdeckungsprozess kann sich langwierig gestalten, weshalb genügend Zeit zum Themenabschluss vorhanden sein sollte. Ebenso erfordert die Anwendung vorheriges Training seitens des Anwenders. 8.3.3
Personzentrierte Beratung
Der Personzentrierte Beratungsansatz wurde von Carl Rogers (1902-1987) begründet, der in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts begann, ein Beratungs- und Therapiekonzept jenseits der klassischen psychoanalytischen und verhaltenstherapeutischen Schulen zu entwickeln. Rogers rückte das aktuelle Erfahren und Erleben (»im Hier und Jetzt«) des Klienten in den Mittelpunkt, womit er sich von der auf die frühe Kindheit gerichteten, eher pathologisch orientierten, psychoanalytischen Entwicklungstheorie und von dem konkreten Verhaltensaufbau des Behaviorismus abgrenzte (Rogers, 1942, 1951, 1961). Er postulierte zwei Grundbedürfnisse des Menschen, denen er mit seiner Beratung gerecht werden wollte. Nach seiner Ansicht strebt der Mensch nach Selbstverwirklichung sowie Wertschätzung bzw. liebevoller
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tung und lässt den Klienten die Pro- und Kontra-Argumente auf einer Skala von 0 – 100 bewerten. 7. Entscheidung: Nach der Gewichtung kommt es durch den Patienten zur Entscheidungsfindung; hierbei kann der Berater noch einmal die Rolle des Advocatus diaboli einnehmen, um die Entscheidung zu festigen bzw. mögliche Unsicherheiten aufzudecken.
Zuwendung. In der Beratung sollte, entgegen dem »medizinischen Modell«, das nach einer Diagnose eine Behandlung vorschlägt, möglichst nicht direktiv vorgegangen werden. Vielmehr sollte der Klient bei der Suche nach seiner eigenen Lösung unterstützt werden. Im Zentrum stehen dabei die unmittelbaren menschlichen Erfahrungen, nicht die theoretischen Annahmen des Therapeuten. Rogers war empirisch-wissenschaftlich geprägt und betrieb Psychotherapieforschung. Er untersuchte u. a. den Therapieprozess und zeichnete als einer der ersten Forscher Therapiesitzungen auf (Ton- und Bildaufnahmen). Zentrale Annahme ist, dass der Mensch die lebenslange Tendenz hat, seine Persönlichkeit in konstruktiver Weise weiter und reifer zu entwickeln. Dieses übergeordnete Prinzip wird als Aktualisierungstendenz bezeichnet. Sie stellt die treibende und motivierende Kraft in der Entwicklung des einzelnen Menschen dar. Weiterhin wird das Bedürfnis nach bedingungsloser und positiver Wertschätzung postuliert, d. h. der Mensch bedarf angemessener Anerkennung, Beachtung und Akzeptanz als eigenständiges Individuum. Unter diesen günstigen Vorraussetzungen verhält er sich rational, konstruktiv und sozial. Jeder Mensch entwickelt in unterschiedlichem Ausmaß Vorstellungen von und über sich selbst. Persönliche Eigenschaften oder Bewertungen des eigenen Verhaltens gehen in das individuelle Selbstkonzept ein. Zeitlich relativ überdauernd bietet es jedoch auch Raum für Veränderungen. Ausgangspunkt für die Entstehung von Störungen bildet ein unstimmiges Selbstkonzept des Indivi-
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Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
duums. Macht jemand Erfahrungen, die nicht mit dem eigenem Selbstbild übereinstimmen, entstehen Diskrepanzen zwischen dem Erleben und dem Selbstkonzept. Diese Unstimmigkeiten werden als Inkongruenzen beschrieben und lösen eine innere Anspannung aus, die zu Angst und Abwehr führen kann. Ein zu großes Ausmaß an Inkongruenzen kann die Selbstregulation des Menschen beeinträchtigen und sich auf den emotionalen und sozialen Lebensalltag auswirken. In Folge können psychosoziale Schwierigkeiten oder Störungen entstehen. Diese Inkongruenzen sollen im Gespräch erkannt und verstanden werden, in dem der Berater die Selbstexploration des Klienten fördert. Aspekte des Selbst, die abgelehnt oder nicht zugelassen werden, sollen mit dem Ziel aufgegriffen und angesprochen werden, deren Wahrnehmung zu ermöglichen und eine Integration in das eigene Selbstbild zu erleichtern. Wie die Bezeichnung dieses Ansatzes deutlich macht, steht die Person selbst besonders im Mittelpunkt der Beratung. Der Mensch besitzt grundsätzlich alle Fähigkeiten, um persönliche Schwierigkeiten und Problemsituationen erkennen, verstehen und verändern zu können. Mit Hilfe eines zurückhaltenden Beraters sollen Klienten ihre Problemsituation eigenverantwortlich bewältigen, also einen eigenen, nicht von außen herangetragenen Lösungsweg finden. Es geht darum, eigene Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten zu erkennen und sich selbst besser zu verstehen. Zentral für den Erfolg der Beratung ist das besondere Konzept der Beziehung zwischen Berater und Klient. Diese Beziehung soll die günstigen Umweltbedingungen darstellen, die für eine konstruktive Entwicklung notwendig sind. Grundlage bilden drei personzentrierte Grundeinstellungen, die im psychotherapeutischen Sprachgebrauch auch als »Therapeutenvariablen« (s. Exkurs) bezeichnet werden. Um eine bedeutsame Beziehung zum Klienten herstellen zu können und damit letztendlich Veränderung zu bewirken, sollte der Berater die Konzepte Akzeptanz, Empathie und Kongruenz umsetzen können. Diese drei Grundvariablen sind früher als notwendige, aber auch hinreichende Therapiebedingungen formuliert worden, deren Umsetzung ausreicht, um therapeutische Veränderungen zu bewirken.
Exkurs Personzentrierte Grundeinstellungen Akzeptanz meint die bedingungslose positive Wertschätzung des Klienten. Solidarität und Annahme des Individuums mit seinen Problemen und seiner Eigenständigkeit stärken die Selbstachtung. Tausch und Tausch (1990, S.66) beschreiben diesbezügliche Fragen des Beraters an sich selbst. 4 Achte ich den Gesprächspartner als Person? 4 Fühle ich wirklich Wärme und Anteilnahme ihm gegenüber? 4 Kann ich ihn in seinem Fühlen und in seiner inneren Welt voll annehmen? 4 Bin ich ihm wirklich sorgend zugewandt? Empathie drückt einfühlsames Verstehen in Gefühls- und Motivwelt des Klienten aus. Der Berater sucht die Perspektive des Klienten und kommuniziert dies, was meist zu einer verbesserten Interaktion führt. Kongruenz bezieht sich auf echtes und authentisches Verhalten des Beraters. Eigene Gefühle und Wahrnehmungen des Beraters, die er dem Klienten gegenüber entwickelt, sollen nicht vorgetäuscht werden. Das bedeutet nicht, dass er alles offen kommunizieren muss, was er denkt und was ihn bewegt. Jedoch sollte das, was er dem Klienten mitteilt, seinem Erleben oder seinen Gedanken entsprechen.
Der Personenzentrierte Beratungsansatz hat verschiedene Namensgebungen erfahren. Die Begriffe »non-direktiver«, »klientenzentrierter« und später »personzentrierter Ansatz« kennzeichnen das Modell in unterschiedlichen Entwicklungsphasen (Corsini, 1994). Nach dem zweiten Weltkrieg begann der schnelle Aufstieg des Ansatzes, eine Ausweitung des Personenzentrierten Ansatzes erfolgte in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Neben spezifischen Anwendungen, u. a. in Erziehung und Bildung und in der Arbeit mit psychiatrischen Patienten, fand er Verbreitung in der Gruppenarbeit, sei es als Therapieform oder in den so genannten Encountergruppen, die zum Ziel die Förderung der individuellen, persönlichen
185 8.3 . Klinisch-psychologische Beratungsansätze
Entwicklung hatten. Während der Ansatz in der heutigen Zeit in den USA u. a. aus Finanzierungsgründen und geringer Forschungspräsenz eine geringere Rolle zu spielen scheint, findet seine Weiterentwicklung verstärkt im europäischen Raum statt (McLeod, 2004; Sachse, 1999). Im Folgenden werden zwei moderne Interventionsmodelle (die Klärungsorientierte Psychotherapie und die Motivierende Gesprächsführung), die sich aus dem personzentrierten Ansatz entwickelt haben, vorgestellt.
Klärungsorientierte Psychotherapie Die Annahmen der klassischen Personenzentrierten Psychotherapie sind in den letzten Jahren vermehrt in Frage gestellt und weiterentwickelt worden. Nach Sachse (2005) stellt die klassische Beziehungsorientierte Gesprächspsychotherapie aus empirischen und inhaltlichen Gründen keine angemessene Therapieform mehr dar. Er schlägt das Konzept der Klärungsorientierten Psychotherapie vor, die den hauptsächlichen therapeutischen Wirkfaktor nicht in der Beziehung zwischen Berater und Klient, sondern dem Klärungsprozess sieht. Er kritisiert und widerlegt viele ältere Personenzentrierte Annahmen und zeigt die Nähe und Ergänzung seines Konzepts zur kognitiven Verhaltenstherapie auf. So werden u.a. die Basisvariablen Akzeptanz, Empathie und Kongruenz zwar als notwendig, aber nicht hinreichend gesehen und die allgemeine Beziehungsgestaltung um eine störungsspezifische Sicht erweitert. Sachse widerspricht dem Homogenitätsmythos, das allen Klienten, egal welches Störungsbild sie zeigen, das gleiche therapeutische Angebot gemacht wird, und betont die aktive und prozessdirektive Haltung des Therapeuten, der zielgerichtet Hilfestellung in der Beratung gibt. Neben weiteren Punkten kritisiert er die starke Orientierung der Personenzentrierten Psychotherapie an den Konzepten ihres Gründers und die damit einhergehende Vernachlässigung aktueller psychologischer Theorien und Forschung. In den Mittelpunkt der Klärungsorientierten Psychotherapie stellt Sachse die Verbesserung der konstruktiven Selbstregulation des Klienten durch Klärung zentraler kognitiver oder emotionaler Schemata, die häufig automatisiert auftreten und dysfunktionalen Charakter haben. Klienten
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sollen sich ihrer eigenen Ziele und Motive bewusst werden, diese prüfen und im Therapieprozess bearbeiten. Valide Schemata bilden dann den Ausgangspunkt für weitere therapeutische Methoden (vgl. Sachse, 2002; Sachse & Takens, 2004).
Motivierende Gesprächsführung Die Motivierende Gesprächsführung entstammt der Richtung der Personenzentrierten Psychotherapie und wurde anfänglich im Bereich der Suchttherapie, die häufig von Motivationsproblemen des Klienten gekennzeichnet ist, angewendet. Grundannahme ist, dass ambivalente Gedanken und Gefühle die Motivation des Menschen, Veränderungen herbeizuführen, einschränken und behindern. Ziel ist es daher, die Motivation durch eine Exploration der Ambivalenz zu steigern, um so den Weg für Veränderung zu ebnen. Inzwischen findet die Motivierende Gesprächsführung weitere Anwendung in beispielsweise der Gesundheits- und somatischen Medizin sowie dem Strafvollzug. Entgegen den Annahmen der klassischen Personenzentrierten Psychotherapie enthält sie auch direktive Komponenten (auch ▶ Kap. 4). Miller und Rollnick (2004) definieren vier Basisprinzipien: 1. Empathie ausdrücken (Akzeptanz, aktives Zuhören, ohne Wertung, Kritik oder Schuldzuschreibungen, Ambivalenz als normales Phänomen ansehen) 2. Diskrepanzen entwickeln (direktives Vorgehen mit dem konkreten Ziel der Ambivalenzauflösung, wahrgenommene Diskrepanzen zwischen aktuellem Verhalten und grundlegenden Zielen entwickeln und verstärken, Kosten des Verhaltens vs. Vorteile der Veränderung herausarbeiten, Argumente für eine Veränderung sollen vom Klienten selbst geliefert werden) 3. Widerstand umlenken (nicht für Veränderung argumentieren, sondern neue Perspektiven anbieten) 4. Selbstwirksamkeit fördern (Stärkung des Vertrauens in die eigene Fähigkeit, mit Problemen umgehen zu können) Eine ausführliche Darstellung des MI erfolgte bereits in ▶ Kap. 4 und deshalb soll an dieser Stelle darauf verzichtet werden.
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Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
8.3.4
Systemische Beratung
Seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts haben sich explizit familientherapeutische Ansätze herausgebildet. Eine wichtige Rolle spielte hierbei die Entwicklung von kommunikationstheoretischen und systemorientierten Konzepten, die von Bateson (1981, 1982; Bateson, Jackson, Haley & Weakland, 1956) auf den psychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich angewandt wurden. Besonders bekannt wurden in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Watzlawick und Mitarbeitern (1969, 1974). Zu den frühen Pionieren der Familientherapie zählen u.a. Ackerman (1958), Bowen (1960), Haley (1963) und Satir (1964). Im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie beschäftigte sich insbesondere die Arbeitsgruppe um Minuchin (1977) mit familientherapeutischen Methoden. Wesentliche Anregungen für die Entwicklung der Familientherapie im deutschen Sprachraum gingen von Richter (1963), später auch von der Arbeitsgruppe um Stierlin (1977) aus. Bei der raschen Ausbreitung und Konsolidierung des familientherapeutischen Ansatzes war die von der »Mailänder Gruppe« um Selvini-Palazzoli (1978) entwickelte Therapiemethode besonders einflussreich;
dies zeigt sich auch daran, dass der Begriff »systemische Familientherapie« häufig verwendet wird, um das von dieser Gruppe entwickelte Behandlungsmodell und die daran anknüpfenden Methoden anzusprechen. In enger Verbindung mit der Entwicklung der familientherapeutischen Ansätze hat sich häufig in polemischer Abgrenzung von den »etablierten« Therapieschulen und vom »traditionellen« Wissenschaftsverständnis - die systemische Therapie entwickelt, die sich als eigenständiger Therapieansatz mit einer spezifischen theoretischen Orientierung versteht (v. Schlippe & Schweitzer, 2003). Allerdings ist hierzu anzumerken, dass die Therapieansätze, die heute als »systemisch« bezeichnet werden, bezüglich ihrer Qualität und ihres Inhaltes und selbst bezüglich ihrer theoretischen Ausrichtung sehr heterogen sind1. Einige typische Beispiele für systemische Therapiemodelle sind in . Tab. 8.3 zusammengestellt. Aus der Vielzahl der systemorientierten Behandlungskonzepte seien hier nur wenige herausgegriffen. Typische Beispiele für die klassischen familientherapeutischen Modelle (Kybernetik 1. Ordnung) sind die strukturelle Familientherapie nach Minuchin und die strategische Familientherapie nach Haley. Charakteristische Beispiele für
⊡ Tab. 8.3. Typische Beispiele für systemische Therapiemodelle Therapiemodell
Begriffe
Typische Methoden
Klassische Modelle (Kybernetik 1. Ordnung) Strukturelle Familientherapie (Minuchin)
Struktur, Grenzen, Hierarchien
Beeinflussung der Abgrenzung zwischen Eltern und Kindern (z.B. klarere Generationsgrenzen)
Strategische Familientherapie (Haley)
Homöostase, Familie als Regelkreis
Symptomverschreibung, Paradoxien
Konstruktivistische Modelle (Kybernetik 2. Ordnung)
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Therapie als Reflexion (Tom Andersen)
Sozialer Konstruktivismus: Menschen konstruieren unterschiedliche multiple Realitäten
Reflecting Team
Lösungsorientierte Kurz-Therapie (de Shazer, 1993, 1997)
Konstruktion sozialer Realität durch Sprache
Lösungsorientiertes Gespräch, Wunderfrage
Im Gegensatz dazu wird unter dem Titel »Familientherapie« eine große Zahl unterschiedlichster Therapieansätze zusammengefasst, deren gemeinsame Klammer die spezifische inhaltliche Zielorientierung - die Veränderung der familiären Interaktionen und Beziehungen - darstellt.
187 8.3 . Klinisch-psychologische Beratungsansätze
die Therapiemodelle nach der konstruktivistischen Wende bzw. der Kybernetik 2. Ordnung ist die von de Shazer (1993, 1997) entwickelte Kurztherapie und das von Andersen entwickelte Reflecting Team; bei dieser Methode tauschen die Mitglieder des »reflektierenden« Teams (zwei oder mehr Therapeuten) in Anwesenheit der Familie ihre Eindrücke von der Familie aus. Die Familie kann dadurch unterschiedliche Reflexionen und Interpretationen ihrer Situation kennen lernen. Ansatzpunkt für Interventionen bildet im typischen Falle das soziale System »Familie«. Die Genese psychischer Symptome werden primär auf die Umweltbedingungen (v.a. das System Familie) bezogen, innerpsychische Konflikte des Einzelnen (Leitmodell der Psychoanalyse) werden als nachrangig betrachtet. Dementsprechend werden die vorgestellten Patienten in der systemischen Therapie häufig als »identifizierter Patient« oder auch »Symptomträger« bezeichnet. Behandlungsschwerpunkt der systemischen Therapie war zunächst die Familie, später wurde das Konzept auf andere soziale Systeme und Institutionen erweitert. Heute versteht sich der systemische Ansatz als eine theoretische Perspektive mit entsprechenden Behandlungskonzepten für einzelne Personen ebenso wie für soziale Systeme. Das Ziel systemischer Therapie ist die Erweiterung von Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen und des gesamten Systems. Dieses kann erreicht werden, indem Klienten angeregt werden, eigene Annahmen und Verhaltensmuster in Frage zu stellen und mehr Verständnis für das Verhalten, die Motive und Annahmen der anderen Beteiligten zu gewinnen. So können neue und funktionalere Muster entstehen.
Zirkuläres Fragen Individuelle Verhaltensweisen sind eingebettet in zirkuläre Interaktionsabläufe, in denen die einzelnen Komponenten gleichermaßen als Ursache wie als Wirkung aufgefasst werden können. Durch die gewohnte Form unseres Sprechens (und insbesondere durch die Beschuldigung von Gesprächspartnern »Du bist schuld.«; »Ich mache das, weil du dich so verhältst.«) werden aber meist lineare UrsacheWirkungszusammenhänge nahe gelegt, wobei jeder die Ursache der Beziehungsprobleme im anderen sieht. Durch zirkuläre Fragen dagegen wird die Einbettung von Verhaltensweisen in komplexe systemi-
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sche Interaktionsmuster betont und einseitige und »festgeschriebene« Ursache-Wirkungszusammenhänge werden aufgelöst zugunsten einer offeneren Betrachtungsweise, die mehrere Interpretationen ermöglicht. Dies kann am Beispiel einer emotionalen Äußerung verdeutlicht werden (modifiziert nach v. Schlippe, et al., 2003): Wenn z.B. ein Gesprächsteilnehmer weint, kann der Therapeut ihn direkt (»linear«) fragen, was er im Moment empfindet (»Warum weinst du, was ist mit dir los?«). In zirkulären Fragen wird berücksichtigt, dass das Weinen der einen Person in einen interaktiven Zusammenhang eingebettet ist (»Was denkst du, was dein Weinen für deine Frau bedeutet?« »Was denkst du, was es bei deiner Mutter auslöst, deinen Vater weinen zu sehen?«). Zirkuläre Fragen stellen das individuelle Verhalten in einen kommunikativen Zusammenhang und ermöglichen es, dass alle beteiligten Personen Rückmeldungen über ihre Beziehungen erhalten. Im ▶ Kasten »Zirkuläre Fragen« sind einige Beispiele angeführt. Beispiel Zirkuläre Fragen – Beispiele 4 Frage nach Konditionen: »Wer regt sich auf, wenn ...?« »Wer fühlt sich hilflos, wenn ...?« 4 Klassifikationsfragen: »Haben Sie sich in diesem Monat mehr als Tochter oder mehr als Ehefrau gefühlt?« »Wer war am meisten mit ihrer früheren Therapie unzufrieden, wer kam dann etc.?« 4 Subsystem-Vergleiche: »Wie würden Deine Eltern ohne Dich zurechtkommen?« »Wer von Euch beiden bleibt immer zu Hause bei den Eltern?«
Reflecting Team Nach der ersten Welle systemischer Theorienbildung, in deren Zentrum kybernetische Modelle standen, folgten Weiterentwicklungen auf dem theoretisch-philosophischen Hintergrund des Konstruktivismus. Die Familie wurde nicht nur als objektiver Regelkreis gesehen, den es therapeutisch zu beeinflussen galt, vielmehr stand die selbstkonstruierte,
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Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
subjektive Realität der einzelnen Familienmitglieder im Vordergrund. Hieraus entwickelte Andersen die Methode des Reflecting- Teams. Bisher war es üblich gewesen, dass familientherapeutische Sitzungen von weiteren Therapeuten durch eine Einwegscheibe beobachtet wurden. Die beobachtenden Therapeuten griffen jedoch nicht direkt in den Therapieprozess ein, sondern hatten beratende Funktion. Andersen (1989) integrierte nun das beobachtende Team in die Therapiesitzung. Statt sich in einem Raum allein unter Therapeuten zu beraten, wird der therapeutische Gedankenaustausch vor der anwesenden Familie durchgeführt. Sie erhält eine direkte Rückmeldung des Teams, die sich auf das vorangegangene Gespräch bezieht. Im Gegensatz zu früheren Ansätzen werden therapeutische Ideen und Hypothesen zurückhaltender formuliert. Dabei bedienen sich die Therapeuten der Methoden des positiven Reflektierens und des Umdeutens (Reframing) von Geschichten. Ebenso wird durch Suche nach Alternativen und lautes Überlegen über deren mögliche Umsetzung versucht, die Familie zu beraten. Folge ist, dass Familienmitglieder zunächst vorrangig zuhören können und nicht gleich antworten oder Stellung beziehen müssen. Die Familie soll aus den Vorschlägen und Überlegungen die geeigneteste Möglichkeit zur Stabilisierung aussuchen. Dieses Vorgehen zeigt einerseits den anregenden Charakter der Methode, kann andererseits jedoch auch überfordernd sein. Kennzeichnend für die Beziehung zwischen Berater und Klient im Reflecting Team sind Kooperation, Transparenz und Gleichberechtigung. Der Berater reduziert seinen Expertenstatus. Die Methode hat viele Vorzüge, gibt aber durch ihren geringen Grad an Struktur auch nur wenig Sicherheit und Handlungsorientierung. Sie ist für akute Krisen oder Familien mit an Schizophrenie erkrankten Mitgliedern kaum geeignet.
Lösungsorientierte Beratung Gründervater des lösungsorientierten Ansatzes ist der Amerikaner Steve de Shazer (1993, 1997). Anstatt sich ausführlich mit den Problemen des Ratsuchenden zu beschäftigen, rückte er die Suche nach möglichen Lösungswegen in den Fokus der Beratung. Entgegen psychodynamischen oder verhaltenstherapeutischen Ansätzen, die Probleme und deren Entstehung analysieren, werden nach dem lösungs-
orientierten Ansatz die Ressourcen, also alles das, was trotz Problem funktional ist, untersucht. Das Ziel ist somit die Konstruktion von Lösungen, nicht die Problemanalyse. Der Lösungsprozess soll konkret-spezifisch sein und so kurz wie möglich gehalten werden. Nach Bamberger (2005) bedient sich die lösungsorientierte Beratung hauptsächlich dreier Interventionsarten: Fragen, Komplimente und Vereinbarungen. Von den verschiedenen Fragearten ist die Wunderfrage am bekanntesten. Sie gehört zu den hypothetischen Fragen, soll der Identifikation von Ressourcen dienen und Hoffnung generieren. Sie lautet: »Angenommen, es würde eines Nachts, während Sie schlafen, ein Wunder geschehen und das Problem, weshalb Sie hier sind, ist gelöst. Da Sie schlafen, merken Sie nicht, dass ein Wunder geschehen ist und Ihr Problem verschwunden ist. Was glauben Sie, werden Sie am nächsten Morgen anders wahrnehmen, dass Ihnen sagt, dass ein Wunder geschehen ist?« (nach Berg, 1997). Neben Fragen hypothetischen Inhalts sind Ausnahmen, Veränderungen und Ressourcen Bestandteil des lösungsorientierten Fragens. Komplimente dienen neben der förderlichen Beziehungsgestaltung vor allem der Bewusstmachung und Verstärkung von Ressourcen des Klienten. Ebenso werden Vereinbarungen, meist in Form von Hausaufgaben, getroffen. Hierzu gehören das Beobachten und Vorhersagen eigenen und fremden Verhaltens sowie direktes Handeln mit dem Ziel, in der Beratung erarbeitete Lösungen in den Alltag umzusetzen. Zum Ablaufprozess lösungsorientierter Beratung schlägt Bamberger (2005) folgendes fünfstufiges Phasenmodell vor: 1. Synchronisation (Wertschätzung und Verständnis für den Klienten aufbringen, Klärung der Zusammenarbeit, keine direkte Problemanalyse) 2. Lösungsvision (Beginn der spezifischeren Interventionen, Perspektivenwechsel vom Problem zum Nicht-Problem, Bewusstmachung lösungsorientierten Verhaltens) 3. Lösungsverschreibung (Verhaltensaufgaben, um lösungsorientiertes Verhalten zu vermehren) 4. Lösungsevaluation (Herausarbeiten und Fokussieren auf Verbesserung) 5. Lösungssicherung und Ende der Beratung (sich als Therapeut entbehrlich machen)
189 8.4 . Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie
8.4
Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie
8.4.1
Psychoedukation
Grundlagen In den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die ersten psychoedukativen Behandlungsmodelle entwickelt. Dabei bezeichnete der englische Begriff »psychoeducation« die Kombination einer Aufklärung der Patienten über Erkrankung und Medikation mit einem Problemlösetraining oder sozialen Kompetenztraining und einer Angehörigenberatung. In ihrer Rekonstruktion der Geschichte der Psychoedukation verweisen Bäuml und Pitschel-Walz (2003) darauf, dass bis ins 20. Jahrhundert hinein eine kustodial-verwahrende Psychiatrie vorherrschend war, die vorwiegend auf karitativ-pädagogische Ansätze zurückgriff. Mit dem Aufkommen invasiverer Behandlungsmethoden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (z.B. Kardiazolschocktherapie) entstand die Notwendigkeit, die Patienten und ihre Angehörigen über die Risiken solcher Behandlungen zu informieren. Mit der Einführung der Neuroleptika im Jahr 1952 und der Antidepressiva am Ende der 50er Jahre konnten die Verweildauern in psychiatrischen Krankenhäusern drastisch reduziert werden und Patienten konnte wieder die Teilnahme an Lebensvollzügen außerhalb des Krankenhauses ermöglicht werden. Hierdurch ergaben sich neue therapeutische Herausforderungen. Zunächst einmal ging es darum, die Behandlungsmöglichkeiten den Patienten und ihren Angehörigen verständlich zu machen und die Patienten ebenso wie die Angehörigen zu motivieren, den neuen Handlungsspielraum zu nutzen. Gleichzeitig setzte in der Psychiatrie wie auch in der sonstigen Medizin ein Umdenken ein von einem eher autoritativ-patriarchalischen Arzt-Patient-Verhältnis hin zu einer eher partnerschaftlich orientierten Beziehung: »Ziel des psychoedukativ orientierten Vorgehens war die Stärkung der Autonomiekräfte auf Patientenseite durch Sensibilisierung für die potenziellen Entfaltungsmöglichkeiten bei Nutzung der neuen
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Therapieoptionen sowohl auf medikamentöser wie auch auf psychotherapeutischer Seite« (Bäuml & Pitschel-Walz , 2003, S. 42). Die grundlegende Veränderung in der Kommunikation zwischen Psychiatern und ihren Patienten, lässt sich exemplarisch daran ablesen, ob die Ärzte bereit sind, ihre schizophrenen Patienten mit dem Wort »Schizophrenie« zu konfrontieren. Während im Jahr 1985 nur 43% der Ärzte hierzu bereit waren - im Jahr 1989 nur noch 28% der Ärzte - gaben im Jahr 1995 90% der Ärzte an, dass sie ihren Patienten die Diagnose »Schizophrenie« mitteilten (Luderer, 2003). Psychoedukative Ansätze wurden ursprünglich für schizophrene Patienten entwickelt und auch heute noch hat die Psychoedukation bei schizophrenen Erkrankungen ihr paradigmatisches Anwendungsfeld; Psychodukation ist heute ein wesentlicher und unabdingbarer Bestandteil der Schizophreniebehandlung. Das im Jahr 2003 veröffentlichte Konsensuspapier der Arbeitsgruppe »Psychoedukation bei schizophrenen Erkrankungen« (Bäuml & Pitschel-Walz, 2003) gibt hierzu einen überzeugenden Überblick.
Definition und Ziele Definition Definition von »Psychoedukation« (Arbeitsgruppe Psychoedukation, 2003, S. 3): »Unter dem Begriff Psychoedukation werden systematische didaktisch-psychotherapeutische Interventionen zusammengefasst, die dazu geeignet sind, Patienten und ihre Angehörigen über die Krankheit und ihre Behandlung zu informieren, das Krankheitsverständnis und den selbstverantwortlichen Umgang mit der Krankheit zu fördern und sie bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen«.
Kissling und Pitschel-Walz (2004, S. 392) stellen als zentrale Ziele 4 die Vermittlung von Informationen über die Krankheit und 4 die Hilfe bei der Krankheitsbewältigung besonders heraus.
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Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
Exkurs Zielsetzungen von Psychoedukation
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Diese Zielsetzungen können noch weiter differenziert werden. Von der Arbeitsgruppe Psychoedukation (2003, S. 3f ) werden als Ziele der Psychoedukation bei schizophrenen Erkrankungen u.a. folgende Teilziele für die Patienten genannt: 4 Verbesserung des Informationsstandes bezüglich der Diagnose, des Verlaufs und der Behandlungsmöglichkeiten, 4 Aufbau eines funktionalen Krankheitskonzeptes, 4 emotionale Entlastung, 4 Förderung der langfristigen Behandlungsbereitschaft, 4 Verbesserung der Fähigkeiten zur Krisenbewältigung sowie 4 Erhöhung der Selbstwirksamkeit. Ganz ähnliche Ziele verfolgt die psychoedukative Arbeit mit Angehörigen oder Bezugspersonen (s. Arbeitsgruppe Psychoedukation, 2003, S. 4): 4 Verbesserung des Informationsstandes bezüglich der Diagnose, des Verlaufs und der Behandlungsmöglichkeiten,
Theoretische Grundlage für psychoedukative Ansätze bei Schizophrenien ebenso wie bei anderen psychischen Erkrankungen ist in der Regel ein entwicklungspsychopathologisches,bio-psycho-soziales Störungsmodell, in dem die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Erkrankungen berücksichtigt werden. Am bekanntesten wurde in diesem Zusammenhang das Vulnerabilitäts-Stress-Modell (. Abb. 8.1).
Inhalte und konkreter Ablauf Häufig wird Psychoedukation in Patientengruppen oder in Angehörigengruppen (z.B. Eltern, Kinder, Partner, Geschwister) durchgeführt; aber Psychoedukation kann ebenso auch miteinzelnen Patienten, Angehörigen oder Familien realisiert werden. Vor- und Nachteile von Einzel- bzw. Gruppensitzungen werden von Kissling und Pitschel-Walz (2004) einander gegenübergestellt.
4 Aufbau eines funktionalen Krankheitskonzeptes, 4 emotionale Entlastung, 4 Förderung der langfristigen Kooperationsbereitschaft, 4 Verbesserung der Fähigkeiten zur Krisenbewältigung sowie 4 Verbesserung des innerfamiliären Umgangs im Hinblick auf die Erkrankung. Schließlich können auch Ziele im Hinblick auf die Professionellen genannt werden (Arbeitsgruppe Psychoedukation, 2003, S. 4), z.B.: 4 Bessere Wahrnehmung der subjektiven Nöte der Patienten und ihrer Angehörigen, 4 Sensibilisierung für therapieunabhängige Ressourcen von Patienten und Angehörigen, 4 Aufbau eines partnerschaftlichen Behandlungsbündnisses, 4 Nutzung des protektiven Potentials von Angehörigen.
In Einzelsitzungen kann die Informationsvermittlung auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt werden; manche Patienten und Angehörige haben Schwierigkeiten, ihre Situation in Gruppensitzungen darzustellen; sie können sich besser in Einzelsitzungen äußern. Schließlich sind für unerfahrene Berater Einzelsitzungen leichter zu leiten. Demgegenüber haben Gruppensitzungen den Vorteil, dass sie zeitsparend und ökonomisch sind. In Gruppensitzungen können sich Patienten und Angehörige austauschen und die Erfahrung machen, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind. Die wichtigsten Themen von psychoedukativen Gruppen über psychische Erkrankungen sind (Arbeitsgruppe Psychoedukation, 2003): 1. Allgemeines Hintergrundwissen über die Erkrankung (s. z.B. . Tab. 8.4),
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191 8.4 . Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie
Persönliche Vulnerabilitätsfaktoren
Dopaminerge Dysfunktionen
Reduzierte Verarbeitungskapazität
Autonome Hyperaktivität bei aversiver Stimulation
Persönliche Schutzfaktoren
Bewältigung und Selbstwirksamkeit
Schizotype Persönlichkeitszüge
Zwischenzustände
Verlauf
Überlastung der Verarbeitungskapazität
Soziale Adaptation
Antipsychotische Medikation
Interaktion
Tonische autonome Übererregung
Frühsymptome
Schizophrene psychotische Symptome
Schutzfaktoren der Umwelt
Problemlösefähigkeiten in der Familie
Unterstützende psychosoziale Interventionen
Defizitäre Verarbeitung sozialer Stimuli
Arbeitsfähigkeit
Belastungen in der Umwelt
Kritisches oder emotional überinvolviertes Familienklima
Überstimulierendes soziales Umfeld
Prämorbide oder Remissionsphase
Belastende Lebensereignisse
Prodromalphase
Episode
⊡ Abb. 8.1. Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Kompetenz-Modell. (Nach Wiedemann, Klingberg & Pitschel-Walz, 2003, S. 793)
192
Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
⊡ Tab. 8.4. Beispiel für ein psychoedukatives Gespräch über die Diagnose »Schizophrenie«. (Mod. nach Luderer, 2003) Frage nach der Krankheitstheorie des Patienten
»Was meinen Sie eigentlich, was hinter dem, worüber wir gesprochen haben, stecken könnte?«
Exploration der Symptome, unter denen der Patient subjektiv leidet
z.B. Unruhe, Schlafstörungen, formale Denkstörungen
Frage nach dem subjektiven Krankheitscharakter dieser Symptome
»Könnten Sie sich vorstellen, dass sich dahinter eine Krankheit verbirgt?«
Gegenüberstellung von Krankheit und Person
»Wir wissen, dass es Krankheiten gibt, die die Patienten auf verschiedene Weise täuschen können.«
Einführen einer Krankheitsbezeichnung
»Eine Krankheit, die Patienten auf diese Weise täuschen können, bezeichnen wir als Psychose, Schizophrenie oder schizophrene Krankheit.«
Gegenüberstellung: Schizophrenie als Schimpfwort Schizophrenie als Krankheitsbezeichnung
»Schizophren« als Synonym für widersprüchlich, unberechenbar, unverständlich. Einführung der Bezeichnung »Schizophrenie« durch E. Bleuler: Aufspaltung des Denkens, Fühlens und Wollens.
8 2. Praktisches Handlungswissen, 3. Emotionale Themen. Häufig haben psychoedukative Gruppen ein festes Programm, das im Verlauf von mehreren Sitzungen abgehandelt wird. Ein Beispiel für die Stundenabfolge ist das von Schönell (2003, S. 70) geschilderte Programm für den stationären Bereich: 1. Stunde: Krankheitsbegriff und Symptom. 2. Stunde: Epidemiologie und Verlauf. 3. Stunde: Krankheitsursachen und Auslöser. 4. Stunde: Bio-psycho-soziales Krankheitskonzept. 5. Stunde: Pharmakotherapie - Neuroleptika. 6. Stunde: Pharmakotherapie - sonstige Psychopharmaka. 7. Stunde: Psychotherapie und Soziotherapie. 8. Stunde: Konsequenzen für die Lebensführung. Einen noch konkreteren Eindruck, welche Inhalte die Psychoedukation umfassen kann, gewinnen wir, wenn wir die Module eines Psychoedukationsprogramms bei depressiven Erkrankungen betrachten (. Tab. 8.5).
Methoden und praktisches Vorgehen Die wichtigsten psychotherapeutischen Verfahrensweisen und Techniken, die im Rahmen der Psycho-
edukation zum Einsatz kommen, sind (gekürzt nach Arbeitsgruppe Psychoedukation, 2003): 4 Verhaltenstherapeutische und gesprächspsychotherapeutische Grundprinzipien bilden die Basis der Interventionen. 4 Modellfunktion der Therapeuten: Freundliches, tolerantes, offenes Verhalten; die Therapeuten greifen die Gedanken und Emotionen der Teilnehmer auf und strukturieren sie. 4 Kognitive Methoden: Selbstkontrolltechniken, Problemlösungsverfahren; kognitive Analyse; Herausarbeiten dysfunktionaler Annahmen. 4 Übungen zur Festigung der erarbeiteten Inhalte, auch außerhalb der Gruppensitzungen. Eine sehr schöne und instruktive Übersicht über die wichtigsten Interventionsstrategien der Psychoedukation mit exemplarischen Erläuterungen geben Kissling und Pitschel-Walz (2004); sie können hier aus Platzgründen nur kurz benannt werden: 4 Interaktion statt Frontalunterricht, 4 Fachjargon vermeiden, 4 audiovisuelle Hilfen verwenden, 4 Teilnehmer aktivieren, 4 Strukturieren und Illustrieren von Beiträgen, 4 Wiederholen,
193 8.4 . Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie
⊡ Tab. 8.5. Module eines Psychoedukationsprogramms Depression. (Nach Kissling & Pitschel-Walz, 2004, S. 396) 1
Einführungssitzung
4 Vorstellung der Teilnehmer 4 Organisatorisches 4 Aktuelle Probleme, Erwartungen an die Gruppe, »Depressionsspirale«
2
Was sind Depressionen?
4 Symptome 4 Dreieck: Fühlen, Denken, Handeln
3
Was wissen wir über die Ursachen?
4 Vulnerabilitäts-Stress-Modell 4 Diagnosen
4
Wie werden Depressionen behandelt?
4 Schwerpunkt: Medikamente, Nebenwirkungen 4 Reizübertragung – Synapsenmodell
5
Wie werden Depressionen behandelt?
4 Überblick über Therapieverfahren 4 Schwerpunkt: Psychotherapie; ergänzende Therapieformen
6
Wie soll man eigentlich mit depressiven Erkrankungen umgehen?
4 Schwerpunkt: Steigerung angenehmer Aktivitäten
7
Wie soll man eigentlich mit depressiven Erkrankungen umgehen?
4 Schwerpunkt: Negative Gedanken erkennen und korrigieren 4 Hilfe durch Angehörige, Hilfe für Angehörige
8
Abschluss-Sitzung
4 4 4 4 4 4
Zusammenfassung Goldene Regeln Beantwortung noch offen gebliebener Fragen Zukunftsplanung Literaturempfehlungen, Selbsthilfegruppen Feedback
9
Nachtreffen
4 4 4 4 4
Bericht der Teilnehmer über bisher Erreichtes Aktuelle Probleme Wiederholung der wichtigsten Informationen Zukunftsplanung Abschied
4 Empathie, Wärme, Wertschätzung und Ehrlichkeit, 4 Verstärkung der Teilnehmer (für ihr Kommen, für ihre Beiträge, für Fortschritte), 4 aktives Zuhören, 4 Verständnis für die Ängste und die Skepsis der Teilnehmer zeigen, 4 Löschen von destruktiven Bemerkungen, 4 Pausen in der Diskussion zulassen, 4 Spontaneität und Humor zeigen und unterstützen, 4 strukturierte Gespräche zur Problemlösung, 4 verhaltenstherapeutische Techniken wie z.B. Modelling, Coaching, Shaping, Prompting, 4 Rollenspiele zur Einübung neuer Verhaltensweisen, 4 Mut und Hoffnung machen.
Exkurs Rollenspiele in der Psychoedukation Einige wenige Beispiele sollen hier genügen, um diese Liste etwas zu konkretisieren. Kissling und Pitschel-Walz (2004) nennen z.B. folgende Beispiele für Rollenspielthemen in psychoedukativen Gruppen: 4 Wie kann ich jemandem über meine Krankheit berichten (z.B. dem Arbeitgeber, einem guten Freund, einem Nachbarn)? 4 Wie kann ich als Angehöriger zu Hause bestimmte Regeln einführen (z.B. »Rauche nicht in der Küche!«)? 4 Wie kann ich Verärgerung angemessen ausdrücken? 4 Wie kann ich Zuneigung und andere positive Gefühle angemessen ausdrücken?
8
194
Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
Beispiel Was ist psychotisches Erleben?
8
Eine sehr schöne Verdeutlichung eines psychotischen Erlebens findet sich bei Behrendt (2003a, S. 157); sie unterscheidet zwischen innerer und äußerer Welt und verdeutlicht dies am Beispiel einer Traumsituation: »Sie liegen am Strand, lassen sich die Sonne auf den Bauch scheinen, spüren die Wärme, den Wind und den Sand auf ihrer Haut, schlürfen genüsslich ihre Cola, schauen sich um und erfreuen sich an dem, was sie so sehen, nehmen gelegentlich ein kühles Bad im Meer, kurz: Es geht Ihnen richtig gut. Plötzlich hören sie ein Geräusch: Ein Wecker klingelt. Sie wachen auf, merken, dass Sie gar nicht am Strand, sondern in Ihrem Wohnzimmer auf der Couch liegen. Sie fühlen sich aber noch genauso gut wie in Ihrem Traum. In unserem Beispiel befinden Sie sich in der äußeren Welt, also in der Wirklichkeit, in Ihrem Wohnzimmer auf der Couch und schlafen. Gleichzeitig liegen Sie in Ihrer »inneren Welt«, im Traum, aber nun am Strand, und spüren die oben beschriebenen angenehmen Erlebnisse – sie sind für denjenigen, der träumt, Wirklichkeit. Wer träumt, kann nicht
Beispiel für eine psychoedukative Rückfallprophylaxe (Jensen & Chirazi-Stark, 2003, S. 146) 4 Notfallkoffer für zu Hause (insbesondere nachts) 4 Ideen für schwere Krisensituationen 4 einfache Wahrnehmungsübung zur Selbstregulation (Zählen von Gegenständen in der Wohnung wie z.B. Bücher) 4 Krisenplan bereithalten 4 Ideen für mittlere Krisen (einfache Verhaltensübungen) 4 heiße Dusche oder Wechseldusche (vorher Körper abbürsten, nachher ein-
unterscheiden, ob er träumt oder ob es wirklich so ist. Sie sehen, dass sich unser Gehirn seine «innere Wirklichkeit« selbst schaffen kann. Dass ist bei allen Menschen so, wenn sie träumen. Dann sind wir durch den Schlaf geschützt. Bei bestimmten Symptomen der Psychose stimmen die innere und die äußere Welt auch nicht mehr überein, sie »klaffen auseinander«, sind gespalten; man spricht auch von einem‚ Realitätsverlust’ in der akuten Psychose.« Auch Bäuml (1994; zitiert nach Behrendt, 2003a, S. 157) beschreibt das Erleben in der Psychose als Spaltung in zwei Realitäten: »... eine gewöhnliche Alltagsszene mit einem parkenden Auto vor einem Wohnhaus. Bei einem psychotisch erkrankten Menschen kann diese harmlose Situation Todesängste auslösen...! Die Antenne auf dem Hausdach wird zum Radarempfänger, die Autoantenne zum dazugehörigen Sender. Die Truhe im Kofferraum stellt einen Sarg dar, und der Rauch im Kamin ist der untrügliche Beweis dafür, dass hier eben eine geheime Leichenverbrennung stattfindet. Das Kästchen im Fenster wird zur getarnten Kamera, die Ausschau nach neuen Opfern hält.«
4 4
4 4 4 4 4 4
6
cremen; dadurch verstärkt sich die Körperwahrnehmung) mit chinesischem Heilpflanzenöl die Schläfen einreiben an die frische Luft gehen (zumindest auf den Balkon oder kurz vor die Tür) und Wohnung kräftig durchlüften leichte Hausarbeit (Bügeln, Aufräumen, Abstauben) alte Dinge bzw. im Haushalt Dinge reparieren Malen Handarbeit (Nähen, Stricken) Spielen Tanzen
195
8.4 . Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie
4 Video schauen (leichte Kost: Loriot, W. Disney, Dick und Doof usw.) 4 Tee trinken 4 Meditationsmusik hören (Wellenrauschen, Vogelgezwitscher) 4 Gebet 4 Telefonieren (Freunde, Familie) 4 früh ins Bett gehen, für ausreichend Schlaf sorgen (Bett frisch beziehen!) 4 Kreuzworträtsel lösen
4 Im Internet surfen 4 laut singen, Musikinstrumente spielen 4 Ideen für Erstanzeichen einer Krisensituation (Entspannungsübungen sind in schweren Krisensituationen nicht ratsam, da sie die Innenbetrachtung und die Anspannung eher verstärken) 4 heißes Bad nehmen, warmes Fußbad 4 mit Kuschelwärmflasche/Kuscheltier ins Bett gehen, auf dem Sofa ausruhen 4 schöne Geschichten lesen
Wirksamkeit Abschließend soll noch auf die Frage der Wirksamkeit eingegangen werden, zumal wir im Bereich der Psychoedukation über eine sehr gute empirische Basis verfügen. Die Wirksamkeit der Psychoedukation wurde am deutlichsten für die Schizophrenie nachgewiesen. Aus . Abb. 8.2 ist z. B. ersichtlich, dass langfristig die besten Ergebnisse mit den geringsten 1-Jahres-Katamnese
2-Jahres-Katamnese
Rehospitalisierungsraten dann erzielt werden konnten, wenn die Psychoedukation ein psychoedukatives Medikamententraining, ein kognitives Training und eine Bezugspersonenberatung umfassten. Sehr häufig wird die Rückfallrate als Hauptzielkriterium verwendet; es konnten aber auch bei anderen Kriterien positive Befunde gewonnen werden (Arbeitsgruppe Psychoedukation, 2003); darüber 5-Jahres-Katamnese
70 60 50 40 30 20 10 0 PMT
PMT+KT
8
PMT+BB
PMT+ KT+BB
Kontrollgruppe
PMT = Psychoedukatives Medikamententraining KT = Kognitives Training BB = Bezugspersonenberatung
⊡ Abb. 8.2. Rehospitalisierungsraten 1 Jahr (n=138), 2 Jahre (n=132) und 5 Jahre (n=126) nach Edukation. (Nach Wiedemann et al., 2003, S.801)
196
Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
Exkurs Manuale zur Durchführung psychoedukativer Interventionen und Arbeitsmaterialen (alphabetisch geordnet; Wiedemann et al., 2003, S. 805):
8
4 Andres, Pfammatter & Brenner (2002). Therapiemanual zur Psychoedukation und Krankheitsbewältigung (PKB), 4 Behrendt (2001a,b). Meine persönlichen Warnsignale—Ein Therapieprogramm zur Rezidivprophylaxe bei schizophrener und schizoaffektiver Erkrankung. Therapeutenmanual, Arbeitsbuch für Gruppenteilnehmer, 4 Behrendt (2003b). Psychoedukative Gruppen für Angehörige schizophren oder schizoaffektiv Erkrankter. Manual für Gruppenleiter, 4 Brenner (1989a,b). Therapieprogramm zum Umgang mit Medikamenten. TherapeutenHandbuch, Patientenarbeitsbuch, 4 Brenner (1990a,b). Therapieprogramm zum Umgang mit Symptomen. TherapeutenHandbuch, Patientenarbeitsbuch,
hinaus ist die Effektivität der Psychoedukation nicht nur für die Schizophrenie nachgewiesen, sondern auch für die wichtigsten anderen psychischen Erkrankungen bei Erwachsenen (vgl. hierzu Kissling & Pitschel-Walz, 2004). Im Kinder- und Jugendbereich beinhalten nahezu alle Behandlungsprogramme, deren Wirksamkeit nachgewiesen ist, auch psychoedukative Elemente. Während somit insgesamt noch ein großer Nachholbedarf bezüglich kontrollierter Studien zur Wirksamkeit von Beratung besteht, kann Psychoedukation als Musterbeispiel für ein empirisch sehr gut gestütztes Beratungsmodell betrachtet werden.
8.4.2
Eltern- und Familienberatung nach dem Familien-KooperationsModell
Als zweites Beispiel für ein typisches klinisch-psychologisches Beratungskonzept soll hier die Elternund Familienberatung vorgestellt werden, so wie sie
4 Hahlweg, Dürr, Müller et al. (1995). Familienbetreuung schizophrener Patienten. Ein verhaltenstherapeutischer Ansatz zur Rückfallprophylaxe. Konzepte, Behandlungsanleitung und Materialien, 4 Kieserg & Hornung (1996). Psychoedukatives Training für schizophrene Patienten (PTS), 4 Kraus, Schmalzried & Wittpoth (1994a). Frühsymptom-Management. Rezidivprophylaxe bei schizophren gefährdeten Menschen, 4 Kraus, Schmalzried & Wittpoth (1994b). Frühsymptom-Training. Ein Trainingsprogramm für psychosekranke Menschen zur Vorbeugung von Rückfällen, 4 Roder, Zorn, Andres et al. (2002). Praxishandbuch zur verhaltenstherapeutischen Behandlung schizophren Erkrankter, 4 Wienberg, Schünemann-Wurmthaler & Siebum (2002). Schizophrenie zum Thema machen. Psychoedukative Gruppenarbeit mit schizophren und schizoaffektiv erkrankten Menschen/ PEGASUS. Manual und Materialien.
im Rahmen des »Familien-Kooperations-Modell« praktiziert wird. Das Familien-Kooperations-Modell (FKM) ist ein praktisches Arbeitskonzept für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, das über sehr viele Jahre hinweg gemeinsam mit vielen Kollegen im Rahmen einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik konzipiert und erprobt wurde und das auf die besonderen Rahmenbedingungen von Therapien mit psychisch kranken Kindern und Jugendlichen zugeschnitten ist (vgl. Mattejat, 2002, 2005a,b, 2006a,b). Dabei werden besonders solche Methoden verwendet, die als empirisch validiert gelten können; im Bereich der familientherapeutischen Interventionen gehören hierzu in erster Linie Methoden, bei denen kognitiv-behaviorale und ökosystemische Konzepte miteinander verbunden werden (vgl. hierzu Mattejat, 2005a; s.a. Henggeler, Schoenwald, Borduin, Rowland & Cunningham, Bronfenbrenner, 1998, 1979). Hauptcharakteristikum und Fokus des Familien-Kooperations-Modells liegen darin, dass unabhängig davon, welche Art der Therapie durchgeführt
197 8.4 . Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie
wird, immer eine möglichst gute Abstimmung und Zusammenarbeit mit der Familie angestrebt wird. Die Grundstruktur des therapeutischen Kontakts besteht nicht darin, dass ein Therapeut einen Patienten behandelt, sondern vielmehr darin, dass eine Familie (d.h. das vorgestellte Kind und seine Eltern) mit einem Therapeuten zusammenarbeitet, um ein gemeinsam definiertes Problem zu lösen. Familie und Therapeut legen dabei gemeinsam fest, wer welche Teilaufgaben übernimmt. Die Therapie kann dabei sehr unterschiedlich gestaltet sein; sie kann einfache organisatorische Maßnahmen, Medikation, funktionelle Übungsbehandlungen, individuelle Psychotherapie, familienorientierte Interventionen und sonstige umfeldbezogene Maßnahmen umfassen. Um eine solche Kooperation zu erreichen wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass schon die Vorbereitung und Planung einer Therapie oder anderer Maßnahmen gemeinsam mit der Familie geschieht und auch die kontinuierliche Kontrolle des Therapieverlaufs (Therapie-Monitoring) als gemeinsame Aufgabe von Therapeut und Familie verstanden wird. Im Familienkooperationsmodell wird davon ausgegangen, dass es wichtig ist die Fragen 4 »Welches Problem liegt vor?« 4 »Welche Interventionen sind angezeigt?« nicht nur aus der professionellen Perspektive zu beantworten, sondern auch die Antworten der Familienmitglieder auf diese Fragestellungen in systematischer Weise zu eruieren. In einem zweiten Schritt wird dann die professionelle Einschätzung mit den Perspektiven der Familienmitglieder zusammengeführt, um zu einem Therapiekonzept zu gelangen, das gleichermaßen auf den Hilfebedarf (so wie er sich aus professioneller Perspektive darstellt) sowie die subjektiven Bedürfnisse der Familienmitglieder abgestimmt ist. In . Abb. 8.3 ist der allgemeine Ablauf der Zusammenarbeit mit Eltern und Familien nach dem FKM dargestellt. Die Bausteine, die für das FKM charakteristisch sind, sind grau unterlegt. Falls ein Kind bzw. Jugendlicher ambulant vorgestellt wird, schlagen wir vor, zunächst die »Standarddiagnostik« durchzuführen, die in der Regel einen bis zwei Untersuchungstermine in Anspruch nimmt. Zur Standarddiagnostik gehören immer die Anamneseerhebung mit einem oder beiden Elternteilen und die Exploration des Kindes/Jugendlichen; diese werden durch eine genauere medizinische Abklärung,
8
eine psychologische Untersuchung und weitere diagnostische Erhebungen ergänzt. Aufgrund dieser diagnostischen Erhebungen kann eine vorläufige Einordnung nach dem multiaxialen Klassifikationsschema erfolgen und der Therapeut kann eine erste vorläufige Fallkonzeptualisierung erstellen. Falls überlegt wird, der Familie eine Therapie anzubieten, sollte als letzter diagnostischer Termin ein gemeinsames familiendiagnostisches Interview durchgeführt werden. Falls die Kinder noch sehr jung sind (bis etwa 8 Jahre) oder sehr unruhig sind oder durch ein gemeinsames Familiengespräch überfordert wären (z.B. bei Psychosen), kann das familiendiagnostische Interview durch ein Elterninterview ersetzt werden. Dieses Interview wird dann ausgewertet; mit den gewonnenen Informationen kann das Fallkonzept vom Therapeuten noch ergänzt und präzisiert werden. Hierauf folgt eine Sitzung, in der die Familie bzw. die Eltern beraten werden und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen erhalten. Diese Beratungssitzung dient dazu, gemeinsam mit den Eltern bzw. gemeinsam mit der Familie ein Störungs- und Behandlungskonzept zu entwickeln und auf dieser Grundlage mit der Familie die Behandlung zu planen. Familiendiagnostisches Interview und Familienberatungsgespräch sind die Hauptbausteine des FamilienKooperations-Modells; zusammengenommen bilden sie den Übergang von der Diagnostik zur Therapie (▶ Kasten »Zielsetzungen des Familiendiagnostischen Interviews und des Familienberatungsgesprächs«). Exkurs Zielsetzungen des Familiendiagnostischen Interviews und des Familienberatungsgesprächs 4 Das Familiendiagnostische Interview dient dazu die Therapievoraussetzungen zu klären (Kontextklärung, Problemwahrnehmung, Zielvorstellungen/Lösungsideen, Therapieauftrag, Kooperationsmöglichkeiten). 4 Das Familienberatungsgespräch dient dazu ein gemeinsames Problem- und Therapiekonzept festzulegen: »Worum geht es (Problem, Ziel)?«; »Was ist zu tun? Wer übernimmt welche Aufgaben?«
198
Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
Kontaktaufnahme Allgemeine Standarddiagnostik mit Anamnese, Exploration, medizinischer und psychologischer Untersuchung
Familiendiagnostisches Interview
Familienberatung mit Therapieplanung
Individuumbezogene Interventionen:
8
– Medikamentöse Behandlung – Funktionelle Übungsbehandlungen – Individuelle Psychotherapie
Ergänzende unfeldbezogene Maßnahmen:
Familieninterventionen:
Psychoedukation, Elterntraining und Familientherapie im engeren Sinne
– – –
Eltern-/ familienbezogene Maßnahmen Jugendhilfemaßnahmen Sonstige Maßnahmen
Abschlussgespräch Katamnestische Kontrolle ⊡ Abb. 8.3. Allgemeiner Ablauf der Zusammenarbeit mit Eltern und Familien
Falls es im Familien-Beratungsgespräch zu einer Therapievereinbarung kommt, dann können individuenbezogene, familienorientierte oder andere ergänzende umfeldbezogene Maßnahmen im Vordergrund stehen. Sehr häufig werden mehrere Maßnahmen kombiniert, z.B. Psychotherapie mit Elternarbeit und medikamentöser Behandlung. Familienbezogene Interventionen stellen nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtbereich der Möglichkeiten dar. Durch das familiendiagnostische Interview sollen die Therapievoraussetzungen mit der Familie abgeklärt werden. Diese diagnostische Abklärung stellt gleichzeitig den Einstieg in die weitere Zusammenarbeit mit der Familie dar. Darüber hinaus kann im Rahmen des familiendiagnostischen Interviews abgeklärt werden, wie die Familie mit den psychischen
Problemen umgeht und welche Bedeutung die individuellen psychischen Probleme des vorgestellten Patienten für die Familie haben, um die Probleme, die zur Vorstellung führten, in ihrem Kontext zu verstehen. Wenn es sich um Jugendliche handelt, werden zum familiendiagnostischen Interview in der Regel der vorgestellte Patient und seine Eltern eingeladen. Falls dies von der Familie gewünscht wird, können auch weitere Familienangehörige (z.B. Geschwister) eingeladen werden. Für das Gespräch ist etwa eine Stunde vorgesehen, die Auswertung beansprucht ca. ½ Stunde. Für die Auswertung des familiendiagnostischen Interviews können die Antworten der Familienmitglieder auf die vier Hauptfragen des Familieninterviews in verdichteter Form aufnotiert werden (. Tab. 8.6).
199 8.4 . Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie
8
⊡ Tab. 8.6. Auswertung des Familiendiagnostischen Gespräches – Beispiel für eine verdichtete Ergebnisdarstellung Patient
Mutter
Vater
Was ist für Dich das Problem? (= Kontextklärung und Problemwahrnehmung)
Ich wollte gar nicht kommen. Die Eltern nerven mich. Ich habe keine Probleme.
Der Junge ist unglücklich und ich komme nicht mehr an ihn heran.
Die Schule hat uns hergeschickt, weil er nicht in die Schule geht.
Was wünschst Du Dir, wo siehst Du Lösungsmöglichkeiten? (= Zielvorstellungen und Lösungsmöglichkeiten)
Die sollen mit ihrer Nerverei aufhören.
Man sollte herausfinden, woran das liegt, was ihn bedrückt.
Er soll wieder zur Schule, keinen Unfug mehr machen und den Eltern endlich besser folgen.
Was wünschst Du Dir von mir/uns? (= Klärung des Therapieauftrages)
Ich brauche keine Therapie.
Der Junge braucht eine Psychotherapie, damit ihn endlich jemand versteht.
Ich wünsche mir eine Behandlung auf der KJP-Station.
Wie kannst Du uns dabei helfen? (= Klärung der Kooperationsvorstellungen)
- entfällt -
Weiß ich nicht, das müssen Sie wissen.
Dabei kann ich nichts beitragen, das ist ja Ihre Aufgabe.
Im typischen Falle folgt nach dem familiendiagnostischen Gespräch ein weiterer Termin, um der Familie die Ergebnisse der Diagnostik mitzuteilen, gemeinsam mit ihr zumindest ein grobes Störungs- und Behandlungskonzept zu entwickeln und die nächsten Schritte zu planen. Im Beratungs- und Planungsgespräch sollte außerdem auch darauf geachtet werden, möglichst günstige Bedingungen für die weitere Zusammenarbeit zu schaffen (Beziehungsgestaltung, Ressourcenaktivierung). Zu Beginn des Beratungsgespräches fasst der Therapeut zunächst die Anliegen und Wünsche der Familienmitglieder, die im Familiengespräch für ihn deutlich wurden, zusammen und bittet jedes Familienmitglied um Bestätigung bzw. Rückmeldung. Bei seiner Zusammenfassung geht der Therapeut auch auf Diskrepanzen zwischen den Perspektiven der Familienmitglieder ein. Im Anschluss daran informiert der Therapeut über die diagnostischen Prozeduren und die Ergebnisse der Diagnostik; dabei sollte er die eigene Kompetenz bzw. die Kompetenz der Einrichtung deutlich machen. Die Information sollte sehr knapp und sehr stark verdichtet sein; einzelne Aspekte, deren Behandlung aktuell nicht dringend ist, können zurückgestellt werden. Diskrepanzen zwischen der
fachlichen Sichtweise und den Auffassungen der Familienmitglieder sollten deutlich angesprochen werden. Im Anschluss daran sollte der Therapeut ein einfaches Problemkonzept vorschlagen, das fachlich gut vertretbar ist und möglichst weitgehend auch mit den Sichtweisen der Familienmitglieder kompatibel ist. Mit seinem Vorschlag versucht der Therapeut einen vermittelnden Rahmen anzubieten, in dem sich jedes Familienmitglied aufgehoben fühlen kann und den jeder deshalb akzeptieren kann. Manchmal ist es hilfreich die Problemdefinition graphisch zu veranschaulichen. Die Entwicklung eines solchen Vorschlages ist nicht selten schon eine anspruchsvolle Aufgabe, etwa wenn keine Krankheitseinsicht besteht oder die Problemdefinitionen sehr weit auseinander gehen. Diese Aufgabe kann umso besser gelöst werden, je besser der Therapeut die Familienmitglieder, ihren Leidensdruck und die familiären Beziehungen und Machtverhältnisse einschätzen kann. Es kommt immer wieder vor, dass es nicht möglich ist, eine gemeinsame Problemdefinition vorzuschlagen, weil die Sichtweisen der Familienmitglieder (insbesondere der Eltern) zu stark divergieren. In einem solchen Fall verdeutlicht der Therapeut die Situation mit der Frage, ob und wie eine Einigung möglich ist. In manchen Fällen ist es
200
Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
Beispiel Ausgangssituation für ein Beratungs- und Planungsgespräch bei der Patientin Eva (16 J.) Problemdefinitionen aus der Sicht der Familienmitglieder
8
Angaben der Patientin: 4 Ich will wie eine 16jährige behandelt werden und nicht wie eine 8jährige. 4 Ich sehe nicht ein, dass das Essen ein Problem sein soll; ich kann selber bestimmen, was ich esse. 4 Ich will, dass weniger Stress ist in der Familie; ich würde gerne wieder mit beiden Eltern »schöne Sachen« machen wie früher (gemeinsam Einkaufen, Bücher heraussuchen mit der Mutter; mit dem Vater am Wochenende Bootsclub). Angaben der Mutter: 4 Ich mache mir sehr große Sorgen wegen dem Essen. Ich befürchte, dass sie ihre Gesundheit schwer schädigt; ich habe Angst, dass sie verhungert, wenn ich nicht darauf achte. 4 Eva hat sich völlig von uns und den Freunden zurückgezogen und wirkt auf mich sehr unglücklich, was mich sehr belastet. 4 Auch die ständige Herumstreiterei belastet mich sehr. 4 Ich hätte gerne weniger Streit mit meinem Mann wegen Eva; ich will, dass die Oma (Mutter des Vaters, die im oberen Stockwerk wohnt) nicht mehr in die Familie hineinregiert. Mein Mann ist da zu weich.
dann sinnvoll einige Termine zu vereinbaren, die dazu dienen, mit Unterstützung des Therapeuten eine gemeinsame Problemdefinition zu gewinnen. Eine andere Problemsituation liegt vor, wenn die Sicht der Familienmitglieder mit der fachlichen Sichtweise nicht kompatibel ist. Auch in einem solchen Fall wird die Situation im Sinne des Transparenzprinzips verdeutlicht, um gemeinsam die Frage zu diskutieren, ob doch eine Konvergenz erreicht werden kann.
Angaben des Vaters: 4 Ich stimme meiner Frau bezüglich der Essstörung zu; mache mir allerdings nicht so viel Sorgen. 4 Ich will trotzdem, dass Eva eine Behandlung macht. 4 Ich hätte gerne weniger Streit mit meiner Frau und Eva wegen des Essens. Ich will Ruhe. Problemdefinition aus fachlicher Sicht (orientiert am Multiaxialen Klassifikationsschema): 4 Anorexia nervosa (F 50.0) [sicher] 4 Leichte depressive Episode (F32.0) [fraglich] 4 Achse V: Disharmonie in der Familie zwischen den Erwachsenen (1.1); Überfürsorge (4.0) Erläuterung: Bei Eva liegt eine Essstörung vor (nicht chronifiziert, ambulante Behandlung noch möglich). Die Stimmungslage von Eva ist deutlich dysphorisch-depressiv mit ausgeprägten Stimmungsschwankungen, sozialem Rückzug, Leistungsabfall und fraglichem Interessenverlust. Eva verhält sich außerdem sehr oppositionell gegen die Eltern im Sinne eines Ablösungskonfliktes. Sehr enge, teilweise überprotektive Familienbeziehungen. Die Eltern wirken dabei im Umgang mit Eva durchsetzungsschwach und hilflos. Ausgelöst durch die Essstörung wurden Ehekonflikte deutlich; die Eltern artikulieren eigene Abgrenzungs- und Durchsetzungsprobleme gegenüber der Großmutter väterlicherseits.
Im nächsten Schritt entwirft der Therapeut ein grobes Therapiekonzept, d.h. Rahmenkonzept, darüber was im Moment im Vordergrund stehen soll, was längerfristig eventuell angegangen werden sollte und er macht einen Vorschlag darüber, wie aktuell konkret vorgegangen werden kann. In vielen Fällen muss der Therapeut hier kein fertiges Konzept darstellen; es ist oft sinnvoll die möglichen Alternativen mit ihren Vor- und Nachteilen zu erläutern. Das Therapiekonzept wird dann mit
201 8.4 . Aktuelle Entwicklungen: Neuere Beratungsmodelle in der Klinischen Psychologie
der Familie diskutiert, modifiziert, differenziert und konkretisiert. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass Vorschläge, die aus der Familie kommen, nach Möglichkeit aufgegriffen werden: Ein solcher Vorschlag ist therapeutisch wertvoller als derselbe Vorschlag seitens des Therapeuten. Das folgende Beispiel soll das Vorgehen verdeutlichen. Das Beratungs- und Planungsgespräch wird abgeschlossen mit einer Festlegung darüber, wie konkret weiter vorgegangen wird. Falls man sich darauf geeinigt hat, weiter zusammenzuarbeiten bzw. eine Therapie oder andere Hilfsmaßnahme einzuleiten, ist es oft sinnvoll, die Therapie insgesamt grob zu skizzieren; noch wichtiger ist es die Ziele und Inhalte der nächsten Termine/ Sitzungen zu bestimmen und auch für die nächsten Wochen möglichst klar und verbindlich festzulegen, wer welche Aufgaben übernimmt. Empfehlenswert ist es außerdem, einen Termin in 1-2 Monaten ins Auge zu fassen, an dem im Rahmen einer »Zwischenbilanz« gemeinsam überprüft werden soll, ob man wie gewünscht vorwärts gekommen ist oder nicht. Der Ausgangspunkt für das Beratungs- und Planungsgespräch ist beispielhaft für den Fall der 16jährigen Patientin Eva dargestellt. Schon im Familiendiagnostischen Gespräch begannen Eva und die Eltern, mögliche Kompromisse zu erkunden und darüber zu verhandeln, was Eva selbst bestimmen kann und wo die Eltern mitbestimmen wollen. Im Beratungs- und Planungsgespräch informiert der Therapeut über die Anorexie. Sein Vorschlag zur gemeinsamen Problemdefinition enthält drei Hauptbereiche: 1. Problem: Bei Eva liegt eindeutig eine Essstörung vor, die auf jeden Fall eine Therapie erfordert; außerdem wurden Stimmungsprobleme bei Eva festgestellt, die noch genauer betrachtet werden sollten. 2. Problem: Streitigkeiten zwischen Eva und ihren beiden Eltern. Alle wünschen sich weniger Streit-Stress. Es geht dabei auch dar-
8
um, dass Eva wie eine Jugendliche behandelt werden und einen eigenen Bereich abgrenzen möchte, wo sie selbst bestimmt. 3. Problem: Es wurden Konflikte zwischen den Eheleuten angesprochen und Konflikte im Zusammenhang mit der Großmutter; der Therapeut schlägt vor, diesen Bereich zunächst einmal zurückzustellen und sich mit den ersten beiden Problemen zu beschäftigen. Bezüglich des ersten Problems informiert der Therapeut sehr deutlich über die Erkrankung, er betont die dringende Behandlungsnotwendigkeit, informiert über die mögliche stationäre Behandlung und schlägt eine Stationsbesichtigung mit genauerer Information vor. Eva fällt es nicht leicht, diese Informationen zu akzeptieren. Sie stimmt aber dem Angebot zu, in einer Einzelsitzung noch ausführlichere Informationen über die Essstörung zu erhalten. Da die Familie einheitlich eine ambulante Behandlung präferiert, skizziert der Therapeut den Rahmen, unter welchen Voraussetzungen eine ambulante Behandlung noch vertretbar ist (regelmäßige Gewichtskontrolle; Gewichtszunahme). Die konkrete weitere Therapieplanung bezieht sich nur auf die kommende Woche (▶ Kasten). Überlegungen, die sich auf die längerfristige Planung beziehen, werden im Beratungs- und Planungsgespräch noch nicht angesprochen (Zeitgründe, Überschaubarkeit der Themen). Der Therapeut merkt sich insbesondere vor, die mögliche depressive Störung bei Eva genauer abzuklären. Außerdem bleibt noch offen, ob und wie ausführlich die Konflikte zwischen den Eltern und Eva und die Ehekonflikte in einer Therapie aufgegriffen werden. Bezüglich der Konflikte zwischen Eva und ihren Eltern bieten sich einige sinnvolle Ansatzpunkte für bessere Konfliktregelungen (weniger Einmischung bei Zimmergestaltung, Ordnung in Evas Zimmer, Kleidung von Eva), die aufgegriffen werden können.
202
Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
Beispiel Ergebnis des Beratungs- und Planungsgesprächs bei der Patientin Eva (16 J.) Die weitere konkrete Planung bezieht sich nur auf die kommende Woche: 1. Unmittelbar im Anschluss an das Beratungs- und Planungsgespräch: Information über die stationäre Behandlung mit Stationsbesichtigung. 2. In der kommenden Woche wird eine Sitzung mit Eva alleine stattfinden, in der Eva und der Therapeut einen Therapieplan ausarbeiten, der dann bei einem weiteren Termin in der kommenden Woche mit den Eltern besprochen werden soll. Falls eine Vereinbarung zustande kommt, soll auch gemeinsam festgelegt werden, wie intensiv die Eltern in die Therapie einbezogen werden sollen. 3. Die Eltern erhalten die Instruktion, dass sie sich im Moment nicht mehr um die Essprobleme kümmern sollen; Eva soll ihr Essen alleine regulieren. 4. Die Eltern übernehmen aber die Aufgabe, mit dem Hausarzt abzuklären, ob eine regelmäßige Gewichtskontrolle bei ihm möglich ist. 5. Jeder erhält die Aufgabe, die Familienstreitigkeiten zu beobachten, um in der nächsten gemeinsamen Sitzung möglichst differenziert darüber berichten zu können. 6. Es werden zwei Termine vereinbart: Ein Termin mit Eva und ein gemeinsamer Termin, bei dem dann die weitere Therapie besprochen werden soll.
8
8.5
Zusammenfassung
Beratung und Therapie stehen in der Klinischen Psychologie in einem engen Zusammenhang; institutionell steht Therapie eher im Kontext der Heilbehandlung, Beratung dagegen ist nicht auf Heilbehandlungen beschränkt. Auf der Ebene der konkreten Handlungen findet sich eine starke Überschneidung zwischen Beratung und Therapie. In allen großen psychotherapeutischen Schulrichtungen wurden Ansätze ent-
wickelt, die für die Beratung in der Klinischen Psychologie nutzbar gemacht werden können. Während sich die Begrifflichkeit in den verschiedenen Traditionslinien sehr unterschiedlich darstellt und nur schwer aufeinander abbildbar erscheint, führt eine Betrachtung der konkreten Interventionsvorschläge aus verschiedenen psychotherapeutischen Ansätzen zum Ergebnis, dass Konvergenztendenzen erkennbar sind und effektive Ansätze durchaus Methoden aus unterschiedlichen Traditionen aufgreifen und in ein stimmiges Gesamtkonzept integrieren können.
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8
Kapitel 8 · Beratung in der Klinischen Psychologie
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9 Beratung in der Arbeitsund Organisationspsychologie E. Bamberg 9.1
Handlungsfelder
– 206
9.1.1 Suchtberatung – 206 9.1.2 IT-Beratung – 207 9.1.3 Outplacementberatung – 207
9.2
Merkmale von Beratung
– 208
9.3
Beratung als Arbeitstätigkeit
– 209
9.3.1 Interaktionsbezogene Anforderungen – 210 9.3.2 Arbeitsaufgabe – 210 9.3.3 Organisationaler Kontext – 211
9.4
Konzepte zu Beratung
– 211
9.4.1 Beratung von Individuen – 212 9.4.2 Organisationsberatung – 213 9.4.3 Direktivität – Nondirektivität – 215
9.5
Akteure in der Beratung
– 216
9.5.1 Klienten – 216 9.5.2 Beraterinnen und Berater – 218
9.6
Anforderungsorientierte Beratung
– 220
9.7
Methoden
9.7.1 9.7.2 9.7.3 9.7.4
Coaching – 222 Mentoring – 224 Supervision – 226 Gemeinsamkeiten und Unterschiede
9.8
Status quo und Entwicklungsperspektiven – Ein Resümee Literatur
– 221
– 230
– 229
– 229
206
9
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
Die Branche der Unternehmensberatungen hat 2007 eine Umsatzsteigerung von 11,8% auf 16,4 Milliarden Euro zu verzeichnen. Beratungsfirmen aller Größenordnungen profitieren von diesem Zuwachs (BDU, 2008). Beratung von Unternehmen hat, das zeigen die Zahlen, einen hohen Stellenwert. Angesichts der Bedingungen in der Arbeitswelt ist dies nicht verwunderlich: Für die Organisationen des Wirtschaftslebens besteht die Notwendigkeit, Entwicklungen des Marktes zu antizipieren, diese aufzugreifen und sich ihnen anzupassen. Fusionen von Unternehmen oder Auslagerungen von Abteilungen sind heutzutage selbstverständlich. Viele Unternehmen nutzen im Rahmen von diesen Veränderungsprozessen Organisationsberatung. Beratung im Arbeitsleben geht aber über Unternehmens- oder Organisationsberatung hinaus. Beratungsbedarf kann in ganz unterschiedlichen Situationen bestehen. So kann z.B. Mobbingberatung dazu beitragen, Konflikte im Unternehmen zu klären, bei Unsicherheit über den beruflichen Werdegang bietet sich Berufs- oder Laufbahnberatung an. Im folgenden Abschnitt sollen exemplarisch einige Handlungsfelder von Beratung vorgestellt werden.
9.1
Handlungsfelder
Zu nahezu allen Problembereichen, die Wohlergehen und Leistungsvermögen der Mitarbeiter und der Organisationen beeinträchtigen können, gibt es auch Beratung. Einschlägige Angebote sind etwa Berufsberatung, Gesundheitsberatung, Laufbahnberatung, Sozialberatung, Konfliktberatung, Mobbingberatung, Suchtberatung, Outplacementberatung, Rentenberatung oder IT-Beratung. Beratung wird in einigen Fällen durch die Unternehmen ermöglicht. Sie gehören vielfach zu den gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben. Beratung ist zum Teil freiwillige Leistung von Betrieben, etwa bei Sozialberatung. Beratung wird auch durch Verbände und Kassen praktiziert. Berufsgenossenschaften z.B. bieten Beratung an, die sich auf eine gesundheitsbezogene Gestaltung der Arbeit bezieht. Beratung kann schließlich, mit oder ohne Unterstützung von Betrieben oder Verbänden, durch externe BeraterInnen erfolgen. So haben z.B. manche Betriebe im Rahmen der so genannten employee assistant programs Vereinbarungen mit externen BeraterInnen abgeschlossen, die im Bedarfsfall zur Verfügung stehen. Mitarbeiter von Unternehmen
haben hier die Möglichkeit sich beraten zu lassen, wenn sie sich aufgrund von familiären, privaten oder beruflichen Problemen in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigt sehen. Bei einigen Themen kann Beratung in Organisationen auf eine lange Tradition zurückblicken. So wird etwa Suchtberatung schon seit vielen Jahren angeboten. Andere Themen, wie z.B. Outplacementberatung, sind in den letzten Jahren populär geworden. Im Folgenden werden einige Themenfelder der Beratung, die sich unterschiedlichen organisatorischen Kontexten zuordnen lassen, zusammengefasst. Auf diesem Hintergrund werden dann Merkmale von Beratung diskutiert.
9.1.1
Suchtberatung
Der Missbrauch von Genuss- und Suchtmitteln ist in unserer Gesellschaft und damit auch in der Arbeitswelt weit verbreitet. Ein unkontrollierter Gebrauch von Genuss- und Suchtmitteln kann in Unternehmen zu Fehlern, Unfällen und Leistungsabbau führen. Suchtprävention ist deshalb in vielen Organisationen zur Selbstverständlichkeit geworden. Betriebe und Verwaltungen haben z.T. differenzierte Maßnahmenkataloge entwickelt, wie mit dem Problembereich Sucht umzugehen ist. So nennen Rummel, Rainer und Fuchs (2004) drei Entwicklungslinien betrieblicher Präventionsprogramme: Reduktion des Konsumniveaus, Aufbau eines Hilfesystems und Intervention bei Problemfällen. Entsprechend dieser Entwicklungslinien werden etwa Gebote und Verbote von Alkohol und Genussmitteln am Arbeitsplatz eingeführt und regelmäßige Weiterbildungen für Mitarbeiter und Führungskräfte angeboten; in Dringlichkeit und Sanktionshaltigkeit abgestufte Systeme der Interventionen, die sich direkt an die Suchtkranken wenden, werden praktiziert. Dies kann beinhalten, dass ihnen zunächst Beratung dann Therapie angeboten wird, dass sie verpflichtet werden, an Suchtpräventionsmaßnahmen teilzunehmen und dass mit Entzug des Arbeitsplatzes gedroht wird. Beratung hat in diesem System einen wichtigen Stellenwert. Sie richtet sich direkt an die Suchtkranken und an verschiedene Gruppen von Beteiligten, wie z.B. Familienangehörige und Führungskräfte. Suchtberatung ist damit ein Beispiel dafür, dass Einzelberatung Teil eines Beratungsangebots für
207 9.1 . Handlungsfelder
unterschiedliche Zielgruppen sein kann und dass Beratung mit anderen Interventionen verknüpft sein kann. Sie ist ein Beispiel dafür, wie Beratungsangebote in ein umfassendes System von Personalentwicklung einschließlich Führungskräfteentwicklung sowie von betrieblicher Gesundheitsförderung eingebettet sein können (z.B. Rummel et al., 2004).
9.1.2
IT-Beratung
Die Informations- und Kommunikationstechnik (IT) einer Organisation ist heutzutage schon nach wenigen Jahren überholt, muss überdacht und neu gestaltet werden. Für die Organisationen stellt sich die Aufgabe, technische, organisatorische und soziale Lösungen aufeinander abzustimmen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besteht die Notwendigkeit, sich den Änderungen ihrer Arbeitsmittel und ihrer Arbeitssysteme anzupassen. Damit besteht Beratungsbedarf für alle Akteursgruppen: Für diejenigen, die Entscheidungen hinsichtlich der Veränderungen treffen, für diejenigen, die die Entscheidungen implementieren und für die Mitarbeiter, die mit den neuen Systemen arbeiten müssen. Wenn z.B. ein neues computergestütztes Verwaltungssystem eingeführt werden soll, dann hat die Leitung eines Betriebs Beratungsbedarf bei der Entscheidung, welche Variante zu bevorzugen ist und welche organisatorische Lösung präferiert werden sollte. Ist es z.B. zweckmäßig, Buchungen in sog. Buchungszentren einzuführen oder sollten diese Arbeiten dezentral erfolgen? Wenn es sich um ein komplexes System mit weitreichenden Folgen handelt, könnte die Leitung weiteren Beratungsbedarf hinsichtlich des Einführungsprozesses haben: Wie kann z.B. der Einführungsprozess so gestaltet werden, dass die Akzeptanz des Systems hoch ist? Wie kann die Qualifizierung für das neue System erfolgen? Die Beratung kann auch die individuelle Arbeitsorganisation der Mitarbeiter betreffen, z.B. die Frage, wie Buchungsaufträge und andere Aufgaben der Arbeitnehmer koordiniert werden können. Die Beratung kann schließlich die Arbeit mit dem System zum Gegenstand haben, denn es werden Probleme auftreten, die einer unmittelbaren Lösung bedürfen. Beraterinnen und Berater müssen in diesem Handlungsfeld über sehr unterschiedliche arbeits-
9
wissenschaftliche Kompetenzen verfügen. Wissen über IT, Arbeitsorganisation, Organisations- und Personalentwicklung sind gefragt (z.B. Scheer & Köppen, 2001).
9.1.3
Outplacementberatung
Die gezielte und umfassende Reduktion der Belegschaft von Betrieben ist heute zur Selbstverständlichkeit geworden. Ein Weg, Personalabbau im Unternehmen umzusetzen, wird in Outplacementberatung gesehen. Outplacementberatung behandelt die Trennung des Individuums, vor allem der Führungskraft, von der Organisation. Ein entlassenes (im Rahmen von Outplacement spricht man häufig weniger drastisch von »freigesetzt«) oder evtl. zu entlassendes Mitglied des Unternehmens wird bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, der seinen Qualifikationen und Interessen entspricht, unterstützt (vgl. Heizmann, 2003; Hohner, 2006). Unternehmen erwarten von Outplacement reichhaltigen Nutzen. Finanzielle Vorteile können dadurch gegeben sein, dass Rechtsstreitigkeiten und lange Restlaufzeiten teurer Verträge vermieden werden. Unternehmenspolitischer Nutzen wird etwa durch die Sicherung des Unternehmensimages, durch flexible Anpassung von Führungsstrukturen an neue Anforderungen, durch Korrekturen von Fehlbesetzungen erwartet (Heizmann, 2003; von Rundstedt, 1999). Für die Arbeitnehmer kann Outplacementberatung finanzielle Vorteile haben, etwa durch die Vermeidung der Erwerbslosigkeit. Eine faire Trennung vom bisherigen Unternehmen kann möglich sein, Chancen für die Entwicklung einer Laufbahnperspektive werden geschaffen. Es gibt unterschiedliche Formen von Outplacement. Heizmann (2003) unterscheidet Einzel- und Gruppenoutplacement. Ersteres wird bevorzugt für die oberen, letzteres eher für die mittleren Hierarchieebenen angeboten. Des Weiteren ist zu trennen zwischen unbefristetem und befristetem Outplacement. Die klassische Outpacementberatung erfolgt in drei Phasen: In einer Analyse- und Zielsetzungsphase steht die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation im Vordergrund, wie bei Laufbahnberatung sollen die Stärken und Schwächen des Klienten durch unterschiedlichste Methoden analysiert werden. In einer zweiten Phase geht es um die Vorbereitung der
208
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
Bewerbungskampagne. Bewerbungsunterlagen werden erstellt, die Bewerbungssituation wird geübt. In einer dritten Phase schließlich werden Bewerbungen begleitet, bei erfolgreichen Bewerbungen kann eine Vorbereitung auf die zukünftige Position, etwa durch Coaching, erfolgen (Heizmann, 2003). Outplacementberatung ist ein Beispiel dafür, wie Organisationsberatung mit Individualberatung verknüpft sein kann. Das Unternehmen, das Personalabbau plant, wird in vielen Fällen Unternehmensberatung in Anspruch genommen haben und hat vielleicht aufgrund dieser Beratung entsprechende Entscheidungen getroffen. Unter Umständen hat die Unternehmensberatung den Vorschlag entwickelt, den Personalabbau durch Outplacementberatung sozialverträglich zu gestalten. Vielleicht führt dann dieselbe Unternehmensberatung – oder ein Tochterunternehmen - auch die individuelle Outplacementberatung durch.
9
9.2
Merkmale von Beratung
Mit Hilfe der genannten Beispiele lassen sich zentrale Beschreibungsmerkmale von Beratung benennen. Sie betreffen Zielgruppe, Gegenstand, Akteure und zeitliche Perspektive.
Zielgruppen Bei dem oben genannten Beispiel Outplacementberatung geht es um Entwicklungsperspektiven der ratsuchenden Person. Es geht um die Frage, wie die ratsuchende Person zur Gestaltung ihrer Zukunft beitragen kann. Zielgruppe der Beratung sind hier die einzelnen Individuen, deren Neigungen und Wünsche, Ressourcen und Risikofaktoren. Die Konzentration auf Individuen ist ein wichtiges Element von Beratung, sie stößt jedoch bei vielen Problembereichen an Grenzen. Bei Konfliktberatung z.B. geht es um die Rolle und den Beitrag von Individuen im Konfliktgeschehen und es geht darum, inwieweit die Gruppe zur Entstehung, Entwicklung und Bewältigung von Konflikten beiträgt. Beratung beschäftigt sich hier mit (Teilen) der Organisation.
Gegenstand Wenn es Ziel von Konfliktberatung ist, auch langfristig Konflikte zu reduzieren und die Bewältigung
von Konflikten zu unterstützen, dann ist von Interesse, welche Bedingungen in der Gruppe und in der Organisation zur Entstehung von Konflikten beitragen. Dies könnten z.B. unklare Verantwortlichkeiten, arbeitsorganisatorische Probleme oder Kampf um Ressourcen sein. Bei Interventionen in der Arbeitswelt hat sich die Trennung zwischen personenbezogenen und bedingungsbezogenen Schwerpunkten eingebürgert. Diese Unterscheidung
ist bei Beratung aufzugreifen. Gegenstand von Beratung sind somit Individuen, Gruppen (personenbezogene Schwerpunkte) und Organisationen sowie diejenigen Bedingungen, die Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden von Individuen und Gruppen beeinflussen (bedingungsbezogene Schwerpunkte). Je nach Gegenstand und Ziel kann Beratung für sich stehen, sie kann Bestandteil eines umfassenden Pakets von Interventionen sein und sie kann durch andere Interventionen unterstützt werden. Berufsberatung z.B. kann eine Klärung beruflicher Perspektiven und Entscheidungen umfassen. Outplacementberatung erstreckt sich oft nicht nur auf die Klärung beruflicher Entwicklungsmöglichkeiten, sondern ist in vielen Fällen mit anderen Interventionen wie z.B. Bewerbungstraining verbunden. Bamberg (2006) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Beratung im engeren Sinne, d.h. Beratung als dialogisches Handeln, und Beratung im weiteren Sinne, d.h. dialogisches Handeln und diejenigen Faktoren, die den Beratungsprozess unterstützen, wie z. B. Eignungsdiagnostik oder Training. Gegenstand von Beratung ist schließlich die Reduktion von Risikofaktoren oder Belastungen (z.B. bei Konfliktberatung) und/oder die Förderung von Ressourcen (z.B. bei Laufbahnberatung).
Akteure Der Klient kann im Beratungsprozess Auftraggeber sein, es ist aber auch möglich, dass Klient und Auftraggeber unterschiedliche Personen sind. Outplacementberatung wird häufig durch Betriebe in Auftrag gegeben, angeboten und organisiert. Bei Laufbahnberatung dagegen sind Klient und Auftraggeber oft dieselbe Person. In den oben genannten Beispielen erfolgt Beratung in der Regel durch eine dafür ausgebildete, professionelle Beraterin. Dem Beratungsprozess
209 9.3 . Beratung als Arbeitstätigkeit
liegt ein bestimmtes Konzept zugrunde, an dem sich die Beraterin orientiert.
weiteren Sinne, d.h. dialogisches Handeln und unterstützende Interventionen, sind zu trennen.
Zeitperspektive
Definition
Die oben genannten Beispiele zeigen, dass sowohl aktuell zu lösende Problemkonstellationen als auch mittel- und langfristig zu klärende Entwicklungsperspektiven Gegenstand von Beratung sind. Gegenstand von IT-Beratung kann z.B. ein aktuelles Problem mit der Software sein. Bei Outplacementberatung dagegen geht es um langfristige Entwicklungsperspektiven. Die Zeitperspektive betrifft auch den Beratungsprozess: Beratung ist in manchen Fällen ein kurzfristiger, in anderen Fällen ein mittel- oder langfristiger Prozess. IT-Beratung kann auf einen oder wenige Beratungstermine beschränkt sein. Outplacementberatung dagegen ist häufig ein langfristiger Prozess, der etwa die Klärung beruflicher Interessen und Ziele, die Gewichtung von Erwerbs- und Privatleben sowie Strategien der Suche eines Arbeitsplatzes umfassen kann (z.B. Heizmann, 2003). Die Kurz- bzw. Langfristigkeit des Beratungsprozesses muss nicht (wie bei den hier genannten Beispielen IT-Beratung und Outplacementberatung) der Kurz- bzw. Langfristigkeit der Beratungs inhalte entsprechen. So stehen z.B. bei Berufsberatung, die sich durch einen kurzfristigen Beratungsprozess auszeichnen kann, längerfristige Entwicklungsperspektiven im Vordergrund. Zusammenfassend lassen sich folgende Merkmale von Beratung in der Arbeitswelt festhalten: 1. Beratung ist systematische Unterstützung und Hilfestellung. 2. Die Unterstützung kann kurz- oder langfristig erfolgen. 3. Die Unterstützung betrifft aktuelle und zukünftige Problembereiche. 4. Sie umfasst die Förderung von Ressourcen sowie die Reduktion und Bewältigung von Belastungen und Risikofaktoren. 5. Gegenstand von Beratung sind Problembereiche von Individuen, Gruppen und Organisationen. 6. Personen- und bedingungsbezogene Entwicklungen werden im Beratungsprozess aufgegriffen. 7. Beratung im engeren Sinne, d.h. Beratung als dialogisches Handeln und Beratung im
Beratung ist eine systematische Unterstützung der Problemlösung eines Klienten. Die Unterstützung kann sich auf aktuelle, kurzfristige und auf zukünftige, langfristige Probleme und Entwicklungsfragen erstrecken. Beratung kann durch weitere Interventionen wie z. B. Training ergänzt werden.
9
Es gibt unterschiedliche Vorstellungen dazu, was mit Beratung erreicht werden kann und wie ein (idealtypischer) Prozess von Beratung zu beschreiben ist; oft liegt diesen Vorstellungen ein unterschiedliches Menschenbild zugrunde. Dies wird hier unter dem Titel Ansätze der Beratung diskutiert. Beratung als systematische Unterstützung ist eine Interventionsmethode. Sie kann mit weiteren Interventionsmethoden verbunden sein und sich dieser bedienen. Es gibt ferner verschiedene Varianten der Beratung, die sich in der Beratungskonstellation, im Handlungsfeld und im Prozess der Beratung unterscheiden. Diese werden unter Methoden der Beratung aufgeführt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit bedienen sich Berater konkreter Hilfsmittel (z.B. zirkuläres Fragen; s.u.). Diese bezeichnen wir als Instrumente. Für alle Varianten der ratsuchenden Person verwenden wir zusammenfassend den Begriff Klient.
9.3
Beratung als Arbeitstätigkeit
In den oben benannten Handlungsfeldern ist Beratung eine Intervention in der Arbeitswelt und erfolgt im Rahmen der Arbeitstätigkeit - Beratung ist hier Arbeitstätigkeit. Beratung als Arbeitstätigkeit zu fassen, eröffnet eine spezifische, arbeitspsychologische Perspektive: Im interaktiven Prozess hat der Berater eine Aufgabe - den Beratungsauftrag oder Elemente des Beratungsauftrags - unter organisationalen (Rahmen-)Bedingungen zu erfüllen. Arbeitstätigkeit lässt sich dadurch charakterisieren, dass sie sich auf Gegenstände richtet. Arbeitsgegenstände können Objekte sein. So hat z.B. eine Sachbearbeiterin in einer Versicherung Schadensfälle zu bearbeiten, ein Montagearbeiter ist für den
210
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
Einbau von Motoren zuständig. Im oben genannten Beispiel der IT-Beratung könnte die Entwicklung der Software ein Objekt sein. Arbeitsgegenstände können auch Subjekte, d.h. Personen sein. Personenbezogene Tätigkeiten werden z.B. von Lehrern oder Erziehern ausgeführt. Bei personenbezogenen Tätigkeiten nehmen die Arbeitenden Einfluss auf die Ziele und das Erleben von Personen (Hacker, 2005), z.B. von Schülern oder Kranken – hier zusammenfassend als Klienten bezeichnet. Klienten und Arbeitende können in ihren Zielen und Absichten mehr oder weniger übereinstimmen.
9.3.1
9
Interaktionsbezogene Anforderungen
Bei personenbezogenen Tätigkeiten muss eine Interaktion mit anderen, etwa mit den Kindern im Kindergarten, den SchülerInnen und StudentInnen oder den Kranken gestaltet werden. Über die Gestaltung der Interaktion soll auf den Klienten Einfluss genommen werden, bei dem Klienten soll etwas verändert werden. SchülerInnen oder StudentInnen sollen zu Lernprozessen angeregt werden, Kranke sollen sich am Gesundungsprozess beteiligen etc. Personenbezogene Tätigkeit zeichnet sich gegenüber anderen Tätigkeiten, z.B. in der Produktion, also dadurch aus, dass es eine Tätigkeit mit, für und an dem Klienten ist. Durch die besondere Bedeutung der sozialen Interaktion mit dem Kunden und Klienten ergeben sich spezifische, interaktionsbezogene Anforderungen (in der Arbeits- und Organisationspsychologie findet sich eine Diskussion dieser Anforderungen unter Begriffen wie Emotionsarbeit, Interaktionsarbeit oder Gefühlsarbeit; vgl. z.B. Brucks, 1999; Büssing & Glaser, 1999; Dormann, Zapf & Isic, 2002). Zentrale interaktionsbezogene Anforderungen bestehen in den Erfordernissen, die eigenen Emotionen und die Emotionen anderer zu regulieren. Die Anforderung, die eigenen Emotionen zu regulieren (»emotional work«) besagt, dass bei der Tätigkeit Emotionen zur Schau gestellt werden sollen, die die Arbeitenden in der jeweiligen Situation nicht empfinden. Dies betrifft die unterschiedlichsten Berufsgruppen, wie ErzieherInnen, PflegerInnen, ÄrztInnen, RechtsanwältInnen und LehrerInnen. Die Geduld von Lehrern oder der Optimismus von
Pflegekräften mögen Beispiele dafür sein. Bei der Darstellung von Emotionen unterscheidet Hochschild (1990) zwischen surface acting (Darstellung von Gefühlen ohne innere Beteiligung) und deep acting (Manipulation der eigenen Gefühle). Die Anforderung, Emotionen anderer zu regulieren (sentimental work) besagt, dass die Emotionen der Klienten gezielt beeinflusst werden müssen, um die Handlungsfähigkeit der Klienten zu gewährleisten oder zu fördern. Beispiele dafür sind etwa der Lehrer, der bei den Schülern Neugier weckt oder die Ärztin, die eine optimistische Grundhaltung bei ihrem Patienten fördert. In der Beratung dürfte die Regulierung von Emotionen eine besondere Bedeutung haben. Zum einen hat die Beraterin ihre eigenen Emotionen zu regulieren, um dem Ratsuchenden eine entsprechende Gefühlslage zu demonstrieren. Zum anderen geht es aber auch darum, dass die Emotionen des Ratsuchenden oder Klienten reguliert werden sollen: Dieser soll z.B. offen sein für andere Perspektiven, oder optimistisch hinsichtlich einer Lösung des Problems.
9.3.2
Arbeitsaufgabe
Die Arbeitsaufgabe ist bestimmend für die Arbeitstätigkeit. Von der Arbeitsaufgabe ist abhängig, welche Anforderungen bestehen, was von den Arbeitenden gefordert oder verlangt wird, was sie be- oder erarbeiten sollen und wie sie arbeiten sollen. Auch Ressourcen, d.h. Hilfsmittel, Anforderungen zu bewältigen, wie z.B. Handlungsspielraum, werden durch die Arbeitsaufgabe bestimmt. In der Arbeitsund Organisationspsychologie spricht man deshalb vom Primat der Arbeitsaufgabe (Ulich, 2001). Arbeitsaufgaben sind unterschiedlich umfassend und unterschiedlich komplex. Viele Montagetätigkeiten z.B. zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus nur wenigen Handgriffen bestehen, die leicht erlernbar sind. Ein Kfz-Mechatroniker hat demgegenüber vielfältigere und komplexere Aufgaben wie Wartung und Instandsetzung. Auch in der Beratung sind Vielfalt und Komplexität zentrale Anforderungen, die mehr oder weniger ausgeprägt sein können. Bei einem Schulabgänger, der klare Interessen und Ziele und ein spezifisches Leistungsprofil hat, dessen Wünsche und Ziele mit den Möglichkeiten des Arbeitsmarktes
211 9.4 · Konzepte zu Beratung
übereinstimmen, wird eine weniger differenzierte Diagnose und Problemlösung erforderlich sein, als bei einem Jugendlichen, bei dem diese Passung zu den Bedingungen des Arbeitsmarktes weniger besteht, bei dem z.B. Interessen und Leistungsvoraussetzungen unklar sind. Im zweiten Fall handelt es sich um einen aufwändigeren und komplexeren Beratungsauftrag als im ersten Fall. Vielfalt und Komplexität des Beratungsgegenstandes sind somit vom jeweiligen Problem und von den Handlungsmöglichkeiten des Ratsuchenden abhängig. Geht es um die Beratung einer Gruppe von Personen, werden Vielfalt und Komplexität ferner dadurch bestimmt, inwieweit die Gruppenmitglieder in ihrer Zielsetzung übereinstimmen oder divergieren. Arbeitsaufgaben lassen sich ferner dadurch charakterisieren, welche Ressourcen bestehen. Hier soll vor allem die Bedeutung vom Handlungsspielraum betont werden. Bei manchen Tätigkeiten sind die einzelnen Schritte, die auszuführen sind, vorgegeben und spezifiziert. Dies ist z. B. bei der oben als Beispiel aufgeführten Montage der Fall. Der Kellner in einem Restaurant oder die Erzieherin haben demgegenüber weniger detaillierte Vorgaben. Auch bei Beratungstätigkeit ist der Handlungsspielraum unterschiedlich ausgeprägt. So haben einige Versicherungen für ihre Sachbearbeiter, die im Rahmen der Tätigkeit im CallCenter Beratungen mit Kunden durchführen, detaillierte Anweisungen hinsichtlich der Inhalte, des zeitlichen Rahmens und des Gesprächsverhaltens entwickelt. In vielen anderen Fällen liegen solche Restriktionen nicht vor. Die Beraterinnen und Berater haben erheblichen Interpretationsspielraum hinsichtlich der Ziele und der Kriterien, die zu berücksichtigen sind.
9.3.3
Organisationaler Kontext
Arbeitstätigkeit unterscheidet sich danach, in welchem organisationalen Kontext sie ausgeübt wird. Dies betrifft die Organisation, in der gearbeitet wird; es betrifft aber auch die Eingebundenheit der Organisation in das Wirtschaftsleben und die Gesellschaft. Für die Arbeitenden sind diese Organisationen oder Netzwerke insofern bestimmend, dass durch sie Unterstützung, aber auch Behinderung gegeben sein kann.
9
Auch Beratung ist häufig in einen übergeordneten organisationalen Rahmen eingebunden. Berufsberatung zum Beispiel kann in einem Gespräch bestehen, das ein Klient mit der Beraterin bei der Agentur für Arbeit führt. Es könnte sein, dass die Beraterin zu dem Ergebnis kommt, dass mehr Informationen über die Interessen und Kompetenzen des Klienten erforderlich sind. Der Klient nimmt an einer eignungsdiagnostischen Untersuchung teil. Darüber hinaus führt er ein Praktikum in einem Betrieb durch und partizipiert so im Rahmen der beruflichen Orientierung an unterschiedlichen Kooperationsbezügen zwischen der Agentur für Arbeit, seiner Schule und Betrieben. Für eine wirksame Beratung sind somit nicht nur die Interaktion zwischen Klient und Beraterin von Bedeutung, sondern auch Organisationen und Netzwerke, die in die Beratung eingebunden sind. Beratungstätigkeit als Arbeitstätigkeit umfasst damit auch die Nutzung und ggf. Gestaltung der Bedingungen, die für den Erfolg der Beratung maßgeblich sind. Die genannten Beispiele von Berufsberatung, Suchtberatung oder IT-Beratung, aber auch andere Handlungsfelder, wie z.B. Mobbing (Resch & Roscher, 2005) oder Stress (Steinmetz, 2006; s.u.) verweisen auf die Bedeutung des organisationalen Kontextes. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Beratung ist objektbezogene Tätigkeit, bei der es darum geht, inhaltliche Probleme zu lösen. Beratung ist vor allem aber personenbezogene Tätigkeit, denn eine Problemlösung erfolgt gemeinsam mit, für und an Personen. Je nach Problemstellung und Setting bestehen spezifische Aufgaben, die sich direkt auf den Beratungsprozess sowie auf die Nutzung und Gestaltung organisatorischer Bedingungen beziehen. Diese Aufgaben sind verbunden mit Anforderungen - besonders mit interaktionsbezogenen Anforderungen - und Ressourcen. Damit unterscheiden sich Vielfalt, Komplexität und Handlungsspielräume in der Beratung.
9.4
Konzepte zu Beratung
In theoretischen Konzepten und in Publikationen zu Beratung wird entweder die Perspektive des Individuums und der Interaktion zwischen Beraterin und Klient oder die Perspektive der Organisation und der Veränderungsprozesse in Organisationen in den
212
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
Vordergrund gestellt. Der im Folgenden dargestellte Überblick greift diese Systematisierung auf.
9.4.1
Beratung von Individuen
Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen zu Beratung (vgl. etwa Nestmann, Engel & Sickendiek, 2004). Im Folgenden werden drei Konzepte vorgestellt, die im Kontext der Arbeitswelt besondere Bedeutung gewonnen haben. Diese Konzepte sind z.T. in unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen und in unterschiedlichen Handlungsfeldern entstanden. Der klientzentrierte Ansatz und der kognitive Ansatz wurden in der klinisch-psychotherapeutischen Arbeit, der handlungstheoretische Ansatz wurde in der Arbeitspsychologie entwickelt (Bamberg, 2003; 2006). Die Darstellung der drei Ansätze soll mit Hilfe des im ▶ Kasten aufgeführten Beispiels verdeutlicht werden.
9
Beispiel Ein Weiterbildungsträger ist mit der Konzipierung und Durchführung von Bildungsmaßnahmen für unterschiedliche Personengruppen befasst. Der Weiterbildungsträger hat sich aus einem Verein entwickelt. In der Organisation arbeiten zehn Personen, darunter Gründungsmitglieder des Vereins. Strukturen, Arbeitsteilung und Leitung wurden aus den Vereinsstrukturen übernommen. Aufgrund von unterschiedlichen Vorstellungen über die Arbeitsorganisation und über die zukünftige Strategie des Trägers gibt es erhebliche Auseinandersetzungen unter den Mitgliedern der Organisation. Eine Kooperation ist unter diesen Bedingungen nahezu unmöglich. Bei einigen Mitarbeitern besteht ein erheblicher Leidensdruck. Ein Mitarbeiter sucht für sich Hilfe bei einer externen Beraterin.
Klientzentrierte Beratung entstand aus der klient-
bezogenen Gesprächstherapie und ist wie diese untrennbar mit dem Namen Carl Rogers verbunden. So entspricht auch das diesem Konzept zugrunde liegende Menschenbild dem der Gesprächstherapie. Der Mensch hat demnach grundsätzliche Fähigkei-
ten zur Selbstregulation. Klienten sind Experten ihrer Erfahrungs- und Erlebniswelt. Im Zentrum der Beratung steht die Beziehung der Klienten zu ihren Problemen, nicht aber die Probleme an sich. In der Beratung soll die Selbstregulierung der Ratsuchenden gefördert werden, ihre Selbstverbalisierung soll unterstützt werden. Wichtig dabei sind Empathie, positive Wertschätzung, Anerkennung der Besonderheiten der Klienten und Zurückhaltung bei Urteilen (Rieger & Schmidt-Hieber, 1979a; Rogers, 1972; Straumann, 2004; Tausch, 1973). Beispiel In dem oben angeführten Beispiel stellt die Beraterin die Beschreibungen und Bewertungen des Klienten in den Vordergrund. Die Gesprächsführung der Beraterin unterstützt die Verbalisierung von Erwartungen und Befürchtungen durch den Klienten. Sie zielt darauf ab, dass der Klient sich selbst und der Situation bewusst wird und so eine Vorstellung für mögliche Schritte entwickeln kann.
Der kognitive Ansatz der Beratung wurde in Anlehnung an Konzepte der (kognitiven) Verhaltenstherapie entwickelt. Kognitive Repräsentationen der Situation sowie der individuellen Handlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten bestimmen demnach menschliches Handeln. Beratung zielt darauf ab, Handlungsfähigkeit zu erhöhen, indem kognitive Repräsentationen als Grundlage des Handelns beeinflusst werden. Beratung strukturiert sich entsprechend eines Problemlöse- oder Selbstmanagementprozesses (Borg-Laufs, 2004). Beispiel Die Beraterin erarbeitet mit dem Klienten, in welchen Situationen und unter welchen Bedingungen Konflikte auftreten. Sie entwickelt gemeinsam mit dem Klienten Zielvorstellungen und Lösungswege der Zielerreichung. Diese werden in praktischen Übungen und im Alltag erprobt.
Der handlungstheoretische Ansatz basiert auf der arbeitspsychologischen Handlungstheorie (Sem-
213 9.4 . Konzepte zu Beratung
mer & Pfäfflin, 1978). Wesentlich für menschliche Handlungsfähigkeit sind demnach ein adäquates operatives Abbildsystem, d.h. die Kenntnis der Handlungsbedingungen und Aktionsprogramme, d.h. kognitive Repräsentationen der Handlungsmöglichkeiten. Diese sollen durch den Beratungsprozess entwickelt werden. Auch hier strukturiert sich Beratung am Problemlöseprozess. Der Ablauf der Beratung ist von der konkreten Problemkonstellation abhängig. Inhalt der Beratung und Prozess der Beratung sind miteinander verknüpft (Bamberg, 1992; Greif, Kühbauer & Schmidt-Hieber, 1978). Beispiel Wie bei dem kognitiven Ansatz erarbeitet die Beraterin mit dem Klienten Zielvorstellungen und Lösungswege. In Erweiterung des kognitiven Ansatzes werden inhaltliche Fragen einbezogen (z.B.: Welche Aufgaben hat der Klient; wie kann er seine Aufgaben effektiv erfüllen). Maßnahmen werden festgelegt, Verhaltensstrategien werden entwickelt, geübt und im Arbeitsalltag erprobt.
Die drei genannten Ansätze betreffen die Beratung von Individuen. Bei Beratung in der Arbeitswelt geht es jedoch, wie die oben benannten Handlungsfelder gezeigt haben, häufig nicht nur um Einzelne, sondern um Veränderungen, die eine Organisation oder Teile einer Organisation betreffen.
9.4.2
Organisationsberatung
Gegenstand der Organisationsberatung sind Entwicklungsprozesse der Organisation, an denen nicht nur einzelne Personen, sondern mehrere Organisationsmitglieder, die in Beziehung zueinander stehen, d.h. also Gruppen, Systeme und Organisationen, beteiligt sind. Organisationsberatung erfolgt in der Regel im mittel- oder langfristigen Prozess. Die Veränderungsprozesse bei Organisationsberatung können Personen und/ oder Bedingungen betreffen; Gegenstand könnte etwa die Erarbeitung eines Personalentwicklungskonzeptes für Führungskräfte sein, die Entwicklung eines neuen Leitbilds für ein Unternehmen oder die Unterstützung von Fusionsprozessen. Bei
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Organisationsberatung ist die Organisation (oder ein Mitglied als Vertretung für die Organisation) Auftraggeber. Organisationsberatung kann durch Externe, d.h. Beratungsfirmen, oder durch Interne, z.B. Personal- oder Organisationsentwicklungsabteilungen erfolgen. Definition Organisationsberatung ist eine systematische Unterstützung im Kontext von Organisationen, bei der es darum geht, dass Berater, ggf. mit Hilfe von Interventionsmethoden wie Training, Supervision, die Handlungsfähigkeit von Klientensystemen, d.h. von Organisationen, Teilen der Organisationen oder Mitglieder/Mitgliedergruppen von Organisationen erhöhen (Bamberg, 2006, S. 33).
In Publikationen werden unterschiedliche Konzepte der Organisationsberatung diskutiert. Sie sollen im Folgenden vorgestellt werden. Die Konzepte werden mit Hilfe des oben begonnenen Beispiels verdeutlicht. Beispiel Die MitarbeiterInnen des Weiterbildungsträgers entscheiden sich, gemeinsam eine Organisationsberatung in Anspruch zu nehmen. Mit der Beratung wird die Erwartung verknüpft, dass die Konflikte in der Organisation bewältigt werden. Kooperation und Kommunikation und damit das Wohlbefinden der Mitarbeiter sollen gefördert werden. Die Organisation soll in der Lage sein, marktgerechte Strategien zu entwickeln, die von den Mitgliedern der Organisation getragen werden.
Unter Expertenberatung, von einigen Autoren auch als Fachberatung oder als inhaltsorientierte Beratung bezeichnet (z.B. Bergner, 1997; Greif, Runde & Seeberg, 2004) werden eine Vielzahl von Ansätzen zusammengefasst, die von der Annahme ausgehen, dass Organisationen durch zielgerichteten Input bei Problemlösungen unterstützt und in ihrer Entwicklung beeinflusst werden können. Ein Unternehmen ist nach diesem Konzept ein offenes, soziotechnisches System, gekennzeichnet durch ein
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Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
zielgerichtetes Zusammenwirken von Menschen, Organisation und Technik. Berater sind Experten mit Kompetenzen, die den Klienten fehlen. Die Kompetenzen können ganz unterschiedliche Inhalte betreffen. Verschiedene Professionen kommen somit für Expertenberatung in Frage. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihre Kompetenzen aktiv und zielgerichtet einbringen. Beispiel
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Die Unternehmensberatung stellt, nach Absprache mit der Leitung, Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation des Weiterbildungsträgers in den Vordergrund. In einer Analysephase werden hier erhebliche Defizite festgestellt. Verantwortlichkeiten sind nicht geregelt oder unklar, die Verteilung von Ressourcen erfolgt nach Zufall und ist intransparent, die Arbeitsbelastungen der Mitglieder der Organisation sind unterschiedlich verteilt. Die Beraterin entwickelt ein verändertes System der Arbeitsorganisation mit klarer vertikaler und horizontaler Arbeitsteilung. In diesem Zusammenhang wird auch festgelegt, wer in der Organisation für strategische Planungen verantwortlich ist. Das neue System wird zunächst mit der Leitung der Organisation abgesprochen, dann allen Mitgliedern vorgestellt. Prozessberatung setzt demgegenüber andere
Schwerpunkte. Hier geht es weniger um inhaltlichen Input, sondern in erster Linie um die Gestaltung des Prozesses (vgl. z.B. König & Volmer, 2000). Vor allem zwei Ansätze lassen sich der Prozessberatung zuordnen: Organisationsentwicklung/organisationales Lernen und systemische Beratung. Organisationales Lernen/Organisationsentwicklung sind Sammelbegriffe für eine ganz spe-
zifische Perspektive. Der Begriff des Lernens wird nicht individuell gefasst, sondern auf die Organisation bezogen. Organisationen können demnach im Rahmen von Entwicklungs- und Lernprozessen ihr Klima, ihre Kultur und damit Werte, Normen, Regularien und Artefakte und schließlich auch ihre Strukturen verändern. Organisationales Lernen setzt Lernen der Mitglieder der Organisation voraus und hat dieses zur Folge. Veränderungen in
Organisationen müssen durch die Mitglieder getragen werden, damit Lernprozesse möglich sind. Organisationsmitglieder sind somit in den Prozess der Veränderung einzubeziehen. Konzepte des organisationalen Lernens und der Organisationsentwicklung haben einen demokratischen und humanistischen Anspruch: Lernprozesse in Organisationen sind nur möglich, wenn die Mitglieder Träger von Selbstkontrolle und Verantwortung sind. Offenheit und Vertrauen der Mitglieder sind unabdingbar. Veränderungsprozesse können zwar geplant und vorbereitet werden, der Wandel vollzieht sich aber permanent und keineswegs immer entsprechend der Planung innerhalb der Organisation. BeraterInnen sind ExpertInnen für die Initiierung, Unterstützung und Begleitung von Lernprozessen (z.B. Becker & Langosch, 2002; Landau, 2003). In den letzten Jahren wurde eine beträchtliche und vielfältige Menge an Publikationen zu systemischer Beratung produziert (z.B. Königswieser & Exner, 2000; Landau, 2003; Luhmann & Fuchs, 1989; Wimmer, 1995). Nach den systemischen Ansätzen sind bei Organisationsberatung (soziale) Systeme beteiligt: Das Klientensystem, das Beratersystem und das Beratungssystem. Soziale Systeme haben ein für sie charakteristisches Ordnungs- und Bewertungsmuster. Sie funktionieren in hohem Maße unabhängig von ihrer Umwelt. Ein System hat seine eigene Dynamik und damit die Fähigkeit, unabhängig von Eingriffsversuchen zu einer spezifischen Struktur und Ordnung zu finden. Systeme haben eine spezifische Art der Beobachtung. Systeme können - mit der ihnen eigenen Selektivität - andere Systeme beobachten, die externe Beobachtung wird sich von der internen unterscheiden. So wird auch ein Beratersystem andere Bewertungs- und Ordnungsmuster bei der Beobachtung zugrunde legen, als ein Klientensystem. Der Anspruch einer detailliert geplanten zielgerichteten Beeinflussung besteht nicht. Beratungssysteme können das Klientensystem vielmehr dabei unterstützen, Distanz zu seinen eigenen Beobachtungen zu entwickeln, eingespielte Wahrnehmungs- und Erklärungsmuster zu durchbrechen, eine veränderte Sichtweise zu entwickeln, die der Komplexität der Organisation besser gerecht wird.
215 9.4 . Konzepte zu Beratung
Beispiel Die Beraterin schlägt der Leitung als Ablaufplan mehrere Workshops vor, in denen die Arbeitsweise in der Organisation thematisiert werden soll. In einem ersten Workshop werden die Kontrahenten gebeten darzustellen, wie sie selbst den Weiterbildungsträger sehen und wie die jeweils andere Gruppe nach ihrer Wahrnehmung die Organisation sieht. Dies wird ausführlich diskutiert und geht über in eine Debatte über die Stärken und Schwächen der Organisation. Für die folgenden Workshops erarbeiten Untergruppen unter Moderation der Beraterin ihre Vorstellungen von Leitlinien für eine Zusammenarbeit. Sie diskutieren, wie diese Leitlinien umgesetzt werden können.
9.4.3
Direktivität – Nondirektivität
Wenn die Konzepte zur Beratung von Individuen und von Organisationen vergleichend diskutiert werden, dann lassen sich zwei Gruppen unterschieden: (1) der kognitive Ansatz, der handlungstheoretische Ansatz und Expertenberatung sowie (2) der klientzentrierte Ansatz, Organisationsentwicklung und systemische Beratung. Diese beiden Gruppen haben Gemeinsamkeiten, sie unterscheiden sich aber auch in zentralen Punkten (vgl. z.B. König & Volmer, 2000; Walger, 1995). Gemeinsam ist ihnen, dass die Handlungsfähigkeit der Klienten erhöht werden soll. Unterschiedlich ist, was unter Handlungsfähigkeit verstanden wird. Mit den Ansätzen der ersten Gruppe werden konkrete Zielsetzungen verfolgt. Im Vordergrund steht ein Problem, das einer Lösung bedarf. Anspruch der Beratung ist es, dieses Problem zu bearbeiten. Der Erfolg der Beratung lässt sich daran messen, inwieweit dies gelungen ist. Die Ansätze der zweiten Gruppe grenzen Handlungsfähigkeit nicht auf eine konkrete Problemstellung ein, sondern haben ein breiteres Verständnis. Sie verfolgen die allgemeine Zielsetzung, Entwicklungspotentiale von Individuen oder Organisationen zu fördern. Gemeinsam ist den Ansätzen des Weiteren die Orientierung am Problemlöseprozess. Während aber die Ansätze der ersten Gruppe Beratung auf einen in-
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haltlichen Problembereich beziehen, diesen in den Vordergrund stellen, treten bei der zweiten Gruppe inhaltliche Aspekte gegenüber dem Prozess zurück. In den Konzepten der ersten Gruppe wird eine gezielte Beeinflussbarkeit von Individuen und Organisationen angenommen. Die Beeinflussbarkeit betrifft inhaltliche Fragestellungen und Prozesse. In den Ansätzen der zweiten Gruppe wird dies in Frage gestellt, hier geht es vor allem darum, Entwicklungen zu initiieren, die von Individuen und Systemen getragen werden müssen. Beide Gruppen von Konzepten arbeiten mit einem breiten Inventar an Instrumenten, es gibt eine Reihe von Instrumenten, die sich beiden Gruppen zuordnen lassen (z.B. zirkuläres Fragen). Beispiel Bei der Konfliktberatung des Weiterbildungsträgers strukturiert die Beraterin in der individuellen Beratung und in der Organisationsberatung den Prozess. Folgt sie dem kognitiven und dem handlungstheoretischen Ansatz sowie der Expertenberatung, so wird sie inhaltliche Zielvorstellungen gezielt einbringen. Sie entwickelt z.B. ein Konzept für die Arbeitsteilung in der Organisation und für Aufgaben und Kompetenzen der Leitung. Beim klientzentrierten Ansatz und bei der Prozessberatung stand die Perspektive des Klienten bzw. des Klientensystems im Vordergrund. Hier unterstützt die Beraterin Reflexion der Wahrnehmungen und Bewertungen der Akteure; sie fördert die Entwicklung von Ideen und Vorschlägen durch die Organisationsmitglieder.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Konzepten besteht in ihrer Direktivität bzw. Nondirektivität (Greif, 1976; Mucchielli, 1972; Rieger & Schmidt-Hieber, 1979b). Damit ist die Frage angesprochen, inwieweit zielgerichtete Interventionen angestrebt sind. Bamberg (2006) unterscheidet zwischen inhaltlicher Direktivität und Prozessdirektivität. Klientzentrierte Beratung, Organisationsentwicklung und systemische Beratung lassen sich inhaltlich den nondirektiven Ansätzen, das kognitive und das handlungstheoretische Beratungskonzept sowie Expertenberatung den inhaltlich direktiven Ansätzen zuordnen. Hinsichtlich
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Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
der Prozessdirektivität unterscheiden sich die Ansätze aber kaum. Eine Strukturierung des Beratungsprozesses, ein breites - und zum Teil durchaus auch austauschbares - Spektrum an Instrumenten ist in beiden Gruppen von Ansätzen vorgesehen. In jüngerer Zeit gibt es Versuche, Fach- und Prozessberatung aufeinander zu beziehen (Königswieser, Sonuc, Gebhard & Hillebrand, 2006). Dennoch werden, trotz einiger Gemeinsamkeiten, in Publikationen die beiden Gruppen von Beratung häufig als kaum vereinbar gegenübergestellt. Die Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Gruppe grenzen sich vehement von der anderen Gruppe ab (z.B. Niedereichholz, 2003; Wimmer, 1995). Offen ist, inwieweit diese Einschätzung durch die Akteure im Beratungsprozess geteilt wird.
9.5
9
Akteure in der Beratung
Im Kontext der Beratung spielen unterschiedliche Akteure, Gruppen und Organisationen eine Rolle. Die wichtigsten sind Klienten, Berater, Verbände, Weiterbildungsträger für Berater sowie Autoren von Artikeln über Beratung. Im Folgenden beschränken wir uns auf zwei Gruppen von Akteuren: die Klienten und die Berater. Im Vordergrund steht die Frage, welches Bild Klienten und BeraterInnen von Zielen und Gegenstand der Beratung haben.
9.5.1
Klienten
Klienten und Kunden haben in der Beratung eine zwiespältige Rolle. Sie sind wichtig – denn ohne sie würde es keine Beratung geben. Besonders im Kontext von Organisationsberatung werden sie aber auch vielfach kritisiert. Erhöhte oder unklare Ansprüche, sich verändernde Wünsche, eine Haltung, dass Berater alle aktuellen und zukünftigen Probleme zu lösen hätten, werden bemängelt (z.B. Mohe & Pfriem, 2002). Diese Kritik ist wenig empirisch belegt. Fundiertes Wissen über die Erwartungen, Wünsche und Befürchtungen von Klienten ist nur begrenzt verfügbar. Vor allem Erfahrungsberichte, kaum aber empirische Studien liegen vor. Die im Folgenden zusammengefassten Ergebnisse von Studien zu Kunden betreffen vor allem Kunden oder Klienten in der Organisationsberatung. Wir folgen einer Systematisierung von Grimm
(2003), die zwischen (1) Ziele und Funktion von Beratung (2) Anforderungen an den Beratungsprozess und (3) Anforderungen an die Berater, jeweils aus Sicht der Kunden unterscheidet (vgl. auch Grimm & Bamberg, 2006).
Anforderungen an Ziele und Funktion von Beratung Einige Studien beschäftigen sich mit den Beweggründen, Beratung in Anspruch zu nehmen. Sie können Aufschluss über die Ziele und Funktionen geben, die Kunden mit Beratung verbinden. BeraterInnen werden aus den unterschiedlichsten Gründen engagiert (vgl. Effenberger, 1998). Wissen und Fähigkeiten sollen bereitgestellt werden, eine objektivere Sicht des Problems soll ermöglicht werden, Akzeptanz einer Lösung soll gefördert werden. Häufig ist eine mehr oder weniger spezifizierte Problemlöseerwartung der Anstoß, Beratung in Anspruch zu nehmen. Dies kann sich auf unterschiedliche Ausschnitte des Problemlöseprozesses beziehen. Es kann um die Erhebung von Daten und deren Präsentation gehen, um die Entwicklung von Konzepten, die Umsetzung bereits entwickelter Konzepte, um Verhandlungsführung oder um die Übernahme von Präsentationen für den Vorstand (vgl. Grimm, 2003). In einigen Fällen werden nur einzelne dieser Leistungen verlangt, in anderen geht es um umfangreiche Pakete, die all die genannten Leistungen enthalten können. Insgesamt ist der Beitrag zur Problemlösung der kleinste gemeinsame Nenner der Erwartungen, die aus Sicht der Kunden bestehen. Bei Befragungen zur Funktion von Beratung werden inhaltsbezogene Anforderungen, das Zur-Verfügung-Stellen von Know-how und Wissen, das zur Problemlösung geeignet ist, betont (Grimm & Bamberg, 2006). Wie umfangreich das zu bearbeitende Problem ist, unterscheidet sich ebenso wie der Beitrag, der zur Problemlösung erwartet wird.
Anforderungen an den Beratungsprozess Auch die Anforderungen an Prozessmerkmale von Beratung betreffen unterschiedliche Aspekte. Besonders hervorgehoben wird die Gestaltung der Beziehung zwischen BeraterIn und Klient. Eine symmetrische Beziehung, die von Vertrauen und Offenheit gekennzeichnet wird, wird als besonders wichtig benannt (Grimm, 2003). Eine erfolgsorientierte
217 9.5 . Akteure in der Beratung
Zusammenarbeit, intensive Kommunikation und regelmäßiger Informationsaustausch sind weitere Merkmale, denen hohe Bedeutung zugeschrieben wird. In der Beratung sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens einbezogen werden. Unter dem Stichwort Mitarbeiterbeteiligung werden Information der Beteiligten sowie Sicherstellung von deren Commitment durch die Beraterinnen und Berater als wichtige Faktoren angeführt.
Anforderungen an Beraterinnen und Berater Nach einer Veröffentlichung des Manager-Magazins (2001) wurde als Kriterium für die Auswahl von Beraterinnen und Berater deren fachliche Kompetenz besonders hervorgehoben. Weitere wichtige Faktoren waren Erfahrungen und Persönlichkeit. Studien zu Anforderungen an Beraterinnen und Berater benennen ähnlich wie das ManagementMagazin, Ausbildung, Erfahrung und Persönlichkeit als wichtige Faktoren. Erwartungen hinsichtlich sozialer Kompetenzen und Methodenkompetenzen werden hervorgehoben (Grimm & Bamberg, 2006). Flexibilität, Mobilität, Offenheit gegenüber anderen, Kreativität, eine realistische Selbsteinschätzung und Selbstbewusstsein werden verlangt. Neben den genannten Anforderungen, die mit den erklärten Funktionen, Aufgaben und Rollen der Beraterinnen und Berater verknüpft sind, gibt es auch Erwartungen, die nach Grimm (2003) als implizit oder inoffiziell bezeichnet werden können. Beraterinnen und Berater werden in einigen Fällen engagiert, um unpopuläre Entscheidungen umzusetzen, um Verantwortung abschieben zu können. Sie werden engagiert, weil die Organisation eines Statussymbols bedarf (vgl. Strasser, 1993), oder weil eine Koryphäe gesucht wird, die Probleme ohne Engagement der Akteure im Betrieb lösen kann. In Untersuchungen werden all diese Gründe eher selten genannt. Ob dies daran liegt, dass sie tatsächlich eine untergeordnete Rolle spielen oder ob soziale Erwünschtheit in der Befragungssituation dieses Ergebnis beeinflusst, das muss an dieser Stelle offen bleiben.
Divergierende Interessen und Ziele Ein weiterer Aspekt, der allenfalls in theoretischen Abhandlungen, kaum aber in empirischen Studien
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Berücksichtigung findet, betrifft spezifische Interessen unterschiedlicher Gruppen von Klienten. Pongratz (2000) trennt zwischen Auftraggeber, die den Auftrag bestimmen, Umsetzer, die Veränderungsprozesse tragen sollen, Betroffene, für die sich in den Organisationen etwas verändert und Beobachter, die versuchen, Einfluss zu nehmen, aber nur in Ausschnitten direkt betroffen sind. Jede dieser Gruppe hat eigene Ziele und Interessen. Beispiel Im oben genannten Beispiel könnte die Leitung als Auftraggeber das Ziel haben, die Effektivität des Systems zu erhöhen. Konflikte sind für sie nur dann ein zu bearbeitendes Problem, wenn diese nennenswerte Reibungsverluste mit sich bringen. Einige Organisationsmitglieder als Betroffene könnten dagegen das Interesse haben, die bisher bestehenden Möglichkeiten selbstbestimmten Handelns zu erhalten. Die Positionierung des Unternehmens auf dem Markt ist ihnen vielleicht - sofern der Weiterbildungsträger noch Aufträge bekommt und ein Minimaleinkommen der Mitarbeitenden gewährleistet ist - weniger wichtig. Sie befürchten, dass durch eine stärkere Marktorientierung eine Intensivierung der Arbeit erfolgt.
Wenn die Ziele der Akteursgruppen in Organisationen unterschiedlich sind oder sich gar widersprechen, dann ergeben sich daraus für die Beratung einige Fragen: Inwieweit werden unterschiedliche Interessen im Beratungsprozess aufgegriffen? Sind Beratungskonzepte unterschiedlich, je nachdem ob sie für Geschäftsleitung oder Belegschaft entwickelt wurden? Es liegen kaum Untersuchungen dazu vor, wie BeraterInnen mit unterschiedlichen Interessen, die in einer Organisation gegeben sind, umgehen. In der Literatur zu Veränderungsprozessen in Organisationen werden unterschiedliche Interessen allenfalls insofern berücksichtigt, dass erörtert wird, wie die Beschäftigten an Veränderungen beteiligt werden können um damit zu gewährleisten, dass sie die Veränderungen auch tragen. So ist bei Veränderungsberatern immer wieder vom sogenannten »Tal der Tränen« (!) die Rede. Das Tal der Tränen entstehe, wenn Mitarbei-
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Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
ter eines Unternehmens nach einer anfänglichen Phase des Optimismus gegenüber dem Beratungsprozess Skepsis entwickeln. Beraterinnen und Berater sollten über ein Methodeninventar verfügen, das hilfreich bei der Überwindung der Talsohle sei. Widersprüchliche Interessen zwischen den Akteursgruppen und deren Ursachen werden in der Regel ebenso wenig diskutiert, wie die Frage der Parteilichkeit der Berater. Beratung wird vor allem im Auftrag der Leitung von Organisationen durchgeführt. Es gibt aber auch Beratung von Belegschaft, von betrieblicher und gesetzlicher Interessenvertretung sowie von sozialen Bewegungen (z.B. Beddies, 1999). Es liegen keine empirischen Belege vor, dass es systematische Unterschiede in den Beratungskonzepten gibt, die für Geschäftsleitungen und für Belegschaftsmitglieder bzw. deren Interessenvertretung entwickelt wurden. Grimm (2003) hatte in ihrer Untersuchung zu Anforderungen an Beratung aus Kundensicht auch die Interessenvertretung von Organisationen einbezogen. Auch sie konnte keine Differenzen in den Anforderungen feststellen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Klienten keinen spezifischen Beratungsansatz erwarten. Sie wünschen sich vielmehr einen Beitrag zur Problemlösung, der Inhalte und Prozessgestaltung gleichermaßen umfasst. Nach Vorstellung der Kunden ist Beratungstätigkeit gegenstandsbezogene Tätigkeit und personenbezogene Tätigkeit - wie dies im Abschnitt Beratung als Arbeitstätigkeit hervorgehoben wurde. Insgesamt sind die Vorstellungen, die Klienten und Kunden hinsichtlich des Beratungsprozesses haben, eher allgemein und global. Beraterinnen und Berater haben damit bei der Interpretation ihrer Aufträge erhebliche Handlungsspielräume. Auftragsklärung gewinnt im Beratungsprozess besondere Bedeutung.
nen und dabei, wie bei der Diskussion der Konzepte in der Literatur, vor allem Unterschiede betonen. Zentral im Selbstverständnis der Beraterinnen und Berater ist - insbesondere auch angesichts der oben benannten geringen Spezifizierung von Aufträgen - die Frage ihres Aufgabenverständnisses, was sie als ihre Arbeitsaufgabe ansehen, wie sie ihre Aufträge und ihre Arbeitsaufgaben redefinieren. Kötter (1999) betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Prozessleitbildern.
Prozessleitbilder Leitbilder von Veränderungs- oder Beratungsprozessen umfassen das Ziel, den Gegenstand, den Ablauf und die Arbeitsteilung der Akteure (Kötter, 1999). Sie beinhalten Modelle der Beratung, Vorstellungen und Entwürfe über individuelle, betriebliche und professionelle Standards. Sie umfassen die Vorbereitung, Planung und Realisierung von Beratungsprojekten. Inwieweit Berater allgemeine oder konkrete Ziele verfolgen, die Sicht ihrer eigenen Aufgabe, das alles ist Gegenstand von Prozessleitbildern. Prozessleitbilder entwickeln sich aufgrund von Erfahrungen, sie sind geprägt durch Funktionen und Rollen im Veränderungsprozess. Kötter (2006) unterscheidet allein für das Feld der Arbeitsgestaltung mehrere Typen von Beratern. Da ist z.B. der spezialisierte »Fachberater« mit einem klar spezialisierten Beratungsangebot, da ist der »Berater öffentlichen Rechts«, der bestimmte Mindeststandards schaffen und wahren soll, da ist der »Personalentwickler«, der fachlich-funktional nicht eingegrenzt ist. Je nach Typ verfolgen Berater unterschiedliche Strategien; sie wechseln ihre Strategien, wenn sich ihre Position in der Beratungslandschaft verändert.
Tätigkeit und Selbstverständnis 9.5.2
Beraterinnen und Berater
Beraterinnen und Berater haben wesentlichen Einfluss auf den Beratungsprozess. Sie strukturieren und gestalten ihn durch Vorschläge, Input, durch verbales und nonverbales Feedback. Offen ist, inwieweit Beraterinnen und Berater sich in ihrem Selbstverständnis, in ihrer Perspektive des Beratungsprozesses an die genannten Konzepte anleh-
Beraterinnen und Berater sind, wie unsere Interventionsstudien und Expertenrunden zeigen, mit ganz unterschiedlichen Aufgaben befasst (vgl. Bamberg, 2006; Hänel, 2006; Schmidt, 2006). Es geht um Projekte der Personal- und Organisationsentwicklung, um Moderation, Teamentwicklung und Weiterbildung. Zu all diesen Themen werden Konzepte erstellt und Maßnahmen durchgeführt. Ein weiterer beträchtlicher Teil der Arbeit betrifft
219 9.5 . Akteure in der Beratung
Akquise und Netzwerkpflege. Ein großer Teil der Beraterinnen und Berater ordnet sich mehreren Konzepten zu, der systemische Ansatz ist dabei häufig vertreten. Auch wenn sich Beraterinnen und Berater in ihrem Selbstverständnis auf unterschiedliche Ansätze beziehen, so zeigen sich doch hinsichtlich ihres Verhaltens in der Beratung viele Gemeinsamkeiten. Ein beträchtlicher Teil der Experten bekennt sich zum eklektizistischen Vorgehen. Betont wird die Notwendigkeit einer ausführlichen Diagnosephase. Auch die Auftragsklärung wird als wichtige Phase benannt, die erst mit dem jeweiligen Beratungsprojekt endet. Hohe Übereinstimmung gibt es auch hinsichtlich der Strukturierung des Beratungsprozesses in verschiedene Phasen. Qualen (2006) diskutiert das Selbstverständnis von Beraterinnen und Berater. Die von ihr einbezogenen Expertenberater charakterisieren sich dadurch, dass sie die Zielbeschreibung des Kunden übernehmen. Es geht ihnen darum, ihr (betriebswirtschaftliches) Wissen in das Unternehmen zu transferieren. Dies erfolgt mit Hilfe von erprobten Konzepten. Beteiligungsorientierten Verfahren wird kein hoher Stellenwert zugeordnet, im Gegenteil, sie werden sogar als hinderlich erlebt. Wichtig ist dagegen eine klare Ablaufplanung, die Dokumentation der Ziele und der Phasen. Dadurch wird es möglich, den jeweiligen Stand der Arbeit zu belegen. Durch eine Orientierung an Kennziffern kann der Erfolg der Arbeit belegt werden. Die Prozessberater dagegen sehen es als Teil des Auftrags an, das Beratungsziel gemeinsam mit den Kunden zu erarbeiten. In der Beratung geht es darum, im Unternehmen durch ausführliche gemeinsame Reflexion mit den Mitarbeitern Knowhow zu generieren. Der Beteiligung der Mitarbeiter kommt dabei zentrale Bedeutung zu. Eine konkrete Planung des Ablaufs, die dann auch realisiert wird, ist unter diesen Bedingungen kaum möglich. Der Individualität der Konzepte wird ein hoher Stellenwert eingeräumt. Qualen (2006) benennt auch einige Gemeinsamkeiten oder Überschneidungen zwischen Experten- und Prozessberatern. So fällt es einigen der von ihr einbezogenen Beraterinnen und Beratern schwer, sich der Gruppe der Prozess- oder Expertenberater zuzuordnen. Die Expertenberater sehen sich wie die Prozessberater in längerfristige Pro-
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zesse involviert, die Prozessberater agieren für bestimmte Themen auch als Experten. Besonders bei Projektmanagement und Prozesssteuerung lassen sich die Beratertypen kaum unterscheiden. Die Beraterinnen und Berater betonen, unabhängig von ihrer Zuordnung, die Relevanz einer Gesprächsstruktur, die Bedeutung des Umgangs mit Emotionen und den hohen Stellenwert des fachlichen Wissens über Methoden und Instrumente. Nach Qualen (2006) verstehen sich einige Berater als »Grenzgänger« zwischen Experten- und Prozessberatern. Die Reflexion über die eigene Tätigkeit führt nach Qualen dazu, sich weniger eindeutig zuordnen zu wollen und sich verstärkt als Grenzgänger zu betrachten.
Lernprozesse und Lernbedarfe Behnke (2006) untersucht im Rahmen einer Interviewstudie Lernbiographien von Beraterinnen und Beratern. Sie findet bei den von ihr befragten Beraterinnen und Beratern eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Alle haben Hochschulabschluss; der Einstieg in die Beraterbranche erfolgt meist ungeplant; häufig entwickeln sich über Projektarbeit oder ähnliche Tätigkeiten Interessen an vielfältiger und interessanter Tätigkeit. Die Beraterinnen und Berater schreiben ihrem Hochschulstudium vor allem die Möglichkeit der Aneignung von Fachkompetenz und von Methodenkompetenz zu. Insbesondere die Relevanz analytischer Fähigkeiten wird in diesem Zusammenhang betont. Für ihre Tätigkeit qualifizieren sich Beraterinnen und Berater durch fremdorganisiertes und durch selbstorganisiertes Lernen. Fremdorganisiertes Lernen findet z.B. durch Veranstaltungen größerer Beratungsfirmen oder durch Mentorenprogramme (s.u.) statt. Bei selbstorganisiertem Lernen hat learning by doing einen besonders hohen Stellenwert (vgl. auch Hänel, 2006; Schmidt, 2006). Lernen erfolgt hier vielfach durch die Gestaltung der Arbeitsaufgabe. So verweist Behnke (2006) darauf, dass in der Arbeitspsychologie diskutierte Kriterien entwicklungsförderlicher Arbeitsaufgaben, wie z.B. hoher Handlungsspielraum und hohe Qualifikationsanforderungen (vgl. z.B. Ulich, 2001) auch für Berater von Bedeutung sind. Auch Schmidt (2006) betont, dass Berater Anlässe suchen und gestalten um Fachthemen systematisch aufzuarbeiten. Dies kann sich
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9
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
auf Aufträge beziehen, aber auch auf Präsentationen auf Kongressen oder im Rahmen von Netzwerken. Schmidt (2006) und Hänel (2006) untersuchen zentrale Lernthemen von Beraterinnen und Beratern. Die Aneignung von Interventionsmethoden, von sozialen Kompetenzen und von Akquisestrategien werden insbesondere für unerfahrene Beraterinnen und Berater als wichtig erachtet. Auch für erfahrene Berater sind beratungsrelevante Methoden und Akquisestrategien relevant; weitere Lernthemen für sie betreffen eine Vertiefung wissenschaftlicher Grundlagen der Beratung und Veränderungen des Beratungsmarktes. Fuschini (2006) kommt aufgrund einer Befragung und einer Internetrecherche zu dem Ergebnis, dass der schillernde Weiterbildungsmarkt für Beraterinnen und Berater durchaus diese Themenstellungen aufgreift. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Beraterinnen und Berater verfügen über Leitbilder, die sie in Auseinandersetzung mit ihren Anforderungen im Alltag entwickeln und die von ihrer Funktion und ihren Erfahrungen geprägt sind. Aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihrer Bildungsbiographie sind sie offen für eine breite Palette an Inhalten, Methoden und Handlungsfeldern. Die damit charakterisierte Praxis der Beratung wird in dem Konzept der anforderungsorientierten Beratung (vgl. Bamberg, 2006) aufgegriffen.
9.6
Anforderungsorientierte Beratung
Weiter oben wurde diskutiert, dass Beratung als objekt- und personenbezogene Tätigkeit den interaktiven Problemlöseprozess mit dem Klienten sowie die Nutzung und Gestaltung der für Beratung relevanten organisatorischen Bedingungen umfasst. Beratung lässt sich durch die Anforderungen Komplexität und Variabilität und durch Ressourcen, vor allem Handlungsspielraum, charakterisieren. Objekt- und Personenbezug, Anforderungen und Ressourcen werden in der Beratungstätigkeit unter anderem von folgenden Faktoren bestimmt: 4 Beratungsgegenstand 4 Zielbeschreibung und Zieldefinition 4 Erfordernisse der Einbeziehung der Beteiligten
4 Bewertung des Problems und Einstellung zum Problem durch die Beteiligten 4 Verfügbarkeit von Strategien der Problemlösung 4 Verfügbarkeit von Kompetenzen zur Umsetzung des Zielverhaltens 4 Verfügbarkeit von Wissen zum Problembereich und zu den Lösungen Diese Faktoren dürften maßgeblich dafür sein, welcher Ansatz oder welches Konzept bei der Beratung verfolgt wird. Anhand unseres Beispiels soll dies weiter erläutert werden. Beispiel Die Mitglieder der Weiterbildungsorganisation bewerten die aktuellen Konflikte unterschiedlich. Da ist zunächst der Mitarbeiter, der zu Beginn für sich individuell nach Hilfe gesucht hat. Er ist persönlich enttäuscht, dass aus Freunden Feinde geworden sind, er zweifelt an sich und an den anderen, fragt sich, inwieweit er zur Situation beigetragen hat. Er vermeidet Situationen, in denen Konflikte ausbrechen könnten und zieht sich zurück. Die Leitung der Organisation sieht dringliche Erfordernisse der Veränderung. Sie hat die Vision einer innovativen Weiterbildungseinrichtung. Die Effektivität der Organisation soll erhöht werden, unklar ist aber, wie dies erfolgen kann. Einige Mitglieder möchten, dass alles weitgehend so bleibt wie es ist. Die derzeitigen Auseinandersetzungen sind für sie lästig und beeinträchtigen ihr Engagement, sie hoffen aber, dass die Situation, wie in der Vergangenheit auch schon, ohne große Veränderungen bewältigt werden kann. Trotz dieser Unterschiede sind sich die Mitglieder der Weiterbildungsorganisation im Beratungsauftrag einig: Es soll Individualberatung für die Personen erfolgen, die einen entsprechenden Bedarf haben. Ziel dabei ist, die individuelle Handlungsfähigkeit wieder herzustellen bzw. zu erhöhen. Es soll ferner im Rahmen der Organisationsberatung ein Konzept entwickelt werden, das von den Organisationsmitgliedern getragen wird und das möglichst wenige Konfliktpotentiale für die Zukunft bietet.
221 9.7 . Methoden
Dem Berater bleiben in unserem Beispiel für die Konkretisierung des Beratungsauftrags einige Spielräume. Er könnte den Schwerpunkt auf die aktuelle Konfliktbearbeitung legen und diese als Voraussetzung für Veränderungsprozesse sehen. Er könnte den Schwerpunkt auf zu schaffende Strukturen legen und davon ausgehen, dass durch eine veränderte Arbeitsteilung bestehende Konflikte von geringer Bedeutung sind. Er kann der Beteiligung aller Mitglieder der Organisation einen mehr oder weniger großen Stellenwert zuschreiben. Welchen Schwerpunkt er setzt, ist neben den konkreten Anforderungen der Beratungskonstellation von seinen Prozessleitbildern und von der Absprache mit den Organisationsmitgliedern abhängig. Im Rahmen der Individualberatung stehen zu Beginn interaktionsbezogene Anforderungen im Vordergrund: Es geht darum, die Emotionen des Klienten zu regulieren. Dabei wird es erforderlich sein, dass der Klient zunächst seine Einstellungen und Bewertungen gegenüber dem Konflikt klärt. Ein Vorgehen entsprechend dem klientzentrierten Ansatz könnte hier angemessen sein. Erst im weiteren Verlauf der Beratung wird es dann um Problemlösungsstrategien entsprechend dem kognitiven Ansatz und um den Erwerb von Handlungskompetenzen entsprechend dem handlungstheoretischen Ansatz gehen. Interaktionsbezogene Anforderungen, die Regulierung von Emotionen, wird während des gesamten Beratungsprozesses von Bedeutung sein. Im Laufe der Beratung werden dann aber gegenstands- oder inhaltsbezogene Anforderungen zunehmend wichtig. Auch bei der Organisationsberatung wird es im ersten Schritt erforderlich sein, die Haltung der Akteure zu ihren aktuellen Konflikten zu klären. Auch hier stehen somit zunächst interaktionsbezogene Anforderungen im Vordergrund. Auch hier wird sich der Berater zunächst darauf konzentrieren, einen Prozess der gemeinsamen Analyse zu unterstützen. Ein Vorgehen entsprechend der Prozessberatung ist hier angemessen. Im weiteren Verlauf wird aber auch hier gezielter Input, etwa von Wissen oder von Vorschlägen, erforderlich sein. Dies kann etwa Fragen der Leitungsstrukturen, der Arbeitsteilung, des Qualitätsmanagements oder des Marketings betreffen.
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Für die oben genannten Faktoren lässt sich somit festhalten: Wenn Zielbeschreibung und Zieldefinition unklar und vage sind, wenn es darum geht, die Bewertungen der Beteiligten zu Problembereichen zu klären, wenn eine Einbeziehung der Beteiligten von Bedeutung ist, dann stehen zunächst interaktionsbezogene Anforderungen im Vordergrund. Der klientzentrierte Ansatz und Prozessberatung können hier nützlich sein. Wenn dagegen die Handlungsfähigkeit der Ratsuchenden aufgrund mangelnder Strategien, mangelnder Kompetenzen oder unzureichenden Wissens beeinträchtigt ist, dann sind kognitiver Ansatz, handlungstheoretischer Ansatz und Expertenberatung angemessen. Je nach Leitbild wird der Berater die Aufgaben, die sich ihm stellen, unterschiedlich redefinieren. Sein Verhalten ist von den Merkmalen der Beratungssituation und von der Gewichtung, die er aufgrund seines Leitbildes vornimmt, abhängig. Von diesen Faktoren wird auch bestimmt, welche Methoden im Beratungsprozess umgesetzt werden.
9.7
Methoden
Auf drei Methoden mit besonders engem Bezug zur Beratung soll im Folgenden etwas ausführlicher eingegangen werden. Coaching, Mentoring und Supervision werden von manchen Autoren als Varianten der Beratung betrachtet. Von anderen werden sie von Beratung abgegrenzt. Wenn wir dem oben genannten, breiten Verständnis von Beratung folgen, dann sind Coaching, Mentoring und Supervision Methoden der Beratung. Bei allen drei Methoden geht es um eine systematische Unterstützung bei Problemlösung und bei Entwicklungsaufgaben. Die drei Methoden werden von Wagner, Podolsky und Prädikow (2006) mit Hilfe eines Beispiels abgegrenzt: Eine junge Frau steht vor ihrem ersten Geschäftsessen. In der Supervisionsgruppe thematisiert sie ihre Angst vor diesem Ereignis, um dann der Situation entspannter entgegen treten zu können. Mit ihrer Mentorin klärt sie, woran Erfolg oder Misserfolg gelegen haben könnte, mit ihrem Coach verbessert sie spezifische Techniken. Jede der genannten
222
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
Methoden hat somit ihren besonderen Stellenwert und spezifische Schwerpunkte.
9.7.1
9
Coaching
Coach als englische Bezeichnung für Kutsche oder Staatskarosse steht für Hilfsmittel, die Menschen dabei helfen, von einem Ort zum anderen zu kommen. Der Coach nicht als Transportmittel, sondern als Unterstützung bei der Zielerreichung, begegnete uns zunächst im Sport. Dort war und ist er mehr als ein Trainer; er ist Ratgeber und Begleiter bei Zielentwicklung, Trainingsgestaltung, Work-life-balance – in nahezu allen Lebensfragen. Die Begriffe Beratung und Coaching überschneiden sich. Wie Beratung ist auch Coaching Hilfe zur Selbsthilfe in einem zeitlich begrenzten Rahmen. Wie Beratung geht es um kognitive, emotionale und soziale Prozesse. Wie Beratung kann sich Coaching auf alle Fragen des Alltags, der Arbeit und der Freizeit, beziehen. Der Anspruch von Coaching kann, wie bei Beratung, mehr oder weniger weitgehend sein. Coaching kann demnach die Entwicklung der Persönlichkeit, die Reflexion der eigenen Rolle und der (Lebens-)ziele, den effektiven Umgang mit spezifischen Anforderungen oder die Aneignung spezifischer Techniken unterstützen. Zwar hebt z.B. Rauen (2000, 2001) hervor, dass Coaching vor allem Personen mit Managementaufgaben beträfe (vgl. auch Schreyögg, 1998), aber auch andere, wie z.B. die oben genannten Sportler, werden gecoacht. Coaching kann anhand des Ziels von anderen Varianten der Beratung abgegrenzt werden. Im Coachingprozess werden vor allem Lern- und Entwicklungsziele verfolgt. Es ist ein Charakteristikum von Coaching, das Ziele und Unterziele im Prozess erarbeitet werden und den Prozessverlauf strukturieren. Die Umsetzung der im Coachingprozess behandelten Themen ist Gegenstand des Coachings. Anhand unseres Beispiels soll dies verdeutlicht werden.
Beispiel Die Führungskraft in der Weiterbildungsorganisation stellt fest, dass sie nicht in der Lage ist, Konflikte zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu bewältigen. Sie verfügt nur unzureichend über Strategien, Konflikte zu lösen oder zu reduzieren. Im Coachingprozess wird festgelegt, dass zunächst Methoden entwickelt und umgesetzt werden sollen, die geeignet sind, Kommunikationsprozesse in der Abteilung zu verbessern und Transparenz über die Verteilung von Ressourcen zu erhöhen. Die Führungskraft wendet die in den Coachingsitzungen erarbeiteten Methoden in ihrem Arbeitsalltag an. Dies wird in weiteren Sitzungen kritisch reflektiert, die Ergebnisse der Reflexion werden in der Praxis umgesetzt.
Es sind Gruppen- und Einzelcoaching sowie, als seltenere Variante, Selbstcoaching (Fischer-Epe, 2004) möglich. Es gibt keinen starren Ablauf von Coaching mit klarer Zuordnung von Instrumenten zu einzelnen Prozessphasen. Im Coachingprozess soll flexibel auf Anforderungen reagiert werden, ein Inventar an Instrumenten soll verfügbar sein, das je nach Bedarf eingesetzt werden kann. Im ▶ Kasten wird ein idealtypischer Ablaufplan zusammenfassend wiedergegeben, der für die Gruppe der Prozessberater entwickelt wurde (Glaner & Hinz, 2005; Hinz & Hänel, 2006). Exkurs Exemplarischer Ablauf von Coaching 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Vorbereitungs- und Klärungsphase Kennen lernen Auftragsklärung Vertragsabschluss Klärung der Ausgangssituation Zielbestimmung Maßnahmen Evaluation Abschluss Reflexion des Coachingprozesses
223 9.7 . Methoden
In einer ersten Phase des Coachingprozesses geht es um Klärungen: Coach und Coachee lernen sich kennen, klären die Anliegen und prüfen, ob diese für einen Coachingprozess geeignet sind, stellen fest, ob der Coach für das Problem wichtige Handlungsvoraussetzungen erfüllt. Inhalte des Coachingprozesses, Arbeitsweise und Grundprinzipien (wie z.B. Freiwilligkeit, Vertraulichkeit, gegenseitige Akzeptanz) werden umrissen. Der Coach schließt mit dem Klienten einen formalen Vertrag ab, in dem etwa zeitliche, räumliche und finanzielle Rahmenbedingungen festgelegt sind. Damit verbunden ist ein psychologischer Vertrag, der die Erwartungen an Durchführung und Ergebnisse des Coachingprozesses enthält. Es erfolgt eine gemeinsame Analyse der Ist-Situation des Klienten und eine Bewertung der Ist-Soll-Diskrepanz. Auf diesem Hintergrund werden erste Ziele und erste Schritte im Coachingprozess festgelegt. Als mögliche Methoden und Arbeitsschritte werden für diese Phase etwa zirkuläres Fragen oder aktives Zuhören benannt (vgl. Vogelauer, 2004). In einer zweiten Phase werden auf der Grundlage der Analyse der Ausgangssituation konkrete Ziele erarbeitet. Die Konkretisierung der Ziele gilt als erster Schritt zur Entwicklung von Lösungswegen. Die Erarbeitung von Lösungsstrategien und deren Erprobung ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der Maßnahmen im Coachingprozess. Sie wird ergänzt um die Sicherung des Transfers in den Alltag des Klienten. Im Rahmen der Evaluation wird geprüft, inwieweit die eingeleiteten Schritte in der Alltagspraxis erfolgreich waren und welche weiteren Maßnahmen erforderlich sind. Die damit benannten Schritte der Zielbestimmung, der Maßnahmen und der Evaluation erfolgen wiederholt im zirkulären Prozess für die verschiedenen Anliegen des Coachee. Als mögliche Methoden und Arbeitsschritte werden für diese Phase Zielpräzisierung, Ziel-Management, Netzwerk der Ziele bzw. Problempunkte sowie Simulationen benannt. Die dritte Phase beinhaltet den formalen Abschluss. Hier geht es ggf. um letzte Interventionen, um die Reflexion des Coachingprozesses und um Feedback für den Coach. Selbst-Coaching kann vereinbart werden. Methoden des Dialogs kommen zum Einsatz.
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Der damit zusammengefasste idealtypische Ablauf wird in der Praxis nur begrenzt zu realisieren sein. Spezifische Anforderungen der Auftraggeber und der Klienten, Problemstellungen und Rahmenbedingungen können dazu führen, dass eine Intervention nur zum Teil entsprechend ihrer Planung gestaltbar ist. Am Beispiel eines stressbezogenen Coachings, das von Steinmetz (2006) entwickelt und durchgeführt wurde, soll dies verdeutlicht werden.
Beispiel: Stressbezogenes Coaching In einem mittelständischen Unternehmen waren die Führungskräfte erheblichen Belastungen ausgesetzt. Der Vorstand entschied, für diese Personengruppen Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung anzubieten. Die Maßnahmen sollten Sport- und Bewegungsprogramme, Ernährungsprogramme und Gesundheitschecks umfassen. Des Weiteren war ein Stressmanagementtraining vorgesehen (Busch & Steinmetz, 2003; Steinmetz, 2006). Steinmetz (2006) führte zunächst mit Hilfe von Interviews Arbeitsanalysen durch. Sie untersuchte bedingungs- und personenbezogene Stressoren/Risikofaktoren und Ressourcen, Stressbewältigung und Wohlbefinden. Als besondere Bedingungen der von ihr untersuchten Führungskräfte hebt Steinmetz hohe Handlungsspielräume in Verbindung mit hohen Anforderungen durch Kunden sowie hohe Belastungen, vor allem durch Zeitdruck, hervor. Auf der Grundlage der Analyse entwickelte Steinmetz (2006) eine Stressmanagementintervention, die den Anspruch hatte, sich an den Arbeitsinhalten und Arbeitsstressoren der Zielgruppe zu orientieren. Darüber hinaus sollte neben Stressbewältigung auch Self-leadership in die Intervention einbezogen werden. Self-leadership betrifft Prozesse, die dazu dienen, die individuelle Arbeitsorganisation zu unterstützen. Es gehört nicht unbedingt zum Selbstverständnis von Führungskräften, sich – und vor allem anderen – Stressbelastungen zuzugestehen. Ein z.T. durch Konkurrenz geprägtes Arbeitsverhältnis wird nicht unbedingt zur Bereitschaft beitragen, sich gemeinsam mit Kollegen über Befindensbeeinträchtigungen durch Stress auszutauschen.
224
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
Von daher ist es nicht verwunderlich, dass viele der Führungskräfte das geplante Stressmanagementtraining mit skeptischen Augen betrachteten. Ob ein Stressmanagementtraining angesichts dieser Haltung der Teilnehmer erfolgreich gewesen wäre, bleibt offen. Steinmetz (2006) entschloss sich aufgrund der Ausgangsbedingungen ein stressbezogenes Coachingprogramm mit den im ▶ Kasten aufgeführten Inhalten und Methoden anzubieten. Exkurs
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Inhalte und Methoden des Coachingprogramms 4 Informationen über den Stressprozess; Entspannungstechniken; 4 Self-leadership: Selbstbeobachtung hinsichtlich stressbezogener Situationen; Ziele setzen; Hinweisreize, bezogen auf stressreduzierendes Freizeit- und Copingverhalten; 4 Strategien zur Gestaltung intrinsisch belohnender Aufgaben, wie z.B. Erkennen und Fördern von durch die Tätigkeit gegebenen Ressourcen; Strategien zu konstruktivem Denken, z.B. gegenüber gesundheitsförderlichem Verhalten; 4 Stressbezogene Problemlösestrategien. Methoden: 4 Dialog, Übungen, Lernzielvereinbarung, Lernprotokolle, Transferverträge, Zielvereinbarungen; 4 Follow-up.
Das Training wurde durch ein ausführliches Gespräch mit den Teilnehmern und im Rahmen einer Evaluationsstudie bewertet (Steinmetz, 2006). Die Ergebnisse der Evaluationsstudie zeigen, dass die Intervention hinsichtlich problemorientierter und emotionsorientierter Bewältigung wirksam war. Weitere Effekte ergaben sich bei arbeitsbezogenen Befindensbeeinträchtigungen (Irritation) und bei Self-leadership. Das Beispiel von Steinmetz zeigt, dass ein Trainer oder Coach flexibel auf Handlungsbedingun-
gen reagieren muss, um Interventionen gestalten zu können. An den Coach werden damit weitgehende Anforderungen gestellt. Er soll fachlich, vor allem psychologisch und wirtschaftswissenschaftlich qualifiziert sein, diagnostische Kompetenzen haben und über ein Inventar an Interventionsmethoden verfügen. Soziale und Prozesskompetenzen sollen hoch ausgeprägt sein, nützlich ist des Weiteren Führungserfahrung (vgl. Hinz & Hänel, 2006; Rauen, 2001). Über Verbände wird versucht die Professionalität von Coaching zu fördern und Qualitätsentwicklung zu gewährleisten (vgl. Hinz & Hänel, 2006).
9.7.2
Mentoring
Mentoring ist keine Erfindung unserer Zeit, sondern so verbreitet, wie die Arbeitsteilung in der Gesellschaft. Mentoring als so benannte Interventionsmethode hat vor allem in den achtziger Jahren in den USA Verbreitung gefunden. Dabei ging es zunächst um die Förderung von Frauen in Führungspositionen. Seit den neunziger Jahren finden sich auch in Deutschland zunehmend Mentoringprogramme. Viele dieser Programme richten sich ebenfalls an Frauen. Darüber hinaus wird Mentoring für beide Geschlechtsgruppen vor allem für den Führungskräftenachwuchs angeboten (Wagner et al., 2006). Ziel von Mentoring ist die Förderung und Unterstützung der beruflichen und/oder politischen Entwicklung. Dies kann den Entwurf und die Differenzierung von Karriereplanung sowie die Bewältigung von langfristigen und kurzfristigen Anforderungen umfassen. Mentoring bezieht sich damit auf eine breite und langfristige Entwicklungsperspektive, beinhaltet aber auch die Lösung aktueller Probleme. Mit den Zielen werden weit reichende Effekte erwartet. Durch Mentoring soll es möglich sein, Nachwuchspotentiale zu fördern und zu sozialisieren, zur Führungskräfteentwicklung beizutragen und Unternehmenskultur positiv zu beeinflussen (Allen, Eby, Poteet, Lentz & Lima, 2004; Clawson & Newburg, 2002). Zu unterscheiden ist zwischen informellem und formellem Mentoring sowie zwischen internem und externem Mentoring. Bei informellem Mentoring finden Mentor und Mentee durch
225 9.7 . Methoden
Eigeninitiative zusammen. Dies kann vom Mentee ausgehen - dieser sucht sich einen erfahrenen, kompetenten und vertrauenswürdigen Berater - oder vom Mentor - er unterstützt die Nachwuchskräfte, die seiner Förderung würdig sind. Das informelle Mentoring ist eine Variante des so genannten Networking, das, wie Untersuchungen zeigen, vielfache, positive Wirkungen hat (vgl. Wagner et al., 2006). Beispiel In der Weiterbildungsorganisation hat es sich eines der Gründungsmitglieder zur Aufgabe gemacht, gezielt potentielle Nachwuchskräfte zu fördern. Er sorgt dafür, dass diese Mitarbeiter mit Aufträgen befasst sind, die für sie eine Herausforderung bedeuten und die neue Kontakte eröffnen. Er bespricht regelmäßig Arbeitsergebnisse und Zukunftsperspektiven mit dem Nachwuchs.
Bei formellen Mentoringprogrammen werden Mentor und Mentee gezielt vermittelt. Dies kann im Rahmen der Personalentwicklung oder durch externe Organisationen erfolgen. Ein Beispiel für externe Vermittlung ist das bereits weiter oben genannte Expertinnen-Beratungsnetz, das für Frauen in beruflichen Entscheidungssituationen erfahrene Mentorinnen vermittelt (vgl. z. B. Wagner et al., 2006). Mentorin und Mentee können Mitglied derselben Organisation sein (internes Mentoring) oder aus verschiedenen Organisationen stammen (externes Mentoring). Um Vorteile von internem und externem Mentoring miteinander zu verknüpfen, wurde Cross-Mentoring entwickelt. Mentee und Mentorin stammen hier aus unterschiedlichen Unternehmen, die eine Vereinbarung über ein gemeinsames Mentorprogramm abgeschlossen haben. Mentoring wird häufig, aber nicht immer, längerfristig durchgeführt. Im Rahmen eines sog. Kurzzeit-Mentoring, das sich auf wenige Sitzungen beschränkt, bietet z.B. das Expertinnen-Beratungsnetz Hamburg individuelle Beratung durch hochqualifizierte berufserfahrene weibliche Führungskräfte und Unternehmerinnen an (Wagner et al., 2006). Die konkrete Durchführung von Mentoring
9
hängt vom jeweiligen Mentor ab, der für diese Tätigkeit geschult werden soll.
Beispiel: Mentoring durch das ExpertinnenBeratungsnetz Wagner et al. (2006) beschreiben für ein Mentorinnen-Projekt, das durch das Expertinnen-Beratungsnetz Hamburg durchgeführt wurde, den im ▶ Kasten aufgeführten Ablauf. Exkurs Exemplarischer Ablauf eines Mentoringprogramms 4 Vorbereitungs- und Klärungsphase – Akquise und Vorauswahl potentieller Mentees – Erste Information über das Programm – Informationsgewinnung über die Mentees durch Befragung und Erstgespräch – Klärung des Mentoringprozesses – Vermittlung einer Mentorin – Erstes Treffen Mentorin - Mentee; Entscheidung über die Weiterarbeit 4 Durchführung – Regelmäßige Treffen Mentorin - Mentee 4 Evaluation – Erfahrungsaustausch der Mentorinnen – Regelmäßiger Kontakt Mentorinnen - Geschäftsstelle und Mentee - Geschäftsstelle – Rückmeldung, Abschlussgespräch
Bei dem von Wagner et al. (2006) beschriebenen Programm erfolgte ein Großteil der Vor- und der Nachbereitung des Mentorings durch die Geschäftsstelle des Expertinnen-Beratungsnetzes. Diese stellte in einer ersten Phase eine Gruppe potentieller Mentees zusammen und informiert diese über das Programm und die Rahmenbedingungen. Die aktuelle Situation der Mentees, ihre Pläne, Hoffnungen, Erwartungen und Befürchtungen wurden mit Hilfe von Fragebögen und im Erstgespräch analysiert, um damit eine Ent-
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9
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
scheidungsgrundlage für die Vermittlung einer geeigneten Mentorin zu haben. Eine Festlegung für die Zuordnung von Mentorin und Mentee erfolgte nach einem ersten Treffen der beiden. Nach diesen Vorarbeiten finden in einer zweiten Phase regelmäßige Treffen zwischen Mentorinnen und Mentees statt. Die inhaltlichen Themen, Probleme und Anliegen beim Mentoring werden von Wagner et al. (2006) drei Themenbereichen zugeordnet. 1. Die Ausgangsziele und Anliegen der Mentees betrafen (a) deren berufliche Positionierung im Feld. Sie bezogen sich auf Zukunftsplanung, langfristige Sicherung der eigenen Stellung oder Positionierung und Verbesserung der eigenen Arbeitsstrategie. Sie bezogen sich auch auf (b) die Bewältigung von aktuellen Arbeitsanforderungen, z.B. Fragen des Umgangs mit Kollegen oder Probleme als Frau in einer männlich dominierten Arbeitswelt. 2. Tagesaktuelle Anliegen und Probleme betrafen Fragen, wie mit anstehenden Anforderungen oder Fragen, die häufig unerwartet auftraten, umgegangen werden kann. Dazu gehörte z.B. die Chance, einen Projektantrag kurzfristig einzureichen oder die Ankündigung einer Kreditkürzung durch die Bank. Diese tagesaktuellen Probleme drängten sich im Mentoring häufig in den Vordergrund. 3. Längerfristige Fragen, »offene Baustellen« betreffen, persönliche Unklarheiten, strukturelle Probleme etc., die oft erst nach einigen Gesprächen für die Mentorinnen sichtbar wurden. Das methodische Vorgehen der Mentorin war abhängig von deren Arbeitsstil. Die Mentorinnen verwendeten Gesprächstechniken, die ihnen vertraut waren. Sie zielten darauf ab, Reflexionen der Mentees anzuregen, gaben aber durchaus auch selbst Ratschläge. Eine Evaluation des Programms wurde über mehrere Methoden gewährleistet: Über einen Erfahrungsaustausch der Mentorinnen, über regelmäßige Rückmeldung von Mentorinnen und Mentees zur Geschäftsstelle, über Feedbackfragebögen sowie über Abschlussgespräche. Die Mentees beurteilten den Prozess als außerordentlich
positiv. Die Mentorinnen schätzten die Herausforderung und Verantwortung, die durch das Mentoring gegeben war. Sie erlebten das Mentoring als Lernprozess für sich selbst. Die damit benannte Wirkung von Mentoring auf Mentee und Mentorin wird in der Literatur bestätigt und ergänzt. Internes Mentoring kann demnach auch positive Effekte auf die Organisation haben. So ist z.B. eine bessere Integration und Sozialisation der Mitarbeiterinnen möglich und Fluktuationsraten werden reduziert (z.B. Scandura & Hamilton, 2002). Der Erfolg von Mentoring ist wesentlich von den Mentorinnen abhängig. Mentorinnen sollten sich vor allem durch langjährige Berufserfahrung auszeichnen. Mentorinnen sollten über fachliches Wissen, Erfahrungswissen, speziell über Führungserfahrung sowie über Beratungskompetenzen verfügen. Sie sollten Einblick in berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, aber auch in Micropolitik haben. Der Abstand zwischen Mentorin und Mentee sollte nach Wagner et al. (2006) mindestens 10 Jahre oder zwei Hierarchiestufen betragen.
9.7.3
Supervision
Die Interventionsmethode Supervision wurde in der sozialen Arbeit und der Psychotherapie entwickelt und hat sich in den letzten Jahren auf weitere Arbeitsfelder verbreitet (Lentze & Fellermann, 2006). Ziel von Supervision ist die Entwicklung von Personen oder Gruppen. Im Vordergrund stehen dabei Prozesse der Kooperation und der Kommunikation im Kontext beruflicher Tätigkeit. Es geht bei Supervision um eine Reflexion durch gemeinsame Erörterung von Problembereichen und Erfahrungen aus der Arbeitswelt, betrachtet werden personale, soziale und organisationale Aspekte. Themenbereiche sind z.B. Führung, Projektarbeit und Teamarbeit. Die Qualität beruflicher Arbeit steht im Vordergrund. Lentze und Fellermann (2006) benennen eine Reihe von wesentlichen Merkmalen von Supervision. Dazu gehört der prozessorientierte Beratungsansatz. SupervisorInnen sind demnach Prozessexperten und keine Sachexperten. Supervision zeichnet sich durch ein kritisch-loyales
227 9.7 . Methoden
Arbeitsbündnis zu Auftraggeber und Auftrag aus. Ein weiteres Merkmal ist die Mehrperspektivität, d.h. die zu erörternden Themen werden unter unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, es wird versucht, diese Perspektiven miteinander zu verbinden. Auch Supervision ist in unterschiedlichen Settings möglich. Unterschieden wird zwischen Einzelsupervision, Gruppensupervision und Teamsupervision (z.B. Schreyögg, 1991). Kollegiale Supervision bedeutet, dass die Supervision unter Kolleginnen und Kollegen durchgeführt wird, kein Teilnehmer hat ausschließlich die Rolle oder Funktion des Supervisors. Um die Vorteile von Gruppensupervision und von kollegialer Supervision zu verbinden, werden diese Varianten in manchen Fällen in Kombination durchgeführt (vgl. z.B. Tietze, 2003).
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Beispiel Um eine Qualitätsverbesserung des Angebots zu erreichen, entschließt sich der Weiterbildungsträger für die Mitglieder Supervision anzubieten. Die Mitarbeiter entscheiden sich für externe Supervision. Dadurch haben sie die Möglichkeit, frei von organisationsinternen Querelen und Konflikten ihre Arbeit gemeinsam mit KollegInnen aus ähnlichen Arbeitsfeldern zu reflektieren.
Glaner (2006; vgl. auch Glaner & Hinz, 2005) schlägt für die Gruppe der Prozessberater einen Ablauf von Supervision vor, der modifiziert im ▶ Kasten wiedergegeben wird.
Exkurs Exemplarischer Ablauf von Supervision 4 Vorbereitung 5 Erwartungen, Ziele, Arbeitsfelder und Kompetenzen der TeilnehmerInnen klären 5 Supervisionsgruppen zusammenstellen 4 Einstieg (Gruppensupervision) 5 Kennen lernen der Teilnehmer 5 Klärung des Ablaufs, der Rahmenbedingungen, der Regeln für die Zusammenarbeit 5 Formulierung der Ziele aller TeilnehmerInnen 5 Sammlung und Vorstellung möglicher Methoden 5 Einführung von Ritualen 5 Erste Fallsammlung und -bearbeitung 5 Theorieinput, Erfahrungsaustausch und Weiterentwicklung von Methoden 5 Planung der folgenden kollegialen Supervision 5 Abgleich der Ergebnisse der Sitzung mit individuellen Zielen der Teilnehmer
Die Supervision wird vorbereitet, indem eine geeignete Supervisionsgruppe zusammengestellt wird. Geeignet heißt, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinsichtlich ihres Berufsfeldes, ihrer
4 Durchführung (Kollegiale Supervision und Gruppensupervision im Wechsel) 5 Austausch über Weiterentwicklung der bearbeiteten Fälle 5 Weiterführung der Rituale 5 Weitere Fallauswahl und -bearbeitung 5 Abgleich der Ergebnisse der Sitzung mit individuellen Zielen der Teilnehmer 5 Reflexion der kollegialen Supervision in der Gruppensupervision, ggf. weiterer Input durch den Supervisor 5 Einführung von Methoden der Selbstsupervision und Austausch darüber 4 Auswertung 5 Reflexion des gesamten Prozesses und der Zusammenarbeit 5 Vereinbarung über Fortführung oder Beendigung 5 Abgleichung des individuellen Entwicklungsstandes mit der Zielsetzung 5 Ggf. Abschied
Arbeitserfahrungen, ihrer Stärken und Problembereiche so wechselseitig ergänzen, dass sie voneinander lernen können. Die folgenden Phasen finden dann im Wechsel zwischen kollegialer Supervision
228
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Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
und Gruppensupervision statt. In der Einstiegsphase lernen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kennen, sie verständigen sich auf ihre Arbeitsweise und beginnen mit der Fallsammlung und -bearbeitung, die dann auch der wichtigste Inhalt der Durchführungsphase ist. Unterschiedliche Methoden wie Mindmaps, Protokolle oder Rollenspiele kommen zum Einsatz, werden diskutiert, ergänzt und modifiziert. Soweit erforderlich erfolgt durch die TeilnehmerInnen und durch die SupervisorInnen inhaltlicher Input. Am Ende jeder Sitzung erfolgt ein Abgleich zwischen den Ergebnissen der jeweiligen Sitzung und den Zielen der Teilnehmenden. In der Gruppensupervision wird die kollegiale Supervision jeweils vor- und nachbereitet. Zum Abschluss der Supervision erfolgt eine Reflexion des gesamten Prozesses. Die TeilnehmerInnen überprüfen, inwieweit sie ihre Ziele erreicht haben, ggf. werden weitere Schritte vereinbart. Ein konkretes Projekt, das von der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv) durchgeführt wurde, wird von Lentze und Fellermann (2006) beschrieben.
Beispiel: Supervision für ein Beraterteam Für ein Beraterteam für Qualitäts- und Prozessmanagement (im folgenden TQM-Team) eines bundesweit agierenden Transportunternehmens sollte externe Supervision angeboten werden, um damit Lernprozesse der Beraterinnen und Berater zu unterstützen. Die externe Supervision diente als Ergänzung des bestehenden, internen Unterstützungssystems. Um den Beraterinnen und Beratern ein bedarfsgerechtes Angebot zur Verfügung stellen zu können, erfolgte zunächst eine Befragung zu Erfahrungen mit und Erwartungen an Supervision. Es zeigte sich ein bemerkenswertes Interesse an Supervision. Ein großer Teil der Erwartungen betraf deren Durchführung. Die Berater, die selbst außerordentlich hohen Anforderungen an Flexibilität ausgesetzt waren, forderten dies auch für die Supervision. Sie waren interessiert an regelmäßiger und längerfristiger Supervision; Kostenübernahme durch das Unternehmen, Freistellung für die Supervision und Vertraulichkeit waren Merkmale, die für die Implementierung als wichtig angesehen wurden.
Die an Supervision interessierten Beraterinnen und Berater des TQM-Teams hatten die Möglichkeit, aus dem Pool der DGSv für sie geeignete Supervisorinnen und Supervisoren auszuwählen. Für die Mitglieder des TQM-Teams konnte je nach Bedarf Einzel- und Teamsupervision in unterschiedlichem Umfang angeboten werden. In den Supervisionen ging es um organisations-, rollen- und projektspezifische Themen. In einigen Fällen konnten individuelle Lösungen entwickelt werden, in anderen Fällen standen übergeordnete Fragen der Gesamtorganisation im Vordergrund. Beispiele waren etwa: Entwicklung von Strukturen für schnell wachsende Teams, Bedeutung von Fehlerfreundlichkeit, Anforderungs- und Kompetenzprofile für Beraterinnen und Berater. Nach Abschluss der Supervisionen wurden diese Themen mit dem Leiter des TQMTeams diskutiert, um auch Veränderungsprozesse auf der Ebene der Organisation zu initiieren. Im Rahmen der – insgesamt positiven – Bewertung des Prozesses wurden Varianten der Supervision thematisiert, die weiter oben angeführt sind. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Supervision befürworteten eine Kombination aus externer und interner Supervision. Interne Supervision hat den Vorteil, dass die Bedingungen in der Organisation dem Supervisor gut bekannt sind; externe Supervision ist angemessen, wenn gegenüber internen Supervisoren Vorbehalte bestehen; die Neutralität und Unparteilichkeit Externer kann hilfreich sein. Die Mitsprache bei der Auswahl des Supervisors und die Wahl des Settings, besonders der Gruppen- oder Einzelsupervision waren weitere Aspekte, die positiv gewertet wurden. Auch Anforderungen an die SupervisorInnen wurden formuliert: Diese haben die Aufgabe, Wahrnehmungen und Deutungen aus der Außenperspektive zu initiieren (Lentze & Fellermann, 2006). Es wird erwartet, dass sie neben inhaltlich-fachlichen Kompetenzen in einem Berufsfeld über soziale Kompetenzen und über Methodenkompetenzen verfügen (Glaner, 2006); sie sollten möglichst Erfahrungen aus eigener beruflicher Tätigkeit in der Beratungsarbeit oder der Personal- und Organisationsentwicklung haben. Viele Supervisorinnen und Supervisoren haben heute eine berufs- und fachverbandlich anerkannte Ausbildung in Supervision. Eine Mitgliedschaft im Berufsverband sichert den Anschluss an die professional community und die Qualitätsentwicklung.
229 9.8 . Status quo und Entwicklungsperspektiven – Ein Resümee
9.7.4
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Coaching, Mentoring und Supervision sind Methoden der Beratung, die aus unterschiedlichen Handlungsfeldern der Praxis entstanden sind. Alle drei Methoden sind hinsichtlich ihrer theoretischen Grundlagen in sich heterogen. Sie nutzen eine Vielfalt an Instrumenten. Sie haben die allgemeine Zielsetzung der Förderung von (beruflicher) Entwicklung gemeinsam, unterscheiden sich aber in ihren konkreten Zielen. Bei Coaching geht es um spezifische, zielbezogene Verhaltensänderungen, bei Supervision um die Reflexion der beruflichen Tätigkeit, um damit zu deren Qualitätsentwicklung beizutragen, bei Mentoring um berufliche Laufbahnentwicklung. Die drei Methoden unterscheiden sich auch in der Rolle der Beraterin. Coaching und Supervision wird mit einem professionellen Berater durchgeführt, bei Mentoring zeichnet sich die Beraterin vor allem durch ihren Erfahrungshintergrund aus. Weiter oben wurden als theoretische Konzepte der Beratung der klientzentrierte, der kognitve und der handlungstheoretische Ansatz aufgeführt. Diese Ansätze können auch bei den Beratungsmethoden zugrunde gelegt werden. So berufen sich auch einige Vertreter der Methoden auf den einen oder anderen Ansatz. Nahe liegend ist auch, in einem integrativen Konzept die Ansätze aufzugreifen. Im Rahmen von Coaching z.B. könnte der klientzentrierte Ansatz genutzt werden, um ein gutes Arbeits- und Kommunikationsverhältnis mit dem Klienten zu entwickeln; mit Hilfe des kognitiven Ansatzes könnten dysfunktionale Kognitionen bearbeitet werden, der handlungstheoretische Ansatz könnte die Entwicklung und Aneignung von Handlungsstrategien unterstützen. Bei den oben beschriebenen Fällen ging es um die Beratung von Individuen, um Themen, die die Entwicklungspotentiale einzelner betreffen. Einige der Fälle waren jedoch in organisationale Veränderungsprozesse eingebunden. So beschreiben Lentze und Fellermann (2006), wie Supervision Anstöße für Organisationsentwicklung ermöglicht, das von Steinmetz (2006) beschriebene Coachingprogramm ist Teil einer umfassenderen Führungskräfteentwicklung. Die drei hier genannten Methoden
9
können somit für sich stehen, sie sind aber auch einsetzbar, um Veränderungsprozesse der Organisation zu unterstützen. Sie können als Elemente von Organisationsberatung durchgeführt werden.
9.8
Status quo und Entwicklungsperspektiven – Ein Resümee
Individuen und Organisationen benötigen Unterstützung um die komplexen und vielfältigen Anforderungen der Arbeitswelt bewältigen zu können. Es besteht deshalb allerorts ein hoher Bedarf an Beratung. Die Problembereiche, zu denen Beratung nachgefragt wird, sind höchst unterschiedlich. Für die Bearbeitung dieser Problembereiche sind in den letzten Jahrzehnten verschiedene Konzepte und Methoden entwickelt worden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich an Beratung als Problemlösungsprozess orientieren, Unterschiede bestehen vor allem hinsichtlich der Annahmen über eine gezielte Beeinflussbarkeit von Systemen, hinsichtlich einer mehr oder weniger breiten bzw. spezifizierten Zielstellung und hinsichtlich der Vorgaben und des Inputs durch die Berater. Die Beraterinnen und Berater ordnen sich einem Konzept zu, betonen aber auch, dass sie die Ansätze als Inventar sehen, das flexibel genutzt werden sollte. Sie entwickeln aufgrund von Aus- und Weiterbildung, Erfahrungen und Arbeitsaufgaben, Vorstellungen über Ziel, Gegenstand und Ablauf von Beratung. Die Prozessleitbilder sind geprägt durch erlebte und gelebte Funktionen und Rollen im Veränderungsprozess. Für den Erfolg von Beratung in Veränderungsprozessen ist nicht ein spezifisches Prozessleitbild maßgeblich. Vielmehr sind Prozessleitbilder als Fundus zu begreifen, mit dem flexibel, je nach Anforderung der Situation, gehandelt wird. Die damit postulierte Anforderung an die Flexibilität von Beraterinnen und Berater wird gestützt von Untersuchungen, die mit Klienten oder Kunden und mit Beraterinnen und Beratern durchgeführt wurden. Kunden erwarten nicht einen spezifischen Ansatz von Beratern. Sie legen vielmehr Wert auf bestimmte Prozessmerkmale, die mit den verschiedenen Ansätzen zu Beratung vereinbar sind. Entsprechend wird im Konzept der anforderungsorientierten Beratung
230
9
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
die Abhängigkeit des Beratungsprozesses von der Funktion und der Konstellation, unter denen Beratung erfolgt, betont. Beratung wird damit abhängig von der Transaktion zwischen Beratungsgegenstand, Klient und Beraterin. Aktuelle und zukünftige Entwicklungen der Arbeitswelt stellen Anforderungen an die Beratung. Ein flexibler Einsatz der Arbeitskräfte oder ein häufiger Wechsel von Organisationseinheiten schafft zusätzlichen Beratungsbedarf für Individuen und Organisationen. Erfahrungen, die auf einer Ebene gewonnen wurden, müssen für andere Handlungsebenen nutzbar sein (Schweiker, 2006). Dies betrifft Organisationen wie Betriebe, Verbände, Parteien oder Medien. Wenn etwa ein Verband auf Landesebene Änderungen initiiert, sind auch auf Bezirksebene Änderungskompetenzen erforderlich. Für Beraterinnen und Berater wird es zunehmend wichtig sein, ihre Dienstleistungen für Akteure der unterschiedlichen Handlungsebenen zur Verfügung zu stellen. Neue Anforderungen ergeben sich auch durch Internationalisierung (Schmidt-Braße, 2006). Durch Internationalisierung in Form von Regionalisierung nehmen in vielen Regionen grenzüberschreitende Kooperationen zu. Durch Internationalisierung in Form von Globalisierung erstrecken sich Kooperationen auf alle Erdteile, werden multinationale Arbeitsteilungen immer wichtiger. Mit der Internationalisierung der Wirtschaft und der Unternehmen wird interkulturelle Handlungskompetenz und –bereitschaft zum wesentlichen Erfolgsfaktor in der Beratung (Schmidt-Braße, 2006). Beratungswissen wurde oben als Wissen, das in der Praxis für die Praxis entwickelt wurde, charakterisiert. Damit steht praktisch nützliches Wissen zur Verfügung. Es mangelt jedoch, wie mehrfach hervorgehoben wurde, an empirisch überprüftem Wissen. Empirisch gestützte Informationen über den Ablauf von Beratungsprozessen, über das Verhalten von Beraterin und Klient, über die Wirksamkeit von Beratung und von den verschiedenen Methoden der Beratung liegen nur ansatzweise vor (z. B. Berker & Buer, 1998; Greif, 2007; Scandura & Hamilton, 2002). Ein Wechsel von der Beraterforschung zur Beratungsforschung wurde in der Vergangenheit vielfach angemahnt (vgl. Grimm & Bamberg, 2006; Grün, 1990; Klein & Knorpp, 1974). Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
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232
Kapitel 9 . Beratung in der Arbeits- und Organisationspsychologie
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10 Beratung bei Psychischen Krisen N. R. Krischke 10.1 Primat ambulanter Hilfen bei Psychischen Krisen – 234 10.2 Begründungszusammenhänge für Beratung im Verlauf Psychischer Krisen – 235 10.3 Kommunale Strukturen der Beratung bei Psychischen Krisen 10.4 Häufigkeit und Charakteristika von Menschen in Psychischen Krisen – 237 10.5 Kennzeichnung Psychischer Störungen im Verlauf Psychischer Krisen – 238 10.6 Theoretische Grundannahmen zu Psychischen Krisen und Krisen im Lebensvollzug – 238 10.7 Beratung bei schweren Psychischen Krisen
– 240
10.8 Grundhaltungen, Aufgaben und Funktion von Beratung in Psychischen Krisen – 242 10.8.1 Grundhaltungen – 242 10.8.2 Aufgaben als Berater bei Psychischen Krisen – 245 10.8.3 Funktion von Beratung für Menschen in Psychischen Krisen – 249
Literatur
– 250
– 235
234
Kapitel 10 . Beratung bei Psychischen Krisen
Psychische Krisen werden in der Regel durch chronische oder akute familiäre, berufliche oder soziale Belastungssituationen, organische Prozesse, Substanzmissbrauch oder infolge Psychischer Störungen ausgelöst. Im Gegensatz zum Begriff »Psychische Störung«, der stärker das Individuum als Träger einer (negativen) Eigenschaft kennzeichnet, betont das Begriffspaar »Psychische Krise« eine Imbalance zwischen den innerpsychischen und den in der Umwelt lokalisierten Belastungen und Herausforderungen für das seelische Wohlergehen einerseits und andererseits die verfügbaren mentalen, kognitiven und behavioralen Fähigkeiten, eine Problemsituation zufrieden stellend zu lösen. Definition
10
Beratung bei Psychischen Krisen ist eine auf den Augenblick und die Zukunft der Betroffenen, der Angehörigen und der Menschen des sozialen Bezugssystems ausgerichtete, kurz- und langfristig angelegte kooperative Interventionsstrategie zur Hilfe bei der nachhaltigen Überwindung der aktuellen und zur Vermeidung weiterer Krisen mit dem Ziel, psychosoziale Nachteile zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten.
Psychische Krisen, die als unmittelbares, subjektives seelisches Leid wahrgenommen werden, führen bei einer beträchtlichen Anzahl von Menschen zu dem Wunsch, ambulante und/oder stationäre seelische Hilfen bei Psychologen oder Ärzten in Anspruch zu nehmen. Ähnlich wie bei körperlichen Krankheiten finden wir bei Menschen mit psychischem Leid auch viele Personen, die ihr Leid nicht ernst nehmen, die der Auffassung sind, dieses Leid einfach ertragen zu müssen, die sich für ihr Leid und deren mögliche Ursachen schämen, die effektive Hilfe für unmöglich halten oder die Angst und schlechte Erfahrungen mit dem psychosozialen Hilfesystem gemacht haben. Besonders Menschen, die bisher aufgrund ihrer psychischen Belastungen keine psychologische oder medizinische Hilfe in Anspruch genommen haben, können in schwere Psychische Krisen geraten. In solchen Situationen werden die Betroffenen häufig von Angehörigen oder Außenstehenden als psychisch auffällig, bizarr oder selbstund fremdgefährdend wahrgenommen. Neben der
Polizei sind dann vor allem kommunale Sozialpsychiatrische Dienste und Krisendienste die ersten Adressen, die auf eine Psychische Krise aufmerksam (gemacht) werden. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit Beratungsanlässen, die öffentliche psychosoziale Hilfen im Verlauf Psychischer Krisen erforderlich werden lassen.
10.1
Primat ambulanter Hilfen bei Psychischen Krisen
Durch die grundlegenden Reformen der psychiatrischen Versorgung psychisch erkrankter Menschen, die nach der Diskussion des Berichts über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland im Deutschen Bundestag eingeleitet wurden (vgl. Psychiatrie-Enquête; Deutscher Bundestag, 1975), haben ambulante Sozialpsychiatrische Dienste (SPsDs bzw. SPDs) und 24-stündige Bereitschafts- oder Krisendienste zusammen mit ambulanten Einrichtungen der psychiatrischen Pflege, des betreuten Wohnens sowie zur beruflichen Rehabilitation einen großen Teil der Versorgung psychisch erkrankter Menschen übernommen, die bisher, teilweise über Jahrzehnte, in stationären psychiatrischen Kliniken behandelt worden waren. Der durch die Enquête eingeleitete Paradigmenwechsel bei der Behandlung chronisch psychisch erkrankter Menschen zielt sowohl auf die Stärkung wohnortnaher ambulanter Versorgungsstrukturen als auch auf die Stärkung und den Erhalt der grundlegenden Menschenrechte. Der Befund der Enquête des Deutschen Bundestags machte allen Verantwortlichen unmissverständlich deutlich, dass die Auswirkungen der bisherigen Versorgungsstrukturen in wesentlichen Punkten nicht mit den grundlegenden Menschenrechten und der Menschenwürde vereinbar waren. Im Mittelpunkt aller psychischen und sozialen Hilfen steht nun nicht mehr der Versorgungsgedanke, sondern die Stärkung der Autonomie, das Recht auf Teilhabe und Nachteilsausgleich bei Psychischen Störungen wie bei körperlichen Krankheiten. Die sozialrechtliche Gleichbehandlung beim Nachteilsausgleich von körperlichen Erkrankungen und Psychischen Störungen bei gleichzeitiger Anerkennung eines weitgehenden Rechts auf Selbstbestimmung begründet den außerordentlichen Stellenwert von Beratung bei der Prävention, Intervention und Rehabilitation von Menschen mit Psychischen Krisen.
235 10.3 . Kommunale Strukturen der Beratung bei Psychischen Krisen
10.2
Begründungszusammenhänge für Beratung im Verlauf Psychischer Krisen
Der Erhalt, die Wiederherstellung und die Stärkung der Autonomie sind Voraussetzungen zum Erhalt und der Wiederherstellung der Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben auch für Menschen mit Psychischen Störungen in Anlehnung an die Definition von Gesundheit (vgl. WHO, 1980) und die Definition von Behinderung im Rahmen der Internationalen Klassifikation von Funktionsstörungen ICF (vgl. Linden & Baron, 2005). Eine weitere Voraussetzung ist eine möglichst wohnortnahe Organisation der notwendigen Hilfen zum Nachteilsausgleich und zur Heilung oder Linderung der der Krankheit oder der Psychischen Störung zugrunde liegenden Ursachen. Der ambulante gemeindepsychiatrische Ansatz ermöglicht es den von einer Psychischen Krise Betroffenen ihre persönlichen, beruflichen, kulturellen und ökologischen Beziehungen zu erhalten und als Ressource zur Überwindung der Krise zu nutzen. Die inhaltliche Veränderung der Schwerpunkte und der Strukturen bei der Versorgung psychisch kranker Menschen, aber auch die Veränderung der Sichtweise einer Psychischen Störung oder Krankheit als eine Psychische Krise, stellt nicht nur eine begriffliche Anpassung an den Zeitgeist dar, sondern reflektiert eine Erweiterung des pathologischen Krankheitsbegriffs um psychische und soziale Dimensionen (vgl. WHO, 1986). Durch die paradigmatische Veränderung und Erweiterung des Blickwinkels, Psychische Krankheiten oder Störungen als eine Krise bei der Teilhabe am sozialen, beruflichen und kulturellen Leben vor dem Hintergrund bestehender körperlicher und oder seelischer Nachteile aufzufassen, lässt sich der Anspruch auf Würde auch bei Menschen mit Psychischen Störungen durch Hilfen zur Selbstbestimmung in Krisensituationen praktisch realisieren. Das Grundrecht auf Selbstbestimmung gilt für alle Menschen, auch für Menschen mit psychischen Krankheiten bzw. für Menschen in Psychischen Krisen (Gostin, 2000). In der ICF-10 (vgl. Dilling, Mombour & Schmidt, 1993) und im DSM-IV (vgl. Saß, Wittchen & Zaudig, 1996) wird anstelle des Begriffs »Krankheit» der Begriff »Störung« verwendet. Im medizinischen und psychosozialen Kontext wird dem Menschenrecht auf Selbstbestimmung dadurch Rechnung getragen, dass allen medizini-
10
schen Eingriffen, Therapien und Hilfen jeweils eine eingehende Beratung vorausgeht, die über die Vorund Nachteile, aber auch über die Risiken und Alternativen informiert und aufklärt (vgl. Grisso & Applebaum, 1998). Außer in medizinischen Notfällen, nach Unfällen, Gewalteinwirkung oder infolge von Infektionen oder akutem Organversagen können medizinische Maßnahmen zur Lebensrettung auch ohne Einwilligung und Aufklärung der Betroffenen oder naher Angehöriger durchgeführt werden. Das Gleiche gilt für die Anwendung von Zwangsmaßnahmen im Verlauf Psychischer Krisen. Um die Grundrechte der Betroffenen zu wahren, müssen neben den Zwangsmaßnahmen in jedem Fall auch fachliche Hilfen angeboten und erklärt werden (vgl. Marschner & Volckart, 2001). Die Art der Hilfeleistungen für Menschen in Psychischen Krisen sowie die Voraussetzungen für die Anwendung von Zwangsmaßnahmen regeln in fast allen Bundesländern Psychisch-Kranken-Gesetze (PsychKG; vgl. Bohnert, 2000; Cording & Weig, 2003).
10.3
Kommunale Strukturen der Beratung bei Psychischen Krisen
Am Beispiel des Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG) vom 16. Juni 1997 lässt sich sehr gut aufzeigen, welche Bedeutung die Kenntnis und die beraterische Vermittlung von Organisations- und Strukturwissen neben menschlicher, psychosozialer und medizinischer Kompetenz erhält, um unter schwierigen Umständen Menschen in Psychischen Krisen die Möglichkeit zu geben, auf der Grundlage geeigneter Informationen angebotene Hilfen anzunehmen. Vorausgesetzt die kommunalen Angebote sind differenziert und auf die spezifischen Bedürfnisse von Menschen in Psychischen Krisen zugeschnitten, kann eine die Selbstbestimmung und die Würde achtende Beratung bei Kriseninterventionen in vielen Fällen die Anwendung von Zwangsmaßnahmen auch bei Selbst- und Fremdgefährdung vermeiden helfen. Das Niedersächsische Psychisch-Kranken-Gesetz sieht hierzu beispielsweise den Aufbau Sozialpsychiatrischer Dienste (NPsychKG, § 7) und den Zusammenschluss aller Anbieter und Kostenträger psychosozialer Leistungen zu Sozialpsychiatrischen Verbünden
236
Kapitel 10 . Beratung bei Psychischen Krisen
(NPsychKG, § 8) vor. Sozialpsychiatrische Dienste und Sozialpsychiatrische Verbünde sind zwei zentrale Strukturelemente zur Organisation gemeindenaher, effektiver ambulanter Hilfen für Menschen in Psychischen Krisen. Auszug aus dem Niedersächsischen Psychisch–Kranken–Gesetz Sozialpsychiatrischer Dienst (NPsychKG, NI § 7) 1. Die Landkreise und kreisfreien Städte richten Sozialpsychiatrische Dienste ein. 2. Der Sozialpsychiatrische Dienst steht unter der Leitung einer Ärztin oder eines Arztes mit abgeschlossener psychiatrischer oder kinder- und jugendpsychiatrischer Weiterbildung. 3. Die Landkreise und kreisfreien Städte sollen, soweit erforderlich, Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste einrichten.
10
Sozialpsychiatrischer Verbund (NPsychKG, NI § 8) 1. Die Landkreise und kreisfreien Städte bilden Sozialpsychiatrische Verbünde. Im Sozialpsychiatrischen Verbund sollen alle Anbieter von Hilfen im Sinne des § 6 Abs. 1 vertreten sein. Der Sozialpsychiatrische Dienst führt dessen laufende Geschäfte. 2. Der Sozialpsychiatrische Verbund sorgt für die Zusammenarbeit der Anbieter von Hilfen und für die Abstimmung der Hilfen, um die Versorgung nach Maßgabe des § 6 Abs. 7 sicherzustellen. Die Sozialpsychiatrischen Verbünde in benachbarten Versorgungsgebieten sollen zu diesem Zweck zusammenarbeiten. 3. Plant ein Anbieter von Hilfen oder dessen Träger eine wesentliche Änderung des Angebots an Hilfen, so hat er den Sozialpsychiatrischen Verbund hierüber unverzüglich zu unterrichten.«
Sozialpsychiatrische Dienste und häufig gut integrierte 24-Stunden-Krisendienste organisieren die Hilfen für Menschen in psychischen Krisensitu-
ationen. Sie verfügen häufig über ärztliche und/ oder nicht-ärztliche Kriseninterventionsteams, die neben telefonischer Beratung für Betroffene, Angehörige, soziale Bezugspersonen und Mitarbeiter anderer Dienste am Ort des Krisengeschehens tätig werden. Sie wirken deeskalierend ein, zeigen ggf. für psychische, interpersonelle und soziale Problemlagen Lösungswege auf und können häufig nach einer Krisenintervention die Betroffenen an andere, wohnortnahe medizinische, soziale oder psychotherapeutische Einrichtungen weitervermitteln, Termine vereinbaren und Zugangsbarrieren abbauen. Die Sozialpsychiatrischen Verbünde werden in der Regel vom örtlichen Sozialpsychiatrischen Dienst geleitet und bilden eine verbindliche Organisationsform bestehend aus allen Anbietern psychologischer, pädagogischer und sozialer Hilfen, insbesondere unter Beteiligung der Sozialversicherungsträger, der Sozial- und Jugendhilfe, psychiatrischer Krankenhäuser, von Sozialstationen, ambulanter Pflegedienste, niedergelassener Ärzte, Psychologen, von Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege, der Kirchen und Religionsgemeinschaften (vgl. NPsychKG,NI § 10). Beins (2007) gibt beispielhaft einen Überblick über die in einem Sozialpsychiatrischen Verbund in Niedersachsen zusammenarbeitenden Institutionen, Dienste, Anbieter von Gesundheitsleistungen und Kostenträgern. Dem Sozialpsychiatrischen Dienst kommt eine Schlüsselstellung bei der Vermittlung und der Fallführung zu. In dem Maße, wie die Fähigkeiten der von einer Psychischen Krise betroffenen Menschen eingeschränkt sind über Angehörige, Selbsthilfegruppen, Haus- oder Fachärzte medizinische und psychosoziale Hilfen zur Bewältigung der Krise selbstfürsorglich zu aktivieren, wächst die Bedeutung öffentlicher Hilfsangebote wie sie durch Sozialpsychiatrische Dienste geleistet werden. Die Mitarbeiter von Sozialpsychiatrischen Diensten und Krisendiensten leisten selbst psychiatrische, psychologische und sozialarbeiterische Hilfen und nehmen gleichzeitig auch die Rolle eines »Gate Keepers« ein, der betroffenen Menschen Wege zu den regulären medizinischen, psychologischen und sozialen Einrichtungen in der Region aufzeigt und hilft, die Kostenübernahme mit Krankenkassen, Rentenversicherungen, der Arbeitsverwaltung oder den Gemeinden zu klären. Zur Sicherung der Teilhabe, des Nachteils-
237 10.4 . Häufigkeit und Charakteristika von Menschen in Psychischen Krisen
ausgleichs und zum Erhalt der Selbstbestimmung und Autonomie beziehen Kriseninterventionen lebenspraktische Hilfen in den Bereich Wohnen, Beschäftigung, Qualifikation, aber auch spezifische Hilfen zur Pflege, bei Sucht sowie, Kinder-, Jugendund Alterserkrankungen mit ein (. Abb. 10.1).
Häufigkeit und Charakteristika von Menschen in Psychischen Krisen
Schleuning und Welschehold (2000) berichten für die Region München Süd über eine Inzidenz von 9,1 Krisenfällen auf 1.000 Einwohner pro Jahr. Biehl, Möhlenkamp, Bärwinkel und Sammadi (1999) kommen für Bremen auf eine Inzidenz von sechs Patienten auf 1.000 Einwohner im Jahre 1997. Der Anteil der Beratung und Informationsvermittlung betrug in Bremen 1996 bei 13.474 Einzelleistungen des Sozialpsychiatrischen Dienstes ca. 30%. Es werden insbesondere Erwachsene im mittleren Lebensalter erreicht, dabei mehr Frauen als Männer. Die finanzielle Lage und die Beschäftigungssituation der Klienten ist im Vergleich zur Bevölkerung unterdurchschnittlich, ebenso der Bevölkerungsanteil der nicht-deutschen oder nicht-deutschstämmigen Nutzer. Bergold und Zimermann (2002, 2003)
Betroffene und Angehörige Sozialpsychiatrische Verbünde
Selbsthilfegruppen
Sozialpsychiatrischer Dienst
Psychiatrische Krankenpflege
Gerontopsychiatrische Hilfen
Hilfen für psychisch erkrankte Kinder Jugendliche
Suchtberatung
WfB für seelisch Behinderte
Beschäftigungs- und berufliche Reha
Spezielle Dienste
Tagesstätte
Wohnen
Tagesklinik
Firmen für psychisch Erkrankte
Niedergelassene Psychiater
Betreutes Wohnen
Psychiatrische Fachklinik Landeskrankenhaus Institutsambulanz
Hausärzte
Wohnheim
berichten, dass ein erheblicher Anteil der Einsätze des Berliner Krisendienstes im Zusammenhang mit schweren und ernsten Krisen stattfindet. Auf der Ebene deskriptiver Beschreibungen leidet eine größere Gruppe der Klienten unter starken Einschränkungen des Empfindens, der Vitalität und auch der Autonomie. Die Klienten sind verzweifelt, ratlos, depressiv und suizidal. Sie haben sehr häufig Angst, Panik und sind gereizt oder aggressiv. Psychosoziale Krisendienste werden in hohem Maße von Menschen mit chronischen Psychischen Störungen in Anspruch genommen. Die Untersuchungen von Biehl et al. (1999) zur Nutzung des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Bremen im Jahre 1996 ergeben ein ähnliches Bild: 61% sind Klienten mit Psychiatrieerfahrungen, 39% haben eine Suchtproblematik, 32% leiden unter einer Psychose oder einer affektiven Störung, 14% unter einer Persönlichkeitsstörung, 8% unter einer Neurose, 30% erhalten Unterstützung durch die Sozialhilfe, 55% sind ohne Arbeit und 14% leben in betreuten Wohneinrichtungen. Die beispielhafte Charakterisierung der Nutzer des Bremer und Berliner Sozialpsychiatrischen Dienstes verdeutlicht, dass neben der klinisch therapeutischen Intervention aufgrund einer Psychischen Störung oder psychischen Leids vor allem auch Hilfen auf der Ebene des psychosozialen Kontexts notwendig sind.
Psychosozialer Dienst
10.4
10
⊡ Abb. 10.1. Struktur Sozialpsychiatrischer Verbunde nach dem PsychKG in Niedersachsen. (Mod. nach Beins, 2007)
10
238
Kapitel 10 . Beratung bei Psychischen Krisen
10.5
Kennzeichnung Psychischer Störungen im Verlauf Psychischer Krisen
Psychische Krisen umfassen die gesamte psychische, soziale und ökologische Situation eines Menschen. Im Verlauf der Krise finden wir sehr häufig sehr dynamische Veränderungen im Ausmaß des psychischen Leids und eine Zuspitzung ungelöster sozialer, persönlicher und interpersonaler Problemsituationen. Zur Charakterisierung der Art und der Schwere der Beeinträchtigung psychischer Grundfunktionen eignet sich im deutschsprachigen Raum das Manual der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie AMDP (vgl. Fähndrich & Stieglitz, 1997, 1998). Das AMDP System versteht sich vor allem als Klassifikationssystem zur standardisierten Erfassung eines psychopathologischen Befundes mit Hilfe eines halbstrukturierten Interviews. Das AMDP System berücksichtigt neben Angaben zur Person, Veränderung der Lebenssituation, frühere eigene und Erkrankungen bei nahen Verwandten sowie einen differenzierten psychiatrischen und somatischen Befund. Das AMDP-System stellt anamnestische Angaben zur Person, Veränderungen in der Lebenssituation und zum Verlauf aktueller und früherer Krankheitsmanifestationen an den Beginn der Befunderhebung. Die eigentliche psychiatrische Klassifikation beinhaltet die genaue Beschreibung psychischer Funktionen wie Bewusstsein, Denkstörungen, Wahn, Sinnestäuschungen, Ich-Störungen, Störungen des Affekts und des Antriebs (. Tab. 10.1). Die Erhebung eines psychopathologischen Befundes stellt vor allem für psychologische und ärztliche Beratungsanlässe und Interventionen im Rahmen schwerer Psychischer Krisen eine sehr gute Grundlage dar, um verlässliche Hinweise auf die Art einer möglichen Krankheit respektive einer Psychischen Störung im Sinne der Psychisch–Kranken–Gesetze zu erhalten. Mit Hilfe des so gewonnenen psychopathologischen Befunds lassen sich in einem weiteren Schritt möglicherweise vorliegende Psychische Störungen beschreiben und klassifizieren. In Deutschland wird zur Klassifikation einheitlich das ICD-10 der WHO verwendet (vgl. Dilling et al., 1993). Zu den schweren Psychischen Störungen zählen nach dem ICD-10 Organische Psychische Störungen wie Demenzen oder das Organische Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma (F 00-
09), Psychische Störungen durch Substanzkonsum (F 10-19), Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen (F 20-29), Affektive Störungen (F30-39), Neurotische- Belastungs- und somatoforme Störungen (F 40-49) und in einigen Fällen auch Störungen aus dem Bereich der Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren wie beispielsweise extremes Untergewicht bei Anorexia nervosa (F 50.0) oder schwere Fälle von Pädophilie (F 65.4).
10.6
Theoretische Grundannahmen zu Psychischen Krisen und Krisen im Lebensvollzug
Krisen im Lebensvollzug sind nach Erikson (1968/1998) die wichtigsten äußeren Faktoren einer gesunden und adaptiven psychischen und sozialen lebenslangen Entwicklung. Erikson sieht die psychosoziale Entwicklung des Menschen in erster Linie als einen von acht regelhaften Krisen vorangetriebenen Prozess der Entwicklung der subjektiven Sicht auf die eigene Person. Dieser, als Identitätsentwicklung bezeichnete, vorwiegend emotionale und kognitive Prozess orientiert sich an biologischen und kulturimmanenten, sozial erwünschten biographischen Lebensaufgaben. In Abhängigkeit vom Ausmaß und den Möglichkeiten zu einer flexiblen Auswahl, Akzeptanz oder Ablehnung biographischer Aufgaben im Lebensvollzug geht eine stetige Veränderung der rollenbezogenen Aufgaben und Ziele einher, die in reflexiver Weise den selbstkonstruktiven Anteil eines Menschen in Bezug auf die Stärke und Richtung der gesamten eigenen Entwicklung bestimmen. Keupp (2004) weist in diesem Zusammenhang auf den rasanten Wandel der Vorstellungen von einem »guten Leben« insbesondere in den westlichen Gesellschaften hin. Die »Koordinaten«, die moderne Menschen im Hinblick auf die eigene biographische Entwicklung beeinflussen, unterliegen fluiden Prozessen der Entgrenzung, Fusion, Durchlässigkeit und wechselnden Konfigurationen. Dies zeigt sich unter anderem in lebenslangen Lern- und Ausbildungsphasen, instabilen und zeitlich befristeten Arbeitsverhältnissen und den als »Patchwork« bezeichneten familiären Strukturen. Die am klassischen Familien-, Staats- und Gesellschaftsbild orientierten individuellen »Entwicklungsaufgaben« nach Erikson beschreiben die Art und die Dynamik »regulärer« Entwicklungskrisen in der
239 10.6 . Theoretische Grundannahmen zu Psychischen Krisen und Krisen im Lebensvollzug
10
⊡ Tab. 10.1. Kategorien des AMDP-Systems. (Nach Fähndrich & Stieglitz, 1997, 1998) Psychiatrischer Befund
Somatischer Befund
Anamnese
Bewusstseinsstörungen
Schlaf- und Vigilanz-Störung
Eigene familiäre Situation
Orientierungsstörungen
Appetitstörung
Wohnen
Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen
Gastro-intestinale Störungen
Schule, Bildung, Beruf
Formale Denkstörungen
Kardio-respiratorische Störungen
Suchtgeschichte
Befürchtungen und Zwänge
Andere vegetative Störungen
Krankheiten in der Vergangenheit
Wahn
Neurologische Störungen (Seitendifferenzen)
Familiäre Herkunft
Sinnestäuschung
Cerebrale Krampfanfälle
Psychische Störungen in der Kindheit / im Jugendalter
Ich-Störungen
Psychiatrische Erkrankungen
Störungen der Aktivität Antriebs- und psychomotorische Störungen Circadiane Besonderheiten Andere Störungen Befundunsicherheit
modernen Gesellschaft nur unzureichend. Dennoch erweist sich Eriksons Krisenbegriff als hilfreich bei der Einordnung Psychischer Krisen und Psychischer Störungen in einen allgemein zunehmend diskontinuierlich verlaufenden, sozial-biographischen Entwicklungsprozess. Erikson verdeutlicht mit seinem Konzept der acht regulären Entwicklungskrisen die »Normalität« der zumeist anstrengenden und häufig auch erschöpfenden adaptiven sozialen Prozesse und Herausforderungen, die im Verlauf der lebenslangen Entwicklung notwenig sind. Nach Müller (2004) lassen sich Theorien zur Beschreibung Psychischer Krisen nach 4 psychotherapeutischen Schulen, 4 Phasen (als Reaktion auf außergewöhnliche Ereignisse), 4 Lebensabschnitten (in Anlehnung an Erikson), 4 unterschiedlichen psychosozialen Auslösern (vgl. Sonneck et al., 2000) sowie
Klinisch Psychiatrische Erfahrung des Untersuchers
4 pragmatischen Handlungsmodellen unterscheiden. Bei der schulenspezifischen Einteilung von Krisentheorien stehen die jeweiligen Prinzipien und Grundannahmen zur Entwicklung und Behandlung Psychischer Störungen im Mittelpunkt der Betrachtungen. Psychische Krisen sind demnach vorrangig störungs-, krankheits- oder ereigniskorreliert. Die Verhaltens-, Gesprächs-, Gestalttherapie, Psychoanalyse oder die Tiefenpsychologie haben in diesem Zusammenhang für akute und chronische Krisen jeweils allgemeine Konzepte zur Krisenintervention entwickelt. Sonneck et al. (2000) differenzieren zwischen 4 Traumatischen Krisen, 4 Veränderungskrisen, 4 chronisch-protrahierten Krisen, 4 dem Burnout-Syndrom und 4 Posttraumatischen Belastungsstörungen.
240
10
Kapitel 10 . Beratung bei Psychischen Krisen
Traumatischen Krisen liegen in der Regel Ereignisse zugrunde, die grausam oder lebensbedrohlich sind und auf der Seite des Individuums zunächst zu einem Schock, einer ungerichteten, häufig abwehrenden Reaktion und in einem längeren Prozess zu einer inhaltlichen und emotionalen Verarbeitung im Sinne einer Neuorientierung führen. Im ungünstigen Fall kann die Reaktion jedoch auch zu einer Chronifizierung oder der Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen. Verlaufsorientierte Krisentheorien gehen von traumatischen Ereignissen oder auch von normalen bzw. biographisch vorhersehbaren Veränderungen im Leben der Betroffenen aus. Die Konfrontation mit Veränderungen führt zu einer Überforderung der Bewältigungsressourcen und löst bei den Betroffenen Versagensängste aus. Die erlebte Ineffektivität und die Angst zu versagen kann entweder zu Passivität oder zu verstärkter Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen führen. Bei Passivität und Resignation als Reaktion auf finanzielle oder andere soziale (Über-) Forderungen und Verpflichtungen verstärkt sich der Veränderungsdruck auf die Betroffenen. Reichen bei Veränderungskrisen die mobilisierten Ressourcen weiterhin nicht aus, zeigt sich nach einer gewissen Zeit das Vollbild einer Krise.
10.7
Beratung bei schweren Psychischen Krisen
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in Abhängigkeit vom Ausmaß der in einer akuten Psychischen Krise wirksam werdenden Psychischen Störung, Beratung nicht eine notwenige ambulante oder stationäre Psycho- und/oder Pharmakotherapie sowie eine medizinische Behandlung körperlicher Erkrankungen ersetzen kann. Vielmehr ist die Beratung der von einer schweren Psychischen Krise Betroffenen und der Menschen im engen und weiteren sozialen Kontext unabdingbar, um letztlich auch individuenzentrierte, psychotherapeutische und medizinische Maßnahmen einzuleiten, aufrecht zu erhalten und erfolgreich mit gemeindenahen psychosozialen Interventionen zu vernetzen. Beratung ersetzt keine psychologische oder ärztliche Krisenintervention. Aber ohne
vorangehende und nachfolgende Beratung können Kriseninterventionen weder kurz- noch langfristig psychisches Leid ausreichend effektiv lindern und psychosoziale Probleme einer dauerhaften Lösung zuführen. Akute Psychische Krisen erfordern zu deren erfolgreichen langfristigen Lösung oder Linderung immer die Einbeziehung des sozialen und ökologischen Kontextes. Kriseninterventionen bei akuten Psychischen Krisen beinhalten gleichermaßen therapeutische wie beraterische Kompetenzen. Die beraterische Kompetenz im Rahmen akuter Krisenintervention trägt maßgeblich zur Deeskalation sowie zur Wiederan- und Einbindung der Betroffenen in ihr privates und soziales Gefüge sowie zur Heranführung an das professionelle psychosoziale Hilfesystem bei. Die beraterische Kompetenz von Kriseninterventionskräften schafft neue Perspektiven, bietet alternative Handlungsszenarien zur Problemlösung bei schweren interpersonellen Konflikten an, ermöglicht neue professionelle Hilfsangebote, verschafft Zeit und erweckt neue Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Beraterische Kompetenz im Rahmen von Kriseninterventionen fördert die Zusammenarbeit im Rahmen familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher und öffentlich/professioneller Bemühungen, interpersonelle und psychosoziale Probleme zu lösen. Psychische und schwere Psychische Störungen können dabei sowohl die Folge als auch die Ursache von psychosozialen Problemlagen sein. Vielfach liegt ein schwer zu durchschauendes Interaktionsgefüge zwischen den interpersonellen und/oder psychosozialen Problemen und schweren Psychischen Störungen vor. Eine erfolgreiche Beratungsstrategie bei Psychischen Krisen bezieht neben den unmittelbar Betroffenen, häufig chronisch psychisch vorbelastete Menschen, in jedem Fall das nähere und weitere soziale Umfeld mit ein. In der Regel offenbart sich bereits im Rahmen einer ersten rudimentären Anamneseerhebung, dass der aktuellen schweren Psychischen Krise ein multifaktorielles Geschehen zugrunde liegt. Häufig sind Personen aus dem sozialen Nahbereich wie Partner, Kinder, Eltern oder Nachbarn sowie Mitarbeiter und Kollegen psychosozialer Einrichtungen und Behörden, zumindest aus der Sicht der Betroffenen, in die Entwicklung der Krise verstrickt. Die Zuschreibung und Bewertung ursächlicher Faktoren bei der Entwicklung akuter Psychischer Krisen wird zwischen den Betroffen
241 10.7 . Beratung bei schweren Psychischen Krisen
10
Exkurs Unterschiede in der Sichtweise auf Psychische Krisen zwischen Betroffenen, Angehörigen und professionellen Helfern Betroffene und professionelle Helfer sehen beide am häufigsten eine Krankheit als Ursachen für die Entwicklung einer Psychischen Krise an (. Abb. 10.2). Im Gegensatz zu den Helfern sehen Patienten in ihrer Suchtproblematik, innerfamiliären Konflikten und individuellen Problemlagen viel häufiger eine Ursache für die Entwicklung der akuten Krise. Professionelle Helfer betonen hingegen sehr viel häufiger die Selbstgefährdung und Verzögerungen in der psychosozialen Versorgung der Betroffenen. Für Angehörige stehen neben der Erkrankung vor allem eine mangelnde Compliance und sozial auffälliges Verhalten in einem starken ursächlichen Zusammenhang mit der Entwicklung der Psychischen Krise (vgl. Krischke, 2006). Auf die Frage, »Wie hätte die Krise verhindert werden können?« geben 25% der professionellen Helfer und 18% der Angehörigen an, dass die Krise nicht hätte verhindert werden können. Dies glauben jedoch nur 7% der Betroffenen. Bei Betroffenen, professionellen Helfern und bei den Angehörigen besteht hingegen Einigkeit darüber, dass eine frühere und konsequente Hilfe dazu geeignet gewesen wäre, die aktuelle Krise zu verhindern. Gleichzeitig haben 18% der Betroffen keine Vorstellung darüber, wie sie die Krise hätten selbst verhindern können. Ebenfalls 18% der Betroffenen gaben an, dass aus ihrer Sicht durch eine spätere Einbeziehung der Polizei die Krise hätte verhindert werden können. Soziale Unterstützung wird von Betroffenen (10%) und professionellen Helfern (12%) gleichermaßen selten als Möglichkeit gesehen, Krisen zu verhindern. Angehörige sehen darin überhaupt keine Möglichkeit (vgl. Krischke, 2006)
40 Patienten (N=40)
35
Mitarbeiter (N=51) 30 25 20 15 10 5
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⊡ Abb. 10.2. Ursachen für die Entwicklung Psychischer Krisen aus Sicht der Betroffen, Angehörigen und der professionellen Helfer. (Mod. nach Krischke, 2006)
242
Kapitel 10 . Beratung bei Psychischen Krisen
und den professionellen Helfern nicht selten sehr unterschiedlich beurteilt (vgl. Krischke, 2006). Die unterschiedlichen Sichtweisen von Betroffenen, professionellen Helfern und Angehörigen auf die Ursachen Psychischer Krisen und die Möglichkeiten diese zu verhindern, verdeutlichen auch, wie wichtig eine zielgruppenspezifische Beratung im Verlauf Psychischer Krisen ist. Die Reduktion psychischen Leids auf Seiten der Betroffenen und des sozialen Umfelds sowie und der Angehörigen kann durchaus gegensätzliche Zielvorstellungen beinhalten. In solchen Situationen wird die verwendete Beratungsstrategie selbst zu einem Modell guter Praxis bei der Lösung zukünftiger psychosozialer Konflikte.
10.8
10
Grundhaltungen, Aufgaben und Funktion von Beratung in Psychischen Krisen
Nach den Ausführungen zur Unterscheidung zwischen Psychischen Störungen und Psychischen Krisen, der Darstellung des historischen und ethischen Begründungszusammenhangs, der Strukturen und der unterschiedlichen Sichtweisen auf die Beratungsanforderungen bei Psychischen Krisen ist es nun möglich, Grundhaltungen, Aufgaben und Funktionen von Beratung im Verlauf Psychischer Krisen zusammenzufassen (. Abb. 10.3). Zur Vereinfachung lassen sich die drei Dimensionen Grundhaltungen, Aufgaben und Funktionen von Beratung bei Psychischen Krisen unterscheiden.
10.8.1
Grundhaltungen
Mit dem Begriff »Grundhaltung« sind in erster Linie die psychosoziale Sicht auf Gesundheit und Krankheit, in Anlehnung an den Gesundheitsbegriff der WHO (1986) und die Selbstbestimmungsrechte sowie die Würde der Betroffenen gemeint. Ebenso wie bei allen Maßnahmen in der somatischen Medizin ist auch bei der Beratung von Menschen in Psychischen Krisen die Zustimmung der Betroffenen nach Möglichkeit vor Beginn einer Beratung und Intervention einzuholen. Dies gehört zu den Grundrechten von Patienten (vgl. Davison, Neale & Hautzinger, 2007). Hierzu zählen:
1. der Respekt vor der Autonomie des Patienten, 2. Schadensvermeidung (Nichtschadensgebot), 3. Hilfeleistung und Handeln zum Wohl des Patienten (Benefiz) und 4. Gerechtigkeit (Fairness). Beauchamp und Childres (2001) nennen Vorbedingungen, Informations- und Zustimmungselemente , die vor dem Beginn einer medizinischen Intervention sicher eingehalten werden müssen. Zu den Vorbedingungen einer Intervention zählen 4 die Einwilligungsfähigkeit und die 4 Freiwilligkeit. Definition Einwilligungsfähigkeit beinhaltet die Kompetenz zu verstehen und zu entscheiden. Die Freiwilligkeit zu einer Entscheidung ist dann gegeben, wenn die Betroffenen keinem Druck oder Zwang ausgesetzt sind oder Angst haben müssen, jetzt oder zukünftig benachteiligt zu werden.
Informationselemente vor Beginn einer Intervention oder Behandlung sind die 4 Offenlegung aller für eine Entscheidung sachlich relevanten Informationen, 4 die Empfehlung eines Behandlungsplans oder einer Vorgehensweise und die 4 Überprüfung des Verständnisses des Patienten in Bezug auf die oben genannten Punkte. Zu den Zustimmungselementen gehören die Entscheidung über die Teilnahme oder Nichtteilnahme, 4 die Präferenz für die nun anstehende Beratung oder Behandlung und 4 Autorisierung und ausdrückliche Zustimmung zur Teilnahme und zum aktuellen Behandlungsplan. Durch das Vorliegen einer Psychischen Störung kann die Einwilligungsfähigkeit mehr oder weniger stark beeinträchtigt sein. In bestimmten, gesetzlich durch die Psychisch–Kranken–Gesetze (PsychKG) der Länder geregelten Fällen, können fürsorglich Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht psychisch erkrankter Menschen vorgenommen werden. Die
243 10.8 . Grundhaltungen, Aufgaben und Funktion von Beratung in Psychischen Krisen
Aufbau von Vertrauen, Deeskalation, Information und Einleitung konstruktiver Problemlösungen
Psychodiagnostik
Kontext
Medizinische Faktoren
• Suizidalität
• Fremdgefährdung
• Sichtbare Verletzungen
• Bewusstsein
• Konflikte
• Vergiftungen
• Orientierung
• Lebenssituation: Wohnung, Arbeit, soz. Eingebundenheit
• Extreme Schwäche / Hilflose Lage
• Aufmerksamkeit / Gedächtnis
• Migration / Sprache
• Lebensbedrohung aufgrund einer Krankheit
• Lebensumfeld
• Exsikkose/ Unterernährung
Entwicklung von Perspektiven • Beschreiben des Status • Auslöser / Vorgeschichte • Erarbeiten von kurz-, mittel- & langfristigen Zielen
• Störungen nach ICD-10
Med. Behandlung
Prävention
Psychotherapie
Maßnahmen zur Selbst-und Fremdsicherung
Vertrauensvolle & stetige Zusammenarbeit mit der Polizei und allen psychosozialen Leistungserbringern
Beratung und Weitervermittlung über Hilfen des ambulanten und / oder stationären medizinischen und psychosozialen Hilfesystems
Sozialarbeit / Soziotherapie Intervention Wohnungssuche
Schuldenberatung Rehabilitation
Arbeitssuche
⊡ Abb. 10.3. Die Grundhaltungen, Aufgaben und Funktion von Beratung
10
244
Kapitel 10 . Beratung bei Psychischen Krisen
Einwilligungsfähigkeit sollte in jedem Fall durch folgende Standards geprüft werden (vgl. Davison et al., 2007): 1. Liegt die Fähigkeit zum Verständnis der relevanten Informationen vor? 2. Besteht die Fähigkeit zum rationalen und schlussfolgerndemn Umgang und Verarbeitung von Informationen? 3. Kann die Fähigkeit zum Treffen und zum Kommunizieren einer Entscheidung festgestellt werden? 4. Besteht Krankheitseinsicht in dem Sinne, dass der Patient die Einwilligungssituation und ihre Konsequenzen erkennen kann?
10
Das sichtbare Bemühen um eine Beratungseinwilligung und die behutsame Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit bei Verdacht auf das Vorliegen einer Psychischen Störung vor Beginn einer Krisenintervention ist zusammen mit einem angemessenen Verhalten bei der Kontaktaufnahme zur betroffenen Person und des anwesenden sozialen Umfelds ein notwendiges und sehr effektives Verfahren zum Aufbau von Vertrauen. Die angemessene Offenlegung aller wichtigen Informationen, die mit dem aktuellen Beratungs- und Interventionsanlass, der üblichen Vorgehensweise und den sich abzeichnenden konfliktlösenden Möglichkeiten zusammenhängen, tragen zusammen mit einer Überprüfung des Verständnisses ebenfalls zum Vertrauensaufbau auf Seiten des Klienten bei. Zur Deeskalation trägt vor allem eine großzügige Bemessung der Beratungszeit und das Angebot mehrerer Interventionsoptionen für Menschen in Psychischen Krisensituationen bei. In vielen Fällen wird es unumgänglich sein, den gesamten Prozess der Krisenintervention bei Psychischen Krisen unter der Prämisse der impliziten Zustimmung zur Teilnahme an einer Intervention und Beratung seitens der Betroffenen billigend in Kauf zu nehmen. Die Hinzuziehung eines Krisendienstes ist in der Praxis ein vom Gesetzgeber gewünschtes und legitimiertes Verfahren, eine schwere Psychische Störung zu diagnostizieren, die möglichen Auswirkungen auf eine bestehende Situation mit Selbst- und/oder Fremdgefährdung zu begutachten und Hilfen zur Bewältigung der Psychischen Krise und einer vorhandenen Psychischen Störung bereitzustellen. Sowohl die Entscheidung über die Teilnahme
oder Nichtteilnahme, die Präferenz für die nun anstehende Beratung und Intervention als auch die Autorisierung zur Teilnahme zu einem vorgeschlagenen Interventions- und Behandlungsplan sind für Menschen in Psychischen Krisen besonders dann sehr eingeschränkt, wenn auch durch die Krisenintervention keine konstruktiven Lösungswege für die aktuelle Situation verbindlich und zuverlässig erreicht werden können. Ohne ausreichende Mitarbeit der Betroffenen steigt die Wahrscheinlichkeit einer unfreiwilligen stationären psychiatrischen Behandlung zur Gefahrenabwehr - als letztlich verbleibende einzige Maßnahme - stark an. In jedem Fall ist es zu vermeiden, in einem frühen Stadium des Krisenintervention- ohne vorhergehende Maßnahmen zum Aufbau von Vertrauen- mit »Wenn – Dann« Szenarien die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft psychisch belasteter Menschen einzuengen. Das präzise Aufzeigen von zu erwartenden Konsequenzen kann durchaus zu einer robusten eigenen Positionierung gehören und kann, vor allem gegenüber dominant und machtbewusst auftretenden Personen, hilfreich sein. Dies sollte jedoch immer mit offenen Fragen nach friedlichen Alternativen zum jetzt sehr unglücklichen Gefährdungsverhalten begleitet werden. Das Bemühen zur Herstellung einer Beratungseinwilligung trägt zur Deeskalation bei. Es kann zusammen mit der Darstellung der eigenen Funktion und der Fähigkeiten dazu genutzt werden, bereits in der Eingangsphase der Beratung notwenige Informationen und Hinweise auf psychische und soziale Problemlagen und mögliche konstruktive Lösungen zu finden. Neben der Zusammenarbeit mit allen psychosozialen Diensten, Haus- und Fachärzten sowie den Krankenhäusern kommt auch der Zusammenarbeit mit der Polizei eine bedeutsame Rolle zu. In Bremen stellte sich heraus, dass 53% der Kriseninterventionen, die zu einer Zwangseinweisung führten, auf einer Polizeiwache stattfanden (vgl. Krischke, 2006). In vielen Fällen ist es die Polizei, die im Rahmen ihrer Einsätze den Psychosozialen Krisendienst hinzu zieht, um abzuklären, ob das selbst- und/ oder fremdgefährdende Verhalten eines Betroffenen im Zusammenhang mit einer Psychischen Störung steht. Solche Situationen erfordern auch von den Krisenhelfern Maßnahmen zur Selbst- und Fremdsicherung sowie zur Beurteilung der Selbst- und Fremdgefährdung im Rahmen schwerer Psychischer
245 10.8 . Grundhaltungen, Aufgaben und Funktion von Beratung in Psychischen Krisen
Störungen. Die Fremd- und/oder Selbstgefährdung wurde in der Regel bereits vor der Hinzuziehung des Krisendienstes durch die Polizei oder Vertreter des Ordnungsamtes festgestellt. In diesen Fällen müssen auch die Mitarbeiter bei der Beratung im Rahmen einer Krisenintervention verlässliche Hinweise auf eine Gefährdung erkennen und einige Grundregeln zur Fremd- und Eigensicherung beachten.
10.8.2
Aufgaben als Berater bei Psychischen Krisen
Die Aufgaben als Berater und/oder Krisenhelfer aus institutioneller Sicht, lassen sich nicht trennscharf von den Funktionen für die Betroffenen trennen. Dennoch ist es aus didaktischen Gründen hilfreich genau diesen Perspektivwechsel im Verlauf einer Beratung und Intervention bei Menschen in Psychischen Krisen mehrmals vorzunehmen, um der humanen Grundhaltung und den Menschenrechten auch in Grenzsituationen der Selbstbestimmung eines Menschen zwischen dem Schutzanspruch der Gemeinschaft und der Entfaltungsmöglichkeit eines Individuums näher zu kommen. Zu den Aufgaben von Beratung zählen die Selbst- und Fremdsicherung beim Umgang mit Menschen in Psychischen Krisen, die psychologische und medizinische Diagnostik und die Analyse des Kontextes.
Umgang mit Selbst- und Fremdgefährdung bei der Beratung in schweren Psychischen Krisen Psychische Krisen sind ebenso wie »Psychische Störungen« durch das subjektive Leid der Betroffenen und/oder des sozialen Umfelds gekennzeichnet. Eine besondere Dramatik und Aktualität erhalten Psychische Krisen, wenn sie zusätzlich durch Aspekte der Selbst- und/oder Fremdgefährdung begleitet werden. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass es bisher keine empirischen Belege dafür gibt, dass von Menschen in Psychischen Krisen oder mit Psychischen Störungen mehr Gefahren ausgehen als von der Normalbevölkerung. Auch für professionelle Helfer werden ernsthafte Bedrohungen, die von Klienten im Rahmen einer Krisenintervention ausgehen, eher die Ausnahme bilden. Dennoch hat das Thema Selbstschutz im Rahmen
10
von Kriseninterventionen bei Selbst- und Fremdgefährdung einen wichtigen Stellenwert, der vor allem in der Öffentlichkeit mit sehr viel Aufmerksamkeit verfolgt wird. Die Selbst- und/oder Fremdgefährdung kann glaubhaft als direkte verbale Drohung formuliert werden oder sie erschließt sich aus den situativen, sozialen und ökologischen Umständen der Betroffenen. Bei der Anwendung des jeweiligen landesspezifischen Psychisch–Kranken–Gesetzes (PsychKG) steht in diesen Situationen neben der medizinischen und psychosozialen Begutachtung gleichrangig die Koordination und Bereitstellung geeigneter psychosozialer Hilfen im Mittelpunkt. Die formal korrekte Einleitung von Zwangsmaßnahmen zum Schutz der Betroffenen, der Öffentlichkeit oder anderer relevanter Güter wird durch Vertreter des Ordnungsämter, teilweise mit Unterstützung der Polizei, koordiniert und durch einen richterlichen Beschluss veranlasst oder in einem gesetzlich geregelten Zeitintervall von 24-72 Stunden nach einer Unterbringung nachträglich bestätigt oder aufgehoben. Wenn der begründete Verdacht geäußert wird, dass eine Selbst- und/oder Fremdgefährdung im Zusammenhang mit einer schweren Psychischen Störung (Krankheit) steht und mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorsteht oder eintreten wird, müssen in der Regel die Ordnungsämter (und die Polizei) im Rahmen der gesetzlichen Regelungen ein medizinisches Gutachten von einem Psychiater oder einem in der Psychiatrie erfahrenen Arzt einholen, bevor neben unmittelbaren Maßnahmen zur Gefahrenabwehr durch die Polizei, Zwangsmaßnahmen im Sinne einer stationären Unterbringung in einer Psychiatrischen Klinik nach dem jeweiligen Psychisch-Kranken-Gesetz durch einen Richter eingeleitet oder nachträglich legitimiert werden können. Auch in solchen sehr zugespitzten Krisensituationen sehen die meisten Psychisch-KrankenGesetze der Länder in Deutschland nicht nur einen einfachen ärztlichen Begutachtungsauftrag vor, sondern ein intensives Kriseninterventionsmanagement zur Verhinderung von Zwangsmaßnahmen. Damit verbunden ist die Suche nach geeigneten Alternativen zur Linderung der Psychischen Störung und der damit in Verbindung stehenden aktuellen oder fortbestehenden Selbst- und/oder Fremdgefährdung.
246
10
Kapitel 10 . Beratung bei Psychischen Krisen
Um einen Automatismus zwischen der Anforderung eines Arztes zur Erstellung eines Psychiatrischen Zeugnisses und der Durchführung einer Zwangseinweisung möglichst auch strukturell zu erschweren, versuchen viele Länder neben ärztlich geleiteten Kriseninterventionsteams zunehmend nicht-ärztliche 24-Stunden-Kriseninterventionsteams bereit zu halten. Diese nicht-ärztlichen Teams können keine Begutachtung nach dem PsychKG vornehmen. Sie kümmern sich ausschließlich um eine Deeskalation, die Suche nach psychosozialen Hilfen und die Herstellung einer Einwilligungsbereitschaft zur Annahme psychologischer, ärztlicher und sozialer Hilfen. Erst wenn alle Informations- und Beratungsangebote sowie die angebotenen Problemlösemöglichkeiten als ungeeignet verworfen werden müssen, wird ein ärztliches Gutachten im Sinne des PsychKG erstellt. Kommunale ärztliche und nicht-ärztliche Kriseninterventionsteams rekrutieren sich in der Regel aus einer Vielzahl von Mitarbeitern, die, wie in Niedersachen, in ähnlichen Strukturen wie denen der Sozialpsychiatrischen Verbünde zusammenarbeiten. Die Belastung und die Kosten für solche Dienste können auf diese Weise gering gehalten werden und die Kooperation zwischen den in der sozialpsychiatrischen Versorgung Tätigen wird intensiviert. In gewissem Maße besitzen alle Psychischen Störungen in Anlehnung an die ICD-10 oder das DSM-IV das Potential, ohne geeignete professionelle Beratung und Intervention im Verlauf chronischer oder akuter sozialer und/oder ökologischer Anforderungen in eine akute schwere Psychische Krise mit Selbst- und/ oder Fremdgefährdung einzumünden. Insgesamt betrachtet, haben die persönliche Gewaltgeschichte, das Alter und die Doppeldiagnose Schizophrenie und Sucht die höchste Prädiktionskraft für erneute Gewalt. Krischke (2006) hat im Rahmen einer Literaturanalyse aus sechs empirischen Originalarbeiten und acht Review-Artikeln eine Übersicht der wichtigsten in der Literatur genannten Prädiktoren für eine Selbst- und Fremdgefährdung zusammengestellt (. Tab. 10.2). Der Stand der Forschung zur Gefahrenprognose und die Vielzahl der genannten Parameter verdeutlichen vor allem, dass es keinen Algorithmus zur Gefahrenprognose, sondern maximal eine Sammlung von Indikatoren für eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Selbst- und Fremdgefährdung gibt.
Je nach Ausprägung des Verhaltens einer betroffenen Person und der Häufung von Risikomerkmalen (vgl. . Tab. 10.2) sollten minimale, aber dennoch essentielle Verhaltensweisen zum Selbst- und Fremdschutz bei Kriseninterventionen eingehalten werden. Exkurs Verhalten bei Kriseninterventionen 4 Vor Beginn einer individuellen Beratung oder Krisenintervention ausreichend Informationen über das Vorgeschehen, den Bedrohungsgrad und die persönliche Gewaltgeschichte einholen. 4 Ein oder mehrere Fluchtwege müssen stets offen und gut erreichbar sein. 4 Die potentiell gefährliche Person sollte sich niemals zwischen Ihnen und dem Fluchtweg befinden. 4 Sind mehrere Personen potentiell gefährlich, sollte zunächst die Polizei für eine sichere Beratungssituation und Trennung der Personen sorgen. 4 Die Türen im Zimmer der Krisenintervention sollten stets (einen Spalt weit) offen stehen, Schlüssel sind vorher zu entfernen. 4 Ein zweiter oder mehrere andere Helfer sollten sich während der Beratungssituation permanent in Sicht-, Hör- und Eingreifweite aufhalten. 4 Gehen Sie nur in Räume, in denen sich keine offensichtlich gefährlichen Gegenstände befinden oder sorgen Sie vorher für deren Entfernung. 4 Bereits bei geringsten Anzeichen aggressiven Verhaltens gegen Sie als Berater beginnen Sie sofort deeskalierend zu reagieren: »Wollen Sie, dass ich gehe?«, »Gibt es jemanden, den Sie jetzt lieber sprechen würden?« , »Kennen Sie jemanden, der uns hier jetzt helfen kann?« , »Ich bin hier um Schlimmeres zu verhindern!«, »Wollen Sie mir sagen, was Sie so aufregt?« , »Berichten Sie mir zuerst, wie der Tag heute angefangen hat!« , »Mit was hat die Krise begonnen?« etc.
247 10.8 . Grundhaltungen, Aufgaben und Funktion von Beratung in Psychischen Krisen
⊡ Tab. 10.2. Übersicht über die wichtigsten in der Literatur genannten Indikatoren für Fremd- und Selbstgefährdung. (Nach Krischke, 2006, S. 136-138) Selbstgefährdung
Fremdgefährdung
Soziodemographische Merkmale 4 Höheres Alter 4 Beamte, Verwaltungskräfte bzw. Sachbearbeiter, Geschäftsführer, Fachkräfte, angelernte Arbeiter 4 Männliches Geschlecht 4 Lebensphase der Adoleszenz
4 4 4 4 4 4 4 4
Geringes Alter Geringe Bildung Alleinlebend Stadtbewohner Obdachlosigkeit Männliches Geschlecht Geringer sozioökonomischer Status Dunkle Hautfarbe
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Geringe soziale Unterstützung Interventionsversuche und physischer Kontakt Psychosozialer Versorgungsmangel Massive Belastung, Erschöpfung Schwere Kränkung durch Verlust der sozialen Rolle Scheidung bzw. Trennung vom Lebenspartner Nähe zum Opfer Verstrickung mit Bezugspersonen Bedrohung gegenüber erkennbaren Opfern Erst vor weniger als 72 Stunden eingewiesen Verbindungen zu einer gewaltbereiten Subkultur Belastendes Milieu Belastungsfaktoren
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Verbale Beschimpfungen Bedrohliche Gesten Bedrohliche Haltung Mangelnde Medikamentencompliance Aufregung, Erregung, Reizbarkeit Psychomotorische Unruhe Plötzliche Stimmungswechsel Frustrationsintoleranz Sexuelle Triebhaftigkeit Fehlende Selbstkritik Stark egozentrisches Verhalten Gewissenlosigkeit Projektionstendenz Feindseligkeit Verachtung von Bezugspersonen Erhöhte Spannung Unkooperatives Verhalten Drohungen Obszöne Äußerungen Suizidversuche Rücksichtsloses Autofahren
Äußere Faktoren / derzeitige Umstände 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Soziale Isolierung Depression oder Alkoholismus in der Familie Höhere finanzielle Ressourcen Drohender Bankrott Massiver Stress Jahreszeit: Frühjahr Bei Mädchen: Prämenstruelle Phase oder Menstruationsphase Störungen der innerfamiliären Interaktion Selbstmordmeldungen im Freundeskreis oder den Medien Eskalation krisenhafter Lebensumstände Zerbrochene Familienstruktur Belastende Lebensereignisse (Verluste) Haft
Verhalten 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Aggressiv abwehrendes Verhalten Stimmungsschwankungen Veränderungen der äußerlichen Erscheinung Leistungsveränderungen Interesselosigkeit Unfallneigung Sammeln von Gegenständen zur Selbstverletzung Selbstverletzendes Verhalten Selbstbestrafungstendenzen Verschenken von geliebten Dingen Äußerungen eigener Wertlosigkeit und Belastung Langer Schlaf Gezielte oder ungezielte Suizidandrohungen Abbruch sozialer Kontakte Zunehmende Einengung auf den Tod
6
10
248
Kapitel 10 . Beratung bei Psychischen Krisen
⊡ Tab. 10.2. Fortsetzung Selbstgefährdung
Fremdgefährdung 4 Ungestümes Verhalten 4 Beschädigung oder Zerstörung von Gegenständen 4 Vorliegen eines spezifischen Handlungsplans 4 Erste Schritte in der Umsetzung eines Handlungsplans
Eigenschaften 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Gelebte Bisexualität Nicht gelebte Homosexualität Suizidale Impulse Suizidgedanken Konkrete Vorstellungen über die Art der Durchführung Hoffnungslosigkeit Schwere Schuld- und Versagensgefühle Gefühle von Wertlosigkeit Hilflosigkeitsgefühle
4 4 4 4 4 4 4
Geringe Kommunikationskompetenz Leichte Kränkbarkeit Mangelnde Impulskontrolle Kognitive Defizite Angst Suizidgedanken Gewaltphantasien
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Persönlichkeitsstörung Funktionale Beeinträchtigungen Paranoide Symptome Substanzmissbrauch Wahnsymptome Halluzinationen Antisoziale Persönlichkeitsstörung Status nach Hirnverletzung oder -erkrankung Psychose Schizophrenie & Substanzmissbrauch Schizophrenie Verwirrung Psychopathie Bipolare affektive Störung Akutes psychotisches / maniformes Störungsbild
4 4 4 4 4 4 4 4 4
Früheres gewalttätiges Verhalten Zurückliegende Krankenhausaufenthalte Missbrauch/Misshandlung in der Jugend Zurückliegende Inhaftierungen Erst kürzlich stattgefundene Gewalttaten Früheres Missbrauchsopfer Kindlicher Zeuge von Missbrauch Inhaftierung des Vaters Drogenkonsum des Vaters
Pathologie
10
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Essstörungen Quälend erlebte Schlafstörungen Substanzmissbrauch Körperlich/psychosomatische Symptome Schwere Krankheiten Gewichtszunahme oder Gewichtsverlust Verfolgungswahn Bipolare affektive Störung Manie Ungünstiger Zustand bei Klinikentlassung Erkrankung an unipolarer Depression an Manie erkrankter Verwandtschaft ersten Grades Schizophrenie Depression nach psychischem Trauma Depression Depressive Wahnsymptomatik Persönlichkeitsstörung (insb. Borderlineerkrankung) Komorbide Persönlichkeitsstörung mit Impulsivität
Biographie 4 Zurückliegende Krankenhausaufenthalte 4 Zurückliegende Rückschläge oder wechselhafter Erfolg in dem Versuch, Hilfe anzunehmen 4 Zurückliegende Suizidversuche 4 Psychische und physische Traumata in der Kindheit 4 Problemgeschichte seit früher Kindheit
249 10.8 . Grundhaltungen, Aufgaben und Funktion von Beratung in Psychischen Krisen
Psychodiagnostik im Rahmen von Kriseninterventionen Die in . Tab. 10.2 vorgestellten Beurteilungskriterien stellen auch eine zusätzliche Hilfe für eine psychologische Diagnostik dar. Insbesondere Hinweise auf den Konsum psychotroper Substanzen oder das Vorliegen eines hirnorganischen Psychosyndroms geben eindeutige Hinweise auf eine potentielle Selbst- und Fremdgefährdung wie auch auf die grundlegende Strategie bei der Beratung und der Planung weiterer Maßnahmen. Störungen des Bewusstseins, der Orientierung, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnis, im Denken, Sinnestäuschungen und Wahnerleben lassen sich in der Regel mit wenigen Fragen zur Person, zu den anderen Anwesenden, zum Ort und Datum sowie durch einen Bericht über das Geschehen abklären. Die Art der Beschreibung, Gestik und Mimik geben ausreichend Hinweise auf eine möglicherweise vorliegende Psychische Störung nach dem ICD-10. Die psychologische und ärztliche Befunderhebung in Krisensituationen sollte regelmäßig supervidiert und im Rahmen diagnostischer Praktika und Fortbildungen eingeübt werden.
10
kann und anderseits instrumentell zum Aufbau von Vertrauen, zur Deeskalation, zur Ablenkung von gefährlichen Zielen, zur Prognose von Selbstund Fremdgefährdung, zur Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, Angehörigen, Nachbarn und Freunden, zur psychologischen und medizinischen Diagnostik und zur Beurteilung alternativer Problemlösungen eingesetzt werden kann. Die Kontextanalyse dient der Aufdeckung von inner- und interpersonellen Konflikten sowie der Einbeziehung und behutsamen Offenlegung der aktuellen Lebensumstände und dem weiteren sozialen Lebensumfeld. Bedeutsam sind Informationen zur privaten Lebenssituation, Lebenspartnern, Kindern, Eltern, anderen Verwandten und Freunden ebenso wie Informationen zur Wohn-, Einkommens- und Berufssituation. In Ergänzung zur psychologischen und medizinischen Diagnostik und Befunderhebung sind anamnestische Informationen über zurückliegende somatische Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte und Psychische Störungen mit ambulanter oder stationärer Betreuung sowie Konflikte mit Behörden, Behördenmitarbeitern und dem Gesetz ebenso wichtig wie Informationen zur sozialen Eingebundenheit, zur Migration und sprachlichen oder kulturellen Barrieren.
Hinweise auf somatische Erkrankungen Im engeren Sinne kann im Rahmen einer Krisenintervention und Beratung keine medizinische Diagnostik stattfinden. Dennoch kommen offensichtlichen Einschränkungen der Gesundheit, wie eine extreme Schwäche, die hilflose Lage eines Menschen, sichtbare Verletzungen, Anzeichen für eine Intoxikation oder anderen Hinweisen auf einen akuten medizinischen Notfall eine ganz besondere Bedeutung bei der Einleitung weiterer Hilfsmaßnahmen und der Beratungsaufnahme und -durchführung zu. Ein medizinisches Grundverständnis, eine medizinische Ausbildung in Erster Hilfe, Schulungen in Gesprächsführung und Fortbildungen in der psychologischen Krisenintervention sind ebenso unverzichtbar wie eine gründliche Einarbeitung durch erfahrene Kollegen und Kolleginnen.
Kontextanalyse Die Kontextanalyse ist ein übergeordnetes Ziel, das einerseits aus dem bio-psycho-sozialen Verständnis von Gesundheit und Krankheit abgeleitet werden
10.8.3
Funktion von Beratung für Menschen in Psychischen Krisen
Beratung hilft Menschen generell und besonders Menschen in Psychischen Krisen, möglichst frei und selbstbestimmt in einer komplexen sozialen Welt zu leben. Beratung hilft Menschen Informationen zu erhalten, zu verstehen und Handlungen unter Einbeziehung dieser (ggf. neuen) Informationen zu planen und in Übereinstimmung mit den individuellen Bedürfnissen und Notwendigkeiten sowie dem sozialen Kontext, Normen und Gesetzen umzusetzen. Menschen in Psychischen Krisen können durch eine Psychische Störung sowie durch situative soziale Belastungen unterschiedlich stark in ihren basalen psychischen Funktionen, wie Bewusstsein, Orientierung, Aufmerksamkeit, Denken, Gedächtnis und Wahrnehmung eingeschränkt sein. Beratung hat dann auch die Funktion eines Nachteilsausgleichs. Die beraterische Grundhaltung – der Erhalt und/oder die größtmögliche
250
10
Kapitel 10 . Beratung bei Psychischen Krisen
Autonomie und Selbstbestimmung für Menschen in Psychischen Krisen schnellst möglichst und ökonomisch wieder herzustellen- macht es notwendig, zusammen mit den Patienten und dem sozialen Umfeld kurz-, mittel- und langfristige Perspektiven zur Überwindung der Psychischen Krise aufzubauen. In Abhängigkeit von der aktuellen psychischen und physischen Verfassung können Menschen in Psychischen Krisen aktiv in den Prozess eingebunden werden, die aktuelle Krise und das aktuelle Befinden als Problemsituation zu sehen, Problemlösungen zu erarbeiten oder sich aktiv an gemeinsamen Problemlösungen zu beteiligen. Hierbei werden das Befinden und die Sicht der Klienten auf die eigene Krise in kurz-, mittel- und langfristige Ziele umformuliert. Im Mittelpunkt stehen dann Aussagen wie, »Ich möchte« und »Ich möchte nicht, dass …«. In dieser Situation angelangt, werden Systemkenntnisse für die weitere Beratung notwendig, um aus den kommunal vorhandenen Hilfsangeboten und den potentiell verfügbaren ambulanten, teilstationären und stationären Maßnahmen diejenige oder entsprechende Kombinationen herauszugreifen, die unter Einbeziehung der Betroffenen, die an die Situation am besten angepasste Problemlösung darstellen. Das Arbeiten in einem Sozialpsychiatrischen Verbund stellt hierzu eine gute strukturelle Grundlage und Hilfe dar. Je komplexer und differenzierter die kommunalen Versorgungs- und Hilfsangebote für Menschen in Psychischen Krisen sind und je stärker diese Angebote die Selbstbestimmung und Autonomie berücksichtigen, desto überzeugender sind die Beratungsangebote, die auf die Kooperation der Betroffenen setzen, um die Auswirkungen Psychischer Krisen zu lindern und deren Ursachen abzuschwächen oder zu beseitigen. In dem Maße, wie eine Beratung bereits in einer akuten Krisensituation Perspektiven für nachfolgende medizinische Behandlungen vorhandener somatischer Erkrankungen, den Zugang zur ambulanten Familien- und Erziehungsberatung, zur ambulanten und stationären Psychotherapie, zu umfangreichen sozialarbeiterischen Hilfen und zur Unterstützung bei der Wohnungssuche, der Schuldenberatung oder der beruflichen Qualifikation und Arbeitssuche anbieten kann, wächst die Chance, dass Beratung in Psychischen Krisen ernst genommen wird und zu einer effektiven Hilfe für
die Betroffenen und zur Steuerung der psychosozialen Hilfen für Menschen in Psychischen Krisen wird.
Literatur Beauchamp, T.L. & Childres, J.F. (2001). Principles of biomedical ethics. Oxford: University Press. Beins, W. (2007). Sozialpsychiatrischer Verbund – ist der Aufbruch gelungen? In H. Elgeti (Hrsg.), Psychiatrie in Niedersachsen. Bonn: Psychiatrie-Verlag. Bergold, J. & Zimmermann, R.-B. (2003). Wie arbeitet ein Krisendienst? Bericht über die Evaluation des Berliner Krisendienstes. Psychotherapie im Dialog, 4, 382-388. Bergold, J. & Zimmermann, R.-B. (2002). Abschlußbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung des Berliner Krisendienstes. Eine Kooperation zwischen Freier Universität Berlin und Katholischer Fachhochschule Berlin. Biehl, H., Möhlenkamp, G. Bärwinkel, A. & Sammadi, A. (1999). Tätigkeits- und Leistungsbericht des Sozialpsychiatrischen Dienstes Bremen (Band 1). Bremen: Gesundheitsamt der Freien Hansestadt Bremen. Bohnert, C. (2000). Unterbringungsrecht: juristisches Kurzlehrbuch für Studium und Praxis. München: Beck. Cording, C. & Weig, W. (2003). Zwischen Zwang und Fürsorge. Die Psychiatriegesetze der deutschen Länder. Baden-Baden: DWW. Davison, G.C. Neale, J.M. & Hautzinger, M. (2007). Klinische Psychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union. Dilling, H., Mombour, W. & Schmidt, M.H. (1993). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F) Klinisch diagnostische Leitlinien. Bern: Huber. Erikson, E.H. (1968/1998). Jugend und Krise. Die Psychodynamik im sozialen Wandel. Stuttgart: Klett-Cotta. Fähndrich, E. & Stieglitz, R-D. (1998). Leitfaden zur Erfassung des psychopathologischen Befundes. Halbstrukturiertes Interview anhand des AMDP-Systems. Göttingen: Hogrefe. Fähndrich, E. & Stieglitz, R-D. (1997). Das AMDP-System. Manual zur Dokumentation psychiatrischer Befunde. Göttingen: Hogrefe. Gostin, L.O. (2000). Human rights of persons with mental disabilities. International Journal of Law, 23, 125-159. Grisso, T. & Applebaum, P.S. (1998). Assessing competence to consent to treatment: A guide for physicians and other health professionals. New York: Oxford University Press. Keupp, H. (2004). Die Normalität der Krise oder die Krise der Normalität – Krisenpotentiale im globalisierten Netzwerkkapitalismus. In W. Müller & U. Schermann (Hrsg.), Praxis Krisenintervention (S. 20- 32) Stuttgart: Kohlhammer. Krischke, N.R. (2006). Sozialpsychiatrische Gesundheitspsychologie. Qualitätssicherung in der Zwangseinweisungspraxis. Bonn: Psychiatrie-Verlag. Linden, M. & Baron, S. (2005). Das MINI-ICF-Rating für psychische Störungen (MINI-ICF-P). Ein Kurzinstrument zur Beurteilung von Fähigkeitsstörungen bei psychischen Erkrankungen. Die Rehabilitation 2005, 44, 144 – 151.
251 Literatur
Marschner, R. & Volckart, B. (2001). Freiheitsentziehung und Unterbringung. Materielles Recht und Verfahrensrecht. München: Beck. Müller, W. (2004). Theorie für die Praxis – Vom fraglichen Nutzen der Krisenmodelle. In W. Müller & U. Schermann (Hrsg.), Praxis Krisenintervention (S.47-57). Stuttgart: Kohlhammer. Saß, H. Wittchen, H-U. & Zaudig, M. (1996). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-IV. Göttingen: Hogrefe.
10
Schleuning, G. & Welschehold, M. (2000). Münchner Krisenstudie. Sozialpsychiatrische Informationen, 4, 44-47. Sonneck, G., Aichinger, E.M. & Bodner, E. (2000). Krisenintervention und Suizidverhütung. Stuttgart: UTB. WHO (1986). Ottawa-Charta for health promotion. Genf: World Health Organisation. WHO (1980). International classification of impairment, disabilities and handicaps. Genf: World Health Organization.
1
III Integration 11 Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick – 255
11 Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick 11.1 Beratung – Ein dynamisches Anwendungsfeld – 256 11.2 Differenzierung und Spezialisierung in der Beratung 11.3 Beratung in den etablierten Anwendungsfächern der Psychologie – Konvergenzen und Divergenzen
– 257
– 258
11.4 Qualitätssicherung – 259 11.5 Science-Practioner-Modelle
– 261
11.6 Beratungspsychologie – Ein eigenständiges Anwendungsund Forschungsfeld – 262 Literatur
– 263
256
11
Kapitel 11 . Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick
Unsere Gesellschaft befindet sich in einem starken Wandlungsprozess: Lebenskontexte verändern sich, neue Fragen, für die es noch keine etablierten Lösungswege gibt, entstehen, technologische Veränderungen bieten neue Chancen, aber bergen auch neue Probleme. Mit der zunehmenden Komplexität, Diversifikation und Spezialisierung in unserer Gesellschaft steigen auch die Anforderungen an die Handlungs- und Entscheidungskompetenzen jedes Einzelnen. Dabei sind diese Anforderungen nicht per se als negativ zu sehen, man denke nur daran, dass ohne die Möglichkeit einer freien Berufswahl kein Bedarf an einer Berufslaufbahnberatung bestünde. Beratung ist ein interdisziplinäres Interventionsfeld, das aus der aktuellen psychosozialen Versorgung nicht mehr wegzudenken ist. Professionelle psychosoziale Beratung ist eine wichtige Säule in der Versorgung von Menschen in Problemlagen, die von den Betroffenen (Einzelpersonen, Paaren, Familien, Teams, Organisationen etc.) nicht eigenständig – aufgrund von fehlendem Wissen, mangelndem Handlungsrepertoire, Ambivalenz bzgl. der verschiedenen Lösungswege etc. – bewältigt werden können. Beratung ist dabei gekennzeichnet als ein Aushandlungs- und Interaktionsprozess, bei dem Klient und Berater sich über ihre jeweilige Sicht zur Beschreibung der Problemlage, dem anzustrebenden Ziel und den Möglichkeiten zur Problemlösung austauschen. Die Stärkung des Selbsthilfepotentials des Klienten und seiner personalen wie sozialen Ressourcen stehen dabei im Mittelpunkt. Der folgende Ausblick hat sich zum Ziel gesetzt, nicht nur die innerhalb dieses Buches diskutierten Punkte zusammenzutragen, sondern auch einen Ausblick zu wagen, welche Forderungen sich an die psychosoziale Beratung stellen, wenn in Zukunft der Weg einer eigenständigen professionellen Beratung beschritten werden soll.
11.1
Beratung – Ein dynamisches Anwendungsfeld
Auch Beratung wandelt sich. Dieser Wandel lässt sich an verschiedenen Punkten verdeutlichen. Zum einen, dass sich neue Formen der Interaktion und Kommunikation innerhalb der Beratung ergeben. So findet sich gerade im Beratungssektor – auch in Abgrenzung zur Psychotherapie – eine
verstärkte Nutzung der neuen Medien, um einerseits die Zugänglichkeit zur Beratung zu erleichtern, andererseits aber auch konkret Beratungen (via E-Mail; in Chatrooms etc.; ▶ Kap. 5) durchzuführen. Dieser Wandel in der Interaktionsform weg vom klassischen »face-to-face«-Gespräch hin zu anonymeren Interaktionsformen stellt besondere Anforderungen an den Berater. Im Bereich der Prävention (z.B. Gewaltprävention an Schulen) und der Gesundheitspsychologie (z.B. Drogenmissbrauch) wird verstärkt über so genannte »peereducators« nachgedacht, die gerade in der Arbeit mit Jugendlichen den Zugang zu den betroffenen Gruppen erleichtern sollen, aber auch als Modelle und Ko-Berater fungieren können. Andererseits wandeln sich auch die Inhalte sowie die konkreten Ziele der Beratung mit den jeweiligen Anforderungen und Möglichkeiten einer Gesellschaft. So ist die so genannte genetische Beratung (vgl. auch Jung, 2004) ein relativ junges Anwendungsfeld der psychosozialen Beratung – entstanden durch die steigenden Erkenntnisse zu genetisch bedingten Erkrankungen. Patientenberatung als ein Konzept der psychosozialen Beratung im medizinischen Sektor trägt der Tatsache Rechnung, dass der Umgang mit chronischen Erkrankungen die Betroffenen und deren Familien vor hohe Anforderungen stellt, u.a. was den Umgang mit den immer diffizileren Technologien zur Symptomreduktion angeht. Im Zusammenhang mit den bereits angesprochenen Medien ist zum Beispiel an die Diskussion um Fernseh- oder Spielsucht bei Kindern zu denken. Eltern fragen sich, ob und wie sie den Fernsehkonsum ihres Kindes einschränken sollen. Die neuen Videospiele mit hohem Gewaltpotential werden gerade im Bereich der Aggressionsforschung intensiv untersucht. Aufgrund der Relevanz der Thematik wird sich hier unter Umständen ein neuer Anwendungsbereich der psychosozialen Beratung – die Medienberatung – etablieren. Auch die konkreten Ziele von Beratung haben sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt: Die starke Betonung von Eigenverantwortlichkeit, Ressourcenaktivierung und Empowerment sind neuere Entwicklungen, die in der konkreten Arbeit umgesetzt werden sollen. Neuere Herangehensweisen haben sich nicht nur bezogen auf die Nutzung neuer Medien ergeben, sondern auch bezogen auf die beratungspsychologische
257 11.2 · Differenzierung und Spezialisierung in der Beratung
Theorienbildung. Die Zahl der Beratungsansätze ist fast nicht mehr zu überblicken und viele sind leider auch nicht empirisch geprüft. Dennoch haben sich in einigen Bereichen viel versprechende Ansätze ergeben wie die Mediation im Bereich des OpferTäter-Ausgleichs oder bei Partnerschaftskonflikten (vgl. Bastine, 2006; Kals & Montada, 2007; RömerWolf & Theilmann-Braun, 2003) oder das Motivational Interviewing im Bereich der Suchtberatung (▶ Kap. 4).
11.2
Differenzierung und Spezialisierung in der Beratung
Die Diversifizierung von Beratung lässt sich an den vielen Formen von Beratung ablesen: es gibt Schulberatung, Studienberatung, Schwangerenberatung, Beratung für Homosexuelle, Beratung für MigrantInnen, Arbeitslosenberatung, Beratung für Opfer sexueller Gewalt, Ernährungsberatung - die Liste ließe sich wohl nahezu unendlich fortsetzen. Mal wird nach der Gruppe differenziert, an die sich die Beratungsangebote richten (z.B. Kinder und Jugendliche oder Migranten), mal nach der Thematik (z.B. Alkohol und Drogen oder Sexualität). Mit dieser Entwicklung wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Beratung zielgruppenspezifisch sein muss und beispielsweise Angebote für MigrantInnen deren kulturellen Hintergrund berücksichtigen müssen. Die Ansprache und die Arbeit mit Kin-
dern und Jugendlichen müssen anders erfolgen und unterliegen anderen rechtlichen Bedingungen als die Arbeit mit Erwachsenen. Die Vielzahl von unterschiedlichen Beratungsangeboten kann aber auch als Ausdruck der Tatsache betrachtet werden, dass in unserer pluralistischen Gesellschaft sich sehr spezifische Problemlagen ergeben. Damit steigen auch die Anforderungen an die Berater, die in vielen verschiedenen Themenbereichen kompetent, auf der Grundlage neuester, wissenschaftlich überprüfter Erkenntnisse handeln sollen. Der interdisziplinäre Charakter professioneller psychosozialer Beratung erfordert nicht nur Wissen und Kompetenzen bezogen auf das eigene Professionsfeld (wie Psychologie, Pädagogik, Seelsorge, Medizin, etc.), sondern auch – zumindest Basiswissen – in den die damit in Verbindung stehenden weiteren Disziplinen (wie z.B. juristische oder ökonomische Belange). Diesem Anspruch kann niemand mehr genügen, betrachtet man alleine die Geschwindigkeit, mit der neue Erkenntnisse in der Wissenschaft heutzutage erzielt werden, aber auch deren schier unübersichtliche Quantität. Diese so genannte »Fachkompetenz« muss ergänzt werden durch »Handlungskompetenzen« oder »operatives Wissen«, die die optimale Gestaltung von Beratungssituationen betreffen. Hierzu gehören dann beispielsweise kulturspezifische Sensibilität oder besondere Medienkompetenzen, wenn es um den Umgang mit neuen Beratungsformen geht. Die »Zweiteilung« oder »Doppelverortung von Bera-
Beratungshandeln
„Fachkompetenz“
• Ängste • Lernprozesse • Motivation • Complianceprobleme • typische Problemstrukturen •… ⊡ Abb. 11.1. Quellen des Beratungshandelns
11
„Methodenkompetenz“
• Beziehungsmerkmale • Aufbau von Vertrauen • Eröffnungstaktiken • Präsentationstechniken • Diagnosefertigkeiten •…
258
11
Kapitel 11 . Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick
tung« (Nestmann, Engel & Sickendiek, 2004) ist in . Abb. 11.1 graphisch dargestellt. Zunehmend zu beachten sind Fragen der Diversität in der Beratung. Der Begriff bezeichnet die vielfältigen sozialen, kulturellen, physischen und umweltbezogenen Unterschiede zwischen Menschen, die ihr Denken, ihre Lebensführung und ihr Handeln beeinflussen (vgl. Sickendiek, 2006). Damit sind also nicht nur kulturelle Unterschiede gemeint, sondern auch die Aspekte wie Alter, Geschlecht oder einkommens- und bildungsbezogener Hintergrund. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in der Berater mit einer zunehmenden Vielfalt an Lebensformen und –hintergründen konfrontiert werden. Die aktuelle Diskussion fokussiert jedoch sehr stark auf den Bereich der »multikulturellen, interkulturellen, kultursensitiven oder kulturübergreifenden Beratung«, um nur einige Begrifflichkeiten zu nennen, die teils synonym gebraucht werden. Die Integration von Personen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund stellt sicherlich eine der großen Herausforderungen der Zukunft dar. In ihrem Selbstverständnis ist Beratung für Menschen aller Bevölkerungsgruppen offen. Eine ressourcenorientierte Perspektive, wie sie der Beratung zugrunde liegt, betont zudem den Aspekt der lebensweltlichen und kulturellen Verortung von Beratungswissen und –handeln (McLeod, 2004). Auf der anderen Seite beziehen sich viele der psychologischen Theorien auf eine eng begrenzte Personengruppe und sind unter Umständen nicht einfach auf andere Gruppen übertragbar. In der jüngsten Zeit sind entsprechende Modelle für eine multikulturelle Beratung entstanden (vgl. Ponterotto, Fuertes & Chen, 2000 für einen Überblick). Für die Zukunft fordert Sickendiek (2006) u.a. mehr heterogene Beratungsteams (z.B. bezogen auf kulturellen Hintergrund und Geschlecht) sowie die Zusammenarbeit mit Schlüsselpersonen aus den jeweiligen Gruppen. Darüber hinaus sollten Berater sensibel für die individualistischen oder kollektivistischen Lebensmuster ihrer Klienten sein, sich der unterschiedlichen Normen und Werte, Sitten und Gebräuche, Erwartungen an Beratung, Erfahrungen mit Beratung etc. bewusst sein. Diversität in der Beratung umzusetzen, erfordert nicht nur viel Zeit, sondern auch flexible Institutionen, die bereit sind, neue Wege zu gehen.
Eine Spezialisierung im Bereich der mit Beratung befassten Professionen ist unerlässlich und muss als Gütesiegel professioneller Beratung gelten. Damit einher geht die Forderung, dass eine ständige Fort- und Weiterbildung in der professionellen Beratung ebenso unerlässlich ist, wie die prozessbegleitende Dokumentation, Evaluation und Reflexion der eigenen Arbeit (▶ Kap. 11.4).
11.3
Beratung in den etablierten Anwendungsfächern der Psychologie – Konvergenzen und Divergenzen
Beratung hat – wie Schwarzer und Buchwald in ihrem Beitrag formulieren – Konjunktur. Die hohe Nachfrage nach Beratungsangeboten trifft nicht nur auf den Bereich der Pädagogischen Psychologie zu, sondern lässt sich für sämtliche Bereiche festhalten. Die Abgrenzung der Beratung von anderen psychologischen Interventionsformen wie Therapie, Coaching oder Erziehung ist ein Thema, das sich in allen Anwendungsfächern wieder findet. Die Ausführungen zu den aktuellen Diskussionen in der Gesundheits-, Klinischen, Pädagogischen und Arbeits- und Organisationspsychologie haben gezeigt, dass sich – trotz der vielen Unterschiede in den einzelnen Handlungsfeldern – sehr große Überschneidungen und parallele Entwicklungen beobachten lassen. So finden sich in den verschiedenen Handlungsfeldern immer wieder der Bezug auf die klientenzentrierte Beratung nach Rogers (1971) und die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätze. Diese haben dann durchaus Spezifizierungen für den jeweiligen Handlungsbereich erfahren, sind aber – was Verbreitung und Forschungsinteresse angeht – die relevanten Ansätze. In allen Beiträgen finden sich Hinweise auf die zunehmende Betonung von Ressourcenorientierung und Empowerment in der Beratung. Dieser Aspekt wird auch nochmals von Krischke (▶ Kap. 10) betont, wenn es um die Beratung von Personen in psychischen Krisensituationen geht. Weiterhin lassen sich auch zahlreiche Überschneidungen in den Handlungsfeldern erkennen. So weist Bamberg in ihrem Beitrag auf die Bedeutung der Suchtberatung in betrieblichen Kontexten hin – ein Thema, das auch im Bereich der Päda-
259 11.4 . Qualitätssicherung
gogischen, Klinischen wie auch der Gesundheitspsychologie stark diskutiert wird. Schwarzer und Buchwald (▶ Kap. 6) gehen in ihrem Beitrag im Kontext der Schule auf individuelle Beratungskonzepte für LehrerInnen (wie zum Beispiel umfassende Stressmanagement-Programme für Lehrende), Team Teaching als kooperative Lehrmethode und Institutionsberatung für die Schule ein. Damit werden bereits bei den vorgestellten Themen die Überschneidungen zu den anderen Anwendungsfeldern deutlich: Stress und dessen Bewältigung sind zentrale Themen der gesundheitspsychologischen wie klinischen Forschung. Das vorgestellte Konzept geht noch darüber hinaus, indem zum Beispiel Techniken wie Zeitmanagement und Arbeitsorganisation, die gerade auch in der Arbeits- und Organisationspsychologie eine hohe Verbreitung finden, mit Lehrern diskutiert werden sollen. Auch Bamberg (▶ Kap. 9) verweist in ihrem Beitrag auf das Belastungserleben, dem in mittelständischen Unternehmen die Führungskräfte ausgesetzt sind, und stellt ein stressbezogenes Coachingprogramm vor. Entgegen der Situation im schulischen Kontext ist zum Beispiel eine Spezifizierung dahin festzustellen, dass ein Gruppentraining bei Führungskräften wohl mit einer geringen Akzeptanz verbunden wäre und daher ein individuelles Coachingprogramm bevorzugt wurde. Bei den eingesetzten Methoden lassen sich deutliche Überschneidungen zum vorgestellten Stressmanagement-Programm für Lehrer finden. Auch Mattejat und Pauschardt (▶ Kap. 8) sowie Domsch und Lohaus (▶ Kap. 7) diskutieren im Rahmen der Psychoedukation für Angehörige von depressiv-erkrankten Personen bzw. der Patientenschulung für Kinder mit Asthma die Rolle von Stress – hier speziell für die Auslösung von Krankheitsphasen. Krischke thematisiert in seinem Beitrag die Bedeutung der begleitenden Beratung von Angehörigen. Die besondere Bedeutung, die der Selbstbestimmung im Rahmen von Beratungsangeboten zugemessen wird, wird sehr anschaulich von Krischke in seinem Beitrag dargestellt, wenn der Umgang mit Personen, die selbst- und fremdgefährdendes Verhalten aufweisen, diskutiert wird. Dabei wird die Bedeutung einer Einbettung von Beratung in den sozialen Kontext veranschaulicht und am Beispiel der Sozialpsychiatrischen Verbün-
11
de die Vielzahl der professionellen und semi-professionellen Beratungsangebote verdeutlicht. Auch Mattejat und Pauschardt gehen auf die Bedeutung einer starken Vernetzung von psychosozialen Hilfsangeboten ein. Anhand dieser kleinen Beispiele soll verdeutlicht werden, wie ähnlich – und doch gleichzeitig wieder verschieden – die Konzepte und Diskussionen in den einzelnen Bereichen sind. Unzählige weitere Beispiele lassen sich finden. Ein Austausch ist sicherlich fruchtbar: So ist das Konzept des stressbezogenen Coaching auch auf den pädagogischen Kontext übertragbar, wenn es beispielsweise um die Beratung von Schuldirektoren geht – eine Aufgabe, der sich Pädagogische sowie Arbeits- und Organisationspsychologie gemeinsam stellen sollten. Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass ein Austausch über die disziplinspezifischen Grenzen hinaus erfolgt. Dies betrifft nicht nur die verschiedenen Anwendungsfelder innerhalb der Psychologie, sondern auch die an Beratung beteiligten weiteren Professionen. Zwar finden sich immer wieder unterschiedliche Akzentuierungen und spezifische Problemstellungen, doch generell können alle Disziplinen von einem Austausch profitieren. Sicherlich stellt die Multiprofessionalität in der Beratung eine besondere Herausforderung dar, gleichzeitig aber auch eine enorme Chance, indem sich Synergien ergeben. In diesem Zusammenhang sind integrative Konzepte zu fordern, die den unterschiedlichen Sichtweisen und Handlungsansätzen innerhalb der psychosozialen Beratung Rechnung tragen.
11.4
Qualitätssicherung
Für eine professionelle psychosoziale Beratung ist eine Qualitätssicherung unerlässlich. Qualitätssicherungsmaßnahmen werden in der Beratung seit den 90er Jahren umfassend diskutiert und zunehmend auch etabliert. Qualitätssicherung meint dabei aber nicht nur, dass Supervision und Intervision angeboten wird oder regelmäßig Weiterbildungsangebote wahrgenommen werden, um sich über den aktuellen Stand der Wissenschaft zu informieren. Es geht auch darum, dass routinemäßig die eigene Arbeit überprüft, bewertet und ggf. das Vorgehen modifiziert wird. Die Ziele sind
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Kapitel 11 . Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick
dabei weitgestreut. Mellor-Clark und Barkham (2006) nennen: 4 Aufzeigen der Angemessenheit der Servicestrukturen, 4 Verbessern der Zugänglichkeit der Servicedienste, 4 Beobachten der Akzeptanz des Service, 4 Sicherstellen der Gleichbehandlung/fairen Behandlung aller potentiellen Klienten, 4 Belegen der Wirksamkeit des Serviceangebots und 4 Verbessern der Effizienz der Servicedienste.
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Traditionell werden in der Qualitätsforschung drei verschiedene Ebenen unterschieden, um diese Ziele zu überprüfen: Die Strukturqualität bezeichnet die institutionell-organisatorischen Rahmenbedingungen und die Ausstattung als Voraussetzungen, um eine Beratungsleistung zu erbringen. Lenz (1998) nennt hier Freiwilligkeit, Vertraulichkeit und Gebührenfreiheit, Niedrigschwelligkeit, Kapazität für Krisenintervention, Lebensweltorientierung, Vernetzung und multiprofessionelle Teams als wesentliche Kriterien zur Erfassung der Strukturqualität. Die Prozessqualität bezieht sich auf den Ablauf und die konkrete Umsetzung der Beratungsleistung. Konkret beinhaltet dies beispielsweise folgende Fragen: Wie wurde das Vertrauensverhältnis geschützt? Wie wird die Beratung dokumentiert? Gibt es klare Kriterien für den Abbruch einer Beratung oder die Überweisung an andere Stellen? Erhalten die Mitarbeiter regelmäßig externe Supervision? Sind die einzelnen Schritte transparent? Gibt es Daten zur Bewertung der einzelnen Beratungssitzungen? Die Ergebnisqualität in der psychosozialen Beratung bezieht sich darauf, welche Ergebnisse die Beratungsarbeit erbracht hat und wie diese Ergebnisse der Arbeit festgestellt werden. Die Ergebnisqualität beinhaltet die systematische Analyse von Wirkungen der Beratungsarbeit und bezieht dabei die Sicht der Klienten (Zufriedenheit, psychosoziale Gesundheit), der Mitarbeiter sowie des Trägers (Wirtschaftlichkeit, Anforderungen an Änderungen) ein und bezeichnet damit den Bereich der Evaluationsforschung. Während im Bereich der Struktur- und Prozessqualität fachliche Standards – differenziert für verschiedene Arbeitsschwerpunkte – formuliert und von den Beratungsstellen umgesetzt wurden,
bedarf der Bereich der Sicherung und Verbesserung der Ergebnisqualität ein verstärktes Interesse. In der wissenschaftlichen Forschung werden die Evaluationsansätze immer elaborierter (vgl. Hager, Patry & Brezing, 2000). In wohl keinem Bereich zeigt sich allerdings die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis stärker. Viele Angebote haben sich in der Praxis bewährt, können aber keine wissenschaftlich haltbaren Daten aufweisen, die dies untermauern. Viele wissenschaftliche Ansätze – so auf der anderen Seite die Meinung der Praktiker – sind weder praktikabel noch ökologisch valide. Dadurch bedingt hat sich die Beratungsforschung lange Zeit auf den Bereich der Erhebung der Klientenzufriedenheit konzentriert – sicherlich ein wichtiges Konzept, aber als alleiniges Maß für die Erreichung der Beratungsziele nicht ausreichend. Im Bereich der Evaluations-Forschung haben sich in den letzten Jahren enorme Fortschritte ergeben. So liegen gerade aus dem medizinischen Bereich viele randomisierte, kontrollierte Studien zur Wirksamkeit von Beratung allgemein oder bestimmter Beratungsansätze (z.B. MI) vor. Gerade im Vergleich zur Psychotherapieforschung, die sich als eigenständiger Forschungszweig innerhalb der Klinischen Psychologie etabliert hat, muss man festhalten, dass sich Beratungsforschung bislang noch nicht als eigenständiges und überschaubares Forschungsfeld etabliert hat (z.B. McLeod, 2004) und die Befundlage als unzufriedenstellend zu bezeichnen ist (Vossler, 2003). Viele Arbeiten aus dem Bereich der Psychotherapieforschung beziehen allerdings auch Beratungsansätze – oftmals nicht explizit ausgewiesen – in ihre Untersuchungen ein, so dass die Datenbasis für eine evidenzbasierte Beratung wohl eher unterschätzt wird. Dennoch liegen für viele spezifische Beratungskonzepte kaum oder gar keine Untersuchungen zu deren Wirksamkeit vor. Ein Problem, das sich gerade für die Beratungsforschung stellt, ist, dass die Zielkriterien anhand deren Beratungserfolg definiert werden kann, wesentlich breiter gesteckt sind als dies innerhalb der Psychotherapieforschung der Fall ist. Aspekte wie Ressourcenaktivierung, Prävention, Entwicklungsförderung, Hilfe bei Alltagsproblemen, Vermittlung von Selbsthilfekompetenzen, Vermittlung an andere Servicestellen und der generell stärkere lebensweltorientierte Ansatz
261 11.5 . Science-Practioner-Modelle
(▶ Kap. 2) sind Ziele, die immer wieder genannt, allerdings in Studien nicht ausreichend erfasst werden. Lenz (1998) nennt als wesentliche Effektparameter die Kommunikation und Diskursfähigkeit, den Alltagstransfer (Nachhaltigkeit), die Ressourcenaktivierung, die Problembewältigung (auch im Sinne einer Symptomlinderung), die Klärung sowie die Zufriedenheit. Zwar finden sich für den Beratungssektor durchaus eine Reihe von Messinstrumenten (vgl. Klann, Hahlweg & Heinrichs, 2003; Maruish, 2004), aber es fehlen noch konkrete Vorschläge, welche Messinstrumente standardmäßig in der Praxis eingesetzt werden sollten (Vorschläge gibt es bspw. für die psychotherapeutische Praxis von Grawe & Braun, 1998). Die Barrieren für die Wirksamkeitsforschung in der psychosozialen Beratung wurden bereits ausführlich in ▶ Kap. 3.3 diskutiert. Zu fordern ist nicht nur die Entwicklung von beratungsspezifischen und ökonomischen Messinstrumenten für die Praxis, sondern auch die Durchführung von so genannten »efficacy«-Studien, die die Wirksamkeit von Interventionen unter Alltagsbedingungen testen. Die regelmäßige, möglichst standardisierte Erhebung des Beratungsverlaufs und –erfolgs ist auch zur unmittelbaren Steuerung des Beratungsverlaufs hilfreich. So ließ sich der Therapieerfolg anhand von Beobachtungen der ersten Sitzungen relativ gut vorhersagen und Rückmeldungen zur therapeutischen Allianz erwiesen sich als hilfreich, um die Angemessenheit der aktuellen Beratungsarbeit/therapeutischen Strategie zu bestimmen (Howard, Cornille, Lyons, Vessey, Lueger & Saunders, 1996; Lambert, Hansen & Finch, 2001; Lueger, 1998; Lueger, Howard, Martinovich, Lutz, Anderson & Grissom, 2001; Miller, Duncan, Sorrell & Brown, 2005). Auf dieser Basis lassen sich Feedbacksysteme entwickeln, die dem Berater eine Rückmeldung zum jeweiligen Stand der Beratung und den Fortschritten und Veränderungen seitens seines Klienten geben. Solche Systeme haben sich bereits in der Praxis bewährt (vgl. Lambert, Whipple, Hawkins, Vermeersch, Nielsen & Smart, 2003). Forschungsbedarf besteht auch in der Frage der Nachhaltigkeit von Beratungsangeboten. So ergeben beispielsweise Befragungen von Klienten in der Erziehungsberatung, dass bis zu einem Drittel der Klienten innerhalb von drei Jahren weitere psychologische Angebote in Anspruch nehmen und die
11
fehlende Nachbetreuung beklagen (vgl. Vossler, 2003). Hier sollte sicherlich über »booster-sessions« nachgedacht werden, die in anderen Bereichen bereits sehr erfolgreich zur Anwendung kommen.
11.5
Science-Practioner-Modelle
Bedauerlicherweise herrscht eine große Kluft zwischen den praktisch tätigen Beratern und den Beratungsforschern: Aktuelle Forschungsergebnisse und Theorieentwicklungen werden in der Praxis kaum rezipiert (oder gar belächelt), aber andererseits werden von Seiten der Forscher die Entwicklungen, die sich in der Praxis ergeben haben, kaum wahrgenommen. So kommen nur 6% der Publikationen im Bereich der Beratungspsychologie aus nichtakademischen Settings (Kahn, 2005). Dies ist kein ausschließlich »deutsches« oder auf die Beratung zu begrenzendes Problem: Brems, Johnson und Gallucci (1996) untersuchten die Forschungsaktivität von jeweils 500 APA-Mitglieder in der Division »Klinische« sowie der Division »Beratung«. Beide Gruppe unterschieden sich nicht in ihrer Forschungsaktivität, die insgesamt jedoch als sehr gering bezeichnet werden kann: Der Modalwert lag für alle Publikationsaktivitäten bei 0; weniger als 10% der Mitglieder veröffentlichten in Büchern und weniger als 30% in Zeitschriften. Studien mit Praktikern im Bereich der Psychotherapie haben gezeigt, dass vor allem die Erfahrungen mit den Klienten als hilfreich eingeschätzt werden und die Forschung als zu praxisfern betrachtet wird (Morrow-Bradley & Elliott, 1986). Um diese Kluft zu beheben, werden immer wieder Science-Practioner-Modelle gefordert (Carter, 2002; Lampropoulos, Goldfried, Castonguay, Lambert, Stiles & Nestoros, 2002). Dabei sollen wissenschaftliche Untersuchungen – u.a. angeregt durch die Erfahrungen der Praktiker im Alltag – in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern realisiert werden. Dadurch könnte nicht nur sichergestellt werden, dass aktuelle Problemstellungen und Entwicklungen aus der Praxis aufgegriffen werden, sondern auch der Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die psychosoziale Versorgung ist dadurch besser gewährleistet. Dabei ist darauf zu achten, dass sich Forscher und Praktiker auf gleicher Augenhöhe begegnen und die Kompetenzen
262
11
Kapitel 11 . Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick
des jeweils anderen respektieren. Von Seiten der Forschung ist Verständnis für die zeitliche Limitierung der Praktiker für die Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen notwendig. Die Durchführung von Qualitätssicherungsmaßnahmen wird von Praktikern leider oftmals als Kontrolle wahrgenommen und es bestehen diverse Bedenken gegen die Durchführung. Hier sollte der Forscher die Vorteile von begleitenden Forschungsmaßnahmen und die Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung der Arbeit herausstellen. Der Forscher sollte seinerseits auch die zahlreichen Erfahrungswerte von Praktikern anerkennen, die als geschulte Diagnostiker wertvolle Beobachtungen und Hypothesen einbringen können. Sie können den Forschern Rückmeldungen liefern, wie zum Beispiel bestimmte Erhebungsinstrumente von den Klienten akzeptiert werden. McLeod (2006) geht noch einen Schritt weiter und spricht vom Berater als Forscher. Er fordert Praktiker auf, Forschung zur Reflektion und eigenen professionellen Weiterentwicklung zu nutzen. Entsprechende Hinweise zur Durchführung quantitativer und qualitativer Studien liegen vom gleichen Autor vor (McLeod, 2001, 2003). Hier ist sicherlich anzumerken, dass die Ausbildung in Forschungsmethoden Bestandteil der Methodenausbildung an deutschen Universitäten in der Psychologieausbildung ist und diese Kompetenzen innerhalb des multiprofessionellen Beratungsteams von Seiten der Psychologie eingebracht werden können.
11.6
Beratungspsychologie – Ein eigenständiges Anwendungsund Forschungsfeld
Wie die Ausführungen bereits gezeigt haben, bestehen deutliche Überschneidungen zwischen den verschiedenen Interventionsformen innerhalb der Psychologie. Im Gegensatz zum »Psychologischen Psychotherapeuten« ist der Titel »Berater« oder »psychologischer Berater« in Deutschland nicht geschützt, was weit reichende Implikationen für die Professionalisierung mit sich bringt. Auch gibt es keine Fachgruppe »Beratungspsychologie« innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Psychologie – im Gegensatz zum Beispiel zur Situation in der APA, wo die Gruppe »Counseling« die zweitstärkste Division darstellt. Zwar gibt es erste Bemü-
hungen Beratung in der psychosozialen Praxis stärker zu professionalisieren, aber der Weg zu einer rechtlichen Regelung ist sicherlich noch sehr weit. Als Problemfelder sind die Abgrenzung von verwandten Disziplinen und die Multiprofessionalität der psychosozialen Beratung zu sehen. Aufgrund der großen Überschneidung in den Themenfeldern der psychosozialen Beratung mit denen in der Klinischen Psychologie fällt die Abgrenzung hier am schwierigsten. Beratung muss sich in Konkurrenz mit der Psychotherapie »als dem großen Bruder« behaupten – diesen Eindruck könnte man auf den ersten Blick gewinnen. Dabei ist Beratung ganz klar von Psychotherapie abzugrenzen, die ihre Anwendung nur bei klinisch relevanten Störungen findet. Allerdings wird diese Grenze in vielen Studien nicht explizit gezogen. So betrachten viele Autoren innerhalb der Klinischen Psychologie Beratung als ein integratives Behandlungselement der Therapie. Eine zunehmend eigenständige Position konnte Beratung behaupten, wenn es um die Arbeit mit Angehörigengruppen geht. Hier wurden psychoedukative Konzepte entwickelt, die Angehörige von psychisch kranken Personen helfen sollen, nicht nur die Symptome der Erkrankung zu lindern, sondern auch ihren eigenen Alltag mit den Betroffenen besser zu meistern (vgl. auch Domsch & Lohaus sowie Mattejat & Pauschardt in diesem Buch). Sicherlich einen größeren Grad an Eigenständigkeit und Relevanz wird der Beratung innerhalb der Gesundheitspsychologie, der Pädagogischen sowie der Arbeits- und Organisationspsychologie zugemessen. In Abgrenzung zur Klinischen Psychologie stehen in diesem Bereich jedoch keine pathologischen Auffälligkeiten im Vordergrund, sondern normale Problemlagen, die jeden Menschen in bestimmten Lebensvollzügen oder jede Organisation betreffen können. Damit wird in diesen Handlungsfeldern der normative Charakter von Beratung betont. Beratungsbedarf kann sozusagen »jeden treffen«, wenn sich neue Anforderungen ergeben. Schürmann (2006) geht trotz der vielen Überschneidungen mit der Psychotherapieforschung von einer »gewissen« Eigenständigkeit der Beratungsforschung aus. Die eigenen Entwicklungen werden gerade im Bereich der Forschung zu Präventions- und Entwicklungsaufgaben, im Ressourcenansatz und dessen systematischer Erforschung – auch in Bezug zu anderen Disziplinen und zu den
263 Literatur
speziellen Tätigkeitsfeldern – gesehen. Der »Blick über den Tellerrand« ist sicherlich auch innerhalb der psychologischen Disziplinen sehr fruchtbar. Dies betrifft nicht nur die in diesem Buch vorgestellten Entwicklungen innerhalb der (Haupt-) Anwendungsfelder der Psychologie. So betont Lampropoulos (2001) die Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Formen der sozialen Einflussnahme wie der Erziehung, der Religion, der Politik oder im Marketing und plädiert für einen stärkeren Austausch zwischen den Disziplinen. Auch andere Forschergruppen sehen eine zunehmende Eigenständigkeit der Beratungspsychologie im Vergleich zur Klinischen Psychologie (Buboltz, Jenkins, Thomas, Lindley, Schwarz & Loveland, 2005; Diegelman, Uffelman, Wagner & Diegelman, 2005). Beklagt wird immer noch die geringe theoretische Fundierung der Beratungspsychologie: Nur 43% der Forschungsarbeiten testeten explizit theoretische Annahmen (Kahn, 2005). Zentrales Augenmerk sollte zukünftig sicherlich auf den Theoriebildungsprozess gelegt werden – weg von der Produktion von atheoretischen Forschungsbefunden. Die Beratungspsychologie hat noch einen weiten Weg vor sich, will sie sich als eigenständige Teildisziplin wie die Klinische oder Gesundheitspsychologie etablieren. Die Vielzahl der Professionen, die sich mit Fragen der Beratung befassen, bereichern auf der einen Seite die Diskussion, stellen auf der anderen Seite aber auch sehr hohe Anforderungen, wenn es um eine Profilierung geht (s. unterschiedlicher theoretischer Hintergrund; unterschiedliche Herangehensweisen). Wird der interdisziplinäre Charakter von Beratung ernst genommen, können sich die verschiedenen Professionen in ihrem Wissen über Problemhintergründe, aber auch bezogen auf die konkrete Gestaltung der Beratungsarbeit ergänzen. Wesentliche Forderung auf diesem Weg der Profilierung muss die eigenständige Konzeptbildung sein, die der besonderen Situation der Beratung (in Abgrenzung gerade auch zur Therapie) Rechnung trägt. Erste integrative Ansätze, die über eine schulenspezifische Betrachtung des Beratungsgeschehens hinausgehen, finden sich bereits (▶ Kap. 3.5). Für die Beratungsforschung wäre zu wünschen, dass Konzepte aus anderen Professionen integriert werden und der spezifische Charakter von Beratung stärker herausgearbeitet wird.
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11
Kapitel 11 . Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick
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Anhang Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie – 267 Sachverzeichnis
– 271
Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie A. Präambel
– 268
B. Allgemeine Bestimmungen – 269 B.III. Umgang mit Daten – 269 B.IV. Gutachten und Untersuchungsberichte
D. Psychologie in der Anwendung
– 269
– 269
D.I. Die besondere Verantwortung gegenüber Klienten/Patienten – 269
268
Anhang
Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie Auszug aus den Ethischen Richtlinien der DGBs und des BDP – Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (zugleich Berufsordnung des
Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.; Stand 16.4.2005; http://www.bdpverband.org/bdp/verband/ethik.shtml)
A. Präambel Die Aufgabe von Psychologen ist es, das Wissen über den Menschen zu vermehren und ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zum Wohle des einzelnen und der Gesellschaft einzusetzen. Sie achten die Würde und Integrität des Individuums und setzen sich für die Erhaltung und den Schutz fundamentaler menschlicher Rechte ein. Der Beruf des Psychologen ist seiner Natur nach frei. Das berufliche Handeln von Psychologen, seien sie nun wissenschaftlich in Lehre und Forschung, in der Diagnostik, Psychotherapie, Supervision, Beratung, als Experten oder in anderen Funktionen tätig, ist geprägt von der besonderen Verantwortung, die Psychologen gegenüber den Menschen tragen, mit denen sie umgehen. Um helfen zu können, benötigen sie ihr Vertrauen. Der Schutz und das Wohl der Menschen, mit denen Psychologen arbeiten, sind das primäre Ziel dieser Richtlinien. Psychologen sind dazu verpflichtet, in der praktischen Ausübung ihres Berufs zu jeder Zeit ein Höchstmaß an ethisch verantwortlichem Verhalten anzustreben. Sie sind dazu verpflichtet, die Rechte der ihnen beruflich anvertrauten Personen nicht nur zu respektieren, sondern, wann immer erforderlich, auch aktiv Maßnahmen zum Schutz dieser Rechte zu ergreifen. Psychologen anerkennen das Recht des Individuums, in eigener Verantwortung und nach eigenen Überzeugungen zu leben. In ihrer beruflichen Tätigkeit bemühen sie sich um Sachlichkeit und Objektivität und sind wachsam gegenüber persönlichen, sozialen, institutionellen, wirtschaftlichen und politischen Einflüssen, die zu einem Miss-
brauch bzw. zu einer falschen Anwendung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten führen könnten. Psychologen arbeiten auf der Basis von zuverlässigem und validem, wissenschaftlich fundiertem Wissen. Ihre psychologischen Kenntnisse finden in einer Vielzahl beruflicher Kontexte Anwendung. Verantwortliches berufliches Handeln erfordert hohe fachliche Kompetenz. Psychologen sind dazu verpflichtet, sich kontinuierlich fortzubilden und auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zu halten. Sie bieten nur Dienstleistungen an, für deren Erbringung sie durch Ausbildung oder fachliche Erfahrung qualifiziert sind. In Tätigkeitsfeldern, in denen es noch keine wissenschaftlich anerkannten Standards gibt, orientieren sich Psychologen am Grundsatz wissenschaftlicher Redlichkeit und überprüfen regelmäßig den Erfolg ihrer Interventionen. Zugleich ergreifen sie alle notwendigen Maßnahmen, um die Wohlfahrt derer, mit denen sie arbeiten, zu schützen. Die Ethischen Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e. V. und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. geben verbindliche Regeln für das professionelle Verhalten von Psychologen vor. Sie finden nicht nur auf berufliche Kontexte im engeren Sinne Anwendung, sondern haben für die Berufsangehörigen in ihrer Eigenschaft als Psychologen in allen Lebenssituationen bindenden Charakter. Im öffentlichen Bewusstsein besitzt der Beruf des Psychologen heute ein hohes Ansehen, dem auch durch ein differenziertes Netz an ethischen und rechtlichen Bestimmungen Rechnung getragen werden muss. Die gemeinsamen Ethischen Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e. V. und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. sind Ausdruck des Selbstverständnisses des Psychologenberufs. Sie vermitteln den Berufsangehörigen eine gültige Orientierung für ihre praktische Arbeit und setzen Maßstäbe, anhand derer psychologische Tätigkeiten öffentlich überprüfbar werden. Auf diese Weise dienen die im Folgenden aufgestellten Regeln der inneren Ordnung des Berufsstandes und ermöglichen bei Nichteinhaltung von Normen entsprechende Sanktionen. Soweit Gesetze oder Rechtsnormen diese Ethischen Richtlinien für einzelne psychologische Tätigkeiten weiter einschränken, sind sie vorrangig.
269 Ethische Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie
B. Allgemeine Bestimmungen B.III. Umgang mit Daten III.1. Schweigepflicht 4 Psychologen sind nach § 203 StGB verpflichtet, über alle ihnen in Ausübung ihrer Berufstätigkeit anvertrauten und bekannt gewordenen Tatsachen zu schweigen, soweit nicht das Gesetz Ausnahmen vorsieht oder ein bedrohtes Rechtsgut überwiegt. Die Schweigepflicht von Psychologen besteht auch gegenüber Familienangehörigen der ihnen anvertrauten Personen. Ebenso besteht die Schweigepflicht von Psychologen gegenüber ihren Kollegen und Vorgesetzten. 4 Wenn mehrere Psychologen oder Psychologen und Ärzte gleichzeitig dieselben Klienten/ Patienten beraten oder behandeln, so sind die mitbehandelnden Fachkollegen und Ärzte untereinander von der Schweigepflicht insoweit befreit, als die Klienten/ Patienten nicht etwas anderes bestimmen. Die Schweigepflicht entfällt gegenüber den Mitarbeitern und Gehilfen von Psychologen, die notwendigerweise mit der Vorbereitung oder Begleitung ihrer Tätigkeit betraut sind. Ansonsten entfällt die Verpflichtung zur Verschwiegenheit nur bei einer Entbindung von dieser durch die ihnen anvertrauten Personen. 4 Die der Schweigepflicht unterliegenden Tatsachen, Befunde und Beratungs- bzw.Behandlungsergebnisse dürfen anonymisiert weiterverwendet werden, sofern ausgeschlossen ist, dass Rückschlüsse auf die Patienten/ Klienten möglich sind. 4 Mitarbeiter von Psychologen sind über ihre Pflicht zur Verschwiegenheit zu belehren, und diese Belehrung ist schriftlich festzuhalten.
III.2. Aufzeichnungen, Erhebung und Speicherung von Daten Psychologen dürfen nur nach vorheriger Einwilligung durch die Klienten/ Patienten Aufzeichnungen auf Bild- oder Tonträger über Besprechungen
oder Behandlungen erstellen oder Besprechungen von einem Dritten mithören lassen. Psychologen dürfen nur im Rahmen ihres Auftrages Daten über Klienten/Patienten erheben, speichern und nutzen. Dies gilt auch für Telefongespräche. Aufzeichnungen jeder Art, insbesondere auf Datenträger, sind gegen unrechtmäßige Verwendung zu sichern. Urmaterialien und ihre Aufbereitung sind entsprechend den Festlegungen der Auftraggeber oder mindestens für 10 Jahre aufzubewahren.
B.IV. Gutachten und Untersuchungsberichte IV.1. Sorgfaltspflicht Allgemein gilt, dass die Erstellung und Verwendung von Gutachten und Untersuchungsberichten von Psychologen größtmögliche sachliche und wissenschaftliche Fundiertheit, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit erfordert. Gutachten und Untersuchungsberichte sind frist- und formgerecht anzufertigen. Die föderativen Richtlinien für die Erstellung von Gutachten sind zu beachten.
IV.2. Transparenz Gutachten und Untersuchungsberichte müssen für die Adressaten inhaltlich nachvollziehbar sein. …
D. Psychologie in der Anwendung D.I.
Die besondere Verantwortung gegenüber Klienten/Patienten
I.1. Vertrauensverhältnis Das Verhältnis von Psychologen zu ihren Klienten/ Patienten ist in besonderer Weise von der Notwendigkeit eines Vertrauensverhältnisses geprägt. Psychologen können daher in allen Fällen einen Auftrag ablehnen oder beenden, wenn dieses Vertrauensverhältnis nicht mehr besteht.
270
Anhang
Wenn der Auftraggeber des Psychologen nicht mit der ihm anvertrauten Person identisch ist – wie häufig in der Forensischen Psychologie und Wirtschaftspsychologie –, besteht eine besondere Verpflichtung, im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten zu handeln.
Gesundheitsgefährdung von Patienten führen kann, müssen die Behandlung abbrechen. 4. Wollen heilkundlich tätige Psychologen eine Behandlung vorzeitig beenden und kann dadurch eine Gesundheitsgefährdung der Patientin/ des Patienten eintreten, so haben sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu gewährleisten, dass eine Fortbehandlung sichergestellt ist.
I.2. Aufklärung und Einwilligung 1. Psychologen müssen ihre Klienten / Patienten über alle wesentlichen Maßnahmen und Behandlungsabläufe unterrichten und sich ihrer Einwilligung versichern. 2. Bei heilkundlichen Behandlungen haben sie auf ggf. bestehende Risiken und Alternativbehandlungen hinzuweisen. Die Hinweispflicht umfasst auch Fragen des Honorars und der Kostenerstattung.
I.3. Wahrung der Unabhängigkeit Heilkundlich und klinisch tätige Psychologen dürfen während einer therapeutischen Beziehung keine persönlichen Bindungen zu ihren Patienten eingehen; z. B. sind sexuelle Beziehungen zu Patienten unzulässig.
I.4. Recht auf Einzelberatung/-behandlung Klienten/ Patienten haben das Recht, ohne Gegenwart eines Dritten von einer Psychologin/ einem Psychologen beraten oder behandelt zu werden.
I.5. Besondere Sorgfaltspflicht heilkundlich tätiger Psychologen 1. Psychotherapeuten behandeln Störungen mit den bestmöglichen Therapieverfahren. Patienten haben ein Recht auf die nach dem jeweiligen wissenschaftlichen Stand bestmögliche Behandlung. 2. Zu Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung ist in Zweifelsfällen und auf Wunsch des Patienten ein ärztliches Konsilium einzuholen oder eine psychologische oder ärztliche Mitbehandlung einzuleiten. 3. Psychologen, die erkennen, dass eine Fortsetzung der heilkundlichen Behandlung zu keiner weiteren Gesundung oder sogar zu einer
I.6. Aufzeichnungen 1. Psychologen sind verpflichtet, über Beratungen und Behandlungen aussagefähige Aufzeichnungen zu erstellen. 2. Die psychologischen Aufzeichnungen über heilkundliche Tätigkeiten sind mindestens 10 Jahre aufzubewahren, ansonsten beträgt die Aufbewahrungszeit 5 Jahre. 3. Bei Praxisaufgabe oder Beendigung der Berufstätigkeit sind Aufzeichnungen bei Beachtung der Aufbewahrungsfristen zu vernichten. Nur mit Zustimmung der Klienten / Patienten können sie an eine/ einen die Praxis übernehmende(n) Psychologin/Psychologen weitergegeben werden. 4. Mit Zustimmung der Patienten müssen heilkundlich tätige Psychologen sachdienliche Aufzeichnungen oder deren Zusammenfassung an Kollegen herausgeben, wenn diese eine Beratung oder Behandlung fortsetzen. Bei nicht heilkundlichen Aufzeichnungen können Psychologen die Herausgabe der Aufzeichnungen von der Bezahlung des wirtschaftlichen Wertes abhängig machen. 5. In Kliniken oder anderen Einrichtungen, in denen bei Weggang von heilkundlich tätigen Psychologen die Behandlung fortgesetzt wird, sind Aufzeichnungen den psychologischen oder ärztlichen Nachfolgern zu übergeben oder verschlossen dem Dienstherrn mit dem Hinweis zu hinterlassen, die Aufzeichnungen nur an solche zu übergeben. 6. Am Ende einer Therapie haben Psychologen ihren Klienten/ Patienten auf deren Wunsch Einblick in die sie betreffenden Aufzeichnungen zu gewähren, es sei denn, dem stehen überwiegende Rechte entgegen.« …
Sachverzeichnis
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Sachverzeichnis
A Abstinenzgebot 15 AIDS-Prävention 145, 146 Akquise 225 aktives Zuhören 223 Aktivierung von Ressourcen 24 Aktualisierungstendenz 183 Akzeptanz 135, 161, 223 – des Problems 43 – Wertschätzung 184 Ambivalenz 92, 93, 96, 185 AMDP 238, 239 Anamnese 197, 239, 240 Angehörige 18, 32, 157, 166, 234, 237, 241, 242 Angehörigenberatung 189 Anonymität 111, 114, 115, 120, 162 Approbation 22, 26 Arbeitsorganisation 142, 207, 223, 259 Arzt-Patient-Dyade 167 Arzt-Patient-Verhältnis 189 Asthma 165, 166, 167 Asthmatraining 166 Auftragsklärung 219, 222 Autonomie 99, 111, 137, 162, 174, 242, 250
B Bedingungsmodell 181 Behandlungsmotivation 67 Behinderte 237 Beraterqualitäten 12, 66, 68 – Akzeptanz 14 – Beratungstechniken 13 – Echtheit (Kongruenz) 13 – Empathie (Einfühlung) 13, 14 – interpersonelle Fertigkeiten 12, 68 – Kongruenz 14
konzeptionelle Fähigkeiten 12 persönliche Integrität 12 persönliche Überzeugungen 12 Wärme (Akzeptanz, Wertschätzung) 14, 66 – Wertschätzung 66, 121 Beraterteam für Qualitätsund Prozessmanagement (im folgenden TQM-Team) 228 Beratertechniken 68 – Hausaufgaben 69 – Interpretationen 68 – Konfrontationen 69 Beratung – der Angehörigen 156 – interdisziplinäre 18, 33, 257 – niedrigschwellige 34, 156, 162, 163 – professionelle 12 – zielgruppenspezifische 18, 33, 257 Beratungsformen – Coaching 26, 29, 208, 221, 222, 223, 224, 229 – Empowerment 21 – Gesprächspsychotherapie 26 – Hypothesenbildung 137 – Intervision 5, 176 – Krisenintervention 32 – Kurzberatung 95, 96 – lösungsorientierte Beratung 26, 95 – Mediation 5, 29, 257 – mediengestützte Beratung 107 – Mentoring 31, 219, 221, 224, 226, 229 – Patientenschulung 31 – Patientenschulungsprogramme 23 – Peer-Mediation 29 – ressourcenorientierte Beratung 21, 137 – Supervision 31, 176, 221, 226, 227, 228, 229 – systemische Beratung 26, 137, 215 – Training 32 – – – –
Beratungskompetenz 114, 149, 175 Beratungsmodelle 133, 177, 180, 189 – Behaviorismus 133, 134 – Gesprächstherapie 135 – handlungstheoretischer Ansatz 212 – klärungsorientierte Psychotherapie 185 – klientzentrierte Beratung 212 – kognitiv-behaviorale Beratung 180 – kognitiver Ansatz 212 – lösungsorientierte Beratung 186, 188 – personenzentrierte Beratung 183, 184 – Psychoanalyse 134 – psychodynamische Beratung 176 – psychodynamische Kurztherapie 176, 177 – Psychoedukation 189 – systemische Beratung 136, 186, 214 – Tiefenpsychologie 133 Beratungsmotivation 43 Beratungsprozess 44, 216 – problemzentrierter 48 Berufslaufbahnberatung 256 Berufsverband der Deutschen Psychologen 112 Bewältigungskompetenzen 73 Bibliotherapie 106 Bildung 132
C Chat-Rooms 106 Compliance 67, 99, 162, 166, 241
273 Sachverzeichnis
D Datenschutz 109 Deeskalation 240, 243, 244, 246 Depression 4, 7, 59, 120, 193, 248 Deutsche Gesellschaft für Online-Beratung 122 Diagnose 17 Diagnostik 45, 46, 47, 107, 133, 175, 197, 199, 249 – deskriptive Funktion 46 – erklärende Funktion 46 – evaluative Funktion 46 – indikative (adaptive) Funktion 46 – prognostische Funktion 46 – qualitätssichernde und dokumentative Funktion 46 – ressourcenorientierte 47 – therapeutische Funktion 46 – transparenzsichernde Funktion 46 – treatmentabschließend 47 – treatmentbegleitend 47 – treatmentvorbereitend 47 disinhibition effect 110 Diskrepanzerleben 93, 96, 97, 99 – change talk 93, 94, 97 Diversität 258 Dokumentationspflicht 16 Doppelverortung der/von Beratung 12, 175, 257 DSM-IV 235, 246
E Echtheit 178 Ehrenamt 4, 26, 29 Eigenverantwortung 174 Eignungsdiagnostik 208 Einwilligungsbereitschaft 246 Einwilligungsfähigkeit 242, 244 Eltern- und Familienberatung 196 e-mail-Beratung 106, 107, 113, 119
– proaktive 119, 120 – reaktive 119, 121 emotional work 210 Empathie 135, 161, 178, 184 Empowerment 156, 256 Entscheidungsbalance 83, 86, 89, 91 Ergebnisqualität 260 Erikson 238, 239 Erziehung 21, 28, 29, 30, 132 – private Erziehungsinstanzen 30 – staatliche Erziehungsinstanzen 30 Erziehungsberatung 23 – Kinderund Jugendhilfegesetz 172 – Psychotherapeutengesetz 23 Erziehungsberatungsstellen 172 Essstörung 7, 98, 112, 200, 201, 248 ethische Richtlinien 14 Evaluation 17, 48, 50, 54, 222, 223, 225 – Consumer Report Study 63, 117 – Dodo-Bird-Prinzip 66 – Drop-out 57, 64 – Ergebnisqualität 53 – Instrument 50, 51, 53, 54, 55, 57 – intention-to-treat 57 – Outcomequalität 53 – Prozess 53 – Prozessqualität 52 – Stundenbeurteilungsfragebogen 55 Evaluationsforschung 56, 260 – Barrieren 57 – effectiveness 56 – Effizienz 56 evaluative Kompetenzen 24 Expertenberater 219 Expertenberatung 213, 214, 215, 221 Expertinnen-Beratungsnetz 225 Expertise des Beraters 12, 69
A-G
F face-to-face-Interaktion 106 fachliche Qualifikation 111 Fairness 242 Faktoren 43 Familienund Erziehungsberatung 250 Familienberatung 198 Familiendiagnostisches Interview 197, 198 Familien-KooperationsModell 196, 197 Feedback 226 Fernberatung 106, 112 Fokalsatz 179 Freiwilligkeit 24, 114, 223, 242, 260 Fremdgefährdung 241, 244, 245, 246, 247 Freud, Sigmund 4, 131, 176
G Gegenübertragung 177, 179 Geschichte der Beratung 4 Geschlecht 247 Gesprächspsychotherapie 4 Gesundheit 160 – WHO 154, 235, 238, 242 Gesundheitsberatung 118, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 163, 164, 165, 167, 168 Gesundheitskommunikation 154 Grundregel der freien Assoziation 176 Gruppensupervision 31, 227, 228 Gütesiegel für OnlineBeratungen 112
274
Sachverzeichnis
H Haftung 15 Hausaufgaben 181, 188 Health Belief Model 158 Hilfe zur Selbsthilfe 16, 30, 47, 130, 222 HIV/AIDS-Prävention 100, 144, 145, 146 Hotlines 116 Hypothesenbildung 45
I ICD-10 238, 246, 249 Inanspruchnahme 38, 42, 43, 44 – von Beratungsangeboten 44 – Gruppennormen 42 – Hinderungsgründe 42 – Prozess der 38 – service gap 38 Inanspruchnahmeverhalten 41 Individualberatung 221 Industrialisierung 4 Informations- und Kommunikationstechnik (IT) 207 Institutionalisierung 25 Interdisziplinarität 18, 25, 33, 257 Internationale Klassifikation von Funktionsstörungen ICF 235 Internationalisierung 230 Internet 107, 109, 110, 111, 112, 113, 118, 119, 120, 122, 162, 163 Internetforen 26 Internetzugang 106
J Jugendhilfe 236
K Kanalreduktionstheorie 119 Kausalattribution 147 Kinder- und Jugendhilfestatistik 5 Kinder psychisch kranker Eltern 164 Klient-Berater-Beziehung 32, 122 kollegiale Supervision 31, 143, 228 Kommunikation 107, 110, 111, 114, 119 – asynchrone 107, 110, 111, 119 – synchrone 107 – textbasierte 114 Kommunikationsverarmung 110 Konfliktberatung 208, 215 Kongruenz 135, 161, 184 Kontextanalyse 249 Kooperationsfähigkeit 244 Krankheitsbewältigung 156, 165, 189 Krise 194, 195, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 244, 245, 246, 249 – Erstanzeichen 195 – Krisendienste 234, 236, 237, 244, 245 – Krisenintervention 239, 240, 244, 246 – Krisenplan 194 Krisenbewältigung 190 Krisenintervention 114, 249
L Lebensqualität 51, 181 Leidensdruck 40, 41, 42, 43, 44, 135 – Adherence 67 – soziale Unterstützung 64 Lernblockaden 132 Life Skills Training 165
M Medienkompetenz 114 Medizin 27, 29, 31, 157, 257 Meta-Analysen 56, 57, 58, 59, 60, 67, 68, 89, 90, 98 – Consumer Report Study 60 – effectiveness 60 – Effektstärken 56, 59, 89 – efficacy 60 – ernährungsbezogene Beratung 59 – Motivational Interviewing 98 – schulbasierte Beratung 58 Methodenkompetenz 217, 219, 228, 257 Mikroskills 95 Mobbing 29, 132, 211 Motivation 92 – able 93 – ready 92 – willing 92 Motivational Interviewing 57, 90, 92, 93 – Basisprinzipien 93 motivierende Gesprächsführung 185 – Basisprinzipien 185
N Nachsorgeprogramme 122 National Board for Certified Counselors 112 Networking 225 Nichtschadensgebot 242
O ökosystemische Ansatz 49 Online-Beratung 106, 108, 112, 119, 121
275 Sachverzeichnis
– Kompetenzen des Beraters 121 – Vier-Folien-Konzept der 121 optimistischer Bias 41, 43, 160 organisationales Lernen/ Organisationsentwicklung 214 Organisationen 91, 132, 143. 157, 206, 207, 208, 211, 213, 214, 215, 217, 218, 228, 229 Organisationsberatung 213, 214, 216, 221, 229 – Supervision 213 – Training 213 Organisationsentwicklung 229 Ottawa-Charta 155 Outplacement 207, 208, 209
P Pädagogik 27, 29 pädagogisch-psychologische Beratung 130 – Adressaten 130, 132 – Supervision 132 Partizipation 156 Patientenaufklärung 155 Patientenschulung 166, 168 – Effektstärken 168 peer-educators 256 Personalentwicklung 132, 207, 213, 225 Personalentwicklungsinstrument 31 Planungsgespräch 199, 200, 201, 202 Polizei 234, 241, 244, 245, 246 Prävention 156, 243 – primäre 156 – sekundäre 156 – tertiäre 156 Problemaktualisierung 74, 123 Problemdefinition 45, 199, 200 Probleme 39 – Informationsverarbeitungsschritte 39 – Ist-Soll-Diskrepanz 39 Problemexploration 178 Problemlöseansatz 45
Problemlösefertigkeiten 25 Problemlösekompetenzen 165 Problemlösemodell 180 Problemlösung 33, 39, 45, 173, 209, 211, 213, 216, 218, 221, 229 – ressourcenorientierte 33 Problemwahrnehmung 38, 39, 40, 43 – Informationsverarbeitungsschritte 40 – Leidensdruck 39 Professionalität 14, 32 – des Beraters 109 – der Beratung 12 professionelle Beratung 12, 17 Prozess 38, 43 Prozessberater 219, 222, 227 Prozessberatung 214, 215, 216, 221 Prozessleitbilder 218, 221, 229 Prozessqualität 260 Prüfungsangst 146 Psychiatrie-Enquête 234 Psychisch-Kranken-Gesetze (PsychKG) 235, 236, 238, 242, 245 Psychische Störungen 234, 240, 244, 245, 249 Psychoedukation 21, 32, 189, 190, 192, 195, 198 – Angehörigengruppen 190 – Interventionsstrategien 192 – Manuale 196 – Wirksamkeit 195 Psychotherapie 4, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 29, 40, 73, 82, 130, 172, 174, 226, 243 – approbierte 22 – Motivation 40 – Psychotherapeuten-Gesetz 22, 172
Q Qualitätsentwicklung 224, 228, 229 Qualitätssicherung 50, 259, 262 Quitline 116
H-S
R Raucherentwöhnung 118 Rechtsanspruch auf Beratung 15 Reflecting-Teams 186, 187, 188 reflektierendes Zuhören 94 Regelkreismodell 136 Rehabilitation 50, 237, 243 Ressourcen 25, 43, 47, 97, 137, 138, 139, 141, 142, 144, 147, 158, 161, 173, 184, 208 – Aktivierung 137 – Burnout 138 – Diagnostik 137 – personale 47, 138 – soziale 138, 147 Ressourcenaktivierung 21, 74, 123, 138, 199, 256 Ressourcenspirale 138, 141, 142 Risikowahrnehmung 41 Rogers 13, 95, 135, 183, 212 – Aktualisierungstendenz 135 – Selbstkonzept 135, 184 Rollenspiele 87, 167, 193, 228 Rubikon-Modell 91 Rückfallprophylaxe 116, 194
S Salutogenese 131 salutogenetisches Modell 158 Schizophrenie 188, 189, 190, 192, 195, 196, 238, 246 Schulangst 146, 147, 148 – Beratungsprozess 148 Schuldenberatung 243 Schule 138, 139, 140, 142, 143, 144, 146, 147, 163 – Beratung von Lehrenden 141 – Burnout 140, 141 – Institutionsberatung 143 – LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis 139, 140 – Stress 139
276
Sachverzeichnis
– Stressmanagement-Programm für LehrerInnen 141, 142 – Stressquellen 147 SchulpsychologInnen 131 Schweigepflicht 16, 269 Science-Practitioner-Modelle 55, 261 Seelsorge 27, 114, 257 Selbstbeobachtung 167, 181 Selbstbestimmung 235, 237, 242, 245, 250 Selbstbestimmungsfähigkeit 155 Selbstgefährdung 241, 244, 245, 247 Selbstheilungsversuche 39 Selbsthilfepotential 33 Selbstkonzept 183 Selbstmanagement 142, 161 Selbstmanagementprozesse 212 Selbstregulation 185, 212 Selbstwirksamkeit 43, 83, 86, 89, 90, 93, 138, 185 Self-leadership 223, 224 Sexualität 144, 145 SMS-Beratungen 115 sokratische Gesprächsführung 180, 182, 183 Sorgfaltspflicht 269, 270 Sozialarbeit 29, 243 soziale Unterstützung 42, 44, 47, 247 Sozialhilfe 236, 237 sozial-kognitive Variablen 43 sozial-kognitives Prozessmodell 159 Sozialisation 132 Sozialpädagogik 27 Sozialpsychiatrische Dienste (SPsDs) 234, 236, 237 Sozialpsychiatrischer Verbund 236, 237 Stages of Change 83, 99 Statistik, Kinder- und Jugendhilfe 6 Stigmatisierung 44, 108 Stress 4, 7, 17, 20, 32, 211, 223, 247 Stressmanagement 223
Stressmanagementtraining 224 Strukturqualität 260 Sucht 5, 6, 99, 100, 115, 118, 132, 206, 237, 241, 246 Supervision – Coaching 31 – Intervision 31 Supervisor 31, 228 Symptomträger 136, 187 Symptomverschreibung 186 systematische Desensibilisierung 135
T Team Teaching 142, 143 Telefonberatung 114, 117 – proaktive 116, 118 – reaktive 116, 118 telefonische Beratung 98, 106, 116, 118 Telefonseelsorge 115, 120 – Beratungsthemen 115 Telefonseelsorgestellen 114 Theorie – des geplanten Verhaltens 158 – der Ressourcenerhaltung 137, 139, 140, 142 – der sozialen Einflussnahme 120 Therapeutenvariablen 184 therapeutische Allianz 180, 261 therapeutische Beziehung 55, 66, 70, 72, 93 – Aufbau 48, 72 – Elemente der 70 – Messinstrumente 70 – Wertschätzung 70 Therapie 22, 47, 134, 173, 174, 175, 176 transaktionale Stresstheorie 142, 158 Transparenz 109 transtheoretische Modell (s. TTM) TTM 82, 88, 90, 91, 92, 158, 159 – (Selbst-)Verstärkung 87, 88, 89
– Aufrechterhaltung 85, 86, 89, 159 – Beendigung 85 – Bewusstwerden/Absichtsbildung 84, 85, 86, 89, 159 – emotionales Erleben 87, 88, 89 – Gegenkonditionierung 87, 88, 89 – Handlung 85, 89, 159 – kognitiv-affektive 86, 88, 89 – Kontrolle der Umwelt 87, 88, 89 – Neubewertung der persönlichen Umwelt 87, 88 – Nutzen hilfreicher Beziehungen 87, 88, 89 – Rückfälle 85, 159 – Selbstneubewertung 87, 88, 89 – Selbstverpflichtung 87, 88, 89 – Sorglosigkeit 83, 84, 85, 86, 89, 158, 159 – Stabilisierung 85 – Stages of Change 158 – Steigern des Problembewusstseins 87, 88, 89 – Strategien 86, 87, 88, 89, 90 – Stufen 85, 90 – verhaltensorientierte Strategie 86, 87, 88, 89 – Vorbereitung einer Handlung 84, 85, 86, 89 – Wahrnehmen förderlicher Umweltbedingungen 87, 88, 89
U Übertragung 177, 179 unfreiwillige Beratung 17
V Veränderungsbereitschaft 94 Veränderungsmotivation 181
277 Sachverzeichnis
Verhaltenstherapie 4, 180, 185, 212 Vertrag 116, 222, 223 Vertrauen 41 – Beratungsbereitschaft 41 – Inanspruchnahmeverhalten 41 – Vertrauenswürdigkeit 41, 71 – Vertraulichkeit 33 Vertrauensverhältnis 269 Vertraulichkeit 44, 111, 112, 113, 117, 223 Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Kompetenz-Modell 191
W Weiterbildung 220, 229 Weiterbildungsangebote 259 Wertschätzung 178 Widerstand 93, 94, 95, 177, 185
S-Z
Z Zeitmanagement 142, 259 Zeugnisverweigerungsrecht 16 Zielentwicklung 45, 222 Zielgruppen 108, 109, 207, 208 – mediengestützte Beratung 108 Zielkonflikte 45 zirkuläres Fragen 187, 215, 223 Zwangseinweisung 244 Zwangsmaßnahmen 235