Beiräte in der Verantwortung
Hermut Kormann
Beiräte in der Verantwortung Aufsicht und Rat in Familienunternehmen
123
Prof. Dr. Hermut Kormann 89502 Heidenheim
[email protected]
ISBN 978-3-540-85149-3
e-ISBN 978-3-540-85150-9
DOI 10.1007/978-3-540-85150-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Vorwort
Auf einem Workshop mit Familiengesellschaftern über die Anliegen eines professionellen Managers in Familienunternehmen wurde ich einst von einem Teilnehmer etwa wie folgt gefragt: Er wolle sich nun aus dem operativen Geschäft zurückziehen. Er habe bereits einen hervorragenden NichtFamilien-Geschäftsführer und überlege nun, ob er einen Beirat einrichten solle. Das möchte er so machen, dass der Nicht-Familien-Geschäftsführer möglichst gute Arbeitsbedingungen habe, und er wolle auch auf die berechtigten Interessen des Nicht-Familien-Geschäftsführers Rücksicht nehmen. Irgendwann müsse er sowieso einen Aufsichtsrat einsetzen, weil seine Firma dann die Größe für die Mitbestimmung erreiche. Damit wäre ja der Aufsichtsrat als Gremium über der Geschäftsführung da. Andererseits wolle er natürlich noch mit den „strategischen Fragen“ verbunden bleiben und da wäre wohl der Aufsichtsrat nicht die richtige Institution – schon wegen der Mitbestimmung. Daher erwäge er die Einrichtung eines Beirats, ob ich ihm wohl aus meiner Erfahrung als Geschäftsführer Ratschläge dazu geben oder ihm eine Schrift zur Orientierung empfehlen könne. Ich konnte das damals nicht und verwies pauschal auf die Literatur, die es hierzu reichlich geben sollte. Die Frage tauchte in ähnlichen Formulierungen noch öfter auf. Sie hat mich in meiner praktischen und in meiner wissenschaftlichen Arbeit begleitet. Sie veranlasste mich schließlich zur Abfassung des vorliegenden Buches. Da es schon eine beachtliche, gerade in den letzten Jahren zahlreicher anwachsende Literatur zu unserem Thema gibt, bedarf naturgemäß jede weitere Veröffentlichung der zweifachen Rechtfertigung, indem sie nämlich a) die bisherige Literatur angemessen verarbeitet und b) zusätzliche Aspekte von hinreichender Anzahl und Bedeutung beiträgt. Ich hoffe beide Voraussetzungen zu erfüllen. Die Schrift zielt auf die Praxis, freilich auf eine „gute“ Praxis, die nicht überall gegeben ist. Wenn einer Geschäftsführer werden soll, dann liest er 10 der 100 Bücher darüber, wie man ein guter CEO werden kann. Wenn Gesellschafter einen Beirat gründen wollen, dann fragen sie oft einen Anwalt, der aber zumeist nicht in Fragen der Unternehmensführung ausgewiesen ist, denn sonst wäre er Unternehmensführer geworden. Wenn man Beirat wird, fängt man einfach an. Für jedes Vorhaben dieser Art wäre aber eine Reflexion über dessen Grund-
VI
Vorwort
lagen hilfreich. Sollte es gelingen, dass der Leser, Geschäftsführer, Beirat oder Gesellschafter drei oder vier Überlegungen ausgesetzt wird, die zum Nachdenken über seine eigene Praxis führen, so wäre dies ein reicher Gewinn für das Bemühen dieses Buchs. Und sollte es dazu führen, dass nachfolgende empirische Forschungen die eine oder andere These verifizieren oder falsifizieren, wäre in jedem Fall der Aufwand ob des zu erwartenden Fortschritts gerechtfertigt. Es liegt nahe, dass man bei Arbeiten von Autoren, die in der Praxis Erfahrung gewonnen haben, autobiografische Einflüsse unterstellt. Gewiss erleichtert die Erfahrung sowohl als Nicht-Familien-Geschäftsführer wie auch als Beirat in Familienunternehmen – wie auch als Aufsichtsrat in Publikumsgesellschaften – den Zugang zu den Problemstellungen. Allerdings kann meine überaus befriedigende Zeit als Geschäftsführer in einem ganz besonderen Unternehmen mit einem ganz besonderen Beirat kaum verallgemeinert werden. Es ist mir insbesondere wichtig klarzustellen, dass ich eine Ausnahmesituation darin erlebt habe, dass ich als Nachfolger mit meinem Vorgänger, der dann den Beiratsvorsitz übernahm, nicht die Fehlorientierungen erfahren habe, vor denen in dem einschlägigen Kapitel zu warnen ist. Stärker eingeflossen ist aus der beruflichen Erfahrung vermutlich die Arbeit mit unternehmensinternen Beiräten und Mandaten bei Drittunternehmen. Im Übrigen wird bei der Ausführung eines solchen Themas deutlich, dass große Ähnlichkeiten in der Beiratsarbeit zwischen konzerninternen Tochtergesellschaften und Familienunternehmen mit aktiv am Geschäft interessierten Gesellschaftern bestehen. Bei einem Konzern ist die Holdinggesellschaft ein am Geschäft interessierter Gesellschafter. Im Blick auf die Einsichten aus meinen externen Mandaten wie auch aus den hoch interessanten Diskussionskreisen mit Familiengesellschaftern habe ich Dank zu sagen für jedes positive Beispiel wie auch für jeden nicht zur Nachahmung zu empfehlenden Vorgang. Das Buch wäre nicht entstanden ohne die Schreibkünste von Frau Ingrid Hirth und Frau Claudia Hiller sowie die Literaturbeschaffung durch meinen Assistenten an der Universität Leipzig, Herrn Markus Mehrtens. Entscheidende Anregungen zum Inhalt erhielt ich von meinem wissenschaftlichen Mentor Professor Dr. Horst Steinmann. Mein Bruder, Herr Dr. Hilmar Kormann, hat mit größter Sorgfalt und unfehlbarem Sprachvermögen die Verständlichkeit, sprachliche Richtigkeit und Eleganz befördert. Meinem Lektor Markus Richter verdanke ich die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Anregungen. Ihnen allen sei an dieser Stelle von Herzen gedankt. Heidenheim, Juli 2008
Hermut Kormann
Inhaltsverzeichnis
A. DIE GRUNDLAGEN 1
Das Thema
3
1.1 1.2
3
1.3 1.4
2
Die Familiengesellschaften als Unternehmenstypus 2.1 2.2 2.3
3
Gestaltungsempfehlungen für den Beirat Der Beirat als Instanz im Führungssystem der Familienunternehmen Ähnliche Gremien und ähnliche Führungsbeziehungen Der Gang der Überlegungen
Der Typus „Mittelständisches Familienunternehmen“ Ein erfolgreicher Unternehmenstypus Die Rolle des Beirats zur Stärkung der Vitalität der Familiengesellschaft
Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8
Das Betrachtungsfeld: Der institutionalisierte Beirat Die quantitative Bedeutung der Beiräte Die rechtliche Verankerung des Beirats Der Gestaltungsrahmen für die Zuordnung von Zuständigkeiten Die Pragmatik der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Gesellschafterversammlung und Beirat Die Pflichten eines Beirats bezüglich Loyalität und Sorgfalt Die Haftung eines Beirats Die Machtbasis eines Beirats
5 7 8
13 13 17 23
27 27 31 35 38 43 47 56 62
VIII
4
Inhaltsverzeichnis
Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
5
Die Corporate Governance und die Unternehmensverfassung in der Familiengesellschaft Die „Shareholder Governance“ als zusätzliche Aufgabe Die Vermeidung der Strategievorgaben durch den Kapitalmarkt Die Vermeidung der Nachteile der Börsengesellschaften Die Wertgenerierung durch Vertrauen im Zusammenwirken der Institutionen
Die Funktionen des Beirats 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7
Der Beirat als Verbindungselement zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung Die Aufgaben der Gesellschafter als „Institution“ Die Funktionen des Beirats gegenüber den Gesellschaftern Der Beirat als Moderator im Generationenübergang Der Beirat als Führungsinstitution Die Funktionen des Beirats gegenüber der Geschäftsführung Die problematischen Nebenwirkungen des Handelns von Beiräten
71 71 81 91 100 108
119 119 123 126 135 138 150 157
B. DIE OBLIEGENHEITEN VON BEIRAT UND GESCHÄFTSFÜHRUNG IN IHRER WECHSELSEITIGEN BEZIEHUNG 6
Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7
Die überragende Bedeutung der Information durch die Geschäftsführung Die Typologie des Rahmens der Information Die Inhalte der Information Der Umfang der Information Die Quellen der Information Die Form des Vortrags der Geschäftsführung Die Reaktion auf den Vortrag
167 167 169 174 184 190 199 207
Inhaltsverzeichnis
7
Die Aufsicht
211
7.1 7.2 7.3
211 213
7.4
8
Der Begriff der Aufsicht Die Elemente der Aufsicht Die Aufsicht im Rahmen von Risikomanagement und Compliance Der Prozess der Aufsicht
Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
9
IX
Die Grundlage für die Eingriffe in den Entscheidungsprozess Die Entscheidung von Konfliktfällen in der Geschäftsführung Der Genehmigungsvorbehalt Die Kritik an Genehmigungsvorbehalten Das Weisungsrecht
Die Strategiethemen im Beirat 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
Die Strategie als Gegenstand der Beratung Die These der Unvereinbarkeit von Beratung und Aufsicht Die Erörterung der funktionalen Politik Die Produkt-Markt-Strategie Die Bedeutung der Strategie der Unternehmensentwicklung 9.6 Die Parameter der Wachstumspolitik 9.7 Die Festlegung des finanziellen Rahmens für die Unternehmensentwicklung 9.8 Die Ausschüttungspolitik als Schnittpunkt zwischen Unternehmensentwicklung, Finanzierung und Gesellschafterinteressen 9.9 Die Festlegung weiterer Rahmenbedingungen für die geschäftliche Strategie 9.10 Die Festlegung von Zielen und Randbedingungen für die Unternehmensentwicklung
221 226
231 231 232 233 242 248
255 255 262 271 272 274 279 283
288 291 292
X
Inhaltsverzeichnis
10 Die Strategieberatung im Beirat 10.1 Die Bedeutung der Strategieberatung 10.2 Die Aufgaben von Beirat und Geschäftsführung in den Phasen der Strategieentwicklung 10.3 Die Anstöße zur Strategiearbeit 10.4 Die Vorgabe von Entscheidungsmaximen 10.5 Die Beratung bei der Entwicklung der Handlungsoptionen 10.6 Die Umsetzung der Strategie 10.7 Die Neuorientierung durch die strategische Kontrolle 10.8 Die Neuorientierung durch einen neuen Strategen 10.9 Das Ziel und der Inhalt der argumentativen Beratung 10.10 Die Verweigerung der Argumentation 10.11 Die Probleme der argumentativen Beratung 10.12 Die Prüfung der Verantwortbarkeit als inhaltliches Ziel der Argumentation 10.13 Die Schaffung günstiger Voraussetzungen für einen Beratungsprozess
11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz 11.1 Die Zuständigkeit und ihre Bedeutung 11.2 Die Berater in der Entscheidung zwischen GesellschafterGeschäftsführung und Nicht-Familien-Geschäftsführung 11.3 Die Zuständigkeiten des Beirats bei der Auswahl des CEO 11.4 Die Gestalter der Verfassung für die Geschäftsführung 11.5 Die Auswahl der Geschäftsführung 11.6 Die Evaluierung der Geschäftsführung 11.7 Das Honorierungskonzept 11.8 Das motivierende Mitarbeitergespräch
295 295 297 301 312 314 318 320 324 325 331 340 345 354
361 361 362 365 371 373 375 378 381
C. DIE ARBEITSWEISE UND DIE ZUSAMMENSETZUNG DES BEIRATS 12 Die Arbeitsweise des Beirats 12.1 Der zeitliche Rahmen für die Beiratsarbeit 12.2 Die Regularien der Beiratsarbeit
387 387 396
Inhaltsverzeichnis
12.3 12.4 12.5 12.6 12.7
Die Ordnung des Prozesses der Beiratsarbeit Eine Standard-Agenda für Beiräte Die Dynamik der Gesprächsführung im Beirat Die Protokollierung Die Evaluierung der Beiratsarbeit
13 Der Vorsitzende des Beirats 13.1 Der Vorsitzende als Gestalter der Institution 13.2 Der Vorsitzende als Gestalter des Prozesses „Beiratsarbeit“ 13.3 Der Vorsitzende als möglicher Träger der Unternehmerfunktion 13.4 Die Typologie der Vorsitzenden
14 Die Besetzung des Beirats 14.1 14.2 14.3 14.4 14.5
Die Auswahl Das Verfahren zur Bestimmung der Mitglieder Die Anzahl der Mitglieder Die Qualifikation der Mitglieder des Beirats Zugelassene, umstrittene und nicht zugelassene Personengruppen 14.6 Die Amtszeiten 14.7 Die Honorierung
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung 15.1 15.2 15.3 15.4
Die Typologie der Beiräte Die Repräsentationsbeiräte Die mitwirkenden Beiräte Die Prägung des Beirats durch die Gesellschafter oder durch die professionellen Beiräte 15.5 Die Synopsis der Typen: Schwache und starke Beiräte 15.6 Eine Option: Der Beirat im Ein-Kammer-System 15.7 Die Typologie der Geschäftsführung im Zusammenwirken mit den Typen des Beirats
XI
398 411 415 421 422
425 425 427 430 433
445 445 447 454 458 466 471 474
477 477 478 480 485 489 491 494
XII
Inhaltsverzeichnis
16 Die Pathologie des Beirats
507
17 Resümee: Wunschlisten für einen idealen Beirat
515
Literaturverzeichnis
521
Stichwortverzeichnis
537
A. Die Grundlagen
1
Das Thema
1.1
Gestaltungsempfehlungen für den Beirat
Unser Thema besteht darin zu erfassen, welche Konzepte in der Praxis verfolgt werden, um Beiräte einzusetzen, die eine hohe Wirksamkeit für das Unternehmen entfalten können – ich nenne sie „starke“ Beiräte. Um wirksam zu sein, muss ein starker Beirat Verantwortung übernehmen. Und umgekehrt trägt er die Verantwortung für sein Einwirken auf das Unternehmen. Es sind Soll-Konzeptionen zu entwickeln, wie ein Beirat • als Institution gestaltet werden soll, • wie der Rahmen dieser Institution inhaltlich und personell ausgefüllt und • wie die Prozesse in der Arbeit des Beirats gestaltet werden sollten, damit er wirksam und verantwortlich arbeitet. Das Ziel dieser Empfehlungen soll es sein, dass günstige Bedingungen geschaffen werden, damit der Beirat eine positive Wirkung auf die Entwicklung des Unternehmens ausübt. Es geht um Wirksamkeit, die sich in folgenden Stufen ausdrückt: • Zumindest Relevanz der Institution für alle Beteiligten: Es müsste als ein Mangel empfunden werden, wenn es den Beirat nicht gäbe. • Sodann: Wertschöpfungsbeitrag im Prozess der Unternehmensführung. • Schließlich: Inhaltliche Wirkung dahingehend, dass eine überlegene Unternehmensentwicklung durch überlegene Führungsressourcen und eine überlegene Strategie befördert wird. Diese Empfehlungen werden für einen bestimmten Modellfall der Familienunternehmung entwickelt. Die Prägung des mittelständischen Familienunternehmens durch eine Personengruppe ist der faszinierende Aspekt in der Erforschung dieses Unternehmenstypus. Die große Zahl von Möglichkeiten für die Zusammen-
4
1 Das Thema
setzung dieser Personengruppen führt zu einer Vielfalt der Ausprägungen in fast jedem Aspekt der Unternehmensführung. Daher ist es schwer, generalisierende Muster für diesen Unternehmenstyp herauszuschälen. Wird dieser Versuch dennoch unternommen, so ist immer auch eine abweichende Praxis nachzuweisen – die unter ihren spezifischen Bedingungen ebenfalls erfolgreich sein kann. Für die ideale Arbeitsweise eines Aufsichtsrats kann aus den gesetzlichen Regelungen und aus der Analyse der objektiven Interessenlage der Aktionäre leichter eine Empfehlung abgeleitet werden. Für einen Beirat kann eine derartige generelle Norm nicht angegeben werden. Das Familienunternehmen ist ja unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass eine natürliche Personengruppe zusammenwirkt, um das Unternehmen zu „tragen“, vor allem auch dadurch, dass diese Personengruppe darauf hinwirkt, die nach ihrer persönlichen Überzeugung besten Überlebensvoraussetzungen für die Unternehmung zu schaffen. Da jede Personengruppe andere Überzeugungen hinsichtlich dessen entwickelt, was richtig ist für die Familie, für das Unternehmen und für die Unternehmensleitung, lassen sich allenfalls bestimmte Grundmuster herausarbeiten, die unter bestimmten – kontingenten – Voraussetzungen von Familiengesellschaftern bevorzugt werden. Daher muss von vornherein eine Vielfalt von Gestaltungen der Institutionen und Prozesse als möglich und auch als zweckmäßig angenommen werden – wobei es gilt, die Randbedingungen zu erkennen, unter denen die Zweckmäßigkeit erreicht wird. Bei einer Familiengesellschaft gilt nichts überall und immer, sondern alles hängt von den individuellen Gegebenheiten ab, so auch die Möglichkeit zur Beratung. Ich versuche präskriptiv die Forderung zu entwickeln, was der wesentliche Beitrag des Beirats sein sollte. Im Rahmen dieser Absicht geht es auch darum, in welchen Konstellationen, bei welchen Beratungsthemen und vor allem mit welchen förderlichen Gestaltungsmaßnahmen dieser wesentliche Beitrag geleistet werden kann. Um angesichts der Vielfalt möglicher Erscheinungsformen von Beiräten zu brauchbaren Aussagen zu kommen, bedarf es eines typologischen Ansatzes.1 Der Ausschnitt, den ich aus den verschiedenen typologischen Merkmalen von Familienunternehmen wähle, lässt sich wie folgt schematisieren (vgl. Tabelle 1).
1
Vgl. zum typologischen Ansatz: Schäfer, E. (1969): S. 9; Schäfer, E. (1991); Schierenbeck, H. (2003): S. 70 f.; Filion, L.J.: S. 163 ff.; Füglistaller, U. (2000): S. 309 ff.
1.2 Der Beirat als Instanz im Führungssystem der Familienunternehmen
5
Tabelle 1. Typologische Merkmale von Familienunternehmen Träger des Unternehmens
Management
AlleinGesellschafter
Gründer
Viele Gesellschafter
OHG
Beiratsmitglieder Nur Familie
KG
Mehrere Gründer Mehrgenerationen >2 > 3–4
Rechtsform
Mehrheitsgesellschafter Minderheitsgesellschafter
Größe
Klein
Familie und professionelle GmbH & Co. KG Beiräte
Mittel
GmbH
Großkonzern
Nur professionelle Beiräte
Groß
AG Familienfremder Geschäftsführer
Börse und Familie
Die Konzentration auf den Fall der Nicht-Familien-Geschäftsführung bietet sich aus zwei Gründen an: Zum einen stellen sich manche Themen bei einem Alleingesellschafter als Geschäftsführer gar nicht. Wenn ich also das volle Spektrum der Beiratsfunktionen behandeln möchte, muss die Konstellation der Trennung von Gesellschafterstellung und Geschäftsführung betrachtet werden. Und zum anderen wird jede Familiengesellschaft in der Generationenfolge zu einem absehbaren Zeitpunkt nicht mehr von einem Allein- oder Mehrheitsgesellschafter geführt. Zwischen einem Minderheitsgesellschafter als Geschäftsführer mit zahlreichen Familiengesellschaftern und einem Nicht-Familien-Geschäftsführer besteht in der Thematik der Corporate Governance nur ein gradueller Unterschied.
1.2
Der Beirat als Instanz im Führungssystem der Familienunternehmen
Ob für einen Alleineigentümer als geschäftsführenden Gesellschafter ein Beirat sinnvoll sein kann, mag dahingestellt bleiben. In jedem Fall hätte ein solcher Beirat einen anderen Charakter als bei dem uns hier interessierenden Thema eines Beirats bei einer Nicht-Familien-Geschäftsführung. In dem hier erfassten Fall einer professionellen Geschäftsführung durch einen Nicht-Gesellschafter-Geschäftsführer ist ein Beirat schlicht eine Notwendigkeit: Die Beziehungen zwischen Gesellschaftern und ihren angestellten Geschäftsführungen sind komplex, kompliziert und sensibel. Ein Beirat
6
1 Das Thema
kann den entscheidenden Beitrag leisten, um die Qualität und die Zuverlässigkeit der Geschäftsführung und deren Überwachung sicherzustellen. Die entscheidende Frage unserer Erörterung richtet sich nicht auf den Vorteil, überhaupt einen Beirat zu haben. Unsere Fragestellung lautet vielmehr: Welcher Art sollte dieser Beirat sein und wie sollte er arbeiten, um die spezifischen Chancen von mittelständischen Strukturen und Familiengesellschaften zu bewahren oder gar noch zu verstärken, indem zugleich spezifische Probleme von Familiengesellschaften begrenzt werden. Auch die Rolle eines Beirats gegenüber den Gesellschaftern selbst und für die Beziehungen der Gesellschafter untereinander kann erst bei einer MehrGesellschafter-Konstellation zum Tragen kommen, wie sie für die Mehrgenerationen-Familiengesellschaft typisch ist. Der Zugriff zum Thema beruht auf der Überzeugung, dass der Beirat eine wertschöpfende Wirkung dadurch entwickelt, dass er als Institution im Führungssystem wirkt. Ich gehe von einer durchgängigen Kette des Wirkens, der Beeinflussung, des Mitwirkens von den Gesellschaftern bis zur ausführenden Ebene aus. Mein Grundmodell umfasst folgende Ebenen der leitenden Institutionen: Gesellschafter
Beirat
Geschäftsführung
Jede dieser aufeinander bezogenen Institutionen nenne ich Instanz. Jede dieser Instanzen hat vielfach einen „Chef“, einen Vorsitzenden, einen Repräsentanten der Instanz: Den Mehrheitsgesellschafter, den Vorsitzenden des Beirats und den Vorsitzenden der Geschäftsführung. Für den Vorsitzenden der Geschäftsführung verwende ich die praktische Abkürzung CEO, die für den amerikanischen Ausdruck Chief Executive Officer steht. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass es sich um eine Geschäftsführung mit Präsidialfunktion des Vorsitzenden handelt. Vielmehr liegt dem Konzept das Grundmuster eines Kollegialorgans für die Geschäftsführung zugrunde – dies gilt natürlich auch für den Beirat. Ich gliedere sodann die Führung in die „hierarchischen“ Ebenen:
1.3 Ähnliche Gremien und ähnliche Führungsbeziehungen
7
Strategische Führung
Führung von Organisationseinheiten
Direkte Führung von Mitarbeitern für Leistungsprozesse
Die Führung erstreckt sich in diesem konzeptionellen Gebäude auf die klassische Gliederung in Planung, Organisation und Kontrolle. In diesem System werden wir das Wirken der ineinander greifenden Instanzen von Gesellschaftern, Beirat und Geschäftsführung betrachten: • Zuordnung von Kompetenzen (Kapitel 2), o durch Gesetz, o durch gesellschaftsrechtliche Festlegung, o durch faktische Handhabung, Usancen. • Inhalte der Interaktionsprozesse (Teil B, Kapitel 6 bis 11), • Formale Prozesse des Arbeitens der Institution Beirat (Teil C, Kapitel 12 – 14). Einen Beirat können die Gesellschafter nach freiem Ermessen schaffen und ihm die Funktionen zuweisen, die sie von ihm wahrgenommen wissen möchten. Sie können die Bezeichnung wählen, die ihnen gefällt: Beirat, Verwaltungsrat, Gesellschafterausschuss oder ähnliche Bezeichnungen. Sie können die Aufgaben in einem weiten Gestaltungsfeld regeln und im Zeitablauf neuen Anforderungen anpassen. Und vor allem: Im Beirat sitzen nur Personen, die die Gesellschafter selbst hierfür bestimmt haben. Die Mitbestimmung hat keinen Platz im Beirat. Beiräte können weniger, aber auch sehr viel mehr Rechte wahrnehmen als Aufsichtsräte. Familiengesellschaften bieten andere Möglichkeiten für ein Aufsichtsgremium, stellen aber auch andere Herausforderungen.
1.3
Ähnliche Gremien und ähnliche Führungsbeziehungen
Die Familiengesellschaft gehört zur Kategorie der Gesellschaften mit einem geschlossenen Gesellschafterkreis. Die für einen Beirat wesentlichen
8
1 Das Thema
Themenstellungen finden sich auch bei anderen „geschlossenen“ Gesellschaften wie zum Beispiel bei solchen, die Stiftungen als Eigentümer haben, oder bei Joint Ventures zwischen zwei oder mehr Gesellschaften. Als Paradebeispiel eines Unternehmens mit geschlossenem Gesellschafterkreis kann auch die Tochtergesellschaft eines Konzerns betrachtet werden. Rein quantitativ dürften Aufsichtsräte von Tochtergesellschaften eines Konzerns die größte Anzahl von Aufsichtsräten darstellen. Vor 30 Jahren war eine noch sehr häufig anzutreffende Form des Konzerns der sogenannte Stammhauskonzern: Die Muttergesellschaft des Konzerns, das Stammhaus, siedelte seine gesamten Aktivitäten in der gesellschaftsrechtlichen Einheit der Obergesellschaft des Konzerns an, nur die ausländischen Aktivitäten waren aus nahe liegenden Gründen schon immer als rechtlich selbstständige Gesellschaften organisiert. Heute finden wir hingegen für einen Konzernaufbau das folgende Standardmuster: Unter einer Spitzeneinheit als Holding- oder Management-Holdinggesellschaft sind die operativen Einheiten als rechtlich selbstständigen Tochtergesellschaften angeordnet. Bei den Konzernen, die im Besitz von Eigentümern oder Familien sind, konnte man schon immer Beispiele für einen Konzernaufbau finden, bei dem es eine Reihe von eigenständigen Gesellschaften gibt, die von einer Holdinggesellschaft des Familienkonzerns verwaltet werden. Berühmt wurde etwa das Teehaus der Quandt-Gruppe in Bad Homburg, von dem aus die Gesellschaften „verwaltet“, „betreut“, „gesteuert“ wurden – welche Bezeichnung für den Intensitätsgrad der Einflussnahme richtig wäre, soll offen bleiben.
1.4
Der Gang der Überlegungen
Ich nähere mich dem Thema auf der Grundlage der Prämisse, dass ein Beirat eine Institution im Führungssystem der Familienunternehmung ist und aus einem Wertbeitrag in diesem Führungssystem seine Rechtfertigung gewinnt. Zur Führung gehört notwendigerweise, dass der Führende für seinen Führungsbereich Verantwortung trägt und daher sein Amt „mit Verantwortung“ wahrnimmt. Für die Führung ist die Beziehung zu der nachgeordneten Instanz grundlegend, hier zur Geschäftsführung. Zu der Führungsbeziehung gehören immer sowohl die Aufsicht wie auch die Erteilung von Rat. Was dabei geleistet werden kann und was nicht, wird deutlicher, wenn man sich ansieht, welche die Standardthemen im Diskurs eines Beirats sein sollten und wie mit ihnen umgegangen wird.
1.4 Der Gang der Überlegungen
9
Mein Argumentationspfad ist etwa folgender: • Das Familienunternehmen ist erfolgreich durch seine Strategie. • Eines der Erfolgsmuster dieser Strategie ist es, nicht den Bedingungen einer Börsengesellschaft unterworfen zu sein. • Ein Beirat in der Familiengesellschaft muss den Erfolgsfaktor Strategie des Familienunternehmens stärken. • Ein Beirat muss darauf achten, dass spezifische Gefährdungen von Familienunternehmen den geschäftlichen Erfolg nicht gefährden. • Eine positive Wirkung in der Entwicklung der Strategie gelingt nur, wenn beim Beirat günstige Voraussetzungen hierfür geschaffen werden in: o o o o
der Aufgabenstellung, der Besetzung des Beirats, der Besetzung des Beiratsvorsitzes und der Arbeitsweise.
Wertschöpfende Beiträge zur Unternehmensführung kann ein Beirat nur durch Wirksamkeit entfalten. Hinsichtlich der Wirksamkeit konzentriere ich mich auf einen Idealtypus, der verschiedene Qualitäten aufweist und den ich als Typus des „starken Beirats“ bezeichne. Ich lege einen besonderen Schwerpunkt auf die Ausdifferenzierung der inhaltlichen Aspekte der Beiratsarbeit, insbesondere auf die Interaktionen zwischen Beirat und Geschäftsführung in den Themenbereichen der Unternehmensstrategie. Es geht hier um Absichten, Kommunikation, Erleben und Reaktionen. Es sind dies die Bereiche, die sich einer externen Analyse nicht leicht erschließen – und schon gar nicht einer Fragebogenerhebung. In der Reflexion über den Nutzen und die Arbeitsweise eines Beirats sind die Standpunkte aller Beteiligten zu berücksichtigen, also nicht nur die Interessen der Gesellschafter und „ihres“ Beirats gegenüber der Geschäftsführung, sondern auch die Interessen der Geschäftsführung. Und wo immer geboten, möchte ich die Begriffe der Institutionen Beirat und Geschäftsführung auflösen in die differenzierten Rollen, die einzelne Beteiligte zu übernehmen haben: der Beiratsvorsitzende, die einzelnen Mitglieder des Beirats, der Vorsitzende der Geschäftsführung, die einzelnen Mitglieder der Geschäftsführung. Im ersten Teil dieses Buches werden die Rahmenbedingungen des Themas erörtert:
10
1 Das Thema
• Das Familienunternehmen wird als erfolgreicher Unternehmenstypus vorgestellt. • Die rechtlichen Grundlagen, die möglichen Rechte, die Quellen des Einflusses und die Pflichten eines Beraters werden rekapituliert. • Es werden die besonderen Bedingungen für den Erfolg erörtert, deren sich ein Beirat bewusst sein sollte: o Besonderheiten der Zielfunktion von Familiengesellschaften, o Vermeidung der Nachteile von Börsengesellschaften, o Vermeidung der spezifischen Gefährdungen von Familiengesellschaften. • Die Funktionen eines Beirats werden in der Übersicht skizziert, nämlich o als Institution zur Beeinflussung der Gesellschafter, o als Institution im System der Führung des Unternehmens. Im zweiten Teil konzentrieren wir uns auf die einzelnen Funktionen des Beirats gegenüber der Geschäftsführung und das Zusammenwirken von Beirat und Geschäftsführung: • Die zeitlich umfangreichste Tätigkeit eines Beirats ist die Entgegennahme des Vortrags, der Berichterstattung und der Anträge der Geschäftsführung. • Sodann erörtern wir die allgemein als wichtigste Funktion angesehene „Aufsicht“ – eine ja nicht einfach beobachtbare Tätigkeit: Was ist das, „Aufsicht“ ausüben? • Anschließend wenden wir uns den unter Aufsichtsgesichtspunkten als bedeutsam erachteten Instrumenten der Einflussnahme auf die Geschäftsführung zu: o Genehmigungsvorbehalte und o Weisungsrechte. • Der Kernpunkt unseres Idealtypus eines „starken“ und „wertschöpfend wirksamen“ Beirats ist die Fähigkeit, einen beratenden Beitrag zur Unternehmensstrategie zu leisten. Ob dies gelingen kann und, wenn ja, wie, und welches die typischen Themenstellungen hierbei sind, dies herauszuarbeiten ist ein Kernanliegen dieser Schrift. • Abschließend wird die Personalkompetenz behandelt, die ein „starker“ Beirat ebenso wie ein Aufsichtsrat hat.
1.4 Der Gang der Überlegungen
11
Die Grundlagen • Thema
• Familienunternehmen als Typus
• Strukturen und Zuständigkeiten
Die Obliegenheiten von Beirat und Geschäftsführung in ihrer wechselseitigen Beziehung • Empfänger des Vortrags der Geschäftsführung
• Aufsicht über die Geschäftsführung
• Einflussnahme auf die Geschäftsführung durch o Genehmigung o Weisung
• Beratung in Strategiefragen
• Personalkompetenz über die Geschäftsführung
Die Arbeitsweise und die Zusammensetzung • Prozess der Beiratsarbeit
• Vorsitzender als Schlüsselfaktor
• Auswahl der Beiratsmitglieder
• Pathologien
• Wunschlisten für ideale Beiräte
Zusammenfassungen • Typologie der Beiräte Abb. 1. Aufbau des Buches
Gerade weil die gesamte Gestaltungsempfehlung darauf zielt, einen „starken“ Beirat zu schaffen, der einen wertschöpfenden Beitrag zur Unternehmensentwicklung leisten kann, ist es entscheidend, aufzuzeigen, wie dieser seinen Einfluss nutzen darf und wo eine falsche Form der Einflussnahme schädlich ist. Ein starker Beirat kann nur ein kluger Beirat sein und ein kluger Beirat muss wissen, wo er sich „zurückhalten“ muss. Im dritten Teil möchte ich mich mit der Zusammensetzung und der Arbeitsweise des Gremiums befassen: • Die Elemente der Sitzungsarbeit werden erörtert. • Wir werden die besondere, ja überragende Rolle des Vorsitzenden herausarbeiten. • Welche Personen werden wie für einen Beirat ausgewählt?
12
1 Das Thema
Abschließend werde ich in einigen Abschnitten zusammenfassen: • Die Einordnung des Idealtypus „starker“ Beirat in die vorliegenden Typologien von Beiräten. • Die Pathologie schlecht funktionierender Beiräte. • Schließlich eine Sammlung von Wunschlisten für ideale Beiräte. Im Idealfall finden hier alle Interessenten für einen Beirat Anregungen und Wegleitungen: • Die Gesellschafter des Familienunternehmens, wenn sie erwägen, einen Beirat zu begründen, wenn sie seine Aufgaben formulieren und wenn sie schließlich die Suche nach geeigneten Beiratsmitgliedern beginnen. • Die Beiratsmitglieder, und vor allem die Beiratsvorsitzenden, bei Reflexionen über die Zielsetzung ihrer Arbeit und über Vorschläge für eine „gute“ Beiratsarbeit. • Die Geschäftsführer, um Verständnis für den Blickwinkel des Beirats zu entwickeln und damit günstige Voraussetzungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Beirat und Geschäftsführung zu schaffen.
2
2.1
Die Familiengesellschaften als Unternehmenstypus
Der Typus „Mittelständisches Familienunternehmen“
Um die Besonderheit der Aufgabenstellung eines Beirats zu erkennen, muss man mit den Besonderheiten der Familiengesellschaft beginnen. Diese Besonderheiten treten deutlicher hervor, wenn die Familiengesellschaft mit der Börsengesellschaft verglichen wird. Daraus wird auch ersichtlich, dass der Beirat nicht ein Aufsichtsrat unter Anpassung an die rechtlichen Besonderheiten einer Familiengesellschaft sein kann, sondern eine Institution „sui generis“ sein muss. Die mittelständischen Unternehmen sind eine Schnittmenge von Familienunternehmen und Unternehmen „überschaubarer Größe“. Mit dieser Größenbezeichnung meinen wir zum Beispiel industrielle Unternehmen von etwa 100 Mio. EUR bis zu einigen 100 Mio. EUR Umsatz. Damit liegt unsere Vorstellung von mittelständischer Größe beträchtlich über der Definition der kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) gemäß EURichtlinie, die bei 250 Beschäftigten und 50 Mio. EUR Umsatz endet. Wir finden freilich „mittelständische“ Strukturen und Prozesse der Unternehmensführung – gleichsam als Geisteshaltung – auch bei Familienunternehmen mit beträchtlicher Größe. Obschon dies nicht die typische Fallkonstellation für diese Arbeit ist, gelten die meisten Überlegungen auch für die Beiräte großer Familienunternehmen. Es gibt in dieser Größenordnung von einigen 100 Mio. EUR Umsatz durchaus bekannte Börsengesellschaften ohne Verankerung im Mehrheitsbesitz von Familiengesellschaftern. Ihre Zahl nahm in den letzten Jahren ab, da diese Unternehmensgröße inzwischen ein bevorzugtes Übernahmeprojekt für Private-Equity-Investoren wurde. Der für Deutschland allerdings bei weitem vorherrschende Fall ist das mittelständische Unternehmen als Familienunternehmen. Als Klein- und Mittelunternehmen war es in der Gründerphase ein Eigentümerunternehmen und wurde dann im
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2 Die Familiengesellschaften als Unternehmenstypus
Wachstumsprozess und durch den Erbübergang ein Familienunternehmen. Eine oder zwei Personengruppen, die miteinander durch Verwandtschaft verbunden sind, sind die Träger des Unternehmens. In dem hier erörterten Typus wird immer von einem vollen, ungestörten Familieneinfluss ausgegangen. Es braucht also nicht auf den Grad der Intensität des Familieneinflusses eingegangen zu werden, wofür heute vorzugsweise die „ F-PEC Scale“ von Astrachan/Klein/Smyrnios herangezogen wird.2 Das System Familienunternehmen wird heute in der Literatur als ein System aus drei ineinander greifenden Systemen gesehen: Familien, Eigentümer, Unternehmen. Es liegt nahe, diese Gliederung für unsere Betrachtung noch zu differenzieren. Ebenso wie auf der Seite der Familie zwischen der Rolle als Familienmitglied und der Rolle als Gesellschafter und Eigentümer getrennt wird, kann man die Funktionen des Unternehmens unterscheiden in ein „Unternehmen als Investment“ und in ein „Unternehmen als Organisation“, das eigene Interessen gegenüber den Gesellschaftern zu vertreten hat. Unsere Gliederung sieht also wie folgt aus: • Familie als gesellschaftlicher Personenverbund, • Eigentümer der Gesellschafteranteile als Untermenge und als spezifische Rolle der Familienmitglieder, • Unternehmen als wirtschaftliche Einheit, als Investment der Familie, • Unternehmen als Organisation, als Gemeinschaft von Mitarbeitern und Führungskräften. Um diese originären Elemente des Systems ranken sich nun noch weitere Stakeholder, zum Beispiel Stiftungen, die von den Erträgen des Unternehmens „leben“. Zwischen diesen Kreisen gibt es Verbindungselemente: Die Mitgliedschaft eines oder mehrerer Familiengesellschafter in der Unternehmensorganisation, zumal im Führungsgremium, kann ein solches Verbindungselement zwischen Eigentümern und Unternehmensorganisation sein. Ein Beirat ist ein anderes, und zwar ein sehr wichtiges Verbindungselement. Es sind aber noch andere Verbindungselemente in Theorie und Praxis vorzufinden, z. B. ein „Family Office“. Aber auch ein einzelner Berater kann als besondere Vertrauensperson von Gesellschaftern und Unternehmensleitung in eine solche Position kommen.
2
Vgl. Astrachan/Klein/Smyrnios (2002).
2.1 Der Typus „Mittelständisches Familienunternehmen“
15
Die Trägerschaft als Kriterium Wir stellen fest, dass ein Familienunternehmen dadurch charakterisiert ist, dass eine oder zwei (selten mehr) durch Blutsverwandtschaft miteinander verbundene Personengruppen Träger des Unternehmens sind. Diese Personengruppe bzw. die Gesamtheit von mehreren Personengruppen stellt jeweils eine durch das Merkmal der Verwandtschaft von anderen abgegrenzte Gemeinschaft dar, die sich zwar im Rhythmus der Generationenfolge personell verändert, die aber doch durch die gemeinsamen Traditionen miteinander verbunden bleibt. Sie ist identifizierbar, sie ist das Gegenteil der ständig wechselnden anonymen Aktionäre einer Publikumsgesellschaft. Ein Unternehmen vom Typus Familienunternehmen kann man nicht nur dann annehmen, wenn ein maßgeblich beteiligter Gesellschafter auch Geschäftsführer des Unternehmens ist. Bedeutende und charakteristische Familienunternehmen wie Bosch, Haniel, Voith und andere würden sonst nicht zu den Familienunternehmen zählen. Trägerschaft des Unternehmens heißt schlicht: Ohne eine verwandtschaftlich verbundene Personengruppe gäbe es dieses Unternehmen nicht als selbstständiges, wirtschaftliches Entscheidungszentrum. Familienunternehmen setzen in unserem Verständnis ausdrücklich nicht die Beteiligung der Familiengesellschafter an der Geschäftsführung und auch nicht an einem die Geschäftsführung überwachenden Beirat voraus. Es genügt die Funktion der Trägerschaft. Diese wird auf Dauer aber nur wahrgenommen, wenn eine innere Bindung dieser Personen zu dem Unternehmen besteht. Diese Bindung wird vor allem dadurch gewonnen, dass sich die Gesellschafter mit dem Unternehmen identifizieren, das Unternehmen als Teil ihrer persönlichen Geschichte wertschätzen, es bewahren und es an die nächste Generation übertragen wollen. Mit der Trägerschaft ist zugleich ein wie immer auch qualifizierter Einfluss verbunden. Der Eigentümer hat Rechte und vor allem auch Verantwortung für sein Eigentum. Beides, vor allem aber die Verantwortung, berechtigt ihn zu etwas und verpflichtet zu einer Einflussnahme darauf, wie mit dem Unternehmen verfahren wird, wie es in seine Zukunft geführt wird. Wie dieser Einfluss wahrgenommen wird, ist für die Typologie von Familiengesellschaften nicht wesentlich. Die Art und Intensität der Einflussnahme ändert sich nach den Erfordernissen im Zeitablauf, ohne dass sich dadurch die Eigenschaft des Unternehmens als Familienunternehmen ändert.
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2 Die Familiengesellschaften als Unternehmenstypus
Ein durch die individuelle Prägung nur schwer systematisierbarer Unternehmenstypus Familienunternehmen sind geprägt durch die Persönlichkeiten in den Familien, deren Weltverständnis, deren Traditionen, deren Beziehungen untereinander. Die „Verfassungswirklichkeit“ von Familienunternehmen ist daher so vielfältig wie die Vielfalt der Individuen, die ihre Eigentümer sind. Es gibt fast keine Gestaltungsform, die es für die Organisation des Gesellschafterkreises und der Organe eines Familienunternehmens nicht gibt und die sich nicht auch – in dem jeweiligen Fall – über lange Zeit bewährt hat. Wenn Einvernehmen und Harmonie zwischen allen Beteiligten – von den Gesellschaftern bis zur Geschäftsführung – bestehen, braucht man keine Regelungen. Indes, auf eine so fragile Voraussetzung wie emotionale Harmonie darf man kein wirtschaftliches Unternehmen begründen. Im Interesse der Arbeitsplätze sowie des investierten Vermögens müssen der Bestand und die Entwicklung des Unternehmens auch gesichert sein, wenn auf das spontane Einvernehmen nicht mehr gesetzt werden kann. Für diesen Fall braucht die „familiäre Veranstaltung“ Regelungen, die das Familienunternehmen zu einer dauerhaften Institution machen. Aber auch die Verfassungsregelungen und die Art und Weise, wie die Regelungen in der Verfassungspraxis interpretiert und beachtet werden, sind pfadabhängig von den bisherigen Usancen. Die formale Struktur kann daher nur vor dem Hintergrund der informellen Textur der Beziehungen verstanden und ausgefüllt werden. Dass die Vielfalt der Erscheinungsformen der tausenden von Familienunternehmen nicht in generalisierenden Aussagen eingefangen werden kann, ist ein Dilemma, durch welches das Konzept eines Idealtypus von einem „starken“ Beirat nur scheinbar aufgehoben wird. Man muss es als Vorwissen einfach in die Durchsicht des hier vorgelegten Systematisierungsansatzes mitnehmen. Eine Unternehmung mit überschaubarer Größe, begrenzten Möglichkeiten und latenten Gefährdungen Die Besonderheit der Familienunternehmung ergibt sich daraus, dass ihre Träger eine geschlossene Personengruppe sind. Der Bestand des Unternehmens hängt natürlich einmal davon ab, dass das Unternehmen selbst lebensfähig ist. Darüber hinaus hängt aber der Bestand des Familienunternehmens davon ab, dass die Familie erhalten bleibt und sich in Kindern fortsetzt. Und weiter, dass diese Familie den Willen behält, das Unternehmen zu
2.2 Ein erfolgreicher Unternehmenstypus
17
bewahren. Andernfalls endet das Unternehmen als Familiengesellschaft. Das geschieht dann zumeist durch Verkauf an ein anderes Unternehmen. Es gilt die Identifikation dieser Personengruppe mit „ihrem“ Unternehmen zu bewahren. Ein Verlust der Identifikation, eine „innere Kündigung“ der Gesellschafterbindung geht allemal ursächlich und oft mit langer zeitlicher Inkubationszeit der vertraglichen Auseinandersetzung um den Gesellschafterstatus voraus. Bindung verlangt Einbindung. Die finanzielle Beteiligung muss durch die mentale Beteiligung an dem Unternehmen notwendig ergänzt werden. Ich werde als eine der möglichen Aufgaben eines Beirats auch anzusprechen haben, was er dazu beitragen kann, diese mentale Beteiligung an dem Unternehmen zu stärken. In der ersten Annäherung werden sowohl die Geschäftsführung durch die Nicht-Familienangehörigen wie auch die Schaffung eines Beirats aus Nicht-Familienangehörigen als Barriere zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung, als potenzielle Bedrohung des Einflusses der Familiengesellschafter und damit als Quelle eines Identifikationsverlustes gesehen.3 Dem muss nicht so sein. Jedoch ist diese Aufgabe, Stärkung der inneren Bindung zwischen Gesellschaftern und Unternehmen, etwas, das für die Gestaltung eines Beirats zu beachten ist.
2.2
Ein erfolgreicher Unternehmenstypus
Die Belege für den Vitalitätsvorsprung Das Bild von der Wirtschaft wird heute von dem Blick auf die großen Unternehmen geprägt. Das mochte noch vor Jahrzehnten anders gewesen sein, als es ganze Branchenzweige gab, die ausschließlich von mittelständischen Unternehmen geprägt waren: Automobilzulieferung, manche Zulieferbranchen des Handwerks wie Hausinstallationsmaterial, Sanitärinstallation usw. In den meisten Branchen dieser Art haben sich inzwischen auch Großkonzerne eingekauft oder Private-Equity-Investoren bündeln mehrere mittelständische Unternehmen zu einem börsenfähigen Unternehmen. Heute haben wir in fast jeder Branche, in denen mittelständische Unternehmen erfolgreich tätig sind, auch Großunternehmen. Damit sieht das mittelständische Unternehmen bei seinem Rundblick auf die Marktlandschaft immer gleich die Bewegungen der Großunternehmen – und vermutet hinter der Größe auch Kraft. Die ständige Frage für den „Kleinen“ ist: Was muss er tun, um in diesem Markt gegenüber den Großen zu bestehen? 3
Scherer, S. (2005): S. 189 f.
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2 Die Familiengesellschaften als Unternehmenstypus
Ungeachtet dieser existenziellen Situation, der Begrenzung und der geringen Größe gegenüber den großen Unternehmen, ist das mittelständische Familienunternehmen ein sehr erfolgreicher Unternehmenstypus. Diese Feststellung scheint zunächst dem allgemeinen Eindruck zu widersprechen. Die börsennotierte Publikumsgesellschaft tritt in der öffentlichen Wahrnehmung als der dominante und erfolgreichere Typus der modernen Unternehmung auf. Mit der Ernüchterung über das, was man dann als Auswüchse des Erfolgsstrebens dieser Unternehmen bezeichnet, rückt die unverdrossen eifrig schaffende Familienunternehmung wieder mehr ins Interesse der Medien. Es gibt Untersuchungen und Stellungnahmen, die einen Renditenachteil der Familiengesellschaft nachweisen4 oder zumindest keinen Nachteil der „managerkontrollierten“ Börsengesellschaft gegenüber der eigentümerkontrollierten Unternehmung sehen.5 Zur Validität dieser Untersuchungen kann nichts gesagt werden, da die Auswahl „vergleichbarer“ Fälle nicht überprüfbar ist. Recht betrachtet ist ein Zufriedenheitsniveau im Renditestreben keineswegs dysfunktional für ein nachhaltiges Wachstumsstreben. Es muss ferner das Kriterium für den Erfolg definiert werden. Die ausgewiesene Rentabilität kann nur ein Hilfsindikator sein. Bei Familiengesellschaften ist der Erfolg in mehrfacher Sicht zu qualifizieren: • Es geht nicht nur um die finanzielle Rendite der Gesellschafter, sondern um die Erfüllung der komplexen Zielfunktion eines Familienunternehmens. • Es gehen in diese Zielfunktion auch die Interessen der anderen Stakeholder ein wie vor allem die der Beschäftigten, der Kommune und anderer. • Der Erfolg wird langfristig als die Fähigkeit zum Überleben gesehen, wobei erfolgreiches Überleben vielfach – jedoch nicht immer – als Überleben in Selbstständigkeit als Familienunternehmen verstanden wird. • Neben der ausgewiesenen Rendite sind auch die Aufwendungen zu berücksichtigen, die für die nachhaltige Zukunftssicherung des Unternehmens erforderlich sind (Forschungsaufwand, Erneuerung der Anlagenbasis, Aufwendungen zur Erschließung neuer Märkte). 4
5
Vgl. Dürr, M./Knust, P. (2002): S. 465 ff.; ferner: VDMA und McKinsey & Company (2002): S. 7; ferner: Ernst & Young/Zellweger, T. (2005). Kaulmann, T. (1987 a): S. 92 – 115, 177 – 185; derselbe (1987 b).
2.2 Ein erfolgreicher Unternehmenstypus
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Heute wird als überwiegende und breit belegte Meinung anerkannt, dass die Familienunternehmung ein sehr erfolgreicher Typus von Unternehmen ist. Hierzu werden immer neue empirische Studien vorgelegt, die eine höhere Rentabilität oder zumindest keinen Rentabilitätsnachteil von Familienunternehmen gegenüber Börsengesellschaften aufzeigen.6 Eine eindrucksvolle Gesamtübersicht von Untersuchungen zu – positiven – Renditedifferenzen zwischen Familiengesellschaften und Börsengesellschaften bringen Miller und Le Breton/Miller.7 Eine umfassende Übersicht aller bisherigen Untersuchungen und die Bestätigung der Überlegenheit der durch Familieneinfluss geprägten Börsengesellschaften legt P. Jaskiewicz vor.8 Wie gefährdet das Überleben von Unternehmungen generell ist, sollten wir nicht aus der Insolvenzstatistik ableiten, denn diese wird stark von dem Scheitern der Neugründungen geprägt. Alle Aussagen zu Überlebenswahrscheinlichkeiten müssen in Relation zum Alter und damit zur Größe der Unternehmen bei Nicht-Börsengesellschaften wie bei Börsengesellschaften gesehen werden. Es ist generell schwierig, Phänomene bei den kleinen und mittleren Unternehmen zu ergründen, weil diese riesige Masse einfach statistisch gar nicht aufbereitet werden kann. Um zu spezifischen Aussagen zu kommen, muss man die Vitalität nach Altersstufen und Größenklassen differenziert untersuchen. Während von den 100 größten Börsenunternehmen in einem 10-Jahres-Zeitraum 1 % in Insolvenz ging, waren es von den 101 – 200 größten Unternehmen 9 % und bei den 201 – 300 größten Unternehmen 17 %.9 Wenn weiter die Schwundrate von Familienunternehmen über die Generationen beklagt wird, sollte man die Schwundrate der Börsengesellschaften über die Dauer einer Generation, also mindestens 30 Jahre, zum Vergleich heranziehen. Für die USA wird berichtet, dass von den Größtunternehmen der Fortune-500-Liste aus dem Jahr 1955 heute 70 % nicht mehr im Geschäft sind. Von den Fortune 500 von 1979 bestehen 40 % nicht mehr und auch von den Fortune 500 des Jahres 2000 gibt es nur fünf Jahre später 30 % nicht mehr.10 Innerhalb einer Generation verschwinden also auch mehr als die Hälfte aller Börsenunternehmen. Dieses Risiko ist somit etwas, das mit unternehmerischer Tätigkeit generell zu tun hat. Was 6
7 8 9 10
Anderson, R.C./Reeb, D.M. (2003); Jorisson, A. et al. (2005): S. 229 – 246, insbesondere S. 233; Lee, I. (2006). Miller, D./Le Breton-Miller, I. (2005): S 14 f. Jaskiewicz, P. (2006). PriceWaterhouseCoopers (2006). Vgl. PriceWaterhouseCoopers (2006); Cooper, R.K. (2006): S. 22 mit weiteren Nachweisen.
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2 Die Familiengesellschaften als Unternehmenstypus
strategisches Denken leisten kann, um dieses Mortalitätsrisiko von Unternehmen zu verringern, ist ein Schlüsselthema für Familiengesellschaften – und Beiräte können hierbei eine wichtige Rolle übernehmen. Für meine eigene Untersuchung gehe ich von folgendem Sachverhalt aus: Wir haben uns auf die beobachtbaren größeren Familienunternehmen konzentriert und fanden ein überraschendes, aber sehr überzeugendes Muster für ihre Vitalität11: • Von den 23 größten Familiengesellschaften ist innerhalb eines Jahres nur ein Unternehmen – Krupp – durch die Fusion mit Thyssen in eine Börsengesellschaft aufgegangen. • Von den 35 größten Börsengesellschaften sind zehn als selbstständige Unternehmen verschwunden und drei an neue Eigner verkauft worden; also konnte bei 37 % das Unternehmen nicht erfolgreich fortgeführt werden. • Die Wachstumsrate der Familiengesellschaften war um die Hälfte größer als die der Börsengesellschaften. PriceWaterhouseCoopers legten 2006 eine Untersuchung der 300 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland vor, in der die Veränderungen in dieser „Population“ in der Dekade von 1996 bis 2006 untersucht werden, die die obigen Ergebnisse für den größeren Untersuchungsrahmen der 300 Börsenunternehmen bestätigten12: • 9 % der Unternehmen meldeten Insolvenz an. • 35 % der Unternehmen verloren ihre Selbstständigkeit durch Übernahme durch ein anderes Unternehmen. • 14 % der Unternehmen sind aus dem Kreis der 300 größten Unternehmen verschwunden. Kein Unternehmen ist ohne Erwerb eines anderen Unternehmens auf organischem Wege so gewachsen, dass es in der Größe eine Stufe (gemäß der Klassifizierung in drei 100erGruppen) nach oben aufstieg. Die anekdotische Evidenz zeigt, dass die spektakulären Unternehmenszusammenbrüche der letzten 20 Jahre mit den Namen von Publikumsgesellschaften verbunden waren: AEG (1982 und 1995/96), Klöckner-Werke (1992), Metallgesellschaft (1993), Bremer Vulkan Verbund (1996), Klöck-
11 12
Kormann, H. (2005): S. 4 ff. PriceWaterhouseCoopers (2006).
2.2 Ein erfolgreicher Unternehmenstypus
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ner-Humbold-Deutz (1996), Philipp Holzmann13, Babcock. In dieser Zeit gab es natürlich genügend Geschichten über Streit innerhalb von Familiengesellschaften, so etwa unter den Brüdern Herz bei Tchibo, aber kaum Beispiele für den Abstieg von Familiengesellschaften ähnlicher Größe. Ich halte es daher für überzeugend belegt, dass Familiengesellschaften – vergleichbaren Alters, vergleichbarer Branche, vergleichbarer Größe – tendenziell erfolgreicher sind als Börsengesellschaften. Der vielleicht eindrucksvollste Beleg für die augenscheinlichen Erfolgsvorteile mittelständischer Strukturen ist die Tatsache, dass Großkonzerne eben diese Strukturen bei sich „simulieren“ wollen. Konzepte wie zum Beispiel den „Intrapreneur“ in einer Großorganisation anzusiedeln, die Aufgliederung in überschaubare Leistungseinheiten und Profitcenters vorzunehmen, sollen darstellen, wie man die mittelständische Eigentümermentalität in die große Organisation hineintragen will. Die Erklärung des Erfolgs durch strategische Stärken Die Annahme der überlegenen Vitalität von Familiengesellschaften bedarf der Erklärung. Geht man von der Ressourcenorientierung in der Erfolgsanalyse aus, so kann man ausschließen, dass die mittelständische Familiengesellschaft einen Vorteil bei den finanziellen Ressourcen hat. Hinsichtlich der finanziellen Ressourcen ist diese Unternehmensform allein auf die Gewinnthesaurierung als Kapitalquelle angewiesen. Bei den personellen Ressourcen gibt es sicherlich keinen Vorteil in der Gewinnung von Mitarbeitern. Die Großunternehmen sind bekannter, sind aktiv im Rekrutieren an den Hochschulen und sind zunächst auch attraktiver. Es wäre aber denkbar, dass die Mitarbeiter durch Unternehmenskultur, Einbindung, längere Verweildauer in dem Unternehmen eine höhere Wirksamkeit entwickeln. Ein solcher Vorteil der Know-how-Stärke würde eingehen in den vermuteten Vorteil dieser Unternehmen in ihrer Strategie. Maßgebliche Forscher auf unserem Gebiet sehen den entscheidenden Vorteil der erfolgreichen Familienunternehmen in ihrer Strategie, ja spezifischer in bestimmten Strategiemustern, die bei diesen Unternehmen häufiger verfolgt werden. An Argumenten zur Unterstützung dieser These verfügen wir über reichhaltige Literatur, in der anekdotische Evidenz gesammelt wird, so etwa von Tagiuri und Davis14, Carlock und Ward15, von 13 14 15
Vgl. Bernhardt, W. (2005): S. 6. Tagiuri, R./Davis, J.A. (1992). Carlock, R.S./Ward, J.L. (2001).
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2 Die Familiengesellschaften als Unternehmenstypus
Miller und Le Breton-Miller16, Wiechers17, May18, Simon in seinem Buch über die Hidden Champions als eine Strategie mittelständischer Erfolgsunternehmen19, Rosenbauer20. Die Beispielsfälle der Praxis sind gedeutete Strategiegeschichten. Diese Deutungen entsprechen nicht den Anforderungen wissenschaftlicher Erhebungen, haben in der Fülle der erfassten Fälle aber dennoch eine überzeugende Aussagekraft. Einige der Merkmale, die dem Prozess der Strategieentwicklung mittelständischer Unternehmen zugeschrieben werden, sind – in Schlagworten – folgende Spezifika: • Intuitive, aus der intimen Kenntnis der Geschäftsprozesse entwickelte Strategie, • Durch persönliche Überzeugungen geprägte Strategie, daher nicht auf die Imitation der Standardstrategien der Marktführer ausgerichtet, sondern zu einer kreativen Kontraststrategie befähigt, • Schnelle Entscheidungsfindung, • Bereitschaft zum pragmatischen Ergreifen von Chancen außerhalb des bislang erfassten Planungsraumes, • Kontinuität in der Mission, den Zielen, den Traditionen, langfristige Orientierung. In der inhaltlichen Dimension der Strategie werden der mittelständischen Familienunternehmung typischerweise folgende Qualifikationen zugeschrieben: • Know-how-fundierte Strategie, • Kundenorientierung, • Präferenz für Qualität, • Präferenz für Innovationen, • Positionierung in Marktnischen, • Werteorientierung in den Beziehungen zu den Geschäftspartnern.
16 17 18 19 20
Miller, D./Le Breton-Miller, I. (2005). Wiechers, R. (2006). May, P. (2001). Simon, H. (2007). Rosenbauer, C. (1994).
2.3 Die Rolle des Beirats zur Stärkung der Vitalität
23
Wenn man einen gemeinsamen Nenner als Wurzel für diese zugesprochenen besonderen Merkmale der mittelständischen Familienunternehmung sucht, dann ist dies wohl die „persönliche Prägung“ der Strategie. Diese persönliche Prägung ist die natürliche Konsequenz der Einflussnahme einer geschlossenen Personengruppe über die Zeit hinweg. Auch in ihrer schwächsten Form ist diese Einflussnahme noch ungleich stärker, artikulierter, fordernder als die Stellungnahme eines Kleinaktionärs oder eines Vertreters einer Aktionärsvereinigung auf einer Hauptversammlung. Selbst wenn andere Formen der Artikulation keine Rolle spielen würden, genügten allein die Tradition der Familie und die Familiengeschichte, um das Bewusstsein der Organisation und der jeweils mit amtierenden Führungsschicht zu prägen. Durch die persönliche Prägung ist dieser Unternehmenstypus in der Lage, Überlebensmöglichkeiten dort zu finden, wo die Konzeptionen der Standard- oder Normstrategien keine Antworten wissen, zum Beispiel wie man als Nummer 4 oder 5 in einem Markt überleben kann. Das mittelständische Unternehmen kann bei diesem Problem eine Lösung finden, indem es sich auf eine verteidigungsfähige Nische konzentriert. Diese persönliche Prägung ist es aber auch, die fast nur das Eigentümerunternehmen in die Lage versetzt, etablierte Geschäftsmodelle in Frage zu stellen und durch ein revolutionär neues Geschäftsmodell zu überwinden, wie dies die Pioniere für neue Handelsformen immer wieder vormachen. Diese persönliche Prägung gestattet dem Eigentümerunternehmer auch exotische Geschäftschancen wahrzunehmen, die ein professionelles Management nicht in dem Standardkonzept einer fokussierten Shareholder-Value-Strategie unterbringen könnte.
2.3
Die Rolle des Beirats zur Stärkung der Vitalität der Familiengesellschaft
Somit halte ich meine These für hinreichend belegt, dass die spezifische Strategie der Familienunternehmung entscheidend für ihre höhere Vitalität ist und dass diese spezifische Strategie durch den persönlichen Einfluss der geschlossenen Personengruppe der Gesellschafter begründet ist. Bei vielen, insbesondere den großen Familienunternehmen sind nun aber keine Gesellschafter mehr direkt in der Geschäftsführung tätig. Gerade dieser Typus von Familiengesellschaften mit Nicht-Familien-Geschäftsführung ist unser Untersuchungsobjekt. Der Einfluss der Gesellschafter wird „nur“ dadurch wahrgenommen, dass die Gesellschafter in Aufsichtsgremien
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2 Die Familiengesellschaften als Unternehmenstypus
tätig sind. Wenn nun das Theorem von der Überlegenheit der Strategie der Familienunternehmung akzeptiert wird, dann stellt sich die Frage, wie diese Überlegenheit in der Strategieentwicklung in die Arbeit eines Aufsichtsund Beratungsgremium übertragen oder sogar durch sie verstärkt werden kann. Oder aber, ob nicht gerade dieser spezifische Vorteil der Familiengesellschaft verwässert würde, wenn die Familie ihren Einfluss über einen Beirat leitet oder ihre Einflussmöglichkeiten an dieses Gremium abgibt. Wie bei allen solchen Fragen üblich, lautet die Antwort: „Es kommt darauf an“. Die Mediatisierung der nur noch indirekt über den Beirat auf das Unternehmen einwirkenden Familiengesellschafter und die Institutionalisierung der „Corporate Governance“ könnten zu einer Abnahme, wenn nicht gar zu einem Verlust der spezifischen Strategievorteile des Familienunternehmens führen. Sie könnten zum Import der Probleme der Unternehmen führen, bei denen Eigentum und Einfluss getrennt sind. Andererseits kann der stupende Unterschied in der Bewältigung von ähnlichen strategischen Herausforderungen durch Unternehmen mit Familieneinfluss und Publikumsgesellschaften vielleicht nur dadurch erklärt werden, dass in einem Unternehmen mit Familieneinfluss die Aufsichtsgremien in ganz anderer Weise ihre Aufgaben wahrnehmen als in einem Unternehmen, in dem der CEO glaubt, der absolute Herrscher zu sein. Sowohl Unternehmen wie BMW oder Porsche als auch DaimlerChrysler haben als Publikumsgesellschaften die gleichen formalen Corporate-GovernanceRegeln. Aber: „In der Zeit der Daimler-Benz-Großaktionäre Flick und Quandt wäre das Daimler-Desaster der letzten zehn Jahre undenkbar gewesen.“21 Wenn diese Annahme von der Bedeutung des persönlichen Einflusses zutreffend ist – und ich halte dies für plausibel und belegt –, dann gilt aber auch die Schlussfolgerung: Die Einsetzung eines Beirats als Institution allein bewirkt zunächst nichts, und somit auch nicht einen Vorteil gegenüber der Publikumsgesellschaft. Ob der Beirat einer Familiengesellschaft eine positive oder negative Wirkung für die Unternehmensentwicklung bringt, hängt ganz von dem Verständnis seiner spezifischen Rolle und von seiner praktischen Arbeitsweise ab und davon, ob dadurch – auf welche Weise auch immer – die Strategie des Unternehmens verbessert wird. Und ferner: Ob das Familienunternehmen nachhaltig bestehen kann, hängt eben davon ab, ob es die Familiengesellschafter als Träger dauerhaft an sich binden kann oder ob diese Gruppe aufgrund einer der Gefahren für den Familienzusammenhalt auseinander bricht. 21
Bernhardt, W. (2006): S. 11.
2.3 Die Rolle des Beirats zur Stärkung der Vitalität
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Wenn alle vorstehend ausgeführten Thesen zu den Erfolgschancen der Familiengesellschaft zutreffend sind, dann stellt sich im Kontext unseres Themas die Frage: Wie können in einer Familiengesellschaft mit NichtFamiliengeschäftsführung und mehreren Familiengesellschaftern die spezifischen Vorteile der Familiengesellschaft durch einen Beirat gefördert und die spezifischen Gefahren der Familiengesellschaft verringert werden? Die Fragestellung ist nicht trivial, wie folgende Thesen illustrieren mögen: • Es genügt nicht, wenn der Beirat so gut – oder so schlecht – ist wie ein Aufsichtsrat einer Börsengesellschaft. Er müsste eine bessere Arbeit leisten können als der Aufsichtsrat einer Börsengesellschaft. • In der Konstellation Gesellschafter – Beirat – Geschäftsführung müssten die spezifischen Strategievorteile eines Eigentümerunternehmens erhalten bleiben – obschon dieser Alleineigentümer in der Mehr-Generationen- und Mehr-Gesellschafter-Konstellation nicht mehr greifbar ist. • Der Beirat müsste also in der Lage sein, eine Strategie zu unterstützen, die nicht einer Standardstrategie entspricht, denen alle Börsenunternehmen folgen, sondern er müsste pragmatisch Chancen ergreifen und damit Strategieexperimente wagen. • Der Beirat müsste sich der spezifischen Nachteile von Börsengesellschaften bewusst sein, um diese vermeiden zu können. • Der Beirat müsste sich der spezifischen Gefahren von Familiengesellschaften bewusst sein und sein Augenmerk auf die präventive Gestaltung sowohl der Unternehmensstrategie wie auch der Beziehungen zwischen Gesellschaftern und Unternehmen richten. Damit sind wir bei der präskriptiven Thematik: Nur dann wenn der Beirat einer Familiengesellschaft über die Aufsichtsrolle hinauswächst und eine Ratgeberrolle sowohl gegenüber Gesellschaftern wie gegenüber der Geschäftsführung einnehmen kann – und zwar in Analogie zum unternehmerischen Impuls eines Eigentümers –, ist das Familienunternehmen der überlegene Unternehmenstypus.
3
Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
3.1
Das Betrachtungsfeld: Der institutionalisierte Beirat
Wir wollen uns hier mit den nicht gesetzlich vorgeschriebenen Aufsichtsund Beratungsgremien in folgender Fallkonstellation befassen: • Familienunternehmen, • nicht börsennotiert, • Rechtsform der GmbH oder GmbH & Co KG oder GmbH & Co KgaA, • Geschäftsführung durch Nicht-Familien-Mitglieder, • ohne mitbestimmten Aufsichtsrat. Diese Eingrenzung des Untersuchungsfalles erlaubt es uns, möglichst rein die Beziehungen zwischen Beirat und dem Nicht-Familien-Geschäftsführer zu analysieren. Durch die Einschränkung der Rechtsformen auf die üblichen Fälle für Familiengesellschaften ohne persönlich haftenden Gesellschafter-Geschäftsführer tragen wir dem Merkmal Nicht-Familien-Geschäftsführung Rechnung. Die Konzentration auf die Fallkonstellation Beirat gegenüber einer Geschäftsführung aus Nicht-Familien-Mitgliedern ermöglicht es, die volle Funktionsfähigkeit eines machtvollen Beiratsgremiums zu untersuchen. Alle schwächer ausgeprägten konstitutionellen Bedingungen für einen Beirat können aus diesem Befund unschwer abgeleitet werden. Ich klammere bewusst die Familiengesellschaft an der Börse aus, auch den Fall, dass die Familienaktionäre die klare Mehrheit der Stimmrechte haben. Eine Börsengesellschaft ist heute in jeder Konstellation gemäß den gesetzlichen und paragesetzlichen Regelungen zur Gleichbehandlung aller Aktionäre und zur Respektierung der innerbetrieblichen Institutionen verpflichtet. Ein Beirat, der von den Familiengesellschaftern bestimmt wird, könnte keine Rechte neben dem Aufsichtsrat ausüben, sondern nur die
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3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
Wahrnehmung der Gesellschafterinteressen im Aufsichtsrat vorbereiten. Wenn eine börsennotierte Familiengesellschaft den Gesetzen entsprechen will, muss sie sich eher wie eine normale Börsengesellschaft verhalten als wie eine typische Familiengesellschaft. Durch das Ausklammern dieser Zwischenkonstellation ist es leichter, ein idealtypisches Modell für den Beirat zu entwickeln. Ich glaube nicht, dass man unter dem heutigen Verständnis von den Rechten und berechtigten Erwartungen von Börseninvestoren und den Regeln der Corporate Governance noch auf Dauer einen „Sonderweg“ für Börsengesellschaften mit Familieneinfluss verfolgen kann. Wenn man das Geld der Börseninvestoren annimmt, muss man sich auch den hierbei geltenden Spielregeln unterwerfen. Die Beschränkung auf Deutschland ist nicht nur geboten, weil dieser Arbeit ein spezifischer Hintergrund an Erfahrung und Literaturkenntnis zugrunde liegt, sondern auch deshalb, weil die gesellschaftsrechtlichen Institutionen und Regelungen (so etwa das Zwei-Kammer-System in der Unternehmenskontrolle) die landesspezifischen Rahmenbedingungen für dieses Thema sind. Ein Beirat kann bei jeder Rechtsform eingerichtet werden, muss es aber nicht. Zu Mitgliedern des Beirats können die Gesellschafter jede volljährige Person ernennen. In der hier vorwiegend erörterten Fallkonstellation ist der Beirat sowohl mit nicht familienangehörigen Mitgliedern als auch mit Vertretern der Familiengesellschafter besetzt. Weiterhin geht unsere Fallkonstellation von der Trennung des Beirats als des der Geschäftsführung übergeordneten Gremiums von der Geschäftsführung aus (Zwei-Kammer-System). Der Beirat und die Berater außerhalb des Beirats Es sei die These aufgestellt, dass jede vermögende Person mehrere Berater zu brauchen glaubt und zumeist auch hat. Das gilt zunächst einmal für den wohlhabenden Privatmann, der sein Geld in Aktien und anderen Vermögensanlagen investiert. Er hat vermutlich einen oder mehrere Finanzberater, die er sich zumindest anhört oder auf die er gar „hört“. Er hat sicher einen Steuerberater und einen Rechtsanwalt. Kurzum: Berater gehören zum Status eines Investors. Die Möglichkeiten für wohlhabende Investoren, Beratung in Anspruch zu nehmen, sind vermutlich auch deshalb so groß, weil bei diesem Personenkreis leichter eine kaufkräftige Nachfrage für Beratung zu finden ist als bei den – der Beratung sicher im Allgemeinen noch eher bedürftigen – Beziehern mittlerer Einkommen. Natürlich braucht auch ein Familiengesellschafter Beratung in Rechtsund Steuerfragen sowie bei der Vermögensanlage. Ich bin der Überzeu-
3.1 Das Betrachtungsfeld: Der institutionalisierte Beirat
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gung, dass das System Familiengesellschaft erst dann vollständig zu verstehen und seine Dynamik und seine Turbulenzen nachzuvollziehen sind, wenn betrachtet wird, welche Personen oder Institutionen die erforderliche Beratungsleistung erbringen. Dass ein Beratungsbedarf in jedem Fall abgedeckt werden muss, ist evident. Ungeklärte Fragen müssen beantwortet werden, Entscheidungsunsicherheiten müssen beseitigt werden. Gerade in Geschäftsdingen unerfahrene Gesellschafter können – worauf ich wiederholt Bezug nehmen werde – nicht mit ungeklärten Situationen umgehen. Berater leben davon, dass sie Probleme lösen. Es muss zum Aufgabenverständnis insbesondere des juristischen Beraters gehören, auf latente, entfernt gelegene Probleme aufmerksam zu machen. An diese hätte der Gesellschafter in seiner Unerfahrenheit gar nicht gedacht. Der Berater kann sie sodann sorgfältig lösen. Je besser er diese Aufgaben bewältigt, umso mehr wird die Abhängigkeit des Gesellschafters von ihm verfestigt. Es wäre unangemessen und zynisch anzunehmen, dass Berater mit reduziertem Berufsethos gar versucht sein könnten, die Probleme erst zu kreieren, für deren kunstgerechte Lösung sie dann viele Tage einsetzen. Es ist aber wohl richtig festzustellen, dass anwaltschaftliche Beratung das „Problem“ als Substrat der Tätigkeit voraussetzt. Probleme erzeugen beim Unerfahrenen Unsicherheit. Die Notwendigkeit, Sicherheit zu gewinnen, kann dann zur Abhängigkeit von Beratung führen. In der ersten und zweiten Generation einer Familiengesellschaft wird der persönliche Beratungsbedarf der Gesellschafter natürlich – wie könnte es anders sein – durch die Berater oder Stabsstellen des Unternehmens selbst gedeckt. Erst in der angewachsenen Gruppe der dritten und vierten Generation treten oft schon mehrere Berater der verschiedenen Gesellschafter oder Gesellschafterstämme auf. Diese beschäftigen sich vorzugsweise gegenseitig. Dies ist dann die kritische Phase: Der Beirat muss hier darauf achten, dass die verschiedenen Berater sich nicht neben den Institutionen der Gesellschaft als unentbehrliche „Kümmerer“ etablieren. Berater sind ja geradezu verpflichtet, sich für die Interessen ihrer Mandanten einzusetzen und notfalls zu streiten. Sie vertreten damit nicht notwendigerweise das Interesse des Familienunternehmens, sondern vor allem die des einzelnen Gesellschafters. Damit kann für dem jeweiligen Berater leicht ein – wenn auch nur latenter – Gegensatz zwischen Gesellschafterinteresse und Gesellschaftsinteresse erwachsen. Aus dem aktiven Schüren dieses hervorgerufenen Interessenkonflikts entstehen dann die fiktiven oder die akuten Probleme, zu deren Lösung ein beratender Anwalt gebraucht wird, der die Interessen ausgleicht, vor allem aber unter Berücksichtigung der Interessen seiner Mandanten. Als Schlussfolgerung aus diesen Gegebenheiten ist festzustellen:
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3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
• Es gibt einen Beratungsbedarf. • Dieser muss abgedeckt werden: o entweder von dem Familienunternehmen selbst, durch seine juristischen und steuerrechtlichen Experten, o oder vom Beirat, o oder durch freiberufliche Berater. Die reifen und erfahrenen Mehrgenerationen-Gesellschaften mit einer Vielzahl von Gesellschaftern decken den Beratungsbedarf der Gesellschafter in der Regel durch die Stäbe der Gesellschaft selbst ab (wie dies beim Alleingesellschafter ja immer der Fall ist). Damit wird von vornherein verhindert, dass einzelne externe Berater sich in der Beziehung der Gesellschafter zu ihrer Gesellschaft breit machen. Der Beirat und andere Gremien Der Beirat ist ein freiwillig errichtetes Gremium in jenen größeren Wirtschaftsunternehmen, bei denen das Gesellschaftsrecht kein übergeordnetes Gremium vorsieht; aber er kann auch neben den gesetzlich vorgeschriebenen Gremien des Gesellschaftsrechts eingerichtet werden. Damit kommen wir zu der ersten Gliederung von wichtigen innerbetrieblichen Institutionen (ohne Arbeitnehmervertretungen): • Gesetzlich vorgeschriebene Gremien: o Aufsichtsrat nach dem Aktiengesetz, o Aufsichtsrat nach Betriebsverfassungsgesetz beziehungsweise Mitbestimmungsgesetz, o Gesellschafterversammlung nach den jeweiligen Gesetzen (GmbHG, HGB). • Freiwillig errichtete (fakultative) Gremien unter den verschiedensten Bezeichnungen (Gesellschafterausschuss, Beirat, Verwaltungsrat und ähnliche) mit der grundlegenden Funktion, die Gesellschafter in der Trägerschaft des Unternehmens zu unterstützen, indem sie: o Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen, o Einfluss auf die Gesellschafter nehmen. • Freiwillig errichtete (fakultative) Beiräte mit der Funktion der Kontaktpflege zu Kunden und anderen wichtigen Bezugspersonen und ohne eine Funktion im Rahmen der Gesellschafterbeziehungen und der Überwachung der Geschäftsführung, wie sie regelmäßig bei Banken bestehen.
3.2 Die quantitative Bedeutung der Beiräte
31
Ob die Bezeichnungen nach dem Inhalt des Gremiums differieren, ist nicht eindeutig auszumachen. Ein „lediglich“ beratendes Gremium dürfte eher „Beirat“ genannt werden22, während ein mit weit gehenden Weisungsbefugnissen ausgestattetes Gremium zwar auch „Beirat“ heißen kann, aber öfter als „Gesellschafterausschuss“ bezeichnet werden dürfte.23 Ein Gremium mit Geschäftsführungsbefugnissen heißt in der Regel „Verwaltungsrat“ – wohl in Anlehnung an die Bezeichnung im Schweizer Gesellschaftsrecht. Die Bezeichnung ist ohne Relevanz, entscheidend sind die wahrgenommenen Rechte und Pflichten; die Bezeichnung „Beirat“ scheint die umfassendste zu sein und wird daher auch hier durchgängig verwendet.24 Wenn die Gesetzgebung einen mitbestimmten Aufsichtsrat für Familiengesellschaften vorschreibt (bei der GmbH ab 500 beziehungsweise 2000 Mitarbeitern), nimmt das Erfordernis für einen Beirat nicht ab (wie man vielleicht meinen möchte), sondern es wird auch in diesem Fall fast immer ein Beirat ohne Vertreter der Belegschaft und der Gewerkschaften eingerichtet.25
3.2
Die quantitative Bedeutung der Beiräte
Der Beirat in den Entwicklungsphasen des Unternehmens Nicht jede Gesellschaft, die dafür in Betracht käme, hat einen Beirat – welcher Charakteristik auch immer. Bei den Klein- und Mittelunternehmen liegt die Quote nur bei einem Drittel bis zur Hälfte der Gesellschaften.26 Obermaier berichtet andererseits von den von ihm interviewten 22 großen Familiengesellschaften, dass sie alle einen Gesellschafterbeirat haben.27 Die Funktionen sind nicht im Einzelnen spezifiziert, sicherlich sind darunter auch Gesellschafterausschüsse, die nur durch Familiengesellschafter besetzt sind. Ruter und Thümmel28 sehen eine Typologie der Evolution des Beirats gemäß den Entwicklungsstadien der Familienunternehmung, was 22 23 24 25 26 27 28
Wälzholz, E. (2005): S. 394. Obermaier, O.W. (2004): S. 18. So auch Hölters, W. (1979); Pohlmann, N./Jansen, S. (1998): S. 119. Vgl. hierzu Kapitel 5.6. Klein, S. (2004): S. 133 ff.; Bechtle, C. (1983): S. 323. Obermaier, O.W. (2004): S. 18. Ruter, R.X./Thümmel, R.C. (1994): S. 24.
32
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
auch in den Erhebungen von Klein29 zur Häufigkeit der Kontrollgremien nach Generationen bestätigt wird: • Der Gründer bräuchte noch keinen Beirat. • Erst durch das Auftauchen von Sonderproblemen wie Wachstumsschritten oder Nachfolgethematik entstünde der Bedarf nach einem Beirat.30 • In der zweiten Generation wäre der Beirat noch überwiegend von Familienmitgliedern besetzt. • In der dritten Generation würden dann mehr und mehr NichtFamilien-Mitglieder als Beiräte benannt, bis in der vierten und den darauf folgenden Generationen fast ausschließlich Nicht-FamilienMitglieder den Beirat stellen, wobei – so Ruter/Thümmel – der Vorsitzende in vielen Fällen ein Familienmitglied sei. Die Fallkonstellation ohne Beirat Bei den Unternehmen, die keinen Beirat haben, sind zunächst die Gründerunternehmer als besonderer Fall auszusondern. Der Gründerunternehmer glaubt keines Beirats zu bedürfen, nicht des Rates und schon gar nicht der Aufsicht. Er wünscht keine externe Kontrolle und keine Mitspracherechte Dritter und sähe darin eine Verwässerung seines Einflusses.31 Unabhängig und autonom zu sein ist einer der starken Antriebe, überhaupt Unternehmer zu werden, und wenn man dies geschafft hat, wird man sich nicht freiwillig „der Aufsicht“ von Dritten unterstellen. Und was soll die Aufsicht, wenn der „rechenschaftspflichtige Unternehmer“ am Ende der Sitzung mit sich selbst eine Gesellschafterversammlung abhalten kann? Ob ein solcher Gesellschafter-Geschäftsführer gleichwohl angemessen überwacht werden sollte und ob er für externen Rat zugänglich ist und von welcher Seite, sind eher Fragen seiner Persönlichkeitsstruktur als Fragen der Leistungsfähigkeit des Beiratsgremiums. Es finden sich in diesen Konstellationen oft Beiräte aus Familienmitgliedern und Freunden, die aber mehr nach dem Aspekt der persönlichen Vertrautheit und Loyalität als nach dem Kriterium ihrer Kompetenz ausgewählt zu sein scheinen.32 29 30 31 32
Klein, S. (2004): S. 133 ff. Ruter, R.X./Thümmel, R.C. (1994): S. 19 f. So Wälzholz, E. (2005): S. 392. Vgl. Crosbie, A. (2000): S. 126 ff, insbesondere S. 133 ff.
3.2 Die quantitative Bedeutung der Beiräte
33
Aber auch mit dem „Raten“ gäbe es so einige Schwierigkeiten. Für die strategische Arbeit des Gründerunternehmers ist zunächst die Beobachtung von Gälweiler zutreffend33: „Im anfänglichen Einmannbetrieb vollzieht sich alles, was man Planung nennen kann und alles, was dazu gehört, »im Kopf« des Unternehmers. Das sind alles Überlegungen, die er im Zusammenhang mit seinem Tun oder seinem Geschäft anzustellen gezwungen ist. Er ist nicht nur Planender und Ausführender oder Denkender und Handelnder in einer Person, sondern meist tut er auch beides gleichzeitig.“ Wenn dem so ist, sieht der besagte Gründungsunternehmer darin seine Stärke als Unternehmer. Aber wie immer bei Familienunternehmen ist keine Aussage „generell“ möglich, weil eben alle Befunde von den jeweiligen Eignern persönlich geprägt sind. So führen die Erhebungen von K.T. Hausch bezüglich neu gegründeter Unternehmen zu folgendem interessanten Befund: „Die neu gegründeten mittelständischen Wachstumsunternehmen (Start-up-Unternehmen) zeigten in allen Bereichen erhebliche Unterschiede im Vergleich zu den traditionellen Unternehmenstypen und wiesen in den Bereichen, die das Geschehen der Unternehmung im Inneren beeinflussen – der Zielorientierung, der Unternehmensführung und -kontrolle sowie den Anreizsystemen –, mehr Ähnlichkeiten mit Großunternehmen auf als mit dem traditionellen Mittelstand.“34 Es gibt also auch den Gründerunternehmer, der sich „freiwillig“ der Pflicht zur strukturierten Rechenschaftslegung und sogar den Genehmigungsvorbehalten für strategische Entscheidungen unterzieht: aus intellektueller Einsicht, aus Verantwortung gegenüber dem Unternehmen, um sich selbst und das Unternehmen vor den Gefahren der Alleinherrschaft zu sichern. Eine solche freiwillige Beschränkung der Alleinherrschaft kann nicht anders denn als ein Zeichen von besonderem Differenzierungsvermögen und von Klugheit gewürdigt werden. Dem Gründerunternehmer fehlen die Erfahrungen aus anderen Unternehmen und aus den Rollenvorbildern für seine Funktion als CEO, die er in anderen Unternehmen erfahren könnte. Whisler35 sieht für einen Gründungsunternehmer folgende wichtige Funktionen eines familienfremden Beirats: • Präzeptor, Tutor in der Kunst, CEO zu sein. Er empfiehlt als Beiratsvorsitzenden den CEO einer mittelgroßen Firma. • Ratgeber in Geschäftspraktiken wie z. B. Finanzierungstechnik, 33 34 35
Gälweiler, A. (1974): S. 46 ff. Hausch, K.T. (2004): S. 337. Whisler, T.L. (1988): S. 314.
34
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
• Vermittler bei familieninternen Konflikten – vor allem auch zwischen den Generationen. Es ist ein weiterer guter Grund anzuführen, weshalb jeder Gründerunternehmer versuchen sollte, mit einem Beirat zu „arbeiten“. Grundsätzlich ist es die Aufgabe der vorhergehenden Generation, Strukturen zu schaffen, in die die nächste Generation hineinwachsen kann, um die Chance für eine erfolgreiche Entwicklung zu haben. Später mag die nachfolgende Generation diese Strukturen auch ändern. Es muss aber zunächst von den erfahrenen Vorgängern ein Angebot an bewährten Strukturen geschaffen worden sein. Ein Beirat ist ein ganz wichtiges Strukturelement. Wenn also der Gründerunternehmer seine Verantwortung gegenüber der nachfolgenden Generation bedenkt, sollte er selbst die Institution „Beirat“ etablieren und ihre Einwirkungsmöglichkeiten respektieren. Die Schwierigkeit für den Gründerunternehmer oder den Alleingesellschafter in der Geschäftsführung ist eher in der fehlenden Unbefangenheit der Beiratsmitglieder zu sehen. Es gelingt den Beiratsmitgliedern nur mit Mühe, den Alleinunternehmer, wenn er denn Geschäftsführer ist, auch zunächst in seiner Rolle als Geschäftsführer zu sehen. Zu oft verzichtet der Beirat mit dem Argument, es handle sich schließlich um das Geld des Alleingesellschafters, darauf, professionelle Aufsicht und professionellen Rat zu geben und auch auf die Respektierung dieses Ratschlusses zu drängen. Der Gesellschafter als Geschäftsführer stellt besondere Anforderungen auch an den Beirat selbst. Da wir von dem Fall eines Nicht-Familien-Geschäftsführers ausgehen, bleibt diese spezielle Falllage ausgeklammert. Sodann haben wir die Fälle, in denen ein Minderheitsgesellschafter oder ein Nicht-Familien-Geschäftsführer die Geschäftsleitung innehat. In diesen Fällen besteht eine Trennung zwischen Gesellschafterfunktion und Führungsfunktion. Damit ergibt sich für die Gesellschafter das Bedürfnis, ja die Notwendigkeit, eine Aufsicht auszuüben, ob ihren Interessen Rechnung getragen wird. Es müssen also die wesentlichen Funktionen eines Aufsichtsgremiums erfüllt werden. Diese können entweder von der Gesellschafterversammlung direkt wahrgenommen werden oder es besteht eine Berichterstattung – formell oder informell – an einzelne Gesellschafter beziehungsweise an einen Vertreter aller Gesellschafter. Die Rituale mögen in manchen Unternehmen andere sein, aber die Aufsicht und Kontrolle wird sich Platz schaffen, damit der Eigentümer weiß, wie sein Unternehmen geführt wird. Oder aber es wird ein Beirat geschaffen, der zwischen die Gesellschafterversammlung und die Geschäftsführung als Institution eingebaut wird.
3.3 Die rechtliche Verankerung des Beirats
35
Der Aufsichtsrat ohne Beirat Unter den Fällen, in denen wir keinen Beirat vorfinden, sind auch größere Gesellschaften, die einen Aufsichtsrat haben und in denen die Gesellschafter ihre Rechte gegenüber der Geschäftsführung nur über den Aufsichtsrat geltend machen. Darin kann ein Respekt vor den „regulären“ Institutionen des Rechts der Unternehmen gesehen werden und eine Einordnung der Eigentümerrechte in diesen institutionellen Rahmen. Gewiss nimmt in dieser Konstellation die Anteilseigner-Vorversammlung einen größeren Raum ein. Das größte Unternehmen, das als geeignetes Beispiel genannt werden kann, ist die Franz Haniel GmbH. Praktisch genügt die Abstimmung der Anteilseigner in einer Familiengesellschaft vollauf, damit die Durchsetzung der Gesellschafterinteressen im Aufsichtsrat sichergestellt wird. In der Familiengesellschaft ist ausgeschlossen, dass die Geschäftsführung mit den Arbeitnehmervertretern gegen die Anteilseigner koaliert, wie dies bei großen Publikumsgesellschaften bereits vorgekommen sein soll. Rechtlich freilich kann die Anteilseigner-Vorversammlung aber nur die Vorbereitung der Aufsichtsratssitzung sein und daher nicht mehr oder andere Funktionen wahrnehmen, als eben die Tagesordnungspunkte des Aufsichtsrats umfassen. Die normale Lösung besteht darin, dass in Familiengesellschaften bei Vorliegen entsprechender Größenmerkmale ein Aufsichtsrat gebildet wird und daneben ein Beirat mit anderen – zumeist weitergehenden – Funktionen als Organ der Gesellschafterversammlung eingerichtet wird.
3.3
Die rechtliche Verankerung des Beirats
In einer Personengesellschaft können – unbeschadet des Grundsatzes der sogenannten Selbstorganschaft – Beiräte mit Nicht-Gesellschaftern begründet werden. Dass in § 52 GmbHG Regelungen für einen fakultativen Aufsichtsrat – mit Verweis auf die Regelungen für den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft – vorgesehen sind, ist für die Gestaltung des Beirats ohne Bedeutung. Dieser Paragraf hat nur eine Lückenbüßerfunktion, falls ein Aufsichtsrat gebildet wird und sonst nichts anderes geregelt ist.36 Um Zweifelsfragen zu vermeiden, sollte bei Bildung eines Beirats § 52 Abs. 1 GmbHG abbedungen werden.
36
Wälzholz, E. (2005): S. 394.
36
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
Hinsichtlich der rechtlichen Grundlage eines Gesellschafterausschusses oder Beirats ist zu unterscheiden zwischen: • Schuldrechtlicher Grundlage: Die Aufgaben und Rechte der Beiräte sind nur in einem schuldrechtlichen Vertrag bestimmt; diese Beiräte haben zumeist nur Beratungs- und Repräsentationsaufgaben. Diese Gestaltungsformen sind weniger wirksam und weniger gebräuchlich. • Organschaftlicher Grundlage: Es kann den Beiräten ein weites Aufgaben- und Zuständigkeitsspektrum zugewiesen werden, mit Ausnahme der zwingend bei den Gesellschafterversammlungen verbleibenden Rechte und der Kompetenz der Geschäftsführung zur organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft. Wenn das Recht zur Bestellung der Geschäftsführung und das Weisungsrecht der Gesellschafter auf den Beirat übertragen werden, hat dieser eine sehr starke Stellung gegenüber der Geschäftsführung – und auch gegenüber den Gesellschaftern. Der schuldrechtliche Vertrag wird normalerweise mit der Gesellschaft geschlossen. Das hat den unschönen Effekt, dass die Geschäftsführung „Vertragspartner“ des Beirats ist, der als Aufsichts- und Beratungsorgan der Gesellschafter über der Geschäftsführung stehen sollte. Es ist daher angemessener, dass die Gesellschafterversammlung der Vertragspartner des Beirats ist. Da die Gesellschafter aber nicht persönlich die Kosten tragen sollen, wird festgelegt, dass der Auslagenersatz für die Arbeit des Beirats der Gesellschaft auferlegt wird. Man kann annehmen, dass bei einer Beratungsbeziehung zwischen einem Beirat und einer Gesellschafterversammlung die Entscheidungskompetenz uneingeschränkt bei der Gesellschafterversammlung liegt. Wenn der Beirat hingegen das Aufsichtsgremium für die Geschäftsführung ist, dann muss der Beirat eine Entscheidungskompetenz haben, die ihm von den Gesellschaftern kraft Gesellschaftsvertrag oder Satzung verliehen worden ist. In der Praxis überwiegt bei weitem die Verankerung der Beiräte in den Statuten. Bei dem häufigen Fall der GmbH & Co. KG stellt sich die Frage, wo der Beirat verankert sein soll: in der GmbH, die der zur Geschäftsführung bestellte Komplementär ist, oder in der KG. Die Themen der Wahrung der sogenannten Selbstorganschaft, der Verbandssouveränität und Kernbereichslehre bieten ausgesprochene juristische Leckerbissen. Danach wäre es einem aus Nicht-Gesellschaftern gebildeten Beirat einer GmbH & Co. KG nicht zuzuordnen, die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH
3.3 Die rechtliche Verankerung des Beirats
37
zu bestellen.37 Um dies zu ermöglichen, müsste man den Beirat eben als Beirat der GmbH selbst errichten, da bei einer GmbH als Kapitalgesellschaft eine solche Kompetenzübertragung auf Nicht-Gesellschafter möglich ist. Es wäre auch möglich, wenn es sich um eine Einheitsgesellschaft handelt, bei der die GmbH im Vermögen der KG gehalten wird. Die juristische Gestaltungsberatung empfiehlt, den Beirat in der GmbH zu verankern, weil dort die Geschäftsführungskompetenz liegt und nach der Satzung der KG die GmbH bei der KG mitbestimmen kann. So wird erreicht, dass die Vorschriften über den Beirat für GmbH und KG gemeinsam gelten, da es sonst ständig rechtliche Probleme und Randfragen gäbe, die sich nicht lösen lassen.38 All diese Feinheiten bei der Kompetenzzuweisung und den Auslegungsmöglichkeiten hierzu führen zum Schluss, dass die statutarischen Grundlagen eines Beirats vor seiner Konstituierung sorgfältig auszuarbeiten sind. Die Möglichkeit zur Gründung eines Beirats sollte in jedem Fall bereits in der Satzung der jeweiligen Familiengesellschaft vorgesehen werden. Nur so kann er auch zuverlässig in einer Mehrgesellschafter-Gesellschaft realisiert werden. Würde man statt der Verankerung in der Satzung nur den Weg der schuldrechtlichen Grundlage wählen, stünde die Wirksamkeit des Beirats vor erheblichen Schwierigkeiten. Während man einen nur beratend und überwachend tätigen Beirat aufgrund einer allgemeinen Mehrheitsklausel einführen kann, weil die originären Rechte der Gesellschafter nicht beschnitten werden, bedarf ein entscheidungsfähiger Beirat, der auch Gesellschaftsrechte anstelle der Gesellschafter wahrnehmen soll, eines einstimmigen Beschlusses der Gesellschafter39, wenn seine Verankerung in der Satzung fehlt. Wenn nun der dringliche Bedarf nach dem objektivierenden Einfluss eines Beirats auftritt, weil die Harmonie zwischen den Gesellschaftern schwindet, ist gerade diese Einstimmigkeit gefährdet oder wird als Anspruchsgrundlage für den Eintausch anderer Zugeständnisse verwertet. Ist der Beirat als Möglichkeit bereits in der Satzung vorgesehen, genügt die jeweilige Satzungsmehrheit, um ihn einzusetzen und seine Befugnisse zu bestimmen. Ist die Möglichkeit zur Gründung eines Beirats (wie hier empfohlen) bereits in der Satzung der Gesellschaft vorgesehen, dann muss dabei auch die wichtige Frage geregelt werden, mit welcher Mehrheit ein Beirat eingesetzt und mit welcher Mehrheit er wieder abgeschafft werden kann. Wenn für beide Fälle eine große Mehrheit erforder37 38 39
Vgl. hierzu Haack, H. (1993). So Karcher, K.H. (1998): S. 37. Wälzholz, E. (2005): S. 401.
38
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
lich wäre, dann kann eine Minderheit alles blockieren. Wählt man generell eine „kleine, einfache“ Mehrheit, so ist der „Einstieg“ leichter, es genügt aber auch die kleine Mehrheit für die Abschaffung. Daher sollte eine einfache Mehrheit genügen, um einen Beirat zu errichten und seine Rechte festzulegen; zur Abschaffung sollte jedoch eine große Mehrheit von z. B. über 75 % der Stimmen erforderlich sein. Die Begründung und Rechtfertigung für eine solche Asymmetrie wäre wohl folgende: Ein professionelles „Aufsichtsgremium“ ist nach heutigem Verständnis das Normale und das Angemessene. Der Einstieg sollte also erleichtert werden – ebenso die Übertragung von Zuständigkeiten: Die Übertragung der Rechte der Gesellschafterversammlung auf ein „neutrales“ Gremium hat ja in sich bereits ein Element des Minderheitenschutzes. Umgekehrt bedarf die Auflösung dieser normalen und angemessenen Institution einer möglichst großen Mehrheit, gerade um diesen Minderheitsschutz zu bewahren. Die rechtlichen Grundlagen des jeweiligen Beirats dürften den Beiräten oft nicht geläufig sein. In der Praxis der Zusammenarbeit von Beirat und Geschäftsführung haben diese juristischen Aspekte fast nie Bedeutung. Es ist auch in der Tat für die laufende Arbeit nicht so wichtig, ob der Beirat eine schuldrechtliche oder organschaftliche Grundlage hat. Der Grund hierfür ist nicht etwa, dass allzeit Harmonie zwischen allen Beteiligten herrscht. Er liegt vielmehr darin, dass eine Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Beirat und Geschäftsführung nicht durch Auskunfts- oder Weisungsrechte geflickt werden kann, sondern dadurch gelöst wird, dass sich die Gesellschaft im Regelfall von der Geschäftsführung und vielleicht in seltenen Fällen vom Beirat trennt. Die institutionelle Macht des Beirats wird von mehreren Einflussgrößen bestimmt. Die wichtigste Einflussgröße ist wohl, welche Aufgaben ihm zugewiesen werden. Da dieses Thema aber ein breites Spektrum abdeckt, sei es bis zum nächsten Abschnitt zurückgestellt. Vorab seien hier die Grundlagen der Rechte und Pflichten weiter dargelegt, die bei jeder Ausprägung der Zielsetzungen für die Beiratsarbeit wirksam sind.
3.4
Der Gestaltungsrahmen für die Zuordnung von Zuständigkeiten
Die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit Aufgrund der Souveränität der Gesellschafter können die Familiengesellschafter Rechte auf andere Gremien übertragen, „solange nicht der aus der Verbandssouveränität folgende Kernbestand an unveräußerlichen Zuständigkeiten der Gesellschafter tangiert ist oder zwingende Zuständigkeiten
3.4 Der Gestaltungsrahmen für die Zuordnung von Zuständigkeiten
39
anderer Organe verletzt werden.“40 Diese Souveränität erlaubt es, dass die Zuständigkeiten, die Besetzung und die Arbeitsweise eines Beirats weitestgehend durch die individuellen Vorstellungen der Eignerfamilie geprägt werden.41 Die unabdingbare Kompetenz der Geschäftsführung Die Gestaltungsgrenzen werden durch das Recht der GmbH und der Personengesellschaft gezogen. Für den dominierenden Fall der GmbH beziehungsweise der Komplementär-GmbH in der GmbH & Co. KG können folgende Aufgaben nicht von einem Beirat übernommen werden, weil sie zwingend bei der Geschäftsführung liegen: • die umfassende Geschäftsführung und organschaftliche Vertretung der Gesellschaft nach außen hin (§ 35 Abs. 1 GmbHG), • die Pflicht zur Buchführung und zur Erstellung des Jahresabschlusses (§§ 238, 242 HGB, § 41 GmbHG), • die Pflichten bezüglich des Handelsregisters (§§ 7ff., 40, 54, 58 GmbHG, § 24 KapErhG), • steuerrechtliche Pflichten, • die Pflicht, die Erhaltung des Stammkapitals sicherzustellen (§ 43 Abs. 3 i. V. m. §§ 30, 31, 33 Abs. 3 GmbHG), • die Pflicht zur Beantragung des Insolvenzverfahrens (§ 64 GmbHG) – dies kommt ohnehin nur einmal am Lebensende der Gesellschaft vor. All dies ist völlig unproblematisch, denn kein Beirat will oder muss solche Aufgaben übernehmen. Im Falle einer Krise muss ein Geschäftsführer eingesetzt werden – gegebenenfalls eben ein Geschäftsführer auf Zeit –, der die Geschäftsführung und diese statutarischen Aufgaben übernimmt.42 Die unabdingbare Kompetenz der Gesellschafterversammlung und der Gesellschafter Von genereller Relevanz für die Festlegung der Aufgaben eines Beirats sind hingegen die Kompetenzen, die zwingend der Gesellschafterversammlung einer GmbH zugewiesen sind und die daher nicht – oder nicht ohne wei40 41 42
Thümmel, R.C. (1995): S. 2462. Hennerkes, B.-H. (2002): S. 107. Oesterheld, N. (2002).
40
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
teres – ausschließlich einem Beirat zugewiesen werden können. Es handelt sich hier um die sogenannte „Kernbereichslehre“, die offenbar zu den besonders beliebten Themen anwaltlicher Beratung der Gesellschafter in Angelegenheiten der Unternehmensverfassung gehört. Es ist ja auch ein Begriff, der das elementare Interesse von Gesellschaftern anspricht. Hierbei handelt es im Einzelnen um folgende Kompetenzen43: • Satzungsänderungen (§ 53 GmbHG), • insbesondere Änderungen des Unternehmenszweckes oder Maßnahmen, die der Änderung des Unternehmenszweckes gleichkommen und/oder einen substanziellen Eingriff in die Substanz und Ertragskraft des Unternehmens bedeuten (Holzmüller-Thematik). • Dazu gehören auch „faktische Strukturänderungen“ wie wesentliche Verlagerungen, Veräußerungen, Fusionen; ob freilich auch die Änderung einer langjährig geübten Geschäftspolitik dazu gehört, wie Thümmel mit Zitierung des BGH meint, führt sicherlich in einen breiten Ermessensbereich. • Insbesondere Beschlüsse über Unternehmensverträge wie Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträge, • insbesondere Umwandlungen nach dem UmwG, • insbesondere Maßnahmen zur Kapitalerhöhung (§ 55 GmbHG) und zur Kapitalherabsetzung (§ 58 GmbHG), • die Einforderung von Nachschüssen (§ 26 GmbHG), • die Einziehung von Geschäftsanteilen (§ 34 GmbHG), • der Ausschluss von Gesellschaftern, • die Auflösung der Gesellschaft (§ 60 Abs. 1, Nr. 2 GmbHG), • die Bestellung und Abberufung der Liquidatoren (§ 66 Abs. 2 und Abs. 3 GmbHG), • aber auch eher allgemeine Rechte wie das Auskunftsrecht nach § 51 a GmbHG, das ein zwingendes Recht jedes einzelnen Gesellschafters ist, das aber natürlich auch einem Beirat eingeräumt werden kann. In diesen den Gesellschaftern vorbehaltenen Angelegenheiten scheidet auch ein Vetorecht des Beirats aus, sofern er mit Nicht-Gesellschaftern besetzt ist, während dies für einen nur mit Gesellschaftern besetzten Beirat 43
Vgl. hierzu Thümmel, R.C. (1995).
3.4 Der Gestaltungsrahmen für die Zuordnung von Zuständigkeiten
41
zulässig sein sollte.44 Einem teilweise mit Gesellschaftern besetzten Beirat müsste wohl ein Vetorecht einzuräumen sein, wobei zunächst dahingestellt sei, ob dies empfehlenswert ist. Da der Beirat ein Organ aller Gesellschafter ist, können ihm die Rechte einzelner Gesellschafter nicht übertragen werden.45 Hierzu gehören die Auskunftsrechte, das Recht zur Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen und die Geltendmachung etwaiger Sonderrechte einzelner Gesellschafter, die in der Satzung oder in Gesellschaftervereinbarungen geregelt sind. Ebenso sind die Minderheitsrechte des § 50 GmbHG nicht auf einen Beirat übertragbar. Während viele Autoren eine wichtige Rolle für den Beirat in Auseinandersetzungen zwischen den Gesellschaftern sehen, bin ich in dieser Frage eher zurückhaltend. Wir werden verschiedentlich noch auf diesen Aspekt eingehen.46 Auch in den zwingend bei der Gesellschafterversammlung verbleibenden Kompetenzen kann die Satzung selbstverständlich vorschreiben – und sie sollte dies auch tun –, dass vor jedem Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beirat seine Empfehlung abzugeben hat. Dies gebietet schon die schiere Höflichkeit im Umgang zwischen Gesellschaftern und Beirat, sich vor grundsätzlichen Maßnahmen gegenseitig zu beraten. Es lohnt sich aber auch, den Katalog der Entscheidungen aufzuführen, die vom Gesetz her der Gesellschafterversammlung zugeordnet sind (§ 46 GmbHG) und die nach Vorstehendem eindeutig dem Beirat zugewiesen werden können: • Überwachung der Geschäftsführung, • Personalentscheidungen – Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern, und zwar – wie Thümmel m. E. richtig ausführt – auch für eine Abberufung aus wichtigem Grund, • Bestellung von Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten, • Einforderung von Einzahlungen auf die Stammeinlagen, • Rückzahlung von Nachschüssen, • Teilung und Einziehung von Gesellschafteranteilen, • Geltendmachung von Ersatzansprüchen, • Feststellung des Jahresabschlusses, • Entscheidung über die Ergebnisverwendung. 44 45 46
Vgl. Wälzholz, E. (2005): S. 397. Vgl. Thümmel, R.C. (1995): S. 2464. Vgl. Kapitel 4.
42
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
Das Verhältnis der Kompetenzen von Gesellschafterversammlung und Beirat47 Bei der Zuordnung von Zuständigkeiten an den Beirat geht es erstens darum, zu welchen Themen der Beirat seine Meinung zu äußern hat, und zweitens, ob er abschließend entscheidet oder sein Votum nur als Entscheidungsvorschlag an die Gesellschafterversammlung weiterleitet. Eine „untergeordnete Kompetenz“ eines Beirats zu den für dieselben Sachgebiete unverändert fortbestehenden Kompetenzen der Gesellschafterversammlung wäre für unseren Betrachtungsfall nicht zielführend. Einem „starken Beirat“ sind von der Gesellschafterversammlung Aufgaben zur eigenständigen und abschließenden Wahrnehmung zu übertragen – in „verdrängender Kompetenz“ gegenüber der Gesellschafterversammlung. In diesem Fall verbleibt zwar bei der Gesellschafterversammlung die Kompetenz, die übertragenen Aufgaben zurückzunehmen („Rückfallkompetenz“). Hierzu braucht sie aber dann die statutarisch festgelegte Mehrheit, bei organschaftlichem Beirat die „Satzungsmehrheit“, die regelmäßig deutlich über der einfachen Mehrheit liegt. Die „Rückfallkompetenz“ kann nicht so interpretiert werden, dass der Beirat in seinem Wirken stets von der Zustimmung der Gesellschaftermehrheit abhängig sei. Damit wäre die innere Unabhängigkeit, die sowohl für sein Wirken gegenüber der Geschäftsführung wie auch für sein Wirken im Interesse aller Gesellschafter grundlegend ist, nicht gegeben. Eine jederzeitige „Rückfallkompetenz“ wäre insbesondere dann gegeben, wenn man ein Weisungsrecht der Gesellschafter annähme, mit dem die Gesellschaftermehrheit Beschlüsse herbeiführen könnte, die den Beirat binden oder durch die anders lautende Beiratsbeschlüsse aufgehoben werden könnten. Würde man bei höchst differenzierten Analysen die Kompetenz zur Weisung von der Art der vom Beirat wahrgenommenen Kompetenzen abhängig machen, wie die häufig zitierten Ausführungen von Rohleder verstanden werden können48, dann würde man sich in der Praxis auf eine völlig undurchschaubare Gemengelage einlassen, die dem normalen Gesellschafter und Beirat, vom Geschäftsführer ganz zu schweigen, nicht mehr vermittelbar wäre. Es gibt hierzu nur die dringende Empfehlung, die Kompetenzen eindeutig in den Statuten zu regeln, was ein gewissenhafter 47
48
Vgl. Reuter, D. (1990); Buth, A.K./Hermanns, M. (1996): S. 598; Ruter, R.X./Thümmel, R.C. (1994): S. 71; Voormann, V. (1990): S. 172 f; Rohleder, M. (1991): S. 73 ff; Wiedemann, H. (2000); Lange, K.W. (2006): S. 901 f. Rohleder, M. (1991): S. 154 f.
3.5 Die Pragmatik der Zuständigkeitsabgrenzung
43
juristischer Berater ohnehin tun wird. Wenn man einen starken Beirat will, den eine Struktur von mehreren Gesellschaftern braucht, dann wird man die Zweifelsfragen zugunsten einer ausschließlichen, verdrängenden Kompetenz des Beirats regeln. In der Gestaltungsberatung neigen Anwälte wohl eher dazu, die Rechte der Gesellschafterversammlung zu wahren, und geben dem Beirat keine starke eigenständige Basis. Dies mag mit dem Respekt vor der rechtlichen Stellung des „Souveräns“ Gesellschafter zu tun haben. Es mag auch damit zusammenhängen, dass die Mandantenbeziehung zu den Gesellschaftern darin besteht, deren Rechte zu stärken, und es daher als vorrangig erscheint, dass sie eine starke Gesellschafterversammlung wünschen.
3.5
Die Pragmatik der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Gesellschafterversammlung und Beirat
Die Gründe für Zuständigkeitszuordnungen an die Gesellschafterversammlung Welche Zuständigkeiten der Gesellschafterversammlung tatsächlich ausschließlich einem Beirat übertragen werden sollen, ist eine ganz andere Frage als die der oben erörterten rechtlichen Grenzen. Dies wird von den mit dem Beirat verfolgten Intentionen bestimmt. Der Regelfall ist der, dass der Beirat in harmonischer Abstimmung mit den Gesellschaftern agiert. Selbst wenn dem Beirat Rechte zugewiesen werden, welche die Kompetenz der Gesellschafterversammlung verdrängen, würde er sich der Zustimmung der Gesellschafter vergewissern. In verschiedener Hinsicht ist es aber von Bedeutung, welche Rechte dem Beirat zugeordnet sind und ob diese Zuordnung zu autonomen Rechten des Beirats führt, also Kompetenzen der Gesellschafterversammlung verdrängt. Für die Gestaltung dieser Zuordnungen sind folgende Gesichtspunkte von Bedeutung: • Bindung der Gesellschafter durch Einbindung in wichtige Entscheidungen, • Sicherung der Funktionsfähigkeit der Organe auch bei Konflikten auf der Ebene der Gesellschafter, • deklaratorische Bedeutung einer „starken“ oder „schwachen“ Stellung des Beirats als Organ.
44
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
Der nicht-juristische Aspekt der Bindung richtet sich auf die Gesellschafter. Grundsätzlich muss man annehmen, dass Bindung an eine Institution, hier die Unternehmung, nur erwartet werden kann, wenn man mit ihr „verbunden“ ist, wenn Mitwirkungsmöglichkeiten gegeben sind, wenn die Entwicklung der Institution als beeinflusst vom eigenen Mitwirken erlebt wird. Dies verlangt eine Einbindung der Gesellschafter in solche Entscheidungen, die für sie von besonderer Bedeutung sind. Aus Sicht der Gesellschafter kann sich die Gewichtung bestimmter Entscheidungen durchaus unterscheiden von der Gewichtung aus der Sicht eines autonomen Unternehmensinteresses. So können große Investitionsentscheidungen aus der Sicht der Unternehmensentwicklung von größter Bedeutung sein, werden aber aus Gesellschaftersicht in die ausschließliche Kompetenz des Beirats gelegt – etwa da hier ausschließlich dem Sachverstand des Beirats vertraut wird, der ohnedies die Grenzen der Finanzierbarkeit zu beachten hat. Juristisch wäre es durchaus zulässig, Entscheidungen, die die Gesellschafter essenziell angehen, dem Beirat zuzuordnen; aber dies wäre unklug. Wir wollen dies an drei wichtigen Entscheidungen verdeutlichen: erstens an der Entscheidung über die Gewinnausschüttung, zweitens an der Entscheidung über die Berufung eines Geschäftsführers und schließlich an der Beschlussfassung über den Ausschluss eines Gesellschafters. Die Feststellung des Jahresabschlusses mit der Einstellung in die Rücklagen und die Entscheidung über die Ausschüttung des verteilungsfähigen Jahresüberschusses kann dem Beirat zugewiesen werden. Die Motivation dafür könnte sein, dass es im langfristigen Interesse des Unternehmens und seiner Gesellschafter wäre, einen hohen Anteil des Gewinns zu thesaurieren, und daher sollte der Beirat in der Lage sein, diesem Interesse des Unternehmens durch seine Entscheidungskompetenz Rechnung zu tragen. Gegen eine solche verdrängende Kompetenz des Beirats spricht, dass durch die Bestimmung der Gewinnausschüttungen ganz direkt in die persönliche Befindlichkeit der Gesellschafter eingegriffen wird. Ein Zurücksetzen der eigenen Konsuminteressen hinter die Interessen der Firma, oder auch hinter die Vermögensinteressen der nächsten Generation sollte von den Betroffenen, nämlich den Gesellschaftern, immer wieder in Autonomie entschieden werden. Nur dann wird durch Verzicht „Bindung“ erreicht, weil die gute Entwicklung des Unternehmens eben durch den eigenen Verzicht auf Dividendenausschüttung befördert wurde. Auf der anderen Seite könnte eine Mehrheit von Gesellschaftern, die daran interessiert ist und die sich dies leisten kann, auch die vollständige Thesaurierung des Jahresüberschusses beschließen. Das missbräuchliche Ziel einer solchen Beschlussfassung könnte sein, den Minderheitsgesellschaftern die Beteiligung an
3.5 Die Pragmatik der Zuständigkeitsabgrenzung
45
dem Unternehmen zu verleiden, den Wert dieser Beteiligung zu mindern und sie zum Verkauf bereit zu machen. Ein Beirat mit ausreichender Beteiligung von Nicht-Familienmitgliedern, der der Gesamtheit der Gesellschafter verpflichtet ist, könnte durch eine Mindestausschüttung für einen entsprechenden Schutz der Minderheitsgesellschafter sorgen. Eine darauf abgestellte Regelung müsste also dem Beirat die Zuständigkeit für eine Mindestausschüttung geben und nur eine höhere Ausschüttung in die Zuständigkeit der Gesellschaftermehrheit stellen. Ein weiterer Bereich, in dem die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Gesellschafterversammlung und Beirat besonders bedeutsam ist, ist die Besetzung der Geschäftsführungspositionen. Auch hier spricht das Interesse des Unternehmens dafür, dass der Auswahlprozess nach rein professionellen Gesichtspunkten vom Beirat vorgenommen wird. Wenn aber ins Auge gefasst wird, dass durch die Mitglieder der Geschäftsführung die Kultur des Unternehmens vertreten werden sollte, wird man einen Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung – zumindest für einen CEO – empfehlen, um wiederum durch diese Einbindung die Identifizierung der Gesellschafter mit ihrem Unternehmen zu stärken. Schließlich wollen wir noch die Rolle des Beirats am Endpunkt eines Konfliktes zwischen den Gesellschaftern erörtern: dem Einzug von Anteilen eines Gesellschafters oder dem Ausschluss eines Gesellschafters. Dort, wo es um die Regelung von Ansprüchen zwischen den Gesellschaftern geht, empfiehlt Thümmel Besonnenheit in der Zuordnung von Rechten an den Beirat: „Die Delegationsfähigkeit von Entscheidungen, die sich … gegen einen einzelnen Gesellschafter richten – die Einziehung von Geschäftsanteilen oder der Ausschluss von Gesellschaftern – ist ebenfalls nicht ohne jeden Zweifel.“49 Wegen seiner Nähe zu strukturändernden Grundlagenentscheidungen spricht viel dafür, zumindest den Ausschluss von Gesellschaftern der Gesellschafterversammlung vorzubehalten. Dies legt schon der Respekt vor dem Fundament der Familiengesellschaft nahe – dem Ursprung in dem Verwandtschaftsverhältnis zu dem oder den Begründern. Der Ausschluss eines Gesellschafters ist hier eben nicht in erster Linie eine geschäftliche Transaktion, sondern eine Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern einer miteinander verbundenen Personengruppe. Außenstehende – und dies sind die Nicht-Familienmitglieder im Beirat – können zwar Rat geben, aber nicht selbst in das Beziehungsgefüge dieser Gruppe von Verwandten eingreifen.
49
Thümmel, R.C. (1995): S. 2464.
46
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
Die Gründe für die Zuständigkeitszuordnung zum Beirat Für eine möglichst weitgehende Zuordnung von Zuständigkeiten an den Beirat spricht, dass damit „deklaratorisch“ deutlich gemacht wird, dass der Beirat in Bezug auf die Geschäftsführung die maßgebliche Instanz ist. Möchte man dies vermitteln, dann muss die Überwachung der Geschäftsführung ausschließlich beim Beirat liegen, und alle Genehmigungsvorbehalte, die für das Geschäft von Relevanz sind, müssen von ihm abschließend wahrgenommen werden. Es kann dann nicht sein, dass die Aufnahme einzelner Kredite noch von der Zustimmung der Gesellschafterversammlung abhängig ist oder eine Prokura erst nach der Zustimmung der Gesellschafterversammlung im Handelsregister eingetragen wird. Bei geschäftlichen Entscheidungen ist es meist wichtiger, dass sie rechtzeitig getroffen werden, als dass sie in harmonischer Abstimmung mit allen Beteiligten erfolgen. In Dingen, die für das Geschäft und die Entwicklung des vorhandenen Geschäftes – also ohne grundsätzliche Änderung der Verfassung und des Handlungsrahmens der Unternehmung – wichtig sind, sollte der Beirat somit allein entscheiden können. Schließlich ist die weitestgehende Zuordnung von Zuständigkeiten an den Beirat der geeignete Weg, um Vorkehrung dagegen zu treffen, dass die Gesellschafter sich gegenseitig zu blockieren versuchen. Auf die Rolle des Beirats in solchen Konfliktkonstellationen ist noch einzugehen.50 Umgekehrt müssen bei einer Zuordnung von Zuständigkeiten an die Gesellschafterversammlung Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass eine Minderheit von Gesellschaftern die Führung der Geschäfte und die Unternehmensentwicklung blockieren kann. Es muss also unmöglich gemacht werden, dass Gesellschafter notwendige Entscheidungen verzögern oder verhindern, um andere Interessen, für die sie keinen vertraglichen Anspruch finden, durchsetzen zu können. Diese Perspektive führt dazu, dass man dort, wo die Gesellschafterversammlung ein Zustimmungsrecht hat, in der Satzung dieses Gremiums festlegt, dass keine Hebelwirkung für Minderheitsrechte entsteht. Die Gestaltungsregeln können etwa lauten: Für alle Entscheidungen der Gesellschafterversammlung, außer bei Satzungsänderungen, genügt die einfache Mehrheit der anwesenden Stimmberechtigten. Alternativ könnte folgende Regelung getroffen werden: Beschlussvorschläge des Beirats können nur mit einer großen Mehrheit der anwesenden Stimmberechtigten abgelehnt werden.
50
Siehe Kapitel 4.4.
3.6 Die Pflichten eines Beirats bezüglich Loyalität und Sorgfalt
47
In einigen Fragen, die die Gesellschafter direkt berühren, kann erwogen werden, auch jenseits des gesetzlichen Schutzes der Kernbereichsentscheidungen der Gesellschafterversammlung ein abschließendes Entscheidungsrecht zuzubilligen. Das möchte ich nicht generell empfehlen, es sind aber Konstellationen möglich, in denen solche Regelungen dem Zusammenhalt zwischen Gesellschaftern und der Gesellschaft dienlich sind. Es bedarf hierfür aber nicht notwendigerweise eines Zustimmungsvorbehalts der Gesellschafterversammlung. Ein taktvoller Beirat vergewissert sich ohnedies in wichtigen Entscheidungen der Zustimmung der Gesellschafter – sei es über die Gesellschaftermitglieder im Beirat, sei es durch die Vorlage bei der Gesellschafterversammlung. Zu solchen – die Gesellschaftersphäre berührenden – Entscheidungen gehören zum Beispiel: • Einstellung von Geschäftsführern oder zumindest die Bestellung des Vorsitzenden der Geschäftsführung, • Geschäftsordnung der Geschäftsführung und damit Festlegung der Zuständigkeiten von Geschäftsführung einerseits und Beirat andererseits, • Finanzierungsmaßnahmen besonderer Art (hier wäre ein Zustimmungsrecht der Gesellschafter sehr problematisch, denn wenn wirklich in der Not zu diesen Maßnahmen gegriffen werden muss, dann kann man kein Abstimmungsrisiko in einer Gesellschafterversammlung brauchen), • Eingehen von Unternehmensverträgen.
3.6
Die Pflichten eines Beirats bezüglich Loyalität und Sorgfalt
Die Grundlagen der Pflichten eines Beirats Welche Art von Verpflichtung ein Beiratsmitglied übernimmt, ist zunächst nicht so offensichtlich. Mangels spezifischer Rechtsnormen für Beiräte denkt man nicht an eine rechtliche Grundlage für Pflichten oder gar an ein Haftungsrisiko für diese Tätigkeit. Freilich übernimmt ein Beiratsmitglied durch die Annahme eines Mandats eine moralische Verpflichtung. Diese Verpflichtung ist stark; denn das Mandat wird von natürlichen Personen erteilt, den Gesellschaftern, die ihr Vertrauen in die Person des Beiratsmitgliedes setzen. Dieses Vertrauen zielt darauf, dass der Mandatsträger ein „gutes“ Beiratsmitglied sein möge. Diese Verpflichtung gilt für das ganze
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3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
Gremium: ein gutes Beiratsgremium zu sein. „Gut“ definiert sich hier wie generell als ein Erfüllen der Anforderungen, die sich aus der Zwecksetzung des Instruments ergeben. Damit ein Beirat „gut“ sein kann, muss er sich folglich über seine Zwecksetzung klar werden. Die Klärung der Aufgabenstellung Die erste Pflicht eines Beirats ist es also – so möchte ich festlegen –, dass er sich bei seinem Souverän, den Gesellschaftern, und durch eigene Reflexion vergewissert, was seine Zwecksetzung ist. Die zumeist knappen, vielleicht sogar dürren oder gar irreführenden Worte im Gesellschaftsvertrag werden dies allein nicht ausreichend klar machen können. Eine solche Mission kann nur im klärenden Gespräch erhellt werden. Die Wahrung einer schon geschaffenen Tradition hilft ebenfalls die Aufgaben zu verstehen, die aus der Vergangenheit übernommen wurden und die als Mindestanforderung weiterhin dem Geiste nach erfüllt werden sollten, die sicherlich aber auch an die Erfordernisse der Zeit angepasst werden müssen. Die Typologie von Beiräten51 mag eine Hilfestellung sein, die eigene Zwecksetzung zu bestimmen. Dazu gehört auch, sich klar zu machen, wo die Rolle des entscheidungsbefugten „Unternehmers“ liegen soll – bei einem Gesellschafter, beim Beirat oder bei der Geschäftsführung. Bei einer solchen Bestimmung der Mission dürfte man wohl in einer nicht-juristischen Ausdrucksweise formulieren, dass der Beirat eine Institution zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung ist, die mit diesen zusammen dafür Sorge trägt, dass das Unternehmen eine nachhaltig erfolgreiche Entwicklung nimmt. Der Beirat verkörpert eine zusätzliche, redundante Funktion, die zusätzlich zur Gesellschafterversammlung und der Geschäftsführung eingerichtet ist, damit das Unternehmen „Familienunternehmen“ gut gelingen kann. Aus diesem Ansatz, zum Gelingen des Unternehmens beizutragen, leiten sich die sehr generellen Pflichten ab, die im nächsten Kapitel dann näher ausdifferenziert werden. Hier genügen die generellen Überschriften: • Bewahrung des Familienunternehmens, • Auswahl einer guten Geschäftsführung, • Beförderung der Qualität der Unternehmensführung. Oberstes Ziel der guten Unternehmensführung im Kontext eines Familienunternehmens ist es, den Bestand des Unternehmens als unabhängiges Fa51
Vgl. Kapitel 15.
3.6 Die Pflichten eines Beirats bezüglich Loyalität und Sorgfalt
49
milienunternehmen zu sichern – allerdings unter zwei Voraussetzungen: Die erste Voraussetzung ist, dass die Familie dies wünscht und dazu in der Lage ist. Die zweite Voraussetzung besteht darin, dass die Marktstrukturen die unabhängige Existenz des Unternehmens aussichtsreich machen. Sodann ist es die Verpflichtung des Beirats, durch seine Interaktionen sowohl mit der Geschäftsführung als auch mit den Gesellschaftern darauf hinzuwirken, dass die Qualität der Unternehmensführung gefördert wird. Es erscheint mir wichtig, auf diese übergeordnete Zielsetzung abzustellen. Erst von dieser Zielsetzung her ist zu fragen, wie Überwachung, Beratung und andere Interaktionen dazu dienen können, diese Zielsetzung zu erfüllen. Die Loyalitätspflicht Abweichend von der Bedeutung des Wortstammes bezeichnet man mit „Loyalität“ nicht die rechtlichen Aspekte einer Beziehung, sondern die über die rechtlichen Verpflichtungen hinaus gehenden Anhänglichkeiten, die moralisch verpflichtende „Treue“ zu einem „Herrscherhaus“. Ich bin überzeugt, dass auch heute unter den Menschen, die nicht für Geld arbeiten52 und die man früher als „ehrbar“ bezeichnete, dieser Begriff der Loyalität ein stärkeres Gewicht hat als die rechtliche Verpflichtung. (Obschon sich natürlich die Recht setzenden Instanzen darüber klar sein sollten, dass mit der alldurchdringenden Verrechtlichung des Handelns das Gefühl für das Rechte, Billige und Loyale zurückgedrängt wird und vielleicht sogar verschüttet werden kann.) Das, was ich hier als „überrechtliche“ Verpflichtung der Loyalität sehen möchte, ist im Grundsatz in unserem Rechtsverständnis verankert, nämlich als die „Treuepflicht“ eines Beiratsmitglieds. „Das Beiratsmitglied ist … ein funktioneller »Bestandteil« des Beiratsunternehmens geworden und hat insoweit gesellschaftsrechtlich indizierte Treuepflichten zu beachten, die über die allgemeine Treuepflicht des § 242 BGB hinausgehen. Die Treuepflichten des Beiratsmitglieds finden ihre entscheidende Ausprägung zum einen in der Interessenwahrungspflicht und zum anderen in der Verpflichtung, keine eigenen oder fremden Interessen bei der Ausübung des Beiratsamtes nachteilig in den Vordergrund zu stellen.“53
52
53
Natürlich erhält man als Konsequenz der Arbeit auch Geld. Ich denke hier an das Zitat, das der schweizerischen Adeligen de Meuron zugeschrieben wird, die eine Person fragte: „Arbeiten Sie für Geld oder sind Sie ein Herr?“. Huber, H. (2004): S. 158.
50
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
Erörterungswürdig erscheint mir die Pflicht zur Wahrung der dem Beirat anvertrauten Interessen. Diese müssen von den Gesellschaftern als den Interessenberechtigten artikuliert werden, damit Beirat und Geschäftsführung sie befolgen können. Natürlich kann der Beirat selbst oder können andere Berater zum Reflexionsprozess beitragen. Neben der Trägerschaft des Eigentums ist die Formulierung der Interessen der Familie ein essenzielles Merkmal für den Einfluss der Familie auf das Unternehmen. Nicht nur um die Wirksamkeit von Verpflichtungen wie Loyalität im Bewusstsein aufrecht zu erhalten, möchte ich hier darüber reflektieren, sondern auch deshalb, weil es nicht selbstverständlich und in jedem Fall klar ist, wem gegenüber der Beirat loyal sein soll. Die Loyalität zum Konzept Familienunternehmen Ein Mandatsträger einer Gesellschaft – sei es ein Mitglied des Beirats, des Aufsichtsrats oder ein Geschäftsführer – muss sich mit der Gesellschaft identifizieren und zu ihrem Erfolg aktiv beitragen.54 Ein Mandatsträger einer Familiengesellschaft muss also das „Sosein“ dieser Gesellschaft als Unternehmen im Eigentum einer Familie bejahen, er muss es für ein sinnvolles Konzept erachten. Der Beirat darf nicht nur ein kühler Fachmann sein, sondern er muss „für“ dieses Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, „für“ die Familiengesellschafter und ihr Familienunternehmen tätig sein. Er muss die Mentalität, die diesem Unternehmen zu Eigen ist, verinnerlichen: „Wir gegen den Rest der Welt“. Für ein mittelständisches Unternehmen ist es vielleicht gar nicht so leicht, diese Loyalität von den Beiratsmitgliedern zu gewinnen, insbesondere wenn diese aus der anderen Welt der großen Konzerne oder der großen Finanzinstitutionen kommen. Es ist eine bange Frage, ob dann, wenn das Unternehmen in Schwierigkeiten kommt, die persönlichen Einsätze und Anstrengungen geleistet werden können, um das Unternehmen wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen, oder ob der Rat nicht zur leichteren Lösung greift, das Unternehmen zu verkaufen.55 Die Artikulation der Interessen – etwa in der Überlieferung einer Mission des Gründers oder in einem reflektiv erarbeiteten Dokument zur Familienstrategie oder wenigstens in einer Präambel zu einem Gesellschaftsvertrag – 54 55
So Hennerkes, B.-H. (2002): S. 111. In dem ergreifenden Roman von Burkhard Spinnen „Der schwarze Grat“ geht es immer wieder darum, ob angesichts der Schwierigkeiten die „normale“ Lösung gesucht wird, das Unternehmen zu verkaufen, und wie es gelingt, die Selbstständigkeit des Eigentümerunternehmens immer wieder zu erringen.
3.6 Die Pflichten eines Beirats bezüglich Loyalität und Sorgfalt
51
ist daher nicht nur Form, sondern Substanz. Die generelle Formulierung dieser Interessen ist im Zeitablauf immer wieder zu überdenken und es ist zu prüfen, was daraus in einer konkreten Entscheidungssituation folgt. Sollte die Gesellschaftergruppe nicht oder nicht mehr in der Lage sein, ihre Interessen zu artikulieren, verzichtet sie auf jede Form des Einflusses auf das Unternehmen. Das Unternehmen hat dann auch keinen Sinngehalt und keine Relevanz mehr für den Gesellschafter. Es verliert den Charakter eines Familienunternehmens und wohl auch seine Berechtigung. Es mag dann schließlich auch verkauft werden. Die Loyalität zum Familienunternehmen sollte idealerweise auch auf einer Loyalität zu der Unternehmerfamilie fußen. Diese Forderung gilt allerdings nicht generell. Wie soll man sich einer Vielzahl von sehr unterschiedlichen Personen verpflichtet fühlen? Der ursprüngliche Kontakt zu dem Unternehmen kam vielleicht nur über ein Familienmitglied zustande. Eine Loyalität in dem beschriebenen Sinne bildet sich allenfalls zu einer Kerngruppe der Gesellschafter heraus. Hier stellt sich umgekehrt die Aufgabe für die Gesamtheit der Gesellschafter, sich so zu organisieren, sich so als Gruppe zu artikulieren oder sich als Gruppe repräsentieren zu lassen, dass die Beiratsmitglieder einen Bezugspunkt für eine Loyalitätsbeziehung zu den Eignern haben können. Die Loyalität gegenüber der Gesellschaft Im Normalfall ist der Beirat ein Gesamtorgan des Unternehmens. Das gilt, wenn nicht ein anderer Wille der Gesellschafter festgelegt oder erkennbar ist.56 Regelmäßig findet sich in den Errichtungsdokumenten für den Beirat die ausdrückliche Regelung, dass er nur den Gesamtinteressen des Unternehmens verpflichtet sei und dessen Wohlergehen im Interesse aller Beteiligten zu fördern habe. Aus dieser Mission ergibt sich, dass der Beirat sich aktiv damit befassen muss, was für die positive Entwicklung des Unternehmens erforderlich ist. Hier liegt aus meiner Sicht der „Rechtsgrund“ für die Beratungsaufgabe des Beirats in den für die Entwicklung des Unternehmens entscheidenden Strategiefragen. Wie anders soll die Verpflichtung erfüllt werden, den bestmöglichen Beitrag zur positiven Entwicklung des Unternehmens zu leisten? Die Loyalität gegenüber dem Unternehmen, für das er tätig ist, verlangt, dass jeder Konflikt zwischen den Interessen des Unternehmens und den 56
Vgl. Huber, H. (2004): S. 158.
52
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
persönlichen Interessen des Beiratsmitglieds vermieden wird.57 Diese Pflicht ist ernst zu nehmen und wird von jedem seriösen Geschäftsmann so ernst genommen, dass die Übernahme eines Beiratsmandates für die eigenen Geschäftsinteressen des Beiratsmitglieds eher abträglich als förderlich sein dürfte. Und schließlich verlangt die Loyalitätspflicht die selbstverständliche Geheimhaltung der vertraulichen Verhandlungen im Beirat und der geschäftlichen Interna des Unternehmens. Ebenso selbstverständlich ist ein Wettbewerbsverbot. In der Praxis verlangt dies, dass die Annahme von Mandaten im Branchenumkreis der Firma, bei der man bereits ein Mandat hat, mit dieser abzustimmen ist. Die Loyalitätspflicht gegenüber den Gesellschaftern Eigenverantwortlichkeit, Entscheidungsfreiheit, Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit sind institutionelle Qualifikationen des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft.58 Diese unabhängige Stellung ist aber nicht nur durch das Gesetz so gewollt, sondern wird auch dadurch möglich, dass die Aktionäre einer Publikumsgesellschaft keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Auswahl der zur Wahl gestellten Aufsichtsratsmitglieder haben. Diese Unabhängigkeit wird sehr schnell auch sichtbar „angebunden“, wenn ein Aktionär mit einem nennenswerten Anteil auftritt, der einen ausgeprägten Gestaltungswillen mitbringt. Dann kann er auch – Aktiengesetz hin oder her – Einfluss geltend machen. Und die Hedge-Fonds zeigen, dass dazu selbst eine kleine Beteiligung genügt. Bei Familiengesellschaften haben wir von vornherein die „wesentlich beteiligten“ Gesellschafter. Es wird in der Erörterung der Strategie des Unternehmens immer wieder Fragestellungen geben, bei denen sich die Gesellschafter fragen und bei denen sich der Beirat fragt, in welchem Interesse er beraten und entscheiden soll: im Interesse der Gesellschaft oder der Gesellschafter. Die typischen Nahtstellen, in denen diese Interessen aufeinander treffen, sind etwa: • Wahl der Geschäftsführung – Familienmitglieder versus NichtFamilienmitglieder, • Ausschüttungspolitik, • alle Maßnahmen, die die Unabhängigkeit des Familienunternehmens gefährden könnten. 57 58
Vgl. Potthoff, E./Trescher, K. (2003): S. 111. Potthoff, E./Trescher, K. (2003): S. 207 f.
3.6 Die Pflichten eines Beirats bezüglich Loyalität und Sorgfalt
53
Muss dies noch erörtert werden, wenn in den Gründungsdokumenten des Beirats verankert ist, dass die Interessen der Gesellschaft die Orientierungsmaxime für den Beirat sind? Damit ist, so glaube ich, in der konkreten Entscheidungssituation nichts entschieden. Es kommt auf vieles an, vor allem auf die Eindeutigkeit des Gesellschafterwillens, die sich in der Klarheit der Ziele und der dominanten Mehrheit in der Gesellschafterversammlung äußert. Es ist schwer vorstellbar, dass es der Wille der Satzung gebenden Gesellschafterversammlung ist, auf die Geltendmachung der Interessen der Gesellschaftermehrheit zu verzichten. Die Orientierung an den Interessen der Gesellschafter ergibt sich daraus, dass der Souverän, der den Beirat eingesetzt hat, die Gesellschafter sind. Dies ist ein anderes Gremium als ein mitbestimmter Aufsichtsrat. Würde man den Primat der Gesellschafterinteressen nicht anerkennen, müssten die Gesellschafter sich daneben noch ein anderes Gremium schaffen, das nur ihren Interessen verpflichtet ist. Oft findet sich in der Tat eine solche Konstellation dergestalt, dass der Mehrheitsgesellschafter oder die Gesellschafter noch einen Intimus als Berater haben: Nicht selten ist dies ein Rechtsanwalt. Das ist einerseits erstaunlich, denn dieser Berufsstand führt weder in der Ausbildung noch in der normalen beruflichen Erfahrung auf eine unternehmerische Tätigkeit hin. Es geht hier aber auch nicht um das Unternehmerische im Geschehen, sondern um die Sicherung der Interessen. Dies scheint der juristisch nicht so Bewanderte von den anwaltlichen Berufen zu erwarten. Der Beirat hat auch einen guten Grund, die Interessen der Gesellschafter mit den Interessen zum Erhalt des Familienunternehmens – seine oberste Verantwortung – gleichzusetzen. Nur bei angemessener Berücksichtigung der Interessen aller Gesellschafter wird die Loyalität der Gesellschafter zu dem Konzept Familienunternehmen bewahrt und verhindert, dass Alternativen des Verkaufs oder Börsengangs erwogen werden. Die Loyalitätspflicht gegenüber allen Gesellschaftern Ein Beirat ist allen Gesellschaftern zur Loyalität verpflichtet. Als ein von der Gesellschafterversammlung geschaffenes Organ zur Wahrnehmung der ihm übertragenen Rechte der Gesellschafter muss er sich daran orientieren, welche Pflichten die Gesellschafter selbst haben.59 Dies ist vor allem für den Schutz von Minderheitsgesellschaftern von praktischer Bedeutung. Zwischen den Gesellschaftern selbst besteht eine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, auf die jeweiligen Interessen Rücksicht zu nehmen. Daraus ergibt 59
Hölters, W. (1979): S. 37 f.
54
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
sich eine Verpflichtung, die Interessen der Minderheitsgesellschafter dagegen zu schützen, dass Mehrheitsgesellschafter sich gesellschaftsfremde Sondervorteile zu Lasten der Minderheitsgesellschafter verschaffen.60 Hierzu gehört auch, dass Willenskundgebungen der Minderheitsgesellschafter beachtet werden, soweit dadurch nicht manifeste und gesellschaftsrechtliche Interessen der Gesellschaftermehrheit beeinträchtigt werden. Und hierzu gehört sicherlich auch, dass der Beirat darauf achtet, dass die Gesamtheit der Familiengesellschafter dem Unternehmen verbunden bleibt und nicht eine Gesellschaftergruppe durch unfaire Behandlung veranlasst wird, das Unternehmen „zu verlassen“. Die Sorgfaltspflicht In der juristischen Literatur wird darauf abgestellt, dass in § 116 AktG der Aufsichtsrat einer AG hinsichtlich seiner Sorgfaltspflicht auf die Sorgfaltspflicht und die Verantwortlichkeiten der Vorstandsmitglieder gemäß § 93 AktG verwiesen wird. Analog dazu müsste die Sorgfalt des Beirats einer GmbH der „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns“ gemäß § 43 GmbHG entsprechen.61 Ich halte eine solche juristische Brücke zu unbestimmten Rechtsbegriffen und zu der für ihre Auslegung erforderlichen Kommentarliteratur nicht für hilfreich. Es sollte der allgemeine Grundsatz genügen, dass für jedwedes Amt die ganz selbstverständliche Pflicht besteht, die erforderliche Sorgfalt zu üben. Für die Beiratsarbeit bedeutet dies etwa62: • Ein Beiratsmitglied sollte bedenken, welchen Nutzen es als Person und als Mitglied dieses Gremiums für die Zwecksetzung des Beirats leisten kann. • Es sollte die Unterlagen, die zur Lektüre zugesandt wurden, auch wirklich studieren. • Es sollte die eigenen Meinungsäußerungen, Kommentare, Ratschläge auf – zumindest subjektiv – gesicherte Erkenntnisse und Kenntnisse gründen. • Der Beirat sollte Entscheidungen, die für das Unternehmen eine werterhebliche Relevanz haben, nur auf einer hinreichenden Informationsbasis treffen.
60 61 62
Vgl. Hölters, W. (1979): S. 38. Hölters, W. (1979): S. 37. Diese und die nächste Pflicht sind von den Ausführungen bei Conger, J.A. et al. (2001), S. 8, angeregt.
3.6 Die Pflichten eines Beirats bezüglich Loyalität und Sorgfalt
55
• Ein Beiratsmitglied sollte in allen Vorgängen der Loyalitätsorientierung auf die Interessen der Gesellschafter und des Unternehmens als Familiengesellschaft achten. Die Pflicht eines Beirats ist es auch, dass er seine Aufgabe nicht als „Zeitvertrag“ sieht – definiert durch die aufmerksame Teilnahme an den Sitzungen nebst angemessener Vorbereitung –, sondern als Werkvertrag in juristischem Sinne allerdings zur Erbringung eines „Ergebnisses“: der Gewährleistung einer effizienten Beiratsarbeit. Und diese verlangt eben einen Einsatz aus der Herausforderung der Lage heraus, auf die geantwortet werden muss – daher „Verantwortung“. Für diese Bewältigung der Lage muss das Erforderliche getan werden, unabhängig davon, wie viele Sitzungen „normalerweise“ abgehalten werden. Es gibt dann Jahre, in denen sechs Sitzungen statt vier anstehen und zusätzlich noch mancher Samstag für Sonderbesprechungen oder Interviews mit Führungskräften eingeplant werden muss. Dann gilt es die Zeit dafür zu haben, gleichgültig, ob dies in der Honorierung des Beiratsmandats so vorgesehen war. Verantwortung für das übernommene Mandat bedeutet, diese Zeit auch einzusetzen. Ein Schweizer Bundesgericht soll geurteilt haben, dass „Zeitmangel nie ein Entschuldigungsgrund sein könne“63 – ein zutreffendes Urteil! Die Sorgfaltspflicht kann natürlich nicht bedeuten, dass der Beirat in seinen Entscheidungen unfehlbar sein müsste oder nur wirtschaftlich erfolgreiche Dinge tun dürfte. Im deutschen Rechtsverständnis bewahrt bereits die Trennung zwischen der Geschäftsführungsverantwortung und der Aufsicht vor jeder Verantwortung für schlechte Ergebnisse. Da ich hier aber als Option zulasse, ja sogar dafür plädiere, die Zuständigkeit des Beirats auf die Beeinflussung der Strategie des Unternehmens auszudehnen, ist die Frage nach dem Einstehen für das Ergebnis schon etwas kritischer. Die „kaufmännische Sorgfaltspflicht“ bezieht sich auf die Sorgfalt im Prozess des Vorgehens, im Prozess der Urteilsfindung, nicht aber auf deren Ergebnis. Freilich bleibt hinzuzufügen, dass eine Kette von Misserfolgen stets einen Grund haben muss, der meist auch auf die mangelnde Sorgfalt der Entscheidungsträger zurückzuführen ist. Dass das Handeln des Beirats selbst dem Legalitätsprinzip gehorchen muss, dass also Recht und Gesetz zu beachten sind und dass der Beirat in seiner Aufsichtsfunktion auf die Einhaltung des Legalitätsprinzips zu achten hat, sollte als Selbstverständlichkeit der Vollständigkeit halber angefügt werden. 63
Vgl. Lutter, M./Krieger, G. (2002): S. 318.
56
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
3.7
Die Haftung eines Beirats
Die Verunsicherung von Beiratsmitgliedern Wer heutzutage ein Mandat in einem Unternehmensorgan übernimmt – sei es als Geschäftsführer, als Aufsichtsrat oder als Beirat – wird veranlasst, um seine Haftung besorgt zu sein. Hierzu tragen bei: • die fortlaufende Betonung von Verantwortungen in der CorporateGovernance-Diskussion, • die Werbung der einschlägigen Versicherungen, die das Risiko der Verantwortung zu übernehmen behaupten – und dies wie jede Versicherung nur in den völlig eindeutigen Fällen auch wirklich tun, • die Zeitungsberichte von Klagen von Gesellschaftern gegen ihre früheren Vorstände, die im Übrigen gerade durch die Versicherungen erzwungen werden, die ihnen eigentlich das Risiko abnehmen sollten. Die juristisch geprägte Literatur muss natürlich gewissenhaft und professionell auf die denkbaren Verantwortlichkeiten hinweisen. Die Rechtslage kann wie folgt für den „worst case“ geschildert werden64: • Der Beirat haftet analog zur Organhaftung gemäß Aktienrecht, weil man ihn mit dem fakultativen Aufsichtsrat der GmbH in Verbindung bringt und dann über § 52 GmbHG den Verweis auf die Organhaftung von §§ 93, 116 AktG erhält. Hierbei wird auf eine Rechtsprechung verwiesen, die allerdings für eine Publikumskommanditgesellschaft mit ganz besonderen Umständen ergangen ist und für unseren Fall eines mittelständischen Unternehmens nichts hergibt.65 Es wird auch nicht festgehalten, dass der Beirat eben nicht ein Unterfall des Aufsichtsrats gemäß § 52 GmbHG ist. • Er hat die Sorgfalt eines gewissenhaften und ordentlichen Beiratsmitglieds bei seiner Tätigkeit zu beachten – ein unbestimmter Maßstab, dem er vielleicht nicht immer entspricht. • Die Sorgfalt ist an den übertragenen Kompetenzen auszurichten: Viele Kompetenzen eines „starken“ Beirats bedeuten insofern erhöhte Anforderungen an die Sorgfalt und somit ein erhöhtes Haftungsrisiko. • Er haftet für Verschulden und dies kann – sofern nichts anderes geregelt ist – bereits durch Fahrlässigkeit begründet sein. 64 65
Vgl. Huber, H. (2004): S. 163 ff. Vgl. die Nachweise der Rechtsprechung bei Huber, H. (2004): S. 165.
3.7 Die Haftung eines Beirats
57
Diese ganze Argumentation kann zu nichts anderem führen, als dass ein potenzielles Beiratsmitglied sich um sein Haftungsrisiko Sorgen macht und dann lieber ein Mandat ablehnt, als seine Altersversorgung zu riskieren. Oder aber er verlangt von seiner Gesellschaft eine D&O-Versicherung. Ein Aufsichtsrat haftet gegenüber den Anteilseignern nur dann, wenn es einen besonderen Haftungsgrund gibt und dieser könnte – einige Sonderfälle wie Haftung bei Umwandlungen ausgeklammert – nur in „unerlaubten Handlungen“ liegen.66 Diese sind – wie der Terminus besagt – eben unerlaubt, und wenn man sie trotzdem begeht, dann haftet man dafür. Selbst eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit, wenn sie denn bestünde, dürfte schwer zu qualifizieren sein und reine „Dummheit“ ist schon nach altfränkischem Landrecht nicht strafbar. Theisen stellt demnach fest, dass bisher noch keine Haftungsklagen gegen Aufsichtsräte noch existierender beziehungsweise fortbestehender Gesellschaften bekannt wurden, allenfalls vor dem Hintergrund von Insolvenzfällen wird dies von Insolvenzverwaltern versucht.67 Theoretisch kommt bei Börsengesellschaften eine Haftung der Aufsichtsräte gegenüber den Aktionären wegen deliktischer Haftung aufgrund eines Eingriffs in die Mitgliedschaft in Betracht. Ferner ist an die vorsätzliche Schädigung der Gesellschaft als Gefahrenrisiko zu denken. In jedem dieser Fälle genügt für ein Haftungsrisiko nicht nur die Schädigung der Gesellschaft, sondern auch die Schädigung des Aktionärs durch einen darüber hinausgehenden Schaden.68 Letztlich kann man argumentieren, dass es für eine Kapitalmarktgesellschaft so viele Gesetze gibt, dass sie kein Mensch mehr überblicken kann, so dass immer ein Haftungsrisiko droht. Zudem erhöht das Bestreben des Gesetzgebers, die Rechte aller, somit auch die von Minderheiten, zu schützen, die Möglichkeiten Betroffener, Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Daraus folgt dann, dass „für alle Fälle“ der Schutz einer Versicherung gesucht wird. Und so wird man schließlich doch den Abschluss einer Haftpflichtversicherung in Betracht ziehen. Hoffentlich schließt man dann aber auch eine ausreichende Versicherungssumme ab, denn wenn man wegen Schadens in Anspruch genommen wird, dann nicht etwa wegen einer Gewinnminderung um ein Viertel, sondern wegen sehr viel bedeutenderer Beträge. Wir klammern nun die börsennotierte Familiengesellschaft aus, bei der im Hinblick auf die freien Aktionäre ähnliche Haftungsszenarien denkbar 66 67 68
Vgl. Potthoff, E./Trescher, K. (2003): S. 533 f. Vgl. Theisen, M.R. (1995): S. 198. Vgl. Lutter, M./Krieger, G. (2002): S. 324 f.
58
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
sein könnten. Es bleibt eine Bedrohung des Beiratsmitglieds durch Ansprüche aus einer Pflichtverletzung. Eine solche Haftung könnte nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber dem einzelnen Gesellschafter bestehen.69 Ein Beiratsmitglied muss also nicht damit rechnen, dass ein Querulant unter den Gesellschaftern, der ihn auf diese Weise aus dem Beirat drängen will, mit persönlichen Haftungsansprüchen droht. Im Übrigen wird durch die Entlastung des Beirats dessen Haftung beendet und die Entlastung ist ja fast ein so feststehender Beschluss wie der Beschluss zur Gewinnausschüttung (es mag zwischen beiden sogar ein innerer Zusammenhang gesehen werden!). Daher sollte der Beirat darauf achten, dass die Gesellschafterversammlung ihm Entlastung erteilt. Angesichts der in Familiengesellschaften vorherrschenden Informalität und Harmonie mag dies schon einmal oder grundsätzlich in Vergessenheit geraten. Die Rechtslage Bei der Haftung sind zunächst zwei mögliche Gruppen von Ansprüchen zu unterscheiden: Ansprüche von Gesellschaftern und Ansprüche aller anderen Dritten (Kunden, Lieferanten, usw.). Für Ansprüche Dritter (ohne Gesellschafter) haftet im Außenverhältnis ausschließlich die Gesellschaft. Schadensersatzansprüche Dritter wegen einer Pflichtverletzung können nur wegen einer Pflichtverletzung der Geschäftsführung in Betracht kommen. Derartige Schadensersatzansprüche können nur gegen die Gesellschaft erhoben werden. Allenfalls könnte dann die Gesellschaft versuchen, ihrerseits einen Ersatzanspruch geltend zu machen. Mit Ausnahme des Sonderfalls, dass der Beirat ein Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung ausübt und daraus Schadensersatzansprüche Dritter erwachsen könnten, ist es nicht möglich, dass sonstige Dritte – außer den Gesellschaftern – Haftungsansprüche gegen den Beirat geltend machen. Übrig bleiben die Haftung des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären und möglicherweise die des Beirats gegenüber den Gesellschaftern. Die D&O-Versicherung Gegen mögliche Ansprüche der Gesellschaft wegen Pflichtverletzungen, die die Gesellschafter schädigen, wird nun eine Directors & OfficersLiability-Versicherungsdeckung empfohlen. Um deren Verbreitung im amerikanischen Wirtschaftsraum zu verstehen, muss man von der anders69
So Karcher, K.H. (1998): S. 36.
3.7 Die Haftung eines Beirats
59
artigen Anspruchsgrundlage eines amerikanischen Aktionärs gegenüber der eines deutschen Aktionärs ausgehen. Der amerikanische Aktionär kann nicht nur – wie auch der deutsche – gegen die Gesellschaft klagen, sondern er kann auch mit einem „individual suit“ gegen ein Board Member vorgehen, das sich pflichtwidrig verhalten hat. Daher gehört es in den USA zum absoluten Standard, dass die Gesellschaft auf ihre eigenen Kosten Mitglieder des Boards dagegen versichert, dass die Aktionäre sie in Anspruch nehmen können. Daher gehört eine Directors & Officers-Liability-Versicherungsdeckung in den USA zu der Grundausstattung jedes Directors (Aufsichtsratsmitglieds) und Officers (Vorstandsmitglieds). Die D&O-Versicherung70 deckt folgende Schadensfälle in der Ausübung der beruflichen Tätigkeit, hier also als Aufsichtsrat oder Beirat, ab: • persönliche Inanspruchnahme der versicherten Person bzw. Abwehr unbegründeter Ansprüche, • Vermögensschäden wegen eines Fehlverhaltens, • Ansprüche aus Organisations-, Auswahl- und Überwachungsverschulden (also nicht aus dem sogenannten „operativen Handeln“ in einer Mitarbeiterfunktion). Wie bei jeder Versicherung ist das Wesentliche ausgeschlossen und dazu gehören bei der D&O-Versicherung üblicherweise71: • kritische Schadensfälle im Bereich des Common Law (USA usw.), • insbesondere Umwelt- und Produkthaftung, zumindest für die Bereiche des Common Law, • Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzung oder bewusste Fahrlässigkeit (Letzteres soll bei einigen Versicherungen verhandelbar sein), • Ausschluss von Haftung aus beruflichen Dienstleistungen (rechts-, steuer-, wirtschaftsberatende und wirtschaftsprüfende Dienste). Diese Ausschlüsse mögen der Grund dafür sein, dass die Erwartung auf Versicherungsschutz im Nachhinein enttäuscht wird, wie die nachfolgenden Pressezitate zeigen: „In jedem zweiten Fall verweigert die Versicherung den Schutz oft mit hanebüchenen Argumenten und meist zu Unrecht“72; „Im Schadenfall suchen die pingeligen Assekuranzen dann nahezu 70 71 72
Vgl. Ries, G./Peiniger, G. (2007); Sieg, O. (2007). Vgl. Ries, G./Peiniger, G. (2007): S. 168 ff. Lichter, J./Tödtmann, C. (2006).
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3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
manisch nach Schlupflöchern: Nur in jedem zwanzigsten Fall zahlt die Versicherung ohne Streit, schätzt D&O-Experte H.“73. Schließlich ist die Versicherung noch begrenzt durch die maximale Schadensumme. Die Aussage, dass eine D&O-Versicherung abgeschlossen wurde, ist sinnlos, wenn nicht die Versicherungssumme genannt wird. Wenn aber in Zweifelsfällen überhaupt eine Anspruchsgrundlage bestehen könnte, dann führt grobe Fahrlässigkeit in den fundamentalen Angelegenheiten der Organisation, der Auswahl oder der Überwachung auch nicht zu kleinen Schäden, sondern zu sehr großen Schäden, die in aller Regel über die vereinbarte maximale Versicherungssumme hinausgehen würden. Ohne Versicherung würde ein solcher Schaden gar nicht verfolgt werden, weil die Privatperson ihn ohnehin nicht abdecken könnte. Erst die Chance, wenigstens einen kleinen Teil des Schadens von der Versicherung erstattet zu bekommen, zwingt die Gesellschaft dazu, die Organmitglieder zu verklagen. In unserem Fall der Familiengesellschaft sind die einzigen, die gegen die Beiräte Ansprüche geltend machen könnten, die Familiengesellschafter selbst. Eine Forderung nach Schadensersatz kann nur die Gesellschaft gegen den Beirat geltend machen. Die Gesellschaft aber wird vertreten durch die Geschäftsführer. So müssten die Geschäftsführer eine eigene Pflichtverletzung vortragen und zudem darlegen, dass diese durch die mangelnde Überwachung des Aufsichtsrats verursacht ist.74 Oder aber umgekehrt wäre nachzuweisen, dass der Beirat grob fahrlässig seine Aufsichtspflicht verletzt habe, weil er dem Vortrag der Geschäftsführung Glauben geschenkt habe. Sofern im Beirat auch Gesellschafter vertreten sind, müssen diese gleich mit verklagt werden. Die Absurdität des Vorgangs braucht nicht weiter exemplifiziert zu werden. Zur Abwehr des Anspruchs müsste dann die Versicherungsgesellschaft im Falle eines Rechtsstreits im Namen der versicherten Person (Beirat) die Ansprüche der Gesellschaft abwehren. Die Beiräte haften aber nur in den Fällen, in denen sie nach allgemeinem Recht ohnehin haften. Von dem Versicherungsschutz sind aber nun gerade diese Fälle – vorsätzliche Schädigung, wissentliche Normverstöße und sonstige Pflichtverletzungen – ausgenommen.75
73 74 75
Buchhorn, E./Werle, K. (2006): S. 132. Mielke, B.K. (2005): S. 253. Potthoff, E./Trescher, K. (2003): S. 535 ff; Ries, G./Peiniger, G. (2007): S. 168 ff.
3.7 Die Haftung eines Beirats
61
Der Schutz der Beiratsmitglieder durch Haftungsausschlüsse und Haftungsbegrenzungen Es ist höchst unwahrscheinlich, dass irgendein Gesellschafterkreis seine Geschäftsführung veranlassen könnte, eine wie oben geschilderte Anspruchsgrundlage geltend zu machen. Gegen diese praktische Schlussfolgerung könnte eingewendet werden, dass dies aber nicht vollständig in allen theoretisch denkbaren Fallkonstellationen ausgeschlossen werden könnte. Es wird darauf verwiesen, dass es Insolvenzverwalter gibt, deren systemische Aufgabe es ist, jeden, der mit der fallierenden Gesellschaft in Kontakt war und irgendeine Haftungsgrundlage bietet – ob Bank, Gesellschafter, Darlehensgeber oder Wirtschaftsprüfer – mit einer Inanspruchnahme zu bedrohen. Entsprechend den Usancen in dem Endspiel eines Unternehmens brauchen dabei keine Rücksichten auf die Reputation genommen zu werden – oder auch nur auf die standesüblichen Usancen bei Insolvenzverwaltern – und es kann jeder mit einer Klage bedroht werden, auch wenn nur Aussicht auf eine Zahlung im Vergleich besteht. Um auch gegen solche Attacken gefeit zu sein, hat ein Beirat Anspruch auf einen weitestgehenden Ausschluss der Haftung. Aussagen wie die, dass man mit der Übernahme eines Mandats eine große Verantwortung übernimmt und die Übernahme der Haftung hierfür das notwendige Korrelat sei76, mögen gut gemeint sein, teilen aber damit die Relevanz gut gemeinter, aber unbedachter Empfehlungen. Bevor nun gefordert oder von den Gesellschaftern angeboten wird, die Beiräte von diesem entlegenen Haftungsrisiko durch eine D&O-Versicherung zu befreien, sollte gleich der direkte Weg der Haftungsbeschränkung gegangen werden. Die D&O-Versicherung wäre nur dann eine Befreiung vom Haftungsrisiko, wenn sie zu Versicherungssummen abgeschlossen würde, die im Bereich des ganzen oder halben Unternehmenswertes liegen (Wertvernichtung bei Insolvenz!). Hierfür würden sehr substanzielle Versicherungsgebühren anfallen – und dies nur, um zu erreichen, dass die Beiräte nicht durch Haftungsansprüche belastet werden. Dies geht einfacher dadurch, dass die Haftung von vornherein beschränkt wird: • dem Grunde nach, • in den verbleibenden Haftungsfällen auch der Höhe nach. Systemisch ist die Reduzierung des Haftungsanspruchs schon dadurch zu begründen, dass der Beirat im Auftrag der Gesellschafter deren Zuständig76
So zumindest ist Huber zu verstehen in Huber, H. (2004): S. 174.
62
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
keiten wahrnimmt. Als Vertreter der Gesellschafter – dies auch für die Gesellschaftermitglieder im Beirat – hat er nur die Sorgfalt aufzubringen, welche er auch in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt.77 Für Beiräte in Familienunternehmen sind daher im jeweiligen Vertrag (Gesellschaftsvertrag oder schuldrechtlicher Vertrag) Regelungen vorzusehen, mit denen die Haftung dem Grunde nach auf Vorsatz und auf die Verletzung der eigenüblichen Sorgfalt gemäß §§ 708, 277 BGB beschränkt wird. Die Beschränkung auf Vorsatz und die eigenübliche Sorgfalt empfiehlt sich schon allein für den Fall, dass Gesellschafter im Beirat ein Mandat haben. In der Fachliteratur wird erörtert, ob ein Ausschluss der Haftung für grobe Fahrlässigkeit zulässig ist. Er wird für zulässig erachtet, soweit es sich nicht um Pflichten im Gläubigerinteresse und im öffentlichen Interesse handelt, was für die Beiratspflichten nicht der Fall ist.78 Wenn dies als ein zu weit gehender Ausschluss empfunden wird, dann müsste wenigstens die Haftungssumme auf das Beiratshonorar oder ein Vielfaches (maximal das Vierfache entsprechend der Amtszeit) begrenzt werden. „Dies ist sinnvoll, um einen kraftvoll mitwirkenden Beirat zu schaffen und kein Gremium von unter ständiger Haftungsangst leidenden »Reichsbedenkenträgern«„79. Wenn diese Begrenzung nicht vorgesehen sein sollte, muss jeder vernünftige Mensch ein entsprechendes Mandat ablehnen.
3.8
Die Machtbasis eines Beirats
Die Zuordnung der Macht Was ist die Macht eines Gremiums, dessen Zuständigkeiten von den Gesellschaftern festgelegt wurden und dessen Bestand und Zuständigkeiten davon abhängen, dass die Gesellschafter das Gremium nicht wieder abschaffen oder seine Zuständigkeiten ändern? Macht für einen Beirat bedeutet, dass wohlüberlegte Willensäußerungen dieses Gremiums von allen Adressaten – seien es die Geschäftsführung oder die Gesellschafter – beachtet werden. Macht bedeutet dann auch, dass dieser Einfluss erhalten bleibt und das Gremium nicht einfach wieder abgeschafft werden kann. 77 78
79
Vgl. Huber, H. (2004): S. 168 mit weiteren Nachweisen. Vgl. Ries, G./Peiniger, G. (2007): S. 46; Zöllner, W./Noack, U. (2006): § 43 Rn. 5. Wälzholz, E. (2005): S. 406.
3.8 Die Machtbasis eines Beirats
63
Die Macht des Gremiums ist regelmäßig in dem Einfluss des Vorsitzenden personifiziert. Von diesem Regelfall wird hier grundsätzlich ausgegangen. Dieses Verständnis ist grundlegend für die Sicht des Beirats als Führungsorgan.80 Von abweichenden Fällen ist bei der Erörterung der Rolle des Vorsitzenden des Beirats zu sprechen.81 In dem System Familienunternehmen ist die Macht auf die drei Ebenen von Gesellschafter
Beirat
Geschäftsführung verteilt. Diese drei Ebenen bilden ein System von kommunizierenden Bereichen. Die Machtposition, die eine dieser Ebenen wahrnimmt, kann nicht zugleich von einer anderen Ebene wahrgenommen werden. Wenn der oder die Gesellschafter allmächtig sind, können weder Beirat noch Geschäftsführung dies ebenfalls sein. Ebenso gilt, dass ein Machtvakuum auf der Ebene des Beirats durch einen Zuwachs an Macht auf einer der anderen Ebenen ausgefüllt werden muss. Geschieht dies nicht oder oszilliert die Zuordnung der Macht von Anlass zu Anlass zwischen den Ebenen, dann wird das Führungssystem instabil; die Entwicklung des Unternehmens leidet unter den Schwächen der Führungsstruktur. Die inhaltliche Basis der Macht eines Beirats kann verschiedene Quellen haben, die sich natürlich wechselseitig verstärken können: • Das wichtigste Fundament ist das Vertrauen der Gesellschafter. • Sodann sind die Rechte und somit die Macht in den Statuten festgelegt. • Jenseits der Satzungsbestimmungen und der Geschäftsordnung bildet die Praxis in der Vergangenheit, die Tradition der Beiratsarbeit, eine starke Prägung für den Einfluss des Gremiums.
80 81
Vgl. Kapitel 5.6. Vgl. Kapitel 13.
64
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
• Gegenüber der Geschäftsführung ist die stärkste Machtbasis die gegebenenfalls dem Beirat übertragene Funktion des Dienstherrn der Geschäftsführung. • Das Verfügen über Genehmigungsrechte wird weiter als eine Basis der Macht des Beirats gesehen. • Schließlich wird idealerweise der Einfluss – und das bedeutet letztlich die Macht – durch die persönlichen Qualifikationen der Beiratsmitglieder gewonnen, die sowohl der Geschäftsführung als auch den Gesellschaftern Respekt abverlangen und diesen genießen. Zu diesen Qualifikationen zählen: o Persönlichkeit, Charisma, Stil, o Expertenwissen, o als wegweisend anerkannte Werte und Überzeugungen. Der Einfluss aufgrund des Vertrauens der Gesellschafter Die wichtigste und fundamentale Machtbasis des Beirats ist das Vertrauen der Gesellschafter. Dieses Vertrauen richtet sich auf zwei Interessen, in die das Gesamtinteresse der Gesellschafter des Familienunternehmens aufgegliedert werden kann: • Vertretung der Interessen der Gesellschafter in dem System der Unternehmensorgane (Interessenkompetenz des Beirats). • Kompetenz, durch deren Interaktion mit der Geschäftsführung diese im Sinne einer nachhaltigen positiven Entwicklung bestärkt wird (Sachkompetenz des Beirats). Von diesen zwei Vertrauenselementen können vielleicht beim zweiten Kriterium Kompromisse eingegangen werden, wenn bereits die Geschäftsführung selbst für ausreichend kompetent gehalten wird. Beim ersten Kriterium werden aber keine Kompromisse möglich sein. Bei der Bestellung eines Beirats dürfte aber nur das Vertrauen der Gesellschafter in die Sachkompetenz des Beirats hinreichend begründbar sein. Das Vertrauen in die Loyalität des Beirats gegenüber den Gesellschaftern als Vertretungsorgan ihrer Interessen wird sich dagegen erst im Laufe der Zeit bilden können. Vertrauen der Gesellschafter bedeutet, dass sich eine hinreichende Mehrheit der Gesellschafter zu diesem Vertrauen bekennen kann oder doch zumindest keine gegenteilige Meinung entwickelt. Hegt ein wesentlicher Gesellschafter ein krasses Misstrauen gegen ein einzelnes Beiratsmitglied,
3.8 Die Machtbasis eines Beirats
65
dann wird wohl im Interesse des Zusammenhalts zwischen den Gesellschaftern auf die Wiederbestellung des jeweiligen Beiratsmitglieds verzichtet werden müssen. (Das Gleiche gilt natürlich bezüglich des Vertrauens in die Geschäftsführung.) Die Macht der Gesellschafter liegt darin, die Wiederbestellung eines Beiratsmitglieds zu verweigern. Damit wird aber – sofern dies nicht gerade den Vorsitzenden des Beirats selbst betrifft – die Besetzung des Beirats normalerweise nur graduell verändert. In einem kleinen Gremium, in dem auch die Gesellschafter vertreten sind, kann allerdings bereits eine einzelne Besetzung den Charakter des ganzen Gremiums verändern. Die Gesellschafter haben aber auch die Macht, die Grundlagen der Beiratsarbeit überhaupt zu verändern, indem sie die Satzung beziehungsweise die schuldrechtliche Vereinbarung ändern. Hierfür sind allerdings die erwähnten Mehrheiten erforderlich. Wenn wir in der MehrgenerationenFamiliengesellschaft keinen dominierenden Mehrheitsgesellschafter mehr haben, ist es wiederum unwahrscheinlich, dass eine Tradition einer guten und wirksamen Beiratsarbeit von der Mehrheit der Gesellschafter verändert wird, wenn einzelne Gesellschafter dagegen opponieren. Zudem wäre die Wirkung einer solchen Absetzung eines Beirats auf die Finanzwelt und näher stehende Geschäftspartner zu bedenken. Man wird den Schritt einer Abschaffung eines seit längerer Zeit bestehenden Beirats nicht leichtfertig erwägen. Kurzum: „Im ersten Schritte ist man frei“, nämlich einen Beirat zu begründen. Das bedeutet aber nicht, dass man ihn auch so ohne weiteres wieder abschaffen kann. Meine These ist: Ein bereits längere Zeit bestehender Beirat wird nicht mehr abgeschafft – seine Zuständigkeiten und sein tatsächlicher Einfluss können allerdings über die Zeit hinweg verändert werden. Es gibt durchaus Regelungskonzepte, die darauf zielen, die Macht des Beirats dadurch zu stärken, dass auch die Bestellung von Beiratsmitgliedern nicht von der Zustimmung der Familiengesellschafter abhängt. Ein Kooptationsrecht des Beirats für seine neuen Mitglieder ist eine solche Regelung. Einer Stiftung kann das Recht übertragen sein, die Beiratsmitglieder zu benennen. Eine einzigartige Struktur findet sich bei der Robert Bosch GmbH. All dies sind für mittelständische Unternehmen relativ seltene Fallkonstellationen. Es ist nicht anzuraten, sich an solche komplexen Konstellationen bei der Gründung eines Beirats heranzuwagen. Letztlich ist es eine sehr weitreichende und tiefgehende Frage, ob es gut ist, das Familienunternehmen in seinem Bestand von der Personengruppe der Familiengesellschafter – im gesetzlich zulässigen Umfang – weitestgehend unabhängig zu machen. Eine nicht-staatliche Organisation wird immer von Personen
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3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
als Trägern abhängig sein. Es gibt wenig denkbare Fälle, in denen ein Unternehmen „sich selbst gehört“. Damit meine ich den Fall, dass die Unternehmensleitung selbst die Besetzung aller Organe maßgeblich beeinflussen kann. Am ehesten kommen dem vermutlich die Unternehmen nahe, die von großen Vereinen getragen werden (ADAC, DEKRA, GfK und andere). Die Gefahr ist groß, dass dann, wenn das Unternehmen sich selbst gehört, eine zufällige Personengruppe oder eine Einzelperson sich des Unternehmens bemächtigt, ohne dass es auffällt. Die Rechte aus der Satzung Die Sicherheit, dass die Willensäußerungen des Beirats von der Geschäftsführung beachtet werden, leitet sich aus den dem Beirat von den Gesellschaftern übertragenen Vollmachten ab. Ob diese Rechte des Beirats in einer schuldrechtlichen Vereinbarung formuliert oder in der Satzung der Gesellschaft verankert sind, macht hinsichtlich des Inhalts der Regelungen für den Beirat keinen Unterschied. Freilich sollte es in jedem Fall eine schriftliche Dokumentation der Zuständigkeiten geben. Dieser Hinweis ist geboten; denn es soll auch Beiräte geben, für die keinerlei schriftliche Dokumentation ihrer Aufgaben und Zuständigkeiten existiert und die gleichwohl wirksam agieren. In der Außenwirkung ist ein Satzungsdokument die weitaus gewichtigere Unterlage. Sie gewinnt ihr Gewicht daraus, dass die Satzungsmehrheit in einem Familienunternehmen zumeist eine qualifizierte Mehrheit der Stimmen der Gesellschafter darstellt, so dass die Veränderung der Grundlagen des Beirats von einer hohen Mehrheit der Gesellschafter abhängt (zum Beispiel 60 oder 75 %). Art und Umfang der Entscheidungen, die der Gesellschafterversammlung vorzulegen sind, brauchen meines Erachtens nicht als gravierende Einschränkung des Einflusses des Beirats gesehen werden, wenn und solange die Geschäftsführung davon auszugehen hat, dass die Beiratssitzung für sie die Dinge abschließend regelt, weil die Gesellschafterversammlung ohnehin den Empfehlungen des Beirats zustimmt. Das ist der Fall, wenn der Beirat das Vertrauen der Gesellschafter hat. Oder von der anderen Seite her argumentiert: Auch wenn alle denkbaren Zuständigkeiten regelmäßig auf den Beirat übertragen werden, sind die Familiengesellschafter im Beirat vertreten: Bei Entscheidungen, die in besonderer Weise die Befindlichkeit der Gesellschafter berühren, wird ein Beiratsvorsitzender um eine vorhergehende Abstimmung mit den Familiengesellschaftern bemüht sein.
3.8 Die Machtbasis eines Beirats
67
Die Macht des Beirats findet ihre Grenze in dem Recht der Gesellschafter, den Beirat wieder aufzulösen. Das Bewusstsein dieser Grenze kann dazu führen, dass die Beiratsmitglieder – in der Art einer vorauseilenden Verzagtheit – ihre Zuständigkeiten nicht in vollem Umfang wahrnehmen. Klaus gewinnt aus seiner Erhebung diesen Eindruck, wobei allerdings anzunehmen ist, dass er vorwiegend Gesellschaften mit einem Alleingesellschafter oder Mehrheitsgesellschafter vor Augen hatte: „Sowohl Unternehmensleitung als auch Beiratsmitglieder gehen in Fällen wie diesem davon aus, dass sich die Gesellschafterversammlung des Beirats jederzeit und relativ umstandslos wieder entledigen könnte; das wirkt auf die Anerkennung und Ausschöpfung der formal übergeordneten Beiratsposition zurück. Beide Seiten wollen in dem geschilderten Bewusstsein etwaige Meinungsverschiedenheiten bei den statutarisch festgehaltenen Beiratsgeschäften nicht auf die Spitze treiben: Die Unternehmensleitung hält dies für im Zweifelsfalle »nicht der Mühe wert«; die Beiräte erachten ihre Position letztlich als »aussichtslos«.“82 Hinzu kommt noch, dass den Beiratsmitgliedern meist gar nicht genau bewusst sein dürfte, welche Zuständigkeiten ihnen übertragen sind und mit welchen Randbedingungen dies erfolgt ist. Oft sind sowohl die Zuständigkeiten als auch die Randbedingungen nur sehr generell formuliert. Hinzu kommt, dass die Kenntnis des Gesellschaftsvertrags bei den Beiratsmitgliedern häufig nicht sehr präzise ist. Die Rechte aufgrund der gelebten Tradition Aber so einfach darf man es sich in den Fragen der gewollten Unternehmensverfassung nicht machen. Es liegt am Beirat, geltend zu machen, dass er angemessene und genau beschriebene Zuständigkeiten benötigt, und darauf zu drängen, dass diese auch schriftlich verankert werden. Wo dies geschieht – ob in der Satzung oder in einer vertraglichen Regelung oder in einem einfachen Gesellschafterbeschluss –, ist vermutlich gar nicht so entscheidend. Es kommt aber darauf an, die Einflusssphäre des Beirats zu verteidigen. Der tatsächliche Einfluss, auch Macht zu nennen, leitet sich weniger aus der schriftlichen Dokumentation als vielmehr aus der gelebten Tradition ab. Wenn in der Vergangenheit de facto der Beirat festgelegt hat, welche Dividende auszuschütten sei, dann geht man davon aus, dass dies auch jetzt und in Zukunft so geschieht. Wenn in der Vergangenheit der CEO vom Beirat gesucht und der Gesellschafterversammlung vorgestellt 82
Klaus, H. (1991): S. 60.
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3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
wurde und diese dann regelmäßig diesem Vorschlag ihre Zustimmung gab, dann wird auch bei der nächsten Besetzung ein solches Vorgehen erwartet. Traditionen werden durch die Praxis gestaltet. Daher ist es wichtig, bei jeder Abweichung von den Traditionen die Präzedenzwirkung für die Zukunft zu bedenken. Dass es einmal einen besonderen Grund für eine Abweichung von der Regel gab, wird vergessen werden. Es bleibt die Aufhebung einer „Regel“. Der Einfluss aufgrund von Genehmigungsrechten Die Genehmigungsvorbehalte eines Aufsichtsgremiums wie des Beirats werden natürlich nicht damit begründet, dass damit eine Einflussbasis für dieses Gremium garantiert werden soll. Die ökonomische Ratio liegt – zumindest offiziell – zuerst einmal darin, dass es sich bei jenen Entscheidungen der Geschäftsleitung, die der Genehmigung durch den Beirat bedürfen, um werterhebliche und/oder riskante Entscheidungen handelt, die einer Beurteilung durch das Gremium bedürfen. Analysiert man jedoch manchen Genehmigungskatalog, so findet man Genehmigungsvorbehalte zu Vorgängen, die beim besten Willen nicht als „strategisch“ angesehen werden können.83 Dadurch, dass die Geschäftsführung in einer hinreichenden Zahl von Vorgängen ihre Initiativen nur mit der Zustimmung des Gremiums verwirklichen kann, wird die Macht des Beirats demonstriert. Der Einfluss aufgrund der persönlichen Qualifikation Ein wichtiger Grund für die Berufung eines Beirats besteht darin, dass die Eigentümer eines Wirtschaftsunternehmens die Persönlichkeitskompetenz und das Expertenwissen der für den Beirat gewonnenen Persönlichkeiten für ihr Unternehmen nutzbar machen wollen. „Persönlichkeitskompetenz“ ist schwer beschreibbar: Man spricht auch von „beeindruckender Persönlichkeit“, „Charisma“ oder „Stil“. Wenn jemand das hat, so ist dies sofort erkennbar und wird allseits hoch geschätzt. Durch Expertenwissen kann der Beirat einen sichtbaren Wertbeitrag liefern. Der Einfluss des Experten resultiert daraus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er aufgrund seiner Erfahrung „Recht“ hat, einfach höher ist. Man braucht nicht nur eine Gegenmeinung, sondern eine überzeugendere Argumentation, um einen Vorschlag im Bereich einer ausgewiesenen Expertise in Frage zu stellen. 83
Vgl. Kapitel 8.
3.8 Die Machtbasis eines Beirats
69
Solche persönlichen Qualifikationen sind die schönste Basis für Einfluss. Eine persönliche Qualifikation kommt – quasi ex definitione – nur einer bestimmten Person zu, nicht aber einem ganzen Gremium. Wir können hier also nur die Fähigkeiten einzelner Beiratsmitglieder erfassen. Besonders wünschenswert sind herausragende Qualifikationen beim Beiratsvorsitzenden. Die Wertschätzung, die dieser Person entgegengebracht wird, kann dann auf das ganze Gremium ausstrahlen. Es können aber auch andere Mitglieder besonderes Gewicht dadurch gewinnen, dass ihnen Respekt wegen ihrer persönlichen Qualifikationen entgegengebracht wird. Wählen die Gesellschafter Persönlichkeiten in den Beirat, die aufgrund ihrer Persönlichkeitskompetenz und ihrer Sachkompetenz hohes Ansehen genießen, so haben diese Personen aufgrund ihres Ansehens auch Macht. In dem Buch von Pentzlin aus den 70er Jahren, das sicherlich bezüglich Corporate Governance der Vorzeit angehört (es war eine Zeit, in der der Unternehmer noch unbefangen das „letzte Wort“ für sich reklamierte), findet sich eine gute Geschichte über die faktische Macht von Beiräten: „Der Bankier und Politiker Robert Pferdmenges, der in mehreren Beiräten und Verwaltungsräten von Familienunternehmen saß, hat auf diese Frage einmal geantwortet: »Ich kann die Familie ja nicht zwingen, das zu tun, was ich für richtig halte – aber ich kann zurücktreten; und dann ist die Frage, ob die Familie es sich erlauben kann, dass der Pferdmenges zurücktritt!« Es gibt so etwas wie einen moralischen Druck.“84 Die Grundlagen eines „starken Beirats“ Ein Beirat kann auch gut funktionieren auf der Grundlage einer Generalklausel oder von wenigen, vagen Aufgabenzuweisungen. Da es aber keinerlei gesetzliche Rahmenvorgaben für den Beirat gibt, sollten die Grundlagen für die Arbeit eines Beirats von vornherein möglichst detailliert geregelt werden. Und wenn man schon Regelungen entwickelt, dann muss man dies sorgfältig machen lassen. Der Jurist, der aber allein dazu in der Lage ist, braucht unbedingt einen Grundlagenbeschluss darüber, welche Intentionen mit dem Beirat verfolgt werden sollen. Hierzu kann die Typologie dienen, die am Ende die Überlegungen dieser Schrift zusammenfasst.85 Hierbei werden für einen „starken“ Beirat typischerweise folgende Gestaltungsmöglichkeiten gewählt:
84 85
Pentzlin, K. (1977): S. 31. Vgl. Kapitel 15.
70
3 Die rechtliche und faktische Basis für das Wirken des Beirats
• Organschaftliche Stellung per Satzung, • Hohes Stimmenquorum für die Änderung der Satzung, • Wahl der Beiratsmitglieder durch die Gesellschafter, • Regelung, dass dann, wenn keine Wahl zustande kommt, o die bisherigen Beiratsmitglieder im Amt bleiben o oder ein Kooptationsrecht für neue Mitglieder beim bisherigen Beirat besteht. • Umfassende Übertragung der Kompetenzen der Gesellschafterversammlung in konkurrierender Kompetenzzuweisung – ausgenommen die gesetzlich nicht übertragbaren Rechte. Ebenso wichtig sind aber auch eine Tradition der Respektierung dieses Gesellschaftsorgans und von Zeit zu Zeit die Vergewisserung darüber, welches seine Aufgaben sein sollen. Dies geschieht in der Selbst-Evaluierung der Beiratsarbeit durch den Beirat und im Gespräch mit den Gesellschaftern.
4
Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
4.1
Die Corporate Governance und die Unternehmensverfassung in der Familiengesellschaft
Das Familienunternehmen als Institution Das heute vorherrschende Paradigma zur Erklärung von wirtschaftlichen und anderen Institutionen ist die neue Institutionenökonomik, deren Theorie vielen Einzelphänomenen zugrunde liegt, die unter ihren eigenen Titeln gesonderte Forschungsfelder wurden. Die Institution wird in diesem Zusammenhang als eine Gesamtheit von formellen und informellen Regeln verstanden, mit denen festgelegt wird, wer Entscheidungen treffen kann, welche Entscheidungen beziehungsweise Handlungen zulässig und welche unzulässig sind, welche Informationen an wen zu liefern sind, welche Belohnungen, darunter auch Entgelte, oder auch Sanktionen mit Handeln und Nichthandeln verbunden sind.86 Mit dem diagnostischen Instrumentarium der Institutionenökonomik werden heute die Funktionsweisen aller Unternehmensformen analysiert. Die Empfehlungen zur Gestaltung des Regelungswerks zielen jedoch auf den Prototypus der modernen Unternehmung, die Börsengesellschaft. Weil es sich um ein erklärungsbedürftiges Thema handelt, lege ich im Folgenden vergleichsweise ausführlich dar, inwiefern sich die Familiengesellschaft von ihrem Gegenpol Börsengesellschaft unterscheidet. Damit wird zwar auch – noch einmal – unterstrichen, warum das Familienunternehmen vitaler ist oder sein kann. Durch das Herausarbeiten der Unterschiede soll aber vor allem vermieden werden, dass falsche Anleihen bei den Strukturen und Prozessen von Börsengesellschaften gemacht werden, um die „Corporate Governance“ bei Familiengesellschaften zu gestalten. Ferner bin ich mit der herrschenden Meinung in der Forschung zur Fami86
Vgl. z. B. Richter, R./Furubotn, E.G. (2003): S. 7 f.
72
4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
lienunternehmung überzeugt, dass die Familienunternehmen sehr spezifische Erfolgsfaktoren, aber auch Gefährdungen haben. Nicht nur die Gestalter der Verfassung eines Familienunternehmens müssen sich dessen bewusst sein. Auch die jeweiligen Mandatsträger müssen diese Besonderheiten bedenken und sich hierüber ein gemeinsames Bild verschaffen, um ihre intendierte Aufgabe „richtig“ zu erfüllen. Eine bewusste Reflektion ist schon deshalb notwendig, da sich die familienexternen Mandatsträger – Geschäftsführer wie Beiräte – in die spezifischen Bedingungen von Familiengesellschaften oft erst einarbeiten müssen. Die Corporate Governance „»Corporate Governance« ist einer der Begriffe, die in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion Karriere gemacht haben, ohne dass jedoch hinreichend klar wäre, was genau damit gemeint ist. Wahrscheinlich ist gerade dies das Erfolgsgeheimnis.“87 In der klassischen Interpretation aus angloamerikanischer Sicht ist Corporate Governance ein System von Regelungen, das die Interessen der Kapitalgeber – von Eigen- wie auch Fremdkapital – gegenüber der Unternehmung als Kapitalnehmer durchsetzen will. Die Trennung von Eigenkapitalgeber (Prinzipal) und Manager (Agent) ist ein Unterfall. Governance ist heute ein Begriff im Sprachgebrauch jedes Managers. Der Praktiker assoziiert mit dem Begriff ganz generell Aufsichtsfragen, Berichterstattung, gesetzliche Pflichten, aber auch moralische Pflichten oder diejenigen Pflichten, die Non-Government-Organisationen als moralische Pflichten einfordern. Corporate Governance im weiteren Sinne
Opportunistisches Handeln vermeiden
Richtiges Handeln im Interesse der Organisation befördern
Fehler vermeiden
Abb. 2. Ziele der Corporate Governance 87
Gerum, E. (2007): S. 5.
Nützliches befördern
4.1 Die Corporate Governance und die Unternehmensverfassung
73
Mit der Begriffsbestimmung von Corporate Governance möchte ich mich nicht lange aufhalten. Die Praxis interessiert dies meist nicht und, soweit man Begriffe braucht, erscheint es mir zweckmäßig, immer tendenziell eine weitere Fassung zu verwenden. Wird für Corporate Governance eine zweite Begriffsbestimmung gewählt, so nähert sie sich dem – ebenfalls weit gefassten – Begriff der Unternehmensverfassung stark an.88 Bei „engen“ Begriffsfassungen braucht man immer mehrere Begriffe für das gleiche – breite – Phänomen. Die Unternehmensverfassung als umhüllender Begriff Im deutschsprachigen Raum ist zeitgleich mit der Einführung des Terminus „Corporate Governance“ das Konzept der „Unternehmensverfassung“ entwickelt worden. Dieses Konzept geht weiter. Es umfasst aber auch die Corporate Governance. Es bedeutet – so grundlegend K. Bleicher – die „Schaffung einer gewollten Ordnung, in der die Zuständigkeitsbereiche einzelner und das Zusammenwirken aller festen Regelungen unterworfen werden soll“89. Mit dem Begriff der „Spitzenverfassung“90 werden alle Institutionen der Unternehmensspitze erfasst. Merkmale der Unternehmensverfassung sind vor allem: • Geltendmachung der Verfügungsrechte, • Verteilung der Zuständigkeit und Macht auf die Organe, • Beschränkungen der Entscheidungsbefugnisse, • Normen für das Handeln der Organe, • Wege der Entscheidungsfindung (kollegial, präsidial, föderativ), • Instrumente zur Lösung von Konflikten zwischen den Mitgliedern eines Organs (Kollegial- oder Präsidialprinzip) und zwischen den Hierarchien der Organe (Gesellschafter, Beirat, Geschäftsführung), • Regelungen zur Sicherstellung und Überwachung der Einhaltung von Normen, • Sanktionen bei Normverstößen. Die formale Verfassung ist in Satzungen, Geschäftsordnungen, Leitlinien und anderen maßgeblichen Dokumenten niedergelegt, die mit einem gewis88 89 90
So Hausch, K.T. (2004): S. 149 ff. Bleicher, K. (1994): S. 291. Derselbe: S. 296.
74
4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
sen dauerhaften Geltungsanspruch versehen sind. Ihr steht die Verfassungswirklichkeit gegenüber, die gerade in Familienunternehmen deutlich von der formalen Verfassung abweichen kann. Die Abweichung kann sich nicht nur – wie bei der Börsengesellschaft gerne vermutet wird – daraus ergeben, dass sich die Geschäftsführer nicht an die Formalien halten. Bei der Familiengesellschaft kann die tatsächliche Macht bei einer Person, zum Beispiel einem Gesellschafter oder dessen Vertrauten, zentralisiert sein, dessen Rolle überhaupt nicht oder nur mit anderen, begrenzten Funktionen in den formalen Organstrukturen verankert ist. Auch ist die Informalität, die für das Privatleben charakteristisch ist, eine Einflussgröße, die bei Familienunternehmen die Verfassungswirklichkeit abweichend von der formalen Fassung prägen kann. Die Verfassung regelt auch, wie die Unternehmensziele in der Organisation und für die Organisation entwickelt werden und welche Grenzen und Randbedingungen für das Handeln der Organe und der Organisation insgesamt zu beachten sind. Durch die Regelungen zur Überwachung der Willensbildung und der Aktionen der Organisation: • soll die Verfolgung der Ziele sichergestellt werden, • sollen Fehlentscheidungen verhindert oder wenigstens deren Folgen gemildert werden, • sollen Schadenseinflüsse von außen verhindert oder zumindest deren Folgen gemildert werden. Die Tendenz, Beiräte den Aufsichtsräten anzugleichen Einer der gedanklichen Ansätze zur Übertragung einer guten Praxis von Corporate Governance auf die Familienunternehmung besteht darin, die Verfassung bei diesem Typus von Gesellschaften, einschließlich der Regelungen für die Unternehmensleitung und des ihr übergeordneten Aufsichtsorgans, möglichst nahe an den anderen Typus von Gesellschaften, nämlich der Kapitalgesellschaften mit Zugang zur Börse, heranzuführen. Der Beirat wird so als Annäherung an einen Aufsichtsrat oder als Surrogat für diese Institution verstanden. Dies wird erstens damit begründet, dass eine Unternehmensführung generell der Kontrolle bedürfe und der Gesetzgeber zunehmend Normen für die Präzisierung der Verantwortung und die Steigerung der Leistungsfähigkeit von Aufsichtsräten bei börsennotierten Gesellschaften erlasse.91 Es wird weiter dargelegt, dass die theoretischen 91
Vgl. Wälzholz, E. (2005): S. 390; Hennerkes/Binz/May (1987): S. 474.
4.1 Die Corporate Governance und die Unternehmensverfassung
75
und praktischen Grundlagen für das wirksame Arbeiten eines Aufsichtsrats in einem höheren Maße als früher und in einem höheren Maße als bei anderen Aufsichtsgremien – wie eben unserem Beirat – in der Forschung untersucht worden sind. Die Wissenschaft wendet sich seit Dekaden intensiv der Institution des Aufsichtsrats zu, um einen Beitrag zur Verbesserung der Corporate Governance zu leisten, ja es wird sogar von einem Sujet der „Aufsichtsratsforschung“ gesprochen. Auf der Basis dieser Forschungsarbeit kann man nun argumentieren, dass sich die Gestaltung eines Beirats an der Institution des Aufsichtsrats orientieren sollte. „Selbstverständlich wird nicht vorgeschlagen, nun einfach undifferenziert jede Familiengesellschaft wie eine Aktiengesellschaft zu organisieren. Auf der anderen Seite steckt in den aktienrechtlichen Regeln so viel gewonnene Erfahrung – auch solche aus der Pathologie des unternehmerischen Geschehens, dass sie allemal besser sind als das, was der leidgeprüfte Praktiker – mit eyes wide shut – an Steuerberaterverträgen oder Verträgen, die schon wegen ihrer Kompliziertheit gänzlich unpraktikabel sind, jahraus, jahrein zu sehen bekommt.“92 Es liegt nahe zu fragen, ob die Institution des Beirats nicht von dieser Forschung, von diesen gesetzlichen Regelungen, diesen Usancen beeinflusst wird und davon profitieren kann. Eine gewisse Beeinflussung ist sogar unvermeidlich, weil Beiratsmitglieder häufig auch in anderen Gesellschaften Aufsichtsratsmandate haben und in dieser Funktion durch Theorie und Praxis der Arbeit eines Aufsichtsrats geprägt sind. Und schließlich sollte – zumindest für die größeren Familiengesellschaften – bedacht werden, dass diese über die Aufnahme von Fremdkapital am Kapitalmarkt zu einem „kapitalmarktorientierten“ Unternehmen werden können, für die die Normen der Corporate Governance „Ausstrahlungswirkung“ entfalten.93 Protagonisten der Übertragung des Corporate-Governance-Konzepts auf Familienunternehmen decken unter dieser Überschrift alle Aspekte der Beiratsarbeit ab: von der Risikofrüherkennung, der Schadensabwehr und der Verbesserung der Unternehmensführung durch Beratung bis hin zur Schlichterfunktion bei Gesellschafterkonflikten.94 In der Tat ist es auch mein Anliegen, durch gute Verfassungsregelungen für einen Beirat zumindest einige der möglichen Fehlentwicklungen zu vermeiden, die den Bestand des jeweiligen Unternehmens gefährden. Dieses Ziel hat durchaus volkswirtschaftliche Bedeutung. Ich konzentriere mich hier allerdings nur auf den Beirat und nicht auf das gesamte Instrumentarium der Corporate Gover92 93 94
Peltzer, M. (2000): S. 99. Vgl. Kamm, W. (1998): S. 54. So Iliou, C.D. (2004): S. 21 ff.
76
4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
nance, zu der auch die durch internationale Rechnungslegungs- und Berichtsvorschriften sehr weit getriebene Transparenz des wirtschaftlichen Erfolgs gehört, womit das Familienunternehmen in der Regel nichts im Sinne hat. Auf der anderen Seite sind die umfangreichen, für die Publikumsgesellschaften erforderlichen Regelungswerke für das Managerverhalten, für die Berichterstattung und für die Entlohnung der Führungskräfte dem mittelständischen Unternehmer ein Gräuel. Quartalsberichte und ganze „Bücher“ als Erläuterungen zur Bilanz und zur Gewinn- und Verlustrechnung sind für ihn Absurditäten. Die „Verrechtlichung“ der Führung führt aus seiner Sicht zu Bürokratie und Misstrauenskultur statt zu einer vitalen Unternehmensentwicklung. Und natürlich wundert sich der Mittelständler, dass die theoriegerechten Entlohnungskonzepte für Manager, die ein eigensüchtiges Verhalten begrenzen sollten, paradoxerweise dazu führten, dass sich Manager heute entsprechend ihrem Anstellungsvertrag mit Entgeltsummen „bereichern“ können, die früher undenkbar gewesen wären und selbst bei ungesetzlichem, „opportunistischem“ Verhalten, zum Beispiel mit fortgesetzten Unterschlagungen, auch nicht annähernd erreichbar gewesen wären. Ja, es hat den Anschein, dass der mögliche, latente Konflikt zwischen Prinzipal und Agent nun in jedem Fall und nachhaltig zugunsten des Agenten entschieden wurde.95 So gesehen hält der mittelständische Unternehmer die Regelungen der Börsenwelt für einen Unfug, von dem befreit zu sein er sich täglich glücklich schätzt. Meines Erachtens bestehen so viele grundsätzliche Unterschiede zwischen Publikums-, Börsen- und Familiengesellschaft, dass ein Aufsichtsgremium in einer Familiengesellschaft keinesfalls nur als eine Variation eines Aufsichtsrats der Börsengesellschaft gedacht werden kann. Dies möchte ich nachfolgend weiter ausführen. Der Aufsichtsrat als Vertreter des wechselnden Gesellschafters Die moderne Kontrolltheorie der Unternehmen ist im angloamerikanischen Raum entwickelt worden. Dieser Wirtschaftsraum ist weit stärker als etwa Deutschland durch die börsennotierte Aktiengesellschaft mit breitem Streubesitz geprägt. In den 70er Jahren gab es in Deutschland ja noch die Deutschland AG. Inzwischen haben sich aber die Kapitalmarktstrukturen im angloamerikanischen Raum und in Europa weitgehend angeglichen. In der modernen Publikumsgesellschaft ist der Aktionär ein fernes, unbekanntes und ständig wechselndes Wesen. 95
So Bernhardt, W. (2004): S. 402.
4.1 Die Corporate Governance und die Unternehmensverfassung
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Die Aktionäre des Streubesitzes können keinen wirksamen Einfluss auf das Management ausüben. Sie wollen dies auch gar nicht. Die wenigen Aktionäre, die auf einer Hauptversammlung sprechen, sind nur die Inszenierung eines Kontaktes zwischen den Aktionären und der Gesellschaft. Die Masse der Aktionäre wird vertreten durch Banken oder durch Investmentfonds. Allzu viele Aktionäre lassen sich nicht einmal mehr vertreten, mit dem Ergebnis, dass die Präsenz auf den Hauptversammlungen so weit absinkt, dass problematische Zufallsmehrheiten zustande kommen. In den USA ist die Hauptversammlung konsequenterweise eine kurze Veranstaltung von Vertretern der Aktionärsstimmrechte. Debatten finden hier nicht statt. Die relevanten Informationen werden „dem Kapitalmarkt“ über die Analystengespräche usw. mitgeteilt. Der Aktionär drückt seine Zustimmung oder Ablehnung durch Kauf beziehungsweise Verkauf von Aktien aus. Damit hat sich schließlich ein Markt für Unternehmenskontrolle entwickelt. Die Unternehmensleitung, die die Signale des Kapitalmarkts nicht beachtet, wird ihr Unternehmen unterbewertet finden. Damit ist es reif für ein Übernahmeangebot. Der Übernehmer setzt das Management entweder sofort vor die Tür oder weiß durch direkte Einflussnahme zu verdeutlichen, dass es nicht viel Zeit hat, unter Beweis zu stellen, dass es den Cash-FlowAnforderungen des Kapitalmarkts genügt. Die Vorstufe zu einer kompletten Übernahme eines Unternehmers ist der Auftritt eines Hedge-Fonds, der eine größere Aktienposition erwirbt, seinen Vertreter in den Aufsichtsrat einziehen lässt und dort vehement seine Interessen geltend macht. Auch diese Investoren sind sehr präsente Gesellschafter, sie bleiben aber nicht auf Dauer engagiert. In der Familiengesellschaft hingegen macht der Gesellschafter seinen Einfluss geltend, um sein Engagement auf Dauer abzusichern. Die verschärfte Prinzipal-Agent-Problematik des Familiengesellschafters Wenn wir nun den Familiengesellschafter mit dem Publikumsaktionär vergleichen, sehen wir, dass er als Prinzipal in einer viel prekäreren Lage ist als der Börseninvestor. Im Unterschied zum Aktionär kann er seine Beteiligung regelmäßig nicht oder nur zu ungünstigen Bedingungen kündigen. Er kann den Umfang seines Investments nicht verändern oder nur unter Inkaufnahme eines beträchtlichen Konflikts. Erstens steht er unter der moralischen Verpflichtung, dieses Vermögen für die nächste Generation zu bewahren. Aber selbst dann, wenn er sich darüber hinwegsetzen könnte, müsste er zweitens mit einer Abwertung seiner Vermögensposition rechnen,
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
weil die gesellschaftlichen Abfindungsregeln in der Familiengesellschaft regelmäßig niedrige Werte vorsehen. Die Beteiligung an einem Familienunternehmen stellt für die meisten Gesellschafter den weitaus überwiegenden Teil ihres gesamten Vermögens dar. Dies ergibt sich fast zwangsläufig daraus, dass ein erfolgreiches Familienunternehmen seinen Cash-Flow für die Entwicklung des Unternehmens braucht und daher nur ein vergleichsweise geringer Anteil des Gewinnes ausgeschüttet wird.96 Wenn also der Familiengesellschafter ein Corporate-Governance-Problem hat, dann steht ihm nicht die im Kapitalmarkt selbstverständliche Kontrollstrategie „Exit“ offen, sondern nur die Artikulierung seiner Wünsche und gegebenenfalls der Widerspruch zu den Maßnahmen der Geschäftsführung.97 Die erwähnte Konzentration des Vermögens in einem Unternehmen widerspricht allen Grundsätzen der modernen Theorie für die optimale Vermögensanlage. Um diese Konzentration rechtfertigen zu können, müssen Regeln beachtet werden, die das individuelle Risiko wenigstens zu dämpfen vermögen. Der Gesellschafter eines Familienunternehmens muss daher dafür Sorge tragen, dass die Gefährdung seines Vermögens reduziert wird. Er ist aber selbst in der Regel mangels Erfahrung nicht dazu in der Lage, sich zu vergewissern, dass eine solche Gefährdung nicht besteht. Der Familiengesellschafter hat also das Prinzipal-Agent-Problem in einer noch wesentlich stärker ausgeprägten Form als ein normaler Aktionär. Der Mehrheitsgesellschafter nimmt durch seine Eigentümerstellung die Position des Unternehmers ein. Dadurch, dass er das Risiko der Unternehmung trägt, muss er die wesentlichen Entscheidungen, die den Erfolg dieses Unternehmens bestimmen, mittragen und dies geht nur, wenn er in den Entscheidungsprozess angemessen einbezogen ist. Er muss sich in besonderer Weise absichern, dass seine einzige wesentliche Anlage in besten Händen ist, ohne im Allgemeinen hierfür in besonderer Weise qualifiziert zu sein. Er hat in dieser Konstellation nur zwei Reaktionsmöglichkeiten: • Er entwickelt ein extremes Misstrauen und dementsprechende Überwachungsmechanismen gegenüber Beirat und Geschäftsführung. • Er entwickelt ein besonders tragfähiges Vertrauen zu seiner Unternehmensführung und gibt ihr Entscheidungsregeln und Anreize, die die Deformierungen der Börsengesellschaften vermeiden und seinen Interessen entsprechen. 96 97
Vgl. Kormann, H. (2005): S. 62. Zu diesen grundsätzlichen Strategien vgl. Hirschmann, A.O. (1970).
4.1 Die Corporate Governance und die Unternehmensverfassung
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Diese Alternativen sind auch die Pole für die Gestaltung der Unternehmensverfassung: die Suche nach Sicherheit durch „Vertrauen“ in die Verfügungsberechtigten oder durch deren sehr enge Überwachung und die Beschränkung ihrer Verfügungsbefugnisse. Der Corporate-Governance-Kodex für den Mittelstand Nun gibt es eine Bewegung, die die Relevanz der Logik der Corporate Governance auch für die mittelständische Unternehmung nachweist und eine entsprechende Ordnung im „gut geführten“ Familienunternehmen einfordert.98 In Nachfolge zum Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) wurde von einer hochrangigen Kommission ein entsprechender Kodex für Familienunternehmen geschaffen.99 Dies ist nicht unumstritten.100 Die Skeptiker vermuten, dass Regelungen und Mittelstand eben nicht verträglich sind. Sicherlich kann der Alleineigentümer und geschäftsführende Gesellschafter, bei dem keine Trennung von Eigentum und Leitungsfunktion vorliegt, nicht gezwungen werden, sich einer ordentlichen Aufsicht zu unterstellen. Er würde möglicherweise gut daran tun. Aber ohne seine innere Überzeugung wäre dies nur eine Pseudoveranstaltung. Der Kodex richtet sich dementsprechend in erster Linie an mittelgroße und große Familienunternehmen mit mehreren Gesellschaftern (Präambel). Aus den Vorschlägen im Einzelnen ergibt sich, dass als typischer Fall vornehmlich eine Führungskonstellation mit einem oder mehreren Gesellschaftern in der Geschäftsführung in den Blick gefasst wurde. Allein die Überschriften des Kodex zeigen, dass die Aufgaben der Corporate Governance im Familienunternehmen weit über die in der Börsengesellschaft vorherrschenden Inhalte der Aufsicht über den Vorstand hinausgehen: • Bekenntnis zu verantwortungsvollem Unternehmertum, • Transparenz der Unternehmensstrukturen, • Sicherung einer qualifizierten Führung und Führungsnachfolge, • Sicherung einer qualifizierten Kontrolle der Unternehmensführung, • Mitwirkungsrechte der Gesellschafter,
98 99 100
Vgl. Hausch, K.T. (2004); Iliou, C.D. (2004). Siehe Kommission Governance Kodex für Familienunternehmen (2006). Vgl. Bernhardt, W. (2003): S. I; Hennerkes, B.-H. (2004): S. 33.
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
• Rechnungslegung, Gewinnverwendung, • Maßnahmen zum Erhalt des Unternehmens, • Family Governance als unverzichtbare Ergänzung zur Corporate Governance im Familienunternehmen. Unter dem Blickwinkel unserer Thematik finden wir in dem Kodex bestätigt: • das Konzept eines „starken“ Beirats (Art. 4, insbesondere 4.3), • das Verständnis des Beirats als Organ der Gesamtheit der Gesellschafter (Art. 4.2.6, Art. 4.4.2), • die Maxime der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Beirat und Geschäftsführung (Art. 4.4). Der Beirat einer Familiengesellschaft kann und sollte auf andere, zusätzliche und wertsteigernde Funktionen ausgelegt sein, als sie der Aufsichtsrat in einer Publikumsgesellschaft erfüllen muss. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich aus der im Vergleich mit einem Aktionär besonderen und schwierigen Lage eines Gesellschafters in einer Familiengesellschaft. Die Möglichkeit hierzu ergibt sich aus den Gestaltungsfreiheiten der Gesellschafter. Es handelt sich dabei aber nur um ein Potenzial, das durch eigene Gestaltungsmaßnahmen erschlossen werden muss, und nicht um eine gleichsam vom Gesetz vorgeschriebene Funktionserfüllung wie beim Aufsichtsrat. Die besondere Möglichkeit einer umfangreicheren Gestaltung der Unternehmensverfassung sollten die Familiengesellschafter dazu nutzen, um eine bessere Corporate Governance, eine bessere Unternehmensführung, eine bessere Strategie durchzusetzen, als dies typischerweise Börsengesellschaften möglich ist. Natürlich können hier nur vergleichbare Unternehmen verglichen werden – nach Größe, Branchenzugehörigkeit usw. Die Vermutung einer größeren Gestaltungsfreiheit gilt außerdem nur für Beiräte, denen institutionell Einfluss verliehen ist und die ihren Funktionsrahmen ausschöpfen, Die Charakteristik solch „starker“ Beiräte ist weiter unten näher zu erläutern. Das vermutete Bessersein eines Beirats ist sicher nicht darauf zurückzuführen, dass Familiengesellschaften generell Beiräte eines höheren Qualifikationsniveaus gewinnen könnten. Es sind ja bestenfalls die gleichen Personen, die anderenorts die Mandate in Aufsichtsräten wahrnehmen. Dass Beiräte von Familienunternehmen überwiegend eine erfolgreichere Arbeit leisten als die Aufsichtsgremien von Publikumsgesellschaften, könnte meines Erachtens freilich dadurch plausibel erklärt werden, dass:
4.2 Die „Shareholder Governance“ als zusätzliche Aufgabe
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• Fehlfunktionen einer Börsengesellschaft und/oder eines Aufsichtsrats vermieden werden können, • eine effizientere Strategie verfolgt werden kann und tatsächlich entwickelt wird, • der Beirat als das „kleinere“ Gremium durch eine besondere Arbeitsweise die Qualifikation seiner Mitglieder besser nutzbar macht, • die Funktionsfähigkeit dieses Gremiums effektiver kontrolliert wird – hier dann durch die Gesellschafter –, als es bei Publikumsgesellschaften der Fall ist, • eine so wirksame Unternehmensverfassung und eine so enge Beziehung zwischen Gesellschafter und Unternehmensführung bestehen, dass sie Betrug und Vermögensverluste ausschließen.
4.2
Die „Shareholder Governance“ als zusätzliche Aufgabe
Die größte Gefahr für die Fortführung der selbstständigen Existenz eines Unternehmens sowohl als Börsengesellschaft wie auch als Familiengesellschaft ist es, dass die Gesellschafter ihre Gesellschafterbeziehung zu eben diesem Unternehmen auflösen. Bei der Börsengesellschaft geschieht dies durch den Verkauf der Anteile eines einzelnen Aktionärs oder vieler Aktionäre bei der Annahme eines Übernahmeangebots. Bei der Familiengesellschaft erfolgt dies durch Kündigung, Austritt oder Verkauf des Unternehmens.101 Es ist für einen Beirat wichtig, sich dieser Bedrohungen bewusst zu sein, ein Frühwarnsensorium hierfür zu entwickeln und rechtzeitig zu prüfen, was er zur Eindämmung von Gefahren beitragen kann. Das Einvernehmen zwischen Gesellschafter und Familiengesellschaft kann aus verschiedenen Gründen verloren gehen, die ich nachfolgend erörtere: • Verlangen eines Gesellschafters nach Liquidierung der Beteiligung, wofür es folgende typische Ursachen gibt: o Wunsch nach einer anderen, besseren, diversifizierten Vermögensanlage, 101
Eine eindrucksvolle Sammlung der empirischen Zerfallsgründe findet sich bei Redlefsen, M. (2004).
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
o Kündigung wegen unübersehbarer und subjektiv nicht bewältigbarer finanzieller Belastungen, o wirtschaftliche Unattraktivität der Familiengesellschaft. • Nicht-Bewältigung des Generationenübergangs und der Nachfolge in der Unternehmerfunktion innerhalb einer Gesellschafterfamilie, • Konflikte aller Art zwischen den Gesellschaftern, insbesondere Machtansprüche gegen den Willen anderer Gesellschafter. Der Ausstieg zur Verfolgung anderer Vermögensanlagen Nach der Erhebung von Redlefsen ist der häufigste und wichtigste Grund für den Ausstieg von Gesellschaftern aus Familiengesellschaften die „private Vermögensplanung“ eines Gesellschafters. Hierunter können sich sehr unterschiedliche Vorstellungen verbergen: Es kann sein, dass ein Gesellschafter Geld für ein außerwirtschaftliches Vorhaben der Kapitalverwendung benötigt (Aufbau einer Pferdezucht, Stiftung für ein gemeinnütziges Vorhaben). Es kann aber auch sein, dass er ein eigenes Unternehmen begründen möchte und hierfür Geld braucht. Diese Absichten sind in den persönlichen Zielvorstellungen und Motivationen des jeweiligen Individuums begründet. Sie können kaum dadurch beeinflusst werden, dass das Familienunternehmen seine Performance verbessert oder seine Ausschüttungen erhöht. Insofern kann auch ein Beirat wenig helfen, solche ausstiegswilligen Gesellschafter zurückzuhalten. Eine Moderation oder gar Schlichtung wird den jeweiligen Gesellschafter vermutlich nicht von seinen Lebenszielen abbringen. Das Einzige, was hier vielleicht ausstiegswillige Gesellschafter von ihren Absichten abbringen kann, ist, den Ausstieg unmöglich oder wenigstens uninteressant zu machen. Dies ist Sache der juristischen Gestaltung, die allerdings entwickelt werden muss, solange noch alle Gesellschafter beisammen bleiben wollen (Erfordernis hoher Mehrheiten für Satzungsänderungen; Wahl einer Rechtsform, welche die Veräußerung von Gesellschafteranteilen erschwert; ungünstige Abfindungsklauseln). Andererseits sollten Familiengesellschaften erwägen, eine Kategorie leicht kündbaren Kapitals begrenzten Umfangs zu schaffen, damit etwaigem Geldbedarf einzelner Gesellschafter Rechnung getragen werden kann, ohne dass die Frage nach dem Ausstieg aus dem Kreis der Gesellschafter gestellt werden muss.
4.2 Die „Shareholder Governance“ als zusätzliche Aufgabe
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Die Liquidierung der Beteiligung wegen der mit ihr verbundenen Belastungen In der Erhebung von Redlefsen werden unter der Antwortrubrik „private Vermögensplanung“ auch Aspekte wie Liquiditätsbedürfnisse für Erbschaftssteuerzahlungen erfasst. Das Thema Erbschaftssteuer ist bei Familiengesellschaften häufig ein Grund rationaler oder auch sehr diffuser Ängste: Können die Gesellschafter den finanziellen Anforderungen ihres Engagements im Erbfall gerecht werden? Die Erbschaftsteuer ist bisher in Deutschland eine hohe Bürde für den Besitz an Familiengesellschaften gewesen. In manchen Unternehmenskonstellationen können Kapitalerhöhungen erforderlich werden, die sich die meisten Gesellschafter nicht leisten können. Eine landläufige, wenn auch falsche Annahme besteht darin, dass mit dem Wachstum der Zahl der Familienmitglieder das Unternehmen nicht schnell genug wachsen könne, um noch einen sinnvollen Beteiligungswert für den einzelnen Gesellschafter darzustellen. Die Existenz von Familiengesellschaften über mehr als einhundert Jahre mit einem inzwischen sehr großen Gesellschafterkreis, wie bei Haniel oder Freudenberg, sollten Beleg dafür sein, dass es möglich und sinnvoll ist, Familiengesellschaft zu bleiben. Es bleibt festzuhalten, dass die Gesellschafter von Familiengesellschaften ständig Sicherheit darüber haben wollen, ob und wie sie ihre Beteiligung halten und was sie davon erwarten können. Selbst wagemutige, aber unternehmerisch unerfahrene Individuen können mit der Unsicherheit, „was werden wird“, oft nicht umgehen. Hier liegt eine wichtige Leistung, die ein Beirat gegenüber den Gesellschaftern erbringen kann, nämlich in diese Zukunftsängste Rationalität und Struktur einzubringen. Die Vorsorge gegen die wirtschaftliche Unattraktivität der Familiengesellschaft Probleme und Ängste, die in den Persönlichkeiten der Familienmitglieder liegen, sind eine Gefahr. Die andere Gefahr besteht darin, dass das Unternehmen seine Attraktivität für die Familiengesellschafter verliert. Diese Frage stellt sich nicht in der ersten Generation, für die das Unternehmen „das Leben“ ist; meist auch nicht für die zweite Generation, die das Erbe der Eltern hoch hält. Je größer der Generationenabstand zu der – oder zu einer erneuten – Gründerphase ist, je zahlreicher die Gesellschafter sind und je geringer damit ihr einzelner Anteil ist, desto mehr steht das Engagement im Familienunternehmen in Konkurrenz zu anderen Engagements. Es kann dann nicht mehr auf die emotionale Verbindung jedes Gesellschafters
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
mit dem jeweiligen Familienunternehmen gebaut werden. Daher sollte sich der Beirat nicht darauf verlassen, dass immer alle Familiengesellschafter ihre persönlichen Interessen der Unterstützung der Firma unterordnen werden. Das Unternehmen sollte in sich eine wirtschaftlich attraktive Anlage sein. Es ist für die Bindung der Gesellschafter sicherer, ihnen regelmäßig, den Gesellschaftern regelmäßig darüber berichten zu können, dass die Beteiligung an der Gesellschaft eine gute Vermögensanlage ist. Die schwache Performance der Unternehmung Diskussionen um die Unternehmensstrategie oder um die Ausschüttungen haben oft als eigentlichen Hintergrund die Unzufriedenheit mit der Ertragskraft des Unternehmens. Hier sollte das Familienunternehmen eigentlich seine Überlegenheit erweisen. Es gilt aber auch anzusprechen, dass es typische Schwachstellen von Familienunternehmen geben kann, die zu einer ungenügenden Ertragsorientierung führen. Wir lassen hier zunächst außer Acht, dass Marktkonstellationen vorkommen, die ein Familienunternehmen – gleichgültig unter welcher Führung – nicht bewältigen kann. Wenn dem so ist, dann muss dies so früh wie möglich erkannt werden. Eine der strategischen Maximen in sterbenden Märkten ist es, aus dieser Situation die Konsequenzen im Interesse der Rettung der Vermögensposition wie auch der Arbeitsplätze zu ziehen. Eine nahe liegende Konsequenz besteht darin, das Marktsegment zu verlassen und sich in einer zukunftsträchtigen Branche zu engagieren. Bei der Abwägung der möglichen Konsequenzen kann ein Beirat sicherlich eine objektivierende Rolle einnehmen. Unser Interesse gilt hier aber Ertragsschwächen in Märkten und in Marktpositionen, die grundsätzlich gute Erträge zulassen würden, wie sich an den Erträgen von Wettbewerbern ablesen lässt. Die fehlende Ertragsorientierung Das Zurückstehen der Familie hinter der Firma verführt Familien manchmal dazu, vor lauter Bescheidenheit die ökonomischen Erfordernisse einer Unternehmensentwicklung zu vergessen. Es gibt natürlich keine zwingende Logik, dass ein Unternehmen eine Eigenkapitalrendite von 25 % erzielen müsste. Wenn ein Unternehmen weniger verdient, weil es mehr für die Zukunft investieren möchte oder weil es nicht so radikal Arbeitsplätze abbauen will, so liegt dies eben in der prinzipiell begrüßenswerten Freiheit des Familienunternehmens. Das Schwierige ist hierbei nur, dass es schlecht auszumachen ist, wann weniger zu wenig wird. Unternehmen kommen kaum wegen
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zu niedriger Ertragskraft in existenzielle Schwierigkeiten oder gehen gar daran zugrunde. Eher kümmern sie nur so vor sich hin. Es bedarf dann meist noch eines schweren Fehlers oder eines externen Unglücks, damit es zur existenziellen Bedrohung kommt. Allerdings würde auch eine lange Periode schlechter Erträge zu einer schließlich letalen Auszehrung führen. Die Ausbeutung der sozialen Orientierung der Familie Es besteht weithin Konsens darüber, dass Familiengesellschaften ein ausgeprägtes soziales Bewusstsein haben. Hierfür gibt es gute und einsichtige Gründe: Aus der Anfangszeit des Gründerunternehmens besteht eine enge persönliche Beziehung zu den Mitarbeitern, die zugleich Mitkämpfer im Überlebenskampf „Wir gegen den Rest der Welt“ sind. Aus der Verankerung der Unternehmerfamilie am Ort und aus den vielfältigen Kontakten außerhalb des Betriebs erwächst ein Beziehungsgeflecht mit der Bevölkerung. Aus dieser sozialen Konstellation erwächst ein starkes Verantwortungsgefühl für die Mitarbeiter. Die weithin praktizierte und viel zitierte Sozialorientierung der Familienunternehmen führt auch dazu, dass den Arbeitnehmerinteressen in mancher Familiengesellschaft größeres Gewicht eingeräumt wird als in Börsengesellschaften. Ein weiterer Grund für die stärkere Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen liegt darin, dass bei der Familienunternehmung die externe Kontrolle durch den Kapitalmarkt fehlt. Mit dem Kapitalmarkt kann ja auch ein Gewerkschaftsvertreter nicht diskutieren. Dadurch, dass es in der Gestalt der Familiengesellschafter überhaupt einen Adressaten für ein Gespräch gibt, können die Vertreter des Arbeitnehmerinteresses zu einer eingeübten Rhetorik greifen. Das soziale Gewissen des Eigentümers wird in Anspruch genommen, ja wird zum Faustpfand, um die Interessen der Belegschaft zu vertreten. Bei einer vergleichbaren Debatte im Aufsichtsrat einer Börsengesellschaft haben die professionellen Vertreter der Kapitalinteressen qua Rhetorik und Erfahrung allemal die Fähigkeit, den Gang der Diskussion zu bestimmen. Notfalls zieht immer das Argument, dass die Geschäftsführung (mit Personalabbau u. ä.) die Aufgabe des Vorstands sei und ihm der Aufsichtsrat hierbei schon aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht hineinzureden habe. Die Familiengesellschafter in einem mitbestimmten Aufsichtsrat sind der Interessenvertretung der Arbeitnehmervertreter eher „ungeschützt“ ausgesetzt. Sie können ja tatsächlich daran erinnert werden, dass es in ihrer Macht steht, die Initiativen der Geschäftsführung durch den Einsatz ihres Weisungsrechts als Gesellschafter zu unterbinden. (Dies ist eine Konsequenz, derer sich die Gesellschafter und ihre
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
Berater, wenn sie das Weisungsrecht „hochhalten“, selten bewusst sind.) Außerdem fehlt den Familiengesellschaften naturgemäß die Routine, das nur von den Interessen ihrer Klientel bestimmte Ansinnen der Arbeitnehmervertreter abzuwehren. Professionelle Aufsichtsratsmitglieder machen dies hingegen einige Male im Jahr erfolgreich in verschiedenen Aufsichtsräten.102 Die Vermischung von Ergebniserzielung und Ertragsverwendung Problematischer als die „soziale Ader“ der Gesellschafter wäre es für das Unternehmen, wenn die Gesellschafter es als Finanzier ihrer persönlichen Anliegen sähen. Hierzu gehört auch die Instrumentalisierung der Unternehmung für wohltätige Zwecke. Natürlich sind wohltätige Anliegen an sich ehrenwert. Das Problem in diesem Fall ist jedoch, dass die Verwendung von Erträgen vermischt wird mit der Erzielung von Erträgen. Da die Ertragserzielung aber die Voraussetzung für die Ertragsverwendung ist, haben die Aspekte der Ertragsverwendung in der Institution der Ertragserzielung nichts zu suchen. Es würde zu einer Desorientierung der Mitarbeiter führen, wenn sie nicht mehr für die Ertragserzielung kämpften, weil sie irrigerweise das gesamte Unternehmen als wohltätige Veranstaltung begreifen würden. Schwinden des Interesses der Gesellschafter an ihrem Miteigentum bei fehlendem Wachstum Schlechte Erträge und Desorientierung der Mitarbeiter durch Ausbeutung des Unternehmens für soziale Belange müssen nicht notwendigerweise dazu führen, dass die Familie ihre Loyalität zu dem Unternehmen aufgibt. Wenn aber über die Jahrzehnte und die Generationen hinweg das Unternehmen nicht mit der Zahl der Gesellschafter wächst, wird in dem Mehrgenerationenunternehmen mit vielen Gesellschaftern der Anteil des Einzelnen an dem Vermögen und den Erträgen des Unternehmens so gering, dass das Eigentum schlicht belanglos wird. Diese Erscheinung ist – wohlgemerkt – nicht zu verwechseln mit der Frage, ob die Lebensdauer eines Familienunternehmens nicht dadurch begrenzt ist, dass bei einer über die Generationen wachsenden Anzahl der Familienmitglieder irgendwann der 102
Diese interessante Beobachtung verdankt der Verfasser einem Kollegen, der durch die Erfahrung in einer großen Börsengesellschaft wie auch in einer bedeutenden Familiengesellschaft ausgewiesen ist.
4.2 Die „Shareholder Governance“ als zusätzliche Aufgabe
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Anteil des einzelnen Gesellschafters sinnlos klein sein würde. Für ein gesundes, erfolgreiches Unternehmen ist es durchaus möglich, in Umsätzen und Erträgen schneller zu wachsen, als es der Familie möglich ist. Bei den heute wirklich großen Familiengesellschaften kann man ohne weiteres feststellen, dass ein heutiger Kleingesellschafter dieser Gesellschaften einen höheren Vermögenswert besitzt als sein Urgroßvater. Wenn aber ein Unternehmen in der vierten Generation mit zwanzig Gesellschaftern etwa 50 Mio. EUR Umsatz macht und nur 1 Mio. EUR Jahresüberschuss erzielt, von denen 40 % ausgeschüttet werden, dann ist dies für die 20 Gesellschafter nicht so viel, dass es in ihrem Lebensentwurf eine überragende Rolle spielen würde. Das sind dann die Konstellationen, in denen einige Gesellschafter feststellen, dass die Dividende nicht so entscheidend ist, dass es aber durchaus werterheblich wäre, wenn die Gesellschaft verkauft und der Gegenwert in hochrentierliche Anlagen investiert würde. Die Vorsorge gegen das Misslingen des Generationenübergangs Die größten Gefahren für ein Familienunternehmen sind mit dem Generationenübergang verbunden. Hier treten zwei Probleme auf: • die Finanzierung des Generationenübergangs (Erbschaftssteuer, erbersetzende Ausgleichszahlungen) und • die Lösung der Nachfolge in der Leitung. Die Lösung der einschlägigen finanziellen Probleme kann – zumindest theoretisch – rational und rechtzeitig geplant werden. In der Praxis werden hier aber oft unglaubliche Fehler gemacht, zu deren Vermeidung ein Beirat einen wesentlichen Beitrag leisten kann, vorausgesetzt natürlich, dass er mit dieser spezifischen Problemstellung des Familienunternehmens und seiner Planungserfordernisse vertraut ist. Dies ist aber eine eigene Thematik, die ich hier nicht weiter verfolgen kann. Häufiger noch und gravierender ist das Phänomen, dass die Nachfolge in der Geschäftsführung unter Friktionen leidet. Das immer wiederkehrende Muster besteht darin, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer die „aktive, operative Führung“ an einen Gesellschafter der nächsten Generation oder auch an einen Nicht-Familien-Geschäftsführer abgibt. Er selbst zieht sich auf die „Begleitung der Geschäftsführung in Fragen der Strategie“ zurück. Und damit beginnt eine unheilvolle Sequenz. Der Vorgänger hat sein ganzes Leben „im Geschäft“ verbracht, wie dies gerade im Familienunternehmen eine Chance sein kann: Persönliches Leben und geschäftliches Amt wurden miteinander verschmolzen. Die berufliche
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Aufgabe wurde identitätsstiftend und sinnstiftend. Von dieser lebensprägenden Rolle kann sich der Vorgänger nicht verabschieden. Die nachfolgende Generation im Amt macht es anders. Sie hat andere Vorstellungen, kann aber natürlich nicht die gleiche Erfahrung haben wie der 30 Jahre ältere Vorgänger. (Der Vorgänger kann aber auch nicht sehen, dass die Nachfolger besser sind, als er es im gleichen jugendlichen Alter war.) Der Vorgänger mischt sich ein – vermeintlich um des Lebenswerkes „Firma“ willen. Er kann aber auch nicht abgeben, weil für ihn neben dem geschäftlichen Engagement kein Sinngehalt für sein Leben mehr besteht und er den Abschied aus dem geschäftlichen Agieren als Vitalitätsverlust und Verarmung des Lebensinhalts versteht. Auch die ganz natürliche Angst vor dem Alter führt dazu, sich an das Geschäft zu klammern. Bei Nicht-Familien-Geschäftsführern als Nachfolgern verlassen die Besten solche Konstellationen und widmen sich anderen Aufgaben. Andere mögen sich frustriert der Situation fügen. Dies hat aber dann den Effekt, dass die Unternehmensführung und Strategie nicht erneuert wird und die veralteten Konzepte das Unternehmen in den wirtschaftlichen Abstieg führen. Ist der Nachfolger im Amt der eigene Nachkomme, dann wirkt sich der nicht gelingende Generationenübergang noch dramatischer aus. Die Perpetuierung der familiären Einflussansprüche der „Vorgänger“ (Vater oder Mutter) im beruflichen Bereich kann zu Konstellationen führen, die familientherapeutisch analysiert und behandelt werden müssen. Der Beirat muss diesem immer schwierigen, immer von Emotionen begleiteten Generationenübergang die größte Aufmerksamkeit widmen und sich einfühlsam um Problemlösungen bemühen, wenn er seiner Mission im System Familienunternehmen gerecht werden will. Zugleich sind seine Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, begrenzt, aber die jeweils situationsbedingt gegebenen Möglichkeiten müssen klug wahrgenommen werden. Die Durchsetzung von individuellem Einfluss und Machtansprüchen Die prinzipielle Stärke der Familienunternehmung, eine Institution mit der Prägung durch eine Personengruppe zu sein, ist zugleich eine der potenziell gravierenden Schwachstellen: Es können sich persönliche Vorstellungen, Ideale, Machtansprüche entwickeln, die konträr zu den Interessen der anderen Gesellschafter durchgesetzt werden. Interessengegensätze können vor allem dann aufbrechen, wenn die Interessenlage der Gesellschafter sehr unterschiedlich ist. Dies ist bei Mehrgenerationen-Gesellschaften schon wegen der unterschiedlichen Anzahl der Abkömmlinge in jedem Familienzweig durchaus wahrscheinlich. Wenn dann ein Gesellschafter 20 % der
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Firmenanteile besitzt, ein anderer dagegen nur 1 %, begegnen sich völlig unterschiedliche Positionen und Interessenlagen. Eine Pattsituation zwischen zwei Gesellschaftern ist noch sehr stabil, da unveränderlich. Unberechenbar wird die Konstellation allerdings, wenn es darum geht, ob ein Familienmitglied die Nachfolge in der Geschäftsführung antreten kann oder soll. Gefährlich werden Konstellationen, in denen einer oder eine der Beteiligten eine entscheidende Veränderung der Mehrheiten bewirken könnte. Problematisch ist insbesondere eine annähernde Gleichverteilung der Gesellschaftsanteile bei Prozentsätzen von 40 – 50 % pro Großgesellschafter. Es besteht dann die Chance, dass eine einzelne Person zusammen mit einem Gesellschafter mit einem kleineren Anteil für sich oder seine Nachkommen eine dominierende Position erringen kann. Diese Problematik bildet sich häufiger bei Gesellschaften in der dritten oder vierten Generation heraus, dann meist nicht zwischen einzelnen Gesellschaftern, sondern zwischen Familienstämmen. In dieser Phase scheitern Familiengesellschaften oft durch Zerfall. Vorkehrungen gegen Zerfallserscheinungen Inwieweit und mit welchen Regelungen Vorkehrungen gegen einen Zerfall der Gesellschafterbasis getroffen werden können, muss für Gesellschafter, Beiräte und Geschäftsführung von Familiengesellschaften ein Kernanliegen sein. Dies geht über den Rahmen unseres Themas weit hinaus. Es können nur diejenigen Stichpunkte angeführt werden, die auch Beiratsmitglieder ständig im Hinterkopf behalten sollten. Im Übrigen muss auf die einschlägige Literatur verwiesen werden. In der Erkundung von „Faktoren für den Zusammenhalt von Familiengesellschaften“ dürfte noch ein weites Forschungsfeld für die Erforschung der Familienunternehmung liegen: • Vorkehrungen in den Gesellschafterverträgen und Satzungen über die Bedingungen der Kündigung beziehungsweise des Austritts, die o erschwert, o geordnet, o für die Gesellschaft in finanziell verkraftbarer Weise geregelt werden sollen. • Klare Regelungen zur Übertragbarkeit und Vererbung der Anteile, • Klare Regelungen der Gesellschafterrechte oder nicht bestehender Rechte im Hinblick auf Beschäftigung und Nachfolge in der Ge-
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schäftsführung sowie eine Regelung der Voraussetzungen für die Wahrnehmung eventueller Rechte, • Formulierung einer Familienstrategie oder Familienverfassung (Mittelstandskodex Art. 8.2) unter anderem zu o gemeinsamen Zielen der Gesellschafter, o Umgang der Gesellschafter miteinander, Formen der gemeinschaftlichen Abstimmung und Willensbildung, o Umgang mit Konflikten, o Aktivitäten zur Stärkung des familiären Zusammenhalts. In der Literatur über Beiräte wird vielfach dargelegt, dass es durch diese Institution gelingen könnte, ausgebrochene Konflikte zwischen Gesellschaftern zu lösen. Dies muss relativiert werden: Die hier angesprochenen Konflikte zwischen Gesellschaftern lösen sich nicht unter dem guten Zuspruch weiser Männer und Frauen im Beirat auf. Die wichtige und leistbare Funktion des Beirats besteht darin, die Entstehung von Konfliktkonstellationen bereits im Ansatz zu objektivieren und zu entschärfen. Die schwierigste Konstellation für die Gemeinschaft der Familiengesellschafter entsteht, wenn das pathologische Verhalten einer Person die gesamte Gemeinschaft in Mitleidenschaft zieht. Eifersucht, Profilierungssucht, pathologisches Misstrauen gegen die Welt und insbesondere gegen die Führungskräfte des Unternehmens, Weltverbesserungsideale, für die das Unternehmen eingespannt werden müsse, all dies und noch mehr Deformationen der conditio humana können – verbunden mit einem maßgeblichen Gesellschaftsanteil – das Verhältnis zwischen Gesellschaftern in ein unlösbares Konfliktszenario führen. Da sich dies alles außerhalb rational zugänglicher Bezugspunkte abspielt, ist eine solche Konstellation nur schwer zu beeinflussen. Institutionelle Macht, die einem Beirat verliehen ist, kann hierbei hilfreich sein, um Zeit für die Konfliktlösung zu gewinnen. Menschliche Konflikte müssen aber letztlich in der Dimension der zwischenmenschlichen Beziehungen aufgearbeitet und gelöst werden. Die Erfahrungen und Interventionsmöglichkeiten aus der Gruppen- und Familientherapie erscheinen hier wirksamer als die Rituale von Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsgremien. Die Leistungsfähigkeit eines Beirats liegt meines Erachtens vorrangig dort, wo es darum geht, Sorgen um den finanziellen Aspekt der Gesellschafterfunktion zu beseitigen. Dem Beirat ist es aufgegeben, den Gesellschaftern über die Lage des Unternehmens zu berichten. Wenn es denn möglich ist – und das zu ermöglichen ist die Aufgabe des Beirats –, muss
4.3 Die Vermeidung der Strategievorgaben durch den Kapitalmarkt
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die Zukunft der Gesellschaft jederzeit „gesichert“ sein. Gesellschafter, die dem Geschäftsleben fern stehen, können mit Unsicherheiten schlecht umgehen. Finanzielle Forderungen aus dem Gesellschafterkreis sind in die Finanzplanung der Gesellschaft mit aufzunehmen. So kann demonstriert werden, dass die Zukunft finanziell geordnet ist. In dieser Schrift konzentriere ich mich darauf, wie durch das Wirken des Beirats die wirtschaftliche Attraktivität des Familienunternehmens erhalten werden kann. Das ist nicht alles, aber schon einmal eine gute Voraussetzung, um den Bestand des Unternehmens zu sichern. Hier – in dem wirtschaftlichen Erfolg – liegen auch die größten Chancen für das Familienunternehmen. Diese können aber nur erschlossen werden, wenn das Familienunternehmen seine spezifischen institutionellen Vorteile nutzt und nicht versucht, wie eine Börsengesellschaft zu sein.
4.3
Die Vermeidung der Strategievorgaben durch den Kapitalmarkt
Die Vermeidung der Fehlorientierung eines kurzfristig interpretierten Shareholder-Value-Konzepts Man kann gute Gründe für die These anführen, dass die Ursache vieler Probleme, die durch mehr Aufsicht kuriert werden sollen, in einer falschen Zielsetzung bei der Unternehmensleitung einer Börsengesellschaft liegt. Publikums-Börsengesellschaften haben – so die derzeit allgemein vertretene Ansicht – die Steigerung des Shareholder Value als oberstes Ziel zu verfolgen. Ein Unternehmensleiter, der sich zur Verfolgung des Shareholder Value bekennt, wird sich dabei wohl kaum für die theoretischen Ableitungen von Rappaport aussprechen wollen, deren Lektüre er vermutlich nicht auf sich genommen hat. Sondern er wird sich nur dazu bekennen, dass er – neben der Sicherung steigender Dividendenzahlungen – der Steigerung des Aktienkurses seiner Gesellschaft Vorrang in all seinen strategischen Überlegungen einräumt. Angesichts der üblichen Dividendenrenditen von 2 – 4 % ist die Steigerung des Aktienkurses schließlich für die Gesamtrendite des Aktionärs von größerer Bedeutung. Obwohl dieses Konzept ursprünglich dazu gedacht war, das Management auf eine langfristig positive Entwicklung des Unternehmens auszurichten, führt die tatsächliche Fixierung auf die Kurssteigerung jedoch zu einer extremen Kurzfristigkeit des Denkens und Handelns. Letztlich ergibt sich so eine
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Perversion der Grundüberlegungen von Rappaport, der sich dieser Gefahr durchaus bewusst war.103 Die Maxime der Steigerung des Aktienkurses gilt immer. Die ständig umschichtenden Investoren erwarten für jede Anlagenperiode neue Wertsteigerungen. Da jeder Börsenkurs theoretisch den Barwert des erwarteten zukünftigen Cash-Flows abbildet, ist eine Steigerung des Aktienkurses nur durch Maßnahmen möglich, die eine Steigerung des Cash-Flows erwarten lassen. Das Halten eines an sich guten Ertragsniveaus genügt hierzu nicht. Da der Kapitalmarkt davon ausgeht, dass das Management eine planmäßige und stetige Gewinnentwicklung beabsichtigt und zustande bringt, werden höhere bilanzielle Gewinne in der Gegenwart als Indikator für höhere Gewinne in der Zukunft interpretiert.104 Es wird auf diese Weise – zumindest nach der „naiven“ Interpretation der Shareholder-Value-Maxime – eine ständige Erhöhung der Steigerungsrate, also exponentielles Wachstum, erforderlich. Über das Instrument der Aktienoptionen erhält das Management überdies eine außerordentliche Verdienstchance, wenn es eben diese zusätzliche Kurssteigerung herbeiführt. Je nach Stärke dieses „Incentives“ kann es dazu kommen, dass dem Ziel der Kurssteigerung absolute Dominanz eingeräumt wird. Die Fokussierung auf die Steigerung des Aktienkurses führt dann zu einer sehr einseitigen und auch riskanten Wachstumspolitik. Den Forderungen der Investoren nach langfristigen Kurssteigerungen wird am besten dadurch entsprochen, dass man sich zu den Standardstrategien bekennt, die nach allgemeinem Konsens besonders erfolgsträchtig sind: Konzentration auf einen Markt (Kernkompetenzen), Marktanteilssteigerung und Wachstum durch aggressiven Wettbewerb. Notwendigerweise müssen immer riskantere Strategien verfolgt werden, um höhere Erwartungswerte für die Kursbildung zu erzeugen. Schafft das Management – und das ist hier zumeist der CEO – es nicht mehr, Ideen zu entwickeln, die die Kurse beflügeln, oder werden gar bisherige Prognosen zur Gewinnentwicklung enttäuscht und zeigt die umfassend geforderte Publizität Schwachstellen der Unternehmung, dann reagieren die marktorientierten Kontrollmechanismen, indem die Kurse sinken und das Einkommen des Managements sinkt. Wenn diese marktorientierten Kontrollmechanismen trotzdem nicht bewirken, dass das Management mit neuen, kursaktivierenden Ideen kontert, dann wird es Zeit, das Management abzulösen. Und hierfür braucht man den Aufsichtsrat, der – nach 103
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Siehe die Anm. zu „Limitations of Market-Based Incentives’” in: Rappaport, A. (1986): S. 176 f. Nicolai, A.T./Thomas, W.T. (2004): S. 464 mit Verweis auf Stein, J.C. (1989).
4.3 Die Vermeidung der Strategievorgaben durch den Kapitalmarkt
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Fama – eine praktische und relativ preiswerte Institution ist, um das TopManagement auszuwechseln, ohne dass man hierfür die Vielzahl der Aktionäre organisieren muss.105 Es ist den Investoren natürlich vertraut, dass eine ständige Steigerung des Shareholder Value nur durch eine Erhöhung des Risikos zu erreichen ist. Für den Investor ist dies jedoch unproblematisch: Auf der Ebene des Portfolio-Managements findet eine Risikokompensation statt, indem das Gesamtinvestment auf verschiedene Einzelanlagen aufgeteilt wird. Die Existenzberechtigung des Berufsstands der Asset-Manager ergibt sich geradezu daraus, dass durch die Diversifizierung des Portfolios das aus der Fokussierung auf den Shareholder Value resultierende Risiko begrenzt wird. Im letzten Jahrzehnt gab es genügend Skandale, die unmittelbar mit der ungezügelten Verfolgung des Shareholder-Value-Konzepts in Verbindung gebracht werden können: • Bilanzmanipulationen zur Steigerung der Aktienkurse, • Aktienrückkaufprogramme zur Einlösung der Aktienoptionen des Managements unter Schwächung der Unternehmensfinanzen, • Akquisitionen zur Schaffung einer dominierenden Marktposition („Champion-Position“), die zur Überschuldung des Unternehmens führten. Es mehren sich die Stimmen, so scheint mir, die diese Vorgaben des Kapitalmarkts kritisieren.106 „Wir stehen am Anfang der Post-Shareholder-ValueÄra: Die ausschließliche Orientierung am Unternehmenswert für die Kapitalgeber … hat nicht vor Skandalen, Missbrauch und Kapitalvernichtung schützen können … Als Leitbild hat das Shareholder-Value-Modell ausgedient.“107 Das Prinzip – so Wimmer108 – steht in einer schweren Identitätskrise. „Die primäre Verpflichtung des Top-Managements auf die Interessen der Aktionäre (entzieht) ihm organisationsintern jene Autoritätsressourcen, die es braucht, um glaubwürdig seine Praxis der Unternehmensführung aus den Überlebensfragen des Unternehmens heraus zu begründen. Je mehr unternehmensintern beobachtet wird, dass zentrale Ressourcen 105 106
107 108
Fama, E. F. (1980): S. 293 – 305. Vgl. die Übersicht bei Hausch, K.T. (2004): S. 50 f.; Kennedy, A.A. (2001); Vogelsang, G./Burger, C. (2004): S. 31.; Ghoshal, S./Moran, P. (2005): S. 185 ff; Sehr umfassend und fundiert durch Wimmer, R. (2004): S. 28 ff. So Vogelsang, G./Burger, C. (2004): S. 31. Wimmer, R. (2004): S. 44.
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
und geschichtlich aufgebaute Potenziale geopfert werden, nur um den Erwartungen der Kapitalmarktakteure kurzfristig zu entsprechen, umso weniger wird die Führung Folgebereitschaft und Verständnis für die heute immer wieder anstehenden tief greifenden Veränderungsnotwendigkeiten mobilisieren können. Diese Art von Führung schädigt für den vordergründigen Beobachter vielleicht nicht gleich sichtbar im Ergebnis, aber umso nachhaltiger die Immunkraft eines sozialen Systems. Wenn so deutlich erlebbar wird, wie sich das Top-Management durch seine Nähe zum Kapitalmarkt persönlich bereichern kann, während gleichzeitig dem Rest massive Opfer und außergewöhnliche Anstrengungen abverlangt werden, dann ermutigt das alle, wo immer es geht, primär auf die eigenen Interessen zu schauen. Das Unternehmen verliert so seine Fähigkeit, für sich als soziale Einheit, für die Bewältigung der eigenen unternehmerischen Existenzprobleme die erforderliche Sorgfalt und kollektive Energie zu mobilisieren.“ Zudem verlieren auch die Aktionäre an Vertrauen in die wohlstandsmehrende Wirkung dieser Doktrin. „Paradoxerweise haben gerade jene Firmen besonders mit dieser Vertrauensproblematik zu kämpfen, deren Vorstände noch vor Jahren besonders eifrig für das Shareholder-Value-Prinzip eingetreten sind. Die aktuelle Corporate-Governance-Diskussion, die verstärkten Aktivitäten der Aufsichtsbehörden und politischen Entscheidungsträger, die neuerlichen regulatorischen Eingriffe des Gesetzgebers, all dies sind Symptome dafür, dass der Gedanke des Shareholder Value die Kluft zwischen der Spitze börsennotierter Unternehmen und den Investoren am Kapitalmarkt nicht verringert, sondern eher vergrößert hat.“109 Neben solch kritischen Tönen begegnen einem auch bekannte Argumentationsmuster des Inhalts, dass die Theorie richtig und nur die Praxis unvollkommen sei und schlussendlich „kein Weg an der Unternehmenszielsetzung Wertmaximierung vorbeiführt.“110 Schließlich wendet sich die Aufmerksamkeit dem Aufsichtsrat zu, der diesen Fehlentwicklungen durch eine intensive Überwachung und auch durch ein höher entwickeltes ethisches Bewusstsein wehren soll. Dabei bleibt ungeklärt, woher diese guten Menschen für die Aufsichtsräte genommen werden sollen und warum sie sich gegen den Zeitgeist und die kurzfristigen Wünsche ihrer Prinzipale stemmen sollten. Zumeist sind es ja Vorstände anderer Aktiengesellschaften.
109 110
Wimmer, R. (2004): S. 45. Heinemann, B./Gröniger, B. (2003): S. 194.
4.3 Die Vermeidung der Strategievorgaben durch den Kapitalmarkt
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Die Unabhängigkeitsvorsorge und die Überlebenssicherung als Ziel bei der Familiengesellschaft Statt der Shareholder-Value-Maximierung ist das Handeln der Gesellschafter eines Familienunternehmens bewusst oder unbewusst geprägt von dem Bestreben, den Untergang des Unternehmens zu vermeiden und den Übergang zur nächsten Generation zu sichern. Unabhängigkeitsvorsorge und Überlebenssicherung sind daher das oberste implizite Anliegen mittelständischer Strategie. Der Ansatz lautet also nicht „Wie kann ich Erfolg haben?“, sondern „Wie verhindere ich den Untergang, wenn ich nicht erfolgreich bin?“. Wir sind hier bei den Strategieansätzen, wie sie von Neumann/Morgenstern und Markowitz und heute von Fritz B. Simon vertreten werden. V. Neumann formuliert: „Jede Strategie, die eher auf Sieg als auf Vermeiden der Niederlage setzt, endet mit der sicheren Niederlage.“111 Dies ist vermutlich einer der wichtigsten Grundsätze für die Unternehmensstrategie. „Die Frage »Wie verhindere ich ein Scheitern?« (ist) vor der Frage »Wie erreiche ich ein Ziel?« zu beantworten“ (Fritz B. Simon).112 Diese Logik ist sehr überzeugend, da im normalen menschlichen Leben für das Überleben nicht entscheidend ist, dass man reich, erfolgreich oder glücklich ist, sondern dass man nicht zu Tode kommt. Die Vermeidung der übertriebenen und kurzfristigen Anreizsysteme bei der Börsengesellschaft Die Shareholder-Value-Maxime ist ein Konzept der Erfolgsmaximierung. Derjenige Unternehmensführer ist zu wählen, der diese Erfolgsmaximierung am glaubwürdigsten verspricht. Nur diese Spezifikation ist wichtig. Man akzeptiert auch den unsympathischen Charakter, wenn er nur erfolgreich ist. Manchmal hat man sogar den Eindruck, als würden die Protagonisten dieses Managertyps das Image des rücksichtslos Agierenden geradezu pflegen, da solchen Persönlichkeitstypen das verbissene Erfolgsstreben eher zugetraut wird als dem auch sozial verantwortungsbewussten Unternehmensführer. Vor allem braucht man einen Managertypus, bei dem man sich darauf verlassen kann, dass er für Geld das tut, was er tun soll, um den Aktienkurs zu steigern. Dazu gehört auch, alles zu verkaufen, was nicht die Normrendite innerhalb von zwei Jahren erreicht, oder das Unternehmen zu schließen oder zu verlagern. Es macht niemandem Freude, um 111 112
v. Neumann, J./Morgenstern, O. (1997): S. 297. Simon, F.B./CONECTA (2001): S. 115.
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
des kurzfristigen Erwartungshorizontes willen plakativ – meist in der vorweihnachtlichen Zeit – Massenentlassungen anzukündigen. Daher muss ein Erfolgszwang ausgeübt werden, indem außerordentliche finanzielle Anreize gegeben werden. Dies führt im Vergleich zu früher geltenden Strukturen der Entlohnung von Führungskräften zu einem völlig veränderten, hohen Niveau, das von der Öffentlichkeit als nicht gerechtfertigt wahrgenommen wird. Extrem hohe, vom Gewinn des Jahres abhängige Vergütungen und Aktienoptionen, die eben die Kurssteigerung und nur sie allein belohnen, sind solche Anreize. Die gesetzgebenden Institutionen scheinen zu ahnen, dass diese Anreize zu Fehlorientierung und Fehlverhalten führen können. Anstatt aber bei der Abschaffung oder wenigstens Verminderung solcher Anreize anzusetzen, sieht Sec. 304 des Sarbanes Oxley Act nur vor, dass der CEO und der CFO erfolgsabhängige Vergütungen der letzten zwölf Monate und eventuelle Gewinne aus dem Verkauf von Aktien oder Aktienoptionen zurückzahlen müssen, wenn ihnen ein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann.113 Eine Unternehmensverfassung, die von dem Prinzipal-Agent-Paradigma geprägt wird, zieht möglicherweise geradezu den Managertypus an, der die eben geschilderten Eigenschaften aufweist. Man braucht diesen Typus, man hat vor seinem Verhalten aber auch wiederum Angst. Die Gefahren aus seinem blinden Erfolgsstreben und seinem Manipulationspotenzial werden als Bestätigung des dunklen Menschenbildes gesehen, das man sich von dieser einseitig orientierten Unternehmergattung macht, und nicht als die Deformierung des ursprünglich normal denkenden Menschen durch unmenschlich hohe materielle Anreize. Da man den Erfolg nicht gefährden möchte, rührt man auch nicht an die Ursachen der falschen Anreize, sondern versucht lediglich, deren dysfunktionale Wirkung durch mehr Kontrolle begrenzen. Interessant ist, dass die Protagonisten dieser Incentive-Systeme diese auch auf das Aufsichtsgremium ausweiten wollen. In dem Konstrukt und der Terminologie der Prinzipal-Agent-Theorie werden wir mit dem Theorem des „doppelstufigen“ Ansatzes zu der Grundgegebenheit dieser Struktur geführt: Neben Prinzipal und Agent steht ein Supervisor.114 Der Aufsichtsrat ist einerseits der Prinzipal der Geschäftsführung und andererseits selbst Agent der Anteilseigner. Konsequenterweise grübeln die Vertreter dieses Theorems darüber, wie erreicht werden kann, dass der Agent Aufsichtsrat oder Beirat ein möglichst hohes An113 114
Vgl. Dutzi, A. (2005): S. 52 f. mit weiteren Nachweisen. Leutfer, T. (2005): S. 149 ff. mit weiteren Nachweisen.
4.3 Die Vermeidung der Strategievorgaben durch den Kapitalmarkt
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strengungsniveau wählt, um seine Aufgaben zu erfüllen. Es ist offensichtlich, dass ein „Bonding“ durch eine Incentive-Vergütung, zumindest bei Familienunternehmen, wohl aber auch bei Börsenunternehmen, irrelevant wäre. Kein Aufsichtsrat oder Beirat lebt von der Vergütung seines Mandats. Hierzu sind die Vergütungen schlichtweg zu gering. Kein Aufsichtsrat oder Beirat möchte ferner in dem Kollegium Kollegen sehen, die „für Geld arbeiten“. Sie würden früher oder später nicht mehr zu einem Gremium passen, in dem Leute um der Aufgabe willen und nicht um der Bezüge willen arbeiten. Auch die, die „noch für Geld arbeiten müssen“, würden ihre Arbeitsweise und Arbeitsintensität nicht deshalb ändern oder intensivieren, weil sie eine 50 oder 100 % höhere Honorierung erwarten könnten. Und diejenigen, die sich von solchen Incentives beeinflussen ließen, könnten diese Gefährdung und die damit zusammenhängenden Lebensumstände oder Charaktereigenschaften nicht verbergen. Die mögliche Erhöhung oder der drohende Wegfall eines variablen Anteils am Beiratshonorar kann für ein respektables Beiratsmitglied kein Thema sein. Was für einen Beirat jedoch zählt, ist die Frage, ob er überhaupt ein Mandat hat, insbesondere wenn er nur wenige Mandate hat. Das „Monitoring“, ob die zugedachten Aufgaben auch wirklich mit voller Aufmerksamkeit wahrgenommen werden, ist ungleich wichtiger und wirksamer. In der Dimension der Beobachtung des Agenten durch den Prinzipal hat die Familienunternehmung einen entscheidenden, fundamentalen Vorsprung. Regelmäßig haben Gesellschafter ein Mandat im Aufsichtsgremium. Sie können artikulieren, wann und bei welchen Themen der Beirat ein „höheres Aktivitätsniveau“ an den Tag legen sollte. Diese Konstellation gibt es bei der Börsengesellschaft nur, wenn ein Aktionär mit einer substanziellen Beteiligung im Aufsichtsrat sitzt. Ist dies der Vertreter eines Hedge-Fonds, dann gibt es alsbald Nachrichten von lebhaften Interaktionen zwischen Prinzipal und Agent in der Wirtschaftspresse zu lesen. Das Fehlen der dysfunktionalen monetären Anreize bei der Familiengesellschaft Bis vor 15 oder 20 Jahren hätte man noch sagen können, dass Familiengesellschaften ihre Unternehmensführer eher besser bezahlten als die Publikumsgesellschaften. Dies gilt heute so nicht mehr, denn die Exzesse bei der Managervergütung würde ein Familienunternehmen nicht mitmachen. Man hätte wohl als Manager auch gewisse Hemmungen, mehr Geld nach Hause zu tragen, als die Eigentümer an Gewinnausschüttung entnehmen, und einen großzügigeren Lebensstil zu pflegen als die Gesellschafter. Tut
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
man es dennoch, so ist dies eine der Wurzeln für Misstrauen und führt über kurz oder lang zur Beeinträchtigung der Beziehung oder gar zur Trennung. Auf der anderen Seite ist in Familiengesellschaften etwas möglich, was Börsengesellschaften – zumindest nach dem Mannesmann-Prozess – verwehrt ist: Hervorragende Verdienste können Dankbarkeit und Anerkennung außerhalb der vertraglichen Ansprüche finden. Die Vermeidung der Orientierung an den kapitalmarktkonformen Standardstrategien Der Zwang, den Aktienkurs zu steigern, nötigt zu entsprechenden Strategien. Nicolai/Thomas führen hierzu überzeugend aus:115 „Kapitalmarktkonforme Strategieentwicklung basiert auf der Annahme, dass es ein bestimmtes Set an Marktgesetzen und Erfolgsfaktoren gibt, die es zu befolgen gilt. Es wird also angenommen, dass es stabile Muster des Erfolgs, das heißt generische Strategien gibt. Dies kommt in den Branchenabschlägen, Marktführerschaftsprämien, dem zurzeit intensiv diskutierten »conglomerate discount« und anderen fixen Prämien und Abschlägen zum Ausdruck, die Analysten und Rating-Agenturen ihren Bewertungen zugrunde legen … In die gleiche Richtung weisen Managementtechniken, die üblicherweise von Unternehmensberatungen in Umlauf gebracht werden und deren Verbreitung durch den Kapitalmarkteinfluss unterstützt wird (vgl. Engwall, 2001).“ Die Standardstrategien sind – recht betrachtet – nur für die hervorragenden Positionen formuliert: für den Marktanteilsführer, den Kostenführer, den Nischenanbieter im Premiumsegment. (Für denjenigen, der auf einer nachrangigen Nummer-4-Position in den Marktanteilen steht, gibt es eigentlich keine Standardstrategie.) Standardstrategien müssen natürlich mit wissenschaftlichem Anspruch auftreten, da es sich um ein berufliches Spezialwissen handeln sollte, dessen Grundlagen nicht jedermann zugänglich sind. Obschon dieses Wissen um Erfolgsstrategien als besonderes Wissen betrachtet wird, stellt die einheitliche Anwendung der Beurteilungsmuster eine Konformität dar, die helfen soll, die hohe Unsicherheit der Asset-Manager an der Börse zu reduzieren.116 Da die Standardstrategien Lehrinhalte sind, die der breiten Schar der jungen Analysten vermittelt werden können, tragen sie immer ein gewisses konservatives Element der Weisheit des letzten Jahrzehnts in sich.
115 116
Nicolai, A.T./Thomas, W.T. (2004): S. 459. Vgl. Nicolai, A.T./Thomas, W.T. (2004): S. 459 f. mit Verweis auf Zuckerman.
4.3 Die Vermeidung der Strategievorgaben durch den Kapitalmarkt
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Die Möglichkeit zur Verfolgung einer autonomen, opportunistischen und kreativen Strategie Ein Fundament meiner Argumentation zur Vitalität der Familienunternehmung liegt darin, dass ihr Erfolg – so sie erfolgreich ist – nur durch ihre Strategie erklärt werden kann. Die besonderen Strategiemuster, die Familienunternehmen kennzeichnen117, entsprechen oft oder sogar meistens nicht den Mustern der Standardstrategien. Es sind immer wieder die Kontraststrategien, zum Beispiel im Handel oder überhaupt in den Vertriebssystemen, die die etablierten Markt-Usancen „revolutionieren“ und die wegen ihrer Neuartigkeit so riskant, aber dann häufig auch so erfolgreich sind. Das mittelständische Unternehmen hat eine Abneigung gegen langfristige Planungen – zumindest tendenziell im Rahmen seiner Bürokratieaversion. Mittelständische Mentalität bildet einen Nährboden für „emergente“ Strategien. Nicht selten lässt sich die Strategie eines mittelständischen Unternehmens aber überhaupt nicht durch eine durchdachte Logik erklären. Es ist sogar typisch für diesen Unternehmenstypus, dass er reinen Pragmatismus betreiben kann.118 Eine Gelegenheit wird gesehen und ergriffen und erst anschließend wird geprüft, wie diese neue Gelegenheit mit den vorhandenen Chancenpotenzialen zusammenpasst. Die Fähigkeit zu kurzfristigen Entscheidungen ist eine der förderlichen Kompetenzen, um erfolgreich Opportunist zu sein. Die besonderen Qualitäten der mittelständischen Strategie werden regelmäßig von den Persönlichkeitsmerkmalen, aber auch von der Autonomie der Gründer und der Eigentümer-Geschäftsführer abgeleitet. Meines Erachtens ist eine der Schlüsselfragen für den Bestand des Typus Familienunternehmung, ob und wie erreicht werden kann, dass seine Strategievorteile auch dann noch zum Tragen gebracht werden können, wenn die Phase der Gründer und Eigentümer-Unternehmer in der Mehrgenerationen-Gesellschaft abgelöst wird von einer Nicht-Familien-Geschäftsführung und einer Vielzahl von Gesellschaftern. Die Erreichung dieses Ziels der Bewahrung einer eigenständigen Strategiekompetenz hängt, so vermute ich, davon ab, ob das Unternehmen einen „Unternehmer“ hat. Für die Verankerung eines solchen „Unternehmers“ 117 118
Siehe unten, Abschnitt 9. Ich verwende hier natürlich nicht den philosophischen Terminus, sondern den umgangssprachlichen Begriff, mit dem ein Vorgehen bezeichnet wird, das rein am praktischen Erfolg und nicht an der Orientierung an übergreifenden Prinzipien oder Plänen ausgerichtet ist.
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
als Willenszentrum gibt es in der Familiengesellschaft mehrere Möglichkeiten: Sicherlich ist die Geschäftsführung der natürliche Platz für die Unternehmerfunktion. Für die Institution, die die Geschäftsführung auswählt, überwacht und berät, stellt sich dann die besondere Aufgabe, dazu beizutragen, dass die Unternehmerfunktion entwickelt werden kann. Es ist aber auch denkbar, dass die Unternehmerfunktion in den Strukturen oberhalb der Geschäftsführung – im Beirat oder bei den Gesellschaftern – verankert ist. Wir finden ja auch in anderen Gesellschaftsstrukturen – wie zum Beispiel den Gesellschaften im Besitz von Private Equity Fonds oder von Hedge-Fonds – Verankerungsmöglichkeiten der Unternehmerfunktion außerhalb der Geschäftsführung. Es wäre aber auch denkbar, dass die mittelständische Familienunternehmung gar keine besonderen Vorteile bei ihren Strategien entwickeln müsste, sondern dass es bereits genügte, die systemischen Fehler anderer Gesellschaftsformen, namentlich der Publikums-Börsengesellschaft als Prototyp der „normalen“ Unternehmung, zu vermeiden. Ich möchte diese Option im nächsten Abschnitt näher ausführen.
4.4
Die Vermeidung der Nachteile der Börsengesellschaften
Die Nachteile aufgrund der Bürokratie und den Kontrollprozeduren Erfolg entsteht nur durch gute Leistung und Kundenorientierung, also durch fleißige Arbeit zur Chancenerschließung und -optimierung. Corporate Governance, die vorwiegend auf die Vermeidung von Schäden ausgerichtet ist, kann vielleicht die Vernichtung von Ertragspotenzialen begrenzen – wohl nie ganz vermeiden –, aber sie hilft grundsätzlich nicht, Ertragspotenziale aufzubauen. Durch Risikovermeidung wurde noch nie ein Auftrag gewonnen. Seitdem der zunehmende Fokus auf Risikovermeidung und Kontrolle auch die Gesetzgebung erreicht hat und die Drohung von Haftungsrisiken im Raum steht, werden immer neue Regelungen aufeinander geschichtet. (Es kommen ja nur Regelungen hinzu; es werden nie Regelungen abgeschafft.) Dies bleibt nicht ohne Auswirkung auf das Chancenmanagement und die Wirksamkeit der Unternehmensführung. Ein durch bedeutende Mandate ausgewiesener Aufsichtsrat wie Dieter H. Vogel zeichnet ein Besorgnis erregendes Bild, wenn er sagt:119 „Unternehmertum wird durch 119
Vogel, D.H. (2007): S. 229 f.
4.4 Die Vermeidung der Nachteile der Börsengesellschaften
101
die aktuelle Regelungswut nicht gefördert. Die Diskussionen in Aufsichtsratssitzungen diverser Aktiengesellschaften widmen sich mittlerweile mehr der Frage der formellen Ordnungsmäßigkeit eines Beschlusses und seiner unangreifbaren Protokollierung als dem geschäftlichen Inhalt. Anwälte sind regelmäßige Gäste in Aufsichtsratssitzungen dieser Gesellschaften. Vorstandsvorlagen sind mit aufwändigen Gutachten unabhängiger Sachverständiger unterlegt … (Dies) führt zu einer ausufernden Bürokratie im Unternehmen und zur Einengung unternehmerischer Kreativität und schöpferischen Handelns.“ Die Nachteile aufgrund der kapitalmarktbedingten Transparenz Kapitalmarktorientierte Unternehmen – also auch solche, die nur Fremdkapital auf dem Bondmarkt aufnehmen – unterliegen erhöhten Anforderungen an die Rechnungslegung und Berichterstattung. Familienunternehmen, insbesondere solche mit persönlich haftenden Gesellschaftern, können in diesen Bereichen Erleichterungen in Anspruch nehmen. Dies kann von Bedeutung sein in Branchen, die eine hohe Ertragskraft erlauben, wo es also von strategischer Bedeutung ist, dass Kunden und potenzielle Wettbewerber keinen Einblick in die tatsächlich erzielbaren hohen Gewinne haben. Das Erwartungsmanagement, zu dem sich Manager von Börsengesellschaften veranlasst sehen, um den Aktienkurs zu stärken, führt immer wieder dazu, dass die künftige Strategie des Unternehmens relativ frühzeitig publiziert wird. Damit hat der Wettbewerber eine gute Chance, Gegenstrategien zu entwickeln. Das fehlende Durchhaltevermögen in der langfristigen Strategie Das Erwartungsmanagement verführt unweigerlich dazu, die positiven Effekte jedweder Strategie tendenziell für einen zu frühen Zeitraum zu prognostizieren. Wenn sich nun die erwarteten Erfolge nicht rechtzeitig einstellen, ist man leicht geneigt, das Eingeständnis zu vermeiden, zu optimistisch gewesen zu sein oder, was noch schlimmer ist, die Realisierung einer Strategie nicht energisch genug betrieben zu haben. Es erscheint den Unternehmensführern dann für ihre Reputation weniger belastend zu sein, eine völlige Strategieänderung zu verkünden. Da sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt genügend Änderungen in den Umweltkonstellationen ergeben, kann ein solcher Schwenk in der Strategie immer irgendwie plausibel erklärt werden. Durch die Verkündung einer Strategieänderung werden Entwicklungslinien abgeschnitten, die an sich aussichtsreich gewesen wären, die nur nicht schnell genug umgesetzt werden konnten.
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
Der Zeitbedarf für Investor Relations Zunächst hält man es für eine Übertreibung, wenn im vertraulichen Gespräch die Manager von Börsengesellschaften darüber klagen, wie viel Zeit sie für die Pflege der Investor Relations einsetzen müssen. Es geht dabei natürlich nicht nur um die Hauptversammlung und die Pressekonferenz. Es sind die Roadshows mitzurechnen und die One-to-one-Gespräche mit Analysten. Dazu kommen dann noch einige Hintergrundgespräche. All dies will vorbereitet sein. In einem DAX-Unternehmen dürften der CFO und der CEO wohl um die 20 – 30 % ihrer Zeit mit Investor-RelationsAktivitäten verbringen. Unternehmer, die von der Unternehmensform der Familiengesellschaft ohne Börsennotierung in das Stadium der börsennotierten Gesellschaft gewechselt haben, führen aus eigener Erfahrung beredt Klage über ihre zusätzliche Arbeitsbelastung, die von der Zeit für die Kunden, für die operative Arbeit und die Planung der Unternehmensentwicklung abgeht. Wenn eine Börsengesellschaft in Übernahmegerüchte gerät, kann man davon ausgehen, dass der CEO und der Finanzkollege nichts anderes mehr zu tun haben, als einen solchen unwillkommenen Angriff abzuwehren oder in dem Abwehrprozess die Interessen der Aktionäre zu verteidigen. Solche Zeiten sind für die Unternehmensentwicklung verlorene Zeiten. Freilich muss man aber auch konstatieren, dass es vergleichbare Belastungen und verlorene Zeiten gibt, wenn eine Familie in Konflikte gerät, die auf das Unternehmen durchschlagen. Die Deformierung des Aufsichtsrats durch die Mitbestimmung bei der Börsengesellschaft Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat mit einem Drittel der Sitze (bei 500 bis 2000 Mitarbeitern) beziehungsweise der Hälfte der Sitze (bei über 2000 Mitarbeitern) ist zunächst unabhängig von der spezifischen Rechtsform des jeweiligen Unternehmens. Sie hat bei der Aktiengesellschaft und damit bei der Börsengesellschaft allerdings ein besonderes Gewicht, weil in ihrer Rechtsform kein anderes Aufsichtsgremium so ohne weiteres neben den Aufsichtsrat gesetzt werden kann. Die Anteilseigner-Vorversammlung ist ein Gremium zur Abstimmung vor der Aufsichtsratssitzung und nicht ein Gremium, das komplementär oder konkurrierend zum Aufsichtsrat eigenständige Informations-, Aufsichts- oder Beeinflussungsmöglichkeiten wahrnehmen könnte. Dass die Eigner einer großen Firma ein Gremium zur Vertretung ihrer Interessen und damit auch zur Aufsicht über die Geschäftsleitung brauchen, ist einsichtig. In Aktiengesellschaften nimmt der
4.4 Die Vermeidung der Nachteile der Börsengesellschaften
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Aufsichtsrat diese Aufgaben wahr. Die Frage ist nur, ob die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer in dieser obersten Institution eines Unternehmens – weit weg vom betrieblichen Geschehen und den operativ Zuständigen – so zweckmäßig ist, dass die spezifischen Nachteile dieser Form der Vertretung kompensiert oder gar überkompensiert werden. Es sei angemerkt, dass der Umgang mit diesem Thema in der Praxis und in der Wissenschaft den Charakter von kollektiver Verdrängung annimmt. Es gehört zur political correctness in der Politik, bei den Verbänden, in der Wissenschaft und auch in der Wirtschaft selbst, die Mitbestimmung als etwas anzusehen, bei dem man gelernt hat, „damit zu leben“, „damit umzugehen“, „den Nutzen in mancher schwierigen Lage zu erkennen“ usw. Kurz: Man behauptet, sie schade zumindest nicht.120 Letztlich zeigt sich an diesem Tolerierungsansatz, wie sehr die Wirtschaftsführer bereits ihre Abhängigkeit von der Zustimmung der Arbeitnehmerseite verinnerlicht haben. Die Einflussnahme der Arbeitnehmervertreter ist letztlich nur in einem Entscheidungsbereich von „entscheidender“ Bedeutung: bei der Bestellung der Geschäftsführung beziehungsweise des Vorstands. Hier hilft auch nicht das Recht des Aufsichtsratsvorsitzenden – eventuell nach mehreren vergeblichen Abstimmungen – mit seinem doppelten Stimmrecht einen Kandidaten durchzusetzen. Dieser Kandidat wäre durch die Notwendigkeit der Kampfabstimmung bereits beschädigt. Die Zweckmäßigkeit der Mitbestimmung wird nicht damit begründet, dass sie für die Unternehmensentwicklung nützlich sei; vielmehr wird das Zweckmäßige darin gesehen, dass sie zu einer Unternehmenspolitik führt, die die Zustimmung der Vertretung der deutschen Arbeitnehmer finden kann. Da es in der konsensorientierten Grundstimmung, die in Deutschland vorherrscht, ein Makel ist, nicht auf die Zustimmung aller „Beteiligten“ zu stoßen, bemüht man sich, diese zu erreichen. Dass diese Zustimmung möglicherweise dadurch erkauft wird, dass Vereinbarungen zum Nachteil des Unternehmens getroffen werden, wird schon einmal als nahe liegende Vermutung geäußert, aber eben nicht als der Skandal angeprangert, der eine solche Illoyalität gegenüber den Unternehmensinteressen doch in Wahrheit ist. Die Tatsache, dass sich die deutschen Führungskräfte von DAX-Unternehmen nicht gegen die Mitbestimmung aussprechen121, ist nicht verwunderlich. Da ihre Bestellung mit 2/3 der Stimmen des Aufsichtsrats erfolgt, werden im Normalfall ja nur Vorstände berufen, die für die Arbeitnehmer120
121
Ein beispielhaftes Dokument dieser Sicht ist die Stellungnahme des Arbeitskreises „Externe und Interne Überwachung der Unternehmung“ (2007). Vgl. auch: Kuck, D. (2006): S. 162. Glaum, M. (1998): S. 23.
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
verbände akzeptabel sind, also sich nicht als Gegner der Mitbestimmung profiliert haben. Ein Eigentümer-Unternehmer hat hierzu eine andere Einstellung. Da anders als beim Vorstandsvorsitzenden oder auch beim Aufsichtsratsvorsitzenden die Besetzung der Eigentümerposition nicht von der Zustimmung der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat abhängt, hat der Eigentümer als Unternehmensführer eine andere, unabhängige Stellung. Familienunternehmer, die sich den Grundsatz „Firma geht vor Familie“ zu Eigen machen, müssen darauf achten, dass nicht andere Kräfte wie etwa die Gewerkschaften Einfluss nehmen, bei denen die Verbandsinteressen allemal Vorrang vor den Firmeninteressen haben. Das Schädliche an der Mitbestimmung ist nicht so sehr, dass hier Untergebene und Gewerkschaftsvertreter, die sich in aller Regel nicht in Aufgaben der Unternehmensführung zu bewähren hatten, zu Aufsehern eingesetzt werden. Dadurch wird nur deshalb kein Schaden angerichtet, weil sie zu den Aufgaben der Unternehmensführung im Aufsichtsrat nichts beitragen müssen und dies auch nicht tun. Schädlich sind die Bildung von Fraktionen im Aufsichtsrat und seine Größe. Durch die Etablierung einer Fraktion, die der Arbeitnehmervertreter, muss sich natürlich auch die andere Fraktion, die der Anteilseignervertreter, organisieren. Diese Organisation führt dazu, dass die Anteilseignervertreter und ihre Agenten, der Vorstand, eine Allianz bilden – zumindest solange das Vorstandsmandat besteht. „Das Mitbestimmungsgesetz beruht auf einem großen Missverständnis. Es war das Ziel dieses Gesetzes, die Mitwirkung der Arbeitnehmer im Unternehmen zu institutionalisieren. Der Schutz von Arbeitsplätzen sollte als Teil des Unternehmensinteresses verankert werden. Tatsächlich hat die Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat jedoch zu einer Entmachtung der Aufsichtsräte und zur Stärkung der Vorstände beigetragen. Die Kataloge zustimmungspflichtiger Geschäfte wurden stark ausgedünnt oder ganz gestrichen. Vertrauliche Themen werden in den Sitzungen kaum mehr angesprochen. Wenn überhaupt, werden die Anteilseignervertreter oder ein Teil von diesen in Vorgesprächen informiert. Kontroverse Themen oder detaillierte Kontrollfragen werden von den Anteilseignervertretern nicht geäußert, da der Vorstand vor den Arbeitnehmervertretern nicht bloßgestellt werden soll.“122 Und: „Der Aufsichtsratschef hat im deutschen System ja deshalb die starke Stellung, weil er der entscheidende strategische Gesprächspartner für den Vorstand ist, denn der Aufsichtsrat ist als Gremium zu groß und fällt deshalb insofern aus.“123 122 123
Lambsdorff, O. (1996): S. 226 f. Baums, T. (2006).
4.4 Die Vermeidung der Nachteile der Börsengesellschaften
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Schädlich ist auch, dass die Aufsichtsgremien aufgebläht und zu groß werden.124 Ein 16- oder 20-köpfiger Aufsichtsrat hat den Umfang einer Pressekonferenz oder eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, um die kleine Gruppe der Vorstände zu überwachen. Dementsprechend fällt dann auch die Form des Diskurses in einem solchen Gremium aus. Die Größe und Zusammensetzung hat noch weitere schädliche Konsequenzen: • Da die Gruppe zu groß ist, verspürt kein Mitglied eine persönliche Verantwortung, durch seinen eigenen Beitrag den Prozess der Gremienarbeit zu fördern. • In diesen großen Gremien kann man sich nicht mehr auf die Vertraulichkeit der Verhandlungen verlassen, zumal die Arbeitnehmervertreter nach gewerkschaftlicher Vorgabe ohnehin für sich in Anspruch nehmen, dass „bei der im Rahmen der Unternehmensinteressenverletzung gebotenen Abwägung das Interesse der Arbeitnehmer an Offenheit und Kommunikation im Zweifel höher [Hervorhebung im Original] zu bewerten (ist) als evtl. Kapitalinteressen an Informationszurückhaltung.“125 • Aus beiden Gründen verlagert sich die materielle Arbeit in das Präsidium und die Ausschüsse. Dies wird in den gewerkschaftsnahen Publikationen dann als Argument zur Verteidigung der zu großen Aufsichtsräte angeführt.126 Damit wird die Verantwortlichkeit des Gremiums noch einmal reduziert. Es lohnt sich aber nicht, sich über die in diesem deutschen System erforderliche Blindleistung zu erregen; denn es wird sich nichts daran ändern. Durch die Flucht in die Societas Europaea (SE) kann vielleicht wenigstens der Unsinn eines 20-köpfigen Aufsichtsrats auf das – immer noch zu große – Gremium eines 16- oder 12-köpfigen Aufsichtsrats eingeschränkt werden. Aus diesem Grund und wegen weiterer Möglichkeiten, den Einfluss der Mitbestimmung in der SE zu begrenzen, wird die SE für Familiengesellschaften eine interessante Alternative.
124
125 126
Lambsdorff, O. (1996): S. 226 f; Lutter, M. (1997); Baums, T. (2003); Neubürger, H.-J. (2003); Eine schöne Sammlung der Argumente gegen so große Aufsichtsräte findet sich in einer Veröffentlichung von Mielke, B.K. (2005): S. 184 ff. Köstler/Zachert/Müller (2006): S. 264. Vgl. Mielke, B.K. (2005): S. 185.
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4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
Die Eliminierung der Mitbestimmung aus der Beiratsarbeit beim Familienunternehmen Es ist mir kein Beirat bekannt, in dem die Drittelbeteiligung oder gar eine paritätische Beteiligung der Arbeitnehmer vorgesehen wäre. Dies gilt es festzuhalten. Der typisch mittelständischen Unternehmerfamilie ist das Wohlergehen der Firma wichtiger als ihre eigene Wohlstandsmaximierung. Wenn denn die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsorgan für die Entwicklung der Firma förderlich wäre, gäbe es sicher erfolgreiche Beispiele dafür, dass auf freiwilliger Basis Mitarbeiter in das Aufsichtsgremium von Familienunternehmen berufen worden wären.127 Es gibt nur eine isolierte Stimme in der Literatur, die vorschlägt zu erwägen, einen langgedienten und loyalen Arbeitnehmervertreter in den Beirat einzubeziehen.128 Wenn ein Familienunternehmen wegen der Überschreitung der Schwellenwerte der Mitbestimmungsgesetzgebung einen Aufsichtsrat besitzt, wird dadurch der Beirat nicht überflüssig. Die Familiengesellschafter wollen natürlich die materiellen Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat begrenzen. Am einfachsten ist es, die Zuständigkeiten des Aufsichtsrates auf die gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Rechte zu beschränken. Da man aber der Geschäftsführung nicht einen entsprechend weiteren Entscheidungsrahmen geben möchte, wird ein Beirat eingesetzt, der die Rechte der Gesellschafterversammlung wahrnehmen kann. Da die Mitbestimmung im Aufsichtsrat sogar in der Publikumsgesellschaft ohne Großaktionäre dazu führt, dass der DCGK empfiehlt, die Aufsichtsratssitzungen in getrennten Besprechungen der Anteilseigner-Vertreter und der Arbeitnehmer-Vertreter vorzubereiten, liegt es also nahe, diese getrennten Besprechungen angemessen zu institutionalisieren. Dies kann geschehen, indem die Anteilseigner-Vertreter sich in einem Beirat konstituieren. Die Gesellschafterversammlung der GmbH und der Personengesellschaften – nicht allerdings der Aktiengesellschaft – kann dem Beirat weitergehende Zuständigkeiten geben als dem Aufsichtsrat und tut dies auch regelmäßig. Die Deformierung des Aufsichtsrats durch einseitige Beschränkung auf Überwachung und Kontrolle bei der Börsengesellschaft In der Kommentierung der Aufgaben eines deutschen Aufsichtsrats wird durchgängig – bis auf wenige Ausnahmen – betont, dass es eine strikte Trennung zwischen der Geschäftsführungsaufgabe des Vorstands und der 127 128
Vgl. Becker, T. (1993): S. 18 mit weiteren Nachweisen. So Lutz, D./App, M. (1994): S. 611 f.
4.4 Die Vermeidung der Nachteile der Börsengesellschaften
107
Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats gibt, die einzuhalten sei. Historisch gesehen gab es in Deutschland offenbar eine Entwicklung vom Aufsichtsrat als Führungsinstanz zu einer Beschränkung seiner Funktion auf eine Aufsichts- oder Kontrollinstanz.129 Dies wird begründet mit der gesetzlichen Regelung, dass der Vorstand die Verantwortung für die Geschäftsführung trage und diese Verantwortung nur dann wahrnehmen könne, wenn sich der Aufsichtsrat von Eingriffen in diese Vorstandszuständigkeit enthalte. Diese scharfe Trennung ist in der deutschen Unternehmensverfassung schon deshalb notwendig, weil die Mitbestimmung nur bei einer Begrenzung auf die Aufsichtsfunktion ohne gravierende Schäden für die deutsche Wirtschaft betrieben werden kann. Dadurch, dass der gesamte Aufsichtsrat von der Mitwirkung an der Geschäftsführung ausgeschlossen ist, können die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nicht ihre Partikularinteressen zum Schaden der Unternehmen durchsetzen. Die deutsche Neigung zu Rigorosität führt dann zu einer Abstinenz des Aufsichtsrats auch hinsichtlich der Beratung des Vorstandes, damit man die Überwachung sauber vollziehen kann. Würde er – entgegen seiner Bezeichnung – Rat erteilen, könnte man ja nicht mehr eindeutig den Vorstand zum Schuldigen erklären, wenn das Kind in den Brunnen fällt. Diese ohnehin im deutschen System der Trennung von Geschäftsführungsgremium und Aufsichtsgremium angelegte Betonung der Überwachungsfunktion wurde noch verstärkt durch die Vorstellung vom Vorstand als Agenten und die daraus folgende Forderung nach dessen verschärfter Überwachung. Die Führungskraft, die sich des Unternehmens bedient, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen, tauchte im amerikanischen Schrifttum schon früh in dem damaligen Bestseller „Das Regime der Manager“130 auf. Die heute maßgeblichen Betriebswirte sind mit der neuen Institutionenökonomie aufgewachsen und kennen diesen Agententypus in der Wirtschaft als eigensüchtig handelnden Funktionär ohne Amtsethik und ohne Loyalität zum Unternehmen. Ein solcher Manager arbeitet nur, wenn er zu seinen ohnehin hohen Bezügen jedes Jahr neu mit enormen variablen Bezügen gelockt wird. Dann allerdings arbeitet er völlig skrupellos. Damit er es in dieser skrupellosen Arbeit nicht übertreibt, muss man ihn intensiv überwachen.
129 130
Vgl. Schreyögg, G.(1983). Burnham, J. (1941).
108
4.5
4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
Die Wertgenerierung durch Vertrauen im Zusammenwirken der Institutionen
Die Notwendigkeit des Vertrauens für den Gesellschafter Unser Ausgangspunkt ist wiederum die verschärfte Problematik eines an sein Familienunternehmen gebundenen Familiengesellschafters als eines „Prinzipals“, der sein wesentliches Vermögen in einer Anlage gebunden hat und nicht ohne weiteres einen „exit“ wählen kann. Diese Zwangslage kann nur bewältigt werden durch: • entweder mehr Misstrauen, mehr Aufsicht als in einer Börsengesellschaft, • oder aber das Gegenteil: Vertrauen. Sabine Klein weist in ihrem Aufsatz zur Corporate Governance mit Recht darauf hin, dass nur einer der Wege möglich ist.131 Die Rituale einer auf Misstrauen aufgebauten Aufsicht erlauben keine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Zunächst ist als sicher anzunehmen, dass der Eigentümer sein Unternehmen in vertrauenswürdigen Händen sehen möchte. Vertrauen ist aus mehreren Gründen die Grundvoraussetzung für das Wirken als Unternehmensleiter in einem Familienunternehmen: • Der Geschäftsführer geht mit dem Geld des Eigentümers um. Er hat aufgrund seiner Position einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Vermögens der Familiengesellschafter. • Der Geschäftsführer repräsentiert das Unternehmen, seine Kultur, die Geschäftsgrundsätze, kurz: Er vertritt den guten Namen des Familienunternehmens. • Vom Erfolg der Geschäftsführung, aber auch von der dabei verfolgten Strategie, hängt es ab, ob das Unternehmen ein Familienunternehmen bleibt. Wenn die Strategie darauf hinausläuft, dass etwa Kooperationen und Fusionen notwendig werden, dann kann dies das Ende des Familieneigentums bedeuten. Vertrauen ist jedoch eine labile Grundlage, während eine pessimistische Weltsicht eine leicht sich selbst erfüllende Annahme darstellt. Auch dann – oder vielleicht gerade dann, wenn Gesellschafter Vertrauen brauchen, weil ihnen gar keine andere Beurteilungsmöglichkeit der Arbeit des Vorstands 131
Klein, S. (2005): S. 185 ff.
4.5 Die Wertgenerierung durch Vertrauen
109
zugänglich ist, wird der Fortbestand dieses Vertrauens immer wieder hinterfragt. Aus dieser Situation kann leicht Misstrauen entstehen: • Der Eigentümer ist mit seinem Unternehmen auf Dauer verbunden, ja oft „lebt“ er sogar für sein Unternehmen. Der angestellte Unternehmer „lebt“ für seine professionelle Reputation – er muss auch für ein anderes Unternehmen arbeiten können. • Der angestellte Unternehmer kann kraft seiner Position und seiner Entscheidungen großen Einfluss auf den Wert des Unternehmens haben. Er geht dabei nicht mit seinem, sondern – aus Sicht der Gesellschafter – mit „unserem Geld“ um. Hierin besteht natürlich auch eine Abhängigkeit des Eigentümers von seinem Geschäftsführer. • Dem angestellten Manager wird ein Hang zur Größe unterstellt, der das Familienunternehmen in Gefahr bringen kann. • Dem angestellten Manager kann unterstellt werden, dass er den Börsengang anstrebt, um den allein herrschenden Eigentümer in die Disziplin der Institutionen einer Börsengesellschaft zu zwingen und damit selbst eine Lockerung der Abhängigkeitsbeziehung zu gewinnen. Juristisch besteht dann das Problem, wann möglicherweise die Kompetenzen des mitbestimmten Aufsichtsrats unterlaufen werden.132 Wie üblich bei Fragen der Gesetzesauslegung gibt es hierzu gewichtige kontroverse Meinungen.133 In Geschäftsdingen unerfahrene Familiengesellschafter setzen sich nicht so sehr rational mit den Handlungen ihrer Geschäftsführung auseinander, vielmehr erleben sie deren Qualifikation eher auf emotionale Weise. Auf dieser Ebene können aber Veränderungen in den Verhaltensweisen und persönliche Irritationen außerhalb des beruflichen Kontextes dazu führen, dass die emotionale Beziehung von Vertrauen in Misstrauen umschlägt. Kann das Misstrauen nicht beseitigt werden – und bei irrationalem Misstrauen ist dies nicht möglich –, dann führt es zur Ablösung des Managers. Wir erleben dann eine endlose Sequenz von Neubesetzungen, denen nach jeweils zwei bis drei Jahren oder manchmal auch schon nach kürzerer Zeit die Trennung folgt. Da sich das Jobrisiko bei einem solchen Unternehmen bei den erfahrenen Managern natürlich herumspricht, muss man zu immer jüngeren Kandidaten greifen, die sich als unerfahrene, aber tollkühne Glücksritter Führungspositionen in einem Alter zumuten, in dem es vielleicht sogar etwas unwahrscheinlich ist, Vertrauen auf sich ziehen zu 132 133
Vgl. Teubner, G. (1986): S. 573 ff. Vgl. Assmann, H.-D./Sethe, R. (2000): S. 267 f.
110
4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
können. Am Ende wird das Dilemma gelöst, indem das Familienunternehmen verkauft wird, und das ist dann noch die bessere Lösung, bevor es untergeht. Dies ist aber ein relativ seltenes Problem angesichts der Vielzahl der Familiengesellschaften und kennzeichnet nicht die Gruppe sehr erfolgreicher Unternehmen. Zudem muss man anerkennen, dass der Verlust des Vertrauens in die Erfolgsträchtigkeit der Managementkonzepte bei Börsengesellschaften noch viel schneller zur Managerrotation führt. Im Blick auf den Grundansatz des Misstrauens können wir unseren Familiengesellschafter auf die Veröffentlichungen zur Corporate Governance bei Börsengesellschaften verweisen. Die Gesellschafterrechte und die Freiheit der Eigentümer in der Ausgestaltung der Institutionen und der Überwachungsprozesse geben den Gesellschaftern viele Möglichkeiten, die Eintauchtiefe in der Aufsicht, sogar in den Einzelkontrollen, beliebig zu intensivieren. Auch die Einsetzung eines Beirats braucht dies nicht zu hemmen. Erstens kann ein Beirat wie ein Geschäftsleitungsorgan ausgestaltet werden. Oder aber zweitens und problematischer: Der oder die Gesellschafter agieren am Beirat vorbei und geben ihrem Misstrauen gegen die Geschäftsführung durch Kontrollen und Anweisungen Raum. Oder aber noch problematischer: Es wird selbst die Geschäftsführung umgangen und die Kontrolle und Anweisungen richten sich gleich an und gegen die nachgeordneten Führungskräfte. Derartige Pathologien in der Beziehung zwischen Gesellschaftern und Unternehmen kommen natürlich vor. Die entsprechenden Phasen der Unordnung sind sicher negativ für die Unternehmensentwicklung. (Es gibt allerdings Geschäftsmodelle, die so unverwüstlich erfolgreich sind, dass das Unternehmen auch eine beträchtliche Zeit der Konfusion zwischen Gesellschafter-Geschäftsführung und Unternehmen aushält – freilich nicht auf Dauer.) In jedem Fall lässt sich aus der Beobachtung solcher Verwerfungen nichts lernen. Mein Anliegen ist es, die Möglichkeiten einer „besseren“ Arbeit des Beirats als „Anker des Vertrauens“ und als Instrument zur Entwicklung einer „besseren“ Unternehmensführung auszuloten. Es wäre nachzuweisen, dass eine Gesellschaftergruppe über einen Beirat bei „kunstgerechter“ Gestaltung tendenziell einen günstigeren Einfluss auf die Unternehmensentwicklung ausüben kann, als es der Aufsichtsrat der typischen Börsengesellschaft vermag. Dann könnte darin ein Grund für die überlegene Vitalität der Familiengesellschaft gefunden werden. Und da ich davon überzeugt bin, dass dem so ist, übergehe ich die durch Misstrauen geprägten Konstellationen und konzentriere mich darauf, die Voraussetzungen für die intendierte „bessere“ Beiratsarbeit zu entwickeln.
4.5 Die Wertgenerierung durch Vertrauen
111
Die Vertrauenskultur, unabhängig von durch Misstrauen geprägten Satzungsbestimmungen und Geschäftsordnungen Da Vertrauen nicht garantiert werden kann, sondern immer labil ist und entweder tatsächlich oder auch nur in der Wahrnehmung getäuscht werden kann, sind die Regelungen der Unternehmensverfassung darauf ausgelegt, dass eben die Funktionsfähigkeit des Unternehmens auch angesichts von Misstrauen aufrechterhalten wird. Enge Genehmigungsvorbehalte und Weisungsrechte sind per se noch nicht als Misstrauenskundgebungen zu werten. Diese und andere misstrauensbasierten Regelungen sind als Notsicherungen zu sehen. Da ich generell davon ausgehe, dass die „Verfassungswirklichkeit“ für die Prozesse zwischen Beirat und Geschäftsführung ausschlaggebend ist und sich diese unabhängig von den statutarischen Regelungen entwickelt, halte ich es – auch in der Praxis erwiesen – für möglich, dass sich auf den gleichen „Formularregelungen“ für Satzungen und Geschäftsordnungen sowohl eine Misstrauenskultur als auch eine Vertrauenskultur aufbauen können. Ich befasse mich im Folgenden daher nicht mit den möglichen statutarischen Regeln, sondern ich suche nach Argumenten und unterstützenden Vorgehensweisen, die eine Vertrauenskultur ermöglichen. Der Weg, den die erfolgreichen Familienunternehmen in der Corporate Governance einschlagen, besteht darin, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Gesellschafter Vertrauen in die Unternehmensführung haben können. Die Vertrauensbeziehung zu einem „Steward“ statt Misstrauen zu einem „Agent“ Den meisten Aufsichtsräten wie auch Beiräten dürfte nicht bewusst sein, in welchem Maße die Rolle dieser Institutionen durch Theorien geprägt ist.134 Während diese in der Anfangszeit der Betriebswirtschaftslehre und insbesondere in der Lehre von der Unternehmensführung Kunstlehren waren, die die Praxis beobachteten und systematisierten, ist mit der Entstehung der modernen Finanztheorien und der Dreieinigkeit von Property-RightsTheorie, Transaktionskostentheorie und Prinzipal-Agent-Theorie135 eine umgekehrte Situation eingetreten: Die Theorien entwickeln Konzepte zur 134 135
Vgl. Becker, T. (1993); Jaschke, T. (1989). Ein Überblick, der insbesondere auch die Zusammenhänge zwischen diesen Theorien herausarbeitet, siehe: Picot, A. (1991).
112
4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
Verhaltensbeeinflussung und diese wirken nicht zuletzt deshalb, weil an ihre Wirkung geglaubt wird. Ghoshal hat eindrucksvoll darauf hingewiesen, dass die „amoralische und pessimistische Weltsicht“, die der Theorie des eigensüchtigen, verantwortungslos opportunistisch handelnden Managers zugrunde liegt, dazu beigetragen hat, das Problem zu verschärfen, statt es abzumildern.136 Ohne die theoretische Begründung, ja Rechtfertigung, wäre es zu den oben geschilderten Deformationen der Börsengesellschaften nicht gekommen. Das Positive am wissenschaftlichen Prozess ist freilich, dass jede Überspitzung und Einseitigkeit zur Gegenthese führt. Und so gibt es nicht nur Forschungen, die Wege suchen, die dysfunktionalen Wirkungen der vorherrschenden Theorien zu begrenzen – leider meist durch Ansätze von noch mehr Misstrauen und Regelungen. Es gibt auch eine immer stärker werdende Richtung, die an den Grundlagen ansetzt. Hierher gehört zunächst die Kritik an der oben genannten Theorien-Dreieinigkeit.137 Hierher gehören auch die Kritiker des Shareholder-Value-Theorems.138 Auffällig ist die starke Welle an Literatur – wissenschaftlich oder populär geprägt –, die der Sehnsucht nach Vertrauen Ausdruck verleiht.139 Eine gerade für die Familienunternehmung äußerst aussichtsreiche Forschungsrichtung ist die „Stewardship“-Theorie140. Wie die AgencyTheorie ihre prognostizierten Wirkungen auf das Verhalten des Managements nur dann erzielt, wenn der Persönlichkeitstypus eben den Annahmen der Agency-Theorie entspricht, so ist eine Beziehung zwischen Eigentümer und Steward nur dann fruchtbar, wenn die Persönlichkeit des Managers dem Menschenbild der Stewardship-Theorie entspricht.141 Damit stellt sich für die Institutionen in der Familienunternehmung die Aufgabe, vertrauenswürdige Manager zu gewinnen und diese dann an das Unternehmen zu binden.
136 137 138
139 140 141
Vgl. Birkinshaw, M./Piramal, G. (2005): S. X f. Vgl. verschiedene Aufsätze in Birkinshaw, M./Piramal, G. (2005). Vgl. Kennedy, A.A. (2001); Vogelsang, G./Burger, C. (2004); Ghoshal, S./Moran, P. (2005). Fukuyama, F. (1995); Golin, A. (2004). Davis/Schoorman/Donaldson (1997). Ebenda, S. 39.
4.5 Die Wertgenerierung durch Vertrauen
113
Der Vergleich der Agency Theory mit der Stewardship Theory Agency Theory Model-of-Man-Verhalten Economic man selbstsüchtig
Stewardship Theory Self-actualizing man kollektivistisch
Psychologische Mechanismen Motivation
Bedürfnisse niedrigen wirtschaftlichen Ranges (physisch, ökonomisch, sicherheitsbezogen) extrinsisch
Bedürfnisse höheren Ranges (Wachstum, Selbsterfüllung, self-actualization)
Referenzgruppe
andere Manager
Prinzipal
Identifikation
geringes Engagement
hohes Engagement
Macht
institutionell (Legitimität, persönlich (ExpertenZwang, Belohnung) macht, Bindungsmacht)
Situationsbezogene Mechanismen Managementphilosophie kontrollorientiert
engagiert
Risikoverminderung
Kontrollmechanismen
Vertrauen
Zeithorizont
kurzfristig
langfristig
Ziel
Kostenkontrolle
Performancesteigerung
Kulturelle Unterschiede
Individualismus
Kollektivismus
hohe „Power Distance”
niedrige „Power Distance”
Das Erkennen des opportunistischen Schurken durch die Präsenz der Familiengesellschafter Familiengesellschafter brauchen weniger Angst davor zu haben, dass ein eigensüchtiger Agent ihr Unternehmen ruiniert, wenn sie sich darauf verlassen können, dass ein krasser Schurke schon erkannt werden wird. Aus verschiedenen Gründen bleibt Selbstsucht in einem mittelständischen Umfeld nicht unentdeckt und könnte sich keinesfalls ausleben. Hierzu sind die Verhältnisse eben doch überschaubar genug. Insbesondere kann man sich darauf verlassen, dass befremdliche Ziele und Verhaltensweisen eines Fremdgeschäftsführers von den Führungskräften der Ebene unterhalb der
114
4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
Geschäftsführung den Gesellschaftern „hinterbracht“ würden. Solche Kommunikationswege sind generell nicht zu befürworten, aber es gibt sie und sie sind in jedem Falle der Not auch Risiko reduzierend. Dies wäre aber nur die Notabsicherung, die dazu führt, dass ein zu Misstrauen berechtigender Fall auch „aufgedeckt“ wird. Wichtiger ist es zu erkunden, wie Vertrauen als Grundlage geschaffen werden kann. Die Vertrauensbasis durch gemeinsame Werte Vertrauen entsteht zu Menschen, auf deren loyales Verhalten Verlass ist, da ihr Verhalten durch gemeinsam anerkannte Werte geleitet wird. Ob und welche Werte die Grundlage bilden, kann einzig und allein an dem tatsächlichen Verhalten beurteilt werden. Daher ist lange Zugehörigkeit zum Unternehmen die Basis für das Erkennen der gemeinsamen Werte. Familienunternehmen haben aus verschiedenen Gründen ausgeprägte Wertvorstellungen. Diese sind vielfach noch das Erbe des Unternehmensgründers, der seine persönlichen Überzeugungen und seine Erfolgsgeheimnisse in Werteaussagen niederlegte. Große Familienunternehmer veröffentlichen diese Werte auch unbefangen, wie Bosch, Mohn, Würth oder Werner. Durch die Veröffentlichung und Verbindlichkeitserklärung für die Führungskräfte oder sogar für alle Beschäftigten wollen die Unternehmer dauerhaft Einfluss auf die Unternehmensentwicklung nehmen, ihre unternehmerischen Überzeugungen gleichsam perpetuieren. Durch die Verbindlichkeitserklärung werden aber auch die Erwartungen des Unternehmers, der Unternehmerfamilie, der gewachsenen Organisation an neu Eintretende konkretisiert. Der Werteorientierung einer Unternehmensführung wird heute allseits eine große Bedeutung zugemessen. Es wird freilich meist unterschätzt, von welchen komplexen Voraussetzungen es abhängt und wie viel Zeit erforderlich ist, um eine Werteorientierung zu schaffen. Ein wichtiges Phänomen besteht darin, dass das Merkmal „Werteorientierung“ nur in einer besonders positiven Ausprägung wirksam ist. Davor liegt zwischen Neutralität und hohen Werten ein breiter Indifferenzbereich, in dem das Bekenntnis zu den üblichen Werten, die wir von vielen Unternehmen kennen, keinerlei positive Wirkung hat. Werte sind immer positive Aussagen, sonst würden sie nicht formuliert. Es wäre also nichts Besonderes, wenn ein Wertekanon vollinhaltlich von jedermann befürwortet werden könnte. Ein neu in ein Unternehmen Eintretender hat darauf zu achten, mit welchem missionarischen Eifer die Werte propagiert werden. Werden die Werte nicht gelebt, kann man die Deklara-
4.5 Die Wertgenerierung durch Vertrauen
115
tionen ohnedies vergessen. Werte werden nur dann dauerhaft verhaltensprägend sein, wenn die Organisation sich immer wieder der Bedeutung der Werte vergewissert. Dieses ist in der Familiengesellschaft mit dem langfristigen Engagement der Familie als Sinn gebende und Werte begründende Instanz leichter zu erreichen als bei einer Börsengesellschaft. In der Börsengesellschaft liegt die Befugnis für die Wertesetzung regelmäßig beim CEO. Es wird also jeder CEO für sich in Anspruch nehmen, seinen eigenen Wertekatalog zu entwickeln. Wenn der CEO aber nach sechs oder sieben Jahren schon wieder wechselt, dann war dies kaum genügend Zeit, um die Organisation mit seinem Werteverständnis zu durchdringen. Werte können, wenn sie denn verinnerlicht werden, die für den Erfolg eines Unternehmens nötige Überwindung der folgenden Paradoxie bewirken: Freiheit, Dezentralisierung, Unternehmertum einerseits und Ordnung und Orientierung auf das gemeinsame Wohl des Unternehmens und seiner Stakeholder andererseits. Der Einsatz von Menschen, die man kennt Vertrauen kann man nur zu einem Menschen haben, dessen Verhaltsweisen Prinzipien gehorchen, die man selbst respektiert. Ein rechtschaffener Gesellschafter wird sein Vermögen keinem menschlichen Widerling anvertrauen, den er ob seiner Korrumpierbarkeit durch Geld eigentlich verachtet, nur weil dieser Manager besonders erfolgreich zu sein verspricht. Vertrauen kann man immer nur zu wenigen Menschen haben, eben den Schlüsselpersonen. In unserem Kontext sind dies der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums sowie der Vorsitzende der Geschäftsführung und vielleicht noch zwei oder drei weitere Personen. Der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums, das in der Regel ein Gesellschafterausschuss ist, ist entweder selbst Familienmitglied oder ein Vertrauter der Familie – es muss kein Nahestehender sein, es kann ein Freund des Hauses sein, aber auch eine distante Person, die kraft ihrer Persönlichkeit Vertrauen auf sich zieht. Der Vorsitzende ist entscheidend für die Auswahl der anderen Mitglieder des Aufsichtsgremiums, er ist entscheidend für das professionelle Niveau des Gremiums und ist schließlich als der Dienstherr des Vorstands oder der Geschäftsführung maßgeblich für die Wahl des Vorsitzenden der Geschäftsführung. In gleicher Weise ist Vertrauen das entscheidende Kriterium für die Auswahl des Geschäftsführers. Oft sucht man in der Nachfolge einen überlegenen Manager. Mittelständische Unternehmer werden oft geradezu angezogen von der Verantwortungsfülle und Erfahrungsbreite der Manager
116
4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
großer Konzerne und wünschen sich diese dann als Führer für ihr Unternehmen. Das geht mit hoher Wahrscheinlichkeit schief. Dann erinnert man sich des treuen Paladins aus der zweiten Reihe. Er mag kein Genie sein, aber man kennt ihn und vertraut ihm und siehe da: Das Vertrauen befähigt diese Führungskraft, über ihr scheinbar begrenztes Potenzial hinauszuwachsen. Die Kenntnis derer, um die es geht Durch lange Amtszeiten wird der Aufbau von Vertrauen über die Zeit gefördert. Lange Amtszeiten reduzieren das Risiko der Enttäuschung beim Wechsel. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Führungskräfte bei Familienunternehmungen dann, wenn sie „anwachsen“, also nicht bereits früh wieder ausscheiden, eine wesentlich längere Amtszeit haben, als sie bei Börsengesellschaften heute üblich ist. Vertrauen entsteht nicht allein dadurch, dass die Prinzipale ihre Agenten kennen. Das für das Gedeihen eines Wirtschaftsunternehmens erforderliche Vertrauen entsteht erst dann, wenn der Vertrauensnehmer (Agent) die Vertrauensgeber (Prinzipale) von Angesicht zu Angesicht kennt. Es ist etwas anderes, ob man den Börsenkurs für eine anonyme Gruppe von Börseninvestoren beeinflusst oder ob man über das Vermögen von Personen verfügt, die man persönlich kennt und achtet. Die Eigentümer von Unternehmungen haben Entscheidungen über ihr Vermögen moralisch zu rechtfertigen im Blick auf ihre Verantwortung für die nachfolgende Generation. „Ich habe die Beteiligung zwar von meinen Eltern erhalten, sie ist aber eine Leihgabe meiner Kinder“, sagt sehr eindrucksvoll ein Unternehmer.142 In gleicher Weise muss ein angestelltes Management seine Entscheidungen in Relation zu Personen sehen, die davon beeinflusst werden. Dies ist übrigens ein Grund, weshalb die Stewards möglichst früh die Kinder kennen lernen sollten, für die sie das Vermögen verwalten. Der Einsatz des Beirats weniger zur Überwachung als vielmehr als Instrument zur Verbesserung der Unternehmensführung Die Möglichkeit eines Aufsichtsgremiums, Einfluss auf das Familienunternehmen auszuüben, ist der hervorstechende Vorteil dieses Unternehmenstypus. Wenn dieser Einfluss über den Beirat ausgeübt wird, dann sind die Familiengesellschaften in der Regel daran interessiert, gegenüber einer Fremdgeschäftsführung die Stellung dieses Gremiums zu stärken. Es wird angestrebt, dass dieses Gremium qualitativ hochwertig besetzt ist. Daher 142
Redlefsen, M. (2004): S. 63.
4.5 Die Wertgenerierung durch Vertrauen
117
sind Beiräte kleine Gremien, die nach den hierzu vorliegenden Erhebungen selten über vier bis fünf Mitglieder haben. Von diesem Gremium erwarten die Gesellschafter nicht nur Aufsicht in dem Sinne, dass die Geschäftsführung nichts Schädliches unternimmt, sondern sie erwarten einen Wertschöpfungsbeitrag zum Prozess der Unternehmensführung. Durch die Überwachungsarbeit wird nur Schaden vermieden in dem seltenen Fall, dass eine Unternehmensführung absichtlich gegen die Regeln nachhaltiger Wirtschaftsführung verstößt, um sich individuelle Vorteile zuzuschanzen. Ansonsten können Überwachungsroutinen, einschließlich der präventiven Überwachung durch Genehmigungsvorbehalte, nur Schlechtes vermeiden, aber nicht Gutes veranlassen. Es werden ja nur die Vorlagen der Geschäftsführung genehmigt oder verworfen, aber keine neuen Ideen generiert. Eine solche Polizistenfunktion wäre normalerweise dem Eigentümer nicht das Geld wert, das sie kostet. Den Schurken im Management erkennt er ja durch persönliche Nähe auch ohne die Hilfe eines Beirats. Es wäre einem Familienunternehmer völlig fremd, sich nur auf die Aufsicht zu beschränken und nicht die Möglichkeit der Beratung durch qualifizierte Mitglieder des Aufsichtsgremiums zu nutzen. Vom Beirat erhofft und erwartet er eine Wertschöpfung dergestalt, dass die Geschäftsführung Orientierung, gute Ideen und Entscheidungsmaximen erhält. Die beratende Funktion ist bei Aufsichtsgremien von Familiengesellschaften der entscheidende Beitrag – also gerade das, was die auf die Aufsicht fixierte Kommentierung der Aufsichtsratsfunktionen als unzulässige Aufgabe für den Aufsichtsrat ausklammert. Auch das Verhältnis zwischen dem Beirat und der Geschäftsführung muss von Vertrauen geprägt sein, damit die Gesellschafter diese Arbeit als eine Verstärkung ihres Vertrauens in die Unternehmensleitung erleben. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit wird durchaus durch einen informellen Umgang gefördert. Es ist fast typisch für Beiräte bei Familiengesellschaften, dass es neben den Sitzungen auch informelle Zusammenkünfte gibt. Hier begegnen sich Gesellschafter, Beiräte und Geschäftsführung. Der Rahmen hierfür sind gemeinsame „Unternehmungen“: eine Städtereise oder ein kulturelles Ereignis mit anschließendem „geselligen Beisammensein“. Die persönliche Kenntnis, ja Vertrautheit aller Beteiligten, die geringere Unternehmensgröße, die geringere Komplexität des Unternehmensgeschehens erlauben, dass die Arbeitsweise des Beirats gegenüber der eines Aufsichtsrats äußerlich „diminuiert“ (weniger Ausschüsse, weniger Formalien)143, substanziell aber wirkungsvoller ist. 143
So Hennerkes, B.-H. (2002): S. 111.
118
4 Ziele und Randbedingungen für das Wirken des Beirats
Fazit: Die eigenständige Begründung der Aufgaben des Beirats in einer Familiengesellschaft als Ressourcen-Vorteil Familienunternehmen sind charakterisiert durch den Einfluss einer bestimmten Personengruppe, nämlich der Familiengesellschafter. Dieser Einfluss einer präsenten und über die Zeit beständigen Gruppe führt zu persönlichen Beziehungen und Bindungen. Corporate Governance, Überwachung sowie Sicherstellung von Moral und Loyalität zum Unternehmen geschehen in einer Familienunternehmung auf völlig andere Art und Weise als in einer Börsengesellschaft. Sie beruhen nicht auf Regelungen, sondern auf persönlichen Bindungen. Persönliche Bindung setzt persönliches Vertrauen voraus und sie verstärkt es. Nun bedarf auch Vertrauen der Bestätigung, der Kontrolle, ob das Vertrauen noch trägt. Sollte die Überprüfung der Vertrauensbeziehung nicht positiv ausfallen, wird dies beim Familienunternehmen zur Beendigung der Beziehung führen. Diese Kontrolle oder Vergewisserung der Vertrauensbeziehung hat aber nichts mit einer ständigen und nie ausreichend intensiven Aufsicht zu tun, die sich aus einer Misstrauensprämisse wegen der Gefahr des opportunistischen und geschäftsschädigenden oder unverantwortlichen Risikoverhaltens im Prinzipal-Agent-Modell ergibt. Besteht die Vertrauensbeziehung, gelingt die Auswahl eines qualifizierten Beirats und gelingt diesem ein gutes Zusammenwirken mit der Geschäftsführung, so kann dies zu Lernprozessen und zu einer besseren Unternehmensstrategie führen, als sie der Geschäftsführung allein möglich wäre. Auf diesen Überlegungen aufbauend komme ich zu der These, dass der Beirat einer Familiengesellschaft ein höheres Qualifikationsniveau haben kann und regelmäßig hat, als es ein Aufsichtsgremium in einer nach Geschäftscharakteristik und Größe ähnlichen Börsengesellschaft besitzt. Die Chancen für ein solch höheres Qualifikationsniveau können in verschiedenen Ursachen liegen, die ich bei den folgenden Kapiteln ausloten werde. Hier mag eine Übersicht der möglichen Gründe genügen: • Bessere Auswahl der Beiratsmitglieder durch die Familiengesellschafter oder die Beiratsmitglieder selbst. • Bessere Arbeit des Beirats durch bessere Rahmenbedingungen, zum Beispiel geringere Bedeutung der rechtlichen Aspekte als bei einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft – kleineres Gremium, mitbestimmungsfreies Gremium. • Bessere Arbeit des Beirats aufgrund der direkten Beobachtung seiner Arbeit durch die Gesellschafter.
5
Die Funktionen des Beirats
5.1
Der Beirat als Verbindungselement zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung
Wir gehen zunächst deduktiv von der Stellung des Beirats in einer Unternehmensverfassung aus, um anschließend seine möglichen Aufgaben aufzufächern. Der Begriff der Unternehmensverfassung beschreibt in Analogie zur Verfassung staatlicher Einheiten den strukturellen Rahmen des Zusammenwirkens in einer Gemeinschaft, um Nutzenpotenziale zu erschließen und die Verständigungsprozesse zwischen verschiedenen Interessenträgern zu gestalten.144 „Der Grundgedanke liegt in der Schaffung einer gewollten Ordnung, in der die Zuständigkeitsbereiche einzelner und das Zusammenwirken aller festen Regelungen unterworfen werden sollen.“145 Diese Regelungen finden ihren Niederschlag in Satzungen, Gesellschaftsverträgen, Geschäftsordnungen, insbesondere in den Definitionen und den Beschränkungen der Entscheidungszuständigkeiten (limits of authorities), ferner in Ressortzuständigkeiten und Unternehmensrichtlinien, aber auch in Deklarationen von Visionen und Werten, von Leitlinien der Unternehmenspolitik. „Die GmbH und die Personengesellschaften sind in ihrer Organstruktur typischerweise zweigliedrig aufgebaut. Auf der einen Seite steht die Geschäftsführung, auf der anderen Seite die Gesellschafterversammlung. Die Kompetenzen dieser beiden Organe sind unter dem Vorbehalt anderweitiger gesellschaftsvertraglicher Regelungen gesetzlich vorgegeben. In dieses austarierte Zuständigkeitssystem muss sich der Beirat einfügen. Jede Kompetenzzuweisung an den Beirat hat notwendige Auswirkungen auf die Zuständigkeiten der beiden anderen Organe, sei es dadurch, dass konkurrierende Zuständigkeiten entstehen oder dass Zuständigkeiten verlagert werden.“146 Die Einrichtung eines Beirats schafft statt der vom Gesetz vorgesehenen zwei Ebenen einer Unternehmensverfassung drei Ebenen. Wenn es dazu noch einen mitbestimmten Aufsichtsrat gibt, kann man darüber nachsinnen, 144 145 146
Grundlegend hierzu Bleicher, K. (1994): S. 289 ff. Bleicher, K. (1994): S. 291. Thümmel, R.C. (1995): S. 2461.
120
5 Die Funktionen des Beirats
ob daraus insgesamt vier Ebenen werden oder ob es bei drei Ebenen mit zwei Instanzen in der Zwischenebene bleibt: • Ebene der Gesellschafter mit umfassenden Rechten, • Ebene der an den Beirat delegierten Rechte und der vom Beirat gewünschten oder in Anspruch genommenen Beratungsrechte, • Ebene der vom (mitbestimmten) Aufsichtsrat wahrgenommenen Rechte, • Ebene der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Geschäftsführung. Grafisch lässt sich die Zwischenstellung von Beirat und Aufsichtsrats folgendermaßen illustrieren:
Gesellschafter
Beirat
Aufsichtsrat
Geschäftsführung Abb. 3. Das Zusammenwirken der Organe der Gesellschaft (1)
5.1 Der Beirat als Verbindungselement
121
„Stakeholder“ Zivilgesellschaft, Kunden, Nachkommen, Mitarbeiter
Verantwortliche Eigentümerstellung x Persönliche Eigenschaft Beziehungen, Erfahrungen, nicht wirtschaftliche Interessen
Gesellschafter
x x x x x x
Gesellschafterrechte Interessen Konstituierung Auswahl der Mitglieder Delegation von Rechten Übertragung der Interessenkompetenz x Aufsicht Kompetenz, vor allem Sachkompetenz
x Bericht über Arbeit und Lage des Unternehmens x Einbindung bei existenziellen Entscheidungen x Meinungsbildung x Mitwirkung bei existenziellen Entscheidungen Sicht der Umwelt der Unternehmung, Kontakte zur Umwelt
Beirat
x Konstituierung der Geschäftsführung x Auswahl der Mitglieder x Interessenkompetenz x Zustimmungsvorbehalte x Aufsicht
x x x x
Berichterstattung Anträge Einbindung Mitwirkung bei der Strategieentwicklung
Geschäftsführung
x Konstituierung der Organisation x Vertretung des Unternehmens nach außen x Führung
Umwelt
Abb. 4. Das Zusammenwirken der Organe der Gesellschaft (2)
122
5 Die Funktionen des Beirats
Im Folgenden gehen wir nur auf die Grundbeziehung Gesellschafter – Beirat – Geschäftsführung ein und blenden den Aufsichtsrat als „Nebenschauplatz“ aus. Jede Instanz hat eine eigene Grundlage ihres Wirkens in den Dimensionen: • Rechte und juristische Verantwortung, • Interessenkompetenz, • Sachkompetenz, • Personalkompetenz. Abb. 4 veranschaulicht diese Zusammenhänge. Meine Sicht des Beirats als Verbindungselement ist nicht die einer von den Gesellschaftern beauftragten Institution, die lediglich die Gesellschafterrechte gegenüber der Geschäftsführung wahrnimmt. Vielmehr sehe ich in seiner Funktion als „Verbindungselement“ die Möglichkeit und das Erfordernis, in beide Richtungen zu „wirken“: gegenüber den Gesellschaftern wie auch gegenüber der Geschäftsführung. Die Beziehung zur Geschäftsführung ist unabdingbar und allseits verständlich. Die Beziehung zu den Gesellschaftern ist insbesondere den aus der Welt der Börsengesellschaften kommenden Beiratsmitgliedern und Beiratsvorsitzenden meist nicht so offenkundig. In der Börsengesellschaft liegt die Aufgabe der Investor Relations – außerhalb der Hauptversammlung – im Regelfall beim CEO und CFO. Der Aufsichtsratsvorsitzende leitet die Hauptversammlung und ist ansonsten nur in Sonder- und Notfällen mit intensiven Kontakten zu den Aktionärsvertretern befasst. Dies ist allerdings anders, wenn Großaktionäre auftreten: Für den Aktionär ist nur der Repräsentant der Aktionäre, der Aufsichtsratsvorsitzende, der maßgebliche Verhandlungspartner. (Man sollte sich nicht davon täuschen lassen, dass in der Presse meist die Person des CEO im Zentrum der Berichterstattung steht.) Im Familienunternehmen sind meist alle Gesellschafter intensiv am Unternehmensgeschehen und den anstehenden Entscheidungen interessiert. Das Vertrauen der Gesellschafter gibt den Institutionen Beirat und Geschäftsführung Macht und Einfluss. Der Vorsitzende des Beirats muss also in ganz anderer Weise und in viel höherer Intensität die Kommunikation mit seinen Gesellschaftern pflegen, als dies ein Aufsichtsratsvorsitzender einer Publikumsgesellschaft müsste oder könnte. Auch wenn die Gesellschafter eines Familienunternehmens einen Beirat eingesetzt haben, um – besser, als sie selbst es könnten – den Erfolg der Unternehmensführung zu befördern, so wollen sie doch „teilhaben“ am Geschehen, „eingebunden“ sein – und dies verlangt eine ständige und intensive Kommunikation.
5.2 Die Aufgaben der Gesellschafter als „Institution“
123
Ein Mitglied im Beirat eines Familienunternehmens sollte also bereit sein, für die Gesellschafter ausreichend Zeit – auch außerhalb der Beiratssitzungen – zur Verfügung zu haben. Diese Forderung gilt natürlich noch ausgeprägter für den Beiratsvorsitzenden. Wenn die Wirkungsmöglichkeiten des Beirats insgesamt und speziell die des Beiratsvorsitzenden angemessen reflektiert werden, ermöglicht dies ein fundamentales Vertrauen der Gesellschafter. Die Vergewisserung dieser Vertrauensbeziehung und ihre Bekräftigung verlangen eine ständige und gehaltvolle Kommunikation. Regelmäßig sind Beiräte und Beiratsvorsitzende eher geneigt, ihren Wertbeitrag vor allem in der Beaufsichtigung und Beeinflussung der Geschäftsführung zu suchen. Nach diesem Verständnis verbringt dann der Beiratsvorsitzende relativ viel Zeit damit, die Geschäftsführung zu „kontrollieren“. Wichtiger wäre es aber, sich um die Sicht der Gesellschafter zu bemühen, ihre Ängste wahrzunehmen und diese für die Geschäftsführung in strategische oder operative Fragestellungen zu übersetzen. Die Aufgabe des Beirats mag in den Statuten nur in der Relation zu der Geschäftsführung spezifiziert sein. Auch in den folgenden Kapiteln wird diese Perspektive die dominierende Sichtweise sein. Der wahre Kunde der Arbeit des Beirats ist aber der Gesellschafterkreis und es ist allemal eine gute Empfehlung, intensiv mit dem Kunden zu kommunizieren.
5.2
Die Aufgaben der Gesellschafter als „Institution“
Die Gesellschafter haben in unserer Wirtschaftsordnung weitgehende Gesellschafterrechte, kraft derer sie befugt sind, ihre Interessen in der Unternehmung durchzusetzen. Als Personen haben sie Eigenschaften, die sie nicht ablegen, wenn sie als Gesellschafter agieren. Sie haben persönliche Kontakte, Erfahrungen und nicht-wirtschaftliche Interessen. Als Miteigentümer eines Unternehmens haben sie Rechte und sie haben Ambitionen, welche Wirkung sie aufgrund ihrer Gesellschafterstellung ausüben wollen. Als Anteilseigner tragen sie auch Verantwortung gegenüber anderen. Ihre Verantwortung besteht gegenüber den bekannten Stakeholdern des Unternehmens. In einem Familienunternehmen ist eine besonders bedeutsame Stakeholder-Gruppe die Nachkommenschaft der derzeitigen Gesellschafter. Das Recht, Wirkungen auszuüben, bürdet auch die Verpflichtung auf, dieses Recht für nützliches Wirken einzusetzen. „Responsible Ownership“ ist eine wichtige Wertvorstellung bei der Entwicklung des Selbstverständnisses einer Gruppe von Gesellschaftern. Ohne dies hier vertiefen zu
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5 Die Funktionen des Beirats
können, seien einige Stichworte angeführt, die zur Reflexion über eine „verantwortungsvolle Eigentümerstellung gehören: • Sicherung des Bestandes und nachhaltige Entwicklung des Unternehmens. Hierzu gehören Überlegungen, wie die folgenden Voraussetzungen geschaffen und immer wieder gesichert werden können: o Bewahrung der Erfolgspotenziale in den Ressourcen und dem Kundennutzen, o Bewahrung vor existenzgefährdenden Fehlern und Schadensereignissen, o Suche nach und Entwicklung von Wachstumsfeldern, o Soweit die Gesellschafter nicht selbst kompetent sind, die Einhaltung dieser Richtlinien überprüfen zu können, müssen sie sich sachkundige Berater engagieren. • Bei einem Familienunternehmen ist die Beachtung der folgenden weiteren Grundsätze von besonderer Bedeutung147: o Vorkehrungen, die die Wahrscheinlichkeit von Streit und Unordnung in den Beziehungen zwischen Familiengesellschaftern und Unternehmen reduzieren oder zumindest die schädlichen Auswirkungen begrenzen können.148 Hierzu gehören folgende Maßnahmen: ⇒ Allgemein muss man in einem Familienunternehmen klare Ordnungsstrukturen schaffen, um Unklarheiten, die zu kontroversen Auslegungen führen können, zu vermeiden und um die Geltendmachung von ungeklärten Anspruchsgrundlagen zu verhindern. ⇒ Sicherung der Handlungsfähigkeit der Leitungsgremien: Regelung, welche Entscheidungskompetenz wo liegt; Vermeiden von Vetorechten kleinstbeteiligter Gesellschafter; Festlegung angemessener Prozentsätze (des vertretenen Kapitals oder der abgegebenen Stimmen), die für eine Beschlussfassung in den einzelnen Entscheidungskategorien erforderlich sind. ⇒ Klare Regelungen für die Ansprüche von Gesellschaftern: zum Beispiel bei Gewinnausschüttungen, Verzinsung von Gesellschafterkonten, Abfindungen bei Austritt aus der Gesellschaft u. ä. 147 148
Siehe Kormann, H. (2005): S. 25 ff. Siehe Scherer, S. (2005): S. 184 ff und 192 ff.
5.2 Die Aufgaben der Gesellschafter als „Institution“
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⇒ Möglichst gleichmäßige Behandlung aller Gesellschafter bei gleichen Sachverhalten. o Bewahrung des Zusammenhalts der Familie und der Identifikation dieser Personengruppe mit dem Unternehmen. Was dazu geleistet werden kann, den Zusammenhalt in einer kleinen oder – bei Mehrgenerationen-Gesellschaften – auch größeren Gruppe von Verwandten zu fördern, ist ein wichtiges Thema für die Beratung von Familiengesellschaften, geht aber über unsere Themenstellung hinaus.149 o Bewahrung der Kapitalbasis: Durch die geschlossene Personengruppe ist auch die Eigenkapitalbasis der Unternehmung beschränkt. Es gibt keinen Weg, Eigenkapital aus anderen Quellen als denen des Cash-Flows der Unternehmung selbst zu gewinnen. Diese Eigenkapitalbasis ist sorgfältig zu schützen gegen ungeplante oder überdimensionierte Kapitalabflüsse durch zu hohe Ausschüttungen sowie gegen gesellschafterbedingte Auszahlungen infolge von Kündigungen des Kapitals, Pfändungen, Ehescheidungen oder Erbansprüchen. o Bewahrung der Kontinuität in der Unternehmensleitung: Die Kontinuität der Unternehmensleitung muss nicht aus dem Kreis der Gesellschafter sichergestellt werden. Sie kann auch durch qualifizierte Nicht-Familienmitglieder gewährleistet werden. In unserem Verständnis ist es durchaus nicht erforderlich, dass die Familie selbst in der Unternehmensleitung repräsentiert ist. • Festlegung des Rahmens der Geschäftstätigkeit (z. B. Verzicht auf als „unethisch“ angesehene Produkte und Leistungen). • Ethische Grundsätze des Geschäftsgebarens. Allein die Auflistung der Stichworte zeigt die Fülle der Themen und die mögliche Spannbreite einer Reflexion darüber, was getan werden muss, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Die Konstituierung eines kompetenten Beirats ist eines der bewährten Instrumente, den Anforderungen einer „verantwortlichen Eigentümerstellung“ gerecht zu werden.
149
Vgl. verschiedene Beiträge in May, P./Obermaier, O.W. (Hrsg.) (2006).
126
5.3
5 Die Funktionen des Beirats
Die Funktionen des Beirats gegenüber den Gesellschaftern
Die Beziehung zu den Gesellschaftern als eine grundlegende Beziehung Der Beirat erhält sein Mandat als Vorgesetzter der Geschäftsführung von den Gesellschaftern. Seine Wirkungsmöglichkeiten gegenüber der Geschäftsführung werden grundlegend davon bestimmt, welche Autorität ihm durch die Gesellschafter verliehen wird. Diese Autorität ist im Wesentlichen im Vertrauen der Gesellschafter zu den Beiräten begründet. So prägt also die Beziehung zwischen Gesellschaftern und Beirat bereits das Wirken des Beirats in Richtung der Geschäftsführung. Nun gibt es aber, zumindest potenziell, noch ein zweites Mandat des Beirats, nämlich in die Richtung der Gesellschafter. Dieser Sachverhalt steht im Bewusstsein der Gesellschafter bei der Begründung eines Beirats selten im Vordergrund der Überlegungen. Um die oben geschilderten Aufgaben der „Shareholder Governance“ muss sich jedoch in erster Linie der Beirat „kümmern“. Die Geschäftsführung selbst ist hierzu weniger geeignet. Sie soll und muss sich zumeist auf „das Geschäft“ konzentrieren. Sie hat wenig Neigung und vielleicht auch weniger Erfahrung, mit den Interessen der Gesellschafter und der dort virulenten Gruppendynamik umzugehen. Schließlich ist der Beirat gegenüber den Gesellschaftern auch die Institution mit dem größerem Einfluss: Die Beiratsmitglieder sind nicht die Angestellten der Gesellschafter. Sie erhalten zwar ein Honorar; aber sie arbeiten nicht „für Geld“; sie sind reich nicht nur an Geschäftserfahrung, sondern auch an Lebenserfahrung. Angesichts der Bedeutung der Beziehung zwischen Gesellschaftern und Beirat müsste es selbstverständlich sein, dass die Beteiligten in angemessenen Abständen eben diese Beziehungsebene zum Gegenstand einer gemeinsamen Reflexion machen. Bei der Formulierung der Erwartungen an den Beirat und der Erörterung der Ergebnisse seiner Arbeit geht es um fast „intim“ zu nennende Fragestellungen. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn sie in einem mehrstufigen Prozess erörtert werden: Zunächst gibt es einen persönlichen Meinungsaustausch der Gesellschafter untereinander. Die Ergebnisse werden dann mit dem Beiratsvorsitzenden erörtert (wenn er nicht bereits ein Familienmitglied ist). Erst die durch die Vorgespräche bereits strukturierten Ergebnisse werden dann im Beirat insgesamt besprochen.
5.3 Die Funktionen des Beirats gegenüber den Gesellschaftern
127
Die Reduzierung der Unsicherheit der Gesellschafter durch Vertrauensverankerung Ich habe oben150 ausgeführt, in welch komplizierter Lage sich der Gesellschafter einer Familiengesellschaft befindet, da für ihn das Dilemma des Prinzipals noch viel gravierender ist als für den Aktionär eines Börsenunternehmens. Aus dieser Konstellation entstehen für die Gesellschafter von Familienunternehmen, die selbst keine eingehende Erfahrung in der Unternehmensführung haben, vielfach Gefühle der Unsicherheit, ja der Überforderung durch die Aufgabe, Träger des Unternehmens zu sein. Sie suchen in dieser Konstellation Gewissheit, darauf vertrauen zu können, dass die Unternehmensführung den Bestand des Unternehmens sichert, also das Unternehmen langfristig lebensfähig erhält. Ohne Beirat muss das Vertrauen unmittelbar zu der Geschäftsführung entwickelt werden. Da es schwieriger, ja eher unwahrscheinlich ist, Vertrauen zu einer gesamten Gruppe von Personen zu entwickeln, konzentriert sich die Beziehung auf den „Chef“, den Sprecher, den Vorsitzenden: • Der Geschäftsführer geht mit dem Geld der Eigentümer um. Er hat aufgrund seiner Position einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Vermögens der Familiengesellschafter. • Der Geschäftsführer repräsentiert das Unternehmen, seine Kultur, die Geschäftsgrundsätze, kurz: Er vertritt den guten Namen des Familienunternehmens. • Vom Erfolg der Geschäftsführung, aber auch der von ihr verfolgten Strategie, hängt der Erfolg des Unternehmens als Familienunternehmen ab. Wenn die Strategie in eine Richtung führt, dass etwa Kooperationen und Fusionen notwendig werden, um die Zukunft des Unternehmens zu fördern oder gar zu sichern, dann kann dies das Ende des Familieneigentums bedeuten. Besteht aber ein Beirat, dann richtet sich die Vertrauenserwartung der Gesellschafter auf zwei Bereiche: auf seine loyale Vertretung der Interessen der Eigentümer und auf seine Sachkompetenz. Das Vertrauen auf die loyale Interessenvertretung geht dahin, dass in Situationen, in denen die Gesellschafter ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen, diese vom Beirat im besten Sinne der Gesellschafter wahrgenommen werden. Das Vertrauen in die Sachkompetenz des Beirats geht dahin, dass dieser in Situationen, in denen 150
Vgl. Kapitel 4.1.
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5 Die Funktionen des Beirats
ein Handeln des Managements erforderlich ist, prüft, ob dies bereits in angemessener Weise erfolgt ist oder zu veranlassen ist. Durch das Wirken der Geschäftsführung entstehen Neuerungen und Veränderungen, die leicht fehlinterpretiert werden können, etwa als Verlassen der „bewährten Tradition“ des Unternehmens, als aggressives Expansionsstreben usw. Die Vertrauensbeziehung der Gesellschafter zur Geschäftsführung ist zwar durchaus möglich; sie ist aber tendenziell immer labil und gefährdet – einfach deshalb, weil die Geschäftsführung die Quelle für alle Initiativen ist. Die Mitglieder des Beirats sind aus verschiedenen Gründen im Allgemeinen besser als die Geschäftsführung geeignet, „die Verankerung des Vertrauensbedarfs“ der Gesellschafter anzubieten. • „Vertrauenswürdigkeit“ ist neben oder noch vor der fachlichen Kompetenz das entscheidende Kriterium für die Auswahl von Beiräten. • Zumeist sind Beiratsmitglieder in einem Alter jenseits jugendlichen Leichtsinns. • Ihre berufliche Leistung und ihre Lebenserfahrung verleihen ihnen ein gewichtiges Ansehen. Die Erwartungen der Gesellschafter an den Beirat können wohl, wie folgt, charakterisiert werden: • Die Gesellschafter erwarten, dass ihr Vertrauen in den Beirat gerechtfertigt ist. • Die Gesellschafter hegen die Erwartung, dass die Beiratsmitglieder eine große Erfahrung in der Auswahl und Beurteilung von Führungskräften haben und daher besser als die Gesellschafter selbst in der Lage sind, Führungskräfte auszuwählen. • Der Beirat kann die Leistung der Unternehmensführung qualifiziert beurteilen und „guten Rat“ geben. Der Beirat als möglicher Anker für das Vertrauen Bei der Suche nach vertrauenswürdigen Vertretern der Eigentümerinteressen kommt insbesondere bei Familiengesellschaften, bei denen kein Familienmitglied an der Geschäftsführung beteiligt ist, ein „starker“ Beirat als Partner für die Vertrauensbeziehung in Betracht. Es entsteht dann eine Kette von Vertrauensbeziehungen:
5.3 Die Funktionen des Beirats gegenüber den Gesellschaftern
129
Gesellschafter Vertrauen Beirat Vertrauen Geschäftsführung Auf die Instrumente der Vertrauensbildung, die den Gesellschaftern hinsichtlich des Beirats zur Verfügung stehen, werde ich im Laufe der folgenden Kapitel immer wieder zurückkommen. Hier mögen einige Stichpunkte genügen: • Wahl eines seit langem Vertrauten als Vorsitzenden des Beirats, • Generell: Wahl von persönlich bekannten Personen als Mitglieder oder Wahl von sehr renommierten und durch dieses Renommee Vertrauenswürdigen als Mitglieder, • Beförderung des informellen Kennenlernens der Beiratsmitglieder und damit Erfahren ihrer gesamten „Persönlichkeit“, • Mitwirkung von Gesellschaftern als Beiratsmitglieder und damit deren teilnehmende Beobachtung der Wirksamkeit dieses Gremiums. Allgemein richtet sich an den Beirat die Erwartung, dass durch sein Wirken die Führung des Unternehmens „gut“ sei und damit die latente oder akute Unsicherheit der Familiengesellschafter reduziert wird. Eine „gute“ Unternehmensführung ist eben auch die Voraussetzung für die nachhaltige Bindung der Gesellschafter an ihr Unternehmen. Auf ein wenig ertragreiches, nicht wachsendes Unternehmen kann ein Gesellschafter nicht richtig „stolz“ sein. Ein solches Unternehmen hat – über einen längeren Zeitraum hinweg – für einen zahlenmäßig wachsenden Gesellschafterkreis ein immer geringeres finanzielles Gewicht. „Erfolg“ ist beim Familienunternehmen – ebenso wie beim Börsenunternehmen – eine Voraussetzung für die nachhaltige Bindung der Gesellschafter. Der Beirat als Beeinflusser der Gesellschafter Es gibt aber für den Beirat auch eine ganz andere Wirkungsrichtung: Interaktionen mit den Gesellschaftern in den Angelegenheiten der Gesellschafter. Der Einfluss des Beirats auf die Gesellschafter wird dann wichtiger, wenn
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5 Die Funktionen des Beirats
in der Evolution der Familienunternehmung sich die Kreise der Familie, der Gesellschafterfunktion und der Geschäftsführung immer mehr voneinander entfernen.151 Der Beirat kann hier in eine „Klammer“-Funktion hineinwachsen, aus der heraus er die Interessen aller Beteiligten abstimmt. Ob er allerdings diese Aufgabe wahrnehmen soll und wahrnehmen kann, bedarf der reflektierten Entscheidung, die auch formal in den Satzungsgrundlagen des Beirats festgehalten werden sollte. Aus der nachfolgenden Skizzierung der Aufgaben eines Beirats sollte deutlich werden, dass diese Aufgaben in der Beratung und Beeinflussung der Gesellschafter nur erfüllt werden können, wenn der Beirat die entsprechenden Themen systematisch auf seine Agenda setzt. Derartige Themen erfordern in der Regel einen ausgesprochenen Tiefgang in der Aufbereitung der Sachfragen. Hierauf müssen sich die Beiratsmitglieder bewusst einstellen, um den Anforderungen gerecht zu werden. Die übergeordnete Fragestellung lautet: Wie kann die Trägerschaft der Familie in der derzeitigen und in der nächsten Generation gesichert werden? Dieses übergeordnete Thema kann in folgende Unterthemen aufgegliedert werden: • die Abstimmung der individuellen Gesellschafterinteressen mit dem Interesse aller Gesellschafter und dem Unternehmensinteresse, • die Stärkung der Bindung der Gesellschafter an das Familienunternehmen, • die Gestaltung der Einflussnahme der Gesellschafter auf das Unternehmen durch Satzungsbestimmungen, Verlautbarungen der Gesellschafter zur Unternehmenspolitik und Repräsentanz der Familie in den Gremien, • die rechtliche und finanzielle Sicherstellung des Anteilsübergangs auf die nachfolgende Trägerschaft, • die Früherkennung von Konfliktpotenzialen und gegebenenfalls die Konfliktbewältigung und Konfliktheilung. Eine umfassende Darstellung dieser Themen würde eine eigene Monografie rechtfertigen, die wohl dereinst geschrieben werden muss. Hier kann nur eine Skizze eingefügt werden. 151
Ruter, R.X./Thümmel, R.C. (1994): S. 31 ff. In der Untersuchung von Brose, T. (2006), S. 90, zeigen die Details, dass in Unternehmen der 3. und 4. Generation relativ häufig – in jeweils ca. der Hälfte der Fälle – eine solche Funktion des Beirats als Manager der Unternehmerfamilie gewünscht wird.
5.3 Die Funktionen des Beirats gegenüber den Gesellschaftern
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Die Abstimmung der individuellen Gesellschafterinteressen mit dem Interesse aller Gesellschafter und dem Unternehmensinteresse umfasst zum Beispiel: • die Ausschüttungspolitik, • die Beschäftigung von Familienangehörigen im Unternehmen, • die Abgrenzung von eigenständigen wirtschaftlichen Engagements der Gesellschafter von den Unternehmensinteressen bzw. deren Einbeziehung in die Unternehmensinteressen. In diesem Zusammenhang wird meist ein Dilemma zwischen dem verabsolutierten Firmeninteresse und dem Interesse der Individuen oder des Familienverbandes unterstellt. In asketischer Selbstbescheidung wird dann gerne der Vorrang des Firmeninteresses als Entscheidungsregel gefordert. Bei objektiver Betrachtung zeigt sich jedoch, dass ohne Zusammenhalt und ohne Bindung der Familiengesellschafter an das Unternehmen dieses nicht als Unternehmen nachhaltig bestehen kann. Daher würde eine rationale Entscheidungsregel eher folgendermaßen lauten: Im Interesse der Wahrung des Bestandes und der notwendigen beziehungsweise einvernehmlich gewünschten Entwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens ist diejenige Regelung vorzuziehen, die die Loyalität jedes Gesellschafters gegenüber dem Unternehmen stärkt. Die Dividendenausschüttungen sollten so gestaltet sein, dass sie das Unternehmen nicht finanziell überfordern, aber andererseits für jeden Gesellschafter einen substanziellen Betrag ausmachen. Wenn die Ausschüttungen zu knapp bemessen oder nur gelegentlich zu erwarten sind, wird das Unternehmen für die Gesellschafter belanglos. Man sollte sich dann nicht darauf verlassen, dass die hehre Verpflichtung, das Erbe zu bewahren, genügend Bindungskraft entfaltet. Die Beschäftigung von Familienangehörigen im Unternehmen ist unter all den in dieser Rubrik anzusprechenden Themen das komplexeste. In Bezug auf den Mehrheitsgesellschafter ist die Doktrin verbreitet, dass er – wenn er im Unternehmen tätig ist – nur den Posten des Chefs in der Geschäftsführung oder des Vorsitzender des Beirats einnehmen kann. Das klingt nicht sehr aufgeklärt; denn mit dem Anteilsbesitz ist ja nicht automatisch die Fähigkeit verbunden, ein Unternehmen leiten zu können. Dennoch ist diese Doktrin richtig: Ein Mehrheitsgesellschafter kann in seinem „eigenen“ Unternehmen nicht unterhalb der Unternehmensführung tätig sein. Die Beschäftigten würden ihn immer als den eigentlichen Machtträger und damit als Entscheidungsinstanz adressieren – selbst wenn er oder sie
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5 Die Funktionen des Beirats
dies vermeiden wollte. Bei einem Minderheitsgesellschafter in einer Mehrgenerationen-Gesellschaft ist die Frage diffiziler: Warum sollte ein Gesellschafter seinen Beruf, den er auch andernorts ausüben könnte, nicht im eigenen Unternehmen ausüben? Es ist emotional doch nahe liegend, sich lieber für das Unternehmen der eigenen Familie zu engagieren als für ein anderes Unternehmen. Hat dieses Unternehmen aber eine Geschäftsführung aus Nicht-Familienmitgliedern, dann entsteht eine „unnatürliche“ Konstellation, wenn der Gesellschafter oder die Gesellschafterin, die als Teil der Eigentümergesellschaft zu den Machträgern gehören, in einer hierarchisch nachgeordneten Position tätig ist. Wiederum sind es die Beschäftigten insgesamt, die im Gesellschafter ein Mitglied des „Unternehmeradels“ sehen, dem sie in erster Linie als Machtträger begegnen und nicht als normalem Angestellten, der seinen Beruf ausüben möchte. Letztlich hat diese diffizile Frage sehr viele Facetten. Es ist nicht anzuraten, dass sich ein Beirat aufdrängt, in der Frage der Beschäftigung von Familienangehörigen eine „Beurteilungsinstanz“ zu sein, die über Zulassung oder Nichtzulassung entscheidet. Weniger problematisch ist die Frage der Unterstützung eigener wirtschaftlicher Aktivitäten der Gesellschafter. In einem Börsenunternehmen wäre es unter dem Gesichtspunkt der Corporate Governance nicht möglich, dass ein naher Verwandter eines Vorstandsmitglieds eine bevorzugte Geschäftsbeziehung zu dem Unternehmen des Vorstands hätte. Bei einem Familienunternehmen ist es hingegen völlig normal, dass der Vetter, der als Wirtschaftsanwalt arbeitet, Aufträge des Unternehmens erhält, ebenso die Verwandte, die eine eigene Werbeagentur hat, usw. Und das ist richtig so, denn durch diese Beförderung des eigenen Geschäfts steigt das Interesse der Gesellschafter, das Familienunternehmen als solches zu erhalten. Gerade weil es ein Verwandter ist, der in einer Geschäftsbeziehung zu dem Unternehmen steht, wird davon ausgegangen, dass er das Unternehmen, an dem seine Verwandten beteiligt sind, nicht übervorteilt. Optionen der Beschäftigung und der Geschäftsbeziehungen sind tendenziell geeignet, das Interesse an der Unternehmung zu bekräftigen. Aber auch wenn diese Möglichkeiten nicht bestehen oder von der Mehrzahl der Gesellschafter nicht genutzt werden können, besteht die Aufgabe, die Bindung der Gesellschafter an ihr Unternehmen zu stärken. Um die Trägerschaft an einem Unternehmen als etwas Sinnvolles zu erkennen, ist es von Vorteil, das Unternehmen zu kennen und an seiner Entwicklung teilhaben zu können. Während der Beirat „kraft Amtes“ informiert wird, bedürfen die Formen der Information aller Gesellschafter der besonderen Planung.
5.3 Die Funktionen des Beirats gegenüber den Gesellschaftern
133
Die Gesellschafterversammlungen haben satzungsgemäß sehr spröde Beschlussthemen. Es bedarf der Fantasie, ein solches Treffen zu einer Informationsveranstaltung auszubauen, bei der das Unternehmensgeschehen erlebt werden kann. Zu erörtern sind vor allem Themen, welche die Gesamtheit der Gesellschafter berühren. Für deren erfolgreiche Bewältigung sind Strategien zu entwickeln. Zu diesen zu besprechenden Themen zählen etwa Maßnahmen, die geeignet sind, den Bestand des Unternehmens über die Zeit zu gewährleisten. Hierzu gehören Themenstellungen wie: • die Regelungen der Vererbung einschließlich der Regelungen für Eheverträge und Erbverträge, • die Planung der Finanzierung der Anteilsübertragung auf die nächste Generation. Die Erörterung dieser Regeln ist immer höchst delikat, da es sich einerseits um höchst persönliche Entscheidungen handelt, andererseits im Interesse des Gesamtverbandes der Familiengesellschafter ein zulässiger Rahmen für die persönlichen Gestaltungen vorgegeben werden muss. Für die Formulierung von Verträgen für Güterstand und Vererbung ist der anwaltliche Rat eines Fachmanns auf diesem Gebiet unabdingbar. Der Beirat als Schlichter bei Konflikten Bei Konflikten zwischen Gesellschaftern, die sich selbst um eine gütliche Einigung bemühen, könnte ein Beirat die „geborene“ Instanz sein, um eine moderierende Schlichtung herbeizuführen.152 Dies geht allerdings nur insoweit, als die Gesellschafter im Beirat nicht selbst von diesen Konflikten tangiert sind – und dies sind sie immer. Für diese Schlichtungsfunktion müsste also ein gesondertes Gremium vorgesehen werden, in das nur die Nicht-Familienmitglieder des Beirats berufen sind. Zudem kann vom Beirat ohne weitere Voraussetzungen nur die Funktion eines „Schiedsgutachters“ wahrgenommen werden und nicht die eines abschließend bindenden Schiedsgerichts. Eine solche Funktion müsste in einem Schiedsvertrag dem Beirat zugewiesen worden sein.153 Es kann im Übrigen in Frage gestellt werden, ob eine institutionalisierte Rolle des Beirats als Schiedsgutachter oder gar eine Schiedsrichterfunktion wünschenswert ist. In der Erhebung von Vogler gibt es nur sehr wenige 152 153
So z. B. Richter, W./Freund, W. (1990): S. 9 f. Vgl. Vogler, M. (1990): S. 174; Ruter, R.X./Thümmler, R.C. (1994): S. 41 f.
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5 Die Funktionen des Beirats
Fälle, in denen eine solche Funktion für einen Beirat vorgesehen ist – und damit ist noch nicht gesagt, ob sie denn je erfolgreich genutzt wurde.154 Gewichtige Gründe sprechen gegen ein intensiveres Engagement des Beirats bei Beziehungsproblemen der Familiengesellschafter. Zum einen sind die Beziehungen zwischen den Familiengesellschaftern eben Beziehungen zwischen Familienmitgliedern, es sind relativ enge, informell geprägte Beziehungen. Hingegen wählt man die Mitglieder des Beirats in der Regel aufgrund ihrer professionellen Fähigkeiten aus. Es ist nicht von vornherein anzunehmen, dass Familienmitglieder diese eher wegen ihrer fachlichen Fähigkeiten berufenen Persönlichkeiten in ihren familiären Diskurs einbeziehen wollen. Die Zeit, die für solche Prozesse benötigt wird, dürfte kein Argument gegen eine Hinzuziehung des Beirats sein. Wenn eine Schlichtung durch den Beirat gewünscht wird, liegen die hauptsächliche Verantwortung und der überwiegende Zeiteinsatz zumeist beim Vorsitzenden des Beirats. Gegen die Einschaltung des gesamten Beirats bei manifesten Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern spricht, dass der Beirat außerhalb solcher Konflikte stehen sollte, um die Interessen aller Gesellschafter wahrzunehmen und die Unternehmensführung von diesen Konflikten auf der Ebene der Gesellschafter ungestört zu halten. Schließlich kann der Beirat eine geordnete Unternehmensleitung und die erforderliche Überwachung des Managements auch dann sicherstellen, wenn die Gesellschafterversammlung – gleich aus welchen Gründen – hierzu nicht in der Lage ist (Konflikte, Ableben maßgeblicher Gesellschafter). Das Einwirken auf die Gesellschafter zur Einhaltung der Ordnung der Institutionen Die Funktionsfähigkeit des Beirats hängt davon ab, dass sowohl die Gesellschafter wie auch die Geschäftsführung sich an das Prinzip halten, mit und über den Beirat zu arbeiten. Von der Geschäftsführung wird dies ganz selbstverständlich eingefordert. Es ist zudem entscheidend, dass die Gesellschafter sich an die „Spielregel“ halten, mit und über den Beirat zu arbeiten. Die Gesellschafter müssen sich vergegenwärtigen, dass die Tatsache, dass der Beirat durch den Willen der Gesellschafter geschaffen wurde, es verbietet, dieses Gremium dann zu umgehen, wenn es den Gesellschaftern zweckmäßig erscheint. Da der Beirat eine von den Gesellschaftern geschaffene Institution ist, erhält er seine Funktionskraft, sein Ansehen, seinen 154
Vogler, M. (1990): S. 174 ff.
5.4 Der Beirat als Moderator im Generationenübergang
135
Nutzen nur dann, wenn die Gesellschafter zeigen, dass sie ihn so ernst nehmen, dass sie – die Gesellschafter – sich selbst an die festgelegten Regeln halten. Dies darf nicht nur im Kern oder im Grundsatz so sein, sondern es muss in „allen Dingen“ so gesehen werden. Es ist freilich kaum denkbar, dass die Gesamtheit der Gesellschafter die Institution Beirat übergeht; allenfalls tut dies einmal ein einzelner Gesellschafter. In einem solchen Fall hat der Beirat dadurch, dass er auf die Wahrung seiner Zuständigkeiten achtet, zugleich die Funktion, die Beziehungen zwischen den Gesellschaftern zu ordnen. Die für die Gesellschafter relevanten Grundsätze der Arbeit eines Beirats sind zum Beispiel: • Ein Informationswunsch an die Geschäftsführung ergeht über den Beiratsvorsitzenden. Dieser entscheidet, wie dieser Informationswunsch erfüllt wird, ob durch eine Antwort nur an den Anfragenden oder – wie regelmäßig– durch Unterrichtung aller Beiratsmitglieder. • Die Würde des Gremiums verlangt, dass seine Beratungen nicht präjudiziert werden. Der Beiratsvorsitzende steuert das Verfahren. • Die Geschäftsführung darf keine Weisungen, Wünsche oder Anregungen zu einem Handeln von einem einzelnen Gesellschafter entgegennehmen, sondern nur vom Beirat oder dessen Vorsitzenden – wobei es dann dem Beiratsvorsitzenden obliegt, in geeigneter Weise das entsprechende Mandat von den anderen Beiratsmitgliedern zu erhalten.
5.4
Der Beirat als Moderator im Generationenübergang
Unter den Aufgaben der „Shareholder Governance“ haben wir die Vorsorge gegen das Misslingen des Generationenübergangs in der Unternehmensleitung als wichtige, vielleicht die wichtigste Aufgabe angesprochen.155 Der Beirat kann eine entscheidende Rolle übernehmen, damit diese Schicksalsphase eines Familienunternehmens so gut wie irgend möglich gelingt. Diese vorsichtige Formulierung soll andeuten, dass Nachfolgefragen immer mit einer Situation des Umbruchs verbunden sind – auch bei Publikumsgesellschaften, wie man ständig in den Wirtschaftsnachrichten lesen kann. Ich 155
Vgl. oben Abschnitt 4.2.
136
5 Die Funktionen des Beirats
möchte hier von unserem Betrachtungsmodell „Nicht-Familien-Geschäftsführung“ abweichen und die Vorfrage der Wahl zwischen Familien- und Nicht-Familien-Geschäftsführung in unsere Überlegungen einbeziehen. Den Fall der „Familien-Geschäftsführung“ schränke ich dabei ein auf die Konstellation einer Gesellschaft mit mehreren Gesellschaftern (zum Beispiel Geschwister-Gesellschafter). In dieser Konstellation gilt es folgende Frage zu beantworten: • Wer soll der Nachfolger eines Gesellschafters als CEO werden – ein Gesellschafter oder ein Nicht-Gesellschafter? • Welche Funktion soll ein Gesellschafter-Vorgänger als CEO nach seinem Ausscheiden einnehmen? Bei beiden Fragen wird die Entscheidung letztlich von den Gesellschaftern abhängen. Der Beirat hat aber bei der Vorbereitung dieser Entscheidung eine bedeutungsvolle Funktion in dreifacher Hinsicht: • als Berater der Gesellschafter, • als „neutrale“ Instanz, die gegenüber allen Beteiligten die Verantwortung für die gewählte Lösung übernehmen kann, • als Institution, die Gestaltungsoptionen anbietet und die bei den Gestaltungen selbst einzubeziehen ist. Ein „starker Beirat“ mit Personalkompetenz entscheidet über die Bestellung der Geschäftsführer – und zwar in aller Regel auch bezüglich der Bestellung von Gesellschaftern. Soweit wäre die Entscheidungslage klar. Die Entscheidung wird natürlich die Meinung der Gesellschafter berücksichtigen. Wie hier bereits mehrfach betont wurde, ist die Bestellung eines CEO gegen die mehrheitliche Meinung der Gesellschafter wegen der notwendigen Vertrauensbeziehung nicht sinnvoll. Bei der Wahl zwischen FamilienGeschäftsführung und Nicht-Familien-Geschäftsführung erscheinen mir folgende Entscheidungsregeln plausibel: • Sind alle maßgeblichen Gesellschafter für die Berufung eines bestimmten Familiengesellschafters als CEO, so ist dieser vom Beirat zu bestellen, sofern er die Mindestvoraussetzungen für diese Position erfüllt. Der Grund: Ein Nicht-Familien-Gesellschafter hätte keine faire Chance für einen nachhaltigen Erfolg. Bei den unvermeidlichen Schwierigkeiten und Rückschlägen würden die Gesellschafter geltend machen, dass der Familien-Geschäftsführer ohnehin die bessere Wahl gewesen wäre.
5.4 Der Beirat als Moderator im Generationenübergang
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• Wenn der Mehrheitsgesellschafter der Meinung ist, dass seine Kinder, die formal für eine führende Tätigkeit in dem Unternehmen ausgebildet wurden, letztlich nicht dafür geeignet sind, dann wird er froh sein, dass die Entscheidung über den nächsten Geschäftsführer beim Beirat liegt. Der Beirat dient hier als neutraler Dritter. Die Ablehnung der Kinder als Nachfolger eines ausscheidenden CEO muss von diesen nicht dem Urteil der Eltern angelastet werden. • Wenn ein maßgeblicher Gesellschafter zwar der Meinung ist, dass eines seiner Kinder Nachfolger werden sollte, aber andere maßgebliche Gesellschafter der gegenteiligen Meinung sind, dann sollte nicht dieser Kandidat als neuer Leiter des Unternehmens gewählt werden. • Da niemand vorher weiß, ob ein Berufener sich letztlich bewährt, muss es die Möglichkeit zur Abberufung geben, wenn der Erfolg ausbleibt. Die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers birgt in sich das Risiko, dass damit auch das persönliche Verhältnis zwischen diesem Gesellschafter und den anderen Familien-Gesellschaftern zerrüttet wird. • Wenn also nicht alles, Qualifikation der Person und Zustimmung seitens der Gesellschafter, auf einen und nur einen GesellschafterNachfolger zuläuft, sollte der Beirat den Anteilseignern empfehlen, einen Nicht-Familien-Geschäftsführer zu bestellen. Bei der Wahl eines Nicht-Familien-Geschäftsführers bietet die Existenz eines Beirats den gewichtigen Vorteil – wie weiter unten näher beschrieben wird156 –, dem externen „Professional“ ein ebenso professionell geprägtes Gremium als Arbeitgebervertreter gegenüberstellen zu können. Schließlich kann die Institution Beirat unverzichtbare Gestaltungsoptionen dafür bieten, wie der Gesellschafter-Vorgänger des neuen CEO in die Arbeit der Leitungsgremien einzubinden ist. Über die hier regelmäßig zu beobachtende Dynamik, dass der Vorgänger nicht „loslassen“ kann, habe ich oben bereits gesprochen. Aufgrund eben dieser Dynamik kann kein besonnener Berater empfehlen, dass der Gesellschafter-Vorgänger den Beiratsvorsitz übernimmt. Alle für diese Option üblicherweise vorgebrachten Argumente wie die weitere Nutzung der Erfahrung des bisherigen Geschäftsführers, die Konzentration auf strategische Themen und so weiter erweisen sich im Nachhinein als problematisch. Gerade der mittelständische 156
Vgl. Abschnitt 5.6.
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5 Die Funktionen des Beirats
geschäftsführende Gesellschafter, der seine Stärke aus seiner tiefgehenden Erfahrung im operativen Geschäft hat, kann gar nicht auf „Strategie“ umschalten, selbst wenn er sich diesen Wissensbereich – wo? – erarbeitet hätte. Er wird weiter Mikro-Management betreiben, in dem er zunächst noch mehr Erfahrung hat als ein 20 Jahre jüngerer Nachfolger. Es geht aber nicht darum, die restliche Erfahrung des Vorgängers zu nutzen. Es geht darum, dass der Nachfolger in seine Aufgabe hineinwächst und es ihm gelingt, die Zukunft der Firma zu gestalten. Die Verzögerung des Ablösungsprozesses zwischen den Generationen ist immer dysfunktional – manchmal früher, weil der Nachfolger beschädigt wird, manchmal später, weil er sein unternehmerisches Potenzial gar nicht unter Beweis stellen konnte. Ein Beiratsmandat für den Vorgänger des neuen CEO in einem Beirat mit einem Nicht-Familien-Vorsitzenden ist eine bedenkenswerte Gestaltungsoption. Damit wird eine praktikable Lösung für die persönlichen Erwartungen des bisherigen Familien-Geschäftsführers und die sachlichen Erfordernisse der Unternehmensführung ermöglicht. Bei einer NichtFamilien-Geschäftsführung ist diese Lösung wünschenswert. Bei einem Familien-Geschäftsführer als Nachfolger im Amt des CEO ist sie fast unbedingt notwendig. Damit ein Beirat in dieser immer auch sehr emotional aufgeladenen Phase des Generationenübergangs als respektierter Ratgeber agieren kann, muss er schon mehrere Jahre für das Familienunternehmen gearbeitet und eine eigene Autoritäts- und Vertrauensbasis errungen haben. Er wird in dieser Phase viel Zeit zur Verfügung haben müssen, um in zahlreichen Gesprächen ein allseits akzeptiertes Vorgehen zu erreichen. Aber wie immer bei Familienunternehmen ist es denkbar, dass es eine individuelle Lösung gibt, die den „Regeln“ widerspricht. Wenn Vorgänger – Vater/Mutter – und Nachfolger – Sohn/Tochter – sich völlig einig sind, dass die Berufung des Vorgängers in den Beiratsvorsitz die beste aller Lösungen ist, dann wird der Beirat auch gar nicht um seine Meinung gefragt.
5.5
Der Beirat als Führungsinstitution
Das Grundverständnis des Beirats im Führungssystem der Unternehmung Als reines Aufsichtsorgan müsste ein Beirat nur darauf achten, dass die Führungsinstanz – die Geschäftsführung – ihre Aufgaben angemessen erfüllt. Würde die Geschäftsführung ihren Anforderungen nicht gerecht
5.5 Der Beirat als Führungsinstitution
139
werden, müsste die aufsichtsführende Instanz die Führung zunächst „verwarnen“ und im Wiederholungsfall auswechseln. Sieht man hingegen das vorgesetzte Gremium – hier: unseren Beirat – als eine Ebene der Führungsorganisation, dann hat dieses Gremium die Mission, zur Führung des Unternehmens selbst einen Wertschöpfungsbeitrag zu leisten. In meiner Interpretation der Aufgaben eines „starken Beirats“ halte ich es für richtig, diesen als Teil des Führungssystems in einer Unternehmung zu sehen. Nur so, glaube ich, können die guten Beispiele erfolgreichen Beiratshandelns erklärt werden und daraus generalisierende Empfehlungen gewonnen werden. In dieser Konzeption ist die Unternehmensleitung, die Geschäftsführung, der Vorstand, nicht die oberste Instanz in der Führungshierarchie. Ich gehe vielmehr davon aus, dass jede Person in der Führungshierarchie sowohl Vorgesetzter ist wie auch Untergebener einer übergeordneten vorgesetzten Stelle. Dies ist evident für alle Führungskräfte unterhalb der Geschäftsführung: Sie sind in Bezug auf die nachgeordneten Ebenen die Vorgesetzten und in Bezug auf ihre eigenen Vorgesetzten die Untergebenen. Daraus folgt, dass jede dieser Führungskräfte sowohl als Mitarbeiter denken und die für diese Position spezifischen Tugenden zeigen als auch Führungsqualifikationen an den Tag legen muss. Das könnte – so meine These – auch für die Geschäftsführung gelten. Diese ist gegenüber der Organisation der Unternehmung die oberste Führungsinstanz, gegenüber ihrem Aufsichtsorgan hat sie aber die Stellung von Untergebenen. Die Inhalte der Führungsfunktion Es sind viele Einwände gegen eine solche Sichtweise denkbar. Wir werden uns sicherlich mit einer Kontroverse auseinandersetzen müssen, die im Hinblick auf den Aufsichtsrat besteht: Es geht dabei um die Frage, ob sich der Aufsichtsrat auf die Überwachung des Vorstands beschränken müsse und diesem keine Beratung angedeihen lassen dürfe, weil dies seine Objektivität bei der Ausübung seiner Überwachungsfunktion beeinträchtigen könnte. Billigt man dem Beirat eine Führungsfunktion zu, dann ist es völlig normal, dass er als Vorgesetzter all die folgenden Aufgaben eines Vorgesetzten wahrnimmt: Überwacher, Berater, Motivator und letztendlicher Entscheider bei Kontroversen zwischen ihm untergeordneten Mitarbeitern und Dienstherr. Die Einwände gegen eine solche Vorgesetztenfunktion des Beirats beruhen auf der Auffassung, dass der Beirat
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5 Die Funktionen des Beirats
• keine Zeit für eine Führungsfunktion habe, • Außenstehender gegenüber zu der zu führenden Organisation sei, • nicht die Verantwortung für eine solche Führungszuständigkeit übernehmen könne. Bevor wir uns diesen Argumenten zuwenden, müssen wir die verschiedenen Erscheinungsformen von Führung in der abgestuften Hierarchie einer Wirtschaftsorganisation vergegenwärtigen. Die höchste vorgesetzte Instanz in einem Unternehmen hat die generelle Funktion, eine gute Führung in ihrem Verantwortungsbereich, hier also im ganzen Unternehmen, sicherzustellen. Diese Führung hat zum Ziel: • eine Organisation für das gewählte Aufgabengebiet zu schaffen, hierfür qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen, die Leistungsfähigkeit der so geschaffenen Organisation zu kontrollieren und bei Funktionsstörungen in dieser Organisation einzugreifen, erforderlichenfalls die Aufgaben der gestörten Führungsebene „nach oben“ zu verlagern oder anders zuzuordnen, • Initiativen zu entwickeln, vorzugsweise durch einen Planungsprozess, aber auch auf jede andere geeignete Weise, damit die Zukunft der Unternehmung gesichert und günstig entwickelt wird, vor allem durch ertragreiches Wachstum und Stabilisierung der Unternehmensentwicklung, • den Erfolg des unternehmerischen Handelns zu kontrollieren • und hierbei vor allem auch Schaden von dem Unternehmen abzuwehren oder eingetretene Schadensfolgen zu begrenzen. Dass ein starker Beirat die Funktion eines Dienstherrn haben kann – ebenso wie ein Aufsichtsrat –, ist unstrittig. Damit obliegt es ihm, die Führungsstruktur zu gestalten und die Führungskräfte zu berufen oder abzuberufen. Dass der Beirat bei einer Funktionsstörung der Geschäftsführung die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen hat, um die Auswirkungen zu mindern und alsbald zu überwinden, ist ebenso offensichtlich. Völlig unstrittige Kernaufgabe eines Beirats ist die Aufsicht, die die Kontrolle der Unternehmensentwicklung und der Qualität der Unternehmensführung beinhaltet. Fraglich kann nur sein, inwieweit der Beirat in den Führungsprozess eingebunden sein sollte und eingebunden sein kann. In der deutschen Aufsichtsratsforschung konzentriert sich diese Frage zumeist darauf, ob ein Aufsichtsgremium „Beratung“ leisten kann bzw.
5.5 Der Beirat als Führungsinstitution
141
soll oder aber ob es sich nur auf die Aufsicht zu beschränken habe.157 Diese Diskussion gibt es interessanterweise ebenso in den Rechtsordnungen, in denen es ein Ein-Kammer-System gibt, obschon im Ein-Kammer-System der „Board“ die obersten Entscheidungskompetenzen an sich ziehen kann. So schreiben Lorsch und MacIver zur Diskussion in Amerika158: „The American Law Institute’s position is that it’s impossible for directors to „manage” the corporation, as the Delaware law stipulates, in the limited time they have. Therefore, directors should carry out oversight of management only through review and evaluations. If management is not performing effectively, the directors should replace it. The Business Roundtable believes directors can be realistically involved in setting broad policy directions by working with the CEO and other top managers, and can play the role envisioned in the Delaware statute. This argument is further clouded by the fact that not all lawyers agree with the American Law Institute’s position. Moreover, the difference of opinion has had little impact on how managers and directors actually view their role.” Was „Führung“ bedeutet, lässt sich umso weniger zu definieren, je mehr man sich in das Studium von Führungsprozessen vertieft hat.159 Ein Konsensus könnte in folgender Aufgliederung der Elemente eines Führungsprozesses gefunden werden: • Orientierung zur Bestimmung der Ausgangslage und der Mission für ein bestimmtes Vorhaben, • Beeinflussung des zugeordneten Teams oder der Untergebenen, wie die Mission zu erfüllen sei. Hierher gehört das Thema der Motivierung der Mitarbeiter, einer der herausragenden Topoi der personellen Führung in den letzten 50 Jahren. Die Aufgliederung der Mission in Ziele und deren Untergliederung in Ziele für Teilverantwortlichkeiten ist ein gängiges Instrument zur Beeinflussung der Mitarbeiter. Natürlich gehört auch das Honorierungskonzept zu Instrumenten der Beeinflussung der Belegschaft. • Die Qualifizierung der Mitarbeiter, deren Anleitung, Unterweisung, Schulung und Beratung sowie die Arbeitskontrolle sind gängige Aufgaben von Führungskräften. 157 158 159
Vgl. Kapitel 8. Lorsch, J.W./MacIver, E.A. (1989): S. 10. Der Verfasser hat sich ein Berufsleben lang um das Verständnis von Führungsprozessen bemüht. Es ist ihm unmöglich, die einzelnen Quellen seines sicherlich noch bescheidenen Erkenntnisgewinnes im Einzelnen zu zitieren.
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5 Die Funktionen des Beirats
• Die Gewährleistung, dass nötige Entscheidungen gefällt werden, ist eine unerlässliche Funktion von Führungskräften. Wenn die Gruppe der Untergebenen über eine zu treffende Entscheidung unsicher ist, muss die Führungskraft – wie auch immer – sicherstellen, dass eine Entscheidung getroffen wird. Entscheidungen sind das „Betriebsmittel“ für den Motor der wirtschaftlichen Organisation. Entweder regelt der Vorgesetzte die Prozesse, in denen seine Untergebenen zu Entscheidungen kommen, oder er trifft die nötigen Entscheidungen selbst. • Die Umsetzung dessen, was entschieden wurde, muss in einem Aktionsplan festgelegt werden. • Schließlich muss die Funktionsfähigkeit der Organisation kontrolliert werden, sei es, dass durch Einzelkontrollen die Durchführung eines bestimmten Aktionsplanes überwacht wird oder dass durch Systemkontrollen die Funktionsfähigkeit der Prozesse insgesamt überprüft wird. Durch die Erwartung der Kontrolle wird ein Druck auf die für die Umsetzung erforderlichen Anstrengungen ausgeübt. Ferner ist bei Schwierigkeiten in der Umsetzung zu prüfen, ob die Entscheidungslage anzupassen ist. Bevor ich nun versuche, diese generellen Inhalte von Führung auf die Aufgabenbereiche eines Beirats zu übertragen, ist es ganz entscheidend, sich bewusst zu machen, dass die eben genannten Komponenten von Führung auf den verschiedenen Führungsebenen sehr unterschiedlich ausgeprägt sind und in sehr unterschiedlicher Intensität verwirklicht werden. Es sind zumindest drei Führungsebenen zu unterscheiden160: • Unmittelbare Führung der Operationen (Leistungsprozesse und Verwaltungsprozesse): Die Führungskräfte führen die ausführenden Mitarbeiter. Die Interaktionen zwischen Führern und Geführten finden täglich statt. Da die Ziele meist vorgegeben sind, konzentriert sich die Führung auf die Beeinflussung und die Befähigung der Untergebenen. Der Know-how-Transfer von der Führungskraft zu dem Bearbeiter hat eine erhebliche Bedeutung. Vom wem sonst als vom Vorgesetzten soll ein Mitarbeiter für die Erledigung von Arbeitsaufträgen etwas lernen? Ebenso hat die Kontrolle der Arbeitsergebnisse der Mitarbeiter und des gesamten Prozesses ein großes Gewicht, um einen qualitativ einwandfreien Output des Leistungsbereiches sicherzustellen. 160
Dieses generelle Konzept ist gut ausgearbeitet in U.S. Army (2004).
5.5 Der Beirat als Führungsinstitution
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• Führung der Organisation: Führungskräfte dieser Ebene führen nachgeordnete Führungskräfte: Hier hat die Formulierung des Arbeitsauftrags und der daraus abgeleiteten Ziele ein sehr hohes Gewicht, verbunden mit dem Einwirken auf die nachgeordneten Führungskräfte mit der Absicht, diese zum Erreichen der Ziele zu motivieren. Die Qualifizierung von Mitarbeitern hat eher geringeres Gewicht, da erwartet wird, dass die nachgeordneten Führungskräfte eben selbst Führungskräfte sind und über die erforderlichen Kompetenzen verfügen. Die Kontrolle beschränkt sich auf exemplarische Überprüfung, ob diese Gruppe von leitenden Angestellten die notwendigen Kontrollen der operativen Prozesse durchführt. Es geht hier also um die Kontrolle des Funktionierens des Kontrollprozesses. • Strategische Führung, die die zukünftige Unternehmensentwicklung gestaltet:161 Für diese Aufgabe ist die Analyse der gegenwärtigen Lage des Unternehmens und die daraus erfolgende Ableitung der Entwicklungserfordernisse das Schlüsselthema, sodann die Einwirkung auf die Geschäftsführung. Die Notwendigkeit von Fortbildungsmaßnahmen entfällt fast vollständig, da vorausgesetzt werden darf, dass eine Geschäftsführung über alle für ihre Aufgaben erforderlichen Kompetenzen in angemessenem Umfang verfügt. Sowohl die Führer einer Organisation wie auch die Führer der strategischen Ebene sind Führer von Führenden. Sie leisten die Steuerung von Steuernden und damit eine Meta-Führung oder Führung der zweiten Ordnung.162 Untersuchen wir nun die Komponenten von Führung bei den spezifischen Aufgabenstellungen der verschiedenen Führungsstufen, so sehen wir völlig unterschiedliche Ausprägungen und Intensitäten: • Die Orientierungsaufgabe – Analyse der Lage, Zielformulierung – stelle wohl generell die wichtigste Phase der Führung dar. Sie ist bei der direkten Führung von Prozessen der Leistungserstellung und Verwaltung noch relativ gering, da hier keine Analyse der Lage mehr erfolgt und die Ziele meist weitgehend strukturiert und vorgegeben sind. Hingegen ist sie für die strategische Führung die komplexeste und auch im Zeitbedarf intensivste Phase. 161
162
Müller-Stewens, G./Lechner, C. (2003): S. 20; Finkelstein, S./Hambrick, D.C. (1996). Vgl. Foerster, H.v. (1984).
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5 Die Funktionen des Beirats
• Die Beeinflussung der Mitarbeiter ist demgegenüber bei der direkten Führung das „tägliche Brot“. Hier werden allerdings auch ganz konkrete Anweisungen erteilt. Je weiter man in den Führungsebenen nach oben geht, desto mehr geschieht „Beeinflussen“ auf indirekte Weise und durch generelle Rahmenentscheidungen. • Das „Befähigen“ der ausführenden Mitarbeiter durch Vormachen und Unterweisung ist wiederum in der direkten Führung eine sehr wichtige Aufgabe. Ein Geschäftsführer auf der strategischen Führungsebene hingegen hat unmittelbare Untergebene, die selbst in vielen Fällen in ihrem Aufgabengebiet eine höhere fachliche Kompetenz haben als er. Fachspezifische Ratschläge werden von ihnen nicht erwartet. • Die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, ist auf der ausführenden Ebene der Leistungsprozesse eher weniger ausgeprägt, da die wiederkehrenden Abläufe geregelt sind und die Ausnahmefälle im „Management by exceptions“ ohnedies der nächsthöheren Führungsebene zur Genehmigung vorgelegt werden müssen. Die organisatorische Führung und die strategische Führung sind dagegen essenziell dadurch gekennzeichnet, dass hier Entscheidungen getroffen werden müssen. • Die Umsetzung von Entscheidungen ist regelmäßig an die ausführende Ebene delegiert, dort greift die direkte Führung. • Ebenso liegt die Kontrolle der Durchführung von Aufträgen in erster Linie bei der direkten Führung der ausführenden Abteilungen. Die Organisationsführung hat zu kontrollieren, ob die Kontrollsysteme funktionieren. Die strategische Führung setzt mit der Kontrolle vorwiegend beim Ergebnis an und nicht mehr bei den Abläufen der Prozesse, die zu den Ergebnissen führen. Wenn wir nun den Beirat in dieses Raster einordnen, so zeigt sich, dass die Führungsfunktionen eines Beirats – natürlich – der Charakteristik der strategischen Führung entsprechen und sich völlig unterscheiden von der Führung auf der Ebene der Leistungs- und Verwaltungsprozesse. Wir können dies erst im Hauptteil unserer Ausführungen näher erörtern. Unter allen Vorbehalten, unter denen ein solcher Versuch der Generalisierung der Ausprägung von Führungselementen auf den verschiedenen Führungsebenen stehen muss, dürfte die folgende Übersicht eine plausible Annäherung an die typische Realität sein.
5.5 Der Beirat als Führungsinstitution
145
Tabelle 2. Die Führungsebenen und ihre Führungselemente Orientie- Beeinflus- Befähirung sung gen
Entscheidung
Umsetzung
Kontrolle
Direkte Führung
++
++++
++++
+
++++
++++
Organisationsführung
+++
++
++
+++
+++
+++
Strategische Führung
++++
+++
+
++++
+
+
Führung im Beirat
++
++
++
++
Die Führungsfunktionen des Beirats Das ganze nachfolgende Buch dient dazu, darzustellen, was die Funktionen eines Beirats als Vorgesetzter sein könnten. Zur Einstimmung beschränke ich mich hier auf knapp gefasste Thesen: • Die Orientierung ist der wichtigste Aspekt für die strategische Führung und für den Beitrag des Beirats dazu. Der Beirat ist der Adressat der Berichterstattung seitens der Geschäftsführung. Diese wiederum bildet den Input für die Entwicklung einer gemeinsamen Sicht der Welt und der Bestimmung der Lage des Unternehmens in der Welt, für die Erarbeitung einer gemeinsamen Orientierung über die Lage und die Herausforderungen an den Verantwortungsbereich, hier also an die ganze Unternehmung. Ohne realitätsgerechte Beurteilung der Lage würden die nachfolgenden Elemente des Führungsprozesses in die Irre gehen. • Beeinflussung der Geschäftsführung: Im Zweifel ist hier an die gleichen oder an gleichartige Instrumente zu denken, wie sie auf den nachgeordneten Führungsstufen zur Beeinflussung der Mitarbeiter dienen. Hierzu gehören: o die Vereinbarung von Zielen für mögliche Projekte, o die Überprüfung von Plänen und Aktionsprogrammen, o die Genehmigung oder die Ablehnung von Anträgen für genehmigungsbedürftige Vorgänge, o die Ermutigung oder die Anregung, o die Warnung.
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5 Die Funktionen des Beirats
• Die Aufsichtsfunktion des Beirats ist eine Form der Beeinflussung; die anderen Formen der Motivation werden zumeist auf dieser Ebene der Führung nicht systematisch verwendet. Wir dagegen plädieren dafür, dass diese ganz fundamentale Führungsfunktion, nämlich den Untergebenen zu motivieren, auch in der Beziehung zwischen Beirat und Geschäftsführung gelten sollte. • Initiativen zur Höherqualifizierung der Geschäftsführung wird der Beirat kaum oder nur höchst selten ergreifen. Er wird in aller Regel davon ausgehen, dass die Geschäftsführung für ihre Aufgaben voll qualifiziert ist. Demgegenüber ist die Beratung des Geführten ganz normal und essenziell in jeder Führungsbeziehung. Wenn wir den Beirat als Führungsinstanz sehen, ist damit auch eingeschlossen, dass er eine Beratung der Geschäftsführung leisten kann. Freilich ist zu erörtern, welcher Art diese sein sollte und bei welchen Themen der Beirat eine Beratung erbringen kann. • Für das Funktionieren einer Organisation ist es unabdingbar, sicherzustellen, dass bei allen wichtigen Fragen wirksame Entscheidungen getroffen werden. Der Beirat hat bei einem Dissens in einer kollegialen Geschäftsführung formell oder informell die Zuständigkeit, die notwendige Entscheidung herbeizuführen. Bei dieser Gegebenheit kann er sogar in operative Vorgänge eingreifen; hierzu ist er durch das sogenannte Weisungsrecht ermächtigt. Auch die Zustimmungsvorbehalte des Beirats bei wichtigen oder risikoträchtigen Entscheidungen können diesem Element des Führungshandelns zugeordnet werden. • Die Verantwortung für die Umsetzung von Beschlüssen liegt bei der Geschäftsführung und wird vom Beirat nur in Sonderfällen wahrgenommen. • Hingegen ist die Kontrolle der Funktionsfähigkeit und der Wirksamkeit der Gesamttätigkeit der Geschäftsführung der entscheidende Teil der Aufsichtsfunktion eines Beirats. Die zeitliche Intensität, mit der er sich diesem Bereich zuwendet, ist jedoch nicht sehr groß, da es nicht um die Prozesskontrolle im Detail geht, sondern um eine Evaluierung der Ergebnisse des Geschäftsführungsprozesses. Die Einwände gegen das Verständnis des Beirats als Führungsinstanz Gegen das hier vorgetragene Verständnis von den Funktionen eines Beirats wendet man fast instinktiv ein, dass ein Beirat schon deshalb nicht als Füh-
5.5 Der Beirat als Führungsinstitution
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rungsinstanz gesehen werden könne, da er zu weit weg sei vom „Geschäft“. Einwendungen können sich vor allem auf folgende Aspekte erstrecken: • Die Beiräte sind Außenstehende, die keinen ausreichenden Einblick in das Unternehmen haben, um eine Führungsaufgabe wahrnehmen zu können. • Die Beiräte haben zu wenig Zeit für diese Aufgabe. • Die Beiräte haben nicht den Druck der Verantwortung. Der fehlende Einblick Außenstehender Beiratsmitglieder sind keine hauptberuflichen Mitglieder der Unternehmensorganisation und haben als quasi „Außenstehende“ keine ausreichenden Kenntnisse von den Fragestellungen und Geschehnissen auf den nachfolgenden Ebenen. Das Argument, Beiratsmitglieder seien Außenseiter im Rahmen des Unternehmens, dem sie verpflichtet sind, ist zwar formal richtig. Wenn man aber die Qualität der Beziehung dieser angeblichen Außenseiter zum jeweiligen Unternehmen analysiert, dann wird man feststellen, dass mancher Beirat länger an das Unternehmen gebunden ist als eine durchschnittliche Führungskraft. Hierbei gehen wir von einer durchschnittlichen Verweildauer von CEOs in Großunternehmen von etwa sechs bis sieben Jahren aus; bei Familienunternehmen mögen es etwa zehn Jahre sein. Die höhere und längere Bindung zumal der Gesellschafterbeiräte an ihr Unternehmen ist evident. Die Tatsache, dass die „vorgesetzten“ Beiratsmitglieder sich außerhalb der Unternehmensorganisation befinden, führt häufig zu dem Schluss, dass sie das Geschehen in der Organisation nicht von „innen“ erleben und deshalb die Leistung der Unternehmensführung nicht wirklichkeitsgerecht beurteilen könnten. Sie „erfahren“ nur – sagen viele – das, was ihnen nahe gebracht wird. Die fehlende Zeit Das erste Argument gegen die Betrachtung des Beirats als Führungsinstanz liegt in der Feststellung, dass er nur in größeren Zeitabständen für eine Interaktion im Rahmen des Führungsprozesses zur Verfügung steht. Die Frage des angemessenen und üblichen Zeiteinsatzes des Vorgesetzten für die Führung seiner Untergebenen ist in der Tat eine drängende Frage. Jeder, der versucht hat, Programme regelmäßiger Mitarbeitergespräche in einer Organisation flächendeckend und verpflichtend einzuführen, kann ein Lied
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5 Die Funktionen des Beirats
davon singen, wie knapp die Zeit der Vorgesetzten für ihre Führungsaufgaben ist. Dieses Argument ist zu relativieren. Die Zeit, die ein Vorgesetzter zur Führung seiner Untergebenen braucht und zugleich zur Verfügung hat, nimmt mit den jeweils höheren Stufen in der Hierarchie kontinuierlich ab. Hierzu muss man sich vergegenwärtigen, dass eine Führungskraft viele Aufgaben zu erfüllen hat, unter denen das Führen nur einen zeitlich geringen Teil einnimmt. Dieser Anteil nimmt mit aufsteigender Führungshierarchie annähernd kontinuierlich ab. Der Gruppenleiter einer sachbearbeitenden Gruppe – zum Beispiel in der Debitorenbuchhaltung – sieht seine Sachbearbeiter täglich und „führt“ – unter anderem durch Anleitung und Kontrolle der Arbeitsergebnisse. Der Leiter des Finanz- und Rechnungswesens sieht den Leiter der gesamten Buchhaltung schon wesentlich seltener. Der kaufmännische Geschäftsführer wird – bei hoher Disziplin der Zeitplanung – erreichen, dass er einmal im Monat einen Jour fixe mit dem Leiter des Finanz- und Rechnungswesens hat. Der Geschäftsführer sieht jeden seiner fünf bis acht untergebenen Bereichsleiter vielleicht ein bis zwei Mal im Monat, vielleicht aber auch nur alle sechs Wochen. Der CEO sieht den Vorsitzenden eines Beirats üblicherweise ebenfalls einmal im Monat oder einmal alle sechs bis acht Wochen. Und wenn die Stunden für diese Zwischenberichte und für die Beiratssitzungen über das Jahr addiert werden, dann kann man fast regelmäßig davon ausgehen, dass der CEO mit seiner vorgesetzten Stelle, dem Beirat, mehr Zeit verbringt, als er selbst für die Führung eines jeden seiner engeren Mitarbeiter verfügbar machen kann. Vergleichsweise hat ein Beirat bei einer üblichen Intensität der Beiratsarbeit – auf die noch einzugehen sein wird – durchaus so viel Zeit zur Verfügung, wie eben auf den höheren Führungsebenen angemessen ist. Es ist hier weiter zu berücksichtigen, dass er weder Anleitung noch Arbeitskontrollen durchführen muss. Da auf den höheren Führungsebenen auch der Untergebene eine erfahrene Führungskraft ist, kann ein hohes Vorverständnis zum Bedeutungsinhalt der ausgetauschten Informationen vorausgesetzt werden. Das gilt natürlich auch, wenn ein höherer Angestellter seinem Vorgesetzten berichtet, da er diesem die Vorgeschichte einer Fragestellung nicht langatmig schildern muss. Er kann ihn direkt auf die Problemstellung ansprechen und die Entscheidungsfrage artikulieren. Die Kommunikationstiefe ist daher groß, obwohl die Dauer der Interaktion relativ kurz sein kann. All dies gilt noch einmal intensiviert für die Führungsinteraktion auf der Ebene Beirat – Geschäftsführung. Es ist für Geschäftsführungsmitglieder oft verblüffend zu erleben, wie es guten Beiratsmit-
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gliedern gelingt, nach einem kurzen Vortrag sehr schnell den Kern einer Fragestellung herauszuschälen. Die Erfahrung aus unzähligen „strategischen Fragestellungen“, denen eine begrenzte Zahl von Mustern zugrunde liegt, beschleunigt die Fähigkeit zur Verarbeitung komplexer Sachverhalte ungemein. Die Zugehörigkeit zur gleichen Gruppe von Führungskräften, der gleiche soziale Hintergrund, erlaubt eine Kommunikation in kurzen Chiffren. Man kann daher keinesfalls pauschal sagen, dass ein Beirat zu wenig Zeit einsetzt, um Führung ausüben zu können. Freilich kann eine aktive Geschäftsführung bei besonders anspruchsvollen Themen in großem Umfang zusätzliche Zeit für Projektführung oder auch sachbearbeitendes Wirken, zum Beispiel bei wichtigen Verhandlungen, bereitstellen. Hierzu ist ein Beirat in der Regel nicht in der Lage, da seine Mitglieder oft noch einen Hauptberuf haben. Allerdings kann auch ein Beirat zu Sondersitzungen zusammenkommen, wenn die Lage dies erforderlich macht. Ferner kann eine Geschäftsführung delegierte Aufgaben zurücknehmen und selbst in die operative Ebene eintauchen. Ob sie dies tun sollte, ist allerdings fraglich. Theoretisch kann auch ein Beirat operative Fragen an sich ziehen.163 Dass er das nicht tun sollte, ist hingegen nicht fraglich. Die fehlende Verantwortung Der Unterschied zwischen Beirat und Geschäftsführung, der für die Bewertung ihres Führungshandelns vielleicht gravierend ist, besteht in ihrer unterschiedlichen Verantwortlichkeit im Sinne des Betroffenseins vom eigenen Handeln. Eine Geschäftsführung verliert regelmäßig ihre Position, wenn ihr Führungshandeln nicht erfolgreich ist – mal früher, mal später. Die Betroffenheit von einem solchen Verlust des Amtes kann sehr hoch sein, wenn dieser in fortgeschrittenem Alter – Ende 40 und später – eintritt und nicht durch eine substanzielle Abfindung gemildert wird. Ein Beirat muss bei Erfolglosigkeit bei weitem nicht mit so ernsthaften Konsequenzen rechnen. Erstens hilft dem Beirat die Doktrin, dass er nur für die Aufsicht zuständig sei und dass die Verantwortung für die Geschäftsleitung, die für Erfolg und Misserfolg zuständig ist, beim Vorstand liege. Diese Verantwortlichkeit wird auch bestätigt, wenn der Aufsichtsrat den Vorstand abberuft. Der Aufsichtsrat muss schon wiederholt den falschen, da erfolglosen, Vorstand berufen, bis der Ruf nach dem Rücktritt des Aufsichtsratsvorsitzenden laut wird. Da der Beirat eines Familienunternehmens näher unter 163
Vgl. Kapitel 8.5 zum Weisungsrecht.
150
5 Die Funktionen des Beirats
der Beobachtung der Gesellschafter steht als der Aufsichtsrat einer Publikumsgesellschaft, wird die Frage nach der richtigen Besetzung dieses Gremiums vielleicht früher aufgeworfen. Aber auch im Falle einer Nichtverlängerung eines Mandates sind die finanziellen Konsequenzen für den Betroffenen nicht substanziell. Ein Reputationsverlust ist meist nicht zu befürchten, da es für einen Rücktritt immer mehrere Interpretationen geben wird. Dei Verantwortlichkeit durch das Betroffensein von den Folgen des eigenen Führungshandelns ist freilich bei einem Beiratsmitglied, das selbst eine wesentliche Anteilsposition hält, anders zu sehen. Die Auswirkung von Erfolg und Misserfolg auf das eigene Vermögen ist ja einer der Gründe, die den Argumentationen von Gesellschaftern im Diskurs eines Beirats besonderes Gewicht verleihen.
5.6
Die Funktionen des Beirats gegenüber der Geschäftsführung
Die Funktion der Qualitätssicherung der Unternehmensleitung Für die Bestandssicherung einer Familienunternehmung ist die Beziehung des Beirats zu den Gesellschaftern zwar am wichtigsten; sie steht aber als Ausnahmesituation meist nicht im Vordergrund des Interesses der Gesellschafter. Das eigentliche Interesse der Gesellschafter richtet sich vielmehr auf das Einwirken des Beirats auf die Geschäftsführung. Der nicht geschäftsführende Familiengesellschafter braucht für die Sicherung seiner Vermögensanlage eine möglichst gute Geschäftsführung. Da die Beziehung des Eigentümers zur Unternehmensleitung vor allem in seiner Beziehung zu deren Vorsitzenden manifest ist, konzentriere ich mich im Folgenden auf diesen Aspekt. Der Beirat soll sicherstellen, dass die Unternehmung die für sie geeignete Geschäftsführung erhält und diese dann so unterstützt und beraten wird, dass sie möglichst gut wirken kann. Der Gesellschafter möchte einen Nutzen durch die Zuverlässigkeit und die Qualität der Unternehmensführung erreichen. Dieser Gesichtspunkt wird den Hauptteil der folgenden Ausführungen bilden und ich werde darzulegen versuchen, dass die hier genannte Erwartung der Eigentümer nur erfüllt werden kann, wenn der Beirat in das Führungssystem des Unternehmens integriert ist. Zuvor ist das Augenmerk aber auf den „Dritten im Bunde“, die Geschäftsführung, und hierbei, wie oben ausgeführt, vor allem auf den Vorsitzenden zu richten.
5.6 Die Funktionen des Beirats gegenüber der Geschäftsführung
151
Die Wahrung der Ordnung der Führungsprozesse Der gut qualifizierte CEO ist in der Regel selbstbewusst und auf seine Entscheidungskompetenz bedacht. Der Geschäftsführer ist nicht nur die oberste Führungskraft in einem Unternehmen. Er ist zugleich ein abhängig Beschäftigter. Er ist aber nicht nur ein abhängiger Mitarbeiter, sondern auch in erster Linie ein professionell arbeitender Manager. Das bedeutet, dass er für seinen Beruf allgemein geltende Grundsätze hat, die er in jedem Fall beachtet – unabhängig von der Meinung seiner Auftraggeber. Es zeichnet ihn aus, dass er solche ausgeprägten professionellen Grundsätze verfolgt. Er kann und muss sie beachten, solange er berufliche Alternativen hat und solange er sich diese Alternativen offen halten möchte. Denn für anderweitige berufliche Alternativen muss er seine professionelle Qualifikation demonstrieren können. Es ist wichtig, dass die Gesellschafter verstehen, weshalb ein guter Geschäftsführer auf seine professionelle Unabhängigkeit achten muss. Ein späterer Arbeitgeber hätte kein Verständnis dafür, dass ein Geschäftsführer in einer früheren Aufgabe seine beruflichen Pflichten deshalb unzureichend erfüllt hat, weil er Weisungen von Gesellschaftern befolgte, die im Widerspruch zu seinen beruflichen Prinzipien als CEO standen. Ein Geschäftsführer, der sich so verhielte, wäre aus der Sicht eines Dritten ein durchsetzungsschwacher, opportunistischer Auftragsempfänger, dem kein eigenständiges unternehmerisches Potenzial zutrauen ist. Im Berufsverständnis eines Managers muss geregelt sein, wofür er als Führungskraft zuständig ist und wo er von der Zustimmung von Kollegen oder Vorgesetzten abhängig ist. Gerade weil er aufgrund seines Persönlichkeitsprofils und seiner Handlungsverantwortung darauf ausgerichtet sein muss, Aufgaben initiativ aufzugreifen und eigenverantwortlich zu Ende zu führen, muss eindeutig geklärt sein, welche Aufgaben er alleinverantwortlich durchführen kann und bei welchen er ein Aufsichtsgremium zu fragen hat. Völlig unmöglich ist es im Selbstverständnis eines professionellen Unternehmensführers, dass eine andere Instanz – seien es Beirat oder Gesellschafter – in ungeordneter Weise und von Fall zu Fall in seinen Aufgabenkreis eingreift. Bei Eingriffen in seine Zuständigkeiten würden sich aus der Sicht dieses Managers folgende gravierende Verwerfungen ergeben: Mit seiner Wahrnehmung der Verantwortung sind vorgesetzte Stellen offensichtlich nicht zufrieden, trauen ihm nicht zu, das Erforderliche eigenständig zu regeln, und übernehmen daher seine Aufgaben. Da solche Eingriffe den nachgeordneten Mitarbeitern nicht verborgen bleiben, wird die Autorität der Führungskraft unterminiert und ihr Führungsvermögen auch in der Zukunft beeinträchtigt.
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5 Die Funktionen des Beirats
Anders als ungeregelte Eingriffe in die Zuständigkeiten einer Führungskraft sind die Beschränkungen ihrer Autonomie durch Zustimmungsvorbehalte zu sehen. Ein Zustimmungsvorbehalt ist eine geregelte und allgemeine, das heißt nicht fallweise, Begrenzung der Entscheidungsautonomie der Geschäftsführung. Damit weiß jeder Geschäftsführer umzugehen. Eine Entscheidung, die einem Zustimmungsvorbehalt unterliegt, muss angemessen vorbereitet werden, ein Entscheidungsvorschlag muss überzeugend begründet werden und kann dann in der Regel auch durchgesetzt werden. Die erfahrene Führungskraft wird sich in entsprechenden Fällen gegenüber Untergebenen und Außenstehenden noch nicht festlegen, solange sie sich nicht sicher ist, die Zustimmung zu einem zustimmungsbedürftigen Geschäft zu erhalten. De facto ist ein Zustimmungsvorbehalt natürlich eine Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnisse – aber eben eine geordnete Einschränkung. Viele Führungskräfte haben eine Abneigung gegen ein Engagement in Familiengesellschaften. Das mag daher rühren, dass sie in Konzernen aufgewachsen sind und Familiengesellschaften nur aus den schlechten Erfahrungen von Kollegen kennen, also ihre Meinung nur vom Hörensagen her gebildet haben. Ihre Vorbehalte bestehen wegen der „vermeintlich unklaren und unstrukturierten Entscheidungsprozesse in Familiengesellschaften, bei denen am Ende der Bauch des Unternehmers zu Lasten rational nachvollziehbarer Kriterien entscheidet.“164 Die Mediatisierung der Macht des Eigentümers Der familienfremde Geschäftsführer in einem Familienunternehmen mit einem Mehrheitsgesellschafter steht in einer stark spürbaren Abhängigkeitsbeziehung zu dem Gesellschafter. Der Gesellschafter hat eine machtvollere Position als andere denkbare Aufsichtsinstanzen wie etwa ein Aufsichtsrat oder der vorgesetzte Geschäftsführer in einem Konzern. Seine Macht beruht auf seinem Eigentum. Seine Einstellung zu seinem Unternehmen unterscheidet sich von der des Vorsitzenden eines Vorstands, eines Beirats oder eines Aufsichtsrats: Der Eigentümer hängt an seinem Unternehmen. Er kann sich in der Regel nicht vorstellen, sein Unternehmen gegen ein ganz anderes Unternehmen auszutauschen. Der Geschäftsführer war aber wahrscheinlich vorher in einem anderen Unternehmen tätig und muss grundsätzlich fachlich und mental in der Lage sein, auch in einem anderen Unternehmen seinem Beruf nachzugehen. Der Eigentümer hat eine unbegrenzte 164
Obermaier, O.W. (2004): S. 15.
5.6 Die Funktionen des Beirats gegenüber der Geschäftsführung
153
„Amtsdauer“; die des angestellten Geschäftsführers ist dagegen begrenzt. Der Eigentümer verbindet den Erfolg des Unternehmens ganz natürlich mit seinem Wirken und nimmt daher für seine Überzeugungen eine gewisse Richtigkeitsvermutung in Anspruch. Das Gefälle in Macht und Selbstbewusstsein, das zwischen Eigentümer und Nicht-Familien-Geschäftsführer besteht, kann von vornherein auch ohne das Hinzutreten von persönlichen Attitüden des Eigentümers das Gefühl der Abhängigkeit bei dem angestellten Geschäftsführer verstärken. Nochmals verstärkend kann ein selbstbewusstes oder gar selbstgefälliges Auftreten des Eigentümers wirken. Die Geschäftsführung ist eben nur die Geschäftsführung. Wohin die Reise geht, bestimmt der Reeder, der Kapitän ist verantwortlich für den Verlauf der Reise. Allerdings hat die Seefahrt eindeutige Regelungen geschaffen, die die uneingeschränkte Autorität des Kapitäns auf seinem Schiff während der Reise gewährleisten. Bei allen faktischen Abhängigkeiten, die ja durchaus wechselseitig sind, sind die Beziehungen in Jahrhunderte alten Traditionen generell für alle Reeder und Kapitäne geordnet. Das ist in der Wirtschaft nicht so. Der Gesellschafter kann seine Unternehmerfunktion zunächst völlig nach seinem Belieben ausgestalten. Das Gesetz unterstützt dies sogar. Noch schlimmer: Er kann diese Unternehmerfunktion im Zeitablauf mit wechselnder Intensität und Eintauchtiefe in die Organisation und das Geschehen ausüben. Und dies ist eine Ursache für Unordnung, Irritation und Konflikte im Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Gesellschafter. Fehlt der dominante Mehrheitsgesellschafter und haben wir es mit einer Vielzahl von Gesellschaftern zu tun, so können einige der hier dargestellten Phänomene weniger akut sein, sie sind aber latent ebenso vorhanden. Zudem treten im Fall von mehreren Gesellschaftern zusätzliche Risikomomente auf: Es können nun die unterschiedlichen Gesellschafter von sich aus unkoordiniert und widersprüchlich auf die Geschäftsführung einwirken wollen. Persönliche Animositäten zwischen den Gesellschaftern können auf die Kontakte zu der Geschäftsführung durchschlagen. Manifeste Konflikte können die Führung der Gesellschaft insgesamt beeinträchtigen. Die Entscheidung von Konflikten im Geschäftsführungskollegium In der Geschäftsordnung einer kollegialen Geschäftsführung ist festgelegt, wie in dem Kollegium eine eindeutige Entscheidungsfindung erreicht wird, sofern keine einstimmige Entscheidung erfolgt. Es gibt dann die Möglichkeit, dem Vorsitzenden des Kollegiums einen besonderen Einfluss zu geben. Damit wird allerdings die Gleichgewichtigkeit aller Kollegen beeinträchtigt. Regelmäßig findet sich daher in den Geschäftsordnungen die Vorkehrung,
154
5 Die Funktionen des Beirats
dass bei Meinungsverschiedenheiten im Kollegium die Angelegenheit dem Beirat zur Entscheidung vorzulegen ist. Tatsächlich wird diese Bestimmung sehr selten genutzt. Ich werde darauf noch näher eingehen.165 Der Beirat als Signal für Professionalisierung Für den familienfremden Geschäftsführer werden die Randbedingungen für sein Arbeiten und seine persönliche Befindlichkeit ganz entscheidend verbessert, wenn er es nicht direkt mit einem Allein-Gesellschafter oder mit einer Gruppe von Gesellschaftern zu tun hat, sondern wenn er an einen Beirat zu berichten hat. Wenn es einen Beirat gibt, wird dem NichtFamilien-Geschäftsführer signalisiert, dass das Familienunternehmen nicht als eine Privatveranstaltung betrieben wird, sondern professionell geführt werden soll. Die Gesellschafter zeigen durch die Abgabe von Gesellschafterrechten an einen Beirat, dass die Interessen der Firma vor den Interessen der Familie kommen und dass sie sich aus dieser Einstellung heraus um eine Qualitätsverbesserung bei der Wahrnehmung der Gesellschafterrechte und der Gesellschafterpflichten bemühen. Damit leisten die Gesellschafter einen wichtigen Beitrag, um die Geschäftsführungspositionen in ihrem Unternehmen für hoch qualifizierte Führungskräfte attraktiv zu machen. Für ein Familienunternehmen einer bestimmten Mindestgröße ist ein Beirat nahezu unentbehrlich, damit das Unternehmen für qualifizierte NichtFamilien-Geschäftsführer attraktiv wird. Das Verständnis des Führungsorgans als Hilfestellung für die rechte Arbeitsweise In der Literatur zur Institution des Aufsichtsrats finden sich Vorstellungen oder gar Forderungen bezüglich der Arbeitsweise dieses Gremiums, die seltsam wirken. Dazu gehören etwa: • die Forderung nach einem Aufsichtsrats-Informationssystem, • der direkte Vortrag von nachgeordneten Führungsebenen beziehungsweise Gespräche des Aufsichtsrats mit diesen, • hierbei vor allem zum Beispiel die direkte Information durch die Controlling-Abteilung oder die interne Revision, • schließlich das Theorem von der Unvereinbarkeit des Rat-Gebens mit der Aufsichtsfunktion. 165
Vgl. Kapitel 8.2.
5.6 Die Funktionen des Beirats gegenüber der Geschäftsführung
155
Wenn ein Gesellschafterbeirat eines Familienunternehmens solche Kommentare lesen würde, was zugegebenermaßen unwahrscheinlich ist, könnte er sogar in der schlechten Gewohnheit bestätigt werden, sich direkt Informationen von Mitarbeitern unterhalb der Geschäftsführung zu beschaffen. Und wenn man schon im Gespräch mit den Mitarbeitern steht und die „Probleme“ hört, sagt man natürlich – völlig ohne Arg oder Absicht, Einfluss zu nehmen –, wie man selbst vorgehen würde. All dies würde in einem Schulungskurs für Führungskräfte ohne Zögern als ein unzulässiges Verhalten von Führungskräften qualifiziert. Natürlich darf ein Geschäftsführer mit einer Abteilung nur über den Abteilungsleiter in Kontakt treten. Natürlich gibt der Abteilungsleiter und nicht seine Untergebenen Informationen an die Vorgesetzten oder an das Controlling. Nur die Revision kann direkte Erhebungen bei den Sachbearbeitern durchführen. All diese Regeln, die für Führungskräfte in der Organisation selbstverständlich sind oder sein sollten, gelten auch für das Führungsorgan Beirat. Leistung der Geschäftsführung oder Dritter
Leistung des Aufsichtsgremiums
Themenbezogene Einflussnahme
Der Vortrag vor dem Beirat
Die Aufsicht durch den Beirat
Die Auswertung
Einstellung, Entlassung, Honorierung, Motivation
Abb. 5. Die Funktionen des Beirats
Informationsversorgung des Beirats, Erfahren von Zielen, Absichten, Ereignissen
Beurteilen, Bewerten des Erfahrenen
Personenbezogene Einflussnahme
Verschiedene Interaktionen y direktiv y nicht-direktiv
156
5 Die Funktionen des Beirats
Ebenso ist es unstrittig, dass eine Führungskraft gegenüber ihren Untergebenen sowohl die Aufsichtsfunktion hat wie auch die Aufgabe, ihnen Rat zu erteilen und sie weiterzubilden. Erforderlichenfalls kann sie auch Entscheidungen an sich ziehen. Der Vortrag der Geschäftsführung vor dem Beirat ist der grundlegende Input für dessen Arbeit. Aufsicht bedeutet hier die Bewertung dessen, was durch den Vortrag erfahren wurde. Diese Bewertung dient zwei Zielen: • Hat das Unternehmen die richtige Geschäftsführung und was muss getan werden, damit sie ihre Aufgabe voll ausfüllen kann, dass sie auf die obersten Ziele ausgerichtet und motiviert ist? Oder aber hat das Unternehmen die falsche oder eine nicht mehr geeignete Geschäftsführung und was muss getan werden, um dies zu ändern, z. B. sich von der Geschäftsführung trennen? • Einflussnahme auf das Denken und Handeln der Geschäftsführung „im Einzelnen“ der Geschäftsführungsaufgaben. Das Ziel dieses Einwirkens ist die Sicherstellung oder die Steigerung der Güte der Unternehmensführung – wie auch immer „Güte“ zu bestimmen sei! Diese systematische Struktur dient auch als Gliederung für die nachfolgenden Ausführungen. Zusammenfassung zu 5.6 Ich sehe in der Summe also sehr wohl gewisse Restriktionen für die Führungsrolle eines Beirats gegenüber der Führungsrolle einer hauptamtlichen Geschäftsführung. Diese Restriktionen sind meines Erachtens allerdings nicht so umfangreich, dass deshalb die Einbeziehung eines – allerdings „starken“ – Beirats in die Führungshierarchie eines Unternehmens verworfen werden müsste. Diese Funktion als vorgesetzte Instanz ist ausgeprägt und deutlich sichtbar bei besonderen Konstellationen für den Beirat: Das Beiratsgremium, das innerhalb eines Konzerns die Aufsicht über die Geschäftsführung einer Konzerntochtergesellschaft führt, ist natürlich eine vorgesetzte Führungsinstanz. Es bedarf hier in der Praxis keiner oder kaum einer Erklärung, dass für den Vorstand der Konzerntochtergesellschaft der Beirat mit den von der Konzernholding Entsandten die „vorgesetzte Instanz“ darstellt. Schließlich ist ein Vorgesetzter gemeinhin dadurch definiert, dass er einstellt, Bezüge festlegt, Urlaub genehmigt, durch weitere Führungsinitiativen die Mitarbeiter beeinflusst und, wenn dies nicht fruchtet, sie auch wieder entlässt. Der Beirat, den eine Private-Equity-Gesellschaft für die gekaufte Unternehmung
5.7 Die problematischen Nebenwirkungen des Handelns von Beiräten
157
einsetzt, ist ebenfalls ganz natürlich der Geschäftsherr und übt Führung aus. Schließlich ist bei einem One-Tier-System der Unternehmensverfassung die Einbindung des „Verwaltungsrats“ in die Führungsstruktur sehr augenfällig, obwohl sie auch dort – wie angeführt – diskutiert wird. Ich gehe hier also von dem Modell aus, dass eine Geschäftsführung eine vorgesetzte Instanz hat, zu der sie in der Standardbeziehung eines Mitarbeiters zu einem Vorgesetzten steht. Diese Annahme bezeichnet nicht nur die Befindlichkeit und die Herausforderung des Mitarbeiters, sondern ebenso die Befindlichkeit und die Herausforderung des Vorgesetzten, der dann die Rolle eines „Führers“ einnehmen muss und nicht nur die eines „Aufpassers“. Als „Aufpasser“ müsste ein Aufsichtsgremium nur darauf achten, dass die eigentliche Führungsinstanz – die Geschäftsführung – ihre Aufgabe angemessen erfüllt. Würde sie dieser Anforderung nicht gerecht werden, müsste die aufsichtsführende Instanz die Führung auswechseln. Wie wir später näher sehen werden, ist dies die dem Aufsichtsrat vom Gesetz her zugeschriebene Funktion. Denkt man hingegen das vorgesetzte Gremium – hier unseren Beirat – als eine Ebene der Führungsorganisation, dann hat dieses Gremium die Mission, zur Führung in dem Unternehmen selbst einen Wertschöpfungsbeitrag zu liefern. Wenn in dieser Konstellation der Führungsfunktionen gedacht wird, stellt sich natürlich die Frage: „Und wer ist der Vorgesetzte des Beirats?“. Die Antwort ist eindeutig: die Gesellschafterversammlung. Man möge sich nicht täuschen: Selbstverständlich stehen der Beirat als Institution und jedes einzelne Beiratsmitglied als Person und Kompetenzträger ständig unter der Beobachtung der Gesellschafter, die prüfen, ob ihre Erwartungen – wohlgemerkt nicht die Erwartungen der Gesellschaft oder der Geschäftsführung – erfüllt werden.
5.7
Die problematischen Nebenwirkungen des Handelns von Beiräten
Führungsinstanz mit komplexen Wirkungen Wenn ich den Beirat als Führungsinstanz verstehe, unterstütze ich generell eine starke Position des Beirats. Und ich hebe in dieser ganzen Schrift auf die positiven Wirkungen dieser Institution ab. Ganz am Ende166 werden wir zwar von einer „Pathologie“ des Beirats lesen, doch sind dies dann die 166
Vgl. Abschnitt 16.
158
5 Die Funktionen des Beirats
Fälle, in denen der Beirat umgangen, ausgehebelt und seine Funktionsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt wird. Hier nun will ich aber noch darauf eingehen, dass auch ein gut funktionierender Beirat gerade dann, wenn er seine Funktion als Führungsinstanz wahrnimmt, komplexe Nebenwirkungen entfaltet, die durchaus auch als problematisch empfunden werden können. Dies muss nicht regelmäßig so sein, aber diese Nebenwirkungen müssen doch ständig als latente Möglichkeit in Betracht gezogen werden. Erhöhung der Komplexität der Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Institutionen Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass der Beirat für die Geschäftsführer eine Ordnungsstruktur schafft. Der Beirat ist eine institutionelle Vorkehrung gegen möglicherweise inkompetente und unkoordinierte Einflussnahmen seitens einzelner Gesellschafter. Andererseits darf man nicht verkennen, dass für die Geschäftsführung die Beziehungen zu den ihr übergeordneten Gremien (Gesellschafterversammlung, Beirat, eventuell noch Aufsichtsrat) mit deren wachsender Zahl durchaus an Komplexität zunehmen. „Durch die Errichtung eines Beirats erhöht sich im Allgemeinen die soziale Komplexität, da nun eine größere Anzahl von Personen mit unterschiedlichen Interessen, persönlichen Fähigkeiten und Hintergründen an den Entscheidungsprozessen der Unternehmung beteiligt sind. Gerade diese impliziten Eigenschaften der Personen sind sehr schwer einzuschätzen und offen zu legen.“167 Das kann viel Aufmerksamkeit und Zeit beanspruchen. Die Entwöhnung der Gesellschafter von ihrer Verantwortung Das Einbeziehen der Ebene des Beirats zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung führt immer wieder zu dem Erfordernis, alle drei Ebenen in ihren Wechselwirkungen geordnet zu verbinden. Hinsichtlich der Beziehung zwischen Beirat und Geschäftsführung ist dies durch Satzung, Geschäftsordnungen und geschäftsübliche Praxis gut geregelt. Wie die Gesellschafterebene und der Beirat zusammenwirken sollen, ist hingegen meist gar nicht oder nur unzureichend vereinbart. Wenn die Gesellschafter ihre Rechte im weitestgehenden Umfang an einen Beirat delegiert haben, bleiben ihnen nur noch Rechte bezüglich der finanziellen Konstitution des Unternehmens.168 Entscheidungen zur Kapitalveränderung kommen sehr 167 168
Vgl. Pohlmann, N./Jansen, S. (1998): S. 132. Vgl. oben in Abschnitt 3.4 die nicht delegierbaren Rechte.
5.7 Die problematischen Nebenwirkungen des Handelns von Beiräten
159
selten vor und die Beschlüsse zur Gewinnausschüttung zielen zwar auf die Verteilung von Ergebnissen, haben aber keine erkennbare Beziehung zur Strategie, Ergebnisse zu erzielen und vorgelagerte Erfolgspotenziale zu schaffen. Es besteht daher die latente Gefahr, dass die Gesellschafter davon entwöhnt werden, dass sie die großen Gestaltungsaufgaben der Unternehmensentwicklung zu verantworten und daher auch zu verstehen und zu beschließen haben. Dieser Gefahr kann allerdings dadurch begegnet werden, dass kluge Regelungen und Traditionen für das Zusammenwirken der Führungsinstanzen entwickelt werden. Diffusion der Unternehmerfunktion Durch die Dreigliederung der Instanzen gibt es drei mögliche Plattformen, von denen aus eine unternehmerische Initiative ergriffen werden kann: • die Geschäftsführung als die normale Führungsinstanz, • die Gesellschafterposition, insbesondere bei einem Mehrheitsgesellschafter in Verbindung mit einer Nicht-Familien-Geschäftsführung, • schließlich der Beirat, insbesondere dann, wenn er als „starker“ Beirat ausgelegt ist. Möglich und funktionsfähig ist jede Konstellation, wenn die entsprechenden situativen Voraussetzungen vorliegen.169 Was jedoch nicht funktionsfähig ist, ist ein Oszillieren der Zuweisung der Unternehmerfunktion von Fall zu Fall: • Im Normalfall liegt die Unternehmerfunktion bei der Geschäftsführung. • Bei großen Vorhaben beansprucht der Beirat nicht nur einen Zustimmungsvorbehalt, sondern auch eine Gestaltungskompetenz. • Und wenn es sich um ganz spannende Fälle oder Anliegen im persönlichen Umfeld eines Gesellschafters handelt, dann wollen die Gesellschafter plötzlich selbst aktiv werden. Wenn solche Oszillationen nicht schnell gebremst und die Ordnung wieder hergestellt wird, kann dies zu einer pathologischen Deformierung der Unternehmensverfassung führen.
169
Vgl. Abschnitt 3.8.
160
5 Die Funktionen des Beirats
Begrenzung der Strategieräume durch das Auffassungsvermögen des Beirats Da wir hier den Beirat als vorgesetzte Instanz sehen, ist in diesem Konzept eingeschlossen, dass wesentliche Entscheidungen nur mit Zustimmung des Beirats getroffen werden können.170 Die Einwirkung des Beirats auf unternehmerische Entscheidungen beginnt sogar weit vor der eigentlichen Entscheidungsfindung: Die Geschäftsführung kann nur die Zielräume ins Auge fassen, die der Beirat billigt. Die Entwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens unterliegen somit einer dreifachen Begrenzung: • Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmens: Wozu die Fähigkeiten des Unternehmens nicht reichen – seien es die finanziellen, die sachlichen, die wissensmäßigen oder die personellen Fähigkeiten, das kann nicht durchgesetzt werden. • Fähigkeiten der Unternehmensleitung: Die offizielle Strategie zur Unternehmensentwicklung wird von der Unternehmensleitung entweder selbst ausgearbeitet oder – wenn die Initiative sich „bottom up“ entwickelt – wenigstens gutgeheißen. Was die Unternehmensleitung nicht versteht, kann nicht zur Strategie des Unternehmens werden. Das ist auch gut so, denn eine nicht verstandene Strategie kann nicht erfolgreich umgesetzt werden. • Zustimmungsvorbehalte des Beirats: Wenn eine strategische Initiative der Unternehmensleitung der Zustimmung des Beirats bedarf, ist dies eine weitere potenzielle Begrenzung. Der Beirat selbst kann zwar Anregungen geben, doch wenn die Geschäftsführung sich diese nicht zu Eigen macht, bleiben sie wirkungslos. Andererseits kann die Geschäftsleitung zwar strategische Konzeptionen entwickeln, doch wenn der Beirat widerspricht, werden sie nicht realisiert. Die Funktion des Beirats als vorgesetzte Instanz begrenzt so auch die Wirkungsmöglichkeiten der Geschäftsführung. Um es verkürzt und krass auszudrücken: Eine aussichtsreiche strategische Konzeption der Geschäftsführung ist sinnlos, wenn der Beirat sie nicht versteht. Nun ist sogleich einzuwenden, dass eine Konzeption, die weise Männer oder Frauen nicht verstehen, vermutlich nicht „so gut“ sein wird. Wäre sie hervorragend, würde sie ja jedermann überzeugen. Ich werde noch ausführen, dass keine Strategie auf Anhieb jedermann einleuchten kann. Das, was jedermann sofort einleuchtet, könnte eine reine Selbstverständlichkeit sein. 170
Vgl. Abschnitt 8 und Abschnitt 10.
5.7 Die problematischen Nebenwirkungen des Handelns von Beiräten
161
Problematisch ist die Funktion des Beirats dann, wenn er strategische Initiativen der Geschäftsführung nur deshalb ablehnt, weil er sie nicht „versteht“, was etwas anderes ist, als sie zu verstehen und sie gerade deshalb aus guten Gründen abzulehnen. Das Nicht-Verständnis kann aus folgenden Gründen erwachsen: • Intellektuelle Begrenzungen, was eher selten ist, da die Auswahlberechtigten versuchen, kluge Beiräte zu erhalten. Dies gelingt aber nicht immer, zumal dann, wenn die Auswählenden ein gewisses Vorurteil gegenüber „klugen Leuten“ haben. • Begrenzungen aus der persönlichen Erfahrung: Intellektuell wenig differenzierte Menschen pflegen alle anstehenden Themen nur nach ihrer eigenen persönlichen Erfahrung zu beurteilen. Haben sie einmal schlechte Erfahrungen mit einem Joint Venture oder einem Afrikaner oder einem Diversifikationsvorhaben gemacht, so „wissen“ sie, dass Geschäftsideen mit Joint Ventures, Afrikanern oder Diversifikationen „schlecht“ sind. • Verinnerlichung der Standardstrategien: Wenn Beiräte auf die Standardstrategien eingeschworen sind, besteht die Gefahr, dass sie davon abweichenden Strategien voreingenommen gegenüberstehen. Der Strategievorteil des Familienunternehmens liegt aber nach meiner Überzeugung gerade darin, dass es eine Kontraststrategie zu den Konzepten verfolgen kann, die nach den Lehrbüchern und nach den daraus abgeleiteten Erkenntnissen der Börsenanalysten vorzugswürdig sind. • Konzentration auf Risikovermeidung statt auf Chancenerschließung: Die Konzentration auf Risikovermeidung, auf bürokratische Absicherung der Ordnungsmäßigkeit des Geschäftsgangs und auf Compliance ist heutzutage den meisten Mitgliedern von Gremien börsennotierter Gesellschaften eingeprägt. Diese Einstellung verhindert die opportunistische Chancenerschließung, die einer der Erfolgsfaktoren von Familiengesellschaften ist. Einflussnahme ohne Verantwortung Die Verantwortung der Gesellschafter ist offenkundig und im vollen Umfang gegeben, weil sie als Eigentümer die Konsequenzen des wirtschaftlichen Handelns der Geschäftsführung zu tragen haben.
162
5 Die Funktionen des Beirats
Die Verantwortung der Geschäftsführung ist hinreichend eindeutig im Anstellungsvertrag umrissen und wird nach außen sichtbar und nachvollziehbar wahrgenommen: Ein gutes oder schlechtes Ergebnis wird im Jahresabschluss berichtet, ein schlechter Auftragseingang ist offenkundig, eine gescheiterte Akquisition lässt sich nicht verheimlichen. Die Verantwortung des Beirats ist dagegen nicht offensichtlich. Der Beirat trägt wie jeder, der Rechte hat, auch die Verpflichtung zur Wahrnehmung der Rechte für die bestimmungsgemäßen Zwecke. Der Beirat muss sich daher dafür verantworten, ob er seine Rechte wahrnimmt oder ob er durch Unterlassen von richtigem Handeln seine Verpflichtungen vernachlässigt. Zu leicht und zu häufig kommt es vor, dass ein Beirat sich dieser Verantwortung zu wenig bewusst ist oder ihr nicht gerecht wird. Die Gründe hierfür können folgende sein: • Die Gesellschafter formulieren ihre Erwartungen an den Beirat nicht ausreichend deutlich. • Weder Gesellschafter noch Beirat formulieren, welche Ziele für die Unternehmensentwicklung verfolgt werden sollen. • Das Wirken des Beirats ist nach außen nicht sichtbar. Die durchgeführten wie auch die unterlassenen Handlungen werden von außen in der Regel ausschließlich der Geschäftsführung zugeschrieben. • Die Wirkung von Unterlassungen ist von außen ohnehin schwer erkennbar. Allenfalls ein häufiger Wechsel in der Geschäftsführung macht nach außen sichtbar, dass „irgendetwas“ in dem Zusammenwirken zwischen Beirat und Geschäftsführung nicht stimmt. Ein Beirat kann aber ziemlich lange sehr wenig Förderliches für die Unternehmensentwicklung beitragen oder sogar Nützliches verhindern, ohne dass er fürchten müsste, hierfür als „unverantwortlich“ qualifiziert zu werden. Letztlich können nur die Gesellschafter beurteilen, ob der Beirat seiner Verantwortung gerecht wird. Dies würde zunächst voraussetzen, dass auf der Seite der Gesellschafter ein angemessenes Urteilsvermögen angesiedelt ist. Es setzt aber weiter voraus, dass die Gesellschafter sich darum bemühen, ihre Erwartungen zu artikulieren, und in regelmäßigen Abständen die Arbeit des Beirats evaluieren. Höhere Risikoaversion des Beirats Im Vergleich zu einem Eigentümer-Unternehmer oder auch im Vergleich zu dem CEO einer Publikumsgesellschaft hat ein Beirat fast immer eine größere Risikoaversion. Dieses hat verschiedene Ursachen:
5.7 Die problematischen Nebenwirkungen des Handelns von Beiräten
163
• Gruppenentscheidungen konvergieren bei der Wahl von Vorgehensweisen ohnehin zu einem vorsichtigen, „mittleren“ Weg. • Bei der Beurteilung, welche Risiken in Kauf genommen werden können, geht es nicht nur darum, das Schadenspotenzial abzuschätzen, sondern vor allem auch um das Instrumentarium risikobegrenzender Maßnahmen und das Management-Können, diese konsequent umzusetzen. Da der Beirat hierfür nicht die operative Verantwortung und Erfahrung hat, ist er eher geneigt, auf das Schadenspotenzial zu sehen und die Möglichkeiten der Risikobegrenzung zu unterschätzen. • Die Vor- und Nachteile für den Beirat hinsichtlich der Chancenorientierung und der Risikoorientierung sind asymmetrisch verteilt: o Das Verhindern von Chancen durch den Beirat fällt nach außen nicht auf. o Die erfolgreiche Nutzung von Chancen wird der Geschäftsleitung zugerechnet. o Der Eintritt von Risiken wird auch dem Beirat als Aufsichtsgremium zugerechnet. Die Beiratsmitglieder haben persönlich durch den Eintritt von größeren Risiken viel zu verlieren, aber durch die Nutzung selbst größerer Chancen nicht viel zu gewinnen. • Die ganz persönlich empfundene Verantwortung, über das Geld der Gesellschafter zu verfügen, drängt eher zu einer größeren Risikoaversion, als man sie bei Entscheidungen über eigenes Geld zeigen würde. Die größere Risikoaversion des Beirats ist insgesamt eine Überlebensversicherung gegenüber den einsamen, möglicherweise hoch riskanten Entscheidungen eines Eigentümer-Unternehmers. Sie ist auch eher ein nützliches Gegengewicht, wenn die Geschäftsführung eine ausgeprägte unternehmerische Initiative zeigt. Besteht dort, bei der Geschäftsführung, aber kein starker unternehmerischer Wille oder wurde er durch allzu viel Aufsicht und Genehmigungsvorbehalte „aberzogen“, dann kann die Risikoaversion des Beirats sich breit entfalten und die Unternehmensentwicklung beeinträchtigen. Vorkehrungen gegen die Nebenwirkungen Es gibt keinen magischen Hebel, um die hier geschilderten problematischen Nebenwirkungen des Handelns von Beiräten zu bannen. Es kann nur generell angeraten werden, sich bei der Gestaltung der Statuten, bei der Rollen-
164
5 Die Funktionen des Beirats
verteilung und vor allem bei der Reflexion über die Arbeitsweise und die Arbeitsergebnisse dieser möglichen Nebenwirkungen bewusst zu sein. Fast alle der hier aufgeführten Nebenwirkungen sind der Aufmerksamkeit des Beiratsvorsitzenden und der Gesellschafter anzuempfehlen, denn nur die dem Beirat vorgesetzten Instanzen, der Vorsitzende und die Gesellschafter selbst, können Einfluss darauf nehmen, dass sich diese Nebenwirkungen nicht dysfunktional entfalten. Die folgende Zusammenfassung mag in diesem Zusammenhang hilfreich sein: • Eindeutige Regelungen der Zuständigkeiten und Rollenerwartungen vermeiden ein Oszillieren der Funktionen zwischen den Institutionen und das Entstehen von Zuständigkeiten ohne Verantwortlichkeiten. • Die Gesellschafter sollten nicht ausgeklammert werden, sondern vielmehr angemessen in die Strategieentwicklung des Unternehmens einbezogen werden. • Der Beirat sollte in angemessenen Abständen selbst darüber reflektieren, wie seine „Unternehmerfunktion“ zu beurteilen ist. Mit dieser Fragestellung ist der Überbetonung der Risikobetrachtung zu wehren. • Man sollte darüber reflektieren, ob zu viel oder zu wenig eingegriffen und geführt wird. Dabei plädiere ich dafür, sich darüber klar zu werden, wann eine vorgesetzte Instanz nicht tätig werden muss, weil die nachgeordnete Instanz ihre Aufgaben angemessen erfüllt. Ein Patentrezept scheint es nicht zu geben; verlangt wird eher ein stetiges Bemühen um Balance.
B. Die Obliegenheiten von Beirat und Geschäftsführung in ihrer wechselseitigen Beziehung
6
Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
6.1
Die überragende Bedeutung der Information durch die Geschäftsführung
Eine Analyse der Beiratsarbeit führt zu folgender Aufgliederung von Tätigkeiten: • Vortrag der Geschäftsführung oder der von ihr oder vom Beirat Beauftragten (z. B. Wirtschaftsprüfer) vor dem Beirat, mit Informationen, die in Zielsetzung, Inhalt und Tiefgang unterschiedlichen Charakter haben können, • Reflexion des Vortrags zur Erfüllung der Aufsichtsfunktion durch den Beirat, • Interaktionen zwischen Beirat und Geschäftsführung; in der Regel, um damit auf die Geschäftsführung Einfluss zu nehmen, einschließlich der gemeinsamen Problemlösung in einem Beratungsprozess. Das Einholen von aufschlussreicher Information erscheint mir als der wichtigste Prozess im gesamten Arbeitsprogramm eines Beirats. Für jeden Beirat ist die eingehende und tiefgehende Information durch die Geschäftsführung die Grundlage für all seine Funktionen: sowohl für seine Überwachungs- wie auch für seine Beratungsfunktion und schließlich auch für seine Funktion als Dienstherr. Für einen Beirat sind Umfang und Qualität seiner Information durch die Geschäftsleitung von großer Bedeutung dafür, inwieweit er seiner Aufsichts- und Beratungsaufgabe nachkommen kann. Denn nur dann, wenn ein Thema überhaupt angesprochen wird und der Beirat somit erfährt, dass sich die Geschäftsführung damit befasst, kann er erwägen, ob und in welcher Weise seine Einbeziehung erforderlich oder wünschenswert ist. Wenn der Beirat ein Thema nicht kennt, kann er dazu auch keine Stellung nehmen. Die Problemwahrnehmung ist die Voraussetzung für die Problemanalyse und steuert diese. Sobald aber ein kompetenter Beirat sich mit einem Thema auseinandersetzen und auch sinnvolle
168
6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
Fragen dazu stellen kann, wird er einen Beitrag zum Entscheidungsprozess leisten können. Jeder Prozess der Unternehmensführung beginnt mit der Orientierung: Was ist der Fall, was sollte geschehen? Ohne Orientierung in der Landschaft der Märkte und der weiteren Umwelt, ohne Bestimmung der Ausgangslage, wo man steht, ist keine Führung möglich. Erst aus der Kenntnis der Ausgangslage heraus und aus der Vermittlung dieser Sicht an alle Beteiligten kann die Richtung bestimmt werden, in die zu gehen ist. Der Beirat muss als Dienstherr der Geschäftsführung deren Gesamtleistung beurteilen und tut dies auch ständig, und zwar vor allem oder fast ausschließlich auf der Grundlage des Vortrags in der Beiratssitzung. Jede Beiratssitzung ist ein „Assessment-Center“ für die Geschäftsführung. Ein Geschäftsführer wird daher gut daran tun, diese Sitzungen sorgfältig vorzubereiten und in seinem Vortrag den Erwartungen seiner vorgesetzten Beiratsmitglieder möglichst gerecht zu werden. Jeder Vortrag der Geschäftsführung dient so der Eindruckssteuerung. Diese Eindruckssteuerung beginnt damit, dass bei der Planung des Vorzutragenden erst einmal überlegt wird, was die Beiratsmitglieder erfahren sollten, um einen zutreffenden – und damit positiven – Eindruck von der Leistung des Geschäftsführers zu erhalten. Bei dieser Planung wird deutlich werden, dass die Pflichtberichterstattung eher auf die Abweichung, das Kritische und das zu Rechtfertigende abhebt. Diese Pflichtberichterstattung ist um solche Elemente zu ergänzen, die als „interne Public Relations“ zwar nicht notwendig, aber interessant sind und ein vollständiges und positives Bild von den Leistungen der Geschäftsführung ergeben. Durch den Vortrag wird den vielfältigen Ereignissen in der Umwelt und den einzelnen Handlungen der Geschäftsführung ein Sinn zugemessen. „Sensmaking“171 ist eine der grundsätzlichen Aufgaben der Geschäftsführung. Durch diese Sinnvermittlung wird zugleich die Bedeutung des Handelns der Geschäftsführung erhöht und die Kompetenz im Handeln demonstriert. Aber auch in der anderen Richtung ist Information unabdingbar: Ohne Information über die Zielvorstellungen, Besorgnisse und Hoffnungen der Beiratsmitglieder oder der Gesellschafter, die über die Beiratsmitglieder vermittelt werden, kann sich die Geschäftsführung nicht damit auseinandersetzen, kann nicht darauf eingehen. Die große Bedeutung der Information für den gesamten Prozess seiner Arbeit gibt dem Beirat zunächst einmal das Recht und die Pflicht, die In-
171
Vgl. Weick, K.E. (1995).
6.2 Die Typologie des Rahmens der Information
169
formations- und Berichtspflichten der Geschäftsführung festzulegen.172 Daraus ergibt sich aber allenfalls ein Gerippe für das Pflichtprogramm der Berichterstattung. Wie dieses Gerippe ausgefüllt wird, ist Sache der Geschäftsführung. Hinzu kommen zeitlich wie inhaltlich ebenso gewichtige Teile des Informationsangebots, die aus der Interessenlage der Geschäftsführung heraus entwickelt werden.
6.2
Die Typologie des Rahmens der Information
Wir werden nachfolgend das Hauptgewicht unserer Ausführungen auf den Vortrag der Geschäftsführung vor dem Beirat legen. Mit „Vortrag“ sei hier eine geordnete Informationsdarbietung im Rahmen einer Beiratssitzung bezeichnet. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass dieser Vortrag zwar die typische, aber nicht die einzige Möglichkeit für einen Beirat ist, Informationen über das unter seiner Aufsicht stehende Unternehmen zu erhalten. Die verschiedenen Möglichkeiten lassen sich wie folgt skizzieren: • eigenständige Informationsgewinnung durch den Beirat, zum Beispiel durch Inaugenscheinnahme, Besuche „vor Ort“, • formlose Information des Beirats, des Beiratsvorsitzenden oder einzelner Beiratsmitglieder durch den CEO, • förmliche Information des Beirats durch den Vortrag der Geschäftsführung oder Dritter. Die Vortragenden sind: • hauptsächlich die Geschäftsführung, • Führungskräfte der Ebene unterhalb der Geschäftsführung, die vor dem Beirat ihr „Potenzial“ zeigen sollen, • gelegentlich Beauftragte der Geschäftsführung, • noch seltener Beauftragte des Beirats wie Sachverständige oder Führungskräfte aus dem Hause gleichsam als „unabhängige“ Dritte (Revision, Controlling und ähnliche Funktionen), • einmal im Jahr und bei Sonderanlässen der Wirtschaftsprüfer. Im Folgenden befassen wir uns – wenn nicht anders angegeben – ausschließlich mit der förmlichen Information, dem Vortrag der Geschäftsführung. 172
So für den Aufsichtsrat Kodex 3.4, Abs. 3.
170
6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
Zu propagieren, dass ein Aufsichtsrat in nennenswertem Umfang eigenständig Informationen erheben sollte173, halte ich für abwegig. Soweit ich sehe, gründen sich derartige Forderungen auf eine Überbetonung der Aufsichtsfunktion eines Aufsichtsrates. Diese Überbetonung wiederum beruht auf einem generellen Misstrauen gegenüber Unternehmensleitungen in dem Sinne, dass sie nicht kompetent oder nicht willens seien, eine angemessene Informationsversorgung des Aufsichtsgremiums sicherzustellen. Die Geschäftsführung übt gegenüber dem Beirat folgende kommunikative Tätigkeiten aus: • Die Geschäftsführung erstattet Bericht über ein vorgegebenes Thema, etwa: o einen Lagebericht zur allgemeinen Geschäftslage, o einen Bericht zu besonderen Vorkommnissen, o einen Bericht zu Veränderungen in den externen Gegebenheiten der Unternehmung, o einen Bericht zu Veränderungen in verschiedenen Kategorien der Unternehmenspolitik. • Die Geschäftsführung stellt Anträge und holt Genehmigungen zu zustimmungspflichtigen Vorgängen ein. • Die Geschäftsführung referiert über strategische und sonstige wesentliche Vorhaben; sie schildert bedeutsame externe Gegebenheiten und erläutert deren Relevanz für das Unternehmen. • Die Geschäftsführung verkündet Ziele, Verpflichtungen und Absichten als Selbstverpflichtung. • Die Geschäftsführung schildert Erfolge, die sie auf einem wichtigen Gebiet erzielt hat. • Die Geschäftsführung stößt mit ihrem Vortrag zu einer der oben angeführten Kategorien einen Diskurs an, der zu einer gemeinsamen Reflexion führt. Der Grund für diese Darlegungen der Geschäftsführung liegt weithin darin, dass sie als Pflichten vorgegeben sind. Ein Nutzen für die Geschäftsführung braucht bei dieser Pflichterfüllung nicht erwartet zu werden. Es handelt sich um Verpflichtungen, die der Corporate Governance dienen und mit denen den Vorschriften einer Geschäftsordnung entsprochen wird (Compliance). 173
So Chini, L.W. (1988).
6.2 Die Typologie des Rahmens der Information
171
Diese Pflichterfüllung kann auf verschiedene Weise mit freiwilligen Elementen angereichert werden, zum Beispiel indem zusätzliche Vortragsthemen in die Tagesordnung einer Beiratssitzung aufgenommen werden. Eine solche Entscheidung erfolgt natürlich nicht ohne Absicht. Sie dient im Allgemeinen dazu, beim Beirat einen positiven Eindruck von der Arbeit der Geschäftsführung hervorzurufen. Wege, ein positives Urteil des Beirats über die Qualität der Vorstandsarbeit zu erreichen, sind etwa folgende: • Es werden positive Nachrichten übermittelt. Widrige Umstände, die es zu überwinden galt, werden geschildert und die Kreativität von Problemlösungen wird erläutert. • Durch Selbstverpflichtungen auf Ziele und Maßnahmen wird eine Erwartung erzeugt, die – verbunden mit der Annahme, dass sie umgesetzt werden – wiederum der Erzeugung eines günstigen Eindrucks von den Leistungen der Unternehmensleitung dient. Selbst wenn es bei der Ankündigung von Absichten und Initiativen bleibt, ohne dass konkrete Schritte für eine Zielerfüllung genannt werden, kann der Eindruck von unternehmerischer Aktivität erzielt werden. • Schließlich muss die negative Abweichung von früher gesetzten Zielen und das Misslingen einzelner Vorhaben begründet und gerechtfertigt werden. Um den Eindruck des Versagens zu vermeiden, müssen entweder nicht vorhersehbare äußere Umstände aufgezeigt oder es muss zugestanden werden, dass die Ziele eben doch sehr aggressiv waren und daher nicht voll verwirklicht werden konnten. Schließlich aber besteht bei einer Geschäftsführung von Zeit zu Zeit der Wunsch nach einem guten Rat in komplexen Fragen. Die Geschäftsführung wird einen solchen Rat suchen, da sie davon ausgehen kann, dass die Beiratsmitglieder aufgrund ihrer durch berufliche Erfahrung gewonnenen Einsichten über eine hohe fachliche Kompetenz verfügen. Sie kann durch das kollektive Urteil der Beiratsmitglieder ein höheres Maß an Entscheidungssicherheit erreichen. Selbst wenn die Geschäftsführung die Beratungsbeiträge nicht als wesentlich erachten würde, könnte es nützlich sein, eine Meinungsbildung herbeizuführen und die dabei geäußerten Einwände gegen die Argumente des Vorstands zu erörtern. Damit wird eine eventuelle spätere Rechtfertigung des Vorstands bei missglückter Initiative begünstigt: Entwicklungen, die nicht einmal der um Rat gefragte Beirat vorhersehen konnte, dürfen der Geschäftsführung schwerlich zur Last gelegt werden. Den Mitteilungen der Geschäftsführung an den Beirat stehen die folgenden die Geschäftsführung betreffenden Aktivitäten des Beirats gegenüber:
172
6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
• Zuhören, um zu verstehen, • Zuhören, um die Geschäftsführung zu beobachten und daraus ein Urteil über ihre Qualifikation für die von ihr geschilderten Aufgaben zu gewinnen, • Überwachen der Geschäftsführung, um daraus wiederum ein Qualifikationsurteil zu gewinnen und um eventuell ungünstige Entscheidungen der Geschäftsführung zu verhindern, • Anregung von Initiativen der Geschäftsführung, um die Unternehmensentwicklung zu fördern, sei es durch die Erschließung von Chancen oder durch die Abwendung von Risiken, • Beratung der Geschäftsführung. Der Grundbaustein der Kommunikation zwischen Geschäftsführung und Beirat ist – von Seiten der Geschäftsführung – deren Vortrag. Er ist eine systematisierte Form der Information, gekennzeichnet durch: • eine Themenstellung, • die in einem gewissen Vollständigkeitsgrad zu erörtern ist, bestehend aus: o Aufbereitung des Sachstands, o seiner Beurteilung o und schließlich einer Schlussfolgerung. Die Schlussfolgerung ist je nach dem Charakter des Vortrags unterschiedlich: Sie ist entweder eine Reflexion oder die Aufforderung zu einer Reflexion, die Argumentation für einen konkreten Entscheidungsvorschlag oder die Rechtfertigung für ein bereits abgelaufenes Geschäftsjahr. • Die Reflexion erklärt eine Frage als erörterungsbedürftig und fordert zu einer gemeinsamen Reflexion und Erörterung auf. Der reflektierende Vortrag mündet in eine Frage an das Auditorium. • Die Argumentation lässt sich folgendermaßen beschreiben: „Die Aufgabe einer Argumentation ist es, ein Argument zu entwickeln. Ein Argument lässt sich, grob gesagt, als eine Folge von Aussagen darstellen, die in eine Antwort auf eine Quästion – eine strittige Frage – mündet; die Aussagen müssen in einer bestimmten („logischen“) Weise miteinander verbunden sein.“174 174
Klein, W. (1980): S. 10.
6.2 Die Typologie des Rahmens der Information
173
• Mit dem Antrag wird eine Entscheidung dargelegt und begründet, zu der die Zustimmung des Beirats erforderlich ist. • Die Rechtfertigung erfolgt als eine Form der Begründung: „Eine Rechtfertigung akzeptiert die Verantwortlichkeit für die unerwarteten und ungewöhnlichen Handlungen und Entscheidungen, verneint aber eine ablehnende Bewertung und erklärt warum.“175 • Das Pendant der Rechtfertigung nennen wir die Erfolgsbegründung, mit der die Verantwortlichkeit für einen unerwarteten und ungewöhnlichen Erfolg in Anspruch genommen wird, mit der dieser Erfolg als persönlich zurechenbar behauptet und erklärt wird, warum dies so ist. (Der „normale“ Erfolg gehört zu den Dienstpflichten einer Geschäftsführung.) Der Vortrag zu einer Strategie, sei es im Blick auf einen vergangenen oder einen zukünftig angestrebten Erfolg, ist in jeder Hinsicht eine Erzählung. Eine besondere Form des Vortrags sind die Genehmigungsanträge zu Entscheidungen, für die ein Zustimmungsvorbehalt des Beirats besteht. Der Umfang der Informationen in diesem Zusammenhang wird sich zweckmäßigerweise danach richten, ob der jeweilige Antrag diskussionsbedürftig erscheint oder ob eine Genehmigung routinemäßig erwartet werden kann. Ist zu erwarten, dass die Entscheidung über den Antrag der Diskussion bedarf, wird hierzu eine Präsentation der Geschäftsführung vorzubereiten sein, in der ein Entscheidungsvorschlag unterbreitet und überzeugend begründet wird. Eine Entscheidungsvorlage zeigt gleichzeitig auf, welches die Alternativen sind. Zu den Alternativen gehört auch eine Ablehnung der vorgeschlagenen Entscheidung – häufig bedingt diese jedoch eine andere Entscheidung. Nehmen wir als Beispiel einen Antrag für eine Großinvestition zum Neubau eines Betriebes. Eine Alternative hierzu wäre der Verzicht auf den Neubau, doch würde damit möglicherweise eine Großinstandsetzung des vorhandenen alten Betriebs erforderlich. Die alternativen Ausgaben, deren nachfolgender Cash-Flow und die Auswirkung auf den Unternehmenswert wären aufzuzeigen, um eine rationale Entscheidung zu ermöglichen.
175
Petzold, K. (2005): S. 41.
174
6.3
6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
Die Inhalte der Information
Die grundlegende Information über die Geschäftstätigkeit des Unternehmens Es lohnt sich anzusprechen, dass am Beginn der Beiratstätigkeit eines externen Mandatsträgers eine Phase liegen muss, in der er mit dem Unternehmen vertraut gemacht wird. Diese Aufgabe kommt naturgemäß der Geschäftsführung zu. Es liegt in ihrem eigenen Interesse, hierfür ausreichend Zeit einzusetzen. Es passiert durchaus, dass am Anfang nur eine allgemeine Information steht und dann angenommen wird, dass das Beiratsmitglied im Laufe der Sitzungen schon ausreichend mit dem Unternehmen vertraut werden wird. Es gibt aber ein Grundwissen über jedes Unternehmen, das für die Behandlung der Themen in den Beiratssitzungen vorausgesetzt wird und vorausgesetzt werden muss. Zur Vermittlung dieses Grundwissens gehört eine systematische Management-Präsentation, wie sie etwa bei einem Prozess des Unternehmenserwerbs selbstverständlich ist. Hierbei ist das grundsätzliche Geschäftsmodell herauszuarbeiten, die nachhaltigen Gewinnquellen sind darzustellen, ferner die Vor- und Nachteile des Betriebs im Wettbewerb, die Unternehmensvision, die langen Linien der Unternehmensentwicklung und weiteres mehr. Erzählungen über wichtige Abschnitte in der Geschichte des Unternehmens gehören sicherlich zu einer solchen Phase des Vertrautmachens. Im Rahmen dieser Einführungsphase sollte gleichsam eine Grundakte zu dem betreffenden Unternehmen angelegt werden, in der Materialien zum Leistungsprogramm, den Märkten, den Betrieben und der Führungsorganisation gesammelt werden. Auf sie wird man immer mal wieder zurückgreifen, bis ihr Inhalt im Laufe der Zeit verinnerlicht worden ist. Es ist schwer vorstellbar, dass man den Zugang zu einem Wirtschaftsunternehmen findet, ohne die Lokalitäten seiner Geschäftstätigkeit besichtigt zu haben, seien es Fabriken und Konstruktionsbüros, Forschungslabore, Verkaufsstätten oder was immer in der Branche jeweils charakteristisch ist. Zu der Einführung gehören daher auch exemplarische Begegnungen mit Mitarbeitern der nachgeordneten Führungsebenen. Nur so erhält das neue Beiratsmitglied ein Gefühl dafür, welcher Art das Unternehmen ist, welcher Typus von Mitarbeitern hier beschäftigt ist. Auch bei einem mittelständischen Unternehmen ist hierfür mehr als ein Tag, sind in der Regel zwei volle Tage anzusetzen. Diese zeitliche Investition am Anfang wird aber durch die von Beginn an erhöhte Qualität der Beiratsarbeit vollständig gerechtfertigt.
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Die Pflichtberichterstattung als Grundlage der Aufsicht Als Zielsetzung für die Information, die dem Beirat in den Sitzungen zu unterbreiten ist, wird in erster Linie an dessen Funktion der Überwachung der Unternehmensleitung gedacht. Wie nun informiert werden soll, damit er seine Überwachungsaufgabe erfüllen kann, wird sich vorzugsweise an den Regelungen für die Berichterstattung im Aufsichtsrat orientieren, die diesem zur Überwachung geliefert werden muss. Dies bietet sich schon deshalb an, weil Beiratsmitglieder, die zugleich bei anderen Gesellschaften Aufsichtsratsmitglieder sind, diese Strukturierung der Berichterstattung gewohnt sind. Nach § 90 AktG ist die Berichterstattung wie folgt gegliedert176: • Regelberichte, o Bericht über die beabsichtigte Geschäftspolitik, insbesondere Berichterstattung über die Unternehmensplanung, o Rentabilitätsbericht, o Bericht über den Gang der Geschäfte. • Berichte zu wesentlichen Einzelmaßnahmen, die für die Rentabilität oder Liquidität der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sein können, • Sonderberichte, das sind insbesondere Berichte zu Einflüssen, die von außen oder plötzlich auf die Unternehmung einwirken. Das Zahlenwerk als Information Finanzdaten sind Bestandteil jeder Berichterstattung. Da Zahlen über das Unternehmensgeschehen in jedem Unternehmen notwendigerweise für die Geschäftsführung erhoben und aufbereitet werden, stehen sie gleichsam ohne Zusatzaufwand für die Berichterstattung an das Aufsichtsgremium zur Verfügung. Das Zahlenwerk hat seinen Platz in der Analyse der Lage des Unternehmens. Gerne wird der Spruch zitiert: „Zahlen lügen nicht!“. Aber: Zahlen für sich allein stehend „sprechen“ auch nicht. Zahlen sind nur in Verbindung mit Interpretationen aussagefähig. Fast keine Zahl – und schon gar nicht eine Ergebniszahl – ist ohne Erläuterungen verständlich. Wenn nun systematische Zahlendarstellungen, wie sie im Rahmen des laufenden Berichtswesens im Unternehmen erhoben werden, dem Beirat vorgelegt werden, dann muss gleichzeitig die Interpretation mitgeliefert werden. 176
Tomat, O. (2005): S. 657 f.
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Vielfach werden aber nur die Zahlenaufstellungen in ihrer „Urform“ ohne angemessene Interpretation geliefert, sei es, weil der Beirat möglichst umfassende Informationen in der Urfassung wünscht, um etwa der manipulativen Selektion von Daten zu wehren, sei es, weil die Geschäftsführung diese Durchleitung der Daten als den einfacheren Weg wählt. Dann würde aber vom Beirat erwartet werden, dass er sich in die Zahlen vertieft und selbst Hypothesen zur Interpretation entwickelt. Dies wäre ein unangemessenes Verlangen, ein suboptimaler Zugang zu der richtigen Interpretation und eine Zeitverschwendung. Wenn von der Interpretation der Zahlen als der entscheidenden Berichtsleistung ausgegangen wird, dann kommt man zu einem umgekehrten Ansatz: Die Geschäftsführung liefert ihre verbale Interpretation der Lage und erläutert diese Aussagen durch das Zahlenwerk – durchaus selektiv – zur Unterstützung des jeweiligen Berichts. Zahlen werden nur durch den Bezug zu Vergleichsdaten aussagekräftig. In jedem Fall muss der Vergleich mit der eigenen Vergangenheit gewählt werden. Dieser Vergleich wird umso aussagekräftiger, je länger der Vergleichszeitraum ist. Ein Vergleich mit dem Vorjahr ist für fast alle Unternehmen ein viel zu kurzer Vergleichszeitraum. Für tiefer gehende Einsichten ist ein Zeitraum von einem Konjunkturzyklus erforderlich, das ist in etwa ein Jahrzehnt. Zum Standard guten Controllings gehört der Vergleich des eigenen Unternehmens mit leistungsfähigen Wettbewerbern und typologisch ähnlichen Unternehmen. Das „Benchmarken“ ist eine Kompetenz, die zwar Top-down bei den Gesamtzahlen für Umsatz, Ressourcen und Ergebnisse beginnen muss, dann aber die notwendigen Bereinigungen in der Datenbasis vornehmen muss, um tatsächlich Vergleichbares zu vergleichen, und dann in die Unterschiede zwischen den verglichenen Unternehmen vordringen muss. Die wenigsten Erkenntnisse können seltsamerweise aus den Soll-Ist-Vergleichen gewonnen werden: Erstens gibt es immer Abweichungen und es wäre unsinnig, Abweichungen per se kritisieren zu wollen. Denn: Abweichungen können dadurch zustande kommen, dass die Ist-Entwicklung erst später erkennbar wird, oder dadurch, dass die Planung unvollkommen war, was sie immer ist. Die Kritik an negativen Abweichungen von der Planung wird im Lernprozess nur dazu führen, dass „konservativer“ geplant wird. Wenn aber schon vorsichtig geplant wird, ist nicht damit zu rechnen, dass dann von vornherein gleichermaßen aktiv gehandelt wird. Natürlich ist eine konservative Planung ein mentales Ruhekissen, das auch die Aktionslust dämpft. Noch kritischer ist das in Mode kommende Erwartungsmanagement einer sehr optimistischen Planung. Wenn die Geschäftsführung schon in der Planung dazu gedrängt
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wird, aggressivere, optimistischere Zahlen zu präsentieren, glauben alle Beteiligte bei Verabschiedung der Planung zunächst, dass die Welt und das Unternehmen in bester Ordnung wären. Es dauert dann bis zur Mitte des zweiten Quartals, bis erkennbar wird, dass eine negative Abweichung unausweichlich wird. Die externen Ursachen dieser Abweichung können natürlich erklärt werden. Abweichungen können immer erklärt werden. Die Ambivalenz der Abweichungsanalyse und die probate Erläuterbarkeit der Abweichungen relativieren jedoch die Bedeutung des Zahlenwerks für die Beurteilung der Qualität der Unternehmensführung. Je mehr der Beirat von der Mission geleitet wird, Aufsicht zu üben, desto mehr wird er seine Arbeit vorwiegend auf die Analyse der Zahlen und der Abweichungen konzentrieren. Und je mehr das Gremium einen Wertschöpfungsbeitrag zur Unternehmensführung leisten will, desto mehr wird das reine Zahlenwerk in den Hintergrund treten und die verbale Erörterung von Themen der Unternehmensentwicklung wird in den Vordergrund treten. Die Information als Voraussetzung für die Erfolgsmessung Für die verschiedensten Funktionen braucht der Beirat gesicherte Erkenntnisse über den Erfolg des Unternehmens und den Erfolg der Geschäftsführung. Beides ist offensichtlich nicht identisch, wenn nicht davon ausgegangen wird, dass „Glück zu haben“ oder „Pech anzuziehen“ Persönlichkeitsmerkmale von Führungskräften sein können oder – zumindest auf das Glück bezogen – sogar sein sollten. Ein Urteil über den Erfolg eines Unternehmens bzw. dessen Führung bezieht sich vor allem auf den finanziellen Erfolg, aber darüber hinaus auch auf nicht-finanzielle Erfolgsdimensionen wie zum Beispiel Image, Reputation, Innovationskraft und Ähnliches. Der Beirat bedarf der für seine Urteilsbildung nötigen Informationen: • in seiner Funktion als Dienstherr für die Beurteilung der Geschäftsführung im Hinblick auf die Fortsetzung des Dienstverhältnisses, • in seiner Funktion als Dienstherr für die Festsetzung erfolgsabhängiger Vergütungen, • in seiner Funktion als Überwachungsinstanz für die Beurteilung der Unternehmensentwicklung. Der Vortrag, mit dem die Unternehmensleitung dem Beirat die für seine Urteilsbildung erforderlichen Informationen liefert, ist je nach Ergebnislage (das kann auch eine Abweichung von der Planung sein) eine Erfolgsbegründung oder eine Rechtfertigung.
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Eine interessante Paradoxie ergibt sich daraus, dass finanzielle Anreize, die auf das Ergebnis bezogen werden, das Erfordernis für die Überwachung des Managements nicht reduzieren, sondern sogar erhöhen.177 Diese Schwierigkeit ist nicht einfach zu lösen. Für die meisten Familienunternehmen stehen Incentive-Programme, die an die Kursentwicklung anknüpfen, ohnehin nicht zur Verfügung. Im Übrigen können die entsprechenden Incentive-Programme bei Aktiengesellschaften auch nicht mit einfachen Kursdaten arbeiten, sondern bedürfen regelmäßig umfangreicher Anpassungen. Nicht einfacher wird es, wenn man mit Ergebnisgrößen arbeitet. Keine Ergebniszahl ist – wie gesagt – aussagefähig ohne Erläuterung der in ihr enthaltenen Veränderungen, ihrer Ursachen sowie der außergewöhnlichen und aperiodischen Einflüsse. Zu den vorgelegten Abschlusszahlen bedarf es also immer einer eingehenden Erläuterung. Bei deutschen mittelständischen Unternehmen finden wir im Unterschied zur externen Rechnungslegung die Tradition des innerbetrieblichen Rechnungswesens. In der Regel wird dabei dem internen Rechnungswesen eine große, ja größere Bedeutung zugemessen als der externen Rechnungslegung. Früher konnte das mit dem Versuch erklärt werden, qua Steuererklärung Steuern sparen zu wollen. Das sollte in der jetzigen Zeit, in der auch mittelständische Unternehmen einen Konzernabschluss vornehmen und dort nicht mehr das Maßgeblichkeitsprinzip gilt, eigentlich vorbei sein. Es ist aber erstaunlich, wie fest sich im Kreis dieser Unternehmen die Meinung hält, der Abschluss sollte schlechter dargestellt werden, als er ist. Daher wird auf das innerbetriebliche Rechnungswesen zurückgegriffen, das eher das gewünschte Bild zeichnet. Dabei wird verdrängt, dass das innerbetriebliche Rechnungswesen vielfach tatsächliche Ergebniseinflüsse aus dem Finanzbereich und der Bewertung der Bilanzpositionen nicht abbildet. Es gibt einen ganzen Beratungszweig, der ein System der Parallelrechnung neben der offiziellen Rechnungslegung entwickelt hat, um den Economic Value Added178 zu ermitteln, der dann der Abrechnung der IncentiveProgramme zugrunde gelegt wird. Eine solche gesonderte Ermittlung des „Erfolgs“ wirft aber neue Probleme auf. Um diese Form der Erfolgsmessung zur Motivation der Führungskräfte zu verstehen, sind Spezialkenntnisse erforderlich. Die Führungskräfte sind nur in geringerer Anzahl Betriebswirte und in noch geringerer Anzahl Betriebswirte, die mit dem Universum der Regelungen zur Rechnungslegung vertraut sind. Ingenieure 177
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Vgl. hierzu mit zahlreichen Nachweisen auf die vorgelagerte Literatur Gedenk, K. (1998): S. 30 f. Siehe Stern/Shiely/Ross (2002).
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und Vertriebsleute haben meist nur einen kursorischen Zugang zu den Fragen der Rechnungslegung. Wenn vielen Managern die Erfolgsrechnung ohnehin nicht klar verständlich ist, ist es einfacher und besser, den veröffentlichten, vom Wirtschaftsprüfer bestätigten Erfolg zur Grundlage von Bonuszahlungen zu machen. Das Phänomen, dass Erfolgshonorierung die Überwachung der Unternehmensleitung eher intensiviert als reduziert, zeigt sich nicht nur darin, dass für eine Honorierung von Erfolg die richtige Ermittlung des Erfolgs eminent wichtig ist, sondern auch darin, dass die Aussicht auf eine erfolgsabhängige zusätzliche Honorierung die Gefahr in sich birgt, dass Führungskräfte ihre Leistungen besser darstellen, als sie sind. Dieser Gefahr ist nur durch mehr Überwachung zu begegnen. Dies gilt vor allem bei allen Arten von Longterm Incentives, die nicht an die Größen des reinen Finanzertrags anknüpfen, sondern die erfolgsbeeinflussenden Leistungen des Geschäftsführers oder der von ihm geleiteten Organisation honorieren sollen. Solche Erfolgskriterien können etwa sein: der Marktanteil, das Wachstum, die Innovationsleistung, die Kundenzufriedenheit und, was immer als wichtig für den langfristigen Erfolg gewertet werden mag. Wenn eine finanzielle Honorierung an solche qualitativen Kriterien geknüpft wird, muss ein Verfahren entwickelt werden, um den Erfüllungsgrad dieser Zielsetzung zu messen. Auch hier zeigt sich, dass durch die Einführung eines Incentive-Verfahrens die Notwendigkeit der Überwachung zunimmt. Ja, einer der Gründe dafür, ein Longterm Incentive für solche qualitativen Erfolgskriterien auszuloben, ist sogar oft umgekehrt das Interesse der vorgesetzten Instanz, Beirat oder Beiratsvorsitzender, mit der Führungskraft in Beurteilungsgespräche über diese Kriterien einzutreten. Das Risiko-Informationssystem Höchst sensibilisiert sind Aufsichtsgremien heute hinsichtlich der Bedeutung des Risikomanagements. Die Überprüfung der Erfassung und der Berichterstattung über Risiken ist Gegenstand der Jahresabschlussprüfung. Ein uneingeschränktes Testat setzt voraus, dass keine existenzbedrohenden Risiken bestehen. Einen aktuellen Bezug zur Einschätzung des Schadenpotenzials von Risiken, die dem Grunde nach erkannt sind, bietet die Diskussion der Rückstellungshöhe im Abschluss. In einem Rechnungslegungsausschuss sollten und werden die Gründe für die Bildung von Rückstellungen und deren angemessene Bemessung erörtert.
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Darüber hinaus wird heute die Aufsicht über das Risikomanagement als ein gesondertes Aufgabenpaket eines Aufsichtsgremiums gesehen, auf das wir unten eingehen.179 Der Vortrag zur laufenden Orientierung des Beirats Der Bericht über die Geschehnisse im Markt und im Unternehmen hat nur in einem Teilaspekt etwas mit dem „Bericht über den Gang der Geschäfte“ zu tun. Der „Bericht über den Gang der Geschäfte“ ist eine zahlenmäßige Berichterstattung über das laufende Geschäft, wie er zum Beispiel im Quartalsbericht vorgeschrieben ist. In den Zahlen sieht man nur Wirkungen, erfährt aber noch nichts über die Geschehnisse, die die Geschäftsführung beschäftigen, und ihre Handlungen. Um den richtigen Rahmen für die Berichterstattung zu gewinnen, gehe ich von folgendem Ansatz aus: Zwei Gruppen, die sich aufgrund ihrer Aufgaben und ihres gemeinsamen Interesses am Wohlergehen ihres Unternehmens sowie aufgrund wiederholter Begegnung, ja auch infolge gegenseitiger Abhängigkeit persönlich „nahe stehen“, treffen sich in größeren Zeitabständen. Die normale menschliche Reaktion ist nun, dass man „erzählt“, was sich seit dem letzten gemeinsamen Treffen ereignet hat, was für das gemeinsam interessierende Unternehmen von Bedeutung ist. Das gemeinsame Anliegen, die vermutete Neugierde des anderen, das „Interessante“ ist das Kriterium für die Auswahl der Berichterstattung des Vorstands und nicht die Relevanz des Vorgetragenen für die Aufsicht oder die derzeitige oder spätere Genehmigungsbedürftigkeit des Themas. Für diese Berichterstattung kommen etwa folgende Gliederungsmöglichkeiten in Betracht: • Logbuch der Ereignisse im Zeitablauf – eine völlig natürliche Reihenfolge, die das Problem der Auswahl und der sinnvollen Verknüpfung der Ereignisse umgeht, • Gliederung der Betrachtung in Standardkategorien wie Markt, Beziehung zu Kunden (zum Beispiel bemerkenswerte gewonnene oder verlorene Aufträge), Personalangelegenheiten, technische Entwicklungen und ähnliche generelle Kategorien, • Themenkataloge wie die Agenda der Geschäftsführung: Was hat die Geschäftsführung in ihren Sitzungen beschäftigt?
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Vgl. Abschnitt 7.3.
6.3 Die Inhalte der Information
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Eine solche eher formlos strukturierte und aufbereitete Berichterstattung – am besten in reiner Gesprächsform – kann ein notwendiges Gegengewicht zu der formalisierten, überwachungsorientierten Berichterstattung bilden. Eine solche an keine weiteren Auswahlkriterien gebundene Berichterstattung gibt Raum für die Darstellung von positiven Ereignissen, die sonst nicht zur Sprache kommen würden. Ein positives Einzelereignis kann leicht in der allgemeinen Geschäftsentwicklung „untergehen“, insbesondere wenn die Geschäfte insgesamt gut gehen. Es stellt ja wahrscheinlich auch keine Planabweichung und schon gar nicht ein Risiko dar, über das besonders zu berichten wäre. Man braucht auch keine Genehmigung für einen bereits erzielten Einzelerfolg. Diese Abgrenzung zeigt bereits die Tendenz der Regel-Berichterstattung zu dem, was nicht ist, zum Abweichenden. Davon aber lebt kein Geschäft: Geschäfte beruhen auf dem, was ist, auf Stärken, auf Erfolgspotenzialen. Dem trägt eine solche formlose Berichterstattung Rechnung, denn sie erlaubt, Ereignisse oder auch nur empfundene oder vermutete Tendenzen anzusprechen, die noch nicht eindeutig gewertet werden können. Es sind dies gerade die Informationen, die den Charakter von Frühwarnindikatoren haben können. Dadurch, dass die Ereignisse erfasst und berichtet werden, sobald sie anfallen, hat die berichtende Geschäftsführung noch nicht die Verpflichtung, schon jetzt zu einer Wertung in der Lage zu sein. Die Information kann zunächst so im Raum stehen bleiben, verbunden mit der Erwartung an die Geschäftsführung oder auch ihrer expliziten Aussage, sich mit dem Thema weiter auseinanderzusetzen. Zugleich bietet diese Berichterstattung dem Beirat bereits Gelegenheit, auf die empfundene Bedeutung eines Vorkommnisses hinzuweisen oder auf das Erkennen eines Musters aufmerksam zu machen, das sich aufgrund des Erfahrungsspektrums der Beiratsmitglieder zeigt. Damit ist noch keine Wertung vollzogen, sondern es sind nur beratende Hinweise gegeben, die in der weiteren Auseinandersetzung der Geschäftsführung mit dem Thema nützlich sein können. Auf der anderen Seite muss man kritisch sagen, dass die Berichterstattung zum laufenden Geschäft allzu sehr der Fokus für die Aufsichtsfunktion des Beirats ist. Dies kommt einmal daher, dass der Beirat dazu neigt, die aktuellen Themen für die wichtigsten Informationen im Rahmen der Erfüllung seiner Aufsichtsfunktionen zu halten. Durch seine Präferenz einer „hautnahen“ Berichterstattung zum laufenden Geschäft kann der Beirat auch demonstrieren, dass er ein besonderes Gewicht auf das „Praktische“ legt und geschäftsnah arbeitet. Über das laufende Geschäft kann man sich auch dann gut unterhalten, wenn keine Vorstellung zur längerfristigen Strategie
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vorhanden wäre. Zum anderen wirkt aber auch die Geschäftsführung in die gleiche Richtung. Für die Geschäftsleitung ist es eine wenig anstrengende Übung, den Geschäftsverlauf zu erläutern. Es ist ohnedies ihre ureigenste Aufgabe und ihr unmittelbares Interesse, die aktuelle Geschäftsentwicklung zu beobachten. In vielen, vermutlich den meisten Aufsichtsgremien – und hier sind die Aufsichtsräte von Börsengesellschaften mit einzuschließen – nimmt die Berichterstattung zum aktuellen Geschäftsgang einen großen, ja in der Gewichtung der Prioritäten zumeist einen zu großen Raum ein. In den meisten Branchen wird sich die Geschäftslage von Quartal zu Quartal nicht dermaßen verändern, dass daraus neue Erkenntnisse für die langfristige Unternehmensentwicklung gewonnen werden können. Das Viertel oder ein sogar noch größerer Anteil der zur Verfügung stehenden Zeit, der für diese Berichterstattung eingesetzt wird, geht jedoch von der Zeit ab, die für die Erörterung der wichtigeren langfristigen Entwicklungstendenzen und Vorhaben zur Verfügung steht. Der Vortrag zur Eröffnung eines Beratungsprozesses Die Erörterung eines Problems, zu dem die Geschäftsführung den Rat des Beirats sucht, sollte methodisch gut gestaltet sein. Es wird hier unterstellt, dass die Geschäftsführung tatsächlich einen Rat hören und nicht nur durch die Inszenierung eines Beratungsprozesses die nachfolgende Meinungsbildung präjudizieren möchte. Wer den Rat eines anderen sucht, muss erst einmal das Problem schildern, um das es geht. Er muss das Dilemma deutlich machen, das zu lösen ist. Da eine Dilemma-Konstellation immer spezifisch ist, muss so viel zu den Randbedingungen gesagt werden, dass der um Rat Gebetene erkennen kann, ob seine Erfahrung zu diesem spezifischen Fall etwas beitragen kann. All dies gelingt nur, wenn die Geschäftsführung den Fall sehr offen darlegt und dabei auch ihre eigenen Fragen, ihre Unschlüssigkeit zu erkennen gibt. Die Strukturierung der Information zu dem Beratungsgegenstand muss ergänzt werden durch einen Anstoß für die Erarbeitung einer Empfehlung. Eine auf die Vermittlung einer vorformulierten Überzeugung angelegte Präsentation, wie sie für die Einholung einer erforderlichen Genehmigung zweckmäßig sein kann, ist für die Einleitung zu einem Beratungsgespräch abträglich. Das Bekunden des eigenen Nicht-Wissens oder Noch-nicht-Wissens ist die Voraussetzung für ein wirkliches Beratungsgespräch. Diese Offenlegung kann jedoch als Widerspruch zu der erwarteten und in Anspruch genommenen Geschäfts-
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führungskompetenz erscheinen. Die Geschäftsführung mag sich selbst in der Verpflichtung, aber auch in dem Vermögen sehen, alle Probleme der Unternehmensführung kompetent zu lösen und hierzu nicht des Rates zu bedürfen. In der Tat wird sie einen Rat auch nur einholen, wenn sie glaubt, ein Mehr an Wissen und Einsicht durch den Diskurs mit dem Beirat zu erhalten. Der Vortrag zur internen Profilierung von Führungskräften Die Erfolgsmessung kann kein vollständiges Bild der Leistung einer Geschäftsführung bieten. Es braucht nicht weiter vertieft zu werden, dass gerade die Arbeiten, mit denen die zukünftigen Erfolgspotenziale gesichert werden sollen, in der Erfolgsrechnung gar nicht oder allenfalls als Aufwand auftauchen. Wie sollen also die Beiräte erfahren, was die Geschäftsführung Bemerkenswertes und Lobenswertes für das Unternehmen leistet? Nur indem die Geschäftsführung ihre Leistungen dem Beirat als bemerkenswert und lobenswert schildert oder indem sich die Qualifikation der Geschäftsführung aus der Schilderung ihrer Leistungen zwanglos ergibt? In mittelständisch geprägten Kulturen könnte ein solcher Vortrag als Selbstlob unschicklich erscheinen. Das ist er, recht besehen, nicht; denn wie sonst soll sich der Beirat ein Bild von der Qualität der Geschäftsführung machen, wenn nicht die Geschäftsführer selbst dieses Bild entwickeln? In einem Kollegium von Geschäftsführern gibt es im Übrigen die zweckdienliche Möglichkeit, dass der Vorsitzende oder ein anderer Kollege die bemerkenswerten und lobenswerten Taten eines Kollegen in seinen Bericht einbaut. Für die Darbietungsform der diesbezüglichen Informationen ist es durchaus hilfreich, einen Teil der Beiratssitzung als „interne Pressekonferenz“ zu planen. Wie bei einer Pressekonferenz plant man die Schlüsselaussagen, die das Profil des Unternehmens dort in den Augen der Medienvertreter, hier in den Augen der Beiräte, prägen sollen. Der Profilierung eines Managers dient es vorzüglich, wenn seine Aussagen immer „den großen, weiten Blick“ vermitteln. Es ist einer der Aufgaben einer Führungskraft, Sinn zu vermitteln, die einzelne Aktion in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Jeder Vortrag vor dem „Vorgesetzten Beirat“ kann genutzt werden, diese Kapazität einer Führungskraft zu demonstrieren.
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Der Umfang der Information
Die Informationsintensität von Gremium, Vorsitzenden, Ausschüssen Wenn von der Information eines Gremiums gesprochen wird, denkt man meist an die Information des gesamten Gremiums. Typischerweise ist die Information des gesamten Gremiums jedoch nur ein Teil, möglicherweise nur ein kleiner Teil der vom Berichterstatter geleisteten Tätigkeit, insbesondere dann, wenn es mehrere Ausschüsse im jeweiligen Gremium gibt. Beim Beirat müsste noch genauer zwischen dem Informationsbedürfnis des Beiratsvorsitzenden und dem der übrigen Beiratsmitglieder unterschieden werden. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn der Beiratsvorsitzende ein Gesellschafter oder ein unmittelbarer Gesellschaftervertreter ist. Hier findet sich gelegentlich der Wunsch, über alles und möglichst tiefgehend informiert zu sein, also praktisch ausgedrückt: den gleichen Informationsstand wie der Vorsitzende der Geschäftsführung zu haben. In diesen Fällen kann die Information des Beiratsvorsitzenden um ein Vielfaches umfangreicher sein als die Information des gesamten Gremiums. Von einer solchen Persönlichkeit stammt der Satz: „Das Gefühl, umfassend informiert zu sein, ist wichtiger als der Inhalt der Information selbst“. Von vornherein verfügt der Beiratsvorsitzende über eine wesentlich umfangreichere Information als der übrige Beirat. Die Auflistung der Informationsquellen für einen Aufsichtsratsvorsitzenden durch Frühauf dürfte auch für Beiratsvorsitzende größerer Unternehmen typisch sein180: • Vorlagen für Vorstandssitzungen, • Vorstandsprotokolle, • monatliche Berichte über Auftragseingang, Umsatz, Erträge, • Präsentationsunterlagen für unternehmensinterne Tagungen mit den Führungskräften. Natürlich beschränkt sich die Form der Information nicht auf die Übergabe von Unterlagen. Der Sprecher oder Vorsitzende der Geschäftsführung hat etwa jeden Monat oder alle sechs Wochen ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Beirats, um die diesem zugeleiteten Informationen zu erläutern, die nächsten Sitzungen des Gremiums vorzubereiten und die dort zu unterbreitenden Unterlagen eingehend zu besprechen. 180
Frühauf, M. (1998): S. 416.
6.4 Der Umfang der Information
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Die Einsetzung von Ausschüssen bedeutet wiederum eine völlig neue Dimension in der Informationsversorgung. Ein Ausschuss widmet sich einer bestimmten Themenstellung. Hierfür erhält er Unterlagen und Präsentationen nicht nur durch den für dieses Thema zuständigen Geschäftsführer, sondern auch direkt von Führungskräften des Unternehmens. Üblich ist der Prüfungsausschuss. Wichtiger ist vielfach ein Technologieausschuss, in dem die Forschungsvorhaben des Unternehmens behandelt werden. Gerade bei Familienunternehmen, die ihre Stärke aus der Innovationsarbeit ziehen, sind oft noch Gesellschafter an der Innovationsarbeit persönlich interessiert und suchen in solchen Ausschüssen eine Plattform für ihr Engagement. Diese Ausschüsse unterliegen in der Regel nicht den zeitlichen Restriktionen des gesamten Gremiums und können den Charakter von Workshops annehmen.181 Schließlich gibt es neben den „geborenen“ Ansprechpartnern informelle Kontakte zu einzelnen Beiratsmitgliedern. Im Rahmen dieser Kontakte werden detailliertere Informationen zur Meinungsbildung angeboten oder Sachkompetenz zu vermitteln versucht182, vorlaufend zur offiziellen Erörterung im Beirat. Das Informationsverlangen als Kompensation fehlender Kompetenz Wenn eine Führungskraft in einem Verantwortungsbereich „nicht Bescheid“ weiß, verlangt sie nach mehr Information. Sie hofft, durch das eingehende Studium möglichst vieler Informationen „irgendwie“ herauszufinden, was getan werden sollte. Ebenso ist bei Beirats- und Aufsichtsratsmitgliedern zu beobachten, dass sie, je weniger sie sich „auskennen“, umso mehr nach Informationen fragen. Die Gefahr dieses überhöhten Informationswunsches kann auch Gesellschafter ergreifen, die nicht oder nur peripher in der Wirtschaft tätig sind, die sich aber qua Verantwortung intensiv um ihr Unternehmen kümmern wollen. Sie suchen dies durch intensive Informationssammlung zu bewältigen. Dieser übersteigerte Wunsch nach Information hat gerade nichts damit zu tun, dass ein Beirat besonders vertraut wäre mit dem Geschäft und durch umfangreiche Informationen die Möglichkeit erhielte, besonders fruchtbare Beiträge bei Aufsicht oder Beratung zu leisten. Vielmehr ist es 181
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Vgl. zu einer sehr extensiven Ausschuss-Struktur, allerdings für ein Börsenunternehmen. Frühauf, M. (1998): S. 416. Das gibt es natürlich in gleicher Weise bei Aufsichtsräten, vgl. Müller, H. (1986): S. 20 ff und S. 34 f.
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umgekehrt: Mangels Kompetenz können solche informationshungrigen Beiräte die erhaltenen Informationen gar nicht auswerten. Die Umkehrung dieser Beobachtung ist völlig plausibel: Je mehr sich ein Beiratsmitglied auskennt, desto weniger Fragen genügen, damit es ein „Muster“ erkennt und Bescheid weiß. Das Informationsvolumen für das Gremium Die Wichtigkeit einer gründlichen Information für die Arbeit eines Beirats führt zur Empfehlung, eine möglichst breite Information des Beirats einzufordern. Dies kann in einem breiten Spektrum von Informationsarten geschehen. Wir differenzieren hier – aus reinen Zweckmäßigkeitsgründen – nach dem Formalisierungsgrad. Unter der Voraussetzung der Prozessvorschrift, die Themen zu adressieren, die wichtig sind, kommen folgende Themenauswahlen für die Unterrichtung eines Beirats in Frage: • ex ante und generell festgelegter Katalog der Themen, über die zu berichten ist, eventuell sogar ergänzt um die Standardformate der Berichterstattung, • aktuelle Auswahl der Themen durch den Beirat aufgrund einer Orientierungsinformation durch die Geschäftsführung, • generelle Aufforderung an die Geschäftsführung, über alle „wichtigen“ Angelegenheiten zu informieren. Die letzte Variante erscheint zunächst als Zirkelschluss, sofern nämlich der Aufsichtsrat vom Vorstand verlangen würde, dass er alle für die Überwachung erforderlichen Informationen erhält. Der Vorstand hätte dann zu beurteilen, welche Informationen zu seiner eigenen Beaufsichtigung erforderlich sind. Unter Corporate-Governance-Gesichtspunkten mag dies problematisch erscheinen. Andererseits ist die Geschäftsführung vermutlich am besten in der Lage zu bestimmen, was wichtig ist. Dadurch, dass sie die Verantwortung für die angemessene Information erhält, wird sie dazu neigen, eher mehr als weniger zu informieren. Die Geschäftsführung müsste wohl davon ausgehen, welche Informationen sie selbst benötigt und daraus nach aktueller Bedeutung und Signifikanz des Informationsgehaltes eine Auswahl treffen. Wenn man der Geschäftsführung eine so geartete Auswahl der zu übermittelnden Information nicht zutrauen kann, führt dies letztlich dazu, dass man ein „Aufsichtsrats-Informationssystem“183 schaffen 183
Chini, L.W. (1988).
6.4 Der Umfang der Information
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will. Diese Idee ist für mittelständische Verhältnisse sicher absurd. Wollte man dies einführen, dann würde es nicht die Überwachungsmöglichkeiten des Beirats verbessern, sondern es wäre ein Weg, um über die Übernahme einer Super-Controlling-Funktion in die Geschäftsführung eingreifen zu können. Ein solcher Ansatz eines Super-Controllings durch den Beirat würde zu einem unbestimmt großen Informationsbedarf seitens dieses Gremiums führen. Das wäre kontraproduktiv. Was tatsächlich möglich und sinnvoll ist, sollte vom Beirat im Einvernehmen mit der Geschäftsführung bestimmt werden. „Soll sie [sc. die Information des Beirats durch die Geschäftsführung] sachgerecht sein, so ist zu berücksichtigen, dass der Beirat aufgrund seiner prinzipiell begrenzten Informationsverarbeitungskapazität nicht denselben Wissensstand erreichen kann wie die Unternehmensleitung. Es kann also nicht um eine vollständige Information in dem Sinne gehen, dass der Beirat über alle Vorgänge im Unternehmen unterrichtet wird; dies führte u. U. zu einer Informationsüberschwemmung mit nicht mehr zu bewältigendem und insoweit überflüssigem Datenmaterial. Für eine Informationspolitik, die den strukturellen Bedingungen der Beiratsarbeit gerecht wird, liegt das Problem vielmehr darin, die Kontrollinformationen in geeigneter Weise auszuwählen und zu verdichten. Nur auf dieses Material bezieht sich sinnvollerweise die Informations- bzw. Berichtspflicht der Unternehmensleitung gegenüber dem Beirat.“184 Die Verdichtung darf aber nicht dazu führen, dass der Beirat entsprechend einem von außen kommenden Muster – zum Beispiel den Gewohnheiten des Beiratsvorsitzenden in seinem eigenen Unternehmen – ein neues Berichtssystem über das bereits in der Gesellschaft vorhandene legt. Die Verdichtung muss immer aus dem Berichtssystem der Gesellschaft kommen. Erstens sollten die Geschäftsführung und der Beirat immer mit den „gleichen Zahlen“ arbeiten. Das Berichtssystem der Geschäftsführung ist aber das Produkt einer pfadabhängigen Entwicklung der gesamten Führungsorganisation. Da kann man nicht so einfach neue Begriffe aufpfropfen. Jeder neue Berichtsinhalt zieht eine vom Anfordernden meist nicht abgeschätzte und abzuschätzende Folge an Erhebungen nach sich. Der Beirat muss also zunächst mit einer Auswahl dessen arbeiten, was in der Unternehmung als Berichtswesen ohnehin entsteht und verfügbar ist. Das schließt natürlich nicht aus, dass aus dem Diskurs zwischen Beirat und Geschäftsführung der Fokus auf neue Sachverhalte und Relationen gelenkt
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Klaus, H. (1991): S. 39.
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wird und sich daraus die Notwendigkeit einer Ergänzung des Berichtswesens der Unternehmung insgesamt ergibt. Der Zweck der Information kann es nicht sein, die Entstehung der Geschäftszahlen oder die Entstehung einer Entscheidung mit all den erforderlichen Begründungen nachzuvollziehen. Vielmehr genügt es, den Beirat in die Lage zu versetzen, „die Wirkungen der Entscheidungen der Unternehmensleitung zu registrieren und im Lichte der Gesellschafterinteressen hinreichend sicher zu beurteilen.“185 Bei manchen Geschäftsführungen gibt es die Tendenz der Zurückhaltung im Informationsangebot, bei anderen Geschäftsführungen besteht ein Überangebot an Berichten. Die Vorgehensweise der Geschäftsführung wird von dem bestimmt, was ihr in ihrem Umgang mit dem Beirat nützlich ist. Dieser Nutzen hängt davon ab, wie der Beirat seine Aufgabe wahrnimmt. Wenn ein Beirat sich in erster Linie als Kontrollorgan sieht, das durch seine Überwachung die Qualität der Geschäftsführung beurteilt und ansonsten die Einhaltung restriktiver Entscheidungsgrenzen überwacht, wird er damit rechnen müssen, dass das Informationsangebot seitens der Unternehmensleitung hinsichtlich der Art der Themen eher beschränkt ist. Dies schließt nicht aus, dass zu den angesprochenen Themen sehr umfangreiche Berichte vorgelegt werden. Die Zurückhaltung im Informationsangebot gründet sich darauf, dass jede Information zu einer Sequenz von Nachfragen führen kann. Eine Geschäftsführung, die einen guten Eindruck machen will und muss, wird darauf achten, nur solche Themen in die Diskussion einzuführen, zu denen sie die Antworten bereits parat hat. Ein Thema, bei dem die Geschäftsführung selbst noch unschlüssig und in der Phase einer Meinungsbildung ist, wird sie – bei der hier genannten Erwartungshaltung des Beirats – nicht zur Sprache bringen. Der andere Pol des Informationsangebotes im breiten Spektrum der tatsächlichen Verhaltensweisen von Unternehmensleitungen ist die aktive Einbeziehung des Beirats in die Überlegungen der Geschäftsführung, die intensive Nutzung der Beiratsfunktion des Ratgebens. Den Rat des Beirats wird die Geschäftsführung vor allem dann suchen, wenn sie sich selbst noch keine abschließende Meinung gebildet hat. Aus dieser Motivation heraus wird sie von sich aus Themen anschneiden – völlig ungeachtet der Frage, ob diese in einem Katalog der Beratungsgegenstände des Gremiums vorgesehen sind oder nicht. Die jeweilige Tradition in der Arbeitsweise der einzelnen Beiräte wie auch die traditionellen Usancen hinsichtlich der Art der vorgelegten Berichte 185
Klaus, H. (1991): S. 39.
6.4 Der Umfang der Information
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bestimmen die jeweils ausgeübte Praxis. Die Struktur der Tagesordnung, die Form der vorbereitenden Unterlagen, all dies sind durch Tradition geprägte Usancen, die nur bei gegebenen Anlässen und durch gezielte Interventionen verändert werden. Die Anlässe und die Inhalte der Information können wir daher auch nach den Zielsetzungen der gemeinsamen Arbeit von Beirat und Geschäftsführung gliedern: • Information zum Geschäftsverlauf und zur Agenda der Geschäftsführung, • aufsichtsorientierte Berichterstattung und Anträge, • beratungsorientierte Information. Sobald ein Thema angesprochen ist, entsteht ein Sog nach weiterer Information und der Berichtende begibt sich in eine Dilemma-Konstellation: Rechtzeitige Information ist frühzeitige Information, frühzeitige Information ist allerdings vage. Nun führt aber jede Information, insbesondere die frühzeitige und vage Information, zu weiteren Fragen. Daher möchte der Berichtende die Information auf diejenigen Elemente begrenzen, bei denen er für die nachfolgenden Rückfragerituale gut vorbereitet ist. Das Ritual der Nachfrage nach weiteren Details hat mehrere Ursachen: Fragen zu stellen ist eine Demonstration von Führung. Wer das Fragerecht hat, ist der Vorgesetzte und derjenige, der zu antworten hat, ist der Berichtende und damit der Untergebene.186 Fragen zu stellen ist zudem ein Akt der von einem Beirat geforderten Überwachung der Unternehmensleitung. Es wird erkundet, „ob die Geschäftsführung über ihr Geschäft Bescheid weiß“. Wer Kompetenz mit Detailwissen gleichsetzt, wird versuchen, den Tiefgang der Geschäftsführung im Detailwissen auszuloten. Wer das Kompetenzgefälle zwischen Vorgesetzten und Untergebenen deutlich machen möchte, wird die Fragen nach Details so weit treiben, bis die Geschäftsführung „ins Schwimmen“ gerät. In einer bürokratischen Organisation ist es daher wichtiger, auf alle Fragen eine gute Antwort zu haben als gute Taten zu vollbringen. In einer solchen Organisation wird der Geschäftsführer viel Zeit damit verbringen, die richtige Berichterstattung über sein Tun vorzubereiten. In der leistungsorientierten Organisation wird er dagegen den Zeitaufwand maximieren, den er für die Vorbereitung guten Tuns einsetzt. Dass Geschäftsführer den Eindruck vermeiden wollen, sie wüssten nicht auf alle themenbezogenen Fragen eine Antwort, liegt nicht nur an einem anerzogenen bürokratischen Bewusstsein. Es liegt auch an der Unfähigkeit der 186
Im Englischen ist der Untergebene der „direct report“.
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6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
meisten Berichtenden zu sagen, dass sie etwas nicht wissen und dass sie – angesichts ihres großen Verantwortungsbereichs und des offiziell verkündeten Organisationsprinzips der Delegation von Zuständigkeiten – auch nicht alles zu wissen brauchen. Das Dilemma zwischen rechtzeitiger und umfassender Information Zusammengefasst muss eine Geschäftsführung – allein oder in Abstimmung mit dem Vorsitzenden des Beirats – immer wieder bei den verschiedenen Themen eine Entscheidung treffen, ob sie frühzeitig informiert oder erst dann, wenn sie umfassend informieren kann. Bei Fehlentwicklungen in Unternehmen – seien es Bestechung, Kartellvergehen oder das Eingehen zu großer Risiken – wird immer zuerst die Frage gestellt, ob das Aufsichtsgremium rechtzeitig und umfassend informiert war. Beide Forderungen können nicht in gleicher Weise erfüllt werden. Im Zweifel hat das Kriterium der frühzeitigen Information freilich Vorrang. Auch wenn dann noch nicht umfassend informiert werden kann, gibt es wenigstens eine Vorwarnung. Es kann dann rechtzeitig auch über den Tiefgang der weiteren Aufklärungserfordernisse gesprochen werden.
6.5
Die Quellen der Information
Die Geschäftsführung als die primäre Informationsquelle Es besteht das unauflösbare Dilemma, dass die Geschäftsführung selbst vorrangig beeinflusst, welche Informationen dem Beirat vorgetragen werden: „Die Überwachungsaufgabe ist für den Aufsichtsrat nur dann adäquat lösbar, wenn ihm Informationen zur Verfügung stehen, die ihm eine Bewertung von Vorstandsentscheidungen ermöglichen. Das grundsätzliche ökonomische Problem besteht darin, dass diejenige Instanz, die der Aufsichtsrat überwachen soll, gleichzeitig das Monopol an kontrollrelevanten Informationen besitzt.“187 Diese Abhängigkeit des Beirats von der Geschäftsführung und ihrer Berichtspraxis ist nur dann vertretbar, wenn die Beziehung der Geschäftsführung zum Beirat dem Grundsatz der vertrauensvollen und loyalen Zusammenarbeit entspricht. Dies verlangt, dass die dem Beirat übermittelten Information themenbezogen, umfassend, wahrhaftig sowie offen und trans187
Becker, T. (1993): S. 1.
6.5 Die Quellen der Information
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parent sind. Jeder Berichterstattung ist es eigen, dass der Berichtende über den Gegenstand seiner Berichterstattung sehr viel mehr Wissen hat als der Berichtsempfänger. Der Berichtsempfänger versucht regelmäßig, sich durch einige Kontrollfragen einen Eindruck darüber zu verschaffen, ob der Berichtende sich tatsächlich einen umfassenden Überblick über den vorgetragenen Gegenstand verschafft hat. Dieser Vorgang kann unangenehm sein, sollte es aber nicht. Diese Art des Nachfragens ist keine Besonderheit in der Beziehung zwischen Aufsichtsgremium und Geschäftsführung, sondern ist allgemeiner Brauch zwischen vorgesetzter Instanz und nachgeordneten Mitarbeitern. Der Geschäftsführer übt als Vorgesetzter regelmäßig ähnliche Kontrollen aus. Die hohen Anforderungen an die Qualifikation der Information Die Information eines Beirats muss also folgende Qualifikationen aufweisen: • Sie muss alle aktuell wichtigen Themen umfassend darstellen, allerdings beschränkt auf die für die Unternehmensentwicklung und die Risikobeurteilung wichtigen Gesichtspunkte. • Sie muss die zur Beurteilung des Themas wichtigen Sachverhalte und Wertungen umfassend darlegen. • Sie muss wahrheitsgemäß • sowie transparent und offen sein. Die Bedingung der Wahrheit ist am wenigsten problematisch. Keine Geschäftsführung wird ihrem Beirat wissentlich die Unwahrheit sagen. Tut sie es trotzdem, wird dies irgendwann offenbar werden und dann zur sofortigen Beendigung des Vertragsverhältnisses führen. Schwieriger sind das Stichwort „umfassend“, was oben bereits als Paradoxie der frühzeitigen und gleichzeitig umfassenden Information angesprochen wurde, und vor allem auch das Stichwort „transparent“ als qualifizierende Attribute. Diese Bedingungen können nur erfüllt werden, wenn nicht nur die Erfolgsgeschichten erzählt werden, sondern wenn auch über die Schwierigkeiten und das nicht Gelungene berichtet wird. Wie soll man aber von einer Geschäftsführung verlangen, dass sie über Letzteres freiwillig berichtet? Es ist sicher zielführend, wenn die Geschäftsführung methodische Hilfestellungen erhält, um den Weg zur Offenheit und Transparenz zu finden. Nützlich ist hierfür eine generelle Agenda der Berichterstattung, in der alle Entscheidungsbereiche der Unternehmensführung regelmäßig erörtert werden müssen. Zum Beispiel kann routinemäßig ergänzend zu den Er-
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6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
folgsgeschichten einmal im Jahr danach gefragt werden, was am wenigsten gelungen war. Wenn die Geschäftsführung über Schwierigkeiten und nicht Gelungenes berichtet, sollte der Beirat dies ohne kritische Reaktion entgegennehmen – eher sogar „Pluspunkte“ für die Offenheit zu Protokoll geben. Die Betonung der Aufsicht und Überwachung als Funktion des Gremiums ist nämlich der Offenheit und Transparenz der Berichterstattung des Vorstands absolut abträglich, denn in unserem Rechtsverständnis muss ein potenziell Verdächtiger vor einem Tribunal nichts Nachteiliges über sich selbst aussagen. Offenheit und Transparenz können nur dann gedeihen, wenn die vertrauensvolle Zusammenarbeit auch vom Beirat aus betont wird, wenn die gemeinschaftliche Sicht auf die jeweilige Problemstellung sowie die gegenseitige Ermutigung und Beratung im Mittelpunkt stehen und nicht die „Überwachung“. Eine gute Vorgehensweise, um ohne große Probleme die volle Wirklichkeit in die Berichterstattung einzubeziehen, besteht darin, alle berichtenswerten Vorkommnisse in ihrem chronologischen Ablauf darzustellen und nicht nur wohl strukturiert „Themen“ abzuarbeiten. In einer chronologischen Erzählung mischen sich natürlich Erfolge und Misserfolge. Der Geschäftsführung sollte klar sein, dass nur durch Offenheit und Transparenz in der Berichterstattung über das volle und immer unvollkommene Leben von Unternehmern die Vertrauensbeziehung zum Beirat entstehen kann, die eine Informationsbeschaffung an der Geschäftsführung vorbei unnötig und letztlich auch verwerflich macht. Und dem Beirat muss seinerseits bewusst sein, dass die Betonung seiner Machtposition als Kontrolleur, dass Sanktionen in Form von scharfer Kritik an Managern, denen ein Fehler unterlief, der Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und der Unternehmensleitung zuwiderlaufen. S. Klein meint, ein Beirat könne nicht gleichzeitig ein Vertrauensverhältnis zur Geschäftsführung und eine Kontrollfunktion über sie haben und folgert daraus eine Unvereinbarkeit von Kontrollmodus und Beratungsmodus.188 Dies wäre nun gewiss ein arges Dilemma. Mir scheint jedoch ein ähnliches Dilemma in anderen Lebensbereichen ebenfalls zu bestehen und prinzipiell lösbar zu sein. So umfasst, wie oben dargelegt189, jede Führungsbeziehung zu Untergebenen sowohl den Beratungsmodus wie notwendigerweise auch den Kontrollmodus. Wir kommen theoretisch und praktisch der Lösung des Dilemmas möglicherweise dadurch näher, dass wir von einer ganzheitlichen Führungsbeziehung ausgehen. Diese ist als umhüllende Beziehung 188 189
Vgl. hierzu insbesondere Klein, S. (2005): S. 197 ff. Vgl. Kapitel 5.5.
6.5 Die Quellen der Information
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von einer – gegenseitigen – Verantwortung geprägt. Der Chef ist verantwortlich für seine Untergebenen. Der Untergebene ist verantwortlich dafür, dass der Chef seinen Verpflichtungen gegenüber Umwelt und Organisation gerecht werden kann. Innerhalb der umhüllenden Beziehung des gegenseitigen Vertrauens gibt es die gegenseitige Beratungsbeziehung und schließlich, als Unterfall, die Kontrolle – freilich meist nur einseitig vom Vorgesetzten auf den Untergebenen gerichtet. Ähnlich erscheint in der pädagogischen Beziehung zwischen Lehrer und Schüler die grundlegende Beratungsbeziehung mit der Kontrolle vereinbar. Ich halte es somit für möglich, dass in einer umhüllenden, vertrauensvollen Beziehung, die eine Beratung begünstigt, zeitweilig in einen Kontrollmodus übergegangen wird. Es werden dann vermutlich sozial akzeptable Anlässe für die Kontrolle geschaffen, so etwa die „vorgeschriebene“ Prüfung des Jahresabschlusses. Es kann aber auch die Bedeutung eines Themas Anlass dafür sein, dass Aussagen „verifiziert“ werden. Ein Vordringen zu den Grundlagen eines Themas kann auch gewünscht werden, um eine Sache besser zu verstehen. Objektive Kontrolle ist ohne eine Grundbeziehung des Misstrauens möglich. Umgekehrt lässt aber ein Grundmodus des Misstrauens nur die Kontrolle und „Aufsicht“ als Möglichkeit der Einflussnahme offen. Die Informationsbeschaffung an der Geschäftsführung vorbei Bei Familiengesellschaften gehören in aller Regel Gesellschafter dem Beirat an – oder Vertreter der Gesellschafter. Diese verfügen über direkte Informationskanäle in das Unternehmen, über die sie zumindest episodenhaft – und das ist das Problematische daran – über Geschehnisse im Unternehmen informiert werden. Dies ist eine der Quellen für Unordnung in den Beziehungen zwischen Geschäftsführung, Beirat und Gesellschaftern. Die Gesellschafter, die dazu neigen, diese direkten Informationskanäle zu nutzen, sollten sich der Problematik solcher getrennter Informationswege bewusst sein und daher auf diese Form der Informationsbeschaffung verzichten. Derartige Informationen werden von Zuträgern gezielt an die Gesellschafter herangetragen, um Verschiedenes zu erreichen: Erstens wollen sie ihre eigene Bedeutung dadurch erhöhen, dass sie Kontakte zu den wichtigsten Personen im Unternehmen, den Gesellschaftern, unterhalten. Zudem wollen sie durch eine solche Zuträgerei häufig ihre eigene Unzufriedenheit über die Geschäftsführung im Allgemeinen oder über bestimmte Maßnahmen der Geschäftsführung im Besonderen zum Ausdruck bringen. Soweit hier Überwachung und Kritik gegenüber der Geschäftsführung
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6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
versucht werden, müssen sich die Informationsempfänger bewusst sein, dass sich Untergebene der Geschäftsführung ein Urteil anmaßen. Zumeist handelt es sich bei diesen inoffiziellen Mitteilungen um Einzelvorkommnisse an der Oberfläche der Geschäftstätigkeit – es wurde jemandem gekündigt, es hat jemand gekündigt oder ein Auftrag wurde verloren -, die noch nichts über systemische Ursachen aussagen. Natürlich erfährt die Geschäftsführung von diesen Zuträgereien und Aushorchübungen. Damit wird für sie deutlich, wie sie das Gerede von dem „uneingeschränkten Vertrauen“, das ihr entgegengebracht werde, zu werten hat. Sie wird sich also auf die „Undercover-Aufsicht“ neben der offiziellen Aufsicht durch den Beirat einzustellen haben. Wenn also eine verdeckte Informationsbeschaffung als unzulässig auszuschließen ist, könnte der Beirat ersatzweise daran denken, dass er sich selbst durch eigene Initiative ganz offiziell Informationen beschafft oder von Dritten einholen lässt. F. Malik meint hierzu – allerdings geprägt von dem One-Tier-System des Boards in der Schweiz und anderen Ländern – Folgendes: „Damit stellt sich einer der heikelsten Punkte, nämlich der schmale Grad zwischen Zugang zu allen zweckmäßigen Informationen einerseits und der damit unter Umständen verbundenen Unterminierung (der Geschäftsleitung) andererseits. Ein sehr probates Mittel, um den Informationsstand, die Beurteilungsgrundlagen, aber auch das Verständnis der Mitglieder des Verwaltungsrates für die Funktionsweise des Unternehmens zu verbessern, ist deren Mitwirkung in Projekten, die von zentraler und gesamthafter Bedeutung sind.“190 In dem System der Trennung von Aufsicht und Geschäftsleitung in Deutschland ist der Fall, dass sich das Aufsichtsgremium originär durch Informationen von Dritten unterrichten lässt, im Normalfall schwer vorstellbar. Allenfalls dann, wenn es sich um die Aufklärung und Beurteilung von möglichen Verfehlungen von Mitgliedern der Unternehmensleitung handelt, kann oder muss das Aufsichtsgremium einen solchen Weg gehen; es muss einen „Anfangsverdacht“ und erkennbare Anhaltspunkte dafür geben, dass die Geschäftsführung die Unwahrheit sagt.191 Dann ist jedoch die Vertrauensbasis zu dem betroffenen Mitglied bzw. den betroffenen Mitgliedern der Unternehmensleitung bereits in Frage gestellt. Dies gilt in gleicher Weise für eine direkte Berichterstattung nachgeordneter Führungsebenen, etwa des Controllings und der internen Revision, an den Beirat. Zwar könnte sich der Beirat – gestützt auf das Recht der Gesellschafter, in die Bücher des Unternehmens Einblick zu nehmen – wohl auch 190 191
Malik, F. (1998): S. 193 f. So Brandi, A. (2000): S. 175.
6.5 Die Quellen der Information
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direkt mit Revisionsberichten und Controlling-Berichten befassen. Die Desavouierung der Geschäftsführung und die Misstrauensbekundung ihr gegenüber wären aber offenkundig. Jedermann wird also solche für Aktiengesellschaften gar nicht zulässigen Eingriffe in die Berichtsebenen unterhalb des Vorstands als Anzeichen für die Aufweichung der Geschäftsführungsverantwortung im „Familienbetrieb“ interpretieren. Der Prüfungsbericht und die Berichterstattung der Wirtschaftsprüfer Seit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) ist für den Bereich der kapitalmarktorientierten Gesellschaften klargestellt, dass nicht der Vorstand bzw. die Geschäftsführung Auftraggeber des Abschlussprüfers ist, sondern der Aufsichtsrat. Daraus folgt logischerweise, dass der Prüfungsbericht dem Aufsichtsrat vorzulegen ist (§ 321 Abs. 5 HGB). Prüfung und Berichterstattung darüber obliegen nicht einer Auftragsbeziehung zwischen Vorstand und Prüfer, sondern allein zwischen Aufsichtsrat und Prüfer. Dies ist ein Grundsatz, der von der Art der Aufgabenstellung der Abschlussprüfung her begründet ist und daher bei jeder Gesellschaft – also auch bei der nicht börsennotierten Familiengesellschaft – zu beachten ist. Somit darf auch bei der Familiengesellschaft der Prüfungsauftrag nicht von der Geschäftsführung erteilt werden, sondern muss von der Gesellschafterversammlung ausgehen. Der Prüfungsbericht sollte dem Beirat als Aufsichtsgremium vorgelegt werden. Es gibt bei Beiräten mittelständischer Unternehmen meist keinen eigenen Prüfungsausschuss. Dies erscheint auch weder von der Größe des Unternehmens noch von der Größe des Beiratsgremiums noch von dem Gewicht des Themas her erforderlich. Zwingend sollte allerdings der direkte Bericht des Wirtschaftsprüfers vor dem Beirat vorgesehen werden. Auch wenn es sonst keine guten Gründe dafür gäbe, wäre dies schon eine Frage des Anstands: Schließlich ist der Beirat der Auftraggeber des Wirtschaftsprüfers und er hat somit einen Anspruch darauf, dass dieser seinem Auftraggeber direkt Bericht über die Durchführung und die Ergebnisse des Auftrags erstattet. Die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung sind das einzige Element eines Management-Informationssystems, das über die Unternehmen hinweg in etwa gleichartig verfügbar ist. Die Rechnungslegung ist nach wie vor ein notwendiges und aussagefähiges Informationskonzept. Man kann zwar nicht sehr viel daraus lesen, aber Wichtiges und dies – wegen des standardisierten Aufbaus – in einem schnellen Zugang. Der Geübte wird aus relativ umfangreichen Prüfungsberichten schnell die wesentlichen
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6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
Abschnitte überprüfen können – noch leichter wäre es, wenn die Prüfer im Bericht durch Seitenstriche gleich die Passagen markieren würden, die man lesen muss. „Prüfungsberichte haben, entsprechend einer sogenannten Longform, in Deutschland 80 – 100 Seiten Umfang. Sie enthalten unglaublich viele Informationen. Natürlich ist die Fähigkeit, sich in seiner Muttersprache auszudrücken, dass man verstanden wird, nicht immer so hoch entwickelt und manchmal denke ich schon, dass wir Wirtschaftsprüfer dazu neigen, etwas zu elegant d. h. nicht präzise genug zu formulieren. Auf der anderen Seite, keiner liest gern ungeschminkte Wahrheiten. Die sagt man eher, als dass man sie schreibt. Daneben besteht, unabhängig von Funktion und Stellung des Beirats, bei der Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers als Abschlussprüfer gegenüber dem Beirat die sog. große Redepflicht. Die ist eine große Schreibepflicht. Sie mögen mir das nachsehen, das ist kein „Redenmüssen“, sondern ein „Schreibenmüssen“. Dies sollte schwerwiegende Tatbestände, die die Existenz des Unternehmens gefährden könnten, einkreisen, aber die Tatsache, dass es eine Schreibepflicht ist, macht dieses Instrument als sogenannte große Redepflicht nicht unbedingt einfacher … Es ist nicht so einfach, rechtzeitig genug eine Krise zutreffend zu analysieren und dann daraus die richtigen Konsequenzen abzuleiten … Abhängig von der Funktion und Stellung des Beirats kann der Wirtschaftsprüfer den Jahresabschluss in der Beiratssitzung vortragen sowie die getroffenen Prüfungsfeststellungen erläutern. Da wird es natürlich dynamischer, transparenter, stärker, da wird es klarer.“192 Die Feststellungen während der Prüfung, die nicht die Aussagekraft und Ordnungsmäßigkeit des Abschlusses betreffen, sondern die Prozesse und Systeme der Berichterstattung oder die Zweckmäßigkeit des Internal Control Systems, werden in einem sogenannten „Management Letter“ an die Geschäftsführung berichtet. Sie ergibt sich als Adressat richtigerweise daraus, dass es ihre Aufgabe ist, die Umsetzbarkeit dieser „Beratungsvorschläge“ zu erwägen und sie umzusetzen. Es gibt Usancen, dass der Beirat auch den Management Letter erhält – dies empfiehlt Hennerkes193. Ich selbst plädiere dafür, solche Empfehlungen nur der Geschäftsführung zugänglich zu machen – wie dies auch für Empfehlungen von Organisationsberatern selbstverständlich ist. Details der Zweckmäßigkeit von Prozessen und Abläufen gehören nicht in den Beirat: Ihm fehlen die Detailkenntnis und die Zeit, sich hiermit auseinanderzusetzen. Er hat Wichtigeres zu tun. Ein viel192 193
Kamm, W. (1998): S. 49 f. Hennerkes, B.-H. (1998): S. 161, Fn 39; Scherer, S. (2005): S. 230.
6.5 Die Quellen der Information
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leicht idealer Mittelweg ist es, wenn der Beirat den Wirtschaftsprüfer fragt, ob im Management Letter etwas so Bedeutsames behandelt werde, dass auch der Beirat sich – neben der Geschäftsführung – damit befassen müsste. Der Vortrag der Prüfer vor dem Beirat dient vor allem dazu, auf jene Passagen im Prüfbericht aufmerksam zu machen, die der Beirat lesen und über die er nachdenken sollte. Zudem kann in einem mündlichen Bericht das gesagt werden, was noch nicht einmal als Prüfungsfeststellung formuliert werden kann: die jeweils für sich geringfügige, aber wiederholte Ausdehnung der Ermessensspielräume in eine „progressive“, das heißt „Gewinn erhöhende“ Richtung, die Bildung der einen oder anderen Reserve oder deren Hebung, die Ankündigung von Zweifeln an der Werthaltigkeit einer Position. Der Normalfall ist allerdings, dass es gar nichts zu berichten gibt, weil die Rechnungslegung einwandfrei erfolgt ist. Dann ist der kurze Bericht der Wirtschaftsprüfer eben der Bericht einer „Fehlanzeige“. Es wäre aber ein systemischer Fehler, wenn man diesen persönlichen Auftritt des Wirtschaftsprüfers vor dem Beirat nicht vorsehen würde, weil es normalerweise nichts Spannendes zu berichten gibt. Dann würde er nämlich auch dann nicht erfolgen, wenn er notwendig wäre, und der Beirat würde folglich die erforderliche Frühwarnung nicht erhalten. Zudem gibt es ja fast jährlich Neuigkeiten bei den Reglungen zur Rechnungslegung oder zum Steuerrecht, zu denen der Wirtschaftsprüfer etwas zu sagen hat. Kurzum, der Vortrag des Wirtschaftsprüfers sollte ein regelmäßiger, wenn auch sehr kurzer Bericht sein. Das formlose Gespräch als Informationsquelle Neben dem Vortrag als vorbereitete und in gewisser Form strukturierte Information steht die komplementäre Kategorie des „informellen“ Gesprächs. Dieses ist natürlich auch nicht völlig unstrukturiert. Auch das Informelle hat seinen Stil, zum Beispiel eben den, dass es nicht gleich „zur Sache“ geht, sondern dass es durch ein Gespräch über Persönliches eingeleitet wird. Das informelle Gespräch erhält in der Aufsichtsratsforschung – soweit ich sehe – keine Beachtung. In der Familiengesellschaft ist es eine essenzielle Plattform der Kommunikation. Die Familie ist per se der Ort des ständigen, informellen Gesprächs „über alles“, denn Familiengesellschafter trennen in ihrer Kommunikation untereinander nicht zwischen Gesellschaftsangelegenheiten und privaten Inhalten. Es wird ständig „über alles“ gesprochen. Die Gewohnheit des informellen Gesprächs oder gar ein Anspruch darauf charakterisiert auch in gewissem Maße die Arbeit eines Beirats in einer
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6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
Familiengesellschaft, sei es, weil Familiengesellschafter im Gremium sind, sei es, weil einfach die familiäre Atmosphäre auch in diese Institution eindringt, sei es, weil in einem Beirat weniger Formalien und gesetzliche Regelungen beachtet werden müssen und beachtet werden als im Aufsichtsrat einer Publikumsgesellschaft. Für unser Anliegen, die Beratung zwischen Beirat und Geschäftsführung in strategischen Themen zu befördern, kann die Pflege des informellen Gesprächs eine ganz große Bedeutung gewinnen. Wie wir unten noch zu erörtern haben, ist eine beratende Interaktion ohne Frustration der Geschäftsführung nur in der Entstehungsphase einer Planung möglich – je früher, desto fruchtbarer. Wenn das Aufsichtsgremium erst dann eingeschaltet wird, wenn ein Plan fix und fertig und „zustimmungsfähig“ vorgelegt wird, kann nicht mehr beraten, sondern nur noch geprüft, genehmigt oder abgelehnt werden. In den frühen Phasen, in denen das Problem noch analysiert, Alternativen generiert und „tastend“ evaluiert werden, kann noch keine Entscheidungsvorlage erstellt werden, selbst ein systematischer und annähernd umfassender „Vortrag“ wäre noch nicht möglich. Im informellen Gespräch kann allerdings schon darüber gesprochen werden, dass es ein Thema gibt, dass daran gearbeitet wird, was der gegenwärtige Stand des „Irrtums“ ist und was der Gesprächspartner hierzu meint. Das informelle Gespräch ist ein wichtiger Weg, um Überraschungen zu vermeiden. Wenn ein Thema überraschend und unvorbereitet in einem offiziellen Vortrag präsentiert wird, dann kann allein der Umstand, dass der Beirat nicht genügend Zeit für die nötige Beratung und für die Vorbereitung einer Stellungnahme hat, zu einer – aus Sicht der Geschäftsleitung – „falschen“ Reaktion führen. Solange der Beirat nur im informellen Gespräch ansatzweise über eine in Statu Nascendi befindliche Initiative unterrichtet wird, ist es eher unwahrscheinlich, dass er sie ablehnt. Für eine Veränderung braucht man immer einen Grund, während die Verweigerung einer Veränderung, also das Beharren auf dem Status quo, auch ohne Gründe gerechtfertigt werden kann. Daher ist es für das Durchsetzen von Veränderungen und von neuen Initiativen entscheidend, dass ihre Erörterung vorbereitet wird. Hierzu eignet sich das informelle Gespräch. Was hier vorgetragen wird, braucht noch nicht abschließend begründet und auch noch nicht im Einzelnen erläutert zu werden. Ein informelles Gespräch kann gut mit einem Essen vor oder nach einer förmlichen Sitzung verbunden werden oder es wird das sprichwörtliche Kamingespräch anberaumt. Informelle Gespräche funktionieren nur in kleinen Gruppen. Die kleine Gruppe wird erreicht, indem der Beirat von vornherein klein gehalten wird, oder aber dadurch, dass nur eine „Kern-
6.6 Die Form des Vortrags der Geschäftsführung
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gruppe“, zum Beispiel der Vorsitzende des Beirats und sein Stellvertreter, diese informellen Gespräche führen. Die gleichen Bedingungen gelten natürlich auch für die Geschäftsführer in dieser informellen Gesprächsrunde. Eine solche Selektion der einbezogenen Beiratsmitglieder und Geschäftsführer hat natürlich auch ihre offensichtlichen Probleme. Wie eben ausgeführt, kann eine formlose Unterhaltung zwischen Mitgliedern des Beirats und der Geschäftsführung durchaus außerhalb von Beiratssitzungen stattfinden. Eine andere sinnvolle Möglichkeit ist es, ein informelles Gespräch in die Tagesordnung einer Beiratssitzung aufzunehmen. Dabei sollte dieses deutlich von den offiziellen Agendathemen wie Vortrag, Präsentationen, Beschlussvorlagen usw. abgesetzt werden. Zunächst ist ein eigener Tagesordnungspunkt für das „Informelle“ vorzusehen, der zum Beispiel lauten könnte: • „Themen, die die Geschäftsführung beschäftigen“ (und die noch nicht zu einem beschlussreifen Stadium gereift sind), • „schwebende Vorgänge“ oder „latente Themen“, • „Vorschau auf künftig anstehende Themen“. Einen solchen separaten Themenkreis kann man an den Anfang der Sitzung stellen oder auch an das Ende, man sollte ihn aber zumindest durch eine Zwischenpause abgrenzen, wenn es schon nicht anders geht.
6.6
Die Form des Vortrags der Geschäftsführung
Die Bedeutung des Vortrags für die vortragende Geschäftsführung Der Vortrag vor dem Beirat ist ein erster und durchaus gewichtiger Beitrag zur Wertschöpfung in einer guten Unternehmensführung, allein schon dadurch, dass er nach gründlicher Vorbereitung gehalten wird. Der Beirat ist ein Forum, er stellt „Öffentlichkeit“ her. Ein Vortrag vor einem öffentlichen Forum verlangt eine Begründung der vorgetragenen Urteile und Handlungsempfehlungen. Die Vorbereitung des Vortrags führt zur Selbstreflexion des Vortragenden, der der Handelnde ist. Die Schriftlichkeit der Selbstreflexion wiederum führt zu einem Überprüfungsprozess hinsichtlich der Schlüssigkeit des Gedankengangs. Ein wichtiger und gut ausgearbeiteter Vortrag wird vor der „Premiere“ geprobt. In jedem Fall wird ein geplanter Vortrag im Kreis der Geschäftsführung erörtert, oft auch als „Probevortrag“ gehalten. Damit wird der Prozess der Reflexion und der Überprüfung durch Dritte verstärkt.
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6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
Vergleicht man ein solches, wiederholt überarbeitetes Konstrukt mit der Urform der noch vagen und ungeordneten Gedanken zu einem Thema, wird man den Verbesserungsprozess als offensichtlich erkennen. Überspitzt formuliert: Auch wenn der Vortrag vor dem Beirat nicht mehr geleistet werden müsste, hätte allein der Zwang zur Vorbereitung eines solchen Vortrags eine günstige Auswirkung auf die Denkstrukturen der Geschäftsführung. Die schriftliche Vorabinformation Für die praktische Arbeit ist es zunächst bedeutsam, welche schriftlichen Unterlagen die Geschäftsführung dem Beirat rechtzeitig vor einer Beiratssitzung zur Verfügung stellen soll. In allen einschlägigen Büchern und Kodex-Empfehlungen finden wir die Forderung verankert, dass dem Beirat vorab ausreichend schriftliche Unterlagen zuzuleiten sind, damit er sich angemessen auf die jeweilige Sitzung vorbereiten kann. Die schriftliche Vorabinformation kann zwei Stufen der Zielsetzung haben: • Ankündigung eines Themas und Skizzierung der Randbedingungen, Besonderheiten, Alternativen, • Vortrag über das Thema in allen wesentlichen Aspekten. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat wird der Grundsatz der schriftlichen Berichterstattung gefordert.194 Nur so kann sich ein Aufsichtsratsmitglied für eine Sitzung sachkundig machen; die mündliche Berichterstattung würde sich somit auf die Erläuterung der schriftlichen Unterlagen beschränken.195 Diese Literaturmeinung stammt allerdings aus einer Zeit vor der Verbreitung von PowerPoint. Freilich gilt auch heute, dass die Mitglieder eines Aufsichtsrats, die sehr stark auf Kontrolle und Aufsicht abstellen, und insbesondere die Mitglieder, die wie die Arbeitnehmervertreter nicht ständig mit Überwachungsaufgaben befasst sind, ein großes Bedürfnis nach schriftlichen Unterlagen haben. An diesem Wunsch ist zutreffend, dass komplexe Themenstellungen nicht aus dem Stand heraus kompetent erörtert werden können. Die vortragende Geschäftsleitung muss sich vergegenwärtigen, dass sie selbst vermutlich mehrere Sitzungen bräuchte, um sich mit einem wie dem in Rede stehenden Thema vertraut zu machen und eine Meinung dazu zu entwickeln. Es kann daher zuviel verlangt sein, wenn die Gesprächspart194 195
Lutter, M. (1979): S. 59. Müller, H. (1986): S. 19 f.
6.6 Die Form des Vortrags der Geschäftsführung
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ner in einer Beiratssitzung bereits nach einem halbstündigen oder einstündigen Vortrag hierzu eine Meinung äußern sollten. Die schriftliche Vorabinformation hat aber auch unwägbare Nachteile. Entweder man versucht, die zu erörternde Angelegenheit so darzulegen, dass man nicht missverstanden werden kann: Dann wird das schriftliche Dokument relativ lang. Durch die Länge wird riskiert, dass nicht alle Empfänger den vorgelegten Text mit der gebotenen Sorgfalt lesen. Die Vermutung dieses Risikos bedeutet kein Misstrauen gegenüber Beiräten, sondern nur die Übertragung ihrer Verhaltensweisen im Hauptamt auf die Beiratsarbeit. Dies sollte nicht missverstanden werden: Im Hauptamt, etwa dem eines Vorstands oder Geschäftsführers, ist der Mandatsträger gewohnt, dass ihm selbst „vorgetragen“ wird. Das ist nicht Bequemlichkeit, sondern die Voraussetzung dafür, dass er als Entscheidungsträger bestmöglich informiert ist, da die verbale Kommunikation ungleich reichhaltiger ist als ein schriftlicher Bericht. Wenn aber eine selbst sorgsam ausgearbeitete schriftliche Information nur kursorisch gelesen wird, dann ist das Risiko, dass sich ein unvollständiger Eindruck festsetzt und damit eine nur unzureichend fundierte Urteilsfindung veranlasst, sehr hoch. Das Risiko liegt darin, dass der „erste“ Eindruck aus der schriftlichen Unterlage zu einer Meinung führt, die durch den mündlichen, ungleich differenzierteren Vortrag in der Sitzung nur schwer korrigiert werden kann. Daher sollten entgegen den Empfehlungen in allen Kodizes und in der Literatur für die schriftliche Vorabinformation nur solche Inhalte ausgewählt werden, die relativ eindeutig und nicht kontrovers sind. Sehr komplexe und möglicherweise kontroverse Themen sollten dem mündlichen Vortrag vorbehalten bleiben. Für diesen Verzicht auf schriftliche Vorabinformationen bei komplexen Themen spricht noch der weitere wohlfundierte Grund, dass man jene Form der Informationsvermittlung wählen sollte, die dem Empfänger der Information von seiner hauptberuflichen Tätigkeit her am besten vertraut ist. Wenn die Beiratsmitglieder in ihrem Hauptberuf gewöhnt sind, dass ihnen die zu erörternden Themen mündlich vorgetragen werden, werden sie auch vor Beiratssitzungen das „Aktenstudium“ ablehnen und erwarten, dass die Geschäftsführung ihren Bericht durch einen prägnanten Vortrag in der Sitzung abgibt. Wenn aber komplexe Themen erst durch einen mündlichen Vortrag in der Beiratssitzung eingeführt werden sollten, weil eine schriftliche Vorabinformation entweder zu wenig rezipiert würde oder zu missverständlich sein könnte, dann eröffnet sich folgendes Dilemma: Die beabsichtigte Information kann durch den detaillierteren Gehalt eines mündlichen Vortrags gewinnen und damit besser abgesichert werden. Das ist der Vorteil. Der
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Nachteil liegt darin, dass man auch von hochbegabten Beiratsmitgliedern nicht eine fundierte Stellungnahme zu einem komplexen Thema nach den 30 Sekunden Atempause zwischen Vortrag und Diskussion über diesen Vortrag erwarten darf. Die Lösung dieses Dilemmas lautet, dass ein komplexes Thema zunächst in einem Referat dem Beirat vorgestellt werden sollte. Erst in der nächsten oder übernächsten Sitzung sollte dann über dieses Thema beraten werden, damit den Beiratsmitgliedern genügend Zeit zum Nachdenken über die angesprochene Angelegenheit zur Verfügung steht. Der PowerPoint-Vortrag oder der verbale Vortrag Die Fragestellung ist nicht, welche Form des Vortrags der betreffende Berichtspflichtige besser oder schlechter beherrscht. Die Schönheit liegt ja immer in den Augen der Betrachter oder der Zuhörer. Die Zeit, in der Folientexte langweilig und die Animationen, die mit PowerPoint möglich sind, modern erscheinen, ist lang vorbei. Nur sehr junge Geschäftsführer sind noch in die Animationstechniken verliebt. Da diese Präsentationstechnik inzwischen allgegenwärtig ist, besinnt man sich wieder auf den Vorteil, dass durch den persönlichen Vortrag erkennbar wird, ob der Vortragende etwas klar vermitteln kann. Die narrative Gestaltung des Vortrags Angesichts der Bedeutung des Vortrags für die Geschäftsführung wird sie diesen mit Sorgfalt vorbereiten. Sie wird die zu berichtenden Ereignisse und Handlungen in einen solchen Zusammenhang bringen, dass die Zwecke des Berichts möglichst vollkommen erreicht werden. Bei dem Bericht zum Stand der Geschäfte werden die Ereignisse und die Handlungen so miteinander verknüpft, dass das Handeln der Geschäftsführung als Ursache des Erfolgs deutlich wird. Hierzu gehört auch eine gewisse Dramatisierung, die die Widerstände der Welt deutlich macht, die durch die heroische Leistung der Unternehmensleitung überwunden wurden. Ein erzählerisches Ausschmücken fördert den dramatischen Eindruck. Die Rhetorik der Berichterstattung Ein Geschäftsführer ist sich der Tatsache bewusst, dass sein Auftritt in Beiratssitzungen die wesentliche Basis für seine Beurteilung ist: Jede Sitzung ist ein kleines Assessment-Center. Er wird daher gut daran tun, diese Sitzungen sorgfältig vorzubereiten und in seinem Vortrag den Erwartungen
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seiner vorgesetzten Beiratsmitglieder möglichst gerecht zu werden. Einige der üblichen Vorgehensweisen eines Geschäftsführers bei der Gestaltung seines Vortrags vor dem Beirat seien nachfolgend dargestellt: • Überblick durch Perspektive: Es empfiehlt sich, jedes Vorhaben aus der Perspektive eines größeren Rahmens zu betrachten. Man benennt fundamentale Tatsachen, aus denen sich der Anlass ableitet, der zu einem Handeln zwingt. Man schildert nicht nur die unmittelbaren Konsequenzen des vorgesehenen Handelns, sondern auch die längerfristigen positiven Folgewirkungen oder die kurzfristig erzielbaren Ergebnisse als Voraussetzung für einen längerfristig möglichen positiven zweiten Schritt. • Überblick durch Konzentration: Eine der wirklich wichtigen Voraussetzungen für gehobene Führungskunst ist die Fähigkeit, die Vielfalt der Erscheinungen und Ereignisse in einem geschäftlichen Verantwortungsbereich auf wenige wesentliche Phänomene zurückzuführen. Hierzu gehören die Eingrenzung einer Lage auf wenige ausschlaggebende Ursachen, die Identifizierung der Schlüsselfaktoren für den beabsichtigten Erfolg, die Herausarbeitung der entscheidenden Prämissen einer Planung. Wer sich in der Betrachtung der einzelnen Bäume verliert, kann keinen Weg durch den Wald finden. • Schilderung von Problemlösungsansätzen: Der Vortragende sollte Schwierigkeiten nur so weit schildern, dass klar wird, dass er die Situation trotz dieser Schwierigkeiten im Griff hat. Oder anders formuliert: Nur diejenigen Probleme sollten geschildert werden, für die es auch einen Lösungsansatz gibt. Dieser kann zur Diskussion gestellt werden oder zu diesem kann Beratung gesucht werden, um sich abzusichern. Mit dem Bild einer Führungskraft ist jedoch nicht vereinbar, ein Problem zwar zu sehen, aber ratlos zu sein. • Schilderung überwundener Schwierigkeiten: Es ist notwendig zu schildern, welche Schwierigkeiten auf dem Weg zu einer Problemlösung zu überwinden waren. Am gelungenen Ergebnis allein lässt sich die Managementleistung nicht beurteilen: Es könnte ja auch Glück gewesen sein. Erst durch die Schilderung der überwundenen Schwierigkeiten wird die Leistung in der gefundenen Lösung für die Beiratsmitglieder erkennbar. • Demonstration des Handlungswillens: In einem Vortrag sollte erkennbar sein, was der Vortragende im Einzelnen zu tun gedenkt. Ein Manager muss seine Tatkraft ex ante verbal verdeutlichen. Hierzu meidet er die Einleitung seiner Sätze mit Formeln wie: „Man
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6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
müsste überlegen …“, „Es wäre zu prüfen …“, „Es könnte sein …“. Die Sprache der zupackenden Führungskraft ist gekennzeichnet durch „Wir werden erreichen, dass …“, „Es wird wie folgt sein …“, „So wird bewirkt …“. • Demonstration von Durchsetzungsvermögen: Bei energischer Führung müssen Opfer gebracht, Widerstände überwunden, Umwege gegangen werden, um dann doch ans Ziel zu gelangen. Über all dies wird vorzugsweise dann berichtet, wenn sich der Erfolg noch nicht sichtbar eingestellt hat, das Management als „Insider“ sich dessen aber bereits hinreichend sicher ist. Diese kommunikativen Vorgehensweisen sind nicht von vornherein manipulativ. Da der Diskurs im Beirat die wesentliche Beurteilungsplattform für die Geschäftsführung bildet, ist es nur legitim, dass die Geschäftsführung versucht, einen guten Eindruck zu machen. Die gute Absicht wendet sich allerdings in das Gegenteil, wenn die Leistungen der Unternehmensleitung zu stark betont werden und dadurch der Vortrag manipulativ wirkt oder aber wenn durch das krasse Eigenlob der Eindruck von Naivität erweckt wird. Eine nicht tolerierbare Manipulation liegt natürlich dann vor, wenn der Grundsatz der Wahrheit und Klarheit des Vortrages verlassen wird. Der kontraproduktive Auftritt beginnt aber bereits dort, wo die natürliche Freude der Manager am Erfolg und ihr gesundes Selbstbewusstsein in Eitelkeit und den Anspruch auf Unfehlbarkeit umschlagen. Ihr Auftritt ist eine Gratwanderung zwischen der Anforderung, kompetent zu sein, und der Versuchung, auf jeden Einwand eine schnelle Antwort zu haben. Es ist nur ganz natürlich, dass die Beiratsmitglieder aus ihrer externen Sicht Fragen oder Einwände haben, die aus der Sicht der Insider ungerechtfertigt erscheinen. Eine Frage oder ein Einwand eines Beiratsmitglieds ist – ähnlich der Frage oder des Einwands eines Kunden – nie unbegründet und sollte daher auch nicht sofort widerlegt werden. Es ziemt sich die Position des nachdenklichen Geschäftsmannes einzunehmen, der sich mit jedwedem Einwand konstruktiv auseinandersetzt und erst durch einige Argumentationsschleifen eine Situation herbeiführt, in der jeder zu seinem Recht kommt. Das Design der Information nach dem Empfänger Eine der Schwierigkeiten der Berichterstattung besteht darin, dass der Verfasser des Berichts in vielen Fällen von seiner Sichtweise ausgeht und nicht von der des Zuhörers. Er baut den Gedankengang auf, wie er ihn entwickelt hat.
6.6 Die Form des Vortrags der Geschäftsführung
205
Korrekterweise ist der Vortrag jedoch vollständig auf den Zuhörer auszurichten, den er überzeugen soll. Der überzeugende Vortrag ist so etwas wie das überzeugende Verhandlungskonzept. Beim Vortrag wie bei der Verhandlung wird die Überzeugung durch Argumente angestrebt. Folgt man der Definition von W. Klein196, dass in einer Argumentation etwas kollektiv Fragliches mit Hilfe des kollektiv Geltenden in eine neue, kollektiv geltende Einsicht überführt wird, so wird deutlich, dass das, was eingehender belegt werden muss, nur das kollektiv Fragliche ist. Je umfassender die gemeinsamen Annahmen und das gemeinsame Vorverständnis sind, desto kürzer kann man sich fassen. Die Elemente, die in Berichten, Reflexionen und Argumentationen enthalten sind, lassen sich in der Anordnung einer Pyramide gut darstellen.
Schlussfolgerung
Wertungen mit Auswahl einer Alternative
Feststellungen für alle Alternativen
Annahmen für alle Alternativen
Abb. 6. Der umständliche Pfad bei der Informationspyramide
196
Klein, W. (1980): S. 19.
206
6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
Der noch wenig erfahrene Berichtende neigt meist instinktiv dazu, sich „von unten nach oben“ vorzuarbeiten, entsprechend der Entwicklung des Gedankens. Er schreitet von den Annahmen zu den Feststellungen und Wertungen (hoffentlich beides unterscheidend) voran, bis er am Ende des Vortrags – schon nahe am Ende der vorgesehenen Redezeit – zum einzig spannenden Teil, der Schlussfolgerung, kommt. In der Situation des Vortrags vor einem Entscheidungsgremium empfiehlt sich demgegenüber der Top-down-Ansatz. Für den, der nur am Ergebnis interessiert ist, ist die Genese des Vorschlags redundante Information. Derjenige, der einen Entscheidungsvorschlag genehmigen muss, muss nicht dessen Geschichte und die verworfenen Argumente kennen, sondern nur den Vorschlag selbst, eventuell die damit verbundenen Vor- und Nachteile. Dies kann die Präsentation verkürzen. Begonnen wird mit der „Schlussfolgerung“, der ausgewählten Alternative, dem Handlungsvorschlag, und nur diese Schlussfolgerung wird aus
Schlussfolgerung
Annahmen
Feststellungen
Wertungen anderer Alternativen Nur als Backup für die ausgewählte Alternative
Abb. 7. Der wirksame Pfad bei der Informationspyramide
6.7 Die Reaktion auf den Vortrag
207
den sie stützenden Annahmen, Feststellungen und Wertungen abgeleitet. Die Ausarbeitung der verworfenen Alternativen hat man nur als unterstützendes Material dabei, falls nach den Vor- und Nachteilen einer anderen Alternative gefragt wird. Ein zweiter Fehler, der gerne gemacht wird, liegt darin, möglichst viele Argumente zusammenzutragen. Für einen Vortrag, der überzeugen soll, gilt wie für jede Verhandlung, dass man die Argumente auf die wirklich essenziellen reduzieren muss. Schwache Argumente schwächen die gesamte Argumentation. Mit „Ockham’s razor“ sollten alle nicht entscheidenden Argumente weggeschnitten werden. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass der Verfasser des Berichts voraussetzt, dass alles, was im Beirat schon einmal behandelt wurde, auch nach geraumer Zeit noch präsent ist. Davon kann der Berichter nicht ausgehen. Die Geschäftsführung, die sich ständig mit den Themen der Unternehmensentwicklung auseinandersetzt und natürlich noch genau weiß, wann dem Beirat etwas vorgetragen wurde, verfügt in diesen Dingen über ein Langzeitgedächtnis. Umgekehrt hat ein Beiratsmitglied, das gleichzeitig noch einem Hauptberuf nachgeht und möglicherweise noch in anderen Beiräten Mandate hat, eher ein Kurzzeitgedächtnis, das von Sitzung zu Sitzung oder höchstens über den Sitzungszyklus eines Jahres reicht. Angesichts dieses Kurzzeitgedächtnisses müssen für einen Entscheidungsvorschlag grundsätzlich alle wichtigen Argumente vorgetragen werden, auch wenn sie früher schon einmal behandelt worden sind. Bei der Führungsschulung im Militär soll es eine Regel geben, dass jeder Dienstrang in der Lage sein soll, in den Aufgaben des nächsthöheren Dienstgrads stellvertretend zu handeln und in den Aufgaben von zwei höheren Dienstgradstufen mitzudenken. Eine Geschäftsführung sollte ebenfalls in der Lage sein, sich in die Position und Sichtweise eines Beiratsmitglieds zu versetzen. Der beste Weg, dies einzuüben, ist es, wenn ein Geschäftsführer bei einer Untergliederung seines Unternehmens eine Beiratsfunktion einnimmt oder diese bei einem anderen Unternehmen ausübt.
6.7
Die Reaktion auf den Vortrag
Zu einem Vortrag gehört in unserem Kulturkreis eine Reaktion des Publikums, hier also des Beirats. Die typischen Reaktionen sind folgende: • Anmerkung: eine Rückmeldung zu dem Vorgetragenen, gegebenenfalls eine Anregung für eine Erweiterung der Fragestellung, • Nachfrage: eine Vertiefung, eine Suche nach weiteren Begründungen,
208
6 Die Information des Beirats durch die Geschäftsführung
• weiterführende Fragen: der wichtigste Beitrag zur Reflexion, • Erinnerung oder Warnung: eine vorsorgliche Anmerkung, um auf drohende Risiken hinzuweisen. Da alle unternehmerischen Entscheidungen Risiken beinhalten, kann damit immer die Sorge um das Wohl des Unternehmens demonstriert werden. • Bestätigung: eine Bekräftigung der vorgetragenen Argumente. Die Bestätigung ist keineswegs überflüssig. Zumeist neigt der Vortragende zu einer „einwertigen“, klaren Aussage. Das wird von einem Verantwortlichen erwartet. Er mag sich aber tatsächlich noch nicht so sicher sein. Die Bestätigung vermittelt ihm Sicherheit und damit Durchsetzungsstärke. • Ablehnung oder Verweigerung der Zustimmung: Die Ablehnung eines Antrags der Geschäftsführung, also der obersten Exekutive, der Instanz, in die das Vertrauen gesetzt wird und gesetzt werden muss, bedarf immer der Begründung. Eine Ablehnung aus unreflektierten Sorgen oder aus dem „Bauchgefühl“ heraus ist letztlich ein negatives Werturteil über die Entscheidungsvorbereitung der Geschäftsführung. Eine Ablehnung wird daher von einem Beirat, der seine Geschäftsführung respektiert, nicht als glatte Ablehnung ausgesprochen werden. Vielmehr werden „Voraussetzungen“ für eine Zustimmung formuliert, die weitere Erhebungen oder Verhandlungen verlangen und einen Rückzug unter Wahrung des Respekts ermöglichen. • Eröffnung einer gemeinschaftlichen Diskussion: Während der Vortrag eine einseitige Angelegenheit ist, stellt die Diskussion eine Gemeinschaftsleistung dar. Paradox ist, dass sie einerseits so wichtig und andererseits so schwierig herzustellen ist. Wir werden darauf gesondert eingehen.197 • Zusammenfassung: Rückführung auf den Kern des Themas als Vergewisserung des richtigen Verständnisses, • Dank und Anerkennung für das Berichtete: Dies kann ein von der Geschäftsleitung bewirktes Ereignis betreffen oder einen von ihr gestellten sinnvollen Antrag oder eine Einladung zur Diskussion über ein wichtiges Thema. Ein starker Beirat tut gut daran, davon auszugehen, dass die Geschäftsführung seinen Äußerungen Gewicht beimisst. Er sollte sich daher nicht 197
Siehe Kapitel 8.
6.7 Die Reaktion auf den Vortrag
209
leichtfertig und unbedacht kritisch äußern. Insbesondere ist mit dem Ausdruck allgemeiner Sorgen vor Risiken nichts geholfen. Da muss sich der Beirat schon klar artikulieren, ob er so große Bedenken hat, dass das vorgeschlagene Vorhaben unterlassen werden sollte, oder in welchem Aspekt ihm Maßnahmen erforderlich erscheinen. Der Beirat sollte auch Zustimmung zum Ausdruck bringen. Dies motiviert und bestätigt die Geschäftsführung in ihrem Weg. Unsere kleine Übersicht kann immerhin dazu dienen, die beträchtliche Bandbreite der möglichen Reaktionen auf den Vortrag der Unternehmensleitung zu verdeutlichen. Sie sollte dazu führen, dass der Reaktion auf den Vortrag zeitlich und inhaltlich ein höheres Gewicht beigemessen wird. Es ist ein betrüblicher Befund, dass die „Diskussionszeit“ oft nur einen Bruchteil der Vortragszeit ausmacht. Das hat viele Gründe und es bedarf vieler Anstrengungen, diese Relation zu verbessern, wie zum Beispiel durch • ein Zeitmanagement zur Gewährleistung einer Muss-Zeit für die Diskussion, • Hinführung zur Diskussion durch den Vortragenden, indem nicht „geschlossene“ Schlussfolgerungen den Vortrag beenden, sondern offene, weiterführende Fragestellungen, • ausdrückliche Bitte des Vortragenden um Stellungnahmen, • Bitte des Beiratsvorsitzenden an sein Gremium, die Qualifizierung eines Ergebnisses, eines Entscheidungsvorschlags oder eines Verhaltens als „unzureichend“ oder schlichtweg „schlecht“ zu unterlassen und stattdessen begründete Einwände zu formulieren. Es ist immer wieder die Aufgabe des Vorsitzenden, die Diskussion zu eröffnen, das „Eis zu brechen“, den Kollegen im Beirat den Ball für die Diskussion zuzuspielen. Wenn die Diskussion erst einmal in Gang gekommen ist, wird sie in der Regel auch gehaltvoll.
7
Die Aufsicht
7.1
Der Begriff der Aufsicht
Die Aufsicht ist das notwendige Gegenstück zum Vortrag. In der Aufsicht wird das Vorgetragene beurteilt, bewertet und diagnostisch analysiert, und zwar daraufhin, was daraus zu folgern sei. In unserem Ansatz, den Beirat, das Aufsichtsgremium, als vorgesetzte Instanz der Geschäftsführung zu sehen, ist die Aufsicht Teil der ganz normalen Führungsfunktion der vorgesetzten Stelle gegenüber der nachgeordneten Stelle mit dem allgemeinen Ziel, sicherzustellen, dass die nachgeordnete Stelle die ihr zugewiesenen Aufgaben zur Zufriedenheit der vorgesetzten Stelle erfüllt. Das ist keine Beschwernis, sondern eher eine notwendige Bedingung der Zusammenarbeit. Was Albach/Gabelin zur Kontrolle sagen, gilt auch für die Aufsicht gegenüber der Geschäftsführung: „Die Kontrolle von Mitarbeitern ist nicht nur ein Recht des Vorgesetzten, sondern auch ein Recht des Mitarbeiters. Nur in einem Kontrollsystem kann objektiv die Basis für Belobigungen und allgemeine Anerkennung seiner Leistungen geschaffen werden.“198 Die Überwachung des Handelns der Geschäftsführung zielt auf Folgendes199: • Überprüfung der Eignung der Geschäftsführung für ihre Aufgabe. Hier geht es um deren Sachkompetenz als Geschäftsführer. Die Beurteilung dieser Qualität ist im Prinzip unabhängig von der spezifischen Verfassungsbedingung des Unternehmens als Familienunternehmen. Diese Kompetenz ist eine notwendige Bedingung für die Eignung der Geschäftsführung. Fehlt sie und kann sie auch nicht mehr entwickelt werden, ist eine Änderung in der Besetzung dieses Gremiums geboten. Die Sachkompetenz der Geschäftsführung ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für deren erfolgreiches Wirken. Sie muss durch die Ausrichtung auf die Ziele der Institution Familienunternehmung ergänzt werden. 198 199
Albach, H./Gabelin, T. (1977). Vgl. Rössler, S. (2001): S. 43; Jud, G. (1996): S. 17; Theisen, M.R. (2002): S. 8 f.
212
7 Die Aufsicht
• Daher hat der Beirat zu überprüfen, ob die Ziele der Institution beachtet werden. Klaus sieht als Kern der Kontrolle, „die Interessen der (nicht an der Führung beteiligten) Gesellschafter in die Führungsentscheidungen der Unternehmensleitung hineinzutragen. Es soll so sichergestellt werden, dass das Unternehmensgeschehen auf Dauer an diesen Interessen ausgerichtet bleibt, wenn die Gesellschafter ihren Willen nicht selbst artikulieren und durchsetzen wollen oder können“.200 • Der Beirat muss erkunden, wann und mit welcher Zielrichtung Interaktionen mit der Geschäftsführung geboten sind, um diese in ihrer Aufgabenerfüllung auf die Ziele des jeweiligen Unternehmens auszurichten oder um das Aktivitätsniveau und die Qualität der Aktionen zu erhöhen. • Bei ungewöhnlichen Vorgängen und Risiken sollte der Beirat die Geschäftsführung auf seine satzungsgemäßen Zustimmungsvorbehalte hinweisen. Das Aufsichtsgremium hat weder die Funktion, die Geschäftsführung darin zu unterweisen, wie sie ihre Obliegenheiten zu erfüllen hat, noch die Funktion, nachträglich zu kontrollieren, ob sie ihre Aufgaben richtig ausgeführt hat. Auf der Ebene der Führung von Organisationen – also auch auf der Ebene der Geschäftsführung gegenüber den Abteilungs- oder Bereichsleitern – hat die nachgeordnete Ebene die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen für die fachliche Durchführung ihrer Aufgaben vorzuweisen. Ein Mangel in der Kompetenz der nachgeordneten Stelle kann auf diesen Führungsebenen nicht durch eine intensivere Aufsicht kompensiert werden. Die Aufsicht dient nur dazu festzustellen, ob die Kompetenz vorhanden ist. Wenn dies nicht der Fall ist, muss ein anderer Aufgabenträger gefunden werden. Oder aber es wird befunden, dass zwar die grundsätzliche Kompetenz vorhanden ist, dass sie aber der Ausrichtung, also der richtunggebenden Beeinflussung, bedarf. Dann müssen diese richtunggebenden Impulse gegeben werden. Weil die Kompetenz zur Erfüllung der Aufgaben bei den Amtsinhabern bei den o. g. Führungsebenen unterstellt werden muss, kann es nicht um eine laufende Kontrolle ihrer Amtsausübung gehen. Die Aufsicht erfolgt in der Regel in periodischen Abständen und damit nie vollständig synchron zu dem jeweiligen Prozess. Das gilt natürlich auch für die Planung: Die Überprüfung des Planungsprozesses anhand der Beurteilung des erstellten Plans erfolgt erst zeitversetzt nach der Erstellung des Plans. Die der Aus200
Klaus, H. (1991): S. 25.
7.2 Die Elemente der Aufsicht
213
führung eines Plans vorhergehende Überwachung einzelner Geschäftsvorfälle aufgrund von Genehmigungsvorbehalten stellt ebenfalls keine Annäherung an eine laufende Kontrolle dar. Vielmehr kann sich diese präventive Überwachung nur auf Vorgänge beziehen, die von großer Bedeutung für die Rentabilität, die Liquidität oder den Zukunftserfolg des Gesamtunternehmens sind. Soviel zum Begrifflichen nur deshalb, damit ein Beirat nicht der Idee verfällt, er würde seiner Aufsichtsaufgabe dadurch besser gerecht werden, dass er zeitnaher noch mehr Vorgänge einer inhaltlichen Kontrolle unterzöge oder dass er gesonderte Revisionsaufträge vergäbe oder dass er sich von einer eventuell vorhandenen Innenrevision routinemäßig berichten ließe. Aufgrund der Unterminierung der Autorität der Geschäftsführung und ihrer Demotivierung würde ein solches Vorgehen seiner Führungsrolle als Aufsichtsgremium geradezu zuwider laufen.
7.2
Die Elemente der Aufsicht
Richten wir unseren Blick nun darauf, was Gegenstand der Aufsicht ist. Die unübersehbaren Einzelheiten möglicher Aufsichtsakte können in folgende Gruppen sortiert werden: • die Beurteilung der Persönlichkeit des Geschäftsführers, seines Verhaltens, seines Wertegefüges, aber auch der öffentlichen Wahrnehmung dieser persönlichen Eigenschaften, die sich in der Reputation dieser Person niederschlägt, • die Beurteilung der Prozesse in der Geschäftsführung, • die Beurteilung des Inputs des Geschäftsführungshandelns, nämlich Entscheidungen zu Aktionsprogrammen, Verpflichtung auf Pläne, Einzelentscheidungen, • die Beurteilung des Outputs des Geschäftsführungshandelns, des erzielten Erfolgs. Die Beurteilung der Persönlichkeit Die Beurteilung der Persönlichkeit der Geschäftsführer ist ein bei allen Aufsichtsprozessen mitlaufender „unterschwelliger“ Prozess. Dabei gehen wir davon aus, dass wir es bei Familienunternehmen in der Regel nicht mit folgendem Managertypus zu tun haben, der eine durchaus mögliche Gestalt in der Leitung von Publikumsgesellschaften ist: der Erfolgreiche, dem man
214
7 Die Aufsicht
eigentlich misstraut und den man nicht schätzt, auf den man aber nicht verzichten zu können glaubt, weil er so erfolgreich ist, und für den die Aufsichtsgremien keine geeignete Alternative haben. Bei Familiengesellschaften erscheint uns eine solche Konstellation nicht über eine längere Zeit vorstellbar. Keine Person vertraut ihr Vermögen jemandem an, in den sie nicht ihr volles Vertrauen setzt. All dies vorausgeschickt ist gleichwohl festzustellen, dass auch eine Geschäftsführung, die das volle Vertrauen des Beirats und der Gesellschafter besitzt, der Überwachung und der Aufsicht bedarf. Die oberste Geschäftsführung muss das Vertrauen der Gesellschafter haben. Da dies aber eine so notwendige Voraussetzung ist, wird immer wieder überprüft, ob diese Vertrauensbeziehung noch intakt ist. Das Vertrauen erstreckt sich auf die fachliche Kompetenz, zur Führung des Unternehmens fähig zu sein, ebenso auf die Loyalität zu der Verfassungsgrundlage Familienunternehmen und schließlich auf den Bereich ganz persönlicher Werte wie Aufrichtigkeit, Fairness im Umgang mit Kunden und Mitarbeitern, Bescheidenheit statt Überheblichkeit und andere Qualifikationen, die nicht in einem direkten Bezug zum geschäftlichen Erfolg stehen. Das Kriterium in diesem Bereich lautet: Passt diese Führungskraft zu uns? Wollen wir uns von diesem Menschen vertreten lassen? Messverfahren, mit denen sich die Persönlichkeit beurteilen lässt, können hier nicht ausgearbeitet werden. Sie sind in jedem Fall höchst subjektiv. Natürlich wird darauf geachtet, was der zu Beurteilende sagt. Die Werteinstellungen zeigen sich aber immer erst im tatsächlichen Verhalten, wenn eine kritische Entscheidungssituation eintritt, wenn Entscheidungskonflikte entstehen. Dies lässt sich am Beispiel eines gesetzeswidrigen Verhaltens erläutern. Dabei ist vorab festzustellen, dass dies erstens relativ selten und zweitens bezüglich des dadurch bewirkten Geldschadens meist überschaubar ist. Das Kritische an Gesetzesverstößen ist der Reputationsschaden für die Firma. Bei Individualverschulden – wie Unterschlagung und Ähnlichem – ist das Alarmierende die Signalwirkung, dass der Verantwortliche offenbar entweder gewissenlos oder unverantwortlich dumm ist, um auf diese Weise seine Reputation zu gefährden. Die Beurteilung der Führungsprozesse Gute Geschäftsführung verlangt als weiteres Kennzeichen gute Strukturen und Routinen für die Prozesse des Führens. Es ist vor allem die Ordnung der Prozesse, die ihre Qualität bestimmt: die zweckmäßige Ordnung der Zuständigkeiten, die Ausfüllung der Zuständigkeiten durch situationsge-
7.2 Die Elemente der Aufsicht
215
rechte und zielführende Initiativen, kollegiales Zusammenwirken von Geschäftsführern, Ordnung im zeitlichen Prozess und Rechtzeitigkeit der Entscheidungen. In diesem Feld steht dem Beirat nur die Möglichkeit zur indirekten Beobachtung offen. Er nimmt nicht an den Geschäftsführungsprozessen teil, kann sie auch nicht durch Kontrolle oder Revision nachvollziehen. Die Beurteilung des Prozesses der Geschäftsführung ist dem Beirat nur von der Oberfläche her möglich. Gleichwohl kann sich der Beirat darauf verlassen, und die Geschäftsführung sollte damit rechnen, dass krasse Mängel in den Prozessen unweigerlich zu Tage treten. Die Messverfahren sind zum Beispiel: Welche Themen werden in der Berichterstattung durch die Geschäftsführung überhaupt angesprochen, welche werden nicht adressiert? Aus der Begründung von Anträgen lässt sich auf die Sorgfalt und Rationalität der Entscheidungsvorbereitung schließen. Die Beurteilung des Prozesses ist nur möglich bei wohl strukturierten Aufgabenstellungen, die klar abgrenzbar und genau definiert sind, die eine eindeutige Zielfunktion haben und für die effiziente Lösungsverfahren bekannt sind. Hier sollte aber eine Geschäftsführung selbst in der Lage sein, das Richtige auszuwählen. Sofern solche einfachen Entscheidungsprobleme den Beirat erreichen, kann er daran die Prozesse der Geschäftsführung relativ gut beurteilen. Als abstrakte Kriterien, nach denen der Prozess der Geschäftsführung beurteilt werden sollte, werden etwa folgende genannt201: • Rechtmäßigkeit des Handelns, • Verantwortbarkeit der eingegangenen Risiken, • Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Handelns, • rechtzeitiges Handeln, • zielorientiertes Handeln, • Ordnung des Handelns im Organisationsgefüge. Die Aufsicht hinsichtlich der Kriterien der Rechtmäßigkeit und des Risikobewusstseins des Handelns können von großer, ja existenzbestimmender Bedeutung sein. Jedoch sind die Möglichkeiten der Aufsicht in diesen Fragen sehr begrenzt. Die Rechtmäßigkeit des Handelns kann von den Beiratsmitgliedern in der Regel nicht beobachtet werden. Ein rechtlich problematischer Vorgang würde sicher nicht als solcher vorgetragen werden. 201
Krieger, G. (1995): S. 205 ff.
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7 Die Aufsicht
Weder würden wohl solche Entscheidungsdetails oder die rechtlich fragwürdigen Umstände vorgetragen, noch verfügen in den meisten Fällen Beiratsmitglieder über entsprechende juristische Kenntnisse, um rechtliche Zweifelsfragen beurteilen zu können. Das Gleiche gilt für das Eingehen großer Risiken. Eine Geschäftsführung wird wohl kaum den Beirat explizit um Rat fragen, bevor sie einen krassen Fehler begeht und ein nicht verantwortbares Risiko eingeht. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Geschäftsführung in solchen einem Fall einen „blinden Fleck“ hat, dass sie die Gefahr nicht sieht und auch nicht sehen möchte, dass sie sie nicht sieht. Daher wird das Entscheidungsdilemma gar nicht als Thema zur Diskussion gestellt und so kann der Beirat sich auch keine Meinung dazu bilden und dementsprechend auf die Geschäftsführung einwirken. Auf die Bedeutung und die Möglichkeiten von Aufsichtsprozessen in diesen Fragen ist im nachfolgenden Abschnitt gesondert einzugehen. Die Zweckmäßigkeit und die Wirtschaftlichkeit eines Vorhabens sind sicherlich leichter festzustellen und zu beurteilen. Eine Geschäftsführung kann in aller Regel ihr Handeln ex ante einleuchtend begründen. Da es sich aber um Prognosen und erfahrungsbasierte Annahmen handelt, kann ein breiterer Erfahrungsfundus der Beiratsmitglieder dazu beitragen, die Plausibilität der Annahmen besser einzuschätzen. Die wichtigste Beurteilungsdimension ist die Zielorientierung. Sie kommt als zusätzliche Dimension immer dann ins Spiel, wenn ein Thema über das einfache Wirtschaftlichkeitsziel hinausgeht. In dem hier erörterten Zusammenhang geht es um Ziele der Unternehmensentwicklung: Bewahrung der Unabhängigkeit, Wachstumsorientierung, Risikoabsicherung, technische Fortschrittlichkeit, Kundenorientierung. Gerade bei den großen strategischen Entscheidungen sind diese eher vage zu formulierenden Ziele die maßgeblichen Einflussgrößen. Über diese Ziele muss ein Konsens zwischen Gesellschaftern, Beirat und Geschäftsführung herbeigeführt werden. Bei der Einschätzung der Ordnung des Handelns im Organisationsgefüge geht es darum festzustellen, ob die festgelegten oder zumindest die angestrebten Regeln für die Arbeitsweise eingehalten werden. Wenn eine kollegiale Zusammenarbeit gewünscht ist, wird man aufmerksam auf Dissonanzen im Vortrag des Geschäftsführers oder auf „versteckte Vorwürfe“ hören. Auch wird beobachtet, ob und wie ein Vorsitzender oder Sprecher der Geschäftsführung seiner Aufgabe der „Teamleitung“ gerecht wird. Die wichtigsten Gefahren für die Unternehmensentwicklung resultieren allerdings aus schlecht strukturierten Arbeitsabläufen. Für diese ist das fein kalibrierte Verfahren der Prozessüberprüfung nach obigen Kriterien jedoch nicht geeignet.
7.2 Die Elemente der Aufsicht
217
Im Unterschied zu Eignungsmängeln bei Personen sind Mängel in den Prozessen im Allgemeinen durchaus korrigierbar. Während sich der Charakter einer Person kaum mehr ändert, können Arbeitsmethoden durchaus weiterentwickelt werden. Die Zusammenarbeit in einer Geschäftsführung kann zumeist schon durch Kalibrierung und angemessene Erläuterung der Geschäftsordnung zumindest gefördert werden. Bei absichtsvoller Unverträglichkeit innerhalb eines Gremiums liegt ohnehin ein persönlicher Defekt vor, der unter der Rubrik „Beurteilung der Persönlichkeit“ zu subsumieren und mit den dort indizierten Folgen zu belegen ist. Die Beurteilung des Inputs der Geschäftsführung Es liegt nahe – worüber gleich zu sprechen sein wird – den Output des Prozesses der Geschäftsführung, das erzielte Ergebnis, zu beurteilen. Es ist aber zumeist fruchtbarer, auf den Input des Prozesses abzustellen. Beim Input handelt es sich um die für ein wirtschaftliches Vorhaben vorgesehenen Maßnahmen. Diese werden diskutiert und dann beurteilt, ob sie dafür geeignet sind, den angestrebten Erfolg zu bewirken. Das Arbeiten an den Ursachen ist in der Interaktion zwischen Beirat und Geschäftsführung nur dann möglich, wenn der Beirat genug von dem spezifischen Geschäft versteht, um das es in der jeweiligen Situation geht. Es muss ein gemeinsames Bild von den geschäftlichen Herausforderungen entwickelt worden sein und es muss eine gemeinsame Erfahrungsbasis geben. Gerade bei Familienunternehmen haben wir eben diese Situation, dass die – wenigen – Beiratsmitglieder und vor allem auch die Familiengesellschafter im Beirat durchaus über eine intime Kenntnis des Geschäfts verfügen. Natürlich kann sich diese inputorientierte Sicht auch jenseits der spezifischen Geschäftsgegebenheit auf die Ebene der allgemeinen Unternehmensführung beziehen, ist aber dann vielleicht nicht mehr so stringent in den Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Bei welchen Messpunkten und mit welchen Messverfahren setzt nun eine inputbezogene Aufsicht an? • Das wichtigste Messverfahren einer inputorientierten Beobachtung besteht darin, darauf zu sehen, dass die richtigen Themen zur Diskussion oder Entscheidung gestellt werden. Aus den Themen ist zu entnehmen, ob sich die Energie der Geschäftsführung auf die Erfolgsfaktoren des Geschäfts richtet oder auf Nebenschauplätze abgelenkt wird. Die Zielsetzungen bei den erörterten Themen geben eine Vorstellung vom Anspruchsniveau der Geschäftsführung und dem geplanten Intensitätsgrad ihres Führungseinsatzes.
218
7 Die Aufsicht
• Ein weiterer Aufgabenbereich der inputorientierten Beobachtung ist die Überprüfung der Begründungen für Entscheidungsanträge und Planungen. Aus diesen Begründungen kann abgeleitet werden, mit welcher Geschäftslogik und welchem Erfahrungsfundus die Geschäftsführung das jeweilige Thema angeht. • Aktionsprogramme der Geschäftsführung sollten eigentlich die bedeutenden Inhalte eines Planungs- und Budgetierungsprozesses sein; daher ist es richtig und geboten, die Abarbeitung dieser Aktionsprogramme vorzunehmen. Auf den Prozess der Unternehmensführung kann der Beirat mit der vollen Breite seiner Interaktionsmöglichkeiten Einfluss nehmen. Aufzuführen sind hier: • Festsetzung eines Themas als Gegenstand der Berichterstattung und damit der Erörterung im Beirat. Durch diese Aufnahme in die „Agenda“ wird die Bedeutung eines Themas betont und die systematische Erörterung veranlasst. • Durch Genehmigungsvorbehalte für Planungen und Einzelentscheidungen ist deren Aufnahme in die Agenda des Beirats bereits vorgeschrieben. Durch Zustimmung, Ablehnung oder Genehmigung von Anträgen mit Modifikationen können die Entscheidungen direkt beeinflusst werden. • Die Erörterung kann zu einem beratenden Diskurs über das entsprechende Thema führen. • Vorgabe von Entscheidungskriterien oder von Prioritäten bei widerstreitenden Entscheidungskriterien als Ergebnis eines Beratungsprozesses. Zum Beispiel kann in dem Dilemma zwischen Rendite und Wachstumsinitiativen, die heute die Rendite mindern, morgen aber für eine Ertragssteigerung sorgen, eine Prioritätensetzung vereinbart werden. Häufig werden solche Übereinkünfte als „Ziele“ formuliert. Die Setzung eines Renditezieles bedeutet beispielsweise, dass bis zur Erreichung einer Zielmarke der Renditeerzielung Vorrang vor dem Wachstumsziel oder anderen Zielen gegeben werden soll. • Theoretisch ist sogar an die Ausübung eines Weisungsrechts zu denken, wobei wir noch darauf zu sprechen kommen werden, weshalb dies nur theoretisch möglich ist.
7.2 Die Elemente der Aufsicht
219
Die Beurteilung des Outputs der Geschäftsführung Die Überprüfung der Ergebnisentwicklung ist allgemein das bevorzugte Objekt der Aufsicht. Dies ist seltsam, denn die auf das Ergebnis, auf den Output der Geschäftsführung, abstellende Analyse ist der inputorientierten Aufsicht unterlegen. Nur durch die Arbeit an den Ursachen kann die Wirksamkeit der Unternehmensführung verbessert werden. Die Analyse des Ergebnisses führt ja erst dann zu einer positiven Veränderung, wenn die Ursachen dieses Ergebnisses genau ermittelt werden und wenn dann auf die beeinflussbaren verursachenden Faktoren eingewirkt wird. Ansonsten lässt sich das Ergebnis, d. h. die Wirkung, nur hinnehmen. Die outputorientierte Aufsicht und Steuerung ist freilich dort erforderlich, wo eine Input-Orientierung nicht möglich ist.202 Auf den Input kann man nicht abstellen, wenn man das Geschäft nicht versteht und daher nicht weiß oder sich nicht einig darüber ist, welche Input-Maßnahmen den Erfolg bewirken können. Außerdem gibt es noch den Fall, dass der Erfolg weniger von der Art und Intensität der Input-Arbeit abhängt als von Wagemut, Genialität oder Spekulationsglück. Dies sind aber nicht die Gründe, weshalb für die Aufsicht die Beschäftigung mit den Erfolgsdaten – und diese wiederum eingeengt auf die Finanzdaten – so sehr im Vordergrund steht. „Der Beirat lebt überwiegend mit Zahlen“, sagt ein Unternehmer in der Erhebung von Klaus203. Einmal ist dies so, weil im Gewinn beziehungsweise der Eigenkapitalrentabilität vermeintlich oder tatsächlich das letztlich entscheidende Interesse der Gesellschafter liegt. Ein anderer Grund für die Fokussierung auf die Finanzzahlen könnte aber auch sein, dass es relativ einfach ist, diese zu überprüfen. Bei der outputbezogenen Überprüfung geht es nur um die Feststellung, welches Ergebnis insgesamt erzielt wurde und wie dies im Vergleich zu einem Soll oder zur Vergangenheit zu werten ist. Da sich immer irgendwo auch negative Abweichungen des Ergebnisses von der Planung ergeben, gibt es stets einen Bereich, in dem Aufsicht erforderlich ist. Die Messlatte für den Erfolg der Geschäftsführung kann jedoch nie allein die absolute Höhe des finanziellen Ertrags sein. Dieser muss zunächst nach einerseits nachhaltigen, wiederkehrenden, gewöhnlichen Ertragselementen und andererseits aperiodischen und außerordentlichen Ertragskomponenten aufgegliedert werden. Sodann muss insbesondere der normale Ertrag in Bezug zu einem Vergleichswert gesetzt werden. Als solche Bezugswerte kommen in Betracht: 202 203
So die „normative Agency-Theorie“, Gedenk, K. (1998). Klaus, H. (1991): S. 51.
220
7 Die Aufsicht
• die Kennwerte der Ertragshöhe oder der Ertragsveränderung bei anderen Firmen (DAX). • die Rentabilitätsnorm für ein ideales Unternehmen (zum Beispiel die Rendite von 120 % der „gewichteten, durchschnittlichen Kapitalkosten“). • die Erfolgskennzahlen eines maßgeblichen Wettbewerbers oder des Branchendurchschnitts. • die spezifische Planung des berichtenden Unternehmens. • die spezifischen Ist-Werte aus der Vergangenheit des berichtenden Unternehmens. Die Überprüfung der Ergebnislage des Unternehmens gehört in jedem Fall zu den grundsätzlichen Verantwortlichkeiten eines Aufsichtsgremiums. Aus der Kenntnis der Lage ergeben sich die Anforderungen für die vordringlichen Zielsetzungen und Handlungsfelder. Diskussionsbedürftig ist lediglich die annähernd ausschließliche Beschränkung der Aufsicht auf die Beurteilung der Finanzzahlen eines Unternehmens und dabei wiederum auf den Soll-Ist-Vergleich.204 Gerechtfertigt werden kann die Fokussierung auf den Erfolg, weil schließlich die Erfolgserzielung die integrale Aufgabe und Verantwortung der Geschäftsführung darstellt. Für Misserfolg gibt es keine Entschuldigung. Die Erklärung widriger Umstände entlastet die Geschäftsführung nicht – „es wäre ja noch schlimmer, wenn man keine Erklärung hätte“. Die Aufgabe der Geschäftsführung besteht gerade darin, Erfolg sicherzustellen, auch wenn widrige Umstände ihn erschweren. Die Möglichkeit, durch eine Erfolgsanalyse die Qualität der Geschäftsführung sachgerecht bewerten zu können, wird allerdings begrenzt durch die Tatsache, dass im Erfolg nur die Wirkungen vielfältiger Einflussgrößen gesehen werden können. Erfolg als Wirkung kann niemand beeinflussen. Nur die erfolgsverursachenden Größen sind beeinflussbar. Daher genügt die Beurteilung des Erfolgs als Aufsichtsmaßnahme nur dann, wenn der Zustand des Unternehmens ansonsten „ohne Befund“ oder zumindest „beschwerdefrei“ ist und die Kenntnis der Gründe für die Gesundheit zwar interessant, aber nicht notwendig ist. Anders ist es allerdings, wenn unzureichende oder negativ abweichende Erfolgsdaten festgestellt werden. Wenn dann an der Situation etwas zum Positiven verändern werden soll, muss an den 204
So die Feststellungen bei Dreyer, J.D. (1979): S. 229; Lutter, M. (1979): S. 75; Potthoff, E./Trescher, K. (2003): S. 95; Gollnick, J. (1997): S. 122; Becker, T. (1993): S. 38.
7.3 Die Aufsicht im Rahmen von Risikomanagement und Compliance
221
Ursachen angesetzt werden. Eine Therapie ohne zutreffende Diagnose wäre Quacksalberei. Völlig konträr zur praktischen Bedeutung der Überprüfung von Finanzzahlen durch Aufsichtsgremien ist die Palette der Interaktionsmöglichkeiten, die darauf aufbauen, sehr beschränkt. Der Beirat kann zunächst seine Meinung kundtun. Die juristischen Kommentare sprechen von „Stellungnahmen und Beanstandungen“, die der Aufsichtsrat vorbringen kann und die der Vorstand sorgfältig zu erwägen hat.205 In einem Überwachungsprozess ist eine gewisse Formalität für diesen Vorgang sowohl in der Rede wie auch in der Protokollierung angezeigt und typisch. Zur Ergebnisentwicklung kann man zumeist nur feststellen, dass sie befriedigend oder unbefriedigend ist oder gar – schon mit Bitterkeit in der Stimme – als völlig unzureichend zu qualifizieren ist. Sicherlich ist die Geschäftsführung in einem solchen Fall von sich aus bereits zu dem Schluss gekommen, dass die Ergebnisse nicht ausreichend sind. Dies macht die Wertung durch den Beirat aber keineswegs überflüssig. Die explizite Beurteilung durch den Beirat dient dazu, die Meinungsbildung zu verstärken, also ein „ungutes Gefühl“ zur soliden Einsicht zu führen, dass es „so nicht weitergehen kann“. Je nach Grad der Verwunderung oder Verärgerung über die Negativabweichung von früheren Planungen wird ja auch signalisiert, dass diese auf Dauer nicht geduldet wird.
7.3
Die Aufsicht im Rahmen von Risikomanagement und Compliance
Die risikoorientierte Aufsicht Ergänzend zu diesem generell gefassten Aufgabenbereich der Aufsicht wird heute die Aufsichtsfunktion im Rahmen des Risikomanagements sowie der Einhaltung von behördlichen Vorschriften und – darüber hinaus – von allgemein anerkannten Verhaltensnormen herausgestellt. Wenn der Eintritt eines Risikos als Schaden berichtet wird, ist es bereits zu spät. Häufig liegt dessen Verursachung eine lange Zeit zurück – vielleicht bei der vorhergehenden Geschäftsführung –, bevor die Fehlentwicklung zu Tage tritt. Für das Risikomanagement ist es entscheidend, möglichst früh zu erkennen, dass ein theoretisches, latentes Risiko beginnt, sich zu einem manifesten Risiko zu entwickeln. In dieser Phase ist es wichtig, dass 205
Lutter, M./Krieger, G. (1993): S. 40.
222
7 Die Aufsicht
die virulent werdenden Risiken der Geschäftsführung zur Kenntnis gebracht werden: Schadensabwehr und Schadensbegrenzung gelingen nur, wenn die richtigen Entscheidungsmaximen befolgt und ausreichende Ressourcen eingesetzt werden. Über diese Kompetenz verfügt die Geschäftsführung in höherem Maße als die nachgeordnete Organisationseinheit, in deren Aufgabenbereich das Risiko entstanden ist. Bei derjenigen Organisationseinheit, bei der der Ursprung des Risikos liegt, besteht tendenziell die Gefahr, die Risikoentwicklung zu verdrängen. Die Aufsicht der Geschäftsführung über das Risikomanagement dezentraler Stellen führt dazu, dass die Beurteilung des Risikos durch das Vier-Augen-Prinzip abgesichert wird. Der Beirat hat sich nun zu vergewissern, dass es überhaupt ein zweckmäßiges Verfahren der laufenden Risikoberichterstattung im Unternehmen gibt. Sodann gilt es zu bedenken, dass die Absicherung der Beobachtung durch das Vier-Augen-Prinzip auch zwischen Geschäftsführung und Beirat gilt. Es muss zur Routine der Berichterstattung an den Beirat gehören, dass Frühindikatoren für eine Risikoentwicklung in die Berichterstattung eingehen.206 Die Normensetzung in der Risikopolitik Die wichtigste Vorkehrung für das Risikomanagement scheint mir zu sein, dass der Beirat sich vergewissert, dass die Geschäftsführung eine angemessene Risikopolitik verfolgt. Dabei braucht er weniger auf die vollständige Litanei der Risiken zu achten, die jede geschäftliche Tätigkeit umgeben und die vielfach im einschlägigen Kapitel der Geschäftsberichte abgedruckt sind. Es geht vielmehr darum, Entscheidungsmaximen für die wenigen Risikobereiche zu erarbeiten, die existenzbedrohend oder auch nur beeinträchtigend für eine nachhaltige Entwicklung sein können. Für diese Risiken muss das Unternehmen über wohlüberlegte Handlungsmaximen verfügen, die allen Entscheidungsträgern im Unternehmen bekannt sind und deren Einhaltung überwacht wird. Zu diesen Handlungsmaximen gehören vermutlich zumindest folgende Normen: • keine unbegrenzten Risiken eingehen, sofern diese nicht versichert sind (z. B. keine Haftung für Folgeschäden übernehmen), • keine Risiken eingehen, die im „worst case“, dem schlimmsten anzunehmenden Schadensfall, mehr als einen verkraftbaren Anteil des Eigenkapitals vernichten (z. B. 20 %, maximal 30 %), 206
Vgl. oben Abschnitt 6.4.
7.3 Die Aufsicht im Rahmen von Risikomanagement und Compliance
223
• keine Haftung für Handlungen Dritter übernehmen, sich in keine vollständige Abhängigkeit vom Leistungsvermögen Dritter begeben (d. h. es muss immer noch eine alternative Lieferquelle zur Verfügung stehen), • keine Haftung für Fälle höherer Gewalt übernehmen, • keine Kumulation von operativen und finanziellen Risiken zulassen, • sich auf keine Spekulation über einen vertretbaren, vorher festgelegten „Spieleinsatz“ hinaus einlassen. • Die Begrenzung drohender Schäden hat Vorrang vor der Chancensuche, daher sollte auch die Reklamationsbewältigung vor der Neuakquisition von Geschäften stehen und die besten Kräfte sollten zur Schadensbegrenzung eingesetzt werden. Zu diesen Punkten werden nach den jeweiligen Branchenrisiken und Geschäftsmodellen unternehmensspezifische Normen hinzukommen. Ein Unternehmen in der Lebensmittelbranche wird mit absoluter Gewissenhaftigkeit die Hygienestandards beachten; ein Verkehrsunternehmen wird mit absoluter Gewissenhaftigkeit die Sicherheitsbestimmungen beachten usw. Die Compliance-Risiken Unter Compliance versteht man die Management-Maßnahmen, insbesondere die organisatorischen Regelungen, mit denen zumindest ein gesetzestreues Verhalten sichergestellt werden soll; im weiteren Sinne zielt der Begriff auf ein Verhalten, das sich allgemein anerkannte ethische Normen als Richtschnur nimmt wie zum Beispiel freiwillige Kodizes oder gesellschaftliche Wertvorstellungen. Die Brisanz von Compliance-Risiken wurde in der Vergangenheit oft völlig unterschätzt. Sieht man nur die rechtlichen Strafandrohungen, so mag man verführt sein, deren Schadenspotenzial durch die Komplexität eines gerichtlichen Verfahrens, an dessen Ende häufig Vergleichsregelungen stehen, zu unterschätzen. Die Risken, die von behördlichen oder strafrechtlichen Auflagen ausgehen, werden in den meisten Fällen durch die Risiken für die Reputation betroffener Unternehmen in den Märkten und in der Öffentlichkeit noch gesteigert. Die strafenden Reaktionen der Kunden auf Korruptionsvorgänge oder Kartellabsprachen können die von Ämtern oder Gerichten verhängten Strafen empfindlich verschärfen und noch längerfristig schädlich nachwirken. Umweltschädigungen können von Aktivistengruppen und von den Medien dergestalt angeprangert und kritisiert
224
7 Die Aufsicht
werden, dass auch ohne strafrechtliche Schuld die Reputation des kritisierten Unternehmens und seine Marktchancen nachhaltig beschädigt werden können. Vor einem Verstoß gegen die Compliance-Grundsätze ist auch ein mittelständisches Familienunternehmen nicht prinzipiell bewahrt. Einem Gesetzesverstoß liegt immer der Denkfehler zugrunde, dass man nicht den schlimmsten Fall als tatsächlich möglichen Fall annimmt und danach sein Handeln ausrichtet. Bei den heutigen Strafen für Kartellvergehen „rechnet“ sich ein Gesetzesverstoß auf keinen Fall. Ein solches Handeln ist einfach „dumm“. Das gleiche Urteil trifft auf Korruption zu. Alle Verstöße gegen Regelungen zum Schutz der Kunden können sich desaströs im Markt auswirken. Gerade dieser Bereich des Kundennutzens zeigt, dass es bei Compliance nicht nur auf die eindeutigen Grenzen nach Gesetzeslage ankommt, sondern dass neben dem Recht auch der Anstand zu beachten ist. Die Aufsichtsmaßnahmen im Rahmen des Risikomanagements Der Eintritt eines Schadens ist immer ein überraschendes Ereignis. Überraschungen lassen sich ex ante nicht verhindern und schon gar nicht durch ein Gremium wie den Beirat, der eine größere Distanz zum operativen Geschäft hat. Eine Geschäftsführung wird wohl kaum den Beirat explizit um Rat fragen, bevor sie einen krassen Fehler begeht. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Geschäftsführung in solch einem Fall einen „blinden Fleck“ hat, dass sie die Gefahr nicht sieht und auch nicht sehen möchte, dass sie sie nicht sieht. Daher wird das Entscheidungsdilemma gar nicht als Thema zur Diskussion gestellt und so kann der Beirat sich auch nicht eine Meinung dazu bilden und dementsprechend auf die Geschäftsführung einwirken. Der Entstehung von Schadensfällen ist in der Regel nicht mit Genehmigungsvorbehalten beizukommen. Soweit Schadensereignisse extern bedingt sind, gibt es keine Aktion der Geschäftsführung, für die sie eine Zustimmung einholen müsste. Es ist eher wahrscheinlich, dass sich anlässlich der Berichterstattung oder des Antrags zu einem scheinbar harmlosen Thema erst durch Nachfragen ergibt, dass das Unternehmen gerade dabei ist, ein großes Risiko einzugehen. Nur in einer solchen Situation kann es dem Beirat gelingen, durch sein größeres Erfahrungswissen der Geschäftsführung die Gefahr zu verdeutlichen, in die sie sich zu begeben droht. Man kann davon ausgehen, dass eine Geschäftsführung solchen Hinweisen auf Gefahren
7.3 Die Aufsicht im Rahmen von Risikomanagement und Compliance
225
sorgfältig nachgeht: Ihre Lage wäre ja höchst problematisch, wenn sie es nicht tun würde und der Schaden dann einträte. Der Beirat muss sich vergewissern, dass ein angemessenes Risiko-Informationssystem besteht. Es sollte theoretisch dazu dienen, die Risikofelder einzugrenzen und Maßnahmen anzuregen und zu „programmieren“, um Schadensrisiken zu begrenzen. Die Lektüre der gleichförmigen Risikoberichte in den Geschäfts- und Prüfungsberichten macht jedoch klar, dass diese Inventarisierung aller möglichen Risiken zu einer buchhalterischen Übung geworden ist. Von der Risikoberichterstattung führt noch lange kein Weg zu einer besseren und rechtzeitigen Erkenntnis der Risiken oder gar zum überlegenen Risikomanagement. Mir scheint diese Systematisierung aller möglichen Risiken eher davon abzulenken, leichte Verwerfungen im Gang der Ereignisse zu erkennen, auf die man rechtzeitig aufpassen muss. Die Information über „Ungewöhnliches“ könnte ein solcher Ansatz sein. Zu „Ungewöhnlichem“ gehört zum Beispiel Folgendes: • jedwede drohende rechtliche Auseinandersetzung mit einem Geschäftspartner, wobei es gleichgültig ist, ob das eigene Unternehmen Kläger oder Beklagter ist, • neuartige Probleme im Leistungsprozess, seien es Verzögerungen oder Qualitätsprobleme über ein festgelegtes normales Niveau hinaus, • erkennbare, aber auch latente Risikofälle mit einem maximalen Risiko von X % (zum Beispiel 5 %) des Eigenkapitals, • insbesondere der Verlust eines der Kunden aus der Kategorie der zehn größten Kunden, • insbesondere die Kündigung von Kreditverträgen oder die Nichtverlängerung von Kreditzusagen seitens der bisherigen Kreditgeber. Den Bericht über nur latente Risiken sollte der Beirat gelassen zur Kenntnis nehmen, um eine unbefangene, möglichst frühzeitige Information zu fordern. Nur dann eröffnet sich die Chance, noch rechtzeitig die Maßnahmen zur Schadensabwehr oder zumindest Schadensminderung zu beraten. Es kann eher sein, dass sich anlässlich der Berichterstattung oder des Antrags zu einem scheinbar harmlosen Thema erst durch Nachfragen ergibt, dass das Unternehmen dabei ist, ein großes Risiko einzugehen. Nur in einer solchen Situation kann es dem Beirat gelingen, durch sein größeres Erfahrungswissen der Geschäftsführung die Gefahr zu verdeutlichen. Man kann davon ausgehen, dass eine Geschäftsführung den Hinweisen auf Gefahren
226
7 Die Aufsicht
sorgfältig nachgeht: Ihre Lage wäre ja höchst problematisch, wenn sie das nicht täte und dann der Schaden eintritt. Über tatsächliche Schadensfälle einer bestimmten Größenordnung ist unter dieser Rubrik natürlich auch zu berichten. Zwar ist dann das Schadensereignis bereits eingetreten, doch kann es dann immer noch eine wichtige Management-Herausforderung sein, die Schadensfolgen zu begrenzen. In jedem Fall muss als Schlussfolgerung zu jeder Berichterstattung über eingetretene Schadensfälle die Betrachtung der „lessons learned“ stehen: • Welche Maßnahmen werden ergriffen, um das Frühwarnsystem für diese Art von Schadensereignissen zu verbessern? • Welche Maßnahmen werden zur Vermeidung oder gegebenenfalls zum Risikotransfer durch eine Versicherung des Schadensrisikos ergriffen? • Inwiefern muss die grundsätzliche Risikopolitik des Unternehmens angepasst werden? Nur dann, wenn der Beirat solche Informationen gelassen zur Kenntnis nimmt und sie nicht unter dem Gesichtspunkt der Aufsicht be- oder gar verurteilt, eröffnet sich die Chance zur Beratung, wie eine erforderliche Schadensabwehr oder zumindest Schadensminderung durchgeführt werden kann. Für die Orientierung, welche Risiken verantwortet werden können, bedarf es einer auf die spezifischen Gefährdungen des Unternehmens abgestellten Risikopolitik.207 Es geht nicht um die absolute Risikovermeidung, sondern um die Bestimmung der Grenzen für das Verantwortbare.
7.4
Der Prozess der Aufsicht
Die Bedeutung der Aufsicht Die Aufsichtsfunktion gewinnt in der Diskussion des Fehlverhaltens von Unternehmen eine zunehmende, ja problematisch große Bedeutung. Wenn es darum geht, die Lehren aus Fehlverhalten zu ziehen, versucht man das Auftreten eines Fehlverhaltens durch verbesserte Aufsichtsprozeduren zu begrenzen. Diese Blickrichtung lenkt meines Erachtens davon ab, die Ursachen für das Fehlverhalten zu erkunden und diese Ursachen zu beseitigen. Die Manipulationen der Aktienkurse des eigenen Unternehmens einschließlich falscher Bilanzierung sind doch dadurch verursacht, dass die 207
Vgl. oben Abschnit 7.3.
7.4 Der Prozess der Aufsicht
227
Steigerung der Aktienkurse bereits als die entscheidende Managementleistung angesehen wird und dass genau dieser Effekt mit so exzessiven Anreizen belohnt wird. Eigentlich sollte man sich nicht wundern, dass eine Unternehmensführung durch diese extremen Anreize korrumpiert wird und die Belohnung auf jede – auch unzulässige – Weise gewinnen will. Das Familienunternehmen ist vor diesen Problemen schon dadurch bewahrt, dass es keine überzogenen Anreize auslobt. Zudem gilt: In den engen und transparenten Beziehungen dieser Unternehmensform kann sich der „schlechte“ Mensch nicht halten. Es bleibt aber das Risiko, dass das Handeln der Geschäftsführung einfach ungeschickt, unerfahren oder sogar den logischen Denkgesetzen widersprechend – also „dumm“ – ist. Ob dieses Risiko besteht, müsste sich ziemlich früh in der Arbeit einer bestimmten Geschäftsführung herausstellen. In der Tat sind damit viele „Frühausfälle“ zu erklären, bei denen man sich schon innerhalb einer Jahresfrist von einem neu bestellten Geschäftsführer trennt. Das Ungenügen der Geschäftsführung kann sich aber auch erst nach Jahren recht erfolgreicher Arbeit herausstellen. Dies kann dann der Fall sein, wenn durch die Entwicklung der Märkte oder durch die Entwicklungsstrategie des Unternehmens neue Herausforderungen entstehen, mit denen die Kapazität der Geschäftsführung nicht mitgewachsen ist. Die Auswertung des Aufsichtsprozesses Der Beirat hat einen institutionellen Vorteil für den Prozess der Aufsicht, denn er beobachtet das Handeln des Managements. Der Handelnde selbst, der Geschäftsführer, sieht nicht seinen blinden Fleck. Der Beobachtende hat allein aufgrund seiner Stellung eine bessere Chance, das vom Geschäftsführer nicht Wahrgenommene zu sehen. Bei den Themen der Unternehmensführung geht es zumeist um die Erkennung von „Mustern“ in der ständig neuen Vielfalt von Einzelerscheinungen, Abhängigkeiten und spezifischen Markt- und Kundenkonstellationen. Hier kommt dann die persönliche Qualifikation der Beiratsmitglieder zum Tragen: Wer in seinem Berufsleben mehr gesehen hat, kann auch mehr „Muster“ erkennen. Doch dies gehört zum Kapitel über die Auswahl der Beiratsmitglieder.208 Man fragt sich, zu welchem „greifbaren“ Ergebnis der Prozess der Aufsicht führt. Das Paradox ist nun, dass der öffentliche Prozess des Vortrags der Unternehmensleitung einerseits und ihrer Beurteilung durch den Beirat andererseits, sei es des Inputs, des Outputs oder des Führungsprozesses, zu 208
Siehe Kapitel 14.
228
7 Die Aufsicht
einer nicht-öffentlichen, zumeist sehr formlosen Rückmeldung an die zu Beaufsichtigenden führt. Im Forum des Beirats kommt die Aufsicht in den oben skizzierten Reaktionen auf den Vortrag der Geschäftsführung zum Ausdruck, insbesondere in wertenden Äußerungen wie • Bestätigung und Anerkennung, • Erinnerung, • Beanstandung, • Ablehnung, Zurückweisung, • Einforderung von Veränderungen der Geschäftspolitik, • Festlegung neuer Genehmigungsvorbehalte des Beirats. Dies ist freilich nur der äußere und oberflächliche Vorgang der Aufsichtsauswertung. Der entscheidende Vorgang besteht darin, dass sich beim Beirat ein Gesamteindruck von den persönlichen Zielen, den Entscheidungskriterien und der Leistungsfähigkeit der Geschäftsführung herausbildet. Über diesen Gesamteindruck wird nur informell gesprochen: Die Beiräte tauschen sich bei Gesprächen „im kleinen Kreis“ darüber aus. Hierzu gehört, wenn er eingerichtet ist, natürlich der Personalausschuss. Wünschenswerterweise gibt der Beiratsvorsitzende dem jeweiligen Geschäftsführer eine Rückmeldung über erörternswerte Aspekte dieses Gesamtvorgangs. Das, was für erörternswert erachtet wird, sind eher die „einfachen“ Aspekte des Verhaltens oder Randziele, um deren stärkere Berücksichtigung oder Zurückdrängung gebeten werden kann. Insoweit sollten für einen Geschäftsführer die gleichen Regeln gelten wie für jeden Mitarbeiter. In einem modernen Unternehmen wird angestrebt, den Prozess der Aufsicht über die Mitarbeiter in einem strukturierten Beurteilungsgespräch mit dem betroffenen Mitarbeiter durchzuführen (Mitarbeitergespräch, Evaluierung der Zielerfüllung). Wie bei jedem Mitarbeitergespräch mit leistungswilligen, selbstkritischen Mitarbeitern zeigt sich auch bei Geschäftsführern, dass sie in der Regel dankbar sind für Hinweise darauf, was als kritisch auffällt. Die Paradoxie, ja man muss es schon eine pathologische Erscheinung nennen, liegt darin, dass den Vorgesetzten diese Kritik zu Einzelheiten oft schwer fällt und sie das Gespräch darüber scheuen. Diese Vorgesetzten haben aber keine Skrupel festzustellen, dass ein Mitarbeiter insgesamt ungeeignet für seine Aufgaben ist.209 209
Siehe Kapitel 10.
7.4 Der Prozess der Aufsicht
229
Wenn die Aufsicht dazu führt, dass die Eignung der Geschäftsführung in Frage gestellt wird, gibt es – auf dieser Ebene der Gesamtverantwortung – zumeist keine Reparaturmöglichkeit. Während man auf niedrigeren Ebenen durch das persönliche Gespräch, durch Coaching, vielleicht auch durch die förmliche Ermahnung eine Gesinnungsänderung bewirken mag, wird ein solcher Korrekturprozess bei einem gestandenen Geschäftsführer nicht mehr versucht. Hier führt das Urteil der Nicht-Eignung zur Trennung. Die Aufsicht als Hygienefunktion Der Aufsichtsprozess führt zu einem „digitalen“ Urteil: Ein einzelner Vorgang des Geschäftsführungshandelns ist billigenswert oder nicht. Oder aber: Das gesamte Handeln der Geschäftsführung ist anforderungsgerecht oder nicht. Durch das Urteil aus dem Aufsichtsprozess kann ein nicht billigenswerter Handlungsvorschlag verhindert oder eine bestehende ungünstige Handlungspraxis beendet werden. Eine schlechte Geschäftsführung wird beendet, aber durch den Aufsichtsprozess wird keine gute Geschäftsführung installiert. Die Aufsicht ist zwar notwendig, um Fehlfunktionen der Unternehmensführung zu verhindern, sie selbst bewirkt aber nicht das Gute. Nach meinen Erfahrungen ist daher auch die Beschäftigung der Aufsichtsgremien mit Aufsichtsprozessen in Familienunternehmen bei weitem nicht so ausgeprägt, wie dies heute in den Publikumsgesellschaften durch die Erwartungen der Öffentlichkeit und durch gesetzliche Regelungen erzwungen wird. Familiengesellschaften suchen durch die Beiratsarbeit einen Weg zur besseren Unternehmensführung.
8
Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
8.1
Die Grundlage für die Eingriffe in den Entscheidungsprozess
Die Aufsicht ist ein Prozess des Beobachtens und Auswertens. Sofern es nicht zum Extremfall der Beendigung des Vertragsverhältnisses kommt, wird die Geschäftsführung durch die Aufsicht in ihrer normalen Tätigkeit nicht behindert. Die nunmehr zu behandelnden Interaktionen greifen hingegen direkt in die Entscheidungen und die Führung der Geschäfte ein. Die Fallkonstellationen sind sehr unterschiedlich. • Zunächst haben wir den Fall der Genehmigungs- oder Zustimmungsvorbehalte des Beirats. • Sodann gibt es die Regel, dass Konflikte zwischen Mitgliedern der Geschäftsführung vom Beirat entschieden werden. • Schließlich können die Gesellschafter und/oder der Beirat210 Weisungen an die Geschäftsführung erteilen. • Die Erteilung von Weisungen des Beirats an die Unternehmensführung sollte ein Ausnahmefall sein. Wird dieses Instrument allerdings in Form einer ständigen Einmischung in die operative Geschäftsleitung angewendet, dann wird das häufig von Nachteil für das Unternehmen sein. Da bei diesen Aktivitäten persönliche Belange der handelnden Personen berührt werden, sollten sie sensibel gehandhabt werden. Sie betreffen immer mehrere Dimensionen: • den Sachinhalt der Entscheidung, • die Beziehung und den wechselseitigen Respekt zwischen den Beiratsmitgliedern und den Mitgliedern der Geschäftsführung, 210
Siehe Abschnitt 8.5.
232
8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
• das Selbstwertgefühl entweder der Beiratsmitglieder oder der Mitglieder der Geschäftsführung. Diese Aspekte müssen bereits in der Gestaltung der Unternehmensverfassung berücksichtigt werden und dann vor allem in der Handhabung der Instrumente.
8.2
Die Entscheidung von Konfliktfällen in der Geschäftsführung
Für die Verfassung einer Geschäftsführung ist es grundlegend, ob ein Präsidialprinzip oder ein Kollegialprinzip gewählt wird. Das Präsidialprinzip ist eine einfache, eindeutige Struktur. Gerade deshalb wird sie auch heute noch gewählt, obschon alle Führungskräfte (und somit auch Beiräte) ständig die Vorzüge der Teamstruktur propagieren. Im Präsidialprinzip entscheidet der Vorsitzende der Geschäftsführung. Wenn ein mehrheitlich beteiligter Gesellschafter den Vorsitz der Geschäftsführung innehat, dann agiert er meist präsidial. In einer Geschäftsführung ohne geschäftsführende Gesellschafter wird vom Beirat meist das Kollegialprinzip vorgegeben. Dies hat mehrere gute Gründe: • Es ist die modernere, wirkungsvolle und teamorientierte Verfassung. • Das Kollegialprinzip hat in sich „Checks and Balances“ und ist ein internes Grundkonzept effektiver Corporate Governance, insbesondere durch die unabhängige Stellung des CFOs. • Die Position des Kollegial-Geschäftsführers ist wesentlich attraktiver für Hochqualifizierte als die Position eines Mitgeschäftsführers unter einem Präsidenten. • Vor allem aber stärkt das Kollegialprinzip die Stellung des für alle Geschäftsführer gemeinsamen Vorgesetzten, des Beirats. Die Stärkung der Stellung des Beirats zeigt sich deutlicher an folgendem Sonderfall: Wenn ein Kollegium von Geschäftsführern zu keiner einheitlichen Willensbildung kommt, dann muss der Fall – wie üblich in der Organisation – der nächsthöheren Stelle vorgetragen werden. Allerdings ist dies ein extrem spektakulärer und daher seltener Vorgang. Sachlich ist der Beirat meist nicht besser in der Lage, die Entscheidung zu treffen, über die sich die Geschäftsführung nicht einigen konnte. Die Geschäftsführung weiß allemal mehr über die Einflussbedingungen bei dem zu entscheiden-
8.3 Der Genehmigungsvorbehalt
233
den Fall. Es muss sich also um einen Konflikt über die von den einzelnen Geschäftsführern als maßgeblich angesehenen Ziele handeln. Es ist in diesem Fall nur recht und billig, den Zielkonflikt der vorgesetzten Instanz, also dem Beirat, zur Entscheidung vorzulegen. Freilich lehrt uns die Erfahrung, dass hinter den sachlichen Zielen, um deren Prioritätsordnung es geht, in der Regel Machtansprüche der Protagonisten stehen. Diese Machtansprüche werden über das Vehikel der Berücksichtigung der eigenen Zielvorstellungen geltend gemacht. Auch dieser Machtkonflikt gehört vor den Beirat: Der Beirat legt aufgrund seiner Personalkompetenz die Aufgabenbereiche der Geschäftsführer fest. Tatsächlich wird es jedes Kollegium möglichst vermeiden, dass ein Konflikt dem Beirat vorgelegt wird. Es wäre das offene Eingeständnis, dass das Kollegium nicht mehr in der Lage ist, als Kollegium zu agieren. Nur in der Endphase eines offenen Machtkampfes wird das Kollegium sich an den Beirat wenden, damit der Machtkampf durch dessen Entscheidung beendet wird. Allerdings ist das Recht des Beirats zur Entscheidung von Konflikten auch latent wirksam – allein durch seine Existenz. Gibt es eine Konfliktsituation in der Geschäftsführung, werden sich die Beteiligten diskret beim Beiratsvorsitzenden erkunden, welche Position er im Falle des offiziellen Vortrags einnehmen würde. Fast immer werden sie diese Position als vorweggenommene Entscheidung akzeptieren und somit vermeiden, dass der Konflikt in einer Sitzung des Beirats verhandelt wird.
8.3
Der Genehmigungsvorbehalt
Die Genehmigungsvorbehalte als präventive Überwachung Die Genehmigungsvorbehalte sind historisch aus dem besonderen Schutzbedürfnis der nicht an der Geschäftsführung beteiligten Kommanditisten entstanden, das in der Widerspruchsbefugnis der geschäftsführenden Komplementäre gegen Maßnahmen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs verankert ist.211 Wann immer ein Beirat mit Aufsichtsfunktionen eingerichtet ist, wird die Geschäftsordnung der Geschäftsführung einen Genehmigungskatalog von Geschäften beinhalten, die die Geschäftsführung nicht mehr im Rahmen ihrer Geschäftsführungsbefugnis vornehmen kann, sondern für die sie der Zustimmung durch den Beirat bedarf. Für die Aktiengesellschaft ist gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG zwingend vorgesehen, dass bestimmte Arten von 211
Hennerkes, B.-H. (2002), S. 112.
234
8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
Geschäften, die durch Satzung oder Aufsichtsratsbeschluss212 zu bestimmen sind, nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden können. Diese durch das TransPuG verstärkte Norm ist der Ausdruck dafür, dass der Gesetzgeber die Überprüfung bestimmter Entscheidungsvorschläge der Unternehmensleitung durch den Aufsichtsrat für einen unentbehrlichen Teil der Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats hält. Die Setzung eines solchen Standards durch den Gesetzgeber wird man bei der Festlegung der Aufgaben eines Beirats ebenfalls in Betracht ziehen müssen. Es gibt keine praktischen Grenzen für die Festlegung von Genehmigungs- oder die Ausübung von Weisungsrechten. Zumindest im Innenverhältnis sind weitgehende Beschränkungen des Entscheidungsrahmens der Geschäftsführung möglich.213 Allenfalls abstrakt besteht eine Grenze im „Aushöhlungsverbot“ der Entscheidungsbefugnisse der GmbH-Geschäftsführung.214 Anders verhält es sich mit den Entscheidungsbefugnissen eines Aufsichtsrats. Die Regelung zum Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats und deren Interpretation begründet und beschränkt damit zugleich diese Kompetenz auf die gesetzlich geregelte Aufsichtspflicht des Aufsichtsrats.215 Mit Einführung der paritätischen Mitbestimmung 1976 wurden in den mitbestimmten Aufsichtsräten generell – in jedem Fall aber bei den Familienunternehmen – die Genehmigungsvorbehalte auf ein Minimum reduziert, um bei Entscheidungen zur Unternehmensentwicklung nicht von der Zustimmung der Arbeitnehmervertreter abhängig zu sein. Man kann sich ja leicht vorstellen, dass diese ihrer Zielsetzung der Beschäftigungssicherung in Deutschland dadurch Nachdruck verleihen, dass sie Expansionspläne des Unternehmens im Ausland ablehnen. Die neue Formulierung des § 111 Abs. 4 Satz AktG gibt aber auch dem mitbestimmten Aufsichtsrat das Recht, einen Katalog von Zustimmungsvorbehalten zu verlangen. Immer gilt allerdings für die Aktiengesellschaft, dass dem Vorstand die eigenverantwortliche und in eigener Zuständigkeit wahrgenommene Leitungsbefugnis durch § 76 Abs. 1 AktG garantiert ist. Dem besonderen Zustimmungsvorbehalt können nur solche Maßnahmen und Entscheidungen des Vorstands unterworfen werden, die nach Gegenstand, Umfang oder Risiko 212
213 214 215
So Lutter, M./Krieger, G. (2002): S. 41, dass auch der Aufsichtsrat beziehungsweise Beirat selbst festlegen kann, welches die Genehmigungsvorbehalte gegenüber der Geschäftsführung sein sollen. Thümmel, R.C. (1995): S. 2464 f. Baumbach/Hueck/Zöllner (2006): § 37, Rn. 9. Die Ausführungen zu den Zustimmungsvorbehalten des Aufsichtsrats stützen sich weitgehend auf die Monografie von Katja Schönberger (2006): hier S. 63.
8.3 Der Genehmigungsvorbehalt
235
über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen, mithin von besonderer Wichtigkeit und Bedeutung für die Gesellschaft sind und weiter hinreichend spezifiziert sind.216 Ein Genehmigungskatalog für einen Beirat kann grundsätzlich detaillierter und präziser ausgestaltet sein, als er für einen daneben eventuell noch bestehenden mitbestimmten Aufsichtsrat vorgesehen wird. Durch die mögliche Erweiterung des Zustimmungskatalogs für den Beirat kann die Mitwirkung des Beirats über die Geschäfte außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs hinausgehen und in die operative Geschäftsführung eingreifen. Dies ist für den Aufsichtsrat durch die Beschränkung auf den Überwachungszweck ausgeschlossen. Das Erfordernis der förmlichen Zustimmung des Beirats zu einem Geschäft ist eine gewichtige Bestimmung. Die Nichtbeachtung einer solchen Vorschrift der Geschäftsordnung ist ein Verstoß gegen die dienstlichen Obliegenheiten und eine Verletzung der Kompetenzen des Beirats. In der rechtlichen Konstellation einer Nicht-Aktiengesellschaft braucht man nicht den ohnehin nur theoretisch interessanten Fall der Organklage des Aufsichtsrats gegen den Vorstand in Betracht zu ziehen. Hier wäre einer der seltenen Fälle, in denen das Weisungsrecht der GmbH-Gesellschafter zum Tragen kommen könnte. Eine systematische Nichtbeachtung expliziter Beschlüsse des Beirats kann weder vor diesem noch von den Gesellschaftern toleriert werden und wird daher die Entlassung der Geschäftsführung zur Folge haben. Die Geschäftsführung kann sich nach § 43 GmbHG schadensersatzpflichtig machen.217 Der Katalog der Genehmigungsvorbehalte Die Genehmigungsvorbehalte haben verschiedene Funktionen: • Bewahrung der Rechte der Institutionen der Unternehmensverfassung. Es soll verhindert werden, dass die Geschäftsführung Beschlüsse vornimmt oder Verträge abschließt, zu denen sie nicht ermächtigt ist – wie zum Beispiel der Feststellung des Jahresabschlusses und Zusammenarbeitsverträge mit anderen Unternehmen. So wird sichergestellt, dass Entscheidungen, die die Grundlagen des Investments der Gesellschafter verändern, der Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung anheim gestellt sind und bleiben (Holzmüller- und Gelatine-Entscheidungen des BGH). 216 217
Vgl. Schönberger, K. (2006): S. 101 ff. und S. 187 ff. Vgl. Schönberger, K. (2006): S. 102.
236
8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
• Überprüfung und gegebenenfalls Verhinderung von Entscheidungen, die eine wesentliche Verschlechterung der Ertragsaussichten oder Erhöhung der Risikoexposition der Unternehmung bedeuten können. Hierher gehören die Akquisitionen, die großen Investitionen sowie die Aufnahme von Krediten. • Überprüfung und erforderlichenfalls Verhinderung von Entscheidungen, deren Wertgehalt für sich genommen zwar noch keine Auswirkung auf die Ertragsaussichten und die Risikoexposition hat, die aber nachfolgende Entscheidungsabläufe mit diesen Konsequenzen nach sich ziehen könnten. Hierzu gehören zum Beispiel die Stilllegung von Betriebsstätten, Vorlaufinvestitionen zum Eintritt in neue Geschäftsgebiete und Restrukturierungspläne. • Kontrolle von Vorgängen, in denen die Geschäftsführung nicht unbefangen ist – wie zum Beispiel bei Beratungsverträgen mit ehemaligen Geschäftsführern – oder bei denen sich potenziell private und geschäftliche Interessen vermischen können – wie zum Beispiel die Veranlassung von Spenden an Institutionen, mit denen sich die Geschäftsführung aus persönlichen Gründen verbunden fühlt. Bei Spenden ist auch zu bedenken, dass Spenden des Unternehmens als Handeln der Familiengesellschafter interpretiert werden können. Genehmigungsvorbehalte werden in verschiedene Kategorien eingeordnet. Anders ausgedrückt: Es gibt verschiedene Sachverhalte, die einen Genehmigungsvorbehalt „auslösen“. Üblich sind folgende „Auslösegründe“: • Themenbestimmtes Merkmal: Vorgänge einer bestimmten Art, wie zum Beispiel „Planung“ oder „Unternehmensverträge für einen Zusammenschluss“ oder „Grundstücksgeschäfte“. • Themen- und Schwellenwert-bestimmtes Merkmal: Durchführung von Investitionen von mehr als x Mio. EUR, Grundstücksgeschäfte über mehr als y Mio. EUR. • Risikobestimmtes Merkmal: Aufträge über einen von der Unternehmung bisher noch nicht vermarkteten Leistungsumfang, Aufträge ohne Deckung der Vollkosten. • Abweichungsbestimmtes Merkmal: Neuplanung oder Vorschau, die mehr als x % vom genehmigten Plan abweicht, Verschlechterung eines Auftrages um mehr als y %. Eine Abweichung vom Plan ist ex definitione unerwartet und der Eintritt unerwarteter Ereignisse kann natürlich nicht genehmigt werden. Hier handelt es sich mehr um die
8.3 Der Genehmigungsvorbehalt
237
Festlegung einer Berichtspflicht und die Einholung der Zustimmung zu den Korrektur- oder Folgemaßnahmen. • Vorgänge, die die persönliche Befindlichkeit der Geschäftsführer berühren, zum Beispiel: o Gesellschafter mit Personalverträgen (Einstellung usw.), o Spenden ab einer gewissen Größenordnung. Diese genehmigungsbedürftigen Geschäfte erfordern präzise Anträge, eine Handlung vornehmen zu können. Es gibt keine Anträge, etwas unterlassen zu können.218 Die Entscheidung des Beirats ist ebenfalls präzise: genehmigt wie beantragt, genehmigt mit Auflagen, abgelehnt. Die nachstehende Auflistung dürfte eine Übersicht über einen maximalen Katalog von Zustimmungsvorbehalten aus verschiedenen Quellen bieten.219 Tabelle 3. Der Katalog zustimmungspflichtiger Entscheidungen Entscheidungsbereich
Kommentar
1. Unternehmensstruktur Abschluss, Änderung und Aufhebung von Unternehmensverträgen oder strategisch bedeutsamen Kooperationsverträgen Grundsätzliche Änderung der Organisationsstruktur 2. Finanzielle Entwicklung Jahresplanung (Budget) und Investitionsplanung Änderung und Überschreitung der Jahresplanung Genehmigung eines Endergebnisses einer langfristigen Planung 218 219
Vgl. Schönberger, K. (2006): S. 102. Vgl. Semler, J. (1999): S. 785 f.; Steinmann, H./Gerum, E. (1980).
238
8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
Tabelle 3 (Fortsetzung) 3. Unternehmensentwicklung Gründung von Tochtergesellschaften und Niederlassungen Erwerb und Veräußerung von Unternehmen und Unternehmensteilen über x Mio. EUR Aufnahme neuer Produkte und Produktionen sowie deren Aufgabe
Nicht anwendbar auf die graduelle Entwicklung neuer Produkte durch interne Innovation. Diese ist in ihren finanziellen Wirkungen durch die Planung abgedeckt.
Erwerb und Veräußerung von Grundbesitz über x Mio. EUR
Spezielle Genehmigungserfordernisse für Grundstücksgeschäfte sind ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert; dieser Punkt sollte durch die normale Investitionsplanung abgedeckt sein.
Abschluss von Miet-, Pacht- oder ähnlichen Dauerschuldverhältnissen mit einer Laufzeit von über x Jahren
Besser: Limitierung der Nettoverschuldung, in dessen Rahmen die Kreditdispositionen Aufgabe der Geschäftsführung sind.
4. Verschuldung, Finanzrisiken Aufnahme von Krediten über x Mio. EUR hinaus – manchmal qualifiziert durch den Zusatz „soweit nicht im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft üblich“. Gewährung von Krediten über x Mio. EUR hinaus Gewährung von Sicherheiten, insbesondere Übernahme von Bürgschaften, soweit diese nicht im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb üblich sind. Spekulationsgeschäfte
8.3 Der Genehmigungsvorbehalt
239
Tabelle 3 (Fortsetzung) 5. Personalangelegenheit Bestellung von Vorständen und Geschäftsführern in wesentlichen Tochtergesellschaften oder Führungskräften mit Bezügen von mehr als x EUR
Wenn der Beirat diese Zuständigkeit wahrnehmen wollte, dann müsste er sich die Kandidaten auch ansehen, was schon wegen der Synchronisierung mit den Sitzungsterminen nicht funktioniert. Siehe auch unten den Kommentar zur Demediatisierung
Abberufung von Geschäftsführern und Prokuristen – eventuell auch von anderen Führungskräften
Für Abberufungen von Führungskräften gibt es Gründe, bei deren Vorliegen unverzüglich agiert werden muss. Die Informationspflicht sollte genügen.
Erteilung und Widerruf von Prokuren und Handlungsvollmachten
Relikt aus dem 19. Jahrhundert, ist in der AG eindeutig als Aufgabe der Geschäftsführung dem Vorstand zugeordnet. Dieser Vorbehalt kann sich lediglich auf die Einstellung und Abberufung von Führungskräften einer bestimmten Ebene erstrecken, die jedoch kaum mit den Beiratssitzungen synchronisiert werden kann. Hier ist allenfalls eine Informationspflicht sinnvoll.
Einführung von Optionsplänen für Mitarbeiter
Notwendig, um „Selbstbedienung“ zu verhindern. Besser: Genehmigung der Grundbezüge des Honorierungssystems für die oberen Führungskräfte
Abschluss, Änderung und Aufhebung von Verträgen mit Gesellschaftern und deren Angehörigen im Sinne von § 15 Abgabenordnung
Unmöglich für die Einzelvorgänge. Alle Genehmigungsvorbehalte müssen für den gesamten Konzern (Planung, Nettoverschuldung usw.) definiert sein und entsprechend großzügig in den Aufgriffschwellen festgelegt sein
6. Operative Geschäftsrisiken Aufträge einer bestimmten Größenordnung, mit einer bestimmten Laufzeit, ungewöhnlichen Zahlungsbedingungen oder schlechter Rendite
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8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
Tabelle 3 (Fortsetzung) Einleitung von Rechtsstreitigkeiten und Abwehr von Klagen jeweils mit einem Streitwert von mehr als x EUR 7. Geschäftliche Beziehungen zu Gesellschaftern Einstellung von Familienangehörigen Verträge mit Gesellschaftern und deren Angehörigen außerhalb des üblichen Geschäftsverkehrs Spenden und andere Aufwendungen auf Veranlassung einzelner Gesellschafter 8. Demediatisierungsvorkehrung Die Geschäftsführung ist verpflichtet, für die Einführung gleicher Zustimmungsvorbehalte in den wesentlichen Tochtergesellschaften zu sorgen, verbunden mit der Pflicht, ihre Zustimmung erst nach der Zustimmung des Aufsichtsgremiums der Obergesellschaft zu erteilen.
Die Bedeutung der Genehmigungsvorbehalte im Entscheidungsprozess Die Genehmigungsvorbehalte sind ein so allgemein übliches Instrument in der Unternehmensverfassung, dass sich keine Geschäftsführung gegenüber anderen Kollegen beeinträchtigt fühlt. Nicht nur diese Ubiquität der Genehmigungsvorbehalte macht es der Geschäftsführung leicht, damit zu leben, sondern auch die Tatsache, dass bei diesem Instrument die Initiative bei der Geschäftsführung liegt und auch im Prozess bei ihr verbleibt. Was getan werden soll, was beantragt wird, wird von der Geschäftsführung bestimmt. In ihrer Hand liegt es, die Anträge zu stellen und sie eventuell zu modifizieren. Ein sinnvoller Antrag wird ja auch selten glatt abgelehnt; es geht zumeist eher darum, dass bestimmte Vorbehalte oder
8.3 Der Genehmigungsvorbehalt
241
Anregungen des Beirats noch berücksichtigt werden sollen.220 Und selbst ein Zurückweisen ist bei internen Vorgängen unproblematisch, wenn nur die Geschäftsführung und ihre engsten Stäbe vom Antrag wussten. Dadurch wird die Geschäftsführung noch nicht desavouiert. Kritischer ist dies bei Geschäftsvorgängen mit externen Dritten. Es ist durchaus üblich, Verhandlungen unter „Gremiumsvorbehalt“ zu führen. Allerdings setzt jeder Verhandlungspartner voraus, dass das Gremium letztlich zustimmt. Die Nicht-Zustimmung würde von den Verhandlungs- und Geschäftspartnern sicherlich als Zeichen der „gestörten Beziehung“ zwischen Beirat und Geschäftsführung interpretiert – und sie ist es auch. Sieht der Beirat nicht die existenziellen Interessen des Unternehmens gefährdet, wird er einem praktisch abgeschlossenen Verhandlungskonzept unter Gremienvorbehalt auch seine Zustimmung erteilen. Er wird höchstens missbilligend darauf hinweisen, dass er nicht in dieser Weise präjudiziert werden möchte und daher wünscht, künftig früher über entsprechende Verhandlungen informiert zu werden. Insofern sind Genehmigungsvorbehalte allenfalls lästig und nicht richtig hinderlich für die Geschäftsführung. Für den Beirat haben sie den Vorzug, dass die Verantwortung für eine Initiative immer beim Antragsteller liegt. Wenn sich die vorgeschlagene Aktion später als ungerechtfertigt und falsch herausstellt, kann sich der Beirat immer damit exkulpieren, dass ihm von der Geschäftsleitung nicht das volle Bild vorgetragen wurde. Genehmigungsvorbehalte des Beirats sind auch ein Schutz gegen andere Wege der Einflussnahme seitens der Gesellschafter. In der räumlichen und menschlichen Nähe von mittelständischen Strukturen begegnet man immer wieder der direkten Einflussnahme eines Gesellschafters, insbesondere eines ehemaligen geschäftsführenden Gesellschafters, auf den jeweiligen CEO, sei es ein Nicht-Familien-Gesellschafter oder ein Nachfolger aus der Familie. Eine direkte persönliche Einflussnahme verbietet sich, wenn ein Genehmigungsvorbehalt des Beirats besteht. Dann muss das jeweilige Thema im Beirat behandelt werden und es wird damit objektiviert. Das gilt vor allem auch für geschäftliche Beziehungen mit Gesellschaftern oder Aufwendungen der Gesellschaft, die von einzelnen Gesellschaftern veranlasst und in deren Interesse sind. Genehmigungsvorbehalte können – so betrachtet – also durchaus auch im Interesse der Geschäftsführung sein.
220
Hierzu sehr richtig Brinkmann-Herz, D. (1972): S. 82.
242
8.4
8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
Die Kritik an Genehmigungsvorbehalten
Die vielfältigen Ansatzpunkte zur Kritik Die Zustimmungsvorbehalte sind eine Manifestation der Macht des Beirats und sie werden weithin – auch unterstützt durch die Kommentare zur Corporate Governance – als ein Kern der Überwachungsaufgabe dieses Gremiums angesehen. Ich bin jedoch überzeugt, dass die Bedeutung der Genehmigungsvorbehalte von den Designern von Satzungen und Geschäftsordnungen überschätzt wird. Im günstigen Fall bewirken sie nichts. Im eher wahrscheinlichen Fall vermitteln sie eine falsche Sicherheit, „die Dinge im Griff zu haben“, und verhindern so, dass in besseren Formen der Interaktion über wichtige Themen der Unternehmensführung gesprochen wird. Die Kritik an Zustimmungsvorbehalten – zumindest an zu detaillierten und in den Wertgrenzen zu eng gefassten – kann an verschiedenen Schwächen ansetzen, die unweigerlich zu Tage treten, wenn diese Rechte im Rahmen der Interaktion zwischen Beirat und Vorstand ausgeübt werden: • Die Intervention des Beirats setzt systematisch am falschen Ende des Entscheidungsprozesses an, nämlich viel zu spät. • Die Eingriffe des Beirats berühren operative und triviale Vorgänge und nicht strategische Fragestellungen. • Die Genehmigungsvorbehalte erstrecken sich nicht auf die gegenwärtigen Erfolgsfaktoren des Geschäfts und schon gar nicht auf den Aufbau der zukünftigen Erfolgsfaktoren. • Die Wertgrenzen sind meist zu niedrig angesetzt. Das Ansetzen am „falschen Ende“ des Entscheidungsprozesses Der grundsätzliche Makel eines Zustimmungsvorbehalts besteht darin, dass er eine Antwort auf eine konkrete, einwertige Frage zu geben hat. Erst wenn die Geschäftsführung nach langen Überlegungen eine bestimmte Planung erarbeitet hat, legt sie diese zur abschließenden Genehmigung dem Beirat vor. Durch ihren präzisen Entscheidungsvorschlag hat sich die Geschäftsführung bereits festgelegt. Es kann kaum einen sachlich begründeten Einwand gegen den Entscheidungsvorschlag geben, es sei denn, die Prämissen dieses Vorschlags oder die mit ihm verfolgten Ziele werden vom Beirat anders gesehen als von der Geschäftsführung. Die Ableitung des konkreten Entscheidungsvorschlags aus der Gesamtheit der Prämissen und Ziele ist reine Logik und Managementtechnik, für die die Geschäfts-
8.4 Die Kritik an Genehmigungsvorbehalten
243
führung ohnedies mehr Zeit investiert, als der Beirat zur Verfügung hat. Sie verfügt über eine fundierte Kenntnis der zu beachtenden praktischen Randbedingungen, die dem Beirat von außen nicht zugänglich ist. Dementsprechend wird der jeweilige Antrag von der Geschäftsführung wohlbegründet vorgetragen und in aller Regel vom Beirat nach einigen Rückfragen, die nur zeigen sollen, dass er seiner Überwachungsfunktion nachzukommen versucht, genehmigt. Die komplette Ablehnung eines wohlbegründeten Antrags seitens der Geschäftsführung wäre auf diesem Hintergrund jedenfalls eine Entscheidung, die ein Beirat nicht leicht treffen könnte. Sinnvoll und bisweilen notwendig ist freilich eine Diskussion über unsichere Annahmen und über Dilemmata in den zu verfolgenden Zielen, die es immer gibt. Das Problem ist allerdings, dass diese Diskussion spät, ja zu spät im Planungs- und Entscheidungsprozess geführt würde. Wenn es überhaupt zur Diskussion kommt, dann geht es eigentlich nie um die konkrete, anstehende Entscheidung, sondern um die ihr zugrunde liegenden Ursachen, Umwelttrends und Entscheidungskriterien. Problematisch ist zudem, dass eine Vielzahl von Genehmigungsanträgen zu stellen ist, denen sowieso zugestimmt wird, und dass nur gelegentlich ein Vorgang zu intensiveren Diskussionen führt. Die Frage liegt nahe, ob die Beiratsarbeit nicht beträchtlich effektiver gestaltet werden könnte, wenn sie von trivialen Genehmigungsanträgen befreit würde und sich auf die strategische Planung und deren Prämissen und Wertungen bei den Ziele-Dilemmata konzentrieren könnte, auf die außergewöhnlichen Geschäfte, bei denen sich die Diskussion wirklich lohnt. Die falschen Anknüpfungspunkte Durch die Zustimmungsvorbehalte wird demonstriert, • inwieweit der Beirat willens ist, Zuständigkeiten an die Geschäftsführung zu delegieren, • welches Vertrauen er in die Kompetenz und Loyalität der Geschäftsführung setzt, • was der Beirat für so wichtig hält, dass er sich selbst damit befassen möchte. Die Sorgfalt der Arbeit verlangt, dass sich der Beirat mit dem Inhalt der vorgelegten Anträge befasst und sie nicht nur abnickt. Mit dieser Demonstration gibt sicher mancher Beirat ein problematisches Bild von seinem eigenen Aufgabenverständnis ab, von seinem Verständnis des Geschäftskonzepts und seiner Erfolgsfaktoren und von einem sehr
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8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
begrenzten Führungskonzept der Delegation von Aufgabenbereichen. Viele Kataloge von Zustimmungsvorbehalten sind überwiegend substanzwertorientiert ausgestaltet und damit heutzutage kaum noch sachgerecht. In Zeiten, in denen materielle Vermögenswerte wie Maschinen, Gebäude oder Vorräte eine zunehmend untergeordnete Rolle spielen, umgekehrt aber Forschung und Entwicklung, Dienstleistungen, Wissensnetzwerke und Humankapital eine dominierende Stellung erlangt haben, wird die Eignerkontrolle mithilfe der Zustimmungskataloge zunehmend problematischer.221 Der Beirat konzentriert sich häufig auf die leicht beobachtbaren und diskutierbaren Vorgänge, die aber oft nicht den Kern des Geschäftserfolgs berühren. Wichtiger wäre die Beschäftigung mit absatzpolitischen Maßnahmen und mit einzelnen Geschäftsabschlüssen, die außerhalb des traditionellen Musters liegen; wichtiger wäre die Diskussion darüber, wie die Erfolgspotenziale für die Zukunft aufgebaut werden können. Die zu späten Anknüpfungspunkte Drei Punkte sollen begründen, warum der Genehmigungsvorbehalt „zu spät kommt“: • Es ist unwahrscheinlich, dass der Beirat gegen einen formalen Antrag der Geschäftsführung, der allein schon wegen seines Antragscharakters auf einer wohl abgewogenen Entscheidungsvorbereitung der Geschäftsführung beruht, überzeugende Gegenargumente vorbringen kann. • Das Unternehmen ist möglicherweise durch vorbereitende Gespräche bereits eine aufschiebend bedingte Verpflichtung eingegangen. Wird sie nicht eingelöst, wird nicht nur die Geschäftsführung, sondern auch das ganze Unternehmen beschädigt. • Lehnt der Beirat ohne durchschlagende Argumente einen wohlbegründeten Antrag der Geschäftsführung ab, dann muss diese vermuten, dass die Ablehnung durch fehlendes Vertrauen in die Urteilskraft der Geschäftsführung begründet ist. Ein solcher Zweifel an der Urteilskraft – wohlgemerkt für ein abschließendes Petitum – muss wiederum zur Vertrauensfrage seitens des zuständigen Geschäftsführers oder seitens des Vorsitzenden der Geschäftsführung führen.
221
Hennerkes, B.-H. (2002): S. 112.
8.4 Die Kritik an Genehmigungsvorbehalten
245
In einer frühen Untersuchung von tatsächlichen Abläufen, die zu Entscheidungen eines Aufsichtsrats – hier: eines mitbestimmten Aufsichtsrats – führen, kommt Dorothea Brinkmann-Herz zu meines Erachtens zutreffenden Ergebnissen: „Nach unseren Ergebnissen kommt … dem Billigungsvorbehalt wenig Bedeutung zu. Entscheidend mag hier die Erkenntnis sein, dass es sich bei den langfristig vorbereiteten komplexen Unternehmensentscheidungen um Vorgänge handelt, in denen die Informations-, Vergleichs- und Bewertungsentscheidungen einer Vielzahl von Personen derart ineinander verwoben und für den Außenstehenden nicht mehr nachvollziehbar sind, dass sie sich nicht mit den Mitteln des »letzten Beschlusses« steuern lassen. Daher wird der Billigungsvorbehalt keinesfalls in dem Sinne benutzt, dass hier eine echte Auslese zwischen den Vorstandsvorlagen stattfindet und vermutete Fehlentscheidungen vor ihrer Realisierung gestoppt werden. Eher wird noch das Recht des »letzten Beschlusses« vom Aufsichtsrat dazu benutzt, das ihm ebenfalls zustehende Beratungsrecht mit größerem Nachdruck ausüben zu können. Die größeren Möglichkeiten der Einflussnahme liegen für den Aufsichtsrat in der Beratung des Vorstands zu einem Zeitpunkt, da dieser selbst noch um eine eigene Meinungsbildung bemüht ist. In dieser Phase bereits mit seinen Kenntnissen, Wertungen und Meinungen präsent zu sein, kann als wichtigste Voraussetzung für einen Einfluss auf die Geschäftspolitik angesehen werden.“222 Die Schwellenwerte Genehmigungsvorbehalte können für die Unternehmensführung ausgesprochen hinderlich oder auch nur lästig sein oder sie legen lediglich die notwendigen Grenzen für verantwortbares Risikoverhalten fest. Die meisten Genehmigungsvorbehalte sind sinnvoll und geboten, wenn sie erst bei hohen Schwellenwerten relevant werden. Die üblichen Genehmigungskataloge haben jedoch zu niedrige Schwellenwerte für die Genehmigungspflicht. Hierfür gibt es vermutlich mehrere Gründe: Die Summen sind von Anfang an zu niedrig, weil sie von anwaltlichen Beratern vorgeschlagen oder von Gesellschaftern gewünscht wurden, die selbst keine Erfahrung in der Unternehmensführung haben. Daher halten sie beispielsweise eine Million Euro für einen großen Betrag. Sie kommen zu dieser Einschätzung, weil ihnen die Größenordnungen der normalen Geschäftsentscheidungen im Bereich des Absatzes, der Beschaffung und des Personalwesens nicht vertraut sind. Diese Entscheidungen unterliegen meist keinen Genehmi222
Brinkmann-Herz, D. (1972): S. 82.
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8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
gungsvorbehalten, doch ist ihre Hebelwirkung auf die Gewinnerzielung ungleich größer als die der für die genehmigungspflichtigen Geschäfte festgesetzten Schwellenwerte. Ein anderer Grund für zu niedrige Schwellenwerte liegt im Wachstum des Unternehmens über die Zeit. Am Anfang mochten die Werte angemessen gewesen sein, doch inzwischen ist das Unternehmen um ein Mehrfaches größer und die Wertansätze sind kleinlich. Alle absoluten Beträge von Schwellenwerten sind nicht sachlich vertretbar, da die Beträge in Relation zur Unternehmensgröße gesehen werden müssen. Die Werteschwellen sollten daher grundsätzlich in einer Relation zu einer Bezugsbasis der Unternehmensgröße gewählt werden. So können Werteschwellen für einzelne Investitionsobjekte, Akquisitionen oder Darlehens- oder Kredittransaktionen als Prozentsatz des Eigenkapitals bestimmt werden.223 Damit käme man auf einen angemessenen Orientierungsmaßstab für das Risiko einer Entscheidung. In der Praxis wurden Werteschwellen von einem Prozent bis hin zu einigen Prozenten vom Eigenkapital genannt. Bei einer Eigenkapitalrendite vor Steuer von im Schnitt über 15 %, wären dies also ca. 5 – 15 % vom Jahresergebnis vor Steuern. Die Irrelevanz der Zustimmungsvorbehalte in der praktischen Beiratsarbeit Im Rahmen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und Beirat wird ohnehin alles besprochen, was wichtig ist. Wenn der Beiratsvorsitzende zusätzlich – was durchaus üblich ist – die Niederschriften der Geschäftsführungssitzungen erhält, dann ist der Beirat ohnedies über alle Themen informiert, mit denen sich die Geschäftsführung befasst. Mit anderen Themen sollte sich der Beirat ja auch nicht beschäftigen. Die folgenden Ausführungen von Klaus224 vermitteln einen realistischen Eindruck von der geringen praktischen Bedeutung von Zustimmungsvorbehalten der Beiräte. Gänzlich belanglos wird ein Katalog solcher Vorbehalte bei einem Beirat, dem eine Geschäftsführung von Gesellschafter-Geschäftsführern gegenübersteht. „Die in den Statuten festgehaltenen Zustimmungsvorbehalte [Hervorhebung im Original] des Beirats bilden als solche im Regelfall gerade nicht die Richtschnur für die tatsächliche Zusammenar223
224
Potthoff, E./Trescher, K. (2001): S. 305, gibt eine Wertschwelle für Beteiligungen von 1 % des Grundkapitals an, doch wäre das ein sehr enger Rahmen; es müsste vermutlich eher 1 % des Eigenkapitals sein. Klaus, H. (1991): S. 48 f.
8.4 Die Kritik an Genehmigungsvorbehalten
247
beit von Unternehmensleitung und Beirat. Sie sind wie die anderen, nicht zustimmungspflichtigen Beiratsgeschäfte lediglich Diskussionsgegenstand bei den gemeinsamen Sitzungen beider Gremien.“225 „Verstärkt wird dieser Eindruck, wenn man einbezieht, wie im Falle eines Konfliktes zwischen Unternehmungsleitung und Beirat gehandelt wird bzw. gehandelt werden würde: Das in Rede stehende Entscheidungsproblem würde zunächst sachlich diskutiert, bis eine gemeinsame Lösung gefunden wäre. Für den Fall unüberbrückbarer Gegensätze ließe der Beirat dann aber die Unternehmensleitung gewähren, weil diese dem Problem näher stände als der Beirat und aufgrund ihrer Qualifikation eine tragfähige Lösung erarbeiten könnte.“226 Für zutreffend halte ich vor allem auch die Kritik von Hennerkes/Binz/ May: „Während nämlich zum einen viele der derzeit in den Zustimmungskatalogen anzutreffenden Geschäftsführungsmaßnahmen (etwa der Verkauf eines Grundstücks oder die Prokura-Erteilung) ihren früheren Stellenwert im Bereich der für das Unternehmen maßgeblichen unternehmerischen Entscheidungen verloren haben und daher gar nicht mehr in den Kreis der im Beirat zur Diskussion anstehenden Geschäfts gehören sollten, wird man andererseits die Mehrzahl der heute allgemein oder jedenfalls für das betreffende Unternehmen existenziellen Entscheidungen (z. B. den Wechsel der Marketingkonzeption, die Aufnahme einer Zweitmarke, die Änderung der Vertriebsstruktur, die Einführung von Incentive- und Profitcentersystemen …) in den einschlägigen Zustimmungskatalogen vergeblich suchen.“227 Um den heutigen geringen Stellenwert von Genehmigungsvorbehalten weiter zu verdeutlichen, sei ergänzt, dass auch bei den Aktiengesellschaften die Genehmigungsvorbehalte dem Vernehmen nach an Bedeutung verlieren.228 Die Konzentration der Zustimmungsvorbehalte durch eine Generalklausel Die bisher geschilderten Überlegungen zeigen folgendes Dilemma: Die üblichen Zustimmungskataloge erfordern unnötig viel Arbeitsaufwand für den Vortrag von genehmigungsbedürftigen Geschäften; diese Zeit für den Vortrag sollte für wichtigere Aussprachen im Beirat genutzt werden. Ande225 226 227 228
Klaus, H. (1991): S. 48 f. Klaus, H. (1991): S. 48 f. Hennerkes/Binz/May (1987): S. 470. Hoffmann, D. (1985): Rn. 300F. und Fn. 26.
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8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
rerseits erscheint ein Zustimmungskatalog nicht gänzlich entbehrlich, sei es wegen der gebotenen Überwachung der Geschäftsleitung, sei es, weil ein stärkeres Engagement des Beirats bei der Planung von Unternehmensaktivitäten für wünschenswert gehalten wird. Wie könnte dieses Dilemma gelöst werden? Es wäre denkbar, dass man die Schwellenwerte drastisch erhöht, so dass nur wirklich gewichtige Vorgänge übrig bleiben. Dazu gehörte dann auch, einen gewissen Automatismus in die Entwicklung der Wertgrenzen einzubauen, indem man sie in Relation zu Umsatz oder Bilanzsumme definiert. Am einfachsten erscheint mir aber die Festlegung einer Generalklausel: Alle für die Risikoexposition des Unternehmens (z. B. maximale Verlustwirkung 20 % des Eigenkapitals) und für die nachhaltige Ergebnisentwicklung gravierenden Geschäftsvorgänge (z. B. größer als 10 % des EBIT) sowie alle die Struktur des Unternehmens in organisatorischer, personeller oder vertraglicher Hinsicht grundsätzlich beeinflussenden Veränderungen sind dem Beirat zur Zustimmung vorzulegen. Bei einer von Gesetzesforderungen durchwirkten Beziehung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand mag so eine Generalklausel nicht zulässig sein.229 Bei einem Familienunternehmen müsste sie möglich sein – und kein Geschäftsführer sollte sagen, er wüsste nicht, wann ein Thema von diesen Kriterien erfasst würde, oder er wüsste nicht, was in Zweifelsfragen zu tun sei: Natürlich wäre im Zweifel die Zustimmung einzuholen. Die enumerativen Genehmigungskataloge sind ein atavistisches Instrument der Überwachung, sie erzeugen viel Blindleistung und wenig wirkliche Verbesserung der Unternehmensführung. Es lohnt sich darüber nachzudenken, wie die Qualität der Unternehmensführung tatsächlich gesteigert werden kann: durch Rat und Tat!
8.5
Das Weisungsrecht
Die rechtliche Grundlage Neben dem Recht, die Satzung der Unternehmung zu gestalten, bildet das Weisungsrecht im Bewusstsein von juristisch instruierten Gesellschaftern die stärkste Verankerung ihrer Souveränitätsbefugnisse. Während die Satzungsautonomie aber hin und wieder ausgeübt wird, da Satzungen von Zeit 229
So Schönberger, K. (2006): S. 186; Lutter, M./Krieger, G. (2002): S. 43; Sehr skeptisch auch Hennerkes/Binz/May (1987): S. 470.
8.5 Das Weisungsrecht
249
zu Zeit den sich wandelnden Verhältnissen angepasst werden müssen, lebt das Weisungsrecht in einer seltsamen Diskrepanz zwischen machtvollem Auftritt und praktischer Bedeutungslosigkeit. Der machtvolle Auftritt ergibt sich daraus, dass die Gesellschafterversammlung in jeder beliebigen Angelegenheit eine Weisung an die Geschäftsführung erteilen kann – immer unterstellt, dass es sich um eine Angelegenheit der Gesellschaft handelt und dass die Durchführung der Weisung in der Macht der Gesellschafter steht. Das Weisungsrecht der Gesellschafter schränkt offensichtlich die Rechte eines Aufsichtsrats und damit die Mitbestimmung im Aufsichtsrat ein. Die Gesellschafter können die Geschäftsführung anweisen, Geschäfte vorzunehmen, auch dann, wenn der Aufsichtsrat ihnen nicht zustimmt. Das Weisungsrecht ist nach wohl herrschender Meinung unbeschränkt: „Einschränkungen des Weisungsrechts lassen sich aber weder dem Gesetz entnehmen noch aus allgemeinen Grundsätzen des Kapitalgesellschaftsrechts folgern. Vielmehr stößt die letztgenannte Ansicht auf Wertungswidersprüche, wenn die Stellung der Gesellschafterversammlung als oberstes Organ anerkannt wird. Wieso sollte der Gesellschafterversammlung dann die Möglichkeit abgesprochen werden, das unternehmerische Entscheidungszentrum zu sein? Die im GmbH-Gesetz angelegte Hierarchie weist den Geschäftsführern nur eine untergeordnete Stellung zu. Dies steht zwar im Gegensatz zu dem nach § 76 AktG eigenverantwortlich handelnden Vorstand der Aktiengesellschaft, jedoch liegt dieser rechtsformspezifische Unterschied darin begründet, dass eine Aktiengesellschaft für die Beteiligung breiter Publikumskreise zur Verfügung stehen soll, während eine GmbH in der Regel nur für einen kleinen geschlossenen Gesellschafterkreis vorgesehen ist. Dieser auf eine personalistische Gesellschaft gerichtete Zuschnitt des GmbH-Gesetzes soll die unternehmerische Tätigkeit der Anteilseigner nicht durch unabhängige Geschäftsführer einschränken. Mit dieser Grundkonzeption des GmbH-Gesetzes ist aber nicht vereinbar, wenn den Geschäftsführern weisungsfreie Bereiche zugestanden werden.“230 Nun ist unsere typische Mehrgenerationen-Familiengesellschaft aber nicht ein kleiner, geschlossener Gesellschafterkreis von drei bis fünf Personen, sondern eine größere Personengruppe, die zwei bis drei Generationen umfasst. Diese Personengruppe ist aus verschiedenen Gründen kaum in der Lage, ein Weisungsrecht sinnvoll und verantwortlich wahrzunehmen. Die Ausübung einer Weisung verlangt gemäß den allgemeinen Normen für die Verantwortlichkeit des Handelns eine angemessene Information über 230
Rohleder, M. (1991): S. 33.
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8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
das zu entscheidende Problem, Kompetenz zur Problemlösung und Absehbarkeit der Folgen des eigenen Handelns. All diesen Anforderungen genügt – außerhalb der Geschäftsführung – allenfalls noch der Beirat, nicht aber mehr die Gesellschafterversammlung. Sie ist nicht direkt in den Strom der Informationen über das Geschäft einbezogen und könnte diesen schwerlich angemessen verarbeiten. Außerdem dürften die Mehrheitserfordernisse für Gesellschafterbeschlüsse verhindern, dass nötige Entscheidungen rechtzeitig zustande kommen. Es ist nur ein einziger Entscheidungsbereich denkbar, in dem das Interesse der Gesellschafterversammlung groß und eine Konfliktkonstellation gegenüber der Geschäftsleitung vorstellbar ist: die Frage der Ausschüttung. Hier hat jedoch die Gesellschafterversammlung ohnedies Vorrechte. Die Übertragung des Weisungsrechts auf den Beirat Regelmäßig wird das Weisungsrecht richtigerweise dem Beirat übertragen: „Den Beiräten können somit alle Geschäftsführungsaufgaben, die nicht zu dem oben genannten zwingenden Aufgabenkreis der Geschäftsführer gehören, übertragen werden. Damit ist aber noch nicht entschieden, ob die Beiräte diese Aufgaben dann auch eigenständig durchführen dürfen. Ein Teil des Schrifttums verneint dies … Ebenso ist nicht ersichtlich, warum Beiräte einerseits die Geschäftsführer verbindlich anweisen können, aber andererseits die gleiche Maßnahme nicht selbst vornehmen dürfen. Vielmehr spricht der Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit dafür, den Beiräten auch ein Selbstvornahmerecht einzuräumen, da so ein umständliches Einschalten der Geschäftsführer vermieden werden kann.“231 Die Übertragung des Weisungsrechts ist bei der GmbH durch Satzungsregelung auch abschließend so möglich, dass kein konkurrierendes Weisungsrecht bei der Gesellschafterversammlung bestehen bleibt. Anders ist dies bei der Personengesellschaft mit persönlich haftenden Gesellschaftern zu sehen. Hier kann der mit Nicht-Gesellschaftern besetzte Beirat zwar ein Weisungsrecht erhalten, die letztgültige Entscheidungskompetenz muss jedoch bei der Gesellschafterversammlung bleiben.232 Wenn nun dieses Machtinstrument auf den Beirat als kompetente Instanz übertragen wird, möchte der Souverän Gesellschafter – oder seine Berater – damit wohl zum Ausdruck bringen, dass man dieses Recht wahren möchte. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass mit aller Wahrschein231 232
Rohleder, M. (1991): S. 34. Vgl. hierzu Wälzholz, E. (2005): S. 397 f. mit weiteren Nachweisen.
8.5 Das Weisungsrecht
251
lichkeit der praktische Fall nicht eintreten wird, dass der Beirat sich auf dieses Recht berufen muss, kann es doch bereits eine starke Wirkung haben, dass er sich darauf berufen könnte, wenn es erforderlich wäre. Die Zuständigkeit für die Erteilung von Weisungen allein entfaltet faktischen Einfluss, indem sie dem Beirat die Aura eines „machtvollen“ Gremiums verleiht. Durch das Weisungsrecht kann der Beirat die Geschäftsführungsbefugnis in Einzelfällen, aber auch für Fallkategorien und damit sehr weitgehend an sich ziehen. Der Beirat kann daher ein „Two-Tier-System“ der Unternehmensaufsicht in ein „One-Tier-System“ transformieren. Verbunden mit einer starken Repräsentanz der Gesellschafter im Beirat könnte dies durchaus die Verfassung der Familienunternehmung prägen. Bevor der Weg gegangen wird, das Weisungsrecht auf den Beirat zu übertragen, sollte allerdings die Stellung des Weisungsrechts im Rahmen einer Ordnung der Unternehmensführung und ihrer Überwachung und Steuerung eingehender vergegenwärtigt werden. Dabei gehen wir – wie durchgängig in dieser Schrift – von einer Geschäftsführung durch NichtFamilienmitglieder aus. (Die Ausübung eines Weisungsrechts des Beirats gegenüber Gesellschafter-Geschäftsführern erhöht nur die Dramatik einer Verfassungskrise, die die Ausübung des Weisungsrechts immer bedeutet.) Betrachten wir folgenden Fall: Die Geschäftsführung ergreift eine Initiative im unternehmerischen Handeln. Die grundsätzliche Bedeutung des Vorgangs oder das Bestehen eines Einzelgenehmigungsvorbehalts veranlassen die Geschäftsführung, diese Initiative dem Beirat vorzulegen, der dann durch Zustimmung, Ablehnung oder Modifikation des Antrags seinen Willen umfassend und im Rahmen der Ordnung der Willensbildung zum Ausdruck bringen kann. Die Geschäftsführung ist kraft Geschäftsordnung und Vertrag daran gebunden. In dieser Weise sind alle wichtigen Geschäftsthemen dem Genehmigungsvorbehalt des Beirats unterstellt. Es verbleiben geschäftlich eher belanglose Angelegenheiten, die dem Beirat oder den Gesellschaftern dennoch so wichtig sind, dass sie diese durch Weisungen absichern möchten. Die Bewahrung von Denkmälern aus der Firmengeschichte vor Umbaumaßnahmen, Fragen des persönlichen Geschmacks bei Bauten und Einrichtungen und Ähnliches sind denkbar. Auch die Einstellung von Personen aus dem Kreis der Verwandten und Freunde, auf die sonst niemand kommen würde, ist ein solcher praktischer Fall. Aber auch diese – wenn auch nicht sehr werterheblichen – Vorgänge schaffen Unordnung. Statt ein Ordnungsfaktor zugunsten des Gesellschaftereinflusses zu sein, ist das Weisungsrecht ein Element, das Ordnungsstrukturen aufhebt. Nun ist aber auch in geschäftlich relevanten Vorgängen der Fall denkbar, dass eine Initiative gar nicht von der Geschäftsführung ausgeht, sondern
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8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
dass der Beirat selbst die Initiative ergreift. Ein Gremium, das nur gelegentlich zu einzelnen Sitzungen zusammenkommt, kann aber nicht – wie ein Team in einem Workshop – spontan ein Handlungskonzept entwickeln, das dann der Geschäftsführung als Weisung erteilt wird. Es wird immer nur ein einzelner Promotor sein, der ein solches Konzept entwickeln könnte. Diese Promotorenrolle dürfte im Normalfall dem Beiratsvorsitzenden zukommen. In der üblichen Reihenfolge der Geschehnisse wird er diese Initiative der Geschäftsführung mitteilen und zum Ausdruck bringen, dass er dieses Thema gerne verfolgt und umgesetzt wissen möchte. Dies wird die Geschäftsführung auch tun, wenn sie die Initiative für gut hält oder ihr zumindest nicht ablehnend gegenübersteht. Erscheint ihr das Vorhaben aber nicht sinnvoll, wird sie einfach nicht reagieren, die Verwirklichung des Vorhabens hinauszögern oder es notfalls explizit ablehnen. Wenn nun der Promotor – also der Beiratsvorsitzende – seine Vorstellung dennoch durchsetzen möchte, kann er den Beirat davon überzeugen und ihn veranlassen, von seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen. Damit gibt es einen Konflikt zwischen Beirat und Geschäftsführung und die Lage beginnt kompliziert zu werden. Zunächst wird die Geschäftsführung zu Protokoll nehmen, dass diese Weisung ohne Antrag der Geschäftsführung erfolgt ist und somit die Verantwortung für die Konsequenzen ihrer Umsetzung außerhalb ihrer Verantwortung liegt. Nun würde sich jeder Beirat wohl hüten, in geschäftlichen Dingen eine Weisung zu erteilen, für die er die Verantwortung trägt und von der er weiß, dass sie von der Geschäftsführung nicht gebilligt wird. Das Risiko, dass eine solche Initiative nicht sachgerecht umgesetzt wird, ist aus offensichtlichen Gründen beträchtlich. Der Beirat – das heißt praktisch sein Vorsitzender – müsste also auch die Umsetzung beaufsichtigen. Das Problematische an diesem ganzen Konstrukt ist die Möglichkeit, dass ein Beirat und insbesondere sein Vorsitzender versucht sein könnten, bereits aufgrund ihrer durch das Weisungsrecht begründeten, im Allgemeinen allerdings nur latent vorhandenen Macht, ihre jeweiligen Vorstellungen zur Unternehmensführung durchzusetzen. Im Amerikanischen wird ein solches Verhalten „Back Seat Driving“ genannt: Der Beiratsvorsitzende sitzt zwar nicht auf dem Fahrersitz, gibt aber die Richtung an. Damit wird eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, ohne die Verantwortung für die Fahrt zu tragen. Dies erzeugt fundamentale Unordnung. Ganz unübersichtlich wird die Lage dann, wenn die Ausübung des Beiratsweisungsrechts durch das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung wiederum konterkariert wird. Damit würde die „Verfassungskrise“, die durch die Ausübung eines Weisungsrechts sowieso entsteht, zum reinen Tollhaus.
8.5 Das Weisungsrecht
253
Da das Weisungsrecht als Recht der Gesellschafter besteht und nicht einfach abbedungen werden kann, sollte es wenigstens auf den Bereich eines nur theoretisch möglichen Einsatzes beschränkt bleiben. Hierzu lässt man es am besten bei der Gesellschafterversammlung. Damit ist die Gefahr abgewehrt, dass der Beirat beziehungsweise der Beiratsvorsitzende dieses Recht als latente Einflussbasis nutzt. Wenn dem Beirat dennoch dieses Recht gegeben werden soll, etwa weil ihm alle gesetzlich übertragbaren Rechte der Gesellschafter anvertraut werden sollen, so sollte wenigstens die Ausübung des Weisungsrechts dem Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung unterworfen werden. Der Rücktritt des Geschäftsführers bei Ausübung des Weisungsrechts Wenn ein Beirat das Weisungsrecht ausübt, wird dies in aller Regel den jeweiligen Geschäftsführer veranlassen zurückzutreten. Ein Anwalt, in dessen Gestaltungsberatung die Sicherung des Weisungsrechts der Gesellschafter eine zentrale Rolle spielte, zeigte sich einmal erstaunt, dass dies aus der Sicht eines professionellen Managers die unausweichliche Konsequenz ist. Das Erstaunen weist auf eine grundsätzlich unterschiedliche Befindlichkeit von Beratern und Managern. Ein Anwalt arbeitet für ein Honorar in der Sache seiner Mandanten. Ob das Anliegen seines jeweiligen Auftraggebers aus der Sicht höherer Interessen billigenswert ist, muss ihn nicht berühren. Auch ein wenig aussichtsreiches Anliegen hat Anspruch darauf, vertreten zu werden. Wenn der Anwalt in der Sache seines Mandanten unterliegt, wird dies den Anwalt nicht zu Selbstzweifeln treiben oder veranlassen, das Betreuungsverhältnis mit dem Mandanten zu beenden. Der Manager arbeitet natürlich auch für Bezahlung, zumeist für gute. Sein Selbstwertgefühl beruht aber darauf, dass er für sein Ziel, seine Strategie arbeitet – und nicht für ein Honorar vorgegebene Anliegen vertritt. Für ihre Strategie tritt die Geschäftsführung werbend und mit gewichtigen Argumenten ein. Wenn der Beirat nicht überzeugt wird, wird er mit der Geschäftsführung eine andere Strategie beratend erörtern. Wird hierbei wiederum die Geschäftsführung nicht von den Argumenten des Beirats überzeugt, liegt ein manifester Konflikt zwischen Beirat und Geschäftsführung vor. Wenn nun der Beirat durch eine Weisung die Geschäftsführung zu veranlassen sucht, etwas zu tun, was sie selbst nicht als Ergebnis einer gemeinsamen Beratung akzeptieren würde, dann würde die Geschäftsführung – sollte sie sich der Anordnung fügen – gezwungen, gegen ihre Überzeu-
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8 Die direktiven Eingriffe in den Entscheidungsprozess
gungen zu handeln. Dies ist einem Geschäftsführer ebenso wie einem Künstler nicht möglich. Er muss zurücktreten. Ihm als „Überzeugungstäter“ ist wiederum unverständlich, dass die das Weisungsrecht propagierenden Anwälte seine Handlungsweise nicht verstehen. Es ist naiv anzunehmen, ein Geschäftsführer könne eine „Weisung“ gegen seine Überzeugung empfangen und dann noch weiterarbeiten. Von Gesellschaftern, die selbst keine Erfahrung in dem Beruf als Führungskraft haben, wird ein solches Urteilsvermögen nicht verlangt. Ihre Verantwortung liegt in der Auswahl der Berater von angemessener Kompetenz.
9
Die Strategiethemen im Beirat
9.1
Die Strategie als Gegenstand der Beratung
Die Strategie als wesentliches Thema Die Gesellschafter als Initiatoren des Beirats wollen, davon bin ich überzeugt, dass der Beirat einen Wertschöpfungsbeitrag zur Unternehmensführung leistet. Der wichtigste Beitrag zur Unternehmensführung kann bei den Themen geleistet werden, die die Geschäftsführung als Fragen der Strategie des Unternehmens betrachtet. Damit kann ich mir fast die Frage nach dem Wesen der Strategie ersparen: Strategie ist das, was die Geschäftsführung und/oder der Beirat und/oder die Gesellschafter als eine strategische Fragestellung betrachten. Strategie ist sowohl abhängig von der geschäftlichen Situation des Unternehmens als auch vom gesamtwirtschaftlichen Umfeld. Sie ist jedoch auch abhängig von dem Bewusstsein, welche Themen „strategische Relevanz“ haben. Das ist zunächst einsichtig, denn was bei einem Großkonzern eine „kleinere Übung“ ist, die eventuell auch die Geschäftsführung einer Tochtergesellschaft allein entscheiden kann, ist bei einem mittelständischen Unternehmen möglicherweise ein Thema, das nicht nur die Geschäftsführung intensiv beschäftigt, sondern zu dem hoffentlich auch der Beirat beiträgt, ja das sogar die Gesellschafter berührt. Eines der Probleme in der Behandlung von strategischen Themen liegt darin, dass unterschiedliche Instanzen Unterschiedliches darunter verstehen können. Die Geschäftsführung hält eine Angelegenheit für eine „mehr oder minder“ operative Frage, während der Gesellschafter im Beirat sie für „strategisch“ hält, weil ihn ein Nachbar oder ein Branchenkollege darauf angesprochen hat. Auch wenn bei dieser Interpretation des Strategiebegriffs eine gewisse subjektive Beliebigkeit in der Inhaltsabgrenzung hingenommen wird, lohnt es sich doch, für unseren Zweck einige objektive Merkmale von strategischen Themen aufzulisten: • Strategie betrifft die Unternehmensentwicklung auf längere Sicht. • Strategie zielt auf den Aufbau von Erfolgspotenzialen.
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9 Die Strategiethemen im Beirat
• Strategie verlangt immer einen Einsatz von Managementkapazität sowie den Aufwand oder die Investition von Geld heute oder in naher Zukunft, um in fernerer Zukunft höhere Erträge daraus zu erzielen. Das ist das erste Dilemma. • Die Nutzenerwartung beruht auf Prognosen, die per definitionem unsicher sind. Das ist das zweite Dilemma. • Die in der Zukunft angestrebten Erfolgspotenziale und Nutzenkategorien sind zumeist nicht nebenwirkungsfrei. Jede Konzentration auf ein bestimmtes Element zieht die Vernachlässigung von anderen Elementen nach sich. Es gilt also immer bei solchen unvermeidlichen Dilemma-Konstellationen, eine Entscheidung zu treffen, Paradoxa aufzulösen oder Trade-off-Fragen zu entscheiden, um den so plastischen und gebräuchlichen angloamerikanischen Ausdruck zu verwenden. Wenn eine geplante Strategie keine Dilemmata enthält, kann die vorgeschlagene Lösung ohnehin verfolgt werden, dann ist keine Entscheidung nötig. Dann gibt es kein strategisches Dilemma. Man könnte in dieser Weise fortfahren, um nur immer wieder aus einem anderen Blickwinkel festzustellen: Strategische Themen sind wichtig für das Unternehmen, aber sie sind unklar, komplex und verlangen die Lösung von Dilemmata. Dies festzuhalten genügt für unsere Themenstellung. Bevor wir uns im folgenden Kapitel der Frage zuwenden, wie eine Interaktion zwischen Beirat und Geschäftsführung bei Themen der Strategie möglich ist, halte ich es für wichtig, die typischen strategischen Problemstellungen zu vergegenwärtigen, die den Beirat in einem mittelständischen Familienunternehmen beschäftigen. Eine Strategie ist nicht immer ein Plan mit Analyse, Aktionen und Umsetzung in die finanzielle Dimension. Bei mittelständischen Unternehmen wird Strategie sogar in den seltensten Fällen durch ein Planungsdokument in diesem Sinne verkörpert. Eine Strategie kann sich hier vorzugsweise in Aussagen zu beispielsweise folgenden Fragestellungen ausdrücken: • Was ist unsere Existenzbegründung, unsere Mission, unsere raison d’être? • Was wollen wir für unsere Kunden sein? • Was sind unsere Wertvorstellungen? • Welcher Art von Geschäften würden wir auf keinen Fall nachgehen? Um die letzte Frage aufzugreifen: Die positiven Formulierungen der Unternehmensziele sind zumeist nicht in Frage zu stellen. Es ist in jedem Fall
9.1 Die Strategie als Gegenstand der Beratung
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gut, sich um ihre Verwirklichung zu bemühen. Das Entscheidende ist, was man nicht tun möchte, und bei dieser Aussage ist wiederum entscheidend, mit welcher Konsequenz diese Maxime durchgehalten wird. Strategie kann somit verschiedene Dimensionen von Denkkonstrukten bedeuten: • Überzeugungen wie Werte, Mission Statement u. ä., • Makrostrategie als Gesamtplan, • Mikrostrategie wie das Budget des nächsten Jahres oder einzelner Maßnahmen, zum Beispiel einer Investition. Die Zustimmungsvorbehalte als ungeeignetes Instrument Um den wichtigen Bereich der Strategie in die Arbeit des Beirats einzubinden, könnte daran gedacht werden, das Instrument der Zustimmungsvorbehalte einzusetzen. Ich möchte versuchen darzulegen, dass dies ein vergebliches Unterfangen ist. Überzeugungen können reflektiert, bestätigt oder auch relativiert werden, sicher müssen sie zudem im Zeitablauf weiterentwickelt werden. Sie können aber nicht „genehmigt“ werden. Aus Überzeugungen ergibt sich nicht, welche konkreten Maßnahmen sie in der Zukunft zur Folge haben werden. Zudem sind die Grundlagen der Strategie vielfach noch multidimensional, sogar multipolar (einerseits/andererseits) und es kommt im konkreten Maßnahmenbereich darauf an, wie die unterschiedlichen Aspekte dieser prinzipiellen Überlegungen kombiniert werden. Auch zur Makrostrategie gibt es oft noch keinen ausgearbeiteten Gesamtplan. Gibt es ihn gleichwohl, könnte er einem Zustimmungsakt unterworfen werden. Dies wäre aber sehr unklug. Denn damit würde der Plan in viel zu hoher Präzision „festgeschrieben“. Es sollte aber besser nicht versucht werden, einen solchen Gesamtplan „1:1“ umzusetzen; vielmehr sollte er ständig an wechselnde Bedingungen und neue Erkenntnisse angepasst werden. Was soll aber die Genehmigung eines Dokuments, das ständig zu verändern ist? Einem Genehmigungsprozess wird zumeist das Budget für das nächste Jahr unterworfen. Dieses Dokument fasst die operative Planung für Absatz und Leistungserstellung, Investitionen, Finanzgestaltung usw. zusammen. Hierein gehen auch die Auswirkungen strategischer Maßnahmen der Vergangenheit und Gegenwart ein. Sie haben neben dem Einfluss von Konjunktur und operativen Maßnahmen eher geringe positive Wirkung in Umsatz und Ergebnis. Allerdings können die Investitionen und Vorlauf-
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9 Die Strategiethemen im Beirat
kosten für die Umsetzung einer Strategie werterheblich in die Budgetplanung eingehen und das Ergebnis und die Finanzierung belasten. Eine Erörterung von Strategieänderungen kann jedoch allenfalls im Blick auf die gesamte Jahresplanung angestoßen werden, aber im Zeitdruck für die Verabschiedung des Jahresbudgets nicht angemessen diskutiert und abschließend gelöst werden. Erstens wäre der Zeitpunkt zu spät; es geht ja in der Gesamtplanung schon um die Auswirkungen der Umsetzung einer Planung. Die Wirkung der Gesamtplanung auf den Strategieprozess muss – wenn überhaupt möglich und angestrebt – am Anfang untersucht werden. Zweitens ist die Diskussion der Gesamtplanung zu komplex: Von der Konjunktur bis zur operativen Preispolitik sind fast alle Einflussbereiche zu analysieren. Eine strategische Erörterung verlangt immer eine Konzentration auf dieses umfangreiche Thema. Der Zustimmungsvorbehalt für eine Einzelmaßnahme ist keine angemessene oder ausreichende Form der Interaktion bei strategischen Themen. Die Einzelmaßnahme beschreibt die Schritte zur Umsetzung einer Strategie. Hier mit einer Zustimmungsverweigerung einzugreifen, wäre eine viel zu späte Interaktion, um noch eine Wirkung für den Prozess der Strategieentwicklung zu haben. Daher kann eine strategische Planung kaum genehmigt werden.233 Ein Zustimmungsvorbehalt, wie er für außergewöhnliche Maßnahmen vorgeschrieben ist, ist nur für Geschäfte möglich, deren Durchführung in der Vollmacht des Vorstands liegt. Eine Planung kann in ihren Annahmen und Schlussfolgerungen, insbesondere in ihrem vorgesehenen Gehalt von Maßnahmen, zur Kenntnis genommen und gutgeheißen oder abgelehnt oder modifiziert werden. Dem Vollzug kann aber nicht zugestimmt werden, denn er wird nicht exakt so wie vorgesehen geschehen. Die Umsetzung der Planung kann auch nicht angewiesen werden, denn sie liegt schon wegen der Veränderlichkeit der externen Einflüsse außerhalb der vollen Kontrolle der Geschäftsführung. Sofern also die Notwendigkeit von Zustimmungsvorbehalten für Geschäfte von erheblicher Auswirkung auf die Ertragsmöglichkeiten und die Risikoexposition überhaupt für erforderlich gehalten wird, kann der Ablauf einer Planung mit allen Folgemaßnahmen nicht über eine längere Zeit hinweg vorab genehmigt werden. Vielmehr muss man die folgenden zwei Wege beschreiten. Der Beirat muss sich früh durch Bera233
K. Schönberger (2006) kommt im Prinzip zu einem ähnlichen Schluss, allerdings von dem Ansatz her, dass das planerische Denken noch nicht einer Zustimmung (Verbot) unterworfen werden kann, wohl aber ein fester strategischer Plan, S. 153 – 156. Letzteres würde ich aber auch in Frage stellen.
9.1 Die Strategie als Gegenstand der Beratung
259
tung an der Planung beteiligen, einen vorläufigen Meinungsabgleich mit der Geschäftsführung suchen und kann dann bei werterheblichen und risikoreichen Entscheidungen zur Umsetzung den Zustimmungsvorbehalt aufgeklärter und aus einer Sicht auf die Gesamtperspektive des Planes wahrnehmen. Dabei wird es aber immer wieder vorkommen, dass eine konkrete Umsetzungsmaßnahme, die in der Planung vorgesehen war, nach dem jeweiligen aktuellen Stand der Gesamtplanung, in der inzwischen vielleicht andere Optionen mit erfasst wurden, und den jeweiligen aktuellen Möglichkeiten des Unternehmens, etwa einer Veränderung der Finanzsituation, nicht mehr genehmigt werden kann. Und manchmal ist dann die Geschäftsführung auch noch erleichtert darüber. Um angemessen am Prozess der Strategieentwicklung mitwirken zu können, sind die direktiven Interaktionen wie Zustimmungsvorbehalt oder gar Weisung nicht geeignet, sondern nur die nichtdirektive Auseinandersetzung. Diese wird als Beratung bezeichnet. Die Beratung und die Aufsicht Beratung ist im weitesteten Sinn definierbar als „sachlicher und beziehungsorientierter Input mit dem Ziel der Weiterentwicklung und der Optimierung des Outputs234 in den Analyse-, Planungs- und Entscheidungsprozessen“. Dem Beratungsprozess sind folgende Merkmale zu Eigen: • Beratung beruht auf Information und Argumentation. Ihr Inhalt kann in beiden Dimensionen durch bessere Informationen und bessere Argumente widerlegt werden. • Das Beratungsergebnis hat nur bedingten Geltungsanspruch; es muss vom Beratenen akzeptiert werden, muss also „anschlussfähig“ sein. Beratung hat nicht den Charakter und die Geltungswirkung einer Anweisung. • Eine Beratung kann den Charakter einer „Vorgabe“ gewinnen, die im Zweifel zu beachten ist und nur explizit widerlegt werden kann. Es ist gewiss nicht leicht auszumachen, wie verschiedene Instanzen bei einem so komplexen und so subjektiv geprägten Prozess wie einer strategischen Planung „arbeitsverteilt“ zusammenwirken können: in diesem Fall die Geschäftsführung und der Beirat, wobei wir etwaige weitere Mitwirkende wie zum Beispiel die Stabstellen oder weitere Berater vereinfachend der Geschäftsführung zuordnen. Das Phänomen, dem wir uns hier zuwen234
Vgl. Klein, S. (2005): S. 195; vgl. auch Kormann, H. (1971).
260
9 Die Strategiethemen im Beirat
den, taucht in vielfältigen anderen Konstellationen in ähnlicher Weise auf: zum Beispiel in dem arbeitsteiligen Zusammenwirken eines Kollegiumsvorsitzenden oder eines Gesamtkollegiums mit einem einzelnen Kollegen, der eine bestimmte Strategie entwickelt hat, oder etwa in dem Zusammenwirken zwischen Konzernleitung und Tochtergesellschaft in strategischen Fragen. Es ist wesentlich für alle Beteiligten, zu wissen, dass das „Wie“ des Prozesses für den Erfolg einer Beratung ebenso wichtig ist wie das „Was“ der Inhalte der Beratung. Das Erteilen von Rat ist uns allen ja aus der Alltagswirklichkeit vertraut, steht hier aber in einem professionellen und werterheblichen Zusammenhang. In fast allen seinen Aspekten ist der Beratungsprozess völlig verschieden vom Aufsichtsprozess: • Aufsicht über jemanden kann und muss ausgeübt werden, gleichgültig, ob der Beaufsichtigte einen Bedarf danach verspürt. Er wird dies üblicherweise nicht tun. Rat kann nur dem gegeben werden, der einen Rat braucht, einen Rat sucht und für die Argumente des Ratenden offen ist. • Die Mindesterfordernisse der Aufsicht können in Prozeduranweisungen bestimmt werden. Der Umfang des Rates kann in keiner Richtlinie festgelegt werden. Die Beratung ist eine von der Fragestellung, vom Kontext und von den beteiligten Personen abhängige Leistung. • Aufsicht erfolgt im Nachhinein – und damit immer zu spät. Selbst bei den Genehmigungsvorbehalten als „präventive Aufsicht“ setzt die Interaktion erst am Schlusspunkt der Überlegungen ein, dann nämlich, wenn es um die Genehmigung oder Ablehnung eines fertig ausformulierten Antrags geht. Beratung ist immer nur ex ante und auch dann nur zu bestimmten, geeigneten Zeiträumen möglich. • Da die Beratung der Handlung vorausgeht, kann die Qualität der Beratung unmittelbar Einfluss auf die Qualität und die Erfolgsträchtigkeit des Handelns gewinnen. • Beraten kann keine Institution, sondern dies sind persönliche Leistungen, die nur von kompetenten Personen erbracht werden können. Die Häufigkeit und der Nutzen der Beratung Die Hervorhebung der Beratung als die eigentlich wesentliche Wertschöpfung des Beirats in der Familienunternehmung darf nun nicht die Erwar-
9.1 Die Strategie als Gegenstand der Beratung
261
tungshaltung wecken, dass in jeder Beiratssitzung ein annähernd geniales Beratungsergebnis zu erwarten wäre. Eine wichtige Beratungsleistung kann nur bei strategischen Fragestellungen erbracht werden und diese treten bei mittelständischen Familienunternehmen nicht quartalsweise auf. Wenn sie auftreten, erstreckt sich ihre Erörterung meist über längere Zeit, worauf noch einzugehen ist. Solange die Unternehmensentwicklung in gleich bleibendem Momentum „geradeaus“ verläuft, gibt es vielleicht gar keinen Anlass zur Strategieentwicklung. (Es sollte diesen Anlass freilich gleichwohl geben, um zusätzliche Chancen auszuloten.) Der Bedarf für Strategie liegt dagegen auf der Hand, wenn Veränderungen in der Umwelt stattfinden oder eine Veränderung des eingeschlagenen Kurses beabsichtigt ist. Aber selbst bei strategischen Fragestellungen wird es nicht so sein, dass zu jedem Thema ein Beitrag des Beirats zu erwarten ist, der die ganze Richtung bestimmt. In vielen, ja hoffentlich in den meisten Fällen ist die von der Geschäftsführung vorgetragene Strategie plausibel. Auch dann verdient sie allerdings eine Erörterung.235 So mag es sein, dass es in einer Sequenz von strategischen Überlegungen immer wieder lediglich volle Zustimmung zu den Vorstellungen der Geschäftsführung gibt, bis man auf einmal auf ein problematisches Segment in den Planungen stößt, das für die weiteren Schritte der vorgehenden Aktion von entscheidender Bedeutung ist („periodic bumps“236). Die Unternehmensentwicklung denke ich mir wie eine Klettertour, bei der die „Schlüsselstelle“ den Schwierigkeitsgrad des ganzen Wegs bestimmt. Wenn man sie überwindet, dann ist der Weg zum Gipfel frei. Der Nutzen des Beirats ist – wie der des Bergführers – nur an der Hilfestellung bei der Überwindung der Schlüsselstelle auszumachen. Für den danach leichteren Weg genügt dann wieder die wohlwollende, beobachtende Begleitung – und das Sicherungsseil. Wenn der Beirat an einer solchen Schlüsselstelle einen entscheidenden Beitrag leistet, dann hat er wiederum für ein Jahrzehnt seine Existenzberechtigung erwiesen. Ich habe es immer wieder, sowohl als Geschäftsführer wie auch als Beiratsmitglied, erlebt, dass das beratende Gespräch und andere sich darum rankende Interaktionen entscheidend für die Entwicklung eines Unternehmens über ein ganzes Jahrzehnt waren. Es waren positive Beispiele für erfolgreiche, kühne Strategien, positive Beispiele für kluge Warnungen vor Risiken und negative Beispiele für versäumte große 235 236
Vgl. Abschnitt 10.12. Vgl. Oesterle, M.-J.(1999): S. 31 und S. 50.
262
9 Die Strategiethemen im Beirat
Chancen. Wirkung kann der Beirat in diesen Schlüsselstellen der Unternehmensentwicklung aber nur entfalten, wenn er kontinuierlich in die Erörterung der Unternehmensentwicklung eingebunden wird. Wenn ich mich nun darauf festlege und dafür werbe, dass Beratung die einzig angemessene Form der Interaktion bei strategischen Fragestellungen ist, dann muss vorab der Einwand aus der Literatur abgehandelt werden, dass Beratung und Aufsicht nicht miteinander vereinbar seien. Dieser Unvereinbarkeitsthese liegt die Vorstellung zugrunde, die Geschäftsführung habe die exklusive Zuständigkeit und die Verantwortung, die Strategie des Unternehmens zu entwickeln, während der Beirat nur die Zuständigkeit besäße, diese Vorschläge gutzuheißen oder zu verwerfen. Das Aufsichtsgremium könne von sich aus keinen Rat zur Strategie abgeben.
9.2
Die These der Unvereinbarkeit von Beratung und Aufsicht
Zur Genese der Diskussion Mit der hier vorgetragenen Forderung, dass der Beirat in Strategiefragen beraten solle, begegnen wir einem breiten Feld kontroverser Diskussionen sowohl in der betriebswirtschaftlichen als auch der juristischen Forschung zum Thema Aufsichtsgremien – Aufsichtsräten wie Beiräten. Wir finden – wie in diesem Forschungsbereich üblich – zwei Komplexe der Argumentation vor – einen mehr betriebswirtschaftlicher und einen anderen mehr juristischer Prägung. Die These von der Unvereinbarkeit von Aufsicht und Beratung wurde von Steinmann und Klaus 1986 in einer eher beiläufigen Stellungnahme zu einem Beitrag von Bleicher/Paul über das amerikanische Board-System in die deutsche Aufsichtsratsforschung eingeführt.237 Diese Unvereinbarkeitsthese wurde in den Arbeiten des Steinmann-Schülers Klaus238 weiter ausgebaut. Theisen239 stellt fest, dass „seit Jahrzehnten im Schrifttum umstritten“ sei, ob ein Aufsichtsrat neben seiner Hauptaufgabe der Aufsicht noch „in begrenztem Maße Beratungsaufgaben“ wahrzunehmen habe. Diese Thematik beschäftigt seitdem die Aufsichtsrats- und Beiratsforschung. Hierbei gibt es auch Stimmen, die eine ausgeprägte beratende Rolle des
237 238 239
Steinmann, H./Klaus, H. (1986); Steinmann, H./Klaus, H. (1987). Klaus, H. (1988). Theisen, M.R. (2002): S. 123.
9.2 Die These der Unvereinbarkeit von Beratung und Aufsicht
263
Aufsichtsrats für wünschenswert halten.240 Der überwiegende Tenor in der deutschen Literatur ist aber zurückhaltend darin, inwieweit ein Aufsichtsrat auch beraten sollte. Eine neue Ebene der differenzierten Auseinandersetzung auch für den Fall des Beirats im Familienunternehmen wird in einem Beitrag von Sabine Klein241 erarbeitet, der ebenfalls in die Unvereinbarkeit von Beratung und Kontrolle mündet. Die zweite Argumentationsebene ist juristisch geprägt und wird repräsentiert von Theisen als Verfechter einer Konzentration auf die Aufsicht einerseits und Lutter/Krieger als Vertreter einer Öffnung zur beratenden Strategiearbeit242 andererseits. Bei der juristischen Argumentation spielt es eine Rolle, dass bei Börsengesellschaften die Zuständigkeit für die Unternehmensleitung gemäß § 76 Abs. 1 AktG dem Vorstand zugewiesen ist. Für die Familienunternehmung, die zumeist keine Aktiengesellschaft ist, ist diese Regelung ohnehin ohne Bedeutung. Die These von der Unvereinbarkeit von Beratung und Aufsicht wird aber nicht nur und noch nicht einmal vorwiegend mit dieser Spezialregelung des Aktienrechts begründet, sondern mit generellen Überlegungen zu den Aufgaben von Aufsichtsgremien und Geschäftsführungen – sie hat also einen Geltungsanspruch auch für die Arbeit des Beirats. Der Praktiker könnte nun achselzuckend über diese Kontroverse hinweg gehen, wenn er ohnehin vorhat, das zu tun, wonach ihm der Sinn steht, wozu er sich aufgerufen fühlt und wozu er in der Lage ist. Da aber zu hoffen ist, dass ein Beirat sich um die professionelle Begründung seines Tuns bemüht, wird er irgendwann auf diese Unvereinbarkeitsthese stoßen. So ist es geboten, die Argumente zu sortieren und zu prüfen. Positiv kann aus den Argumenten, die gegen die Verbindung von Rat und Aufsicht sprechen, abgeleitet werden, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit das Ratgeben gelingen kann. Das Argument der Nichtbeachtung der Funktionstrennung von Geschäftsführung und Aufsicht und somit der Beeinträchtigung der Aufsicht Gegen den Wunsch, den Aufsichtsrat in die Beratung des Vorstands einzubeziehen, wird die im folgenden Zitat von Theisen postulierte Gefahr angeführt, dass sich der Aufsichtsrat mit dem Ergebnis des Beratungsprozesses 240 241 242
Albach, H. (1997). Klein, S. (2005). Vgl. Lutter, M./Krieger, G. (2002): S. 36 ff.
264
9 Die Strategiethemen im Beirat
identifiziert243: „Ein derartiger (Beratungs-)Wunsch kann von der (legitimen) Erwartung und nunmehr auch konkreten Empfehlung des DCGK getragen sein, den Aufsichtsrat frühzeitig über die strategischen Überlegungen und Ausrichtungen der Unternehmensführung informieren zu wollen. Jede Stellungnahme des Aufsichtsrats zu einem solchen Zeitpunkt kann aus der Sicht der Unternehmungsführung aber (auch) als Beratung interpretiert bzw. aufgefasst werden. Dessen ungeachtet haben alle Mitglieder des Aufsichtsrats bei einer solchen, grundsätzlich zulässigen und erwünschten Vorgehensweise eines Vorstands immer darauf zu achten, dass es Sache des Vorstands und nicht des Aufsichtsrats ist, alternative Strategien und Vorschläge zu entwickeln; der Aufsichtsrat darf bei dieser Form der Überwachungsinformation nicht zum (Mit-)Geschäftsführer werden. Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer aufsichtsratspflichtiger Gesellschaften können aber auch die Strategie verfolgen, den Aufsichtsrat ganz gezielt und bewusst z. B. mit besonders brisanten und/oder risikoreichen Entscheidungen zu konfrontieren, um damit die Überwachungsträger »mit ins Boot (der Verantwortung) zu nehmen«. Ein derartiges Ansinnen widerspricht der Funktionstrennung zwischen der Unternehmungsführung durch die Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder einerseits und der Überwachung der Unternehmungsführung durch den Aufsichtsrat andererseits; gerade diese zentrale Aufgabenteilung darf aber keinesfalls durchbrochen werden. Von größter Bedeutung sind daher nicht die subjektiven Erwartungen bzw. Interpretationen der Beteiligten, sondern allein die gesetzlich zulässigen Kompetenzen und Funktionen, denen die Unternehmenspraxis uneingeschränkt zu folgen hat. Aus rechtlicher Perspektive ist zudem darauf hinzuweisen, dass abweichende Vorgehensweisen weder die für die Unternehmungsführung allein Verantwortlichen entlasten noch die Rechte und gegebenenfalls Sanktionskompetenzen des Aufsichtsrats einschränken.“ Es kann hier nicht in die juristisch begründete Diskussion eingetreten werden, ob der Aufsichtsrat in einer Aktiengesellschaft an der Beratung und der Entscheidungsfindung zu einer Unternehmensplanung beteiligt werden darf. Von dem Beirat in einem Familienunternehmen wird diese Beteiligung an der Entscheidungsfindung sehr wohl erwartet, wenn dadurch die Qualität der Unternehmensführung gesteigert werden kann und soll. Eine Strategie gewinnt sogar eine besondere Qualität, wenn sie vom übergeordneten Gremium vorbehaltlos unterstützt wird. Ein solches Einvernehmen 243
Theisen, M.R. (2002): S. 123.
9.2 Die These der Unvereinbarkeit von Beratung und Aufsicht
265
kann – wie wir noch sehen werden – nur durch einen argumentativen Beratungsprozess erreicht werden. Es ist nicht zu erkennen, was sich bessern würde, wenn ein Aufsichts- oder Beirat erst im Rahmen seiner Aufsichtsaufgaben die mangelnde Qualität eines Projekts der Geschäftsführung feststellen und diese dann, wegen der Eindeutigkeit ihrer Verantwortung, entlassen würde. Die etwaige Unfähigkeit einer Geschäftsführung würde – so bin ich sicher – in einem Beratungsprozess ebenso deutlich wie in einem reinen Aufsichtsprozess. Das Argument von der Dominanz entweder der Aufsichts- oder der Beratungsorientierung Auch wenn man meiner Argumentation folgt, dass ein Beirat insgesamt gegebenenfalls genügend Zeit sowohl für die Erörterung von Fragen der Strategie als auch für die Erfüllung seiner Aufsichtspflicht hätte, kann es dennoch vorkommen, dass er diesen Zeitrahmen falsch einsetzt. Und in der Tat ist diese Gefahr groß und häufig anzutreffen. So wird etwa – statt die strategischen Themen zu behandeln – die Zeit damit vergeudet, dass: • dreimal im Jahr die in etwa gleich bleibende Jahresvorschau mit der ursprünglichen Planung verglichen wird. • die Planabweichungen ausführlich kommentiert werden, woraus nicht mehr abzuleiten ist, als dass der Plan eben falsch war. • die zahlreichen Genehmigungsvorbehalte abgearbeitet werden und vor allem bei Investitionen kritisch hinterfragt wird, ob nicht mit niedrigeren Summen auszukommen wäre oder ob auch die Rendite sorgfältig berechnet sei usw. S. Klein arbeitet in ihrem grundlegenden Aufsatz244 über Beiratsfunktionen heraus, dass es darauf ankommt, von welchem Grundansatz her ein Beirat sein Aufgabenverständnis von den Gesellschaftern erhält oder selbst gewinnt. Wenn der Familiengesellschafter als Finanzinvestor denkt und auf kurzfristige Unternehmenswertsteigerung aus ist, dann wird er ein Kontrollgremium einsetzen wollen, das diese Ziele gegenüber dem „Agenten Geschäftsführer“ durchsetzt. „Zunächst ist nach der Disposition des Alleineigentümers (Prinzipals) zu fragen. Ist dieser … an der kurzfristigen Maximierung des wirtschaftlichen Erfolgs interessiert und drängt er deshalb auf eine transparente und 244
Klein, S. (2005).
266
9 Die Strategiethemen im Beirat
intensive Kontrolle der Kosten (er ist also eher ein Finanzinvestor als ein in Generationen denkender Steward), so lautet die Zielsetzung für den Beirat, eine Geschäftsleitung zu finden und zu gewinnen, die eben diese Ziele in der Lage ist, umzusetzen. Hierbei wird die Kontrolle der Geschäftsleitung im Vordergrund stehen. In einer Situation wie der oben beschriebenen wird die Geschäftsleitung eine Beratung durch den Beirat mit Misstrauen beantworten, da sie in ihr einen Eingriff in die eigene Tätigkeit und eine versteckte Kritik vermutet. Hinzu kommt, dass in dieser Situation die Geschäftsleitung daran interessiert sein muss, eine möglichst große Informationsasymmetrie aufrecht zu erhalten, da diese der Geschäftsleitung ermöglicht, eigene Ziele zu verfolgen, ohne dafür vom Beirat zur Ordnung gerufen zu werden. Zudem ist es für dieses Setting notwendig, Geschäftsführer zu finden, die sich von der Arbeit im Familienunternehmen nicht zusätzlich den engen Kontakt mit den Eigentümern sowie einen großen Handlungsspielraum erhoffen. In dem klassischen Prinzipal-Agenten-Setting, in dem der Alleineigentümer als quasi Finanzinvestor auftritt, wird ein entsprechend informierter Beirat nach dem Typus des Exekutors (von Schultzendorff, 1984, S. 236) suchen, der mit einem durch die Kontrolle nur geringen Handlungsspielraum und schwach ausgeprägten Beziehungen zum Eigentümer zufrieden ist … Ganz anders verhält sich die Situation, wenn der Eigentümer eine klassische Stewardship-Perspektive favorisiert. D. h. er ist langfristig orientiert, das Unternehmen bedeutet ihm Auftrag, es hat für ihn einen über den finanziellen hinausgehenden emotionalen Wert. Ein solcher Eigentümer wird darauf bedacht sein, ein Management zu finden (oder finden zu lassen), das seine Einstellung teilt, und er wird versuchen, dieses Management auf die langfristige Zielsetzung zu verpflichten. Um seine Ziele zu erreichen, benötigt der Prinzipal ein auf Vertrauen basierendes Umfeld. Der Beirat wird dementsprechend eher als kompetenter Wegbegleiter des Managements positioniert und nicht als Kontrollinstanz. In einem vertrauensbasierten Umfeld führt Kontrolle, die egoistisches, das Unternehmen schädigendes Verhalten unterstellt, zur Beschädigung eben dieses Vertrauens. Die zu lösende Problematik besteht hier darin, dass im Rahmen der Corporate-Governance-Regeln und Strukturen sogenannte Frühwarnindikatoren installiert werden müssen, die es dem Beirat ermöglichen, einen egoistischen, seinen eigenen Nutzen maximierenden Agenten zu erkennen, ohne diejenigen, die sich entsprechend dem gewünschten StewardshipSetting verhalten, zu demoralisieren.“245 245
Klein, S. (2005): S. 198.
9.2 Die These der Unvereinbarkeit von Beratung und Aufsicht
267
Dieser richtige Ansatz, dass die Fixierung auf die Aufsicht nicht das Gesprächsklima für die Beratung gedeihen lässt, entzieht dem Versuch die Grundlage, die Beratung als „Teil der Überwachung“ einzuführen, wie dies Lutter als Befürworter der Beratungsaufgabe versucht. Im Gegensatz zur nachvollziehenden Überwachung wird dann eine vorausgehende Überwachung in Form der Beratung postuliert. Konsequenterweise wird dementsprechend formuliert: „Die Beratungsaufgabe des Aufsichtsrats spiegelt sich in der Verpflichtung des Vorstands wider, diese Anregungen anzunehmen. Den Umfang der Beratung bestimmt nicht der Vorstand, sondern das Überwachungsorgan.“246 Mit dieser „hoheitlichen Haltung“ kann man den Versuch, einen argumentativen Dialog in Strategiefragen zu entwickeln, vergessen. Er wird nicht gelingen. Das Argument der Unmöglichkeit für eine kompetente und zeitlich angemessene Beratungsleistung Auch wenn dieser Interessenkonflikt zwischen Beratung und Überwachung als lösbar angesehen wird, kann – wie Klaus dies tut – in Frage gestellt werden, ob der Beirat die Kompetenz und die Zeit hat, in einen Beratungsprozess einzutreten. Dies ist eine situative Frage, die ich insofern aufzunehmen versuche, als ich fordere, dass in der Besetzung des Beirats und in der inhaltlichen und zeitlichen Gestaltung der Beiratsarbeit eben die Voraussetzungen zu schaffen sind, um eine wertvolle Beratungsleistung zu ermöglichen. Die Frage der Kompetenz hat einen zweifachen Aspekt: Ist ein bestimmtes Beiratsmitglied überhaupt qualifiziert für eine Beratung in strategischen Fragen? und: Bei welchen Elementen der Strategieplanung ist diese Kompetenz einsetzbar und wo kann eventuell mangels Kompetenz kein Beitrag geleistet werden? Zunächst ist der Aspekt der Kompetenz bei der Auswahl von Beiratsmitgliedern zu beachten. An unternehmerischen Entscheidungen kann jemand nur mitwirken, wenn er darin trainiert ist und eine unternehmerische Mentalität hat. Ein Beirat, der sich vorwiegend aus Vertretern der Wissenschaft, der Kunst und des öffentlichen Lebens zusammensetzt, muss sich auf die Überwachungsaufgabe konzentrieren. Selbst dies ist ihm erschwert, wenn ihm Erfahrungen aus eigener unternehmerischer Tätigkeit fehlen. Aber es ist ihm zumindest möglich, Routineaufgaben der Überwachung diszipliniert abzuarbeiten. Schlechterdings sinnlos wäre es allerdings, wenn Berufsfremde versuchen würden, eine unternehmerische Beratung vorzu246
Lenter, T. (2004): S. 130.
268
9 Die Strategiethemen im Beirat
nehmen. Auch Gesellschafterbeiräte, die nicht in der Wirtschaft tätig sind, können nur in Ausnahmefällen eine zweckdienliche Beratung anbieten. Man braucht hierfür „Unternehmertypen“247. Dies ist insbesondere bei der Wahl des Vorsitzenden zu bedenken. Unternehmerische Kompetenz eines Beirats ist ferner nötig für die Erörterung bestimmter Strategiefragen, die ein Übersichtswissen und Einfühlungsvermögen in die Situation erfordern, aber kein spezielles Wissen zu den Produkten, Märkten oder Prozessen des Unternehmens. Das Erstere kann ein unternehmerisch geprägter Beirat wohl mitbringen, während spezielle Kenntnisse des Produkts oder des Marktes fast nie vorliegen. Weder Kunden noch Wettbewerber, die über solche Kenntnisse verfügen, werden in den Beirat berufen. Differenziert zu betrachten ist auch der zeitliche Rahmen der Beiratsarbeit. Natürlich kann kein Beiratsmitglied in seiner Eigenschaft als Beirat viele Tage an der Entwicklung von Strategien mitarbeiten. Die zeitliche Restriktion wird allerdings relativiert, wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Inhalte die Beratungsarbeit hat. Hierauf wird weiter unten näher eingegangen. Zunächst ist aber festzuhalten, dass das Argument der zu knappen Zeit vielleicht noch eher für die Aufsichtsräte der großen Aktiengesellschaften gelten könnte als für den Beirat eines mittelständischen Unternehmens. Aufgrund des Größenunterschieds ist bei einem mittelständischen Gebilde weniger zu erörtern als bei einem Großunternehmen – selbst wenn die Unterschiede in den Aufgreifschwellen für die Geschäftsvorgänge berücksichtigt werden. Gleichwohl bleibt die zeitliche Restriktion ein Faktum. Für Beratungsgespräche ist viel Zeit notwendig und die Zeit ist auch hier knapp. Das gilt im Übrigen für jede anspruchsvolle Aufgabe in einem Unternehmen. Nie reicht die Zeit für eine ideal gedachte Erfüllung der Aufgaben aus. Und dennoch müssen die Aufgaben von allen Beteiligten auch angesichts von Zeitrestriktionen angemessen erfüllt werden. Ein Eintauchen in Strategiethemen erfordert Zeit in zweifacher Hinsicht: • Unisono wird für die Strategiearbeit eine längere Sitzung, nicht häufigere Sitzungen empfohlen.248 • Wiederholte Erörterungen eines Themas über die Zeitachse hinweg.
247 248
So Wälzholz, E. (2005): S. 396, 402. Charan, R. (1998): S. 55 ff.
9.2 Die These der Unvereinbarkeit von Beratung und Aufsicht
269
Die zur Verfügung stehende Zeit ist eine der Schlüsselfragen des Gelingens der Erörterung von Strategiethemen im Beirat. Es ist an dieser Stelle geboten, den Hinweis zu wiederholen, dass die Beiratsarbeit nicht auf die Sitzungsdauer beschränkt ist. Es ist gerade bei strategischen Themen eher der Regelfall, dass ein Thema zumindest in Gesprächen mit dem Beiratsvorsitzenden, häufig aber auch mit anderen Meinungsführern im Beirat zwischen den Sitzungen erörtert wird. Auch sind immer wieder Bearbeitungszeiten für die Sammlung näherer Daten erforderlich, so dass die Erörterung von Strategiefragen ein sich über die Zeitachse hinweg erstreckender Prozess ist. Das Streben der Aufsichtsräte und Beiräte nach der Einbeziehung in die Strategiearbeit Die Gegenposition zu der die Beratung ablehnenden Fraktion vertreten die Stimmen, die eine intensive Einbindung des Beirats in die Strategiearbeit fordern. In der deutschen Aufsichtsratsforschung vertritt Lutter eine Gegenposition zur oben vorgestellten Abstinenzthese von Theisen: „Zugewachsen ist dem Aufsichtsrat aber seither [seit 1990] die weitere Aufgabe eines mitunternehmerischen, beratenden und mitentscheidenden Unternehmensorgans. Der Aufsichtsrat ist heute mitverantwortlich für die Führung der Gesellschaft und des Konzerns, er hat nicht mehr nur retrospektive, sondern betont zukunftsorientierte Aufgaben. Er hat diese Aufgaben selbstverständlich nicht allein, sondern zusammen mit dem Vorstand“ [Hervorhebung im Original].249 Oder aber: „Beratung ist Teil der Überwachung“.250 Familiengesellschaftern selbst liegen die juristischen Überlegungen wohl völlig fern: Sie interessiert nur, wie die bestmöglichen Entscheidungen zustande kommen – wie auch immer, ob durch Überwachung oder durch Beratung. M.R. Theisen zitiert an anderer Stelle den zutreffenden Satz von Jaschke über die Zwecksetzung der Überwachung: „Es geht nicht darum, die Überwachung zu perfektionieren, sondern die Unternehmensführung zu verbessern.“251 In der in Kapitel 15 vorgestellten Typologie von Beiräten ebenso wie in verschiedenen Schriften wird das Engagement des Beirats in Fragen der Unternehmensführung als die fortgeschrittene und moderne
249 250 251
Lutter, M./Krieger, G. (2002): S. 21. Ebenda, S. 59. Jaschke, T. (1989): S. 256. Zitiert bei Theisen, M.R. (2002): A.a.O., S. 9.
270
9 Die Strategiethemen im Beirat
Interpretation eines solchen Gremiums – „von vornherein mitgestaltendes, mitplanendes und präventiv schützendes Gremium“252 – propagiert. Daher möchte ich die eingangs aus der Literatur eingeführte Frage nach dem Pro und Kontra einer Beratungsfunktion des Aufsichtsrats für den Beirat in Familiengesellschaften eindeutig so beantworten, dass für den Beirat einer Familiengesellschaft die Beratung eine natürliche Aufgabe ist und sein muss. Ich versuche im Folgenden darzulegen, dass die gemeinsame Beratung von Geschäftsführung und Beirat die einzig angemessene Form ist, strategische Themen zu erörtern und zu verabschieden. Die große Herausforderung besteht darin, dass sowohl der Beirat wie auch die Geschäftsführung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein solcher Beratungsprozess gelingen kann. Rat geben: zu welchen Themen und in welcher Weise? Wenn wir nun im weiteren Verlauf darüber reflektieren wollen, wie „Ratgeben“ am besten gelingen kann, denke ich mir, dass zuerst der Themenkreis der möglichen Beratung skizziert werden sollte. Die nachfolgend erörterten Themen der Strategieberatung sollen zeigen, dass es die Fragen der Grundüberzeugungen und der Makrostrategie sind, zu denen argumentiert werden kann und muss, ohne dass die Beiratsmitglieder mit den Details des Geschäfts und der Maßnahmen zur Umsetzung der geplanten Strategie vertraut zu sein bräuchten. Ich wende mich zunächst den typischen Themen zu, die in Beiräten mittelständischer Unternehmen erörtert werden. Aus dem Kosmos aller möglichen Strategiethemen ist dies eine Untermenge in zweifacher Hinsicht: • Es sind nicht die Themen der großen Portfolio-Politik eines MultiBusiness-Konzerns, sondern es geht um Themen, die für die Entwicklung eines Unternehmens mit einer überschaubaren Anzahl von Geschäften einer überschaubaren Komplexität von Bedeutung sind. • Neben den generischen Zielsetzungen, die für jede Unternehmensstrategie gelten, haben in einem Familienunternehmen individuelle Kriterien ein besonderes Gewicht.
252
Wälzholz, E. (2005): S. 396.
9.3 Die Erörterung der funktionalen Politik
9.3
271
Die Erörterung der funktionalen Politik
Gelegentlich finden sich in Geschäftsordnungen Regelungen, dass die Geschäftsführung zu wesentlichen Änderungen funktionaler Politik die Zustimmung des Beirats einzuholen habe. Auch wenn nicht die strenge Form eines Zustimmungsvorbehalts gewählt wird, kann der Beirat von sich aus wünschen, dass über die Ausgestaltung von funktionalen Politiken im Beirat berichtet wird. Es werden dann Themen auf die Tagesordnung gesetzt wie die Personalpolitik, die Beschaffungspolitik, die Politik im Bereich der Informationstechnologie. Durch die Aufnahme in die Agenda des Beirats soll erreicht werden, dass sich der Beirat mit dem Stand der unternehmensspezifischen Praxis in dem jeweiligen Funktionsbereich befasst, dies mit dem „Stand der Kunst“ vergleicht und Vorschläge zur Weiterentwicklung der Praxis in dem jeweiligen Unternehmen entwickelt. Die Einbeziehung funktionaler Politikkonzepte in die Agenda des Beirats erscheint unter dem Gesichtspunkt der Kompetenz sogar leichter möglich als bei anderen Strategiethemen. Der Erfahrungsaustausch bei funktionalen Themen ist über die Unternehmen und Branchen hinweg viel direkter möglich, als dies etwa in Fragen der Produkt-Markt-Politik der Fall wäre. Eine andere Frage ist jedoch, ob diese Themen, wenn denn die Zeit des Beirats ohnehin knapp ist, vorrangig behandelt werden sollten. Gegenüber den Themen der Produkt-Markt-Politik haben die Fragen der Gestaltung des Leistungsprozesses sowie der Beschaffung und Entwicklung der Ressourcen immer nur die zweite oder dritte Priorität: Der Einfluss der Verbesserungsarbeit in diesen Bereichen auf den Gesamterfolg wirkt sich ja nur über den indirekten Weg der Verbesserung des Leistungsangebots und der Marktbearbeitung aus. Gegenüber der Produkt-Markt-Politik hat die funktionale Politik als Erfolgsfaktor nur ein sekundäres oder tertiäres Gewicht.253 Angesichts der zeitlichen Begrenzung für die Beiratsarbeit werden solche funktionalen Themen daher nur ausnahmsweise in die Tagesordnung mit aufzunehmen sein. Dies gilt in erster Linie für Themen, die man aus Motivationsgründen auf die Agenda setzt, um damit deutlich zu machen, dass sie für die Organisation ein wichtiges Anliegen sind.254 Dann steht aber der Aspekt der internen Public Relations im Vordergrund und weniger das Anliegen, ein materielles Beratungsgespräch zu diesem Thema zu führen. 253 254
Siehe Koch, A. (2004): S. 30 f. Siehe Abschnitt 6.4.
272
9 Die Strategiethemen im Beirat
Viele mittelständische Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass die Gesellschafter und der Beirat dem Bereich der Personalpolitik einen großen Platz einräumen. Die besondere Beziehung zwischen dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern (mithin die Pflege des Mitarbeiterstammes) ist eine der besonderen Stärken mittelständischer Unternehmen. Es ist auch eine jedem Beirat angemessene Aufgabe, sich über wichtige Befunde und Absichten der Personalpolitik unterrichtet zu halten wie etwa über die Stimmung bei den Mitarbeitern, die Führungskräfteentwicklung und ähnliche für die Zukunft des Unternehmens wichtige Themen. Es gibt allerdings einen Funktionsbereich, der unter jedem Aspekt – der Überwachung wie auch der Beratung – einen intensiven Raum in wohl jedem Beiratsgremium einnimmt: Dies ist der Bereich der Finanzierung. Dieser Bereich steht aber nicht deshalb im Vordergrund, weil hier die mittelständische Unternehmung eine besondere funktionale Kompetenz erringen könnte, sondern weil dies ein Schlüsselbereich für die gesamte Unternehmensentwicklung ist.
9.4
Die Produkt-Markt-Strategie
Die Fragen, mit welchem Leistungsangebot eine Unternehmung auf welchen Märkten und mit welcher marketingpolitischen Konzeption auftreten möchte, was sie unternimmt, um dieses Leistungsangebot durch Innovationen zu erneuern und das Leistungs-Kosten-Verhältnis zu verbessern, sind die gängigen und ständigen Themen einer Unternehmensstrategie. Es gibt Branchen, in denen die Produktentwicklung annähernd der wesentliche Teil der Gesamtstrategie ist, wie dies bei einem Modeunternehmen der Fall sein mag. Es ist ganz natürlich, wenn der Beirat bei Unternehmen in diesen Branchen in die Produktentwicklung mit einbezogen wird. Gelegentlich finden wir hier einen besonderen Ausschuss „Produktentwicklung“. Der Beirat ist in Unternehmen dieser Branchen allemal einbezogen, wenn der frühere Geschäftsführende Gesellschafter, der zu seiner aktiven Zeit Chefkonstrukteur war, nunmehr Beiratsmitglied ist. Wenn sogar der Aufsichtsratsvorsitzende eines großen Automobilkonzerns die Modellentwicklung „abnimmt“, dann kann man dem Beiratsvorsitzenden eines Herstellers von Sonderfahrzeugen die Mitwirkung an der Entwicklung neuer Fahrzeuge kaum als nicht zur Beiratstätigkeit gehörend verwehren. Gerade die Mitwirkung an der Produktentwicklung zeigt, dass die Beratung und nur die Beratung die angemessene Form der Interaktion ist. Ein Zustimmungsvorbehalt ist hier kaum denkbar. Dieser würde dann die völlige Entmachtung
9.4 Die Produkt-Markt-Strategie
273
der Geschäftsführung bedeuten. Die Ausübung eines Weisungsrechts, welche Änderungen in der Produktentwicklung vorzunehmen sind, ist ebenfalls undenkbar. Von Aufsicht kann nicht die Rede sein. Es geht hier „nur“ um Rat, den die Geschäftsführung in eigener Verantwortung zu würdigen hat, denn sie bleibt verantwortlich dafür, dass die Organisation das Produkt herstellen kann, dass dieses fehlerarm funktioniert und sich gut verkauft. Für die Produktentwicklung wie aber auch für den größeren Rahmen der Entwicklung einer Produkt-Markt-Strategie bedarf es freilich einer eingehenden Kenntnis der Technologien für die Leistungserstellung und der Erfolgsfaktoren in den Märkten. Für die Erarbeitung der Fakten zur Ausgangslage wie zur Entwicklung und zur Evaluierung alternativer Vorgehensweisen braucht man in der Regel viel Zeit seitens mehrerer Fachleute, die mit den Bedingungen in der Branche sowie der spezifischen Konstellation der Unternehmung vertraut sind oder die Zeit aufbringen können, sich damit vertraut zu machen. Diese Denkkapazität kann nur die Geschäftsleitung mit ihrem vollen Zeiteinsatz erbringen und diese braucht dann oft noch die Unterstützung von Stabsstellen oder externen Beratungskapazitäten. Für derartige Gegebenheiten gelten die Einwände, dass ein Beirat nicht an die Stelle von Stabsabteilungen oder externen Unternehmensberatungen treten kann.255 Eine beratende Tätigkeit des Beirats bei den oben herangezogenen Fallkonstellationen des Modeunternehmens, des Automobilherstellers und des Sonderfahrzeuge-Herstellers setzt selbstverständlich voraus, dass dem Beirat zumindest ein Mitglied angehört, das aus dieser Produktwelt stammt. Die generelle Erfahrung eines Geschäftsmannes kann allerdings zum Tragen kommen, wenn es darum geht, die Plausibilität einer ausgearbeiteten Planung zu überprüfen. Hier geht es nicht so sehr um die Spezifika einer bestimmten Branche, die geprüft werden müssen. Nehmen wir als einfaches Beispiel die Berücksichtigung von Konjunkturen als notwendige Vorüberlegung für einen geplanten Verkauf. Ein älterer Geschäftsmann hat offenbar mehr Erfahrung als ein jüngerer Geschäftsführer in der Diskussion, wann mit Umschwüngen im konjunkturellen Zyklus zu rechnen ist und welche Auswirkungen Rezessionen haben. Ein weiterer Bereich, bei dem auch leidvolle Erfahrung hilfreich ist, sind Schätzungen, wie lange externe, oft aber auch interne Prozesse dauern, etwa die Zeit für die Ausreifung einer Entwicklung, bis sie am Markt eingeführt werden kann. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht darum, ob ein bestimmtes Entwicklungsvorhaben sinnvoll ist. Das kann nur die Geschäftsführung aufgrund ihrer Markt- und 255
Vgl. Klaus, H. (1991): S. 78 f; Vogler, M. (1990): S. 193.
274
9 Die Strategiethemen im Beirat
Technologiekenntnis beitragen. Wie lange Entwicklungs- und Markteinführungsprozesse dauern, bis sie Umsatz- und Ergebnisrelevanz zeigen, ist eine Frage, in der Geschäftserfahrung zumindest in ähnlichen Branchen enorm hilfreich sein kann. Bei der Überprüfung der Plausibilität eines Geschäftsmodells denkt man natürlich an die Standardstrategien, wie sie in der Beratungsliteratur entwickelt werden, zum Beispiel „Kostenführerschaft“, „Differenzierungsstrategie“ oder „Nischen-Fokus“. Die typische Rollenverteilung zwischen Beirat und Geschäftsführern sieht jedoch so aus, dass eher die Geschäftsführung diese Kategorien der Standardstrategien verwendet, um ihre Vorschläge mit Argumenten zu untermauern, und die Beiratsmitglieder in der Regel aus ihrem persönlichen Erfahrungsfundus Fallstudien beitragen, die seltener diese Standardstrategien stützen, sondern sie sogar häufiger als irrelevant erweisen oder sie sogar argumentativ widerlegen.
9.5
Die Bedeutung der Strategie der Unternehmensentwicklung
Die Strategie der Unternehmensentwicklung zielt auf die Entwicklung des gesamten Unternehmens. Sie ist eine Strategie der zweiten Ordnung, deren Objekt die Produkt-Markt-Strategie und die Funktionsstrategien sind. Ihr Planungsbereich ist für die Sicherung des Überlebens und des Erfolgs eines Unternehmens ausschlaggebend. Die Notwendigkeit einer Beratung im Beirat ist wegen der Bedeutung dieser Strategie gegeben. Beratungen zwischen Beirat und Geschäftsführung in diesen Fragen sind im Normalfall ergiebig. Während bei der Diskussion der Produkt-Markt-Strategie sehr spezifische Kenntnisse der Produkte und Märkte erforderlich sind, verlangen die abstrakteren Fragestellungen der Unternehmensentwicklung geradezu den breiteren Erfahrungshintergrund von Unternehmern, die in mehreren, auch anderen Branchen und bei vielfältigen Problemstellungen im Laufe der Zeit Einsichten und Erfahrungen gewonnen haben. Während die Themen der Geschäftsstrategie in spezifischen Produktmärkten eher für alle teilnehmenden Unternehmen gleichartig sind, sind die Ziele und Randbedingungen für die Unternehmensentwicklung in den mittelständischen Unternehmen spezifisch und anders als die Randbedingungen, die regelmäßig für Großunternehmen gelten. Bei einem mittelständischen Betrieb handelt es sich – im Unterschied zu einem Großbetrieb – um
9.5 Die Bedeutung der Strategie der Unternehmensentwicklung
275
• ein Unternehmen, das aufgrund seiner Kenntnisse – nicht aufgrund seiner Kapitalkraft – eine Leistung im Markt erbringen kann, • ein spezialisiertes Unternehmen, das ständig mit der Frage ringt, ob es nicht die Risiken aus der Spezialisierung durch andere Aktivitäten ausgleichen muss, • ein Unternehmen mit beschränkten finanziellen Mitteln, • ein Unternehmen, das ständig mit den Optionen ringt, ob es größer werden muss – und wenn ja, wo und wie – oder ob es sich wegen seiner beschränkten Kapazitäten in Management und Finanzmitteln bescheiden muss. Aufgrund dieser engeren Rahmenbedingungen ist es eine durchaus anspruchsvolle Herausforderung, den Pfad eines solchen Unternehmens in die Zukunft zu beeinflussen. Die Prämisse der Bewahrung der Unabhängigkeit Für jedes Familienunternehmen ist die Bewahrung der Unabhängigkeit das Ziel von oberstem Rang. Diesem Ziel werden Ertragsziele untergeordnet – augenfällig zum Beispiel bei dem Verzicht auf eine höhere Fremdkapitalverschuldung und deren Hebelwirkung auf die Eigenkapitalrendite. Es ist nun nicht so, dass Familienunternehmer zu wenig aufgeklärt wären über die betriebswirtschaftlichen Effekte und Finanzierungsmöglichkeiten. Sie schätzen die finanzielle Unabhängigkeit von den Banken eben als einen „geldwerten Vorteil“, den sie in ihre gesamte Nutzenfunktion einbeziehen.256 Diesem Ziel müssen auch Wachstumsziele untergeordnet werden, wenn sie Risiken mit sich bringen würden, die die Unabhängigkeit gefährdeten. Die Erkundung der Ausgangslage Der Ausgangspunkt jeder strategischen Reflexion ist die Bestimmung der Lage, in der sich das Unternehmen befindet. Vor allem aber ist dies der rationale Ausgangspunkt für die Strategie der Unternehmensentwicklung. Zwar kennt der mittelständische Unternehmer auch die Entscheidungssituation des unternehmerischen Pragmatismus, der von einer sich bietenden guten Gelegenheit ausgeht. Man kann aber annehmen, dass auch die gute Gelegenheit nicht wahrgenommen wird, wenn der Blick nicht geweitet, die 256
Dieses schöne Bild verdankt der Verfasser dem Unternehmer Dr. Lindner.
276
9 Die Strategiethemen im Beirat
Sensibilität dafür nicht erhöht ist. Hierzu dient eben auch das „Räsonieren“ über die eigene Befindlichkeit, die eigene Lage. Die Lagebestimmung beginnt mit der Fragestellung „Was braucht das Unternehmen?“ und endet mit der Beantwortung dieser Frage, nämlich der Feststellung, was das Unternehmen braucht. Schwere strategische Fehler haben ihre Ursache darin, dass die Welt als Wille und Vorstellung gesehen wird, in der man autark „anspruchsvolle“ Ziele setzen könnte, die dann im ersten Handlungsimpuls verfolgt werden: Nichts ist schädlicher, als wenn mit großer Energie in die falsche Richtung gegangen wird. Ohne eine Diagnose, welcher Befund vorliegt, ohne angemessene Erkundung der Ursachen für die gegenwärtige Lage des Unternehmens ist jede Einflussnahme auf die Zukunftsentwicklung ein dilettantisches Experimentieren. Der Entwicklungsbedarf eines Unternehmens ist zwar sehr spezifisch, sollte aber in einem ausreichend hohen Abstraktionsgrad formuliert werden, um nicht zu schnell bei einzelnen Maßnahmen zu landen, die zwar nützlich sein mögen, aber nicht hinreichend für den Erfolg sind. Ordnen wir diese Stichworte in ein hierarchisches Zielemodell ein257, so lässt sich dies wie folgt darstellen:
Nachhaltige Unternehmensentwicklung
Schadensvermeidung: Bewahren vor existenzbedrohenden Fehlern und Schäden
Ertrag:
Wachstum:
Stabilisierung:
Gewinnniveau Kapitaleinsatz Cash-Flow
Marktanteil Unternehmensgröße
Beherrschte Entwicklung Diversifizierung
Abb. 8. Hierarchisches Zielemodell
257
Vgl. Saaty, T.L. (1980): S. 11 ff.
9.5 Die Bedeutung der Strategie der Unternehmensentwicklung
277
Die Abwehr von existenzbedrohenden oder großen Schäden Unternehmen gehen nicht an Ertrags- oder Wachstumsschwäche zugrunde. Eine solche wirtschaftliche Situation führt allenfalls dazu, dass das Unternehmen hinter den Wettbewerbern zurückbleibt und dann irgendwann an einen erfolgreicheren Konkurrenten verkauft wird. Unternehmen gehen zugrunde, weil sie ein Schadensereignis trifft, gegen das sie nicht oder nicht ausreichend versichert waren, oder weil krasse Fehler gemacht wurden, gegen die man sich bekanntlich nicht versichern kann. Krasse Fehler sind solche, die, im Nachhinein und mit Vernunft betrachtet, unter keinen denkbaren Gesichtspunkten zu rechtfertigen waren und deren verheerende Sprengkraft vorher mangels Analyse oder aus Unvernunft nicht gesehen wurde oder aber bei denen die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Schadensrisikos zu gering angesetzt wurde, um berücksichtigt zu werden. Jedes Risiko, das die Existenz des Unternehmens gefährden könnte, muss vermieden werden, gleichgültig welche Chancen sich damit eröffnen könnten. Ein krasser Fehler ist es, den maximalen Schaden, der entstehen kann, außer Acht zu lassen. Das kann aufgrund unzureichender Information geschehen; dann ist dies ein Unglück. Es kann aber auch sein, dass man den maximalen Schaden (Totalverlust) durchaus richtig einschätzte, aber die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts zu gering ansetzte. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines großen Schadens ist grundsätzlich geringer, wenn ein Plan umgesetzt werden kann – sonst wäre schon der Plan selbst ein krasser Fehler. Es ist aber unzulässig naiv anzunehmen, dass irgendein Plan so wie geplant umgesetzt werden könnte. Die Zukunft ist immer unsicher. Die Annahmen können immer falsch sein. Wenn dann ein Plan scheitert, das Unternehmen „nicht mehr weiter weiß“, weil es keine Handlungsoptionen zur Überlebenssicherung hat, dann war es a priori falsch, diesen Plan verwirklichen zu wollen. Es bedarf einer auf die spezifischen Gefährdungen des Unternehmens abgestellten Risikopolitik, um eine Orientierung zu haben, welche Risiken verantwortet werden können.258 Dabei geht nicht um die absolute Risikovermeidung, sondern um die Bestimmung der Grenzen für das Verantwortbare. Die notwendigen Erträge Die Freiheit der Familiengesellschaft von dem von der Börse ausgeübten Druck zur Steigerung der Ergebnisse verlangt, dass sich die Unternehmung 258
Vgl. oben Abschnitt 7.3.
278
9 Die Strategiethemen im Beirat
selbst Normen für ihr Handeln setzt. Gerade der Verzicht auf die einfache Maxime des ständigen Steigerns des Gewinns verlangt differenzierte Überlegungen, welche Ziele vernünftigerweise angestrebt werden können oder sogar angestrebt werden müssen. Auch die Möglichkeit, sich auf die langfristige Entwicklung konzentrieren zu können, entbindet nicht von der Notwendigkeit, Maßgrößen für die kurze Sicht zu erarbeiten. Die üblichen Orientierungsgrößen für die Beurteilung von Normen für die Erträge sind folgende: • Vergleich der Ist-Werte der Gegenwart mit dem Trend aus der Vergangenheit. Ein negativer Trend ist – auch bei noch absolut zufriedenstellender Gewinnhöhe – ein Frühwarnsignal für Veränderungen, deren Ursachen erkundet werden müssen. • Vergleich der Ergebnisse in guten Konjunkturlagen mit den Spitzenwerten der Rendite in früheren Konjunkturhochs und ebenso Vergleich des Ergebnistiefs mit den Ergebnishochs. Nur wenn in guten Zeiten überdurchschnittlich verdient wird, gewinnt das Unternehmen die Ertragsstärke, um das Absinken der Ergebnisse in den Rezessionszeiten verkraften zu können. • Vergleich der Ergebnisse mit dem Durchschnitt und dem oberen Quartil der Branche. Für viele mittelständisch geprägte Branchen gibt es recht gute Branchenstatistiken. • Vergleich der Wachstumsrate des Eigenkapitals aus den thesaurierten Gewinnen mit den Wachstumserfordernissen des Unternehmens oder den Wachstumszielen. Je größer die Wachstumsrate eines Marktes ist, desto mehr muss verdient werden, um das Eigenkapital synchron zur Bilanzsumme und zur Geschäftsentwicklung wachsen lassen zu können. Wachsen oder sich bescheiden, angreifen oder verteidigen, Sprungfunktion oder Evolution Die meisten Dilemma-Konstellationen bei mittelständischen Unternehmen lassen sich auf die Optionsalternative „wachsen oder sich bescheiden“ zurückführen. Diese Wahlmöglichkeit taucht in unendlichen Variationen auf, etwa wenn es um den Neubau einer Betriebsstätte geht, den Erwerb einer Lizenz für ein neues Produkt, die Zusammenarbeit mit einem anderen Unternehmen, den Erwerb eines Konkurrenten, den Eintritt in neue Märkte – eventuell in den globalen Raum.
9.6 Die Parameter der Wachstumspolitik
279
All dies sind Wahlentscheidungen im Rahmen der absoluten Begrenztheit der finanziellen Mittel und der weitgehenden Begrenztheit der qualitativen wie quantitativen Management-Kapazitäten. Gilt es sich zu bescheiden, da die Möglichkeiten begrenzt sind, oder muss gleichwohl das Wachstum – bis an die erträgliche Grenze – forciert werden, um sich im Markt zu behaupten oder durch Diversifizierung die Risiken kompensieren zu können. Die Ertragserzielung ist eher ein Zwischenziel für eines dieser Endziele: Bewahrung des Bestands oder Finanzierung des Wachstums. Der Gründer-Unternehmer musste in der Entstehungsphase des Unternehmens zwangsläufig einseitig auf Wachstum setzen, um die kritische Masse für eine unternehmerische Tätigkeit überhaupt zu erreichen. Erst nachdem die Marktstellung gefestigt wurde, erst nachdem eine gewisse – je nach Branche – angemessene Unternehmensgröße erreicht worden ist, steht man vor der Wahl zwischen Selbstbeschränkung und Expansion. Der Eigentümer-Unternehmer schwankt immer wieder: Was soll er wagen, was kann er wagen? Und er wird die „Marschrichtung“ auch immer wieder der Lage anpassen. Wenn nun ein solches Familienunternehmen die Entwicklung hin zur Führung durch eine Nicht-Familien-Geschäftsführung nimmt und diese einem Beirat unterstellt, dann wird die Konstellation einerseits komplexer, aber andererseits transparenter, weil die Existenz dieser Institutionen es notwendig macht, dass die Prozesse der Willensbildung strukturiert werden. Die Bewahrung der Stabilität Die nachhaltige Sicherung der eigenen Existenz verlangt es, dass das Unternehmen auf einem Pfad der „beherrschten Entwicklung“ bleibt. Instabilität oder Verlust der finanziellen Handlungsfähigkeit bedeuten Chaos. Der Verlust der gesamten Geschäftsführung ist eine mögliche Ursache für eine instabile Phase. Der häufigste Grund für ein Abrutschen in Instabilität sind wohl zu große Wachstumsschritte, weshalb dieser Bereich im nächsten Abschnitt weiter auszuführen ist.
9.6
Die Parameter der Wachstumspolitik
Die Wachstumsvoraussetzungen und die Obergrenze für Wachstum Hat sich ein Unternehmen angesichts der Alternative „wachsen oder sich bescheiden“ für Ersteres entschieden, dann steht es vor einem weiteren Dilemma. Dieses Dilemma ergibt sich aus den Wachstumsnotwendigkei-
280
9 Die Strategiethemen im Beirat
ten und Wachstumschancen einerseits und den Gefahren einer Überforderung der Ressourcen und den Risiken der Investition andererseits. Die Rekapitulation einiger erprobter Fragestellungen und Entscheidungsgrundsätze gehört für diese Situation fast zu jedem Diskurs über das richtige Vorgehen bei einem bestimmten strategischen Vorhaben: • Ist das Kerngeschäft in Ordnung? Jedes lebensfähige Unternehmen hat ein Kerngeschäft, die Grundlage seiner Ertragskraft, einen „Profit Pool“. Von dem Erhalt dieses Kerngeschäfts hängt auch das Wachstum in neue Aktivitäten ab. Wenn dieses Kerngeschäft nicht die erforderliche Ertragskraft hat, müssen alle Anstrengungen vorrangig darauf gerichtet werden, diese Basis des Unternehmens in Ordnung zu bringen. • Kann der Cash-Flow für den Wachstumsschritt in einen neuen Bereich – welcher Art auch immer (Märkte, Produkte) – eingesetzt werden, ohne dass das Kerngeschäft geschwächt wird? Aus der ersten Maxime ist abzuleiten, dass alle Investitionen geleistet werden müssen, die die Entwicklung des Kerngeschäfts verlangt. Wenn also das Kerngeschäft selbst ein hohes Wachstum aufweist, ist eine hohe Ertragskraft und daraus ein hoher Cash-Flow notwendig, um das Wachstum des Kerngeschäfts zu finanzieren. • Kann das neue Vorhaben zu einem völligen Fehlschlag führen, ohne dass der Bestand des Unternehmens gefährdet würde? Alle neuen Vorhaben haben ein ungleich größeres Risiko als die Fortentwicklung des vorhandenen Geschäfts. Gleichgültig, ob man alle Risiken des vorhandenen Geschäfts analytisch kennt, dürfte die Unternehmung im Zeitablauf die meisten Risiken dieses Geschäfts bereits erfahren und ein Reaktionsmuster auf diese Risiken entwickelt haben. Wenn man Neues beginnt, kennt man die Risiken nicht, kann also in Bereiche größeren Risikos geraten, als man sie bisher erfahren hat. Hier können Risiken „toben“, mit denen die Organisation keine Erfahrung hat und möglicherweise überhaupt nicht zurecht kommt. Nur wenn mit dem „GAU“ gerechnet wird, dem „größten anzunehmenden Unfall“ für dieses neue Engagement, kann abgeschätzt werden, welches das maximale Risiko ist und ob die Unternehmung den Eintritt dieses Risikos überstehen könnte. • Was ergibt sich daraus für die Dimensionierung des Entwicklungsschritts? Eine Betrachtung des worst case soll weniger dazu dienen abzuschätzen, ob man das Neue überhaupt angehen soll, sondern viel-
9.6 Die Parameter der Wachstumspolitik
281
mehr dazu, die Entwicklungsschritte zu dimensionieren. Für jede Wachstumsstrategie ist es zunächst weniger attraktiv, einen kleinen, überschaubaren Entwicklungsschritt zu machen, als gleich einen „ordentlichen“ Schritt. Es wäre bei Eintritt der geplanten positiven Entwicklung immer attraktiver, gleich ein größeres Unternehmen zu erwerben als ein kleineres, eine größere Betriebsstätte zu bauen als eine kleinere. Der Unterschied ist aber: Angesichts der Möglichkeit des Scheiterns des Planes birgt das größere Vorhaben immer auch das größere Risiko in sich. Die Dimensionierung der Entwicklungsschritte über die Zeitachse macht den entscheidenden Unterschied hinsichtlich des Risikos. • Kann das Management die Entwicklungsschritte in der Zeitachse leisten? Es ist weniger wahrscheinlich, dass eine in einer guten Analyse aufgezeigte Chance überhaupt nicht besteht und dass ein Plan zur Erschließung dieser Chance nicht vorteilhaft wäre. Darin besteht zumeist nicht das Risiko des Vorhabens. Dieses liegt eher darin, dass ein richtiges Ziel auf unzureichende Weise verfolgt wird. Die unzureichende oder gar falsche Umsetzung – entweder aus Unkenntnis, aus prinzipiellem Unvermögen oder aus Kapazitätsengpässen – bildet das entscheidende Risiko. Die Managementkapazität ist kurzfristig die absolut beschränkte, knappe Ressource; nur mittelfristig kann diese Managementkapazität durch Neueinstellung und nachfolgende Bewährung der neuen Führungskräfte erweitert oder qualitativ verstärkt werden. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb bei Entwicklungsschritten alles auf die Dimensionierung der Entwicklungsschritte in der Zeitachse ankommt. Die Untergrenze für Wachstumserfordernisse Die Obergrenze für die Wachstumsmöglichkeiten ergibt sich aus dem, was man finanziell und personell leisten kann. Es gibt aber auch Untergrenzen für das notwendige Wachstum, die zu beachten sind: • Auch in reifen und nicht wachsenden Märkten können heute 3 % Rationalisierung pro Jahr erreicht werden. Eine solche Rationalisierungsrate ist auch erforderlich, um die Steigerungen der Personalkosten zu kompensieren. Preiserhöhungen sind in einer globalen Wettbewerbswirtschaft ohne nennenswerte Inflation nicht mehr möglich. Somit muss ein Unternehmen schon mindestens 3 % Wachstum erzielen, um nicht ständig aufgrund der Rationalisierung zu schrumpfen.
282
9 Die Strategiethemen im Beirat
• Ca. 4 % ist auch die Wachstumsrate des Welt-Bruttosozialproduktes. Diese Wachstumsrate muss ein Unternehmen mindestens erzielen, um in Relation zur Gesamtwirtschaft nicht ständig „kleiner“ zu werden. • Da die Wachstumsrate des BSP sich aber sowohl aus den untergehenden als auch aus den aufstrebenden Branchen und Unternehmungen als Durchschnitt zusammensetzt, muss ein aufstrebendes Unternehmen natürlich ein überdurchschnittliches Wachstum erzielen. Die Zielsetzung der „überdurchschnittlichen Entwicklung“ ist wesentlich; weniger wichtig ist, ob man diese noch weiter spezifiziert, wie es manche Großkonzerne tun (Siemens und General Electric verkündeten zum Beispiel, ihre Umsätze um das 1,5fache des BSP-Wachstums steigern zu wollen, bevor es wegen der Bestechungsaffäre ganz andere strategische Problemstellungen gab). • Hat man das Glück, in einer Branche tätig zu sein, die selbst überdurchschnittliche Wachstumsraten aufweist, muss das Unternehmen natürlich diese höhere Branchen-Wachstumsrate erreichen, um nicht ständig Marktanteile zu verlieren. • Ist das Unternehmen in einer Branche tätig, in der nur niedrigeres oder kein Wachstum zu finden ist, muss ein Einstieg in stärker wachsende Märkte gesucht werden. Für ein Familienunternehmen ergibt sich noch eine spezifische Motivation zum Wachstum: das Wachstum der Familie über die Generationen hinweg. Eines der populären Irrtümer über Familienunternehmen besteht darin, dass das Unternehmen mit zunehmender Anzahl von Gesellschaftern nicht mehr in der Lage sei, für so viele Gesellschafter einen substanziellen Beitrag zum Einkommen zu leisten, und dass schon aus diesem Grunde die Trägerschaft der Familie für das Unternehmen nicht mehr sinnvoll sei. Wer sich mit dieser Frage rational auseinandersetzt, kommt zu einer durchaus realistischen Zielsetzung für ein anzustrebendes Mindestwachstum: Es ist ein natürliches Ziel in der Evolution einer Familie, dass sich Eltern vornehmen, dass es ihren Kindern so gut ergehen solle, wie es ihnen selbst ergeht. Ein solcher Wunsch sollte jedoch aus verschiedenen Gründen – nicht zuletzt aus den Gründen eines klugen Lebensplanes – jeweils altersspezifisch definiert werden: Es kann den Kindern also in jungen Jahren noch nicht so gut gehen, wie es den Eltern im höheren Alter ergeht. Somit ergibt sich der Zeitraum einer Generation, um sicherzustellen, dass die Kinder ein gleiches Substrat wie die Eltern als reale Einkommensquelle erhalten. Wenn ein Elternteil der Gesellschafter ist und die Eltern für drei
9.7 Die Festlegung des finanziellen Rahmens
283
oder vier Kinder jeweils die gleiche Einkommenshöhe zur Verfügung stellen möchten, dann muss sich der Einkommensstrom in 30 Jahren verdreifachen beziehungsweise vervierfachen. Dies entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 4 bis 5 %. Erhöht man diese Wachstumsrate im Blick auf den Inflationsausgleich und reale Einkommenssteigerungen um weitere 2 %, ergeben sich im Durchschnitt der Jahre durchaus anspruchsvolle, aber auch realisierbare Wachstumsraten. Solche Wachstumsraten können auf Dauer freilich nicht in einem reifen nationalen Branchenmarkt gefunden werden, der selbst nur mit 2 bis 3 % wächst. Schon aus diesem Grunde muss eine Unternehmung irgendwann in ihrer Entwicklung im internationalen Raum expandieren. Neben dem Streben nach Verringerung der Volatilität der Erträge ist das oben beschriebene Wachstumsziel für die Familienunternehmung ein rationaler Grund, die Unternehmensaktivitäten zu diversifizieren. Die Strategie der Familienunternehmung unterscheidet sich insoweit signifikant von der Standardstrategie einer Börsengesellschaft. Die Börsengesellschaft muss zur Steigerung des Shareholder Value den Standardstrategien folgen, die von der Börse mit hohen Erwartungswerten honoriert werden, und dies sind Strategien der Fokussierung auf eine oder wenige zusammengehörige Aktivitäten.
9.7
Die Festlegung des finanziellen Rahmens für die Unternehmensentwicklung
Die Bedeutung der Finanzplanung Die finanzielle Führung des Unternehmens ist ein grundlegender Planungsbereich für jedes Unternehmen, vor allem aber für das Familienunternehmen, so dass sie ein Pflichtgegenstand der Beratungen zwischen Gesellschaftern und Beirat sowie zwischen Beirat und Geschäftsführung sein muss. Die Frage, wie viel Geld das Unternehmen mittelfristig und langfristig für die Dividendenausschüttung zur Verfügung hat, für das Wachstum oder für welche Zwecke auch immer, ist der Kristallisationspunkt für die meisten Fragen im Diskurs zur Strategie. Finanzierungsthemen sind Fragen, die die Gesellschafter berühren und dies mit Recht, denn direkt oder indirekt wird ihre Eigentümerposition von der Gestaltung der Finanzierung tangiert. Die finanzielle Führung ist ferner einer der Themenkreise, in denen Erfahrungen über Unternehmen und Branchen hinweg mit Nutzen übertragen werden können. Sie ist zudem ein Erfahrungsbereich, der nur unzulänglich
284
9 Die Strategiethemen im Beirat
in öffentlich zugänglichen „Praxisbüchern“ dokumentiert ist und der maßgeblich von den persönlichen Erfahrungen und Rezeptempfehlungen der Beratungsteilnehmer gespeist wird. Dies ist also ein Themenbereich, in dem in besonderer Weise die Erfahrung der Beiratsmitglieder gefragt ist. Die Erörterung des der Unternehmung zur Verfügung stehenden Finanzrahmens ist das Musterbeispiel dafür, dass der Diskurs über die Strategie zwischen Beirat und Geschäftsführung auf die generellen Maximen zielen sollte und nicht auf die Maßnahmen im jeweils anstehenden Einzelfall. Ein Investitionsprojekt, das ein Finanzierungserfordernis nach sich zieht, wird die Geschäftsführung nur dann vorschlagen, wenn sie sicher ist, die entsprechende Finanzierung auch zu erhalten. Es wird also bei der Diskussion nicht darum gehen, ob eine Finanzierung beschafft werden kann und soll; das kann bereits unterstellt werden, wenn der Antrag vorgelegt wird. Für den Beirat ist es vielmehr angemessen, zu diskutieren, ob es klug und langfristig vertretbar ist, diesen Schritt jetzt zu unternehmen und welche Auswirkungen sich daraus auf die langfristige Finanzplanung ergeben. Eine auf lange Zeiträume ausgerichtete strukturelle Planung des Finanzierungsspielraumes und -bedarfs ist in der Praxis nicht in Form einer umfassenden Planung der Mittelherkunft und -verwendung möglich. Wichtig ist zunächst, sich einen grundsätzlichen Überblick über die für die Finanzen des Unternehmens maßgeblichen Faktoren zu verschaffen. Hierfür sind Grundrelationen zu entwickeln und gleichzeitig praktikable Kennzahlen festzulegen. Die Finanzplanung unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Planungsbereichen, z. B. von der Absatzplanung, dadurch, dass nicht auf das anspruchsvolle Ziel oder den „günstigen“ Fall abzustellen ist. Finanzplanung bedeutet vielmehr die Vorkehrung gerade für den Fall der Planabweichung. Die finanzielle Führung des Unternehmens muss die Stabilität des Unternehmens auch dann noch sicherstellen, wenn im Leistungsbereich des Unternehmens oder beim Finanzierungsbedarf gravierende Planabweichungen auftreten. Die Finanzierungsregeln Das Ziel der Interaktion zwischen Beirat und Geschäftsführung – eventuell unter Einbeziehung der Gesellschafter – ist: • die Entwicklung der Eigenmittel und der anderen für die Finanzierung entscheidenden Parameter (EBIT, Cash-Flow) zu prognostizieren und deren Aufteilung in Thesaurierung und Ausschüttung beziehungsweise anderweitige Auszahlung zu regeln.
9.7 Die Festlegung des finanziellen Rahmens
285
• unternehmensspezifische Regeln für die Finanzstruktur und insbesondere für die Kreditaufnahme festzulegen und hierbei nicht von der aktuellen Planung auszugehen, sondern von Erfahrungswerten über die Abweichungsrisiken. • in den groben Größenordnungen zu klären, wofür der insgesamt zur Verfügung stehende Rahmen verwendet werden soll. Der Ausgangspunkt für die Finanzplanung des Familienunternehmens besteht darin, dass die Eigenkapitalfinanzierung allein von dem geschlossenen Kreis der Gesellschafter abhängt. Diese sind in aller Regel zu substanziellen Kapitalerhöhungen nicht in der Lage. Damit hängt die Finanzierung des Unternehmens ausschließlich vom intern generierten Cash-Flow ab. Hieraus sind die Ausschüttungen und eventuellen weiteren Kapitalentnahmen der Gesellschafter wie auch die Aufstockung des Eigenkapitals des Unternehmens zu bestreiten. Diese Ausgangslage lässt sich mit dem Ausdruck „Einheit des Cash-Pools der Gesellschaft und der Gesellschafter“ umreißen. Zur Befriedigung aller weitergehenden Finanzbedürfnisse bedarf das Familienunternehmen ausschließlich oder zumindest vorrangig der Finanzierung durch Bankkredite. Damit ist die Sicherung der Kreditfähigkeit des Unternehmens das notwendige, primäre Ziel der Finanzplanung. Ein zulässiges Kreditvolumen könnte nun in einer „Finanzierungsregel“ so zwischen Beirat und Geschäftsführung vereinbart werden, dass die Kreditaufnahme nur so weit erfolgt, dass ein sicherer Bereich nicht verlassen wird. Ein angestrebtes Rating des Unternehmens kann hierfür die maßgebliche Richtlinie sein. Ob und inwieweit Bankkredite aufgenommen werden, erscheint für professionelle Manager vorrangig ein Kalkül der Risikopolitik und der Finanzmarkttheorie zu sein. Aus der Sicht der Gesellschafter aber ist eine Fremdkapitalaufnahme von grundsätzlicher Bedeutung für den Status der Unabhängigkeit und Andersartigkeit gegenüber den Börsengesellschaften. Die sensible Einschätzung, dass der Freiheitsraum der Unabhängigkeit bereits durch Bankkredite gefährdet sein könnte, ist durchaus berechtigt. Die Hausbank, die mit dem Unternehmen durch „dick und dünn“ geht, gibt es immer seltener. Wenn ein Kredit erst einmal von der Bank an einen „Kreditverwerter“ verkauft wurde, treten dem Familienunternehmen plötzlich ganz andere Gläubiger gegenüber. Man hört von Familiengesellschaften gelegentlich die Maxime: Überhaupt keine Bankkredite, damit die Unabhängigkeit der Firma gewahrt bleibt! Diese Haltung ist vielleicht zu vorsichtig; aber es bleibt in jedem Fall typisch für Familienunternehmen, dass sie eher „konservativ“ finanziert werden.
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9 Die Strategiethemen im Beirat
Angesichts der Bedeutung der Fremdkapitalfinanzen für die Gesellschafter sollte der Beirat dafür Sorge tragen, dass Normen für die Finanzierung entwickelt werden, die mit den Gesellschaftern abgestimmt sind. Solche Normen sollten einfach und verständlich sein, also vorgeben, dass die Kreditaufnahme nicht eine bestimmte Relation zum Umsatz oder zum Cash-Flow überschreitet oder dass die Relation Ergebnis vor Zinsen zu Netto-Zinsaufwand nicht einen bestimmten Wert unterschreitet. Am Ende kommt bei all diesen Regeln heraus, dass das Finanzierungsvolumen einschließlich des Fremdkapitals eine Funktion der Steigerung des Eigenkapitals durch thesaurierte Gewinne ist. Natürlich kann durch die Veränderung der Normen für die Verschuldungsfähigkeit ein Einmaleffekt erzielt werden: Man kann zum Beispiel sagen, dass man statt einer Fremdkapitalgrenze in Höhe von 50 % der Eigenmittel die Verschuldungsgrenze auf 100 % der Eigenmittel ausdehnen möchte. Damit hat man einmalig einen zusätzlichen Kreditrahmen eröffnet. Nach dessen Ausschöpfung als Einmaleffekt richtet sich die weitere Entwicklung des Finanzierungsrahmens aber wieder nach der Steigerung des Eigenkapitals. Die Quintessenz dieser Überlegungen ist: Die Familienunternehmung kann nur so viel ausgeben, wie sie verdient. Die Prioritäten für die Verwendung der Finanzmittel Die nächste Frage ist, wofür die zur Verfügung stehenden Finanzmittel eingesetzt werden können. Hier gibt es meines Erachtens eine eindeutige Reihenfolge der Prioritäten: • Finanzierung des laufenden Betriebs, • Finanzierung der periodisch erforderlichen Restrukturierungen, • Finanzierung der Auszahlungen an die Gesellschafter, • Finanzierung des organischen Wachstums, • Finanzierung des externen Wachstums durch Akquisitionen. Die ersten beiden dieser Finanzierungsbereiche entsprechen der natürlichen Blickrichtung der Geschäftsführung auf die Belange des Unternehmens. Nach Abdeckung der dringlichen Erfordernisse des Unternehmens ist es aber durchaus angemessen, an nächster Stelle die Erfordernisse der Gesellschafter als Träger des Familienunternehmens in den Blick zu nehmen. Es ist also der Ausschüttungsbedarf der Gesellschafter zu klären, sei es als absoluter Betrag zur Bestreitung des Lebensunterhalts der Privatpersonen, sei es als Quote der Gewinnausschüttung vom erzielten Jahresüber-
9.7 Die Festlegung des finanziellen Rahmens
287
schuss. Dabei darf aber die im Beratungsprozess erarbeitete Analyse nicht stehen bleiben: Die Anlage des weitaus größten Teils des Privatvermögens in einem einzigen Unternehmen, wie dies bei Gesellschaftern von mittelständischen Unternehmen die Regel ist, widerspricht in ihrer Risikokonzentration jeder Logik rationaler Vermögensanlage. Es muss den existenziellen Interessen der Gesellschafter zumindest so weit Rechnung getragen werden, dass ihr Lebensunterhalt und vor allem ihre Altersversorgung durch diese Risikokonzentration im Familienunternehmen nicht gefährdet sind. Es genügt hier, diese Thematik anzusprechen. Dies ist ein Planungsbereich, in dem zumeist die Familiengesellschafter durchaus der Beratung bedürftig sind. In der typisch mittelständischen Bescheidenheit gilt die Maxime „Firma vor Familie“ und man wagt es nicht, den privaten Belangen Geltung zu verschaffen. Die privaten Vermögensinteressen verlangen aber, dass dann, wenn die Unternehmensentwicklung dies erlaubt, ein den persönlichen Grundbedarf abdeckender Kapitalbetrag außerhalb des Unternehmens angelegt wird. Dieser darf dann natürlich auch nicht als Sicherheit für die Kreditfinanzierung des Unternehmens herangezogen werden. Wenn schon der Gesetzgeber darauf achtet, dass Einkommensbasis und Pensionsansprüche der Beschäftigten durch Kündigungs- und Insolvenzschutz garantiert sind, darf es dem Eigenkapitalinvestor nicht verwehrt sein, sich seinen Lebensunterhalt außerhalb des Unternehmens zu sichern. Das zweite Standardthema im Kontext der Bedürfnisse der Gesellschafter ist die Sicherung der Übertragung der Anteile auf die nächste Generation. Hier ist eine langfristige Planung des Erbübergangs erforderlich. Je nachdem, welche Vererbungskonzeption gewählt wird – dynastisches Prinzip oder Gerechtigkeitsprinzip –, sind Ausgleichsansprüche der Erbberechtigten ohne Anteilserwerb zu finanzieren.259 Trotz aller Reformversprechen bleibt die Erbschaftssteuer eine schwere Bürde für die Liquidität einer Unternehmung, denn die steuerpflichtigen Gesellschafter können die Mittel dafür nur aus den versteuerten Gewinnen des Unternehmens aufbringen. Gegenüber diesen Standardelementen des privaten Finanzbedarfs der Gesellschafter besteht die Gefahr von außerordentlichen gesellschafterbedingten Auszahlungen. Wenn nicht entsprechende vertragliche Vorkehrungen getroffen wurden, kann gerade in Zeiten eines schlechteren Geschäftsganges der Austritt oder die Kündigung des Kapitalanteils eines Gesellschafters drohen. Gewitzte Familienmitglieder wollen dann vielleicht den Wert ihres Kapitalanteils auf der Bewertungsbasis besserer Geschäftsjahre retten. Vertragliche Regelungen, die die Kündigung erschweren oder zumindest wirt259
Vgl. hierzu Kormann, H. (2005): S. 32 ff.
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9 Die Strategiethemen im Beirat
schaftlich unattraktiv machen, gehören zum notwendigen Grundgerüst einer nachhaltig lebensfähigen Familiengesellschaft. Wichtiger ist aber die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Unternehmensträger, das sich gerade in schwierigen Zeiten bewähren muss. Erst wenn für das laufende Geschäft, für die periodisch anstehenden Restrukturierungen und für die Bewahrung der Gesellschafterbasis (auch hinsichtlich der Erbfolge) Vorsorge getroffen worden ist, kann der nächste wichtige Planungsbereich angegangen werden, nämlich die Finanzierung des notwendigen Wachstums. Wir haben hierzu oben die notwendigen Plausibilitätsüberlegungen geschildert. Wie dort ausgeführt wurde, sind Wachstumsraten von 4 bis 6 % als notwendig anzusehen. Das verlangt, dass auch das Eigenkapital mit dieser Rate aus thesaurierten Gewinnen wächst. Eine solche Steigerungsrate des Eigenkapitals gelingt nur, wenn Eigenkapitalrenditen vor Steuern im zweistelligen Bereich erzielt und von dem nach Steuern verfügbaren Gewinn nur niedrige Gewinnauszahlungen geleistet werden. Erst wenn all diese internen Finanzierungsanforderungen erfüllt sind, kann daran gedacht werden, weitere Wachstumsoptionen durch Akquisitionen zu erschließen. Das externe Wachstum durch Akquisitionen ist allemal am riskantesten. Man darf sich dabei von Finanzierungstechniken und Off-Balance-Sheet-Optionen nicht verwirren lassen. Insbesondere mittelgroße Unternehmen müssen sich von einer emotionalen Wachstumssucht freimachen; ihr unreflektiert nachzugeben, bedeutet das größte Risiko für ihr Überleben. Es gilt erst zu thesaurieren, dann Wachstumschancen zu nutzen und dabei immer langfristig zu finanzieren.260 Es ist die Folge dieser Finanzierungsstrategie, dass Familienunternehmen tendenziell stärker auf das interne, organische Wachstum angewiesen sind. Darin liegt ein Grund für ihre große volkswirtschaftliche Bedeutung.
9.8
Die Ausschüttungspolitik als Schnittpunkt zwischen Unternehmensentwicklung, Finanzierung und Gesellschafterinteressen
Die Entscheidung über die Höhe der Gewinnausschüttung gehört zu den Souveränitätsrechten der Gesellschafterversammlung, die nicht an ein anderes Organ übertragen werden kann. Wenn aber das Recht zur Feststellung des Jahresabschlusses einem Beirat übertragen wurde, dann hat dieser über die Festlegung des ausschüttbaren Jahresüberschusses beziehungs260
Wimmer, R. et al. (2005): S. 156 ff.
9.8 Die Ausschüttungspolitik als Schnittpunkt
289
weise der Einstellung des Jahresüberschusses in die Rücklagen die Zuständigkeit für die Festlegung der Obergrenze der Gewinnausschüttung. Wenn die Gesellschafter also tatsächlich autonom in Fragen der Gewinnentnahmen sein wollen, muss entweder die Feststellung des Abschlusses der Gesellschafterversammlung übertragen werden oder die Befugnis des Beirats beziehungsweise der Geschäftsführung zur Einstellung des Überschusses in die Rücklagen auf einen bestimmten Prozentsatz des Jahresüberschusses begrenzt werden. Unabhängig von der Regelung der statutarischen Rechte, brauchen die Gesellschafter eine Wegleitung, welche Gewinnausschüttung vertretbar ist und welche Aspekte dabei zu berücksichtigen sind. Der Beirat ist die Institution, die hier einen Rat geben kann, der die ihm aufgetragene Wahrung der Unternehmensinteressen und die der Interessen der Gesellschafter miteinander verbindet. Trotz der Gefahr, Selbstverständliches aufzuführen, seien vorab einige Grenzwerte für die Ausschüttungspolitik fixiert: • Natürlich kann nicht der ganze Jahresüberschuss ausgeschüttet werden. Dann könnte das Unternehmen nicht mehr wachsen, ja wegen der Tendenz zur zunehmenden Kapitalintensität könnte es nicht einmal sein bisheriges Umsatzniveau aufrechterhalten. • Auch eine Ausschüttungsquote zwischen 40 und 50 % des Jahresüberschusses, wie sie in den reifen Unternehmungen des DAX als Durchschnitt und Orientierungswert üblich ist, wäre für ein Familienunternehmen zu hoch. Die DAX-Unternehmen können sich bei dieser hohen Ausschüttungsquote in guten Börsenjahren durch Kapitalerhöhungen immer wieder einen Teil der Dividendenausschüttung zurückholen und tun dies auch. • Die sinnvolle Bandbreite für die Ausschüttungsquote bei deutschen Familienunternehmen liegt zwischen 15 und 25 % des Jahresüberschusses.261 Eine solche Bandbreite der Ausschüttungsquote dürfte einer Ausschüttungsquote von 40 bis 50 % bei DAX-Unternehmen nahe kommen, wenn von der Ausschüttung der DAX-Unternehmen die durch die Kapitalerhöhung wieder eingezogenen Gewinne abgezogen werden. Insofern ist die oben genannte Bandbreite für die Ausschüttungsquote eine Orientierungsgröße, die aufgrund der Gepflogenheiten älterer und erfolgreicher Unternehmen als erprobt gelten darf. 261
Vgl. Kormann, H. (2005): S. 62.
290
9 Die Strategiethemen im Beirat
Wird nun außerhalb einer solchen pauschalen Orientierung eine spezifische Politik für die Ausschüttungen in einem Familienunternehmen entwickelt, müssen folgende Überlegungen angestellt werden: • Strebt man eine gleich bleibende oder eine sich kontinuierlich steigernde Ausschüttungssumme an, um damit den Gesellschaftern eine fest kalkulierbare Einkommensbasis zu verschaffen, oder aber möchte man eine Ausschüttung, die von dem jeweils fluktuierenden Gewinn abhängt? • Soll durch die Ausschüttung nur der Lebensunterhalt der Gesellschafter gedeckt werden oder soll die Ausschüttung so bemessen sein, dass die Gesellschafter selbst Rücklagen für Sonderzahlungen (Steuern, Schenkungen, Ausgleichszahlungen) bilden können? Die Ausschüttung eines Gewinns reduziert unvermeidlich die Thesaurierung und damit die Steigerungsrate des Eigenkapitals. Damit werden die Wachstumsmöglichkeiten und die zukünftigen Gewinnpotenziale reduziert. Das folgende Beispiel soll diesen Wachstumseffekt illustrieren: Die Eigenkapitalrendite nach Steuern sei 10 %. Wenn das Unternehmen jährlich statt 25 % des Nettoertrags nur 15 % ausschüttet, dann stehen 10 % mehr vom Jahresüberschuss (dies entspricht 1 % des Eigenkapitals) für die Thesaurierung zur Verfügung. Über eine Generation von 30 Jahren hinweg bedeutet diese zusätzliche Thesaurierung einen Zuwachs der Unternehmensgröße von einem Drittel. Damit soll nicht vorgeschlagen werden, dass die Gewinne im Interesse des Wachstums möglichst vollständig zu thesaurieren seien. Die Familiengesellschafter müssen einen rationalen Grund haben, die Träger dieses Unternehmens zu sein, und dieser gute Grund kann nicht nur in der Zukunft liegen. Die Gesellschafter sollten sich aber darauf verlassen können, dass jeder Konsumverzicht, den sie in der Gegenwart leisten, zumindest eine den Bedingungen des Kapitalmarkts vergleichbare Rendite bringt. Das sollte auch möglich sein, denn die „Corporate Governance“ kann im Familienunternehmen besser sein. Zudem führen die Vorteile bei der Erbschaftssteuer zu einer ungleich höheren Nettorendite für die Beteiligung am Familienunternehmen als für die Beteiligung an Börsengesellschaften.262
262
Vgl. hierzu Kormann, H. (2005).
9.9 Die Festlegung weiterer Rahmenbedingungen
9.9
291
Die Festlegung weiterer Rahmenbedingungen für die geschäftliche Strategie
Die Unabhängigkeit der Familiengesellschaft von der Börse erlaubt es ihr, ihre Zielsetzung autark zu bestimmen. Sie kann nicht-wirtschaftliche Ziele mit gleicher Geltung wie wirtschaftliche Ziele vorgeben. Freilich setzt die Verfolgung nicht-wirtschaftlicher oder die Rendite beeinträchtigender Ziele voraus, dass eine Mindestrendite erzielt wird, die den Bestand der Unternehmung sichert. Ein in den letzten Jahrzehnten häufiger in der Berichterstattung der Medien aufgetauchtes Ziel ist die Berücksichtigung ökologischer Ziele weit über das durch gesetzliche Regelungen geforderte Maß hinaus. Später zeigte sich dann oft, dass die Aufnahme von gesellschaftlich bevorzugten Themen einem Unternehmen als „Early Mover“ großen Imagegewinn und damit auch eine Förderung der wirtschaftlichen Ziele brachte. Eine weitere Randbedingung für die geschäftlichen Aktivitäten eines Familienunternehmens kann zum Beispiel die Ausklammerung von bestimmten Produkten oder aber die Präferenz für bestimmte Produkt- und Marktbereiche sein. Zu den ausgeklammerten Bereichen gehören zum Beispiel vorzugsweise der Militärbereich oder Produkte, die für die Umwelt oder die Gesundheit problematisch sind. Zu den bevorzugten Geschäften mag die Bewahrung einer Tradition des Unternehmens gehören oder die Hinwendung zu Leistungen, die für die Entwicklung der Welt als förderlich angesehen werden. Natürlich kann man darüber sinnieren, welche Bedeutung es hat, dass eine Familie glaubt, durch solche Festlegungen das Übel in der Welt verringern zu können. Dies wird als isolierte Maßnahme nicht gelingen. Gleichwohl ist die ethische Entscheidung in sich wertvoll und zu respektieren. Man kann nicht als Vorteil der Familiengesellschaft die Prägung durch individuelle Vorstellungen herauszustellen, ohne auch zu akzeptieren und zu würdigen, dass diese individuellen Vorstellungen von persönlichen Wertvorstellungen außerhalb der ökonomischen Dimensionen bestimmt werden. Die Berücksichtigung altruistischer Ziele, die ja auch zeitbedingt sind, mag nicht unproblematisch für die Optimierung der wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten sein. Aber auch hier gilt: Die Verfolgung gewünschter, nicht wirtschaftlicher Zwecke kann ein geldwerter Vorteil für das Familienunternehmen sein.
292
9 Die Strategiethemen im Beirat
9.10 Die Festlegung von Zielen und Randbedingungen für die Unternehmensentwicklung Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, dass Familiengesellschafter und ihr Beirat die Ziele und die Randbedingungen für die Unternehmensentwicklung in einem „Strategischen Dokument“ niedergelegt haben. Für die Familiengesellschafter ist ein solches Dokument eine Vereinbarung mit den Nicht-Familien-Geschäftsführern, dass diese die Präferenzen der Familie bei der Unternehmensführung beachten. Es ist eine vertrauensbildende Maßnahme, um nicht befürchten zu müssen, dass die Geschäftsführung in ihrem Ehrgeiz Ziele verfolgt, die mit der Konzeption, den Möglichkeiten und der Risikobereitschaft der Familiengesellschafter nicht zu vereinbaren wären. Ein solches Dokument könnte und sollte folgende Dimensionen einer Unternehmensstrategie erfassen: • Bestätigung, dass die Familiengesellschafter dieses Unternehmen als Familienunternehmen bewahren wollen. Eventuell ist zu spezifizieren, ob zu 100 % oder in Mehrheit. • Festlegung der Mission des Unternehmens: Je nach dem Entwicklungsstand des Unternehmens sind unterschiedliche Strategieziele festzulegen, zum Beispiel: o für ein Unternehmen in einem stark wachsenden Markt, in dem das Unternehmen selbst eine gute Basis hat, aber keineswegs zu den unangreifbaren Führern gehört: Hier lautet die Mission, in diesem attraktiven Markt eine nachhaltig haltbare Position zu erringen – und sich hierauf zu konzentrieren. o in einem älteren Familienunternehmen, das bereits gute Marktpositionen besitzt, allerdings in Märkten, die insgesamt als reife Märkte stagnieren: die Aufgabenstellung, neue Wachstumsfelder zu erschließen. o oder aber für ein Unternehmen in der gleichen strategischen Situation: die Aufgabe, hohe Gewinnausschüttungen zu leisten, damit die Gesellschafter Investitionen in zukunftssichere Investments durchführen können. o oder aber: Bestimmung der Aufgabe des Unternehmens als Portfolio des Familienvermögens, das durch jeweilige Anpassung über die Zeit nachhaltig ertragreich zu halten ist.
9.10 Die Festlegung von Zielen und Randbedingungen
293
• Festlegung der erwarteten Ausschüttungen aus den Erträgen der Unternehmung. Hier gibt es eine Mehrzahl von Möglichkeiten zu erwägen, die im Abschnitt 9.8 ausführlich dargestellt wurden: o Modell einer stetigen Rente, o Modell einer Quote am schwankenden Jahresüberschuss, o Modell der Abdeckung des Grundbedarfs mit den jährlichen Gewinnausschüttungen und mit Sonderausschüttungen, wenn Sonderbedarf wie zum Beispiel im Kontext der Erbschafts- und Schenkungssteuer oder dem Bau eines Hauses usw. entsteht. Wir plädieren – wie oben dargelegt – nicht für die Maximierung der Bescheidenheit der Gesellschafter, etwa indem sie auf Gewinnausschüttungen überhaupt verzichten und alle Erträge im Unternehmen thesaurieren. Eine recht verstandene Stakeholder-Orientierung trägt auch den finanziellen Interessen des Kapitalbesitzers und Risikoträgers Rechnung. Es gehört zu den Grundsätzen guter Unternehmensführung, darauf zu achten, dass – von der Gründungssituation eines Unternehmens abgesehen – ein frei verfügbarer Cash-Flow erwirtschaftet wird. Gerade an den Rahmenbedingungen für die Finanzplanung wird augenfällig, was im Grunde für alle Aspekte der Strategie der Unternehmensentwicklung gilt: Die Strategie für das Unternehmen ist immer nur zusammen mit der Strategie der Familiengesellschafter zu planen.
10 Die Strategieberatung im Beirat
10.1 Die Bedeutung der Strategieberatung Der folgende Abschnitt ist von der räumlichen Anordnung wie von der Themenstellung her die Mitte und der Schwerpunkt dieser Arbeit. Es geht darum, wie Beirat und Geschäftsführung sich über ein so vages und komplexes Konstrukt wie die Strategie des Unternehmens fruchtbar, beratend und argumentativ austauschen können. Es ist dies nach meiner Überzeugung das Wichtigste, aber zugleich das Schwierigste in der Arbeit des Beirats. Meine Reflexion darüber versucht nicht nur deskriptiv die mir bekannten oder in der Literatur beschriebenen Usancen in der Erörterung strategischer Themen zu erfassen. Angesichts der Bedeutung dieses Aspekts der Beiratsarbeit muss eine präskriptive Weiterentwicklung versucht werden. Dieser Beitrag muss aus betriebswirtschaftlicher Sicht als notwendige Ergänzung der juristisch geprägten Literatur zur Institution des Beirats geleistet werden. Die präskriptiven Aussagen zielen auf drei Betrachtungsebenen: • Was ist die Aufgabe des Beirats und was ist die Aufgabe der Geschäftsführung in den Phasen der Strategieentwicklung (siehe nachfolgendes Phasenschema)? • Wie kommt der Prozess der Überprüfung und Neuorientierung der Strategie zustande? Ich beginne hier mit den Beispielen für ereignisbedingte Anstöße, für episodenhafte „Einstiege“ in die Strategie. Am Ende des Strategieprozesses erinnere ich dann an das von Schreyögg/Steinmann entwickelte methodische Vorgehen der strategischen Kontrolle. • Wie kann eine beratende Interaktion zur Strategie gelingen? Ich versuche die Voraussetzungen eines argumentativen Austauschs zwischen den Dialoggruppen Beirat und Geschäftsführung zu skizzieren. In der Aufsichtsratsforschung wird das „Andere“ gegenüber Überwachung und Genehmigung durchgängig „Beratung“ genannt. Dieser gebräuchliche
296
10 Die Strategieberatung im Beirat
Begriff könnte nun suggerieren, dass klar ist, welcher Vorgang damit gemeint sei. Das ist jedoch nicht der Fall. Beratung kann vieles bedeuten.263 Da es sich bei der Planung um einen geistigen Prozess handelt, ist das arbeitsteilige Zusammenwirken auf diesem Gebiet dementsprechend ein geistiger Austauschprozess. Die Interaktion umfasst verschiedene Kommunikationsformen mit sehr unterschiedlicher Intensität und Direktheit der Einflussnahme. Ich möchte im Folgenden darlegen, dass ausschließlich das beratende Gespräch der angemessene Modus zur Behandlung von strategischen Fragen im Beirat ist. „Beratung … wird definiert als der sachliche und beziehungsorientierte Input mit dem Ziel der Weiterentwicklung des Outputs“264 – im Gegensatz zu einer Überprüfung der Zielerreichung und der Einhaltung des hierzu festgelegten Weges. Beratung ist ein kommunikatives Einwirken auf den Entscheidungsprozess mit folgenden Merkmalen: • Beratung beruht auf Information und Argumentation. Der inhaltliche Rat kann durch bereits ex ante vorhandene bessere Informationen und bessere Argumente widerlegt werden. Ob die durch den Rat erwarteten Effekte auch eintreten, ist wie jede auf die Zukunft gerichtete Aussage unsicher. • Das Beratungsergebnis hat nur bedingten Geltungsanspruch, es muss vom Beratenen akzeptiert werden, muss also in diesem Sinne „anschlussfähig“ sein. Die Beratung hat nicht den Charakter und die Geltungswirkung einer Anweisung. Je nach Art des kommunikativen Einwirkens können verschiedene Typen der Beratung unterschieden werden265: • Beratung durch Übermittlung zweckdienlicher Information, • Beratung mit dem Ziel eines Vorschlags zu einer Problemlösung: die klassische Unternehmensberatung, • Beratung als Katalyse für die eigenständige Problemlösung durch den Beratenen, heute vor allem im Konzept der systemischen Beratung repräsentiert.266 263 264 265 266
Vgl. Kormann, H. (1971). Klein, S. (2005): S. 195. Vgl. Kormann, H. (1971): S. 248 ff. Vgl. Königswieser, R./Hildebrandt, M. (2007); Nagel, R. (2007); Ellebracht, H. et al. (2003); von Schlippe, A.v./Schweitzer, J. (1998).
10.2 Die Aufgaben von Beirat und Geschäftsführung
297
Die Beratung durch Bereitstellung geeigneter Informationen ist dort, wo sie möglich ist, ein willkommener und unproblematischer Beitrag zur Strategieentwicklung. Die Wirkungsmöglichkeit dieser Beratungsform ist allerdings begrenzt, wie weiter unten noch dargelegt wird. Der wesentliche Interaktionsprozess zwischen Beirat und Geschäftsführung ist die Argumentation. In der Argumentation wird zu einer Fragestellung eine Antwort entwickelt. Angesichts der Komplexität jeder strategischen Fragestellung sowie der Vor- und Nachteile jedes entsprechenden Lösungsvorschlags, angesichts der Unsicherheit, ob eine Strategie überhaupt wie intendiert umgesetzt werden kann und der Unsicherheit, ob die angestrebten Effekte tatsächlich eintreten, können Strategiefragen – wie oben dargelegt – nicht wie Genehmigungsvorbehalte mit Ja-Nein-Aussagen abgehandelt werden. Vielmehr ist die gemeinschaftliche Suche nach Antworten auf komplexe Fragen durch den Austausch von Argumenten die angemessene Vorgehensweise in diesem Bereich. In der gelungenen Argumentation wird eine Antwort entwickelt, die von allen Beteiligten akzeptiert wird und die als vertretbar oder sogar als überzeugend und gültig angesehen wird. Wir werden zuerst betrachten, in welchen Phasen der Entwicklung eines strategischen Vorhabens der Beirat als Berater eine Funktion hat, und anschließend die Aspekte erörtern, die für ein Gelingen der Beratung förderlich, und jene, die hierfür abträglich sind.
10.2 Die Aufgaben von Beirat und Geschäftsführung in den Phasen der Strategieentwicklung Ich werde im Folgenden darlegen, dass eine Beratung über die Strategie vorzugsweise in den frühen Phasen der Strategieentwicklung gesucht werden sollte. In diesen Phasen hat sich die Vorstellung über das richtige Vorgehen noch nicht zu einem einzigen verbleibenden Vorschlag verdichtet und Argumente können noch leichter ausgetauscht und berücksichtigt werden. Es gilt also, vorab ein Gliederungsschema für den strategischen Prozess zu erstellen, das als Arbeitshilfsmittel für die Abfolge der beratenden Interaktionen in den verschiedenen Phasen dieses Prozesses dient. Ich beginne mit einer pragmatischen, an Steinmann/Schreyögg267 angelehnten Gliederung des Planungsprozesses:
267
Vgl. Steinmann, H./Schreyögg, G. (1997): S. 145ff.
298
10 Die Strategieberatung im Beirat
• die Phase des Anstoßes für eine strategische Planung: Hier geht es darum, aus der Erkenntnis der Lage die Herausforderung zu analysieren sowie aus diesem Befund eine Zielsetzung zu erarbeiten und eine Orientierung für das weitere Vorgehen zu gewinnen. Dies ist die wichtigste Phase. • die Phase der Ausarbeitung einer Strategie: o Umweltanalyse: die Analyse der Risiken und Chancen des angedachten Vorhabens, der eigenen Position in den Märkten sowie der in den Kundenmärkten und den Anbietermärkten wirkenden Kräfte, o Unternehmensanalyse: Die Stärken-Schwächen-Analyse sowie die Reflexion der Kernkompetenzen und des Geschäftsmodells, o Design der Optionen, Suche nach Alternativen: Dies ist eine weitere sehr wichtige Phase, denn es ist offensichtlich wichtiger, nach geeigneten Optionen zu suchen als eine beschränkte Reihe von Optionen möglichst genau zu bewerten. Oder noch schärfer formuliert: Wenn man die Optionen erst einmal genau bewerten muss, dann ist die ideale Option meist noch nicht dabei. Die ideale Option ragt aus dem Rest der Alternativen „turmhoch“ heraus. o Einarbeitung der Optionen in einen Gestaltungsvorschlag, o argumentative Prüfung des Plans. • die Prüfung der Konformität des Plans mit den vorgegebenen Zielen und Randbedingungen für die Unternehmensentwicklung: o Überprüfung der Kompatibilität der verschiedenen Optionen mit den Zielen und Werten des Unternehmens, o Überprüfung der Konformität der präferierten Option mit den vorgegebenen Grenzbedingungen, die für das strategische Handeln einzuhalten sind wie zum Beispiel Risikogrenzen, Finanzierungsgrenzen, ethische Normen. • die Durchführung der Strategie: o Transformation der ausgewählten Option in Handlungsprogramme für die verschiedenen Handlungsbereiche und Organisationseinheiten, o Kommunikation der Strategie, o Realisierung der Strategie. • die strategische Kontrolle daraufhin, ob die gewählte Strategie weiter verfolgt werden kann.
10.2 Die Aufgaben von Beirat und Geschäftsführung
299
Ich schlage ein typisches Muster der Zuordnung von Aufgabenschwerpunkten in den verschiedenen Phasen der Strategieplanung vor. Dabei handelt es sich lediglich um ein typisches Muster, nicht um eine generell gültige Abfolge von Handlungen. Dieses Muster wurde aufgrund der Beobachtung gelungener und nicht gelungener Diskussionen über Strategien entwickelt. In den nachfolgenden Abschnitten wird erläutert, warum diese Aufgabenzuordnungen möglich und fruchtbar sind. Hier ist zunächst nur das Muster selbst vorzustellen (vgl. Tabelle 4). Die Geschäftsführung hat als die für die Strategie des Unternehmens zuständige und verantwortliche Einheit die Aufgabe, alle Phasen der Strategieentwicklung durchzuarbeiten. Der Beirat übernimmt dabei immer nur eine ergänzende Rolle. In drei Phasen ist diese ergänzende Rolle jedoch von besonderem Gewicht und essenziell für die Qualitätssicherung des Prozesses der Strategieentwicklung: • erstens in der Phase des Anstoßes zu einem Planungsprozess: In dieser Phase geht es darum, eine Orientierung darüber zu gewinnen, ob eine und ggf. welche Herausforderung besteht, die durch ein strategisches Vorgehen aufgegriffen werden muss. • zweitens in der Festlegung der Ziele, die zu verfolgen sind, und der Grenzbedingungen, die hierbei einzuhalten sind. Dies schließt die Prüfung des ausgearbeiteten Plans auf die Konformität mit den vorher festgelegten Zielen und Grenzbedingungen ein. • drittens in der strategischen Kontrolle im Blick auf die Frage, wann eine verfolgte Strategie überprüft und erforderlichenfalls verändert werden sollte. In allen anderen Phasen sollte sich der Beirat hinsichtlich seiner Interaktion mit der Geschäftsführung zurückhalten. Die Rolle, die der Beirat zu übernehmen hat, ist dadurch begründet, dass er durch folgende Eigenschaften die Verbesserung der Qualitätssicherung im Strategieprozess ermöglicht: • sein spezifisches Know-how, Sachkompetenz, • seine Interessenkompetenz, • seine redundante Wahrnehmung der Aufgaben der Geschäftsführung zur Sicherung der Qualität des Planungsprozesses. Der Akzent in dieser Funktionsbeschreibung liegt auf der Sicherung der Qualität des Prozesses. Das bedeutet, dass natürlich in erster Linie die Arbeit
300
10 Die Strategieberatung im Beirat
Tabelle 4. Die Rollen von Geschäftsführung und Beirat im Strategieprozess Phase der Strategieentwicklung
Teilnahme Geschäftsführung
Teilnahme Beirat
Initiative
alternative Initiative
Phase des Anstoßes Orientierung Festlegung der Entscheidungskriterien Ziele und Werte
Fokus wegen Interessenkompetenz und Sachkompetenz
Grenzbedingungen
Fokus wegen Interessenkompetenz und Sachkompetenz
Phase der StrategieAusarbeitung Umweltanalyse
Fokus
Ergänzung durch Sachkompetenz/ Informationsberatung
Unternehmensanalyse
Fokus
geringe Möglichkeiten des Beitrags
Design der Optionen
Fokus
selten Möglichkeiten des Beitrags
Auswahl der Option
Fokus
Einbeziehung/ Genehmigung Fokus wegen Interessenkompetenz und Absicherung der Einhaltung der Entscheidungskriterien
Phase der Konformitätsprüfung mit Entscheidungskriterien Phase der Durchführung Auswahl der Option
Fokus
Einbeziehung/ Genehmigung
Programme
Fokus
kein Beitrag
Umsetzung
Fokus
kein Beitrag
Strategische Kontrolle
Fokus
Anstoß
10.3 Die Anstöße zur Strategiearbeit
301
der Geschäftsführung entscheidend ist für die Qualität der strategischen Planung. Die Einschaltung des Beirats dient nur der Sicherung ihrer Qualität für den Fall, dass es Verbesserungsmöglichkeiten des Prozesses gibt. (Insofern findet die Sicherung der Qualität hier anders statt als bei wohlstrukturierten Prozessen, bei denen die Qualitätssicherung nur darin besteht, Fehler aufzudecken. Hier geht es nicht nur darum, Fehler aufzudecken, sondern auch um die Erschließung noch nicht genutzter Verbesserungsmöglichkeiten.) Die Qualifikationen, die der Beirat hierzu einbringen sollte, sind zum einen die Sachkompetenz im Management- und Strategieprozess (und weniger in den Details des Geschäftes). Zum anderen bestehen sie in seiner Kompetenz zur Vertretung der Interessen der Gesellschafter durch Einflussnahme auf den Management- und Strategieprozess insgesamt (und nicht auf die Einzelfestlegungen der geschäftlichen Optimierung). Hinzu kommt die Aufgabe des Beirats, sich die von der Geschäftsführung vorgeschlagenen Abschnitte ihres Vorhabens im Einzelnen zu vergegenwärtigen. Die Überprüfung eines Prozesses durch Nachvollzug der Prozessschritte ist ein etabliertes Instrument der Qualitätssicherung, insbesondere von geistigen Prozessen.
10.3 Die Anstöße zur Strategiearbeit Die Ansätze zu einer systematischen Überarbeitung Bei einer geordneten Unternehmensführung gibt es zu jeder Zeit eine Strategie – wie immer sie auch formuliert und dokumentiert ist. Diese Strategie muss angepasst und weiterentwickelt werden, um den Veränderungen bei den internen Möglichkeiten und den externen Gegebenheiten gerecht zu werden. Die entscheidende Frage für die Rechtzeitigkeit wie auch teilweise für die Qualität der Weiterentwicklung einer Strategie ist, wann und wie dieser Prozess angestoßen und eine Neuorientierung aufgrund einer neuen strategischen Herausforderung erarbeitet wird. Hierfür gibt es zwei grundsätzliche Vorgehensweisen: • die systematische Überarbeitung der Strategie sowohl in einem festen zeitlichen Raster wie auch in einem klar festgelegten methodischen Prozess, • die Überarbeitung der Strategie aufgrund ereignisbedingter Anlässe, oft episodenhaften Charakters, die dann – entsprechend dem Anlass – einen eher isolierten methodischen Einstieg zur Strategieentwicklung mit sich bringen.
302
10 Die Strategieberatung im Beirat
Die jährlichen „Planungsrunden“ im Unternehmen können formal mit einem Modul „Strategie“ verbunden sein; dies ist aber in aller Regel nicht der Zugang zu einer wirklich systematischen Überarbeitung der bisherigen Strategie. In den jährlichen Planungsgesprächen geht es in erster Linie um die Budgetierung der finanziellen Parameter für die nächsten Jahre. Allenfalls lässt sich dabei eine bestehende strategische Planung fortschreiben. Mit dem Anstoß für eine neue oder eine grundsätzlich zu überarbeitende Planung wird die Fortsetzung des bisherigen Kurses für die strategische Geschäftseinheit in Frage gestellt. Wegen der Bedeutung solcher Kursänderungen für die Entwicklung eines Unternehmens kann man versuchen, einen gesonderten Planungskalender zu erstellen, sinnvollerweise einen mehrjährigen Kalender. So kann man z. B. planen, dass in einem Mehrprodukte-Geschäft jedes Jahr die strategische Planung für eine der Produktgruppen überarbeitet werden sollte, so dass man einen Rhythmus von vielleicht drei Jahren für die Strategieplanung erhält. Es ist aber nicht sehr wahrscheinlich, dass solche „guten Vorsätze“ zum zeitlichen Ablauf auch durchgehalten werden können. Wahrscheinlicher ist es, dass jeweils ein bestimmtes Ereignis den Anstoß für die Einleitung eines Projektes der strategischen Planung gibt. Die systematische Überarbeitung einer Strategie ist immer eine Aufgabe der Geschäftsleitung. Nur die Ergebnisse dieses Prozesses gehen in die Berichterstattung an den Beirat ein. Es kann natürlich vorkommen, dass der Beirat in einem Unternehmen an einem solchen Prozess insgesamt mitwirken möchte – zumeist ist es dann nur der Beiratsvorsitzende; dies ist aber eher ungewöhnlich. Wenn eine Geschäftsführung eine solche Überarbeitung unternimmt, bedarf es einer logischen Struktur des Prozesses. Diese wird von einem Berater oder einer Stelle für Unternehmensplanung erarbeitet. Es ist hierbei schon beachtlich, wenn sich die Geschäftsleitung überhaupt entschließt, bei der geplanten Strategierevision systematisch vorzugehen. Die Wahl der zu verwendenden speziellen Methode hängt von einmal getroffenen Präferenzen und von der jeweiligen persönlichen oder organisatorischen Tradition ab. Ein systematischer Ansatz für die Überarbeitung einer Strategie oder für den Start zu einer völlig neuen strategischen Orientierung ist die Methode der „strategischen Kontrolle“, wie sie von Schreyögg/Steinmann konzipiert wurde. Sie steht am Ende der Planungsphasen. Ich werde diesen Ansatz daher auch am Ende der Schilderung der Planungsphasen behandeln. Die strategische Kontrolle führt aus der Grundlagenkontrolle der Planung zur Einsicht, wann eine neue Planung erforderlich ist, und gehört also auch zu der Frage, wie man zum „Anfang“ kommt.
10.3 Die Anstöße zur Strategiearbeit
303
Es wäre richtig, die Planungsarbeit mit einem umfassenden und systematischen Ansatz zu beginnen, und die Betriebswirtschaftslehre, aber auch die Beratungspraxis für alle Prozesse der Unternehmensführung, hat hierzu auch eine Fülle von Prozess-Schemata, systematischen Strukturen und Methoden entwickelt. Gleichwohl macht man immer wieder die Erfahrung, dass sich die Praxis kaum je an diese methodischen Vorgaben hält. Der Grund hierfür ist weniger die Abgehobenheit der Theorie von der Praxis oder die fehlende Ausbildung der Wirtschaftsführer (vielleicht trifft dies alles gelegentlich auch zu); der Grund dürfte darin liegen, dass die Dynamik des Unternehmensgeschehens auf keine Weise umfassend beherrschbar ist: Gute Unternehmensführung kann nie perfekt „gemacht“ werden. Es geht immer nur darum, „das Chaos beherrschbar zu machen“. Und so ist auch gute Unternehmensführung oft unvollkommen, sprunghaft, ereignisgetrieben. Für die strategische Planung hat Mintzberg in seinen Werken realitätsnah und eingängig die „emergente“ Strategieentwicklung dargestellt 268. Im Folgenden möchte ich einige der typischen Anlässe und Vorgehensweisen skizzieren, die Beiratsmitglieder ergreifen, um eine Strategiediskussion einzuleiten und Rat gebend zum Prozess der Orientierung beizutragen. Die Orientierung durch die Interpretation der Geschäftsentwicklung Der Beirat braucht natürlich Eindrücke, die ihn den Bedarf an einer Neuorientierung der Unternehmensplanung oder ein Schwinden der bisher geltenden Prämissen erkennen lassen. Diese Eindrücke können nur aus Informationen gewonnen werden, die besonders auf die Analyse der Lage des Unternehmens und der Trends in den Märkten eingehen. Da Strategie auf längerfristige Wirkungszusammenhänge ausgerichtet ist und die Entwicklung des Unternehmens in der längeren Sicht beeinflusst, gilt die analytische Maxime: Man muss einen langen Zeitraum der Vergangenheit analysieren, um etwas über die langfristigen Wirkungszusammenhänge zu erfahren.269 Als Faustregel kann man sagen, dass mindestens ein Zeitraum von über zehn Jahren, also wenigstens zwölf Jahre, zu erfassen und zu analysieren ist. Da die großen Rezessionen etwa alle zehn Jahre stattfinden, braucht man schon zwölf Jahre, um das letzte Hoch vor einer Rezession und dann den vollen Zyklus einer Konjunktur überblicken zu können. Nur dann kön268 269
Mintzberg, H. (1994): S. 23 ff. Vgl. Gälweiler, A. (1990): S. 129 ff.
304
10 Die Strategieberatung im Beirat
nen bei allen Zahlenreihen über die Marktentwicklung und den eigenen Umsatz die konjunkturelle und die strukturelle Komponente getrennt werden. Ebenso müssen Marktanteile in ihrer Entwicklung über einen langen Zeitraum gemessen werden, um einen Trend zu erkennen. Eine sehr nützliche Routineanalyse in der Unternehmenssteuerung ist die Ermittlung der „Lecks“, in denen das im Markt eigentlich zugängliche Ergebnispotenzial versickert. Solche Lecks sind zum Beispiel einzelne Produktgruppen oder Marktsegmente oder gar einzelne Kunden, die chronische Verlustbringer sind und die den von den anderen Produktgruppen, Märkten und Kunden erzeugten Gewinn in Anspruch nehmen oder die generell zu hohe Qualitätskosten oder zu hohe Vertriebskosten haben und Ähnliches. Es ist die Aufgabe der Geschäftsführung, über die Ergebnisse der Geschäftstätigkeit zu berichten und sie zu interpretieren. Die Interpretation ist das Entscheidende. Alles, was so wichtig ist, überhaupt in die Berichterstattung an den Beirat aufgenommen zu werden, ist es wert, interpretiert zu werden. Ich möchte dies an der Grobsortierung der möglichen Gründe für eine negative Abweichung des Geschäftsergebnisses gegenüber dem Vorjahr illustrieren: • Zufallsvarianz im Rahmen der normalen Schwankungen im jeweiligen Geschäftstyp. Daraus kann nichts anderes gefolgert werden als eben die Erfahrung der geschäftsüblichen Varianz. • Folge eines extern bedingten „Unfalls“, zum Beispiel Konkurs eines Großkunden, Großfeuer in einer wichtigen Betriebsstätte. Hier geht es um Schadensbegrenzung im konkreten Fall und das Ziehen von Schlussfolgerungen für eine Schadensvermeidung oder zumindest Schadensbegrenzung in der Zukunft. Eine Konsequenz für die nachhaltige Strategie zur Unternehmensentwicklung kann daraus nicht gezogen werden. • Hinweise auf fortschreitende, graduelle Veränderungen in den internen oder externen Ursachen, die den Erfolg bestimmen. Das Setzen der Themen für die Agenda Das einfachste und zugleich das wichtigste Instrument der Einflussnahme des Beirats auf die Unternehmensführung ist sein Recht, ein Thema auf seine Tagesordnung zu setzen. Die Entscheidung, welche Themen überhaupt auf die Agenda des Beirats kommen, ist ungleich wichtiger als die
10.3 Die Anstöße zur Strategiearbeit
305
Befugnis des Beirats, bei einem bestimmten Thema die endgültige Entscheidung zu treffen. Auch wenn es keinen spezifischen Zustimmungsvorbehalt gibt, wird der Beirat Einfluss ausüben können. Das Recht, ein Thema auf die Agenda zu setzen, steht jedem Beiratsmitglied zu. De facto liegt die Aufgabe, eine angemessene Tagesordnung zu konzipieren, bei der Geschäftsführung zur Genehmigung durch den Beiratsvorsitzenden. Bei der Überprüfung der Vorschläge der Geschäftsführung wird der Beiratsvorsitzende – je nach seinem Rollenverständnis – selbst Themenbeiträge einbringen. Neben der Tatsache, dass ein Thema überhaupt auf die Tagesordnung einer Beiratssitzung gesetzt wird, ist die Bedeutung einer Fragestellung für die Geschäftsführung bereits dadurch gegeben, dass ein Mitglied des Beirats diese Anregung gibt. Das Beiratsmitglied kennt das Unternehmen, hat eine Vorstellung davon, was das Unternehmen braucht, und gibt aus seiner allgemeinen Erfahrung heraus einen Hinweis, welchen Bereich man untersuchen sollte. Wenn die Geschäftsführung also das Urteilsvermögen des Beirats schätzt, wird sie diese Fragestellung aufgreifen. In jedem Fall aber kann der Geschäftsführer davon ausgehen, dass eine einmal gestellte Frage so lange auf dem Tisch bleibt, bis sie eine Antwort gefunden hat. Derjenige, der die Frage gestellt hat, wird sie sicher nicht vergessen. Er wird darauf zurückkommen. Oder aber er gibt sich selbst die Antwort, zum Beispiel, dass die Geschäftsführung es nicht wagt, eine saubere Antwort zu geben, weil sie dabei nicht gut aussehen würde. Es ist nicht klug, wenn Geschäftsführungen Fragen frei zirkulieren lassen. Daher werden sie jede Anregung aufnehmen und beantworten. Die Erhöhung der Intensität der Analyse anlässlich der Behandlung im Beirat Dadurch, dass ein Thema auf die Tagesordnung des obersten Gremiums einer Firma gesetzt wird, erhält es eine herausgehobene Bedeutung. Diese Auszeichnung und Gewichtung ist auch der Grund, warum auf die Tagesordnung von Beiräten auch Themen gesetzt werden, bei denen es gar nichts zu entscheiden gibt. Durch die Erörterung im Beirat soll nur deutlich gemacht werden, dass Beirat und/oder Geschäftsführung ein Thema für so wichtig erachten, dass sie es in die Tagesordnung einer Beiratssitzung aufnehmen. Diese Tatsache wird nicht nur den unmittelbaren Teilnehmern der Sitzung mitgeteilt, sondern der gesamten Organisation, die zum Teil ja schon durch ihre Mitwirkung an der Vorbereitung von Beiratssitzungen davon erfährt.
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Dass ein Thema herausgehoben wird, ist bereits eine nicht triviale Leistung. In der Wirtschaft – wie auch in der Wissenschaft – könnte man ständig alles untersuchen, um „besser“ zu sein. Dies geht nur nicht, weil die Mittel dazu nicht verfügbar sind, und selbst dann, wenn man die Kosten für eine Analyse nicht scheuen müsste und dafür Beratungskapazität erwerben könnte, hat man nicht die unbegrenzte Managementkapazität, um sich mit allen möglicherweise für ein Unternehmen nützlichen Fragestellungen angemessen zu befassen. Die knappste Ressource in einem Unternehmen überhaupt, die Managementkapazität, wird von den jeweils wichtigsten Themen belegt. Allein dadurch, dass ein Behandlungsgegenstand auf der Tagesordnung des Beirats erscheint, wird bewirkt, dass ein Thema von der Geschäftsführung gründlich durchgearbeitet wird. Und damit ist bereits das wesentliche Ziel dieser Initiative erreicht. Wie sinnvoll es ist, das vorgeschlagene Thema zu behandeln, ist vor allem aus der Vorbereitungsarbeit und der Qualität des Vortrags der Geschäftsführung in der Beiratssitzung zu beurteilen und weniger danach, ob bei der Erörterung im Beirat selbst neue Aspekte erarbeitet werden. Die wesentliche Funktion des Beirats besteht darin, durch die Behandlung eines Themas in der Beiratssitzung deutlich zu machen, dass dieses Thema wichtig ist und gründlich durchgearbeitet werden muss. Die Geschäftsführung weiß, dass sie bei Themen, denen der Beirat seine Zeit widmet, ihr Bestes geben muss. Das Entscheidende ist also, dass in der Vorbereitung der Präsentation das Thema gründlich analysiert wird. So erkennt auch der Eigentümer-Geschäftsführer Biffar an, dass der „Zwang, seine Ideen anderen vorzutragen, zu überzeugen, plausibel zu machen“ auch für den Eigentümer eine hilfreiche Disziplin ist.270 Wenn nun die Geschäftsführung im Hinblick auf die Behandlung einer strategischen Fragestellung im Beirat sich so gründlich vorbereitet hat, dass der Beirat keinen weiteren Gesichtspunkt hinzufügen kann, dann bedeutet dies aus meiner Sicht nicht, dass dies der Beleg dafür ist, dass der Beirat nicht „beraten“ kann. Es ist vielmehr der Beleg dafür, dass die natürliche Beratungsfunktion des Beirats in strategischen Themen nur zum Tragen kommen kann, wenn ein Beratungsbedarf besteht. Wenn im Vorgriff auf eine Präsentation im Beirat alle Aspekte bereits berücksichtigt wurden, umso besser.
270
Biffar, O.D. (1998): S. 25.
10.3 Die Anstöße zur Strategiearbeit
307
Die Orientierung durch das Gespräch Die normale Form des Gedankenaustausches ist das Gespräch, der Dialog. Das Gespräch, die Kommentierung der Berichterstattung der Geschäftsführung, die Einführung eines für den Beirat interessanten Themas ist die zeitlich zwar nicht umfangreichste, aber meines Erachtens die gewichtigste Form der Kommunikation zwischen Beirat und Geschäftsführung. Durch diese „einfache“ Kommunikation werden eher Themen gesucht als Fragen beantwortet. Idealerweise könnte in einem freien Gespräch der Stand der Welt unter besonderer Berücksichtigung der Lage des Unternehmens in der Welt reflektiert werden. Es könnte – von wem auch immer, Beiratsmitglied oder Geschäftsführung – ein Thema lanciert werden, um auszuloten, ob es von Relevanz für das Unternehmen sein könnte. Neue Gedanken werden nicht unter dem strengen Blick der Aufsicht geboren, sie werden nicht als digitale Antworten auf einen präzisen Genehmigungsantrag erteilt, sondern sie werden nur durch Fragen angestoßen und durch das argumentative Vorantreiben einer gemeinsamen Fragestellung durch mehrere unabhängige Denker. Der Rat als Anregung zur Untersuchung eines Themas Das, was wir im Gespräch als Empfehlung mit „könnte/sollte/müsste“ formulieren, ist sicherlich nicht als professioneller Rat gedacht. Es sind Formulierungen der Art wie „Haben Sie schon einmal überlegt, ob Sie nicht … tun sollten?“ oder „Man sollte einmal die Forschungsaufwendungen der Wettbewerber mit den unsrigen systematisch vergleichen und dann eine Schlussfolgerung daraus ziehen.“ oder „Sind wir uns wirklich sicher, dass es immer nur die Preise sind, weshalb wir die Aufträge bei … verlieren?“. Diese Anregungen sind eines der häufigsten Elemente im Dialog zwischen Beirat und Geschäftsführung. Geht es um ein Thema, das von strategischer Relevanz ist, wird ein solcher Dialog bei günstigen Bedingungen dazu führen, dass festgelegt wird: „Damit sollten wir uns auf der nächsten Sitzung systematischer beschäftigen; ich bitte die Geschäftsführung, hierzu einen Vortrag vorzubereiten.“ Die Bedeutung einer derartigen Anregung liegt nun darin, dass: • ein Thema überhaupt behandelt wird, • eine respektierte und erfahrene Führungskraft, die mit dem Unternehmen und seiner Lage vertraut ist, gerade dieses Thema vor anderen heraushebt.
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10 Die Strategieberatung im Beirat
Die Schlüsselfragen im anregenden Beratungsgespräch Erfolgreiche Manager haben aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen bestimmte Schlüsselfragen, mit denen sie Reflexionsprozesse anstoßen können. Diese Kompetenz müssen vor allem Manager größerer Organisationen haben, weil sie dort nicht mehr durch die Kenntnis der Details Wirkung entfalten können, sondern nur aus einer Position des Managements der zweiten Ordnung (Management der Manager) agieren können. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, eignen sie sich im Laufe ihrer Berufslaufbahn Interaktionstechniken an, jeder für sich mit speziellen Vorlieben. Einzelne dieser Interaktionstechniken ähneln den Methoden von Beratern, insbesondere von Beratern mit dem Konzept der „Systemischen Organisationsberatung“.271 Das Herauslocken einer Vision gehört dazu. Oder es wird metaphorisch die Frage nach dem „größten Wunsch“ gestellt. Oder aber es wird nach der größten Gefahr gefragt. Auch das „Reframing“ einer Problemstellung in einen ganz anderen Zusammenhang ist Teil einer solchen Methode: „Würde ich dies in meinem Unternehmen auch so machen?“ – „Was würden wir machen, wenn wir kein Geld hätten?“. Das Herbeirufen eines abwesenden Entscheidungsträgers ist eine wirksame Intervention: „Was würden unsere Gesellschafter dazu sagen?“. Gleich an diese Frage grenzt die „zirkuläre Fragestellung“ an, in der gefragt wird: „Was denken wir, was der Wettbewerber über uns denkt?“. Und immer wieder funktioniert die traditionelle Frage: „Wie soll das Unternehmen in zehn, zwanzig oder x Jahren aussehen?“ Die Leistung liegt nicht in der Raffinesse eines gruppendynamisch geplanten „Interventions-Designs“. Das bleibt die Kompetenz der Berater. Das Wesentliche ist, dass das hochgestellte Gremium solche weiterführenden Fragen überhaupt aufwirft. Der Praktiker in der Geschäftsführung wird nicht nur von den dringlichen Fragen des Tagesgeschäfts davon abgehalten – davon vielleicht noch am wenigsten. Das diagnostische Gespräch Die Technik der Differenz-Diagnose kennen wir alle vom ärztlichen Gespräch. Ausgehend von einem Symptom wird eine Prüfliste möglicher Ursachen „abgefragt“. Der Diagnostizierende hat hierbei ein Modell von 271
Vgl. Nagel, R./Wimmer, R. (2002); Königswieser, R./Hildebrandt, M. (2007); Ehebrecht, H.-J. et al. (2002).
10.3 Die Anstöße zur Strategiearbeit
309
Ursache- und Wirkungszusammenhängen vor Augen. Da eine Wirkung verschiedene Ursachen haben kann, gilt es die im vorliegenden Fall zutreffende herauszufinden, um mit der richtigen Therapie ansetzen zu können. In gleicher Weise versucht ein erfahrener Manager sich zu orientieren. Ein Ergebnisverfall kann in der ersten analytischen Aufgliederung verschiedene Ursachen haben: Volumenverfall oder Preisverfall beim Umsatz, Kostenerhöhung der Faktorkosten, Produktivitätsverluste oder Qualitätsprobleme. Es ist offensichtlich, dass man etwa den Ergebnisverfall durch Qualitätsprobleme nicht durch Gemeinkostensenkungsprogramme bekämpfen kann. Wenn etwa ein Ergebnisverfall beim eigenen Unternehmen durch die vom Wettbewerb angestoßenen Preissenkungen im Markt erklärt wird, dann ist dies noch keine ausreichende Erklärung der Ursachen. Es ist nun nach den Ursachen der Preissenkung durch den Wettbewerber zu fragen: Überkapazitäten in der Branche, Schübe im Produktivitätsfortschritt beim Wettbewerber, neue Wettbewerber in der Branche, die abgeschreckt werden sollen, Schwächen im eigenen Angebot, die den Wettbewerber ermutigen, einen Angriff auf die eigenen Marktanteile zu starten und so weiter. Im diagnostischen Gespräch wird gefragt, ob Phänomene, die auf die eine oder andere Ursache verweisen, vorliegen oder nicht vorliegen. Im Rahmen einer Beiratssitzung kann eine solche Suche nach den ursprünglichen Ursachen eine Phänomens vielleicht nur angestoßen werden, es können eventuelle plausible Verdachtsmomente artikuliert werden und dann kann die Geschäftsführung beauftragt werden, bis zur nächsten Sitzung eine eingehende Analyse vorzulegen. Das Problem in diesem Ansatz liegt darin, dass jedes Beiratsmitglied seinen eigenen Baum von Analyseschritten vor Augen hat und seine eigene Vorstellung von einem Normalwert der einzelnen Parameter, der „Gesundheit“ signalisiert. Das gemeinschaftliche Diagnose-System Die im beratenden Gespräch eingeführten Diagnoseraster bergen natürlich das Risiko in sich, dass sie nur auf den jeweils individuellen Erfahrungen der Beiratsmitglieder beruhen und diese Erfahrungen nicht auf die Besonderheiten des beaufsichtigten Unternehmens übertragbar sind. Idealerweise entwickeln Beirat und Geschäftsführung ein gemeinsames Verständnis von den „Werten der Gesundheit“ des Unternehmens, die einer Diagnose zugrunde gelegt werden. Dies verlangt abseits des aktuell zu entscheidenden Antrags eine Reflexion über das Geschäftsmodell des Unternehmens, seine Schlüsselfaktoren für den Erfolg und die Festlegung einer Bandbreite für Normalien in den „Key Performance Factors“.
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10 Die Strategieberatung im Beirat
Damit wird ein gemeinsames Bild vom anzustrebenden Zustand des Unternehmens erreicht. Allerdings legt sich die Geschäftsführung damit auch fest, nach welchen Kriterien ihr Erfolg zu beurteilen ist. Es mag theoretisch noch zulässig sein zu fordern, dass der Aufsichtsrat mit den Augen des Vorstands sehen können sollte.272 Daraus aber zu folgern, dass das Aufsichtsgremium ein eigenes Informationssystem braucht273, halte ich für praxisfern, für eine Überforderung des Aufsichtsgremiums und für einen Verstoß gegen die Grundordnung der Delegation von Zuständigkeit und Verantwortung. Die Ziellücke Haben Beirat und Geschäftsführung ein gemeinsames Verständnis vom Geschäftsmodell und ein gemeinsames Normalienbild für die Leistungsparameter entwickelt, dann ergibt sich zwanglos ein Anstoß für eine Strategieplanung, wenn eine Lücke zwischen den Normalien für die Ziele und der Ist-Entwicklung aufgetreten ist. Eine solche Lücke ruft gleichsam automatisch einen Handlungsimpuls hervor. Dieser Effekt wird freilich hier und dort dazu genutzt, die Lücke selbst zu erzeugen, indem die Ziele „nach oben“ verschoben werden. Die Sinnhaftigkeit dieses Ansatzes hängt von den Gründen für diese Zielsetzung ab. Geht es nur um das „Mehr“, da alle bisherigen Ziele schon erreicht sind? Ist das Beispiel anderer Unternehmen aus der Branche maßgeblich, die zeigen, was verdient werden kann? Wenn hier zu aggressive Ziele genannt werden, tut man gut daran, nachzufragen, ob das vergleichbare Ziel bei anderen Unternehmen nur eine Wunschvorstellung ist oder ob diese Ergebniswerte tatsächlich als Standard erreicht werden. Bei der Lücke zwischen „Ziel“ und „Ist“ muss man sich letztlich immer fragen, ob die Lücke darin begründet liegt, dass das „Ist“ unzureichend ist, oder darin, dass in einem falschen Ehrgeiz das „Ziel“ zu hoch angesetzt wurde. Die inhaltliche Anregung Schließlich kann der Anstoß zu einer neuen Planung direkt aus inhaltlichen strategischen Initiativen gewonnen werden, die ein Beiratsmitglied in den Diskurs einbringt. Maßnahmenprogramme, Stoßrichtungen, Erfolgsrezepte 272
273
So ein Diktum, das dem Partner von PriceWaterhouseCoopers, Herrn Wolbert, zugeschrieben wird, siehe: Mäder, O.B. (2006): S. 125. So sind Chini, L.W. (1988) und Mäder, O.B. (2006) zu verstehen.
10.3 Die Anstöße zur Strategiearbeit
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sind solche Initiativen. Es gibt hierbei Wellen in der Meinungsbildung, ja geradezu Modethemen. So gab es die Qualitätswelle, die Globalisierungswelle rollt noch mit voller Kraft, die Innovationswelle bleibt ständig aktuell. Es sind also Anregungen denkbar wie etwa „Das Kostenniveau muss strategisch überarbeitet werden mit dem Ziel, die Gewinnschwelle bereits bei einer um ein Drittel reduzierten Auslastung zu erreichen“ oder „Es muss ein größerer Teil des Kapitals und der Kapazitäten in den aufstrebenden Ländern investiert werden“ und ähnliche Initiativen als Input des unternehmerischen Tuns. Das Dilemma der inhaltlichen Anregung liegt darin, dass sie bereits zu sehr Antwort auf eine hypothetische Fragestellung gibt und diese Antwort sehr unspezifisch bleiben muss. Wenn angeregt wird, dass die Kosten durch Re-Engineering deutlich zu senken seien, weil man immer und überall noch etwas verbessern kann, ist dies eher eine Trivialität als eine fruchtbare Anregung. Das Auftauchen von Opportunitäten Ein besonderer Fall der inhaltlichen Anregung ist das Auftauchen einer günstigen Gelegenheit. Es ist gerade eine der hervorstechenden Besonderheiten der Strategie von Eigentümerunternehmen, dass der Unternehmer eine gute Gelegenheit opportunistisch wahrnehmen kann, um eine geschäftliche Chance zu nutzen. So verkauft etwa ein Nachbar am Ort sein Geschäft, das in keiner strategischen Affinität zu dem eigenen Produkt-MarktBereich steht. Doch der Nachbar möchte es in gute Hände geben und wegen einer Liquiditätsklemme drängt die Zeit. Es gibt keinen strategischen Plan, der zu einer entsprechenden Akquisition geführt hätte. Nur aus der Analyse der Gelegenheit heraus wird die Attraktivität beurteilt. Die Strategie wird als Erklärung für die Beurteilung der Attraktivität der Chance entwickelt. Sie dient als Rechtfertigung und als Wegleitung, unter welchen Grenzbedingungen man diese Opportunität ergreifen kann. Der „Befund“ als Ergebnis der Orientierungsphase Was auch immer die Anstöße sind, um die Lage des Unternehmens in seiner Umwelt zu analysieren, so wird diese Phase einmünden in eine Beurteilung, einen „Befund“, darüber, ob und gegebenenfalls welches Handeln der Geschäftsführung als „therapeutische Intervention“ erforderlich ist. Natürlich ist die Feststellung „ohne Befund“ ebenso ein sehr wichtiges Ergebnis einer Lageanalyse. Das gilt schon deshalb, weil das Handeln des
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Managements immer auf die jeweils wichtigsten und damit auf wenige Handlungsfelder konzentriert werden muss. Dies verlangt notwendigerweise, dass in anderen Feldern kein Handlungsschwerpunkt gesetzt wird. Der Befund als Ergebnis einer Diagnose der Lage, die ein Handeln erforderlich macht, umfasst zwei Fragestellungen: • Was ist die Abweichung vom wünschenswerten Zustand und wie lässt sich der vorgefundene Zustand günstiger gestalten? • Was sind die Ursachen, die für den diagnostizierten ungünstigen Zustand verantwortlich sind? Die Frage nach den Ursachen führt regelmäßig zu einer Kette von Ursachen, deren Analyse bis zu den Wurzelursachen vorangetrieben werden muss. Ohne zutreffende Analyse der Ursachen eines Zustands kann man keine günstige Wirkung erzielen.
10.4 Die Vorgabe von Entscheidungsmaximen Der zweite große Beratungskomplex ist die Entwicklung von Entscheidungsmaximen für die Strategieentwicklung. Ein wesentlicher Beitrag von Beiratsmitgliedern im Diskurs über strategische Fragen ist regelmäßig das Einbringen von Entscheidungsmaximen. Entscheidungsmaximen sind bereits früher festgelegte oder situativ in die Argumentation eingebrachte Regelungen über: • Ziele, die zu verfolgen sind (Renditeziele, Wachstumsziele, Unabhängigkeitsziele), • Grenzbedingungen zu Gefahren und Risiken, die zu vermeiden sind, • Grundsätze wirtschaftsethischen Verhaltens, die unbedingt zu beachten sind, • Makrostrategien, die zur Verfolgung der Ziele einzuschlagen sind, • Grundsätze der Unternehmenspolitik als „Wenn-dann-Regelung“. Dies sind auch die oben illustrierten Inhalte der Beratungsthemen274 wie zum Beispiel: • Geschäfte, die verfolgt werden, und solche, mit denen man sich nicht befassen möchte, 274
Vgl. Abschnitt 9.5.
10.4 Die Vorgabe von Entscheidungsmaximen
313
• anzustrebendes Ergebnisniveau, • anzustrebendes Wachstumsniveau, • Kriterien der Finanzstruktur, • akzeptable und nicht akzeptable Risiken, • geforderte wirtschaftsethische Verhaltensweisen. In besonders rational geführten und großen Unternehmen werden die Entscheidungskriterien in einem Kodex des Familienunternehmens dokumentiert. Kleinere Unternehmen machen sich in der Regel nicht die Mühe, einen solchen Kodex auszuformulieren. Bei diesen Unternehmen sind gleichwohl die Geschichte des Unternehmens und die in der Geschichte bewährten Entscheidungsmaximen präsent und diese werden im Zeitablauf immer wieder „aufgerufen“ und neu bestätigt oder auch modifiziert. Es wäre durchaus denkbar, dass der Beirat die Ziele vorgibt. Es wird von jeder Geschäftsführung akzeptiert, dass der Gesellschafter als Geschäftsherr und Träger des gesamten Risikos selbst oder über den Beirat die Ziele festlegt, die er durch sein Unternehmen verfolgt wissen möchte, oder dass er das Niveau der Risikoaversion bestimmt. Allerdings ist die Formulierung von Zielsetzungen nicht als autonomer Akt anzusehen. Die Entwicklung eines Satzes von Maximen ist auch nur der eine Teil der Beratungsaufgabe. Es geht darum, die Grundsätze gegen Kompromisse zu verteidigen oder die Prioritäten zwischen widersprechenden Maximen zu klären. Das Spannende an diesem Aspekt der strategischen Arbeit ist, dass jede reale Zielfunktion für ein Unternehmen ein Mix aus Teilzielen und Restriktionen ist, die sich zum Teil widersprechen. Die ex ante formulierten Grundsätze sind somit die Ausgangsbasis für ihre Anwendung auf den konkreten Entscheidungsfall und hierbei ist immer wieder neu das Dilemma zwischen widerstrebenden Teilzielen und Grenzbedingungen zu lösen. Besonders die Grenzbedingungen für das unternehmerische Handeln, die akzeptablen Risiken, sind nur selten eindeutig bestimmbar. Allenfalls in den einzuhaltenden Finanzierungsregeln sind eindeutige Grenzbedingungen üblich, schon weil kreditgebende Banken an der Normensetzung mitzuwirken versuchen. Ein konkreter Handlungsvorschlag wird in der Regel den meisten Entscheidungsmaximen entsprechen, aber einigen widersprechen oder es ist zumindest interpretationsbedürftig, ob er bestimmten Kriterien entspricht oder nicht. Die Beurteilung, ob ein Handlungsvorschlag den Entscheidungsmaximen entspricht, ist also keine digitale Entscheidung eines Aufsichtsaktes. Die Behauptung, dass ein Handlungsvorschlag kon-
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10 Die Strategieberatung im Beirat
form mit den Entscheidungsmaximen sei, lässt sich nur argumentativ bestätigen oder kritisieren. Der Entscheidung muss eine Erkundung der Erfordernisse und des Möglichen vorausgehen, es müssen die Dilemmata abgewogen werden; denn jede Verschiebung im Mix der Ziele bringt Vorteile (z. B. Gewinnerhöhung) und gegengelagerte Nachteile (so z. B. Risikoerhöhung). Ein solcher Abstimmungsprozess kann vernünftigerweise nur als argumentativer Prozess geleistet werden. Die Geschäftsführung ist wesentlicher Beteiligter an dieser Argumentation, weil sie die Ziele als realisierbar akzeptieren muss, um zur Zielerreichung motiviert zu sein. Der Beirat vertritt die Interessen der Gesellschafter und wird von ihnen als Garant für die Nachhaltigkeit der Unternehmensentwicklung gesehen.
10.5 Die Beratung bei der Entwicklung der Handlungsoptionen Die Kernphase der Planung Nach der Phase der Orientierung, in der die Fragestellung entwickelt wird, folgt die Phase der Planentwicklung, in der die Lösung auf diese Fragestellung zu finden ist. Diese Planung ist Aufgabe der Geschäftsleitung. Sie kennt das Geschäft; sie muss den Verantwortungsdruck spüren, sie muss die Kreativität entwickeln, die ein Erfolg versprechender Plan erfordert. In dieser Phase arbeitet die Geschäftsführung mit ihren Mitarbeitern, zieht sich zu Klausuren zurück und geht in wiederholten Analyseschleifen die Optionen durch. Von „Option“ spreche ich im Folgenden auch dann, wenn es – wie häufig – nur eine Gestaltungskonzeption gegenüber der Alternative gibt, nichts zu tun. Um die Effizienz ihrer Arbeit in diesem Stadium zu steigern, arbeitet sie vielleicht auch mit einem professionellen Berater zusammen, der sie mit seinen spezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten unterstützt. Hier ist der Beirat „außen vor“. Aus der Sicht der Geschäftsverantwortlichen, der Strategen, ist die Ausarbeitung der Optionen für das Handeln, die Auswahl der präferierten Option und deren etwaige Modifizierung im Ablauf des Planungsprozesses der anspruchsvollste und wichtigste Teil der strategischen Arbeit. In dieser Phase kann der Beirat – zumindest zunächst – nichts Wichtiges beitragen und selbst dann, wenn er es könnte, müsste er in seiner Mitwirkung sehr zurückhaltend sein.
10.5 Die Beratung bei der Entwicklung der Handlungsoptionen
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Die Information als Beratung Der Beirat kann normalerweise keine Information über die Stärken und Schwächen des Unternehmens und die Bedingungen in den Produktmärkten beisteuern, die über das hinausgeht, was die Geschäftsführung weiß. Allenfalls ein Ex-Unternehmensführer im Beirat könnte meinen, er sei dazu in der Lage, und er könnte daher versucht sein, sein vermeintliches Mehrwissen in die Beratung einzuführen. Aber die Informationsbasis des Ex-Unternehmers über die unternehmensinternen Verhältnisse ist erstens veraltet und zweitens überflüssig, denn die nunmehr unmittelbar für das Geschäft Verantwortlichen sind in der Lage, genauere Informationen zu beschaffen. Und drittens ist ein derartiger Ratschlag eines Vorgängers des derzeitigen Geschäftsführers nicht willkommen. Nur im Bereich der externen Gegebenheiten und ihrer vermutlichen Entwicklung können Beiratsmitglieder aus ihrer Berufserfahrung, aber auch aus ihren Erfahrungen in anderen Aufsichts- und Beiratsgremien gewünschte und wertvolle Informationen beisteuern. Es können Informationen über Fakten sein (Fakten einer Branche, Fakten einer Technologie, Länderkenntnisse), es können Berichte über die Einschätzung von Trends und die in anderen Wirtschaftskreisen geteilten Erwartungen sein, es kann die Weitergabe von Beispielen der Best Practice in einem Handlungsfeld sein. Das Netz der Kontakte von erfolgreichen Managern ist weit und gibt Zugang zu vielen vertraulichen Informationen und Einschätzungen. Aber nicht nur zu externen Gegebenheiten können Informationen beigebracht werden, sondern es können auch informative Aussagen zu den Vorund Nachteilen einer vorgeschlagenen Handlungsoption gemacht werden. Das sind Kommentare zu einem Vorschlag, in denen ein Beirat etwa sagt: Wir haben das in unserem Unternehmen so und so gemacht. Oder aber: Als ich ein ähnliches Problem zu lösen hatte, bekam ich es mit folgender Schwierigkeit zu tun. Das Entscheidende ist hierbei, dass der Kommentar eine reine Information über einen möglichen Erfahrungstransfer bleibt und nicht als ein Werturteil über die vorgeschlagene Option formuliert wird oder so verstanden werden könnte. Von der Ordnung der Verantwortungen her ist die Beratungsinformation unproblematisch und in der Regel sehr geschätzt. Hier bringen die Beiratsmitglieder Hinweise auf bereits gemachte Erfahrungen ein, die die Geschäftsleitung in ihrem eigenen Vorgehen bestärken oder aber vor spezifischen Risiken warnen können. Die Problematik der Beratung als Informationsvermittlung besteht darin, dass die Relevanz der Informationen für die spezifische Entscheidungssituation „unbearbeitet“ ist und also erst beurteilt
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werden muss. Häufig ist die Information durch Beiratsmitglieder nur der Anstoß zu weiteren Klärungen. So kann ein Beiratsmitglied, das zunächst nur eine Oberflächeninformation vermittelt hat, erforderlichenfalls den Kontakt zu einer Unternehmung herstellen, in dem dann der Erfahrungsaustausch vertieft werden kann. Es gibt freilich Informationen, die allein schon durch ihre Präsentation eine weitgehende Handlungsempfehlung auslösen können. Dies ist zum Beispiel bei den sogenannten Benchmark-Informationen der Fall. Wenn man eine Information erhält, was von in der Markt- und Produktcharakteristik ähnlichen Unternehmen verdient wird, welche Prozentsätze vom Umsatz bestimmte Aufwandskategorien haben, dann kann aus dem Vergleich mit signifikant negativ abweichenden eigenen Werten zumindest ein starkes Indiz für ein unternehmerisches Handlungserfordernis abgeleitet werden. Die Unmöglichkeit der spezifischen Beratung für das Design der Optionen In der Beratung in Form von Information durch den Beirat sehe ich eine nützliche Funktion, für deren tatsächliche Nutzung aber nicht so oft Gelegenheit gegeben ist. Hingegen sehe ich keine – oder eine nur sehr selten sinnvolle – Mitwirkungsmöglichkeit des Beirats bei der Gestaltung der Optionen. Zur Gestaltung einer Option gehört auch ihre Beurteilung auf ihre Zweckmäßigkeit hin oder ihre Modifizierung, um sie zu einem höheren Niveau der Zweckmäßigkeit zu führen. Das Design der Handlungsoptionen ist eine originäre Aufgabe der Geschäftsführung, bei Großunternehmen möglicherweise auch nachgeordneter Verantwortungseinheiten. Mit „Design“ meine ich nicht nur das Erörtern von alternativen Optionen des Vorgehens, sondern vor allem auch deren Ausgestaltung im Detail. Die Kreativität liegt ja oft weniger im Ausdenken der großen, neuen Alternativen als vielmehr in den Details der Ausgestaltung einer einzigen Handlungskonzeption, die vorgegeben ist. Die Zuständigkeit der Geschäftsführung für die Erarbeitung von Optionen für die Erreichung eines strategischen Ziels ergibt sich daraus, dass sie in der Regel die am besten geeignete Instanz ist, um die ideale Lösung zu finden, und darin liegt ja auch ein zutreffender Aspekt des „Unvereinbarkeitstheorems“: • Sie hat das umfassendste Wissen zu dem Problem und dessen Einflussgrößen.
10.5 Die Beratung bei der Entwicklung der Handlungsoptionen
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• Sie hat als Chef der Organisation die Befugnis, weitere Ressourcen zur Klärung der Anforderungen und Lösungswege bei der vorgesehenen Aktion einzusetzen (Stabstellen, Linienstellen, externe Berater). • Sie hat die Kompetenz über ihren eigenen Zeiteinsatz und denjenigen weiterer Führungskräfte und kann daher eine ausreichende Intensität der Problembearbeitung sicherstellen. • Und vor allem: Sie hat den größten Verantwortungsdruck und auch den größten Anreiz, eine optimale Lösung zu suchen. Beides befördert die Kreativität ungemein. Der Beirat kann zumeist keine spezifische Beratung zur Ausgestaltung der Optionen leisten und sollte dies auch aus grundsätzlichen Erwägungen nicht tun: • Ein konkreter Rat sollte von der für das Handeln verantwortlichen Geschäftsführung auch verworfen oder abgeändert werden können. Dies ist bei einem Rat der hierarchisch vorgesetzten Instanz Beirat nicht ohne weiteres möglich. Der Rat des Vorgesetzten hat einen höheren Geltungsanspruch als jeder andere Ratschlag. • Der Beirat hat nicht die Zeit für die Ausarbeitung eines inhaltlich differenzierten Rates. Er kann sich nicht – wie etwa ein professioneller Unternehmensberater – in die Details der Gegebenheiten und Optionen einarbeiten. Dies ist ein wichtiges Argument gegen eine Beratungsleistung des Beirats. • Selbst wenn dem Beirat ausreichend Zeit für die Erörterung von Handlungsalternativen zur Verfügung stünde, könnte diese Arbeit nur zusammen mit der Geschäftsführung und ihren nachgeordneten Abteilungen gemeinsam erfüllt werden. Damit würde aber der hierarchische Status der Geschäftsführung gegenüber ihren nachgeordneten Abteilungen unterminiert werden. Die Überprüfung einer Handlungsoption auf Sinnhaftigkeit Wenn ein Thema aus der Anregungsphase einmal auf die Agenda des Beirats gesetzt wurde, bleibt es aller Voraussicht nach in der weiteren Entwicklung des Vorhabens auf der Tagesordnung, bis die Geschäftsführung ihren Handlungsvorschlag zu diesem Thema entwickelt hat. Der wohlerwogene Vorschlag der Geschäftsführung wird zur Diskussion gestellt, und es wird darüber befunden, ob er einen „Sinn“ ergibt und ob er gutgeheißen werden kann.
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Der Tiefgang und die Dauer dieser Diskussion ist tendenziell komplementär zum Tiefgang und zur Dauer der vorhergehenden Reflexionen: Wurde in der Orientierungsphase die Herausforderung klar herausgearbeitet und sind die Entscheidungsmaximen eindeutig formuliert und in ihrer Rangordnung unstrittig, dann kann das Gutheißen des fertigen Vorschlags möglicherweise ein kurzer Akt sein. Fehlt es aber an diesem Tiefgang in der Orientierungsphase, dann setzt die eingehende Diskussion erst dann ein, wenn ein konkreter Vorschlag „auf dem Tisch liegt“. Erst dann können – eigentlich zu spät – die für die Bewertung eines unternehmerischen Vorhabens geltenden Beurteilungskriterien auf das in Rede stehende Projekt angewandt werden. In dieser Phase setzt in vollem Umfang die argumentative Beratung ein. Bevor wir darauf näher eingehen, sei noch abgehandelt, dass der Beirat in der nachfolgenden Umsetzungsphase keine oder nur selten eine Funktion hat.
10.6 Die Umsetzung der Strategie Die Zustimmungsvorbehalte zu den Umsetzungsschritten Zustimmungsvorbehalte können erst geltend gemacht werden, wenn die Planungen abgeschlossen sind und deren Verwirklichung begonnen werden soll, etwa wenn eine neue Betriebsstätte gebaut oder wenn eine Akquisition durchgeführt werden soll. Zu diesem Zeitpunkt ist das konzeptionelle Denken, das angestrebt wird, bereits abgeschlossen. Die Durchführungsmaßnahmen sind die Konsequenz aus den Monaten der Planung vorher. Wenn der Beirat in den vorhergehenden Phasen angemessen beteiligt war, hat die ihm vorbehaltene Letztentscheidung in aller Regel als Ergebnis die abschließende Bestätigung, dass die Planung gutgeheißen wird. Wenn der Beirat in der Frühphase der Orientierung und der Festlegung der Entscheidungskriterien beteiligt war, wenn er den Handlungsvorschlag auf Verantwortbarkeit überprüft hat, dann werden die Genehmigungen zur Umsetzung der Planung nur noch eine Formalie sein. Man muss allerdings auch zugeben, dass das hier propagierte Verfahren einer frühzeitigen gemeinsamen Beratung von Beirat und Geschäftsführung bei strategischen Themen, ohne dass diese formell beschlossen wurden – die formelle Zustimmung zu den Durchführungsschritten wird ja erst später erteilt –, noch keinen geordneten Prozess sicherstellt. Es wird immer wieder vorkommen, dass sich bei der Vorlage des genehmigungsbedürftigen Durchführungsgeschäfts eine erneute Grundsatzdiskussion über die dem
10.6 Die Umsetzung der Strategie
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Antrag implizit zugrunde liegende Rahmenplanung und strategische Zielkonfiguration entzündet. Für diese Grundsatzdiskussion gibt es einen „schwachen“, psychologisch bedingten Anlass und einen „starken“, sachlich bedingten Anlass. Der „schwache“ Anlass ergibt sich, wenn die Diskussion unter der unterschiedlichen Erinnerung von Beirat und Geschäftsführung leidet. Die Geschäftsführung, die sich ständig mit ihren eigenen Planungen beschäftigt, mag sich daran erinnern sein, eine bestimmte Planung bereits früher mit dem Beirat erörtert zu haben, ging jedoch mangels damaligen Einspruchs davon aus, dass dieser Planung zugestimmt worden sei. Der Beirat, der seine Aufmerksamkeit den Themen der Gesellschaft immer nur in bestimmten Schüben anlässlich der Beiratssitzungen zuwendet, mag sich nicht mehr dessen bewusst sein, was vor einiger Zeit bereits an Planungsvorstellungen vorgetragen wurde, und er mag sich vor allem nicht dessen bewusst sein, dass er den Eindruck der Zustimmung erweckt hat. Vielleicht hat er sich aber erst dann mit der Planung ernsthaft auseinandergesetzt, als es um die Geldausgabe für eine Investition ging – oder was auch immer die konkrete Maßnahme sei. Der „starke“ Anlass für eine neue Grundsatzdiskussion ergibt sich daraus, dass hier – letztmalig vor der Durchführung eines Vorhabens und damit noch aufhaltbar – dessen Prämissen daraufhin kontrolliert werden, ob sie noch gültig sind. Wir werden im Rahmen des Konzepts der strategischen Kontrolle auf diesen Punkt zurückkommen.275 Die Kommunikation und die Umsetzung der Planung Die Verkündung des Plans muss selbstverständlich bei der Geschäftsleitung liegen. Eine Planung zu verkünden, die eventuell mit einem Neubau oder anderen spektakulären Maßnahmen verbunden ist, ist eine angenehme Aufgabe, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht. Gerne machen Gesellschafter darauf aufmerksam, dass sie der Ursprung dieser positiven Nachrichten sind. Wir können daher den Drang beobachten, dass ein Gesellschafter – seltener ein Vorsitzender des Beirats, der nicht Gesellschafter ist – bei solchen „schönen Gelegenheiten“ am Pressegespräch teilnimmt. Wer immer von dieser Gruppe diesen Drang verspürt, sollte sich fragen, ob er auch den Restrukturierungsplan und Entlassungen verkünden wollte. Die Verkündigung des Plans ist der erste Schritt zu seiner Umsetzung. Die Programmierung der Umsetzung einer Planung ist natürlich wieder die 275
Vgl. unten Abschnitt 10.7.
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Aufgabe und zwar ausschließlich die Aufgabe der Geschäftsleitung. In der Umsetzungsplanung werden die Anweisungen für die nachgeordneten Organisationseinheiten vorgegeben. Diese können nur von den Vorgesetzten, der Geschäftsleitung, ergehen.
10.7 Die Neuorientierung durch die strategische Kontrolle Steinmann/Schreyögg276 haben den Prozess der Strategiekontrolle als Disziplin im Strategieprozess eingeführt. Der Ausgangspunkt der Überlegungen von Steinmann/Schreyögg ist der empirische Befund, dass die Geschäftsführung unter dem Primat des Handelns steht. Die Strategieplanung wird und sollte auch nur so weit getrieben werden, bis deutlich ist, wie heute und morgen verantwortlich gehandelt werden kann. Erfolgspotenziale werden ja nicht durch Denken, sondern nur durch nachfolgendes Handeln erschlossen. Um nicht in unendliche Schleifen des Analysierens zu verfallen, werden Prämissen selektiert und Risiken ausgeblendet. Dies geschieht auch, um bei der Vorstellung der präferierten Handlungsoption keine Angriffspunkte für kritische Auseinandersetzungen zu bieten. Dem Risiko dieser Eingrenzung soll nun dadurch begegnet werden, dass ständig, begleitend sowohl zum Prozess der Strategieplanung als auch der Strategiedurchführung, gefragt und damit kontrolliert wird, ob die gewählte Strategie noch fortgeführt werden kann. Diese Kontrolle gliedert sich in drei Ansatzpunkte: • die strategische Prämissenkontrolle, • die strategische Durchführungskontrolle, • die strategische Überwachung. Jede Strategie beruht auf Annahmen, die als gültig angesetzt werden. Diese sind immer wenige aus der Fülle möglicher Gegebenheiten. Vor allem handelt es sich um die Schlüsselfaktoren oder Erfolgsfaktoren, die eine große Hebelwirkung auf den Gesamterfolg des geplanten Projekts haben. In der Prämissenkontrolle wird nun ständig – und dies ist wichtig – geprüft oder hinterfragt, ob diese Gültigkeitsannahmen aufrechterhalten werden können. Im Prozess der Ausarbeitung der Strategie lernt der Planer eine Fülle von Details kennen: Das, was am Beginn vielleicht noch eine deduktiv gesetzte 276
Vgl. Schreyögg, G./Steinmann, H. (1987); Schreyögg, G./Steinmann, H. (1985).
10.7 Die Neuorientierung durch die strategische Kontrolle
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Strategische Überwachung
Prämissenkontrolle
Durchführungskontrolle
Strategieformulierung
t0
t1
Strategieimplementation
t
t2
Abb. 9. Prozess der Strategiekontrolle
Annahme war, wird anhand der Lernergebnisse während der Strategiearbeit verifiziert oder verworfen. Wenn die Prämisse nicht mehr aufrechterhalten werden kann, muss gefragt werden, ob dadurch die gesamte Strategie in Frage gestellt wird, ob möglicherweise das angestrebte Ziel überhaupt aufgegeben werden muss oder aber ob nur die Art und Weise, wie das Ziel verfolgt wird, modifiziert werden muss. Das Letztere ist der Regelfall: Die Modifikation im Detail macht öfter den Unterschied im Erfolg aus als die große Zielrichtung. Die Prämissenkontrolle ist ausgerichtet auf die spezifisch hervorgehobenen Prämissen, die für die Strategieentwicklung als maßgeblich angesehen werden. Diese Prämissenkontrolle lebt von den Details in den Analysen im Rahmen der Strategieformulierung. Aus Zeitund Kompetenzgründen ist sie die Aufgabe der Geschäftsführung. Sie müsste dem Beirat darüber berichten, denn es geht hier um die pflichtgemäße Ankündigung, dass die Strategie neu zu formulieren ist. Freilich besteht bei Geschäftsführungen die Neigung, eine solche Berichterstattung aufzuschieben, bis eine neue Strategie ausformuliert ist, die dann als die bessere, überlegene Strategie präsentiert werden kann. Die Durchführungskontrolle setzt bei der Frage an, ob die beabsichtigten Wirkungen der Strategie erzielt wurden. Die strategische Durchführungskontrolle hat nichts mit dem üblichen Budgetvergleich eines Jahresplans zu tun. Letzterer kann ja durchaus erfüllt werden. Im Blick auf die Strategie kann man dagegen geradezu als sicher annehmen, dass sie nicht genau so
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wie vorgesehen umgesetzt werden kann: Angesichts der Vielzahl von Einflüssen, deren Unsicherheit sowie des längeren Zeitablaufs zwischen Maßnahme und Sichtbar-Werden der Wirkungen verlaufen die Umsetzung und die Ergebnisentwicklung immer anders als ursprünglich vorgesehen. Eine Abweichung festzustellen und zu kritisieren wäre daher trivial. Es geht vielmehr darum, zu analysieren, welche Bedeutung Abweichungen beigemessen wird. „Bei der strategischen Durchführungskontrolle liegt die Aufmerksamkeit bei der Frage, ob angesichts der Ergebnisse der ergriffenen Maßnahmen die strategische Gesamtrichtung noch beibehalten werden kann.“277 Auch die Durchführungskontrolle ist eine Aufgabe, die bei der Geschäftsführung liegen muss, natürlich in erster Linie wegen der auf der Geschäftsführung ruhenden Verantwortung, dann aber auch deshalb, weil nur dort Detailkompetenz und Zeit für die Ursachenanalyse vorhanden ist. Denn ob die Gesamtrichtung beibehalten werden kann, liegt weniger an der Art und Größe der Abweichung als vielmehr an deren Ursachen: • Widerlegung der Prämisse, dass eine Maßnahme eine intendierte Wirkung erzielt: Dann muss die gesamte Strategie geändert werden. • Verzug im Eintreten der Wirkung, weil die Planung mangels Erfahrung zu optimistisch war: Dann müssen kompensatorische Maßnahmen zum Ergebnisausgleich in ganz anderen Bereichen (z. B. Sparmaßnahmen im operativen Geschäft) ergriffen werden. • Verzug im Eintreten der Wirkung, weil überraschende Schwierigkeiten aufgetreten sind: Dann gilt es, die Intensität der Anstrengungen zu erhöhen. • Verzug im Eintreten der Wirkungen aufgrund von Managementschwächen: Dann gilt es personelle Maßnahmen zu ergreifen. Die Rolle des Beirats kann hier darin liegen, Gründlichkeit der Ursachenanalyse einzufordern, deren Plausibilität zu prüfen und die Plausibilität der kompensatorischen Maßnahmen zu erwägen. Schreyögg/Steinmann legen über diese (aus der Planung resultierenden und insofern gerichteten und sehr spezifischen) Kontrollaufgaben nun eine weitere Ebene der Kontrolle, die strategische Überwachung. Es ist eine „ungerichtete Beobachtungsaktivität“, die im breiteren Spektrum die Umwelt erfasst und auch „schwache Signale“ (Ansoff) aufnimmt. In dieser „ungerichteten Beobachtung“ können die Beiräte aufgrund verschiedener Kompetenz- und Positionsvorteile einen fruchtbaren Beitrag leisten. Durch 277
Schreyögg, G./Steinmann, H. (1985): S. 403.
10.7 Die Neuorientierung durch die strategische Kontrolle
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die Erfahrungen in anderen Unternehmen und die Vielzahl ihrer Kontakte bringen sie Eindrücke von „schwachen Signalen“ mit, die eine sonst nicht zugängliche Ressource für die Unternehmensführung sind. Zudem fördert die Beteiligung des Beirats an allen drei Teilprozessen der strategischen Kontrolle die Kompensation der Risiken aus dem Gerichtetsein der Analysen der Geschäftsführung. Der Beirat bietet strukturelle Vorteile für die Prämissenkontrolle. Ein und dieselbe Person agiert unterschiedlich, je nachdem ob sie in der Position des Geschäftsführers ist oder ein Beiratsmandat bei einer anderen Organisation wahrnimmt. Aloys Gälweiler formulierte einst so treffend: Der Beobachtungshorizont hängt von dem Standpunkt des Betrachters über dem Erdboden ab und nicht so sehr von der individuellen Sehschärfe. Bei vorgegebener Erfahrungsbasis, alias Sehschärfe, sieht eine Führungskraft in der Position des Beiratsmitglieds anders. Dies ergibt sich nicht aus der hierarchischen Position des Beirats, sondern aus der größeren Distanz zum Handlungsfeld: • Die Führungskraft ist Beobachter der zweiten Ordnung. Sie beobachtet den Beobachter Geschäftsführung und kann daher deren „blinden Fleck“ erkennen. • Sie hat durch die Distanz eine Weitwinkelperspektive in der Sache. • Sie hat durch die Distanz eine Weitwinkelperspektive in der zeitlichen Dimension. Die strategische Kontrolle greift nicht in die Phase der Strategieformulierung ein. Gerade diese methodische Trennung zwischen der Entwicklung einer Strategie und den Kontrollprozessen ist hilfreich für unser Thema der Interaktion zwischen Beirat und Geschäftsführung. Der Beirat ist in die strategische Kontrolle einzubeziehen, hingegen ist die Strategieformulierung Aufgabe der Geschäftsführung. Das Konzept der strategischen Kontrolle habe ich als ein Konzept einer methodischen Vorgehensweise zur Strategierevision vorgestellt. Es ist sowohl theoretisch fundiert wie auch realitätsgerecht. Allerdings stellen bereits Schreyögg/Steinmann fest, dass die Praxis nicht so methodisch oder nur nach viel einfacheren Methoden vorgeht.278 Dabei ist jedwedes methodische Vorgehen – gleichgültig nach welchem Konzept – löblich gegenüber sporadischen, episodenhaften Interaktionen, die wir eingangs als typischen Anfang für die Strategiearbeit betrachtet haben.279 278 279
Schreyögg, G./Steinmann, H. (1986): S. 45. Vgl. oben 10.3.
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10.8 Die Neuorientierung durch einen neuen Strategen Das Verfahren der strategischen Kontrolle ist ein sachlich-systematischer Ansatz, der zu einer logisch begründeten Folgerung führen sollte, ob und gegebenenfalls warum und wann eine Strategie abzuändern ist. Eine solche Neuorientierung ist aber nie nur ein sachliches Thema, sondern immer auch ein persönliches „Drama“ und zwar in verschiedenen Ausprägungen. Die strategische Kontrolle mag zur Einsicht führen, dass die Prämissen der Strategie falsch waren, insbesondere dass die Grundüberzeugungen (zum Beispiel Vorrang für aggressives Wachstum) in die Irre führten, dass die Strategieformulierung nicht alle Nebenwirkungen angemessen berücksichtigte oder dass die Implementierung dem strategischen Anspruch nicht gerecht wurde. Auch wenn zweifelhaft sein mag, ob ein persönliches Verschulden, ein fahrlässiges Fehlurteil oder ein Versäumnis in der Implementierung vorlag, wird doch umgekehrt die Vermutung gelten: Ein Fehlschlagen der Strategie kann nicht als Beleg überlegener Fähigkeiten der Geschäftsführung gelten. Wenn eine radikale Neuorientierung der Strategie erforderlich wird – z. B. weg von forcierter Wachstumsstrategie hin zu radikaler Kostensenkung und Fokussierung –, wird mit Recht die Frage gestellt, ob ein und derselbe „Stratege“ einen solchen Strategiewechsel in seinen Grundüberzeugungen mit vollziehen kann. Zudem entsteht die legitime Frage, ob ein solcher Strategiewechsel nach innen und außen glaubwürdig von ein und demselben Strategen verkörpert werden kann. Der erzwungene oder planmäßige Wechsel in der Person des Strategen, zumeist des CEO, kann somit sowohl Folge einer strategischen Neuorientierung wie auch Veranlassung dieser Neuorientierung sein. Je grundsätzlicher die Neuorientierung ist, desto eher ist es auch notwendig, diese über eine personelle Veränderung glaubwürdig zu vermitteln. Wie jedem Leser von Wirtschaftsnachrichten geläufig ist, wird bei den Großunternehmen der Wechsel der Strategie in der Regel dadurch eingeleitet, dass der Stratege, der CEO, ausgewechselt wird. Beim mittelständischen Unternehmen ist dies auf den ersten Blick weniger häufig anzutreffen, aber immerhin noch oft genug. Wir finden aber auch den umgekehrten Wirkungszusammenhang: Nehmen wir den Fall an, es bestehe noch kein evidenter Anlass zur Änderung der verfolgten Strategie, aber im Rahmen der normalen Nachfolge wechsele nun in einer solchen Konstellation der Stratege, sei es der CEO, sei es der Beiratsvorsitzende. Die neue Person bringt neue Vorstellungen, neue Grund-
10.9 Das Ziel und der Inhalt der argumentativen Beratung
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überzeugungen, vielleicht auch ein Bedürfnis nach profilierender Abgrenzung zum Vorgänger mit. Es ist ja geradezu der existenzielle Sinn der Generationenfolge und dabei auch der Nachfolge in den Ämtern der menschlichen Gemeinschaft, eine Evolution der Ideen zu ermöglichen. Eine unternehmerische Strategie ist im Mikrokosmos eines Unternehmens und seiner Branche ein ähnliches Konstrukt wie eine wissenschaftliche Erkenntnis im Reich der Forschung. Die Strategie sagt, was die „Wahrheit“ der Welt ist und welches Vorgehen „richtig“ ist. Nach einem berühmten Diktum von Max Planck kann sich eine neue wissenschaftliche Wahrheit vor allem dadurch durchsetzen, dass die Gegner des Neuen abtreten (Planck sagt hier „absterben“).280 Der neue Stratege, regelmäßig ein bis eineinhalb Jahrzehnte jünger als der abtretende Stratege, hat ein anderes Weltbild und eine modernere Theorie-Fundierung. Zumeist werden neue Ideen in der Praxis nicht auf der Basis wissenschaftlicher Monografien rezipiert, sondern durch Bücher, in denen die Quintessenz der Arbeit mehrerer Wissenschaftler in einem populärwissenschaftlichen Werk verarbeitet wird. Damit sind Bücher ab einer halben Million Weltauflage gemeint: von Drucker zu Watermann/Peters über Hammer zu Collins und Covey; in jeder Dekade erwarten wir einen Bestseller, der auch von den Praktikern aufgenommen wird und in den Unternehmen zu neuen Initiativen führt.
10.9 Das Ziel und der Inhalt der argumentativen Beratung Die Beratung als die angemessene Interaktion Die Interaktion zwischen Beirat und Geschäftsführung kann – wie hier wiederholt betont wurde – keine Anweisung zur Strategieformulierung sein. Sie ist immer eine Beratung darüber, was angemessen ist. Dies gilt auch für Interventionen, in denen der Beirat die Ziele und Grenzbedingungen für das Handeln setzt und die Konformität der Handlungsvorschläge mit den Zielen und Grenzbedingungen prüft. Denn ob die vorgegebenen Ziele verfolgt und ob die Grenzbedingungen eingehalten wurden, ist keine Frage einer „digitalen“ Ja-Nein-Prüfung, sondern einer beratenden Exploration von Gegebenheiten, Überlegungen und Begründungen. Dies gilt natürlich auch für die Phase der strategischen Kontrolle, wenn es zu prüfen gilt, ob die Prämissen der Strategie noch Geltung haben. 280
Vgl. Kuhn, T.S. (1976): S. 162.
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Der Nutzen der Beratung Der Nutzen der Beratung zwischen Beirat und Geschäftsführung ist vielfältig und besteht grundsätzlich für jeden Teilnehmer. Im Allgemeinen findet eine solche Beratung nicht auf Wunsch der Geschäftsführung statt, sondern auf Wunsch des Beirats als vorgesetzter Instanz. Der Beirat hat für diese Initiative gute Gründe: • Die Gesellschafter erwarten von einer Beratung die Vertretung ihrer Interessen und die Steigerung ihrer eigenen Sachkompetenz in strategischen Themenstellungen. • Die Gesellschafter erkennen durch den Austausch von Argumenten besser, worum es bei den konkreten Vorhaben geht, welches die jeweiligen Dilemma-Konstellationen sind und wie sie gelöst werden sollen. • Die Beiratsmitglieder wollen ihr Können und ihre Erfahrung in die Entwicklung der Unternehmensstrategie einbringen. Sie wollen nicht nur still Aufsicht ausüben, sondern gestaltend einwirken. • Die Geschäftsführung muss sich auf eine argumentativ zu führende Diskussion vor dem Forum des Beirats angemessen vorbereiten. Ebenso wie bei der Berichterstattung führt allein der Zwang zu einer Begründung des jeweiligen Vorhabens zu einer Steigerung der Rationalität des Prozesses. Es liegt aber auch im ureigensten Interesse der Geschäftsführung, den Rat des Beirats zu ihren strategischen Vorhaben zu suchen. Wenn die Geschäftsführung selbst darum bemüht ist, ein möglichst hohes Qualitätsniveau der Unternehmensstrategie zu erreichen, sollte sie daran interessiert sein, jeden nützlichen Input hierzu zu erhalten und das Ergebnis ihrer Überlegungen dem Test einer argumentativen Überprüfung zu unterwerfen. Aber selbst dann, wenn die Geschäftsführung nicht erwartet, dass der Beirat tatsächlich etwas Nützliches zur Strategieentwicklung beitragen kann, sollte sie ihr Vorhaben im wohlverstandenen eigenen Interesse zur beratenden Diskussion stellen. Um dieses Interesse und seine Bedeutung zu erkennen, muss man sich vergegenwärtigen, dass strategisches Handeln immer im Nachhinein kritisiert werden kann. Das ergibt sich aus den vielfältigen Dilemmata, die jeder Strategie zu Eigen sind: • Die Betonung der aktuellen Ertragserzielung geht zu Lasten von Marktanteilssteigerung und anderen Wachstumsoptionen.
10.9 Das Ziel und der Inhalt der argumentativen Beratung
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• Die rasche Umsetzung von Konsolidierungsmaßnahmen geht oft zu Lasten der Mitarbeitermotivation. • Die Inangriffnahme von neuen Geschäftschancen geht zu Lasten der Ergebnissicherheit, da das unbekannte Terrain unvermeidlich Risikoüberraschungen in sich birgt. Je energischer eine strategische Initiative vorangetrieben wird, desto größer wird vermutlich der Erfolg sein, desto auffälliger ist aber auch das Merkmal „zu Lasten“. Diese „Zu-Lasten“-Effekte einer langfristigen Strategie treten dann besonders deutlich hervor, wenn die operative Geschäftsentwicklung, vielleicht nur konjunkturbedingt, Schwächen zeigt. Es besteht dann die Gefahr, dass der Beirat – insgesamt oder einzelne Mitglieder – im Prozess der Aufsicht den Vorstand stärker mit Kritik belegt und dies die Anerkennung der strategischen Erfolge überwiegt. Diese Gefahr ist schon deshalb gegeben, weil die Beurteilungsvorgänge zeitlich versetzt stattfinden können: Zuerst mag sich der strategische Erfolg einstellen und Anerkennung finden; dieser gehört dann aber nachfolgend zum Bestand und das positive Resultat wird mangels weiterer Deltas im Erfolgszuwachs später nicht mehr so gewürdigt. Hingegen treten die „Zu-Lasten“-Nebenwirkungen im Zeitablauf stärker hervor. Gegen diese Kritik an der Unternehmensführung gibt es keine absolute Absicherung. Die frühe Einbindung des Beirats in die Beratung eines Vorhabens ist vermutlich die wirksamste Vorkehrung gegen eine spätere Kritik wegen der Risiken und Nebenwirkungen einer Strategie oder gar eine Kritik an der Strategie selbst: • Einwände gegen ein Vorhaben können aufgegriffen werden und im günstigen Fall durch Modifikation des Vorhabens oder besondere Vorkehrungen bei der Umsetzung gegenstandslos werden. • Führt eine Beratung zu der uneingeschränkten Befürwortung einer Strategie, tritt für alle Beteiligten eine Bindungswirkung ein. Bei später auftretenden Problemen wird kaum mehr die Richtigkeit der gemeinsam verabredeten Strategie in Frage gestellt. Der psychische Zwang zur Konsistenz tritt ein und führt dazu, das frühere Urteil auch später als richtig bewahren zu wollen.281 Umgekehrt würden ohne vorhergehende Beratung die Vorhaben, die später zu Problemen führen, schutzlos dem Vorwurf ausgeliefert: „Hätte man uns das nur vorher gesagt, dann hätten wir gleich darauf hingewiesen, dass das 281
Vgl. Cialdini, R.B. (1997): S. 82 ff.
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so nicht gehen kann.“ Oder: „Man sieht, dass die Geschäftsführung ihre Kräfte völlig überschätzt, daher nicht um Rat fragt und dann auch die Risiken unterschätzt.“ Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Beratung von Strategiethemen immer eine hochwillkommene und sehr harmonische Veranstaltung sei. Das erste Problem liegt darin, dass es sich bei der „strategischen Führung“ um den Kern der Verantwortung einer Geschäftsführung handelt. Das zweite Problem liegt darin, dass Strategien nie einfache Rechenaufgaben sind, sondern ein Ausfluss persönlicher Überzeugungen, was die Unternehmensziele betrifft, und persönlicher Einschätzungen der Wirklichkeit. Es ist daher immer ein sensibles Thema, wenn über die Strategie gesprochen wird. Und gerade deshalb halte ich die Argumentation – ergebnisoffen, sachorientiert, begründend – für die einzig angemessene Form des Gesprächs über Strategie. Die Beratung als Argumentation „Argumentation nennen wir den Typus von Rede, in dem die Teilnehmer strittige Geltungsansprüche thematisieren und versuchen, diese mit Argumenten einzulösen oder zu kritisieren. Ein Argument enthält Gründe, die in systematischer Weise mit dem Geltungsanspruch einer problematischen Äußerung verknüpft sind. Die »Stärke« eines Arguments bemisst sich in einem gegebenen Kontext an der Triftigkeit der Gründe; diese zeigt sich u. a. daran, ob ein Argument die Teilnehmer eines Diskurses überzeugen, d. h. zur Annahme des jeweiligen Geltungsanspruchs motivieren, kann … Der Begründungsfähigkeit von rationalen Äußerungen entspricht auf Seiten der Personen, die sich rational verhalten, die Bereitschaft, sich der Kritik auszusetzen und erforderlichenfalls an Argumentationen regelrecht teilzunehmen … Rationale Äußerungen sind aufgrund ihrer Kritisierbarkeit auch verbesserungsfähig … Das Konzept der Begründung ist mit dem des Lernens erworben.“282 Jedes zielgerichtete Handeln muss argumentationsfähig sein, denn jede argumentative Begründung eines Handelns nimmt auf die Ziele des Handelns Bezug.283 Schwemmer formuliert: „Handeln … soll ein Tun genau dann genannt werden, wenn es argumentationszugänglich ist, soll heißen, dass es durch Reden, die als Argumentationen darstellbar sind, verhindert oder herbeigeführt werden kann. Den Beweis für die Behauptung, dass ein 282 283
Habermas, J. (1981): S. 38 f. Schwemmer, O. (1978): S. 47.
10.9 Das Ziel und der Inhalt der argumentativen Beratung
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bestimmtes Tun argumentationszugänglich ist, liefert man dadurch, dass man eben die Argumentationen angibt, mit denen sich dieses Tun begründen lässt“. Beiräte haben als Führungskräfte in aller Regel eine ausgebaute rhetorische Routine, um ihre Anliegen zu vertreten. Sie verfügen aber eher selten über eine methodische Schulung in der Kunst des Argumentierens. Die Literatur hierzu ist wohl immer noch etwas abgelegen, obschon ein Klassiker wie Toulmin284 langsam den Status des Allgemeinwissens erreichen sollte. Axel von Werder hat eine umfassende Schrift zur Argumentationslogik im Zusammenhang mit den Fragen der Unternehmensführung verfasst.285 Diese Art der Schriften zu den Grundlagen logischen Denkens und Argumentierens finden in den Kreisen der unternehmerisch Handelnden weniger Beachtung als die Schriften, die inhaltliche Strategiekonzepte propagieren (etwa die Schrift von Waterman/Peters oder die Werke von Porter). Es wäre auch unergiebig zu versuchen, Beiräte in der Argumentationslogik zu schulen. Sie werden dennoch diskutieren, wie es ihnen zu Eigen ist. Ihre Argumentation ist zumeist eingebettet in eine durchaus unstrukturierte Kommunikation mit Sprüngen und Schleifen und schält sich als begründetes Konstrukt erst mühsam heraus oder wird vom Vorsitzenden in der geschickten Zusammenfassung der Kommunikation hermeneutisch „herausgeholt“. Wir wollen uns hier aber nicht nur mit der unvollkommenen und unsystematischen Praxis befassen. Es geht uns darum, die Rollen von Beiräten und Geschäftsführungen zu analysieren und Anregungen zu entwickeln, wie diese Rollen richtigerweise auszufüllen sind. Daher brauchen wir eine Strukturierung des Prozesses. Diese Struktur sollte möglichst einfach und übersichtlich sein. Wegen dieser Anforderung schließe ich mich in meiner Reflexion dem stringent vereinfachten Schema der Argumentation an, das Wohlrapp in seinem Werk entwickelt hat.286 Er zeigt, dass auch eine Diskussion, die hin und her springt, als eine Argumentation gewertet werden kann. Er geht von dem Begriff des Arguments aus: „Ein Argument ist ein beliebiger, kleinerer oder größerer Teil einer Argumentation, welcher eine identifizierbare Funktion innerhalb des Erweises der Geltung oder Nichtgeltung der These hat.“ Die Vielzahl der Einlassungen in einer unstruktu284 285 286
Toulmin, S.E. (1958). Werder, A.v. (1994). Wohlrapp, H. (2008): S. 185 ff.
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rierten Diskussion können auf drei Grundoperationen zurückgeführt werden, nämlich • behaupten, • begründen, • kritisieren. Weiterhin führt Wohlrapp den Gedanken ein, dass alles Argumentieren in eine „Rahmenstruktur“ eingebunden ist, die die Perspektive der Einlassungen bestimmt. Der Argumentierende muss sich bei der Argumentation seiner Zielsetzung bewusst sein: Es geht nicht nur darum, was richtig ist und was objektive Geltung beanspruchen kann, sondern es geht auch darum, was Akzeptanz findet. Durchgesetzt werden kann nur, was auch akzeptiert wird.287 Akzeptiert wird das, was überzeugt. Oft aber ist als weitere Voraussetzung für Akzeptanz erforderlich, dass ein Machtträger nicht in seinem Selbstwertgefühl beeinträchtigt wird. Dies wäre der Fall, wenn dieser Machtträger sich in einer Angelegenheit schon früher festgelegt hätte, was er nun korrigieren müsste. Solche Konstellationen in der Meinungsbildung sind nicht Trivialitäten, sondern normale Bestandteile in einem „politischen“ Prozess der Meinungsbildung. Insbesondere wegen dieses persönlichen Aspektes einer einmal in einem Einwand manifestierten Meinung geht es bei der Akzeptanzperspektive zumeist nicht darum, dass Einwendungen widerlegt werden. Da es sich ja immer um subjektive Wahrscheinlichkeiten und wertende Einschätzungen handelt, können sie im strengen Sinne auch gar nicht widerlegt werden. Es muss vielmehr – wenn es denn entsprechend begründbar erscheint – versucht werden, die Einwände dialektisch „aufzuheben“, indem sie in einer verbesserten Lösung berücksichtigt werden oder in einer speziellen Fallkonstellation irrelevant werden. Dann hat derjenige, der den Einwand vorgetragen hat, prinzipiell Recht behalten; nur kommt sein an sich richtiger Gedanke im vorliegenden Entscheidungsfall nicht zum Tragen. Der Idealfall des Akzeptierens ist die einhellige und einstimmige Unterstützung einer These. Dies ist der eine Pol einer Stufenskala von Akzeptanz. Der Idealfall wird abgeschwächt durch eine nicht einstimmige, sondern nur mehrheitliche Akzeptanz oder eine Akzeptanz mit Auflagen. Sodann gibt es den Fall der Unschlüssigkeit. Dieser Fall kann einerseits dazu führen, dass eine These nicht unterstützt wird, andererseits aber auch dazu, 287
Vgl. Klein, W. (1980): S. 9 ff; Habermas, J. (1981): S. 51 ff.
10.10 Die Verweigerung der Argumentation
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dass man eine beantragte Initiative „gewähren lässt“ oder „mitträgt“. Das „Mit-Tragen“ ist ein gängiger Begriff, um auszudrücken, dass man keinen Einwand gegen die Ausführung eines Vorschlags hat oder vorhandene Einwände zurückstellt. Welche Gründe das Zurückstellen hat, kann zunächst unberücksichtigt bleiben (Respekt vor dem Antragsteller, Loyalität angesichts der Befürwortung durch den Vorsitzenden, Opportunismus, nicht als Außenseiter auffallen zu wollen). Der andere Pol der Skala ist die Ablehnung. Damit kommen wir zu folgender Übersicht über die möglichen Ergebnisse einer argumentativen Auseinandersetzung über eine Behauptung, hier also über einen Vorschlag zur Unternehmensstrategie: • Zustimmung, • Zustimmung mit der Auflage von Modifikationen, die die Einwände „aufheben“, • indifferent – mit Rückdelegation an die Geschäftsführung, nach eigenem Ermessen vorzugehen, • indifferent, aber Vollzug verantwortbar, • Ablehnung.
10.10 Die Verweigerung der Argumentation Die psychisch bedingten Pathologien Wenn ein argumentativer Prozess zu einem beantragten Vorhaben nicht gelingt, weil der Austausch der Argumente nicht zu einem Einvernehmen führt, so ist dies ein sachlicher Grund. Dies spricht nicht gegen den Prozess und die daran Beteiligten. Der Antrag wird abgewiesen. Ein anderer Fall ist es, wenn die Beteiligten sich nicht auf einen argumentativen Prozess einlassen, persönlich hierzu nicht befähigt sind oder den Prozess – aus welchen Gründen auch immer – ablehnen und „torpedieren“. Im Folgenden versuche ich einige der empirisch ermittelten Erscheinungsformen der Degeneration darzustellen, die dann, wenn sie krass ausgeprägt sind, eine Verweigerung der Argumentation bedeuten. Die nicht diskutierbare Trivialaussage Eine kritische Problemzone für die Argumentation sind wohlfeile Empfehlungen, die nie falsch, aber gerade deshalb auch nie wirklich nützlich sind, wie etwa: „Auf die Rendite achten“, „Vor Überraschungen gewappnet
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sein“ und so weiter und so fort. Zu diesen trivialen Aussagen sind die Feststellungen von Aloys Gälweiler zeitlos bedenkenswert:288 Was mit trivialen Aussagen gemeint ist, wird deutlich bei folgendem Sortiment von Anweisungen, die man heute noch in Mengen in schriftlicher Form finden kann. Noch häufiger treten sie auch manchmal mündlich auf. Beispiele für Hochformen der Trivialität: „man müsse, möge oder solle … … die geeigneten Maßnamen treffen“ … richtig vorgehen“ … zweckmäßig handeln“ … vernünftig entscheiden“ … usw. usf. Die unmittelbar erleuchtende Trivialität besteht darin, dass sicherlich auch der unbegabteste Mensch kaum ernsthaft der Meinung sein kann, mit etwa dem umgekehrten Verhalten eine gegebene Aufgabe besser lösen zu könne. Zur Formulierung solcher Aussagen braucht man daher noch nicht einmal eine Führungsbegabung und noch weniger einen Planungsprozess … Wir werden anschließend sehen, dass es dafür noch verfeinerte Formen solcher Trivialaussagen gibt, die im Grunde ebenso unnütz sind, aber ihre Trivialität besser tarnen und zu verschleiern verstehen, weil sie „gezielt“ einige konkrete Details in die allgemeine Formulierung einbeziehen. Das Problem ist deshalb so ernst, weil man damit u. U. Planungsanstrengungen und Planungsergebnisse vortäuschen kann, die gar keine sind. Es gibt auch ausgesprochene Könner auf diesem Gebiet und sie werden nicht selten für außerordentlich begabte Führungskräfte gehalten. Ihre Arbeitsweise ist relativ einfach, aber gekonnt. Sie erfordert einen wenig umfangreichen, aber hochwertig klingenden Wortschatz dieser Art mit einigen eindrucksvollen Variationsmöglichkeiten. Vor allem aber auch das Geschick, das jeweils „Treffende“, in den verschiedenen Situationen Passende, sagen zu können. Das gelingt meistens dann am besten, wenn diejenigen, die sich gerade mit einem 288
Gälweiler, A. (1974): S. 91 – 93.
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konkreten Problem sehr eingehend befassen, nicht so recht weiter wissen und dann gerade derjenige, der sich am meisten dabei herausgehalten hat, mit seiner Trivialaussage der Einzige zu sein scheint, der die Dinge noch übersieht … „Die Schwierigkeit und häufige Hilflosigkeit im Umgang mit solchen Trivialvorschlägen liegt darin, dass man wegen ihrer Selbstverständlichkeit auch im Einzelfall wenig dagegen sagen kann, aus dem gleichen Grund aber auch meistens nichts damit anfangen kann.“ Gälweiler, zu Lebzeiten Chef der Planungsabteilung eines beachtlichen Konzerns, mochte dabei vielleicht auch an die Diskussion in mancher Aufsichtsratssitzung, an der er teilnahm, gedacht haben. Natürlich werden triviale Formulierungen nicht so offensichtlich verwendet. Es ist jedoch zu bedenken, dass die Gesprächssituation in einem Beirat dazu verführt, zu einem komplexen vorgetragenen Problem nach nur kurzer Reaktionszeit „etwas“ sagen zu müssen. In dieser Situation kommt auch eine „vernünftige“ Führungskraft in ihrer Eigenschaft als Beirat in die Gefahr, oberflächliche oder triviale Aussagen zu machen. Für die Führungskräfte der Geschäftsführung sind solche „Schnellaussagen“ zu ihrem mühsam erarbeiteten Vortrag frustrierend. Nichts aber wäre gefährlicher, als solche trivialen Empfehlungen zu decouvrieren, denn nie und nimmer darf der Untergebene, also der Geschäftsführer, seinen Vorgesetzten, also den Beirat, vor seinen Kollegen bloßstellen. Etwas Derartiges nicht zu verzeihen, ist allzu menschlich; eine solche Bloßstellung würde zu gegebener Zeit erinnert werden. In ihrer Frustration müssen die Geschäftsführer aber auch daran denken, dass sie selbst der Gefahr der Trivialargumentation erliegen können, wenn sie ihren Untergebenen „gute Ratschläge“ geben. Es handelt sich eben hier um Gefahren der beruflichen Deformierung, gegen die man nur durch ständiges Bemühen angehen kann. Hierzu dienen Testfragen wie folgende289: „Die Trivialität solcher Aussagen lässt sich am einfachsten damit testen, dass man versucht, eine Alternative zu einer solchen Aussage oder Feststellung zu formulieren. Im Regelfalle ist das bei Trivialaussagen nur in einer einzigen Form möglich, und das ist die gegenteilige Aussage. Sie zeigt sich aber sofort stets als völlig sinnlos. In diesem Sachverhalt besteht gerade die Trivialität. Deshalb ist diese Prüfung, ob eine ge289
Gälweiler, A. (1974): S. 93.
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genteilige Formulierung noch einen rationalen Sinn hat, ein entscheidendes Kriterium für die Trivialität einer Aussage.“ Man könnte analog zu Popper als Kriterium eines brauchbaren Rates fordern, dass es theoretisch auch möglich sein müsse, den Rat zu „falsifizieren“. Wenn das nicht möglich ist, wenn es also immer richtig ist, diesem Rat zu folgen („sei sparsam“), dann handelt es sich regelmäßig um einen wohlfeilen Gemeinplatz und keinen Rat von Wert. Wenn jemand spezifischere Einwände erhebt und vor „Gefahren“ warnt, muss man letztlich immer fragen: Soll wegen dieser Gefahren die vorgeschlagene Entscheidung unterlassen werden? Das wird dann regelmäßig verneint. Es genügt also der ebenso formelhafte Hinweis, dass man mit äußerster Sorgfalt vorgehen werde. Die Demonstration überlegenen Wissens und Könnens durch die Beiräte Besserwisserei ist eine der weiteren Sünden gegen eine aufgeklärte Argumentation – Besserwisserei gibt die Antwort, bevor die Frage vollständig gestellt ist oder die Randbedingungen für die Lösung geklärt sind. Da der Beirat oder die einzelnen Beiratsmitglieder aufgrund ihrer Erfahrung vieles schnell beurteilen können, vieles auch schnell beurteilen müssen, besteht bei ihnen immer wieder die Neigung zur schnellen Antwort. Dies ist in einer Diskussion in einer hierarchischen Struktur eine besondere Gefahr. Ein Gefälle im hierarchischen Status wird von der Allgemeinheit, zumeist aber auch von den Amtsinhabern, als Gefälle in Wissen und Erfahrung interpretiert. Die höher bezahlte Meinung ist die bessere. Vielfach ist dem auch so – es wäre ja schlimm, wenn es generell anders wäre. Problematisch wird dieses Gefälle nur, wenn der hierarchisch höher Gestellte glaubt, seine Überlegenheit ständig demonstrieren zu sollen. Es gibt dann Gesprächsbeiträge, in denen einzelne Beiratsmitglieder dem Gremium klarzumachen versuchen, dass das von der Geschäftsführung Vorgetragene fundamental ungenügend ist. Manche Beiratsmitglieder neigen gelegentlich dazu, ihre Ansichten oder ihre zu Überzeugungen verfestigten Ansichten apodiktisch zu verkünden. Es geht dann nicht darum, in einem gleichberechtigten Dialog abzuwägen, was richtig sein könnte, sondern der Proponent fühlt sich kraft seiner hierarchischen Stellung, kraft Lebenserfahrung und kraft Berufserfahrung berechtigt, ja geradezu aus Überzeugung verpflichtet, Doktrinen zu verkünden. Damit können Entscheidungen erzwungen werden oder eben die
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Ablehnung von beantragten Initiativen begründet werden. Ein Lernprozess im Sinne der Gewinnung von Einsichten wird dadurch aber nicht erreicht. Es gibt ja die These, dass man mit „stretched targets“, die nur mit Mühe zu erreichen sind, allemal bessere Ergebnisse erreicht als mit „konservativen Zielen“. Das könnte positiv dazu führen, dass man sich mit dem Anforderungsgrad von Zielsetzungen auseinandersetzt und da, wo sie nicht anspruchsvoll genug erscheinen, eine Adjustierung verlangt. Dies wäre ein völlig normales und akzeptables Vorgehen in einem Managementdiskurs. Eine unangenehme Erscheinungsform der „stretched targets“-Doktrin zeigt sich aber, wenn – wo auch immer in der Agenda – Ziele nur um der Steigerung willen immer weiter hochgeschraubt werden oder allgemein ständig „mehr Dynamik“ gefordert wird. Für die Geschäftsführung ist dies dann eine der enervierenden Veranstaltungen, wenn Aufforderungen kommen wie: • „Man kann sich doch nicht mit der Fortführung des erreichten Niveaus zufrieden geben …“. • „Man muss sich doch an den Besten in der Wirtschaft messen …“. Jack Welsh lässt grüßen. • „Heutzutage überleben nur die Besten …“ „Es kann doch nicht sein, dass hier im Unternehmen immer noch nicht …“. Die Gefahr der Demonstration eines überlegenen unternehmerischen Anspruchsniveaus erscheint bei Beiräten von Joint Ventures besonders groß. Hier sind ja die Unternehmensleiter der zwei Mutterhäuser vertreten; jeder versteht hinreichend viel vom Geschäft, um insgesamt die KompetenzHoheit in Anspruch zu nehmen; jeder möchte dem anderen Geschäftspartner dartun, welch dynamischer Unternehmer er ist, und zudem möchte er gute Ergebnisse bei dem Joint Venture sehen. In Unternehmen mittelständischer Größenordnung sollten solche „EgoTrips“ auf der Seite der Beiräte nicht vorherrschend sein. Vereinzelt werden sie in der einen oder anderen Form jedoch immer wieder einmal auftauchen. Sollten solche Erscheinungen verstärkt auftreten, ist es die Aufgabe der Gesprächsführung durch den Vorsitzenden, die Balance im Diskurs durch ein ausgleichendes Wort wieder herzustellen. Die – untergeordnete und betroffene – Geschäftsführung selbst sollte sich tunlichst nicht dazu äußern. Ein guter Weg, solche kontraproduktiven Entwicklungen überhaupt zu vermeiden, besteht darin, die Sphäre der allgemeinen Ziele zu verlassen und sich der jeweiligen Entscheidungssituation zuzuwenden, um dort die konkrete Beratung einzufordern.
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Der Rekurs auf argumentativ nicht aufklärbare Urteile (Bauchgefühl) Höher gestellte und sich erfahren glaubende Führungskräfte, Eigentümer oder Manager, vertrauen bei kritischen Entscheidungen ihrem Bauchgefühl, ihrer Intuition.290 Es ist sicher anzuraten, nach dem Durcharbeiten aller sachlichen Argumente in sich hineinzuhören, um zu prüfen, ob das Ergebnis stimmig ist. So es dann ein Unruhe- oder ein Störgefühl gibt, muss man noch einmal zurück zu den Argumenten und diese überprüfen. Dann muss das Argumentieren noch einmal auf einer besser überprüften Basis aufgenommen werden. Unzulässig in einem argumentativen Prozess wäre es aber, sich explizit auf das Bauchgefühl zu berufen. Intuition ist nicht diskutierbar. Die Berufung auf die Intuition ist ein Ausweichen vor der Argumentation oder deren Beendigung. Typischerweise kann nur ein Vorgesetzter es wagen, sich auf so etwas Irrationales wie die Intuition zu berufen. Eine solche Einlassung ist daher für die Geschäftsführung, die sich mit der Argumentation „abquält“, eine besonders frustrierende Erfahrung. Nun mag die Berufung auf das Bauchgefühl in einem zur ernsthaften Beratung zusammengerufenen Gremium nicht so formuliert werden. Es gibt aber weitere, durchaus vorkommende Beispiele für argumentativ nicht aufklärbare Urteile. Es sind dies generell die Behauptungen, die nicht mit stichhaltigen Begründungen belegt sind. Dazu gehören etwa Berufungen auf eigene schlechte Erfahrungen, z. B. mit bestimmten Arten von Akquisitionen oder mit Standorten in bestimmten Ländern, ohne dass begründet wird, inwieweit diese Beispiele mit dem in Rede stehenden Fall vergleichbar sind. Die Demonstration überlegenen Wissens und Könnens durch die Geschäftsführung Leicht neigt eine Geschäftsführung dazu, eine Einlassung eines Beiratsmitglieds dadurch zurechtzurücken, dass sie dartut, dass sie über ein überlegenes Wissen zu den Details der diskutierten Angelegenheit verfügt. Noch schlimmer ist es, wenn die Geschäftsführung demonstriert, dass sie über die überlegene Entscheidungslogik verfüge. Beides ist unklug, ja fast etwas unfair.
290
Vgl. Bonabeau, E. (2003); Hayashi, A.M. (2001).
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Zunächst ist es selbstverständlich, dass die Geschäftsführung in den Angelegenheiten ihres Geschäfts über detailliertere, umfassendere Kenntnisse verfügt. Es ist geradezu die Aufgabe oder die Kunst im Vortrag der Geschäftsführung, aus ihrem Wissen heraus die wesentlichen Aspekte des behandelten Themas so darzulegen, dass dieses diskutierbar wird. Wenn die Geschäftsführung die Einlassung eines Beiratsmitglieds als unpassend empfindet, dann muss sie sich immer zuerst fragen, ob sie das Thema unzureichend oder missverständlich vorgetragen hat. Häufig werden etwaige Einwände seitens des Beirats zwar – mit der gebotenen captatio benevolentiae – als wichtig und berechtigt aufgenommen, aber nur mit der Absicht, sie entschieden zu widerlegen. Die Fragen des Beirats werden vielfach als In-Frage-Stellen eines berechtigten Anliegens verstanden, das es abzuwehren gilt – ohne aber diesen Eindruck der Abwehr entstehen zu lassen. Die typische Argumentationslogik ist dann die, zu sagen, dass der Einwand des Opponenten natürlich berechtigt und im Allgemeinen auch richtig sei, dass er nur in dem hier vorliegenden Fall nicht zutreffe – weil eben jeder Fall anders gelagert sei. Ungeeignet ist es dagegen, gegenüber einer vorgesetzten Instanz, wie sie der Beirat ist, zu argumentieren, dass die Meinung des Opponenten nicht nur in dem vorliegenden Fall nicht richtig sei, sondern dass sie überhaupt völlig abwegig sei. Dies würde nur zu einer Verhärtung der Argumentation führen, die weder zu einer Befürwortung der Proposition führt noch die gegenseitige Wertschätzung der Diskussionsteilnehmer stärkt. Einwände gegen und Unbehagen durch vorgeschlagene Anträge verschwinden nicht dadurch, dass sie als unzutreffend qualifiziert werden. Einwände müssen „abgearbeitet“ werden. Dieser Prozess muss eigentlich immer mit der Schilderung neuer Aspekte der Sachlage einsetzen; denn damit kann für jedermann der Weg zur Einigung bereitet werden. Ungeschickt ist es, mit einer Bewertung der Sachlage zu beginnen. Eine Bewertung ist immer ein subjektives Urteil und gerade die Bewertung durch ein erfahrenes Beiratsmitglied sollte coram publico nicht als unzutreffend qualifiziert werden. Wer sich im Besitz der Wahrheit glaubt, ist nicht gesprächsbereit. Beiratsarbeit setzt aber Gesprächsbereitschaft voraus. Um Einwände abzuarbeiten – so dies möglich und gerechtfertigt ist – ist regelmäßig ausreichend Zeit erforderlich. Wenn also ein Anliegen der Geschäftsführung auf Widerstände stößt, ist es für die Geschäftsführung das Wichtigste, ein „Nein“ zu verhindern.291 Den Prozess der Meinungs291
Diese Einsicht verdankt der Verfasser einem im Vertriebsgeschehen erfahrenen Kollegen, der richtigerweise die Voraussetzung für die Zustimmung des Kunden
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bildung so zu steuern, dass keine unangemessene Festlegung zur Unzeit erfolgt, ist eine der wichtigen Aufgaben des Vorsitzenden in der Gesprächsführung. Die unredlichen Diskussionsbeiträge Neben den vorstehend geschilderten Verweigerungen einer Argumentation ist bei einer bona fide begonnenen Diskussion darauf zu achten, dass das Ziel einer rationalen, auf eine kooperative Meinungsbildung ausgerichteten Lösung durchgängig beachtet wird und nicht im Eifer der Argumentation oder absichtlich Techniken angewandt werden, die eine Verletzung rationaler und intellektuell redlicher Argumentationsprinzipien bedeuten. Blickle u. a. haben eine Reihe von Einlassungsmustern herausgearbeitet, mit denen ein Diskurs im Management auf ein unredliches Niveau abgleiten kann292: „1. Stringenzverletzung Unterlasse es, absichtlich in nichtstringenter Weise zu argumentieren. Beispielhafte Strategien: unzulässige Verallgemeinerung, Fehlschlüsse, Umkehrschlüsse, Leerformeln. 2. Begründungsverweigerung Unterlasse es, deine Behauptungen absichtlich nicht oder nur scheinbar zu begründen. Beispielhafte Strategien: bloßer Autoritätsverweis, bloßer Gefühlsappell, reine Behauptungswiederholung. 3. Wahrheitsvorspiegelung Unterlasse es, Behauptungen als objektiv wahr auszugeben, von denen du weißt, dass sie falsch oder nur subjektiv sind. Beispielhafte Strategien: Bestreiten oder Erfinden von Tatsachen, Vorbringen von Halbwahrheiten, Verbreitung von Gerüchten. 4. Verantwortlichkeitsverschiebung Unterlasse es, Verantwortlichkeiten absichtlich ungerechtfertigt in Abrede zu stellen, in Anspruch zu nehmen oder auch auf andere (Personen oder Instanzen) zu übertragen.
292
darin erkennt, eine Ablehnung zu vermeiden. Eine solche Festlegung ist dann nicht mehr zu überwinden. Blickle, G. (1997): S. 37 ff.
10.10 Die Verweigerung der Argumentation
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Beispielhafte Strategien: Sündenböcke suchen, Fehler vertuschen, Verweis auf widrige Umstände. 5. Konsistenzvorspiegelung Unterlasse es, absichtlich nicht oder nur scheinbar in Übereinstimmung mit deinen sonstigen (Sprech-)Handlungen zu argumentieren. Beispielhafte Strategien: so tun als ob, Ausnahmen aufstellen. 6. Sinnentstellung Unterlasse es, fremde oder eigene Beiträge sowie Sachverhalte absichtlich sinnentstellend wiederzugeben. Beispielhafte Strategien: Übertreiben, Pauschalurteile, Ausweichen ins Allgemeine. 7. Unerfüllbarkeit Unterlasse es, und sei es auch nur leichtfertig, für solche (Handlungsauf-)Forderungen zu argumentieren, von denen du weißt, dass sie vom Gegenüber nicht befolgt werden können. Beispielhafte Strategien: unmögliche Beweise fordern, zwei sich wechselseitig ausschließende Forderungen stellen. 8. Diskreditieren Unterlasse es, andere Teilnehmer absichtlich oder leichtfertig zu diskreditieren. Beispielhafte Strategien: Lächerlich machen, Vorwürfe früherer Fehler und Versäumnisse, Psychologisieren. 9. Feindlichkeit Unterlasse es, deine Gegner in der Sache absichtlich als persönliche Feinde zu behandeln. Beispielhafte Strategien: Beleidigungen, Provokationen, ungehörige Fragen stellen, Einschüchterungsversuche durch Grobheiten. (Ergänzung Kormann: Dürfte in unserem Zusammenhang nicht relevant sein!) 10. Beteiligungsbehinderung Unterlasse es, absichtlich in einer Weise zu interagieren, die das Mitwirken anderer Teilnehmer an einer Klärung behindert. Beispielhafte Strategien: Killerphrasen, Vernebelung, Tabuisierung, gehäufte Verwendung von Fachausdrücken/Fremdwörtern. 11. Abbruch Unterlasse es, die Argumentation ungerechtfertigt abzubrechen. Beispielhafte Strategien: Dringenderes vorschieben, Ablenken.“
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Selbst wenn wohl kaum von vornherein eine Absicht bestünde, unfair zu argumentieren, so kann man doch auf die „schiefe Ebene“ hinabgleiten. Es ist daher heilsam, sich von Zeit zu Zeit den Fehlerkatalog vor Augen zu halten.
10.11 Die Probleme der argumentativen Beratung Der Fall der argumentationslosen Zustimmung Ich beginne mit dem „Problem“, dass es nichts zu diskutieren gibt, weil ein Vorschlag von allen akzeptiert wird. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die gründliche gedankliche Durchdringung eines Themas durch die Geschäftsführung ja gerade das Ergebnis der Pflicht sein kann, einen bestimmten Antrag im Beirat vorzutragen.293 Wenn also nur zustimmungsfähige Vorschläge gemacht werden, bedeutet dies keineswegs, dass das Gremium überflüssig sei. Man stelle sich vor, dass mit all den Menschen, mit deren Meinung man übereinstimmte, kein Gespräch geführt würde, weil das Einvernehmen nicht weiter erörtert werden müsste! Ich bin der Meinung und werde sie unten294 belegen, dass auch die Zustimmung zu einem Vorschlag der Begründung bedarf. Interessanter ist freilich in der Tat der Fall, dass ein Konzept der eingehenden kritischen Überprüfung bedarf, weil die Einflussgrößen so komplex sind oder das Risiko so groß. Dies sind die Fälle, die uns bei den nachstehenden Ausführungen vor Augen stehen. Die Problematik der Diskussion der ausgewählten Handlungsoptionen Ich habe oben eine Zurückhaltung des Beirats bei der spezifischen, auf die konkrete Ausgestaltung der Handlungsoptionen gerichteten Beratung empfohlen. Dabei habe ich aber zugleich als normal festgestellt, dass der Beirat die von der Geschäftsführung entwickelte Handlungsoption auf ihre Sinnhaftigkeit hin prüft. Ich bin mir dabei bewusst, dass jedes Beiratsmitglied bei einer solchen Diskussion sagt, was es glaubt sagen zu sollen. Es gibt auch selten einen Beiratsvorsitzenden, der die Diskussion von vornherein nach bestimmten Regeln zu strukturieren versucht. (Wenn überhaupt, ver293 294
Vgl. Abschnitt 10.3. Vgl. Abschnitt 10.12.
10.11 Die Probleme der argumentativen Beratung
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sucht er durch Zusammenfassungen Ordnung und Ergebnisorientierung in die Diskussion zu bringen.) Gleichwohl versuche ich nun eine systematische Darstellung, welche Art von Diskussion außerhalb des Einbringens spezifischer Sachkompetenz noch möglich wäre und welche Art dabei problematisch wäre. Wenn akzeptiert wird, dass Beiräte nicht die spezifische Kompetenz für die Ausarbeitung der strategischen Planung mitbringen, könnte man immer noch erwägen, ob sie nicht an einem argumentativen Prozess teilnehmen könnten oder sollten, durch den die Qualität der Planung erhöht werden kann.295 In Betracht käme zum Beispiel die kollegiale Suche nach einem Konsensus. Die Konsensus-Suche ist ein konstruktives Verfahren, bei dem jeder der Beteiligten – zumeist eines Kollegiums – zunächst für sich die vorhandenen Daten wertet und Empfehlungen entwickelt. Diese einzeln erarbeiteten Vorschläge werden dann in einem offenen, eingehenden und konstruktiven Verfahren dem argumentativen Prozess aller Beteiligten unterworfen. Durch Diskussion, Nachfragen und Reflexionen wird ein höheres Lösungsniveau entwickelt, als es ein einzelner Vorschlag beinhalten kann. Während die Konsens-Suche in dem die Strategie ausarbeitenden Kollegium der Geschäftsführung mehrere alternative Vorschläge umfassen kann, konzentriert sich eine Konsens-Suche in dem die Strategie erörternden Beirat auf den einen Vorschlag, der von der Geschäftsführung vorgelegt wurde, der aber im Verlauf der Konsens-Suche modifiziert werden kann. Der Prozess ist gelungen, wenn alle Beteiligten a) entweder auf der Basis der geteilten Informationen und Ableitungen einen Vorschlag für vernünftig und zweckmäßig ansehen, oder aber wenn b) der Vorschlag einvernehmlich modifiziert wird oder aber wenn c) das durch die Vorschläge zu verfolgende Handlungsziel zurückgezogen wird, weil akzeptierte Argumente gegen seine Durchführung sprechen. Das Entscheidende ist dabei nicht, welche Risiken bestehen, sondern welche Maßnahmen zur Begrenzung der Risiken vorgesehen sind. Es ist nicht notwendig, dass alle in allem übereinstimmen oder niemand eine weiterführende Vorstellung hätte. Es genügt, wenn jeder den Konsens-Vorschlag „akzeptieren“ kann, wenn niemand unüberwindbare Einwendungen erhebt. Die KonsensusSuche kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten an dem gesamten Prozess der Planentwicklung teilnehmen. Dies ist der ideale Fall für die Erarbeitung eines strategischen Konzepts durch die oberste Führungsriege des Unternehmens. Typischerweise ist dies ein kollegial erarbeitetes Projekt, 295
Vgl. Bäcker, A. (1996); Schweiger/Sandberg/Ragan (1986); Mason, R.O./Mitroff, I.I. (1981).
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das sich auf der Zeitachse erstreckt. Solch eine kollegiale Arbeitsweise ist zwischen Geschäftsführung und Beirat schon aus zeitlichen Gründen nicht möglich. Sie ist aber auch aufgrund der Zuordnung der Aufgaben auf die beiden Hierarchieebenen nicht möglich. Das gemeinsame Vorgehen in einer Konsensus-Suche bedeutete die „Rückdelegation“ der Strategieentwicklung auf die übergeordnete Ebene des Beirats. Diesem aber steht die für ein solch aufwendiges Verfahren benötigte Zeit nicht zur Verfügung. Der verfügbare zeitliche Rahmen der Beiratssitzung würde allerdings ein sog. Debatten-Verfahren erlauben. Für einen abgekürzten argumentativen Prozess wird einerseits die Methode des Advocatus Diaboli296 oder andererseits die der dialektischen Debatte297 vorgeschlagen. Bei der letztgenannten Methode entwickelt ein Protagonist oder eine Gruppe einen konkreten Vorschlag und ein Opponent oder eine andere Gruppe unterzieht diesen Vorschlag der schärfsten Kritik und versucht davon zu überzeugen, dass und warum dieser Vorschlag nicht anzunehmen sei. Wenn diese Replik nicht gelingt und der Vorschlag diesen Test des negativen Denkens überlebt, ist erwiesen, dass er geeignet ist, unterstützt zu werden. Innerhalb eines Kollegiums von Gleichberechtigten ist diese Methode der Rationalitätssicherung wünschenswert und möglich. Hier kann sie als intellektuelle Methode oder als Spiel verstanden werden, bei dem jeder irgendwann jede Rolle einnimmt. Der Beirat ist aber nicht in das Kollegium der Geschäftsführung einbezogen und wird auch nicht als Teil der Geschäftsführung gesehen. Wenn der Beirat sich bei der Methode des Advocatus Diaboli oder der dialektischen Debatte auf die negativen Aspekte konzentriert, die den von der Geschäftsführung vorgetragenen Vorschlag zu Fall bringen könnten, dann wird dies nicht als eine intellektuelle Übung verstanden. In der Literatur wird vorgeschlagen, den Charakter des intellektuellen Spiels dadurch zu bewahren, dass ganz offiziell ein Beiratsmitglied – und zwar auf Dauer – mit dieser Rolle beauftragt wird.298 Es ist aber schwer vorstellbar, dass diese Maßnahme als analytisches Instrument verstanden wird und funktioniert. Diese angesichts des zeitlichen Rahmens durchaus machbaren Verfahren sind deshalb nicht geeignet, weil der Beirat kein Teilnehmer an einem Prozess von Gleichberechtigten sein kann. Es besteht die Gefahr, dass dann, wenn ein Beiratsmitglied die Rolle eines Advocatus Diaboli übernimmt, seine Argumente nicht als intellektuelle Übung ver296 297 298
Vgl. Schwenk, C.R. (1989); Schwenk, C.R. (1984). Mason, R.O./Mitroff, I.I. (1981); Cosier, R. (1981). Schwenk, C.R. (1989): S. 25 f.
10.11 Die Probleme der argumentativen Beratung
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standen werden, sondern dass sie als reale Sichtweise, als seine Grundeinstellung und ablehnende Haltung interpretiert werden. Die Meinung des Beirats zur Ausgestaltung der von der Unternehmensleitung vorgeschlagenen Handlungsoption hat einen sehr direktiven Charakter. Das Ungenügen des Aufzeigens von Risiken und Nebenwirkungen Bei den hier angeführten Verfahren der kritischen Würdigung eines Vorschlags müssen wir uns die Charakteristika der strategischen Fragestellung in Erinnerung rufen: • Jede Strategie hat es mit Dilemmata, Trade-offs und Nebenwirkungen des vorgeschlagenen Handelns zu tun. • Es gibt keine Strategie, die nicht unsicher wäre. • Es gibt keine Strategie, die nicht neben Vorteilen auch Risiken und Nachteile hätte. (Gäbe es eine Strategie, die all diese Unwägbarkeiten nicht hätte, wäre ihre Verfolgung keine Managemententscheidung, sondern ein einfaches Rechenexempel, das alle Unternehmen übernähmen. Sie könnte damit keine wirksame Strategie mehr sein.) Eine kluge Geschäftsführung wird von sich aus bei der Präsentation ihrer Handlungsoptionen die Risiken und negativen Nebenwirkungen ansprechen. Es wäre laienhaft und falsch, eine Option allein deshalb zu verwerfen, weil sie Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen in sich birgt. Es ist in aller Regel auch nicht sinnvoll, durch raffinierte Bewertungsverfahren herauszudestillieren, welche der möglichen Handlungsoptionen die bessere ist, etwa weil bei ihr die Relation von Nutzen und Risiken am günstigsten ist. Wenn die Wahl der richtigen Strategie von Feinheiten der Bewertung verschiedener Alternativen abhängt, dann ist die überzeugend attraktive Option meist noch gar nicht gefunden. Die „richtige“ Option hebt sich von allen anderen deutlich in der Attraktivität des Nutzens ab. Das zu Beurteilende ist „nur noch“, ob die Risiken und Nebenwirkungen dafür in Kauf genommen werden können. Die Entwicklung eines strategischen Vorschlags zielt auf etwas, „was sein soll“. Die Verfahren der kritischen Überprüfung dieses Vorschlags tendieren generell dazu, sich darauf zu konzentrieren, „was nicht ist“, „was fehlt“, und dabei wird das Gewicht von Risiken herausgestellt. Zur Überbetonung der Risiken mag beitragen, dass der Zeitgeist und die Corporate Governance ohnedies besonders auf den Risikoaspekt abstellen. Es mag
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auch eine menschliche Neigung sein, Bedenken zu äußern, zumal man sich damit praktisch nie blamieren kann, wie es beim Plädoyer für Chancen, die dann doch nicht eintreten, der Fall wäre: Die Fehler des Handelns werden pönalisiert, während die Sünden des Unterlassens nicht erkannt werden.299 Die Folgen nicht getroffener Entscheidungen und der Wert nicht genutzter Chancen gehen nicht in die Berichterstattung der Folgejahre ein. Damit besteht die Neigung, dass die Diskussion strategischer Vorhaben eher dazu führt, solche Initiativen nicht zu verfolgen. Die Gefahr der argumentativen Abwertung neuer Ideen Ich habe bisher ausschließlich zugunsten des argumentativen Diskurses über strategische Vorschläge plädiert. Es ist aber auch darüber zu sprechen, dass eine eingehende Argumentation dazu führen kann, jede strategische Neuerung zu Fall zu bringen. Auch eine eher beiläufige Meinungsäußerung eines Beirats in einem Diskurs über strategische Themen kann als Rat der vorgesetzten Stelle mit einem starken Empfehlungscharakter verstanden werden. Die Geschäftsführung als untergebene Instanz wird sich mit diesem Rat wohl in jedem Fall ernsthaft auseinandersetzen und ihn sich in den meisten Fällen zu Eigen machen. Wenn die Geschäftsführung nach der pflichtgemäßen Würdigung einer Empfehlung zu dem Schluss kommt, dieser Empfehlung nicht Folge leisten zu können, wird sie dies eingehend begründen. Wenn nun der Beirat der begründeten Ablehnung der Geschäftsführung nicht folgt und die Geschäftsführung gegen ihre Empfehlung zu einer Handlung veranlasst, dann liegt eine „Verfassungskrise“ in der Führung des Unternehmens vor. Im einfachen Fall wird die Unternehmensleitung sich schriftlich die Weisung bestätigen lassen und zu Protokoll geben, dass die Verantwortung für die Folgen der Weisung naturgemäß beim Beirat liegt. Diese Verantwortung kann der Beirat jedoch mangels Detailwissen und mangels Kompetenz natürlich nicht tragen. Strategische Absichten sind am Anfang ihrer Genese zumeist ziemlich vage Vorstellungen, die in der weiteren Verfeinerung und Durchführungsplanung noch eingehend überprüft und modifiziert werden müssen. Dies ist nur möglich, wenn sich die Führungsebene, die die Durchführung übernimmt, damit konstruktiv auseinandersetzt und sich letztlich mit dem Vorschlag identifiziert.
299
Vgl. Hammond/Keeney/Raiffa (1998): S. 50.
10.12 Die Prüfung der Verantwortbarkeit
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Die unstrukturierten Meinungsäußerungen Die oben erörterten Probleme, die sich ergeben können, wenn man sich nur auf die möglichen Risiken eines Vorhabens konzentriert, können besonders ausgeprägt auftreten, wenn nach dem Vortrag der Geschäftsführung zu einem komplexen Strategiethema pauschal „nach Meinungsäußerungen“ gefragt wird. Da sagt dann jedes Beiratsmitglied, was ihm so in den Sinn kommt. Je größer das Gremium ist, desto eher kann es sein, dass der eine Beirat dieses Risiko sieht, der andere jenes. Selbst dann, wenn ein Mitglied auf die Chancen der geplanten Aktion zu sprechen kommt, bleibt ein uneinheitliches Bild. Zumeist wird dann der Antrag der Geschäftsführung ohne formelle Abstimmung abgelehnt. Aber auch ohne Ablehnung ist es ärgerlich für eine Geschäftsführung, nur die sorgenvollen Kommentare zu Risiken zu hören und dann mit dem Votum entlassen zu werden, dass man den Vorschlag nicht verhindern wolle. In dieser Konstellation machen die Bedenkenträger immer einen guten und die Geschäftsführung einen schlechten Eindruck, wenn eines der Risiken Realität wird.
10.12 Die Prüfung der Verantwortbarkeit als inhaltliches Ziel der Argumentation Die Beschränkung der argumentativen Beratung auf die Verantwortbarkeit des Vorschlags Angesichts der Gefahr, dass sich eine Diskussion über strategische Initiativen der Geschäftsführung auf deren negative Aspekte konzentriert, bedarf eine gute Argumentation einer Ordnung, die einen ausgewogenen Verlauf einer solchen Diskussion erleichtert. Im Idealfall wäre ein angemessenes Vorgehen in der gängigen Praxis bei erfahrenen Diskussionsleitern verwurzelt. Ich kann eine solche Verfahrensweise in der Praxis und in der einschlägigen Literatur jedoch noch nicht erkennen. Die im Folgenden beschriebene Vorgehensweise ist eher als vorläufiger Vorschlag denn als ausgefeiltes und wohlbegründetes Konzept zu verstehen. Ich empfehle die Argumentation zu strategischen Vorschlägen wie folgt zu gliedern und zu fokussieren: • Herstellung eines von Einwänden freien Einvernehmens über die zu entscheidende Problemstellung: den „Befund“ nach Analyse der Lage, der als Chance oder Problem ein Handeln erfordert.
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• Herstellung eines von Einwänden freien Einvernehmens über die Nutzenerwartung, die mit der vorgeschlagenen Maßnahme verbunden ist. • Prüfung, ob die Risiken verantwortbar sind. • Prüfung, ob das Vorhaben nicht gegen gemeinsam vertretbare Entscheidungslogiken verstößt, insbesondere ob es nicht eine nicht vertretbare Relation von Investitionen, Aufwand und Risiken zum Nutzen enthält. • Bei Ablehnung einer Initiative sollte gleichzeitig eine Beratung und möglichst eine Entscheidung über die Frage „Was dann?“ stattfinden. Das Einvernehmen über den zu erörternden Befund ist die unabdingbare Ausgangsbasis für eine weiterführende Argumentation. Liegt dieses Einvernehmen nicht vor, muss es erst geschaffen werden, bevor weiter argumentiert werden kann. Besteht über den Befund Einverständnis, gibt es eine gemeinsam geteilte Nutzenerwartung, überschreiten die Risiken nicht die gesetzten Grenzen und verstößt die Relation Nutzen zu Aufwand und Risiken nicht gegen etablierte Entscheidungsmaximen und logische Regeln, dann wäre der Vorschlag gutzuheißen. Die Genehmigung des Vorschlags wäre zu erteilen, gleichgültig, ob er als ideal angesehen wird, und gleichgültig, ob jeder der Beteiligten diesen Vorschlag für den bestmöglichen hält. Um es negativ auszudrücken: Der Vorschlag kann nicht abgelehnt werden, weil ein Beiratsmitglied glaubt, dass es eine von ihm vorgeschlagene bessere Lösung gäbe, denn der Beirat kann nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Voraussetzungen für diese möglicherweise bessere Lösung geschaffen werden können. Sehr wohl kann aber der Rat ausgesprochen werden, die angedachte bessere Lösung mit in Erwägung zu ziehen. Der Vorschlag der Geschäftsführung kann nicht allein deshalb vom Beirat abgelehnt werden, weil er Risiken und negative Nebenwirkungen enthält. Er könnte nur abgelehnt werden wegen Risiken und Nebenwirkungen, die nicht verantwortbar wären. Die Diagnose des Befundes Jeder Vorschlag kann nur im Hinblick auf die Problemstellung, die gelöst werden soll, erörtert werden. Die Problemstellung kann – in dem Schema von Ansoff – eine Bedrohung oder eine kritische Entwicklung einerseits oder eine Chance andererseits sein. Auch der Vorschlag zur Nutzung einer „strategischen“ Chance hat in aller Regel die Lösung einer Problemstel-
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lung zur Voraussetzung. Das folgt aus der Charakteristik von Strategien. Eine reine Chance ohne vorlaufenden Aufwand zur Erschließung der Chance und damit ohne Unsicherheit, ob sich der Aufwand lohnt, gibt es kaum. Wenn es die reine Chance gäbe, wäre deren Nutzung eine Selbstverständlichkeit. Aber auch die reine Chance müsste sehr schnell ergriffen werden, sonst macht dies ein anderer. Dann hat man allerdings keine Zeit, zu prüfen, ob es bei dieser Chance nicht auch Risiken und Nebenwirkungen gibt. Kurzum: Auch beim Chancen-Management sind zumeist „Trade-offs“ abzuwägen und es bestehen in der Regel Risiken und Nebenwirkungen. Es gibt also eine mit der Chance verbundene Problemstellung, die als Befund anerkannt und beantwortet werden muss. Die Beschreibung der Problemstellung und der ihr zugrunde liegenden Wirkungskräfte bildet den Befund als Ergebnis der Orientierungsphase der strategischen Planung. Über den Befund muss Einvernehmen zwischen Geschäftsführung und Beirat erzielt werden. Ohne Einvernehmen über die Frage, die es zu beantworten gilt, braucht nicht um die richtige Antwort gerungen zu werden. Der Einsatz des analytischen Instrumentariums zur Diagnose der Problemstellung kann allerdings Zeit kosten, die nicht zur Verfügung steht. Dies ist insbesondere bei krisenhaften Entwicklungen wahrscheinlich. Die Unfallmedizin hat andere Therapieregeln als die Kurmedizin. Aber auch unter der Bedingung knapper Zeit muss der vermutete Befund explizit benannt werden und es muss Einvernehmen über diese Annahme – oder ergänzende Annahmen – erzielt werden. Andernfalls redet man aneinander vorbei und kann sich den Versuch eines argumentativen Diskurses sparen. Die Beurteilung des Nutzens Eine strategische Initiative wird wegen ihres erwarteten Nutzens ergriffen. Der Nutzen muss das Hauptthema der argumentativen Beratung sein. Die Argumentation für den Nutzen besteht in Behauptungen zu • einer erwarteten Wirkung des strategischen Handelns, • der Bedeutung dieser erwarteten Wirkung für den Unternehmenserfolg und das zukünftige Entwicklungspotenzial. Es lohnt sich, hierüber die argumentative Auseinandersetzung zu suchen. Wenn über den Nutzen kein Einvernehmen besteht, dann müssen die Vertreter der Initiative versuchen, durch geeignete Argumente die Skeptiker vom Nutzen ihres Vorschlags zu überzeugen, um doch noch ein von allen Beteiligten gemeinsam akzeptiertes Ergebnis zu erreichen. Betrachten wir
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das Beispiel, dass die Geschäftsführung die Preise für ihre Produkte senken möchte, um den Marktanteil zu steigern. Wenn kein Einvernehmen darüber besteht, dass diese Wirkung eintreten könnte, oder wenn selbst dann, wenn es gelänge, die beabsichtigte Erhöhung des Marktanteils zu erreichen, Zweifel daran bestehen, dass dadurch der Unternehmenserfolg oder das zukünftige Entwicklungspotenzial gestärkt würde – weil etwa das Gewinnniveau abgesenkt wird –, dann müssen die Advokaten der Initiative sich bemühen, durch Argumente die Bedenken auszuräumen. Es muss erreicht werden, dass die Sinnhaftigkeit des geplanten Vorgehens insoweit einvernehmlich festgestellt wird, als man übereinkommt, dass die erwartete Wirkung möglich wäre und dann als Nutzen zu betrachten sei. Auch hier ist es oft ausreichend, wenn kein Einwand geltend gemacht wird. Es muss nicht jeder Diskussionsteilnehmer vom Nutzen des in Rede stehenden Projekts vollständig überzeugt sein. Es genügt, wenn er es für vertretbar hält, zu versuchen, diesen Nutzen zu erzielen. Es genügt auch, wenn er es zwar für eine vergebliche Übung hält, diesen Nutzen erzielen zu wollen, er aber die hierfür eingesetzten Ressourcen für vergleichsweise geringfügig und die Risiken für verantwortbar hält. Die Beurteilung der Risiken Ob die Risiken verantwortbar sind, ist eine wichtige Frage, die es zu erörtern gilt. Es geht nicht darum, ob es Risiken gibt. Natürlich gibt es diese. Es gibt zunächst das Risiko, dass der angestrebte Nutzen nicht eintritt. Genau besehen wäre dies aber keine Verschlechterung gegenüber dem Status quo. Das Risiko besteht dann „nur“ darin, dass der Aufwand für die Durchführung der Option möglicherweise verloren ist. Dieses Risiko ist bezifferbar und meist nicht unverantwortbar groß, insbesondere wenn in Stufen vorgegangen wird. Schwieriger ist es, wenn aus einer Aktion Risiken in schlecht abschätzbarer Größenordnung entstehen können. Bei all diesen Fragen kann es nach meiner Ansicht nicht darum gehen, die subjektiven Risikoeinschätzungen der Diskussionsteilnehmer auszutauschen und durch deren unterschiedliche Gewichtung die Billigung oder die Verwerfung des Vorhabens begründen zu wollen. Es ist unwahrscheinlich, dass die subjektive Risikobeurteilung der Beiratsmitglieder objektiv betrachtet zutreffender ist als die Risikobeurteilung des Managements. Die einzig verlässliche Beurteilungsbasis liegt in der Vermutung, dass nicht alle Annahmen so wie erwartet eintreten werden. Möglich ist: Der erwartete Nutzen tritt nicht ein, der Aufwand hierfür ist verloren, das Projekt ist für das beantragende Unternehmen „gescheitert“. Daher gilt es vor
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allem festzustellen, ob die möglichen Risiken des Vorhabens verantwortbar sind, oder zu klären, unter welchen Randbedingungen sie verantwortbar sein könnten. Es ist leichter zu formulieren, was nicht verantwortbar wäre: • Gefährdung der Existenz des Unternehmens mit all seinen Arbeitsplätzen, • in der Höhe und zeitlichen Dauer unbegrenzte Verluste, • Übernahme unbekannter und unbegrenzter Risiken, • Gefährdung der Unabhängigkeit des Unternehmens als Familienunternehmen, • Gefährdung der Geschäftsbeziehungen zu Schlüsselkunden, • Lieferunterbrechungen über einen längeren Zeitraum, • Überforderung der gesamten Organisation, die zur Destabilisierung der Leistungsprozesse und Lieferunfähigkeit führen kann, • und ganz wichtig: Reputationsrisiken, die den „guten Namen“ des Familienunternehmens nachhaltig beschädigen könnten. Bei der Bestimmung der die Existenz gefährdenden Risikoschwelle darf man natürlich nicht von dem falschen Risikobegriff der Lehrbücher ausgehen, die behaupten, das maßgebliche Risiko bestehe in der Schadenshöhe mal Eintrittswahrscheinlichkeit. Ob ein Unternehmen ein Risiko überleben kann oder daran untergeht, hängt allein von der maximalen Schadenshöhe beim „größten anzunehmenden Unfall“ (GAU) ab. Zwar geht der GAU vom schlechtesten Fall aus, bleibt aber im Rahmen des „normalen Weltgeschehens“. Gerade Eigentümer-Unternehmer, die bei der Unternehmensgründung eine extrem hohe Akzeptanz für Risiken haben mussten – sonst hätten sie den Mut zum Anfang gar nicht erst aufgebracht –, haben oft auch dann noch eine sehr hohe Risikoakzeptanz, wenn ihr Unternehmen bereits „groß“ geworden ist. Aufgrund ihres bisherigen unternehmerischen Erfolgs mögen sie glauben, sie blieben von der allgemeinen Risikoverteilungskurve verschont. Gerade für diese Eigentümer kann ein Beirat die Existenzsicherung bedeuten, weil er die Risikoakzeptanz des Eigentümers durch die nüchterne Überlegung ersetzt, welches Vorgehen auch dann verantwortbar, weil nicht Existenz gefährdend ist, wenn sich alle Annahmen für die Strategie als falsch herausstellen sollten.
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Maßgeblich für die GAU-Analyse ist – und dies ist im argumentierenden Gespräch auszuloten –, welches die „Exit“-Maßnahmen, die Rettungsmaßnahmen, beim Scheitern des Vorhabens sind. Die Verwertung der Restwerte, die Weiterveräußerung einer vergebens erworbenen Position sind probate risikomindernde Optionen. Auf der anderen Seite fällt es selbst kritisch denkenden Beiratsmitgliedern schwer, die Restrisiken sachgerecht zu beurteilen, wenn einmal das gemeinsame Votum abgegeben wurde, dass die Risiken des geplanten Vorhabens „verantwortbar“ seien. Was positiv „verantwortbar“ ist, ist etwas schwieriger generell zu bestimmen; dies hängt stärker von subjektiven Einschätzungen und von der jeweiligen Risikoakzeptanz ab. Man kann aber folgende Einschätzungen als zielführend betrachten: • Risiken, wie sie das Unternehmen auch in der Vergangenheit in einer gewissen Regelmäßigkeit verkraftet hat, sind nicht existenzgefährdend und daher „verantwortbar“. • Risiken, die maximal einen Teil des Ergebnisses eines Jahres verzehren, sind nicht existenzgefährdend. • Risiken, die maximal ein Viertel des Eigenkapitals gefährden, sind – noch nicht – existenzgefährdend. In aller Regel führt die Diskussion über die möglichen Risiken auch zu den vorgesehenen oder zu zusätzlichen Maßnahmen zur Risikobegrenzung zum Beispiel durch: • stufenweises Vorgehen, überschaubare Experimente, • Rekurs auf bewährte Vorgehensweisen, • Versicherungen, • Barrieren für Risiken in Gestalt der selbstständigen Rechtsform eines Tochterbetriebes und in Gestalt seiner eigenständigen Finanzierung ohne Durchgriffshaftung der Muttergesellschaft, • vertragliche Haftungsausschlüsse und Haftungsbegrenzungen, • Risikoteilung in Konsortien. Die Prüfung der Entscheidungslogik auf Vertretbarkeit Bei der Prüfung der vertretbaren Entscheidungslogik geht es nicht darum, die Einzelheiten der Begründung eines Vorhabens in der Tiefe kritisch zu überprüfen. Es muss von allen Beteiligten festgestellt werden, dass die
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Begründung für eine bestimmte Aktion nicht offensichtlich gegen etablierte Entscheidungsgrundsätze verstößt. Wäre das der Fall, dann wäre das Vorhaben ja schon aus logischen Gründen nicht gutzuheißen. Der klare Fall, der eine eindeutige Ablehnung begründet, wird daher kaum vorkommen. Wie immer gibt es aber Zweifelsfälle, die der argumentativen Beurteilung und Beratung über das zweckmäßige Vorgehen zugänglich sind. Zuerst sollte untersucht werden, ob das Vorhaben mit den oben300 skizzierten Entscheidungsmaximen konform geht. In aller Regel wird sich zeigen, dass die Geschäftsführung diese Anforderung beachtet und ihre Erfüllung dem Beirat gegenüber begründet hat. Vielfach sind diese Entscheidungskriterien aber nicht ganz eindeutig. Eine unterschiedliche Überzeugung bei grundsätzlichen Entscheidungsmaximen kann vor allem im Interesse der Geschäftsführung nicht ungelöst bleiben. Man stelle sich vor: Der Beirat erwartet Ertragsmaximierung, die Geschäftsführung verfolgt Wachstumsmaximierung – oder das jeweils praktikable Substitut für „Maximierung“. Bleiben solche Divergenzen ungeklärt bestehen, wird jedwedes spätere Ergebnis der Kritik unterliegen: Zwar habe die Geschäftsführung ihr Ziel erreicht, aber …. Oft ist erst angesichts der Finanzierungsanforderungen des Vorhabens und der hierfür erforderlichen besonderen Finanzierungsinstrumente zu klären, ob die Kriterien der finanziellen Stabilität und damit das Ziel der Bewahrung der Unabhängigkeit eingehalten werden. Dies ist eine Prüfung, die in aller Regel nur die Gesellschafter oder ihr Beirat verantwortlich vornehmen können. Hier geht es ja um ihr Kapital und um ihre Risikobereitschaft. Ungeachtet der intellektuellen Kapazität der Geschäftsleitung und ihrer Kenntnis des Geschäfts können Entscheidungen, die die Kapitalposition der Gesellschafter direkt berühren, von einer Geschäftsführung allein nicht verantwortet werden. Die Vereinbarkeit der jeweiligen strategischen Planung mit den Zielen der Gesellschafter muss von den Gesellschaftern selbst verstanden und verantwortet werden. Noch schwieriger wird aber die Frage der Verantwortbarkeit, wenn nichtgeschäftliche Bedingungen unternehmerischen Handelns berührt werden, vorzugsweise Bedingungen gesellschaftlicher und ethischer Verantwortung. Insbesondere junge Gesellschafter interessieren sich für die gesellschaftliche Relevanz der Produkte ihres Unternehmens. Sie wollen wissen, ob das Unternehmen den Prinzipien der Nachhaltigkeit verpflichtet ist. Sie wollen wissen, ob die Produkte ethischen Grundsätzen genügen. Eine pro300
Vgl. Abschnitt 10.4.
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fessionelle Geschäftsführung mag solche Besorgnisse als geschäftsfremd betrachten. Sie tut aber gut daran anzuerkennen, dass in diesen Fragen der Werte die Geschäftsführung nicht der Geschäftsherr ist, sondern nur der Treuhänder der Gesellschafter. Auf einer niedrigeren Ebene der Zweckmäßigkeit können noch weitere Entscheidungsgrundsätze für richtiges Handeln diskutiert werden. Einen Kanon von fundierten, verständlichen und in der Praxis befolgten Entscheidungsregeln hat bislang meines Wissens nach weder die Wissenschaft noch die Praxis hervorgebracht.301 Jede Führungskraft hat hier ihre eigenen Glaubensgrundsätze, deren Überzeugungskraft aber eher von subjektiven Prinzipien als von allgemein anerkannten Einsichten bestimmt wird. Es sind Grundsätze wie folgende: • „Wähle die Alternative, deren Durchführung die größte Breite weiterer Optionen ermöglicht.“ • „Wähle die Alternative, die dich am wenigsten langfristig bindet.“ • „Gehe in mehreren kleinen Schritten vor statt in einem großen, auch wenn der Gesamtaufwand der kleinen Schritte größer ist.“ • „Bedrohe nie einen Wettbewerber in seiner Existenz – es sei denn, er könne mit Sicherheit vernichtet werden.“ Auf der Ebene der Maximen und Logiken einer Entscheidung ist ein argumentativer Austausch möglich, ohne dass alle Beteiligten jede Einzelheit des zu entscheidenden Sachverhalts kennen. Unterschiedliche Überzeugungen bei den Maximen und Logiken müssen allerdings ausgesprochen und aufgearbeitet werden, sonst schwelt ein latenter Konflikt, der später bestimmt zur Unzeit aufbricht: dann nämlich, wenn es auf dem eingeschlagenen Weg einmal Schwierigkeiten gibt – und die gibt es in jedem Fall irgendwann. Gerade dann, wenn Schwierigkeiten auftreten, erweist sich der Nutzen der vorhergehenden Beratung. Die Erörterung des alternativen Vorgehens bei Ablehnung einer strategischen Initiative Eine strategische Initiative ist eine vorgeschlagene Antwort auf eine erkannte Bedrohung oder eine erkannte Chance. Eine Ablehnung dieser Ini301
Die umfangreiche Literatur zu „Rational Choice“ trifft nicht ganz das Anliegen. Im Übrigen ist dies noch nicht für die Praxis in verständlicher Form transformiert.
10.12 Die Prüfung der Verantwortbarkeit
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tiative durch die vorgesetzte Institution wendet die Bedrohung nicht ab bzw. bewirkt nicht, dass die Chance erschlossen wird. Einer meiner Chefs302 pflegte zu sagen: „Auf keine Art und Weise ist noch nie etwas gegangen!“ Die nächste Frage nach der Ablehnung einer Initiative muss also sein: „Was ist nun zu tun, um die Problemstellung zu lösen: die Bedrohung abzuwenden oder die Chance zu nutzen?“. Dabei haben die Beiratsmitglieder, die durch ihre ablehnende Entscheidung die Verantwortung dafür übernommen haben, dass etwas nicht geschieht, nunmehr die damit korrespondierende Verantwortung, eine Wegleitung zu geben, was anstatt dessen geschehen soll. Daraus darf natürlich keine Rückdelegation der Geschäftsführungsaufgabe an den Beirat erwachsen. Die Geschäftsführung darf aber erwarten, dass Rat und Anregung gegeben werden, in welcher Art und Weise die Randbedingungen neu zu definieren sind, in deren Rahmen dann ein anschlussfähiges strategisches Konzept zu suchen ist. Es mag in der Regel so sein, dass diese Wegleitung nicht in der gleichen Sitzung gegeben werden kann; dann aber muss das Thema auf der Agenda bleiben. Die weitere Erörterung dieses Themas darf allerdings nicht nur ein „Schaulaufen“ für weitere Vorschläge der Geschäftsführung sein. Vielmehr hat gerade im Fall der vorhergehenden Ablehnung einer Initiative mit Berufung auf die höhere Sach- oder Interessenkompetenz des Beirats die Geschäftsführung einen berechtigten Anspruch darauf, dass der Beirat seine Kompetenz auch in die positive Suche nach Ersatzvorschlägen einbringt. Die argumentative Begründung der Zustimmung Man könnte nun die Ansicht vertreten, dass eine argumentative Prüfung der Verantwortbarkeit nur bei großen strategischen Entscheidungen erforderlich ist – Entscheidungen, wie sie vielleicht nur einmal in einem Jahrzehnt bei einem mittelständischen Unternehmen anstehen. Bei den übrigen, „normalen“ strategischen Entscheidungen könne man ja in der Regel ohnehin dem Antrag der Geschäftsführung zustimmen und es erübrige sich damit eine eingehendere Argumentation. Dies wäre eine Einstellung, welche die Beiratsarbeit eines großen und wichtigen Teils ihrer Wirkungsmöglichkeiten berauben würde. Ein kluger Vorsitzender wird – wohlgemerkt: bei strategischen Fragestellungen – auch dann, wenn das Gremium einen Vorschlag der Geschäftsführung billigt, seine Kollegen um eine Begründung für ihre Zustimmung bitten. Die Aufforderung zur Stellungnahme mag in die verschiedensten Rahmenfragen 302
Der frühere Chef von Brown Boveri, Dr. Herbert Gassert.
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10 Die Strategieberatung im Beirat
eingekleidet sein: die Bitte um Kommentierung des Antrags oder die Nachfrage, welche Aspekte im Vortrag der Geschäftsführung dem Einzelnen besonders wichtig erscheinen. Entscheidend ist, dass jedes Mitglied aufgefordert wird – und damit praktisch gezwungen ist – zu begründen, aus welchen Gründen er oder sie zustimmt. Dabei werden regelmäßig durchaus unterschiedliche Argumente vorgetragen werden. Dadurch können zum Beispiel Anregungen für die Weiterentwicklung der Strategie gegeben oder mögliche latente Probleme bei der Durchführung des geplanten Projekts aufgezeigt werden. Ein Teilnehmer äußert vielleicht die Meinung, dass eine bestimmte Investition deshalb zu begrüßen sei, weil damit die Kernkompetenz des Unternehmens gestärkt wird. Daran könnte ein Gespräch anknüpfen zu der Frage, was denn sonst noch zur Stärkung der Kernkompetenzen getan werden kann. Ein anderes Beiratsmitglied etwa ergänzt, dass bei langfristig bedeutsamen Investitionen gleich eine Reserve für die nächste Ausbaustufe eingeplant werden sollte. Dabei versichert man sich vermutlich des Prinzips, dass im Interesse der langfristigen Stärkung des Unternehmens kurzfristig auch Ertragseinbußen hingenommen werden können. Somit wird wohl jedes Mitglied einen Baustein zu einem echten gemeinsamen Lernprozess beitragen. Dieser Lernprozess kann dabei richtigerweise auch einerseits in der Verfestigung oder andererseits in der Erneuerung und Modernisierung lange gepflegter Überzeugungen bestehen. Bei alledem geht es darum, den Prozess des Gedankenaustauschs gerade auch dann zu pflegen, wenn man konvergierende Ansichten hat. Das sollte der Normalfall sein. In einem wohlgeordneten Unternehmen ist die Begründung der Zustimmung zu den Vorschlägen der Geschäftsführung eine reichhaltige Quelle von Anregungen.
10.13 Die Schaffung günstiger Voraussetzungen für einen Beratungsprozess Die entscheidenden Voraussetzungen: Zeit und Respekt So sehr ich einerseits dafür plädiere, dass für die Arbeit eines Beirats nur die Beratung bei der Erörterung strategischer Fragen angemessen ist, so schwer wiegen andererseits die Argumente, die betonen, dass diese Beratung sich nicht selbstverständlich einstellt, sondern dass sie vielerlei Hindernissen und Gefährdungen ausgesetzt ist. Es bedarf also bewusster Gestaltungsinitiativen, um günstige Voraussetzungen für eine gelingende Aus-
10.13 Die Schaffung günstiger Voraussetzungen
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einandersetzung zu schaffen. Zwei Voraussetzungen erscheinen mir dafür von überragender Bedeutung zu sein: • ausreichend Zeit und • wechselseitiger Respekt. Der wechselseitige Respekt schafft wiederum die Voraussetzung dafür, dass die bewährten Regeln für einen argumentativen Prozess beachtet werden. Das Erfordernis ausreichender Zeit Ein normal begabter Mensch braucht für die Bearbeitung schwieriger Aufgabenstellungen regelmäßig mehrere Phasen: erstens eine Phase, in der er das Thema voll versteht, dann eine Phase des Nachdenkens und schließlich die Phase des produktiven gedanklichen Austauschs. Dies gilt auch für Beiratsmitglieder. Bei der Umsetzung einer Planung für den Ablauf eines konstruktiven Beratungsprozesses gibt es mehrere Varianten. In der Standardvariante wird die Geschäftsführung ein anspruchsvolles Thema erst einmal in einer Sitzung „einführen“. Komplexe Themen bedürfen immer des mündlichen Vortrags – wie noch ausgeführt werden wird.303 In diesem einleitenden Vortrag sollte auch angekündigt werden, dass das Thema in der nächsten Sitzung wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wird. Damit haben alle Beiratsmitglieder Zeit, sich mit dem Thema in Eigenarbeit auseinanderzusetzen. Die Geschäftsführung bietet sich natürlich für Rückfragen und Einzelgespräche an, so dass Beiratsmitglieder, die sich in besonderer Weise bei dem Thema einbringen möchten, diese Gesprächsmöglichkeiten nutzen können. In der darauf folgenden Sitzung werden dann Meinungen, Stellungnahmen, Einwände und weiterführende Fragen der Beiratsmitglieder erörtert. Regelmäßig werden hier Fragen auftauchen, auf die die Geschäftsführung noch keine Antworten hat. Sie sollte dann auch nicht vorgeben, sie zu haben. In diesem Stadium der Erörterung ist es wichtig, eine voreilige „ablehnende“ Stellungnahme zu vermeiden. Nur durch die Fortsetzung der Erörterungsphase können Einwendungen entkräftet und die Voraussetzungen für eine Zustimmung geschaffen werden. Eine weitere Variante eines Beratungsprozesses ist die vorlaufende Einbeziehung von Meinungsführern, bevor das Thema ins Plenum kommt. Ein Meinungsführer ist immer der Beiratsvorsitzende, möglicherweise sind es aber auch weitere Beiratsmitglieder. 303
Vgl. Abschnitt 12.3.
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10 Die Strategieberatung im Beirat
Natürlich ist es auch möglich, mit dem Beirat eine „Strategieklausur“ abzuhalten. (Hier ist nicht die originäre Strategieklausur der Geschäftsführung gemeint, sondern eine nachfolgende, bereits auf den Vorarbeiten und dem internen Konsens der Geschäftsführung aufbauende.) Auch bei einer Klausur gibt es immer die Trennung zwischen „Einführung“, „Nachdenken“ und „Diskussion im Plenum“. Regelmäßig erstreckt sich eine solche Klausur über zwei Tage, was eine entsprechende Phaseneinteilung ermöglicht. Ein vorzüglicher Weg, um Zeit zu gewinnen, aber auch um die Qualität der Argumentation zu verbessern, besteht darin, innerhalb einer solchen Strategieklausur informelle Zusammenkünfte anzusetzen: ein gemeinsames Essen oder eine gemeinsame Exkursion, bei der man als Reisender im gleichen Bus sitzt oder miteinander spazieren geht. Eine „Strategieklausur“ verbindet Module der formal strukturierten Arbeit und Module der informellen Zusammenkunft. In der positiven Wirkung informeller Zusammenkünfte kommen vermutlich mehrere Effekte zum Tragen: • In der Zeit zwischen der Diskussion im offiziellen Rahmen und der informellen Zusammenkunft können die vorher ausgetauschten Argumente überdacht werden. Die Diskussion in den nachfolgenden Phasen gewinnt an Tiefe. • Die informelle Zusammenkunft bietet einen zusätzlichen zeitlichen Rahmen für den Diskurs, und zwar ohne zeitliche Taktung für die einzelnen Gesprächsabschnitte. • In dem informellen Rahmen sind die hierarchischen Unterschiede weitgehend aufgehoben. Im Gespräch bei Tisch gelten in erster Linie die Argumente. • Der informelle Rahmen bietet die Möglichkeit der Reflexion während des Essens; die Anregung durch Speis und vor allem auch Trank fördert zumeist die Kreativität im Gedankenaustausch. Es fallen mir einige Familienunternehmen ein, die solche Zusammenkünfte kultivieren. Wichtig und allen Varianten gemeinsam ist, dass die Erörterung strategischer Themen sich über eine ausreichende Zeit erstreckt. Ein solcher Prozess muss geplant und gemanagt werden. Die Anerkennung des anderen Habermas vertritt die Auffassung, dass in hierarchischen Strukturen die gleichberechtigte kritische Argumentation nicht möglich sei. Es obsiege nicht das bessere Argument, sondern das von der machtvolleren Instanz
10.13 Die Schaffung günstiger Voraussetzungen
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vertretene Argument.304 Nun ist der organisatorische Rahmen, in dem eine Argumentation zu Angelegenheiten eines Unternehmens stattfindet, fast immer eine hierarchische Struktur. Es kann aber nicht auf diese Form der Erörterung strategischer Themen verzichtet werden. Es muss gelingen, trotz des hierarchisch strukturierten Teilnehmerkreises den idealen Voraussetzungen für eine argumentative Diskussion möglichst nahe zu kommen. Eine Wegleitung für die Schaffung günstiger Voraussetzungen in hierarchischen Strukturen erscheint mir die Forderung von Wohlrapp305, dass eine der Grundlagen für eine rationale Argumentation darin liege, dass der jeweils andere anerkannt wird. Diese Anerkennung gründet auf das Bewusstsein, dass man aufeinander angewiesen ist. „Für die Argumentationspraxis ist die Frage, »als wer« der Andere anerkannt wird, in folgender Weise zu beantworten: Der Dialogpartner ist eine Ressource von Gesichtspunkten, die ich selber nicht habe. Der Andere hat eine andere Biografie und eine andere Perspektive auf die Sachverhalte, die fraglichen und die gewussten. Er hat sich andere Teile des Wissens angeeignet, betreibt Forschungen zu anderen Sachverhalten und andere Forschung zu den gleichen Sachverhalten. Er kann die Außenseite meiner Projekte und Thesen sehen. Insofern ist auch hier die Anerkennung des Anderen keine übergestülpte Norm, sondern liegt in meinem eigenen Interesse und Bestreben. Die Gesichtspunkte des Anderen kann ich nicht innehaben, er ist eine Ergänzung, auf die ich nicht verzichten kann … Im argumentativen Dialog äußert sich die Anerkennung des Anderen zunächst darin, dass ich mich zu meinen Thesen um Begründungen bemühe, die die Konstruktion für den Anderen nachvollziehbar machen. Und dann, dass ich Einwände des Andern berücksichtige, also ihnen stattgebe oder sie integriere oder widerlege.“306 Der Beirat muss sich also vergegenwärtigen, dass die Führung des Unternehmens nur zusammen mit der Geschäftsführung möglich ist und dass von ihren Initiativen die Unternehmensentwicklung abhängt. Die Geschäfts304 305 306
Vgl. Habermas, J. (1981): S. 460. Vgl. Wohlrapp, H. (2008): S. 486 ff. Wohlrapp, H. (2008): S. 491.
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10 Die Strategieberatung im Beirat
führung muss sich vergegenwärtigen, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, dass die Einwirkung der Gesellschafter der Familienunternehmung über einen professionell geprägten Beirat geschieht und dass jeder aus seiner Erfahrung und aus seiner Funktion heraus einen vom anderen nicht selbst zu leistenden Beitrag zur Strategiediskussion beitragen kann. Die Beachtung der Regeln für einen konsensorientierten Diskurs Der argumentative Diskurs in Strategiefragen zielt auf eine gemeinsame Akzeptanz, auf einen Konsens in Fragen, in denen es keine beweisbaren Wahrheiten geben kann. Auf diesen auf Sachfragen der Geschäftsentwicklung gerichteten Diskurs können daher Grundsätze übertragen werden, wie sie von der Philosophie und der auf die Wirtschaftsethik gerichteten Forschung für den konsensorientierten Diskurs entwickelt wurden307: • Sachverständigkeit als die Fähigkeit, der Form und dem Inhalt nach Gründe vortragen zu können, die gute Chancen haben, anerkannt zu werden. Die Sachverständigkeit kann in unterschiedlichen Kenntnissen und Rollenverständnissen begründet sein: o Sachkompetenz als Vertrautheit mit dem Gegenstand der Beratung, o Interessenkompetenz, wie sie dem Vertreter eines bestimmten Interessenstandpunkts, zum Beispiel jenem der Gesellschafterinteressen, eigen ist, o Kompetenz in Fragen des Entscheidungsprozesses, wie eine Entscheidungsfindung angelegt sein sollte, um der Themenstellung gerecht zu werden. • Unvoreingenommenheit, das heißt die Bereitschaft, alle Vororientierungen und Festlegungen in Frage zu stellen, ob es sich um Meinungen über Sachverhalte, Präferenzen in den Entscheidungskriterien, Ansprüche oder Wunschvorstellungen handelt. Die oben erörterten „Verweigerungen der Argumentation“ kann man zur Mehrzahl unter dem Sammelbegriff „Fälle der Voreingenommenheit“ einordnen. • Nicht-Persuasivität, das heißt der Verzicht auf die Durchsetzung von Vororientierungen und Festlegungen durch Appelle in direktiven Äußerungen („starker Wunsch“ der Vorgesetzten, Weisung) oder durch
307
Steinmann, H./Löhr, A. (1994): S. 78 ff. mit Verweis auf Habermas und Kambartel.
10.13 Die Schaffung günstiger Voraussetzungen
359
manipulative Rhetorik. Es soll nicht um das Überreden gehen, sondern um das Überzeugen durch gute und nachvollziehbare Gründe. • Zwanglosigkeit, das heißt der Verzicht auf das Androhen von Sanktionen für ein unwillkommenes Abstimmungsverhalten. Natürlich ist hier nicht an Disziplinarmaßnahmen zu denken. Hierunter fallen meines Erachtens auch die Fälle, bei denen die Teilnehmer einer Argumentation diese zu einem Streitgespräch ausarten lassen, das zu einer obsiegenden und einer unterliegenden Partei führt. Die Verweigerung der Argumentation durch die hierarchisch höher gestellten Mitglieder des Beirats und die argumentationslose Ablehnung eines Antrags der Geschäftsführung wird von der Geschäftsführung als Zwangsmaßnahme gefühlt. Andererseits wäre ein „Beleidigtsein“ oder gar die Rücktrittsdrohung einer Geschäftsführung als Sanktion für die Verweigerung der Zustimmung des Beirats zu einem Lieblingsprojekt der Geschäftsführung eine Verletzung der Forderung nach Zwanglosigkeit seitens der Geschäftsführung. Die Bedeutung der Durchsetzung der prozeduralen Wegleitungen durch den Beiratsvorsitzenden In einem idealen Beirat mit einer ebenso idealen Geschäftsführung würden sowohl die Empfehlungen der Wissenschaft zum Inhalt des Argumentationsprozesses beachtet (Toulmin und andere oder mein Vorschlag zur Prüfung der Verantwortbarkeit) wie auch deren Wegleitung zur Gestaltung des Prozesses für einen konsensorientierten Diskurs befolgt. In der Praxis wird man jedoch keine hohen Erwartungen darauf richten dürfen, dass alle Beiratsmitglieder und Geschäftsführer in der Kunst der angemessenen Argumentation geschult sind. Wie ich schon sagte, ist davon auszugehen, dass der Einzelne inhaltlich so argumentiert, wie er es vermag oder wie es ihm gerade in den Sinn kommt. Wenn dem so ist, dann muss sich die Aufmerksamkeit stärker darauf richten, die prozedurale Angemessenheit einer Argumentation zu sichern. Dies hat größeres Gewicht und dieses Ziel kann mit größerer Zuverlässigkeit erreicht werden: Der Beiratsvorsitzende als der Führer der Verhandlungen und Moderator des Argumentationsprozesses hat die Zuständigkeit, in der Gesprächsführung darauf zu achten, dass die Voraussetzungen für eine konsensorientierte Argumentation eingehalten werden. Er muss dies freilich als eine Rolle begreifen, die eine professionelle Vorbereitung und Reflexion über das eigene Wirken verlangt.
11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
11.1 Die Zuständigkeit und ihre Bedeutung Wir können und brauchen hier nicht die nicht lösbare Frage zu erörtern, in welchem Maße der Erfolg und die positive Entwicklung eines Unternehmens von den Überzeugungen und der Qualität der Unternehmensleitung abhängen. Die Wirklichkeit wird immer zwischen den Extrempositionen zu finden sein: der deterministischen Perspektive, wonach die Branche, die Branchenstellung und weitere Kontextgegebenheiten den Erfolg bestimmen (so die Strategieansätze von PIMPS, Pfeffer und Salancik, Schrader), und der voluntaristischen Sicht, nach der die Führungsqualität auf allen Ebenen das Wachstum und die Entwicklung einer Unternehmung bestimmen (so der Ansatz von Penrose308). Ich neige zu der Ansicht, dass es wohl schon so ist, dass das Potenzial für den finanziellen Erfolg wie auch für die möglichen Pfade der Unternehmensentwicklung in großem Umfang durch die externen und nur längerfristig beeinflussbaren internen Gegebenheiten festgelegt ist. Es bleibt aber die Leistung des Managements, inwieweit das mögliche Potenzial ausgeschöpft wird – in der Praxis gelingt es immer nur, einen Teil des theoretisch möglichen Potenzials zu erschließen – und welche Grundlagen für die langfristige Weiterentwicklung des Potenzials gelegt werden. Schließlich gilt aber, dass Unternehmen nicht daran zugrunde gehen, dass sie ihr Erfolgpotenzial nur unzureichend ausschöpfen, sondern daran, dass gravierende Fehler gemacht werden, dem Unternehmen Schaden zugefügt wird und Ertragspotenziale vernichtet werden. Schlussendlich kommt es für die Frage, welche Bedeutung die fachliche Kompetenz von zur Auswahl stehenden Unternehmensführern hat, nur darauf an, welche Bedeutung der Qualität der Führung zugesprochen wird, und nicht, wie groß die Hebelwirkung dieser Ressource auf den Erfolg tatsächlich ist. Sicherlich wären die Bezüge, die Unternehmensleiter vereinnahmen können, nicht erklärbar, wenn nicht die Beteiligten der Überzeugung wären, dass 308
Vgl. die Übersicht über die Schulen und deren Kritik bei Oesterle, M.-J. (1999).
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
die Persönlichkeiten der Führungskräfte, ihre Fähigkeiten wie auch ihre Grundüberzeugungen von großer Bedeutung wären. Für eine Familiengesellschaft ist die Bedeutung der Unternehmensführer nochmals dadurch erhöht, dass das Familienunternehmen ja nicht über die Möglichkeit der Marktkontrolle gegenüber einer ungeeigneten Unternehmensleitung verfügt. Die Familiengesellschafter sind darauf angewiesen, dass sie ihr vertrauen können.309 Es gehört daher zu den Grundüberzeugungen vieler Gesellschafter von Familienunternehmen, dass die Wahl der Unternehmensleiter die wichtigste Entscheidung ist, die in einem Unternehmen zu treffen ist. Dies gilt zumindest in unserem Kontext der Aufgaben eines Beirats, der die Unternehmensleitung zu beaufsichtigen und zu beraten hat. Es ist offensichtlich wichtiger, von vornherein auf die Qualität der Unternehmensführung zu achten, als später durch Aufsicht Fehlfunktionen korrigieren zu wollen. Die Personalkompetenz erscheint uns daher in der Gesamtverfassung der Unternehmung als die machtvollste und wichtigste Kompetenz. Die Personalkompetenz bezeichnet die Zuständigkeit für die Auswahl der Geschäftsführer und die Regelung ihres Dienstverhältnisses. Diese Kompetenz liegt nach § 46 Nr. 5 GmbHG bei der Gesellschafterversammlung. Sie kann jedoch auf den Beirat übertragen werden und regelmäßig ist dies auch die wichtigste Aufgabe eines Beirats. Selbst wenn sie nicht vollständig auf den Beirat übertragen wird, kann der Beirat bei dieser Entscheidung einen großen Einfluss auf die Gesellschafterversammlung haben, bei der die originäre Kompetenz liegt.
11.2 Die Berater in der Entscheidung zwischen Gesellschafter-Geschäftsführung und NichtFamilien-Geschäftsführung Ich gehe in der Themenabgrenzung bereits davon aus, dass die Geschäftsführung durch Nicht-Familienmitglieder gebildet wird. Ungeachtet dieser Eingrenzung soll wenigstens grundsätzlich angesprochen werden, dass vor dieser Fallkonstellation die Weichenstellung zwischen der Wahl eines Familienmitglieds als Geschäftsführer – und das bedeutet dann bei mittelständischen Unternehmen regelmäßig als Vorsitzenden der Geschäftsführung – und der Ernennung eines Nicht-Familien-Geschäftsführers steht. 309
Vgl. Abschnitt 4.5.
11.2 Die Berater in der Entscheidung
363
In der Literatur zu Familienunternehmen und insbesondere zur Nachfolgeregelung bei solchen Unternehmen wird vielfach empfohlen, die Entscheidung, ob ein Gesellschafter zur Nachfolge geeignet ist oder ob ein familienfremder Nachfolger zu wählen ist, einem Beirat zu übertragen.310 In den zahlreichen von Beratern veröffentlichten Büchern, in denen die jeweiligen Beratungskompetenzen der Autoren hervorgehoben werden, wird aber auch darauf abgestellt, dass die komplexe Entscheidung der Nachfolgewahl nur aufgrund einer persönlichen Beratung durch einen hierauf spezialisierten Berater erfolgen könne. Die empirischen Beobachtungen von Klaus über die Einschaltung eines Beirats in der für Familiengesellschafter so kritischen Frage der Wahl eines der ihren oder eines Familienfremden als Geschäftsführer sollten vorsichtig darin machen, den Einfluss eines Beirats zu überschätzen: „Dieselbe gestufte (Un-)Verbindlichkeit wie bei den Zustimmungsvorbehalten gilt auch für die Personalhoheit des Beirats über die Mitglieder der Unternehmensleitung. In keinem Fall wurde der jetzige Gesellschafter-Geschäftsführer vom Beirat berufen; und zwar auch nicht in den Unternehmungen, in denen der Beirat schon eine längere Geschichte aufweist und mehrere Generationen der Unternehmensleitung begleitet hat. Diesbezügliche Bestellungskompetenzen in den Beiratsstatuten füllen die Beiräte nicht aus, sondern überlassen sie der Gesellschafterversammlung. Es ist auch nicht abzusehen, wieweit (und ob überhaupt) beim Übergang der Geschäftsführung auf künftige Gesellschaftergenerationen der Beirat sein Steuerungspotenzial nutzen möchte und im Wege seiner Einbindung in die Nachfolgeregelung dafür Sorge tragen wird, dass unter mehreren Kandidaten aus dem Gesellschafterkreis der fachlich Beste ausgewählt und berufen wird – so nämlich lautet die überwiegend dem Berater in den Statuten zugeschriebene Funktion bei Personalhoheit und Nachfolgeregelung. Abberufungen von geschäftsführenden Gesellschaftern kommen in der untersuchten Beiratspraxis nicht vor.“311 Wenn die Familiengesellschafter einen der ihren als CEO bestimmen, dann dürfte eine Zuständigkeit des Beirats nur insoweit respektiert werden, als dass der Auserwählte dem Beirat vorgeschlagen wird. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Beirat einen solchen Vorschlag rundweg ablehnt. Allerdings kann der Beirat noch eine fruchtbare Beratungsleistung erbringen und auch seinen Einfluss dahingehend nutzen, dass er die Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen für die Ernennung klärt, insbesondere indem er 310 311
Vgl. Habig, H./Berninghaus, J. (2004): S. 153 ff; Stephan, P. (2002): S. 182 ff. Klaus, H. (1991): S. 49 f.
364
11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
die Verfassungsvorschriften für die Arbeit dieses Gesellschafter-Geschäftsführers in einer Geschäftsführung gestaltet. Wenn „alle“ Beteiligten ein Familienmitglied als Nachfolger in der CEO-Position auswählen und dieses Mitglied die Berufung annimmt, dann kommt es nicht zur Berufung eines Externen. Oder aber: Würde man aus Prinzip doch einen nicht familienangehörigen CEO suchen, dann hätte dieser keine faire Überlebenschance, wenn insgeheim die Gesellschafter einen der ihren für geeignet gehalten hätten. Sie würden die spätere Leistung des Externen, die ja nie in allen Aspekten und immer außerhalb jeder Diskussion sein kann, ständig mit der als ideal vermuteten Leistung des familienangehörigen Kandidaten vergleichen. Sind sich aber nicht alle Gesellschafter sicher, dass einer der ihren der Richtige ist, dann sollte in jedem Fall ein nicht familienangehöriger CEO gesucht und benannt werden. Hierfür sprechen mehrere Gründe. NichtFamilien-Führungskräfte, die ihre Karriere ausschließlich auf persönlicher Leistung aufbauen können, haben im Schnitt eine deutlich bessere Ausbildung und eine breitere Erfahrung in mehreren Unternehmen als die mit ihnen in ein und derselben Geschäftsführung zusammenarbeitenden Familien-Geschäftsführer.312 Natürlich mag es hiervon einzelne Ausnahmen geben. Es ist aber nur zu plausibel, dass diejenigen jungen Leute, deren zukünftige Entwicklung nur von ihrer demonstrierten beruflichen Leistung abhängt, sich besser auf eine angestrebte Führungsposition vorbereiten müssen (und dies auch tun) als diejenigen, die durch Eigentum einen verkürzten Zugang zu den obersten Führungsebenen erhalten. Besonders problematisch ist die in manchen Familienunternehmen aus dem dynastischen Bewusstsein vertretene Überzeugung, dass ein Familienmitglied im Unternehmen nur in der obersten Verantwortung tätig sein kann. Niemand – auch nicht der beste Personalberater – kann eine sichere Prognose darüber abgeben, ob ein Kandidat für eine CEO-Position den Herausforderungen dieser Aufgabe wirklich gerecht werden wird. Angesichts dieser Tatsache stellt sich die entscheidende Frage, wie man eine falsche Wahl wieder korrigiert. Es ist eine ähnliche Problemstellung, wie sie Popper hinsichtlich der Wahl einer Regierung diskutiert. Sein Befund: Es gibt keinen sicheren Weg eine gute Regierung zu finden; daher geht es darum, wie man eine ungeeignete Regierung ohne Blutvergießen wieder ablöst. Der nicht-familienzugehörige CEO kann bei Mängeln im Können oder bei wegfallender Akzeptanz ohne „Blutvergießen“ – aber fairerweise mit einer ordentlichen finanziellen Abfindung – abgelöst werden. Die Ablösung eines geschäfts312
von Schultzendorff, D. (1985): S. 222 ff.
11.3 Die Zuständigkeiten des Beirats bei der Auswahl des CEO
365
führenden Gesellschafters wird aber regelmäßig zu Konsequenzen im Verhalten des Betroffenen in seiner Gesellschafterstellung führen. Zumindest wird er dann versuchen nachzuweisen, dass der jeweilige Nachfolger nicht geeignet ist, oder aber er wird seine Gesellschafterstellung aufgeben. Realistisch betrachtet wird in einem Familienunternehmen nur dann ein nicht zum Gesellschafterkreis gehörender CEO gewählt werden, wenn: • durch „Familiengesetz“ oder Tradition die Berufung eines familienangehörigen CEO ausgeschlossen ist, • kein Gesellschafter mehr eine dominierende Anteilsposition hat und damit ein Kollektiv von Gesellschaftern oder das von ihnen bestellte Aufsichtsgremium entscheidet, wer der CEO werden sollte, • die Gesellschafter nicht einhellig ein Familienmitglied als Nachfolger in der CEO-Position wählen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn: o Zweifel an der Qualifikation des Kandidaten bestehen, o mehrere familienangehörige Geschäftsführer in Betracht kommen. In diesen Fällen liegt es nun jedoch im ureigensten Interesse der Familiengesellschafter, den Beirat mit der Auswahl, Einstellung und, wenn notwendig, auch mit der Abberufung eines Nicht-Familiengesellschafters zu betrauen.
11.3 Die Zuständigkeiten des Beirats bei der Auswahl des CEO Die Ausprägung der Kompetenz Theoretisch sind verschiedene Abstufungen der Kompetenz eines Beirats bei der Auswahl eines Nicht-Familien-Geschäftsführers denkbar313: • Volle Autonomie bei der Berufung und Abberufung, • Wenn schon nicht Autonomie in der Berufung, so doch Zustimmungserfordernis des Beirats für die Verlängerung eines Geschäftsführungsvertrages314, 313 314
Vgl. zur Thematik Vogler, M. (1990): S. 167 ff. Scherer, S. et al. (2005): S. 227; Hennerkes, B.-H. (1998): S. 202.
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
• Erarbeitung eines Vorschlags zur Beratung und Genehmigung durch die Gesellschafterversammlung – wobei dann wiederum die Frage des erforderlichen Mehrheitsquorums entscheidend ist, • Erarbeitung der Vorschläge gemeinsam mit den Gesellschaftern, • Zustimmung zu den Vorschlägen der Gesellschafter. Die schwächste Form der Einbeziehung des Beirats, nämlich die reine Zustimmung zu den Entscheidungen der Gesellschafter, ist – wie eben ausgeführt – bei der Wahl eines Gesellschafter-Geschäftsführers als eher notwendig oder zumindest unvermeidbar zu akzeptieren. Anders ist dies aber bei der Wahl eines Nicht-Familien-Geschäftsführers zu sehen. „Gegenüber den Fremdgeschäftsführern [Hervorhebung im Original] wiederum wird die Personalhoheit deutlich stärker genutzt.“315 Mit Hennerkes/Binz/May plädieren wir dafür, dass nur eine Personalkompetenz des Beirats sinnvoll ist, in der er die Befugnis zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer sowie zur inhaltlichen Ausgestaltung der Geschäftsführungsverträge und die Befugnis zum Erlass einer Geschäftsordnung hat.316 Damit gewinnt der Beirat zudem die erforderliche Handhabe, um auch ohne eventuell nicht funktionierende Zustimmungsvorbehalte Einfluss auf die Strategieformulierung des Unternehmens zu gewinnen. Ohne diese Befugnisse würde es sich um einen „Phantombeirat“ handeln, wie er weiter unten in einer Typologie der Beiräte beschrieben wird.317 Diese Trennung zwischen starken Beiräten und Phantombeiräten anhand des Kriteriums der Personalkompetenz ergibt sich aus mehreren Argumenten: • Die Bestellung einer qualifizierten Geschäftsführung ist die wichtigste Entscheidung, um die generelle Qualität der Unternehmensführung, insbesondere die angemessene Strategie für das Unternehmen, zu beeinflussen. Damit wird der entscheidende Beitrag zur Zukunftssicherung geleistet. • Die Zuständigkeit des Beirats erhöht signifikant die Attraktivität des Unternehmens für qualifizierte Führungskräfte. • Die Machtbasis des Beirats gegenüber der Geschäftsführung ist sein Recht, die Konditionen für die Beschäftigung und die Honorierung festzulegen, sowie seine Macht, das Beschäftigungsverhältnis eines Vorstandsmitglieds zu beenden. 315 316 317
Klaus, H. (1991): S. 50. Hennerkes/Binz/May (1987): S. 473. Siehe Kapitel 15.
11.3 Die Zuständigkeiten des Beirats bei der Auswahl des CEO
367
Es gibt nur ganz wenige Entscheidungen, denen mehr Gewicht zukommt als der, die oberste Unternehmensführung zu bestimmen, insbesondere den Vorsitzenden der Geschäftsführung, den CEO. Durch diese Personen werden, wenn sie denn Gestaltungskraft haben, alle anderen grundsätzlichen Entscheidungen – zumindest im Laufe der Zeit – mit beeinflusst. Die Festlegung der Mission des Unternehmens, des oder der Produkt-Marktsegmente, ist von noch höherer Bedeutung, wird aber letztlich auch vom CEO mit bestimmt. Welche Bedeutung sollte ein Beirat also überhaupt haben, wenn er nicht befugt ist zu entscheiden, wer CEO wird? Ein starker Beirat wird daher für diese Aufgabe zuständig sein. Und aus dieser Kompetenz ergibt sich als wichtigste Entscheidung die Bestellung des Beiratsvorsitzenden! Dieser ist ja dann in der Verfassungsstruktur des Beirats der Machtträger, der die Auswahl des CEO maßgeblich beeinflusst, diese Persönlichkeit dem Beirat vorschlägt und ihre Ernennung somit im Wesentlichen zu verantworten hat. Die Zuständigkeit des Beirats für die Bestellung der Geschäftsführung liegt auch deshalb im Interesse der Familiengesellschafter und der Unternehmung, da sie die Attraktionskraft des Unternehmens für Nicht-FamilienGeschäftsführer signifikant erhöht. Für den Nicht-Familien-Geschäftsführer ist es von sehr großer Bedeutung, dass seine Berufung, seine Vertragsbedingungen und seine Vertragsverlängerung nicht nur von Familienmitgliedern, sondern maßgeblich von professionellen externen Beiratsmitgliedern abhängen. „Personalkompetenz, d. h. die Zuständigkeit für die Berufung und Abberufung von Geschäftsführern … und für den Abschluss und die Kündigung von Dienstverträgen muss beim Beirat liegen, um dem Fremdgeschäftsführer das Gefühl zu geben, dass seine berufliche Stellung und Entwicklung sachkundig und objektiv behandelt werden. Eine Behandlung dieser Fragen zwischen Geschäftsführer und Plenum der Gesellschafterversammlung verbietet sich von selbst.“318 Die Nicht-FamilienFührungskraft erwartet von den Beiratsmitgliedern, die selbst professionelle Führungskräfte sind, dass sie für die Belange von angestellten Geschäftsführern Verständnis haben und diese geschäftsüblich zu regeln vermögen. Die Vorbehalte, die eine professionelle Führungskraft gegenüber einem Alleingesellschafter oder einer wirtschaftlich unerfahrenen Gruppe von Familiengesellschaftern als Arbeitgeber haben kann, sind gegenüber einem professionellen starken Beirat gegenstandslos. Diese Vorbehalte gründen ja nicht ganz zu Unrecht auf Erlebnissen von Kollegen oder sogar auf persönlichen Erfahrungen mit als erratisch empfundenen Personalentschei318
Peltzer, M. (2000): S. 100.
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
dungen und plötzlichen Vertragsbeendigungen in Verbindung mit dann auch noch als kleinlich empfundenen finanziellen und sonstigen Auseinandersetzungen. Ein Beirat mit den Rechten des Dienstherrn vermittelt dem Kandidaten für die Position eines Geschäftsführers die Zuversicht, dass es in Angelegenheiten der Bestellung von Geschäftsführern bei diesem Familienunternehmen ebenso geordnet zugeht wie bei einer Publikumsgesellschaft. Es lohnt sich daran zu erinnern, dass die Personalkompetenz nicht nur ein Recht ist, sondern dass sie vor allem auch die Pflicht beinhaltet, sich bei der Auswahl einer Führungskraft in jeder Hinsicht eine angemessene Beurteilungsbasis zu verschaffen. Für den Aufsichtsrat weisen Lutter/ Krieger darauf hin, dass es die Pflicht eines jeden Aufsichtsratmitglieds ist, sich ein persönliches Urteil über die Eignung eines Vorstands beziehungsweise eines Vorstandskandidaten zu bilden.319 Dies sollte eine selbstverständliche Pflicht sein, da ja die Auswahl der Geschäftsführung die wichtigste Aufgabe für die Sicherung der Zukunft eines Unternehmens ist. Schon beim Aufsichtsrat wird dieser Verpflichtung jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds nicht Genüge geleistet, wenn das Aufsichtsratspräsidium den Kandidaten aussucht und ihn in der Aufsichtsratssitzung nur zur Beschlussfassung vorstellt. Kein Aufsichtsrat wird dann noch das Präsidium brüskieren, indem er in eine ernsthafte Diskussion über die Qualifikation des Kandidaten einsteigt. Wenn nun ein Gesellschafter dem Beirat bereits den „idealen Kandidat“ präsentiert, wird es noch schwieriger. Den Personalberater könne man sich sparen, den präferierten Kandidaten kenne man, weil er in einem Nachbarunternehmen tätig war usw. Zunächst kann keinem Gesellschafter – aber auch keinem Beiratsmitglied – verwehrt werden, Vorschläge für die Besetzung einer Position in der Geschäftsführung in die Beratungen des Gremiums einzubringen. Wenn dies ein Gesellschafter mit nennenswertem Anteilsbesitz macht, weil er aus einem früheren Kontakt, aus Kenntnis der Führungskräfte der Branche oder auf anderem Wege einen Mann seines Vertrauens gefunden hat, wird jeder Beirat einen solchen Vorschlag in seine Überlegungen einbeziehen. Das Vertrauen, das ein Nicht-Familien-Geschäftsführer bei den Gesellschaftern genießt, ist schließlich eine wichtige Voraussetzung für seinen Erfolg. Entscheidend ist nun, dass ein solcher Vorschlag nur als Input für einen systematischen Suchprozess erfolgt und nicht als eine Präjudizierung der Entscheidung des Beirats. Wenn aber dem Vorschlag eines Gesellschafters dadurch Nachdruck verliehen wird, dass geltend gemacht wird, dass die Gespräche zwi319
Lutter, M./Krieger, G. (2002): S. 291.
11.3 Die Zuständigkeiten des Beirats bei der Auswahl des CEO
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schen Kandidat und Gesellschafter schon so weit gediehen seien, dass man praktisch nicht mehr ablehnen könne, dann ist dies ein Anlass, bei dem der Beirat darüber nachdenken sollte zurückzutreten; denn entweder wird er seinem Amt nicht gerecht oder er desavouiert den Gesellschafter, der sich hier die Personalkompetenz zurückholt. Bevor er aber zurücktritt, sollte der Beirat bedenken, dass er der Beirat aller Gesellschafter ist. In einer Gemeinschaft von Familiengesellschaftern finden sich meist einige Gesellschafter, die Wert darauf legen, dass das Richtige geschieht, und die nicht nur darauf vertrauen, „dass der Onkel schon Recht hat“. Die Zustimmung der Familiengesellschafter zum Kandidaten Wenn der Beirat einen Kandidaten für eine Position in der Geschäftsführung auswählt, wird er diesen oder diese – gleichgültig, ob die Geschäftsordnung oder Satzung dies vorsieht oder nicht – der Gesellschafterversammlung vorstellen. Im Vorlauf zu dieser Vorstellung wird der Kandidat den maßgeblichen Gesellschaftern, die entweder als Meinungsführer im Kreis der Gesellschafter gelten oder die einen größeren Anteilsbesitz haben, eingehend bekannt gemacht. Sollten in dieser informellen Vorstellung und in der nachfolgenden Beratung ernsthafte Argumente gegen den vom Beirat ausgewählten Kandidaten vorgebracht und von einer größeren Anzahl von Gesellschaftern geteilt werden, so wird kein Beirat darüber hinweggehen. Diese Orientierung an dem Gesellschafterwunsch ist besonders bei der Wahl des CEO notwendig, um die für ein Familienunternehmen essenzielle Identifizierung der Gesellschafter mit dem Unternehmen zu bewahren. Denn das Unternehmen wird nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber den Gesellschaftern vom CEO repräsentiert. Die Überzeugungen und menschlichen Qualitäten des CEO spiegeln die Unternehmenskultur wider und beeinflussen sie umgekehrt auch. Vor allem in der Bewahrung einer spezifischen Unternehmenskultur zeigt sich die besondere Charakteristik eines Familienunternehmens. Die Kompetenzen, Überzeugungen und menschlichen Qualitäten des CEO sind mitentscheidend für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens. Es ist somit kaum vorstellbar, dass ein Beirat, der zur Auswahl des CEO berechtigt ist, sich nicht in denkbar intensivster Weise um die Zustimmung eines möglichst großen Quorums der Gesellschafter zu dem von ihm bevorzugten Kandidaten bemüht. Dies muss er auch im Interesse des Kandidaten tun, denn dieser braucht für seinen Erfolg das Vertrauen aller Beteiligten. Dabei sind die Gesellschafter immer Beteiligte in diesem Sinne, gleichgültig, was die Statuten dazu ausführen.
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
Daraus ergibt sich der natürliche Ablauf des Verfahrens bei der Berufung der obersten Führungskräfte eines Familienunternehmens: • Die Auswahl und die Vereinbarung der Konditionen liegt beim Beirat, weil dieser die Verantwortung im System der Leitung und Überwachung der Unternehmenstätigkeit trägt und hierfür auch über eine höhere Kompetenz verfügen muss, als sie im Normalfall den Gesellschaftern zu Gebote steht. • Die Auswahlentscheidung des Beirats führt nur dann zur Berufung eines Kandidaten in die Unternehmensleitung, wenn seine Wahl durch ein angemessenes Quorum, also eine qualifizierte Mehrheit, der Gesellschafterversammlung gutgeheißen wird. • Dies verlangt, dass den Gesellschaftern Gelegenheit gegeben wird, sich mit der Qualifikation eines Kandidaten auseinanderzusetzen, ihn als Person kennenzulernen und seine persönlichen und geschäftlichen Überzeugungen und Absichten von ihm selbst zu erfahren. • Erhält der Kandidat keine überzeugende Bestätigung durch die Gesellschafter, dann ist er für die angestrebte Position nicht geeignet. Dies gilt auch für die Verlängerung von Vertragsverhältnissen. Es ist nicht vorstellbar, dass der CEO-Posten durch eine Person wahrgenommen wird, die nicht das Vertrauen einer qualifizierten Mehrheit der Gesellschafter hat. Kommt diese Mehrheit nicht zustande, dann muss man – was ja möglich ist – einen neuen Geschäftsführer suchen und gewinnen. Dieser Sachverhalt führt dazu, dass ein qualifizierter Manager tendenziell meint, ein viel höheres Risiko hinsichtlich der Dauerhaftigkeit seines Vertragsverhältnisses auf sich zu nehmen, wenn er die CEO-Position in einer Familiengesellschaft übernimmt, als wenn er dies in einer Publikumsgesellschaft tut. In der Publikumsgesellschaft hat die Hauptversammlung keine Zuständigkeit für die Ernennung des Vorstandsvorsitzenden. Dies scheint eine größere Beschäftigungssicherheit zu geben. Das erhöhte Risiko ist für einen Nicht-Familien-Geschäftsführer nur dann zu tragen, wenn er sich der primären Zuständigkeit von professionell agierenden und respektierten Beiratsmitgliedern sicher sein kann. Klaus spricht eine sehr problematische Deformation oder Instrumentalisierung des Beirats in den folgenden Fällen an: „Allerdings füllt der Beirat insoweit seine Kompetenzen nicht autonom aus; er wird hier gleichsam nur pro forma tätig und spricht die Abberufung des Fremdgeschäftsführers aus, die eigentlich von den Gesellschaftern und/oder den Gesellschafter-Geschäftsführern betrieben wird. Der Beirat tritt hier nur in Erscheinung, weil er in den Augen der betroffenen Fremd-
11.4 Die Gestalter der Verfassung für die Geschäftsführung
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geschäftsführer die Verantwortung übernehmen soll; er wird sozusagen nur »vorgeschoben«. So fiele es den Unternehmern leichter, sich wieder von diesen zu trennen. Eine ähnlich zu verstehende Rolle spielt der Beirat auch schon im Falle der Berufung von Außenstehenden in die Unternehmensleitung: Er vertritt den Dritten gegenüber das, was (geschäftsführende) Gesellschafter bzw. Gesellschafterversammlung entschieden haben.“320 Selbst wenn der Beirat nicht bewirken kann, dass ein CEO, der das Vertrauen verloren hat, im Amt bleibt, so kann er doch auf die Modalitäten des Ausscheidens einwirken. So sollte sich der Nicht-Familien-Geschäftsführer wenigstens darauf verlassen können, dass im Falle der Nichtverlängerung oder Auflösung des Vertragsverhältnisses auch für diese besondere Risikokonstellation Fairness und Kompensation obwalten. Daher sollte der Beirat ermächtigt sein, die Konditionen bei der Auflösung von Vertragsverhältnissen und die Kompensation bei der Nichtverlängerung von Verträgen autonom – also ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung – zu regeln. Tatsächlich entspricht ein vermutetes höheres Beschäftigungsrisiko der obersten Führungskräfte in einem Familienunternehmen nicht dem empirischen Befund. Die Amtsdauer der Vorstandsvorsitzenden in Börsengesellschaften ist deutlich kürzer als diejenige der Amtsträger in Familiengesellschaften.
11.4 Die Gestalter der Verfassung für die Geschäftsführung Als Dienstherr der Geschäftsführung obliegt es dem Beirat, die Verfassungsgrundlagen für die Geschäftsführung festzulegen.321 Hierzu gehört zunächst einmal, das Organisationsprinzip für eine Mehrpersonen-Geschäftsführung zu klären. (Ich gehe hier von einer Mehrpersonen-Geschäftsführung aus, die heute auch für mittelständische Unternehmen der Normalfall sein dürfte, zumal wenn Nicht-Familien-Geschäftsführer eingesetzt sind.) Es sollen hier die Vor- und Nachteile der verschiedenen Organisationsformen nicht weiter ausgeführt werden. Eine kleine Übersicht der Optionen soll nur verdeutlichen, dass die Wahl der Organisationsform der 320 321
Klaus, H. (1991): S. 50. Für den Aufsichtsrat sehen Lutter, M./Krieger, G. eine aus der Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats erwachsende Rechtspflicht, eine Geschäftsordnung für den Vorstand zu erlassen; siehe Lutter, M./ Krieger, G. (2002): S.173.
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
Geschäftsführung keine zweitrangige Entscheidung ist, sondern eine Entscheidung, die vom Beirat insbesondere bei jeder personellen Veränderung in der Geschäftsführung wohl bedacht werden sollte: • Präsidial geprägte Geschäftsführung (Vorsitzender, Hauptgeschäftsführer, Gesellschafter-Geschäftsführer), die auch innerhalb einer formal kollegial ausgelegten Geschäftsführung durch verschiedene „Arbeitsregelungen“ bewirkt werden kann, zum Beispiel: o Vetorecht des Vorsitzenden, o alleiniges Vortragsrecht des Vorsitzenden in den laufenden Kontakten zum Beiratsvorsitzenden, o Stichentscheid des Vorsitzenden, • Doppelspitze, o partnerschaftliche gemeinsame Zuständigkeit von zwei Geschäftsführern mit unterschiedlichem Kompetenzhintergrund, o weitestgehende Ressortorientierung mit notwendiger Abstimmung bei übergreifenden Themen, o Trennung der Aufgabenbereiche nach Produktgruppen, Betrieben oder Ländern. • Kollegialorgan mit den alternativen Ausprägungsformen: o partnerschaftliche Gesamtverantwortung, o „präsidiale“ Prägung durch Vorsitzenden, o ressortorientierte Prägung. Innerhalb dieser Typen von Organisationsformen der Geschäftsführung ist für jeden einzelnen Geschäftsführer dann natürlich der konkrete Aufgabenbereich festzulegen. Die vom Beirat beschlossene Verfassung der Unternehmensleitung muss in der Geschäftsordnung beschrieben sein. Diese schriftliche Dokumentation genügt freilich nicht, um zu vermitteln, welche gelebte Verfassungswirklichkeit angestrebt wird. Der Beiratsvorsitzende muss diese Frage mit den Geschäftsführern mündlich erörtern und bei jeder personellen Veränderung neu aufgreifen. Sollte hingegen zugelassen werden, dass ein ungeklärter oder diffuser Zustand in der Regelung der Zuständigkeiten und der geforderten Zusammenarbeit besteht, wird man der Gefahr gewärtig sein müssen, dass ein verdecktes Ringen zur Durchsetzung der von den einzelnen Geschäftsführern jeweils präferierten Konzeption einsetzt. Dabei wird es immer einen geben, der glaubt, als Stärkerer Vorrechte geltend machen zu können. Bevor der Beirat die dann ruchbar werdenden Zustän-
11.5 Die Auswahl der Geschäftsführung
373
digkeitskämpfe oder eine unzureichende Zusammenarbeit zwischen den Geschäftsführern beklagt, muss er sich selbst fragen, was er dazu getan hat, um von Anfang an Ordnung zu schaffen. Der Beirat hat weiter die Möglichkeit und die Pflicht, sowohl durch die festgelegte Verfassung für die Geschäftsführung als auch durch Belehrung und durch die Art und Weise seiner Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung immer wieder deutlich zu machen, welche Verfassungswirklichkeit er gelebt wissen möchte.322
11.5 Die Auswahl der Geschäftsführung Zur komplexen Thematik, wie Führungskräfte auszuwählen sind, werden zuhauf eigene Monografien und Beraterbücher geschrieben. Die einschlägigen Befunde sind hier nur um der Vollständigkeit willen zu rekapitulieren und dann vor allem um die speziellen Anforderungen von Familiengesellschaften zu ergänzen. Bei der Auswahl einer Führungskraft geht es um eine Prognose und diese ist immer treffsicherer, wenn man den Kandidaten schon lange kennt. Das wirkt sich zumeist – aber nur zunächst – zum Nachteil der internen Kandidaten aus, deren Schwächen und deren Grenzen man eingehend kennt. Bei externen Kandidaten besteht die Gefahr, dass das Auswahlkomitee nur die Vorzüge eines Bewerbers kennenlernt. Die Grenzen seines Könnens werden in den Bewerbungsgesprächen selten in gleicher Weise deutlich. Um den Beurteilungsprozess zu systematisieren und damit ein Stück zu objektivieren, werden Listen der relevanten Eigenschaften zusammengestellt, über die ein Kandidat verfügen sollte323: • Fachkompetenz o fachliche Tiefe o fachliche Breite • Sozialkompetenz o Teamarbeit o Durchsetzungsfähigkeit • Führung o Mitarbeiterorientierung o Zielorientierung 322 323
Vgl. auch Kapitel 12.4. Gerhardt, T./Ritter, J. (2004): S. 78 ff.
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
• Veränderungskompetenz o Veränderungsbereitschaft o interkulturelle Sensitivität • Unternehmerische Kompetenz o strategische Orientierung o Ergebnisorientierung Diese Kriterien wird ein erfahrener Personalberater – sei es differenziert oder verkürzt – in seinen Such- und Beurteilungsprozess einbeziehen. Hinzu kommen aber sehr spezifische Kriterien, die das suchende Unternehmen artikulieren muss. Hierbei möchte ich die allgemeine unternehmerische Kompetenz eines Bewerbers als einen gesonderten Beurteilungsbereich herausheben und nach den strategischen „Maximen“ fragen, die hierbei in der Regel zur Auswahl stehen: Es gibt Manager, die an die Kostensenkung als Grundmaxime glauben, und andere, die von der Premiumstrategie überzeugt sind, durch Qualität, Leistung und angemessene Preise den Erfolg zu bewirken; es gibt die Innovatoren und die Forscher und es gibt die genialen Kundenkommunikatoren. Und dann gibt es noch die, die glauben, kontextabhängig zu jedem strategischen Ansatz Zugang zu haben. Dies ist aber eine eher unwahrscheinliche Kompetenz. Die von den zur Auswahl stehenden Kandidaten vertretenen Grundüberzeugungen müssen zu der bisherigen Strategie, der Tradition des Unternehmens, passen. Ein hoch innovatives Unternehmen mit einem Premiumanspruch braucht einen Führer, der von eben diesem Konzept überzeugt ist. Das Kriterium der Grundüberzeugungen leitet über zum „Fit“ des Kandidaten bezüglich des Familienunternehmens. Für ein mittelständisches Familienunternehmen ist auf der obersten Führungsebene noch etwas anderes als die fachliche Qualifikation wichtig: nämlich die Qualifikationen, die für den Fit der in Frage kommenden Bewerber maßgeblich sind. Für ein Familienunternehmen sind dies vor allem Eigenschaften, die das Vertrauen der Familiengesellschafter zu der Führungskraft stärken. Dies setzt voraus: • Identifikation der Bewerbers mit dem Familienunternehmen, • Respekt der Familiengesellschafter gegenüber der Person des Bewerbers, • dessen Fähigkeit, die spezifische Kultur des Familienunternehmens nach innen und außen zu repräsentieren.
11.6 Die Evaluierung der Geschäftsführung
375
In der Summe führt die Berücksichtigung all dieser Kriterien leicht zu einer Überspezifikation. „Es ist keine unfaire Verkürzung, wenn man sagt, dass durch die Anforderungskataloge im Wesentlichen das Bild eines Universalgenies gezeichnet wird … Zwar lässt sich dieser Idealtypus beschreiben, was reichlich getan wird; wir können ihn aber in der realen Welt nicht finden.“324 Es ist auch Aufgabe des Personalberaters, die Erwartungen seines Auftraggebers an die Angebote des Personalmarkts anzupassen. Das ist besonders bei mittelständischen Unternehmen wichtig, deren Honorierungsmöglichkeiten ja begrenzt sind. Das mittelständische Unternehmen sollte auch nicht einen Überqualifizierten suchen; er würde vermutlich nicht auf Dauer bleiben.
11.6 Die Evaluierung der Geschäftsführung Die Auswahl von Führungskräften setzt sich fort in der wiederkehrenden Überprüfung und Bestätigung der ursprünglichen Entscheidung. Die Aufsicht über die Geschäftsführung ist die entscheidende Basis dafür, um das Vorliegen ihrer Qualifikation bestätigen oder Entwicklungserfordernisse hinsichtlich ihrer Befähigung spezifizieren zu können. Diese Aufsicht darf aber nicht nur auf die Entlastung der Geschäftsführung und die Festsetzung der Tantieme beschränken. Die Frage der Qualifikation der Geschäftsführung ist nicht erst anlässlich einer anstehenden Vertragsverlängerung zu stellen – dann allerdings spätestens. Ich halte dafür, dass es eine der wichtigsten Aufgaben eines Beirats ist, sich regelmäßig – wenn nicht jährlich, so doch spätestens alle zwei Jahre – Klarheit darüber zu verschaffen, wie der Prozess der Geschäftsführung zu beurteilen ist und ob Veränderungserfordernisse bestehen. Dies muss ein gesonderter Tagungspunkt sein, an dem die Geschäftsführung natürlich selbst nicht teilnimmt. Über die kommunizierbaren – das heißt nicht allzu vertraulichen – Aspekte und Ergebnisse dieses Beurteilungsprozesses hat der Beiratsvorsitzende selbstverständlich mit der Geschäftsführung zu sprechen. Es wird nützlich sein, wenn zumindest der Vorsitzende des Beirats über einen Leitfaden der Kriterien verfügt, die bei der Beurteilung der Geschäftsführung angesprochen werden sollten. Dieser Leitfaden sollte aber nicht jenen formalistischen Fragebögen gleichen, wie sie sich bei der Evaluierungstätigkeit von Aufsichtsräten mancherorts eingebürgert haben. Der
324
Malik, F. (2000): S. 17.
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
Beurteilungsprozess muss von der offenen und vertraulichen Aussprache geprägt sein. Zu den für die Auswahl von Führungskräften gültigen Kriterien tritt nun die Beurteilung der geleisteten Arbeit des zu Beurteilenden hinzu. Für die Beurteilung einer Geschäftsführung sind folgende Gesichtspunkte denkbar: • Beurteilung des Erfolgs, der Wirkung der Arbeit, • Beurteilung der unternehmenspolitischen Initiativen, • Beurteilung der Wirkung auf die Organisation. Die Beurteilung des Erfolgs ist Kern der Aufsichtsfunktion eines Aufsichtsgremiums. Die Erfolgsmessung ist auch Grundwissen der Unternehmensführung. Gleichwohl sollte man festzuhalten, dass die Beurteilung des Erfolgs voraussetzt, dass Aufsichtsgremium und Geschäftsführung eine gemeinsame Vorstellung über die Erfolgsziele entwickelt haben.325 Dies ist nicht selbstverständlich. Es ist eher üblich, dass Beiräte davon ausgehen, dass schon ein gewisses implizites Verständnis darüber bestehe, was den Erfolg ausmache. Es gibt keinen Grund, in der Beziehung des Beirats zur Geschäftsführung nicht die gleichen Grundsätze einer geordneten Führung anzuwenden, wie man sie in der Relation der Geschäftsführung zu nachgeordneten Führungsebenen erwartet. Man braucht ja nicht gleich anzustreben, eine Balanced Scorecard mit und für die Geschäftsführung zu entwickeln. Doch sollte es zu einer geordneten Führung und Aufsicht gehören, Ziele für die Unternehmensentwicklung schriftlich zu formulieren. Das wichtigste Ziel für ein Familienunternehmen, nämlich die nachhaltige Unternehmenssicherung auf wirklich lange Sicht, kann allerdings gar nicht an den kurzfristig erkennbaren Wirkungen unternehmerischen Handelns gemessen werden. Die erforderliche langfristige Unternehmenssicherung beruht ja auf Maßnahmen, deren Wirkungen sich vielfach oder gar zumeist erst nach der Amtszeit der jeweiligen Geschäftsführung zeigen. Deshalb muss der Input der Unternehmensführung kritisch gewürdigt werden. Die Einleitung von aussichtsreichen Produktentwicklungen zeigt in manchen Industrien erst nach zehn oder mehr Jahren ihr geschäftliches Potenzial. Daher ist die Bedeutung solcher Vorhaben schwer abzuschätzen. Es lässt sich allerdings mit hinreichender Sicherheit sagen, dass das Fehlen eines Portfolios von Neuentwicklungen keine positive Wirkung für die Zukunft haben kann. Die so oft zitierte Langfristigkeit in der Politik von Familienunternehmungen muss sich vor allem darin zeigen, dass für die langfristige Entwicklung eines Unternehmens bedeutsame Initiativen 325
Vgl. Becker, T. (1993): S. 27.
11.6 Die Evaluierung der Geschäftsführung
377
von der Geschäftsführung ergriffen und vom Beirat gebührend gewürdigt bzw. erforderlichenfalls eingefordert werden. Noch weiter vorgelagert in der Kette von Ursachen und Wirkungen ist die Beurteilung der Kompetenzen der Geschäftsführung. Die Kriterien, die für die Beurteilung der Eignung einer Geschäftsführung maßgeblich sind, sollten eigentlich selbstverständlich sein. Soweit ersichtlich gibt es hierfür jedoch keine so einheitliche Nomenklatur wie etwa für die Erfolgsmessung. Das kann wohl auch nicht anders sein, denn Qualitätsmerkmale werden subjektiv bewertet und zudem von den Beurteilenden, nicht vom Beurteilten, festgelegt. Gerade bei Familienunternehmen können Aspekte der sozialen Kompetenz, der sympathischen und Vertrauen weckenden Persönlichkeit ein besonderes Gewicht haben. So wird sich jeder beurteilende Kreis einen eigenen Wertekatalog zurechtlegen. Die Beurteilenden müssen sich bewusst sein, aufgrund welcher Beurteilungsmöglichkeiten sie urteilen. Wie oben bereits ausgeführt, urteilen sie als Außenstehende. Externe Beiratsmitglieder erleben die Führungskraft in der Regel nicht in ihrer Interaktion mit Kunden oder mit Belegschaftsangehörigen. Sie können also nur auf der Grundlage der Informationen urteilen, die ihnen in den Beiratssitzungen zugänglich gemacht werden. Daher hat die Berichterstattung eine so große Bedeutung: Der Geschäftsführer ist das, was er von sich darstellen kann. Damit aber nun nicht die Rhetorik bewertet wird, muss sich der Beirat bemühen, seine Beurteilung – so weit wie möglich – auf die greifbaren, faktischen Elemente der Führung abzustellen. Es sind Art und Inhalt der strategischen Initiativen zu würdigen – auch wenn deren Ergebnisse noch nicht abzusehen sind, ja sinnvollerweise auch dann, wenn sie nur ein aussichtsreicher Versuch waren, der dann aber doch aufgegeben werden musste. Nichts wäre abträglicher für die langfristige Entwicklung eines Unternehmens, als wenn der Beirat nur Erfolgsgeschichten abfragte und zu hören wünschte. Wenn dem so wäre, wäre wohl zu wenig versucht worden. Am gewichtigsten für die Beurteilung einer Geschäftsführung ist aber die tatsächliche Entwicklung des Unternehmens in den Dimensionen Wachstum, Ergebnis, neue Produkte und neue Kunden. Gerade weil das nicht börsennotierte Familienunternehmen nicht die Publizität genießt und auch nicht sucht, die bei der Börsengesellschaft unvermeidlich und auch nützlich ist, können hier die stillen, aber tüchtigen Führungskräfte reüssieren. Ihr Erfolg sollte Anerkennung finden, auch wenn er nicht in rhetorisch strahlenden Berichten verkündet wird. Die Stillen müssen aufgefordert werden, von ihren guten Taten zu berichten.
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
11.7 Das Honorierungskonzept Als Dienstherr hat der Beirat auch die Bezüge der Geschäftsführung festzulegen. Diese Zuständigkeit ergibt sich nicht nur aus seiner formalen Stellung als Dienstherr, sondern auch aus der breiteren Kompetenz, über die die Beiratsmitglieder in diesen Honorierungsfragen gegenüber nicht in der Wirtschaft tätigen Familiengesellschaftern verfügen dürften. Aber auch ein früher selbst als Geschäftsführer tätiger Gesellschafter sollte und muss von seiner eigenen, früheren Erfahrung abstrahieren und sich auf die heutigen Marktvergleiche stützen, um zu einer fairer Honorierung zu finden. In den „Normalwert“ der Honorierung gehen verschiedene Aspekte ein, die es erforderlich machen, nicht die Vergangenheit der eigenen Bezüge zu extrapolieren. Der Marktwert und die faire Bestimmung der Bezüge im Vergleich zum Marktwert bestimmt sich nach: • Position der jeweiligen Führungskraft, • Größe des Unternehmens, • Branchencharakteristik (+/– 10 %), • Leistungsfähigkeit des Managements, wobei auch die Seniorität des zu Honorierenden zu berücksichtigen ist. Bei der Gehaltsfindung orientiert man sich in jedem Fall an den bisherigen Bezügen und den allgemeinen Steigerungsraten. Die aktuelle Lage des Unternehmens wird naturgemäß als Indikator für die Leistungsfähigkeit der Führung gesehen. Nicht so offensichtlich ist der Einfluss der wachsenden Unternehmensgröße. Es ist unstrittig, dass die Positionen der obersten Ebene in einem größeren Unternehmen höher dotiert sind als in einem kleineren Unternehmen. Man kann den Gehaltszuwachs bei Verdoppelung der Unternehmensgröße mit mindestens 30 % ansetzen. Wenn also ein Unternehmen überproportional wächst, dann ist bei der Neufestsetzung der Bezüge nicht nur der Senioritätsfaktor, sondern auch die steigende Größe des Verantwortungsbereichs zu berücksichtigen. Ein gewissenhafter Beirat hat die Aufgabe, sich regelmäßig über die Entwicklung der „Marktwerte“ in der Honorierung zu informieren. Dabei geht es weniger um das absolute Niveau, das heute bei Börsengesellschaften tendenziell höher angesiedelt ist als bei Familiengesellschaften, als zumindest um die Entwicklung über die Zeitachse. Gerade bei Gesellschaften, die ihre Unternehmensleitungen von innen rekrutieren können und deren Geschäftsführungen im Allgemeinen lange Amtszeiten haben, kann der Kontakt zum Markt leicht verloren gehen.
11.7 Das Honorierungskonzept
379
Die Honorierung ist nur ein Teilbereich im Gesamtkomplex der Motivation von Führungskräften. In einer exploratorischen Erhebung über die Motivationsstrukturen von Vorsitzenden der Geschäftsführung wurde folgende plausibel erscheinende Gewichtung der Honorierung gegenüber anderen Attraktoren festgestellt326: • 21 Punkte (aus 100 Punkten) für die Höhe der Gesamtvergütung, • 10 Punkte für die finanziellen Anreize, zum Beispiel variable Vergütung, • 5 Punkte für die öffentliche Anerkennung, • 24 Punkte für ein gutes Unternehmensklima, das dadurch gekennzeichnet ist, dass gut zusammengearbeitet wird und dass Fehlschläge bei risikobehafteten Vorhaben akzeptiert werden, • 40 Punkte und damit die größte Motivationswirkung für Selbstständigkeit und Entscheidungskompetenz. An dieser Erhebung erscheint zunächst das geringe Gewicht für die „öffentliche Anerkennung“ erstaunlich. Es sind aber eine ganze Reihe von Gründen zu vermuten, die zu diesem geringen Wert führen: Demonstration der Unabhängigkeit vom Urteil der Öffentlichkeit, tatsächlich geringere Öffentlichkeitswirkung des angestellten Geschäftsführers gegenüber dem Eigentümer bei mittelständischen Unternehmen bis hin zur unzureichenden Wertschätzung dieser Profession in der Öffentlichkeit gegenüber anderen angesehenen Berufen wie zum Beispiel dem des Doktors der Medizin. Familienunternehmen können im Prinzip bezüglich des Kriteriums Unternehmensklima wesentlich mehr bieten als Börsengesellschaften. Für das Versprechen der Selbstständigkeit und der Entscheidungskompetenz des CEO ist die intermediäre Funktion eines Beirats zwischen den Gesellschaftern und der Geschäftsleitung ein potenzieller Garant. Das Klima in einem Unternehmen ist natürlich sehr bedeutsam für die Motivation. Mir klingt das Wort eines Gesellschafters eines mittelständischen Unternehmens im Ohr: „Wir können zwar nicht so viel bezahlen wie andere, dafür bieten wir unseren Verwaltern etwas, was nicht durch Geld zu haben ist: Respekt.“ Wichtiger ist aber vermutlich noch die Auswirkung der Unternehmenskultur und des Umgangs zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern für die Sicherheit des Arbeitsplatzes des Geschäftsführers. Es ist offensichtlich, dass für das Lebenseinkommen des Geschäftsführers die Dauer seiner Beschäftigung als Geschäftsführer wichtiger ist als die Höhe der Bezüge: 326
Gedenk, K./Albers, S. (1994).
380
11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
Für einen 40jährigen Geschäftsführer muss die Wahrscheinlichkeit, bis zum 60. Lebensjahr Geschäftsführerbezüge zu erhalten, viel wichtiger sein als die Frage, ob seine Bezüge über oder unter dem Mittelwert des für seine Position Marktüblichen liegen. Wenn nun ein Familienunternehmen den Ruf hat, dass man dort als Geschäftsführer das Pensionsalter erreichen kann, dann wird es gute Führungskräfte zu einem moderaten Salär gewinnen können – anders jedoch, wenn der Posten als ein „Feuerstuhl“ bekannt ist. Die Gesellschafter machen sich oft nicht klar, wie klein die Branchen sind und welche Transparenz auf dem Markt der Beschäftigungsmöglichkeiten herrscht. Eine spezielle Möglichkeit der motivierenden Honorierung steht den Familienunternehmungen offen, die Börsengesellschaften kaum mehr nutzen können: Die Bonifikation besonderer Leistungen nach „freiem Ermessen“, als dankbare Anerkennung ohne Verpflichtung – „ex gratia“, wie es früher bei Herrscherhäusern der Fall sein mochte. Bei Börsengesellschaften ist nach dem Mannesmann-Urteil kaum mehr eine Tantieme möglich, die nicht dem Grunde nach vorher vertraglich vereinbart worden wäre. Etwas, worauf eine Führungskraft aber einen Anspruch hat, kann nicht mehr als Zeichen der reinen Dankbarkeit gedeutet werden. Familienunternehmen können solche Dankbarkeit äußern und tun das auch. Keine Sorge brauchen sich Gesellschafter und Beiräte in der Regel deswegen zu machen, weil sie nicht mit den Gesamtvergütungen von Börsengesellschaften mithalten können, die Aktienoptionspläne aufgelegt haben. Diese Aktienoptionspläne kommen bei Familiengesellschaften schon deshalb nicht in Betracht, weil ihre Anteile nicht an der Börse gehandelt werden und weil die verbilligte Abgabe von Aktien natürlich von den Altgesellschaftern bezahlt wird. Die den Optionen zugrunde liegenden Zeitspannen von einigen Jahren sind zudem für ein Familienunternehmen, das auf wirkliche Nachhaltigkeit im Gang der Generationen angelegt ist, eine viel zu kurze Messperiode. Aktienoptionspläne kommen in mittelständischen Welten auch deshalb nicht in Betracht, weil mit manchen dieser IncentiveProgramme exotisch hohe Bezüge verbunden sind. Eine Führungskraft, die von dem Ziel der Maximierung ihrer Bezüge getrieben wird, dürfte ohnehin nicht bei einem mittelständischen Unternehmen anheuern, sondern ihr Glück bei Börsenunternehmen suchen. Solch hohe Bezüge, wie sie dort unter bestimmten glücklichen Umständen erzielt werden können, sind bei Familienunternehmen allerdings auch nicht in dem Maße erforderlich, wie sie für einen modernen, vom Shareholder Value getriebenen CEO geboten sein mögen. Das Essay von Burkhard Spinnen trifft vielleicht den
11.8 Das motivierende Mitarbeitergespräch
381
Kern, wenn es die Nutzen-Kosten-Bilanz des CEO wie folgt skizziert327: „… und dabei hatte er immer im Hinterkopf, dass er sich möglicherweise all diesen Ärger aufhalst, um schlussendlich neben einer Steigerung des Aktienwertes auch ein Überflüssigwerden seiner eigenen Person erleben zu dürfen. In der Geschichte des Unternehmens, wenn sie denn später überhaupt noch geschrieben werden sollte, erscheint er allenfalls am Ende einer ungelesenen Fußnote … Und ich fragte mich: Wie würde ich das ertragen? Zwölf Stunden am Tag durch einen See von Plagen und Klagen zu schwimmen bei gleichzeitiger Aussicht auf kein anderes Lebensziel als eine Vermehrung der Rendite einer amorphen Masse von Groß- und Kleinanlegeranteilen und Aktienfonds? Und ich antwortete mir: Da würde nur Geld mich trösten! Sehr viel Geld, mit dem ich mir ein hermetisches und autarkes Privatreich schaffen könnte, in das nichts aus derjenigen Welt dringt, die ich durch meine Arbeit in Aufruhr versetzt. Ein Reich der Annehmlichkeiten und insbesondere ein Reich des Vergessens.“
11.8 Das motivierende Mitarbeitergespräch Zu der Funktion einer vorgesetzten Instanz – wie hier des Beirats – gehört nach einem zeitgemäßen Führungsverständnis auch die Motivation der Untergebenen. Ich lasse den Definitionsversuch offen, was denn Motivation eigentlich ist. Zwei Elemente müssten auf jeden Fall in eine solche Definition eingehen: zum Ersten die affektive Zuwendung zu dem Motivierten, eine Aufladung der Beziehung durch Anerkennung und Lob, zum Zweiten aber auch eine sachliche Orientierung.328 Man kann zwar davon ausgehen, dass oberste Führungskräfte wie Geschäftsführer in einem hohen Maße zur Eigenmotivation in der Lage sind, um eine solche berufliche Laufbahn zu bewältigen. Gleichwohl bedürfen auch diese Persönlichkeiten (als Ergänzung zu ihrer Eigenmotivation) der Motivation durch ihre Vorgesetzten. Sicherlich befördern die Gestaltungsmöglichkeiten einer Geschäftsführungsaufgabe bereits eine hohe Selbstmotivation. Dass aber die besonders herausfordernden Aufgaben einer Geschäftsführung eines besonderen Anreizes für äußerste Anstrengungen und einer Kompensation der hierfür zu erbringenden persönlichen Opfer bedürfen, ging schon immer in die Festsetzung der finanziellen Honorierung dieser Arbeit ein. Allzu leicht nimmt die vorgesetzte Instanz an, damit sei genug der Motivation geleistet. Aber 327 328
Spinnen, B. (2005): S. 70. Vgl. Wimmer/Groth/Simon (2004): S. 134.
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
auch eine gut verdienende Führungskraft ist eine Führungskraft wie jede andere und wird weit über die Anreizwirkung der Bezüge hinaus durch eine motivierende Würdigung ihrer Arbeit geradezu verpflichtet, ihr Bestes zu leisten. Wenn der Eindruck nicht täuscht, wird die Motivation der Vorstandsmitglieder in Kapitalgesellschaften im Allgemeinen nicht als wesentliche Funktion der Arbeit eines Aufsichtsrats gesehen und praktiziert. Zumindest sind in der einschlägigen Literatur zur Aufsichtsratsarbeit keine eingehenden Anmerkungen zu diesem Thema zu finden. Natürlich wird nach der Erörterung des jeweiligen Jahresabschlusses der Geschäftsführung „Entlastung“ erteilt und es werden einige Sätze der Anerkennung angefügt. Als Führungskraft wird man aber darin geschult, in einem Mitarbeitergespräch mehr zu leisten als die Anerkennung im „One-Minute-Management“ auszusprechen. Daher ist nach unserer Überzeugung ganz bewusst die Funktion „Motivation der Geschäftsführung“ in den Aufgabenkatalog angemessener Beiratsarbeit aufzunehmen. Motivation bedeutet nicht nur Belobigung, sondern vor allem auch Beeinflussung, Ermutigung zu einem bestimmten Handeln. Das Lob ist ein Element dieser Beeinflussung. Das Instrumentarium für eine motivierende Beeinflussung der Geschäftsführung ist reichhaltig, wie dies auch in jeder Führungslehre für nachgeordnete Führungsränge angesprochen wird: • Zielvereinbarung – und zwar nicht für finanzielle Ziele, die ja nur die Wirkung von vorgelagerten Arbeiten sind. In der Zielvereinbarung können alle Arten von Aufgaben angesprochen werden, die für die nachhaltige Förderung der Unternehmensentwicklung von Bedeutung sind. Da solche auf die langfristige Unternehmensentwicklung ausgerichteten Aufgaben typischerweise nicht innerhalb eines Jahreszeitraumes zu erfüllen sind, bietet es sich an, die Ziele für einen mehrjährigen Zeitraum zu vereinbaren, sich dann aber in jährlichen Gesprächen zur Zielerfüllung ein gemeinsames Bild vom Fortschritt zu machen. • Mitarbeitergespräch zur Erörterung der Arbeitsbeziehung zwischen Geschäftsführung und Beirat, hier insbesondere natürlich mit dem Beiratsvorsitzenden. • In diesem Mitarbeitergespräch oder in einem gesonderten Gespräch hat die Rückmeldung aus der oben angesprochenen Evaluierung der Geschäftsführung durch den Beirat ihren Platz. Nicht nur die Erörterung der besonders geschätzten Initiativen ist motivierend, sondern
11.8 Das motivierende Mitarbeitergespräch
383
auch die Ansprache der Felder, in denen zusätzliche Initiativen erwartet werden – verbunden mit dem Vertrauensvorschuss, dass die Geschäftsführung dazu in der Lage sei. Nichts motiviert so sehr wie Klarheit darüber, wie man von den Vorgesetzten gesehen wird, zumal wenn daraus geschlossen werden kann, dass man insgesamt geschätzt wird. • Ausspruch des Dankes und der Anerkennung für besondere Erfolge. Ein Bestandteil des Motivationsgesprächs sollte, ja muss es sein, die gemeinsam zu verfolgenden Ziele zu formulieren und dazu zu ermutigen, diese zu verfolgen. Dies ist namentlich dort erforderlich, wo der Erfolg eines solchen Handelns in besonderem Grade ungewiss ist oder auf eine so lange Frist zielt, dass die kurzfristigen Erfolgsaussichten keinen Anreiz für dieses Handeln bieten. Für bestimmte Strategien der Unternehmensentwicklung wie die Erschließung neuer Märkte, die Entwicklung neuer Produkte, die strukturelle Ertüchtigung der Wertschöpfungsprozesse durch Investitionen in Fertigungsstätten und Prozessorganisationen sind in der kurzen und mittleren Sicht immer mehr Risiken und negative Ertragseinflüsse zu erwarten, während sich die Erfolgschancen erst in der langen Sicht zeigen. Wenn der Beirat nur skeptisch auf die Balance der Risiken und Chancen sieht und eher die negativen Aspekte betont, wird sich die Geschäftsführung mit Recht nicht ermutigt sehen, solche Strategien zu verfolgen. Die Maximierung der Ergebnisse der nächsten Perioden und die Vermeidung von Aufwendungen, deren Erträge erst in weiter Zukunft liegen, ist für alle Beteiligten möglicherweise die attraktivere Verführung. Die Gespräche über Unternehmensziele sollten von Zeit zu Zeit zur Formulierung einer langfristigen Vision für das Unternehmen führen. Eine gemeinsame Vision ist grundlegend dafür, dass der oben erörterte Prozess zur Beratung über Strategiefragen gelingt.329 Gerade bei einer Familienunternehmung ist die oberste Zielsetzung die Förderung der langfristigen, nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Dieses abstrakte Ziel ist immer wieder neu als verfolgenswert zu adressieren, um darauf ausgerichtete Initiativen einer angestellten Geschäftsleitung zu unterstützen, die ja selbst nicht mehr an dieser langfristig positiven Entwicklung partizipieren dürfte. Ein weiteres wesentliches, ja unabdingbares Thema von Motivationsgesprächen ist die Anerkennung für das Geleistete. Zu besonderen Erfolgen lässt sich Anerkennendes nur sagen, wenn darüber auch berichtet wird. Hier ist auf die Ausführungen zur Information des Beirats zu verweisen: Die 329
Vgl. Kapitel 10.
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11 Der Beirat als Träger der Personalkompetenz
Berichterstattung zum Zwecke der Aufsicht hat eine Tendenz, sich auf kritische Ereignisse zu konzentrieren. Das gleiche gilt für die Anträge im Rahmen der Genehmigungsvorbehalte. Für eine gelungene Produkteinführung oder die Gewinnung eines bedeutenden Neukunden braucht man keine Genehmigung. Die Standards der Berichterstattung stellen nicht sicher, dass solche positiven Nachrichten auch routinemäßig zur Sprache kommen. Daher ist die Ordnung der Berichterstattung gezielt darauf auszulegen, dies zu erreichen. Die Notwendigkeit von Mitarbeitergesprächen des Beirats zur Steigerung der Motivation von Vorstandsmitgliedern nimmt mit der Höhe der erfolgsbezogenen Bezüge nicht ab, sondern wird paradoxerweise noch wichtiger. Der Grund dafür ist der in der Forschung gut belegte Verdrängungseffekt330, den die „extrinsische Motivation“ durch Finanzanreize auf die „intrinsische Motivation“ hat, einer Aufgabe um ihrer selbst willen zu dienen. In einem Familienunternehmen kann diesen negativen Nebenwirkungen dadurch entgegengewirkt werden, dass die intrinsischen Motivationsimpulse verstärkt und kontinuierlich gegeben werden. Einvernehmen in den zu verfolgenden Zielen, gegenseitiger Respekt und wechselseitiges Verständnis der jeweiligen Anliegen sind starke Motivatoren. Die Gesellschafter eines Familienunternehmens, die selbst nicht professionelle Manager sind, haben oft stärker als die aus der Berufswelt kommenden Beiratsmitglieder das natürliche Gefühl der Dankbarkeit für eine gute Leistung „ihrer“ Geschäftsführung und sind in der Lage, diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen. Dies ist ein besonders sympathischer Aspekt der Arbeit in einem Unternehmen, in welchem man den Trägern dieses Unternehmens von Angesicht zu Angesicht begegnen und dabei ermutigende menschliche Zuwendung erfahren kann.
330
Vgl. die Übersicht bei Osterloh, M. (2007): S. 98 ff.
C. Die Arbeitsweise und die Zusammensetzung des Beirats
12 Die Arbeitsweise des Beirats
12.1 Der zeitliche Rahmen für die Beiratsarbeit Die Beiratsarbeit als ein Kontinuum über die Zeitachse Nach den vorher stehenden Kapiteln über die Inhalte der Beiratsarbeit wollen wir uns nun den Aspekten der Abläufe der Beiratsarbeit zuwenden. Der Beirat ist ein Gremium, das mit zwei weiteren Gremien, der Geschäftsführung und der Gesellschafterversammlung, zusammenarbeitet. Er ist also eine Veranstaltung für mehrere Personen, die in einer zielorientierten Zusammenarbeit mit immer absolut begrenztem Zeitbudget in „nützlicher Frist“ ein Ergebnis erreichen müssen. Damit ist die Definition für ein „Projekt“ erfüllt. Das Projekt Beiratsarbeit konzentriert sich aber nur in der ersten, oberflächlichen Annäherung auf die Sitzung. Eine Beiratssitzung ist vergleichbar mit einer Theaterpremiere: Eine Theater- oder Operninszenierung umfasst den gesamten Prozess der Erarbeitung eines Stückes, der Proben, der Premiere, der Kritik der Premiere, der Änderungen an den Details der Inszenierung während der nachfolgenden Aufführung innerhalb einer Saison. Die Premiere bildet also nur einen Höhepunkt der Inszenierung. Ebenso ist die Beiratsarbeit – wie die Arbeit eines jeden Gremiums – gegliedert in die Phasen: • Vorbereitung, • Durchführung, • Nacharbeit. Dabei liegt das Paradoxon darin, dass die Vor- und Nachbereitung einer Sitzung ein Vielfaches jener Zeit in Anspruch nimmt, die für die Beiratssitzung selbst benötigt wird, und dass diese beiden flankierenden Phasen in mancher Hinsicht mindestens so wichtig sind wie die Sitzung selbst. Ich verstehe also die Beiratsarbeit als einen Prozess, der sich auf eine längere Zeit erstreckt. Die Sitzungen sind innerhalb dieses Prozesses als Meilensteine und für das Plenum zugängliche Veranstaltungen hervorge-
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
hoben. Nur für die normalen Beiratsmitglieder stellen die Beiratssitzungen den größeren Teil des Prozesses dar, für die Geschäftsführung und den Beiratsvorsitzenden vielfach den kleineren Teil, wie ich unten weiter ausführen werde. Und während dieser „öffentlichen Aufführung“ werden nicht einmal die wichtigsten Entscheidungen getroffen. Man kann wohl ruhig behaupten, dass über die Abberufung eines Geschäftsführers noch nie auf einer Sitzung, sondern immer erst im Nachgang zu einer Sitzung entschieden wurde. Die Intensität der Arbeit eines Beirats wird durch eine Reihe von Faktoren bestimmt: • Häufigkeit der regulären Zusammenkünfte, • Erfordernis und Häufigkeit der außerordentlichen Sitzungen, • Dauer der Zusammenkünfte, • Usancen der Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und Beiratsvorsitzendem zwischen den Sitzungen, • Intensität der Kontakte zwischen Beiratsvorsitzendem und Beiräten zwischen den Sitzungen. Die Anzahl der Sitzungen Die Anzahl der regulären Zusammenkünfte hat nach den vorliegenden Erhebungen und verschiedenen Aussagen in der Literatur einen typischen Wert von drei bis vier Zusammenkünften pro Jahr.331 Für diesen Wert sprechen auch die Orientierung an den vier quartalsweise anzusetzenden Sitzungen eines Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft sowie die Norm des Corporate-Governance-Kodex. Neben diesen regulären Sitzungen muss mit außerordentlichen Sitzungen regelmäßig dann gerechnet werden, wenn der Beirat materielle Zustimmungsvorbehalte hat und zustimmungsbedürftigen Geschäfte sich so anbahnen, dass sie nicht in einer der regulären Beiratssitzungen behandelt werden können. Ich lasse ja durchgehend erkennen, dass ich die Notwendigkeit umfangreicher Genehmigungsvorbehalte eher für überbewertet halte. Aber auch dann, wenn man auf solche Genehmigungskataloge für einzelne Geschäfte verzichtet, können außerordentliche Ereignisse oder Entwicklungen – etwa eine sich dynamisch entwickelnde Akquisitions331
Brose, T.: S. 48 mit weiteren Nachweisen; Gaugler, E./Heimburger, W. (1985): S. 107.
12.1 Der zeitliche Rahmen für die Beiratsarbeit
389
chance, die plötzliche Kündigung eines Geschäftsführers oder eine gravierende Verschlechterung der Geschäftsentwicklung – außerordentliche Zusammenkünfte erforderlich machen. Man kann die These formulieren: Ein „ordentlicher“, machtvoller und für das Unternehmensgeschehen wichtiger Beirat ist dadurch gekennzeichnet, dass er auch aus außerordentlichen Gründen einberufen wird – vermutlich nicht in jedem Jahr, aber auch nicht nur einmal während der Amtsperiode. Oder umgekehrt: Gibt es keinen Anlass zu außerordentlichen Sitzungen, dann hat die Entwicklung einer Firma möglicherweise zu wenig Dynamik oder ihr Beirat zu wenig Einfluss. Die Dauer der Sitzungen Bedeutsamer für die Arbeitsweise eines Beirats als die Anzahl der Zusammenkünfte ist allerdings die Dauer der Sitzungen. Hier zeigen die Usancen von Beiräten in Familiengesellschaften ein viel breiteres Spektrum als diejenigen von Aufsichtsräten von Publikumsgesellschaften. Die Sitzungen von Aufsichtsräten von Publikumsgesellschaften in einem TwoTier-System wie in Deutschland haben – wenn wir die ganz großen Gesellschaften ausklammern – eine typische Dauer von einem halben Tag, seltener von einem ganzen Tag und nur in Ausnahmefällen gibt es Klausursitzungen, die über einen Tag hinausreichen. Wenn eingehende und zeitaufwendige Verhandlungen erforderlich sind, finden diese im Aufsichtsratspräsidium oder in einem anderen relevanten Ausschuss statt. Wenn nun das Beiratsgremium in einem Familienunternehmen damit beauftragt ist, inhaltlich an strategischen Initiativen mitzuarbeiten, erfordert dies einen angemessenen Zeiteinsatz. Bei Beiräten von Familiengesellschaften kommen viel häufiger als bei den oben genannten Aufsichtsräten Sitzungen vor, die sich über einen ganzen Tag oder auch über zwei Tage erstrecken. Allerdings können solche Sitzungen – dem Charakter einer Familiengesellschaft entsprechend – durchaus mit einem informellen Programm aufgelockert werden. Bei der Festlegung der Anzahl und der Dauer der Sitzungen sollten allerdings nicht nur die Interessen des Beirats berücksichtigt werden. Die größten Kosten der Sitzungen entstehen durch die Vorbereitungszeit und die Anwesenheitszeit der Geschäftsführung. Bei jährlich vier Sitzungen und mindestens vier Vorbereitungstagen – eher sind es fünf bis sechs – ergeben sich schon zehn Tage, an denen die Geschäftsführer nicht im Markt sind, um Umsatz zu machen, oder nicht im Unternehmen sind, um Kostensenkungsprojekte voranzutreiben. Sowohl der Zeiteinsatz der Beiratsmitglieder wie auch derjenige der Geschäftsführung wird optimiert,
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
wenn weniger und dafür längere Sitzungen stattfinden. So könnten zwei Ganztagessitzungen im Jahr – eventuell mit einem Abendessen am Vorabend – für ein mittelständisches Unternehmen in einem nicht allzu dynamischen Markt durchaus genügen. Der Zeiteinsatz dabei ist, in Stunden gerechnet, mindestens ebenso hoch wie bei drei oder vier Sitzungen von der Dauer jeweils eines halben Tages. Die Möglichkeit des Durcharbeitens auch komplexerer Themen ist jedoch im ersteren Fall ungleich besser. Die Effektivität der Arbeit wird dadurch gesteigert. Und wenn es wirklich erforderlich ist, kann man eine außerordentliche Sitzung eventuell als Telefonkonferenz anberaumen. Durch größere Sitzungsintervalle wird auch der Gefahr gewehrt, sich zu tief mit dem operativen Geschäft zu befassen. Daher neige ich im Zweifel zu einem Sitzungsmuster, das eher längere Intervalle zwischen den Sitzungen und dafür längere Sitzungen vorsieht. Wie immer bei Familienunternehmen gibt es jedoch sehr individuelle Konstellationen zu beachten. Gerade die längere Ausblendung des operativen Geschäfts wäre ein Problem, wenn es einen noch stark mit dem operativen Geschäft verbundenen Gesellschafter, zumeist dann einen früheren Gesellschafter-Geschäftsführer, gibt. Zu große Sitzungsintervalle bedeuten für diesen Gesellschafter eine Verführung, sich außerhalb der Beiratssitzungen um die Überwachung des laufenden Geschäfts zu kümmern. Dies ist dann die klassische Konstellation für Unordnung und Verwirrung. Ein als Beiratsmitglied legitimierter Gesellschafter kümmert sich in bilateralen Interaktionen mit der Geschäftsführung sowieso um das laufende Geschäft und die strategischen Fragen. Durch zu lange Sitzungsintervalle ist die Geschäftsführung seinen „Direktiven“ ausgesetzt, ohne die Möglichkeit zu haben, durch einen Diskurs im Beirat eine geordnete Willensbildung zu erreichen. Die Vorbereitung der Sitzungen Die Vorbereitung einer Sitzung ist für die Qualität dieser Sitzung entscheidend. Die Geschäftsführung setzt regelmäßig ein Vielfaches der Sitzungszeit für die Vorbereitung ein. Typischerweise benötigt man als Vortragender selbst für einfache Vorträge die drei- bis vierfache Zeit des Vortrags für die Vorbereitung. Zudem wird eine gute Geschäftsführung jeden für die nächste Beiratssitzung geplanten Vortrag eines ihrer Mitglieder im Kollegium anhören. Damit wird erstens eine gemeinschaftliche Willensbildung abgesichert. Zum Zweiten wird dadurch eine Probe abgehalten, bei der die Verständlichkeit des Vortrags praktisch getestet wird. Die Regularien der Vorbereitung sind durchaus arbeitsintensiv. Es muss ein Leitfaden für den Beiratsvorsitzenden erstellt werden, Beschlussvorlagen
12.1 Der zeitliche Rahmen für die Beiratsarbeit
391
sind zu formulieren, auf Rechtsfragen ist hinzuweisen. Die vor der Sitzung zu versendenden Unterlagen sind auf Richtigkeit zu kontrollieren. Man kann in keiner Sache so schnell einen schlechten Eindruck machen wie durch formale und sachliche Unordnung in der Vorbereitung einer Beiratssitzung. Eine gute Sekretärin oder Assistentin ist daher unentbehrlich. Der Beiratsvorsitzende dürfte mindestens die gleiche Zeit für die Sitzungsvorbereitung brauchen wie für die Sitzung selbst: für die Vorbereitung mit dem CEO sowie für Kontakte mit einzelnen Beiratsmitgliedern. Anhand der Tagesordnung und der verteilten Unterlagen sollte sich jedes einzelne Beiratsmitglied auf die Sitzung vorbereiten. Der Sitzungsleiter wie auch die Geschäftsführung können sich aber nicht auf eine intensive Vorbereitung aller Teilnehmer verlassen, so dass im Zweifel der Vortrag in der Sitzung alle Tagesordnungspunkte abdecken muss. Bei besonders wichtigen Themen kann allerdings eine gezielte Vorbereitung unabdingbar sein, um sicherzustellen, dass der zu besprechende Sachverhalt ausreichend erläutert und Vorbereitungszeit für die Meinungsbildung gewonnen wurde. Natürlich gehören heutzutage Telefonate zu den bevorzugten Gesprächsformen zwischen den Sitzungen. Nicht nur scherzhaft ist die Beobachtung gemeint, dass der Sonntagnachmittag nach 17 Uhr eines der präferierten Zeitfenster für Beirats- und Aufsichtsratstelefonate ist. In wichtigen Fragen mag nicht nur der Beiratsvorsitzende einzelne oder alle Beiratsmitglieder auf die Sitzung vorbereiten, sondern auch der CEO kann sich zu solchen Vorgesprächen aufgerufen fühlen. Der Kontakt mit einzelnen Beiratsmitgliedern setzt selbstverständlich immer eine vorhergehende Abstimmung mit dem Beiratsvorsitzenden voraus. Diese Einschränkung vorbereitender Gespräche ergibt sich aus der generellen Maxime im Umgang mit „Vorgesetzten“: keine Überraschungen. Kein Vorgesetzter schätzt es, überraschend einer Frage ausgesetzt zu werden. Ein Vorgesetzter fühlt sich kraft Amtes dazu berufen, Sinnvolles zu sagen. Dies gelingt ihm infolge seiner Qualifikation und Erfahrung im Normalfall. Und für den Sonderfall wünscht er eine Vorankündigung, damit er sich darauf einstellen und vorbereiten kann. Der Vorsitzende sollte jedoch auch darauf achten, dass nicht zu viel Vorbereitung und Vorabstimmung erfolgt, unter der dann die Diskussion in der Sitzung selbst leiden könnte. Der nicht in der Wirtschaft tätige Gesellschafter gewinnt sein Urteil in den Verhandlungen des Beirats ja nicht aus der eigenen Vertiefung in den Sachverhalt, sondern aus der Beobachtung des Dialogs zwischen Geschäftsführung und Beirat sowie zwischen den Beiratsmitgliedern. Während es in der mitbestimmten Publikumsgesellschaft gute Praxis ist, dass die Anteilseignervertreter vor den Arbeit-
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
nehmervertretern nicht kontrovers diskutieren, ist eine Diskussion unterschiedlicher Standpunkte im Beirat einer Familiengesellschaft von den Gesellschaftern geradezu gewünscht. Die Formen der Zusammenkünfte Die Formen der Zusammenkünfte sind kein eigenständiges Merkmal für eine Typologie der Beiräte, sondern leiten sich vorzugsweise aus den Funktionen und Zuständigkeiten des Beirats ab: • Das informelle Treffen in einem hervorgehobenen Ambiente ist typisch für Gremien, die als Informations- und Kontaktbeirat bezeichnet werden332. • Ein informelles Treffen eignet sich aber auch für Zusammenkünfte des Beirats mit den Gesellschaftern. Bei einer Familie und Verwandtschaft normaler Größe ist dieses Treffen eine informell gestaltete Veranstaltung. Eine Sitzungsglocke mit strikter Agenda und Gesprächsführung wäre bei einem derartigen Familientreffen eher ungewöhnlich. Wenn der Unternehmensbeirat die Gesamtheit der Gesellschafter berät und anlässlich solcher Familientreffen mit den Gesellschaftern zusammenkommt, färbt die Informalität der Familienzusammenkunft auf die Sitzung des Beirats ab. Für die Zusammenkünfte des Beirats mit der Geschäftsführung ist auch formal die Unterstreichung der Würde dieses Gremiums und seiner Ordnungsfunktion geboten. • Für eine professionelle Beiratsarbeit wird der folgende formale Sitzungsrahmen einer Instanz der Unternehmensverfassung typisch sein: Einhaltung von Einladungsfristen, Versand der Tagesordnung mit der Einladung, schriftliche Unterlagen zu den Tagesordnungspunkten, Sitzungsleitung durch den Vorsitzenden, Stimmbotschaften der abwesenden Beiratsmitglieder, nachfolgendes Protokoll. • Aber auch bei einer professionellen Beiratsarbeit ist zumeist der entscheidende Vorgang die Vorbesprechung der Sitzung mit dem Vorsitzenden des Gremiums oder dem Präsidium, zum Beispiel im Falle eines „normalen“ Aufsichtsrats. In diesen Besprechungen wird weitgehend die materielle Arbeit der Überprüfung und Diskussion geleistet. 332
Siehe hierzu die Typologie in Kapitel 15.
12.1 Der zeitliche Rahmen für die Beiratsarbeit
393
• Die gleiche hohe materielle Bedeutung wie das Vorgespräch mit dem Gremiumsvorsitzenden hat regelmäßig die Arbeit von Ausschüssen des Gremiums. • Eine intensive Einbeziehung des Beirats in die Planungsarbeit der Geschäftsführung ist im normalen Sitzungsrahmen meist nicht praktikabel zu bewältigen. Sie erfordert Klausursitzungen von Beirat und Geschäftsführung oder die Einbeziehung des Beirats oder einzelner seiner Mitglieder in Projektarbeiten – eventuell als Lenkungsausschussmitglieder. • Die höchste Stufe der Einbeziehung ergibt sich, wenn etwa der Beiratsvorsitzende regelmäßig an den Geschäftsführungssitzungen teilnimmt. Wir haben dann ein „One-Tier-System“ des Ineinandergreifens von Aufsichtsgremium und Managementgremium. • Weil jedoch ein solches „One-Tier-System“ dem deutschen Verständnis der Trennung von Geschäftsführung und Aufsicht widerspricht, gibt es derartige integrierte Sitzungen in offizieller Form bei uns nicht. Wohl aber findet sich manchmal die informelle und ungeordnete Partizipation eines Gesellschafters als Beiratsvorsitzenden an der Geschäftsführung. Auf der Basis informeller Kontakte bis hin zu nebeneinander liegenden Büros kann es zu einer „Fernsteuerung“ der Geschäftsführung kommen. Es gehört zum Standardprozess der Unternehmensführung, für die Entwicklung von Planungskonzeptionen „Klausuren“ anzusetzen, die mindestens zwei Tage dauern. Diese Mindestdauer ergibt sich schon daraus, dass es einen Tag für die Exposition der Lage und der Lösungsansätze geben muss, dass ein Abend mit Kamingesprächen und offenem Ende gebraucht wird, um die Interpretation der Exposition gesprächsweise abzusichern und Hypothesen für das weitere Vorgehen zu testen, und schließlich ein weiterer Tag, um das Handlungskonzept und die nächsten Schritte festzulegen. Albach empfiehlt, dass das Präsidium eines Aufsichtsrats an den Sitzungen teilnimmt, in denen der Vorstand seine Strategie entwickelt333. Wenn wir uns nun vorstellen, dass das Präsidium des Aufsichtsrats zugleich der Dienstherr ist und jede Begegnung mit dem Aufsichtsrat eine Sitzung eines Assessment Center für den Vorstand ist, dann wird man nicht erwarten können, dass in einer solchen Sitzung eine tatsächliche Planungsklausur mit ergebnisoffenem Diskurs zwischen den Führungskräften der 333
Albach, H. (1997): S. 39.
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
Leitungsebene stattfindet. Eine solche Planungssitzung unter Anwesenheit des Aufsichtsrats ist eine „öffentliche“ Veranstaltung. Es wäre unklug vom Vorstand, in Anwesenheit seiner Dienstherren unbefangen und spontan die Hypothesenentwicklung und -verwerfung darzulegen, die einem Planungsprozess eigen ist. Es wäre vermutlich auch von den Aufsichtsratsmitgliedern zu viel verlangt, sich einer eigenen Stellungnahme zu enthalten. Die Nacharbeit der Sitzung im Beirat Es ist wiederum ein Paradoxon, dass die wichtigen Auswertungen der Sitzungsdiskussionen und das Ziehen von Schlussfolgerungen oft erst in der Nacharbeit zur eigentlichen Sitzung geschehen. Das ergibt sich daraus, dass eine Urteilsbildung eine Reifezeit braucht und erst im kleineren Kreise formuliert wird. Ein Urteil zu Personalien der Geschäftsführung entsteht so immer außerhalb der eigentlichen Sitzung; aber auch Entscheidungen zur Makrostrategie werden häufig erst dann getroffen. Diese Beobachtung sollte meines Erachtens sogar zu einem Prinzip für die Beiratsarbeit führen: Ein Treffen der Beiratsmitglieder ohne Teilnahme der Geschäftsführung sollte ein unabdingbarer Bestandteil der Best Practice eines vollwertigen Beirats sein. Nur in dem Kreis „entre nous“ kann der Beirat seinen wichtigsten Verantwortlichkeiten nachkommen. Hierfür bieten sich zwei Foren an: zum einen ein auf die eigene Arbeit bezogenes Evaluierungsgespräch in größeren Abständen – etwa alle zwei Jahre. Im geschlossenen Gespräch unter den Beiratsmitgliedern gilt es über die eigene Orientierung und Funktionsfähigkeit sowie über die eigenen Ziele zu reflektieren. Sich seiner selbst zu vergewissern ist eine Grundlage für die Formierung eines Kollegiums, das der Beirat bilden muss. Zum anderen muss er sich über seine wichtigste inhaltliche Verantwortung austauschen: nämlich zu beurteilen, wie die Unternehmensleitung von der Geschäftsführung wahrgenommen wird und ob diese ihre Aufgaben erfüllen kann und erfüllt. Diese Form der Evaluierung der Geschäftsführung könnte allerdings auch und sogar besser nach jeder Beiratssitzung durchgeführt werden. In einer kurzen „Nachsitzung“ der Beiratsmitglieder ohne die Geschäftsführung wären die Eindrücke aus der Sitzung zusammenzufassen und die Schwerpunkte für die Vorbereitung der nächsten Sitzung festzulegen. Solche Gespräche in einem Kollegium unter sich sind entscheidend für die Entwicklung der Gruppenzusammengehörigkeit und des Verständnisses zwischen den Gruppenmitgliedern.
12.1 Der zeitliche Rahmen für die Beiratsarbeit
395
Die Nacharbeit der Sitzung in der Geschäftsführung Aus der Sitzung eines gut funktionierenden Beirats erwachsen fast immer Aufgaben für die Geschäftsführung. Diese sollten nicht leichtfertig und nicht zu zahlreich gestellt werden. Der Beirat darf ja davon ausgehen, dass diese „Hausaufgaben“ höchste Priorität in der Agenda der Geschäftsführung erhalten – und damit andere Aufgaben, die tatsächlich wichtiger sein können, verdrängen. Im Übrigen gilt für die Geschäftsführung der Trainerspruch „nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ und es wird sofort an der Vorbereitung der nächsten Sitzung gearbeitet. Die Synopsis der Zeitverteilung Man kann – aufgrund anekdotischer Erfahrungen – folgendes typische Zeitraster für die Summe der vorstehend geschilderten Aktivitäten skizzieren (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5. Zeiteinsatz für die Beiratsarbeit Zeiteinsatz in Stunden pro Sitzung (z. B. pro Quartal)
Geschäfts- Vorsitzender Mitglied führung des Beirats des Beirats
Vorbereitung (Monatliches Treffen mit Beiratsvorsitzendem)
3×2h
3×2h
–
Vorbereitung der Vorträge für die Beiratssitzung
3–6 h
–
–
4h
2h
–
–
1h
1h
Gelegentlich: Vorbereitung kritischer Punkte durch Einzelgespräche
1–4 h
1–4 h
0,5 – 2 h
Beiratssitzung
4–8 h
4–8 h
4–8 h
Vorbereitung der Unterlagen/Leitfäden Lektüre der Unterlagen
Nacharbeit der Sitzung
1h
Protokoll
2h
1h
Kontakte mit Gesellschaftern
4 – 10 h
Sonderprojekte
4 – 10 h
396
12 Die Arbeitsweise des Beirats
Der Vorsitzende des Beirats hat zusätzlich die Aufgabe, den Kontakt zu den Gesellschaftern zu halten. Ferner kann er in erheblichem Maße für Sonderprojekte wie zum Beispiel für die Suche nach einem neuen Geschäftsführer in Anspruch genommen werden. Wir werden hierauf unten334 bei der Erörterung der Rolle des Beiratsvorsitzenden eingehen.
12.2 Die Regularien der Beiratsarbeit Meine Darstellung der Regularien einer Beiratssitzung möchte ich kurz halten, da diese für Vereinigungen aller Art ähnlich und für den Beirat andernorts vollständig beschrieben sind335 und zudem in der Praxis der Beiratsarbeit nur eine geringe – vielleicht eine problematisch geringe – Rolle spielen. Die Vernachlässigung der Formalien ergibt sich aus dem kleinen Kreis des Beirats, den in der Regel vertrauten Beziehungen zwischen den Gesellschaftern und den Beiräten sowie der fehlenden Drohung von Schadensersatzansprüchen bei Formverletzungen. Dennoch sollten die Formalien berücksichtigt werden: • Die Regularien sind auch Rituale, die die Bedeutung des Ereignisses Beiratssitzung hervorheben und die Würde der Institution zum Ausdruck bringen. • Die Regularien strukturieren den Ablauf und erhöhen somit die Effizienz. • In Konfliktfällen zwischen Gesellschaftern und in Problemlagen der Gesellschaft kann die Vollständigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Verhandlungen von Bedeutung sein. Es soll genügen, die Stichworte für einen geordneten und stilgerechten Ablauf einer Beiratssitzung aufzuzählen: • konstituierende Sitzung: Eröffnung durch das an Lebensjahren älteste Mitglied, Vorschlag zur Wahl des Vorsitzenden, nach dessen Wahl Abgabe der Sitzungsleitung an den neuen Vorsitzenden, • konstituierende Sitzung in jedem Fall bei Auslauf der Wahlperiode des Vorsitzenden, • eventuell Wahl eines stellvertretenden Vorsitzenden, 334 335
Vgl. unten Abschnitt 13.1. Vgl. Huber, H. (2004): S. 97 ff.
12.2 Die Regularien der Beiratsarbeit
397
• formgerechte (schriftliche) und fristgerechte (z. B. 14 Tage vor der Sitzung) Einberufung der Sitzung, • Sitzungsleitung, o o o o o o
o o
Bestimmung des Protokollführers, soweit nicht bereits festgelegt, Frage nach Genehmigung oder Ergänzung der Tagesordnung, Bestimmung der Reihenfolge in der Erledigung der Tagesordnung, Eröffnung und Schließung der Diskussion zu den Tagesordnungspunkten, Festlegung der Reihenfolge der Redner, Stellung der Beschlussanträge, Formulierung des jeweiligen Antrags, Festlegung des Abstimmungsmodus, Durchführung der Abstimmung, Verkündung des Beschlusses, Zulassung Dritter und Anordnung der Beendigung der Anwesenheit Dritter, Aufrechterhaltung der Ordnung, was in Konfliktsituationen durchaus erforderlich sein mag,
• Unterbrechung und Vertagung der Sitzung. Zur praktischen Umsetzung sagt Huber336: „Ein souveräner Sitzungsleiter wird sich an diesen Katalog von sitzungsleitenden Maßnahmen halten, ohne dass er übertriebenen Formalismus zeigen muss. Zu empfehlen ist in diesem Zusammenhang, zumindest die sitzungsleitenden Maßnahmen, die im Hinblick auf die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Sitzung Bedeutung erlangen können, im Protokoll festzuhalten. Unabhängig davon wird ein guter Sitzungsleiter, ohne dass er im Einzelfall groß thematisiert, ob es um eine sitzungsleitende Maßnahme geht oder nicht, versuchen, den wesentlichen Ablauf der Beiratssitzung per se nur im Einvernehmen mit den anderen Beiratsmitgliedern zu gestalten, natürlich unter entsprechender Dokumentation. Wenn fremde Dritte, wie insbesondere ein Protokollführer, anwesend sind, kann neben der Feststellung der ordnungsgemäßen Einberufung und des Vorliegens der Beschlussfähigkeit dazu z. B. auch die ausdrückliche Frage zu Beginn der Sitzung gehören, ob die anderen Beiratsmitglieder mit der Anwesenheit der Personen und beim Protokollführer mit der Führung des Protokolls einverstanden sind. Der Sitzungsleiter kann bei der letztgenannten Fallkonstellation später nicht mehr dem Vorwurf z. B. von Geschäftsführern oder Gesellschaftern ausgesetzt sein, er habe bei der 336
Huber, H. (2004): S. 111.
398
12 Die Arbeitsweise des Beirats
Wahl des Protokollführers die falsche Person genommen bzw. den anderen Beiratsmitgliedern jemanden aufgezwungen.“337 Schließlich gibt es auch Regularien und Rechte für jedes Mitglied eines jeden Gremiums – so eben auch des Beirats. Diese allgemeinen Rechte eines Beiratsmitglieds sind etwa folgende338: • Teilnahmerecht an allen Sitzungen, • Verlangen der Einberufung einer Sitzung beim Vorsitzenden, • Veto gegen Beschlussfassungen ohne Sitzung, • Anmerkungen beziehungsweise Erklärungen zum Protokoll, • Anträge zur Ergänzung der Tagesordnung, • Geschäftsordnungsanträge (Vertagung, Ende der Debatte), • Sachanträge.
12.3 Die Ordnung des Prozesses der Beiratsarbeit Die Usancen für die Beiratsarbeit Es ist offensichtlich, dass die Arbeit eines Beirats in die beiden Richtungen von Gesellschaftern und Geschäftsführung komplex ist und nicht in einem spontanen Prozess erfüllt werden kann, sondern dass es einer Strukturierung dieses Prozesses bedarf. Hierzu gibt es in der Regel eine Geschäftsordnung, in der aber zumeist nur die äußerlichen Formalitäten für die innere Ordnung dieses Gremiums geregelt sind. Es wird im Übrigen mit Recht empfohlen, die Elemente einer Geschäftsordnung nicht in die Satzung aufzunehmen, weil diese nur schwer geändert werden kann.339 Daher gibt sich der Beirat üblicherweise selbst eine Geschäftsordnung, die der Gesellschafterversammlung zur Kenntnis zu geben ist; allenfalls kann man auch als Regel vorsehen, dass sie von der Gesellschafterversammlung gutzuheißen sei. 337
338 339
„Bei Problemen im Gesellschafterkreis, die sich auf die Beiratstätigkeit auswirken, oder wenn die Geschäftsführung mit Maßnahmen des Beirats bzw. des Beiratsvorsitzenden nicht einverstanden ist, können ansonsten – wie der Verfasser aus eigener Erfahrung weiß – solche „Spielereien“ nicht ausgeschlossen werden“ (a.a.O.). Vgl. Bellavite-Hovermann, Y. et al. (2005): S. 25 ff. Wälzholz, E. (2004): S. 404.
12.3 Die Ordnung des Prozesses der Beiratsarbeit
399
Die meisten Aspekte, die wir im Folgenden ansprechen, sind allerdings keine Regeln. Es sind eher Usancen, Gebräuche, aber auch individuelle Festlegungen des Sitzungsleiters. Die Quellen für diese Gepflogenheiten sind zumeist die Erfahrungen des Beiratsvorsitzenden in älteren Gremien, Gremien von größeren Unternehmen oder auch seine eigenen Ideen. Die Fortentwicklung solcher Bräuche wird heutzutage durch den Prozess einer regelmäßigen Evaluierung der Beiratsarbeit befruchtet. Da in den Evaluierungsprozess alle Beiratsmitglieder einzubeziehen sind, wird hier die Basis für Anregungen zur „Best Practice“ entscheidend verbreitert. Der Beirat als Kollegium Der Beirat ist ein Kollegialorgan. Seine Mitglieder sind untereinander gleichrangige Kollegen, deren gemeinsame Arbeit von einem Vorsitzenden geleitet wird. Ein Kollegium von Gleichen kann ein Beirat nur sein, wenn die Beiratsmitglieder unabhängig sind, also keine „imperativen“ Mandate mit Weisungsgebundenheit, etwa an bestimmte Gesellschaftergruppierungen, haben.340 Insbesondere wenn auch die Geschäftsführung als ein Kollegialorgan angelegt ist, muss Kollegialität vom Beirat beispielhaft vorgelebt werden. Es schadet daher nicht, die Grundsätze einer kollegialen Zusammenarbeit zu rekapitulieren. Ein Kollegium erbringt seine Arbeit gemeinschaftlich, das bedeutet, jeder hat nach seinem Vermögen zu dem gemeinschaftlichen Prozess beizutragen. Die Gedankenarbeit ist gemeinschaftlich zu vollziehen. Es wäre also nicht sachgerecht, wenn einer, zum Beispiel der Vorsitzende, ein anstehendes Thema durchdenkt und die hierbei zu treffenden Entscheidungen präjudiziert, während seine Kollegen sich dies alles nur anhören und kommentarlos zustimmen, wenn sie keine offensichtlichen Fehler entdecken. Vielmehr muss in einem echten Vier-Augen- oder Mehr-KöpfeProzess der vorgetragene Fall von allen Anwesenden mit durchdacht werden. Ein jeder, der einen für seine eigene Urteilsbildung oder die der anderen bedeutsamen Gesichtspunkt erkennt, hat ihn vorzutragen. Mit dieser Feststellung soll betont werden, dass nicht von jedem Einzelnen das Gleiche zu sagen beziehungsweise zu wiederholen ist. Es ist aber durchaus geboten, dass jeder den Gesichtspunkt nennt, der für sein eigenes Votum entscheidend ist, sofern mehr als ein solcher Gesichtspunkt zur Debatte steht. Um feststellen zu können, wie fundiert eine kollegial getroffene Entscheidung ist, muss man wissen, welche Argumente die einzelnen 340
Lutter, M./Krieger, G. (2002): S. 261.
400
12 Die Arbeitsweise des Beirats
Beiratsmitglieder zu ihrem jeweiligen Abstimmungsverhalten veranlasst haben. Die Kollegialität erfordert nun, dass man sich mit der Meinung der anderen argumentativ auseinandersetzt. Das Gegenteil eines kollegialen Zusammenwirkens bestünde darin, dass jedes Beiratsmitglied seine vorgefasste Meinung gleichsam als „Stimmbotschaft“ vorträgt und keiner sich mit einer abweichenden Meinung seines Kollegen argumentativ auseinandersetzen würde. Gerade dies kann aber eine Gefahr unzureichender Gesprächsführung sein.341 Die Beiträge des Einzelnen zur Willensbildung des Gremiums werden gewürdigt auf der Grundlage des gegenseitigen persönlichen Respekts der Kollegen, des Gewichts der jeweiligen fachlichen Kompetenz und persönlichen Erfahrung sowie der Schlüssigkeit der vorgetragenen Argumentation. Die hierarchische Stellung der Beiräte in ihren sonstigen beruflichen Umfeldern oder die Eigentümerposition eines Gesellschafters dürfen aber nicht geltend gemacht werden, um der eigenen Meinung zusätzliches Gewicht zu geben. Im Kollegium sind alle Mitglieder grundsätzlich gleich. Es kommt darauf an herauszufinden, was richtig ist, und nicht, wer Recht hat. Eine solche kollegiale Arbeit stellt hohe Anforderungen an die Einstellung und Disziplin der Beteiligten. Gerade Beiratsmitglieder, die in ihrem eigenen beruflichen Metier Chefpositionen einnehmen, in denen ihr Wort gilt, müssen sich hier in die ungewohnte Position der Gleichrangigkeit begeben. Es muss die Tugend des Zuhörens und Ausreden-Lassens geübt werden. Es gehört auch in Deutschland zur Etikette, sich vom Vorsitzenden das Wort erteilen zu lassen, auch wenn dies in einem kleinen Gremium vielleicht nicht immer so genau genommen wird. Im angloamerikanischen Kulturkreis sind die Regularien – The Rule of Order – für Sitzungen sehr viel ausgeprägter und werden durchaus strikt befolgt. Insbesondere für den oder die Gesellschafter, die in einem Beirat ein Mandat haben, ist dies eine Position, deren Bedingungen reflektiert werden müssen. Die Gleichrangigkeit der Kollegen und der Respekt vor dem Kollegium verbieten es, in Angelegenheiten des Beirats auf die besondere Machtstellung eines Gesellschafters Bezug zu nehmen. Die Vorgabe einer Entscheidung mit dem Argument „Es handelt sich schließlich um unser Geld“ ist das Ende des Kollegiums. Kein qualifizierter familienfremder Beirat wird sich dies gefallen lassen können. Welches wäre dann die angemessene Vorgehensweise, mit der Gesellschafter ihre Interessen im Beirat zur Geltung bringen könnten? Illustrieren 341
Vgl. unten Abschnitt 12.5.
12.3 Die Ordnung des Prozesses der Beiratsarbeit
401
wir den Fall mit einer kontroversen Frage in einem beliebigen Kollegium, zum Beispiel einem Kollegium der Geschäftsführung. Hier wird jeder Kollege seine Meinung und sein Urteil zu der vorgelegten Frage abgeben. Wenn diese Frage aber nicht das Gesamtinteresse des Unternehmens berührt, wird man letztlich, nach Anhörung aller Gesichtspunkte, die von dem sachlich zuständigen Kollegen vertretene Bewertung respektieren. Der Vorsitzende mag bei dieser Abklärung noch ein eigenes Gewicht auf die Waagschale bringen, aber dazu später. So wird man auch in einem Beirat bei einer Frage, in der Gesellschafterinteressen in besonderer Weise tangiert sind, dem Urteil der Gesellschafter unter den Beiräten – wenn es denn eine einheitliche Stellungnahme aller Gesellschafter in diesem Gremium gibt – ein besonderes Gewicht beimessen. Es sei denn, die anderen Beiratsmitglieder sehen im Votum des oder der Gesellschafter ein Fehlurteil oder sie konstatieren einen schwerwiegenden Konflikt zwischen der von den Gesellschafterbeiräten vertretenen Position einerseits und anderen gewichtigen Interessen des Unternehmens oder sonstiger – nicht im Beirat vertretener – Gesellschafter andererseits. Eine solche Kontroverse zwischen den Beiratsmitgliedern kann natürlich nicht im Beisein der Geschäftsführung erörtert werden. Sie darf auch nicht die Kollegialitätsbeziehung im Beirat zerstören. Der Vorsitzende wird also in solchen Situationen den Geschäftsordnungsbeschluss herbeiführen, dass die umstrittene Angelegenheit in der Gesellschafterversammlung zu erörtern ist. In der Gesellschafterversammlung sind die Gesellschafter legitimiert, ihre Machtbasis, ihre Stimmrechte, einzusetzen. Im Beirat wäre in diesem Falle eine Abstimmung nicht tunlich, ja sie wäre eine Tabu-Verletzung. Ein Kollegium ist eine vertrauliche, ja fast intime Veranstaltung. Vertrauen wird durch die Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortung über eine lange Zeit aufgebaut. Dieser Charakter verträgt keine häufig wechselnde Zusammensetzung und keine Teilnahme anderer als der Mitglieder des Beirats und der Geschäftsführung342. Das Vorsitz-zentrierte, das Ausschuss-zentrierte und das Plenum-zentrierte Arbeiten Im Bereich der Tätigkeit von Aufsichtsräten ist es üblich, für die Bearbeitung bestimmter Sachgebiete Ausschüsse einzusetzen. Über diese Möglichkeit verfügen natürlich auch die Beiräte von Familienunternehmen. Ausschüsse können nur vom Beirat selbst „aus seiner Mitte“ eingesetzt werden. 342
Vgl. in Analogie zum Aufsichtsrat Lutter, M./Krieger, G. (2002): S. 224 ff.
402
12 Die Arbeitsweise des Beirats
Es handelt sich hierbei um eine Regelung zwischen den Mitgliedern dieses Organs: Ein Ausschuss arbeitet für das gesamte Organ. So sieht dies auch das Aktiengesetz für den Aufsichtsrat in §107 Abs. 3 AktG vor. Weder die Satzung noch die Hauptversammlung können hier Vorschriften machen. Selbstverständlich können nur Mitglieder des Organs Mitglieder seiner Ausschüsse sein. Die Bildung von Ausschüssen wird in der Literatur zum Aufsichtsrat und zur Corporate Governance als ein Königsweg gesehen, um die Arbeit des Organs Aufsichtsrat zu verbessern.343 Dieser Auffassung liegt die Vorstellung zugrunde, dass in einem Ausschuss mehr Zeit für die Behandlung spezifischer Aufgabenstellungen zur Verfügung stünde und durch die Spezialisierung der Mitglieder ein höheres Leistungsniveau gegeben sei. Es ist mir nicht klar, woher diese Hoffnung genommen wird. Die großen Fehlurteile bei Personalentscheidungen und Corporate-Governance-Themen in Aufsichtsräten konnten vielleicht nur deshalb entstehen, weil die Dinge in einem kleinen Kreis von Ausschussmitgliedern „geregelt“ wurden. In einem überschaubaren mittelständischen Unternehmen mit seinem kleinen Beirat wird dieser in der Regel keine Ausschüsse bilden – oder dies nur themenbezogen und fallweise tun. Vorzugsweise wird er als Plenum agieren. Dies hat u. a. zur Folge, dass die Interaktion zwischen Geschäftsführung und Beirat in der Regel mit dem gesamten Beirat stattfinden kann, wenn nicht einer der Gesellschafter den Anspruch erhebt, „sich intensiver um das Geschäft zu kümmern“. Liegt der Beiratsvorsitz bei einem Mehrheitsgesellschafter, dann wird dieser seine Vorsitzenden-Rolle allerdings mit einer großen Intensität wahrnehmen wollen. Als Vorsitzendem steht es ihm – in jeder Beiratskonstellation – zu, zwischen den Sitzungen des Beirats die Berichte der Geschäftsführung entgegenzunehmen, sich über den Geschäftsverlauf zu informieren und die Themen für die nächsten Beiratssitzungen zu klären. Kurzum: Zwischen den Beiratssitzungen ist der Vorsitzende „der Beirat“ für die Geschäftsführung. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Intervalle zwischen den Beiratssitzungen ziemlich lang sind. Der Übergang zu einer Fernsteuerung der laufenden Geschäftsführung durch den Vorsitzenden des Beirats wird dann eine vorprogrammierte Möglichkeit. Es kann sein, dass dies vom Beirat auch nicht anders gewollt ist. Wenn man zum Beispiel das Instrument des Beirats in einer Konzernstruktur betrachtet, so kann dies genau die gewollte Funktion des Beiratsvorsitzenden sein. Bei einer Familiengesellschaft könnte es aber durchaus problematisch und von allen 343
Königswieser/Artho/Gebhardt (2004): S. 6.
12.3 Die Ordnung des Prozesses der Beiratsarbeit
403
Beteiligten ungewollt sein, das erfolgte Ausscheiden des Gesellschafters aus der Geschäftsführungsverantwortung auf diese Weise wieder zu verwischen. Das Ungute, weil Ungeordnete, in dieser Konstellation ist es ja, dass einerseits nicht klargestellt ist, wo die Zuständigkeit für die Leitung des Unternehmens liegt, und dass andererseits diese Zuständigkeit von der hierarchisch höher gestellten Instanz des Beiratsvorsitzenden in Anspruch genommen werden kann, ohne dass dieser auch die Verantwortung übernimmt. Die Tragik für die Entwicklung des Unternehmens kann darin liegen, dass der bei jedem Unternehmen im Zeitablauf notwendige Nachfolgeprozess nicht oder nicht eindeutig oder nur verzögert abläuft. Die nötige Ordnung muss vom Beirat geschaffen werden. Der Geschäftsführung wäre es kaum möglich, eine zu ausgedehnte Wahrnehmung der Vorsitzendenfunktion einzuschränken. Von vornherein wird dieser Gefahr gewehrt, wenn der Mehrheitsgesellschafter nicht den Beiratsvorsitz, sondern einen normalen Beiratssitz oder den des stellvertretenden Vorsitzenden einnimmt. Dann muss aber der tatsächliche Vorsitzende auch seine Vorsitzfunktionen aktiv und persönlich wahrnehmen. Dies gilt im Übrigen für alle organisatorischen Regelungen: Sie erfüllen ihren Zweck nur, wenn sie von den Beteiligten intentionsgerecht gehandhabt und ausgefüllt werden. Zur Stärkung der Stellung des Beirats gegenüber einem GesellschafterVorsitzenden sind ferner kürzere Sitzungsintervalle – also zum Beispiel quartalsweise Sitzungen – zu erwägen. Gewichtige Genehmigungsvorbehalte und sonstige bedeutsame Zuständigkeiten des Beirats stärken die Funktion des Gesamtgremiums und können die Geschäftsführung von Einzelinterventionen des Mehrheitsgesellschafters als Vorsitzenden bewahren. Dieser Aspekt ist interessant, denn selbstbewusste Geschäftsführungen neigen meist dazu, die Genehmigungsvorbehalte des Beirats als eher lästige Einschränkung ihrer Befugnisse zu sehen. In der Tat sind diese Vorbehalte aber ein wichtiges Ordnungselement auch im Interesse der Geschäftsführung. Wo eine Zuständigkeit des Beirats spezifisch vorgesehen ist, kann, ja muss die Geschäftsführung darauf dringen, einen ordnungsgemäßen Beschluss des Beirats zu erhalten. Auch ein Gesellschafter als Beiratsvorsitzender wird es nicht „wagen“, den Beirat zu umgehen. Eher kann für ihn die Versuchung darin bestehen, den Beirat zu präjudizieren, indem er ihm berichtet, dass er der Geschäftsführung bereits gesagt habe, wie vorgegangen werden solle, und er nun den Beirat bitte, dies auch förmlich so zu beschließen. Wenn der Beirat mit verantwortungsvollen Personen besetzt ist, werden sie zwar in dieser Sitzung so vorgehen und den Gesellschafter vor der Geschäftsführung nicht desavouieren, sie werden aber zugleich den Gesellschafter im vertraulichen Gespräch darauf aufmerksam machen,
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dass er so nicht handeln kann. Tut er dies trotzdem wieder, geht er das Risiko ein, alsbald gewichtige Beiratsmitglieder zu verlieren und später auch tüchtige Geschäftsführer. Die Funktion des Vorsitzenden als Projektmanager des Prozesses Beiratsarbeit Der besonderen Bedeutung des Beiratsvorsitzenden wird nachfolgend ein gesondertes Kapitel gewidmet. In allen Aspekten stößt man immer wieder auf seine hervorgehobene Rolle. Hier möchte ich nur seine formalen Funktionen im Rahmen der Arbeit des Kollegiums ansprechen: • Der Vorsitzende ist die Verbindung zwischen Beirat und Geschäftsführung und zwischen Beirat und Gesellschaftern. Die Geschäftsführung wendet sich an ihn, wenn sie Anliegen an den Beirat hat. Die Beiratsmitglieder wenden sich an ihn, wenn sie etwas von der Geschäftsführung erfahren wollen. • Der Vorsitzende hat die Sitzungen vorzubereiten und hierbei insbesondere alle erörterungsbedürftigen Themen zu erfassen, wie sie sich aus seinen Kontakten mit der Geschäftsführung, aber auch aus Initiativen der Gesellschafter und der anderen Beiratsmitglieder ergeben. • Schließlich leitet er die Sitzungen und damit obliegt ihm die Gesprächsführung im Beirat. Im Rahmen der Gesprächsführung hat der Vorsitzende des Beirats folgende Aufgaben und Pflichten: • Er ruft die Tagesordnungspunkte auf; er kann sogar die Reihenfolge der zu behandelnden Punkte verändern und Punkte vertagen. • Er setzt Zeitvorgaben für die Behandlung der einzelnen Besprechungsthemen. • Er erteilt das Wort an die Geschäftsführung. Regelmäßig beginnt die Behandlung eines Themas mit einem Bericht der Geschäftsführung. • Er eröffnet die Diskussion. • Er erteilt das Wort an die Kollegen, die dies wünschen, und fordert erforderlichenfalls einzelne Mitglieder von sich aus auf, sich zu äußern. • Er schließt die Diskussion. • Er fasst das Ergebnis der Diskussion zusammen und befindet, ob ein Beschluss gefasst werden kann. Sofern dies nicht der Fall sein sollte, schlägt er das weitere Prozedere vor.
12.3 Die Ordnung des Prozesses der Beiratsarbeit
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Dies sind die logischen Elemente der Gesprächsführung. Ob sie jeweils explizit angekündigt werden, ist nicht so wichtig. Vielfach wird in kleinen Gesprächsrunden von Menschen, die schon lange zusammenarbeiten, darauf verzichtet. Dies verändert aber nicht die Aufgabe, diese notwendige Struktur einzuhalten. Die formalen Schritte der Gesprächsführung sagen aber noch nicht genug über die Möglichkeiten der Beeinflussung der Willensbildung des Gremiums durch seinen Vorsitzenden aus, worauf wir im weiteren Verlauf noch kommen werden. Die Agenda für die Arbeit mit der Geschäftsführung nach Standard bzw. Checklisten oder nach Anlass Wie kommt es zur Tagesordnung für Beiratssitzungen? Zumeist gibt es hier Traditionen, von denen aus sich die Praxis weiterentwickelt. Wie bei allen Routinen bedarf diese von Zeit zu Zeit einer Überprüfung. Eine Evaluierung der Beiratsarbeit, ein personeller Wechsel im Vorsitz mögen hierfür der Anlass sein. Üblicherweise wird der Vorschlag für die Tagesordnung von der Geschäftsführung gemacht. Das ist auch in Ordnung so, wenn dies ein Vorschlag an den Beiratsvorsitzenden ist und dieser sich dann intensiv damit befasst. Eine erste, etwas fahrlässig einfache Form der Tagesordnung wäre ein immer gleicher Katalog etwa in der Art: • Verabschiedung des Protokolls der letzten Sitzung, • Bericht über die Geschäftslage und besondere Ereignisse, • Jahresabschluss beziehungsweise Planung – je nach Jahreszeiten, • Investitionen und andere zustimmungsbedürftige Geschäfte, • Verschiedenes, • Termine. Mit einer Tagesordnung dieser Art liegt es ausschließlich in der Hand der Geschäftsleitung, worüber sie berichten möchte und wie lange. Der Bericht über die Geschäftslage nimmt dann meist einen großen Raum ein. Anlässlich dieses Berichtes entzündet sich an einem meist nicht vorhersehbaren Punkt eine Grundsatzdiskussion über die Zukunftsaussichten eines Betriebes oder einer Produktgruppe. Diese Grundsatzdiskussion flackert auf und entschwindet im Unbestimmten, da mangels Vorbereitung und strukturierter Durcharbeitung des Themas auch keine Schlussfolgerung zu ziehen war.
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Im günstigen Fall entwickelt sich aus solchen sporadischen Diskussionen oder aus einzelnen Anlässen ein Thema, das gleichsam als Tiefensonde in einen Problembereich einführt. Hierbei handelt es sich also um Anlassinduzierte Sonderthemen. Da können einmal die Wettbewerbsfähigkeit untersucht und ein anderes Mal die Entwicklung der Marktanteile über eine längere Zeit hinweg dargestellt und die Ursachen ihrer Veränderung erläutert werden. Fragen wir systematischer, was auf die Agenda einer Beiratssitzung gehört, dann gibt es hierzu verschiedene Quellen: • Die Tagesordnungspunkte, die sich aus den Funktionen des Beirats ableiten, also o o o o
Information zur Bestimmung der Lage, Überwachung der Geschäftsführung, Genehmigungsvorbehalte, Beratungsthemen.
• Tagesordnungspunkte, mit denen der gesamten Organisation die Bedeutung eines Themas vermittelt werden soll: Hierzu gehört die regelmäßige Berichterstattung über kritische Erfolgsfaktoren des Unternehmens, deren Bestimmung aus der Lage und der Ableitung der Herausforderungen gewonnen wird. Wenn der Beirat sich über die Programme zur Qualitätssicherung, zu Innovationsprojekten, zur Personalpolitik berichten lässt, dann ist dies im Einfluss dieses Maßnahmenbereiches auf den Unternehmenserfolg begründet. Wenn demgegenüber die Berichterstattung über die Entwicklung der Arbeitsunfälle in die Tagesordnung aufgenommen wird, wird diesem Thema eine große Bedeutung aus dem Werteverständnis der Führung zugemessen und es wird aus diesem Grund – und nicht wegen der Ergebniswirkung – auf die Tagesordnung gesetzt. • Tagesordnungspunkte, die die Geschäftsführung einführt, um über ihre Leistungen zu berichten: Wie anders sollte der Beirat von bemerkenswerten Leistungen der Geschäftsführung erfahren als dadurch, dass darüber berichtet wird. Eine Tagesordnung muss ein vorgegebenes Zeitraster haben. Eine zumutbare Vorbereitung ist sonst nicht möglich. Auch der Beirat kann sich sonst nicht darauf einstellen, ob es sich bei einem Stichwort nur um eine kurze Unterrichtung oder um eine eingehende Präsentation mit der Notwendigkeit einer intensiveren Diskussion handelt. Der Zeitbedarf für die Diskus-
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sion wird im Übrigen chronisch unterschätzt. Wenn die Diskussion es erforderlich macht, kann der vorgesehene Zeitrahmen beliebig überschritten werden. Es ist wichtiger, dass eine diskussionsbedürftige Sache abschließend geklärt wird, als dass der Zeitplan eingehalten wird. Daher braucht man in jeder Tagesordnung auch Themen, die erforderlichenfalls gestrichen, stark gekürzt oder verschoben werden können. Sodann muss man sich darüber schlüssig werden, ob es besser ist, möglichst viele Themen von Wichtigkeit zu erfassen und dafür jeweils eine kürzere Behandlung in Kauf zu nehmen, oder ob es besser ist, wenige Themen sehr eingehend zu erörtern. Für die eingehende Erörterung ist ohnedies eine längere Dauer der einzelnen Sitzungen erforderlich bei dann regelmäßig geringerer Anzahl der Sitzungen über das Jahr. Was zu den wichtigsten Themen im Unternehmen gehört, ergibt sich aus der Analyse der strategischen Lage, der Analyse der strategischen Erfolgsfaktoren und dem spezifischen Geschäftsmodell der Unternehmung. Hierüber muss in einem strategischen Diskurs ein Bild entworfen werden, bevor sinnvoll die Agenda der Beiratssitzungen über die Zeit hinweg entwickelt wird. Diesen Themen ist eigen, dass es nur zu reflektieren gilt: Es ist über keinen Antrag zu entscheiden. Für die Strategie zur Marktausweitung braucht man keine Genehmigung, wenn nicht genehmigungsbedürftige Investitionen damit verbunden sind. Im Unterschied zu den meisten Genehmigungsvorbehalten – von der Anschaffung einer Maschine bis zum Kauf eines Arrondierungs-Grundstücks – bedarf man hier der wirklichen Diskussion und Beratung. Im Unterschied zu den Ja-Nein-Entscheidungen eines Genehmigungsvorgangs braucht man für eine Reflexion und Argumentation aber ausreichend Zeit. Wenn also ein Thema so wichtig ist, dass es überhaupt auf die Agenda des Beirats kommt, muss dem Thema auch ausreichend Zeit gewidmet werden können. Dieser Aspekt hat Vorrang und muss dazu führen, dass weniger wichtige Themen gar nicht auf die Agenda des Beirats gesetzt werden. Beim Abwägen der Art und der Anzahl der zu behandelnden Themen sollte noch eine wichtige Funktion der Tagesordnung des Beirats berücksichtigt werden. Eine Unternehmensleitung muss durch sichtbare Zeichen deutlich machen, was in dem Unternehmen für den Erfolg maßgebend ist. Wichtige Anliegen müssen in der Geschäftsführung regelmäßig behandelt werden und über wichtige Anliegen muss auch im Beirat berichtet werden. Wenn also ein Unternehmen davon überzeugt ist, dass Qualität der Schlüsselfaktor für den Erfolg ist, dann muss einmal im Jahr über dieses Thema im Beirat berichtet werden. Oder aber, wenn Forschung und Entwicklung
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sowie Innovationen der Schlüssel zur Zukunftssicherung sind, dann muss hierüber berichtet werden. Dadurch, dass das Thema auf die Tagesordnung der höchsten Instanz in der Unternehmung gesetzt wird, wird seine Bedeutung sichtbar signalisiert. Die Vorbereitung für diese Präsentation spricht sich im Unternehmen herum. Es ist dann schon fast gleichgültig, wie lange zu diesem Punkt referiert wird – es mag eine einzige Folie aus den vorher verteilten Unterlagen genügen. Dieser Aspekt spricht dafür, dass im Laufe von einem oder zwei Jahren alle wichtigen Themen wenigstens kurz behandelt werden. Der CEO-zentrierte versus den Ressort-zentrierten Vortrag Die Information des Beirats ist immer eine Information durch die Geschäftsführung. Derjenige, der an den Beirat berichtet, ist immer die Geschäftsführung – nicht ihre Mitarbeiter.344 Eine Unterscheidung zwischen dem Informationsgeber – dem Ersteller der Information, z. B. dem Projektleiter eines bestimmten Projekts – und dem Informationsvermittler – der Geschäftsführung –, wie M.R. Theisen sie postuliert345, ist überflüssig, ja geradezu irreführend: Aus der Sicht des Beirats ist ein Bericht immer eine Information von Seiten der Geschäftsführung; sie hat für deren Qualität voll einzustehen. Die Geschäftsführung hat ja alle Macht, die Qualität einer Information sicherzustellen. Wenn dies aus Zeitgründen noch nicht geschehen konnte, aus Gründen der Eilbedürftigkeit jedoch bereits eine Information des Beirats geboten war, dann ist auf die „Quellenlage“ dieser Information ausdrücklich hinzuweisen. Für die Dramaturgie, wer den Vortrag für die Geschäftsführung übernimmt, gibt es zwei unterschiedliche Modi: • Dominanz der Berichterstattung durch den Vorsitzenden der Geschäftsführung, • Berichterstattung primär durch die Ressortzuständigen und nur dann durch den Vorsitzenden der Geschäftsführung, wenn es um Themen der Gesamtzuständigkeit der Geschäftsführung und solche von überragender strategischer Bedeutung geht. Die dominante Berichterstattung durch den Vorsitzenden, beziehungsweise bei Themen der Ergebnisberichterstattung durch den CFO, ist typisch für 344
345
Potthoff, E./Trescher, K. (2003): S.90: so eindeutig für die Berichterstattung des Vorstands an den Aufsichtsrat. Theisen, M.R. (2002): S. 10.
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eine Geschäftsführung nach dem Präsidialprinzip. Sie findet sich ferner häufiger bei relativ großen Kollegien, da bei ihnen die Gleichmäßigkeit der Berichterstattung durch jeden Geschäftsführer nicht mehr sinnvoll zu gewährleisten ist. Der vom Vorsitzenden dominierte Vortrag ist weiter dann erforderlich und auch gebräuchlich, wenn die Vorabstimmung zwischen dem Vortragenden und dem Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums für die Willensbildung wichtig ist. Eine kritische Fragestellung besteht darin, ob sich das Aufsichtsgremium selbst Informationen beschaffen oder von Dritten erarbeiten lassen soll. Malik meint hierzu – allerdings geprägt von dem One-Tier-System des Boards in der Schweiz und anderen Ländern – Folgendes: „Damit stellt sich einer der heikelsten Punkte, nämlich der schmale Grat zwischen Zugang zu allen zweckmäßigen Informationen einerseits und der damit unter Umständen verbundenen Unterminimierung der Geschäftsleitung andererseits … Ein sehr probates Mittel, um den Informationsstand, die Beurteilungsgrundlagen, aber auch das Verständnis der Mitglieder des Verwaltungsrats für die Funktionsweise des Unternehmens zu verbessern, ist deren Mitwirkung in Projekten, die von zentraler und gesamthafter Bedeutung sind.“346 In dem System der Trennung von Aufsicht und Geschäftsleitung in Deutschland ist der Fall, dass sich das Aufsichtsgremium originär durch Informationen von Dritten unterrichten lässt, schwer vorstellbar. Allenfalls dann, wenn es sich um die Aufklärung und Beurteilung von möglichen Verfehlungen von Mitgliedern der Unternehmensleitung handelt, kann oder muss sogar das Aufsichtsgremium einen solchen Weg gehen. Damit ist allerdings die Vertrauensbasis zu dem betroffenen Mitglied der Unternehmensleitung bereits in Frage gestellt. Die Information des Aufsichtsgremiums Wir sprechen hier über die prozessualen Aspekte der Informationsversorgung des Beirats als des gesamten Gremiums – nicht des Beiratsvorsitzenden. Für dessen Unterrichtung gelten andere Grundsätze. Bei der Informationsversorgung des Beirats gibt es folgende Optionen zu bedenken: • Welche Informationen sollen regelmäßig – zum Beispiel monatlich – ohne zeitlichen Zusammenhang mit einer Beiratssitzung versandt werden?
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Malik, F. (1998): S. 193 f.
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• Welche Informationen sollen – rechtzeitig – vor der Sitzung versandt werden? • Welche Informationen sollen erst in der Sitzung vorgetragen werden? Eine regelmäßige Information des Beirats über den Geschäftsverlauf ist weder erforderlich noch zweckmäßig. Eine Information soll dann erfolgen, wenn man eine Reaktion des Informationsempfängers erwartet – eine Prüfung, ein Kommentieren, ein Gutheißen. Wenn dies nicht erforderlich ist, sollte man die Information unterlassen. Sie wird dann nämlich nur kursorisch gelesen, mehr und mehr gar nicht mehr angesehen, und zwar auch dann nicht, wenn sie vielleicht angesehen werden müsste, weil sie alarmierend ist. Es sollte vielmehr nur der Beiratsvorsitzende regelmäßig über den aktuellen Geschäftsgang informiert werden. Er muss sich damit soweit auseinandersetzen, dass er erkennen kann, ob ein Sonderbericht der Geschäftsführung erforderlich und eventuell sogar eine außerordentliche Sitzung des Beirats einzuberufen ist. Es besteht offenbar ein generelles Problem, schriftliche Informationen vor einer Gremiensitzung rechtzeitig zu versenden. Conger347 u. a. berichten von Interviews, in denen sich mehrere Aufsichtsratsmitglieder – hier allerdings amerikanischer Gesellschaften – darüber beklagen, dass zu viel Zeit in der Sitzung mit dem Vortrag der operativen Zahlen verschwendet wird, was dem Gremium durch die vorherige Verteilung der schriftlichen Unterlagen erspart werden könnte. Das Problem des rechtzeitigen Versandes ist manchmal darauf zurückzuführen, dass man alle Unterlagen für eine Sitzung auf einmal versenden möchte. Da von mehreren Berichten immer eine Unterlage quasi naturgesetzlich zum allerletzten Termin fertig wird, kann der Versand immer erst knapp vor der Sitzung erfolgen. Rechtzeitig ist ein Versand eigentlich nur, wenn zwischen Empfang der Unterlagen und Sitzung zwei Wochenenden zur Verfügung stehen. Beiratsmitglieder mit einem normalen Beruf sind innerhalb der Woche ohnedies verplant und können sich den „Hausaufgaben“ für ein externes Mandat nur am Wochenende widmen. Wenn dann ein Wochenende schon belegt ist … Für manche Unterlagen wäre dies aber tatsächlich ein zu langer Vorlauf. Die probate Lösung für dieses Problem besteht darin, einfach darauf zu verzichten, alle Unterlagen auf einmal versenden zu wollen. Aufsichts- und Beiratsmitglieder begrüßen es, wenn sie für das Studium des Großteils der für eine Sitzung benötigten Unterlagen ausreichend Zeit zur Verfügung haben und
347
Conger, J.A. et al. (2001): S. 83.
12.4 Eine Standard-Agenda für Beiräte
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dann nur noch die letzten Unterlagen kurz vor dem Sitzungstermin erhalten – für deren Studium sich dann die Zeit schon findet. Grundsätzlich sollte alles, was reine Fakteninformation ist, vorher versandt werden, damit die Zeit der Beiratssitzung für die qualitative Erläuterung der Geschäftsvorgänge und die Diskussion der über die Verfolgung des operativen Geschäftsgangs hinaus reichenden Anliegen zur Verfügung steht. Andererseits sollten die Unterlagen zu komplexen Themen, zum Beispiel einer Strategiefrage, auch einer Akquisition, nicht vorher schriftlich verteilt werden. Das Risiko, dass eine PowerPoint-Präsentation missverständlich ist, dass die Argumentationslogik mit knappen Stichworten nicht vermittelt werden kann, ist zu groß. Wenn es darum geht, dass ein Gedanke entwickelt und möglichst überzeugend begründet werden muss, ist der Informationsgehalt eines mündlichen Vortrags und der ergänzenden Diskussion nicht von einer schriftlichen Information zu erreichen. Man sollte sich daher auf diese mündliche Information beschränken.348
12.4 Eine Standard-Agenda für Beiräte Jedes Gremium hat seine eigene Tradition, die sich auch in den spezifischen Usancen seiner Tagesordnung ausdrückt. Ich habe zumindest noch keinen gleichartigen Aufbau der Tagesordnung in zwei Unternehmen gesehen. Auch wenn ich die Bedeutung der individuellen Tradition eines jeden Beiratsgremiums anerkenne, beruht die Tradition für die Tagesordnung doch auf individuellen oder kollektiven Überlegungen. Diesen möchte ich nun noch einen Leitfaden als Vorschlag hinzufügen. Ich gliedere zunächst den Ablauf einer Beiratssitzung in vier Teile: • Regularien und Überblick, • Standardprogramm von „Pflichtthemen“, • Beschlüsse, • Informations- und Beratungsprogramm. Der Überblick Der Überblick vermittelt das, was der Name sagt: Er dient zur Vorbereitung und Organisation der Sitzung. Dies umfasst 348
Siehe oben zum Vortrag der Geschäftsführung in Kapitel 7.3.
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
• Feststellung der Einhaltung der Regularien zur Einberufung der Sitzung (immer ordnungsgemäß und rechtzeitig) und Protokollierung der Präsenz. • Antrag auf Genehmigung der Tagesordnung (zum Ersten!): Wenn es hier Wortmeldungen gibt, weiß der Sitzungsleiter gleich, dass dies eine „besondere“ Sitzung werden wird. • Genehmigung des Protokolls der letzten Sitzung: Auch dies ist eine Hygienefrage. Wer hier einen „Pflock einschlägt“, tut das als Vorbereitung für weitere Einlassungen in der nachfolgenden Sitzung. • Vorstellung der „To-do-List“ sowie der Wiedervorlage oder Traktandenliste: In dem hier propagierten Konzept der sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Strategieerörterung ist eine Liste der noch zu erörternden Themen und Einzelfragen unabdingbar. Darin sind alle „Aufträge“ verbucht, die der Beirat der Geschäftsführung gegeben hat, ergänzt um die Termine für deren Behandlung. Diese Liste gehört mit zum Protokoll. Die Bitte an die Unternehmensleitung, den Stand der Erledigung kurz mitzuteilen, gehört zum normalen Prozedere. • Bericht zur Lage des Unternehmens – nicht länger als 20 Minuten – etwa im Präzisionsgrad einer Pressekonferenz. Das Ziel ist eine Einführung in die Tagesordnung: o Welche Ereignisse seit der letzten Sitzung sind zu berichten? o Wo steht das Unternehmen? o Was sind die Herausforderungen? Es geht um die Lage des Gesamtunternehmens – nicht um das regelmäßige Durchdeklinieren der Produktgruppen oder Märkte. Durch diesen Vorspann soll noch einmal deutlich gemacht werden, welches die Schwerpunkte der Tagesordnung sein müssen. Es wäre ja offensichtlich frivol, sich angesichts eines drastischen Ergebniseinbruchs nur mit dem ursprünglich vorgesehenen Thema der langfristigen Forschungspolitik zu beschäftigen. Das Standardprogramm Das Standardprogramm ergibt sich aus den Pflichten der Geschäftsführung und des Beirats „im Geschäftsjahr“. Dazu gehören Standardvorgänge wie • Erläuterung des Jahresabschlusses und Bericht zur Prüfung,
12.4 Eine Standard-Agenda für Beiräte
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• Erläuterung der Planung und Budgetierung, • etwaige Kapitalmaßnahmen, • etwaige Personalmaßnahmen, • etwaige Beschlüsse zu Kooperationen und Akquisitionen, • insgesamt alle „genehmigungsbedürftigen“ Geschäfte. Idealerweise werden Fragen geäußert und vom Sitzungsleiter aufgenommen, dann aber zur geordneten und eingehenden Erörterung unter der Rubrik „Information und Beratung“ in eine der nachfolgenden Sitzungen verwiesen. Macht der Vorsitzende dies nicht, resultiert dies mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem unverhältnismäßig großen Zeitanteil für den Lagebericht und entsprechend weniger Zeit für die systematische Erörterung der vorliegenden Probleme. Die Beschlüsse Nach dem Vortrag zum Tagesordnungspunkt 2 sind zumeist Beschlüsse des Beirats zu erörtern. Ein Großteil der Beschlüsse benötigt keine lange Erörterung. Eine sorgfältig formulierte Beschlussvorlage ist selbsterklärend. Der Antrag zu einem komplexen Thema ist hier als Entwurf mit aufzunehmen, gleichsam als Vorankündigung zu dem nachfolgenden Informations- und Beratungsprogramm. Das Informations- und Beratungsprogramm Während die ersten drei Gruppen der Tagesordnung gleichsam verpflichtend vorgegeben sind, bietet der nun zu erörternde Teil der Agenda einen Raum für die freie Gestaltung der Beiratsarbeit ohne zeitliche Einengung. Es lohnt sich also darüber nachzudenken, wie dieser Teil zu gestalten ist. Man kann noch relativ leicht den generellen Plan fassen, regelmäßig strategische Themen in den Beiratssitzungen zu behandeln. Wenn man dann aber keine Wegleitung gibt, wie die geeigneten Themen zu finden sind, kann es sein, dass die verfügbare Zeit nicht intensiv genutzt werden kann, weil man ad hoc Themen „aus dem Hut zaubern“ muss. Eine praktikable Wegleitung erscheint mir zu sein, die übergeordneten Sachgebiete der Unternehmensstrategie abwechselnd als Generalthema vorzugeben, also: • Markt und Wettbewerb, • Ertragsstrategie,
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
• Wachstumsstrategie, • kritische Erfolgsfaktoren des jeweiligen Geschäftsmodells wie Qualitätsniveau, Neu-Kunden-Gewinnung oder was immer die Spezifika sind. Dieser Ansatz hat den Vorzug, dass ein Generalthema als „Hausaufgabe“ gestellt wird und dass diese in einem systematischen Ansatz mit einem gewissen Tiefgang zu behandeln ist. Die regelmäßige Erörterung der einzelnen Generalthemen, zum Beispiel im Jahresabstand, führt zu einer Kontinuität in der Erörterung; Entwicklungen und Richtungsänderungen werden sichtbar. Als Umsetzung derartiger Wegleitungen könnte zum Beispiel folgender Themenplan für ein Jahres-Sitzungsprogramm (angenommen vier Sitzungen) entworfen werden: Tabelle 6. Themenplan für das Jahres-Sitzungsprogramm 1. Sitzung 1. Regularien und Übersicht
2. Sitzung 1. Regularien und Übersicht
3. Sitzung 1. Regularien und Übersicht
4. Sitzung 1. Regularien und Übersicht
2. Standardthemen 2. Standardthemen 2. Standardthemen • Jahresabschluss • Personalia • Personalia • Personalia • Genehmigungs• Genehmigungsbedürftige bedürftige • GenehmigungsGeschäfte Geschäfte bedürftige Geschäfte
2. Standardthemen • Budgets/Planung • Personalia • Genehmigungsbedürftige Geschäfte
3. Beschlüsse
3. Beschlüsse
3. Beschlüsse
3. Beschlüsse
4. Information und Beratung Risikomanagement
4. Information und Beratung Ertragsverbesserungsprojekte
4. Information und 4. Information und Beratung Beratung UnternehmensentInnovationsprojekte wicklung – Wachstumsprojekte
Es besteht bei Geschäftsführungen zumeist die Neigung, mit der Schilderung der aktuellen Lage Grundsatzaussagen zur Unternehmensstrategie zu verbinden. Und ebenso neigen Beiratsmitglieder dazu, mit Fragen und Kommentaren zur aktuellen Lage in die Erörterung der Strategie einzusteigen. Gerade aber dann, wenn eine angemessene Diskussion strategischer Themen sichergestellt werden sollte, sollte deren Erörterung nicht mit dem Kurzbericht zur Lage vermischt werden. Die Notwendigkeit des regelmä-
12.5 Die Dynamik der Gesprächsführung im Beirat
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ßigen Wiederaufrufs eines Themas zeigt sich zum Beispiel beim Thema „Markt und Wettbewerb“. Ein Status allein sagt hier noch gar nichts. Die Geschäftsführung neigt dazu, über den Wettbewerb vorwiegend nur dann zu berichten, wenn es Gutes über die eigenen Aktionserfolge zu erzählen gibt. Das ist verständlich. Für die Erörterung der strategischen Herausforderungen ist aber vorwiegend die Veränderung, das Delta in den Strukturen, über die Zeitachse wichtig. An diese Veränderungen wird der Beirat nur herangeführt und kann sich nur dazu äußern, wenn hierüber – über die Deltas – auch in regelmäßigen Zeitabständen berichtet wird.
12.5 Die Dynamik der Gesprächsführung im Beirat Die Kommunikation unter Zeitbegrenzung Die freie Erörterung komplexer Probleme ohne Zeitdruck ist notwendiger Bestandteil einer guten Geschäftsführung. Allerdings unterscheidet sich die Kommunikation im Aufsichtsgremium von derjenigen innerhalb der Unternehmensleitung schon aus den ganz praktischen Gründen der verfügbaren Zeit. Die Unternehmensleitung kann und muss sich genügend Zeit nehmen, um die anstehenden Themen zu behandeln. Lange Sitzungen der Geschäftsführungen, Klausuren an abgeschiedenen Orten mit informeller Kommunikation während der Mahlzeiten und in den Abendstunden sind gebräuchliche Inszenierungen, um ein günstiges Gesprächsklima ohne zeitliche Einengung zu schaffen. Und wenn das dringliche Thema in einer Sitzung noch nicht angemessen behandelt werden kann, müssen eben weitere Sitzungen anberaumt werden. Im Beirat hingegen sind die Bedingungen nicht günstig dafür, dass sich ein reflektierendes Gespräch entwickelt. Die summarische Frage nach einem Vortrag der Geschäftsführung, „ob es dazu noch Fragen gebe und, wenn nicht, ob man dem Vorgetragenen also zustimmen könne …“, erfüllt sicherlich nicht die Anforderungen an ein konstruktives Gespräch. Unter den Zeitbeschränkungen leidet die Behandlung von schlecht strukturierten Suchthemen. Die Sitzungen stehen zumeist unter zeitlichen Restriktionen – nicht so sehr hinsichtlich der absoluten Zeit, die für eine Beiratssitzung angesetzt wird, wohl aber hinsichtlich der für die einzelnen Tagungsordnungspunkte zur Verfügung stehenden Zeit. Diese zeitliche Restriktion hat mehrere Folgen: • Priorität haben zumeist die Entscheidungsthemen, die Vorgänge, für die ein Genehmigungsvorbehalt besteht, die entschieden werden müssen.
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
• Der Darstellung des laufenden Geschäfts wird ebenfalls eine hohe Priorität zugewiesen. • Die in ihrem Umfang unbestimmten Beratungsaufgaben und Aufgaben der Hilfestellung müssen tendenziell hinter die Entscheidungsthemen zurücktreten. Es gilt daher den Rahmen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein Gespräch – und zwar ein gemeinsames Gespräch – zustande kommt. So müsste die rein darstellende Berichterstattung reduziert werden, um Raum für die Anlass-unabhängige Kommunikation über interessante, aber nicht notwendige Themen zu schaffen. Ist die Zahl der Beiratsmitglieder und der Geschäftsführer in der Summe klein genug – zum Beispiel bis zu sechs Personen – eignet sich vorzüglich ein gemeinsames Essen nach der Sitzung, um aus der straffen Tagesordnung der Sitzung nochmals wichtige Punkte herauszugreifen und zu erörtern. Oder aber man setzt ein Abendessen vor der Sitzung an, um diesen informellen Rahmen für Erörterungen, die Zeit brauchen, zu schaffen. Für umfangreichere Themen, aber auch für größere Kreise von Teilnehmern empfiehlt sich eine Klausur an einem anregenden Ort, an dem Vortrag, Pause, Gespräch und Entspannung miteinander verwoben werden können. Die ausreichende „Sendezeit“ für personenbezogene Beiträge der Geschäftsführer und der Beiratsmitglieder Ein Teil des Diskurses im Aufsichtsgremium ist unter den Aspekten der internen Public-Relations-Arbeit der jeweils Vortragenden zu sehen. Es ist selbstverständlich und auch notwendig, dass die Mitglieder der Geschäftsführung über Erfolge berichten, die durch ihre Arbeit zustande kamen. Das ist manchmal nicht ganz leicht zu bewerkstelligen, denn es verlangt ja einen Bericht ohne Entscheidungsantrag und ohne dass dieser sonst irgendwie als Tagesordnungspunkt qualifiziert wäre. Da die Unternehmensleitung jedoch die Inhalte der Berichterstattung beeinflussen kann, wird es ihr auch gelingen, eher am Rande liegende persönliche Erfolgsgeschichten unaufdringlich in den Vortrag mit einzubauen. In gleicher Weise haben natürlich die Mitglieder des Aufsichtsgremiums ihrerseits den Wunsch, durch Diskussionsbeiträge ihren Wert für dieses Gremium deutlich zu machen. Bei kleinen Gremien gelingt dies meist zwanglos im Rahmen der normalen Diskussionen. Bei großen Gremien kommt man ja nicht so häufig zu Wort und es muss dann schon einmal ein
12.5 Die Dynamik der Gesprächsführung im Beirat
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Anlass gesucht werden, bei dem man sich eingehend zu Wort melden kann. Absichtlich oder unabsichtlich ergeben sich persönliche Profilierungen, aus denen deutlich wird, was die besonderen Anliegen der jeweiligen Person sind. Die aus persönlichen Bedürfnissen vorgetragenen Kommentare, Hinweise und Mahnungen mögen aus der Sicht der vortragenden Unternehmensleitung redundant erscheinen. Sie dienen ja tatsächlich mehr der Profilierung des Sprechenden, als dass sie auf die Beeinflussung der vortragenden Unternehmensleitung zielen. Eine reife Reaktion der Adressaten dieser Kommunikation wertet diese Beiträge nicht nach ihrer unternehmenspolitischen Relevanz, sondern als eben das, was sie sind: Markierungen im gruppendynamischen Prozess eines solchen Gremiums. Dies verlangt, dass grundsätzlich jeder Kommentar von der Unternehmensleitung als Verbesserungsvorschlag gewürdigt wird. Und wenn schon kein Verbesserungsvorschlag aus dem gewürdigten Beitrag abgelesen werden kann, dann kann er als Bestätigung der vorgetragenen Empfehlungen apostrophiert werden, für die man dankbar ist, oder als eine zusätzliche Sicht des behandelten Problems herausgestellt werden, die der Vorstand in seine weiteren Überlegungen einbeziehen wolle. Der Rat als Möglichkeit zur Meinungsäußerung für jedes einzelne Beiratsmitglied Bei der Entgegennahme der Berichterstattung und bei der Ausübung von Zustimmungsvorbehalten agiert der Beirat als Gesamtgremium. Bei der Entgegennahme der Berichterstattung ist es durchaus üblich, dass einzelne Mitglieder des Beirats eine Kommentierung zum Vorgetragenen abgeben. Es ist aber nicht notwendig, dass dies reihum geschieht. Noch weniger wird bei der Ausübung von Zustimmungsvorbehalten erwartet, dass jedes Beiratsmitglied seinen Kommentar abgibt. Mitglieder, die ernsthafte Zweifel hegen, ob dem in Rede stehenden Antrag zugestimmt werden könne, werden ihre Bedenken natürlich artikulieren – obschon der Antrag vorher von der Geschäftsleitung in aller Regel mit dem Beiratsvorsitzenden abgestimmt worden ist. Allerdings werden bei komplexen Sachthemen an den reinen Genehmigungsvorgang zumeist Beratungen angeschlossen, in denen Empfehlungen zur Durchführung des Beantragten, Hinweise auf zu beachtende Randbedingungen oder Gefahren der Geschäftsleitung mit „auf den Weg“ gegeben werden. Dies ist dann ein Beratungsteil, gleichsam nur anlässlich der Genehmigung des Vorgangs.
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
In der Beratung agiert der Beirat zunächst nicht als Gesamtgremium, sondern der jeweilige Ratschlag ist eine Aussage eines einzelnen Beiratsmitglieds. Der Rat wird aus der persönlichen Fachkompetenz, der persönlichen Erfahrung und den persönlichen Überzeugungen zu Zielen und Randbedingungen einer Politik gewonnen. Andere Beiratsmitglieder können wiederum aufgrund ihrer eigenen Erfahrung einen bereits geäußerten Rat bestätigen, verstärken, generalisieren, ergänzen und welche Erweiterung auch immer denkbar ist; sie können natürlich – ebenfalls aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung – auch anders geartete Ratschläge geben. Die Gelegenheit für das beratende Gespräch ist nicht nur im Interesse der Geschäftsführung zu schaffen, sondern auch im Interesse der Beiratsmitglieder. Die Beiratsmitglieder wollen ja gegenüber „ihren Geschäftsherren“, den Gesellschaftern, gegenüber der interessierten Öffentlichkeit sowie gegenüber der Geschäftsführung demonstrieren, worin ihr spezifischer persönlicher Beitrag liegt, und damit ihre Berechtigung, diesem Gremium anzugehören. Durch eine Beratungsaussage hat ein Beiratsmitglied Gelegenheit, seinen persönlichen Wert für das Gremium immer wieder offenkundig zu machen. Aus diesem Grunde sollte das Protokoll der Beiratssitzung tunlichst jeden Redebeitrag eines Beiratsmitglieds vermerken. Die Moderation des Prozesses durch den Vorsitzenden Formal ist der Vorsitzende nur für die Gesprächsführung zuständig, deren wesentliche Elemente ich bereits skizziert habe. Tatsächlich hängt aber an dem Vorsitzenden darüber hinaus die Verantwortung für die Willensbildung im Beirat, die Qualität der Entscheidungsfindung und die „Richtigkeit“ der Entscheidungen. Die Aufgabe des Vorsitzenden besteht darin, jeden Antrag ernst zu nehmen, jedem Mitglied zu ermöglichen, als Kollege voll mitzuwirken349, die Erörterung der Beratungsgegenstände nicht ungebührlich zu beschränken, aber auch auf die gerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Zeit zu achten, auch durch Zuordnung der angekündigten Sachbeiträge zu den jeweiligen Agenda-Punkten. Ein nicht immer einwandfrei zu lösendes Dilemma ist das „üblicherweise“ zu erwartende Gebot der Neutralität des Vorsitzenden als Leiter der Verhandlungen gegenüber dem Inhalt.350 Als Vorsitzender soll er allen 349 350
Vgl. Pens, E.A. (1983): S. 32 f. Vgl. Pens, E.A. (1983): S. 38 f.
12.5 Die Dynamik der Gesprächsführung im Beirat
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Kollegen das Recht geben, mit ihrer Meinung gleichberechtigt zur Willensbildung beizutragen. Auf der Ebene der Sachargumentation ist der Vorsitzende ein Gleicher unter Gleichen. Andererseits hat er aber dafür Sorge zu tragen, dass das Gremium zu klaren Entscheidungen kommt. Hierfür hat der Vorsitzende geeignete Initiativen zu ergreifen, wie zum Beispiel: • die bisherige Beschlusslage in Erinnerung zu rufen, • Meinungsbeiträge zusammenzufassen und daraus eine konsensfähige Formulierung abzuleiten und als deren Quintessenz Formulierungen vorzuschlagen, die mit allen diesen Beiträgen kompatibel sind, • die Anschlussfähigkeit einer sich abzeichnenden Mehrheitsmeinung bei allen Mitgliedern zu erfragen, • den Abschluss der Meinungsbildung festzustellen, • darüber zu befinden, ob eine Angelegenheit nach der Diskussion als „beschlussreif“ angesehen werden kann, • Beschlussvorschläge zu formulieren. Die Gesprächsführung verlangt nicht, dass der Versammlungsleiter selbst intensiv an der Diskussion teilnimmt. Dies ist der Funktion der Sitzungsleitung eher abträglich. Daher sollte auch das Beiratsmitglied, das am meisten in der Sache mitredet, eher nicht in den Vorsitz gewählt werden. Dieses Argument mag dem früheren geschäftsführenden Gesellschafter, der in den Beirat überwechseln möchte, helfen, nicht den Vorsitz anzustreben. Allerdings wird der Vorsitzende eher gegen Ende der Runde der Beiträge und dann, wenn er eine Angelegenheit für entscheidungsreif hält, seine eigene Meinung kundtun. Sofern sich im Laufe einer Aussprache kein einheitliches Meinungsbild ergibt, ist die Kunst des Vorsitzenden gefragt. Es ist eine der vornehmsten Aufgaben des Vorsitzenden, den Gesprächsverlauf so zu steuern, dass keine unangemessene Festlegung zur Unzeit erfolgt. In aller Regel wird er bei fortdauernder Meinungsverschiedenheit eine Abstimmung zu vermeiden suchen. Es muss ja davon ausgegangen werden, dass eine gemeinsame Entscheidung möglich sein müsste, wenn alle nur das gleiche Bild von den Alternativen und von den Entscheidungskriterien haben. Sofern dieses Stadium noch nicht erreicht ist, kommt es zumeist zu einer Vertagung, verbunden mit weiteren Aufklärungen, der Entwicklung weiterer Alternativen und/oder dem Einbau von Modifikationen in die Lösungsvorschläge.
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
Die spezifischen Aspekte für die Mitarbeit von Gesellschaftern im Beirat Gesellschafter wollen und müssen in einem Beirat vertreten sein. Ihre Befindlichkeit ist aber zumeist grundsätzlich verschieden von jener der anderen Beiratsmitglieder, wenn sie nicht über eine große Erfahrung in Themen der Unternehmensführung verfügen. Sie können dann nicht auf dem gleichen Kompetenzniveau wie die anderen Mitglieder an dem Diskurs mit der Geschäftsführung teilnehmen. Allerdings kompensiert ihr Eigeninteresse teilweise Unterschiede im Qualifikationsniveau.351 Am Studium der für Beiratssitzungen verteilten Unterlagen wird allemal deutlich, dass sie von denen am sorgfältigsten studiert werden, die sich am wenigsten darauf verlassen können, dass ihnen ihre Routine und Erfahrung die geeigneten Fragen und Kommentare eingibt. Diese Beobachtung führt sogar zu der These, dass, je geringer die Kompetenz in der Beurteilung von Sachverhalten ist, desto größer der Bedarf an Vorabinformationen sei. Man glaubt die fehlende Kompetenz durch noch sorgfältigeres Studium von noch mehr Informationen kompensieren zu können. Ungeachtet der Unterschiede im Kompetenzniveau müssen Gesellschafter im Beirat dem Diskurs folgen und müssen Fragen, die für sie dabei auftreten, zur Klärung führen. Da Fragen nie „offen“ bleiben, sondern der Fragende sie notfalls selbst und falsch beantwortet, ist es notwendig, dass die Fragen gestellt und beantwortet werden. Das Eigeninteresse der Gesellschafter führt aber auch zu einem Bedürfnis nach Beteiligtsein in Bereichen, wo die Beteiligung mangels Erfahrung nicht mehr „wahrgenommen“ werden kann. Die Gesellschafter müssen sich bewusst sein, wie das menschliche Wahrnehmungsvermögen davon beeinflusst wird, ob uns etwas „vertraut“ oder „unbekannt“ ist. Erfahrung und Vertrautsein hilft, Fakten und Situationen realitätsgerecht zu sehen. Unerfahrenheit und Fremdheit verstärkt die ängstliche Wahrnehmung. Wenn also die Geschäftsführung von Problemen erzählt, kann es sein, dass dies von einem Unerfahrenen verzerrt wahrgenommen wird und er unlösbare und große Gefahren sieht. Die wichtigste Funktion allerdings, die Gesellschafter in einem Beirat haben, ist es, den Prozess der Beiratsarbeit selbst zu beobachten, ja zu überwachen. Man muss nicht in den Sachfragen selbst kompetent sein, um beurteilen zu können, ob jemand hierzu Kompetentes zu sagen hat. 351
Siehe Brösztl, G. (2000): S. 20.
12.6 Die Protokollierung
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12.6 Die Protokollierung Eine Beiratssitzung muss protokolliert werden. Dies ist eine Selbstverständlichkeit der Ordnung des Verwaltungshandelns in einer Organisation. Ein gutes Protokoll ist eine kleine Kunst, die nicht selbstverständlich ist. Es ist daher keine triviale Frage, wer das Protokoll führt. Es sollte eine möglichst „anonyme“ Person sein, deren Anwesenheit den vertraulichen, ja geradezu intimen Gesprächskreis zwischen Geschäftsführung und Beirat nicht „stört“. Eine Führungskraft der zweiten Ebene unterhalb der Geschäftsführung, die das Protokoll an sich gut erstellen könnte, wäre hier vielleicht schon zu sichtbar und gewichtig. Es könnte für die Geschäftsführung problematisch sein, wenn einer ihrer Untergebenen an diesen Verhandlungen teilnimmt. Es gibt viele Alternativen: die Sekretärin des Beiratsvorsitzenden oder eines Geschäftsführers oder einer der Geschäftsführer selbst. Es soll hier nur darauf hingewiesen werden, dass die Frage mit Bedacht zu überlegen ist, weil die einmal getroffene Entscheidung nicht leicht zu ändern ist. Das Protokoll muss ein Verlaufsprotokoll sein, denn es geht gerade nicht darum, nur die Ergebnisse der Verhandlungen festzuhalten, sondern auch die ausgetauschten Argumente, da sie essenziell sind für den Gehalt der Sitzung und die spätere Nachverfolgung dessen, was wirklich gemeint und beabsichtigt war. Ein Ergebnisteil des Protokolls ist unabdingbar: die Tabelle der „To-dos“, der „zu erledigenden Aufgaben“ oder wie auch immer die Überschrift heißen mag. Hier ist aufzulisten, wem welche Aufgaben übertragen wurden, über deren Erledigung dem Beirat wieder zu berichten ist. Diese Tabelle ist routinemäßig in eine Niederschrift aufzunehmen – also auch mit Fehlanzeige, wenn es nichts vorzulegen gibt. Dieser Hinweis mag pedantisch erscheinen, ist für die Praxis wohl aber geboten und hilfreich. Es ziert den Beirat, in solchen Dingen Ordnung zu demonstrieren. Arbeitsmethodik gehört zur Führung und die „Wiedervorlage“ ist eines der unabdingbaren Führungsinstrumente. Der Beirat tut gut daran, diese gute Praxis auch in der Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung zu anzuwenden. Der Entwurf des Protokolls ist dem Beiratsvorsitzenden vorzulegen, der daran noch feilen wird. Die Formulierungen des Protokolls zeigen gerade, wo etwas missverständlich war und vom Protokollanten eben auch falsch verstanden oder missverständlich ausgedrückt wurde. Spätestens im Protokoll muss man sich nun so ausdrücken, dass man „nicht missverstanden werden kann“. Daher erfolgt auch die förmliche Verabschiedung des Protokolls in der nächsten Sitzung, in der Einwände, Ergänzungen, Kommen-
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
tierungen entgegengenommen und als Änderung zum Protokoll oder als Anmerkung in das neue Protokoll aufgenommen werden. Das Protokoll ist zeitnah zur Sitzung zu erstellen und an die Beiratsmitglieder zu verteilen, damit man sich möglichst noch an den Verlauf der Verhandlungen erinnern kann. Selbst dieser Hinweis erscheint nicht überflüssig. Es gibt sogar Usancen, dass das Protokoll erst zu der nächsten Sitzung oder kurz davor verteilt wird. Damit wird sichergestellt, dass niemand das Protokoll rechtzeitig lesen und somit auch kaum jemand Einwendungen gegen das Protokoll erheben kann.
12.7 Die Evaluierung der Beiratsarbeit Die regelmäßige Evaluierung der Arbeit eines Aufsichtsrats ist nach dem „Kodex“ gefordert und wird wohl auch weithin praktiziert. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ergebnisse dieser Evaluierungen steht meines Wissens noch aus – vorausgesetzt sie ist aus dem Zugang zu den Evaluierungsergebnissen überhaupt möglich. Die anekdotische Evidenz scheint darauf hinzuweisen, dass sich die Evaluierung der Beiratsarbeit nicht selten nur auf die Interaktion zwischen Geschäftsführung und Beirat konzentriert. Dies führt in der Regel dazu, dass Wünsche nach noch umfangreicherer und noch besserer Unterrichtung des Beirats durch die Geschäftsführung geäußert werden oder Wünsche nach kürzeren Vorträgen oder weniger Unterlagen oder auch nach mehr schriftlichen Vorabinformationen – eben die Art von Wunschlisten, die man immer aufstellen kann. Dabei sollte man aber kritisch fragen, ob ein Mehr wirklich erforderlich ist, um die Arbeit des Gremiums zu verbessern. Die Kosten für die Erstellung jeder zusätzlichen und regelmäßigen Information werden chronisch unterschätzt. Besonders die Arbeitnehmervertreter scheinen Bedarf nach mehr Informationen zu haben, um so empfundene Nachteile in der Sachkompetenz oder institutionelle Beschränkungen der Mitbestimmungsbefugnisse zu kompensieren. Auch für den Beirat eines Familienunternehmens ist es geboten, sich Gedanken über seine Funktionsweise zu machen. Das braucht nicht jährlich zu geschehen, sollte aber in Abständen von nicht mehr als drei Jahren stattfinden. In einem kleinen Beirat genügt es, wenn der Vorsitzende das Thema zur Sprache bringt und darüber in einer offenen Aussprache – natürlich in Abwesenheit der Geschäftsführung – gesprochen wird. Auch ein solches formloses Gespräch sollte von einem Kriterienkatalog unterlegt sein.
12.7 Die Evaluierung der Beiratsarbeit
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Die Präsenz von Gesellschaftern als Mitglieder im Beirat führt zu einer permanenten Qualitätskontrolle des Beirats aus der Sicht der Gesellschafter. Dies ist so – ob mit oder ohne formalen Evaluierungsprozess. Es ist nun für die gute Funktionserfüllung des Beirats entscheidend, dass die Wünsche und Erwartungen der Gesellschafter durch das Evaluierungsverfahren in einer geordneten und damit auch diskutierbaren Form artikuliert werden. Eigentlich eignet sich hierzu nur das vertrauliche Gespräch. Will man allerdings in einem größeren Beirat nicht auf einen Fragebogen verzichten, weil man dies vielleicht von den Aufsichtsräten der Publikumsgesellschaften so gewohnt ist, dann sollte in jedem Fall derjenige, der die Erhebung durchführt, und das ist wohl regelmäßig der Vorsitzende des Gremiums, im persönlichen Gespräch zu ergründen suchen, was mit einzelnen Anmerkungen und Kritikpunkten gemeint ist. Aus der schriftlichen Erhebung und der verbalen Vertiefung kann dann eine Vorlage für den Beirat erstellt werden. Bezüglich der Kategorien eines solchen Fragebogens ist es meines Erachtens nachrangig, wenn nicht sogar eine falsche Blickrichtung, zu fragen, was der Vorstand oder die Geschäftsführung zur Verbesserung der Arbeit des Aufsichtsgremiums beitragen kann. Eingegrenzt auf den Beirat ist die wichtigere Frage, wie der Beirat seine eigene Aufgabenerfüllung bewertet. Die Leitfragen sind etwa: • Rekapitulation der Aufgaben des Beirats und Bewertung der Gewichte, die ihm in Zukunft zukommen, • Beurteilung der relativen Erfüllung der Aufgaben, • Beurteilung der Wirkung der Arbeit des Beirats im Hinblick auf o die Beziehung der Gesellschafter zum Unternehmen, o die Geschäftsführung. Die Selbstbeurteilung sollte versuchen, den Blickwinkel der Nutznießer der Beiratsarbeit einzunehmen und deren Urteil zu antizipieren: • Wie sehen die Gesellschafter unsere Arbeit? • Wie sieht die Geschäftsführung unsere Arbeit? Eine solche delikate Selbstbeurteilung erlaubt keine Vergabe von Schulnoten oder ähnliche Ranking-Verfahren. Eine Sortierung der Themenbereiche nach den groben Richtungskategorien sollte genügen: • weitermachen wie bisher, • mehr oder anderes beim Thema X, • weniger beim Thema Y.
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12 Die Arbeitsweise des Beirats
Eine durchaus bedenkenswerte Anregung besteht darin, dass sich der Beirat und die Geschäftsführung gegenseitig beurteilen. Dafür müssen natürlich angemessene Ausdrucksformen gefunden werden, wie es folgende Fragen ermöglichen: „Was läuft gut und sollte deshalb beibehalten und verstärkt werden? Was läuft weniger gut und sollte deswegen verändert werden?“352 Dass überhaupt über die Aufgabenstellung und die Aufgabenerfüllung im Beirat gesprochen wird, ist das Wesentliche. Der Detaillierungsgrad und die Form sind nicht wesentlich. Ein einmal begonnenes Gespräch entwickelt sich.
352
Jiranek, H./Edmiller, A. (2003): S. 235.
13 Der Vorsitzende des Beirats
13.1 Der Vorsitzende als Gestalter der Institution Die Bedeutung des Vorsitzenden für das Unternehmen im Ganzen In unserem Verständnis der Unternehmensverfassung kann der Beirat eine Schlüsselfunktion für die Bewahrung des Unternehmens und die Sicherung seines Erfolges einnehmen. Der Beirat kann entscheidend dafür sein, erstens eine qualifizierte Geschäftsführung auszuwählen und zweitens ihre sowohl herausfordernden wie auch geordneten Wirkungsmöglichkeiten zu gewährleisten. Diese Erwartung an den Beirat gründet sich in erster Linie auf die Erwartung an den Beiratsvorsitzenden. Es wäre gegenüber den anderen Beiratsmitgliedern vielleicht nicht fair zu sagen: Ein Beirat ist so gut wie sein Vorsitzender. Es lässt sich aber schon mit gutem Gewissen sagen, dass es eines guten Vorsitzenden bedarf, • um eine effektive Institution zu gestalten und um gute Beiratsmitglieder zu gewinnen • und in dieser Institution eine gute Arbeit zu leisten. Der Beiratsvorsitzende kann der Garant dafür sein, dass die Unternehmensverfassung entsprechend den Erfordernissen der Unternehmensentwicklung und der Umwelt weiterentwickelt wird und dass eine geeignete Geschäftsführung eingesetzt wird. Der Vorsitzende als Verbindungsglied zwischen Beirat und Gesellschaftern Angesichts der Bedeutung des Beiratsvorsitzenden für die Gesellschafter und die Gesellschaft ergibt sich, dass dies eine Position ist, die nur von einer Persönlichkeit besetzt werden kann, die das „volle“ Vertrauen der überwiegenden Mehrheit aller Gesellschafter hat und gegen die kein Gesellschafter ernste und unüberwindbare Ablehnungsgründe vorbringt. Dieses volle Vertrauen ist eine ohne weiteres verständliche Voraussetzung für die Position eines Beiratsvorsitzenden. Es ist freilich nicht trivial,
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13 Der Vorsitzende des Beirats
zu erörtern, wie solches Vertrauen gewonnen werden kann: Das Vertrauen kann sich nur im Laufe der Zeit entwickeln. Daraus folgt: Die Gesellschafter sollten den zu erwählenden Beiratsvorsitzenden bereits kennen – vorzugsweise in der Funktion eines „einfaches Beiratsmitglieds“. Um die Vertrauensbeziehung aufrechtzuerhalten, bedarf es über einen längeren Zeitraum hinweg eines intensiven persönlichen Kontakts. Es genügt sicher nicht, wenn der Beiratsvorsitzende nur einmal im Jahr in der Gesellschafterversammlung über die Arbeit des Beirats berichtet und die Erwartungen der Gesellschafter erkundet. Insbesondere wenn nicht alle Gesellschafter selbst im Beirat vertreten sind, gilt es unabhängig von spezifischen Anlässen ständig Kontakt zu halten, die Erwartungen der Gesellschafter an das Unternehmen zu ermitteln, vor einer Entscheidungsfindung im Beirat deren Fragen und Besorgnisse aufzunehmen und ihnen nach der Entscheidungsfindung die getroffenen Beschlüsse zu erläutern. Fragestellungen suchen sich immer eine Antwort. Wenn die Fragen nicht von kompetenter Stelle, also vom Beiratsvorsitzenden, aufgegriffen werden, suchen sich die Fragenden selbst die Antwort – irgendwo. Als Faustregel empfehle ich, dass ein Beiratsvorsitzender deutlich mehr Zeit für die Kontakte mit den Gesellschaftern vorsehen sollte als für die Gespräche mit der Geschäftsführung. Der Vorsitzende als Schlüssel für die Gewinnung weiterer Beiratsmitglieder Aus seiner Vertrauensstellung heraus hat der Beiratsvorsitzende zumeist auch eine Schlüsselfunktion für die Gewinnung weiterer Beiratsmitglieder. Gleichgültig, wie die statutarischen Regelungen sind – zumeist wählt die Gesellschafterversammlung die Beiratsmitglieder –, ist es nicht denkbar, dass diese ohne Zustimmung des Beiratsvorsitzenden ausgewählt werden. In der Regel ist es umgekehrt geradezu die Aufgabe des Beiratsvorsitzenden, Vorschläge für die Besetzung freier Beiratspositionen vorzulegen. Er hat insoweit also die Initiativfunktion. In einem weiteren Sinn ist der Beiratsvorsitzende aber auch bestimmend für den „zugänglichen“ Kreis von Kandidaten für den Beirat: Es wird sich wohl kaum ein Unternehmensführer höherer Reputation in ein Gremium begeben, dessen Vorsitzender nicht eine ebenbürtige, im Zweifel sogar eine stärkere Reputation hat als er selbst.
13.2 Der Vorsitzende als Gestalter des Prozesses „Beiratsarbeit“
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13.2 Der Vorsitzende als Gestalter des Prozesses „Beiratsarbeit“ Die Prägung der Verfassungswirklichkeit durch den Vorsitzenden Aufgaben und Zuständigkeiten des Gremiums Beirat sollten in der Satzung oder durch einfachen Gesellschafterbeschluss fixiert sein. Diese Fixierung ist im Zeitablauf an die Erfordernisse der Unternehmensentwicklung anzupassen. Die Initiative hierzu geht regelmäßig nicht von den Gesellschaftern, sondern von der Geschäftsführung oder vom Beirat aus. Inwieweit diesen Initiativen Rechnung getragen wird, hängt vom Votum des Beiratsvorsitzenden ab. Nur er hat die Argumentationsbasis, um aus seiner Funktion heraus ein Änderungserfordernis zu begründen. An mehreren Stellen vertrete ich hier aber die Meinung, dass es weniger auf die schriftliche Dokumentation als vielmehr auf die Verfassungspraxis ankommt. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine schriftliche Fixierung nur auf einem relativ abstrakten Niveau möglich ist. Erst die Verfassungspraxis zeigt, wie die abstrakt definierten Funktionen ausgeführt werden, ob Zuständigkeiten verkümmern oder nicht zugewiesene Zuständigkeiten tatsächlich „ergriffen“ werden. Wie sich die Praxis entwickelt, hängt ganz entscheidend von dem Beiratsvorsitzenden ab. Der Beirat tut das, was sein Vorsitzender als Arbeitsinhalte veranlasst. Der Geschäftsführung stünde es nicht zu, in den Statuten nachzusehen, ob die Praxis des Beirats tatsächlich von den Statuten abgedeckt ist. Die Beiratsmitglieder werden dies auch nicht tun. Allenfalls die Gesellschafter können Stellung dazu nehmen, ob sie eine Ausweitung oder eine Eingrenzung der Funktionen des Beirats wünschen. Der Vorsitzende als Teamleiter des Gremiums Beirat Als Vorsitzender des Kollegiums Beirat hat der Beiratsvorsitzende den gleichen Rang wie die anderen Beiratsmitglieder. Auch er kann nicht mit dem Argument, dass er schließlich der Vorsitzende sei, eine Entscheidung des Beirats präjudizieren: Das gilt im Grundsatz auch dann, wenn ein maßgeblicher Gesellschafter den Vorsitz innehat. Seine Verantwortung ist die optimale Gestaltung des Prozesses der Beiratsarbeit, nicht aber die Festlegung erfolgreicher, das würde heißen „fehlerfreier“ Entscheidungen. Die klassischen und notwendigen Funktionen des Vorsitzenden sind folgende:
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13 Der Vorsitzende des Beirats
• Vorbereitung der Sitzung, insbesondere Erfassung aller erörterungsbedürftigen Themen, wie sie sich aus den Kontakten mit der Geschäftsführung, aber auch aus Initiativen von Gesellschaftern und von anderen Beiratsmitgliedern ergeben. • Festlegung der Tagesordnung, die regelmäßig im ersten Entwurf von der Geschäftsführung vorzuschlagen ist. • Leitung der Sitzung: Diese Funktion wird in einem gesonderten Abschnitt näher erläutert. • Freigabe und Unterzeichnung des Protokolls, was einschließt, dass er erforderliche Korrekturen im Protokolltext vornehmen kann und muss. Bereits diese formalen Funktionen geben dem Vorsitzenden einen nicht geringen Einfluss. Hinzu kommen die nachfolgend erörterten Einflusspotenziale eines Vorsitzenden, durch die er regelmäßig die Arbeit des Gremiums prägt. Gleichwohl muss festgehalten werden: Er ist grundsätzlich Gleicher unter Gleichen. Der Vorsitzende als Meinungsbildner Der große Bedeutung des Vorsitzenden für die Tätigkeit eines Beirats liegt darin, dass er den Prozess der Meinungsbildung in diesem Kollegium wesentlich beeinflussen kann. Dies fängt damit an, dass er den Zeitpunkt bestimmt, wann ein Thema auf die Tagesordnung kommt, und dass er festlegt, in welcher Reihenfolge die Tagesordnung bearbeitet wird. Er kann erklären, dass noch weitere Untersuchungen erforderlich sind und damit die Entscheidungsbildung vertagen. Er kann Entscheidungskriterien vorschlagen, die bei der Meinungsbildung zu berücksichtigen sind. Er kann – dies will aber wohl überlegt sein – auch seine eigene Meinung zu einem früheren Zeitpunkt der Meinungsbildung bereits zu erkennen geben. Der Vorsitzende hat insofern vielfältige Möglichkeiten, die Meinungsbildung zu steuern. Diese werden von dem Kollegium auch als übliche Verfahrensweise akzeptiert, soweit sie dazu dienen, die Optimierung der Entscheidungsfindung zu gewährleisten. Der eigenen Meinungsäußerung des Vorsitzenden kommt aus zwei Gründen besonderes Gewicht zu: Erstens begründet der Corps-Geist des Beirats einen gewissen Vorschuss an Respekt für den Vorsitzenden. Es wird aber auch erwartet, dass der Vorsitzende sich als erster Sachbearbeiter in dem Gremium mit den zu erörternden Themen intensiver vertraut gemacht hat, weshalb ihm ein größeres Urteilsvermögen bei den zu lösenden Problemen zugebilligt wird.
13.2 Der Vorsitzende als Gestalter des Prozesses „Beiratsarbeit“
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Der Vorsitzende als erster Sachbearbeiter im Gremium Schon als normalem Projektleiter des Prozesses Beiratsarbeit kommen dem Vorsitzenden deutlich mehr Aufgaben zu als einem normalen Beiratsmitglied. Wir haben oben ausgeführt, dass der Vorsitzende ein Vielfaches der Information über die Arbeit der Geschäftsführung erhält, wie sie dem gesamten Beirat zugeleitet wird. Der Vorsitzende hat regelmäßig alle vier bis sechs Wochen eine Unterredung mit dem Sprecher der Geschäftsführung, sei es um die Entwicklung einzelner Themen zu verfolgen, sei es um die nächste Beiratssitzung vorzubereiten. Der Vorsitzende ist als „Projektleiter“ derjenige, auf den alle anderen sich verlassen, dass er schon daran denken und daran erinnern wird, wenn etwas sehr wichtig ist und wenn ein einzelnes Teammitglied einen besonderen Beitrag zu leisten hat. Der Vorsitzende muss sich also schon im Vorlauf zur nächsten Sitzung mit den Themen auseinandersetzen, die auf der Tagesordnung stehen werden. Er muss den Verlauf einer künftigen Diskussion bereits „durchspielen“. Er muss im Vorfeld einzelne Kollegen auf die Punkte aufmerksam machen, um die es geht, und sie auf die Auseinandersetzung mit der Thematik einstimmen. Dabei geht es nicht um eine Beeinflussung der Meinungsbildung, sondern um die Einforderung der spezifischen Überlegungen der Einzelnen. Es kann aber auch vorkommen, dass der Vorsitzende bei einem Thema glaubt eine bestimmte Meinung vertreten zu müssen. In diesem Fall ist es umso wichtiger, dass er seinen Standpunkt vor der Sitzung mit den anderen Beiratsmitgliedern erörtert, damit nicht in der Sitzung eine ungewollte Konfrontation entsteht. Die besonderen Anforderungen an die zeitliche Verfügbarkeit Immer dann, wenn es besondere Anforderungen zu bewältigen gilt, ist es in erster Linie der Beiratsvorsitzende, der einen herausragenden Zeiteinsatz zu leisten hat. Man denke etwa an die Suche und Auswahl eines neuen Geschäftsführers mit einer Reihe von Gesprächen mit Personalberatern und Kandidaten. Oder man führe sich die Konstellation einer Unternehmenskrise vor Augen, in der in rascher Folge schwerwiegende Maßnahmen beraten werden müssen. Auch ein Konflikt zwischen den Gesellschaftern könnte über längere Zeit den intensiven Einsatz des Beiratsvorsitzenden verlangen. In all diesen exemplarisch genannten Konstellationen kann es von der zeitlichen Verfügbarkeit des Beiratsvorsitzenden abhängen, ob die Herausforderung erfolgreich bewältigt wird. Den notwendigen Zeiteinsatz kann ein Vorsitzender nicht auf Abruf bereitstellen, wenn er im Hauptberuf eine operative Verantwortung trägt, die
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13 Der Vorsitzende des Beirats
ebenfalls nicht planbare, höchst intensive Belastungsphasen mit sich bringt. Aus diesem Grunde wird für den Vorsitz vorzugsweise eine Person gesucht, die aus einer anderweitigen hauptamtlichen beruflichen Tätigkeit bereits ausgeschieden ist.
13.3 Der Vorsitzende als möglicher Träger der Unternehmerfunktion Als Unternehmerfunktion betrachten wir – ohne tiefer gehende Reflexion – die Kompetenz des Eigentümers, durch seine persönlichen Initiativen die Grundlagen der Tätigkeit seines Unternehmens festzulegen, deren Ausfüllung er dann der Geschäftsführung übertragen kann. Der Unternehmer entwickelt die Initiativen für folgende Festlegungen: • was die Mission des Unternehmens sein soll, welche wirtschaftliche Idee mit dem Unternehmen verfolgt werden soll, • welches breite Produkt-Marktsegment den Tätigkeitsrahmen bilden soll, • was die Kapitalbasis für das Unternehmen sein soll: das Familienvermögen, eine aus Gewinnthesaurierungen geschaffene Kapitalbasis, die Hereinnahme von haftendem Kapital von Dritten oder gar Kapitalerhöhungen über einen Börsengang, • was die Verfassung des Unternehmens sein soll, • was die grundsätzliche Wachstumspolitik und was die Wachstumsrichtungen sein sollen; ob und unter welchen Randbedingungen große Expansionsschritte durch Akquisitionen oder durch den Eintritt in neue Märkte getätigt werden sollen. Entscheidend ist hier die Betonung der „Initiativfunktion“ als Kriterium der Unternehmerqualifikation. Bei der börsennotierten Aktiengesellschaft ohne Großaktionär ist diese Unternehmerfunktion im deutschen Rechtskreis ausdrücklich dem Vorstand zugewiesen. Der Aufsichtsrat überwacht den „Unternehmer Vorstand“, setzt durch Grundsatzentscheidungen und Genehmigungsvorbehalte die Rahmenbedingungen für die Initiativen des Vorstands; aber er kann dem Vorstand nicht vorgeben, welche Richtung die Unternehmensentwicklung verfolgen soll, zum Beispiel welches andere Unternehmen er akquirieren soll. Betrachten wir dagegen ein mittelständisches Unternehmen mit dem Gründer als – noch – Alleingesellschafter, der sich aus der aktiven Unter-
13.3 Der Vorsitzende als möglicher Träger der Unternehmerfunktion
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nehmensführung zurückgezogen und einen Nicht-Familien-Geschäftsführer eingesetzt hat: Dieser Gründer, den Zeit seines Lebens das Geschäft umgetrieben hat, mag beteuern, dass er sich zurückziehe; wenn er aber sagt, dass er sich auf die strategischen Fragen konzentriere, tut er damit kund, dass er der Unternehmer in dem oben skizzierten Sinn bleibt und nur die Umsetzung der unternehmerischen Initiativen auf die neu eingesetzte Geschäftsführung überträgt. Gehen wir einen Schritt weiter: In den großen Mehrgenerationen-Familienunternehmungen mit sehr vielen Familiengesellschaftern, von deren Beteiligungen keine mehr eine wesentliche Beteiligungsquote erreicht, stellt sich die Frage nach der Lokalisierung der Unternehmerfunktion wiederum völlig anders: Es kann einer der Gesellschafter die Unternehmerqualifikation durch Kompetenz und Durchsetzungswillen demonstrieren. Wenn es ihm weiter gelingt, durch eine Koalition von Anteilsbesitzern die Stellung eines dominierenden Beteiligten einzunehmen oder sich als Meinungsführer zu etablieren, mag es gerechtfertigt sein, die Unternehmerfunktion bei diesem Gesellschafter anzusiedeln. Damit er sie ausüben kann, gibt es nur die zwei Möglichkeiten, entweder diesen Gesellschafter als Gesellschafter-Geschäftsführer zum Vorsitzenden der Geschäftsführung zu machen (das ist nicht unser Betrachtungsfall) oder aber ihn in einen Beirat einzubinden, aus dem heraus er entweder als Vorsitzender oder als hervorgehobenes Beiratsmitglied die unternehmerischen Initiativen zum Tragen bringt (wobei Letzteres eine nicht unproblematische Konstellation ist). In dem Beispiel der Mehrgenerationen-Gesellschaft mit mehreren Gesellschaftern ist aber auch eine andere Konstellation denkbar: Keiner der Gesellschafter entwickelt die Kompetenz oder die Ambitionen, die Unternehmerfunktion in Anspruch zu nehmen, oder aber die Gesamtheit der Gesellschafter möchte gar nicht, dass einer der Gesellschafter eine solche hervorgehobene Rolle übernimmt – dann muss die Unternehmerfunktion entweder bei der Geschäftsführung oder beim Beiratsvorsitzenden angesiedelt werden. Das Nächstliegende wäre wohl die Geschäftsführung – ebenso wie bei der Aktiengesellschaft. Es kann aber sein, dass die Gesellschafter diese Möglichkeit nicht verwirklichen wollen, sondern dass sie die Funktion des Unternehmers im Beirat verankert sehen möchten. Dafür mag es verschiedene Gründe geben. Der häufigste Grund ist der, dass dem Beiratsvorsitzenden ein ganz besonders tiefes Vertrauen entgegengebracht wird. Sehr oft ist er der frühere Mitgeschäftsführer eines Gesellschafter-Geschäftsführers oder der über lange Zeit sehr erfolgreiche Vorsitzende der Geschäftsführung, der dann in den Beiratsvorsitz überwechselte. Die Gesellschafter wollen, dass
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13 Der Vorsitzende des Beirats
diese Person von ausgewiesenem Erfolg als Träger ihres Vertrauens weiterhin die Unternehmerfunktionen wahrnimmt. Zur Umsetzung der unternehmerischen Initiativen steht ihm die Geschäftsführung zur Verfügung. Und damit das Ganze seine Ordnung hat, gibt es einen Beirat, in dem natürlich auch die Gesellschafter vertreten sind. Der andere Fall, dass die Unternehmerfunktion bei der Geschäftsführung liegt, ist bei börsennotierten Aktiengesellschaften ohne Großaktionär der Regelfall und er ist auch für große Mehrgenerationen-Familiengesellschaften der vorherrschende Fall. Je größer und komplexer die Familiengesellschaft ist, desto zwangsläufiger wird dies die natürliche Ordnung der Dinge sein. Bei einer sehr großen Gesellschaft kann die Unternehmerfunktion nicht mehr aus einer Position außerhalb der Geschäftsführung wahrgenommen werden. Die strategischen Initiativen entstehen ja aus dem Erleben der Herausforderungen des operativen Geschäftes. Die Beurteilung dessen, was gewagt werden kann und wovor man sich hüten muss, muss aufgrund der Erfahrung aus der operativen Verantwortung getroffen werden. Das kann ein Beiratsvorsitzender, der langjähriger Vorsitzender der Geschäftsführung war, in einem einfach strukturierten mittelständischen Unternehmen über einige Jahre hinweg noch leisten. Aber das geht nicht mehr bei einem hoch komplexen, stark wachsenden Unternehmen, das seinen Umfang und die Vielfalt seiner Aktivitäten ständig erweitert hat. Eine alte Erfahrungsbasis wird in dieser Konstellation sehr schnell brüchig. Hier wird also die Unternehmerfunktion naturgegeben oder zwangsläufig bei der Geschäftsführung angesiedelt werden müssen, ja mehr noch: Die wahre unternehmerische Initiative muss bei sehr großen, insbesondere bei Mehrsparten-Unternehmen unterhalb der obersten Unternehmensleitung auf der Ebene der Spartenverantwortung und der Tochtergesellschaften angesiedelt sein. Die Geschäftsführung der Obergesellschaft kommt hier ja selbst in die Funktionen einer Management-Holding, die die Untergesellschaften beaufsichtigt und berät. Die Gesellschafter nehmen die Entwicklung ihres Unternehmens nur mit einer größeren zeitlichen Verzögerung wahr. Ihr Bild von dem Unternehmen und seiner Verfassung wurde noch von den Vorstellungen ihrer Eltern vermittelt und wurde geprägt, als sie selbst in der Gesellschafterversammlung eine Rolle übernahmen. Dieses Bild passt sich nur mit großer zeitlicher Verzögerung der Wirklichkeit an. Der Großvater mochte noch agil aus dem Beiratsvorsitz heraus die Unternehmerfunktion ausgeübt haben; die Eltern mochten ihren familienfremden Vertrauten in der Nachfolge des Großvaters gesehen haben. Inzwischen ist aber aus dem mittelständischen Unternehmen ein Mehrsparten-Unternehmen mit internationalem Aktions-
13.4 Die Typologie der Vorsitzenden
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radius geworden. Wenn nun die Gesellschafter erwarten würden, dass die Unternehmerfunktion wie zu Großvaters Zeiten aus dem Beirat heraus wahrgenommen werden kann, dann müsste der damit Betraute diese Rolle simulieren; ausfüllen kann er sie nicht mehr. Auch in einer solchen Konstellation ist es wiederum Aufgabe des Beiratsvorsitzenden selbst, den Gesellschaftern zu verdeutlichen, welche Unternehmensverfassung für das Unternehmen angemessen ist. Das verlangt aber eine hohe Objektivität, ja Selbstlosigkeit. Da es durchaus ehrenvoll ist, als Beiratsvorsitzender die Rolle des Unternehmers in einem gut gehenden Unternehmen einzunehmen, bedarf es einer gewissen Selbstüberwindung, darauf hinzuwirken, die Unternehmerfunktion bei der Geschäftsführung zu verankern. Eine besondere Konstellation liegt bei einer Stiftung als Gesellschafter vor: Der Vertreter der Stiftung nimmt die Stellung und Machtposition eines Alleingesellschafters ein. Übernimmt er den Vorsitz des Beirats, was offensichtlich regelmäßig der Fall ist, wird er dazu neigen, von dort aus – wie ein Gründer-Alleingesellschafter – die Unternehmerfunktion wahrzunehmen.
13.4 Die Typologie der Vorsitzenden Die Mitnahme der Unternehmerfunktion aus der Geschäftsführung in den Beirat Es ist bekannt, dass die Wahl des ausscheidenden Vorsitzenden der Geschäftsführung zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats bei Publikumsgesellschaften umstritten ist. Die Verteidiger eines – sogar gesetzlichen – Verbotes für ein „Aufrücken“ des Ex-CEO zum neuen Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums gehen davon aus, dass die Unternehmerfunktion bei der Aktiengesellschaft – wie gesetzlich vorgesehen – beim Vorstand liegt. Sie argumentieren, der Vorstand könne diese Aufgabe nicht unabhängig bewältigen, wenn der bisherige Vorstandsvorsitzende nun das Amt des obersten Aufsehers übertragen bekomme. Familiengesellschaften müssen sich natürlich weder an die Empfehlungen eines Kodex noch an die für Publikumsgesellschaften angedachten Gesetze halten. Tatsächlich weist eine anekdotische Evidenz bei den größeren Familiengesellschaften darauf hin, dass es sogar eine Präferenz gibt, den Ex-CEO zum Beiratsvorsitzenden zu machen – allemal, wenn er ein Gesellschafter ist. Wenn der betreffende CEO das Amt lang genug ausgeübt hat, wird er sich selbst für einen guten Unternehmer halten, eine Eigenschaft, von der
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13 Der Vorsitzende des Beirats
man annimmt, dass sie eine „Charaktereigenschaft“ sei und als solche nicht mit dem Alter nachlässt. Somit hält sich der zum Beiratsvorsitzenden mutierte Geschäftsführer natürlich – und das ist gar nicht ironisch gemeint – nach wie vor für einen hervorragenden Unternehmer und daher seinem Nachfolger überlegen. Das ist auch ganz verständlich, denn der Nachfolger sollte ja zumindest 10 oder 15 Jahre jünger sein als sein Vorgänger. Damit hat der Vorgänger 10 bis 15 Jahre mehr Erfahrung im Top-Management, und das ist in der Regel doppelt bis dreimal so viel Erfahrung in der obersten Führung, wie sie der Nachfolger aufweisen kann. Kein Wunder also, dass sich der Vorgänger dem Nachfolger überlegen fühlt! Aus diesem Überlegenheitsgefühl können nun zwei völlig unterschiedliche Einstellungen gegenüber den Initiativen des Nachfolgers erwachsen: Der Vorgänger, der seinen Nachfolger für weniger geeignet oder weniger genial hält, als er es selbst war, neigt zu einer ängstlichen Einstellung gegenüber den Initiativen des Nachfolgers. Aber es gibt auch – und vermutlich ebenso häufig – den Fall, dass der Vorgänger viel mutiger Initiativen ergreift als sein vorsichtiger Nachfolger. Der Typus des ängstlicher werdenden Ex-Unternehmers Der Prototypus des ängstlicher werdenden Ex-Unternehmers war während seiner aktiven Zeit ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Er war der unbestrittene „Herr des Hauses“. Zumeist wissen solche Unternehmer, dass sie „eigentlich“ einen Nachfolger brauchen, der noch besser ist, als sie selbst es sind. Sie selbst sind meist mit dem Unternehmen gewachsen. Das Unternehmen ist aber nun groß und soll weiter wachsen. Ein Unternehmensführer, der bereits von Anfang an ein großes Unternehmen führen muss, sollte wahrlich – immer im vergleichbaren Alter – über mehr Talente verfügen als der Vorgänger, der im entsprechenden Alter nur die Leitung eines kleineren Unternehmens bewältigen musste, mit dem er später gewachsen ist. Auf der Suche nach diesem noch besseren Unternehmer wird der Ex-Unternehmer zwangsläufig zur Suche „nach außen“ geführt. Alle internen Führungskräfte kennt er zu gut, um ihnen die geforderte Genialität zuzutrauen, die der Nachfolger haben muss. Natürlich findet sich dieser geniale Nachfolger auch extern nicht. Alle, die nur annähernd das gewünschte Qualifikationspotenzial haben, sind klug genug, um die Gefahr einer solchen Nachfolgekonstellation zu erkennen. Also muss der „große Vorgänger“ mit bescheideneren Nachfolgern von außen vorlieb nehmen, die auch dann noch häufig genug scheitern. Daraufhin wird – weil man extern schon niemanden mehr findet – eine ganz normale Führungskraft von innen als Nachfolger
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eingesetzt. Erstens ist sie vielleicht tatsächlich „normal“ und damit realistischer als ein karrierebewusster Konkurrent. Zweitens kennt dieser Manager das Selbstbewusstsein und die tatsächlichen Verdienste des Vorgängers und bringt diesem die erwartete Verehrung entgegen. Das ist durchaus eine günstige Konstellation für das Überleben des Nachfolgers. Es ist aber auch die Konstellation, in der der Vorgänger, nunmehr Vorsitzender des Beirats, erkennt, dass sein Nachfolger noch nicht die gleichen Erfahrungen besitzt, wie er selbst – allerdings 10 – 15 Jahre älter – sie hat. Daraus folgt – soweit noch völlig rational – die Sorge, man könne diesem Nachfolger nicht die gleichen „kühnen“ Aktionen zutrauen, die man selbst einst erfolgreich durchgeführt hat. Der Ex-Unternehmer wird als Beiratsvorsitzender nunmehr viel vorsichtiger, als er selbst als CEO es war. Anfänglich ist dies vielleicht noch eine vernünftige Reaktion. Nach einigen Jahren hat der Nachfolger jedoch an Erfahrung aufgeholt – schließlich leitet er inzwischen ein größeres Unternehmen, als es der Vorgänger zu leiten hatte. Der Vorgänger aber ist durch Alterseinfluss und Entfernung von der aktiven Unternehmensführung immer ängstlicher darin, welche unternehmerische Initiative erfolgreich bewältigt werden kann. Hier tritt dann zu Tage, dass die entscheidende unternehmerische Erfahrung des Vorsitzenden schon 10 oder mehr Jahre alt ist, als Umfang und Komplexität des Unternehmens noch deutlich geringer waren. Die heutige Größe und Vielfalt der Unternehmenstätigkeiten, die schnelle Folge der Wachstumsschritte und die Dynamik der Märkte sind per se beunruhigend. Diese Sorgen begrenzen die „Zone of Comfort“ des Beiratsvorsitzenden und diese Zone begrenzt den Kreis der Initiativen der Geschäftsführung, die seine Zustimmung finden. Der Typus des mutiger werdenden Ex-Unternehmers Das Universum der menschlichen Eigenheiten hat aber auch den konträren Typus parat: den Unternehmer, der zu seiner aktiven Zeit eher zu kämpfen hatte, der sich immer an finanziellen oder sonstigen Restriktionen orientieren und sich deshalb bescheiden musste, dem es versagt blieb, die großen Expansionsschritte einzuleiten, die heute offenbar die Branchenentwicklung fordert und denen er sich in seiner Amtszeit nicht zu stellen wagte. Diese Konstellation kann gefährlich werden. Natürlich ist es für eine Geschäftsführung problematisch, wenn der Beiratsvorsitzende ihr mangelnde Dynamik, mangelnde Risikobereitschaft, fehlende unternehmerische Initiative und dergleichen vorwirft. Es ist auch eher risikolos, wenn man den fordernden Expansionsinitiativen des früheren Unternehmers nachgibt. Tut man dies nicht, weiß man, dass dann die Tage für eine zu wenig unterneh-
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merische Führungskraft ohnedies gezählt sind. Tut man es dagegen und gerät man in Schwierigkeiten, sollte man sich wenigstens auf die Fürsprache des Protagonisten der „kühnen Idee“ verlassen können. Der Typus des Elder Statesman Der Typus „Elder Statesman“ ist eine Idealgestalt als Chef. Er wirkt zwar in der ersten Annäherung gar nicht als Chef, sondern eher als Moderator, der zu allen Argumenten den gleichen Abstand hält. Tatsächlich kann der Elder Statesman aber die Rolle eines profilierten Vorgesetzten übernehmen: erfahren, abgeklärt und durchaus mit ausgeprägten persönlichen Überzeugungen, was richtig und was falsch ist. Diese Überzeugungen kann er aber so vermitteln, dass der zu Überzeugende davon eingenommen wird. Seine Einlassungen geschehen „suaviter in modo, fortiter in re“. Er strahlt eine persönliche Autorität aus, ist sich dessen bewusst und setzt sie auch bewusst ein. Er ist ein gelassener Genehmiger bei Zustimmungsvorbehalten. Sein bevorzugtes Instrument zur Beeinflussung der Geschäftsführung ist der Rat. Diesen gibt er nicht nur als Anregung, die optional genutzt werden kann oder nicht. Der Ratgeber erwartet, dass seinen Hinweisen nachgegangen wird, dass sie beachtet werden, auch wenn sie in nichtdirektive Äußerungen verpackt worden sind. Der Typus des überlegenen Unternehmers Den Typus des überlegenen Unternehmers finden wir dann, wenn ein Familienunternehmen sich einen Beiratsvorsitzenden sucht, der als Unternehmer ausgewiesen ist. Dieser Fall ist sehr wohl von der Benennung des Ex-Unternehmers zu unterscheiden. In dem hier gemeinten Fall suchen sich die Gesellschafter einen anderen Unternehmer als Beiratsvorsitzenden, zum Beispiel einen aktiven oder früheren CEO eines anderen Unternehmens, das meist größer ist als das Familienunternehmen selbst. In mancher Hinsicht erscheint dies als Idealfall. Die Kunst und Routine der Sitzungsleitung beherrscht ein solcher Berufsangehöriger ohnehin. Seine unternehmerische Erfahrung sollte ihn auch befähigen, die anstehenden Fragen inhaltlich zu beurteilen. Durch die Vorstellung eigener strategischer Überzeugungen kann er einen Wertbeitrag zur Diskussion mit der Geschäftsführung und im Beirat leisten. Da sein hauptsächliches Wirkungsfeld außerhalb des Familienunternehmens liegt, besteht nicht wie beim ExUnternehmer die Gefahr, dass er in seiner Beiratsarbeit einen früheren umfassenden Einfluss aufrechterhalten will.
13.4 Die Typologie der Vorsitzenden
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Dieser Typus hat offensichtliche Vorteile, aber im Einzelfall auch mögliche Schattenseiten, auf die zu achten wäre, wenn sie denn erkennbar würden. Diese „überlegenen Unternehmer“ sind überall begehrte Mandatsträger. Es kann sein, dass sie viele Mandate haben und das mittelständische Familienunternehmen rein zeitlich zu kurz kommt. Darüber braucht man sich aber bei verantwortungsvollen Persönlichkeiten keine Sorge zu machen: Sie erhöhen eher den Zeiteinsatz, als dass sie ihre Aufgabe vernachlässigen. Zudem hat eine sehr scharfsichtige Person eben die Fähigkeit, sehr rasch einen Überblick zu gewinnen. (Eine Person mit schwächerem „Sehvermögen“ kann nicht durch längeres Hinsehen den gleichen Durchblick wie der Scharfsichtige gewinnen.) Eine vielleicht konkretere Gefahr ist die Dominanz, die von solchen Persönlichkeiten ausgehen könnte, die dann kein Beiratskollegium entstehen lässt und die Geschäftsführung überfordert und frustriert. Richtig ist bei dieser Gefahr wohl die Schlussfolgerung: Je „besser“ der Vorsitzende, desto „besser“ müssen auch die anderen Beiratsmitglieder sein, damit der Beirat ein Kollegium ist und bleibt. Der Typus Sitzungsleiter Auf den Typus „Sitzungsleiter“ treffen wir häufig, wenn der Vorsitz des Gremiums bei einem Angehörigen der beratenden Berufe liegt, also etwa dem Hausjuristen. In diese Typgruppe gehören auch Verbandspräsidenten und andere Mandatsträger, die selbst nicht als Unternehmer tätig sind oder waren. Jeder von ihnen ist in seinen Verhaltensweisen und seinem Urteilsvermögen geprägt durch seine Erfahrungen im Hauptberuf. Ein praktizierender Sitzungsleiter ist darin geschult, den Austausch der Argumente zu steuern, eine Meinungsbildung herbeizuführen und einen Ausgleich zwischen den Parteien zu bewirken. Er ist aber in der Regel nicht erfahren in der Arbeitsweise größerer Organisationen und er ist nicht erfahren in unternehmerischer Strategie. Also kann er hierzu nichts beitragen, sondern wird sich auf die Steuerung des Prozesses der Argumentation und der Meinungsbildung konzentrieren. Diese Konzentration auf den Prozessablauf braucht er und sollte man nicht als Mangel betrachten. Sie ist eben – wie alle Spezialisierungen – ein Fokus, nicht mehr und nicht weniger. Diese Fokussierung bedarf der Ergänzung im Beiratskollegium durch ein oder mehrere Mitglieder, die die unternehmerische Kompetenz einbringen. Ist zum Beispiel der SeniorAlleingesellschafter und Ex-Unternehmer nunmehr im Beirat vertreten und nimmt für sich die fortwirkende Kompetenz in Strategiefragen in Anspruch, dann ist der Typus „Sitzungsleiter“ als Vorsitzender des Beirats
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geradezu ideal. Das gleiche gilt noch mehr, wenn der Beirat einer Geschäftsführung mit dem Allein- oder Mehrheitsgesellschafter als Vorsitzendem gegenübersteht. Dann kann die Strategie des Unternehmens im Beirat zwar erörtert, aber kaum gestaltend beeinflusst werden. In dieser Konstellation wäre der Typus „überlegener Unternehmer“ im Beirat geradezu überflüssig oder – noch schlimmer – konfliktträchtig. Geradezu unentbehrlich wird der Vorsitzende vom Typus Sitzungsleiter dann, wenn der wesentliche Gesellschafter als „eigentlicher Unternehmer“ nicht im Beirat vertreten ist, sondern sich im Hintergrund hält. Der Sitzungsleiter ist dann vielfach ein Anwalt, der schon qua Berufsethos gewohnt ist, die Interessen seines Mandanten zu vertreten. Er käme weder durch eigene unternehmerische Erfahrung noch durch sein Rollenverständnis in die Gefahr, eine eigene Vorstellung zur Unternehmenspolitik entwickeln zu wollen. Vielmehr liegt seine primäre Aufgabe darin, die Erwartungen und Initiativen des Gesellschafter-Unternehmers als Interaktionen des Aufsichtsgremiums in die Geschäftsführung zu transportieren. Seine durchaus wertschaffende Leistung kann dann darin liegen, die Initiativen des Gesellschafter-Unternehmers und der Geschäftsführung durch indirekte Moderation zu synchronisieren, ohne dass es zu Konflikten oder gar persönlichen Konfrontationen zwischen Gesellschafter und Geschäftsführung kommen kann. Der Typus des abgeklärten Philosophen Der Typus des „abgeklärten Philosophen“ liegt in der Nähe des Typus „Elder Statesman“. Er ist der abgeklärte Moderator des Prozesses. Er weiß, dass die menschliche Natur und insbesondere diejenige von selbstbewussten Geschäftsführern nur schwer zu beeinflussen ist. Er kennt all die Rollenspiele in seinem Metier und sie regen ihn nicht mehr auf. Er hat viel erfahren und ahnt viele Entwicklungen voraus. Er gibt stets sehr treffende Kommentare ab und seine große Bildung schimmert immer wieder durch. Dafür wird ihm die Anerkennung aller zuteil. Er selbst hat nicht den Ehrgeiz, dass aus seinen Kommentaren die implizierten Schlussfolgerungen gezogen werden, und er glaubt so wenig an absolute Wahrheiten, dass er auch nicht darauf dringt, seine persönlichen Überzeugungen durchzusetzen. Wie den „Sitzungsleiter“ finden wir den abgeklärten Philosophen als familienfremden Beiratsvorsitzenden dort, wo ein Allein- oder Mehrheitsaktionär ohnedies den obersten Gestaltungsanspruch und die Gestaltungsmacht hat. Durch seine milde Betrachtungsweise, durch die Autorität, die er aufgrund seiner Bildung genießt, ist der „abgeklärte Philosoph“ eine Zierde für das Gremium und bietet nie Anlass für Konfrontationen.
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Der „starke“ Vorsitzende Die Verfassungswirklichkeit zeigt in der Regel Beiräte, deren Rolle und Agieren nur von der Person und den Intentionen des Vorsitzenden her verstanden werden können. In vielen anderen Gremien ist die Stellung des Sitzungsleiters eine relativ schwache, nur von der Funktion, weniger von der Person geprägte Position. Bei Beiräten hingegen ist eine Prägung des Gremiums durch den Vorsitzenden typisch, wenn eine oder gar mehrere der folgenden Gegebenheiten vorliegen: • Der Vorsitzende ist eine überragende Persönlichkeit. Das ist im Übrigen auch regelmäßig dann der Fall, wenn durch seinen Einfluss Mitglieder in den Beirat kommen, die weniger „Format“ als er selbst aufweisen. • Ein wesentlich oder mehrheitlich beteiligter Gesellschafter nimmt den Vorsitz ein und hat die Ambition, die Unternehmerrolle auszuüben. • Der Ex-CEO (Gesellschafter oder Nicht-Gesellschafter) nimmt den Vorsitz ein. Dann wird er – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen – dazu neigen, die Rolle des Unternehmers, die er als CEO innehatte, fortzuführen. • Der Beirat ist relativ groß. Dann besteht ein ausgeprägter Bedarf an Projektmanagement für die Beiratsarbeit. Federführend ist hier wieder der Vorsitzende. • Der Beiratsvorsitzende ist ein ausgeprägter Unternehmertypus, der genügend Zeit hat, sich mit den Themenstellungen des Unternehmens zu befassen, und der diese Aufgabe auch erfüllen möchte. Dieser Fall kommt zum Beispiel vor, wenn Ex-CEOs von großen Gesellschaften nach ihrem – eventuell sogar vorzeitigen – Ausscheiden aus dem aktiven Dienst bei diesem Konzern nun durch ihre Vorsitzfunktion im Aufsichtsgremium eines mittelgroßen Unternehmens sich und der Umwelt beweisen wollen, dass sie nach wie vor vitale und erfolgreiche Unternehmer sind. • Das Unternehmen gerät in eine kritische Konstellation, die über den Erfahrungshorizont der Geschäftsführung hinausgeht. Dazu gehören nicht nur Ertragskrisen, sondern auch große Kooperationen oder Akquisitionen. Dann müssen die auf den Beiratssitzungen zu behandelnden Themen gründlich vorbereitet werden. Da dies vor allem Aufgabe des Vorsitzenden ist, stärkt die so errungene Sachkompetenz seinen Einfluss im Beirat.
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• Man kann verallgemeinernd sagen: Je weniger die Geschäftsführung in der Lage ist, den Herausforderungen der Geschäftsleitung voll gerecht zu werden, desto eher ist es erforderlich, dass der Vorsitzende des Beirats als „Surrogat-Führung“ Einfluss ausübt. • Und schließlich ist der kontingente Einfluss der Gesellschafterstruktur relevant: Wenn es viele Gesellschafter gibt oder die Gesellschafter-Beziehungen wenig harmonisch bis kontrovers sind, dann kann tendenziell dem Beiratsvorsitzenden mehr Macht und Einfluss zuwachsen. Zusammenfassend kann man sagen: Je ausgeprägter die Konstellation eines „starken Beirats“ vorliegt, dem auch ganz eindeutig die Personalkompetenz zugewiesen ist, desto mehr wird das Rollenverständnis und die Arbeit des Beirats von seinem Vorsitzenden geprägt. Der Vorsitzende stellt eine „umhüllende Begrenzung“ für die Intentionen der Geschäftsführung dar: Er selbst kann zwar aus dem Aufsichtsorgan heraus die Unternehmenspolitik meist nicht initiativ ohne die Geschäftsführung festlegen. Umgehend kann aber auch die Geschäftsführung nur die Vorstellungen realisieren, die über den Vorsitzenden vom Beirat gebilligt werden. Pläne, die ihm nicht plausibel erscheinen, können nicht realisiert werden. Darin liegt ja auch die gerechtfertigte Risikobegrenzung des VierAugen-Prinzips in allen organisatorischen Regelungen, in denen es aus Gründen der Unternehmenssicherung angewendet wird. Andererseits kann die Geschäftsführung sich in der Regel darauf verlassen, dass ein starker Beiratsvorsitzender so viel Einfluss in dem Gremium hat, dass er in der Lage ist, seine Überzeugungen auch in ein zustimmendes Votum des gesamten Gremiums zu überführen. Es müsste sich denn um sehr fundamentale und existenzielle Fragen handeln, bei denen jedes Mitglied ganz nach seinem eigenen „Gewissen“ entscheiden müsste. Aufgrund dieser starken Stellung des Beiratsvorsitzenden ist es von überragender Bedeutung, über welche Fähigkeiten und Grundüberzeugungen der Vorsitzende verfügt. Es ist weniger seine fachliche Fundierung, auf die es ankommt. Entscheidend sind auf dieser Ebene der Urteilsbildung die Persönlichkeitsmerkmale, die in einem fortgeschrittenen Lebensstadium als unbeeinflussbare Gegebenheiten anzunehmen sind. Der „schwache“ Vorsitzende Ein „schwacher“ Vorsitzender ist in unserer Vorstellung von einem wirksamen Beirat nicht vorgesehen. Aber es gibt natürlich diese Konstellation
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und dann ist dies in der Regel der Grund dafür, dass entweder das Führungssystem instabil wird oder eine andere Person oder mehrere Personen die Funktionen des Vorsitzenden übernehmen. Ein Vorsitzender hat eine schwache Stellung, wenn entweder der Beirat als Organ insgesamt oder sein Vorsitzender als Person nicht über die Machtbasis verfügt, die als Grundlage des Einflusses des Beirats erforderlich ist. Das Fehlen der notwendigen Machtbasis kann eine oder mehrere der im Folgenden genannten Ursachen haben (vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 3.8): • unzureichendes Vertrauen der Gesellschafter, • unzureichende Kompetenzen nach Satzung und Geschäftsordnung, • keine Personalkompetenz, • Aushöhlung der statutarischen Rechte durch eine abweichende Praxis, • unzureichende persönliche Führungskompetenz des Vorsitzenden. Einfluss wird dem Vorsitzenden durch zwei Personengruppen verliehen oder entzogen: die Gesellschafter und die Beiratskollegen. Es genügt, dass eine dieser Gruppen dem agierenden Vorsitzenden die Machtbasis entzieht, um den Funktionsträger machtlos zu machen. Die dritte Institution im Führungsgefüge, die Geschäftsführung, ist hingegen nicht in der Lage, den Einfluss des Beiratsvorsitzenden in Frage zu stellen, solange die Gesellschafter selbst und seine Kollegen ihn respektieren. Wenn der Vorsitzende eine so große Bedeutung hat, wie ich hier annehme, dann hat die Schwächung seiner Rolle gravierende Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Führungssystems. Ein schwacher Vorsitzender kann nicht mehr der Garant für die Ordnung der Entscheidungsprozesse sein. Sowohl den Gesellschaftern wie auch den anderen Beiratsmitgliedern und der Geschäftsführung fehlt der Ansprechpartner für ihre Anliegen. Der Prozess der Beiratsarbeit kann nicht mehr angemessen vorbereitet werden. Die Diskussionen bei den Sitzungen verlaufen situationsbezogen und unstrukturiert. In einer solchen Konstellation wird die Komplexität des Systems durch den Beirat über die Maßen erhöht.353 Es müssten sich ja nun die Geschäftsführer mit allen Beiratsmitgliedern einzeln abstimmen, um eine wirksame Arbeit des Beirats mit einer nutzbringenden Entscheidungsfindung vorzu353
Zum Phänomen der Komplexitätserhöhung der Beziehungen zwischen den Gesellschaftern und der Geschäftsführung durch einen Beirat vgl. Pohlmann, N./Jansen, S. (1998): S. 132.
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13 Der Vorsitzende des Beirats
bereiten. Gute Entscheidungsprozesse bei komplexen Themenstellungen können nicht mehr auf spontanem Weg zustande kommen. Die Schwächung der Führungsposition des Beiratsvorsitzenden führt so zur Destabilisierung des gesamten Führungsprozesses in einem Unternehmen, so dass kompensierende Selbstheilungskräfte einsetzen müssen, um das Unternehmen vor Schädigungen zu bewahren. Die schwache Stellung des Vorsitzenden könnte nun dazu führen, dass ein normales Beiratsmitglied seine Rolle informell übernimmt. Damit wäre die Stabilität des Führungsprozesses wieder herzustellen. Mit großer Wahrscheinlichkeit führt eine Schwäche im Vorsitz aber zu einem Macht- und Bedeutungsverlust des gesamten Beirats. Ein entstehendes Machtvakuum wird aber von anderen, kompensierenden Machtkonzentrationen ausgefüllt. In der Führungsstruktur eines Familienunternehmens wandert dann das Machtzentrum tendenziell zu den Gesellschaftern oder zu einer Person in der Gesellschaftergruppe, die die Macht auszuüben in der Lage und willens ist. Es sind aber auch Konstellationen möglich, in denen sich die Macht bei der Geschäftsführung konzentriert. Die passenden und die unpassenden Kombinationen Wie es der generelle Zweck einer Typologie ist, wird durch die obigen Muster nur ein Gliederungsraster für die unzähligen individuellen Erscheinungsformen der Wirklichkeit gegeben. Der real existierende Vorsitzende ist in seiner Individualität immer eine Mixtur von allen Merkmalen und noch mehr. Eine praktische Verwendung solcher Typisierungen ist in zweifacher Hinsicht denkbar: Erstens ist bei der Besetzung eines Beiratsgremiums darauf zu achten, dass die Typen der Beiratsmitglieder gut gemischt sind. Drei Vollblutunternehmer in einem kleinen Gremium sind kaum vorstellbar. Eine solche Konstellation führt vermutlich eher zu überhitzten als zu fruchtbaren Diskussionen. Umgekehrt wäre eine Ansammlung von „Sitzungsleitern“ und „abgeklärten Philosophen“ eine ziemlich langweilige Veranstaltung. Wichtiger ist aber noch die Berücksichtigung der Komplementarität der Profile von Beiratsvorsitzendem und Geschäftsführungsvorsitzendem: Wenn beide ihre unternehmerischen Talente ausleben wollen, wird es für einen von beiden – zumeist den Geschäftsführer – schwierig. Auf diese Thematik möchte ich in dem Kapitel über die Typologie des Beirats zurückkommen.354
354
Siehe Abschnitt 15.
13.4 Die Typologie der Vorsitzenden
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Hinsichtlich der „Unternehmerfunktion“ des Beirats und damit seiner Befugnis, die Unternehmenspolitik prägend zu gestalten, formuliere ich die These, dass es ein Machtzentrum geben muss, dass folglich mehrere Machtzentren nicht möglich sind und dass – wenn versucht werden sollte, sie zu etablieren – dies zu einer gefährlichen Instabilität des Führungssystems führt. Wirksame Führung braucht klare Ordnungsstrukturen.
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14.1 Die Auswahl Die Bedeutung der Auswahl In dieser Schrift wird implizit unterstellt, der Beirat sei immer so qualifiziert, dass durch sein Wirken die Qualität der Unternehmensführung gesteigert werden könne. Dies ist natürlich nur eine normative Annahme. In seiner beratenden Funktion kann er gewiss zur Verbesserung der Qualität der Unternehmensführung beitragen, vorausgesetzt, er verfügt über die erforderlichen intellektuellen Ressourcen, bereichernde Kontakte zur Unternehmensumwelt und die Befähigung zu einer gelingenden beratenden Kommunikation. Durch seine Zustimmungsvorbehalte beschränkt er andererseits die Wirkungsmöglichkeiten der Geschäftsführung. Diese Beschränkung verhindert schlechte oder riskante Initiativen, so sie als solche erkannt werden. Allerdings verhindert diese Beschränkung aber auch „gute Initiativen“, deren Qualität nicht erkannt wird. Um die Qualität einer Initiative vermitteln zu können, bedarf es einerseits eines überzeugenden Konzepts und der kommunikativen Leistung der Geschäftsführung, aber eben andererseits auch des Aufnahmevermögens und der Verständnisbereitschaft seitens des Aufsichtsgremiums. Es gibt den Satz: „Die Familie ist das Schicksal des Familienunternehmens.“ Die Familie hat schicksalhaften Einfluss auf das Unternehmen, ohne dass umgekehrt die Unternehmensleiter die Gegebenheiten der Familie verändern könnten. Diesen Satz kann man analog im Hinblick auf einen „starken“ Beirat formulieren: „Der Beirat ist das Schicksal der Unternehmensleitung.“ Die Kriterien der Auswahl Wenn, wie in dieser Schrift gefordert, ein Beirat nicht nur eine Aufsichtsfunktion hat, sondern auch eine Beratungsfunktion gegenüber der Geschäftsführung wie auch gegenüber den Gesellschaftern, dann folgt daraus,
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dass die Wirksamkeit eines Beirats entscheidend von der Qualifikation seiner Mitglieder bestimmt wird. Da dem Beirat eine so große Bedeutung in der Familienunternehmung zukommt, ist die Frage, wie die Beiratsmitglieder ausgewählt werden, essenziell und für die Qualität der Institution bestimmend. Es gibt mehrere Kriterien, die bei der Bildung eines Beirats und der Auswahl seiner Mitglieder beachtetet werden müssen: • Persönlichkeitsmerkmale, • Kompetenzen, vor allem die beruflichen Erfahrungsschwerpunkte, • Kontakte zur unternehmensrelevanten Umwelt als Möglichkeit zur Informationsgewinnung und als Chance für deren Beeinflussung355, • öffentliche Reputation der Person. Sodann treten aber auch strukturelle Kriterien hinzu, wie etwa: • Anzahl der Mitglieder, • Zugehörigkeit zum Gesellschafterkreis und zu gesellschafterunabhängigen Gruppen, • willkommene, umstrittene und nicht zugelassene Personen- und Berufsgruppen, • Lebensalter der Beiräte. Bei einem organschaftlichen Beirat wird in der Satzung zumindest festgelegt, dass es einen Beirat geben soll, wer dessen Mitglieder auswählt, nach welchem Verfahren dies geschieht und welche Zuständigkeiten der Beirat hat. In der Satzung werden auch einige Auswahlkriterien bestimmt. Typischerweise werden die Ober- und Untergrenze der Anzahl der Mitglieder, die Aufgliederung dieser Anzahl auf Gesellschafter und Nicht-Gesellschafter, die Altersgrenze für die Mitglieder sowie deren Amtsdauer geregelt. Man sollte jedoch nicht zu viele Merkmale in der Satzung festschreiben. Die Satzung ist das Grundgesetz der Gesellschaft. Man kann zwar mit satzungsdurchbrechenden Beschlüssen davon abweichen, doch sollte dies nur in seltenen Ausnahmefällen geschehen. Es ist dennoch gut und richtig, 355
Nach der Resource-Dependency-Theory der angloamerikanischen AufsichtsratsForschung liegt der Wert des Gremiums gerade darin, dass die Mitglieder über nützliche Kontakte zur Umwelt der Unternehmen verfügen und dass dadurch das strategische Potenzial der Unternehmung erhöht wird. Vgl. Pfeffer, J./Salancik, G.R. (1978). Kreitmeier, F., S. 50 ff. (2001).
14.2 Das Verfahren zur Bestimmung der Mitglieder
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Grundsätze und Orientierungsrichtlinien zu haben, welche Art von Mitgliedern der Beirat haben sollte und welche nicht. Solche Willensbekundungen sollten aber nicht in die Satzung, sondern in eine „Richtlinie für die Beiratsbildung“ oder eine „Beiratsordnung“356 eingehen.
14.2 Das Verfahren zur Bestimmung der Mitglieder Die Berufung der Nicht-Familien-Beiräte In einem Familienunternehmen hat in der Regel die Gesellschafterversammlung die Aufgabe, die Mitglieder des Beirats zu wählen. Bei Mehrgenerationen-Gesellschaften mit vielen Gesellschaftern gibt es gelegentlich einen Gesellschafterrat oder Familienrat, zum Beispiel mit einem oder wenigen Vertretern pro Stamm, die diese Kompetenz zur Auswahl der Beiratsmitglieder haben.357 Von dieser letzteren Konstellation abgesehen werden wie oben festgestellt die Beiratsmitglieder von der Gesellschafterversammlung gewählt. In der Regel setzt sich die Gesellschafterversammlung aus „Großaktionären“ zusammen, die in starkem Maße persönlich Anteil an der Frage nehmen, wen sie mit der Beiratsaufgabe betrauen. Das gilt sowieso für die Familienmitglieder, die selbst im Beirat tätig sind. Es gilt aber auch und gerade für die Familiengesellschafter, die nicht selbst dem Beirat angehören, die als Gesellschafter aber eine hohe Bindung an das Unternehmen haben und deren Wohlstand in hohem Maße von der Entwicklung des Familienunternehmens abhängt. Für diese Nur-Gesellschafter sind die Beiratsmitglieder in ihrer Gesamtheit die Treuhänder ihrer Interessen und die Garanten für eine gedeihliche Unternehmensentwicklung. Es kann daher gar nicht anders sein, als dass die Mitglieder dieses Gremiums das Vertrauen der Mehrheit der Gesellschafter haben. Es gibt Satzungsbestimmungen, wonach ein Vorschlags- oder gar Benennungsrecht einzelner Gesellschafter oder Gesellschafterstämme für einzelne Beiratsmitglieder vorgesehen wird, eventuell sogar mit der Maßgabe, dass diese Beiratsmitglieder bestimmte Interessengruppen der Gesellschafter vertreten sollen.358 Dies wäre aber eine kritische Regelung in 356 357
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Lutz, D./App, M. (1994): S. 611. Auf diese Funktion eines „Familienrats“ verweist Obermaier, O.W. (2004) aufgrund seiner Interviews bei großen Familiengesellschaften, S. 18. Ebenda mit Verweis auf Küpper, H.U. (1981). Voormann, V. (1981).
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14 Die Besetzung des Beirats
Richtung eines „imperativen Mandats“. In einem Kollegium, das eine Funktion im Führungssystem einer Unternehmung ausübt, darf es keine partikulare Interessenvertretung geben. Es darf ja für Partikularinteressen auch keine Entsendungsrechte in die Geschäftsführung geben, wenn man erreichen möchte, dass dieses Gremium als Kollegium zusammenarbeitet. Schließlich widersprechen solche Vorschlags- oder Benennungsrechte einer allein an der Qualifikation ausgerichteten Auswahl der Beiräte und sind auch aus diesem Grunde abzulehnen.359 Analog zu den Regularien der demokratischen Wahl ist die Wahl der Beiratsmitglieder durch die Mehrheit der Gesellschafter der empfehlenswerte Standard. Meines Erachtens weist eine Mehrheitswahl eher auf das gesamthafte Gesellschafterinteresse hin. Ein nach Proporz-Gesichtspunkten zusammengesetztes Gremium verweist im Ansatz schon mehr auf die Partikularinteressen als auf das Gesamtinteresse. Allerdings muss mit Recht danach gefragt werden, wie Minderheitsinteressen berücksichtigt werden. Ein dem Ganzen verpflichteter Beirat wird meines Erachtens immer auch die Belange von Minderheiten respektieren müssen, weil er sich im Interesse des Unternehmens um den Zusammenhalt aller Gesellschafter bemühen muss. Vorausgesetzt ist hier, dass die Minderheitsinteressen nicht abträglich für die Belange des gesamten Unternehmens sind. Hier gibt es allerdings Grauzonen und Ermessensfragen, die ex ante nicht geregelt werden können. Systematisch ist der Schutz des Minderheitsgesellschafters aber letztlich in der Satzung und anderen Vereinbarungen auf der Ebene der Gesellschafter anzusiedeln und nicht bei den Regelungen zur Besetzung des Beirats. Das Problem bei der Ausübung des statutarischen Rechts zur Wahl der Beiratsmitglieder liegt von Anfang an darin, dass die Familiengesellschafter – so sie nicht selbst in der Wirtschaft tätig sind – möglicherweise nicht den nötigen Überblick über die in Betracht kommenden Kandidaten und nicht die wünschenswerten Kontakte zu ihnen haben. Es könnte daher leicht sein, dass die Familiengesellschafter in ihrem persönlichen Umfeld nach Kandidaten suchen. Das hat dann zur Folge, dass Persönlichkeiten aus dem wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Raum Beiratsmandate einnehmen, die zwar über eine eindrucksvolle Allgemeinbildung und Ausstrahlung verfügen, aber über keine Praxis in der Unternehmensführung. „Verantwortung in der Eigentümerrolle (responsible ownership)“ zeigt sich vor allem in der kompetenten und dadurch verantwortungsvollen Auswahl der Personen für das Gremium „Beirat“. 359
Hennerkes/Binz/May (1987): S. 474.
14.2 Das Verfahren zur Bestimmung der Mitglieder
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Nun wäre es jedoch eine voreilige Schlussfolgerung, anzunehmen, dass die Beiratsmitglieder in der Praxis tatsächlich von den Familiengesellschaftern ausgesucht würden. Den größten Einfluss auf die Auswahl neuer Mitglieder haben bereits vorhandene familienfremde Beiräte. Sie sind renommierte Angehörige der Gemeinschaft der Unternehmensleiter in einer Region oder einer Nation und haben die besten Kenntnisse, wer „ihresgleichen“ ist und zu dem Gremium passen würde. Dieses „Passen“ ist wiederum wichtig für den wechselseitigen Respekt und damit für die Effizienz der Arbeit der Gruppe. Die Gesellschafter, die nicht die gleiche Erfahrung und kaum Kontakte in diesen „Kreisen“ haben, verfügen nicht über die gleiche Kompetenz bei der Auswahl von Beiräten wie die etablierten Manager. Bei Gesellschaftern bestünde eher die Gefahr, dass sie nach allgemein üblichen Wertmaßstäben für zwischenmenschliche Beziehungen vorgehen würden und Personen wählten, die sie einfach gut und sympathisch fänden. Es geht hier aber nicht um Sympathie, wohl aber um Eignung und Vertrauenswürdigkeit. Die Auswahl durch den Beirat selbst kann als Kooptationsrecht eine statutarisch festgelegte Kompetenz des Beirats sein. Das Verfahren der Kooptation wird häufig bei den Verwaltungsgremien für Stiftungen in der Rechtsform der GmbH gewählt (Stiftungsrat). Hier bietet es sich an, weil der Bestand der Stiftung ja unabhängig vom Einfluss der Nachkommen gesichert sein soll. Die Perpetuierung des Sachverstands des vom Stifter geschaffenen Gremiums durch Kooptation ist sicher die bessere Alternative, als die Stiftung der staatlichen Stiftungsaufsicht zu unterstellen und auf deren wirtschaftlichen Sachverstand zu vertrauen. Das Kooptationsrecht bedeutet freilich, dass es keine übergeordnete Kontrolle des „Kontrollgremiums“ mehr gibt. Allerdings bedeutet das nicht das Fehlen jeglicher Kontrolle: Es bleibt die „kollegiale Kontrolle“ der Qualität der Arbeit durch die Mitglieder des Kollegialorgans untereinander.360 Die Effektivität dieser Kontrolle müsste logischerweise verstärkt werden, zum Beispiel durch eine strikte Altersgrenze, die eine kontinuierliche Erneuerung des Gremiums gewährleistet. Aber auch dann, wenn es kein Kooptationsrecht gibt, kann es das tatsächlich praktizierte Vorrecht des Beirats sein, seinen Mitgliederkreis selbst zu ergänzen. Hierbei sind innerhalb der praktizierten Usancen wiederum zwei Unterfälle denkbar: Ein häufiger Fall dürfte die Auswahl neuer Mitarbeiter durch den Vorsitzenden des Beirats sein. Auch hier ist der Vorschlag natürlich mit den anderen Beiratsmitgliedern abzustimmen. Ein 360
Diesen nicht trivialen Hinweis verdankt der Verfasser dem Unternehmer Götz Werner.
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14 Die Besetzung des Beirats
anderer Fall besteht darin, dass das jeweilige aufgrund der Altersgrenze ausscheidende Beiratsmitglied selbst Vorschläge macht, wen sie oder er für einen geeigneten Nachfolger hält. Die Vorschläge der Beiratsmitglieder – gleichviel ob einfaches oder vorsitzendes Mitglied – haben die Vermutung für sich, dass die Beiratsmitglieder Wirtschaftsführer ähnlichen Gewichts und ähnlicher Erfahrung kennen und diese auch ansprechen können. Schließlich gibt es die Konstellation, dass der Auswahlprozess in den Händen der Unternehmensleitung liegt. Klaus hat diesen Befund bei seiner Befragung wiederholt vorgefunden, wobei diese Konstellation bei seiner Erhebung besonders bei Firmen mit geschäftsführenden Gesellschaftern häufiger vorkam. Es verwundert nicht, dass geschäftsführende Gesellschafter ihre Macht als Eigentümer auch dazu nutzen, die Zusammensetzung des Beirats maßgeblich zu beeinflussen. „Zwar weisen entsprechende statutarische Bestimmungen die Gesellschafterversammlung (bzw. bestimmte Gesellschafterkreise) als formal zuständig aus. Tatsächlich besorgt aber, entgegen diesen institutionellen Regelungen, die Unternehmensleitung die Gewinnung von Beiratsmitgliedern. Diese unterbreitet nämlich bei einer Vakanz im Beirat das Feld möglicher Kandidaten für eine Mitgliedschaft. Diese nimmt dann Kontakte zu den Personen auf, die ihr geeignet erscheinen. Diese unterbreitet schließlich Besetzungsvorschläge, denen das zuständige Organ in aller Regel fraglos entspricht.“361 Eine solche Vorgehensweise führt dann auch zu folgendem perversen Ergebnis: „Nach diesen Befunden ist der Beirat kein Mittel der Einflussnahme der Gesellschafter mehr, sondern schon ein Führungsinstrument der Unternehmensleitung [Hervorhebungen im Original]. Diese schafft sich den Beirat so, wie sie ihn gerne hätte. Die Kontrolle durch den Beirat kann insoweit leicht zu einer Verlautbarung der Selbstkontrolle der Unternehmensleitung geraten.“362 Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass ein von der Unternehmensleitung ausgewählter Beirat objektiven Rat gibt. Die Rolle eines „starken“ Beirats setzt nach allgemeiner Lebenserfahrung jedoch eine sachliche und emotionale Unabhängigkeit gegenüber der beratenen und beaufsichtigten Geschäftsführung voraus. Letztlich läge es auch noch nicht einmal im wohlverstandenen Interesse der Unternehmensleitung, von so einem von ihr bestellten Beirat beaufsichtigt zu werden. Man wird sich daher um einen Prozessablauf bemühen, der all diese Aspekte berücksichtigt. Hierzu unterscheidet man vorteilhafterweise zwischen 361 362
Klaus, H. (1991): S. 67. Ebenda: S. 68.
14.2 Das Verfahren zur Bestimmung der Mitglieder
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der Phase der Suche und Benennung des Kandidaten und der Phase seiner Bestätigung. Die Suche und Benennung des Kandidaten wird oft ausschließlich bei den amtierenden Mitgliedern des Beirats liegen. Dies gilt vor allem dann, wenn die maßgeblichen Gesellschafter keine eigenen Erfahrungen und damit „Netzwerke“ in der Wirtschaft haben. In diesem Prozess kommt dem Vorsitzenden des Gremiums eine besondere Aufgabe und auch Verantwortung zu. Der Suchprozess wird also von den Regeln der Kooptation bestimmt: Die derzeitigen Mitglieder des Gremiums laden neue Mitglieder ein. Der Kandidat bedarf aber in jedem Fall der vollen Zustimmung eines ausreichenden Quorums der Gesellschafter. Das bedeutet, dass eine nur formale Bestätigung nicht ausreicht; sondern die Familiengesellschafter oder deren maßgebliche Vertreter sollten ausreichend Gelegenheit haben, den vom Beirat empfohlenen Kandidaten persönlich kennenzulernen, um ergründen zu können, ob sich eine vertrauensvolle Beziehung zu ihm knüpfen lässt. Vertrauen ist eine Frage des Kennens der Person. Dieser Prozess bedarf der Zeit. Diese Zeit sollte man sich nehmen. Sie dient der Stärkung der Bindung zwischen Familiengesellschaftern und Familiengesellschaft. Wenn die Gesellschafter Sachkundige in ihren Reihen haben, dann ist es das häufigste und richtige Verfahren, wenn sie selbst von Anfang an die Suche nach geeigneten Beiratsmitgliedern in die Hand nehmen und von den Vorschlagslisten bis zur Wahl „Herr des Verfahrens“ sind. Damit die Suche zur Bewahrung eines Qualitätsniveaus für das Beiratsgremium insgesamt führt, muss sie methodisch durchgeführt werden. Einige der hierbei zu beachtenden Aspekte werden im Kapitel 14.4 über die „Qualifikation der Mitglieder des Beirats“ behandelt. Das Erfordernis für Familiengesellschafter im Beirat Angesichts der generell befürworteten Besetzung von Beiräten mit kompetenten Nicht-Familienmitgliedern kommt man in die Versuchung zu fragen, ob es nicht umso besser für das Unternehmen sei, je mehr Nicht-Familienmitglieder eingesetzt sind, und ob es somit nicht am besten wäre, die Familie selbst aus der „Corporate Governance“ völlig herauszuhalten. Dem ist aus verschiedenen Gründen nicht zuzustimmen. Die Mitwirkung von Familiengesellschaftern im Beirat ist ein wesentlicher Faktor zur Stärkung des strategischen Potenzials eines Familienunternehmens. Erstens sind die Familienmitglieder die eigentlich Interessierten bezüglich der Qualität der Unternehmensführung und somit auch bezüglich der Qualität der Interaktionen von Beirat und Geschäftsführung. Sie sind interessierte Beobachter dieses Prozesses und bilden sich ein Urteil, wer wie zu
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der Qualität dieses Prozesses beiträgt. Jeder Nicht-Familien-Beirat dürfte dies wissen und daher in ganz anderer Weise bemüht sein, ein persönliches Profil in der Arbeit des Gremiums zu entwickeln, als er dies in einem großen Aufsichtsrat tun müsste. Zum Zweiten sind die Familienmitglieder im Beirat „interlocking pins“363 zwischen dem System der Familiengesellschafter und dem Führungssystem der Unternehmung. Da die Auswirkungen großer strategischer Entscheidungen von der Gesamtheit der Gesellschafter getragen werden, müssen sie diese Entscheidungen verstehen können. Die Teilnahme von Vertretern der Gesellschafter an der Genese des Entscheidungsprozesses erhöht das Verständnis und damit die Verantwortbarkeit der Entscheidung. Drittens dient die Verankerung des Gesellschafterkreises im Beirat der Intensivierung der Bindung zwischen Gesellschaftern und Unternehmen. Alles, was dazu dient, diese Bindung zu stärken, ist per se zu unterstützen. Die Auswahl der Familienmitglieder Für die Vertreter der Familiengesellschafter im Beirat gilt natürlich ebenfalls, dass die persönliche Qualität wichtiger ist als die formale Funktion. Es geht hierbei um die Qualifikation als ernst zu nehmende Persönlichkeit, denn nur dann ist die Bedingung zu erfüllen, dass sich die Mitglieder der Gruppe gegenseitig als gleichrangige Gesprächspartner wahrnehmen. Es ist nicht erforderlich, dass die Familien-Vertreter im Beirat versuchen, sich die gleiche wirtschaftliche Kompetenz anzueignen, wie sie – als wichtiges Auswahlkriterium – von den Nicht-Familien-Mitgliedern erwartet wird. Dies ist auch nicht erforderlich, denn gerade wegen ihres Kompetenzvorteils hat die Familie ja Externe als Beiräte bestellt. Die Familienmitglieder sollen nicht zusätzliche wirtschaftliche Kompetenz einbringen, sondern sie sollen den für sie spezifischen Anforderungen gerecht werden: Sie sollten helfen, die Bindung zwischen den Gesellschaftern und dem Unternehmen zu stärken. Im Rahmen dieser Zielsetzung wird man für die Bestellung von Gesellschaftern als Mitglieder des Beirats andere Auswahlkriterien heranziehen, als wenn man das Familienmitglied mit dem maximalen wirtschaftlichen Sachverstand suchen würde. Um der zentralen Aufgabe gerecht zu werden, die Bindung der Gesellschafter an das Unternehmen zu stärken, mag es geboten sein, dass die Zusammensetzung der Gruppe der Familienmitglieder im Beirat die Struktur der Gesellschafter angemessen widerspiegelt. Zum Beispiel können dann Kriterien wie folgende maßgeblich sein: 363
Durchaus verwendet im Sinne der Organisationstheorie von Likert, R. (1961).
14.2 Das Verfahren zur Bestimmung der Mitglieder
453
• Ansehen der Person bei den Familienmitgliedern möglicherweise aufgrund der Seniorität oder aufgrund persönlicher Eigenschaften, • oder aber: Repräsentation der zukünftig maßgeblichen Generation der jüngeren Gesellschafter, • Repräsentation jeder Generation oder jeder Familie in einer Mehrgenerationen-Mehrfamilien-Gesellschaft. In einer solchen Konstellation wird anzunehmen und hinzunehmen sein, dass die im Beirat vertretenen Familiengesellschafter zum Diskurs in Fragen der Aufsicht und der unternehmenspolitischen Beratung keine fachlichen Aspekte beitragen können. Es bleiben genügend Themen, die des unmittelbaren Beitrags der Familiengesellschafter bedürfen. In einer Mehrgenerationen-Gesellschaft mit mehreren Familien organisieren sich diese häufig in Familienstämmen. Die Implikationen dieser Regelungen werden hier übergangen; meist geht es um ein Vorkaufsrecht oder Erwerbsrecht der Mitglieder eines Stammes für den Fall, dass ein Stammesangehöriger Anteile abgeben möchte. Die Weisheit eines solchen Organisationsprinzips ist anzuzweifeln. Man muss vielmehr fragen, ob es nicht geradezu eine falsche Beratung ist, die dazu führt. Aber man muss leider feststellen, dass diese Regelung häufig ist. Wenn die Gesamtheit der Gesellschafter nach Stämmen organisiert ist, wird häufig ein Entsendungsrecht der einzelnen Familienstämme gewünscht. Wälzholz führt hierzu unseres Erachtens richtig aus: „Dies ist nicht immer einer konstruktiven Zusammenarbeit förderlich, da auf diese Art und Weise »Interessenvertreter« der Gesellschafterstämme im Beirat sitzen, die die Diskussionen der Gesellschafter auf anderer Ebene fortführen. Dennoch wird sich dies in größeren Familiengesellschaften regelmäßig nicht vermeiden lassen. Die Satzungsregelung sollte in einem solchen Fall klarstellen, dass die entsandten Mitglieder dennoch nicht Vertreter des Familienstammes sind, sondern der Gesellschaft als solcher verpflichtet sind. Ferner sollte Vorsorge getroffen werden, dass der Beiratsvorsitzende kein entsandtes Mitglied ist und weitere Beiratsmitglieder allein nach ausgewiesener Fach- und Sachkompetenz vorhanden sind.“364 Völlig abseits der hier vertretenen Überlegungen wäre es, den potenziellen Nachfolger schon einmal in den Beirat aufzunehmen, damit er von hier aus das Geschäft kennenlernt und sich für eine nachfolgende Berufung in die Unternehmensleitung einarbeitet.365 Die Unternehmensführung muss 364 365
Wälzholz, E. (2005): S. 403. Ruter, R.X./Thümmel, R.C. (1994): S. 36, erwägen diesen Fall.
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jemand lernen, bevor er in den Beirat kommt; auf der „Aufsichtsplattform“ eines Beirats lernt man dies nicht. Die Auswahl des Vorsitzenden Der Vorsitzende des Beirats wird – wie dies auch beim Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Fall ist – von den Beiratsmitgliedern aus ihrer Mitte gewählt. Es versteht sich von selbst, dass dies keine Wahl auf der Basis irgendeines Mehrheitswahlverfahrens ist, sondern das Ergebnis einer Exploration unter den Beteiligten, das durch Akklamation bestätigt wird. Bei dieser Exploration haben die Gesellschafter das entscheidende Wort und müssen dies auch haben. Das uneingeschränkte Vertrauen der Gesellschafter – zumindest der deutlichen Mehrheit – in den Vorsitzenden „ihres“ Beirats ist die unabdingbare Voraussetzung für die Macht und die Funktionsfähigkeit dieses Gremiums. Der Vorsitzende ist von überragender Bedeutung für die Zusammensetzung des Gremiums, das heißt letztlich für die Qualifikation und die Reputation seiner Mitglieder und damit für die Leistungsfähigkeit des Beirats und seinen Ruf in der Öffentlichkeit. Welche Personen von der Gesellschafterversammlung in das Gremium gewählt werden, hängt zweifellos – ob dies schriftlich so geregelt ist oder nicht – von der Zustimmung des Vorsitzenden ab. Ob ein Kandidat für ein Beiratsmandat ausgewählt wird und dieses annimmt, wird davon bestimmt, ob er es sich zur Ehre anrechnen kann, in einem Gremium unter dem aktuellen Vorsitz zu arbeiten. Aus diesem Grund tun die Gesellschafter gut daran, alles zu unternehmen, um einen guten Vorsitzenden für ihren Beirat zu gewinnen, der „zu ihnen passt“.
14.3 Die Anzahl der Mitglieder Die Anzahl der Mitglieder eines ohnehin fakultativen Beirats kann natürlich frei bestimmt werden. Die empirischen Erhebungen und Literaturaussagen geben ein sehr einheitliches Bild366:
366
Brose, T. (2006): S. 11 und S. 34 mit weiteren Verweisen auf die Untersuchungen von Gaugler, E./Heimburger, W. (1985) und Vogler, M. (1990): S. 282. So empfiehlt zum Beispiel Steinbeck, W. (2004): S. 102; drei bis fünf Mitglieder. Ebenso Becker, F.G. (2004): S.114.
14.3 Die Anzahl der Mitglieder
455
• 35 bis 40 % aller untersuchten Beiräte haben drei Mitglieder. Es ist nun nicht so, dass diese Zahl stets verbunden ist mit einer geringen Unternehmensgröße. Rund 40 % der von Brose befragten Unternehmen haben Umsätze bis 50 Mio. EUR. In der Untersuchung von Brose haben die Unternehmen bis 50 Mio. EUR Umsatz im Durchschnitt 3,9 Beiratsmitglieder. Somit müssen auch einige der großen Gesellschaften „nur“ drei Beiratsmitglieder haben. • Circa 20 % der Beiräte haben vier Mitglieder. • Fünf Mitglieder finden sich nur bei etwa 15 %. Nach der Erhebung von Brose gehören 9 % aller Unternehmen von über 500 Mio. EUR Umsatz zu dieser Kategorie. Quermann erfasst nur Gesellschaften mit mehr als 500 Mio. EUR Umsatz und findet unter den neun Beiräten einen mit vier Mitgliedern und alle anderen mit fünf oder sechs Mitgliedern.367 • Wälzholz betrachtet – ohne weitere Erläuterung – sechs Mitglieder als die Obergrenze für ein effektives Arbeitsgremium.368 • Für die ganz großen Familiengesellschaften mit mehreren Mrd. EUR Umsatz kann die Anzahl der Beiratsmitglieder sogar darüber liegen, denn man braucht für den mitbestimmten Aufsichtsrat von 16 oder gar 20 Mitgliedern entsprechend viele Vertreter der Anteilseigner. In der Aufsichtsratsforschung für Aktiengesellschaften in den USA, die ja nicht die seltsame Vorgabe von Aufsichtsratsgrößen qua Mitbestimmungsgesetz kennt, wird die Begrenzung der Größe des Boards als eine entscheidende Voraussetzung für seine Effizienz gesehen: Sieben bis acht Mitglieder gelten als Maximum. In dieser Regel liegt nach meinem Ermessen viel praktische Weisheit.369 Richtigerweise ist bei der Festlegung der Anzahl der Angehörigen eines Beirats zunächst von der Anzahl der Geschäftsführer der jeweiligen Firma auszugehen, um dann die sinnvolle Größe des Gesprächskreises aus Geschäftsführern einerseits und Beiräten andererseits zu bestimmen.370 Bei zwei Geschäftsführern ergibt die Zahl von drei Mitgliedern eine zweckmäßige Größe für den Beirat.
367 368 369 370
Quermann, D. (2004): S. 203. Wälzholz, E. (2005): S. 403. Siehe Firstenberg, P./Malkiel, B. (1994): S. 34. Johnson, E.W. (1990): S. 55. Vgl. Sattler/Jursch/Müller (2004): S. 42 f.
456
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Solche Erhebungen und die daraus abgeleiteten Empfehlungen geben eine erste Vorstellung davon, was üblich und ratsam ist. Die Gründe für die Wahl der „empfehlenswerten“ Anzahl werden aus dem rein zahlenmäßigen Befund allerdings nicht deutlich. Für die Festlegung der Anzahl der Mitglieder eines Beirats gilt die Forderung: Qualität ist wichtiger als Quantität. Die Qualität der Arbeit des Gremiums wird dadurch bestimmt, dass die verschiedenen Mitglieder ein vergleichbares Kompetenzniveau haben. Nur dann können sich ihre Argumente gegenseitig bereichern. Nur dann werden sich die Gruppenmitglieder als ernst zu nehmende Gesprächspartner gegenseitig respektieren. Bei einem gegebenen Gesamtaufwand für die Honorierung des Gremiums ist es im Übrigen besser, wenige gute und auch gut honorierte Mitglieder zu haben als viele, die sich für ihren Arbeitsaufwand nicht angemessen entschädigt fühlen. Über die Summe des Honorars, das für einen Beirat anzusetzen ist, ergibt sich insofern, dass die Obergrenze der Mitgliederzahl von der Unternehmensgröße abhängig ist; denn je größer der Beirat ist, umso größer wird das Budget für den Beirat sein, das sich nur ein größeres Unternehmen leistet. Je weniger Mitglieder ein Beirat hat, desto größer ist der Einfluss der einzelnen Beiratsmitglieder. Jeder der Beteiligten weiß, dass es auf seine Mitarbeit ankommt. Jeder erhält aber auch ausreichend Zeit und Gelegenheit, sich in die Arbeit einzubringen. In Helms Befragung der Vorstände mittelständischer Aktiengesellschaften zu deren Wahrnehmung der Qualität der Aufsichtsratsarbeit ergab sich, dass das größte Defizit in der „mangelnden Professionalität“ der Mitglieder gesehen371 und die Reduzierung der Anzahl der Mitglieder als der beste Weg zur Verbesserung der Qualifikation erachtet wird.372 Bei diesen Aussagen wird vermutlich die durch die Arbeitnehmervertreter aufgeblähte Größe des Gremiums ohne Zuwachs an Professionalität ins Auge gefasst sein. Dieses Problem entfällt bei dem hier behandelten Beirat. Es gibt aber auch eine Untergrenze für die Anzahl der Beiratsmitglieder. Für die Bestimmung der Untergrenze ist es zunächst entscheidend, zu wissen, ob und, wenn ja, wie viele Familiengesellschafter im Beirat vertreten sein sollen. Sofern Familiengesellschafter im Beirat vertreten sind, sind es meist zwei bis drei Familienmitglieder, die einen Sitz im Beirat haben. Die Anzahl ergibt sich daraus, ob mehrere Familienzweige vertreten sein sollen. Aber auch wenn dies noch keine Rolle spielt, sollten im Beirat zumeist mit 371 372
Helm, R. (2004): S. 105. Ebenda: S. 108 f.
14.3 Die Anzahl der Mitglieder
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Gewinn mehrere Generationen mitwirken: Zum Beispiel sollte neben dem Senior und Mehrheitsgesellschafter bereits ein Vertreter der nachfolgenden Generation einen Sitz im Beirat haben. Wird nun angestrebt, dass die Zahl der Nicht-Familien-Beiratsmitglieder und die der Familien-Beiratsmitglieder in einer bestimmten Relation stehen, dann ergibt sich – schon rein rechnerisch – eine bestimmte Mindestzahl von Beiratssitzen. Die Relation zwischen Nicht-Familienmitgliedern und Familienmitgliedern sieht in der Regel so aus, dass die Nicht-Familienmitglieder die Mehrheit haben – allenfalls besteht Parität zwischen beiden Gruppen. Sollten hingegen in einem Beirat institutionell die Familienmitglieder die Mehrheit haben, dann wird damit signalisiert, dass der Beirat in seiner Grundfunktion eine Veranstaltung der Familie ist und nicht ein Aufsichtsgremium, das durch möglichst qualifizierte Persönlichkeiten besetzt werden sollte. Bei einer solchen Betonung des Familiencharakters wird es nicht gelingen, hoch qualifizierte Experten für den Beirat zu finden. Es ist dann wohl besser, den Beirat gleich insgesamt mit Familienmitgliedern zu besetzen. Sollte nur ein einziges Familienmitglied im Beirat sein, ist ein Beirat mit insgesamt drei bis vier Mitgliedern denkbar. Wenn zwei Familienmitglieder im Beirat sind und eine Mehrheit von Nicht-Familienmitgliedern den Beirat qualifizieren soll, dann liegt die Mindestgröße bereits bei fünf Mitgliedern; bei drei Familienmitgliedern bei insgesamt sieben Mitgliedern. Wenn keine Familiengesellschafter im Beirat vertreten sind, dann sehen manche die Unternehmensgröße als einen Aspekt an, der Auswirkungen auf die Mindestanzahl der Beiratsmitglieder hat. Die Untergrenze hat unseres Erachtens allerdings wenig mit der Größe des Unternehmens zu tun als vielmehr mit der Vielfalt der Geschäftsaktivitäten. Bei sehr vielfältigen Geschäftsaktivitäten wird man Beiratsmitglieder mit einem jeweils spezifischen Kompetenzhintergrund suchen und daher mehrere Mitglieder benötigen. Kein Kriterium für die Anzahl der Mitglieder ist es, eine „ungerade“ Anzahl von Mitgliedern zu benennen, um allzeit eine klare Mehrheit zu gewährleisten. Zunächst könnte dies technisch auch durch eine Stichstimme des Beiratsvorsitzenden ermöglicht werden. In Beiräten wird aber normalerweise nicht abgestimmt. Wenn doch jemals abgestimmt werden sollte, ist mehr dabei zu beachten als die Frage, wie das Quorum zustande kommt und ob es eine eindeutige Mehrheit gibt. All diese Überlegungen werden hinfällig, wenn es einen mitbestimmten Aufsichtsrat gibt. Dann entsteht daraus indirekt eine Vorgabe für die Anzahl und die Identität der Mitglieder eines parallel zu diesem Aufsichtsrat geschaffenen Beirats: Man wird dann alle Kapitalvertreter im Aufsichtsrat in den Beirat berufen.
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14 Die Besetzung des Beirats
14.4 Die Qualifikation der Mitglieder des Beirats Das Qualifikationsspektrum und das Qualifikationsniveau Die Qualifikationsanforderungen an die Beiratsmitglieder sind aus den Aufgaben des Beirats abzuleiten. Bei einem repräsentativen Beirat, der einem Start-up-Unternehmen von Anfang an eine gewisse Glaubwürdigkeit verschaffen soll, kommt es vor allem auf den Bekanntheitsgrad und die Reputation der Beiratsmitglieder an. In einem allein auf die Aufsichtsfunktion konzentrierten Beirat muss eine Kompetenz in Aufsichtsprozessen vorliegen. Dies ist ein Prozesswissen, dass branchenunabhängig ist, ja für das vielleicht sogar eher eine besondere Gewissenhaftigkeit und Methodik förderlich ist als unternehmerische Erfahrung und Dynamik. Es ist also möglich, dass Berufsangehörige, die vom Berufstypus her nicht unternehmerisch tätig sind und sich keine unternehmerische Erfahrung im Beruf aneignen, beispielsweise Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer, hervorragend in der Methodik der Aufsicht sind. Dies gilt natürlich auch im umgekehrten Zusammenhang: Die Angehörigen dieser Berufe konzentrieren sich gerne auf die formalen Prozesse der „Aufsicht“ und weniger auf die unternehmenspolitischen Fragestellungen. Wieder andere Anforderungen an seine Mitglieder stellt ein Beirat, bei dem die Beratung der Geschäftsführung bei der unternehmerischen Planung die Hauptaufgabe ist. Für Beratungsprozesse in Strategiefragen sind Erfahrung im Unternehmertum und Kompetenz in den Strategiethemen erforderlich. Die Qualifikation der Mitglieder eines Beirats hat in verschiedener Hinsicht Bedeutung: • Für die Gesellschafter ist die Qualifikation die Bedingung, dass die Mitglieder des Gremiums „leistungsfähig“ bei ihrer Aufgabe sind und in ihrem Interesse die gute Entwicklung des Unternehmens fördern. • Für die Unternehmensleitung ist es grundsätzlich leichter, einem Gremium zu berichten, das unstrittig eine hohe fachliche Qualifikation hat. • Je qualifizierter und renommierter die Mitglieder des Gremiums sind, umso leichter ist es, in gleicher Weise ausgezeichnete neue Mitglieder zu gewinnen. Aufgrund dieser Gegebenheiten wird man gerade in einem mittelständischen Unternehmen darauf achten, dass die Beiratsmitglieder eine Qualifikation haben, die von der Geschäftsführung respektiert wird. „Adding value
14.4 Die Qualifikation der Mitglieder des Beirats
459
beyond the CEO“ – diese Forderung von Conger et al.373, drückt dies griffig aus. Das Qualifikationsniveau kann sich bei Nicht-Familienmitgliedern im Beirat in Kriterien ausdrücken wie etwa: • Größe des Verantwortungsbereiches, in dem ein Beiratsmitglied erfolgreich tätig ist oder war (Größe des Unternehmens, Niveau der Führungsebene in einem Großunternehmen), • Tiefe der fachlichen Kompetenz, • Umfang der Erfahrung – am leichtesten erkennbar an der Länge der Dienstzeit. Es ist regelmäßig ein großer Vorteil, wenn es gelingt, einen noch aktiven Unternehmer für einen Beirat zu gewinnen. Dann darf man – als mittelständisches Unternehmen – diesen Wunsch aber meist nicht verbinden mit der weiteren Spezifikation, möglichst einen Vorsitzenden der Geschäftsführung oder einen Geschäftsführer eines großen Unternehmens gewinnen zu wollen. Ein Beiratsmandat ist in der Regel ein so zeitintensives Amt, dass der Amtsinhaber oder sein Unternehmen sehr zurückhaltend darin sind, mehrere externe Mandate zuzulassen. Der Fehler der suchenden Firma ist hierbei die Kombination ihrer Wünsche. In den Strukturen von Großunternehmen gibt es Führungskräfte mit großem Potenzial und Erfahrungen auch bei Tochtergesellschaften oder in Betriebsteilen, als Leiter von Abteilungen für Strategieentwicklung oder Controlling, als Chefs von Betrieben oder von Forschungs- und Entwicklungsbereichen. Die Verantwortungsbereiche und die Erfahrungsdimensionen dieser Führungskräfte können die Erfordernisse von mittelständischen Unternehmen sicherlich großräumig abdecken. In ihrem Konzern haben diese Führungskräfte Führungspositionen gegenüber anderen, die durchaus denen eines Beirats vergleichbar sind. Diese Personen sind nur möglicherweise von außen nicht so leicht zu identifizieren. Da es durchaus auch im Interesse dieser Großunternehmen liegt, ihren High Potentials die Möglichkeit zu geben, in einem externen, mittelständischen Unternehmen Erfahrungen als Beiratsmitglied zu sammeln, sollte man einfach eine zugängliche Kontaktstelle, zum Beispiel den für das Personalwesen zuständigen Geschäftsführer, ansprechen, ob er einen Kontakt zu geeigneten Führungskräften herstellen kann. Die Wahl von jüngeren Führungskräften aus der „zweiten Reihe“ von Großunternehmen hat auch noch eine weitere Perspektive: Diese Führungskräfte haben die Höhen ihrer Karriere vielleicht noch vor sich. Wenn 373
Conger, J.A. (2001): S. 50. Ebenso Oesterle, M.-J. (1999): S. 310.
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14 Die Besetzung des Beirats
sie dann in die obersten Ebenen aufsteigen, werden sie den früh erhaltenen Mandaten „treu“ bleiben. Da die Übernahme von externen Mandaten in jedem Unternehmen von der Zustimmung der Vorgesetzten abhängig ist, liegt es nahe, die Bereitschaft hierfür grundsätzlich erst einmal im Umfeld des Anzusprechenden zu klären. Oft haben Mittelständler eher eine Chance, dass die gewünschte Führungskraft für ein Mandat „freigegeben“ wird, weil der Zeitaufwand letztlich überschaubar ist, was bei Großunternehmen nicht immer gegeben ist. Für mittelständische Wachstumsfirmen gilt in besonderer Dringlichkeit die Forderung, Beiräte mit Erfahrungen in größeren Unternehmen zu gewinnen – Persönlichkeiten, die bereits Erfahrung mit dem zukünftig angestrebten Status der Wachstumsfirma haben.374 Ein primäres Suchfeld für Beiratsmitglieder sind andere mittelständische Unternehmer. So wie die Aufsichtsräte der DAX-Konzerne von Vorstandsvorsitzenden anderer DAX-Konzerne besetzt werden, ist es naheliegend, dass mittelständischen Unternehmer sich untereinander bitten, Beiratsmandate zu übernehmen. Mit dem anderen Kollegen würde man zugleich den Erfahrungsbereich „Umgang mit Familiengesellschaftern“ mit abdecken. In den meisten Fällen werden bereits aus dem aktiven Berufsleben ausgeschiedene Unternehmensführer für die Übernahme von Beiratsmandaten in Betracht kommen. Das kann bei der erforderlichen Anzahl von Mandatsträgern in der Wirtschaft gar nicht anders sein. Nun ist es für erfolgreiche berufliche Karrieren durchaus typisch, dass sich nach dem Ende des Hauptberufs – oft ja bereits Anfang der 60er Lebensjahre – eine Phase aktiver Aufgaben in mehreren Bereichen anschließt. Idealerweise sollte der aus dem aktiven Berufsleben ausgeschiedene Kandidat für eine Beiratsposition in einem mittelständischen Unternehmen nicht nur ein einziges Mandat haben. Die Vielfalt der Kontakte und Eindrücke ist es, die Beiratsmitglieder so interessant macht. Es ist aber auch nicht so, dass man die Maxime aufstellen könnte: Je höher die Qualifikation der Beiratsmitglieder, desto besser für das Unternehmen und seine Gesellschafter. Zunächst ist davon auszugehen, dass für jedes Unternehmen – je nach Größe und Reputation – nur ein bestimmter Personenkreis als potenzielle Beiratsmitglieder ansprechbar ist. Sodann sollte ein zu großes Gefälle in der Qualifikation zwischen Unternehmensleitung und Aufsichtsgremium vermieden werden: Ansonsten bestünde leicht die Gefahr, dass man aneinander vorbeiredet. Der Vertreter eines 374
Dies wird als ein Erfolgsfaktor von Wachstumsfirmen gesehen bei: Hambrick, D.C./Crozier, L.M. (1985).
14.4 Die Qualifikation der Mitglieder des Beirats
461
DAX-Konzerns kann sich vielleicht nicht mehr ganz in die Welt eines mittelständischen Unternehmens hineinversetzen. Unter Beachtung dieser Randbedingung wird man aber feststellen können, dass ein gewisses Gefälle in der Qualifikation zwischen Aufsichtsgremium und Unternehmensleitung bei einem Familienunternehmen eher der normale und ideale Fall ist. Dies ist eine Besonderheit der mittelständischen Familienunternehmen, die bei Großunternehmen nicht in gleicher Weise anzustreben oder zu realisieren ist: Für die größten und bedeutendsten Unternehmen eines Landes wird man sicherlich herausragende Unternehmensführer aus anderen großen und bedeutenden Unternehmen suchen. Man wird aber nicht davon ausgehen können, dass hier noch ein Qualifikationsgefälle zur Geschäftsführung besteht. Hier werden sich vielmehr häufig gleichrangige Unternehmensführer eben nur in unterschiedlichen Rollen finden – einmal als Aufsichtsrat und zum anderen als Vorstand oder Vorstandsvorsitzender. Besonders interessant ist der Fall, dass ein Mehrheitsgesellschafter der Leitung eines Familienbetriebs vorsteht: Dies ist zumeist mit einem „schwachen“ Beirat mit eher beratender Funktion verbunden, weil die Entscheidungsmacht eines Mehrheitsgesellschafter-CEO eben de facto nur im Notfall begrenzt werden kann. Es ist dann weder erforderlich noch wünschenswert, auf eine Besetzung des Gremiums mit höher qualifizierten Führungskräften zu dringen. Hier finden wir Aufsichtsgremien, die durchaus mit illustren Persönlichkeiten besetzt sind, deren Reputation aber nicht aus einer Qualifikation als Unternehmensleiter stammt, sondern aus beratender oder publizierender Arbeit, Mitgliedschaft in Verbänden oder wissenschaftlichen Leistungen. In einer solchen Besetzung gewinnt ein Beirat Reputation und ermöglicht sicherlich gehaltvolle Diskussionen zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung – ohne dass die Kompetenz des geschäftsführenden Gesellschafters in konkreten Fragen der Unternehmensführung herausgefordert würde. Eine andere – und noch bessere – Antwort auf eine solche Fallkonstellation ergibt sich allerdings, wenn ein Gesellschafter, der das Familienunternehmen als Unternehmer leiten möchte, darauf hinwirkt, einen „starken“ Beirat mit unbestreitbarer unternehmerischer Kompetenz zu gewinnen. Ein besonders hoch qualifiziertes Gremium wird seine Aufgaben professionell auch gegenüber einem Gesellschafter-Geschäftsführer wahrnehmen und sich von der Macht des Anteilsbesitzes nicht beirren lassen. Damit erreicht dieses Familienunternehmen mehrere Vorteile: Zunächst ist die Professionalisierung der Aufsicht ein Gewinn für die Unternehmensentwicklung. Zum zweiten unterwirft sich der Gesellschafter den gleichen „Unannehmlichkeiten“ der Kontrolle, die für den normalen Geschäftsführer üblich sind. Damit wird ein Element der Gleichbehandlung in einer gemischten Ge-
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14 Die Besetzung des Beirats
schäftsführung aus Gesellschaftern und Nicht-Familien-Geschäftsführern erreicht. Dies ist wiederum die Voraussetzung dafür, dass sich Kollegialität innerhalb der Geschäftsführung entwickeln kann. Diese Fallkonstellation mit einem hochqualifizierten, „starken“ Beirat ist auch dann unabdingbar, wenn ein Familienmitglied mit nicht dominierendem Anteilsbesitz die CEO-Funktion einnimmt. Diese sehr delikate Konstellation verlangt einen besonders „starken“ Beirat.375 Das Kompetenzspektrum Die Nicht-Familien-Mitglieder eines Beirats wird man naturgemäß mit einer angemessenen Mischung von Kompetenzen auswählen. Die Kompetenzbereiche, die zu beachten sind, sind zum Beispiel: • Kenntnis ähnlicher Branchen (Ähnlichkeit der Geschäftsmodelle, z. B. Dienstleistungen, aber für unterschiedliche Kundenbranchen), • Kenntnis der Kundenbranche, zum Beispiel einer anderen Lieferbranche für die gleiche Kundenbranche; in der Regel wird man aber nicht einen Kunden in den Beirat wählen, • Vertrautheit mit den Bedingungen globaler Wirtschaftstätigkeit, • funktionale Kompetenz in Marketing, Finanzen, Technik. Es können aber auch noch ganz andere Kompetenzprofile in Betracht gezogen werden, wie zum Beispiel „Vertrautsein mit den besonderen Bedingungen von Familienunternehmen“. Da die Strategie von Familienunternehmen in vielen Aspekten völlig andere Grundlagen hat als die Strategie von Publikumsgesellschaften, müssen die Beiratsmitglieder hierzu einen geistigen Zugang haben. Die berufliche Karriere in einer Publikumsgesellschaft disqualifiziert eine Person natürlich nicht in Bezug auf die Beiratstätigkeit in einem Familienunternehmen. Es wäre aber gut, wenn ein oder zwei der Nicht-Familienmitglieder einen eigenen Erfahrungszugang zu den besonderen Bedingungen in Familiengesellschaften haben. Ein solcher Zugang kann aus mehreren Quellen gewonnen werden: • Herkunft aus einem Unternehmerhaushalt, • Gesellschafter in einem Familienunternehmen, • berufliche Entwicklung in einem Familienunternehmen, • Beiratserfahrung in einem Familienunternehmen. 375
Vgl. Abschnitt 15.2.
14.4 Die Qualifikation der Mitglieder des Beirats
463
Dann gibt es aber auch noch ganz praktische Überlegungen für die Auswahl der Beiratsmitglieder: Eine gewisse räumliche Nähe zum Ort, an dem die Beiratssitzungen stattfinden, ist von Vorteil. Dies gilt natürlich vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen, deren Honorierung der Beiratsarbeit keine umfangreichen Zeit- und Kostenbudgets für die Anreise abdeckt. Ein Unternehmen von örtlicher Bedeutung in einer süddeutschen Region – nehmen wir an ein regionales Möbelhaus – kann sich schwerlich vornehmen, den Chef eines renommierten, global tätigen Hamburger Handelshauses als Beiratsmitglied zu gewinnen. Je nach Bedeutung eines Unternehmens sind die in Folgendem genannten Herkunftsradien bei der Auswahl der Beiratsmitglieder zu empfehlen: Tabelle 7. Suchfelder für Beiratsmitglieder Bedeutung des Unternehmens
Unternehmer aus Unternehmen
Lokal
Nachbarstädte
Regional
Bundesland
National
National
Global
Globaler Aktionsradius
Zusätzlich wird man darauf achten, dass das Gremium eine angemessene Altersschichtung aufweist, damit der Kreis sich – unter Beachtung einer Altersgrenze – im Laufe der Zeit kontinuierlich erneuert. Würde dieser Aspekt vernachlässigt, könnte es leicht passieren, dass innerhalb einiger Jahre alle Mitglieder die Altersgrenze erreichen und damit der Erfahrungstransfer abreißt. Die Akkumulation von Erfahrung im Aufsichtsgremium ist ebenso wichtig wie der Erfahrungstransfer in der Unternehmensleitung. Die Aura der Reputation Für unser Beispiel-Familienunternehmen ebenso wie für den größten DAXKonzern gibt es ein gewichtiges Qualifikationsmerkmal376 bei der Auswahl neuer Mitglieder des Kontrollgremiums: Bringt die Berufung „Glanz“ für das berufende Unternehmen? Ein CEO, ein geschäftsführender Gesellschafter eines Unternehmens – je größer und je erfolgreicher, umso besser –, ein bekannter Mann, ein respektierter Mann oder natürlich eine bekannte 376
Vgl. Whisler, T.L. (1988): S. 319.
464
14 Die Besetzung des Beirats
und respektierte Frau? Dies ist nicht nur ein Nachsatz, denn „Diversity“ hinsichtlich der Geschlechter, aber auch hinsichtlich der Nationalität der Führung ist auch im Beirat sinnvoll. Möglicherweise muss Diversity erst im Beirat realisiert werden, damit sie später auch in der Geschäftsführung eingeführt werden kann. Wenn Königswieser et al.377 die Aufsichtsräte der großen Publikumsgesellschaften als „Stand“ wie früher den Adel charakterisieren, dann ist dies zutreffend gesehen und meines Erachtens in keiner Weise negativ zu werten. Da es für die Mitgliedschaft in einem Aufsichtsgremium keine Ausschreibung geben kann, kein Assessment Center, keine Probezeit (kein Mann oder keine Frau „von Stand“ würde sich solchen Bewerbungsverfahren unterwerfen), muss es eine Prozedur geben, die eine hohe Treffsicherheit für gute Ergebnisse von Anfang an gewährleistet, und dazu dient eben die Zugehörigkeit zu „einem Stand“ – ein „Stand“ ist dadurch konstituiert, dass seine Mitglieder einander kennen, sich regelmäßig von Angesicht zu Angesicht treffen und sich gegenseitig in ihrer Lebensentwicklung beobachten. Diese Gegebenheiten bei den Großfirmen gelten in gleicher Weise für unseren mittelständischen Modellfall. Auch bei ihm werden die Beiratsmitglieder aus den bekannten Leuten „von Stand“ aus der Region, aus dem Branchenumkreis, aus dem persönlichen Bekanntenkreis berufen. Der Suchraum Wenn man all diese Anforderungskriterien übereinander legt, ergibt sich ein enger Suchkreis.378 Hinzu kommt noch das wichtigste Kriterium: Die Nicht-Familien-Mitglieder des Beirats müssen das Vertrauen der Familiengesellschafter haben. Die Gesellschafter mittelständischer Unternehmungen sollten sich darüber klar sein, dass die Auswahl von Beiratsmitgliedern nach Qualitätsmerkmalen keine Maximierungsaufgabe, sondern eine Aufgabe des Ausbalancierens von Anforderungen und realen Möglichkeiten ist. Sie dürfen sich nicht davon beeinflussen lassen, dass in den „Lebenshilfebüchern“ immer der Ruf nach „höchster Qualität“ bei Geschäftsführern und damit nach noch höherer Qualität bei Beiräten erhoben wird. Man muss realistisch bleiben. Die Orientierung an der Qualität der Mandatsträger ist kein 377 378
Königswieser/Artho/Gebhardt (2004). Die durchaus sinnvollen Überlegungen bei Vogler zu Beiräten der primären Wahl (Unternehmer), der sekundären Ergänzung (Funktionalexperten wie Berater) und der tertiären Ergänzung (Techniker) erscheinen etwas „überdefiniert“, Vgl. Vogler (1990): S. 312 f.
14.4 Die Qualifikation der Mitglieder des Beirats
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reines „Wunschkonzert“. Es ist wohl richtig, zunächst Mindestanforderungen an die Qualität von Kandidaten für einen Beirat festzulegen. Wichtiger aber ist es zu überlegen, wie ein Beirat für Qualifizierte attraktiv gemacht werden kann, und dann entsprechend zu handeln. Die angemessene Honorierung ist dabei nur eine „Hygiene-Voraussetzung“. Die Chance für ein persönliches Engagement für einen Wertbeitrag, aber auch für ein „Nutzenbündel“ für das Beiratsmitglied ist wichtiger. „Aus der Sicht kompetenter und unabhängiger Kandidaten … [gilt], dass sie für eine engagierte Mitarbeit in einem Gesellschafterausschuss oder Beirat nur gewonnen oder gehalten werden können, wenn sie dort ernst genommen werden und Entscheidungen beeinflussen können. Für Akklamationsveranstaltungen oder reine Debattierrunden werden sie sich nicht zur Verfügung stellen.“379 Tabelle 8. Inventar der Suchfelder für die Kompetenz von Beiratsmitgliedern Persönliches Vertrauen von Seiten der Gesellschafter
• Persönlichkeit • Kompetenz • Aura des Erfolgs
Kenntnisse
• Branchenerfahrung • Erfahrung in Unternehmen mit ähnlichem Geschäftsmodell • Finanzierung
Fähigkeiten als Unternehmensführer
• • • • •
Fähigkeit zur Beurteilung und Motivierung von Geschäftsführern
• Kenntnis des Metiers (siehe oben) • Respekt
Reputation
• Funktion bei anderen Unternehmen • Größe und Erfolg dieser Unternehmen • andere Mandate
Vertrautheit mit der Vertretung von Interessen der Familiengesellschafter
• • • •
379
Markt- und Kundenorientierung Strategieorientierung Ergebnisorientierung Dynamisierung von Organisationen Sensibilität für Trendänderungen
Wahrung des Zusammenhalts der Gesellschaft Vererbung von Vermögen Nachfolge in der Unternehmerfunktion Portfolio-Politik für ein Familienvermögen
Obermaier, O.W. (2004): S. 21.
466
14 Die Besetzung des Beirats
14.5 Zugelassene, umstrittene und nicht zugelassene Personengruppen Die persönlichen Freunde Es stellt sich die Frage, ob man befreundete Menschen in den Beirat aufnehmen soll – befreundet mit einem Gesellschafter, dem Beiratsvorsitzenden oder mit dem CEO in der Geschäftsführung. Dazu wird gewissenhaft, aber leichthin gesagt: „Qualifikation geht vor Freundschaft.“380 Aber: Wie soll ein Mittelständler einen Hochqualifizierten für seinen Beirat gewinnen, wenn er nicht sein Freund ist? Ein guter Freund wird seinem Freund nicht einfach zu Gefallen reden, sondern ihm seine Meinung sagen. Eine gute Bekanntschaft oder gar Freundschaft könnte sogar als besonders fruchtbar für die Mitarbeit in einem Beirat gewertet werden, weil der Rat und das Urteil eines Freundes, also eines hoch geachteten Menschen, eher gesucht, eher geschätzt, eher befolgt wird.381 Wenn man eine generelle Maxime formulieren möchte, dann diese: Persönliche Freunde von Inhabern der wichtigsten Machtpositionen einer Firma sollten kein Mandat im Beirat dieses Unternehmens erhalten. Das gilt in jedem Fall für Freunde des CEO. Sowohl die Beratungsfunktion als auch die Aufsichtsfunktion verlangen Unabhängigkeit und Distanz gegenüber der Geschäftsleitung. Die gleichen Anforderungen gelten auch für das Verhältnis von Beiräten zu den Gesellschaftern, da ja auch diese der Beratung und, wenn man so will, der kritischen Aufsicht durch den Beirat bedürfen. Eine enge persönliche Beziehung eines Beirats nur zu einem Gesellschafter ist in einer Gesellschaft mit mehreren Gesellschaftern sogar hinderlich. Die Gleichbehandlung und Äquidistanz der Beiräte zu allen Gesellschaftern ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sie von allen Gesellschaftern als Vertreter ihrer Interessen angesehen werden. Nicht zulässige oder umstrittene Funktionsträger für eine Beiratsfunktion Nicht wählbar als Beiratsmitglieder sind solche Personen, deren Wahl oder deren Ablösung das Unternehmen beeinträchtigen könnten. Dass ein Mandatsträger nicht ebenfalls ein Mandat bei einem Wettbewerber haben kann, ist selbstverständlich. Dass man keinen Lieferanten wählen kann, ist auch 380 381
Kuck, D. (2006): S. 139. Vgl. Conger, J.A. et al. (2001): S. 6.
14.5 Zugelassene, umstrittene und nicht zugelassene Personengruppen
467
selbstverständlich, da er nicht unabhängig von dem Unternehmen ist. Man kann aber auch keine Kunden in dieses Gremium wählen, und zwar aus mehreren Gründen: Erstens ist es nicht gut, wenn ein Kunde zu tiefe Einsicht in die Interna seines Geschäftspartners erhält. Für Kunden kann man einen Beraterkreis einrichten, in denen das Informationsniveau zweckentsprechend angepasst wird. Zweitens kann man aber auch nicht einen einzelnen Kundenvertreter wählen, weil man den anderen bedeutenden Kunden dann nicht erklären könnte, weshalb man sie nicht berücksichtigt hat. Angestellte von Kunden kann man ohnehin nicht in Betracht ziehen, da ihre Unternehmen einer Berufung in den Beirat nicht zustimmen würden. Schließlich wird jeder verstehen, dass man Kunden nicht allzu intensiv mit den eigenen Problemen belasten möchte. Es könnte auch befürchtet werden, dass eine Abhängigkeit von diesen Geschäftspartnern eintreten oder ihre Vertretung den Beirat zur Plattform der Vertretung fremder Interessen machen könnte.382 Eine interessante Anregung, die ich einem Familienunternehmer verdanke, ist es, Vertreter des Industrieverbandes der Kunden, die das Unternehmen beliefert, in den Beirat zu berufen. Die Geschäftsführer des Verbands kennen die Sorgen der Kunden, sind mit den Trends in der Branche vertraut und erfahren auch sehr unmittelbar, wie das Unternehmen bei den Kunden „ankommt“. In den empirischen Erhebungen findet sich immer wieder der Befund, dass das „juristische und finanzielle Element“ in Beiräten stark vertreten ist. Besonders stark sind die Berufe der Unternehmensberater, Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vertreten. Es finden sich hier Quoten von 17 % (Brose) über 24 % (Gaugler/Heimburger) bis zu 30 % (Vogler)383. Da die höheren Prozentsätze bei den älteren Studien zu finden sind, glaubt Brose im Zeitverlauf von einem abnehmenden Trend sprechen zu können.384 382 383
384
Klaus, H. (1991): S. 67. Brose, T. (2006): S. 23 ff. Die Prozentsätze vermitteln möglicherweise einen irreführenden Eindruck: In der Erhebung von Brose – also derjenigen mit dem niedrigsten Prozentsatz – ist die Quote von 17 % nur aus den 68 % externen Mitgliedern ermittelt; die restlichen 32 % sind interne Mitglieder aus dem Gesellschafterkreis. Das bedeutet also, dass rund ein Viertel der externen Mitglieder der Beiräte aus beratenden Berufen stammt. Da nun nach dieser Erhebung der durchschnittliche Beirat vier Mitglieder hat, bedeutet dies, dass im Durchschnitt in jedem Beirat ein Mitglied der beratenden Berufe einen Sitz hat. Da in manchem Beirat wiederum aus prinzipiellen Gründen kein Mitglied dieser Berufe zu finden sein dürfte, haben wir in anderen Beiräten sogar mehrere dieser Berufsvertreter. Klaus, H. (1991): S. 63; siehe auch Richter, W./Freund, W. (1990): S. 46 f.
468
14 Die Besetzung des Beirats
In den beratenden Stellungnahmen zur Besetzung von Beiräten in Familienunternehmen wird – soweit ich sehe – einhellig die Empfehlung vertreten, dass Unternehmer und nicht Juristen, Berater oder Vertreter von Banken für den Beirat eines Familienunternehmens gewonnen werden sollten. Die Vertreter dieser Berufsgruppen sollten erst recht nicht in Betracht gezogen werden, wenn sie gegen Honorar für die Gesellschaft oder die Gesellschafter arbeiten.385 Die Entschiedenheit der Aussage und die Argumentation werden am besten in Originalzitaten deutlich: „Rechtsanwälte und Steuerberater sollten ihren externen Charakter bewahren und nicht in den Beirat bestellt werden. Hierfür eignen sich vielmehr Unternehmer, da diese ein eigenes Geschäft betreiben, selbst Entscheidungen über Investitionen treffen und somit die besonderen Risiken und Gefahren eines Unternehmens kennen.“386 „Je mehr eine Begleitung bei der strategischen Unternehmensplanung in den Vordergrund rückt, desto wichtiger ist es, „Unternehmertypen“ [im Original hervorgehoben] mit Branchenkenntnissen zu berücksichtigen. In den heutigen Zeiten, in denen sich immer schärfere Interessengegensätze zwischen Bank und Kunde zeigen, ist die Aufnahme eines Bankenvertreters nicht unproblematisch, da er auf diese Weise intimste Einsichten in das Unternehmen erlangt.“387 „Es muss daher sichergestellt sein, dass nur qualifizierte und der betriebswirtschaftlich unternehmerischen Komponente ihrer Aufgabe gewachsene Persönlichkeiten in den Beirat gewählt werden. Die Zeiten, in denen der Hausjurist und andere Berater allein aufgrund ihrer »Verdienste« in den Beirat gewählt wurden, müssen der Vergangenheit angehören.“388 „Die Fragezeichen (in der Besetzung der Beiräte) lauten: • Bankiers mit ihren vielen anderweitigen (auch gegenläufigen) Interessen und Verpflichtungen? • Kreditgeber und Berater sollten nicht zusammenfallen. • Wirtschaftsprüfer wegen ihrer Vertrautheit mit den Zahlen des Unternehmens? 385
386
387 388
Dass dies ein allgemeiner Grundsatz ist, zeigen die gleichlautenden dezidierten Stellungnahmen für den Board im amerikanischen Unternehmen, vgl. Ward, J.L./Handy, J.L. (1988): S. 292. Der Unternehmer Leopold Schoeller sen. Siehe: Steegmann, J./Flötotto, M. (1998): S. 100. Wälzholz, E. (2005): S. 402. Hennerkes/Binz/May (1987): S. 474.
14.5 Zugelassene, umstrittene und nicht zugelassene Personengruppen
469
• Es spricht mehr dafür, Prüfungs- und Überwachungsaufgaben deutlich voneinander zu trennen. • Rechtsanwälte in der Zeit der internationalen Sozietäten (law firms) mit ihren time sheets, industriellen Abläufen (Ressortgrenzen der Partner), kurzfristigen (Honorar-) Erfolgsvorgaben und vielen anderen Notwendigkeiten? • Es geht um ständige Begleitung und Verbindung/Verbundenheit, nicht um Spezialwissen; doch die anwaltlichen Hausärzte sind selten geworden.“389 „Alle genannten Personen lassen dem Unternehmen bereits ihre Leistung zugute kommen und stellen somit keine zusätzliche Bereicherung (Wissenspotenzial) für das Unternehmen dar. Zudem bestehen zwischen dem Unternehmen und diesem Personenkreis Klientenverhältnisse, die den Charakter einer mehr oder weniger abhängigen Kundenbeziehung besitzen. Dies kann in kritischen Situationen bei den Betroffenen zu einer Interessenabwägung zwischen guter Geschäftsbeziehung und optimaler Beratung bzw. Kontrolle führen.“390 Eine nach meiner Übersicht ziemlich solitäre Anregung geben Lutz/App, wenn sie vorschlagen, einen loyalen und verschwiegenen Vertreter der Arbeitnehmer in den Beirat aufzunehmen. „Damit kann die Akzeptanz der Entscheidungen des Unternehmens für die Arbeitnehmer gefördert werden. Erreicht wird dieser Effekt allerdings nur, wenn der Arbeitnehmer auch in der Belegschaft Ansehen und Vertrauen genießt, z. B. ein seit vielen Jahren im Betrieb tätiger, sich mit diesem schon innerlich identifizierender Betriebsratsvorsitzender … Zu vermeiden ist dagegen, dass Gewerkschaften den Beirat mit Außenstehenden besetzen, denen das Unternehmen fremd ist. Damit ist dem Unternehmen nicht gedient.“391 Richtigerweise stellen die Autoren auf den Nutzen für das Unternehmen ab, der aber auch durch andere Formen der Zusammenarbeit mit den Vertretern der Arbeitnehmer, zum Beispiel im Rahmen des Wirtschaftsausschusses, gefördert werden kann. In jedem Fall sollte eine Einbeziehung des „loyalen und langgedienten“ Betriebsratsvorsitzenden nur ad personum erwogen werden und nicht als eine Art fakultativer Verankerung der Mitbestimmung in diesem mitbestimmungsfreien Gremium etabliert werden. 389 390 391
Bernhardt, W. (2005): S. 14 f. Turner, G. (2000): S. 123. Lutz, D./App, M. (1994): S. 611.
470
14 Die Besetzung des Beirats
Wissenschaftler als Beiräte Ungeachtet des bekannten Vorurteils hinsichtlich der angeblichen großen Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis werden durchaus Beiratsmandate (oder Aufsichtsratsmandate) an Wissenschaftler vergeben. Dies ist sogar häufig der Fall, wenn Ingenieurwissenschaftler oder Naturwissenschaftler in Gremien solcher Unternehmen berufen werden, deren Geschäft auf dem jeweils von diesen Personen vertretenen Wissenschaftsbereich aufbaut. Es ist auch nicht überraschend, dass Professoren der Betriebswirtschaftslehre Mandate in Aufsichtsgremien haben beziehungsweise deren Vorsitz wahrnehmen.392 Systematisches und beratergestütztes Vorgehen bei der Suche nach neuen Beiratsmitgliedern Was bei der Suche nach neuen Geschäftsführern von außen selbstverständlich ist, sollte auch für die Suche nach Beiratsmitgliedern beachtet werden. Bei der Suche nach einem Geschäftsführer wird niemand fragen, ob jemand eine geeignete Person kenne, die man einladen könne. Vielmehr wird man einen Personalberater einschalten. Dieser wird in einem ersten Schritt zusammen mit den Auftraggebern die Anforderungen an den gesuchten Kandidaten spezifizieren und erst dann wird er nach Kandidaten suchen und hierbei schließlich Alternativen benennen. Wegen der Bedeutung dieses Prozesses wird häufig so vorgegangen, selbst dann, wenn man einen bestimmten geeigneten Kandidaten im Auge hat. Genauso sollte bei der Suche nach Beiratsmitgliedern verfahren werden. Einige der großen Executive-Search-Berater haben eine auf die Suche von Mitgliedern für Aufsichtsräte und Beiräte spezialisierte Praxis. Einige kleinere Personalberatungsbüros haben sich sogar auf diese Suchaufgaben spezialisiert. Ein solches Vorgehen verlangt Zeiteinsatz, der natürlich honoriert werden muss. Der Gewinn an Systematik, Überblick und Entscheidungssicherheit rechtfertigt den Aufwand allemal. Bei Beiratsmitgliedern ist dieser indirekte Weg der Suche sogar noch mehr geboten als bei der Suche nach einem Geschäftsführer. Bei der Suche nach einem Geschäftsführer ist es durchaus üblich, in Kontakt zu treten und dann eine längere Phase der wechselseitigen Prüfung und Überlegung 392
Die Verzeichnung anekdotischer Eindrücke ist immer von der subjektiven Erfahrung geprägt und hat nur aktuelle Gültigkeit. Es soll nur auf einige bekannte Fälle verwiesen werden: Prof. Meffert bei Bertelsmann, Prof. Picot bei Sartorius, Prof. Kirsch bei Dachser, Prof. Arnold bei Geze.
14.6 Die Amtszeiten
471
anzuschließen. Bei einem Beiratsmitglied wird die Anfrage bereits als bindendes Angebot verstanden, das anzunehmen oder abzulehnen bei dem Angefragten liegt – und nicht mehr bei den suchenden Gesellschaftern. Bei der indirekten Sondierung über einen Berater haben beide Seiten – Suchender und Gesuchter – die Möglichkeit, weitere Informationen einzuholen und sich zu bedenken.
14.6 Die Amtszeiten Die Amtszeit von Beiratsmitgliedern Da der Beirat ein fakultatives Gremium ist, bestehen alle Freiheiten für die Wahl der Amtszeiten. In Deutschland wird meist die Regel der vier- bis fünfjährigen Dauer wie bei den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften vorgesehen. Es gibt aber auch zwei- und dreijährige Amtszeiten, insbesondere bei den Repräsentationsbeiräten, deren Mitgliedschaft de facto an ihre Aktivität in ihrem Hauptamt geknüpft ist. Wenn also das Hauptamt endet – sei es durch Berufswechsel oder Pensionierung –, ist durch die kurze Amtszeit im Beirat sichergestellt, dass auch das Beiratsmandat zeitnah auslaufen kann. Eher problematisch empfinde ich selbst eine Regelung, die in den USA nicht selten vorzufinden ist: dass die Bestätigung der Wahl in den Board jährlich zur Erneuerung ansteht. Dies ist schon eine sehr unmittelbare Erinnerung daran, dass die Beiratsmitglieder die Entsandten der Gesellschafter sind und ihre Wirkungsmöglichkeit von der ununterbrochenen Zustimmung der Gesellschafter abhängt. Eine Staffelung der Termine zur Erneuerung beziehungsweise zum Auslauf der individuellen Mandate ist erforderlich, um die stufenweise Verjüngung des Gremiums in der Generationennachfolge zu befördern und dabei Brüche in der Kontinuität der Arbeit des Gremiums zu vermeiden. Der Beirat selbst ist ja ein Instrument, um die Weitergabe von Wissen und Traditionen zwischen den Generationen zu ermöglichen, und er muss diesem Aspekt natürlich auch in seiner eigenen Nachfolgeplanung Rechnung tragen. Für einen „starken Beirat“, dessen Funktionsfähigkeit allezeit auch in Konfliktkonstellationen bei den Gesellschaftern sicherzustellen ist, müssen zudem Regelungen vorgesehen werden, die eine Blockierung des Beirats durch das Auslaufen von Mandaten verhindern. Hierzu gehört eine Regelung, dass ein Beiratsmitglied bei Auslauf seines Mandats bis zur Wahl seines Nachfolgers im Amt bleibt.
472
14 Die Besetzung des Beirats
Die Altersstruktur Gesellschafter wünschen sich für ihren Beirat erfolgreiche Unternehmensführer, die selbst noch im aktiven Geschäft stehen, im Idealfall den noch unter 50jährigen Superstar aus einem größeren Unternehmen. Einem mittelständischen Unternehmen gelingt es aber vermutlich nur, solche gesuchten Stars für eine Beiratsarbeit zu gewinnen, wenn bereits enge persönliche Beziehungen zwischen den Gesellschaftern und den angesprochenen Koryphäen bestehen. Am ehesten geht dies noch, wenn das suchende Unternehmen in der räumlichen Nachbarschaft des Unternehmens des umworbenen Spitzenmanagers liegt. Leichter ist es, wenn man etwas früher pensionierte Führungskräfte anspricht. Sie haben einfach mehr Zeit, brauchen ihren eigenen Beirat nicht mehr um Genehmigung zu fragen, ob sie ein Mandat annehmen können, und haben auch hinsichtlich der Honorierung eine andere Interessenlage als eine aktive Führungskraft. Wir kommen so zu einer eigentlich seltsamen Konstellation: Je intensiver die Arbeit eines Beirats ist, je mehr er in die Beratungs- und Strategiearbeit eintaucht, desto wertvoller ist für ihn die Gewinnung von Mitgliedern, die selbst noch in der aktiven beruflichen Verantwortung stehen, desto mehr ist der Beirat aber auf Persönlichkeiten als Mitglieder angewiesen, die Zeit haben, was wiederum den Aktiven schwerer fallen dürfte. Die Zusammenfassung all dieser Abwägungen führt dazu, dass man idealerweise eine Mischung von aktiven und nicht mehr aktiven Führungskräften als Beiratsmitglieder hat. Damit wird – im Zusammenhang mit der nachfolgend erörterten Altersgrenze – auch die Staffelung der Amtszeiten erreicht, die für eine Kontinuität der Arbeit des Beirats wünschenswert ist. Die Altersgrenze Für die Mitgliedschaft in einem Beirat sollte es wie in jedem Gremium eine feste Altersgrenze geben. Obermaier berichtet allerdings, dass bei seiner Auswahl von 22 – allerdings großen – Familiengesellschaften nur zwei Drittel überhaupt eine Altersgrenze hatten.393 Es gibt Beiräte, die eine sehr niedrige Altersgrenze haben um sicherzustellen, dass jeweils nur Beiratsmitglieder in Frage kommen, die voraussichtlich noch im aktiven Berufsleben stehen. Diese Forderung kann unser typischer Mittelständler allerdings ohnedies nicht stellen. Eine Altersgrenze von 70 bis 75 Jahren dürfte die übliche Spannbreite sein.394 393 394
Obermaier, O.W. (2004): S. 19. Ebenda: S. 19.
14.6 Die Amtszeiten
473
Mancher Verfasser einer Satzung mag dafür halten, dass man bei einem kleinen Beirat darauf verzichten könne, solche Regelungen zu treffen. Man sollte dies nicht tun. Es ist in jedem Fall ein schwieriges Gespräch, wenn man einem langjährigen Beiratsmitglied eröffnen muss, dass sein Amt nun zu Ende geht. Der robuste Gesundheitszustand mag ja die Agilität des Seniors belegen. (Und wenn dem nicht so wäre, könnte diese Beobachtung schon gleich gar nicht als Ursache in das Gespräch eingeführt werden.) Je älter man wird und je weniger die Ehren und Ämter, desto wichtiger werden die verbleibenden ehrenvollen Aufgaben. Es gibt nur einen Weg, die Trennung konsequent und mit Anstand einzuleiten: die Altersgrenze. Eine Altersgrenze – von sagen wir 70 Jahren – eröffnet in der Praxis eine Zeitspanne, in der das Mandat beendet werden kann. Die Altersgrenze kann bereits herangezogen werden, um keine erneute Bestellung im Alter von 68 Jahren vorzunehmen, weil die Amtszeit der Bestellung von zum Beispiel vier Jahren über die Altersgrenze hinausreicht. Man kann eine Neubestellung für die Restlaufzeit bis zu 70 Jahren vornehmen oder man kann mit einem „satzungsdurchbrechenden“ Beschluss eine Bestellung für eine volle Amtszeit von vier Jahren bis zum Lebensalter von 72 Jahren bewirken. Diesen satzungsdurchbrechenden Beschluss für eine Verlängerung kann man ohnedies zu jedem Zeitpunkt fassen. Eben dies ist das Praktische an einer in der Satzung verankerten Altersgrenze. Sie wirkt, ohne dass es einer weiteren Erläuterung bedarf. Sie kann aber jederzeit aufgehoben werden, wenn es angezeigt ist. Es versteht sich von selbst, dass die Altersgrenze natürlich auch für die Familienmitglieder im Beirat zu gelten hat. Es wäre ein verheerendes Bild, wenn für alle die Altersgrenze gälte und nur für den Mehrheitsgesellschafter nicht. Für den Senior der Familiengesellschafter ist dann die Position eines Ehrenvorsitzenden des Beirats denkbar, die es ihm gestattet, an den Sitzungen des Gremiums – ohne Stimme – teilzunehmen, ein Vorrecht, dessen Ausübung allerdings nur für besondere Ausnahmefälle oder Jubiläumsveranstaltungen vorgesehen werden sollte. Ansonsten gilt auch für den Mehrheitsgesellschafter die Altersgrenze, denn der Sinn einer Altersgrenze ist generell, die Nachfolge der nächsten Generation beizeiten und geordnet einzuleiten. Dies ist in einem Familienunternehmen in jeder Hinsicht die wichtigste Aufgabe, um dessen nachhaltigen Bestand zu gewährleisten. Der Beirat muss daher allemal mit gutem Beispiel vorangehen, indem die „Nachfolgefragen“ bei diesem Gremium vorausschauend gelöst werden.
474
14 Die Besetzung des Beirats
14.7 Die Honorierung Wenn man die richtigen Personen für einen Beirat gewinnt, dann übernehmen diese das Mandat nicht wegen der Bezüge. „Der angesprochene Kandidat wird selten oder nie fragen: »Wie wird das bezahlt?« und wenn er so fragt, sollte man über die Kandidatur noch einmal nachdenken; aber oft genug wird er fragen: »Mit wem werde ich in diesem Beirat sitzen?« und eine derartige Frage sollte vertrauensbildend sein.“395 Auf der anderen Seite sollten sich die Gesellschafter bewusst machen, dass die von ihnen umworbenen qualifizierten Persönlichkeiten schon aus Gewohnheit und aus ihrem Selbstwertgefühl heraus auf eine gute Honorierung ihrer Arbeit Wert legen. Die Gesellschafter würden sich etwas vormachen, wenn sie glaubten, überregionale Stars zum Regionalligahonorar zu erhalten. Gerade wenn man auf einen für die Beratung qualifizierten Beirat Wert legt, sollte man sich des Satzes aus „Soll und Haben“ von Gustav Freytag bewusst sein: „Guter Rath ist teuer, billiger Rath kommt teurer“. Eine Aussage zu den üblichen Ist-Befunden bei der Honorierung von Beiräten kann hier kurz gehalten werden, da eine umfassende und aktuelle Erhebung von Helm und von Brose vorliegt.396 Diese Untersuchungen kann man für eine Unternehmensgröße von 500 bis 1.000 Mitarbeitern wie folgt zusammenfassen: • Der typische Satz für normale Mitglieder, die nur „beratend“ tätig sind, liegt bei 10.000 bis 12.000 EUR. • Beiräte mit Zustimmungs- und Entscheidungskompetenz erhalten 20.000 EUR.397 • Der Vorsitzende bezieht das Doppelte, der stellvertretende Vorsitzende das Eineinhalbfache dieses Betrags. • Typischerweise handelt es sich nur um Festbezüge. • Selten werden zusätzliche Sitzungsgelder von einigen hundert Euro gezahlt – fast nur bei mitbestimmten Aufsichtsräten, da dort die Sitzungsgelder nicht an die Gewerkschaft abzuführen sind. • Die Summe der Gesamtvergütung des Gremiums liegt in der Größenordnung von 0,05 bis 0,1 % des Umsatzes.398 395 396 397
Peltzer, M. (2000): S. 102. Brose, T. (2006): S. 49 ff. So Brose, T. (2006): S. 57.
14.7 Die Honorierung
475
Bezüge von 15.000 bis 20.000 EUR dürften eher als Untergrenze für einen Beirat angesehen werden, der dreimal im Jahr tagt und dessen Beiratsmitglieder somit vier bis fünf Volltage für dieses Mandat einsetzen. Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass in den beratenden Berufen die „Partner“ Verrechnungssätze haben, die ein Mehrfaches ihrer eigenen Bezüge betragen, und dass diese natürlich von den beratenen Mandanten auch beglichen werden. Eine Person, die eine annähernde volle Berufstätigkeit aus einer Mehrzahl von Beiratsmandaten ableitet, benötigt natürlich auch eine Infrastruktur von Dienstleistungen (Sekretariat, Auto, eventuell Fahrer usw.), die im Honorarsatz mit abgedeckt werden muss. Für die Beiräte in großen Familiengesellschaften mit Aufsichtsräten orientieren sich die Vergütungen natürlich an den wesentlich höheren Honoraren der Aufsichtsräte großer Gesellschaften. Aus der Kombination von Beiratsvergütung und Aufsichtsratsvergütung ergeben sich hier durchaus attraktive Vergütungen, die dem höheren Zeiteinsatz gerecht werden. Im Rahmen dieser Logik der Errechnung einer fairen Honorierung wird man für einen Einsatz, der in der Verantwortung und in der Qualifikation über derjenigen der Geschäftsführung liegt, eher um die 10.000 € pro Tag rechnen müssen. Bei größeren Gesellschaften und Beiratsmitgliedern, die auch in großen Börsengesellschaften Mandate wahrnehmen, sind noch deutlich höhere Beträge anzusetzen. Für den Vorsitzenden gilt angesichts seiner besonderen Verantwortung und der ungleich höheren zeitlichen Anforderungen die Regel, dass seine Vergütung gegenüber jener für die normalen Mitglieder zu verdoppeln oder zu verdreifachen ist. Nicht ungewöhnlich ist es, den besonderen Einsatz des Vorsitzenden durch einen zusätzlichen Beratungsauftrag zu honorieren.
398
Aus einer Befragung von über 300 Aktiengesellschaften mittelständischer Unternehmen werden Einzelwerte und Relationen für die Bezüge der Aufsichtsratsmitglieder von mittelständischen Aktiengesellschaften (bis 1.000 Beschäftigte) für das Geschäftsjahr 2002 erhoben. Helm, R. (2004): S. 132 sowie S. 113 ff.
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
15.1 Die Typologie der Beiräte Unser Untersuchungsobjekt ist ein bestimmter Typus aus der Vielfalt der Erscheinungsformen von Beiräten in Familienunternehmen; und zwar wollen wir in dieser präskriptiven Schrift darlegen, wie der Idealtypus eines starken Beirats arbeiten sollte, um einen hohen Wertschöpfungsbeitrag zur Unternehmensführung zu leisten. Dies ist aber nur eine Fallkonstellation eines Beirats. Da es keinen wie auch immer gearteten gesetzlichen oder anderweitigen externen Ordnungsrahmen für Beiräte gibt, gibt es eine Vielfalt von Ausprägungen eines Beirats. Seit einem frühen Stadium ihrer Entwicklung versucht die Betriebswirtschaftslehre, die Vielfalt der realen Erscheinungsformen des Objekts ihrer Beobachtung durch die Technik der Typenbildung399 zu ordnen. Nur die so geordneten Phänomene können einer Analyse unterzogen werden und erst damit kann die Voraussetzung dafür geschaffen werden, Theoreme für bestimmte Fallkonstellationen zu entwickeln. Theoreme zum Handeln von Unternehmen und Organisationen sind in aller Regel abhängig vom Kontext und können daher nur für den Bereich ähnlicher Fallkonstellationen formuliert werden. In einem Übersichtsartikel werden elf Typologie-Schemata mit über 20 Typen für die Zuordnung von Unternehmen aufgelistet.400 Auch die Typisierung von Aufsichtsgremien hat inzwischen eine lange Geschichte und diese führte zu einer Vielfalt von Typologien. Angesichts der Fülle von Ansätzen zur Typenbildung bedarf es keines neuen Versuchs in dieser Richtung. Ich will hier vielmehr nur einen Überblick über diese Ansätze geben und sie der Übersichtlichkeit halber wie folgt in Gruppierungen zusammenfassen:
399 400
Schierenbeck, H. (2003): S. 27. Vgl. Filion, L.J. (2000): S. 163 ff.
478
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
• Typenbildung nach der Zwecksetzung: o Beiräte zur Repräsentation und Kontaktpflege und o Beiräte zur Mitwirkung • Typenbildung nach der Intensität der Mitwirkung, • Typenbildung nach den Trägern und Gestaltern des Beiratsgremiums: Gesellschafter beziehungsweise professionelle Nicht-Gesellschafter, • Synopsis der Typenbildung in den Ausprägungen eines „starken“ und eines „schwachen“ Beirats. In der vorliegenden Schrift steht die Gruppe der „mitwirkenden Beiräte“ (vgl. „Typologie nach der Zwecksetzung“) im Mittelpunkt. Doch nun soll der Vollständigkeit halber auch auf die Repräsentationsarbeit sowie auf die in den übrigen Typologien genannten Konstellationen kurz eingegangen werden.
15.2 Die Repräsentationsbeiräte Die Repräsentationsbeiräte für etablierte Unternehmen Gremien, die nur der Kontaktpflege dienen, meist als Repräsentationsbeirat bezeichnet, haben nur den Namen mit der in den Unternehmensverfassungen vorgesehenen Institution „Aufsichtsgremium“ gemeinsam. Sie haben keine Funktion bezüglich der Überwachung des Unternehmensgeschehens und liegen außerhalb unseres eigentlichen Betrachtungsrahmens. Es ist aber geboten darauf hinzuweisen, dass dies nicht nur Veranstaltungen sind, in denen die Geschäftsführungen soziale Kontakte mit Kunden und anderen Stakeholdern pflegen können und bei denen das Essen vor oder nach dem Treffen zum wesentlichsten Teil der Veranstaltung gehört. Diese Art von Beiräten ist üblich bei bestimmten Unternehmen der Dienstleistungsindustrien mit einem breiten Kundenkreis wie Banken, Versicherungen und Energieversorgern. Die Beiratsmitglieder sind hier Repräsentanten von Kundenkreisen und von Stakeholdern (bei den EVUs zum Beispiel der Gemeinden im Versorgungsgebiet). Die Beiratsmitglieder sind eine herausragende Quelle konstruktiver Rückmeldungen für das Agieren der jeweiligen Unternehmung im Markt. Nehmen wir als Beispiel den Beirat einer Bank oder einer Versicherungsgesellschaft, dessen Mitglieder Finanzvorstände oder Vorstandsvorsitzende der Kundenunternehmen sind: Natürlich nehmen diese CFOs oder CEOs keinen direkten Einfluss auf die Entscheidung der in ihren Unternehmen für „Treasury“ oder „Insurance“
15.2 Die Repräsentationsbeiräte
479
zuständigen Abteilungen. Früher mochte dies anders gewesen sein. Heutzutage sind die Chefs jedoch so besorgt, ihre Objektivität könnte in Zweifel gezogen werden, dass sie es nicht mehr wagen, den ihnen unterstellten Abteilungen für Finanz- und Versicherungsangelegenheiten Handlungsempfehlungen zu geben. Gleichwohl kann sich ein Institut, das Beiratsmandate an die oben genannten Kunden vergibt, darauf verlassen, dass Fehlfunktionen seiner Firma ihm vom Kundenunternehmen mitgeteilt werden. Der Beirat ist ein hervorragendes Forum, durch das ein Dienstleistungsunternehmen eine ehrliche Bewertung von Seiten seiner Kunden erhält. Die „Ehrlichkeit“ ergibt sich zwangsläufig daraus, dass jedes Beiratsmitglied sowohl loyal zu seinem eigenen Unternehmen sein muss als auch loyal zu dem Beiratsunternehmen. Das bedeutet, dass ein Beiratsmitglied ggf. die wahren Gründe für eine angespannte Beziehung zwischen seinem eigenen Unternehmen und dem „Lieferantenunternehmen“ Letzterem offenbaren muss. Es ist eine höchst interessante Beobachtung, dass die jüngere Manager-Generation, die in ihrem Denken von harten Wettbewerbsvorteilen indoktriniert ist, solche Beiräte eher gering schätzt und sogar abschafft.401 Gewiss zögern diese Manager nicht, die Kosten, die diese Beiräte verursachten, nunmehr in Kundenbefragungen und PR-Kampagnen zu investieren. Der Unterschied ist nur: Die Kundenbefragungen beantwortet „irgendjemand“ in der befragten Organisation, die Rückmeldung im Beirat kam vom CEO oder CFO! Die Repräsentationsbeiräte für Start-ups Es ist ein markantes Phänomen bei Start-up-Unternehmen, sich schon früh an Konzepten der Corporate Governance zu orientieren, die für Großunternehmen gelten: Auch der Gründer-Unternehmer möchte schon einen Beirat haben. Tatsächlich ist dies meist „nur“ ein Repräsentationsbeirat, es könnte aber auch ein wirkender Beirat sein. Die folgenden Funktionen eines Beirats sind für Start-up besonders wichtig402: • Herstellen von Kontakten beim Auftritt in einem neuen Markt. Wenn ein Unternehmen in einen neuen regionalen Markt oder auch in eine neue Branche eintritt, muss es sich die Kontakte erst aufbauen, die ein dort bereits etabliertes Unternehmen über Jahrzehnte erworben hat. Die Gewinnung von bekannten und erfahrenen Geschäftsleuten, Politikern und Forschern auf dem jeweiligen neuen Gebiet als Beiratsmitglieder kann dies wesentlich befördern. 401
402
Siehe die Reorganisation der Allianz AG, die zur Abschaffung der ehedem sehr prestigeträchtigen regionalen Beiräte führte. Conger, J.A. et al. (2001): S. 171 f.
480
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
• Gewinnung von schnellem Ansehen für das neue Unternehmen: Durch die Mitgliedschaft von in der Öffentlichkeit angesehenen Repräsentanten leihen diese ihren guten Ruf dem neuen und noch unbekannten Unternehmen. Dabei geht die Öffentlichkeit davon aus, dass die Repräsentanten ihre Dienste nicht für Geld zur Verfügung stellen und daher geprüft haben, dass es sich um eine seriöse Veranstaltung handelt. • Aufbau von technischer oder wissenschaftlicher Expertise, indem Kenntnisträger aus dem wissenschaftlichen Bereich für den Beirat gewonnen werden. Wissenschaftler können für diese Zielsetzung sehr wertvolle Beiratsmitglieder sein, die selbst wiederum manche Türe zu anderen Wissensträgern öffnen können; sie mögen aber an einer Überwachungsaufgabe im Unternehmen selbst nicht interessiert und vielleicht auch nicht dafür geeignet sein.
15.3 Die mitwirkenden Beiräte Fast jede Typisierung von Beiräten bezieht die Art ihrer Aufgabenstellung und dabei insbesondere ihrer Mitwirkungsrechte ein. Schon die frühen Typenbildungen in der deutschen Literatur gliedern nach Beratungsfunktionen einerseits und Kontrollfunktionen andererseits.403 Folgende Terminologie in der typologischen Gliederung hat sich durchgesetzt:404 • Beiräte mit Repräsentationsfunktionen, • Beiräte mit „nur“ unverbindlichen Beratungsfunktionen, • Beiräte mit Aufsichts- und Kontrollfunktionen, • Beiräte mit Aufsichts- und Kontrollfunktionen wie auch Beratungsfunktionen hinsichtlich der Strategie des Unternehmens, • Beiräte mit Aufsichts- und Beratungsfunktionen sowie zusätzlichen Funktionen, insbesondere auf der Ebene der Gesellschafterangelegenheiten. Die Art und die Intensität der Mitwirkungsrechte eines Beirats schildert B. Wieczorek wie folgt:405 „Der situative Beirat wird ausschließlich in vorher bestimmten Situationen eingesetzt. … Diese Beiratsform hat jedoch insbesondere unter der Betrachtung der Kontinuität, der Informations- und Trans403 404 405
Hölters, W. (1979), Fleischer, F. (1984). Vgl. z. B. Vogler, M. (1990): S. 158 ff. Vgl. Pohlmann, N./Jansen, S. (1998): S. 127.
15.3 Die mitwirkenden Beiräte
481
parenzprobleme nur geringe Erfolgswahrscheinlichkeit. Der Einfluss des Beirats vor der Einsetzung ist nahezu nicht vorhanden und die Kompetenz aufgrund der fehlenden Involvierung im Vorfeld stark zu bezweifeln … Der beratende Beirat nimmt – wie gezeigt – im Wesentlichen die Rolle eines Coachs, eines Anregers, eines Sparringpartners ein … Der zustimmende Beirat kann mit den Aufgaben der Kontrolle und Überwachung betraut werden, indem ausgewählte Geschäftsvorgänge der Zustimmung und der Entscheidung des Beirats bedürfen. Der stärkere formale Einfluss bedeutet allerdings noch keine Möglichkeit der inhaltlichen Initiierung oder Erarbeitung unternehmerischer Entscheidungen. … Der entscheidende Beirat hingegen hat die weitreichendsten Kompetenzen und hat (pro-)aktiven Einfluss auf die Unternehmenspolitik in Bereichen der strategischen Ausrichtung, der Personalauswahl und insbesondere hinsichtlich der Nachfolgeregelung.“ In der amerikanischen Literatur finden wir ähnliche Gliederungen, zumeist differenziert nach mehreren Abstufungen der Mitwirkung. Eine früh entwickelte Typologie der National Association of Corporate Directors (NACD), eine Untergliederung der bedeutenden American Management Association (AMA), gliederte die „Boards“ in vier Erscheinungsformen:406 1. Minimum boards meet only to fulfil statutory requirements. 2. Cosmetic boards serve as rubber stamps to management prerogative. 3. Oversight boards function primarily to review programs, policy, proposals reports, and performance of manager. 4. Decision-making boards are devolved on setting corporate policy, determining management objectives, and authorizing their implementation. Stanley Vance führt diese Typologisierung mit folgender Gliederung fort: • Constitutional boards, • Consultive boards, • Collegial boards, • Communal boards (als Spezialfall für Unternehmen der öffentlichen Hand).407 Hierbei ist interessant, dass – in einem Ein-Kammer-System – die Beratung ganz natürlich als essenzielle Funktion eines „Boards“ gesehen wird. Der „Collegial Board“ ist in der Schilderung von Vance eine Annäherung an die kollegiale Geschäftsführung. Der „Communal Board“ illustriert ein 406 407
NACD Corporate Director’s Special Report Series (1978): S. 5. Vance, S.C. (1983): S. 8.
482
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
Gremium, das die „politischen Kräfte“ repräsentiert. Vance subsumiert auch den deutschen, mitbestimmten Aufsichtsrat unter dieser Kategorie. Mintzberg408 entwickelt folgende Typologie: • Control Device • Tool of Organisation, wiederum in den typologischen Erscheinungsformen o Prestige Board, o Liaison Board, o Coopting Board, o Advising Board, o Fundraising Board. • Der Board als reine Fassade ist schließlich kein „richtiger“ Board. Nach der Intensität der Einbeziehung des Beirats in die Fragen der Unternehmensführung unterscheiden Lane, Astrachan, Keyt, McMillan409: • Phantombeirat: Wenn er überhaupt angesprochen wird, weiß er nicht, was er tun soll. • Abnicken (rubber stamp): Gestattet der Geschäftsführung, alle Entscheidungen zu treffen; wenn er in Entscheidungsfragen angesprochen wird, stimmt er den Vorlagen der Geschäftsführung zu. • Minimalüberprüfung (minimal review): Formale Überprüfung einzelner Angelegenheiten, die ihm von der Geschäftsführung vorgelegt werden. • Nominelle Einbeziehung (nominal participation): Wird in begrenztem Umfang in die Durchführung oder die Überprüfung von ausgewählten Schlüsselentscheidungen, Indikatoren oder Programmen der Geschäftsführung einbezogen. • Aktive Einbeziehung (active participation): Genehmigt, stellt in Frage und trifft die endgültige Entscheidung hinsichtlich Festlegungen zu Mission, Strategie, unternehmenspolitischen Grundsätzen und Zielsetzungen; hat eine lebendige Ausschussarbeit; führt Prüfungen (Audits) des Zahlenwerks der Geschäftsführung durch oder veranlasst sie. • Katalysator (catalyst): Übernimmt eine führende Rolle in der Festlegung und Modifizierung von Mission, Zielen, Strategien und Grundsätzen; hat einen sehr aktiven Strategieausschuss. 408 409
Mintzberg, H. (1983). Lane, S., et al. (2006): S. 156.
15.3 Die mitwirkenden Beiräte
483
Knut Bleicher410 unterscheidet nach den Dimensionen und der Intensität der Einbeziehung und bringt diese Gliederung in eine Matrixform, die nachfolgend auch von Hilbig übernommen und fortgeführt wird.411
Hoch
Unternehmerrat Managing Board
Gestaltungs- und Controllingrat Sounding Board
Niedrig
Gestaltungsfunktion des Beirats
Tabelle 9. Typologie von Beiräten nach Bleicher/Hilbig
Verwaltungsrat Statutory Board
Aufsichtsrat Auditing Board
Niedrig
Hoch Controllingfunktion
Gerum unterscheidet nach den Beteiligten und deren Kompetenz (Typen der Beiräte).412
Nichtbeteiligte
Aktionärsdominanz Vorwiegend
Personelle Zusammensetzung des Aufsichtsgremiums
Tabelle 10. Typologie von Beiräten nach Gerum
Kontrollaufsichtsrat
Leitungsaufsichtsrat
Repräsentations-/ Beratungs-/ Verwaltungsrat
Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
Niedrig
Hoch
Unternehmenspolitische Kompetenz
410 411 412
Bleicher/Leberl/Paul (1989). Hilbig, M. (2005): S. 51 ff. Gerum, E. (1991).
484
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
Neubauer/Lauk unterscheiden nach der Intensität der Einflussnahme und transformieren die Matrix in eine Stufenskala 413 von geringem zu starkem Einfluss: Tabelle 11. Typologie von Beiräten nach Neubauer/Lauk 1
2
Board hat keinen oder nur geringen Einfluss
Board schützt Familie und/oder Gesellschafter
3
4
Board hat eine Rolle in Strategie, Kontrolle und Einstellung von Geschäftsführern
Board hat eine geschäftsführende Rolle und führt das Geschäft
Die jüngste Systematik in der Dimension des Gesellschaftereinflusses legen Astrachan et al. wiederum in Form einer Matrix vor:414 Tabelle 12. Typologie von Beiräten nach Astrachan et al. High
Shareholder Activism
Quadrant 1
Quadrant 2
CONTROL MODEL
DYNASTIC MODEL
(TYPICAL FAMILY FIRM)
(FACTIONALISM)
Active/few Shareholders
Active/many Shareholders
Quadrant 3
Quadrant 4
PORTFOLIO MODEL
MARKET MODEL
(PASSIVE INVESTORS)
(TYPICAL PUBLIC FIRM)
Inacitive/few Shareholders
Inactive/many Shareholders
Low
High Number of Shareholders
413 414
Neubauer, F./Lauk, A.G. (1998): S. 112. Astrachan, J.H., et al. (2006): S. 339.
15.4 Die Prägung des Beirats
485
Eine neue Dimension der Typologie bringen Hung415 und ihm nachfolgend Dutzi416, indem sie die Wertschöpfungsbeiträge eines Aufsichtsgremiums mit den seinem Wirken zugrunde liegenden Theorien der Unternehmensführung in Verbindung bringen. Verkürzt auf die schematische Darstellung zeigt sich ein sehr differenzierter Kontingenzansatz:
Interne Faktoren
Kontingenzansatz
Externe Faktoren
Inhaltstheorien
Art des Gremiums
Analyseperspektive
AgencyTheorie
Steuerungsgremium
Anteilseigner (Stakeholder)
StewardshipTheorie
Unterstützungsgremium
Anteilseigner (Stakeholder)
Ressourcenbasierte Ansätze
Kooperationsgremium
Manager
TransaktionskostenAnsatz
Koordinationsgremium
Manager/ Stakeholder
StakeholderTheorien
Interessensausgleichsgremium
Stakeholder
Abb. 10. Typologie von Beiräten nach Hung/Dutzi
15.4 Die Prägung des Beirats durch die Gesellschafter oder durch die professionellen Beiräte Die Optionen Es gibt Beiräte, in denen ein Gesellschafter oder „die“ Gesellschafter „das Sagen“ haben und es gibt Beiräte, in denen Nicht-Familien-Mitglieder das Verfahren bestimmen und den Ton angeben. Welcher Typus tritt wann auf, welches sind die Randbedingungen und die Vor- und Nachteile? Zunächst ist vorauszuschicken, dass die Entscheidung für die eine oder die andere Ausprägung zumeist nicht auf Grundlage einer Wahlhandlung, sondern aus den Grundüberzeugungen der maßgeblichen Personen heraus oder aufgrund der Lebensumstände der Beiratsmitglieder in der einen oder anderen Richtung fällt. Insofern sind die nachfolgenden Reflexionen keine 415 416
Hung, H. (1998). Dutzi, A. (2005): S. 134 f.
486
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
Entscheidungshilfe, sondern mehr eine Hilfe für den Umgang mit der vorgefundenen Konstellation. Arend Oetker erfasst in einer frühen Veröffentlichung die Kontextbedingungen für die Prägung der Beiräte durch Gesellschafter oder NichtGesellschafter sehr grundsätzlich und zutreffend wie folgt417: 1. Familie hat Aufsichtsfunktion – Manager, d. h. Nicht-FamilienGeschäftsführer, haben Unternehmensführung Dieser Typus kommt vornehmlich bei größeren Mehr-GenerationenFamilienunternehmen vor. Oetker weist darauf hin, dass ein Familiengesellschafter im Aufsichtsratsvorsitz „nicht selten – wie der Chairman of the Board in den USA – aktiv in der Leitung des Unternehmens weiter tätig ist und gleichzeitig kontrolliert und berät. In diesem Fall ist der Aufsichtsrat ein gemischtes Kontroll- und Führungsgremium, das die Richtlinien der Unternehmenspolitik festlegt. In diesem Fall sind auch die Befugnisse des Aufsichtsrats erweitert, und die Unternehmensführung unterliegt einer verschärften Genehmigungspflicht für mehr oder weniger große Vorhaben. Das Unternehmen bleibt auf diese Weise familiengesteuert, wenn schon nicht familiengeleitet.“418 2. Familie hat Unternehmensführung – Familienfremde haben Aufsichtsfunktion „Diesen Typ trifft man bei nicht emissionsfähigen Unternehmen, insbesondere bei kleineren und mittleren (bei großen nur, wenn herausragende Unternehmerpersönlichkeiten vorhanden sind) an. Gekennzeichnet ist er durch eine stärkere Ausprägung des Familiencharakters aufgrund der Führung der Familienangehörigen. Das Problem liegt nicht so sehr in der Konstruktion und Stellung des Aufsichtsrats als in der Geschäftsführung. Das grundsätzliche Problem ist, wer und wie viele Familienmitglieder in die Geschäftsleitung kommen sollen.“419 3. Familie hat Unternehmensführung und Aufsichtsfunktion „Besonders bei kleinen Betrieben findet sich die Konstruktion, dass die Familie sowohl Unternehmensführung als auch Aufsichtsfunktion innehat. Die Familie kontrolliert sich also gewissermaßen selbst, ein Umstand, der sich bei größeren Unternehmen nicht immer positiv auswirkt, zumal, wenn sich der Unternehmer nicht der Finanzpolitik widmet.“420 417
Oetker, A. (1965): S. 66 ff. Oetker, A. (1969): S. 69. 419 Ebenda S. 70. 420 Ebenda S. 71. 418
15.4 Die Prägung des Beirats
487
4. Nichteigentümer haben Unternehmensführung und Aufsichtsfunktion Dieser Typ stellt nach Oetker einen Grenzfall des Familienunternehmens dar, da in ihm niemand aus der Familie die Unternehmensführung und die Aufsichtsfunktion ausübt, und er stellt diesem Typus eine schlechte Prognose. Bei dieser Einschätzung muss man den Zeitgeist der Veröffentlichung sehen – 1969 – und die Eigenschaft des Autors als Eigentümer-Unternehmer – in seinem Alter noch weit davon entfernt, seine eigene Nachfolge erwägen zu müssen.421 Diese Typologie will ich wiederum in zwei Fallgruppen zusammenfassen: Prägung des Beirats durch Gesellschafter einerseits und durch NichtGesellschafter andererseits. Der durch Gesellschafter dominierte Beirat Ein ausschließlich von Gesellschaftern geprägter Beirat kommt in der Regel nur bei einer Nicht-Familien-Geschäftsführung vor. Eine Familiengeschäftsführung, die ausschließlich ihren Eltern oder Geschwistern gegenübertreten und von den Verwandten qualifiziert „beaufsichtigt“ werden sollte, ist schwerlich als fruchtbare Unternehmensverfassung vorzustellen. Die typischen Fallkonstellationen für diesen Typus sind: • Der Vorsitzende des Beirats ist der Mehrheitsgesellschafter oder eine herausragende Person aus einem größeren Gesellschafterkreis oder aber eine Person, auf die sich das Vertrauen der Gesellschafter fast exklusiv konzentriert. • Dieser Vorsitzende hat als vorhergehender CEO eine umfassende Geschäftserfahrung. • Der Vorsitzende nimmt eingehende Informations- und Abstimmungsrechte mit der Geschäftsführung außerhalb der Beiratssitzungen wahr. Dieser so gedachte Vorsitzende dominiert in Gestaltungswillen und in Erfahrung die Arbeit des Beirats. Er kann dieses Gremium so interpretieren, dass es einem exekutiven Board im „Ein-Kammer-System“ nahe kommt. Hinsichtlich der übrigen Beiratsmitglieder gibt es zwei Fall-Konstellationen: Bei einem größeren Gesellschafterkreis einer Mehrgenerationen-Unternehmung kann der gesamte Beirat aus Gesellschaftern gebildet werden. Ein bekannter Beispielsfall für eine solche Konstellation ist das große
421
Ebenda S. 72.
488
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
Familienunternehmen Haniel; hier sitzen die Anteilseigner-Vertreter freilich im Aufsichtsrat. Die andere Konstellation ist die, dass ein Allein-Gesellschafter oder ein Mehrheitsgesellschafter den Vorsitz innehat und er um sich Personen im Beirat schart, die ihm einerseits hilfreich sein können, ihm andererseits aber auch erlauben, die von ihm intendierte Rolle auszuüben. Hier finden wir eine Runde von Freunden, Vertrauten und auch sehr bekannten Persönlichkeiten, die durch ihre Präsenz in den Medien oder ihren wissenschaftlichen oder gar künstlerischen Hintergrund eine beachtliche Reputation haben. Nur fehlen dieser Runde eigene unternehmerische Erfahrung und damit eigene unternehmerische Maximen. Damit besteht keine Möglichkeit, dass sich der geschäftserfahrene Vorsitzende und seine welterfahrenen, aber nicht geschäftserfahrenen Beiräte in den unternehmenspolitischen Themen in einen konstruktiven oder gar kontroversen Diskurs begeben können. Der Diskurs in dieser Fallkonstellation ist nicht so unergiebig wie in einem Pseudobeirat. Er ist aber im Kern nur eine Paraphrasierung der Alleinführung durch den Vorsitzenden. Diese Gestaltung wird manchmal versucht, wenn ein Alleineigentümer einen Aufsichtsrat einrichten muss – zum Beispiel wegen der Anforderungen aus der Mitbestimmungsgesetzgebung oder weil eine Börseneinführung geplant wird. Der durch professionelle Nicht-Gesellschafter-Mitglieder geprägte Beirat Dieser Beirat ist für größere Firmen heute wohl der normale Fall. Er kommt den Institutionen am nächsten, wie sie für Nicht-Familiengesellschaften gelten. Sofern nichts anderes gesagt wird, liegt er den hier erörterten Fragen implizit zugrunde – und das Gleiche gilt für andere Schriften zu diesem Thema. Ein von Gesellschaftern geprägter Beirat dürfte gegenüber der NichtFamilien-Geschäftsführung wohl nie nur ein Repräsentationsbeirat oder ein Beirat mit „unverbindlicher Beratungsfunktion“ sein. Hier machen die Eigentümer und Machtträger den Aufsichts- und Kontrollbeirat zum obersten Entscheidungszentrum der Unternehmung. Ein Beirat aus Nicht-Gesellschaftern dürfte sich umgekehrt gegenüber einem Allein- oder Mehrheitsgesellschafter als Geschäftsführer schwer tun, die Stellung eines „starken Beirats“ mit Aufsichts- und Kontrollfunktionen zu entwickeln. Er muss sich eher mit der Rolle des unverbindlichen Beraters begnügen.
15.5 Die Synopsis der Typen: Schwache und starke Beiräte
489
Wenn der Beirat „stark“ sein soll, dann muss er soviel Sachkompetenz aufweisen, dass ihm Respekt entgegengebracht wird. Dies ist regelmäßig nur durch professionelle Mitglieder zu erreichen. Auch in einem professionell geprägten Beirat sind zumeist Familiengesellschafter vertreten. Um die professionelle Prägung zu bewahren, nehmen die Familiengesellschafter aber in der Regel nur die Minderheit der Sitze, ein oder zwei Sitze, ein. Dass in einen solchen Beirat keine Gesellschaftervertreter als Mitglieder berufen werden, ist ein eher seltener Fall. Wenn dem so ist, dann gibt es immer einen zweistufigen Aufbau: • einen Beirat aus Nicht-Gesellschaftern, • einen Familienrat aus Gesellschaftern, • die Mitgliedschaft des Vorsitzenden des Beirats, also eines NichtFamilienmitglieds, im Familienrat.
15.5 Die Synopsis der Typen: Schwache und starke Beiräte Für die Zwecksetzung dieser Arbeit genügt die Unterscheidung zwischen „schwachem“ Beirat und „starkem“ Beirat auf einer linearen Skala. Der schwache Beirat hat wenige Funktionen, die er zudem nicht „durchdringend“ wahrnimmt. Dem starken Beirat sind alle in Frage kommenden Funktionen zugewiesen, die er auch machtvoll wahrnimmt. Wo ein Beirat sich auf der Skala zwischen diesen Positionen befindet, ist natürlich kontingent und kann sich überdies im Zeitablauf schnell ändern. Insbesondere die Besetzung der Position des Beiratsvorsitzenden und die Besetzung der Position des Geschäftsführungsvorsitzenden haben einen gestaltungswirksamen Einfluss auf das gelebte Rollenverständnis von Beirat und Geschäftsführung. Ein „starker Beirat“ ist meiner Überzeugung nach die Gestaltungsoption, die konzeptionell am besten geeignet ist, die Überlebensfähigkeit einer Familienunternehmung und ihre vorteilhafte Entwicklung zu fördern. Ein „starker Beirat“ ist insbesondere in folgenden Fallkonstellationen nützlich oder geradezu notwendig: • Es gibt im Gesellschafterkreis eine Patt-Konstellation, zum Beispiel, wenn zwei Geschwister die gleichberechtigten Gesellschafter sind. • Eine gesteigerte Notwendigkeit für einen professionell geprägten Beirat liegt in folgendem Fall vor: eine Patt-Konstellation im Gesellschafterkreis, wobei einer der Gesellschafter zugleich Geschäftsführer ist.
490
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
Tabelle 13. Typologie von schwachen und starken Beiräten Schwacher Beirat
Aufsichtsrat Normaler Beirat
Starker Beirat
Weitere Bezeichnungen
Phantombeirat (Lane u. a.)
Active Participation (Lane u. a.)
Gestaltungs- und Controllingrat bzw. Unternehmerrat (Hilb), Katalysator (Lane u. a.)
Mitglieder des Beirats
Nicht-Familienmitglieder
Gesellschaftergeprägter Beirat oder professioneller Beirat
Professioneller Beirat oder gesellschaftergeprägter Beirat
Geschäftsführung GesellschafterGeschäftsführung
Nicht-FamilienGeschäftsFührung
Nicht-FamilienGeschäftsführer oder GesellschafterGeschäftsführung (Pattsituation auf Gesellschafterebene)
Typische Grundlage
Satzung, Organstellung
Satzung, Organstellung
Schuldrechtliche Vereinbarung
Funktionen: • Dienstherr
–
X
X
• Wahrung der Unternehmensverfassung
–
X
X
• Entgegennahme der Berichterstattung
–
X
X
• Corporate Governance, Aufsicht
X
X
X
• Beratung in Strategie
X
–
X
(aber unverbindliche Anregung, sounding board)
Arbeitsintensität
Gering
Normal
Hoch
15.6 Eine Option: Der Beirat im Ein-Kammer-System
491
• Die Gesellschafter haben keine Erfahrung und kein Interesse an Fragen der Unternehmensführung. Ein hoch qualifizierter, „starker“ Beirat ist auch dann unabdingbar, wenn ein Familienmitglied mit nicht dominierendem Anteilsbesitz die CEO-Funktion einnimmt. Dies sind heute die eher typischen Konstellationen, wenn nämlich die Anteile gleichmäßig auf zwei oder drei Kinder übertragen werden, von denen eines die Geschäftsführung erhält. In dieser Konstellation ist der geschäftsführende Gesellschafter natürlich auch getragen von dem Machtbewusstsein des Miteigentümers. Andererseits darf er keine Sonderrolle als Mitgesellschafter gegenüber den anderen Gesellschaftern beanspruchen. Die Gesellschafterversammlung kann wegen dieser Mischung aus „internen“ und „externen“ Gesellschaftern keine bedeutsame Funktion übernehmen. Gelegentlich raten die persönlichen Berater der einzelnen Gesellschafter entschieden davon ab, einen starken Beirat zu begründen. Als Argumentation wird dann gerne angeführt, dass damit der Charakter des Familienunternehmens verloren gehen, dass damit ein „Fremdkörper“ in die engen und vertrauensvollen Familienbeziehungen eindringen könnte und dass es schließlich nicht zu vertreten sei, Gesellschafterrechte an Dritte abzutreten. Diese Argumente und die angebliche Fürsorge für die Gesellschafterrechte werden natürlich nicht mit Aussagen zur Qualität der Unternehmensführung oder des Beirats begründet, zu der diese Berater ja gar keine Urteile aus eigener Kenntnis abgeben können. Es lässt sich eher vermuten, dass die persönlichen Berater von Gesellschaftern eine latente Rivalität gegenüber einem Beirat empfinden, der ihre Deutungshoheit über das Unternehmensgeschehen und ihre Beschützerfunktion für die Gesellschafterinteressen beeinträchtigen könnte.
15.6 Eine Option: Der Beirat im Ein-Kammer-System Es wird gelegentlich die Meinung vorgetragen, dass ein starker Beirat mit Gestaltungskraft und Weisungsrecht so etwas wie ein „Board“ im angelsächsischen „One-Tier-System“ sein könnte oder sollte.422 Diese Vorstellung findet sich in der Praxis vor allem dann, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer „die operative Verantwortung abgeben und sich auf die strategischen Fragen konzentrieren möchte“ oder wenn ein bisheriger starker Nicht422
Vgl. Obermaier, O.W. (2004): S. 19.
492
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
Familien-Geschäftsführer die aktive Verantwortung abgibt, aber aufgrund seiner langjährigen Vertrauensbasis im Kreis der Gesellschafter noch weiter eine besondere Verantwortung in der Aufsicht übernehmen soll. Turner führt richtig aus, dass ein solches Gremium im deutschen Recht ein Gremium sein müsste, in dem die gesamte Geschäftsführung sowie auch Dritte Mitglieder sind.423 Die Geschäftsführungsmitglieder müssten die ihnen zwingend durch Gesetz und Geschäftsordnung zugewiesenen Geschäftsführungsaufgaben wahrnehmen. Im Übrigen können sie von den Dritten als Mitgliedern dieses Gremiums unterstützt werden. Ein Problem sieht Turner bei der Aufsicht und Kontrolle. „Ein solcher Ein-KammerBeirat kann als Ganzes diese Funktion nicht ausüben, die Geschäftsführung müsste sich sonst selbst kontrollieren. Das aber wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass die Wahrnehmung bestimmter Funktionen durch dieselbe Person inkompatibel ist. Abhilfe könnte aber, wieder in Anlehnung an das ausländische Modell, dadurch geschaffen werden, dass ein Ausschuss nach dem Muster des Audit Committee eingerichtet wird. Ihm dürften nur Outside-Directors angehören; er wäre, bei entsprechender Gestaltung der Beiratssatzung, das Aufsichts- und Kontrollorgan.“424 Die durch die Satzungshoheit gegebene Gestaltungsfreiheit ermöglicht bei einer Familiengesellschaft natürlich eine solche Prägung eines Beirats. Die Gestalter sollten sich aber bewusst machen, was sie hier vorhaben. Die vage Vorstellung eines Board-ähnlichen Beirats ist schnell formuliert. Die Problematik liegt jedoch darin, dass im Kulturkreis der deutschen Wirtschaft die Muster für einen Beirat im Prinzip analog zu den gesetzlich vorgesehenen Aufsichtsgremien abgeleitet sind. Und in Deutschland sind dies eben „Two-Tier“-Systeme (Zwei-Kammer-Systeme), in denen ein klares Verständnis für die Trennung zwischen der unternehmerischen Verantwortung, die bei der Geschäftsführung liegt, und ihrer Beaufsichtigung besteht. Die Beiratsmitglieder, die in anderen Gremien dienen, haben nur diesen Erfahrungshintergrund. Die ganze Literatur zu diesem Thema in Deutschland kann ebenfalls nur von diesem Standardfall ausgehen. Zunächst ist festzuhalten, dass in einem „Ein-Kammer-System“ der Präsident, der Vorsitzende des Boards, in der Tat nicht nur die ranghöchste Person, sondern auch die für den Prozess der Unternehmensführung entscheidende Person ist, da er den Prozess der Willensbildung in dem für strategische ebenso wie operative Aufgaben der Geschäftsführung zuständigen Board steuert. Wenn in dieser Position aber zumindest die Allzuständigkeit 423 424
Turner, G. (1996). Ebenda: S. 1610.
15.6 Eine Option: Der Beirat im Ein-Kammer-System
493
für die gesamte Geschäftsführung liegt, stoßen wir zunächst einmal auf das Thema des Nachfolgeprozesses in der Geschäftsführungsverantwortung. Die Nachfolge im Amt erfolgt, weil im menschlichen Leben die alte Generation durch die junge Generation abgelöst werden muss. Sie erfolgt, weil die in einer erfolgreichen Amtszeit bereits verwirklichten Ideen nicht auf Dauer verfestigt, sondern durch neue, weiterführende Ideen abgelöst werden müssen. Nachfolge ist ein Prozess, bei dem der bisherige Verantwortungsträger abtritt und eine andere Person die Verantwortung übernimmt und ausfüllt. Familiengesellschafter, die selbst keine Verantwortung in der Wirtschaft tragen, nicht selbst als Vorgänger oder Nachfolger diese Problematik durchlebt haben, haben oft keinen Zugang zu dieser Thematik. Sie sind vielleicht fasziniert von den Erfolgen in der Vergangenheit und sind getragen von dem in der Vergangenheit kontinuierlich entwickelten Vertrauen zu dem Verantwortungsträger. Sowohl das Vertrauen wie auch die Faszination durch die Erfolge in der Vergangenheit bleiben aktiv, wenn die Führungskraft in den Ruhestand versetzt wird. Es besteht die natürliche Neigung, die Qualitäten der so erfolgreichen Führungskraft sowie das ihr entgegengebrachte Vertrauen auch für die weitere Entwicklung des Unternehmens zu sichern. Damit wird aber der Prozess der „Nachfolge“ hinausgezögert. Das muss man sich klar machen und bewusst entscheiden, ob man dies möchte. Möchte man die Nachfolge hinausschieben, was ja durchaus sinnvoll sein kann, dann sollte man dies tun. Der Trend in der Gesellschaft muss ohnehin dahin gehen, die Pensionsgrenze zu erhöhen. Aber dann sollte der bisherige Amtsinhaber eben in der Verantwortung bleiben. Die Vorstellung, ein CEO könne die Arbeit des operativen Geschäftes abgeben und die Verantwortung für die Strategie und die großen Fragen der Unternehmensführung behalten, er ginge nicht mehr täglich ins Büro, bliebe in den entscheidenden Fragen aber gleichwohl eingeschaltet, kurzum, er könne die beste aller Welten für sich realisieren, ist zumeist sehr naiv. Gerade bei einem mittelständischen Unternehmen ist das Geheimnis einer erfolgreichen Strategie, dass eine strategische Idee aus der täglichen operativen Erfahrung erwächst. Auch bei großen Unternehmen gibt es keinen wirklich kompetenten Zugriff zu den strategischen Themen, ohne dass man in der täglichen operativen Bewährung steht. Natürlich kann man sich einbilden, dass die eigene operative Erfahrung so eingehend war, dass sie noch für einige Zeit reicht, um Strategien konzipieren und verantworten zu können. Aber das bedeutet schlicht und einfach, dass man glaubt, mit der in der Vergangenheit gewonnenen operativen Erfahrung die Strategie für die Zukunft gestalten zu können. Dieser Satz zeigt offensichtlich, dass diese Vorstellung eine Selbsttäuschung ist. Bei noch ausreichendem Realitäts-
494
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
kontakt ist dem Aspiranten auf den Beiratsvorsitz natürlich klar, dass eine Kompetenz in strategischen Fragestellungen davon abhängt, dass man in der operativen Verantwortung bleibt. Daraus ergibt sich dann der Zwang, auch über alle operativen Vorgänge voll informiert zu bleiben. Wenn der bisherige CEO, der nunmehr in den Beirat wechselt, weiterhin umfassend informiert wird, kann er es sich im Normalfall nicht verkneifen, auch Stellung zu nehmen und sich in die operativen Fragen einzubringen. Damit aber kommt Unordnung in die Verantwortungszuordnung und damit in den gesamten Führungsprozess.425 Mit der Errichtung eines Aufsicht führenden Beirats zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung haben die Gesellschafter mit den Geschäftsführern in der Regel nichts mehr direkt zu tun. Die Institution, die auf die Geschäftsführung einzuwirken hat, ist dann der Beirat. Ein Beirat ist daher ein höchst bedeutsamer Ordnungsfaktor für einen Nicht-Familien-Geschäftsführer. Der Beirat neutralisiert die umfassende Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung in der Führung der Geschäfte. Damit wird für diesen Geschäftsführer das Familienunternehmen mehr zu einem „normalen“ Unternehmen.
15.7 Die Typologie der Geschäftsführung im Zusammenwirken mit den Typen des Beirats In unserer typologischen Reihe zwischen schwachen und starken Beiräten ist als Unterscheidungsmerkmal mit eingeschlossen, inwieweit im Beirat Initiativen für die Unternehmensstrategie entwickelt werden. Es wird hier von der Institution Beirat gesprochen, obschon solche Initiativen immer von einzelnen Personen ausgehen. Diese Promotoren der Einflussnahme im Beirat sind in aller Regel entweder der Beiratsvorsitzende oder ein Gesellschafter, der, auch wenn er nicht Beiratsvorsitzender ist, ein besonderes Engagement im Beirat entfaltet. In seltenen Fällen kann es auch ein „normales“ Beiratsmitglied sein, das die Rolle des „unternehmerisch denkenden“ Beirats übernimmt. Meine These für die Ausdifferenzierung der Beiratsty425
Gerade bei diesen Abschnitten ist es dem Verfasser ein Anliegen, deutlich zu machen, dass diese Ausführungen sich nicht auf seine persönliche NachfolgerErfahrung beziehen. Es war ihm vergönnt, mit einer Ausnahme-Persönlichkeit als Vorgänger weiterhin in einer Gremien-Beziehung sehr fruchtbar zusammenzuarbeiten. Die Einsicht in eine Reihe nicht so gelungener NachfolgeKonstellationen zeigt jedoch, dass diese persönliche Erfahrung eben eine Ausnahme war.
15.7 Die Typologie der Geschäftsführung
495
pen ist nun, dass es bestimmte harmonische Konstellationen zwischen dem Rollenverständnis des Beirats und dem Rollenverständnis der Geschäftsführung gibt. Der Gegensatz hierzu ist die konfliktträchtige Konstellation, die es natürlich auch gibt. Von Schultzendorff verdanken wir eine sehr fruchtbare Typologie zu den Persönlichkeiten und Berufsrollen von Nicht-Familien-Managern in ihrer Beziehung zu den Familiengesellschaftern.426 Von Schultzendorff geht in seiner Dissertation den Einflussgrößen bezüglich der Motivation der Manager nach – in Nachfolge zu dem Theorem von McClelland. Weil seine Schilderung der Typen so illustrativ ist und die Dissertation als Quelle heute schwer zugänglich ist, seien die Aussagen von v. Schultzendorff in den folgenden Abschnitten weitgehend im wörtlichen Zitat wiedergegeben.427 Für die Führungssituation und die Motivation eines Fremdmanagers in einem Familienunternehmen hält v. Schultzendorff zwei Aspekte für bedeutsam: • die Einflussnahme der Eigentümerfamilie auf den Fremdmanager, • die persönliche Bindung zwischen Eigentümerfamilie und Fremdmanager. Durch die Unterscheidung von jeweils starker und schwacher Ausprägung der beiden Aspekte erhält v. Schultzendorff die nachfolgende Matrix mit vier Grundtypen, die näher beschrieben werden. Tabelle 14. Typologie von Nicht-Familien-Geschäftsführern nach von Schultzendorff Einflussnahme der Eigentümerfamilie auf die Handlungssituation des Fremdmanagers
Persönliche Beziehungen zwischen Eigentümerfamilie und Fremdmanager
426 427
stark
schwach
stark
INTIMUS (Typ 1)
PALADIN (Typ 2)
schwach
EXEKUTOR (Typ 3)
MAJOR-DOMUS (Typ 4)
von Schultzendorff, D. (1985): S. 236 ff. und S. 291 ff. von Schultzendorff, D. (1985): S. 236 ff.
496
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
Wir wollen die auf den Grad des Eigentümereinflusses auf den CEO und auf die Intensität der Beziehung zwischen Eigentümerfamilie und CEO fokussierte Analyse von v. Schultzendorff in zweifacher Hinsicht erweitern: • Zuerst verstehen wir die Einflussnahme der Eigentümerfamilie als die Einflussnahme des von der Familie eingesetzten Beirats beziehungsweise des Promotors der Einflussnahme im Beirat, also des Vorsitzenden, eines Gesellschafters im Beirat oder eines besonders engagierten Nicht-Familien-Beirats. • Wir ergänzen die Vier-Felder-Matrix um die Dimension „Gestaltungswille des CEO“ als Korrelat zur Einflussnahme durch den Beirat. Wir werden die sich daraus ergebenden Typen anhand von Beispielen schildern, wobei für die von v. Schultzendorff definierten Typen dessen Originaltext übernommen wird. Wir werden weiter erörtern, welche Konstellation für eine von innen und welche für eine von außen kommende Führungskraft günstigere Voraussetzungen für das Gelingen der Beiratsarbeit bietet. Wir gehen von folgender 8-Felder-Matrix aus: Tabelle 15. Erweiterte Typologie der Beziehung zwischen Beirat und Geschäftsführung Einflussnahme der Eigentümerfamilie auf die Handlungssituation des Fremdmanagers Gestaltungswille des CEO
stark
schwach
stark
schwach
Starke persönliche Beziehung
Synchronisiertes Tandem
Paladin
Schwache persönliche Beziehung
Rivalisierende „Doppelspitze“
Majordomus
Starke persönliche Beziehung
Intimus
Adlatus
Schwache persönliche Beziehung
Exekutor
Administrator
15.7 Die Typologie der Geschäftsführung
497
Das synchronisierte Tandem Der geschäftsführende Hauptgesellschafter eines mittelständischen Unternehmens, das seinen Sitz in einer Kleinstadt hat, betrachtete seine zwei erstgeborenen Töchter als nicht an seiner Nachfolge interessiert oder als nicht dafür qualifiziert. Der später geborene Sohn war noch zu jung. Halb bewusst, halb unbewusst wählte dieser Unternehmer unter seinen Auszubildenden einen aufgeweckten Jungen aus, dessen Vater schon in dem Betrieb gearbeitet hatte. Er förderte diesen Jungen, übernahm ihn in das Unternehmen, wo ihm kontinuierlich immer mehr Verantwortung übertragen wurde. So arbeiteten der geschäftsführende Gesellschafter und der erwachsen werdende Junge über 15 Jahre vertrauensvoll zusammen. Als nun der Gesellschafter sich mit 65 Jahren in den Beirat zurückzog, wurde der nunmehr über 40jährige Mitarbeiter der Hauptgeschäftsführer. Der Gesellschafter entwickelte im Beirat freilich weiterhin strategische Initiativen, wie er dies als geschäftsführender Gesellschafter gewohnt war. Diese Ideen besprach er – wie früher auch – intensiv mit dem „Jungen“, vorzugsweise bei informellen Treffen. Der „Junge“ hatte auch eine eigene strategische Agenda. So besaßen beide durchaus unterschiedliche Wunschlisten für Investitionen. Die Ergebnisse dieser Gespräche zwischen dem Gesellschafterbeirat und dem Geschäftsführer wurden von dem Geschäftsführer jeweils in die Beiratssitzungen eingebracht und dort auch letztlich entschieden. Wir haben hier also den Fall, dass der Ex-CEO nicht wirklich abtritt, sondern in einem undefinierten und fast beliebig erweiterten Umfang die wichtigste Gestaltungsaufgabe aus seiner CEO-Zeit in den Beirat mitnimmt. Da die Zusammenarbeit mit seinem Nachfolger aber seit langem eingespielt war und sich praktisch nicht sehr veränderte, führte dies zwischen den beiden Protagonisten nicht zum Konflikt. Im Gegenteil: Die Einflussnahme des Gesellschafterbeirats im Beirat war für den Jungen sehr hilfreich. Er könnte seine Pläne weiterhin gemeinsam mit dem von ihm sehr geschätzten Gesellschafter schmieden und musste sich um deren Genehmigung im Beirat keine Sorge machen. Die Doppelspitze Das Unternehmen war eine Börsengesellschaft, bei der die Familie in der vierten Generation noch knapp 40 % der Anteile hielt und damit die Mehrheit der Stimmen auf der Hauptversammlung stellen konnte. Der Sitz der Gesellschaft war eine Kleinstadt, deren Wohlergehen weitgehend von der Entwicklung dieser Firma abhing. Die Gesellschaft erhielt nach dem Aus-
498
15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
scheiden des letzten Familienmitglieds aus dem Vorstand einen Vorstandsvorsitzenden, der die Geschäftsstruktur der Gesellschaft völlig änderte: Die alten, wenig ertragreichen Geschäftsgebiete wurden verkauft und ein Portfolio von neuen Geschäften erworben. Dies waren Nischenprodukte, die sich hervorragend entwickelten. Der CEO reihte einen Erfolg an den anderen und wurde zu einem Liebling der Börsenanalysten. Mit wachsendem Misstrauen verfolgte die Familie die Expansionspolitik des Unternehmens und mokierte sich über die Publizitätssucht des CEO. Man wurde sich einig, dass durch die Berufung eines starken Aufsichtsratsvorsitzenden ein Gegengewicht zu dem wachsenden Machtstreben des CEO geschaffen werden müsse. Hierfür erschien die Berufung eines Managers geeignet, der im ganzen Land als extrem scharfer, machtbewusster CEO bekannt war, der aber wegen einer Auseinandersetzung mit dem Aufsichtsrat seines Unternehmens und Zweifeln an seiner Managementleistung sein Unternehmen verlassen musste. Als Aufsichtsrat, der vom Vertrauen der Familiengesellschafter gestützt wurde, sah er sich berechtigt, klare Direktiven an den Vorstand vorzugeben. Der erfolgsgewohnte, langjährige CEO hatte natürlich nicht auf jemanden gewartet, der ihm in die Unternehmensführung hineinredet. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende, der als CEO in einem Konzern jedes Quartal mehrere Untergebene „gefeuert“ hatte, sah sich in der stärkeren Position. Die Rivalität zwischen Aufsichtsratsvorsitzendem und CEO beschäftigte ein Jahr lang die Presse. Schließlich stellte der CEO die Familiengesellschafter vor die Entscheidung: er oder ich. Die Familiengesellschafter entzogen dem Aufsichtsratsvorsitzenden das Vertrauen und er verließ das Unternehmen. Der CEO triumphierte und sah nun die Möglichkeit, seine Wachstumspläne ungehindert umzusetzen. Hierzu bedurfte es freilich einer größeren Kapitalerhöhung, bei der die Familie nicht hätte mitziehen können, weil sie ihre Hauptversammlungsmehrheit verloren hätte. Hierzu war sie nicht bereit. Die Auseinandersetzung über diese strategische Weichenstellung führte dazu, dass dann auch der CEO entlassen wurde. Der Intimus Dieser Typus eines Managers, der seine eigenen Ambitionen auf unternehmerisches Gestalten – so er sie denn hätte – zurücknimmt angesichts des ausgeprägten Gestaltungswillens des Beirats, wird von v. Schultzendorff wie folgt in einem „Fall“ beschrieben: „Als der Inhaber vor über 30 Jahren seinen damaligen Wirtschaftsprüfer zum Wechseln bewog, steckte das Maschinenbauunternehmen noch in den Kinderschuhen. Im Laufe der folgenden Jahre gelang es dem Inhaber und seinem Fremdmanager nicht
15.7 Die Typologie der Geschäftsführung
499
nur, für einen national und international erfolgreichen Familienkonzern den Grundstein zu legen, sondern auch für eine enge persönliche Bindung zueinander. Die Verbindung einer geradezu genialen technischen Innovationskraft auf Seiten des Inhabers mit fundiertem kaufmännischem Wissen auf seiten des Fremdmanagers war wirtschaftlich und menschlich äußerst fruchtbar … Trotz der Unternehmensgröße ist die enge menschliche Bindung zum Inhaber nicht verloren gegangen. Auch mit den Nachkommen, die in verschiedenen Positionen in der Firmengruppe tätig sind, verbindet den Fremdmanager ein fast väterlich freundschaftliches Verhältnis. Den besonderen Reiz seiner Tätigkeit im Familienunternehmen sieht der Fremdmanager darin, gemeinsam mit dem Inhaber eine Großunternehmung aufzubauen.“ Trotz der persönlichen Bindung steht für den Fremdmanager außer Frage, dass der Inhaber in seinem Unternehmen den Ton angibt. Er hält es für „eine Illusion, zu glauben, dass es im Familienunternehmen eine Gleichstellung von Inhaber und Fremdmanager geben kann.“ Die Dominanz der Eigentümer „gehört zum Typ des Familienunternehmens. Wer etwas anderes sagt, macht sich was vor!“ „Führungskräfte vom Typ I legen Wert auf enge persönliche und harmonische Beziehungen zu den Eigentümern, die über die geschäftliche Zusammenarbeit hinausgehen. Dass man sie in familiäre Fragen einbezieht, dokumentiert die besondere Nähe des Fremdmanagers zur Familie. Fremdmanager vom Typ Intimus vergewissern sich bei allen wichtigen Entscheidungen des persönlichen Rückhalts mindestens der maßgeblichen Familienmitglieder. An direkte Einflussnahmen der Eigentümer sind Fremdmanager vom Typ Intimus häufig über Jahre gewöhnt. Sie betrachten sie als durch die Eigentümerstellung gerechtfertigt. Leistungsbereitschaft und -fähigkeit scheinen dann am höchsten zu sein, wenn man sich sachlich und menschlich einig ist. Eine Beeinträchtigung des persönlichen Verhältnisses wird sich deshalb direkt auf die Leistungsbereitschaft auswirken. Das Leistungsbedürfnis ist besonders ausgeprägt, weil man – mehr als alle anderen – einen wesentlichen Beitrag zum Gedeihen des Familienunternehmens leisten möchte. Damit einhergehende Anerkennung durch die Eigentümerfamilie ist für den Intimus ein willkommener Nebeneffekt. Größtmöglicher Freiraum und weitestgehende Unabhängigkeit sind für diesen Typ des Fremdmanagers nicht erstrebenswert. Er strebt deshalb auch nicht bewusst danach, mit Macht seine Position im Unternehmen auszubauen. Der Rückhalt, den er in der Eigentümerfamilie genießt, erscheint ihm als Machtbasis meist ausreichend.“428 428
von Schultzendorff, D. (1985): S. 237 f.
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15 Die Typologie des Beirats und der Geschäftsführung
Der Exekutor Der Exekutor ist wiederum ein Typus, den v. Schultzendorff beschrieben hat, wozu nichts hinzuzufügen ist: „Obwohl der Geschäftsführung des Umsatzmilliardärs neben einem geschäftsführenden Gesellschafter nur Fremdmanager angehören, ist deren Handlungsspielraum begrenzt. Der Interviewpartner, im Geschäftsbericht als stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung aufgeführt, würde gemeinsam mit den anderen Fremdmanagern des Handelunternehmens in mehreren Sparten gerne andere Lösungen realisieren. Da aber die letzte Entscheidung stets bei den Gesellschaftern liegt, ist eine Durchsetzung eigener Lösungen schwierig. Eigene Lösungen zu realisieren, fällt aber auch deshalb schwer, da die Inhaber über sehr konkrete Vorstellungen verfügen, wie das Gesamtunternehmen und auch die einzelnen Sparten geführt werden sollen. Das führt nicht selten zu direkten Eingriffen in die Ressorts der Fremdmanager. Das muss man ertragen oder gehen, beschreibt der Gesprächspartner seine Situation. Trotz langjähriger intensiver Kontakte ist das persönliche Verhältnis zwischen Eigentümer und Fremdmanager indifferent geblieben, was der Fremdmanager bedauert. Die Führungssituation eines Fremdmanagers vom Typ Exekutor ist durch starke Einflussnahme bei gleichzeitig schwacher persönlicher Bindung zwischen Eigentümerfamilie und Fremdmanager gekennzeichnet. Obwohl zur Unternehmensspitze gehörig, verfügt der Fremdmanager vom Typ Exekutor über begrenzte Macht. Sein Einfluss ist in hohem Maße von der Zustimmung bzw. der Duldung der Eigentümer abhängig. Das Verhältnis der Eigentümerfamilie zum Fremdmanager stellt sich häufig als ein Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis dar. Das muss allerdings nicht heißen, dass der Fremdmanager zum reinen Befehlsempfänger wird. Doch wird es auf seiten des Fremdmanagers häufig als Unterordnung empfunden, wobei sich nicht selten ein Gefühl der Machtlosigkeit einstellt. Eingriffe und Einflussnahmen der Eigentümerfamilie als Gegebenheiten wertfrei hinzunehmen, gelingt diesen Fremdmanagern vielfach nicht. Fremdmanager vom Typ Exekutor wollen ihre Führungssituation durch Leistungen im Unternehmen verändern. Je nach Persönlichkeit des Fremdmanagers – ob bspw. das Zugehörigkeits- oder das Machtbedürfnis besonders ausgeprägt sind [sic!] – wird er entweder eine stärkere persönliche Beziehung zu den Eigentümern oder größere Selbstständigkeit anstreben. Eine Exekutor-Situation wird von den Fremdmanagern deshalb eher als Übergangs- denn als Dauerzustand angesehen, auch wenn sie de facto seit Jahren die gleiche ist. Aufgrund der Distanz zur Eigentümerfamilie waren sich eine Reihe von Fremdmanagern unsicher, ob ihre Leistung Anerkennung fände.
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Hierin unterscheidet sich diese Führungssituation von derjenigen der Fremdmanagertypen Intimus und Paladin. Durch den engen persönlichen Kontakt wissen diese nicht nur, ob oder dass ihre Leistung ankommt, sondern sind gefühlsmäßig gewiss, für wen sie eigentlich arbeiten; ein Gefühl, das einige der befragten Fremdmanager ausgesprochen vermissten.“429 Der Paladin430 „Die Freundschaft zum Alleininhaber wie auch die Entwicklungsmöglichkeiten in der neuen Position gaben den Ausschlag, als Geschäftsführer in die renommierte Nahrungsmittelfirma einzutreten. Die herausfordernde Leistungsaufgabe und eine interessante Beteiligungsmöglichkeit ließen den langjährigen Unternehmensberater auch über den abgelegenen Firmenstandort hinwegsehen. Das große Vertrauen, das der Inhaber den beiden Fremdmanagern entgegenbringt, hat dazu geführt, dass diese das bedeutende Familienunternehmen als geschäftsführende Gesellschafter praktisch in eigener Regie führen. Zwar gehört auch der Inhaber als geschäftsführender Gesellschafter der Geschäftsleitung an, doch wird die Firma de facto von den beiden Fremdmanagern allein geleitet. Den besonderen Reiz sieht der 41jährige Fremdmanager folgerichtig in der Verbindung von totaler Bewegungsfreiheit und unternehmerischem Risiko. Für den hier betrachteten Fremdmanager war ein großer Freiraum in seiner Tätigkeit von eminenter Bedeutung. Trotz aller Freundschaft zum Eigentümer hätte er eine Einschränkung seines Handlungsspielraumes oder direkte Einflussnahme des Inhabers in seinem Bereich nicht hingenommen. Den Erfolg im Unternehmen benutzte er zielstrebig, seine (Macht-)Position dort laufend auszubauen. Diesem Erfolg war es wohl auch zuzuschreiben, dass der Inhaber den Fremdmanagern derartig große Freiräume zugestand. Die Fremdmanager allerdings machten ihrerseits kein Aufhebens nach außen, wem der Erfolg zu verdanken sei. Harmonische zwischenmenschliche Beziehungen zu den Eigentümern beflügeln Führungskräfte vom Typ Paladin in ihrer Arbeit. Bei aller angestrebten persönlichen Bindung sind sie aber zugleich darauf bedacht, eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit in ihrer Tätigkeit von der Eigen429 430
von Schultzendorff, D. (1985): S. 239 f. Mit Paladin werden in der Sage die zwölf Helden um Karl den Großen bezeichnet. Im 19. Jahrhundert wird Bismarck zuweilen als der Paladin des Kaisers bezeichnet. Das Verhältnis Bismarcks zum Kaiser illustriert anschaulich, wie wir den Begriff Paladin im Folgenden verstehen. Vgl. Trübners, K. (1954): S. 43 f.
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tümerfamilie zu erreichen. Wo die persönliche Bindung allerdings zur Anbindung führt, gehen sie eher auf persönliche Distanz, als eine Einschränkung ihres Handlungsspielraumes hinzunehmen. Ihre hohe Leistungsbereitschaft ist nicht nur Voraussetzung ihres Erfolges, sondern versetzt sie aufgrund errungener Erfolge in die Lage, ihre Machtposition auszubauen. Die Gewissheit, im menschlichen Bereich mit den (maßgeblichen) Anteilseignern überein zu stimmen, macht es ihnen möglich, im Unternehmen relativ frei zu agieren, ohne sich ständig des sachlichen wie des menschlichen Rückhaltes der Eigentümerfamilie vergewissern zu müssen. Während der Fremdmanager vom Typ Intimus in seiner Tätigkeit eher anstrebt, das Familienunternehmen gemäß den Vorstellungen der Eigentümerfamilie zu entwickeln, hat der Fremdmanager vom Typ Paladin meist sehr dezidierte eigene Vorstellungen, nach denen er das Unternehmen führt. Um das Unternehmen seinen Vorstellungen gemäß gestalten zu können, strebt er bewusst nach großer Macht.“431 Der Majordomus „Etwa sechsmal im Jahr trifft der Fremdmanager mit dem Hauptaktionär des Familienunternehmens zusammen. Ansonsten führt er als Vorsitzender des Vorstands das 100 Mio. DM umsetzende Unternehmen mit seinen gut 1.000 Mitarbeitern weitgehend unabhängig. Trotz räumlicher Nähe kommt es, wenn überhaupt, mehr zufällig zu privaten Kontakten. Dann nämlich, wenn man gemeinsam bei Dritten eingeladen ist. Trotz eines ungezwungenen persönlichen Verhältnisses hält der Fremdmanager private Kontakte zum Eigentümer für nicht wünschenswert. Da dem Hauptaktionär noch andere Unternehmen gehören, überlässt er den dort tätigen Unternehmensleitern einen denkbar großen Freiraum. An den drei Aufsichtsratssitzungen und an drei weiteren halboffiziellen Anlässen werden alle wichtigen Dinge zur Sprache gebracht, so dass der Fremdmanager in der übrigen Zeit nahezu vollkommene Unabhängigkeit besitzt. Der wirtschaftliche Erfolg und der Rückhalt bei den Aktionären haben dazu geführt, dass die Führung dieser Familienaktiengesellschaft uneingeschränkt beim Fremdmanager liegt. Vielfach war es dieser – erarbeitete, erkämpfte oder zur Bedingung gemachte – Freiraum, der die Fremdmanager des Typs Majordomus (Hausmeier) motivierte. Selbst wie ein Unternehmer tätig zu sein, nach innen und außen im Namen des Unternehmens zu sprechen, ohne Eigentümer zu sein, macht für diese Fremdmanager den besonderen Reiz ihrer Tätigkeit aus. Das 431
von Schultzendorff, D. (1985): S. 238 f.
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erfordert eine unangefochtene Machtposition. Die Bemerkungen dieser Fremdmanager ließen keine Zweifel darüber aufkommen, dass sich eine solche Machtposition nicht von allein ergibt. Kontrolle über die betrieblichen Informationen und Informationskanäle, außergewöhnliche Erfolge auch gegen Widerstand von innen oder außen, Verpflichtungen und Abhängigkeiten ihnen gegenüber sind einige Stichworte, die die Machtfülle der Fremdmanager vom Typ Majordomus erklären.432 Der Adlatus Das Familienunternehmen wurde von einem Fremdmanager geleitet. Der Mehrheitsgesellschafter saß im Beirat und übte von dort starken Einfluss aus. Nach dem Ableben dieses Gesellschafters gingen die Anteile auf drei Kinder über. Die Erben baten den Fremdgeschäftsführer und den Beirat, das Unternehmen ganz im Sinne des verstorbenen Vaters fortzuführen. Das Geschäft war wohl fundiert, warf angemessene Gewinne ab und gewährte der Belegschaft und der Kommune bemerkenswerte Vergünstigungen. Dem Fremdmanager war bewusst, dass dies eine besonders günstige Konstellation war, die er – auch im Sinne des verstorbenen Gesellschafters – bewahren wollte. Die Planung seiner eigenen Nachfolge war bestimmt von der Sorge, die Kontinuität dieser als so günstig angesehenen Konstellation zu bewahren. Es war überzeugt, dass dies nur gelingen konnte, wenn er einen Nachfolger „von innen“ aufbaute, der das Geschäft verstand und sich mit dem Familienunternehmen voll identifizierte. Große Hoffnungen setzte er auf Herrn S. Dieser war viele Jahre der Assistent des CEO und machte jetzt seine erste Führungserfahrung als Geschäftsführer einer kleinen Tochtergesellschaft. Nach drei Jahren sollte er nun als stellvertretender Geschäftsführer und damit als Stellvertreter des CEO berufen werden, der dann nach weiteren zwei Jahren in Pension gehen würde. Herr S. freute sich, das Amt von seinem früheren Chef zu übernehmen. Die Familiengesellschafter waren hocherfreut, dass der ausscheidende CEO einen so sympathischen Nachfolger herangezogen hatte. Der Beirat war überzeugt, hiermit die beste Entscheidung für die Fortführung des so bewährten Geschäftskonzeptes gefunden zu haben. Die Führungskräfte des Unternehmens sahen in dem reibungslosen Übergang auf einen von „ihnen“ den Beleg für die Stärke des Familienunternehmens. Alle waren zufrieden, dass der Übergang so gut eingefädelt war. Der neue Geschäftsführer war allseits beliebt. Es gelang ihm – wenn auch mit 432
Ebenda: S. 241 ff.
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einigen Schwankungen – in etwa den Umsatz zu halten; die Ergebnisse waren immer noch sehr ordentlich. Dabei kam der Gewinn- und Verlustrechnung aber auch zustatten, dass das umfangreiche Immobilienvermögen zum Teil sehr günstig verwertet werden konnte und daraus zunächst hohe Einmalerträge, aber auch nachfolgend noch beachtliche Mieterträge vereinnahmt werden konnten. Der Rückgang der Erträge im angestammten Geschäft konnte so weitgehend ausgeglichen werden. Der Beirat und die Familiengesellschafter betrachteten dies, angesichts der schwierigen Gesamtlage der Branche, als nicht geringen Verdienst des neuen CEO. Es war ihnen im Übrigen klar, dass ihre Kinder nicht mehr in dem gleichen Maße ihren Lebensunterhalt auf die Gewinnausschüttungen der Firma stützen konnten, wie dies bei den derzeitigen Gesellschaftern noch der Fall war. Gleichwohl stand aber nie zur Debatte, dass das Erbe des Familienunternehmens fortgeführt werden sollte. Wenn nun aber eine Nicht-Familien-Führungskraft sich mit schwachem Gestaltungswillen oder schwachem Gestaltungskönnen in die Dienste von Familiengesellschaftern mit schwachem Einflusswillen begibt, dann ist offensichtlich die Wahrscheinlichkeit groß, dass die gesamte Unternehmensentwicklung eine ziemlich schwache sein wird. Eine schwache Entwicklung kann aber gleichwohl zu einem langen Leben führen, wenn es keinen Unfall gibt und die Branche ein bescheidenes Auskommen bietet. Der Administrator Dieser Typus bietet in dem Bild von schwacher Einflussnahme der Eigentümer und wenig ausgeprägtem Gestaltungswillen des Geschäftsführers nichts Neues. Es ist dies der Fall, den wir gelegentlich bei alten, nicht groß gewordenen Familienunternehmen mit einem breit gestreuten Gesellschafterkreis finden. Keiner der Gesellschafter hat mehr genügend Anteile, um eine Einflussmöglichkeit zu sehen oder ein besonderes Interesse hierfür zu entwickeln. Man kommt zwar noch zur Gesellschafterversammlung zusammen, da aber ohnehin nicht viel Dividende zu erwarten ist, interessiert die ganze Veranstaltung eigentlich nur einen Juristen und einen Wirtschaftsprüfer, die als Schwiegersöhne in den Gesellschafterkreis eingeheiratet haben. Es ist im Wesentlichen ihnen zu verdanken, dass die Gesellschafter ihren Pflichten wenigstens formal ordnungsgemäß genügen. So wurde ein Beirat gegründet, dessen Aufgabe es vor allem ist, eine Geschäftsführung auszuwählen. Da das Unternehmen eine überschaubare Größenordnung hat, ist es gar nicht so leicht, diese Position zu besetzen. Nachdem man im letzten Jahrzehnt zwar zweimal einen qualifizierten Geschäftsführer gefunden
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hatte, der aber jeweils nur wenige Jahre blieb, hat man sich jetzt mit einem ortsansässigen Geschäftsführer geeinigt, der seine Laufbahn in einem großen Konzern vorzeitig abgeschlossen hat und nun, etwa Mitte 50, noch einmal eine neue Aufgabe sucht. Die verträglichen Entsprechungsverhältnisse zwischen Typen des Beirats und der Geschäftsführung Gehen wir in der Interpretation der hier dargestellten Kombinationen noch einen Schritt weiter und fragen, ob etwas zur Prognose der Wahrscheinlichkeit des Gelingens der einzelnen Konstellationen gesagt werden kann, so lassen sich folgende Thesen aufstellen: • All die Konstellationen, in denen der Gestaltungswille des Beirats schwach ausgeprägt ist und von den Gesellschaftern auch nicht eingefordert wird, sind die Chancen der Geschäftsführung für eine erfolgreiche Tätigkeit tendenziell gut. Besonders günstig ist die Erfolgsprognose natürlich für den Typus Paladin, der durch eine starke Vertrauensbeziehung zur Eigentümerfamilie gestützt wird. Auch der lang gediente Verwalter hat wohl eine günstige Prognose. • Der Majordomus und der Administrator hingegen müssen ihr Amt ausschließlich auf ihren Erfolg gründen, der eine vielleicht eher durch kühne Pläne, die auch realisiert werden, der andere durch das Bewahren eines guten Geschäftes über die Zeit. • Kritisch sind naturgemäß die Fälle, in denen ein starker Gestaltungswille aus dem Beirat auf einen starken Gestaltungswillen in der Geschäftsführung stößt. Dies sind die gefährdeten Konstellationen. • Die Geschäftsführung vom Typ „Intimus“ kann Bestand haben, weil sich die persönliche Beziehung über viele Jahre gefestigt hat und jeder von beiden Partnern sein Gegenüber einschätzen kann. • Die „Doppelspitze“ hat eine sehr kritische Prognose. Wenn der Beiratsvorsitz von einem Gesellschafter eingenommen wird, werden zumeist in kurzer Sequenz immer wieder Nicht-Familiengeschäftsführer gefunden und wieder entlassen. Da sich dies auf dem Personalmarkt für Führungskräfte herumspricht, können immer weniger hoch qualifizierte Personen gewonnen werden und die mindere Qualifikation der Gewonnenen reduziert natürlich ihre Verweildauer. Ruhe tritt hier erst ein, wenn ein Verwalter ohne eigenen Gestaltungswillen und mit hoher persönlicher Anpassungsfähigkeit dem
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Beiratsvorsitzenden die Gestaltungshoheit belässt, bis dieser das Unternehmen in Schwierigkeiten bringt oder aus Altersgründen dann doch sein Amt abgeben muss. • Wird eine von zwei „Doppelspitzen“ von einem Nicht-FamilienBeiratsvorsitzenden, zum Beispiel dem früheren CEO, gebildet, kann es wiederum sein, dass zunächst der Beiratsvorsitzende die stärkere Position hat und der CEO mit eigenen Gestaltungsambitionen weichen muss. Hier kann es aber geschehen, dass die Vorgesetzten des Beiratsvorsitzenden, die Gesellschafter, erkennen, dass dies keine zukunftsfähige Konstellation ist. Zudem ändern sich solche Konstellationen dann doch einmal durch die Altersgrenze. Die Frage des „Fit“ zwischen Eigentümern, deren Beirat und der Geschäftsführung halte ich für einen der Faktoren für das Gelingen guter Unternehmensführung im Familienunternehmen. Leider kann dieses Beziehungsgeflecht von außen schlecht eingesehen werden, so dass neu eintretenden Geschäftsführern immer wieder tragische Fehleinschätzungen unterlaufen.
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Die Pathologie der Institutionen In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Funktionen eines Beirats beschrieben, die erfüllt werden können oder erfüllt werden sollen. Bei allen sozialen Institutionen ist die Art und Weise der Aufgabenerfüllung jedoch nicht „programmierbar“. Daraus mag eine schwache Aufgabenerfüllung resultieren. Dies ist aber nicht der Fall, der hier anzusprechen ist. Von einer „pathologischen Deformierung“ einer Institution ist dann zu sprechen, wenn die Institution ihre Funktion überhaupt nicht mehr wahrnehmen kann, womit häufig auch die mit dieser Institution verbundenen Einrichtungen in Mitleidenschaft gezogen werden. In unserem Fall heißt das: Ein Beirat ist pathologisch deformiert, wenn er von außen daran gehindert wird, seine Aufgaben zu erfüllen, was vielfach auch nachteilige Folgen für das Unternehmen hat, dem er dient. Die gemeinsame Ursache der nachfolgend aufgeführten Pathologien liegt darin, dass der jeweilige Andere – der Beirat, die Geschäftsführung, vielleicht auch der Gesellschafterkreis – nicht respektiert wird in dem Sinne, wie es Wohlrapp als Grundlage des gemeinsamen argumentativen Dialogs fordert.433 Die Interferenzen zwischen mehreren Beratern Wir sprachen oben434 davon, dass der persönliche Beratungsbedarf der Gesellschafter in der ersten und zweiten Generation und ebenso in der erfahrenen Mehrgenerationen-Gesellschaft von der Beratungsorganisation des eigenen Unternehmens abgedeckt wird, zu der der Beirat gehört. Es war aber auch davon zu sprechen, dass es Konstellationen gibt, in denen die Gesellschafter insgesamt, häufiger jedoch unterschiedliche Gesellschaftergruppierungen, jeweils ihre eigenen juristischen Berater haben. Die Existenzberechtigung dieser Berater besteht darin, dass sie das Interesse 433 434
Vgl. oben Abschnitt 10.9. Vgl. Abschnitt 3.1.
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ihres bzw. ihrer Mandanten und eben nicht primär das Interesse der Gesamtheit des Familienunternehmens vertreten. Die Unersetzlichkeit und die Intensität ihrer Tätigkeit hängen vom Umfang der Probleme ab, die als beratungsbedürftig auftauchen oder auf die gegebenenfalls hingewiesen wird, wenn das Problembewusstsein ihrer Klienten noch unzureichend entwickelt sein sollte. Das intensive Wirken der Berater führt unweigerlich zu Interferenzen der Berater untereinander sowie zwischen diesen Beratern einerseits und Beirat und Geschäftsführung andererseits. Ungebremst schaukeln sich solche Interferenzen rasch und leicht zu einer pathologischen Lähmung der Institutionen hoch. Berater müssen geführt werden, sonst schaffen sie sich selbst ihre eigene Unentbehrlichkeit. Es bedarf hierzu einer ausgeprägten Führungspersönlichkeit im Kreis der Gesellschafter. Oder aber der Beirat beziehungsweise sein Vorsitzender wird zur Führungsinstanz für alle Berater eingesetzt. Bei den Familienunternehmen, bei denen die Beratungsstrukturen des Unternehmens selbst auch die Beratungsfunktionen für die Gesellschafter wahrnehmen, liegt die Führung der Berater konsequenterweise beim CEO oder CFO. Keine Respektierung des Beirats seitens der Gesellschafter durch Umgehung des Beirats Wenn die Gesellschafter selbst den Beirat umgehen, geben sie gegenüber den Beiratsmitgliedern, aber auch gegenüber der Geschäftsführung zu erkennen, dass sie den Beirat nicht respektieren und auch nicht brauchen. Die folgenden Beispiele mögen veranschaulichen, wie leicht dies geschehen kann: • Ein Gesellschafter lässt sich von der Geschäftsführung über einen ihn interessierenden Vorgang ohne Wissen des Beiratsvorsitzenden informieren. • Ein Gesellschafter lässt die Geschäftsführung wissen, wie er eine Sache entscheiden würde. (Es ist nicht viel besser, wenn er diese Äußerung nur gegenüber den Beiratsmitgliedern macht, bevor der Beirat über diese Angelegenheit berät.) Durch ein Umgehen des Beirats werden seine Mitglieder desavouiert. Qualifizierte Mitglieder können dies nicht hinnehmen. Sie werden also so bald wie möglich ihr Amt niederlegen. Sie können dann allenfalls durch Mitglieder ersetzt werden, die ein solches Verhalten von Gesellschaftern akzep-
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tieren. Dies beeinträchtigt aber den Zusammenhalt des Gremiums und die Qualität seiner Arbeit. Was soll ein Beirat leisten, der von den Gesellschaftern, die ihn eingesetzt haben, selbst nicht ernst genommen wird? Bei diesen Verirrungen muss der Beiratsvorsitzende in jedem Einzelfall und unmissverständlich die Gesellschafter darauf hinweisen, dass die Würde des Beirats verlangt, dass seine Zuständigkeiten respektiert werden – von jedermann und allzumal von den Gesellschaftern. Nur so kann er die Ordnung der Beziehungen zwischen Aufsichtsgremium und Geschäftsführung sicherstellen. Zumeist ist ihre Störung dem oder den Gesellschaftern gar nicht bewusst. Einmal, weil sie mit den Gepflogenheiten der Arbeit mit und in Institutionen nicht vertraut sind. Alltagsweltliche Meinungsäußerungen sind spontan, informell und man lässt sie jedermann wissen. Ein Gesellschafter, der sich unter Außerachtlassung bewährter Regelungen in unternehmerische Entscheidungen einschaltet, kann sich auch entschuldigende Gründe für sein Verhalten zurechtlegen wie etwa folgende Ausreden: Warum sollte man seine Meinung zu geschäftlichen Angelegenheiten nicht auf dem kürzesten Weg den Betroffenen mitteilen? Zudem ist man – weil man dem eigenen Geschäft ja so eng verbunden ist – einfach kenntnisreicher als Beiratsmitglieder, die den Dingen ferner stehen. Durch die eigenen Initiativen möchte man ja nur helfen, bestimmte kleine Angelegenheiten zu befördern. Der Beirat möge sich nach wie vor um die großen Entscheidungen der Strategie kümmern. Die Umgehung der Ordnung der Zuständigkeiten der Geschäftsführung Ein Geschäftsführer ist die Führungskraft mit der obersten Verantwortung für die Geschäftsführung – in seinem Selbstverständnis und in seiner Stellung gegenüber der Öffentlichkeit. Daher geht er davon aus, dass er dieser Verantwortung unbeeinträchtigt nachkommen kann. Die Gefahren der Beeinträchtigung, ja Beschädigung dieses Rollenverständnisses und der Möglichkeit, es zu verwirklichen, sind mannigfach. Sie sind dann besonders groß, wenn der Beeinträchtiger noch nicht einmal das Gefühl hat, etwas Falsches zu tun. Die Geschichten, die da erzählt werden, würde man gern als Erfindungen abtun, aber es sind zumeist Erzählungen von Ereignissen: • der Gesellschafter, der durch den Betrieb geht und den Mitarbeitern Ratschläge erteilt, was zu tun sein,
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• noch toller: Die Ehefrau des Gesellschafters, die durch den Betrieb geht und dabei kundtut, was sie gut oder schlecht findet, • der oder die Gesellschafter, die sich über Verschwendung seitens der Geschäftsführer erregen – das ist ein ganz besonders kritischer Bereich, • die Gesellschafter, die angelegentlich die Qualitäten von Verwandten und Bekannten empfehlen, deren Einstellung sie gerne sehen möchten, • die Gesellschafter, die sich besonders um die Motivation der Mitarbeiter kümmern und diese daher fragen, was sie sich als den Zustand des Wohlbefindens vorstellen, und die natürlich gerne von allen Mitarbeitern, die sich nicht in diesem Zustand erleben, ganz eingehend und vertraulich über die Gründe ihres Missvergnügens informiert werden wollen, • der Geschäftspartner, der ein Anliegen hat und bei der Geschäftsführung Verhandlungen erwartet, die er durch einen Wink von oben beeinflussen möchte, • jemand, der um Spenden wirbt und die Gesprächsbereitschaft der Geschäftsführung durch einen Wink von oben vorbereiten möchte. Als Einzelfall wäre jedes der hier genannten Vorkommnisse meist ohne große geschäftspolitische Bedeutung. Es sind sogar oft nur Kleinigkeiten. Das ist sogar einer der Gründe, weshalb Gesellschafter sich zu solchen Initiativen für ermächtigt halten: „Es ist doch nicht so schlimm, wenn …“. Was von den Initiatoren nicht gesehen wird, ist, wie aufmerksam die Belegschaft all solche Vorgänge verfolgt. Solche Konfliktfälle zwischen Gesellschafter und Geschäftsführung werden geradezu erwartet, man ergötzt sich voyeuristisch daran, will aber auch wissen, wie stark der Geschäftsführer ist, um das eigene Verhalten danach ausrichten zu können. Schließlich kann aus manchen der genannten Initiativen ein persönlicher Vorteil gezogen werden. Da sich die Gesellschafter durch diese Eingriffe auch gegenüber den nachgeordneten Beschäftigten als die wahren Machtträger erweisen, erhöhen sie den Drang dieser Beschäftigten, sich an sie als die wahren Machtträger mit ihren Anliegen betreffs mehr „Motivation“, Anerkennung, Bezüge usw. zu wenden. Es sind die Präzedenzwirkung und die Nebenwirkungen, die diese Initiativen so verheerend machen. Die gefährliche Wirkung solcher Verhaltensweisen ist den Initiatoren nur deshalb nicht geläufig, weil sie vermutlich noch nie als angestellte Führungskraft gearbeitet haben. Vielleicht wurde den Anfängen nicht gewehrt, vielleicht
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dient der dumme Spruch, es handle sich schließlich um „das Geld der Gesellschafter“, sogar als Rechtfertigung. Vielleicht gab es auch angestellte Geschäftsführer, die Derartiges toleriert haben. Wenn sich Gesellschafter wiederholt oder gar bewusst nicht an die Spielregeln halten und den Beirat umgehen, verursachen sie ein nicht lösbares Dilemma: Der Beirat kann dieses Fehlverhalten gegenüber der Geschäftsführung nicht kommentieren, da dies natürlich eine Missbilligung wäre und damit die Stellung der Gesellschafter herabsetzen würde. Der Beirat kann daher auch keine andere Weisung erteilen als der oder die betreffenden Gesellschafter, weil er damit die Initiative der Eigentümerseite als falsch hinstellen würde. Der Beirat kann daher nur entweder überhaupt nicht reagieren oder einen nachträglichen salvatorischen Beschluss fassen, der die Initiative eines oder mehrerer Gesellschafter als Beiratshandeln übernimmt. Damit wird dann neben der Geschäftsführung auch noch der Beirat desavouiert. Die Problematik der Erörterung operativer Fragen In dem Prototyp des Aufsichtsrats eines Großunternehmens, in dem der vorherige Vorstandsvorsitzende nicht in den Aufsichtsratsvorsitz überwechseln kann, wäre es ungewöhnlich, wenn das Gremium sich mit rein operativen Fragen der Unternehmensführung befassen würde. Davon hält die Aufsichtsräte die klare rechtliche Regelung ab, dass die Unternehmensleitung beim Vorstand liegt. Aber selbst wenn dies nicht so eindeutig geregelt wäre oder nicht beachtet würde: Es fehlte bereits an der Information des Gremiums, damit es sich mit operativen Themen beschäftigen könnte. Mit dem, was nicht zur Sprache gebracht wird, könnte sich dieses Gremium gar nicht befassen. Der Vorstand wird ihm sicherlich keine operativen Fragen zur Beratung vorlegen. Dass ein nachgeordneter Mitarbeiter unter Umgehung seiner Vorgesetzten einen Weg sucht, um den Aufsichtsrat direkt auf Vorkommnisse im operativen Bereich hinzuweisen, in denen der Vorstand seiner Meinung nach der Aufsicht bedürfte, ist undenkbar. Ja selbst die Arbeitnehmervertreter halten sich an die Ordnung der Zuständigkeiten: Zwar sind operative Angelegenheiten im Bereich des Mitarbeiterverhältnisses durchaus eines der ständigen Themen, mit denen sich die Belegschaftsvertretungen kraft Amtes befassen. Man belässt sie aber dort, wo sie behandelt werden können – im Gespräch mit der Personalabteilung, vielleicht im Wirtschaftsausschuss, aber nicht im dafür zu „hoch gestellten“ Aufsichtsrat. So bleibt es, wie es sein soll: Im Aufsichtsrat haben operative Themen keinen Raum.
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In unserem mittelständischen Beirat, in dem auch Gesellschafter vertreten sind, verhält sich dies anders. Die Überschaubarkeit ist ja geradezu ein Charakteristikum des mittelständischen Unternehmens. „Man“ überblickt noch, was passiert, und dies gilt insbesondere für die Gesellschafter. Die Gesellschafter werden von den Beschäftigten nicht als Außenstehende betrachtet. An sie werden Beobachtungen herangetragen, von denen der jeweilige Zuträger meint, die Gesellschafter müssten dies wissen – und das eben deshalb, weil die Geschäftsführung das Beobachtete zulässt. Noch wahrscheinlicher ist ein intensives Eintauchen der Gesellschafter in die Kenntnisse über das Unternehmensgeschehen, wenn Gesellschafter im Unternehmen beschäftigt sind. Und so erfährt ein Beiratsmitglied die verschiedensten Dinge: dass der Kunde x eine Reklamation hat, dass beim Artikel y Lieferengpässe bestehen, dass der lang bewährte Mitarbeiter z gekündigt hat oder ihm gekündigt wurde, dass die neue Software nicht funktioniert und so weiter und so weiter. Dass sich das Einbringen von operativen Fragen in den Diskurs im Beirat nicht gehört, ist einem Gesellschafterbeirat möglicherweise schon deshalb nicht bewusst, weil die Unterscheidung von Themen in solche „strategischer“ und solche „operativer“ Natur bereits ein Konstrukt der professionellen Managementausbildung ist. Ein unbefangener Geist unterscheidet allenfalls zwischen wichtig und weniger wichtig. Wichtig können Unvollkommenheiten aber allemal sein. Ein einzelner Vorgang, der in sich nicht werterheblich ist, kann dann eine größere Bedeutung erhalten, wenn man ihm exemplarische Bedeutung zuspricht. Einer der üblichen Konflikte mit einem Mitarbeiter kann als Indiz für die Einstellung der Vorgesetzten zu Mitarbeitern generell und damit als Indiz für die Gefährdung der Kultur des Familienunternehmens gewertet werden. Eine Kundenreklamation kann als Indiz für eine strategisch bedeutsame (fehlende) Kundenorientierung betrachtet werden. Durch derartige Vorgänge, die einem abgebrühten Manager trivial erscheinen mögen, erhält ein Außenstehender einen Zugang zu geschäftlichen Dingen, in dem er sich für ausreichend kompetent hält. Die Erörterung operativer Fragen im Beirat ist nicht nur überflüssig, sondern beeinträchtigt auch die Effizienz der Führung. Zunächst lenken diese Themen in dem ranghöchsten Gremium, das sich in begrenzter Zeit mit den wichtigsten Fragen des Unternehmens zu befassen hat, von den wichtigsten Themen ab. Noch schlimmer ist freilich, dass der Fokus des Beirats auf nur zufällig hochgespülte Vorgänge die Aufmerksamkeit des Managements an diese Blickrichtung bindet – und zwar nicht nur in dieser einen Sitzung: Mit Rücksicht auf die Präferenzen eines Beirats wird die
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Geschäftsführung vorausschauend ihren Fokus auch in der Zukunft auf die gleichen Schwerpunkte legen. Gerade deshalb, weil die Schwerpunkte des Beirats von der Geschäftsführung für ihre Arbeit kopiert werden, sollte ein Beirat darauf achten, dass operative Fragen tatsächlich nicht in diesem Gremium behandelt werden, sofern sie nicht strategisches Gewicht haben – und dies wäre nur der Fall, wenn eine Unvollkommenheit der Geschäftsprozesse gravierend und nachhaltig wäre und damit das Erfolgspotenzial auch nachhaltig schmälern könnte. Keine Respektierung des Beirats durch die Geschäftsführung Es gibt aber nicht nur das Problem, dass die Zuständigkeiten der Geschäftsführung nicht respektiert werden, es gibt auch fehlenden Respekt einer Geschäftsführung gegenüber dem Beirat oder, noch gravierender, gegenüber den Gesellschaftern. Dabei wird es nicht an der Höflichkeit fehlen. Der Versuch, den Beirat intelligent zu manipulieren, muss aber auch als Zeichen fehlenden Respekts gewertet werden. Wenn immer wieder gegen die Informationspflichten verstoßen wird und die Genehmigungsvorbehalte nicht beachtet werden, so ist dies fehlender Respekt. Ein solches Verhalten kann vom Beirat nicht toleriert werden. Die Nichtbeachtung oder Vernachlässigung der Gesellschafter Die verschiedenen Möglichkeiten, welche Institution von den übrigen Institutionen nicht „anerkannt“, nicht respektiert wird, ergeben sich zunächst rein theoretisch aus dem „morphologischen Kasten“. Da allerdings die Stellung des Gesellschafters als des gesetzlich legitimierten höchsten Souveräns unangreifbar ist, können Konstellationen, in denen der Kreis der Gesellschafter nicht respektiert wird, nur mit konstruiert wirkenden Annahmen ausgemalt werden. Immerhin ist es denkbar, dass gleichzeitig zwei der im Folgenden genannten Bedingungen eintreten: • Der Kreis der Gesellschafter ist nicht in der Lage oder nicht willens, seine Interessen zu artikulieren und wahrzunehmen. • Der Beirat nimmt nicht von sich aus die Aufgabe wahr, die Gesellschafter zu führen, das heißt, sie bleiben „ungeführt“. • Der Beirat und/oder die Geschäftsführung verfolgen eine Strategie, die die Interessen der Familiengesellschafter ignoriert.
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Die erste Bedingung kann sich einstellen bei alten Gesellschaften mit einer großen Anzahl von Gesellschaftern, die demnach alle nur sehr kleine Anteile am Kapital haben, und einer relativ kleinen Größe und/oder Ertragskraft des Unternehmens. Dies führt dazu, dass die Beteiligung für den einzelnen Gesellschafter nur einen emotionalen Wert hat. Es kann dann sein, dass es niemanden unter den Gesellschaftern gibt, der es unternimmt, den Gesellschafterkreis zu führen; gegebenenfalls tut dies eben auch der Beirat nicht. In dieser Konstellation wird dann das Unternehmen aus einer Koalition von Beirat und Geschäftsführung geführt. Natürlich ist es denkbar, dass Beirat und Vorstand von sich aus die bestmögliche Strategie für das Unternehmen betreiben. Selbst bei guten Absichten sind aber zwei Extreme einer solchen Strategie denkbar, die die Interessen der Gesellschafter missachten: Die eine für ein Familienunternehmen dysfunktionale Strategie wäre die Opferung der Selbstständigkeit des Unternehmens, damit es in eine größere, machtvollere Einheit eingebracht werden kann. Der Wunsch nach Größe kann mit der Stärkung der Marktposition gerechtfertigt und im Interesse des Unternehmens an sich liegend interpretiert werden: Auch den Interessen des Beirats würde dabei Rechnung getragen. Die andere extreme Ausprägung einer Strategie der Unternehmensentwicklung ist vielleicht von durchaus ehrenwerten Absichten getragen, führt aber auch zu einem beklagenswerten Ergebnis: Das Unternehmen bleibt selbstständig, Berat und Geschäftsführung konzentrieren sich auf die Überlebenssicherung des Unternehmens, respektieren das Gesellschafterinteresse wenigstens insoweit, als regelmäßig eine bescheidene Gewinnausschüttung geleistet wird, doch irgendwann aber ist diese Strategie des bescheidenen Überlebens am Ende und viele fragen dann, wie es dazu kommen konnte. Die Antwort müsste sein: Es gab im gesamten System keinen Unternehmer mehr: nicht in der Geschäftsführung, nicht im Beirat und nicht in dem großen und weit verstreuten Kreis der Familiengesellschafter. Die Reflexion über Pathologien ist eine Möglichkeit, sich darüber klar zu werden, was nicht eintreten darf. Die Reflexion über Idealanforderungen – und dies wäre der Schluss – ist eine Möglichkeit, sich klar zu werden, in welche Richtung man gehen sollte.
17 Resümee: Wunschlisten für einen idealen Beirat
Bei meinen Streifzügen durch die Literatur zu diesem Thema sind mir einige Wunschlisten für einen idealen Beirat – oder in der angelsächsischen Literatur: für einen idealen Aufsichtsrat – vor Augen gekommen. Zitate daraus verwende ich nun als ein Resumée unserer Betrachtungen. Um seine einleitenden Strukturierungsversuche mit einem plastischen und gehaltreichen Bild von den wünschenswerten Aufgaben eines Beirats zu beginnen, präsentiert M. Peltzer eine schöne Wunschliste435: „Der Beirat soll: • das beste verfügbare Management aussuchen, • es bestellen und anstellen, • ihm als älterer Rat- und Impulsgeber, notfalls als Retardierer zur Seite stehen, • es überwachen und notfalls Dummheiten verhindern, • ein feines Ohr für menschliche Schwierigkeiten eines Managers haben, • gegebenenfalls zwischen Management und Gesellschafterversammlung oder einzelnen Gesellschaftern klug vermitteln, • die Gesellschafterversammlung gegenüber dem Management vertreten, aber wiederum nicht bedingungslos, sondern indem die wirklichen, langfristigen Gesellschafterinteressen herausgefiltert werden, • umgekehrt für berechtigte Interessen des Managements gegenüber einer zögernden Gesellschafterversammlung eintreten • und notfalls nicht zögern, einen unfähigen Manager abzuberufen.“ In der amerikanischen Literatur fielen mir die im Folgenden zitierten Listen auf. Sie sind in ihren Einzelheiten auf das dortige One-Tier-System abgestellt, erfassen aber die allgemeinen Erfordernisse von Aufsichtsgremien. 435
Peltzer, M. (2000): S. 99.
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17 Resümee: Wunschlisten für einen idealen Beirat
Die Beratungsgesellschaft Korn/Ferry hat eine Aufstellung der 20 Regeln zur „Best Practice“ für Aufsichtsgremien herausgegeben436: „Twenty Best Practices To Improve Board Performance: 1. In selecting boards, consider the expertise and knowledge of each director so that the board as a whole has the ability to understand the overall industry, provide corporate governance, contribute to the design and management of the organization and grasp the business of the organization. 2. Make sure the board has the proper balance of members. 3. Control the size of the board. 4. Make sure to have a sufficient number of independent directors. 5. Expect board members to invest time in their board duties over and above meeting attendance. 6. Provide learning opportunities that focus on the competitive, technological, organizational und financial challenges the company faces. 7. Counsel the board on developing group and decision-making skills. 8. Establish board measures of corporate performance. 9. Provide boards with information about company performance from multiple sources. 10. Schedule periodic reviews of the development plans for the corporation’s top tier of executives. 11. Provide independent board members the opportunity to meet without company executives present. 12. Create a process for outside directors to call special meetings of the board and to place issues on the board’s regular agenda. 13. Formally evaluate CEO performance each year. 14. Be sure that independent directors control both the compensation and the corporate governance committees (or whatever committee selects and evaluates directors). 15. Tie the compensation of board members to changes in shareholder value. 436
Korn/Ferry International (1998): S. 5 ff.
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16. Set board member compensation based on what directors of other comparable corporations receive. 17. Evaluate each board member’s performance annually. 18. Regularly review the performance of the board as a whole. 19. Schedule enough board and committee meeting time to be sure that key issues can be discussed thoroughly. 20. Provide board members with critical information in advance of meetings so that board time can be used efficiently.” Thomas L. Whisler führt eine halb ironische, aber doch nachdenklich machende Liste zu den Spielregeln in einem Aufsichtsgremium aus437: „Rules of the Game for Directors: Inside the Boardroom 1. No fighting. 2. Support your CEO. 3. Serve your apprenticeship. 4. No crusades. 5. Do your homework. 6. Participate. Understanding Why We Are Here 1. We are here to give counsel, make judgments, and oversee the commitment of corporate resources. 2. We are responsible for assessing and, if necessary, replacing top management. 3. We don’t manage the company. 4. We don’t set strategy. 5. We are responsible for assuring long-run survival of the firm. 6. We cannot abdicate our responsibilities. 7. Officially, we are here to act in the shareholders’ interests. Outside the Boardroom 1. Keep your distance from subordinate company executives. 437
Whisler, T.L. (1984), Whisler, T.L. (1988): S. 319.
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2. Be prepared to counsel, individually, with the CEO. 3. Don’t discuss company business with others. 4. Watch for straws in the wind. 5. Watch for talent. Assessing Board Invitations 1. Join a winner. You are what your board (and its company) is. 2. Try to stay close to home. 3. Decline or resign officially only for reasons of overload. 4. Trade up slowly and unobtrusively. 5. Officially, deprecate the personal significance of your director’s fee. Getting New Blood 1. CEOs of other companies (big and rich is best). 2. Try to add luster to the board. 3. We should seek to add a woman or a minority group member to the board, but only if they are truly qualified. 4. Look hard at lawyers, investment bankers, and consultants before inviting them onto the board. 5. No crusaders. Assessing the CEO 1. He should have a plan for making the company bigger and richer. 2. He should heed our counsel. 3. He should have outstanding subordinates. 4. He should not surprise us. 5. He should tell us all. Flushing the CEO 1. Don’t rush. 2. Make sure of overwhelming director support. 3. Don’t wait too long. Note: The ‘rules’ outlined here are those that directors of Fortune 500 companies say they seek to follow. They are not the author’s rules, nor are they set out as the proper ones for directors to follow.”
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Man muss sich meines Erachtens bewusst mit möglichen Deformationen der Institution Beirat oder ihres Umfeldes beschäftigen, um deren größte Unvollkommenheit möglichst zu vermeiden. Andererseits braucht man nicht frustriert zu sein, wenn nicht der Grad der Vollkommenheit der „Best Practice World“ erreicht wird. Gerade im Metier der Führung und der Strategie neigen die Schreiber von Büchern dazu, die beste aller Welten präskriptiv zu beschreiben. Und in diesem Buch geschieht dies auf weiten Strecken nicht anders. Mit dieser Sichtweise sollte man sich durchaus auseinandersetzen, aber man sollte dabei das Idealbild auf die Realität „abdiskontieren“. Daher möchte ich mit einem „bescheidenen“ und sehr humanen Zitat enden. Von Inkka Helkama438, einem finnischen Kollegen, erhielt ich ein Exzerpt, in dem ich einen schönen Bezug zu einer Sentenz des Philosophen Walter Bagehot über die Rolle des Königs fand, die Helkama auf den Eigentümer eines Familienunternehmens transformierte. Und diese Rechte kann man auch auf den Beirat des oder der Eigentümer übertragen: • das Recht, um Rat gefragt zu werden, • das Recht zu ermutigen, • das Recht zu warnen. Dem fügt Bagehot lakonisch an: „Und ein König von großer Einsicht und Klugheit würde nichts anderes wünschen.“ Und mit diesem Zitat soll dieses Buch auch enden.
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Aminoff, P., et al. (2004): S. 14.
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Stichwortverzeichnis
A Abberufung von Geschäftsführern 40 f., 137, 239, 365 ff., 388 Abschluss Siehe Bilanzierung Abstimmung 391, 397, 401, 419 Active Participation 482, 490 Adlatus 497, 503 Advising Board 482 Advocatus Diaboli 342 Agency-Theorie 112, 219 Agenda 180, 189, 218, 304, 317, 392, 405 ff., 411 ff. Akquisitionen 20, 93, 174, 236 ff., 281, 288, 413 Aktionsprogramm 218 Akzeptanz 330, 349, 358, 364, 469 Alleingesellschafter 5, 30, 34, 67, 367, 430, 433, 437 Altersgrenze 446, 449 f., 463, 472 f., 506 Anerkennung 98, 208, 228, 377, 379 ff., 510 Anreize 33, 78, 92, 96 f., 178 f., 227, 247, 317, 379 ff., 527 Anschlussfähigkeit 419 Ansehen 69, 128, 134, 453, 469, 480 Antrag 237, 240, 243 ff., 251 f., 331, 397 ff., 412 ff. Anwälte 29, 43, 101, 253 f., 438 Anzahl der Beiratsmitglieder 446, 454, 456 Anzahl der Sitzungen 388 f., 407 Arbeitsunfälle 406 Argumentation 325 ff., 340 ff.
Assessment Center 393, 464 Auditing Board 483 Aufsicht 79, 156 f., 175 ff., 191 ff., 211 ff., 221 ff., 226 f., 259 ff., 375 ff. Aufsichtsrat 102 ff., 169, 234, 371, 401, 408, 446, 482 ff. Aushöhlungsverbot 234 Ausschüsse 105, 117, 184 f., 272, 389, 393, 401 f., 492 Ausschüttungspolitik 52, 131, 288 Ausstieg Siehe Kündigung Auswahl (von Beiräten) 118, 128, 227, 267, 447 ff., 463 f.
B Balanced Scorecard 376 Bauchgefühl 208, 336 Beanstandung 228 Bedeutung der Beiräte 31, 404, 425 Bedrohung 17, 58, 61, 85, 346, 352 Begründungsverweigerung 338 Belehrung 373 Belohnung 71, 96, 113, 227 Benennungsrecht Siehe Vorschlagsrecht Berater 28 ff., 50, 53, 259, 302, 308, 314, 317, 362 f., 464, 468, 491, 507 f. Beratung 182, 184, 255 ff., 262 ff., 295 f., 301, 303, 314 ff., 325 ff., 340 ff., 354 ff. Beratungsgespräch 182, 268, 270, 308 Beratungsverträge 236
538
Stichwortverzeichnis
Berichterstattung 167 ff., 303 ff., 408 Berichterstattung der Wirtschaftsprüfer 195, 197 Berichtssystem 187 Berufserfahrung Siehe Erfahrung Berufung (des Beirats) 68, 133, 267, 447, 457, 467 Beschäftigung von Familienangehörigen 131, 240 Beschlüsse 40 ff., 58, 159, 235, 403 f., 411 ff., 426, 473, 511 Beschlusslage 419 Beschlussvorschläge 46, 419 Besetzung (des Beirats) 9, 65, 267, 445, 448 Besserwisserei 334 Best Practice 315, 394, 399, 516, 519 Bestätigung 19 f., 32, 80, 96, 118, 149, 155, 179, 208 f., 228, 257, 292, 313, 318, 370, 375, 417, 451, 454, 471 Bestellung von Geschäftsführern 36 f., 41, 47, 103, 136, 227, 239, 366 f. Beurteilung 345 ff., 375 ff. des Beirats 422 ff. des Erfolgs 177 ff., 220, 376 des Inputs des Geschäftsführers 217 ff., 227, 376 des Outputs des Geschäftsführers 213, 217 ff., 227 Bezüge 97, 156, 361, 378 ff., 382, 384, 474 f., 510 Bilanzierung 226 Blinder Fleck 216, 224, 227, 323 Börsengesellschaft 9, 13, 18 ff., 57, 71, 80 ff., 86, 91, 95 ff., 182, 263, 283 f., 371, 377 ff., 475, 498 Nachteile 10, 25, 100 Branche 17, 21, 84, 101, 174, 182, 271 ff., 309 ff., 325, 361, 368, 380, 462, 467, 479, 504
C Cash-Pool 285 Catalyst Board 482 CEO-Auswahl 365 ff. Chancen 172, 261, 277, 298, 344 f. Coaching 229 Collegial Board 481 Communal Board 481 Compliance 161, 170, 221 ff. Constitutional Board 481 Consultive Board 481 Controlling 154 ff., 169, 187, 195, 459 Coopting Board 482 Corporate Governance 5, 24, 28, 56, 69, 71 ff., 118, 132, 170, 232, 242, 290, 343, 402, 451, 479 Corporate-Governance-Kodex 79, 388 Cosmetic Board 481
D D&O-Versicherung 57 ff. Dank 208 Dauer der Sitzung 269, 389 Debatten 77, 85, 342, 398 f., 504 Deformierung 96, 102, 106, 159, 333, 370, 507 Delegation 145, 149, 158, 190, 244, 310 Demotivation 213 Demotivierung Siehe Demotivation Design Siehe Gestaltung Diagnose 221, 276, 308 f., 312, 346 f. Dienstherr 115, 139 f., 167 f., 177, 368 f., 378, 393, 490 Dilemma 16, 110, 127, 131, 182, 189 ff., 201, 218, 247, 256, 278, 311 ff., 326, 418, 511 Direktive Eingriffe 231 Diskreditieren 339 Doppelspitze 372, 496, 498, 506
Stichwortverzeichnis Durchführungskontrolle 320 ff. Durchhaltevermögen 101
E Economic Value Added 178 Einflussnahme 62 ff., 129 ff., 138, 140, 150 ff., 161 ff., 231 ff., 312 ff. Ein-Kammer-System 141, 156, 194, 251, 393, 409, 481, 487, 491, 493, 515 Elder Statesman 436, 438 Entscheidender Beirat 481 Entscheidungskriterien 218, 243, 300, 318, 351 Entscheidungsmaximen 117, 222, 312 f., 318, 346, 351 Entscheidungsprozess 78, 152, 158, 168, 231, 240, 243, 259, 296, 441 f. Erbe 83, 89, 114, 131 ff., 465, 504 Erbschaftsteuer 83 Erfolg 17 ff., 99, 175 ff., 276 ff., 304 ff., 374 ff. Erfolgsgeschichte 191, 377, 416 Erfolgsmessung 177 f., 183, 376 f. Erträge 84 ff., 184, 219, 256, 277, 279, 283, 293, 383, 504 Ertragsniveau 92 Ertragsorientierung 84 Ertragsverwendung 86 Erwerb von Unternehmen Siehe Akquisitionen Erzählung 173 f., 192, 509 Evaluierung der Geschäftsführung 146, 228, 375, 382, 394 Exekutor 497, 500 Exploration 325, 454 Externe Gegebenheiten 170, 301, 315
F Familienrat 447, 489
539
Familienstämme 89, 453 Familien-Vertreter im Beirat 452 Fehlschläge 280, 379 Feindlichkeit 339 Finanzen 284, 462 Finanzierung 87, 133, 272, 279, 281, 350, 465 Finanzierungsregeln 283 f., 313 Finanzplanung 91, 283 f., 293 Fit 374, 506 Formalien 74, 117, 318, 396 Forschung und Entwicklung 244, 407 Fremdkapital 72, 75, 101, 285 Freunde (als Beiräte) 32, 251, 466, 488 Frühwarnindikatoren 181, 266 Führungsinstanz (Beirat als …) 107, 146 f., 157 Führungsprozess 140 ff., 214, 442, 494 Fundraising Board 482 Funktionale Politik 271
G GAU 280, 349 Gedankenaustausch 354, 356 Gefährdungen (des Familienunternehmens) 10 Genehmigungsrechte Siehe Zustimmungsvorbehalte Generalklausel (für genehmigungsbedürftige Geschäfte) 69, 247 f. Generationenübergang 87 f., 135 Geschäftsgebiete 498 neue 236 Geschäftsmodell 23, 110, 174, 309 f., 407, 462, 465 Geschäftspolitik 40, 175, 228, 245 Gesellschafterausschuss 7, 30 f., 115, 465
540
Stichwortverzeichnis
Gesellschafter-Geschäftsführung 110, 362 Gesellschafterinteresse 28 f., 35, 53, 130, 188, 287, 358, 401, 448, 491, 514 f. Gesellschafterversammlung 35 ff., 119 ff., 126 f., 157 f., 235, 249 ff., 287, 362 ff., 432, 447 ff., 454, 491, 494, 504, 515 Gesetzesverstoß 224 Gesprächsführung 335, 338, 359, 392, 400, 404 f., 415 ff. Grenzbedingungen Siehe Randbedingungen Grundstücksgeschäfte 236, 238
H Haftung 56 ff., 222 f. Haftungsausschlüsse 61, 350 Haftungsbegrenzung 61, 350 Handlungsalternativen 317 Handlungsoptionen 276, 314 ff., 320, 340, 343 Handlungsvollmacht 239 Häufigkeit (der Beiratssitzung) 260, 388 Honorierung 55, 97, 179, 283, 366, 378 ff., 456, 463 ff., 471 ff.
I Incentives Siehe Anreize Information 77, 132, 148, 154 f., 167 ff., 225, 249, 259, 277, 296, 303, 383, 406 ff., 413, 511 Informationsintensität 184 Informationsquelle 184, 190, 197 Informationssystem 154, 186, 310 Informationsvolumen 186 Informelle Treffen 117, 197 ff., 356, 392 Innovation 22, 238, 272, 408 Innovationsarbeit 185
Interessenkompetenz 64, 122, 299 f., 353, 358 Internal Control Systems Siehe Internes Kontrollsystem Internes Kontrollsystem 196 Intimus 53, 497, 499 Investitionen 174, 236, 256 f., 265, 280, 292, 319, 346, 354, 383, 405 f., 468, 497 Investor Relations 102, 122 Issues 516 f.
J Jahresabschluss 162, 196, 405, 414
K Kapitalmarkt 75 ff., 85, 91 ff., 290 Kapitalmaßnahmen 413 Kataloge von Entscheidungen 41, 68, 233 ff., 244 ff., 388 Kenntnisse Siehe Kompetenz Kerngeschäft 280 Klage 56, 59, 61, 102, 240, 381 Klausur 356, 416 Klima 267, 379, 415 Kodex für Corporate Governance 79, 388 Kollegialprinzip 232 Kollegium 97, 153, 183, 232 f., 341 f., 390, 394, 399 ff., 427 f., 437, 448 Kommentar 54, 155, 221, 237, 239, 242, 315, 345, 417, 420, 438 Kompetenz 64, 69, 122, 127, 183 ff., 211, 299 f., 326, 341, 358, 365 ff., 422, 439, 453, 465, 489 Komplexität 157 ff., 171, 200 f., 223, 245, 256 ff., 270, 295, 297, 333, 340, 345, 363, 373, 398, 411 ff., 432 ff., 441 Konflikte 34, 43, 51, 73 ff., 90, 102, 133 f., 136, 153, 231 f., 252 f.,
Stichwortverzeichnis 352, 396, 401, 429, 438, 497, 510 ff. Konjunktur 257, 273, 303 Konsensus 85, 92, 141, 216, 341, 356, 358 Konsistenzvorspiegelung 339 Konstituierende Sitzung 396 KonTraG 195 Kontrollaufsichtsrat 483 Kontrolle 7, 32 ff., 74, 79, 85, 96, 100, 106, 110, 118, 140 ff., 191 ff., 200, 211 ff., 215, 236, 258, 263, 266, 302, 320 ff., 449 f., 461, 469, 481, 484, 492, 503 Konzern 8, 50, 116, 152, 239, 439, 459 ff., 498, 505 Kooptation 449, 451 Kredite 46, 236, 238 Kritik 112, 176, 192 f., 228, 242, 247, 266, 327 ff., 342, 351, 361, 387 Kultur 45, 108, 127, 374, 512 Kündigung 17, 81 f., 89, 225, 287, 367, 389
L Lagebestimmung 276, 278 Langfristigkeit 18, 22, 44, 91 f., 99 f., 113, 115, 127, 179, 182, 237, 245, 266, 278, 283 f., 303, 327, 352, 354, 361, 369, 376 f., 382 f., 412, 515 Lebenserfahrung Siehe Erfahrung Leitfaden 375, 390, 395, 411 Leitungsaufsichtsrat 483 Lernprozess 118, 176, 335, 354 Liaison Board 482 Logbuch 180 Loyalität 32, 47 ff., 53, 64, 86, 106 f., 118, 127, 131, 190, 214, 243, 331, 469, 479 Loyalitätspflicht 49, 52 f.
541
M Macht 38, 62 ff., 73 f., 85, 90, 113, 122, 152, 242, 249, 252, 366, 408, 413, 440 ff., 450, 454, 461, 499 f., 502 Mahnungen 417 Management-Informationssystem 195 Managementkapazität 256, 281, 306 Managing Board 483 Maßnahmen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs 233, 235 Mediatisierung 24, 152 Mehrgenerationen-Gesellschaft 30, 88, 99, 125, 132, 431, 447, 453, 507 Mehrheitsgesellschafter 5 f., 53 f., 65, 67, 78, 131, 137, 152 f., 159, 402 ff., 438, 457, 461, 473, 487 ff., 503 Meinungsäußerung 344, 417, 428 Meinungsbildung 171, 182, 185, 188, 221, 245, 311, 330, 338, 391, 419, 428 f., 437 Minderheitsgesellschafter 5, 34, 45, 54, 132 Minderheitsrechte 41, 46 Minimal Review 482 Minimum Board 481 Misstrauen 64, 78, 90, 98, 108 ff., 170, 201, 214, 266, 498 Mitarbeitergespräch 147, 228, 381 f. Mitbestimmung 7, 30, 102 ff., 234, 249, 455, 469, 488 Mittelstand 33, 79 Mittelständisches Familienunternehmen 3, 13, 18, 21 ff., 224, 374, 437 Mitwirkender Beirat 62, 478, 480
542
Stichwortverzeichnis
Motivation 44, 113, 146, 156, 178, 188, 209, 281, 314, 379, 381 ff., 495, 502, 510
N Nacharbeit 387, 394 f. Nachfolgeplanung 471 Nachfolger 88, 136 f., 241, 363 ff., 434, 450, 453, 493 ff., 503 Nachfolgeregelung 363, 481 Nachfrage 28, 189, 207, 354 Nachhaltigkeit 24, 48, 76, 131, 224, 288, 292, 314, 349, 351, 380, 513 Nebenwirkung 157, 163, 324, 327, 343, 346, 384, 510 Neuerung 128, 344 Nichtbeachtung (des Gesellschafters) 513 Nicht-Familien-Geschäftsführung 5, 23, 27, 34, 87 f., 99, 136, 138, 153 f., 279, 292, 362 ff., 431, 462, 486 ff. Nichtverlängerung (des Vertrages) 371 Niederlassungen 238 Niederschriften Siehe Protokoll Nominal participation 482 Nutzen 9, 11, 54, 80, 91, 103, 117, 132, 134 f., 150 ff., 170, 183, 188, 193, 247, 253, 261, 266, 283, 288, 310 f., 326, 343 f., 346, 352, 355, 363, 366, 380 f., 413, 436, 450, 469
O Offenheit 8, 76 ff., 101, 105, 151, 158, 182, 190 ff., 215, 260, 380 f., 420 One-Tier-System Siehe EinKammer-System Opponenten 337 Opportunitäten 311 Optionspläne 380
Ordnung 73, 79, 115, 119, 134, 143, 151, 159, 177, 214 ff., 251, 266, 274, 280, 308, 315, 323, 341, 345, 373, 384, 397 f., 403 ff., 421, 432, 441, 509, 511 Outside Director 516 Oversight Board 481
P Paladin 496, 501, 505 Pathologie 12, 75, 90, 157, 159, 228, 507 f. Personalausschuss 228 Personalkompetenz 10 f., 122, 136, 233, 361 f., 366 ff., 440 f. Personalpolitik 271 f., 406 Persönlichkeit 64, 68, 112, 115, 129, 184, 213 f., 217, 367, 377, 425, 439, 452, 465, 494, 501 Pflichtberichterstattung 168, 175 Pflichten (der Beiräte) 10, 47 ff., 62 Planung 168, 176 ff., 198, 212, 218 ff., 236 ff., 242, 248, 255 ff., 405, 413 f., 458, 488, 503 Planungsrunde 302 PowerPoint 200, 202, 411 Prämissenkontrolle 320 ff. Präsentation 173 ff., 182, 185, 198 ff., 306, 316, 321, 343, 368, 406, 408, 411, 515 Präsidialprinzip 73, 232, 409 Prestige Board 482 Produktentwicklung 272 Produkt-Markt-Politik 271 Produkt-Markt-Strategie 272 ff. Professionalität 5, 34, 45, 56, 85, 109, 115, 134, 137, 151 f., 253, 260 ff., 284, 307, 314, 317, 352, 358 f., 367, 370, 384, 392, 456, 461, 478, 485, 488 ff., 512 Profilierung von Führungskräften 183, 417 Programmierung 225, 319
Stichwortverzeichnis Prokura 46, 247 Promotoren 252, 495 Protokoll 192, 252, 344, 392, 395 ff., 412, 418, 421 f. Prüfungsbericht 195 f. Public Relation 168, 270 Publizität 92, 377
Q Qualifikation des Beirats 64, 81, 301, 446, 451, 458 f. Qualifikation des Vorsitzenden 69 Qualitätssicherung 150, 299, 301, 406
R Rahmenplanung 319 Randbedingungen 4, 67, 71, 74, 154, 182, 200, 243 ff., 274, 291 ff., 311 ff., 325, 334, 349, 417 f., 430, 461, 485 Rationalität 83, 87, 90, 109, 131, 152, 173, 215, 275, 281 ff., 313, 326, 328, 334, 338, 357, 435 Rechte der Gesellschafter 37, 43, 79, 106, 253 Rechte des Beirats 7, 36, 66, 162 Rechte des Beiratsmitglieds 7, 27, 36, 38, 43, 53, 63 ff., 120, 242, 519 Rechtliche Verankerung 35 Rechtmäßigkeit 215 Rechtsstreitigkeiten 240 Regularien 390, 396, 398, 400, 411 f., 414, 448 Repräsentationsbeirat 478 f., 488 Reputation 61, 101, 109, 177, 213 f., 223, 426, 446, 454, 458, 460 f., 463, 465, 488 Reputationsrisiken 349 Reputationsschaden 214
543
Respekt 35, 43, 45, 64, 69, 231, 331, 354, 374, 379, 384, 400, 428, 449, 465, 489, 513 Respektierung 27, 34, 70, 115, 208, 291, 363, 401, 441, 448, 456, 458, 507 ff., 513 f. Ressourcen-Vorteile 118 Restrukturierung 285, 288 Rhetorik 85, 202, 329, 359, 377 Richtlinien (der Unternehmenspolitik) 119, 486 Risiko 19, 56, 68, 78, 92 f., 99, 114, 116, 137, 163, 179, 201, 216, 221 ff., 226, 235, 246, 252, 277, 280, 288, 309, 320, 340, 345, 348 f., 370, 404, 411, 445, 501 Risiko-Informationssystem 179, 225 Risikomanagement 179, 221 ff., 414 Risikopolitik 222, 226, 276, 284 Rubber Stamps Board 481 Rückdelegation 331, 342, 353
S Satzung 36 f., 41, 46, 53, 65 ff., 89, 111, 119, 158, 234, 242, 248, 369, 398, 402, 427, 441, 446, 448, 473, 490 Satzungsmehrheit 37, 42, 66 Schadensbegrenzung 222 f., 304 Schlüsselfragen 99, 269, 308 Schwacher Beirat 490 Schwellenwerte (für Genehmigungsvorbehalte) 245 Selbstbewusstsein 151, 153, 204, 403, 435, 438 Selbstwertgefühl 232, 253, 330, 474 Shareholder Governance 81, 126, 135 Shareholder Value 91 ff., 283, 380 Sinnentstellung 339 Sinnhaftigkeit 310, 317, 340, 348
544
Stichwortverzeichnis
Situativer Beirat 480 Sitzungsleitung 392, 396 f., 419, 436 Soll-Ist-Vergleich 176, 220 Sorgfaltspflicht 54 f., 371 Sounding Board 483 Soziale Orientierung 85 Spekulationsgeschäfte 238 Spenden 236 f., 240, 510 Spielregel 28, 134, 511, 517 Stabilisierung 140 Stabilität 89, 278, 283, 351, 442 Standardstrategie 22, 25, 92, 98 f., 161, 274, 283 Stärken und Schwächen 315 Starker Beirat 3, 9, 11, 42 f., 69, 136, 139 f., 367, 440, 471, 477, 488 ff. Start-up-Unternehmen 33, 458, 479 Statuten 36, 42, 63, 123, 163, 246, 363, 369, 427 Statutory Board 483 Stellungnahme 18, 23, 103, 198, 202, 209, 221, 262, 264, 353, 355, 394, 401, 468 Stewardship-Theorie 112 Stiftung 8, 14, 65, 82, 433, 449 Stilllegung von Betrieben 236 Stimmbotschaften 392, 400 Strategieformulierung 321 ff., 366 Strategieklausur 356 Strategieprozess 258, 299 ff., 320 Strategierevision 302, 323 Strategiewechsel 324 Strategische Kontrolle 295, 298, 300, 302, 319 ff. Strategische Neuorientierung 295, 301, 320, 324 Stringenzverletzung 338 Suche nach Beiratsmitgliedern 470
T Tagesordnungspunkte 35, 199, 391, 404, 406, 413, 416 Tandem 496 f. Team 141, 252 Teamarbeit 373 Themenvortrag 200 f., 208, 355 Tochtergesellschaft 8, 238 ff., 255, 260, 432, 459, 503 Trade-off 256, 343, 347 Tradition 15 f., 22 f., 48, 63 ff., 128, 153, 159, 178, 188, 291, 302, 365, 374, 405, 411, 471 Traktandenliste 412 Transparenz Siehe Offenheit TransPuG 234 Trivialität 25, 311, 322, 332 f., 425, 512 Two-Tier-System Siehe ZweiKammer-System Typologie der Beiräte 11, 48, 269, 366, 392, 442, 477, 483 ff. Typologie der Geschäftsführung 494 Typus 9, 11, 13 f., 18 f., 23, 74, 96, 99, 174, 266, 328, 434 ff., 477, 485 ff., 499 f., 504 f. Typus des Familienunternehmens 3, 10 ff., 23 ff., 99, 116
U Überlebenssicherung 95, 276, 514 Überwachung 30, 41, 46, 49, 60, 73 ff., 100 ff., 134, 139 f., 142, 175 ff., 186 ff., 211 ff., 222, 233, 248, 251, 264, 267, 269, 320, 322, 370, 390, 406, 420, 430, 478, 481, 515 Unabhängigkeit 42, 52, 55, 65, 102, 111, 151, 196, 211, 216, 275, 284, 291, 349, 351, 379, 399, 426, 433, 449 f., 466 f., 500 f. Unabhängigkeitsvorsorge 95
Stichwortverzeichnis Unerfüllbarkeit 339 Unternehmensberatung 296 Unternehmenskultur 21, 369, 379 Unternehmenspolitik 119, 130, 170, 312, 438 ff., 481 Unternehmenstypus 3, 10 ff., 23 ff., 33, 99, 116, 434 ff. Unternehmensverfassung Siehe Verfassung Unternehmensverträge 40, 236 Unternehmerfunktion 82, 100, 153, 159, 164, 430 ff., 443, 465 Unvereinbarkeit von Aufsicht und Rat 154, 192, 262 f., 316 Ursachenanalyse 322
V Verantwortbarkeit 159, 162, 215, 226, 276, 318, 331, 345 ff., 359, 367, 452, 493 Verantwortlichkeitsverschiebung 338 Verantwortung der Gesellschafter 123, 161, 254 Verantwortungsdruck 314, 317 Veräußerung von Unternehmen 40, 82, 238 Vererbung Siehe Erbe Verfassung 46, 72 ff., 119, 232, 251, 371 f., 430 ff. Verluste 17, 24, 110, 149, 225, 278, 304, 349 Vermögensanlagen 28, 78, 82, 84, 150, 287 Versicherung 56 ff., 226 Verträge 36, 40, 48, 50, 62, 119, 235 f., 240, 248 ff., 286, 350, 380 Vertrauen 63 ff., 78 ff., 87, 93 f., 108 ff., 123, 126 f., 214, 243 ff., 260, 266, 270, 273, 307, 336, 362, 368 ff., 401, 420, 425 ff., 447 ff., 464 ff., 487, 493, 498, 501, 509
545
Vier-Augen-Prinzip 222, 440 Vision 119, 308, 383 Vitalität (des Familienunternehmens) 23, 99, 110 Vorabinformation 200 f., 420 ff. Vorbereitung der Sitzung 200, 305, 389 ff. Vorlagen, schriftliche Siehe Vorabinformation Vorschlagsrecht 447 Vorsitzender 115, 122, 131, 164, 183 f., 199, 216, 232, 252, 319, 372, 375, 391, 395 ff., 413, 418 ff., 437 ff., 454, 470, 474, 487 f., 493, 500 ff., 508 Vorteile 6, 21, 24 f., 91, 100, 116 f., 132, 137, 201 f., 227, 275, 290, 314, 323, 437, 459 ff., 510
W Wachstum 83, 86, 92, 113, 140, 179, 246, 278 f., 281, 324, 361, 377, 430 Wahl (des Beirats) 70, 448 Wahrheit 103, 191, 204, 325, 337 Wahrheitsvorspiegelung 338 Weisung 11, 42, 135, 151, 231, 249, 251 ff., 344, 358, 511 Weisungsrecht 10, 36, 38, 42, 58, 85, 111, 146, 149, 218, 235, 248 ff., 273, 491 Weitwinkelperspektive 323 Werte 45, 64, 78, 109, 114 f., 213 f., 220, 246, 257, 265, 278, 285 f., 300, 334, 344, 352, 369, 379, 388, 416, 418, 446, 474, 499, 514 Wertgrenzen 242, 248 Wertschätzung 15, 69, 337, 379 Willensbildung 74, 90, 232, 251, 279, 390, 400, 405, 409, 418 f., 493 Wirtschaftsethik 358
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Stichwortverzeichnis
Wirtschaftsprüfer 61, 167, 169, 179, 195 ff., 458, 467 f., 499, 505 Wissenschaftler als Beiräte 470, 480 Wunschliste 11 f., 422, 497, 515
Z Zeitbedarf 102, 143, 406 für Beiratssitzung 342, 387, 395, 415 Zeiteinsatz 134, 273, 317, 389, 395, 429, 437, 470, 475 Zeitplanung 149, 407 Zerfall der Familengesellschaft Siehe Kündigung Ziele 3, 44, 48, 53, 71 ff., 90 ff., 104, 113, 140 f., 156, 162, 170 ff., 204 ff., 218, 233, 242, 253, 259, 265, 274, 276, 291, 293, 306, 310 ff., 321 ff., 335, 338, 345, 351, 359, 376, 380 ff., 394, 412 Zielerfüllung 171, 382 Ziel-Lücke 310 Zielvereinbarung 382 Zuhören 172 Zusammenarbeitsverträge 235
Zusammensetzung des Beirats 11, 105, 385, 401, 450 ff., 483 Zuständigkeiten 11, 38, 42 ff., 55, 62, 65 ff., 73, 106, 119 f., 135, 146, 149, 151, 164, 190, 214, 234, 239, 243, 251 f., 262 f., 289, 310, 316, 359, 361, 378, 392, 403, 418, 427, 446, 450, 494, 509 ff. Zustimmung 258, 337 Zustimmung, Zustimmungsvorbehalt 42 f., 46 f., 65 ff., 77, 103 f., 137, 146, 151 f., 159 f., 173, 208 f., 211, 218, 231 ff., 240 ff., 251 ff., 261, 271, 318, 331, 337, 340, 353 ff., 359, 366 f., 388 ff., 399, 415, 417, 426, 435, 445, 451, 454, 460, 467, 471, 481, 500 Zweckmäßigkeit 4, 73, 134, 182, 196, 214 ff., 250, 316, 332, 341, 351 f., 410, 455 Zwei-Kammer-System 28, 492