und sorg\os reisen ohne Bargeld mit dem Postsparbuch Abhebungen überall, in Stadt und Land, im Gebirge, an der See.
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und sorg\os reisen ohne Bargeld mit dem Postsparbuch Abhebungen überall, in Stadt und Land, im Gebirge, an der See.
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D KU LT U R K U N D L I C H E H E F T E
FRITZ BOLLE
Augen auf! Streifzüge durch die Heimatnatur
(Vom Sommer in den Winter)
VERLAG S E B A S T I A N LUX M U R N A U • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
STREIFZÜGE
DURCH JULI BIS
DIE HEI DEZEMBER
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Die Natur um uns ist voller Wunder für den, der mit offenen Augen zu ihr kommt. Tausend Fragen legt sie ihm vor, die er durch fleißiges Beobachten,
geschicktes
Versuchen
und
kluges
Nachdenken
beantworten kann, tausend Geheimnisse läßt sie sich entlocken von dem, der Geduld und Liebe zu ihr und ihren Geschöpfen im Herzen trägt. Sie lehrt uns Menschen Bescheidenheit und Ehrfurcht und läßt uns erkennen, wie wir selber inmitten der unermeßlichen Fülle ihrer Lebenserscheinungen stehen und der Allgewalt ihrer ewigen Gesetze unterworfen sind. Mit jedem neuen Wunder, das sie uns entdecken läßt, schenkt sie täglich neue Freude. In dies unendliche Reich der Natur wollen wir die ersten Schritte tun, Tier und Pflanze sollen uns zu vertrauten Freunden werden. Eine Welt voller Schönheit und geheimnisvoller Größe auch im Kleinsten und Unscheinbarsten wollen wir uns erschließen, wollen die Geschöpfe in Wald und Feld, Wasser und Luft kennen, verstehen und lieben lernen, im Tier den Bruder, in der Pflanze die stumme Schwester achten. Dazu brauchen wir nicht viel mehr als fröhlichen
Mut, wachen
Verstand und offene
Sinne. Sie sind die Schlüssel zu einer Welt voller Überraschungen, an denen wir so oft schon ahnungslos vorübergegangen sein mögen. Parole für unseren Weg durch die Heimatnatur sei darum: AUGEN
AUF! 2
»
JULI
Seine Ähren senkt das Korn, Rote Beere schwillt am Dorn, Schwer von Segen ist die Flur (Theodor
Storni]
TT V-y nter den Strahlen der Hochsommersonne reift das Getreide. Noch blüht der Sommerweizen, aber bald wird man mit dem Schnitt von Hafer und Gerste und, zu Ende des Monats, mit der Roggenernte beginnen. Vom Feldrand her aber, an dem im vorigen Jahre eine große Fläche Hochwald eingeschlagen werden mußte, damit die Menschen in der großen Stadt Brennholz zum Heizen und Kochen bekommen konnten, glüht es purpurn rot, das W e i d e n r ö s c h e n blüht. Wie treffend ist der Name gewählt: Weidenartig schmal sind die Blätter der meterhohen Staude, und die schönen, in einer langen Traube stehenden roten Blüten erinnern an die der Heckenrose, die ihre ganze Pracht im vorigen Monat entfaltet hatte. Rot sind aber nicht nur die Blumenblätter, sondern meist auch der Kelch und der Fruchtknoten, der Blütenstiel und der obere Teil des Stengels. Da und dort trifft man hin und wieder auch weißblühende Weidenröschen. Es lohnt sich, eine Blütentraube des Weidenröschens näher zu betrachten. Alle Entwicklungsstufen der Blütenbildung sind an einer solchen Traube vereint: Ganz oben finden wir winzige Knospen, dann Blüten in jeder Form der Entfaltung, und schließlich am unteren Ende die Früchte, schotenförmige Kapseln. Sind sie reif, so lösen sich ihre vier Klappen von der Mittelsäule. Auf jeder Klappe sitzen zahlreiche, mit weißen Federkrönchen gezierte Früchte, die ein Windhauch schon mit Leichtigkeit Weidenröschen "davonträgt und das Weidenröschen ebenso weit verbreitet, wie er es mit den Fallschirmen der „Pusteblume" Löwenzahn macht. Wo immer auch heuer ein Waldstück eingeschlagen wird und kahl und öde daliegt, mit Sicherheit können wir damit rechnen, daß übers Jahr purpurrote Weidenröschen die Blöße bedecken werden. Ein naher Verwandter des Weidenröschens ist die jetzt allenthalben an Bahndämmen, Kanalufern und auf sandigen Feldern blühende 3
N a c h t k e r z e . So häufig sie ist, die stattliche zweijährige Pflanze mit dem behaarten Stengel und den großen gelben Blüten, sie ist ein Fremdling in Deutschland. Im Jahre 1614 wurde sie aus dem Osten der Vereinigten Staaten von Amerika nach Europa eingeführt, und hier hat sie sich, den Verkehrswegen folgend, rasch ausgebreitet. Ihre Wurzeln werden als Gemüse oder Salat verwendet, man nennt sie deshalb wohl auch „Gelbe Rapunzel". Die Blüte bildet eine lange Röhre, an deren Grunde der süße Honig liegt. Nur Insekten mit ganz langem Rüssel können zu ihm gelangen: Das sind die Schmetterlinge, und unter ihnen wieder die Nachtfalter. Ihnen zuliebe entfaltet die Nachtkerze •— und daher stammt ihr schöner Name — des Abends erst die ganze Schönheit ihrer durch die Dämmerung leuchtenden hellgelben Blüte, und mit blitschnellem Flügelschlag vor ihr schwebend, saugen die Schwärmer den Honig. Dabei beladen sie sich mit den Pollen der vor dem Blüteneingang stehenden Staubgefäße, den sie bei der nächsten Nachtkerze auf die Narbe des Stengels übertragen. Berühmt geworden ist Oenothera — so nennt der Botaniker die Nachtkerze — durch die Untersuchungen, die der holländische Naturforscher Hugo de Vries um die Jahrhundertwende an ihr vornahm. Diese klassischen Forschungen haben das Verständnis für die Erscheinungen der Vererbung und der Entstehung der Arten außerordentlich gefördert. Auf Wiesen und Äckern blühen jetzt die beiden K l a p p e r t o p f arten. Beide, der Kleine, bis dreißig Zentimeter hohe, und der Große Klappertopf oder Hahnenkamm, der über einen halben Meter hoch wird, sind an den hellgelben zweilippigen Blüten kenntlich; die Oberlippe trägt zwei blaue Zähnchen. Die grünen Laubblätter wandeln sich nach oben hin in Deckblätter um, die dieselbe gelblichweiße Farbe wie die Blüte tragen. Über jedem solchen Deckblatt sitzt eine Blumenkrone, die von einem aufgeblasenen Kelch umgeben ist. Der Kleine Klappertopf ist noch farbenfreudiger als der Große, bei ihm sind die Deckblätter braunrötlich oder violett überlaufen und unterstützen so die Blüte beim Anlocken der bestäubenden Insekten. Etwas besonders Interessantes kann man feststellen, wenn man eine ganze Pflanze mitsamt der Wurzel vorsichtig ausgräbt. An den Wurzeln findet man zahlreiche Knötchen, die den Wurzeln anderer, benachbarter Wiesenpflanzen anliegen und aus ihnen Nahrungsstoffe entziehen. Allerdings ernährt sich der Klappertopf nicht gänzlich von den Stoffen, die andere Pflanzen sozusagen auf ehrliche Pflanzenart aus der Erde aufnehmen. Seine grünen Blätter ermöglichen ihm auch den Aufbau von Stärke und Zukker, diesen wichtigsten Lebensstoffen des Pflanzenkörpers, aus der 4
Kohlensäure der Luft; deshalb aber, weil der Klappertopf die Arbeit der Nahrungsaufnahme aus dem Boden von anderen Pflanzen für sich leisten läßt, nennt man ihn einen Halbschmarotzer. Der blasige Kelch, der die Blüte umhüllt, schützt auch die Frucht. Schüttelt der Wind den Kelch mit den darin enthaltenen Samen, so hört man ein rasselndes Geräusch, nach dem die Pflanze ihren Namen hat. Der Wind wirft dabei die Samen, die eine Flughaut besitzen, heraus und trägt sie weit mit sich davon, so daß man den Klappertopf überall findet, wo ihm der Boden zusagt. Zu den Scrophulariaceen, wie der Botaniker die große Familie der Braunwurzgewächse oder Rachenblütler nennt, der die beiden Klappertopfarten ebenso angehören wie das schöne Löwenmaul unserer Gärten, die riesige Königskerze und das reizende blaue Ehrenpreis, das man auch Männertreu nennt, gehört auch die bleiche S c h u p p e n w u r z , die von März bis Mai in feuchten Wäldern und Gebüschen blüht. Die Schuppenwurz zeigt in höchster Vollendung, was der Klappertopf nur andeutet: Sie ist ganz und gar Schmarotzer und überläßt die Nahrungsaufnahme ganz den Wurzeln des Haselstrauches, denen sie die Nahrung entzieht. Die Schuppenwurz hat deshalb auch überhaupt kein Blattgrün, sondern ist weiß bis hellpurpurn gefärbt. Die V ö g e l , die uns seit den ersten Frühlingstagen mit ihrem Gesang erfreut haben, sind im Laufe des Sommers immer stiller geworden, voll in Anspruch genommen durch das Brutgeschäft und die Aufzucht der Jungen. Jetzt verstummen gar die meisten ganz, denn die Zeit der Mauser ist da. Das Gefieder, das sich im Laufe des Jahres unter der ständigen Einwirkung von Wind und Wetter abgenutzt hat, wird nun von den meisten erneuert. Die zerschlissenen oder ausgerauften Federn werden durch neue ersetzt, die aus den Federbälgen der Haut herausdrängen. In wenigen Wochen entsteht so ein neues Federkleid. Bei den meisten Vögeln merken wir diesen Wechsel kaum, oder erst dann, wenn sie sich uns im Herbst mit verändertem Gewand vorstellen, so unauffällig geht die Mauser vor sich; niemals verlieren diese Vögel soviel Federn auf einmal, daß sie ihr gewohntes Luftleben unterbrechen müssen. Die meisten unserer Wasservögel aber, die Enten und Gänse, die Schwäne und die heimlichen Bewohner des Röhrichts, die Rallen, zu denen auch die schwarzen Bleßhühner gehören, verlieren nach Beendigung der Brutzeit alle ihre Schwungfedern auf einmal, so daß sie dann mehrere Wochen flugunfähig sind. Sieben lange Wochen 5
kann sich der stolze Schwan nicht vom Wasser erheben, aber Männchen und Weibchen, beide eifersüchtige Wächter ihrer Jungen, werden nicht zu gleicher Zeit „flügellahm": Am Ende der Brutzeit wird zuerst die Schwanenmutter flugunfähig, während das Männchen noch seine Schwungfedern besitzt und die Familie gegen alle Feinde verteidigen kann. Erst wenn das Weibchen wieder fliegen kann, verliert auch das Männchen die Federn. Anders ist es bei den Enten. Die Erpel, die Entenväter, kümmern sich meist gar nicht mehr um die hübschen Küken, sondern überlassen die Sorge um die Nachkommenschaft ganz dem Weibchen. Deshalb bleiben diese auch länger flugfähig als die Erpel, die schon vom Juni ab mausern und dann das schützende Schilfdickicht aufsuchen müssen, während die Weibchen erst im Juli und August ihre Schwungfedern verlieren, wenn die Jungen schon größer und selbständiger geworden sind. Unsere K r i e c h t i e r e , die Eidechsen und Schlangen, fühlen sich jetzt in der heißen Sonne besonders wohl, denn sie sind nicht „warmblütig" wie Vögel, Säugetiere und Mensch, sondern „wechselwarm" — ihre Körperwärme steigt und sinkt mit der Temperatur der Luft. Mit steigender Außenwärme werden die Lebensvorgänge lebhafter, die Atmung reger, der Blutumlauf schneller, der Hunger größer und alle Bewegungen hurtiger. Jetzt finden wir in Wald und Feld viele junge Eidechsen, schlanke Tierchen von zierlicher Winzigkeit. Im Juni haben die Zauneidechsen ihre weichschaligen, bohnengroßen Eiere in Sand oder zwischen Steine gelegt, die Ringelnattern — ihre Eier sind etwa so groß wie die der Taube — in Moos oder in lockere Erde. Die Entwicklung der Jungen im Eidechsen- oder Schlangenei gleicht ganz der des Vögelchens im Hühnerei. Während aber fast alle Vögel ihre Eier bebrüten (nur die Talegallahühner in Australien, auf den Philippinen und Molukken brüten nicht, sondern legen ihre Eier einfach in den sonnendurchglühten Sand oder in zusammengescharrte Haufen fauler Blätter, die durch Gärung die für die Entwicklung der Jungen im Ei nötige Wärme erzeugen), besorgt bei den Kriechtieren das Ausbrüten die Wärme des von der Sommersonne bestrahlten Erdbodens. Bei einigen Kriechtieren, der besonders in Mooren heimischen Bergeidechse und der giftigen Kreuzotter, schlüpfen die Jungen bereits aus dem Ei, bevor es abgelegt ist, werden also lebendig geboren. In keiner Jahreszeit ist die Gefahr eines W a l d b r a n d e s so groß wie gerade jetzt. Und wer an einem trockenen Hochsommertag Rauchschwaden über dem Wald sieht, soll eiligst im nächsten Dorf 6
Lärm schlagen. Manchmal freilich kann dabei ein „blinder Alarm" ausgelöst werden, dann nämlich, wenn sich der Rauch als eine Wolke von — Ameisen aufklärt! In den Kolonien unserer A m e i s e n arten, die wir sonst nur als ungeflügelte „emsige" Arbeiter kennen (dieses Lobeswort „emsig" weist auf die fleißige Emse, eben die Ameise, hin), treten jetzt geflügelte Männchen und Weibchen auf. Sie erheben sich, sind sie aus den fälschlich als „Ameiseneier" bezeichneten Puppenhüllen geschlüpft, zum Hochzeitsfluge in die Luft, wobei sich die Männchen und Weibchen verschiedener Nester oft zu großen Schwärmen vereinigen. Aus der Ferne nehmen sich solche um hohe Bäume, Berggipfel oder Aussichtstürme wogende und wallende Schwärme oft wie Rauchfahnen aus, und sie haben deshalb schon manches Mal zu falschem Waldbrandalarm geführt. Es gilt aber auch hier der Satz, daß vorgesorgt besser ist als nachgesehen: Ein Fehlalarm ist immer noch besser als ein unabsehbarer Schaden, der durch „Wurschtigkeit" nicht verhütet wird. Die vom Hochzeitsflug zur Erde zurückkehrenden Männchen sterben bald; die Königinnen verlieren ihre für das Leben im Ameisenbau nutzlos gewordenen Flügel und kehren entweder in die alten Nester zurück oder gründen neue Kolonien.
AUGUST
Die verehrlichen Jungen, welche heuer Meine Äpfel und Birnen zu stehlen gedenken, Ersuche ich höflichst, hei diesem Vergnügen Womöglich soweit sich zu beschränken, Daß sie daneben auf den Beeten Mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten,
iese Bitte Theodor Storms wollen wir ganz besonders beachten. Das Obst wird reif — und die Heide blüht! In der ganz flachen Ebene ebenso wie auf sturmumheultem Berggipfel, im lichten Nadelwalde, auf scheinbar unfruchtbarem Sandboden wie im quatschnassen Torfmoor, überall begegnet uns das anspruchslose H e i d e k r a u t , das meist in dichten Beständen größere oder kleinere Flächen bedeckt. Bekannt sind die großen Heiden Nordost- und Nordwestdeutschlands, und durch ihren Sänger Hermann Löns ist die Lüneburger Heide berühmt geworden, die auf weite Strecken hin eine öde Sandwüste wäre, gäbe es kein Heidekraut. 7
Es ist allerdings auch durch mancherlei Einrichtungen seines Pflanzenkörpers ganz besonders dazu befähigt, auf trockenem und wasserarmem Gelände leben zu können. Jeder Tropfen des kostbaren Wassers muß sorgfältig zurückgehalten werden, die Verdunstung also auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben. Alle Teile des Heidekrauts, der Stengel ebenso wie die Blätter, sind deshalb dürr und trocken; dadurch, daß es sich in enggeschlossenem Bestand gleichsam dicht an den Boden drückt, schützt es sich soweit als möglich vor der austrocknenden Wirkung des Windes, der ihm viel weniger Wasser entziehen kann als etwa einer freistehenden und hochragenden Pflanze. Die Verdunstung des Wassers, das die Wurzeln aus dem Boden aufsaugen, erfolgt vor allem durch die Blätter. Jede Pflanze bedarf eines ständig sich erneuernden Saftstromes durch ihren Körper, der die mit dem Wasser aufgenommenen Nährsalze zu allen Organen transportiert. Aus Millionen Poren der Blätter, den Spaltöffnungen, wird das Wasser als Wasserdampf ausgeschieden, damit durch die Wurzeln neue Flüssigkeit einströmen kann. Auf nassem Boden wachsende Pflanzen haben deshalb auch oft sehr große Blätter mit außerordentlich vielen Spaltöffnungen; die riesigen rhabarberähnlichen Blätter der Pestwurz am Bachrand sind ein schönes Beispiel dafür. „Trockenpflanzen" — der Botaniker spricht von Xerophyten — haben entsprechend meist kleine Blätter; auch die unseres Heidekrautes sind sehr klein und ungestielt, sie schmiegen sich eng an die Zweige an und überdecken sich teilweise gegenseitig. Die Spaltöffnungen, die bei den meisten Pflanzen an der Blattunterseite liegen — bei schwimmenden Pflanzen wie der Seerose finden wir sie ausschließlich an der Blattoberseite — sind beim Heidekraut in weitaus geringerer Zahl vorhanden als bei anderen Pflanzen; darüber hinaus sind sie vor unerwünschter Verdunstung dadurch geschützt, daß sie gleichsam in einer Rinne liegen. Diese Rinne wird dadurch gebildet, daß die Ränder des „Rollblattes" umgebogen sind. Ganz ähnlich sind auch die Blätter unserer Nadelbäume eingerichtet, und wie sie ist auch das Heidekraut immergrün. Mit dem Schutz gegen Verdunstung hängt nämlich auch die Tatsache des Laubfalls zusammen. Denn die Wurzeln aller unserer Pflanzen stellen ihre Tätigkeit ein, sobald das Wasser im Boden eine bestimmte Temperatur unterschritten hat und zu gefrieren droht. Ginge die Verdunstung durch die Blätter weiter, ohne daß die Wurzeln neues Wasser nachliefern, so müßte die Pflanze verdorren und sterben, und das ist der Grund, warum unsere Bäume und Sträucher im Herbst ihre Blätter abwerfen. Diejenigen Pflanzen aber, die sich gegen zu starke Verdunstung geschützt haben, können es sich auch im Winter leisten, ihre 8
grünen Blätter zu behalten, und so l .en Heidekraut und Tanne, Fichte und Kiefer den Winter im b e b m t ; rten Zustand überdauern. Weithin leuchtet das Rosarot der kleinen Heideblüten, denn jeder Zweig ist mit dichten, meist nach einer Seite gewendeten Trauben bedeckt, und eine Pflanze steht dicht neben der anderen. Von der Farbe angelockt, summen die Bienen, deren Stöcke die Imker mit ihren Wagen in die Heide gefahren haben, von einer Blüte zur anderen und bringen reiche „Tracht" ein, denn die Heideblüte ist sehr honigreich und der Heidehonig besonders wohlschmeckend. Betrachten wir eine der kleinen Blüten. Was uns zunächst als Blütenblätter erscheinen will, sind in Wahrheit die vier Kelchblätter, die nicht grün sind wie bei anderen Pflanzen, sondern rosenrot und viel größer als Blüte des Heidekrauts die vier kleinen, vom Kelch fast verdeckten, ebenfalls rosafarbigen und unten verwachsenen Blütenblätter. Damit also die kleine Blüte recht auffällig ist und die Bienen anlockt, kommen die Kelchblätter den Blumenblättern zu Hilfe. Auch die vier bräunlichen, unter den Kelchblättern stehenden Laubblätter sind größer als die gewöhnlichen Blätter und oft etwas bunt gefärbt, so daß sie den Gesamteindruck der Blüte verstärken. Um den Griffel stehen acht braunrote Staubgefäße, die mit je zwei kleinen Anhängseln den Weg zum Honig am Blütengrunde versperren. Stößt die Biene bei der Suche nach dem süßen Stoff an diese Anhängsel, so kommen die auf gebogenen Fäden stehenden Staubbeutel ins Schwanken, und aus den Löchern an ihrer Spitze rieselt Blütenstaub auf den Honigsucher. Bei der nächsten Blüte aber stößt das Insekt als erstes an die Narbe des aus dem Kranz der Staubbeutel herausragenden Griffels und sorgt so für die Übertragung des Pollens von einer Blüte zur anderen. „Erika" nennt man wohl oft auch das Heidekraut, aber jeden wirklichen Pflanzenkenner graut's, hört er diesen Namen oder gar die meist wenig schönen Lieder. Denn das Heidekraut heißt in der Fachsprache der Pflanzenkundigen gar nicht Erica, sondern Calluna. Erica ist der Name der beiden Arten der Glockenheide. Erica Tetralix wächst in Norddeutschland auf nassen torfigen Heiden, die Alpenheide Erica carnea in Nadelwäldern, Heiden und Auen Süddeutschlands und der Alpen. Die Glockenheide entfaltet ihre zierlichen fleischfarbenen glockigen Blüten zur gleichen Zeit wie das 9
Heidekraut; die Alpenheide, deren Blüten sich schon im Herbst als grüne Knospen entwickelt haben, blüht im April und Mai. Wissen muß man aber vor allem, daß ihr Name nicht wie der des Mädchens mit dem Ton auf der ersten Silbe ausgesprochen wird, sondern auf der zweiten Silbe betont, also Erica. In schattigen Wäldern, zwischen halbfaulen und modernden Blättern und Nadeln sprießt jetzt eine blaßgelbe Pflanze empor, die eigenartig schießendem Spargel ähnelt. Man nennt sie deshalb auch F i c h te;n s p a r g e l . Ihm fehlt wie der Schuppenwurz jegliches Blattgrün, und wir könnten aus dieser Tatsache schließen, daß auch er eine Schmarotzerpflanze ist. Er nimmt auch wirklich keine Nährstoffe unmittelbar aus dem Boden oder aus der Luft auf; allerdings schmarotzt der Fichtenspargel nicht wie Klappertopf oder Schuppenwurz auf anderen Pflanzen, sondern er läßt Pilzfäden für sich arbeiten, die jeden Waldboden mit ihrem dichten Geflecht durchziehen. Das unterirdische, korallenähnlich dichtverzweigte WurzelGlockenheide g e £ e ( ^ t s t e j j t m ; t s o l l e n pilzfäden in innigster Verbindung. Der Botaniker nennt Pflanzen, die sich auf diese Weise ernähren, Saprophyten. Aus den von den Pilzen aus dem Boden aufgenommenen Nährstoffen baut sich der sehr spröde blasse Stengel mit den schuppenförmigen Blättern und dem zunächst bodenwärts geneigten Blütenstand auf. Sind die Blüten bestäubt, richtet sich der Stengel empor, und der Wind trägt den staubförmigen Samen aus den Fruchtkapseln davon. Wer jetzt mit offenen Augen zur Abenddämmerung durch Wald und Flur streift, kann so manches Familienidyll bei unseren Tieren beobachten. Da gibt es junge Füchse zu sehen, die von der Mutter das Schleichen und Rauben lernen, in „Sprüngen" — so nennt man die Rudel — treten des Abends die Rehe aus dem Wald zum Äsen auf das Feld, und besonders heiter ist es, am Dorfrand einer Igelmutter mit ihrem Halbdutzend drolliger Jungen beim Ausgang zuzuschauen. Die Vögel sind fast alle mit dem Brutgeschäft fertig, die meisten Jungen sind auch schon flügge, nur der Spatz brütet noch das dritte, vielleicht sogar das vierte Mal. Ganz selten findet man im August auch noch einmal ein Lerchengelege. Mauersegler und Pirol, Fliegenschnäpper, Rohrsänger und Spötter, Turteltaube 10
und Kuckuck aber verlassen uns schon wieder, um die rauhe Jahreszeit in wärmeren Gefilden zu verbringen. Die S t a r e sind von ihren Nistkästen, in denen sie eine oder zwei Brüten hochgebracht haben, verschwunden. In mächtigen Schwärmen, die von weitem wie schnell dahineilende Wolken anmuten, sind sie aufs Land hinausgezogen, auf Viehweiden, in die Obstgärten und Weinberge, und packend ist das Schauspiel, das die aus Tausenden sich zusammensetzenden Scharen an schönen Spätsommerabenden bieten, wenn sie in exakt schwenkenden Geschwadern herangebraust kommen und ins Uferschilf eines Teiches zum Übernachten einfallen. Bis in die Nacht hinein schwirrt das tausendfältige Stimmengewirr, immer wieder durch neue Wolken anfliegender Schwärme verstärkt. Auch die S t ö r c h e sammeln sich jetzt. Die jungen Störche reisen in größeren oder kleineren Trupps stets einige Tage vor ihren Eltern, werden aber immer von Altvögeln anderer Herkunft, sogenannten Junggesellen, geführt. Über die Wanderung des Storches und sein Winterquartier wissen wir sehr genau Bescheid, denn der überall auffallende Vogel, der sich so eng an den Menschen angeschlossen hat, ist der für die Erforschung des Vogelzuges geeignetste „Ringvogel". Die schmalen Aluminiumringe, die den Nistjungen von den Vogelforschern angelegt werden und an die Vogelwarten zurückgelangen, wenn sie an einem verunglückten oder wiedergekehrten Storch gefunden werden, haben gelehrt, daß die deutschen Störche auf zwei Wegen in ihr tief im Süden Afrikas gelegenes Winterquartier gelangen. Die Störche, die etwa westlich der Weser wohnen, ziehen über Gibraltar, die östlich der Weser beheimateten über den Bosporus und Palästina. Nur ganz wenige Störche ziehen über Italien, obwohl der Storch den Flug über das hohe Gebirge nicht scheut, wohl aber den über das offene Meer. Über dem Wasser und die im heißen Sonnenschein flimmernden Waldblößen schwirren die Libellen. In reißendem Flug jagen die großen ihre Opfer, fliegende Insekten, während die kleineren, langsam fliegenden Arten, die nicht schnell genug für die Jagd auf fliegende Beute sind, sich damit begnügen, Blattläuse von den Pflanzen abzusuchen. Aus dem Gras der Wiesen aber, über dem die glashellen Flügel der Libellen flirren, ertönt ein unermüdliches Zirpen, die Grille echte und rechte Musik des Hochsommers, bei der es sich so wun11
dervoll in den blauen Himmel starren und träumen läßt. Grillen und Heuschrecken sind die Musikanten dieses vielstimmigen Orchesters, und es macht Spaß, die einzelnen Künstler bei ihren Darbietungen zu belauschen. Freilich, man braucht dazu viel Geduld, ein feines Gehör und offene Augen, und tappig darf man auch nicht sein, denn gar zu leicht stellen die Spieler ihre Musik ein, wenn eine Erschütterung des Bodens das Nahen eines Menschen ankündigt. Im Mai schon beginnen die zwei bis drei Zentimeter langen Laubheuschrecke G r i l l e n mit ihrem Konzert. Lackschwarz ist der dicke Kopf, braun sind die Flügeldecken. Am Grabenrand oder am Feldrain graben sie kleine Höhlen, vor deren Eingang sie sitzen und ihr lautes schrilles Liedchen fiedeln. Sonderbar ist ihr Instrument: An der Unterseite der Vorderflügel, der Flügeldecken, liegt eine starke Flügelader mit sehr feinen Querfurchen. Wird die Flügeldecke über den darunterliegenden Hinterflügel bewegt, so reibt die Ader mit ihren Furchen den Hinterflügel, und das Geräusch, das so hervorgebracht wird, ist die Melodie, mit der das Grillenmännchen sein Weibchen anlockt. Anders machen es die „Heupferde", die großen, bis fünf Zentimeter langen L a u b h e u s c h r e c k e n . Sie beginnen mit ihrem Konzert erst dann, wenn die Grillen verstummen, im Juli nämlich. Dann haben die Grillen ihre Eiablage beendet und sterben. Auch bei den Heupferden sind nur die Männchen die Musikanten; die Weibchen, die sich durch eine Legscheide auszeichnen, mit deren Hilfe sie ihre Eier in die Erde legen, sind stumm. Das zirpende Männchen streicht mit der linken Flügeldecke Hinterbein einer ieidheuschnell über die darunterliegende rechte schrecke mit Schrillzähndien Flügeldecke. Als Geigenbogen dient ihm ' un e n ' v e r g r ° dazu eine scharfkantige Leiste der rechten Decke. Sogar einen Resonanzboden hat dieses sonderbare Instrument, ganz wie eine richtige Geige: Ein straff gespanntes Häutchen in der rechten Flügeldecke verstärkt das Zirpgeräusch. Natürlich müssen die Heuschrecken auch Ohren haben, wollen sie ihr Zirpen 12
hören; am Kopf werden wir allerdings dieses Gehörorgan vergeblich suchen — es sitzt in den Schienen des ersten Beinpaares! Wieder anders zirpen die meist grau oder braun gefärbten F e l d h e u s c h r e c k e n , die kürzere Fühler als ihre großen Verwandten haben. Bei ihnen ist eine vorspringende Ader der Flügeldecken die Geige, eine Längsreihe feiner Zähnchen an den Hinterschenkeln der Geigenbogen, mit dem die Flügeldecke unermüdlich in feinste Schwingungen versetzt wird. Ihr „Öhr" aber sitzt am ersten Hinterleibsring. Zu den Feldheuschrecken, die ausschließlich Pflanzenfresser sind, während die Laubheuschrecken zum Teil von anderen Insekten leben, gehören die gefürchteten Wanderheuschrecken, deren riesige Schwärme in südlichen Ländern oft ganze Ernten vernichten.
SEPTEMBER
Schon ins Land der Pyramiden Floh'n die Störche übers Meer — Schwalbenflug ist längst geschieden, Auch die Lerche singt nicht mehr. (Theodor
Storm)
ls wir uns in den heißen Augusttagen von der Sonne braten ließen, da meinten wir, der Sommer wolle nicht enden. Und doch kündigte sich damals schon ganz leise der Herbst an, nicht nur mit dem ersten reifen Apfel, sondern auch damit, daß wir in den ersten Augusttagen schon das schrille „Srieh-srieh" des Mauerseglers vermißten. Jetzt ist der Vogelzug in vollem Gange, die Blätter beginnen sich da und dort bereits zu verfärben, in den Wäldern schreien die Hirsche, auf den Wiesen finden wir die Herbstzeitlosen: Mit dem September beginnt der Herbst. „Zeitlos", außerhalb der Zeit, in der die anderen Pflanzen blühen, entfaltet die H e r b s t z e i t l o s e auf feuchten Wiesen ihre blaßlila Blüten. Graben wir einmal eine aus: Da sehen wir zuerst weiter nichts als eine zwiebelähnliche Knolle und die Blüte, Blätter finden wir nicht. Lösen wir aber die dunkelbraune Hülle der Knolle ab, so erkennen wir, daß unsere Pflanze seitlich aus der Knolle emporwächst, und öffnen wir diese Knolle ganz, so entdecken wir um einen kurzen gedrungenen Stengel, über den sich die Blüte erhebt, die zarten Anlagen von drei Blättern, die sich erst im nächsten 13
Frühling entfalten werden. Jetzt schauen wir uns eine Blüte einmal genauer an. Staunend stellen wir fest, daß der Fruchtknoten offenbar fehlt. Wir finden aber weiter, daß sich die Griffel in der langen Röhre, zu der die Blütenblätter unten zusammengewachsen sind, fortsetzen, und am Ende der Griffel muß doch der Fruchtknoten sitzen. So ist es auch, aber dieses Ende liegt unter der Erde, in der Knolle. Der Sinn dieser Einrichtung leuchtet uns ein, wenn wir überlegen, daß die Samen der im Frühling und Sommer blühenden Pflanzen in den warmen Tagen des Sommers und Frühherbstes reifen können. Wenn die Herbstzeitlose blüht, dann gibt es bald Frost. Wäre die Blüte so gebaut, wie die der anderen Pflanzen, so wäre der Fruchtknoten ungeschützt und es bestünde die Gefahr, daß der erste Frost die zarten Samenanlagen zerstörte. So aber ist der Fruchtknoten tief in der Erde, von der Knolle umhüllt, eingebettet, und die jungen Samenknospen können sich, vor der Kälte geschützt, ungestört entwickeln. Wie zweckmäßig hat die Natur hier die Normalform der Blüte abgewandelt, damit die für die Fortpflanzung der Art unentbehrlichen Samen keinen Schaden erleiden. Im Frühjahr wird sich dann der Stengel strecken, drei tulpenähnliche Blätter werden sich entfalten, und im Juni erst wird sich die Frucht öffnen, deren klebrige Samen durch weidende Tiere verbreitet werden. An Stelle der alten ausgesogenen Knolle wird von den Vorratsstoffen, die die Pflanze im Sommer bildet, der Stengel zu einer neuen Knolle verdickt, aus der sich im nächsten Herbst wieder die zarte lila Blüte erheben wird. Beim Umgang mit Herbstzeitlosen muß man wissen, daß diese Pflanze in allen ihren Teilen äußerst giftig ist. Interessant ist, daß dieses „Colchicin" genannte Gift, fügt man es unter bestimmten Bedingungen anderen Pflanzen zu, merkwürdige Wuchererscheinungen, vor allem Riesenwuchs, herbeiführen kann. Die Vererbungsforscher bedienen sich dieses Mittels bei ihren Untersuchungen über die Veränderlichkeit der verschiedenen Pflanzenarten. Auf den Telephondrähten sitzen in langen Reihen die Schwalben, die ersten Keilformationen nach Süden ziehender Kraniche lassen uns aufblicken. Jetzt muß der Vogelfreund jede freie Minute draußen zubringen, will er Vogelarten, die bei uns gar nicht oder nur selten brüten, kennenlernen. Die meisten kleinen Vogelarten ziehen nachts und fallen morgens in ihnen zusagendes Gelände ein. An abgelassenen Teichen, auf überschwemmten Wiesen, an Tümpeln und auf den Sandbänken der Flüsse herrscht jetzt lebhafter Betrieb. Hier können wir die vielen Arten der Wasserläufer und 14
Regenpfeifer, Strandläufer und Sumpfschnepfen antreffen. Es ist nicht leicht, die einzelnen Arten richtig anzusprechen, dazu bedarf es eines langen Studiums. Da aber die Watvögel zu den interessantesten Vogelerscheinungen überhaupt gehören, lohnt es sich, wenigstens die wichtigsten Gruppen dieser Durchzügler kennenzulernen. Nach und nach wird man dann auch mit den einzelnen Arten und ihren verschiedenen Kleidern Bekanntschaft machen. Die Wasserläufer sind schlank und haben ziemlich hohe Beine, mit denen sie stelzend einherschreiten. Die allerkleinsten Arten sind nicht größer als eine Lerche, die größten fast taubengroß. Der Schnabel ist schlank und etwa ebenso lang wie der Kopf. Am häufigsten werden wir den lerchengroßen Flußuferläufer, der mit zuckendem Flug gern dicht über dem Wasser dahinstreicht, den ebenso großen Bruchwasserläufer, den derben, drosselgroßen Kampfläufer und die Rotund Grünschenkel antreffen, die an den hochroten oder grünlichgelben langen Beinen gut kenntlich sind. Wie man sich die Gestalten der Watvögel merken kann: SumpfSperlings- bis drosselgroß, meist in schnepfen / Strandläufer / große eng zusammenhaltenden Trupps flieund kleine Wasserläufer gend, von gedrungener, beim Stehen etwas bucklig wirkender Gestalt sind die S t r a n d l ä u f e r , die alle eine weiße Binde im Flügel haben. Sie trippeln mit ihren nicht sonderlich hohen Beinen hastig hin und her. Von den Strandläufern werden uns am ehesten der starengroße, meist noch vom Brutkleid her schwarzbäuchige Alpenstrandläufer und der drosselgroße Knut mit seinem rostroten Bauch begegnen. Am raschen Flug erkennt man die R e g e n p f e i f e r ebenso wie an ihrem eigenartig rollenden Gang, bei dem die kur15
zen Beine unter dem waagerecht gehaltenen, rundlichen Körper wie zwei Trommelschlegel wirbeln Auf Sand- und Kiesbänken der Flüsse und Seeufer werden wir s':her!xh die lerchengroßen, graubraunen Sand- oder Flußregenpfeifer K.it ihrer weißlichen Haisund schwarzen Brustbinde antreffen, auf dem Schlick abgelassener Teiche die drossel- bis taubengroßen düstergrünlich-braunen Gold- und Kiebitzregenpfeifer. In die Verwandtschaft der Regenpfeifer gehören übrigens auch der allbekannte Kiebitz mit der kecken Federtolle auf dem Kopf und der ebenso große, schwarzweiß gezeichnete Austernfischer, der durch seinen langen roten Schnabel und die roten Füße unverkennbar ist. Der krähengroße B r a c h v o g e l , die „Kronschnepfe" Nordwestdeutschlands oder „Moosgrille" der bayerischen Moose, ist am langen gebogenen Schnabel und dem Das schöne Flugbild schönen vollen Flötenpfiff kenntlich. Ihm des Brachvogels ähnlich, aber etwas kleiner und mit geradem Schnabel, sind die Ufers c h n e p f e n . Ein sehr langer Schnabel, sichelförmige Flügel und helle Rückenstreifen kennzeichnen die drossel- bis lerchengroßen S u m p f s c h n e p f e n , von denen die Bekassine oder Himmelsgeiß, die plötzlich mit leisem „Ratsch" im Zickzack aus der nassen Wiese vor uns auffliegt, die häufigste Art ist. Da der Vogelzug im Herbst erheblich langsamer vor sich geht als im Frühjahr, und bei schönem Wetter die Zugvögel ausgesprochen „bummeln", können wir mit etwas Glück oft tagelang die schönsten Beobachtungen an den seltenen Gästen aus nordischen Ländern machen. Auch die ersten Wintergäste aus der Vogelwelt, die nicht nur durchziehen, sondern die harte Jahreszeit meist bei uns bleiben, kommen um die Mitte des Septembers an. Nicht alle Jahre regelmäßig, manches Jahr aber in großen Schwärmen, zeigt sich ein knapp taubengroßer, düster braun gefärbter Vogel, dessen Federkleid dicht mit weißen Tropfen übersät ist und dem man an der Gestalt deutlich die Verwandtschaft zu Krähe und Eichelhäher ansieht: der T a n n e n h ä h e r , der aus Ostrußland und Sibirien zu uns herabwandert. Auffallend ist sein paddelnder Flug, die breite weiße Endbinde am schwarzen Schwanz und das schnarrende „Gärr" oder „Kräk" seiner Stimme. Es gibt aber auch bei uns Tannenhäher 16
als Brutvögel. In den höheren Lagen unserer Mittelgebirge kommt er vor, und in den Alpen ist er gar nicht einmal selten. Besonders gern hält er sich in Zirbelkiefernbeständen auf.
OKTOBER
„Der Nebel steigt — Es fällt das Laub . . . "
n einem Farbenrausch ohnegleichen glüht der herbstlich verwandelte Wald für zwei, drei Wochen, dann wird es, so um Allerseelen, mit Blätterfall und Nebel, Regen und Sturm grau und trüb auch im Wald. Jetzt aber prangen Ahorn und Birke in leuchtendem Gelb, in Orange die Zitterpappel, in allen Tönungen zwischen Goldbraun und Rot die Blätter der Buchen, und am Waldrand leuchten rot und violett Pfaffenhütchen, Hartriegel und Traubenkirsche. Im Sommer sind die Blätter grün. Dieses Grün stammt von winzigen smaragdgrünen Körnchen im Zellsaft der Blätter, die man Blattgrün- oder Chlorophyllkörperchen nennt. Sie sind für die Ernährung der Pflanze unentbehrlich, denn sie sind die „Sonnenkraftmaschinchen", die das in der Luft enthaltene Kohlensäuregas in Kohlenstoff und Sauerstoff spalten. Diese Kohlensäurespaltung im grünen Blatt mit Hilfe des Sonnenlichtes ist eines der großen Lebenswunder, das wir auch mit unserer modernsten chemischen Technik noch nicht nachzuahmen vermögen. Der Sauerstoff wird wieder ausgeschieden — alles Lebendige, auch die Pflanze, braucht ihn zum Atmen —, der Kohlenstoff in der Pflanze assimiliert, das heißt, wird zu Stärke, Zucker, Eiweiß, Fett und all den Nährstoffen aufgebaut, die die Pflanze zu ihrem Leben braucht und die sie selbst wieder, von Tieren gefressen, diesen für den Aufbau ihrer Körper spendet. Die Tätigkeit der Chlorophyllkörner ist also, nimmt man es genau, die Wurzel alles tierischen und pflanzlichen Lebens auf der Erde. Man versteht heute, Chlorophyll künstlich herzustellen. Der Saftstrom, der im Innern des Baumes pulst und durch die jüngsten Jahresringe die von den Wurzeln aufgesogenen Nährsalze emporsteigen läßt, führt die im Sonnenlicht aufgebauten Nährstoffe aus den Blättern durch Leitungsbahnen auf der Innenseite der Bastschicht zurück in alle Teile der Pflanze, bis hinunter in die feinsten Wurzelverästelungen. Das Heidekraut lehrte uns, daß dieser Saftstrom beständiger Zufuhr von Wasser bedarf, das die Wurzeln gierig aufnehmen und die Blätter in ungeheuren Mengen verdunsten: 17
Man hat festgestellt, daß eine freistehende Birke täglich bis zu vierhundert Liter Wasser ausscheidet! Die Winterkälte legt dieses gewaltige Pumpwerk, das jeder Baum und jeder Strauch ist, lahm, denn die Tätigkeit der Wurzeln stockt, wie wir schon lernten, sobald Frostgefahr droht. Und weil die Wasserzufuhr abgeschnitten ist, muß auch die Verdunstung eingestellt werden. Das ist der Grund, warum unsere Bäume im Herbst die Blätter abwerfen. Vorher aber zieht der Baum alle wertvollen Stoffe aus den Blättern zurück und speichert sie im lebenden Holz der Zweige und des Stammes auf, damit sie im kommenden Frühling zum Aufbau neuer Blätter verwendet werden können. Der Blattgrünfarbstoff, der nicht einheitlich ist, sondern sich aus mehreren Bestandteilen aufbaut, wird zersetzt. Der grüne Anteil wird in den Speicher überführt, der gelbe bleibt zurück und ruft die Gelbfärbung der Blätter hervor. Den braunen Farbton bringen die abgestorbenen Zellwände auf die Herbstpalette, die Mannigfaltigkeit der roten und violetten Töne aber bewirkt ein besonderer pflanzlicher Farbstoff. Die Natur verwendet diesen A n t h o z y a n genannten Farbstoff häufig, wenn es darauf ankommt, zarte Pflanzenorgane vor Kälte zu schützen, wie etwa bei den ersten Frühlingsblühern, die gegen Nachtfröste gesichert werden müssen. Anthozyan wird aber auch gebildet, wenn im Nährstoffhaushalt der Pflanze nicht alles im richtigen Gleichgewicht steht, wie es jetzt beim Umbau des Chlorophylls der Fall.ist. Wir kennen diesen Farbstoff von dem zarten Rot aufblühender Gänseblümchen und den erst purpurroten, dann blauen Blüten der Frühlingsplatterbse und des Lungenkrauts. Das Anthozyan übernimmt auch den Schutz der herbstlichen Blätter vor den ersten Frösten während des so wichtigen Abtransportes der kostbaren Aufbaustoffe ins Innere des Baumes. Er hat sonderbare Eigenschaften, dieser Farbstoff: Enthält der Zellsaft der Blätter Säure, so erscheint er rot, fehlt die Säure, so ist er blau. Wer denkt da nicht an die Farbwechselerscheinungen des Rotkohls, den man wohl auch Blaukraut nennt, und an die Verfärbung der Heidelbeeren, wenn man Suppe aus ihnen kocht. Gemischt mit dem Gelb des Blattgrünrestes erzeugt das Anthozyan all die bunten Farben des Herbstlaubs, vom flammenden Scharlachrot über sattes Orange bis zum Violett. Ist das Innere der Blätter abgebaut, dann bildet sich am Grunde des Blattstiels eine Trennungsschicht aus zo zartem Zellgewebe, daß der Wind, der bisher vergeblich versucht hat, die Blätter vom Baum zu schütteln, nunmehr leichtes Spiel hat. Die an der Rißstelle ent18
stehende Wunde wird durch eine Korkschicht verschlossen, die wasserundurchlässig ist und so die Gefahr der Verdunstung durch die offene Wunde beseitigt. Die ersten Fröste beschleunigen den Blätterfall, denn jetzt besteht erhöhte Gefahr für das Pumpwerk im Baum. Nach einem Nachtfrost verlor ein Kastanienbaum in einer halben Stunde 6256 Blätter, bei einem Ahorn wurden 16 518 Blätter gezählt. Es fielen also in jeder Sekunde drei, beim Ahorn gar neun Blätter. Es ist für den jungen angehenden Naturforscher höchst lehrreich, Bäume und Sträucher zu beobachten, wenn sie ihre Blätter abgeworfen haben. Auf die Narben muß man achten, die die Blätter an den Zweigen hinterlassen: Sie zeigen bei jedem Baum eine etwas andere Form. Hübsch ist auch eine Sammlung herbstlich bunter Laubblätter, die man sorgfältig preßt und dann mit dünnem Klebpapierstreifen auf große weiße Blätter klebt. Dabei läßt man am besten auf jedem Bogen Platz für ein grünes Blatt, das man im nächsten Sommer zum Vergleich danebenkleben kann. Es gibt schließlich auch einige Bäume und Sträucher, die ihre Blätter nicht verfärben, und einige andere, die sie erst im Frühling abwerfen. Auch einen Nadelbaum gibt es, der seine „Blätter" verliert — das ist die Lärche. Wenn die ersten kalten Abende kommen, wenn dichte Nebelschwaden über die Waldwiesen ziehen, im September und Oktober, hört man dort, wo es in großen Waldungen noch H i r s c h e gibt, drohend und grollend wie fernen Donner Schreie durch den Wald hallen. Die Rothirsche „röhren". Vier Hirscharten gibt es bei uns in Deutschland, den Edelhirsch und das Reh, den Damhirsch und den Elch. Ein Reh ist ebensowenig ein junger Hirsch wie ein Esel etwa ein junges Pferd ist. Das Reh ist vielmehr eine eigene Art, und überall im Lande können wir uns noch an seiner zierlichen Gestalt erfreuen. Der Damhirsch — nicht Dammhirsch! — ist kenntlich an seinem Schaufelgeweih und dem ziegenschwanzähnlichen Wedelschwanz, er wird fast nur in umzäunten Waldungen, hinter Gattern gehalten. Oft wird auch der Rot- oder Edelhirsch hinter Gattern gehegt. In den großen Waldungen Norddeutschlands, der Mittelgebirge und der Alpen lebten und leben aber auch noch viele in freier Wildbahn. Ober das Schicksal der vierten deutschen Hirschart, des in einigen hundert Exemplaren in Ostpreußen und in einigen Schutzgebieten Nordostdeutschlands gehegten riesigen Elches, ist seit Kriegsende nichts bekannt geworden. 19
Der Edelhirsch ist ein mächtiges Tier von kraftvoller und stolzer Haltung, ein echter König des Waldes. Die armdicken, schwarzbraunen Stangen des Geweihs gleichen knorrigen Eichenästen, schneeweiß blitzen daran die scharfen Enden, acht, zehn, zwölf und mehr. Während des Sommers war der Hirsch sehr heimlich, hat sich in dichten Schonungen versteckt gehalten und Kraft für die Brunftzeit, die Zeit der Kämpfe mit seinesgleichen, gesammelt. Am Ende der „Feistzeit", im September, steht der Hirsch auf dem Gipfel seiner Stärke, die Unruhe kommt über ihn, er sucht die Muttertiere, das weibliche Rotwild, auf und treibt sie zum Rudel zusammen. Rücksichtslos herrscht er über sein Rudel: Ein Tier, das sich etwa beim Äsen auch nur ein kleines Stück vom Rudel entfernt, wird mit wuchtigem Schlag des starken Geweihs zurückgetrieben. Und dann schreit der „Haupthirsch" seinen Kampfruf hinaus in den Abend: „Mäöööööuuuuu!" Eine Ahnung von ungebändigter Wildnis, ein Schauern vor der urwüchsigen Kraft, die in diesem Röhren liegt, überkommt den, der dem Brunftruf des Edelhirsches lauscht. Herausforderung zum Kampf bedeutet der Schrei, zum Kampf um den Besitz des Rudels, wobei der Stärkere den Schwächeren „abschlägt" und als siegreicher „Platzhirsch", als Herrscher des Rudels, dem abgekämpften, oft schwerverwundeten Gegner seinen trotzigen Siegesruf nachschreit. So ein Zweikampf starker Hirsche, bei dem die Geweihe aneinanderprasseln, als sollten sie zerbrechen, bei dem der Boden von den Hufen zerstampft und die Grasnarbe von den untersten Enden des Geweihs, den Augensprossen, aufgerissen wird, ist wohl das Erregendste, was man im deutschen Wald erleben kann. Keuchend schieben sich die Recken mit verfangenen Geweihstangen hin und her, krachend reißen sie die Geweihe auseinander, stoßen sie klappernd wieder zusammen oder lassen sie drohend auf die Flanken des Gegners fallen. Nur wenigen ist Gelegenheit gegeben, einen solchen Kampf von einem Ansitz herab zu belauschen. Es ist auch schon Erlebnis genug, ein Rudel an sich vorbeiziehen zu sehen, den Schrei des Platzhirsches aus einiger Entfernung anhören zu können. Niemals aber soll man auf eigene Faust losziehen, um diese Beobachtungen machen zu können. In einem Waldrevier, in dem die Hirsche schreien, hat ohne Wissen und Erlaubnis des Försters niemand etwas zu suchen, denn allzuleicht wird durch einen einzigen unvorsichtigen Laut das edle Wild vergrämt, und ein Brunfthirsch ist zudem ein Tier, mit dem schlecht spaßen ist. Wer also Hirsche hören und vielleicht sogar sehen will, gehe zum Förster und bitte ihn, er möge verraten, wo man sich auf Hirsche ansetzen darf, wann man sich am Ansitz einfinden und wie man sich verhalten muß. Wenn der Förster 20
merkt, daß es dem Bittenden ernst ist mit seiner Liebe zur Natur und zum Wild, wird er ihm schon den richtigen Wink geben. Mit Beginn des Winters trennen sich die stärkeren Hirsche vom Rudel, nur die „Schneider", jüngere und schwächere Hirsche, bleiben beim Mutterwild. Im Februar, der darum „Hornung" heißt, und im März, werfen die Hirsche ihr Geweih ab, das im Laufe des Jahres bis zum Spätsommer durch ein neues ersetzt wird. An schönen sonnigen Tagen fliegen die silbernen Fäden des A l t w e i b e r s o m m e r s durch die Luft. Nur wenige wissen, daß diese feinen Fäden das Gewebe winziger Krabbenspinnen, der Thomisiden, sind, die sich mit Hilfe dieser „Luftschiffe" vom Wind an Orte tragen lassen, an denen sie und ihr Nachwuchs ihre Winterruhe halten können. Unsere Kreuzspinne, die während des Sommers zahlreiche Fliegen und Mücken in ihrem wunderbar kunstvollen Netz gefangen hat, sorgt anders für ihre Nachkommenschaft. Die zahlreichen gelblichen Eier umspinnt sie mit einem festen Gespinst, und dieses Eiersäckchen wird in einem sicheren Versteck aufgehängt. Im Frühjahr schlüpfen die Jungen, die bald ebenfalls ein Netz bauen, ohne es je gelernt zu haben. Spinnennetze in Garten, Feld und Wald zu zerstören, zeugt nicht nur von Herzensroheit — denn selbst die „häßliche" Spinne hat dasselbe Lebensrecht wie jedes andere Tier —, es ist vor allem dumm, denn unzählige geflügelte Plagegeister, die uns im Sommer ärgern und peinigen, fallen der Spinne zum Opfer. Wie fast das ganze Jahr hindurch, so erfreut uns auch jetzt noch und auch später, selbst bei Schnee und Eis, der kleine, kecke Z a u n k ö n i g mit seinem Gesang. Unermüdlich huscht er durch Unterholz und Gebüsch, und laut, viel lauter, als man es dem winzigen Kerlchen zutraut, schallt sein vergnügtes Lied, eine Folge klarer, kräftiger Töne mit einem kanarienahnlichen Roller. Der Zaunkönig baut nicht nur, wie unsere anderen Singvögel, ein Nest zur Aufzucht der Jungen, ein Brutnest, sondern mehrere „Spielnester". In ihnen schläft zuerst der Zaunkönigshahn allein, später die ganze drollige Zaunkönigsfamilie. Was von den Spielnestern im Herbst noch nicht der dauernden Benutzung oder der Witterung zum Opfer gefallen ist, wird für den Winter hergerichtet und mit Moos angefüllt. In diesem behaglichen Eigenheim findet der kleine König einen gesicherten Unterschlupf, wenn es stürmt und schneit. Noch lieber allerdings zieht er, ist die strenge Kälte ins Land gekommen, ins Innere der Scheunen und Dachböden, wo er fleißig nach Spinnen und Insekten, die dort ihre Winterruhe halten, und nach ihrer Brut herumsucht. In jede 21
Spalte, selbst in den engsten Winkel, vermag er sich mit seiner Winzigkeit hineinzuzwängen, und auch aus der feinsten Ritze zieht sein spitzes Pfriemenschnäbelchen die Beute. Und zum Zeichen, daß es ihm gut geht, läßt er sein frohes Lied erschallen.
NOVEMBER „So dunkel ist die Ferne — die Heide ist so leer Die schwarzen Krähen kommen hastig über sie her" (Hermann
ebel und Düsternis, Sturm und Regen bringt der November, oft aucn den ersten Frost und Schnee. Da glauben viele, hinter dem Ofen sei es besser als draußen. Ein rechter Naturfreund aber zieht sein wetterfestes Zeug an. Er weiß, auch jetzt gibt es in Wald und Feld, an Fluß und See allerlei zu sehen, sogar manches, was er sonst überhaupt nicht beobachten kann. In der Pflanzenwelt freilich wird es von Tag zu Tag öder. An schönen Tagen lohnt es sich noch, auf P i l z suche zu gehen. Wiesenchampignon und Grünling, Tintling, Stoppelpilz und Hallimasch sind die letzten eßbaren Pilze, die man finden kann. Vor dem widerlich riechenden Schwefelkopf mit dem gelben Stiel, der an Baumstöcken, auf faulendem Holz und auf dem Waldboden wächst, muß man sich hüten — er ist giftig! Wer Glück hat und sich von einem Kenner die in Frage kommenden Stellen verraten läßt, mag jetzt wohl auch die herrlichen Trüffeln finden, deren knollenförmige braune, mit großen Warzen besetzte Fruchtkörper im modrigen Waldboden gereift sind. Ihr Inneres ist festfleischig und braunweiß marmoriert, Geruch und Geschmack sind wunderbar würzig. Wer Pilze suchen geht, soll nur die mitnehmen, die er sicher als eßbare kennt. Der silberne Löffel im Pilzgericht ist kein Anzeiger für giftige Pilze! Nur ein wirklich gutes Pilzbuch kann Pilzkenntnisse vermitteln, und zwar auch nur unvollkommen. Am besten lernt man die Speisepilze unter der Führung eines erfahrenen Pilzsuchers kennen. Darum Vorsicht mit unbekannten Pilzen! Es gibt aber jetzt auch noch blühende Pflanzen, an denen man sogar allerlei lernen kann. An Zäunen und Wegen und auf Schutt22
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Löns)
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abladeplätzen steht der taubnesselähnliche, graubehaarte G o t t v e r g e ß , auch Schwarznessel oder Büke genannt. Der lateinische Name der widerlich riechenden Pflanze ist Ballota nigra. Die kleinen Blüten, die der Gottvergeß jetzt zeigt, sind schmutzigrosa, die eiförmigen Blätter grobkerbig-gesägt. Der Kelch hat fünf eiförmige stachelspitzige Zähne. Die Schwarznessel stellt uns ein paar hübsche Beobachtungsaufgaben: Es gibt nämlich von ihr verschiedene Unterarten. Die Form „ruderalis" hat scharfgesägte Blätter, ihre Kelchzähne sind lang begrannt, während die Unterart „Ballota nigra borealis" stumpfgesägte Blätter besitzt und ihre Kelchzähne nur kurze Spitzen haben. „Ballota nigra foetida" schließlich, die dritte Form des Gottvergeß, zeichnet sich durch Kelchzähne aus, die abgerundet und sehr kurzstachelspitzig sind. Vom Gottvergeß, der ein häufiges Unkraut ist, kann man ganze Büsche mit nach Hause nehmen, um nach den drei Unterarten zu forschen, eine hübsche Übungsaufgabe für den angehenden Botaniker. Aber auch der junge Zoologe kann jetzt viel Neues lernen. Nach den grauen und schwarzen Krähenschwärmen wird er zwar weniger schauen, denn immer noch bringt der in vollem Gange befindliche Vogelzug andere interessante Gestalten. An den Ebereschen finden sich die Scharen der bunten K r a m m e t s v ö g e l oder Wacholderdrosseln ein. Ihr Kopf ist aschengrau, der Rücken zimtbraun, der Bürzel — das ist die Stelle, die die dunklen Schwanzfedern trägt — blaugrau. Die lebhaften Vögel, die an vielen Stellen Deutschlands westlich der Linie Wismar in Mecklenburg—Ülzen—Osnabrück— Kassel—Würzburg—Stuttgart—Bodensee meist in kleinen Kolonien brüten, machen sich vor allem durch ihren schackernden Ruf bemerkbar. Unter den Flügen der Krammetsvögel entdecken wir hin und wieder sehr seltene Gäste aus dem hohen Norden und aus Sibirien, die den Vogelkundigen, wenn er ihnen einmal begegnet, in helle Aufregung versetzen. Durch das Gebüsch am Wald- und Feldrand und durch die kahlen Sträucher und Bäume der Gärten streifen Meisenschwärme. Von den Obstbäumen locken mit sanftem melodischem „Djü" die farbenprächtigen rotbrüstigen und schwarzbemützten G i m p e l . Die winzigen G o l d h ä h n c h e n , die man im Sommer niemals zu sehen bekommt, weil sie sich in den höchsten Baumwipfeln herumtreiben, kann man jetzt am Haus beobachten und sich an ihrem flinken Herumturnen und ihren gelben Krönchen erfreuen. Aus dem hohen Norden kommt als Wintergast der B e r g f i n k ans Futterhaus. Am schwarzen Kopf, am weißen, nicht wie beim heimischen Buchfink am grünlichen Unterrücken und an seinem leisen Lockton ist er erkenntlich. 23
Wie „Quäck" klingt sein Ruf, der also ganz anders ist als das kräftige „Pink-Pink" unseres Edelfinken. Aus der Luft tönen die heiseren rauhen Rufe wandernder Fischreiher und das Geschnatter der südwärts ziehenden Wildgansgeschwader. Wie Kranich und Brachvogel fliegen die Gänse in keilförmiger Flugordnung, während die Enten in Ketten hintereinander ziehen. Die Wildgänse fallen gern auf Stoppelfeldern ein, die Reiher halten sich oft lange Zeit an flachen Stellen der Gewässer auf. Im Flug unterscheidet die Haltung seines Halses den Reiher von Kranich und Storch: Er zieht ihn, S-förmig zusammengelegt, an, während Kranich und Storch ihren Hals weit ausstrecken. „„An stellen Flugbild des Fischreihers .. Flüssen ,und Seen ^ ...sich , die _Wintern gaste aus der großen Familie der E n t e n ein. Wir sehen Tafelenten mit schwarzer Brust, rotbraunen Köpfen und silbergrauen Rücken, und die ihnen bis auf den schwarzgrünen Kopf ähnlichen Bergenten. Da gibt es lackschwarze Reiherenten mit weißer Unterseite und einem Schopf am Hinterkopf. Viel Weiß im Gefieder haben die zierlichen Schellenten, erkenntlich am weißen Schnabelfleck, der sich auffallend vom dunkelgrünen Kopf abhebt, und die meist in ihrer Gesellschaft befindlichen hübschen Zwergsäger, die ein schwarzer Schnabelfleck am weißen Kopf auszeichnet. Zwischen den Enten schwimmen kopfnickend Bleßhühner, ganz schwarz, mit kreideweißer Stirnplatte, und winzige „Duckentchen", flinke braune Zwergtaucher, die ständig tauchen und mehr unter als über dem Wasser sind. Wie ein grünblauer Blitz, in allen Farben schillernd, schießt wohl auch in reißendem Flug ein E i s v o g e l vorüber. Wer Glück hat, genügend Geduld aufbringt und sich mit der nötigen Vorsicht dem Ansitz des Eisvogels nähert, kann ihn auch beim Fischen beobachten. Unbeweglich sitzt er mit eingezogenem Kopf auf seinem Spähplatz, einem Pfahl oder Zweig über dem Wasser. H a t er ein Fischlein gesichtet, dann sieht man ihm die wachsende Spannung deutlich an: Der Schnabel wird vorgeschoben, der Körper neigt sich schräg zur Wasserfläche. Plötzlich stürzt er sich mit angelegten Flügeln kopfüber ins Wasser, nach wenigen Augenblicken taucht er wieder auf, flattert auf seinen Ansitz zurück und schüttelt das Wasser aus dem Gefieder. Den gefangenen Fisch schlägt er einige Male gegen das Holz, dann würgt er ihn, mit dem Kopf voran, hinunter. Dieser „fliegende Edelstein" ist der bunteste Vogel unserer Heimat, und mit Recht hat ihn Hermann Löns den „Herrlichsten von Allen" genannt. 24
Obwohl er Jungfische fängt, steht der wundervoll metallisch glänzende Vogel, dessen Namen übrigens nichts mit „Eis" zu tun hat, sondern wegen des Stahlglanzes seines Gefieders „Eisenvogel" bedeutet, unter den strengen Gesetzen des Naturschutzes. Den an sich schon unbedeutenden Anteil an der Fischbrut — er nährt sich außerdem von Krebstieren und Larven von Wasserinsekten — wollen wir ihm gern gönnen, denn er macht den geringen Schaden durch seine prächtige Schönheit, die wir im Bild unserer Heimat nicht missen wollen, mehr als wett. Igel und Fledermäuse, Hamster und Buche — das sind die Haselmäuse und Siebenschläfer — halten jetzt ihren W i n t e r s c h l a f . Wie absonderlich geformte Früchte hängen die Fledermäuse, die sich den Sommer über in unermüdlicher nächtlicher Jagd nach allerlei schädlichen Insekten eine hübsche Fettschicht angemästet haben, in ihrem Winterversteck, vor der Kälte durch ihr dichtes Haarkleid geschützt, die Flughäute als Mantel um sich geschlungen. Der Hamster hat seinen tiefen Erdbau mit Vorräten angefüllt — oft sind es mehr als zwanzig Kilogramm Korn, Erbsen und Bohnen —, um davon zu schmausen, wenn er aufwacht. Eigenartig ist es, wie die Winterschläfer vor der Gefahr des Erfrierens bei plötzlichen Temperaturstürzen gesichert sind. Sie erwachen, wenn die Temperatur ihres WinterFrcstspanner lagers unter ein gewisses (Raupe, Männchen mit Flügeln, Weibchen) Mindestmaß sinkt. Dieses Maß ist für jede Tierart verschieden und beträgt für den Igel etwa drei Grad Celcius. Durch Bewegung wärmt sich der Winterschläfer auf, nimmt wohl auch etwas Nahrung zu sich und sucht dann einen besser geschützten Ort zum Weiterschlafen auf oder gräbt sich, wie es der Hamster tut, tiefer ein. Längst ist das Insektenleben fast völlig zum Erlöschen gekommen. Die meisten Kerbtiere sind gestorben, aber eine ganze Anzahl überdauert doch in „Kältestarre" die harte Jahreszeit. Ein Schmetterling aber hat gerade jetzt seine Flugzeit. Ein kleiner rötlich-grauer Falter huscht in der Abenddämmerung durch den Garten, der F r o s t 25
s p a n n e r . Das fliegende Tier ist stets ein Männchen. Die Weibchen sehen ganz anders aus. Sie sind staubgrau, und an Stelle der großen Schmetterlingsflügel besitzen sie nur mehr Flügelstummel. Sie sind deshalb flugunfähig. Dafür sind aber ihre Beine, die bei den meisten Schmetterlingen nur sehr dünn und zierlich sind, kräftig entwickelt. Das Weibchen klettert an den Stämmen der Laubbäume empor und legt seine Eier in die Knospen. Im Frühjahr schlüpfen grüne Raupen aus, die durch die Art ihrer Fortbewegung auffallen. Sie kriechen nicht wie andere Raupen, sondern bewegen sich spannend fort, indem sie mit Hilfe ihrer Afterfüße ihren langen schlanken Körper stark krümmen und dann wieder weit nach vorn strecken. Im Hochsommer lassen sich die Raupen an einem Spinnfaden zum Boden herab und verpuppen sich in der Erde. Die Frostspannerraupe ist ein arger Schädling unserer Obstgärten. Sie zerstört die Knospen der Obstbäume und zernagt Blätter und Früchte. Der sicherste Schutz sind die Teer- und Leimringe. Sie hindern das Weibchen, in die Krone der Bäume hinaufzusteigen und dort ihre Eier abzulegen. Die Ringe müssen daher zum Herbst erneuert werden. Alte trockene Ringe schaden mehr als sie nützen, weil sich auf ihnen die Frostspannerweibchen nicht fangen, dafür sich aber in der Feuchtigkeit unter dem Ring leicht fäulniserregende Pilze ansiedeln können. Die besten Schädlingsvertilger sind und bleiben aber unsere Singvögel, vor allem die Meisen. Eine Meise wiegt etwa zwanzig Gramm. Ebensoviel, wie sie wiegt, verbraucht sie täglich an Nahrung. Man kann sich leicht vorstellen, wieviel Schmetterlingseier, Raupen und Puppen eine einzige Meise fressen muß, um dieses Gewicht zu erreichen. Darum ist die Vermehrung der Meisen durch Schaffung von Nistkästen und ihre Fütterung im Winter die beste Voraussetzung für den Schutz unserer Obst- und Gemüsegärten. Bei der Winterfütterung, mit der wir allerspätestens jetzt beginnen müssen, dürfen wir übrigens, haben wir einmal angefangen, nicht mehr aussetzen. Die Vögel haben sich an unsere Futterstelle gewöhnt, und es wird ihnen schwer, sich auf eigene Faust Futter zu suchen, wenn wir plötzlich mit dem Füttern aufhören. Wie man ein Futterhaus baut und es „spatzensicher" macht, haben wir bereits im Heft 9 „Gefiederte Freunde" gelernt. Im Notfall genügt aber auch irgendeine vor Regen, Schnee und Eis geschützte Stelle in der Laube oder auf dem Balkon. Den Katzen muß man den Besuch solcher Futterstellen verleiden, sie holen sich sonst allzugern einmal einen Vogel. Alte Futterhäuser kann man dadurch vor dem unerwünschten Besuch durch den frechen Spatz, der auch ohne unsere 26
Hilfe durch den Winter kommt, sichern, daß man in etwa drei Zentimeter Abstand Bindfäden netzartig vor die Öffnung spannt. Vor allem aber sei eine Regel beherzigt: Brotkrumen und Kartoffeln sind tödliches Gift für unsere gefiederten Schützlinge!
DEZEMBER
Vom Ein Vom Und Und
Himmel in die tiefsten Klüfte milder Stern berniederlacbt; Tannenwalde steigen Düfte hauchen durch die Winterlüfte, kerzenhelle wird die Nacht. (Theodor
Storm)
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eihnacht! Wenn draußen die Schneeflocken vom Himmel fallen und Natur und Menschenwerk in weiches Weiß einhüllen, sammelt sich der Kreis der Familie um den Weihnachtsbaum, den wir als Sinnbild des Unvergänglichen und des Friedens auf Erden aus dem Winterwald in die Stube geholt haben. Der Weihnachtstisch ist wohl auch geschmückt mit den glänzend grünen Blättern der Stechpalme und den großen weißen Blüten der Christrose, von der Zimmerdecke hängt in manchen Gegenden ein Mistelzweig. Sie alle sind ebenso wie der „Tannenbaum", der in den weitaus meisten Fällen eine Fichte sein wird, mit seinen „grünen Blättern" Pflanzen, die uns mit ihren Blättern und Blüten beweisen, daß es in der Natur keinen ewigen Winterschlaf gibt, daß das Leben auch in Kälte und Finsternis weitergeht. Vom Dezember bis zum März entfaltet die zarte und doch so kältefeste C h r i s t r o s e , Schnee und Eis zum Trotz, im Garten und in den Gebirgswäldern des Alpenlandes ihre großen weißen Blüten, in denen sich ein Kranz zierlichster „Honigtüten" befindet. Betrachten wir die Blüte genau, so sehen wir voll Erstaunen, daß die weißen oder rosigen „Blütenblätter" eigentlich Kelchblätter, die Blumenblätter aber zu den tütenförmigen Honigbehältern umgewandelt sind. Wie beim Heidekraut sind hier also die sonst unscheinbar grünen Kelchblätter bunt und spielen die Rolle des Blumenblatts. Ganz ähnlich ist es bei den schönen goldenen Knöpfen der Trollblume, die eine nahe Verwandte der Christrose ist, und es gibt noch eine ganze Reihe anderer Pflanzen, die denselben Kunstgriff anwenden. Der Botaniker nennt die Christrose weniger romantisch „Schwarze Nieswurz", weil das aus ihrem schwarzen Wurzelstock hergestellte Pulver, gelangt 27
es in die Nase, sofort heftiges Niesen hervorruft. Einst war die Blüte der Christrose unverletzlich. Sie, die in den heiligen Tagen des Weihnachtsfestes blüht, zu pflücken, galt als Frevel und brachte angeblich dem, der sie brach, und dem Haus, in dem ein Strauß ihrer schneeweißen Blüten stand, Schaden. An diesen Aberglauben wollen wir uns aber nicht halten, wir wollen uns an dem Winterwunder ihrer Blüte freuen. Lackglänzend grün, lederähnlich starr, stachelspitzig gezähnt und eigenartig wellig gebogen sind die Blätter der S t e c h p a l m e oder des Hülsenstrauches, wie man in Norddeutschland sagt. Der Gärtner bezeichnet diese Pflanze mit dem lateinischen Namen Hex. Wildwachsend ist sie in unserer Heimat selten geworden. In Nordwestdeutschland und an der Ostsee bis zur Insel Rügen, im Schwarzwald und in den Alpen wächst sie noch als Strauch, gelegentlich auch als Baum, an anderen Stellen ist sie aus Gärten verwildert, in denen sie in mancherlei Abarten als Zierstrauch gepflanzt wird. In den Achseln ihrer Blätter trägt sie im Frühsommer zwei- oder dreiblütige Trugdolden, aus denen die leuchtend roten kugeligen Steinbeeren hervorgehen. In weißer Schneelandschaft einen Hülsenstrauch mit seinen dunkelgrünen Blättern und roten Beeren sehen zu dürfen, gehört zu den schönsten Wintererlebnissen des Naturfreundes. Besonders eigenartig ist, daß die Blätter bei der Strauchform durchweg dornig gezähnt sind, bei höherem Wuchs nur etwa bis zu der Höhe, die das Weidevieh erreichen kann. Darüber sind sie glattrandig und sehen aus wie Lorbeerblätter. Im Schwarzwald kocht man aus den an der Sonne getrockneten Blättern einen heilsamen Tee, eine andere in Südamerika wachsende Art, der Matestrauch, liefert das koffeinhaltige und deshalb anregende südamerikanische Volksgetränk Mate. Wenn der M i s t e l busch aufgehängt ist, dann freut sich alles über die lustige, aus England stammende Sitte der Kußfreiheit unter dem Mistelzweig. Sicherlich geht sie zurück auf keltische Bräuche in jener Urzeit, als die Druiden, die Priester der Kelten, Mistelzweige von Eichen als Göttergeschenke mit goldenen Sicheln abschnitten. Auch unseren Vorfahren war die Mistel heilig, wohl wegen des damals unerklärlichen Rätsels ihres Lebens auf Bäumen, hoch über der die 28
wie die Mistel Senkern im Baum schmarotzt
anderen Pflanzen nährenden Erde, und wegen ihrer immergrünen Blätter. In der germanischen Sage wird der Sonnengott Balder von Loki mit einem Pfeil aus dem Zweig der Mistel getötet. Im kahlen Geäst der Laubbäume fallen jetzt die runden grünen Büsche der Mistel, die oft mehr als einen Meter Durchmesser haben, besonders auf. Die grüngelben Stengel verzweigen sich gabelig und tragen lanzettliche, lederartige, immergrüne Blätter, die durch Bau und Oberflächengestaltung gegen Wasserverdunstung wie die von Heidekraut und Fichte, Hex und Christrose geschützt sind. Das Wasser und die Nährstoffe, die andere Pflanzen aus dem Erdboden aufnehmen, entzieht die Mistel dem Baum, auf dem sie lebt, sie ist also eine Schmarotzerpflanze. Um die Weihnachtszeit reifen die aus den unscheinbaren Blüten entstandenen Früchte, erbsengroße weiße, saftige Beeren, die besonders von der Misteldrossel gern gefressen werden. Das Fruchtfleisch ist ein zäher Schleim, das den Kot der Drosseln klebrig macht. Wird der Vogelmist auf Bäumen abgesetzt, so klebt er mit dem unverdauten Samen leicht an der Rinde eines Astes fest. Auch am Schnabel bleibt der klebrige Samen leicht hängen und wird beim Wetzen des Schnabels buchstäblich an die Stelle geklebt, an der sich der Mistelkeimling auf der „Wirtspflanze" entwickeln kann. Bei der Keimung weicht die Rinde auf, die Keimwurzel durchbohrt die Rinde des Astes bis auf das Holz, in das sie aber nicht eindringt, und sendet nach allen Seiten Wurzeln aus. Aus diesen „Rindenwurzeln" gehen dann andere rechtwinklig abzweigende Wurzeln hervor, die „Senker", die ebenfalls bis zum Holz vorwachsen. In jedem Jahr wächst der frische Jahresring des Wirtsbaumes um den Senker herum, der auf diese Weise schließlich tief im Holz steckt. Da die Mistel ihre Senker stets in den jüngsten Holzschichten ihres Wirtes hat, in denjenigen also, durch die der Saftstrom führt, so fehlt es ihr nie an Wasser und Nährstoffen. Von ihnen allein aber lebt sie nicht, sie hat auch grüne Blätter, kann also außerdem selbst Kohlenstoff aus der Luft „assimilieren" und eigene Nährstoffe aufbauen. Sie wird deshalb als „Halbschmarotzer" bezeichnet. Man unterscheidet drei Unterarten, die Laubholzmistel auf Apfelbäumen, Pappeln, Linden, Eschen, Ahorn und falscher Akazie, höchst selten einmal auf Eichen, die Kiefernmistel auf Kiefern und die Tannenmistel auf Tannen.
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Auch die Tierwelt hat ihr Winterwunder. Wie die Christrose unter dem Schnee ihre Blüten entfaltet, so brütet jetzt, da die anderen Vögel Not leiden, und Haubenlerchen, Goldammern und Finken zutraulich bis in die Ortschaften kommen, im tiefverschneiten Nadelwald der Kreuzschnabel. Absonderlich ist seine Schnabelform; weit sind die Spitzen übereinandergebogen; was Der Kreuzschnabel bei anderen Vögeln selten einmal als eine die Nahrungsaufnahme erschwerende Mißbildung vorkommt, erleichtert ihm das Herausklauben seiner Hauptnahrung, der Samen der Nadelhölzer, aus den Zapfen. Mit „Gippgipp" und „Plütplüt" klettern die Kreuzschnäbel in den Fichten wie die Papageien in den Bäumen der Urwälder umher, und bunt wie ein Papagei ist auch so ein rotes Kreuzschnabelmännchen, während die Jungen und die Weibchen gestrichelt gelbgrünlich-grau sind. Heute kommt er hier vor, morgen dort, ein rechter „Zigeunervogel", der sich nur dort wohl fühlt, wo es reichlich Fichtensamen gibt. Hoch in den Nadelbäumen baut der Kreuzschnabel da, wo es Nahrung genug gibt, sein Nest, und die Jahreszeit kümmert ihn dabei überhaupt nicht. Vom Dezember bis zum Juni, ob Schneesturm oder Sommersglut, brütet das Weibchen die drei bis fünf grünlichweißen, rötlich oder schwärzlich gefleckten Eier aus. Die Jungen schlüpfen mit geraden normalen Schnäbeln, und erst im Alter von drei Wochen biegt sich der Oberschnabel über den Unterschnabel. Eine fromme Sage gibt eine schöne Deutung für die seltsame Form des Schnabels: Er habe seinen Schnabel verbogen, als er die Nägel herausziehen wollte, mit denen der Heiland ans Kreuz geschlagen war, und bei diesem vergeblichen Versuch sei sein Kleid mit dem heiligen Blut getränkt worden, weshalb er heute noch rot gefärbt sei. Dankbar habe der Heiland am Kreuz den hilfsbereiten Vogel gesegnet, und so sei er bis heute ein heilbringender Vogel, der dort die Krankheiten auf sich ziehe, wo man ihn liebevoll im Käfig pflege. Nur einen spärlichen Ausschnitt aus der unerschöpflichen Fülle der Lebenswunder konnte uns der gemeinsame Gang durch die Monate geben. Eines aber hat er uns gelehrt: Es gibt so viele ver30
borgene Schönheit in der Natur, soviel Erstaunliches im Alltäglichen, daß dem reicher Lohn wird, der überall und täglich unsere Parole befolgt: AUGEN
AUF!
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
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