Gruselspannung pur!
Attilas Mörderhorden
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Finsternis senkte sich über das La...
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Gruselspannung pur!
Attilas Mörderhorden
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Finsternis senkte sich über das Land, doch in den Fußgängerzonen herrschte noch reger Betrieb. Die Straßencafes und Bistros waren voll. Sogar die Besitzer der Eiscafes konnte sich nicht beklagen; dafür hatten die Frühlingstemperaturen gesorgt. Während verliebte Pärchen Arm in Arm über die Promenade in deutschen Städten schlenderten oder an Schaufenstern entlangbummelten, bahnte sich jedoch eine höllische Katastrophe an! Dunkle Mächte trafen ihre Vorbereitungen, um das Land in Chaos und Verderben zu stürzen... Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
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Die Neonreklame über dem Eingang der Cherie Bar flackerte. Im Innern des kleinen, heruntergekommenen Etablissements drängten sich die Gäste. Es waren überwiegend Männer mittleren Alters. An der Theke hockten ein paar Angetrunkene und lallten vor sich hin oder stierten stumm in ihr Bierglas. Eine barbusige Bedienung schlängelte sich zwischen den dichtstehenden Tischen hindurch. Sie hatte ihre besten Tage schon hinter sich, fand aber immer noch viele Bewunderer. Die starrten dann unablässig auf die schweren Brüste der Mittvierzigerin und machten in Gedanken jede dieser interessanten Schaukelbewegungen mit. In den Separees vergnügten sich einige der Gäste mit den Liebesdienerinnen. Auf einer Drehbühne legte eine Tänzerin einen Strip hin. Sie schaute stolz in die Runde, als sie den mit allerlei Glitzerwerk besetzten BH aufhakte und zu Boden fallen ließ. Und sie genoß die lüsternen Zurufe und den Applaus. Die beiden Männer saßen an einem Tisch rechts neben der Bühne. Jochen Lössing war Ende Zwanzig. Aknenarben verunzierten sein Gesicht. Pomadiertes Haar klebte auf seiner breiten Stirn. Thomas Schulte hörte auf den Spitznamen Tarzan, weil er den Filmschrei des Affenmenschen täuschend echt nachahmen konnte. Er war eher schmächtig und hatte langes, ungepflegtes Haar. Respekt verschaffte er sich notfalls mit dem großen Messer, das er nur selten aus den Händen legte. Lössing und Schulte hatten sich in der Psychiatrischen Landesklinik in Schkeuditz bei Leipzig kennengelernt. Dort waren sie wegen verschiedener Sexualdelikte therapiert und vor ein paar Wochen als geheilt entlassen worden. Ihren Haß auf Frauen hatte man ihnen jedoch nicht nehmen können. Jochen Lössing sah in jeder Frau seine Mutter, die ihn als Zweijährigen in ein Heim abgeschoben hatte, weil er ihr ein Klotz am Bein war. Er kannte sie nur von Bildern, aber das Aussehen der hübschen Frau mit den langen, blonden Haaren hatte sich in sein Bewußtsein gefressen. Seine Opfer waren deshalb auch immer langhaarige Blondinen gewesen. »Schau sie dir an, Tarzan«, brummte Lössing. »Sie geben ihre Körper den Männern preis! - Das Flittchen auf der Bühne wälzt sich im Schmutz und findet es auch noch schön. Und die 3
Bedienung - sie erinnert mich an meine Mutter. Hab ich dir schon von ihr erzählt? Sie ist auch so eine, die die Kerle aufgeilt, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Pfui, Teufel!« Thomas Schulte hatte seine eigenen Ansichten über die Frauen. Für ihn waren viele Schlampen und nicht wert, mit Respekt behandelt zu werden. Sie ließen sich nackt in Illustrierten und Zeitungen ablichten, stellten sich in Filmen und Nachtbars schamlos zur Schau und boten ihre Körper gegen Bezahlung an. Vor Regina dagegen, seiner ehemaligen Mitschülerin, hatte er Respekt. Sie war für ihn die Schönheit schlechthin, die Verkörperung von Tarzans Gefährtin Jane, die in den Comics so rein, edel und gutherzig dargestellt wurde. Selbst wenn sie einen Dschungeldress trug, der mehr Haut frei ließ, als anständig war, sah Schulte über diesen Makel hinweg. Der Dress gehörte zu Jane wie das elegante Abendkleid zu einer Dame von Welt. Doch jene Frauen, die sich für Geld als Lustobjekte verkauften, waren weit entfernt von Janes oder Reginas Reinheit und Natürlichkeit. Es war nur schade, daß Regina ihre Liebe einem anderen geschenkt hatte und ihn, Thomas, verschmäht hatte. Aber er war ihr nicht böse. So war das Leben. Er würde sich eine andere Frau suchen, die Regina und Jane gleichkam, doch die unmoralischen Flittchen sollten für ihr Verhalten büßen. »Du hast recht«, sagte Thomas Schulte. Seine Augen glitzerten, als er die nackte Stripperin beobachtete. »Sie sind Abschaum. Schmutz, der unsere Städte verunreinigt. Sie ziehen ehrbare Frauen und Mädchen in diesen Sündenpfuhl hinein, aus dem es kein Entrinnen gibt.« Schulte hieb die Spitze des Messers in die Tischplatte. »Wir sind dazu berufen, sie auszumerzen und die Ehre zarter, unbefleckter Mädchen zu retten.« »Stimmt. Und deshalb trinken wir noch was und machen uns dann an die Arbeit. Die Pflicht ruft!« Lössing winkte der barbusigen Bedienung. »Noch zwei Whisky«, bestellte Lössing. »Diesmal aber mit Eis, sonst schmeckt er ja wie warme Schweinepisse.« Angst schimmerte in den Augen der Bedienung, als sie Lössings kalten Blick bemerkte. Sie stolperte fast auf dem Weg zur Theke. Am liebsten hätte sie gefragt, wie denn warme Schweinepisse schmeckt, doch das traute sie sich nicht. Thomas Schultes Gesicht verfinsterte sich zusehends. Wie tief sind diese Frauen gesunken? fragte er sich beim Anblick der 4
Stripperin und stürzte aufgewühlt seinen Whisky hinunter. Lössing legte seine Hand auf Schultes schmale Finger. »Immer mit der Ruhe, Junge. Bald kannst du diesen Schlampen deine Macht zeigen!« Auf der Bühne räkelte sich die nunmehr splitternackte Tänzerin, als Lössing die schweren Samtvorhänge am Eingang beiseite schob und in die Nacht hinaustrat. Es tat gut, nach der stickigen, verrauchten Luft in der Bar wieder klare Nachtluft in die Lungen zu pumpen. Sein Chevrolet mit den dalmatinerfeilbezogenen Sitzen parkte in einer Seitenstraße. Lössing hatte den Amischlitten von einem Gebrauchtwagenhändler in der Nähe von Leipzig gekauft. Auf Pump. Für den Händler war der Wagen ein Ladenhüter gewesen. Für Lössing bedeutete er die Erfüllung eines Traumes. Bordsteinschwalben in mehr oder weniger aufreizender Kleidung gingen am Straßenrand entlang. Lössing beachtete sie nicht, während Schulte ihnen verachtende Blicke zuwarf und nach seinem Messer tastete. Wenig später kurvte der Straßenkreuzer durch das Rotlichtviertel. Nicht weit entfernt von der Cherie Bar befand sich das Eros-Center, das auf neun Stockwerken viel Ablenkung bot. Lössing schaute fragend zu Schulte hinüber. Der junge Mann schüttelte den Kopf. Also nicht ins Bordell. Er hatte es wohl auf ein Straßenmädchen abgesehen. Lössing fuhr bis zum Ende des Viertels und parkte auf einem unbeleuchteten Parkplatz. »Also ich schau mich doch mal in dem Puff um«, erklärte er. Seine Zunge fuhr über die Lippen. Schulte schluckte und starrte durch die Windschutzscheibe. »Was hast du?« »Da!« Thomas Schulte deutete nach vorn. Im nächsten Moment erblickte auch Lössing die Frau. Sie war groß, schlank und attraktiv. Langes, blondes Haar fiel auf ihre Schultern. Sie trug eine Wolljacke, einen Minirock und Pumps. Eine Handtasche baumelte von ihrer rechten Schulter. »Das ist sie«, flüsterte Lössing. »Sie gehört mir!« »Ich hab sie zuerst entdeckt«, widersprach Tarzan/Schulte. »Die Blonde gehört mir«, beharrte Lössing und ließ seinen Blick schweifen. »Die Kleine dort hinten ist eher was für dich.« Tarzan/Schulte schaute in die angegebene Richtung, und es lief ihm heiß und kalt über den Rücken. 5
Das war sie. Seine Jane! Die Frau war fast genauso groß wie die Blonde. Auch sie war schlank, doch sie hatte kurzes, brünettes Haar. Knallenge Satinhosen spannten sich um ihre Beine. Unter dem knappen Top ließ sie sie frei schwingen. Schulte stieg aus. Zwei Mörder waren in dieser Nacht unterwegs... * Eine schrecklich anzusehende Gestalt saß auf einem Knochenthron und stierte vor sich hin. Der massige Körper war in ein schwarzes, mit goldenen Stickereien besetztes Gewand gehüllt. Einsam saß die Gestalt in dem Sessel, der aus menschlichen Gebeinen gefertigt war. Zu beiden Seiten des runden Hauptes zierten grinsende Totenschädel die Rücklehne. Der Thron stand in einer gewaltigen Höhle, auf einem Podest aus Menschenknochen. Schwefelgelbe Nebelschwaden durchzogen das Gewölbe und verbreiteten einen unerträglichen Gestank. Von außen drang ein rötliches Glosen in die Höhle, verbreitete schwaches Licht. Die Höhle lag in einer Region des Schreckens. Monstren, wie sie furchterregender und abstoßender nicht sein konnten, bevölkerten die umliegenden Schluchten, Seen und Bergpässe. Hier herrschte ewiger Kampf. Man gierte nach den Seelen Unschuldiger und buhlte um die Gunst der Dämonen. Einer von ihnen saß vornübergebeugt auf dem Knochenthron, hatte einen Arm auf die Knie gestützt und die fleischige Hand zur Faust geballt. Der andere Arm war verkürzt, wuchs aber langsam nach. In Brusthöhe hing eine warzenbedeckte Hand an dem Armstumpf, der nicht mehr als ein eiterverströmender Auswuchs war. Das mit eiternden Warzen und Pusteln bedeckte Antlitz des Dämons war düster. Die schwarzen Augen, in denen es dunkelrot schimmerte, starrten ins Leere. Vor dem Eingang der Höhle war ein lautes Rauschen zu hören, das sich im Innern des Gewölbes fortsetzte und dort zu lautem Sturmbrausen wurde. 6
Der Dämon verzog angewidert die häßliche Fratze. Die Störung widerstrebte ihm. Zwei Knochengerippe in ledernen Rüstungen kreuzten vor dem Eingang ihre Speere, wurden jedoch von einer mächtigen Faust durch die Luft gewirbelt und rollten scheppernd in das Gewölbe. »Wer erdreistet sich, meine Ruhe zu stören?« donnerte der Dämon. Der Neuankömmling vertraute auf seine Größe und ließ sich nicht einschüchtern, doch gern sah und roch er seinen Gegenüber nicht, der aus vielen Poren eiterte. Der Riese hieß Utgardaloki und war ein Dämonengott. Vor ewigen Zeiten hatte er weit im Norden, in Jötunheim, über ein Riesengeschlecht geherrscht. Von dort aus hatte er Leid und Not über die Menschen verbreitet. Sein Name war zum Inbegriff des Grauens geworden, bis ihn der Donnergott Thor zum Kampf gefordert hatte. Durch Sinnestäuschungen hatte Utgardaloki den mächtigen Hammerwerfer hinters Licht geführt und sich dem Kräftemessen entzogen. Er hatte sich in die Dimensionen des Schreckens zurückgezogen, um von hier aus die Menschheit mit immer neuen Grausamkeiten heimzusuchen. »Was willst du?« fragte Belial, denn um keinen anderen handelte es sich bei dem warzenübersäten Geschöpf. »Du nervst. Schon viermal in den letzten zwei Wochen hast du mir die Höhle zertrampelt. Es reicht!« »Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?« fragte der Dämonengott mit grollender Stimme. Er trug eine Lederkluft, die der Rüstung der Skelettwächter ähnelte. Das Wams ließ die dicht behaarte Brust frei. Ein kantiger, bärtiger Schädel thronte auf den breiten Schultern. Die Muskelstränge am Hals waren dick wie Eichenstämme. Die Zähne in dem Maul hatten die Ausmaße von Garagentoren, und die Nasenlöcher wirkten wie Eisenbahntunnels. Aus der Schulter wuchsen zwei gewaltige Flügel, die aber zusammengefaltet und eng am Körper lagen. Sie hatten kurz zuvor das Rauschen erzeugt. »Ich pfeife auf deine Vorschläge, Plattfuß. Warum sollte ich ausgerechnet ein paar Toten Leben einhauchen, damit sie ihre stinkenden, verwesten Leiber in der Gegend herumschleppen und alte Weiber erschrecken? Was versprichst du dir davon?« »Tod und Verderben, edler Belial«, antwortete eine hellere Stimme anstelle des Riesen. Belial senkte den Kopf, schaute 7
zwischen den Beinen des Riesen hindurch. Er erkannte einen hageren Mann mit eisgrauem Bart und ebensolchen Augen. Er war in ein langes, dunkelblaues Gewand gekleidet, auf dem schwarzmagische Zeichen und Symbole aufgestickt waren. »Was willst du, Wicht? Du bist wie ein Floh im Fell eines Hundes.« Belial schaute zu dem Riesen auf. »Seit wann gibst du dich mit Ungeziefer ab, Plattfuß?« »Hör dir an, was er zu sagen hat, Eiterpustel. Und dann kannst du immer noch entscheiden, ob er als Ungeziefer anzusehen ist.« Belial stieß prustend die Luft aus und überschüttete den Bärtigen mit einem Schwall Eitersekret. Der Eisgraue schüttelte sich, wandte sich ab und würgte. »Könnt Ihr eure Körpersäfte nicht woanders versprühen, großer Belial?« fragte er angewidert. »Du nimmst dir allerhand heraus, Unwürdiger!« zischte der Herr der Skelette. »Komm zur Sache, ehe ich dir meine Wachtposten auf den Hals hetze und mir aus deinen Knochen einen Fußschemel fertigen lasse!« Der Graubart verneigte sich und rieb sich die Hände. »Ich bin Boszorkany, altehrwürdiger Zauberer der Ungarn«, stellte er sich vor. »Ich weiß, wer du bist, Schwätzer! Komm endlich zur Sache!« »Ich sehe, großer Belial, daß Ihr vor Haß buchstäblich sprüht!« Der Zauberer kicherte, als er den Eiter aus Belials Pickeln spritzen sah. »Ein kleines Wortspiel meinerseits, um die Stimmung zu lockern, edler Herr.« »Über derart blöde Witze kann ich nicht lachen, Alter. Ich hab Wichtigeres zu tun, als mir deinen Schwachsinn anzuhören!« »Zum Beispiel denkt Ihr darüber nach, wie Ihr Mark Hellmann beikommen könnt«, sagte der Zauberer leise. Belial sprang auf. »Was geht dich Mark Hellmann an? Dieser Menschenwurm wagte es, sich mir in den Weg zu stellen, also ist es an mir, ihm die Schmach heimzuzahlen. Halt dich aus der Sache raus, Zauberer!« »Wenn ich nun einen Weg wüßte, wie Ihr nicht nur Tod und Verderben über die Menschenwürmer, sondern auch über Hellmann bringen könntet...« Die Augen des Dämons glühten vor Neugierde und Erregung rot auf. Der Magier neigte das graue Haupt. »Es geht um eine Frau. Sie 8
wird eine grausame Horde anführen, um Eure Schreckensherrschaft unter den Menschen vorzubereiten, großer Belial!« Der Pickeldämon musterte den Ungarn lange. »Wie hängt das mit Mark Hellmann zusammen?« Der Ungar begann zu erzählen. Je länger er sprach, desto intensiver wurde das Glühen in Belials Augen. Was er hörte, gefiel ihm. »Ihr werdet ihm den Verlust Eures Armes heimzahlen können, großer Belial. Tausendfach! Er wird Eurer Rache ausgeliefert sein. Von hier aus wird er sämtliche Stationen der Hölle durchlaufen, und erst am Schluß kann Mephisto Hand an ihn legen.« Belial stöhnte. »Jaaa, das klingt gut. Phantastisch.« Ruckartig schoß sein Kopf nach vorn. »Wenn es funktioniert.« »Ich habe kaum Zweifel daran. Mein großer Freund Utgardaloki könnte die Beschwörung natürlich selbst vornehmen, aber er möchte, daß Ihr Eure ganze Verschlagenheit und das Gift Eurer Eitersekrete in die Beschwörung legt, großer Dämon. Gemeinsam werden wir den Menschen die Hölle auf Erden bereiten, und Ihr werdet Euren Triumph auskosten. Und Mephisto wird stolz auf uns sein. Unendlich stolz!« »Auf uns?« »Natürlich nur auf Euch, großer Belial«, verbesserte der Ungar eilig. Diese Aussicht allein war genug Ansporn für Belial, sich auf den Handel einzulassen. Aber eine Frage hatte er noch. »Was ist für dich drin, Zauberer? Ich denke, du hättest dir nicht die Mühe gemacht, den Plattfuß als Unterstützung für dich mitzubringen, wenn du nicht auf irgendeinen Profit scharf wärst.« »Wir werden wieder herrschen«, erklärte Utgardaloki grollend. Seine Stimme klang wie ein gewaltiges Reibeisen. »Wenn das höllische Heer Tod und Verderben unter die Menschen gebracht hat, werde ich ein neues Riesengeschlecht gründen. Grausamer, stärker und unnachgiebiger als jemals zuvor. Ein neues Zeitalter der Thurs, der furchtbaren Riesen, wird anbrechen!« Belial brach keine Entscheidung übers Knie. Er setzte sich und dachte nach. Wog das Für und Wider ab. Bedachte vor allem, wo die Risiken für ihn selbst lagen. Er hatte keine Lust, erneut gegen Mark Hellmann anzutreten und dabei womöglich den Kopf zu verlieren. Die Schlacht auf dem Oybin, als er den Höllenritter 9
Balthasar im Zweikampf gegen Mark Hellmann unterstützt und dabei einen Arm verloren hatte, steckte ihm noch immer in den Knochen (Siehe MH11!). »Also gut«, erklärte er schließlich. »Ich mache mit. Aber wenn die Sache in die Hosen geht, sind es nicht meine Hosen, die stinken. Ist das klar?« Der Ungar verneigte sich. Utgardaloki grunzte, daß die Höhlenwände erzitterten. »Und ihr informiert Mephisto. Ich hab keine Lust, ihm lang und breit zu erklären, was wir vorhaben. Er hat sowieso wieder verteufelt viel daran auszusetzen, weil es nicht seine Idee war.« Auch diesmal stimmten die beiden Besucher zu. »Gut. Laßt mich jetzt allein.« Der Dämonengott drehte sich um, stapfte zum Ausgang und knallte prompt mit dem Kopf gegen einen dicken Stalaktiten. Sein wütendes Gebrüll schüttelte Belial auf seinem Podest durch und ließ die Knochen wackeln. Ein weiterer Tropfstein brach durch die Erschütterungen ab und verfehlte den Dämon um Haaresbreite. »Maul halten, Plattfuß!« schrie Belial. »Du demolierst mir meinen Thronsaal!« Der Magier wieselte neben dem Riesen her, sprang hoch und klammerte sich an seinem Stiefelschaft fest. »Und laß meine Wächter in Ruhe!« brüllte Belial den beiden nach, aber es war bereits zu spät. Die beiden Skelettwächter bekamen die ganze Wut des Dämonengottes zu spüren. Vor der Höhle breitete Utgardaloki seine Schwingen aus. Wieder brauste Sturmwind durch die Höhle und übertönte das Geklapper der Skelette, die ihre Knochen zusammensuchten. * Vor wenigen Wochen hatte die Mordserie begonnen; jedenfalls vermutete man bei den vier Taten einen Zusammenhang. Eine Stripperin in Frankfurt, ein Callgirl in Ludwigshafen und eins in Darmstadt sowie eine Frau in Mannheim, die nicht dem Milieu angehörte, waren ermordet worden. Die Mannheimerin war ihrem Mörder in einer Kneipe begegnet und hatte ihn mit nach Hause genommen. Die Ermittlungen der Mannheimer Kripo liefen auf Hochtouren, 10
aber bis jetzt lagen keine konkreten Ergebnisse vor. Zwei der Frauen waren erstochen und verstümmelt worden. Auf einem Kassettenrecorder und einem Anrufbeantworter hatte sich der Täter verewigt. Mit einem Tarzanschrei! Die beiden anderen Frauen waren ebenfalls auf sehr bizarre Art gestorben. In beiden Fällen hatte der Täter die Worte Hure! und Rabenmutter! an die Wand geschrieben. Mit dem Blut der Opfer. Alle vier Frauen hatten vor ihrem Tod entsetzlich gelitten... Eine Polizeipsychologin war es, die die vier Morde einem einzigen Täter zuordnete. Laut Täterprofil war der Mann schizophren und vereinigte mehrere Persönlichkeiten mit verschiedenen Beweggründen in sich. Man ging davon aus, daß zumindest in zwei Fällen das Tatmotiv im Haß des Täters auf seine Mutter zu suchen war. Tagelang gingen Kripobeamtinnen im Rhein-Main-Gebiet auf die Straße, übernahmen die Rollen potentieller Opfer, wanderten am Straßenstrich und an den Rotlichtvierteln umher und hofften so, den Killer aus der Reserve zu locken. Die Mühe war vergebens. Einschlägig vorbestrafte Sexualtäter wurden vernommen, Alibis überprüft, Labortests durchgeführt. Ohne Erfolg. Der unheimliche Frauenmörder schien wie vom Erdboden verschluckt. Dann schlug er wieder zu! Eine Bardame in Mannheim und ein Callgirl aus Weinheim wurden grausam ermordet. Und wieder verliefen alle Spuren im Sand. Aus anderen Polizeidirektionen wurden Beamtinnen zur Unterstützung abgestellt. So auch Tessa Hayden aus Weimar. Gleich nach ihrer Ankunft wurde sie Kirstin Martinek einer jungen Kommissarin von der Fahndung, zur Seite gestellt. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb. Kirstin war sechsundzwanzig, ausgesprochen hübsch und hatte langes, blondes Haar. Sie hatte sich ihren Platz in dieser Männerdomäne erkämpfen müssen. Und sie hatte Erfolg. Die beiden Frauen waren an diesem Abend zum Dienst im Jungbusch, dem Mannheimer Rotlichtbezirk, eingeteilt. Sie hatten sich entsprechend ausstaffiert und schlenderten nun die Lutrinastraße entlang. Nicht weit entfernt blinkten die Leuchtreklamen der Oben-ohne-Bars und Stripschuppen. Leicht bekleidete Prostituierte kreuzten argwöhnisch dreinblickend den 11
Weg der beiden Neulinge. Der Konkurrenzkampf auf dem. Strich war hart. »Wieviel?« fragte da eine Stimme hinter Kirstin. Die junge Frau drehte sich um und starrte in das von Aknenarben entstellte Gesicht. »Kommt drauf an, was du willst, Süßer.« »Das Übliche.« Kirstin zuckte mit den Schultern. Der Bursche gefiel ihr nicht. Er hatte etwas Furchteinflößendes an sich. »Ich brauch aber erst mal nen Drink«, behauptete Kirstin. »Kommst du mit auf einen Piccolo?« Der Pomadierte willigte ein. Kirstin hakte sich bei ihm unter und führte ihn zur Pigalle Bar. Der Wirt war eingeweiht und hielt ein Separee für Kirstin bereit. Tessa beobachtete, wie Kirstin und ihr Freier in der Bar verschwanden. Langsam schlenderte sie auf die andere Straßenseite hinüber. Sie würde ihren Weg bis zu dem unbeleuchteten Parkplatz fortsetzen und dann kehrtmachen. Der Tarzanschrei erklang, als sie die dunkelste Stelle erreicht hatte. Sofort spannten sich ihre Muskeln. Sie schaute sich aufmerksam um, aber nichts rührte sich. Wieder drang der Schrei zu ihr herüber. Und dann die Worte »Jane! Meine geliebte Jane!« Tessa stellten sich die Nackenhaare auf. Ihre Hand tastete nach der Handtasche, in der sich ihre Pistole befand. »Tarzan ist gekommen, um dir seine Liebe zu beweisen!« Sie ließ ihren Blick wandern, konnte jedoch niemanden sehen. Sie war auf dem dunklen Parkplatz allein mit einem irren Killer! Mit wenigen Schritten hastete Tessa unter eine Straßenlaterne, um wenigstens der Dunkelheit zu entrinnen. Plötzlich stand er da. Wie aus dem Boden gewachsen! Tessa stieß einen spitzen Schrei aus und wich zurück. Im Schein der Straßenlaterne konnte sie den Mann genauer betrachten. Er war noch jung und machte einen unsicheren Eindruck. Er trug Jeans und eine dunkle Jacke. Das lange Haar fiel auf die schmächtigen Schultern. »Ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte er leise. »Es tut mir leid.« »Schon gut«, murmelte Tessa. »Ist ja nichts passiert.« »Sie sollten nicht so allein hier rumspazieren. Wo sich doch der 12
Frauenmörder hier rumtreibt.« »Haben Sie eben so geschrien?« Er blinzelte verwirrt. »Wie? Nein.« Die Fahnderin holte tief Luft. Vielleicht hatte sie doch den Killer vor sich. Sie setzte alles auf eine Karte. »Hör zu, Schätzchen. Entweder sagst du, was du willst, oder du zischst in den Wind.« Der Mann ließ seinen Blick zu ihrem nackten Bauch wandern. »Wenn man so freizügig rumläuft wie Sie, zieht man das Unheil magisch an«, flüsterte er. »Meine Klamotten gehen dich einen Scheißdreck an, Kleiner. Wenn du keinen Bock hast, dann verpiß dich!« »Machst du es im Wagen?« fragte er schüchtern. »Nee. Hab ein Zimmer ganz in der Nähe.« »Wieviel?« »Hundert. Ne Stunde mit allem Drum und dran - dreihundert.« »Ich nehm die - Stunde.« Tessa nickte. »Wirst es nicht bereuen.« Sie legte einen Arm um seine die Schultern. »Ich heiße Tessa. Und du?« »Tar... Thomas«, verbesserte er sich. Tessa führte ihn in den Hauseingang neben der Pigalle Bar. Hier befanden sich im zweiten Stock einige Stundenzimmer, die zur Bar gehörten. Auch Kirstin würde später ihren Verehrer in eines der Zimmer schleppen, um sich eingehend mit ihm zu befassen. Tessa stieß die Zimmertür auf und schob den Freier in den Raum, ehe sie das Licht anknipste. Das Zimmer war spartanisch eingerichtet. Ein Bett, ein Waschtisch, ein Schrank und ein tragbarer Fernseher mit Videogerät. Tessa schloß die Tür hinter sich und sagte: »Dann wollen wir mal.« Im selben Augenblick ging das Licht aus! * Kirstin hatte mit ihrem Verehrer ein Fläschchen Sekt getrunken, und man war sich nähergekommen. Er hatte zwar andauernd von seiner Mutter gefaselt und die blonde Polizistin mit ihr verglichen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Die Kommissarin erinnerte sich an das Täterprofil und die 13
Theorie, daß der Killer seine Mutter haßte und diesen Haß auf andere Frauen projizierte. Aber noch war nicht sicher, daß ihr Freier Haßgefühle entwickelte. »Gehen wir nach oben?« fragte sie und ließ ihre Hand an seinem Schenkel entlanggleiten. Er nickte. »Du kannst mich Kirstin nennen. Und wie heißt du?« »Jochen.« »Nett. Mein Zimmer ist hinten links.« Als sie die Tür im zweiten Stock aufgedrückt hatte, erhielt sie einen derben Stoß in den Rücken und taumelte in den Raum. »He, was soll die Scheiße?!« fauchte sie. »Ist das alles, was du zu sagen hast Mami? Einfach nur nett? Bin ich für dich nicht mehr?« Kirstin lief es eiskalt über den Rücken. Das Spiel entwickelte sich anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Die Lage war ernst. Offenbar hatte sie tatsächlich einen Irren vor sich. »Du erinnerst dich doch an deinen lieben Jungen - Mami? Du hast mich abgeschoben! Du bist eine Hure, Mami! Eine Rabenmutter!!« Bevor Kirstin reagieren konnte, traf sie der Hieb an den Kopf. Sie fiel gegen das Bett und rutschte auf die Knie. Hastig zog sie ihre Handtasche nach vorn und fummelte am Verschluß herum. Sie schaffte es nicht mehr. Der Arm legte sich um ihren Hals, schnürte ihr die Luft ab. Eine Hand nahm ihr die Tasche weg, warf sie durch den Raum. »Willst mir wieder weh tun, was? Willst mir Tränengas in die Augen sprühen, wie? Oder mit einem Elektroschocker rumfummeln... Daraus wird nichts, Mami. Diesmal tust nicht du mir weh, sondern ich dir.« Er zerrte sie hoch, schlug sie erneut und warf sie auf das Bett. Sie sah ihn nur als undeutlichen Schemen. Sie fühlte rauhe Stricke an ihren Handgelenken und trat um sich. Einmal traf sie ihn in die Seite. Mit einem wilden Schrei warf sie sich auf ihn, verfehlte ihn aber im Dunklen und stürzte schwer. Er reagierte brutal. »Du wirst mich nie mehr schlagen, Mami, sondern um Gnade flehen! So wie ich dich angefleht habe!« Sie spürte, wie der Irre sie an das Bettgestell fesselte. Dann 14
wurde das Licht angeknipst. Ein irres Grinsen lag auf dem Aknegesicht. »Ich bin nicht deine Mutter, verdammt!« Kirstin zerrte an ihren Fesseln. »Mach mich sofort los, du Mistkerl.« »Du bist eine Hure, Mami. Schau dich an. Du benimmst dich wie Abschaum. Mich hast du verstoßen, um dich ganz diesen geilen Kerlen zu widmen!« Sie sah das Messer in seiner Hand. »Du wirst Schmerzen verspüren. Genauso wie ich!« Kirstin schrie und trat nach ihm, verfehlte ihn jedoch. Er lachte nur dreckig. »Erst wenn ich deine Tränen sehe, werde ich gnädig mit dir sein - Mami!« »Ich bin nicht deine Mutter, du Idiot!« Lössings Hand schoß vor und legte sich um Kirstins Kehle, als schien er ihren Protest nicht gehört zu haben. Die Messerklinge näherte sich Kirstins Mund. Der Druck um ihren Hals verstärkte sich. Sie schloß die Augen. »Ich bin Polizistin!« Die Worte hallten in Lössings Ohren wider. Gruben sich tief in sein Gehirn. Polizistin! Polizistin!! »Scheiße!« brüllte er, richtete sich auf und starrte Kirstin an. Schweiß perlte auf ihrer Stirn. »Du hast mich reingelegt, du Luder! Ihr alle habt mich reingelegt! Aber nicht mit mir. Du bist wie meine Mami, und dafür wirst du bezahlen. Aber nicht jetzt und nicht hier.« »Sie haben keine Chance, Mann. Meine Kollegen sind bereits auf dem Weg!« »Du bist meine Chance!« Lössing kippte den Inhalt ihrer Handtasche auf das Bett. Die Pistole schob er in den Hosenbund und ließ die Handschellen um Kirstins Handgelenke schnappen. »Wir machen eine kleine Spazierfahrt, Süße. Los, hoch mit dir!« Er packte sie am Haar und zerrte sie mit sich zur Tür. Die Messerklinge lag dicht an ihrem Hals. Auf dem Flur hörten sie aus einem anderen Zimmer ein dumpfes Poltern und ein infernalisches Gebrüll. Lössing kannte die Stimme. Sie gehörte seinem Kumpel! »Thomas! Wo bist du?« brüllte er. Ein Tarzanschrei war die Antwort. Etwas Schweres krachte gegen die Tür. Sie flog auf, und zwei Gestalten krachten gegen 15
die Wand. Tarzan hielt sein Messer in der Hand und versuchte, sich aus dem Griff der brünetten Frau zu befreien. »Gib ihn frei, oder die Hure wird dran glauben!« zischte Lössing. Tessas Kopf ruckte herum. Sie sah die bedrohliche Lage, in der sich Kirstin befand, und ließ Thomas Schulte los. »Du bist sicher auch von der Polente«, vermutete Lössing. »Na prima. Da haben wir uns ja zwei schöne Vögel ins Nest geholt. Hol dir ihre Kanone aus der Handtasche und leg ihr die Fesseln an«, befahl er seinem Kumpan. Tessa reagierte blitzschnell. Sie stieß Schulte beiseite, warf sich ins Zimmer, auf ihre Handtasche und riß sie auf. Ihre Finger umklammerten das Funkgerät. »Zugriff!« brüllte sie in die Sprechmuschel, bevor Schulte über ihr war. »Polizei! Stehenbleiben!« brüllte eine Stimme. Die beiden Irren hielten ihre Geiseln fest an sich gepreßt und verharrten auf der Stelle. »Lassen Sie die Frauen frei und legen sie die Hände auf den Kopf! Sofort!« Lössing grinste. »Die beiden werden uns begleiten. Und ihr haltet euch hübsch zurück.« »Damit kommen Sie nicht durch, Mann. Geben Sie auf!« Die beiden kapitulierten nicht, flohen mit ihren Geiseln. Verfolgt von mehreren Einsatzfahrzeugen. * Zur selben Zeit flimmerte, knapp hundert Kilometer weiter, in der Steinalb die Luft. Schlagartig verstummten die Vögel, deren Gezwitscher die ersten Frühlingstage angekündigt hatten. Die Tiere spürten, daß Unheil drohte. Am Fuß eines Steilhanges materialisierte eine massige, mit eitrigen Pusteln übersäte Gestalt! Belial war in diesem Teil des Pfälzer Waldes erschienen, um seinen giftigen Eiter zu versprühen und eine Armee des Schreckens zum Leben zu erwecken. Leise, kaum hörbar, setzte er seine Schritte. Er schob sich durch den Wald und näherte sich einer kleinen Öffnung im Fels 16
weit oberhalb des Hangs. Hier, in dieser Höhle, würde es beginnen. Belial mußte sich bücken, um die Höhle betreten zu können. »Da lobe ich mir meinen Palast«, brummte er. »Hier ist es mir viel zu ungemütlich. Wie kann man nur in so einem Loch hausen? Aber meine Sorge soll das nicht sein. Soll sich das Weibsbild bei Plattfuß und dem Ungarn beschweren!« Die Grotte war stockdunkel. Der Weg führte steil bergab, um dann in eine riesige Halle zu münden, von der mehrere Wege abzweigten. Belial benötigte keine Fackel oder Lampe, um in der Höhle sehen zu können. Zielstrebig schritt er in den hinteren Teil der Halle. An einer bestimmten Stelle blieb er stehen. Er breitete seinen gesunden Arm über dem Boden aus, spreizte die Wurstfinger. Murmelte schwarzmagische Beschwörungsformeln, zerdrückte anschließend einige dicke Pusteln und schleuderte das klebrige, stinkende Eitersekret über den Boden. Dicke, weiße Tropfen klatschten in den Staub, vereinigten sich zu einer Pfütze, liefen auseinander und versickerten in schmalen Spalten und Ritzen. Belial hatte seine Aufgabe vollbracht. »Erhebe dich!« flüsterte er. »Führe die Armee des Schreckens! Ebne mir den Weg, damit ich meine Herrschaft über dieses Land ausdehnen kann, bevor Mephisto es tut. Und erledige Mark Hellmann! Dann wird auch deine Macht grenzenlos sein, Weib!« Der Dämon zog sich aus der Höhle zurück. Sein Körper ging in das kaum sichtbare Flimmern über und löste sich auf. Der nächtliche Wald lag wie unberührt da. Alles schien wie zuvor. Das Unheil schien gewichen zu sein. Und doch rührte sich kein Tier der Nacht, und kein Vogel zwitscherte in die abendliche Ruhe hinein. Es herrschte Stille. Todesstille... * »Wohin fahren wir eigentlich?« fragte Thomas Schulte und strich Tessa mit der Spitze seines Hirschfängers über die Wange. Lössing zuckte die Achseln. »Laßt euch überraschen. Jetzt kriechen wir erst mal bei meinem Vetter Wilfried unter. Dort 17
vermutet uns kein Schwein.« »Die kriegen euch«, sagte Tessa. »Und dann geht's wieder ab in die Geschlossene.« Schlagartig verstummte Lössing und hieb auf das Lenkrad. »Das sieht dir ähnlich, Mami! Du willst mich wieder abschieben. Aber dein kleiner Jochen läßt nicht mehr alles mit sich machen. Er geht nicht mehr ins Heim! Nie mehr!« Tränen der Wut kullerten über seine Wangen, während er auf das Steuer schlug. »Schauen Sie lieber auf die Straße, sonst ist Ihre Reise schneller beendet, als Sie es sich wünschen«, gab Kirstin kalt zurück. »Was habt ihr mit uns vor?« fragte Tessa. »Ihr werdet uns noch eine Weile Gesellschaft leisten.« Der Chevrolet raste über die A 6 und wechselte hinter Kaiserslautern auf die A 62. An der Ausfahrt Kusel verließ Lössing die Autobahn und jagte auf Landstraßen durch das Pfälzer Bergland. Er kannte sich dort hervorragend aus, und schon nach wenigen Kilometern gelang es ihm, die Verfolgerfahrzeuge abzuhängen. Tarzan/Schulte legte Tessa eine Hand auf die Brust. »Wir werden uns prächtig verstehen, Jane. Wir werden ein Leben wie im Paradies führen. Oder willst du etwa nicht?« »Doch«, stieß sie hervor. »Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.« Zufrieden lehnte sich der Irre zurück. »Ich bin ein Glückspilz, Jochen. Sie ist die Richtige, wie die Jane in den Geschichten. Und wie meine Regina, die ich immer noch in meinem Herzen trage.« Wehmut schwang in seiner Stimme mit. Lössing ließ Kusel links liegen und fuhr durch kleine Ortschaften. Vorbei an Bauernhöfen und Misthaufen, an Landgasthöfen, die längst geschlossen hatten. Der Wagen erreichte Rathsweiler. Lössing folgte der Hauptstraße bis fast zum Ortsausgang, bog dann rechts ab, danach zweimal links und hielt vor einem Zweifamilienhaus. Er ließ die Scheinwerfer an, schwang sich aus dem Wagen, durchquerte einen Vorgarten und klingelte an der Haustür. Er mußte noch zweimal auf den Klingelknopf drücken, bevor im Obergeschoß Licht angeknipst wurde. Gleich darauf öffnete sich die Haustür. Lössing stand einem verschlafen dreinblickenden Langhaarigen 18
gegenüber. »Hallo, Wilfried«, grüßte er und legte ein breites Grinsen auf. »Das ist eine Überraschung, was?« Wilfried rieb sich die Augen. »Joh!« kam die kurze Antwort in breitestem Pfälzer Dialekt. »Scheinst ja nicht gerade begeistert zu sein, mich zu sehen, Vetter!« »Mitten in der Nacht«, brummte Wilfried. »Bin hundemüde.« Lössing hieb ihm die Hand auf die Schulter, daß Wilfried zusammenzuckte. »Will dich auch nicht lange stören. Hab ein paar Leutchen dabei. Wollen hier ein paar Tage ausspannen. Sag mal, habt ihr die kleine Hütte noch? Du weißt schon, wo wir als Jungs immer rumgekrochen sind.« Wilfried zuckte die Achseln. »Ach - joh«, meinte er. »Können wir dort ein paar Tage bleiben?« Der Fünfundzwanzigjährige holte tief Luft, blies die Backen auf und nickte ergeben. Lössing verlor allmählich die Geduld. »Darf ich dann um den Schlüssel bitten?« Wilfried schüttelte den Kopf. »Nö. Ist offen.« »Danke, Alter. Und erzähl nicht gleich überall rum, daß ich hier in der Gegend bin. Hab keine Böcke auf Kaffeekränzchen mit Onkeln und Tanten, kapiert?« »Joh!« Lössing winkte seinem Cousin zu, rannte zum Wagen und brauste durch die stille Straße davon. Bekam nicht mehr mit, wie sich Wilfried die Augen rieb und ihm kopfschüttelnd nachschaute. »Blödmann«, brummte der Pfälzer und knallte die Haustür zu. Lössing fuhr auf Schleichwegen durch die Steinalb und bog schließlich in einen schmalen Feldweg ein, der zwischen dichten Büschen und unter Bäumen dahinführte. Erste Knospen und Triebe waren an den bislang kahlen Ästen zu sehen. In einer Buschgruppe brachte Lössing den Wagen zum Stehen. Die Frauen wurden nach draußen gezerrt. Kirstin schaute zum Himmel. Wolkenfetzen zogen träge vor einem Halbmond dahin. Es war unangenehm kühl. »Los, wir müssen dort rüber!« Lössing deutete zum Waldrand. Die kleine Gruppe tauchte in den nächtlichen Wald ein, folgte einem schmalen Pfad, der sanft nach unten führte. Nach einer guten halben Stunde Fußmarsch gelangten sie in eine Schlucht. Zerklüftete Felswände ragten zu beiden Seiten auf. Dazwischen 19
wuchsen verkrüppelte Bäume, vereinzelte Sträucher. Lössing fand einen breiten Wanderweg, der in die Höhe führte. Es sah aus, als hätte hier ein Gigant der Urzeit gewaltige Felsquader wahllos übereinander geworfen. Das Gestein war stellenweise glitschig, an anderen Stellen mit Winterlaub bedeckt, das unter den Schritten raschelte. Der Aufstieg war mühsam. »Ich hab gedacht, wir wollen zu einer Hütte«, wunderte sich Tessa, als sie die Höhle erkannte. »Keine Sorge. Diese Unterkunft ist für euch gut genug«, erklärte Lössing. »Los, rein da!« Kirstin und Tessa krochen hinein. Lössing folgte ihnen. Er hatte eine Taschenlampe aus seiner Jacke gezogen und leuchtete den Frauen. Sie gelangten in eine Tropfsteinhöhle. Lössing trieb die beiden Frauen zwischen die Stalaktiten. »Stellt euch Rücken an Rücken!« befahl er und fuchtelte mit der Pistole herum. »Wollen Sie uns etwa aneinanderketten? Das dürfen Sie nicht!« protestierte Kirstin. »Halt's Maul, du Hure!« Lössing fesselte die Hände der beiden Frauen aneinander. »Jetzt siehst du, wie man sich als Gefangener fühlt, Rabenmutter.« Er wandte sich ab. »Angenehme Nachtruhe. Vielleicht kommt dich ja nachher der Sandmann besuchen.« Lachend entfernte sich der Psychopath. Schulte blieb vor Tessa stehen, ließ seine Hände über ihren schlanken Körper gleiten, legte seinen Kopf an ihre Schulter und flüsterte: »Tarzan kommt zurück. Bald schon.« Dann entfernten sich auch seine Schritte. Wenig später war noch sein Urwaldschrei zu hören. Dunkelheit senkte sich über die Frauen und Stille, bis dieser merkwürdige Laut zu vernehmen war. Es klang, als würden Steinplatten gegeneinander gerieben. Dumpfes Stöhnen und Ächzen ertönte. Die beiden Frauen erstarrten. Eine Gänsehaut kroch ihnen über den Rücken. Sie wußten, sie waren nicht mehr allein! Die beiden Psychopathen hatten sich in die kleine Hütte zurückgezogen. Ein Tisch und zwei grob gezimmerte Bänke waren 20
das einzige Mobiliar. Auf dem Hüttenboden lag trockenes Laub, das der Wind zur Tür hereingeweht hatte. Gemütlicher als in der feuchten Höhle war es allemal. Lössing war sicher, daß man sie hier nicht so schnell aufstöbern würde. Er fand keine Ruhe. Spazierte auf und ab, rauchte eine Zigarette nach der anderen und dachte an die blonde Polizistin. Nie zuvor hatte er eine Frau getroffen, die ihn so stark an seine Mutter erinnerte. Ihre Ausstrahlung, die Stimme, die ganze Art machten einen gewaltigen Eindruck auf ihn. Für ihn war diese Polizistin das Objekt seines Hasses - und seiner Begierde. Dabei war es völlig unerheblich, ob sie tatsächlich Polizistin war. Er war vielmehr davon überzeugt, daß sie ihn angelogen hatte und in Wirklichkeit doch die Bordsteinschwalbe war, für die sie sich ausgegeben hatte. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er streifte seine Jacke über und zog die Tür auf. »Bin gleich wieder da«, brummte er und verschwand in der Nacht. Schulte sah seinem Freund nach. Verlangen glitzerte in seinen Augen. »Der legt jetzt bestimmt die blonde Hure flach«, murmelte er. Lange saß er am Tisch, den Kopf auf die Hände gestützt, und malte sich die schönen Momente aus, die er mit seiner geliebten Jane erleben würde. Wohlgefühl erfüllte ihn. Doch immer wieder tauchte dazwischen ihr wütender Gesichtsausdruck auf, als sie sich in der Absteige in Mannheim gegen ihn gewehrt hatte. Zweifel überkamen ihn, ob sie es wirklich wert war, mit Jane und Regina verglichen zu werden. Die Gesichter der drei Frauen führten vor seinem geistigen Auge einen wilden Reigen auf. Er wußte nicht mehr, was er glauben sollte. Von draußen war lautes Stöhnen zu hören. Sein Kopf ruckte hoch. Jetzt erst fiel ihm die Stille ringsum auf. Kein knackender Zweig, kein Ruf eines Nachtvogels. Nichts. Wieder erklang das unheimliche Stöhnen. Der kalte Finger der Angst kroch ihm über den Rücken. Dabei war Schulte kein Angsthase. Fühlte sich wie der große, starke Dschungelheld und verließ sich auf sein Messer. Er stapfte zur Hüttentür. Als das grauenhafte, dumpfe Stöhnen zum dritten Mal ertönte, verließ er die Hütte und ging in die Richtung, aus der das Geräusch erklungen war. Er hatte eine 21
Stablampe mitgenommen und bewegte sich so leise wie möglich. »Bist du das, Jochen?« rief er halblaut in den Wald. Stille antwortete ihm. Thomas Schulte gelangte auf einen von dichten Büschen und hohen Bäumen gesäumten Waldweg. Folgte ihm ein Stück, kehrte dann aber um. Als er sich der Hütte näherte, raschelte es im Wald. Und fast gleichzeitig erklang wieder der dumpfe Stöhnlaut. Tarzan/Schulte brach durch die Büsche, stolperte über aufgeworfene Erde, schaute zu Boden und richtete den Lampenstrahl auf das vermeintliche Hindernis. Weit riß er die Augen auf. Der Atem stockte ihm. Der Irre lernte das Grauen kennen! Der Boden wölbte sich unter ihm. Entsetzt machte er einen Satz zur Seite. Erdklumpen wurden aufgeworfen. Der junge Mann traute seinen Augen nicht. Was er im Lichtkegel der Stablampe zu sehen bekam, schien eine Szene aus einem Horrorcomic zu sein. Unwirklich, unglaublich. Und doch wahr. Eine blasse, dürre Hand durchstieß den Waldboden. Erde und Laub klebten an der dünnen Haut, die sich über den Fingerknochen straffte. Die lederartige Haut glänzte feucht. Der Irre drehte sich um. Ringsum wölbte sich der Waldboden nach oben, brach das Erdreich auf. Ein menschlicher Körper setzte sich auf. Der Irre starrte auf eine helmähnliche Kappe, deren Krempen hochgeklappt wären. Darunter lag ein bleicher, mumifizierter Totenschädel. Der Mund war zu einem starren Grinsen verzogen. Die beiden Zahnreihen blinkten matt. Ächzend erhob sich die klapperdürre Gestalt, wankte einen Augenblick und bückte sich. Sie brachte ein matt blinkendes Krummschwert zum Vorschein. Der irre Schulte wirbelte herum und prallte gegen einen weiteren Untoten, der hinter ihm aus dem Boden gekrochen war. Kalte Klauenhände suchten seinen Hals, drückten erbarmungslos zu. Schulte riß ein Bein hoch, rammte dem Knochenmann sein Knie in den Unterleib. Es knirschte laut, aber der Untote empfand nicht den geringsten Schmerz. »Scheiße!« krächzte der Irre. Dann hieb er mit der Stablampe mitten in die grinsende Totenfratze. Der Untote gurgelte und ließ Thomas Schulte los. 22
Der junge Mann stieß die Schreckensgestalt zur Seite, taumelte zwischen den Büschen hindurch und gelangte auf den Waldweg. Ohne zurückzuschauen, hastete er auf die kleine Hütte zu. Er kam nur wenige Schritte weit. Zwei Untote stolperten ihm in den Weg und hoben drohend die Krummschwerter. »Nein! Laßt mich in Ruhe, verdammt! Ich hab euch nichts getan!« Schulte zückte den Hirschfänger und hackte auf die Unheimlichen ein. Endlich war er wieder in seinem Element. Er verstand zwar nicht, warum kein Blut aus den tiefen Wunden drang, die sein Messer riß, aber es war ihm auch egal. Er, Tarzan, würde diesen Bestien schon zeigen, wer der Herr des Waldes war. Schaurig hallte der Urwaldschrei zwischen den Bäumen auf. In seinem Wahn war Schulte überzeugt, daß die Kreaturen des Waldes seinem Schrei gehorchen würden. Doch die Knochenmänner reagierten nicht. Im Gegenteil. Immer mehr Untote zogen einen Kreis um ihn. Er wirbelte herum, um vor ihnen zu fliehen. Ein rasender Schmerz durchzuckte dabei seinen Körper. Suchte sich einen Weg durch die Eingeweide, erfüllte seine Brust. Verständnislos starrte er auf den Zombie vor ihm. Dann senkte er den Blick und sah den Schwertgriff aus seinem Leib ragen. In plötzlichem Verstehen kroch die Hand des jungen Mannes nach hinten, fühlte die Klinge, die aus seinem Rücken ragte. Fühlte das warme Blut auf dem kalten Metall. Er schmeckte Blut in seinem Mund. Umklammerte den Griff des Krummschwertes und brach in die Knie. »Warum?« flüsterte er gurgelnd. Ein Blutschwall schoß über seine Lippen. Er starb, ohne eine Antwort erhalten zu haben. * »Wir müssen uns gegenüberstehen«, flüsterte Tessa. »Dann sind wir beweglicher.« »Und wozu soll das gut sein?« fragte Kirstin. »Du bist etwas kleiner als ich. Und etwas schwerer. Du beugst dich vor, und ich rolle mich über deinen Rücken hinweg. Danach setzt du dich hin und ziehst die Arme unter dem Körper 23
hindurch.« »Klingt verdammt einfach«, sagte Kirstin. »Aber ist ziemlich kompliziert.« »Wir beide kriegen das schon hin.« Sie versuchte, nicht mehr an die schabenden Geräusche zu denken, die sie vor wenigen Augenblicken gehört hatte. Wollte sich beeilen, ihre mißliche Lage etwas zu erleichtern. »Auf drei!« sagte sie und begann zu zählen. Kirstin warf den Oberkörper nach vorn. Tessa stieß sich kräftig ab und rollte über den Rücken der Kollegin. Der Schwung reichte nicht aus, doch die beiden Frauen versuchten es immer wieder. Bald lief ihnen der Schweiß in Strömen über den Körper. Die Schweißtropfen zogen dicke Schlieren in den staubigen Gesichtern. »Und auf drei!« rief Tessa erneut. Sie ging tief in die Knie, schnellte sich hoch, rollte über Kirstins Körper hinweg und kam vor ihr auf. Tessa hatte darauf geachtet, Kirstin nicht die Arme auszukugeln. »Ja!« rief sie. »Prima! Und jetzt runter auf den Boden!« Mit vereinten Kräften und unter gewaltigen Anstrengungen gelang es ihnen, Kirstins Hände unter ihrem Körper hervorzuziehen. Keuchend lagen sie nebeneinander, lachten befreit auf. »Geschafft«, stieß Kirstin hervor. »Hätte nie gedacht, daß es klappt.« »So, jetzt sehen wir zu, daß wir hier abhauen. Wird zwar nicht leicht, so zu laufen, aber immer noch besser, als hier zu versauern.« Sie schlichen vorsichtig auf die Höhlenöffnung zu. Plötzlich traf sie ein greller Lichtstrahl. Geblendet kniffen sie die Augen zusammen. »Wollen wir uns noch ein wenig die Füße vertreten?« fragte Jochen Lössing zynisch. Die Fahnderinnen schrien unwillkürlich auf. Lössing packte sie und zerrte sie zurück. »Ihr wart ganz schön fleißig. Das gefällt mir. Aber gegen mich kommt ihr nicht an.« Lössing stieß sie gegen die Höhlenwand. Er ließ seine Hand langsam über ihr Gesicht und den Hals wandern, faßte dann blitzschnell nach rechts und fetzte Tessas Oberteil auf. »Was soll das?« fauchte Kirstin. »Du hast es doch auf mich 24
abgesehen. Dann laß sie in Ruhe!« »Sie ist ein Flittchen, genau wie du - Mami! Ich hätte gute Lust, dir einen Vorgeschmack von dem zu geben, was dich erwartet. Ich liebe es, wenn mein Freund Tarzan diese billigen Huren bestraft. Dafür, daß sie seine Jane entehrt haben. Und ich liebe es, wenn Schlampen wie du vor Angst wimmern und mich um Gnade anflehen. Sie alle sind überzeugt, meine Mutter zu sein. Aber alle lügen sie, denn du bist meine Mutter!« Kirstin sah den Wahnsinn in Lössings Augen. Der Killer legte seine Hand auf Tessas linke Brust und massierte sie. »Laß sie in Ruhe«, zischte Kirstin. »Du stehst überhaupt nicht auf sie. Laß sie für Tarzan übrig, mein Junge. Nimm dir, was du schon lange haben willst. Greif zu!« Die Finger an ihrer Kehle drückten zu. Er fetzte ihr mit einem Ruck die dünne Bluse entzwei. Zückte ein Messer und schnitt ihr den BH auf. Führte die kalte Klinge an den festen Brüsten entlang. »Ich bestimme, wann du an der Reihe bist - Mami! Ich habe lange auf dich warten müssen, zu lange. Jetzt koste ich jeden Moment aus!« fauchte er. »Die Nacht ist lang; wir haben also viel Zeit.« »Je länger du wartest, desto schneller finden dich unsere Kollegen. Du bist erledigt«, warnte Kirstin ruhig. Sie bewies außerordentlichen Mut im Umgang mit dem Wahnsinnigen. Obwohl ihr die Angst fast die Kehle zuschnürte, gab sie sich kaltschnäuzig und verachtend. »Und wenn schon. Wenn sie mich wieder ins Loch stecken, habe ich wenigstens die Gewißheit, dir all die Schmerzen heimgezahlt zu haben, die du mir zugefügt hast, liebste Mutter!« Er spuckte das letzte Wort förmlich aus. »Du hast keine, Vorstellung davon, wie ich gelitten habe. Ihr werft euch den Männern an den Hals! Was kümmert euch da das Schicksal eines kleinen Jungen? Sollen die Bullen doch kommen, ich habe keine Angst. Aber ihr beide werdet Angst haben. Und ganz besonders du, Mami!« Seine Augen glitzerten fanatisch. Er hob sein Springmesser und wandte sich Tessa zu. Die schlug und trat bereits heftig um sich. Lössing lachte verächtlich und wich ihren Hieben aus. Dann zuckte die Messerklinge vor und ritzte Tessa am Oberarm. »Du hast Feuer im Blut, Schätzchen!« Die Messerklinge näherte sich gerade Tessas Gesicht, als das laute Stöhnen durch die Höhle hallte. 25
»Aaaaahhh!!« Der irre Killer fuhr herum. »Frei! Endlich bin ich frei! Aaahhh!« Lössing legte einen Finger an die Lippen und sprang in die Mitte der Halle. Der Lichtfinger seiner Stablampe schwenkte herum. Er konnte niemanden entdecken. »Hallo?« rief er. »Ist da jemand?« Nur seine Stimme hallte an den Höhlenwänden wider. Achselzuckend drehte er sich um - und sah sie! Sie stand vor ihm. Groß, breitschultrig. Sie trug ein schmutziges, halb verrottetes Wolfsfell um die Hüften. Der Oberkörper war nackt. Die einst vollen Brüste hingen schlaff herunter. Die Haut spannte sich über den Rippenbögen. Auch die sehnigen Beine waren nackt. An den Füßen trug sie Ledersandalen, die bis unter die Knie geschnürt waren. Langes, strähniges, pechschwarzes Haar fiel auf die knochigen Schultern. Im Schein der Lampe war ihr Gesicht eine furchterregende Visage. Mandelförmige Augen, in denen ein dunkelrotes Licht glomm. Eine breite Nase. Hohe Wangenknochen. Ein verzerrter, schmallippiger Mund. »Was willst du hier, Tussi? Hast dich wohl vom Obdachlosenheim abgeseilt, was? Hau ab, bevor ich dir das Licht ausknipse, Alte!« zischte Lössing. Die unheimliche Frau verzog den Mund. Lössing deutete es als Grinsen. »Du wirst mir meine Kraft zurückgeben, Wurm!« dröhnte ihre Stimme. Lössing lachte und hob das Messer. Es geschah blitzschnell. Er kam nicht mehr dazu, sein Messer einzusetzen. Die unheimliche Alte stieß einen schrillen Schrei aus, der in den Ohren schmerzte. Etwas blitzte durch die Luft. Lössing erkannte eine gekrümmte Schwertklinge, spürte einen Schlag am Arm und starrte auf seine Hand und das Messer. Oder vielmehr dorthin, wo seine Hand eben noch gewesen war. Statt dessen befand sich dort jetzt ein Armstumpf, aus dem das Blut spritzte. Auf dem Boden lag die abgetrennte Hand, die immer noch das Klappmesser hielt. Lössing hob den Kopf. Sah die krallenartigen Finger auf sich zurasen. Spürte den dumpfen Schlag am Hals. Den wahnsinnigen 26
Schmerz. Und dann nichts mehr. Hilflos mußten Tessa und Kirstin zusehen, wie sich die Untote am Blut ihres Opfers labte und ihre Finger tief in das Fleisch seines Halses grub. Und allmählich erstarkte die Unheimliche. Lössings Kraft ging in ihren Körper über. Muskeln wuchsen, Sehnen strafften sich. Die Brüste wurden wieder groß und fest. Sie hob den Kopf, richtete sich auf, zog eine mächtige Keule aus einer Vertiefung im Boden und stand mit wenigen Schritten vor Kirstin und Tessa. »Mit euch beiden befasse ich mich später, meine Täubchen. Ihr dürft meine Männer erfreuen. Sie haben lange darauf warten müssen!« Sie lachte und hob die Keule. Die beiden Gefangenen schrien, als der schwere Knüppel auf sie niedersauste... * Ich hatte eine arbeitsreiche Woche hinter mir. Für die Weimarer Rundschau war ich auf mehreren Veranstaltungen, die anläßlich des Kulturstadtjahres jetzt noch zahlreicher waren als sonst. Hinzu kamen die Artikel über meinen Einsatz in der Weimarer Kanalisation, wo ich zwei gefährliche Lindwürmer vernichtet und die völlige Zerstörung meiner Heimatstadt verhindert hatte. Der Rummel um meine Person paßte mir zwar nicht, aber jetzt rollte wieder mal der Rubel. Tessa beendete an diesem Nachmittag einen Job im Südwesten und würde erst nach acht in Weimar ankommen. Wir wollten dann zusammen ins Kino. Spätvorstellung. Ich hatte den ganzen Morgen in der Redaktion verbracht, war am Nachmittag in meine Wohnung im Weimarer Westen gefahren und hatte relaxt. Prompt war ich eingeschlafen. Als ich erwachte, knurrte mein Magen. Ich duschte und schob eine Portion Tiefkühlfutter in die Mikrowelle. Nur gut, daß meine Mutter nichts davon mitbekam. Bei ihr mußte alles frisch sein. Recht hatte sie, aber wer sollte mir immer kochen? Mit vollem Magen und Bauchschmerzen schleppte ich mich zum Sessel, machte das Radio und dachte an Tessa und das, was wir 27
nach dem Film anstellen würden. Zwischenmenschlich. Schließlich hatten wir uns »lange« nicht gesehen. »Daraus wird nichts, Träger des Rings!« dröhnte aus den Lautsprechern eine sonore Stimme. Ich riß die Augen auf. Die Musik war verstummt. Dafür hörte ich ein fröhliches Lachen. »Habe ich dich aus deinen Träumereien gerissen, Herr Markus? Das tut mir leid. Ich würde auch lieber von holden Jungfrauen träumen, als mich mit finsteren Gesellen herumschlagen.« Das haute den stärksten Dämonenjäger um! Der Kerl, wer immer er auch war, kannte meine Träume! Ich sprang auf, schaute mich im Zimmer um. Erwartete, eine Geistergestalt oder eine magische Nebelwolke zu sehen, eine Erscheinung oder auch nur einen von unsichtbarer Hand gehaltenen Gegenstand. Aber ich wurde enttäuscht. Ich war allein in meinem Zimmer. Wieder erscholl Gelächter. Der Kerl spielte Katz und Maus mit mir und machte sich über mich lustig. »Zeig dich!« rief ich. »Nur Feiglinge verstecken sich!« Vielleicht konnte ich ihn so provozieren. Fehlanzeige. Mein unsichtbarer Gesprächspartner ließ sich nicht blicken. Er lachte nur höhnisch. Ich ging zur Stereoanlage, um ihm damit vielleicht den Saft abzudrehen. Und dann sah ich ihn. Zunächst erblickte ich mein eigenes Konterfei im polierten Glas der Abdeckscheibe. Doch sofort veränderte es sich und machte einem alten, ernsten Gesicht Platz. Buschige, graue Brauen wölbten sich über den strahlenden Augen. Tiefe Furchen zogen sich über die Wangen und zu beiden Seiten der schmalen Nase hin. Ein dichter, grauer Vollbart zierte das Gesicht. »Gefällt dir, was du siehst, Herr Markus?« Ich ließ die beiden Hälften der Glasscheibe zur Seite gleiten und schaltete die Anlage aus. Ich rechnete damit, daß sich der Siegelring an meiner rechten Hand spätestens jetzt erwärmen und zu glimmen beginnen würde, um so dämonische Ausstrahlung anzuzeigen. Aber nichts geschah. Weder mit meinem Ring, noch mit der Anlage. Die leise Entspannungsmusik war weiterhin zu hören. Der 28
Bärtige hatte seinen Spaß. Freudentränen kullerten aus seinen Augen. Ich wurde stinksauer. Der Kerl machte mich in meiner eigenen Wohnung zum Hampelmann! Ich schaute mich um. Wollte meinen Einsatzkoffer aus dem Schlafzimmer holen. Da malten sich die Konturen eines Gesichts auf den Boxen ab, verschwanden, wurden durch einen Handabdruck oder eine Faust ersetzt, um gleich darauf wieder zu erscheinen. Ich wich zurück, denn der Arm aus der linken Lautsprecherbox sauste auf mich zu! Ein eiserner Harnisch lag eng um Unter- und Oberarm. Ein aus enggeschnürten Lederriemen bestehender Handschuh bedeckte die Hand, die sich um mein Schienbein krallte und mich aus dem Gleichgewicht brachte. Meine Reflexe waren ausgezeichnet. Ich wirbelte im Fallen herum und trat mit dem zweiten Bein heftig gegen die Hand. Dumpf prallte ich auf dem Teppichboden auf, während sich die Geisterhand zurückzog. Ich bezweifelte allerdings, daß der unheimliche Scherzbold Schmerzen verspürte. »Nicht übel, Herr Markus. Du weißt dich zu wehren. Und doch bist du auf den Hintern gefallen. Für einen auserwählten Kämpen fehlt es dir noch an allerhand Übung!« tadelte die Stimme aus den Boxen. »Willst du behaupten, daß du Feigling es besser kannst?« gab ich zurück. »Stell dich wie ein Mann, dann zeige ich dir, was in mir steckt!« Ich hatte längst bemerkt, daß sich mein Besucher in mittelalterlichem Deutsch ausdrückte, und ich bemühte mich, ihm in seiner Sprache zu antworten. Das fiel mir aufgrund meines Völkerkundestudiums nicht allzu schwer. »Versteck dich ruhig weiter vor mir, du MöchtegernLehrmeister. Wenn du besser sein willst als ich, dann beweis es mir.« »Du wagst es, so mit mir zu reden, Herr Markus? Nie hat jemand solche Worte an mich gerichtet. In all den Jahren, die ich edle Recken für den Kampf gewappnet, ist man mir ehrerbietig begegnet! Ich sollte dir den Beidhänder überziehen und die Zunge rausreißen!« Ich war mit einem Sprung wieder auf den Beinen. »Warum tust 29
du es nicht? Du würdest dich hinter deines Knappen Schild verbergen und hoffen, daß mein Blick dich nicht findet, Feigling!« Das verärgerte Grollen ging in einen Wutschrei über. Die Boxen dröhnten, führten einen regelrechten Tanz auf. Mein Blick fiel auf die einzige Waffe, an die ich im Augenblick herankam. Es war der Mannenköpper, Klaus Störtebekers berühmt-berüchtigtes Schwert! Ihn allein hatte ich von Störtebekers Schatz zurückbehalten. Es hatte mir schon gute Dienste im Kampf gegen die Hölle geleistet (Siehe MH19!). Ich hastete zur gegenüberliegenden Wand und erreichte das Schwert genau in dem Augenblick, als nicht die erwartete mittelalterliche Gestalt aus den Lautsprecherboxen herausbrach, sondern gleich zwei schmächtige, mumifizierte Figuren! Sie trugen spitze Lederhelme und einfache Leinenhemden, die knapp über dem Knie endeten und durch einfache Lederrüstungen verstärkt wurden. Die Beine waren dürr und knochig und mit alter, verschrumpelter Haut überzogen. Die nackten Füße steckten in einfachen Sandalen. Dunkle Augenhöhlen starrten mich aus grinsenden Totenschädeln an. Die Knochenmänner schwangen Krummschwerter und näherten sich drohend. »Jetzt versteckt sich dieser Feigling also hinter euch Brüdern«, murmelte ich. »Dann legt mal los!« Ich zog den Mannenköpper herum. Gleichzeitig spürte ich, wie mein Siegelring reagierte. Bei dem Duo handelte es sich also eindeutig um Schergen aus Mephistos Reich. Hastig schrieb ich mit dem Lichtstrahl des Rings die Runen für das keltische Wort Waffe auf die Schwertklinge. Bläuliche Flämmchen tanzten sogleich über den Stahl, hüllten das Schwert in ein blaues Licht. Es schien, als bilde das Schwert ein Zentrum elektrischer Entladungen. Mit der magisch verstärkten Waffe war ich für den Kampf gegen die Kreaturen der Hölle gewappnet. Hoffte ich zumindest. Ohne Vorwarnung griffen sie an! Die gebogenen Klingen sirrten durch die Luft. Ich konnte zwar leidlich mit einem Schwert umgehen, war aber kein geübter Fechter. Und doch konnte ich die gegnerischen Hiebe parieren und die knöchernen Streiter zurückwerfen. Sie fauchten aggressiv und stürzten mir entgegen. Stahl klirrte gegen Stahl, aber Störtebekers Klinge waren die 30
Krummschwerter nicht gewachsen. Mit einem gewaltigen Hieb ließ ich den Mannenköpper vorschnellen, fegte die halbmondförmige Waffe des Gegners beiseite und schlug aus der Bewegung heraus zu. Es gab ein dumpfes Geräusch, als die Klinge seitlich in den Hals des Knöchernen drang und den halben Brustkorb teilte. Stumm sank der Knochenkrieger in die Knie und löste sich auf. Aus den Augenwinkeln sah ich den zweiten Angreifer heranstürmen. Ich drehte mich nicht um, sondern duckte mich und stieß das Schwert nach vorn. Tief bohrte sich die breite Klinge in den mumifizierten Leib, durchdrang ihn und trat am Rücken wieder aus. Der Zombie versteinerte. Er senkte den Kopf. Ob er mit seinen leeren Augenhöhlen den Mannenköpper anstarrte, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls legten sich seine knöchernen Finger um das Parierblatt des Seeräuberschwertes, aber er konnte die Waffe nicht mehr aus seinem Körper ziehen. Dazu reichte seine Kraft nicht aus. Der Zerfallsprozeß setzte ein. Rauch stieg aus dem grinsenden Mund und den Augenhöhlen. Auch das Krummschwert wurde durchscheinend und verschwand von der Bildfläche. »Nicht mal so schlecht, Herr Markus. Etwas ungelenk zwar, aber du hast deinen Mann gestanden«, meldete sich die Stimme des unsichtbaren Waffenmeisters. »An Jung-Siegfried reicht es allerdings nicht heran.« Ich drehte mich um und bekam ihn endlich zu sehen. Er war in eine bläuliche Aura gehüllt. Sein schmächtiger, hagerer Körper war fast vollständig in ein aus Eisen und Leder bestehendes Rüstkleid gehüllt. Unter dem Gewand trug er ein engmaschiges Kettenhemd und Hosen aus dem gleichen Material. An seiner Seite hing ein Schwert in einer Metallscheide. Seine Hände aber schlossen sich um den Schaft eines mächtigen Beidhandschwertes. Ein amüsiertes Lächeln spielte um die Mundwinkel des Alten, der mir gerade mal eben bis zur Brust reichte. »Ich wollte schon immer wissen, wie sich der Träger des Rings im Schwertkampf anstellt«, sagte der Alte. »Du hältst dein Schwert, als wäre es glühend heiß. Du mußt es behandeln wie eine Jungfrau, Herr Markus. Dann wird dir die Klinge treue Dienste leisten.« 31
Jetzt war die Reihe an mir, ihn zu belächeln. »Willst du etwa behaupten, du wüßtest in deinem Alter noch etwas mit einer Jungfrau anzustellen?« spottete ich. »Aus dir spricht das Ungestüm der Jugend, Herr Markus. Zeig, was in dir steckt!« Und schon hob der Alte mit einer Leichtigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, den schweren Beidhänder und flitzte auf mich zu. Ich wehrte die Schläge ab, setzte nach, fintete, parierte, wagte Ausfälle und kam gewaltig ins Schwitzen. Hastig drehte ich mich um die eigene Achse, ließ die Klinge des Mannenköpper wuchtig gegen den Beidhänder klirren, daß die Funken stoben, und versetzte dem Alten einen Tritt, der ihn zur Seite warf. Der Waffenmeister taumelte. Ich ließ den Mannenköpperkreisen und hieb dem Alten mit einem gewaltigen Streich die Waffe aus den Fingern. Bevor er sich von dem Verlust erholen konnte, erwischte ihn mein Fuß vor der Brust, hob ihn vom Boden hoch und schleuderte ihn gegen die Wand. Zischend entwich die Luft aus seinen Lungen. »Ich muß dir zugestehen, Herr Markus, du verstehst es doch, tapfer zu kämpfen. Aber du wirst den großen Hildebrand nicht bezwingen.« Hildebrand? Ich lauschte seinen Worten nach, während er das Schwert zog und die Klinge in heftigen Schwüngen durch die Luft sirren ließ. Ich kannte nur einen Hildebrand, den ich mit dem Mittelalter in Verbindung brachte. Es war der Lehrmeister Siegfrieds und Dietrichs von Bern. Der Waffenmeister der Nibelungen, der Königin Kriemhild in den Verliesen der Etzelburg erschlug. Was, zum Henker, habe ich mit den Nibelungen zu schaffen? fragte ich mich. Ehe ich eine Antwort fand, war Hildebrand heran. Seine Klinge klirrte gegen das Parierblatt des Mannenköpper. Ich merkte bald, daß ich dem Alten kräftemäßig überlegen war, aber seine Verbissenheit machte ihn zu einem ernstzunehmenden Gegner. Ich parierte seine Streiche zwar, konnte aber keinen eigenen Hieb anbringen. Schließlich drängte mich Hildebrand in die Diele, und ich mußte den Mannenköpper mit beiden Händen halten, um den Hieben standhalten zu können. Da klingelte es an der Wohnungstür! 32
Der alte Waffenmeister hielt inne. Verwirrt hob er den Kopf, schaute sich um und versuchte zu ergründen, woher das Geräusch der Türglocke gekommen war. Ich atmete auf. Wer immer vor der Tür stand, ich mußte ihm für die Verschnaufpause dankbar sein. Ich riß die Eingangstür auf - und erstarrte. Artur Stubenrauch stand vor mir, mein Vermieter. »Also, so geht das nicht, Herr Hellmann«, begann er in tiefstem Sächsisch. »Haben Sie schon mal gehört, daß Ihre hart arbeitenden Mitmenschen ein Anrecht auf einen ruhigen Feierabend haben? Auch wenn Sie ein bekannter Mensch geworden sind, heißt das noch lange nicht, daß Sie sich aufführen können wie ein Fuchs im Hühnerstall!« Mir ging sofort die Galle hoch. »Wollen Sie sich vielleicht als hart arbeitend bezeichnen, Meister? Ich zeige Ihnen mal, was harte Arbeit für mich bedeutet!« Ich steppte zur Seite und ließ Hildebrand an mir vorbeirauschen, der sich hinter mir zum Sturmangriff gerüstet hatte. Mit einem wilden Schrei sauste er an mir vorbei und fuchtelte mit dem Schwert herum. Stubenrauch zog den Kopf ein, schlotterte in den Knien und faltete die Hände. Ich trat Hildebrand in den Allerwertesten, beförderte ihn somit die Treppe hinunter. Auf dem nächsten Treppenabsatz krachte er gegen die Wand. »Wer war denn das?« fragte Stubenrauch. »Ein fast tausend Jahre alter Ritter, der mir zeigen will, wie gut er mit dem Schwert umgehen kann«, antwortete ich. »Ach so.« Stubenrauch schob die Hände in die Hosentaschen und riß gleich darauf die Augen auf: »Veräppeln kann ich mich aber alleene, Herr Hellmann, gelle? Ich hab zwar mal den Leibhaftigen persönlich in Ihrer Wohnung gesehen (MH 14), aber selbst da bin' ich mir noch nicht so sicher, ob Sie mich nicht vielleicht doch gefoppt haben!« »Wo denken Sie hin?« »Hörn Se mir uff! Bestimmt haben Sie ein paar von diesen stinkenden Räucherstäbchen abgefackelt und mir die Sinne vernebelt.« Erstaunt schaute er zu dem Waffenmeister, der klappernd die Stufen hochstieg. »Dieser Mensch hat vorhin im Treppenhaus bestimmt was beschädigt.« Stubenrauchs Blick fiel 33
auf den Mannenköpper. »Jetzt fuchteln Sie mir auch noch mit so einem Schwert vor der Nase rum. Wollen Sie mir...?« Ich ließ ihn nicht ausreden, sondern schloß die Tür vor seiner Nase. Hildebrand stand keuchend im Durchgang zum Wohnzimmer. »Auf ein Neues, Herr Markus!« rief er und hob sein Schwert. Ich machte Schluß. Schnell, kurz und schmerzlos. Er entwaffnete mich zwar, und der Mannenköpper segelte durch die Luft, aber dafür setzte ich dem Alten mit ein paar Karatetritten zu, und gleich darauf krachte Hildebrand neben meinem Schwert zu Boden. Ich stellte meinen Fuß auf seine Klinge. »Du bist ein hervorragender Schwertkämpfer, Hildebrand, aber sag mir, weshalb du gekommen bist. Dein Erscheinen in meiner Zeit ist nicht zufällig, oder?« »Nein, Herr Markus. Ich bin gekommen, dich zu warnen.«, antwortete Hildebrandt und erhob sich mühsam. »Man ist nicht mehr der Jüngste«, stöhnte er. Unsere Blicke trafen sich. »Du bist auserwählt, die Schreckensmacht der Hölle zu brechen, Herr Markus. Wie einst der strahlende Siegfried von Xanten auserwählt war, den Drachen zu besiegen und die edelsten aller Recken im Streite anzuführen, so ist es deine Bestimmung, der Dämonenbrut Einhalt zu gebieten. Nur du kannst noch helfen.« »Wobei?« »Die Barbaren aus dem Osten erheben sich, um eine neue Zeit des Schreckens einzuläuten. Allen voran reitet Beirat, die Kriegerin. Ihre Grausamkeit kennt keine Grenzen. Sie focht an Herrn Etzels Seite, doch sie war grausamer als jeder Krieger. Frauen, Kinder, Greise und junge Männer fielen gleichermaßen unter ihrem Schwert und ihrer Keule. Du mußt ihr Einhalt gebieten, Herr Markus, sonst ertrinkt das Land im Blut!« »Wo finde ich sie?« fragte ich. Noch konnte ich mir aus seinen Worten keinen Reim machen. Hildebrand schob sein Schwert in die Scheide, nahm den Beidhänder auf und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ein mächtiger Dämon wurde um Hilfe gebeten, Berrat aus dem Ewigen Schlaf zu erwecken. Wenn dies geschehen ist, genießt sie den Schutz Utgardalokis, des Verbreiters von Schrecken und Leid. Kämpfe, Herr Markus, und kämpfe gut! Dir fehlt zwar noch der rechte Schliff, aber du bist der Träger des Rings und dazu 34
geschaffen, für das Gute einzutreten. Du bist ein strahlender Held in deiner Zeit, wie Herr Siegfried es in meiner war. Ich wünsche dir, daß dein Stern nicht so rasch erlöschen möge wie seiner.« Hildebrand streckte seine Hand aus, und ich erwiderte seinen Händedruck. Die Aura um Hildebrand verstärkte sich. Seine Gestalt wurde durchscheinend. »Ich lache nicht mehr über dich, Herr Markus«, hörte ich noch. »Ich bin stolz, die Klinge mit dir gekreuzt zu haben.« Dann war er verschwunden. Aus den Lautsprechern ertönte wieder die Entspannungsmusik, aber sie half mir jetzt auch nicht weiter. Ich stand unter Strom. Nachdenklich betrachtete ich Störtebekers Schwert und hängte es wieder an seinen Platz an der Wand. Tausend Gedanken rasten mir durch den Kopf. Die Hölle hatte zu einem neuen Schlag ausgeholt. Und ich hatte noch nicht genügend Anhaltspunkte, um eingreifen zu können. Ich wollte eben zum Telefon greifen, um meinen Vater anzurufen, als es wieder an der Wohnungstür klingelte. Es war mein Freund und Kampfgefährte Pit, und er sah äußerst besorgt aus. »Komm rein«, sagte ich. »Keine Zeit, Mark. Sie haben Tessa.« Für mich gab es kein Halten mehr... * Auf dem Weg nach unten vernahmen wir hinter der Wohnungstür der Stubenrauchs erregte Stimmen. Die hatten auch ihre Sorgen... Pit hatte seinen Dienstwagen direkt vor dem Haus geparkt. Wir stiegen ein, und ab ging die Post! »Wohin?«, fragte ich. »Mannheim. Tessa sollte die Kollegen dort bei der Fahndung nach einem irren Frauenmörder unterstützen. Gerade kam die Meldung, daß es sich um zwei Irre handelt und sie Tessa und eine Kollegin in ihrer Gewalt haben.« Ich war besorgt. Tessas Job als Fahnderin brachte sie des öfteren in brenzlige Situationen. Sie konnte sich zwar ziemlich gut 35
ihrer Haut wehren, aber bei Psychopathen mußte man immer mit dem Schlimmsten rechnen. Das hatte Tessa am eigenen Leib erfahren müssen, als sie in Cottbus gegen den Sichelmörder gekämpft hatte (Siehe MH 18!) und vor allem, als sie dem Psychopathen Waldemar Ligusta begegnet war und unter seinen Händen einen qualvollen Tod erleiden sollte. (Siehe MH 36!). Pit bog auf den Autobahnzubringer und bretterte über die nächtliche Autobahn. Ich beobachtete Pit von der Seite. Die Anspannung und die Sorge um Tessa zeichneten sich in seinem Gesicht ab. Er zog die zerknautschte Packung Zigarillos aus der Jackentasche und schob sich eines der Stäbchen zwischen die Lippen. »Ich hatte den Eindruck, daß du ziemlich fertig warst, als ich dich besuchte«, sagte er ruhig. »Ich hatte Besuch«, erklärte ich. »Von Meister Hildebrand.« »Hildebrand? Den Namen hab ich schon mal gehört.« »Wahrscheinlich während deiner Schulzeit. Dieser Hildebrand war der Waffenmeister der Nibelungen.« Pit runzelte die Stirn. »Und der alte Kämpe hat dich besucht? So mir nichts, dir nichts? Was wollte er denn? Hat er dir etwa das Versteck des Nibelungenschatzes verraten?« »Er wollte meine Fähigkeiten im Umgang mit einem Schwert testen. Hat mich ganz schön auf Trab gehalten, der Alte. Und nebenbei hat er mich gewarnt. Mephistos Schergen scheinen wieder eine Schweinerei zu planen.« Pit wurde sofort hellhörig. Durch unsere Freundschaft war auch er schon mehrfach mit den Mächten der Finsternis konfrontiert worden. Mephisto, der Megadämon, machte auch vor meinen Freunden nicht Halt, wenn es galt, mir zu schaden. Ich hatte ihm schon so manche Schlappe beigebracht, was den Schwefelfurzer mächtig wurmte. Und ich besaß immer noch den silbernen Siegelring mit den Initialen M und N, den mir Mephisto unbedingt abnehmen wollte. Der Ring war mein einziger Besitz gewesen, als ich in der Walpurgisnacht des Jahres 1980 nackt und verlassen in der Weimarer Innenstadt aufgefunden worden war. Der Kripomann Ulrich Hellmann und seine Frau Lydia hatten mich, den damals Zehnjährigen, adoptiert und mir die Vornamen Markus Nikolaus gegeben. Doch erst vor kurzem hatte ich bei meiner Begegnung 36
mit dem großen Seher Nostradamus erfahren, daß ich den Ring von ihm persönlich erhalten hatte. Er hatte das Schmuckstück hergestellt, um Mephisto zu trotzen. Und die Initialen auf der Siegelfläche standen für den Bund von Mark und Nostradamus sowie für den Namen Michel de Notre Dame - Nostradamus. (Siehe MH 31!) Da der zweite Buchstabe sowohl als N als auch als H zu deuten war, stand MN/H auch für Mark Hellmann. Der große Seher und Prophet des Mittelalters stand hinter mir und bestärkte mich in meinem Kampf gegen die Hölle. Er selbst konnte und durfte den Ring nicht tragen. Seine Bestimmung war es, die Menschheit durch Prophezeiungen zu warnen und auf den rechten Weg zu führen. Mir hingegen war es bestimmt, mit Hilfe des Rings den Mächten der Hölle Einhalt zu gebieten. »Glaubst du, Tessas Fall könnte etwas damit zu tun haben?« fragte Pit. »Im Augenblick gibt es keinen Anhaltspunkt dafür. Hildebrands Angaben waren auch zu vage. Ich muß erst noch einige Hintergrundinformationen haben, um aktiv werden zu können.« Pit drückte eine Taste an dem Funktelefon, das an der Mittelkonsole des Armaturenbretts angebracht war. So konnte er ein Gespräch führen und gleichzeitig mithören, ohne den Hörer abnehmen zu müssen. Eine Männerstimme meldete sich. »Langenbach«, sagte Pit. »Ich bin auf dem Weg nach Mannheim und bringe Herrn Hellmann, einen Berater, mit. Gibt es neue Erkenntnisse?« »Wir haben den Wagen, einen pinkfarbenen Chevrolet mit Leipziger Kennzeichen, verfolgt, bis er die Autobahn verließ.« »Was heißt das? Wo ist der Wagen jetzt?« »Das wissen wir nicht, Kollege«, kam die kleinlaute Antwort, »aber die Ringfahndung läuft.« »Sie haben Nerven, Mann!« brüllte Pit. »Ihre Leute lassen sich wie Anfänger abhängen. Wissen Sie, was das bedeutet? Wer weiß, was diese Schweine mit Tessa Hayden anstellen. Vielleicht ist sie schon nicht mehr am Leben! Ende.« Mit knapp zweihundert Sachen schossen wir durch die Nacht und hatten nur einen Gedanken, Tessa lebend zu finden. * 37
Wir näherten uns Frankfurt. Ich zog mein Handy aus der Tasche und tippte eine Weimarer Nummer ein. »Hellmann«, meldete sich eine sonore Stimme. »Hier auch. Dein Filius ist der Ansicht, er muß dein tristes Rentnerdasein ein wenig auflockern.« »Mark!« rief Vater Ulrich freudig überrascht. »Noch heute nachmittag haben wir von dir gesprochen. Mutter macht sich mal wieder Sorgen um dich.« »Richte ihr aus, daß ich mich pudelwohl fühle und bald ein paar Pfund zunehmen werde.« »Sie möchte, daß du am Sonntag mit Tessa zum Essen kommst. Dann kannst du ihr zeigen, wie ernst es dir mit deinem Vorsatz ist.« »Wenn es sich einrichten läßt, kommen wir gerne.« »Was hast du auf dem Herzen, mein Junge?« fragte Ulrich nun. Der alte Herr kannte mich genau. Er wußte, daß ich meistens Hilfe oder einen Rat brauchte, wenn ich ihn anrief. Auch er war bereits mehrfach mit dem Bösen konfrontiert worden. Von einer Begegnung mit Mephisto und seinen Spießgesellen hatte mein Vater eine Versteifung an der linken Hand und am rechten Fuß davongetragen. Danach hatte er den Dienst bei der Weimarer Kripo quittiert und sich in den Ruhestand begeben. Pit Langenbach, sein damaliger Assistent, hatte seine Nachfolge angetreten. Inzwischen widmete sich mein Vater ganz dem Studium der Parapsychologie und des Okkulten. Er hatte sich der Liga, einer Vereinigung von Spezialisten und Koryphäen auf diesen Gebieten, angeschlossen. Er stand mit den Mitgliedern der Liga in ständiger Verbindung, um sich über neueste Erkenntnisse und Erfahrungen auszutauschen. In seinem Arbeitszimmer häuften sich Bücher und Schriften, in denen ich schon oft hilfreiche Informationen für meinen Kampf gegen die Hölle gefunden hatte. Erkenntnisse, Daten und Infos speicherte er auf seinem PC. Ich schilderte meinem Vater Hildebrands Besuch so ausführlich wie möglich. »Ich bin in germanischer Mythologie einigermaßen bewandert, und doch bleiben ein paar Fragen. Diese Kriegerin namens Berrat bringe ich mit Etzel, dem Hunnenkönig, in Verbindung. Utgardaloki klingt altgermanisch, aber ich kann mit ihm nichts anfangen. Vielleicht habe ich es auch nur verdrängt, 38
mein Studium ist schließlich schon eine Weile her.« »Hildebrand hat König Etzels Namen genannt, sagst du«, überlegte mein Vater laut. »Beide sind ein Teil der Nibelungensage. Könnte es sein, daß Mephisto die Nibelungen wieder aufleben lassen will?« »Glaube ich nicht. Wenn der Teufel in Aktion tritt, verspricht er sich immer einen Profit. Wo aber läge der Vorteil für ihn, wenn er ein edles, altes Heldengeschlecht zum Leben erweckt? Nein, es muß eine andere Verbindung geben.« »Gut, ich werde mich gleich an die Arbeit machen. Wo kann ich dich erreichen?« »Über Handy. Ich bin mit Pit unterwegs.« Mein Vater war ein alter Fuchs und roch den Gänsebraten bereits, bevor das Federvieh gerupft war. »Spielt ihr wieder mal Feuerwehr?« »So könnte man es ausdrücken. Wie kommst du darauf?« »Das ist doch meistens der Fall, wenn ihr beide zusammen unterwegs seid. Um was geht es diesmal?« »Schlimme Sache, Vater. Tessas Undercover-Einsatz ist danebengegangen. Die Verbrecher haben sie in ihrer Gewalt.« »Ich drücke euch sämtliche Daumen, damit ich auch Tessa am Sonntag zum Essen begrüßen kann.« »Wird schon schiefgehen.« Wir gerieten in einen Stau. Pit scherte aus und raste mit eingeschaltetem Blaulicht auf der Standspur weiter. Als wir uns dem Viernheimer Kreuz näherten, zuckten vor uns die Blaulichter eines Streifenwagens auf. Pit gab sich mit Lichthupe zu erkennen. Wir folgten dem Streifenwagen, der uns in die Mannheimer Innenstadt lotste. Kaum war der BMW vor dem Polizeipräsidium zum Stehen gekommen, als Pit auch schon draußen war und vor mir die Stufen am Eingang emporhastete. Hauptkommissar Gunnar Mielke empfing uns im Konferenzzimmer der Einsatzzentrale. Er war ein breitschultriger Mittvierziger. Wir schüttelten ihm die Hand und folgten ihm zu einem Tisch, auf dem Straßen- und Geländekarten ausgebreitet waren. »Wie ist die Lage?« wollte Pit wissen. »Bescheiden, aber nicht hoffnungslos. Wir wissen, wem der Wagen gehört. Wollen Sie einen Kaffee?« 39
»Gerne. Mit wem haben wir es zu tun?« »Der Mann heißt Jochen Lössing. Er hat den Chevrolet vor einigen Wochen in der Nähe von Leipzig gekauft. Die Ermittlungen gegen Lössing laufen auf Hochtouren. Ich erwarte eigentlich jeden Augenblick Neuigkeiten.« »Und sein Komplize?« Mielke hob die Schultern und reichte uns die Kaffeetassen. »Wir kennen ihn nur unter dem Namen Tarzan. Er ist schätzungsweise Mitte Zwanzig, schmächtig und hat langes Haar. Er hat einen Tick mit dem Tarzanschrei. Kann ihn täuschend echt nachmachen.« »Die beiden sind nicht von hier?« Mielke schüttelte den Kopf. »Nein. Könnte sein, daß sie aus dem Osten sind. Aber sicher ist das nicht. Jeder kann sich einen Wagen im Osten besorgen. Sie können im Prinzip auch aus Bayern oder aus Norddeutschland stammen.« »Zeigen Sie mir mal, wo der Wagen zuletzt gesehen wurde«, bat Pit. Während er sich zusammen mit Mielke über die Geländekarte beugte und den Ausführungen des Kollegen lauschte, betrat eine uniformierte Beamtin den Raum. Sie trug das rotblonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Helle, blaue Augen musterten mich. Ihre Uniformbluse spannte sich über den weiblichen Rundungen, ebenso die Hose. Die Beamtin hielt ein Fax in der Hand und trat an den Tisch. Mein Lächeln hatte sie irritiert. »Danke, Silke«, sagte Mielke und las die Faxmeldung. »Wie kommt ein so hübsches Kind wie Sie zur Polizei?« machte ich auf Konversation. »Indem sie sich auf den Hosenboden setzt, ackert und die Polizeischule absolviert. Sonst noch Fragen?« »Äh - möchten Sie einen Kaffee?« Was anderes fiel mir gerade nicht ein. »Sie bieten mir eine Tasse von meinem eigenen Kaffee an? Idiot!« Sie huschte hinaus. »Sie sind hier von der Autobahn runter«, erklärte Pit und deutete auf einen bestimmten Punkt auf der Karte. »Hier, im Hinterland, haben sie unsere Leute dann abgehängt. Fragt sich nur, was sie in dieser Gegend wollen.« »Sie wollen abwarten, bis wir die Lust verloren haben. Und dann 40
setzen sie sich nach Frankreich ab...« »Hm. Möglich wäre es.« »Was stand in dem Fax?« fragte ich. »Wir haben es mit zwei ganz hartgesottenen Früchtchen zu tun, Mark. Lössing saß wegen verschiedener Sexualdelikte in der Geschlossenen von Schkeuditz. Dasselbe Krankenhaus, aus dem unser Freund Ligusta damals ausgebrochen ist. Würde mich nicht wundern, wenn Lössing von ihm gelernt hätte.« »Unwahrscheinlich. Ligusta hatte sich total zurückgezogen. Wie ist Lössing rausgekommen?« »Er wurde als geheilt entlassen. Genau wie ein gewisser Thomas Schulte. Auch ein Vergewaltiger. Beide sind äußerst brutal. In der Anstalt waren Lössing und Schulte wie siamesische Zwillinge. Wir müssen davon ausgehen, daß Schulte dieser Tarzanverschnitt ist.« »Nachdem wir nun wissen, mit wem wir es zu tun haben, sollten wir uns auf den Weg machen.« »Du willst bei Nacht eine Gegend absuchen, in der du dich nicht auskennst?« »Dem Manne kann geholfen werden«, mischte sich Mielke ein. »Polizeimeisterin Brenner kommt aus der Kante. Sie ist in Lauterecken aufgewachsen. Das ist nicht weit von Kusel entfernt.« »Na bitte«, freute ich mich. »Sie stellen uns diese Beamtin zur Verfügung, und wir legen gleich los. Ich kann hier nicht tatenlos rumsitzen und abwarten. Selbst, wenn Sie mir noch mehr Beamtinnen von der Sorte Ihrer Silke vor die Nase setzen.« Mielke grinste und öffnete die Tür. »Frau Brenner, kommen Sie mal, bitte!« Mir klappte die Kinnlade nach unten, als die rotblonde Silke durch die Tür trat. »Darf ich vorstellen, meine Herren? Silke Brenner«, sagte der Hauptkommissar vergnügt. »Die Herren Langenbach und Hellmann möchten sich die Stelle anschauen, wo der Fluchtwagen verschwunden ist. Sie sorgen dafür, daß sich die Kollegen nicht verfahren, Silke.« Sie bedachte mich mit einem belustigten und zugleich arroganten Blick. »Hätte nicht gedacht, daß ich auch noch die Fremdenführerin spielen muß. Den Weg zum Klo finden die Kollegen aber allein, ja?« Wir folgten Silke Brenner nach draußen. Pit schaute mich 41
fragend an, aber ich hob nur die Schultern. Mielke versprach, uns auf dem laufenden zu halten. Wir einigten uns darauf, keine Alleingänge zu versuchen, sondern die Einsatzzentrale zu benachrichtigen, falls wir eine Spur fanden. Während wir Richtung Kaiserslautern rauschten, kontrollierte ich die mit geweihten Silberkugeln geladene SIG Sauer. »Ich hoffe, Sie haben für das Ding einen Waffenschein, Herr Hellmann«, sagte Silke Brenner. »Der braucht höchstens einen Jagdschein«, brummte Pit. * Dunkelheit hielt sie umfangen. Tessa bewegte sich zuerst. Ihre Hand kroch zur Stirn. Ihr Schädel fühlte sich an, als säßen tausend kleine halbnackte Kriegerinnen darin und schlugen mit gewaltigen Keulen auf sie ein. Sie ertastete eine Beule und verzog schmerzhaft das Gesicht. Neben ihr richtete sich Kirstin stöhnend auf. »Wir müssen hier raus«, durchbrach Tessas Stimme die Stille. Ihre Kehle fühlte sich trocken an. Auch sie versuchte nun, sich aufzurichten. Nur mühsam gelang es ihr, auf die Beine zu kommen. Wankend blieb sie stehen. Sie fühle kalten Schweiß auf ihrem Gesicht. Mit einer gewaltigen Anstrengung zog sie Kirstin hoch, bis beide zitternd voreinander standen und sich an Tropfsteinen abstützten. »Wie sollen wir den Ausgang finden?« flüsterte Kirstin. »Es ist stockdunkel. Man kann nicht mal die Hand vor Augen sehen.« »Wir arbeiten uns zwischen den Tropfsteinen vor. Schritt für Schritt. Und leise.« Vorsichtig schoben sich die beiden Frauen zwischen den Stalaktiten hindurch, mußten sich mehrmals bücken, als sie mit dem Kopf anstießen. Endlich erreichten sie die Halle. »Bist du sicher, daß wir hier zum Ausgang kommen?« fragte Kirstin zweifelnd. »Sollten wir nicht lieber nach rechts gehen?« »Können wir später immer noch.« »Und wenn diese nackte Wilde zurückkommt, was dann?« Tessa zuckte die Achseln. »Weiß ich auch nicht.« Sie näherten sich der Hallenmitte. Ihre Schritte wirbelten Staub auf. Es war ein eigenartiges Gefühl, in völliger Dunkelheit 42
dahinzuschleichen. »Jetzt weiß ich endlich, wie einem Blinden zumute ist«, sagte Kirstin. »Ein Scheißgefühl, wenn du mich fragst.« Sie erhielt keine Antwort. Dafür stieß ihr rechter Fuß an ein Hindernis. Etwas Weiches, das unter ihrem Tritt nachgab. Sie stieß einen leisen Schrei aus. »Was hast du denn?« wollte Tessa wissen. »Ich glaube, es hat sich bewegt«, flüsterte Kirstin stockend. »War wohl nur eine Ratte.« Kirstin sprang entsetzt hoch. »Ratte? Ich ekle mich vor diesen Viechern!« »Nicht nur du!« zischte Tessa und erinnerte sich mit Schaudern an ihr Abenteuer in der Weimarer Kanalisation, als sie gegen eine Flut von Ratten hatte ankämpfen müssen. (Siehe MH 38!) Die Kommissarin schluckte, holte tief Luft und machte einen großen Schritt, um das unsichtbare Hindernis zu überschreiten. Aber ihr Fuß berührte nicht den harten Felsboden, sondern eine nachgiebige Fläche. Kirstin strauchelte und zog Tessa mit sich. Sie verloren das Gleichgewicht und sanken zu Boden. Kirstin spreizte die Finger, um sich abzustützen, und griff direkt in eine warme, feuchte, klebrige Masse! »Iiiihh!!« Hastig zog sie die Hände zurück, um sich dann etwas weiter links vorzutasten. Was sie unter ihren Fingern fühlte, war ein Gesicht! Vor ihrem geistigen Auge erschien Jochen Lössing. Sie sah, wie er unter den Krallen der halbnackten Kriegerin starb. Plötzlich wußte sie, daß sie kurz zuvor in Lössings blutende Halswunde gegriffen hatte. War sich bewußt, daß sie die Leiche ihres Entführers vor sich hatte. Ihre Anspannung machte sich in einem gellenden Schrei Luft. Tessa zerrte an den Handschellen, packte Kirstin an den Schultern und schüttelte sie. »Hast du den Verstand verloren? Verdammt! Du lockst mit deinem Geschrei noch die Kriegerin an!« Sie fühlte Lössings Hosenbein unter ihren Fingern. Vorsichtig tastete sie daran entlang, suchte in den Hosentaschen und hatte bald gefunden, was sie suchte. Mit fliegenden Fingern hob sie den Schlüssel und öffnete die 43
Handschellen. Befreit stöhnten die beiden Frauen auf und rieben sich die schmerzenden Handgelenke. Tessa kam ein Gedanke. »Der Kerl hatte eine Lampe dabei. Wir müssen den Boden absuchen. Vielleicht finden wir sie.« Suchend krochen sie auf dem Felsboden herum, entdeckten die Stablampe auch, doch die war defekt. Und wieder stießen sie sich an den Tropfsteingebilden. Doch jetzt merkten sie, daß der Weg anstieg. »Das müßte der Steilhang sein, den wir am Eingang der Höhle hinuntergerutscht sind«, vermutete Tessa. »Jetzt müssen wir auf allen vieren weiter.« Der Aufstieg war mühseliger, als sie angenommen hatten, aber sie packten es. Zitternd und keuchend blieben sie am Ende des Steilhangs liegen. Sämtliche Glieder schmerzten. Die Hände waren aufgeschrammt, die Fingernägel abgebrochen und die Knie zerschunden. »Da vorne ist Licht!« stieß Kirstin hervor. »Das muß der Ausgang sein. Wir haben es geschafft!« Sie umarmte Tessa. Wollte vor Glück heulen. Sie krochen ins Freie. Atmeten die kühle Nachtluft. Schauten zum Himmel, sahen den hellen Halbmond und die Sterne, die zeitweise von Wolken überdeckt wurden. »So, jetzt müssen wir nur noch diesen Wald verlassen und eine Ortschaft erreichen. Und das kann ja wohl nicht so schwierig sein«, meinte Tessa. Sie machten sich an den Abstieg, stützten sich an Bäumen ab und rutschten an besonders steilen Stellen auf dem Hosenboden weiter. Tessa hatte tief unter ihnen einen Weg entdeckt, von dem sie hoffte, daß er aus dem Wald führte. Gellende Schreie ließen die Frauen auf der Stelle verharren und den Atem anhalten. Waffengeklirr war zu hören. Und wieder markerschütternde Schreie. Tessa und Kirstin schauten sich an. Beide dachten sofort an die halbnackte Kriegerin. Tessa stieß sich von einem Baumstamm ab und sprang auf den Weg. Es half nichts, sie mußte wissen, was es mit dem Lärm und den Schreien auf sich hatte. 44
Als der nächste Schrei ertönte, rannten die Fahnderinnen los. Sie umrundeten keuchend eine Wegbiegung und blieben wie angewurzelt stehen. Was sie sahen, raubte ihnen fast den Verstand. Mumifizierte Schreckensgestalten standen auf. dem Waldweg, wurden vom blassen Mondlicht beschienen. Zu ihren Füßen lag »Tarzan« Thomas Schulte. Ein Krummschwert hatte ihn durchbohrt. Die untote Kriegerin wurde von den Schreckensmumien umringt. Sie hob ein Schwert und schrie siegessicher. Fast im selben Augenblick bemerkten die Untoten, daß sie beobachtet wurden. Ein Zombie deutete mit seinem Krummschwert auf die beiden Frauen und fauchte. Wankend setzten sich die Mumien in Bewegung. Tessa hatte bereits mit Untoten zu tun gehabt und überwand ihren Schrecken relativ schnell. Bei Kirstin lag der Fall anders, doch sie hatte solche Figuren vor Jahren mal in einer Videothek auf einem Plakat gesehen. Fassungslos riß sie Mund und Augen auf und starrte den heranwackelnden Zombies entgegen. Sie kam sich vor wie in einem wahrgewordenen Alptraum. Tessa packte sie an der Hand, machte kehrt und hetzte in die entgegengesetzte Richtung. Sie kamen nicht weit. Wie aus dem Boden gewachsen standen drei Zombies vor ihnen. Die Untoten schüttelten drohend ihre Schwerter und bewegten sich auf die Frauen zu. Tessa wurde es nun doch zuviel. Angst krampfte sich um ihr Herz. Blut rauschte in ihren Ohren. Nach dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung« holte sie tief Luft, zog den Kopf ein und sprang nach vorn. Die Untoten waren sich ihrer Opfer gewiß, doch sie freuten sich zu früh. Tessa stieß einen Zombie mit der Schulter beiseite, setzte ihre geballte Rechte mitten in seine verschrumpelte Totenfratze, daß die Knochen knackten. Blitzschnell hatte sie das dürre Handgelenk des Zombies gefaßt. Die Berührung der morschen Knochen ließen Ekel in ihr aufsteigen. Sie schluckte hart, um den Kloß in ihrem Hals zu lösen. Mit Handkante und Faust hieb sie abwechselnd zu, versetzte dem Unhold heftige Tritte und trieb ihn zum Wegrand und mit 45
Wucht gegen einen Baum. Dem Monster entfuhr nicht mal ein Knurren. Tessa riß den schmächtigen Körper unter Aufbietung aller Kräfte zur Seite und hieb den Unterarm der Kreatur gegen den Baumstamm. Zwei, dreimal knallte der Armknochen gegen die Rinde, bevor er brach. Die Fahnderin riß das Krummschwert aus der Hand des Gegners und holte zum Rundschlag aus. Pfeifend fuhr das Schwert durch die Luft, traf den Hals des Zombies. Der Baumstamm wurde zum Richtblock, als der Kopf vom Rumpf der Kreatur getrennt wurde. Tessa wandte sich zu Kirstin und den beiden verbliebenen Zombiekriegern um und fiel den Mumien in den Rücken. Hieb auf sie ein. Zog einem Zombie die Klinge durch die Kehle, rammte ihn aus dem Weg und senkte das Schwert tief in den mumifizierten Leib des letzten Gegners. Es staubte, als der Schwertgriff gegen die Lederrüstung stieß. Kein Tropfen Blut quoll aus der Wunde. Jetzt erst drang der modrige Gestank, den die Untoten verströmten, in Tessas Nase. Angewidert verzog sie das Gesicht, zog die Schwertklinge nach oben und schlitzte den verwelkten Leib des Zombies auf. Das entstehende Geräusch erinnerte an zerreißenden Stoff. Der Zombie taumelte. Tessa sah, wie sich sein Schwert in tödlicher Absicht hob. Mit einem gewaltigen Streich köpfte sie ihn. Er wankte und fiel in sich zusammen. Rauch stieg von dem verdorrten Körper auf. Der Brustkorb fiel in sich zusammen. »Das glaub ich nicht«, hauchte Kirstin. »Das glaub ich einfach nicht!« »Wirst du aber müssen.« Tessa drückte ihr ein Schwert in die Hand. »Zum Wundern hast du später noch Zeit genug. Wir müssen weg! Wenn sie dir zu nahe kommen, haust du einfach drauf, klar?« Im nächsten Augenblick fegte eine Abteilung Geisterkrieger um die Biegung. Tessa sprang sofort in den dichten Wald. Kirstin folgte ihr ohne Zögern. Das Schwert hielt sie fest an sich gepreßt. Es war ihre einzige Waffe gegen diese Übermacht des Grauens. Sie kauerte sich im dichten Unterholz nieder und drückte sich tief zwischen die Zweige. »Ihr kriegt mich nicht«, flüsterte sie 46
keuchend. »Niemals. Und wenn ich jeden einzelnen von euch in Stücke hauen muß.« »Still! Da kommen sie!« Über ihnen wankten die Untoten auf dem Waldweg entlang, hieben und stachen mit ihren Schwertern in das Dickicht und fauchten wütend. Es schien ihnen überhaupt nicht zu gefallen, auf zwei langersehnte Opfer verzichten zu müssen. »Sucht sie!« hallte der Ruf der Kriegerin durch den Wald. »Findet sie. Ich will sie haben!« Immer mehr Zombies tapsten am Weg entlang. Einige von ihnen rutschten ab und trampelten in das Dickicht. Kirstin holte tief Luft, als dicht vor ihrem Gesicht ein sandalenbekleideter Knochenfuß durch die Zweige brach. Tessa legte hastig ihre Hand auf Kirstins Mund und drückte sie noch weiter nach unten. Die beiden Frauen hatten unwahrscheinliches Glück. Tessa wußte, daß sie gegen diese Übermacht kaum eine Chance hatten. Aber die Schreckenskrieger fanden sie nicht. »Unfähige Schwachköpfe!« tobte die Kriegerin. »Ich sollte euch die Zähne aus euren grinsenden Gesichtern schlagen! Ihr seid so viele, und doch schafft ihr es nicht, die beiden Weiber zu finden. Kein Wunder, daß wir damals unsere Schlacht verloren haben. Wie soll man mit solchen Schwachköpfen einen Kampf gewinnen können?« Sie stampfte wütend mit dem Fuß auf und stapfte auf dem Weg hin und her. Ein Zombie, der nicht rasch genug den Kopf senkte, bekam ihre Wut und die Wucht ihrer Keule zu spüren. Der Hieb riß ihm den Schädel von den Schultern. Mit klappernden Gelenken krabbelte der kopflose Knochenmann auf dem Boden herum und suchte seinen zertrümmerten Schädel. Die Kriegerin hob ihre Keule. »Man hat uns erweckt, um unsere Schreckensherrschaft wieder über dieses Land zu bringen!« rief sie. Im Unterholz war jedes Wort zu verstehen. »Lassen wir die großen Zeiten aufleben! Laßt uns kämpfen! Rauben, plündern, brandschatzen! Wie einst soll man vor uns zittern! Laßt uns in Attilas Namen und im Zeichen des Turul, des großen Falken, reiten!« Stumm hoben die Zombies ihre Schwerter. Sie konnten nicht jubeln, sondern nur stöhnen und fauchen. Und das taten sie aus voller Kraft. 47
Die Kriegerin trat zur Seite, reckte Keule und Schwert zum Himmel und breitete die Arme aus. »Helft uns, Dämonen der Unterwelt! Ihr, die ihr uns erweckt habt, steht uns weiter bei! Gebt uns die Kraft, die Herrschaft von Attilas Hunnen zu erneuern! Erfülle unsere Herzen und schenke uns schnelle Rösser, o Sarkany, großer Dämon des Sturmwinds! Und laß den Durst nach Blut und Tod in uns wachsen, große Bohyni, Dämonin der Wildnis!« Tessa schaute zum Himmel. Dunkle Wolken ballten sich zusammen. Heftiger Wind kam auf. Trockenes Laub und dürre Zweige wirbelten durch die Luft. Die langen Haare umwehten den Kopf der Kriegerin. Sie schien die kühle Nachtluft nicht zu spüren. Wie ein Denkmal stand sie mit hocherhobenen Waffen auf dem Waldweg, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Durch das Brausen des Windes und das Rauschen der Bäume war das Wiehern von Pferden zu hören. Tessa wandte den Kopf, schob einige Zweige zur Seite. Und sah die geisterhaften, klapperdürren Steppenponies, die sich erst nebelförmig aus der Dunkelheit schälten und sich dann verdichteten. Sofort wankten die Knochenkrieger zu den Pferden und schwangen sich in die Sättel. Die Kriegerin sprang auf den Rücken eines Rappen, dem feuriger Atem aus den Nüstern schoß. Mit einem gellenden Schrei trieb sie das Pferd an und preschte an der Spitze ihrer untoten Gefolgsleute davon. »Wir müssen die Kollegen benachrichtigen. Die Zombies werden ein Massaker veranstalten!« rief Tessa. Kirstin hielt sie zurück. »Du vergeudest deine Zeit. Man wird uns die Geschichte von diesen Monstern sowieso nicht abkaufen!« Tessa befreite sich aus dem Griff. »Ich muß es zumindest versuchen«, stieß sie hervor und kletterte zum Wäldweg hoch. Kopf schüttelnd folgte ihr Kirstin. Sie rechnete damit, daß man sie wegen Unzurechnungsfähigkeit beurlauben würde, wenn sie mit der Zombiegeschichte ankam. Dann war ihre Karriere bei der Mannheimer Kripo wohl im Eimer. Weit vor ihnen verklang der Hufschlag. Attilas Mörderhorden waren unterwegs!
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* Wir umfuhren Kusel weiträumig. Auf der Bundesstraße stießen wir kaum auf Gegenverkehr. Das Funktelefon summte. »Wo seid ihr jetzt?« hörten wir die Gunnar Mielkes Stimme. »Wir sind gerade von der Autobahn runter. Was gibt's?« »Wir wissen, warum Lössing im Pfälzer Bergland untertauchen wollte. Er hat dort Verwandtschaft.« Pits Kopf ruckte hoch. »Wo?« »In Rathsweiler. Ein kleines Dorf am Rande der Steinalb. Silke wird es kennen.« Sie nickte bestätigend. Mielke gab uns die Adresse einer Familie Schöller durch. »Fragt dort mal nach. Vielleicht hat sich Lössing bei ihnen gemeldet. Den Versuch ist es wert.« Pit legte einen Zahn zu. »Selbst wenn Lössing bei seinen Verwandten aufgekreuzt ist, muß er sich nicht unbedingt bei ihnen verstecken«, gab ich zu bedenken. Pit nickte stumm. »Aber dort fangen wir an zu suchen.« Wir rauschten an einem Hinweisschild vorbei. Rathsweiler 5 km, las ich. Die Nebelwand war urplötzlich da! Pit verringerte das Tempo, nahm den Zigarillo aus dem Mund und starrte verblüfft durch die Frontscheibe. Vor uns waberte der helle Nebel, verdichtete sich. Wir rollten mit achtzig Sachen darauf zu. »Das Pfälzer Bergland ist für seine Nebellöcher berüchtigt«, erklärte Silke. »Aber nicht für diese Art Nebel«, murmelte ich, denn mein Siegelring hatte angeschlagen! Er hatte sich zunächst unmerklich erwärmt und vibrierte nun stärker, je mehr wir uns dem Nebel näherten. Dabei sandte er ein schwaches Glimmen aus. Pit hatte meine Bemerkung gehört und warf mir einen scharfen Blick zu. Ich nickte kurz zur Bestätigung. Im selben Moment erreichten wir die Nebelwand. Und das Unglaubliche geschah! Wie durch Zauberhand teilte sich der Nebel, wich zu den 49
Straßenrändern zurück. Dort verdichtete er sich wieder, und aus dem Nebel manifestierten sich zwei riesige Gebilde. Auch Pit hatte bemerkt, daß mit dem Nebel eine Veränderung vorging. Langsam ließ er den Wagen zwischen den Nebelsäulen hindurchrollen. Ich erkannte kniehohe Schaftstiefel, in denen Beinkleider steckten. Was ich vor mir hatte, war ein riesiges Bein! Und auf der anderen Straßenseite stand das Gegenstück! Ich schluckte. Der gigantische Körper, der zu den Beinen gehörte, mußte sich über dem Fahrzeug erheben. Der BMW mußte auf den Riesen wie ein Spielzeugauto wirken. Das Riesenbein auf der Fahrerseite bewegte sich. Hob sich, um auf uns hinunterzuschmettern. Es würde die Wirkung einer Schrottpresse haben. »Gib Gas, Pit!« brüllte ich, während Silke schrie. Der Hauptkommissar reagierte sofort. Die Reifen kreischten und katapultierten das Fahrzeug nach vorn. Der riesige Stiefel senkte sich auf uns nieder. Ich schloß die Augen, erwartete den Aufprall, den Schmerz und die alles verschluckende Dunkelheit, doch nichts geschah. Ein dumpfer Knall war über das Aufheulen des Motors zu hören. Der Boden zitterte von dem Fußtritt; der BMW schlingerte. Pit fuhr noch einige Meter und legte eine Vollbremsung hin. Stellte den Wagen quer. Ich sprang hinaus - und sah ihn. Er war groß wie ein Wolkenkratzer. Stand breitbeinig auf der Straße und hatte die mächtigen Fäuste in die Hüften gestemmt. Sein bärtiges Gesicht schaute auf uns herunter. »Wer bist du?« rief ich und war mir bewußt, daß meine Stimme auf ihn wie das Piepsen einer Maus wirken würde. »Was willst du von uns?« »Dir steht es nicht zu, Fragen zu stellen, Träger des Rings!« Seine Worte klangen wie Donnergrollen. »Du kommst zu spät. Attilas Barbaren sind bereits auf dem Weg. Sie werden das Land in Blut und Tränen tauchen, und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst!« Attila! Wieder war der Name des legendären Hunnenkönigs gefallen. War er etwa aus dem Jenseits zurückgekehrt, um mir an den Kragen zu gehen? Der Hüne lachte triumphierend. Er beugte sich vor und streckte 50
seine Hand aus, um mich zu packen. Ich warf mich flach auf den Boden, entging seinen baumdicken Fingern. Dafür streifte seine Hand jedoch den BMW, der durchgeschüttelt wurde. Ich hatte die SIG Sauer aus dem Schulterhalfter gezogen und feuerte auf die riesige Hand. Die geweihten Silberkugeln bohrten sich in den Handrücken. Der Riese zog die Pranke zurück und betrachtete die Einschüsse. Mein Blick fiel nach vorn, wo zwei Scheinwerferkegel die Dunkelheit durchschnitten. Der Wagen näherte sich in rascher Fahrt. Der Fahrer hatte offenbar nicht die Absicht, wegen des Nebels sein Tempo zu verringern. »Nichts wie weg hier!« brüllte ich und rannte zum Wagen. Wenn wir uns verzogen, konnten wir den Giganten vielleicht von dem zweiten Fahrzeug ablenken. Die Beifahrertür stand weit offen. Pit ließ den Motor aufheulen. Ich schwang mich in den Wagen, als Pit das Fahrzeug nach vorn schießen ließ. Es nützte nichts. Meine Aktion trug höchstens dazu bei, die Wut des Riesen noch anzustacheln. Seine Faust raste nach unten. Ich konnte gerade noch die Tür zuziehen, bevor die Riesenfaust haarscharf daran vorbeisauste und die Fingerknöchel ein paar gewaltige Schlaglöcher in den Asphalt trieben. Durch das Seitenfenster konnte ich das zweite Fahrzeug nun deutlich erkennen. »Dreh um, Pit. Wir müssen die Leute warnen!« rief ich. Der BMW schleuderte herum. Mit eingeschaltetem Blaulicht und zuckender Lichthupe rasten wir dem Fahrzeug entgegen. Der Riese spielte ein grausames Spiel. Er wartete, bis wir den Wagen fast erreicht hatten und unsere Hoffnungen erfüllt sahen. Der Fahrer hatte angehalten und schickte sich an, auszusteigen. Das durfte er nicht. Auf keinen Fall! Ich ließ die Scheibe herunter und brüllte. »Zurück! Fahren Sie zurück, Mann! Hauen Sie ab!« Meine Warnung kam zu spät. Ein Rauschen erfüllte die Luft. Der Fahrer schaute zuerst verwirrt zu uns hin, dann nach oben. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Pit hielt an. Ich sprang mit schußbereiter Waffe nach draußen. Als ich den Blick hob, stockte mir der Atem. 51
Der Hüne hatte zwei gewaltige Flügel ausgebreitet, schlug sie rauschend zusammen. Seine geballte Faust schwang nach oben und sauste dann unter dröhnendem Gelächter auf uns herab. Aber da befand ich mich bereits in Bewegung und hetzte auf den verdutzten Fahrer des Ford Transit zu. Ich erwischte ihn, als die riesigen Fingerknöchel auf den Transit krachten. Die Wucht des Aufpralls ließ den Wagen hüpfen. Die Scheinwerfer zersplitterten. Die Windschutzscheibe platzte. Der Fahrer wurde vom Außenspiegel im Rücken getroffen und schrie gequält auf. Ich zerrte den Mann weg und warf mich mit ihm zu Boden. »Mein - Wagen.« stammelte er und beobachtete hilflos, wie sich der Fuß des Giganten hob und auf den Transit niederfuhr. Es knirschte ohrenbetäubend! Der Ford wurde auf die Größe einer zentimeterdicken Stahlplatte zusammengepreßt. Nur die Antenne zitterte in einem letzten Protest. Ich hob die Pistole. Meine Geduld war erschöpft. Und wir verloren zuviel Zeit, wenn wir uns noch weiter mit diesem Hünen abgaben. Ich zielte sorgfältig, jagte die Schüsse zu dem bärtigen Gesicht hoch, traf eines der tunnelartigen Nasenlöcher und sah, wie ein Auge zerplatzte. Der Hüne schrie gequält. Diesmal machte ihm das Silber wohl doch zu schaffen. Seine Pranke legte sich auf sein Gesicht. Zwischen den Fingern rannen Reste des zerplatzten Auges hervor. »In den Wagen mit Ihnen!« rief ich dem verdutzten Transitfahrer zu. Er wankte zum BMW. Als ich das gesamte Magazin verschossen hatte, tauchte ich ebenfalls in den Wagen. Mit kreischenden Pneus jagten wir davon. Durch die Heckscheibe sah ich, wie der Höllenriese einen irren Tanz aufführte und mit beiden Händen sein Gesicht bedeckte. Sein Körper wurde langsam von einem milchigen Nebelstreif umhüllt, löste sich allmählich auf und würde bald ganz verschwunden sein. Ich schob ein Ersatzmagazin in die Pistole. Pit und Silke schauten mich fragend an, aber ich schwieg. Ich konnte ihm keine Erklärung für das plötzliche Auftauchen des Riesen geben. Ich wußte nicht mal, um wen es sich bei dem Ungetüm handelte. 52
Wir setzten den Transitfahrer am Ortseingang von Rathsweiler ab. Silke kannte die Straße, in der Lössings Verwandte wohnten. Wenig später standen wir vor dem Zweifamilienhaus und klingelten. Es dauerte ziemlich lange, bis uns ein junger Mann öffnete. »Was'n jetzt schon wieder? Könnt ihr einen nicht mal in Ruhe pennen lassen?« maulte er. »Wieso? Sind Sie heute nacht schon mal gestört worden?« »Johl« kam die kurze Antwort. »Wer will 'n das wissen?« »Die Polizei«, antwortete Silke. »Herr Schöller?« Der Angesprochene nickte. »Sie sind mit Jochen Lössing verwandt?« Erneutes Kopfnicken. »Haben Sie eine Ahnung, wo sich Lössing zur Zeit aufhalten könnte?« Schöller schluckte und schüttelte den Kopf, daß die langen Haare flogen. »Nö.« Pit wurde ungeduldig. »Herr Schöller, es geht um Geiselnahme und Mord...« »Oh, geh fott!« deklamierte Schöller in breitestem Pfälzer Dialekt und riß erstaunt die Augen auf. Der Knabe war jetzt hellwach. »Und der Jochen soll was damit zu tun haben?« »Er steckt bis zum Hals in der Geschichte drin«, brummte Pit. »Geh fott!« entfuhr es Schöller erneut. Was soviel heißen sollte wie Was Sie nicht sagen! »Lössing war heute nacht hier, stimmst?« fragte Silke. Schöller zuckte mit den Achseln. »Machen Sie endlich den Mund auf, Schöller. Oder wollen Sie wegen Beihilfe in den Knast wandern?« »Ich hab dem Jochen doch überhaupt nicht geholfen«, wehrte Schöller erschrocken ab. »Er wollte nur wissen, ob er in der Hütte pennen kann. Und das hab ich ihm erlaubt. Deswegen können Sie mich nicht einsperren.« »Welche Hütte?« hakte ich sofort nach. Schöller erklärte uns, daß seine Familie eine kleine Waldhütte besaß. Wir ließen uns den Weg erklären und verabschiedeten uns. »Ich hoffe für Sie, daß wir Lössing finden«, zischte Pit, bevor er zum Wagen stapfte. Als er die Tür schließen wollte, hörten wir lauten Hufschlag und ein gellendes Wiehern. Ich fuhr herum und entdeckte einen skelettierten Reiter, der auf einem knöchernen 53
Pferd um die Ecke bog und ein Krummschwert schwenkte. Sein Ziel war Silke Brenner, die eben auf die Fahrbahn trat und zum Wagen ging. Wild kreiste die halbmondförmige Klinge über dem grinsenden Totenschädel. Silke wurde auf den Dämonenreiter aufmerksam und starrte ihm ungläubig entgegen. Der Anblick war so furchtbar, daß sie vor Schreck wie gelähmt war. Im nächsten Augenblick würde sich die Klinge in ihren Leib senken! * Im Laufen riß ich die Pistole heraus und feuerte, ohne groß zu zielen. Die Schüsse peitschten durch die stille Straße. Die Silbergeschosse trafen die Flanke des knöchernen Ponies. Rauch stieg aus den Einschußlöchern auf. Das Geisterpferd wieherte schrill, stieg auf die Hinterhand und lenkte den Schwerthieb des Reiters ab. Die Klinge verfehlte Silke um Haaresbreite, fegte über ihr rotblondes Haar hinweg. Ich hetzte in großen Schritten durch den Vorgarten. Sah, wie Pit und Silke ihre Pistolen zogen. Aber ihre herkömmliche Munition würde den unheimlichen Krieger nicht aufhalten. Die Dienstwaffen bellten auf. Kugeln hieben in die Brust des schmächtigen Reiters. Kein Blut spritzte. Dafür staubte es, als die Geschosse durch den Körper des Untoten sausten und im Rücken große Löcher rissen. Der Zombie fauchte und drang wieder auf Silke ein. Ich hatte sie inzwischen erreicht, schob sie hinter mich und nahm mir diesmal Zeit zum Zielen. Pferd und Reiter wuchsen vor mir auf. Deutlich konnte ich den Angreifer erkennen. Den grinsenden Totenschädel mit den leeren Augenhöhlen, die knöchernen Finger, die Lederrüstung. Ich hob die SIG Sauer. Mein Siegelring strahlte hell. Nur wenige Schritte trennten mich von dem Zombie. Der Schuß peitschte. Der Untote warf den Kopf zurück. Die Silberkugel war in die linke Augenhöhle gedrungen und hatte ihm den halben Schädel 54
weggerissen. Ich setzte noch einen drauf und feuerte zwei Kugeln in den Schädel des Knochenpferdes. Es bäumte sich auf. Rauch stieg aus den Nüstern. Der Auflösungsprozeß setzte bei den Beinen ein. Auch der Reiter verging, und mit ihm das Krummschwert, das die Knochenfinger immer noch umklammert hielten. »Was - war denn das?« stammelte Silke. »Ein Zombie«, antwortete ich kurz, ohne ihr eine weitere Erklärung zu geben. Ich schaute zum Haus zurück. Es lag im Dunkeln. Angesichts der Schreckensgestalt hatte Schöller es wohl vorgezogen, sich im Haus zu verbergen. Wir stiegen in den BMW und rollten die Straße hinunter. Als wir nach links abbogen, um die Hauptstraße zu erreichen, sahen wir mehrere Untote aus Seitenstraßen galoppieren. Fensterscheiben klirrten. Schwerthiebe trafen Tür- und Fensterrahmen. Die unheimlichen Reiter trieben ihre Pferde sogar gegen geparkte Autos, zerschlugen Windschutzscheiben und Seitenfenster. »Können wir nichts gegen diese Monster unternehmen?« wollte Silke wissen. »Im Augenblick wohl nicht. Die Silbermunition reicht nur begrenzt. Ich denke, wenn die Leute in ihren Häusern bleiben, sind sie vor Angriffen weitgehend sicher.« Das Klirren einer - Fensterscheibe strafte meine Worte Lügen. Ich beobachtete einen Untoten, der sich vom Rücken seines Ponies auf einen Fensterrahmen schwingen wollte. Vor ihm tauchte eine ältere Frau auf. Sie trug ein hellblaues Nachthemd und starrte den Zombie mit schreckverzerrtem Gesicht an. Abwehrend hob sie einen Arm vor das Gesicht, während der Eindringling sein Schwert hob. Ich schoß durch das offene Seitenfenster und traf den Rücken der Mumie. Sie warf beide Arme hoch und fiel zu Boden. Ich konnte nicht tatenlos zusehen, wie die Höllenkrieger ein Blutbad anrichteten. Mit dem gleißenden Lichtstrahl des Rings versah ich die Dienstwaffen und die Munition meiner Begleiter mit magischen Kräften. Silke starrte verdutzt auf ihre blau leuchtende Pistole. »Und das hilft?« fragte sie ungläubig. »Ich hoffe es. Diese Zombies sind nur Dämonen niederen 55
Ranges. Ich denke, daß die Kraft des Ringes gegen sie ausreichen dürfte.« Wir näherten uns der Hauptstraße und schossen dabei nur auf Zombies, wenn es nicht anders ging. Wir mußten unsere Munition einteilen. Vor uns tauchten zwei Mumien aus der Dunkelheit einer Seitenstraße auf. »Lausiges Höllenpack!« zischte Pit, ungehalten über die unliebsame Unterbrechung. Er hätte viel lieber die Suche nach Tessa und ihrer Kollegin fortgesetzt. Pit gab Gas und schloß gequält die Augen, als der Aufprall erfolgte und die Beine der Knochenpferde wie Zündhölzer wegknickten. Es knirschte häßlich, als wir die Pferde überrollten. Die beiden Reiter waren in hohem Bogen über das Wagendach geschleudert worden und klappernd zu Boden gefallen. »Sollen wir ihnen den Rest geben?« fragte Pit nach hinten. »Nein. Fahr weiter. Am besten bis zum Polizeiposten.« »Du hast gut reden. Kannst du mir mal einen Tip geben, wie ich bei dem Durcheinander hier einen Provinzsheriff finden soll?« »Versuch die Hauptstraße zu erreichen«, rief Silke. »Dort müssen wir nach links!« »Da hast du deine Antwort.« Ich grinste. »Ich an deiner Stelle wäre froh, wenn ich einen so hübschen Wegweiser hätte.« »Noch so ein Spruch, und du kannst laufen«, drohte Pit. Langsam rollten wir durch den Ort. Vereinzelt sahen wir Knochenreiter aus Seitenstraßen auftauchen. Sie verfolgten uns sofort. Pit mußte eine Vollbremsung hinlegen, als der Mann vor dem Wagen auftauchte. Ein zerrissener Pyjama schlotterte um die hagere Gestalt. Sein Gesicht war blutüberströmt. Ich war im Nu draußen und fing den Mann auf, als er zusammensackte. »Sie ist da. Die Wildfrau ist zurückgekehrt. Schlimme Zeiten brechen an! Die Wildfrau ist - wieder da!« Seine letzten Worte waren kaum verständlich. Eine gnädige Ohnmacht senkte sich über ihn. Ich legte ihn in einem Hauseingang nieder. Als ich mich aufrichtete, hörte ich das Hufgetrappel der heranreitenden Zombies. »Mark! Schau, dort vorn warten noch mehr!« vernahm ich Silkes Ruf. 56
In breiter Phalanx standen sie auf der Fahrbahn. Und vor ihnen saß eine halbnackte, muskulöse Frau auf einem Rappen. Ich schritt vor dem Wagen her auf die Untoten und die seltsame Amazone zu. Die Pistole hielt ich schußbereit. Den armenischen Silberdolch, den ich seit meinem Kampf gegen den Werwolf von Eisenach besaß, hatte ich im Gürtel stecken. Stolz hatte die Kriegerin ihren Kopf erhoben. Die mandelförmigen Augen musterten mich interessiert. Ein dumpfes, rotes Leuchten lag auf ihren Pupillen. Der Mund war zu einem häßlichen Grinsen verzogen. Als ich ihrer Meinung nach weit genug heran war, hob sie eine gewaltige Keule zum Zeichen, daß ich stehenbleiben sollte. »Du hast mit deinen Waffen einige meiner Leute geschlagen! Dafür wirst du teuer bezahlen!« »Wer Angst und Schrecken unter unschuldigen Menschen verbreitet, hat es nicht besser verdient. Ihr solltet euch in die Hölle zurückscheren. Richtet Mephisto schöne Grüße vom Träger des Rings aus. Um mich zu beeindrucken, muß er schon zu anderen Mitteln greifen, als solches Geschmeiß wie euch auf die Erde zu schicken.« Die Amazone lehnte sich vor. »Du bist also jener Mark Hellmann, von dem man mir berichtet hat. Du bist der Auserwählte, der den Ring trägt und es wagt, sich gegen die Herrscher der Finsternis zu stellen. Nun, bald wird man an allen Feuern Ruhmeslieder über mich singen. Man wird vor mir zittern, und dein Kopf wird am Eingang meines Zeltes baumeln!« Ich hob die Pistole. »Selbst wenn du sämtliche Dämonen der Hölle hinter dir hättest, Wildfrau, würde ich dir trotzen. Greif an und sieh, wie weit du kommst!« Sie schüttelte den Kopf, daß die strähnigen Haare flogen. »Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen, Markus Hellmann. Ich bestimme, wo und wann ich gegen dich kämpfen werde. Ich habe Großes vor mit den Menschen dieses Landes. Zu lange habe ich warten müssen, bis ich mit neuer Kraft erfüllt war. Nun werde ich das vollenden, was vor langer Zeit begann. Mit meinen Barbarenhorden werde ich dieses Land überrennen und es in Blut tränken. Zur Ehre Turuls, des großen Falken!« Mit einem heiseren Kriegsschrei trieb sie ihr Pferd nach vorn. Dem Spuk wollte ich ein kurzes, schmerzloses Ende bereiten 57
und drückte ab. Nichts geschah! Der Siegesschrei der Kriegerin gellte mir in den Ohren. Riesengroß wuchs der Rappe mit den feurigen Nüstern vor mir auf. Ich sah das hübsche Gesicht, die Mandelaugen und die wogenden Brüste der Reiterin. Ich schleuderte ihr die nutzlose Pistole entgegen und warf mich in einen Hauseingang, bevor mich die Hufe des Rappen trafen. Pit ließ den Motor aufheulen, lenkte den Wagen auf den Gehweg, rammte einige Knochenpferde samt ihren Reitern aus dem Weg und kehrte auf die Fahrbahn zurück. Mit einer Schleuderwendung stellte er den Wagen quer und befand sich nun im Rücken der Barbarenhorde. Silke feuerte und fegte einige Zombies von den Pferden. Einige mumifizierte Gesellen bedrängten mich, aber ich wies sie mit Karatetritten in die Schranken. Einer der Kerle hatte einen deformierten Schädel, der ihm etwas schief auf den Schultern saß. Einige Zähne waren ihm ausgeschlagen worden. Seine Kiefer klapperten. »Wenn ich so häßlich wäre wie du, würde ich mich nicht unter die Leute wagen, Freundchen. Du kannst dem Teufel etwas vorklappern, aber nicht mir!« zischte ich, rammte die Klinge des Silberdolchs tief in seinen Leib und zog sie nach oben. Staub rieselte aus der Wunde, gefolgt von dichtem Rauch. Unter lautem Kieferklappern brach der Zombie in die Knie. Zwei, drei weitere Untote wankten heran. »Ihr seid auch nicht hübscher, Jungs«, feuerte ich mich lautstark an und wich ihren Schwerthieben gekonnt aus. Mein Dolch zuckte. Die Klinge fetzte durch eine vertrocknete Kehle, hieb in einen verdorrten Brustkorb, bohrte sich knirschend in eine dunkle Augenhöhle. Der Kraft des reinigenden Silbers hatten die untoten Krieger nichts entgegenzusetzen und sanken langsam in sich zusammen. Dann war Attilas Barbarenhorde vorbei. Schreiend jagte die Amazone vor den Knochenkriegern her. »Wir sehen uns wieder, Mark Hellmann! Du wirst meiner Kraft nicht gewachsen sein!« hörte ich sie schreien. Sie knallte die wuchtige Keule gegen das Ortsschild, daß es dröhnte, und verschwand mit ihren Gefolgsleuten in gestrecktem Galopp aus dem Ort. Zusammen mit Pit kümmerte ich mich um den Verletzten, 58
während Silke den Polizeiposten aufsuchte. Allmählich versammelten sich aufgeregte und ängstliche Menschen auf der Straße. Mit der Nachtruhe war es vorbei. Die Zombies hatten einen gewaltigen Eindruck hinterlassen. Stimmen in breitestem Pfälzer Dialekt redeten durcheinander. Mir fiel es teilweise schwer, die Einheimischen zu verstehen. Ein Mann mit kurzen, krummen Beinen wieselte auf uns zu. Er hatte eine blaue Drillichhose übergezogen, unter der die Pyjamahose hervorschaute. Seine nackten Füße steckten in Lederpantoffeln. Breite Hosenträger hielten die Beinkleider an Ort und Stelle. Ein langärmliges Unterhemd vervollständigte die spärliche Kleidung. »Ich bin Leopold Henzler, der Ortsvorsteher«, stellte er sich vor und streckte uns eine schwielige Hand entgegen. »Das ist doch der Kleiber Ludwig. Wie geht's ihm?« »Den Umständen entsprechend. Ich bin kein Arzt, aber ich denke, es sieht schlimmer aus, als es ist. Er hat Schnittwunden im Gesicht, Prellungen und einen gehörigen Schrecken abgekriegt. Er dürfte aber bald wieder auf dem Damm sein.« »Gottseidank! So was ist hier noch nie passiert.« Ich nickte und richtete mich auf. »Und trotzdem wurde der Ort früher schon mal auf ähnliche Weise heimgesucht, nicht wahr?« Henzler wich zurück. »Joh, geh fott!« entfuhr ihm der Lieblingsspruch der Pfälzer. »Ich gehe nicht, bevor ich weiß, was damals geschah«, erwiderte ich, da mir der Spruch noch nicht geläufig war. »Und was es mit der Wildfrau auf sich hat.« »So war das doch nicht gemeint. Das ist nur eine Redensart«, sagte der Ortsvorsteher eilig. »Bleiben Sie ruhig hier. Wieso kommen Sie auf die Wildfrau zu sprechen?« »Sie führte die Geisterkrieger an.« »Ach was, Geister gibt's nicht!« behauptete Henzler. »Die Leute bilden sich was ein. Das werden ein paar Motorradrowdies aus Kaiserslautern oder Saarbrücken gewesen sein, die hier Dampf abgelassen haben. Den armen Ludwig hat's halt erwischt.« »Irrtum, Herr Henzler. Es waren untote Skelettkrieger, und sie wurden von einer halbnackten Frau mit asiatischem Aussehen angeführt. Kleiber bezeichnete sie als Wildfrau.« Henzler vergrub die Hände in den Hosentaschen und schlurfte auf und ab. Er unterbrach seinen Spaziergang erst, als Silke 59
Brenner mit einer Streifenwagenbesatzung zurückkehrte. Die beiden Uniformierten machten sich sofort an die Arbeit, nahmen Aussagen auf und informierten über Funk die Kripo in Kaiserslautern. »Kommen Sie mit«, forderte uns Henzler auf und führte uns in die Glanstraße zum Rathsweiler Eck, einer gemütlichen Gastwirtschaft. Auf sein Klingeln öffnete sich im ersten Stock ein Fenster, und eine verschlafene Frauenstimme fragte nach dem Grund der Störung. »Ich bin's, der Leo«, rief Henzler. »Mach auf, es ist wichtig!« Die Wirtin hatte einen Bademantel übergeworfen und ließ uns in die Gaststube. Sie verschwand hinter der Theke. »Ein Kaffee wäre jetzt wohl das Richtige für Sie, Herrschaften«, meinte sie. Wir akzeptierten dankend. »Und für mich ein Viertel Weißherbst«, bestellte Henzler laut. »Der regt das Blut an.« »Nichts da.« Die resolute Wirtin schüttelte den Kopf. »Du kriegst auch einen Kaffee, wie alle anderen. Von mir aus noch mit einem Cognac. Zum Aufwärmen.« »Die ist fast so schlimm wie meine Alte«, jammerte Henzler. »Hoffentlich hat meine Hilde nicht mitbekommen, daß ich mich verdrückt hab. Die ist imstande und sucht mich im ganzen Ort. Und wenn Hilde mal jemanden sucht, findet sie ihn auch. Könnte direkt für die Polizei arbeiten. Als Spürhund!« Er hieb mit der flachen Hand auf den Tisch und lachte schallend über seinen Witz. »Ziehst du wieder über die Hilde her?« fragte die Wirtin und brachte den Kaffee. »Paß bloß auf, eines Tages kommt sie dir dahinter, und dann lachst du nicht mehr.« »Die Hilde als Polizeihund! Ich kann nicht mehr!« prustete Henzler. »Können wir jetzt Ihre Gattin beiseite schieben und zur Sache kommen?« Pit war ungeduldig. »Klar. Sie können es ja mal versuchen. Aber das sind zweihundertvierzig Pfund Lebendgewicht.« Henzler prustete wieder. »Ich bin froh, daß wir nicht mehr in Urlaub fahren. Auf die Berge krieg Ich sie nicht rauf, und am Meer hält man sie für einen gestrandeten Wal. Also hab ich ein kleines Schwimmbecken in meinen Garten gebaut. Das muß ich dann nach jedem Tauchgang von meiner Hilde neu füllen. Ein Gutes hat die Sache immerhin - ich brauch den Garten nicht mehr zu gießen.« 60
»Was wissen Sie über die Wildfrau?« fragte ich in sein heiseres Gelächter hinein. Henzler verschluckte sich an seinem Weinbrand und hustete. »Die gibt's nicht wirklich, Herr - äh - Hellmann war der Name, gell? Die ist nur eine Sagengestalt.« »Wie kommt es dann, daß Ihr Freund Kleiber diese Wildfrau erkannt haben will?« fragte Pit. Henzler zuckte die Achseln. »Der Ludwig hat wahrscheinlich von den Rockern eins aufs Dach gekriegt. Kein Wunder, daß er phantasiert. War übrigens noch nie ganz hell im Oberstübchen, der Ludwig. Wenn Sie verstehen, was ich meine.« »Der Ludwig ist so normal wie Sie und ich«, warf die Wirtin dazwischen. »Aber das mit der Wildfrau ist wirklich nur ein Märchen. Obwohl es heute noch Familien gibt, die steif und fest behaupten, von ihr abzustammen.« »Erzählen Sie mal. Wir würden die Legende gerne hören.« Sie räusperte sich. »Na ja, viel weiß ich auch nicht mehr. Also, da war der Attila, der Hunnenfürst. Von dem haben Sie bestimmt schon mal gehört.« Wir nickten bestätigend. »Der Attila ist mit seinen Hunnen hier durchgezogen. Dabei hat er ziemlich wüst gehaust. Und drüben in Frankreich hat er dann eine große Schlacht verloren. Also mußte er wieder zurück, denn bei den Franzosen konnte er ja nicht bleiben. Er und seine Leute waren wütend über die verlorene Schlacht und haben sich auf dem Rückweg hier noch schlimmer aufgeführt als zuvor.« »Und wo kommt die Wildfrau ins Spiel?« »Dazu gleich. Die Bauern hatten die Nase voll von dem Rauben und Morden und haben sich gewehrt. Im Wald auf der Steinalb hat Attila gelagert. Dort haben sich die Bauern den Hunnen entgegengestellt und etliche niedergemacht. Attila hat daraufhin sein Feldlager aufgegeben und ist mit seinen restlichen Leuten weitergezogen. Aber an seiner Seite haben die Bauern eine große, starke Kriegerin gesehen, die mit einer riesigen Keule bewaffnet war. Sie wurde von Attila und seinem Heer getrennt. Man sagt, daß sie sich in einer Höhle in der Steinalb verkrochen hatte und dort über die Jahre harmlosen Wanderern auflauerte. Die Leute fürchteten sich vor ihr und nannten sie die Wildfrau. Wann sie gestorben ist, weiß niemand genau.« »Da muß es ein paar Kerle gegeben haben, denen die Madame 61
nicht wild genug war«, fügte der Ortsvorsteher kichernd hinzu. »Wenn ich damals als junger Mann gelebt hätte...« »...wären Sie von der Wildfrau gnadenlos niedergemacht worden«, vervollständigte Silke. »Oder glauben sie, die Hunnenkriegerin hätte ihr Lager mit jemandem geteilt?« »Wir haben es also mit der legendären Wildfrau zu tun, und bei den Zombies handelt es sich um die Hunnenkrieger, die damals von den Bauern niedergemacht wurden. Die Ereignisse von damals wiederholen sich. Die Hunnen morden und brandschatzen wieder«, überlegte ich laut. »Und Tessa und Kirstin sitzen mitten im dicksten Schlamassel«, spann Pit den Faden weiter. »Richtig. Und deshalb werden wir gleich morgen früh die Kollegen in Kusel aufsuchen. Der nächste Angriff der Barbaren muß abgefangen werden.« »Wieso willst du so lange warten?« rief Pit. »Tessa ist da draußen, umgeben von Untoten! Die schlachten sie ab, bevor du die hiesigen Kollegen auch nur begrüßt hast!« »Willst du lieber bei Nacht im Wald herumstiefeln und dabei Gefahr laufen, den Zombies selbst zum Opfer zu fallen?« fragte ich. Pit ballte die Fäuste. Er wußte, daß eine Suche auf eigene Faust von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Gleichzeitig konnte er sich aber auch nicht mit dem Gedanken anfreunden, eine Nacht lang tatenlos herumzusitzen, geschweige denn zu schlafen. »Zumindest die Hütte, die uns Schöller beschrieben hat, könnten wir uns ansehen«, beharrte er. Ich versprach mir zwar nicht viel davon, gab aber nach. Wir verabschiedeten uns. Als ich den Kaffee bezahlen wollte, wehrte die Wirtin ab. »Das geht aufs Haus«, sagte sie. »Herr Hellmann, was ist, wenn die Geister heute nacht zurückkommen?« Ich legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. »Ich glaube, die Wildfrau und ihre Männer haben genug für heute. Bei Tag haben Sie sowieso nichts zu befürchten. Der nächste Angriff wird nicht vor morgen nacht erfolgen. Und bis dahin lassen wir uns was einfallen.« * 62
Wir fanden den Waldweg und auch die Hütte, aber von den beiden irren Killern und ihren Gefangenen fehlte jede Spur. Mit Stablampen ausgerüstet, suchten wir die nähere Umgebung rund um die Waldhütte ab, stießen aber nur auf Hufspuren. Pit war niedergeschlagen. »Die Zombies waren also hier. Dann haben sie Tessa und Kirstin bestimmt geschnappt.« »Das ist nur eine Vermutung, Pit. Nachts bringt eine Suche nicht viel, glaub mir. Wir holen uns Unterstützung von den Kollegen und kämmen morgen früh das Gelände durch.« »Ich weiß nicht, Mark. Wenn Lössing auch nur den Zipfel einer Polizeiuniform sieht, knallt er Tessa und Kirstin ab.« »Dann werden wir eine Art Treibjagd veranstalten. Lössing wird nur Jäger und ihre Jagdgehilfen zu Gesicht bekommen. Wir geben ihm keinen Grund, sofort loszuballern.« Wir stiegen in den BMW. »Wohin jetzt?« fragte Pit. »Nach Kusel, Johann!« antwortete ich niedergeschlagen, aber mit einem Witz. »Du kannst gleich selbst fahren, wenn du weiter so spottest!« Pit warf mir einen wütenden Blick zu und fuhr einen weiten Bogen. Als er zum Hauptweg zurückkehren wollte, rissen die Scheinwerfer eine taumelnde Gestalt aus der Dunkelheit, die zwischen den Büschen hervorbrach. Pit bremste hart. Die Gestalt brach vor dem Wagen in die Knie. Ich hatte sie längst erkannt. Sofort war ich aus dem Wagen und an Tessas Seite. Sie war erschöpft. Das Gesicht zerkratzt und verschmutzt, die Kleidung an einigen Stellen zerrissen. Die Arme wiesen blutige Schrammen auf. Sonst schien ihr nichts zu fehlen. »Bist du in Ordnung?« fragte ich vorsichtshalber. Sie nickte stumm. Dann setzten die Nachwirkungen der Strapazen ein, die sie durchgemacht hatte. Sie vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter und schluchzte. »Sie haben Kirstin. Diese verdammten Zombies haben Kirstin geschnappt!« stieß sie hervor. »Wo?« wollte Pit wissen.. »Vielleicht können wir sie raushauen.« »Es sind zu viele. Wir schaffen es nicht.« Ich half Tessa hoch und führte sie zum Wagen. Erschöpft 63
kuschelte sie sich an mich, während Silke auf den Beifahrersitz wechselte. »Ich bin froh, daß du da bist«, sagte Tessa nach einer Weile leise und küßte mich. »Wer ist die da?« »Silke Brenner. Von der Mannheimer Polizei.« Tessas Augen funkelten. Doch für einen Kommentar der eifersüchtigen Art war sie wohl zu schwach. Eine knappe halbe Stunde später erreichten wir das Städtchen Kusel, das als Perle des Pfälzer Berglandes gilt. Silke führte uns zum Rosengarten, dem ersten Hotel am Platz. Es befand sich zentral gelegen in der Bahnhofsstraße, nicht weit von der Polizeidirektion entfernt. Das Hotel war fast ausgebucht. Wir bekamen nur noch zwei Einzel- und ein Doppelzimmer. »Das trifft sich gut«, bemerkte Tessa spitz. Ich werde mir mit Silke das Zimmer teilen. »Sicher ist sicher. - Gute Nacht.« Ich war mir diesmal wirklich keiner Schuld bewußt und trollte mich schmollend... * Die beiden Frauen hatten die Schlucht hinter sich gelassen. Mit müden Schritten stolperten sie durch den Wald. Der Weg machte einen Knick nach links und führte wieder steil bergan. Rechter Hand fiel erneut eine Böschung ab, die aber kaum Baumbewuchs aufwies, sondern überwiegend von dürren Sträuchern und dichtem Unterholz bedeckt war. Tessa hörte den Hufschlag zuerst. Aufmerksam blickte sie sich um. »Ob diese Zombies zurückkehren?« fragte Kirstin flüsternd. »Möglich. Wir sollten uns vorsichtshalber in die Büsche schlagen. Ich will kein Risiko eingehen.« Sie wollten gerade den Weg verlassen und sich im Unterholz verbergen, als das Grauen erneut über sie kam. Die untote Kriegerin preschte um die Wegbiegung und riß beim Anblick der beiden Frauen die Zügel zurück. Der Rappe wieherte schrill und steilte auf. »Verschwinde!« schrie Tessa und versetzte Kirstin einen heftigen Stoß. Sie selbst stellte sich der Zombiehorde zum Kampf 64
und hob drohend das Schwert. Die Kriegerin hatte ihre Überraschung überwunden und trieb mit heiseren Schreien den Rappen an. Tessa wartete nicht, bis sie niedergeritten wurde. Sie warf sich nach vorn, wich dem Rappen aus und hieb einem Geisterhunnen die Schwertklinge in den vermoderten Leib. Über sich hörte sie ein pfeifendes Geräusch. Instinktiv duckte sie sich und kreiselte herum. Die mächtige Keule fegte über sie hinweg und traf einen Zombie mitten in die grinsende Totenfratze. »Umpfff!« entfuhr es dem Knöchernen. Tessa sah, daß sein Gesicht nur noch eine Masse zersplitterter Knochen und zerfetzter Haut war. Er stürzte rücklings vom Pferd und rollte klappernd über den Boden. Die Wildfrau holte wieder aus. Tessa schlug ihr Schwert gegen die Flanke des Rappen. Das Tier machte einen erschreckten Satz zur Seite. »Knapp vorbei ist auch daneben«, konstatierte sie, als die Keule sie verfehlte. Sie hieb auf den mächtigen Knüttel ein. Die Amazone lachte, als Tessas Schläge wirkungslos an dem gehärteten Holz abprallten. Tessa kassierte einen Fußtritt gegen die Brust. Sie sank auf ein Knie, sah die heranstürmende Gegnerin und hob das Schwert zur Abwehr. Plötzlich war Kirstin neben ihr. Das Krummschwert trug sie in ihrem Gürtel. Sie hatte einen starken Ast vom Boden aufgehoben und schlug wie ein Baseballspieler zu. Der Ast splitterte, als er mit voller Wucht gegen den Brustkorb der Hunnenkriegerin prallte. Sie wankte im Sattel und schlug zurück. Traf Kirstin hart an der Schulter und fegte sie von den Beinen. Tessa versuchte ihr Glück, verfehlte die Kriegerin und erwischte einen Zombie. Die Wildfrau glitt aus dem Sattel und griff Tessa an. Tessa wirbelte herum und sah einen Schatten heranhuschen. Kirstins zierlicher Körper federte hoch und prallte gegen den breiten Rücken der Wildfrau. Die Kriegerin taumelte, stieß Tessa dabei zur Seite, kreiselte herum und wehrte einen Schwerthieb der blonden Kommissarin ab. Kirstin hatte keine Erfahrung im Umgang mit mittelalterlichen 65
Waffen und stellte sich ungelenk an. Diesen Nachteil nutzte die Wilde voll aus. Sie grinste breit, entwaffnete Kirstin mit einem gekonnten Schwerthieb, rammte ihr den Ellbogen in den Leib, vergrub ihre Finger in den Haaren und schleuderte die Kommissarin über sich hinweg. Kirstin setzte sich hart auf den Hosenboden, war aber sofort wieder auf den Beinen, nur um die Keule heranrasen zu sehen. Sie konnte nicht mehr ausweichen. Der Hieb war so wuchtig geführt, daß Kirstin ihre Rippen knacken hörte. Die Luft entwich aus ihren Lungen. Der Schlag fegte sie in das Dickicht am Wegrand. »Du verdammtes Miststück!« schrie Tessa und drang auf die Barbarin ein, wurde jedoch von den Mumien abgedrängt. Tessa ließ ihre Klinge durch die Knochenleiber fetzen und hielt sich die Geisterkrieger vom Leib, was ihr anerkennende Blicke der Kriegerin ein brachte. »Sie kämpft gut, aber sie ist euch nicht überlegen!« rief sie. »Holt sie euch! Ich schenke sie euch. Das Gelbhaar gehört mir!« Wie auf ein Stichwort tauchte Kirstin wieder am Waldweg auf, stieß einen Zombie beiseite und stürmte auf die Wildfrau zu. Die Amazone schickte sie mit einem harten Keulenschlag zu Boden und legte ihr die Schwertklinge gegen den Hals. Die Kommissarin wagte nicht mehr, sich zu bewegen. »Du hast Mut, Gelbhaar. Und du wirst noch viel mehr Mut brauchen, wenn ich dich deiner Bestimmung zuführe!« Sie packte Kirstin am Haar, schleifte sie zum Rappen, sprang in den Sattel und legte sie quer vor sich über den Pferderücken. Mit einem wilden Schrei galoppierte sie davon. Tessa wollte ihr folgen, wurde aber von den Mumien aufgehalten, die unbedingt ihr Opfer haben wollten. Mit wilden Flüchen setzte sich Tessa zur Wehr, kämpfte sich durch die Reihen der Gegner. Knochenfinger rissen an ihren Kleidung, zerkratzten ihre Haut. Zerrten an ihrem Haar. Ihre Klinge wütete furchtbar. Trennte Totenschädel von lederartigen Halsstümpfen, hieb Arme und Beine entzwei, trennte verdorrte Leiber auf. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Rote Schleier wallten vor ihren Augen. Tessa brach in die Knie und führte einen letzten Hieb. Durchbohrte den Zombieleib, der sie unter sich begrub. Entfernt verklang Hufschlag. Sie wußte nicht, wie lange sie auf 66
dem Waldboden gelegen hatte. Der Untote über ihr war längst zu Staub zerfallen. Sie richtete sich auf, kam taumelnd auf die Beine und stieß das Krummschwert angewidert in ein Häuflein Asche, wo es sich auflöste. Taumelnd wandte sie sich nach links und folgte dem breiten Waldweg in der Hoffnung, den Forst bald zu verlassen. Ihr Körper schmerzte, doch ohnmächtige Wut trieb sie voran. Die beiden Lichtfinger der Autoscheinwerfer nahm sie kaum wahr. Selbst, als sie im grellen Scheinwerferlicht zusammenbrach, war sie sich kaum bewußt, daß sie gerettet war. Das Grauen hatte sie verschont. Aber Kirstin befand sich immer noch in den Händen der Höllenkreaturen und mußte tausend Qualen erleiden. Tessa würde sich damit nicht zufriedengeben. Sie würde ihre Kollegin befreien. Um jeden Preis. * Das Frühstück im Hotel Rosengarten war appetitlich. Ich war bereits bei meiner dritten Tasse Kaffee angelangt, als mein Handy »klingelte«. »Hast du gut geschlafen, mein Junge?« fragte mein Vater. »Zuwenig«, gab ich zurück. »Hast du was für mich?« »Und wie. Es besteht tatsächlich eine Verbindung zwischen Berrat und Attila. Aber fangen wir mit Utgardaloki an. Er ist ein riesiger Dämonengott aus der germanischen Mythologie. Sein Name steht für die Verkörperung von Angst und Schrecken, oder für den Verbreiter des Bösen. Thor hat ihn zu einem Zweikampf herausgefordert, doch Utgardaloki entzog sich dem Duell und verschwand spurlos. Man nimmt an, daß er sich in eine andere Dimension zurückzog.« »Ich bin ihm gestern nacht begegnet«, sagte ich. »Der Kerl wollte mich zerquetschen, aber ich hab ihm ein Auge zerschossen. Daran wird er wohl eine Weile zu knabbern haben.« »Kommen wir zu Berrat. Ihr Name wird im Zusammenhang mit der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern, der heutigen Champagne, im Jahre 451 erwähnt. Attila führte eine Schlacht gegen die Westgoten, die er verlor. Auf dem Rückweg...« 67
»... zog er durch die heutige Pfalz und wütete furchtbar«, fiel ich meinem Vater ins Wort. »Die Bauern stellten sich den Hunnen entgegen und vertrieben sie. Eine Kriegerin blieb auf der Steinalb zurück, hauste in einer Höhle und überfiel Wanderer. Im Volksmund wurde sie die Wildfrau genannt. Und das dürfte die Berrat gewesen sein.« »Du warst auch nicht untätig, wie ich sehe. Es stimmt. Berrat war eine bei den Hunnen für ihre Grausamkeit berüchtigte Kriegerin. Sie soll auch sehr hübsch gewesen sein. Aber kein Mann konnte gegen sie bestehen. Man sagte ihr nach, daß sie von einer Bohyni, der berüchtigten Walddämonin, abstammte. In der Schlacht gegen die Westgoten ritt sie an Attilas Seite und führte sein Banner, das Zeichen des Turul, des Großen Falken.« »Und jetzt führt sie eine Horde untoter Hunnenkrieger an und sucht das Pfälzer Bergland heim. Ob der Dämonengott sie zum Leben erweckt hat?« »Schon möglich. Es könnte aber auch sein, daß ein anderer Dämon mitgemischt hat. Nirgendwo war ein Hinweis darauf zu finden, daß Utgardaloki jemals Tote zum Leben erweckte. Ich denke vielmehr an jemanden wie Belial, den Herrn der Skelette.« »Würde passen«, meinte ich. »Es wäre Belial zuzutrauen, sich im Hintergrund zu halten und mir trotzdem einen Schlag zu versetzen. Seit unserer Begegnung auf dem Oybin hat er eine ziemliche Wut auf mich.« »Habt ihr schon einen Plan, wie ihr den Zombies beikommen könnt?« »Wir arbeiten dran. Wenn die Hunnen heute nacht wieder angreifen, hoffe ich, daß ich die Wildfrau erledigen kann.« »Ich halte euch die Daumen. Laßt mich wissen, wenn ich etwas tun kann.« Ich versprach es, richtete Grüße an meine Mutter aus und beendete das Gespräch. Nach dem Frühstück begaben wir uns zur Polizeidirektion in Kusel, von wo aus wir mit der vorgesetzten Behörde in Kaiserslautern sprachen und von dort Besuch erhalten sollten. Aufgrund der Erfolge, die ich bisher bei der Dämonenbekämpfung erzielt hatte und die auch in Polizeikreisen nicht unbeachtet geblieben waren, tat man meine Ausführungen nicht als Spinnerei ab. Auch mein Freund Pit war weit über Weimar hinaus als erstklassiger Ermittler und Kriminalist bekannt 68
und untermauerte meine Erklärungen. Wir besprachen Präventivmaßnahmen zum Zombie-Angriff. Wir wollten eine Postenkette rund um das Waldstück ziehen. Schwerpunkt der Aktion sollte in Rathsweiler sein, denn ich war davon überzeugt, daß die Barbaren ihre ganze Wut gegen diesen Ort richten würden. »Aber in der Höhle könnten wir trotzdem nachsehen«, schlug Tessa vor. Ich erinnerte mich an die Legende, nach der die Wildfrau in einer Höhle auf der Steinalb gehaust hatte. Ob es sich dabei um dieselbe Grotte handelte, in der Tessa und Kirstin gefangengehalten worden waren? Ich wollte es herausfinden. »Gut. Pit koordiniert die Vorkehrungen in Rathsweiler. Ich werde mir mit Tessa die Höhle ansehen.« »Und was ist mit mir?« fragte Silke. »Du kommst mit mir«, entschied Pit. »Schade. Ich wollte viel lieber mit Mark und Tessa gehen. Sechs Augen sehen schließlich mehr als vier. Und ich kenne mich hier aus.« »Da hat sie auch wieder recht«, sagte ich und lächelte Silke zu. »Silke begleitet uns also. Pit kommt sicher auch allein zurecht.« Wir kontrollierten die Postenkette, die rund um das Waldstück gezogen worden war. Die Männer waren mit Flammenwerfern ausgerüstet und würden Alarm geben, sobald sie die Untoten zu Gesicht bekamen. Sie hatten den Befehl, nicht eigenmächtig in das Waldgebiet vorzudringen, sondern den Durchbruch der Zombies nach Südwesten hin zu verhindern. Zwei Mann aus der Postenkette begleiteten uns. Sie würden uns die nötige Rückendeckung geben, falls wir in der Höhle auf Zombies stoßen sollten. Silke führte uns bis zur Schlucht und deutete nach oben. Auf dem Steilhang erkannte ich den flachen Höhleneingang. »Es gibt aber noch einen zweiten Zugang«, sagte Silke. »Ich weiß zwar nicht genau, wo er liegt, aber er müßte dort oben sein. Wir sollten uns trennen und von zwei Seiten kommen.« »Nein, wir stellen dort einen Posten ab. Ich gehe über den Haupteingang rein.« Der Boden auf dem Steilhang war felsig und mit trockenem Laub bedeckt. Vorsichtig gingen wir nebeneinander, ohne unnötige Geräusche zu verursachen. Unsere Waffen hielten wir 69
schußbereit. Silke blieb stehen. »Hier irgendwo müßte der Zugang sein. Versuchen wir es mal dort drüben«, sagte sie und deutete über eine mit Laub gefüllte Rinne. Behende sprangen wir über den Graben und erreichten eine Stelle, wo der Felsboden in weiche Erde überging. »Ich verstehe das nicht«, meinte Silke. »Wir hätten schon längst auf den Zugang stoßen...« Weiter kam sie nicht, denn der Boden gab unter ihren Füßen nach. Ich hörte das Rascheln des trockenen Laubes, als ihre Beine zusammen mit den Blättern in der Öffnung dm Felsboden versanken. Sofort fuhr ich zu ihr herum und sprang vor, konnte ihren Absturz jedoch nicht verhindern. Ich sah nur noch ihr bleiches Gesicht und die schreckgeweiteten Augen, dann verschwand sie im Boden. Ich blickte über den Rand des Steilhanges. Schräg unter mir erkannte ich den Höhleneingang und machte mich mit Tessa an den Abstieg. Hintereinander rutschten wir hinunter, hielten uns an Büschen und Baumwurzeln fest und gelangten zum Höhleneingang. Krabbelten in die Dunkelheit, glitten über eine Schräge in eine Art Halle. »Kirstin!« rief ich. »Silke! Können Ihr mich hören!« Meine Stimme hallte. Totale Finsternis umgab uns. Ich hakte eine Stablampe von meinem Gürtel los und knipste sie an. Langsam wanderte der Lichtstrahl über die nackten Felswände, den staubigen Boden und die Tropfsteine. Der Lichtkegel riß die grausam zugerichtete Leiche eines Mannes aus der Dunkelheit. Ich durchquerte die Halle und betrachtete das verzerrte Gesicht des Toten. »Lössing«, sagte Tessa leise. »Die Kriegerin hat ihn erwischt.« »Kein schöner Anblick, was?« fragte eine kehlige Stimme aus der Dunkelheit. Ich leuchtete dorthin, wo die Worte erklungen waren, und starrte in Kirstin Martineks bleiches Gesicht, das ich von Fotos kannte! Eine Hand hatte sich in ihr Haar gekrallt und den Kopf nach hinten gezerrt. An ihrer Kehle lag die Schneide eines Krummschwertes. Und hinter ihr entdeckte ich Berrat, die Wildfrau! 70
Tessa drängte sich vor und zog ihre Pistole, die sie mit Silbermunition aus meinem Einsatzkoffer geladen hatte. Mit einer herrischen Bewegung riß die Barbarin Kirstins Kopf zurück und stoppte Tessa. »Was willst du, Berrat?« fragte ich. »Diese Frau ist nur eines von vielen Opfern für dich. Warum quälst du sie? Du kannst uns nicht mit ihrem Leben erpressen.« »Nicht? Ich glaube doch, Träger des Rings. Diese Frau bedeutet euch etwas. Und deshalb wirst du um sie kämpfen!« »Du weißt, daß ich dir überlegen bin. Sowohl mit dem Schwert als auch mit meinen eigenen Waffen. Und deine untoten Krieger fürchte ich auch nicht. Was sollte ein Kampf also bewirken? Du befindest dich in meiner Zeit, kommst mit dieser Welt nicht zurecht. Selbst wenn es dir gelänge, mich zu besiegen, wärst du verloren, Berrat.« Bevor sie antworten konnte, hörte ich hinter Berrat jemanden fluchen. Dann tauchte Silke aus der Dunkelheit auf. »Verfluchte Scheiße!« wetterte sie. »Warum muß ausgerechnet mir so was passieren?« Sie stockte und starrte auf den breiten Rücken der Wildfrau. Ihre Hand suchte den Griff der Dienstpistole. »Lassen Sie das Schwert fallen und die Frau los!« befahl sie ruhig und zielte auf Berrats Rücken. Die Barbarin wandte den Kopf. »Ah, noch eine Schönheit! Attila wird sich freuen. Er liebt hübsche Frauen!« »Gut, wir werden kämpfen, Berrat«, lenkte ich ein. »Aber gib zuerst die Frau frei. Ich bin es, den du willst, nicht wahr?« »Ich bin zurückgekehrt, um dich zu töten. Erst dann bin ich wirklich frei und kann meine Horden durch das Land führen, um Attila Ehre zu bereiten. Du wirst dich meinem Willen beugen.« Ich schob Tessa zurück. Zumindest sie wollte ich aus der Gefahr heraushalten. »Wo sind deine Krieger? Wieso holst du sie nicht zu Hilfe?« fragte ich. Berrat lachte. »Wir brauchen sie nicht. Du bist mir nicht gewachsen, denn die Kraft der Bohyni, der großen Walddämonin, wohnt in mir. Ich will über dich triumphieren. Du sollst mir zu Füßen liegen. Dann erst werde ich entscheiden, was mit dir geschieht.« Sie lächelte. »Du gefällst mir. Vielleicht hole ich dich in mein Lager!« Tessa kochte vor Wut. »Du mieses Luder!« fauchte sie und 71
stürzte vor. »Die einzige, mit der er sein Lager teilt, bin ich, kapiert?« Berrat hob eine Augenbraue. »Wenn ich gewußt hätte, daß er dir so viel bedeutet, meine Kleine, hätte ich dich für mich behalten und dich langsam vor seinen Augen zu Tode gequält. Er hätte mir aus der Hand gefressen, glaub mir!« Tessa konnte Berrat nicht erreichen, denn die Wildfrau spuckte vor ihr aus. Die Spucke traf den Boden und schickte eine Feuerlohe nach oben, die dicht vor Tessa aufloderte. Tessa wich zurück und hob einen Arm schützend vor das Gesicht. Berrat wirbelte herum und ließ das Schwert durch die Luft pfeifen. Die Spitze legte sich gegen Silkes Hals, bevor die Rotblonde wußte, wie ihr geschah. »Laß dein lächerliches Spielzeug fallen, mein Kind«, befahl Berrat. »Damit kannst du mir nicht schaden.« Silke wagte nicht zu schlucken. Langsam öffneten sich ihre Finger. Die Waffe polterte zu Boden. »Komm her zu mir!« Die Schwertspitze blieb an Silkes Kehle. Wenn ich jetzt schoß, war sie auf jeden Fall verloren. Ich durfte nichts unternehmen, wenn ich die beiden Frauen retten wollte. Die Wildfrau stieß einen gutturalen, unverständlichen Wortschwall aus. Die Feuerlohe sank in sich zusammen, dafür kam ein halbes Dutzend Zombies aus der Dunkelheit und umringte Tessa und mich. »Nun habe ich zwei Frauen, um die es sich zu kämpfen lohnt. Wenn du der Auserwählte bist, wirst du mir zu dem Kampfplatz folgen, den ich vorgesehen habe. Folge mir und erlebe, wie ich dich in die Knie zwinge!« Ich ahnte, was sie vorhatte. Und ich durfte es nicht zulassen. »Nein!« brüllte ich. »Bleib hier. Stell dich in dieser Höhle zum Kampf. Ich lasse nicht zu, daß du die beiden Frauen...« Während ich hilflos zusah, wie die Barbarin und ihre Gefangenen zu undeutlichen Schemen wurden, sauste eine Schwertklinge auf mich zu. Ich hob die Pistole und jagte zwei Kugeln in die grinsende Zombiefratze. Die Kreatur wurde gegen die Höhlenwand geschleudert, wo sie verging. Auch Tessa machte mit ihren Gegnern kurzen Prozeß. Ich erledigte zwei weitere Untote, dann war es vorbei. 72
Tessa und ich waren allein in der Höhle. »Verdammt, ich hätte damit rechnen müssen, daß sie so was vorhat!« stöhnte ich. »Du wirst ihr folgen, nicht?« Ich nickte. »Mir bleibt keine Wahl. Ich kann Kirstin und Silke nicht ihrem Schicksal überlassen. Und Berrat wird zurückkehren, wenn ich mich ihr nicht stelle.« »Paß auf dich auf«, sagte Tessa, hauchte mir einen Kuß auf die Wange und trat zurück. »Ich warte hier auf euch.« »Sorge dafür, daß Kleidung und Waffen bereitliegen, wenn wir zurückkommen. Ich beeile mich. Pit wird in Rathsweiler jeden verfügbaren Mann brauchen.« Der Siegelring zeigte immer noch Berrats dämonische Ausstrahlung an und leuchtete schwach. Ich kniete nieder und schrieb mit dem Lichtstrahl die Futhark-Runen für das keltische Wort Reise in den Staub. »Mark?« rief Tessa. Ein stechender Schmerz raste durch meinen Schädel. Ich schaute zurück, während Sphärenklänge ertönten und der stilisierte Drache auf meinem Ring ins Unermeßliche wuchs. »Hände weg von Silke!« hörte ich Tessas weit entfernte Stimme und sah, wie ein Lächeln über ihr Gesicht huschte. Ich grinste. Vor mir öffnete sich ein tiefer Schacht, und ich stürzte kopfüber hinein. * Ich überschlug mich. Zweige peitschten meinen Körper. Die Sphärenklänge verstummten. Schritte hasteten um mich her. Ich sah Füße in hochgebundenen Sandalen vorüberhasten. Benommen schüttelte ich den Kopf. Ich bekam einen klaren Blick und schaute mich um. Überall rannten Leute durcheinander. Frauen kreischten und weinten. Männer hatten sich mit Dreschflegeln, Knüppeln, Messern, Sensen und vereinzelt auch mit Schwertern bewaffnet. Zwischen all den Schreien, Flüchen und dem Durcheinander hallte ein Ruf auf. »Die Hunnen kommen! Rettet euch - die Hunnen sind im 73
Anmarsch!« Ich kam auf die Beine. Niemand beachtete mich. Jeder hatte mit sich selbst zu tun. Nackt stand ich zwischen den aufgescheuchten Menschen, die sich nicht mal damit aufhielten, ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen, sondern nur ihr Leben retten wollten. Von weitem hörte ich ein dumpfes Grollen. Der Boden bebte. Hufschlag! In der Nähe entdeckte ich eine strohgedeckte Hütte, die verlassen zu sein schien. Ich eilte hin und duckte mich in den Eingang. Ein spitzer Schrei hallte mir entgegen. In einer Ecke, neben der primitiven Feuerstelle, kauerte eine junge Frau und hielt ein etwa gleichaltriges Mädchen umklammert. Sie trugen grobe Leinengewänder und Schürzen. »Tu uns nichts, Herr! Nimm, was du willst, aber töte uns nicht!« flehte das Mädchen, dessen Schrei ich gehört hatte. »Keine Angst, ich bin kein Hunne. Habt ihr Kleidung für mich?« Die Frau betrachtete mich ungeniert. Offenbar machte es ihr wenig aus, einen splitternackten Mann in ihrer Hütte auftauchen zu sehen. Sie schüttelte den Kopf. »Nichts, was dir passen würde, Herr.« Mit zwei großen Schritten war ich bei dem stroh- und fellbedeckten Lager und kramte zwischen wahllos dahingeworfenen Kleidungsstücken herum. Sie hatte recht. Das Zeug war mir viel zu klein. »Wo kann ich Waffen bekommen?« »Wir haben keine, Herr. Wir sind nur einfache Bäuerinnen. Unsere Väter und Brüder sind in den Kampf gegen die Heiden gezogen. Wir beten, daß sie heil zurückkehren.« »Ihr solltet euch verstecken. Die Hunnen werden jeden Augenblick hier sein.« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Es ist zu spät. Meine Schwester ist krank. Ich lasse sie aber nicht im Stich.« Der dumpfe Hufschlag wurde lauter. Ich verließ die Hütte. Ein Mann rannte an mir vorbei, stolperte und fiel hin. Er trug ein stumpfes, rostiges Schwert bei sich, das er durch den Sturz verlor. Ich eilte zu ihm und half ihm auf. 74
Er starrte mich ängstlich an und wich vor mir zurück. »Rette dich, Fremder! Sie kommen. Sie werden alle töten, die Frauen schänden und alles niederbrennen. Rette dich!« Er rannte davon, ohne einen Gedanken an sein Schwert zu verschwenden. Dafür kam mir die Waffe um so gelegener. Ich schwang sie ein paarmal durch die Luft, um ein Gefühl für das Schwert zu bekommen. Wenn die Hunnen das Dorf überfielen, würde ich nicht zurückweichen. Eine weitere Gruppe flüchtender Bauern eilte über den Dorfplatz. Ein gellender Angstschrei erfüllte die Luft. Ich hob den Kopf. Und sah sie! Die ersten Barbaren hatten das Dorf erreicht. Hieben gnadenlos mit ihren blitzenden Krummschwertern auf die Opfer ein. Die Angreifer waren kleine, stämmige Burschen, in grobe Hemden gekleidet, die bis zu den Knien reichten. Aus meiner Studienzeit wußte ich, daß sie diese Kleidung so gut wie nie ablegten oder wechselten. Über den Hemden trugen sie Rüstungen aus Lederriemen. Die nackten Füße steckten in hochgeschnürten Ledersandalen. Auf dem Kopf trugen sie Lederhauben, manche mit Pelz besetzt, deren Krempen nach oben gebogen waren. Die wilden, gebräunten Mongolengesichter mit den spärlichen Schnurrbärten und den Mandelaugen waren vor Haß verzogen. Diese Barbaren kannten keine Gnade. Sie schändeten, raubten und mordeten. Frauen dienten nur zur Befriedigung ihrer Triebe, und Kinder wurden wie Sklaven geknechtet. Urplötzlich brach die Hölle über das kleine Dorf herein. Ich sah Blut spritzen. Von den Sätteln ihrer Steppenponies hieben sie nach beiden Seiten zu. Ein Bauer drehte sich um. Seine Brust war ein einziger blutroter Fleck. Gurgelnd brach er in die Knie und erhielt einen zweiten Hieb, der ihm den Kopf fast von den Schultern trennte. Ich beobachtete, wie die Barbaren ihre Pferde zwischen die schreienden Bauern trieben, sich aus den Sätteln warfen und Frauen zu Boden zerrten. Manche Krieger packten flüchtende Frauen an den Haaren und schleiften die schreienden Opfer mit. Die flüchtenden Bauern rissen mich mit. Am anderen Dorfende sammelte man sich. Immer noch schenkte man mir und der 75
Tatsache, daß ich nackt war, kaum Beachtung. »Wir sind verloren!« rief ein Bauer. Ich hielt ihn für das Dorfoberhaupt. »Sie werden uns abschlachten!« Wir schrieben das Jahr 451. Und plötzlich wußte ich, wo ich mich befand. An dieser Stelle wurde fast eintausendfünfhundertfünfzig Jahre später der Ort Rathsweiler von untoten Hunnenkriegern heimgesucht! »Ihr müßt kämpfen!« sagte ich. »Ihr müßt euch wehren!« »Sie werden uns niedermetzeln! Wir sind Bauern, keine Kriegshelden!« »Kämpft! Einige von euch werden fallen, aber ihr könnt den Kampf gewinnen! Die Überraschung ist auf eurer Seite, denn die Barbaren werden nicht damit rechnen, daß ihr euch wehrt!« »Wir sind zu wenig Männer!« »Dann holt euch aus anderen Dörfern Verstärkung! Lauft, aber kehrt zurück, um zu verteidigen, was euer ist!« forderte ich. »Und du, Herr? Wir kennen dich nicht! Du bist uns fremd und sprichst die Worte eines Recken! Willst du mit uns kämpfen?« »Ich werde versuchen, sie aufzuhalten, bis ihr zurück seid. Eilt und holt die anderen Bauern zusammen. Bewaffnet euch und schlagt die Hunnen mit ihrer eigenen Grausamkeit!« Das Dorfoberhaupt überlegte kurz und traf eine Entscheidung. Er wählte zehn starke Männer, die mit mir zusammen das Dorf verteidigen sollten. Die anderen jagten in verschiedenen Richtungen davon. Ich sandte die zehn Männer rund um das Dorf, um einen Verteidigungsring zu bilden und ging langsam zum Dorfplatz zurück. Am Rand des Dorfes bemerkte ich einen Troß mit einer gewaltigen Sänfte und einen riesigen Rappen mit reich verziertem Zaumzeug. Voraus ritt ein Krieger, der ein Banner mit einem goldenen Falken weit sichtbar über die Sänfte hielt. Der Turul. Attilas Wahrzeichen! Ich hörte gellende Schreie. Hunnen waren in die Hütten eingedrungen und zerrten nun die beiden Mädchen, die ich um Kleidung gebeten hatte, auf den Dorf platz. Flammen züngelten bereits auf den strohbedeckten Dächern. 76
Die Hunnen kreischten, schwangen ihre Schwerter. Das gesunde Mädchen versuchte zu fliehen, wurde aber zu Boden gerissen. Ihre kranke, humpelnde Schwester kroch über den Platz. Die Krieger fielen mit lautem Geheul über sie her, zerrten ihnen die Kleider vom Leib. Rauhe Hände kneteten die Brüste, zerkratzten das zarte Fleisch und rissen Beine auseinander. Als sich ein Hunne auf die Knie senkte, um eines der schreienden Mädchen zu schänden, traf ihn mein Tritt im Kreuz. Er brüllte, wirbelte herum und sah - einen splitternackten, hochgewachsenen Gegner mit grimmigem Gesicht! Seine Hand zuckte zum Schwert, doch er kam nicht mehr dazu, den Hieb zu führen. Meine Klinge schwang durch die Luft und fetzte ihm die Kehle entzwei. Blut spritzte. »Kommt her, Barbaren!« brüllte ich. »Hier steht Markus von Hellemann, einstiger Schüler und Waffenbruder des großen Hildebrand! Kommt und sterbt unter meinem Schwert! Ich will euer Blut in dieser Erde versickern sehen, damit der Weizen auf Heidenblut noch besser gedeihe!« Ich bezweifelte, daß sie ein Wort von dem verstanden, was ich sagte, aber sie griffen an. Meine Nacktheit ließ mich wie eine Nemesis erscheinen. Ich hieb und trat um mich. Meine Klinge sirrte, und Hildebrand wäre sicher stolz auf mich gewesen. Ein Hunnenkopf segelte durch die Luft, während ich einen ledernen Brustpanzer durchbohrte und einem dritten Krieger meine gestreckten Finger gegen den Kehlkopf stieß. Sie wurden von meiner Wut und meiner Geschicklichkeit überrumpelt. Ich focht genauso grausam wie sie. Nur so hatte ich überhaupt eine Chance. Ein Kampfschrei klang auf, und eine neue Gruppe von Angreifern preschte heran. Hinter ihnen aber erkannte ich die Frau, die mich zum Kampf gefordert hatte. Berrat, die Hunnenkriegerin! Ich sprang vor, zog die beiden Mädchen aus der Kampflinie. »Bring deine Schwester zur Hütte und bleibt dort«, sagte ich zu der gesunden Frau. Dann warf ich mich ins Kampfgetümmel. Mein Körper war mit Blut besudelt, aber ich störte mich nicht daran, als meine Klinge ihre Körper durchbohrte und ihre Kehlen 77
zerfetzte. Pferde wieherten schrill. Ich hob mein Schwert und baute mich vor der Kriegerin auf. »Hier bin ich, Berrat! Der, den du zum Kampf gefordert hast! Gib die beiden Frauen frei und stell dich zum Entscheidungskampf! Bis aufs Blut!« Jetzt, im hellen Tageslicht, sah ich erst, wie schön sie war. Ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den blitzenden Mandelaugen hatte etwas Betörendes. Das lange, pechschwarze Haar wehte im Wind. Ihre festen Brüste wippten leicht. Die dunklen Brustwarzen hatten sich aufgestellt. Wolfsfelle bedeckten ihren Unterleib. »Ich bin bereit, dich auf die Knie zu zwingen, Fremder. Und deine beiden Frauen habe ich unserem großen Herrscher Attila zum Geschenk gemacht. Er wird sich nach diesem anstrengenden Tag ihrer erfreuen.« »Das war nicht abgemacht. Wenn ich dich besiege, nehme ich die Frauen wieder mit.« Sie lachte wild. »Du wirst nicht siegen, Fremder!« Sie ließ ihre Blicke an meinem Körper auf und ab gleiten. »Ich werde dich am Leben lassen, dann kannst du beweisen, daß du auch ohne Schwert deinen Mann stehst.« Ihre Keule zischte durch die Luft, als Berrat auf mich zupreschte. Ich wich aus und revanchierte mich, traf Berrat jedoch nur mit der flachen Klinge am Rücken. Dann war sie an mir vorbei und wendete ihr Pferd. Ich umfaßte das Schwert mit beiden Händen. War fest entschlossen, Berrat diesmal aus dem Sattel zu holen. »Halt!« Der Rappe wurde zurückgerissen und stieg schrill wiehernd auf die Hinterhand. Ich sprang zur Seite, so daß ich Berrat und den Mann, der uns Einhalt geboten hatte, im Auge behalten konnte. Und da stand er. Attila, der König der Hunnen! Er war klein, reichte mir gerade bis zur Schulter und hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt. Im Gegensatz zu seinen Männern war er in ein reich verziertes Lederwams und Pluderhosen gekleidet. Sein langes Haar war zu einem Zopf gebunden. 78
Ein Schnurrbart zierte seine wulstigen Lippen. Die Nase war breit, die Augenbrauen buschig und die Augen schmal und dunkel. Tiefe Falten zogen sich durch sein Gesicht. Attila legte seine Hand auf den goldenen Griff eines Krummschwertes. »Wer bist du, Nackter?« fragte er ruhig. »Ich bin Markus von Hellemann. Berrat und ich haben, einen Kampf auszutragen.« »Sie ist meine beste Kriegerin. Von dir hingegen habe ich noch nie zuvor gehört. Dein Name ist nicht der Name eines Helden wie Siegfried von Xanten, Dietrich von Bern oder Hagen von Tronje. Aber sie alle sind nicht mehr!« »Dann ist es Zeit, daß du mich kennenlernst und dir meinen Namen merkst, Hunne! Ich war Schüler des großen Hildebrand, einst Waffenmeister der Nibelungen und Dietrichs von Bern.« »Er lügt, Herr. Er - stammt aus einer anderen Zeit und ist gekommen, dir die beiden Frauen abzufordern, die ich dir zum Geschenk machte!« widersprach Berrat. Attila strich sich über seinen Bart. »Es ehrt dich, daß du ohne Rüstzeug kämpfst, Markus. Ich glaube, diesen Kampf sollte ich mir nicht entgehen lassen. Er könnte meine tristen Tage versüßen und meine trüben Erinnerungen an die verlorene Schlacht zerstreuen.« Er hob den Kopf und winkte seinem Marschall. »Wir schlagen unser Lager in diesem Dorf auf. Die Bauern werden verschont, bis das Ende des Kampfes zwischen Markus von Hellemann und Berrat feststeht. Eßt, trinkt, kommt zu Kräften - denn morgen ist ein großer Tag!« »Was ist mit meinen beiden Frauen?« fragte ich. »Gib sie frei!« Attila hob eine Augenbraue. »Du forderst? Es steht dir nicht zu, Kämpfer. Aber ich komme dir entgegen. Du wirst die Frauen heute abend auf meinem Feuer sehen.« Er wandte sich ab und stapfte davon. Ich warf Berrat einen wütenden Blick zu und verzog mich in die Hütte zu den beiden Mädchen. Sie untersuchten mich eingehend und wuschen mir das Blut vom Körper. Wenig später tauchte ein Krieger auf und warf ein Kleiderbündel in die Hütte. Es waren blutbefleckte, grobe Leinenkleider, aber sie paßten leidlich. Das Hemd spannte sich über meinem Brustkorb, und die 79
Hosenbeine endeten unter dem Knie. Wenigstens waren jetzt meine Blößen bedeckt. Ich winkte drei der zehn Bauern zu mir heran und gab ihnen den Auftrag, ihre Kameraden in den Nachbardörfern zu suchen. Sie sollten sich unbemerkt am Rand des Dorfes sammeln und den Ausgang des morgigen Kampfes abwarten. Die Stunden zogen dahin. Ich erzählte den Mädchen Geschichten aus meiner Zeit und brachte sie öfters zum Lachen, um ihnen den Schrecken zu nehmen. Sie warfen mir bald verliebte Blicke zu. Für sie war ich der strahlende Held, den sie mit dem legendären Siegfried gleichsetzten. Attila ließ mich rufen, als es dunkel geworden war. »Geh nicht«, flehten die Mädchen. »Sie werden dich töten.« »Da habe ich ja auch noch ein Wörtchen mitzureden«, versicherte ich. »Bleibt hier und verhaltet euch ruhig. Mir geschieht schon nichts.« »Wir beten für dich, Markus!« Ich trat zum Feuer und ließ mich Attila gegenüber im Schneidersitz nieder. Ein Kalb brutzelte über einem Feuer in der Nähe. Die Flammen zuckten und zischten, als das Fett hineintropfte. Die tanzenden Flammenzungen ließen das Gesicht des Hunnen noch wilder und barbarischer erscheinen. Er wirkte wie ein Teufel, nur die beiden Hörner fehlten. Er hob einen Arm. »Du hattest einen Wunsch, Recke. Nun, er soll dir erfüllt werden.« Hinter ihm entstand Bewegung. Die Vorhänge an der Sänfte bewegten sich. Zwei Frauen wurden an das Feuer gestoßen und stürzten neben Attila zu Boden. Sie sahen ziemlich ramponiert aus. Man hatte sie geschlagen, ihre Kleidung zerfetzt. Kirstin schaute voller Hoffnung zu mir herüber. Silkes Blick mußte ich anders deuten. Offenbar hatte sie mich beobachtet, wie ich nackt mit den Kriegern gekämpft hatte. In ihren Augen las ich nur eines - wildes Verlangen! »Was bedeuten dir diese Frauen?« fragte Attila. »Sehr viel, Hunne.« Attilas Gesicht verfinsterte sich, weil ich ihn nicht mit seinem Titel anredete oder ihm die Ehre bezeugte, die er für sich in Anspruch nahm. »Mir auch.« Er streichelte sanft über Kirstins Gesicht, beugte 80
sich vor und legte eine Hand auf Silkes Brust. »Sie werden mein Lager teilen!« »Nicht, wenn ich Berrat besiege.« »Kein Weib ist es wert, für sie zu töten oder zu sterben.« »Das sehe ich anders.« Vor meinem geistigen Auge sah ich Tessa und wußte, daß zumindest sie die Frau war, für die es sich zu sterben lohnte. Der Hunnenkönig schüttelte den Kopf. »Ich verstehe euch Recken nicht. Ihr habt einen verfluchten Dickschädel und streitet für eine Ehre, über die ich nur lache. Für ein Land, das kann ich verstehen. Nicht aber für Weibervolk. Oder für Burgen. Oder für Pferde. Bah, ihr seid verrückt!« Ich schwieg. »Eine Burg kann man woanders wieder aufbauen. Warum also dafür sterben? Ein Pferd kann man sich vom nächsten Bauern holen. Warum deshalb sein Leben riskieren? Und ein Weib- pah, es gibt Hunderte und Aberhunderte davon! Nimm dir, was du brauchst, und vergieße kein Blut wegen ihnen!« »Ich kann deine Meinung nicht teilen, Hunne. Du liebst es nicht, wenn man dir nimmt, was rechtens ist und dir gehört. Was würdest du tun, wenn man dir dein Heim nehmen würde? Du würdest kämpfen. Wenn man dir dein edles Roß stiehlt, schlägst du dem Dieb die Hand ab.« »Die Hand? Pah - den Kopf!« »Siehst du? Und wenn man dir dein Weib schändet oder raubt, wirst du zum rasenden Teufel. Du magst vielleicht auf deinen Raubzügen andere Weiber rauben und mißbrauchen, aber zu Hause wartet dein Weib auf dich. Was wäre gewesen, wenn man deine geliebte Kriemhild geraubt hätte?« »Aaah, sprich nicht von ihr!« schrie Attila. »Sie spielte mir die Liebe nur vor, die falsche Schlange. Sie war es, die mich mißbrauchte! Sie wollte nur Rache für ihren Siegfried. Sie vergoß das Blut edler und guter Männer. Große Helden mußten wegen ihr sterben! Ah, es war richtig, daß Hildebrand dem ein Ende setzte.« »Du hegst keinen Groll gegen ihn, weil er dir das Liebste nahm?« Attila schwieg lange. Er war in Gedanken in jenen für ihn so glücklichen Tagen, als Kriemhild bei ihm in der Etzelsburg wohnte und an seiner Seite herrschte. »Ich würde ihm persönlich den Kopf abschlagen!« posaunte er 81
schließlich. »Dann waren deine Worte von vorhin nur Schall und Rauch. Nicht aber für mich. Berrat hat mir die beiden Frauen geraubt. Ich bin gekommen, um sie zurückzuholen. Auch wenn ich dafür töten muß.« »Auch, wenn du dafür sterben mußt?« »Noch ist es nicht soweit.« Attila hob wieder einen Arm. »Tischt auf, ich bin hungrig!« rief er. »Du bist Tessas Freund, nicht wahr?« fragte Kirstin leise. »Sie hat viel von dir erzählt.« Ich nickte. »Keine Angst, wir kriegen das schon hin.« Wir labten uns an dem fetttriefenden Kalbfleisch. Attila winkte Berrat, neben mir Platz zu nehmen. Ich rückte zur Seite, um nur ja nicht mit ihr in Berührung zu kommen. Sie löste die Wolfsfelle von ihrem Körper und behielt nur einen dünnen Pelz um, der wie ein Lendenschurz wirkte. Jetzt kamen ihre weiblichen Formen voll zur Geltung. Silke bemerkte meinen anerkennenden Blick. Attila ließ einen Trank auffahren, der mich an Met erinnerte. Er schmeckte süßlich und stieg zu Kopf. Wir tranken aus Hörnern, Bechern, Kannen, Eimern, sogar Mützen - einfach aus allem, was sich dazu anbot. Ich zwang mich dazu, nicht allzu viel von dem Zeug zu mir zu nehmen. »Trink, Markus von Hellemann. Oder schmeckt es dir nicht?« »Er ist schwach«, antwortete Berrat an meiner Stelle. »Er verträgt nichts.« »Zeig ihr, Markus, wie stark du bist! Zeig deinen Weibern, was für ein Mann du bist!« rief Attila mit schwerer Zunge. »Ich lasse dir den Vortritt. Nimm sie dir. In dieser Nacht, auf dem Dorfplatz, sollst du sie beglücken. Bevor sie mein Lager mit mir teilen!« »Das kann er auch nicht«, murmelte Berrat. Silke schien die Vorstellung zu gefallen, von mir vor den Augen der Barbaren geliebt zu werden. Das Glitzern in ihren Augen sagte alles. War es die Angst, die sich dahinter verbarg, das alles bald zu Ende sein würde? Immerhin mochte sie mich jetzt, war nicht mehr so schnippisch zu mir. Berrat schaute zu mir herüber. »Ich wollte, du würdest mich erwählen. Ich würde dir zeigen, wie schwach du unter den 82
Schenkeln einer Frau bist, Fremder!« »Warum nicht?« Attila lachte dröhnend. »Morgen ist einer von euch beiden tot. Ich schenke euch eine unvergeßliche Nacht miteinander.« »Er wird nicht sterben, Herr. Ich werde ihn nur besiegen und ihn in mein Zelt nehmen - als meinen Sklaven!« Der Hunnenkönig goß sich das Gebräu hinter die Binde, daß es ihm über die Mundwinkel lief und auf die Brust tropfte. Er war ziemlich betrunken und Wandte sich Kirstin und Silke zu. »Laßt mal sehen, was ihr vor den Augen eures Königs verbergt!« »Du bist nicht unser König«, zischte Kirstin. »Nimm gefälligst deine Pfoten weg, du versoffenes Schwein!« »Schwein? Das ist falsch! Euer König ist Turul - das Blut des großen Falken fließt in mir!« Er war aufgesprungen und wankte vor dem Feuer auf und ab. Mit einem Ruck packte er Kirstin und zerrte an ihrer Bluse. Sie wehrte sich. Blitzschnell lag ein edelsteinverzierter Dolch in Attilas Hand. Die Schneide berührte Kirstins Hals. »Zier dich nicht, Täubchen!« Kirstin traten Tränen der Wut in die Augen, als sie Attilas Gefummel über sich ergehen lassen mußte. Als sie nackt vor ihm stand, schaute er sie von oben bis unten an und versetzte ihr einen Stoß. »Ich weiß nicht, was du an ihr findest, Recke. Sie ist zu dünn!« Er winkte Silke, die bereitwillig aufstand, seine Hand beiseite stieß und ihm die Zunge herausstreckte. »Das kann ich selbst, du Spanner!« fauchte sie und schälte sich aus ihrer ramponierten Uniform. Attila starrte auf die vollen Brüste, den knackigen Hintern, die wohlgeformte Schenkel und das dichte, rotblonde Dreieck dazwischen. Sie hatte alles, was eines Mannes Herz begehrte. »Das ist ein Weib!« rief Attila und kippte sich das Gesöff aus einem Lederhelm in die Kehle. »Du kommst zu mir heute nacht!« »Ich glaube, das wäre vergebliche Liebesmühe«, murmelte Silke. »Du bist ja besoffen und kriegst kein Schwert mehr hoch.« Der Hunnenkönig hatte Silkes Worte wohl kaum verstanden, lachte aber trotzdem und ließ sich auf den Hosenboden fallen. »Schafft sie - weg!« befahl er und wedelte mit den Händen herum. »Schafft - sie...« Der Rest ging in einem tiefen Rülpser unter. 83
Ich blieb am Feuer sitzen und beobachtete ohne Mitleid, wie sich der Hunnenkönig nach Herzenslust betrank. Ich wünschte ihm den schlimmsten Kater seines Lebens. Irgendwann war Berrat aufgestanden und in der Nacht verschwunden. Auch ich war müde und wollte mich in die Hütte zurückziehen, denn der lallende, rülpsende Hunnenkönig ging mir auf den Zeiger. Sie warteten nicht weit vom Feuer auf mich. Bevor ich mich wehren konnte, rangen sie mich nieder und flößten mir das teuflische Gebräu mit Gewalt ein. Sie ließen mich los. Ich wollte mein Schwert heben, schaffte es aber nicht, denn die Wirkung des Gesöffs traf mich wie ein Vorschlaghammer. Mit einem lauten »Ups!« brach ich in die Knie und schüttelte den Kopf. Mir war speiübel. Schweiß trat mir auf die Stirn. Ich fühlte, wie man mich wegschleifte und in eine Hütte warf. Der Boden war mit Fellen bedeckt. Langsam rollte ich mich herum und fragte mich, was diese hinterhältigen Kerle noch alles für mich in Petto hatten. Sie stand breitbeinig im Eingang der Hütte. Löste das Fell von ihrer Hüfte und kam herein. Ich wollte mich hochstemmen, doch sie drückte mich zurück und legte ihren harten Ellbogen über meine Kehle. Verzweifelt wollte ich nach Luft schnappen und bekam einen weiteren Schwall des Mets in die Kehle. Hustend und prustend kämpfte ich mich in eine sitzende Position. Rauhe Hände zerrten mir das Hemd über den Kopf. Zogen die Hose von meinem Körper. Ein heftiger Schlag traf mein Kinn und warf mich zurück. »Du wirst beweisen, was in dir steckt, Fremder!« hörte ich ihre Stimme. »Berrat nimmt sich die Männer, die sie will. Und sie kriegt immer, was sie will!« Ich spürte ihren nackten Körper, ihre Lippen, ihre kundigen Hände. »Streng dich an, Großer.« Ich mußte mich nicht besonders anstrengen. Mir war zwar immer noch übel, aber unter ihren kundigen Fingern schien die furchtbare Wirkung des Gebräus etwas nachzulassen. Dennoch drehte sich alles um mich herum. Ich kam mir vor, als liebte ich eine Frau auf einem rasenden Karussell. Schweiß glitzerte auf meiner Stirn und zwischen ihren Brüsten. Ihr Atem ging heftig, keuchend. Sie stieß spitze Lustschreie aus. 84
Irgendwann schaute ich zum Eingang der Hütte und sah die nackte Silke im Mondlicht. »Scheiße, immer komme ich zu spät«, schimpfte sie und verschwand. Ich grinste. Berrat brach über mir zusammen. »Du hältst, was du versprichst, Langer. Es wird mir ein Vergnügen sein, dich als meinen Sklaven zu behalten, bis wir ins Hunnenland zurückgekehrt sind.« Ich konnte ihr nicht mehr antworten. Meine Sinne trübten sich im Alkoholnebel. Diese Frau hatte mich restlos geschafft. Wann Berrat mich verlassen hatte, wußte ich nicht. Aber ich hatte andere Sorgen. In meinem Kopf schien Berrat mit ihrer Keule zu wüten und mich immer wieder mit Met abzufüllen. Ich sprang aus der Hütte und übergab mich. * Die beiden Bauernmädchen versorgten mich mit einem Gegenmittel, einer Wurzel, die ich roh zerkauen mußte. Das Zeug schmeckte scheußlich, aber es half. Die Kopfschmerzen verflogen, das Zittern wich aus meinen Gliedern, und ich fühlte mich bald wieder fit. Ich spülte mit kaltem, klarem Wasser nach, schnappte mir mein Schwert und begab mich zum Dorfplatz. Nackt. Das Zeug war mir sowieso zu eng und behinderte nur. Aufmerksam schaute ich mich um, aber von den Bauern war nichts zu sehen. Ich konnte nur hoffen, daß sie rechtzeitig eintrafen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sich Attila und seine Mannen blicken ließen. Sie zerrten Kirstin und Silke mit sich. Die beiden trugen wieder ihre zerfetzte Kleidung. Der Hunnenkönig befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Er sah aus, als hätte er nicht eine, sondern mindestens ein halbes Dutzend Schlachten hintereinander verloren. »Wenn man das Saufen nicht verträgt, sollte man es bleiben lassen, Hunne«, höhnte ich. »Pah, deine Großspurigkeit wird dich den Kopf kosten, Markus von Hellemann! Ich werde selbst gegen dich antreten, du mißratener Sohn einer Kröte!« 85
Ich war offensichtlich zu weit gegangen, denn er zückte sein Krummschwert und drang auf mich ein. Ich parierte seine Hiebe gekonnt, tauchte unter seinen Armen hindurch und versetzte ihm einen derben Schlag auf die Kehrseite. »Diese Schmach! Das hat noch niemand gewagt! Stirb, du Hund!« Ich starb nicht, sondern lieferte ihm einen Schwertkampf, wie er ihn wohl selten erlebt hatte. Schließlich entwaffnete ich ihn mit einem gekonnten Streich, fing sein Schwert auf und legte ihm die Schneide gegen den Hals. »Schlaf deinen Rausch aus, Hunne, oder jeder kleine Bauer wird dir den Hintern versohlen!« Attila schluckte, wich zurück und wandte sich abrupt um. »Berrat! Wo bist du, Tochter einer Hexendirne?« Sie kam auf ihrem Rappen. Auch sie war nackt, trug nur ihre Sandalen. »Sühne die Schmach, die dein König erfahren mußte!« brüllte Attila. Berrat nickte, hob die Keule und hieb ihre Beine in die Weichen des Rappen. Der Kampf begann. Ich konnte verhindern, daß sie mich niederritt. Immer wieder wich ich gewandt ihrer Keule aus, schlug ein paarmal gegen das gehärtete Holz, doch meine Schläge zeigten kaum Wirkung. Dann stolperte ich, verlor das Gleichgewicht und erwischte einen Hieb über der linken Schulternder mich von den Beinen warf. Ich verwandelte den Sturz in eine Rolle, kreiselte herum und kam sofort wieder auf die Beine. Den nächsten Hieb konnte ich parieren, doch dann hatte ich die Nase voll. Ich wartete, bis der Rappe erneut herankam, sprang dicht vor ihm hoch und stieß ihm meine Finger in die Nüstern. Das Pferd schrie schrill und stieg auf. Ich war sofort an seiner Seite, flog ebenfalls nach oben und krallte meine Finger in Berrats langes Haar. Im nächsten Augenblick stürzten wir beide zu Boden. Ich hielt sie umklammert und versuchte, ihr die Keule zu entwenden. Es gelang mir nicht. Diese Frau war wie eine Wildkatze, kämpfte mit Zähnen, Händen und Füßen, biß, kratzte, trat - und gewann die Oberhand. Rittlings saß sie über mir und blitzte mich mit ihren dunklen 86
Augen siegesgewiß an. Ich grinste zurück. Beobachtete einen Schweißtropfen, der zwischen ihren Brüsten nach unten kullerte. Sie schwang die Keule hoch. Ich bewegte meinen Unterleib, bockte wie ein Wildpferd. Verwirrung trat in ihren Blick. Unsicherheit. Erinnerte ich sie etwa an letzte Nacht? Dann krachte mein Fuß in ihren Nacken und die flache Seite meines Schwertes gegen ihren Kopf. Berrat schwankte. Ich rollte mich schwungvoll herum, ließ sie in den Staub fallen und kam auf die Beine. Berrat erhob sich, mußte sich dabei aber auf ihre Keule stützen. Ich versuchte es mit Karatetritten. Die war sie nicht gewohnt und verwirrten sie noch mehr. Ich trat ihr gegen die Schenkel. Ein Raunen ging durch die Reihen der Hunnenkrieger, als Berrat erneut zu Boden mußte. Stöhnend erhob sie sich. »Du bist meine beste Kriegerin! Willst du dich von diesem Mann, den niemand kennt, in den Staub treten lassen?« schrie Attila. Berrat wankte zu ihrem Pferd, zog das Schwert vom Sattel und wandte sich mir wieder zu. »Für Turul, den Großen Falken!« schrie sie und griff an. Sie war ein Energiebündel und zeigte mir, daß sie noch lange nicht am Ende war. Ich hatte Mühe, ihren Hieben auszuweichen und sie zu parieren. Längst hatten wir den Dorfplatz verlassen. Berrat trieb mich durch das ganze Lager, über das Feuer, durch die Sänfte, die zu Bruch ging, zwischen den Pferden hindurch und wieder zurück zum Kampfplatz. Ihre Keule setzte mir zu. Meine Rippen schmerzten. Die Schulter brannte wie Feuer. Ich erwischte einen weiteren Hieb, der mich von den Beinen fegte. Im letzten Augenblick konnte ich der herabsausenden Keule ausweichen, bevor sie in meine Magengrube rammte. Allmählich ging mir die Puste aus. Ich verabschiedete mich mit drei Flick-Flacks aus dem Kampfbereich, um zu verschnaufen. Die Schmerzen waren kaum zu ertragen. Ich schaute an mir hinab und entdeckte mehrere Stellen an meinem Körper, die sich bereits dunkel verfärbten. Ich schaute auf und sah einen winzigen Augenblick lang eine Bewegung am Dorfrand. Es war das Dorfoberhaupt. Der Bauer 87
winkte kurz, und ich wußte, daß alles zum Gegenangriff bereit war. Ich ging aufs Ganze. Wie ein Berserker griff ich an, ließ Berrat keine Zeit zur Abwehr, schlug ihr das Schwert aus der Hand, brachte ihr Schnitte an den Schenkeln, der Hüfte, den Oberarmen bei. Mit beiden Händen hielt sie die Keule. Blut strömte über ihren Körper. »Es tut mir leid, Berrat. Bring dich in Sicherheit, wenn es soweit ist.« Aber ich wußte auch so, daß sie meinem Rat folgen würde. So jedenfalls wollte es die Legende. Ich wartete den Schwung ihrer Keule ab, wirbelte herum und trat ihr gegen den Oberarm, lähmte ihn zeitweise. Mit einem enttäuschten Stöhnen ließ sie die schwere Keule sinken. Mein nächster Barfußtritt trieb ihr die Luft aus den Lungen. Sie wankte zurück und stürzte erschöpft zu Boden. Die Hunnen tobten. Attila schäumte vor Wut. Und die Bauern griffen an! Ich war wie der Blitz neben Attila, verabreichte ihm einen rechten Haken, der ihn die Sterne sehen ließ. »Kommt, Mädels, es geht nach Hause!« rief ich, packte Kirstin und Silke und rannte den anstürmenden Bauern entgegen. Die Hunnen wurden vollkommen überrascht, als man ihnen mit Dreschflegeln, Sensen, Messern, Äxten und Hacken entgegentrat. Ich sah noch, wie sich Berrat in dem Durcheinander erhob, ihr Schwert und die Keule schnappte und kämpfend aus dem Dorf wankte. Wie aufgescheuchte Hühner jagten die ersten Hunnen zu Pferde und zu Fuß an uns vorbei. Auch der große Hunnenkönig mußte einsehen, daß seine von der Schlacht demoralisierten Krieger auf Dauer den wütenden Bauern nicht standhalten konnten. Er zog es vor, sich vor den Dreschflegeln in Sicherheit zu bringen. Mein Siegelring begann zu leuchten. Die automatische Rückreise stand kurz bevor. Ich hatte mein Ziel erreicht und die beiden Frauen aus den Händen der Barbaren befreit. Nichts hielt mich mehr in der Vergangenheit. Ich konzentrierte mich auf die Höhle und Tessa, starrte in das aufgerissene Maul des Drachen, hörte die beiden Frauen schreien, und im nächsten Augenblick wirbelten wir durch Raum und Zeit... 88
* Wir kamen hart auf dem Felsboden in der Höhle auf. Ich prallte gegen ein schmales Tropfsteingitter. Die Stalaktiten brachen unter meinem Aufprall. Es war kalt in der Höhle. Während ich benommen den Kopf schüttelte, bemerkte ich, wie Tessa die beiden Mädchen mit Wolldecken und Ersatzkleidung versorgte und dann zu mir herüberkam. Als sie mir eine Decke über die Schultern legen wollte, wehrte ich ab und wankte zu dem Kleiderhaufen, den ich bei meiner Abreise zurücklassen mußte. »Keine Zeit«, preßte ich hervor. »Die Zombies. Muß Pit helfen.« »Für eine ordentliche Begrüßung reicht die Zeit wohl noch«, sagte Tessa und küßte mich leidenschaftlich. »Du siehst geschafft aus«, murmelte sie. »Kein Wunder, nach dem, was dieses Barbarenweib mit ihm angestellt hat«, sagte Silke und kassierte einen Rippenstoß von Kirstin, der sie zum Schweigen brachte. Tessas Miene verfinsterte sich. »Was meint sie damit?« »Es war ein harter Kampf, Tess«, sagte ich ausweichend. »Den Eindruck hatte ich allerdings auch. Er war mehr als hart.« Silke konnte ihr Schandmaul einfach nicht halten. »Mark, hast du mir was zu sagen?« fragte Tessa lauernd und verschränkte die Arme. »Nur, daß ich froh bin, wieder hier zu sein.« Ich streifte mein Sweatshirt über und schlüpfte in die Stiefel, steckte die Pistole ein und ging zum Höhleneingang. »Beeilen wir uns lieber. Pit kann jede Hilfe gebrauchen.« Dämmerung hatte sich über das Pfälzer Bergland gesenkt. Die Bäume warfen dunkle Schatten in dem ungemütlichen Grau, das uns umgab. Tessa hatte einen Geländewagen auf dem Waldweg bereitstellen lassen. Wir verließen den Wald, ließen die Postenkette hinter uns und erreichten die Ortschaft. Pit fanden wir inmitten einer Gruppe von SEK-Beamten gleich hinter dem Ortseingang. Er begrüßte uns überschwenglich. »Wie sieht's aus?« fragte ich. 89
»Düster. Sehr düster.« »Das sehe ich. Aber mal im Klartext - steht die Verteidigung?« Pit zog ein saures Gesicht. »Wir haben nicht so viele Männer, wie wir gerne hätten. Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß einige Zombies den Verteidigungsring durchbrechen und in den Ort gelangen.« »Mist. Hast du an den Flammengürtel gedacht?« Pit nickte. »Klar doch. Aber der allein wird sie nicht aufhalten.« »Abwarten. Wir müssen ihn nur richtig einsetzen. Und dann will ich noch ein paar kleine Überraschungen für unsere Freunde einbauen.« Ich zeigte ihm, wo ich die Leute postiert haben wollte. Die Einwohner von Rathsweiler wurden aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben, Fenster und Türen geschlossen zu halten und sie nach Möglichkeit noch mit Möbelstücken zu verbarrikadieren. Dann begann das Warten. »Was hat Silke vorhin in der Höhle gemeint?« fragte Tessa. »Nicht jetzt«, winkte ich ab. »Mark, ich will Klarheit haben. Du weißt, ich kann Geheimniskrämerei nicht ausstehen. Also, was war los?« »Später.« »Nein. Du wirst mir jetzt sofort Rede und Antwort.« Das Funkgerät, das ich vor mir liegen hatte, knackte. »Sie kommen«, alarmierte uns einer der Posten am Wald. »Verstanden. Bleibt in Deckung, bis sie euch passiert haben. Dann folgt ihr ihnen. Die hintere Postenkette verhindert, daß sie nach Südwesten durchbrechen.« Gespannt warteten wir auf das Auftauchen der Untoten. Und sie kamen. Im fahlen Licht des Halbmonds und der Straßenbeleuchtung sahen die mumifizierten Steppenreiter noch furchterregender aus, als wenn man ihnen direkt gegenüberstand. Berrat ritt in ihrer Mitte. Ihr feuerschnaubender Rappe war größer als die Steppenponies, und so ragte Berrats Gestalt weit über die Köpfe der Krieger hinaus. Sie verhielten ihre Pferde in breiter Phalanx vor dem Ort. Die Linie der Reiter zog sich quer über die Straße, an einer Baustelle vorbei, über einen Straßengraben und in die Wiesen am Straßenrand hinein. Die Wildfrau schaute angestrengt zu uns herüber, aber wir waren zu gut verborgen. Für sie lag der Ort friedlich und still da. 90
Sie mußte davon ausgehen, daß ihr Angriff für die Einwohner völlig überraschend kam. Sie hob Schwert und Keule und schrie: »Für Turull« Bewegung kam in die Zombies. Das Donnern der Hufe klang überlaut, als sie in den Ort preschten. Direkt in die Falle. Wir warteten, bis sie fast vollständig in den Ort eingefallen waren, bevor wir die ersten Schüsse abfeuerten. Unsere Silberkugeln rissen Zombiekrieger aus den Sätteln. Sofort zerrten die Untoten an ihren Zügeln. Ein heilloses Durcheinander entstand. Krieger glitten aus dem Sattel, um zu Fuß weiterzukämpfen. Sie griffen mit ihren Schwertern die Beamten des Sondereinsatzkommandos an, die ihnen mit Flammenwerfern begegneten. Ich hatte die Männer angehalten, die Zombies so nahe wie möglich an sich heranzulassen und nur kurze Feuerstöße abzugeben. Den verzehrenden Flammen waren die Mumien nicht gewachsen. Brennenden Strohpuppen gleich, taumelten sie über die Straße und durch den Ort. Es war eine bizarre Szenerie, die der Anblick der wankenden, lodernden Gestalten bot. Die nachfolgenden Zombies hatten die Falle erkannt und wendeten ihre Ponies, wurden aber von Pit und seinen Männern empfangen, die einen Flammengürtel quer über die Straße legten. Hoch züngelte die Flammenwand auf und schnitt den Untoten den Rückweg ab. Wieder wandten sie die Ponies und schwangen wütend ihre Schwerter. Als sie durch die Hauptstraße jagten, standen in Hauseingängen jene Männer bereit, die ich vorher dort postiert hatte. Auf mein Zeichen hin aktivierten sie ihre Flammenwerfer. Von beiden Seiten schossen Flammenzungen in die Straße, holten die Zombies in voller Karriere aus dem Sattel. Auch die Geisterpferde fingen Feuer, wurden von den Flammen umhüllt. Ich lief schießend und mit einem Schwert um mich schlagend durch die Straße, erledigte jeden Untoten, der mir in die Quere kam. Tessa hatte sich ein Krummschwert besorgt und dezimierte damit die Reihen der Angreifer. 91
Wir brachten den Flammengürtel hinter uns und beobachteten Berrat, die nur noch ein Häuflein Krieger um sich versammelt hatte. Grimmig schaute sie zu uns herüber. »Du hast es tatsächlich geschafft, Langer!« rief sie. »Du hattest Glück. Ich dachte, ich hätte dich so sehr geschwächt, daß ich leichtes Spie! mit dir hätte. Ich habe dich unterschätzt. Aber du kannst nicht immer Glück haben. Die Kraft der Walddämonin Bohyni ist in mir. Ihr wirst du nicht gewachsen sein!« Sie trieb ihren Rappen an, und Tessa hielt zum Glück den Mund, ging nicht wieder auf dieses Thema ein. Berrat galoppierte heran, und ihre wenigen verbliebenen Krieger folgten ihr. Ich empfing sie mit Silberkugeln, holte einen nach dem anderen aus dem Sattel. Dann waren sie heran. Ich hatte mich verschossen, zum Nachladen war keine Zeit. Berrat schwang ihre Keule, ich entging nur knapp dem Schlag. Berrat setzte sofort mit ihrem Schwert nach. Die Klinge sirrte haarscharf über meinen Kopf hinweg. Ich ließ mich fallen, rollte zur Seite ab. Berrat wendete ihr Pferd. Und plötzlich nahm der Entscheidungskampf einen dramatischen Verlauf, denn die Erde erzitterte, und ein gewaltiger Donnerschlag erfüllte die Luft. Ich starrte das Riesenbein an, das neben mir niedergestampft war. Utgardaloki, der Dämonengott, hatte in den Kampf eingegriffen! * »Ich übernehme die Wildfrau! Kümmere du dich um den Riesen!« brüllte Tessa und wich den baumdicken Fingern des Hünen aus. Ich lief zu ihr und rammte unterwegs mein letztes Magazin in die Pistole. Schaute nach oben und direkt in das unversehrte Auge des Riesen. »Hier stehe ich, Mark Hellmann, der Träger des Rings!« rief ich. »Du willst meinen Tod, Utgardaloki. Meine Freunde interessieren dich nicht. Also laß ab von ihnen. Ich stelle mich dir zum Kampf, Riese, Diese Gelegenheit bekommst du nie wieder!« 92
Der Dämonengott faltete die gewaltigen Schwingen auseinander, und ich feuerte Silberkugeln gegen die lederartige Haut der Flügel. Die Geschosse rissen große Löcher in die Haut. Kleine Flämmchen züngelten an den Rändern. Utgardaloki stieß ein infernalisches Gebrüll aus, stampfte wie ein jähzorniges Kind auf. Ich hatte Mühe, seinen riesigen Füßen auszuweichen. Verzweifelt schaute ich mich nach einer wirkungsvollen Waffe gegen den Riesen um. Mit meinem Schwert kam ich nicht gegen ihn an. Ich sah, wie Tessa und Berrat miteinander kämpften. Tessa führte die Klinge meisterhaft und drängte die Wildfrau immer mehr in die Defensive. Mein Blick wanderte zu der Baustelle. Mir kam ein Gedanke. Vielleicht gab es doch noch ein Mittel, den Dämonengott zu besiegen. Ich sprintete an dem Riesen vorüber, beachtete die beiden kämpfenden Frauen kaum und legte eine Traumzeit hin, wie ich sie als aktiver Zehnkämpfer kaum erreicht hatte'. Mein Atem ging keuchend, als ich zwischen den Baustellenfahrzeugen und Maschinen hindurchhuschte und meinen Blick schweifen ließ. Und ich fand, was ich suchte. Hastig beugte ich mich nieder und richtete den Lichtstrahl meines Siegelrings auf den Schaft des schweren Vorschlaghammers. Ich schrieb die Runen für Thors legendären Hammer auf den Hammerkopf. Pit hatte meine Aktion beobachtet und kam mit einem Flammenwerfer herbeigeeilt. »Was hast du vor?« rief er. Nicht weit entfernt stand eine Planierraupe. »Kannst du das Ding bedienen?« fragte ich. »Müßte ich hinkriegen. Wieso?« Ich deutete nach oben. »Bring mich da rauf. So weit, wie es geht!« Pit legte den Flammenwerfer ab, sprang in das Führerhaus des Bulldozers und schloß ihn kurz. Mit lautem Dröhnen sprang die Maschine an. Ich flankte in die breite Schaufel, deren Zinken nach vorn gerichtet waren. Zu meinen Füßen lag Pits Flammenwerfer. Den Vorschlaghammer hatte ich neben mir abgestellt. Hell leuchteten 93
die Zeichen auf dem Hammer, der ganz von bläulichen Flämmchen eingehüllt war. Ein Ruck ging durch die Maschine, dann setzte sie sich in Bewegung. Ich mußte mich festhalten. Wir fuhren - rückwärts! »Nach vorn, Pit! Nun mach schon!« schrie ich. »Immer schön langsam. Ich bin schließlich nicht so gut im Baggern wie du!« »Leg mal einen Zahn zu. Ich will heute nacht noch ins Bett!« »Mit wem?« »Sag ich dir vielleicht, wenn die Sache hier erledigt ist. Aber so, wie du dich anstellst, erfährst du's nie!« Wieder ruckte der Bulldozer, dann rollte er nach vorn. Ich klammerte mich am Rand der Schaufel fest, die sich allmählich hob. Der Dämonengott schrie, daß mir die Ohren schmerzten. Er ballte die Fäuste und hieb Löcher in die Luft. »Willst du mir mit deinem Spielzeug Angst machen, Träger des Rings?« Er lachte. »Niemand macht mir Angst. Nicht mal Mephisto, der Herr der Finsternis. Er und Belial werden sich freuen, wenn sie hören, wie ich dir die Glieder einzeln ausgerissen habe! Komm, und stirb, Mark Hellmann!« Die Schaufel hatte ihren höchsten Punkt erreicht. Ich stand hoch aufgerichtet und hielt den Vorschlaghammer nun quer vor dem Körper. Noch reichte ich Utgardaloki gerade bis zum Hosenbund, aber das sollte sich ändern. »Ich will dir Auge in Auge gegenüberstehen, Riese. Erst dann wird sich entscheiden, wer der Stärkere ist.« »Pah, großmäuliger Gockel. Ich rupfe dir die Federn aus, verlaß dich drauf!« Und Utgardaloki beugte sich tatsächlich herab. Als sich sein häßliches Gesicht direkt vor mir befand, das riesige Auge mich anstarrte und sich die tunnelartigen Nüstern blähten, riskierte ich alles. Hochaufgerichtet holte ich aus, schwang den schweren Vorschlaghammer über den Kopf und schrie aus Leibeskräften den Namen jenes Germanengottes, der den Riesen vor undenklichen Zeiten bereits zum Zweikampf herausgefordert hatte. 94
»Thoooorrr!« Der Hammer segelte durch die Luft und knallte mitten in das weit aufgerissene Riesenauge. Thors Hammer Mjöllnir hätte keine größere Wirkung erzielen können. Das Auge zerplatzte in einer Fontäne aus leuchtenden Strahlen und stinkender Flüssigkeit. Utgardaloki brüllte auf und warf geblendet den Kopf zurück. Wie einst Mjöllnir, so kehrte auch der Vorschlaghammer zu mir zurück. Ich packte ihn, wobei mir beinahe die Arme aus den Schulterpfannen gerissen wurden, schwang ihn erneut und ließ ihn sausen. »Grüße Belial von mir. So leicht erwischt mich das Warzengesicht nicht!« Utgardalokis Kopf senkte sich. Seine Fäuste rasten auf mich zu. Ich gab Pit ein Zeichen, die Schaufel herunterzufahren, aber er würde nicht schnell genug sein. Das erkannte ich sofort. Der Vorschlaghammer rettete mich. Beseelt mit Weißer Magie und Thors Kraft grub er sich tief in die Stirn des Dämonengottes. Utgardaloki warf den Kopf zurück, bäumte sich auf. Seine riesenhafte Gestalt wuchs in die Höhe. Der Schädel des Riesen war in einen Strahlenkranz gehüllt. Wie eine Explosion verschiedenartiger Spektralfarben fächerten die Strahlen aus der riesigen Wunde, die der Vorschlaghammer gerissen hatte. Der Hüne mußte irrsinnige Schmerzen erleiden. Er breitete die durchlöcherten Schwingen aus, trommelte mit den Fäusten gegen die mächtige Brust und hob vom Boden ab. Ich wandte meine Aufmerksamkeit Tessa und Berrat zu. Meine Freundin schlug sich tapfer und nutzte den Umstand, daß Berrat von den Schmerzensschreien des Dämonengottes abgelenkt wurde. Während Utgardaloki flügelschlagend eine weite Runde drehte, unterlief Tessa den Keulenschlag der Wildfrau und zog ihr die Klinge quer über die Brust. Tessa drehte sich halb herum und stieß mit dem Schwert nach hinten. Die halbmondförmige Klinge drang in Berrats Hals, durchbohrte ihn und trat am Schädelansatz aus. Die Wildfrau erstarrte. Die Hand mit der Keule fiel herab. Ein Schwall schwarzen Dämonenblutes ergoß sich aus ihrem Mund. 95
Sie sah nicht mehr, wie der geflügelte Dämonengott, dessen Körper nun vollständig von dem Strahlenkranz eingehüllt wurde, auf mich niederstieß. Ich drückte genau im richtigen Moment auf den Auslöser des Flammenwerfers. Die Feuerlanze schoß mit gräßlichem Fauchen aus der Düse und klatschte in die verzerrte Fratze des Riesen. Utgardaloki, der Verbreiter von Angst und Schrecken, brannte! Die Schaufel senkte sich weiter. Ich besprühte die Unterseite des Riesen mit Feuer, verbrannte seine Schwingen. Grillte ihn. Bevor sein schwerer Körper auf mich stürzen konnte, erfolgte eine gewaltige Detonation. Utgardalokis Körper zerplatzte in unzählige Staubpartikel, die wie ein feiner Aschenregen niederrieselten. Im selben Augenblick fiel Berrat, die Wildfrau, wie vom Blitz getroffen zu Boden und löste sich zusammen mit ihrer Keule und dem Krummschwert auf. Attilas Mörderhorde war besiegt. Der Schrecken, der das Pfälzer Bergland so plötzlich heimgesucht hatte, war gebannt. * Kurz nach Mitternacht waren die letzten Reste der mumifizierten Hunnen und ihrer Pferde beseitigt. Die Männer vom SEK wollten abziehen, mußten allerdings zuvor im Rathsweiler Eck einen Imbiß und vor allem einen Schnaps der Hausmarke zu sich nehmen. Die überglückliche Wirtin war um das Wohl der Beamten bemüht wie eine Glucke um ihre Küken. Leo Henzler ließ es sich nicht nehmen, ebenfalls den Schnaps zu probieren. Obwohl er schon oft die Bekanntschaft mit dem scharfen Getränk gemacht hatte, schmatzte er wie ein Feinschmecker. »Also, wenn ich das meiner Hilde erzähle, hält sie mich für besoffen.« »Und wenn Sie noch mehr von dem Zeug in sich reinschütten, hat sie wohl recht«, meinte Pit. »Oh, geh fott!« »Das lassen wir uns doch nicht zweimal sagen, was?« Ich legte 96
Pit die Hand auf die Schulter und schob ihn zur Tür. Wir verabschiedeten uns von der Wirtin und gingen zu unserem BMW Silke und Kirstin saßen bereits auf dem Rücksitz. Tessa wartete neben dem Wagen. »So war ich gern, gewährt mir die Bitte, in eurer Mitte der dritte«, äußerte ich frei nach Schillers Bürgschaft. Silke machte bereitwillig Platz. Als ich einsteigen wollte, packte mich eine Hand am Kragen und zog mich zurück. »Du hast deinen Schiller auch schon besser zitiert«, kritisierte Tessa. »Und es kommt überhaupt nicht in Frage, daß du hier den Hahn im Korb spielst. Die Damen werden mit mir Vorlieb nehmen müssen. Ab mit dir nach vorne.« »Jawoll, Frau Kommissarin.« »Wohin?« fragte Pit. »Nach Hause«, antwortete Tessa. »Zu weit. Und viel zu spät dafür. Nach Kusel, in dieses lauschige Hotel, Johann!« befahl ich. Pit startete. »Damit du wieder auf dumme Gedanken kommst. Wir haben drei Frauen dabei, eine hübscher als die andere.« »Ich hab einen harten Kampf hinter mir und bin total geschafft.« Silke schaute mit einem wehmütigen Blick zu mir herüber, bevor sie ihr Zimmer betrat. »Hast du oder hast du nicht?« fragte Tessa und lehnte sich an die Tür. »Was?« »Tu nicht so scheinheilig! Was war zwischen dir und dieser Barbarin?« Hinter mir öffnete sich plötzlich die Tür, und eine leichtbekleidete, rotblonde Schönheit wurde sichtbar. »Ist bei euch alles in Ordnung?« Tessa knallte Silke wortlos die Tür vor der Nase zu, wirbelte zu mir herum und begann, mir die Kleider vom Leib zu reißen. »Mal sehen, wie fit du bist.« »Ich bin wirklich fix und fertig. Ehrlich.« »Schlappmachen gilt nicht!« Ich gab mein Bestes, Freunde. Bis zum Sonnenaufgang.
ENDE
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Die junge Frau erhielt keine Antwort. Sie hatte eine Aktentasche unterm Arm und balancierte stöhnend zwei volle Einkaufstüten in die Küche. »Da hat man einen Mann im Haus, aber wenn man ihn braucht, ist er nicht da!« Während sie die Tüten auf dem Küchentisch abstellte, spürte sie etwas Seidenweiches im Nacken und erschrak. Sekunden später schwebte vor ihrem Gesicht die Rose, deren Blütenblätter sie gestreichelt hatten. »Überraschung!« säuselte Jürgen. »Darf ich mein Herzblatt mit einem romantischen Abend zu zweit verwöhnen?« Eng umschlungen verließen sie das Apartmenthaus. Dunkle Augen, in den abgrundtiefer Haß loderte, verfolgten das glückliche Paar. So beginnt der 48. Hellmann-Roman von C.W. Bach. Sein
Der Todeskuß der eisernen Jungfrau Laßt Euch spannend unterhalten!
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