Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 609 Anti-ES - Xiinx-Markant
Atlan und Barleona von Hans Kneifel Fremde an Board der ...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 609 Anti-ES - Xiinx-Markant
Atlan und Barleona von Hans Kneifel Fremde an Board der SOL Hidden-X ist nicht mehr! Und somit haben Atlan und die fast hunderttausend Bewohner der SOL die bislang gefährlichste Situation auf dem an Gefahren reichen Weg des Generationenschiffs fast unbeschadet überstanden. Doch was ist mit dem weiteren Weg der SOL? Die Verwirklichung von Atlans Ziel, das schon viele Strapazen und Opfer gekostet hat – das Ziel nämlich, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen –, scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bemühen, sich die verlorenen Koordinaten wieder zu besorgen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Randgebiete der Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in neue, erbitterte Kämpfe verwickelt wird, die, wie man inzwischen weiß, auf das unheilvolle Wirken der sogenannten »Mental-Relais« zurückzuführen sind. Nach der Ausschaltung eines solchen Relais ist denn auch im Umfeld der SOL Ruhe eingetreten. An Bord selbst ist jedoch weiterhin für Hochspannung und Unruhe gesorgt. Schuld daran sind ATLAN UND BARLEONA …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide kümmert sich intensiv um eine Frau. Barleona - Eine seltsame Fremde an Bord der SOL. Breckcrown Hayes - Der High Sideryt sucht das Weltraumabenteuer. Lyta Kunduran - Ihr Schiff wird zur Notlandung gezwungen. Tyari - Eine Besucherin aus der Galaxis Bars-2-Bars. Tremtrin - Das Manifest D erscheint.
1. Das zernarbte, graue Gesicht des High Sideryt beugte sich hinunter. Seine Stimme grollte auf. »Nein. Das kann ich nicht glauben.« Sannys helle Stimme wurde ein wenig spitz, als sie antwortete: »Eine Produktion der Zukunft ist stets eine enge Verbindung von Hoffnung und Phantasie. Kann es sein, daß sich im Moment deine Gedanken zielstrebig auf die Zukunft richten? Auf die eigentliche Bestimmung unseres Lebensbereichs?« Hayes machte eine unbestimmte Bewegung. »Ich habe mich schon halb entschlossen, dort weiterzumachen, wo Atlan aufgehört hat.« »Er hat nicht wirklich aufgehört. Es wird nur stark abgelenkt«, sagte die Molaatin. Sie saßen in der Klause des High Sideryt. Um sie herum herrschte eine eigenartige Atmosphäre der SOL. Die Räume und Korridore waren von sauberer, kühler Luft und mildem Licht in allen warmen Schattierungen erfüllt. Unsichtbare Versorgungseinrichtungen arbeiteten in der Mehrzahl völlig lautlos. Seit undenkbarer Zeit raste die SOL durch das Universum und durch zahllose Abenteuer, die niemand an Bord je für möglich gehalten hätte. »Abgelenkt«, sagte Breck düster. »Barleona wird, hoffe ich, nicht zu einem echten Konfliktfall.«
»Ich bin sicher, daß Atlans Begeisterung für ein neues, intellektuelles Problem nicht sehr lange anhält.« »Barleona ist nicht nur eine intellektuelle Aufgabe«, grollte der High Sideryt. »Sie interessiert Atlan auch als Frau.« »Ich gönne ihm diese Freude«, wandte Sanny ein. »Er ist sich selbst gegenüber allerdings ebenso skeptisch wie wir.« »Sicherlich, ganz bestimmt sogar.« »Ich schlage vor«, meinte Sanny, »daß wir den Grund der sinnlosen Qualifikationskämpfe der Planetarier auszuschalten versuchen.« »Also die sogenannten Mental-Relais?« brummte Breckcrown. »Ja. Im Augenblick herrscht trügerische Ruhe«, unterstrich Sanny. »Wir sollten diesen Umstand ausnutzen.« Die Bordchronometer zeigten den Anfang des neunten November 3807 an. Unbehelligt und unbetroffen von den Auseinandersetzungen in Xiinx-Markant stand die SOL fernab aller Sonnen im Bereich der befriedeten Zone. Ein Mental-Relais war zerstört, und die Besatzung konnte hoffen, daß der friedliche Zustand einige Zeit erhalten blieb. Hayes grinste schief und murmelte: »Er ist gerade bei der Hypnoschulung, nicht wahr?« »Ein bewährtes Verfahren«, entgegnete Sanny und funkelte vergnügt mit ihren großen, glänzenden Augen. »Barleona ist für uns alle an Bord die große Unbekannte. Rätselhafte Herkunft, harmlos und unwissend, schüchtern und bemüht, den Anschluß an das aktuelle Leben an Bord zu finden.« »Zugegeben«, brummte Breckcrown. »Sag – kannst du Barleona ›berechnen‹?« Sanny schüttelte ihren kleinen, bepelzten Kopf. »Nichts zu machen. Ich vermag nicht festzustellen, ob sie grundsätzlich positiv oder negativ ist.« Breck lehnte sich zurück und ließ seine Blicke über die Reihen der Monitoren gehen. Sie zeigten den leeren Weltraum und Ausschnitte aus allen drei Teilen des gigantischen Schiffes. Der High Sideryt
sagte wie beiläufig, während er die Bildschirme prüfte: »Die Angehörigen des Atlan-Teams sehen es nicht so gern, daß er sich fast ausschließlich mit dem weiblichen Fremdkörper beschäftigt.« Sanny kicherte. »Fremdkörper ist gut. Du hast recht. Die anderen meinen, Barleona würde die Naive spielen. Ich bin fast sicher, sie ist wirklich naiv, im Sinn der Bedeutung dieses Wortes eurer Sprache.« Es schien den Interessierten an Bord, als ob Atlan über der Sorge für Barleona die Suche nach den Koordinaten von VarnhagherGhynnst zurückstellen würde, ebenso wie die Erkundigung der Dunkelzone. Der High Sideryt teilte die Besorgnis nicht; er meinte, daß selbst für nebensächlich erscheinende Vorgänge an Bord genug Zeit und genügend Toleranz vorhanden sein müßten. »Warten wir ab«, sagte er. »Ich werde SENECA zu Rate ziehen.« »Um andere Mental-Relais zu finden?« »Genau dazu. Es gibt viele Teilbereiche, die wir in dieser ruhigen Phase erkunden und erforschen können.« Ungeachtet der vorliegenden Probleme, die sich mit den Vorfällen entlang der SOL-Reise beschäftigten, herrschte an Bord das normale Leben. Es wurden die notwendigen Reparaturen durchgeführt, es waren Zehntausende, die unentwegt versorgt werden mußten, man sammelte Millionen von Daten und versuchte, sie mit SENECAs Hilfe zu verarbeiten. Mannschaften wurden trainiert und in Simulatoren ausgebildet, Maschinen produzierten, und sie verbrauchten riesige Mengen von Rohstoffen und Energien. Die meisten Vorgänge liefen unsichtbar und fast unhörbar ab und sicherten der riesigen Gemeinschaft im Innern der zwei Kugeln und des Zylinders das Überleben ohne »wirtschaftliche« Sorgen. Die wirklichen Probleme wurden zur Zeit von außen an die SOL und ihre Insassen herangetragen. Atlan allerdings war einer der wenigen, die daran nicht dachten. Es war mit anderen Problemen beschäftigt.
* Die Stimmung im Labor war schwer zu definieren. Gespannte Erwartung, aufgeregte Ruhe, oder auch distanzierte Skepsis zitterten förmlich in der Luft. Barleona lag ausgestreckt und regungslos unter der chromglänzenden Haube der Hypnogeräte. Einige Meter von ihr entfernt lag Atlan in seinem weiß überzogenen Kontursessel. Der Arkonide war nur äußerlich ruhig. Der Logiksektor schaltete sich warnend ein: Sehr gefährlich, Atlan, ihr das Grundwissen über die SOL und alles andere zu übermitteln. Sie erhält Informationen, die auszunutzen sind! Atlan hob als Antwort die rechte Hand und konzentrierte seinen Blick auf das Gesicht der jungen Frau. Mehr als fünfundzwanzig »terranische« Jahre gab er ihr nicht; auch wenn sie von anderen als irdischen Welten abstammen sollte, so war sie zumindest äußerlich nicht älter. Im künstlichen Licht dieses Raumes wirkte ihre Hautfarbe wie ein heller Bronzeton. Das dunkelbraune Haar lag glatt auf dem Kissen der Nackenunterlage. Ihre Brust hob und senkte sich in tiefen, ruhigen Atemzügen. Nun blinzelte sie, öffnete für kurze Zeit die Augen und starrte an das schwach leuchtende Rastermuster der abgehängten Decke. Atlan sagte leise: »Barleona! Du mußt mir antworten! Du beherrscht das Interkosmo so gut wie jedermann an Bord. Sprich mit mir, mit Atlan, der das Beste für dich will.« Sie hauchte, noch unter dem Eindruck des Stromes der Impulse stehend: »Ich habe viel gelernt. Ich danke dir.« Atlan wußte selbstverständlich, daß er einer der Hauptverantwortlichen eines wichtigen Experiments war. Seine Erfahrung, die nach Jahrtausenden zählte, sagte ihm, daß er mit der
telepathisch nicht ausforschbaren Frau seine Schwierigkeiten haben würde. Er meinte, kein zu großes Risiko einzugehen, wenn er ihr pauschale Informationen übermittelte. »Dank ist nicht angebracht«, antwortete er zurückhaltend. »Du mußt unser Leben und die Umstände kennen, unsere Zielsetzungund die gegenwärtige Position dieses gewaltigen Organismus aus Stahl und Leben, den wir die SOL nennen.« Barleona antwortete, indem sie ihren Oberkörper aufrichtete: »Auch in Interkosmo muß ich sagen, daß ich nichts weiß.« »Was bedeutet in diesem Fall nichts?« fragte er begierig. »Meine Erinnerung reicht in eine lange Zeit zurück. Diese Zeit war nicht definiert; sie kann einige Ewigkeiten betragen haben oder nur Jahre. Ich habe sie ausschließlich in jener Überlebenszelle verbracht.« Mit einigen Schwierigkeiten, die sie aber schnell besiegte, weil sie mit jedem Handgriff lernte, benutzte Barleona die Möglichkeiten ihrer Umgebung mit ständig wachsendem Geschick. Sie paßte sich schnell an. So schnell, daß es jedermann auffiel. Sie besaß ohne Zweifel eine hohe, praktisch und theoretisch orientierte Intelligenz. Gib es wenigstens dir gegenüber zu, drängte der Logiksektor. Du bist von Barleona hingerissen! »Meinetwegen«, knurrte Atlan und stand auf. Er blieb neben der Liege stehen, preßte den Finger auf einen Schalter und kippte dadurch das Oberteil der flachen Platte nach vorn, fast in die Senkrechte. »Ich will erreichen«, sagte er, »daß du zu dir selbst findest, Mädchen.« Sie betrachtete Atlan aus ihren neugierigen, großen Augen. »Ich weiß nicht, was dort zu suchen wäre. Alles ist so seltsam … leer.« »Du erinnerst dich nicht einmal an Teilbereiche?« »Ich erinnere mich an eine Abfolge von bedeutungslosen Handlungen«, erklärte sie langsam und in tiefem Nachdenken.
Immer wirkte sie, wenn die Phase der Hypnoschulung vorbei war, als ob sie aus einem abgrundtiefen Traum erwacht sei. Mitleid und Faszination, das waren die beiden wichtigsten Eindrücke, die Atlan empfand. Er sagte: »Ich werde Sternfeuer rufen. Mit ihr hast du bisher die besten Erfolge gehabt.« »Du meinst, daß sie versuchen wird, in meinem Verstand zu graben und das herauszufinden, was du nicht gefunden hast?« »So oder ähnlich.« Atlan betrachtete sie nachdenklich. Er wußte, daß seine engsten Freunde an Bord seine Bemühungen äußerst kritisch verfolgten. Er konnte sie verstehen, denn es gab wirklich andere Probleme als ausschließlich diesen weiblichen Fremdling. Barleona schwang ihre langen, schlanken Beine von der Liege und stellte die Sohlen auf den weichen Bodenbelag. Sie faltete die Hände in einer fast rührenden Bewegung im Schoß und sagte halblaut: »Ich mache viele Fehler. Ihr müßt es entschuldigen. Ich bin für jede Hilfe dankbar. Ich bin allein und fremd auf diesem Raumschiff. Sie muß riesig sein, die SOL, nicht wahr?« Atlan nickte mehrmals. »Sie ist riesig. Aber auch deine neue Heimat ist angreifbar und verwundbar. Einige von uns befürchten, daß ein Fremdkörper eine Gefahr von innen bilden kann. Jeder, den wir aufnehmen, kann ein Fremdkörper sein. Ich persönlich glaube nicht im mindesten daran, daß du ein solcher Keim sein könntest. Ich glaube dir, neige aber auch zur Vorsicht. Natürlich sorge ich mich um dich, um deine unbeholfenen Versuche, an Bord heimisch zu werden.« Schweigend blickte Atlan eine Zeitlang auf ihren Scheitel hinunter und sagte dann abschließend: »Für heute habe ich getan, was ich konnte. Ich hoffe, daß du und Sternfeuer euch gut versteht.« Mit langsamen Schritten verließ er den Raum.
* Breckcrown Hayes knurrte voller Grimm: »Dort, in dieser Dunkelzone, verbirgt sich etwas.« Was immer es war, es hielt den Weiterflug der SOL auf. Der Empfangsschirmprojektor des Mental-Relais hatte eindeutig auf das Zentrum der Dunkelzone hingewiesen, auf den Mittelpunkt von Xiinx-Markant. Das Relais war mittlerweile zerstört, aber die Informationen lagen zur weiteren Verarbeitung vor. Unmittelbar vor dem High Sideryt befanden sich die Schaltkonsole und die peripheren Geräte des SENECA-Terminals. Sämtliche Aggregate waren aktiviert. SENECAS Antwort erfolgte optisch und akustisch. »Definitiv konnte ich den Standort nur von einem Mental-Relais errechnen.« »Du hast die Daten«, antwortete 10 Breckcrown, »um den Wirkungskreis ausrechnen zu können.« »Ist bereits geschehen.« »Zeige mir, was du hochgerechnet hast!« forderte der High Sideryt auf und berührte einige Tastenfelder. Augenblicklich sprangen Darstellungen in sämtlichen Farben, sich langsam entwickelnde Grafiken und blinkende Zeilen von Zahlen und Buchstabengruppen auf die Monitoren. SENECAs Stimme sagte leidenschaftslos: »Du siehst, daß mit größter Wahrscheinlichkeit die gesamte äußere Zone dieser Galaxis von solchen Mental-Relais förmlich gespickt ist. Dies sind die neuesten Daten, die ich ermitteln konnte.« Breckcrown gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich. »Meine Berechnungen gehen von folgender Gewißheit aus: Wenn nur jene Bereiche, in denen Auslesekämpfe beobachtet werden konnten, als Basis einer Hochrechnung benützt werden, müssen es einige Millionen der strahlenden Elemente sein.« Breckcrown stützte sein Kinn schwer in die breiten Hände und
murmelte: »Wieder einmal eine Aufgabe, die unsere Kräfte bei weitem übersteigt. Ermittle die Standorte der nächsten Mental-Relais und gib uns die Koordinaten.« Breckcrown speicherte die ersten Daten in einer Nebenanlage und sagte: »Die Daten genügen bereits, um eine Suchexpedition auf den Weg zu schicken.« »Du hast vor, einige Relais anzusteuern?« fragte SENECA. »Ja. Mit mindestens drei Kreuzern.« »Dann brauchst du nicht nur die nächstgelegenen Ziele, sondern auch Ausweichkoordinaten«, stellte SENECA fest. »Zur Sicherheit brauchen die Kommandanten der Schiffe eine Auswahl an Alternativen«, bestätigte der High Sideryt. Er schaltete eine Leitung in Atlans Räume und hielt den Ton vorläufig gedrosselt. »Hier sind sie.« Summend arbeitete der Drucker, auf den Schirmen formierten sich neue Angaben. »Drei Kreuzer«, murmelte Breck. »Und Brooklyn muß mitmachen!« Auf einem der Bildschirme stabilisierte sich die Gestalt des weißhaarigen Arkoniden. Er nickte Breckcrown kurz zu und sagte: »Du scheinst größere Dinge vorzuhaben!« »Ja. Im Gegensatz zu dir kümmere ich mich um die Vorgänge außerhalb des Schiffes.« »Das merke ich«, antwortete Atlan. »Ich halte allerdings die Beschäftigung mit Barleona für wichtiger, wenigstens im Augenblick. Du kannst es verstehen, denn wir hatten schon so oft Eindringlinge, die sich als wahre Schreckensgestalten herausstellten. Denke an die Zehnlinge! Ich muß herausfinden, was es mit der Frau auf sich hat. Glaube nicht, daß ich deswegen allen anderen Vorgängen uninteressiert gegenüberstehe!«
»Es besteht keinerlei Zweifel an deiner Loyalität«, entgegnete Breck ein wenig verkniffen. »Man ist allgemein der Auffassung, daß dich die Frau förmlich einwickelt. All dein Interesse dreht sich nur um sie.« »Nicht ganz«, widersprach Atlan. »Sonst würde ich jetzt nicht mit dir sprechen.« »Auch wahr«, brummte Breckcrown verdrossen. »Was willst du eigentlich wirklich?« »Ein unerklärliches Geheimnis lösen«, gab Atlan zurück. »Meinetwegen.« Während SENECA ununterbrochen neue Koordinaten auswarf und ausdruckte, starrten sich die beiden Männer schweigend an. Breckcrown winkte schließlich ab und rief grollend: »Ich fliege mit der KONTERMANN.« Atlan versuchte ein zustimmendes Lächeln. »Jedermann begrüßt deine Aktivitäten«, sagte er. »Ich bin das nächstemal bei einem riskanten Einsatz dabei. Für die nächsten Tage bitte ich um Entschuldigung und Verständnis.« Nach kurzem Zögern schloß er: »Mit den kritischen Stimmen an Bord und in meiner nächsten Umgebung werde ich schon fertig.« Breckcrown hob die Hand und winkte eine Art Abschiedsgruß in die Richtung des Monitors. Atlans Kopf und Oberkörper verschwanden aus dem Bild. Dann ließ sich der High Sideryt die Namen der einsatzbereiten Kreuzer geben, stellte seine Teams zusammen und bestimmte schließlich, daß die SZ-2-15, die FERNWEH, dann die STERNLOK oder SZ-2-16 und die KONTERMANN, also die SZ-2-18, startbereit gemacht wurden. SENECA speiste sämtliche Computer der drei Kreuzer mit seinen errechneten und extrapolierten Informationen und Koordinaten. »Gallatan Herts wird während meiner Abwesenheit«, verkündete Hayes, »die Verantwortung über die SOL haben. Wir rechnen damit, daß wir in drei bis vier Tagen alle wichtigen Erkenntnisse eingeholt
haben werden.« Noch während er von der Hauptzentrale aus die Einsätze und deren Teilnehmer vorbereitete, erschien Federspiel, grüßte die verschiedenen Gruppen und erklärte kurz: »Ich fliege mit.« »Ausgezeichnet«, rief der High Sideryt. »Einen Telepathen für den Fall, daß wieder einmal keine Funkverbindung möglich ist. Ich würde es begrüßen, wenn du an Bord der KONTERMANN mitfliegen würdest.« »Einverstanden.«
2. Die KONTERMANN entfernte sich in einer Geraden von der SOL. Die Besatzung ahnte ziemlich genau, in welche Gefahr sich die drei Schiffe wagten. Nur Breckcrown saß scheinbar gelassen im Kontursessel vor den Zentralschirmen. »Wir stoßen direkt zum ersten Zielpunkt vor!« bestimmte er mit Entschlossenheit. Die beiden anderen Kreuzer folgten schräg gegeneinander versetzt. Zwischen den Zentralen und den drei Ortungsabteilungen bestand Sichtfunkverbindung. Die Geschwindigkeit nahm zu, der erste Abschnitt des Fluges würde eine Linearetappe von rund dreizehn Lichtjahren erfordern. Der Pilot wandte sich herum, deutete auf die Bilder aus den Ortungszentralen und bestätigte: »Wir befinden uns nachweislich in einer ruhigen Zone. Noch. Weit und breit kein einziges Raumschiff zu orten.« »Es wird sich ändern, wenn wir das Ziel erreichen«, sagte der High Sideryt. »Diese Mental-Relais sind schuld daran, daß sich die verschiedenen Sternenvölker mit einem gewaltigen Aufwand
gegenseitig dezimieren.« Wuschel, der seltsame Freund des skurrilen Roboters Blödel, hatte den treffenden Ausdruck für die Stationen gefunden. Die Solaner bezeichneten es als Doppelrad, und die Silhouette und die ersten Echos auf den Ortungsschirmen waren unverkennbar. Zwischen den drei Schiffen gingen unhörbar Datenströme hin und her. Die Raumschiffe flogen einen parallelen Kurs und näherten sich dem Punkt, an dem sie das Linearmanöver einleiten würden. Hayes drückte die Kommunikationstaste und erhob seine Stimme zu einem befehlenden Grollen. »Und noch einmal: wir lassen uns auf keine Kämpfe ein. Unser Ziel ist in erster Linie die Aufklärung. Wenn es möglich ist, vernichten wir ein oder mehrere Relais. Klar, Freunde?« Die Kommandanten der FERNWEH und der STERNLOK nickten von den Schirmen. Nacheinander verschwanden die Kreuzer aus dem normalen Raum. Als sie, fast gleichzeitig, die Linearetappe beendeten und in das Gefüge zwischen Sonnen und Planeten hinausglitten, erschienen auf den Ortungsschirmen die ersten Impulse. Es wurden immer mehr Echos. Sie bewegten sich überraschend schnell und kamen von drei verschiedenen Richtungen auf die Schiffe zu. »Schutzschirme ausbringen!« ordnete Breckcrown an. Aus den Ortungsabteilungen kamen die ersten Warnungen. Die Linearetappe hatte eine Distanz von zwölfeinhalb Lichtjahren überbrückt. Ein halbes Lichtjahr voraus, direkt am Ende der eingeschlagenen Kursgeraden, leuchtete eine weiße Sonne. Fast synchron bremsten, während sich die schillernden Schutzschirme aufbauten, die Schiffe ihre Fluggeschwindigkeit geringfügig ab. Die Ortungsschirme füllten sich mehr und mehr mit den scharfen Echos der anfliegenden Schiffe. »Solania spricht«, kam die Stimme aus den Lautsprechern. »Es sieht für mich aus, als hätten die kleinen Flotten nur auf einen
Eindringling gewartet.« »Vermutlich sind sie alle derart motiviert, daß sie sich blindwütig auf alles stürzen, das sich bewegt.« Das war nicht nur Breckcrowns ausgesprochene Meinung. Die Ereignisse um das erste Mental-Relais sprachen für sich. »Feuerleitstelle FERNWEH«, schaltete sich ein Sprecher ein. »Im Fall eines ernsthaften Angriffs: zurückfeuern oder ausweichen?« Augenblicklich erwiderte der High Sideryt: »Wir weichen aus. Wenigstens vorläufig konzentrieren wir uns auf die ins Auge gefaßten Ziele.« Es ging allen Insassen der drei Kreuzer plötzlich ebenso wie ihm. Bei der schnellen Planung ihrer Mission war eine deutliche Komponente von Abenteuerlust nicht auszuschließen gewesen. Jetzt hatten sie ihr Abenteuer! »Ortung KONTERMANN hier. Die Auszählung ergab hunderteinunddreißig Raumflugkörper. Sie entsprechen in der Masse des einzelnen Schiffes etwa unserer Größe.« »Verstanden.« Noch flogen die Kreuzer ungehindert geradeaus. Hinter den gegnerischen Schiffen leuchteten langgezogene, eisig blaue Streifen. Jetzt glitten die fremden Schiffe auseinander und formierten sich zu einem halbkreisförmigen gekrümmten Band. Ihre Absicht war unverkennbar: Angriff. Breckcrown schwang seinen Sessel herum und starrte die Flut der Messungen auf den Bildschirmen und Displays vor sich an. Er begann rasend schnell dem Kurscomputer eine Berechnung vorzulegen. Er programmierte ein Ausweichziel, das die Schiffe in eine neue Position bringen würde. Sie mußte so beschaffen sein, daß sie ohne große Verzögerung den ermittelten Zielstern mit einem erneuten Manöver erreichen konnten. Der Rechner spiegelte die neuen Koordinaten auf einen Monitor. Der High Sideryt gab diese Informationen an die anderen Kreuzer weiter und erhielt die Bestätigungen.
Auf einem riesigen Spezialschirm erschien die erste Vergrößerung eines gegnerischen Schiffes. »Gewisse Ähnlichkeiten mit der Technologie jener Relais sind nicht zu verkennen«, sagte er halblaut. Wieder meldete sich die Ortung. »Kritische Distanz in sechzig Sekunden!« »Verstanden. In fünf Minuten führen wir Kursänderung und Linearetappe durch!« Die gegnerischen Schiffe hatten die Form von sphärischen Dreiecken, die aus einzelnen, im Querschnitt ovalen Elementen zusammengesetzt schienen. Der Körper in der Mitte zweier flügelartigen Elemente war gedrungen und wuchtig und glänzte schwach in einem metallisierenden Bronzeton. Scharfe Kerben teilten seine Flanken gegen die kleineren, schließlich wie Flügelenden auslaufenden Bauelemente ab. In diese wulstigen Teile waren aerodynamisch gutgeformte Kanzeln und Spitzen eingefügt, von denen die meisten in Antennen, Projektoren und Nadeln ausliefen. Sicherlich war ein Teil dieser Einrichtungen die Bewaffnung der Schiffe. »Xiinx-Markant!« stöhnte ein Besatzungsmitglied. »Scheint ein einziges Waffenarsenal zu sein. Und ich habe mich so auf einen grünen, lieblichen Planeten gefreut.« »Achtung!« Es schienen eher mehr als hunderteinunddreißig fremde Kampfschiffe zu sein. Im Dunkel des Weltraums blitzten die ersten Schüsse auf. Die Kommandanten der Angreifer-Schiffe hatten nicht einmal versucht, mit den Fremden Funkkontakt aufzunehmen. Aus den nadelförmigen Fortsätzen der Kanzeln schossen kurze Lichtblitze. Sie trafen zu etwa einem Drittel in die aufflammenden Schutzschirme der Kreuzer. Die beiden Enden des Halbkreises begannen sich nach vorn zu krümmen. Die gegnerische Flotte leitete eine Zangenbewegung ein. In kurzer Zeit würde sie so weit vorangetrieben worden sein, daß
für die Kreuzer eine ernsthafte Gefahr bestand. Die Ziffern der Chronometer bewegten sich unablässig. »Die Schutzschirme sind noch lange nicht überlastet«, meinte Breckcrown zufrieden. Er war nach wie vor entschlossen, das Risiko einer bewaffneten Auseinandersetzung nicht einzugehen. Hayes hob, die Ziffern der Autopiloten im Auge, langsam die Hand und rief: »Fluchtmanöver.« Sekunden später verschwanden die Schiffe aus dem Normalraum. Sie kamen einige Lichtstunden von ihrer bisherigen Position entfernt abseits eines grellen Sterns wieder aus dem Linearraum zum Vorschein. Die ersten Rundumortungen ergaben, daß der Weltraum leer war, was Flotten oder größere Schiffe betraf. Vier Planeten und eine Handvoll Monde umkreisten die Sonne. »Ruft die SOL und gebt einen Bericht und unsere neue Position durch«, ordnete Hayes an. »Hier Ortung FERNWEH«, meldete sich Lyta Kunduran, Kommandantin des Schiffes. »Unsere Spezialisten untersuchen gerade den Raum um die Sonne. Bei einer errechneten Entfernung von einer und zwei Zehntel Lichtminuten Entfernung, dort sollte das Relais zu finden sein, haben wir bisher nichts feststellen können.« »Wir suchen weiter. SENECA kann sich irren, tut es aber in der Regel nicht.« Wieder verringerten die Kreuzer ihre Geschwindigkeit, drifteten auseinander und schlugen Bahnen ein, die sie aus verschiedenen Richtungen und in unterschiedlichen Orbits um die Weiße Sonne herumführen würden. Wieder versuchten die Frauen und Männer in drei Ortungszentralen, die nähere und ferne Umgebung zu untersuchen. Die Echos der Planeten waren deutlich; erste Analysen wurden automatisch durchgeführt. Die wesentlich kleineren Monde erschienen als winzige Rasterinformationen. Vor den Schiffen begann das Lodern der Sonne durchdringender zu werden.
Breckcrown Hayes und die beiden anderen Kommandanten verglichen die ermittelten Koordinaten der Sonne mit den Berechnungen SENECAs. Die Bordcomputer bestätigten, daß die SOL-Kreuzer genau den errechneten Punkt angeflogen hatten. »Also doch kein Irrtum!« Man hatte bordintern diese Weiße Sonne Mission-A genannt, die folgenden Zielpunkte würden fortlaufende Kodenamen erhalten. »Mission-A gehört also auch zu den unerklärlichen Vorgängen in dieser Galaxis«, meinte Lyta. »Unerklärlich, warum?« fragte Solania. »Weil wir kurz vor Erreichen des Zieles von der Flotte der Dreieckschiffe angegriffen wurden. Das bedeutet für mich, daß es sich um keine friedliche Zone handelt.« Hayes begriff, worauf Lyta hinauswollte. »Verstanden, Lyta«, sagte er. »Eigentlich sollten sich, um unwissenschaftlich zu sprechen, die Planetarier im Umkreis von Sonne Mission-A friedlich verhalten. Eben deshalb, weil kein Relais vorhanden ist. Wenigstens haben wir es bis jetzt nicht gefunden.« »Genauso meine ich es«, stimmte Hayes zu. »Mir gefällt die Situation auch nicht.« SENECA hatte als Standardwerte 1,2 Lichtminuten Entfernung von der Sonnenoberfläche ermittelt. Die 15 Sektoren in Sonnennähe, die in den letzten Minuten abgesucht worden waren, hauptsächlich natürlich in dieser Entfernung, waren leer. Es gab kein MentalRelais, nicht einmal einen inaktiven Metallbrocken. Wieder vergingen ereignislos mehr als dreißig Minuten. Die Ortungssysteme liefen ununterbrochen mit voller Kraft. »Glücklicherweise«, rief Solania eine Spur erleichtert, »gibt es auch keine wildgewordenen Angreifer.« »Noch nicht, und nicht hier«, antwortete Hayes. »Aber freut euch nicht zu früh. Wir haben jede Menge an alternativen Ansteuerungspunkten.« Hayes fing an zu grübeln. Er kniff die Augen zu und brummte
einige unverständliche Worte. Dann lachte er kurz und wuchtete sich in die Höhe. »Freunde«, sagte er, »wir können noch ein Jahr lang um Mission-A herumschwirren wie die Bienen, wir finden trotzdem keinen Honig. Also müssen wir zum nächsten Ziel. Mission-B oder Beta. Der Stern ist ein paar Handbreit weiter als neun Lichtjahre entfernt von Mission-A. Allerdings bin ich sicher, daß wir dort wieder auf schießwütige Planetarier treffen. Wir werden ihnen zeigen müssen, was unsere Schutzschirme aushalten, und daß wir erste Klasse im Hakenschlagen sind. Oder hat einer von euch einen sinnvolleren Vorschlag?« »Ich nicht«, sagte Lyta, und fast gleichzeitig meldete sich Solania von Terra. »Ich sehe auch keinen Grund, warum wir die Mission schon jetzt abbrechen sollten.« »Das habe ich erwartet«, meinte der High Sideryt. »Und daher steuern wir die nächste Sonne an. Viel Erfolg, Freunde.« Die Triebwerke der Schiffe wurden hochgefahren, die Kreuzer lösten sich aus dem jeweils eingeschlagenen Orbit. Von den Planeten hatte man keinen Funkverkehr und keinerlei andere Aktivitäten auffangen können. Hintereinander jagten die Schiffe auf die zweite Zielsonne zu, einen großen gelben Stern, der sich nur wenig aus dem Hintergrund der unzähligen Sonnen dieser Milchstraße abhob. Während des Fluges wurde die Kapazität der Schutzschirme heraufgesetzt, die Feuerleitzentralen konzentrierten sich wieder auf die erwarteten Aufgaben, und an Bord der Schiffe stieg lautlos die Spannung. Dann erfolgte die Linearetappe.
* Der Logiksektor flüsterte:
Ich weiß selbst nicht, ob du der großen Zahl deiner Irrtümer nicht noch einen weiteren Irrtum hinzufügst! Atlan zuckte die Schultern und blickte skeptisch in Sternfeuers große Augen. »Nichts?« fragte er leise. Die einzige Antwort war ein stummes Kopf schütteln. Schließlich sagte Sternfeuer: »Ich habe tagelang versucht, in ihr Wesen einzudringen. Ich überwachte sie in Momenten, in denen sie sich kontrollierte, und noch öfters in Zeiten, da sie gelöst war. Nichts. Kein stichhaltiger Verdacht. Einige Momente, in denen sie sich merkwürdig verhielt, konnte ich nur als Ungeschicklichkeit werten. Zufrieden?« »Ja und nein.« »Was bedeutet: ja?« »In gewissem Sinn hast du, wie ich, eine Art Amme-Funktion für Barleona übernommen«, sagte Atlan. »Ich freue mich, daß sich meine Ansicht als vorläufig richtig herausgestellt hat.« Er wußte, daß zumindest jeder vom Atlan-Team glaubte, daß ihn Barleona halbwegs verhext hatte. Er persönlich fand Barleona sehr begehrenswert und machte daraus auch keinen Hehl. Aber da sie sich wie eine talentierte Schülerin verhielt, nicht wie eine potentielle Partnerin eines »Unsterblichen«, reichten ihre Reize nicht. Nicht für Atlan. Zumindest Sternfeuer wußte dies definitiv. »Und das Gegenteil?« »Mein Mißtrauen. Ich habe zu oft erlebt, daß ein Fremdkörper im Innern einer Gemeinschaft größere Schäden anrichten kann als ein klar erkennbarer Feind von außen. Ich kenne den Begriff des trojanischen Pferdes überaus genau. Ich erinnere mich perfekt an … lassen wir das. Es gehört nicht hierher.« »Die Ungewißheit bleibt also noch bestehen.« »Ich bin nicht überzeugt«, bekräftigte Sternfeuer. »Weder von der
potentiellen Gefährlichkeit noch von der Harmlosigkeit. Du hast recht: es bleibt die Ungewißheit.« »In einem Punkt nicht mehr. Ich bin sicher. Will sagen, das Scientologenteam ist sicher.« Atlan lächelte milde über die mittlerweile zum festen Sprachgebrauch zählende Bezeichnung. Nockemann und sein Robot Blödel, zusammen mit Wuschel, garantierten in jeder Auseinandersetzung immer wieder für eine humoristische Note. »Ihr habt sie untersucht«, sagte er. »Was hat das Team der Wunder feststellen können?« Nockemann zeigte sich von der bissigen Bemerkung keineswegs beeindruckt und erwiderte: »Ihr Körper wurde in der Vergangenheit künstlich stabilisiert.« Atlans Gesicht drückte völliges Unverständnis aus. »Wie?« »Ich meine, sie ist geistig stabilisiert worden. Jede einzelne Zelle ist davon betroffen. Künstlich, nicht durch einen meinetwegen geburtsbedingten Prozeß. Verstehst du, was ich meine? Sie ist, wie auch immer, manipuliert worden.« Atlan murmelte resignierend: »Wer von uns ist das nicht.« Hage Nockemann zwirbelte erregt die Spitzen seines Schnauzbarts und führte weiter aus: »Mit Sicherheit weiß sie selbst nicht, daß sie manipuliert wurde. Aber sie wurde stabilisiert. Deine innere Bindung ist zwar verständlich und zu begreifen, und wer von uns träumt nicht von einem Partner?« »Blödel, zweifelsfrei!« brummte der Arkonide verdrossen. »Nun gut. Aber wenn Barleona beeinflußt wurde, so hat derjenige, der dies tat, sie für etwas vorbereitet, das für uns und die SOL schädlich sein kann. Ein Zeitzünder, sozusagen. Natürlich hast du längst daran gedacht, Atlan, denn sonst wäre deine Miene etwas fröhlicher.«
»Du hast recht«, pflichtete ihm Atlan bei. »Und …?« »Es gab mittlerweile alle nur denkbaren Vermutungen. Aus der Gruppe deiner besten Freunde an Bord, Atlan, regte sich Mißtrauen, und nicht gerade wenig.« »Soll ich sie etwa erwürgen?« brauste Atlan auf. »Vielleicht beruhigt euch das endgültig!« »Niemand verlangt nach solchen Radikallösungen«, schwächte Nockemann ab. »Unter den offenen Mißtrauensbeweisen der Freunde leidet der Zusammenhalt des Teams. Gegenstand dieses Streites ist Barleona.« Sternfeuer hob die Hand und unterbrach. »Einige unserer Freunde meinen, ich könnte in der Auseinandersetzung eine Schlüsselrolle übernehmen.« Atlan begann zu spüren, daß sich innerhalb des Teams tatsächlich Zerwürfnisse anzubahnen begannen. Er senkte den Kopf und fragte: »Gegenstand des Streites soll ausgerechnet Barleona sein? Ihr wißt nicht, was ihr daherredet! Sie ist so harmlos wie nur irgend jemand. Ich weiß, daß Sanny denkt, ich vernachlässige die vordringlichen Probleme. Wer wirft mir Fehlverhalten vor?« Nockemann schluckte und murmelte: »Ich nicht.« Sternfeuer schien nicht sicher zu sein. Sie schwankte zwischen der Einsicht, daß Barleona so harmlos war, wie Atlan dachte und behauptete, und dem Verdacht, daß sich hier eine gigantische, nicht zu definierbare Gefahr aufbaute. Schließlich sagte sie zurückhaltend: »Sie ist höflich und schüchtern. Sie macht Fehler, die ein überlegener Intellekt niemals machen würde. Ich kann nichts Verdächtiges feststellen. Auch Breiskoll hat nichts gemerkt. Aber wir alle meinen, daß du ihr zuviel Zeit widmest, Atlan. Wir haben etwas dagegen, daß du die aktuellen Probleme vernachlässigst. An der Mißstimmung bist du alles andere als unschuldig, mein Freund.«
Atlan sprang auf und ging erregt in dem Raum hin und her. Er blickte von Nockemann zu Sternfeuer und zurück. Schließlich stieß er hervor: »Seit Millionen Lichtjahren versuche ich das Beste für die SOL und für alle von uns! Wegen weniger Tage, in denen ich mich um dieses kosmische Findelkind kümmere, habt ihr nichts anderes zu tun, als euch zu überlegen, ob ich nicht meine selbstgewählten Pflichten gröblichst vernachlässige! Ich weiß, daß auch Sanny nicht meiner Meinung ist. Aber warum gönnt ihr alle mir nicht das zweifelhafte Vergnügen, mich mit Barleona zu beschäftigen? Ich vergesse sicher nicht das Wohl des Schiffes!« »Es gibt Besatzungsmitglieder, die das in Frage stellen!« warnte Hage Nockemann mit ungewohntem Ernst. »Es sind nicht wenige!« fügte Sternfeuer hinzu. Atlan blickte sie ratlos und verwirrt an. »Ich freue mich«, sagte er verwirrt, »daß ihr euch um mein Wohl so sehr sorgt.« »Das Problem«, erklärte Nockemann widerwillig, »stellt sich anders dar. Die Sorge von uns allen ist, daß du über dem vorliegenden Problem alles andere vergißt.« Atlan erwiderte voller Bitterkeit: »Wie schlecht kennt ihr mich!« »Kein Vorwurf, Atlan! Ich spreche nur aus, was wir befürchten.« »Eure Befürchtungen haben keinen Sinn«, antwortete der Arkonide und wandte sich ab. »Sie sind grundlos. Wartet noch einige Zeit, dann wird sich alles von selbst aufklären.« Nockemann und Sternfeuer warfen ihm schwer zu deutende Blicke zu und verließen den Raum. Atlan blieb allein in SOL-City zurück; seine Probleme und Befürchtungen waren nicht um einen Deut geringer geworden. Er dachte an Barleona. Wann würde sich dieses Rätsel lösen lassen? Denn er war ziemlich sicher, daß die rätselhafte junge Frau nur ein Mosaiksteinchen in einem weitaus größeren Bild war, dessen
Umrisse sich nicht einmal abzeichneten.
3. Mission-B stand dreißig Lichtminuten weit entfernt vor den Schiffen im Raum. Wieder flogen die Kreuzer die Orbits ihres Suchkurses. Augenblicklich liefen die Ortungen an. Konzentriert blickten die Besatzungsmitglieder auf die Bildschirme und Tastermonitoren. Die nähere Umgebung der Sonne war leer. Die KONTERMANN schwebte auf die Sonne zu, änderte ihre Richtung und schlug einen Kurs ein, der wieder einer Entfernung von 12 Lichtminuten entsprach. Noch während die Geräte versuchten, in Sonnennähe das Mental-Relais zu entdecken, meldete sich die FERNWEH. »Wir haben mindestens drei Planeten feststellen können, die zu dieser Sonne gehören. Es gibt deutliche Anzeichen, daß zumindest zwei von ihnen bewohnt sind. Wir melden uns wieder.« Der Kreuzer schwang in einer weiten Kurve um die Sonne herum. Sekunden später ertönte in das gespannte Schweigen der Zentrale der Summer, der ein Signal der Ortungsabteilung war. »Achtung! Gerade voraus … eindeutig ein Mental-Relais.« Die Bildschirme der Panoramagalerie zeigten auf einer Seite die stark gefilterte Lichtflut der Sonne, auf der gegenüberliegenden Front das Dunkel des Weltraums, und dort erkannten die Besatzungsmitglieder bereits mit dem bloßen Auge einen scharf leuchtenden Lichtblitz. Auf den Bildschirmen erschien wenige Sekunden später die Vergrößerung des Relais. »Eindeutig!« sagte Breckcrown. »SENECAS Berechnungen sind offensichtlich nicht hundertprozentig gewesen.« Die FERNWEH und die STERNLOK meldeten ebenfalls den
Ortungskontakt und schlossen in einem schnellen Manöver auf. Die Kreuzer verließen die Umlaufbahn und jagten auf das funkelnde und blitzende Doppelrad zu. Wieder meldete sich zuerst die Ortungsabteilung von Hayes' Schiff. »Die Station baut einen Schirm auf. Achtung, hier sind die Messungen!« »Ein Defensivschirm«, erklärte der High Sideryt. »Wir sind also entdeckt worden. Warten wir ab, was geschieht.« Die Schiffe hatten ihre Eintauchfahrt abgebremst und schwebten auf das Mental-Relais zu. Neue Daten über die Planeten trafen ein und wurden ausgetauscht. Einwandfrei wurden die Bahnen von drei Welten festgestellt, und die Welten Zwei und Drei besaßen atembare Lufthüllen. Etwa im gleichen Sektor, in dem sich das Relais und die Kreuzer befanden, rotierte der Planet Eins auf seiner sonnennahen Bahn. »Ich weiß noch nicht genau«, murmelte der High Sideryt und beugte sich hinüber zum Piloten, »was wir unternehmen sollen.« Die Ortungsabteilung spielte eine Analyse des sonnennächsten Planeten auf die Bildschirme. Eine kleine, dichte Welt mit einer nicht für Solaner atembaren Gashülle, ohne die Spektrallinien von Chlorophyll, offensichtlich unbewohnt. Der Planet war mondlos und drehte sich träge um die Polachse, die senkrecht zur Bahn dieses reizlosen Gesteinsbrockens stand. Es gab keinerlei Aktivitäten oder Strahlungen, die auf intelligente Bewohner schließen ließen. Dennoch warnte Lyta: »Wir vermuten, daß viele Völker die Raumfahrt kennen. Möglicherweise befinden sich auf dem Planeten irgendwelche Stationen oder verborgene Hangars. Ich traue dieser Ruhe nicht.« »Damit bist du nicht allein«, kam es aus der STERNLOK. SENECA hatte einen winzigen Faktor in seinen Berechnungen falsch extrapoliert. Zwar schien es sich bei der Entfernung zwischen Sonnenkorona und Mental-Relais um einen Standardwert zu handeln, denn eins Komma zwei Lichtminuten war auch das erste
Relais entfernt gewesen. Aber der Zielpunkt Mission-A, dreizehn Lichtjahre, war durch eine um neun Lichtjahre weiter entfernte Sonne abgelöst worden. Die Verteilung der Relais fand also nach anderen Kriterien statt, zumindest nach einer anderen Streuung. Diese Erkenntnis reduzierte die mögliche Anzahl von Relais in Xiinx-Markant. Die Kreuzer flogen mit geringer Geschwindigkeit auf das Relais zu, das sich in die schimmernde Blase der Verteidigungsschirme gehüllt hatte. Die Solaner warteten förmlich darauf, daß sich das Schema der Angriffe wiederholen würde. Sie brauchten nicht lange zu warten. Zusätzlich zu den graphisch dargestellten Messungen der gewaltigen Energieflut, die vom Relais aus der Sonne abgezapft wurde, kondensierten winzige Echos im Hintergrund. Sie wurden an zwei weit auseinanderliegenden Stellen jenes Schirmes sichtbar, der die Ergebnisse der Rundum-Ortung erkennbar machte. »Die Angreifer! Die Kriegsstrahlung wirkt unverändert!« Die Kreuzer schwenkten herum und wichen dem Strom der fließenden Hyperenergie aus. Die Echos wurden schärfer, als sich die Antennen auf die beiden fernen Planeten richteten. Schwärme kleiner Objekte näherten sich; es wirkte während der ersten, noch nicht genau zu präzisierenden Beobachtungen, als würden kleine Schiffe oder Raketen nacheinander gestartet und auf das Ziel gelenkt. »Die Kriegsstrahlung wirkt, obwohl der Defensivschirm des Relais steht?« murmelte Breckcrown ungläubig. Mit einem Blick überzeugte er sich, daß der sonnennächste Planet keinerlei Aktivitäten zeigte. Dann befahl er: »Solania! Lyta! Steuert einen Kurs, der euch in die Lage bringt, auszuweichen und euch zu verteidigen.« »Wird bereits unternommen!« Die Kreuzer, die bisher in geringem Abstand voneinander geflogen waren, beschleunigten und jagten auseinander. Jetzt
wurden die Echos deutlicher. Die vorläufig letzte Analyse besagte, daß es schlanke, außerordentlich schnelle Flugkörper waren, eine besondere Form von Raketen, die offensichtlich entweder ferngesteuert wurden oder einen hochempfindlichen Suchkopf besaßen. Die ersten Projektile, die immerhin rund ein Drittel lichtschnell flogen, änderten ihren Kurs und folgten den Kreuzern. »Reger Verkehr in der Nähe von Mission-B«, sagte Solania nervös. »Wir scheinen im Schutz unserer Schirme sicher zu sein.« Die Geschwindigkeit der Kreuzer wurde abermals gesteigert. Jedes Schiff raste in eine andere Richtung und steuerte einen spiraligen Kurs. Die Kapazität der Schutzschirme wurde heraufgesetzt, die Besatzungen der Feuerleitzentralen schalteten ihre Zieloptiken ein und erfaßten diejenigen Raketen, die ihnen am nächsten waren. Lyta meldete sich und sagte: »Der innerste Planet kommt näher. Er ist unter seiner fahlleuchtenden Gashülle schwarz, voller Krater und Sprünge. Wir haben ihn Granite genannt. Ich beabsichtige, die FERNWEH dort irgendwie zu verstecken oder jedenfalls die Geschosse auszumanövrieren.« »Ausgezeichnet, Lyta«, gab Hayes zurück. »Du bleibst also in der Nähe von Mission-B.« »Ich versuche, wenn wir Ruhe haben, das Relais zu beobachten.« »Einverstanden.« Die FERNWEH schraubte sich rechts von der Flugbahn der KONTERMANN in das Dunkel zurück, schlug eine große Kurve ein und raste auf den innersten Planeten zu. Breckcrown Hayes fragte in der Funkzentrale nach. »Haben wir irgendwelche Signale oder Aufforderungen aufgefangen?« »Nichts. Nur eindeutige Steuerimpulse für die Raketengeschosse.« Es waren insgesamt rund vier Dutzend dieser Projektile, die sich in zwei Gruppen aufgeteilt hatten. Die beiden Schwärme verfolgten in einer unregelmäßigen Kette die Kreuzer. Die Solaner waren
wachsam, aber sie waren nicht wirklich beunruhigt. Die Geschwindigkeit ihrer Schiffe war ohne weiteres zu steigern, und sie vertrauten auf die Stärke der gestaffelten Schutzschirme. »Wir sind klar zum Abschuß, Breck«, rief der Chef der Feuerleitzentrale. »Dann zerstört die Projektile an der Spitze! Feuer frei!« »Ziel erkannt, Breck! Verstanden.« Die Strahlgeschütze feuerten ihre Lichtblitze durch winzige Strukturlücken der Schirme. Die ultrahellen Strahlen trafen auf die scharfen Spitzen der Geschosse. Fast gleichzeitig trafen vier vernichtende Waffenstrahlen, Sekundenbruchteile später verwandelten sich die vier bedrohlich nähergekommenen Projektile in riesige, grelle Sonnen. Die Raumfahrer beobachteten schweigend die Bildschirme. Die Steuerung der Projektile war ungewöhnlich gut. Abermals teilten sich die heranrasenden Schwärme. Zugleich nahm die Geschwindigkeit zu. Breckcrown ordnete an: »Schießt alle Projektile ab, die uns zu nahe kommen. Der Kurs wird beibehalten. Unser Ziel ist das Mental-Relais.« »Wird gemacht.« Während die Erschütterungen der Projektoren durch das Schiff dröhnten und die Kampfstrahlen zu den Verfolgern hinüberzuckten, jagten die Kreuzer weiter auseinander, flogen unregelmäßige Ausweich- und Fluchtmanöver und vernichteten eine Rakete nach der anderen. Während die STERNLOK und die KONTERMANN in einem weit ausgeschwungenen Bogen von der Sonne weg jagten und wieder zurück, folgten ihnen die Projektile. Der Weg der Kreuzer wurde durch eine unregelmäßige Kette riesiger Glutbälle markiert, die schließlich zu dünnen Gasschleiern wurden. Ortung und Feuerleitzentralen arbeiteten zusammen, und die Menge der Projektile verringerte sich von Lichtminute zu
Lichtminute. Langsam wuchs vor den Raumschiffen der Glutball der Sonne. Ohne daß die Solaner es bemerkten, hatten sich vor Minuten einige Raketen aus der Kette gelöst, waren schneller geworden und irgendwo im sonnennahen Raum verschwunden. Plötzlich, als gleichzeitig zwei Raketen detonierten, schrie ein Besatzungsmitglied aus der Funkzentrale: »Breck! Die FERNWEH ist in Schwierigkeiten.« Jenseits der dünnen, sich auflösenden Gaswolken erschien in der Entfernung, vor dem großgerasterten Echo des Planeten Granite, eine Doppelexplosion. »Hier FERNWEH«, hörte man Lyta Kundurans Stimme. »In unseren Schirmen sind …« eine Störung machte die nächsten Worte unverständlich, »… eingeschlagen. Triebwerksschaden.« »Verdammt!« brüllte Hayes. »Gebt acht. Wir messen in den Detonationswolken Gammastrahlen und eine vernichtende Hitze.« »Das haben wir gemerkt. Einige Triebwerke haben ernsthafte Störungen zu verzeichnen.« »Versucht ihr etwa eine Notlandung?« »Noch zu früh. Wir zerstören die Projektile.« »Aushalten«, rief der High Sideryt. »Bleibt in Funkverbindung.« »Wir versuchen …«. Wieder eine schwere Störung. Auch über die Bildschirme zuckten farbige Schleier und Balken. Eine Minute später trafen die Waffenstrahlen der KONTERMANN die letzten Raketen. Hayes befahl eine Kursänderung. Das Schiff schwang herum, beschrieb vor der riesigen gelblodernden Kugel von Mission-B eine enge Kurve und beschleunigte in die Richtung auf den innersten Planeten. Solania meldete sich und zeigte ein sorgenvolles Gesicht. »Die Geschosse sind für uns keine Gefahr mehr. Obwohl der Defensivschirm des Relais steht, scheint unverändert die Kriegsstrahlung zu herrschen. Planet Zwei, wir haben die Bezeichnung Surpriseworld gewählt, schickt neue Truppen, Breck!«
»Einen Moment.« Die Richtstrahler schwenkten herum. Bild und Ton der Verbindung zwischen KONTERMANN und FERNWEH stabilisierten sich wieder. Lyta, inzwischen im leichten Raumanzug, blickte bleich, aber beherrscht in die Objektive. Hinter ihr hantierten die Männer an den Schaltungen. »Breck, hör zu! Wir sind in einer ziemlich üblen Lage. Fast alle Triebwerke sind von einer atomaren Explosion in zu großer Nähe zerstört worden. Wir …« »Keine langen Reden! Ihr müßt notlanden?« »Ich denke, wir schaffen es noch bis Granite. Wir orten so etwas wie einen Gasozean oder irgendeine Flüssigkeit.« »Wir holen euch ab! Konzentriert euch auf eine weiche Landung!« »Verstanden. Was war das mit den ›neuen Truppen‹?« Anstelle des High Sideryt antwortete Solania von Terra. »Planet Surpriseworld und der andere starten riesige Flotten. Der Geschwindigkeit und den Echos nach zu urteilen sind es hochmoderne Schiffe.« »Kümmert euch nicht um die FERNWEH. Wir sind das schwächste Glied in der Mission.« »Klar. Viel Glück!« knurrte Breckcrown in die Mikrophone. Dann starrte er auf die Ortungsschirme. Die Erfassungsoptiken waren auf Surpriseworld und die andere Welt gerichtet. Hayes gab dem Planeten den Namen Aggression. Die Schwärme der scharfzeichnenden Echos wurden unübersehbar. Die Antriebseinheiten dieser hochmodernen Schiffe entsprachen mindestens den Qualifikationen der SOL-Kreuzer. Der High Sideryt entschied: »Viele Hunde sind des Hasen Verderben! Wir versuchen, dieser Doppelarmada zu entkommen. Schnell, Solania, wir werden uns im Ortungsschatten von Mission-Beta verstecken.« »Gut. Falls sie uns nicht vorher einholen. Sie sind verdammt schnell, diese Planetarier.«
»Das sehe ich.« Zwischen den Planeten Aggression und Surpriseworld und der Sonne herrschten die zu erwartenden Abstände. Sieben Komma drei Lichtminuten beziehungsweise bis zur Bahn des dritten Planeten acht Minuten und vierzig Lichtsekunden. Beide Welten bewegten sich in der ökologisch sicheren Zone und besaßen SauerstoffStickstoff-Atmosphären. Innerhalb weniger Stunden hatten beide Planetenvölker ein beachtliches Abwehrpotential gestartet und zumindest einen Kreuzer schwer beschädigt. Die kriegerischen Welten von Xiinx-Markant – auch hier wurden die Planetarier durch die Strahlung des Mental-Relais motiviert, einander und jeden denkbaren Gegner zu bekämpfen. Eine mörderische Evolution der Waffen und der Kampfeswut fand hier statt.
* Stabsspezialistin Lyta Kunduran zuckte zusammen, duckte sich und hörte voller Erleichterung das dumpfe Dröhnen einiger überlasteter Triebwerke. Auf dem Bildschirm rasten schwarze Kegel heran, lange gewellte Abhänge und bänderförmige Bergflanken. Im letzten Augenblick gewann das Raumschiff einige hundert Meter Höhe und jagte über die Felsbarriere hinweg. »Landestützen fahren!« meldete der Kopilot. »Sucht diesen verdammten Tümpel!« rief sie. Die FERNWEH war, technisch gesehen, fast ein Wrack. Die Flut der sonnengleichen Hitze hatte die Hülle versengt und die Triebwerke zu mehr als zwei Dritteln so schwer beschädigt, daß sie nicht mehr funktionierten. Ein Rekonstruktionsversuch hatte ergeben, daß eines der Projektile seine Detonationsenergie durch mehrere Strukturöffnungen der Schirme abgegeben hatte. Das letzte rumpelnde und fauchende Geräusch, die langwelligen
Vibrationen der hydraulischen Anlagen hörten auf. Sämtliche Landestützen waren ausgefahren. Die Gashülle heulte und jaulte in den Verstrebungen, als das Schiff mit stotternden Triebwerken langsam an Höhe gewann und über die schrundigen Felsformationen der Granite-Oberfläche hinwegröhrte. Das Gas hatte sich in einen trüben, in fahlen Farben glühenden Nebel verwandelt, der sämtliche Täler und Klüfte ausfüllte. Dort, wo das Licht der Sonne nicht auftrat, waren die Felsen von einer grünen Schicht aus gefrorenem Gas bedeckt. Die Sonnenhitze ließ an anderen Stellen dieses erstarrte Gas aufkochen; es bildete riesige, schräge Fahnen und Säulen, die wie rauchende Vulkanschlote wirkten. »Dort ist der Ozean!« schrie Lyta. »Schaffen wir es?« »Ich versuch's!« Ein riesiger Talkessel zeigte sich, eingesäumt von Felsformationen in phantastischen Formen und sämtlichen Schattierungen von Grau und Schwarz. Unter den treibenden Gasnebelfetzen trieben riesige Schollen aus bläulicher Materie in einer tiefschwarzen Masse. Die Gase waren ein Gemisch aus Schwefel, Methan und ähnlichen vulkanischen Ausschüttungen. Das Schiff kippte leicht nach hinten, und wieder brüllten die überlasteten Triebwerke auf. Ein donnernder Krach kam aus dem Unterschiff. »Runter! Solange das Schiff noch dicht ist!« Mit einem verzweifelten Schwung hob die FERNWEH sich über eine scharfgezackte Barriere, schaukelte hin und her und sackte dann schwer durch. Knapp über den langsam kreiselnden Schollen fing sie sich wieder. Die Landeteller schlugen gegen die Schollen und zerbrachen sie in tausend krümelige Trümmer. »Ich muß ans Ufer …«, stöhnte der Pilot. Ein Drittel des merkwürdigen Sees lag im tiefen Dunkel, zwei Drittel wurden von den Sonnenstrahlen erreicht. Eine Vielzahl von schäumenden Furchen und breiten Rissen durch die Schollen ziehend, raste die FERNWEH schräg in den See hinein.
Die Berührung der Landeteller mit dem zähflüssigen Medium bremste das Schiff ab und ließ es nach vorn kippen. Die Unterschale schlug mit einem gewaltigen Geräusch auf, wurde hochgeprellt, und jedermann an Bord, der nicht angegurtet war, wurde von den Beinen gerissen. Dann schob sich der riesige Körper des Kreuzers in den See, schob eine riesige Welle aus zäher Flüssigkeit und berstenden Schollen vor sich her und kam mit einem torkelnden Ruck nach etwa hundert Metern zum Stehen. Das Geräusch, mit dem die Landeteller abbrachen und über den felsigen Seeboden schrammten, war nervenzerfetzend und verwandelte die Schiffszelle in das Innere eines dröhnenden, kreischenden und klirrenden Stahlbehälters. Mit einem schauerlichen Ächzen stand die FERNWEH. »Oh verdammt!« sagte der Pilot und wischte sich mit dem Unterarm über sein schweißtriefendes Gesicht. »Wir haben großes Glück gehabt«, sagte Lyta und löste das Schloß des breiten Gurtes. »Irgendwelche Meldungen über Verletzte?« dröhnte es aus einem übersteuerten Lautsprecher. Irgendwo stöhnte jemand langgezogen. Lyta blickte in pedantischer Gründlichkeit von einem Bildschirm zum anderen und versuchte, die Situation klar abzuschätzen. Das Schiff stand etwa zu einem Drittel in dem See aus undefinierbarer Flüssigkeit. Träge Wellen liefen nach allen Seiten, brachen sich wie in Zeitlupe an den schwarzen Felsen und verwandelten sich dort in schneeweiße Kristallstrukturen. Die oberen zwei Drittel des Raumschiffs warfen einen runden Schatten, das Licht fiel im schrägen Winkel ein; Vormittag oder Nachmittag auf dieser Welt. Der Talkessel begann sich mit einem seltsamen Nebel zu füllen. Jeder der vielen unterschiedlichen Dichtezustände der Gasmassen hatte eine andere Pastellfarbe. »Immerhin: sämtliche Innensysteme scheinen zu funktionieren«, sagte der Pilot und kippte eine Reihe von Schaltern.
Innerhalb weniger Minuten stellte sich heraus, daß die Notlandung keine ernsthaften Verletzungen unter der Besatzung hervorgerufen hatte. Ein paar verstauchte Gelenke, einige Abschürfungen und eine leichte Gehirnerschütterung, das war alles. Zugleich mit der erzwungenen Ruhe machte sich Erleichterung breit. »Wir werden warten müssen, bis eines der beiden Schiffe uns herausholt«, sagte Lyta über die Interkomanlage. »Ich sehe gerade auf den Ortungsschirmen, daß wir noch einen ungehinderten Blick auf das Mental-Relais haben.« »Also werden wir Untersuchungen anstellen!« »So gut es uns die Entfernung und die Gase hier gestatten. Wir werden miterleben, was Solania und Hayes dort draußen schaffen können.« Der Kreuzer FERNWEH stand ruhig und offensichtlich unverrückbar fest am jenseitigen Rand des runden Sees. Die Schutzschirme waren abgeschaltet worden. Auf der Hülle des kugelförmigen Raumschiffs kondensierten die Gase und kristallisierten entlang irgendwelcher Nietenreihen und Vorsprünge in langen, weißen Bändern aus. Das Schiff war im Augenblick sicher und geschützt; langsam erholte sich die Besatzung von dem Schock und sagte sich, daß sie von allen drei Kreuzern wohl die beste Karte gezogen hatten. Lyta schlug vor: »Wir sollten die Ereignisse dort draußen genau verfolgen und gleichzeitig das Relais beobachten. Je mehr wir über die Urheber der Kriegsstrahlung wissen, desto besser ist es für die SOL.« Nach und nach richteten sich alle Antennen des Schiffes auf das Relais, das dicht neben der Sonne in einem langsamen Orbit schwebte.
*
»Wir müssen den Versuch später riskieren!« rief der High Sideryt und hieb schwer mit der flachen Hand auf das Pult vor dem Schirm. »Vergessen wir im Moment die FERNWEH.« Leise, aber deutlich sagte Lyta: »Aber vergeßt uns nicht ganz. Seid ihr in ernster Gefahr, Breck?« »Es scheint so: Jedenfalls flüchten wir mit äußerster Geschwindigkeit!« Vor der strahlenden, grellen Kugel der Sonne war die KONTERMANN für jede Ortungsanlage schwer zu entdecken. Verglichen mit der riesigen, aktiven Oberfläche des Sterns war das Schiff nicht mehr als ein Staubkorn. Dasselbe galt auch für die STERNLOK die den Stern von der anderen Seite her anflog. Dennoch waren sie von den Kampfschiffen geortet worden. Die Schiffe waren von den beiden Planeten aus weit in Sonnennähe vorgedrungen und nahmen die STERNLOK und die KONTERMANN unter Beschuß. Noch hatten die solanischen Schiffe nicht die schützende, unmittelbare Nähe des Gestirns erreicht. Hayes war bisher nicht in die Verlegenheit gekommen, sich ernsthaft wehren zu müssen. Gegen die heranrasende Armada, deren Waffenstrahlen und Projektionsentladungen an den Schiffen vorbei in die Helligkeit der Sonne gefeuert wurden, hatten die zwei Kreuzer ohnehin keine Chance – außer der Flucht. Mission-Beta bot die beste Versteckmöglichkeit. Es war ein uralter Trick der Solaner, sich in der Sonnenkorana zu verbergen. Die Schiffe mit voll hochgefahrenen Schutzschirmen rasten parallel zu den hochgeschleuderten Solarfackeln, schlüpften in die leuchtenden Gasschichten hinein und versteckten sich hinter den Schleiern und zuckenden Wolken des äußersten Sonnenrands. Die Energien, die der Stern aussandte, überfluteten die Ortungsantennen der Kampfeinheiten und ließen auf den Schirmen nichts als Störungen erkennen.
Die schweren, schnellen Schiffe rasten weiter und hielten stets den gleichen Abstand zu den heißen Gasmassen. Die Solaner versuchten, auf ihren Schirmen etwas zu erkennen und wagten einzelne, kurze Vorstöße aus den Gasmassen hinaus, um notdürftig Ortungen durchzuführen. In kurzen Momentaufnahmen ließ sich erkennen, daß die Kampfverbände in unmittelbarer Sonnennähe scharfe Richtungsänderungen ausführten. Einige Minuten später: die Schiffe sammelten sich erneut in zwei Verbänden. Die nächste Ortung, mitten aus der Flut der Hyperenergien heraus erfolgt, ließ erkennen, daß die Angreifer einen neuen Kurs flogen. Er führte an dem Mental-Relais vorbei und auf das Innere des Planetensystems zu. Kurze Zeit danach sahen die Frauen und Männer der KONTERMANN, daß sich keines der Schiffe um das Relais kümmerte und die Flotten in zwei militärisch exakten Formationen in die Richtung der Planeten Surpriseworld und Aggression davonrasten. Die KONTERMANN schoß auf einer Parabel aus der Sonne heraus, funkte die STERNLOK an und setzte sich, noch immer in der Zone des Sonnenverstecks, in die Nähe des anderen Schiffes. Breckcrown Hayes sagte zufrieden: »Vorläufiger Abschluß der Aktion, Freunde. Wir müssen warten, bis die Flotten wieder gelandet sind.« »Und Lyta?« »Keine allzu große Sorge«, sagte die Stabsspezialistin, und ihr Gesichtsausdruck ließ erkennen, daß die Lage an Bord ihres Schiffes nicht sehr ernst war. »Wir untersuchen den Satelliten. Wann holt ihr uns ab?« »Das bedeutet, daß dein Schiff nicht mehr flugfähig ist?« fragte Solania. »Wir können nicht mehr starten. Wir sind in einigen Stunden bereit, von euch gerettet zu werden. Wir nehmen alles mit, was uns
wichtig erscheint.« »Einverstanden. Wir warten, bis kein einziges Schiff mehr innerhalb des Systems zu orten ist.« »Das ist wohl das beste!« antwortete die Kommandantin der FERNWEH.
* Breckcrown Hayes und sein Team in der Zentrale schwiegen, dachten nach und versuchten, eine vorläufige Analyse zu ziehen. Bisher hatte der Vorstoß der drei Schiffe so gut wie nichts Handfestes eingebracht. Im Gegenteil: ein älterer Kreuzer mußte zurückgelassen werden. Zwar waren einige nicht unwichtige Erkenntnisse gewonnen worden, aber nicht einmal das Relais konnte zerstört werden. Nur Theorien, halbe Gewißheiten und einige Zahlen waren bestätigt worden. Man wußte, daß wohl der gesamte Außenbezirk dieses riesigen Sternsystems vom MentalRelais und deren Kriegsstrahlung beherrscht war. Die SOL befand sich unverändert am selben Standort, zweiundzwanzig Lichtjahre entfernt, und an Bord des großen Schiffes gab es nichts Berichtenswertes. Einige Stunden vergingen mit normaler Bordroutine. Die Bildfunkverbindung zwischen den drei Schiffen beschränkte sich auf die unumgänglich notwendigen Mitteilungen. Die Solaner wollten nicht riskieren, daß man auf die Eindringlinge aufmerksam wurde. Die Reaktion der beiden Planetenflotten hatte eindeutig bewiesen, daß die Planetarier meinten, die Fremden wären geflüchtet. Die Landemanöver, von der Fernortung der Solaner einigermaßen deutlich zu beobachten, gingen langsam vor sich. Die fremden Raumfahrer waren gründlich, und ein Schiff nach dem anderen entfernte sich aus dem Planetenorbit und landete auf den
unbekannten Sauerstoffwelten. Noch zögerte der High Sideryt, einen blitzschnellen Vorstoß zum ersten Planeten, Granite, zu unternehmen. Er wollte nicht eine erneute kriegerische Aktion herausfordern, die nichts erbrachte außer möglichen Verlusten oder gefährlichen Kämpfen. Die Losung hieß: warten ohne Panik.
* Lyta Kunduran hätte etwas darum gegeben, Bjo Breiskoll jetzt an Bord zu haben. Sie hatte keinen Beweis für ihre Befürchtungen, aber auf Granite schien etwas Ungewöhnliches vorzugehen. Die Ortungsstation war voll besetzt; alle Pulte, Antennen, Detektoren und Schirme konzentrierten sich auf das ungewöhnlich geformte Objekt. Die Mengen der abgezapften Hyperenergie wurden gemessen, die Intensität des Schutzschirms wurde getestet, man fertigte Aufnahmen von allen Teilen des Doppelrings an und versuchte mit sämtlichen Möglichkeiten der hochempfindlichen Instrumente, hinter möglichst viele Aktivitäten des Relais zu kommen. Plötzlich schalteten sich die Defensivschirme des Mental-Relais ab. Ungehindert fiel das grelle Sonnenlicht auf die bizarren Teile der Konstruktion, und tiefschwarze, übergangslose Schatten entstanden. Wieder summten die automatischen Kameras auf und tasteten jede Handbreit des sichtbaren Bauwerks ab, das sich auf einem Sonnenorbit mit fast nicht wahrnehmbarer Eigenrotation bewegte. Und dabei entdeckte ein schweres Teleobjektiv das winzige Objekt, das mit mehr als der Hälfte der Lichtgeschwindigkeit auf das Mental-Relais zusteuerte. Lyta rief sofort Solania und Breckcrown.
4. Sofort handelte der High Sideryt. »Danke für den Hinweis, Lyta. Mit dem Rettungseinsatz wird es vorläufig noch nichts.« »Einverstanden. Wir betreiben weiterhin Fernbeobachtung. Achtung, ich sehe gerade, daß das Objekt nicht mehr als fünfzig Meter Durchmesser hat. Wenig Energiemission!« »Wir kümmern uns um diese Attraktion.« Die beiden Kreuzer entfernten sich noch mehr von der schützenden Sonnenoberfläche und riskierten einen Vorstoß in die Richtung auf das Relais. Ohne Defensivschirm bot der Fremdkörper den einfachoptischen Beobachtungsgeräten und erst recht den Speziallinsen seine ganze, tiefschwarze und glänzende Konstruktion dar. Ein strahlendes, kugelförmiges Objekt näherte sich auf einem Kurs, der das Relais tangieren würde, und es war übergangslos aus den Tiefen des Planetensystems aufgetaucht. Vergrößerungen zitterten auf den großen Monitoren. Ein Techniker rief in die Zentrale hinunter. »Die Hülle scheint aus geformter Energie zu bestehen, oder aus Formmaterie. Sie ist, wie ihr seht, ziemlich transparent. Wir haben im Innern ein regungsloses Wesen entdecken können; es scheint humanoid zu sein.« Die KONTERMANN nahm die Verfolgung des fremden Objekts ohne Rücksicht auf Entdeckung auf. »Dieses Objekt paßt nicht in das Schema!« knurrte Hayes. »Seht zu, daß wir möglichst nahe herankommen.« »Selbstverständlich, Chef. Wir sind selbst mehr als neugierig.« In diesen Sekunden kreuzte die leuchtende Kugel die Bahn des innersten Planeten und raste geradeaus weiter. Die Triebwerke des Kreuzers schleuderten das Raumschiff weiter von der Sonne fort, auf einen Punkt zu, an dem sich die eigene Flugbahn und die des Eindringlings kreuzen würden. Die Beobachtungen elektrisierten
förmlich jeden Raumfahrer – diese Kugel, in deren Innern sich dünne, ebenfalls transparente Wände und Decks abzeichneten, paßte wirklich nicht in das Schema, paßte nicht in die Welt der Raketen und bewaffneten Kampfflotten. Es war eindeutig eine exotische Erscheinung. Unaufhörlich wechselten Bilder und Ausschnittvergrößerungen auf den Monitoren. Die Kugel strahlte wie ein mit Gas gefüllter Leuchtkörper. Die Farbe war ein dunkles, bernsteinfarbenes Gelb. Die Decks und Einstellungen zeichneten sich dunkelgrau ab. »Achtung«, meldete sich der Ortungscomputer in sämtlichen Stationen des Schiffes. »Vor den Planeten starten einzelne Schiffe. Der Eindringling wurde offensichtlich schnell entdeckt.« »Die rätselhaften Vorfälle reißen nicht ab.« »Immerhin gibt's hier wenig Langeweile.« Daß die Hülle aus Formmaterie oder Formenergie bestand, war mehr eine Vermutung als eine Gewißheit. Daß der Durchmesser nur fünfzig Meter betrug, war inzwischen bestätigt worden. Es gab keinen sichtbaren Antrieb; das Objekt wurde von unsichtbaren Kräften vorwärtsbewegt, deren Quellen oder Ansatzpunkte nicht feststellbar waren. Im Zentrum der Kugel, in einem ebenfalls kugelförmigen Raum von nur wenigen Metern Ausdehnung, ruhte auf einer großen, glatten Fläche ein knapp zwei Meter großer Körper. Die Geschwindigkeit der KONTERMANN nahm zu, der Abstand zwischen beiden Körpern verringerte sich. Die Bilder wurden deutlicher und plastischer. »Bestätigung! Der Kurs führt genau auf das Mental-Relais zu!« rief der Diensthabende der Ortungsabteilung. »Das haben …«, begann Breck, aber im selben Moment sah er auf den Schirmen der Panoramagalerie, daß sich die Defensivschirme der Station wieder aufbauten. »Die Schirme aktivieren sich. Also betrachtet jemand oder etwas in
dem Relais die Kugel als Angreifer, als Gefahr!« faßte der High Sideryt seine Meinung zusammen. Nach und nach fügten sich die Teile der Schirmfelder zu einer geschlossenen, undurchdringlichen Hülle zusammen. Dahinter waren die Einzelheiten nunmehr weniger scharf zu erkennen. »Das Ding zielt genau auf das Relais«, überlegte Breckcrown laut. »Bis die Schiffe heran sind, dauert es sicher nicht weniger als fünfzehn Minuten. Die Kugel wirkt auf mich wie ein Geschoß.« »Augenscheinlich auch auf das Mental-Relais.« Viele Vorgänge waren schwer zu begreifen, aber auf ihre seltsame Weise einigermaßen logisch. Zwischen den Planetariern mit ihren Raketen und Flotten, dem Mental-Relais und dem seltsamen, leuchtenden Neuankömmling bestand ein unsichtbares Netz von Bezügen und Abhängigkeiten. Gegenseitig erkannten sie sich als Angreifer und Verteidiger. Das Mental-Relais ließ sich von den Bewohnern der Planeten Aggression und Surpriseworld verteidigen, und die Solaner waren so gut wie sicher, daß die leuchtende Kugel einen Angriff auf das Relais flog. »Die Seltsamkeiten summieren sich«, brummte Breckcrown. »Die Schiffe rasen heran, als müßten sie den letzten Kampf kämpfen. Machen wir, daß wir wegkommen.« »Vorsicht ist die bessere Seite der Tapferkeit, wie?« »Richtung.« Wieder ging die KONTERMANN auf einen Fluchtkurs. Diesmal – während sich der andere Kreuzer noch im Schutz der solaren Gashülle befand – steuerte Hayes in einer wilden, nicht berechenbaren Kurslinie auf Granite zu. Er gab nur eine einzige knappe Mitteilung durch und bekam zur Antwort, daß die Bergung der Gestrandeten nicht ganz einfach werden würde. Während Hayes sich Granite näherte, erreichte die Vorhut der schweren schnellen Kampfschiffe die seltsame Kugel. »Sie scheinen ohne Warnung anzugreifen!« meinte der Pilot. »Verrückt! Sie feuern auf alles, was sich bewegt. Aber warum auf
dieses winzige Kügelchen?« »Falls sie uns anfunken, kannst du sie fragen«, grinste der High Sideryt. Vor ihnen schälte sich die beleuchtete Halbkugel von Granite aus der Schwärze. »Weiterhin Funkstille?« fragte ein Besatzungsmitglied. »Ja. Es ist sicherer.« Die KONTERMANN verschwand hinter der gewaltigen Krümmung des felsigen Planeten. Sie schob sich in eine sichere Position in die Dunkelheit der anderen Hemisphäre. Das Schiff bremste stark ab und flog eine enge Kurve. Zwischen der KONTERMANN und der kleinen Flotte der Verteidiger befand sich die Masse des steinernen Planeten. Über die Rundung aus Schwarz, glühenden Gasen und irisierenden hellen Flächen hinweg beobachteten die Solaner die Geschehnisse nahe dem Mental-Relais. Das Mental-Relais schwebte, scheinbar abweisend und unangreifbar, in seiner Position. Von den Schiffen der Planetarier verfolgt und beschossen, raste die kleine Kugel unverändert auf ihr Ziel zu. Die Hülle der Kugel widerstand spielend allen Angriffen. Gewaltige Energiemengen wurden gegen den Eindringling geschleudert. Immer wieder verwandelte sich das kleine Raumschiff in eine gleißend helle Kugel, von deren Wandung riesige Blitze nach allen Seiten überschlugen. Riesige Glutbälle bildeten sich, und aus dem Inferno der einschlagenden Strahlen schoß immer wieder, völlig unversehrt und nicht einmal aus der Flugbahn geworfen, das winzige Objekt. Es hielt unverändert Kurs auf das Relais. »Es ist unglaublich«, meinte ein Spezialist aus der Funkabteilung. »Dieses winzige Stück Materie widersteht allen Angriffen. Wir wären jetzt schon völlig durchlöchert und so weiter.« »Hauptsächlich letzteres«, gab der High Sideryt zu. Aus dem Inferno schob sich mit einem letzten, gigantischen Satz die seltsame Kugel. Sie raste auf die Schutzschirme des Mental-
Relais zu, durchstieß sie mühelos und traf das Relais. Die Linsen wurden geblendet. Bevor die Filtersätze sich aktivierten, überflutete die grelle Helligkeit einer gewaltigen Detonation die Bildschirme. Die Raumfahrer rissen die Arme vor die Augen. Aus der riesigen Explosion, die sekundenlang eine zweite Sonne entstehen ließ, schoß unversehrt die Kugel hervor. Ein gigantischer Glutball breitete sich aus. Eine Unmenge Trümmerstücke wirbelten aus dem Glutkern hervor. Die Antennen des Schiffes verfolgten den weiteren Flug des seltsamen Ankömmlings. Die Kugel, die in den Ausläufern der Glutwelle einen langen Kanal gerissen hatte, flog jetzt nicht mehr einen geraden Kurs, sondern bog in einer weiten Kurve ab und nahm direkt Ziel, so schien es wenigstens, auf die Objektive des SOL-Beiboots. »Sie kommt hierher!« murmelte Hayes. »Ausgerechnet! Dieses fremde Schiff scheint völlig unversehrt zu sein.« »Wir können keinerlei Beschädigungen feststellen«, meldete die Ortung. Während der rund fünfzehn Minuten, die von der leuchtenden Kugel gebraucht wurden, um Granite zu erreichen, steuerte Breckcrown sein Schiff über die seltsame Landschaft des Planeten zu dem Ammoniaksee, in dem die FERNWEH stand. Hinter dem Schiff verglühten die letzten Ausläufer der Gaswolke. Der Weltraum war übersät von driftenden Trümmern. Zwischen diesen Resten bahnten sich langsam die gepanzerten Schiffe der Planeten ihren Weg – zurück zu ihren Heimatbasen. Was die Solaner am meisten verblüffte, war der Umstand, daß nicht eines der Schiffe versucht hatte, mit dem Fremden in Verbindung zu treten. Die leuchtende Kugel steuerte nunmehr, etwas langsamer geworden, auf den innersten Planeten zu. Wer immer sie steuerte: er schien genau zu wissen, wohin die Solaner wollten.
Breck knurrte: »Dieses Abenteuer wäre etwas für Atlan! Er hat entscheidende Dinge versäumt, und das alles wegen dieser Barleona.« Mehrere Monitore fielen aus und zeigten nur schwarze Hintergründe statt der holographischen Abbildungen. »Achtung … Ausfall von Bild und Ton!« rief jemand aus der Funkzentrale. »Verbindung mit der FERNWEH vorübergehend abgerissen.« »Wir fliegen trotzdem die Rettungsaktion!« bestimmte Hayes. »Nachdenken können wir später.« Er war nicht wenig befriedigt darüber, daß das Mental-Relais zerstört und seine Wirkung auf die unbekannten Planetarier damit endgültig aufgehoben worden war. Die Solaner hatten nichts dazu getan, aber es war in ihrem Sinn. In siebentausend Meter durchschnittlicher Höhe schwebte das Raumschiff auf den zuletzt ermittelten Standort der FERNWEH zu. Immer wieder wurde die Flugbahn des rätselhaften Eindringlings angemessen, der die Flotten überhaupt nicht mehr interessierte. Die Kugel folgte der KONTERMANN, machte aber keinerlei Anstalten, anzugreifen oder schneller zu werden. »Also, ruhmreiche Raumfahrer der KONTERMANN«, rief Breck. »Wir versuchen in der Nähe des Wracks zu landen und Lyta und ihre Leute zu übernehmen.« »Du bist sicher, daß wir in diesem Sonnensystem keine wichtigen Dinge vergessen haben?« »Was wollen wir mehr?« gab Breck zu bedenken. »Wenn wir die Raumfahrer geborgen haben, hinterlassen wir friedliche Eingeborene, ein nicht mehr existierendes Mental-Relais und ein Sonnensystem, dessen Normalisierung nichts mehr im Wege steht. Ich habe vor, die Zielsonne Mission-C anzufliegen. Hat jemand eine Idee, was wir sonst noch hier zu suchen haben?« Es gab keine Antwort. Seine Argumente waren schlagend. Noch während der Pilot den Kreuzer in einer weiten Kurve um
den Ammoniaksee herumsteuerte und alle Erfassungsgeräte sich auf das halb versunkene Wrack richteten, raste die kleine Kugel heran. »Noch kein Funkkontakt?« »Nein. Aber wir können in ein paar Minuten Handzeichen austauschen!« Breckcrown sagte scharf: »Die Kugel! Ich möchte, daß du noch einige Runden fliegst, und daß die Ortung versucht, alle Vorkommnisse genau zu dokumentieren.« »Alles klar, High Sideryt.« Die Raumfahrer des Kreuzers und die Insassen des Wracks wurden in den nächsten Stunden Zeugen eines überraschenden und unerwarteten Geschehens; die glühende Kugel raste heran, beschrieb um die Rundung des gestrandeten Schiffes einige Kurven und landete dann auf dem breiten, eisverkrusteten Felsvorsprung, an dem sich die träge Dünung des Sees aus schwarzweißen Mustern brach.
* Lyta Kunduran fühlte sich aus mehreren Gründen unbehaglich, aber sie sagte sich, daß sie im Augenblick an ihrem Schicksal nichts ändern konnte. Sie vergaß vorübergehend, daß sich der kunststoffauflösende Eindringling ausbreitete wie rasend schnell wucherndes Moos. Sie sah, daß das Raumschiff langsam über dem See kreiste und nach einer Landungsmöglichkeit suchte. Sie sah aber auch, daß die leuchtende Kugel zwischen den Schroffen und Granitwänden heranschwebte, die Gaszusammenballungen durchdrang und einen Steinwurf weit von der Schiffswandung regungslos in den treibenden Gasschleiern stehenblieb. »Sie hat das Relais zerstört und schien offensichtlich genau zu wissen, wo wir sind«, sagte sie nachdenklich. »Wir brauchen sie gar
nicht erst anzugreifen, denn die Kugel hat dem konzentrierten Feuer der fremden Schiffe mühelos widerstanden.« »Richtung. Sieh auf die Schirme – im Innern der Kugel bewegt sich etwas.« Langsam,