Atemlos!
Tori Carrington
Tiffany 1014
20 – 1/02
Gescannt von Almut K.
1. KAPITEL Ripley Logan beobachtete, wi...
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Atemlos!
Tori Carrington
Tiffany 1014
20 – 1/02
Gescannt von Almut K.
1. KAPITEL Ripley Logan beobachtete, wie das Badewasser einlief. In der feuchten Wärme des Badezimmers fühlte sie noch deutlicher, wie müde sie war. Als endlich genug Wasser in der Wanne war, öffnete Ripley die Flasche mit dem Badeschaum und goss ihn in die Wanne. Sie konnte es kaum erwarten, im Wasser zu versinken und sich von den Strapazen des Tages zu erholen. Sie saß auf dem Rand der Badewanne in einem Hotelzimmer, holte tief Luft und atmete den Pfirsichduft des Schaumbades ein. Wer hätte gedacht, dass es so anstrengend sein würde, Privatdetektiv zu sein? Aufregend, ja. Das war der Grund gewesen, warum sie gelernt hatte, mit einer Waffe umzugehen, warum sie sechs Monate lang Kurse besucht und sich mit den Feinheiten der Überwachungstechnik vertraut gemacht hatte. Jetzt hatte sie ihren ersten Fall, war den zweiten Tag in ihrem neuen Job beschäftigt und fragte sich warum ihr niemand von der langen Arbeitszeit erzählt hatte, von den zahllosen Leuten, die nicht zu einem Gespräch bereit waren und der Einsamkeit des Jobs. Ripley stellte die Flasche beiseite und richtete sich mit schmerzenden Muskeln auf. Wenn der Grund für ihre Müdigkeit wenigstens interessant gewesen wäre! Doch die Stadt nach einer Frau abzusuchen, die nicht gefunden werden wollte, war frustrierend. Sie schaute auf die Uhr, bevor sie sie abnahm und zur Seite legte. Es war schon nach Mitternacht, und sie war ihrem Ziel, eine gewisse Nicole Bennett zu finden, noch kein Stück näher gekommen, seit sie vor ungefähr zwölf Stunden auf dem Flughafen von Memphis gelandet war. In Gedanken konnte sie ihre Mutter hören. "Vielleicht geben sie dir deinen alten Job wieder, Liebling. Schließlich warst du sechs Jahre dort. Und du bist eine zuverlässige und erfahrene Angestellte. Ich bin sicher, sie verstehen, dass du deine Meinung geändert hast." Allein der Gedanke an diese mögliche Unterhaltung mit ihrer Mutter brachte Ripley dazu, die Schultern zu straffen. Die Firma, für die sie gearbeitet hatte, war von einer anderen aufgekauft worden, und einem Drittel der Belegschaft waren frühzeitige Pensionierung oder großzügige Abfindungen angeboten worden. Sie hatte sich für die Geldzahlung entschieden. Ihre Mutter musste nicht wissen, dass Ripley das Angebot als ein Zeichen gesehen hatte, endlich ein erfülltes, aufregendes Leben zu führen. Sie wusste, dass ihr Berufswechsel ihre Eltern beunruhigte. Aber der Gedanke, mit ihrem bisherigen langweiligen Leben fortzufahren, hatte ihr einen Schrecken eingejagt. Vielleicht hätte sie sich anders entschieden, wenn sie ihre Eltern tatsächlich glücklich machen könnte, indem sie das Leben lebte, wie sie es sich vorstellten. Ripleys Eltern aber hatten sich immer schon über die Entscheidungen ihrer Tochter aufgeregt, vor allem während ihrer kurzen, aber häufigen Anfälle von Rebellion, die weder mit der Pubertät begannen noch mit
ihr endeten. Inzwischen vermutete Ripley sogar, dass hinter diesem Aufbegehren ihr eigentliches Ich stand. Sie nahm ihre brandneue 9mm-Waffe aus dem Halfter und wog die zweieinhalb Pfund Stahl in ihren Händen. Es war noch immer ein ungewohntes Gefühl, und Ripley kam sich wie ein Kind vor, das Cowboy spielte. Jetzt sicherte sie die Waffe und legte sie neben ihre Uhr. So wie es aussah, würde sie sowieso nur auf dem Übungsplatz schießen. Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals wirklich auf jemanden zu schießen. Aber allein der Gedanke, dass sie die nötige Ausbildung dafür hatte und es schaffen würde, wenn es wirklich keine andere Möglichkeit gab, ließ sie lächeln. Ripley seufzte und strich sich ihre rotbraunen Locken aus dem Gesicht. Na gut, der heutige Tag war nicht so aufregend gewesen, wie sie es sich erhofft hatte. Aber das hieß ja nicht, dass es morgen nicht anders werden konnte. Wenn an dem Verschwinden von Nicole Bennet etwas faul war, dann würde sie es herausfinden. Jetzt brauchte sie erst einmal ein entspannendes Bad und erholsamen Schlaf. Als der Schaum über den Wannenrand zu steigen begann, drehte sie rasch das Wasser ab, zog sich aus und stieg vorsichtig in die Wanne. Während sie stehend wartete, um sich an das heiße Wasser zu gewöhnen, schaute sie in den Badezimmerspiegel. Wieso gab es eigentlich in Hotels so viele Spiegel? Nicht genug, dass ihr die Zellulitis an ihrem rechten Oberschenkel ins Auge stach, die geradezu nach Gymnastik verlangte, nein, der Badezimmerspiegel reflektierte sich im Spiegel an der Badtür, der wiederum spiegelte sich im Spiegel des Schlafzimmers, welcher dann einen Blick ins Wohnzimmer ermöglichte. Wahrscheinlich fanden manche Gäste es beruhigend, ihre ganze Umgebung unter Kontrolle zu haben - und vielleicht sogar ihre Zellulitis. Für Ripley war es lediglich eine Erinnerung daran, dass sie allein in einer Hotelsuite von Memphis war. Sie reckte sich, um die Tür zu schließen, doch sie ging nicht ganz zu. Während Ripley sich in die Wanne legte, konnte sie noch immer einen Blick auf den Rest der Suite erhaschen. Also schloss sie einfach die Augen. Ihre Füße fühlten sich an, als wäre sie die ganze Strecke von ihrer Heimatstadt St. Louis bis nach Memphis gelaufen. Ihre Muskeln schmerzten, als hätte sie schwimmend den Mississippi durchquert. Was hätte sie jetzt für eine Massage gegeben! Ripley musste an die Männer denken, mit denen sie während der letzten fünf Jahre befreundet gewesen war. Von den dreien hatte nicht einer gewusst, was er mit seinen Händen anfangen sollte. Nach dem letzten Desaster hatte sie aufgegeben, nach dem richtigen Mann für sich zu suchen. Sie war an dem Punkt angelangt, wo sie Kameradschaft akzeptierte. Leider war keiner der Männer, mit denen sie ausgegangen war, daran interessiert. Also hatte sie beschlossen, dass ihr ganzes Leben ein wenig frischen Wind gebrauchen konnte. Ihr Freund Nelson Polk hatte den fatalen Fehler begangen, ihr zuzustimmen.
"Ich hab nie eine Frau gefunden, die meiner Vorstellung entsprach", hatte Nelson gesagt und den Kopf geschüttelt, während er sich den nächsten Schachzug überlegte. Es war ein milder Spätherbsttag gewesen, und der Stadtpark von St. Louis wimmelte von Leuten, die die letzten Sonnenstrahlen genießen wollten. "Hat mich drei Scheidungen und zwei Konkurse gekostet, das herauszufinden. Pass auf, dass dir nicht dasselbe passiert, Ripley! " Es war das einzige Mal gewesen war, dass Nelson etwas über die Umstände hatte verlauten lassen, warum er seinen Beruf als Privatdetektiv aufgegeben hatte und jetzt ein Obdachlosenheim sein Zuhause und den Park seinen Vorgarten nannte. Ripley erinnerte sich so deutlich an die Unterhaltung, weil sie sich vorstellen konnte, dass sie genauso enden würde, wenn sie nicht etwas dagegen unternahm. Sie hatte ihre Gedanken Nelson mitgeteilt und war auf seine Ablehnung gefasst gewesen. Stattdessen hatte Nelson gelächelt, weder ermutigend noch entmutigend. Und sie erinnerte sich, dass sie gedacht hatte, sollte sie jemals Kinder bekommen, dann wollte sie tolerant sein. Sie würde nicht versuchen, ihr Kind in ein Raster zu pressen, sondern es eigene Entscheidungen treffen lassen. Diese Unterredung hatte sie in ihrem Entschluss bestärkt und ihr das Gefühl gegeben, endgültig aus ihrer alten Hülle schlüpfen zu können. Sie hatte sich einen Schießübungsplatz gesucht und zum ersten Mal in ihrem Leben eine Waffe in der Hand gehalten. In dem Moment hatte sie gewusst, dass es an ihr allein lag, welche Richtung ihr Leben nehmen würde. Wenn sie weiterhin mit dem Strom schwamm, dann würde sie irgendwann an einem Ufer landen und sich fragen, wie zum Teufel sie dorthin gelangt war. Sie war Sekretärin gewesen, weil... Ripley runzelte die Stirn. Sie konnte sich selbst kaum noch an die Gründe für ihre Berufswahl erinnern. Sie hatte einen Abschluss in Informatik. Doch sie hatte sich von einer Zeitarbeitsfirma anstellen lassen, um in verschiedene Firmen reinzuschnuppern, und dann war sie Sekretärin geblieben. Ein kurzes Klopfen ertönte an ihrer Hoteltür. Ripley erwachte aus ihren Gedanken. Hatte der Zimmerservice vielleicht etwas vergessen? Der Badezimmerspiegel zeigte ihr den Chefsalat, der noch unberührt auf dem Tisch im Wohnraum stand. Widerstrebend kam sie hoch. Sie hörte ein Geräusch, als steckte jemand eine Schlüsselkarte ins Schloss, dann ein Klicken, das nur bedeuten konnte, dass die Tür geöffnet worden war. Lieber Himmel! Jemand kam in ihr Zimmer. Ripley starrte mit großen Augen in den Spiegel und erkannte zwei Hände, die eine Waffe hielten. Eine, die ihren 9mm-Revolver wie ein Spielzeug aussehen ließ. Langsam sank sie tiefer ins Wasser, während ihre Gedanken auf Hochtouren liefen. Es war absurd. Sie hatte den ganzen Tag damit verbracht, den Aufenthaltsort von Nicole Bennett herauszufinden, und absolut nichts Interessantes erlebt. Die aufregendste Antwort, die sie auf ihre Fragen bekommen hatte, war ein Rülpsen
des Pfandhausbesitzers gewesen. Und nun waren da zwei ... nein, drei bewaffnete Männer, die sich in ihr Zimmer schlichen. Apropos Waffe ... Leise griff Ripley nach ihrem Revolver. Dann verschwand sie völlig unter dem Schaum. Was für eine Nacht! Joe Pruitt warf den Schuhkatalog auf den Fußboden des Hotelzimmers, knipste die Nachttischlampe aus und legte sich auf den Rücken. Helles Mondlicht drang durch die geöffnete Balkontür herein. Ein Mond für Liebende, dachte er und verzog das Gesicht. Liebende. Während der letzten zehn Jahre war seine Sportschuhfirma, "Sole Survivor", seine einzige Liebe gewesen. Na gut, das stimmte nicht ganz. Da war Tiffany in Texas gewesen. Nanette in North Dakota. Wendy in Washington. Doch all diese Beziehungen hatten nur wenige Wochen gedauert. Lange genug für die Frauen, um zu erkennen, dass seine Firma an erster Stelle kam, und für ihn, um zu bemerken, dass er, abgesehen vom Sex, mit diesen Frauen wenig gemeinsam hatte. Schon vor einer Weile hatte er herausgefunden, dass er kein Mann war, der sich häuslich niederlassen wollte. Seine Heimat war Minneapolis, außerdem hatte er ein Haus in San Francisco, eine Wohnung in Chicago und eine in New Jersey. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er sich nirgends wirklich zu Hause fühlte. In letzter Zeit verspürte er allerdings immer öfter eine nagende Unzufriedenheit und Einsamkeit. Er hatte es bei seiner letzten Reise nach New Mexico bemerkt, als er einen großen Coup gelandet hatte. Solche Geschäfte hatten ihn sonst immer zum Strahlen gebracht. Doch aus irgendeinem Grund hatte er nach dreimonatigem Ringen den Abschluss eher als Tief-, denn als Höhepunkt empfunden. Höhepunkt. Wenn er den Mädchen im Striplokal vorhin mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte, dann könnte er jetzt vielleicht ein paar echte Höhepunkte erleben. Stattdessen hatte er die vier Stunden in dem Club damit zugebracht, die Füße der Tänzerinnen zu betrachten und über seine Pläne, seine Kollektion auf normale Schuhe auszuweiten, nachgedacht. In dem Moment war ihm plötzlich klar geworden, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Da waren fantastische Frauen mit perfekten, entblößten Brüsten, und er war von ihren Füßen fasziniert. Joe bewegte sich unruhig. Er war ziemlich sicher, dass die Firmenvertreter, mit denen er einen größeren Handel abschließen wollte, seine Unaufmerksamkeit nicht bemerkt hatten. Warum sollten sie auch? Sie hatten all das getan, was ein normaler Mann tat, wenn eine nackte Frau ihre wippenden Brüste vor seinem Gesicht hin und her schwang. Nämlich gegrölt, gepfiffen und verschwitzte Geldscheine in winzige Slips gestopft.
Vielleicht war er einfach schon in zu vielen Striplokalen gewesen. Mit ihm war alles in Ordnung. Es war normal, ab und zu harte Zeiten durchzumachen, innezuhalten und sich zu fragen, was das alles sollte. Warum hatte er so etwas dann noch nie erlebt? Er war immer glücklich mit seinem Junggesellendasein gewesen. Auch wenn er früher eine Sportskanone gewesen war, hatten seine körperlichen Fähigkeiten ihm nicht bei seiner Ausbildung im Weg gestanden, und er hatte seinen Abschluss als einer der Besten seiner Klasse gemacht. Eine Verletzung während eines Basketballspiels auf dem College hatte lange gebraucht, um zu heilen. Doch statt sich zu bemitleiden, hatte er seine Verletzung auf die Schuhe zurückgeführt und das erste von vielen Paaren selbst entwickelt. Er hatte seine Ausbildung beendet, eine eigene Firma gegründet und war inzwischen einer der erfolgreichsten Unternehmer diesseits und jenseits des Mississippi. Warum zum Teufel hatte er dann ständig das Gefühl, etwas zu versäumen? Ein Schatten fiel auf sein Bett. Wahrscheinlich eine Wolke. Er drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Er hatte morgen einen vollen Terminkalender. Auf einmal bewegte sich seine Decke. Er runzelte die Stirn. Was zum Teufel ...? Seine Gedanken schienen wie ausgelöscht, als eine schlanke Frauenhand sich um seine Taille schlang. Gleichzeitig spürte er, wie sich ein warmer, feuchter Körper an seinen Rücken schmiegte. Ein vollkommen nackter Körper. War das alles ein Traum? Die Hand blieb auf seinem Bauch liegen. Automatisch spannte er die Muskeln an. Der Duft von Pfirsichen drang ihm in die Nase. All diese Einzelheiten kamen ihm sehr real vor, und er versuchte, sich umzudrehen. "Nein, nicht", flüsterte eine weibliche Stimme, während sich der Arm fester um seine Taille schlang und die Hand tiefer glitt. Joe schluckte. Das war kein Traum! Plötzlich erklangen Schritte auf dem Balkon, und wieder fielen Schatten auf sein Bett. Im selben Moment wurde er nicht länger auf der Seite festgehalten, sondern auf den Rücken gedreht, und die Frau setzte sich rittlings auf ihn. Zuerst sah Joe ihre nackten Brüste, als feste Schenkel sich um seine Hüften schlossen. Die gleiche Art von Brüsten, die ihn vorhin im Striplokal nicht im Geringsten interessiert hatten. Die Frau beugte sich vor. "Nicht bewegen", flüsterte sie. Was meinte sie damit? Er war doch ganz ruhig. Okay, vielleicht gab es da einen Körperteil, der nicht ganz gehorchte. Joe hörte, wie die Balkontür aufgeschoben wurde, und dann begann die Frau, ihn leidenschaftlich zu küssen. Kaum hatten ihre Lippen seine berührt, drang sie auch schon mit der Zunge in seinen Mund ein, als müsste sie ihn erkunden. Joe starrte sie an. Er nahm eine Menge dunkler Locken wahr, große dunkle Augen und einen sexy Mund. Er stöhnte und hob dann die Hände, um sie in den feuchten Locken zu vergraben, die sein Gesicht kitzelten. Himmel, das war besser als jeder Traum!
Vergessen waren die Fremden auf dem Balkon, die zweifelhafte Identität der Frau und die Tatsache, dass er keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging. Das Einzige, woran er denken konnte, war die Hitze, die sich in seinem Körper sammelte, das heftige Pochen seines Herzens, der Geschmack des Mundes, der so wundervoll seine Lippen liebkoste. Dann bewegte sie sich. Oh! Joe löste sich von diesem unglaublichen Mund und stöhnte, während er sich erregt an ihren Schoß drängte. Er umklammerte ihre nackten Hüften und hielt sie fest. Vage registrierte er, dass die Schatten nicht länger an der Balkontür waren. Die geheimnisvolle Fremde auf ihm bewegte sich erneut. Aber dieses Mal glitt sie von ihm hinunter. Joe versuchte sie festzuhalten, doch sie entwischte ihm und huschte zum Balkon. Ein leises Klicken, ein Rascheln, und dann wurde das Licht auf seinem Nachttisch eingeschaltet. Blinzelnd schaute Joe die Frau an, die vor der geschlossenen Balkontür und den zugezogenen Vorhängen stand. Sie sah genauso hinreißend aus, wie sie sich angefühlt hatte. Zerzaustes, lockiges rotbraunes Haar, das ihr bis zu den Schultern reichte, umrahmte ein ovales Gesicht und unterstrich ihre blasse Haut. Sie hatte volle, wohlgeformte Brüste, und das Dreieck weicher Locken zwischen ihren Oberschenkeln war einen Ton dunkler als ihr Haar. Joes Blick glitt zu ihren langen, schlanken Beinen und den hübschen zierlichen Füßen. Es war der Ausdruck in ihren großen braunen Augen, der ihm sagte, dass er das Geschehen falsch gedeutet hatte. "Ich brauche Ihre Hilfe", sagte sie, wobei ihre Stimme überhaupt nicht sinnlich klang, sondern schlichtweg Panik verriet. 2. KAPITEL Ripley starrte durch den Spion in der Tür. Zwei der drei Bewaffneten verließen gerade ihr Zimmer und marschierten den Flur entlang. Wartete der dritte in ihrem Zimmer auf ihre Rückkehr? Sie zuckte zusammen, als die beiden Männer direkt in ihre Richtung blickten, bevor sie in den Fahrstuhl stiegen. Ihre Furcht war unbegründet, sie konnten sie durch den Spion nicht sehen. Oder? Hastig zog sie den Kopf zurück. Sie drehte sich herum zu dem unbekannten Mann im Zimmer und sah, dass er auf der Seite lag, den Kopf auf den Ellenbogen gestützt. Ripleys Herz begann heftig zu pochen. Als sie sich in der Badewanne ihren Plan zurechtgelegt hatte, hatte sie nur aus ihrem Hotelzimmer fliehen wollen und nicht weitergedacht. Sie hatte sich, so lange es ging, unter dem Schaum verborgen. Um Haaresbreite war sie der Entdeckung entgangen, und als die Männer das Badezimmer verlassen hatten, war sie durch die offene Balkontür geflohen. Es war ihr kaum bewusst gewesen, dass sie völlig nackt war und dass sich ihr Zimmer im zweiten Stock
befand. Sie hatte ihre Waffe fest umklammert, den Nachbarbalkon, der ungefähr einen halben Meter entfernt war, betrachtet und gehandelt. Sie schluckte. Wahrscheinlich sollte sie froh sein, dass ihr Nachbar kein älterer, dicker Vertreter war. Doch sie war nicht überzeugt davon, dass dieser Typ hier besser war. Er hatte zerzaustes dunkelblondes Haar mit kupferfarbenen Strähnen und einen frechen Wirbel über der Stirn, der ihn noch attraktiver wirken ließ. Außerdem besaß er strahlend blaue Augen, die von dunklen Wimpern umrahmt wurden. Sein Anblick bestätigte, was sie bereits gefühlt hatte: Er bestand zu einem großen Teil aus Muskeln. Und er war groß. Sie hatte sich recken müssen, um seinen Mund zu erreichen, als sie auf ihm gesessen hatte, weil ein Kuss ihr als die beste Möglichkeit erschienen war, ihn davon abzuhalten, die drei bewaffneten Männer zu registrieren, die an seiner Balkontür aufgetaucht waren. Immerhin war es ihr gelungen. Andererseits war seine Reaktion auf sie erschreckend gewesen. Ripley merkte, dass ihr Atem noch immer schnell und stoßweise ging, und bemühte sich, ihn unter Kontrolle zu bringen. Das Problem war nicht, dass der Mann gut aussah, sondern die Tatsache, dass sie trotz aller Gefahr den Kuss genossen hatte. Erst als sie bemerkte, wie sehr dieser Kuss den Mann erregte, war sie wieder zur Besinnung gekommen. Noch nie zuvor war sie so unverfroren gewesen. Auch wenn noch nie drei bewaffnete Typen hinter ihr her gewesen waren, erklärte das nicht die Begierde, die sie plötzlich überkommen hatte, als sie auf diesem fremden Mann gelegen hatte. "Ich bin ... Also, was ich meine, ist ..." Sie verstummte, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, und verdrehte genervt die Augen. Du bist Privatdetektivin, schalt sie sich. Eine unabhängige Frau, die ihr Schicksal selbst im Griff hat. Sie holte tief Luft. "Danke", sagte sie schließlich lahm. Es raschelte. Sie blinzelte und sah, dass er die Decke beiseite geschlagen hatte. "Wollen Sie mir nicht eine Chance geben, etwas zu tun, wofür Sie mir danken können?" Ripley starrte ihn an, als wäre er verrückt geworden. Dann merkte sie, wie er sie aufreizend langsam von Kopf bis Fuß betrachtete, und ihr wurde schlagartig klar, dass sie noch immer völlig nackt war! "Oh nein." Sie versuchte, ihre Blöße mit den Händen zu bedecken. Hektisch ließ sie den Blick durchs Zimmer gleiten auf der Suche nach etwas, was sie anziehen konnte. Unsicher trat sie ins Schlafzimmer und ging zum geöffneten Schrank. "Wow, die Rückenansicht ist genauso umwerfend wie die Vorderansicht." Ripley zuckte zusammen, bevor sie hastig nach einem blauen Oberhemd griff und es sich mit so viel Würde wie möglich anzog. Zumindest bis sie merkte, dass der Spiegel an der Schiebetür dem Mann hinter ihr einen direkten Blick auf
das geöffnete Hemd erlaubte. Und seinem Grinsen nach zu urteilen, genoss er den Anblick. Sie verzog das Gesicht. Dabei konnte sie es ihm nicht einmal verübeln. Schließlich war sie nackt in seinem Zimmer aufgetaucht. Zielstrebig ging sie hinüber zum Bett, schnappte sich die Decke und zog daran. Anschließend streckte sie die Hand langsam in seine Richtung aus. "Das ist schon besser", erklärte er und klopfte einladend neben sich auf die Matratze. Ripley zog den Revolver unter der Decke hervor und wog ihn in ihrer Hand. Zufrieden bemerkte sie, dass jegliches Grinsen aus seinem Gesicht schwand. "Bitte", meinte er und hob die Hände hoch. "Sie sind in mein Bett geklettert, erinnern Sie sich?" Ripley lächelte und setzte sich auf die Bettkante. "Ja. Und zum Glück scheinen Sie an solche Ereignisse gewöhnt zu sein, oder? Denn sonst wäre vielleicht keiner von uns jetzt mehr hier." Sie hatte noch nie einen Menschen gesehen, der sich so schnell bewegte. Eben hatte er noch gemütlich dagelegen und ausgesehen wie die personifizierte Versuchung, und jetzt stand er neben dem Bett und umklammerte die Decke vor seiner Brust. So hätte er eigentlich reagieren müssen, als sie in sein Bett gekommen war. "Lassen Sie mich das klarstellen", sagte er. "Sie sind kein ... Geschenk eines meiner Kollegen?" Ripley zog die Augenbrauen hoch, während sie lässig ihre Waffe mit einem Zipfel der Decke polierte. "Bekommen Sie häufiger Geschenke dieser Art?" "Nie. " "Nein, ich bin kein Geschenk Ihrer Kollegen. Und ich bin auch kein Zimmermädchen, das Ihr Bett machen will, während Sie noch darin schlafen. Und auch keine besondere Form von Zimmerservice." Sie wedelte mit dem Revolver. "Keine Angst, der Ladestreifen ist sowieso in die Badewanne gefallen." Sie legte die Waffe auf den Nachtschrank, lehnte sich dann über das Bett und streckte die Hand aus. "Hallo, ich bin Ripley Logan, Privatdetektivin." Oh, wie sie sich immer danach gesehnt hatte, das zu sagen! Im Laufe des Tages, während ihrer vergeblichen Suche nach Antworten, hatte der Spruch ein wenig an Glanz verloren, da kein Mensch von der Dienstmarke, die sie sich aus einem Katalog bestellt hatte, beeindruckt schien. Aber die Reaktion dieses Mannes glich all die desinteressierten Blicke wieder aus. Während die Leute, denen sie im Laufe des Tages begegnet war, alles getan hatten, damit sie nicht das bekam, was sie suchte, hatte der hier ihr alles geben wollen, was sie suchte. Unsinn, sagte sie sich, alles, was sie nicht suchte. Ein kleiner wonniger Schauder durchfuhr sie, als sie daran dachte, wie sich sein Mund angefühlt hatte. Der Mann konnte unglaublich gut küssen. Sie beobachtete ihn und wartete darauf, dass er wieder zu sich kam. Das Funkeln in seinen Augen warnte sie, dass sie sich auf etwas gefasst machen musste. "Privatdetektivin, so, so", meinte er spöttisch.
Ripley knöpfte das geliehene Hemd zu, während ihr die feuchten Haare ins Gesicht fielen. "Haben Sie einen Namen?" "Hm." Sie hob den Blick. "Werden Sie ihn mir auch mitteilen?" "Es kommt ganz darauf an", entgegnete er, bevor er die Bettdecke fallen ließ und die Hände in die Hüften stemmte. Er trug nichts weiter als eng anliegende Boxershorts und sah verdammt sexy aus. "Worauf kommt es an?" "Ob draußen ein Kameramann wartet, bereit, durch die Tür zu stürmen und mir zu erzählen, dass es sich um einen Jux handelt." "Schön wär's", erwiderte Ripley ruhig. Sie zeigte mit dem Daumen zum Flur und fügte hinzu: "Schauen Sie nach." Er zögerte eine Sekunde und ging dann hinüber in das andere Zimmer. Sie blickte ihm fasziniert nach. Was hatte er gerade über die Rückenansicht gesagt? Seine war auch nicht zu verachten. Seine Oberschenkel deuteten auf ein sportliches Training hin, das jenseits von allem lag, was sie gewöhnt war. Er spähte durch den Spion, drehte sich wieder zu ihr herum und ertappte sie dabei, wie sie ihn anstarrte. Hastig wandte sie den Blick ab und griff zum Nachtschrank, auf dem seine Brieftasche lag. Sie öffnete sie und sah seinen Ausweis. "Joseph Albert Pruitt“ murmelte sie und legte die Brieftasche wieder zur Seite. "Freut mich, Sie kennen zu lernen, Joseph.“ "Joe. " Sie lächelte. Joe. Das gefiel ihr. Auch etwas so Ausgefallenes wie Fabio, Adonis oder Romeo hätte zu ihm gepasst, doch er hatte einen ganz gewöhnlichen Namen. Allerdings war der Mann alles andere als gewöhnlich. "Also", meinte er. "So wie ich das sehe, haben wir zwei Möglichkeiten." Sein aufreizendes Lächeln sollte sie eigentlich in die Flucht treiben. Stattdessen regten sich die Schmetterlinge in ihrem Bauch. "Entweder gehen wir beide wieder ins Bett ... zusammen." Ripley konnte nicht fassen, dass sie diese Idee mehr als ansprechend fand. Himmel, sie kannte den Mann doch gar nicht! "Und die zweite Möglichkeit?" Joe fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Oder Sie erzählen mir, was hier vor sich geht." Eine Stunde später saß Joe der hungrigen Privatdetektivin Ripley Logan gegenüber und versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass sich unter ihrem Hemd nichts weiter als wunderbar nackte Haut verbarg. Zu dem Abkommen, das sie mit ihm geschlossen hatte, hatte auch ein Essen gehört. Erst dann würde sie ihm alles erzählen. Es war nicht unbedingt, was er hören wollte. Wenn es nach ihm ging, dann würde sie diese kleinen kehligen Laute machen, wie jetzt beim Essen, aber sie würde sie neben ihm im Bett von sich geben. "Ich kann gar nicht glauben, dass ich so hungrig bin", sagte sie und biss in einen Burger von der Größe eines Tellers, bevor sie sich den Ketchup aus dem
Mundwinkel leckte. "Als ich vorhin in mein Zimmer gekommen bin, hatte ich überhaupt keinen Hunger. Erstaunlich, was ein bisschen Action anrichten kann, was?" Joe richtete sich auf. Er wünschte, sie würde von der Action sprechen, an der er interessiert war. Der Anblick ihrer kleinen rosa Zungenspitze war fast sein Verderben. "Ja, ich vermute, dass die Flucht vor drei bewaffneten Männern einen hungrig macht." Sie hörte auf zu kauen und blinzelte ihn an. Dann begannen ihre cognacfarbenen Augen zu funkeln. Ihr macht das Ganze Spaß, erkannte Joe. Nicht das Essen. Nicht seine Gesellschaft. Nicht das, was vorhin zwischen ihnen im Bett geschehen war. Nein, ihr gefiel es, dass sie von bewaffneten Männern verfolgt worden war - von denen einer noch immer in ihrem Zimmer saß, wenn er glauben konnte, was sie ihm erzählt hatte. "Das Merkwürdige an der Geschichte ist, dass ich nicht weiß, wer sie sind oder was sie wollen, obwohl sie vermutlich etwas mit dem Fall der vermissten Person zu tun haben, nach der ich suche", sagte sie und gestikulierte lebhaft mit dem Hamburger. "Aber wenn man an all die Sackgassen denkt, in die ich heute gelaufen bin, und ich meine, niemand würde..." Joe nahm das als Zeichen, dass von ihm im Moment nichts weiter erwartet wurde, als dass er zuhörte, und blendete sich aus. So wie sie redete, hatte er bestimmt fünf Minuten Zeit, bevor ihr die Luft ausging und sie eine Antwort von ihm erwartete. Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und genoss es einfach, sie anzuschauen. Er hatte noch nie eine Frau gesehen, die mit Anmut gleichzeitig aß und redete. Irgendwie war es sexy. Wenn sie schon beim Essen und Reden so viel Leidenschaft zeigte, konnte er sich vorstellen, wie sie im Bett sein würde. Heißhungrig. Unersättlich. Die obersten Knöpfe des Hemdes, das sie ihm entwendet hatte, standen offen, und als sie sich jetzt vorbeugte, um sich eine Fritte von seinem unberührten Teller zu nehmen, klaffte es auf und entblößte ihr Dekollete. Fast hätte er aufgestöhnt, als er sich daran erinnerte, wie sich ihre runden Brüste auf seinem Oberkörper angefühlt hatten. Er hustete und griff nach seinem Wasserglas. Ripley rieb die Hände aneinander und sagte dann, noch immer kauend: "So, das ist es. Jetzt wissen Sie alles, was ich weiß." Oh, das war schneller zu Ende, als er gedacht hatte. "Das ist ja interessant." "Aufregend", sagte sie und bekam wieder dieses Funkeln in den Augen. "Zumindest nach der Sache mit dem Bad." "Hm. Das Bad." Sie lachte, und er hatte die Vermutung, dass sie ihn auslachte. "Sie haben kein Wort von dem mitbekommen, was ich gesagt habe, stimmt's?" Er zog die Augenbrauen hoch. Frauen waren normalerweise beleidigt, wenn sie merkten, dass man nicht zugehört hatte. Ripley schien es jedoch zu amüsieren. "Natürlich habe ich das. Ich habe jedes Wort mitbekommen", verteidigte er sich.
Sie schob ihren Teller beiseite. "Dann erzählen Sie mir, was ich gesagt habe." Okay, daran war er gewöhnt. Er brauchte nur ein paar Wörter auszuwählen, die er während der letzten halben Stunde aufgeschnappt hatte, um sie zu überzeugen, dass er ihr zugehört hatte. "Es gibt da eine vermisste Person ... die Badewanne ... die bewaffneten Männer." Sie verzog den Mund. "Und?" "Und ..." Es überraschte ihn selbst, dass er lachen musste. "Sie haben Recht, ich habe nicht zugehört." Ripley winkte ab. "Das ist schon okay. Ich glaube, es hat sowieso keinen Sinn ergeben. Wahrscheinlich wird es das erst, wenn ich herausfinde, wer diese Typen sind und was sie vorhaben." Sie schaute sich im Zimmer um und meinte dann: "Ist es wirklich schon fast zwei Uhr?" Sie wollte aufstehen, doch er hielt sie am Handgelenk fest. "Was haben Sie gesagt?" Sie blinzelte. „Ist es schon zwei?" Er schüttelte den Kopf. "Nein. Das andere." "Was? Dass ich herausfinden will, was diese Typen vorhaben?" Ja, das war es. Jetzt funktionierte sein Gehirn wieder, zumindest halbwegs, und ihm kam ein nahe liegender Gedanke. "Glauben Sie nicht, dass es das Beste wäre, wenn Sie die Polizei benachrichtigten?" "Polizei? Warum sollte ich das tun?" "Oh, ich weiß nicht. Vielleicht ist es dumm von mir, aber wenn drei bewaffnete Männer hinter mir her wären, von denen einer sich womöglich noch in meinem Hotelzimmer befände, würde ich die Polizei anrufen." Sie streckte die Hand aus und umklammerte seine Schulter, so dass ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Ein Hauch von Pfirsich drang in seine Nase. "Keine Angst, Joe. Ich denke, ich werde allein mit ein paar bewaffneten Männern fertig. Das ist doch der Sinn und Zweck, wenn man Privatdetektiv ist." "Aha", meinte er langsam. "Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie eine Furcht einflößende Frau sind?" Sie war verrückt. Und wenn er wusste, was gut für ihn war, würde er selbst zum Telefonhörer greifen und die Polizei anrufen. Ripley lächelte, stand auf und drehte sich um, so dass er erneut einen Blick auf ihre Rückenansicht werfen konnte. Okay, vielleicht würde er in einer Minute anrufen. Ihr Hemd war an der Taille zerknittert und hochgerutscht, so dass er einen Blick auf ihren Po erhaschen konnte. Er räusperte sich. "Außerdem, was glauben Sie, würde die Polizei wohl sagen? ,Kennen Sie diese Männer, Miss Logan?' Antwort: ,Nein.' Wissen Sie, warum Ihnen jemand etwas anhaben wollte, Miss Logan?' Antwort: ,Nein.' Dann würden sie ihren kleinen Notizblock zuklappen und mir erzählen, ich könne mich bei ihnen melden, wenn wirklich etwas passiert ist." Sie wedelte mit der rechten Hand, so dass das Hemd noch ein Stückchen weiter nach oben rutschte. Joe musste sich beherrschen, um nicht aufzustöhnen.
Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. "Übrigens, Sie sind doch nicht verheiratet, oder?" "Verheiratet?" krächzte er. Sie lächelte. "Ich nehme an, das war ein Nein. Gut. Ich möchte nicht, dass jemand eifersüchtig wird, wenn ich bleibe." "Eifersüchtig?" "Ja, Sie wissen schon. Ehefrauen tendieren dazu, ein wenig verrückt zu spielen, wenn sie merken, dass ihr Mann eine andere Frau auf seinem Zimmer hat.“ "Ja ... verrückt. Was meinen Sie damit, dass Sie bleiben wollen? Hier?" Sie runzelte die Stirn. "Das ist doch klar. Wo sollte ich sonst hin, solange einer dieser schrecklich gemeinen Männer in meinem Zimmer hockt?" Sie winkte Joe zu und verschwand dann in seinem Schlafzimmer. "Gute Nacht, Joe. Oh, und noch mal vielen Dank." Sie schloss die Tür. Joe saß eine ganze Weile regungslos da und versuchte sich davon zu überzeugen, dass das, was gerade geschehen war, die Wirklichkeit war. Hatte Ripley ihn wirklich aus seinem Hotelzimmer ausgesperrt? Langsam schüttelte er den Kopf. Das war verrückt. Erst kroch eine nackte Frau in sein Bett, küsste ihn voller Leidenschaft und rief eine Reihe von Reaktionen hervor, von denen er schon geglaubt hatte, er sei dagegen immun geworden. Anschließend nahm sie sein Hotelzimmer in Beschlag, schnappte sich sein Hemd und bestellte den Zimmerservice auf seine Rechnung. Und um allem die Krone aufzusetzen, hatte sie ihm gerade zu verstehen gegeben, dass sie in seinem Bett schlafen würde ... ohne ihn. Der Anruf bei der Polizei erschien ihm immer reizvoller. Oh nein, Miss Logan, so nicht! entschied er, sprang auf und marschierte zum Schlafzimmer. "Ich finde, Sie und ich sollten uns…“ Er verstummte. Flach auf dem Rücken liegend, den Mund leicht geöffnet, lag die aufreizende, mysteriöse Ripley Logan da und schlief tief und fest. Langsam ging er zum Bett. Obwohl er nicht wusste, warum er sich die Mühe machte, leise zu sein. Er wollte doch, dass sie aufwachte, oder? Okay, vielleicht auch nicht. Jedenfalls nicht, um sie aus dem Bett zu werfen. Die Bettdecke war lediglich um Ripleys Beine geschlungen, und Joe langte hinunter, um sie heraufzuziehen, hielt dann aber inne. Seit wann besaß er einen Beschützerinstinkt? Wenn ihr kalt war, konnte sie sich gefälligst selbst zudecken. Er verschränkte die Arme vor der Brust und stand ganze zwei Sekunden lang da, bevor er seufzend erneut nach der Decke griff. Doch dann wurde er wieder abgelenkt. Und zwar von dem weichen Stoff des Hemdes, das sie trug. Der Saum berührte ihren Oberschenkel, nur wenige Zentimeter entfernt von der Stelle, die ihn verrückt machte, seit sie sie bedeckt hatte. Er stellte sich die weichen Locken unter dem Stoff vor und schluckte. Irgendwie war es nicht in Ordnung, hier zu stehen und sie zu betrachten, ohne dass sie davon wusste. Reiß dich zusammen, befahl er sich und wandte sich zur Tür. Plötzlich blieb er stehen. Ripley lag auf der einen Seite des Bettes. Das hieß, dass noch drei
Viertel der Matratze frei waren. Sie waren doch beide erwachsen, oder? Sie konnten sich ein Bett teilen, ohne dass Sex ins Spiel kam. Es war genug Platz da. Sie brauchten sich nicht einmal zu berühren. Es sei denn, sie wollten es. Ripley drehte sich im Schlaf auf die Seite. Die Bewegung bewirkte, dass das Hemd sich eng um ihren hübschen kleinen Po spannte. Ohne dass Sex ins Spiel kommt? dachte Joe. Er verließ das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
3. KAPITEL „Dieses Diagramm zeigt unsere Zuwachsraten während der letzten drei Jahre, als wir mit Ihrem Konkurrenten zusammengearbeitet haben." Joe saß im Konferenzzimmer der Firma "Shoes Plus" und versuchte, sich auf die Worte des Abteilungsleiters zu konzentrieren. Es wäre ihm besser gelungen, wenn er nicht ständig an Ripley Logan hätte denken müssen. Doch die Zerstreutheit, die er gestern schon an sich bemerkt hatte, noch bevor diese aufregende Person in sein Bett gekrochen kam, war heute noch viel schlimmer. Er rieb sich über die Stirn und schaute auf das kostspielig erarbeitete Diagramm, das seine Planung für die nächsten zwei Jahre zeigte, wenn "Shoes Plus" sich entschließen sollte, mit seiner Firma zusammenzuarbeiten. Aber irgendwie konnte er nicht die Energie aufbringen, das zu tun, was er vorgehabt hatte, nämlich sein Diagramm über das zu legen, über das der Abteilungsleiter nun schon endlos redete. Nein, er hatte in der letzten Nacht nicht viel Schlaf bekommen. Vielleicht war es unvernünftig, aber er hatte die Polizei nicht angerufen. Stattdessen hatte er sich auf dem kratzigen Sofa hin- und hergewälzt, zwei Mal war er sogar von dem blöden Ding heruntergefallen. Er hatte eine frustrierende Nacht damit verbracht, sich auszumalen, wie sie beide das beendeten, was Ripley so überraschend und verlockend etwas früher am Abend begonnen hatte. Der Abteilungsleiter war am Ende seines Vortrags. Zehn Augenpaare drehten sich erwartungsvoll in Joes Richtung. Er blinzelte und kam nur mühsam zurück in die Gegenwart. Diskret räusperte er sich und lächelte. "Wenn Sie mich bitte für einen Moment entschuldigen wollen..." Er stand auf, und während die anderen ihm mit offenem Mund hinterher starrten, verließ er den Raum. Er zog sein Handy aus der Tasche und ging in die hinterste Ecke des Empfangsraums, bevor er eine Nummer wählte, jemanden bat, ihn zu verbinden und dann wartete. Er wartete acht Klingelzeichen ab, bevor eine verschlafene, aber sexy Stimme antwortete. "Was fällt Ihnen ein, ans Telefon zu gehen?" fragte er tadelnd. Er hörte Ripley nach Luft schnappen, dann das Rascheln einer Bettdecke. "Wer ist da?" fragte Ripley schließlich.
„Was glauben Sie wohl? Der Mann, den Sie aus seinem eigenen Bett geworfen haben." "Joe?" "Gibt es sonst noch jemanden, den Sie aus seinem Zimmer vertrieben haben?" "Wo sind Sie?" Er warf einen Blick auf die geschlossene Tür des Konferenzzimmers. Eigentlich sollte er arbeiten. "In einer Besprechung." Am anderen Ende der Leitung folgte ein langes Gähnen. "Ich habe nicht einmal gehört, als Sie gegangen sind." Das war beachtlich, denn er hatte sich nicht bemüht, leise zu sein, als er vor zwei Stunden aufgestanden war. "Ist das nicht ein Risiko in Ihrem Beruf, wenn man so fest schläft?" fragte er. "Insbesondere nach dem, was gestern Nacht passiert ist?" "Ich war ja nicht mehr in Gefahr, als ich mich in Ihrem Zimmer befand." "Woher wollen Sie das wissen?" "Weil ... Na ja, ich habe einen sechsten Sinn für so was." „Aha, etwas, was Sie aus dem Handbuch für Detektive gelernt haben?" Ein leises Lachen. Joe merkte, dass er ebenfalls lächelte. "Gibt es etwas Bestimmtes, was Sie wollten, Mr. Pruitt, oder haben Sie mich nur angerufen, um mich zu ärgern?" Joe erkannte, dass es eigentlich keinen Grund für seinen Anruf gab, außer um festzustellen, ob Ripley noch da war. Und seine Erleichterung, dass sie es war, irritierte ihn selbst. Er erinnerte sich an die Mappe mit den Diagrammen, die auf dem Konferenztisch lag, und fragte Ripley, ob sie sie irgendwo im Hotelzimmer sähe. Sie befahl ihm zu warten und das tat er, während sie vergeblich die Mappe suchte. Vermutlich sollte er ihr erzählen, dass er den Typ gesehen hatte, der in ihrem Zimmer geblieben war. Sie waren beide zur selben Zeit aus den Zimmern gekommen und sogar zusammen im Fahrstuhl gefahren. Aber wenn er es ihr mitteilte, dann würde sie vermutlich sofort, nachdem sie aufgelegt hatte, verschwinden. Joe schaute auf seine Uhr und schalt sich einen Idioten. Kurz darauf war Ripley wieder am Telefon. "Leider habe ich Ihre Mappe nicht gefunden." "Verflixt. Dann habe ich sie wohl im Auto gelassen", log er. "War's das?" Krampfhaft überlegte er, doch es fiel ihm nichts mehr ein, womit er Ripley in der Leitung halten konnte. "Ja, das war alles." "Okay. Bis dann." "Ja, bis dann - warten Sie!" Er fürchtete schon, sie hätte aufgelegt, doch dann hörte er sie seufzen und "Was?" murmeln. "Gehen Sie nicht wieder ans Telefon. Man weiß nie, wer anruft." "Ich dachte, Sie wären nicht verheiratet." "Ich habe nicht gesagt, ich wäre ein Mönch."
"Oh. Okay." Joe unterbrach die Leitung, wartete eine Sekunde und drückte dann auf Wahlwiederholung. Wie vorherzusehen, nahm Ripley beim ersten Klingeln ab. "Ich dachte, ich hätte Sie gebeten, nicht mehr ans Telefon zu gehen. " "Nun, dann hören Sie auf, mich anzurufen." Joe drückte die Aus-Taste und grinste, als er zurück ins Konferenzzimmer marschierte, bereit, sich den Herausforderungen dort zu stellen. Ripley legte den Hörer auf und ließ sich lächelnd wieder ins Bett fallen. Ausgerechnet Joe hielt sie für verrückt! Wer würde schon anrufen, um ihr zu sagen, sie solle nicht ans Telefon gehen, dann noch einmal anrufen, um zu hören, ob sie sich daran hielt? Sie streckte sich. Ein Mann mit Sinn für Humor. Wie lange war es her, dass sie mit einem Mann ausgegangen war, der Sinn für Humor besaß? Ziemlich lange, wenn überhaupt je. Auf jeden Fall nicht mit einem Mann, der die gleiche freche, einfallsreiche Art besaß wie Joe. Allerdings gingen Joe und sie ja nicht miteinander aus. Sie hatten nur zusammen im selben Hotelzimmer geschlafen. Ripley kam hoch. Sie sollte das Zimmer vielleicht langsam verlassen. Sie bemerkte eine Nachricht neben dem Telefon und griff danach. "Rufen Sie die Polizei an" hatte Joe in großen Buchstaben darauf geschrieben. Sie legte den Zettel beiseite und schaute auf den Wecker, bevor sie aufsprang. War es wirklich schon halb zehn? Sie hatte früh aufstehen wollen, um den Typen verfolgen zu können, wenn er ihr Zimmer verließ. Vorausgesetzt natürlich, er würde aus ihrem Zimmer verschwinden. Sie ging hinüber zur Wand und presste ihr Ohr dagegen, obwohl ihr gesunder Menschenverstand ihr sagte, dass jemand, der auf einen anderen wartet, nicht viel Lärm machen würde. Seufzend schaute sie zum Telefon. Er würde wohl auch kaum an den Apparat gehen. Also bestellte sie etwas über den Zimmerservice und gab ihre eigene Zimmernummer an. Anschließend ging sie schnell unter die Dusche, nur um dann festzustellen, dass sie nichts zum Anziehen hatte. Nun, wenn sie sich schon das Bett von Joe ausgeliehen hatte, dann würde es auf Unterwäsche auch nicht mehr ankommen. Sie zog sein Hemd an und suchte sich Boxershorts sowie ein Paar Socken heraus. Nicht gerade besonders modisch, aber das war jetzt auch egal. Dann eilte sie zur Tür und hielt Ausschau nach dem Zimmerservice. Fünf Minuten später sah sie, wie die Fahrstuhltüren sich öffneten und ein Kellner einen Wagen in Richtung ihres Zimmers rollte. Ganz vorsichtig öffnete sie die Tür, um lauschen zu können. Ein kurzes Klopfen ertönte. "Zimmerservice." Ripley lächelte. Sie konnte nicht umhin zu denken, dass Nelson Polk stolz auf ihre kleine List wäre. Sie widerstand der Versuchung, die Tür ganz zu öffnen. Bei ihrem Glück würde der Typ sie wahrscheinlich in dem Moment erspähen, wenn sie versuchte herauszubekommen, ob er noch da war. Noch ein Klopfen und ein lauteres Rufen.
Ripley gab der Versuchung und ihrem knurrenden Magen nach und öffnete die Tür. Der Kellner wollte gerade aufgeben und sich abwenden, als sie ihm zuwinkte und auf ihn zueilte. "Oh, es tut mir Leid! Ich habe mich selbst ausgesperrt." Er betrachtete sie skeptisch. "Ma'am?" "Ich bin Ripley Logan. Das ist mein Zimmer." Keine Antwort. "Sie glauben mir nicht. Okay. Ich werden Ihnen genau sagen, was ich bestellt habe." Während sie es auflistete, verglich er es mit seinem Bestellformular. "Überzeugt?" Er nickte, während sie vorsichtig die Tür zu ihrem Zimmer betrachtete. War der Typ noch immer da drin? Sie erschauderte. Der Kellner rief ein Zimmermädchen, das am Ende des Ganges arbeitete, damit sie die Tür aufschloss. Ripley zögerte und versuchte durch den schmalen Spalt zu sehen. „Ma'am?" fragte der Kellner. „Was? Oh natürlich." Sie schluckte und stieß vorsichtig die Tür auf, während sie dem Zimmermädchen nervös dankte. Wenn der Typ noch da war, wollte sie sichergehen, dass sie nicht plötzlich mit einem Schuss niedergestreckt wurde, sondern noch flüchten konnte. Im Wohnzimmer war niemand. Ripley schlich durch den Raum und reckte den Hals, um ins Schlafzimmer schauen zu können, als ihr die Spiegel wieder einfielen. Rasch vergewisserte sie sich, dass weder im Wohnzimmer noch im Schlafzimmer, noch im Bad verdächtige Schatten lauerten. Erleichtert atmete sie auf. Er war weg. Diese Frau verlieh einem Mann Auftrieb. Joe grinste in die Runde des Konferenzraums, überzeugt, dass er nach einem schwachen Start ein erfolgreiches Comeback und gerade einen seiner besten Endspurts hingelegt hatte. Dieser Vertrag war so gut wie unterzeichnet. Er stand auf und schüttelte den Anwesenden die Hände. Seine Sekretärin, Gloria Malden hatte ihm einmal gestanden, dass sie es liebte, ihm bei der Arbeit zuzusehen, und dass niemand einen Raum voller Menschen so für sich einnehmen könnte. Zum Glück war Gloria fünfzig und Großmutter, sonst hätte er noch vermutet, sie wolle ihm Avancen machen. „Mr. Pruitt?" Joe drehte sich um, und sein Lächeln gefror, als er an der Tür den Mann sah, der heute Morgen mit ihm im Fahrstuhl gefahren war, derjenige, der Ripley aus ihrem Zimmer und in sein Bett getrieben hatte. Mit seinem Körper, der genauso breit wie groß war, versperrte er den Durchgang, und zwei Männer mit der gleichen Statur standen direkt hinter ihm. Verdammt! dachte Joe.
Ripley nahm sich die letzte Erdbeere vom Tablett und drehte dann das Foto, das sie betrachtet hatte, um. Sie trug Jeans und ein lila T-Shirt und fühlte sich gleich viel besser, nachdem sie ihr Zimmer zurückerobert hatte, ohne auf bewaffnete Männer gestoßen zu sein. Sie kaute langsamer, als sie zur Sicherheitskette an der Tür sah. Es war wahrscheinlich keine gute Idee, zu lange hier zu bleiben, falls die Typen sich alles zusammenreimten und wieder auftauchten. Sie wischte sich die Finger an der Jeans ab und drehte das Foto noch einmal um. Das Schwarzweißfoto zeigte eine dunkelhaarige Frau ungefähr in ihrem Alter. Doch es war weniger die Frau, als die Aufnahme selbst, was Ripley stutzig machte. Es war kein normales Foto, sondern ein Computerausdruck. Die mangelnde Schärfe und der ungewöhnliche Aufnahmewinkel ließen vermuten, dass es mit einer Überwachungskamera geschossen worden war. Was eigentlich keinen Sinn ergab in Anbetracht der Tatsache, dass sie das Bild von Nicole Bennetts Schwester Clarise bekommen hatte. Sie schaute auf ihre Informationen. Nicole Bennett. Achtundzwanzig, dunkelbraune Haare, graue Augen. Sie war zu Besuch bei ihrer Schwester gewesen, als sie eines Tages plötzlich mit dem Familiensilber verschwunden war. Die Teile, die die erkennbaren Initialen ZRD trugen, waren vor zwei Tagen in einem Pfandhaus in Memphis wieder aufgetaucht. "Sie macht es immer wieder", hatte Clarise Bennett auf Ripleys fragenden Blick hin erwidert. "Einmal Weihnachten hat sie die antiken Kugeln vom Baum mitgenommen." Weil sie es als Familienangelegenheit betrachtete, hatte Clarise die Polizei nicht eingeschaltet. Sie wollte nur das Silber wiederhaben und sicherstellen, dass es Nicole gut ging. Was die Initialen auf dem Silber betraf, hatte Clarise erklärt, sie hätte es von ihrer Großmutter mütterlicherseits geerbt. Was war das für ein Mensch, der seiner eigenen Schwester das Silber klaute, nur um eine Reise nach Memphis zu finanzieren? Vorausgesetzt, dass das der Grund gewesen war. Clarise hatte ihr versichert, dass Nicole keine Drogen nahm, doch Ripley hatte das bezweifelt. Jetzt griff sie nach dem Telefon, um Clarise Bericht zu erstatten. Einen Augenblick später hörte sie eine Ansage vom Band: "Kein Anschluss unter dieser Nummer." Verwirrt versuchte sie es noch einmal, mit demselben Ergebnis. Das machte doch alles keinen Sinn. Die Nummer hatte gestern noch einwandfrei funktioniert, als sie Clarise erzählt hatte, dass sie auf dem Weg nach Memphis sei. Sie probierte es wieder - vergeblich, bevor sie schließlich ihren eigenen Anrufbeantworter abhörte. Auch dort keine Nachricht. Merkwürdig. Ein Geräusch auf dem Flur ließ sie fast vom Stuhl fallen. Mit klopfendem Herzen stand sie auf und lauschte.
Sie wusste, sie hätte nicht so lange hier bleiben sollen. Sie hätte ihre Sachen packen und sofort verschwinden sollen. Aber nein. Sie hatte ja unbedingt noch das Frühstückstablett leer essen müssen. Noch ein Geräusch. Ripley verschwand im Schlafzimmer und hoffte, dass sich die Ereignisse der letzten Nacht nicht wiederholen würden. In was ritt er sich da nur hinein? Noch während Joe sich diese Frage stellte, wusste er, dass es auf jeden Fall viel interessanter sein würde als sein Leben in letzter Zeit. Er trat aus dem Hotelfahrstuhl und marschierte zu seinem Zimmer. Er hatte schon mindestens vier Mal dort angerufen, seitdem er den Konferenzsaal von "Shoes Plus" vor zwanzig Minuten verlassen hatte, doch niemand hatte sich gemeldet. Was im Grunde auch das gewesen war, was er den drei Männern geboten hatte, die sich als FBI-Agenten vorgestellt hatten: keine Antwort. Er hatte zwar mit ihnen geredet. Doch er hatte ihnen nicht das gesagt, was sie sich wohl erhofft hatten. Stattdessen hatte er sie gefragt, woher sie wussten, wo er war. Einer von ihnen hatte geantwortet, dass sie seinen Namen von der Hotelrezeption erfahren und dann bei seiner Sekretärin in Minneapolis angerufen hatten. Wunderbar. Wahrscheinlich wussten sie jetzt so gut wie alles über ihn. Nein, hatte er ihnen gesagt, er würde die Person im Nebenzimmer des Hotels nicht kennen. Und dann gefragt, warum der Typ denn gesucht wurde. Ja, er hatte letzte Nacht einen weiblichen Gast gehabt. Eine kleine Überraschung von seinen Kollegen. Ob er wusste, wie er sie erreichen könnte? Nun, sie könnten es in der Kity Kat Lounge probieren, aber mehr könne er ihnen leider auch nicht sagen. Okay, er hatte das FBI angelogen und hoffte nur, dass sie es nicht so schnell herausfanden. Nach einem kurzen Klopfen benutzte er seine Karte und öffnete die Tür. Kein Zeichen von Ripley, aber das hatte er auch nicht erwartet. Trotzdem ging er hinüber zum Schlafzimmer. Es war alles aufgeräumt. Entweder war der Zimmerservice inzwischen durch, oder Ripley war eine Ordnungsfanatikerin. Nachdem er noch einmal vergeblich versucht hatte, Ripley nebenan telefonisch zu erreichen, marschierte er hinüber zum Fenster, öffnete die Vorhänge und die Balkontür und trat hinaus. Nur rechts befand sich ein Balkon, also musste der zu Ripleys Zimmer gehören. Zwischen den beiden Geländern war knapp ein halber Meter Platz. War sie wirklich gestern Nacht nackt darüber geklettert? Und war er bereit, es vollständig angezogen am helllichten Tag zu versuchen? Er umklammerte das Geländer und schaute nach unten. Zwei Stockwerke tiefer befand sich ein riesiger Pool, an dem es von Menschen wimmelte, doch niemand nahm von ihm Notiz. Die Sache war eigentlich nicht weiter schwierig, wenn es da nicht das kleine Problem mit der Höhenangst gäbe. Er fluchte leise und versuchte dann
vergeblich, durch Ripleys Balkontür zu spähen. Also hatte er nur noch eine Möglichkeit, und vermutlich sollte er gleich damit beginnen. Er umklammerte das Geländer, schwang sich hinüber auf den anderen Balkon und richtete sich stolz wieder auf. Das war doch gar nicht so schlimm gewesen. Er trat zu der Balkontür, darauf gefasst, dass sie geschlossen war, doch stattdessen glitt sie geräuschlos auf. Verdammt. Kein gutes Zeichen. Wenn Ripley noch da wäre, hätte sie bestimmt die Balkontür verschlossen. Zögernd trat er hinein, ohne zu wissen, was ihn erwartete. Zumindest war er sich sicher, dass die drei FBI-Typen nicht vor ihm hier gewesen sein konnten. Andererseits, wer sagte, dass es nur drei von ihnen gab? Er verzog das Gesicht und schaute sich um. Die Tatsache, dass Ripley keine Ordnungsfanatikerin war, beruhigte ihn. Es herrschte totale Unordnung hier. Im Badezimmer lagen Sachen verstreut auf dem Boden herum, und im Wohnzimmer fand er ein Tablett, auf dem nicht ein Krümelchen mehr zu entdecken war, so dass es keinerlei Hinweis darauf bot, was für eine Mahlzeit sich darauf befunden hatte. Die Frau hatte wahrlich einen guten Appetit. Neben dem Tablett lagen Papiere, die mit Sicherheit Ripley gehörten. Aber hatte sie sie gestern Abend ausgebreitet, oder war sie noch kürzlich im Zimmer gewesen? Er ging zurück ins Schlafzimmer und überlegte. Die Schranktür stand offen, da hielt sich niemand versteckt. Der Duschvorhang war weit aufgezogen und enthüllte eine leere Wanne. Joe rieb sich das Kinn, ging dann hinüber zum Bett und tastete blindlings darunter. Er hörte jemanden nach Luft schnappen und hatte im nächsten Moment die Finger schon um einen schmalen Fußknöchel geschlungen. Er zog kräftig, und Ripley Logan starrte ihn an, als wäre er Jack the Ripper. Er grinste. Ripley trat nach Joes Schienbein und fluchte laut. "Verdammt, Pruitt, warum haben Sie nichts gesagt, als Sie hier hereinkamen? Ich dachte, Sie wären einer von denen." Sie stand auf und funkelte ihn wütend an, beschämt, dass er sie dabei erwischt hatte, wie sie sich unter dem Bett versteckte. "Sagen Sie nichts." Joe grinste und fuhr fort: "Regel Nummer zwei aus dem Handbuch für Detektive: Wenn man einen Eindringling hört, verstecke man sich unter dem Bett." Sie erklärte ihm, er könne sie mal, und ging dann ins Wohnzimmer. Gut, es war ihr erster Fall, und möglicherweise verpfuschte sie die ganze Sache. Aber das hieß nicht, dass sie sich Joes überhebliche Witze anhören musste. "Wo ist Ihre Waffe?" fragte er und folgte ihr. Ripley hob den Deckel des Eierkochers und schnappte sich den Revolver. Sie hatte ihn dorthin getan, weil sie dachte, dort wäre sie gut greifbar, wenn man. sie beim Frühstück überraschen würde.
In dem Moment, als sie ihn hätte gebrauchen können, hatte sie ihn natürlich vergessen. Immerhin war er jetzt geladen. "Was machen Sie überhaupt hier?" fragte sie. "Vorsicht!" Ripley merkte, dass er näher stand, als sie gedacht hatte, und die Mündung der Waffe fast seinen Solar Plexus berührte. Behutsam schob er die Waffe und ihre Hand beiseite. "Keine Angst, sie ist gesichert." "Ich möchte nur wissen, warum ich mich trotzdem kein bisschen sicherer fühle." Sie lächelte. Sie hatte vergessen, wie gut er aussah. Ihr Blick wanderte zu seinem Mund, und unbewusst fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. "Ripley?" "Hm?" "Schau mich nicht so an." Unwillkürlich war er zum Du übergegangen. Sie bemerkte, dass er heftig schluckte. "Ich weiß nicht, ob dir die Reaktion gefallen würde." Der Kuss letzte Nacht war nicht schlecht gewesen, doch unter den Umständen hatte sie ihn nicht so richtig genießen können. Was wohl an den bewaffneten Männern gelegen hatte. Doch hier und jetzt gab es nichts, was sie davon abhalten konnte, Joes verführerischen Mund zu erkunden. Sie trat auf ihn zu, den Blick noch immer auf seine Lippen gerichtet. Er umschloss ihre Schultern. „Tut mir Leid Ripley. Es mag Männer geben, die Frauen mit einer Waffe attraktiv finden. Ich nicht. Mir macht das eine Höllenangst. " Sie blickte auf die Pistole in ihrer Hand und seufzte. "Spielverderber. " Sein Lächeln konnte einen Stein erweichen. "Du hattest deine Chance letzte Nacht." "Letzte Nacht kannte ich dich noch nicht." "Jetzt kennst du mich auch nicht viel besser." "Das kann man so nicht sagen." Er schaute auf seine Uhr. "Und natürlich musst du gerade jetzt deine Meinung ändern." "Natürlich. " Er seufzte. "Ich sollte im Augenblick in einer Besprechung sein. In einer Besprechung, die für meine Firma von großer Bedeutung ist." "Ja?" Sie beugte sich vor, bis ihre Lippen nur noch Millimeter voneinander entfernt waren. "Was mich zu dem Grund meiner Anwesenheit hier bringt", murmelte er. „Heißt das, dass du nicht nur zurückgekommen bist, um mich unter dem Bett hervorzuziehen?" Noch ehe er antworten konnte, drückte Ripley sanft ihre Lippen auf seine. Joe stöhnte und umschloss ihre Hand, die die Waffe hielt, während er mit der anderen Hand unter ihr T-Shirt glitt. Ripley strich mit der Zunge über seine
Lippen. Er schmeckte nach Kaffee. Und nach etwas Süßem. Sie drang mit der Zunge in seinen Mund vor. Vanille. Hm ... Er räusperte sich, während er fortfuhr, ihre aufgerichtete Knospe zu liebkosen. "Was mir vorschwebt, findet auf und nicht unter dem Bett statt."
4. KAPITEL Joe hatte sich bisher nie für besonders religiös gehalten, aber als er jetzt so dastand und Ripley küsste, während er ihre wundervollen Brüste streichelte, kam er sich vor wie im Himmel. Hitze durchzuckte seine Lenden, und er hatte große Mühe, sein Verlangen zu zügeln. Er schnappte sich schließlich die Waffe, legte sie auf den Tisch und stolperte dann rückwärts, bis er auf einem Stuhl landete. Seine Träume wurden wahr, als Ripley ihre Beine zu beiden Seiten des Stuhls ausstreckte und sich auf ihn setzte. Es wäre traumhaft gewesen, wenn sie gerade jetzt keine Jeans getragen hätte, aber als sie sich ganz fest an ihn schmiegte, hörte er auf zu denken und eroberte ihren Mund mit der Zunge. Eine geschmeidige Bewegung genügte, und schon landete Ripleys T-Shirt auf dem Boden. Gierig umschloss er ihre Brüste. Die weichen Rundungen passten genau in seine Handflächen. Er senkte den Kopf und begann, eine harte Knospe mit der Zunge zu liebkosen. Die kehligen Laute, die Ripley dabei ausstieß, stachelten seine Leidenschaft nur noch mehr an. Mit den Händen glitt er an ihrem Rücken entlang, bis er ihren Po ertastete und sie noch enger an sich presste. Ripley schob die Finger in sein Haar und zog seinen Kopf hoch, um einen neuen Angriff auf seinen Mund vorzunehmen. "Das ist so verrückt", stammelte sie zwischen den Küssen. Joe konnte ihr nur zustimmen. Verrückt war genau das richtige Wort, um die letzten zwölf Stunden zu beschreiben. Genüsslich streichelte er ihren samtweichen Rücken, während sie sein Jackett auseinander zog und die Hemdknöpfe öffnete. Joe glaubte, ein Geräusch im Flur zu hören, und warf einen Blick zur Tür. Die Sicherheitskette war vorgelegt. Doch wenn man es genau betrachtete, wie viel Sicherheit konnte sie schon bieten, vor allem gegen diese drei Typen? Plötzlich fiel ihm ein, warum er sein Geschäftsessen hatte platzen lassen und ins Hotel zurückgekehrt war. „Ripley", flüsterte er und versuchte, seinen Mund von ihrem zu lösen. Sie stöhnte, während sie ihm das Hemd aus der Hose zog. Er hielt ihre Hände fest und hob den Kopf. Das pure Verlangen, das er in ihren Augen las, brachte ihn fast um den Verstand. "Ripley, wir müssen miteinander reden." Kaum waren die Worte heraus, konnte man das unmissverständliche Geräusch einer Karte hören, die in das Schloss gesteckt wurde.
Wie der Blitz sprang Ripley von seinem Schoß und rannte in Richtung Schlafzimmer. Joe wollte ihr folgen und stieß dabei fast mit ihr zusammen, als sie kehrtmachte, um ihre Waffe und die Papiere vom Tisch zu nehmen. Ihre Hände zitterten. Joe hielt sie auf. "Ripley, diese Typen - die von letzter Nacht - sie haben mich heute Morgen aufgespürt." Sie blinzelte, und es dauerte einen Moment, bis sie seine Worte begriff. "Ich weiß nicht in was du da hineingeraten bist, aber sie haben sich als FBIAgenten ausgewiesen." Das Schloss klickte. Obwohl er wusste, dass es keine gute Idee war, packte er Ripley bei den Schultern und schob sie ins Schlafzimmer. Gerade als er die Tür hinter sich schloss, hörte er, wie die Eingangstür an der Sicherheitskette hängen blieb. Joe schloss die Augen und fluchte. Weiche Strafe bekam man, wenn man einem Gesuchten bei der Flucht half? Er schaute zu Ripley und sah die Panik in ihren schönen Augen. Zum Teufel, er brauchte sich doch nichts vorzumachen. Sie war genauso wenig eine Flüchtige wie er. Ein dumpfer Laut, als hätte sich jemand gegen die Tür geworfen, drang zu ihnen. Ripley schnappte nach Luft und machte sich dann von ihm frei. Wie erstarrt sah er zu, als sie ihre Waffe in die Jeans stopfte, bevor sie einen Seesack vom Bett nahm und die Papiere hineinwarf. "Das FBI? Du meine Güte!" Sie rannte zum Balkon. Joe folgte ihr. "Ripley, ich glaube, es ist keine gute Idee, wenn du jetzt in mein Zimmer gehst. Sie wissen von mir." "Wie viel?" fragte sie skeptisch. "Was meinst du, wie viel?" Sie starrte ihn an. "Sie wissen, dass ich dein Nachbar bin. Nein, sie wissen nicht, dass du die letzte Nacht in meinem Zimmer verbracht hast, aber sie vermuten es." "Was hast du denn gesagt, wer bei dir war?" Er räusperte sich. "Eine Stripperin. " Sie überraschte ihn, indem sie ihn auf den Mund küsste. „Wofür war das denn?" "Ein Dankeschön. Du hast gelogen, um mich zu beschützen." Das hatte er. Er hoffte nur, dass er es nicht bereuen würde. Ripley warf ihren Seesack über den Balkon, und schon wusste er, dass er es bereuen würde. Er schaute mit ihr zusammen über das Geländer. Der Sack war an einem der unteren Äste eines Baumes neben dem Pool hängen geblieben. Joe schluckte und machte einen Schritt zurück. "Was zum Teufel hast du vor?" fragte er leise. Sie runzelte die Stirn. "Ich werde nach unten klettern. Was dach test du denn?"
Bevor er sie aufhalten konnte, hatte sie ein Bein über das Geländer geschwungen. Joe schloss die Augen und fluchte erneut. Sie lachte. "Was ist los, Joe. Du hast doch wohl keine Höhenangst, oder?" "Nein, ich habe Angst vor dir." Er sah ihr nach, wie sie sich nach unten gleiten ließ und mit den Füßen nach dem Geländer des Balkons unter ihnen tastete. Von dort ging es weiter ... direkt in den Pool. Joe grinste, als sie prustend wieder auftauchte. Dann traf es ihn wie ein Schlag - das Geräusch der berstenden Tür im Zimmer hinter ihm. Und da unten war Ripley, die aus dem Pool kletterte. In zwei Sekunden würden er und Ripley getrennt sein - womöglich für immer. Wo würde sie dann sein? In wessen Bett würde sie dann mitten in der Nacht klettern? Bevor er es sich noch anders überlegen konnte, umklammerte er das Geländer und folgte Ripley. Als er auf dem unteren Balkon war, versuchte er auf dem Zementweg neben dem Pool aufzukommen. Zu spät fiel ihm jedoch ein, dass jemand, dem die Knie schlotterten, nicht besonders treffsicher war. Er landete mitten im Pool. Ripleys Kopf wurde zurückgeschleudert, als Joe seinen Wagen mit quietschenden Reifen vom Hotelparkplatz lenkte. Sie wrang sich das Wasser aus dem T-Shirt und sah sich in dem erstaunlich biederen Auto um. "Was sind das?" fragte sie und zeigte nach hinten, wo ungefähr acht Schuhkartons standen. "Schuhe." Sie starrte ihn an. "Ich meinte, was du damit willst.“ Er warf ihr einen Blick zu. "Ich verkaufe Sportschuhe." "Bist du Vertreter?" Er bewegte seinen Hals, als wollte er ihn wieder einrenken. "Auf dieser Reise könnte man es fast so bezeichnen." Ripley erinnerte sich, dass sie gestern, als sie in sein Bett gekrochen war, dankbar dafür gewesen war, dass er kein dicker Vertreter war. Na ja, immerhin war er wirklich nicht dick. An Joes Körper war nicht ein Gramm Fett. Er hatte die Statur eines Top-Basketballspielers und immer nur eins im Kopf. Allein bei dem Gedanken an seine leidenschaftlichen Küsse wurde ihr schon wieder ganz heiß, trotz ihrer nassen kalten Sachen. Sie zog die Waffe aus der Jeans und legte sie beiseite, wühlte dann in ihrem Seesack, froh, dass er nicht ebenfalls im Pool gelandet war. Als Joe die Waffe nahm und sie unter den Sitz schob, sagte sie nichts. Stattdessen fischte sie ein trockenes T-Shirt und Shorts heraus. Hastig riss sie sich das nasse Zeug vom Oberkörper. Das Auto geriet ins Schlingern, so dass sie gegen die Beifahrertür geschleudert wurde.
"Was, zum Teufel, machst du da?" krächzte Joe und hielt an einer roten Ampel. Ripley griff nach dem sauberen T-Shirt. "Was meinst du?" Seine Augen sahen aus, als würden sie ihm gleich aus dem Kopf fallen. "Du bist …“ Sie folgte seinem Blick zu ihren nackten Brüsten und war genauso geschockt wie er. Hastig streifte sie sich das T-Shirt über und zog es glatt. Joes Blick sagte ihr, dass es so auch nicht besser war, denn ihre aufgerichteten Spitzen zeichneten sich deutlich unter dem T-Shirt ab. Sie war so mit ihrer Flucht beschäftigt gewesen, dass sie gar nicht darüber nachgedacht hatte, was sie hier tat. Sie schaute aus dem Seitenfenster und bemerkte einen Mann, der an der Bushaltestelle saß und sie mit einem anzüglichen Grinsen musterte. Trotzdem freute sie sich insgeheim über Joes Reaktion. Sehnsüchtig schaute sie auf die trockenen Shorts in ihrer Hand und dann auf die schwere nasse Jeans. "Wage es nicht einmal, daran zu denken", warnte Joe sie. "Was?" fragte sie lächelnd. "Die Hose zu wechseln." "Warum nicht? Du willst doch nicht, dass ich mich erkälte, oder? Eine Erkältung könnte zu einer Lungenentzündung führen, und davon kann man sterben." "Wir können auch sterben, wenn ich das Auto in eine Telefonzelle fahre." Sie zuckte mit den Achseln und öffnete den obersten Knopf ihrer Jeans. "Du brauchst ja nicht hinzusehen." "Ich brauche auch nicht zu atmen." Sie lachte. "Du willst mich doch nicht in dieselbe Kategorie wie das Atmen tun, oder?" "Ich stelle das Anschauen einer nackten Frau auf die gleiche Stufe wie Atmen. Beides geschieht automatisch." "Dann würde ich vorschlagen, dass du anhältst", meinte sie und quälte sich aus der nassen Jeans. Das Auto geriet erneut ins Schlingern, bevor Joe es in einer Parkbucht zum Stehen brachte, nach hinten griff und eine Sonnenblende aus Pappe hervorzog. Irritiert fragte er: "Ist das etwa meine Unterhose?", bevor er die Blende vor das Fenster schob. Sie grinste ein wenig verlegen. "Ja. Was machst du da?" "Jemand muss dich ja vor dir selbst schützen." Das waren Worte, die Ripley, auch wenn sie unschuldig klangen, ziemlich wütend machten. Ihre Eltern hatten sie mit solcherart Äußerungen in der Kindheit genug bevormundet. Hastig zog sie die Shorts über ihren Po. "Nicht nötig, ich bin fertig." "Dem Himmel sei Dank." Joe atmete tief durch, noch immer fassungslos über das, was Ripley gerade veranstaltet hatte. Was hatte sie sich dabei gedacht, sich hier im Auto bis auf
ihre, nein seine, Unterwäsche auszuziehen? Es machte ihm ja nichts aus, dass er es sah, aber auf den alten Spanner an der Bushaltestelle hätte er gut verzichten können. Er verspürte einen merkwürdigen Besitzerinstinkt. Als gehörte Ripley ihm und nur er dürfte sie anschauen. Nackt. Ihre rosigen Knospen aufgerichtet und hart inmitten der wippenden Brüste. Er seufzte tief auf. Dabei hatte er noch nicht einmal mit ihr geschlafen. Was sollte das heißen - noch nicht? Joe fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar und griff dann hinüber zum Handschuhfach, in dem immer ein Handtuch lag. Wenn er auch nur einen Funken Verstand besaß, würde er nicht einmal daran denken, zwischen Ripleys glatte Schenkel zu schlüpfen. Er machte sich nichts vor, inzwischen gab es kaum noch einen anderen Gedanken für ihn. Nicht einmal über die drei bulligen FBI-Agenten dachte er so intensiv nach. Sie waren nicht nur hinter Ripley her, sondern sie vermuteten inzwischen sicherlich auch, dass er etwas mit ihr zu tun hatte. Joe verzog das Gesicht. Wenn sie noch Zweifel daran gehegt hatten ... jetzt sicher nicht mehr. Nicht, wenn beide Hotelzimmer von innen verriegelt waren, ohne dass sich jemand darin befand. Er zog das Handtuch heraus und wischte sich Gesicht und Haare ab. Was stellte diese Frau nur mit ihm an? Gestern hatte er drei Stunden in Gesellschaft der hübschesten Mädchen von Memphis verbracht, doch er hatte lediglich ihre Füße angestarrt. Inzwischen erregte Ripley ihn dermaßen, dass selbst die Klimaanlage und die nassen Sachen nicht ausreichten, um ihn abzukühlen. Er legte das Handtuch beiseite und blickte zu Ripley hinüber. "Ich dachte ..." Die Worte gingen irgendwo auf dem Weg von seinem Gehirn zum Mund verloren. Ripley war über den Sitz gebeugt und machte sonst was auf dem Rücksitz, während ihr Po steil noch oben ragte. Die Shorts war völlig okay, wenn sie saß, aber in dieser Position ... Joe stöhnte laut und wäre fast wieder von der Straße abgekommen. Das Hupen hinter ihm stoppte zwar das Klingeln in seinen Ohren, aber es besänftigte nicht den Sturm, der in seinem Inneren tobte. "Was machst du denn jetzt schon wieder?" stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er das Lenkrad so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß wurden. Noch einmal warf er einen Blick auf ihren süßen, knackigen Po. Sie schaute zu ihm herüber, mit diesem unschuldigen Ausdruck in den Augen, der so typisch für sie war. "Ich breite meine Sachen zum Trocknen aus." Endlich drehte sie sich wieder herum und setzte sich, obwohl Joe nicht unbedingt sagen konnte, dass er erleichtert darüber war. Er hatte keine Ahnung, wohin er fuhr, doch vermutlich war es das Beste, sich möglichst rasch vom Hotel zu entfernen. Niemand schien ihnen zu folgen, doch sicher war er sich nicht. Nach einer Weile fiel Joe auf, dass Ripley schon seit einiger Zeit nichts mehr gesagt hatte. Und er vermutete, dass sie ihn anstarrte. Ein Seitenblick bestätigte das.
"Was ist?" fragte er. Die tiefe Falte auf ihrer Stirn und ihr nachdenklicher Blick gefielen ihm nicht. "Was hast du damit gemeint, als du sagtest, jemand müsste mich vor mir selbst beschützen?" Joe lockerte seine Krawatte, zog sie über den Kopf und begann, das Hemd auszuziehen. Eigentlich wollte er protestieren, als Ripley hinüberlangte, um ihm zu helfen. Es war ganz sicher keine gute Idee, wenn ihre Hände auch nur in seine Nähe kamen. Mit den Fingern glitt sie an seinen Armen entlang und befreite ihn von dem nassen Stoff. "Ich habe dir eine Frage gestellt. Bekomme ich noch eine Antwort?" fragte sie, während ihr Handrücken beim Ausziehen des Unterhemdes über seinen Bauch strich und ihm den Atem raubte. Joe schluckte und wehrte ihre Hände ab, als sie nach dem Reißverschluss seiner Hose langte. "Das ... ist keine gute Idee." Sie starrte ihn an, zuckte mit den Schultern und lehnte sich wieder in ihrem Sitz zurück. Dabei verschränkte sie die Arme vor der Brust. Er hatte das dumme Gefühl, sie verärgert zu haben. "Ich habe gar nichts damit gemeint", erklärte er, irritiert über ihren Ärger. "Das glaube ich nicht", widersprach sie. "Du denkst bestimmt, dass ich nicht in der Lage bin, auf mich selbst aufzupassen." Joe verzog das Gesicht. "Nun, ehrlich gesagt, Ripley, nach dem, was ich bisher erlebt habe, kommen mir da so langsam Zweifel.“ Sie griff nach der Waffe unter dem Sitz. "Was machst du jetzt?" "Fahr rechts ran." "Nicht, bevor du mir gesagt hast, was du vorhast." Sie stieß einen genervten Seufzer aus. "Ich werde aussteigen." Sie stopfte die Waffe in ihren Beutel und erhob sich dann auf die Knie, wahrscheinlich um ihre Sachen von der Rückbank einzusammeln. Joe umfasste ihr Bein, bevor sie ihm noch einmal aus nächster Nähe ihre sexy Kehrseite präsentieren konnte. "Ich glaube nicht, dass du das tun solltest." Er merkte, wie sie unter seiner Berührung erzitterte, und zog hastig die Hand zurück. "Das Aussteigen meinte ich." "Nun, dann ist es ja gut, dass ich dich nicht nach deiner Meinung gefragt habe, oder?" fuhr sie ihn an. Joe schloss kurz die Augen und richtete den Blick dann starr geradeaus, bis Ripley wieder saß. "Sag mir eins, Ripley. Was würdest du tun, wenn ich dich aussteigen ließe? Wohin würdest du gehen?" Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her. "Das kann dir doch egal sein." Joe überlegte, was in den letzten Minuten geschehen war, dass sich die Atmosphäre zwischen ihnen so verändert hatte. Er war als Einzelkind aufgewachsen und hatte sich oft als Vermittler zwischen seinen Eltern gefühlt eine Rolle, die er recht gut ausfüllte. Mit neunzehn hatte ein Unfall all seine
Hoffnungen auf eine Karriere als Profisportler zunichte gemacht. Also hatte er seine eigene Firma aufgebaut und war damit ziemlich erfolgreich. Alles in allem hielt er sich also für einigermaßen kompetent, was Problemlösungen betraf. Doch wenn es um Ripley ging, war er hilflos. "Hör zu, das war nicht so gemeint, wie es geklungen hat." "Ach ja?" meinte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. "Anscheinend sind während des vergangenen Tages ein paar Dinge geschehen, die mir einen falschen Eindruck von dir vermittelt haben", versuchte Joe zu erklären. "Offensichtlich." "Ich bin der Erste, der zugibt, dass ich nicht viel von dir weiß. Also kann jeder Eindruck eigentlich nur oberflächlich sein." Sie nickte. Er atmete tief durch. "Ich schlage daher vor, dass wir noch einmal ganz von vom anfangen." Sie kniff die Augen zusammen. "Wie meinst du das?" Grinsend streckte er ihr die Hand hin. "Hallo, ich bin Joe Pruitt, Gründer und Besitzer von ,Sole Survivor'. Freut mich, dich kennen zu lernen." Sie starrte seine Hand an, bevor sie sie vorsichtig ergriff und kurz drückte. Joe war erstaunt, wie schlank und zart ihre Finger waren, aber dann erinnerte, er sich daran, dass sie mit einer Waffe umgehen konnte. Sie lächelte so unschuldig, dass es ihn mitten ins Herz traf. "Ripley Logan, Privatdetektivin", erklärte sie und zog die Hand zurück. Joe starrte auf die Straße. Okay, das war einfach gewesen. Aber da es genauso einfach gewesen war, sie wütend zu machen, blieb er wohl besser auf der Hut. Dabei hatte er noch letzte Nacht im Bett gelegen und sich gewünscht, etwas möge geschehen, um seinem Leben wieder Schwung zu geben. Hätte er gewusst, was ihn erwartete, hätte er diesen Wunsch wohl nicht geäußert. "Was hast du gemacht, bevor du Privatdetektivin wurdest?" Ihr Lächeln schwand, und sie wandte sich ab. "Ich war Sekretärin." Joe verschluckte sich fast. Sie funkelte ihn wütend an. "Bis vor zwei Wochen." "Sag es nicht. Du hast einfach eines Tages deinen Job aufgegeben und ein Schild mit der Aufschrift ,Detektei' an deine Tür gehängt." Sie verzog das Gesicht. "Ich wusste, dass das nicht funktionieren würde." "Was? Ich versuche nur, Konversation zu machen." "Nein, du versuchst, mich als Idiotin hinzustellen." Er senkte den Kopf. "Du hast gar nicht gefragt, was ich früher gemacht habe", meinte er nach einer Weile. Sie blinzelte ihn an. "Bevor ich anfing, Sportschuhe zu verkaufen." Einen Moment lang überlegte sie, doch dann fragte sie gehorsam: "Okay, Joe Pruitt, was hast du getan, bevor du Schuhverkäufer wurdest?"
"Ich habe Sport getrieben." Sie senkte den Blick auf seine Brust. "Schön." Er war sich nicht sicher, ob sie damit seine Antwort oder seine Brust meinte. "Ich wollte gerade der Profiliga beitreten, als mein Knie streikte." "Welche Sportart?" "Basketball." Sie nickte, als hätte sie es geahnt. "Ich erinnere mich, dass ich letzte Nacht eine Narbe bei dir gesehen habe", sagte sie und legte ihre Hand auf sein Knie. Als er zusammenzuckte, zog sie die Hand sofort zurück, und Joe versuchte seine heftige Reaktion mit einem Lachen zu überspielen. "Das muss hart für dich gewesen sein", meinte Ripley. "Dass dein Lebenstraum so zerplatzte." "Ja, es war ziemlich schrecklich.“ Eine Weile saß Ripley schweigend da und betrachtete ihn. "Es sieht jedoch so aus, als hättest du trotzdem etwas aus deinem Leben gemacht. Nicht jeder schafft es, sich von solch einem Schock zu erholen. Ein Cousin von mir hatte einen Tag, bevor er bei den ,Cardinals' unterschreiben sollte, einen Unfall. Jetzt lebt er von der Sozialhilfe, trinkt Bier und hört Bruce Springsteen. Kein schöner Anblick. " Joe schaute sie aufmerksam an und erkannte, was hinter diesen Worten steckte. "Ich vermute, Sekretärin war nicht gerade dein Traumberuf?" Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. "Nein. Ich bin eigentlich Programmiererin." Sie wandte sich leicht von ihm ab. "Hier links." Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie zu dem Thema nichts mehr sagen würde. "Warum soll ich hier abbiegen?" "Wenn du alles infrage stellst, worum ich dich bitte, Joe, dann kannst du gleich hier anhalten und mich herauslassen. Denn so geht das nicht." „Wieso? Findest du nicht, dass ich ein Recht darauf habe zu erfahren, wohin wir fahren? Oder würdest du mir lieber die Augen verbinden?" Ihre Augen verdunkelten sich, als sie ihren Blick langsam und aufreizend über sein Gesicht wandern ließ. "Das ist ja mal eine Idee." Das war es wirklich. Allerdings wollte er dann nicht hinter dem Lenkrad sitzen, wenn es passierte. Stattdessen stellte er sich vor, wie er im Bett lag, die Hände an die Bettpfosten gebunden, während Ripley sich auf ihm befand. "Wir werden dem Pfandhaus, in dem ich gestern schon war, einen Besuch abstatten. Die Frau, nach der ich suche, hat dort vorgestern ein paar Sachen verkauft." "Und du glaubst, dass sie noch einmal wiederkommt?" Sie nickte. "Warum?" Abrupt hob sie den Blick. "Entschuldigung", meinte er und hob die Hände. "Sag mir bitte nicht, es wäre weibliche Intuition." Ripley lächelte. "Das ist es."
Er stöhnte. Lachend meinte sie: "Sie hat dem Besitzer gesagt, dass sie heute vielleicht noch einige Sachen bringt." Erbost funkelte er sie an. Einige Häuserblocks weiter bat Ripley ihn, rechts abzubiegen und an der nächsten Ecke langsamer zu fahren. "Oh nein", murmelte sie plötzlich. Bevor Joe fragen konnte, was los war, hatte sie ihren Kopf schon in seinem Schoß vergraben.
5. KAPITEL "Ich würde dich ja fragen, was du da unten machst", hörte Ripley Joe sagen, während sie ihren Kopf auf seinen Schenkel presste. "Aber ich fürchte, dass du dann aufhören wirst mit dem, was du vorhast." Ripley verdrehte die Augen. "Sieh geradeaus. Die dunkle Limousine. Kommt dir jemand bekannt vor?" Eine ganze Weile hörte sie nichts, doch dann beschleunigte der Wagen auf einmal fast bis zur Höchstgeschwindigkeit. "Verdammt!" fluchte Joe und wiederholte das Wort noch einige Male, während sein Oberschenkel sich unter ihrer Wange verspannte. Ripley versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass ein gewisser Teil seiner Anatomie sich sehr dicht an ihrem Gesicht befand. "Kann ich wieder hochkommen?" "Was?" Joe klang etwas geistesabwesend, dann seufzte er. "Ja. Offenbar hattest du andere Gründe, plötzlich abzutauchen, als ich mir erhofft hatte." Ripley setzte sich wieder auf den Beifahrersitz und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Ihr Herz klopfte heftig. Sie waren zwei Blocks weiter gefahren. Direkt gegenüber der Pfandleihe stand eine dunkle Limousine. Sie beobachtete, wie einer der Männer aus dem Wagen stieg, in beide Richtungen sah und dann hinüber zur Pfandleihe ging. "Wie zum Teufel haben sie es geschafft, vor uns hier zu sein?" fragte Joe. "Wenn du nicht zur Wahrung des Anstands auf dem Parkplatz angehalten hättest, dann hätten sie es nicht geschafft", erwiderte sie. Er starrte sie an. Ripley musste lächeln. Seine Reaktion auf ihre Umziehaktion war lustig gewesen, aber auch rührend. Es schien, als wollte er nicht, dass jemand anderes sie nackt sah. Sie hätte nicht genau sagen können, was zwischen ihr und Joe war, aber sie schienen auf der gleichen Wellenlänge zu liegen, Instinktiv wusste sie es, wenn er sie ansah, und sie spürte auch, was er dabei im Sinn hatte. Deutlich nahm sie
wahr, wenn er sie für übergeschnappt hielt und wenn er sie mit aller Macht begehrte. Sie warf ihm einen Blick zu. Sein zerzaustes blondes Haar fiel ihm in die Stirn und gab ihm ein jungenhaftes und gleichzeitig attraktives Aussehen. Sein nackter Oberkörper war kräftig und muskulös, und sie bekam große Lust, mit der Zunge über seine Haut zu streichen. Sie sollte sich diese Art von Gedanken verbieten, jedenfalls im Moment. „Irgendetwas geht hier vor, von dem ich nichts weiß", meinte sie mehr zu sich selbst und zog die Mappe heraus. "Wohin soll ich übrigens fahren?" fragte Joe. „Was meinst du?" "Nun, ich kann nicht ohne Ziel nur so herumfahren." Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. "Ich weiß es nicht", gestand sie. Sein Gesicht bekam einen grimmigen Ausdruck. Ripley schloss den Ordner. "Pass auf, Joe, ich habe dir schon gesagt, dass du das nicht zu tun brauchst. Irgendwie scheine ich in deiner Nähe sowieso nicht so gut zu funktionieren. "Tatsächlich?" Sie schaute weg und wedelte mit der Hand. „Du… bringst meine Gehirnströme durcheinander." "Ach, ja?" Sie drehte sich zu ihm herum. "Was glaubst du denn was es ist?" "Ganz einfach", erklärte er und sein Lächeln ließ die Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern. "Du begehrst mich. Und zwar sehr." Ihr Lachen sprudelte spontan aus ihr heraus, doch weil sie so angespannt war, klang es heiser und sexy. "Ich habe einen Vorschlag wenn du ihn hören willst." "Beinhaltet er ein Bett und mich in nacktern Zustand?" "Vielleicht.“ "Dann will ich ihn nicht hören." Er zog spielerisch die Stirn kraus. "Okay, es beinhaltet weder das eine noch das andere. Vorläufig." "Erzähl schon." "Da wir nun schon einmal beschlossen haben, dass wir diese Sache zusammen durchziehen, bis du diese vermisste Person gefunden hast ..." "Nicole Bennett.“ "Genau, also schlage ich vor, dass wir zum nächsten Restaurant fahren und etwas essen." "Und wie hilft uns das, Nicole zu finden?" "Gar nicht. Aber es wird das Knurren in meinem Magen stoppen.“ Und es gibt mir die Möglichkeit, meine Sekretärin in Minneapolis anzurufen, damit sie uns ein Zimmer in einem anderen Hotel reservieren kann. Unter einem anderen Namen. Nichts, was das FBI …“ "Sie sind nicht vom FBI."
„… was diese Typen auf unsere Spur führen kann. Und dann?" Langsam ließ er seinen Blick über sie gleiten. "Willst du hören, was ich mir erhoffe oder was ich denke, was dann geschieht?" Ihre Knospen richteten sich unter dem weichen Stoff ihres T-Shirts auf. "Letzteres." Er zuckte mit den Schultern. "Du bestimmst, wo es langgeht. Ich bin mir zwar nicht sicher, dass du so richtig weißt, was du tust, aber ich habe jedenfalls keine Ahnung von solchen Privatdetektivgeschichten. Also werde ich uns einen sicheren Platz besorgen, und du sagst mir, wie ich dir weiterhelfen kann." "Okay.“ "Fein." "Perfekt.“ "Musst du immer das letzte Wort haben?" Ripley starrte ihn an und erkannte, dass er Recht hatte. Das war überhaupt nicht typisch für sie. Solange sie denken konnte, hatte sie zu allem immer Ja und Amen gesagt, um nur niemandem zu missfallen. Irgendwie war es befreiend, auf einmal etwas Widerspruchsgeist zu besitzen und alles Mögliche infrage zu stellen. Sie grinste Joe an. "Immer. " „Hier." Joe lehnte sich in der Nische des Restaurants zurück und starrte auf das Handy, das Ripley ihm entgegenhielt. Auf ihren Wunsch hin hatte er ein Restaurant in der Nähe des Pfandhauses ausgesucht. Sofort nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, war Ripley verschwunden, um wie sie sagte, etwas zu besorgen. Er hatte gedacht, sie würde zum Pfandhaus gehen, doch sie marschierte in die andere Richtung. Sie drückte ihm ein zerkratztes und verbeultes Handy in die Hand, das er eigentlich gar nicht berühren wollte, und setzte sich ihm gegenüber auf die Bank. "Was ist das?" "Ein Handy." "Das sehe ich." "Oh, gut. Ich bin am Verhungern", meinte Ripley, da in diesem Moment das Essen gebracht wurde. "Wem gehört das?" hakte Joe nach, sobald die Kellnerin weg war, und wedelte mit dem Handy, um Ripleys Aufmerksamkeit zu erregen. Sie nahm einen Bissen von ihrem Sandwich und zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Ich vermute, jetzt ist es meins. Ich habe es von einem dieser Typen dort an der Ecke gekauft." Sie zeigte mit dem Daumen auf eine Gruppe von Männern. "Ich schätze, dass es heiße Ware ist." "Du meinst geklaut." Sie lächelte. "Ja. Ich dachte, wenn unsere neuen Freunde deine Anrufe abhören, könnte ihnen dies ein paar Schwierigkeiten bereiten. "
Schwierigkeiten. Warum nur hatte Joe das Gefühl, dass nur er in Schwierigkeiten stecken würde, wenn die Sache vorbei war? Er starrte das Handy an und wählte dann vorsichtig die Nummer seines Büros in Minneapolis. Gloria hob beim ersten Klingeln ab. Als er sie bat, ein Hotelzimmer unter einem anderen Namen zu reservieren und sämtliche Kosten über ihr Privatkonto abzuwickeln - wofür er sie doppelt zu entlohnen versprach - zeigte sie weder Besorgnis noch Überraschung. Erst als er sie bat, seine Termine am Nachmittag, die mit "Shoes Plus" zu tun hatten, abzusagen, schwieg sie verblüfft. "Wie bitte?" fragte sie dann nach. Joe rieb sich über das Gesicht. "Sagen Sie den Leuten einfach, ich hätte die Grippe." Ripley rümpfte die Nase. "Sehr originell." "Gloria, streichen Sie das. Sagen Sie ihnen, ich hätte einen Notfall in der Familie und musste mit dem ersten Flug nach Minneapolis zurückkehren." Ripley verdrehte die Augen. "Nein, warten Sie. Entschuldigen Sie mich und erzählen Sie, dass ich vom Balkon im zweiten Stock meines Hotelzimmers gefallen bin, mich aber auf dem Wege der Besserung befinde." Damit erntete er ein zustimmendes Lächeln von Ripley, ein Lächeln, bei dem ihm ganz warm wurde. "Joe?" fragte Gloria hörbar verwirrt. "Was ist?" "Es ist nur so, dass Sie in den fünf Jahren, die ich für Sie arbeite, noch niemals einen Termin abgesagt haben." Joe runzelte die Stirn. Stimmte das? Was war, als er letzten Winter eine Grippe gehabt hatte? Oder als seine Tante ein paar Monate vorher gestorben war? Gedankenverloren rieb er sich den Nacken. Bei keiner dieser Gelegenheiten hatte er irgendetwas abgesagt, was mit seiner Firma zu tun hatte. Er hatte lediglich um diese Begebenheiten "herumgearbeitet". Begebenheiten. Reduzierte sich sein Privatleben darauf? Eine Reihe von Begebenheiten, um die er "herumarbeitete"? Er verzog das Gesicht und sagte zu Gloria: "Nun, finden Sie nicht, dass es Zeit wird, dass ich damit anfange?" Ein leises Lachen ertönte durch die Leitung, und Gloria überraschte ihn, als sie meinte: "Ich finde, es wird höchste Zeit. Aber es war nicht meine Aufgabe, Ihnen das zu sagen." Sie sprachen noch einige Minuten, dann beendete er das Telefonat und legte das Handy auf den Tisch. Nachdem er etwas von seinem Salat gegessen hatte, meinte er: "Erzähl mir etwas von der vermissten Person." "Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen. Clarise, ihre Schwester, hat mich vorgestern angerufen und einen Termin mit mir ausgemacht." Ripley lächelte. "Ich hatte gerade meine Anzeige in die Zeitung gesetzt, und sie war meine erste Anruferin." Ripley tauchte eine Fritte in den Ketchup, bevor sie sie in den Mund
steckte. "Sie wollte in mein Büro kommen, doch da ich noch keins habe, schlug ich vor, zu ihr zu kommen. Sie sagte etwas davon, dass ihr Mann nichts von der Sache wüsste, und wir einigten uns auf ein Café. Dort gab sie mir ein Foto, Nicoles letzte Adresse und erzählte, dass Nicole während ihres letzten Besuches bei ihr einige Dinge gestohlen hätte." "Was hat sie geklaut?" "Silber - und auch Schmuck, obwohl sie bisher erst das Silber versetzt hat. Ja, ich weiß, ich war auch überrascht. Ich meine, was ist das für eine Welt, in der man nicht einmal mehr seiner Schwester trauen kann?“ "Wie bist du ihr bis hierher auf die Spur gekommen?" "Schwein gehabt, würde Nelson dazu sagen. Er meint, wenn einem das Glück hold ist, passieren häufiger solche Zufälle, aber man kann sich nicht darauf verlassen." "Wer ist Nelson?" Täuschte er sich, oder war sie gerade rot geworden? "Das ist unerheblich." Sie tat seine Frage mit einer vagen Geste ab. "Ich habe das Übliche getan. Du weißt schon, überall Erkundigungen eingezogen, alles jedoch ohne Erfolg. Bis ich zufällig auf dem Flughafen eine Angestellte vom Bodenpersonal traf, die nichts gegen eine kleine Aufbesserung ihres Gehalts hatte." Ripley strahlte. "Sie erkannte Nicole auf dem Foto, das ich habe, und erzählte, dass sie ihr ein Ticket nach Memphis verkauft und sogar persönlich dafür gesorgt hatte, dass sie am Abend vorher noch ihren Flug bekam. Also flog ich her, fand das Hotel, in dem sie übernachtet hatte, und bezog das Zimmer, in dem sie gewohnt hatte, allerdings habe ich nichts mehr darin gefunden, was mir weiterhelfen konnte. Dann habe ich mich auf den Weg gemacht. Das Pfandhaus…“, sie deutete mit dem Daumen in die Richtung, „ …war meine dritte Station hier." Joe beobachtete, wie ein Taxi vor der Pfandleihe anhielt. Eine dunkelhaarige Frau stieg aus, bezahlte den Fahrer und ging dann auf das Haus zu. "Hast du ein Bild von dieser Nicole?" fragte er. Ripley nickte und fischte eine Kopie aus dem Ordner, der vor ihr auf dem Tisch lag. Joe schaute es an und blickte dann zu der Frau, die auf das Pfandhaus zuging. "Ich glaube, du brauchst nicht länger zu suchen." Das ist besser als Sex! Ripley verweilte einen Moment bei diesem Gedanken, während sie mit klopfendem Herzen durch die Restauranttür stürmte. Okay, vielleicht war es genauso gut wie Sex, zumindest die Art von Sex, die sie gewöhnt war. Aber sie hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sie musste ihren ersten Fall lösen. Sie hätte sich schon längst dazu entschließen sollen, den Beruf zu wechseln, obwohl sie ihr Glück noch gar nicht fassen konnte. Hatte Joe sich getäuscht? Sah die Frau, die in die Pfandleihe gegangen war, vielleicht nur Nicole Bennett
ähnlich? Schließlich lagen mindestens dreihundert Meter zwischen dem Haus und dem Restaurant. Oder ... Oder er erlaubte sich einen Spaß mit ihr. Sie war hastig, ohne nachzudenken, vom Tisch aufgesprungen. Jetzt drehte sie sich um und sah, dass Joe von der Kellnerin aufgehalten wurde, wahrscheinlich, damit er die Rechnung bezahlte, und war erleichtert. Sie hätte ihn umgebracht, wenn er noch immer in der Nische gesessen und sie angegrinst hätte. Das Geräusch ihrer klappernden Absätze auf dem Asphalt, das Gefühl ihrer wehenden Haare, das Brennen ihrer Lungen, das verriet, wie wenig Kondition sie besaß, all das vermittelte ihr ein verdammt gutes Gefühl. In der Nähe des Pfandhauses wurde sie langsamer und griff sich in ihre stechende Seite. So unauffällig wie möglich streckte sie den Kopf aus und spähte durch das schmutzige Schaufenster. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Das war eindeutig Nicole Bennett. Ripley hatte strikte Anweisungen erhalten, was sie tun sollte, wenn sie Nicole fand. Nämlich ihr folgen und herausfinden, wo sie wohnte, dann sollte sie ihre Schwester in St. Louis benachrichtigen. Ripley zog die Stirn kraus. Das letzte Mal, als sie Nicoles Schwester hatte anrufen wollen, hatte sie keine Verbindung bekommen. Einen Moment lang schloss sie die Augen. Was sollte sie tun? Das Läuten einer Glocke ließ sie zusammenzucken. Sie starrte Nicole Bennett an, die mit einer Tasche weniger aus dem Pfandhaus kam und Geld in ihre Jackentasche steckte. "Keine Bewegung!" rief Ripley. Keine Bewegung? Hatte sie das tatsächlich eben laut gerufen? Du lieber Himmel, sie war doch keine Polizistin! Sie sollte sich Nicole nicht einmal nähern. Nicole sollte gar nicht wissen, dass sie ihr folgte. Ihr erster Fall, und sie hatte ihn schon gründlich vermasselt. Nicole riss verwundert die Augen auf. Dann schaute sie auf Ripleys Hände, in denen sich offensichtlich keine Waffe befand, und machte sich in die andere Richtung aus dem Staub. Ripley rannte ihr nach. Sie wusste nicht, was sie machen würde, wenn sie sie geschnappt hatte, aber das würde sich schon finden. "Ist sie das?" Joes Stimme, so dicht an ihrem Ohr, ließ Ripley aufschreien. Dann, bevor sie es verhindern konnte, kam sie ins Stolpern und wäre kopfüber auf die Nase gefallen, wenn Joe sie nicht im letzten Moment aufgefangen hätte. Sie riss den Kopf hoch und sah gerade noch, wie Nicole um die Ecke rannte und verschwand. Ripley rappelte sich auf, zog ihr T-Shirt gerade und stampfte dann wütend auf Joes Fuß. Sein Aufschrei linderte ihre Enttäuschung kein bisschen. "Wofür war das denn?" wollte er wissen, während er auf einem Fuß herumhüpfte.
"Dafür, dass ich meine erste Vermisste wieder verloren habe." Das Problem war, dass ihre Auftraggeberin selbst auch nicht zu finden war. Ripley schaute in die Richtung, in die Nicole gelaufen war, machte einen Schritt dorthin, blieb unschlüssig stehen und wollte zum Restaurant gehen. Doch in dem Moment sah sie die dunkle Limousine, in der drei Typen saßen, die vorgaben, zum FBI zu gehören. Verflixt!
6. KAPITEL Ripley klopfte kurz an die Hotelzimmertür und stellte sich dann direkt vor den Spion. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet, und sie starrte Joe an, der direkt aus der Dusche zu kommen schien, da er nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen hatte. Himmel, sah er gut aus! "Kommst du rein oder nicht?" fragte er, bevor er sie am Handgelenk packte und ins Zimmer zog. Ripley schaute ihn böse an, frustriert darüber, dass er sie ohne große Mühe dazu bringen konnte, alles um sich herum zu vergessen. Eigentlich hatte er ja gar nichts getan, sondern nur dagestanden, zum Vernaschen ausgesehen, und prompt setzte ihr Verstand aus. Sie marschierte hinüber zu dem Doppelbett und ließ sich darauf fallen. Ihren Seesack warf sie auf den Boden. Ihre Füße schmerzten von all der Lauferei, die sie in der letzten halben Stunde absolviert hatte - erst hinter Nicole Bennett her, dann auf der Flucht vor den drei Typen, die sie aus unerfindlichen Gründen verfolgten. Glücklicherweise hatte sie die Männer gesehen, bevor sie von ihnen erspäht worden war. Sie war mit Joe in einen Antiquitätenladen geflüchtet, bis die Kerle weg waren, und sie in das Hotel fahren konnten, das Joes Sekretärin für sie gebucht hatte. Ripley hatte darauf bestanden, an der Ecke auszusteigen, damit sie nicht häufiger als nötig zusammen gesehen wurden. Joe hatte allein eingecheckt, ihr per Handy die Zimmernummer durchgegeben, und jetzt war sie ihm auf das Zimmer gefolgt. Sie merkte, dass sie Kopfschmerzen bekam, und rieb sich die Stirn. "Bist du sicher, dass man deinen Namen nicht mit dem Zimmer in Verbindung bringen kann?" "Unmöglich. " Sie blinzelte erschöpft. Joe grinste. "Du willst das vermutlich nicht hören, aber du könntest besser laufen, wenn du die richtigen Schuhe dafür hättest." Ripley verdrehte die Augen. "Oh, toll, jetzt willst du mir auch noch Schuhe verkaufen."
Er zuckte mit den Achseln. "Das ist nun mal mein Job. Erschieß mich doch dafür." "Bring mich nicht in Versuchung", murmelte sie. Allerdings hätte sie eher Lust, sich selbst zu erschießen. „Keine Bewegung!". Sie zuckte beschämt zusammen und konnte noch immer nicht glauben, dass sie das wirklich vor der Pfandleihe gerufen hatte, als Nicole herausgekommen war. Ripley ließ sich rückwärts auf das Bett fallen und stöhnte. Vielleicht hatte ihre Mutter Recht. Vielleicht würde man ihr doch ihren Job wieder geben, wenn sie auf und Knien darum bat und die Abfindung zurückzahlte. Allerdings hatte sie das meiste Geld bereits ausgegeben und ihrem Chef zum Abschied zudem noch ein paar Wahrheiten ins Gesicht gesagt. Nein, es war nicht möglich, in ihren alten Job zurückzukehren. Ripley fühlte Joes Hände an ihren Füßen und kam abrupt hoch. Joe hockte neben dem Bett. "Was machst du da?" flüsterte sie. Sie erschauerte, als Joe ihr eine Sandalette auszog und mit den Fingerspitzen über ihren empfindlichen Spann strich. Er schaute sie lächelnd an und tastete dann ihren ganzen Fuß ab. Ripley schnappte nach Luft vor Erregung. "Was ist? Bist du etwa kitzelig?" Auf diese Frage wusste sie keine Antwort. Bisher hatte noch nie jemand versucht, sie zu kitzeln. Ihre Eltern waren Menschen, die Körperkontakt scheuten. Und keiner ihrer Freunde hatte sich jemals ihren Füßen genähert. Doch angesichts ihrer Reaktion auf Joes Berührung, war sie wohl kitzelig, auch wenn ihr im Moment nicht gerade nach Lachen zu Mute war. Ripley saß regungslos da und starrte Joe fasziniert an. "Willst du gar keine Witze mehr darüber machen, was vorhin passiert ist?" fragte sie, wobei es ihr überhaupt nicht gefiel, dass ihre Stimme so belegt klang. Okay, sie hatte ihren ersten Fall als Privatdetektivin vermasselt. Aber musste sie deshalb gleich das Handtuch werfen? Vielleicht war es eins dieser Zeichen, die ihr Leben in letzter Zeit so drastisch verändert hatten. Ihre Begegnung mit Nelson Polk im Park, der sie mit Geschichten aus seiner Zeit als Privatdetektiv gefüttert hatte. Die Werbung eines Schießstandes, die sie an ihrem Wagen gefunden hatte. Die angebotene Abfindung. Sie hatte alle diese Zeichen dahingehend gedeutet, dass sie dazu bestimmt sei, Privatdetektivin zu werden. Was wollte das Schicksal ihr also jetzt sagen? "Du bist vollkommen verspannt", murmelte Joe. "Das wärst du auch, wenn du gerade eine vermisste Person gefunden und gleich wieder verloren hättest." "Immerhin hast du sie gefunden." Sie nickte. Ja, das war richtig. Nelson Polk hatte ihr einmal gesagt, dass die Suche nach Vermissten die schwierigsten Fälle waren und man glücklich sein konnte, wenn man die Hälfte davon löste. Und vor allem sollte man immer sicherstellen, dass man im Voraus bezahlt wurde.
Ripley lächelte. Wenn jemand, der so erfolgreich gewesen war wie Polk, einen Schnitt von fünfzig Prozent gehabt hatte, dann war sie ja doch nicht so schlecht. Dann schwand ihr Lächeln. Sie war so froh über ihren ersten Auftrag gewesen, dass sie seinen Rat nicht beherzigt hatte. Zwar hatte sie einen Vorschuss bekommen, aber angesichts der Tatsache, dass sie ihre Auftraggeberin nicht mehr erreichen konnte, würde sie den Rest des Geldes wohl niemals sehen. Wahrscheinlich hatte sie auch schon keinen Fall mehr. Sie schluckte erneut. "Wem will ich etwas vormachen? Ich bin für diesen Job nicht geeignet. Ich sollte einfach packen und nach Hause fahren.“ "Nach Hause?" fragte Joe. Ripley blinzelte ihn verwirrt an und merkte erst jetzt, dass sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. "Wo wohnst du denn?" "In St. Louis." Sie räusperte sich und entzog ihm den Fuß, weil es ihr peinlich war, ihm ihren schwachen Punkt zu zeigen, auch wenn er mit seiner Massage wahre Wunder bewirkte. "Und du?" wollte sie wissen. "Minneapolis." Das war interessant. Ripley hob ihre Füße auf die Matratze und schlang die Arme um die Knie. Joe saß noch immer auf dem Fußboden, gegen das Bett gelehnt. "Willst du wirklich aufgeben?" fragte er. Sie zuckte mit den Schultern. Sie wusste es selbst nicht. "Es scheint mir die einzig sinnvolle Lösung zu sein. Die Frau, die mich engagiert hat, ist ebenfalls verschwunden. Wenn ich sie nicht finden kann, gibt es kein Geld ... und keine Auftraggeberin. " Sie seufzte, wandte den Kopf ab und schloss die Augen. "Ich weiß es nicht. Vielleicht ist dieser Berufswechsel einfach nur ein Hirngespinst. Ich werde bald dreißig, und das Einzige, was ich einigermaßen kann, ist Telefonate beantworten und anderer Leute Spesenabrechnungen machen. Meine Computerausbildung ist inzwischen wahrscheinlich auch schon überholt." Sie biss sich auf die Unterlippe. "Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht?" Sie spürte, dass die Matratze nachgab, und vermutete, dass Joe sich neben sie gesetzt hatte. Ripley bewegte sich nicht und brachte auch kein Wort heraus, während sie zu ignorieren versuchte, dass da ein atemberaubender, fast nackter Mann neben ihr saß. Sie hörte ihm zu. "In letzter Zeit habe ich immer öfter gedacht, dass ich ziemlich wenig Befriedigung in meinem Leben finde." Finger strichen über ihre Schultern. Ripley erzitterte und erkannte, dass Joe nicht neben, sondern hinter ihr war und sie berührte. Dann fuhr er fort: "Wahrscheinlich habe ich so lange unter Dampf gestanden, dass ich nie innegehalten habe, um mich zu fragen, ob ich glücklich bin oder nicht." Ripley nickte. Sie wusste, was er meinte. Dieselbe Überlegung hatte sie schließlich in diese missliche Lage gebracht.
Seine Hände glitten von den Schultern zu ihrem Rücken und massierten ihre Muskeln. "Hm, das tut gut", murmelte sie. Er reagierte nicht auf ihren Kommentar, sondern fuhr lediglich fort, mit seinen Händen Wunder zu wirken. "Ich habe zwar ab und zu Witze über deine Fähigkeiten als Privatdetektivin gemacht, Ripley", meinte er und strich ihr behutsam das Haar zur Seite, bevor er die Daumen in ihren Nacken presste. "Aber in Wahrheit bewundere ich das, was du tust." "Sicher. Da gibt es ja auch so viel zu bewundern. Was hat dich besonders beeindruckt? Als du mich dabei erwischt hast, wie ich mich unter dem Bett versteckt habe? Oder als ich fast auf die Nase gefallen wäre, beim Versuch Nicole zu schnappen?" Er drückte ihre Schultern, und sie jammerte leise auf. "Sei einfach ruhig, und lass mich zu Ende reden, ja?" murmelte er dicht an ihrem Ohr. Ihr stockte fast der Atem. "Okay." Joe bearbeitete weiterhin die Verspannungen ihrer Muskeln. Doch während sich einerseits die Spannung dort verflüchtigte, entstand in Ripleys Körper eine ganz andere Art der Anspannung, prickelnd und erregend. "Du hast etwas getan, Ripley, was die meisten Menschen sich nicht trauen. Du hast auf dein Leben geschaut und festgestellt, dass etwas fehlt, also hast du es verändert. Du hast gekündigt und bist deinem Herzen gefolgt." Ja, in gewisser Weise stimmte das wohl. "Du hast etwas getan, wozu ich niemals den Mut aufgebracht hätte." Ripleys Herz klopfte schneller. Sie drehte den Kopf, so dass sie Joe aus dem Augenwinkel beobachten konnte. Er sah nachdenklich aus, während er fortfuhr, sie zu massieren. "Aber du bist erfolgreich in dem, was du tust", wandte sie ein, "sehr sogar, wenn ich mich nicht täusche." Er verzog das Gesicht. "Erfolgreich bedeutet nicht zwangsläufig auch glücklich." Sie ließ ihre Knie los und setzte sich auf. "Stört es dich, wenn ich mein T-Shirt ausziehe?" fragte sie und handelte dann einfach, ehe er antworten konnte. Es war ihr bewusst, dass sie keinen BH trug. Sie vermied diese einengenden Dinger, wann immer es ging. Nach einem kurzen Zögern spürte sie, dass Joe seine Massage wieder aufnahm. Seine Finger auf ihrer nackten Haut ließen sie erzittern. "Also, Joe Pruitt, dann sag mir, was du tun würdest, wenn du es dir aussuchen könntest und alle Möglichkeiten dir offen stünden." Es dauerte einen Moment, bevor er antwortete. "Ist das die Frage, die du dir auch gestellt hast?" "Hm." "Gefährliche Frage." Sie lächelte. "Ja, ich bin der eindeutige Beweis dafür." Er reagierte nicht mit Worten, doch seine Berührungen waren auf einmal anders, sinnlicher, obwohl er ihre Muskeln noch immer wie ein Profi bearbeitete
und die letzte Spannung aus ihnen herausmassierte. Jetzt war sie wirklich entspannt - und erregt. "Also?" murmelte sie. Er strich sanft mit den Fingern über ihren Rücken und berührte dann die Unterseite ihrer Brüste. Ripley schnappte nach Luft und unterdrückte einen Protestlaut, als er sich wieder ihrem Rücken zuwandte. "Ich weiß es nicht", sagte er schließlich nachdenklich. "Für eine SportlerKarriere bin ich inzwischen zu alt, mal abgesehen von meinem Knie." "Und ich wäre gern Model, habe aber leider schon seit zwanzig Jahren nicht mehr das richtige Gewicht.“ Sein Lachen kitzelte ihre Haut. Plötzlich spürte sie seine feuchten Lippen auf ihrem Rücken. Dann zog er sich wieder zurück und blies auf die Stelle, die er geküsst hatte. Ripley erzitterte, und ihre Knospen richteten sich auf. "Ich kann dir sagen, was ich jetzt tun möchte. In diesem Augenblick. " "Was?" fragte Ripley mit heiserer Stimme, obwohl sie sicher war, die Antwort zu kennen. "Ich würde gern den Zimmerservice anrufen. Ich habe mein Mittagessen gar nicht zu Ende essen können." Ripley warf den Kopf zurück und lachte so sehr, dass sie fast vom Bett gefallen wäre. Joe umschlang ihre Taille, drehte sie herum und drückte sie auf die Matratze. Sofort hörte Ripley auf zu lachen. Ihr Herz klopfte heftig. Die Spannung in ihrem Körper hatte sich noch verstärkt, er pulsierte geradezu vor Verlangen nach diesem Mann, der sie in ein Wechselbad der Gefühle tauchte. "Lügner", schalt sie. Er streckte sich neben ihr aus. "Gar nicht." Ach nein?" Ihr Blick wanderte zu dem Handtuch, das sich verräterisch wölbte, dann zu seinem nackten Oberkörper. Sie überlegte, ob sie ihre Brüste mit den Händen bedecken sollte, doch dann streckte sie die Arme über den Kopf und bog den Rücken durch. Sie sah, wie Joes Augen sich verdunkelten, als er den Blick von ihrem Gesicht, über ihren Hals bis hinunter zu ihren Brüsten wandern ließ. Er streckte die Hand aus und begann, eine Brustspitze zu necken. Zärtlich massierte er sie, und Ripley bog sich ihm entgegen, während eine Hitzewelle durch ihren Körper strömte. Langsam glitten seine Finger zur anderen Brust und verwöhnten auch diese. Schließlich nahm er die Knospe in den Mund, und Ripley hatte das Gefühl, im Himmel gelandet zu sein. Irgendwann reichte ihr das jedoch nicht mehr. Sie packte Joes Schultern und drückte ihn auf das Bett, während sie sich rittlings auf ihn setzte. Voller Leidenschaft küsste sie ihn und tastete gleichzeitig nach dem Handtuch, das den Körperteil bedeckte, an dem sie am meisten interessiert war. Joe lachte leise. "Es wäre noch viel besser, wenn du keine Shorts anhättest."
Gehorsam rollte Ripley sich von ihm herunter und zog hastig die Shorts zusammen mit der geliehenen Unterwäsche aus, während er aus seiner Brieftasche ein Kondom herausfischte. Ripleys Puls beschleunigte sich. Himmel, es geschah wirklicht Hier und jetzt. Sie würde mit Joe schlafen. Allein der Gedanke reichte, um sie dazu zu bringen, sich auf ihn zu werfen. Seit dem ersten Augenblick, als sie sich nackt in sein Hotelbett geschlichen hatte, war diese unglaubliche Anziehungskraft da gewesen. Wie ein Magnet fühlte sie sich zu ihm hingezogen. "Himmel", murmelte Joe und holte tief Luft. Es erregte Ripley, dass seine Reaktion einzig und allein auf sie zurückzuführen war. Sie lächelte ihn an. „Tu, was du tun musst und zwar schnell, denn ich werde nicht mehr lange warten." Dieses Mal gehorchte er prompt, doch als Ripley sich wieder auf ihn setzen wollte, drehte er sie auf den Rücken und presste sich an sie. Ripley war auf das brennende Verlangen, dass sie plötzlich durchfuhr, nicht vorbereitet. Es war so heftig, dass sie fürchtete, es würde niemals vergehen. Unruhig wand sie sich unter ihm. Joe lächelte sie an, schob ihre Schenkel auseinander und erkundete ihre intimste Stelle mit den Fingern. Sofort hörte Ripley auf, sich zu bewegen und stieß einen kleinen Seufzer des Entzückens aus. "Du bist so heiß", murmelte Joe und glitt mit den Lippen an ihrem Hals entlang. Als er fortfuhr, sie zu erkunden, keuchte Ripley auf und hob sich ihm entgegen. "Lieg still.“ Das ist gerade so, dachte Ripley, als würde man einem hungrigen Löwen ein Steak vor die Nase halten und ihm befehlen, sich brav zu gedulden. Sie griff nach Joes Hüften, weil sie ihn in sich spüren wollte ... jetzt. Das Feuer in ihr, das immer heller loderte, musste endlich gelöscht werden. "Hör auf", murmelte er und biss ihr spielerisch ins Ohr. Sie erschauerte und wollte ihr Gesicht zu ihm drehen, um ihn küssen zu können, doch er grinste nur und hob den Kopf. Ripley biss sich auf die Unterlippe. "Joe, wenn du nicht gleich …“ Endlich drang er in sie ein und füllte sie vollständig aus, und Ripley gab nichts als ein tiefes Stöhnen von sich. Und dann bewegte Joe sich. Langsam und genüsslich, als hätte er ebenfalls Angst, die Kontrolle zu verlieren. Ripley erbebte vor Erregung und streckte sich ihm sehnsüchtig entgegen. Tief drang er in sie ein, füllte sie ganz aus mit seiner männlichen Kraft. Wie von selbst schlang sie die Beine um seine Hüften und schmiegte sich an ihn. Sämtliche Gedanken waren wie ausgelöscht. Übrig blieb nur noch das Gefühl purer Ekstase. Wieder und wieder hob und senkte er sich, und Ripley nahm seinen Rhythmus auf, während sie die Fingernägel in seine Schultern krallte und ihn küsste. "Das ist so gut", flüsterte sie schließlich atemlos, und ihre hoch aufgerichteten Knospen berührten seine Brust.
Joe murmelte etwas Unverständliches und bewegte sich schneller, fordernder. Ripley keuchte auf und umklammerte mit beiden Händen die Decke rechts und links neben sich, in dem Bemühen, Halt zu finden, während sich die Welt um sie herum immer schneller zu drehen begann und schließlich in einem Wirbel leuchtender Farben zerstob. Im selben Moment fand auch Joe Erfüllung. Ein paar Minuten später klopfte Ripleys Herz noch immer zum Zerspringen, als sie Joe ansah, der langsam den Kopf hob und sie lächelnd anschaute. Sie räusperte sich. "Wenn ich gewusst hätte, was ich versäume, dann hätte ich schon beim ersten Mal nachgegeben." Er küsste sie. "Nein, das hättest du nicht." "Stimmt." Sie strich zärtlich über seinen Rücken. "Aber es ist nett, darüber nachzudenken." Sie spürte, dass er sich in ihr regte, und sein Lächeln verriet ihr, dass es nicht ungewollt war. "Oh, ich finde, es ist weitaus besser, es zu tun." Ripley fuhr ihm durch sein feuchtes Haar und hob sich ihm entgegen. Seine Augen verdunkelten sich, das Lächeln war daraus verschwunden. Er neigte den Kopf und küsste sie. "Ich wusste, dass du früher oder später meiner Meinung sein würdest. Ich bin nur froh, dass es endlich geschehen ist."
7. KAPITEL Joe lag träge im Bett und genoss es, Ripleys warmen Körper neben sich zu spüren. Frühes Abendlicht drang durch die Gardinen. Dieses Mal hatten Ripley und er keinen Balkon. Darauf hatte er beharrt, als er Gloria gebeten hatte, ein Zimmer zu reservieren. Ripley bewegte sich neben ihm. Joe wandte träge den Kopf und sah durch halb geöffnete Augen, wie sie vorsichtig und langsam aus dem Bett schlüpfte. Leise nahm sie ihre Sachen und ging in Richtung Bad. "Wohin willst du denn?" Ripley zuckte erschrocken zusammen. Sie drehte sich zu ihm herum. "Musst du das immer tun?" "Was?" "Mich bei jeder Gelegenheit zu Tode erschrecken?" Er lächelte. "Bei jeder Gelegenheit." Sie murmelte etwas, was er nicht verstand, und schloss dann die Badezimmertür hinter sich. Joe lag da und hörte, wie sie duschte, während er sich vergeblich bemühte, nicht daran zu denken, was sie den Nachmittag über getrieben hatten. Am liebsten wäre er zu ihr unter die Dusche gegangen, um sie noch einmal zu verführen. Hätte sie nicht die Tür abgeschlossen, wäre er aufgestanden. Doch obwohl Ripley ihm in sexueller Hinsicht entgegengekommen war, vermutete er inzwischen, dass es sehr viel länger dauern würde, eine tiefere emotionale Beziehung zu ihr aufzubauen. Als sie ihm,
kurz nachdem sie das dritte Mal miteinander geschlafen hatten, den Rücken zugewandt und geschwiegen hatte, kam es ihm so vor, als hätte sie eine Mauer errichtet. Er zog das Kissen, auf dem sie gelegen hatte, aufs Gesicht und atmete Ripleys Duft ein. Als er das Kissen wieder zur Seite legte, sah er, wie Ripley ihn von der Badezimmertür aus entgeistert anschaute. "Was machst du da?" "Ich versuche, mich zu ersticken. Hast du ein Problem damit?" Ein leichtes Zucken ihrer Mundwinkel deutete auf ein Lächeln hin. Das war gut. Zumindest hatte er sie nicht verärgert. Joe fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. "Wie kommt es eigentlich, dass Frauen nach dem Sex immer anfangen zu schweigen und zu grübeln?" Ripley starrte ihn verletzt an. "Wie kommt es, dass Männer nach dem Sex immer sämtliche Frauen, mit denen sie geschlafen haben, über einen Kamm scheren?" Sie ging zurück ins Bad, und einen Augenblick später hörte er den Föhn summen. "Verdammt", murmelte Joe und warf die Decke beiseite. Diese Antwort hatte er wohl verdient. Hätte Ripley ihn mit jemand anderem verglichen, noch dazu nach dem unglaublichen Sex, den sie gehabt hatten, wäre er auch nicht begeistert gewesen. Er zog seine Jeans an und ging dann barfuss zum Bad. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und beobachtete, wie Ripley ihrer herrlichen rotbraunen Mähne den Kampf ansagte. "Entschuldige." Sie stellte den Föhn noch eine Stufe höher. "Wie bitte? Ich kann dich nicht hören." Er zog ihre Hand mit dem Föhn von ihrem Ohr und rief: "Ich habe mich entschuldigt." Sie verzog das Gesicht. Joe verschränkte die Arme und sah ihr zu, bis sie schließlich das Ding ausschaltete. Doch auch dann beachtete sie ihn nicht. Stattdessen wandte sie sich ab und bearbeitete die wilden Locken, die ihr Gesicht umgaben, mit einer Bürste. "Hast du vor, noch mal mit mir zu reden?" Sie zuckte schmollend die Schultern. "Ich habe mich noch nicht entschieden", meinte sie und wollte an ihm vorbei, doch er versperrte die Tür. Genervt verdrehte sie die Augen und starrte ihn an. Ihm fiel auf, dass sie die Shorts gegen ein hautenges rotes Kleid eingetauscht hatte, das ihre Figur wunderbar betonte. "Wohin willst du?" fragte er. "Weg." Er lachte. "Das habe ich mir gedacht. Wohin?"
Sie duckte sich unter seinem Arm hindurch, und ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr ins Zimmer zu folgen. Auf dem Bett sitzend, durchwühlte sie ihren Seesack und zog erst eine Sandalette, dann die zweite heraus. Noch ein Paar Schuhe, das ihre Füße foltern würde. "Ich will ins Pfandhaus. Ich hatte vorhin ja keine Zeit herauszufinden, was Nicole dieses Mal hingebracht hat." "Sie haben geschlossen." "Es ist noch bis zwanzig Uhr geöffnet." Sie lächelte spöttisch. "Netter Versuch." Joe zuckte mit den Schultern und griff nach einem T-Shirt. Ripleys Bewegungen verlangsamten sich, und er wusste, dass sie ihn beobachtete, während er sich das T-Shirt über den Kopf zog und in die Jeans steckte. Es war beruhigend zu wissen, dass sie genauso verrückt nach ihm war wie er nach ihr. Im Grunde wollte er nichts lieber, als sie wieder ins Bett zu ziehen, um dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. "Ich komme mit", erklärte er. Sie stand auf und griff nach ihrer Handtasche. Joe schüttelte den Kopf, als sie mühsam ihre Waffe in die kleine Tasche stopfte. "Ist das eine gute Idee? Nicht, dass das Ding aus Versehen losgeht." Lächelnd stolzierte sie an ihm vorbei. "Keine Angst. Wenn das passiert, und du wirst getroffen, dann war es Absicht." Sie öffnete die Tür. "Also, kommst du jetzt endlich?" Ripley stand am staubigen Tresen der Pfandleihe und schaute immer mal wieder nach draußen, wo inzwischen die Dämmerung eingesetzt hatte. Joe neben ihr betrachtete die Uhren, die in einer Vitrine lagen. "Das ist eine Rolex", hörte sie ihn murmeln. "Eine echte." "Das stimmt. Möchten Sie sich die Uhr genauer ansehen?" ertönte eine Stimme von hinten. Ripley trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, als der Besitzer, den sie schon bei ihrem letzten Besuch kennen gelernt hatte, herauskam und zu Joe ging, statt zu ihr. Sie war auf der Suche nach Informationen hierher gekommen, nicht um teure Uhren zu kaufen. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht darauf achtete, was Joe sagte. Umso überraschter war sie, als er sich umdrehte und in der Hand keine Uhr, sondern etwas anderes hielt. Es war eine kleine, mit rotem Samt eingeschlagene Schmuckschatulle. Joe öffnete den Deckel. "Ist es das, was Nicole verkauft hat?" fragte Ripley und betrachtete den Inhalt. "Zusammen mit noch mehr von dem Silber, das Sie gestern schon gesehen haben", antwortete der Mann hinter dem Tresen. Ripley betrachtete den Schmuck in der Schatulle und wurde vom Pfandleiher darüber aufgeklärt, dass es sich nicht um echte Steine handelte, auch wenn es so aussah. Joe reichte ihr die Kassette und begann, über den Preis zu verhandeln, während Ripley zum Fenster ging, um sich den Inhalt genauer anzusehen.
Zwischendurch schaute sie hinaus, und auf einmal wurde ihr klar, dass sie und Joe sich deutlich in dem hellen Licht des Ladens abzeichneten. In dem Moment hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Taxi, und eine Frau stieg aus. Ihr stockte der Atem. Nicoles Schwester. Mit der Schatulle in der Hand wollte Ripley gerade zur Tür gehen, als ihr Blick dem von Clarise Bennett begegnete. Sie war froh, sie zu sehen. Jetzt, da sie die gestohlenen Sachen aufgetrieben hatte und berichten konnte, dass sie Nicole gesehen hatte, würde sie bestimmt bezahlt werden. Doch statt wie erwartet auf den Laden zuzugehen, kletterte Clarise hastig wieder ins Taxi, und der Wagen fuhr mit quietschenden Reifen davon. "Verflixt." Ripley rannte nach draußen und sah, wie das Taxi um die nächste Ecke bog. Sie lief wieder hinein, wo Joe noch immer über den Preis der Schatulle verhandelte. "Komm mit!" Sie packte seinen Arm und versuchte, ihn zur Tür zu ziehen. "Beeil dich!" "Hey! Sie gehen nirgends hin, bevor Sie nicht entweder die Schatulle herausgerückt oder dafür bezahlt haben", brüllte der Besitzer. Joe zog ein paar Scheine aus seiner Hosentasche und donnerte sie auf den Tresen, wobei er ihn fast verfehlte, weil Ripley ihn zur Tür zog. Endlich saßen sie im Wagen und rasten um dieselbe Ecke wie das Taxi. Joe starrte zu Ripley hinüber. "Weißt du, wie viel ich dem Typ da für das Ding bezahlen musste?" "Das spielt keine Rolle", sagte sie. "Meine Auftraggeberin ist …“ Sie starrte in jede Straße, an der sie vorbeifuhren. "Da! Dreh um, schnell." "Deine Auftraggeberin?" Sie nickte und umklammerte die Schatulle. Joe seufzte, trat auf die Bremsen und wendete. "Sag nichts. Sie läuft auch vor dir davon?" "Spar dir deine Witze für später. Wir müssen sie kriegen." "Und was machen wir, wenn wir sie haben?" Ripley musste zugeben, dass sie so weit noch gar nicht gedacht hatte. "Wir fragen sie, warum sie vor mir flüchtet." "Und holen uns das Geld wieder, das ich gerade für diesen wertlosen Plunder berappen musste." Ripley strich über die Schatulle und fragte sich, warum Clarise Bennett diesen ganzen Wirbel für ein paar unechte Juwelen veranstaltete. Und was wollte das FBI - vorausgesetzt, es war wirklich das FBI - damit? "Mir gefällt das alles nicht." Joes Worte waren das, was auch Ripley dachte. "Das Ganze stinkt zum Himmel. Und das hat nichts damit zu tun, dass wir in der Nähe des Mississippi sind." Ripley konzentrierte sich auf das Taxi, das nach rechts abbog. "Schnell! Hinterher."
Joe fluchte leise und fuhr hinterher. Ripley starrte auf die riesige Glaspyramide, auf die sie zufuhren. Die letzten Sonnenstrahlen wurden von dem Gebäude reflektiert. "Verflixt, sie fährt zur Pyramide." "Ein bisschen spät, um die ägyptische Ausstellung zu besuchen, oder nicht?" meinte Joe. "Das ist ein öffentlicher Platz. Nelson hat mir gesagt, dass man auf öffentlichen Plätzen am besten verschwinden kann." Sie schaute zu den Treppen, die zum Haupteingang führten, während Joe dem Taxi folgte. Die Türen an der Seite der Pyramide öffneten sich, und Menschen strömten hinaus. "Wer zum Teufel ist Nelson?" Sie schloss die Schatulle und wedelte mit der Hand. "Nelson Polk. Er ist ... ein Freund." Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, ihm von Polk zu erzählen. "Da! Sie halten." Sie waren noch ziemlich weit von dem Taxi entfernt, dem Clarise Bennett jetzt entstieg. Ungeduldig saß Ripley auf der Kante ihres Sitzes, während Joe versuchte, näher heranzukommen. Hastig schob sie dann die Schatulle unter den Sitz und griff nach der Türklinke. Wenn sie doch nur wüsste, warum die Frau, die sie engagiert hatte, auf einmal vor ihr flüchtete! Joe hielt mit quietschenden Reifen an der Stelle, die das Taxi gerade verlassen hatte, und Ripley sprang aus dem Wagen. So schnell es auf ihren hohen Absätzen ging, rannte sie hinter Clarise her. Aber sie prallte ständig mit Leuten zusammen, die das Gebäude verließen, während sie sich den Weg zu der Tür bahnte, durch die Clarise verschwunden war. Endlich war sie da, doch gerade als sie hineinstürmen wollte, wurde sie von einem Wächter am Arm gepackt. "Die Pyramide ist geschlossen", sagte er. Ripley starrte ihn atemlos an. "Ich habe meine Handtasche drinnen vergessen", log sie. "Bitte. Es dauert nur eine Sekunde, ich weiß genau, wo ich sie liegen gelassen habe." Sie wäre fast damit durchgekommen, bis er einen Blick auf ihre Handtasche erhaschte, die sie hinter dem Rücken zu verstecken versuchte. Er grinste sie an. „Tut mir Leid, Lady. Sie müssen es bis nach Hause aushalten. Ich kann Sie nicht mehr reinlassen." Ripley verspürte den lächerlichen Impuls, mit den Füßen aufzustampfen und einen Wutanfall zu bekommen. Clarise war vor nicht einmal zwei Minuten hier ohne Schwierigkeiten eingelassen worden. Wieso kam sie nicht damit durch? "Gibt es Probleme?" Joe tauchte auf und betrachtete den Wächter, der immer noch Ripleys Arm festhielt. Jetzt ließ er sie los. "Es ist geschlossen." Ripley beobachtete, wie Joe sich kämpferisch in die Brust warf, obwohl der Wächter mindestens hundert Pfund mehr wog. Hastig ergriff sie seine Hand und lächelte den Wächter an. "Na gut. Dann muss ich wohl warten, bis wir im Restaurant sind, um dort die Toiletten zu benutzen."
Sie zog Joe mit sich zur Seite, um nicht von den herausströmenden Massen angerempelt zu werden, und suchte die Menge nach Clarise ab. Jetzt wusste sie, warum Leute, die nicht gefunden werden wollten, in solchen Menschenaufläufen untertauchten. Es herrschte ein furchtbares Gewimmel, und sie hätte Schwierigkeiten gehabt, ein bekanntes Gesicht auszumachen, geschweige denn eine Frau, die sie nur einmal getroffen hatte. Vor der Pfandleihe hatte sie auch nur registriert, dass Clarise ein schwarzes Kleid trug. Sie versuchte, danach Ausschau zu halten. Vergeblich. Nach einer Weile wanderte ihr Blick zur Zufahrtsstraße, und sie riss die Augen auf. "Oje!" „Was ist?" fragte Joe und folgte ihrem Blick. "Hast du sie gesehen?? Sie schluckte. "Der Wächter, mit dem du gesprochen hast, als du eingeparkt hast ... was hat der gesagt?" "Dass er mich abschleppen lassen würde, wenn ich den Wagen dort parke. Wieso?" Sie zeigte auf einen Abschleppwagen, der gerade losfuhr. "Ich fürchte, er hat seine Drohung wahr gemacht." Joe verharrte eine Sekunde, bevor er dem Wagen hinterher raste. Man sah, dass er ausdauernd lief, aber es nützte ihm nichts, der Abschleppdienst hatte schon einen zu großen Vorsprung. Ripley zog einen Block und einen Stift aus ihrer Handtasche und schrieb sich die Telefonnummer auf, die groß auf der Seite des Abschleppwagens stand. „Sie haben mein Auto abgeschleppt", klagte Joe unnötigerweise, als er wieder angetrabt kam. "Ich habe die Nummer. Wir werden dort anrufen, sobald wir im Hotel sind, und dann wird man uns sagen, wohin sie es gebracht haben." Joe marschierte vor ihr auf und ab. „Keine Angst", erklärte sie schließlich, als sie seinen besorgten Gesichtsausdruck sah. "Ich komme für die Kosten auf." Er blieb stehen. "Es gibt da noch ein Problem, Ripley. Wenn die Typen von heute Morgen wirklich vom FBI sind, dann werden sie den Wagen auseinander nehmen." "Stimmt", meinte sie. Dann marschierte sie zusammen mit Joe auf und ab, fluchte ebenfalls leise vor sich hin und suchte die Menge weiter nach Clarise ab. Nicht nur, dass sie keinen fahrbaren Untersatz mehr hatten, nein, die Schatulle, die Nicole versetzt hatte, befand sich auch in dem Auto. Möglicherweise war gerade sie der Schlüssel zu diesem ganzen Ärger. Ripley fand die Sache ziemlich vertrackt. Erst war sie von der Aussichtslosigkeit des Falles niedergeschmettert gewesen. Nach dem unglaublichen Sex mit Joe hatte sie sich wieder erholt und neuen Mut geschöpft. Aber nun war sie offensichtlich wieder bei null angelangt. Zwanzig Minuten später war es fast dunkel, die letzten Besucher kamen aus der Pyramide heraus, und die Türen wurden geschlossen. Innerhalb weniger Minuten war der Platz wie ausgestorben.
„Sie muss uns entwischt sein", meinte Ripley frustriert. „Ja", murmelte Joe. "Und? Was schlägst du jetzt vor?" Ripley senkte den Blick. "Ich weiß es nicht." "Wie wäre es, wenn wir ins Hotel zurückfahren würden, Nicole Bennett und auch die Auftraggeberin vergessen und unsere Bekanntschaft mit dem Bett erneuern würden?" Sie stieß ihm einen Finger in die Brust. "Ich wusste, du würdest genau das vorschlagen." "Weil du dasselbe gedacht hast." Vielleicht. Aber das würde sie niemals zugeben. Es würde ihm nur zu Kopf steigen. Sie drehte sich um und ging an die Seite, für den Fall, dass Clarise doch noch aus einem der anderen Ausgänge herausschlich. Als sie um die Ecke trat, blieb sie plötzlich abrupt stehen. "Warum folgen Sie mir?" hörte sie eine Frau fragen, während sie gleichzeitig voller Entsetzen auf die Waffe starrte, die auf sie gerichtet war.
8. KAPITEL Ripley starrte direkt in das Gesicht der Frau, die sie hatte ausfindig machen sollen, die stattdessen aber sie gefunden hatte. Dabei versuchte sie, die Nähe der ziemlich großen Waffe zu ignorieren, die Nicole Bennett in den Händen hielt. "Warum folgen Sie mir?" Nicole machte einen Schritt zurück, als Joe um die Ecke gestürmt kam. Ripley streckte den Arm aus, um ihn aufzuhalten, und er blieb abrupt stehen und hob die Hände. "Wir folgen Ihnen nicht", erklärte Ripley nervös. "Ich meine, ich habe ... nach Ihnen gesucht, aber nicht hier." Nicole Bennett war hübscher, als das verschwommene Foto vermuten ließ. Sie hatte langes dunkles Haar, große graue Augen und ebenmäßige Gesichtszüge. Die Waffe in ihren Händen aber ließ sie äußerst gefährlich erscheinen. "Was soll das heißen?" fragte Nicole. Ripley strich sich die Haare hinters Ohr. "Ich bin Privatdetektivin. Aus St. Louis. Ich wurde von jemandem, der sich um Sie sorgt, beauftragt, Sie zu suchen." Nicoles Gesichtsausdruck blieb skeptisch, doch sie nickte. „Fahren Sie fort." "Ihre Schwester wollte, dass ich Sie finde und die Dinge, die Sie ... von ihr ausgeliehen haben." Nicole kniff die Augen zusammen, doch die Waffe blieb weiterhin auf Ripley und Joe gerichtet. "Interessant. Meine Schwester ist in einem Sanatorium." "Nun, dann ist sie entlassen worden. Ich habe sie nämlich getroffen. Sie hat mir ein Bild von Ihnen gegeben, mir erzählt, dass Sie die Angewohnheit hätten, Dinge aus ihrem Haus zu entfernen, doch dass sie Sie nie anzeigt. Sie wollte
nur, dass ich Sie aufspüre." Sie zog die Stirn kraus. "Sie heißen doch Nicole Bennett, oder? Und Ihre Schwester ist Clarise Bennett?" "Beschreiben Sie die Frau, die Sie engagiert hat." Joe beugte sich zu Ripley. "Habe ich nicht gesagt, das Ganze stinkt zum Himmel?" Ripley gab ihm einen Stoß in die Rippen. "Sie hat blondes Haar, und ist ungefähr so groß wie Sie. Nein, ein wenig größer. Schlank. Sieht ein bisschen so aus wie Grace Kelly, nur härter." Die Frau ließ die Waffe sinken und überraschte Ripley mit einem Lächeln. "Das habe ich mir gedacht", meinte sie. Sie öffnete ihren schwarzen Trenchcoat und steckte den Revolver in ihren Hosenbund. "Haben Sie den Kram gefunden?" "Meinen Sie die Schatulle, die Sie im Pfandhaus versetzt haben?" "Genau." "Ja, ich habe die Sachen eingelöst." Ripley starrte Joe warnend an. Hoffentlich ließ er nichts darüber verlauten, dass die Schatulle gerade mit dem Wagen abgeschleppt worden war! "Gut. Geben Sie sie ... meiner Schwester." Ripley verzog das Gesicht. "Da gibt es nur ein kleines Problem. Es scheint so, als wäre Ihre Schwester ebenfalls vor mir auf der Flucht. Genau genommen haben wir sie hierher verfolgt." „Hierher?" Nicole schien plötzlich nervös zu werden. „Ja. Das meinte ich, als ich sagte, wir würden nicht Ihnen folgen. Wir waren hinter ihr her." Nicole trat langsam den Rückzug an, während sie sich hastig nach allen Seiten umsah. "Stellen Sie nur sicher, dass sie die Schatulle bekommt." Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief davon. Ripley hob ihre Handtasche und griff nach der Waffe darin. "Halt, warten Sie!" rief sie, doch Nicole Bennett war bereits in der Dunkelheit verschwunden. Am folgenden Morgen saß Ripley im Bett und versuchte vergeblich, die Puzzleteile ihres Falls zusammenzusetzen. Ausgebreitet vor ihr lagen die dürftigen Unterlagen, die sie über Nicole Bennett besaß. Seufzend ließ sie sich schließlich wieder in die Kissen fallen und war sich auf einmal schmerzlich bewusst, wie leer das große Doppelbett ohne Joe war. Mit dem Fuß schob sie ein Blatt Papier zur Seite und schimpfte mit sich selbst. Sie und Joe waren kein Paar. Im Moment wollte sie gar keine Beziehung eingehen, schon gar nicht mit einem nervösen und anmaßenden, wenn auch verdammt gut aussehenden Schuhfabrikanten, der nichts als Sex im Kopf hatte. Sie drehte den Kopf und starrte auf sein Kissen. Gestern Abend, als sie von der Pyramide zurückgekommen waren, hatte sie versucht, ihm zu widerstehen, doch dann hatte sie nachgegeben und sich an ihn geschmiegt. Die Belohnung dafür war die aufregendste Nacht ihres Lebens gewesen. Ripley starrte auf die Tür, durch die Joe verschwunden war. Er hatte gesagt er wolle etwas zum Frühstück auftreiben, doch auch ohne ihre viertägige
Erfahrung als Privatdetektivin wusste sie, dass man dafür nicht über eine Stunde brauchte. Alles in allem, musste sie zugeben, verhielt Joe sich gegenüber der ganzen Sache ziemlich gut. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass man aufwachte und eine wildfremde nackte Frau in seinem Bett fand; dass man aus dem zweiten Stock eines Hotels flüchtete und in einem Pool landete; dass das Auto abgeschleppt wurde und man zur Krönung von der Frau, die man gesucht hatte, auch noch mit einer Waffe bedroht wurde. Andererseits ... vielleicht erduldete er das des nur wegen des Sex? Nein. Ein Mann wie Joe konnte jede Frau haben, die er wollte. Nicht nur, dass er gut aussah. Mit seinem Sinn für Humor brachte er Ripley zum Lachen, selbst wenn sie das Opfer seines Witzes war und sie ihn am liebsten geschlagen hätte. Und was war mit ihr? Warum gab sie sich mit Joe ab, statt sich auf ihre neue Karriere zu konzentrieren? Ripley lächelte. Weil er so gut im Bett war. Sie setzte sich auf und schwang die Beine über den Rand der Matratze. Bisher hatte sie Sex immer für ziemlich überschätzt gehalten. Sie hatte vor Joe mit drei Männern geschlafen, allerdings hatte keiner von ihnen es geschafft, sie zum Höhepunkt zu bringen. Dann war Joe gekommen. Allein bei dem Gedanken an ihn wurde ihr heiß. Irgendwie war es großartig, festzustellen, dass Sex tatsächlich toll sein konnte. Sie sammelte ihre Papiere zusammen und steckte sie wieder in die Mappe. Das war ja nicht sehr produktiv gewesen. Statt sich auf ihren Fall zu konzentrieren, hatte sie von Joe geträumt. Als sie sich mit ihm eingelassen hatte, war sie nicht darauf gefasst gewesen, dass ein gutes Liebesleben gleichbedeutend mit einer beruflichen Flaute sein würde. Es war ihr bewusst, dass sowohl für Joe als auch für den Fall die Uhr tickte. Sie konnte nicht ewig einen Fall verfolgen, für den es keinen Auftraggeber mehr gab. Und Joe ... nun, sobald sie zurück nach St. Louis fuhr, war er ... Das Türschloss klickte. Gebannt starrte Ripley dorthin und zuckte zusammen, als die Tür aufging, doch von der Sicherheitskette auf gehalten wurde. "Ripley, ich bin es", rief Joe und klopfte. Sie holte nervös Luft und ging zur Tür. Kurz darauf stand Joe im Zimmer, legte die Sicherheitskette wieder vor und lächelte Ripley an, als wäre er tagelang und nicht nur neunzig Minuten von ihr getrennt gewesen. Und er sah aus, als freute er sich sehr, sie zu sehen. Er hielt eine Tüte hoch, die sie ihm sofort entriss. Sie hatte sie schon geöffnet, bevor sie wieder zum Bett zurückgekehrt war. "Ein Dankeschön wäre ganz nett." Nachdem sie ein mit Sahne gefülltes Eclair herausgefischt und hineingebissen hatte, stöhnte sie genüsslich. "Danke", sagte sie mit vollem Mund. Joe schüttelte den Kopf und stellte noch eine Tüte auf den Tisch. "Ich möchte auch eins, okay?"
Ripley schaute in die Tüte. Noch fünf Eclairs. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Kraft besaß, ihm eins übrig zu lassen. "Gib es mir lieber gleich." Er streckte die Hand aus, und widerstrebend reichte sie ihm ein Eclair, bevor sie ihre Mappe beiseite schob und auf das Bett neben sich klopfte. "Also, erzähl." "Was soll ich erzählen?" Er ließ sich auf das Bett fallen. Sie schluckte und griff nach dem Kaffeebecher, den er ihr reichte. "Ich weiß, dass man nicht so lange braucht, um einen Bäcker zu finden, Joe." Er grinste sie an. "Hast du mich vermisst?" Mehr als du ahnst, dachte sie. "Nein." Er beugte sich vor und küsste ihr nacktes Knie. "Lügnerin." Sie lachte und entzog sich ihm, während die Hitze sich über die Innenseite ihrer Oberschenkel ausbreitete, direkt dorthin, wo sie gern geküsst werden wollte. Sie biss noch einmal ab. "Also, erzähl schon." Joe aß erst einmal sein Eclair. Sehr langsam. Ripley wurde nervös, während sie ihr zweites verschlang. „Ich war beim Abschleppunternehmen." Sie hob die Augenbrauen. "Ja. Das Auto ist hinter einem drei Meter hohen Zaun auf einem Hof abgestellt, auf dem zwei ziemlich hungrig aussehende Hunde herumlaufen." Er trank einen Schluck Kaffee. "Und davor steht ein uns bekanntes Auto mit drei uns ebenfalls bekannten Männern. Ripley schluckte. "Sie waren da?" "Ja." "Wunderbar." Sie ließ sich rückwärts in die Kissen fallen, ohne daran zu denken, dass sie nur ein T-Shirt und einen Slip trug. Erst als sie Joes Blick bemerkte, wurde es ihr bewusst. "Hm. Ja ... wunderbar. " Ripley zog ihr T-Shirt herunter. Im Moment wollte sie sich nicht durch Sex ablenken lassen, auch wenn ihr Körper schon allein auf diese eine Bemerkung reagierte. "Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du immer nur an das eine denkst?" Er lächelte sie an. "Ja. Du." Er langte an ihr vorbei nach der Tüte mit den Eclairs. Doch Ripley war schneller und brachte sie aus seiner Reichweite, während sie ihn anlächelte und noch einmal abbiss. "Du willst doch wohl nicht alle essen?" "Warum nicht?" "Weil du dann dick wirst. Sie gab ihm einen Klaps auf den Arm und warf ihm dann die Tüte zu. "Nur noch einen. Mehr nicht." Er grinste und nahm sich ein Eclair. "Okay, wie du willst. Aber ich denke, wir sollten uns überlegen, wie wir diese ganzen Kalorien wieder verbrennen können."
Ripley leckte sich die Finger ab. "Ich dachte, das hätten wir bereits.“ "Das zählt nicht. Man muss es direkt nach dem Essen tun." Er ließ den Blick wieder bedeutungsvoll zum Saum ihres T-Shirts gleiten. Doch sie lächelte nur und stand auf. "Jetzt nicht." Sie schnappte sich die Mappe und ging zum Tisch, fort von der Versuchung mit Namen Joe Pruitt. Er seufzte theatralisch. "Nun, da ich in absehbarer Zukunft keinen Sex bekommen kann, könntest du mir dann bitte die Tüte neben dir rüberwerfen?" Ripley tat es und vertiefte sich dann in ihren Fall, ohne weiter auf Joe zu achten. Irgendetwas war ihr entgangen, aber was? Zunächst einmal war sie inzwischen davon überzeugt, dass Nicole und Clarise nicht verwandt waren. Sie bezweifelte auch, dass Bennett ihr richtiger Name war. Im Hotel hatte sie erfahren, dass Nicole sich unter dem Namen Kidman eingetragen hatte. Ripley nahm den Telefonhörer und wählte die Nummer einer Cousine, die in St. Louis bei der Telefongesellschaft arbeitete. Nach einer angemessenen Zeit des Plauderns bat sie Janet, nachzusehen, ob es einen Eintrag für eine Clarise Bennett in St. Louis gab. Sie war nicht überrascht, dass es keinen gab. Dann fragte sie ihre Cousine, wessen Name unter der Nummer eingetragen war, die Clarise ihr genannt hatte. Janet wurde nervös. "Du weißt, dass ich dir das nicht sagen darf. Das ist illegal." Ripley biss sich auf Lippen und verkniff sich zu bemerken, dass dies genau der Grund war, warum sie Janet und nicht die Auskunft angerufen hatte. Gleichzeitig überlegte sie, wie sie wohl trotzdem die Information aus Janet herausbekommen könnte. Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie erzählte Janet, dass sie mit einem Mann ausging, und dass das die Nummer sei, die er ihr gegeben hätte, bevor er auf einmal verschwunden wäre. Sie habe die Vermutung, er sei verheiratet. Insgeheim fragte sie sich, was sie wohl von ihrer Mutter zu hören bekommen würde, wenn ihr diese Neuigkeiten zu Ohren kamen. "Der Name des Teilnehmers ist Christine Bowman", sagte Janet einen Augenblick später. "Nach dem Neuanschluss vor zwei Monaten hat sie nie eine Rechnung bezahlt, deshalb wurde ihr Anschluss vor ein paar Tagen unterbrochen." Sie nannte Ripley die Adresse. "Protzige Gegend. Merkwürdig, dass sie es sich leisten kann, dort zu wohnen, aber ihre Telefonrechnung nicht bezahlt." Janet senkte die Stimme. "Glaubst du, dass das die Frau ist?" Sie hatte ihre Geschichte schon fast wieder vergessen. "Genau wie ich vermutet habe. Dieser elende Betrüger." Sie dankte ihrer Cousine und legte auf. War Clarise Bennett wirklich Christine Bowman? Sie hätte darauf wetten mögen. Aber warum hatte sie sich die Mühe gemacht, ihr einen falschen Namen zu nennen? Ripley dachte an die Geschichte, die sie gerade ihrer Cousine aufgetischt hatte, und erkannte, dass Claris'e alias Christine ihr wahrscheinlich die
Lügengeschichte mit ihrer Schwester erzählt hatte, um Nicole zu finden. Aber warum? Sie nahm das Foto von Nicole. Hatte sie erst nur vermutet, dass es von einer Überwachungskamera aufgenommen worden war, so war sie jetzt davon überzeugt. Sie schaute es sich genauer an. Das Schwarzweißfoto war vor einem Haus mit weißen Säulen aufgenommen worden. Nicole trug ein schlichtes helles Kleid, das etwas von einer Uniform hatte. Ripley überlegte. Nicole war nicht Clarises Schwester. Und Nicole war nicht auf Familienbesuch in Clarises Haus gewesen. Vermutlich hatte Nicole dort gearbeitet und wohl auch nicht sehr lange, bevor sie die Schatulle gestohlen hatte. Doch warum hatte Clarise nicht die Polizei gerufen, sondern stattdessen Ripley engagiert, um Nicole zu finden und eine Schachtel voll wertlosem Schmuck aufzutreiben? Ripley atmete tief durch. Die Antworten, die sie fand, erzeugten nur noch mehr Fragen. "Ich brauche die Schatulle", sagte sie laut. Sie schaute hinüber zu Joe, der in einem Buch las. Sie ignorierte den kleinen Hüpfer, den ihr Herz machte, und setzte sich zu ihm aufs Bett. "Wie groß ist unsere Chance, unbemerkt in das Auto zu gelangen?" Joe legte das Buch zur Seite. "Gleich null, würde ich sagen." "Das war nicht die Antwort, die ich gern gehabt hätte." "Leider kann ich dir keine andere geben." Ripley machte es sich in den Kissen bequem und griff nach dem Buch. "Was liest du da?" Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er inmitten all dieser Aufregung einen Roman las. Doch tatsächlich kannte sie Joe nicht besonders gut. Vielleicht las er, wenn er nervös war oder Sorgen hatte. "Wie werde ich Detektiv. In zehn einfachen Schritten." Sie starrte Joe entgeistert an. "Du machst Witze." Er lächelte. "Nein." Sie kannte das Buch, sie hatte es sich vor einem Monat aus der Bücherei ausgeliehen. Aber was wollte Joe damit? Seufzend gab sie es ihm wieder. "Was soll das, Joe?" Joe schloss das Buch und legte es auf den Nachttisch. "Ich dachte, ich bräuchte eine Beschäftigung, wenn wir uns einmal nicht miteinander beschäftigen." "Und da dachtest du, du könntest Privatdetektiv werden?" Er schüttelte den Kopf, und sein Lächeln stimmte sie wieder milder. "Nein. Du bist der Profi, ich dachte nur, wenn ich etwas über das Thema lesen würde, könnte ich dir vielleicht eher helfen und stünde dir nicht immer nur im Weg." Ripley verdrehte die Augen, nicht sicher, ob sie gerührt oder beleidigt sein sollte. Sie entschied sich für Ersteres. "Heißt das, dass ich jetzt etwas über Schuhe lesen muss?" Joe lachte. "Nur, wenn du es möchtest."
Er beugte sich zu ihr und glitt mit dem Zeigefinger zum Saum ihres T-Shirts. "Wir könnten auch diesen ganzen Detektiv- und Schuhkram vergessen und uns nur noch auf die Sache mit dem Sex konzentrieren", sagte er heiser. Ein Wonneschauer durchrieselte ihren Körper. Ihre Brustspitzen wurden hart, und ihre Haut begann zu kribbeln. "Hm", murmelte sie und sah zu, wie er ihr TShirt hochhob und mit den Fingerspitzen unter den Elastikbund ihres Slips glitt. Ripley keuchte auf, überrascht von dem sehnsüchtigen Ziehen tief in ihr, das sich augenblicklich einstellte. Mit einer raschen Bewegung zog Joe ihr den Slip aus. Doch statt sich aufzurichten, nahm er einen ihrer Füße in die Hand. Die Berührung seiner Hände ließ sie erschauern. "Stehst du auf Füße?" Es sollte ein Scherz sein, doch ihre Stimme klang so heiser, dass deutlich wurde, wie sehr ihr das gefiel. Lächelnd strich er mit der Fingerspitze von der Ferse zu den Zehen und brachte Ripley damit zum Stöhnen. Füße sind mein Geschäft." "Manche Männer lieben Brüste. Andere Beine. Typisch, dass ich mir einen aussuche, der auf Füße steht." Sein Atem kitzelte die empfindliche Haut an ihrem Bein, und Ripley merkte, dass er sich von ihren Füßen weiter nach oben arbeitete. Unwillkürlich schloss Ripley die Augen, als er ihren empfindlichsten Punkt berührte und ihn zu streicheln begann. "Oh, du bist so heiß", murmelte Joe, den Mund ganz dicht an ihren Schenkeln. Ripley öffnete genau in dem Moment wieder die Augen, als er seinen Mund auf ihre sensibelste Stelle presste. Sie keuchte auf, unschlüssig, ob sie ihn unterbrechen, wegzustoßen oder ihn ermuntern sollte, weiterzumachen. Instinktiv bog sie ihren Rücken durch, während er sie mit der Zunge verwöhnte. Oh, das war absolut himmlisch! Ripley erschauerte. Intensive Lustgefühle durchströmten sie Woge um Woge, und sie war dem Gipfel nahe, als Joe den Kopf hob. "Nein!" rief sie und versuchte, ihn zurückzuziehen. Er lachte und einen Moment später erstarb ihr Protest, als er sich zwischen ihre Beine drängte. "Sind wir ein wenig ungeduldig heute Morgen?" murmelte er und küsste ihren Hals. "Halt den Mund, und komm endlich..." Sie öffnete die Augen und las in seinem Gesicht das gleiche Verlangen, das sie erfüllte. Sie tastete nach unten, und als sie ihn umschloss, merkte sie, dass er sich mit einem Kondom geschützt hatte. Ungeduldig hob sie die Hüften. "Ja ... ja! "
9. KAPITEL
Je mehr Sex sie hatten, desto mehr davon wünschte Joe sich. Ripley wand sich unter ihm, und er drang in sie ein, bis er sie völlig ausfüllte. Ihre Wonneschauer, das Wippen ihrer Brüste, die Bewegung ihrer Lippen, während sie nach Atem rang, all das erregte ihn noch mehr. Voller Leidenschaft eroberte er ihren Mund und glitt mit der Zunge an ihren Lippen entlang. Die Gefühle, die ihn übermannten, waren sowohl vertraut als auch unbekannt. Er hatte mit einer Reihe von Frauen geschlafen, aber noch nie war es so wie mit Ripley gewesen. Sie schienen perfekt zueinander zu passen. Bewundernd strich er über ihre Brüste, zwischen den beiden Hügeln entlang, spürte den feinen Schweißfilm dort und glitt dann mit den Händen unter ihren Po, um sie noch enger an sich zu ziehen. Als er erneut tief in sie eindrang, rief sie seinen Namen und erzitterte unter ihm. Er beobachtete die Vielzahl der Empfindungen, die sich auf ihrem Gesicht spiegelten, als sie den Höhepunkt erreichte. Er versuchte sich zurückzuhalten und diesen Anblick zu genießen. Doch zu sehen, welche Freude sie empfand, und zu wissen, dass er dafür verantwortlich war, ließen ihn den Gipfel mit ihr zusammen erklimmen. Einen Moment später, den Mund an Ripleys Hals gepresst, verspürte Joe so etwas wie Angst. Davor, dass das, was hier zwischen ihnen geschah, nicht von Dauer sein könnte. Ripley lachte leise auf. "Irgendwann müssen wir dieses Bett verlassen." Er hob den Kopf und schaute in ihr Gesicht, sah das Lächeln in ihren Augen, die Röte ihrer Haut. "Warum?" Sie nahm seinen Kopf in die Hände und küsste ihn direkt auf den Mund. "Weil ich einen Fall lösen muss." Joe fragte sich, was geschehen würde, wenn sie den Fall abgeschlossen hatte. Würde sie zurück nach St. Louis fahren? Was würde dann aus ihnen beiden werden? Ripley drückte leicht gegen seine Schulter, und er rollte sich widerstrebend von ihr herunter. Anschließend beobachtete er, wie sie im Bad verschwand. Sehnsüchtig schaute er ihr hinterher. Bisher hatte er geglaubt, er wäre immun gegen tiefere Gefühle. Eine ehemalige Freundin hatte ihn gewarnt, er würde irgendwann eine Frau treffen, bei der er nicht gleichgültig bleiben würde. Das hier war nicht gut. Oberhaupt nicht gut. Das durfte ihm nicht passieren. Er stand auf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich. Du hast gerne Sex mit dieser Frau. Und du willst nicht, dass es schon so schnell vorbei ist. Das hat noch nichts zu bedeuten, es heißt schon gar nicht, dass es etwas mit Liebe zu tun hätte. Liebe. Nein. Es gab einen Unterschied zwischen Sex und Liebe. Das hatte er schon vor langer Zeit gelernt. Und das war genau der Grund, warum er auf einmal in Panik geriet.
Ripley kam aus dem Bad, frisch geduscht, die rotbraunen Locken ein wenig gezähmt. Sie trug Shorts und eine weiße Bluse, und selbst in einem aufreizenden, hautengen Kleid hätte sie in seinen Augen nicht schöner aussehen können. Ich habe mich in sie verliebt, erkannte er plötzlich und musste schlucken. "Bist du bereit?" fragte sie. Himmel, nein! Er war noch lange nicht bereit. Wenn er es überhaupt je sein würde. Was sollte er tun? Ripley sah ihn an. "Wozu?" zwang er sich zu fragen. "Um die Schatulle aus dem Wagen zu holen, natürlich." "Natürlich", wiederholte Joe und versuchte, seine Beherrschung wieder zu erlangen, doch das Einzige, woran er denken konnte, war das beängstigende Wort Liebe. Geistesabwesend zog er sich an, doch langsam sackten Ripleys Worte ein. "Was hast du gerade gesagt?" Sie sah auf. "Dass wir die Schatulle aus deinem Auto holen?" "Ja, das." Er verschränkte die Arme und versuchte zu ignorieren, wie sehr er sich danach sehnte, sie wieder ins Bett zu ziehen. "Bist du verrückt? Es gibt keine Möglichkeit, dort reinzukommen, ohne dass uns diese Typen sehen." Oder die Hunde. Er war sich nicht sicher, was schlimmer war. Ripley schlang sich die Tasche über die Schulter, schnappte sich ihre Mappe und ging zur Tür. "Genau." Doch bevor sie die Tür öffnen konnte, baute Joe sich vor ihr auf. "Was meinst du damit?" "Nelson hat mir gesagt, dass es Zeiten gibt, da ist es schlauer, wenn man sich seine Feinde zu Freunden macht." Schon wieder Nelson Polk. Joe seufzte. Sie lächelte. "Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir herausfinden, wer unsere neuen Freunde wirklich sind und was sie wollen." Joe verhält sich ziemlich merkwürdig, dachte Ripley. Sie war aus dem Bad gekommen, und er hatte sie völlig verstört angeschaut. Und so hatte er sie seitdem die ganze Zeit angesehen. Er machte keine Witze, keine Annäherungsversuche. Stattdessen wirkte er schockiert. Auf dem Rücksitz des Taxis hätte Joe nicht weiter von ihr entfernt sitzen können. Bei seinem Versuch, sich von ihr fern zu halten, hatte er sein Gesicht fast an die Scheibe gepresst. Also tat sie etwas ganz Natürliches. Sie streckte die Hand aus und berührte ihn. Er zuckte zusammen, und sie lachte. "Was ist los?" fragte sie. Joe schluckte und schüttelte dann den Kopf. "Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist." Sie glitt mit der Hand über seinen Arm, dann über seine Brust. Die Spannung, die von ihm ausging, war fast greifbar.
Er ergriff ihre Hand. "Lass das, bitte. Ich meine es ernst." Das war das Problem. Er war ein wenig zu ernst. Konnte es sein, dass ihm die Sache auf einmal doch zu schaffen machte? Dass der Grund seiner Furcht die drei Typen waren, denen sie gleich ins Auge sehen mussten? "Es gibt keinen Grund zur Sorge, Joe", sagte sie. "Wenn sie wirklich vom FBI sind, dann sind wir sicher, denn keiner von uns hat etwas Falsches getan." Hoffte sie. "Wenn nicht ... Nun, es ist mitten am Tag. Was glaubst du, was sie tun können? Uns erschießen?" "Der Gedanke ist mir gekommen, ja." "Okay, dann werden wir zurückschießen." Sie berührte die Handtasche, in der ihre Waffe war. "Das ist richtig beruhigend." Das war wieder der alte Joe, auch wenn seinen Worten die übliche Kraft fehlte. Ripley bat den Taxifahrer, sie an der Ecke vor dem Abschleppplatz herauszulassen. Als sie ausgestiegen war, hielt sie die Tür auf. "Kommst du?" fragte sie. Joe schien nicht einmal bemerkt zu haben, dass das Taxi angehalten hatte. Er verzog das Gesicht und stieg aus dem Wagen. Ripley nahm seinen Arm, und sie gingen zu dem eingezäunten Gelände. Die Limousine mit den drei Männern stand direkt gegenüber dem Eingang. Sie überquerten die Straße, und Ripley steuerte auf die Werkstatt zu, in der wohl das Büro zu finden war. "Wohin gehen wir?" fragte Joe und blinzelte. "Wir lösen dein Auto aus." "Wenn du meinst", erklärte er skeptisch. Sie gönnten der dunkelblauen Limousine kaum einen Blick und traten in die Werkstatt, die aussah wie jede andere Werkstatt auch. Im Büro saß ein Mann und las Zeitung. Der Trakt war durch ein Gitter gesichert, und Ripley vermutete, dass dieser Schutz nötig war. Die wenigsten Menschen reagierten wohl freundlich, wenn ihr Wagen abgeschleppt worden war. Nachdem Joe seine Papiere herausgeholt hatte, erklärte er dem Mann, was er wollte, während Ripley abseits stand und ihre Handtasche mit der Waffe betastete. Sie hoffte, dass sie sie nicht brauchen würde. Während Joe für das Abschleppen zahlte, öffnete Ripley die Tür einen Spaltbreit und schaute nach draußen. Die Limousine war noch immer da, die Männer saßen noch immer darin. Hastig schloss sie die Tür wieder. "Da drüben", sagte der Mann hinter dem Gitter und zeigte auf eine andere Tür. "Warten Sie einen Moment, bis ich die Hunde reingepfiffen habe." Joe führte Ripley zu der Tür und flüsterte: "Wo sind unsere Freunde?" "Draußen." "Also, was hast du jetzt vor?"
Sie legte den Finger auf ihre Lippen und überdachte die Situation. Gleichzeitig zog sie ihre Handtasche näher an sich, beruhigt von dem Gewicht. „Fahr den Wagen auf die Straße und warte dort auf mich." Ripley wollte weggehen, wurde jedoch von Joe zurückgezogen. "Kommt nicht infrage." Sie machte sich frei. "Das hast du überhaupt nicht zu entscheiden." "Solange du mit mir zusammen bist, tue ich es aber." Ripley studierte Joes gut aussehendes Gesicht. Plötzlich dämmerte ihr, warum er so ernst aussah. "Du machst dir Sorgen um mich, stimmt's?" fragte sie erstaunt. "Nein, ich sorge mich um mein Wohlbefinden", erklärte Joe, doch sie erkannte, dass er log. Wenn er wirklich nur um sich Angst hätte, wäre er längst verschwunden. "Lügner." Erschrocken zuckte sie zusammen, als jemand an die Tür klopfte. Joe öffnete sie und starrte auf den Angestellten. "Gleich." Er schloss die Tür wieder. Ripley lächelte. "Sei vorsichtig! Wenn du das noch einmal machst, behält er vielleicht dein Auto." "Lass ihn." Joe funkelte sie an. "Was hast du vor?" Sie zuckte mit den Schultern. "Ich werde zu der Limousine gehen und sie fragen, was sie von mir wollen." Sie dachte an Nicole Bennett, die sie und Joe gestern zur Rede gestellt hatte, und hoffte, sie würde gleich genauso mutig sein. Joe ergriff ihre Hand und zog sie zur Tür. "Wir werden ihnen gemeinsam gegenübertreten. Sobald ich mein Auto von diesem schrecklichen Ort entfernt habe." Stolpernd folgte sie ihm durch die Tür und wollte gerade protestieren, als die Worte ihr im Hals stecken blieben. Der Angestellte hatte einen Knopf gedrückt, und die Tore öffneten sich. Sie gaben den Blick auf die drei Männer frei, die mit verschränkten Armen direkt vor ihnen standen. Ripley saß auf dem Rücksitz der blauen Limousine neben einem der Typen, während ein anderer vorne saß und sie durch den Rückspiegel beobachtete. Sie spähte aus dem Fenster, wo der dritte Mann mit Joe sprach, und lehnte sich dann seufzend zurück. "Sind Sie wirklich vom FBI?" fragte sie schließlich. Der Mann auf dem Vordersitz zog eine Brieftasche heraus, öffnete sie und hielt sie über den Sitz, ohne sich umzudrehen. Ripley beäugte seinen Ausweis und überlegte, ob er ihn aus demselben Katalog bestellt hatte wie sie ihre Detektivmarke. Er schloss die Brieftasche wieder und steckte sie weg. In dem Augenblick klopfte jemand an das Fenster, und sie zuckte zusammen. Als sie aufsah, bemerkte sie den dritten Mann, der einem Kollegen bedeutete, die Tür zu öffnen. Die automatische Türsicherung klickte, und er zog die Tür auf. "Sie können gehen, Ma'am."
Sie schaute ihn skeptisch an. "Sind Sie sicher?" Hatte sie das tatsächlich gefragt? Wenn jemand wie dieser Typ sagte, man könne gehen, dann sah man zu, dass man verschwand. Ein kleines Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Natürlich nur, wenn Sie möchten." So schnell war Ripley selten aus einem Wagen gestiegen. Sprachlos stand sie dann da und sah zu, wie der Mann in den Wagen stieg und mit seinen beiden Kollegen fortfuhr. Joe stellte sich neben sie. "Komm, lass uns etwas essen gehen." Im Restaurant saß Joe Ripley gegenüber und musste über den plötzlichen Verlust ihres Appetits schmunzeln. Er hatte auch die Bestellung für sie übernommen. Ripley hatte kein Wort mehr gesagt, seit er sie in seinen Wagen gesteckt hatte und den kurzen Weg bis hierher gefahren war. Schließlich blinzelte Ripley und kam aus ihrem erstarrten Zustand heraus. "Willst du mir tatsächlich erzählen, dass er dich hat gehen lassen, weil er aus Minneapolis kommt und dich noch aus den Zeiten deiner Basketball-Triumphe kennt?" Joe stützte die Unterarme auf den Tisch. "Ja." Nur selten wurde er an seine Zeit bei den "University of Minnesota Golden Gophers" erinnert. Hier hatte es sich als glücklicher Zufall herausgestellt. Sie verdrehte die Augen und ließ sich nach hinten sinken. "Na ja, deshalb und weil ich ihm alles über dich und deinen Fall erzählt habe." Sie starrte ihn an. "Und ich dachte, du wärst froh zu hören, dass du nicht in Schwierigkeiten steckst." "Das habe ich schon gewusst. Zumindest vermutet. Ich habe ja nichts ausgefressen." Joe sah sie nachdenklich an. "Du kennst nicht zufällig eine gewisse Christine Bowman, oder?" "Christine Bowman ist Clarise Bennett." Er zog eine Augenbraue in die Höhe. "Das habe ich heute Morgen herausgefunden, als ich meine Cousine angerufen habe, um zu hören, unter welchem Namen die Telefonnummer registriert war, die Clarise mir gegeben hatte." Ripley trank das Wasserglas leer. "Also sind sie hinter Nicole her? Was hat sie gemacht?" "Soweit es das FBI betrifft, nichts." "Nichts?" "Sie sind nicht hinter ihr, sondern hinter Christine Bowman her." "Die Frau, die mich engagiert hat?" Er nickte. "Hat er gesagt, weshalb?" Joe lachte und lehnte sich zurück, damit die Kellnerin seinen Teller wegnehmen konnte. Als sie auch nach Ripleys griff, hielt diese ihn fest und erklärte, sie wäre noch nicht fertig. Schließlich hatte sie noch nicht einmal
angefangen. Joe vermutete, dass ihr Appetit zurückgekehrt war. "Unser Gespräch war ein wenig einseitig, was Frage und Antwort betrifft. Mein Teil betraf mehr das Antworten, und Agent Miller war mehr für das Nachfragen zuständig." „Also, sie wollen Christine ... " Ripley nahm ein Rippchen ab und tunkte es in die Barbecuesauce. Plötzlich hob sie den Kopf. "Du hast ihnen nichts von der Schatulle erzählt, oder?" "Nein, ich habe ihnen nichts davon erzählt." Joe zog eine Visitenkarte heraus und reichte sie ihr. "Allerdings habe ich versprochen, dass wir uns bei ihnen melden würden, wenn wir etwas über Christine oder Nicole erfahren." „Wieso Nicole?" "Ich denke, weil Nicole sie vielleicht zu Christine führen könnte." Ripley schien auf einmal einen wahren Heißhunger entwickelt zu haben und verschlang die Rippchen in Rekordgeschwindigkeit. "Das war es also jetzt?" meinte sie schließlich. "Wir brauchen uns um die drei keine Sorgen mehr zu machen?" "Wir brauchen nicht mehr von irgendwelchen Hotelbalkonen zu springen, wenn du das meinst. Wir können sogar wieder in unser altes Hotel zurück ... wenn wir wollen." Sie starrte ihn an, während die Kellnerin ihren Teller abräumte. "Das ist gut, oder? All deine Sachen sind dort." „Ja", antwortete er. Allerdings hätten sie dann auch wieder getrennte Zimmer, weil sie nicht länger vorgeben mussten, ein Paar zu sein, um den drei Typen zu entkommen, die sich als echte FBI-Agenten entpuppt hatten. Ripley sah genauso enttäuscht aus, wie Joe sich fühlte. Die Vorstellung, dass es ihr auch nicht gefiel, wenn sie sich trennen mussten, war tröstlich. "Na ja, das war irgendwie eine überraschende Aufklärung. Das mit dem FBI, meine ich. Und ich dachte schon, ich hätte etwas getan, wovon nicht einmal ich etwas wusste." Joe schnitt ein Gesicht. Er hätte wissen müssen, dass sie an ihren Fall dachte. Ripley überlegte. "Aber warum sind sie mit gezogenen Waffen in mein Hotelzimmer gekommen?" Joe zuckte mit den Schultern. "Sie meinten, ihnen wäre nicht ganz klar gewesen, in welcher Verbindung du zu Christine standest. Sie glaubten, dass du vielleicht mit ihr zusammenwohnst." "Oh." Er konnte es nicht fassen. Ripley war enttäuscht, dass das FBI nicht hinter ihr her gewesen war. Abrupt schob sie ihren Stuhl zurück und stand auf. Joe folgte ihr. "Wohin jetzt?" "Ins Hotel. Wir müssen herausfinden, was in dieser Schatulle ist, an der sowohl Christine als auch das FBI solch ein Interesse hat."
10. KAPITEL
Ripley saß im Schneidersitz auf dem Bett in ihrem ursprünglichen Hotelzimmer. Um sie herum lag der Inhalt der mysteriösen Schatulle. Stundenlang hatte sie die falschen Juwelen betastet und untersucht, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Sie seufzte und stützte sich auf den Ellenbogen ab, während ihr Blick automatisch zu dem leeren Kissen neben ihr wanderte und von dort zu der Wand, die sie von Joes Zimmer trennte. Als sie in das Hotel zurückgekehrt waren, hatte sie vermutet, dass Joe mit auf ihr Zimmer kommen würde. Doch er hatte stattdessen etwas davon erzählt, dass er sein Büro kontaktieren müsse, "um den Schaden zu begrenzen", und sie allein gelassen. Ein Blick auf ihre Uhr zeigte Ripley, dass das vor mehreren Stunden gewesen war. Und seitdem hatte er sich nicht bei ihr gemeldet. Was sollte sie davon halten? Da das FBI nicht mehr hinter ihnen her war, und da Joe sie inzwischen verführt hatte, gab es wohl keinen Grund mehr für sie, zusammen zu sein. Es gefiel ihr nicht, ihre gemeinsame Zeit so zu beschreiben. Aber darauf lief es hinaus, oder? Sie dachte an seinen muskulösen Körper und die vielen Stunden, die sie zusammen verbracht hatten. Ein Kribbeln der Erregung durchzuckte sie, trotz der niedergeschlagenen Stimmung, in der sie sich befand. Sie zog das freie Kissen über den Kopf und stöhnte laut, vor allem deshalb, weil sie nicht glauben wollte, dass es hier nur um Sex gegangen war, unabhängig davon, wie großartig der gewesen war. Joe hatte sich in mancherlei Hinsicht ein Bein für sie ausgerissen. Und das machten Männer nicht, wenn sie nur eine schnelle Affäre wollten. Aber wenn es nicht nur das gewesen war, wo steckte er dann jetzt? Ripley warf das Kissen beiseite und setzte sich auf. Das war nicht das, woran sie im Augenblick denken sollte. Vielmehr sollte sie herausfinden, was die Schatulle so wertvoll machte und warum so viele Leute hinter ihr her waren. Ein Klopfen ließ sie sämtliche Gedanken an den Fall vergessen. Sie riss die Tür auf und sah Joe davor stehen. Er sah unglaublich gut aus. "Hallo", meinte er leichthin. Statt Jeans und T-Shirt trug er wieder ein gestärktes Hemd, Krawatte und Anzughose. Ripley packte ihn an der Krawatte und zog ihn in das Zimmer. Die Tür knallte hinter ihm zu. Er lachte. "Du hast mich wohl vermisst, was?" Das hatte sie. Sehr. "Hier", meinte er und reichte ihr einen Karton, der so aussah wie einer von denen, die in seinem Wagen gelegen hatten. "Die sind für dich." „Danke." Sie hob den Deckel und starrte auf ein Paar Sportschuhe. "Wollen wir irgendwo hingehen?" "Ich dachte, dass wir einen Spaziergang machen könnten."
„Einen Spaziergang." Sie schaute ihn an, als sich ihre Augen plötzlich weiteten. "Soll das etwa auf eine echte Verabredung hinauslaufen, Joe?" Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Er räusperte sich und sah auf einmal wieder so ernst aus. "Ich bin gerade von einer Besprechung zurück und dachte, wir könnten essen gehen." Er warf einen Blick auf das zerwühlte Bett hinter ihr, und Ripley wartete darauf, dass er versuchen würde, sie dort hineinzubekommen. Doch er fragte lediglich: "Hattest du Glück, was die Schatulle betrifft?" Sie schüttelte den Kopf und schaute an sich herab. Sie sah aus wie sonst auch. Doch noch immer hatte er weder eine zweideutige Bemerkung gemacht noch auf ihre Brüste gestarrt. Das verhieß nichts Gutes. "Okay", sagte sie schließlich. "Ich gehe mich nur schnell umziehen." Joe ging neben Ripley und versuchte, nicht darauf zu achten, wie gut ihr das rote Kleid stand oder wie freizügig das Dekolleté war. Ripley hakte sich bei ihm unter und schaute ihn lächelnd an. „Also", meinte sie, "wie lebt es sich so als Joe Pruitt?" Ziemlich langweilig, dachte er. Zumindest bis vor kurzem. Er zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Das Übliche, denke ich." "Beschreib das Übliche." "Bist du hungrig?" wich er aus. "Noch nicht." Sie drückte seinen Arm. "Da dies hier deine Idee war, musst du auch meine Fragen beantworten." "Das Übliche", wiederholte er, während er den Schritt verlangsamte. "Ich stehe um sechs Uhr morgens auf, laufe fünf Meilen, wenn das Wetter gut ist, und sitze von acht bis fünf Uhr im Büro." Er zuckte erneut mit den Schultern. "Das Übliche halt." „Außer wenn du verreist." "Richtig." "Und wie oft kommt das vor?" Er rechnete nach. „Im letzten Jahr war ich fast zweiunddreißig Wochen lang unterwegs." "Du reist ja so viel wie ein Rockstar.“ Lachend meinte er: "Ja, nur mit anderen Arbeitszeiten." Und ohne Groupies. Typisch Ripley, dass sie seinen Job interessanter erscheinen ließ, als er war. Er stutzte. Bisher hatte er seine Arbeit noch nie als Job bezeichnet. Es war seine Karriere. Sein Leben. Keinesfalls nur ein Job, der half, die Rechnungen zu bezahlen. "Und du warst Sekretärin", sagte er, wobei es ihm schwer fiel, sie mit Gloria zu vergleichen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Ripley auch nur fünf Minuten lang still sitzen konnte. Abgesehen von der Tatsache, dass sie eine ziemliche Ablenkung darstellen würde, wenn er ihr etwas diktieren müsste.
Allerdings, wenn er eine Sekretärin wie Ripley hätte, wäre er wohl nicht so oft auf Reisen. Schließlich hatte er vier stellvertretende Geschäftsführer, die das für ihn erledigen konnten. "Ich war sechs Jahre lang Sekretärin", erzählte Ripley und klang, als ob sie darüber genauso erstaunt wäre wie er. Sie schlenderten weiter, und Joe fühlte sich auf einmal ziemlich mies, obwohl er nicht hätte sagen können, warum. Als er sie vorhin im Hotel allein gelassen hatte, war er entschlossen gewesen, sein Leben wieder unter Kontrolle zu bringen. Er hatte Gloria angerufen, einen Haufen Nachrichten von ihr bekommen und ihr gesagt, wo er zu erreichen war. Dann hatte er sich mit der Firma in Verbindung gesetzt, um deren Auftrag er sich bemühte. Nach einem Nachmittag voller Besprechungen, in denen er nicht hatte sein wollen und in denen seine Gedanken ständig zu Ripley abgedriftet waren, hätte er nicht sagen können, ob er in seinen geschäftlichen Bemühungen erfolgreich gewesen war. Doch er konnte Ripley daraus keinen Vorwurf machen, dass sie ihn so ablenkte. Langsam wurde ihm klar, dass ihm seine Arbeit, unabhängig von seiner nicht kurierbaren Lust auf Ripley und den bizarren Erlebnissen der letzten Tage, schon während der vergangenen Monate immer häufiger unbefriedigend erschienen war. Das Abschließen von Vertriebsverträgen und das Organisieren von Werbekampagnen mit berühmten Sportlern, die seine Schuhe trugen, machten ihm keine rechte Freude mehr. Das Problem war, dass er nicht wusste, was ihm Freude bereiten würde. Hinzu kam, dass Ripley bald auch nicht mehr da wäre, um ihn abzulenken. Sie zog ihn am Ärmel und musterte ihn aufmerksam. "Ich fange langsam an, mir Sorgen um dich zu machen. Du hast noch nicht einmal auf meinen Busen geschaut." Automatisch wanderte sein Blick zu ihrem Dekollete. "Doch, aber du hast es nicht bemerkt." Sie schenkte ihm das für sie typische Lächeln. "Außerdem dachte ich, du magst es nicht, dass ich immer nur das eine im Kopf habe." Einen Moment lang schien sie nachzudenken. "Eine Sache ist immer noch besser als gar nichts im Kopf. Seit heute Nachmittag habe ich das Gefühl, dass ich dich verloren habe." Das geht mir mit dir genauso, dachte Joe. Ripley ließ seinen Arm los und stellte sich vor ihn. "Was möchtest du tun? Sag es, und wir tun es." Er wollte, dass er sein Leben wieder sinnvoll fand. Doch er fürchtete, dass das nicht so schnell geschehen würde. "Joe?" "Hm?" Ripley blieb vor einem Laternenpfahl stehen, und ein verführerisches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. "Küss mich."
Ein Stöhnen entfuhr ihm. In dieser Sekunde, in der er ihre großen braunen Augen, ihren gespitzten Mund und diesen gewissen Gesichtsausdruck in sich aufnahm, gab es nichts, was er lieber gemacht hätte. Zärtlich berührte er ihren Hals, spürte das heftige Pochen ihres Pulses und drückte sie langsam gegen den Pfahl. Ihre Augen weiteten sich, als ihr Blick von seinem Mund zu seinen Augen wanderte. Herausfordernd glitt sie mit der Zunge über ihre Unterlippe. Als sie mit dem Rücken gegen den Laternenpfahl stieß, griff sie hinter sich, um sich abzustützen. Joe legte seine andere Hand an den Pfahl oberhalb ihres Kopfes und beugte sich dann vor. Behutsam strich er mit den Lippen über ihre. Ihr Mund war weich und süß. Joe schloss die Augen und fragte sich, ob er das wohl überleben würde. Und die Frage hatte nichts mit dem FBI, mit Waffen, verschwundenen Auftraggebern oder vermissten Frauen zu tun. Auch nicht mit Ripleys Vorliebe, dort Schwierigkeiten zu entdecken, wo vorher gar keine gewesen waren. Nein, seine Angst stammte daher, dass er sie immer besser kennen lernte. Es hatte damit zu tun, dass ihre Augen aufleuchteten, wenn sie an ihre neue Karriere dachte, dass eine Falte zwischen ihren Brauen entstand, wenn sie versuchte, ihren Fall zu entschlüsseln. Joe dachte an ihre Begeisterung, mit der sie sich einem Teller voller Rippchen widmete. Oder wie sie den Rücken durchbog, wenn sie sich liebten, und wie es war, ihre Lippen an seinen zu spüren. Ripley starrte ihn an, ihre braunen Augen voller Fragen. Dann presste sie verlangend ihren Mund auf seinen. Joe konnte nicht anders, er erwiderte ihren Kuss mit gleicher Leidenschaft. Das geschäftige Treiben um sie herum verblasste, die Welt schrumpfte zusammen, bis nur noch Ripley übrig war. Als sie mit der Zunge in seinen Mund vordrang, hatte er das Gefühl, dass sie während der letzten Tage völlig von ihm Besitz ergriffen hatte. Wenn er erwachte, galt sein erster Gedanke ihr, und er überlegte, wo sie war und wie schnell er sie wieder lieben konnte. Vor dem Einschlafen zog er sie so fest wie möglich an sich, um zu verhindern, dass sie genauso schnell aus seinem Leben verschwand, wie sie darin aufgetaucht war. Das Beunruhigende an der Sache war, dass er keine Ahnung hatte, was sie für ihn empfand. Ripley zog den Kopf zurück, und ihr sinnliches Lachen stimulierte nicht nur die Schmetterlinge in seinem Bauch. "Nun, das war ... nett." "Nett?" fragte er mit hochgezogenen Brauen. "Sehr." Sie lächelte. "Komm. Ich denke, wir sollten lieber etwas essen gehen, bevor wir noch wegen unzüchtigen Verhaltens verhaftet werden." "Wir sind doch noch vollständig bekleidet." "Trotzdem." Ripley schloss die Tür zu ihrem Hotelzimmer auf, während sie fortfuhr, Joe zu küssen. Sie hatte Angst, er würde sonst wieder diesen ernsten Gesichtsausdruck bekommen und womöglich eine Entschuldigung finden, um in sein eigenes
Zimmer zu gehen. Sie stieß die Tür mit der Hüfte auf und genoss den Geschmack von Bier auf seinen Lippen, das Gefühl seiner heißen Hände, die ihre Brüste umschlossen. Irgendwie hatte es sie es geschafft, das Essen zu überstehen, ohne sich auf seinen Schoß zu setzen und diesen beängstigenden Ausdruck von seinem Gesicht mit einem heißen Kuss zu vertreiben. Sie sorgte sich, was er wohl dachte, doch sie hatte bereits einmal gefragt, ohne eine Antwort zu erhalten. Sie schloss die Tür und schob Joe dagegen, wobei sie gleichzeitig sein Hemd aus der Hose zog und dann über die weiche Haut seines Bauches strich. Vielleicht konnte Joe ihr das, was er dachte, nicht mitteilen. Zwar glaubte sie nicht, dass er verheiratet war, aber vielleicht hatte er eine Freundin. Die Richtung, die ihre Gedanken genommen hatten, gefiel ihr gar nicht, also hörte sie ganz auf zu denken und konzentrierte sich aufs Fühlen. Und da gab es eine Menge angenehmer Dinge. Joe fuhr mit den Händen unter ihr kurzes Hemd und umschloss ihren Po auf eine Weise, die sie vor Erwartung zittern ließ. Bevor sie sein Hemd noch halb aufgeknöpft hatte, hatte er sie bereits von ihrem Slip befreit. Ungeduldig riss sie ihm das Hemd über den Kopf und presste ihre Brüste gegen seinen muskulösen Oberkörper. Stöhnend genoss sie das Gefühl, wie sein harter Körper sich an ihren drängte. Er schob sie in Richtung Bett, während er den Reißverschluss ihres Kleides öffnete. Ripley stolperte über etwas, was am Boden lag, doch da Joe sie auffing, verschwendete sie keinen Gedanken daran. Plötzlich stolperte Ripley in der Dunkelheit erneut über etwas. Diesmal klang es nach Scherben. Sie riss die Augen auf und erstarrte. "Das hörte sich nicht gut an", stieß Joe keuchend aus. Sie stimmte ihm zu. Er küsste sie heftig und beugte sich dann vor, um die Lampe anzuknipsen. Sie war nicht da. "Warte hier", befahl er. Ripley stöhnte und ließ ihn widerwillig gehen, damit er das Licht anschalten konnte. Das, was sie dann sah, ließ sie erbleichen. Joe stieß eine Reihe von Flüchen aus, die Ripley ebenfalls geäußert hätte, wenn sie noch in der Lage gewesen wäre, etwas zu sagen. Im Zimmer herrschte ein absolutes Chaos. Die Stehlampe, die Joe hatte einschalten wollen, war die Ursache für das eigenartige Klirren gewesen. Sie lag völlig zerstört auf dem Boden, und der Fuß war abgerissen, als hätte jemand dort etwas gesucht. Die Matratze war aufgeschlitzt, das Kissen ausgeschüttelt worden. Ripley schlang die Arme um sich, als sie sah, dass nicht einmal ihre Kleidung verschont geblieben war. "Ich wusste, wir hätten in mein Zimmer gehen sollen", murmelte Joe. Eine Stunde später saß Ripley auf ihrem zerstörten Bett und hielt die Karte in der Hand, die Joe von Agent Miller bekommen hatte. Es stand nichts außer einer
Telefonnummer darauf. Kein Name. Nichts, was darauf hindeutete, dass er oder die anderen beiden Männer wirklich vom FBI waren. Nachdem Joe sich davon überzeugt hatte, dass sein Zimmer unbeschadet geblieben war, hatte er den Hotelmanager angerufen, der wiederum die Polizei benachrichtigt hatte. Sie hatten den Beamten alles erzählt, was sie wussten. Joe begleitete gerade den Hotelchef hinaus und versicherte ihm, dass Ripley kein neues Zimmer benötigte, sondern bei ihm bleiben würde. Ripley war heilfroh, dass sie heute Nacht bei Joe schlafen konnte. Sie mochte nicht einmal daran denken, die Nacht allein zu verbringen. Dafür hatte derjenige, der ihr Zimmer verwüstet hatte, seine Sache zu gut gemacht. Die Polizei hatte den Gegenstand, mit dem die Matratze aufgeschlitzt worden war, nicht gefunden, aber sie waren sicher, dass es sich dabei um eine Klinge gehandelt hatte. Eine ziemlich lange, scharfe Klinge. Joe schloss die Tür und setzte sich zu ihr auf das zerstörte Bett. Ripley war dankbar, seine Körperwärme zu spüren, wenn auch aus ganz anderen Gründen als vorhin. "Was denkst du?" fragte er. Sie schaute zu ihm. "Ich weiß es nicht." In Gedanken ging sie noch einmal alles durch: Clarise Bennett, alias Christine Bowman. Nicole Bennett, die vielleicht gar nicht Bennett hieß. Das FBI. Das Pfandhaus ... Ihre Gedanken kamen abrupt zu einem Ende. "Was ist?" fragte Joe, als sie aufstand und zur Tür ging. Sie schnappte sich ihre Handtasche, die sie beim Hereinkommen achtlos hatte fallen lassen, und kam wieder zum Bett, wo sie den Inhalt ausschüttete. Sie schob ihre Waffe, den Make-up Beutel und einen Prospekt vom Hotel beiseite, bevor sie nach dem Gegenstand griff, den sie gesucht hatte. Die Schatulle. "Du hattest sie bei dir?" wollte Joe ungläubig wissen. Ripley nickte. "Ich habe sie in die Tasche gelegt, kurz bevor wir losgegangen sind. Ich dachte, wenn mir unterwegs etwas dazu einfallen würde, könnte ich sie gleich daraufhin untersuchen." Sie öffnete den Deckel und starrte auf die falschen Juwelen. War es möglich, dass sie doch keine Fälschungen waren? Was wusste der Pfandhausbesitzer schon über Juwelen? Vielleicht hatte Nicole selbst geglaubt, dass sie unecht waren, und er hatte ihre Behauptung nicht infrage gestellt. "Kennst du dich mit Juwelen aus?" fragte sie Joe. Er schüttelte den Kopf. "Ich auch nicht." "Glaubst du, dass sie echt sind?" "Es könnte sein." Ripley ging hinüber zum Telefon, blickte einen Moment auf die Karte in ihrer Hand und wählte dann die Nummer. "Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden."
Joe kam aus der Dusche, wo er sich in Rekordzeit gewaschen hatte. "Ripley?" rief er. "Was ist?" Sie streckte den Kopf zur Tür herein. Er lächelte sie an. "Nichts." Sie verdrehte die Augen und verschwand wieder. Nachdem Ripley mit Miller vom FBI telefoniert und mit ihm ein Treffen für den nächsten Morgen arrangiert hatte, waren sie in Joes Zimmer gegangen. Die Sicherheitskette war vorgelegt, Joe hatte eine Ideine Kommode vor die Tür geschoben und hoffte inständig, dass Ripley die einzige Person blieb, die jemals über den Balkon in sein Zimmer geschlichen kam. Er hatte sich kaum getraut, sie während des Duschens allein zu lassen. Er schlang sich ein Handtuch um die Hüften und trat in das Zimmer, wo Ripley auf dem Fußboden saß, die Schatulle und deren Inhalt um sich herum ausgebreitet. "Und?" Sie schüttelte den Kopf. "Sie kommen mir immer noch unecht vor." Joe setzte sich auf die Bettkante und rieb sich sein Haar mit einem anderen Handtuch trocken. "Vielleicht sind sie gar nicht hinter den Juwelen her." "Worauf könnten sie es denn abgesehen haben." Er hob die Schatulle auf. "Die Schatulle selbst vielleicht?" Joe drehte sie hin und her, schaute hinein und kippte sie um. An der Schatulle war nichts Ungewöhnliches zu entdecken. "Warte", sagte Ripley plötzlich und hielt seine Hände fest. Sie neigte den Kopf, so dass sie unter die Schatulle schauen konnte. Mit einer Hand hielt sie die Schatulle fest und zog dann mit der anderen an etwas. Ein Schlüssel, dessen oberer Teil aus orangefarbenem Plastik bestand, fiel auf den Boden. "Oh", flüsterte Ripley und hob ihn auf. Joe drehte die Schatulle um und starrte auf den falschen Boden. Genau genommen war es eher ein kleines Fach in einer Ecke, das man leicht übersehen konnte. Ripley drehte den Schlüssel in ihrer Hand. "Sieht aus wie ein Schließfachschlüssel", meinte Joe. "So wie man sie am Flughafen findet." "Oder an der Busstation, am Bahnhof oder in einem Schwimmbad." Er streckte die Hand aus, und sie gab ihm den Schlüssel. Keinerlei Identifikationsmerkmale, abgesehen von der Nummer 401. "Das Schließfach könnte überall sein. Hier, in St. Louis oder sonst wo", meinte Ripley. Er verzog das Gesicht. "Du hast doch nicht ernsthaft daran gedacht, es zu öffnen, wenn du wüsstest, wo es sich befindet, oder?" Sie zuckte mit den schmalen Schultern. "Doch. Der Inhalt würde wahrscheinlich so einiges erklären."
Widerstrebend gab er ihr den Schlüssel zurück und stellte die Schatulle aufs Bett. "So wie die Dinge bisher gelaufen sind, würde ich das nicht empfehlen." „Was würdest du mir raten?" „Ich würde sagen, du gibst die Schatulle samt Inhalt und Schlüssel morgen dem FBI." Ripley runzelte die Stirn. "Dann werden wir nie erfahren, was hier wirklich vor sich geht." "Das würde mich nicht stören." Verwirrt sah sie ihn an. "Wirklich? Ich meine, du kannst einfach weggehen, ohne zu wissen, wer Christine Bowman ist, in weicher Beziehung Nicole zu ihr steht und was in dem Schließfach drin ist? Ganz davon abgesehen, warum das FBI in den Fall verwickelt ist? "Weggehen ist nicht das richtige Wort. Weglaufen wäre wahrscheinlich zutreffender." Sie starrte wieder auf den Schlüssel in ihrer Hand. Offenbar versteht sie mich nicht, dachte Joe. Nicole Bennett, Christine Bowman und dieser verdammte Schlüssel interessierten ihn nicht. Das Einzige, was ihn interessierte, war Ripley. Und das einzige Rätsel, das er lösen wollte, war die Frage, ob sie eine gemeinsame Zukunft hatten.
11. KAPITEL Ripley saß den drei Männern vom FBI in einer Nische des Hotelrestaurants gegenüber und konzentrierte sich auf ihr Frühstück. "Wo ist die Schatulle?" Ripley strich sich Marmelade auf eine Scheibe Toast. Seit sie die Agenten vor einer halben Stunde in der Hotellobby getroffen hatte, vermied sie es, ihnen das zu geben, wonach sie suchten. Es gab da ein paar Dinge, die sie zuvor von ihnen wollte. Und die würde sie nicht bekommen, wenn sie klein beigab. Okay, sie hatte zugegeben, dass es absurd wäre, sämtliche Bus- und Bahnhöfe sowie Flughäfen von Memphis bis St. Louis abzuklappern, auch wenn sie noch so gern mit eigenen Augen gesehen hätte, was in dem Schließfach war. Also hatte sie Joe einen Kompromiss vorgeschlagen. Sie würde den Schlüssel dem FBI aushändigen, aber nur, wenn die Beamten ihr im Gegenzug ein paar Informationen zukommen ließen. Jetzt wischte sie sich die Hände in einer Serviette ab und zog die Schatulle aus der Handtasche, wobei sie mit dem Handrücken Joes Seite berührte. Er warf ihr einen halb amüsierten, halb verärgerten Blick zu. "Hier", sagte sie und stellte die Schatulle auf den Tisch. Agent Miller schaute sich im Restaurant um und nahm dann die Schatulle, während Ripley von ihrem Toast abbiss. Einen Moment später starrte er sie an. "Wo ist er?"
Sie tat, als würde sie ihn nicht verstehen. Er warf ihr einen eisigen Blick zu. "Miss Logan, ich schlage vor, Sie legen Ihre Karten offen auf den Tisch, sonst muss ich Sie in Schutzhaft nehmen und eine Leibesvisitation durchführen lassen." Das war keine besonders schöne Vorstellung. "Das wäre Zeitverschwendung", erwiderte sie. "Er ist nicht hier." Was ungesagt blieb, war, dass "er" der Schlüssel war. Derselbe Schlüssel, den sie in einen versiegelten Umschlag gesteckt und am Morgen in den Hotelsafe hatte legen lassen. "Wollen Sie wirklich nichts essen?" fragte sie. Die drei Männer starrten sie an. Schließlich sah sie Miller an. "Ich möchte, dass Sie meine Wissenslücken füllen. "Was wollen Sie wissen?" "In welcher Beziehung steht Nicole Bennett zu Christine Bowman, alias Clarise Bennett?" Nach einem kurzen Zögern erklärte er knapp: "Bennett hat vor einer Woche bei Bowman eine Stelle als Haushälterin angetreten." "Und dann ist sie mit der Schatulle verschwunden." "Ja." "Deshalb ist Christine Nicole hierher nach Memphis gefolgt." Er kniff die Augen zusammen, und Ripley erschauderte, bevor sie die Schultern straffte. "Sie haben Christine Bowman gesehen?" fragte der Agent. Joe lehnte sich näher zu ihr heran. "Ich vergaß zu erwähnen, dass wir Clarise gejagt haben. Da wusste ich natürlich auch noch nicht, dass Clarise Bennett Christine Bowman ist." Agent Miller beugte sich vor. "Ich will die Details wissen.“ "Sagen Sie mir erst, was im Schließfach ist." Agent Miller schwieg. Ripley seufzte, so als hätte sie es mit einem bockigen Fünfjährigen zu tun. "Okay, aber ich erzähle Ihnen das nur als Zeichen meines guten Willens. Ich werde auf jeden Fall herausfinden, was sich in dem Schließfach verbirgt, auch ohne Ihre Hilfe." Weiteres Schweigen. Sie erzählte ihm von ihrer Begegnung mit Christine und der anschließenden Jagd bis zur Pyramide, wo sie auf eine bewaffnete Nicole Bennett getroffen waren. Agent Miller wechselte einen Blick mit seinem Kollegen. Ripley seufzte erneut. "Ich mag es nicht, wenn meine Klienten vor mir davonlaufen oder wenn man mir eine Waffe vor die Nase hält. Sie werden also verstehen, warum ich gern wüsste, worum es hier überhaupt geht." Agent Miller starrte sie an. "Der Pfandhausbesitzer ist tot." Ripley verschluckte sich fast an ihrem Kaffee.
Tot? Ihr wurde ganz schwindelig. "Definieren Sie ,tot' genauer", meinte Joe ruhig. Agent Miller bedeutete der Kellnerin, ihm noch Kaffee nachzuschenken. "Er wurde gestern am späten Abend gefunden. Seine Leiche lag in einer seiner eigenen Vitrinen." Sämtlicher Mut verließ Ripley. Sie lehnte sich zurück, während die Bilder ihres verwüsteten Hotelzimmers vor ihren Augen erschienen. "Christine Bowman?" fragte Joe. Agent Miller nickte. "Wir vermuten, dass sie dem Pfandhaus einen Besuch abstattete, bevor sie mit der scharfen Klinge in Ihrem Zimmer auftauchte. Vermutlich gefiel ihr nicht, was der Pfandhausbesitzer ihr zu erzählen hatte. Es war ein direkter Schuss in den Kopf, wie bei einer Exekution. „Oh nein", flüsterte Ripley und hatte nicht zum ersten Mal das Gefühl, dass ihr das alles über den Kopf wuchs. Sie hatte zuvor noch nie direkten Kontakt mit einem Mörder gehabt. Clarise ... Christine war ihr so normal vorgekommen. "Wer ist diese Frau überhaupt?" fragte sie. „Sie brauchen nur zu wissen, dass sie eine gefährliche Frau ist. Wir sind seit zehn Monaten hinter ihr her, doch sie ist uns immer einen Schritt voraus. " "Bis Nicole, die vermutlich eine Diebin ist, völlig ahnungslos Christines Haus ins Visier nahm?" "Genau." "Wissen Sie, wo das Schließfach ist?" wollte Joe wissen. Der Agent zuckte weder mit der Wimper, noch sagte er etwas. Ripley schluckte. "Ich nehme an, das bedeutet Ja." "Miss Logan, ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig es ist, dass Sie uns den Schlüssel geben. Solange Sie ihn haben, bleiben Sie ein Angriffsziel. " Joe schlang einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. Ripley war froh über seine Nähe und Wärme. "Erklären Sie mir eins. Inwiefern hilft es mir, wenn Sie den Schlüssel bekommen?" fragte sie. "Sie müssen davon ausgehen, dass Christine nichts davon weiß, dass Sie ihr auf den Fersen sind. Wenn ich Ihnen den Schlüssel gebe, wird sie noch immer denken, dass ich ihn habe." "Sie vermutet bereits, dass wir hinter ihr her sind." "Vielleicht, aber woher soll sie wissen, dass ich Ihnen den Schlüssel ausgehändigt habe? Es sei denn..." "Es sei denn, du sagst es ihr", beendete Joe den Satz für sie. Ripley setzte sich abrupt auf. "Es mag vielleicht feige von mir sein, aber ich würde es vorziehen, in diesem Leben nicht mehr in Christines Nähe zu kommen." Am Tisch herrschte auf einmal betretenes Schweigen. Ripley starrte vor sich hin. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum. Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie brauchten einen Plan, bei dem Christine geschnappt werden konnte, sie und Joe in Sicherheit blieben und sie Antworten auf ihre Fragen bekommen würde.
"Sagen Sie mir, was in dem Schließfach ist, und ich sage Ihnen, wie wir den Fall lösen", entgegnete sie stur. Joe lief die Zeit weg. Das war ihm während des Frühstücks mit Ripley und den drei Agenten klar geworden. Nein, eigentlich war es ihm sofort klar gewesen, nachdem er diese verrückte Beziehung mit ihr angefangen hatte. Doch jetzt, nachdem ihr Flugzeug in St. Louis gelandet war, und sie mit Ripleys uraltem Ford Mustang zu ihrer Wohnung fuhren, hörte er das Ticken der Uhr besonders deutlich. Seine Zeit mit Ripley war fast abgelaufen. "Diamanten", flüsterte Ripley neben ihm, während sie den Scheibenwischer einstellte. Schwere graue Wolken hingen am Himmel, und obwohl es erst kurz nach Mittag war, wirkte es durch das Gewitter so, als wäre es schon Abend. Diamanten waren in dem Schließfach. Das hatte Miller ihnen schließlich erzählt. Vor zehn Monaten hatte jemand einen Juwelier in New York überfallen und war mit einer Tasche lupenreiner, ungeschliffener Diamanten entkommen. Dieser Jemand war Christine Bowman. Das Problem war, dass man nicht beweisen konnte, dass sich die unschätzbaren Steine in ihrem Besitz befanden, deshalb hatte man sie auch noch nicht verhaftet. Dann war Nicole Bennett auf der Bildfläche erschienen und hatte die Sache ins Rollen gebracht. Ripley hatte versprochen, den Agenten den Beweis der Verbindung von Christine zu den Diamanten zu liefern. "Glaubst du, dass sie uns die Wahrheit gesagt haben?" fragte Ripley Joe und sah zu ihm hin. "Vorsicht", sagte er und hielt sich fest. "Können wir darüber reden, wenn wir bei dir angekommen sind?" Es gefiel ihm weder in diesem alten Klapperkasten noch auf der glitschigen Straße. Ripley wedelte beruhigend mit der Hand. "Keine Angst. Außerdem fahren wir nicht zu mir. Noch nicht." Sie schaute ihn direkt an. "Und ich warte noch immer auf eine Antwort auf meine Frage." "Es ginge mir entschieden besser, wenn hier ein Seiten-Airbag wäre." Er sah sie an. "Und was meinst du damit, dass wir nicht zu deiner Wohnung fahren?" Sie lächelte. Er gab sich geschlagen. "Warum sollten sie uns nicht die Wahrheit gesagt haben?" "Ich weiß nicht. Nenn mich zynisch, aber alles, was mit diesem Fall zu tun hat, war irgendwie nicht das, was es schien." Alles? Joe überlegte, ob diese Bemerkung sich auch auf ihre Beziehung bezog. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Um noch einmal darauf zurückzukommen, dass wir nicht zu dir fahren ... " Der Plan, den Ripley mit Miller ausgearbeitet hatte, sah vor, dass sie nach St. Louis zurückkehrten, direkt in ihre Wohnung fuhren und darauf warteten, dass Christine sie kontaktierte. Sobald sie es tat, würde Ripley sich mit ihr an einem öffentlichen Platz verabreden. Dort sollte sie nach ihrem restlichen Lohn fragen
und ihr die Schatulle mit dem Schlüssel übergeben. Weder über den Kontakt zum FBI noch über ihr Wissen von Christines wahrer Identität sollte Ripley etwas verlauten lassen. Sie hatte einfach nur zu tun, was eine Privatdetektivin bei einem simplen Auftrag erledigt. Joe gefiel dieser ganze Plan überhaupt nicht. Er blickte über seine Schulter auf die Straße hinter ihnen. Bestimmt wurden sie von irgendwelchen Agenten verfolgt, doch er konnte sie beim besten Willen nicht ausmachen. "Weißt du, das wird dem FBI nicht gefallen." "Na und? Außerdem ist es nur ein Umweg von wenigen Minuten." "Und wohin führt der?" "In den Park." Inzwischen war Joe so weit, dass ihn nichts mehr überraschte. Wie immer blieb ihm nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. "Wir wissen zwar jetzt, was in dem Schließfach ist, aber noch immer nicht, wo es sich befindet", meinte Ripley. "Und wieso betrifft uns das?" "Ich möchte dabei sein, wenn Christine die Diamanten holt." Joe starrte sie fassungslos an. War sie völlig verrückt geworden? Sie hatten es hier mit einer Frau zu tun, die nicht zögerte, alle Leute umzubringen, die nicht kooperierten. Es war nicht auszudenken, was sie machen würde, wenn sie Ripley auch nur in der Nähe dieses Schließfaches erspähte. "Ich denke, man kann davon ausgehen, dass es hier in St. Louis ist", fuhr sie fort. "Miller hätte uns sonst nie gebeten zurückzukehren. Außerdem ist Christine von hier aus gestartet. Der einzige Grund, warum wir in Memphis gelandet sind, war…“ "Nicole Bennett." Joe wusste nicht so recht, was ihm mehr Sorgen bereitete. Dass er Ripley bereits so gut kannte, dass er ihre Sätze beendete, oder dass er zustimmend nickte. "Und wie willst du herausbekommen, wo sich das Schließfach befindet?" Er schaute wieder hinten aus dem Fenster. "Ich schätze, dass unsere Freunde misstrauisch werden, wenn wir anfangen, die Bahnhöfe abzuklappern." Er zeigte mit dem Daumen nach hinten. "Und wir haben gerade den Flughafen verlassen, ohne dort zu suchen." "Wie?" Ihr Lächeln ließ die Schmetterlinge in seinem Bauch flattern. "Du wirst schon sehen." "Ich habe befürchtet, dass du das sagen wirst.“ Einige Minuten später glaubte Joe zu wissen, von wem sie verfolgt wurden. Es war ein Kombi, der von einer Frau gefahren wurde. Es befand sich zwar ein leerer Kindersitz auf der Rückbank, doch der Mann auf dem Beifahrersitz wirkte ein wenig zu entspannt. Und als Ripley unvorhergesehen abbog, setzte sich der Typ sofort erschrocken auf. Kurz darauf parkte sie vor dem Park und schaute ihn an. "Ich denke, es ist besser, wenn du hier wartest."
"Auf keinen Fall." Sie hielt seinen Arm fest, als er aussteigen wollte. "Bitte, Joe." Wunderschöne Brüste und ein flehender Blick. Eine tödliche Kombination. Und zwei Dinge, denen er nichts entgegenzusetzen hatte. Jedenfalls nicht bei Ripley. "Okay", sagte er gegen seine Überzeugung. Er sah ihr hinterher, als sie ausstieg und in Richtung Park ging. Der Kombi fuhr langsam vorbei, und Joe hätte am liebsten resigniert die Hände gehoben. Als Ripley vor dem Park angehalten hatte, war das Gewitter weitergezogen, und es hatte aufgehört zu schütten. Allerdings war Joes Stirn so umwölkt gewesen, dass Ripley erstaunt war, dass es nicht im Wagen angefangen hatte zu regnen. Vermutlich würde sich sein Gesichtsausdruck in absehbarer Zeit nicht ändern. Nicht viele Menschen außerhalb des Parks wussten von ihrer Freundschaft zu Nelson Polk. Ihre Mutter wäre wahrscheinlich nicht erbaut gewesen, wenn Ripley ihn zum Essen mit nach Hause gebracht hätte. Ripley hatte sich daher damit begnügt, ihm ab und zu im nächsten Restaurant ein Essen zu spendieren. Es war nicht so, dass sie sich seiner schämte, doch sie wusste, dass andere Menschen die Beziehung zu diesem gut fünfzigjährigen gestrandeten Privatdetektiv, für den eine Flasche billigen Rotweins oft die gesamte Nahrung darstellte, nicht unbedingt verstehen würden. Es sah so aus, als hätte er heute ein wenig zu viel von dieser Nahrung zu sich genommen. „Nelson, ich möchte dich um einen Gefallen bitten." Einen riesigen Gefallen. Obwohl sie fürchtete, dass es äußerst schwierig werden würde, etwas von dem Mann zu bekommen, der schnarchend in seinem Stuhl lag. Ripley schaute unsicher zu ihrem Wagen und stellte sich dann so, dass sie Joe die Sicht auf Nelson versperrte, bevor sie sich neben ihren Freund hockte. "Oh bitte, tu mir das nicht an, Nelson", flüsterte sie. In diesem Moment war es schwierig, den betrunkenen, halb bewusstlosen Mann als denjenigen zu identifizieren, der ihr während ihrer Schachspiele so viele wertvolle Tipps gegeben hatte. Bisher hatte sie ihn noch nie so betrunken gesehen, und sie fragte sich, was dazu geführt haben mochte. Sie streckte die Hand aus und legte sie auf seine kalten Finger. "Ripley? Bist du das?" lallte er, ohne die Augen zu öffnen. Ihr Herz klopfte heftig. "Ja, Nelson, ich bin es." Er lächelte, so dass sein grauer Zweitagebart noch mehr hervortrat. "Dachte ich mir." „Nelson ... ich brauche deine Hilfe." Das Lächeln verschwand. "Hilfe. Eine Menge Leute wollen Hilfe dieser Tage. Leider gibt es so wenig davon."
Ripley sah ihn nachdenklich an und überlegte, wer ihn wohl noch um Hilfe gebeten haben könnte. "Ich glaube aber, diese Art von Hilfe ist genau dein Metier. Erinnerst du dich, dass ich dir von meinem ersten Fall erzählt habe?" Er öffnete die Augen einen Spaltbreit. "Hm." Sie lächelte übertrieben fröhlich. "Rate mal, wer ein paar Informationen braucht, die nur du geben kannst?" Eine ganze Zeit lang sagte er gar nichts. Aber seine Augen blieben halb geöffnet, und er schien Ripley lange und ausgiebig zu studieren. Oder konnte er mit offenen Augen schlafen? "So", meinte er schließlich und erschreckte sie, "deshalb hast du mich in letzter Zeit nicht besucht. Wegen dieses Falls." "Ich war in Memphis." Er versuchte sich aufzusetzen, doch was immer er getrunken haben mochte, machte es ihm unmöglich. "Nelson, wie wär's, wenn ich dir einen Kaffee spendiere?" Er grinste sie an. "Gute Idee." „Nelson, es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber ich fürchte, dass du die nächsten beiden Tage in einem Badezimmer verbringen solltest", meinte Ripley, als sie mit zwei extra großen Kaffeebechern an den Tisch trat und sie vor dem zittrigen älteren Mann abstellte. Dann setzte sie sich neben Joe. Das war der Mann, der Ripley dazu gebracht hatte, Privatdetektivin zu werden? Joe starrte erstaunt auf Nelsons knorrige Hände, mit denen er den Becher beiseite schob, den er gerade ausgetrunken hatte und nach dem nächsten griff. Joe rieb sich über den Nacken und schaute aus dem Fenster, wo der Kombi auf der anderen Straßenseite geparkt war, und die Agenten so taten, als würden sie einen Stadtplan lesen. Den könnte Joe jetzt auch gut gebrauchen - einen Plan, um seinen Weg aus diesem ganzen Chaos herauszufinden. "Wie geht es dir?" fragte Ripley. Joe schaute zu ihr, aber sie hatte nicht ihm die Frage gestellt. Stattdessen blickte sie besorgt zu Nelson Polk, anscheinend unberührt von dem unangenehmen Geruch, den er und seine ungewaschene Kleidung ausströmten. Polk nickte. "Besser. Zumindest weiß ich jetzt, dass ich dich nicht doppelt sehe, sondern dass der Typ neben dir ein Freund sein muss. Ripley lächelte. " Nelson, das ist Joe Pruitt. Er ist Schuhverkäufer.“ Nelson zog seine buschigen weißen Augenbrauen nach oben. "Ein Schuhverkäufer. Ein respektabler Job." "Ich denke, so kann man es ausdrücken." Joe verzog das Gesicht, hatte aber keine Lust, der Beschreibung zu widersprechen. Er war verdammt viel mehr als ein Schuhverkäufer. Zumindest war er das gewesen, bevor er eine entzückende, aber leider verrückte Ripley Logan getroffen hatte. Nelson trank schnell seinen zweiten Becher Kaffee aus, und langsam kam wieder Farbe in sein Gesicht. "Erzähl mir von deinem Fall, Ripley", meinte er, als er den dritten Becher an die Lippen hob.
Ripley schilderte ihm die Geschehnisse in Memphis. Als sie geendet hatte, sah Joe auf die Uhr. All das in fünf Minuten. Und wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass Polk nicht nur jedes Wort mitbekommen, sondern sogar alles verstanden hatte. Dabei hatte sogar Joe noch immer das Gefühl, nicht zu wissen, was hier vor sich ging. "Wo ist der Schlüssel?" fragte Polk. Ripley warf einen Blick aus dem Fenster zu dem Kombi auf der anderen Straßenseite. Sie griff in die Tasche ihrer Jeans, nahm den Schlüssel und ließ ihn unauffällig in Polks Hand gleiten. "Sei vorsichtig, dass unsere Freunde nichts merken", meinte sie. "Ich habe mich schon gefragt, wessen Freunde das sind. Einen Moment lang fürchtete ich, es wären meine", erwiderte Polk. Er legte ein wenig Kleingeld in seine Hand und tat dann so, als würde er das Geld für den Kaffee abzählen. "Da hast du dir ja einen richtig schweren ersten Fall ausgesucht, was?" Das Lächeln, das er ihr schenkte, war voller Gefühl, und jetzt, da er nicht mehr so aussah, als würde er gleich mit dem Kopf auf die Tischplatte knallen und wieder einschlafen, erkannte Joe, dass er clever war. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt. Ein obdachloser Colombo. Polk streckte Ripley die Hand hin und ließ den Inhalt in ihre gleiten. Es schien, als hätte er sich den Schlüssel kaum lange genug ansehen können, um etwas darüber sagen zu können. Deshalb war Joe umso überraschter über das, was Polk sagte: "Der Busbahnhof.“ Joe blinzelte. "Der Busbahnhof? Bist du sicher?" "Ganz sicher." Polk schlürfte gemächlich seinen Kaffee. "Was auch Sinn ergibt, wenn man den ganzen Betrieb dort in letzter Zeit in Betracht zieht." „Was für einen Betrieb?" fragte Joe. Ripley und Polk starrten ihn an. Er zuckte mit den Schultern und tat so, als wäre er die ganze Zeit in die Unterhaltung einbezogen gewesen. Polk zeigte heimlich zum Fenster. "Noch mehr von euren Freunden hängen dort herum. Brooklyn Bob hat sich schon darüber beschwert, dass man heute Morgen keine freien Bänke mehr bekam. Sie beobachten den Ort schon seit gut einem Monat, aber während der letzten Tage wurde es immer betriebsamer. " Ripley lehnte sich über den Tisch und gab Polk einen Kuss auf die Wange. Joe zuckte zusammen. Polk strahlte. "Du bist ein Schatz, Nelson." Kein Kommentar, dachte Joe.
12. KAPITEL Zwanzig Minuten später, nachdem sie Nelson ein reichhaltiges Mahl spendiert hatten, waren Ripley und Joe zu Ripleys Wohnung gefahren und parkten vor
ihrer Haustür ein. Der Kombi fuhr an ihnen vorbei, und die Fahrerin sah aus, als hätte sie keinerlei Sorgen. Zusätzliche Beamte waren inzwischen wahrscheinlich hier stationiert worden, um ein Auge auf Ripley zu halten. "Bereit?" fragte Ripley und schnappte sich eine alte Zeitung vom Rücksitz, um sich vor dem Regen zu schützen, der inzwischen wieder eingesetzt hatte. Bereit? Nein! Er war noch nicht bereit. Aber ihm blieb ja nichts anderes übrig. Also öffnete er die Wagentür und sprintete hinter Ripley her. Sie schloss die Haustür auf und schob ihn hastig hinein. Gleichzeitig grinste sie ein wenig verlegen. "Ich hatte eine schöne Wohnung in einem der neueren Vororte, aber ich dachte, eine Wohnung in der Stadt könnte ich gleichzeitig auch als Büro nutzen. Du weißt schon, bis ich mir ein richtiges Büro leisten kann." Sie entschuldigt sich dafür, wo sie lebt, erkannte Joe. "So schlimm ist es doch gar nicht", sagte er. "Du hast die Wohnung ja auch noch nicht gesehen." Darauf erwiderte er nichts, sondern folgte ihr die Treppen hinauf. Immer weiter nach oben. Jetzt wusste er, wie sie ihre tolle Figur behielt, obwohl sie Unmengen aß. Schließlich standen sie vor ihrer Wohnungstür, Ripley schloss auf und trat dann beiseite, um ihn einzulassen. Irgendwie wirkte die winzige Wohnung noch kleiner, jetzt wo Joe in der Mitte des Wohnzimmers stand. Ripley versuchte seinen Gesichtsausdruck zu deuten und schaute sich dann selbst noch einmal um. Die Möbel waren nicht schlecht. Sie hatte sie gekauft, als sie noch eine hübsche Eigentumswohnung etwas außerhalb der Stadt besessen hatte, und darüber machte sie sich keine Gedanken. Aber über die Wasserflecken an der Decke, die man selbst durch mehrmaliges Überstreichen nicht wegbekam. Und dann war da noch das angestoßene Spülbecken in der kleinen Küche. Der zerkratzte Fußboden, der von ihren Teppichen nicht ganz bedeckt wurde. Ripley legte Joe die Hände auf die Schultern. Er erschrak und drehte sich dann zu ihr um. Sie lachte nervös. "Sieht so aus, als müssten wir für eine Weile hier bleiben. Wie wär's, wenn du deine Jacke ausziehst? Außerdem tropft sie auf meinen Fußboden." "Oh." Hastig zog er sie aus und gab sie Ripley zum Aufhängen. Anschließend hörte sie ihren Anrufbeantworter ab. Es waren drei Nachrichten darauf. Zwei waren von ihrer Mutter, die sie zum Essen einlud. Nachricht Nummer drei bestand darin, dass sofort wieder auf gelegt wurde. Der Apparat zeigte an, dass der Anruf vor einer halben Stunde stattgefunden hatte. Ripley erschauderte und ging dann zum Fenster und spähte durch die Gardine. Dem Plan nach sollte sie in ihre Wohnung zurückkehren und darauf hoffen, dass Christine Bowman Kontakt mit ihr aufnahm, um an den Schlüssel zu kommen. Natürlich sollte Ripley nichts davon verlauten lassen, dass sie überhaupt von seiner Existenz wusste. Stattdessen sollte sie Christine die gesamte Schatulle geben. „Sind sie da draußen?" flüsterte Joe.
Sein Atem strich an ihrem Ohr entlang und ließ sie erzittern. Er sprach vom FBI. Man hatte versprochen, ihr Haus bewachen zu lassen, nur für den Fall, dass Christine beschloss, dasselbe mit ihr zu tun, was sie mit ihrer Matratze im Hotelzimmer gemacht hatte. Miller hatte ihr auch angeboten, Joe durch einen seiner Kollegen zu ersetzen. Doch das hatte Ripley abgelehnt. Bei Joe fühlte sie sich sicherer als mit hundert Agenten. "Ich sehe niemanden." Sie blieb am Fenster stehen, doch ihr Blick war eher nach innen gerichtet. Mit jeder Faser ihres Körpers war sie sich Joes Nähe bewusst, obwohl er sie nicht berührte. Irgendwie verhielt er sich ihr gegenüber seit gestern Abend distanziert. Er hatte nicht einmal mit ihr zusammen im Bett geschlafen, sondern auf dem Sofa gelegen, um sie, wie sie vermutete, notfalls beschützen zu können. Auch auf dem Flug hierher hatte er kaum ein Wort gesagt. Andererseits war sie ebenfalls so mit dem beschäftigt gewesen, was sie am Morgen erfahren hatte vor allem der Mord an dem Pfandhausbesitzer ließ sie immer wieder erschaudern -, dass sie wahrscheinlich selbst auch keine besonders anregende Gesellschaft gewesen war. "Was ist, wenn sie mich mit einer Waffe bedroht?" murmelte sie und meinte damit Christine. Endlich spürte sie, dass Joe sie berührte ... ausgerechnet an ihren Füßen. Er stand so, das sie sich an seine Schulter lehnen konnte, zog ihr die Schuhe aus und massierte ihre Fußsohlen. Ripley stöhnte wohlig. An diese Begeisterung, die Joe für ihre Füße entwickelte, könnte sie sich gewöhnen. Genau genommen konnte sie sich an Joe insgesamt gewöhnen. Egal, wo sie waren oder was gerade geschah, er brauchte sie nur zu berühren, und sämtliche Gedanken verschwanden aus ihrem Kopf. Zurück blieb lediglich ein unglaubliches Verlangen. Er beendete seine Fußmassage und stellte sich dann hinter sie. Mit der Hand umschlang er ihre Taille und zog sie an sich. "Ich werde bei dir sein." Sie legte die Hand auf seine und genoss das Gefühl seines Körpers an ihrem. "Irgendwie ist es kein schöner Gedanke, dass du in der Sache mit drinsteckst, aber ich danke dir trotzdem." Er strich mit den Lippen über ihr rechtes Ohr. "Wir müssen halt nur sicherstellen, dass sie keine Chance bekommt, einen Schuss abzufeuern. " Ripley schluckte trocken. "Bist du nervös?" fragte Joe. Sie nickte. "Gut. Das bedeutet, dass du auch nur ein Mensch bist." Sie drehte sich in seinen Armen um und schmiegte sich an ihn. Joes Blick wanderte über ihr Gesicht. "Du hast ja wirklich Angst." Einen Moment lang ruhten seine Hände auf ihrem Rücken, doch dann begann er sie zu streicheln, bevor er ihren Po umschloss. "Es gibt da ja etwas, womit wir uns beschäftigen könnten, bis sie anruft.
Ripley lächelte. "Ja." Allerdings war sie nicht sicher, ob sie wirklich bei der Sache wäre. Ihr Kopf war so mit Informationen voll gestopft, dass sie fürchtete, er würde gleich explodieren. Und ihre Nerven zum Zerreißen angespannt. Joe schob eine Hand auf ihre Brust, und Ripley stockte der Atem. Erstaunt stellte sie fest, dass sie sich mitten im größten Stress nach der Erlösung sehnte, die nur Joe ihr geben konnte. Sie drückte ihn noch fester an sich, so dass seine Hand zwischen ihnen gefangen war. Was hätte sie bloß getan, wenn sie in jener schicksalhaften Nacht nicht in sein Bett gestiegen wäre? Joe brachte sie zum Lachen, und manchmal machte er sie so wütend, dass sie hätte schreien können. Doch noch viel häufiger brachte er sie dazu, vor Lust zu stöhnen. Eine Veränderung hatte mit ihr stattgefunden, als sie ihren Beruf gewechselt hatte, doch erst als sie Joe Pruitt begegnet war, war diese Veränderung abgeschlossen. Er weckte Gefühle in ihr, die sie sich gar nicht zu analysieren traute. "Vielen Dank", flüsterte sie. "Wofür?" Sie bog sich nach hinten, um ihn ansehen zu können. "Oh, ich weiß nicht. Vielleicht dafür, dass du nichts gesagt hast, als ich mich bei dir im Bett versteckt habe. Oder dafür, dass du nicht Reißaus genommen hast, als du gemerkt hast, dass ich keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging. Dafür, dass du mit hierher gekommen bist, obwohl du mich ganz leicht auf dem Flughafen in Memphis hättest verlassen können." "Du tust so, als hätte ich eine Wahl gehabt", murmelte er. Sie versuchte einen Schritt von ihm wegzutreten, doch er hielt sie fest. „Du verstehst nicht, was ich meine, oder?" Sie starrte ihn fassungslos an, zu ängstlich nachzufragen, aus Angst, er könnte sagen, sie hätte ihn quasi gezwungen mitzukommen. Er fuhr ihr mit der Hand durchs Haar. "Du hast keine Ahnung, was ich für dich empfinde, nicht?" Sie blinzelte. Der Beweis seiner Gefühle presste sich hart an sie. Sie schmiegte sich an ihn und lächelte. "Oh, ich kann es mir denken." Seine Augen wurden dunkel, doch sie war nicht sicher, ob es nur an seinem Verlangen lag. "Das glaube ich nicht." Ernst sah er sie an. "Ich bin der Erste, der zugibt, dass ich lediglich an Sex gedacht habe, als du neulich in der Nacht in mein Hotelzimmer geschlichen kamst." Sanft strich er ihr über die Wange. "Dann habe ich dich kennen gelernt. Du hast mir Fragen gestellt, dich ich mich niemals getraut hätte, mir selbst zu stellen. Du hast mich gezwungen, mir mein Leben einmal genauer anzusehen, zu überlegen, was ich damit anstelle. Oder genauer gesagt, nicht anstelle." "Joe, ich ..." "Pst." Er legte einen Finger auf ihre Lippen. "Ich versuche gerade, ernst zu sein." "Das macht mir ja solche Angst." Er runzelte die Stirn.
Ripley senkte den Blick. "Es geschieht im Moment so viel ... Joe, ich weiß nicht einmal mehr, wo oben und unten ist.“ Eine ganze Weile starrte er sie an. "Dann sollte ich es dir vielleicht zeigen. " Er küsste sie mit einer Leidenschaft, dass sie vor Verlangen zitterte. Ihr Verstand rief Nein, während ihr Körper sich an ihn schmiegte und ihr Herz Ja schrie. "Wo ist das Schlafzimmer?" fragte er, während er mit der Hand unter ihre Bluse und ihren BH glitt und die aufgerichtete Knospe rieb. "Hinter dir. Nach links." Joe stieß die Tür auf, und Ripley griff nach seinem Gürtel. Im selben Augenblick hörten sie ein metallisches Klicken, das ihnen verriet, dass sie nicht allein waren. Ripley hatte sich noch nie so verraten und so hilflos gefühlt. Bei ihrer Besprechung mit dem FBI hatte sie es abgelehnt, ein Treffen mit Christine in ihrer Wohnung zu arrangieren, einfach aus dem Grund, weil es ihr nicht gefiel, wenn diese wusste, wo sie lebte. Was war, wenn etwas schief lief? Wenn das FBI Christine nicht auf frischer Tat mit den Diamanten erwischte, und sie davonkam? Wenn sie Ripley dafür verantwortlich machte, dass sie fast geschnappt worden wäre, und auf Rache aus war? Als Ripley jetzt mit auf dem Rücken gefesselten Händen neben Joe auf dem Küchenfußboden saß, machte das alles keinen Unterschied mehr. Christine war die ganze Zeit in ihrer Wohnung gewesen und hatte auf sie gewartet. Offensichtlich zufrieden mit ihrer Arbeit, zog Christine sich einen Stuhl heran, setzte sich und schaute zu ihnen hinab. "Wo ist die Schatulle?" fragte sie und sah Ripley an. Sie trug eine schwarze Lederhose, ein schwarzes Top und schwarze Lederhandschuhe. Ihr blondes Haar war zu einem Zopf geflochten, und die Waffe wirkte völlig normal in ihren Händen. Ripley räusperte sich. "Clarise, was soll das? Ich verstehe nicht …“ "Hören Sie auf mit dem Quatsch, Logan", erwiderte Christine seufzend. "Ich weiß, dass Sie hinter mir her sind. Ich weiß auch von Ihren neuen Freunden, die draußen vor Ihrer Wohnung warten." Ripley fand es interessant, dass alle das FBI als ihre Freunde bezeichneten, obwohl sie alles andere als das waren. Jeder gesetzestreue Freund, der sein Geld wert war, hätte sichergestellt, dass diese Frau niemals in ihre Wohnung hätte kommen können. "Wissen Sie, wenn Sie uns nicht vor dem Pfandhaus weggelaufen wären, hätten wir es wahrscheinlich niemals herausgefunden", meinte Joe. "Dann war da noch die Sache mit dem Telefon, das plötzlich nicht mehr ging", fügte Ripley hinzu. Christine hob eine Augenbraue. "Wem wollen Sie etwas vormachen? Keiner von euch hätte auch nur irgendetwas herausgefunden, wenn das FBI nicht gewesen wäre." Sie wedelte mit ihrer Waffe. "Die Schatulle."
Ripley hatte noch niemals jemanden schlagen wollen, doch sie verspürte den unglaublichen Drang, Christine einen Fausthieb auf ihren rot geschminkten Mund zu verpassen. Dann fiel ihr ein, dass sich der Schlüssel gar nicht in der Schatulle, sondern in ihrer Gesäßtasche befand. "Da hinten", meinte Ripley. "In dem Seesack neben der Tür." Christine stand auf und versuchte sie im Blick zu behalten, während sie zur Haustür ging und in Ripleys Seesack wühlte. Ripley dachte, dass Christine sie von dort, wo sie jetzt stand, glücklicherweise nicht ununterbrochen beobachten konnte. Mühsam bewegte Ripley ihre Hände und zog den Schließfachschlüssel aus ihrer Tasche. Vergeblich versuchte sie, mit der scharfen Kante des Schlüssels die Fesseln zu lösen, doch immerhin erreichte sie, dass sie sich durch die Bewegung lockerten. Als sie hörte, dass Christine die Schatulle gefunden hatte, steckte sie den Schlüssel hastig in Joes Hosentasche. Er starrte sie erstaunt an. "Wo ist der Schlüssel?" Christine erschien verärgert wieder in der Küchentür. "In meiner Tasche", erklärte Joe. "Links." Ripley schaute ihn finster an, beherzigte jedoch seine schweigende Botschaft, den Mund zu halten. Christine bedeutete Joe, sich nach vom zu beugen. Das tat er. Sie griff in seine Tasche, zog den Schlüssel heraus und bedeutete ihm mit der Waffe, wieder nach hinten zu rutschen. Das Grinsen, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, hätte attraktiv sein können. Wenn Ripley nicht genau gewusst hätte, dass sie eine Mörderin war. "Bingo. " Ripley schluckte. "Was ist mit meinem Honorar?" Christine starrte sie an, als spräche sie eine fremde Sprache. "Sie schulden mir noch Geld, egal, ob Sie Christine oder Clarise sind", sagte Ripley. "Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was es mich gekostet hat, diese Schatulle aufzutreiben?" Christine lachte so sehr, dass sie fast die Waffe fallen gelassen hätte, aber zu Ripleys Bedauern nur beinahe. "Oh, Sie sind unbezahlbar." Ripley öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als Christine plötzlich auf sie zutrat und ihr die Waffe gegen die Stirn hielt. Der erstickte Schrei, der die Küche erfüllte, kam definitiv aus Ripleys eigener Kehle. Joe rutschte sofort näher zu ihr. "Sie haben, was Sie wollten", stieß er hervor. "Warum verschwinden Sie jetzt nicht einfach, verdammt noch mal.“ Christine sah ihn an. „Wir sind gefesselt. Was glauben Sie, würden wir tun? Ihnen auf allen Vieren hinterher kriechen?" Sie schien sich das durch den Kopf gehen zu lassen, während Ripley das kühle Metall auf ihrer Haut spürte. Ein verrücktes Gebet schoss ihr durch den Kopf.
"Bitte, lass es nicht zu, dass sie mich erschießt und dadurch Joes schönes weißes Hemd schmutzig macht. Schließlich trat Christine einen Schritt zurück, und Ripley sackte unendlich erleichtert zusammen. "Sie haben Recht", sagte Christine. "Ich werde schon lange weg sein, bevor einer von euch die Chance hat, jemandem zu sagen, was hier passiert ist." Sie lächelte. "Außerdem schulde ich Ripley wohl etwas dafür, dass sie mir mein Eigentum zurückgebracht hat." "Heißt das, dass ich doch noch bezahlt werde?" Nicht einmal Ripley konnte glauben, dass sie diese Worte geäußert hatte, während Christine und Joe sie fassungslos ansahen. "Wissen Sie, in einem anderen Leben hätten wir beide Freundinnen werden können." Christine lachte, drehte sich um und war verschwunden. Ripley weigerte sich, dem unwiderstehlichen Drang nachzugeben, einfach die Augen zu schließen, und versuchte stattdessen, mit dem Geschehen fertig zu werden. Es kam ja nicht jeden Tag vor, dass man eine Waffe an den Kopf gehalten bekam, wenn man seinen Job gut gemacht hatte. Schließlich schüttelte sie sich, kam auf die Knie und schaffte es, sich von den Fesseln zu lösen. Hastig band sie auch Joe frei, bevor sie zum Telefon eilte und die Nummer, anrief, die Miller ihr gegeben hatte. "Christine Bowman hat den Schlüssel."
13. KAPITEL Joe gefiel das alles gar nicht. "Komm", drängte Ripley, stieg aus ihrem Auto aus und rannte über die Straße. Seit Christine Ripley diese verdammte Waffe an die Stirn gehalten hatte, war er kaum in der Lage gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Von einer Sekunde zur andern schien es, als sollte ihm alles Wichtige genommen werden. Sowohl die Erkenntnis, dass Ripley ihm so viel bedeutete, als auch die Angst, es ihr niemals mehr sagen zu können, hätte wohl auch den stärksten Mann umgehauen. Hinzu kam, dass Ripley trotz allem, was in ihrer Wohnung geschehen war, unbedingt zum Busbahnhof wollte, um zuzusehen, wie Christine geschnappt wurde. All das führte dazu, dass Joe wie in Trance agierte. Einerseits wünschte er sich, dass sie zugab, mehr für ihn zu empfinden als sexuelle Begierde. Andererseits hätte er sie am liebsten wieder gefesselt und in ihre Wohnung gesperrt, bis das hier alles vorbei war. Es goss in Strömen, als er Ripley jetzt über die Straße hinüber zum Busbahnhof folgte. Sie wartete vor dem Eingang auf ihn, eingehüllt in einen Trenchcoat, der sie tatsächlich aussehen ließ wie eine Privatdetektivin. Auf dem Kopf trug sie
eine Kappe, unter der sie ihre Haare versteckt hatte. Joes Verkleidung bestand aus einem T-Shirt von Ripley, das ihm zu klein war, und einer Baseballmütze. "Wollen wir nicht einfach wieder zu dir nach Hause fahren, uns eine Pizza bestellen und über die Sache hier morgen in der Zeitung lesen?" Sie warf ihm einen herablassenden Blick zu und ging hinein. Direkt an der Tür blieben sie stehen. Auf dem Busbahnhof wimmelte es von Leuten, so wie Polk gesagt hatte. Joe hielt den Kopf gesenkt, während er das düstere Innere des Busbahnhofs überblickte. Sogar Polk selbst hatte es sich auf einer der Bänke gemütlich gemacht. Ein kurzes Zwinkern war das einzige Zeichen, dass er sie bemerkt hatte. "Ich wusste, dass er sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen würde", meinte Ripley zu Joe und schlug den Kragen hoch. "Was zum Teufel tun Sie hier?" Ein Obdachloser war hinter ihnen aufgetaucht. Joe betrachtete ihn und stellte fest, dass er nicht so wie Polk roch. Dann erkannte er, dass es Agent Miller war. Er streckte die Hand aus und bat Joe um einen Dollar für einen Kaffee. Joe durchwühlte seine Taschen, während Ripley sich umsah. "Ich möchte ... nein, ich befehle Ihnen, sofort wieder von hier zu verschwinden", raunte Miller ihm zu. "Wenn Bowman Sie sieht, ist alles zu Ende, bevor es begonnen hat. " Joe sah hoffnungsvoll zu Ripley. Die Aussicht auf sie und eine Pizza wurde von Minute zu Minute reizvoller. "Niemals", flüsterte sie stur. "Ich will das bis zum Ende miterleben." "Ende ist hier das ausschlaggebende Wort, Miss Logan", erklärte Miller. "Ich weiß zwar nicht, wie Sie herausgefunden haben, wo sich das Schließfach befindet …“ Ripley strahlte ihn an. „ …aber ich möchte, dass Sie verschwinden. Sofort. Sonst muss ich dafür sorgen, dass man Sie hinausbringt." Joe drückte dem Agenten einen Dollar in die Hand, und Miller steckte ihn unverzüglich ein. Er wollte gerade noch etwas sagen, als ein anderer Mann, der ebenfalls aussah wie ein Obdachloser, ihm zuwinkte. Mit einem wütenden Blick auf Ripley ging Miller zu ihm hinüber. Eins musste Joe Miller und seinen Kollegen zugestehen, sie wirkten ziemlich überzeugend. Er konnte sie nicht von den echten Obdachlosen unterscheiden. Natürlich half ihnen auch der Regen. Bei schönem Wetter wäre es ein wenig schwierig gewesen, so viele Obdachlose an diesem Ort zu versammeln. "Sieht so aus, als hätte Polk die Nachricht weiterverbreitet, murmelte Joe und schob Ripley in Richtung Ticketschalter. "Zumindest wissen wir, dass Christine noch nicht aufgetaucht ist. Sonst wäre Miller nicht mehr hier." Joe verzog das Gesicht. Er konnte ihre Freude darüber nicht teilen. Er wusste auch gar nicht, was sie hier erreichen wollte. Doch die Tatsache, dass sie etwas tun wollte, unterstrich nur die Unterschiede zwischen ihnen. Irgendwie hatte er sich nie vorstellen können, jemals Kompromisse einzugehen, wenn er sich einmal verliebte. In seiner Vorstellung war es immer
genau umgekehrt gewesen. Er besaß schließlich eine erfolgreiche Firma und alles, was man sich wünschen konnte. Stattdessen stand plötzlich alles, was ihm lieb und teuer war, auf dem Spiel. Und das gefiel ihm gar nicht. Er kam sich vor wie auf einer endlosen Achterbahn, die immer schneller wurde und durch die Kurven und Loopings schoss, während er ängstlich den Haltegriff umklammerte. Jetzt wollte er nur noch, dass das verdammte Ding stehen blieb, damit er aussteigen konnte. Der Unterschied zwischen ihm und Ripley bestand darin, dass sie beim Achterbahnfahren die Hände freudig in die Luft warf und darauf bestand, dass die Fahrt immer weiterging. Das Schließfach befand sich auf der rechten Seite in der zweiten Reihe. Während Joe den Dollar für Miller heraussuchte, hatte Ripley sich schnell einen Überblick verschafft und war sich sicher, dass sie genau wusste, wer in diesem Gewühl wer war. Miller hatte sie sofort entdeckt, noch bevor er auf sie zugestürmt gekommen war. Er sah einfach zu gesund für einen Obdachlosen aus. Jetzt stand sie in der Nähe des Fahrkartenschalters und versuchte ihr Herzklopfen zu ignorieren. Angst und Aufregung waren eine sehr berauschende Mischung. Joe dagegen sah aus, als wollte er jeden Moment flüchten. Sie unterdrückte ein Lächeln. Er sah unheimlich sexy aus in dem zu engen TShirt und mit der Mütze. "Ich hole mir eine Zeitung", brummte Joe. Sie lächelte ihn an. "Ich komme gleich zu dir." Während sie ihm nachsah, musste sie sich ermahnen, ihren Blick von seinem niedlichen Po zu reißen und den Bahnhof noch einmal in Augenschein zu nehmen. "Ich dachte schon, er würde nie verschwinden", sagte eine Stimme neben ihr. "Nein, schauen Sie sich jetzt nicht um. Gehen Sie einfach zum Schalter und kaufen Sie zwei Tickets nach Detroit. " Christine Bowman. Ripley brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass sie es war. Man musste auch kein Genie sein, um sich auszurechnen, dass sie wahrscheinlich schon vor Ripley hier gewesen war, und dass keiner der Beamten sie identifiziert hatte. Typisch. Ripley hatte einfach zu viel Spaß gehabt. Irgendetwas musste ja schief gehen. Sie tat, was Christine von ihr verlangt hatte, und schaute sich dann zu der Frau um. Christine besaß die Frechheit, sie anzulächeln. "Ich wusste, dass Sie herkommen würden. So, und jetzt werden Sie ganz lässig und unauffällig zur Damentoilette gehen. Da rechts."
Christine sah aus wie ein Callgirl. Rote Lockenperücke, knallroter Lippenstift und ein hautenges rotes Kleid. Und eine kleine schwarze Handtasche, in der sich ganz offensichtlich die Waffe befand, mit der Ripley viel vertrauter war, als ihr lieb war. Trotz all der lüsternen Blicke, die Christine von sämtlichen anwesenden Männern erntete, schien keiner zu erkennen, dass es sich um Christine Bowman handelte. Verdammt. "Wissen Sie", meinte Christine, während sie zur Damentoilette gingen, "ich hatte keine Ahnung, wie ich an die Sachen im Schließfach herankommen sollte, bei dem riesigen Aufgebot von FBI- Männern." Sie stieß Ripley ihre Handtasche mit der Waffe in die Seite. "Dann sah ich Sie in dieser lächerlichen Verkleidung hereinkommen und wusste, dass ich gerettet war." Im Vorbeigehen lächelte Ripley Polk zu und versuchte, mit einem Nicken in Christines Richtung seine Aufmerksamkeit zu erregen, doch Polk schien viel mehr an Christines weiblichen Attributen interessiert zu sein. Die Tür zur Damentoilette schloss sich mit einem Klicken hinter ihnen. Christine stellte sicher, dass sich außer ihnen niemand in den Kabinen befand, und schob dann den Riegel vor die Eingangstür, der wahrscheinlich dazu da war, die Leute am Hereinkommen zu hindern, wenn saubergemacht wurde. "Ausziehen. " Ripley blinzelte. "Was?" Christine wedelte mit der Tasche. „Sie haben mich gehört. Ziehen, Sie sich aus. Die Unterwäsche können Sie anbehalten. Auf die kann ich verzichten." "Sehr großzügig", erwiderte Ripley sarkastisch. Sie schälte sich aus ihren Sachen und ärgerte sich darüber, dass sie Christine die Schuhe überlassen musste, die Joe ihr geschenkt hatte. "Sie werden hier niemals mit den Diamanten rauskommen", konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen. Christines Augenbrauen hoben sich, während sie ihre Handtasche weiter in Ripleys Richtung hielt und sich mit der anderen Hand das viele Make-up vom Gesicht wischte. "Sie wissen es also." "Ja. Und ich weiß auch, dass eine kluge Frau ein oder zwei Tage gewartet hätte, bis sich alles wieder ein wenig beruhigt hat, bevor sie sie sich holt." Christine nahm die Perücke vom Kopf. "Das habe ich mir vor zwei Monaten gesagt. Und Sie sehen ja, was es mir genützt hat." Nachdem sie sich das Kleid ausgezogen hatte, bückte sie sich, um einen Schuh aufzumachen. Ripley nutzte die Chance und schoss auf sie zu, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen und sich die Handtasche zu schnappen. Sofort richtete Christine sich auf und drückte Ripley die Waffe in den Bauch. "Ich wusste, dass Sie das tun würden. Zurück. Und ziehen Sie das Kleid an." Ripley starrte sie an. "Was?" "Na los." Christine schlüpfte in die Jeans, das T-Shirt und die Turnschuhe, während sie die ganze Zeit die Handtasche auf Ripley gerichtet hielt.
Kurz darauf hatten die beiden ihre Kleidung völlig ausgetauscht, und Ripley malte sich mit dem Lippenstift, den Christine ihr gegeben hatte, die Lippen an. Sie wandte den Kopf vor dem Spiegel. Sie sah gar nicht so schlecht aus als Rothaarige. "Kommen Sie", meinte Christine, bevor sie ihr den Schließfachschlüssel reichte und ihr noch einmal die Handtasche in die Seite stieß. "Würden Sie damit aufhören? Ich bekomme blaue Flecken." "Sie können froh sein, wenn das alles ist, was Sie bekommen. Und jetzt los." Sie öffnete die Tür und bedeutete Ripley vorauszugehen. "Ich möchte, dass Sie direkt zum Schließfach gehen. Verstanden?" "Das wäre wahrscheinlich alles viel einfacher gewesen, wenn Sie mir mein Honorar bezahlt hätten." "Gehen Sie." Ripley ging direkt zum Schließfach. Es wäre sinnlos, wenn sie versuchte, jemandem ein Zeichen zu geben. Man würde wahrscheinlich denken, sie suche einen Freier. Mit Ausnahme von Joe. Der würde doch bestimmt merken, dass Christine nicht Ripley war. Oder? Sie schaute hoch und sah, wie er gegen eine Wand lehnte und vorgab, die Zeitung zu lesen, während Agent Miller ihm etwas zuraunte - vermutlich irgendwelche Drohungen. Keiner von beiden schaute in ihre Richtung. Ripley sank der Mut. Sie erreichten die Schließfächer sehr viel schneller, als Ripley gedacht hatte, und ihr Herz begann noch schneller zu schlagen. Es sah gar nicht gut aus für sie. Ihr war klar, was Christine vorhatte, wenn sie die Diamanten erst einmal in der Hand hielt. Sie würde den Abzug ihrer Waffe ziehen und verschwinden. Ripley glaubte zwar nicht, dass es Christine gelingen würde zu entkommen, dagegen standen die Chancen gut, dass sie, Ripley, den Busbahnhof mit ein bisschen zusätzlichem Blei im Körper verlassen würde. "Aufmachen", flüsterte Christine, während sie Interesse für ein Schließfach oberhalb des bewussten Fachs vortäuschte. Sie legte ihren Lippenstift hinein und warf dann die Münzen ein, um den Schlüssel zu bekommen. Aus dem Augenwinkel sah Ripley, dass Miller von Joe wegtrat und sich näher wagte, wohl um zu sehen, was sie da trieb. Ripley steckte den Schlüssel ins Loch und öffnete die Tür. Wie vom Donner gerührt schaute sie in das Fach - es war leer! "Geben Sie sie mir!" zischte Christine, während sich ihnen eine Gruppe von Obdachlosen näherte. Voller Panik betrachtete Ripley die Gesichter der Männer und stellte erstaunt fest, dass es die echten Obdachlosen waren, die von Nelson angeführt wurden. Er zwinkerte ihr zu, und sie musste sich beherrschen, um nicht zu lächeln. "Kein Problem", sagte sie zu Christine. Mit Schwung riss Ripley die Schließfachtür ganz auf und rammte sie direkt in Christines Gesicht, während sie gleichzeitig nach der Handtasche griff.
Die Obdachlosen schwärmten von allen Seiten zu ihnen heran und hatten sie innerhalb von Sekunden umzingelt. Nelson versuchte, Ripley zu helfen. Endlich hatten auch die Agenten mitbekommen, was los war, und umkreisten die anderen, die Ripley und Christine umgaben. Fatal war nur, dass sie, im Gegensatz zu Nelson dachten, Ripley wäre Christine. "Das ist die Falsche", rief Nelson und zerrte einen Agenten von Ripley weg. Ripley umklammerte mit einer Hand Christines Handtasche und riss sich mit der anderen die Perücke vom Kopf. Die Agenten zögerten sichtlich verwirrt. Christine hatte sich wieder gefangen, entriss Ripley die Tasche mit der Waffe und schlug sie ihr hart auf den Kopf. Benommen taumelte Ripley rückwärts. In diesem Moment fürchtete sie, dass Christine fliehen könnte. Die Agenten hatten nicht aufgepasst, und der Weg zum Ausgang war völlig frei. Christine sprintete darauf zu. Und mit Ripleys Turnschuhen konnte sie es schaffen. Ripley stieß einen schrillen Schrei aus und warf sich geistesgegenwärtig auf die davonstürmende Christine, umklammerte ihre Beine und riss sie mit einem dumpfen Aufprall zu Boden. Sofort waren die Agenten da. Sie zogen Ripley auf die Füße, konfiszierten die Tasche mit der Waffe und legten Christine Handschellen an. Ripley, immer noch etwas außer Atem, ließ sich von Nelson zur Seite führen. "Woran hast du Christine erkannt?" wollte sie wissen. Er grinste sie an. "Ganz einfach. Ich kenne all die Huren, die hier arbeiten. Sie gehört nicht dazu." Ripley lachte. Er betrachtete sie. "Rot steht dir." "Das werde ich mir merken." Ripley wandte sich um und suchte Joe, doch dann fiel ihr Blick auf eine Gestalt, die im Schatten der gegenüberliegenden Tür stand. Für eine Sekunde trat sie aus dem Schatten heraus. Nicole Bennett. Verwirrt blinzelte Ripley, als Nicole ihr zulächelte. Dann war sie verschwunden.
14. KAPITEL Joe strich vorsichtig Salbe auf Ripleys aufgeschürfte Knie. Sie saß am Esstisch in ihrer Wohnung, und er musste sich beherrschen, nicht unter den Saum ihrer Shorts zu schauen, die sie nach dem Duschen angezogen hatte. Langsam zwang er sich, Ripleys endlosem Bericht über die Ereignisse des Abends wieder zuzuhören. "Ich wäre fast gestorben, als sie mir sagte, ich solle mich ausziehen", erzählte sie mit leuchtenden Augen. "Aber du wirst nie erraten, wen ich direkt nach Christines Verhaftung gesehen habe."
Joe verschloss die Tube wieder. "Wen?" fragte er eher gelangweilt. "Nicole Bennett.“ Das erregte nun doch sein Interesse, denn während des zweistündigen Verhörs durch Miller und seine Kollegen, in dem er und Ripley immer wieder berichten mussten, was geschehen war, hatte Ripley diese Information für sich behalten. Ihr Lächeln war keineswegs reumütig. "Verstehe ich das richtig? In all dem Chaos stand Nicole in einer Ecke und hat alles beobachtet?" "Genau." Ripley ging zum Kühlschrank und holte zwei Flaschen mit Kakao heraus. Sie reichte Joe eine. Er nahm sie, obwohl er sich nach etwas Stärkerem sehnte. Also brauchen wir uns wohl nicht mehr zu fragen, wer die Diamanten hat, oder?" Leider schien das FBI zu glauben, dass Joe und Ripley etwas mit den verschwundenen Diamanten zu tun hatten. Schließlich waren sie die ganze Zeit im Besitz des Schlüssels gewesen. Ripley zog Joe mit sich ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Lehne eines Sessels setzte, während sie sich aufs Sofa warf. "Es war alles eine Finte", meinte sie mehr zu sich selbst. Sie wandte sich zu ihm. "Die Fahrt nach Memphis, der Pfandhausbesitzer. Als Nicole Bennett den Job bei Christine angenommen hat, wusste sie genau, wonach sie suchte. Und ich vermute, dass sie die Diamanten geholt hat, fünf Minuten nachdem sie den Schlüssel hatte." „Aber warum diese ganzen Täuschungsmanöver?" "Ganz einfach. Sie wollte sicherstellen, dass Christine aus dem Weg war, sonst wäre die ihr ewig auf den Fersen geblieben." Nachdenklich runzelte Ripley die Stirn. "Sie muss gewusst haben, dass das FBI Christine beobachtete." Sie trank einen Schluck. "Ich weiß allerdings nicht, wie sie an die Diamanten herangekommen ist. Hat Miller nicht gesagt, dass sie den Busbahnhof schon seit längerem überwachen?" Je mehr sie redete, desto seltsamer fühlte Joe sich. Er konnte es nicht glauben, dass dies dieselbe Frau war, der man eine Waffe an die Stirn gepresst hatte, die sich hatte ausziehen müssen, während sie bedroht worden war, und die dann mit einer bewaffneten Frau gekämpft hatte - und das alles innerhalb von einer Stunde. Sie sah ihn erwartungsvoll an. Er seufzte. "Ich vermute, dass sie die Überwachung lockerten, als sich die Sache nach Memphis verlagerte. Es wird ihr nicht schwer gefallen sein, irgendeine Art von Ablenkung zu produzieren, sich die Diamanten zu schnappen und nach Memphis zurückzukehren." Ripley setzte sich auf. "Das stimmt. Nicole hat die Schatulle ja erst einen Tag später versetzt." Jetzt, da das Rätsel gelöst war, schien Ripley die Luft auszugehen. Joe selbst war schon auf dem Weg von Memphis nach St. Louis die Luft ausgegangen. Und nun, da keine Bedrohung mehr über ihnen schwebte, fühlte er sich noch merkwürdiger.
"Joe?" sagte Ripley ruhig. Als er aufsah und die Falte auf ihrer Stirn bemerkte, erkannte er, dass sie wohl schon mehrere Male seinen Namen gesagt hatte. "Ist alles in Ordnung?" "Es ist alles okay", erwiderte er. Doch sofort erkannte er, dass es eine Lüge war. Er stand auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Nein, offen gestanden ist nicht alles in Ordnung." Langsam drehte er sich zu Ripley herum und betrachtete ihr unvergleichliches Gesicht. Ein überwältigendes Verlangen durchströmte ihn. Am liebsten wäre er zu ihr gelaufen, hätte sie hochgehoben und ins Bett getragen. „Ich muss gehen." Joe hörte die Worte. Sah, wie Ripley zusammenzuckte. Unvorstellbar, dass er die Worte geäußert hatte. Aber sie schwebten in der Luft, und es gab keine Möglichkeit, sie zurückzunehmen. Langsam stellte Ripley die Flasche auf den Tisch, und der Schmerz auf ihrem Gesicht zerriss ihm fast das Herz. "Ich verstehe", sagte sie ruhig. Joe ging hinüber und holte seinen Koffer. „Tust du das? Ich verstehe nämlich gar nichts mehr." Sie stand auf, und fast hätte er abwehrend die Hände gehoben, aus Angst, dass er es nie bis zur Tür schaffen würde, wenn sie in seine Nähe kam. Doch er blieb nur stocksteif stehen, während sie auf ihn zukam. Sie sah aus, als wollte sie ihn umarmen, schien es sich dann anders zu überlegen, bevor sie schließlich doch die Arme um seinen Hals schlang und die Wange an seine Schulter legte. Joe schloss die Augen und schluckte. "Danke", flüsterte Ripley und presste ihre weichen Lippen auf seinen Hals. Joe stöhnte und konnte sich nicht länger zurückhalten. Er zog sie an sich und genoss mit jeder Faser seines Körpers ihre Nähe. Noch nie hatte er derartige Gefühle verspürt, so intensive, außer Kontrolle geratene Gefühle. Und sie erschreckten ihn mehr als die Waffe, mit der Christine herumgefuchtelt hatte. Plötzlich erkannte er, dass er immer eine gewisse Vorstellung von seinem zukünftigen Leben gehabt hatte. Und alles, was in den letzten Tagen passiert war, war sehr weit davon entfernt. "Wohin wirst du gehen?" fragte Ripley. "Nach Memphis, denke ich. Ich hole dort meinen Wagen ab." Und dann würde er versuchen, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Vielleicht würde er die Leute von ,Shoes Plus' anrufen und versuchen, sie zu besänftigen. Oder vielleicht würde er auch direkt nach Minneapolis fahren. Er hörte, wie sie tief Luft holte. "Du ... du könntest auch hier bleiben. " Joe stöhnte fast auf, als sie diese Worte flüsterte. "Du weißt schon, für heute Nacht. Du kannst doch auch erst morgen früh fahren."
Natürlich. Was hatte er denn erwartet? Dass sie ihn bat, für immer zu bleiben? Und was wäre, wenn sie es getan hätte? Wäre er geblieben? Joe wusste es nicht. Und das machte ihm erst richtig Angst. Irgendwie fand er die Kraft, Ripley von sich zu schieben. "Ich kann nicht." Er musste von hier weg ... sofort, bevor er sich wirklich zum Narren machte. In Ripleys großen braunen Augen schimmerten Tränen. Er wandte sich zur Tür. "Joe?" Er wappnete sich, drehte sich jedoch nicht um. "Werde ich dich wieder sehen?" Im Stillen fluchte er. "Das kommt darauf an." "Worauf?" "Ob ich mal geschäftlich nach St. Louis muss oder nicht." Er hasste es, diese Worte zu sagen, aber ihm fiel nichts anderes ein. Leise öffnete er die Tür und ging. Ripley starrte so lange auf die geschlossene Tür, dass ihr irgendwann die Augen schmerzten. Sie konnte nicht glauben, dass Joe sie tatsächlich verlassen hatte. Was war geschehen? Hatte sie etwas Falsches gesagt oder getan? Im Moment hatte sie das Gefühl, als könnte ihr das Herz wie ein Stein vor die Füße fallen. Wenn sie nicht vorsichtig war, würde sie darauf treten, so wie Joe es gerade getan hatte. War sie neuerdings ein wenig schwer von Begriff? Sie war so mit ihrem Fall beschäftigt gewesen, dass sie nicht eine Sekunde lang darüber nachgedacht hatte, was zwischen ihr und Joe geschah. Geistesabwesend fuhr sie sich mit der Hand übers Gesicht und stellte überrascht fest, dass es nass war von ihren Tränen. Sie erinnerte sich, dass er mit ihr hatte reden wollen, als sie vorhin in ihre Wohnung gekommen waren. Erinnerte sich an seinen ernsten Gesichtsausdruck. Was hatte er gedacht? Was hatte er ihr sagen wollen? Ripley wusste nicht, was schlimmer war. Dass sie es nicht wusste, oder dass sie es wohl niemals erfahren würde. Eins wusste sie jedoch mit Bestimmtheit. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich wirklich in einen Mann verliebt. Genauer gesagt, sie liebte ihn von ganzem Herzen. Sie hatte Dinge zu ihm gesagt wie noch zu keinem anderen Mann. Ganz zu schweigen von dem, was sie zusammen getan hatten. Ripley wartete darauf, sich dafür zu schämen. Doch alles, was sie spürte, war ein entsetzlicher Schmerz. War sie tatsächlich so kurzsichtig gewesen, dass sie nicht gemerkt hatte, dass sie Joe liebte? Oder war sie einfach nur zu ängstlich gewesen? Hatte sie ihren ganzen Mut in ihre Karriere gesteckt, so dass für die Liebe keiner mehr übrig blieb? Und sie wollte Detektivin sein? Okay, sie hatte den Bowman-Fall gelöst. Aber was ihr Privatleben anging, konnte sie nicht einmal den Unterschied zwischen
gutem Sex und wahrer Liebe erkennen. Und sie hatte gerade zugelassen, dass das Beste, was ihr je geschehen war, sie verlassen hatte. Plötzlich fiel ihr ein, was Polk einmal zu ihr gesagt hatte. Dass er nie eine Frau getroffen hatte, die seinem Ideal entsprach. Sie bezweifelte das. Je mehr sie darüber nachdachte, desto überzeugter war sie, dass es Unsinn war. Wahrscheinlich hatte er seine ganze Zeit in seinen Job investiert und gar nicht darauf geachtet, was sich direkt vor seiner Nase befand. Und jetzt hatte sie den gleichen verdammten Fehler gemacht.
15. KAPITEL Zwei Monate später lehnte Ripley sich in ihrem zerkratzten Bürostuhl zurück und hob die Füße, um sie auf den Schreibtisch zu legen. Der Stuhl war jedoch so wacklig, dass sie fast gefallen wäre. Hastig griff sie nach der Schreibtischkante und setzte sich wieder auf. Zu allem Überfluss beobachtete ihr Mentor Nelson Polk sie von der anderen Seite des gemieteten Büros aus mit amüsiertem Blick. "Sei vorsichtig. Du hast noch keine Unfallversicherung, und du hast dieses Büro gerade erst eröffnet. Es wäre doch schade, es wieder schließen zu müssen." Ripley lehnte sich vorsichtig zurück und verschränkte die Hände über dem Bauch. Sie trug Jeans und ein T-Shirt, doch das Wichtigste war, wie sie sich fühlte. Und sie fühlte sich inzwischen durch und durch als Privatdetektivin. Ihre Träume waren wahr geworden. Na ja, fast. Sie hatte ja nicht gewusst, dass sie sich noch etwas anderes erträumte. Ein unscharfes Foto aus der "St. Louis Times and Tribune" stach ihr ins Auge. Es war ein Schnappschuss von ihr und Joe, als sie aus dem Busbahnhof gekommen waren. Das Bild versetzte ihr einen Stich ins Herz. Okay, die Dinge hatten sich nicht ganz so entwickelt, wie sie es gern gehabt hätte. Sie hatte den Job gewonnen, aber den Mann verloren. Immerhin war sie für eine Weile mit ihm zusammen gewesen, das war mehr, als eine Frau wie sie erwarten konnte, oder? Sie verzog das Gesicht. Was war sie doch für eine Jammerliese! Genau so hätte die alte Ripley gedacht. Die Ripley, die über ihr mieses Leben als Sekretärin gejammert hatte. Eine Frau, die kein besonders aufregendes Liebesleben hatte, weil sie keins erwartete. Jetzt verlangte sie mehr. In ihrem Beruf hatte sie das auch umgesetzt. Was ihr Privatleben anging, war sie bisher nicht so mutig gewesen, aber das würde sie auch noch ändern. Sie räusperte sich und sah Nelson zu, der einen Aktenschrank reparierte. Seitdem Joe gegangen war, hatte sie sich mehr und mehr auf Nelson verlassen. Zum Glück hatte sie ihn nie wieder in dem schlimmen Zustand gesehen wie an jenem Tag, als sie ihn hatte ausnüchtern müssen und er ihr gesagt hatte, wo sich
das Schließfach befand. Inzwischen vermutete sie sogar, dass er dem Alkohol seit ein paar Wochen ganz abgeschworen hatte. Ripley war nicht ganz sicher, was ihn dazu bewogen hatte, sich an jenem Nachmittag so zu betrinken, aber sie vermutete, dass der junge Mann, mit dem sie ihn neulich gesehen hatte, etwas damit zu tun hatte. Vielleicht war es sein Sohn? Nelson hatte nur einen, und nach dem, was er ihr erzählt hatte, hatte er den Jungen seit seinem dritten Lebensjahr nicht mehr gesehen. Sein Auftauchen nach so langer Zeit hätte auch jeden anderen aus der Bahn geworfen. Aber die Begegnung schien auch der Auslöser für Nelsons Neuanfang gewesen zu sein. Natürlich hatte auch der Bowman-Fall zu Nelsons Wandlung beigetragen. Auf dem Busbahnhof, als er geholfen hatte, Christine zu verhaften, hatte sie Polk so lebendig wie nie erlebt. Und dann zeigten sich Tag für Tag neue Veränderungen. Verschwunden waren die abgerissenen, schmutzigen Kleidungsstücke, ersetzt durch neue Sachen, die sie mit ihm zusammen von dem Geld eingekauft hatte, das er auf einem Sparbuch angelegt, aber nie angetastet hatte. Er war beim Friseur gewesen, hatte sich jeden Tag rasiert und war in eine Pension gezogen. Ripley hatte gedacht, sie würde Nelson einen Gefallen tun, als sie ihn eingestellt hatte, doch in Wahrheit war es umgekehrt. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie sie mit den vielen Klienten fertig werden sollte, die sie engagieren wollten, nachdem die Presse so ausführlich über ihre Beteiligung im BowmanFall berichtet hatte. Inzwischen musste sie schon Leute abweisen. "Nelson?" "Hm?" Ripley starrte auf die Akten vor sich. "Ich frage mich nur, ob du es bedauerst, deinem Privatleben nicht genauso viel Aufmerksamkeit gewidmet zu haben wie deinem Beruf als Privatdetektiv?" „Täglich aufs Neue." Sie nickte. Dann öffnete sie geistesabwesend die Akte vor sich. Ein Bild von Joe Pruitt sprang ihr geradewegs ins Auge. Nein, sie hatte ihn noch nicht ganz aus ihrem Leben verbannt. Er war zwar nicht mehr da, aber sie hatte sämtliche Informationen über den Basketballspieler, der zum Unternehmer geworden war, gesammelt. Sie schämte sich immer noch entsetzlich, wenn sie daran dachte, dass sie ihn als Schuhverkäufer bezeichnet hatte. Ripley drehte das Werbefoto um, das sie bekommen hatte, nachdem sie seine PR-Abteilung kontaktiert hatte, und schaute sich die verschiedenen Zeitungsausschnitte an, die sie gesammelt hatte. Aufnahmen mit Sportlern, die sogar sie erkannte, Bilder von Wohltätigkeitsveranstaltungen, die er selbst initiiert hatte. Es war ein unbekannter Mann, der ihr da entgegenschaute. Okay, er sah genauso aus wie Joe, aber der Joe, den sie kannte, hätte nicht verschiedener von diesem Mann sein können. Sie blätterte um und schaute auf den letzten Zeitungsartikel, den sie ausgeschnitten hatte, bevor sie mit diesem Unsinn vor einem Monat aufgehört hatte. Er war aus den Gesellschaftsnachrichten von Minneapolis und zeigte Joe
mit einer hübschen Brünetten auf irgendeiner Veranstaltung. Es war ein formeller Anlass gewesen, denn Joe trug einen Smoking und die Frau ein glitzerndes Kleid. Der Kolumnist schrieb, dass wohl bald die Hochzeitsglocken für das Paar läuten würden. Ripley hoffte, dass damit endlich ihre Sehnsucht nach einem Mann, den sie sich hatte durch die Finger schlüpfen lassen, ein Ende haben würde. "Geh zu ihm." Sie blinzelte und starrte dann zu Nelson. Er hatte den Aktenschrank fertig repariert und stellte gerade eine Pflanze obenauf. "Was?" Er grinste, und sie wusste, er würde es nicht noch einmal wiederholen. Sie wussten beide, dass sie ihn ganz genau verstanden hatte. "Post." Nelson öffnete die Tür und nahm dem Postboten die Briefe ab, bevor er sie Ripley reichte. Es war ein kleiner Stapel, denn sie hatte ihr Büro erst seit einem Monat. Wasserrechnung, Gasrechnung, Telefonrechnung, ein Brief von den Bahamas ... Sie drehte den Umschlag hin und her. Keinerlei Hinweis, von wem der Brief war, doch er war eindeutig an sie adressiert. "Was ist das?" wollte Nelson wissen. Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung." Nachdem sie einen Brieföffner aus der Schublade gezogen hatte, schlitzte sie den Umschlag auf, drehte ihn herum und sah zu, wie ein gelbes Stück Papier in der Größe des Umschlags langsam auf ihren Schreibtisch flatterte. Ripley beugte sich vor. Es war ein Scheck über zehntausend Dollar. Fast hätte sie sich verschluckt. "Na, das ist ja ein hübsches Sümmchen", meinte Nelson. "Ja. " Die Frage war, woher kam es? Sie hatte fast Angst, den Scheck zu berühren. Schon allein ihn anzusehen kam ihr irgendwie gesetzeswidrig vor. Behutsam schob sie den Brieföffner unter eine Ecke des Schecks und drehte ihn um. Die Initialen NB waren zusammen mit einem Smiley direkt in die Mitte gemalt. Nicole Bennett. "Oh, sie hat die Diamanten." "Was? Wer?" Ripley starrte zu Nelson. "Nicole Bennett." Polk grinste, und setzte sich auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch. "Schlaues Mädchen." Ripley blinzelte. Das war die Untertreibung des Jahres. Die Frau hatte sie alle gegeneinander ausgespielt und war am Ende mit der Beute entkommen. Ripley lehnte sich zurück. "Was soll ich damit machen?" "Was meinst du damit? Einlösen, natürlich." Er grinste sie an. "Und mir eine Gehaltserhöhung geben." „Aber es ist blutiges Geld." "Blut, das du nicht vergossen hast und auch Nicole Bennett nicht. Alle Diebe sollten so schlau sein wie sie. Verbrechen ohne Opfer."
„Auf keinen Fall kann ich diesen Scheck einlösen." Ripley schüttelte den Kopf. "Nimm das Geld, Ripley. Du hast es dir verdient." Ihr stockte der Atem, als ihr Blick zu dem Mann in der Eingangstür flog, der diese Worte geäußert hatte. Weder sie noch Nelson hatten ihn hereinkommen hören. "Wie geht es Ihnen, Joe?" Nelson stand auf, ging auf den fantastisch aussehenden Mann mit den Turnschuhen zu und schüttelte ihm die Hand. Joes Blick wanderte von Ripley zu dem älteren Mann. Er blinzelte. „Nelson Polk?" "Genau der." Polk schaute zu Ripley. "Ich denke, ich muss ... äh, noch ein paar Besorgungen machen." "Besorgungen ... sicher", erwiderte Ripley matt. Die Tür schloss sich hinter ihm, und aus dem Augenwinkel sah sie durch die Glasscheibe, wie er ihr bedeutete, sie solle gefälligst etwas tun. Schließlich hob er resigniert die Hände und ging weg. "Hallo", sagte sie schließlich. Joes Lächeln nahm ihr fast den Atem, als er zum Schreibtisch geschlendert kam. "Du solltest das Geld wirklich nehmen." Langsam erwachte Ripley wieder aus ihrer Trance. "Schließlich hast du den Rest deines Honorars nie bekommen." "Ja, aber es wäre niemals so viel gewesen." "Dann betrachte es als Bonus." Ihr kam eine Idee. "Du ... du steckst nicht zufällig dahinter, oder?" "Ich?" Er schien zu verstehen, was sie andeuten wollte. "Himmel, nein!" Also hatte Nicole ihr wirklich den Scheck geschickt. Und Joe Pruitt stand vor ihr und sah noch umwerfender aus als je zuvor. Sie betrachtete ihn genauer. Verschwunden waren das weiße Hemd, die Krawatte und die Anzughosen. Stattdessen trug er eine graue Trainingshose und ein blaues T-Shirt, das seine Augenfarbe noch unterstrich. "Du bist doch wohl nicht den ganzen Weg von Minneapolis hierher gejoggt, oder?" Sein Lachen richtete merkwürdige Dinge in ihrem Inneren an. "Nein." Er sah sich im Büro um, bis sein Blick schließlich auf ihrem Schreibtisch verharrte. Es dauerte einen Moment, bis Ripley erkannte, dass er auf den Ordner schaute, den sie über ihn angelegt hatte. Sie schloss ihn abrupt und stopfte ihn in eine Schublade. "Nur ein paar..." Was sollte sie sagen? Sie wussten beide, was es für ein Ordner war. Sein Lächeln wurde noch breiter. "Offen gestanden lebe ich jetzt in St. Louis." Vor Überraschung stockte Ripley der Atem. "Was? Wie? Seit wann?" Er deutete zu der Schublade. "Wenn du mit deinen Informationen weiterhin auf dem Laufenden geblieben wärst, dann wüsstest du, dass ich vor einem Monat hergezogen bin." Er räusperte sich. "Ungefähr zur selben Zeit, als du dein Büro aufgemacht hast."
Joe wusste, dass sie ihr eigenes Büro eröffnet hatte? Er war nach St. Louis gezogen? Und er hatte sich nicht mit ihr in Verbindung gesetzt? " Du bist verwirrt. "Ja, bin ich. Warum hast du dich nicht schon früher bei mir gemeldet?" Sein Lächeln verschwand, und der ernste Gesichtsausdruck, den sie fürchten gelernt hatte, tauchte auf. "Ich könnte dich fragen, warum du nicht zu mir nach Minneapolis gekommen bist." "Wenn du gefragt hättest, dann hätte ich es dir gesagt. Weil ich ein Feigling bin." Joe sah sie so eindringlich an, als wäre das genau das gewesen, was er hätte hören wollen. "Ehrlich gesagt, bin ich aus einem bestimmten Grund heute hier." "Ja?" Er nickte. "Weißt du, ich möchte dich gern engagieren, damit du mir hilfst, jemanden zu finden." "Ich verstehe." Ripley versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie hatte gedacht, er wäre ihretwegen hereingekommen. "Wen?" "Mich." Langsam sah sie auf. Unruhig trat Joe von einem Fuß auf den anderen. "Na ja, da ist dieser Mann, den ich mal kannte." Er senkte seine Stimme. "Dieser Mann ... wir werden ihn Joe nennen. Und Joe, na ja, der war eigentlich ganz zufrieden mit seinem Leben. Er hatte eine erfolgreiche Firma aufgebaut und genoss im Grunde alles, was er hatte - was, vom materiellen Standpunkt aus gesehen, eine Menge war." Sein Blick schweifte umher. "Dann traf er eines Tages diese Frau." Endlich sah er sie an. "Lass sie uns Ripley nennen." Ihr Herz machte einen Sprung. "Und sie ... nun, sie hat alles auf den Kopf gestellt. Und sie ließ Joe erkennen, dass er niemals richtig zufrieden gewesen war. Durch sie wurde ihm klar, dass sein Leben in eingefahrenen Bahnen verlief. Eines Tages fragte Ripley ihn, was er am liebsten tun würde, wenn er die Wahl hätte. Joe antwortete ihr nicht. Denn sonst hätte er eine Tür aufstoßen müssen, die vielleicht etwas aufgedeckt hätte, was er im Grunde gar nicht wissen wollte. Dann hat Joe sie verlassen, obwohl es ihm fast das Herz brach. Er dachte, sobald er sich wieder in die Routine einfügte, käme alles wieder in Ordnung. Dann brauchte er über diese Frage nicht nachzudenken und auch nicht über diese wunderbare Frau. Das einzige Problem war, dass es kein Zurück mehr gab. Sosehr Joe es auch versuchte, aber er konnte Ripley nicht vergessen. Es hat einen Monat gedauert, bis er merkte, dass es völlig sinnlos war, es zu versuchen. Er ist ein Sturkopf, dieser Joe.“ Ripley starrte ihn fassungslos an. "Also ernannte Joe seine Sekretärin zur Geschäftsführerin seiner Firma und beantwortete nicht nur die Frage, die Ripley ihm einmal gestellt hatte, sondern
handelte auch entsprechend. Er ist jetzt Assistenz-Basketballtrainer an der Universität von St. Louis." Ripley wusste nicht, was sie sagen sollte. Also schwieg sie. "Und jetzt würde Joe gerne wissen, was Ripley von all dem hält." Was fühlte sie? Ripley befragte ihr Herz und ihren Verstand. Sie kam sich vor wie die wichtigste Frau auf der ganzen Welt, weil dieser Mann sie wollte. Anscheinend hatte sie doch nicht alles vermasselt, wenn er zu ihr zurückkam. Dann schoss sie von ihrem Stuhl hoch und warf sich in Joes Arme, bevor sie ihn küsste, bis sie beide nach Atem rangen. Er schmeckte nach frischer Luft, Schweiß und dem Mann, den sie liebte. „Also, was sagst du?" fragte er und strich mit dem Daumen über ihre Unterlippe. "Ich kann dir versprechen, dass es dir niemals in deinem Leben mehr an Schuhen mangeln wird." Sie schaute in sein geliebtes Gesicht und überlegte, ob sie schon jemals einen Menschen so sehr vermisst hatte. "Joe, meine Füße gehören dir. Du kannst mit ihnen tun, was du willst. Aber wenn du versuchen solltest, einen Ehering über meinen Zeh, statt über meinen Finger zu streifen, dann bekommst du Ärger." "Mit deinen Zehen habe ich andere Dinge vor", meinte er mit einem aufreizenden Lächeln. "Und wenigstens dieses eine Mal möchte ich das letzte Wort behalten." Kurz bevor er sie mit einem seiner atemberaubenden Küsse zum Schweigen brachte, murmelte sie: "Niemals." - ENDE -