Arabische Märchen
Erster Band
Herausgegeben und übertragen von
Max Weisweiler
EUGEN DIEDERICHS VERLAG
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Arabische Märchen
Erster Band
Herausgegeben und übertragen von
Max Weisweiler
EUGEN DIEDERICHS VERLAG
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
ARABISCHE MÄRCHEN
hrsg. u. übertr. von Max Weisweiler
München: Diederichs, 1991
(Die Märchen der Weltliteratur)
NE: Weisweiler, Max [Hrsg.]
Bd. 1. (23. Tsd.)
ISBN 3-424-01040-5
(Kassettenausgabe)
23. Tausend 1991
© Eugen Diederichs Verlag, München 1965
Alle Rechte vorbehalten
Einbandentwurf: Ute Dissmann, München
Produktion: Tillmann Roeder, München
Gesamtherstellung: Wiener Verlag, Himberg
ISBN 3-424-01040-5
Printed in Austria
1. Die Geschichte von dem König der beiden Ströme
Saihūn und Dschaihūn, seinem Sohn Kaukab
und seinen Erlebnissen mit dem Kämmerer Ghasb
Eine erstaunliche Geschichte zu nächtlicher Kurzweil oder wie sich Leid in Freude wandelte
I
n den Geschichten der Volker aus uralten und längst vergangenen Tagen wird folgendes erzählt – aber Gott weiß es am besten, er ist weiser, mächtiger und edler als alle. Im übrigen ist die Geschichte dem Verstand derer angemessen, die begreifen und die Gnaden schenken und erbitten: Es war einmal ein großer König, reich an Macht und Herrlichkeit. Seine Untertanen leisteten ihm Gefolgschaft, und er überhäufte sie mit Wohltaten. Sein Name war al-Fulk. Von hohem Wuchs und starker Kraft, packte er die wilden Tiere mit eigener Hand, und sein Ruhm ging durch die Lande. Die Löwen hatte er in ihrem Dickicht bezwungen und die Könige bei ihren Angriffen erstarren lassen. Dieser König hatte einen Knecht namens Farah, den der Vater des Königs zusammen mit ihm hatte aufwachsen lassen. Als ihm sein Land zu groß wurde, gedachte er wohlmeinend seines Knechtes, übertrug ihm die Gewalt über die Hälfte seines Landes, und jener übte hinfort die Herrschaft über die Untertanen daselbst aus. So regierte der König über ein Land mit Namen Saihūn, während er den Knecht zum König von Dschaihūn und Um gebung gemacht hatte. Land und Leute waren ihnen Untertan. Sie hatten keinen Feind zu fürchten, und Blut brauchten sie nicht zu vergießen, lebten vielmehr in Frieden und Freude und aßen und tranken ohne Sorge. Im übrigen spendete der König mit freigebiger Hand Geschenke und Gaben, Ehrengewänder und andere Beweise seiner Huld. 5
Während der König eines Tages mit seinen Soldaten außerhalb der Hauptstadt des Weges zog, erschien auf einmal ein Drome darreiter. Als die Soldaten ihn erblickten, nahmen sie in zwei Reihen Aufstellung, indem sie ihn scharf beobachteten. Plötzlich stieg er ab, sprang von seinem Dromedar herunter und ging zu Fuß weiter, bis er in der Nähe des Königs war. (Er grüßte den König, küßte den Boden vor ihm und berichtete ihm dann, daß vom Wasser her ein Angriff auf die Stadt erfolgt, aber abge schlagen worden sei, ohne daß man wisse, wer der Angreifer sei.) Als der König seine Worte hörte, sprach er: Wie konnte der Hund nur das Festland erreichen?« Da fragte der Wesir: »Wer mag dies wohl gewesen sein, hoher Herr?« Der König erwiderte: »Der Kämmerer (Ghasb könnte es gewesen sein; doch der An greifer hat inzwischen das Weite gesucht.)« Da sagte der Wesir: »So ist es gut für die Hauptstadt.« Nachdem der König seine Worte gehört hatte, sprach er: »Er hat sich in Sicherheit gebracht. Beim Herrn der Kaaba, es gibt keinen, der ihn noch einholen könnte.« Im übrigen verbarg er seine Gedanken vor dem Wesir, und dieser kam nicht mehr darauf zurück. (Während der König nun in die Hauptstadt zurückkehrte, setzte sein Sohn in Beglei tung des Wesirs den Zug fort.) Sie führten dabei Tauben mit. Jedes Mal, wenn sie irgendwohin kamen, schrieb der Wesir einen Brief und schickte ihn mit den Vögeln fort, so daß der König von ihm Dinge erfuhr, die kein anderer wußte. Soweit die Ereignisse beim König. Der Befehlshaber der Festung, zu der sie in Kürze gelangten, kam von der Burg herunter und küßte den Boden vor dem Königssohn. Er schickte Lebensmittel und stellte ihm Vorräte aller Art zur Verfügung. Der Königssohn machte ihm seinerseits Geschenke und erwies ihm seine Huld. Er ließ sich unterhalb der Burg nieder, um auf die Jagd zu gehen, als ein mächtiger und hochgeehrter Fürst. Dabei wurden die Vögel in ihren Käfigen von Ort zu Ort hinter den Leuten hergetragen und jeden Morgen ausgeschickt. Inzwischen war der König daheim guter Dinge. (Der Sterndeuter hatte ihm zwar angekündigt, daß sein Sohn eine gefahrvolle Zeit erleben werde), doch konnte dies dem König und der Mutter seines Sohnes die Zeit des Wartens nicht 6
vergällen, weil die Ankündigung des Sterndeuters bereits weit zurücklag. Eines Tages sagte der Königssohn zu seinen Gefährten: »Ver sorgt euch mit Pferdefutter für drei Tage, auf daß wir einen großen Ring bilden und eine Treibjagd veranstalten. Nach der Rückkehr brechen wir dann die Zelte ab; denn die Hauptstadt ist inzwischen recht weit von uns entfernt.« Zum Wesir sagte er: »Du brauchst nicht mit uns zu kommen, sondern du bleibst als letzter hier.« Dann machte er sich in Begleitung des Befehls habers der Burg ohne Gepäck auf den Weg. Nachdem er zwei volle Tage geritten war, gelangte er plötzlich in eine Ebene, die flach wie eine Hand und so reich an Wild war, daß es gleichsam aufeinanderhockte. Nun wandte sich der Königssohn um und ließ sich die rühmlich erwähnte (?) Stute zuführen. Nachdem er ihre Sattelgurte so fest geschnallt hatte, daß ihre Flanken dünn erschienen, bestieg er sie. Dann gab er ihr dermaßen die Sporen, daß sie in ihre Weichen eindrangen, und ließ die Zügel schießen, worauf sie wie ein blendender Blitz unter ihm davonsprengte, bis sie schließlich auf einen hohen Berg kam und von dort wieder in die Wüste hinunterjagte, während der Jüngling annahm, die Soldaten seien hinter ihm. Schließlich kam sie zu einer Stelle, wo Wasser war. Sie watete hinein und schritt hindurch. Als er ihr wieder die Sporen gab, spitzte sie die Ohren, schnaubte mit den Nüstern und bäumte sich derartig auf den Hinterbeinen auf, daß ihre Ellbogen sichtbar wurden. Er schlug ihr mit der Peitsche auf die Kruppe, doch da gewahrte er plötzlich vor ihr einen Löwen. Er zückte sein Schwert, ging auf ihn los und versetzte ihm einen Hieb auf die Stirn. Als er das Schwert wieder hob, funkelte es von dem Blut des Löwen. Danach trug sie ihn weiter und setzte ihren Lauf ohne Unterbrechung fort bis zum Sonnenuntergang. Nun stieg er an einem Berge ab und sprach: »Mein Vater und der Sterndeuter haben mit ihren Worten doch recht gehabt, und ich werde ohne Zweifel umkommen.« Es tat ihm leid, daß er sich so abgemüht hatte, und er empfand Reue, wo Reue nichts mehr nützt. Nachdem er die Stute freigelassen hatte, begann sie um herzugehen, wieder zu ihm zu kommen und dann zu weiden. Dies tat sie immerfort, bis auch der nächste Abend vorüber war, 7
während der Jüngling weder schlief noch aß oder trank. Danach kam die Stute, der er inzwischen den Gurt gelockert hatte, wieder zu ihm, trat dicht an ihn heran, hielt den Kopf an seine Füße und begann mit den Nüstern zu schnauben, während er ihr das Gesicht streichelte. Schließlich stieg er wieder auf und trabte weiter. Nach einiger Zeit sah er einen ausgetretenen Pfad. Diesen ritt er ohne Unterlaß, bis er zu einem Berg mit einem Engpaß gelangte. Nachdem er den Engpaß durchquert hatte, setzte er seinen Ritt den Rest des Tages und die folgende Nacht hindurch bis zum Morgen fort. Nun tauchte plötzlich in der Ferne ein Wasser auf, das sich als ein stinkender und trüber, schwarzer und dunkler See erwies. Nachdem er sein Ufer erreicht hatte und auf die Erde gesprungen war, nahm er etwas von dem Seeschlamm und legte ihn sich auf das Herz, weil sein Atem nur noch keu chend ging. Dann nahm er der Stute den Zaum aus dem Maul, waren ihm doch Herz und Mut erfüllt von einem zärtlichen Gefühl für sie. Doch die Stute begann etwas zu murren, während er aus Mangel an Nahrung sich stumpf zeigte. Auch seine Augen waren unaufmerksam geworden, weil er so lange nicht geschla fen hatte, so daß ihm gar nicht zum Bewußtsein kam, was um ihn vorging. Da machte sich plötzlich am Ufer ein Schiff bemerkbar, dem zehn Neger entstiegen, wahre Büffel an Gestalt. Sie stürzten sich auf den Jüngling, ohne daß er sich ihrer erwehren konnte, und ergriffen ihn. Als die Stute sie sah, scheute sie vor ihnen, floh und gebärdete sich wie ein wildes Tier. Dann lief sie ins Gebirge hinauf, nachdem sie vom Wege abgekommen war, weil sie ihn noch nie gegangen war. Soweit die Ereignisse bei dem Königssohn. Inzwischen hatte das Verschwinden des Königssohnes bei seinen Soldaten Ratlosigkeit ausgelöst, und sie liefen seinetwegen ringsumher, bis sie sich schließlich in der Wüste zerstreuten und ihn suchten. Als sie ihn nicht fanden, gaben sie alle Hoffnung auf, weil er schon so lange verschwunden war. Da sprach der Wesir: »Ich habe ihn gewarnt, aber er hat nicht auf mich gehört. Nun ist es eben zu spät.« Danach schickte er zum König, um ihn zu unterrichten. Dann sagte er: »Ich wanke und weiche nicht, bis Gott mir mein Gemüt durch seinen Anblick wieder erhellt.« 8
Und er rührte sich nicht mehr von der Stelle. Als der König, der Vater des Jünglings, die Nachricht erhielt, ließ er den Rossen die Schweife abschneiden. Er brach völlig zusammen, bot nach dem Verschwinden seines Sohnes nur noch ein Jammerbild und füllte nun einen großen Teil der Nacht mit Wehgeschrei. Die Mutter des Jünglings schlug sich mit den Fäusten und schnitt ihre Haare ab. Ihre Zofen taten das gleiche. Auch die Einwohner der Hauptstadt legten schwarze Trauerkleidung an, und Schmerz erfüllte den gesamten Heerbann. Der König ließ in seinem Schloßbezirk ein Grabmal für seinen Sohn errichten und setzte sich daneben, klagend und weinend wie eine ihrer Kinder be raubte Frau und wie ein Korn in der Pfanne, während die Mut ter des Jünglings zusammen mit ihren Zofen schrie. Der König hatte vollends die Möglichkeit verloren, den Verlust des Sohnes mit Fassung zu ertragen, und die Kunde hiervon hatte sich allerorts verbreitet. Danach schickte er in alle Lande, um nach ihm zu forschen. So kam die Nachricht von seinem Schicksalsschlag auch zu dem Knecht und Mitregenten al-Farah, nachdem der Bote des Königs bei ihm eingetroffen war. Diesen hatte der Kämme rer, als er zu ihm kam, zum Türhüter seines Hauses ernannt und ihn mit der Erledigung seiner Geschäfte und Anliegen betraut. Nachdem der Kämmerer gehört hatte, was durch das Unglück mit seinem Sohn und die Lüftung dieses Geheimnisses über den König hereingebrochen war, stellte er sich gegenüber dem früheren Knecht des Königs, (bei dem er nun weilte,) traurig. Soweit die Ereignisse bei dem König. Der Wesir aber blieb nach dem Verschwinden des Königssohnes achtzehn Tage mit den Soldaten an Ort und Stelle, während die Stute auf die Berge hinauflief, die Hügel überquerte und sich in Schrecknisse stürzte, bis Gott ihr den Weg zeigte. Dann nahm sie die Richtung wieder auf. Aus Mangel an Nah rung war ihre Haut nur noch dünn. Schließlich kam sie zu der Stelle, an der sich der Wesir aufhielt. Als sie die übrigen Pferde sah, wieherte sie und strebte zu ihnen hin, obwohl die Leute sie bereits umringt hatten, und lief immer weiter, bis sie ihren Stall erreichte. Dann sank sie tot zu Boden. Ihr Tod war für die Leute noch schmerzlicher als das Verschwinden des Königssohnes. Der 9
Wesir trat an sie heran, löste das Geschirr von ihr und weinte bittere Tränen. Aus Ehrfurcht vor dem König und seinem Sohn hüllte er sie in ein Leichentuch und trug sie zu Grabe. Dann gab er den Befehl zum Aufbruch, machte sich auf den Weg und reiste mit den Soldaten ohne Unterlaß, bis er seine Stadt erreichte. Es wurde ein Tag namenloser Trauer, da der Wesir mit seinen Leu ten zurückkehrte und nur der Jüngling Kaukab fehlte. Dann kehrten sie die Sättel um und senkten die Fahnen zu Boden. Soweit die Ereignisse bei ihnen. Nachdem die Bootsknechte den Jüngling ergriffen hatten, blieb er mit auf den Rücken gefesselten Händen bei ihnen, bis der Tag zu Ende ging und die Nacht mit ihrer Finsternis hereinbrach. Sie fuhren mit ihm in einen kleinen Wasserarm hinein, dessen Wasser heller als Milch und süßer als Honig war, und setzten ihre Fahrt darin fort bis zum nächsten Abend. Dann gingen sie an Land, sammelten Brennholz und steckten es an. Das Feuer erfaßte das gesamte Holz, so daß es schließlich lichterloh brannte. Nun schleppten sie den Jüngling an das Feuer heran. Als er gefesselt dort lag und sie einander anschauten, sagte einer von ihnen: »Gebt ihm etwas zu essen, damit er nicht stirbt.« Doch sie folgten seinem Rat nicht. Jetzt aber wagte sich der Jüngling Kaukab an sie heran und tat genau dasselbe wie sie. Er hatte nämlich gehört, daß der Kämmerer des Königs von Feueranbetern abstammte, und dieser hatte bei ihnen noch einen Bruder. Als sie sein Verhalten sahen, fragten sie ihn: »Welchen Glaubens bist du?« Er erwiderte: »Des gleichen Glaubens wie mein Vater Ghasb, der Kämmerer, der im Dienst des Königs steht.« Als sie seine Worte hörten, traten sie zu ihm heran, küßten den Erdboden vor ihm und sprachen: »Der Kämmerer ist der Bruder unseres Herrn! Wir haben an Bord ein Geschenk für ihn. Morgen werden wir auf dem Fluß Dschaihūn sein.« Dann reichten sie ihm zu essen. Er aß und blieb sitzen, bis die Nacht vollends hereinbrach, worauf sie ihm an einer angenehmen Stelle ein Lager ausbreiteten und seine Ruhestatt recht behaglich einrichteten. So schlief er bis zum Morgen. Dann saß er auf dem Schiff, indem er sich an dem Anblick des Wassers erfreute, bis es Nachmittag wurde. Jetzt bot sich seinen Blicken ein gewaltiger 10
Strom mit hohen Wellen ... Von dort fuhren sie in ein Meer mit Salzwasser und hielten Richtung auf ihr Land. Schließlich kamen sie an eine Stelle, wo sie zu Abend aßen und bis zum Morgen schliefen, um die Fahrt dann fortzusetzen. Nachdem sie zehn Tage ohne Unterlaß in dieser Weise verbracht hatten, tauchten auf einmal Burgen, Landgüter und bestellte Äcker auf. Sie kamen zu einer der Burgen und baten ihren Herrn um Nahrungsmittel. Einen vollen Monat schickte dieser ihnen zur Genüge hinunter, wessen sie zum Leben brauchten, dazu Dattel- und Traubenweine. Danach wandte sich ihr Anführer an den Jüngling Kaukab und sprach: »Sei getrost und guten Mutes; denn jetzt brau chen wir nur noch drei Tage.« Dann setzten sie ihre Reise bis zum Mittag fort und kamen zu einer großen Insel, die reich an Bäumen und Früchten war. Dort stiegen sie aus. Die Insel war rings von Wässer umgeben, und zu ihrer Überraschung gewahrten sie, daß sie lieblich und voller Bäume und Früchte war, bunt und mit Kräutern bestanden, die wie Safran leuchteten. Sie schlugen die Haltepflöcke ein und stiegen zur Insel hinauf. Da der Jüngling Kaukab inzwischen alle Zurückhaltung ihnen gegenüber aufgegeben hatte, fragten sie ihn, was für eine Bewandtnis es mit ihm habe, worauf er zu ihnen sprach: »Wir waren auf der Jagd. Ich verfolgte eine Gazelle, ohne sie ein holen zu können. Vor lauter Verwirrung wußte ich dann nicht mehr, welchen Weg ich einschlagen mußte, um zu meinen Gefährten zurückzufinden.« Sie schenkten seinen Worten Glauben, und nun aßen und tranken sie. Aller Sorgen ledig, stürzten sie sich auf den Wein. Über ihnen wehte ein sanfter Wind, das Wässer floß, der Mond leuchtete, und die Bäume rauschten. In dieser Weise verbrachten sie die Zeit bis zum Tagesanbruch. Dann waren sie betrunken. Nach dem langen Wachen überwältigte sie der Schlaf, und sie schliefen alle so fest, als ob es bei ihnen nichts von Bedeutung gäbe. Da erhob sich der Jüngling Kaukab und sagte: »Gott ist am größten!« Sprach’s und schnitt ihnen Halsadern und Kehlen durch. Dann schleppte er sie ins Meer, und einer nach dem anderen ging wie ein Stein unter. Danach brach er auf, stieg in das Schiff, riß den Haltepflock heraus, und das Schiff fuhr wie der Blitz davon. Nach einer kleinen Weile tauchte 11
das Festland vor ihm auf. Wie Heuschrecken sah er die Menschen umherwimmeln. Bald kamen die Lastträger zu ihm herbei und trugen alles, was er mit sich führte, in eine der Herbergen. Er selbst ließ das Schiff am Ufer angebunden liegen. Dann warf er sich in prächtige Gewänder und begann sich zu ergehen und die Stadt mit ihren Läden und deren Inhalt anzuschauen. Soweit die Erlebnisse des Königssohnes. Als nun die Leichen auf dem Wasser schwammen, riefen die Leute: »Da treiben ja Menschen, die umgebracht worden sind!« Die Kunde hiervon drang auch zu dem Kämmerer. Dieser schwang sich mit dem obersten Beamten aufs Pferd, und in Begleitung von drei Männern kamen sie herbei. Nachdem sie die Gesichter der Toten betrachtet hatten, sagte der Kämmerer: »Zur Hölle mit ihnen!« Einen von ihnen mit Beinamen ‘Umar erkannte er. Darauf schickte er seinen Knecht zur Burg, und man überbrachte seinem Türhüter die Nachricht. Da sich der schwarze Sklave, der ihnen den Mundvorrat in das Schiff getragen hatte, aus Furcht vor dem Kämmerer gefährdet fühlte, meldete er sich bei ihm und teilte ihm auf Befragen mit, wer mit ihm an Bord gegangen und mit ihm zusammengewesen sei. Einen nach dem anderen zählte er auf, wie sie mit ihm zusammengewesen waren, und sagte dann: »Verehrter Herr, außerdem war bei uns ein Jüngling an Bord mit einem Antlitz gleich dem Hof des Mondes, der behauptete, dein ältester Sohn zu sein.« Als der Kämmerer seine Worte hörte, befahl er ihm: »Gehe deiner Wege, und wenn dich jemand fragt, so erteile ihm keine Auskunft.« Nachdem der Kämmerer über die tieferen Gründe nachgedacht hatte, die den Königssohn zu seiner List veranlaßt haben mochten, sagte er zu den Leuten seiner Umgebung: »Erkundigt euch nach dem Schiff, ob der Jüngling an Land gegangen ist.« Darauf meldete sich bei ihm ein alter Mann mit Ohren wie Blasebälgen und mit einem Strick um die Lenden. Er grüßte ihn ehrerbietig und sprach: »Hoher Herr, ich habe ihn gesehen, wie er, die untere Gesichtshälfte verschleiert, näher gekommen und dann an Land gestie gen ist. Ferner habe ich gesehen, wie die Lastträger seine Kleider aufgenommen und ihm mit seinem Teppich und seinem übrigen Hab und Gut gefolgt sind.« Nachdem er diese Auskunft erhalten 12
hatte, ließ er den Obermeister der Lastträger kommen. Als er vor ihm stand, beriet er sich mit ihm über das, was er erfahren hatte, worauf der Obermeister für eine Weile fortging und dann zurückkehrte und mit ihm sprach. Darauf machte sich der Kämmerer, während das Volk vor ihm her und um ihn herumlief, auf den Weg zu dem Tor der Herberge, ohne daß der Jüngling etwas von dem Vorgang wußte. Vielmehr bemerkte er den Kämmerer erst, als er in unmittelbarer Nähe war. Nun hob er den Kopf und gewahrte den Kämmerer sowie das Volk vor ihm und um ihn herum. Er war dermaßen erstaunt, daß er schlechterdings keine Nachricht mehr für falsch gehalten hätte. Darauf entsandte der Kämmerer einen Sklaven zu ihm und befahl ihm, zu dem Haus des Jünglings zu reiten. Dieser führte den Befehl sofort aus, trat dann auf Geheiß des Kämmerers hinein und ließ sich bei dem Jüngling nieder. Der Kämmerer Ghasb ritt jedoch selbst wieder nach Hause, während der Königssohn mit dem Sklaven zusammensaß, und erteilte den Befehl, den Jüngling herbeizuschaffen. Als er ihn erblickte, sagte er zu ihm: »Kaukab!« Der Jüngling erwiderte: »Zu Diensten, Kämmerer!« Dieser fuhr fort: »Was hat dich hierhergeführt?« – »Gottes Wille und Rat schluß«, gab er zur Antwort. Weiter fragte er: »Und wo befindet sich deine Mutter?« worauf er sagte: »In der Hauptstadt bei meinem Vater.« Da sprach der Kämmerer zu ihm: »Kaukab! Wer Leid erduldet, der vergißt nicht, und wer bei dem damaligen Vorfall nach meinem Leben und nach meiner Verbannung aus der Stadt getrachtet hat, der mag die heutige Heimsuchung über sich ergehen lassen. Der Herr der Schöpfung hat dich jetzt in meine Hand gegeben.« Auf seinen Befehl wurden ihm nun die Hände auf den Rücken gebunden. Dann wurde er zu Boden ge worfen und auf sein Geheiß gepeitscht, bis er ohnmächtig wurde. Sodann ließ er ihn mit einem schweren Stein an den Füßen neben dem Hause bei sich liegen. In diesem Zustand verharrte er zehn Tage. Gott aber sah dies, und es geschah, damit sein Wille und Ratschluß erfüllt und sein Urteil vollstreckt werde. Danach kehrte der König von Dschaihūn in die Stadt zurück, und weil der Kämmerer fürchtete, es könnte ihn irgendeiner oder jemand, der den Königssohn gekannt und gesehen hatte, über 13
den Fall unterrichten, ließ er ihn bei Nacht fortschaffen und in das Gefängnis unter die Räuber werfen. Am nächsten Morgen stieg der Kämmerer in der Frühe zum Schloß hinauf, trat beim König ein und grüßte ihn ehrerbietig. »Herzlich willkommen! Tritt nur näher, (lieber Kämmerer«, gab der König zur Antwort. So trat er näher,) da er bei ihm wie kein anderes Mitglied des Gefolges in Gunst stand. Nachdem er Platz genommen hatte, sagte der König zu ihm: »Entlasse die Insassen der Gefängnisse, Kämmerer. Vielleicht wird mir dann Gott der Mächtige und Erhabene die Gesundheit wiederschenken; denn ich bin schon lange krank, und erst seitdem mein Herr Kaukab verschwunden ist, hat Gott meinen Zustand schlimmer werden lassen. Ach, wie gern möchte ich mich als Lösegeld für ihn hingeben!« Als der Kämmerer seine Worte hörte, sprach er zu ihm: »Inzwischen habe ich Nachricht erhalten, er sei wieder aufge taucht und in die Stadt gekommen. Die Stadt soll um ihn zusammengelaufen sein, weil er so schön sei wie der Mond.« – »Bei Gott, Kämmerer, für diese Nachricht verdienst du wahrhaftig ein Ehrengewand aus Edelsteinen«, gab der König ihm auf seine Kunde zur Antwort. Sprach’s und ließ für ihn ein Ehrengewand holen, das eines Kaisers würdig gewesen wäre. Dieses legte er ihm vor allem Volke an. Nachdem es ihm um die Schultern gehängt war, bezeugten ihm alle Anwesenden ihre Ehrerbietung und sprachen: »Weder einst noch jüngst hat jemand von diesem König so viele Hulderweise erlangt wie dieser Mann.« Darauf ritt der Kämmerer von dannen, und die Leute schritten neben ihm her. Bei der Tur seines Hauses angekommen, trat er ein, während sich die Leute zerstreuten. Dann ließ er sich nieder, um darüber nachzudenken, wie er mit List und Tiicke vorgehen könnte. Dabei sagte er sich: Wie kann ich es nur bewerkstelli gen, ihn zu töten, obwohl die Leute ihn mit eigenen Augen gesehen haben?« Er schlief nicht, bis die dunkle Nacht entschwand und das Wohltaten schenkende Tageslicht anbrach. Dann verließ er das Haus, und die Leute an der Tür sprachen Segenswünsche für ihn, als sie ihn erblickten und mit eigenen Augen sahen. Sie begleiteten ihn, bis er in das Schloß des Königs eintrat. Er schritt hindurch zum König und grüßte ihn ehrerbie 14
tig. Dieser befahl ihm, Platz zu nehmen, worauf er sich nieder ließ. Nun sprach der König, ohne recht zu wissen, was er sagte, weil sein Verstand nachgelassen hatte. Der Kämmerer hatte ihm schon wegen der Krankheiten, an denen er litt, das Reiten verboten, und er selbst hatte dem Kämmerer Vollmacht erteilt, im Namen seines Herrn Geschenke auszuzahlen. Im übrigen war ihm der König wie ein Vater, obwohl er von dem, was sich in der Stadt zutrug, nicht soviel erfuhr wie die einfachen Leute, wenn man von Nachrichten über Freveltaten absieht, die ihm zugetragen wurden. Der Kämmerer sagte also zu ihm: »O König der ganzen Erde, erlaubst du mir zu reden?« Er antwortete: »Sage, was du willst; denn ich höre auf dich und handle nach deiner Meinung und deinem Rat.« So fuhr der Kämmerer fort: Wisse, hoher König: Die Stadt ist einst ruhig gewesen. Zwei Drittel des Volkes sind auch heute noch dem Herrscher treu ergeben. Aber nicht jeder Herrscher ist streng; dann ist er nach der Meinung der Leute nicht mehr als ein Diener. Da die Stadt groß und volkreich ist, sind auch die Übeltäter, Räuber und Ver brecher zahlreich in ihr geworden. Wenn ihrem bösen Treiben in der menschlichen Gesellschaft nicht ein Ende bereitet wird, so lassen sie keinen mehr ruhig wohnen, rauben am hellichten Tag den Leuten ihr Hab und Gut mit dem Schwert, und die fahrenden Leute, gehend oder kommend, werden allenthalben von dir künden, daß dein Land zu den üblen Ländern gehört, weil hier mit scharfen, schneidenden Schwertern die Frauen hochherziger Männer geraubt werden.« Als der König seine Worte hörte, fragte er: Was rätst du mir zu tun?« Der Käm merer antwortete: Wer verdient, König, daß ihm eine Hand abgehauen wird, dem soll sie abgehauen werden, und wer verdient, gehängt zu werden, soll gehängt werden. Wer aber eine Bluttat begangen hat, ohne daß sich Kläger wider ihn gefunden haben, den sollten wir laufen lassen.« In dieser Weise redete er ohne Unterlaß auf den König ein. Schließlich wandte der König sich ihm zu, hob seine Hand, legte sie auf seinen Nacken und sprach zu ihm: »Ich werde frei von Schuld erfunden werden; von dir aber wird Rechenschaft über unsere Untertanen verlangt werden. Handle so an ihnen, daß du morgen Rettung findest 15
beim Schöpfer des Lebensodems. Ich werde keine Verantwor tung für eine Bluttat zu tragen haben, weder für eine an einem Christen noch für eine an einem Muslim. Vielmehr wirst du für sie bestraft werden an dem Tage, da wir vor dem stehen, der alles Geheime und Verborgene kennt.« Nachdem er dies vom König gehört hatte, zeigte er ihm ein zufriedenes Lächeln, ritt vom Schloß hinunter und eilte nach Hause. Dort stieg er vom Pferde und ging mit sich selbst zu Rate. Er sagte sich schließlich: »Bevor ich den Königssohn Kaukab töte, werde ich erst eine Menge anderer hinrichten lassen, und wenn ich dann ihm ein Ende bereiten will, werde ich es gleichzeitig anderen bereiten.« Darauf befahl er den ihm unterstellten Aufsehern: »Zählet, wieviel Leute sich in den Gefängnissen befinden.« Diese ermittelten sechshundert Männer. Davon ließ er unter den Augen des Volkes einhundertfünfzig frei, nachdem die Stadt durch ihr inbrünstiges Beten zu Gott in große Bewegung geraten war. Am zweiten Tage ließ er hundert herausholen und köpfen und dreißig kreuzigen. Alle Einwohner der Stadt wären vor Schreck beinahe gestorben. Am dritten Tage ließ er wieder hundert herausholen und köpfen. Am vierten Tage ging er selbst in das Ge fängnis hinein und befahl, den Jüngling Kaukab zu peitschen. Nachdem er ihn schier zu Tode hatte schlagen lassen, gebot er Einhalt. Da fragte ihn der Jüngling: »Was gedenkst du mit mir zu tun, Kämmerer?« Er erwiderte: »Ich werde dich mit Schmach tränken, bis du an dir selber siehst, was Erniedrigung bedeutet.« Der Jüngling fragte ihn: Was habe ich dir denn ge tan?« Der Kämmerer antwortete: Was bist du schon unter den Hunden, daß du mir etwas anhaben könntest? Ich werde deine Mutter den Verlust von dir kosten lassen, so wie du und deine Mutter schuld daran gewesen seid, daß ich die Hauptstadt verlassen und meine Heimat aufgeben mußte. Wehe dir! Deine Mutter hat hunderttausend Dinare, die eigentlich mir gehörten, selbst verbraucht. Sie waren der Lohn, der mir von ihr zustand. Sie hat ein Jahr hindurch manchen Stein auf mich geworfen.« Der Jüngling bat ihn: »Höre mich an: Ich schwöre dir, daß ich dir deinen Lohn zukommen lassen werde.« Allein er hielt ihm entgegen: »Du Taugenichts, wer wäre sicher vor deiner Arglist? 16
Außerdem ist ja nun klar, daß du gar nicht dazu imstande wärest.« Als er ihn so reden hörte, demütigte er sich vor ihm und sagte ängstlich: »Du bist doch meinem Vater Dank schuldig, weil er dir Gutes getan hat.« Der Kämmerer erwiderte: »Selbst wenn sich dein Vater so lange auf den Kopf stellte, bis ihm die Sinne schwänden, so wäre dies immer noch keine volle Gegen leistung für das, was ich an ihm getan, und dafür, daß ich ihn zum König gemacht habe.« Als der Jüngling diese Rede hörte, sprach er: »So handle an mir, wie es dir zur Erlangung der Freundschaft Gottes des Erhabenen im Jenseits einmal dienlich sein wird. Diese Welt, sie vergeht, aber das Jenseits bleibt bestehen.« Der Kämmerer sagte jedoch: Willst du mir fromme Ermahnungen erteilen? – Ergreifet ihn!« Danach wurde ihm ein Strick um den Hals gelegt. Die Hände waren ihm bereits auf den Rücken gebunden. So führten sie ihn aus dem Gefängnis heraus, während die Leute zuschauten. Verblüfft über seine Schönheit und Anmut, wollten sie ihn von dem Kämmerer befreien, und einer von ihnen rief plötzlich: Wehe! Steiniget ihn!« Der Kämmerer sagte sich: »Das Volk wird sich gleich wider mich erheben. Wenn sich das Volk aber wider jemand erhebt, dann nützt es ihm nichts, den Herrscher und das Heer auf seiner Seite zu haben.« Er forderte sie daher mit einer Handbewegung auf zu schweigen und befahl, daß der Jüngling sich setzen solle. Sie hießen ihn sich setzen, während ihn die Knechte ringsum gegen die Menge abschirmten. Jetzt sagte er zu einem seiner Knechte: »Packe ihn und hacke ihm Hände und Füße ab. Du brauchst ihm die Wunden nicht auszubrennen; denn er wird gleich sterben, und dann kann ihn das Volk nicht mehr befreien.« Darauf packte der Knecht des Kämmerers Ghasb den Jüngling Kaukab, und sie hieben ihm Hände und Füße ab. Das Volk aber schrie den Kämmerer an, und wenn es ihn hätte erreichen können, so hätte es ihn mit den Steinen getroffen, die es nach ihm warf. Danach traten die Einwohner der Stadt an den Jüngling heran und stürzten sich über ihn. Sie holten ihre Taschentücher hervor und brannten ihm die Wunden an den Händen und Füßen aus. Einige von ihnen rissen Stücke aus ihren Kleidern und verbanden damit die Beinstümpfe. Sie brach17
ten Fruchtsaft und Rosenwasser und gaben ihm zu trinken, besprengten ihn und wuschen ihm das Gesicht ab. Schließlich kamen sie mit einem Gewand herbei, legten ihn darauf, hoben ihn zwischen sich und trugen ihn unter die Fenster des Königs schlosses. Die Tochter des Königs, deren Schönheit bereits am Anfang gepriesen worden ist (?), saß gerade in ihrem Ausguck, um ein wenig hinauszuschauen. Als sie das Hasten der Menge unter ihrem Fenster sah, befahl sie dem Diener, der sie als Kind be treut hatte, für sie festzustellen, was es dort gebe, und sprach zu ihm: »Schaue, was diese Menschenansammlung bedeutet.« Unten angekommen, erblickte er einen Mann, und als er stehenblieb, um zu schauen, sah er, wie der Jüngling zwischen den Leuten einhergetragen wurde, jedoch konnte er ihn wegen des starken Blutflusses nicht erkennen. Im übrigen war auch seine Farbe verändert. Als der Diener ihn sah, sprach er: »Leget ihn vor mir nieder. Vielleicht hat meine Herrin Mitleid mit ihm.« Der Jüngling aber war bewußtlos, und von seiner Gestalt war nichts zu sehen. Danach stieg der Diener wieder hinauf und teilte der Königstochter mit, was er in Erfahrung gebracht hatte. Nachdem sie den Jüngling niedergelegt hatten, stieg sie hinunter und betrachtete ihn mit eigenen Augen. Sie sah, daß er eine schöne Gestalt und feinen Liebreiz besaß, und da Gott der Erhabene es so gewollt hatte, wurde ihr Herz von Mitleid mit ihm erfüllt. Sie kehrte daher um, setzte sich wieder an ihren Platz und befahl ihrem Diener: »Lege ihn in die Moschee« – diese befand sich nämlich dem Schloß gegenüber –, »schließe die Tür hinter ihm zu und halte das Volk von ihm fern.« Nachdem er getan, wie sie ihn geheißen hatte, sagte sie zu ihm: »Komm einmal hierher, Sawāb.« Als er sich ihr näherte, sprach sie zu ihm: »Wisse: Du hast mich als Kind betreut und hast mich im Bad gewaschen. Ich habe dir meinen ganzen Leib enthüllt, und du hast mich auf der Schulter getragen. Nun habe ich einen Wunsch an dich.« Auf die Bitte, ihn zu äußern, fuhr sie fort: »Schwöre mir beim Koran, zu tun, was ich dir befehle, meinen Befehl aber geheimzuhalten und nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.« Nachdem er bei dem Koran geschworen 18
hatte, sagte er zu ihr: »Äußere deinen Wunsch. Ich werde ihn dir erfüllen, was es auch sei.« Da sprach sie: »Mein Herz ist von Mitleid mit diesem Jüngling erfüllt, und ich möchte deshalb, daß du ihn zu mir herauf schaffst.« Sawāb geduldete sich, bis es Nacht wurde. Als nun alles schlief, was Augen hatte, öffnete er die Geheimtür, hängte einen Vorhang davor und begab sich zu dem Jüngling. Er lud ihn auf seine Schulter und trug ihn ins Schloß hinauf. Dann ging er abermals hinunter und verschloß die Türen. Nachdem er ihn vor der Königstochter Jākūta niedergelegt hatte, brachte sie ihn in ein kleines Turmgemach mit einem feinen, engmaschigen Fenstergitter aus Eisen, von wo man auf Dschaihūn hinunterschauen konnte, alles Sehenswerte vor Augen hatte und Befehlshaber und Truppen beobachten konnte. Sie breitete ein erhöhtes Lager unter ihm aus und sprach zu ihm: »Sei getrost und guten Mutes. Du bist für mich, was der Augapfel für das Auge ist. Weil man dir Böses getan hat, empfindet mein Herz Mitleid mit dir. Jetzt brauchst du dich nie mehr zu fürchten.« In der Folge weihte sie ihre Schaffnerin in das Geheimnis seiner Anwesenheit ein. Dem Diener aber übertrug sie die Aufsicht über das Schloß, so daß er nicht mehr in ihrer Umgebung war. Den Jüngling versorgte sie ständig mit Fruchtsäften. Sie besaß großblätterige Kresse. Davon legte sie auf seine Wunden. So ließ der Schmerz allmählich nach, wie es in Gottes des Mächtigen und Erhabenen Ratschluß stand, da er ihm den Sieg über seine Feinde verleihen wollte. Soweit die Erlebnisse des Königssohnes. Der Kämmerer aber machte sich in jener Nacht mit zwanzig Knechten auf den Weg zu der Stelle, an der der Jüngling gelegen hatte. Sie fanden jedoch keine Spur von ihm und konnten auch nichts über ihn erfahren, so daß sie außer sich vor Staunen über seinen Verbleib waren. Einige Leute hatten den Kämmerer auf der Straße gesehen und gingen ihm nach. Sie sagten sich: »Er steht in höchster Gunst« und teilten ihm deshalb mit, daß der Jüngling hier gelegen habe, bis er fortgetragen worden sei. So ging der Kämmerer nach Hause, dermaßen verärgert, daß er sich kaum beruhigen konnte, und sein Auge fand keinen Schlummer mehr. 19
Der Vater und die Mutter des Jünglings schickten mit Dromedarreitern Briefe in die Stadt, in der sich der Kämmerer befand. Jeden, der über das Werkzeug des Augapfels verfügte, schauten sie an und fragten ihn. Der Kämmerer stellte sich ihnen gegenüber traurig. Er war freigebig zu ihnen, verlieh ihnen Ehrengewänder und bedachte sie mit Geschenken. Nachdem sie zum König zurückgekehrt waren, berichteten sie ihm, was sie gesehen hatten, aber was mit dem Jüngling geschehen war, darüber konnten sie ihm nichts mitteilen. Die Trauer hatte schon lange gewährt, und des Kummers war gar viel bei ihnen. Nun wurde noch mehr geklagt, das Herz war ihnen zusammen geschnürt, und Mutter und Vater des Jünglings schrien weinend und jammernd zu dem größten aller Könige. Soweit die Ereignisse bei ihnen. Der Jüngling aber blieb bei dem Mädchen Jākūta versteckt, während sie ihn selbst bediente. Ihre Mutter nebenan unter richtete sie nicht, und außer ihrer Schaffnerin wußte niemand davon. Zehnmal am Tage versorgte sie ihn mit allerlei leckeren Speisen und köstlichen Getränken. Allein der Kämmerer blieb ratlos in der Sache des Jünglings Kaukab. Schließlich sagte er sich: »Bei Gott, ich bin immer noch ratlos in seiner Sache, und doch glaube ich, daß er nirgends anders ist als im Schlosse.« Dann ließ er eine hübsche, zehn Jahre alte Zofe kommen, die sich auf das Saitenspiel verstand. Sie erregte bei ihrem Erschei nen die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Er sprach zu ihr: »Ich will dich der Königstochter schenken, damit du ihr Tun und Treiben erforschst und diesen Diener hier darüber unter richtest.« Danach entließ er sie in Begleitung des Dieners, der ein Kleidungsstück als Geschenk mitnahm. Als sie zu der Kö nigstochter hereingeführt wurde, gefiel sie dieser gut. Das Mädchen Jākūta sprach aber bei sich selbst: »Aha, diese Zofe soll bei mir Zeugin meiner Herzenserlebnisse sein, während der Diener draußen vor der Tür steht!« Doch sie bedankte sich bei dem Kämmerer. Nachdem fünf Jahre darüber ins Land gegan gen waren, stellte Jākūta fest, daß die Zofe so reich an Bildung, Klugheit und Verstand war, so viele arabische Gedichte aus wendig wußte und in ihren ungewöhnlichen Eigenschaften so 20
sehr ihrem Wunschbild entsprach, daß sie ganz für sie ein genommen war. So wurde sie vertraut mit ihr und erzählte ihr von dem Jüngling. Einen vollen Monat lang unternahm die Zofe nichts, dann aber hatte sie eine heimliche Zusammenkunft mit dem Diener und teilte ihm die Sache mit. Dieser ging zu seinem Herrn, dem Kämmerer, und erzählte ihm den Vorgang sowie das, was Jākūta gesagt hatte. (Dies veranlaßte den Kämmerer, den König aufzusuchen.) Er fand ihn in heiterer Stimmung, weil sich seine Gesundheit gebessert hatte, und sagte zu ihm: »Ich möchte dich über ein Ge spräch unterrichten, und ich werde dir ein Geheimnis mitteilen, wenn die Leute nicht mehr hier im Empfangssaal sind; denn sonst kann ich nicht sprechen.« Als er seine Worte hörte, hieß er die Leute seiner Umgebung hinausgehen. Dann befahl er ihm: »Nun erzähle, was du zu berichten hast.« Da sagte der Käm merer: »Erhabener König, wisse, daß der Gegenstand meiner Mitteilung in der Stadt den Fremdlingen als feststehende Tat sache gilt und im Munde der Gebildeten zu einem Gesprächs stoff geworden ist. Wenn deinem Oberherrn dieses Gerede zu Ohren kommt, sowie daß deine Tochter Jākūta sich in jemand verliebt hat und du ihn bei ihr im Schlosse geduldet hast, wie willst du dich dann morgen bei ihm rechtfertigen?« Der König fragte: Was soll das heißen?« Jener fuhr fort: »Eben das, was du von mir gehört hast. Handle aber nicht voreilig, auf daß du dein Ziel erreichst und dein Befehl auch wirklich Schrecken aus löst.« Nun stand bei dem König ein Diener, der das Gespräch mit anhörte, dann zu dem Mädchen ging und sie verständigte. Die Freunde Jākūtas wollten daraufhin den Jüngling eben an einen anderen Ort schaffen, wo er Unterkunft finden sollte, da erschien auch schon der König bei ihnen, indes der Kämmerer zusah und die Mägde hinter ihnen standen. Der Kämmerer schaute dem Diener ins Gesicht und fuhr ihn an: »Du Neger hund hast sie vereinbarungsgemäß unterrichtet, so daß sie ihn gerade anderswo verbergen wollten!« Damit zog er sein Schwert, schritt auf ihn zu und traf ihn mit einem Schlag, der seinen Kopf vom Rumpf fliegen ließ. Als Jākūta und die Mägde dies sahen, wurden sie von Angst ergriffen. Der König 21
sprach: »Nimm die übrigen hin, Kämmerer, und verfahre mit ihnen nach deinem Gutdünken.« Darauf ergriff sie der Käm merer und brachte sie zu seinem Haus, wo er sie geißelte, bis ihnen das Fleisch vom Leibe fiel. Dann kehrte er zum König zurück und unterrichtete ihn. Dieser fragte: »Was hast du mit ihnen gemacht?« Er erwiderte: »Ich habe sie zu einem Geständ nis genötigt, und sie haben mir bekannt, daß das Mädchen Jākūta von ihm schwanger ist.« Da schlug der König die Hände zusammen und jammerte: »Es gibt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott dem Mächtigen und Erhabenen! Bei Gott, wenn mein Oberherr, der König, dies hört, wird er mir be stimmt mein Land abnehmen und mich vertreiben. Was werde ich ihm nur sagen?« Dann wurde er zornig, schlug die Hände zusammen und sprach abermals: »Es gibt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott dem Mächtigen und Erhabenen! Bei Gott, wenn mein Oberherr dies hört, wird er in Wut geraten.« Darauf befahl der König dem Kämmerer: »Laß das Mädchen enthaupten.« Dieser wandte aber ein: »Nein, mein König, ich will vielmehr bis zum Samstag warten. Dann werde ich sie beide ergreifen, und ich allein werde sie zur Mittagszeit ertränken, damit groß und klein, Schiffer und andere, Zeugen ihres Todes sind, so daß sie deine Tat verkünden und jeder, der von ihr hört, dich segnet.« – »Tu nach deinem Gutdünken«, gab ihm der König zur Antwort. Darauf veranlaßte der Kämmerer einen öffentlichen Ausruf. Die Kunde von dem Geschehenen verbreitete sich im Volk, und keiner sprach mehr von etwas an derem als von dem Jüngling und dem Mädchen Jākūta. Am Samstag war der Diener Sawāb, der ebenfalls von allem gehört hatte, vollends wie von Sinnen. Er ging zu Jākūtas Mut ter und sprach zu ihr: Wer mag den Kämmerer von dieser Sache unterrichtet haben, und was soll nun werden?« Sie bat ihn: »Denke dir eine List aus, und dann unterrichte die Schiffer bei Nacht durch einen Boten. Lasse aber kein Schiff dabei aus.« Dies tat er, und er ließ kein Schiff dabei aus, abgesehen von einem kleinen. Danach legte er unten in dieses Boot schwarze Säcke mit dünnen Trägern aus Stein, für deren Beförderung drei Männer erforderlich waren. Als er danach zum König hinein22
ging und vor ihm trat, sah er, daß er über seine Tochter Jäkuta untröstlich und nicht mehr imstande war zu sprechen. Auf einmal erschien der Kämmerer mit Jākūta an der Hand, die er neben sich herschleifte, sie, die schön war wie der Mond in der Nacht seiner Fülle. Als der Diener sie gewahrte, schrie er sie vor seinem Herrn an. Dann entriß er sie dem Kämmerer und schlug ihr mit der Hand auf den Kopf. Den Jüngling aber schlug er derartig ins Gesicht, daß er beinahe erblindet wäre. Als der Kämmerer sah, wie er mit ihnen umging, sagte er zu ihm: »Übernimm du sie, Obereunuch.« – »Ich werde die Angelegenheit ganz zu deiner Zufriedenheit erledigen«, gab er zur Antwort. Dann ergriff er sie und wickelte sie beide ein. Unter den Blicken der Leute schaffte er sie aus dem Schloß hinaus und legte sie angesichts der Volksmenge in jenes kleine Boot. Die Menschen brachen in ein Wehgeschrei aus, indes der König sich von seinem Sitz erhob und der Strom dalag, so breit, wie der Blick reichte. Nachdem der Herrscher sich zu seinem Ausguck begeben hatte, um Jākūta und den Jüngling zu sehen, wickelte sie Sawāb abermals vor aller Augen ein, hob sie mit Hilfe der Lastträger noch einmal hoch, wobei die Säcke vor ihnen lagen, und warf die beiden auf die den Säcken gegenüber befindliche Seite. Nun erhob sich ein allgemeines Jammergeschrei, die Mädchen kreischten, und der König kehrte tränenüberströmt in die Stadt zurück. Der Diener aber fuhr mit dem Boot fort und holte dann an irgendeinem Orte unterhalb der Stadt die Segel ein, bis die Nacht hereinbrach. Dann hißte er sie wieder und kehrte um Mitternacht an die Stelle unterhalb des Königs schlosses zurück. Dort packten die Freunde die beiden an, hoben sie aus dem Boot heraus und versteckten sie bis auf weiteres. Nachdem die Kunde von dem, was der Königstochter von dem Kämmerer widerfahren war, auch zu dem Vater des Jünglings gedrungen war, sagte er zu seiner Frau: »Der junge Mann muß ein hübscher Fürst sein. Komm mit. Wir wollen ihn in Augen schein nehmen und uns durch seinen Anblick trösten lassen; denn ich habe gehört, daß er ein tüchtiger Junge und ein Fürst von hohem Rang ist.« Als die Frau dies hörte, sagte sie: »Lieber König, wie kann mir dieser zum Trost gereichen, nachdem der 23
Schmerz in meinem Inneren Einkehr gehalten hat und mein Sohn mir wie ein Stück des eigenen Herzens entrissen worden ist?« Er antwortete: »Es ist schon richtig, was du sagst. Trotz dem sollten wir ein wenig Ablenkung von unserem Kummer suchen; denn sonst sterben wir, und nach unserem Tode geht das Reich auf ewig zugrunde.« Nachdem er dies zu ihr gesagt hatte, widersprach sie ihm nicht mehr. Darauf setzte er den Wesir an seine Stelle, vertraute ihm seine Untertanen an und zog mit Zelten und Truppen hinaus, ohne für sich Fahnen entrollen und Trommeln schlagen zu lassen, sondern es blies nur eine kleine Trompete zum Auszug, und nur wenige gaben ihm das Geleit. Soweit die Ereignisse bei dem Vater des Jünglings. Die Mutter des Mädchens Jākūta aber rief den Diener herbei, erteilte ihm einen Rat in der Sache und sprach zu ihm: Wisse, Sawāb, daß diese Geschichte seltsam ist, eine Warnung für den, der sich warnen läßt, und ein Gegenstand stillen Nachdenkens für einen, der zum Nachdenken bereit ist. Weißt du eigentlich, wer dieser Jüngling ist, dem Hände und Füße abgehackt worden sind?« – »Bei Gott, nein«, gab er ihr zur Antwort, worauf sie fortfuhr: »So wisse, Sawāb, daß er mir offenbart hat, daß er Kaukab, der Sohn des Königs Fulk, ist und daß er mir seine Geschichte von Anfang bis zu Ende erzählt hat, was der Käm merer ihm angetan hat, die Feindschaft zwischen dem Kämmerer und seiner Mutter, sowie daß du dich zu seinem Vater al-Fulk begeben und ihn über das Schicksal seines Sohnes und das der Königstochter unterrichten möchtest, wenn wir auch selber von dem Unglück nicht betroffen sind. Andernfalls be reitet dieser Verfluchte uns allen den Untergang, selbst wenn wir tiefer als die unteren Grenzen der Erde weilten.« Auf seine Frage, was zu tun sei, fuhr sie fort: »Wisse, daß ihm Hände und Füße abgeschlagen sind und du ihn deshalb gleichsam in dem Spalt einer Perlmuschel bergen und ihm zu seinem Reise sack einen zweiten auf die andere Seite seines Reittiers hängen müßtest. Im übrigen rücke mit deinen Soldaten aus. Ich werde das gleiche tun; denn ich werde nicht hinter dir zurückbleiben, sondern dir folgen. Nimm reichlich Verpflegung mit. Unter nimm einen Gewaltritt durch das gefährliche Gebiet und durch 24
quere das Land meines Oberherrn. Dann sende einen Mann seines Vertrauens zu ihm und teile ihm mit, was geschehen ist. Hüte dich, hier zu bleiben, indem du das Treiben dieses Unholds über dich ergehen läßt, der kein Mensch ist und dafür im Jen seits das Angesicht des Allerbarmers nicht schauen wird!« Nachdem er ihre Worte gehört hatte, ging er zu seinen Freunden und unterrichtete sie. Sie bestiegen ihre Pferde, nahmen Kamele und Maultiere mit und ließen die Stadt weit hinter sich. Dann ritt er mit seinen Soldaten in Richtung auf eine der Burgen des Königs, bis er sie erreichte. Sie war uneinnehmbar und fast noch höher, als der Blick reichte. Nun sprach der Diener: »Steiget hinauf und bleibet dort sitzen. Dann mögen sie euch bis zum Jüngsten Tag belagern!« Der Jüngling Kaukab widersprach je doch: »Nein, bringe mich vielmehr zu meinem Vater, auf daß er mich sieht und seine Sehnsucht nach mir gestillt wird; denn wenn es in seiner Macht steht, an dem, der mich so grausam be handelt hat, Rache zu nehmen, so wird er es tun.« Der Diener erwiderte: »Ich werde tun, was du willst, verehrter Herr; denn wir sind deine Knechte.« Darauf luden sie das gesamte Gepäck, das sie mit sich führten, in jener Burg ab. Als es Abend wurde, brach der Diener auf und verließ die Burg. Er schlug den Weg nach dem Stadttor von Saihūn ein und jagte mit seinen Leuten dahin. Dies geschah aus Achtung vor dem Königssohn, nicht etwa, weil er sich fürchtete, war doch das Mauerwerk der Burg hoch wie ein Stern am Himmel. Als der Kämmerer den Diener Sawāb und seine Soldaten vermißte, händigte er einem Beduinen hundert Dinare aus und sprach: »Stelle für mich fest, welchen Weg er genommen hat, dann sollst du von mir ein Ehrenkleid und ein Pferd erhalten.« – »Ich höre und gehorche«, gab der Beduine zur Antwort, bestieg sein Dromedar, ließ die Zügel schießen und jagte hinter den Soldaten her. Er gesellte sich ihnen zu, und sie zogen des Weges, bis sie zu der Burg gelangten. Dann trat der Beduine den Rückweg an, um die Stadt zu erreichen. Unter ihm sprengte sein weißes Dromedar, von den Leuten aufmerksam beobachtet, wie der Sturm dahin, indem es mit seinen Hufen die Steine mitriß. Es bedurfte keines, der ihm die Flanken schlug; es war 25
vielmehr wie ein Wind, der zerstreut, oder eine Taube, die dahinfliegt. Soweit der Beduine. Nun befand sich in der Stadt ein Schiffer, dem die Freunde Jākūtas tausend Dinare gegeben hatten mit den Worten: Verbringe den Rest deiner Tage mit diesem Geld irgendwo, wo dich keiner kennt.« Als er das Geld in den Händen hatte, brachte es ihn um den Verstand, weil er seinen Wert nicht kannte. Erst kleidete er seine Tochter, seine Söhne und seine Frau neu ein. Dann kaufte er sich ein neues Schiff, und man sah, daß er seine Kleidung nur von einem Fest bis zum nächsten trug. Neben ihm wohnte aber ein Schiffer seinesgleichen. Dieser ging eines Nachts zu dem Kämmerer und unterrichtete ihn über seine Wahrneh mungen. Darauf ließ der Kämmerer den Schiffer kommen und verhörte ihn. Aus Angst vor ihm leugnete er nicht, worauf der Kämmerer ihn ins Gefängnis werfen ließ. Am nächsten Morgen führte er ihn dem König vor. Dieser sprach zu ihm: Wehe dir! Erzähle mir den Hergang.« Da erzählte ihm der Schiffer, wie sich alles zugetragen hatte. Nachdem der König dies gehört hatte, sagte er: »Dies ist ein armer Kerl, Kämmerer. Rede nicht weiter mit ihm und laß ihn laufen.« Darauf zog der König seine Truppen zusammen und rückte gegen den Diener in Richtung der Burg aus, um sie zu belagern. Als der Dromedarreiter die Ankunft des Königs erfuhr, band er seinem Dromedar mit dem Zügel die Beine fest und trat in das Zelt des Königs ein. Er grüßte ihn, küßte ihm die Hand und teilte ihm mit, was sich inzwischen zugetragen hatte. Darauf befahl der König den Soldaten, wieder aufzubrechen, um den Diener Sawāb zu verfolgen. Einen vollen Monat zogen sie da hin, bis sie ihn unterhalb eines hoch in die Luft ragenden Berges einholten. Als der Diener das Heer und seine Größe sah, flüch tete er sich mit seinen Leuten an den Fuß des Berges. Obwohl das Heer durch seine Größe die Oberhand über ihn gewann, kämpfte er unablässig weiter, bis die Nacht hereinbrach. Dann zog er sich mit seinen Leuten auf den Gipfel des Berges zurück, wiewohl es nur unten Trinkwasser gab. Als der Jüngling Kau kab nun am Leben völlig verzweifelte, schleppte er sich, da er nicht stehen konnte, auf seinem Gesäß einher, um seine Gebets 26
pflicht zu erfüllen, während Sawāb seiner Herrin, der Mutter Jākūtas, erklärte: »Wir sind des Todes!« Sie erwiderte: »Die Entscheidung liegt in Gottes Hand, Sawāb. Sie haben Wasser gefunden, während unter uns keiner ist, dem nicht die Lippe verdorrt und das Reittier verschmachtet.« Als das Mädchen dies hörte, sprach sie: Vielleicht ist Gott mit Rettung nahe und erhört unser Flehen. Vielleicht hilft er uns in unserer Not und erbarmt sich unseres Elends in der Fremde.« Am Morgen um brandeten sie Kampfgeschrei und Kriegsrufe von allen Seiten, und der Kämmerer verkündete: »Wir weichen nicht, bis wir sie mit der Schneide unseres Schwertes treffen!« Dann bemächtigten sie sich zum Leidwesen der Belagerten des Wassers. Als diesen der Weg zu ihm vollends versperrt war, tranken sie das Wasser, das sie noch besaßen, und gaben einer dem anderen zu trinken. Der Jüngling aber fastete um des erhabensten aller Könige willen. Als der Abend über sie hereinbrach, die Wächter ihre Zelte umkreisten und sie das Lagerfeuer vor sich entzündeten, schleppte sich der Jüngling beiseite. Kaum hatte die Königs tochter dies gesehen, da fragte sie ihn: »Warum tust du dies und schleppst dich fort?« Er erwiderte: »Ich möchte, daß mir ein Wunsch erfüllt wird, und will ihn deshalb Gott klagen. Du aber schlafe im Schutz und in der Obhut Gottes des Erhabenen.« Sie fürchtete jedoch für ihn, er könnte sich durch sein Verhalten zugrunde richten. Deshalb hörte sie nicht auf, mit ihrer Mutter nach ihm auszuschauen, indes die Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Auf einmal richtete der Jüngling Kaukab seinen Blick gen Himmel, entblößte sein Haupt, ließ seinen Tränen freien Lauf und breitete seine Hände aus mit den Worten: »Mein Gott, bin ich nicht ein Gut, das meine Mutter dir anvertraut hat? Mein Gott, hat sie nicht vor dir geweint und ihr Haupt entblößt? Mein Gott, hat sie dir nicht erklärt: ›Dir übergebe ich ihn‹? Wenn dies aber nach deinem Ratschluß und nach dem, was dein Schreibrohr als mein Schicksal aufgezeichnet hat, vorangegangen ist, dann schaue auch nun auf mich. Mein Gott, zu wem soll ich meine Zuflucht nehmen, nachdem du mich unter wegs aus allen Gefahren errettet hast? Was könnte ich dir schon 27
bieten, mein Gott, um deine Gunst zu erlangen, nachdem du dir deinerseits die Sorge für meines Lebens Notdurft zur Auf gabe gemacht hast? Erbarme dich meiner und verzeihe mir in deiner Großmut, o Gott, und laß diesen Ungläubigen nicht seinen Rachedurst an mir stillen. Wenn der Satan sein Beistand ist, dann sei du, o Gott, der meine; denn welch herrlicher Bei stand bist du! Du weißt, mein Gott, daß ich keinen Helfer habe, so sei du, Herr, mein Helfer und Freund. Ich liege an deiner Pforte, o Gott, und kann mich nicht erheben. Verstoße mich daher nicht. O Gott, mein Herr, ich kann es unter den Menschen nicht mehr aushalten. Nimm meine Seele zu dir und erlöse mich. Ich habe keinen Herrn, zu dem ich gehen und vor dem ich mich demütigen könnte, außer dir. Darum vergiß mich nicht. Sieh mich an, o Gott, mit deinem Auge, das nimmer schläft – ich bin hier leibhaftig vor dir, und du hörst mich, Herr, – denn du bist meine Hoffnung, und auf dich harre ich. Darum enttäusche mich nicht. Du, o Herr, kennst das Geheime und Verborgene.« Dann rannen seine Tränen. Er schlug mit der Stirn auf die Steine und brach dabei in lautes Weinen und Klagen aus. Nach den Tränen begann auch noch sein Blut zu fließen. Schließlich warf er sich flach auf den Boden, und das Blut seines Angesichtes strömte zur Erde nieder. Inzwischen hatte das Mädchen wie auch ihre Mutter ihr Haupt entblößt, und sie verein ten sich mit ihm in inbrünstigem Gebet. Dann rief das Mädchen aus: »Mein Herr, du kennst am besten unsere Not. Erbarme dich unser in deiner Barmherzigkeit, du barmherzigster aller Barmherzigen.« Darauf begann sie zu sprechen: O lieber Herr, du schaust, allein dich schaut man nicht. Siehst du mit Staub bedeckt nicht unser Angesicht? Siehst du die Häupter nicht, wie schmählich sie entblößt? Nicht, wie die Träne sich von unserm Auge löst? Nicht, daß jetzt wüst und leer, was Heimathaus einst war? Sieh schauend auch auf uns, du Lenker in Gefahr. Erbarm dich, der du siehst, ob du gleich unsichtbar. Nachdem sie dies gesprochen hatte, zerzauste sie ihr Haar, so daß es im Winde flog. Da hörte man plötzlich einen Herold in 28
der Luft verkünden: »Bedecket eure Häupter, auf daß die Engel eures Herrn kommen können.« Nachdem sie ihre Häupter bedeckt und sich zurückgezogen hatten, leuchtete auf einmal ein Licht auf wie ein Blitzstrahl, indes der Herold sprach: »Lege dich auf den Rücken, Jüngling, und strecke Hände und Füße aus; denn Gottes Huld hat sie dir wiedergegeben. Er ist es, der dich in den Nöten des Herzens gespeist hat.« Und schon waren die Hände wieder mit den Unterarmen und ebenso die Füße mit den Unterschenkeln verbunden. Da rief der Jüngling Kaukab aus: »Bei Gott, ich fühle, wie sich die Adern verbinden und das Blut fließt, wie das Fleisch schon fest und die Haut verheilt ist.« (Er erzählt:) »Als ich schaute, was mir Gottes Gnade geschenkt hatte, küßte ich die Erde, indem ich Gott dem Erhabenen dankte.« Darauf erhob sich der Jüngling wie der Mond, wenn er unter den Wolken hervorbricht, indem er Gott, den allwissenden König, pries, weil er seinen Schmerzen ein Ende bereitet hatte. Dann begann er zu schreiten, als ob er an jenem Tage neu er schaffen wäre, das Herz voller Freude über das, was Gott ihm erwiesen hatte. Als dann der Morgen graute, legte er seinen Kriegspanzer an, schnallte sein indisches Schwert um und band den edelsteinbesetzten Gürtel um die Lenden. So stieg er vom Gipfel des Berges herab und ritt allein seines Weges, während ihm seine Begleitung Lebewohl sagte. Als der König ihn erblickte, befahl er: »Keiner von euch darf einen Pfeil auf ihn schießen. Vielleicht ist er ein Gesandter von ihnen. Dann hat er ein Recht, das wir anerkennen.« Der Kämmerer fragte jedoch: Warum töten und verbrennen wir ihn nicht, auf daß ihn nicht nach uns gelüstet?« Als der König seine Worte hörte, sprach er: »Sei geduldig. Unterlasse es, meine Anordnung zu entkräften und ihm mit einer feindseligen Haltung zuvorzukommen, auf daß wir sehen, weshalb er hergekommen ist. Wenn er verdient, ge hängt zu werden, so werde ich ihn schon hängen.« Nachdem sich der Jüngling ihnen genähert hatte, stieg er vom Pferd herunter und ging zu Fuß weiter. Die Leute aber gaben ihm den Weg frei und steckten die Schwerter in die Scheiden. Als er den König erblickte, stürzte er ihm entgegen und umarmte ihn. 29
Seine Seele verlangte eben nach ihm, und sein Herz gewann eine Zuneigung für ihn, ohne daß er wußte warum. Dann sprach er zu ihm: »O König von Dschaihūn, fürchtest du nicht den Herrn des Todes? Kümmert dich nicht das Wesen, das zu etwas sagt: ›Sei‹, und dann ist es? Hat dich dieses irdische Leben in die Irre geführt? Wen es irreführt, der ist geprellt. Warum prüfst du nicht, wie es in Wirklichkeit mit den Leuten bestellt ist? Denn das Volk (spricht nicht freimütig mit dir), weil es dir Gehör schenkt und einem Manne deiner Art gehorcht. Du warst zum Sachwalter des Volkes bestellt und hast nicht Recht gesprochen. Dir war Gewalt über die Nacken der Menschen ge geben, und du bist nicht gerecht gewesen. Du scheinst mir nicht weise, weil du dich von einem Manne wie mir abgekehrt und dich diesem zugewandt hast. Im übrigen hat die Welt einen Wächter, dem alle ihre Wesen schweigend lauschen, weil die Macht in seinen Händen liegt. So sind er und die Welt wie Sonne und Mond miteinander. Gepriesen sei Gott, der beste aller Schöpfer!« Da trat der Kämmerer auf ihn zu und fuhr ihn an: »Du Heißsporn! Du Feuerkopf! Was bist du für ein Hund, daß du wagst, vor den König zu treten und so mit ihm zu sprechen?« Als der Jüngling seine Worte hörte, fragte er ihn: »Erkennst du mich nicht? Mache deine Augen auf und schaue mich an. Ich habe zwei Hände! Gott hat sie mir geschenkt und sie wieder an diese Arme gefügt, ebenso diese beiden Füße, die er mit meinen Beinen verbunden hat. Die Allmacht des Schöpfers der Himmel und Erden hat dies bewirkt. Ich bin ein stolzer Held und von hoher Herkunft, doch fühle ich mich diesem König gegenüber zu Gehorsam verpflichtet, und ich zürne ihm nicht. Vielmehr werde ich dir vor seinen Augen den Kopf abschlagen und mit deinem Blut seine Huld erbitten. Ich bin der Herrscher, Sohn Fulks, des Königs der beiden Ströme Saihūn und Dschaihūn. Ich bin sein Sohn Kaukab.« Dann er zählte der Jüngling Kaukab dem König seine Geschichte sowie das, was der Kämmerer ihm angetan hatte, und erklärte zum Schluß: »Beim Herrn der heiligen Kaaba, beim Brunnen Zem zem und dem Standort Abrahams, der König ist mein Gebieter!« Nun befahl der König: »Nehmt diesen elenden Wicht, 30
den Kämmerer Ghasb, auf die Lanzenspitzen.« Da stürzten die Soldaten auf ihn los, streckten ihre Lanzen nach ihm aus und zückten ihre Schwerter wider ihn. Der erste, der ihn mit seinem Schwert mitten auf den Kopf traf, ihn in zwei Teile spaltete und in zwei Hälften hieb, war der Königssohn Kaukab. Da hauchte der Kämmerer seine Seele aus. Gott aber erbarmte sich seiner nicht, sondern stieß ihn von sich, und die Erde machte er ihm nicht leicht. Gottes Fluch blieb über ihm. Einige Soldaten beschäftigten sich noch abseits damit, mit dem Schwert auf ihn einzuschlagen und ihn mit der Lanze zu durchbohren, bis sie ihn völlig zerstückelt hatten und Gott den Menschen Ruhe vor ihm schenkte. Danach kam der Diener Sawāb mit der Königstochter, ihrer Mutter und allen Soldaten vom Berge herunter. Just zu dieser Stunde erschien auch der König Fulk mit seinem Heer unter dem Gewieher der berittenen Rosse. Die Erde erbebte von der Menge der Soldaten und dem gewaltigen Gedränge. Da spran gen Sawāb und der König Kaukab von ihren Pferden und küßten die Erde vor dem König Fulk. Als dieser seinen Sohn Kaukab gewahrte, fiel er ohnmächtig zu Boden. Kaukab nahm ihn in die Arme, und sein Vater sprach sodann zu ihm: »Mein lieber Sohn, Preis sei Gott, der mir dich wiedergeschenkt hat!« Als die Kunde auch zu seiner Mutter drang, kam sie herbei, umarmte ihn und sprach: »Erzähle mir deine Geschichte, mein lieber Sohn; denn unsere Herzen sind voller Sorgen um dich gewesen. Laß mich wissen, wie es dir ergangen ist.« Da erzählte ihr Kaukab seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende. Nachdem König Fulk die Schilderung seines Sohnes gehört hatte, freute er sich über seine Errettung, doch über die Taten des Kämmerers Ghasb, den Gott verfluchen wolle, ergrimmte er aufs höchste. Er sprach: »Mein Herr Sohn, ich preise Gott, der mir deine Hände und Füße wiedergeschenkt hat!« Dann klei dete er ihn in ein prächtiges Ehrengewand und zog in die Stadt der Tochter seines früheren Knechtes ein. Nachdem er den Rich ter und die Zeugen beauftragt hatte und der Ehevertrag zwi schen seinem Sohn Kaukab und der Tochter seines früheren Knechtes, dem Mädchen Jākūta, abgeschlossen war, veranstal31
tete er für sie ein großes Gelage, an dem hoch und niedrig teilnahm, und überreichte dem Paar eine Fülle von Gütern, Gaben und Geschenken. Kaukab aber ging zu ihr ein und fand in ihr eine unberührte Maid. So freute er sich über sie in höchstem Maße. Drei Tage blieb er noch bei ihrem Vater. Dann kehrte er mit seinem Vater in dessen Hauptstadt Saihūn zurück. Dieser übertrug ihm die Herrschaft und blieb bei ihm wohnen, bis der Tod zu ihm kam. Dies ist die Geschichte von Anfang bis zu Ende. Preis sei Gott allein, und er schenke Segen dem besten seiner Geschöpfe, unserem Herrn Muhammad, seinen Angehörigen und Freunden!
32
2. Die Geschichten von den vier Schatzorten
und von dem Schrecklichen und Seltsamen,
was die Sucher dort erlebten
1
I
m Namen Gottes, des Barmherzigen, des Allerbarmers. Al-Fadl ibn Muhammad hat uns erzählt: Ich saß einmal an einem ungewöhnlich heißen Tage vor dem Emir ‘Abd al Wahhāb. Er selbst hatte auf einem hohen, sei denen Polster Platz genommen. Vor ihm standen Gestelle aus edlem Gold mit Ambrakugeln, deren Duft im Räume schwebte. »Fadl«, sagte er zu mir, »ich wünsche mir jemand, der mir eine wunderbare und seltsame Geschichte erzählen kann.« – »Hoher Emir«, gab ich ihm zur Antwort, »in deinem hiesigen Gefängnis befindet sich ein Kerl, der einige Zettel an mich geschrieben hat, auf denen er mich bittet, ihm eine Audienz bei dir zu er wirken. Mir ist berichtet worden, er sei gebildet und gescheit. Wenn du es befiehlst, lasse ich ihn holen.« Der Emir sagte: »Ich will ihn sehen!« So ließ ich ihn holen. Als er nun vor ihm stand, forderte der Emir ihn auf zu reden. Er stellte fest, daß der Ge fangene sich einer gepflegten Sprache bediente. Deshalb befahl er: »Bringet zunächst einmal ihn selbst und seine Kleidung in Ordnung.« Nachdem die Diener ihn ins Bad geführt hatten, zogen sie ihm seine Lumpen aus und legten ihm saubere Kleider an. Außerdem gaben sie ihm zu essen und zu trinken. Dann brachten sie ihn wieder zum Emir. Als er vor ihm stand, sagte der Emir zu ihm: »Mir ist berichtet worden, du seiest gebildet und gescheit. Ich bin heute auf den Wunsch verfallen, mit dir zu plaudern und Geschichten auszutauschen. Laß also hören, was du zu erzählen weißt.« Der Mann erwiderte: »Ich werde dir eine Geschichte erzählen, die du zum Teil kennst.« Der Emir sagte: »So erzähle deine Geschichte.« Da sprach er: 33
Wisse, hoher Emir, dem Gott Macht verleihen möge, daß ich auf Erden wunderbare und seltsame Dinge erlebt, daß ich Drangsale und Schrecknisse kennengelernt habe. Als junger Mensch hatte ich mich ganz den Freuden der Jugend ergeben. Mit Geld und Gut war ich freigebig. Könige waren meine Busenfreunde, und des Geschickes Auge gab nicht auf mich acht. Dann erwachte aber mein Schicksal, weil ich sein Vertrauen mißbrauchte, richtete meinen Wohlstand zugrunde, vernichtete mein Vermögen, und es kam so weit, daß ich drei Tage jeder Nahrung bar zu Hause saß. Da floh ich aus meiner Wohnung, um der Schadenfreude meiner Widersacher zu entgehen, ohne zu wissen, welchen Weg ich nehmen sollte. Immer weiter wanderte ich, bis ich nach Charschana kam. Ich trat in die Kirche ein und setzte mich unter die Armen. Als die Leute mit dem Almo senbrot erschienen, aß auch ich davon. Dies tat ich drei Tage lang. Am vierten Tage sah ich auf einmal einen Mann in die Kirche treten, wie es schöner keinen gibt. Er trug ein Kleid aus gelbem Brokat und hatte einen Diener, der ihm folgte. Nach dem er prüfend unsere Gesichter betrachtet hatte, grüßte er mich und sprach: »Ich hoffe, daß mich mein Blick nicht täuscht. Wenn du mich als Gast in meinem Hause beehrst, wird dir Glück zu teil werden, so Gott der Erhabene will.« Da erhob ich mich mit ihm, und voller Freude über seine Worte ging ich mit ihm zu seiner Wohnung. Nachdem er eingetreten und auch ich auf sein Geheiß eingetreten war, ließ er mir meine Lumpen ausziehen, schickte mich ins Bad und kleidete mich in eines seiner prächtigsten Gewänder. Essend und trinkend verbrachte ich nun mehrere Tage in seiner Gesellschaft. Danach befahl er seinem Diener: »Bestelle unseren Freunden, daß sie zu uns kommen sollen.« Da erschienen auf einmal zehn Männer. Sie grüßten, nahmen ihre Plätze ein, und nun kreisten die Becher bei uns. Nachdem wir dies zehn Tage betrieben hat ten, sagte er zu ihnen: »Geht und versorgt euch mit dem, was ihr braucht; denn an dem und dem Tag werden wir aufbrechen, so Gott der Erhabene will.« Nachdem uns die Leute verlassen hatten, neigte er sich mir freundlich zu und sprach: »Ich habe dich in der Tat bei meiner Beobachtung richtig eingeschätzt. Ich 34
will dich daher in mein Geheimnis einweihen. Wenn du mir dann helfen willst, so habe ich dies deiner Güte zu verdanken. Versagst du dich mir aber, so werde ich dir trotzdem nie einen Vorwurf machen.« Ich antwortete: »Sage, was du verlangst; denn ich nehme deine Befehle und Verbote als ein Sklave ent gegen, und ich bin dir ergeben, weil du mich mit Güte und Freundlichkeit überhäuft hast.« Darauf sprach er zu mir: »Ich habe von meinem Vater Bücher geerbt. In diesen Büchern habe ich gelesen, wie man zum Königskloster kommt und was es dort an wunderbaren Dingen gibt.« – »Auch ich habe den brennenden Wunsch, dieses Kloster zu sehen«, sagte ich, worauf er bemerkte: »Gott sei gedankt, daß wir eines Sinnes sind!« Nun begann er, die Maultiere und die nötigen Geräte vorzubereiten. Nachdem sich die zehn Männer an dem vereinbarten Ort eingefunden hatten, übergab er jedem von ihnen zwei Maultiere, eines zum Reiten, das andere zur Begleitung. Wir nahmen unsere Waffen auf und reisten sieben Tage lang. Danach ging uns das Wasser aus, und von unserer Verpflegung war kaum noch etwas übrig. Wir waren schier von Sinnen, die Maultiere waren ausgezehrt, und zu unserem Schreck verfehlte einer der Männer auch noch bei Nacht den Weg. Am Morgen befanden wir uns am Fuße eines Berges. Da befahl der Führer: »Bleibt hier, bis ich zu euch zurückkehre.« Dann ging er den Berg hinauf. Als ich ihm folgte, fragte er mich, wohin ich wolle. Ich ant wortete: »Ich weiche nicht von deiner Seite, weil ich dir in der Not helfen will, wie du mir im Glück geholfen hast.« Er bat Gott, mir mit Gutem zu vergelten, und fügte hinzu: »Dies habe ich nicht anders von dir erwartet.« Als wir den Gipfel des Berges erreichten, lag vor unseren Augen eine weite Flur. Er sagte zu mir: »Schau nach rechts und nach links, ob du irgendetwas gewahrst.« Nachdem ich meine Blicke hatte schweifen lassen, sagte ich: »Ich sehe eine menschliche Gestalt in der Ferne.« – »Dahin wollen wir«, antwortete er. Wir gingen nun in dieser Richtung, bis wir dorthin kamen. Da stellte sich heraus, daß die Gestalt ein Götzenbild aus schwarzem Gestein war. Es war mit einem weißen Mantel bekleidet. An den Füßen hatte es Schuhe aus smaragdgrünem Stein. Auf dem Haupte trug es eine hohe 35
Kappe aus goldgelbem Stein, und am Kopfe hatte es zwei rollende Augen. Dieses Bildwerk stand auf einem Felsen inmitten jener Flur. Nun sagte er zu mir: »Geh und hole unsere Gefährten«, worauf ich ging und sie herbrachte. Dann befahl er ihnen: »Grabet hier.« Sie gruben mit Spitz- und Schlaghacken, und nachdem wir genügend gegraben hatten, zeigte sich uns ein Rinnsal mit frischem Wasser. Wir tranken, bis wir satt waren, und gaben auch unseren Maultieren zu trinken. Bei diesem Rinn sal verbrachten wir die Nacht. Als der Morgen graute, sagte er: »Wir wollen aufbrechen!« So füllten wir unsere Wasserbehälter und reisten drei Tage lang, bis ein Berg vor uns auftauchte, grün, als wäre er ein Smaragd. Da pries unser Führer Gottes Allmacht, und voller Freude sagte er: »Auf diesem Berg liegt unser Ziel!« Nachdem wir dort geschlafen hatten, führte uns unser Weg am nächsten Morgen durch ein Gelände mit fließenden Bächen, dichten Bäumen, Früchten und Blumen, bis auf einmal das Kloster wie ein leuch tender Stern vor unseren Blicken aufging. Wir stiegen zu ihm hinauf und fanden in der Nähe eine Höhle, in der wir unser Gepäck ablegten und drei Tage verbrachten, bis wir uns ausgeruht hatten. Als wir dann zu dem Kloster gingen, sahen wir, daß es Mauern von vierzig Ellen Länge hatte. Es hatte kein Tor, aber an jeder Ecke eine turmartige Einsiedelei mit vier Türen. An jeder Tür befand sich das Standbild eines Menschen, der in der Hand etwas Waffenähnliches hielt, während zwischen je zwei Zinnen das Bildwerk eines Mönches stand, der einen großen Stein in der Hand hielt. Wir wunderten uns über den Anblick und sagten zu dem Führer: »Wir haben uns unser Reiseziel etwas anders vorgestellt! Wie konntest du dafür dein und unser Leben aufs Spiel setzen?« Er entgegnete: »Morgen werdet ihr sehen, was ich unternehmen werde, so Gott will.« Am nächsten Tage ließ er alle Seile, die wir bei uns hatten, zusammentragen und sprach: »Grabet an dieser Stelle.« Nachdem wir auch noch die ganze Nacht bis zum anderen Morgen gegraben hatten, wurde ein Tor sichtbar. Wir legten es frei und stellten fest, daß es aus Eisen bestand und mit Goldplatten be legt war, um die Verrottung durch die Erde zu verhindern. An 36
dem Tor befand sich ein großes goldenes Schloß. Als einer von uns herantrat, um es aufzubrechen, rief ihm ein anderer zu: »Laß das.« Darauf nahm er einen Stein an seine Seite, zielte und warf ihn auf das Schloß, während er selbst fortlief. Als der Stein das Schloß traf, kam hinter der Brustwehr eine große Gestalt hervor mit einem gewaltigen Stein in der Hand. Sie schritt auf dem Erdboden einher und hatte eine laute Stimme. Nachdem sie den Stein, der das Schloß getroffen hatte, zerstoßen und zu Pulver zermahlen hatte, bewegte sich dieses Götzenbild wieder hinauf an seine Stelle. Da sagte der Führer: »Hiervor hat mir immer gegraut.« Wir aber fragten: Was befindet sich hinter diesem Tor?« Er antwortete: »Es ist das Tor der Festung.« Wir fragten weiter: Weißt du einen Weg, es zu öffnen?« Er erwiderte: Wenn wir die Steine beiseite lassen, bekommen wir das Tor in unsere Gewalt.« Als jener Mann dennoch mit dem zweiten Stein auf das Schloß zielte, kam die Gestalt wieder hervor und tat das gleiche wie zuvor. Dies wiederholte sich immerzu, bis wir die Steine wegwarfen. Nun kam das Götzenbild nicht mehr hervor. Darauf gingen wir an das Schloß heran, zer brachen es, zogen die Seile durch den Türring und spannten sie den Maultieren um den Nacken. Nachdem wir sie geschlagen hatten, setzten sie sich in Bewegung. Da öffnete sich das Tor, und es drang ein starker Dunst zu uns heraus. Wir mußten drei Tage warten, bis er verflogen und völlig verschwunden war. Als wir uns endlich hineinwagten, erblickten wir einen gro ßen Brunnen. Wir banden einem von uns Seile um die Lenden und ließen ihn hinunter. Zu unserem Schreck hatte er erst nach dreihundert Ellen wieder festen Boden unter den Füßen. Wir ließen ihn eine Weile unten. Nachdem wir ihn wieder herauf gezogen hatten, fragten wir ihn: »Was hast du unten entdeckt?« – »Wunderbares«, antwortete er, »ihr müßt selbst hinunterstei gen!« So stiegen wir voller Angst und Furcht hinab. In der Mitte des Brunnens angekommen, sahen wir eine große Stein bank mit Standbildern aus Messing, die Waffen in der Hand hielten. Als wir stehenblieben, um sie zu betrachten, befahl der Führer: »Reißet diesen Bodenbelag auf.« Dies taten wir, und nun kam darunter ein fünf Ellen langer Sims zum Vorschein 37
mit dem Standbild einer aufrecht stehenden Gestalt, die in ihrer Hand eine Messingkette hielt. Der Führer befahl uns, an der Kette zu ziehen. Als wir es taten, sagte er: »Jetzt wird sofort ein Boot aus Messing bei euch zum Vorschein kommen. Werfet diese Seile auf seinen Bug und seht euch vor, daß es euch nicht entgleitet.« Darauf zogen wir kräftig an der Kette, die die Gestalt in der Hand hielt. Nun hörten wir ein gewaltiges Rauschen, und schon kam das Boot zusammen mit dem Wasser daher. Wir warfen die Seile auf den Bug, zogen es bis zu uns heran und sicherten es. Nachdem er uns geheißen hatte, den Mund vorrat und die Ausrüstung herzubringen, packten wir beides in dem Boot zusammen und stiegen ein. Darauf befahl er: »Laßt das Boot fahren.« Dies taten wir, und sogleich fuhr das Boot in rasender Fahrt bei undurchdringlichem Dunkel fünfhundert Ellen weit unter dem Berge her, ohne daß in der Finsternis etwas anderes als das Rauschen des Wassers zu hören war, bis es mit uns bei einer eisernen Barke, an der das Wasser beiderseits vorbeifloß, zum Stehen kam. Wir schlugen auf Befehl des Führers Feuer, steckten die Kerzen an und nahmen den Ort in Augenschein. Zu unserer Überraschung erblickten wir nun eine eiserne Leiter, an deren oberem Ende ein Götzenbild aus Messing stand mit einem Schwert in der Hand. Auf seine Frage, wer dort hinauf steigen wolle, sagten wir: »Siehst du denn nicht, was am oberen Ende der Leiter steht?« Da sprach er: »Zähigkeit bringt Reichtum, und wenn du ein schönes Mädchen erringen willst, mußt du ein hohes Brautgeld zahlen. Hier geht’s um ewige Herrschaft und unvergänglichen Reichtum. Wer wagt, gewinnt. Es ist ein gefährlicher Ort. Ich will daher als erster mein Leben aufs Spiel setzen und mich in das Wagnis stürzen. Die Schilde rung, die der Verfasser jenes Buches gegeben hat, beruht nämlich auf Wahrheit.« Wir antworteten ihm: »Du wirst nichts unter nehmen, ohne daß wir dir getreulich folgen.« Auf einmal gewahrten wir das Standbild eines Drachen mit aufgesperrtem Rachen und gewaltigen Eckzähnen aus Stahl. Da sagte unser Führer: »Wer sich in den Rachen des Drachen stürzt und mit heiler Haut davonkommt, der ist gerettet.« Wir entgegneten: 38
»Das ist etwas, was keiner vermag.« Da lachte er, und nun nahm er einen Bogen, bespannte ihn mit einer Sehne und legte einen Pfeil darauf, an dessen unteres Ende er eine dünne Leine befestigte. Als er seinen Blick zur Decke erhob, sah er dort einen großen Ring. Nachdem er den Pfeil durch den Ring hindurch geschossen hatte, zog er ihn mittels eines Stockes, den er bei sich hatte, an sich heran und band an das eine Ende der Leine ein langes, dickes Seil. Dann zog er die Leine an, bis das Seil in dem Ring (lang herunterhing). Jetzt befahl er: »Bindet mir das Seil um die Lenden, und wenn ich mich unterhalb des Ringes be finde, so lasset mich ganz allmählich hinunter. Auf diese Weise gelange ich hinter den Drachen. Der Verfasser jenes Buches be hauptet nämlich, dort sei eine Treppe.« Nachdem wir ihm dies zugesagt hatten, zogen wir das Seil an und ließen ihn hinter dem Drachen hinunter. Er stieg auf der Treppe hinab und be fahl uns, seinem Beispiel zu folgen. Dies taten wir und stiegen hinter dem Drachen auf einer Treppe etwa hundert Stufen hinunter. Dann gingen wir weiter bis zu einer Hochfläche, die sich hinter dem mit einem Schwert bewaffneten Götzenbild befand, stiegen diese wieder hinauf und dankten Gott dem Erhabenen. Der Führer sprach: »Jetzt haben wir die Schrecknisse über wunden. Allein wir wollen auf unserer Hut sein, da ja dem Verfasser des Buches etwas entgangen sein könnte.« Wir schrit ten auf der Hochfläche weiter bis zu einem großen Tor. Nachdem wir es geöffnet hatten, traten wir ein und gelangten in eine Vorhalle, die uns auf einen Schloßhof führte. Da lag ein gewaltiges Schloß vor uns, erbaut aus allerlei Marmorarten, deren bunte Muster von Goldadern durchzogen waren. In der Mitte befand sich ein Teich von... Ellen Länge und dreißig Ellen Breite, auf dem eine goldene Barke lag. Weiter sahen wir einen Bogengang mit offen stehenden Türen. Über jeder Tür stand ein Götzenbild. Da sagte der Führer: »In jedem dieser Räume ruhen unermeßliche Schätze, allein wir sind nicht davor sicher, daß diese Götzenbilder Unheil bergen, obwohl ich weiter auf das mir bekannte Ziel zugehen werde.« Damit trat er in die Säulenhalle hinein, und siehe, da fand er eine Truhe aus rotem Gold. Als er sie öffnete, fiel sein Blick auf die Leiche eines 39
Mannes. Um ihn herum lagen Haufen von Dinaren und neben seinem Kopf eine goldene Tafel mit der Aufschrift: Wenn einer nach diesen vergänglichen Gütern trachtet, so mag er davon nehmen, soviel wie er will; denn er wird es zurücklassen müs sen, wie wir es zurückgelassen haben, und er wird sterben, wie wir gestorben sind, indes die edlen Taten als schmückende Ket ten an unserem Nacken bleiben. Wer vorzieht, Gutes zu tun, wird auch Gutes ernten; wer aber Böses tut, wird sich dafür verantworten müssen. Alles vergeht, nur nicht der Herr des Himmels und der Erde.« Der Führer befahl uns: »Nehmt euch hiervon mit!« Da rafften wir so viel an uns, wie wir nur schaffen konnten, so daß er schließlich fragte: »Ist denn überhaupt kei ner mehr für mich hier?« Als ich mich daraufhin meldete, lüftete er das Haupt des Toten und nahm darunter eine goldene Büchse, einen Siegelring und ein Messer hervor. Er sprach: »Das ist der Gegenstand meines Sehnens und Trachtens gewesen!« Sprach’s, und vor lauter Freude sank er ohnmächtig nieder. Danach sagte er: »Wie herrlich wäre das, was wir gefunden haben, wenn es ein Bleiben mit ihm gäbe!« Ich antwortete: »Gott wird dich bleiben lassen; denn du bist ein junger Mann, für den wir ein langes Leben erhoffen.« Darauf gingen wir hinaus, verschlossen die Türen und brachten die Erde wieder in den früheren Zustand. Wir beluden unsere Reittiere und nahmen Früchte der Gegend als Wegzeh rung mit. Dann reisten wir, bis wir wieder zu dem Götzenbild in der weiten Flur kamen. Dort versorgten wir uns ausreichend mit Wasser und reisten weiter, bis uns nur noch eine kurze Strecke von dem bewohnten Land trennte. Auf einmal standen wir vor einem großen Dickicht mit Bäumen. Da machte sich die Nähe der Stadt durch eine Schar höchst vornehmer Muslime bemerkbar. Als wir uns unter den Bäumen versteckten, lief eine Gazelle auf ihrer Flucht zwischen unsere Reittiere, verfolgt von einem jungen Mann auf einem Pferd, der sie fangen wollte, während die Reiter einer nach dem anderen bei ihm anlangten. Als sie uns entdeckten, nahm unser Führer die goldene Büchse, das Messer und den Siegelring und vergrub sie am Fuße eines Baumes. Dann ergriffen uns die Leute und brachten uns zum 40
Emir. Dieser nahm uns unseren Besitz ab und ließ uns in Ket ten legen. Ich aber habe gesehen, daß das, was dir auf diese Weise zuteil geworden ist, mehr wert ist als alles, was du dir jemals aus dem Land der Byzantiner erträumen konntest. So bin ich von meiner Höhe wieder herabgestürzt und habe bis zur Stunde mit meinen Gefährten in deinem Gefängnis verbracht. Welches Leid könnte größer sein als unser Leid und welche Geschichte seltsamer als unsere? (Später erzählte der Gefangene weiter:) Da sprach der Emir: »Nie habe ich etwas Seltsameres erfah ren als dein Erlebnis und etwas Ungewöhnlicheres als deine Ge schichte.« Dann befahl er, meine Gefährten aus dem Gefängnis zu entlassen, ihnen die Fesseln abzunehmen und sie gut zu be handeln. Sodann fragte er mich: »Hast du Lust, meinen Boten zu begleiten und mir die Büchse, den Siegelring und das Messer zu holen? Dann werde ich dich so behandeln, wie es meinem Edelmut entspricht.« Ich antwortete: »Ich vertraue bedingungslos deiner Großmut und Güte.« Nun schickte er viertausend Reiter mit uns zu der Stelle unter dem Baum, und ich grub die Büchse, den Siegelring und das Messer aus. Zu unserer Überraschung enthielt die Büchse zwei Pfund alchimistischen Wirkstoffes sowie hundert Rubinen und hundert große Perlen. Da schenkte der Emir mir und dem jungen Manne je eine Unze des Wirkstoffes und jedem von unseren Gefährten etwa den sieben ten Teil davon. Im übrigen verteilte er viel Geld unter uns und sprach: »Es empfiehlt sich für euch, zum Islam überzutreten.« Da wurden ich und mein Freund Muslime, während die übrigen es vorzogen, ihren christlichen Glauben zu behalten. Jene ent ließ er, und sie gingen ihrer Wege. Ich aber und der junge Mann blieben im Kreise seiner nächtlichen Plauderer und Zechgenossen. 2 Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Allerbarmers. Als Kisrā eines Tages Audienz hielt, trat sein Türhüter herein und sprach zu ihm: »Hoher König, am Tor ist ein Mann, der 41
behauptet, dir einen guten Rat erteilen zu können.« Als er ihm Eintritt gewährte, kam er herein und grüßte. Kisrā fragte ihn: »Wer bist du, wie heißt du, und worin besteht dein guter Rat? Setze ihn mir klar auseinander und mache ihn mir einleuchtend.« Da sprach er: »Ich bin Sa‘āda (?) ibn al-Malik al-Achdar aus dem Geschlecht des ‘Abd al-Malik al-Akbar. Auf meiner Reise über einige Inseln des Indischen Ozeans habe ich an einer Höhle des Schaddād al-Akbar, des Königs des Morgen- und Abendlandes, haltgemacht. Weil ich ein armer Mann bin und weder über Geld noch über Leute verfüge, die ich hätte zu Hilfe nehmen können, war es mir nicht möglich, sie zu öffnen und die dort ver wahrten Schätze und Güter herauszuholen. Ich trage dir hiermit meine Entdeckung vor; denn wenn du die Schätze brauchst, so lasse es mich wissen, und hilf mir bei der Beschaffung, damit du deinen Reichtümern noch weitere hinzufügest.« Der König sprach: »Ich werde dir hundert erfahrene Männer beigeben.« Dann ließ er ihm die geeigneten Spitzhacken, Schlaghacken und sonstigen Geräte aushändigen, bestellte zu seiner Begleitung eine Schar tüchtiger Arbeiter und schickte sie mit ihm aus. Sie stachen von Ubulla aus bei günstigem Wind in See und fuhren länger als drei Monate, bis sie zu einer Insel gelangten. Weil es inzwischen stürmisch geworden war und sie das schlimmste be fürchteten, gingen sie an der Insel vor Anker, stiegen aus und versorgten sich daselbst mit Wasser und Früchten. Während sie auf dem Eiland umherwandelten und über die Fülle seiner Bäume, den Wbhlgeruch seiner Früchte und die Köstlichkeit seiner fließenden Gewässer staunten, hörten sie auf einmal ein großes Geräusch. Als sie ihre Häupter in seiner Richtung hoben, gewahrten sie einen riesigen Vogel, gewaltiger an Leibesumfang als ein Elefant und mit zwei Flügeln, die den ganzen Horizont bedeckten. (Einer der Reiseteilnehmer erzählt nun weiter:) Der Vogel stürzte auf uns herunter, schlug seine Klauen in zwei von unseren Männern und kreiste mit ihnen durch die Luft, worauf sie für immer unseren Blicken entschwanden. Ich sagte zu den Leuten: »Um Gottes willen! Laßt uns schleunigst wieder 42
auf unser Schiff gehen, bevor uns dieser Vogel den Garaus macht.« Sie erwiderten: »Wir wollen diese Nacht hierbleiben; denn er wird heute nacht nicht wiederkommen. Morgen wollen wir dann in aller Frühe zu unserem Schiff zurückkehren.« Es war noch keine Stunde der Nacht vergangen, da hörten wir vom Meer her Händeklatschen und allerlei Stimmen, und siehe, Mädchen tauchten aus dem Meer empor und kamen auf die Insel. Als sie nahe bei uns waren, lächelten sie uns an. Wir traten auf sie zu, ohne daß sie sich dadurch einschüchtern ließen oder vor uns flohen. Jeder von uns nahm sich ein Mädchen, und wir verbrachten mit ihnen eine Nacht, wie sie schöner und ergötzlicher nicht hätte sein können. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und unseren Frauen bestand darin, daß ihre Haut rauh war, als ob sie mit lauter kleinen Muscheln besetzt gewesen wäre. Als der Morgen anbrach, wurden sie verdrießlich und unruhig. Wir konnten sie nicht halten. So flohen sie zum Meer und stürzten sich hinein. Nun sagte einer von uns: »Rettet euer Leben; denn ihr seid nicht sicher davor, daß der Vogel wieder kommt.« So luden wir so viel Wasser und Früchte ein, wie wir konnten, und nachdem sich eine Brise erhoben hatte, fuhren wir einen Monat lang durch ein Meer, das wie ein Kessel kochte und in dem Ungeheuer auftauchten, von denen ein Schlag mit den Flügelspitzen genügt hätte, das Schiff zu zerschmettern. Wir begannen deshalb, jedesmal wenn sie sich uns näherten, Trommeln zu schlagen und Posaunen zu blasen, worauf sie die Flucht vor uns ergriffen. Dies währte ohne Unterlaß, bis eines Tages der Führer zu uns sagte: »Schauet aus, ob ihr vor euch etwas seht.« Wir antworteten: »Wir sehen etwas, was so hell ist wie das Sonnenlicht.« Da warf er sich nieder, indem er Gott dem Erhabenen dankte, und sprach: »Jetzt sind wir am Ziel.« Indem wir weiterfuhren, näherten wir uns einem großen Eiland, das hell wie Kampfer war. Dort warfen wir Anker und stiegen aus. Auf meine Frage, ob es hier etwas gebe, wovor wir uns in acht nehmen müßten, antwortete der Führer: »Nein, ihr könnt un behelligt umhergehen, wo ihr wollt.« So wandelten wir auf dem Eiland umher, ohne auf etwas Derartiges zu stoßen. Wir fanden dort Bäume und Früchte, derengleichen wir nie gesehen und 43
überhaupt nicht gekannt hatten, allerdings weicher noch als Butter und süßer als Honig. Weil die Bäume oft dicht inein ander verschlungen und die Pfade eng waren, verfehlte der Führer jetzt die Höhle. Verwirrt, ratlos und verärgert ging er mit uns unablässig im Kreise herum. Dabei führte uns unser Rund gang durch Dickichte, die uns von allen Seiten umgaben, und über Stellen, wo wir ringsum eingeschlossen waren. Während wir so im Kreise umhergingen und suchten, tauchte auf einmal die Höhle vor uns auf. Da warf er sich nieder, indem er Gott dem Erhabenen dankte. Dann befahl er: »Errichtet eure Zelte und ruht euch den Rest des Tages aus.« Wir aber taten, wie er uns befohlen hatte. Nachdem wir am nächsten Tage die Spitz- und Schlaghacken herbeigeholt hatten, befahl er uns: »Grabet diesen Felsen hier ringsum frei. «Viele Tage lang waren wir damit beschäftigt. Dann banden wir Seile und Ketten an den Felsen, und unter ständigen gegenseitigen Zurufen räumten wir ihn schließlich von dem Eingang weg. Nun sprach er: »Kommt, Leute, wir wollen das Los werfen, und wen das Los trifft, der geht hinein, sieht nach und berichtet uns, ob dort etwas ist, was wir fürchten müssen, oder etwas, was uns widerlich ist.« Als wir nun losten, fiel das Los auf einen Jüngling, der einer der Beherztesten und Unerschrokkensten von uns war. Dieser schickte sich an hineinzugehen. Am Tor der Höhle angekommen, setzte er seine Füße auf die Tiir schwelle. Da sprang das Standbild eines Löwen, das aus Messing gefertigt war und Eckzähne aus Stahl hatte, auf ihn zu, griff ihn mit aller Gewalt an und packte ihn. Wir hörten ihn nur noch einen einzigen Schrei von sich geben, dann warf ihn der Löwe irgendwohin und kehrte auf seinen Platz zurück. Dabei hörten wir noch die Stimme des Jünglings, als er schreiend in einen Brunnen daselbst hinunterfiel. Nun sagten wir zu dem Mann: Wehe dir! Was hat dich veranlaßt, dein und deines Mannes Leben aufs Spiel zu setzen?« Er erwiderte: »Seid mir gegenüber nicht voreilig, Leute; denn wer ernsthaft etwas Großes erstrebt, der nimmt das Wagnis auf sich und stürzt sich in Todesgefahren. Bei Gott, es bleibt uns das Mittel, das Zauberbild für ein Weil chen unwirksam zu machen.« Dann nahm er ein Buch aus seinem 44
Ärmel, blätterte in ihm und sprach: »Laßt uns beiseite gehen!« Darauf maß er die Strecke von dem Standort des Löwen bis zum Eingangstor der Höhle, hinterher das gleiche noch einmal auf dem Erdboden von dem Eingang der Höhle bis zum Standort des Löwen. Danach befahl er uns: »Grabet hier.« Da gruben wir, bis wir die Tiefe des Brunnens erreichten. Dann gingen wir von unten mit den Schlaghacken gegen den Brunnen vor, zertrümmerten ihn, machten ihn unbrauchbar und hörten, wie der Löwe in den Brunnen hinunterstürzte, vor dem er oben gestanden hatte. Als wir nun zum Tor der Höhle zurückkehrten, befahl er uns, Bretter herzubringen. Diese legten wir vom Tor der Höhle bis zum Brunnenrand, worauf er sprach: »Jetzt könnt ihr un besorgt in die Höhle hineingehen.« Als wir eintraten, sahen wir vor uns einen dunkeln Ort und sagten: Wir wagen nicht, ohne Kenntnis der örtlichkeit hier einzutreten; denn du könntest uns ja in den Tod führen.« Er antwortete: »Seht, ich gehe vor euch hinein!« Damit schritt er uns voran. Als wir ihn wieder erblickten, forderte er die Män nsr, die hinter ihm waren, auf hineinzukommen. So gingen wir durch einen dunkeln Gang, während er beteuerte, daß hier nichts zu befürchten sei, bis er uns auf einen breiten Platz hinausführte. Dort gewahrten wir ein eisernes Tor mit einem Schloß daran. Er nahm eine Eisenkeule, schlug darauf ein und zerschmetterte es. Nachdem er das Tor geöffnet hatte, sprach er: »Freut euch, Leute; denn bald haben wir es glücklich geschafft! Entscheidet durch das Los, wer allein hineingehen soll. Er soll in Augenschein nehmen, was sich seinen Blicken bietet, und uns berichten.« Nachdem wir das Los geworfen hatten und es auf einen von uns gefallen war, ging dieser hinein. Er gewahrte eine Treppe. Bei näherer Betrachtung stellte er fest, daß an ihrem unteren Ende ein Götzenbild auf dem Gesicht lag. Als er seinen Fuß auf die erste Stufe setzte, bewegte sich das Götzenbild und setzte sich hin. Als er den Fuß auf die zweite Stufe setzte, griff es nach einem Schwert, das neben ihm lag. Als er die dritte hinunterstieg, stellte es sich aufrecht hin. Als er schließlich den Fuß auf die vierte setzte, drehte sich das Götzenbild auf einer Achse im Kreise und versetzte ihm einen Hieb, mit dem es ihn in zwei Hälften zer45
teilte. Da sagte der Führer: »Dieser Anblick darf euch nicht erschrecken; denn wem das letzte Stündlein schlägt, der stirbt auf seinem Bett, wem’s aber nicht schlägt, der bedarf nicht der Listen, um am Leben zu bleiben. Alles, wovor ihr euch fürchten könntet, ist nun vorüber. Hacket mir jetzt von einem der Bäume ein dickes Stück Holz ab.« Nachdem einer von den Leuten gegangen war, das Holzstück abgehackt und es hergebracht hatte, sagte er: »Ich werde euch von dieser Sorge befreien und dieses Wagnis selber übernehmen.« Dann ergriff er das Holzstück und begann, Stufe für Stufe hinunterzusteigen, während das Götzenbild die gleichen Bewegungen machte wie zuvor. Als er die vierte Stufe erreichte, schwang es das Schwert im Kreise und schlug nach ihm. Er wehrte jedoch den Hieb mit dem Holzstück ab, so daß das Schwert darin stecken und der Schlag wirkungslos blieb. Er sprach: »Jetzt könnt ihr unbehelligt eintreten; denn jetzt habt ihr keine Falle mehr zu befürchten.« Da traten er und wir auf einen hellen Hof, der von schönen Bäumen, grünen Zweigen und einem Springbrunnen umgeben war, dessen Wasser den Mäulern wilder Tiere und den Schnä beln von Vögeln entsprang und sich in ein mit goldenen Platten belegtes Becken ergoß, dessen Glanz die Augen blendete. Alle diese Figuren schrien und sangen herzergreifend. An dem Becken lag ein gewaltiges Schloß mit einem großen Wasserlauf und einem Tor aus rotem Gold, das mit Perlen und Edelsteinen geschmückt war. In seinem Eingang stand eine Bettstatt aus glänzendem Silber, auf der ein Mann lag, der mit einem Leichentuch bedeckt war. Zu seinen Häupten lag eine Tafel aus Smaragdsteinen mit der Aufschrift: »Ich bin Schaddād al-Akbar. Ich habe tausend Städte erobert, habe mir tausend weiße Elefanten gesammelt und habe tausend Jahre gelebt. Alle Länder zwischen Ost und West habe ich beherrscht. Als mir der Tod nahte, hat mir alles, was ich gesammelt habe, nichts genützt. Darum soll, wer mich hier sieht, eine Lehre daraus ziehen; denn auf das Schicksal ist kein Verlaß. Alles, was ich an Gold und Edelsteinen gesammelt habe, habe ich in drei Höhlen verwahrt, von denen diese eine ist. Alles, was in dieser Höhle ist, befindet sich hinter meiner Bettstatt unterhalb einer Tür, die ich sternkundig habe anferti 46
gen lassen. Deshalb vermag kein Gelehrter sie zu öffnen, bis die aufgehenden Gestirne eben die sind, die für die ihm bestimmte Zeit festgesetzt sind und die sich durch Beobachtung als erforderlich ergeben haben für den, dem sich die Tür jedes Jahr für einen Tag öffnen soll. Wer daher zu ihr kommt, soll sich nicht ab mühen; denn er findet den Zugang erst, wenn die Gestirne es sind, die ihm seine Stunde schenken.« Da sagte der Führer: »Die Umstände entsprechen in der Tat seiner Schilderung. Gehet daher mit eurem Vorrat an Lebensmitteln sparsam um, hortet ihn und esset nur so viel davon, wie zur Erhaltung des Lebens er forderlich ist, unter Beigabe der Früchte, die diese Insel bietet, bis sich euch die Tür öffnet; denn wenn die Erdenbewohner auch jedes nur denkbare Mittel bei ihr verwendeten, so würden sie ihrer dennoch nicht Herr werden und fänden doch den Zugang nicht.« In dieser Weise verbrachten wir vier Monate. Dann aber hörten wir plötzlich ein gewaltiges Getöse. Wir erschraken und gingen schnell zu der Tür. Da fanden wir sie offen. Der Führer sprach: Wir wissen nicht, wie lange sie offen bleibt! Ergreifet jedoch Vorsichtsmaßnahmen zu eurem Schutz. Holet hölzerne Träger herbei und stützet die Höhle zwischen den bei den Türflügeln ab, bis ihr geholt habt, was ihr braucht.« Nach dem wir dies getan hatten, kamen wir in einen Sitzungssaal, der angefüllt war mit Edelsteinen, Gold und Silber. Wir schafften so viel davon fort, wie wir konnten, und beluden unser Schiff bis in die letzte Ecke. Dann verließen wir den Saal und nahmen die Träger und Balken, die wir angebracht hatten, wieder fort, um einem anderen den Zutritt zu verwehren, so daß er sich in der gleichen Weise wie wir abmühen und die gleichen Überlegungen anstellen müßte. Die Smaragdtafel mit der Beschreibung der Tür nahmen wir mit und stiegen nach oben. Wir wälzten den Stein an dem Tor auf seine alte Stelle, verschlossen die Höhle und machten sie unsichtbar. Dann segelten wir bei günstigem Wind und reisten Gott weiß wie lange. Wir hatten noch mehr Schrecknisse des Meeres zu erdulden und sahen noch mehr seiner Wunderdinge und der Mannigfaltigkeit seiner Ungeheuer, als wir auf unserer Herfahrt erlebt hatten. So reisten wir, bis wir in Hilla ankamen. Dann priesen wir Gott den Erhabenen und schrieben 47
an den König einen Brief, in dem wir ihm mitteilten, was wir gefunden hatten, und daß wir uns vor den wegelagernden Räu bern und Beduinen fürchteten. Da schickte er uns tausend Reiter und sandte viele Kamele und Maultiere. Wir luden alles auf und brachten es dem König dar. Er pries Gott den Erhabenen viele Male für das, was er ihm beschert hatte, und sprach: »Ihr habt eure Sache gut gemacht.« Jedem von uns schenkte er so viel, daß er aller Sorgen enthoben war, und wir wurden insgemein seine Höflinge, bis der Tod uns alle schied. 3 Es wird erzählt, daß Abān ibn Sa‘īd ibn al-‘Ās einmal zum Kalifen ‘Abd al-Malik ibn Marwān kam und tagelang an seiner Pforte warten mußte, ohne vorgelassen zu werden. Dann kam auch asch-Scha‘bī zu ihm, wartete ebenfalls an der Pforte, erhielt dann aber bald Einlaß. Vorher hatte Abān ihn gegrüßt und ihn wissen lassen, daß er bereits tagelang dort in der Absicht warte, von ‘Abd al-Malik vorgelassen zu werden, ohne es erreichen zu können. Er bat deshalb asch-Scha‘bī: »Wenn du es für richtig findest, ihn an mich zu erinnern, so tue es.« – »Ja, herz lich gern«, antwortete asch-Scha‘bī. Nachdem Abān noch den Wunsch ausgesprochen hatte, Gott möge es ihm mit Gutem vergelten, entfernte er sich. Am gleichen Abend sandte ‘Abd alMalik einen Boten zu asch-Scha‘bī, der ihn hereinführen sollte. Als er bei ihm eintrat, grüßte er, worauf ‘Abd al-Malik ihn Platz nehmen ließ. Nun begann er mit ihm zu reden und zu plaudern, bis ‘Abd al-Malik schließlich zu ihm sagte: »Es ist schon lange mein Wunsch, Geschichten vom Meer und seinen Wunderdingen zu hören; denn ich bin wahrhaft versessen darauf.« Asch-Scha‘bī gab ihm zur Antwort: »An der Pforte des Fürsten der Gläubigen steht Abān ibn Sa‘īd ibn al-‘Ās. Er hat das Meer bereist, seine Wunderdinge geschaut und Geschichten darüber gehört. Außer dem ist er ein angenehmer Gesellschafter und im vertrauten Um gang gut zu leiden.« Der Kalif befahl seinem Pförtner: »Laß Abān zu mir herein.« Der Pförtner ging hinaus und gewährte Abān Eintritt. Dieser kam herein und grüßte, wie es sich einem 48
Kalifen gegenüber schickt, worauf ihm der Kalif gestattete, Platz zu nehmen. Nachdem er sich niedergelassen hatte, fragte ‘Abd al-Malik ihn: »Weißt du etwas von den Wunderdingen des Meeres zu berichten, womit wir diese Nacht kurzweilig verbringen können?« – »Ja, Fürst der Gläubigen«, gab er zur Antwort, »ich habe mancherlei erlebt und gehört; doch was soll ich dir zunächst erzählen?« Darauf hub er an: Wisse, o Fürst der Gläubigen, daß Mu‘āwija ibn abī Sufjān mir hunderttausend Dirhems schenkte. Als ich mit ihnen nach Kufa kam, gab ich neunzigtausend davon aus, und mir blieben nur noch zehntausend übrig. Ich sagte mir: »Mich trennen von der Armut nur noch diese zehntausend Dirhems, doch ich will sie zu einer Reise in irgendwelche Länder verwenden. Vielleicht gewinne ich dadurch so viel, daß ich die Rückreise davon be zahlen kann.« Als ich nun begann, die Länder im Geist an mir vorüberziehen zu lassen, gab Gott mir ein, nach Indien zu reisen. Ich begab mich darauf nach Basra, kaufte für die zehntausend Dirhems Waren ein und bestieg ein Schiff, das auf persisch »Das Goldene« hieß. Wir fuhren bei günstigem Wind. Als uns die Reise mit der Zeit zu lange dauerte, bereute ich meinen Entschluß bitterlich. Ich kämpfte mit mir darum, ob ich mit den Reise gefährten Beziehungen anknüpfen sollte, und sprach bei mir: »Herz, plaudere doch mit deinen Schiffsgenossen und schließe dich ihnen an.« Danach plauderten wir ohne Unterlaß, so daß sie allesamt meine Freunde wurden. So verbrachten wir die Zeit, bis wir nach Ceylon kamen, das mir von großer Bedeutung für mich schien. Nachdem wir dort ausgestiegen waren, mietete ich mir daselbst eine schöne Unterkunft. Dann begann ich in der Stadt umherzuschweifen und mir eine Kenntnis von Land und Leuten zu verschaffen. So kam ich auch zu dem Götzentempel. Ich ging hinein und besichtigte ihn. Da sah ich in einer Ecke einen abgeschiedenen Beter, der sich bald auf den Boden warf, bald stehend niederbeugte. Vor ihm stand eine Räucherpfanne, in der er mittels Ambra und Aloeholz einen Wohlgeruch erzeugte. Weiter stand eine Tafel vor ihm, von der er aß, ohne daß ich wußte, was darauf war. Ich fragte einen der Anwesenden: »Was für 49
eine Bewandtnis hat es mit diesem Mann?« Er antwortete: »Dies ist ein Mann, der einen Wunsch vorbringt, um seine Erfüllung betet und Erhörung sucht. Er ist schon ein Jahr hier, ohne auch nur im geringsten Erhörung zu finden.« Ich blieb sprachlos vor Verwunderung darüber, daß sich ein Mann vor einem Götzen niederwerfen konnte, um von ihm die Erfüllung eines Wunsches zu erbitten. Einige Tage später hörte ich den Schall von Trommeln, Trompeten und Schallbecken und sah zu meiner Überraschung den Mann auf einem Elefanten umherziehen, rings von Leuten um geben. Ich folgte ihm zu seinem Hause, und als er hineinging, trat auch ich im Kreise der übrigen ein. Er nahm in seinem Empfangsraum Platz. Dann wünschten ihm die Leute Glück und gin gen wieder. Da ich jedoch sitzenblieb, fragte er mich, ob ich ein Anliegen hätte. Als ich es bejahte, forderte er mich auf zu spre chen, worauf ich sagte: »Ich habe dich vor einem Götzenbild einen Wunsch vorbringen sehen, und jetzt sehe ich dich froh und heiter. Hat etwa dein Gebet Erhörung gefunden, und ist dein Wunsch erfüllt worden?« Als er es bejahte, sagte ich: »Du hast mich mit deiner Mitteilung erfreut. Wenn du mir nun einen Gefallen tun willst, so läßt du mich wissen, worum du gebetet und was du dir gewünscht hast und wie dir Erhörung geworden ist; denn ich habe meine Heimat allein in der Absicht verlassen, nach Wunderdingen zu suchen, und ich glaube nicht, daß ich etwas Seltsameres hören könnte als dies.« Da lachte er, bat mich, bei ihm zu bleiben, und ließ Speisen auftragen. Nachdem wir gegessen hatten, ließ er Wein kommen, und wir tranken. Als der Wein auf ihn zu wirken begann, fragte er mich, woher ich käme. Ich antwortete: »Aus Kufa.« Nach meinem Namen befragt, sagte ich, daß ich Abān ibn Sa‘īd hieße. Er sprach: »Gott schenke dir ein langes Leben! Fürwahr, ich will dir die seltsamste Geschichte erzählen«, und er hub an: »Ich bin ein Mann, der gleich dir auf der Suche nach Wunder dingen und Seltsamkeiten ist. Eines Tages fiel mir ein Papier in die Hand. Als ich es las, fand ich darauf die Beschreibung eines Schatzortes, an dem sich eine Krone aus alter Zeit befindet. Der Verfasser des Schriftstückes hat sie seinen Nachfahren vorent50
halten wollen und hat sie deshalb an einem Ort hinterlegt, den er beschreibt. Die Krone selbst beschreibt er also: ›Ich habe eine Anzahl Leute nach China geschickt. Diese brachten mir von dort Steine mit, die Andarän heißen und nachts wie Lampen leuchten. Die Chinesen gewinnen sie nur unter Gefahren und großen Mühsalen. Sie behaupten, daß sie die Steine dem Maul von See tieren entnehmen, die sie töten, daß diese die Jäger jedoch manchmal verschlingen^ Von diesen Steinen haben sie ihm siebzig Stück mitgebracht, ein jeder einen Zentner Goldes wert. Ferner hat er die/ Krone mit dreihundert Perlen, Rubinen und Smaragden im Wert von einigen Zentnern Goldes besetzt. Aus den verschiedenen Arten von Smaragden und Perlen hat er die schönsten Stücke für sie ausgesucht und ihr Gold aus der besten Grube entnommen. An die rechte Ecke der Krone hat er einen Stein gesetzt, der Siegesstein heißt, weil ihn kein Heer schauen kann, ohne die Flucht zu ergreifen, zwischen die beiden großen seitlichen Steine der Krone einen Stein, dessen Besonderheit darin besteht, daß ein Hurensohn, von seinem Anblick geblendet, nichts sehen kann, in ihre Mitte schließlich einen Stein, den keiner schauen kann, ohne sich in Ehrfurcht und Achtung vor ihm niederzuwerfen. Jetzt weilen bei der Krone siebzig Weise und sieb zig Priester der Magier, die sie heilighalten und verehren. Da nach wollte er die Geschichte der Krone erzählen, und wie man zu ihr gelangen kann; doch hier bricht das Schriftstück ab. Ich war verblüfft und gefesselt von dieser Schilderung. Alle mir bekannten Weisen befragte ich darüber, doch sie hatten mir nichts zu sagen, und ich fand bei ihnen keine Aufklärung. Als ich mir keinen Rat mehr wußte, wandte ich mich demütig an jenes Götzenbild, bat es, offenbarte mich ihm und verbrachte vor ihm ein volles Jahr als einsamer Beter. Gestern nun sah ich, wie das Göt zenbild sich auf einmal bewegte. Dann rief es mich an. Ich stellte mich aufrecht hin und warf mich dann vor ihm nieder. Es befahl mir: ›Erhebe dein Haupt.‹ Als ich mein Haupt erhob, sagte es zu mir: ›Ich will mich deiner erbarmen^ Sprach’s und offenbarte mir den Weg zu der Krone. Ich aber habe mir alles wohl gemerkt, was es mir gesagt hat. Nachdem es noch hinzugefügt hatte: ›Du wirst bei deinem Unternehmen einen Gefährten ha 51
ben‹, verstummte es. Dann warf ich mich nieder, voller Dank für das, was es mir erwiesen hatte. Im übrigen bin ich der Meinung, daß es mit seinem Hinweis auf die Mithilfe eines anderen dich gemeint hat. Also frischauf zur Reise mit mir!« Ich erwiderte: »Ich kann damit nicht gemeint sein.« Er aber wandte ein: »Du hast dich ja schon aus eigenem Entschluß über die Gefahren hinweggesetzt!« Ich sagte: »Unsere Lehre ist, daß wir der Frage unserer Todesstunde und unseres täglichen Brotes enthoben sind. Wer aber dieser beiden Fragen enthoben ist, für den gibt es keine Furcht mehr.« Er meinte: »Dies ist ein Beweis gesunden Denkens, und deinesgleichen nehmen die Menschen gern zum Freund. Wenn also der Tag noch einmal soweit vorgerückt ist, habe ich beschafft, was du brauchst, und du kommst ohne Reiseverpflegung zu mir; denn du sollst keine Unkosten haben.« Nun ging ich von dannen und gab mein Hab und Gut in Verwahrung. Noch am gleichen Tage legte ich Reisekleidung an, gürtete mir Schwert und Dolch um und erschien wieder bei ihm. Als er mich sah, freute er sich und sprach zu mir: »Hier ist die Ausrüstung für die Reise.« Darauf bestieg er einen Elefanten und ließ mich einen anderen besteigen. Jeder von uns richtete sich nach seinen Wünschen ein, und dann traten wir unsere Reise an. Als die Nacht hereinbrach, suchten wir Unterkunft in einer Höhle, ließen die Elefanten weiden und schliefen selbst bis zum Morgen. In der Frühe stiegen wir wieder auf und reisten weiter. Zwanzig Tage verbrachten wir in dieser Weise, indem wir über Berg und Tal ritten. Dann gelangten wir zu einem großen Berg. Wir suchten eine dort befindliche Höhle auf, stiegen in ihr ab und ließen die Ele fanten weiden. Jetzt holte er aus seinem Gepäck ein kleines Zelt hervor und schlug es inmitten einer Wiese neben einem Flusse auf. Im Inneren breitete er einen schönen Teppich aus. Dann sprach er zu mir: »Mache mir mein Essen in der Höhle zurecht und bringe es mir täglich zur Zeit des Mittaggebetes in das Zelt, bis ich das Werk zu Ende führe, das ich tun muß.« – »Ich höre und gehorche«, gab ich ihm zur Antwort. Dann ging ich zu der Höhle. Ich brachte ihm nun täglich schon zur Zeit des Morgengebetes sein Frühstück und fand ihn immer an der Zelttür wie einen 52
Trunkenen liegen. Ich hinterließ deshalb Speise und Trank und entfernte mich bis zum nächsten Morgen. Nachdem wir in dieser Weise einen vollen Monat verbracht hatten, sagte er zu mir: »Bringe mir morgen nichts, und falls du mich bei deinem Kom men nicht antriffst, dann besteige einen von den beiden Elefanten, ziehe von dannen unter Gottes sicherem Geleit und Schutz und trachte nicht nach dem nahen Endziel unserer Reise; denn dann gibt es keinen Weg zu ihm.« Ich verließ ihn, aufs tiefste über ihn betrübt, weil ich ihm freundschaftlich zugetan war und mein Herz an der Krone hing und darauf brannte zu erfahren, welche Bewandtnis es mit ihr hatte. Nachdem ich eine lange Nacht verbracht hatte, ging ich am folgenden Tage zu den beiden Elefanten und belud sie mit meiner Habe. Dann stieg ich auf und ritt an seinen Platz hinüber. Siehe, da fand ich das Zelt in Brand gesteckt, und aus seinem Inneren drang dichter Qualm hervor. Ich wunderte mich darüber und blieb stehen, indem ich verblüfft hinstarrte, ohne zu wissen, was ich tun sollte. Während ich in dieser Weise dort stand, vernahm ich auf einmal von dem Berge her ein gewaltiges Krachen wie von einem Einsturz, dann noch einmal das gleiche und danach einen seltsamen Ruf. Als ich mich bemühte, ihn zu deuten, erkannte ich, daß es eine Stimme war, die rief: »Kehre um!« So kehrte ich zu dem Ort zurück, an dem ich gewesen war. Dann ging ich dorthin, von wo ich die Stimme gehört hatte, jedoch ohne irgendjemand zu erblicken, und blieb dann den ganzen Tag stehen, indem ich abwartete, was es wohl für eine Bewandtnis mit ihr habe. Am nächsten Tage kam plötzlich der Mann, mein Freund, zu mir. Als ich ihn sah, umarmte ich ihn und sprach: »Gott weiß, was ich an Kummer, Gram und Schmerz um dich erlitten habe. Preis sei Gott, der dich mir zurückgegeben und uns wieder zusammengeführt hat! Und nun laß mich wissen, wie es dir ergangen ist.« Er sagte zu mir: »Bringe mir jene Satteltasche her.« Als ich es tat, öffnete er sie und entnahm ihr schöne Kleider. Diese zog er an und versah sich reichlich mit Wbhlgerüchen. Dann sprach er zu mir: »Sei getrost und guten Mutes; denn durch Gottes Beistand und Güte haben wir unser Ziel erreicht.« Danach stieg er auf den Berg und sagte zu mir: »Wenn mein Bote zu dir 53
kommt, dann säume nicht, lege saubere Kleider an und versieh dich mit Wohlgerüchen.« Sprach’s und ging von dannen. Als es Abend wurde, erschien auf einmal ein Jüngling mit schönem Antlitz, grüßte mich und sprach: »Komm mit, mein Herr.« Nachdem ich mich angezogen und mit Wohlgerüchen versehen hatte, wie mir mein Freund befohlen hatte, ging ich mit ihm. Er stieg mit mir den Berg hinan und führte mich in eine große Höhle. Dort sah ich ein fertig gesatteltes und gezäumtes Roß stehen. Er hieß mich es besteigen, und nun schritt er vor mir her, bis er mich zu einem großen Schloß hinausführte, in dessen Mitte ein Garten lag, reich an Blumen und Pflanzen. Nachdem ich abgestiegen war, trat er vor mir ein, und siehe, da saß mein Freund auf einem Liegepolster, indes ein zweites neben ihm ausgebreitet war. Erst wurden uns Speisen aufgetragen, die wir aßen, dann Wein, den wir tranken, und er reichte mir ein Maß, das ich leerte. Darauf näherten sich uns schöne Mädchen, Monden gleich und angetan mit allerlei Schmuck und Gewändern. Sie ließen sich bei uns nieder und sangen, wie schöner keiner singen kann. So verbrachten wir drei Tage lustig und vergnügt. Am vierten Tage sagte ich zu meinem Gefährten: »Mein lieber Freund, nun laß mich wissen, wie sich alles zugetragen hat.« Er erwiderte: »Mit der Aufsicht über die Krone ist eine Anzahl Geister, Dämonen, Teufel und Zauberer betraut. Nachdem ich mich in meinem Zelt niedergelassen und zu wirken begonnen hatte, wie es meine Kenntnis der Dinge gebot, strömten alle mit der Obhut der Krone Betrauten bei mir zusammen und wollten mich töten. Sie legten Feuer an mein Zelt, wie du gesehen hast, und nahmen mich gefangen, um mich zu töten. Ich verlor schier den Verstand, flehte inbrünstig zum Gott des Himmels und sprach: ›O Gott des Himmels, errette mich aus meiner Not; denn ich bin dein Diener.‹ Sie wollten mich eben umbringen, da überschattete sie eine große Wolke, die ein heißes Feuer enthielt. Dieses senkte sich auf sie hernieder und verzehrte sie samt ihren Behausungen. Ich aber rannte meiner Wege davon, bis ich schließlich hierher kam. Diese Mädchen haben mich aufs freundlichste aufgenommen, mich huldreich und hochherzig behandelt und haben versprochen, mir Gutes zu tun. Sie haben gesagt: ›Wir 54
werden dir in deinen Bemühungen helfen und beistehen^ Ich teilte ihnen meine Absicht mit, und sie bestellten jemand zu deinem Schutz, der dich hierher geleiten sollte. Nun sei getrost und guten Mutes; denn morgen werden wir mit der Öffnung des Schatzortes beginnen, und wir werden der Krone habhaft werden, so Gott der Erhabene will.« Am nächsten Morgen gingen wir in der Frühe zu der Stelle und begannen zu graben. Zwölf Tage lang gruben wir, bis wir auf einen großen, schwarzen Felsen stießen, auf dem Inschriften und Bilder angebracht waren, die den Betrachter in Erstaunen setzen mußten. Mein Freund begann, sie zu lesen und sich über den Inhalt zu wundern. Auf meine Frage, was es da Erstaunliches gebe, antwortete er: »Sollte ich mich nicht wundern, wo der Schreiber der Inschriften erklärt, er werde noch einmal hierher kommen, die Krone an sich nehmen und die Welt ein zweites Mal beherrschen, wie er sie bereits beherrscht habe? Denn wenn dies richtig ist, werden wir nicht bis zu ihr vordringen.« Ich widersprach ihm: »Mann, das Gerede dieser Schreiber ist Lug und Trug. Wende alle deine Kräfte auf; denn ich hege die Hoffnung, daß dir die Krone von Gott zuteil werden wird.« Auf sein Geheiß brachte ich ihm nun Seile, die wir an dem Felsen be festigten und an die beiden Elefanten banden. Dann schlugen wir auf die Elefanten ein, zogen die Seile mit einem Ruck an, und schon war der Felsen weggerissen. Darunter kam eine vergoldete Eisentür zum Vorschein. Nach langer Arbeit gelang es uns, die Tür zu öffnen, und nun sahen wir, hinter ihm hergehend, einen Höhlenbewohner, der vor uns eingetreten war und ein Feuer angezündet hatte. Nachdem wir etwa drei Meilen unter der Erde gegangen waren, kamen wir zu einem großen Götzen bild in Gestalt eines Pferdes. Als wir uns ihm näherten, befiel uns eine Ohnmacht. Wir verloren das Bewußtsein und sanken zu Boden. Zwei Tage und zwei Nächte verbrachten wir in diesem Zu stand. Dann hörte ich leise Schritte, und auf einmal gewahrten wir einen Mann, der Füße wie ein Vierfüßler, aber ein Gesicht wie ein Mensch hatte. Er schaute uns an und ging dann wieder weg. Nachdem er eine Weile fortgeblieben war, kehrte er mit einem gelben Kraut zurück, das er uns auf das Gesicht legte, wor55
auf wir wieder zu uns kamen und aufstanden. Nun eilte er vor uns her, während wir ihm folgten, bis er mit uns zu unserem Lagerplatz hinauskam. Dort aßen wir von unseren Speisen und tranken von unserem Wein. Dabei blieb jener Mensch in einiger Entfernung von uns stehen. Wir riefen ihn und baten ihn, zu uns zu kommen. Als er sich uns näherte, zeigten wir ihm die Speisen und den Wein, worauf er aß und trank. Danach wurde er mit uns vertraut und sprach in einer Sprache der Sindis, die der Mann, mein Freund, kannte. Er redete ihn an und fragte ihn: »Was suchst du hier?« Mein Freund ließ ihn wissen, daß er gekommen sei, um die Krone zu suchen. Da sagte jener Mensch zu ihm: »Brudersohn, diese Krone ist hier nicht als wertlos zurückgelassen worden, sondern es sind mit ihr allerlei verderbliche Zauberkräfte, astrologische Wirkungen und unterirdische Wunderdinge verknüpft. Ich glaube daher, daß du der Suche nach ihr überdrüssig werden wirst.« Der Mann erwiderte: »Ich werde den Überdruß mit Aus dauer bekämpfen. Vielleicht werde ich sie dann erringen.« Jener fuhr fort: »Ich habe dich inzwischen liebgewonnen. Ich bin dein treuer Helfer und verspreche, alles in meiner Kraft Stehende für dich zu tun. Was aber nicht in meinen Kräften steht, davor warne ich dich, wie es sich für einen geziemt, der dich liebt und dich vor Unglück bewahren möchte. Laß mich jedoch wissen, welchen Zweck es für dich hat, die Krone zu gewinnen, wo sie ja doch nach deinem Tod, und sei es auch am Ende eines langen Lebens, ein anderer ergreifen wird, der ihrer nicht würdig ist. So bist du nämlich wie einer, der den Weg zu einem frommen Büßer findet und ihn dann umbringt. Dabei bist du dir durchaus im klaren darüber, was vielmehr die Pflicht dessen wäre, der also handelt. Es ist besser für dich, auf die Krone zu verzichten. Ich will dir statt dessen einen Ort zeigen, wo sich zentnerweise Gold und Silber sowie Edelsteine verschiedener Art finden, die du nehmen und nutzen kannst. Aber vergreife dich nicht an dieser Krone.« Der Mann wollte seinem Vorschlag bereits zustimmen, dann fragte er aber mich noch um Rat, worauf ich zu ihm sprach: »Wir wollen ja nur die Wunderdinge schauen und sehen, was wir noch nie gesehen haben. Wir werden die Krone an ihren Platz 56
zurücklegen, wenn wir sie mit eigenen Augen betrachtet haben.« Jetzt sagte er zu meinem Freund: »Dies führt dich in den Tod! Versündige dich nicht vor Gott durch freventliches Spiel mit deinem Leben.« Er widersprach jedoch: »Es geht nicht anders. Ich muß zu der Krone!« – »So handle nach deinem Wunsch und Willen«, gab ihm jener Mensch zur Antwort, und dann fügte er hinzu: »Vor allem mußt du daran denken, und dies rate ich dir wohl, daß du viel von diesem Kraut mitnimmst; denn ohne das Kraut kannst du an den Götzenbildern nicht vorübergehen. Sei kein Heißsporn, und wenn du dir nicht mehr helfen kannst, dann rufe dreimal laut ›Mubaschschir!‹ Dann werde ich nämlich schleunigst zu dir kommen. – Und nun lasse ich euch allein.« Mit diesen Worten ging er fort. Ich sagte zu meinem Gefährten: »Mein lieber Freund, noch niemals habe ich eine Gestalt wie diese gesehen.« Da erzählte er mir folgendes: »In diesen Bergen und in den Tälern ringsumher gibt es viele dieser Gestalten. Sie sind kluge Wesen, die von einem indischen König abstammen, der einmal in diese Gegend kam, um zu jagen. Als er sich eines Nachts betrunken hatte und seine Stute an einem Pfosten seines Zeltes angebunden war, trat er zu ihr und verging sich an ihr, worauf sie von ihm schwanger wurde. Nachdem sein Rausch vorüber war und er von seiner Tat gehört hatte, ließ er die Stute laufen, brach sofort auf und verbot, daß irgendjemand wieder in diesen Gefilden jagte. Darauf brachte die Stute zwei von diesen Gestalten zur Welt, eine männliche und eine weibliche. In der Folge vermehrten sie sich, und sie sind alle so, wie du sie hier siehst. Schließlich wurden ihrer so viele, daß das Gebirge voll von ihnen ist.« Da wunderte ich mich sehr. Am nächsten Tage erhoben wir uns und sammelten eine Menge jener Kräuter. Dann betraten wir die Höhle und drangen bis zu jenem Götzenbild vor. Dieses Mal hatten wir kein Ungemach von ihm zu erdulden. Wir gingen an ihm vorüber, und nachdem wir noch etwa eine Meile zurückgelegt hatten, kamen wir zu einem anderen Götzenbild mit ausgestreckten Händen und einer großen Perle auf der Brust, die gleich einer Lampe leuchtete. Als wir seiner ansichtig wurden, konnten wir nicht mehr sehen, 57
was vor uns lag, und unsere Augen und unsere Blicke waren verhüllt. Wenn wir von dem Götzenbild zurücktraten, konnten wir sehen; richteten wir aber den Blick aufs neue darauf, so sahen wir wieder nicht, was vor uns lag, und unsere Augen waren abermals verhüllt. Da nahmen wir ein Stück Lehm, formten Kugeln daraus, holten einen Bogen hervor und schössen so lange auf jene Perle, bis wir ihr Licht zum Verlöschen brachten. Nunmehr wagten wir uns vor und schritten bis in seine Nähe. Da streckten sich uns aus der Erde Hände aus Messing entgegen und umklammerten unsere Füße, so daß wir uns nicht mehr fortbewegen konnten. Ich fragte meinen Freund: »Weißt du einen Ausweg?« Als er es verneinte, riet ich ihm: »Rufe doch dreimal jenen Menschen an: ›Mubaschschir, Mubaschschir!‹« – Unmittel bar danach erschien er bei uns und fragte: »Was gibt’s bei euch?« Als wir es ihm berichteten, lachte er und sprach: Wenn du diese kleine Schwierigkeit nicht bewältigen kannst, so wirst du anderer Schwierigkeiten erst recht nicht Herr werden.« Wir baten ihn: »Zeige uns einen Ausweg aus unserer Lage.« Nachdem er sich einen Augenblick entfernt hatte, kam er mit einem Stein zu uns zurück, der wie ein Schleifstein aussah. Diesen ließ er auf die Messinghände niederfallen, zerschmetterte sie und befreite uns von ihnen. Dann sprach er: »Behaltet den Stein für den Fall, daß euch ein neues Ungemach widerfährt.« Darauf gingen wir wieder zu unserem Lagerplatz und warteten das Ende der Nacht ab. Dann aßen und tranken wir. Am folgenden Tag betraten wir wieder den unterirdischen Gang. Als wir zu dem Götzenbild kamen, brachen wir ihm die Perle aus, die es auf der Brust trug, und gingen weiter, bis wir auf einmal eine Pforte aus rotem Gold gewahrten, an der der Schlüssel steckte. Sie trug seltsame Inschriften, und vor der Pforte lag ein Felsblock aus Gold. Als wir uns der Pforte näherten, ge riet der Felsblock in Bewegung, schwankte, und eine Fratze trat aus ihm in Erscheinung, wie ich häßlicher noch nie eine gesehen habe. Diese redete in einer Sprache, die wir nicht verstanden. Dann entsprang dem Fuß des Felsens ein gewaltig strömendes Wasser. Wir flohen von dannen, doch die Fratze schrie fürchterlich hinter uns her und verfolgte uns bis an das Ufer des Flusses, während 58
das Wasser bis zum Rand der Höhle stieg. Da gaben wir alle Hoffnung auf und sprachen: »Ein solches Wasser läßt uns nie mals bis zu der Krone gelangen«, und wir beschlossen, den Rückweg anzutreten. Ich sagte jedoch zu meinem Freund: »Rufe doch jenen Menschen an. Vielleicht weiß er einen Ausweg.« Dreimal rief er ihn bei seinem Namen: »Mubasdischir, herbei!« Nach einer kleinen Weile kam er zu uns und fragte: »Was ist euch widerfahren?« Als wir ihn über das Hereinbrechen des Wassers unterrichteten, betrachtete er es, führte uns dann an eine Stelle neben unserer ersten Grabung und befahl uns, hier zu graben. Als wir dies taten und nur eine Elle neben ihr bis zur gleichen Tiefe vorgedrungen waren, zeigte sich auf einmal eine Stein platte. Auf sein Geheiß rissen wir sie heraus und gewahrten einen unterirdischen Wasserlauf. Nachdem wir einen Durchbruch zu ihm gegraben hatten, ergoß sich das Wasser der Höhle in ihn hinunter. Drei Tage warteten wir, bis es völlig abgeflossen war. Dann kehrten wir zu dem unterirdischen Gang zurück und gingen in ihn hinein bis zu dem Götzenbild und der goldenen Pforte. Hinter ihr öffnete sich unseren Blicken ein breiter, viereckiger Saal. In seiner Mitte stand ein goldener Schrein und auf dem Schrein ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Darüber hingen Lampen, die je einen Rubin enthielten. Wir gingen hinein und traten an den Schrein heran. Als mein Freund ihn berührte, wurde sein Arm von der Schulter bis auf die Hand von Pocken bedeckt, und er sprach: »Dies ist eine weitere Prüfung.« Nun erblickte ich an der erhöhten Seite des Saales ein goldenes Gefäß. Als wir zu ihm hineilten und es öffneten, fanden wir grüne Erde darin und glaubten, dies sei ein alchimistischer Wirkstoff. Da rief mein Freund dreimal »Mubasdischir, herbei!«, und schon kam er und fragte: Was gibt’s Neues?« Als wir ihm unsere Entdek kung mitteilten, sagte er: »Nehmt von dieser Erde, die in dem Gefäß ist, und mischet sie mit dem Sträuchersaft, den ich euch bringen werde. Reibet damit eure Hände ein und gehet an den Schrein. Dann wird er euch zugänglich sein, so Gott der Erhabene will.« So gingen wir hinaus, nahmen von dem Sträuchersaft und vermischten ihn mit etwas Erde aus dem Gefäß. Nachdem wir unsere Hände damit eingerieben hatten, traten wir an 59
den Schrein heran, öffneten seine Tur, und siehe, da lag die Krone in einer dünnen Goldhülle. Als ich mich anschickte, die Hülle von ihr zu entfernen, schrie mich mein Freund an: »Tue es nicht!« Er hob sie vielmehr in ihrer Hülle auf, wie sie war, worauf er vor lauter Freude in Ohnmacht fiel. Danach rief er dreimal »Mubaschschir, herbei!«, und schon kam er herbei. Als mein Freund ihn erblickte, dankte er ihm, küßte seine Hand und sprach: »Ich bin dermaßen in deiner Schuld, daß ich sie nicht abtragen kann und wir dir nie den geziemenden Dank erstatten können. Doch offenbare mir noch, wie man es ermöglichen kann, die Krone aufzusetzen; denn es ist ein Edelstein in ihr, den keiner schauen kann, ohne geblendet zu werden, und wer sie aufsetzen will, möchte auch frei über sie verfügen können.« Er antwortete ihm: »Ich werde dir etwas geben. Wenn du dies bei dir hast, kannst du sie mit der Hand berühren und darfst alle Vorsicht fahren lassen. Nimm dir nun von dieser Stätte, was dein Herz wünscht, geh hinaus und versetze sie wieder in ihren alten Zustand. Danach werde ich dir verschaffen, was du willst und begehrst.« So nahmen wir auch das Gefäß mit, dazu viele Edelsteine und einige von den goldenen Lampen. Auch die große Perle nahmen wir mit. Dann versetzten wir den Ort wieder in den alten Zustand. Danach sprach mein Freund zu Mubaschschir: »Nun berichte mir, was du mir in Aussicht gestellt hast.« Er erwiderte: »Nimm die Galle eines Adlers, dazu das Kraut der langen Lebenszeit und knete daraus eine Gazelle.« So verfertigten wir eine Falle und stellten sie auf, bis wir einen Adler fingen. Wir nahmen seine Galle, sammelten das Kraut und kneteten daraus eine Gazelle, wie er uns gesagt hatte. Dann ließen wir sie trocknen und nah men sie in einer Büchse mit. Nachdem wir viel von dem Kraut zusammengetragen hatten, gingen wir zu den Elefanten, stiegen auf und ritten von dannen. Da wir einen anderen Weg nahmen, als wir hergekommen waren, sagte ich zu meinem Freund: »Ich sehe, daß du von unserem früheren Weg abgebogen bist.« Er erwiderte: »Ich möchte dich schauen lassen, was ich tun werde. Komm mit, so werde ich dir den Heimweg zu den Deinen ermöglichen, werde dir die Edelsteine schenken, die ich hier bei mir habe, und du wirst wohlbehütet deines Weges ziehen.« Da 60
empfand ich einen unüberwindlichen Drang zu erfahren, was er wohl unternehmen werde, und ich sagte zu ihm: »Ich werde mit dir gehen.« – »Gott der Erhabene schenke dir Segen auf unserer Fahrt«, gab er mir zur Antwort. So reisten wir, bis wir zu einem großen Garten kamen, in dessen Mitte ein Kuppelbau stand, der hoch in den Himmel ragte. Dieser hatte eiserne Tore und war von einem breiten Gra ben mit fließendem Wasser umgeben, über den eine Brücke führte, die ihrerseits wieder mit eisernen Toren versehen war. Auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke lag ein gewaltiges Schloß, dessen Tor verriegelt war. An einer Stelle, die sich in der Nähe des Schlosses unter den Bäumen befand, kamen wir aus. Dort gruben wir und holten aus der Erde ein großes Brokatzelt hervor. Nachdem mein Freund das Zelt aufgestellt und einen schö nen Teppich darin ausgebreitet hatte, sagte er zu mir: »Ich hätte gern deine Unterstützung für meinen Plan.« – »Du brauchst mir nur zu befehlen«, gab ich ihm zur Antwort, worauf er sprach: »Nach drei Tagen werden sich sämtliche Könige Indiens in diesem Garten versammeln und hier im Schlosse Einkehr halten. Dann wirst du einen wunderbaren Tag erleben. Ich möchte von dir, daß du dann dieses Stück Räucherwerk zusammen mit diesem Kraut nimmst und mit beidem vor mir räucherst, ohne deine Tätigkeit zu unterbrechen oder dich durch irgendetwas anderes ablenken zu lassen.« – »Dies werde ich tun«,antwortete ich.Danach ging ich fort und setzte eine Menge Holzkohle in Brand. Nach zwei Tagen nahm er sich seinen großen Elefanten vor, schmückte ihn und behängte ihn mit allerlei Zierrat. Dann holte er königliche Gewänder und einen mit Edelsteinen dicht besetz ten kurzen Rock hervor, zog dies an und nahm jene Gazelle in die Hand. Weiter holte er ein kleines, mit allerlei Edelsteinen verziertes Götzenbild aus Gold hervor. Dieses behielt er vor sich auf dem Elefanten, dazu die verhüllte Krone, und befahl mir zu räuchern, sobald er mir die Anweisung dazu erteilen werde. Am dritten Tage sah ich das Schloß offen, und die Sindis kamen mit ihren Bannern heraus. Diese stellten sie am Gartentor auf und versahen den Kuppelbau mit dem erlesensten Schmuck. Es dauerte nicht lange, bis sich eine gewaltige Staubwolke erhob. 61
Dann tauchten die Elefanten der Könige mit ihrer Bedienungsmannschaft in der Wolke auf, und siehe, auf weißen Elefanten reitend, angetan mit den prächtigsten Gewändern, kamen die Könige zu uns an jenen Garten. Als sie dicht bei uns waren, be fahl mir mein Freund: »Jetzt räuchere unermüdlich.« Ich folgte seinem Geheiß, und sobald der Wohlgeruch aufstieg, enthüllte er die Krone und setzte sie auf sein Haupt. Als die Könige dies sahen, stürzten sie allesamt vor ihm zur Erde, nahmen ihre Kronen von den Häuptern und warfen sich vor ihm nieder, in dem sie ihr Antlitz im Staube wälzten, während er lange Zeit kein Wort verlauten ließ. Dann rief er ihnen zu: »Erhebet eure Häupter.« Dies taten sie, während er sich mit seinem Elefanten in Bewegung setzte, bis sie schließlich aus dem Räucherbereich herauskamen und er an den Eingang des Gartens gelangte. Dort warfen sich sämtliche Sindis vor ihm nieder. Er selbst stieg von dem Elefanten ab, während ich weiter räucherte. Dann schritten wir durch den Garten zu dem Kuppelbau. An seinem Eingang hingen Vorhänge aus Brokat, und auf goldenen Sesseln saßen ehrwür dige Greise. Als sie ihn erblickten, warfen sie sich vor ihm nieder und entblößten ihr Haupt. Er aber schritt zu dem hinter Vorhängen stehenden Götzenbild hinein und warf sich vor ihm nieder. Nachdem er den Kuppelbau wieder verlassen hatte, setzte er sich auf den Thron, und die Könige stellten sich vor ihm auf. Jetzt befahl er als Recht, was sie bisher nicht als rechtens be trachtet hatten, und verbot, was man geziemenderweise nicht verbietet. Dabei gab er sich ganz wie ein König von einst und ehedem. Dann befahl er den Leuten zu gehen, und er entfernte sich auch selbst. Nachdem er zu dem Schloß hinübergeritten war, trat er hinein und erklärte ihre Mädchen und Frauen zu seinen Haremsdamen. Die Könige gingen und ließen sich bescheiden an der Pforte nieder, während ich stolz vor seinem Angesichte stand. Auf einmal rief er einen Mann herbei und flüsterte ihm etwas zu. Dann sagte er zu mir: »Gehe mit ihm und sieh, was er dir zu sagen hat.« Dieser nahm mich bei der Hand, brachte mich hinaus und sprach zu mir: »Mann, wodurch hast du verdient, von ihm hingerichtet zu werden?« Ich fragte ihn: »Hat er dir wirklich befohlen, mich zu töten?« Als er es bejahte, sagte ich zu 62
ihm: »Ich habe einen Wunsch an dich.« Auf seine Frage, was dies sei, bat ich ihn: »Du läßt mich mit diesen Königen zusammenkommen, so daß ich ihnen etwas sagen kann; denn es steht bei mir, sie wieder froh zu machen.« Da freute er sich sehr, brachte mich zu ihnen und unterrichtete sie. Sie traten alle auf mich zu und versicherten mir: »Wenn du uns ermöglichst, wieder froh zu werden, teilen wir unsere Reichtümer mit dir und behandeln dich ganz nach deinem Wunsch.« Ich bat sie: »Laßt mich wissen, warum ihr euch vor ihm niedergeworfen habt.« Sie erwiderten: »In unseren Büchern steht geschrieben, daß der größte König unter uns, der Träger dieser Krone, eines Tages erscheinen, sich die Krone aufs Haupt setzen und vor uns treten wird. Dann gibt es für uns keine andere Wahl als ihm untenan zu sein. Für uns hat immer festgestanden, daß nie ein anderer Macht über die Krone gewinnen werde. Nachdem wir aber gesehen haben, daß dieser hier mit unseren alten Sitten gebrochen und sie durch neue ersetzt hat und daß er nicht so handelt, wie es in unseren Bü chern steht, wissen wir, daß er nicht der echte Träger der Krone ist.« Da sagte ich zu ihnen: »Steiget zu einem höher gelegenen Ort hinauf.« Nachdem sie dies getan hatten, rief ich dreimal mit höchster Lautstärke »Mubaschschir, herbei!« und schon kam er zu mir gelaufen und fragte mich: Was ist dir zugestoßen?« Ich sagte: »Habe ich dies von meinem Freund verdient? Ich habe ihm geholfen, die Krone zu gewinnen, und nachdem sie ihm zuteil geworden ist, hat er befohlen, mich zu töten.« – »Ich habe gewußt, daß er dich eines Tages töten würde«, antwortete jener, worauf ich ihn bat: »Rette mich vor ihm.« Er erwiderte: »So steige auf meinen Rücken, daß ich dich vor ihm rette und nach Hause bringe.« Da sprach ich: »Ich bitte dich, mich zum Zeugen seiner Erniedrigung und seines Unterganges zu machen, damit ich ihm heimzahle, was er mir angetan hat.« Nun riet er mir: »Nimm die Galle einer Gabelweihe, mische sie mit dem Kraut der langen Lebenszeit, das du besitzt, und bilde daraus ein Wiesel. Dieses gibst du einem der Könige, der dann damit zu ihm hineingeht. Dann wird die Krone von seinem Haupte fallen; denn auf den echten Großkönig üben Dinge dieser Art keine Wirkung aus, und er wird erst am Ende der Tage unvermutet erscheinen.« 63
Nun machte ich mich daran, stellte eine Falle auf und fing eine Gabelweihe. Ich nahm ihre Galle, mischte sie mit dem Kraut der langen Lebenszeit, das wir bei uns hatten, und bildete daraus ein Wiesel, wie er mir befohlen hatte. Dieses übergab ich einem von jenen Königen und sprach zu ihm: »Gehe zu ihm hinein und fürchte dich nicht vor ihm.« Als er zu ihm hineinging und jener ihn sah, fiel die Krone von seinem Haupt, worauf er mit dem Schwert auf ihn zusprang und ihn tötete. Da kamen die Könige zusammen, steckten ein Feuer an und übergaben ihn den Flammen. Mir schenkten sie alles, was er besessen hatte. Die Krone aber nahmen sie, legten sie wie einst in die dünne Goldhülle und behandelten sie wie ein Heiligtum. Dann ritten sie mit mir zu ihrem Fundort, und wir brachten sie an die Stelle zurück, an der sie gelegen hatte. Mir selbst erwiesen sie alle nur denkbaren Wohltaten. Danach sprach ich zu ihnen: »Ich habe Kinder und will nun zu ihnen heimkehren.« So nahm ich eine Menge von jenen Gütern an mich und gab dort einen Teil davon in Verwahrung. Ich fuhr mit einem Schiff übers Meer und wurde irgendwo nackt ans Land gespült. Nun habe ich den Fürsten der Gläubigen auf gesucht in der Hoffnung, daß er mir durch eine Spende die Rückreise nach dort ermöglicht, um zu holen, was ich daselbst zurückgelassen habe; denn es ist genug, um mich und meine Nachkommenschaft reich zu machen. Da wunderte sich ‘Abd al-Malik über seine Geschichte, und er schenkte ihm fünfzigtausend Dirhems. Dies war das Erlebnis des Abān ibn Sa‘īd und seine Geschichte; aber Gott weiß alles am besten. 4 Al-Fadl ibn ar-Rabī‘ ibn Hischām erzählt: In Malatia stand einst eine alte byzantinische Mauer. Die Einwohner der Stadt nannten sie »die Mauer der Mutter der Tochter«. Eines Tages kam ein Wolkenbruch vom Himmel her unter, dem ein heftiges Erdbeben folgte, durch das viele Felsen abrutschten. Einer von ihnen fiel auf die Mauer. Als die Leute 64
am folgenden Tage ausgingen, um sich die Beschädigung der Mauer anzusehen, erblickten sie oben ein goldenes Rohr. Sie stiegen zu ihm hinauf, legten es ringsum frei und holten es her unter. Zu ihrer Überraschung gewahrten sie an der einen Seite des Rohres ein goldenes Schloß, an der anderen ein goldenes Siegel. Beim Wiegen stellten sie fest, daß es zwanzig Pfund schwer war. Nachdem der Emir es an sich genommen hatte, gab er den Auftrag, es ungeöffnet zu verkaufen. Nun bot einer tausend Dinare dafür, ein zweiter zweitausend, wieder ein an derer dreitausend und schließlich der Emir selber viertausend. So überließen wir es ihm. Nachdem er das Schloß hatte auf brechen lassen, fand er darin ein Buch mit goldenen Blättern und seltsamen Schriftzügen, die keiner lesen konnte. Der Emir schickte daher zu einem Mönch, dem man Gelehrsamkeit und Kenntnis der alten Schriften nachsagte. Als er das Buch sah, lachte er und sprach: »Hoher Emir, Ihr habt dieses Buch in einem goldenen Rohr in einer Mauer gefunden.« Dies bejahte der Emir, worauf der Mönch fortfuhr: »So laß mich wissen, wie Ihr zu dem Rohr gelangt seid. Habt Ihr es durch einen Einbruch erlangt, oder ist es durch ein Erdbeben herausgefallen?« – »Es ist durch ein Erdbeben herausgefallen«, antwortete der Emir, worauf der Mönch fortfuhr: Wenn Ihr es durch Einbruch er langt hättet, so hätte dies zur Zerstörung Eurer Stadt geführt. Wenn es dagegen durch ein Erdbeben geschehen ist, so wird die Zerstörung im Lande Eures Feindes stattfinden, und Euch wird zuteil werden, was in dem Rohr geschrieben steht.« (Aufgefor dert, die Schriftzüge zu deuten,) erklärte er weiter: »Dies tue ich erst nach Empfang meiner Belohnung. Wenn sie zu meiner Zufriedenheit ausfällt, gebe ich dir eine klare Deutung.« Nach dem ihm der Emir zehntausend Dinare hatte zahlen lassen, fragte er ihn, ob er hiermit zufrieden sei. Er bejahte dies und meinte, daß auch ein Teil davon genügt hätte. Auf Befehl des Emirs las er nun vor: »Im Namen Gottes, des allmächtigen Gottes. Das Diesseits ist vergänglich, doch das Jenseits ewig. Die guten Werke sind schmückende Bänder an unserem Nacken, die Übeltaten aber Pfeile, die die Menschen treffen. Das tägliche Brot ist uns von Gott zugeteilt, und unsere letzte Stunde 65
ist vorherbestimmt. Die Welt ist besiedelt mit Hoffnungen, doch das Beste, was der Mensch horten kann, sind gute Werke. Ge duldiges Ertragen ist eine Zierde, ungeduldige Hast aber ein Schandfleck... Des Mannes Duftkraut ist seine Ehefrau, und wie manches Duftkraut findet wohlgefällige Aufnahme! Wer etwas Wunderbares schauen will, der soll zum Berg der Duft kräuter gehen.« Da sagte der Emir zu ihm: »Halt ein! Dies ge nügt.« Nachdem die Leute sich zum Gehen gewandt und alle aufgestanden waren, fragte er den Mönch: Weißt du, wie man zu dem gelangen kann, worauf der Schreiber mit diesen Worten aufmerksam gemacht hat?« Dies bejahte der Mönch. Darauf holte der Emir aus seinen Kerkern einige Gefangene heraus, die des Todes würdig waren, und ging mit ihnen und dem Mönch hinaus zu dem Berg der Duftkräuter. Als er dort ankam, machte er am Fuß des Berges halt und fragte den Mönch: Wohin des Weges nun?« Er antwortete: »Zu einer Höhle in einer der Schluchten dieses Berges.« Darauf befahl der Emir seinen Leuten: »Schwärmet aus und suchet.« Nachdem sie den ganzen Tag umhergegangen waren, kehrten sie zurück und sprachen: Wir haben nichts anderes gefunden als lauter Schluch ten, von denen eine wie die andere aussieht.« Der Emir fragte deshalb den Mönch: »Hat diese Schlucht ein Kennzeichen, durch das man sie von den anderen unterscheiden kann?« – »Ja«, gab er zur Antwort, »auf einem Felsen gegenüber dieser Schlucht liegt ein Bildwerk, das eine große Schlange darstellt mit einem Frosch im Maul und einem Skorpion auf dem Kopf.« Darauf befahl der Emir, sie zu suchen. Drei Tage lang suchten sie, bis sie darauf stießen. Sie erblickten nämlich ein großes Tal, in welchem die Schlucht gegenüber jenem Bildwerk lag. Als sie den Felsen betrachteten, sahen sie, daß er groß war. Auf dem Tor der Höhle waren Inschriften angebracht, während sich an dem Bergüberhang ein großes Bildwerk mit Vögeln befand, (die Ringe hielten). An diesen Ringen waren eiserne Ketten befestigt, die irgendwohin in den Berg führten. Der Emir wun derte sich über die Schönheit dieses Bildwerkes. Dann befahl der Mönch, an jenen Ketten zu ziehen. Als die Leute daran zogen, enthüllte sich das Geheimnis, und es wurde eine Leiter 66
sichtbar. Der Mönch befahl: »Steiget hinauf; denn durch den Beistand und die glückliche Fügung Gottes des Erhabenen haben wir das Ziel unserer Hoffnung und unseres Strebens erreicht.« Ein Teilnehmer der Schatzsuche erzählte weiter: Da traten wir an die Leiter heran und stiegen etwa zweihundert Stufen hinauf, bis wir in einen schönen, viereckigen Saal kamen. Er hatte drei offene Türen. Neben jeder offenen Tür befand sich noch eine geschlossene. In der Mitte stand in aufrechter Haltung ein Götze von riesiger Gestalt. Auf dem Haupte trug er eine große, mit einem Deckel versehene Schale, die er mit beiden Händen festhielt. Nachdem wir die Mitte des Saales erreicht und in die Nähe des aus vergoldetem Messing gefertigten Götzenbildes gekommen waren, befahl der Mönch einem der Sklaven des Emirs: »Gehe an diese verschlossene Tür und schlage mit der Spitzhacke darauf.« Der Sklave trat an sie heran und führte aus der Überfülle seiner Kraft einen gewaltigen Hieb gegen sie. Siehe, da warf der Götze die Schale von seinem Haupt herunter, und aus seinem Haupte brach ein Rohr hervor, dem Wasser entströmte. Der Anblick jagte uns einen großen Schrecken ein. Darauf begann der Mönch umherzugehen, bis er eine mit einem Schloß verriegelte Bogennische entdeckte. Er öffnete die Nische, und siehe, da ließ sich der Götze auf seine Knie nieder, öffnete den Mund, und nun begann jenes Wasser wieder in seinen Mund zu fließen, bis nichts mehr davon im Saale übrig war. Wir priesen Gott den Erhabenen und dankten ihm dafür. Danach sagte der Mönch: »Jetzt brauchen wir uns nicht mehr um diesen Götzen zu bekümmern.« Dann ging er beiseite, rief die Sklaven und befahl ihnen, die Türschlösser aufzubrechen. Nachdem sie dies getan hatten, öffneten wir die Türen und traten in die zugehörigen Sitzungszimmer ein. Dort fanden wir Geld in einer Menge, wie sie noch nie geschaut, und Edelsteine so schön, wie sie noch nie beschrieben worden sind. Wir gerieten schier von Sinnen vor Freude. Jetzt sagte der Mönch zu uns: »Seht euch vor, daß keiner den Deckel der Schale aufhebt und ihren Inhalt ergründet; denn sonst wird er sterben.« Einige von den Dienern eilten zu der Schale hin. Sie glaubten, daß kein anderer als er selbst hineinschauen sollte, 67
weil er es keinem gönnte. So lüftete einer von ihnen den Deckel der Schale und betrachtete den Inhalt. Da stürzte er tot zu Boden, und schon stand die Schale wieder wie zuvor da mit aufgelegtem Deckel. Der Mönch aber warnte uns: »Um Gottes willen, lasset sie, wie sie ist, wenn euch euer Leben lieb ist, und vergreifet euch nicht an ihr; denn sonst werdet ihr alle sterben.« Dann befahl er uns, das Geld und die Edelsteine aufzuladen. Wir luden soviel davon auf, wie unsere Reittiere tragen konn ten. Dann brachten wir alles wieder in den alten Zustand, gingen fort und kamen wieder nach Malatia. Der Emir aber schenkte dem Mönch eine Fülle von Gütern. Jedem von den Gefangenen gab er viele Dinare. Die Sklaven ließ er frei und bedachte sie mit Geldgeschenken und Kleidern. – Dies ist die Geschichte von Anfang bis zu Ende.
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3. Die Geschichte von den vierzig Jungfrauen
und von dem, was sie mit dem König erlebten,
oder
Wie sich Leid in Freude wandelte
A
us alten, vergangenen Tagen wird erzählt – aber Gott weiß es am besten, er ist weiser als alle, er ist der Größte, Stärkste und Mächtigste, der Edelste, Gütigste und Gnädigste: Es war einmal ein König von den Königen der Perser, reich an Macht und Herrlichkeit. Er hatte drei Söhne, und seines Wohllebens war kein Ende, bis er achtzig Jahre alt war. Nun machte er sich eines Tages Gedanken über seine Herrschaft und darüber, wer nach seinem Tode das Reich von ihm erben sollte. Da ließ er seinen ältesten Sohn mit Namen Bahrām kommen und sprach zu ihm: »Wisse, daß ich gestern folgendes geträumt habe: Ich ritt auf einem schwarzen Roß, umgürtet mit einem Schwert, das in der Scheide stak. Auf dem Haupt trug ich einen schwarzen Turban, auf dem Leib ein schwarzes Kleid aus schwar zem Brokat. So ritt ich durch eine trostlose Wüste, in der es kein Wasser und keinen Weideplatz gab. Auf meiner Reise gelangte ich schließlich an ein brausendes Meer. Infolge der großen Angst, die mich in jener Wüste erfaßt hatte, stürzte ich mich so, wie ich war, mit meinem Hengst in das Meer und schwamm bis zum jenseitigen Ufer. Mein Sohn, wie ist deiner Meinung nach dieser Traum zu deuten?« – »Mein lieber Vater«, antwortete er, »der Hengst ist ein Zeichen von Macht und das Schwert von Kraft. Die schwarze Farbe bedeutet viele Lebensjahre für dich und das Meer sogar ein Leben von mehr als hundert Jahren, die auch deine Herrschaft währen und deine Macht bestehen bleiben wird.« Der Vater freute sich über die Deutung, die sein Sohn dem Traume gab, und er verkündete ihm: »Sei getrost und guten Mutes, mein lieber Sohn; denn du wirst mir auf dem 69
Throne folgen und das Reich nach meinem Tode erben.« Nach dem der älteste Sohn seinen Vater verlassen hatte, ließ er den zweiten kommen und sprach zu ihm: »Ich habe folgendes geträumt, mein Sohn.« Und er erzählte ihm den gleichen Traum, den er seinem Bruder erzählt hatte. »Mein Vater«, antwortete jener, »du wirst mächtig herrschen und über die Maßen Gewalt ausüben von dieser deiner Stadt bis hin zum weiten Meer mit seinen Trübsalen. Weil du mit deinem Pferd in jenes schwarze Meer hineingewatet bist, wirst du aber auch manchmal eine Tagereise weit oder mehr durch Trübsal waten.« Der Vater freute sich über seine Deutung und sprach: »Mein lieber Sohn, du sollst der Teilhaber meiner Herrschaft und der Erbe meines Reichtums sein.« Nachdem sich der zweite Sohn entfernt hatte, ließ der König seinen jüngsten Sohn kommen und sprach zu ihm: »Wisse, mein Sohn, daß ich folgendes geträumt habe.« Und er erzählte ihm das gleiche, was er seinen Brüdern erzählt hatte. Da erblaßte jener und sprach: »Hoher Herr, ich nehme meine Zuflucht zu Gott vor diesem Traum, weil die schwarze Farbe schwere Sorge bedeutet. Es wird einmal ein König über dich kommen, den abzuwehren es dir an Kraft gebricht. Er wird dir aber auch einmal ein Helfer sein. Dieser König aber bin ich.« Als der König dies von ihm hörte, ergrimmte er sehr und sprach: Wehe dir! Du hast meine Macht geringgeachtet, meine Herrschaft verächtlich abgetan und dich erkühnt, solche Rede wider mich zu führen.« Dann befahl er, ihm den Kopf ab zuschlagen. Als nun seine Wesire und Würdenträger zusammenkamen und Fürsprache für ihn einlegten, gab er ihren Bitten nach und sprach: »Ich willfahre euch unter der Bedingung, daß ihr ihn in eine trostlose Wüste hinausbringt und dort aussetzt, so daß er vor Hunger und Durst stirbt.« Da taten sie, wie der König ihnen befohlen hatte. Als sie mit ihm die Mitte der Wüste erreicht hatten, sagten sie ihm Lebe wohl und schickten sich an, ohne ihn zurückzukehren. Der Wesir überreichte ihm eine Kanne Wasser und etwas Wegzehrung, die er unter sein Gewand schob, und sprach zu ihm: »Mein Sohn, diese Wegzehrung wird drei Tage für dich ausreichen. Danach wird Gott der Erhabene weiterhelfen.« Dann verabschiedete er 70
sich von ihm und machte sich mit seinen Dienern auf den Heimweg. Der Jüngling wanderte nun ohne Unterlaß den ersten, den zweiten, den dritten Tag in jener Gegend umher, ohne zu wis sen, wohin er seine Schritte lenken sollte. Als am vierten Tage seine Wegzehrung zu Ende ging, begann sein Herz vor Todes angst zu klopfen. Bald war er seinem Ende nahe, seine Kräfte schwanden, und die heißen Sandstürme fegten über ihn hinweg. Da weinte er, hob sein Haupt gen Himmel und rief: »O du, der du schnell Hilfe bringen kannst, der du die Schiffbrüchigen aus den Meeresfluten errettest!« Als er nun seine Blicke nach rechts und nach links über die Erde streifen ließ, auf der Suche nach einem, der ihm Hilfe und Beistand leihen könnte, da gewahrte er auf einmal in der Ferne eine Gestalt. Er nahm ihre Richtung auf, obwohl er schier seine Seele aushauchte. Unaufhörlich ging er, bis die Sonne im Scheitelpunkt des Himmels stand. Inzwi schen steigerte sich sein Durst und sein Verlangen nach Wasser, und er wußte sich keinen Rat mehr. Schließlich wurde die Ge stalt erkennbar, und siehe, es war ein Schloß, hochgebaut, mit weiten Höfen und in die Lüfte ragend. Bei seinem Anblick mußte er an seines Vaters Schloß und Stadt denken, an seine Freunde und Brüder, und daß er nun ihrer beraubt und einsam war. Da liefen die Tränen über seine Wangen. Nachdem er sich dem Schloß genähert hatte, gewahrte er auf einmal an ihm ein großes Tor. Es war mit goldenen und silber nen Platten belegt und mit ebensolchem Gitterwerk versehen. Oben auf dem Schlosse befand sich ein Wehrgang. In seiner Vorhalle pfiffen und sangen die Vögel. Das Tor stand offen, und so trat der Jüngling, eben noch seines Todesschicksals gewiß, in das Schloß hinein. Er schritt durch Vorhallen, die mit Rohrmatten ausgelegt und deren Wände mit braunem Filz verkleidet waren. Schließlich gelangte er zu einem fein verzierten und schön mit Marmor verkleideten Tor mit Bänken auf beiden Seiten sowie mit Gefäßen, Kannen und allerlei anderen hübschen Gegen ständen. In dem inneren Bezirk befanden sich vierzig Einzel wohnungen. In jeder von ihnen stand eine Liege mit allerlei schönen, bunten Polstern. Die Säulenhallen dieser Wohnungen lagen einander gegenüber, und man konnte vom Inneren der 71
Säulenhallen aus die vierzig Wohnungen von der ersten an durchschreiten. Die Säulenhallen waren mit Gold und anderen schönen Farben ausgemalt. In den Einzelwohnungen lagen allerlei Sitzkissen und Teppiche, wie sie zu den Töchtern der größten Könige passen. Am Anfang der Säulenhallen stand ein Tisch aus rotem Gold, gedeckt mit vierzig Schalen aus blankem Silber und je einem Fladen Weißbrot in der Mitte der Schale. Da konnte der Jüngling sich nicht beherrschen, sondern er trat schließlich an die Speisen heran und aß von jeder Schale einen einzigen Bissen. Dann gab er sich zufrieden und trat wieder da von zurück. Danach machte er sich auf die Suche nach Wasser. Als er etwas abseits ging, entdeckte er neben den Säulenhallen einen für Getränke bestimmten Raum. In diesem befanden sich vierzig fürstliche, mit Brokat bedeckte Liegepolster, von denen das vorderste besonders hübsch und schön war. Vor jedem Liegepolster stand eine goldene Tafel mit einer Kristallflasche, die mit Wein gefüllt war, der köstlicher duftete als Moschus. Daneben lag Grünzeug, dahinter Obst, und in der Mitte lagen Blumen, Duftkräuter, Räucherpfannen für Aloeholz und andere Duftmittel, deren Wbhlgeruch sich nicht erschöpfte. Vor jedem Platz, wo etwas stand, war ein Liegepolster ausgebreitet. Nachdem der Jüngling aus jeder Flasche einen Schluck getrun ken hatte, schaute er aus den Fenstern hinaus. Da erblickte er unter den Fenstern ein großes Tal und eine breite Au. Den Anfang der Au bildete ein Garten, in dem jede Fruchtart zwei mal vertreten war. Er war mit hohen Bäumen bestanden, die alle Arten von Früchten und Blüten trugen. In den Kronen der Bäume sangen die Vögel, indem die einen mit ihrer Stimme ein Zeichen zum Anfang des Jubilierens gaben und die anderen das Beispiel aufnahmen. Als der Jüngling seinen Blick wieder erhob, war ihm inzwischen der Wein in den Kopf gestiegen. Es wurde ihm wohler zumute, und er fand sich mit seinem Schicksal ab, so hart es auch war, bis der Tag seinem Ende entgegenging. Da hörte er auf einmal das Schlagen von Pferdehufen. Zum Fenster hinausschauend, sah er vierzig Reiter ankommen, die bis an die Zähne bewaffnet und zu Krieg und Streit gerüstet waren. An ihrer Spitze ritt ein Reiter in rotem Brokat und mit 72
einem grünen Turban auf dem Haupt. Er saß auf einem schwarzen Pferd mit weißem Stirnfleck, einem schwarzen Raben gleich. Als sie am Schloßtor ankamen, stiegen sie ab, stellten die Pferde in einem neben dem Schlosse befindlichen und für sie bestimmten Stall unter und banden sie an ihren Krippen fest. Als der Jüngling die Reiter erblickte, versteckte er sich im hintersten Winkel des Schlosses. Jetzt betraten sie die Säulenhalle, legten ihre Kriegsrüstung und ihr Reitgewand ab, und siehe da, es waren – Frauen, schöner noch als die Paradiesjungfrauen. Sie näherten sich der Speisehalle, indes der Jüngling ihnen von einer Stelle, wo sie ihn nicht sehen konnten, zuschaute, verblüfft über ihre Anmut, ihre Schönheit wie auch ihre Aufmachung, ohne zu wissen, was es für eine Bewandtnis mit ihnen hatte. Nachdem sie sich zu Tisch gesetzt hatten, stellte jede von ihnen fest, daß von ihrem Brotfladen ein Stück abgebissen und eine kleine Spur des Bisses zurückgeblieben war. Unwillig schaute eine jede nach dem Brotfladen ihrer Nachbarin. Dann sagten sie zu der, die auf dem besonders feinen Liegepolster saß und die die Reiterin des schwarzen Pferdes gewesen war: »O Herrin, was bedeuten diese Spuren, die wir bis heute noch nie wahrgenommen haben? Wer hat das gewagt, ein Geist oder ein Mensch?« Sie antwortete: »Seid geduldig und übereilt euch nicht; denn ich werde mir die Sache überlegen. Wer dies getan hat, kommt bestimmt wieder.« Nachdem sie den Speisen genügend zugesprochen hatten, wuschen sie sich die Hände, während der Jüngling ihnen zuschaute. Dann gingen sie zu dem Getränkeraum hinüber, im Schreiten sich mit ihren schönen Gesichtern gleich Zweigen wiegend. Von ihnen galt das Wort des Dichters: Der Schlanken Liebesspiel Herzblut vergoß; Aus großen Augen traf uns ihr Geschoß. Die Anmut schminkt uns ihrer Wimpern Kranz; Drum spotten sie der schwarzen Salben Glanz. Sie nahten in der Schönheit Prachtgewand, Dann raubten sie mir vollends den Verstand, Und wolln sie schreiten, tun sie’s mit Bedacht, Als nähmen sie den Fuß vor Schmutz in acht. 73
Dann hörten sie nicht auf, nach den Bechern zu greifen und die Herzen zu erfreuen, Gedichte aufzusagen und Geschichten zu erzählen, bis die Nacht schwand und der Tag anbrach. Nun zogen sie ihre Panzerkleider wieder an. Jede von ihnen nahm eine große Lanze auf und gürtete sich ein eisernes Schwert um. Dann bestiegen sie ihre Pferde und ritten zum Schloßtor hinaus. Die Herrin der Mädchen war übrigens eine große Zauberin, so daß sie auf Grund ihrer hohen Zauberkunst jene Speisen und Getränke, das Obst und das Grünzeug herstellte. Als sie nun mit ihren Gefährtinnen hinausritt, sprach (eines von den Mädchen) zu ihnen: »Reiset heute allein zu dem üblichen Ziel. Ich habe mir nämlich vorgenommen, mich zu verstecken, um zu ergründen, was es mit dem Wesen auf sich hat, das in unser Schloß ein gebrochen ist und unseren heiligen Bezirk entweiht hat.« So kehrte sie zu einem Beobachtungsplatz zurück, den sie neben dem Schloß hatte. Nachdem der Jüngling an seinem Ort ausgeharrt hatte, bis der Tag etwas vorgerückt war, kam er hervor und trat an den Tisch. Er streckte seine Hände aus, hob einen Bissen von dem Tisch auf und wollte ihn eben in den Mund stecken, als das Mädchen erschien und sich ihm näherte. Bei ihrem Anblick zitterten ihm die Gelenke, und vor Angst und Schrecken entfiel der Bissen seiner Hand. Als sie seiner ansichtig wurde und sah, wie schön sein Antlitz war und wie ihn jetzt die Angst ergriffen hatte, trat sie auf ihn zu und lächelte ihn an. Dann setzte sie sich neben ihn und begann, mit ihm zu sprechen und ihn freundlich zu unterhalten, bis er ihr seine Gefühle klagte. Darauf umarmte und küßte sie ihn, und sie fragte ihn: »Mein lieber Freund, bist du ein Mensch oder ein Geist?« – »Nein, ich bin ein Königssohn aus menschlichem Geschlecht«, gab er ihr zur Antwort, »das Schicksal ist es, das treulos an mir gehandelt und mich von meinen Angehörigen und Freunden verbannt hat.« Sie fragte: »Wie ist denn das geschehen, und was hat dich hierhergeführt?« Da erzählte er ihr seine Geschichte und das Erlebnis mit seinem Vater und schilderte ihr alle seine Lebensumstände. Als sie seine Rede hörte und seine jugendliche Schönheit sowie seinen vollendeten Anstand sah, erfaßte Liebe zu ihm ihr Herz, und sie sprach zu ihm: »Sei getrost und guten Mutes; denn die Liebe zu 74
dir hat in meinem Herzen Einzug gehalten. Ich werde dein Ge heimnis vor allen meinen Basen und Gefährtinnen hüten.« Nachdem sie mit ihm von jenen Speisen gegessen hatte, führte sie ihn in den Getränkeraum hinüber, und er trank mit ihr von dem klaren Wein. Als sie ihn nun auf ihr Lager einlud, sprang er zu ihr hin, brach ihr Siegel, und siehe, sie war eine unberührte Jungfrau. In dieser Weise verbrachten sie die Zeit weiter, bis der Abend und die Heimkehr der Mädchen näher rückte, wor auf sie ihm befahl, sich an der gleichen Stelle wie gestern zu ver bergen. Schließlich kamen die Mädchen, traten ins Schloß und vertauschten ihre Kriegsrüstung mit Frauengewändern. Nachdem sie sich um die Tafel gereiht hatten, sah ihre Anführerin, daß sich wieder etwas an den Speisen geändert hatte. Da sprach sie zu dem Mädchen, das zu Hause geblieben war: »Wehe dir, Schwester! Wer hat die Veränderung an unseren Speisen vorgenommen?« – »Ich weiß nichts davon«, antwortete das Mäd chen, worauf sie zu ihr sprach: »Du lügst!« Das Mädchen verschwieg jedoch ihr Erlebnis und weihte keinen in ihr Geheimnis ein. Darauf aßen alle, bis sie satt waren. Nachdem sie ihre Hände gewaschen hatten, gingen sie wie üblich bis zum Morgen in den Getränkeraum hinüber. Nun befahl sie einem anderen Mädchen, im Schlosse zu bleiben, um zu beobachten, wer die Veränderung an den Speisen vorgenommen habe, und es ihr mitzuteilen. Darauf bestiegen sie ihre Pferde und ritten davon, während sich das Mädchen an einem unbekannten Ort versteckt hatte. Nachdem der Jüngling bemerkt hatte, daß sie fortgeritten waren und keine von ihnen mehr dort war, verließ er sein Ver steck und strebte zu dem Speiseraum. Er trat an den Tisch heran und ließ sich nieder. Eben hatte er seine Hand ausgestreckt, um zu essen, da erschien das Mädchen mit allen Zeichen des Schrekkens über seine Anmut, die Schönheit seiner Gestalt und seine Vollkommenheit. Als er sie erblickte, fürchtete er sich vor ihr. Sein Herz erschrak, und sie übte eine große Wirkung auf ihn aus. Es erfaßte ihn gewaltige Angst, und Verwirrung bemäch tigte sich seiner. Da sprach sie zu ihm: »Fürchte dich nicht, mein Freund, und lasse mich wissen, was dich bedrückt, was dir 75
widerfahren ist und was dich hierhergeführt hat.« Ihre Worte, die Köstlichkeit ihrer Rede sowie der Anblick ihrer Schönheit und ihres Liebreizes beruhigten sein Herz und minderten seine Angst. So erzählte er ihr seine Geschichte und das Erlebnis mit seinem Vater. Da setzte sie sich neben ihn und sprach zu ihm: »Sei unbesorgt!« Nachdem sie mit ihm von den Speisen gegessen hatte, gingen sie in den Getränkeraum hinüber. Dort trank sie mit ihm Wein. Als sie nun vergnügt wurden, lud sie ihn auf ihr Lager ein. Er folgte ihrer Lockung, und siehe, er fand in ihr eine unberührte Jungfrau, so wie Gott sie erschaffen hatte. Inzwischen hatte die Liebe zu dem Jüngling festen Grund in ihrem Herzen gefaßt und ihre Seele ganz erfüllt. So verbrachten sie die Zeit recht kurzweilig und blieben guter Dinge, bis der Tag seinem Ende entgegenging. Nun kamen die Mädchen heim, nachdem sich der Jüngling an der alten Stelle versteckt hatte. Sie traten ins Schloß hinein, vertauschten die Kriegs rüstung mit Mädchenkleidern und setzten sich an den mit Spei sen besetzten Tisch. Als nun der Blick ihrer Anführerin auf die Speisen fiel, stellte sie zu ihrer Überraschung wieder eine Ände rung an ihnen fest. Da fragte sie das Mädchen, das zu Hause geblieben war, nach den Speisen und dem Grund der Verände rung und erhielt die Antwort: »Ich habe nichts gesehen, liebe Herrin. Außer mir hat keiner von den Speisen gegessen.« Nun ließ die Herrin täglich ein anderes Mädchen im Schlosse bleiben, bis der Jüngling schließlich auch die letzte zu der seinen gemacht hatte. Dabei hatten alle Mädchen von ihm empfangen. Im Lauf der Zeit wurde ihnen klar, daß sie schwanger waren, aber keine von ihnen kannte das Geheimnis der anderen. Der Herrin war jedoch das Abenteuer der Mädchen keines wegs verborgen geblieben. So befahl sie ihnen, als der einund vierzigste Tag anbrach, wie gewöhnlich auszureiten, während sie selbst im Schlosse zurückblieb. Sie sagte sich: »Bei Gott, ich allein kann dieses Rätsel lösen.« Dann versteckte sie sich an einer Stelle, die keiner kannte. Nachdem der Jüngling die Über zeugung gewonnen hatte, daß das Schloß leer war, kam er wie gewöhnlich aus seinem Versteck zu der Tafel und ließ sich dort nieder. Als die Herrin ihn gewahrte und sah, wie schön seine 76
Gestalt und wie herrlich er gebildet war, erschauerten ihr die Glieder aus Liebe zu ihm, und sie vermochte nicht, sich zu überwinden und auf die Begegnung mit ihm zu verzichten. So näherte sie sich und trat ihm entgegen. Als der Jüngling sie erblickte, lief ein Schauer durch seine Glieder, und der Bissen entfiel seiner Hand. Er war verblüfft von ihrer Schönheit und Anmut und schaute ratlos darein. Als das Mädchen erkannte, wie es mit ihm bestellt war, setzte sie sich neben ihn, redete freundlich auf ihn ein und sprach: »Sei unbekümmert, mein lieber Freund; denn ich bin die Anführerin dieser Mädchen und stehe dir ganz und gar zu Diensten!« Dann nahm sie mit ihm bei den Speisen Platz und begann, ihm eigenhändig Bissen um Bissen in den Mund zu führen, bis er satt war. Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatten, gingen sie in den Getränkeraum. Dort trank sie und schenkte ihm ein, bis sein Geist umnebelt war. Dann sprach sie zu ihm: »Laß dein Leben für mich noch einmal abrollen, mein Freund, und erzähle mir, was dir widerfahren ist und auf welche Weise du hierhergelangt bist.« Da erzählte er ihr seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende, berichtete ihr von dem Traum seines Vaters, wie er wider ihn ergrimmt war und ihn in der trostlosen Wüste hatte aussetzen lassen, wie er dem Tode nahe und zu dem Schloß gekommen war und was er dann mit den Mädchen erlebt und mit ihnen angefangen hatte. Nach dem sie seine Erzählung ganz in sich aufgenommen hatte, sagte sie zu ihm: »Sei unbekümmert, mein Liebling; denn die Mäd chen waren mein Eigentum, und sie sollten ein Geschenk von mir an dich sein. Ich habe festgestellt, daß sie inzwischen schwanger geworden sind. Vielleicht werden dir von ihnen Söhne be schert, so daß Gott der Erhabene allen Kummer von dir nimmt und dein Auge tröstet. Ich bin aber schöner für dich als die Mädchen. Darum habe ich dich vom heutigen Tage an zu meinem Freund und Buhlen erkoren. Tritt also in Zukunft keinem von den Mädchen mehr zu nahe; denn ich stehe dir ganz und gar zu Diensten. Wenn du aber dennoch zu einem von ihnen gehen solltest, so hast du bei mir Gefängnis, harte Folter und eiserne Fesseln zu gewärtigen.« – »Ich höre und gehorche«, gab er ihr zur Antwort. Dann tranken sie ohne Unterlaß, indes das Mäd 77
dien ihn mit Küssen überhäufte. Dabei sprach sie folgende Verse: Urplötzlich kam er, traulich mir gesellt. Kein Gast, kein Freund mir je gleich ihm gefällt. In seiner Schönheit wie der Sonne Glast, Der Vollmond, reitend auf geschmeid’gem Ast. Gott scheide nimmer uns auf dieser Erd’, Bis Leichentuch und Gruft dem Anblick wehrt! Und sie drückte ihn an ihre Brust und lud ihn auf ihr Lager ein. Da brach er ihr Siegel und fand in ihr eine unberührte Jungfrau, der noch kein Gatte die Mädchenschaft geraubt und von der kein Menschenkind je Besitz ergriffen hatte. Dies ge reichte ihm zur Freude. Er gewann sie von Herzen lieb und sie ihn noch um vieles mehr. Auf gar köstliche Weise verbrachten sie die Stunden, bis die Mädchen von der Jagd heimkehrten, sich ihrer Kleidung entledigten, die Mädchengewänder anzogen und ihre Herrin begrüßten. Dann ließen sie sich an der Tafel nieder und aßen von den Speisen. Danach wandte sie sich an die Mädchen und sprach: Wehe euch! Ihr habt mir nicht be richtet, was mit euch geschehen ist!« Da schauten sie die Herrin verblüfft an und erkannten, daß ihr der Jüngling zu Gesicht gekommen war und es nun keinen Zweck mehr hatte zu leugnen. So erzählten sie ihr, was geschehen war, und sprachen: »Wir haben nicht gewagt, liebe Herrin, dir unser Erlebnis mitzutei len, und keine von uns hat gewußt, wie es mit den anderen be stellt war. Hier stehen wir nun vor dir. Verfahre mit uns nach deinem Willen.« Da sagte sie zu ihnen: Wisset, daß ich mir ihn zum Buhlen erkoren habe. Keine von euch darf ihm noch einmal nahen. Nehmt euch in gute Hut, bis ihr euer Kind zur Welt bringt.« Geraume Zeit führte der Jüngling mit dem Mädchen ein Leben voller Glück. Inzwischen hatte sie von ihm empfangen, und ihr Herz war von inniger Liebe zu ihm erfüllt. Eines Tages sagte sie zu ihm: »Mein lieber Freund, ich möchte dich für einen einzigen Tag verlassen. Wenn dich meine Abwesenheit bedrückt, so öffne diese Schatzkammern und erfreue dich an dem Anblick dessen, was du dort findest, mit Ausnahme dieser einen. Hüte 78
dich vielmehr, dich ihr zu nähern oder sie zu öffnen.« – »Ich höre und gehorche«, gab er ihr zur Antwort. Nachdem sie ihm die Schlüssel der Schatzkammern übergeben hatte, stieg sie mit sämtlichen Mädchen zu Pferde und ritt davon. Lange dachte der Jüngling in seiner Einsamkeit über sein Geschick nach, und sein Herz fühlte sich bedrückt. So ging er zu den Schatzkammern und begann, eine nach der anderen zu öffnen, um sich an dem Anblick ihres Inhalts zu erfreuen. Wertvolle Güter und Schätze schaute er dort, Kleinodien, Edelsteine, Waffen, Geräte und Kostbarkeiten, derengleichen kein König auf Erden besitzt. Schließlich kam er auch an die letzte Schatzkammer, und es blieb nur noch diese, deren Öffnung sie ihm verboten hatte. Da raunte ihm eine innere Stimme zu: Wenn sie in dieser Schatzkammer nicht ihren wertvollsten Besitz hegte, so hätte sie mir ihren Anblick nicht verboten.« Als er nun an die Tur herantrat und durch den Spalt hineinlugte, gewahrte er ein wunderschönes Pferd. Dieses rief ihm klar und deutlich zu: »Jüngling, öffne mir die Tür und löse die Fessel von meinen Füßen. Dann trage ich dich in eine herrliche Stadt und zu einem mächtigen König. Dies wird erfreulicher für dich sein als deine jetzige Einsamkeit und dein Alleinsein mit dieser verfluchten Zauberin und falschen Dirne.« Voller Staunen öffnete er ihm die Tiir, löste seine Fessel und legte ihm Sattel und Zügel an. Eben wollte er es besteigen, da erschien das Mädchen, weil ihr Herz dies geahnt hatte. Als er sie erblickte, wankten ihm die Füße, und seine Ent schlußkraft war gebrochen. Das Pferd sagte deshalb zu ihm: »Fürchte dich nicht und besteige mich; denn sie kann mich nicht einholen.« Da stieg der Jüngling auf den Rücken des Pferdes, und es flog mit ihm durch die Luft davon. Das Mädchen hatte ihm eben noch zugeschrien: »Wehe dir! Du Hurensohn hast es also doch getan!« Das Pferd aber gab ihr zur Antwort: »Ja, er hat es getan, und Gott hat mich durch seine Hilfe erlöst.« Dann begann das Pferd, mit ihm über die Erde hinwegzufegen, Wüsten und Einöden, ebenes und zerklüftetes Gelände zu über queren, während das Mädchen hinter ihnen herjagte in dem Be streben, sie zu fassen, bis sie es schließlich aufgeben mußte, sie zu verfolgen, und der Jüngling schon weit von ihr entfernt war. 79
Das Pferd aber trug ihn weiter, bis es in die Nähe einer großen, unbeschreiblich schönen Stadt kam. Nun sagte es zu ihm: »Steige von mir ab, Jüngling.« So stieg er von seinem Rücken, indes die Nacht ihn bereits umhüllte. Da sprach es: »Fürchte dich nicht und setze dich nieder. Dann werde ich dir berichten, was mir widerfahren ist, und werde dir meine Geschichte erzählen.« Nachdem sich der Jüngling niedergelassen hatte, sprach er zu dem Pferd: »Laß mich wissen, was dir widerfahren ist, und erzähle mir deine Geschichte.« Da sprach das Pferd zu ihm: Wisse, daß ich die Schwester des Mädchens bin, bei der du gewohnt hast. Sie ist die Herrin jener Mädchen. In dieser Stadt haben wir noch eine andere Schwester. Sie ist das schönste und liebreizendste unter Gottes Geschöpfen. Ich und die Schwester von mir, bei der du gewohnt hast, haben die Zauberei erlernt und sind schließlich Meisterinnen dieser Kunst geworden. Sie ist dann samt jenen Mädchen ihrem Vater ent flohen und hat mit ihnen in jenem Schloß allein gelebt. Nach ihrem Weggang habe ich noch mancherlei feine Zauberkunststücke hinzugelernt. Ich besuchte sie deshalb und verbrachte eine gewisse Zeit bei ihr. Eines Tages machte ich ihr Vorwürfe wegen ihres Verhaltens. Da zürnte sie mir, sprach einen Zauber wider mich und verwandelte mich in ein Pferd. Wie du gesehen hast, hat sie mich in jener Schatzkammer in Fesseln gelegt. Dreizehn Monate habe ich dort verbracht, bis mir Gottes Gnade dich ge schenkt hat und ich dank deiner Hilfe befreit worden bin. Ich habe gelobt, dir allein zu leben, so daß ich dich durch jede Wüste und was es sonst auch immer sein mag tragen werde. Ich möchte dir deshalb auch mitteilen, daß meine jüngere Schwester jenseits eines großen Stromes ein stolzes Schloß mit Mädchen zu ihrer Betreuung besitzt. Mein Vater wollte sie nämlich durch einen Strom von den Menschen abschließen. Wer ihn jedoch überquert, der wird sie als Frau heimführen. Viele Königssöhne haben sie schon begehrt, allein wegen seiner reißenden Strömung und des Ungestüms seiner Wellen vermochten sie nicht den Strom zu überqueren. Wenn es nun wieder Morgen wird, dann besteige mich, reite in die Stadt zum Königsschloß und gehe zum König hinein. Wenn er dich vorläßt, so tritt vor ihn hin und bitte ihn 80
um die Hand meiner Schwester. Auf die Frage, ob du die Be dingung der Flußüberquerung kennst, antworte ›Ja‹. Wenn du dann am Ufer des Stromes stehst und es dir gelingt, ihn zu überqueren, gewinnst du das zu ihrer Zeit unvergleichliche und in ihrer Schönheit einzigartige Mädchen, gewinnst auch diese Stadt und ihre ganze Umgebung.« Da freute sich der Jüngling maßlos und bedankte sich überschwenglich bei ihr. Ehe noch der Morgen wirklich angebrochen war, schwang er sich auf das Pferd und setzte hochbeglückt und voller Freude seine Reise fort. Als er die Stadt betrat und die Leute ihn sahen, waren sie sprachlos über seine Schönheit und Anmut. Er ritt durch die Straßen, bis er am Tor des Königsschlosses stand. Dabei betrach teten ihn die Leute ringsumher, ihn sowie die Schönheit und Vollkommenheit, mit der Gott ihn bekleidet hatte. Er grüßte die Türhüter des Königs und brachte seine Bitte um eine Audienz vor. Diese leiteten sie weiter, worauf der König sie bewilligte. So trat er ein, und da sah er ein Schloß mit herrlichen Gebäuden und weiten Höfen, sah das Bild einer Macht, wie sie nur Gott der Allhörende und Allwissende innehat. Als er dann vor dem König stand, sprach er höflich seinen Segenswunsch und äußerte recht artig die Bitte um Gottes Huld für ihn. Dieser ließ ihn Platz nehmen, nachdem er seinen Gruß erwidert hatte. Sein Anblick gefiel ihm. So wandte er sich ihm zu, indem er ihn ansprach, ihm Fragen stellte und ihm freundliche Worte gab. Dann erkundigte er sich nach seinem Wunsch. Der Jüngling sprach: »Hoher Herr, ich komme als Freier und Bittsteller. Erspare mir die Enttäuschung deiner Abweisung.« Als der König seine Worte hörte, fragte er ihn: »Mein lieber Sohn, hast du von der Bedingung der Flußüberquerung gehört?« – »Ja, mein Gebieter«, gab ihm der Jüngling zur Antwort, »ich begehre die Verschwägerung mit dir. Bleibe ich dabei unversehrt, so habe ich Glück. Komme ich jedoch um, so ergeht es mir eben wie denen, die vor mir umgekommen sind.« Der König hielt ihm entgegen: »Mein lieber Sohn, du wagst dich an eine schwere Aufgabe und an Schrecknisse heran, die selbst Kinder ergrauen lassen.« Der Jüngling erwiderte jedoch: »Es gibt keine Macht 81
und keine Kraft außer bei Gott dem Erhabenen und Mächtigen.« Da sagte der König: »So verbringe denn die Nacht bei mir, lieber Sohn, und morgen früh entschließe dich, was du tun willst.« Nachdem der Jüngling zugestimmt hatte, verbrachte er die Nacht bei ihm aufs bequemste und angenehmste. Am folgenden Morgen befahl der König den Soldaten, ihre Rosse zu besteigen, was in kürzester Frist geschah. Der König saß ebenfalls auf, während der Jüngling jenes Pferd bestieg. So ritten die Leute einher mit dem Jüngling an der Spitze, bis sie einen großen Strom erreichten. Als der König mit seinem Heer dort haltmachte, tat ihnen der Jüngling in seiner Schönheit und Anmut leid bei dem Gedanken, daß er nun umkommen werde. Als der Jüngling den Strom und seine Größe sowie das Schloß auf der anderen Seite betrachtete, wurde er ratlos und verwirrt, und er sprach im tiefsten Herzen ein Wort, das den Sprecher niemals enttäuscht, das Wort: »Es gibt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott dem Erhabenen und Mächtigen.« Dann sagte er dem König Lebewohl, feuerte das Pferd an, und nun schoß es unter ihm davon wie ein Pfeil, der genau auf das Ziel zufliegt. Es stürzte sich unter den Blicken des Königs und der Menge in den Strom. Es schwamm mit ihm durch die Wogen und überquerte mit ihm den Strom, der einem Meere glich, bis es das jenseitige Ufer erreichte. Dann wandte sich der Jüngling um und kehrte zurück, bis er wieder vor dem König stand. Als der König ihn sah, freute er sich über ihn, verlieh ihm ein Ehrengewand und verkündete den Würdenträgern seines Reiches: Wenn mich einer liebt, soll er ihm ein Ehrengewand schenken!« Nachdem sie ihn damit überhäuft hatten, kehrte der König mit dem Jüngling zur Seite in sein Schloß zurück. Dann ließ der König den Richter und die Zeugen kommen, vollzog die Eheschließung des Jünglings mit seiner Tochter, schickte ihn in einem Schiff zu ihr hinüber und richtete ihr eine großartige Hochzeitsfeier. Danach wurde das Mädchen dem Jüngling als Braut zugeführt. Als er mit ihr allein war, sah er, daß sie strahlender als die Sonne und schöner als der Mond war. Da gewann er sie von Herzen lieb, und auch sie gewann ihn von Herzen lieb, ja noch 82
mehr als er. Als sie ihn nun nach seinem Schicksal befragte, er zählte er ihr alles, was er mit seinem Vater erlebt hatte, wie er schließlich zu dem Schlosse gelangt war und was er mit ihrer ältesten Schwester erlebt hatte. Dann wiederholte er ihr die Geschichte ihrer Zweitältesten Schwester, der Stute, die ihn zu ihr hergetragen hatte. Da wunderte sie sich hierüber, ging auf die Stute zu, und siehe, es war wirklich ihre Schwester in Gestalt eines Pferdes. Nun trat sie an die Stute heran und fragte: »Bist du meine Schwester Schäh-i-zanän?« Sie erwiderte: »Ja, Badr az-zamän. Deine Schwester Hasrat mulük Churasän hat mir dies angetan. Sie hat einen Zauber wider mich gesprochen und mich in den Zustand verwandelt, in dem du mich hier siehst. Aber Gott der Mächtige und Erhabene hat mir in seiner Gnade diesen Jüngling gesandt.« Dann küßte die Schwester die Stute auf die Stirn und bat sie, wieder ihre frühere Ge stalt anzunehmen. Sie erwiderte: »Bei Gott, dies tue ich nicht, weil ich mich diesem Jüngling verschrieben und mir auferlegt habe, in diesem Zustand auszuharren. Ich habe dich für ihn aus erkoren; denn er paßt zu deinesgleichen und du paßt zu seines gleichen.« Da wünschte ihr die Schwester Gottes Lohn und erwies ihr überschwengliche Ehren. Fünf Jahre verweilte der Jüngling bei der Königstochter. Da nach befiel ihren Vater, den König Bahrām, eine schwere Krankheit, die ihn an den Rand des Grabes brachte. Er ließ den Jüngling kommen und ernannte ihn zum Thronfolger für den Fall seines Todes. Nachdem er noch einige Tage gelebt hatte, schlug sein letztes Stündlein, und er ging ein zu seinem Herrn. Nun bestieg der Jüngling seinen Thron und herrschte edel und huld reich über alle seine Länder und Streitkräfte. Von dem Mädchen wurden ihm drei Söhne beschert, die er in allem unterweisen ließ, dessen die Königssöhne bedürfen: Schreiben, Bogenschießen, Reiten und Polospiel. Eines Tages ritt er auf den Turnierplatz. In seiner Begleitung befanden sich seine Söhne mit ihren hübschen Gesichtern und ihren Gestalten, biegsamen Zweigen gleich, ferner seine Diener, die sich wie die Sterne um ihn scharten und mit bunten Gewändern angetan waren. Da erhob sich plötzlich eine Staub 83
wölke, so daß den Augen die Sicht genommen wurde. Der Jüngling fragte seine Umgebung: »Wißt ihr, woher diese Staub wolke kommt?« – »Nein, bei der Gnade unseres Herrn«, erwiderten sie. Da redete ihn das Pferd an, auf dem er saß, und sprach zu ihm: Wisse, daß es meine ältere Schwester mit ihren Mädchen ist. Sie kommt nun mit allem, was sie besitzt, zu dir, nachdem sie erfahren hat, daß du die Herrschaft dieses stolzen Reiches angetreten hast. Sie hat alles, was in jenem Schloß an Gold, Silber und Kleinodien gewesen ist, mitgebracht und kommt mit allem nun zu dir. Wisse, daß sämtliche Mädchen, die von dir schwanger geworden waren, einen Knaben zur Welt gebracht haben, der schöner ist als der Mond. Sie sitzen alle auf edlen arabischen Pferden. Meine Schwester aber hat einen Knaben geboren, der sogar die Sonne an Schönheit und Anmut übertrifft. Er ist der, der an der Spitze der vierzig reitet.« Als der Jüngling dies hörte, stieg er ab und dankte Gott dem Er habenen. Dann kehrte er zu seinem Reittier zurück und ritt weiter, um ihn her seine drei Söhne und hinter ihm seine Die ner, während ihm die Soldaten und Streitkräfte folgten. Als er sich der Gruppe näherte, fand er alles, wie das Pferd es ihm be schrieben hatte. Da freute er sich noch mehr und sprach Gott dem Erhabenen Lob und Preis. Als die Mädchen ihn erblickten, stiegen sie alle vor ihm ab und gingen auf ihn zu. Die Königs tochter trat an ihn heran und küßte ihn. Er begegnete ihr aufs freundlichste und freute sich maßlos über sie. Darauf sprach sie zu ihm: »Nimm deine Söhne an; denn ich habe sie zu gebildeten Menschen erzogen und habe sie in allen Bildungsgütern der Könige unterwiesen. Wenn du auch den Bund mit mir gebrochen hast, so habe ich ihn doch bewahrt und bringe dir nun mich selbst nebst allem, was meine Hand umschließt.« Da warf er sich zum Lobe Gottes nieder und betete um Gottes Lohn für sie. Dann sprach sie zu ihrem Sohn und seinen Brüdern: »Dies ist euer Vater, und diese drei anderen sind eure Brüder. Gehet zu ihm hin und schreitet in seinem Gefolge; denn Gott hat euch mit ihm zusammengeführt.« Da umgaben ihn seine vierzig Söhne, und er kehrte in die Stadt zurück, umringt von einem Heer eigener Söhne und Frauen. Das Volk aber war voller 84
Staunen ob dieser seltsamen Geschichte und der ungewöhnlichen Umstände. Nachdem er in sein Schloß zurückgekehrt war, ließ er die älteste Königstochter in einem schönen Schloß neben dem seinen Wohnung nehmen. Er setzte ihr ein Gehalt aus, das für sie und ihre Mädchen ausreichte. Obendrein verlieh er ihr an Grund stücken und Liegenschaften so viel, daß es der Beschreibung spottet. Dies alles tat er aus Angst vor ihrer Zauberei und weil er fürchtete, sie könnte auch ihrer jüngsten Schwester Böses an tun. Als sie seine Absicht merkte, sagte sie eines Tages zu ihm: »Ich habe den innigen Wunsch, meine Schwester wiederzusehen und mit ihr zusammenzukommen.« Er widersprach ihr jedoch mit den Worten: »Ich werde deinen Wunsch nicht erfüllen, weil ich deine Zauberei und Tücke für sie fürchte.« Da sprach sie zu ihm: »Dir verdanke ich es, daß ich der Zauberei für immer ent sagt habe. Ich habe jenes Schloß erst verlassen, nachdem ich mich zu Gott dem Mächtigen und Erhabenen bekehrt hatte.« Als er ihre Worte hörte, war er froh und nahm ihr ein heiliges Ver sprechen und ihr Ehrenwort ab, nie mehr eine Zaubertat zu verüben. Nun ließ er sie mit ihrer Schwester zusammenkommen, nachdem er sich zuvor noch mit der Stute darüber beraten und diese ihm gesagt hatte: »Sei nur getrost und wohlgemut; denn ich würde ihr jede mögliche Verzauberung ihrer Schwester unwirksam machen.« Als er die beiden zusammenführte, freuten sie sich von Herzen aneinander. Die älteste Königstochter verübte wirklich nie wieder eine Zaubertat. Die Stute verharrte jedoch in ihrer Verzauberung, und obwohl ihre beiden Schwestern zu ihr kamen und sie baten, sich in ihre menschliche Gestalt zurückzuverwandeln, lehnte sie dies ab. Eines Tages dachte der Königssohn an seinen Vater und wie er ihn behandelt und in jener Wüste hatte aussetzen lassen. Da betete er zu Gott dem Erhabenen, er möchte sie beide zusammenführen, damit sein Vater ihn selbst sowie die Macht, den Besitz und die Söhne sehe, die Gott der Erhabene ihm beschert hatte. Gott sollte sein Gebet erhören. Als er nämlich eines Tages seine Stute bestieg, sagte sie zu ihm, da sie wußte, worum er seinen göttlichen Herrn gebeten hatte: »Möchtest du, mein Ge85
bieter, daß ich dich mit deinem Vater zusammenführe, damit er die Macht, den Besitz und die Söhne sieht, die du inzwischen gewonnen hast?« – Wie könnte mir dies zuteil werden?« erwiderte er. Sie sprach jedoch: »Sei getrost und wohlgemut; denn nur zu diesem Zweck habe ich meine Verzauberung beibehalten, und ich werde dich am Ende dein Ziel erreichen lassen.« – »Ja, ich habe den heißen Wunsch«, versicherte er ihr, »daß mein Vater sieht, was Gott der Erhabene mir beschert hat.« – »Herz lich gern werde ich dir dazu verhelfen«, sagte sie. Darauf sprach sie einige Worte, die er nicht verstand, und siehe, da erschien vor ihr ein Dämon von riesiger Gestalt und schwarz wie die Nacht, mit Namen Kudäh. Sie sprach zu ihm: »Du weißt, Kudäh, wie dieser Jüngling an mir gehandelt hat. Er wünscht sich nun sehnlich, daß er seinen Vater wiederschaut und daß dieser sieht, was Gott der Erhabene ihm an Macht, Besitz und Söhnen beschert hat.« Er antwortete: »Frage ihn, in welcher Verfassung er ihn wiederzuschauen wünscht, in einer guten oder einer schlechten?« – »Nein, auf dem Ehrensitz des Reiches und auf dem Platz des Ruhmes«, gab der Jüngling zur Antwort. Weiter sagte Kudäh: »Frage ihn, ob er zu seinem Vater gehen oder ob sein Vater zu ihm kommen soll.« Der Jüngling antwortete: »Nein, er will zu seinem Vater gehen mit allen seinen Soldaten, Reitern und Söh nen.« Auf seine Frage, wann dies geschehen solle, sagte sie: »Heute nacht.« Er erklärte: »Ich höre und gehorche.« Dann verließ er sie, rief seine Gehilfen und Mannschaften aus der Schar der grimmigen Dämonen zusammen und verkündete ihnen: »Wisset, daß mich die Königstochter gebeten hat, ihr einen Wunsch zu erfüllen, und was sie billigerweise von mir fordert, ist für mich zwingend. Ich verlange daher von euch, daß ihr euch heute nacht vollzählig hier einfindet und jeder von euch sich aus dem Heer des Königssohnes einen oder zwei Reiter auflädt. Ehe es Morgen wird, soll sein ganzes Heer beim Stadttor seines Vaters eingetroffen, sollen seine Zelte errichtet und ihre Lanzen aufgepflanzt sein.« Sie antworteten: Wir hören und gehorchen.« Nun befahl die Stute dem Königssohn, seine Soldaten anzuweisen, mit Geräten, Waffen und in voller Marschaus rüstung anzutreten. Dies tat er, und als es Abend wurde, traten 86
sie befehlsgemäß bis auf den letzten Mann an. Darauf ließ der Königssohn seine Söhne ihren Kriegsschmuck anlegen, ließ sie ihre edlen arabischen Pferde besteigen und zog mit den Schatz truhen, Vorräten und Geräten hinaus. Es gab keinen aus seinem Heer, der nicht in voller Ausrüstung und mit Marschverpflegung ausgezogen wäre. Dieses Treiben währte den ganzen Tag hindurch. Als die Nacht sie einhüllte, erschien der Dämon in Begleitung seiner Spießgesellen und Heerscharen. Gott aber sandte Schlaf auf die Soldaten herab. Nachdem sie entschlummert waren, begannen die Dämonen, alle Männer mit Ausrüstung und Pfer den fortzutragen und am Stadttor des Vaters des Jünglings abzusetzen, ohne daß sie im Schlaf etwas davon merkten. Der Jüngling ließ sie am Stadttor lagern, und sie schlugen ihre kleinen und großen Zelte auf. Als der König am Morgen die Sol daten sah, war er vor Staunen sprachlos und rang nach Atem. Nun wurden auf Befehl des Königssohnes die Trommeln ge schlagen. Die Trompeten wurden geblasen, die Banner entrollt, und die Stimmen erschallten. Voller Verwunderung über den Anblick sandte der König einen Boten aus, der den Vorgang für ihn aufklären sollte, nachdem er zuvor die Stadttore hatte schließen lassen. So zog der Bote hinaus, um das Geschehene zu klären. Dies war der Wesir, derselbe, der den Jüngling in jenes unwirtliche Gelände hinausgeleitet hatte. Nachdem er das Zelt des Königssohnes erreicht hatte, bat er um die Erlaubnis zum Eintritt. Als sie ihm gewährt wurde, trat er ein, sprach sehr höflich den Segenswunsch, dazu in vollendeter Form das Gebet um Gottes Huld. Der Königssohn erwiderte seinen Gruß und sagte: »Du bist also der Wesir des Königs mit Namen Soundso, der mich in jene unwirtliche Wüste hinausgeleitet und mir Wasser und Wegzehrung gereicht hat, obwohl mein Vater mich zu grunde gehen lassen wollte. Dann hat sich aber Gott der Herr meiner erbarmt und mich errettet. Er hat mir Macht, Besitz und Söhne, wie du sie hier siehst, geschenkt, und ihm sei Dank da für! Ich selbst bin nicht in kriegerischer Absicht gekommen, sondern nur, um meinem Vater zu zeigen, was mir Gott der Erhabene beschert hat.« Als der Wesir dies hörte, warf er sich zum 87
Gebet vor Gott nieder, und er wunderte sich über das Walten der göttlichen Vorsehung. Der Königssohn sprach zu ihm: »Ich besitze genug und bin zufrieden mit dem, was Gott der Er habene mir beschert hat. So gehe heim, teile dies meinem Vater mit und versichere ihn der Unantastbarkeit seiner selbst und seiner Herrschaft.« Darauf kehrte der Wesir zum König zurück und teilte ihm dies mit. Der König freute sich über die Maßen und machte sich auf den Weg zu seinem Sohn. Als er ihn traf, umarmte und küßte er ihn voller Wonne, sprach seine Segenswünsche für ihn aus und bat ihn: »Berichte mir, mein lieber Sohn, wie es dir ergangen ist.« Dieser erzählte ihm alles, was er erlebt hatte. Dann sprach er zu ihm: »Mein lieber Vater, meine Macht und mein Herrschaftsbereich sind so groß, wie noch kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat. Ich bleibe nur solange hier, bis mein Wunsch nach einem Wiedersehen mit dir und meinen Brüdern befriedigt ist, und ich werde nach kurzer Zeit in mein Land zu rückkehren.« Er ließ seine Brüder kommen, begrüßte sie und hieß sie willkommen. Jedem von ihnen übertrug er eine Stadt und einen großen Bezirk als Lehen. Dann kehrte er zu der Stute zurück und sprach zu ihr: »Geliebte Herrin, mein Wunsch ist erfüllt. Jetzt aber verlangt mein Herz sehnlichst noeh von dir, daß du deine menschliche Gestalt wieder annimmst und mir das Glück zuteil wird, in deinem Dienst stehen zu dürfen.« Sie fragte: »Bist du wirklich damit einverstanden, mein Gebieter?« Er erwiderte: »Ja, Gott möge dir mit Gutem vergelten, was du an mir getan hast!« Dann ging sie eine Weile fort und kam wieder in einer Gestalt, so schön, daß sie die Sonne beschämte. Als er sie schaute, war er von ihrem Liebreiz berückt. Er ließ sofort den Richter und die Zeugen kommen und schloß den Ehevertrag mit ihr. Dann verteilte er Geld an das Volk und richtete für sie ein Hochzeitsfest, wie man noch von keinem irgendwo gehört hatte. Als sie ihm als Braut zugeführt wurde, fand er in ihr eine unberührte Jungfrau, die noch das Siegel ihres göttlichen Herrn trug. Dies freute ihn sehr, und sie nahm sein ganzes Herz ein. Er bestimmte für sie ein Schloß, das noch schöner war als die Schlösser ihrer Schwestern, und faßte den Entschluß, in sein 88
Land zurückzukehren. Als er sich von seinem Vater verabschie dete, sagte dieser zu ihm: »Ich wünsche mir sehnlichst von dir, mein lieber Sohn, daß du mich nicht mehr verläßt, bis du mich unter dem Staube birgst, und daß du nach meinem Tode über deine Brüder herrschst.« Da sprach er zu ihm: »Dies alles entspricht meiner Deutung deines Traumes, lieber Vater. Gott der Herr hat ihn Wirklichkeit werden lassen!« In der Folge schlug das letzte Stündlein für den König, und er ging ein zu seinem Herrn. Die Brüder des Königssohnes aber blieben diesem stets dankerfüllt für die Wohltaten, die er ihnen erwiesen hatte. Das Schicksal war ihm hinfort günstig, indem es ihm alle Wünsche erfüllte, und ohne Unterlaß führte er ein Leben, wie es froher und glücklicher, heiterer und ungetrübter nicht sein konnte, bis der Tod auch zu ihm kam.
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4. Die Geschichte von der Nixe Dschullanār und von dem,
was sie auf dem Meere Wunderbares erlebte,
oder
Wie sich Leid in Freude wandelte
I
n den Geschichten der Völker aus uralten und längst vergangenen Tagen wird erzählt – aber Gott weiß es am besten, er ist weiser als alle, ist der Mächtigste und Edelste, der Gütigste und Gnädigste: Es war einmal im Lande Churasän ein großer und mächtiger König mit Namen Schahrijär. Obwohl er hundert Mädchen sein eigen nannte, wurde ihm doch von keiner ein Kind beschert. In alle Lander und Städte hatte er Boten entsandt, die für ihn Mädchen in Augenschein nehmen und kaufen mußten. Mit jeder neuen verbrachte er einen Tag, eine Nacht, ein Jahr; aber keine wurde von ihm schwanger. Selbst der Erde weites Rund emp fand er als beklemmend, wenn er daran dachte, daß ihm zwar Königsruhm beschieden, ein Kind aber versagt geblieben war. Wahrend er eines Tages mit seinem Wesir zusammensaß, trat plötzlich einer seiner Diener bei ihm ein und sprach: »An der Pforte steht ein Mann mit dem Mädchen des Tages. Er bittet, bei dir eintreten zu dürfen, um sie dir vorzuführen.« Der König befahl dem Diener, ihn herzubringen. Als er vor ihm stand, küßte er ehrfurchtsvoll den Boden und sprach zu ihm: »Hoher Herr, ich bin mit diesem Mädchen zu dir gekommen, da es auf Erden keine gibt, die ihr an Schönheit und Vollendung, an Glanz und Anmut gleicht.« Da erhob der König sein Haupt, und als er das Mädchen anschaute, sah er, daß sie in einen Überwurf feinsten Linnens gehüllt war. Sie hatte sich so verhüllt, daß nichts mehr von ihr zu sehen war, und ihre Glieder eng zusammengerafft. »Laß das Mädchen näher treten«, befahl der König. Als sie vor ihm stand, versuchte sie, sich hinter ihrem 90
Herrn zu verstecken. Dieser entschleierte jedoch ihr Gesicht. Da erblickte der König ein Mädchen: noch nie war auf Erden etwas Schöneres als sie, nie etwas Lieblicheres als ihre Jugend geschaut worden. Ihr Haar war in sieben Strähnen geteilt, die dick wie Roßschweife waren und die sie auf ihren Fußreifen nach sich zog. Voller Bewunderung für sie fragte der König: »Für wieviel gibst du das Mädchen her, Alter?« Er erwiderte: »Gott schenke dem König Macht! Ich habe sie für tausend Dinare dem Bahr al-Mulk Kamar abgekauft. Zwei Jahre bin ich nun unter wegs, und so hat sie mich zusätzlich noch etwa fünfhundert Dinare gekostet. Gleichwohl, mein König, überreiche ich sie dir hiermit als Geschenk.« Der König nahm sie an, überließ sie seinen Mädchen und befahl ihnen: »Behandelt sie gut, gebt ihr unser Sondergemach als Einzelzimmer und bringt ihr alles, was sie braucht.« Dem Verkäufer gewährte er drei Tage lang Gast freundschaft und schenkte ihm dreitausend Dinare, ein Ehrengewand sowie eines von seinen besonderen Reitpferden, worauf der Mann dankbar seiner Wege ging. Nun lag die Stadt des Königs am Ufer des Meeres. Sie hieß die Weiße Stadt, und man schaute von ihr auf das Meer hinaus. Nachdem es Nacht geworden war, erhob sich der König und betrat das Gemach, das er für das Mädchen hatte herrichten lassen, während sie gerade ihre Blicke über das Meer schweifen ließ. Als sie den König sah und ihn wahrnahm, schenkte sie ihm keine Beachtung, und sie erschien ihm recht unhöflich. Der Kö nig ließ seine Augen auf ihr ruhen; hatten die Zofen sie doch so schön geputzt, daß sie heller als die Sonne strahlte, und Gott der Erhabene hatte ihr soviel Schönheit und Anmut, soviel Glanz und Vollkommenheit verliehen wie keinem anderen von seinen Geschöpfen. So brach er in die Worte aus: »Preis sei dem, der dich an einem sicheren Ort aus einer armseligen Flüssigkeit erschaffen hat!« (vgl. Koran 77, 20 f.). Dann trat er auf sie zu, drückte sie an seine Brust und küßte sie auf die Stirn. Nachdem der König Platz genommen hatte, ließ er einen goldenen, mit Perlen und Edelsteinen verzierten Tisch vor sich aufstellen und ihn mit Speisen decken, die einer Königstafel würdig waren. Während sie nun zusammen aßen, blickte sie schweigend auf den 91
Boden. Wie sehr er sich auch bemühte, sie zu einer Äußerung zu bewegen, und wäre es auch nur ein einziges Wort gewesen – sie tat es nicht. Der König wunderte sich hierüber und sprach: »Preis sei dem, der deine Schönheit und Anmut erschaffen und dich leider dabei stumm gemacht hat! Aber Vollkommenheit gibt es nur bei Gott dem Mächtigen und Erhabenen.« Nachdem die Tafel aufgehoben war, wurden Trinkgefäße, Früchte und Duftmittel gebracht. Die Mädchen erschienen mit Instrumenten aller Art. Sie aber schaute ihnen zu, ohne zu lächeln und ohne zu reden. Schließlich erhob sich der König, nahm sie bei der Hand und schritt zu seinem Gemach. Dort ging er zu ihr ein in jener Nacht und fand in ihr eine unberührte Jungfrau. Er hatte Freude an ihr und gewann sie von Herzen lieb. Er gab sich ihr ganz und gar hin, mied alle seine Nebenfrauen und betrachtete sie als sein einziges Gut in dieser Welt. So verbrachte er mit ihr ein ganzes Jahr, ohne ein Sterbenswörtchen aus ihrem Mund zu hören. Dies bereitete ihm Pein. Eines Tages trat er bei ihr ein. Sie saß dort, das Angesicht heller strahlend als die Sonne. Da küßte er ihr Antlitz und sprach: »Du Sehnsucht meiner Seele, bei Gott, mein Königreich ist mir nicht mehr soviel wert wie ein einziges Stäubchen ob des Glückes, das meinem Herzen in dieser Frist zuteil geworden ist. Tag und Nacht bete ich zu Gott dem Erhabenen, er möge mir einen Sohn von dir schenken, und ich möchte noch erleben, wie er das Reich beherrscht und Gebote und Verbote erläßt. Dies ist mein einziger Kummer in dieser Welt. Ohne ihn wollte ich gern sterben.« Als sie seine Worte hörte, schaute sie eine Weile schweigend zu Boden. Dann hob sie ihr Haupt und sprach: »Heil sei dir, mein König!« Schier außer sich vor Freude und Wonne erwiderte er: »Auch dir sei Heil und Gottes Barmherzigkeit und Segen! Bei Gott, dies ist ein glückseliger Tag!« Sie fuhr fort: »Gott der Erhabene hat all dein Beten erhört. Ich verkünde dir, daß ich ein Kind von dir erwarte. Nun habe ich mit dir ge sprochen, obwohl es nicht meine Absicht gewesen ist, jemals mit dir zu sprechen. So weißt du zwar, daß ich ein Kind von dir erwarte, ich weiß aber nicht, ob es ein Knabe oder ein Mädchen sein wird.« Da freute sich der König, war beglückt über die gute 92
Nachricht und gab zehntausend Dinare als Almosen an die Armen. Als die Nacht hereinbrach, trat der König bei dem Mäd dien ein und fragte sie: »Du Sehnsucht meines Herzens, warum hast du mir ein Jahr lang kein Wort gesagt? Wie konntest du es ablehnen zu reden? Was ist der Grund gewesen, und was hat dich gehindert zu sprechen?« Sie gab ihm zur Antwort: »Ja, der König, dessen Macht Gott dauern lassen möge, soll wissen, daß ich eine von den Töchtern des Meeres bin und Bruder, Mutter und Vater habe. Eines Tages bin ich auf eine Insel des Meeres hinaufgestiegen, das man Mondmeer nennt. Ich hatte mit mei nem Bruder gestritten und deshalb das Meer verlassen. Da ergriff mich ein alter Mann und nahm mich mit nach Hause, doch er gefiel mir nicht. Als er sich an mir vergreifen wollte, schlug ich ihm ins Gesicht, so daß er am liebsten gestorben wäre. So führte er mich fort und verkaufte mich an diesen Mann, der mich zu dir erhabenem Herrn gebracht hat, und wenn du mir nicht gefielest und ich nicht gern bei dir bleiben möchte, so hätte ich mich bestimmt wieder ins Meer gestürzt und wäre zu mei nen Angehörigen zurückgekehrt. Auch wenn ich drei Jahre hätte bleiben wollen, ohne ein einziges Wort zu sprechen, so hätte die Liebe doch mein Herz erfaßt.« Der König wunderte sich hierüber. Dann fragte er: »Welchen Namen führst du im Meer?« Sie erwiderte: »Ich heiße Nixe Dschullanār, und nichts schneidet mir ins Herz außer dem Wunsch, mein Bruder möchte sehen, welcher Huld ich teilhaftig geworden bin, ist er doch ebenfalls ein König, einer von den Meereskönigen.« Der König fragte weiter: »Bei Gott, Dschullanār, wie könnt ihr nur im Meere gehen?« Sie antwortete: »Wir tragen etwas bei uns, was wir anfertigen. Dies ist ein Talismann mit den Namen, die auf dem Siegelring Salomos, des Sohnes Davids – ihm sei Heil! –, gestanden haben. Wir geben ihm die Form eines Siegelringes oder von etwas, was wir auf der Schulter tragen, und schreiten so auf den Wegen des Meeres einher. Das Wasser berührt uns nicht, vielmehr befinden wir uns gleichsam auf und unter der Erde. Dabei können wir – die Oberfläche der Wassermassen ist wie ein Dach – wegen ihrer Durchsichtigkeit Sterne, Sonne und Mond darüber sehen, wenn sie sichtbar sind, obwohl wir uns 93
tiefer als die Erde befinden. Im übrigen gibt es dort mehr Lebe wesen als auf der Oberfläche der Erde.« Der König wunderte sich hierüber. So gingen die Tage und Nächte dahin, bis schließlich ihre Niederkunft nahe bevorstand. Da sprach sie: »Es dauert nicht mehr lange, bis ich niederkomme, mein König. Ich möchte daher meine Eltern benachrichtigen, auf daß sie herkommen und nicht irgendein Erdenbewohner in der Geburtsstunde bei mir weilt.« – »Tu, was du willst«, antwortete er. Darauf holte sie von ihrer Schulter ein Zauberschutzmittel in Gestalt eines Talismans hervor. Diesem entnahm sie etwas Schwarzes. Nun rückte sie eine goldene Räu cherpfanne heran, legte Kohlen hinein und blies darauf, bis sie glühten. Dann sagte sie zu dem König: »Stehe auf, mein Gebieter, und verstecke dich mit einigen Mädchen, auf daß du meine Angehörigen und meinen Bruder zu mir herkommen siehst.« Der König erzählt: »Nachdem ich mich irgendwo ver steckt hatte, legte sie etwas von jener Droge, die sie mit sich führte, auf das Feuer und pfiff dreimal. Da spaltete sich plötz lich das Meer, und ihm entstieg ein Mann mit schönem Antlitz, grünem Haupt- und Barthaar, dem Monde gleich. Er hatte eine alte Frau mit grünen Haaren bei sich. In beider Begleitung befanden sich fünf Mädchen, die schön wie Monde waren. Sie wateten durch das Meer, bis sie nahe an dem Schloßfenster waren. Auf einmal rief der Jüngling: ›Da ist ja meine Schwester!‹-›Ver füge über mich, Bruder‹, gab sie ihm zur Antwort. Er fragte sie: ›‘was soll ich tun?‹ und sie entgegnete: »Komm zu mir her, Bruder.‹ Nachdem er in unmittelbare Nähe des Fensters gelangt war, stieg er zu ihr hinauf. Sie erhob sich, hängte sich an seine Brust, und er bedeckte ihr Haupt mit Küssen. Dann wandte er sich zu der alten Frau um und sprach zu ihr in einer mir unverständlichen Sprache, worauf auch sie zu dem Fenster hinaufstieg mitsamt den fünf Mädchen ihrer Begleitung. ›Beim Herrn der Kaaba, das ist ja meine TochterN rief sie aus, drückte sie an ihre Brust, küßte ihr die Stirn und sprach: ›Es war kein Leben für mich, deinen Bruder und deine Basen, und wir hatten keine Ruhe, weil wir nicht wußten, wo du warst, Nixe. Wir sind nur-überall in der Welt und auf den Meeren herumgereist. 94
Seit drei Jahren haben wir dich nicht mehr gesehen und haben auch keine Kunde von dir erhalten. Bei wem hältst du dich auf, daß wir dich erlösen, und wären seine Soldaten zahlreich wie Sandkörner und Kieselsteine?‹ Sprach’s und schnaubte, daß aus ihrem Mund und ihren Augenhöhlen Feuer zu sprühen be gann. Sie fügte hinzu: ›Du kommst mit uns nach Hause; denn meine Sehnsucht nach dir hat lange genug gedauert.‹« Der König erzählt: »Beinahe wäre ich aus Furcht vor der Alten gestor ben.« Nun ergriff Dschullanār die Hand der Alten und küßte sie. Auch ihre Basen – das waren nämlich die begleitenden Mädchen – küßte sie, und diese weinten, weil sie von zärtlicher Sehn sucht nach ihr erfüllt waren. Darauf berichtete Dschullanār: Wisse, Mütterchen: Ich bin in die Hand eines Mannes, eines Königs gefallen, wie es auf Erden keinen erhabeneren oder edleren geben kann, keinen auch, der mehr Soldaten oder mehr Geld besitzt. Er sieht die Welt nur mit meinen Augen. Ich erwarte von ihm ein Kind. Allem Irdischen, seinen sämtlichen Mädchen und Nebenfrauen hat er entsagt. Seine Königswürde bedeutet ihm nichts, wenn er nur mich hat, und er sieht in mir sein einziges Gut in dieser Welt. Wenn ich nicht ein Kind von ihm erwartete, wäre ich gewiß zu euch gekommen, und wer wäre wohl unentbehrlich für mich, wo du doch weißt, daß ich für einen einzigen Blick den ganzen Osten und Westen durchwandern würde?« Als sie ihre Worte hörte, legte sich ihr Zorn, und sie beruhigte sich, so daß sie am Ende ganz zufrieden war. Nun wandte sich Dschullanār an ihren Bruder und sprach: »Ich sehe dich schweigen. Was sagst du dazu?« Er erwiderte: Was soll ich schon sagen? Weißt du doch, daß mir auf der Erde, ob Land oder Meer, nichts lieber ist als du, und ohne dich verzichte ich auf die Welt. Wenn dein Herz mit diesem König glücklich ist, so entspricht dies meinen Wünschen.« Da erhob sie sich, küßte ihm Hand und Haupt, und aller Herzen waren froh. Bald danach stand sie wieder auf, und nachdem sie goldene und silberne Tische mit Speisen aller Art hatte bringen lassen, sagte die Alte: »Dschullanār!« – »Ich stehe dir zur Verfügung«, erwiderte sie, worauf ihre Mutter fortfuhr: »Was würdest du davon halten, wenn unser Gastgeber, der verehrte König, mit 95
in unserem Kreise weilte?« Sie erhob sich sofort und ging zu dem König, der in einiger Entfernung wie ein Palmzweig zit terte. Auf ihre Einladung erwiderte er: »Bei Gott, Dschullanār, jetzt habe ich erkannt, daß du mich liebst. Vor dieser Alten aber fürchte ich mich, und wenn ich mir sagen müßte, daß dies wegen des Geschehenen ist, würde ich nicht ruhig schlafen können.« Sie wandte ein: »Hab keine Angst, Gebieter. Solange ich bei dir bin, brauchst du dir wegen keines Lebewesens Sorge zu machen, gleich ob es auf dem Lande oder im Meere ist.« Da stand der König auf und trat zu der Gesellschaft hinein. Sie aber gingen ihm entgegen, küßten den Boden vor ihm, grüßten ihn und sprachen: »Nimm, Herr, diese einzigartige Perle, derengleichen es keine auf dem Erdenrund gibt, in deine Hut. Wer hätte je vermocht, sie mit begehrlichen Augen anzuschauen? Sämtliche Könige des Meeres hatten um ihre Hand angehalten; sie aber hat es niemals über sich gebracht, irgendeinen von ihnen auch nur anzusehen. Preis sei darum Gott, der dich in ihren Augen schön und der sie dir untenan gemacht hat!« Der König dankte ihnen und sprach: »Ganz euren Wünschen entsprechend betrachte ich sie als mein einziges Glück und Gut auf dieser Welt.« Dann langten sie nach den Speisen und aßen. Nachdem sie ihre Hände gewaschen hatten, ließ sie Porzellanschalen mit Süßig keiten auftragen. Sie aßen und blieben beisammen, indem sie freundlich miteinander plauderten. Schließlich holte Dschulla närs Bruder ein Kästchen aus rotem Gold hervor, öffnete es und entnahm ihm dreihundert dunkle Rubine, Türkise, Smaragde und helle Rubine, ferner fünfhundert schneeweiße Perlen, die je zwei Mithkäl wogen und wie Sterne leuchteten. Dies alles bot er dem König an, und sie baten ihn, es entgegenzunehmen. Der König küßte die Juwelen, und seine Gäste waren sehr von ihm eingenommen. Danach sah sich der König an, was er alles an Schätzen erworben hatte, und fragte Dschullanār: Was könnte ich wohl deinem Bruder schenken? Bei Gott, selbst wenn ich ihm meinen gesamten Besitz und ein Vielfaches davon schenkte, so wäre ich immer noch in eurer Schuld.« Sie wandte sich deshalb an ihren Bruder und sprach: »Mein lieber Bruder, der König möchte sich bei dir entschuldigen. Er sagt: ›Ich weiß weder, was 96
ich ihm Gutes antun kann, noch, mit welcher Gegengabe ich mein Gesicht bei ihm wahren kann. Bei Gott, selbst wenn er meinen gesamten Besitz und das Vielfache davon annehmen würde, so fände ich es noch nicht lobenswert von mir, ihm dies anzubieten^« Lachend erwiderte ihr Bruder: »Dies alles, o König, ist in unseren Augen nichts, und es hat für uns keinen Wert. Wenn ich wieder zu Besuch komme, werde ich, so Gott der Erhabene will, jedes Mal noch mehr mitbringen, als was Ihr hier bekommen habt.« Nachdem der König ihm gedankt und ihm Lob gespendet hatte, verbrachten sie alle die denkbar angenehmste Nacht. Bald danach setzten bei Nixe, der Gattin des Königs, heftige Wehen ein. Als sie immer stärker wurden, kamen ihre Basen und ihre Mutter zu ihr. Der König aber stand auf und begab sich in das Nachbarzimmer der Wöchnerin. Dort war in der Nähe der Decke ein Loch, durch das man die Bewohner des danebenliegenden Wohnraumes sehen konnte, ohne daß es einer merkte. So begann der König durch das Loch zu beobachten, was nebenan vorging. Da das Loch nicht größer als eine Hand fläche war, befand sich sein Gesicht beim Schauen neben dem Loch. Als Dschullanārs Zustand sehr schlimm wurde, blickte sie ihre Mutter an, worauf diese sich erhob und einen Drogenbeutel hervorholte. Dann räucherte sie mit den Drogen und pfiff. Da näherten sich auf einmal zehn Mädchen mit einer alten Frau. Bei Dschullanārs Betreuerinnen angekommen, grüßte die Alte und setzte sich. Dann legte sie ihre Gewänder ab und begann bei dem Mädchen Hebammendienste zu leisten. Es dauerte nur eine kleine Weile, da brachte Dschullanār einen Knaben zur Welt, schön wie die aufgehende Sonne. Jubelnd wurde das Ereignis verkündet, und die Hebamme fragte: Wie werdet ihr ihn nennen?« Dschullanār antwortete: »Er soll al-Badr heißen.« Sie versorgten den Knaben, ohne ein einziges Wort zu sprechen, und keiner aus dem Königsschloß, ob groß oder klein, kam zu ihnen herein. Nachdem sie ihn mit etwas Weißem eingerieben und seltsames Räucherwerk um ihn entzündet hatten, nahm sein Oheim ihn in seine Hände (- und nun spricht der König -), »während ich ihm zuschaute. Er stand auf, und ich dachte: ›Viel97
leicht bringt er ihn zu mir her.‹« Doch er schritt zum Fenster und sprang ins Meer hinunter. Nachdem er mit dem Kind eine Weile unter Wasser geblieben war, tauchte er plötzlich wieder auf, und nun hatte das Kind an der Kehle ein enganliegendes Halsband aus Perlen, groß wie Taubeneier, und um die Leibesmitte eine Kette aus Rubinen, die wie die Sonne leuchteten. Diese lag über der Windel auf seiner Brust. Er legte das Kind vor seiner Mutter nieder. Dabei war allein schon das, was es über der Windel auf der Brust trug, sehr viel Geld wert. Sie dankte ihm für das, was er getan hatte; denn sie erhob sich nun und nahm ein goldenes, mit Edelsteinen besetztes Becken. In dieses legte sie das Kind und ging mit ihm zum König hinein. Sie setzte das Becken vor ihm nieder und sprach: »Gott schenke dir Freude, König, durch diesen heldenhaften König, diesen Löwen und Leu! Er verleihe dir Glück und lasse deinen Stern leuchten!« Der König bat seinerseits Gott um seinen Segen für sie und wünschte ihr alles Gute. Nachdem er das Kind geküßt hatte, öffnete er die Türen. Die Mägde und Diener kamen her ein, und im Schloß verbreitete sich die Freudenbotschaft. Auch in der Stadt hörte es einer vom anderen. Der König nahm zehn tausend Dinare aus dem Schatzhaus, spendete sie als Almosen und brachte Opfer dar. Als dies in der Stadt bekannt wurde, liefen die Leute auf die Straße. Dschullanārs Mutter und Bruder aber blieben zunächst bei ihr. Dann gingen sie zum Meer und schieden von ihr. In der Folge besuchte ihr Bruder sie alle zehn Tage. Dann schenkte er ihr Edelsteine, nahm das Kind, stieg mit ihm ins Meer hinunter und blieb eine Zeitlang fort. Eines Tages sagte der König zu Nixe: »Ich ängstige mich immer um mein Kind, wenn er es mit ins Meer nimmt.« Sie beruhigte ihn aber: »Sei getrost und guten Mutes, König; denn wenn dein Kind auch einen vollen Monat unter Wässer bliebe, würde ihm nichts Böses widerfahren und kein Unheil begegnen, ist er doch einer von uns. Wenn du aber willst, bitte ich meinen Bruder, ihn nicht wieder mitzunehmen, da der Zweck ohnehin erreicht ist.« Als ihr Bruder wieder erschien und Badr mit ihr kam – der Knabe war damals schon fünf Jahre alt –, erzählte sie ihm, was der 98
König gesagt hatte. Jener lachte und sprach: »Kann sich ein Mensch wie du, König, um dieses Kind ängstigen? Der Zweck ist bereits erreicht, und ich werde ihn nicht mehr mitnehmen, um dich nicht zu bekümmern.« Dann verabschiedete er sich von ihm und ging. So schwanden die Tage und Nächte dahin, indes der Knabe heranwuchs und schließlich zehn Jahre alt wurde. Nun lehrte der König ihn Lesen und Schreiben, den Koran und die Reit kunst. Eifrig tummelte er sich auf dem Rücken der Pferde, bis er fünfzehn Jahre alt und ein Reiter geworden war, mit dem es keiner aufnehmen konnte, ja eine bitter schmeckende Koloquinte beim ‘Wettstreit. Eines Tages ging sein Vater auf die Jagd. Als er am Ende des Tages heimkehrte und das Schloß betrat, saß Badr auf dem Thron, indem er Befehle und Verbote erließ, an Kraft und Wurde noch reicher als sein Vater. Da warf sich der König mit der Stirn auf den Boden und dankte Gott dem Erhabenen. Dann trat er weinend bei Nixe, der Mutter seines Sohnes, ein. Diese fragte ihn: »Warum weinst du, König? Möge Gott dich nimmer weinen lassen! Gott der Erhabene hat dir doch gewährt, worum du ihn gebeten hast.« – »Das ist wahr«, gab er ihr zur Antwort, »du mußt aber auch wissen, Königin, daß irgend jemand gesagt hat: Das Ziel erreicht, beginnt die Wende.
Kaum heißt’s ›Geschafft‹, droht schon das Ende.
Es besteht kein Zweifel daran, daß der Zeitpunkt, um den ich Gott den Erhabenen gebeten habe, nahegerückt ist, nachdem er mir (einen Sohn und Thronerben) geschenkt hat. So Gott der Erhabene will, werde ich daher morgen früh der Herrschaft entsagen und sie meinem Sohn übertragen, damit sich für ihn nach meinem Tode nichts zum Bösen verändert.« Am nächsten Tage hielt der König eine Sitzung ab und sandte Einladungen an die Wesire, Emire und Großen seines Reiches, ferner an siebzig Könige. Als der Kreis vollständig beisammen war, erhob sich der König und verkündete: Versammelte Könige und Emire, seid dessen Zeugen wider mich, daß ich hiermit diesen meinen Sohn Badr als euren König an meiner Statt den Thron 99
besteigen lasse.« Da riefen sie alle: »Wir hören und leisten tausendfach Gehorsam«, und er verpflichtete sie hoch und heilig darauf. Noch eine Weile lebte der König, dann schlug sein letz tes Stündlein, und sie veranstalteten für ihn eine große Trauerfeier. Danach sagte Badrs Mutter, Nixe, zu ihrem Bruder: »Mein lieber Bruder, ich wünschte, bei Gott, für Badr eine Frau von seiner Schönheit, Anmut und Pracht, und sie sollte eine Königin seiner Art sein. Es soll sich also gleich zu gleich gesellen, und sie müßte Tochter eines von den Meereskönigen sein. Kein Geschöpf kennt diese besser als ich, und ich habe sie alle schon gesehen.« Der Bruder begann sie ihr aufzuzählen. Alle Töchter der Meereskönige zählte er auf, doch keine einzige von ihnen erschien ihr passend, obwohl er ihr etwa zweihundert genannt hatte. Darauf fragte er: »Meinst du, Schwester, daß dein Sohn schläft? Es gibt nämlich noch ein einziges Mädchen, das wir nicht erwähnt haben. Falls er schläft, nenne ich es dir, wenn er aber nicht schläft, nenne ich es nicht eher, als bis er eingeschlafen ist. Denn vielleicht verliebt er sich in sie, wenn er ihre Schilderung hört, und es könnte sein, daß sie ihm nicht zuteil wird und ihm dies in der Folge Herzeleid verursacht.« Sie antwortete: »Er schläft ganz gewiß. So sage, was du meinst.« Da sprach er: »Liebe Schwester, dieses Mädchen ist Dschauhara, die Tochter des Meerkönigs as-Samandal. Weder auf dem Festland noch im Meer gibt es ihresgleichen, und an Schönheit und Pracht, Glanz und Vollkommenheit kann sich kein Mensch mit ihr messen. Gott der Erhabene hat die Schönheit in neunzig Teilen erschaffen. Neunundachtzig davon hat er ihr verliehen.« Sie antwortete: »Ich kenne sie und habe sie gesehen. Mehr Schönheit als ihre gibt es nicht, und ich will für ihn keine andere.« Und sie fügte hinzu: »Ich bitte Gott um seinen Beistand, und auf ihn vertraue ich.« Ihr Bruder gab ihr aber zu bedenken: »Du weißt, daß es keinen größeren Toren geben kann als ihren Vater und daß er ein wil der Mensch ist. Verrate deshalb deinem Sohn nichts von diesem Plan bis zum Morgen.« – »Ich höre und gehorche«, antwortete sie, und so ließen sie die Nacht verstreichen. Am folgenden Morgen erhob sich der König Badr von seinem 100
Lager. Er hatte alles gehört, was sich zugetragen und was sein Oheim gesagt hatte, und war bereits in heißer Leidenschaft für Dschauhara, die Tochter Samandals, erglüht. Nachdem er das Bad verlassen hatte und zu seiner Mutter gekommen war, wur den Speisen aufgetischt, und er aß mit seiner Mutter und sei nem Oheim. Dann wuschen sie sich die Hände, und sein Oheim stand auf, verabschiedete sich von seiner Schwester und wollte gehen. Als sich aber Badr gleichzeitig mit seinem Oheim erhob, fragte dieser: Wohin willst du, mein Sohn?« – »Ich will dich zum Abschied an das Ufer des Meeres begleiten«, gab er zur Antwort. Darauf verließ der Oheim das Schloß. Am Meeres strand angekommen, watete er ins Wässer hinein, worauf auch Badr von seinem Roß abstieg und hinter seinem Oheim durch das Wasser zu ihm hinwatete. »Wohin willst du, mein Sohn?« fragte der Oheim wieder, und er gab ihm zur Antwort: »Nimm mich mit, Oheim, und verheirate mich mit dem Mädchen, dessen Reize du gepriesen hast. Vielleicht hat Gott, dem Lob gebührt, in seiner Vorsehung unsere Verbindung beschlossen. Wenn nicht, so bleibt hier nur der Tod übrig; denn ich habe mich sehr in sie verliebt.« Da schlug sein Oheim die Hände zusammen und sprach ein Wort, dessen Sprecher nie enttäuscht wird: »Es gibt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott dem Mächtigen und Erhabenen.« Er fügte hinzu: »Kehre um und übe dein Herrscheramt aus. Dann will ich zu ihrem Vater gehen, die Sache regeln und alles für dich in Ordnung bringen.« Badr erwiderte jedoch: »Laß diese Worte; denn, bei Gott, in meinem Herzen ist das Feuer bereits entfacht. Nur die Vereinigung mit ihr kann es löschen, und mir bleibt nichts anderes übrig, als mit dir zu gehen. Entweder wird mir mein Wunsch erfüllt, oder ich finde statt dessen den Tod.« – »Mußt du mich denn unbedingt jetzt zu ihnen begleiten?« fragte er noch. Als Badr dies bejahte, sagte er: »So tue denn, mein Sohn, was du dir vorgenommen hast.« Sprach’s und holte einen Ring von sich hervor, auf dem einige der Namen geschrieben waren, die auf dem Ring Salomos, des Sohnes Da vids – über ihm sei Heil! –, gestanden hatten. Diesen überreichte er ihm mit den Worten: »Stecke diesen Ring an deinen Finger, mein Sohn.« Badr nahm den Ring und steckte ihn an seinen 101
Finger. Der Oheim sagte: »Jetzt bist du sicher vor der Wildheit des Meeres und vor anderen Gefahren.« Dann nahm er ihn bei der Hand, tauchte eine Zeitlang mit ihm unter, und sie machten sich auf den Weg zu dem Schloß des Oheims. Unterwegs befahl der Oheim Badr: »Bleibe bei mir. Dann regele ich die Sache und gehe zum König as-Samandal. Ich trete bei ihm ein, überreiche ihm üppige Geschenke und halte für dich um die Hand seiner Tochter an. Erfüllt er meinen Wunsch, so soll er dafür Dank ernten. Weigert er sich aber, so werde ich ihn unvermutet über fallen, meine Vettern zu Hilfe nehmen und ihm entgegentreten. – Gott schenkt den Sieg, wem er will. – Dann werde ich ihm seine Tochter mit der Schneide der scharfen Schwerter und den Spitzen der geraden Speere entreißen.« – »Gott vergelte es dir an meiner Statt mit Gutem, mein Oheim«, gab ihm Badr zur Antwort, und dann ließen sie die Nacht verstreichen. Am nächsten Tage ging Badrs Oheim zu seinem Schloß. Er öffnete seine Schatzkammern und entnahm ihnen Körbe mit allerlei Edelsteinen und Rubinen. Hundert Körbe voller Edel steine nahm er mit und machte sich auf den Weg, bis er zum Schloß des Königs as-Samandal kam. Er trat bei ihm ein und grüßte ihn. As-Samandal erwiderte seinen Gruß aufs liebenswürdigste und sprach: »Sei mir herzlich willkommen, Sālih, sehe ich doch, daß du mir dieses großartige Geschenk mitgebracht hast!« Da sprach Oheim Sālih: »Ich komme als Brautwerber zu dir und bitte dich um die Hand deiner Tochter. Überhäufe an dere mit Gutem, so wird auch dir Gutes beschert werden. Bist du dem gewogen, der dir gewogen ist, und willfährig dem, der dich bittet?« Der König lachte ihn jedoch aus und sprach: Wie konntest du nur auf diesen Gedanken kommen, Sālih? Ich habe nicht gewußt, daß du einen solchen Mangel an Verstand hast. Du wagst es, meine Tochter zu freien, obwohl sie die Königin ihrer Zeit ist und in der Gegenwart nicht ihresgleichen hat! Wenn ein anderer als du dies vorbrächte, würde ich ihm das Haupt mit dem Schwert abschlagen.« Als er sodann sein Heer zusammenrief, ergriff Sālih die Flucht. Badr aber floh auf irgendeine Insel, wo er sich im Gipfel eines Baumes versteckte. Danach sammelte Sālih seine Freunde und Hilfskräfte. Sie unter102
nahmen einen heftigen Angriff wider as-Samandal und zerschmetterten sein Heer. Samandals Tochter, Dschauhara, floh in Begleitung von fünfzig Mädchen. Sālih eroberte dann mit seinen Vettern Schloß und Reich Samandals. Nachdem er ihn selbst ergriffen und in Eisen gelegt hatte, suchte er Samandals Tochter, Dschauhara. Als er keine Kunde von ihr erlangte, suchte er Badr; doch auch von ihm erhielten sie keine Kunde. Dies bereitete seinem Oheim Sālih großen Verdruß, und er sprach: »Liebe Vettern, alles, was wir geleistet haben, ob wenig oder viel, ist nichts wert!« Sie antworteten: Wir werden ihn suchen und das Meer nicht verlassen. Es wird gewiß zu einem guten Ende führen.« Er sprach: »Was ich befürchte, ist, daß die verfluchte Dschauhara ihn überfallen hat, und ich kann nicht eher zu meiner Schwester zurückkehren, als bis ich weiß, was mit ihrem Sohn geschehen ist.« Dann schickte er Leute aus, um ihn zu suchen. Er selbst aber setzte sich auf den Thron des Königs as-Samandal. Soweit die Ereignisse bei diesen. Was nun Dschauharas Schicksal angeht, so zog sie ihres Weges, bis sie die Insel erreichte, auf der Badr weilte. Er wußte, daß sie zu dieser Insel kommen werde; denn es gab keinen anderen Ausweg für sie. Weil Verhängnis und Schicksal es so wollten, führte sie ihr Weg unter den Baum, in dessen Gipfel sich Badr verborgen hielt, und sie setzte sich darunter. Als Badr nun Ausschau hielt und das Mädchen gewahrte, war es um seine Ver nunft geschehen, und er sprach bei sich: »Preis sei dem, der dieses Mädchen erschaffen hat! Bei Gott, diese Gestalt ist schön. Bei Gott, ich habe noch keine gesehen, die sich an Schönheit und Liebreiz mit ihr messen könnte.« Dabei starrte er sie lange Zeit an. Auf einmal hob sie ihr Haupt und sprach: »Wer sitzt denn in diesem Baum?« Die Mädchen antworteten: »Wir wissen es nicht.« Nun befahl sie einer von ihnen: »Stehe auf, lege hin, was du in der Hand hast, und sieh nach, wer in diesem Baum sitzt.« Als das Mädchen ging, gewahrte sie den Jüngling. Sie grüßte ihn und sprach: »Steige herab und leiste der Königin Folge«, worauf Badr von dem Baume herunterstieg. Als Dschauhara ihn er blickte, fragte sie ihn: »Wer bist du?« Er erwiderte: »Beim Herrn des Schicksals, ich bin Nixes Sohn.« Sie aber trat auf ihn zu, um103
armte ihn und zog ihn an sich. Da erbebten die Adern an seinem Hals. Jetzt nahm sie Wasser in den Mund, blies es auf ihn, redete irgend etwas und sprach sodann: Verlasse diese Gestalt und wandle dich in einen weißen Vogel mit roten Füßen und rotem Schnabel.« Dann sagte sie zu einem ihrer Mädchen: »Nimm ihn und fürchte dich nicht vor seinen Angehörigen. Sie suchen ihn nämlich, und wenn dies nicht der Fall wäre, hätte ich ihn getötet und mir Ruhe vor ihm verschafft; denn wie unheilvoll ist sein Kommen und sein Untertauchen ins Meer für uns geworden!« Sie fuhr fort: »Nimm ihn hin und bringe ihn auf die Insel des Verdurstens, laß ihn dort frei und kehre schleunigst zu mir zurück.« Das Mädchen nahm Badr, den sie in einen Vogel verzaubert hatte, brachte ihn auf die Insel des Verdurstens und wollte ihn dort lassen. Doch es behagte ihrem Herzen nicht, sie dachte an die Wiedervergeltung und fürchtete, es könnte seinen Tod bedeuten. So nahm sie ihn und brachte ihn auf eine andere Insel, die reich an guten Dingen und an Früchten war. Dort ließ sie ihn frei. Dann kehrte sie zu ihrer Herrin zurück und erstattete ihr Bericht. Soweit die Erlebnisse Badrs. Inzwischen hatte seine Mutter Nixe eine Zeitlang an Ort und Stelle auf ihren Sohn gewartet. Als aber jede Nachricht von ihm ausblieb, stand sie auf, ohne jemand zu unterrichten, tauchte ins Meer hinunter und begab sich zu dem Schloß ihres Bruders Sālih. Als sie dort eintraf, kamen die Mädchen zu ihrer Bedienung heraus und erzählten ihr das Geschehene von Anfang bis zu Ende. Bei ihrem Bruder eintretend, sah sie ihn auf seinem Thron, dem Königsthron, sitzen. Als sie unmittelbar vor ihm stand, erhob er sich ihr gegenüber, empfing sie freundlich und weinte bitterlich. Dann erzählte er ihr das Geschehene von An fang bis zu Ende. Da schlug sie sich ins Gesicht und jammerte: »Suche meinen Sohn, Bruder, und laß nicht nach in deinen Bemühungen. Wenn ich bei dir bleibe, könnte es das Heer nach unserer Herrschaft gelüsten. Ich will vielmehr in unser Reich zurückkehren und es regieren. Wenn wir allerdings die Hoff nung auf Badrs Heimkehr aufgeben müssen, dann werde ich das Reich verlassen, wieder zu dir kommen, ein Grab anlegen und mich daneben setzen in der Vorstellung, dies sei Badrs Grab. 104
Du aber, Bruder, erlahme nicht in der Suche nach ihm.« – »Ich höre und gehorche«, gab er ihr zur Antwort. Darauf verabschie dete sie sich von ihm und kehrte zu ihrem Schloß und Königssitz zurück. Derweilen suchten sie weiter nach Badr, ohne eine Kunde von ihm zu erlangen. Soweit die Erlebnisse von Badrs Mutter. Badr aber saß nun auf jener Insel, ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte. Auf einmal erblickte er in der Ferne Tauben. Er flog zu ihnen hin und, bei ihnen angekommen, sagte er sich: »Bei Gott, diese Tauben werden mir den Weg zeigen.« Als die Tauben dann in das Netz eines Vogelstellers hinunterflogen, flog er mit ihnen hinunter, als früherer Mensch jedoch, ohne von dem Vogelfutter zu fressen, während die Tauben zu fressen begannen. Schließlich zog der Vogelsteller sein Netz lang, nahm die Tauben an sich und schlachtete sie. Eigentlich wollte er auch Badr schlachten, als er jedoch sah, wie schön er in seiner weißen Farbe und mit dem Rot seiner korallengleichen Füße aussah, sagte er sich: »Bei Gott, es widerstrebt mir, auch diesen zu schlachten.« So nahm er ihn und ging mit ihm auf eine schöne, reichbevölkerte Insel, auf der ein mächtiger König herrschte. Als der Vogelsteller am Schlosse jenes Königs vorbeikam, sah einer von den Dienern den Vogel, wunderte sich über seine Ge stalt, die Schönheit seiner weißen Farbe und seinen entzücken den Schnabel und rief: Vogelsteller!« – »Zu Diensten«, ant wortete dieser, worauf jener fragte: Willst du mir den Vogel verkaufen?« Als der Vogelsteller erwiderte: »Ja, mein Herr«, holte er für ihn fünf Dirhems hervor und sprach: »Nimm dies als Kaufpreis für ihn.« Der Vogelsteller nahm das Geld an und händigte ihm den Vogel aus. Der Diener nahm den Vogel, über reichte ihn dem König und ließ ihn auf seiner Hand sitzen. Als der König ihn betrachtete, wunderte er sich über seine Schönheit und seinen Reiz. »Ach, Dschauhar!« sagte er zu dem Diener. Der Diener antwortete: »Zu Diensten, Herr.« Nun fragte er: »Was hast du für diesen Vogel bezahlt?« – »Fünf Dirhems«, gab er ihm zur Antwort, worauf der König fünf Dirhems für ihn herausholte und ihm dazu zehn Dinare schenkte. Danach nahm der König den Vogel, setzte ihn in einen Käfig und machte ihm Speise und Trank zurecht, ohne daß er jedoch etwas davon aß 105
oder trank. Dies bekümmerte den König, und er befahl dem Diener, ihn herzubringen. Nachdem der Diener ihn gebracht hatte, ließ er ihn aus dem Käfig heraus, worauf er einen Sprung tat und sich dem König auf den Schenkel setzte. Als nun der König den Eßtisch vor sich stellen ließ, besetzt mit Speisen, wie sie einer Königstafel würdig sind, tat der Vogel abermals einen Sprung und setzte sich auf ein gebratenes Huhn. Er verzehrte das Huhn und fraß von allem, was sonst noch auf der Tafel stand. Der König aber wunderte sich über sein Verhalten. Nachdem der Eßtisch weggeräumt worden war, brachte man die Trinkgefäße herbei. Man ließ die Mädchen mit den Musikinstrumenten kommen und stattete den Raum mit allerlei Wohlgerüchen und Duftkräutern sowie mit sämtlichen Trinkgeräten aus. Jetzt nahm der König den Becher zur Hand, und just als er trinken wollte, tat der Vogel wieder einen Sprung, setzte sich auf die Hand des Königs, steckte seinen Kopf in den Becher und trank ihn bis zum letzten Tropfen aus. Da mußte der König lachen, und auch seitens der Mädchen erscholl Geschrei und Gelächter. Als die Frau des Königs dies hörte, fragte sie, was geschehen sei. Da sagte man: »Der Vogel, Herrin, der beim König steht, hat von allem, was dem König aufgetischt worden ist, gefressen und hat, auf der Hand des Königs sitzend, den Becher mit Wein ausgetrunken, den er in der Hand hatte.« Darauf erhob sich die Gattin des Königs und ging zu ihm hin. Nachdem sie den Vogel betrachtet und sich über ihn vergewissert hatte, verbarg sie sich vor ihm. »Ach, du versteckst dich vor einem Vogel?« fragte der König; doch sie erwiderte: »Nein, König. Dieser Vogel ist Badr, der Sohn der Nixe Dschullanār, gewesen. Er ist verzaubert, und zwar hat ihn die Tochter Samandals, eines von den Königen des Meeres, verzaubert.« Der König wunderte sich hierüber und fragte: »Ich beschwöre dich bei meinem Leben: Kannst du seinen Zauber lösen?« – »Ja, König«, erwiderte sie, »ich und die Frau, die ihn verzaubert hat, haben jedoch fest vereinbart, daß sie mir keinen Zauber löst und daß auch ich keinen erlöse, der von ihr verzaubert worden ist.« – »So bitte ich dich denn bei Gott«, entgegnete der König, »dem Verzauberten seine frühere Gestalt zurückzugeben; denn meine 106
Brust ist beklommen um seinetwillen.« Sie sagte: »Herzlich gern«, und nachdem sie für eine Weile in ihre Schloßgemächer zurückgekehrt war, erschien sie wieder mit einem roten Über wurf, den sie über den Vogel breitete. (Dann nahm sie ein Rauchbecken), zündete darin ein Feuer an und begann zu räuchern. Schließlich nahm sie etwas Wasser, besprengte ihn und wickelte ihn vollends in den Überwurf ein. Als der Vogel darunter zu zittern begann, riß sie den Überwurf von ihm fort. Da erhob er sich und stand leibhaftig da wie der Mond in der Nacht seiner Fülle. Der König freute sich über ihn und hieß ihn auf dem Throne Platz nehmen. »O Badr!« rief er aus. Dieser erwiderte: »Ich stehe zu deiner Verfügung, König. Gott lohne dir an meiner Statt mit Gutem und schenke mir die Gnade, euch beiden eure Tat zu vergelten!« Der König bat ihn: »Erzähle mir doch deine Geschichte, Badr.« Nachdem er ihm seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende erzählt hatte, fragte der König: Was hast du nun für Pläne?« Er antwortete: »Ich bitte um die Gnade, König, daß du mir ein Schiff ausrüstest, ein Fahrzeug bereitest und mir Sol daten von dir mitgibst, die mich in mein Reich bringen sollen; denn ich weiß nicht, was sich nach meinem Fortgang zugetragen hat, und seitdem wird für sie dort ein Tag wie ein Monat und ein Monat wie eine Ewigkeit sein. Wenn, was Gott verhüten möge, meine Mutter inzwischen gestorben ist, so will ich zurückkehren, um dem König zu dienen, und dann soll ich zu der Schar seiner Sklaven gehören.« Der König sprach: »Ich höre und handle nach deinem Wunsch.« Danach rüstete er ein Schiff für ihn aus und versah es mit allem, was er brauchte. Badr verabschiedete sich von dem König, schiffte sich ein, hißte das Segel, und das Schiff fuhr zehn Tage lang bei günstigem Wind. Nachdem sich am elften Tage ein Sturm erhoben hatte, schleuderte er das Schiff gegen einen Berg, so daß es zerschellte. König Badr rettete sich auf einen Balken aus Teakholz. Drei Tage lang war er ein Spielball der Wogen. Am vierten Tage stand er wieder mit den Füßen auf der Erde. Beim Morgengrauen erblickte er nämlich eine hochgebaute Stadt, hell schimmernd wie eine Taube. Am Meeresstrand aber sah er zehntausend Kamele, Pferde, 107
Maultiere und Kühe. Als er aus dem Wasser heraussteigen wollte, kamen die Tiere auf ihn zu und begannen, nach ihm auszuschlagen’ und ihn am Betreten des Strandes zu hindern. So ging Badr zurück ins Wasser, schwamm an eine Stelle unterhalb der Halbinsel und stieg bei Tagesanbruch hinter ihr an Land. Er ging in Richtung des Stadttores und trat in die Stadt ein, sah jedoch daselbst keinen Menschen. So kam er auf den Markt. Dort gewahrte er auf einmal einen Bohnenhändler, der damit beschäftigt war, Bohnen zu kochen. Dieser schaute ihn an. Immer wieder schaute er ihn an und rief dann aus: »O Jüngling!« – »Zu Diensten, mein Herr«, gab Badr ihm zur Antwort, worauf er ihm befahl: »Tritt näher.« Badr selbst erzählt: Nachdem ich zu ihm gegangen war, fragte er: »Hast du keinen in der Stadt getroffen?« – »Nein, mein Herr«, erwiderte ich. Er sagte: »Komm herauf zum Laden.« Als ich es tat, befahl er mir: »Tritt ein.« Auch dies tat ich, worauf er mich weiter zu dem erhöhten Teil des Ladens bat. So kam ich zu einem Raum, trat ein und ließ mich dort nieder, bis die Sonne aufging. Jetzt näherte sich auf einmal der Alte mit allen mög lichen Speisen, stellte sie vor mich hin und setzte sich, um mit mir zu essen. Dann hub er an: »O Jüngling!« und nachdem ich »Zu Diensten« gesagt hatte, fragte er: »Was hat dich veranlaßt, hier haltzumachen?« Ich erzählte ihm meine Erlebnisse bis zum Ende und schloß mit der Bemerkung: »Als ich vom Meer auf die Halbinsel steigen wollte, hinderten mich die Pferde, Rinder und Kamele daran. Es waren ihrer mehr als zehntausend.« Da sprach er: »Wisse, mein Sohn: Dies ist die Stadt der Zauberer. Sie wird von einer gewalttätigen Königin beherrscht. Die Pferde, Maultiere, Rinder und Kamele, die du gesehen hast, sind einst Menschen wie du gewesen, die dieses Scheusal verzaubert hat. Wer ein Pferd, ein Kamel oder ein anderes Tier besteigen will, der darf es sich nach Belieben nehmen; denn sie sind bestraft. Sie haben dir mit ihrem Verhalten eine Freundlichkeit erweisen wollen, indem sie dich daran gehindert haben, die Halbinsel zu besteigen, weil sie um dich besorgt waren, sie könnte auch dich verzaubern, so daß du ihnen gleich würdest. Nun stehe auf und schaue dir die Stadt sowie die Fülle ihrer Bewohner an.« – 108
»Väterchen«, sagte ich, »ich habe aber Angst vor ihnen.« Er antwortete: »Du brauchst dich nicht zu ängstigen; denn sie fürchten sich vor mir.« So stand ich denn auf, ging hinaus und setzte mich auf die Bank vor dem Laden. Nun sah ich eine gewaltige Menge, die nur Gott der Erhabene hätte zählen können. Als sie mich erblickten, begannen sie zu fragen: »Ist dies dein Gefangener, Scheich ‘Abdallāh?« Er antwortete: »Nein, bei Gott, dies ist der Sohn meines Bruders. Ich habe jemand zu ihm ge schickt mit der Bitte, zu mir zu kommen, weil ich ein alter, einsamer und alleinlebender Mann bin und weder Kinder noch andere Angehörige habe.« Da waren sie still und erwiderten nichts. So lebte ich zehn Tage bei ihm. Als wir eines Tages wieder auf der Bank vor dem Laden saßen, erschienen auf einmal tausend Diener mit goldenen und silbernen Keulen in den Händen, danach tausend türkische Knechte und danach wieder tausend berittene Mägde, in deren Mitte ein Mädchen einherritt, die die Königin der Stadt war. Als sie am Laden ‘Abdallāhs des Bohnenhändlers vorbeikam, schaute sie und blieb schließlich vor mir stehen. Da erhob sich Scheich ‘Abdallāh und küßte die Erde vor ihr. Sie fragte: Was ist mit diesem Jüngling, Scheich ‘Abdallāh? Ist er dein Gefan gener?« – »Nein, Herrin«, gab er zur Antwort, »es ist der Sohn meines Bruders. Ich habe nach ihm geschickt und habe ihn zu mir gebracht, weil ich alt geworden und einsam bin.« Sie sprach: »Beim Feuer und beim Licht, er gefällt mir, Scheich ‘Abdallāh. Ich möchte ihn zu mir nehmen.« – »Unter einer Bedingung, Herrin«, erwiderte der Alte, und auf ihre Frage, was das für eine Be dingung sei, sagte er: »Du mußt mir schwören, ihm nichts Böses zu tun.« – »Ja, das schwöre ich«, antwortete sie, und er fuhr fort: »Jetzt bin ich zufrieden, und ich werde ihn dir von Hand zu Hand übergeben, obwohl keiner auf dem Erdenrund ihm etwas hätte anhaben können, solange ich bei ihm gewesen wäre. Kein Geschöpf kennt mich ja so gut wie du!« Sie sagte: »Ich bin einverstanden«, worauf er ihr noch versicherte: »Wenn du morgen vom Turnierfeld heimkehrst, werde ich ihn dir übergeben.« Nachdem sie sich bei ihm bedankt hatte, ging sie weiter. Nun sagte der Alte: »Mein lieber Sohn!« – »Zu Diensten«, er109
widerte Badr, worauf jener fortfuhr: »Dies ist eine böse und ge walttätige Frau mit Namen Lāb. Das heißt Königin Sonne. Wenn ihr jemand gefällt, nimmt sie ihn und stillt vierzig Tage lang ihre Lust an ihm. Danach verzaubert sie ihn in ein Tier, vertreibt ihn an den Strand und sucht sich einen anderen. Gottes Fluch sei über ihr, und er vertilge ihre Spur!« Da sprach ich: »Väterchen, ich habe Angst vor ihr.« Er wandte ein: »Sei un besorgt. Solange ich lebe, wird sie nicht wagen, die Hand nach dir auszustrecken, nachdem sie weiß, daß du der Sohn meines Bruders und damit auch mein Sohn bist.« Ich bedankte mich bei ihm, und dann ließen wir die kommende Nacht verstreichen. Am folgenden Tage erschien sie auf einmal, strahlender als die Sonne. Bei dem Alten angekommen, grüßte sie ihn, worauf er den Boden vor ihr küßte. Ich selber tat das gleiche. Sie be fahl: »Jetzt los in Gottes Namen!« Da erhob sich der Alte, ergriff meine Hand und sprach: »Nimm ihn an dich, Herrin, und gib ihn zurück, wenn du seiner nicht mehr bedarfst.« – »Dies sichere ich dir zu«, erklärte sie. Dann wurde mir ein Pferd mit goldenem Sattel gebracht. Sie selbst stieg auf, und ich ritt neben dem Mädchen her, indes sich die Leute über mein Aussehen und die Schönheit meines Angesichtes wunderten und mich bedauerten in dem Gedanken, sie wolle mich verzaubern und bestrafen. So kamen wir schließlich zu ihrem Schloß und Königssitz. Nach dem wir eingetreten und die Vorhallen durchquert hatten, stieg ich an der Stelle ab, wo auch die Königin abstieg. Sie nahm mich bei der Hand, und wir traten in ein Haus, wie ich es noch nie gesehen hatte und desgleichen es nur im Paradies geben kann. Seine Wände waren aus Goldplatten, und in den Run dungen des Hauses und der Wände standen künstliche Frauen gestalten, von denen jede ein Musikinstrument in der Hand hatte. Das Haus war mit allen Arten von Brokatteppichen aus gelegt. Gleich am Anfang befand sich eine Halle mit einem Thron aus rotem Gold, der mit allerlei Edelsteinen, dunklen und hellen Rubinen sowie Smaragden verziert war. Die Königin stieg zu jener Halle hinauf und setzte sich auf den Thron. Dabei ließ sie mich mit ihr hinaufsteigen und neben ihr Platz nehmen. Dann legte sie ihren Oberschenkel auf den meinen. So erließ sie 110
eine Zeitlang ihre Befehle und Verbote. Danach wurde ein gol dener, mit Perlen und Edelsteinen verzierter Tisch gebracht, auf den vierzig goldene und silberne Schalen mit Speisen aller Art gestellt wurden. Nun aßen wir, und sie begann mich zu füttern, wobei ich ihre Hand küßte. Als wir satt waren, wurde der Tisch fortgetragen, und wir wuschen uns die Hände. Danach wurden goldene Tafeln und Schalen aus Porzellan und Kristall gebracht, die allerlei trockene und saftige Süßig keiten sowie Säfte und Zuckerwaren aller Art enthielten. Es folgten Tafeln mit Moschus. Alle diese Tafeln waren mit Edel steinen besetzt. Nachdem auch noch goldene und silberne Gefäße mit Getränken aufgetragen worden waren, erschienen Mädchen mit Musikinstrumenten in der Hand, wobei eine jede einem von jenen Bildwerken zugeordnet wurde. Mädchen mit einer Laute in der Hand setzten sich zu Füßen eines Mädchens mit Laute, solche mit einer Flöte zu Füßen eines Mädchens mit Flöte und solche mit einer Harfe zu Füßen eines Mädchens mit Harfe. Dabei verteilten sie sich in der Weise, daß unter jedem Bildwerk je ein Mädchen mit dem gleichen Musikinstrument saß. Dann erhoben die Mädchen ihre Stimmen zu einem einstimmigen Ge sang, so daß ich meinte, das Schloß drehe sich mit mir im Kreise. Derweilen betrachtete ich die Schönheit der Königin und ihres Schlosses und wunderte mich über die Herrlichkeit des üppigen Reichtums. Nachdem wir bis zum Einbruch der Nacht getrunken hatten, holten sie goldene und silberne Leuchter mit Lichtern heraus. Die Kerzen in den Leuchtern waren mit Kampfer und Ambra versetzt. Jetzt wurde die Königin vergnügt, und wir be tranken uns beide. Auf einmal wandte sie sich an ihre Zofe, die eine Laute in der Hand hatte, und befahl ihr: »Steh auf. Deine Stimme ist nicht mehr schön. Ich komme schier um. Steh auf.« – »Bei Gott, Herrin«, wandte ich ein, »sie hat doch schön gesungen.« Als ich ihre Absicht mißbilligte, sagte sie: »Laß sie zu der zugehörigen Gestalt gehen und die Puppe an der Wand, unter der sie gesessen hat und die ebenfalls eine Laute in der Hand hält, herbringen.« Danach sang diese mit einer Stimme, wie ich sie unter allen noch nicht gehört hatte, und schlug dazu die Laute in einer Weise, wie ich es noch nie erlebt hatte. Die 111
Königin aber wandte sich an mich mit der Frage: »Welche von ihnen hat nun schöner gesungen, Liebster?« – »Diese, Herrin«, gab ich zur Antwort, »bei Gott, eine Stimme wie die ihre habe ich noch nie gehört. Ihre Stimme und ihre Kunst haben mich entzückt.« – »Diese sind für die Nacht und jene für den Tag«, erklärte sie mir. Dann schrie sie die Mädchen an, und nachdem sie alle aufgestanden und hinausgegangen waren, ließ sie die andern von -der Wand auf den Boden herunterkommen. Jede von diesen Gestalten setzte sich an die Stelle des zugehörigen Mädchens, das hinausgegangen war, und dann sangen sie. Niemals habe ich etwas Köstlicheres, Lieberes und Entzückenderes erlebt als ihre Stimmen. So saßen wir bis Mitternacht beisammen. Dann erhob sich die Königin, nahm mich an der Hand und führte mich in ein schönes Gemach mit einer bogenförmigen Wandnische, die mit Gold verkleidet war. In der Nische lagen Brokatpolster, Betten und mit Atlasseide bedeckte Liegen. Wir stiegen zu dieser Schlafstatt hinauf, und nun zog die Königin ihre Kleider aus, legte sich auf die Betten und sprach: »Ziehe auch du deine Kleider aus, Liebster.« Nachdem ich mich meiner Kleider entledigt und ihr auf die Betten gefolgt war, drückte sie mich an ihre Brust und küßte mir das Gesicht. Auch ich küßte ihr Antlitz und stillte meine Lust an ihr bis zum Morgen. Dann richtete sie sich auf und zog ihre Kleider wieder an, worauf ich ihrem Beispiel folgte. Plötzlich erschienen die Mädchen und sprachen: »In Gottes Namen, Herrin, wir wollen ihn ins Bad bringen.« So ging ich mit ihnen, und sie führten mich in das im Hause befindliche Bad, wo mir zu meiner Überraschung ein Ehrengewand im Werte von tausend Dinaren gereicht wurde. So verbrachte ich einen vollen Monat. Danach erwachte ich eines Morgens und ging in den Innenhof des Hauses hinaus. Dort gewahrte ich fließende Bächlein, dazwischen einen weißen Vogel und einen anderen, der schwarz wie ein Delphin war, während auf den Zinnen des Hauses Vögel von mehr Farben saßen, als das Wasser Tropfen hat. Ich sah, wie der schwarze Vogel auf den weißen Vogel stieg und ihn begattete. Ich wunderte mich hierüber und bat die Königin, mir zu gestatten, den Alten zu besuchen und dann zu ihr zurückzukeh 112
ren. Sie gewährte es mir und sprach: »Unter der Bedingung, daß du nicht bei ihm bleibst.« – »Ich höre und gehorche«, versprach ich ihr. Dann verließ ich sie und kam zu dem Alten. Er hieß mich willkommen und fragte mich, wie es mir gehe und wie ich die Nacht verbracht hätte. Als ich ihm die Geschichte von den Vögeln erzählte, sagte er: »Diese hat das Mädchen verzaubert. (Der schwarze Vogel ist ein früherer Diener und Liebhaber von ihr, und sie hat sich in den weißen verwandelt, um wieder einmal die seine zu werden.)« Ich erwiderte: »Ich habe sie selbst um Mitternacht zaubern sehen.« Da sagte der Alte: Von dem Augenblick an, wo du sie hast zaubern sehen, ist sie in ihrem Inneren wider dich aufgebracht. Deshalb sollst du bis Mitter nacht wachen und dann sehen, welche Art Zaμber sie ausübt. Komme dann in der Frühe zu mir und berichte mir, was sie tut, auf daß ich ihre Absichten durchkreuze. Werde um Gottes willen nicht gleichgültig; denn dann ist es um dich geschehen.« – »Ich höre und gehorche«, versicherte ich ihm. Dann machte ich mich wieder auf den Weg zu der Königin. Als ich bei ihr eintrat, fand ich sie in Erwartung von mir an der Tafel. Sie sagte: Will kommen, Liebster! Wo bist du gewesen? Mit deinem Weggang ist für mich die Welt untergegangen. Nun setze dich.« So setzte ich mich zu ihr, und wir schmausten, allein ich hielt den Kopf zu Boden gesenkt. Da sagte sie: »Du Guter, es ist doch alles in bester Ordnung! Was hast du denn Bedrückendes erlebt und gesehen?« – »Du hast recht, Herrin«, gab ich ihr zur Antwort, und nachdem wir bis zum Anbruch der Nacht beisammen gesessen hatten, ging ich zu Bett. Nach Mitternacht erhob sich meine Geliebte und stand langsam auf. Die Augen öffnend, sah ich, daß sie eine Truhe aufgeklappt hatte und ihr fünf Säcke entnahm. Aus allen diesen Säcken holte sie roten Sand hervor, den sie im Hause ausstreute und besprach. Auf einmal sah ich, wie in dem Sand gegenüber der Schlafstatt ein Wasserbach floß. Nun entnahm sie einem anderen Behälter Gerste und säte sie im Hause aus. Diese wuchs sofort und reifte. Dann nahm sie einen Teil der Gerste, mahlte und verarbeitete sie zu einem Brei, holte eine Schüssel, tat den Gerstenbrei hinein und sammelte den Sand wieder auf. Nachdem sie ihn wie zuvor in dem Behälter ver113
borgen hatte, kam sie und legte sich wieder neben mich schlafen. Am nächsten Morgen erhob sie sich und suchte das Bad auf. Ich aber machte mich auf den Weg zu Scheich ‘Abdallāh dem Bohnenhändler und teilte ihm mit, was ich gesehen hatte. »Gott verfluche sie!« sprach er. »Bleibe eine Weile bei mir.« Dann ging er in sein Gemach und blieb eine Zeitlang fort. Auf einmal kam er mit Gerstenbrei im Gewicht von zwei Ritl wieder zum Vorschein. »Badr!« sprach er, und ich antwortete: »Zu Diensten«, worauf er fortfuhr: »Nimm diesen Gerstenbrei und gehe zu ihr. Wenn sie dich fragt, wo du gewesen seiest, so erkläre ihr, du seiest bei einem deiner Freunde gewesen. Wenn sie nun zu dir sagt: ›Solchen Gerstenbrei haben wir selber hier‹, so gib du Glücklicher ihr zur Antwort: ›Ein Übermaß an Gutem ist nicht vom Übel. Wir essen eben beide.‹ Dann nimm eine Schüssel, tue den Gerstenbrei hinein, setze Flüssigkeit zu und iß davon; denn er wird dir nicht schaden. Wenn du nur noch zwei Mundvoll übrig hast, so entwende einen heimlich, verstecke ihn und be halte ihn in deinem Ärmel. Wenn sie nun ihren eigenen Gerstenbrei bringt, Flüssigkeit zusetzt und zu dir sagt: »Komm und iß‹, dann erwecke ihr gegenüber den Anschein, als ob du ihn äßest, iß aber in Wirklichkeit das Bißchen, das du im Ärmel hast. So bald sie sieht, daß du gegessen hast, wird sie sprechen: ›Verwandle dich aus dieser Menschengestalt in das und das Wesen‹, wobei sie nach Wunsch eines nennen wird. Dabei wird dir jedoch nichts geschehen. Sofort wird sie beschämt erklären: ›Ich treibe ja nur Scherz mit dir.‹ Nun mußt du zu ihr sagen: ›Iß auch du von meinem Gerstenbrei.‹ Sobald sie den Mund voll hat, nimmst du Wasser in die hohle Hand, spritzt es ihr ins Gesicht und sagst: ›Verwandle dich aus dieser Menschengestalt in das und das Wesen‹, welches du eben wünschst. Sie wird auf der Stelle dazu werden, und du lasse sie dem Fluch anheimfallen.« Nachdem ich Segenswünsche für den Alten gesprochen und ihm gedankt hatte, nahm ich den Gerstenbrei und machte mich auf den Weg zum Schloß der Königin. Als ich bei ihr eintrat, sprach sie: Willkommen, Liebster! Wo bist du gewesen?« – »Bei einem meiner Freunde«, antwortete 114
ich, worauf sie sagte: Wir haben aber selber Gerstenbrei.« – »Dann essen wir eben beide«, erwiderte ich. Da nahm ich eine Schüssel und weichte den Gerstenbrei in ihr auf. Während ich ihn nun aß, nahm ich heimlich einen Bissen beiseite und versteckte ihn in meinem Ärmel. Als nichts mehr von dem Brei übrig war, sagte sie: »Iß auch meinen Gerstenbrei, Liebster, und sieh, welcher besser ist, der deine oder der meine.« Dann nahm sie eilends ihren Gerstenbrei, weichte ihn auf und sagte zu mir: »Iß!« Ich tat ihr gegenüber so, als ob ich ihn essen wollte. Als ich nun jenen Bissen aß und sie mich ihn kauen sah, sprach sie: »Was mache ich nun aus dir?« Während ich weiter aß, nahm sie Wässer in die Hand und spritzte es mir ins Gesicht mit den Worten: »Verwandle dich aus dieser Gestalt in die eines staubbedeckten Maultiers von häßlichem Aussehen.« Als nun aber nichts mit mir geschah, stand sie auf, betrachtete mich fassungslos und sprach: »Sei mir nicht böse, Liebster; denn ich habe nur einen Scherz mit dir gemacht.« (Jetzt forderte ich sie auf: »Iß auch du von meinem Gerstenbrei.« Kaum hatte sie den Mund voll), da nahm ich Wasser in die Hand und spritzte es ihr ins Gesicht mit den Worten: Verwandle dich aus dieser Gestalt in die eines Maultiers oder einer mit Sattelgurt versehenen schwarzen Maul eselin.« Da warf sie sich zu Boden und wurde zu einer mit Sattelgurt versehenen Mauleselin. Träne um Träne begann ihr die Wangen herunterzurinnen, und sie rieb ihre Backen an meinen Füßen. Als ich aufstand, um ihr einen Zügel anzulegen, floh sie in das Obergemach hinauf. Ich gab mir alle Mühe, ihr den Zügel anzulegen. Als ich es jedoch nicht vermochte, ließ ich sie in Ruhe und ging zu dem Scheich ‘Abdallāh. Dieser fragte: Wozu hast du sie gemacht, Badr?« – »Zu einer mit Sattelgurt ver sehenen Mauleselin«, antwortete ich und erzählte ihm die Ge schichte von Anfang bis zu Ende. Da stand er auf, ging in den Laden hinein, brachte mir einen Zügel heraus und sprach: »Nimm diesen Zügel und gehe zu ihr. Wenn sie den Zügel bei dir sieht, wird sie sich dir fügen. Lege ihn ihr an, besteige sie und reise mit ihr, wohin du willst. Auf dieser Halbinsel kannst du nicht länger bleiben. Sonst kommst du um, ohne daß ich dich retten kann, weil ich mir selbst jetzt die Leute vom Halse halten 115
will.« Da bedankte ich mich bei ihm, nahm den Zügel von ihm an und ging hinaus. Als sie den Zügel sah, streckte sie mir ihren Kopf entgegen. So band ich ihr den Zügel an und sattelte sie. Dann bestieg ich sie und verließ mit ihr die Stadt. Nachdem ich drei Tage gereist war, kam ich in die Nähe einer Stadt, die noch schöner als die ihre war. Beim Eintreten begegnete mir ein Mann mit hübschem Gesicht, der mich grüßte und fragte: Woher kommst du?« – Von der Halbinsel der Zau berer«, antwortete ich. Da sagte er: »Sei mir willkommen! In Gottes Namen, willige darin ein, mich nach Hause zu begleiten.« So nahm mich der Mann mit heim. Dann sagte er: »Steige ab.« Scheich ‘Abdallāh, der Bohnenhändler, hatte mich aber ermahnt, beim Absteigen ihren Zügel auch nicht für einen Augenblick aus der Hand zu geben. Er sagte also zu mir: »Steige ab, mein Herr.« Dann schrie er einem seiner Diener zu: »Nimm diese Maul eselin, bringe sie in den Stall, binde sie dort an und behandle sie gut.« Ich widersprach jedoch: -»Mein Herr, ich kann mich, bei Gott, auch nicht für einen Augenblick von der Mauleselin trennen. Wenn du sie mit mir ins Haus hineingehen lassen kannst, so will ich deinem Wunsch entsprechen. Andernfalls laß mich hinziehen, woher ich gekommen bin.« – »Mein Herr«, erwiderte er, »wenn diese Mauleselin fortläuft, gebe ich dir für sie tausend Dinare.« Während er so mit mir sprach, tauchte plötzlich eine alte Frau auf. Sie blieb bei uns stehen und sagte: »Es gibt keinen Gott außer Gott! Mein Herr, diese Mauleselin gleicht der verstorbenen Mauleselin meines Sohnes. Bei Gott, ihr Verlust hat das Herz meines Sohnes mit Trauer erfüllt. Willst du sie mir nicht für eine beliebige Summe Geldes verkaufen, mein Herr? Sage mir, daß sie tausend Dinare kostet, damit ich ihn zufriedenstelle, und wäre es nur für einen einzigen Augenblick.« Ich dachte mir: Woher soll diese Alte tausend Dinare haben?« und sagte: »Gib das Geld. Hiermit verkaufe ich sie dir.« Da holte sie unter ihren Kleidern einen Beutel mit tausend Dinaren hervor und sprach: »Nimm’s hin.« Ich erwiderte jedoch: »Ich verkaufe die Mauleselin nicht.« Nun griff der alte Mann ein: »Das darfst du nicht tun! Du hast sie ihr verkauft. Da, nimm das Geld; denn in unserer Stadt kennt man keine Lüge, sondern nur die Wahr 116
heit. Du hast die Mauleselin nun einmal verkauft und dies ist unwiderruflich.« So nahm ich den Beutel mit dem Gold und kam damit zur Moschee, während ich der Alten die Mauleselin überließ. Nachdem ich in die Moschee eingetreten war, goß ich das Gold in meinen Schoß, und siehe, da war es nur Töpferware, die in ihrer runden Form wie Dinare aussah. Ich schlug mich ins Gesicht, daß mir das Blut aus der Nase lief, und machte mich da von, um die Stadt zu verlassen. Da sah ich mich auf einmal als dritter zusammen mit der Alten, die die Mauleselin gekauft hatte, und der Königin. Als diese mich erblickte, sprach sie fauchend: »Bei Gott, du kommst mir gerade recht!« Die Alte stellte sich nun als ihre Mutter her aus, die ihre Verzauberung gelöst hatte. Die Königin aber packte mich an der Hand und tat drei verschiedene Pfiffe. Da erschien plötzlich ein Dämon, der einem gewaltigen Berge glich, setzte mich für einen Augenblick auf seinen Rücken, und schon befan den wir uns in ihrem Schloß. Nachdem sie sich auf ihrem Thron niedergelassen hatte, beglückwünschten ihre Mädchen sie zu ihrer Errettung und begannen, den Wunsch zu äußern, mich töten zu dürfen, was sie ihnen jedoch verwehrte, indes ich zwi schen ihnen lag wie ein Ziegelstein, den man auf den Boden geworfen hat. Jetzt nahm sie etwas Weißes hervor, besprach es eine Weile, tat es ins Wasser und besprengte mich, indem sie sprach: Verwandle dich aus dieser Menschengestalt in die Ge stalt des häßlichsten aller Vögel.« Da stürzte ich zu Boden, und schon war ich zu einem Vogel von häßlicher Gestalt geworden. Sie aber setzte mich auf ein Wandbrett bei sich im Hause. Plötzlich erschien jener schwarze Vogel mit einem weißen Vogel weibchen und fing an, es zu begatten. Dann erhob sich das Weibchen und schüttelte sein Gefieder, worauf das Männchen fort flog. Darauf wusch sich die Königin, nahm das Waschwasser und setzte es in einem Gefäß zu mir auf das Wandbrett mit den Worten: »Trink! Etwas anderes bekommst du nicht von mir zu trinken.« Nachdem ich drei Tage verharrt hatte, ohne zu trin ken, empfand eines von den Mädchen Mitleid mit mir. Sie kam nun des öfteren zu mir und versorgte mich ihrerseits mit Wasser, indem sie mir zu trinken gab und nachsah, was ich brauchte. 117
Nach einer Weile ging sie zu dem alten Bohnenhändler und teilte ihm mit, was geschehen war. Da brach er in den Ruf aus: »Es gibt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott dem Mächtigen und Erhabenen. Bei Gott, der Jüngling ist verloren. Doch du hast nun begonnen, etwas zu unternehmen, so führe es denn auch zu Ende. Bemühe dich, fortzugehen und seine Mutter zu unterrichten.« – »Wer ist denn seine Mutter?« fragte sie, worauf er ihr antwortete: »Seine Mutter ist Nixe Dschullanār. Königin Lāb aber ist die schlimmste Zauberin auf Erden. Ihre Mutter insbesondere ist das schwerste Verhängnis und die größte Plage. So werde dir als besondere Gnade von Gott dem Erhabenen Himmelslohn zuteil, von Dschullanār aber das Geld, das sie dir zukommen lassen wird. Vielleicht will es auch das Glück, daß Badr dich heiratet und du Königin der Stadt wirst.« Und er weckte bei dem Mädchen das Verlangen nach all diesem, so daß sie sprach: »Ich höre und gehorche. Heute nacht noch werde ich mich zu Dschullanār begeben.« Als die Nacht hereinbrach, pfiff das Mädchen und sprach Zauberworte. Da erschien plötzlich eine Teufelin und sagte: »Erteile mir deinen Befehl, Herrin.« – »Ich will«, erwiderte sie, »daß du mich auf die weiße Insel zu Nixe Dschullanār trägst; denn ich habe etwas bei ihr zu besorgen.« Die Teufelin sp.rach: »Ich bin bei ihnen gewesen, Herrin, und habe Dschullanār ob ihres Sohnes in der schlechtesten Verfassung gefunden. Sie haben Dschauhara, die Tochter Samandals, eines von den Königen des Meeres, nebst ihrem Vater gefangengenommen.« – »Du Glückliche, lade mich sofort auf«, befahl ihr das Mädchen, worauf jene sprach: »Steige auf.« So bestieg das Mädchen den Rücken der Dämonin. Nachdem sie einen Augenblick mit ihr geflogen war, ging sie auf Nixes Dach mit ihr nieder, und das Mädchen stieg wieder ab. Als es Nixe sah, erkannte es, daß diese der Zauber kunst mächtig war. Sie grüßte Nixe ehrerbietig und sprach: »Ich habe gute Botschaft für dich, Herrin: Dein Sohn ist bei der Königin Lāb. Er ist in die häßlichste Gestalt verzaubert, die es nur geben kann. Sorge, daß du seiner habhaft wirst, bevor du ihn nicht mehr erreichen kannst.« Da ergingen Freudenbot schaften. Badrs Oheim und seine Mutter Nixe aber erhoben sich 118
in Begleitung der Geisterstämme und flogen zusammen mit dem Mädchen davon, während diese ihnen Badrs Geschichte von Anfang bis zu Ende erzählte, ferner die Geschichte von Scheich ‘Abdallāh dem Bohnenhändler und was er in der Sache von Nixes Sohn unternommen hatte. Es währte nur einen Augen blick, bis das Schloß der Königin Lāb überfallen und sie samt allen Schloßbewohnern gefangengenommen wurde. Nachdem Nixe sich ihren Sohn hatte bringen lassen, bespie sie ihn und sagte etwas, was er verstand. Darauf schüttelte er sich und verließ den Käfig, schön zwar wie der Mond, doch vor Hunger und Durst nur noch wie ein alter Schlauch. Dann befahl sie, die Königin Lāb vorzuführen, und tötete ihre Mutter sowie alle, die im Schlosse waren, ob Männer oder Frauen. Weiter schickte sie einen Boten zu Scheich ‘Abdallāh dem Bohnenhändler. Als er erschien, eilte sie ihm entgegen und küßte den Fußboden vor ihm, sie, wie auch Badr und alle, die vor ihnen standen. »Mein lieber Sohn«, sagte sie, »wenn er nicht gewesen wäre, so wärest du umgekommen.« Dann verlieh sie ihm ein Ehrengewand und gab ihm das Mädchen zur Frau, das er ausgeschickt und das ihr die Kunde von ihrem Sohn gebracht hatte. Ferner übergab sie ihnen beiden die Stadt und alles, was das dortige Schloß barg. Dann nahm sie Sohn, Bruder und Mutter und kehrte zu der weißen Stadt, der Stadt Badrs, zurück. Nun machten sich die Einwohner der Stadt auf, traten bei ihm ein, küßten den Fuß boden vor ihm und beglückwünschten ihn zu seiner Errettung. Nachdem er einige Tage auf dem Königsthron gesessen hatte, begab er sich zu seinem Oheim und sprach: »Lieber Oheim, ich möchte as-Samandal und seine Tochter sehen, weil ich das Mädchen heiraten will.« – »Das ist auch sein eigener Wunsch für dich, mein Sohn«, gab er zur Antwort. Dann ging er fort und kam mit as-Samandal wieder. Dieser grüßte Badr, worauf Badr ihn willkommen hieß und und ihn auf dem Königsthron Platz nehmen ließ. Dann schickte er Boten zum Richter und zu der Königin Dschauhara, der Tochter Samandals. Sie beurkundeten die Eheschließung, schlössen einen Vertrag über die Eigentumsverhältnisse und feierten ein Hochzeitsfest, wie es noch keinem vor ihr bereitet worden war. Die Hälfte seines Reiches über 119
trug er ihrem Vater und kehrte dann selbst zu Nixe zurück. Alles ging wieder seinen rechten Weg, und sie lebten ohne Unterlaß sehr herrlich und zufrieden, der Sorgen bar und in ungetrübtem Glück, bis sie der trennte, der alle Freuden zerstört und alle Gemeinschaften löst. Dies ist die Geschichte, wie sie sich ereignet hat. Preis sei Gott allein, und Segen und Heil werde Muhammad, seinen Angehörigen und Freunden zuteil!
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5. Die Geschichte von ‘Arūs al-‘arā’is, ihren Ränken
und dem, was dabei an Wunderbarem geschah
auf Meeren und Inseln
I
m Namen Gottes, des Barmherzigen, des Allerbarmers. In den Geschichten der Volker aus uralten und längst vergangenen Tagen wird erzählt – aber Gott weiß es am besten, er ist weiser als alle, ist der Mächtigste und Edelste, der Gütigste und Gnädigste: Es war einmal ein König, reich an Ehren und groß an Macht. Allein er hatte keinen Sohn. Er betete deshalb zu Gott dem Erhabenen, daß er ihm einen Sohn schenken möge, der nach seinem Tode das Reich von ihm erben solle. Eines Nachts schlief er bei seiner Frau. Da empfing sie von ihm, was im Willen Got tes des Mächtigen und Erhabenen steht. Nachdem sie es neun Monate getragen hatte, kamen die Wehen über sie, und sie gebar eine Tochter, wie sie schöner kein Auge je gesehen hatte. Ihr Vater vertraute sie den Pflegerinnen und Ammen an. Ohne Unterlaß spendete er Almosen, fand sich täglich bei ihr ein und küßte ihr die Stirn, bis sie eines Tages von einer Krankheit heimgesucht wurde. Da holte er alle Ärzte, Gelehrten und Weisen zu sammen, doch sie konnten ihr nicht helfen, und so starb sie nach dem Willen Gottes des Mächtigen und Erhabenen. Ihr Tod brachte über das Herz des Vaters bitteres Leid, alles, was ihm Halt verliehen hatte, stürzte in ihm zusammen, und er ver brachte einen Monat damit, sie zu beweinen und zu beklagen. Danach zog er sich von seinen Wesiren und Kämmerern, seinen Tischgenossen und Freunden zurück und verharrte ganz allein in seinem Trauergemach. Nun hatte er unter seinen Vertrauten einen Wesir, der recht schaffen in seinem Wandel und in seiner Lebensführung war, dabei freigebig mit Wohltaten und Almosen und voller Mitleid 121
mir den Armen, Schwachen und Waisen. Von seinen milden Gaben lebten viele Leute, und er war für sie wie ein Vater. Als der König von dem Tod seiner Tochter heimgesucht wurde, überfiel den Wesir so große Trauer, daß er die üblichen Almosen vergaß. Die Kunde davon drang bald zu den Leuten, die früher die Almosen erhalten und von ihnen gelebt hatten. Da geschah es eines Tages, daß der Wesir an der Pforte des Königspalastes einem Blinden begegnete, der zu der Schar seiner früheren Almosenempfänger gehörte. Dieser begrüßte ihn mit einem höflichen Segenswunsch und fuhr dann fort: »Hoher Wesir, warum hast du mir in diesen Tagen deine Wohltaten ent zogen, nachdem ich nächst der Gnade Gottes des Erhabenen mein Leben nur aus deiner Gnade gefristet habe? Der Verlust deiner Wohltaten hat mich in bittere Not gebracht.« – »Siehst du nicht«, erwiderte der Wesir, »wieviel Kummer, Sorge und Leid wir zu tragen haben? Bei Gott, wir vergessen sogar uns selbst und unsere Kinder. Wie sollten wir da nicht alles andere vergessen!« Da fragte der Blinde: Was ist euch denn widerfahren, und was hat euch so hart getroffen, daß solche Trauer über euch gekommen ist? Möge Gott dein Herz vor Kummer bewahren, möge er alles Böse von dir wenden!« Der Wesir antwortete: »Der König hatte eine Tochter, die jüngst im Alter von fünfzehn Jahren gestorben ist. Nun hat sich seiner so viel Gram und Schmerz bemächtigt, und er weint und jammert so sehr, daß es uns das Herz beklemmt. Er sitzt ganz allein in einem Gemach, ohne des Weinens müde zu werden, während wir zurück geblieben sind wie eine Herde ohne Hirt.« – »Gott der Gepriesene und Erhabene«, rief der Blinde aus, »wird in Kürze den Herrn Wesir, den König und alle Untertanen, ob hoch oder niedrig, von dieser Not befreien.« – Wie soll das geschehen?« fragte der Wesir. Da bat der Blinde: »Gestatte mir, mich an einem Ort aufzustellen, von wo der König meine Worte hört, auf daß ich ihm so eindringlich zurede, daß es sein Herz gesund macht und Kummer und Sorge vertreibt. Wenn er mich dann zu sich hereinruft, werde ich ihm eine schöne und wunderbare Geschichte erzählen, durch die ich ihm die Frauen und Mädchen verhaßt mache. Am Ende wird er wieder wohlgemut sein und 122
wird sich sogar darüber freuen, daß seine Tochter gestorben ist.« Der Wesir versprach ihm: »Wenn dir das gelingt, werde ich dich mit Wohltaten überhäufen und werde dir schenken, was immer du auf Erden wünschen magst.« Darauf befahl der Wesir, ihn in sein Haus zu führen, sein ungepflegtes Äußere in Ordnung zu bringen und ihn in jeder Hinsicht zuvorkommend zu behandeln. Am nächsten Tag be stieg der Wesir sein Pferd und nahm den Blinden mit. In Be gleitung der Dienerschaft betrat er das Schloß des Königs und gelangte schließlich zu dem Vorhang, hinter dem sich der König befand. Dort ließ er den Blinden stehen und sprach: »Nun sage, was du beabsichtigst, Alter. Der König ist hinter dem Vorhang und hört, was du sprichst.« Da begann der Blinde zu sprechen. Er hub an mit einem Gruß, auf den er einen recht höflichen Segenswunsch folgen ließ. Dann drang er mahnend in den König, ja er überschüttete ihn mit Mahnungen. Als der König seine Worte vernahm, wurde sein Herz ruhiger, und was er an Kummer, Gram und Traurigkeit empfand, verlor von seiner Qual. Er ließ den blinden Greis vor sich führen und sprach zu ihm: »Du, Alter, hast mir mit deinen Worten das Trauern, Weinen und Klagen, das bisher mein Herz erfüllt hat, schon sehr verringert. Laß mir noch mehr von deinen Mahnungen zuteil werden; denn sie haben meinem Herzen wohlgetan.« – »Mein König«, erwiderte der Alte, »ich weiß eine schöne Geschichte, die geeignet ist, den König zu trösten und seinen Haß zu wecken wider die Frauen und Mädchen, die ja doch verschlagen, ränkesüchtig und treulos sind; aber es ist eine seltsame und lange Geschichte, und ihr ungewöhnlicher Inhalt ist tiefsinnig und lehrreich für verständige Menschen.« Da sagte der König: »Die lange Geschichte ist mir gerade recht; ich will sie nämlich, um mir die Nacht zu füllen, weil dann die Traurigkeit über mich kommt.« Darauf zeigte sich der König gespannt auf die Geschichte des Blinden. Er hieß ihn näher kommen und bei ihm Platz nehmen und sprach sodann: »Nun, Alter, erzähle mir deine Geschichte, die du mir versprochen hast.« Darauf erzählte der Blinde: 123
Das will ich tun, und Gott schenke dem König Heil! Mein Vater hat mir von meinem Großvater erzählt, daß er vor langer Zeit einmal Stadthauptmann war. Als er eines Tages eine Sitzung abhielt, wurden ihm die Verbrecher vorgeführt. Viele Leute waren es, die ihm vorgeführt wurden. Da begnadigte er sie und ließ sie laufen, um den reichen Lohn zu erlangen, den er sich auf diese Weise bei Gott verdienen konnte. Nach einiger Zeit hielt er wieder einmal wie gewöhnlich eine Sitzung am Gefängnistor ab, um Gefangene freizulassen. Eben hatte er für einige Leute die Entlassung angeordnet, da ließ er aus ihrer Schar einen Mann vortreten, dem ein Auge geblendet war. Nachdem er ihn näher betrachtet hatte, sprach er zu ihm: »Wehe dir! Habe ich nicht dein erstes Verbrechen aufgedeckt und festgestellt, daß du im vergangenen Jahr die Tochter des Königs umgarnt hattest? Der König hat damals von deinem Verbrechen gehört, und wenn nicht Kummer und Leid sein Herz so sehr ergriffen hätten, daß er starb, hätte er dich foltern und nach harter Folterung hinrichten lassen. So warst du nach seinem Tode ein Jahr lang in Haft. Im folgenden Jahr habe ich dich wieder erwischt, nach dem du eine neue Untat begangen hattest. Du kamst wieder ins Gefängnis. Ich deckte dein Verbrechen auf und stellte fest, daß du einer Frau in ihrer eigenen Wohnung Gewalt angetan hattest. Die Nachbarn ergriffen dich und traten als Zeugen wider dich auf. Du wurdest ausgepeitscht, ins Gefängnis gesteckt und blie best wieder ein Jahr dort. Danach hast du dich abermals vergangen. Wieder habe ich dein Verbrechen aufgedeckt und festgestellt, daß du nun deine Mutter aufgesucht hattest in der Absicht, sie zu vergewaltigen. Dreimal habe ich dich jetzt auf freien Fuß gesetzt. Wenn du noch einmal hierher kommst, lasse ich dir den Kopf abschlagen.« Da sprach der Mann zu ihm: »Laß mich wieder ins Gefängnis; denn die Gefängnisluft zu atmen ist mir lieber, als daß mich das böse Weib findet und tötet. Denke an Gott in meiner Sache.« Der Stadthauptmann sagte: »Erzähle mir deine Geschichte und wer das böse Weib ist.« – »Sie ist das Weib«, erwiderte der Mann, »das an meinen Gefängnisstrafen und an meiner Blendung schuld ist. Ihre Geschichte aber ist selt sam.« Nachdem mein Großvater ihn in seine Wohnung hatte 124
bringen lassen, rief er ihn zu sich und sprach: »Die wahrste Geschichte ist auch die schönste; die Lüge aber erwürgt ihren Urheber. Jetzt erzähle mir deine Geschichte, ohne mir das geringste zu verheimlichen. Berichte mir, wer das böse Weib ist, das dir dieses angetan hat.« Darauf sagte der Mann: Dies will ich tun, verehrter Hauptmann. Ich bin der Kaufmann Soundso aus al-Bahrām. Als mein Vater starb, hinterließ er mir ein großes Vermögen. Ich ging nun auf Reisen und trieb mich nach dem Tode meines Vaters auf den Meeren herum. Dabei verdiente ich sehr viel Geld und kehrte immer wohlbehalten in meine Vaterstadt zurück. In irgendeinem Jahr trat ich wieder eine Reise an, und zwar mit dreihundert Kaufleuten, die nach China wollten. Auf hoher See angelangt, fuhren wir sechs Mo nate mit günstigem Wind und unter besten Umständen, ohne etwas anderes als Himmel und Wasser zu sehen. Wir fühlten uns sicher und waren guter Dinge, als sich auf einmal ein Sturm erhob und unser Schiff von ihm ergriffen wurde. Wir wußten nicht, wie uns geschah, und vermochten weder uns selbst noch das Schiff zu halten. Wie ein Pfeil flog es mit uns dahin; wir aber wußten nicht, wohin es uns trug. Dies währte sieben Tage und Nächte. Dann kamen wir in ein Meer, das so schwarz war wie eine pechfinstere Nacht. Inmitten dieses Meeres gewahrten wir einen Berg, an dessen Seite sich eine große Landbrücke über das Wasser wölbte. Als wir uns dem Berge näherten, beruhigte sich der Sturm, und das Schiff lag bald am Fuße des Berges. Jetzt bemächtigte sich unser eine große Ratlosigkeit. Wir hörten die Seeleute miteinander sprechen, doch gaben wir nichts auf ihr Gerede, besprachen uns vielmehr mit einem alten Mann, der seit hundert Jahren auf See war und die Schrecken des Meeres kannte. Wir fragten ihn: »Alter, wo befinden wir uns eigentlich? Wir haben nämlich gesehen, wie ihr miteinander beratschlagt.« Der Alte erwiderte: »Fürwahr, ihr seid an einem bösen Ort, und es ist kein Entrinnen von hier möglich, es sei denn, daß Gott der Mächtige und Erhabene es will.« Da begannen wir zu weinen, zu beten und zu flehen und taten es die ganze Nacht hindurch, bis der Morgen anbrach und die Sonne aufging. 125
An diesem zweiten Tage erschien plötzlich auf der Oberfläche des Meeres ein Gebilde gleich einem gewaltigen Berg, das allmählich auf uns zuschwamm. Als wir den Alten fragten: Was ist das, was da auf uns zukommt?« sprach er unter Tränen: »Dies ist ein fluchwürdiges Ungeheuer. Gleich wird es bei euch sein, und wessen Stündlein geschlagen und wessen Lebenszeit abgelaufen ist, den wird es ergreifen und verschlingen. Danach wird es euch für heute verlassen, aber nur bis morgen. Dann kommt es wieder und ergreift einen anderen, und dies geht so lange weiter, bis Gott euch erlaubt zu entrinnen. Wenn ihr es aber etwa bekämpft, zerschmettert es das Schiff und macht euch den Garaus.« – »O Jammer«, gaben wir ihm zur Antwort, »wer wird sich wohl freiwillig dem Ungeheuer zum Fraß vorwerfen lassen?« Da erteilte uns der Alte folgenden Rat: »Schreibt alle Namen von euch auf Lose und werft sie zusammen. Dann verbindet einem von euch die Augen. Dieser greift dann aufs Ge ratewohl ein Los heraus, und wessen Name auf dem Lose steht, den werfet dem Ungeheuer vor, ob er will oder nicht. Vielleicht wird uns dann Gott die Rettung ermöglichen und uns in seiner Güte und Allmacht von dieser Stätte entkommen lassen.« Wir taten, wie der Alte uns geheißen hatte, obwohl wir seine Worte bezweifelten. Dabei fiel das Los auf einen von den Kauf leuten. Wir traten an ihn heran und warfen ihn dem Ungeheuer zu, während er weinte und um Hilfe schrie. Nun kam das Un tier angeschwommen. Es war so groß wie das größte baktrische Kamel, nur entsetzlicher und erschreckender, hatte einen fürchterlichen Kopf, zwei Augen, ein Maul gleich einem Brunnen, und so weit, daß es einen Ballen Leinwand hätte fassen können, dabei einen schrecklichen und widerlichen Gestank, den keiner aushalten konnte. Entsetzen packte uns vor ihm, und die mei sten von uns stürzten infolge des Anblickes auf ihr Gesicht. Wir warfen ihm den Mann zu, worauf es ihn verschlang und uns für jenen Tag verließ. Nun begannen wir zu weinen und zu klagen, immer in der Erwartung, daß Gott der Mächtige und Erhabene uns erretten werde. Im übrigen blieben wir bei dem Brauch, das Opfer auszulosen. 126
Als wir sahen, daß sich an unserer Lage geraume Zeit nichts änderte, umringten wir den Alten und sprachen zu ihm: »Du Schurke hast nichts anderes beabsichtigt, als uns einen nach dem anderen zu verderben und zugrunde zu richten, um dich dann unseres Reisegepäcks und unserer Güter zu bemächtigen. Für wahr, wenn das Ungeheuer wiederkommt, werden wir ihm keinen anderen vorwerfen als dich.« – »Liebe Leute«, erwiderte er, »habe ich nicht Gerechtigkeit gegen euch geübt? Dies sind doch Lose! Ziehet sie, und wenn mein Los gezogen wird, so werfet mich hinaus, und ihr werdet meinetwegen keinen Vor wurf hören.« Da sagten wir: Wir werfen dich dem Ungeheuer ohne Auslosung vor, Mann. Oder weißt du ein Mittel, womit du uns vor ihm retten kannst?« Dies verneinte er heftig. Darauf kamen wir überein, den Alten dem Ungeheuer vorzuwerfen. Als es wieder wie gewöhnlich erschien, traten wir an den Alten heran, banden ihm die Hände auf den Rücken und warfen ihn dem Untier vor, das ihn sofort verschlang. Darauf sprachen wir: »Dieser ist jetzt endlich fort. Was machen wir nun morgen mit dem Ungeheuer?« Einige meinten: Wir wollen den Kampf mit ihm aufnehmen. Entweder töten wir es und haben Ruhe vor ihm, oder es tötet uns bis auf den letzten Mann. Dies ist besser, als daß wir täglich den Tod kosten müssen.« Dieser Meinung schlössen wir uns alle an, und nun holten wir die Geräte und Waffen hervor, die wir bei uns hat ten. Dann erhoben wir unsere Stimmen zu einem wilden Geschrei, kündeten laut Gottes Einheit und Allmacht und flehten zu ihm. Am nächsten Morgen nahmen wir alle unsere Waffen auf, nachdem wir uns gegenseitig ermahnt hatten, einander nicht im Stiche zu lassen. Ehe wir uns dessen versahen, nahte auch schon das Ungeheuer wie alle Tage zuvor. Bei seinem Anblick schrien wir: »Gott ist am größten« und »Es gibt keinen Gott außer Gott.« Damit wollten wir ihm Schrecken einjagen. Das Ungeheuer aber setzte, als es unser Treiben sah, zu einem gewaltigen Angriff an und stürmte auf uns los. Mit einem ein zigen Schlag zerschmetterte es das Schiff und hieb es in Stücke. Alles, was wir an Waren und anderem bei uns hatten, ging unter, dann begann das Ungeheuer, Mann für Mann zu verschlingen. 127
Ich selbst klammerte mich an eine Schiffsplanke und kletterte auf sie hinauf. Die Wogen begannen, mich nach rechts und nach links zu treiben. Bald hoben sie mich hoch, bald ließen sie mich in die Tiefe sinken, bis sie mich unter jene Landbrücke warfen, die sich am Fuße des Berges befand. Von dort gelangte ich dann in ein anderes Meer, dessen Wasser ganz grün war und so klar, wie ich es noch nie gesehen hatte. Die Wellen trieben mich in ihm umher, bis ich an eine schöne Insel gespült wurde, die reich an Bäumen und Gewässern war, eine Insel, wie sie mein Auge noch nie erblickt hatte. Ich begann, auf ihr herumzuwandern, und freute mich in meinem Herzen, daß ich an einen Ort geraten war, wo es eine Quelle gab mit Wasser, kühl wie ein frischer Trunk, süßer als Zucker und kälter als Schnee. Ich trank davon und dankte Gott dem Erhabenen. Danach hielt ich Ausschau nach dem größten und höchsten Baum. Ich ging zu ihm hin und bereitete mir auf ihm eine nächtliche Ruhestatt, von der ich am Tage wieder herunterstieg. So verbrachte ich zehn Tage, ohne irgendetwas von einem Menschen zu sehen. Als ich mich am zehnten Tage eben entschlossen hatte, van dem Baum herabzusteigen, sah ich, wie etwas Großes im Meere auf meine Insel zuschwamm. Nachdem es näher gekommen war, wurde mir klar, was es war. Es trug einen Gegenstand vor sich her, der hoch aufragte und den es mit einer Hand und mit der Brust emporhielt. Als ich dies sah, kehrte ich zu dem Baum zurück, kletterte wieder hinauf und hütete mich herunterzukommen, weil ich sehen wollte, was dies war. Als es schließ lich die Insel erreichte und aus dem Wasser emporstieg, erkannte ich, daß es ein langsam einherschreitender Neger war, wie ich hünenhafter und schwärzer nie einen gesehen hatte, mit großen, wulstigen Lippen gleich denen eines Kamels, jedoch grauen hafter und entsetzlicher. Sein Bau und sein Aussehen jagten mir Schrecken ein. Was er mit Hand und Brust aus dem Wasser emporgehalten hatte, erwies sich als ein gläserner Kasten, der verschlossen war. Jetzt kam er in die Nähe der Quelle, setzte den Kasten ab, öffnete ihn, und siehe, es entstieg ihm ein Mäd chen, dem Mond, dem Vollmond, dem Neumond gleich, bestrickend und mit dunklen Augen, ein Mädchen, wie keine je 128
mals schöner und reizender, vorbildlicher und vollkommener erblickt worden war. Ihre Umgebung war von ihrer Lieblichkeit und Schönheit, ihrer Pracht und Vollkommenheit in Licht getaucht. Mit üppigen Kleinodien und Gewändern war sie angetan. Der Neger ließ sie dort allein und ging fort. Nachdem er eine Weile ausgeblieben war, kam er mit einem gewaltigen Widder, einem großen, riesenhaften Fisch und einem mächtigen Korb zu rück, voll großer Früchte, derengleichen ich noch nie gesehen hatte. Darauf holte er unten aus dem Kasten Feuerhölzer her vor, schlug Funken und entzündete mit dem Holz jener Bäume ein gewaltiges Feuer. Nachdem er dem Widder das Fell abge zogen hatte, dämpfte er das lodernde Feuer. Nun begann er, von dem Widder Stücke abzuschneiden und auf das Feuer zu legen, aß selbst und gab auch dem Mädchen zu essen. Danach legte er sich neben sie und sie neben ihn, tändelte er mit ihr und sie mit ihm, schäkerte er mit ihr und sie mit ihm. Dabei brummte er ihr allerlei in einer Sprache zu, die ich nicht verstand. Dann sprang er auf ihre Brust. Sie aber blieb liegen und gab sich ihm hin. Fünf Mal wohnte er ihr bei, während sie ruhig blieb, ohne ihm zu wehren oder etwas zu sagen. Ich aber wunderte mich über ihr Verhalten und ihre Fähigkeit, ihn zu ertragen. Dann erhob er sich von ihr, bettete seinen Kopf auf ihren Oberschenkel und legte sich zur Ruhe wie ein großer Stier. Nun begann er zu schnarchen, und seine Stimme ertönte wie grollender Donner. Nachdem er in tiefen Schlaf versunken war, nahm sie seinen Kopf vorsichtig von ihrem Schenkel herunter, ließ den Neger liegen und begann, wiegendes Ganges einherzuschreiten, indes die Insel von ihrer Schönheit und Lieblichkeit, ihrer Pracht und Vollkommenheit erstrahlte. Bei der Quelle angekommen, entledigte sie sich ihrer Gewänder. Dann begann sie zu jammern, zu klagen und sich selbst zu beweinen, in ihrer Klage die Worte ausrufend: O du Herr der Menschen, der du den Sklaven die Freiheit schenkst, der du die Betrübten tröstest, ich bitte dich, o Herr der Welten, ich bitte dich, du wollest mir in Kürze Trost und wollest mir bald Erlösung schenken. O Herr, wie kann ich mir ein Zaubermittel verschaffen, das einen von deinen machtvollen Namen trägt?« 129
Nachdem ich sie diese Worte hatte sprechen hören... Ich hatte aber an meinem Finger einen Siegelring, auf dem Gottes machtvollster Name (»Gott«) stand. Allein ich wagte nicht, sie anzusprechen, weil ich annahm, sie sei kein Mensch, da ich seit meiner Erschaffung nie etwas Schöneres als sie erblickt hatte. Ich hütete mich deshalb, sie anzusprechen. Während sie nun so zwischen den Bäumen umherwandelte und ihre Worte immer zu wiederholte, hob sie plötzlich in der Nähe des Baumes, auf dem ich mich befand, ihr Haupt empor. Nachdem sie mich lange betrachtet hatte, fragte sie mich: »Bist du ein Geist oder ein Mensch?« Ich gab ihr keine Antwort; denn mich erfaßten Furcht und Schrecken vor ihr. Da fragte sie: »Warum antwortest du mir nicht? Bist du stumm, daß du nicht reden, oder taub, daß du nicht hören kannst? Sprich und fürchte dich nicht; denn ich bin ein Mensch, und ich glaube, du bist ein Mensch wie ich. Dann wirst du durch mich aus dieser trostlosen Einöde errettet werden.« Verwirrt schaute ich sie weiter an, ohne ihr eine Antwort zu geben. Als ihr dies schließlich zu lange währte, warf sie mir noch einmal einen Blick zu, doch auch jetzt sagte ich kein Wort zu ihr und verharrte in meinem Zustand verblüfft und schweigend. Darauf verließ sie mich und ging eine Weile dem Neger entgegen. Als sie ihn traf, sprach sie zu ihm, während ich sie be obachtete und ihr zuhörte: »Mein lieber Freund, ich habe soeben geschlafen und von dir geträumt, du seiest klein und erbärmlich geworden. Ich möchte deshalb eine Probe deiner Kraft, Stärke und Fähigkeit sehen, wenn du wirklich noch so bist, wie ich dich kenne.« Ohne zu zögern, fragte er: Was soll ich tun?« – »Ich möchte sehen«, erwiderte sie, »wie du mit deiner Kraft, Stärke und Fähigkeit einen Baum ausreißt.« Sofort fragte er: Welchen soll ich ausreißen?« Nun führte sie ihn in meine Nähe, in die Nähe meines Baumes. Da verzweifelte ich an meinem Leben. Nachdem sie mir einen Blick zugeworfen hatte, zeigte sie ihm in meiner Nähe einen Baum, den selbst zehn Männer unter Zuhilfenahme von Spaten und Äxten nicht hätten roden können. Er aber krempelte die Ärmel hoch, band sein Kleid fest um die Lenden und begann, an dem Baum zu ziehen. Die 130
Kraft, die er beim Ziehen aufwenden mußte, ließ ihn dabei einen Schrei ausstoßen, von dem die Insel unter mir erbebte. Er riß ihn von den Wurzeln ab und warf ihn hin. Da lachte sie und ging an ihren alten Platz. Dort bot sie ihm wieder ihren Schen kel als Unterlage, worauf er sich schlafen legte. Kaum hatte er begonnen, im Schlaf zu schnarchen wie zuvor, da hob sie seinen Kopf wieder herunter, kam schnellen Schrittes zu mir her und sprach: »Du hast gesehen, was dieser wilde, böse Kraftmensch getan hat, und weißt nun, daß es nicht schwierig für mich und daß es nichts Besonderes wäre, wenn ich dich von dem Baum herunterholen wollte, und daß ich dich fassen könnte, wenn ich gesonnen wäre, dir etwas Böses zu tun. So steige nun mehr herab und fürchte dich nicht; denn ich bin ein Mensch ganz nach deinem Herzen.« Als ich sie so reden hörte und da ich gesehen hatte, was sie tat, stieg ich angsterfüllt zu ihr hinunter. Sie sprach kein einziges Wort zu mir, sondern eilte auf mich zu, umarmte mich und drückte mich an sich. Als wir so Haut an Haut verbunden waren, erwachte in mir die Begierde. Da sie sah, welch brünsti ges Verlangen mich nach ihr erfaßte, gab sie sich mir hin, und ich nahm sie unter Wonnen, wie sie mir noch nie zuteil gewor den waren. Ja sie raubte mir völlig den Verstand. Nachdem ich nun Vertrauen zu ihr gewonnen und Freude an dem Verein mit ihr gefunden hatte, sprach ich zu ihr: »Ich habe dich, liebe Herrin, sagen hören: ›O Herr, wie kann ich mir ein Zaubermittel verschaffen, das einen von deinen machtvollen Namen trägt?‹ (Ich habe an meinem Finger einen Siegelring, auf dem Gottes machtvollster Name steht).« Da sprach sie: »Gib ihn mir schleunigst her.« Und sie zeigte helles Entzücken. Dann streifte sie von ihrer Hand einen silbernen Siegelring mit einer Perle und einer Gravierung so schön, wie ich sie noch nie ge sehen hatte, und sprach: »Nimm diesen Siegelring und stecke ihn anstatt deines eigenen auf deinen Finger; denn der deine gewährt Schutz vor bösen Geistern und Teufeln.« Ich nahm ihn von ihr an, und sie hieß mich an die Stätte zurückkehren, an der ich gewesen war, worauf ich den Baum bestieg und mich wieder auf meinen Platz setzte. 131
Darauf ging sie eiligen Schrittes zu dem Schläfer hin. Sie legte ihm den Siegelring auf den Scheitel, und in dem Bewußt sein der Kraft und Macht, die sie nun über ihn gewonnen hatte, machte sie eine feindselige Gebärde wider ihn. Dann griff sie schnell nach einem Messer und schnitt ihm den Hals durch von einem Ohr bis zum anderen. Siehe, das Blut lief auf der Insel wie ein fließender Strom, während ich ihr zusah. Ich war ent setzt über das, was sie tat, und ihr Verhalten und ihre Handlungsweise jagten mir einen Schrecken ein. Als ihr zum Bewußtsein kam, daß sie ihn umgebracht hatte, und er still und regungs los dalag, setzte sie sich nieder, indem sie ihn beweinte und be klagte. Dabei sprach sie: »Wehe den trügerischen und hinter listigen, den ränkesüchtigen und falschen Weibern, die bei einem Freunde keine Liebe und keinen Bund kennen, kein Ehrenwort und keine Zuverlässigkeit, keine heiligen Verpflichtungen und keine Treue!« Da war ich erstaunt über den Unterschied zwischen ihren Worten und Handlungen, daß sie sich wider ihn erkühnte und ihn tötete und gleich darauf bereute, Hand an ihn gelegt zu haben. Dann schaute sie zu mir hin, indem sie die Augen nach ihrem Schmerzausbruch wieder öffnete, und befahl mir herunterzu kommen. Nachdem ich zu ihr hinuntergestiegen war, fragte sie mich: »Freust du dich nun, daß ich diesen meinen Buhlen für dich getötet habe?« – »Ja, liebe Herrin«, gab ich ihr zur Antwort. Darauf wurde ich guter Dinge und sagte zu ihr: »Jetzt mußt du mir dein Erlebnis mit diesem Dämon erzählen, wie du an ihn geraten bist und was dir widerfahren ist; denn ich glaube, daß du Seltsames zu berichten weißt.« – »Ja, es ist wahrhaftig seltsam«, antwortete sie, »und du wirst niemals etwas Spannenderes hören.« Dann nahm sie jedoch von der Erzählung Abstand. Als ich sah, daß sie mir nichts von ihren Erlebnissen mitteilen wollte, schwieg ich hierüber und drang nicht in sie. Dann verbrachte ich zehn Tage mit ihr, froh und selig darüber, daß ich sie kennengelernt und daß Gottes Vorsehung mir ihre Liebe und Gunst bestimmt und gefügt hatte. So begann ich, mich auf der Insel wohlzufühlen, und vergaß Frau, Kind und Heimat. Nachdem zehn Tage vergangen waren, kam sie zu mir und 132
sprach: »Wisse, daß es nun meine Pflicht geworden ist, dein Recht zu achten. Ich glaube, du hast Frau und Kind und sehnst dich nach ihnen. So nimm die Perlen, Edelsteine und Korallen, die ich dir hier schenke, denn mit ihnen besitzt du genug, und wandere bis ans Ende der Insel. Dann stürze dich an der Meer enge, an der du auskommst, ins Wasser und schwimme. Du hast es nämlich nicht weit. Sooft dich auch Wellen abzutreiben drohen, laß dich nicht erschrecken. Wenn du nämlich ausharrst, er reichst du eine andere Insel. Dort angekommen, wende dich nach Sonnenaufgang und wandere zwanzig Tage deines Weges hinan. Was du dort zu essen und zu trinken findest an Datteln, Trauben, anderen Früchten und wohlschmeckendem Wasser, ist süßer als Zucker, Milch und Sahne. Sobald die zwanzig Tage vorüber sind, wirst du einen Fischer in einem kleinen Boot erblicken, der aus bewohntem Land kommt und nach Perlen muscheln fischt. Bei ihm mache halt. Klage ihm dein Schicksal und was dir widerfahren ist; denn wenn du ihn findest, kommst du zu einem guten Ende, weil er dich auf seiner Heimfahrt mitnehmen und dich in bewohntes Land bringen wird. So reise denn wohlbehalten zu deiner Frau. Mich aber laß hierbleiben, bis Gott nach seinem Willen über mich entscheidet.« »Meine liebe Herrin«, gab ich ihr zur Antwort, »nie werde ich dich verlassen, bis der Lebensodem mich verläßt und bis ich weiß, was dir alles widerfahren ist. Daß du gemeinsam mit mir fortgehst, ist mir lieber als die ganze Welt und alles, was sie birgt. Wenn du in der Absicht, wieder in bewohntes Land zu kommen, diese Insel verläßt und mich zu Frau und Kind be gleitest, so will ich dir alle deine Wunsche erfüllen, mag ich auch von meiner Habe und der Fülle meines Besitzes lassen müs sen, und will zu dir sein, ganz wie du es wünschst und begehrst.« Da fragte sie: »Ist es dir wirklich ein Herzenswunsch, daß ich dich in deine Heimat begleite?« – »Bei Gott, ja, geliebte Herrin«, gab ich ihr zur Antwort, »ohne dich, ohne deine Anmut und Schönheit kann ich nicht leben. Die Trennung von dir ist für mich, als ob sich meine Seele von meinem Leibe trennte. Wenn du also mit mir gehst, so gehe ich. Bleibst du aber, so bleibe ich mit dir hier.« Da sprach sie zu mir: »Jetzt bin ich zufrieden. 133
So setze dich nieder und höre meine Erzählung und den Bericht über mein Leben von Anfang bis zu Ende. Wenn du dann noch bereit bist, mich mitzunehmen, obwohl du genau weißt, was ich getan habe, dann werde ich mit dir gehen. Gefällt dir meine Ge schichte aber nicht, so ziehe wohlbehalten dahin.« – »Meine liebe Herrin«, antwortete ich, »ich kenne nichts Lieberes, als auf deine Erzählung und deine Geschichte zu achten, nichts Lieberes als die Süßigkeit deiner Worte und die Schönheit deiner Rede.« Sie sagte: »So lausche jetzt auf meine Geschichte mit Ohr und Herz.« – »Sprich denn, Herzallerliebste«, bat ich, und sie hub an: Ich bin die Tochter eines großen Königs. Mein Vater herrschte über eine Stadt am Gestade des Meeres mit Namen al-Madraba (?). Es gab auf Erden keine ihresgleichen, keine, die angenehmer und üppiger war, keine, die mehr Bäume oder köstlichere Früchte hatte. Sieben Parasangen war sie lang. Von einem Ende bis zum anderen durchquerte sie ein Fluß mit bewässertem Land und Gärten an seinen Ufern. Sie war von einer schönen Mauer umgeben, und ihre Bevölkerung war so groß, daß nur Gott der Erhabene sie hätte zählen können. Diese Stadt und alle ihre Ein wohner haben eines Tages durch mich den Untergang gefunden. Wie ich dies angestellt habe, will ich dir von Anfang bis Ende erzählen. Wisse: Mein Vater war ein Mann, der weit und breit Ergebenheit genoß und dessen Herrschaft dauerhaft und frei von Neben buhlern war, so daß ihm Kummer und Sorgen fremd blieben. Er hatte achtzig Frauen und ebensoviele Nebenfrauen, jedoch keinen Sohn, der ihm in seiner Herrschaft beigestanden, und keinen Bruder, der ihn unterstützt hätte. Als er schon alt war, erhielt er von irgendeinem König ein Mädchen zum Geschenk, das Schönheit und Anmut, Glanz und Vollkommenheit in sich vereinigte. Bewunderung und Leidenschaft erfüllten ihn beim ersten Anblick. Dies sollte meine Mutter werden. Nachdem mein Vater sie gesehen hatte, konnte er es nicht mehr ohne sie aushalten. Er zog sie allen seinen anderen Frauen vor, und als er ihr beiwohnte, wurde sie gleich beim ersten Male von ihm 134
schwanger. Unsagbare Freude erfüllte den König, als sie ihm dies mitteilte. Er schrieb Tag und Stunde auf, gab Almosen an die Armen und Bedürftigen, ja spendete ohne Unterlaß und in reichem Maße, bis zehn Monate vergangen waren. Erst dann setzten die Wehen bei ihr ein, und sie gebar mich, das denkbar schönste Mädchen. Der König war glücklich, freute sich aufs höchste und betrachtete mich als einen großen Segen, weil er sah, wie reizend und anmutig ich war. Seine Bewunderung kannte keine Grenzen, und so nannte er mich »die Braut der Bräute« (‘Arūs al-‘arā’is). Mein Vater hatte zehn Hofastrologen. Zu ihrer Zeit gab es keinen, der in der Sternkunde gelehrter war als sie, noch einen, der die Sterne besser deuten konnte. Sie erhielten von meinem Vater Unterhalt, Spenden und reiche Zuwendungen. Nun rief er sie bei sich zusammen und sprach zu ihnen: »Ihr seid meine Stütze, und ich habe euch für einen Zeitpunkt wie diesen vorgesehen. Nachdem mein Palast gestern ein großes Ereignis erlebt hat, möchte ich euch erproben und feststellen, ob ihr scharf sinnig seid. Bereitet euch vor für eure Aufgabe und überlegt, was ihr mit eurer Äußerung über die letzten Folgen dieses Ereignisses sagen wollt und was ihr dazu meint. Drei Tage lasse ich euch Zeit.« Dann gab er jedem ein eigenes Zimmer, bestimmte einen Betreuer für ihn, ließ ihm den täglichen Unterhalt bringen und erwies ihnen mancherlei Gutes. In der vierten Nacht nahm er auf seinem Königsthron Platz und versammelte die Großen seines Volkes. Dann ließ er die Sterndeuter nacheinander kommen. Nachdem der erste eingetreten war, sprach er zu ihm: »Sage, was du meinst und was du aus deinem Wissen zusammenlesen kannst.« Jener holte das Astrolab hervor, sah nach dem Schicksalsgestirn und fragte dann den König: »Darf ich sowohl Gutes wie Böses sagen?« – »Tue dies«, antwortete der König, »und verheimliche mir nichts von dem, was du weißt.« – »Hoher König«, sagte der Sterndeuter, »der Ratschluß Gottes des Mächtigen und Erhabenen hat noch immer den Sieg davon getragen, und sein Urteilsspruch ist noch stets an seinen Dienern vollstreckt worden, da er wirksam und unabweisbar ist, und was geschehen soll, muß zwangsläufig geschehen. In deinem Pa135
last hat sich ein großes Ereignis zugetragen: Dem König ist eine Toditer geboren worden, jedoch in einer bösen Stunde. Es ist just die Stunde, in der Gott Adam aus dem Paradies auf die Erde hinunterwies und in der Abel ermordet wurde. Es ist die Stunde, in der Gottes Freund Abraham ins Feuer geworfen wurde, und die Stunde, in der Gott das Volk des Loth, die Thamudäer und das Volk des Sālih hat untergehen lassen. Das Mädchen, das unter diesem bösen Gestirn geboren ist, wird unheilvoll werden, es wird arglistig und heimtückisch, schlecht und verkommen sein wie keines von den Kindern Adams. Es gibt niemanden, der alles das anrichten kann, was sie anrichten wird, und durch ihre Hand werden der König und die Stadt ihren Untergang finden.« Von Zorn wider ihn entbrannt, schickte der König den Sterndeuter hinaus, ließ einen anderen kommen und befragte ihn. Dieser sagte dem König, was er wußte, ohne etwas zu verschweigen, und so unterschied sich seine Rede nicht von der seines Vorgängers. Danach ließ der König einen nach dem ande ren eintreten, bis er alle zehn hatte kommen lassen. Alle sagten sie genau dasselbe, ohne Zusatz und ohne Abstrich, indem sie einhellig verkündeten: »Sie ist die unheilvollste Neugeborene auf Erden.« Nachdem mein Vater ihre Worte gehört hatte, be fahl er, ihnen den Kopf abzuschlagen und ihre Leiber zu kreuzigen. Danach ließ er ihre Häuser plündern und erklärte ihre Frauen für vogelfrei. So traf das erste Unheil die Sterndeuter. Bis ich vier Jahre alt war, lebte ich unter der Hut der Pflege rinnen und Ammen, indem ich Literatur und Dichtung lernte und mir mehr davon aneignete als irgendein anderer. Dies ging auch noch weiter, bis ich sieben Jahre alt wurde. Dann studierte ich die religiösen Wissenschaften und was man aus der Gramma tik wissen muß, las auch allerlei Überlieferungen, Geschichten und Erzählungen. Ich hatte väterlicherseits einen jungen Vetter, der einen älteren Bruder hatte. Mein Oheim war vor meinem Vater König jener Stadt gewesen. Als mein Oheim starb, riß mein Vater die Herrschaft an sich, wobei ihn mein jüngerer Vetter unterstützte. Deshalb hatte mein Vater ihn gern, während er meinen älteren Vetter ergreifen und in Haft halten ließ. Später entkam er je136
doch, und da er fürchtete, mein Vater könnte seiner wieder habhaft werden und ihn dann hinrichten lassen, ergriff er die Flucht. Mein jüngerer Vetter liebte es dagegen, Reichtümer zu sammeln. Mit meinem Vater unterhielt er immer ein herzliches Verhältnis und stand ihm treu zur Seite. Nachdem ich mannbar geworden war, hielt er um meine Hand an. Mein Vater verlobte mich mit ihm, doch blieb ich noch einige Jahre bei meinem Vater wohnen. Als Geschenk von meinem Vater besaß ich eine Dienerin, die mir Gesellschaft leistete und nicht von meiner Seite wich. Sie pflegte mir Geschichten von Verliebten und Vernarrten zu erzählen und schilderte mir, wie die Männer sind. Ich gewann sie deshalb lieb, und sie raubte mir Verstand und Herz. Audi ich konnte schließlich Briefe schreiben und war in Geschichten und Erzählungen sehr bewandert. Als ich eines Tages mit ihr zu sammensaß, wollte sie mich auf Abwege bringen und verwirrte mir mit den mancherlei Geschichten und Erzählungen den Sinn. Dann sagte sie: »Bei Gott, Herrin, du bist, wie du audi heißt, ›die Braut der Bräute‹. Wenn ich dich, die Schönheit deines Antlitzes und deine Anmut betrachte, so tust du mir aber mit deiner Anmut leid, weil sie dahinschwindet, ohne daß du die Welt und ihre Wunder, das Leben und seine Freuden kennenlernst. Sobald ein Mädchen die Reife erlangt hat, gibt es für sie nur ein Glück und eine Freude. Das ist ein Jüngling mit schönem Gesicht und reizendem Anblick, unterhaltsam und recht klug, mit dem sie ebenso schäkert wie er mit ihr.« Dann begann sie, hartnäckig mir diese und ähnliche Gedanken einzureden und mir viele Jünglinge und Verliebte vergangener Zeiten zu schildern, bis sie schließlich mein Verlangen wedue und ich zu ihr sprach: »Ach, Dienerin, du hast mein Herz bekümmert und meinen Sinn ver wirrt. Sieh deshalb, wie du einen Jüngling mit trefflichem We sen beschaffst, und führe ihn mir zu.« – »Herzlich gern und mit Freuden«, erwiderte die Dienerin und erklärte sich bereit. Mit ihrem Vorschlag wollte sie aber nur... aus Neid, weil sie sah, daß ich so schön und anmutig war, wie keiner je eine andere gesehen und auch ihr eigenes Auge noch keine Frau erblickt hatte, und weil sie ferner sah, wie mein Vater mich in Ehren hielt und 137
liebte und wie er meine Mutter zur Herrin aller seiner Frauen und Mädchen gemacht hatte. Darauf war sie emsig tätig, bis sie eines Tages einen jungen Mann mit schönem Antlitz zu mir brachte, der als Frau verkleidet war, so daß ihn niemand als Mann erkannte. Sie führte ihn zu mir herein und ließ ihn neben mir Platz nehmen. Wir saßen zu zweit auf einem Lager. Dann versah sie mich mit Wohlgerüchen und Duftmitteln, wandte sich um, verließ das Zimmer und verschloß die Türen. Nun streckte der Jüngling seine Hand nach mir aus, schäkerte mit mir und erhielt, was er von mir haben wollte. Da ergriff Liebe zu ihm mein Herz, er raubte mir den Verstand, und ich schenkte ihm meine Zuneigung. Schließlich entschloß er sich, wieder zu gehen. Nun kam er täglich heimlich zu mir, trat ein und ging wieder, ohne daß ihn irgendeiner bemerkte. Ich kannte den Jüngling noch nicht lange, als mein Vetter meinen Vater bat, ich möchte ihm nunmehr als Frau zugeführt werden. Nachdem mein Vater seine Einwilligung erteilt hatte, richtete er in der Stadt eine Hochzeitsfeier und lud die Leute für sechs Tage ein. Der Handel lag in der Stadt völlig still. Es blieb kein Markt und keine Straße, auf denen nicht geschmaust, getrunken, gejubelt, geschwelgt und musiziert wurde. Das Fest war so großartig, daß man am Ende des Essens und Trinkens sagte: »Die Hochzeit der Königstochter ‘Arūs al-‘arā’is war einmalig.« Als ich an dem Tag, an dem ich meinem Vetter als Braut zugeführt werden sollte, zu meiner Mutter kam, fand ich sie wei nend und bekümmert, da sie von meinem Abenteuer doch etwas gemerkt hatte. »Meine liebe Tochter«, sagte sie, »heute nacht wirst du deinem Vetter als Braut zugeführt. Dann kommt deine Schande ans Tageslicht. Bei deinem Vetter und bei allen Leuten giltst du infolge deiner Tat und der Schuld, die du auf dich geladen hast, als ehrlos, und das Haupt deines Vaters hast du dann tief gebeugt.« Ich antwortete ihr: »Was mir widerfahren ist, liebe Mutter, ist durch die Arglist einer Frau von gleicher Wesensart wie die meine geschehen. Sie hat mich verführt, hat mich geflissentlich betrogen und mich heimtückischerweise in diese Angelegenheit hineinstolpern lassen!« 138
Gleich danach sandte ich einen Boten zu jenem reizenden Jüngling. Als er wie gewöhnlich kam, aßen und tranken wir, und ich sagte zu ihm: Wisse, daß ich morgen meinem Vetter als Braut zugeführt werde. Ich fürchte, daß du mir danach nie wieder begegnen wirst.« Da fragte der Jüngling weinend: »Gibt es kein Mittel, dies zu verhindern, liebe Herrin?« – »Ich habe für dich einen Plan«, antwortete ich. Dann ging ich sofort an eine Truhe, entnahm ihr einen Beutel mit tausend Dinaren und sprach zu ihm: »Geh und verteile dieses Geld noch in dieser Stunde an hundert zuverlässige junge Freunde und Gefährten von dir aus der Stadt und befiehl ihnen, sich gut zu bewaffnen und sich alle mit gezücktem Schwert im dichten Gehölz des Gartens in den Hinterhalt zu legen. Ferner habe ich für uns bereits ein Boot herrichten lassen. Ich will nämlich meinen Vater irreführen und in dem Boot auf dem Fluß zu dir kommen. Sämtliche Wesirstöchter nehme ich mit auf das Boot, damit wir alle Musikinstrumente an Bord haben, jedoch keine Bewaffne ten. Wenn wir dann in der Nacht in eure Nähe kommen, so reißet das Boot mit den Tauen zu euch ans Land, bindet es an einen Baum, tötet die beiden Bootsknechte, und dann soll sich jeder von den jungen Männern eines von den Mädchen nehmen. Dies gilt auch für mich; denn ich werde dir keinen Widerstand leisten, so daß du mich ergreifen und mit mir fliehen kannst, wohin du willst.« Der Jüngling freute sich über diesen Vorschlag und vertraute auf mein Wort. Er nahm das Geld, ging zu den jungen Leuten und händigte es ihnen aus. In der Nacht machten sie sich dann auf den Weg, zogen zu dem Garten hin und legten sich dort in den Hinterhalt. Am nächsten Tag kam mein Vater zu mir, küßte mir das Haupt, drückte mich an sich und sprach: »Du mein Augentrost und meines Herzens süße Frucht! Ich habe den Leuten Vergnü gen bereitet und große Gastmähler veranstaltet. Heute nacht werde ich dich nun deinem Vetter als Braut zuführen lassen. Hast du vielleicht noch einen Wunsch, den ich dir erfüllen könnte?« – »Lieber Vater«, antwortete ich ihm, »die Leute haben sich alle vergnügt und haben gegessen und getrunken, während deine Tochter ‘Arūs al-‘arä’is sich nicht in der gleichen Weise 139
vergnügt hat. Meine Bitte an dich ist dies, Vater: Laß ein Boot herrichten und mit Getränken versehen. Rufe für mich die Tochter der Wesire, Großen und Hochgestellten, die sich für einen Umtrunk mit mir eignen, zusammen, laß die passenden Speisen und Getränke für uns herrichten und gib uns nicht mehr als zwei oder drei Knechte zum Antreiben des Bootes mit. Die Mädchen müssen aber alle noch Jungfrauen sein. Sodann soll in der Stadt ausgerufen werden: ›Heute nacht darf keiner auf dem Flusse fahren.‹ Danach wollen wir bei Mondenschein mit leuchtenden Fackeln und sämtlichen Musikinstrumenten ausfahren, um uns die ganze Nacht hindurch auf dem Flusse zu vergnügen. Wir wollen essen und trinken, feiern und lustig sein, bis die Nacht zu Ende geht. Wenn es Zeit zum Morgengebet ist, kommen wir wieder nach Hause, und dann will ich in trunke nem Zustand meinem Vetter als Braut zugeführt werden.« Als der König meine Worte und meine Bitte an ihn hörte, freute er sich sehr. Mein Wunsch gefiel ihm und machte ihm Spaß. »Herz lich gern«, sagte er, »will ich tun, was du dir gewünscht hast, und ich will deiner Bitte entsprechen.« Noch in derselben Stunde ließ er alles vorbereiten, wie ich es ihm gesagt hatte. Als der Abend anbrach, kam mein Vater zu mir und sprach: Was du gewünscht hast, ist geschehen, und ich habe alles vorbereitet, wie du es befohlen hast, mein Töchterchen. Ich Tiabe angeordnet, daß hinter jedem Mädchen eine Dienerin steht, so daß nicht einmal die Sonne sie sehen könnte. So mache dich auf und zögere nicht.« Da sprang ich sofort hoch und begab mich zu dem Boot, in dem die Tochter der Wesire und Hochgestellten bereits anwesend waren. Ich bestieg das Boot und fand alle Musikinstrumente dort vor. Wir aßen und tranken, feierten und vergnügten uns ohne Unterlaß, bis wir die Flußmündung er reichten und das Ende des Gartens sichtbar wurde. Wir fuhren näher heran und steuerten schließlich dicht ans Ufer in der Ab sicht, dort auszusteigen. Ehe wir uns dessen versahen, stürzten sich die hundert jungen Männer, bis auf die Zähne bewaffnet und mit gezücktem Schwert, aus dem Hinterhalt auf uns und zogen das Boot an Land, ohne daß wir einen Verteidiger oder Beschützer gehabt hätten. Dann riß jeder von ihnen ein Mäd140
chen an sich, mich aber nahm mein Freund. Den Rest der Nacht verbrachten wir mit den jungen Männern in dem Garten. Bereits am vorhergehenden Tage hatte ich meine Mutter auf gesucht und ihr folgendes gesagt: Wenn die Nacht allmählich zu Ende geht, so mache dich zu meinem Vater auf, tritt schreiend und heulend bei ihm ein und sprich: ›Eben ist einer von den bei den Knechten aus der Begleitung meiner Tochter blutend und von einem Pfeil getroffen zu mir gekommen.‹ Weiter berichte ihm: ›Die Mädchen sind von Verbrechern überfallen worden. Steh auf und stelle fest, was mit ihnen im Garten geschehen ist. Die Verbrecher haben sich heute nacht in den Hinterhalt gelegt. Als die Mädchen dorthin kamen, haben sie sich auf sie gestürzt und sie aus dem Boot gerissen.‹ Dann wird mein Vater das Heer aussenden und uns von ihnen befreien. Durch das Alleinsein mit den Mädchen werden sie abgelenkt sein, so daß sie bis auf den letzten Mann getötet werden können. Wenn ich und die Mädchen auf diese Weise aus ihrer Gewalt befreit werden, dann bin ich nur eine von ihnen, so daß mein eigenes Abenteuer verborgen bleibt.« So ging denn meine Mutter, als die Nacht beinahe beendet war, zu meinem Vater hin, wie ich ihr beschrieben hatte, und klagte ihm alles, was ich ihr gesagt hatte. Ihre Worte versetzten ihn in Wut. Bald sprang er auf, bald setzte er sich nieder. Un verzüglich ließ er seine Bediensteten herbeirufen. Sie folgten seinem Befehl, und er verkündete: »Das Heer hat bis auf den letzten Mann auszurücken!« Dann stieg er vom Schloß hinunter und schwang sich sofort aufs Pferd. Das ganze Heer, Rei terei und Fußvolk, schloß sich ihm an. Ehe wir es geahnt hatten, verfolgten die Edlen auf ihren Rossen die Verbrecher, griffen sie an und machten sie bis auf den letzten Mann nieder. Uns aber trugen sie alle auf das Boot und brachten uns nach Hause. Im ganzen Reich gab es keinen Hochgestellten, keinen Wesir und keinen Großen mehr, dessen Tochter nicht geschändet worden wäre. Voller Kummer, Trauer und Schmerz kehrten alle nach Hause zurück und zerrissen ihre Gewänder und Turbane. Als mein Vetter von diesem Ereignis erfuhr, ... während ich im Schlosse meines Vaters war. Nun verschaffte sich die Die 141
nerin, die mir den Jüngling zugeführt hatte, eine vertrauliche Zusammenkunft mit meinem Vater und meinem Vetter und erzählte ihnen mein Abenteuer von Anfang bis zu Ende. Sie erklärte: »‘Arūs al-‘arā’is hat dies gegen die Tochter der Stadt ausgeheckt, um sich von jedem Verdacht reinzuwaschen. Ich habe nur deshalb unterlassen, dem König dies mitzuteilen, weil ich deine Liebe zu ihr kannte und aus Ehrfurcht vor dir mich scheute, mit einer unangenehmen Nachricht über dein Kind vor dich zu treten.« Nachdem mein Vater und mein Vetter dies an gehört hatten, beteuerte sie zu guter Letzt, die Wahrheit gesprochen zu haben. Da sagte mein Vater: »So haben also die Sterndeuter recht gehabt!« Jetzt bereute er, sie hingerichtet und die hundert jungen Männer niedergemacht zu haben. Ihre Väter, die er inzwischen eingekerkert hatte, ließ er wieder frei, zahlte ihnen das Blutgeld für ihre Söhne und ordnete für deren Frauen Unterhaltszahlungen an. Mich aber ließ er unbeachtet, behandelte mich schlecht und haßte mich dermaßen, daß er nicht mehr mit mir sprach, nichts mehr von mir hören wollte und mich mit keinem Wort erwähnte. Schließlich wurden ich und meine Mutter aus dem Schloß vertrieben. Darauf ließ ich meine Mutter zu meinem Vetter (gehen), um seine Einstellung zu ergründen. Es stellte sich heraus, daß er sich wegen des Geredes der neidischen Dienerin Gedanken machte. Dennoch ersuchte er nun meinen Vater, mich mit ihm zu ver heiraten, und so wurde ich ihm als Braut zugeführt. Als er zu mir einging und sah, wie wunderschön ich war, erlag er meinem Zauber und schenkte mir seine ganze Zuneigung. Er verschwieg deshalb meinen Zustand und versicherte draußen: »Bei Gott, ich habe festgestellt, daß sie eine Jungfrau war und daß ihr kein Mann jemals nahegetreten ist.« Meine Mutter zog mit mir in das Schloß meines Vetters. Nachdem sie erfahren hatte, daß die Dienerin meinem Vater mein Abenteuer verraten hatte und daß er mich nun haßte und die Hinrichtung der Sterndeuter bereute, sagte ich zu ihr: »Sei nicht traurig; denn ich werde mir eine List ausdenken, mit der ich ihm den Untergang bereite.« Nun kannte mein Vetter eine alte Frau, die fromm war und 142
fleißig betete. Als diese von meinem Abenteuer und meinen Erlebnissen sowie von dem Geschick hörte, das ich den Töchtern der Stadt bereitet hatte, wandte sie ihr Herz von mir ab. Wenn sie zu meinem Vetter kam, versuchte sie, ihm Furcht vor mir einzuflößen, und sprach zu ihm: »Hüte dich davor, mein lieber Junge, ihr zu vertrauen. Denn die Sterndeuter haben bereits ihr Urteil abgegeben und die Gestirne zu ihren Ungunsten gedeutet. Außerdem hast du gesehen, was sie den Töchtern der führenden Leute angetan hat.« Dies trieb sie unentwegt weiter. Schließlich gelang es ihr, mir sein Herz abspenstig zu machen. Ich wurde ihm verhaßt, und er begann, mich anders zu behandeln. Als ich dies bei ihm bemerkte und mir meiner Sache sicher war, schickte ich meine Mutter zu meinem älteren Vetter. Sie kannte ihn und wußte, wo er sich aufhielt. Ich befahl ihr, zu ihm zu gehen, mit ihm zu sprechen und ihn zu bitten, sich in das Zimmer einer Dienerin meiner Mutter zu setzen, das sich in einem unbewohnten Hause befand. Ich bat sie, mich zu unterrichten, sobald er sich in dem Zimmer befinde. Nachdem sie dies getan hatte, bediente ich mich in einem unbewachten Augenblick einer List und eilte verkleidet mit meiner Mutter zu ihm hin. Ich begrüßte ihn, und da weder er mich noch ich ihn je gesehen hatte, fragte er mich, wer ich sei. »Ich bin deine Base ‘Arūs al ‘arā’is«, gab ich ihm zur Antwort. Auf die Frage, in welcher Angelegenheit ich zu ihm käme, erwiderte ich: »In einer An gelegenheit, die ich dir erzählen werde; denn ich will dir meine Geschichte nicht verschweigen.« Da drückte er mich an seine Brust, sein Herz sprang vor lauter Freude, und er war bezaubert von meiner Schönheit und Anmut. Verstört schaute er mich an, ohne den Blick von mir zu wenden oder mir ein Wort zu erwidern. Da fragte ich ihn: »Möchtest du, Vetter, daß die Herrschaft an dich übergeht und daß ich deine Frau werde?« Zu Tränen gerührt, erwiderte er: »Das kann nicht sein, liebe Her rin; denn ich bin ein armer Mann.« Ich riet ihm: »Mache dir keine Sorge«, doch er wandte ein: »Das ist etwas, was sich nur mit Geld und Macht verwirklichen läßt, liebe Base.« Da sprach ich zu ihm: »Sei nur vergnügt und guter Dinge! Ich werde dich nämlich mit Hilfe meiner Mutter allmählich ausreichend mit 143
Geld versorgen, so daß die Schätze deines Bruders in deinen Besitz übergehen. Du aber suche zuverlässige Leute und solche, die die Herrschaft deines Vaters hochgeschätzt haben. Gib ihnen soviel Geld, daß sie dir gewogen werden. Im übrigen mußt du bedenken, daß du etwas erstrebst, worauf du rechtens Anspruch hast, weil dein Vater die Herrschaft innegehabt und dein Oheim sie danach an sich gerissen hat. Die Leute sind nämlich auf Geld erpicht, möchten dich als König und werden für die gerechte Sache kämpfen. Du wirst in dieser Stadt tausend oder zweitausend Männer rinden. Hast du erst die Zahl von tausend oder zweitausend erreicht, dann gelingt dir das Unternehmen. Hilf mir, auf daß ich diese Verschwörung gemeinsam mit dir zu Ende führe und dich mit großer List und Tücke zum König mache ohne Krieg und ohne Kampf.« Als er meinen Vorschlag hörte, sagte er ihm zu. Nachdem wir beide nach Hause gegangen waren, begann ich, ihm allmählich das Geld zu schicken, bald tausend, bald zwei tausend Dinare, während er ausführte, was ich ihm befohlen hatte. Da huldigten ihm viele Leute, obwohl er seine Sache ge heimgehalten hatte und nichts davon an die Öffentlichkeit ge drungen war, bis er am Ende volle zweitausend Männer bei sammen hatte. Nunmehr händigte er seinen Leuten Waffen und Geräte aus, und sie blieben in Erwartung meines Befehls. Als er mir dies durch einen Geheimboten mitteilen ließ, geriet ich außer mir vor Freude. Jetzt stellte ich mich, als ob ich schwer leidend sei, und täuschte vor, daß ich bereits am Leben verzweifelte. Ich warf mich in trügerischer Absicht zu Boden und heuchelte vor den Leuten, ich sei meines Todes gewiß. Dann teilte ich meinem Vater durch einen Boten mit, ich sei krank, und meine Mutter ließ ihn wissen, ich sei krank und schwer bedrückt und fürchtete zu sterben, ohne meinen Vater noch einmal gesehen zu haben. Dies war möglich, weil ich durch Trinken von Feigensaft eine gelbe Gesichtsfarbe gewonnen hatte und anders als sonst aussah. Als mein Vater dies erfuhr, schwang er sich noch in derselben Stunde aufs Pferd und kam zu mir her. Als er mich gewahrte, sprach er: »Wenn es mit deinem körperlichen Zustand 144
so weit gekommen ist, dann haben die Sterndeuter Lug und Trug gesprochen und meine Tochter verleumdet.« Danach trat er dicht an mich heran, und nun tat ich so, als ob ich keine Kraft mehr besäße, ihm ein Wort zu sagen, und nicht mehr sprechen könnte. Da weinte er bitterlich, blieb eine Zeitlang bei mir und ging dann tiefbetrübt wieder fort. Nachdem ich dies einige Tage betrieben hatte, begann ich eine Besserung vorzutäuschen. Ganz allmählich machte ich taumelnde Schritte. Schließlich stellte ich mich, als ob ich genesen und völlig wiederhergestellt sei. Dann ging ich zu meinem Vetter und Mann und sprach zu ihm: »Wisse: Ich bin von dieser Krankheit genesen, nachdem ich gelobt hatte, im Falle der Gesundung ein Gastmahl zu veranstalten, bei dem ich alle nur möglichen Gerichte auftischen wollte. Sämtliche Hoheitsträger wollte ich einladen, in meinem Schlosse zu speisen. Du und mein Vater, denen Gott ein langes Leben verleihen möge, sollten an der Spitze der Tafel sitzen, während ich mit gegürteten Lenden und eine Schale in der Hand das Wasser über eure Hände gießen und euch selbst bedienen wollte.« – »Das hast du gut geplant«, antwortete er, »und es sei dir herzlich gern gewährt.« Darauf bereitete er ein großes Gastmahl vor, wie ich es gewollt und mir gewünscht hatte, und ich befahl ihm, keinen von den Großen des Reiches, keinen Wesir und keinen Hochgestellten zu verges sen, vielmehr sollten sie alle im Schlosse zugegen sein. So lud mein Vetter auch meinen Vater ein. Beim Gastmahl saßen dann beide von den anderen getrennt über ihren Speisen. Sie aßen und tranken, waren vergnügt und freuten sich, während ich zu ihrer Bedienung neben ihnen stand und auch die übrigen betreute, die gleich meinem Vater und meinem Vetter mit Essen und Trinken vollauf beschäftigt waren. Als sich mir nun in einem unbewachten Augenblick eine gün stige Gelegenheit bot, brachte ich Krone und Königsmantel aus dem Saal hinaus. Ich hatte noch ein zerschlissenes Mägdekleid an, das ich nun wieder auszog und durch meine eigenen Kleider ersetzte. Dann nahm ich einen Turban, wand ihn mir um den Kopf und schwang mich auf ein Pferd, das ich mir für einen solchen Zeitpunkt gerüstet hatte. So eilte ich zu meinem älteren 145
Vetter, übergab ihm Krone und Königsmantel, befahl ihm auf zubrechen und sprach: »Gehet zum Schloß und tötet alle, die sich dort aufhalten.« Sofort sprang er hoch und stieß einen lauten Schrei aus. Die Leute, die ihm gehuldigt hatten – es waren damals schon mehr als zweitausend Männer –, waren in Bereitschaft und in Erwartung dieses Schreies. Als sie ihn nun hörten, sprengten sie sofort zum Schloß. Dort ließen sie ihre Schwerter niedersausen. Sie trafen die Soldaten und die Anführer ohne Waffen an. Unter dem Kampfruf »Al-Jasār! Sieg reicher!« – mein älterer Vetter hieß nämlich Jasār – töteten sie die meisten von ihnen und verschonten im Schlosse selbst keinen einzigen. Nur meinen Vater und meinen jüngeren Vetter ließen sie dort übrig. Diese hatten nämlich das Kampfgeschrei gehört und waren aus dem Erdgeschoß des Schlosses nach oben geflüchtet. Meines Vaters Herz war aber von Leid und Schmerz so übervoll, daß er auf der Stelle starb, während mein jüngerer Vetter sich verstecken konnte, so daß keiner etwas von ihm erfuhr. Darauf bestieg mein älterer Vetter den Königsthron. Seine Anhänger eigneten sich die Häuser der Männer an, die sie um gebracht hatten, und nachdem der neue König einen Aufruf an die gesamte Bevölkerung erlassen hatte, wurde es wieder ruhig in der Stadt. Als ich nach alledem bei ihm in die Brautkammer einging, wurden ihm hohe Wonnen zuteil, und er erkannte dankbar meine Vorzüge an. Eines Tages kam seine bei ihm wohnende Mutter weinend und schmerzerfüllt zu ihm, indem sie sich ihres Sohnes wegen ins Angesicht schlug und den Busen ihres Kleides aufriß, weil sie nicht wußte, was mit ihm geschehen war, ob er noch unter den Lebenden weilte oder bereits gestor ben war. Sie redete auf meinen älteren Vetter ein, indem sie ihn unter vier Augen vor mir warnte und zu ihm sagte: »Ich hatte etwas anderes von dir erwartet, mein Sohn, und hatte dich im mer vor diesem verfluchten Weib gewarnt. Allein du hast meinen Rat in den Wind geschlagen. Du weißt doch, was sie den Großen deines Volkes, den Hochgestellten und den Wesiren angetan und was sie an Ränken gegen sie geschmiedet hat bis zu ihrer Vernichtung und zur Vernichtung ihres Vaters und deines Bruders. Nimm dich also vor ihr in acht, mein Sohn.« 146
Nachdem mein Vetter diese Schilderung meines Wesens und meiner Verbrechen gehört hatte, ließ er inmitten des Schloß bezirkes ein kleines Haus mit Obergeschoß für mich errichten, ließ es mit allem Lebensnotwendigen ausstatten und gab mir ein Mädchen zu meiner Bedienung bei. Die Aufsicht über den Ein gang übertrug er einem Mann seines Vertrauens und seiner Gunst, der mich als Aufseher behüten und als Türhüter über wachen sollte. Er befahl ihm, keinen zu mir einzulassen, weder einen Diener noch eine Sklavin noch meine Mutter noch sonst jemand. So blieb ich ganz für mich allein in jenes kleine Haus eingeschlossen, ohne meinen königlichen Vetter mehr als einmal am Anfang jedes Monats zu sehen. Da bereute ich, was ich mir selbst angetan hatte, und begann, dem Aufseher Liebe vorzutäuschen, ihm dies und das zu erzäh len und ihn freundlich anzulachen. Das eine Mal entblößte ich vor ihm meinen Kopf, das andere Mal zeigte ich ihm meine Handgelenke. Allmählich verlor er den Verstand, und schließlich nahm die Liebe zu mir sein ganzes Herz ein. Als ich dessen sicher war, begann ich, ihn immer näher an mich heranzulocken. Als er dann eines Tages zu mir hereinkam, tischte ich ihm etwas auf, und wir aßen und tranken. Nachdem ihn der Wein völlig benebelt hatte und er soviel Schönheit und Anmut an mir ge wahrt hatte, daß es ihn unter dem Einfluß des Weines bezaubern mußte, streckte er seine Hand nach mir aus in der Absicht, sich mit mir hinzulegen und mein Lager mit mir zu teilen. Ich fügte mich seinem Wunsch und ließ ihn zum Ziele kommen. Danach sagte ich zu ihm: »Jetzt laß auch meine Mutter zu mir herein, daß ich durch das Wiedersehen mit ihr wieder froh werde.« – »Herzlich gern und mit Freuden«, gab er mir zur Antwort, »selbst wenn du mir befählest,... würde ich dir nicht widersprechen.« Darauf hieß er meine Mutter zu mir kommen. Nachdem sie mein Zimmer betreten hatte, umarmte sie mich und begann mir zu klagen, wie sie sich nach mir gesehnt und es kaum noch ohne mich habe aushalten können. Dann sprach sie: »Mein liebes Tochterchen, dein Vetter hat einen Eid bei seinem Leben geschworen, mich in die Tiefe des Meeres versenken zu lassen, wenn er mich bei dir ertappt.« – »Liebe Mutter«, gab 147
ich ihr zur Antwort, »ich lebe im Schlosse meines Vetters völlig abgeschlossen und sehe ihn jeden Monat nur ein einziges Mal. Ich bereue, was ich mir selbst angetan habe.« Da fragte sie mich: »Mein liebes Kind, wo bleiben eigentlich deine Schlauheit und Gerissenheit, wo deine Listen, mit denen du dich aus dieser Lage befreien könntest?« Ich antwortete: »Gut! Ich werde also mei nen Plan ausführen und ihn nicht länger aufschieben.« Darauf händigte ich meiner Mutter tausend Dinare aus und sprach zu ihr: »Geh und suche für mich die Stadt ringsum ab nach einem Gift, das den Menschen auf der Stelle zerreißt, und erprobe es an einem Hund oder einem Hahn. Wenn es sofort wirkt, dann bringe es mir her; denn für mich bedeutet es Leben und Be freiung.« Da nahm sie die tausend Dinare und verließ mich. Eine kleine Weile blieb sie fort, und ehe ich’s gedacht, kam sie zu mir zurück mit einem kleinen Henkelkrug, der eine Droge ent hielt, sowie mit einem gelben öl in einer Glasflasche und sprach: »Mein Töchterchen, hier ist, was du wünschst. Was du brauchst, ist gefunden, und ich habe es dir mitgebracht.« Auf meine Frage, was dies sei, erklärte sie mir: »Ich bin lange herumgegangen, bis ich zu einem kenntnisreichen Mann geschickt wurde. Diesem habe ich die tausend Dinare ausgehändigt und habe ihn lange umschmeichelt, bis er mir schließlich dieses öl gegeben hat, ohne daß ich ihm offenbart habe, wer ich bin. Reibe dir mit dem öl die Füße ein. Diese Droge wirkt nämlich nur auf die Füße. Falls du sie aber eingeölt hast, schadet sie dir nicht. Wenn du etwas von der Droge an einer beliebigen Stelle liegenläßt, so werden dem, der sie barfuß betritt, die Füße in Stücke zerrissen, es sei denn, daß sie mit dem öl eingerieben sind, da die Droge dann nicht schadet. So nimm dies und verwende es, wie es dir gut scheint.« Ich freute mich sehr über ihre Worte und streute von der Droge ein wenig auf die Türschwelle des Zimmers und ein wenig auf den Teppich, nachdem der Aufseher zu mir hereingekommen war und ich ihn genötigt hatte, sich auf dem Teppich und dem Lager des Königs niederzulassen, alles in dem Gedan ken, der König werde barfuß und wutentbrannt zu mir eilen. Dann begann ich, mit ihm zu essen und zu trinken. Nach einer 148
Weile befahl ich meiner Mutter, zu einer Sklavin des Königs namens Hulwa zu gehen und ihr folgendes zu sagen: »Ich bin soeben zu dem Aufseher gegangen, um mich nach meiner Tochter zu erkundigen. Ich fand ihn nicht, sah aber die Tür offenstehen. Da ich Böses ahnte und erkannte, daß es dort nicht mit rechten Dingen zuging, versteckte ich mich und lauerte heimlich hinein. Da sah ich den Aufseher zusammen mit meiner Tochter auf ihrem Ruhebett. Vor ihnen stand Wein, und sie waren damit be schäftigt zu trinken. Ich bin spornstreichs umgekehrt; denn, bei Gott, dies hat mich doch sehr gepackt. Schmerz, Zorn und Wahnsinn bewegen mich so sehr, daß ich nicht imstande bin, noch etwas zu sagen. Doch nun habe ich es dir erzählt!« Weiter befahl ich meiner Mutter: »Wenn sie dann sagt: ›Was soll ich tun, und wie soll ich mich gegenüber diesem Aufseher verhalten?‹ so sprich: ›Ich weiß es nicht.‹ Sie wird nämlich aus Neid und Haß wider mich zum König gehen und es ihm berichten. Wenn er dann hierherkommt, ist mein Anschlag wider ihn gelungen!« Meine Mutter ging und tat alles, was ich sie geheißen hatte. Jene Sklavin lief dann auch tatsächlich zum König und teilte ihm das Geschehene mit. Wut und Eifersucht des Königs waren so heftig, daß er, barfuß und über den Saum seines Ge wandes stolpernd, losrannte, das gezückte Racheschwert in der Hand. Eben wollte er durch die Tür des kleinen Hauses ein treten, da sah er den Aufseher neben mir sitzen. Jetzt glaubte er, was ihm über mich berichtet worden war. Der Aufseher verlor bei seinem Anblick schier den Verstand. »Laufe dort zur Tür hinaus«, raunte ich ihm zu. Da stand er auf, wollte hinaus, und nun fielen ihm beide Füße ab. Weil der König durch die gleiche Tür hereinkam, stürzten sie gemeinsam mit zerfetzten Füßen nieder. Und auch die alte Mutter des Königs, die ihrem Sohn gefolgt war, um ihn von dem Gang zu mir zurückzuhalten, sank tot zu Boden. Ich selbst rieb mir die Füße mit dem gelben öl ein und verließ das kleine Haus in Verkleidung. Draußen begegnete mir aus der Schar der früheren Diener meines Vaters ein Negerbursche von ungewöhnlicher Schwärze, der mich kannte. Dieser führte mich zu seiner Wohnung, in der er verlassen und einsam lebte. 149
Inzwischen war in der Stadt der Ruf erschollen, daß mein Vetter ermordet worden sei. Er hatte einen kleinen Sohn im Alter von zwölf Jahren hinterlassen, auf den er das Volk als seinen Nachfolger vereidigt hatte. Da nun mein jüngerer Vetter sein Versteck verließ und zu den Waffen griff, eine Partei aber zu dem Vettersohn hielt, dessen Vater ich ermordet hatte, kam es zwischen beiden zu einem blutigen Kampf, in dem viele Leute getötet wurden. Mein Vetter, der früher mein Ehemann gewesen war, trug den Sieg davon, trat die Herrschaft an und setzte sich auf den Thron. Die Bevölkerung aber beruhigte sich, und sie hörte und befolgte seine Befehle. Gleich danach ließ der König öffentlich ausrufen, er werde dem, der ‘Arūs al-‘arā’is zu ihm bringe, alle seine Wünsche erfüllen, und in der Folge ließ er mich an vielen Orten mit großem Eifer suchen. Ich hielt mich deshalb zehn Tage bei dem Neger auf, der sich weder bei Tag noch bei Nacht von mir trennte, so daß es mir schließlich lästig fiel und ich es nicht mehr ertragen konnte. Als er einmal eingeschlafen war, verließ ich ihn sofort und ging im Hause herum. Dabei fand ich einen Strick, nahm ihn an mich und legte ihn dem Neger um den Hals, ohne daß er es merkte, weil er seinen Rausch ausschlief. Dann begann ich ihn zu erdrosseln. Als er es fühlte, erwachte er, brüllte, schrie um Hilfe und strampelte mit den Beinen, während ich ihn würgte, bis er sein Leben aushauchte. Die Nachbarn hatten ihn aber schreien hören. Sie stürzten deshalb herbei und sahen, daß er tot war, indes ich dort saß und über ihn weinte und klagte. Da erkannten sie mich und sprachen: »Beim Herrn der Kaaba, dies ist ja ‘Arūs al-‘arā’is!« Weil ich bei ihm saß und auch sie mich leibhaftig gewahrten, kümmerten sie sich nicht mehr um den Neger, sondern ergriffen mich und führten mich zu meinem Vetter. Bei meinem Anblick warf er sich zum Gebet vor Gott nieder. Danach begann er mich zu betrachten und schließlich zu lächeln und sprach sodann: »Bei Gott, ‘Arūs al-‘arā’is, du bist bezaubernd, strahlend schön und wunderhübsch, aber die Welt und ihre Lust sind noch schöner als du.« Dann ließ er auf der Stelle die Schreiner kommen und befahl ihnen, eine geräumige Lade anzufertigen. Diese ließ er außen und innen mit Pech be 150
streichen. Danach ließ er mich in die Lade hineinlegen und sie über mir schließen. Als die Einwohner der Stadt dies erfuhren, gingen sie gemeinsam zu ihm, um ihm wegen seines Verhaltens Tadel und Mißbilligung auszusprechen. »Erhabener König«, sagten sie, »wir verweigern dir den Gehorsam, wenn du ‘Arūs al-‘arā’is wieder in dein Schloß aufnimmst; denn von ihrer Ge burt an haben wir nichts Gutes durch sie erlebt, nein, nur Kum mer und Leid.« Der König erwiderte: »Ihr könnt zufrieden und beruhigt sein; denn ich habe einen Eid geleistet, sie im Falle der Wiederergreifung nicht zu verschonen, sondern sie weit draußen in die Tiefe des Meeres versenken zu lassen. Seht, sie ist bereits eingeschlossen. Wer von euch bei dem Schauspiel ihrer Versenkung zusehen will, der mag an den Strand hinausgehen.« Zum Schutz der Zuschauer vor der Sonnenhitze wurden Segel aufgespannt, und es gab keinen in der Stadt, der nicht hinausgezogen wäre. Darauf wurde ich in der Lade fortgetragen. Am Strand wurde sie in ein Boot gesetzt. Die Bootsknechte stiegen ein, und dann segelten sie mit mir in dem Fahrzeug, bis sie die Stadt weit hinter sich gelassen hatten. In einer Entfernung von mehr als zehn Parasangen warfen sie mich ins Meer und fuhren ohne mich ans Land zurück. Die Wogen trieben die Lade ohne Unterlaß bald nach rechts, bald nach links, bis sie mich schließlich in dieses grüne Meer trugen. Dort entdeckte sie der schwarze Dämon, den ich abgeschlachtet habe, und zog sie an den Strand, ohne zu wissen, was sie enthielt. Nachdem er sie geöffnet hatte, holte er mich heraus. Da war er entzückt von meiner Schönheit. Er brummte Worte, die ich nicht verstand, ließ mich dann und ging fort. Nachdem er eine Weile ferngeblieben war, brachte er mir viele Früchte, wohlschmeckend, wie ich sie noch nie gekostet hatte, und von einem Aussehen, wie es mir noch nie begegnet war, dazu einen fetten Widder. Darauf zog er ein Messer heraus, schlachtete ihn und schlug Feuer. Dann begann er, die Glut zu entfachen, zerlegte den Widder, briet ihn und gab mir zu essen, worauf ich aß, bis ich satt war. Dazu trank ich Wasser. Nach dem er begonnen hatte, mit mir zu schäkern und zu scherzen, warf er sich über mich und bat mich, mir beiwohnen zu dürfen, 151
worauf ich mich ihm hingab. So lebte ich eine Zeitlang mit ihm auf dieser Insel. Eines Tages kam er dann mit diesem Kasten zu mir, setzte mich hinein und verschloß ihn ringsherum. Dann warf er mich in die See und reiste mit mir über alle Meere und Inseln und durch alles das, was ich dir noch von der See und ihren Wundern erzählen werde. Wieder eines Tages setzte sich mein Gefährte, der Dämon, nieder, um mir von den Wundern des Meeres zu erzählen und von dem, was es alles auf den Meeresinseln gibt. Damals ver stand ich seine Sprache schon, und ich hatte Zutrauen zu ihm gewonnen. Im Reden und Handeln war er nicht anders, als die Männer unter den Menschen sind. Da erzählte er mir, es gebe auf irgendeiner Meeresinsel einen unheimlichen roten Sand. Wenn die Sonne über ihm aufgehe, werde er zu Feuer und verbrenne alles Getier, das über ihn hinwegkriechen wolle. Als ich dies von ihm hörte, erwachte in mir das Verlangen, meine Vater stadt mitsamt ihren Einwohnern zu verbrennen. So änderte ich ihm gegenüber mein Wesen für einige Tage und schaute ihn finster an, nachdem ich vorher freundlich zu ihm gewesen war wie auch er zu mir und mit ihm geschäkert und gescherzt und ihm äußerlich Liebe bekundet hatte. Da fragte er: »Du meiner Augen Trost und Licht, warum muß ich erleben, daß du mich finster anschaust und mir nun ein anderes Wesen zeigst? Dies bin ich nicht an dir gewohnt. Ist es, weil dein Herz jetzt eine Sehn sucht oder ein Bedürfnis empfindet? Sage es mir und verheimliche es mir nicht; denn ich vollbringe alles für dich, was du wünschst und begehrst.« – »Mir ist die Erinnerung an meinen Vetter gekommen«, gab ich ihm zur Antwort, »an das Böse, das er mir angetan hat, und daran, daß die Einwohner der Stadt be schlossen haben, mich in jene Lade zu stecken, aus der du mich befreit hast. Nun brenne ich darauf, ihnen das Böse heimzuzahlen, das sie mir angetan haben.« – »Und was wünschst du?« fragte er. Ich erwiderte: »Du sollst diesen Kasten mit dem Sand füllen, von dem du mir erzählt hast, und setze mich dazu hinein. Dann reisen wir bei Nacht zu dem Berg, an dessen Fuß meine Heimatstadt liegt, steigen bis zum Gipfel hinauf und streuen, während die Einwohner schlafen, den Sand auf alle Dächer der 152
Stadt. Wenn der Morgen anbricht und die Sonne zu glühen be ginnt, verbrennen sie alle, ohne daß auch nur ein einziger übrigbleibt.« – Wehe dir«, entgegnete er, »es gibt in der Stadt doch auch fromme Leute, Kinder, Greise und Haustiere.« Ich sagte: »Sie sind schlechte Menschen. Außerdem muß es geschehen, damit ich dir die Liebe und Zuneigung, die mir nun unmöglich geworden sind, aufs neue erweisen kann, wenn ich keinen mehr habe, der mir böse Erinnerungen weckt, keinen, über den ich mich ärgere.« Nach einer kleinen Weile hob er den Kopf und sprach: »Sei froh und zufrieden. Ich werde es tun.« Dann eilte er unverzüglich fort und nahm den Kasten mit. Nachdem er ihn mit Sand gefüllt hatte, brachte er ihn zurück und sprach: »Mache dich auf den Weg, geliebte Herrin; denn jetzt geht dein Wunsch in Erfüllung.« Dann nahm er mich mit. Wir reisten zu der Stadt, streuten sämtlichen Sand, den wir bei uns hatten, über die Stadt aus, und es gelang alles ganz nach unseren Wünschen. Als der Morgen anbrach und die Sonne hochstieg und Hitze ausstrahlte, tat das Feuer seine Wirkung in der Stadt und äscherte sie völlig ein. Da sprach ich zu ihm: »Jetzt ist mein Gemüt befriedigt, und mein Herz ist endlich von seinem Rachedurst geheilt.« Eines Tages ließ er mich allein und ging fort. Er pflegte sich nämlich häufig zu entfernen, streifte auf Meeren und Inseln umher, kehrte zurück und erzählte mir seine Erlebnisse an mei nem Wohnplatz. Manchmal war es mir schwer ums Herz, weil ich keine Spur von einem Menschen zu Gesicht bekam und mich danach sehnte, auf der Insel umherzuschlendern und mich dort zu ergehen. Dann nahm er mich in dem Kasten mit und zeigte mir die Insel, die nun unser ständiger Wohnort war. Eines Tages also ließ er mich allein und ging fort. Da sah ich plötzlich einen Mann an der Küste des Meeres stehen. Er weinte und hatte ein zerschlissenes Kleid an. Es war ein junger Mann mit hübschem Gesicht. Ich trat an ihn heran, grüßte ihn und fragte: »Was für eine Bewandtnis hat es mit dir, was hast du erlebt, und wie bist du hierher geraten? Sage mir die Wahrheit und verheimliche mir nichts; denn ich bin ein menschliches Wesen wie du.« Als er meine Worte hörte, gewann er Vertrauen zu mir und sprach: »Verehrte Herrin, ich habe mich noch gestern auf einem Schiff 153
befunden, zusammen mit vielen Kaufleuten und anderen aus China und Kanton. Ich habe an der Seite des Schiffes geschlafen und weiß nicht, was mit mir geschehen ist. Jedenfalls war ich heute morgen plötzlich auf dieser Insel, mit müden Gliedern und ohne zu wissen, wie ich hierhergekommen bin. Wie du siehst, bin ich verstört und benommen.« Ich antwortete: »Sei getrost und guten Mutes, mein Lieber; denn ich habe hier unter den Geistern einen Freund. Ich werde ihn unmerklich darüber aushorchen, was mit dir geschehen und was dir widerfahren ist, ohne ihm deinen Aufenthaltsort zu verraten. Mache eine höher gelegene Stelle ausfindig. Wenn er fort ist, werde ich dir dort Gesellschaft leisten, indem wir essen und trinken, bis Gott uns beide aus unserer Lage befreit.« Er war mit meinem Vor schlag einverstanden. Darauf nahm ich ihn bei der Hand, zeigte ihm die Quelle und brachte ihm viele Früchte und gebratene Fische. Nachdem er gegessen, getrunken und sich erholt hatte, verlangte er nach mir. Ich war ihm zu Willen, und nun wurde er froh und gewann Vertrauen. Bald danach kam mein Freund zurück. Als wir zusammen aßen und tranken, sagte ich zu ihm: »Ich möchte dich etwas fragen, mein lieber Freund.« Dabei schäkerte ich mit ihm. »Wor um handelt es sich?« fragte er, und ich fuhr fort: Wir hatten einmal einen jungen Burschen, der sich auf einer Seereise befand. Eines Tages saß er an der Seite des Schiffes, und da wurde er bei Nacht entführt. Ich weiß weder warum noch von wem. Nach dem er eine Zeitlang ausgeblieben war, kehrte er unversehrt zu uns zurück. Hast du schon einmal gehört, daß jemand von seinem Schiff entführt worden ist, ohne zu wissen, wie es ge schehen ist?« Er antwortete: »Ja, ein fluchwürdiges Tier von der Art eines Bären, das Mibkār (?) heißt, hat ihn um die Hüfte ge nommen. Es nähert sich dem mit gespannten Segeln fahrenden Schiff, schwimmt nebenher, und ehe es einer auch nur riechen kann, ergreift es den schlafenden Jüngling, schiebt eine Vordertatze unter seine Lenden, ohne daß er es im Schlafe merkt, und packt ihn sich umgekehrt auf den Rücken, während er immer noch in tiefem Schlaf versunken ist. Dann wirft es ihn auf irgendeiner Insel ab und geht zu einem anderen Untier, das die Gestalt 154
eines Affen hat. Dieses kommt dann zu dem immer noch schlafenden Mann, beißt ihm die Kehle durch, säuft sein Blut und bemüht sich, ihn zu töten. Nachdem es das Beste von seinem Fleisch gefressen hat, vergräbt es den Rest im Sande. Ich bin der Meinung, daß nur dieses Untier deinen jungen Burschen ent führt haben kann und daß er dann doch mit heiler Haut davon gekommen ist.« – »Du hast recht, mein lieber Freund«, gab ich ihm zur Antwort, »so und nicht anders muß sich die Sache zu getragen haben.« Eines Tages verließ mich mein Gefährte, der Dämon, wieder einmal. Da ging ich meinerseits zu dem Jüngling. Wir aßen und tranken zusammen, und als es gerade am schönsten war, hörte ich plötzlich die Stimme und das Brummen meines Freundes, der mich an der Stelle suchte, an der ich bei seinem Fortgang ge wesen war. Da ich fürchtete, er könnte zu mir kommen und Anstoß daran nehmen, daß ich mich hier aufhielt, befahl ich dem Jüngling, irgendwo hineinzuschlüpfen, wo mein Freund des dichten Gehölzes wegen nicht eindringen konnte. Dann stand ich schnell auf, indem ich klagte: »O meine Augen, meine Augen!« Ich täuschte ihm vor, ich sei noch im Halbschlaf, und tat so, als ob ich eben geschlafen hätte, obwohl ich vor Angst zitterte. Da er es nicht recht glauben konnte, daß ich hier geschlafen haben sollte, ging er ringsumher und dann an die Stelle, wo der Jüngling steckte. Er wollte dort eindringen, um sie zu untersuchen, doch er konnte es nicht und fand keine Möglichkeit. Da kam er zurück, ging eine Weile um mich herum und ließ mich dann allein. Mein Herz ahnte und meine Seele flüsterte mir zu, daß er Feuer holen gehe, um jene Stelle in Brand zu stecken, und was ich empfunden hatte, sollte sich als richtig erweisen. Ich sagte es dem Jüngling, der voller Angst und Schrecken herauskam, zeigte ihm einen Weg und sprach: »Folge diesem Weg bis zum äußersten Ende der Insel und verstecke dich dort irgendwo, aber beeile dich, ehe er zurückkehrt.« Da nahm er diesen Weg und ging weit fort. Es dauerte nicht lange, bis der Dämon wieder kam, in der Hand etwas Harzfarbenes, das ich nicht kannte. Er schleuderte es auf das dünne Gehölz und warf Feuer darauf. Da brannte es hoch wie Schwefel, obwohl die Bäume dort saftig 155
waren. Ich wunderte mich, wie die Flamme in kürzester Zeit darin auflodern konnte, und nahm mich in acht, da ich Angst und Schrecken vor dem Feuer hatte. »Was soll dieses Feuer, mein Freund?« fragte ich. Da lachte er und sprach: »Ich habe dich für einfältig gehalten, bis ich dich hier habe schlafen sehen.« – »Mein lieber Freund«, erwiderte ich, »ich werde also bei dir dort an der Quelle schlafen.« Da begann er mir Kopf, Augen und Leib zu küssen und mich um Verzeihung zu bitten, bis ich sie ihm ge währte. Danach verbrachte ich einige Tage mit ihm, und wenn er wegging, ging ich zu jenem Jüngling, um mit ihm zu essen und zu trinken. Nachdem ich dann eine Anzahl Tage ganz mit meinem Freund, dem Dämon, beschäftigt gewesen war, weil er nicht von meiner Seite wich, verließ er mich wieder wie sonst. Da machte ich mich auf den Weg zu jenem Jüngling. Ich fand ihn am Ende der Insel unter einem Baum liegend. Sein Gesicht war gramverdüstert. Nase, Ohren, Lippen und Glied waren ihm ab geschnitten, und er weinte und klagte über sein Geschick. Ich sagte zu ihm: »Berichte mir, was dir widerfahren ist.« Da er zählte er mir: »Meine liebe Herrin, als ich die letzten Tage ohne dich ver bringen mußte, war ich einsam und traurig, bis sich eines Nachts folgendes ereignete: Ich hatte diesen Baum erklettert und mich schlafen gelegt. Als dann der Mond aufging und die Sterne erstrahlten, entstieg dem Meer ein Mädchen, wie ich es schöner nie gesehen hatte. Ihre Haut war rötlich schimmernd, die Augen waren klein, und von den Ohren war kaum eine Spur zu sehen. Sie hatte keine Finger und Zehen und auch kein Hinterteil, aber Haare, weicher als Seide und als das zarteste Gewebe. Verwirrt vor Staunen schaute ich zu, wie sie am Strande spielte und dazu eine lieblich klingende Weise sang, die ich nicht verstand. Dann tanzte sie, wie man schöner gar nicht tanzen kann, bis sie unter einen Baum kam. Dort warf sie sich nieder, schlief ein und blieb liegen, bis schließlich jeder Laut und jede Regung bei ihr erstarb. Da übermannte mich Sehnsucht nach ihr und ein heißes Verlangen, Haut an Haut mit ihr zu liegen. Eine Begierde erfaßte mich, deren ich nicht Herr werden konnte. Ich stieg deshalb zu 156
der Schläferin hinunter und warf mich über sie. Da erwachte sie und wand sich heftig unter mir hin und her. Sie begann, mir wie eine Katze ins Gesicht zu wimmern, und, bei Gott, ich vermochte nicht meine Begierde und meine Lust bei ihr zu stillen, weil sie sich so heftig hin und her bewegte und meinen Händen entglitt, wie Fische der Hand des Fischers entgleiten, ohne daß sich das Ziel mit Gewalt hätte erreichen lassen. So entschlüpfte sie mir und tauchte im Meere unter. Am nächsten Morgen war ich von Leid und Schmerz erfüllt, weil sie mir entschlüpft war. Den ganzen Tag verbrachte ich mit kummervollen Gedanken, ohne mir Essen und Trinken schmecken zu lassen, bis sie gestern auf einmal wieder erschien, das gleiche tat, näher kam und sich unter einem Baum schlafen legte. Da sagte ich mir: ›Wenn ihr unangenehm wäre, was ich gestern getan habe, so wäre sie heute nacht nicht wieder dem Meere entstiegen. Ich zweifele nicht daran, daß sie sich mir heute nacht hingeben wird.‹ Weil mein Verlangen nach ihr noch heftiger wurde und der Satan meine Begierde steigerte, lief ich zu ihr hinunter. Doch sie griff mich an und schrie. Da entstiegen plötzlich etwa zwanzig Mädchen glei chen Aussehens wie sie dem Meere und umringten mich, indem sie mich schlugen, bis ich ohnmächtig wurde. Jede von ihnen biß mir etwas ab. Die eine aß mein eines Ohr, die andere mein anderes, und meine Hauptgegnerin aß meine Hoden. Darauf lie ßen sie mich in Ruhe, gingen ans Meer und stürzten sich hinein. So bin ich geworden, wie du mich hier siehst.« Da ergrimmte ich in heftigem Zorn wider ihn, weil er mich betrogen und eine andere begehrt hatte. Ich ließ ihn liegen, ohne ein Wort zu ihm zu sagen, und kehrte an meinen Wohnplatz zurück. Als mein Gefährte kam, erzählte ich ihm, wo er war, und ermunterte ihn, den Jüngling zu töten. Er erwiderte: »Laß mich ihn doch in eine bewohnte Gegend forttragen und in sein Heimatland zurückbringen.« Ich sagte: »Er ist mir zu nahe getreten.« Da wurde er zornig, ging zu ihm hin, packte ihn an einem Fuß und an seinen Kleidern und schleuderte ihn ins Meer hinaus. Nach diesem Ereignis lebte ich wieder eine Zeitlang mit meinem Gefährten zusammen. Eines Tages erzählte er mir viele Stunden von den wunder157
baren Dingen, die es auf dem Meer und seinen Inseln gibt. Dabei erzählte er mir auch, daß es auf irgendeiner Meeresinsel einen Vogel gebe, der einer Schwalbe ähnelt. Wenn man von dem Kot dieses Vogels nehme und die Augen damit einreibe, werde man sofort blind. Weiter berichtete er mir, daß es auf einer anderen Insel Bäume mit Früchten gebe, deren Genuß die Frau einen Knaben zur Welt bringen lasse. Er nannte mir Kräuter, die den Menschen schaden, und solche, die ihnen bei jeder Krankheit helfen, Augenschminke, die sehend, und solche, die blind macht. Als ich dies von ihm hörte, wunderte ich mich, und mein Sinnen und Trachten ging nach dem, was er mir geschildert hatte. Ich empfand den heißen Wunsch, jenes Eiland mit seinen Wundern und seinen Pflanzen zu schauen, um sie zu besitzen, wenn ich wieder einmal in bewohnte Länder zurückkehren sollte. Als ich in ihn drang, jene Insel mit mir zu besuchen, sprach er: »Dort lebt ein böser Dämon, der mit mir verfeindet ist. Ich kann seine Insel nicht betreten wie auch er die meine nicht ohne mein Wissen.« Ich erwiderte: »Mein lieber Freund, deinesgleichen fürchtet sich vor jemand? Ich habe beinahe keine Achtung mehr vor dir.« Als ich ihn unaufhörlich bedrängte, setzte er mich schließlich in jenen Kasten und reiste mit mir über das Meer. Da sagte ich zu ihm: »Erzähle mir von der Herstellung dieses Kastens und wie es kommt, daß sein Deckel so gefertigt ist, daß ihn bei ver schlossenem Kasten niemand öffnen kann.« Da sprach er: »Ja, so will ich dir denn erzählen: Es war einmal ein König namens al-Hulaifi‘ ibn al-Munkadir, der sich auf die Zauberei und ihre Wundertaten verstand. Eines Tages wollte er sich am Ufer des Meeres eine Stadt erbauen. Lange Zeit arbeitete er daran, doch was am Tage errichtet worden war, war am nächsten Morgen wieder zerstört. Schließlich erlahmte ihm der Mut, und er wurde sehr betrübt. Nun brachte er einmal eine Nacht am Meeresufer zu. Da gewahrte er Tiere verschiedenster Gestalt: Die einen hatten ein Menschengesicht und einen Fischleib, die anderen einen Stierkopf und Vorderbeine wie Esel, wieder an dere ein Schweinegesicht und Vorderpfoten wie Menschenhände. Weiter gab es darunter solche mit Elefantenleib und Schlangenkopf, andere, die wie ein Mensch aussahen, aber nur einen ein158
zigen Fuß und einen Fettschwanz wie ein Schaf hatten und trotzdem im Lauf unerreichbar waren. So viele Arten waren darunter, daß allein ihr Schöpfer sie hätte zählen können. Der König sah, wie die Tiere aus dem Meer herauskamen und in dem Bauwerk umherliefen. Dabei zerstörten sie es Stein für Stein und warfen alle ins Meer, bis nichts mehr übrig war. Als der König dies sah, wußte er, woher sein Unglück kam. Durch ständige Beobachtung und Anwendung geschickter Mittel gelang es ihm schließlich, eine Nixe von den edlen Töchtern des Meeres einzufangen. Er wurde nicht müde, sie freundlich und liebevoll zu behandeln, erwies ihr mancherlei Gutes und tat ihr niemals wehe. Eines Tages fragte er sie nach jenen Tieren und wie er ihrer ledig werden könne. Sie erwiderte: ›Ich werde dir ein Mittel sagen, das das Zerstörungswerk beendet, doch mußt du mir dafür die Freiheit schenken.‹ Weil der König ihre Sprache nicht verstand, ließ er einen Sklaven von sich kommen, den er als Geschenk von einer indischen Meeresinsel erhalten hatte, und fragte ihn: ›Ach Sklave, kennst du diese Art Lebewesen?‹ – ›Ja, König«, gab er zur Antwort, ›in meiner Heimat sind sie recht häufig.‹ Der König fragte weiter: ›Und verstehst du, was sie sagt?‹ Da sprach er: ›Ja, König, was sie sagt, ist folgendes: Laß zwanzig Glaskästen anfertigen, setze in jeden Kasten eine künstliche Eule und stelle sie ins Meer; denn die Tiere, die du gesehen hast, werden vor den Eulen die Flucht ergreifen und nie wieder in ihre Nähe kommen.‹ Der König wunderte sich über die Worte der Meerjungfrau, schenkte ihr die Freiheit und tat, wie sie ihm geraten hatte. In der Zukunft kam ihm nie wieder eine Spur von den Tieren zu Gesicht. Es gelang ihm, jene Stadt nach seinem Willen zu bauen. Sie steht in ihrer damaligen Gestalt bis auf den heutigen Tag und ist unter dem Namen Alexandria be kannt.« Auf seinen Streifzügen durch Meere, Inseln und Buchten hat mein Gefährte einen solchen Kasten gefunden – dieser ist’s – und ihn mitgebracht. Die künstliche Eule hat er aus ihm herausgeworfen und mich hineingesetzt. Jetzt macht er seine Streif züge, indem er mich in dem Kasten mitnimmt. Eines Tages nahm er mich also mit auf die Reise zu jener Insel, 159
von deren Wundern er mir erzählt hatte. Als wir dort anlangten, erblickte ich eine grüne, blühende Insel mit schönen Pflanzen, vielen Bäumen und wunderbaren Vögeln, die seltsame Laute und Lieder erschallen ließen. Nachdem wir die Mitte der Insel erreicht hatten, gewahrten wir am anderen Ende eine Tür und eine Bank. (Dort hauste der Dämon. Als er uns sah,) kam er auf uns zu. Immer größer wurde er, bis wir ihn klar erkennen konn ten. Er schritt einher wie ein gewaltiger schwarzer Berg in Ge stalt eines Elefanten, jedoch noch größer. Eine Haarmähne hatte er, die sein Gesicht wie ein Sack verdeckte. Seine Augen waren wie eine Feuerflamme, so daß er alles verbrannte, was an seinem Wege lag. So kam er auf uns zu. Als mein Gefährte ihn erblickte, wandte er sich zu mir und sprach: »Jetzt droht uns hier etwas Ungeheuerliches! Nimm diesen Siegelring.« Damit zog er einen Siegelring vom Finger, übergab ihn mir und sagte: »Stecke ihn an deinen Finger.« Er hatte seine Worte noch nicht beendet, als jenes Wesen auf uns zugelaufen kam. Ich machte ihm ein Zeichen mit dem Siegelring. Bei seinem Anblick wandte der Dämon sich von mir ab und ging auf meinen Gefährten zu. Als dieser ihn auf sich zukommen sah, stürzte er los und brüllte fürchterlich. Sein Gegner begann in der gleichen brummenden Sprache zu reden, die auch die seine war. Nachdem sie sich zum Kampf herausgefordert hatten, packte einer den anderen, und sie schlu gen aufeinander ein. Ohne Unterlaß brüllten sie, während sie einander bissen und mit den Zähnen zerfleischten, bis beider Blut in Strömen lief und die Insel von der Gewalt ihres Ringens erbebte. Ich hatte dabei einen hohen Baum erklettert, um ihnen von dort aus zuzuschauen, und hatte bereits alle Hoffnung für meinen Gefährten und für mich selbst aufgegeben, weil ich sah, wie furchterregend jenes Wesen war. Dann ertappte aber mein Gefährte seinen Gegner auf einer Unachtsamkeit, warf ihn unter sich, stürzte sich auf ihn und ließ nicht mehr von ihm ab, bis er ihn getötet hatte. Mein Gefährte sank mit ihm nieder, ohne sich noch rühren zu können, weil er stark mitgerjommen war. Da stieg ich schnell zu ihm hinunter, um zu sehen, was mit ihm geschehen war. Als ich mich ihm näherte, deutete er mit der Hand auf einen Baum in der Nähe und machte mir mit der 160
Hand ein Zeichen, weil er außerstande war zu sprechen. Ich erkannte, daß er etwas von dem Baum zu essen haben wollte. Als ich an den Baum kam, mußte ich aber feststellen, daß er keine Früchte trug. Ich riß deshalb einige Blätter ab, die wie Brennes seln aussahen, und brachte sie ihm. Nachdem er eine Weile davon gegessen hatte, stand er auf und reckte sich. Als ich ihm meine Glück- und Segenswünsche zu seiner Errettung aussprach, sagte er zu mir: »Bei Gott, wenn er nicht mit dem Fuß ausgerutscht und gefallen wäre, so hätte er mich getötet.« Darauf fragte ich ihn: »Mein lieber Freund, kennst du hier noch einen, vor dem du dich fürchten und in acht nehmen mußt?« Er antwortete: »Nein, jetzt gibt es nichts mehr, was ich zu fürchten habe, nichts mehr, was mir etwas anhaben könnte, mit Ausnahme einer Mäuseart namens Daran, die auf einer Meeresinsel in ihrer Höhle am Fuße eines Berges leben, eine Meile vom Meer entfernt. Sie sind es, die meine Vorfahren getötet haben, und sie sind die Plage aller Geister. Auf dieser ganzen Insel gibt es aber nichts mehr, was ich zu befürchten habe, nachdem ich diesen getötet habe. Jetzt gibt es nur noch die Mäuse. Sie sind es auch, die meinen Vater umgebracht haben.« Ich fragte: »Mein lieber Freund, wie haben sie denn das bewerkstelligt?« Da erzählte er mir folgendes: »Mein Vater lebte allein auf einer Insel. Er war ein böser Dämon, der (Menschen überfiel und) auffraß und die Schiffe versenkte, die auf dem Meer an ihm vorbeifuhren. Als er schließlich über alle Maßen gewalttätig und bösartig wurde, ließ Gott ihn durch diese Mäuse umbringen. Für Menschenkinder sind sie lächerlich, belanglos und gleichgültig, die Geister bringen sie aber um. Wenn sie einen Geist nur riechen, springen sie auf ihn und heften sich an seine Haut. Unaufhörlich nagen sie an seinem Fleisch und saugen sie an seiner Haut, bis er tot ist. Selbst wenn es der stärkste, bösartigste und riesigste Geist wäre, würden sie ihn umbringen, ohne daß ihn irgend etwas vor ihnen retten könnte. Sie sind unzählig viele und mehr noch als Ameisen. Zu dem Tod meines Vaters durch die Mäuse kam es also: Ein See schiff mit einer Menge Kaufleute kam einmal zufällig zu jener Insel. Als sie dort ausstiegen, um nach einer Quelle oder nach 161
Früchten zu suchen, kamen jene Mäuse zu ihnen auf ihr Schiff gelaufen, um etwas Eßbares zu suchen. Da rotteten sich die Leute des Schiffes mit Stöcken und Steinen wider sie zusammen. Die Mäuse gaben aber nicht nach, bis sie ihnen alles geraubt hatten, was sich auf dem Schiff befand. Sie fraßen sämtliche Waren und die Reiseverpflegung der Leute, sogar ihre Kleider, und zer nagten die Taue. Das Schiff fuhr mit ihnen weiter als ein Spiel der Wellen ohne Tau und ohne Segel, da die Mäuse sie restlos aufgefressen hatten, und sie kreuzten auf dem Meere, weinend und klagend über das Unglück, das ihnen zugestoßen war. So kam ihr Schiff an der Insel vorbei, auf der mein Vater lebte. Ich war damals noch klein und gerade abwesend. Wenn ich bei ihm gewesen wäre, so wäre auch ich umgekommen. Als mein Vater das Schiff mit den Leuten treiben sah, bekam er Lust, sie zu fressen. Er kam deshalb heran, zog das Schiff schließlich zu sich ans Ufer und stürzte sich darauf in der Absicht, einen Mann von ihnen zu ergreifen. Als die Mäuse ihn aber rochen, bedeckten sie mit Un gestüm seinen ganzen Leib, seinen Kopf und seine Schultern. Er warf sich zu Boden und fing an, sich auf der Erde im Sande herumzuwälzen. Im gleichen Augenblick näherte ich mich. Als er dies zu tun begann, blieb ich in der Ferne stehen, um ihn zu be obachten, wie er sich im Sande wälzte, indes sein Leib wie ein Igel aussah infolge der Mäuse, die sich auf ihn gesetzt hatten und immer weiter von dem Schiff zu ihm hinunterliefen. Schließ lich war keine einzige mehr auf dem Schiff, und die Leute waren von ihnen befreit, doch hatten sie kein Tau und kein Segel mehr, da die Mäuse diese alle aufgefressen hatten. So irrten sie auf dem Meer herum, und die Wogen trieben sie bald nach rechts, bald nach links. Mein Vater blieb aber auf dem Boden liegen, während die Mäuse ihn auffraßen und keine Spur von ihm übrigließen. Als ich dies sah, packte mich ein Schrecken, zumal da die Mäuse, nachdem sie meinen Vater vollends aufgefressen hatten, sich plötzlich über die Insel ausbreiteten. Da erkannte ich, daß Gott der Mächtige und Erhabene seines Frevelmutes wegen die Mäuse auf ihn gehetzt hatte. Ich nahm von jener Insel Abschied und ließ mich schließlich auf dieser nieder. Inzwischen habe ich seinen Lebenswandel angenommen, nachdem 162
ich dich kennengelernt habe, und bin in meiner Gewalttätigkeit und Mordlust seinem Beispiel gefolgt. Nun fürchte ich, daß Gott Strafe und Heimsuchung über mich verhängt, weil du mich genötigt hast, eine Stadt mit vielen Menschen sowie großen und kleinen Tieren zu vernichten.« Da sprach ich zu ihm: »Mein lieber Freund, wenn dein Vater sich ins Meer gestürzt hätte, als sich die Mäuse auf ihn setzten, dann hätten sie ihm nichts anhaben können, und er hätte sie im Wasser ertränkt.« Es war ein Fehler von mir, ihm dies zu sa gen; denn noch nie habe ich irgendeinem Menschen einen guten Rat erteilt oder etwas Derartiges gesagt. »Bei Gott«, gab er mir zur Antwort, »du hast recht. Wenn mein Vater daran ge dacht hätte, hätten sie ihm nichts anhaben können, und er wäre noch lebendig und gesund.« Danach ließ ich ihn einige Tage in Ruhe, so daß er am Ende meinen guten Rat vergaß. Ich sam melte viele von den dortigen Blättern und Kräutern und habe sie heute noch bei mir verpackt. Dabei sah ich auf dem Eiland Dinge, die ich nicht beschreiben kann. Danach kehrten wir auf diese Insel zurück. Wir hatten hier wieder eine Zeit verbracht, als ich eines Tages, nachdem er für eine Weile fortgegangen war und mich allein ge lassen hatte, mit beklommenem Herzen auf der Insel umherstreifte. Als ich unter jenen Bäumen wandelte und von den köstlichsten Früchten aß, sah ich auf einmal zehn bewaffnete Leute mit Wasserschläuchen und Brunnenseilen unter den Bäumen umhergehen. Bei ihrem Anblick wurde mir klar, daß ihr Schiff an unserer Insel geankert hatte und die Leute ausgestiegen waren, um nach Wasser zu suchen. Als sie mich gewahrten, fürchteten sie sich vor mir. Ich hatte jedoch keine Angst vor ihnen, weil ich wußte, daß sie Menschen waren wie ich, während sie meinten, ich sei ein böser Geist. Sie wandten sich daher um und flohen. Da rief ich ihnen zu: »Ihr braucht keine Angst zu haben. Ich bin ein Mensch wie ihr und habe seit einer Anzahl von Jahren in der Gemein schaft mit einem Dämon Ungewöhnliches auf dieser Insel erlebt. Gestern hat er mich verlassen, und ich weiß nicht, was derweilen mit ihm geschehen ist. Das Leben, das ich hier führen muß, ist herzbeklemmend. Nehmt mich mit zu eurem Reiseziel.« Als sie 163
meine Worte hörten, kehrten sie zu mir zurück und sprachen: Wir sind etwa dreihundert Händler und haben viele andere Leute bei uns. Unser Schiff hat an der Küste dieser Insel ge ankert. Zeige uns, wo es Wasser gibt. Dann füllen wir diese Schläuche und nehmen dich mit. Wir werden freundlich zu dir sein, und am Ende bringen wir dich in deine Heimat zurück.« »Dies will ich tun. Kommt, daß ich euch das Wasser zeige«, antwortete ich. Erfreut über die Aussicht, die Insel verlassen zu können, sagte ich: »Bis mein Gefährte wiederkommt, haben wir einen großen Teil des Meeres überquert, ohne daß er weiß, was mit mir geschehen ist, während wir uns auf der Fahrt in be wohnte Länder befinden.« Als sie nun sahen, wie schön und reizend ich war, traten sie beiseite, um Rats zu pflegen. »Sagt mir, was ihr habt, und sprechet die Wahrheit«, bat ich sie, worauf sie mich nach meinem Namen fragten und ich ihnen sagte, daß ich ‘Arūs al-‘arā’is hieße. Da sprachen sie: »O ‘Arūs, bei Gott, du bist schön und entzückend. Unter uns ist keiner, der nicht heißes Verlangen nach dir hat und in dich verliebt ist. Wir bringen dich nun auf ein Schiff unter viele Leute. Wenn wir dich dann auf die Reise mitnehmen, ohne daß sich dir irgendeiner nahen kann, so weicht der Gram nicht aus unseren Herzen. Deshalb möchten wir, daß du unsere Begierde und Sehnsucht stillst.« Als ich dies hörte, sprach ich: »Ihr hättet keinen Wunsch äußern können, der leichter zu erfüllen wäre, nachdem ich nun einmal zu euch gekommen bin. Tuet also, was euch gefällt.« Da freuten sie sich über meine Worte und begannen mich zu küssen. Während sie nun mit mir zusammensaßen, ging ich erst mit einem, dann mit dem zweiten und schließlich mit dem dritten allein beiseite. Ich hatte mich mit dem dritten kaum niedergelassen, als plötzlich mein Gefährte, der Dämon, uns zu Häupten stand. Er packte den Mann, der bei mir war, und riß ihn in zwei Hälften, während die übrigen die Flucht ergriffen. Darauf nahm er ein Bein des Toten, schlug damit blindlings auf irgendeinen los und tötete sie auf diese Weise allesamt. Dann kehrte er zu mir zurück, schäumend wie ein Löwe oder wie ein großes, wütendes Kamel, versetzte mir einen Schlag auf den Oberschenkel und riß mir ein Stück 164
Fleisch aus ihm heraus. Als ich sah, daß er so mit mir verfuhr, verzweifelte ich an meinem Leben, weinte zum Schein und sprach: »Ich habe keine Schuld, mein lieber Freund. Ich bin nur eine Frau, sie aber sind Männer, die mich vergewaltigt haben, ohne daß ich es mit ihnen aufnehmen konnte.« Als er meine Worte hörte und mich weinen sah, schien es, daß er Mitleid mit mir empfand und mir glaubte. Er brachte mir trockene Blätter und sprach: »Lege sie auf deine Wunde.« Nachdem ich dies getan hatte, war das Blut gestillt wie auch der Schmerz. Nun rannte mein Gefährte zu dem Schiff fort. Bei den Leuten angekommen, brüllte er so laut, daß das Schiff und die Insel erbebten. Er schlug mit der Faust auf das Schiff ein und versenkte es ins Meer. Alle, die sich darauf befanden, ertranken. Dann kehrte er zu mir zurück. Nun verbrachte ich eine Zeitlang mit ihm, während der ich ihm zunächst noch böse war. Trotzdem bat er mich immer wieder um Verzeihung und blieb um meine Gunst bemüht. Ich aber war froh, daß er mir Kurzweil bot, indem er mir die Wunder des Meeres zeigte und was Gott der Mächtige und Er habene darauf erschaffen hatte. Eines Tages nahm er mich bei der Hand und bestieg mit mir den Berg, der neben der Landbrücke lag, unter der das Wasser durchlief. Als wir beide oben ankamen und den Gipfel erreich ten – es war ein Berg aus schwarzem Gestein –, sah ich unter mir die Erde, die Meeresbuchten und Inseln sowie etwas, was geradezu sinnverwirrend war. Ich wandte mich deshalb an meinen Gefährten und fragte: »Was ist denn das, mein lieber Freund, was ich dort auf der Insel sehe?« Er antwortete: »Das ist der Sandstrom, und daneben ist der Feuerberg, dessen Steine in der Nacht brennen.« Ich sah jenen Berg, den er mir beschrieben hatte, und auf einmal , der nicht weit von dem Fluß entfernt war. Als wir nun auf dem Hang des Berges, auf dem wir uns befanden, weitergingen, sah ich, daß er sich bis ins Meer erstreckte und daß er gewaltig, hoch und beängstigend war. Nach dem wir drei Parasangen auf ihm gewandert waren, erblickten wir unter uns am Fuße des Berges eine riesige Insel mit Häusern, Hütten und Wohnstätten. Ich sah auf der Insel Geschöpfe, die barfuß und nackt hin und her gingen. Sie hatten Schwänze aus 165
Haar wie Pferdeschwänze. Es waren ihrer unzählig viele, und sie schrien, lärmten und tobten. Der Berg zog sich in einem Halbkreis um die Insel und war so glatt, daß nicht einmal eine Ameise auf ihm hätte krabbeln können. Auf der gegenüber liegenden Seite war das offene Meer, das die Insel mit ihren Bewohnern gleichfalls in einem Halbkreis umfaßte. Der Anblick dieser Geschöpfe flößte mir Angst ein, und vor ihrer Menge wurde mir bange; denn ich erblickte hier etwas, desgleichen ich noch nie gesehen hatte, und obwohl ich etwa zehn Jahre mit ihm zusammenlebte, hatte er mir diese Stelle noch nicht gezeigt. Deshalb fragte ich ihn: »Mein lieber Freund, was sind denn das für Wesen? Menschen oder Geister?« Da erzählte er mir folgendes: »Wisse: Es war einmal ein König der Geister, der ein Mädchen aus dem Negerstamm der Zendsch zu sich nahm. Er zog es als ein menschliches Wesen auf, bis es mannbar wurde. Nun stellte sich aber heraus, daß sie bereits schwanger war, ohne daß er ihr beigewohnt hatte. Dies war bitter für ihn, und er mußte sich sagen, daß sie ihn betrogen hatte. Er ließ sie deshalb wegbringen und verbannte sie an die sen Ort, von dem es kein Entrinnen und keine Rettung gibt und den keiner erreicht, ohne verloren zu sein und zu entrinnen. Dann gebar sie Zwillinge, einen Knaben und ein Mädchen. Sie zog die beiden auf und ernährte sich selbst mit den Früchten dieser Bäume. Als der Knabe groß wurde und zum Mann heranreifte, wohnte er seiner Schwester und seiner Mutter bei, und sie pflanzten sich hier vorzeiten fort, so daß alle diese Geschöpfe von jenem Mädchen abstammen.« – Wovon leben und wovon ernähren sie sich denn, mein lieber Freund?« fragte ich ihn, und er fuhr fort: »Gott der Mächtige und Erhabene ist seinen Knechten gnädig, indem er jährlich für sie einen Riesen walfisch erschafft, den er bei ihnen ans Ufer wirft. Dieser ist ihre Nahrung von einem Jahr zum anderen, ferner jedes zerschellte Schiff; die Wogen treiben nämlich die Schiffbrüchigen von der Landbrücke her zu ihnen an den Strand« – jener Land brücke, durch die auch du gekommen bist. Gott der Erhabene hat dich zu dieser Insel geführt. Wärest du dagegen zu ihnen hinübergetrieben worden, so hätten sie dich aufgefressen. 166
Da pries ich Gott den Erhabenen, daß er mich vor ihnen bewahrt hatte, und ich konnte das Staunen nicht lassen. Dann fragte ich ‘Arūs al-‘arā’is: »Was hast du danach erlebt?« und sie erzählte weiter: Wir machten uns nun auf den Heimweg und kehrten zu unserer Insel zurück. Ich dachte ständig über meinen Gefährten, den Dämon, nach und sann auf eine List wider ihn, um von ihm loszukommen. Da fielen mir die Mäuse ein und daß er mir von dem Erlebnis mit ihnen und der Möglichkeit erzählt hatte, von ihnen getötet zu werden. Ich sprach bei mir: »Mir bleibt kein anderer Weg. Was ich ihm damals gesagt habe, hat er ja ver gessen.« Als ich eines Tages mit ihm schäkerte, wandte ich mich an ihn mit den Worten: »Alle Wunder hast du mir gezeigt, mein lieber Freund. Nur eines fehlt mir noch, und daran hängt mein Herz: Ich habe den sehnlichen Wunsch, einmal die Mäuse zu sehen, sie mit eigenen Augen zu schauen.« Er antwortete: »Ich kann jene Insel nicht betreten, und sie sind das einzige, wovor ich mich hüten muß.« Ich hörte nicht auf, ihn zu umschmeicheln und zu bereden, und ich bat ihn: Wenn du sie mir nur von ferne zeigen würdest!« – »Ich kann nicht«, gab er mir zur Antwort. Ich wandte ein: Will ich sie denn etwa auf dich zueilen sehen?« und versuchte weiter, ihn zu überreden. Schließlich gab er mir widerwillig nach, setzte mich in den Kasten und stürzte sich mit mir in die Meeresflut. Ohne Unterlaß reiste er mit mir über die Inseln, bis wir zu einem großen, riesigen Eiland kamen. Nachdem wir ans Ufer hinaufgestiegen waren, holte er mich aus dem Kasten heraus und sprach zu mir: »Gehe allein in jene Richtung. Dann wirst du sie herumspringen sehen. Schaue sie dir an und kehre zurück.« Ich wandte ein: »Ich wage nicht, allein zu gehen.« Nun fing ich an, ihn zu ermuntern, ihm Mut einzuflößen und ihn Stück für Stück weiter ins Land zu locken, bis wir die Tiere zu Gesicht bekamen. Ihr Anblick flößte mir Grauen ein. Sie sprangen umher und sahen aus wie Mäuse, nur daß sie Rüssel und Reißzähne wie Sägen hatten. Als wir nahe an sie herankamen, lenkte ich ihn mit meinem Plaudern ab. In einem Abstand von zwanzig Schrit 167
ten witterten ihn die Mäuse. Schneller, als der Blick des Auges eilt, schössen sie auf ihn zu. Sie krabbelten allein auf ihn; mir aber näherten sie sich nicht. Sie wurden immer zahlreicher und immer dichter auf ihm, so daß ich schließlich nichts mehr von ihm sehen konnte. Er warf sich auf den Boden und begann, sich im Sande zu wälzen und zu brüllen. Als ich dies sah, war ich überzeugt, daß keine Hoffnung mehr für ihn bestand, und trat an ihn heran, um zu sehen, wie er verrecken würde. Als ich mich ihm scheinbar traurig und weinend näherte und er mich ansah, da war mir, als erinnerte er sich dessen, was ich ihm einmal gesagt hatte. In der Tat, er stürzte sich ins Meer. Als ich hinter ihm hergelaufen kam, stellte ich fest, daß es bereits geschehen und er im Wasser untergetaucht war. Die Mäuse stiegen an die Oberfläche empor und kamen um. Nicht eine einzige von ihnen kehrte ans Land zurück. Danach verbrachte ich drei Tage und drei Nächte allein auf jener Insel, indem ich auf ihr umherstreifte und dabei von ihren Früchten aß und aus ihren Quellen trank, ohne irgendwie mit seiner Rückkehr zu rechnen. Am vierten Tage hörte ich ihn aber, wie er mich rief. Da ging ich ihm entgegen, weinte über sein Ge schick und sprach: »Erzähle mir, was mit dir geschehen ist, mein lieber Freund, und wo du in den letzten Tagen gewesen bist.« Er erwiderte: »Ach, habe ich dir nicht gesagt, daß sie mich töten würden? Wenn du mir nicht geraten hättest, mich ins Wasser zu stürzen, so wäre ich umgekommen. So bin ich untergetaucht, worauf sie von mir abgelassen haben. Danach bin ich zu meinen Angehörigen gegangen. Ich bin dann aber schnell zurückgekehrt, damit du dich nicht um mich grämst und sagst, ich hätte dich alleingelassen.« Danach fragte ich ihn: »Gibt es denn jetzt noch etwas, wovor du dich in acht nehmen mußt?« Er antwortete: »Ich habe mich vor nichts mehr in acht zu nehmen und habe nichts mehr zu fürchten außer einem Ding, auf dem einer von den Namen Gottes des Mächtigen und Erhabenen geschrieben steht. Die verhängnisvollste Berührung mit ihm wäre, daß es mir auf den Scheitel meines Hauptes gelegt würde; denn das würde für mich Untergang und Tod bedeuten.« Nachdem ich dies von ihm gehört hatte, hütete ich meine Zunge vor ihm und 168
verschloß seine Mitteilung in meinem Herzen. Wenn er aber schlief und wenn er fort war, dann redete ich vor mich hin und sprach: Wie komme ich nur an ein Ding mit einem der Namen Gottes des Mächtigen und Erhabenen? Dann wäre ich von dieser Insel und diesem Dämon erlöst!« Schließlich hat mir Gott in seiner Güte die Begegnung mit dir geschenkt. Du hast mir deinen Siegelring gegeben. Ich habe ihn im Schlaf auf den Scheitel seines Kopfes gelegt und ihn dann abgeschlachtet, wie du mit eigenen Augen gesehen hast. Nun habe ich dir alles von mir erzählt, von Anfang bis zu Ende, damit du, wenn du es tust, mich in vollem Bewußtsein mitnimmst, meine Niedertracht und Tücke kennst und weißt, was ich vor dir den anderen angetan habe. Wenn du mich aber nicht mitnehmen willst, so gehe allein und sei wohlbehalten. Der Weg und die Rettung in die Heimat stehen dir offen. Diese Perlen sollen dich reich machen, dich und deine Kindeskinder bis zum Ende der Zeiten. Laß mich hier allein, bis Gott seinen Richterspruch über mich fällt nach seinem Willen. Er aber ist der Richter bester. Gott schenke dem Emir Heil! – Als ich so ihre Lebensgeschichte gehört hatte, starrte ich sie verblüfft an und dachte über ihren Bericht nach. Leidenschaft, Sehnsucht, Liebe und was mein Herz alles für sie empfand, überwältigten mich. Meine Seele wurde von einem heißen Verlangen danach ergriffen, sie mitzunehmen, und ich sprach bei mir: »Soll ich diese Schönheit und Anmut, derengleichen nirgends zu finden ist, wirklich verlassen? Nein, das kann niemals geschehen, und meine Seele wird sich nicht darein fügen, selbst wenn es den Tod für mich bedeuten sollte. Vielleicht hat sie sich nun auch von diesem bösen Tun bekehrt, und wenn ich liebevoll zu ihr bin, wird das, was schlecht in ihr ist, wieder gut werden.« Dann aber sagte ich mir: »Wehe dir, meine Seele! Dies ist eine Frau, die von Natur verderbt ist und in ihrem tiefsten Wesen zu Schlechtigkeit, Treulosigkeit, Heimtücke, Lastern und Schandtaten neigt. Du hast ihre Selbstschil derung vernommen wie auch das, was die Deuter der Gestirne und die Kenner ihrer Gesetze ihrem Vater über sie verkündet 169
haben. Sie haben keine Unwahrheit über sie gesagt, und sie hat selbst ihre Untaten eingestanden. Nicht einmal für die eigene Mutter hat sie Mitleid empfunden noch hat sie ihrem Vater ge genüber eine kindlich fromme Gesinnung gehegt. Die Großen hat sie umgebracht. Wie solltest du bei alledem der Rechte für sie sein, wo du weder das Urbild des Mannes noch der schönste und herrlichste Vertreter deines Geschlechtes bist, sie aber alle diese Leute umgebracht hat? Sie taugt für mich ebensowenig wie ich für sie, und sie wird mich nicht mit Liebe umfangen, wie es einem Ehrenmann geziemt.« Dann unterlag mein Verstand wieder der Leidenschaft und dem vorherbestimmten Schicksal, dem keiner entrinnen kann, so daß von mir das Wort des Dich ters galt: Er wußte nicht, welch Mißgeschick, Ob vor, ob hinter ihm das Glück. Ratlos in meinen Überlegungen senkte ich den Kopf zu Boden. Ich verharrte eine Zeitlang in diesem Zustand und begann, in den Meeren der Gedanken vollends unterzutauchen, während sie schwieg. Schließlich behielt die Leidenschaft die Oberhand über mich, und ich faßte den Entschluß, nur gemeinsam mit ihr fortzugehen. »Liebe Herrin«, sagte ich, »mein Herz wird sich nicht darein fügen, dich zu verlassen, nachdem mir Gott in seiner Gnade dich geschenkt hat und meine Rettung und Befreiung in deinen Händen steht. Sei froh und wohlgemut; denn ich werde nie von deiner Seite weichen. Wenn mich Gott der Erhabene wohl behalten in meine Heimat zurückführt, sollst du mir höher stehen als alle meine Angehörigen, und ich werde so gut zu dir sein, wie du es dir nur wünschen kannst. Darauf kannst du dich wirklich verlassen.« Als al-‘Arūs meine Worte hörte und sah, daß ich gesonnen war, an ihr festzuhalten, packte sie die nützlichen Dinge zu sammen, die sie gesammelt hatte und für sich auf der Insel bereit hielt. Es waren mehr als zehn Bündel, ohne daß ich wußte, wozu sie nützlich waren. Jedes dieser Bündel hatte sie mit einem Kennzeichen versehen. Außerdem holte sie Perlen und Juwelen hervor, die ich noch nie gesehen hatte. Dann sprach sie: »Folge 170
mir auf dem Fuße.« Dies tat ich, und wir zogen dahin, bis wir die Meerenge gewahrten, die sie mir angegeben hatte und wo das Tiefwasser bis dicht an das Meeresufer heranreichte. Sie be fahl mir: »Wirf dich hinter mir ins Wasser; doch mußt du wissen, daß es hier Stellen gibt, an denen man waten, und andere, an denen man nicht waten kann. Hüte dich also, vom Weg abzukommen.« Dann zog al-‘Arūs ihre Kleider aus, wickelte sie mit jenen Bündeln zu einem Packen zusammen, den sie mit beiden Händen hochhielt, und begann, ich hinter ihr her, durch das Wasser zu waten, bis wir zu einer gewaltigen Insel kamen. Dort stiegen wir aus dem Wasser heraus. Sie zog ihre Kleider wieder an und wartete sitzend auf mich, bis ich bei ihr ankam. Darauf begannen wir, täglich am Ufer des Meeres entlangzuwandern, indem wir bemüht waren, gleich beim Morgengebet aufzu brechen, und an der Stelle übernachteten, wo uns der Abend überfiel. An Obstbäumen und Früchten hatten wir auf unserem Wege keinen Mangel; Trinkwasser fanden wir aber nur etwa alle fünf Tage. Wenn wir dann an eine Quelle kamen, tranken wir daraus, wuschen uns und ruhten uns den Rest des Tages aus. So verbrachten wir zwanzig Tage. Am einundzwanzigsten Tage kam uns ein alter Neger mit einem kleinen Boot zu Gesicht, das er am Ufer verankert hatte. Als wir uns seiner Halbinsel näherten, ging er am Strand umher, indem er Muscheln sammelte und was Gott ihm an Perlen und Kostbarkeiten zu bescheren geruhte. Diese sammelte er mit den Muscheln und legte sie in das Boot. Nachdem al-‘Arūs das Boot erreicht hatte, sprang sie hinein, setzte sich und befahl mir, schleunigst zuzusteigen. Dies tat ich, worauf sie den Anker lichtete und abfuhr. Der alte Mann war dabei weit von uns entfernt. Als er uns sah, kam er herbeigelaufen und rief uns zu: »Nehmt mich mit, Leute; sonst komme ich hier um vor Hunger und Durst.« Sie kümmerte sich aber nicht um ihn, indes er schrie und um Hilfe rief. Obwohl ich sie bat, ihn mit uns fahren zu lassen, tat sie es nicht und gab mir keine Antwort. Ungeachtet meines Mitleids mit ihm befahl sie mir schließlich: »Schweige und widersprich mir nicht. Dieses Boot trägt nämlich nicht mehr als einen oder zwei Menschen.« Gleich danach entschwanden wir 171
ihm, und wir wußten nicht, was nach unserer Abfahrt aus ihm geworden ist. Wir fuhren nun immer weiter in dem Boot, bis wir die Küste und das bewohnte Land erreichten. Nun fragte ich sie: »Bist du damit einverstanden, ‘Arūs, daß du hier allein bleibst und ich umkehre, um den alten Neger zu holen, damit wir nicht für die Schuld an seinem Tode zur Rechenschaft gezogen werden?« Sie erwiderte: »Wehe dir! Kümmere dich nicht um Dinge, die dich nichts angehen. Wenn ich keinen Mord außer diesem begangen hätte, wäre ich die Glücklichste auf dem Erdenrund. Komm mit und überlasse ihn dem Fluche Gottes. Wenn du mich allerdings verläßt, siehst du mich nie mehr wieder. Ich weiß nicht, was du davon hältst, aber wenn du mich verläßt, siehst du mich nach der Trennung nie mehr wieder, weil ich nicht weiß, was nach deinem Fortgang mit mir geschehen wird.« Da sprach ich: »Du hast wirklich recht.« Danach setzten wir unsere Reise fort über Rastplätze, Dörfer und Städte, bis ich in meiner Heimatstadt ankam. Ich hatte eine alte, fromme Mutter, die in einem eigenen Hause wohnte und recht wohlhabend war, sowie eine Frau und einen kleinen Sohn. Ich sagte mir deshalb: »Ich will zunächst einmal mit ihr zum Hause meiner Mutter gehen.« Als ich dort ankam, hörte ich zu meiner Überraschung meine Mutter klagen und weinen. Auf mein Klopfen kam sie zu mir heraus und fragte mich, wer ich sei. »Ich bin dein Sohn«, gab ich ihr zur Antwort. Nachdem sie mich in ihre Arme geschlossen hatte, trat ich zu sammen mit al-‘Arūs in das Haus ein. Sie fragte: »Mein lieber Junge, wer ist denn diese schöne, hübsche Frau?« Da sprach ich zu ihr: »Danke Gott, mein liebes Mütterchen; diese Frau ist es, die mich mit Gottes des Erhabenen Hilfe gerettet hat, und ihr Segen ist es, der mich dein Antlitz wiederschauen läßt.« Dann erzählte ich ihr von ‘Arūs, verschwieg aber ihre Schandtaten. So gewann meine Mutter eine gute Meinung von ihr, schätzte sie hoch und ließ es nicht an Zuvorkommenheit ihr gegenüber fehlen. Danach zog ich meine Kleider wieder an und begab mich zu dem Hause, in dem meine Frau und mein Sohn wohnten. Unerwartet klopfte ich bei ihnen an die Tür. Da kam mein Sohn – er war drei Jahre alt – heraus, lief mir entgegen und freute sich 172
über mich. Ich hatte ihn im Alter von einem Jahr verlassen und war zwei Jahre lang fortgeblieben. Die Kunde von meiner Heimkehr verbreitete sich unter den Leuten und auch unter meinen Freunden, und sie begannen, mich zu besuchen und zu beglückwünschen. So verbrachte ich zehn Tage. Nachdem ich mich genügend ausgeruht hatte, sagte ich: »Bei Gott, nie wieder werde ich eine Seereise unternehmen!« Ich bemühte mich deshalb beim König jener Stadt um Anstellung in irgendeinem Amt der Finanzverwaltung. Schließlich wurde ich ein hoher Finanz beamter bei ihm und hatte viel mit ihm zu tun. Im übrigen pflegte ich abwechselnd einen Tag meine Frau und einen Tag al-‘Arūs zu besuchen; denn ich hatte nach der Ankunft bei mei ner Mutter die Ehe mit ihr geschlossen, wodurch sie eine gesetzmäßige Frau von mir geworden war. In dieser Weise verbrachte ich fünf Monate. Als ich nun eines Nachts an das dachte, was sie mir von sich erzählt und was sie alles angerichtet hatte, packte mich ein Schauder vor ihr. Von jetzt an verbrachte ich in je zehn Tagen nur noch eine Nacht mit ihr und widmete mich mehr meiner ersten Frau und meinem Sohn. Als es ihr klar wurde, daß ich sie mied, und sie meine Zurückhaltung merkte, trat sie an meine Mutter heran und sprach: »Ach, Mütterchen, dein Sohn meidet mich. Er vergilt mir nicht, wie es billig wäre, was ich an ihm getan habe, und hält mir nicht die Treue, ohne daß ich weiß, warum unser Verhältnis getrübt ist.« Meine Mutter behielt dies aber bei sich und sagte mir nichts davon. Nun war es in Gottes urewigem Rat und in seiner Vorsehung beschlossen, daß der König, bei dem ich beschäftigt war, als einziges Kind eine hübsche, reizende Tochter hatte, in die er geradezu verliebt war. Weil Gott der Mächtige und Erhabene sei nen Schicksalsspruch an der Tochter vollstrecken wollte, wurde sie von einem Wahn befallen und begann, ihre Unterarme mit den Zähnen zu zerfleischen, nachdem man sie festgekettet hatte. Keinen Zauberer gab es und keinen Arzt, der sie nicht besucht hätte, doch keiner wußte ein Heilmittel für sie, und es gab nichts, was ihr half. Da grämte sich der König sehr. Er zog sich von hoch und niedrig zurück und war ganz von Kummer und 173
Schmerz über seine Tochter erfüllt. Dies tat allen Untertanen leid, und so grämte auch ich mich, weil sich der König grämte. Eines Nachts kam ich nun zu meiner Mutter, um nach ihr zu schauen und mich durch ihr Plaudern ablenken zu lassen. Da begann sie, mir zu erzählen, was ‘Arūs al-‘arā’is ihr eröffnet hatte, und mir ihretwegen Vorhaltungen zu machen. »Mein lieber Junge«, sprach sie, »brich die Besuche bei dieser Frau ‘Arūs al-‘arā’is nicht ab, sondern schaue täglich nach ihr. Sie leidet darunter, daß du dich von ihr fernhältst, und sie hat bei mir über die Leidenschaft und Liebe geklagt, die sie für dich empfindet. Ich habe ihr Lohn für ihre edle Handlungsweise ge wünscht, ohne daß sie aufgehört hätte, zu mir von ihrer seeli schen Verfassung zu sprechen.« – »Bei Gott«, antwortete ich, »nicht aus Abneigung oder Haß habe ich sie in diesen Tagen gemieden, denn sie steht bei mir in höchster Gunst, sondern nur, weil mein Herz ganz erfüllt ist und ich besorgt und bekümmert bin, weil der König sich grämt.« Dann berichtete ich ihr, was inzwischen geschehen und was der Königstochter widerfahren war. Meine Mutter erzählte es ‘Arūs al-‘arā’is weiter. Diese erwiderte: »Bestelle deinem Sohn, daß ich ein Heilmittel besitze, das die Königstochter sofort heilen würde. Wenn ich die Tochter des Königs besuche und ich sie dann heile, so wird er ihm eine höhere Würde verleihen und seinen Rang erhöhen.« Als meine Mutter mir berichtete, was al-‘Arūs ihr gesagt hatte, sprach ich: »Bei Gott, sie hat die Wahrheit gesagt. Schon früher hat sie mir von Dingen erzählt, die sie mit jenem Dämon ge macht hat. Sie ist im Besitz von Drogen und Heilmitteln. Ich hoffe, daß sie uns zum Segen gereichen werden.« Darauf ging ich zu ihr hin und fragte sie: »Meine liebe Herrin, ist das wahr, was meine Mutter gesagt hat?« Sie bestätigte dies und fügte hinzu: »Gehe mit mir zum Schlosse des Königs und lasse es ihn wissen; denn ich werde sie behandeln und ihr auf der Stelle die Gesundheit wiederschenken.« Hocherfreut über ihre Worte ging ich von dannen und bat um eine Audienz beim König. Als er mich vorließ, sprach ich zu ihm: »Bei mir weilt jemand, o König, der deine Tochter heilen könnte.« Er antwortete: »Wenn es wahr ist, was du sagst, werde 174
ich dir hohe Ehren verleihen und werde dir alles schenken, was du dir auf Erden wünschen kannst. Bringe sie schleunigst zu mir her, und Gott gebe seinen Segen, seinen Beistand und seine Gnade dazu!« Nach Hause zurückgekehrt, befahl ich al-‘Arūs: »Stehe sofort auf, ziehe dich an und komme mit mir.« Sie zog sich an und machte sich mit mir auf den Weg. Als ich mit ihr beim König eintrat, wandte er sich an sie mit der Frage: Was sagst du zu dem, was mein Freund mir von dir erzählt hat, Frau?« Sie erwiderte: »Es ist wirklich so, wie er gesagt hat, o König. Ich werde deine Tochter heilen. Sei getrost und guten Mutes.« Als der König ihre Worte hörte, freute er sich sehr und hieß sie zu seiner Tochter hineingehen. Jetzt traten die Mägde auf sie zu, während ich vor dem König stehenblieb. Als sie dann in das Schloß verschwand, machte ich mir Gedanken über sie. Ich bereute, was ich getan, und seufzte: »Wahrlich, wir sind Gottes, und zu ihm kehren wir zurück. Ich habe etwas Gefährliches unternommen!« Weiter sagte ich mir: »Liebe Seele, wem hat diese verfluchte ‘Arūs in ihrem Leben schon geholfen, so daß sie nun mir helfen sollte?« Am liebsten hätte ich den König gebeten, sie fortzuschicken. Angst, Schrecken und Zittern ergriffen mich; denn mein Herz ahnte Böses. Allein ich fürchtete, der König würde mir zürnen, wenn ich ihn unterrichtete. So stellte ich denn Gott dem Gepriesenen meine Sache anheim. Nachdem sie zu der Königstochter hineingegangen war, sich ihr genähert und gesehen hatte, wie es um sie stand, setzte sie sich zu ihr, legte ihr die Hand auf den Kopf und sprach Zauber worte über ihr, die wir nicht verstanden und deren Sinn uns unbekannt war. Sie war nämlich nur durch einen Vorhang vom König getrennt, so daß wir alles hörten, was geschah, ohne ihr Gesicht sehen zu können. In dem Audienzsaal waren auch die Günstlinge des Königs anwesend, ferner die Dienerschaft seiner Tochter, die die Worte der ‘Arūs mitanhörten, sowie ihre Mägde, die über sie weinten. Beim allmächtigen Gott! Al-‘Arūs hatte kaum aufgehört zu reden und war eben still, als die Königstochter bei Beendigung der Beschwörung ruhig wurde und keiner einen Laut mehr von ihr hörte, während sie vorher tagelang keinen Schlaf mehr gekannt und keine Stunde Ruhe gehabt 175
hatte. Ich freute mich, als sie eingeschlafen war. Die Mägde gaben die frohe Kunde einander weiter, und so kam sie auch zum König. Da freute er sich über alle Maßen. Er ließ mir eine Belohnung überreichen, schenkte mir ein üppiges Ehrenkleid und gab mir eine Menge Geld. Als sich nun ‘Arūs entfernen wollte, überreichte sie der Mutter der Königstochter ein verschnürtes Papier mit den Worten: »Deine Tochter ist jetzt eingeschlafen. Morgen komme ich wieder und werde sie noch ein mal besprechen und beschwören. Reibe ihr jedoch während des Schlafes aus diesem Papier einen Schminkgriffel voll in jedes Auge. Wenn du willst, kannst du dir auch selbst die Augen damit einreiben; denn es ist etwas Nützliches.« Als ich hinter dem Vorhang von jener Augensalbe hörte, dachte ich an den Vogelkot, den sie besaß und der zur Erblindung führt. »Um Gottes willen«, sagte ich mir, »sie blendet sie!« Ich wollte den König davon unterrichten, doch irgendetwas hinderte mich daran und verschloß mir den Mund. Dann gab ich mich einer Selbsttäu schung hin und sprach zu mir: »Vielleicht besitzt sie noch ein anderes Mittel. Dies tut sie nicht, ohne daß ihr jemand Unbill und Unrecht zugefügt hat. Diese Leute sind ja auch nicht mit ihr verfeindet. Ich glaube daher nicht, daß sie es tun wird.« Dabei blieb meine Verfassung die eines, dem angst und bange ist. Als sie herauskam, schenkte ihr der König ein Ehrenkleid und ver sprach ihr, sie am Schluß mit Wohltaten zu überhäufen, wenn seine Tochter endgültig zur Ruhe gekommen sei. Dann ging sie vor mir fort, während ich nach ihrem Weggang noch eine Zeit lang beim König blieb. Als ich dann ebenfalls ging und nach Hause kam, begegnete mir meine Mutter und fragte mich nach ihr. Ich erwiderte: »Ist sie denn nicht gekommen?« – »Bei Gott, nein«, antwortete meine Mutter, »sie ist mir nicht zu Gesicht gekommen.« Da sprach ich: »Suche sie; denn ich bin besorgt. Es kann doch nicht sein, daß sie dadurch aufgehalten worden ist, daß sie bei anderen Leuten einen Blick hineinwirft?« Nachdem ich sie vergebens gesucht hatte, verbrachte ich die folgende Nacht mit bangendem Herzen und war voller Gram und Traurigkeit. Am nächsten Morgen begab ich mich wieder zum Hause meiner Mutter und erkundigte mich nach ihr. Sie sagte: »Ich habe 176
sie nicht wieder gesehen, seitdem sie von mir fortgegangen ist.« Da sprach ich: »Bei Gott, von diesem verfluchten Weib ist nichts Gutes zu erwarten!« "währenddessen standen auf einmal zwan zig Burschen da mit eisernen Keulen in den Händen. Sie hatten die Haustür aufgebrochen und herrschten mich an: »Du sollst zum König kommen!« Da sank mir mein Herz zu Boden, ich verlor den Verstand und war meines Unheils gewiß. Wie tot ging ich mit ihnen, und ich hatte alle Hoffnung für mich ver loren, weil ich sah, daß sich ‘Arūs vor mir verborgen hielt. Ich merkte, wie die Knechte in ihrer Unterhaltung sagten: »Sie ha ben noch etwas von dem Erblindungsmittel übrig.« Als ich dies von ihnen hörte, war mir klar, daß die Königstochter und ihre Mutter blind geworden waren. Darauf führten sie mich zum König hinein. Dieser saß auf einem Thron. In der einen Hand hielt er sein Racheschwert gezückt. Mit der anderen stützte er seine Wange und weinte. Die Großen seines Reiches, die rings um ihn versammelt waren, weinten ebenfalls, und ihre Sorge und Trauer waren unverkennbar. Als ich nun vor ihm stand und er mich anschaute, indes ich zitterte gleich einem Palmzweig an einem stürmischen Tage, sprach er: Wehe dir! Was hat dich veranlaßt, eine Frau zu mir zu bringen, die angeblich meine Tochter heilen sollte, mit dem Ergebnis, daß sie meine Tochter und dazu noch ihre Mutter geblendet hat? Was hat dich dazu veranlaßt? Es ist ja so, als ob infolge einer früheren Gehässig keit von mir Feindschaft zwischen mir und dir bestünde und du dich dafür an mir hättest rächen wollen!« – »Bei Gott dem Allmächtigen«, erwiderte ich, »ich habe nichts anderes gewollt, mein König, als ihre Genesung und Gesundung. Sie hatte mir versichert: ›Ich werde sie bestimmt heilen!‹ Eigentlich hatte ich dir meine Erlebnisse mit ihr berichten wollen; es war aber jemand da, der mir den Mund verschloß.« Der König sprach: »Schaffe sie mir unverzüglich herbei; sonst werde ich dich töten und deinen Leichnam verbrennen lassen.« Dann beauftragte er zehn Diener mit meiner Beaufsichtigung. Nachdem ich drei Tage umhergestreift war, ohne eine Kunde von ihr zu erlangen und ohne zu wissen, was mit ihr geschehen war, brachten mich die Diener wieder zum König und berichte177
ten ihm, mit welchem Eifer ich sie gesucht hatte. Da befahl der König, mir beide Augen zu blenden. Nachdem sie das rechte unter meinen Hilfeschreien geblendet hatten, erzählte ich dem König ihre Geschichte von Anfang bis zu Ende und bat ihn sodann: »Laß mich sie doch suchen!« Da empfand er Mitleid mit mir. Außerdem machten sich seine Günstlinge, nachdem sie meine Geschichte gehört hatten, zum Fürsprecher in meiner Sache, worauf er mir mein linkes Auge schenkte. Danach sandte er Leute aus, belegte alles, was ich an beweglichen und unbeweg lichen Gütern besaß, mit Beschlag und schickte mich mit Mutter, Frau und Sohn in die Verbannung. So zogen wir hinaus auf die Dörfer und bettelten, bis wir eine Stadt mit vielen Einwohnern erreichten. Not und Elend, Hunger und Müdigkeit hatten sich unser bemächtigt, als wir sie mit leerem Magen am Abend betraten. Wir verschafften uns einen Unterschlupf in irgendeiner Moschee. Am Morgen begannen wir dann zu betteln und die Leute um milde Gaben zu er suchen. Sie gewährten uns Almosen und unterstützten uns, so daß wir uns ein Wohnhaus mieten konnten. Eines Tages ging meine Mutter auf den Markt, um etwas zu besorgen. Da begegnete ihr auf einmal die verfluchte ‘Arūs al-‘arā’is. Sie machte den Eindruck, als ob sie in den besten Verhältnissen und unter den glücklichsten Umständen lebe. Als sie meine Mutter er blickte, grüßte sie und begann, ihr unter Tränen die Hände zu küssen, während meine Mutter sich abweisend verhielt und sagte: Wehe dir! Das ist also dein Lohn für uns gewesen, daß du uns zugrunde gerichtet und in Armut gestürzt hast.« Sie antwortete: »Ich habe mich bei jenem Heilmittel geirrt und bin aus Furcht vor dem König geflohen. Es ist unabsichtlich geschehen. Erzähle mir, wie es euch nach meiner Flucht ergangen ist und wie dein Sohn dem König entronnen ist; denn ich habe inzwi schen keine andere Sorge gekannt als diese.« Meine Mutter schenkte ihr Glauben, nahm ihre Entschuldigung an und sprach zu ihr: »Der König hat ihn auf dem rechten Auge geblendet. Als dann die Leute Fürsprache für ihn einlegten, ließ er ihn laufen, beschlagnahmte unser Hab und Gut und verbannte uns. Bar aller irdischen Güter sind wir vor kurzem hier angekom 178
men.« Als sie die Worte meiner Mutter vernahm, schlug sie sich ins Gesicht und zeigte Kummer und Betrübnis. Dann nahm sie meine Mutter mit und führte sie zu ihrer Wohnung. Dort zeigte sie ihr Gut und Geld und alle Zeichen des Wohlstandes. Dann sprach sie: »Liebe Herrin, sei getrost und guten Mutes; denn dies alles gehört deinem Sohn. Bringe mich wieder mit ihm zu sammen. Du weißt ja, wie sehr ich ihn liebe. So war es eben in Gottes verborgenem Ratschluß beschlossen, aber Gott wird ihn belohnen und ihm als Ersatz mehr schenken, als er verloren hat. Ich besitze viele Juwelen und kostbare Perlen, wie sie kein König sein eigen nennt. Sie sollen euch gehören; denn ich will sie für euch ausgeben.« Dann bewirtete sie meine Mutter. Während sie aß, erzählte sie ihr ohne Unterlaß weiter. Am Ende küßte meine Mutter ihr das Haupt. Danach kam meine Mutter zu mir und sprach: »Ich bin mit ‘Arūs al-‘arā’is zusammen gewesen, mein Junge. Sie ist mir begegnet und hat mich begrüßt. Dann hat sie mich zu sich nach Hause geschleppt und mich sehr ehrenvoll behandelt.« Da sprach ich zu ihr: »Gott schenke al-‘Arūs kein langes Leben und lasse sie nicht in unserer Nähe weilen!« Meine Mutter antwortete: »Gott lasse sie wohl in unserer Nähe weilen, mein Junge! Denn sie ist schuldlos. Sie hat mir geschworen, daß sie sich bei dem Heilmittel geirrt hat und daß es unabsichtlich geschehen ist. Irren ist eben menschlich. Im übrigen ist die Frau begütert und reich, liebt dich und trauert um dich.« Ich sagte zu meiner Mutter: »Dies war nur eine unbedeutende Folge ihrer List und Tücke. Lasse von ihr. Gott der Erhabene verfluche sie! Denn ich fürchte für mich wegen ihrer Bosheit, List und Treulosigkeit.« Nun bat sie: »Spiele doch dem Teufel einen Streich, mein Junge: Nimm an, was ich dir sage, und widersprich mir nicht.« So hörte sie nicht auf, mich zu überreden, bis sie mich schließlich zu ihren Gunsten umstimmte. Danach kam das verfluchte Weib wieder zu mir. Sie brachte mir scheinbar Liebe und Mitgefühl entgegen. Alles Schöne und Gute versprach sie mir, kleidete mich in üppige Gewänder und schenkte mir viel Geld. Danach verbrachte ich eine Zeitlang mit ihr in den besten Verhältnissen und unter den glücklichsten Umständen. 179
Eines Abends kam sie zu meiner Mutter und sprach zu ihr: »Der König dieser Stadt ist ungeheuer reich. Es ist mir zu Ohren gedrungen, daß er eine schöne Tochter hat, die freigebig und großzügig ist. Weil er sehr eifersüchtig auf sie ist, lebt sie auf seinen Wunsch in einem Schloß für sich allein und hat dort nur einige Mägde zu ihrer Bedienung bei sich. Ich bin nun auf den Gedanken gekommen, daß du diese Perlen nimmst und sie bittest, sie von dir anzunehmen; denn wenn sie die Perlen sieht, werden sie ihr gefallen, und sie wird dir ein Vielfaches ihres Wertes dafür geben. Mein Hauptgrund ist der, daß dein Sohn keine Erwerbstätigkeit ausübt, wir aber für unseren Unterhalt sorgen müssen und Ausgaben haben, ohne daß uns Einnahmen zur Verfügung stehen. Dies ist meines Erachtens der einzig mögliche Gedanke.« Als meine Mutter ihre Worte hörte, freute sie sich sehr, stand auf, nahm zehn Perlen und begab sich zu der Königstochter. Dort sagte sie zu einer Frau, die Zutritt zu ihr hatte: »Bestelle deiner Herrin, daß ich mit einem Geschenk zu ihr komme«, und sie gab ihr freundliche Worte. Als sie dann von der Königstochter vorgelassen wurde, grüßte sie und sprach: »Ich habe außer dir noch keinen gesehen, für den diese Perlen taugen. Nimm sie deshalb von mir an.« Nachdem sie die Perlen angenommen hatte, blieb meine Mutter bis zum Ende des Tages bei ihr und erzählte ihr Seefahrergeschichten, die das Staunen der Königstochter erregten. Dann befahl sie meiner Mutter, bei ihr aus- und einzugehen und sie täglich zu besuchen. Dies tat meine Mutter längere Zeit hindurch, und sie begann, uns Speisen und Getränke mitzubringen, so daß es uns gut ging. Al-‘Arūs pflegte meiner Mutter täglich eine neue Geschichte zu erzählen, während diese zu der Königstochter ging und sie damit unterhielt. Eines Tages sagte al-‘Arūs zu meiner Mutter: »Laß heute mich zu der Königstochter gehen. Wenn sie mich kennenlernt, gefällt ihr meine Geschichte. Dann behandelt sie uns noch freundlicher und noch freigebiger. Sprich doch einmal bei ihr über mich.« Dies tat meine Mutter, und da befahl sie ihr, sie mitzubringen. Als sie nun al-‘Arūs mitnahm, begann sie, der Königstochter ungewöhnliche Dinge, seltsame Geschichten und Mären zu erzählen, wie meine Mutter sie nicht hätte erzählen können. Sie brachte 180
sie damit schier von Sinnen und blieb ohne Unterbrechung bei ihr vom Morgen bis zum Abend. Dann gingen meine alte Mut ter und al-‘Arūs wieder fort. Dies währte etliche Tage. Danach sagte die Königstochter eines Tages: »Ach, liebe ‘Arūs, deine Er zählungen wären noch viel schöner, wenn du nicht immer fortgingest. Außerdem ist nächtliche Unterhaltung am köstlichsten. Bleibe doch heute nacht bei mir.« – »Meine liebe Herrin«, gab al-‘Arūs zur Antwort, »ich habe einen Mann, den ich glü hend, heiß und innig liebe und ohne den ich es auch nicht eine Stunde aushalten kann. Wenn du wünschst, daß ich die Nacht bei dir bleibe, dann gestatte mir, ihn als Frau verkleidet mit zubringen. Ich lasse ihn dann in irgendeinem von den Gemächern Platz nehmen und setze mich selbst zu dir, um dir Ge schichten zu erzählen, und wenn du einschläfst, gehe ich und schlafe mit ihm.« Die Königstochter erwiderte: »Tue dies.« Darauf kam al-‘Arūs zu mir und sprach: »Komm, ich will dich mitnehmen, daß wir bei ihr die Nacht verbringen.« Ich konnte ihr nicht widersprechen. So machte ich mich mit ihr auf, und sie führte mich ins Schloß. In der Folge verbrachte ich jede Nacht mit ihr in dem Schloß der Königstoditer, und wenn der Morgen anbrach, gingen wir wieder nach Hause. Nun tat sie, die Gott verfluchen möge, eines Nachts heimlich ein Mittel in die Speisen der Königstoditer. Es war das Mittel, durch das eine Frau schwanger wird, ohne mit einem Mann zusammengewesen zu sein. Nachdem die Königstoditer davon gegessen hatte, schwoll ihr Leib an, und sie wurde schwanger. Als ihr Vater dies bemerkte, mißfiel ihm ihr Zustand, und er fragte den Oberaufseher: »Wehe dir! Wer hat Zutritt zu meiner Tochter?« – »Zwei Frauen«, erwiderte er, »die nachts mit ihr plaudern und bei Tagesanbrudi wieder gehen.« Nun befahl er ihm: »Wenn die beiden wieder bei ihr sind, so lasse es mich wissen. Sieh dich aber vor, daß es keiner merkt.« In Anbetracht ihrer großen Schlauheit blieb dies al-‘Arūs jedoch nicht verborgen. Nachdem sie festgestellt hatte, daß der König die Schwangerschaft seiner Tochter und das Anschwellen ihres Leibes bemerkt hatte, hegte sie die Absicht, mich und meine Mutter ins Unglück zu stürzen, sich, das verfludite Weib, jedodi vor Strafe zu 181
sichern. Sie sagte deshalb zu meiner Mutter: »Gehe heute nacht mit deinem Sohn zu der Königstochter und erzähle ihr die fol gende Geschichte.« Sprach’s und erzählte ihr eine wunderbare Geschichte. Auf die Frage meiner Mutter, was denn heute abend mit ihr sei, erwiderte sie: »Ich fühle mich matt, liebe Herrin. Gehe du deshalb mit deinem Sohn. Am Morgen komme ich dann zu euch, so Gott der Erhabene es will.« So machte ich mich mit meiner Mutter auf den Weg. Nachdem wir im Schlosse angelangt waren, ging der Oberaufseher zum König und teilte ihm unsere Ankunft mit. Da eilte er, das Racheschwert in der Hand, zu uns herbei, stürzte zu seiner Tochter hinein und schrie sie an: »Wehe dir! Wer ist hier bei dir?« Verblüfft und bestürzt, wie sie war, fand sie keine Worte. Nun stürzte er in das andere Gemach und zerrte mich und meine Mutter heraus. Als er sah, daß meine Mutter eine alte Frau, ich aber ein Mann war, herrschte er mich an: Wehe dir! Du bist der Mann, der meine Tochter geschwängert hat!« Dann hieb er mit seinem Schwert so lange auf seine Tochter ein, bis er sie in Stücke geschlagen hatte. Zu mir aber sagte er: »Es wäre nicht richtig, dich einfach zu töten. Ich werde mich vielmehr morgen früh ausschließlich damit beschäftigen, dich foltern zu lassen.« Dann ließ er mich fortführen und in den Kerker werfen. In jener Nacht jedoch floß das Herz des Königs über von Kummer und Gram, und so starb er. Nachdem ein neuer König den Thron bestiegen hatte, wußte keiner mehr, daß ich noch am Leben war. Am Ende des Jahres wurde ich aus dem Gefängnis entlassen und machte mich auf den Weg, um meine Mutter und meine anderen Angehörigen zu suchen. Ich fand sie in dürftiger Lage wieder. Auf meine Frage nach al-‘Arūs sagte meine Mutter: Wir haben sie seit einem Jahr nicht gesehen. Sie hat sich in einem vornehmen Stadtviertel ein Haus gemietet und an ihrer Tür einen schwarzen Diener aufgestellt. Nach ihrem Verhalten sollte man meinen, daß sie keinen Mann hat.« Als ich es mir eines Tages bequem gemacht hatte, kam meine Mutter zu mir und sprach: »Mein lieber Junge, ich habe al-‘Arūs gesehen! Sie gibt an, sie habe sich bei dem Mittel geirrt. Im übrigen hat sie mir Geld geschenkt. Sie möchte sich mit dir versöhnen.« Ich warnte: »Höre nicht auf das, was sie 182
sagt; denn sie wird mir zwangsläufig den Untergang bereiten.« Sie wandte ein: »Mein lieber Junge, sie hat sich doch entschul digt.« Später brachte mich meine Mutter dennoch einmal mit ihr zusammen. Da setzte sie mir zu essen vor. Wir speisten, tranken und blieben die Nacht beieinander, bis der Morgen anbrach. Als ich mich dann erhob in der Absicht fortzugehen, packte sie mich am Kragen und schrie: »Zu Hilfe, Nachbarn, dieser Mann hier hat mir Gewalt angetan!« Da liefen die Nachbarn herbei und sagten: »Du Schurke hast ihr Gewalt angetan?« Dann schlugen sie. mich jämmerlich und übergaben mich dem Stadthauptmann. Sie sagten als Zeugen wider mich aus, ich hätte ihr Ge walt angetan, worauf er mich verurteilte und mich ins Gefäng nis warf. Als meine Mutter danach zu ihr kam, traf sie al-‘Arūs tränenüberströmt an. Auf ihre Frage nach mir erhielt meine Mutter die Antwort: »Dein Sohn hatte bei mir von seiner ande ren Frau gesprochen. Als er dann aufstand und fortging, kam mir eine Anwandlung von Eifersucht auf ihn, so daß ich mich an ihn hängte. Nun liefen die Nachbarn herbei, und weil er sie beschimpfte, brachten sie ihn ins Gefängnis. Gräme dich aber nicht; denn ich trete an seine Stelle, solange er im Gefängnis ist.« Weinend ging meine Mutter wieder von dannen. Ich aber saß ein Jahr lang im Gefängnis. Nach der Entlassung machte ich mich auf die Suche nach meiner Mutter und meinen übrigen Angehörigen. Da begegnete mir auf einmal eine Frau, die mit kostbaren Gewändern angetan war und auf einem Esel ritt. Ihr voraus schritt ein schwarzer Diener. Als sie mich erblickte, befahl sie dem Diener: »Gehe diesem Einäugigen nach und komme nicht ohne ihn zurück.« Da holte mich der Diener ein, nahm mich bei der Hand und sprach zu mir: »Meine Herrin wünscht, daß du zu ihr kommst.« Ich vermutete, daß es eine Frau sei, die mir etwas Gutes tun wollte in der Absicht, dafür bei Gott Lohn und Vergeltung zu finden. Ich ging daher mit dem Diener, der mich zu ihr in ein Schloß brachte; und siehe, im Vorraum des Schlosses saß al ‘Arūs, die Gott verfluchen möge. Als ich vor ihr stand, entschleierte sie ihr Gesicht. Da erkannte ich sie und war so ver blüfft, daß ich keine Worte fand. Sie fragte mich: »Erkennst du 183
mich?« – Wie sollte ich dich nicht erkennen«, gab ich ihr zur Antwort, »wo du die Königstochter al-‘Arūs bist? Dies war nicht der Lohn, den du mir schuldest!« Da sprach sie zu mir: »Laß die vielen Worte und höre auf zu reden. Bei Gott, mir ist das Leben unerträglich, solange ich dich auf Erden unter den Men schen umhergehen sehe. Kehre um; dann bringe ich dich in dein Gefängnis zurück, damit du dort dein Leben lang bleibst. Ich versichere dir hoch und heilig, unter diesen Umständen für dich und deine Angehörigen zu sorgen, solange ich lebe. Du mußt wissen, daß ich dich töte und in den Flammen verbrennen lasse, falls du das Gefängnis verläßt.« Ich hielt ihr entgegen: »Wehe dir! Fürchte Gott und denke an den Tod und an die Abrechnung im Jenseits.« Sie erwiderte: »Kehre ins Gefängnis zurück, denn dies ist besser für dich und angebrachter in deiner Lage.« Ich fragte: Wie kann ich denn ins Gefängnis zurückkehren, wo ich es eben verlassen habe, nachdem ich ein volles Jahr dort zugebracht hatte?« Sie sagte: »Ich gehe mit dir zum Stadthaupt mann und sage, du seiest mein Sohn. Wenn man dich dann darüber befragt, so bestätigst du dies. Aber hüte dich, und noch mals, hüte dich, mich als Lügnerin hinzustellen! Du weißt, wie groß meine List und Tücke ist und wie leicht es für mich wäre, dir den Garaus zu machen.« Da habe ich ihr zugestimmt, – und Gott schenke dem Emir Heil! Dann warf sie sich in die Tracht einer alten, frommen Betschwester und machte sich mit mir auf den Weg. Als wir vor dem Emir standen, bei dem ein Kreis ehrwürdiger, hochgestellter Männer versammelt war, grüßte sie und sprach: »Gott schenke dem Emir Heil! Dies ist mein Sohn.« Auf seine Frage an mich, was ich dazu zu sagen hätte, erwiderte ich: »Gott schenke dem Emir Heil! Sie ist meine Mutter.« Befragt, was ihr Begehr sei, fuhr sie fort: »Als ich im Schlafe lag, ist er zu mir gekommen, um von mir zu verlangen, was der Mann von seiner Frau verlangt.« Alle im Sitzungssaal Anwesenden lachten über ihre Aussage, fanden aber mein Verhalten entsetzlich. Nun be reute ich meine Zusage; aber ich hatte doch nicht gewußt, hoher Emir, daß sie mich in dieser Weise verleumden würde. Alle im Sitzungssaal Anwesenden verfluchten mich und beteuerten vor 184
Gott dem Mächtigen und Erhabenen, daß sie nichts mit mir zu tun hätten. Sie sprachen: »Dies ist ein Magier. Es ist erlaubt, ihn zu töten und zu steinigen.« Darauf sagte die verfluchte ‘Arūs: »Ich möchte nicht, daß er getötet wird, der Emir möge ihn jedoch in den Kerker werfen; denn das ist der gerechte Lohn für ihn.« Nun wurden mir auf Geheiß des Emirs die Hände auf den Rücken gebunden und zweihundert Peitschenhiebe verab reicht. Danach wurde ich gefesselt und ins Gefängnis geworfen, wo ich jetzt bereits das dritte Jahr verbracht habe. Als du mich dieses Mal freilassen wolltest, habe ich gesagt: »Habe Mitleid mit mir, schone mein Blut und lasse mich ins Gefängnis zurückkehren, auf daß ich daselbst die Düfte dieser Welt atme und mich des Lebens und seiner Dauer freue, bis der Tod zu mir kommt. Dies ist nämlich besser für mich, als daß diese verfluchte ‘Arūs mir begegnet und mich umbringt; denn sie hat mir gedroht, mich zu töten, wenn sie mich nach Verlassen des Kerkers zu Gesicht bekommt.« Dies ist meine Geschichte. Gott schenke dem Emir Heil! Der Blinde berichtete weiter: Als mein Großvater die Erzählung des Einäugigen und was ihm durch dieses verfluchte Weib widerfahren war, gehört hatte, beauftragte er Leute mit seinem Schutz. Er selbst ritt zum Schlosse des Königs und gab ihm die Erzählung des Einäugigen wieder von Anfang bis zu Ende. Der König wunderte sich und befahl, den Mann vorzu führen. Da ritt der Stadthauptmann wieder fort, brachte den Einäugigen her und führte ihn zum König hinein. Als er vor ihm stand, begrüßte er ihn, wie man Könige begrüßt. Er tat dies mit feinen Worten und sprach in gewandter Rede seinen Segenswunsch für den König. Dieser ließ ihn nahe herankommen, vor sich Platz nehmen und befahl ihm, seine Erzählung im Beisein seiner Höflinge, Freunde und Wesire zu wiederholen. Da erzählte er ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende, und es war unter den im Audienzsaal des Königs Anwesenden keiner, der nicht darüber verwundert, erstaunt und verblüfft war, keiner auch, der dem Weib nicht den Tod gewünscht hätte. Darauf fragte ihn der König: »Weißt du, Mann, wo sie sich zur Zeit befindet oder wo sie wohnt?« Als er es bejahte, schickte er mei185
nen Großvater aus. Nachdem dieser die Wohnung ermittelt hatte, kehrte er zum König zurück und sagte: »Sie wohnt im Schlosse eines Kaufmanns. Er ist mit ihr verheiratet, und sie lebt mit ihm zusammen bis zu dieser Stunde.« Da schickte er zehn Knechte mit Knüppeln und Keulen zu ihr. Diese ergriffen sie und führten sie dem König vor. Er befahl ihr: »Entschleiere dein Gesicht.« Sie nahm den Schleier ab, und als der König ihre Schönheit und Anmut sah, siehe, da war sie noch strahlender, als der Einäugige sie beschrieben hatte. Übrigens hatten die Leute, die sie hergebracht hatten, zuerst mit ihr gesprochen, bevor sie sie aus ihrem Reichtum und Besitz herausholten. Dabei hatte sie die Leute gefragt, ob der König auch den Einäugigen habe holen lassen. Dies hatten sie bejaht. Danach fragte sie der König: »Bist du al-‘Arūs?« Sie antwortete: »Ja, ich bin ‘Arūs al ‘arā’is.« Er fuhr fort: »Ist alles, was dieser Mann erzählt hat, wahr?« Sie erwiderte: »Ja, und was dem König verborgen ge blieben ist, ist noch furchtbarer.« Nun wandte sich der König an seine Freunde ringsum mit der Frage: Was soll ich eurer Meinung nach mit dieser Frau machen?« Da trat der Wesir, der ihre Geschichte mit angehört hatte, vor den König und sprach: »Ich erteile dir folgenden Rat, o König: Laß eine Grube für sie ausheben, mit Brennholz füllen und anzünden. Wenn es zu heller Glut entfacht ist, dann lasse sie in das Feuer werfen. Gott möge dann keinem ihrer Glieder Gnade schenken!« Die anderen erklärten alle: »Dies ist der beste Vorschlag, König. Der Wesir hat das Richtige gesagt. Sein Urteilsspruch über sie ist ausgezeichnet.« Da befahl der König, daß mit ihr verfahren werden solle, wie der Wesir vorgeschlagen hatte. Sie hoben also eine Grube aus, füllten sie mit Brennholz, das sie zu heller Glut entfachten. Darauf sagte der König: Werfet sie ins Feuer.« Als die Knechte sie ergriffen, sagte sie: »Schenke mir noch eine kleine Frist, o König, und höre, was ich dir zu sagen habe.« Der König antwortete: »Sprich! Ich weiß ja, daß du nichts Gutes sagst.« Da sprach sie: »Ich weiß und bin dessen gewiß, daß es keine Möglichkeit für mich gibt, dieser Strafe zu entrinnen, die du für mich bereitet hast. Allein, ich habe vier Wünsche an den König, die er mir noch erfüllen möge, einen für mich, einen für den König 186
und zwei für mich und diesen Einäugigen gemeinsam.« Da be fahl der König: »Äußere den Wunsch für dich.« Sie antwortete: »Der König möge ein Gefäß mit Wasser bringen lassen, damit ich die rituelle Waschung vornehmen und als letzte Handlung meines Lebens zwei Gebetsübungen verrichten kann.« Nachdem der König einem Diener befohlen hatte, ihr zu geben, was sie verlangt hatte, brachte ihr dieser ein Gefäß mit Wasser. Sie ging beiseite und begann mit der Waschung. Nach Beendigung des Gebetes stand sie wieder auf, übergab das Gefäß mit einem Wasserrest dem Diener und sprach: »Verwahre dieses Wasser, und wenn du siehst, daß der König mich ins Feuer hat werfen lassen, dann gieße mir dieses Wasser nach.« Der Diener sagte ja, ohne zu wissen, was sie in das Gefäß getan hatte. Als sie wieder vor den König trat, befahl er ihr: »Äußere jetzt den Wunsch für mich.« Sie sagte: »Der Kaufmann, aus dessen Haus du mich hast holen lassen, hat einen Vetter von sich ermordet und in dem zu seinem Anwesen gehörigen Garten begraben. Schicke zu ihm aus, laß ihn zur Strafe hinrichten und beschlagnahme sein Gut und Geld.« Der König lachte über das, was sie von ihrem Mann sagte, und wunderte sich darüber, wie sehr sie danach trachtete, die Menschen ins Verderben zu stürzen. Er gab den Dienern den Befehl: »Holt mir ihren Mann, den Kaufmann, her.« Nach dem die Diener fortgegangen waren, fanden sie ihn an der Tür seines Hauses stehen, besorgt um seine Frau, weil er nicht wußte, weshalb sie geholt worden war. Die Diener und Knechte holten nun auch ihn und hießen ihn vor den König treten. Dieser sprach zu ihm: »Wehe dir! Warum hast du deinen Vetter ermordet?« Der Mann war verblüfft, so daß er keine Antwort fand, und er wurde schier von Sinnen. Der König befahl nun: »Gehet zu seinem Schloß und grabet inmitten des Gartens. Wenn ihr dort einen Ermordeten findet, so lasset es mich wissen, wenn sie die Wahrheit sagt.« Die Diener gingen, gruben in dem Garten und fanden ihn daselbst. Er hatte ihn an der Stelle begraben, wo er jetzt noch lag. Nachdem sie zum König zurückgekehrt und ihn davon unterrichtet hatten, sagte er: »Bringet ihn beiseite, bis ich die Angelegenheit der ‘Arūs mit dem Ein äugigen erledigt habe.« Dies taten sie. 187
Darauf befahl der König: »Äußere die beiden Wünsche, die du für dich und diesen Einäugigen gemeinsam hast.« Sie sprach: »Der erste besteht darin, daß der König ihn bitten möge, mir alles zu verzeihen, was zwischen uns geschehen ist.« Der König sagte: Verzeihet einander; denn es nützt ihr doch nichts. Verzeihe ihr.« Da verzieh er ihr und sie ihm. Der König aber wun derte sich darüber, daß sie sich nun so gottesfürchtig ihm gegenüber verhielt, nachdem sie ihr Leben lang Greueltaten verübt hatte. Darauf befahl er: »Äußere den anderen Wunsch.« Sie sprach: »Gott lasse deine Größe dauern und werfe deine Feinde zu Boden, o König! Er besitzt einen bleiernen Siegelring von mir, den ich ihm vor einiger Zeit anvertraut habe. Bitte ihn in meinem Namen, mir meinen Siegelring zurückzugeben. Ander seits besitze ich einen Siegelring von ihm – es ist dieser hier – mit eingeschnittenem Namen Gottes des Mächtigen und Er habenen. Der König, dessen Größe Gott dauern lassen möge, wolle befehlen, daß er ihn von mir annehmen darf, weil es besser ist, daß er Nutzen von ihm hat, als daß er mit mir im Feuer verbrennt.« Der König antwortete: »Eine leichter zu er füllende Bitte hättest du nicht vorbringen können«, und er fuhr fort: »Überreiche ihr also ihren Siegelring und nimm den deinen dafür.« Da ging der Einäugige auf sie zu. Obwohl er selbst einen Widerwillen davor empfand, folgte er dem Befehl des Königs, weil eben Gott der Mächtige und Erhabene seinen Urteilsspruch vollstrecken wollte. Als er nahe bei ihr war, während sie am Rand der Feuergrube war, streckte sie ihre Hand nach ihm aus, als ob sie den Siegelring von ihm in Empfang nehmen wollte. Dabei gab sie ihm die Hand und redete mit ihm. Dann zog sie ihn plötzlich mit einem Ruck näher, so daß der Einäugige kopfüber in das Feuer fiel. Sie selbst stürzte sich hinterher, worauf sie zusammen verbrannten. Da lachte der König, daß er auf den Rücken fiel, und er wunderte sich über das, was sie mit dem armen Einäugigen gemacht hatte. Er sprach: »Bei Gott, das Erstaunlichste von allem, was dieses verfluchte Weib den Menschen angetan hat, ist ihre Behandlung dieses armen Einäugigen. Was sie ihm angedroht hat, das hat sie auch wirklich ausgeführt. Wenn sie ihn nicht ins 188
Feuer geworfen hätte, so hätte ich ihn ihr nachwerfen lassen, weil sein Herz blind gewesen und er wider besseres Wissen ihr Mal für Mal gefolgt ist und ihr vertraut hat und sich Mal für Mal nicht von ihr ferngehalten hat.« Danach ließ der König den Kaufmann wieder herbringen und fragte ihn: »Hat dir dieses verfluchte Weib etwas von ihren Abenteuern erzählt?« – »Ja, mein König«, gab er zur Antwort. Der König fragte wei ter: »Und du hast dich nicht vor ihr in acht genommen?« Als er dies verneinte, erteilte der König den Befehl: »Packt ihn, Sklaven, und werft ihn zu ihr ins Feuer; denn sein Herz ist noch blinder gewesen als das des Einäugigen.« Da traten die Sklaven an ihn heran und warfen ihn ins Feuer zu den beiden anderen. Danach beschlagnahmte der König alles, was er besessen hatte, und seinen gesamten Reichtum. Darauf trat der betreffende Diener vor den König und sprach zu ihm: »Gott möge das Glück des Königs dauern lassen! Als diese Frau al-‘Arūs dich gebeten hatte, sich zum Gebet waschen zu dürfen, hast du es ihr erlaubt. Ich habe ihr das Wässer ge reicht, worauf sie die Gebetswaschung vorgenommen und das Gebet gesprochen hat. Dann hat sie mir gewinkt und hat mir gesagt: ›Wenn du mich im Feuer siehst, Verehrter, dann gieße mir das Wässer nach, das ich dir hier gebe.‹ Dies habe ich ihr zugesagt. Nun ist sie verbrannt. Ich habe nichts von dem getan, was sie mir befohlen hat, mein König, sondern ich wollte dich erst um Erlaubnis bitten. Hiermit habe ich dich, dessen Hoheit Gott dauern lassen möge, unterrichtet. Was befiehlst du?« Der König war verblüfft und verwundert und wußte weder, was er tun sollte, noch was sie mit ihrer Bitte beabsichtigt hatte. Da nach wandte er sich an den Wesir, fragte ihn um Rat und sprach: »Was meinst du, was wir tun sollen?« Der Wesir antwortete: Was könnte daraus schon Übles erwachsen? Laß es ihr nachgießen in den Fluch Gottes und aller, die fluchen können.« Nun befahl der König dem Diener: »Gieße das, was sie dir gesagt hat, entsprechend ihrem Befehl in die Feuergrube, damit wir sehen, was sie damit beabsichtigt und bezweckt hat«, worauf der Diener es ihr in die Feuergrube nachgoß. Die verfluchte ‘Arūs hatte aber in das Wässer etwas von dem Harz getan, das 189
ihr Gefährte, der Dämon, auf grüne Bäume oder anderes zu werfen pflegte, damit es sofort in Brand stand. Nachdem der Diener das Wasser in die Grube gegossen hatte, schoß aus dem Feuer eine Flamme bis zum Dach empor. Der Diener drehte sich um und lief weg wie von Sinnen; eine Flammenzunge erreichte ihn jedoch und verzehrte ihn. Als das Feuer auch das Dach des königlichen Audienzsaales ansteckte, stand der König auf und floh wie irrsinnig von seinem Thron. Keiner konnte sich retten außer ihm allein. Das Haus stürzte über dem Wesir zusammen, der dem König geraten hatte, al-‘Arūs verbrennen zu lassen. Nun verbrannte er selbst und blieb unter den Trüm mern. Da sprach der König: »Gott verdamme dich, ‘Arūs, die du verflucht bist in dieser und in der jenseitigen Welt! Du bist unheilvoll im Leben und unheilvoll im Sterben gewesen.« Und er staunte über alles, was sie angerichtet hatte, und grämte sich darüber, daß sie seinen Thronsaal und seinen Wesir zu einem Opfer der Flammen gemacht hatte. – Das war die Geschichte von dem König und von al-‘Arūs. Da wunderte sich der König. Er vergaß seine Tochter wie auch den Kummer und Schmerz, die sein Herz heimgesucht hatten, und sprach zu dem Blinden: »Bei Gott, du hast mir eine Geschichte erzählt, die eine Lehre ist für jeden, der sich belehren läßt, und etwas Gedankenschweres für jeden, der nachdenken kann. Ich hätte nicht geglaubt, daß wir eine solche Geschichte von dir hören würden.« Dann ließ er dem Blinden ein schönes Ehrenkleid anlegen und überreichte ihm eine Belohnung. In der Folge ließ er sich von ihm auch durch andere Geschichten fes seln, und er merkte, daß er darin gleich einem überfließenden Meer war. Er gewann ihn herzlich lieb, behielt ihn bei sich und nahm ihn in den Kreis seiner nächtlichen Plauderer auf. So blieb der Blinde für immer bei dem König, indem er ihn lange Zeit mit seinen nächtlichen Geschichten unterhielt, bis der Tod sie trennte. Er ist es, der Söhne und Mütter trennt und der alle Freuden zerstört. Und nun wollen wir Gott bitten um Verzeihung, Wohlergehen, ewiges Heil und um seine Huld, wenn er uns den Lebensodem nimmt. Amen. 190
6. Die Geschichte von Abū Muhammad dem Faulpelz und
von dem, was er mit dem Affen sowie auf Meeren und
Inseln Wunderbares erlebte,
oder
Wie sich Leid in Freude wandelte
I
m Namen Gottes des Barmherzigen, des Allerbarmers. Es wird erzählt – aber Gott weiß es am besten, er ist weiser als alle, ist der Mächtigste und Edelste: Harūn ar-Raschīd saß eines Tages im Kalifenschloß in geselligem Kreise, indes sein Diener Masrūr vor ihm stand. Während er dort saß, trat auf einmal der Wesir Dscha‘far ibn Jahjā al-Barmakī ein und sagte: »Heil sei dir, Fürst der Gläubigen!« Der Kalif antwortete: »Auch dir sei Heil und allen, die der Rechtleitung folgen und sich vor einem bösen Ende fürchten! Mir ist die Brust beklommen, Dscha‘far, und ich bin deshalb auf den Wunsch verfallen, in Volkstracht auf den Märkten Bagdads umherzuschlendern. Vielleicht weichen dann Kummer und Beklemmung aus meinem Herzen.« – »Ich höre und gehorche Gott sowie dem Fürsten der Gläubigen«, gab der Wesir zur Antwort. Nun legte ar-Raschīd Hand an seine Kalifengewän der, zog sie aus und kleidete sich in Volkstracht. Seine herab wallenden Haare kämmte er unter den Scheitel hoch und gab sich das Aussehen eines arabischen Kaufmanns. Dscha‘far tat das gleiche. So zogen sie aus, von Ort zu Ort wandernd, bis sie an das Ufer des Tigris kamen. Auf einmal hörten sie die Schiffer ausrufen: »Herbei, wer gern eine Vergnügungsfahrt machen möchte!« Da sagte ar-Raschīd: »Ich beschwöre dich bei meinem Leben, Dscha‘far! Wir wollen einsteigen, um den Rest des Tages mit diesen Schiffern zu fahren.« – »Ich höre und gehorche«, erwiderte Dscha‘far. Nun schrie der Diener Masrūr: »Fahre deine Barke heran, Schiffer, daß wir einsteigen können.« Nachdem er 191
sie dicht an sie herangefahren hatte, nahmen sie gemeinsam darin Platz und traten die Fahrt an, um sich zu vergnügen. Als sie in dieser Weise dahintrieben und höchst froh und lustig waren, näherten sich ihnen plötzlich von Basra her zehn mit spanischem Messing beladene Boote, wobei je fünf von diesen Booten fünf zig Burschen mit Schiffsflaggen und Tüchern aus dem Hidschāz vorausfuhren. An Bord der Boote befanden sich noch unbehaarte und bartlose Jünglinge mit ägyptischen Keulen und fein ge ritzten Schilden in den Händen. Sie waren in Brokat gekleidet und trugen auf dem Kopf goldbestickte Turbane. Weiter hielten sie in den Händen Armbrüste. Sie schossen damit nach den Vögeln in der Luft, trafen sie und lachten. Danach schrien sie jubelnd »Es gibt keinen Gott außer Gott« und »Gott ist am größten« und ergingen sich in Heilrufen über Muhammad, den Freudenboten und Warner. Da sagte der Kalif Harūn arRaschīd: »Staunst du nicht darüber, Dscha‘far, wie schön diese Boote sind, was sie Herrliches tragen und was sie wohl an Pfef fer, Zimt, Kampfer, Ambra, stark duftendem Moschus, indischem Aloeholz und prächtigen Kleidern aus China bringen?« Dscha‘far befahl darauf dem Diener Masrūr: »Stehe auf und frage, wem diese Boote gehören, was für Waren sie mit sich führen und was die vielen Jünglinge auf ihnen sollen.« Masrūr er zählt: Da stand ich auf, ging nach vorn, grüßte sie und fragte: »Junge Leute, wem gehören die Boote, die Waren und die Jünglinge?« Sie antworteten: »Einem Kaufmann aus Basra namens Abū Muhammad der Faulpelz. Wie gut würde es ihm erst gehen, wenn er rührig wäre!« Und ein Mann, der gerade anwesend war, sagte: »Wundere dich nicht darüber, mein Herr; denn diese Güter hier sind für ihn nur wie ein Tropfen in einem Meer.« Da ärgerte ar-Raschīd sich sehr, verließ die Barke und sprach: »Laß uns nach Hause gehen, Dscha‘far. Wir haben genug von der Vergnügungsfahrt!« So gingen sie, kamen wieder ins Schloß, und ar-Raschīd war nachdenklich und verwundert, als er sich auf seinen Kalifen thron setzte. Da trat auf einmal ein Diener herein, in der Hand einen goldenen Siegelring und eine Krone aus rotem Gold, die mit Perlen und Edelsteinen besetzt war. Er küßte den Fuß 192
boden, sprach die üblichen Segenswünsche und erklärte: »Deine Schwester, mein Herr, läßt dir ihren Gruß entbieten und sagen: ›Ich habe für deinen Sohn al-Mu‘tasim diese Krone anfertigen lassen. Es fehlt ihr nur noch ein Edelstein an dieser Stelle zwi schen den beiden großen seitlichen Steinen‹.« Da ließ ar-Raschīd die Edelsteinkörbe kommen, öffnete sie und begann, die Edel steine Stück für Stück zu betrachten, ob er vielleicht einen für diese Stelle passenden finden werde. Allein er fand keinen, und seine Brust wurde beklommen. Doch da stürzte plötzlich ein alter Mann herbei und sprach: »Wisse, Fürst der Gläubigen: Diesen Edelstein findest du nur bei einem Kaufmann namens Abū Muhammad der Faulpelz, und nur bei ihm gibt es, was du brauchst.« Da packte den Kalifen eine unheimliche Wut, und er befahl auf der Stelle, daß ein Brief nach Basra geschrieben werde mit dem Auftrag, Abū Muhammad den Faulpelz seiner prophetischen Durchlaucht vorzuführen. Diesen Brief ließ er am Flügel eines Vogels befestigen. Als dann der Emir Muhammad ibn Sulaimān ar-Raba‘ī am Nachmittag an seinem Amtssitz saß, kam auf einmal der Vorsteher der Brieftaubenpost mit dem Vogel zu ihm herein. Der Emir sprach: »So Gott der Erhabene will, ist es eine gute Nachricht.« Nachdem er den Brief auf gebrochen und gelesen hatte, erhob er sich sofort und machte sich in Begleitung seiner Diener auf den Weg zum Hause Abū Muhammads des Faulpelzes. Als er dort ankam, stürzten ihm die Diener entgegen, liefen zu ihrem Herrn hinein und riefen: »Der Emir Muhammad ibn Sulaimān ist an der Tür!« Er schreckt und voller Furcht erhob sich der Mann und ging hinaus. Kaum hatte er den Emir erreicht, da ließ er sich nieder, küßte ihm die Hand und sprach: »Alles Gute, mein Gebieter! Dies ist ein gesegneter Tag, so Gott der Erhabene will.« Der Emir antwortete: »Auch weiterhin möge es nur Gutes geben! Wisse, daß der Fürst der Gläubigen mir die Nachricht hat zukommen lassen, daß er dich zu sehen wünscht.« Jener sprach: »Ich höre und gehorche Gott, dem Fürsten der Gläubigen und dir. Mein Herr wird mir wohl soviel Zeit lassen, daß ich mich von meinen Kindern verabschieden kann und dann meine Reise antrete.« Der Emir widersprach: »Dies ist unmöglich. Ich bin deshalb 193
auch ausgegangen, um dich aufzusuchen. Hier ist der Brief des Fürsten der Gläubigen, den er eigenhändig unterschrieben hat.« Da sprach Abū Muhammad ein Wort, das seinen Sprecher nie enttäuscht: »Es gibt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott dem Mächtigen und Erhabenen.« Danach wandte er sich, aus lauter Angst von Sinnen, an einen seiner Diener und befahl ihm: »Gehe zum Laden und bringe mir mein Mundtuch.« Dieser eilte fort, brachte sein Mundtuch, und Abū Muhammad steckte es in seinen Ärmel. Dann beauf tragte der Emir Muhammad ibn Sulaimān einige Leute, ihn zum Flußufer zu bringen. Dort setzten sie ihn in eine Barke, fuhren zunächst nach Wäsit und von dort nach Bagdad hinauf. Nachdem sie die Stadt betreten hatten und bis ins Kalifenschloß gekommen waren, wurde um Audienz für ihn gebeten. Als der Kalif sie gewährte, trat er ein und küßte den Boden vor ihm. Der Kalif hieß ihn willkommen und befahl ihm, Platz zu nehmen. Dies tat er und sprach sodann: »Der Fürst der Gläubi gen möge fragen, wonach ihn gutdünkt.« Dann steckte er seine Hand in den Ärmel, holte ein Mundtuch heraus, das er vor sich ausbreitete, und brachte viele Geschenke dar, darunter einen goldenen Vogel mit Augen aus Rubinen und Füßen aus Smaragden. Ar-Raschīd fand ihn sehr schön, gab es doch etwas Der artiges in seiner Schatzkammer nicht. Abū Muhammad sagte: »Mein Gebieter, sein Inneres enthält etwas, was noch schöner ist als sein Äußeres.« Als jetzt der Fürst der Gläubigen den Rücken des Vogels mit der Hand berührte, drehte er sich. Dann tat sich der Rücken an einer Stelle auf und durch eine von die sen Bewegungen fiel eine schwere Perle heraus, die einem Stern glich, der am Horizont des Himmels leuchtet. Von der Schönheit, dem Licht und dem Glanz dieser Perle erstrahlte das ganze Haus. Dann fiel eine zweite heraus und schließlich im ganzen sieben Perlen, die die Augen blendeten und von denen jede einzelne soviel wert war wie die gesamten Grundsteuereinkünfte von Bagdad. Da rief ar-Raschīd aus: »Bei Gott, wie schön, wie schön!« Darauf ließ er die Krone kommen, die ihm seine Schwester übersandt hatte, und ließ eine von diesen Perlen in sie einsetzen. Die Stelle war von der Perle ganz ausgefüllt, und 194
es sah aus, als ob die Perle eigens für sie angefertigt worden wäre. Ar-Raschīd freute sich sehr darüber und fragte: Von wem hast du erfahren, Abū Muhammad, daß ich diese Perle brauche?« Er antwortete: »Dies hat mir niemand mitgeteilt, Fürst der Gläubigen, und wenn mich der Emir Muhammad ibn Sulaimān noch einmal in mein Haus hätte gehen lassen, so hätte ich meinem Herrn, dem Fürsten der Gläubigen, noch etwas Schöneres als dies geschenkt.« Da erklärte ar-Raschīd: »Wer dich einen Faulpelz genannt hat, der hat sich, bei Gott, geirrt. Woher hast du alle diese Reichtümer? Erzähle mir deine Ge schichte.« Da hub Abū Muhammad der Faulpelz an: »Ich höre und gehorche Gott sowie dir, Fürst der Gläubigen. Wisse, mein Gebieter: Mein Vater war ein armer, mittelloser Mann. Er pflegte den Leuten Dienste zu leisten und sorgte für mich, bis ich zehn Jahre alt wurde. Aus lauter Faulheit rührte ich mich nicht von der Stelle, sondern aß und trank, auf der Erde liegend. Wenn meine Mutter von den Leuten etwas bekam, legte sie es vor mich hin und sagte: ›Iß, mein Junge.‹ Aus Trägheit aß ich es aber nicht, so daß meine Mutter mich mit der Hand füttern mußte. Dann sagte ich aber zu ihr, obwohl mir eigentlich auch das Reden zu schwer fiel: ›Kaue es mir vor, Mutter, und gib es mir dann zu essen.‹ So pflegte sie mir das Brot vorzukauen, bis es in ihrem Mund weich wie Brei wurde, und es mir dann in den Mund zu stecken. Alles dies kam von meiner Faulheit, die so groß war, daß ich nicht einmal meine Lippen bewegte.« Da warf der Kalif ein: »Jetzt hast du mich aber sehr böse gemacht; bist du doch ein Kind gewesen, wie es kein zweites gibt.« Und er fügte hinzu: »Erzähle mir deine Ge schichte weiter.« So fuhr Abū Muhammad fort: Wir hatten, Fürst der Gläubigen, eine Behausung ohne Dach und ohne Mauern und besaßen nichts, womit wir sie hätten ausbessern können; vielmehr deckten wir sie gegen die Sonnenhitze mit Stroh und Rohr zu. Meine Mutter pflegte sich auf die Nahrungs suche für mich zu machen, während ich an einem Platze sitzen blieb, ohne mich von ihm zu rühren, so daß sie zu mir sagte: ›Geh doch auf die Straße, mein Sohn. Spiel mit den Jungen und streife mit ihnen umher. Vielleicht wird es dann etwas besser 195
mit dieser Faulheit.‹ Ich aber kümmerte mich nicht um ihre Mahnung. Ja sie brachte die Jungen auch absichtlich zu mir her, so daß sie mich herauszuholen, ja herauszuschleppen versuchten, während ich weinte und mich nicht von der Stelle rührte, bis sie schließlich die Geduld verlor und manchmal den Lendenrock unter mir wegriß. Ich ließ auch, Fürst der Gläubigen, meine eine Körperhälfte ruhig in der Sonne brennen, während sich die andere im Schatten befand, weil ich aus Faulheit nicht in der Lage war, in den Schatten zu gehen, und blieb in dieser Weise sitzen, bis meine Mutter kam, mich in diesem Zustand sah und mich dann aus Mitleid aus der Sonne in den Schatten trug. Ja, meine Mutter grämte sich aufs tiefste wegen meiner Faulheit und meines Elends.« Da sprach der Fürst der Gläubigen: Wer dich einen Faulpelz genannt hat, der hat, bei Gott, recht gehabt!« Abū Muhammad fuhr fort: »Dieses Leben führte ich, Fürst der Gläubigen, ohne Unterbrechung weiter, bis meine Mutter eines Tages einen echten Dirhem bekam. Sie brachte ihn zu mir her und sprach: ›Stehe auf, mein Junge, gehe auf die Straße und freue dich am Anblick der Leute. Abū ‘Abdallāh al-Basrī hat nämlich fromme Stiftungen gemacht, um von Gott Lohn zu erlangen, und er will nach Indien reisen. Ganz Basra ist seinetwegen wie von einem Erdbeben erfaßt, und mit seinen Ein wohnern bildet es ein wogendes Meer, so daß keiner mehr übrig ist, ob klein oder groß, der nicht ausgegangen ist, um sich den Aufbruch der Reisegesellschaft anzusehen, die er auf den großen Platz bestellt hat. Rings um den Platz liegen viele Schiffe vor Anker. Der Führer der Reisegesellschaft sitzt dort, von Dienern, Gesinde und Knechten umgeben, auf einem eisernen Stuhl.‹ So drang meine Mutter in mich auszugehen, und sie fügte hinzu: ›Nimm diesen Dirhem für dich, schlendere draußen umher und schaue dir die Leute an.‹ Da stellte ich mich, Fürst der Gläubigen, aufrecht auf meine Füße; doch ich wähnte, die Erde könnte mich nicht tragen. Nun begannen die einen, mich zu bewerfen, die anderen, mich zu stoßen, und wieder andere, mich zu drän gen, ohne daß ich den Kopf hob oder zu irgendeinem etwas sagte. Der Rotz lief mir über das Gesicht herunter, und ich bildete eine Unglücksgestalt. Das Volk lachte mich aus, ich aber 196
weinte, bis ich schließlich bei jenem von den Leuten umringten Mann ankam. Ich grüßte ihn und sprach: ›Nimm diesen Dir hem, mein Herr, und kaufe mir etwas dafür, was mir etwas einbringt; denn ich bin ein Waisenknaben Dabei überwältigten mich die Tränen. Dann kehrte ich schleunigst nach Hause zu rück. Jener Herr fragte aber die Leute seiner Umgebung zorn erfüllt: ›Kennt ihr diesen Knaben?‹ Sie antworteten: ›Ja. Er heißt Abū Muhammad der Faulpelz.‹ Darauf hißten sie die Segel zur Fahrt nach Indien und China. Gott wollte, daß sie Glück hatten. Sie verkauften und kauften unterwegs, und ihre Reise war gesegnet. Dann trieb der Scheich Abū ‘Abdallāh an Ort und Stelle Handel und erzielte einen hohen Gewinn. Sie hatten auch eine gewisse Menge getrockneter und unreifer Datteln bei sich. Er machte sich auf und brachte sie dem Fürsten von China als Geschenk, weil er krank war und ihm die Gelehrten und Weisen die irakischen Datteln gelobt hatten. Als der Scheich mit den Datteln zu ihm kam, freute er sich sehr. Er verlieh ihm ein prächtiges Ehrengewand, erwies ihm Gutes und schenkte ihm viel Geld. Schließlich stachen sie wieder in See und fuhren zwanzig Tage lang in der Richtung auf die Heimat. Am einundzwanzigsten Tage aber blieben die Schiffe plötzlich stehen, fuhren weder vorwärts noch rückwärts und rührten sich nicht mehr von der Stelle. Da sprach der Scheich: ›Es gibt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott dem Mächtigen und Erhabenen.‹ Als er dann seine Blicke schweifen ließ, gewahrte er einen Tuchfetzen, der am Schiffsmast festgebunden war. Da fiel ihm Abū Muhammad der Faulpelz ein. Er sprach: ›Ihr Kaufleute, wisset: Die Schiffe sind nur wegen dieses Dirhems stehengeblieben, der dem Waisenknaben Abū Muhammad dem Faulpelz gehört. Er hat mir doch ans Herz ge legt, ihm etwas Einträgliches dafür zu erstehen.‹ Die Kauf leute erwiderten: ›Nimm dir von unserem Besitz, was du auch immer willst, und schenke es ihm.‹ Er wandte ein: ›Ich kann nichts nehmen, was irgendeinem gehört, selbst wenn ihr mir die gesamten Schiffsladungen schenktet; ich muß vielmehr für ihn etwas kaufen, was ihm etwas einbringt.‹ Nun befand sich in ihrer Nähe eine von den Negerinseln. Er nahm deshalb sogleich 197
einen kleinen Nachen, stieg ein und verließ das Schiff. Unter Mitnahme einiger seiner Knechte und des Dirhems fuhr er fort. Auf der Insel traf er einen schwachen Greis, der allerlei Affen an der Hand hielt, darunter einen, der schwächlich, verhungert und krank war. Er fragte ihn: ›Was kostet einer von diesen Affen?‹ – ›Zehn Dirhems‹, antwortete der Greis, worauf er sagte: ›Wir wollen einen billigeren.‹ – ›Da käme dieser schwächliche in Betrachts meinte der Alte. Auf die Frage, was er koste, sagte er: ›Zwei Dirhems.‹ Der Scheich erwiderte: ›Wir haben aber nur einen einzigen Dirhem. Diesen hat uns ein armer Mann anver traut, für den du uns den Affen verkaufen könntest.‹ Da nahm er von ihnen den Dirhem und gab ihnen den Affen mit den Worten: ›Wisset: Dieser Affe frißt nur süßen Dattelbrei mit Mandeln und Mohn. Setzt ihm deshalb nichts anderes vor als dieses, was er frißt.‹ – ›Wir hören und gehorchen‹, antworteten sie. Einer von seinen Knechten nahm den Affen und lud ihn auf. Dann machte er sich auf den Weg und bestieg wieder das Schiff. Als der Scheich wieder auf seinem Schiff war, fuhren die Schiffe mit der Erlaubnis Gottes des Erhabenen ab und segelten, bis sie nach Basra kamen. Bevor die Leute jedoch die Küste erreichten, pflegten sie keinen Bissen zu essen, ohne daß zu ihren Häupten der Affe mit von ihrem Essen fraß und davon weg schnappte, so daß sie sich am Ende über ihn ärgerten. Die Kaufleute sagten deshalb: ›Werft diesen Affen fort; denn er hat uns schon viele Unannehmlichkeiten bereitete Der Scheich meinte jedoch: ›Laßt ihn, Leute. Er macht euch doch auch manchen Spaß, und ihr könnt über ihn lachen. Im übrigen sind wir schon in Landnähe, und Gott der Erhabene hat uns vor Unglück be wahrt durch den Segen, den er dem Eigentümer des Affen, dem Waisenknaben, erweisen will.‹ So fuhren sie weiter, bis sie nach Oman kamen. Dort sahen sie die Taucher ins Meer hinuntersteigen und Juwelen und Perlen herausholen. Die Händler aber kauften ihnen ab, was auch immer an Juwelen aus der Tiefe heraufkam. Während sie damit beschäftigt waren, sprang der Affe auf einmal auf, streifte sein Halsband ab und stürzte sich ins Meer. Da freuten sich die Kaufleute und sprachen: ›Jetzt haben wir 198
endlich vor ihm und vor seinen bösen Streichen Ruhe.‹ Als sie dem Scheich, dem das Schiff gehörte, meldeten, der Affe habe sich ins Meer gestürzt, warf er ihnen vor: ›Ihr habt ihn absichtlich hineingeworfene Sie aber schworen, davon wüßten sie nichts und es habe ihn keiner hineingeworfen. Da wurde ihm beklommen ums Herz. Während er noch seinen trüben Gedanken nachhing, stieg der Affe plötzlich aus der Tiefe wieder auf, indem er zwei Muscheln vor sich her und eine weitere in der Schnauze trug. Er trat mit ihnen auf den Scheich zu, übergab sie ihm, kehrte um wie ein Blitz und tauchte abermals. Nachdem er eine Weile fortgeblieben war, stieg er wieder mit drei Mu scheln hoch. Dann setzte er das Tauchen und Hochbringen der Muscheln fort, bis er zehnmal getaucht und dreißig Muscheln aus der Tiefe geholt hatte. Alle im Schiff wunderten sich über das Verhalten des Affen. Dieser aber tat plötzlich einen Sprung und setzte sich wieder an seinen Platz unter dem Mast. Die Kaufleute wurden nun allmählich begehrlich nach den Juwelen. Als der Scheich dann die Muscheln öffnete, fand er in jeder Muschel eine Perle im Wert des Grundsteueraufkommens von Syrien und dem Irak. Der Scheich wunderte sich hierüber wie auch die Kaufleute und nahm die Juwelen an sich. Verblüfft über den Affen und sein Verhalten und erstaunt über die Ju welen, murrten die Händler untereinander und sprachen zu dem Scheich: ›Du wirst uns doch etwas davon verkaufen?‹ Er erwiderte jedoch: ›Ich kann nicht darüber verfügen, weil sie dem Eigentümer des Affen gehörend Dann fuhren sie weiter in der Richtung auf Basra, und Gott hatte ihnen vorherbestimmt, daß sie wohlbehalten eintreffen sollten. Die Kunde von der Ankunft der Schiffe ging in Basra von Mund zu Mund. Die Leute liefen hin aus, um ihre Angehörigen wiederzusehen. Das Volk genoß das Schauspiel und freute sich über die glückliche Heimkehr. Da sagte meine Mutter zu mir: ›Stehe auf, mein Junge, und schaue dir die Schiffe an. Begrüße den Scheich Abū ‘Abdallāh und sieh, was du für den Dirhem Schönes aus Indien bekommen hast.‹ Alles dies wirkte auf mich als ein Zwang, munter zu werden. So erhob ich mich, obwohl ich eigentlich nicht aufstehen wollte, und begab mich zu dem Scheich. Nachdem ich ihn ge199
grüßt und er meinen Gruß erwidert hatte, fragte ich ihn: ›Wel ches ist nun meine Ware, lieber Herr?‹ Er antwortete: ›Sie liegt hier bereit für dich.‹ Sprach’s und holte ein Kästchen hervor. Diesem entnahm er etwas Eingewickeltes, packte die Juwelen daraus aus und zählte sie. Siehe, da waren es dreißig Juwelen, ein jedes soviel wert wie der Grundsteuerertrag des Irak. Als ich dies sah, freute ich mich unbändig, und die Trägheit verließ mich im Fluge. Ich erhob mich als der Munterste von allen, die auf Erden leben. Ohne Maßen wurden mir Wonne und Selig keit zuteil, und Gott öffnete mir die Pforten des Glücks. Meine Mutter fragte mich: ›Was hältst du nun von dem Rat, den ich dir erteilt habe?‹ Der Scheich aber erzählte uns von dem Affen und wie er ins Meer getaucht war. Er riet uns: ›Passet gut auf diesen Affen auf und hütet euch, ihn zu verkaufen; denn er ist hundert Zentner Goldes wert. Er ist die Quelle eures Glückes. Gebt ihm nur süßen Dattelbrei mit Mandeln und Mohn zu fres sen. O Gott, o Gott, seid nur ja nicht leichtsinnig, was den Affen angeht!‹ Dann verkaufte er zu unseren Gunsten von jenen Juwelen für fünfzigtausend Dinare an die Kaufleute. Den Rest händigte er uns aus, worauf wir ihn nahmen und mit dem Affen heimgingen. In der Folge beteten wir für den Scheich und besserten unser Haus aus. Danach erwarben wir Häuser, Lie genschaften, Gärten, Sklaven und Sklavinnen. Nach einiger Zeit ging ich mit dem Affen auf ein schönes Schiff und fuhr zusammen mit dem Scheich und den Kaufleuten nach Oman. Als wir dort ankamen, trafen wir die Taucher, wie sie ins Meer hin unterstiegen. Nachdem ich den Affen losgelassen hatte, begann er zu tauchen und drei Muscheln, eine in der Schnauze und eine in jeder Pfote, herauszuholen. Insgesamt tauchte er zwanzigmal und holte sechzig wertvolle Juwelen heraus. Ich verkaufte das Ganze und kehrte nach Basra zurück. Mein Verkaufserlös be trug hunderttausend Dinare. Nun baute ich mir ein Schloß und legte daneben einen schönen Garten an. Den Garten versah ich mit munteren Bächen und setzte Tauben hinein. Ferner errichtete ich zwei Mühlen, die eine für Safran, die andere für Weizen, und kaufte Landgüter, Gärten und Wohnungen. Ich wurde Eigen tümer von Sklaven, Mägden und Beischläferinnen. In kurzer 200
Zeit war ich der reichste Einwohner von Basra, wurde schließ lich sogar sprichwörtlich. Ja, ich war ein angesehener Mann. Eines Tages hatte ich es mir bequem gemacht. Vor mir saß der Affe auf einem Stuhl aus rotem Gold, der mit Perlen und Juwelen besetzt war. Neben ihm stand etwas Dattelbrei, und er fraß, bis er genug hatte. Als er satt war, schüttelte er sich, sprang von dem Stuhl herunter und setzte sich vor mich. Dann sprach er mich in gutem Arabisch an und sagte zu mir: ›Ach, Abū Muhammad, wie lange muß ich dir noch dienen und Reichtümer für dich erwerben, bis ich dich zum Reichsten unter deinen Zeitgenossen gemacht habe?‹ Als ich ihn so reden hörte, fürch tete ich mich vor ihm und bekam eine Gänsehaut. Ich sprach bei mir: ›Es wäre erstaunlich, wenn dieser Affe nicht ein Geister könig wäre.‹ Ich fragte ihn deshalb: Wer bist du, mein Herr?‹ Da sprach er: Wisse, daß ich dir Gutes erwiesen habe, damit du mich von meinem Liebesschmerz und meinen Sehnsuchtsqualen erlöst, die mich krank gemacht und in Flammen gesetzt haben.« Ich fragte weiter: ›Teile mir mit, mein Herr, wer du bist, was du wünschst und wen du liebst.« Er antwortete: ›Wisse: Ich bin ein Geisterkönig und bin in ein Mädchen aus Basra namens Badr as-Samā’, Tochter des Marhab at-Tamīmī, leidenschaftlich verliebt.« Ich sprach: ›Du vermagst doch Dinge, mein Herr, die ich nicht vermag.« Allein er erwiderte: ›Es ist nicht so, wie du denkst. Wenn ich Macht über sie hätte, so hätte ich dir nicht gedient und diese Reichtümer geschenkt. Mir ist der Zugang zu ihr durch Beschwörungen, Bücher, Zaubersprüche, heilige Namen und Amulette verwehrt; denn ich kann mich dem Hause, in dem sie wohnt, nicht nähern, obwohl ich an ihrer Liebe zu grunde gehe.« – ›Wie kann man denn zu ihr gelangen?« fragte ich, und er sagte mir: »Handle nach meinem Geheiß, dann gelangst du zu ihr. Handle mir nicht zuwider, sonst kommst du um.« Ich entgegnete: »Sprich, und ich werde dir nie zuwiderhandeln.« Da befahl er: »Mache dich morgen mit einem Beutel auf den Weg, der tausend Dinare enthält. Gehe zum Richter und händige ihm davon hundert Dinare als Geschenk aus. Das gleiche gibst du den Zeugen. Dann bittest du sie, mit dir zu ihrem Vater zu kommen und bei ihm um ihre Hand anzuhalten. 201
Was er auch an Geld verlangen mag, gibst du ihm. Ich werde es dir ersetzend – ›Ich höre und gehorche‹, gab ich zur Antwort. Am nächsten Tag nahm ich tausend Dinare, trat bei dem Richter ein und grüßte ihn. Er erhob sich mir zu Ehren, freute sich über mein Kommen und sagte: ›Dies ist ein gesegneter Tag.‹ Darauf gab ich ihm zweihundert Dinare, verteilte weitere zwei hundert an die Zeugen und sprach zu ihm: ›Ich möchte von euch, daß ihr für mich um Badr as-Samā’, die Tochter von Marhab at-Tamīmī, freit.‹ Sie erwiderten: ›Wir hören und gehorchen. Wer wäre ihrer würdiger als du? Bist du doch heute der Reichste unter deinen Zeitgenossen.‹ Nun machten sie sich alle mit dem Richter auf und kamen zu einer Moschee dicht bei Marhabs Haustür. Wir hatten kaum die Moschee betreten, da kam Marhab schon auf uns zu. Als er den Richter erblickte, trat er an ihn heran, grüßte ihn und küßte ihm die Hand. Der Rich ter und die Zeugen eilten auf ihn zu und begrüßten ihn. Nach dem sie sich dann hingestellt und, hinter dem Richter stehend, das Gebet gesprochen hatten, trat der Richter vor und sagte: ›Erhabener Herr, wir kommen als Freier zu dir, um die ver borgene Perle, das wohlbehütete Juwel für deinen Sohn, diesen erhabenen Herrn Abū Muhammad, zu erbitten. Keiner kennt ihn, seinen guten Leumund und seinen Reichtum so gut wie du.‹ – ›Sehr gern‹, gab er zur Antwort. ›Wenn er sich zutraut, die Be dingung zu erfüllen, die ich ihm stelle, werde ich sie ihm zur Frau geben. Ich verlange nämlich mit Rücksicht auf die Hoch zeitsfeier als Brautgeld für sie zehntausend Dinare, zehn Bekleidungen aus Atlasseide, zehn Zofen, tausend Stück Klein vieh, hundert Rinder, zehntausend Hühner, tausend Ritl Zuk ker, zehn Ritl Safran, zehn Ritl indisches Aloeholz, zehn Ritl Moschus und tausend Ritl rote Schminke.‹ Abū Muhammad sagte: ›Ich besitze alles, was du verlangst, und noch mehr. Ich bin damit einverstanden und kann es zahlen.‹ Marhab ver sicherte noch: ›Sie wird also mein Haus nicht verlassen‹, worauf ich abermals mein Einverständnis erklärte. Danach stand ich auf, begab mich nach Hause und teilte dem Affen alles mit, was jener verlangte. Der Affe sprach: ›Ich bringe dir alles, was er verlangt hat.‹ Dann erhob er sich und ging in 202
die Stube hinein, ohne daß ich wußte, was er tun wollte. Unversehens war er verschwunden. Ich ging nun ebenfalls in die Stube, um zu sehen, was er tun werde. Weil ich ihn aber nicht vorfand, blieb ich verblüfft stehen. Ich sagte mir: ›Er ist fortgelaufen, und ich glaube nicht, daß er wiederkommt.« Dann verließ ich die Stube und setzte mich draußen eine Weile hin. Auf einmal erschien er und sagte zu mir: ›Warum sitzt du hier? Stehe auf und gehe in die Stube.‹ – ›Was soll ich tun?‹ fragte ich, und er wiederholte: ›Stehe auf und gehe in die Stube.‹ Als ich mich nun erhob und die Stube betrat, schaute ich dort zu meiner Überraschung zehn goldene und zehn silberne Tafeln voller Dinare sowie zehn Bündel Atlasseide. Nachdem ich dies gesehen hatte, ging ich wieder hinaus und fragte ihn: ›Was soll ich damit tun?‹ Er antwortete: ›Schicke dem Marhab, was er von dir verlangt hat, und gib ihm noch tausend Dinare obendrein.« Da lud ich es den Knechten, Mägden und Dienern auf den Kopf. Alles, was er verlangt hatte, ließ ich ihm zukommen und fügte ihm noch tausend Dinare bei. Er aber freute sich darüber. Nun ließ er den Richter und die Zeugen kommen, schloß den Ehevertrag zwischen mir und dem Mädchen und kehrte von der Amtshandlung zurück in Glück und Seligkeit. Als die Hochzeitsnacht bevorstand, ließ sich der Affe vor mir nieder und fragte mich: ›Was hast du nun vor?‹ – Was du befiehlst«, gab ich ihm zur Antwort. Da sprach er: ›Hüte dich, dich’s nach dem Mädchen gelüsten zu lassen; denn dann komme ich wieder, um dich im Feuer zu verbrennen und zu einem warnenden Beispiel zu machen für solche, die sich warnen las sen.« Darauf versprach ich ihm, sein Verbot zu beachten. Als es Abend wurde, sah ich die Welt in Flammen stehen ob der Fülle von Kerzen, Ambra und Leuchtfeuern, die in goldenen und sil bernen Geräten aller Art brannten. Ich sah Diener und Dienerinnen, und jeder, der mich erblickte, sprach zu mir: ›Viel Glück zu dem, was dir zuteil geworden ist!« Sie aber war eine Maid, wie es auf dem Angesicht der Erde keine schönere gibt. Man brachte mich in ihr Haus und ließ mich auf einem Ehrensitz Platz nehmen inmitten von Seide und byzantinischem Brokat, von Räucherwerk aus Nadd, Ambra und Aloeholz und um 203
klungen von Liedern, Trommeln und Flöten. Ja, die ganze Welt war eitel Freude. Dann näherten sich zehn Mädchen, Monden gleich, die den Kleidersaum der Maid hielten, während sie selbst wie der Mond in der Nacht seiner Fülle war, schöner als ein Götzenbild und auffallender als ein Banner. Sie hatte Haare wie die dunkle Nacht, und über diese ging der Scheitel als der schmale Pfad hinweg, der über den Höllengrund zum Paradies führt. Die Bogen leiten ihre Form von ihren Augenbrauen her, der Zauber stammt aus ihren Augen, und die Plejaden gehen auf von ihrer Stirn. Um sie herum lagen aufgeschlagene Korane. Sie trug goldene Halsbänder, Perlen und Ketten, und ihr Ge schmeide war aus rotem Gold. Ihr Erscheinen hatten die Mädchen mit den Rufen ›Es gibt keinen Gott außer Gott‹ und ›Gott ist am größtem verkündet sowie mit Segenswünschen für Mu hammad, den Freudenboten und Warner. Verstohlen blickte ich sie an, und siehe, es war eine Maid, die jeder Beschreibung spottet, angetan mit einem goldenen Gewand und auf dem Haupt ein Netz aus großen Perlen. Nachdem ich sie gesehen hatte, o Fürst der Gläubigen, senkte ich den Kopf zu Boden, weil ich sie nicht noch einmal anzuschauen wagte, und sprach in meinem Herzen: ›Bei Gott, dies ist eine Maid, derengleichen ich noch nie gesehen habe und wie man sie auch in Zukunft nicht mehr sehen wird.‹ Ich war von einem heißen Verlangen danach erfüllt, sie möchte die meine sein; denn sie war soviel wert wie der Grundsteuerertrag der ganzen Welt. So verharrte ich schmerzerfüllt, da ich ihr fernbleiben mußte, während die Leute sagten: ›Hebe doch deinen Kopf hoch, lieber Herr, und betrachte, was dir Gott der Erhabene geschenkt hat.‹ Ich aber vermochte aus lauter Furcht vor dem Affen nicht, den Kopf zu ihr zu erheben. Danach übergaben sie mir die Maid, ließen sie bei mir und gingen von dannen. Ich setzte mich in der Halle an eine Seite, ohne mich ihr zu nähern, und schlief ein. Nachdem ich am nächsten Morgen auf den Markt gegangen war, kamen die Leute zu ihr herein und fragten sie, wie sie die Nacht verbracht habe. Da sagte sie: ›Der Mann hat nicht einmal seinen Blick zu mir erhoben.« Als ich dann am Nachmittag zu meinem Hause kam, saß der
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Affe an der Tür und sprach: ›Nun erzähle mir, was du getan hast.‹ – ›Bei Gott‹, gab ich ihm zur Antwort, ›ich weiß nichts von ihr, weiß nicht einmal, was sie ist, ob ein Mädchen oder ein Mann.‹ Da sprach er: ›Gerade so wünsche ich dich.« Dann verließ er mich bis Mitternacht, während ich zu Gott betete, er möchte nicht wiederkommen. Jetzt erschien er in Begleitung von Sklaven, Negern sowohl wie Indern. Diese trugen auf dem Kopf goldene und silberne Tafeln, gefüllt mit Dinaren, Perlen, Edelsteinen, Moschus, indischem Aloeholz, zerstückeltem Nadd und anderen Dingen, die der Beschreibung spotten. Eine Weile war ich verblüfft und sprachlos angesichts dieser Reichtümer. Dann wandte ich mich an den Affen mit der Frage: ›Was be fiehlst du mir nun?‹ Er antwortete: ›Ich wünsche von dir heute nacht folgendes: Wenn du in jenes Haus kommst und siehst das Mädchen schlafen, dann gehe zu dem erhöhten Teil der Stube, hebe den Brokatvorhang, der vor der eisernen Tür hängt, und öffne diese. Dann wirst du eine eiserne Liege mit vier Beinen sehen, auf denen Zauberworte stehen, und an der Tür einen weißen Hahn mit gespaltenem Kamm. Schlachte den Hahn, wickele ihn in das Speisetuch ein und wirf vier auf der Liege ruhende Speere darüber. Dann bist du gefeit gegen alle Übel, die dir von mir und den übrigen Geistern drohen könnten.« In der zweiten Nacht führten sie das Mädchen zu mir herein. Nachdem die Dienerschaft sie verlassen und fortgegangen war, legte sie sich schlafen. Sobald sie eingeschlafen war, ging ich zu dem Hahn, schlachtete ihn, wickelte ihn in das Speisetuch ein und warf die vier Speere darüber, die auf der Liege ruhten. Da ertönte plötzlich ein gewaltiges, dumpfes Krachen wie von rollendem Donner, und schon hatte sich ein feuerähnlicher Dämon auf das Mädchen gestürzt. Bei seinem Anblick wurde ich ohnmächtig, und ich kam erst wieder zu mir, als irgendjemand sagte: ›Beim Herrn der Kaaba, das Mädchen ist entführt worden!« Ja, Fürst der Gläubigen, das war so schlimm für mich wie eine Krankheit und ein Grund zu heißen Tränen. Als ich sah, was geschehen war, weinte ich bitterlich und schlug mir ins Gesicht. Ich empfand Reue, wo Reue mir nichts mehr nützen konnte, und die ganze Welt war für mich nur soviel wert 205
wie eine Bohne. Ich verließ Basra, indem ich blindlings von dannen zog, ohne zu wissen, wohin ich ging. Dabei weinte ich in meinem Schmerz und sagte mir die Verse her: Das Trennungsleid
Hat mich schier verzehrt:
Des Buhlen Los,
Dem die Liebste wehrt.
Ei, daß so still
Und beherrscht ich war,
Als sie mir fern!
Das ist wunderbar.
Weißt, Liebste, du
Seit dem Scheiden nicht,
Daß Liebeswahn
Mir das Herz zerbricht?
Auf einmal hörte ich eine Stimme rufen: ›Wehe dir! Du hast dich nicht vor Gott gefürchtet, ein Mädchen an einen ungläubigen Dämon auszuliefern!‹ Nachdem ich dann eine Zeitlang zwischen den Dattelpalmen gewandert war, erblickte ich jemand und fragte ihn, wer er sei. Er antwortete: ›Ich bin einer von den Geistern, die sich durch den Kalifen ‘Alī ibn abī Tālib, dem Gott Ehre erweisen möge, zum Islam haben bekehren lassen.‹ Ich fragte ihn weiter: ›O du, wie kann ich meine Frau wiederfinden?‹ – ›Du Armer‹, sagte er, ›hast einen Vogel besessen, den du freigelassen hast, und nun möchtest du wieder zu ihm flie gen^ Und er fuhr fort: ›Gehe die ganze Nacht hindurch mit Gottes Segen und Hilfe diesen Weg entlang. Am Morgen wirst du dann am Ufer des Stromes eine Höhle entdecken. In dieser steht ein Götzenbild aus weißem Stein. Aus der Höhle fließt Wasser heraus. Trinke von diesem Wasser, bestreiche dir das Gesicht mit dem Lehm und bleibe dort stehen. Nun wird eine Barke ohne Segel bei dir vorbeifahren. Stelle dich dann auf die dem Götzenbild gegenüberliegende Seite. Der Barke werden nämlich verschiedengestaltige Wesen entsteigen, darunter Köpfe ohne Leiber und Leiber ohne Köpfe, die sich nicht vor Gott 206
dem Erhabenen, sondern vor jenem Götzenbild niederwerfen werden. Wenn du dies siehst, dann besteige die Barke, fahre hinüber auf die andere Seite und wandere bis Sonnenuntergang am Flußufer entlang. Wenn du dich dann einem hochgelegenen, aus goldenen und silbernen Platten erbauten Schloß näherst, so wisse, daß dort deine Gefährtin weilt. Nun habe ich dich über die Verhältnisse unterrichtet, und damit Gott befohlen!‹ Danach wanderte ich seinem Rat entsprechend, bis ich zu der Höhle gelangte. Ich sah, daß die Wesen bereits eingetroffen waren. So verließ ich sie, worauf sie sich der Anbetung des Götzenbildes widmeten, und bestieg die Barke. Nachdem ich auf die andere Seite gefahren war, wanderte ich den ganzen Tag am Flußufer entlang, bis es Abend wurde. Dann setzte ich meinen Weg fort, bis der Morgen anbrach und die Sonne auf ging. Da näherte ich mich einem hohen Schloß mit großen Höfen, das weit in die Lüfte ragte, starke Eckpfeiler hatte und aus Gold und Silber erbaut war. Es hatte ein Tor aus indischem Aloeholz mit eingelegten Elfenbeinstücken, leuchtenden Perlen und Beschlägen aus funkelndem Silber. An dem Tor befand sich ein goldener, mit Rubinen verzierter Ring. Beim Aufstieg fragte ich mich: ›Wo mögen hier die Recken, wo die Helden sein?‹ Dann machte ich mich stark und sprach mir Mut zu, hielt ich doch in der Hand ein tödliches Schwert. Ich dachte: ›Entweder werde ich das Mädchen befreien, oder ich gebe mein Leben für sie hin.‹ So trat ich mutigen Herzens, aber mit Angst vor dem Affen in das Schloß ein. Als ich mitten darin war, schaute ich mich um, und da sah ich zu meinem Erstaunen Sitzgelegenheiten aus rotem Gold und eine gewölbte, mit Perlen und Edelsteinen ausgelegte Wandnische. Diese hatte eine Ebenholztür, die mit Silberplatten belegt war, die ihrerseits wieder mit Edelsteinen aller Art besetzt waren. Inmitten der Wandnische stand eine mit Juwelen und Metallplättchen verzierte Elfenbeinliege, die mit Figurenschmuck verschiedenster Art bedeckt war. Auf dieser Liege ruhte das Mädchen, in den Koran vertieft und Gott den Erhabenen lobend, ehrend und preisend. Als sie mich erblickte, sprach sie: ›O Abū Muhammad, in unser beider Sache ist ein gerechtes Urteil ergangene Ich jammerte: ›Ach, Herrin, ich bitte 207
Gott den Erhabenen und dich um Verzeihung.‹ Sie aber sprach: ›Du Unhold, du Bösewicht, du hast dich nicht vor Gott gefürchtet, mich einem verbrecherischen Dämon auszuliefern!‹ – ›Preis sei Gott für dieRettung!‹ sagte ich, während sie erwiderte: ›Du hast mich im Stich gelassen. Da hat Gott der Mächtige und Erhabene mir seinen Beistand gewährt und meinen Widersacher vernichtete Ich fragte sie: ›Wodurch ist er umgekommen?‹ Sie antwortete: ›Als er mich entführt hatte und mich bewußtlos durch die Luft trug, kam ich erst in diesem Schlosse wieder zu mir. Ich nahm alle seelische Kraft zusammen, da er sich mir nun nähern wollte, hob meinen Blick gen Himmel und rief: ›O Hilfe aller, die Hilfe suchen! O du, der du das Gebet der Bedrängten erhörst, der du denen, die dich bitten, ihre Wünsche erfüllst! Bei Muhammad, dem Siegel der Propheten, so du willst, o Barmherzigster der Barmherzigen, wehre ab von mir das Unheil die ses fluchwürdigen Dämons.‹ Bei Gott, ich hatte mein Gebet noch nicht vollendet, da fiel ein Feuerbrand vom Himmel auf ihn herunter, verzehrte ihn und ließ nur noch Asche von ihm übrig. So hat Gott sein Unheil von mir abgewendet.‹ Da sprach ich: ›Preis sei Gott für deine Rettung!« Dann erhoben wir uns beide, nahmen alles, was sich an wertvollen Edelsteinen, Gütern und Kostbarkeiten in dem Schlosse befand, an uns und begaben uns nach Basra. Der Vater und die übrigen Angehörigen des Mädchens kamen uns entgegen und freuten sich über die Güter und Schätze, die wir gewonnen hatten. Darunter, o Fürst der Gläubigen, war auch dieser Edelstein, den ich meinem gnädigen Herrn verschafft habe.« Da wunderte und freute sich ar-Raschīd über seine Geschichte und erwies ihm seine Huld. Er erhielt Zutritt zur Tafel runde ar-Raschīds und fand sich immer wieder im geselligen Kreis des Kalifen ein. Mit seiner Gattin aber lebte Abū Muhammad der Faulpelz ohne Unterlaß sehr herrlich und zufrieden, der Sorgen bar und in ungetrübtem Glück, bis der Tod zu ihnen kam, dem keiner entkommen und keiner entrinnen kann. Dies ist die Geschichte, wie sie sich zugetragen hat. Preis sei Gott allein, und Gott schenke Segen und Heil unserem Herrn Muhammad, seinen Familienangehörigen und Freunden! 208
7. Die Geschichte vom Zauberberg und von dem,
was bei ihm an Wunderbarem geschah
I
m Namen Gottes des Barmherzigen, des Allerbarmers. In den Geschichten der Volker aus uralten und längst ver gangenen Tagen wird erzählt – aber Gott weiß es am besten, er ist der Edelste, Mächtigste und Weiseste, der Gütigste und Gnädigste: Es war einmal unter den alten Perserkönigen ein Herrscher, gerecht zu seinen Untertanen und begabt mit Verstand und Klugheit. Dazu hatte Gott der Erhabene ihm die Gnade rechtschaffenen Lebenswandels und redlichen Verhaltens gegenüber seinen Untertanen geschenkt. Es war eine Leidenschaft von ihm, Knechte und Mägde zu kaufen und sie einander heiraten zu lassen. Tausend Mädchen und tausend Sklaven hatte er in seinem Schloß. Zu der Schar der von ihm bevorzugten Knechte gehörte einer, der an Häßlichkeit der Gestalt und Widerlichkeit des Aussehens nicht zu überbieten war. Allein er war der beste Reiter und der kühnste Recke seiner Zeit, und der König war ihm aufs innigste zugetan, weil er sah, wie tapfer und kühn er war, so daß er sich nicht von ihm trennen konnte. Der König hatte auch einen Wesir und dieser wieder eine Tochter. Zu ihrer Zeit gab es keine schönere als sie. Liebreiz und Anmut, Glanz und Vollkommenheit, Edelwuchs und Ebenmaß, schneeweiße Zähne und schwarze Augen waren ihr eigen. Gleichsam von ihr hat der Dichter gesagt: In reichem Lockenzauber treibt die Maid
Oft lang das Wagnis steter Sprödigkeit.
Ihr Haar, erstaunt, daß sie sich stolz verschließt,
Beim Schreiten artig ihr die Füße küßt.
Preis sei ihm, der sie aus einer unbedeutenden Flüssigkeit erschuf! Denn ihr Schöpfer ist mächtig in seinem Walten. Ja, Preis 209
sei ihm, der sie aus einer unbedeutenden Flüssigkeit erschuf und sie als Leibesfrucht an eine sichere Stätte legte (Koran 77, 20 f.): eine Glaubensmahnung für die, die sie schauten! Wenn sie sich näherte, wirkte sie verführerisch, kehrte sie aber den Rücken, so war ihre Wirkung tödlich. Sämtliche Könige hatten bei ihrem Vater schon um ihre Hand angehalten, doch er hatte sie allen verweigert, weil er sie wegen ihrer Schönheit und Anmut und der Vortrefflichkeit ihres Wesens und Wirkens allzugern seinem König zur Frau gegeben hätte, wußte er doch, daß sich der König, wenn er ihr Lob hörte, kaum beherrschen konnte, um ihre Hand anzuhalten. Als der Wesir eines Tages vor dem König saß, wandte sich dieser an ihn und sprach: »Mein lieber Wesir.« – »Zu Diensten, begnadeter König«, erwiderte er, und jener fuhr fort: »Ich habe einen Wunsch an dich. Ob du ihn mir wohl erfüllen wirst?« Da entblößte der Wesir sein Haupt und sprach: »Um Gottes willen, o König der Zeit! Selbst wenn es mein Lebensodem wäre, für wahr, ich nähme ihn für dich aus meiner Brust.« Der König sagte: »Ich komme als Brautwerber zu dir, der um die Hand deiner Tochter bittet.« Da erstrahlte das Angesicht des Wesirs, und er antwortete: »O König, wer eignet sich dazu besser als du? Ist doch meine Tochter deine Magd und der Pflegling deiner Gnade!« Der König sprach: »Ich begehre sie aber nicht für mich, Wesir.« Mit angstbewegter Brust fragte der Wesir: »Für wen denn, o König?« Da sagte er: »Für meinen Knecht, den Waffenmeister mit dem abstoßenden Aussehen.« Nun war die ser Knecht von Natur sehr zornmütig, so daß man ihn niemals lächeln sah, und war so grob und gemein, daß keinem im Reich danach verlangte, ihn zu sehen, da Gott ihm Grobheit, Rohheit und niedriges Wesen ins Herz gelegt hatte. Als der Wesir dies vom König hörte, befiel ihn Mißmut, seine Gedanken waren zwiespältig, und er wußte nicht, was er tun sollte. Nur das wußte er, daß er dem ausdrücklichen Wunsch des Königs nicht widersprechen konnte, nachdem er zuvor ja gesagt hatte. So willigte er ein und sprach: »Sie ist nichts anderes als die Magd des Königs, so daß er nach seinem Willen über sie verfügen kann«, doch in seinem Gemüt hegte er arglistige Gedanken und 210
böse Absichten wider den König. Darauf ließ der König den Richter und die Zeugen kommen und befahl, daß zwischen der Tochter des Wesirs und seinem Knecht, dem Waffenmeister, der Ehevertrag geschlossen werde. Nachdem er geschlossen war, ließ der König ein großes und berühmtes Hochzeitsmahl herrichten, wie es noch nie veranstaltet worden war. Als es nun stattfand, war der Wesir voll bitteren Schmerzes, doch stellte er sich mit Rücksicht auf den König heiter. Die Kunde von der Verheiratung des Mädchens mit dem Burschen verbreitete sich im Lande. Die Leute empfanden sie als schmerzlich, und sie waren sehr betroffen, weil sie wußten, wie schön und anmutig das Mädchen und daß der Bräutigam im Gegensatz dazu häßlich war. Danach ging der Wesir nach Hause und befahl, seine Tochter auszustatten. Nachdem ihre Ausstattung schließlich vollendet war, ließ der König sie in vollem Brautschmuck dem Burschen zuführen. Als sie zu ihm geleitet wurde, sahen die Leute zwei Gestalten: eine schönere als die ihre hatte noch keiner gesehen oder beschrieben, aber auch noch keiner eine häßlichere als die des Burschen. Dann wurde sie auf Befehl des Königs vor dem Bräutigam enthüllt, und man führte sie ihm zuerst in einem grünen Gewand vor. Es war, als ob der Dichter von ihr sagte: Sie schreitet stolz einher in grünem Kleide,
Sich wiegend wie im Blätterschmuck der Ast.
Ihr Blick wirkt wie des Schwertes scharfe Schneide.
Ihr Antlitz strahlt des vollen Mondes Glast.
Da wurden von ihrem Anblick die Herzen geraubt und neue Qualen über die Menschen gebracht. Danach wurde sie ihm, um ihre Vorzüge noch vollendeter darzubieten, ein zweites Mal vorgeführt, und zwar in einem roten Gewände. Dieses Mal war es, als ob der Dichter von ihr sagte: Erst weint ich, da in Schleiern Wie Rehblut rot sie wiegt. Dann sah ich, daß die Rose Dem Röslein sich geschmiegt, Und dankte Gott voll Staunen, Der Schnee zum Feuer fügt. 211
Sie hörten nicht auf, sie ihm aufs neue vorzuführen und sie immer wieder anders zu kleiden, bis sie ihr im ganzen sieben Ge wänder angelegt hatten. Dabei warf der Bursche keinen Blick auf sie und wandte sich ihr nicht eher zu, als bis die Leute sie mit ihm allein ließen und von dannen gingen. Nun aber stürzte er sich auf sie und raubte ihr in seiner groben und rohen Weise die Jungfernschaft. Da senkte sich Haß wider ihn in ihr Herz; denn eine Jungfrau wünscht sich Zartgefühl und schmeichelndes Werben, zumal wenn sie von solch blühender Gestalt ist. Als der Morgen anbrach und sein Licht aufleuchtete und neu erstrahlte, stand der Knecht auf und ritt fort zum Dienste des Königs. Danach kam der Wesir zu seiner Tochter und fand sie weinend, traurig und gebrochenen Herzens. Als sie ihn erblickte, sprang sie auf ihn zu und sagte: »Gott wird zwischen mir und dir richten am Jüngsten Tage, wenn sich Himmel von Himmel abspaltet und das Recht offenbar wird, da Gottes Spruch die Entscheidung fällt. Habe ich dich irgendwie in deinem Hause in Bedrängnis versetzt, oder hast du dich vor den Speisen gefürchtet, die ich dir gereicht habe, so daß du mich mit diesem schrecklichen Unhold heimgesucht hast, der sich mit keiner Faser seines Wesens vor Gott dem Mächtigen und Erhabenen fürch tet?« Er erwiderte: »Mein liebes Töchterchen, es ist, bei Gott, weder auf meinen Befehl noch mit meinem Wohlgefallen ge schehen, vielmehr bin ich dazu gezwungen worden, und der König hat dies wider mich entschieden. Ich werde aber, bei Gott, diesen Knecht mit den Frauen des Königs nach Willkür verfahren und ihn sie zu seinen Leibeigenen machen lassen. Ich werde dem König die Herrschaft entreißen und das Teuerste, was er besitzt, dem Knecht übergeben, weil auch er das Teuerste, was ich besaß, ihm übergeben hat, und ich werde ihn zum Gespött seiner Feinde machen, wie er mich zum Gespött der meinen gemacht hat.« In der Folge stellte er sich ganz darauf ein und verbarg, was er im Herzen hegte. Seinen Besitz begann er für den Erwerb von Knechten, Pferden und ganzer Ausrüstungen zu verwenden und diese dem Knecht zu übergeben. Außerdem fing er an, ihn edle Gesinnung und vornehmes Wesen zu lehren. Die Emire, Soldaten und Knechte zeigten sich ihm 212
geneigt, seine Kriegsmacht erstarkte, und er schmiedete seine Pläne langsam weiter, bis die Macht zum größten Teil in die Hände des Knechtes überging. Dies währte eine Zeitlang. Dann befiel den König eine schwere Krankheit. Er ließ die Würdenträger seines Reiches, seine Höflinge und seine Wesire kommen und nahm ihnen den Treueid auf seinen Sohn ab. Dieser war ein schöner Mann, hatte ein treffliches Wesen und war reinen Herzens, ohne zu wissen, was für und was wider ihn war. Nachdem der König die Schlüs sel seiner Macht dem Wesir mit der unheilvollen Miene, eben dem Vater des Mädchens, übergeben hatte, starb er und wurde zu Grabe getragen. Drei Tage dauerten die Trauerfeiern. Dann kam der Sohn des Königs mit großer Begleitung angeritten, stieg ab und setzte sich auf den Thron seines Vaters. Die Herrschaft aber übte nun der Wesir aus, und er spielte mit dem König, als wäre er eine Kugel, die er von Hand zu Hand gehen ließ. Es dauerte nicht lange, bis die gesamte Macht an den Knecht überging, ohne daß der Sohn des früheren Königs es merkte. Nachdem den Verschwörern der Weg für ihre Absichten geebnet war, blieb ihnen nur noch übrig, den Sohn des früheren Königs festzunehmen. So bewaffneten sie sich mit ihren Anhängern, zogen zum Tor des Schlosses und ließen sich in der Vorhalle nieder, indes der König mit seinen Höflingen beim Weine saß, ohne daß sie wußten, welches Schicksal ihnen bevorstand. Jeden einzelnen Höfling und Würdenträger des Königs, der aus dem Schloß heraustrat, nahmen der Wesir, sein Schwiegersohn, der Knecht, sowie ihre Leute fest, so daß nach einiger Zeit keiner von den Höflingen mehr beim König war. Schließlich kam ein kleiner Page durch die Vorhalle, dem sie nicht entgegentraten und keine Aufmerksamkeit schenkten. Dieser ging zum König hinein und sagte: »Hoher Herr, am Tor sitzt der Knecht deines Vaters, der Waffenmeister, zusammen mit dem Wesir mit ge zückten Schwertern in den Händen und ergreifen jeden, der von dir herauskommt. Ich weiß nicht, was dies bedeutet.« Da sann der Königssohn still bei sich nach und sprach: Was habe ich oder mein Vater ihnen Böses getan? Aber der Dichter hat ja gesagt: 213
In ihrem Zelt wardst du gehegt, gesäugt. Verriet man dir, daß dich ein Wolf gezeugt?« Trotzdem wagten der Wesir und seine Leute nicht, ihn anzugreifen, aus Ehrfurcht vor dem König, nicht etwa, weil sie zu schwach dazu gewesen wären; denn sie verfügten über eine starke Mannschaft. Zunächst blieb der König ratlos vor Ver wunderung. Dann erhob er sich, öffnete seine Schatzkammern und sah, was sie an Gütern und Schätzen bargen. So kam er auch zu einer Kammer an der Vorderseite des Schlosses. Er öffnete sie und fand sie leer. Sie enthielt nicht einmal den Wert eines Dinars, abgesehen von einem Teppich, der dort ausgebrei tet lag. Dies erregte seine Verwunderung. Als er nun den Teppich aufhob und darunter schaute, gewahrte er eine Falltür aus weißem Marmor mit farbigen Adern, an der ein Stahlring be festigt war. Er griff nach dem Ring, hob ihn empor, und nach dem er an ihm gezogen hatte, kam eine Treppe zum Vorschein, die in zwanzig Stufen nach unten führte. Diese stieg er hinunter und kam plötzlich an eine Geheimtür zum Meer. Als er sie öffnete, entdeckte er einen kleinen Vorratsraum, in dem sich drei Männer befanden. Mit diesem Raum hatte es eine seltsame Bewandtnis. Es war nämlich eine Lieblingsbeschäftigung des früheren Königs, des Vaters des Jünglings, gewesen, am Meer Wein zu trinken. Jeden Tag ging in diesem Raum das Sonnenlicht auf, kam und blieb für die Dauer der Zecherei auf der Geheimtür stehen. Erschien der König zum Zechen, so hatte es seine Ordnung, tat er es nicht, so rückte der Sonnenschein ohne ihn über die Tür hinweg. Dies pflegte der König zu tun, ohne daß einer von seinen Würdenträgern etwas davon wußte, mit Ausnahme des Wesirs. Als der Königssohn dies sah, freute er sich. Nun lagen dort auf dem Meer einige große Kriegsschiffe ein ander gegenüber, die die Küste gegen feindliche Überfälle schützen sollten. Auf ihrem Bug hatte ein alter Kapitän seinen Stand, der ringsum viele Galeeren befehligte, große See-Erfah rung hatte und den früheren König und seinen Sohn liebte. Der König befahl den Leuten in dem kleinen Vorratsraum, den Kapitän, der sich auf einer Galeere befand, zu sich herbeizurufen. Diese 214
fuhren zu ihm hinaus, und nach einer Weile erschien er, entstieg der Galeere, küßte den Boden vor dem König und fragte: »Was wünschst du, o König? Erteile mir deinen Befehl.« Er antwortete: »Laß die große Galeere an die Geheimtür heranfahren.« Nachdem er dies getan hatte, stieg der König dort ein und hieß die jungen Knechte, die ihm treu geblieben waren, die in den Kammern lagernden Schätze herbeitragen. Dies geschah, bis schließlich nicht einmal ein Stück im Wert von einem Dinar übrigblieb. Auf den Galeeren befanden sich hundert Männer. So wurden also die Schätze in die große Galeere getragen. Danach sagte der König zu einem seiner Knechte: »Gehe zur Vorhalle des Schlosses und schaue, was es dort gibt. Wenn sie dort immer noch wegen der Bediensteten sitzen, dann bleibe ruhig dort. Wenn sie dagegen etwas anderes tun, so melde es mir. Ich bleibe hier am Rande des Ankerplatzes stehen bis zu der Zeit, da du wieder hier sein mußt.« Der Königssohn hatte noch nicht aufgehört zu sprechen, als sie Geschrei im Schlosse hörten. Die Verschwörer hatten nur gewartet, um jeden, der zum König hin einging, zu ergreifen und den Treueid auf den neuen König ablegen zu lassen. Wer sich weigerte, dem schlugen sie den Kopf ab, bis schließlich alle auf ihrer Seite waren und sie von keinem mehr etwas Böses zu befürchten hatten. Jetzt aber gingen sie, die gezückten Schwerter in den Händen, zum Angriff über und drangen schließlich bis in den Sitzungssaal des Königs vor. Allein sie stellten fest, daß das Schloß verlassen und die allgemeine Besuchsstätte ferngerückt war. Da ließen sie die Mägde und Knechte, die im Schloß zurückgeblieben waren, über die Klinge springen und stürzten sich gemeinsam auf den Hausrat und die Vorräte des Schlosses. Als der Königssohn dies, und was sonst noch im Schlosse seines Vaters vor sich ging, sah und als er erkannte, daß der Wesir und seine Anhänger das Schloß um zingelt hatten, stieg er in die Galeere ein und hieß den Kapitän den Seeleuten den Befehl zur Abfahrt geben. Da wurden die Segel gesetzt, und er fuhr davon wie ein Sturmwind oder wie Wasser, das aus einem engen Rohr herausschießt. Als der Wesir über die Flucht des Königssohnes nachdachte, erkannte er, daß er nur über das Meer geflohen sein konnte. Er 215
rannte auf das Dach des Schlosses hinauf, hielt Ausschau, und siehe, da fuhr die Galeere schon auf dem offenen Meer. Nun rief er den Kriegsschiffen, die in Küstennähe geblieben waren, zu: »Holt sie ein. Wer mir ihn herbringt, der soll unzählig viele Huldbeweise von mir erfahren und soll die Befehlsgewalt über die ganze Flotte erhalten.« Dem Königssohn aber schrie er zu: Wohin fährst du? Bei Gott, wenn du fliehst, werde ich alle Frauen und Kinder im Schlosse niedermachen. Kehrst du aber zurück, so betrachte ich dich als Lösegeld für alle.« Der Königs sohn beachtete seine Worte nicht, sondern fuhr weiter. Da nah men die Schiffe die Verfolgung auf. Es war jedoch schon die Zeit des verblassenden Sonnenlichts, und in der Nacht konnten sie einander nicht angreifen. Am folgenden Morgen standen sie sich Auge in Auge gegenüber. Da näherte sich der Kapitän den Verfolgern und rief hinüber: Wißt ihr nicht, daß ich als Be mannung ausgesuchte Leute habe und daß ich das Meer besser kenne als ihr? Im übrigen hat der Wesir dem Königssohn Un recht getan und ihm die Herrschaft entrissen.« Als sie dies hör ten, wurden sie wieder ängstlich. Sie wußten ja auch nichts von dem, was sich mit dem Wesir zugetragen hatte. Erst beabsichtigten sie nun, mit den anderen fortzufahren, dann aber dachten sie an ihre Frauen und Kinder. Am Ende sprachen sie zu ein ander: Wißt ihr nicht, daß diese hundert Männer bei dem Kapitän uns an Kampfstärke und Zahl überlegen sind und daß der Kapitän das Meer besser kennt als wir? Laßt uns deshalb umkehren.« So traten sie die Rückfahrt an und erreichten schließlich wieder das Schloß und die Festung. »Hoher Herr«, versicherten sie dem Wesir, »wir haben, bei Gott, nichts von ihnen in Erfahrung bringen können und wissen nicht, ob sie in den Himmel aufgestiegen oder in der Erde versunken sind.« Aus Ärger darüber, daß ihm der Königssohn entkommen war, biß sich der Wesir in die Hand. Die Leute im Lande aber wuß ten nicht, was geschehen war, bis sich die Kunde verbreitete, daß der König ermordet worden sei und der Waffenmeister namens Karakūsch die Herrschaft an seiner Statt übernommen habe, worauf sie sich gleich wieder beruhigten. Der Knecht war nun unabhängiger König. Die Schlüssel seiner Macht übergab er 216
aber dem Wesir, übertrug ihm die Gewalt und ließ ihn auch nach außen als Herrscher auftreten. In dieser Weise festigten sich die Verhältnisse für sie. Soweit die Ereignisse, wie sie sich am Königshof zutrugen. Der König aber fuhr mit seiner Begleitung immer weiter, Tag und Nacht und Nacht und Tag, bis sie schließlich an eine Meeresinsel kamen. Dort gingen sie an Land und ruhten sich zwei oder drei Tage aus. Nachdem sie Trinkwasser an Bord genommen hatten, stiegen sie wieder ein und fuhren ohne Unterbrechung weiter, bis es dem Jüngling unheimlich wurde, daß sie nun be reits drei Monate lang Tag und Nacht auf dem Meere fuhren. Er ging deshalb zum Kapitän und sprach zu ihm: »Fahr mit uns zum Berge Käf hinüber, Väterchen.« Als er dies ablehnte, fragte er: Willst du denn mit uns ewig auf dem Meere bleiben?« Als er auch dies verneinte, fragte er: Wohin willst du denn mit uns fahren?« Darauf befahl der Kapitän dem Beobachter, den Mast zu besteigen und nach rechts und links, nach vorn und hinten Ausschau zu halten. Als er in der Ferne ein großes, schwarzes Gebilde entdeckte, kam er herunter und meldete dies dem Ka pitän. Nun drehten sie in dieser Richtung ab, und nachdem sie sechs Tage und Nächte weitergefahren waren, kamen sie schließlich in die Nähe eines Berges, der hoch in die Luft ragte und schier bis zum Himmel reichte. Er füllte das Blickfeld in seiner ganzen Weite aus und bildete in seiner Breite eine Sperre. In der Mitte des Berges war eine gewaltige Höhle zu sehen, an deren Eingang ein riesiges Götzenbild aus Messing stand. Dieses hatte Augen aus Rubinen und eine Hand, die in Richtung des Meeres erhoben war, ohne daß man erkennen konnte, was sie enthielt, wenn man davon absieht, daß ihr Inhalt ein Licht ausstrahlte. Das Schiff fuhr weiter, bis es gegenüber dem Berg und der Hand des Götzenbildes war. Dann blieb es stehen, weil Gottes Allmacht es so beschloß, ohne vor- oder rückwärts zu fahren. Der Königssohn meinte, das Halten sei absichtlich. Ob wohl der Kapitän und seine Leute zu rudern begannen, bewegte es sich nicht von der Stelle. Als der Kapitän nun den höchsten Punkt des Schiffes erkletterte und Ausschau hielt, sah er dem Schiff gegenüber das Götzenbild mit seiner Hand. Darauf stieg 217
er in die Kajüte hinunter, durchwühlte sein Gepäck und holte ein Buch hervor, das er mitgenommen hatte und das von den Drangsalen und Nöten des Meeres handelte. Blatt für Blatt schlug er um. Als er einundzwanzig Blätter umgeschlagen hatte, schaute er eine Weile in das Buch und las kurze Zeit. Dann schlug er sich auf den Kopf, bis ihm das Blut aus beiden Nasenlöchern lief. Auf ihn zutretend, fragte der Königssohn: »Was ist mit dir, Väterchen?« Er antwortete: Wisse, mein Sohn, daß es hier etwas von höchster Lebensgefahr gibt. An dieser Höhle steht nämlich das Götzenbild, das du dort siehst und das in der erhobenen Hand ein Zaubermittel hält. Jedes Schiff, das hierherkommt, gleich aus welcher Richtung, fährt weiter, bis es ihm gegenüberliegt. Wenn es so weit ist, bleibt es stehen, ohne voroder rückwärts zu fahren, so daß alle Schiffsinsassen vor Hun ger und Durst umkommen. Hier sind schon viele Menschen zugrunde gegangen, und so eifrig die Seeleute auch gerudert haben, sie sind dennoch umgekommen; denn das Schiff hat sich nicht mehr von der Stelle bewegt. Wir müssen also unser Geschick Gott dem Gepriesenen und Erhabenen anvertrauen und abwarten, was aus uns wird.« Als der Königssohn diese Worte des Kapitäns hörte, nahm sein Gesicht den Ausdruck des Entsetzens an, und er sprach bei sich: Wir sind also einer recht geringen Todesgefahr entronnen und hierhergekommen, um eines sicheren Todes zu sterben, ohne uns helfen zu können.« Dann erhob er sich und sprach: »Es gibt keine Rettung vor dem Tod!« Sprach’s und rollte sein Ge wand bis in den Gürtel hoch, schnallte ihn fest, überprüfte alles und wollte sich eben ins Meer stürzen, um zu dem Götzenbild hinzugehen und es von seinem Ort zu entfernen, als sich der Kapitän an ihn klammerte und sprach: »Deinetwegen haben wir unsere Frauen und Söhne verlassen, und nun willst du dir selbst den Tod geben? Bei Gott, das darf nimmer sein, selbst wenn wir allesamt die Becher des Todes trinken müßten; denn wir geben gern unser Leben hin, um dich zu retten, und wenn wir sterben, soll unser Tod das Lösegeld für dich sein.« Danach stand der Kapitän auf und verkündete: »Wer sich von euch auf macht, zu diesem Berge geht, dann zu der Höhle hinaufsteigt 218
und das Götzenbild zertrümmert, der soll von mir soviel Geld erhalten, wie er will.« Dann ließ er die Männer ihre Geldwünsche äußern. Nun erhob sich einer von ihnen, stürzte sich ins Meer und schwamm bis nahe an den Fuß des Berges. Da er keinen Weg fand, auf dem er zu der Höhle hätte hinaufsteigen können, schwamm er Stück für Stück um den Fuß des Berges herum, bis er eine zum Aufstieg geeignete Stelle fand. Dann kletterte er bis in die Nähe der Höhle und wollte eben das letzte Stück zu ihr hinaufsteigen, als er kopfüber ins Meer stürzte und ertrank. Darauf stieg einer nach dem anderen hin auf, bis schließlich zehn Männer umgekommen waren und die übrigen von der Besteigung Abstand nahmen. Nun erhob sich der Königssohn, schnallte seinen Gürtel um, ergriff sein Schwert und hängte es an seine Schulter, ohne sich vorher noch mit dem Kapitän zu beraten. Dann sprang er ins Meer hinunter und schwamm davon. Der Kapitän schrie ihm zu und wollte ihn zurückhalten. Er aber ließ sich nicht zurückhalten, sondern stieg den Berg hinauf, bis er in die Nähe der Höhle gelangte. Dort sah er eine Stelle, die keiner hinaufsteigen konnte und die durch ihre Glätte wie ein Spiegel aus Stahl wirkte, der mit seinem gleißenden Licht die Augen blendet. Er ging deshalb wieder zur Küste hinunter und bat den Kapitän: »Gib mir eine Schlag- oder Spitzhacke, mit der ich graben kann. Vielleicht kann ich mir damit Löcher schlagen, in die ich den Fuß setzen kann; denn jene Stelle ist so glatt, daß sie keiner hinaufsteigen kann.« Der Kapitän gab ihm eine Schlaghacke. Er nahm sie an sich und stieg wieder hinauf, bis er an die glatte Stelle kam. Dann begann er, mit der Hacke zunächst ein Loch zu schlagen, in dem er mit einem Fuß stehen konnte, und schlug dann eines für den anderen Fuß. Dies setzte er fort, bis er zu der Höhle hinaufkam. Dort sah er einen Platz, dessengleichen niemand anderswo schauen kann. Vor ihm lag eine Höhle, deren Deckenstützen einen weiten Bogen bildeten und aus glattem Gestein bestanden. Am Eingang der Höhle stand auf einem Sockel aus chinesischem Stahl ein Götzenbild aus Messing. Seine Augen waren aus Rubinen gefertigt, und seine Hand war in Richtung des Meeres erhoben. Der Königssohn schritt auf das Götzenbild 219
zu, bis er es erreichte, worauf er sich unterhalb seiner Füße setzte und mit der Hacke grub. Da stürzte es auf einmal nach vorne über, weil es im göttlichen Ratschluß vorherbestimmt und im Weltenplan so vorgesehen war. Dabei war das Götzenbild auf die Hand gefallen, die das Zaubermittel enthielt, so daß das Standbild zerbrach, durch die Luft flog und ins Meer fiel. Als es im Meer ankam, schoß das Schiff wie ein rasender Blitz von dannen. Jetzt wandte sich der Kapitän um und schrie: Wehe euch! Wartet doch auf den Sohn eures Herrn, bis er kommt.« So schickten sie sich denn an, das Schiff zu halten. Sie vermochten aber nicht, es in ihre Gewalt zu bringen, sondern es flog dahin wie die Wolken. Als der Königssohn Ausschau hielt, sah er auf einmal das Schiff davonfahren. Da seufzte er: »Ach, sie haben mich verlassen und sind fortgefahren. Nein, bei Gott, das haben sie nicht aus eigenem Entschluß getan. Das Götzenbild ist es, was auf sie einen Zwang ausgeübt hat. Denn mit seinem Sturz ins Meer (hat es das Schiff fortgetrieben.« Dann) fiel er auf sein Angesicht nieder und jammerte: »Es gibt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott dem Allmächtigen.« Danach ging er eine Zeitlang auf dem Berg weiter und hielt Ausschau. Auf einmal sah er in der Ferne etwas Schwarzes auf tauchen. Er setzte seinen Weg ohne Unterlaß fort, bis er in seine Nähe kam, und siehe, da stand er oberhalb einer Flur, die reich war an Bäumen und Wasserläufen, an Nachtigallen und anderen Vögeln. Die Bäume waren belaubt, und die Wasserläufe flössen munter dahin. Die Pflanzen leuchteten wie Safran, und die Erde duftete wie Ambra. Nachdem er von dem Berg hinuntergestiegen war, ging er den ganzen Tag ohne Unterbrechung weiter, bis die Sonne sank. Dann blieb er an der Stelle, an der er sich gerade befand, bis zum Morgen. Als der Tag wieder aufleuchtete, erhob er sich und ging immerzu, bis er die Grenze des Grünlandes überschritt. Er wanderte in ihm einher und begann, von seinen Früchten zu essen, von seinem Wasser zu trinken und sich allerwärts zu ergehen, indes sein Herz um vieles leich ter wurde, bis es schließlich Abend wurde. Dann schlief er daselbst unter einem Baum, bis der Morgen anbrach. Nun erhob er sich wieder und wanderte in der gleichen Weise drei Tage 220
weiter, indem er vom Morgen bis zum Abend in den Dickichten umherstreifte und an der Stelle übernachtete, wo er gerade an gekommen war. Am vierten Tage fragte er sich: »Wie lange soll ich denn hier noch meine Zeit verbringen, obwohl mir nichts anderes übrig bleibt, als bis zum Ende dieses Dickichtes vorzudringen?« So wanderte er auch wieder diesen ganzen Tag, bis es Abend wurde. Dann schlief er wieder an Ort und Stelle bis zum Morgen und wanderte noch einmal fast bis zur Mittagszeit. Da kam er plötzlich aus dem Dickicht heraus und stand vor einer Wüste. Bei näherer Betrachtung des Vordergrundes ent deckte er in der Ferne etwas Schwarzes, das von Rauch überlagert war. Er lenkte seine Schritte in dieser Richtung und sprach: »Vielleicht gibt es, wenn ich dorthin komme, etwas, was ich mir zu essen kaufen kann; denn inzwischen bin ich der stän digen Pflanzenkost überdrüssig geworden.« Er beschleunigte deshalb seine Wanderung, so daß er bei Sonnenuntergang dort ankam. Was er gesehen hatte, offenbarte sich als eine Stadt mit hohen Türmen und stolzen Mauern, erbebend von der Unzahl der Einwohner und durch das Gedränge der Bürger hinundherwogend. So betrat er die Stadt und lenkte seine Schritte zu irgendeinem Laden. Dort sah er einen alten Mann auf einer Bank sitzen. Er trat an ihn heran und sprach: »Lieber Herr, könnt Ihr mir eine Unterkunft verschaffen?« – »Ich höre und gehorche«, gab er zur Antwort. Dann erhob er sich mit ihm, nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm zu einem Haus. Nachdem er es ihm aufgeschlossen hatte, trat der Königssohn ein. Da er in dem Hause nichts entdeckte, worauf er hätte Platz nehmen können, fragte er den Alten: »Hast du keine Matte, auf die ich mich setzen kann?« – »Nein, mein Herr«, erwiderte er. Darauf über gab er ihm den Siegelring, den er am Finger trug, und sprach: »Nimm ihn bis morgen in Verwahrung als Pfand für eine Matte.« Nun breitete er eine Matte als Unterlage für ihn aus, ging fort und ließ ihn allein, während jener die Nacht bis zum Morgen dort verbrachte. Als der Morgen anbrach und aufs neue in seinem Licht erstrahlte und leuchtete, erhob sich der Jüngling, rief den Kaufmann herbei und sprach: »Gehe auf den 221
Markt und verkaufe den Siegelring.« Als er mit dem Ring zum Markt kam, erklärte man ihm: »Dies ist ein Ring, der hundert Dinare wert ist. Es ist der Siegelring des Königssohnes.« Da verkaufte er ihn. Obwohl der Königssohn von dem Erlös nur einen geringen Anteil erhielt, beklagte er sich mit keinem Wort darüber, weil er im tiefsten Wesen vornehm und von edler Gesinnung war. In wenigen Tagen hatte er den Erlös für den Siegelring ausgegeben und hatte schließlich nichts mehr davon übrig. Nun begann er, aus dem Gürtel, den er um die Lenden trug, die Stützen herauszulösen, und zwar jeden Tag eine Stütze. Diese übergab er dem Kaufmann, der sie veräußerte und über den Erlös ganz nach Gutdünken verfügte, ohne dem Königssohn von dem erzielten Dinar auch nur zwei Klrät zukommen zu lassen. Der Königssohn wußte dies wohl, aber sein Anstands gefühl hielt ihn davon ab, etwas zu sagen, bis schließlich der ganze Gürtel verausgabt war. Danach brach er den Schwertring ab und verkaufte ihn, desgleichen auch den Schwertgurt. Schließlich hatte er alles verkauft, was er besaß. Nichts war ihm mehr geblieben außer den Kleidern auf seinem Leib, und er hatte nichts mehr wegzugeben, obwohl der Kaufmann eine Menge Geld mit ihm verdient hatte. So war der Königssohn eines Morgens bettelarm. Als nun der Kaufmann zu ihm kam und fragte: »Was willst du heute weggeben?« erwiderte er: »Bei Gott, ich habe nichts mehr, was ich weggeben könnte.« Er wandte jedoch ein: »Mein lieber Herr, hast du nicht das Wort des Dichters gehört, der da sagt: Bald mit, bald ohne Kleid,
Das ist des Edlen Los.
Denn nur den Schlechten reut,
Wenn er am Ende bloß.
Du hast ein neues Obergewand aus Atlas-Seide an, das viel wert ist. Veräußere es doch und kaufe dir dafür eines aus Baumwolle. Auch das Turbantuch kannst du verkaufen und dir ein gemustertes zulegen, ebenso den Brustschutz und alles, was du sonst noch trägst.« Der Königssohn gab ihm zur Antwort: »Tue, was du für richtig hältst.« Da begann der Kaufmann seine 222
Kleidungsstücke zu verkaufen und wegzugeben und jedes Mal die Hälfte des Erlöses zu unterschlagen, bis der Königssohn schließlich überhaupt nichts mehr besaß. Auf der Suche nach dem täglichen Brot lief er ständig umher. Sein Gesicht war staubbedeckt. An dem Hemd, das er trug, fehlten Gewebekette, Gewebeeinschlag, Zwickel, Ärmel und Kragen, und es bedeckte nicht einmal ganz die Oberschenkel. Das Turbantuch war ausgefranst, hatte seine bunte Verzierung eingebüßt und war an den Enden schadhaft. Die Hose hing nur noch lose am Hosen band. Als der Kaufmann erkannte, daß er nichts mehr besaß, was er hätte weggeben oder verkaufen können, kam er zu ihm und sprach: »Du weißt, lieber Herr, daß dein Sklave ein Laden inhaber ist und daß ich dem Sultan für die Gewerbesteuer hafte. In diesem Monat sind es morgen fünf Tage, und danach beginnt ein neuer Monat! Was willst du mir also geben?« Er erwiderte: »Bei Gott, Kaufmann, ich habe nichts mehr, was ich dir geben könnte.« Jener sprach: »Lieber Herr, ich will dir die Schuld für die fünf Tage, die du hier bereits verbracht hast, schenken, aber verlasse mich nun und gehe deiner Wege.« Der Jüngling dachte bei sich: »Bei Gott, er hat meine Kleider zu willkürlichen Preisen verkauft, ohne daß ich Rechenschaft von ihm gefordert habe! Aber jeder Mensch handelt nun einmal, wie es seiner Wesensart entspricht.« Darauf erhob er sich und verließ tränenerstickt den Laden. Tiefbetrübt zog er von dannen, ohne zu wissen, wohin er seine Schritte lenken sollte. Er sagte sich: Wenn ich mich auf der Bank vor einem der Läden schlafen lege und dann vielleicht unglücklicherweise durch die Wand eines Ladens eingebrochen und etwas daraus gestohlen wird, so wird es heißen: ›Das kann nur der Fremde gestohlen haben, der auf der Bank geschlafen hat.‹« Kaum war er ein Stück Weges gegangen, da quälte ihn der Hunger. Er dachte: »Soll ich wohl die Leute um etwas von dem bitten, was sie gerade in der Hand haben? Bei Gott, dies soll nimmer geschehen!« Und er sagte sich die Verse des Kalifen ‘Alī ibn abī Tālib auf, dem Gott Ehre erweisen möge: Gestein und Felsen von der Stelle rücken Und ohne Messer pflücken Hagedorn, 223
In Meere tauchen, Berge Sandes messen, Zur Ähre wandeln das zerriebne Korn, Der Fesseln Enge, hartes Leder kauen, Vom Jungen jagen reißendes Getier: All dies ist leichter, denn als Armer betteln Und sich erniedrigen an fremder Tür. Weiter sprach er: »Bei Gott, dies werde ich niemals tun, selbst wenn ich vor Hunger und Gram sterben müßte.« So begann er umherzustreifen, bis er schließlich zu einer Moschee kam, die offen stand. Er trat ein in dem Gedanken: »Vielleicht kann ich hier die Nacht bis zum Morgen verbringen, indes Gott irgend etwas bestimmt.« Es dauerte nicht lange, da kam der Gebets ausrufer und fragte: »Wer bist du, Jüngling?« – »Ich bin ein Armer aus der Fremde; der Armen Herr aber ist Muhammad, dem Gott Segen und Heil verleihen wolle«, gab er ihm zur Ant wort. Der Gebetsausrufer wies ihn jedoch hinaus und sprach: »Fort mit dir aus dem Hause Gottes des Mächtigen und Er habenen! Du hältst mir ausgerechnet eine Äußerung über den Propheten vor! Wenn du nicht verschwindest, schlage ich dir mit diesem Holzschuh ein Loch in den Kopf.« Da erhob sich der Jüngling, während seine Augen in Tränen schwammen, und sprach: »Lieber Gott, du hast mich aus meinem Königreich vertrieben und hast dies über mich verhängt. Preis sei dir für das, was du beschlossen und verfügt hast!« Nachdem er seine Wanderung eine kleine Weile fortgesetzt hatte, kam er auf einmal an die Tür zu dem Heizraum eines Bades. Er trat hinein und sah dort einen schwarzen Heizer sitzen, der damit beschäftigt war, das Feuer zu schüren. Traurig grüßte er ihn und sprach: »Lieber Herr, würdest du mir wohl als Almosen gewähren, daß ich diese Nacht bis zum Morgen bei dir verbringen darf? Denn ich bin ein Fremder.« – »Setze dich«, gab jener zur Antwort. Nachdem er sich niedergelassen hatte, wandte sich der Heizer an ihn mit der Frage: Was arbeitest du? Erzähle! Bist du ein Grubenleerer oder ein Schinder, oder spielst du ein Klapperinstrument?« Er antwortete: »Ich verstehe mich auf keine von diesen Fertigkeiten.« – Wovon be zahlst du denn dein Essen?« fragte er weiter und erhielt die Ant 224
wort: »Mir ist, als hätte ich seit zwei Tagen nichts gegessen.« Als er noch weiter fragte: »Und was gedenkst du morgen zu essen?« erwiderte er: »Ich weiß es nicht.« Da sagte der Heizer: »Du könntest mir behilflich sein, und ich würde dich dafür versor gen.« Auf die Frage, was seine Beschäftigung sein würde, fuhr er fort: »Du schaffst mir den trockenen Dung heran, beseitigst bei mir die Nässe, ziehst die Asche aus dem Ofen, rüttelst den Dung und erledigst für uns die nötigen Einkäufe auf dem Markt.« – »Ich bin damit einverstanden, mein Herr«, antwortete er. So verbrachte er die Nacht bei ihm in dem Heizraum und begann, ihm zur Hand zu gehen, ihm den Dung herbeizu schaffen und die Asche fortzubringen. Diese Tätigkeit übte er ein volles Jahr aus. Als das Jahr zu Ende war, sagte der Heizer zu ihm: Was bist du doch ungelehrig! Du bist nun schon ein volles Jahr bei mir und kannst überhaupt noch nicht heizen.« – »Was wünschst du, mein Herr?« fragte der Königssohn, worauf der Heizer fortfuhr: »Der Bruder des Obermeisters der Grubenleerer hat ein Gastmahl vorbereitet, und sie haben mich dazu eingeladen. Es ist mir peinlich, ihnen eine Absage zu erteilen und nicht zu ihnen zu gehen; denn sie könnten sagen: ›Der Soundso hat sich eine Ausrede gemacht, er hat es nicht eingerichtet, zu unserem Gast mahl zu kommen, und die Nase über uns gerümpft.«« Der Jüng ling sagte: »Gehe nur hin. Ich werde für dich heizen.« Nun zeigte er ihm, wie er heizen sollte. Dann ließ er ihn allein und ging fort. Der Jüngling aber blieb sitzen, indem er vom Morgen bis zum Sonnenuntergang heizte. Dies betrieb er weiter, bis das erste Drittel der Nacht verstrichen war. Da hörte er plötzlich einen gewaltigen Lärm, und zu seinen Häupten standen vier Männer mit gezückten Schwertern. Einer von ihnen lief herbei, um ihn mit dem Schwerte zu erschlagen, doch da rief ihm ein anderer zu: »Töte ihn nicht.« Der Jüngling war vor Schrecken wie gelähmt. Dann packte ihn einer von ihnen und zerrte ihn aus dem Heizraum heraus, während die drei anderen etwas hielten, was wie ein aus Weidenstöcken hergestellter Koffer aussah. Diesen warfen sie in dem Heizraum ins Feuer und fragten den Jüngling: »Bist du der Heizer?« – »Nein, mein Herr, ich 225
bin der Knecht des Heizers«, gab er zur Antwort, worauf sie sagten: »Heute nacht ist dein Leben geschont worden. – Gib aber Obacht auf das, was hier ist, und verlasse es nicht. Du hast dich nur in deinem Heizraum zu betätigen! Wir kennen dich, wäh rend du uns nicht kennst!« Weiter versprachen sie, ihm am nächsten Tag etwas für seinen Lebensunterhalt zu bringen. Dann ließen sie ihn allein und gingen fort, während er vor Schrecken über das, was er erlebt und gesehen hatte, wie von Sinnen war. Danach setzte er sich hin, um zu heizen. Als er nun mitten in die Feuerstelle hineinschaute, sah er den Korb im Feuer liegen, während das Feuer ihn rings umgab, ohne irgendeine Wirkung auf ihn auszuüben. Dies wunderte ihn sehr, weil das Feuer in dem Ofen derart war, daß selbst ein Berg von der Lohe des Feuers auseinandergefallen wäre, wenn man ihn hineingeworfen hätte. Er erhob sich deshalb und schaute außerhalb des Heiz raums nach rechts und nach links. Da er keinen sah, ging er zur Aschenschaufel. Er nahm sie in die Hand, führte sie durch den Ofen und zog den Koffer heran. Als er ihn aus dem Feuer herausholte, sah er aus, als ob er niemals ins Feuer gefallen wäre. Der Jüngling fand ihn verschlossen. Er öffnete ihn, und siehe, er enthielt mit Gold durchwirkte Gewänder, wie man sie noch nie geschaut hatte. Der Heizraum erstrahlte von den Edel steinen, die an ihnen befestigt waren. Verwundert hob er sie auf und entdeckte darunter ein Mädchen, das alle Schönheit und Anmut in sich vereinte. Sie war fünf Spannen groß und hatte pralle Brüste. Ihr Wuchs glich einer Lanze und die Stirn dem Morgen. Die Wangen waren glatt, die Augen schwarz und die Hüften schwer. Preis sei ihm, der sie aus einer unbedeutenden Flüssigkeit erschaffen hatte! Der Dichter hat gleichsam von ihr gesagt: Nach ihrem Wunsch erschaffen,
Fügt die Gestalt sich ein
Der Urform aller Schönheit:
Ist nicht zu groß, zu klein.
Sie war durch einen Trank betäubt und lag ohne Bewußtsein. Der Jüngling sagte sich: »Ich werde die Gewänder, in die sie gehüllt ist, an mich nehmen und verstecken. Wenn sie dann wie226
der zu sich kommt, werde ich sagen: ›Die Leute, die dich hergebracht haben, haben deine Gewänder mitgenommene« So machte er sich daran und beraubte sie aller ihrer Gewänder, des Geschmeides und der Kleider, die sie anhatte, und ging neben den Heizraum. Dort grub er ein Loch und legte die Gewänder hinein. Dann kehrte’er an seinen Platz zurück und begann zu heizen. Nach einer Weile reckte sie sich, erwachte aus ihrer Ohn macht und sprach: »Ach, laß mich bitte etwas Duft von den Blüten einer wohlriechenden Pflanze einatmen.« Der Königssohn erwiderte: Wehe dir! Bist du von Dämonen besessen und geistesgestört?« Sie entgegnete: »Welche Torheit! Was behaup test du da?« Mit diesen Worten öffnete sie die Augen und sah, daß sie sich in dem Heizraum befand. Nun fragte sie den Jüngling: Was ist geschehen? Wie komme ich hierher? Wo sind meine Gewänder?« Er antwortete: »Ich habe keine Gewänder bei dir entdeckt«, und er erzählte ihr alles von Anfang bis zu Ende, wie sie sie ins Feuer geworfen hätten, sie aber nicht verbrannt sei und wie er sie aus dem Feuer gezogen und gehoben habe. Nachdem sie noch gesagt hatte: »Du hast recht«, stand sie auf. Inzwischen war die Zeit bis zum letzten Drittel der Nacht vor gerückt. Die Frau war aber niemand anders als die Königin jener Stadt. Nachdem der Morgen angebrochen war, befahl sie einem ihrer Diener: »Los! Hole dir ein Maultier der Wache und gehe mit ihm zu dem und dem Heizraum. Nimm dazu einen Ballen von den prächtigsten Gewändern, die du unter den Kleidungsstücken in der Schatzkammer hast, und bringe mir den Mann schleunigst her.« Der Diener machte sich auf den Weg und ging zu dem Heizraum. Inzwischen war der schwarze Heizer zurückgekehrt, während der Jüngling ausgegangen war, um etwas für ihn zu besorgen. Der Diener trat bei ihm ein und sprach zu ihm: »Lieber Herr, für einen Mann wie dich ist dies nicht der rechte Ort! Laß doch das Feuer und komm mit.« Verblüfft über diese Worte, sagte der Heizer: »Damit dürfte ich wohl kaum gemeint sein, mein Herr!« Der Diener wiederholte aber seine Aufforderung mitzukommen. Als er nun mit ihm aus dem Heizraum hinaus trat, sah er das Maultier dort mit einem Ehrengewand und mit 227
Kleidern stehen. Der Diener zog ihm das Ehrengewand an, ließ ihn das Maultier besteigen und führte ihn zum Schlosse der Kö nigin. Nachdem er um Einlaß bei der Königin gebeten hatte, führte er ihn zu ihr hinein. Als sie ihn sah, rief sie aus: Wehe dir! Was bist du überhaupt?« Er erwiderte: Verehrte Herrin, ich bin ein Menschenkind, aber ich habe gleich gesagt, daß ich nicht gemeint sein könne.« Der Diener warf ein: »Er ist es dennoch!« Die Königin fragte den Diener: »Du Unglückssklave, woher hast du diesen geholt?« Er erwiderte: »Von dem und dem Ofen.« Nun fragte sie den Heizer: »Ist in dem Heizraum nicht noch einer außer dir?« – »Ja freilich, Herrin, mein Knecht«, bestätigte er. Darauf befahl sie dem Diener: »Gehe mit ihm und bringe mir den Knecht her. Was ich diesem hier geschenkt habe, soll sein Eigentum bleiben.« So ging der Diener in Begleitung des schwarzen Dungsammlers von dannen. Dieser trat als erster zu dem Jüngling hinein. Er fand ihn vom Markte zurückgekehrt, lief auf ihn zu und ohrfeigte ihn mit den Worten: Wie oft sage ich ihm: ›Elender, arbeite für mich, dann wird es dir gut gehen, ich werde reich durch dich und will dann etwas aus dir machen‹, und bekomme immer nur ein Nein zu hören! Los, los, Erbärmlicher! Hinaus mit dir!« Da erhob sich der Jüngling und bestieg das Maultier. Der Diener begab sich mit ihm ins Bad. Nachdem er ihm den Schmutz vom Leib gelöst, ihn ordentlich hergerichtet und ihm die Haare geschnitten hatte, verließ er das Bad und legte ihm ein Gewand an, das fünfhundert Dinare wert war. Dann bestieg der Jüngling wieder das Maultier, und der Diener schritt vor ihm her, bis er zum Schloß der Königin kam. Dort stieg er von dem Maultier ab und wollte gerade hineingehen, als er den schwarzen Heizer hinter sich hereinkommen sah. Der Diener fragte ihn: »Wehe dir! Wohin willst du?« – »Ich will mit meinem Knecht hineingehen«, gab er zur Antwort. Der Diener schrie ihn aber an und schlug ihn. So kehrte er um und zog sich zurück, während sein Knecht weiterging. Nachdem der Diener für ihn um Einlaß bei der Königin gebeten und sie ihn gewährt hatte, trat er in eine geräumige Vor halle ein. Dort bekam er das Gesinde und die Dienerschaft zu Gesicht und sah an Reichtümern und üppiger Habe soviel, daß 228
es ihn seines Vaters Reich vergessen ließ, und er vergaß auch die Schmach und Niedrigkeit, in der er lebte. Er setzte seinen Gang fort, während der Diener vor ihm herschritt, bis dieser den Vor hang zurückschlug. Was er nun schaute, hatte er beim ersten Mal nicht gesehen. Es war, wie der Dichter sagt: Ihr Schleier fiel. Da rief ich voller Wonne: »Ich preise solchen Bildes Schöpferhand.« Hab stets geglaubt, es gäbe nur eine Sonne, Bis ich auf Erden ihre Schwester fand. Sie machte ihn mit ihrem Anblick schier von Sinnen, raubte ihm den Verstand und nahm sein ganzes Herz ein. Sie ließ ihn an ihrer Seite Platz nehmen und hieß Speisen bringen. Als sie vor ihr aufgetischt waren, begann sie, ihm die Bissen in den Mund zu führen, hüpfte herum, setzte sich ihm auf den Schoß und küßte ihn, bis sie genug gegessen hatten. Darauf wurden die Speisen abgeräumt und der Wein aufgetragen. Nun tranken sie bis zum Abend. Dann ging sie in eine Kammer, während er an Ort und Stelle bis zum Morgen schlief. Darauf kehrten sie zu ihrer Beschäftigung des Essens und Trinkens zurück und wiederholten ihren schönen Trautverein. Dies trieben sie drei Tage lang. Am vierten Tage ließ sie ihn kommen und sprach zu ihm: »Sieh, wie üppig du nun lebst, während ich mich danach sehne, meine Kleider zurückzuerlangen.« Er entgegnete: »Deine Kleider sind mir nicht zu Gesicht gekommen. Die Männer haben dich genauso gebracht, wie du dich selbst gesehen hast.« Jetzt fragte sie: »Was ist dir eigentlich lieber, das üppige Leben, das du nun führst, und der Genuß meines Angesichtes oder Kleider, die noch keine fünfhundert Dinare wert sind? Wenn du sie mir wieder beschaffst, will ich dir ein Vermögen von zehntausend Dinaren zahlen.« Als er dies hörte, sagte er: »Sie sind bei dem Ofen vergraben.« Da sprach sie: »So gehe – du sollst das Vermögen, das ich dir genannt habe, von mir erhalten – hole sie und komme schleunigst zurück.« Er ging zu dem Ofen, grub sie aus und kehrte mit ihnen zurück. Als sie die Kleider erblickte, strahlte ihr Gesicht vor Freude, und sie sprach: »Wisse: Daß sie in deinem 229
Besitz waren, habe ich nur dadurch erfahren, daß du mir erzählt hast, du hättest mich aus dem Feuer gehoben, ohne daß das Feuer mir etwas angetan habe. Da war mir klar, daß ich ohne meine Kleider nun eine schwarze Kohle wäre. Du mußt nämlich wis sen, daß sich hier in meinem Busen eine Perle befindet, der hun dert Sippen von Geistern dienstbar sind, und nun werde ich dir eine von den Wunderkräften der Perle vorführen.« Damit öffnete sie ihren Busen, entnahm ihm eine kleine Halsschnur und streifte eine Perle davon ab, auf der einige Zeilen geschrieben standen. Die Perle legte sie auf die Erde nieder und sprach: »Diener dieser Namen! Bei dem Namen Gottes des Allmächti gen, der auf dieser Perle geschrieben steht, ich wünsche, daß ihr zu mir heraufsteigt!« Siehe, da standen auch schon drei von ihnen, jeder zehn Ellen lang und grauenerregend an Gestalt. Ihre Augen waren schlitzförmig, und die Füße glichen denen von Vierfüßlern. Krallen hatten sie wie wilde Tiere. Den Königssohn packte Entsetzen, und er empfand tiefstes Bedauern bei dem Gedanken, daß er nichts von der Perle gewußt hatte. Die Geister sprachen zu der Königin: »Erteile deinen Befehl.« Sie antwortete: »Ich wünsche auf der Stelle die vier Männer zu sehen, die mich haben verbrennen wollen, gleichgültig ob sie in den Himmel aufgefahren oder in die Erde hinabgestiegen sind.« Nachdem sie eine kleine Weile verschwunden waren, erschienen die drei Geister plötzlich wieder und schleppten die vier Männer in Halseisen und Ketten aufs roheste herbei. Als die Königin sie erblickte, sprach sie: »Ihr Erbärmlichen! Was habe ich euch Böses getan, daß ihr mir so vergolten habt? – Laßt ihre Köpfe fortfliegen!« (Der Königssohn erzählt:) Als ich hinschaute, siehe, da waren die Köpfe der vier Männer weggeflogen. Ihre Leiber befahl das Mädchen fortzuschaffen und ins Meer zu werfen. Da nahmen sie sie auf und warfen sie ins Meer. Danach hieß sie die drei Geister wieder abtreten. (Der Königssohn erzählt weiter:) Jetzt wandte sie sich an mich und sprach: »Jüngling, diese Männer hatte ich zu meinen Tischgenossen gemacht, hatte ständig mit ihnen gegessen und getrunken, und sie durften sich meiner Jugend freuen. Allein sie waren auf nichts anderes aus als auf Hurerei und Unzucht, 230
obwohl ich ein unberührtes Mädchen bin. Wären sie nicht zu vieren gewesen, so hätten sie in der Tat ihr Ziel erreicht. Sie waren jedoch aufeinander eifersüchtig und haben sich gegenseitig hintergangen. So kamen sie schließlich überein, mich in den Ofen zu werfen. Doch Gott hat durch die segensreichen Wirkungen dieser Perle und des Namens, der auf ihr geschrieben steht, das mir von ihnen zugedachte Unheil abgewehrt.« Dann schaute sie mich an und sprach: »Meine Kleider sind in Wirklichkeit zwanzigtausend Dinare wert gewesen. Zofe, bring das Geld her!« Nachdem sie zwanzig Beutel mit zwanzigtausend Dinaren gebracht hatte, sagte die Königin: »Nimm dieses Geld und eröffne dir einen Laden. Deinen Bedarf an Speisen und Getränken findest du bei mir, desgleichen was du an Pferden brauchst; denn mein Marstall ist der deine, und mein Schloß sei dir und deiner Befehlsgewalt überantwortet. Nur werde ich nicht wieder mit dir trinken, es sei denn von Zeit zu Zeit.« – »Bei Gott, geliebte Herrin«, gab ihr der Königssohn zur Antwort, »allein die Abfälle deines Fingernagels sind in meinen Augen wertvoller als irgendein Königreich auf Erden, und da soll ich einen Laden eröffnen und dein schönes Angesicht nicht wiedersehen?« Sie ent gegnete: »Ich werde dir schwören, dich nicht von mir zu ver bannen.« Dann ließ sie den Koran bringen und wollte den Eid leisten. Da bat er sie jedoch: »Schwöre mir, daß du mich noch vierzig Tage wie bisher mit dir leben läßt, ohne daß ich von dir gehen muß.« Nachdem sie sich einverstanden erklärt hatte, lei stete sie ihm den Eid auf die festgelegte Vereinbarung. Dann ließ sie ihn schwören, ihr Vertrauen nicht zu mißbrauchen, solange er bei ihr weile. So schwor er ihr und sie ihm. Sie schenkten ein ander Vertrauen, und da sie ihr Eidwort gegeben hatten, glaubte der eine dem anderen. Dann setzten sie ihr gewohntes Leben fort, das ausgefüllt war mit Spiel und Tand, mit Freude, Heiterkeit und Weintrinken. So lebten sie ohne Unterlaß höchst vergnügt und zufrieden, bis von der vereinbarten Zeit fünfunddreißig Tage verstrichen waren. Allein im Herzen des Jünglings brannte aus doppeltem Grunde ein Feuer, das nicht verlöschen wollte, und eine Lohe, die sich nicht verbergen ließ. Der eine Grund war die heiße Liebe zu dem Mädchen und die Qual, 231
die seinem Herzen auferlegt war, da er bei ihr nicht zum Ziele kommen konnte. Der andere lag in der Perle, die das Mädchen besaß. So begann er, als ihm nur noch fünf Tage von der vereinbarten Zeit blieben, sich eine List auszudenken, mit der er zu Werke gehen wollte. Er erinnerte sich eines befreundeten Gewürzkrämers, bei dem er manchmal Platz genommen hatte, wenn er das Mädchen al lein ließ. Er sagte in diesen Fällen zu ihr: »Ich will mich etwas auf den Markt setzen und dort umhergehen. Danach komme ich wieder nach Hause«, worauf sie ihn mit den Worten verabschie dete: »Gehe mit Gott.« So ließ er sie eines Tages wieder allein und kam zu dem Laden seines Freundes. Nachdem er ihm eine kleine Weile erzählt hatte, sagte er zu ihm: »Mein lieber Herr, ich möchte dir etwas mitteilen, aber es ist mir peinlich.« – Worum handelt es sich? Sage mir, warum du dich schämst«, erwiderte jener, worauf der Jüngling fortfuhr: »Es besteht für mich kein Zweifel daran, daß ich ein Mädchen mit fürchterlichem Aussehen geheiratet habe; denn jedesmal, wenn ich komme, um ihr Ge sicht zu entschleiern, hindert sie mich daran, ohne daß ich mich gegen sie durchsetzen kann.« – »Ich stehe dir gern zu Diensten«, antwortete der Gewürzkrämer. Nun streckte der Königssohn seine Hand aus, rollte seinen Turban auf und überreichte ihm zwei Dinare. Als der Gewürzkrämer das Gold sah, griff er nach einem kleinen Behälter. Diesem entnahm er einige Mittel, packte sie in ein Blatt Papier und sagte zu ihm: »Gib ihr davon ein KIrät zu trinken. Nimm aber nicht mehr als ein Klrät; denn sonst wacht sie erst nach drei Tagen wieder auf.« – »Ich höre und gehorche«, versicherte der Königssohn, streckte seine Hand aus, nahm das Gebotene in Empfang und steckte es in seinen Busen. Dann verließ er ihn und kehrte zum Schlosse zurück. Bei seinem Eintritt fand er das Mädchen sitzend vor. Sie erhob sich für ihn, ließ ihn neben sich auf ihrem Lager Platz neh men, und sie begannen zu essen und zu trinken, bis es Abend wurde. Nun sorgte er dafür, daß sie für eine kleine Weile in ihrer Aufmerksamkeit nachließ. Er stellte sich betrunken und füllte einen Becher, den er ihr reichte. Dann füllte er wieder einen, den er selber trank. Nachdem er ihn aufs neue gefüllt 232
hatte, machte er eine Gebärde, als ob er sich hinter dem Ohre kratzen müßte. Dabei holte er von dem Betäubungsmittel, das er bei sich hatte, ein Viertel Dirhem hervor, warf es in den Be cher und reichte ihn ihr. Sie hatte den Trank kaum über die Lippen gegossen, als er sie bereits betäubte. Jetzt machte sich der Jüngling an sie heran. Er stand auf, legte sie auf ihr Lager und begann sie zu küssen. Dann griff er mit der Hand nach ihren Kleidern und streifte sie bis über die Brust hinauf. Dabei sah er, daß ihr Hosenband mit nicht weniger als zwanzig Knoten zu geknüpft war. Er begann einen nach dem anderen zu lösen. Nachdem er zehn von ihnen gelöst hatte, sah er, daß die Perle in den elften Knoten geknüpft war. Er wollte sie eben herauslösen, als er von hinten eine Ohrfeige erhielt, die ihn auf sein Gesicht fallen ließ, und ihm zu Häupten stand einem Adler gleich eine alte Frau, die zu ihm sprach: »Wehe dir, du Taugenichts! Wo sind die Eide, die du ihr geschworen hast? Wehe, du hast die Eide, Gelübde und Versprechen gebrochen! Hast du nicht gesehen, wie den vier Männern die Köpfe ohne Schwert abge schlaoni worden sind? Glaubst du etwa, daß es für dich noch eine Rettung gibt, wenn du erst ihr Angesicht entschleiert hast?« Da schaute er sie an und begann sich bei ihr herauszureden, in dem er sprach: »Trunkenheit und Liebe haben mich dazu ver leitet, liebe Herrin. Du weißt doch, daß die Liebe die Männer unzurechnungsfähig macht.« Sie erwiderte: »Bei Gott, ich ver zeihe dir, aber lege dich mit ihr schlafen, umarme und küsse sie, meinem Späherblick entgeht ihr nicht!« Er versicherte ihr: »Ich habe mir schon gedacht, daß Gott dich Unglücksalte nicht unter einer Hülle verstecken würde!« Dann machte er sich zusammen mit ihr an der Kleidung des Mädchens zu schaffen, selbst einzig und allein darauf bedacht, die Perle herauszulösen. Nachdem es ihm gelungen war, nahm er sie in den Mund. Als er sie so in sei nen Besitz gebracht hatte, erhob er sich und sprach: »Du Un glücksalte, willst du mich nicht ihr Gesicht entschleiern lassen?« Sie aber fuhr ihn an: Was redest du da, Taugenichts? Hat dich die Trunkenheit vollends überwältigt?« – »Bei Gott, liebe Herrin«, besänftigte er, »ich scherze doch nur mit dir. Im übrigen möchte ich, daß du der Königin morgen früh nichts verrätst.« 233
Dies schwor sie ihm. Dann führte sie ihn fort und brachte ihn in ein Kämmerchen, das sie hinter ihm abschloß. Sie selbst ging wieder zu dem Mädchen, knüpfte die Knoten, die er gelöst hatte, wieder fest, entfernte sich dann und legte sich an ihrer Schlaf statt nieder. Nachdem sich der Jüngling zur Ruhe begeben hatte, gedachte er seiner Heimatstadt, des Schicksals ihrer Einwohner und seines Sturzes vom Thron. Er holte die Perle hervor und sagte sich: »Ich will sie erproben, ob sie etwas taugt.« Dann legte er sie auf die Erde und sprach: »Diener dieser Namen! Bei dem Namen Gottes des Allmächtigen, der auf dieser Perle geschrieben steht, ich wünsche auf der Stelle in mein Königsschloß entrückt zu wer den!« Er hatte seine Rede noch nicht beendet, als er sich schon zwischen Himmel und Erde fliegen sah. ... Nach einer kleinen Weile stieg er plötzlich vom Dach mitten in das Schloß hinunter. Da sah er den Königsthron und den Knecht seines Vaters, der auf dem Throne schlief, während die jungen Knechte und die Diener ringsherum im Schlafe lagen. Der Königssohn tat nur wenige Schritte. Dann versetzte er dem Knecht seines Vaters einen Fußtritt, ... der ihm die Rippen zerbrach. Erschreckt wachte er auf. Als er den Königssohn erblickte, fürchtete er sich vor ihm. Er sagte sich: »Wenn die führenden Leute nicht zu ihm übergelaufen wären, könnte er nicht das Schloß überfallen.« Bei näherem Hinschauen stellte er fest, daß seine Knechte schliefen, und er sah, daß der Sohn seines Herrn keinen bei sich hatte und obendrein weder über ein Schwert noch über eine Kampfausrüstung verfügte. Er hoffte daher, ihn überwältigen zu kön nen, und nahm an, daß er sich im Schloß versteckt hätte. So richtete er sich auf und sprach: »Du Nichtsnutz, meinst du etwa, die Leute, die dir eingeredet haben, mir die Herrschaft zu entreißen, hätten ein anderes Ziel verfolgt als deinen Untergang?« Mit diesen Worten stürzte er los, um ihn zu ergreifen, und schleuderte ihn zu Boden, war doch der Königssohn für ihn wie ein Spatz in den Krallen eines Sperbers. Von seinem Mut und seiner Kühnheit haben wir ja genug erzählt. Da rief der Jüngling: »Diener dieser Namen, haltet ihn zurück!« Eben wollte sich der Knecht seines Vaters auf ihn stürzen, doch nun vermochte er es nicht. 234
Verblüfft über sich selbst, rief er seine Knechte zu Hilfe. Als sie sich erhoben, erblickten sie den Sohn ihres Herrn und erkannten ihn wieder. Karakūsch schrie sie an: Wehe euch! Ergreifet ihn.« Da aber rief der Königssohn: »Diener dieser Namen, haltet sie zurück!« Nun konnten sie sich nicht mehr von der Stelle rühren. Er schrie sie ein zweites Mal an, doch sie sagten zu ihm: »Uns geht es ebenso wie dir.« Da sprach der Königssohn zu ihm: »Wehe dir, Karakūsch! Laß dich jetzt nicht mehr nach der Herrschaft gelüsten; denn ich bin im Besitze eines Namens, mit dessen Hilfe ich diese Berge niederreißen könnte, wenn ich wollte.« – »Ich, hoher Herr«, gab er zur Antwort, »was bin ich denn schon gewesen? Der Wesir ist an allem schuld.« Als Karakūsch aufblickte, sah er plötzlich, wie der Wesir vom Dach des Hauses hernieder schwebte und ihm zu Füßen gelegt wurde. Der Wesir fragte: Wie komme ich hierher?« – »Schaue doch vor dich«, gab jener zur Antwort. Da gewahrte er den Königssohn und die Geister um sich. Der Königssohn fragte ihn: Was hat mein Vater dir Böses getan, daß du mir dieses heimgezahlt hast?« Der Wesir erwiderte: »Dein Vater hat mir das Liebste genommen, was ich besaß, und hat es an diesen ausgeliefert. Deshalb habe ich auch ihm das Liebste genommen, was er besaß, und habe es ebenfalls an diesen ausgeliefert, ohne mich nach Erlangung meiner Rache darum zu kümmern, ob dies gute oder böse Folgen hatte.« Nun befahl der Königssohn, die beiden in den Kerker zu werfen, was die Geister sogleich besorgten. Sodann rief der Herold aus, daß der Sultan heimgekehrt sei, und die Untertanen freuten sich über die Maßen. Der Königssohn ließ die Großen des Rei ches kommen. Sie erschienen und baten um Gnade, worauf er ihnen verzieh. Danach verlangte der Königssohn, daß das Mädchen geholt werde. In einem einzigen Augenblick trugen die Geister es her bei. Er erzählte ihr die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende, und sie wunderte sich darüber. Dann bat er sie um ihre Hand, die sie ihm gern gewährte. Der Ehevertrag wurde niedergeschrieben, und er heiratete sie. Nachdem er zu ihr eingegangen war, fand er in ihr eine Jungfrau, die noch kein Mann zu der Seinen gemacht hatte, und er gewann sie von ganzem Herzen 235
lieb. Als sie ihn danach um die Perle bat, sagte er: »Die Perle? Nein, sie kann nie wieder werden, was sie für uns jüngst gewesen ist, es sei denn, daß einmal eine Zeit kommt, da wir ihrer bedürfen, weil uns ein Feind überfällt, den wir fürchten müs sen.« Dann ließ er den Wesir und den Knecht aus dem Kerker holen, ließ sie kreuzigen, und sie mußten zur Strafe Hunger und Durst leiden, bis sie starben. Er aber und das Mädchen lebten hinfort in seinem Reich in lauter Freude und Wonne, bis der Tod sie trennte. Die ist die Geschichte, wie wir sie vernommen haben. Gott allein sei Preis, und er wolle Segen und Heil schenken Muham mad wie auch seinen Angehörigen und Freunden!
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8. Die Geschichte von al-Mahlīja, al-Mauhūb und der Gazelle Weiß fuß sowie dem, was dabei an Wunderbarem und Seltsamem geschah
I
m Namen Gottes des Barmherzigen, des Allerbarmers. Es wird erzählt – aber Gott weiß es am besten, er ist weiser als alle, ist der Mächtigste und Edelste, der Gütigste und Gnä digste: Als ‘Amr ibn al-‘Ās in Ägypten einrückte und nach ‘Ain Schams kam, sah er dort ein gewaltiges Gebäude, ein altes Schloß, wie er gewaltiger und größer noch keines gesehen hatte, sowie wunderbare Denkmäler aus vergangenen Zeiten. In der Nähe jenes Schlosses befand sich die Zelle eines Mönches. ‘Amr ibn al-‘Ās befahl, den Mönch zu sich zu führen. Als seine Boten zu ihm eilten und ihn von allen Seiten anriefen, nahm der Mönch die Gewänder seiner Vorfahren, die sie als glückverheißend an gelegt hatten, wenn sie zur Audienz bei einem Fürsten gingen oder wenn wichtige Ereignisse und schwere Sorgen auf sie zu kamen. Um seine Lenden legte er einen Gürtel aus rotem Leder, der mit Kreuzen aus gelber Seide bestickt war. Seine Brauen umwand er unter Freilassung der Augen mit einer Stirnbinde aus weißer Seide. Zwischen die Augen und an den Nacken hängte er je ein Kreuz aus rotem Gold. Nachdem er einige Abschnitte aus dem Evangelium gelesen hatte, trat er vor ein Bild Jesu, des Sohnes der Maria – Friede sei über beiden –, warf sich ehr erbietig vor ihm nieder und betete um Hilfe. Schließlich nahm er noch einige Becher Weines zu sich. Danach ließ er sich auf den Schultern der Diener und der Wache zu den Leuten ‘Amrs hinaustragen, wo sie ihn auf eine Eselin setzten. Diese hatte ein weißes, mit dunklen Tupfen besetztes Fell, weißes Stirn- und Schwanzhaar, und ihr Halfter war aus weißen Pflanzenfasern gefertigt. So brachen sie auf und zogen in Begleitung der Mönche hinter
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ihm her, bis sie bei ‘Amt ibn al-‘Ās ankamen. Als sie vor ihm standen, grüßte der Mönch ihn sehr ehrerbietig und bediente sich dabei einer feinen Redeweise. Jener gestattete ihm sich nie derzulassen und erwiderte höflich seinen Gruß. Zunächst be schäftigte er sich noch mit anderen, und erst nachdem der Mönch seine Scheu verloren hatte und wieder im Vollbesitz seiner gei stigen Kräfte war, fragte ‘Amr ihn: »Wie heißt du, Alter, und wieviel Lenze zählst du?« Der Mönch antwortete: »Ich heiße Matrūn und bin einhundertzwanzig Jahre alt.« ‘Amr fragte weiter: Welcher Abstammung bist du?« – »Ich bin ein Nachkomme der Apostel«, gab er ihm zur Antwort. Nun bat ihn ‘Amr: »Ich möchte, daß du mir die Geschichte dieses Schlosses erzählst, warum es erbaut worden ist und wie es kommt, daß hier Bäume wachsen und Wasserläufe angelegt sind; denn seine alten Denkmäler erscheinen mir wunderbar.« Da sprach Matrūn: Hoher Emir, das, wonach du mich fragst, ist eine seltsame Geschichte und bedarf einer ausführlichen Schilderung. Sie enthält Warnungen für Menschen, die sich warnen lassen, und nachdenkliche Dinge für solche, die zum Nachdenken bereit sind. Ich werde also dem Emir, dem Gott seinen Beistand leihen wolle, berichten, was ich von der Geschichte des Schlosses weiß, und ihm erzählen, was davon an mein Ohr gedrungen ist. Weiter werde ich ihm die Geschichte des alten, stolzen und großen Schlosses erzählen, auf dessen Trümmern dieses hier erbaut ist, und warum seine Fundamente und Säulen zerstört worden sind, werde ihm den Namen der Königin des Schlosses nennen und berichten, was für eine Bewandtnis es mit ihm gehabt hat, damit er alles deutlich vor Augen hat, so Gott will, der mächtig, groß und erhaben ist. Was ich dem Emir, dem Gott ein langes Leben schenken wolle, nun mitzuteilen habe, ist folgendes: Im Lande az-Zābadsch lebte einmal ein großer König aus dem Geschlecht des Bucht-Nasar mit Namen asch-Schimrāch ibn Dschanāh. Alle Länder beherrschte er mit seinem Zügel, und wer gegen ihn zum Kampf antrat, weil er unbotmäßig und hoch mütig war oder sich als einen Pharao oder starken Mann auf spielen wollte, den schlug er zurück. Er betete die Götzen an und 238
warf sich vor ihren Standbildern nieder. Was ihn ausfüllte, war Wein, schönäugige Mädchen und Gewalttaten, und den Frauen war er sehr zugetan. Er hatte für sich eine große Turnierstätte bauen lassen, die Mauern aus weißem Marmor und rotem Onyx mit zwei Zinnen aus reinem Marmor auf der Krone. Jede der beiden Zinnen trug einen Baum, der aus lauter roten Korallen bestand, und auf beiden Bäumen saßen Vogel, die aus vergoldetem Messing angefertigt und so eingerichtet waren, daß, wenn der Wind in ihr Inneres hineinblies, sie entzückende Weisen und staunenswerte, belustigende Tone von sich gaben. In ihre Mund höhlen legte er stark duftenden, zerriebenen Moschus, und die Schnäbel und Augäpfel ließ er aus roten Rubinen und anderen Edelsteinen anfertigen. (Im Inneren der Turnierstätte ließ er zwei Throne aufstellen.) Über dem einen befestigte er einen Baldachin aus Topasen und Smaragden, den er mit betupftem Brokat behängte. Auf den Baldachin setzte er (einen aus) Edel steinen (gefertigten und mit Duftmitteln gefüllten Geier), links des Thrones eine Gazelle aus Kristall mit zwei Jungen unter sich aus rotem Karneol. Ihr Inneres füllte er mit Dinaren und Dirhems, in die der Name asch-Schimrāch ibn Dschanāh geprägt war. Diesen Thron bestimmte er für die Male, da er huldreich und strahlender Laune war. Hatte er nämlich einen angeneh men, vergnügten und zufriedenen Tag, so nahm er auf diesem Thron Platz und ließ seine Angehörigen und Hoheitsträger vor, soweit sie bei ihm in Gunst standen. Er lächelte sie an und wandte (beim Eintreten) den Kopf zu diesem Thron mit dem Baldachin darüber. Dann kreischte und schrie der Geier, öffnete seinen Schnabel und besprengte sie mit den Duftmitteln, die er in seinem Inneren barg. Danach begannen die Gazellen ent zückende Tone von sich zu geben, ihre Mäuler zu öffnen und die in ihrem Inneren befindlichen Dinare und Dirhems über sie auszuspeien. Dazu verlieh der König Ehrengewänder an die Anwesenden, bedachte sie mit Geschenken und ließ sie edle Rosse besteigen. Den anderen Thron bestimmte er für die Male, da er verärgert und zornig war. Diesen ließ er aus gelbem Teakholz fertigen und mit blauen Saphiren besetzen. Darüber befestigte er einen Baldachin aus schwarzweißem Ebenholz, behängte 239
ihn mit schwarzer Seide und brachte darüber einen Adler aus getupftem Onyx an, der mit Naphtha und Bleikugeln gefüllt war. Rechts des Thrones stellte er einen reißenden Löwen auf, links eine ausgehungerte Löwin mit zwei Jungen unter sich, die sie säugte. Wenn er nun einen Wutanfall bekam oder überzeugt war, daß jemand etwas Böses getan hatte, setzte er sich fauchend und fluchend auf diesen Thron. Dann wandte sich der Adler um, spie Naphtha und Rauch aus und beschoß den Übeltäter mit den Bleikugeln. Danach wandten sich der Löwe und die Löwin um, packten mit den Zähnen das Opfer des königlichen Zornes, zerrissen es und fraßen es auf. Im übrigen hatte er die Turnierstätte mit zwanzig Toren aus Wächolderholz, ferner zehn aus rotem Gold für die Tage der Huld und zehn aus Blei für die Tage des Zornes versehen. Die erstgenannten zwanzig waren für die Tage bestimmt, an denen Ärger und Milde sich paarten. Die Tore behängte er mit tausend Vorhängen aus feiner Ziegenwolle und Purpur. Trotz seines anmaßenden und hochfahrenden Wesens war er gastfreundlich und verhalf den Unterdrückten zu ihrem Recht, speiste die Armen und Bedürftigen und war bestrebt, Edles und Gutes zu tun. In sein Königsschloß hatte er für sich selbst tau send Mädchen aufgenommen, die zu den schönsten Frauen ihrer Zeit gehörten. Jedem dieser Mädchen war eine besondere Leib zofe zugeordnet sowie tausend Zofen zu ihrer Bedienung, und eine jede wohnte in ihrem eigenen Gemach mit Gefolge und Dienerschaft. Wenn er nun einer von ihnen beiwohnen wollte, bestellte er sie zu sich. In vollem Schmuck und mit Wohlgerüchen aller Art eingerieben, leistete sie ihm Folge. Zunächst ging er dann zu einem Götzenbild aus rotem Gold hinein, das er sich besorgt hatte, warf sich vor ihm nieder, erwies ihm seine Ehr erbietung und sprach: »Ich will hier jetzt meinem Mädchen bei wohnen, um einen Sohn zu erlangen, der nach mir die Königsherrschaft ausüben soll. Was ich erzeuge, soll dein Diener sein.« Dann wohnte er dem Mädchen bei, und sie wurde nach dem Willen Gottes des Mächtigen und Erhabenen schwanger. Wenn sich dann herausstellte, daß sie schwanger war, sprach er zu ihr: »Falls du ein Mädchen zur Welt bringst, werde ich 240
dich Glied für Glied zerstückeln und dich die Strafe meines Zornes spüren lassen.« Nun beschloß Gott der Mächtige und Erhabene, daß die tausend Mädchen tausend Töchter zur Welt brachten, die blauschwarze Augen hatten, einäugig waren oder denen beide Augen fehlten. Jedes Mal, wenn er eine solche sah, setzte er sich auf seinen Zornesthron und ließ die Frau mit ihrem Kind kommen. Wenn sie vor ihm stand, fauchte und fluchte er und wandte ihr jenen Adler zu, worauf dieser sie mit den Bleikugeln beschoß und die Löwen sich dann auf sie stürzten und sie mit ihrem Kind zerrissen. Dann setzte er die besondere Leibzofe des Mädchens an deren Stelle und übertrug ihr deren Gefolge und Einkünfte. So hielt er es geraume Zeit, indem er seine Grau samkeit weiter betrieb und in seinem Irrtum verharrte, stolz auf seine Herrschaft und begnadet mit einer langen Frist in dieser Zeitlichkeit. Eines Nachts saß er, vom Wein umnebelt und in heiterer, vergnügter Stimmung, mit Gefolge, Dienern und Freunden zusammen. Als er danach völlig berauscht in tiefen Schlaf versank, er wachte er plötzlich voller Angst und Schrecken, riß sein Kleid in Fetzen von der Brust, warf auch seine übrigen Kleider ab und stürzte ohnmächtig zu Boden. Nachdem er einige Stunden bewußtlos gelegen hatte, erwachte er aus seiner Ohnmacht. Darauf ließ er sich zu einer öffentlichen Audienz auf dem Thron nieder, von dem man wußte, daß er ihn bei vergnügter und zufriedener Stimmung einnahm. Als nun seine Günstlinge, Kämmerer und Wesire eintraten und er ihnen ehrenvollere Plätze anwies, als ihrem Rang entsprach, fragte einer seiner Wesire ihn: Was erleben wir bei unserem Herrn, dem König? Was mag ihm nur im Schlaf widerfahren sein?« Da erzählte er ihnen folgendes: »Ich habe geträumt, daß der Adler über meinem Zornesthron gen Himmel geflogen sei, bis er meinen Augen entschwand. Dann senkte er sich wieder hernieder, doch war er inzwischen so groß und riesig geworden, daß er einem gewaltigen Kamel glich. Dabei stieß er Schreie aus, laut wie der Donner. Danach ergriff er mich mit seinen Krallen und trug mich mit dem Kopf nach unten durch die Lüfte davon. Nachdem er mich über die Grenzen meines Königreiches, ja über die Grenzen der Erde hinaus ent 241
führt hatte und ich bereits am Leben verzweifelte, ließ er sich mit mir in einer finsteren und dunklen Einöde nieder, die sehr unwegsam war und unbewohnt schien. In dieser Einöde brannte ein großes, loderndes Feuer, dessen Flamme hoch heraufschlug. Es gab dort wilde Tiere aus Feuer von der Größe riesiger Ele fanten, die mir lanzenähnliche Reißzähne ins Gesicht bleckten, indem sie Funken wider mich sprühten und im Begriffe standen, mit den Zähnen nach mir zu schnappen. Weiter sah ich dort Schlangen, so lang wie große, hochragende Dattelbäume, die auf mich zueilten. Eben schickte der Adler sich an, mich kopf über in sie hineinzuwerfen, und ich glaubte, daß mich nichts mehr vor ihnen retten könnte. Doch siehe, ein Jüngling mit schönem Gesicht und lieblichem Duft, der mit zwei grünen Schwingen zwischen Himmel und Erde flog, befreite mich plötzlich aus den Krallen des Adlers. Er setzte mich auf die Erde und begann dann, mich auf einem Kissen emporzutragen. Dabei fragte er: ›Kennst du mich?‹ Als ich es verneinte, fuhr er fort: ›Ich bin das Gute, das du den Bösen angetan hast. Ich bin die Gerechtigkeit, die du für den Schwachen von dem Starken erzwungen hast. Wenn Gott der Mächtige und Erhabene mich nicht zu dir geschickt hätte, wärest du umgekommen und verbrannt. Er hat mich um der Taten willen gesandt, die du deinen Gästen, Dienern und Freunden angetan hast.‹ Dann sah ich in einem grünen Garten mit fruchtreichen Bäumen und munter fließenden Bächen die Mütter meiner Kinder. Sie lagen auf dem Rücken, bekleidet mit Gewändern aus grünem Seidenbrokat, indes sich ihre Kinder auf ihren Bäuchen wälzten und das Blut noch aus ihren Kehlen lief. Weiter sah ich an einer Seite jenes Gartens sämtliche Statthalter der von mir unterjochten Könige, auf die Ellbogen gestützt, liegen, beschäftigt mit Plaudern und Spielen. Ich schämte mich, weil ich so traurig, sie dagegen so glücklich waren, und sagte deshalb zu dem Jüngling: ›Ich will Buße tun.‹ Ich ver sicherte ihm hoch und heilig, Unrecht und Gewalttaten zu unterlassen, das Leben der Frauen und Kinder zu schonen und mei nem Glauben nicht mehr untreu zu werden. Er gab mir zur Antwort: ›Wenn du einen Sohn haben willst, Schimrāch, so weihe ihn dem, der da ist der Eine und der Herr.‹ Damit entschwand 242
das Bild meinen Augen, und ich erwachte voller Entsetzen über das Schreckliche, das ich geschaut und leibhaftig gesehen hatte. Nun habe ich euch hergerufen, um mit euch zu beraten, und ich will mich fügen, weil mir mein Herr versprochen hat, zu seinem Wort zu stehen und seinen Befehl und seine Verheißung Wirklichkeit werden zu lassen.« Da sprachen sie alle: »Möge Gott dem König auf den rechten Weg verhelfen und ihn stärken in seinem Gehorsam! Wir teilen die Meinung des Königs über die Mahnung an ihn, über sein Heil und die Vollendung seines Glückes.« Darauf befahl asch-Schimrāch, seinen Zornesthron zu ver brennen, die reißenden Löwen zu töten und den Adler, den er zur Bestrafung der Menschen verwendet hatte, zu zertrümmern. Er ließ ihn ins Meer werfen und befahl, allen seinen Statthaltern öffentlich zu verkünden, daß sie denen, die Unrecht erleiden, zu ihrem Recht verhelfen sollten. Er unterließ es, Sünde und Missetat zu begehen, und verteilte eine Fülle Geldes an die Armen und Bedürftigen. Schließlich wurde er wieder froh. Der Geier über seinem Thron drehte sich und sprengte Wohlgerüche aus, und auch die Gazellen wandten sich um und streuten Dinare und Dirhems über die Leute. Er verlieh vornehme Ehrengewänder, und die Menschen schieden mit den Beweisen seiner Huld. Danach ließ er eines seiner Gemächer ausräumen, ging hinein und kleidete sich in ein Sacktuch aus grobem Haar. Er warf sich lange vor Gott dem Mächtigen und Erhabenen nieder und betete dabei: »Lieber Gott! Gott des Himmels! O du, der du das Wasser strömen läßt, der du die Herzen von der Blindheit befreist, der du auch mich errettet hast von Qual und Heimsuchung, nach dem ich dem grausigsten Verderben ins Gesicht geschaut hatte! Schenke mir in deiner Güte einen Sohn zur Freude meiner Au gen, zur Erfüllung meiner Hoffnung und als meinen Thron erben. Du erhörst unser Flehen und setzt deinen Willen in die Tat um.« Danach verließ er das Gemach, zog das Sacktuch aus und kleidete sich wieder wie zuvor. Er ließ das auserlesenste von seinen Mädchen kommen, zog es nahe an sich heran und drückte es an sein Herz. Als er ihr beiwohnte, wurde sie durch Gottes des Erhabenen Erlaubnis in der gleichen Stunde schwanger. Den 243
Zeitpunkt ihrer Empfängnis ließ er aufschreiben und befahl allen Schloßbewohnern, ihr jeden Willen zu tun. Nachdem sich ihre Monate erfüllt hatten, brachte sie einen Knaben zur Welt, der schön war wie der Vollmond. Diesen nannte er al-Mauhūb. Dann starb jedoch das Mädchen, und die übrigen bemühten sich, den Knaben zu säugen und zu nähren; allein er nahm keine Milch von ihnen an. Darauf zog asch-Schimrāch aus lauter Kummer zu Jagd und Hatz hinaus, um sich ein wenig zu zerstreuen. Auf einmal gewahrte er eine Löwin mit zwei Jungen. Da ihm die Jungen gefielen, befahl er, Jagd auf sie zu machen. Ohne Verletzung wurden sie eingefangen und gefesselt mitgenommen. Die Löwin folgte ihren Jungen in das Königsschloß und verlor allmählich die Angst. Nachdem sie zahm geworden war, wurde der Knabe bei ihr angelegt. Sie säugte ihn in reichem Maße, und er nahm ihre Milch willig an. Da freute sich der König und verteilte Geld an seine Untertanen. Die Löwin und ihre Jungen wurden aufs beste ernährt, und sie begann, zärtlich zu dem Kna ben zu werden und sich nicht mehr von ihm zu trennen, bis schließlich zwei Jahre Säuglingszeit verstrichen waren. Nachdem der Knabe sich dann selbst entwöhnt hatte und größer und älter geworden war, berief sein Vater die Gelehrten und Sterndeuter und befahl ihnen, den Knaben zu unterrichten und zu erziehen. In kürzerer Frist als jeder andere seiner Art lernte er alles an Wissen und Bildung, was Königssöhne brauchen. Weiter machte ihm sein Vater zur Pflicht, Reiten und Waffentragen, Jagd und Hatz zu erlernen, so daß er dies schließlich so beherrschte, daß er alles, was er wollte, erjagen konnte. Als er vierzehn Jahre alt war, ließ ihn sein Vater kommen, ermahnte ihn und sprach: »Mein lieber Sohn, bei unseren Vorvätern, unse ren ehrwürdigen Ahnen und den Königen insgesamt ist es bis auf unsere Zeit üblich gewesen, daß, wenn ihnen ein Sohn geboren wurde und er die Reife erlangt hatte, sie ihn zu der Kirche in der gesegneten und trefflichen Stadt Jerusalem schickten. Dort sollten die Bischöfe ihn in seinem Glauben unterrich ten; der Patriarch und der Erzbischof sollten ihn segnen, in das Taufwasser tauchen, abermals segnen und ihm die Evangelien vorlesen. Dabei sollte er Umkehr halten zum Herrn und Ge 244
bieter, zu dem, der angebetet wird und unser Meister ist. Dies wird dir für deine Rechtleitung, dein Heil und deinen Ruhm dienlich sein, weil es die Vollendung des Segens und die volle Wahrung des Brauchtums ist. So rüste dich und reise glücklich und erfolgreich, so Gott will.« – Weiter sprach der Erzähler: Es war bei den Königen und Mächtigen Brauch, daß, wer von ihnen mannbar wurde, zu der Kirche von Jerusalem reiste. Nachdem er in das Taufwasser getaucht war, brachte er ansehnliche Opfer gaben dar, spendete heilsame Almosen und ließ sich die Evange lien vorlesen. Ferner wurde er nach Bethlehem geführt. An den Mauern der Kirche von Jerusalem wurde neben den Bildern und datierten Namen seiner Väter auch sein Bild angebracht und sein Besuch jener Kirche zeitlich festgehalten. Dieser Tag wurde zu einem jährlich wiederkehrenden Fest erklärt, und vor seinem Bild brannte Tag und Nacht eine mit Jasminöl gespeiste Lampe aus Kristall, gleich, ob es sich um einen männlichen oder weib lichen Nachkommen handelte. Dann verließ er mit seiner Be gleitung Jerusalem. (Von dort begaben sie sich nach Baalbek zum Tempel) des Ba‘l, nach dem die Stadt Baalbek genannt ist. Der Ba‘l war ein großes, altes Götzenbild – es gibt keinen Gott außer Gott, überlegen und erhaben über alle Ebenbilder; groß ist sein Ruhm, und geheiligt sind seine Namen; es gibt keinen anderen Gott als ihn. Diesem Götzenbild pflegten sie einen Be such abzustatten und sich vor ihm niederzuwerfen. Ein Teufel aus der Schar der Zauberer und Wahrsager, die vor Ba‘l Dienst taten und daher in seinem Namen redeten, trat ein und erteilte den Anwesenden Ermahnungen, worauf dem Ba‘l Opfer und Schlachttiere dargebracht wurden und die Priester und Mönche sich betend näherten. Danach kehrten sie in ihr Land zurück, und wer von ihnen heiraten wollte, heiratete, wer sich aber zum Mönchtum berufen fühlte, der wurde Mönch. Nachdem asch-Schimrāch seinem Sohn befohlen hatte, diese Reise zu unternehmen, gab er ihm Truppen mit, versorgte ihn mit Geräten und Geldern und bestellte namhafte Mönche und Greise als Reisebegleiter für ihn. Er ließ einen günstigen Stern für ihn ermitteln und schickte ihn dann auf die Reise. Als er in Jerusalem ankam, gingen ihm die an der Kirche angestellten 245
Priester sowie die Mönche, der Patriarch und der Erzbischof entgegen. Sie brachten ihm Speisen und Anemonen und über reichten ihm schöne Geschenke. Von allen Seiten kamen sie zu ihm her. Nachdem er bei der Pforte der Kirche angelangt war, legte er ein Kleid, einen Überwurf und einen Schal aus Wolle an. Vor ihm her wurden goldene Kreuze und goldene Räucher pfannen getragen, während die Bischöfe und Mönche (ihn in die Kirche begleiteten). Nachdem er den Altarraum betreten und das Abendmahl genommen hatte, verließ er ihn wieder und schritt zu einem Bilde Jesu, des Sohnes der Maria – über beiden sei Heil – und rührte es an. Dann tauchte er in das Taufwasser und trank einige Becher Weines. Das Evangelium wurde ihm vorgelesen, und zu seinem Schutz wurden Amulette betätigt. Nachdem er schließlich auf einem für die Könige bestimmten Thron aus rotem Gold Platz genommen hatte, wurde auf eine der Wände der Kirche sein Bild gemalt sowie sein Name und das Datum des Tages verzeichnet. Während das Bild mit rotem Gold gemalt war, bestanden die Augen aus Topasen. So wirklichkeitsgetreu wurde es, daß man hätte meinen können, er spräche. Daneben wurde ein Bild der Löwin, die ihn gesäugt hatte, angebracht. Über sein Bild hängte man einen Vorhang aus schwerem Brokat, und davor entzündete man eine Lampe aus Kristall, deren Flamme mit Jasminöl gespeist wurde. Sie beleuchtete sein Bild und verlieh seiner Erscheinung einen feinen Reiz. Nachdem er alles dies bewerkstelligt hatte, brachte er Opfergaben für die Leute dar. Dann verlieh er den Anwesenden Ehrengewänder, spendete Almosengelder und erklärte die sen Tag zu einem jährlich wiederkehrenden Fest für sie. Danach begab er sich zu einem fertig ausgestatteten Haus, indes die meisten Christen vor ihm her- und die Priester rings um ihn herumschritten. In jenem Hause ließ er sich zur Ruhe nieder, ohne daß er noch irgendeinem zu Gesicht kam. Zur gleichen Zeit war auch die ägyptische Königin al-Mahlija, die Tochter des Mutārik, des Sohnes des Sābūr, nach Jerusalem gekommen. Da sie so alt wie al-Mauhūb war, hatte ihr Vater sie ausgeschickt, um es mit ihr genauso zu halten, wie es bei den gleichaltrigen Königssöhnen üblich war. Es hieß, ihrem 246
Vater seien dreißig Söhne geboren worden, doch jedesmal, wenn ein Sohn zehn Jahre alt geworden sei, sei er gestorben, obwohl sämtliche Zauberer aus Sammanüd und Umgebung, aus der Stadt und den Tempeln von Sanäflr und aus Ichmim bei ihm weilten. Als al-Mutārik sah, wie seine Söhne starben, ließ er die Zauberer, die Wahrsager und die Großen seines Reiches kommen und klagte ihnen sein Leid. Da sprachen sie: »Unwidersprechlicher König, du weißt, daß es für keinen Wahrsager, kei nen Zauberer und keinen Sterndeuter ein Mittel gegen den Be fehl und die Vorsehung des Schöpfers gibt. Allerdings hat der Pharao des Mose – Gott stärke den König – obwohl er sich in seiner maßlosen Gewalttätigkeit von Gott gelöst hatte, eine Ein siedelei gehabt, in die er sich zurückzog, wenn er in Schwierigkeiten geriet und sich nicht mehr zu helfen wußte. Er verweilte dort allein und kam erst dann wieder zum Vorschein, wenn sein Wunsch erfüllt war und er sein Ziel erreicht hatte. Unser Rat ist, daß auch du dich in eine Einsiedelei zurückziehst und dort das gleiche wie der Pharao tust. Vielleicht klärt sich dann dieses Dunkel für dich auf.« – »Ihr habt mir einen vortrefflichen Rat erteilt«, gab er ihnen zur Antwort und vergalt es ihnen mit Wohltaten. Dann zog er sich in eine solche Einsiedelei zurück. Er fand in ihr den Boden mit Asche bestreut, fand dort einen wol lenen Rock, und von der Decke der Zelle hing eine eiserne Handschelle herunter. Den Rock zog er an, legte seine Hände in die Schelle und wälzte sich in der Asche. Demütig betend sprach er: »O Gott des Mose! O Herr des Jesus! Der du die Lebenden sterben läßt und die Toten wieder zum Leben erweckst, nimm mir meine Sorge und schenke mir ein Kind zur Freude meiner Augen und zu meiner Unterstützung.« Danach verließ er die Einsiedelei wieder, bestellte das erlesenste von seinen Mädchen und wohnte ihr bei. Diese wurde schwanger, und als die Zeit ihrer Schwangerschaft beendet war, gebar sie eine Tochter, schön wie die aufgehende Sonne. Er pries Gott für seine Gnade und nannte seine Tochter al-Mahlīja. Dann bestellte er die Ammen und Wärterinnen, und als sie größer wurde, ließ er die Gelehr ten für sie kommen. Alles, was die Königskinder brauchen, ließ er sie lernen, dazu noch Zauberei und Wahrsagerei, so daß sie 247
am Ende alle ihre Zeitgenossen an Schönheit, Vollkommenheit und Bildung übertraf. Nachdem sie vierzehn Jahre alt geworden war, wollte er ihr Gewalt über die Angelegenheiten seines Reiches geben, weil er sah, daß sie sich gut auf die Regierungskunst verstand. Um den Brauch der Vorfahren bei ihr innezuhalten, schickte er sie nach Jerusalem. Er ordnete ihr viele Truppen bei und versorgte sie reichlich mit Geld. Ihre Mutter, ihre Ammen und Wärterinnen sowie tausend Bedienstete von ihren Leibeigenen sandte er mit ihr. Nachdem er ihr noch ans Herz gelegt hatte, was sie tun mußte, schickte er sie los. So trat sie die Reise an und kam schließlich bei der Kirche zu der gleichen Zeit an wie al-Mauhūb. Dies geschah, weil Gott der Mächtige und Erhabene seinen Willen durchführen wollte. So trat sie ein und tat das gleiche wie die anderen, indem sie das Abendmahl nahm, das Jesusbild küßte und den Segen empfing. Danach setzte sie sich auf den goldenen Thron, um ihr Bild malen zu lassen. Während dies geschah, sah sie plötzlich das Bild von al-Mauhūb in seinem frischen Glanz, davor die brennende Lampe und an der Seite die Löwin. Obwohl sie durch andere Bilder von diesem abgelenkt wurde, kehrte ihr Blick immer wieder zu ihm zurück, und die anderen sah sie überhaupt nicht mehr. Verblüfft starrte sie es lange an, in seine Betrachtung versunken sowie in Ge danken und Staunen darüber, bis der Maler mit der Schaffung ihres eigenen Bildes fertig war. Danach verteilte sie ihre Almo sen und brachte ihre Opfergaben dar, ohne mit ihren Gedanken bei der Sache zu sein. Als den Leuten ihre Unaufmerksamkeit zu lange währte, trat der Ehrwürdigste von ihnen vor und fragte sie: »Große Königin und erhabene Herrin, warum sitzt du da und schaust immer noch auf dieses Bild, obwohl du deine Obliegenheiten erfüllt hast, die Leute vom Schweiß geplagt und von Unruhe getrieben sind und auch deine Glieder von der Reise erschöpft sind?« Da wandte sie sich dem Sprecher zu mit den Worten: »Erzähle mir, wessen dieses Bild ist, mit dem ich kein anderes unter den Bildern dieser Kirche vergleichbar finde, und wann es gemalt worden ist.« – »Dies ist das Bild des Königs al-Mauhūb ibn Schimrāch ibn Dschanāh az-Zābadschī«, gab 248
der ehrwürdige Patriarch zur Antwort, worauf sie weiterfragte: »Und was bedeutet diese Löwin neben ihm?« – »Dies ist die Löwin, die ihn gesäugt hat«, erklärte er ihr. Sie sprach: »Die Löwin wird seinem Herzen größte Tapferkeit und seiner Stärke höchste Kraft verliehen haben. Wann ist er zu dieser Stadt gekommen?« – »Er hält sich noch hier auf und ist bis jetzt noch nicht nach Hause zurückgekehrt«, antwortete er, und während der Patriarch ihr berichtete, ergriff der Satan Gewalt über ihr Herz. Danach machte sie sich zu dem Hause auf, das für sie hergerichtet war, damit sie dort der Ruhe pflegen könnte. Als sie daselbst allein war, kam eine Traurigkeit nach der anderen über sie. Seufzer um Seufzer entrang sich ihrem Munde. Köstliche Speisen und kühlen Trank lehnte sie in gleicher Weise ab. Schließlich ließ sie ihre Mutter kommen und sprach zu ihr: »Man hat mir gesagt, es sei hier einer der mächtigsten Könige mit Namen al-Mauhūb ibn asch-Schimrāch ibn Dschanāh in der gleichen Absicht wie wir anwesend und es sei Brauch der Könige, wenn sie sich in einer Stadt treffen, einander wertvolle Gaben und feine Geschenke zu überreichen. Ich möchte ihm daher solche Kostbarkeiten und Gewänder Ägyptens schenken, daß ich einen Eindruck auf ihn mache, von dem noch die Könige nach mir erzählen werden.« Da ihre Mutter gleicher Meinung war wie sie, ließ sie ägyptische Kostbarkeiten für ihn kommen, Gewänder, wunderschöne Edelsteine, recht muntere Reittiere, sehr hübsche Sklaven, beste Rennpferde, ganz weiche Ziegenwolle und edlen Wein. Von jeder Gattung wählte sie unbeschreiblich viel als Geschenk für ihn und ließ das, was davon aufgeladen werden mußte, auf hundert rote Kamelinnen laden. Alles dies schickte sie durch ihren besten Wesir und schrieb dazu einen Brief an ihn, in dem es nach der Überschrift mit ihrem Namen hieß: »Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Allerbarmers, des Gottes des Himmels, dessen, der das Wasser fließen läßt, die Dinge erschafft, die Toten erweckt und die Lebenden sterben läßt. Ich schicke dir, mit Kraft begabter König, dies als ein Ge schenk, um ein Gebot meines Glaubens zu erfüllen und meine Pflicht zu tun, nachdem ich erfahren habe, daß du glücklich in diesem Lande weilst. Ich überreiche dir als Geschenk, was ich 249
von den Edelsteinen Ägyptens gerade zur Hand habe, obwohl es nur ein Teil dessen ist, was unser Herr einem seiner Sklaven schenken würde. Wenn er es für richtig hält, die Annahme zu befehlen, so möge er es tun, so Gott der Mächtige und Erhabene will. Gott erhöhe seinen Stand und lasse seine Entschlüsse Wirklichkeit werden!« Danach versiegelte sie den Brief. Nachdem das Geschenk, das sie ihm zugeschickt hatte, bei al-Mauhūb angekommen war und er ihren Brief gelesen hatte, war er von ihrer Klugheit überzeugt und teilte ihre Auffassung. Er nahm ihre Geschenke an und gewährte ihrem Wesir Eintritt. Nachdem er ihn hatte vortreten und näherkommen lassen, fragte er ihn nach al-Mahlīja. Der Wesir nannte ihm ihre Namen sowie die ihres Vaters und ihrer Mutter. Da erschien sie ihm von hohem Ansehen, und im Herzen beschäftigte er sich mit ihrem Preis. Sodann schrieb er einen Brief an sie, in dem er ihr mitteilte, daß er das Geschenk erhalten und angenommen habe. Danach schickte er ihr wertvolle Geschenke aus den Erzeug nissen seines Landes, indisches Aloe-Holz, Moschus, Ambra und Kampfer, lud es auf ein baktrisches Kamel und ließ seinen Wesir dazu schreiben: »Im Namen des allmächtigen Gottes, des urewigen Herrn und des erhabensten Zeugen. Hohe, große, gütige Königin, es hätte sich mehr gehört, daß ich dir jenes hätte zukommen lassen und daß ich als erster dir ein Geschenk gemacht hätte. Du bist mir jedoch mit deinem Edelmut zuvorgekommen und hast mit deinem schönen Hulderweis nicht gewartet. Ich schicke hiermit der Königin weniger, als einer ihrer Sklaven verdient, im Vertrauen darauf, daß sie mich entschul digt. Wenn sie es für richtig hält, die Annahme des Geschenkes zu befehlen, so handelt sie wohltätig und gnädig, so Gott der Mächtige und Erhabene will.« Dann versah er den Brief mit der Anschrift: »Der ängstliche Sklave, König al-Mauhūb, an die unwidersprechliche Königin al-Mahlīja.« Sie nahm sein Ge schenk mit hohen Ehren an und freute sich sehr darüber. Nach dem sie das Siegel seines Briefes erbrochen hatte, bedeckte sie ihn mit Küssen. Ihre Liebe zu ihm nahm an Leidenschaft zu, und in ihrer Ratlosigkeit weinte und trauerte sie ständig, indem sie tagelang keine Ruhe fand. 250
Danach ließ al-Mauhūb seine Zelte hinausschaffen und außerhalb Jerusalems aufschlagen, weil er zu dem Ba‘l wallfahren wollte. Er ging noch einmal in die große Kirche, um das Abendmahl zu nehmen und sich von ihr zu verabschieden. Als alMahlīja dies erfuhr, ließ sie ebenfalls ihre Zelte hinausbringen und in der Nähe der Zelte Mauhūbs aufschlagen. Mit verschleiertem Gesicht und das Haupt mit dem Turban bedeckt, stand sie dort mitten unter ihren Soldaten. Nachdem al-Mauhūb sich von der Kirche verabschiedet und an die Armen und Bedürftigen Almosen verteilt hatte, ging er hinaus zu seinem Zelt bei seinen Truppen und seinen erlesenen Dienern. Inzwischen war sein Licht voll aufgegangen und seine Schönheit noch einmal so groß, da nun sein Schnurrbart sproßte und der Flaum auf seiner Wange wuchs. Sein Liebreiz erstrahlte, seine Augenbrauen waren schön geschwungen, und das Letzte an Vollkommenheit verlieh ihm das Schmachten seiner Blicke. Er trug ein Obergewand aus rotem, golddurchwirktem Brokat, besetzt mit Rubinen und bunten Perlen. Sein Haupt bedeckte ein blauer Turban jemenischer Herkunft. Um den Hals hatte er ein indisches Schwert hängen, dessen Träger aus goldenen Fäden gewebt waren. So ritt er auf einem hohen Fuchs, begleitet von fünfhundert Bur schen seinesgleichen, die goldene und silberne Stäbe in den Händen hielten, in Gewänder aus Brokat gekleidet waren und um die Lenden vergoldete Gürtel und auf den Häuptern bunte Turbane trugen. Als er an dem Zelt Mahlījas und ihren Soldaten und Heeresabteilungen vorbeikam, blieb er stehen, um sie selbst, die Schönheit ihrer Zelte, die Dichte ihrer Heeresabteilungen und die Größe ihres Gefolges zu betrachten. Wem gehören diese schön bereiteten Zelte und gut geordneten Abteilungen?« fragte er, und man sagte ihm: »Der Ägypterin al-Mahlīja, der Tochter des Mutārik, des Sohnes des Sābūr.« Während er seine Betrach tungen anstellte und umherschaute, wurde al-Mahlīja allmählich klar, was er für ein Mann war und welche Vorzüge er besaß. Es fehlte nicht viel, daß die Leidenschaft ihren Verstand überwältigt und ihre Selbstbeherrschung zunichte gemacht hätte. Sie bezwang sich jedoch und eilte in ihr Zelt, wo sie in Ohnmacht fiel. Weinend und ohne zu wissen, was mit ihr geschehen war, 251
stand ihr Gefolge um sie herum. Nachdem sie einen Teil des Tages in diesem Zustand verbracht hatte, erwachte sie aus ihrer Ohnmacht. Ihre Mutter fragte sie, wie sie sich fühle und was ihr zugestoßen sei. Sie antwortete: »Liebes Mütterchen, als ich dort aufrecht stand, wurde ich auf einmal müde und fiel in Ohnmacht, ohne daß mir sonst etwas fehlt.« Da sprach ihre Mutter eine Zauberformel über ihr aus und spendete danach Almosen für sie. Als dann die Nacht al-Mahlīja einhüllte, wälzte sie sich in ihrem Schmerz einsam auf ihrem Lager hin und her, allein mit ihrem Leid, indes die Tränen über ihre Wangen flössen wie Perlen auf Korallengrund, und dies währte die ganze Nacht. Am nächsten Morgen wurden auf ihren Befehl die Zelte abgebrochen und die Packsättel nach vorn gebracht. Sie selbst legte eines ihrer prächtigsten Gewänder an. Dann setzte sie sich an der Spitze ihrer Dienerschaft und ihrer Truppen in Bewegung und ließ ein Kreuz aus rotem Gold mit einem leuchtenden Rubin in der Mitte auf einer langen Stange vor sich hertragen. Sie zog an den Zelten Mauhūbs in der Weise vorbei, daß er sie sehen konnte, und sprach zu ihren Wesiren: »Wenn al-Mauhūb euch nach mir und meinem Namen fragt, so antwortet ihm: ›Er ist der Wesir der Mahlīja. Er erfreut sich gegenwärtig hohen Ansehens bei ihr und nimmt eine bevorzugte Stellung bei ihr ein.‹« Als nun al-Mauhūb ihre Pracht sah, kam er ihr mit dem Gruß zuvor und erkundigte sich nach ihr. Man sagte ihm: »Al-Mahlīja ist in Begleitung ihrer Soldaten schon vorausgezogen.« Nun fragte er sie: Wie heißt du, Jüngling?« Sie erwiderte: »Ich bin Muchādi‘, der Wesir der Königin al-Mahlīja«, worauf er fort fuhr: »Gott schenke dir ein langes Leben! Ich sehe, daß du ein kluger und gescheiter Mensch bist. Hast du wohl Lust, mich heute zu begleiten, um mir auf der Pirsch zu helfen? Ich habe nämlich gehört, es gebe an unserem Wege viel Wild.« Sie erwiderte: »Da sage ich nicht Nein; denn wo gekämpft wird, fühle ich mich wohl.« In der Nacht sprach dann jeder von bei den im Traume von dem anderen. Am nächsten Morgen schickte al-Mauhūb einen vornehmen Mann aus seiner Umgebung als Boten zum Zelte Mahlījas, um sich nach ihr und ihrem Wesir 252
al-Muchādi‘ zu erkundigen. Seinem Boten wurde der Bescheid gegeben, al-Muchādi‘ werde zur Zeit von al-Mahlīja in einer Angelegenheit in Anspruch genommen und er lasse ihn grüßen. Als al-Mauhūb dies erfuhr, befahl er aufzubrechen, bekümmert darüber, daß er auf sie verzichten mußte. Al-Mahlīja dagegen zog die Abreise den ganzen Tag über hinaus, um Mauhūbs Herz noch mehr einzunehmen und ihn wegen ihrer Leidenschaft ganz für sich zu gewinnen. Am Abend befahl sie dann den Aufbruch. Die Nacht hindurch zog sie inmitten ihrer Soldaten des Weges dahin. Als der Morgen anbrach, legte sie ein anderes Gewand an. Ein schwarzes Pferd mit vergoldetem Sattel reitend, umgeben von den Sklaven und Dienern mit ihren goldenen und silbernen Stäben, holte sie die Soldaten Mauhūbs ein und stand schließlich vor seinem Zelt. Auf ihre Bitte um Einlaß ging der Türhüter zu ihm hinein und unterrichtete ihn über die Ankunft Muchādi‘s. Außer sich vor Freude, ging er dem vermeintlichen Wesir entgegen, empfing ihn und umarmte ihn mit den Worten: Verehrter Herr, was hat dich von mir abgehalten? Ich hatte einen Boten ausgesandt, um mich nach dir zu erkundigen. Es war ihm nicht möglich, eine Zusammenkunft zu erreichen.« Sie erwiderte: »Verehrter Herr, die Königin hatte plötzlich etwas zu erledigen, und ich war deshalb bei ihr.« Nachdem sie sich eine Zeitlang unterhalten hatten, traf ein Brief seines Vaters asch-Schimrāch ein, in dem er sich nach seinem Befinden er kundigte und ihn zur Eile trieb. Nun ging sie schleunigst zu ihrem Reittier, und auch al-Mauhūb erhob sich, um ihr Lebe wohl zu sagen. Er bat sie, den Rest des Tages zusammen mit ihm zu verbringen; doch sie lehnte es ab. So ritt sie fort zu ihrem Zelt, verstört und traurig, und ihre Heimsuchung war noch schlimmer geworden. Aber auch Mauhūbs Leid war noch bitterer und sein Kummer noch größer geworden, obwohl er in dem Wahn lebte, mit al-Muchādi‘, dem Wesir der Königin, geplaudert und Gesellschaft gepflogen zu haben. Nachdem sie zusammen aufgebrochen waren, begannen sie, Geschenke und Botschaften auszutauschen und sich auf dem Wege und beim Jagen zu treffen. Dabei waren beider Herzen voller Sehnsucht und Liebe, ohne daß einer vom anderen wußte, 253
wie es um ihn stand, bis sie die Stadt des Ba‘l erreichten. Al Mauhūb betrat sie in Mönchsgewandung, indem er sich demü tigte und erniedrigte. Er senkte die Stirn vor Ba‘l bis zur Erde und küßte ihn. Nachdem er seine Kerzen angesteckt und seine Lampen mit Jasminöl entzündet hatte, nahm er auf einem Thron Platz, indes die Priester und Mönche vor ihm standen, und brachte ein Opfer dar. Nach Beendigung des Opfers redete Ba‘l, indem er al-Mauhūb ansprach und ihn darüber belehrte, wohin sein Glaube ihn führen und was mit ihm dermaleinst geschehen könnte. Er ermahnte ihn, sprach Verbote und Befehle aus, und am Ende seiner Rede verkündete er ihm mit dem Abschieds gruß: »Erhabener König, unübertrefflicher und unerreichbarer Herrscher, du wirst Trauer und Ängste erleben, Schrecken und furchtbare Ereignisse, die Enthüllung verborgener, verhüllter und geheimer Dinge, Schwierigkeiten, Sorgen und Aufgaben, eine nach der anderen, dies alles von einer liebreizenden Gazelle in Gestalt eines in Leidenschaft verstrickten und liebes wunden Menschen. Darum betreibe deine Sache mit Bedacht, Mauhūb, – und nun lebe wohl, hochgemuter König!« Al Mauhūb verstand nicht, was er ihm verkündete, und wunderte sich über seine Worte und seinen feierlichen Orakelspruch. Er wußte nicht, was damit gemeint war, und empfand eine Scheu, den Sprecher zu fragen, was der Ba‘l mit seinen Worten habe sagen wollen. Am Morgen des gleichen Tages hielt auch alMahlīja ihren Einzug. Sie verrichtete zunächst alles, was bei frommen Leuten üblich war, und setzte sich dann auf den Thron, um die Befehle und Verbote des Ba‘l anzuhören. Nachdem er ihr seine Befehle und Verbote kundgetan hatte, fügte er am Schluß seiner Rede hinzu: »Du wirst hoch steigen, Königin, und wie hoch! Du wirst froh und glücklich werden und über die Könige der Menschheit herrschen.« Weiter verhieß er der Kö nigin ihren Freund sowie daß er treu zu seinem Worte stehen und sie vor ihm her reisen werde. Sie wußte nicht, was der Ba‘l ihr hiermit sagen wollte. Nur das eine empfand ihr Herz, daß von al-Mauhūb die Rede war, und sie verzichtete darauf zu antworten. Nachdem sie Opfer dargebracht und Almosen gespendet hatte, stieg sie zu Pferde, und al-Mauhūb tat das gleiche. 254
Als sie dann ihr Pferd von dem seinen wegtrieb und ihres Weges ziehen wollte, beschwor al-Mauhūb sie, zusammen mit ihm Steigbügel an Steigbügel zu reisen. Dies tat sie. Dabei trug sie einen jemenischen Falken auf den Händen, während die anderen Falken, die weißen Königsfalken, die Jagdpanther und die Hunde den beiden folgten. So zogen sie dahin. Als sie dann das Jagdgebiet erreichten, bogen sie zusammen vom Wege ab und jagten den ganzen Tag. Sie erlegten eine Menge Wild, und al-Mauhūb schien Mahlījas Miene glückverheißend. Als sie dann zusammen zu ihren Zelten zurückkehrten und sie al-Mauhūb freundlich Lebewohl sagte, sprach er zu ihr: »Mein lieber Gesell Muchādi‘, ich hätte gern, daß du mit mir zu meinem Zelt kommst, dich von mir bewirten läßt und wir uns den Rest des Tages unterhalten.« Sie entschuldigte sich jedoch bei ihm mit den Worten: »Verehrter Herr, die Königin hat inzwischen haltgemacht, und ich muß unbedingt vor ihr Dienst tun. Wenn dies nicht wäre, würde ich mich beeilen, deiner Einladung Folge zu leisten.« Da hob al-Mauhūb sie auf eines von seinen Pferden und gab ihr Grüße an die Königin mit, wähnte er doch bei alledem, er plaudere und pflege Gesellschaft mit al-Muchādi‘, ohne zu wissen, daß es vielmehr die Königin war. Nachdem al-Mahlīja zu ihrem Zelt fortgeritten war, ging al-Mauhūb mit dem, was er an Jagdbeute hatte, zu dem seinen. Bei ihrem Scheiden hatte sich Mahlījas Kummer verdoppelt, und ihre Traurigkeit war noch gewachsen. Ebenso erging es al-Mauhūb. Zu ihrem Zelt zurückgekehrt, verbrachte al-Mahlīja die Nacht unter vielen Qualen und stetem Seufzen. Als dann der Morgen dämmerte, hatte sie bis zum Überdruß wach ge legen, aber nun wurde im Schlaf ihr Grübeln nur noch stärker. Inzwischen traf ein Bote mit einem Brief ihres Vaters ein, in dem er sie zur Eile antrieb. Bestürzt, entsetzt und unter ständigem Weinen erwachte sie und fiel sodann in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, trat ihre Mutter zu ihr herein und fragte sie: »Mein liebes Kind, was ist mit dir geschehen?« Sie erwiderte: »Ich habe geträumt, ich befände mich inmitten eines grünen Gartens mit belaubten Bäumen und munter fließenden Bächen. Während ich in die Betrachtung dieses schönen Bildes 255
versunken war, erfüllte ein gewaltiger Löwe die Erde plötzlich mit seinem Gebrüll und kam geradenwegs auf mich zu, ohne ein anderes Ziel im Auge zu haben. Vor mir angekommen, kauerte er sich auf die Erde, und auf einen Wink von mir zeigte er sich fügsam. Nun packte ich seine Stirnlocke und schwang mich rittlings auf seinen Rücken, worauf er sich erhob und mich zu meiner größten Freude in angenehmster Weise des Weges einhertrug. Während ich so auf ihm ritt, riß mich auf einmal der Bote mit dem Brief des weisen Königs aus dem Schlaf. Da ergriff mich ein solcher Schmerz, daß meine Tränen versiegten, weil mir nun die Freude genommen war, durch die fließenden Bäche zu reiten.« Die Mutter aber sprach zu ihr: »Meine liebe Tochter, deine Wünsche werden dir erfüllt werden; denn die Deutung dieses Traumes ist glückverheißend: Der Garten bedeutet ein herrliches Leben, und der Löwe ist der König des Obersten der Könige. Du wirst ihn beherrschen, und er wird sich vor dir beugen.« Dies linderte ihren Schmerz, und sie be gann wieder, über das Erlebnis mit al-Mauhūb nachzudenken sowie darüber, daß ihre beiden Väter sie zur Eile auf ihrer Reise angetrieben hatten. Nachdem sie ein schönes Antwortschreiben an ihren Vater verfaßt hatte, begab sie sich noch zur gleichen Stunde in größtem Prunk und höchster Pracht zu alMauhūb. Ihr voran schritten ihre Sklaven, einige von ihnen mit Geschenken beladen, die sie al-Mauhūb überreichen wollte. Unter anderem hatte sie ihm einen Spiegel als Geschenk ausgesucht, in dem er beim Hineinschauen al-Mahlīja sehen konnte, wo sie sich gerade befand, so daß, wenn er einen Teppich ausbreitete, in den Spiegel schaute und sich dann zum geeigneten Zeitpunkt darauf niederlegte, er al-Mahlīja leibhaftig neben sich liegen sehen konnte. Als sie bei ihm ankam, trat er zu ihr hinaus und empfing sie mit den Worten: »Mein lieber Gesell Muchādi‘, die Trennung von dir quält mich sehr, und dein Aufbruch verursacht mir großen Kummer und Schmerz.« Sie erwiderte: »Die Königin al-Mahlīja hat sich entschlossen, so Gott der Erhabene will, morgen aufzubrechen. Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden und dir ihren Gruß zu überbringen. Sie läßt dir sagen: ›Ich schenke dir hier eine Gabe, 256
die dich an mich erinnern soll, wenn du allein, und die dich erheitern soll, wenn du traurig bist, und falls du das Bedürfnis empfindest, unser Land zu beherrschen, so gib es uns soweit zu Lehen, wie du dir ein gutes Ergebnis davon versprichst.‹« Diese Mitteilung steigerte noch Kummer und Traurigkeit bei ihm. Nachdem er das Geschenk angenommen hatte, erhob sich al Mahlīja, indes er nicht den geringsten Zweifel daran hegte, daß sie der Wesir al-Muchādi‘ war. Sie verabschiedeten sich voneinander, und al-Mahlīja schwang sich wieder aufs Pferd, wäh rend er stehenblieb. Als sie fest im Sattel saß, bat er sie: »Mein lieber Gesell Muchādi‘, überbringe der Königin meinen Gruß und bestelle ihr, welchen Wunsch sie auch immer hat, sie soll ihn mir schreiben, und er wird ihr bestens erfüllt werden.« Sprach’s und kehrte in sein Zelt zurück, traurig und bekümmert, ohne seinen Tränen Einhalt gebieten oder Schlummer finden zu können. Nun hatte al-Mauhūb eine schöne Gazelle bei sich, die er am Anfang seiner Jagd mit al-Mahlīja gefangen hatte. Da sie ihm gefiel, hatte er sie in seiner Nähe behalten. Als er in jener Nacht mit seinem Leid allein war und eine Traurigkeit nach der anderen über ihn kam, begann die Gazelle zusammen mit ihm zu weinen und zu schluchzen. Dies beunruhigte ihn, und er wun derte sich über sie. Am nächsten Morgen schickte er einen Boten zu einem der Wahrsager des Ba‘l. Als der Bote diesen herbeibrachte, sagte al-Mauhūb zu ihm: »Schau dir diese Gazelle an! Ich habe ein Erlebnis mit ihr gehabt, das mir einen Schrecken eingejagt hat. Mir ist nämlich heute nacht etwas widerfahren, was mich hat weinen lassen, und da habe ich gesehen, daß mein Weinen auch bei ihr Tränen ausgelöst hat.« Der Wahrsager ant wortete ihm: »Dies ist eine Frau aus menschlichem Geschlecht, die in eine Gazelle verzaubert worden ist. Ihre Erlebnisse sind wunderbar, und ich sehe voraus, daß dir viel Freude bei ihr zuteil werden wird. Wenn der König befiehlt, daß ihre Fesseln gelöst werden sollen, damit er erfährt, was sie weiß, so will ich es tun.« – »Dies ist mir sehr lieb«, erwiderte al-Mauhūb. Nachdem dann der Wahrsager einige geheimnisvolle Worte geredet hatte, schüttelte sich die Gazelle und verwandelte sich 257
wieder in ein schönes Mädchen, das an Liebreiz mit der Sonne wetteiferte und den Mond beschämte. Al-Mauhūb warf ihr etwas zur Bedeckung über. Sodann näherte er sich ihr, um sie zu fragen, welche Bewandtnis es mit ihr habe und was ihr widerfahren sei. Da sprach sie:
Die Geschichte von der verzauberten Gazelle, dem Grund ihrer Verzauberung und wie sie durch den König al-Mauhūb erlöst wurde O König al-Mauhūb, großmächtig und wider Vorwitz hinter Schleijrn verborgen, was ich dir zu berichten habe, ist erstaun lich, und meine Geschichte ist lang, wunderbar und seltsam. Ich will sie dem König erzählen, damit er eine Lehre aus meiner Erfahrung zieht und durch die Schilderung meiner früheren Erlebnisse Trost für sich selbst findet. Wisse, o König, daß ich eine Frau aus altem persischem Fürstengeschlecht bin und al-Haifā’, Tochter des Dschairūn al-Muschāwir, heiße. Mein Vater war ein König von Persien, prächtig in seinem Äußeren, klug, machtvoll und sprachgewandt. Außer mir ward ihm kein Kind geboren. Aus Liebe zu mir baute er neben seinem Schloß ein zweites, das er mit Teppichen und Vorhängen aufs üppigste ausstattete. Er versah es mit einem Garten, in dem er wilde Tiere und Vögel aller Art sich frei bewegen und Wasserspiele sprudeln ließ. In diesem Schloß ließ er mich mit einer Amme von mir, die eine zuverlässige Frau war, wohnen und schickte uns allerlei Speisen und Getränke. Ihn selbst sah ich jedes Jahr nur ein einziges Mal. Als ich, zum Mädchen erblüht, auf arglistige und wol lüstige Gedanken kam und die Pläne der göttlichen Vorsehung mich umfingen, ging ich eines Tages zu einer an der Gartenseite gelegenen Mauer meines Schlosses, löste einen Stein aus ihr heraus und hielt Ausschau. Als ich die Gärten gewahrte, wun derte ich mich, weil ich wähnte, es gebe in der ganzen Welt kein anderes Wesen als mich und meine Amme. Während ich meinen Blick schweifen ließ, tauchte plötzlich nach einiger Zeit eine wunderschöne Gazelle auf, wie mein Blick etwas Ähnliches im 258
Schloß noch nicht erschaut hatte, mit reinfarbigen Augen, wei ßen Füßen und bunten Hörnern, einem Zweige vergleichbar, und mit Pupillen wie reines Gold. Sie blieb mir gegenüber stehen, und da ich sie liebreizend fand, war mein Blick von ihr gebannt. Ich rief meine Amme herbei, zeigte ihr die Gazelle, und auch sie fand sie schön. Nun bat ich die Amme, eine List anzuwenden, um sie einzufangen. Diese lief hinunter und ging auf sie zu. Sie bewirkte, daß sie stehenblieb, ergriff sie und brachte sie zu mir herein. Ich trug sie mit mir herum und hatte meine Freude an ihr. Im übrigen begann ich sie mit geschältem und mit Bienenhonig vermengtem Sesam zu füttern und Milch mit Wein für sie zu mischen. Ich sorgte unablässig für sie, und ich wurde nicht müde, sie anzuschauen, ebenso wie sie mich. Als ich eines Tages untätig saß, schüttelte sich auf einmal die Gazelle heftig, und vor mir stand ein schöner, hübscher Jüngling, der mich anschaute. Ich ängstigte mich vor dem, was sich meinen Augen bot, und sein Anblick flößte mir Schrecken ein. Der Jüngling hub an, in wohlgesetzten Worten zu mir zu sprechen und in einer Sprache, lieblich und schön, süßer als Honig und weicher als Butter. »Fürchte dich nicht«, sagte er zu mir, »du Trost meines Auges und Inbegriff meiner Hoffnung! Wisse: Ich bin ein Mann, einer von den Königen der Geister. Wir ver wandeln uns in Gazellen, sehen uns dies und das an, wandern durch Wüsten und Einöden und erfreuen uns an Gärten und schönen Gesichtern ohne Argwohn und ohne Verleumdung. Ich wohne seit einiger Zeit in deinen Gärten, weil ich dich wiegenden Ganges habe schreiten sehen, einer Weidengerte oder einem Myrtenzweige gleich. Verblüfft und ratlos bin ich stehengeblie ben und habe dich immer und immer wieder angeschaut, ohne daß du es wußtest. Als meine Sehnsucht mich schließlich überwältigte und meine Heimsuchung und mein Siechtum weiter zunahmen, habe ich mich dir zu erkennen gegeben. Man nennt mich Gazelle Weißfuß.« Darauf begann er meine Füße zu küs sen und an ihnen zu saugen. Bei Gott, nun war es um mein Herz geschehen. Es verband sich ihm und nahm mir vollends die Fähigkeit zu hören und zu sehen. »Lieber Jüngling«, sprach ich zu ihm, »die Liebe zu dir hat sofort mein Herz ergriffen; 259
allein ich habe einen trotzigen Berg und kleinen Pharao zum Vater, so daß ich für mich und für dich fürchte.« Er erwiderte: »Laß die Sorgen, liebe Herrin, und sei froh und guten Mutes. Ich werde nämlich nie etwas Böses von dir verlangen, sondern habe nur den einen Wunsch, mit dir zusammen zu sein und dich anzuschauen. Nachts wirst du mich in meiner wirklichen Gestalt sehen, und wenn der Morgen anbricht, verwandle ich mich wieder in eine Gazelle. So werden wir uns vergnügen und ergötzen, ohne daß irgendein Wesen etwas von uns merkt.« Nun machte ich in meiner Wohnung einen schönen Aufenthaltsraum für ihn frei. Wenn die Nacht anbrach, ging ich mit ihm hinein und schloß die Tür hinter mir und ihm zu. Dann zeigte er sich mir in herrlichster Gestalt und prächtigstem Aussehen. Er aß und trank, war froh und guter Dinge und sagte mir Gedichte auf. Mit den wunderbarsten Nachtgeschichten unterhielt er mich, erfreute mich mit schönen Mären und sang mir die Lieder der Geister vor. Er streckte sich auf meinem Lager aus. Wir umarmten einander und lagen beisammen, erneuerten unseren Bund und bekräftigten die Eide, einander nie untreu zu werden und nie einen anderen an des Liebsten Stelle treten zu lassen. Wir schwammen in den Meeren der Leidenschaft, folgten einander in der Liebeslust und genossen die Süßigkeit der Minne ohne Angst vor dem Wedisel des Schicksals und ohne zu fürchten, daß uns die Augen der Menschen erspähen könnten. So waren wir zwei gleichschöne Äste oder die beiden Zweige einer Myrte, bar alles Verdächtigen und aller Sünde, und unsere Liebe blieb unemdeckt, bis uns das trügerische Schicksal Prüfungen auf erlegte. Eines Nachts hatten wir uns trunken auf erquickendem Lager ausgestreckt, indem wir einander mit Umarmungen aller Art bewirteten und, eingerieben mit zerstoßenem Moschus, uns schöne Geschichten erzählten. Da wurden seine Augen vom Schlummer überwältigt, und er schlief zu meinem größten Jammer vor mir ein, während ich sein Antlitz betrachtete, um mich an seiner Schönheit zu erfreuen und den Vollmond sowie eine von Gewölk enthüllte Sonne zu schauen. Plötzlich befiel meinen Vater in seinem Schloß eine schwere Krankheit, die ihn 260
in Unruhe versetzte und aus dem Bett trieb. Die Mägde und Knechte schrien, und das Gefolge und die Kinder rissen sich den Kleiderbusen auf. Dies machte mich wie von Sinnen und raubte mir den Verstand. Besorgt, ich könnte Weißfuß aus dem Schlafe wecken, löste ich langsam seine Hand aus der meinen und erhob mich. Ich öffnete die Tür meines Schlosses, nachdem ich meine Amme gerufen und mitgenommen hatte, und ging zu meinem Vater. Bis er das Bewußtsein wiedererlangte, blieb ich bei ihm. Inzwischen erwachte Gazelle Weißfuß aus dem Schlaf. Da er mich nicht fand, ging er im Schloß umher. Doch auch dort erblickte er mich nicht, und so vermutete er von mir, was eben ein Lieb vom anderen vermutet, und war sprachlos und erschreckt, angsterfüllt und bekümmert. Als sein Blick auf das Tor meines Schlosses fiel, sah er, daß es offen stand. Jetzt glaubte er, daß seine Vermutung richtig sei, und hegte keinen Zweifel daran, daß ich ihn betrogen hatte. Er verwandelte sich deshalb wieder in eine Gazelle, floh geradeaus von dannen und machte sich auf den Weg in seine Heimat, ganz allein mit seinem Schmerz und Kummer. Ich aber kam voller Unruhe von meinem Vater in den Garten zurück. Weil ich ihn nicht fand, rannte ich in die Ferne, mich ins Gesicht schlagend und völlig von Sinnen, ohne in der Nacht zu wissen, wohin ich mich wandte und wohin mich mein Weg führte. So wanderte ich von Land zu Land und von Stadt zu Stadt, bis ich schließlich am Leben verzweifelte und meines Unterganges gewiß war. Während ich so einherwanderte, gelangte ich in die Nähe eines Tales, das reich an Gras und Grün war und das ein Ge wässer, weißer als Milch, durchströmte. In dem Tale waren viele Strauße, groß wie Elefanten, die in dem Grün weideten und immer wieder an den Fluß gingen. Bei den Straußen weilte ein Mann, der mit einem Palmstock in der Hand wie ein Hirt aussah und der einem mit seiner Schönheit schier die Sicht nahm. Als er mich gewahrte, wollte er mich mit Zurufen wegjagen und verscheuchen und brüllte mich an wie lauter Donner. Dann fragte er mich: Woher kommst du, Frau? Hier gibt’s nämlich keinen Weg für dich, und du kannst hier nicht weitergehen.« Ihm gegenüber stehend, weinte ich und schrie: »Ach, Weißfuß! 261
Ach, lieber Herr!« Nun fragte er mich: »Zu wem willst du denn?« Ich erwiderte: »Ich bin al-Haifā’, die Tochter Muhallabs, des Königs von Persien, und ich bin gekommen, um die Gazelle Weißfuß oder den Herrn im Panzerkleid zu suchen.« Da sprach er zu mir: »Bei diesem Berge endet das Land der Geister. Es ist ein kahler, schwarzer und glatter Berg. Ich rate dir deshalb umzukehren. Vielleicht findest du einen Weg zu dem, den du liebst, oder du magst die Nacht als Gast bei mir verbringen, bis einer der Geister hier vorbeikommt, auf daß ich ihn nach deinem Freund frage; denn mein Herz empfindet Mitleid mit dir.« Da ließ ich mich bei ihm nieder, und er brachte mir zu essen. Nachdem die Nacht vollends hereingebrochen war, nahte unter Brausen eine große Schar von Geistern. Auf einmal entdeckte ich unter ihnen einen Mann in Menschen gestalt. Er war von hünenhaftem Wuchs, ritt auf einer Schlange, die lang war wie eine hochragende Dattelpalme, und trug eine andere große Schlange als Turban. Als er den Mund öffnete, schlug Feuer aus seinem Rachen. Alle Leute seiner Heerschar waren kleiner an Gestalt als er, und sie ritten ebenfalls auf Schlangen. Ihm voraus ritt ein Mann mit einer Fahne in dei Hand, und auf seiner Lanzenspitze loderte eine große, schreckliche Flamme. Als der Hüne bei meinem Gastgeber stehenblieb, grüßte ihn dieser, hieß ihn willkommen und fragte ihn nach Weißfuß, ob er ihn auf seinen vielen Rundreisen kennengelernt habe. Der Reiter der großen Schlange gab ihm zur Ant wort: Weißfuß ist der Sohn des Königs seines Volkes. Die Reise von dir zu ihm würde zwei volle Jahre dauern. Was willst du eigentlich von Weißfuß, wo doch sein Vater ein grau samer Bösewicht ist?« Der Herr der Strauße erwiderte: »Ich hätte gern eine Begegnung mit ihm, da ich neuerdings ein Anliegen an ihn habe. Zeige mir den Weg zu ihm.« Da erklärte ihm der Herr der Schlangen: »Wenn du zu ihm reisen willst, so besteige einen von deinen Straußen hier, doch nimm nur ja einen, der schon alt und schwach ist und dessen Fell die Haare bereits verloren hat, auf daß er heute nacht im Fluge eine Reisestrecke von zwei Jahren mit dir zurücklegt. Nach einer Reise von zwei Jahren wird er dich bei einem alten Weib absetzen. 262
Wenn du sie erblickst, nenne ihr meinen Namen und beschwöre sie bei mir. Dann wird sie dir in das Land von Weißfuß ver helfen, so Gott der Erhabene will.« Danach setzten er und sein Gefolge ihre Reise mit Gebrause fort, indem sie die Erde unter sich versengten. Mein Gastgeber aber sagte zu mir: »Dies war der König der Schlangen. Er befindet sich auf der Reise von Osten nach Westen. Ich will dich nun zu dem alten Weib gelangen lassen, von dem er gesprochen hat. Dies ist die Königin der Raben, die die Liebenden trennt. Ich aber bin der Herr der Strauße, der die Herzen vereint. Ich bin es auch gewesen, der dich und Weißfuß bei seinem Kommen zusammengeführt hat. Diese meine Sklaven eilen nämlich ringsumher durch die Lande und vereinen die Menschenkinder. Wenn du zu ihr kommst, so sprich zu ihr: ›Al-Hirmās, der König der Strauße, läßt dich grüßen und dir bestellen: Dies ist mein Siegelring und mein Bote. Weil mein Herz Mitgefühl mit al-Haifā’ empfindet, habe ich dir diesen Brief beigefügte« Nachdem er einen Brief ge schrieben und ihn mir übergeben hatte, rief er einen großen Strauß herbei, der keine Federn mehr hatte und dessen Fell die Haare bereits verloren hatte, und sprach zu ihm: »Trage dieses Mädchen in das Land des alten Weibes, der Königin der Raben. Mache es ihr bequem auf der Reise, kehre gut heim und spute dich.« Danach setzte ich mich auf den Rücken jenes Straußes und hielt mich an seinem Hals fest, worauf er mit mir zwischen Himmel und Erde davonflog, während ich die Augen geschlos sen hielt. Als der Morgen erstrahlte, sagte der Strauß zu mir: »Jetzt öffne deine Augen wieder und steige ab; denn dies ist das Land des alten Weibes.« Als ich abstieg, gewahrte ich ein rotes Land mit dichten, ineinander verflochtenen Bäumen. Die einen waren rot und hatten rotes Laub und Früchte wie grüne Zitronen, die anderen gelbes Laub und blaue Früchte. Weiter gab es dort fließende Gewässer mit großen Fischen, die ob der Klar heit des Wassers deutlich erkennbar und zufrieden mit ihrer Fülle waren. Auf jedem Baum saßen tausend schwarze und schwarzweiße Raben. Während ich im Schatten der Bäume das Laub und die Früchte bestaunte, gewahrte ich plötzlich einen 263
großen, roten Thronhimmel, der über einem Thron von Ebenholz festgebunden war. Auf dem Thron saß ein altes Weib mit finsterer und böser Miene. Sie war angetan mit gefärbten Gewändern und edelsteinbesetzten Armreifen, von denen sie zehn an jeder Hand hatte. Dazu hatte sie an jedem Fuß zehn Reifen und an jedem Finger zehn Siegelringe. Auf dem Haupt trug sie eine Krone aus rotem Gold, die mit allerlei Edelsteinen besetzt war, in der Hand ein Zepter, das aus lauter Smaragden be stand. Zu ihrer Rechten und Linken standen zwei schwarze Geister mit eisernen Haken in den Händen. Als sie mich erblickte, packten mich auf ihr Geheiß zwei Sklaven und stellten mich vor sie hin. Da fuhr sie mich an, schalt mich und sprach: »Wer bist du, und woher stammst du? Von wo kommst du, und wer hat dich in mein Land geführt, obwohl ich noch nie einen Menschen in ihm gesehen habe?« Ihr Anblick erschreckte mich, und alles, was ich bei ihr gewahrte, flößte mir Entsetzen ein. Angesichts dessen war ich nicht imstande, ihr zu antworten, und fand keine Möglichkeit, das Wort an sie zu richten. Da lachte sie, und ihr Gelächter wurde immer stärker. Schließlich fragte sie mich wieder: Woher stammst du, und wie bist du in mein Land gekommen?« Jetzt löste sich meine Zunge, und ich antwortete ihr: »Ich bin al-Haifā’, die Tochter Muhallabs, des Königs von Persien. Ich liebe einen Geist in Menschengestalt namens Gazelle Weißfuß und habe mit ihm das und das er lebt.« Und ich erzählte ihr meine Geschichte von Anfang bis zu Ende, während mich das Weinen überwältigte, so daß ich meiner nicht mehr mächtig war. Dann überreichte ich ihr den Brief des Königs der Strauße. Sie küßte ihn, las ihn und sprach: »Einen Willkomm dem Brief wie auch seinem Schreiber!« Danach fuhr sie fort: »Ich bin die Alte, die Königin der Raben unter den Geistern, die die Liebenden und Freunde trennt. Begabt mit Härte und Roheit, habe ich noch nie mit jemand Mit leid empfunden, und meine Hände bewirken die Trennung zwischen Mann und Weib, zwischen Freundes- und Liebespaaren. Dies ist mein Amt, und in jedem Lande habe ich einen Emir der Raben. Unter den Vereinten tust nur du mir leid, und für dich hege ich ausnahmsweise Mitgefühl, nachdem du in 264
mein Land gekommen bist und mir deine Ergebenheit bezeugt hast. Im übrigen gilt mein Hulderweis eigentlich dem Schreiber des Briefes; denn er hat mich darum gebeten, mich dir geneigt zu erweisen, dich das Ziel deiner Sehnsucht erreichen zu lassen, deinen Wunsch zu erfüllen und nach deinem Geheiß zu handeln.« Dann gab sie einem der beiden Geister, die vor ihr standen, ein Zeichen und befahl ihm: »Bringe mir den persischen Emir der Raben her.« In kürzester Frist kam er mit einem Raben an, dessen Flügel über seinem Haupte flatterten, und ließ ihn vor die Königin treten. Nachdem dieser vor ihr die Erde mit der Stirn berührt hatte, fragte sie ihn: Was hast du in der und der Nacht in dem und dem Monat in Persien getan?« Er antwortete: »Ein innig verbundenes und seufzendes Liebespaar habe ich getrennt. In ihrer Schönheit waren sie vollendet wie ein Paar Zweige oder Gazellen. Sie waren einander bereits zwei Jahre in heißer Liebe zugetan, und zwei Jahre hatten sie ihrer herzlichen Zuneigung gelebt. Schöner hätte es nicht sein kön nen.« Da sprach sie: »Es war jämmerlich von dir, an solch zwei feinen und anständigen Menschen so zu handeln. Solche darfst du nicht trennen. Man muß nämlich bei den Menschen einen Unterschied nach Wert und Rang machen. Du hättest mich in einem derartigen Fall um Erlaubnis bitten müssen. Wenn ich nicht selbst so schlecht handelte, würdest du Hiebe zu spüren bekommen.« Und sie fuhr fort: »Nun gehe und hole mir den Boten der Liebe und Warner trauten Vereins herbei, daß er diese Frau zu ihrem Geliebten bringt und ihr zuführt, wonach ihr Herz verlangt.« Der Rabe fragte: Was fehlt ihr denn, und wer ist sie?« Nun forderte sie ihn auf, mich anzuschauen. Als er es tat, erklärte er gleich: »Dies ist ja die Freundin von Gazelle Weißfuß, die Tochter des Königs von Persien!« Darauf fragte die Alte: »Bei Gott, warum hast du die beiden getrennt?« Er antwortete: »Ich war auf das Mädchen eifersüchtig und habe schlecht an ihr gehandelt. Ich werde nie wieder zu ihresgleichen gehen.« – »Nun hole mir den Boten, damit er sie zu ihrem Freund bringt«, befahl die Alte. Während er davoneilte, reichte mir die Alte eine Frucht von jenen Bäumen und hieß mich sie essen. Als ich sie kostete, schmeckte sie süßer als Honig. Ich 265
hatte sie noch nicht verzehrt, da kehrte jener Rabe schon mit einem hübschen, reizenden Vogel zurück, der wie ein Papagei aussah. Als die Alte ihn erblickte, sagte sie zu mir: »Wenn du in das Land von Weißfuß kommst, so wandere dort umher. Dann wirst du einen alten Mann entdecken, der unter einem Thronhimmel sitzt. Gehe zu ihm, erzeige ihm deine Ergeben heit, nenne ihm deinen Namen und bitte ihn, dir deinen Wunsch zu erfüllen.« Danach befahl sie jenem Vogel: »Trage diese Frau schleunigst in das Land Weißfußens.« Obwohl er mir wegen seiner Kleinheit für diese Aufgabe lächerlich erschien, so hatte doch die Alte ihre Rede noch nicht beendet, als er mich bereits ergriff und zwischen Himmel und Erde davontrug. Nachdem er den Rest des Tages und die folgende Nacht hindurch mit mir geflogen war, kamen wir am Morgen zu einem Land, das so krautreich, grün und blühend war, daß die Augen schier erschraken von seinem Anblick und ob der Schönheit seiner Pracht und Blüte. Zwischen dem Grün waren große Bäume zu sehen und Blätter, grün wie das Grün des Brokats. Weiter gab es dort stattliche Lebewesen, die die Größe von Lanzen hatten. Die Früchte daselbst raubten mit ihrem strengen Geruch schier den Atem, und ihre rote Farbe war an Grellheit nicht zu über bieten. In den Spalten des Landes flossen Wasserläufe und spru delten Quellen, heller als Milch. Dort setzte mich der Vogel ab und verließ mich. Während ich nun bei den Wasserläufen umherstreifte und zwischen den Bäumen einherschritt, gewahrte ich plötzlich einen schönen, anziehend wirkenden alten Mann mit feinem Gesicht, der auf einer weißen Marmorbank saß. Über ihm war ein Thronhimmel befestigt, der weiß wie Marmor und mit grünen Brokattüchern bekleidet war. Zu seinen Füßen spielten und balgten sich Füchse, Männchen und Weibchen, sowie Hasen, und in seiner Hand hielt er ein Zepter aus Smaragden, das er zum Spiel mit den Tieren benutzte. Dennoch machte er einen bekümmerten und traurigen Eindruck. Vor ihm stand ein hohes Schloß, zu dessen Bau Steine aus hellem Silber und Stan gen aus rotem Gold verwendet worden waren. Als er mich auf sich zukommen sah, schalt er mich und sprach: »Wehe dir! Wer hat dich in mein Land geführt und dir den Weg hierher ge266
wiesen?« Ich beachtete seine Worte nicht, sondern warf mich ihm zu Füßen, rieb meine Wangen an ihm und begann seine Füße zu küssen. Da fragte er mich: Woher stammst du? Denn mein Herz empfindet Mitleid mit dir.« Ich antwortete: »Ich bin al-Haifā’, die Tochter Muhallabs des Persers, und bin aus gezogen, um die Gazelle Weißfuß zu suchen.« Und ich erzählte ihm meine Geschichte von Anfang bis zu Ende. Als der Greis die Kunde von Weißfuß vernahm, weinte er so bitterlich, daß er in Ohnmacht fiel. Nachdem er aus der Bewußtlosigkeit erwacht war, sagte er: »Mein Herr und Sohn Weißfuß bedrückt mich schwer, ebenso du und deine Mühsal; denn ihr habt beide bitteres Leid erduldet. Mein Sohn Weißfuß irrt in Wüsten und Einöden umher, seit er dich verlassen hat, ohne zu essen und zu trinken, und er erzählt furchtbare Dinge von deiner Treulosig keit. Ich aber bin ein König der Geister, und diese Wüsten stehen unter meiner Herrschaft. Mein Sohn Weißfuß hat sich schon mehrere Male in eine Gazelle verwandelt. Dann ist er auf einmal zwei Jahre ausgeblieben, ohne daß ich Kunde von ihm erhalten oder eine Spur von ihm entdeckt habe. Ich glaubte schon, er sei erjagt worden, und empfand tiefe Trauer um ihn; dann kam er aber wieder zu mir, nachdem ich bereits alle Hoff nung aufgegeben hatte, berichtete mir von der Heimsuchung mit dir, erzählte mir sein Abenteuer mit dir und brachte mir die Kunde von deiner Untreue. Danach floh er wieder weinend von dannen. Ich habe ihm dieses Schloß erbaut, das du hier siehst, um ihn daselbst mit seiner Base zu verheiraten. Er aber hat sich geweigert und erklärt: ›Pflichten, Schwüre und Ehrenworte binden mich an al-Haifā’, mag sie selbst auch treulos sein. Bei Gott, ich werde dieses Schloß nicht betreten, es sei denn mit ihr, so Gott der Erhabene will.« So war ich weiter ratlos in sei ner Sache. Nun aber hat Gott der Erhabene in seiner Gnade dich mir und meinem Sohn wiedergeschenkt, und wir haben den herzlichen Wunsch, du möchtest das ihm gegebene Wort halten und dich von seinem Verdacht reinwaschen.« Da leistete ich dem Greis heilige Eide, daß ich niemals treulos gewesen sei und auch nicht einen Augenblick lang den Wunsch gehegt hätte, ihn mir aus dem Sinn zu schlagen. Nachdem er mich nun wahrhaft gast267
freundschaftlich aufgenommen hatte, reichte er mir eine Frucht von einem Baum. Ich hatte kaum einen Bissen davon gegessen, da war ich schon satt. Danach gab er mir einen Becher Wein zu trinken. Zu meiner Überraschung duftete er wie Moschus, und sein köstlicher Geschmack war unvergleichlich. Dann kleidete er mich in Gewänder, derengleichen ich in meines Vaters Reich nicht gesehen habe. Nachdem ich Vertrauen gefaßt hatte und zur Ruhe gekommen war, sank ich in Schlaf. Nicht eher erwachte ich, als bis mir Weißfußens Tränen über das Antlitz rannen. Ich öffnete die Augen, und da sah ich ihn über mein Gesicht ge beugt. Bei seinem Anblick wäre ich vor Freude beinahe gestor ben. Nachdem ich aufgestanden war, umarmten wir uns lange Zeit und weinten zusammen, bis wir ohnmächtig für den gan zen Tag zu Boden stürzten. Nachdem wir das Bewußtsein wiedererlangt hatten, brachte man uns in jenes neue Schloß. Ge sinde und Sklaven folgten uns. Danach ergingen wir uns in den zartesten Vorwürfen, wie sie die Sehnsucht nur noch verdop peln, wenn die Herzen entflammt sind. Wir genossen nun, mit Gütern und Ehren überhäuft, zufrie den und froh, viele Jahre und auf lange Zeit hinaus ein Leben in Hülle und Fülle, kosteten herrlichste und beglückendste Won nen und verbrachten eine Zeit, wie sie angenehmer und schöner nicht hätte sein können, bis ich eines Tages Sehnsucht nach dem Reich der Menschen empfand. Da sagte ich zu Weißfuß: »Mein Gebieter, mich verlangt nach dem Reich der Menschen, und ich sehne mich danach, sie wiederzusehen. Ich hätte gern, daß du mich zu ihnen begleitest, damit ich mich wieder einmal in ihren Gefilden ergehen kann, und daß wir dann hierher zurückkeh ren.« Als er es mir verwehrte, beschwor ich ihn. Da sprach er: »Mein Streben gilt deiner Freude, und was du wünschst, verschaffe ich dir. Ich werde dich deshalb in ein Gazellenweibchen verwandeln, werde in der Gestalt des Gazellenmännchens, in der du mich damals gesehen hast, mit dir gehen und zusammen mit dir von dannen ziehen. Falls uns die Menschen erjagen, kann uns nur ein Zauberer oder ein Wahrsager erlösen.« So taten wir und zogen von dannen ins Reich der Menschen. Dabei kamen wir an vielen wunderlichen Dingen vorbei und sahen 268
so viel Seltsames, daß ich nicht einmal einen Teil davon auf zählen und mich nicht mit ihrer Schilderung aufhalten kann. Unser erstaunlichstes Schauspiel und unser unheimlichstes Erlebnis war es, daß wir an unserem Wege einen grausigen Lö wen entdeckten, der sich eine Grube gegraben hatte, in der er weinend und schwer betrübt auf seinem Schwanz saß, ohne daß der Strom seiner Tränen versiegte oder seine Zähren ein Ende fanden. Die Grube war vielmehr voll ob der Menge seiner Tränen. Seine Haut war schmutzig geworden, und seine Farbe war verändert. Beute sah er, ohne sich darum zu kümmern, und zu den Reisenden, die in sein Blickfeld traten, schaute er nicht einmal hin. Als er meiner ansichtig wurde, rief er mir und mei nem Gefährten mit trauriger Stimme und unter Seufzen und Stöhnen zu: »O Gazelle mit den reinfarbigen Augen! O herr lich strahlendes Antlitz! O leuchtende Stirn! Du Träger eines Angesichtes, schön wie des Mondes Glanz, Träger des Diadems und der roten Krone! Der rötliche Löwe verkündet: Die Furcht, ich könnte mich erkühnen, Böses zu tun, hat mich Leid und Harm ertragen lassen. Wenn mich nicht der heiße Wunsch ver zehrte, daß das Schicksal doch noch ein Wiedersehen beschlossen haben möge, so würde ich mich in des Lebens trübe Mühsal stürzen.« Ich begann ihn anzuschauen und mich über seine Traurig keit und die Fülle seiner Tränen zu wundern. In diesem Augenblick hast du, o König, mich erjagt. Al-Mahlīja, die Tochter Mutāriks, aus dem Geschlecht der Pharaonen, aber hat die Ga zelle Weißfuß eingefangen, und jetzt weiß ich nicht, was aus ihm geworden ist. Ach, Weißfuß! Ach, mein Gebieter! Nun rannen ihre Tränen. Al-Mauhūb aber wunderte sich über ihre Geschichte. Dann merkte er seiner selbst wegen auf und fragte sie: »War es al-Mahlīja, die Weißfußen gefangengenom men hat?« Sie antwortete: »Ja. – Gott schenke dir Heil, o König! – Dabei waren wir wenigstens noch einträchtig in der Liebe und leidenschaftlich miteinander verbunden! Wie aber muß erst dem zumute sein, den sein Herzlieb in der Liebe abscheulich betrügt? Wem dies widerfährt, dessen Prüfung ist entsetzlich, und er muß den Tod schmecken.« Al-Mauhūb fragte: 269
»Wer könnte denn solches tun, Haifa’?« Sie antwortete: »Deine Freundin al-Mahlīja, die sich in Wirklichkeit selbst mit dir vereinbart hat, dir mit ihrer Arglist entgegengetreten ist, sich Mudiādi‘ (›Betrüger‹) genannt und dich so lange betrogen hat, bis du ihr verfallen bist.« Al-Mauhūb fragte: »Bei Gott, Haifa’, ist al-Mahlīja wirklich al-Muchādi‘?« – »Ja«, erwiderte sie, »und sie hat dir mit ihrem Geschenk etwas zukommen lassen, was in deinem Herzen das Feuer der Leidenschaft entzündet, was dir die Nächte schlaflos und die Tage kummervoll macht.« Die Mit teilung Haifa’s, daß Muchādi‘ al-Mahlīja sei, beunruhigte alMauhūb. Er wurde nachdenklich, und es ließ ihn den Aufbruch verschieben. Ganze Nächte dachte er nach, von dem Wunsch beseelt, einen Weg zu finden, wie er al-Mahlīja mitteilen könnte, daß er wisse, was sie getan hatte. Die Löwin aber, die al-Mauhūb gesäugt hatte, hörte mit an, was al-Haifā’ von diesem Löwen erzählte, den sie beschrieb und dessen feierliche Ansprache sie wiedergab. Da sprach sie: »Der Löwe ist mein Mann und der Vater meines Jungen! Seit dem Tage, an dem mich dein Vater asch-Schimrāch eingefangen hat, sehne ich mich nach ihm. Da er so lange von mir ferngeblieben ist, habe ich der festen Meinung gelebt, er sei auf der Jagd er legt worden. Nun aber verkündet er mir in seiner feierlichen Rede, daß er auf der Suche nach mir die Länder durchstreift, und zeigt sich traurig darüber, daß er mich entbehren muß, nachdem er einst meine Lagerstatt gekannt und gewußt hat, wo mein Ruhe platz war. Du bist mir inzwischen verpflichtet, weil du mir ein Sohn und meinem Jungen ein Freund geworden bist. Dieser Löwe ist einer von ihren Fürsten. Wir sind die Könige der Lö wen, die Befehlshaber der Leibwächter und der Streitkräfte. Ich hege den Wunsch, du wollest mir Huld erweisen, wollest mich mit ihm im Schutze deines Hofes und im schirmenden Schatten deiner Tage zusammen leben lassen und ihn dir zum Freund, Wesir und Helfer erwählen; denn er ist ein vortrefflicher Ge fährte und der beste Helfer.« – »Dies will ich herzlich gern tun«, gab ihr al-Mauhūb zur Antwort. Er brach sofort mit seinem Gefolge und seinen Dienern auf, ließ die Löwin und ihr Junges vor sich hertragen und nahm al-Haifā’ mit, auf daß sie ihnen 270
den Löwen in der Wüste zeige. Als er sich seinem Lager näherte, befahl er seinen Gefährten, den Löwen weder zu erregen noch ihm ein Leid anzutun. Vielmehr trat al-Mauhūb nach Haifa’s Anweisung noch näher an ihn heran und ließ dann die Löwin mit ihrem Jungen zu ihm hinlaufen. Als der Löwe sie gewahrte, warf er sich demütig vor al-Mauhūb nieder und berührte mit der Stirn den Boden. Dann wandte er sich ab, (trat auf) die Löwin und ihr Junges (zu) und umarmte sie, worauf sie ge meinsam zu klagen begannen. Dann erklärte die Löwin: »O Herr der wilden Tiere! Der König al-Mauhūb, dem Gott Kraft ver leihen wolle, ist mir ein Sohn geworden, und er hat uns huld voll die Wiedervereinigung gewährt. Ich möchte ihn nicht verlassen und habe ihm an deiner Statt versprochen, daß du ihm ein Wesir und ein guter Gefährte sein wollest. Schreite denn vor ihm her, gehorsam seinem Befehl.« So ging er auf dem Wege vor al-Mauhūb her, und dieser nahm die Richtung zu seinen Zelten. Nachdem er sich daselbst niedergelassen hatte, berief er alHaifā’, den Löwen, die Löwin und das Junge zu sich und fragte sie: Was dünkt euch über diese verräterische und höchst un heilvolle Mahlīja?« Sie antworteten: »Wir sind der Meinung, König, du solltest dein Suchen nach Weißfuß zum Anlaß neh men, zu ihr hinzugehen und ihr zu sagen, was sie dir trügeri scherweise angetan hat, bevor du von hier aufbrichst, damit du weißt, ob ihr Herz das gleiche empfindet, was das deine ihretwegen empfindet, oder ob ihre Gefühle noch stärker sind.« AlMauhūb lobte diesen Ratschlag. Er ritt sofort in prächtigster und üppigster Aufmachung von dannen und machte schließlich an Mahlījas Zelttür halt. Auf seine Bitte hin erlaubte sie ihm ein zutreten. Sie ließ ihn auf einem Thron aus rotem Gold, der mit erlesenen Edelsteinen besetzt war, Platz nehmen, ließ zwischen sich und ihm einen Vorhang anbringen und setzte sich dahinter. Dann sprach sie: Willkommen, König al-Mauhūb, edler Fürst und erhabener Herrscher! Was treibt dich zu mir her, obwohl es angebrachter wäre, daß ich dich aufgesucht hätte?« Er antwortete: »Die Qual über die Trennung von dir und die Sehnsucht nach dir haben mich zu dir hergetrieben. Ich möchte nämlich bei 271
dir zu Gast sein. Dies soll der Stärkung unserer Zuneigung dienen.« Al-Mahlīja erwiderte: »Sei mir als weiser Gast und hoher Herr aufs herzlichste willkommen! Du bist edel und vor nehm, wenn du mir mit deinem Besuch zuvorkommst und deine Gnade und deine erhabene Huld den Weg zu uns finden. Wir nehmen dich mit offenen Armen auf.« Danach wurde auf ihr Geheiß geschlachtet, die Speisen wurden hergerichtet, und es gab keine Ehrung, die sie ihm nicht erwies. Jenen Tag verbrachte er aufs schönste und angenehmste, aufs köstlichste und beglückend ste mit ihr, indem sie aßen und tranken, plauderten und spielten. Als ihn dann der Wein benebelte und die Heiterkeit ihn lockerte, sagte er zu einem von den Mädchen, die vor al-Mahlīja standen: »Gib mir deine Laute.« Nachdem sie ihm die Laute gereicht und er sie angeschlagen hatte, sang er ein Lied über die Tren nung und weinte hemmungslos. Seine Tränen ließen nun auch al-Mahlīja weinen und schluchzen, und wenn sie nicht hinter dem Vorhang gesessen hätte, so wäre sie bloßgestellt gewesen. Nachdem sie sich beruhigt hatte, befahl sie ihren Höflingen und Wesiren hinauszugehen, worauf diese fortgingen, während alMauhūb blieb. Als keiner mehr anwesend war, schlug al-Mau hüb seine Laute an, sang ein Lied von Betrug und Täuschung und weinte, bis er ohnmächtig wurde. Nachdem er wieder zu sich gekommen war, sagte al-Mahlīja zu ihm: »Erst klingt dein Lied wie das eines, der leidenschaftlich, heiß und innig liebt, und dann heißt es darin, du seiest betrogen worden. In wen bist du denn verliebt, und von wem bist du betrogen worden?« Da ergriff er die Laute, sang drei Weisen, in denen er ihr das Rätsel des ersten Liedes enthüllte und seinen geheimen Sinn offenbarte, dann trank er und wurde wieder heiter. Sie aber gab ihm keinerlei Antwort auf seine Erklärung, sondern wandte ihr Antlitz dem Weine zu und trank, bis sie nichts mehr zu sich nehmen konnte. So verbrachten sie die ganze Nacht. Als der Morgen anbrach und der Wein von seiner Wirkung einbüßte, fragte sie ihn: »Mein Gebieter, wer hat dir offenbart, daß ich al-Mahlīja bin, nachdem es mir gelungen war, dich zu täuschen?« Nun er zählte er ihr die Geschichte von al-Haifā’ und ihren Bericht von Anfang bis zu Ende, und sie wunderte sich dessen gar sehr. 272
Dann sprach sie zu ihm: »Mein Gebieter, ich habe mich ent schlossen aufzubrechen, weil ich einen Brief nach dem anderen von meinem Vater erhalten habe, aber ich bin betrübt ob der Trennung von dir und werde verzehrt von deinem Feuer.« Da weinte al-Mauhūb, und sie versprachen sich hoch und heilig, einander nicht zu betrügen, weder durch Blicke oder Worte noch durch geselligen Verkehr, vergnügtes Wesen oder Heiterkeit. Dies beteuerten sie einander mit Eiden und Ehrenworten. Als sie schieden, fragte er sie nach Gazelle Weißfuß. Sie sprach: »Bei deinem Leben, Gebieter, ich habe ihn mit den Dienern und Sklaven vorausgesandt, werde ihn aber zu dir schicken und ihn dir nicht vorenthalten.« Darauf verabschiedete sich al-Mauhūb weinend von ihr und kehrte zu seinem Zelt zurück, nachdem sie ihm zehn Reitpferde geschenkt und wertvolle Ehrengewänder verliehen hatte. Bei seinem Zelt angelangt, übersandte er ihr das Vielfache dessen, was sie ihm mitgegeben hatte. Gleich danach brach al-Mahlīja auf, und al-Mauhūb folgte ihrem Beispiel. Beide weinten und klagten. Nachdem sie zu Hause angekommen und wieder in ihrer Heimat waren, schrieb al-Mahlīja einen Brief an ihn, in dem sie ihm zu seiner guten Heimkehr Glück wünschte. Er antwortete ihr sehr freundlich und artig und wünschte ihr gleich falls alles Gute. Als sein Bote bei ihr eintraf, war sie huldvoll zu ihm. Sie hieß ihn nähertreten und bei ihr Platz nehmen, be handelte ihn liebenswürdig und fragte ihn nach dem Befinden Mauhūbs. »Bei Gott, Herrin«, gab er ihr zur Antwort, »nachts schläft er nicht, und am Tag findet er keine Ruhe. Die einzigen, mit denen er Gesellschaft pflegt und plaudert, sind der Löwe, die Löwin und al-Haifā’, wobei er ihnen sein Leid klagt und mit ihnen weint.« Als al-Mahlīja Haifā’ nennen hörte, sagte sie zu dem Boten: »Beschreibe mir, wie diese Haifā’ aussieht.« Er erklärte: »Ich kann sie nicht anders beschreiben, als daß ich sage: ›Preis sei dem, der sie erschaffen und gebildet hat!‹« Nachdem sie diese Worte gehört hatte, ging sie mit sich selbst zu Rate und schrieb dann an al-Mauhūb als Antwort einen Brief ohne die üblichen Eingangs- und Begrüßungsworte, der folgenden Wortlaut hatte: »Bei dem Herrn, den wir anbeten, und dem 273
Gott, den wir anerkennen! Du wirst nie wieder mit mir Zusammensein, und du wirst dich nie wieder meiner Liebe freuen, weil die Untreue zu deinem Wesen gehört und die Lüge eine Erfindung von dir ist.« Den Brief versiegelte sie mit Pech, überreichte ihn dem Boten und sprach: »Kehre nur ja nicht mit einer Antwort zu mir zurück; denn sonst bekommst du meine Strafe zu fühlen.« Der Bote nahm den Brief, machte sich auf die Reise und kam schließlich zu al-Mauhūb. Als dieser sah, daß der Brief mit Pech versiegelt war, war er davon überzeugt, daß es zum Bruch gekommen sei, ohne jedoch zu wissen, was ihn veranlaßt haben könnte. So brach er ihn auf, las ihn und verstand auch, was er besagte. Sprachlos über seinen Inhalt, holte er jenes Ge schenk hervor, das sie ihm einmal zur Erinnerung an sie hatte zukommen lassen. Er begann zu weinen und zu klagen, bis ihm der Spiegel und der Teppich durch die Hand gingen. In den Spiegel hineinschauend, gewahrte er al-Mahlīja, als ob sie bei ihm säße. Das einzige, was fehlte, war ihre leibliche Anwesen heit. So begann er den Spiegel zu küssen und sich auf dem Teppich umherzuwälzen. Nachdem der Bote al-Mahlīja verlas sen hatte, schickte sie einen angriffslustigen, mit Zauberkräften begabten Adler mit einem Brief unter dem Flügel zu al-Mauhūb und befahl ihm, Mauhūb den Brief zuzuwerfen, ihm den Spiegel, den er vor sich hatte, nebst dem Teppich zu entreißen und schleunigst ohne Antwort zurückzukehren. In ihrem Brief schrieb sie: »Al-Haifā’ und dein Alleinsein mit ihr haben dich deine Versprechungen und Beteuerungen vergessen lassen, und die Liebe zu ihr hat bei dir die Bindung an deine Freunde gelöst, du Fund grube an Untreue, du Kümmerling an Zuverlässigkeit! Glaube nicht, daß ich Weißfuß zu dir schicke, es sei denn, daß ich dich zu Fuß unter meinem Steigbügel einherschreiten sehe. Und damit Gott befohlen!« Der Adler nahm den Brief an sich und flog schleunigst von dannen. Er warf ihn al-Mauhūb ins Gemach, riß den Spiegel und den Teppich, die vor ihm lagen, an sich und in Kreisen fliegend, kehrte er zu al-Mahlīja zurück. Nun hatte al-Mauhūb keinen Zweifel mehr daran, daß Un heil über ihn hereingebrochen war, und er wußte, daß sein Leid von al-Haifā’ herrührte. Er verbannte sie deshalb aus seinem 274
Lande, zog seine weichen Kleider aus, legte statt dessen ein härenes Gewand an und verzichtete auf Speise und Trank. Als sein Vater erfuhr, was er sich selbst antat, suchte er ihn auf, ver sprach ihm seine Hilfe und sagte: »Nur zu deinem Schutz und zur Durchsetzung deines Willens, mein Sohn, habe ich bei mir Schätze und Männer gesammelt. Was ist dir zugestoßen, und was für ein Unglück hat dich betroffen?« Da blieb al-Mauhūb nichts anderes übrig, als ihn über sein Erlebnis zu unterrichten. Nachdem er ihm alles erzählt hatte, sprach sein Vater zu ihm: »Schreibe einen Brief an sie, mein Sohn, in dem du um Ent schuldigung bittest und einen Eid leistest; denn dein Verhalten enthält nichts Unehrenhaftes. Vielleicht hegt ihr Herz Zweifel. Dann wird sie ihre Haltung ändern und deine Entschuldigung annehmen.« So schrieb er ihr einen formlosen Brief, in dem er sich bei ihr entschuldigte und schwor, daß er keine Untreue wi der sie begangen habe und sie auch in Zukunft nicht betrügen werde. Diesen Brief schickte er ihr durch seinen früheren Boten. Als sie jedoch erfuhr, daß der Bote sich ihrer Heimat bereits ge nähert habe, sandte sie ihm jemand entgegen, der ihm den Brief abnahm. Ihn selbst aber ließ sie elf Tage lang im Gefängnis schmachten. Nachdem sie dann befohlen hatte, ihn heimlich freizulassen, floh er geradenwegs von dannen, bis er zu al-Mau hüb kam. Diesem erzählte er, was ihm widerfahren war. Da seufzte al-Mauhūb noch einmal soviel. Er berichtete seinem Vater, was sie seinem Boten angetan hatte, worauf er ihm riet: »Diese Schatzkammern stehen dir zur Verfügung, mein Sohn. Rücke mit den Kriegern und Männern wider al-Mahlīja aus. Wenn du dies nicht willst, so schenke ihr diese Schätze. Wenn du auch das nicht willst, so sage mir, was du für richtig hältst.« »Lieber Vater«, gab er ihm zur Antwort, »ich möchte keinen Krieg wider sie wagen, bevor ich ihr nicht die Entschuldigung angeboten habe, zumal da sie mein ganzes Herz einnimmt. Ich halte es vielmehr für richtig, daß ich ihr einen Brief schreibe, in dem ich sie zu versöhnen suche, ihr mitteile, wie es um mich bestellt ist, und meine Eide und Ehrenworte bekräftige. Wenn sie mir freundlich antwortet, werde ich zu ihr hinziehen, um sie um ihre Hand zu bitten. Wenn sie es aber böse mit mir meint, 275
so liegt die Entscheidung bei mir.« – »Tu, was du für richtig hältst«, gab ihm der Vater zur Antwort. Danach schrieb al-Mauhūb an sie einen Brief folgenden Wortlauts: »Im Namen des urewigen Königs, des Schutz gewähren den, edlen Gottes. Ich teile dir, Herrin der Könige und Klärerinnen aller Zweifel, mit, daß ich deinen mir am Herzen liegen den Brief, der mich meinen Schmerz vergessen läßt und meinen Kummer vertreibt, gelesen und daß ich verstanden habe, was du mir darin sagst. Seit deinem Scheiden habe ich keinen Schlaf mehr gefunden. Mein Herz hat mit keinem anderen als dir Gesellschaft gepflogen weder auf erlaubte noch auf verbotene Weise, und ich habe mein Ohr keines Menschen Plaudern zugeneigt. Auf der Asche habe ich deinetwegen gesessen, habe aus Schmerz um dich Trauerkleidung angelegt und mir deinetwegen selber den freundschaftlichen Umgang mit den Menschenkindern versagt. Die Grenzen des Landes sind mir zu eng geworden ob meiner Trauer um dich. Das Herz ist ganz beansprucht von deiner Liebe, der Verstand ist deinetwegen getrübt, und der Leib ist dem Schwert der Leidenschaft zum Opfer gefallen. (Wenn) du mich aber wohlwollend behandelst, so nimmt deine erquikkende Huld das Siechtum von mir und bringt dem Kranken Heilung. Nachdem es mir nicht gelungen ist zu verbergen, was ich im Herzen hege, ist mein Brief an dich sowohl eine Entschuldigung wie eine Warnung geworden. Dieser Brief ist das letzte Mal, daß ich dir Vorwürfe mache. Ich hatte nämlich in dem vorigen Ehrenworte und Eide ausgesprochen, du aber hast dich unter Lüge und Verleumdung von ihnen abgekehrt.« Den Brief versiegelte er mit Moschus und Ambra und suchte einen Boten, der ihn zu al-Mahlīja bringen sollte. Er fand jedoch keinen, weil der Weg weit und die Furcht wegen der damaligen Be handlung seines ersten Boten durch al-Mahlīja groß war. Schließ lich trat der Leu, der Mann der Löwin, die ihn gesäugt hatte, an ihn heran und sprach: »Ich will mich mit deinem Brief auf den Weg machen, o König, und will mit deinen Worten zu ihr stürmen.« Al-Mauhūb bedankte sich sehr herzlich bei ihm und überreichte ihm den Brief, worauf der Löwe ihm Lebewohl sagte und von dannen ging. Die Löwin aber sprach zu ihrem Mann: 276
»Du Leu bist mir fürwahr ein Freund, und ich bin dir von Herzen zugetan. Du willst nun durch Syrien reisen, ein Land, in dem es viele wilde Tiere gibt, so daß deine Augen nicht aufhören werden, nach anderen Löwinnen auszuschauen. Ich fürchte für dich, daß du mich auf deiner Reise betrügst. Schwöre mir deshalb Treue.« Nachdem er ihr diesen Eid geleistet hatte, machte er sich auf den Weg, indem er die Wüsten und Einöden durchwanderte. Als er nur noch eine Drei-Tage-Reise von Ägypten entfernt war, erfuhr Mahlījas Wesir, daß der Löwe von al-Mauhūb zu ihr unterwegs sei. Darauf schickte sie ihm eine alte Hexe ent gegen, die ihn irreführen und ihm den Brief abnehmen sollte. Die Alte traf ihn, nachdem sie sich in Erwartung von ihm in einem schönen Garten mit Bäumen und Wasserläufen niedergelassen hatte. Sie saß in Trauerkleidung vor einem mit Kieseln bestreuten Grab, indem sie weinte und klagte. Neben ihr be fand sich ein mit Wein gefülltes Gefäß, ein gehäutetes Stück Kleinvieh, das über einem lodernden Feuer hing, sowie eine Schale mit etwas, das aussah wie ein Duftmittel aus Moschus und Ambra. Seitwärts der Alten lag ein Bildwerk, ähnlich der Gestalt einer in ein Gewand gehüllten Frau. Als der Löwe sie er blickte, lagerte er sich ihr gegenüber, weil er großen Hunger hatte, müde war und große Lust auf das gehäutete Kleinvieh verspürte. Bei der Alten angekommen, begann er nun sich über ihren Anblick zu wundern. Da sprach sie zu ihm: Warum beobachtest du mich so, König Leu, obwohl ich nur eine Frau mit traurigem Herzen und betrübten Augen bin?« Er erwiderte: »Fürchte dich nicht, Alte. Ich bin nämlich ein fremder Löwe, der aus fernem Land gekommen ist. Als ich dich an diesem Grabe weinen und klagen und dabei Speise und Trank vor dir stehen sah, wunderte ich mich über dein Tun und ließ mich nieder, um mich in diesem Garten von meiner Anstrengung auszuruhen.« – »Ich sehe ja bei dir einen Brief«, meinte die Alte erstaunt, und er antwortete: »Ich bin der Bote eines Kaufmanns, der mich mit diesem Wechsel zu einem ägyptischen Kaufmann geschickt hat, von dem er Geld erhalten soll.« Da sprach die Alte zu ihm: »So geh denn weiter, verrichte dein Geschäft und kümmere dich nicht 277
um mich.« – »Bei Gott, nein«, erwiderte er, »es sei denn, du er zählst mir, wer in diesem Grabe ruht und was du mit ihm zu tun hast.« Nun berichtete ihm die Alte: »In diesem Grabe liegt der Mann meiner Tochter« – dabei zeigte sie auf das von dem Gewand verhüllte Bildwerk – »sie hat einen prächtigen Mann und ich habe einen prächtigen Schwiegersohn gehabt. Im übri gen gibt es kaum eine Frau, die so schön, hübsch und makellos ist wie sie, so lieb zu ihrem Mann und so fürsorglich zu ihrem Gatten, so wohltätig und so feinsinnig. Keine Frau auch betrauert so sehr ihren Mann und hat solch leidgetrübte Augen wie sie. Gerade jetzt aber hat sie Schlummer überwältigt ob all des Trauerns, Weinens und Wachens, das sie erdulden muß, und so ist sie nun eingeschlafen.« Da sprach der Löwe zu ihr: »Noch nie habe ich eine Frau gesehen, die ihren Schwiegersohn mehr bedauert und betrauert als du. Gott möge es dir mit Gutem vergelten!« Er fuhr fort: »Erzähle mir, welche Bewandtnis es mit diesem Duftmittel aus Moschus und Ambra und dem gehäuteten Stück Kleinvieh hat, das ich trotz deiner Trauer vor dir sehe.« Die Alte erwiderte: Wisse, Löwe: Mein Schwiegersohn, der in diesem Grabe ruht, war ein wilder Löwe, der die Gestalt eines wunderschönen Menschen annahm. Dann war solch ein gehäu tetes Stück Kleinvieh seine Speise und Moschus mit Ambra wie in dieser Schale sein Duftmittel. Wenn er mit meiner Tochter allein war, aßen sie von dieser Speise, tranken von diesem Wein, bedienten sich dieses Duftmittels und schliefen recht glücklich beieinander, bis ihn das traf, was du hier siehst. Nun können wir ihn nicht vergessen, weder nachts noch am Tage.« – »Du mußt wissen, Alte«, sagte der Löwe, »daß auch ich traurig und bekümmert über eine wunderschöne und feinsinnige Frau bin, die die meine gewesen ist. Sie hat mich sogar Vater und Mutter vor gezogen, hat mich in hohen Ehren gehalten und ihre Pflichten mir gegenüber treu erfüllt. Dann ist sie gestorben, und ich bin einsam und allein zurückgeblieben, ohne einen festen Wohnsitz, und ob meiner großen Trauer wandere ich viel aufs Geratewohl in diesem Land umher. Wir haben den gleichen Wein und das gleiche Duftmittel gehabt, wie du dort vor dir stehen hast. Ich komme, bei Gott, aus königlichem und herrschaftlichem Hause. 278
Würdest du mir daher wohl deine Tochter zur Frau geben? Ich sehe nämlich, daß du die beste Schwiegermutter bist, und zwei fele nicht daran, daß deine Tochter die beste Ehefrau ist.« Die Alte antwortete: »Bei Gott, mein lieber Sohn, ich muß leider feststellen, daß die Ehemänner heutzutage alle nichts taugen, daß sie ihre Frauen vernachlässigen und ihnen das Leben schwer machen. Wenn ich wüßte, daß du dich in dem gleichen Maße um das Glück meiner Tochter bemühen würdest wie der, der in diesem Grabe liegt, dann würde ich sie dir zur Frau geben, obwohl ich befürchte, daß sie mir nicht Folge leisten wird; denn ich weiß, daß sie nach dem Tod ihres Gatten den Männern entsagt hat und sehr um ihn trauert.« – »Liebes Mütterchen«, erklärte der Löwe, »ich werde ihr ganz gewiß der trefflichste Gatte und der beste Lebensgefährte sein, so daß ich sie sogar vergessen lassen werde, wie gut sie es bei ihrem ersten Mann gehabt hat, obwohl ich ein Fremdling ohne Angehörige und Verwandte bin. Nimm mich als Sklaven von euch an.« Die Alte erwiderte: »Versichere mir dies eidlich, so daß ich und meine Tochter dir vertrauen kön nen.« Darauf gab er diese Versicherungen ab. Nachdem die Alte sie von ihm erhalten hatte, sprach sie: »Du hast mir also vor Gott fest versprochen und zugesichert, emsig für deine Frau zu arbeiten, ihr ein gutes Leben zu ermöglichen, sie nicht zu vernachlässigen und den Verwandten ihres ersten Mannes keinen Anlaß zur Schadenfreude über sie zu geben.« – »Eben dies habe ich von ganzem Herzen versprochen«, antwortete er, und die Alte schloß: »So tritt denn näher. Iß von unserer Speise und trinke von unserem Wein.« Als der Löwe diese Worte hörte, trat er heran, aß sich satt und trank, bis er berauscht war. Gesättigt und betrunken, über wältigte ihn der Schlummer, und er schlief ein. Nun entfernte die Alte jenes Standbild, nahm ihm den Brief, den er bei sich hatte, ab und flog damit zu al-Mahlīja. Nachdem diese den Brief gelesen hatte, schrieb sie eine Antwort. Die Alte nahm die Antwort an sich, kehrte mit ihr zu dem Löwen zurück und legte sie an die Stelle seines Briefes. Dann ließ sie sich weinend und klagend nieder. Als der Löwe unter dem Weinen der Alten aus dem Schlaf erwachte und er jenes Standbild nicht mehr sah, 279
fragte er sie: Was ist dir? Was hat deine Tochter getan?« Die Alte gab ihm zur Antwort: »Nachdem meine Tochter auf gewacht war, habe ich ihr von dem Beschluß erzählt, sie mit dir zu verheiraten. Da hat sie dich angeschaut und gesagt: ›Er ist mir ebenbürtig und ist vornehm, und ich weise seine Hand nicht zurück. Allerdings war meinem ersten Mann der Schwanz abgeschnitten, während dieser einen richtigen Schwanz hat. Ich fürchte, daß man mir eine Vielzahl von Ehemännern vorwerfen wird. Wenn er aber aussähe wie mein erster Mann, so würde ich ihn heiraten, damit die Leute nicht merken, was diesem zugestoßen ist.‹ « Der Löwe meinte dazu: Wenn das dein Vorschlag ist, so schneide meinen Schwanz ab, auf daß du frohen Mutes seiest.« Danach übergab die Alte ihn zwei Teufeln in Menschengestalt und befahl dem einen von ihnen, ihm den Schwanz abzuschneiden. Nachdem er dies getan hatte, ließ sie ihn die Wunde mit Feuer ätzen, so daß er beinahe gestorben wäre. Nun sagte die Alte: »Meine Tochter ist bei ihren Angehörigen, um sich zurechtmachen und schmücken zu lassen, wie man eben eine Braut für den Bräutigam schmückt. Besorge du uns einen Schafbock und Wein, damit wir ihre Angehörigen zu einem Hochzeitsmahl einladen und du zu ihr eingehst.« – »Bei Gott«, gab der Löwe zur Antwort, »ich wüßte nicht, wie ich hier einen Schafbock oder Wein besorgen oder wo ich hier meines Lebens Notdurft suchen könnte; denn ich bin hier fremd und kenne dieses Land kaum. Beschaffe mir deshalb jemand, der mir etwas leiht. Wenn ich dann das Geld für den Wechsel einnehme, werde ich es zurückzahlen.« Die Alte sagte: »Es gibt hier einen Kaufmann, der uns kennt und Schafe und Wein besitzt, wie du beides brauchst. Er hat schon oft meinem ersten Schwiegersohn geborgt. Wenn du willst, bringe ich dich mit ihm zusammen. Er wird dir geben, was du wünschst.« Der Löwe bat sie, dies zu tun, worauf sie ihm befahl: »So komm denn mit, daß ich dich mit ihm zusammenführe.« Darauf folgte ihr der Löwe, und sie brachte ihn zu einem Satan in Gestalt eines Kaufmanns, zu dem sie sprach: »Händige diesem meinem Schwiegersohn aus, was er wünscht; denn er wird dir alles bezahlen, reich wie er ist.« Der Kaufmann händigte ihm einen Bock und Wein aus und gab ihm, 280
was er verlangte. Nachdem die Alte den Bock geschlachtet und den Wein geklärt hatte, befahl sie ihm: »Nun bleibe hier sitzen, bis ich mit meiner Tochter zu dir komme.« Danach ging sie fort und blieb aus, bis es Nacht war. Bei ihrer Rückkehr redete sie sich damit heraus, ihre Tochter habe Fieber bekommen, und sie hielt ihn tagelang hin, obwohl er inzwischen ungeduldig ge worden war. Als er eines Tages schlief, kam die Alte herbei und weckte ihn ungestüm. Erschreckt und benommen wachte er auf und fragte: Was willst du?« – »Mein lieber Sohn«, gab sie ihm zur Antwort, »der Kaufmann ist gekommen und fragt nach dir. Er sagt: ›Ich wünsche, daß du mich mit ihm zusammenführst, damit er mir meine Forderung bezahlte Ich bin nun zu dir gekommen und habe dich unterrichtet, weil ich, bei Gott, für dich fürchte, daß er dich einsperren läßt, falls du nichts hast, was du ihm so fort geben kannst.« – »Ist er denn in der Lage, mich einsperren zu lassen?« fragte der Löwe, worauf sie sagte: »Ja, er hat, bei Gott, auch meinen ersten Schwiegersohn einsperren lassen, so daß er durch einen weißen Fleck auf einem Auge blind, seine Haut haarlos und sein Leib hinfällig blieb, bis ihm das letzte Stündlein schlug.« Der Löwe fragte: »Auf welche Weise könnte ich ihn wohl abwehren, bis meine Hochzeit vorüber ist? Ich fürchte nämlich, daß er eine Verzögerung für mich herbeiführen wird.« – »Ich weiß einen Ausweg«, meinte die Alte, »ich schneide dir Ohren und Nase ab und rasiere deinen Schnurrbart fort. Wenn er dann kommt und dich sucht, erkennt er dich nicht wieder, und deine Brautnacht geht nach Wunsch vonstatten.« Nachdem er sie gebeten hatte, dies zu tun, schnitt sie ihm Nase und Ohren ab und rasierte seinen Schnurrbart fort. Danach gab sie ihm ein Stück von dem gehäuteten Kleinvieh zu essen und reichte ihm von dem Wein, bis er betrunken war und einschlief. Nun trat sie an ihn heran und ätzte seine Wunden aus. Als er wegen der Hitze des Eisens voller Angst und Schrecken erwachte, sagte die Alte: »Du mußt wissen, daß der Schmerz, den du um diese Frau erleiden mußt, mit dem Schmerz, den ihr erster Mann ihretwegen ertragen mußte, gar nicht zu verglei chen ist.« – Was soll das heißen?« fragte der Löwe, worauf 281
sie erklärte: »Wisse: Die Königin al-Mahlīja in Ägypten hat eine Krankheit im Leib, die jedes Jahr neu ausbricht und nur durch die Leber eines Löwen gelindert werden kann. Die Krankheit ist jetzt gerade wieder ausgebrochen. Sie hat deshalb ihre Heere ausgeschickt, um einen Löwen zu suchen, und sie kommen just zu dieser Stunde in unsere Gegend.« – Was ist da zu tun?« fragte der Löwe, und sie fuhr fort: »Du machst dich mit dem Wechsel, den du bei dir hast, auf den Weg und nimmst das Geld in Empfang. Wenn dann Mahlījas Löwenjagd zu Ende ist, kommst du wieder zu uns und gehst zu deiner Frau ein. Übrigens hat die Königin es so mit meinem ersten Schwiegersohn gemacht, der hier im Grabe liegt. Sie hat ihn nämlich erjagt, ihm die Leber herausnehmen lassen und sie verschlungen, worauf wir ihn hier bei uns begraben durften, wie du siehst.« Darüber geriet der Löwe in ungeheure Erregung und sprach: »Ich fürchte, Alte, ihre Boten könnten mir unterwegs begegnen. Denke dir bitte etwas aus, wie ich ihnen entgehen kann.« Nun riet sie ihm: »Gehe an diese Schale mit dem Moschus-Ambra-Duftmittel und schmiere dir damit das Gesicht ein. Nimm außerdem diese Schelle, hänge sie dir um den Hals und so ziehe los. Wenn sie dir begegnen, werden sie dich nur für irgendeinen Toren halten.« So nahm er die Schale, schmierte sich damit Gesicht und Leib ein, tat auch die Schelle an seinen Hals und rannte blindlings von dannen, indem er sich tagsüber versteckte und bei Nacht weiterzog. So kam er am Ende bei al-Mauhūb an, körperlich verunstaltet und veränderten Gemütes. »Edler Löwe«, sprach al-Mauhūb zu ihm, »ich sehe dich fürwahr in einem unerfreulichen Zustand. Be richte mir, was du zu erzählen hast.« Da erzählte er ihm sein Erlebnis mit der Alten von Anfang bis zu Ende sowie daß er vor al-Mahlīja geflohen sei, damit sie ihn nicht tötete und seine Leber entnähme, und daß er nicht dazu gekommen sei, ihr den Brief zu überreichen. Da lachte al-Mauhūb über die Erzählung des Löwen, wunderte sich darüber, daß ihm dieser Streich gespielt werden konnte, und es erboste ihn sehr, weil der Löwe so blöde war und sich von seiner Gier nach Frauen hatte hinreißen lassen. Zu dem Löwen sagte er: »Gib mir den Brief her. Gott 282
mag uns viele deinesgleichen schenken!« So übergab er ihm den Brief. Als nun al-Mauhūb Mahlījas Schrift gewahrte, schnaubte und fluchte er und sprach zu dem Löwen: »Ich hätte nicht von dir geglaubt, daß du mit so wenig Überlegung handeln würdest. Dies ist ja die Antwort auf meinen Brief, von ihr selbst geschrieben, und du hast es nicht einmal gemerkt!« Da weinte der Löwe über das Mißgeschick, das ihm widerfahren war. Als aber die Löwin, die al-Mauhūb gesäugt hatte, von dem Erlebnis des Löwen mit der Alten hörte und seine Verunstaltung und seinen jämmerlichen Zustand sah, brach sie mit ihm, trennte sich von ihm und kam ihm nicht mehr nahe. Darauf ging al-Mauhūb zu seinem Vater und brachte ihm die Kunde von dem Löwen und von dem, was ihm widerfahren war. Dann öffnete er Mahlījas Brief und las ihn seinem Vater vor. Der Brief hatte folgenden Wortlaut: »Im Namen dessen, der sich in die Schleier der Schönheit hüllt, des Gottes der Erde und des Himmels und dessen, der das Wasser strömen läßt. Wisse, al-Mauhūb: Wer sich in das Gewand der Treulosigkeit kleidet, der legt sich den Überwurf der Verachtung an, und wer seine Lieben hintergeht, der zerstört seine Würde. Wie vielen be reitet es wohl Vergnügen, ihren Freunden den Vorwurf des Mein eids machen zu müssen? Wem Hochmut als etwas Erstrebens wertes gilt, der reiht sich in die Schar der Verworfenen, und wer nach etwas trachtet, was er nicht erreichen kann, setzt sich der Gefahr aus, seine Umkehr in Frage zu stellen. Wenn du mich nämlich, Mauhūb, mit vielen Streitkräften und Kriegen bedrohen zu können glaubst, so bist du einer Täuschung zum Opfer gefallen und deines Verstandes beraubt. Wer sich schon einen Löwen zum Wesir nimmt – Könige dieser Art genießen bei den Menschen keine Achtung. Erhebe dich also, wenn du willst, und ziehe los. Du wirst bei mir wunschgemäß bedient werden! Im übrigen ist mir dein ganzes Unternehmen völlig gleichgültig. Und damit Gott befohlen!« Nachdem er den Brief zu Ende gelesen hatte, sagte sein Vater zu ihm: »Mein lieber Sohn, ich habe dir bei der Ankunft des ersten Briefes und bevor sie Bundesgenossen wider dich suchen konnte den Rat erteilt: ›Ziehe gegen sie aus; denn bei einem plötzlichen Überfall wirst 283
du mit ihr fertig werden.‹ Du aber hast es abgelehnt und meinem Rat widersprochen. Jetzt bin ich der Meinung, daß du selbst mit deinen Streitkräften und Knechten wider sie ausziehst und dich bei deinem Unternehmen auf keinen anderen stützt. Wenn du dann in ihre Stadt einrückst, ergreifst du sie mit Gewalt und demütigst dich nicht vor einer Frau, deren Stellung schwach und deren Herrschaft bedeutungslos ist. Möge Gott dir hohe Ehren verleihen! Wir sammeln ja auch das Geld nur, um es auf dieser Erde im Streben nach den Gegenständen unserer Liebe und Leidenschaft auszugeben, und Männer, Hilfsgeräte und Waffen erwählt man sich dazu, daß sie einem Beistand leihen.« Al-Mauhūb erwiderte: »Ich werde deinen Befehl befolgen, mein Vater.« Danach rief der König seine Würdenträger und die Kenner des Weges nach Ägypten zusammen und fragte sie wegen Mauhūbs Feldzug um Rat. Sie rieten ihm, den Seeweg zu wählen, und be lehrten ihn darüber, daß der Landweg mühevoll und schwierig sei, so daß die Streitkräfte ihn wegen des Wassermangels und der Weite der Entfernung nicht wagen könnten. Auf Schimrāchs Befehl wurden nun fünfzig Schiffe zur See gelassen. Zehn davon füllte er mit wilden Löwen, zu deren Befehlshaber er jenen Leu ernannte. Weitere zehn füllte er mit angriffslustigen Elefanten und ernannte einen seiner Wesire zu ihrem Befehlshaber. Da mals war es nämlich üblich, die Elefanten zum Kampf zu verwenden. Die übrigen dreißig füllte er mit Pferden, Männern und Waffen. Al-Mauhūb selbst bestieg das schönste, beste und am reichsten ausgerüstete Schiff und stach in See, während der König und seine Würdenträger ihm Lebewohl zuriefen. Bei günstigem Wind traten sie die Fahrt unter den besten Reisebedingungen und den glücklichsten Umständen an und gelangten schließlich zu einem Ort namens Rāja. Dort war inzwischen Mahlījas Vater gestorben. In der Folge hatte sich der Zauberer und Würdenträger Unruhe bemächtigt, und da ihnen Mahlījas Abenteuer mit al-Mauhūb zu Ohren ge kommen war, trachteten sie danach, Mahlīja die Herrschaft zu entreißen. Sie aber gedachte sie in der Weise zu überlisten, daß sie sich eine schwer zugängliche Festung schuf, in der sie sich gegen sie verschanzen, ihrer Menge standhalten und allein mit 284
al-Mauhūb leben wollte. Nun hatten sich die Zauberer zu der Zeit, als Pharao sie verhöhnte, in Samannüd und Umgebung an gesiedelt, wo sie zwei Gruppen bildeten. Jetzt sagte die eine Gruppe: »Die Königin soll bei uns inmitten unserer Häuser wohnen«, während die andere sagte: »Nein, bei uns.« Als sie die Uneinigkeit der Leute sah, rief sie die Ratgeber aus ihrem Volk zusammen und überlegte mit ihnen, wo zwischen den Ansied lungen der Zauberer und Würdenträger, gleich weit von beiden Gruppen, ein Schloß gebaut werden könnte, zu dem alle eilen könnten. Da fanden sie keinen schöneren und geräumigeren Platz als den eben dieses Schlosses. Die Felsen wimmelten aber von Gewürm aller Art, wie Schlangen und Skorpionen, und von wilden Tieren. Die Geister waren hier zu Hause, und die Nil inseln waren voller Krokodile. Nachdem sie ihr geraten hatten, an dieser Stelle ein Schloß nach ihrem Wunsch zu bauen, ließ sie einen ihrer Kämmerer namens an-Nūn kommen und beauftragte ihn mit dem Bau. Sie gab ihm die gewünschten Maße an und beschrieb ihm, wie hoch und weitragend, wie erhaben und wehrhaft es nach ihrem Willen sein sollte. Er zeigte sich beflis sen, ihren Befehl auszuführen, während sie ihren Würdenträgern und Amtsinhabern wieder reiche Geschenke zukommen ließ. So machte sie sich alle wieder Untertan, nachdem sie nahe daran gewesen waren, sich ihrer Herrschaft und ihrer Botmäßig keit zu entziehen. Als an-Nūn den Bau beginnen wollte und die ersten Schritte unternahm, erwies sich die Menge des Gewürms auf dem Ge lände als ein Hindernis. Er rief deshalb die Zauberer zusammen und pflegte Rats mit ihnen wegen des Ungeziefers. Die Zauberer erklärten ihm: Wenn das Gewürm und die Schlangen Eulen schreien hören, sind sie verschwunden.« Nachdem Eulen gesammelt und an der Stätte des Grauens ausgesetzt worden waren, trieben sie das dort befindliche Gewürm auseinander. Nun wurden die wilden Tiere erlegt, das Gelände geräumt, die Felsen ausgegraben und sodann das Schloß erbaut. An der breitesten Stelle waren die Mauern so, daß zwanzig Männer nebeneinander hätten reiten können. Die Größe des Schlosses betrug drei Meilen im Quadrat. An seinen vier Ecken hatte es je einen 285
Turm. Jeder dieser Türme bot tausend bewaffneten Reitern Platz zum Übernachten. Die Mauern krönte er mit tausend Zin nen, Auf jeder von diesen Zinnen hätte ein Reiter mit seinem Pferd im Kreise herumreiten können, und jede hatte in der Mitte eine große Aushöhlung, die zum Abbrennen von Feuern diente. Die Westmauer des Schlosses setzte er mitten in den Nil. Er versah sie mit zwei Toren, eines für die Vornehmen, das andere für das gewöhnliche Volk, die beide nur zu Schiff erreichbar waren. Damals war an dieser Stelle noch keine Insel. Der Strom lief vielmehr nur jenseits der heutigen Insel und entsandte einen Arm in das Schloß, in das er hineinfloß, um am anderen Ende wieder herauszutreten. Als das Schloß später zerstört wurde, entstand die heutige Insel auf den Trümmern, und der Strom nahm einen anderen Weg, so daß er nun abseits von der Stelle verläuft, wo früher das Schloß stand. An der Landseite brachte er ein weiteres Tor an für Jagdausflüge und andere Lustbarkeiten. Die Tore des Schlosses waren aus vergoldetem Messing. Jedes Tor war von einer großen silbernen Kuppel überdacht, deren Inneres mit verschiedenen Arten von Brokat bespannt war, und auf jeder Kuppel thronte wieder ein großer Vogel, der pfiff, wenn der Wind in ihn hineinfuhr. Zum öffnen und Schließen eines Tores waren jeweils vierzig Männer erforderlich. Im Inneren des Schloßbezirkes errichtete er einen großen Bergfried, vierzig Ellen hoch und vierzig Ellen im Quadrat, darüber eine goldene Kuppel mit vier Türen aus Sandelholz, Zypresse, Teakholz, Ebenholz und Aloeholz. Die Türen hatte er mit Vorhängen und schwerem Brokat verdeckt. Auf der Spitze der Kuppel saß ein Falke aus gelbem Messing, der so sinnreich gestaltet war, daß er sich mit dem Wind drehte und pfiff. In diese Kuppel pflegte sich al-Mahlīja zu setzen und vier Meilen weit Ausschau zu halten, wer zu Lande oder zu Wasser nach Ägypten kam. Im übrigen war das Schloß voll schöner Mädchen. Nachdem alles fertig war, ließ an-Nūn Mahlījas gesamten Besitz überführen. Neben dem Schloß schuf er für sie eine Kirche, zu der nach der Zahl ihrer Wesire tausend Stufen hinaufführten. Wenn sie zu dieser Kirche hinaufstieg, stand auf jeder Stufe ein Wesir, bis sie nach ihren gottesdienstlichen Verrichtungen wieder herauskam. Im 286
Inneren ließ er tausend silberne Lampen aufhängen, die er mit Jasminöl speiste, brachte Bilder der Propheten und Heiligen an, und zur Wartung der Kirche bestellte er hundert byzantinische Eunuchen. Für die große Masse baute er zehn weitere Kirchen, in denen die Menschen zusammenströmten. Um das Schloß herum wurden Dattelbäume gepflanzt und Saaten angelegt, die er mittels Kanälen bewässerte. Als er damit fertig war, brachte er ringsherum Talismane gegen Schlangen, wilde Tiere, sämtliches Gewürm und Krokodile an, so daß es in der Nähe des Schlosses nichts mehr von diesem Gewürm oder den übrigen Schädlingen gab. In der Umgebung des Schlosses wurden zwei Obelisken er richtet, die bis Büläk funkelten. Von jenem Tage an nannte man jenes Gelände »die Insel«. Es war im Grunde bloß der Durch gang zu dem eigentlichen Schloßgarten, der nur solchen Leuten zugänglich war, die wegen einer Beschwerde oder zur Erledigung einer Angelegenheit herkamen. Als schließlich nichts mehr zu tun war, trat an-Nūn bei al-Mahlīja ein und entbot ihr sei nen Gruß. Er meldete ihr, daß er den Bau des Schlosses voll endet und was er im einzelnen getan hatte, und wünschte ihr zum Abschluß ein langes Leben, Erfüllung ihrer Wünsche und Glück ohne Ende, worauf sie ihm ein Ehrengewand verlieh und ihn mit anderen Hulderweisen bedachte. Dann verriegelte sie das Schloß und schwor sich, es nur mit al-Mauhūb zu betreten, indes sie nicht müde wurde, an ihn zu denken, und nicht davon ließ, von ihm zu reden, nachdem sie seinen Namen zu ihrem Trautgesell gemacht hatte. Just zu der Zeit, als Mahlījas Schloß vollendet wurde, kam alMauhūb in Rāja an, das zwei Tagereisen von al-Qulzum entfernt ist. Dort machte er halt und rief seine Heerführer und Feldherrn zusammen. Vorher hatte er seinen Wesiren unter breitet, wie er sich al-Mahlīja gegenüber zu verhalten gedenke, daß er nämlich den Krieg gegen sie beginnen, sie überfallen und ihr Land angreifen wolle, ehe sie unterrichtet worden sei, und daß er als erster von beiden die Vereinbarungen brechen wolle. Da sprachen sie zu ihm: »Deinesgleichen, o König, bricht keine Vereinbarungen, und du bist im Vergleich zu al-Mahlīja zu edel und erhaben, als daß du sie überfallen solltest. Führe dein Un 287
ternehmen vielmehr mit Bedacht, verzögere deinen Vormarsch und schicke ihr einen Brief, in dem du sie warnst und ihr Vorsicht empfiehlst. Du erweist dich nämlich auf diese Weise als vollendeter Edelmann. Außerdem sind wir unkundig in jenem Land und kennen seine Straßen nicht. Wenn uns daher der Kampf mit ihr erspart bleibt, sind wir glücklich.« Da schrieb er ihr einen Brief, in dem er ihr sagte: »Ich bin nur aus großer Sehnsucht nach dir in dein Land gekommen, und meine Absicht war nur, in deiner Nähe zu weilen«, und dergleichen Wendun gen mehr. Diesen Brief ließ er ihr zustellen. Als der Bote zu dem Befehlshaber von al-Qulzum kam, warf dieser ihn in sein Gefängnis und schrieb an al-Mahlīja einen Brief, in dem er sie über die Ankunft der Schiffe sowie ihre Ausrüstung und Zahl unterrichtete. Nachdem er ihr auch Mauhūbs Brief übersandt hatte, schickte sie ihn mit ungeöffnetem Siegel zurück und sprach zu dem Brief: »Kehre um zu deinem Herrn.« Als al-Mauhūb ihn in jenem Zustand zurückerhielt, ergrimmte er sehr und wurde noch trauriger. Darauf bereitete al-Mahlīja viertausend Büffel zum Kampf mit den Löwen vor. Ihre Hörner überzog sie mit Eisen, und an ihre Nacken hängte sie Schellen aus chine sischem Eisen. Gegen die Elefanten rüstete sie fünftausend Wildkatzen aus. Dann sammelte sie ihre Mannen, ordnete ihre Heere und verteilte die Gelder und Waffen unter ihnen. Dies alles schickte sie in das Gebiet von al-Qulzum, während sie selbst ihre Würdenträger heimlich verließ, eine Einsiedelei in der Nähe von al-Qulzum aufsuchte und dort blieb. Danach trat jener uns be kannte Leu vor al-Mauhūb, weil er sah, wie zornig und ver ärgert er über ihn war, und sprach: »Wisse, unwidersprechlicher König: Mein Leib ist hart geschlagen, und meine Freuden sind mir genommen. Ich habe den Wunsch, du mögest mich als ersten in den Kampf ziehen lassen. Vielleicht schaffe ich dir die Sache mit ihr vom Halse, vernichte ihre Heere und bringe dir alMahlīja her.« So hieß al-Mauhūb ihn gegen al-Mahlīja ausrücken. Diese sandte ihm die Büffel entgegen. Als die Löwen und Büffel einander begegneten, hetzte sie die Büffel auf die Löwen, und der Tag war noch nicht zu Ende, als sie die Löwen bis auf den letzten vernichtet hatte. Nur zwei von ihnen blieben ver288
wundet übrig. Einer davon war jener uns bekannte Leu. Er schämte sich, zu al-Mauhūb zurückzukehren, und stieg deshalb in die Berge von al-Qulzum hinauf, wo er sich in einer Höhle verbarg. Der andere aber ging zu al-Mauhūb und meldete ihm, was ihnen zugestoßen war. Da wurde al-Mauhūb noch trauriger. Nun ließ er die Elefanten ausrücken. Ihrem Befehlshaber schärfte er ein: »Beeile dich nur ja nicht wider jemand, ohne auch den Sieg davonzutragen.« Dieser marschierte in das Gebiet von alQulzum. Dort ordnete er die Elefanten in Reihen und stellte die Reiter hinter ihnen auf. Nachdem er die Schwerter an die Rüs sel hatte binden lassen, beschloß er, den Kampf zu beginnen. Nun wurden auf einmal jene Wildkatzen losgelassen. Sie klammerten sich an die Rüssel der Elefanten, bissen sie und ergriffen die Männer, wie es ihre Art ist. Da kamen die Elefanten bis auf den letzten um, die Männer wurden getötet, und außer dem Befehlshaber der Elefantentruppe konnte sich keiner retten. Dieser kehrte zu al-Mauhūb zurück und berichtete ihm, wie es um ihn stand. Da brach al-Mauhūb der Mut, er erkannte, daß er besiegt war, und trug sich mit dem Gedanken, in sein Land zurückzukehren. Allein seine Wesire und Würdenträger traten an ihn heran und sprachen zu ihm: »Gott schenke dem König Ersatz für das, was er verloren hat, und sein und seiner Leute Bleiben möge sich als höchst glorreich und trefflich erweisen! Die Elefanten und Löwen sind nur deshalb umgekommen, weil es ihnen an Verstand gebricht. Anderseits sehen wir die Männer im Kriege nur deshalb obsiegen, weil sie begreifen und sinnvoll planen können. Im übrigen preisen wir Gott, der im Kriege den Sieg verleiht und den Schleier der Kümmernisse von uns nimmt. Bleibe du jetzt, wo du bist, ohne Zeuge der Kämpfe zu wer den und ohne zuzuschauen; denn wir werden dir die Ange legenheit mit al-Mahlīja schon vom Halse schaffen.« Nachdem sie dies gesagt hatten, zogen sie von dannen. Nun sandte al-Mahlīja einen schönen Zaubervogel aus, um al-Mauhūb zu täuschen und in die Irre zu führen. Während er gerade auf dem Rücken lag, über sein Schicksal nachdachte und seine Diener um ihn waren, setzte sich der Vogel auf den Mast seines Schiffes. Trotz seiner vielen Jagden bot sich ihm hier ein 289
Bild, wie er es schöner noch nie gesehen hatte, besaß der Vogel doch einen roten Schnabel, gelbe Augen, grüne Flügel und einen weißen Leib. Er begann, ihn zu betrachten und seine schöne Gestalt zu bestaunen, so daß seine Aufmerksamkeit schließlich nur noch auf ihn gerichtet war und er an das, womit er zuvor beschäftigt gewesen, nicht mehr dachte. Er griff nach Bogen und Lehmkugeln, schoß und verfehlte ihn. Der Vogel aber flog an das Gestade des Meeres und setzte sich auf eine Dattelpalme. Nun ließ al-Mauhūb ein kleines Boot kommen, stieg hinein, ging an Land, schoß abermals nach ihm und verfehlte ihn wie der. Nachdem er auf eine andere Dattelpalme geflogen war, folgte al-Mauhūb ihm, darauf versessen, ihn zu fangen. Doch der Vogel begann, immer weiter von Dattelpalme zu Dattel palme und von Ort zu Ort zu fliegen, bis al-Mauhūb schließlich weit von seinen Schiffen entfernt war, immer noch eifrig mit der Jagd auf den Vogel beschäftigt. Jetzt aber sandte al-Mahlīja Zauberer zu seinen Schiffen aus. Diese schnitten die Ankertaue ab und wühlten das Meer gegen die Schiffe auf, so daß sie einen falschen Lauf nahmen, auseinandertrieben und vernichtet wurden. Da flog der Vogel davon, indem er sich in die Luft flüchtete. Bar aller Hoffnung, ihn zu fangen, trat al-Mauhūb den Rück weg an, um nach seinen Schiffen zu suchen. Doch er fand keine Spur, und es wurde ihm keine Kunde von ihnen zuteil. So setzte er sich nieder, indem er den ganzen Tag sich selbst beklagte und den Verlust seiner Schiffe beweinte. Als der Abend nahte, sandte al-Mahlīja einen Zauberer in Fischergestalt aus, der als Werkzeug ihrer Begegnung mit alMauhūb dienen sollte. Während al-Mauhūb traurig, bekümmert und weinend am Gestade des Meeres saß, näherte sich ihm der Fischer mit seinem Netz auf der Schulter. Er blieb ihm gegenüber stehen und begann, jedesmal, wenn er einen großen Fisch für sich gefangen hatte, ihn zu braten und zu verzehren. Al-Mauhūb trat schließlich an ihn heran, grüßte ihn und fragte: »Aus welchem Lande kommst du, Mann? Ich habe hier außer dir noch niemand gesehen.« Der Fischer erwiderte: »Ich bin ein Einsiedler aus irgendeiner Stadt der Königin al-Mahlīja. Ich habe meinen irdischen Besitz verlassen und mich hier in die Ein 290
samkeit zurückgezogen, um meinem Herrn zu dienen, von die sen Fischen zu fangen und sie zu meiner Nahrung zu machen. Ich wohne auf dem Gipfel jenes Berges und bete dort. Vor dem heutigen Tage habe ich hier noch nie jemand gesehen. Woher stammst du?« Al-Mauhūb gab ihm zur Antwort: »Ich bin ein Fremder, der mit einigen Schiffen aus einem fernen Land hierhergekommen ist. Der Sturm hat unsere Schiffe zerschmettert. Meine Gefährten sind ertrunken. Ich bin als einziger übrig geblieben und kenne den Weg nicht.« Der Fischer sprach: Wenn du etwas taugtest und Gott es gut mit dir meinte, so wärest du mit deinen Gefährten umgekommen. Ich halte dich für nichts anderes als einen Frevler. Deinen Gefährten hast du zum Un heil gereicht. Sie sind umgekommen, und du bist übriggeblieben, um in dieser Welt Prüfungen zu erfahren.« Da weinte al-Mau hüb bitterlich und klagte laut. Dann sagte er zu ihm: »Ich habe Hunger und Durst, Fischer. Würdest du mir wohl etwas hiervon zu essen geben?« – »Wisse«, antwortete der Fischer, »ich habe meinem Herrn gelobt, nur zur Erlangung meiner eigenen Nah rung zu fischen und keinem Frevler in den Dingen dieser Welt zu helfen. Es ist nicht meine Art, ein Gelübde zu brechen. Wenn du es aber willst, leihe ich dir mein Netz und lehre dich fischen.« – »Tu, wie dir beliebt«, sagte al-Mauhūb. Darauf gab ihm der Fischer das Netz und lehrte ihn, es auszuwerfen. Den ganzen Tag warf er es unablässig aus, ohne daß ihm etwas hin einging. Nachdem sein Hunger und seine Müdigkeit am Abend noch größer geworden waren, ging ihm endlich ein großer, schwarzer, auf dem Wasser treibender Fisch ins Netz. Er nahm ihn und briet ihn auf dem Feuer des Fischers. Als er nun nach Wasser verlangte, zeigte ihm der Fischer den Weg zu einer Quelle am Fuß des Berges. Er ging hin und trank daraus. Dann kam er zurück und suchte den Fischer, ohne ihn zu finden. Nun beklagte er sein Geschick und weinte, ja er weinte immer mehr. Die Nacht verbrachte er in jammervoller Lage, als ein Einsamer, der die Speise des Schlafes nicht kosten darf. Am nächsten Morgen kam der Fischer wieder, um sein Handwerk auszuüben. Als er fertig war, lieh er dem anderen wieder sein Netz. So ver brachten sie beide eine Zeitlang. Eines Tages gab der Fischer 291
ihm das Netz mit den Worten: »Nimm es und fische damit; denn ich möchte in einer eigenen Angelegenheit einmal fortgehen.« Da bat ihn al-Mauhūb: »Mein lieber Freund, du solltest mir lieber den Weg in eine bewohnte Stadt zeigen, wo ich auf eine Weise fischen kann, die mein Schicksal zum Guten wendet.« Da zeigte ihm der Fischer den Weg nach al-Qulzum und entschwand seinen Augen. So verbrachte al-Mauhūb die Zeit damit, zu fischen und sei nes Weges zu wandern, bis er zu der Einsiedelei kam, in der al Mahlīja wohnte. Diese lag am Ufer des Meeres. Müde und er schöpft ließ er sich in ihrem Schatten nieder. Die Füße waren ihm geschwollen. Frische Farbe, Schönheit und Reiz waren dahin. Auf der Schulter trug er das Netz, und an seinem Arm hing das Gefäß für die Fische. Das Netz legte er vor sich und streckte sich auf die Seite aus, um sich von seiner Anstrengung zu erholen, traurig und in Gedanken über sein Geschick. Da schaute al-Mahlīja in der Aufmachung eines Mönches und in Kleider aus Wolle und schwarzem Haar gehüllt aus der Einsiedelei heraus. Als sie herausschaute, sah al-Mauhūb ihr strahlend schönes Gesicht. Er war vor Staunen derart verblüfft, daß er schier von Sinnen war und beinahe den Verstand verlor. Wie ein Besessener begann er die Lippen zu bewegen, ohne ein Wort hervorzubringen. So kam ihm gar nicht zum Bewußtsein, daß es al-Mahlīja war. Sie aber begann den Blick von ihm zu kehren, so, als ob sie ihn überhaupt nicht mehr ansehen würde. Als sie jedoch erkannte, daß seine leidenschaftliche Liebe ihn überwältigt und seine Sehnsucht ihn mit sich fortgerissen hatte, wandte sie ihm den Blick wieder zu und sprach: »O, der du bei mir Schatten suchst und der du schaust, was dir nicht erlaubt ist! Hast du einen Wunsch? Ich bin nämlich eine Frau, und hier ist kein Ort für Männer. Wenn du einen Wunsch hast, so will ich ihn dir erfüllen, und dann ziehe in guter Hut deines Weges.« – Wisse«, gab er ihr zur Antwort, »ich bin ein Fremder, der zu Schiff aus fernem Land hierhergekommen ist. Der Sturm hat unser Schiff zerschmettert. Alles, was es enthielt, ist verloren gegangen, nur ich nicht. Das Meer hat mich an den Strand geworfen. Dann bin ich einem Fischer begegnet, der mir ein Netz 292
geschenkt hat. Damit will ich mir meine Nahrung fangen, bis mich Gott der Erhabene aus meiner Not errettet. Der Fischer hat mir den Weg zu der vor mir liegenden Stadt gezeigt, damit ich dort meinen Lebensunterhalt verdienen kann. Völlig von Kräften habe ich mich in den Schatten deiner Ensiedelei gesetzt, und ich will auch gleich wieder gehen. So möge denn deine Milde auch mir zuteil werden und deine Güte mich einschließen!« – »Junger Mann«, sprach sie zu ihm, »vielleicht hast du alte Sün den und gebrochene Ehrenworte auf deinem Gewissen, derent wegen dich dein Gott bestraft und in diese Lage hat geraten lassen.« Da weinte al-Mauhūb bitterlich und klagte laut, worauf sie ihn fragte: Wie kommt es, daß ich dich tränenüberströmt und schmerzerfüllt sehe? Ist dies alles einem früheren Erlebnis mit einem Fürsten zuzuschreiben oder alten Sünden oder der Trennung von dem liebsten Menschen?« Er antwortete: »Ich habe geweint über das, was mir vom König widerfahren ist. Nun aber habe ich einen Teil davon gegen dieses neue Leid ein getauscht, und meine Betrübnis hat sich dadurch verdoppelt, daß du mich tadelst.« Sie fragte ihn: Weißt du denn nicht, daß ein Fürst jedem, der sich gegen ihn auflehnt, ihm zuwiderhan delt und ihm die Treue bricht, Schmach und Schande bereitet und daß er sich eigentlich selber verachten und schelten müßte? Mein Herz empfindet Mitleid mit dir, und wenn ich nicht ge rade in die Stadt, die Stadt der Königin al-Mahlīja, gehen müßte, um ihr gegenüber eine alte Mönchspflicht zu erfüllen, so würde ich dir hier bei meiner Einsiedelei eine Behausung aus Palmblättern einrichten, in die du dich nachts zurückziehen könntest, um sonst gegenüber zu fischen. Allein ich muß morgen früh unbedingt zu ihr gehen, so Gott der Erhabene will.« Da sprach er: »O du liebe, fromme Nonne, wie du mich Vernunft, Vertrauenswürdigkeit und religiöse Pflichten lehrst, so bist du auch selbst. Ich habe dir mitgeteilt, daß ich ein Fremder bin, der dieses Land nicht kennt und nicht weiß, wohin er sich hier wenden soll. Wenn du es für richtig findest, daß du mich als unzertrennlichen Diener für deine Geschäfte nimmst, daß ich mit dir hingehe, wohin du willst, und mit dir zurückkehre, und daß ich dir Diener bleibe, solange ich lebe, so mögest du es tun.« – 293
»Du mußt wissen, junger Mann«, gab sie ihm zur Antwort, »daß die Menschen mich als ehrbar, enthaltsam und vertrauens würdig betrachten. Ich genieße bei den Leuten einen guten Ruf und erfreue mich allgemeiner Wertschätzung. Wenn du daher das zwingende Bedürfnis empfindest, bei mir zu bleiben und auf immer in meinem Dienst zu stehen, so mußt du dich mir gegenüber feierlich verpflichten, nichts Böses und Unehrenhaftes mit mir zu wollen und keinem anderen neben mir zu dienen; denn ich sehe in deinem Blick etwas Böses, das auf Treulosigkeit deutet.« Und sie begann, ihm allerlei zu sagen, indes er trotz der Milde ihrer Redeweise und der Freundlichkeit ihrer Stimme immer trauriger, betrübter und verliebter wurde. So versicherte er ihr hoch und heilig, sie nie zu betrügen und ihr niemals untreu zu werden, solange er lebe. Ihr Gespräch mit ihm beendete sie damit, daß sie ihm erklärte: »Es ist in unserem Mönchsorden üblich, daß wir uns keinen zum Diener nehmen, ohne daß ihm unser Name auf den Leib geschrieben wird. Wenn du also in unserer Gemeinschaft leben willst, so mußt du dich den Regeln unterwerfen, die meine Vorgänger im Mönchstum festgelegt haben.« – »Ganz nach deinem Wunsch und Belieben«, gab er ihr zur Antwort, worauf sie ihm befahl: »So schreibe mit eigener Hand unter den Muskel deines Oberarms die Bezeich nung ›Diener seines Königs, des Obersten der Mönche‹.« Nachdem er dies getan hatte, unterhielt er sich die ganze Nacht mit ihr. Als der Morgen anbrach, verließ sie ihre Einsiedelei in Be gleitung eines hochsatteligen ägyptischen Esels, der eine blaue Schabracke aus feiner Ziegenwolle trug. Nachdem sie ihn be stiegen hatte, sprach sie zu al-Mauhūb: »Bleibe hier, bis ich aus Kairo von der Königin zurückkehre.« Er erwiderte jedoch: »Bei Gott, Herrin, ich möchte gern das Land der Königin in Augenschein nehmen, weil man mir seine Schönheit gepriesen hat, und es ist mir ein Herzensbedürfnis, daß du mich vor dir her oder hinter deinem Esel schreiten heißt.« Sie antwortete: Wenn du gar nicht anders kannst, so nimm dein Netz mit, damit man dich als einen Fischer betrachtet; denn ich möchte, daß in der Stadt der Königin keiner erfährt, daß du in meinem Dienst stehst.« So nahm er denn sein Netz auf die Schulter und ging 294
hurtigen Schrittes in einer gewissen Entfernung von ihr hinter ihrem Esel her, bis sie einen Teich bei ‘Ain Schams erreichte. Dort befahl sie ihm: »Bleibe hier an diesem Teich, lustwandle in den Saaten ringsum und schau dir die wunderbare Gegend an, bis ich wiederkomme.« Gehorsam ihrem Befehl blieb er dort, warf sein Netz aus und fing Fische aus dem Teich. Als nun al-Mahlīja in ihre Stadt einzog, kamen ihre Wesire und Würdenträger ihr entgegen. Auf ihren Befehl wurde in der Mitte ihres Gartens am Ufer des Nils ein Thron aus rotem Gold für sie errichtet, der mit Edelsteinen besetzt war. Darüber befestigte man für sie einen hoch in die Luft ragenden Thron himmel mit Vorhängen aus Brokat. In ihren prächtigsten Gewändern und mit ihrem schönsten Schmuck angetan, nahm sie unter dem Thronhimmel Platz. Auf ihr Haupt setzte sie die Königskrone, und um die Stirn legte sie das Diadem. Vor sich pflanzte sie goldene Kreuze auf. Zu ihrer Rechten ließ sie tau send byzantinische Eunuchen aller Art mit goldenen und silbernen Gürteln und mit Stäben in den Händen Aufstellung neh men, zu ihrer Linken tausend Sklaven verschiedener nubischer Herkunft sowie tausend Mädchen aller Art mit Musikinstru menten in den Händen. Dann ließ sie ihre Kämmerer und Wesire, ihre Ammen und Wärterinnen zusammenkommen, und auf ihren öffentlichen Aufruf hin strömten die Würdenträger zu ihr herbei. Nun gab sie ihnen den Sieg über ihren Feind be kannt, verschaffte den Bedrängten ihrer Untertanen Recht wi der ihre Bedränger, brachte Opfer dar und spendete reiche Gelder. Die Leute dankten ihr, und beim Aufbruch wünschten sie ihr ein langes Leben. Während dies alles vonstatten ging, spielte sie auf einmal mit ihrem Königsring und gab vor, er sei ihr plötzlich von der Hand in den Nil gefallen, ein großer Fisch habe ihn bereits ver schlungen, doch sie werde den Fisch wiedererkennen, wenn er ihr zu Gesicht komme. An ihrem Ring befand sich ein Rubin von der Größe eines Gänseeies, er gehörte zu den Kleinodien, die ihre königlichen Ahnen für die Empfänge gehortet und weitervererbt hatten, und sein Wert war unermeßlich. Der Verlust des Ringes löste bei den Würdenträgern große Erregung 295
aus, und sie zeigten sich darüber sehr bekümmert und traurig. Nun sandte sie einen Herold aus, der überall unter den Leuten verkündete: »Wer den Ring der Königin findet, ob Fischer oder Taucher, dem soll die Hälfte ihres Reiches gehören, und er soll Miteigentümer ihrer Königsschätze sein.« Darauf ließ sie die Fischer aus allen Gauen des Landes zusammenrufen. Als man so auch al-Mauhūb am Teichufer in ‘Ain Schams fischen sah, wurde er mit den übrigen aufgegriffenen Fischern vor al-Mah lija gebracht. Sie verkündete allen: »Mir ist mein Königsring von der Hand gefallen, und ein großer Fisch, der so und so aus sieht, hat ihn verschluckt. Der Ring ist die Grundlage meiner Herrschaft und bedeutet die letzte Vollendung meiner Macht. Wer diesen Fisch fängt, den mache ich zum Miteigentümer meiner Schätze und teile mit ihm meine Herrschaft.« So standen die Fischer vor al-Mahlīja. Danach warfen sie ihre Netze aus und fischten. Jedesmal wenn sie einen großen Fisch gefangen hatten, nahmen die Diener ihn in Empfang und legten ihn ihr vor, doch sie gab ihnen immer zur Antwort: »Dies ist nicht der Fisch, der den Ring verschluckt hat.« Als sie schließlich sah, daß al-Mauhūb, der sich in der Schar der Fischer befand, allmählich traurig und bekümmert wurde und zu weinen begann, sagte sie zu ihrer Umgebung: »Bestellt dem Fischer dort: ›Warum willst du dein Netz nicht mehr auswerfen, und warum muß ich sehen, daß du traurig bist und dich zurückziehst?^ Er gab ihrem Die ner zur Antwort: »Ich bin ein fremder Königssohn, der sich nicht aufs Fischen versteht. Außerdem bringe ich dieser Königin gegenüber nicht den Mut auf, vor ihr zu stehen.« Der Diener meldete ihr dies, worauf sie ihm befahl: »Bestelle dem Fischer, er solle sein Netz auswerfen. Vielleicht wird ihm Segen zuteil, und vielleicht ist sein Glück schon da.« Danach warf er, vor Scheu und Furcht zitternd, sein Netz aus und fing einen großen Fisch. Als die Diener ihn zu al-Mahlīja brachten, erklärte sie: »Dies ist der Fisch, der den Ring verschlungen hat«, und sie zeigte große Freude über seinen Fang. Ihr Gesinde entfernte sich auf ihren Befehl, und sie sprach: »Über diesen Fisch und die Entnahme des Ringes aus ihm darf nur der verfügen, der ihn gefangen hat.« 296
Nun wurde auf ihr Geheiß al-Mauhūb hereingeführt. Nach dem sie zwischen sich und ihn einen Vorhang hatte herabfallen lassen, sagte sie: »Mein Ring ist nicht verlorengegangen. Ich habe vielmehr nur meine ‘Würdenträger prüfen wollen. Hier ist der Ring.« Sprach’s und warf ihm den Ring in den Schoß. Al Mauhūb küßte den Ring und gab ihn ihr voller Staunen zu rück. Darauf sprach sie zu ihm: »Ich möchte dich fragen, Fischer, warum du aufgehört hast zu fischen und warum du geweint und gesagt hast, du seiest ein Königssohn. Sage mir die Wahrheit; denn wenn ich feststelle, daß du lügst, bestrafe ich dich, wenn du aber die Wahrheit sagst, werden dir deine Wünsche erfüllt werden.« Da gab er ihr zur Antwort: »Ich bin al-Mauhūb, der Sohn Schimrāchs, des Königs von az-Zābadsch, dem du in der Kirche von Jerusalem begegnet bist und dessen Erlebnisse mit dir du kennst.« Sie erklärte seine Äußerung für sehr ernst, ging näher auf sie ein und sprach zu ihm: »Habe ich dir nicht ver boten zu lügen? Und nun hast du mich schon am Anfang deines Berichtes belogen!« – »Inwiefern habe ich deiner Meinung nach gelogen?« fragte er, und sie erwiderte: »Al-Mauhūb ist ein mächtiger, gewaltiger, angesehener, hochgeehrter König und hat ein großes Heer, Gesinde und Dienerschaft. Ich bin ihm verpflichtet und durch Versprechungen und Ehrenworte an ihn gebunden. Im übrigen haben wir unter uns gewisse Erkennungszeichen. Dich hingegen kennt jedermann, und ich sehe, daß du ein armer, verachteter, kleiner Fischer bist.« Nachdem sie ihm dies gesagt hatte, sprach al-Mauhūb zu ihr: »Wisse, hohe Königin: Voreiligkeit aller Art, die Allgewalt der Leidenschaft, die Macht der Liebe, Mißgeschick und die große Unterschätzung anderer Könige haben mich dahin geführt, wo du mich heute siehst.« – »So beweise mir deine Behauptungen und berichte mir wahrheitsgemäß von dir«, erwiderte sie, worauf er ihr seine Geschichte erzählte von ihrem Scheiden an bis zu der Zeit, da seine Schiffe untergegangen waren und der Fischer ihm das Netz überreicht hatte. Sein Erlebnis mit der Nonne verschwieg er jedoch. Sie entgegnete: »Wenn deine Behauptung, al-Mauhūb zu sein, der Wahrheit entspricht, so hat dich nicht Voreiligkeit und königliches Ungestüm zu Fall gebracht. Das Spähen deiner 297
Augen, die häufige Untreue, der Wandel des Herzens und die Tatsache, daß du mit deinen Worten nach außen hin etwas kund tust, was den Empfindungen, die du im Busen hegst, nicht entspricht – das ist es vielmehr, was dich so tief hat stürzen lassen.« Er wandte ein: »Nimmst du nicht in Wirklichkeit wegen meines Erlebnisses mit al-Haifā’ deine Zuflucht zu dieser Er klärung? Habe ich nicht vielmehr eine Abneigung gegen sie, weil sie eine verzauberte Frau ist? Bei Gott, ich habe dich nie mals auch nur für einen Augenblick betrogen. Du hast mich zu Unrecht bestraft. Der Anfang deiner Strafe war es, daß du mir den Spiegel entwendet hast, der meine Unterhaltung war, wäh rend ich trotzdem noch zu meinen Eiden stehe.« Jetzt herrschte sie ihn an: »Du Treuloser! Du Betrüger! Wenn ich dich in dem Erlebnis mit al-Haifā’ schon für entschuldigt halte und deine Erklärung annehme, soll ich denn auch dein Abenteuer mit der Nonne entschuldigen, deine Ergebenheit ihr gegenüber und die Tatsache, daß du ihren Namen auf deinen Oberarm geschrieben hast? Welch ein Irrtum zu glauben, du seiest, weil dir etwas zugestoßen ist, ungerecht behandelt worden und du könntest daraus irgendeinen Anspruch für dich ableiten! Du hast vielmehr die Strafe für Untreue und Betrug zu kosten bekommen, und ich habe meinen Rachedurst gestillt. In Zukunft sollst du aber wieder meine Gutmütigkeit erfahren, weil nun einmal die Liebe zu dir mit meinem Fleisch fest verwoben und mein Blut von der Zuneigung zu dir durchtränkt ist. Ich habe den Leuten bereits bekanntgegeben, daß du der Teilhaber meiner Herrschaft sein sollst, und meinen Würdenträgern gegenüber eine List angewandt. Ferner habe ich für dich ein stolzes Schloß erbaut, das ich mit Dienern und Sklaven gefüllt und das ich erst nach dir zu be treten geschworen habe.« Darauf hieß sie ihn sich seitwärts in ihrem Garten niedersetzen. Nachdem er ihren Befehl ausgeführt hatte, veranlaßte sie einen öffentlichen Ausruf unter ihren Würdenträgern, wonach diese zusammenströmten. Unter ihnen wandte sie sich gesondert an ihre Wesire mit der Erklärung: »Ich habe mir geschworen und habe Gott, dem Herrn, gelobt, den, der mir meine Herrschaft wieder festigen würde, zu meinem Mitkönig zu machen und meine Schätze mit ihm zu teilen. Nun 298
hat Gottes Fügung diese Festigung durch die Hand eines Sohnes der Herrscher und Pharaonen erfolgen lassen, und ich habe ihn als ebenbürtig und adlig erfunden. Nehmet zur Kenntnis, daß es für mich keine echte Gemeinschaft und keine gedeihliche Regelung in Vermögensangelegenheiten geben kann ohne Eheschließung und sichtbaren Ausdruck des Glückes; denn ich besitze nicht die Macht, mein Wort zu widerrufen und meinen Befehl zurückzuziehen.« Sie erwiderten: »Tu, was dich gutdünkt, und Gott schenke dir Gelingen! Denn du bedarfst keines Rates von irgendeinem unter uns.« Dann rief sie die Patriarchen, Priester, Bischöfe und Mönche zusammen, um ihre Eheschließung mit al-Mauhūb zu vollziehen. Sie brachte Opfer dar, teilte Gelder aus, spendete Almosen, verlieh herrliche Ehrengewänder und machte jenen Tag zu einem gesetzlichen Feiertag. Ferner bestellte sie den Wesir zu sich, der das Schloß für sie erbaut hatte, und befahl ihm, Teppiche und Vorhänge zu erneuern, ließ Frauen aus allen Ländern kommen, brachte Musikanten zusammen und schickte Boten in Mauhūbs Heimat, um seinen Vater über die glückliche Wendung seines Schicksals zu unterrichten und ihm die frohe Botschaft von sei nem Wohlergehen zu übermitteln. Mauhūbs Vater freute sich darüber ungemein und sandte ihr und seinem Sohn unbeschreib liche und unausdenkbare Geschenke und Schätze, dazu al-Haifā’ und die Löwin mit ihren beiden Jungen. Nachdem al-Haifā’ angekommen war, zog al-Mahlīja sich mit ihr allein zurück und fragte sie nach allem, was sie mit Weißfuß erlebt hatte, und es blieb ihr nicht das geringste davon verborgen. Dann ließ sie al-Haifā’ gehen und rief Weißfuß und die Zauberer herbei. Auf ihren Befehl erlösten die Zauberer ihn und gaben ihm seine frühere Gestalt zurück. Nun fragte sie ihn nach seinen Erleb nissen mit al-Haifā’, und da seine Aussage mit der ihren über einstimmte, versprach sie ihm, sie nach der eigenen Hochzeits feier wieder miteinander zu vereinen. Schließlich ließ sie auch die Löwin mit ihren beiden Jungen kommen. Dann schickte sie einen Boten aus. Dieser schaffte aus allen fremden Löwen ihren Gatten herbei, und sie söhnte die beiden aus. Als der Wesir mit dem Schloß sowie seiner Herrichtung und 299
Teppichausstattung fertig war, ließ sie in allen Gauen ausrufen, keiner dürfe versäumen, an ihrer Hochzeitsfeier teilzunehmen, und wer es versäume, den werde die Königin bestrafen. Da strömten die Leute aus allen Städten zusammen. Das Schloß war aufs schönste und herrlichste geschmückt. Al-Mauhūb ritt auf einem vornehmen, edlen Fuchs, angetan mit edelsteinbesetzten Gewändern, indes die Könige alle vor ihm herschritten. Al Mahlīja hatte ihm die Krone ihres Vaters, die schon bei ihren königlichen Ahnen üblich gewesen war, aufs Haupt gesetzt. Um ihn herum und vor ihm her schritten die Emire, während sämtliche Bischöfe, Priester und Patriarchen ihm aus den Evangelien vorlasen sowie Bitt- und Lobgesänge sprachen. Die mit Ambra und anderem Räucherwerk brennenden Kerzen waren (zahl reich), und ob ihrer Menge füllte ihr Rauch den ganzen Hori zont. Als er in diesem Zug in das Tor des Schlosses trat, emp fingen ihn die dort versammelten Mädchen mit Musikinstrumen ten aller Art und überhäuften ihn mit königlichen Ehren. Al Mahlīja folgte ihm in einer Sänfte aus mit Rubinen und anderen Edelsteinen besetztem Elfenbein auf dem Rücken eines großen, hochragenden baktrischen Kamels, das mit grüner Seide, Fahnen und Goldbrokat bedeckt war. Sie war von ihren Höflingen und Dienern umgeben. Die Bischöfe, Priester und Mönche schritten vor ihr, die Patriarchen hinter ihr her, und es brannten vor ihr Räucherwerk und Kerzen. In der Kirche ließ sie sich auf einem Sessel aus frischem Aloeholz nieder. Al-Mauhūb tat das gleiche ihr gegenüber, worauf ihnen aus den Evangelien vorgelesen wurde und sie Opfer darbrachten. Dreißig Tage lang wurde al Mahlīja täglich aufs neue vor ihm entschleiert, und das Schmausen und Zechen begann jeden Tag von neuem. Das ganze Volk drängte sich zusammen, die Reichen lebten in Üppigkeit, und das Schloß war voller Menschen, bis ein ganzer Monat vergan gen war. Dann erwies sie den Leuten, die nun vor sie traten, je nach ihrem Rang Wohltaten, entließ sie nach Hause und zog sich selbst zurück. Danach veranstaltete sie ein zweites Gelage für Gazelle Weißfuß und al-Haifā’ und räumte ihnen einige von ihren Gemächern ein. Dem Löwen, der Löwin und ihren Jun gen übertrug sie die Wüste als Lehen. Alle Löwen daselbst stam300
men von ihnen ab; denn den Löwen kennt man dort erst seit jenem Tage. Den Wesir, der ihr Schloß erbaut hatte, nahm sie in den Kreis ihrer bevorzugten Wesire auf, machte ihn zum Mitwisser ihrer Staatsgeheimnisse und bestimmte für ihn ein besonderes Eingangstor zum Schloß, das nach ihm heißt, da es damals nach seinem Namen benannt worden ist. In ihrem Volk förderte sie das Recht und hielt den Pfad höchster Rechtschaf fenheit inne. Dann wollte es die Vorsehung, daß asch-Schimrāch starb und allgemeines Wehklagen in seinem Reich herrschte. Als die Kunde zu al-Mauhūb drang, empfand er große Trauer und bitteren Schmerz, jedoch ohne daß ihm der Sinn danach stand, Mahlījas Reich mit irgendeinem anderen zu vertauschen. So lebten sie zusammen in Glück und Freude, in Wohlstand und Fülle, wohlbehütet vor allem, was man fürchten könnte. Nun hatten an Mahlījas Hochzeit auch sämtliche Zauberer teilgenommen, Männer sowohl wie Frauen. Bei dieser Gelegen heit hatte die Tochter einer Zauberin al-Mauhūb gesehen und sich leidenschaftlich in ihn verliebt. Sie hieß Bahrām und hatte vorher noch nie einen Mann kennengelernt oder auch nur gesehen, weil sie abgeschieden im Schlosse ihrer Mutter lebte. So wurde ihre Liebe zu ihm immer größer, und sie konnte es ohne ihn nicht aushalten. Anderseits hatte al-Mahlīja, als sie mit alMauhūb ins reine kam, ihren Gelehrten und sämtlichen Würdenträgern befohlen, daß kein Zauberer und keine Zauberin, kein Wahrsager und keine Wahrsagerin aus irgendeinem ägyptischen Gau das Schloß betreten dürfe, dies alles aus lauter Besorgnis um al-Mauhūb, weil sie die Macht ihres Zaubers kannte. Als nun aber Gott seinen Willen durchführen wollte, sprach alMauhūb zu ihr: »Ich möchte einmal Oberägypten sehen, seine Tempel betrachten und dort Wild jagen.« Sie erlaubte ihm zu reisen, wohin er wolle, und gab ihm die Recken ihres Volkes mit, dazu sämtliche Diener mit Jagdfalken, weißen Königsfal ken, Hunden und Jagdpanthern, ferner Zelte, Pferde, Maultiere, Kamele und alles, was er sonst noch brauchte. So zog er jagend und sich vergnügend seiner Wege, bis er die Stadt Ansinā erreichte, wo die Zauberin al-Charsā’ wohnte, und schlug dort seine Zelte auf. Als die Zauberin al-Charsā’ sah, daß al-Mauhūb 301
gekommen war und sich auf ihrem Schloßhof niedergelassen hatte, trat sie ihm mit Geschenken und Gaben, feinen Gegenständen und Schätzen entgegen. Dann erlegte er in der Wüste von Ansinā viel Wild, kehrte froh und munter zu seinen Zelten zurück, aß und trank und verbrachte dort die erste Nacht. Als es vollends dunkel geworden war, hielt Bahrām, die Tochter der Zauberin al-Charsā’, Ausschau nach ihm. Da bot sich ihrem Auge ein herrlicher Anblick, es sah Schönheit, Liebreiz und Glanz. So erwachten die Gefühle ihres Herzens aufs neue, und der Satan brachte ihren Zügel in seine Hand. Weil sie wegen der Menge seiner bewaffneten Begleiter nicht an ihn herankommen konnte, begann sie zu weinen und zu schluchzen, bis sie schließlich ohnmächtig zu Boden sank. Als ihre Mutter sie in diesem Zustand sah, fragte sie: »Mein liebes Töchterchen, warum sehe ich dich so traurig weinen? Verheimliche es mir nicht.« – »Ich muß dir gestehen«, antwortete sie, »daß mir al-Mauhūb bei der Teilnahme an seiner Hochzeit mit al-Mahlīja ein lodern des Feuer ins Herz gesenkt hat und daß ich meine Empfindun gen diese lange Zeit hindurch geheimgehalten habe. Nachdem ich ihn jetzt wiedergesehen habe, sind die Gefühle meines Herzens neu erwacht. Ich fürchte für mich, daß ich an seiner Liebe zugrunde gehe, und weiß keinen Ausweg aus meiner Lage.« Da empfand ihre Mutter Mitleid mit ihr, und sie sprach: »Sei ge trost und guten Mutes, Töchterchen. Ich werde eine List wider ihn anwenden und al-Mahlīja seiner Nähe berauben.« Ihre Mutter neidete nämlich seit langem al-Mahlīja die Königswürde und mißgönnte ihr die Herrschaft. So schickte sie al-Mauhūb, als er von der Jagd zurückkehrte und sich von seiner Anstrengung ausruhte, eine goldene, mit Duftstoff gefüllte Büchse und bat ihn, ihr die Auszeichnung zu erweisen, daß er ihn nur für sich selbst verwenden werde, damit sie sehe, daß sie seine Achtung genieße. Dies sagte er ihr zu. Kaum hatte er zu seinem Vergnügen eine Kleinigkeit davon gebraucht, da verwandelte er sich in ein Krokodil und kroch ins Wasser. Als seine Gefährten ihn am Morgen suchten, fanden sie ihn nicht. Sie fragten nach ihm, ohne eine Spur von ihm zu entdecken oder eine Nachricht von ihm zu erhalten. So kehrten 302
sie zu ihrer Herrin zurück, und alle weinten sie schmerzerfüllt, rissen ihre Kleider ein und jammerten laut in der Öffentlichkeit. Wehe!« rief al-Mahlīja aus. »Was habt ihr erlebt? Was ist euch zugestoßen?« Nun berichteten sie ihr, daß sie ihren Herrn al Mauhūb gesucht hatten, ohne auf eine Nachricht oder eine Spur von ihm zu stoßen. Da empfand sie bitteren Schmerz. Ihre Ge wänder legte sie ab, kleidete sich in weiße und schwarze Wolle und hieß alle Schloßbewohner ihrem Beispiel folgen. Ihres Jam merns um ihn war kein Ende, und sie enthielt sich aller Speisen und Getränke. Danach sandte sie Boten zu den Oberzauberern und befahl ihnen, al-Mauhūb zu suchen und nach ihm zu for schen. Die Zauberer zerstreuten sich, um Städte und Wüsten, Einöden und Steppen, unbewohnte und blühende Ländereien, Täler und fruchtbare Ebenen zu durchwandern. Allein es drang keine Kunde von ihm an ihr Ohr, und sie fanden keine Spur von ihm. Mahlījas Kummer verdoppelte sich täglich, ihr Leid wurde immer bitterer, und, bar jeder Hoffnung auf ein Wiedersehen, beweinte und beklagte sie ihn. Dabei sprach sie die folgenden Verse: Weilst nahe du? Weilst du in fernem Land?
Bist tot du? Bist versehrt? In fremder Hand?
Ach, hinge ich am Hals ihm als ein Kreuz,
Zu atmen seines Duftes süßen Reiz!
Ach, hätt ich ihn als Arzt in meiner Hut,
Zu fühlen seiner Hände frisches Blut!
Weiter sprach sie: Ach, war ich blind! Ach, teilt ich deine Pein!
Könnt ich im Grab mit ihm zusammen sein!
Und abermals sprach sie: Möcht küssen ihm der Zähne weiße Reihn. Möcht Zufluchtsort und Höhle für ihn sein. Er soll als Strick mich um die Hüften winden, Mich als ein Glaubenszeichen sich verbinden. Ich möchte mich als heiiges Brot ihm schenken, Mit Speichel würde zärtlich er mich tränken. 303
Sie begann, ihn ständig zu beklagen und zu beweinen, während al-Mauhūb bei Bahrām, der Tochter der Zauberin alCharsā’, weilte. Al-Charsā’ hatte ihn in ein Krokodil verwan delt, das am Nilufer unter den Mauern ihres Schlosses wohnte. Wenn die Nacht hereinbrach, holte die Mutter ihn zu Bahrām und gab ihm sein Äußeres und seine Schönheit zurück. Sie kleidete ihn aufs üppigste, versah ihn mit den erlesensten Wohlgerüchen, richtete ihm seinen Sitzplatz mit den feinsten Decken und klärte für ihn den besten Wein. Die beiden aßen und tranken und waren guter Dinge. Wenn die Morgenröte aufging, ver wandelte sie ihn wieder in ein Krokodil und schickte ihn wieder an seine Stelle am Nil. So lebten die beiden sieben Jahre hintereinander. Nachdem diese Frist verstrichen war, wollte die göttliche Vorsehung, daß das Schiff irgendeines Kaufmanns auf der Talfahrt nach Kairo an der Stelle vorbeikam, wo sich das Krokodil be fand. Nachdem sich ein starker Wind erhoben hatte, ließ er hier aus Furcht vor einem Schiffbruch Anker werfen. Während die Leute den Nil, seine Bewegung und seinen hohen Wellengang betrachteten, hob das Krokodil plötzlich seinen Kopf empor. Da sah der Kaufmann, daß es zwei gelbe Ohren und zwei Ohr ringe mit je einer großen Perle hatte. Er verwunderte sich sehr darüber und ging auf es zu, (worauf es im Wasser verschwand). Bis zu seiner Ankunft in Kairo teilte er niemand sein Erlebnis mit. Als er aber dann seine Waren verkaufte, erzählte er die Geschichte von dem Krokodil. Die erfahrenen Leute schenkten ihm jedoch keinen Glauben, und sie unterbreiteten diese Kunde al-Mahlīja. Als sie von einem Krokodil hörte, das zwei Ohrringe mit je einer Perle trug, rief sie die Zauberer und Wahr sager herbei und fragte sie, ob sie dies aus ihrem Bezirk kennten. Sie erklärten übereinstimmend, noch nie etwas derartiges gesehen zu haben. Auf Mahlījas Geheiß wurden nun die Schiffe klargemacht. Sie ging selber an Bord, ließ ihre Vertrauten ein steigen, Wahrsager, Wesire und Zauberer, und fuhr unter Mitnahme des Kaufmanns, der das Krokodil gesehen hatte, nach Ansinā. Als ihr der Kaufmann die Stelle zeigte, an der das Krokodil gelegen hatte, hielt sie Umschau und stellte zu ihrer 304
Überraschung fest, daß gegenüber dieser Stelle das Schloß der Zauberin al-Charsā’ und ihrer Tochter Bahrām stand. Da ahnte sie, daß das Krokodil al-Mauhūb war. Sie ließ Bahrām, ihre Mutter und sämtliche Zauberer von Ansinā ergreifen, und nach dem sie allerlei Folterstrafen wider sie angewandt hatte, sagte eines der Mädchen Bahrāms wider ihre Herrin aus, was mit alMauhūb geschehen war. Dieses Mädchen hatte sich nämlich ebenfalls in al-Mauhūb verliebt und beneidete ihre Herrin um ihn. Als al-Mahlīja Bahrām weiter foltern ließ, legte sie ein Geständnis ab, veranlaßte, daß al-Mauhūb in seiner eigenen strah lenden Gestalt das Flußufer verließ und erlöste ihn von dem Zauber. Da sank al-Mahlīja an seine Brust, und sie weinten beide lange. Dann ließ sie Bahrām und ihre Mutter zusammen in eisernen Fesseln abführen, zerstörte ihr Schloß, plünderte ihren Besitz und kehrte zu ihrem eigenen Schloß zurück. Nun begann das Volk in seinen verschiedenen Schichten mit der Bitte an al Mahlīja heranzutreten, sie möge ihm Bahrām und die Zauberin al-Charsā’ ausliefern, damit es selbst die Bestrafung übernehme und die Foltern aller Art verdoppele. Sie bedankte sich für dieses Angebot, verteilte Almosen und prächtige Ehrengewänder an alle Leute und lobte Gott den Mächtigen und Erhabenen, weil er ihr al-Mauhūb wiedergeschenkt hatte. Dann nahm sie sich die Zauberin al-Charsā’ vor, ließ sie bei lebendigem Leib kreuzigen und befahl, sie mit Pfeilen zu beschießen, bis sie starb. Ihre Tochter Bahrām aber ließ sie mit Gewichten versehen und in den Nil versenken. Man erzählt – doch Gott weiß alles am besten – der Nil sei eine Reihe von Jahren nicht genügend gestiegen, in dem Jahr aber, in dem Bahrām ertränkt worden war, sei er volle sechzehn Ellen gestiegen. Deshalb habe man den Brauch eingeführt, in jedem Jahr eine Jungfrau, angetan mit ihrem Schmuck und ihren Gewändern, zu ertränken. Als dann der gottselige ‘Umar ibn al-Chattāb Kalif wurde, habe er auf eine Scherbe geschrieben: »Im Namen Gottes, des Barmherzi gen, des Allerbarmers. Wenn du, Nil, kraft Gottes des Mächtigen und Erhabenen Macht und Stärke fließt, so fließe. Wenn du aber kraft eigener Macht und Stärke fließt, so brauchen wir dich 305
nicht. Und damit gehab dich wohl!« Da sei kraft Gottes des Mächtigen und Erhabenen Stärke die Überschwemmung eingetreten und die Leute hätten es bis auf den heutigen Tag nicht mehr nötig, ihre Tochter zu ertränken. Aber Gott weiß genau, was bei ihm verborgen ist. Danach lebte al-Mauhūb ein Leben in Hülle und Fülle und das Herz voller Glück achtzig Jahre lang. Al-Mahlīja richtete sich einen Schloßteil ein, den man das Wachtschloß nannte. Hier wohnte sie von nun an mit ihm allein. So lebten sie die Zeit spanne jener Jahre ohne Unterlaß in Glück, Zweisamkeit und Freude aneinander, ohne daß ihm ein Kind von ihr beschert wurde. Dann starb al-Mauhūb eines natürlichen Todes. Al Mahlīja betrauerte ihn lange Zeit gar sehr, legte seinetwegen härene Gewänder an und setzte ihn auf dem Pyramidenfriedhof bei, wo sie ihre Könige zu bestatten pflegten. Den Schloßteil und die gesamte Festung ließ sie abreißen, zerstreute in alle Winde, was darinnen war, und wählte sich eine Hütte aus Palmblättern als Unterkunft. Dort lebte sie geraume Zeit, in dem sie Mauhūbs Grab besuchte, sich in der Hütte aufhielt und sich von Kräutern nährte. Die Verwaltung ihres Reiches überließ sie ihrem Wesir. Schließlich starben al-Haifā’ und die Ga zelle Weißfuß, und sie bestattete sie bei dem Grabe Mauhūbs. Als al-Mahlīja selbst dem Tode nahe war, äußerte sie als letzten Willen, neben al-Mauhūb beigesetzt zu werden, was dann auch geschah. Danach gerieten die Wahrsager und Zauberer in Streit dar über, wer nun nach Mahlījas Tod die Herrschaft übernehmen sollte. Sie waren verschiedener Meinung, und es kam zum offenen Kampf zwischen ihnen, so daß sie sich am Ende gegenseitig vernichteten. Nachdem schließlich ihre Gelehrten und Oberhäupter eine Zusammenkunft veranstaltet hatten, nötigten sie die Streitenden, den Kampf einzustellen. Sie überzeugten sie davon, daß die Herrschaft zweckmäßigerweise nur in einer Hand liegen könne und sie sich deshalb nicht gegenseitig umbringen dürften. Dann rieten sie, al-Munzara as-Säbija, die Herrin des Schlosses, das du, Emir, hier erobert hast, zur Köni gin zu machen, worauf sie ihr die Herrschaft übertrugen. Sie 306
erbaute sich ihr Schloß auf dem Fundament eines einzigen Turmes jenes früheren Schlosses und zog darin ein. Die Wasser läufe, die verschüttet waren, ließ sie wieder ausgraben, pflanzte Bäume und übertrug die Oberaufsicht einem ihrer Wesire na mens as-Sukkar. Dieser war ein angesehener und ehrwürdiger alter Mann. Trotzdem, Emir, ist das Schloß nur unter dem Na men des vorgenannten Wesirs der Mahlīja bekannt, und die Stätte ist bis zu dieser Stunde erhalten geblieben. Das ist die Geschichte des Schlosses. Gott schenke dem Emir Heil! Alle heute in Ägypten und seinen Gauen lebenden Löwen stammen von der Löwin ab, die al-Mauhūb gesäugt hat; denn man hatte in Ägypten keine Löwen mehr gekannt, seitdem die Zauberer und die ringsum angebrachten Talismane sie von Mahlījas Schloß ferngehalten hatten. Da lobte ‘Amr die Erzählung des Mönches Matrūn, erwies ihm seine Huld und machte ihm Geschenke. Dies war die Geschichte von Mahlīja, al-Mauhūb, al-Haifā’, der Gazelle Weißfuß sowie dem Löwen und der Löwin. Preis sei Gott allein, und Muhammad, seiner Familie und seinen Freunden werde beglückender Segen und Heil zuteil!
NACHWORT
Kein Buch der arabischen Literatur hat im Abendland einen solchen Anklang gefunden, kein arabisches Buch außer dem Koran ist in so viele Sprachen übersetzt worden wie die Samm lung volkstümlicher Unterhaltungsgeschichten aller Art, die als Tausendundeine Nacht in die Weltliteratur eingegangen ist. Daß es daneben auch andere Sammelwerke ähnlicher Art gegeben hat, war sicher, doch sie galten alle als verloren, bis H. Ritter vor wenigen Jahrzehnten auf seinen Streifzügen durch alte Istanbuler Bibliotheken in der Bibliothek der Ayasofya einen um 1300 geschriebenen Kodex fand, der ein inhaltlich verwandtes, wenn auch erheblich kleineres Sammelwerk enthielt. Die Freude über die Entdeckung wurde aber durch zwei Tatsachen getrübt. Die eine war das Fehlen der Titel- und Verfasserangabe. Das »Titelblatt« verschweigt beides, und da, wo im Vorwort, wie es häufig bei alten arabischen Büchern der Fall ist, der Titel stehen sollte, ist eine Lücke im Text, vielleicht weil der wenig gebildete Schreiber den vermutlichen Schmucktitel nicht lesen konnte. So bleibt uns nur die wenig befriedigende Fest stellung, daß hier ein im elften oder zwölften Jahrhundert zu sammengestelltes Werk vorliegt. Mangels eines echten Titels werden wir uns wohl daran gewöhnen, es mit H. Wehr nach einer sich am Anfang des Werkes findenden Inhaltsangabe als »Das Buch der wunderbaren Erzählungen und seltsamen Geschichten« zu bezeichnen. Der zweite, ungleich schwerer wiegende Mangel bestand darin, daß der Kodex nur die erste Hälfte des Werkes enthält, d. h. nur achtzehn von insgesamt zweiundvierzig Geschichten. Für die fehlenden Geschichten müssen wir uns mit ihren im Vor wort angegebenen Titeln trösten, bis es vielleicht doch noch eines Tages gelingt, das Fehlende in einer anderen und, wie wir hoffen, besseren Handschrift aufzufinden. Der Inhalt des Werkes unterscheidet sich in seiner äußeren Darbietung dadurch von Tausendundeiner Nacht, daß er nicht 309
durch eine Rahmenerzählung zusammengefaßt ist. Im übrigen sind die Geschichten wie dort ohne erkennbares Ordnungsprinzip aneinandergereiht, so daß Romane, Novellen, Märchen und anderes in bunter Reihenfolge wechseln. Sie sind alle verhältnismäßig umfangreich, so daß im Gegensatz zu Tausend undeiner Nacht kleine und kleinste Stücke fehlen. Herkunft, Alter und literarischer Wert der einzelnen Stücke sind durchaus verschieden. Daß sich einige Erzählungen auch in Tausend undeiner Nacht finden, können wir nur begrüßen, da die Abweichung der Rezensionen uns wichtige Schlüsse ermöglicht und die beiden Fassungen ohnehin kaum einen Satz gemeinsam haben. Der Sammler des Werkes dürfte seine Geschichten nicht un verändert aus seinen Quellenwerken oder aus dem Munde seiner Gewährsmänner übernommen haben, es sei denn, daß wir die vermutlichen Eingriffe in die Textgestalt einem einzelnen Gewährsmann oder früheren Erzähler des Ganzen zuzuschrei ben haben. Abgesehen davon, daß es bei dieser Art von Literatur nicht einmal das Ideal philologischer Treue gegeben hat, ist es auffallend, daß die Geschichten alle fast gleichlautend beginnen. Ferner werden ungewöhnlicherweise Personen manchmal zu nächst anonym eingeführt und erst im weiteren Verlauf mit Namen genannt. Daneben gibt es auch noch andere stilistische Eigenarten. Wieweit Unstimmigkeiten in der Technik der Erzählung oder scheinbare Vergeßlichkeiten des Erzählers, wie sie sich häufiger finden, auch in diesen Bereich gehören oder zu Lasten des Schreibers gehen, ist nicht auszumachen. Daß ein Handschriftenfund wie der dieses Werkes in der Gelehrtenwelt Aufsehen erregen und bald zu eingehender Be schäftigung mit dem Werk führen mußte, ist klar. Diese wurde gekrönt durch die höchst verdienstvolle Herausgabe des arabi schen Textes und die Übersetzung von fünf Stücken, die beide H.Wehr besorgte. Das vorliegende Buch will die Arbeit H.Wehrs in gewisser Weise fortsetzen. Es bringt acht Märchen oder mär chenähnliche Stücke des Buches, von denen nur eines auch von Wehr übersetzt worden ist, auf das seines Ranges wegen hier jedoch nicht verzichtet werden konnte. Unsere Übersetzung beruht auf dem gedruckten Text. Die diesem zugrunde liegende Handschrift ist sehr schlecht. Wehr hat den Text an zahlreichen Stellen überzeugend verbessert und am Schluß noch eine große Liste zusätzlicher Verbesserungen und rätselhafter Stellen bei310
gefügt. Dennoch bemerkt er in seinem Vorwort, daß noch mehrere Dutzend Stellen mehr oder weniger zweifelhaft erscheinen. So war dem Übersetzer des Buches neben der Übertragung auch die Kritik des arabischen Textes aufgegeben. Diese hat zu über hundert Verbesserungen in den hier übersetzten Teilen des Werkes geführt, die im einzelnen an anderer Stelle begründet wer den sollen. Langjährige Beschäftigung mit alten arabischen Hand schriften ist dem Übersetzer dabei zustatten gekommen. Dennoch ist das letzte Worte über die Textgestalt auch hiermit gewiß noch nicht gesprochen. Drei Punkte in unserer Übersetzung bedeuten eine nicht ergänzte Textlücke, während eingeklammerte Worte Textergänzungen des Übersetzers sind. Bevor wir dazu übergehen, unsere acht Märchen kurz zu besprechen, sei dem Leser eine Frage beantwortet, die sich ihm spätestens bei der Geschichte von ‘Arūs al-‘arā’is aufgedrängt hat: Wer waren die Verfasser dieser kleinen Kunstwerke, oder, wenn wir ihre Namen nicht kennen, in welchen Kreisen haben wir sie zu suchen? Der Großteil der literarisch und wissenschaftlich gebildeten Araber hat das Märchen als ein törichtes und nutzloses Phan tasieerzeugnis mit Verachtung abgelehnt. Auch der häufige Hinweis in den Märchen auf ihren belehrenden Wert, ein Beweis für das Streben ihrer Verfasser nach literarischer Anerkennung, konnte die Überzeugung der Gebildeten nicht ändern, daß das Märchen Sache primitiver Volkserzähler sei. In der Tat werden viele, viele Märchen in ihrem Mund Gestalt angenommen haben, und historische Unkenntnisse wie in unserem Roman von Mahlīja und Mauhūb lassen uns seinen Verfasser in ihrem Stand vermuten. Dennoch ist es für uns unvorstellbar, daß Märchen wie das von ‘Arūs al-‘arā’is oder die literarisch besten Stücke aus Tausendundeiner Nacht ihr Werk gewesen seien. Einen Fingerzeig zur Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs gibt uns Muhammad ibn Ishak ibn an-Nadīm, der gegen Ende des 10. Jahrhunderts ein für die arabische Literaturgeschichte un schätzbares Werk mit dem Titel Al-Fihrist (»Das Bücherverzeichnis«) geschrieben hat. Dort heißt es (S. 308): »In der Zeit der Abbasidenkalifen, zumal unter al-Muktadir (908-932), sind die Nachterzählungen und Phantasiegeschichten begehrt und sehr gefragt gewesen. Die gewerbsmäßigen Handschriftenschreiber haben daher (solche) zusammengestellt und erlogen.« Einige dieser »Lügner« nennt er uns dann mit Namen. Aus dieser Be311
merkung des Verfassers erfahren wir zunächst, daß das Märchen nicht immer von den Gebildeten verachtet worden ist; denn die gewerbsmäßigen Handschriftenschreiber waren selber zum weit aus größeren Teil hochgebildete und gelehrte Leute, und ihre Kundschaft bestand auch fast nur aus gebildeten Menschen. Da Ibn an-Nadīm selbst Handschriftenschreiber und Sohn eines solchen war, haben wir keine Veranlassung, an der Richtigkeit seiner Angabe zu zweifeln. Wir stellen eben fest, daß er selbst zwar zu den trockenen Vertretern seiner Zunft gehört, was wir bei einem Bibliographen auch nicht anders erwarten können, daß aber anderseits die Erhaltung und Vermehrung eines Teiles dieser Literatur nicht das geringste von den vielen Verdiensten der Schreiberzunft gewesen ist. Ein greifbares kleines Beispiel solcher Schreiberwirksamkeit bietet uns die anspruchslose Ge schichte »Hirngespinste eines armen Lohnschreibers« (Weisweiler, Von Kalifen 105 ff.), die im elften Jahrhundert spielt. Sie zeigt uns übrigens auch, daß ein so ernsthafter Gelehrter wie Jākūt, der sie uns berichtet, trotz allem darüber schmunzeln kann. Wie viele Märchendichter sich auch unter den Kunden dieser Schreiber verbergen mögen, so müssen wir doch im Anschluß an Ibn an-Nadīm und Jākūt fragen: Wer hätte mehr der Märchenmotive zusammentragen können als ein Buchhändler? Wer konnte sie geschickter verarbeiten, künstlerischer gestalten, ein Straßenerzähler, der wohl kaum die Rohrfeder zu führen ver stand, oder ein gebildeter Kopist, der obendrein am Tag in seinem Laden in klingende Münze verwandeln konnte, was ihm Bücherkenntnis und Phantasie bei der nächtlichen Öllampe eingaben?
ANHANG
Erläuterungen zu den einzelnen Märchen
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Text Wehr 4-24. Noch zutreffender als in der Überschrift ließe sich der Inhalt bezeichnen als das Märchen von dem Kampf des Kämmerers Ghasb wider den Königssohn Kaukab und dem Sieg Kaukabs über ihn. Diesem äußeren Thema entspricht das innere: Durch Gottes Vorherbestimmung und Güte steht für den Bösen am Ende alles Listens die irdische und jenseitige Strafe, für den guten, auf Gott vertrauen den Dulder dagegen die Errettung aus der Not. Der Erzähler schickt dem eigentlichen Gegenstand als Einleitung, wie es scheint, die kurze Erwähnung eines mutmaßlichen Überfalls von Ghasb auf die Hauptstadt des Landes voraus. Die dann im ersten Teil mit ihren Folgen beschriebene Verirrung Kaukabs auf der Jagd schafft die äußere Voraussetzung für Ghasbs Kampf wider Kaukab. Es folgen Teil 2: Gefangennahme und Verstümmelung Kaukabs, Teil 3: Rettung Kaukabs durch Jākūta, Teil 4: Auffindung Kaukabs bei Jākūta und zweiter Tötungsversuch, Teil 5: Flucht des Paares, Teil 6: Drohende Katastrophe in der Wüste, Teil 7: Sieg. So ist die Geschichte von dem mißglückten Überfall an bestimmt von einem ständigen Wechsel des Glücks zwischen dem König oder seinem Sohn und dem gemeinsamen Widersacher, indem dem Helden jeweils nach Überwindung der Ge fahr von seinem Gegner aufs neue der scheinbar sichere Tod droht. Beobachten wir den Dichter beim Wirken dieses symmetrischen und fein abgestuften Gewebes, so werden wir seiner Kunstfertigkeit auch im Kleinen inne. Bevor er den Hörer an Ghasbs bösem Tun unmittel bar Anteil nehmen läßt, deutet er es ihm auf einem Schauplatz tiefsten Friedens nur geheimnisvoll an. Um den Helden mit seinem Wider sacher zusammenzubringen, bedient er sich zwar des auch sonst nicht unbekannten Motivs der schicksalsträchtigen Verirrung auf der Jagd, doch nicht, ohne es mit individuellen Zügen auszustatten. Dazu gehört das rührende Erlebnis mit der Stute, das jeden seiner Hörer im Inner sten angesprochen haben muß, da es für den Araber kein edleres Tier gibt als das Pferd. Wenn er von dem Helden und seiner Stute sagt: Waren ihm doch Herz und Mut erfüllt von einem zärtlichen Gefühl für sie«, so ist dies gewiß ein Bekenntnis eigenen Empfindens. Die Verirrung auf der Jagd läßt den Helden aber nicht unmittelbar in die Hände seines Widersachers fallen. Vielmehr nähert er sich ihm erst nach Überstehen einer Lebensgefahr, die ihm aus Ghasbs Sippe droht.
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Sie bietet dem Dichter Gelegenheit, eine lyrische Stimmung mit grausigem Tun zu kontrastieren. Nachdem Kaukab Ghasb in die Hände gefallen ist, stellt dieser ihn zunächst zur Rede. Hier werden von Ghasbs rachsüchtiges Handeln kurz mit Dingen zu begründen, die nicht der Erzählung fehlen. Der Dichter blendet hier aber nur zurück, um Ghasbs rachsüchtiges Handeln kurz mit Dingen zu begründen, die nicht zum Gegenstand seiner Geschichte gehören, daher in Wirklichkeit am Anfang keineswegs fehlen müssen. Die folgenden Prüfungen des Hel den weisen neben einer wirkungsvollen Steigerung manche spannungs fördernde Einzelheiten und feine Kontrastbilder auf. Hier gehört Ghasbs verstecktes Ringen mit dem Mitkönig Farah um Kaukab zu den besten Teilen der Geschichte. Der Hörer, dem am Anfang ein guter Ausgang versprochen worden ist, hält erschreckt den Atem inne, da die erste Phase der dem Helden von Ghasb bereiteten Leiden mit der körperlichen Verstümmelung und dem nahen Tode endet. Ungläubig und neugierig fragt er nach dem Fortgang. Die zweite Phase wird durch das Eingreifen Jākūtas und die Verknüpfung ihres Geschickes mit dem Kaukabs belebt. Der Dichter ver zichtet auf das billige Motiv der Liebe auf den ersten Blick, begründet vielmehr Jākūtas Handlungsweise mit weiblichem Mitleid. Er ver schont uns deshalb auch in der Folge mit der Schilderung eines leiden schaftlichen Liebeserlebnisses, läßt uns vielmehr nur ahnen, daß das Mitleid und die Schicksalsgemeinschaft zu beiderseitiger Liebe führen. Nach dem zweiten Tötungsversuch führt er uns von dem städtischen Schauplatz in die Wüste, wo er Flucht und Kampf Kaukabs und seiner Mannen nach der Art arabischer Ritterromane beschreibt. Angesichts der nahenden Katastrophe dient ihm die Schilderung der seelischen Not der Bedrohten nicht nur zur Erhöhung der Spannung, sondern auch zur Begründung der Schicksalswende; denn die ungewöhnliche Errettung ist durch die ungewöhnliche Inbrunst der vorhergehenden Gebete bedingt. Der Triumph des genesenen Kaukab gibt dem Dichter dann noch einmal Gelegenheit, seine Kunst zu beweisen. Wir sehen den eben noch Verstümmelten in männlicher Schönheit, erleben sein uner schrockenes, doch gemessenes Handeln, hören Worte des Edelmutes und der Kritik, aber auch stolzen Selbstbewußtseins gegenüber seinem Feind: ein prächtiges Bild von Pathos und Würde oder eine Coda, die in dem sanften Schlußakkord des Glückes aller Guten ausklingt. Der Folgerichtigkeit des allgemeinen Geschehens entspricht die des Handelns der einzelnen Charaktere, deren Gegensätzlichkeit stark herausgearbeitet ist. Der Dichter hat ihnen deshalb auch symbolische Namen gegeben. Mit dem Namen des Königs al-Fulk »die Himmels sphären« wird die Weite seines Reiches angedeutet. Sein Mitkönig und früherer Knecht heißt Farah »Freude«, sein Sohn Kaukab »Stern«, seine spätere Schwiegertochter Jākūta »Hyazinth« oder ein anderer Edelstein, der treue Diener des Mitkönigs Sawāb »Richtiges«. Der
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Name des Kämmerers würde nach der Handschrift ‘Asb lauten, was ein nicht näher bestimmtes großes, weißes Wassertier bedeuten könnte. Wenn wir dem arabischen Schriftbild des Wortes ‘Asb aber nur einen einzigen Punkt zusetzen, wie wir es auf Grund der Schreibgewohnheiten sehr häufig tun müssen, so erhalten wir für ihn den wohl treffenderen Namen Ghasb »Gewalttätigkeit«. In seinem Grundstock ist das Märchen offensichtlich iranischen Ur sprungs. Die beiden Ströme Saihūn und Dschaihūn sind der Syr-Daja und der Amu-Darja. Der Schauplatz ist also das Gebiet südöstlich des Aralsees. Auch die Erwähnung der Feueranbeter deutet auf Iran. Selbst wenn die Grundelemente vorislamisch sein sollten, so ist das Ganze in seiner heutigen Form doch ein echt muslimisches und dazu frommes Märchen mit betonter Gehässigkeit wider den Glauben Zarathustras, ja eine Symbolisierung des Sieges des Islams über das Magiertum. Auch die Lösung des Knotens nicht durch Eingreifen irgendwelcher Dämonen oder die Verwendung von Zaubermitteln, sondern durch göttliches Wirken ist ein häufiges Motiv der arabisch-islamischen Legende. Dieses Märchen bedarf noch eines besonderen Wortes hinsichtlich seiner Textform. H. Wehr sagt (S. V), der Text dieser ersten Geschichte sei sehr mangelhaft und durch Lücken besonders am Anfang so verstümmelt, daß der Gang der Handlung nur annähernd rekonstruiert werden könne, er habe sie daher nicht ohne Bedenken mitveröffent licht. Wenn der Übersetzer den Text auch an einunddreißig Stellen verbessern oder ergänzen zu müssen glaubte, gewiß ohne daß dadurch alle Mängel beseitigt worden sind, so sind diese wohl doch nicht so schlimm, daß der Gesamtzusammenhang unklar bleibt. Eine empfind liche Lücke findet sich gleich auf der ersten Seite, doch scheint sie nicht sehr groß zu sein; denn die oben in der Übersetzung gebotene Rekon struktion dürfte zeigen, daß mit wenigen Worten der vermutliche Zu sammenhang wiederhergestellt werden kann. Allerdings enthält der Text noch einige andere Unebenheiten, die, wenn sie nicht Vergeßlichkeiten des Erzählers sind, die Möglichkeit offenlassen, daß hier eine etwas verkürzte Fassung des Märchens vorliegt, in der einige nunmehr unpassende Reste einer ausführlicheren stehengeblieben sind. Zu diesen Resten wäre die unzutreffende Bemerkung sowohl bei der Erwähnung der Stute als auch der Königstochter, daß beide vorher oder am Anfang bereits erwähnt worden seien, zu rechnen, während die Erwäh nung der Emigration Ghasbs an den Hof des Mitregenten Farah und einiges andere der Verkürzung zum Opfer gefallen wären. Schwerer erklärbar bleibt der Fehler, daß Jākūta bald als Schwester, bald als Tochter des Mitregenten bezeichnet wird, was gleichzeitig wohl kaum möglich ist. Die Symmetrie des Märchens verlangt jedenfalls, daß sie seine Tochter ist.
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Text Wehr 77-104. Hier hat der Sammler unseres Buches vier von einander unabhängige Berichte von Schatzsuchern über ihre Reise zu einem Schatzort und die Aufdeckung des Schatzes zusammengefaßt. Wenn die Reisebeschreibungen der arabischen Volksliteratur gewiß auch manches aus der historisch-geographischen Literatur übernom men haben, so unterscheiden sie sich doch sehr von den Berichten der Anspruch auf wissenschaftlichen Ernst erhebenden Literatur durch die üppige Ausschmückung mit phantastischen Motiven aus der ‘Welt der Sagen und Märchen. Die literarischen Quellen unserer Berichte haben wir demgemäß in dem Doppelbereich der »wissenschaftlichen« und der volkstümlichen Literatur zu suchen. Diese Abhängigkeit des volkstümlichen Reiseberichts auch von einem Schrifttum, das mehr in Bü chern als von Mund zu Mund weitergereicht worden ist, kommt viel leicht noch wie ein leiser Nachklang darin zum Ausdruck, daß der Reisende oder Schatzsucher sich gern eines Reise- oder Schatzbuches bedient. Die letzte, innere Quelle unserer Schatzgräbergeschichten ist freilich der stete Anblick zahlreicher stummer Zeugen vergangener Kulturen. Da man sie nicht recht zu deuten wußte, vermutete man oft bei ihnen Schätze, nach denen man in der Tat immer wieder grub. Furcht und Gewissensbedenken, Aberglaube und Einbildungskraft verwandelten dabei die alten Statuen zu Götzenbildern oder zu menschlichen oder tierischen Hütern der vermeintlichen Schätze. Diese Hüter erwachten durch das Erscheinen des Eindringlings zu neuem Leben und bedeuteten für ihn die höchste Gefahr. So ziehen sich Auftauchen und Ausschalten solcher Gefahren in stetem Rhythmus wie ein roter Faden durch unsere Berichte. 1. Der erste von ihnen gliedert sich in zwei Teile, den Weg zum Schatzort und die Erlebnisse an Ort und Stelle nebst dem Rückweg. Während die Beschreibung des Hinweges in seiner sachlichen Bericht erstattung einem Reisebuch entnommen sein könnte, sind die Erleb nisse am Schatzort voller Märchen- und Sagenmotive. Der Führer, ein edler und kameradschaftlicher Gefährte, der wie auch der Erzähler am Schluß vom Christentum zum Islam übertritt, versteht es auf Grund seiner Literaturkenntnis, die zu neuem Leben erwachten Hüter zu überlisten, und trotz schauriger Gefahren geht doch im Grunde alles ziemlich glatt vonstatten, bis man bei der Leiche den Schatz erreicht. Lieber als die Inschrift von der Vergänglichkeit alles Irdischen bei dem Toten wäre uns eine Angabe über Person und Leben des Toten sowie über die geheimnisvollen Kräfte, die vermutlich dem Siegelring und dem Messer innewohnen. Diese Fragen bleiben bis zum Schluß offen, ein empfindlicher literarischer Mangel, der sicher nicht dem Erfinder der Geschichte zur Last zu legen ist. Der Bericht ist in einen Unterhaltungsrahmen (Gerhardt 395 ff.) gespannt, der ein fröhliches Ende für alle Beteiligten bringt. Der Rahmen verlegt das Erlebnis in die zweite Hälfte des achten Jahrhunderts. Zu
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dieser Zeit hatte der am Anfang der Erzählung genannte ‘Abd alWahhāb (ibn Ibrahim), ein Neffe und Statthalter des Abbasiden kalifen al-Mansür (7J4-77J), die in der Nähe des oberen Euphrat ge legene und von den Byzantinern zerstörte Stadt Malatja wiederauf bauen lassen. Charschana, von wo die Schatzsucher ihren Ausgang nehmen, lag nicht weit davon entfernt. Damals war es noch eine christlich-byzantinische Stadt. Die nicht genannte Stadt, in deren Nähe die Schatzsucher von muslimischen Reitern aufgegriffen wurden, wird das eben genannte Malatja gewesen sein. Das Ganze spielt also im Grenzgebiet zwischen Byzantinern und Arabern, zwischen Christentum und Islam und dürfte im Zweistromland in der früheren Abbasidenzeit die vorliegende literarische Gestalt erhalten haben. 2. Der zweite Bericht nimmt seinen Ausgang von einer Audienz, die anachronistischerweise ein sasanidischer Großkönig einem Muslim gibt, dessen Phantasienamen ihn anscheinend als Nachkommen des Omaijadenkalifen ‘Abd al-Malik ausweist. Vielleicht sind die beiden Namen aber nur von einem ungebildeten Schreiber entstellt worden, zumal da es nicht der persische Großkönig zu sein scheint, zu dem die Schatzsucher zurückkehren. Bei mancher Ähnlichkeit unterscheidet sich dieser Bericht von dem ersten zunächst dadurch, daß der Hinweg zu der Schatzhöhle mit Motiven aus Seefahrergeschichten ausgeschmückt ist. Der böse Riesenvogel, die liebesbereiten Nixen und die gefährlichen Seeungeheuer sind gute Bekannte aus der arabischen Vblksliteratur. War der Führer vorhin ein edler, aufrechter Mann, so ist er hier ein Feigling, dem das eigene Leben mehr gilt als das seiner Freunde und der bedenkenlos zwei von ihnen opfert. Wieder finden sich die Schätze bei einem Toten, doch erfahren wir hier seinen Namen. Es ist Schaddād ibn ‘Äd, ein alter arabischer Sagenkönig. Da seine Macht bis nach Indien gereicht haben soll (Majoudi III 81 f.), ist die Schatzhöhle hier auf eine Insel des Indischen Ozeans verlegt. In Tausendundeiner Nacht wird uns Näheres über ihn in der Geschichte von ‘Abdallāh ibn abī Kiläba und der Säulenstadt Iram (III 108 ff.) erzählt, während es in der Geschichte von der Messingstadt (IV 208 ff.; Chauvin V 32 ff.; Gerhardt 195 ff.) sein Sohn Kusch ist, der als warnendes Beispiel für die Vergänglichkeit irdischer Pracht hingestellt wird. Auch die histo rische Literatur (vgl. z. B. Majoudi II 421 f.) kennt Inschriften Schad däds, die ähnliche Warnungen aussprechen wie die Inschriftentafel unserer Geschichte und die vielen langatmigen in der Geschichte von der Messingstadt, die wir unbedenklich für jünger als die unsere halten dürfen. Übrigens hat die Tafel in unserem Bericht neben dem erbaulichen Zweck auch die Aufgabe eines Wegweisers für die Schatzsucher. Ort und Zeit der Entstehung dieses Berichts dürften ähnlich wie die des ersten anzusetzen sein. Der dritte und kunstvollste unserer Berichte ist wieder in einen Unterhaltungsrahmen gespannt. Nach diesem war der Omaijadenkalif
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‘Abd al-Malik (685-705) darauf versessen, eine Seefahrergeschichte zu hören. Der berühmte Traditionarier asch-Scha‘bī vermittelt sie ihm, indem er dem weitgereisten Abān ibn Sa‘īd, einem entfernten Ver wandten des Kalifen, den Zutritt zu ihm verschafft. Der erste Teil von Abāns Bericht beschreibt seine Begegnung mit dem ceylonesischen Schatzsucher und enthält eine deutliche islamische Spitze wider das Heidentum. Selbst der Götzendiener kann dem islamischen Schicksalsglauben zum mindesten die äußere Anerkennung nicht versagen. Die Mitteilung, daß ein Götzenbild in der Lage ge wesen sein soll, einem Menschen nach inständigem Bitten mit eigenem Munde ein nützliches Geheimnis anzuvertrauen, kann der gläubige Muslim, ob als Reisender in Ceylon oder als Märchenhörer in Bagdad, nur mit Kopfschütteln beantworten. Allein der Dichter verrät die religiöse Selbstverständlichkeit, daß das Götzenbild in die Irre führt, daß der Heide böse, der Muslim aber gut ist und jeder deshalb den verdienten Lohn empfängt, erst am Schluß. So macht der scheinbare Widersinn des ersten Teils den Hörer nur noch neugieriger auf den zweiten, der den Erwerb der Krone behandelt. Auch in diesem Teil zeigt der Dichter größere Begabung als die trockenen Erfinder der beiden vorhergehenden Geschichten; denn er versteht das Geschehen dramatischer und einfallsreicher zu gestalten. Ging es dort nur um Reichtum, so verheißt der Besitz der Krone hier außerdem die Weltherrschaft. Ist das Ziel hier mehrversprechend, so ist aber auch der Weg ungleich schwerer. Alles ist nicht weniger schaurig, aber viel geheimnisvoller. Dort droht die Gefahr sichtbar, und allenfalls das Schatzbuch warnt vor ihr. Sie geht im wesentlichen von den zum Leben erwachenden Standbildern aus, gegen die es an Ort und Stelle keinen anderen Helfer als eigene Kühnheit und Klugheit gibt. Hier dagegen warnen die alten Inschriften und das zentaur-ähn liche Mischwesen, ja sagen das böse Ende voraus, um lügengestraft zu werden und dennoch schließlich recht zu behalten. Außer den Standbildern drohen als Gefahren unsichtbare Geister, Dämonen, Teufel und Zauberer, und sie treten auch erfolgreich in Aktion. Magische, von sichtbaren oder unsichtbaren Strahlen ausgehende Schädigungen, aus dem Erdboden steigende und die Füße umklammernde Messinghände, erschreckende Fratzen und steigende Wasserflut, alles dies hat sich der Dichter zusätzlich einfallen lassen. Den Gefahren stellt er aber im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern auch fremde Helfer gegenüber, darunter vor allem die liebenswürdige und amulettkundige Gestalt des Mischwesens. Im dritten Teil des Berichtes tauchen wir aus der unheimlichen Tiefe empor, um in einer verklärten Märchenwelt den Triumph des Schatz suchers durch die Selbstkrönung zu erleben. Beinahe hätte das Götzen bild recht behalten, aber die Mißachtung edlen Brauchtums und der Verrat an seinem treuen Helfer kosten den neuen König sogleich nicht
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nur die Krone, sondern auch das Leben. Die Krone wird nun weiter an ihrer alten Stätte auf die Wiederkehr des wahren Großkönigs am Ende der Tage warten. Mit dieser sittlichen Lehre, daß unwürdige Hände den heiligen Gral nie halten werden, selbst wenn sie ihn fassen sollten, erhebt sich unsere Geschichte über das Niveau eines phantastischen Abenteuerberichtes. Die Lehre von dem König, der am Ende der Tage wiederkommen wird, ist dem Glauben an den dermaleinst erscheinenden religiösen Mahdi verwandt. Dieser Glaube, obwohl auch im sunnitischen Islam weit verbreitet, ist für den schiitischen Islam (Iran) besonders kenn zeichnend. Nicht gemeinislamisch, weil völlig unarabisch, ist jedoch die Auffassung von der Krone, die die Weltherrschaft verbürgen soll. Die Krone als Herrschaftssymbol hat es bei den Arabern nicht gegeben. Ihr geläufigstes Wort für Krone »Tādsch« ist ein iranisches Fremdwort, und aus Iran stammt auch der Kern unserer Geschichte. Iranisch sind noch in der vorliegenden Textgestalt die Magierpriester, die die Krone bewachen. Einen iranischen Namen führt das Schiff, auf dem unser Araber nach Ceylon fährt, und es scheint, daß auch das freundliche Mischwesen ihn und den Ceylonesen in unserem Text iranisch angeredet hat. Bei seinem ersten Erscheinen nennt es sich nämlich Mubaschschir, d.h. Freudenkünder, und fordert die Schatzsucher auf, es im Notfall mit diesem Namen zu Hilfe zu rufen. Nachdem sie dies in der ersten Notlage auch getan haben, heißt es aber an den weiteren fünf Stellen, an denen es genannt wird, völlig unverständlicherweise Srbdjl (Vokale unsicher). Das graphische Konsonantengerüst dieses Wortes legt nun die Vermutung nahe, daß an diesen Stellen (mit einer Ausnahme) die iranische Redeweise »Jā Mubaschschir näzdīk (ā)« o. ä. »Mubaschschir, herbei!« gestanden hat, was von dem der iranischen Sprache unkundigen Schreiber in einen sinnlosen Eigennamen der genannten Form verballhornt worden ist. Anderseits kann die Feuer bestattung des als Usurpator Erkannten nicht altiranisch sein. Sie stammt aus islamischer Zeit, wie das Ganze ohnehin seine vorliegende Gestalt in der früheren Abbasidenzeit im Irak gefunden haben dürfte. 4. Im Vergleich mit den vorhergehenden Schatzgräberberichten nimmt sich der vierte recht nüchtern aus. Er führt uns in den gleichen Raum wie der erste und dürfte aus der gleichen Zeit und Gegend wie jener stammen. Wehr 105-121. Die Geschichte hieße besser: Das Märchen vom 3 Text verstoßenen Königssohn. Es will die alte Lebenserfahrung vermit
teln, daß der von stolzer Höhe ins Nichts gestoßene und hoffnungslos auf sich selbst gestellte Mensch aus seiner Not zu größerem Glück empor steigen kann, als er einst besessen hat. Wenn es die Charaktere auch ethisch differenziert und das Glück nach Verdienst verteilt, so ist es doch mit seiner Lust an den Freuden des Lebens und frei von religös
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ethischen Tendenzen im Gegensatz zu der Geschichte von dem König der beiden Ströme Saihūn und Dschaihūn ein völlig weltliches Märchen. Der Dichter geht aus von dem bösen Traum eines Königs, der ihm von seinen Söhnen glücklich, zwiespältig oder unheilvoll gedeutet wird. Den ehrlichen, sich selbst nicht schonenden Deuter unter ihnen läßt der König in der Wüste aussetzen, um dem vorhergesagten Schicksal, wie er es auffaßt, zu entrinnen. Der verdurstende Königssohn gelangt in der Wüste zu einem Schloß. Geheimnisvoll und heiter zugleich wird der Rundgang durch das leere und doch offensichtlich bewohnte Schloß sowie das Treiben der Mädchen nach ihrer Ankunft geschildert. Sie führen den Helden auf die Stufenleiter des Glückes, auf der es nun keinen Rückschritt mehr gibt, und machen sich nacheinander zu der Seinen, vierzig Nächte, vierzig Mädchen, für den Hörer aus dem Volk ein kaum noch zu überbietendes Glück. Der Gewinn des letzten Mädchens, der ältesten Königstochter, bringt eine Zäsur nicht nur im Gang der Handlung, sondern auch in der Art der verwendeten Motive, da der erste Teil des Märchens im Gegensatz zum zweiten fast keine Zaubermotive verwendet. Der Königssohn entdeckt dann durch öffnen einer verbotenen Tür die in ein Pferd verzauberte Zweitälteste Königstochter. Ein ähnliches Motiv findet sich ebenso wie das der vierzig Mädchen in der Geschichte des dritten Bettelmönches in Tausendundeiner Nacht (I 179 ff.), doch während das öffnen der Tür hier dem Helden zum Verhängnis gereicht, gewinnt er in unserem Märchen in dem Pferd den Schlüssel zur weiteren Steigerung und schließlichen Voll endung seines Glückes, das in der Versöhnung mit dem Vater und in der Erkenntnis gipfelt, daß die Traumdeutung des jüngsten Königs sohnes die richtige war. Was das Märchen auszeichnet, ist seine kindlich-heitere Verzauberung der Wirklichkeit. Sie läßt den Helden nach dem anfänglichen Leid das Leben nicht mehr als Mischung von Freude und Harm er fahren, sondern taucht ihn in ein ungetrübtes, sich ständig steigerndes Glück. Nach dem Herzen des einfachen Hörers sind die bestimmenden Elemente dieses Glückes Eros, Macht und Reichtum, wobei sich der Eros in Sinnenfreude erschöpft und die Macht ein üppiges Schaugepränge entfaltet. Ja der Königssohn ist in seiner Person der Glücks bringer für alle an seinem Schicksal Beteiligten. Hier ist kaum noch etwas Belastendes, Erschreckendes oder den Hörer Ergrimmendes. Schicksal und Charakter sind ihrer Stachel beraubt. Sogar der Dämon erscheint fast als freundliches Ungetüm. Des Vaters selbstsüchtige Un tat fällt dem Vergessen anheim, und die älteste Königstochter entsagt der bösen Zauberkunst. Der Königssohn selbst ist ein Vorbild an Edel mut. Er wird allenfalls übertroffen von seiner weiblichen Mitspielerin, der in ein Pferd verwandelten Zweitältesten Königstochter, die dankbar, treu, hilfreich, selbstlos und ohne alle Eifersucht in ihrer Doppelnatur als Tier und Mensch eine ebenso anziehende wie originelle Ge
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stalt ist. Dieser allgemeinen Harmonie des Lebens entspricht die der Zahlen: Am Anfang stehen drei Königssöhne. Vierzig Mädchen erhalten vierzig Söhne. Der Held hat drei Königstöchter zu Frauen, deren jüngste wieder drei Söhne gebiert. Das Märchen trägt durch die Lokalisierung und die Personennamen seine iranische Herkunft an der Stirn: Zweimal begegnet uns der Männername Bahrām. Die älteste Königstochter heißt Hasrat mulūk Churasān »Seufzer der Könige von Churasan«, die Zweitälteste Schāhi-zanān »Königin der Frauen«, während der Name der jüngsten Badr az-zamān »Vollmond der Zeit« in der vorliegenden Form arabisch ist. Text Wehr 122-146. Der Stoff der Geschichte ist der gleiche wie der besser betitelten »Geschichte von Dschullanār, der Meermaid, 4und der ihrem Sohne, dem König Badr Bāsim von Persien« aus Tausendundeiner Nacht (V 87 ff.). Sie ist eine Liebesgeschichte in Märchenform unter Verwendung von Motiven aus Seefahrergeschichten und Verwandlungs- und Dämonenmärchen. Sie ist in vier Teile gegliedert: 1. Dschullanār und Badr bis zur Thronbesteigung Badrs, 2. Wahl der Braut und mißglückte Werbung, 3. Badrs Abenteuer bis zum Betreten von Labs Stadt, 4. Erlebnisse bei Lab und Gewinnung von Dschauhara. Das Motiv des lange kinderlosen Königs, dem dann von einer ein zigartigen Frau ein Sohn geboren wird, der sich zum Helden der Er zählung entwickelt, ist geläufig. Ungewöhnlich ist dabei die Feinfühligkeit, mit der das innere Erleben des Mädchens geschildert wird: Heimweh ringt mit keimender Liebe zu dem gütigen Liebhaber. Brennende, sich in unverbrüchlichem Schweigen äußernde Sehnsucht nach Elternhaus und Meereswelt wandelt sich mit der wachsenden Leibes frucht in eine Liebe und Bindung an den zärtlichen Mann, für die es bei aller Treue zum Blut schon vor der Niederkunft keine Rückkehr in die Heimat mehr geben kann – in seinem seelischen Gehalt und Stimmungsreichtum ein bemerkenswertes Stück der altarabischen Volksliteratur, das durch die phantasievolle Beziehung zur Meereswelt noch an Anziehungskraft gewinnt. Die aus Seefahrergeschichten entnommenen Wunder des Meeres, von denen sich einiges in dem späteren Märchen von ‘Abdallāh, dem Landbewohner, und ‘Abdallāh, dem Meermann, (Littmann VI 186 ff.; Gerhardt 263 ff.) wiederfindet, ragen noch in den zweiten Teil des Märchens hinein, der mit Badrs Liebeserwachen beginnt. Wenn auch die echt arabische Literatur Liebe vom Hörensagen kannte und Ibn Hazm in seiner Liebestheorie (S. 28 ff.) den »Menschen, die sich auf Grund einer Beschreibung verlieben« ein Kapitel gewidmet hat, so kommt doch dieses Motiv mit dem folgen den Ringen um den so geliebten Menschen in den Geschichten von Tausendundeiner Nacht gerade in denen iranischen Ursprungs – und das ist die unsere – vor (Gerhardt 122 ff.). Das Scheitern der Werbung um die Geliebte bildet eine besonders
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deutliche Nahtstelle in dem Märchen. War der bisherige Verlauf der Handlung bei aller Phantasie bald mehr, bald weniger beseelt, so ist er von nun an bestimmt durch eine dämonische Phantastik, die in Ver wandlungskünsten schwelgt und den Leser durch die Erfolge und Rückschläge der mit oder besser gegeneinander wetteifernden Zau berer in Atem hält, bis diese Zauberlawine schließlich mit der Vernichtung Labs und der Erlösung Badrs donnernd zu Tale geht. Daß ob der vom Glauben verbotenen Künste keines Muslims Seele Schaden nehme, hat der Dichter in diesen heidnischen Spuk hinein die vom Geheimnis umwitterte Gestalt des gütigen alten Bohnenhändlers gesetzt. Er übt seine Kunst nur im Notfall und nur zu edlen Zwecken aus und führt deshalb den Namen ‘Abdallāh »Diener Gottes«, als der er schließ lich den Sieg über seine Gegenspielerin, eine arabische Circe, davonträgt und damit Badr den Weg zu seiner Geliebten freigibt. Vergleichen wir die Fassung unseres Textes mit der von Tausendundeiner Nacht, so müssen wir zunächst feststellen, daß ihr Umfang nur wenig mehr als die Hälfte der Fassung von Tausendundeiner Nacht beträgt. Das Märchen ist hier in seiner Erzählung gestraffter und weniger weitschweifig, ohne daß wesentliche Einzelheiten der Hand lung oder Begründungen von Vorgängen fehlten. In den Beschreibungen ist die Fracht des rhetorischen Schmuckes leichter, Verse fehlen bis auf einen, und die Menschen befleißigen sich in den Dialogen größerer Kürze. Dies alles bedeutet für das Märchen keinen Verlust. Die Inthronisation Badrs, der Tod seines Vaters und Badrs erste Herrschaftszeit, also eine wenig ereignisreiche Herrschaftszeit, nehmen in Tausend undeiner Nacht viermal soviel Raum ein wie hier. Dschauharas Schönheit wird hier in wenigen Zeilen, in Tausendundeiner Nacht eine halbe Seite lang geschildert. Anderseits fehlt in Tausendundeiner Nacht die humoristische Schilderung, wie Badr, in einen Vogel verwandelt, an der Tafel des Königs teilnimmt, ferner der originelle Wechsel zwi schen den musizierenden Mädchen und den musizierenden Puppen. Kleinere Unterschiede, bald hier, bald dort besser, mögen unerwähnt bleiben. Was jedoch das Liebesspiel zwischen dem weißen und dem schwarzen Vogel im Garten betrifft, so ist in der Handschrift unseres Werkes die Pointe verlorengegangen. Der Text bedurfte daher in der Übersetzung an dieser Stelle einer sinngemäßen Verbesserung und Ergänzung nach Tausendundeiner Nacht. Das Liebesspiel der beiden Vögel vor Badrs Käfig fehlt dagegen in Tausendundeiner Nacht, während es in unserer Handschrift erzählt wird, aber ebenfalls die Pointe ver loren hat. Durch die Änderung eines einzigen Wortes hat es in der Übersetzung seinen rechten Sinn zurückgewonnen, da hier zusammen mit dem folgenden eine Handlung besonderer Gehässigkeit geschildert werden soll. Zusammenfassend kann man wohl sagen, daß unser Text vielleicht eine ursprünglichere Fassung enthält, während in Tausendundeiner Nacht eine etwas jüngere, glättende und ausschmückende
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Hand tätig gewesen ist, wie wir es auch an anderen, der hohen Lite ratur entnommenen Stücken in Tausendundeiner Nacht gelegentlich feststellen können. Text Wehr 147-202. Dies ist der Märchenroman einer Frau, die je5 den Mann seine Liebe zu ihr mit dem Tode bezahlen läßt und, um
ihn zu vernichten, viele andere mit ins Verderben stürzt. Der Dichter lei tet aus dem grausigen Geschehen die verallgemeinernde Lehre vom sitt lichen Unwert des weiblichen Geschlechts sowie den Rat ab, das männ liche Gefühlsleben nie durch ein weibliches Wesen bestricken zu lassen. Die Eindringlichkeit seiner Sprache und seine in einer übersprudeln den Phantasie des Bösen zum Ausdruck kommende Abneigung gegen ‘Arūs al-‘arā’is scheint uns geradezu aus einer eigenen erschütternden Lebenserfahrung geboren zu sein, und wenn der König am Schluß sagt, daß der Einäugige ob seiner geistigen Blindheit ebenfalls den Feuertod verdient habe, so könnte in diesem Urteil über das Haupt opfer der Frau ein Urteil des Dichters über sich selbst zu suchen sein, der vielleicht in Reue und Verbitterung auf viele an ein minderwertiges Weib verschwendete Lebensjahre zurückschaut. Um seine Lehre besonders deutlich hervortreten zu lassen, hat der Dichter die Haupthandlung in eine Rahmenerzählung eingefügt, in der ein bitter um seine geliebte Tochter klagender König von der Unsinnigkeit seiner Trauer überzeugt werden soll. Für den Hörer mag der gelungene Versuch der Belehrung in diesem besonders schwierigen Fall als zusätzliche Lehre gelten. Dieser Rahmen ist ausgefüllt mit der Geschichte, die der Blinde dem König erzählt. – Die Worte des Blinden bilden nun ihrerseits wieder einen zweiten, inneren Rahmen. In der Erkenntnis nämlich, daß der persönliche Bericht eines Menschen durch seine Unmittelbarkeit eindringlicher wirkt als der Bericht eines an deren über das gleiche Geschehen, um so mehr wenn das äußere Geschehen von einem starken inneren Erlebnis begleitet ist, wollte der Dichter das Hauptopfer der ‘Arūs uns sein bitteres Geschick selbst berichten lassen. Er hat diesen Bericht deshalb als den Kern der Hand lung in die Erzählung des Blinden eingefügt und die Worte des Blinden selber am Anfang auf die Schilderung des Auftretens des Hauptopfers, am Schluß auf die Erzählung der Ereignisse beschränkt, die sich unmittelbar vor und nach dem Tod des Hauptppfers zutragen. Zwi schen dem inneren Rahmen und seinem Inhalt, d. h. dem Erlebnis bericht des Hauptopfers, hat er in geschickter Weise eine besondere Verbindung hergestellt, indem er die letzten Erlebnisse zunächst kurz im ersten Teil des Rahmens, u. z. in fremder Sicht und das Opfer scheinbar anklagend, vorwegnimmt, um sie dann im ausklingenden Eigenbericht des Hauptopfers ausführlich, jetzt aber rechtfertigend, zu wiederholen. So fließt der Eigenbericht des Hauptopfers am Schluß kaum merklich in den ersten Teil des inneren Rahmens zurück. – Nicht
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genug damit hat der Dichter das Kunstmittel des Rahmens noch ein drittes Mal verwendet, indem er in den Bericht des Hauptopfers rück blendend die warnende Beichte der ‘Arūs über ihre Untaten bis zur Begegnung mit dem Hauptopfer eingefügt hat. Eine echte, unter Selbst überwindung abgelegte Generalbeichte alter Verbrechen mußte dem Dichter angesichts der am Anfang angedeuteten neuen Untaten wesentlich eindrucksvoller als ein Bericht in dritter Person erscheinen. Greifen wir aus diesem kunstvollen Gebilde das innere Stück, den Bericht des Hauptopfers der ‘Arūs, heraus, so gliedert er sich deutlich in vier Teile: i. Seeabenteuer des Kaufmanns bis zur Begegnung mit ‘Arūs, 2. Letztes Zusammenleben von ‘Arūs und Dämon, Ermordung des Dämons, erstes Zusammenleben des Kaufmanns mit‘Arūs, 3. Beichte der ‘Arūs, 4. Heimkehr und Niedergang. Diese Gliederung entspricht naturgemäß der Reihenfolge der Ereignisse, wie sie der Kaufmann erzählt, und wird durch seine Erlebnisphasen bestimmt. Aufschluß reicher ist es jedoch, wenn wir nur das Leben der ‘Arūs gliedern, indem wir die Erlebnisse des Kaufmanns vor seiner Begegnung mit ‘Arūs in unserer Betrachtung durch den Inhalt ihrer Beichte ersetzen. Dann gewinnen wir nämlich das erstaunliche Bild einer Charakterentwicklung und Handlungsfolge, die beide in sich wie auch in der Beziehung zu einander nichts an innerer Logik vermissen lassen. Dies sei im folgenden kurz erläutert. Bei näherem Hinschauen sehen wir, daß der Dichter die Charakterlinien der ‘Arūs im Grunde bis in ihr vorgeburtliches Stadium zurückführt; denn ihre Mutter war gleich ihr eine strahlende Schönheit, die, wie der spätere Gang der Handlung zeigt, der Tochter an Verworfen heit nicht nachsteht. Der Charakter der ‘Arūs beruht also auf dem unheilvollen Erbe der Mutter. Bereits vor ihrer Handlungsfähigkeit hat er, ein Omen für die Zukunft, die erste böse Folge in der Hin richtung der das Unheil ankündigenden Hofastrologen gezeitigt. Den ersten Schritt vom Wege tut das zum Weib erwachende Mädchen, in dem sie sich trotz ihres Verlöbnisses einen jungen Buhlen nimmt; aber wir sind bereit, sie noch zu entschuldigen, weil sie einer hartnäckigen Verführung erlegen ist und sich dann rettungslos verliebt hat. Ihre Buhlschaft verlangt auch noch keine Blutopfer von anderen. Um je doch bei der Eheschließung den schuldhaften Verlust der Jungfernschaft zu verschleiern, begeht sie die zweite Untat, indem sie die vornehmen Mädchen schänden sowie den Buhlen und die jungen Männer niedermetzeln läßt. Sie selbst tritt dabei nicht als Ursache, sondern als Opfer des Verbrechens in Erscheinung. Zum ersten Mal zieht ihre Tat viele Unschuldige in Mitleidenschaft. Die Abwendung ihres ersten Ehemanns von ihr ist zugleich Folge dieses Verbrechens wie der Grund zu dem nächsten. Jetzt aber wirkt sie bei der Verleitung des älteren Vetters zum Hochverrat und zur Ermordung der Prominenz schon wesentlich aktiver mit. Das neue Verbrechen wiegt auch durch den
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Anschlag auf den Vater und den Ehemann viel schwerer und ist in seinen Wirkungen für die Allgemeinheit schlimmer. Obendrein erweist sie sich auch noch als Diebin. Dienten die früheren Verbrechen noch ihrem persönlichen Schutz, so sind hier Eitelkeit, Eifersucht und vor allem Rachgier die einzigen Triebfedern ihres Handelns. Die gleichen inneren und äußeren Motive verleiten sie zu den nächsten Verbrechen, dem Ehebruch mit ihrem Aufseher sowie der Ermordung von ihm, dem zweiten Ehemann und dessen Mutter. Wieder hat sich ihre Bosheit gesteigert, tötet sie doch hier zum ersten Mal mit eigener Hand, wenn auch noch verdeckt durch die Anwendung von Gift, mit der Folge blutiger Staatswirren. Nun ist sie so tief gesunken, daß es für das nächste Verbrechen, die Erdrosselung des ihr Schutz gewährenden Negers, keines anderen Grundes mehr bedarf als des bloßen Überdrusses, ist auch so tief gesunken, daß sie es unmittelbar an ihm ausüben kann. Dies führt zu dem großen Einschnitt in ihrem Leben, der Verbannung aus der Heimat. Es folgt die zweite Periode ihres Lebens, die Gemeinschaft mit dem Dämon auf der Insel. Sie ist zwiefach mit der vorhergehenden ver zahnt, äußerlich durch die einmalige Rückkehr zu der Heimatstadt, innerlich durch die letzte Steigerung ihrer verbrecherischen Gesinnung, die sie die Heimatstadt aus reiner Rachsucht mit Mann und Maus ver nichten läßt. Damit haben nämlich ihre böse Gesinnung und die Auswirkung ihrer Verbrechen einen Grad erreicht, der in Zukunft kaum noch überboten werden kann. Es bleibt dem Dichter jetzt noch die weitere Aufgabe, uns zu zeigen, wie unerschöpflich sich ihre Phantasie auf dieser traurigen Höhe betätigt. Nachdem sie ihre Rachgier an der Vaterstadt befriedigt hat, ist sie nur noch von dem Gedanken beseelt, sich des Dämons zu entledigen. Bedenkenlos gibt sie sich zu diesem Zweck fremden Männern hin, die sie, sobald es ihre Eifersucht oder ihr Schutz verlangen, kurzerhand töten läßt. Ihr Ziel ist nicht einfach zu erreichen. Ihr Verstand muß heller, ihre Sinne müssen wacher wer den. Zwei Versuche, den Dämon in den Tod zu treiben, mißlingen. Sie zeiht sich eines Fehlers, wo sie versehentlich Gutes begangen hat, bis ihr schließlich der Mord gelingt. Die dritte und letzte Periode ihres Lebens, die Zeit ihrer Beziehungen zu dem Kaufmann aus Bahrām, beginnt mit der Vernichtung eines harmlosen Fischers. Hier begeht die Geübte Mord aus reiner Bequemlichkeit. Bald wird wie bei ihren früheren Männern auch bei dem Kaufmann durch die klarere Erkenntnis ihrer teuflischen Gesinnung die Hörigkeit ein wenig gelockert, was die letzte Reihe ihrer Ver brechen mit dem Ziel, den Kaufmann unschädlich zu machen, auslöst. Nachdem wie bei dem Dämon auch bei ihm zwei Versuche gescheitert sind, ihn in den Tod zu treiben, gelingt es ihr, ihn eine Zeitlang ins Gefängnis zu bringen. Da aber ihren Listen der Dauererfolg versagt bleibt, läßt sie bei seinem Wiedererscheinen die ängstlich gehütete
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Maske fallen und treibt ihn durch offene Drohung mit dem Flammentod ins Gefängnis zurück. Damit ist die Katastrophe vorbereitet, in der sich Verbrechen und Unheil zu einem schier verwirrenden Knäuel verdichten, und wie die ‘Arūs schon als Neugeborene, ehe sie handeln konnte, Leid verursacht hat, so wirkt sie auch, jetzt aber bewußt, ihrem bösen Wesen gemäß über den Tod hinaus. Fassen wir das Charakterbild der ‘Arūs in seinen wesentlichen Zügen zusammen, so erscheint sie als ein geistig begabtes, aber an Gefühlen armes Weib von äußerster Gerissenheit, das lügenhaft und heuchlerisch, treulos und undankbar, kalt und rachsüchtig ihren Verstand und ihre weiblichen Reize einsetzt, um ihr jeweiliges Ziel zu erreichen. Obwohl sie sich im Bewußtsein ihrer Schlechtigkeit gelegentlich zu ihren Verbrechen bekennt, im Gewissen tief erschüttert ist und an die Wiedervergeltung im Jenseits glaubt, daher sogar vor sich selbst warnen kann, erzeugt doch die erste kleine Untat bei ihr eine Lawine sich steigernder Verbrechen, weil ihr Schutz- und Rachebedürfnis bald immer hemmungsloser und in seinen Folgen verheerender wird. Dennoch ist auch ihr dies alles von Ewigkeit vorherbestimmt. Ihren männlichen Gegenspielern ist gemeinsam, daß sie ihren weiblichen Reizen erliegen. Fällt ihnen die Binde von den Augen, so ist es um sie geschehen. Weniger blaß als die beiden Vettern und Ehemänner sind der Dämon und der Kaufmann gezeichnet, beide ihr ver fallen und doch verschieden voneinander in Art und Verhalten, wie es sich für Dämon und Mensch geziemt. Der abschreckend häßliche Dämon, zwar im Besitz übermenschlicher Urkraft, aber kaum denkfähig, läßt sich leicht und trotz gelegentlichen Mißtrauens immer wieder täuschen, weil seine Bindung an das Weib im wesentlichen tierischer Art ist und durch verstandesmäßige Erkenntnisse nicht beeinträchtigt werden kann. Daß der Dämon als ein an und für sich ver ruchtes Wesen bei aller Stumpfheit und Roheit eine gewisse Gutmütig keit besitzt und die Gewalttaten, zu denen er verführt wird, nicht ohne Gewissensbedenken ausführt, läßt durch die paradoxe Vertau schung des sittlichen Bewußtseins zwischen Dämon und Mensch das Bild der Frau nur noch düsterer erscheinen. Sie ist eben noch schlimmer als ein Dämon. Anders der Kaufmann. Nachdem ‘Arūs ihm ihre Generalbeichte abgelegt hat, beginnt in ihm ein dramatischer Kampf zwischen Verstand und Leidenschaft, in dem die Leidenschaft siegt. Später ringt er noch einmal ihretwegen mit sich; denn er ahnt, daß sie die Prinzessin blenden wird. Seine Hörigkeit lähmt ihm jedoch die Zunge. Nachdem er dann den Entschluß gefaßt hat, sich von ihr zu lösen, ist es seine bis zuletzt an ‘Arūs glaubende Mutter, die ihn immer wieder in ihre Netze treibt. Am Ende ist die Liebe völlig er loschen. An ihre Stelle tritt eine panische Angst, die ihn zu völliger Unterwürfigkeit führt. Ihn schaudert zwar vor den Schritten, die ihn zum letzten Mal mit ‘Arūs in Verbindung bringen sollen. Seine nie
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überwundene Schwachheit läßt sie ihn aber tun, und so wird er von ‘Arūs mit in den Tod gerissen. Was die Erzählung eigentlich zum Märchen macht, ist ihre Aus stattung mit Wunder- und Zaubermotiven verschiedener Art. Ein wahres Füllhorn leert der Dichter über der Handlung aus, doch er streut sie so dazwischen, daß sie sich nie in ermüdender Dichte finden. Manches ist davon alten Seefahrergeschichten entnommen und auch sonst bekannt. So kennen wir das Motiv von dem Dämon, der in einem Kasten ein schönes Mädchen mit sich führt, das ihn mit einem Mann betrügt, den es von einem Baum herunterholt, auch aus der Rahmenerzählung sowie aus der Geschichte von dem Prinzen und der Geliebten des Dämonen in Tausendundeiner Nacht (I 23 ff., IV 353 f.). Unser Märchen dürfte seine Gestalt in der früheren Abbasidenzeit im Irak erhalten haben. Die Seefahrermotive erinnern uns an Sind bads Reisen, die dort zu Hause waren. Der Kaufmann stammt aus Bahrām, also von der ostarabischen Küste. Das Meer und seine Inseln, für den Irak der Hauptweg in die weite Welt, bilden den Schauplatz der Handlung. Islamisch ist die Grundidee, daß Charakter, Handeln und Schicksal des Menschen von Gott vorherbestimmt sind. Auch ist die Schilderung einer einzelnen Frau als sittlich bis zum äußersten verkommenes Wesen in der arabischen Literatur keine Ausnahme. Es sei nur auf die sicher arabische Geschichte »Das Höllenweib« (Weis weiler, Arabesken 295 ff.) verwiesen, wo der verwerfliche Grundzug des Weibes freilich ein anderer ist. So spricht nichts dagegen, daß das Grundgefüge des Märchens arabisch ist, wobei die Frage offenbleibt, wieweit fremdländische Elemente in dem Märchen mitverarbeitet worden sind. Damit nehmen wir Abschied von einem in seiner Art ungewöhn lichen Meisterwerk. Die kunstvolle Gliederung und die lebendige, mit einer Fülle bunter Einzelheiten ausgestattete Erzählung einer abwechslungsreichen, wahrhaft erschütternden und sich zu einer hoch dramatischen Katastrophe steigernden Handlung, die klare Zeichnung der gegensätzlichen Charaktere, dabei insbesondere die kaum zu über bietende Schilderung der dämonischen Veranlagung der Hauptgestalt, die feine Wiedergabe seelischer Konflikte und manches andere machen dieses Märchen zu einem der besten Stücke der arabischen Volksliteratur. Wehr 291-305. Die Geschichte ist ein Märchen, das aus dem 6lichemText Wunschtraum der Menschheit nach mühelosem Erwerb von unermeß Reichtum und Glück erwachsen ist. Es ist mit alten Dämonenund Seefahrermotiven verbunden und gehört dem Zyklus der Harūn ar-Raschīd-Geschichten (vgl. Gerhardt 419 ff.) an. Wenn es noch eines weiteren Beweises seiner irakischen Herkunft bedürfte, so hätten wir ihn in dem Lob der irakischen Datteln. Der Form nach ist es ein Er
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lebnisbericht oder genauer eine mündlich vorgetragene Selbstbio graphie, die in den Rahmen einer Episode am Kalifenhof gestellt ist. Als Rahmenerzählung gehört sie dem Typ mit Unterhaltungsrahmen (Gerhardt 395) an. Dem engeren Rahmen ist eine Exposition mit dem beliebten Bag dader Motiv des in Volkstracht ausgehenden Harūn ar-Raschīd voran geschickt. Sie soll dem Hörer im vorhinein ein anschauliches Bild von dem mühelos erworbenen Reichtum des Helden geben und die Bereitschaft wecken, sich die Gründe für diesen ungewöhnlichen Sachverhalt anzuhören. Auf die Ähnlichkeit des Anfangs mit dem der Geschichte von Harūn ar-Raschīd und dem falschen Kalifen in Tausendundeiner Nacht (III 130 ff.) hat bereits Littmann (VI 670) hingewiesen. Der ereignismäßig belanglose Rahmen ist geschickt mit der Füllung ver bunden, in der uns der Erzähler dann gleich mit der grotesken Schil derung seiner Jugendfaulheit unterhält. Vergnügt geht der Bericht weiter, und wir ahnen ebensowenig wie einst der Kalif, daß der nied liche und bald so segensreiche Affe genau in der Hälfte des Märchens durch die Selbstentpuppung dem heiteren Geschehen eine ernste Wen dung geben wird, nach der es sich im weiteren Verlauf tragikomisch gestaltet, um schließlich in der frommen Lehre zu enden, daß der Muslim durch die Kraft des Gebetes selbst einen Dämon vernichten kann. Jedenfalls gehört dieser unverbesserliche Faulpelz mit seiner einzigartigen Trägheit, seinem gierigen Greifen nach dem mühelosen Reichtum, seinen ungewöhnlichen Kümmernissen in der großen Liebe, seinem angequälten Heldentum und dem schließlichen Glück, das wir ihm trotz der Unverdientheit lächelnd gönnen, in die Reihe der feinen Gestalten des arabischen Volksmärchens. Der Vergleich unserer Fassung mit der von Tausendundeiner Nacht (III 172 ff.) ergibt zunächst, daß die unsere nur wenig kürzer ist. An bemerkenswerten Unterschieden zwischen beiden ist gleich zu Anfang das Fehlen der Exposition in Tausendundeiner Nacht festzustellen. Sie könnte von einem Uberarbeiter als für den Gang der Handlung unwesentlich ausgelassen sein. Die belebenden Elemente der drängenden Eile und der Furcht Abū Muhammads vor dem Emir und dem Kalifen bei der Abholung in Basra, die wir bei uns finden, sind dort durch eine eher behagliche Schilderung seiner üppigen Lebensverhält nisse ersetzt. In ähnlicher Weise kann sich der Redaktor in Tausendundeiner Nacht audi nicht mit der Nennung eines einzigen, aber ori ginellen und zu dem Zweck seiner Vorladung unmittelbar in Be ziehung stehenden Geschenkes für den Kalifen begnügen, sondern er setzt an seine Stelle eine ganze Liste von Geschenken, um dann noch einige weder zum Bilde Abū Muhammads noch in den Gesamtzusam menhang passende Zauberkunststücke hinzuzufügen. Dafür ist ihm, der anscheinend keinen Sinn für Humor hat, die herrliche Schilderung von Abū Muhammads Faulheit in einen einzigen Satz zusammen-
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geflossen. Für das Lob der heimatlichen Datteln hat er nichts übrig, und der Schiffsstillstand auf offenem Meer erfolgt bei ihm nicht als mahnendes Wunder, sondern durch menschlichen Willensakt. Das lustig-anthropomorphe Bild des durch die Liebe körperlich heruntergekommenen und deshalb preiswerten Affen ersetzt er durch einen gerupften, verprügelten und deshalb aus Mitleid angekauften, wie er auch gleich danach auf das possierliche Treiben des Tieres verzichtet. Seine Schilderung des Erlebnisses der Seefahrer bei den Menschenfressern, die Befreiung der Überlebenden durch den Affen, die Bezah lung des Affen, die Ladeneröffnung Abū Muhammads und die tägliche Beschaffung von tausend Dinaren fehlen dagegen in unserer Fassung. Statt dessen gibt es hier ein zweites Tauchmanöver in Oman. Dadurch, daß der Faulpelz bei uns vor dem Vollzug der Ehe darüber unter richtet ist, daß es für ihn nur eine Scheinehe geben darf, gewinnt der Dichter die Möglichkeit, uns die Qualen des verhinderten Bräutigams beim Anblick des Brautzuges zu schildern. Um unser Lächeln vollkommen zu machen, läßt er den Helden auch noch eine entbehrungsreiche Brautnacht erleben und verschiebt die Entführung der Braut auf die zweite Nacht. Demgegenüber wickelt sich die Eheschließung in Tausendundeiner Nacht kurz und schmerzlos ab, und die Braut wird entführt, nicht ohne daß Abū Muhammad seinen Teil an ihr gehabt hat. Unser Teil bleibt aber nicht Lächeln, sondern Mitleid. Dem gut abgerundeten, auch das Verhalten des Helden wertenden Schluß in unserer Fassung entspricht in Tausendundeiner Nacht eine lange, mit Motiven überladene Irrfahrt Abū Muhammads, die unschwer als Zusatz zu erkennen ist. So erweist sich unsere Fassung als ursprünglicher, origineller, heiterer, vielleicht auch vertiefter, jeden falls alles in allem literarisch wertvoller als die von Tausendundeiner Nacht. Wehr 427-448. Bei keinem Stück unseres Buches ist die Über7 Text schrift so wenig zutreffend wie bei diesem, da die Ereignisse am
Zauberberg in ihm nur eine von vielen Episoden bilden. Wir möchten es daher lieber bezeichnen als das Märchen von der Vertreibung des jungen Königs aus seinem Reich, seinen Irrfahrten über Meer und Land und der Wende des Geschickes durch die Gewinnung der Zauberperle. Als Ausgangs- und Endgebiet der Handlung gibt der Erzähler das alte Iran an, während die Personen mit Ausnahme des Knechtes, dessen Name jedoch unsicher ist, anonym sind. Das Märchen ist iranischen Ursprungs. Trotz der Verlegung in die vorislamische Zeit trägt es deutlich islamische Züge. Da es mehr unterhalten als belehren oder erbauen will, endet es zwar mit dem Glück des Guten, läßt diesen aber nicht durch unmittelbares göttliches Eingreifen, sondern durch magische Kräfte obsiegen. Das Ereignis, das den zur Vertreibung des Königs führenden Kon
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flikt verursacht, die Verheiratung der Wesirstochter mit dem Knecht, bildet den Vorspann des eigentlichen Geschehens. Hier heben sich Adel und Schönheit, Roheit und Häßlichkeit voneinander ab wie sonniger Tag und finstere Nacht. Der ohne Verschulden des jungen Königs entstandene Konflikt führt den Helden von Stufe zu Stufe ins tiefste Elend, wobei jede Stufe neue Züge seines Wesens offenbart: Vor und bei dem Ausbruch der Palastrevolution ist er noch ganz der naive Jüngling, während das mit Motiven aus alten Seefahrergeschichten ausgeschmückte Erlebnis am Zauberberg ihn uns als mutigen und klugen Mann zeigt. Die bewußte Duldung der Ausplünderung durch den Kaufmann und die Weigerung des Mittellosen, sich durch Betteln zu ernähren, erweisen seinen inneren Adel auch in der bittersten Not. Bei der Vertreibung aus der Moschee bewährt er sich als frommer, dem göttlichen Schicksalsspruch ergebener Muslim, und auf der tiefsten Stufe seines Abstiegs sehen wir ihn schließlich in beharrlicher Demut Dienste leisten, derengleichen es an Niedrigkeit nicht viele gibt. Hier ist die Peripetie der Handlung. Mit dem Herausziehen der Königin aus dem Heizofen und der Wirksamkeit der noch verborgenen Zauberperle beginnt der Wiederaufstieg, in dessen Verlauf sich der durch langes Leid gereifte Held als lebensnäher, aktiver, zielbewuß ter, aber auch stärker von menschlichen Trieben beherrscht erweist. Bei der Verwechslung des Königs mit dem Heizer hat der Hörer noch einmal um den Helden gebangt. Dann aber weiß er ihn in der Gesellschaft der freundlichen Königin geborgen. Nachdem sie die Perle wieder in ihren Besitz gebracht hat, kann es für ihn nur noch zwei Ziele geben: Perle und Königin. Die Perle erringt er durch List und ent geht dabei mit knapper Not der Gefahr, aus Verlangen auch nach der Königin eidbrüchig an ihr zu werden. Erst nachdem er kraft der Perle Rache an seinen Widersachern und sein Reich wieder in Besitz genommen hat, wird ihm auch die Hand der jungfräulichen Königin zuteil. Sie selbst verblaßt als Charakter neben der Schilderung des Helden völlig. Das gleiche gilt von allen anderen Personen, die nur eine nebensächliche Rolle spielen. In literarhistorischer Hinsicht gibt uns dieses Märchen einen wichti gen Aufschluß. Während wir dienstbare Geister bereits in den älteren, vorägyptischen Schichten von Tausendundeiner Nacht und dement sprechend auch in mehreren anderen Märchen unseres Buches finden, sind wir seit langem gewohnt (vgl. zuletzt Gerhardt 318 f.), das Motiv der Geister, die dem Besitzer eines bestimmten magischen Gegen standes dienstbar sind, wie beispielsweise in dem Märchen von ‘Alā’ad-Din und der Wunderlampe, als eine Besonderheit spätmittelalterlicher (oder noch späterer) ägyptischer Märchen zu betrachten. Hier begegnet uns nun zum ersten Mal in den dem Besitzer der Zauberperle verpflichteten Geistern das gleiche Motiv in einem Märchen irani schen Ursprungs, das viel älter ist als die in Frage kommenden Stücke
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aus Tausendundeiner Nacht. Da die Zauberperle und ihre Wirksam keit eines der wesentlichsten Bestandteile des Stückes sind, können sie nicht etwa als späterer Zusatz gedeutet werden, sondern sie beweisen vielmehr, daß dieses Motiv viel älter als jene ägyptischen Märchen und nicht auf Ägypten beschränkt ist.
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Text Wehr 449-505. Wie die Geschichte von ‘Arūs al-‘arā’is ist auch diese ein Märchenroman, allerdings geringeren literarischen Ranges als jener. Auch hier steht eine Frau im Mittelpunkt der Handlung, auch hier ist sie bei sonst echter und nicht unsympathischer Weiblich keit nicht ganz frei von Zügen harten Wesens, aber ihr und ihrer Freunde Schicksal findet nach Überwindung aller Schwierigkeiten im Gegensatz zu dem des Kreises der ‘Arūs ein glückliches Ende. Die Rahmenerzählung geht von der Eroberung Ägyptens durch ‘Amr ibn al-‘Ās aus. Dieser schlug unter der Regierung des Kalifen Omar im Jahre 640 die Byzantiner bei ‘Ain Schams. Dies ist die be rühmte altägyptische Stadt Ōn, von den Griechen Heliopolis genannt. Wenn es hier heißt, ‘Amr habe in dieser Stadt ein großes Schloß und wunderbare Denkmäler aus alter Zeit gesehen, deren Geschichte er sich dann von einem hochbetagten Mönch erzählen läßt, so knüpft dies an den großen altägyptischen Tempel an, dessen umfangreiche Trümmer auch unseren Volksdichter bei seinem Märchen angeregt haben dürften. Der Schreiber der Handschrift hat von der Stadt freilich nichts ge wußt; denn an der Stelle, wo es nach unserer Verbesserung heißt, daß in der Umgebung des Schlosses zwei Obelisken errichtet wurden, die bis nach Būlāk (Kairo) funkelten, ist der Text völlig verderbt. Von diesen beiden geheimnisumwitterten Obelisken ist der eine noch heute erhalten. Auch der Name des Schloßerbauers an-Nūn scheint uns sehr zweifelhaft. Vielleicht ist statt dessen an-Nūbi zu lesen. Die eigentliche, den Rahmen füllende Geschichte ist der Liebesroman Mahlījas, der Gründerin des Schlosses, und ihres Geliebten al-Mauhūb. In diese Erzählung hat der Dichter nicht ungeschickt, doch recht eigenartig das Schicksal von zwei weiteren Paaren eingewoben, die nach langer Trennung wieder zueinanderfinden, das eine ein Löwenpaar, das von dem Vater des Prinzen auf der Jagd getrennt worden ist, das andere ein Geisterprinz und eine menschliche Königstochter, die zeitweilig in Gazellengestalt auftreten. Das Schicksal des ersten Paares führt von der durch das Schauen des Bildes des Geliebten entzündeten Leidenschaft durch Irrungen und Wirrungen, die aus der Eifersucht des Mädchens erwachsen, zur Vereinigung, deren Glück dann durch eine Verzauberung des Mannes noch einmal für eine Zeitlang gestört wird. Ist hier die Frau nach Geist und Willen dem Manne überlegen, so gilt dies in gewisser Weise auch von dem Löwenpaar. Die Schil derung de kläglich um seine Gattin trauernden Königs der Tiere und noch mehr die seines ehelichen Seitensprunges ist mit ihrem Anthropo
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morphismus eine von köstlichem Humor erfüllte Belebung des Märchens. Das dritte Paar schließlich, die beiden Gazellen, geben dem Dichter Gelegenheit, durch Einlage ihrer Liebesgeschichte dem feierlich-konventionellen Hauptpaar ein märchenhaft süßes Liebespaar gegenüberzustellen, das sich in Glück und Leid, in Menschen- und Geisterwelt die Liebe bis zur Wiedervereinigung treu bewahrt, eine Einlage, die zum Phantasievollsten und Besten des Ganzen gehört. Unser Märchen stellt als Ganzes wie auch im einzelnen eine Fülle von Fragen, die hier nicht beantwortet, geschweige denn untersucht werden können. Manche davon wird sich auch der unbefangene Leser gestellt haben. Kennzeichnend für den Dichter ist, daß er zeitlich und räumlich Unvereinbares wohl aus Mangel an Bildung leichter mitein ander verbindet, als es sonst im arabischen Märchen geschieht. Die historischen Tatsachen verschieben sich ihm nicht etwa nur in den Einzelheiten, sondern auch in den großen Zusammenhängen. Die alten Ägypter sind für ihn Christen, die nach Jerusalem wallfahren, sich taufen lassen und das Abendmahl nehmen und dann weiter nach Baalbek pilgern, um dort im Tempel des Ba‘l zu opfern und sich von ihm weissagen zu lassen. Die altägyptische und griechisch-byzantinische Zeit Ägyptens stellt für ihn offenbar eine Einheit dar. Daß Mahlījas Stammbaum auf einen persischen Großkönig der Sassaniden zurückgeht, ist fast so unsinnig wie Mauhūbs Beheimatung auf einer Insel Indonesiens in Zusammenhang mit seiner Abstammung von Nebukadnezar und seiner Pilgerfahrt von dort nach Jerusalem und Baal bek. So wie Weltgeschichte und Erdräume dem Redaktor dieses Märchens keine Schranken gesetzt haben, so hat er, der gewiß in dem alten Zauberland Ägypten zu Hause war, auch hemmungslos alles an Zauberei in sein Märchen hineingepackt, was ihm von daheim und draußen zugeströmt ist. Wir dürfen daher dieses letzte Stück unserer Sammlung, wenn auch nicht in seiner Verarbeitung, so doch in seiner Synthese heterogenster Elemente als besonders kennzeichnend für die arabische Volksliteratur betrachten.
Abgekürzt zitierte Literatur
Das Buch der wunderbaren Erzählungen und seltsamen Ge schichten. Hrsg. v. H. Wehr. – Wiesbaden 1956 (Bibliotheca islamica. Bd 18.) Chauvin, V.: Bibliographie des ouvrages arabes ou relatifs aux Arabes publ. dans l’Europe chrétienne de 1810 à 1885. 1-12. – Leipzig 1892–1922 Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Übertr. v. E. Littmann. Bd. 1-6. – Wiesbaden 1953 Gerhardt, M. L: The Art of story-telling. A literary study of the »Thousand and one nights«. – Leiden 1963 (Ibn an-Nadīm): Kitab al-Fihrist. Hrsg. v. G. Flügel. Bd. 1.2. – Leipzig 1871-72 Ibn Hazm al-Andalusi: Das Halsband der Taube. Über die Liebe und die Liebenden. Übertr. v. M. Weisweiler. – Frank furt a. M. 1961 Macoudi: Les Prairies d’or. Texte et trad, par Ch. A. C. Bar bier de Meynard (et A.J.B. Pavet de Courteille). T. 1-9. – Paris 1861-77 Weisweiler, M.: Arabesken der Liebe. Früharabische Geschichten von Liebe und Frauen. – Leiden 1954 Weisweiler, M.: Von Kalifen, Spaßmachern und klugen Haremsdamen. Arabischer Humor. – Düsseldorf 1963
INHALT
1. Die Geschichte von dem König der beiden Ströme Saihūn
und Dschaihūn, seinem Sohn Kaukab und seinen Erleb nissen mit dem Kämmerer Ghasb 2. Die Geschichten von den vier Schatzorten und von dem
Schrecklichen und Seltsamen, was die Sucher dort erleb-
ten 3. Die Geschichte von den vierzig Jungfrauen und von dem,
was sie mit dem König erlebten, oder Wie sich Leid in
Freude wandelte 4. Die Geschichte von der Nixe Dschullanār und von dem,
was sie auf dem Meere Wunderbares erlebte, oder Wie
sich Leid in Freude wandelte 5. Die Geschichte von ‘Arūs al-’arä’-is, ihren Ränken und
dem, was dabei an Wunderbarem geschah auf Meeren und
Inseln 6. Die Geschichte von Abū Muhammad dem Faulpelz und
von dem, was er mit dem Affen sowie auf Meeren und
Inseln Wunderbares erlebte, oder Wie sich Leid in Freude
wandelte 7. Die Geschichte vom Zauberberg und von dem, was bei
ihm an Wunderbarem geschah 8. Die Geschichte von al-Mahlīja, al-Mauhūb und der Ga zelle Weißfuß sowie dem, was dabei an Wunderbarem
und Seltsamem geschah Die Geschichte von der verzauberten Gazelle, dem
Grund ihrer Verzauberung und wie sie durch den Kö-
nig al-Mauhub erlöst wurde Nachwort Erläuterungen zu den einzelnen Märchen Literaturhinweise
5
33
69
90
121
191
209
237
258
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