Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 645 Anti‐ES ‐ Das Arsenal
Anschlag auf das Generationenschiff von Arndt Ellmer...
9 downloads
672 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 645 Anti‐ES ‐ Das Arsenal
Anschlag auf das Generationenschiff von Arndt Ellmer
Das Arsenal kehrt zurück
Die Verwirklichung von Atlans Ziel, in den Sektor Varnhagher‐Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn ihm wurde die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten dieses Raumsektors. Doch Atlan gibt nicht auf! Um sich die verlorenen Koordinaten wieder zu besorgen, scheut der Arkonide kein Risiko. Mit den Solanern folgt er einer Spur, die das Generationenschiff gegen Ende des Jahres 3807 Terrazeit schließlich nach Bars‐2‐Bars führt, die aus zwei miteinander verschmolzenen Galaxien bestehende Sterneninsel. Die Verhältnisse dort sind mehr als verwirrend. Doch die Solaner tun ihre Bestes, die Verhältnisse zu ordnen, indem sie die Völker der künstlichen Doppelgalaxis, die einander erbittert bekämpfen, zum Frieden bewegen und die Galaxien selbst wieder zu trennen versuchen. Um die Aktivitäten der Solaner zu unterbinden, hat Anti‐ES aus der Namenlosen Zone heraus schon eine ganze Anzahl von Gegenmaßnahmen in die Wege geleitet, die Atlan und seinen Gefährten schwer zu schaffen machten. Nun aber wird das Arsenal mit einer besonderen Überraschung in den Kampf geschickt – zum ANSCHLAG AUF DAS GENERATIONENSCHIFF …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Seine Warnungen finden kein Gehör. Breckcrown Hayes ‐ Der High Sideryt trifft eine gefährliche Entscheidung. Solania von Terra ‐ Kommandantin der SZ‐2. Romeo Halifax und Ormutz ‐ Zwei Fremdrassenpsychologen. Gregor Sfiewlliox ‐ Ein Jägerpilot der SZ‐2.
1. »Wie sieht es in deinem Innern aus?« Auf der kugelförmigen Fläche veränderten sich die wirren Zeichen und Muster. Ein paar fremdartige Schriftzüge erschienen. Sie wirkten spiegelverkehrt, und Romeo Halifax verrenkte sich fast die Halswirbel bei dem Versuch, die Schrift zu entziffern. Es gelang ihm nicht. Der Fremdrassenpsychologe umrundete die Plasmakugel zweimal, dann gab er es auf. »Also gut«, seufzte er. »Du willst mich nicht verstehen, und du kannst mich nicht verstehen. Ich werde wohl doch Atlan um Hilfe bitten müssen!« Auf der Kugel verschwanden die Sätze, Schriften und Bilder abrupt. Gelbe bis ockerfarbene Schlieren waberten hin und her. Ein Bild wurde sichtbar. Zuerst kaum erkennbar, dann immer deutlicher schälte sich der Kopf eines Menschen aus den Umrissen. Ein Gesicht nahm Formen an, und es zeigte schmale Wangenpartien mit einem langen, spitz zulaufenden Kinn und einer ebenso spitzen, langen Nase. Die Augen bildeten zwei ungewöhnlich runde Kugeln in diesem System der Länge, in dem der enge, schmallippige Mund unterging. Die hellblonden Augenbrauen waren kaum sichtbar, und die schütteren Haare in derselben Farbe lieferten einen Hinweis darauf, daß der junge Solaner, dem dieses Gesicht gehörte, wohl
einmal in irgendeiner Strahlenzone gewesen war. Es sei denn, der Haarausfall hatte andere, krankheitsbedingte Ursachen. Romeo Halifax fuhr sich mit der Hand an die Stirn. Was er sah, war sein eigenes Spiegelbild. Es grinste ihn jämmerlich an, und er war sich sicher, in Gegenwart Asgards nie ein solches Gesicht gemacht zu haben. Zorn keimte in ihm auf. »Du willst mich wohl verkohlen!« rief er mit seiner sonoren Stimme, die in erregter Lage manchmal an das Tönen einer beschädigten Trompete erinnerte. »Aber nein!« Der Fremdrassenpsychologe wandte sich konsterniert ab. Es hatte keinen Sinn, der Plasmakugel irgendwelche Vorhaltungen zu machen. Sie verstand ihn doch nicht, konnte seine Gedanken nicht erkennen und sie nicht umsetzen. Dabei war Asgard intelligent. Die von Anti‐ES und Anti‐Homunk künstlich erschaffene Plasmakugel konnte denken und mit Atlan kommunizieren. Nein, korrigierte Halifax seine Gedanken. Nicht mit Atlan direkt, aber mit seinem Extrasinn. Asgard besaß keine Möglichkeit, sich akustisch bemerkbar zu machen. Er war auch kein eigentlicher Telepath. Ein Gedankenaustausch mit Breiskoll, Sternfeuer oder anderen Telepathen war nicht möglich. Romeo erinnerte sich daran, daß es Atlans Verdienst war, daß Asgard zu einem Helfer der Solaner geworden war. Erst viel später hatte Anti‐ ES ihn mit Hilfe der Penetranz unterjocht, doch auch da hatte der Arkonide das Plasmageschöpf wieder befreit und es zusammen mit Tyari und Ticker zur Flucht vom Arsenalplaneten benutzt. Das war erst ein paar Tage her, wußte Halifax. Seither ruhte Asgard in einer Kabine von SOL‐City, und wenn man ihn sah, dann in Begleitung Atlans. Von dem Arkoniden wußte der Fremdrassenpsychologe auch, wie die Plasmakugel beschaffen war. Im Normalzustand bildete sie eine Kugel von fünf Metern Durchmesser mit einem Hohlraum von drei Metern im Innern. In diesem Hohlraum konnte Asgard beliebige Atmosphären herstellen und erhalten. Seine künstliche Intelligenz
befand sich in der einen Meter dicken Haut und war dort untergebracht. Besonders herausragend war Asgards Fähigkeit, künstliche Gravitation bis zu fünf g zu erzeugen, seinen Körper schwerelos zu machen und ihn bis auf 50 m/sec² zu beschleunigen. So erreichte er beispielsweise in weniger als sechs Sekunden eine Geschwindigkeit von tausend Stundenkilometern. Die Bilder, Zeichen, Ornamente und Schriften, die Asgard auf seine Außenfläche projizierte, besaßen keine direkte Bedeutung. Zumindest im Normalfall nicht. Sie waren der Ausdruck von etwas Ähnlichem, was Romeo Halifax nur zu gern als das Gefühlsleben des Kunstgeschöpfes bezeichnet hätte. Hier aber stritten sich die Geister der beiden wichtigsten Fremdrassenpsychologen an Bord des Generationenschiffs. Wie immer war Ormutz anderer Meinung als Halifax, schließlich ging es um nichts weniger als um eine klare Abgrenzung zwischen intelligentem Leben, das natürlich erwachsen war, und solchem, das künstlich gezeugt oder erzeugt war. Clonefritz Petersal war das anschaulichste Beispiel des Gelehrtenstreits gewesen. Romeo Halifax wischte die Gedanken an Ormutz rasch beiseite und konzentrierte sich auf das, weswegen er gekommen war. Daß eine Kontaktaufnahme mit Asgard schwer würde, hatte er von Anfang an gewußt. Es blieb ihm nur eine einzige Möglichkeit. Für menschliche Begriffe war Asgard taub. Aber er konnte optische Wahrnehmungen treffen, und das war die Voraussetzung für das, was Halifax im ersten Trimester seines Studiums als Grundwissen für die interstellare Verständigung beigebracht worden war. Gehörlosensprache. Der Fremdrassenpsychologe stellte sich auf der Seite der knapp über dem Boden schwebenden Kugel auf, auf der es die meisten Muster und Farben gab. Hier vermutete er Asgards größte optische Empfindlichkeit.
Er hob den rechten Arm und streckte den Zeigerfinger aus. Dabei öffnete er die runden, kugeligen Augen ziemlich weit. Es machte den Eindruck, als wollten die Augäpfel jeden Moment zu Boden fallen. »Aufpassen!« signalisierte die Geste. Er ließ den Arm wieder sinken und wartete. Nichts geschah. Asgard reagierte nicht. Die Muster auf seiner Oberfläche blieben unverändert. Nach einer Weile machte Halifax den zweiten Versuch. Er hob die Hand zum Mund. Mit zwei vorgestreckten Fingern schob er sie heran, bis die Finger die Zähne berührten. »Essen!« Die Plasmakugel reagierte so schnell, daß Romeo Halifax erschrocken zusammenzuckte. An der Kugel bildete sich ein Auswuchs, der rasch die Form eines menschlichen Arms annahm. Die Handfläche und die Finger folgten. Asgard griff dem Fremdrassenpsychologen an die Kombination und zog ihm einen Leuchtstift aus der Brusttasche der lindgrünen Kombination. Der Pseudoarm schob ihn in eine mundähnliche Öffnung hinein, die sich gleichzeitig mit dem Arm gebildet hatte. Der Stift verschwand im Hohlraum der Kugel, und die Öffnung schloß sich. Ein verzerrtes Schriftbild mit fünf oder sechs Wortfolgen flirrte über die Kugel hinweg. »So war das nicht gemeint«, versicherte Halifax hastig und überlegte fieberhaft, wie er das in Zeichensprache umsetzen konnte. Schließlich schüttelte er den Kopf und wackelte mit der Hand dazu. Asgard zeigte keine Reaktion. Die Kugel, die alle Arten von Auswüchsen bilden konnte und kurzfristig auch ihre Körperform veränderte, wenn es nötig war, schwebte ein Stück von ihm weg in den hinteren Teil der Kabine und ließ sich dort auf dem weichen Bett nieder, das für einen menschlichen Insassen gedacht war. »Asgard!« versuchte es Halifax bittend. »Plasmakugel. Bei Atlan! Gib mir meinen Stift zurück. Ormutz wird sein Fehlen sofort
bemerken!« Der Gedanke an den Kollegen verursachte ihm Magenschmerzen. Er konnte von Glück reden, daß Ormutz nicht anwesend war und sich geweigert hatte, die »künstliche Natur« kennenzulernen. Er hätte die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sich über ihn und seine Unfähigkeit lustig gemacht. In aller Öffentlichkeit. Das war es, was Halifax so an Ormutz schätzte, ohne daß er je Mittel und Wege gefunden hätte, es ihm auszutreiben. Er sollte einmal diesem Roboter Blödel in die Hände geraten, wünschte sich der Fremdrassenpsychologe. Er stellte es sich bildlich vor, wie Ormutz durch die Korridore raste und ein aufgeregtes Geschnatter und Gejammer von sich gab, während das wandelnde Ofenrohr des Scientologenteams ihn verfolgte und ihm stundenlang Ratschläge erteilte. Etwas traf Romeo Halifax an der Brust. Er duckte sich unwillkürlich, aber es war lediglich der Leuchtstift, der ihn getroffen hatte. Einen Augenblick lang hatte er nicht auf Asgard geachtet. Die Plasmakugel hatte ihm eine unmißverständliche Weise das unverdauliche Ding zurückgegeben. Obwohl … Halifax erinnerte sich, daß die Plasmakugel nicht nur pflanzlich organische Nahrung zu sich nahm, sondern sich ab und zu auch von Kunststoffen oder anderen toten Dingen auf Kohlenstoffbasis ernährte, die es sachgerecht verdaute und in die körpereigene Form überführte, von dessen Plasma sie für alle Aktionen eine geringe Menge verbrauchte. War Asgards Reaktion nicht ein Zeichen dafür, daß eine einigermaßen sinnvolle Verständigung zustande kam? Der Fremdrassenpsychologe schwankte zwischen Weitermachen und Aufgeben. Er wollte sorgfältig abwägen, welches Vorgehen die größeren Chancen versprach. »Ach was!« sagte er nach einer Weile. Er wandte sich dem Interkom der Kabine zu und wählte eine Verbindung mit der Hauptzentrale. Gallatan Herts erschien auf dem
Bildschirm. »Hier Romeo Halifax, Fremdrassen‐ Psychologe aus der SZ‐2, zur Zeit in SOL‐City«, meldete er sich. »Ich bin bei Asgard und möchte Atlan bitten, mir bei der Kontaktaufnahme behilflich zu sein. Die Plasmakugel ist ein sehr schwieriger Patient!« Hertsʹ Gesicht verschwand für ein paar Sekunden. Als er zurückkehrte, war es verschlossen und ernst. »Atlan hat aus verständlichen Gründen keine Zeit dafür«, sagte der Leiter der Hauptzentrale des Mittelteils. »Die Situation, in der sich die SOL im Augenblick befindet, duldet es nicht, daß ihre Entscheidungsträger sich mit Nebensächlichkeiten abgeben. Jeden Augenblick kann ein neuer Angriff erfolgen! Außerdem läßt Atlan dir ausrichten, daß Asgard kein Patient ist. Er ist Gast der SOL, und als solcher nach Möglichkeit in Ruhe zu lassen!« »So!« machte Halifax knapp, während die Verbindung erlosch. »So ist das also!« Er wandte sich zur Tür und stürmte hinaus, ohne der Plasmakugel noch einen Blick zu gönnen. Sie war ihm mit einemmal egal. Sein Berufseifer war durch die Mitteilung erstickt worden, wie man ein Lagerfeuer mit einem Eimer Wasser löschte. Mit rotem Kopf machte sich Romeo Halifax auf den Weg zum nächstbesten Transmitter. »Arrogantes Pack«, schimpfte er. »Was glauben die, wer sie sind! Sollen sie doch ihre Fremdrassenpsychologen hernehmen, woher sie wollen. Nicht mit mir! Nicht mit mir!« Er schätzte sich glücklich, daß er nebenbei noch eine abgeschlossene Ausbildung als Pilot hatte. Er durfte Ein‐Mann‐Jäger fliegen und Space‐Jets. Nur für die ganz großen Kähne besaß er keine Lizenz. Aber das würde schon noch kommen. Die Herren sollten sich ruhig wundern, was für ein Kerl Romeo Halifax war.
* Halifax wollte eigentlich sofort seinen privaten Bereich aufsuchen. In der Erregung wählte er jedoch die Koordinaten seines Ausgangspunkts, und so kehrte er in die Nähe seiner Arbeitsstätte zurück. Inzwischen hatte Ormutz sich unter Garantie Informationen verschafft, wohin er sich gewandt hatte. Es war nicht schwer, zu erraten, was Romeo Halifax erwartete. Erstaunlicherweise geschah nichts. Der Fremdrassenpsychologe trat aus dem Transmitter und durchschritt die kleine Halle. Er betätigte den Türöffner und ging auf den Korridor hinaus. Er blickte nach links und rechts, so weit es die Krümmung des Korridors erlaubte. Am linken Ende des Gesichtsfelds zog sich ein schwarzer Streifen vom Boden bis zur Decke. Es war ein Stück vom Haupttor, das in die große Halle führte, in der sich die Arbeitsstätte der beiden FR‐Psychologen befand. FR‐PSYCHO, das stand auch in dreidimensionalen Lettern auf der Tür. Romeo Halifax hätte gewettet, daß nicht einmal ein Zehntel aller Besatzungsmitglieder mit diesen Hieroglyphen etwas anfangen konnte. Der Begriff Fremdrassenpsychologie sagte da schon mehr aus. Halifax zögerte kurz. In ihm stritten sich die Empfindungen. Dann jedoch siegte sein Pflichtbewußtsein, und er setzte sich mit langen, staksigen Schritten in Richtung Tür in Bewegung. Es war ruhig in der Nähe der Abteilung, viel zu ruhig. Es mochte damit zusammenhängen, daß in der SOL quasi Daueralarm herrschte. Alle Positionen im Schiff waren besetzt, jeder Vorgang wurde sofort registriert. An manchen Stellen arbeiteten Reparaturtrupps und beseitigten Schäden, die noch von der zurückliegenden Auseinandersetzung mit Mylotta und Mjailam herrührten.
Mylotta hätte Halifax gern als Patienten gehabt. Obwohl er auf Fremdrassige spezialisiert war, traute er sich zu, die Tiefen dieser Astronomenseele auszuloten und die eigentlichen, seelischen Voraussetzungen zu finden, die ihn zu einem so willigen Werkzeug von Anti‐ES gemacht hatten. Anti‐ES! Es war das Nonplusultra eines jeden Psychologendaseins, in die Seele einer Superintelligenz schauen zu dürfen. Deshalb hatte Halifax den Pilotenschein gemacht, deshalb besuchte er auch die weiterführenden Kurse. Irgendwann hoffte er auf die Chance, zu Anti‐ES zu gelangen und das Wesen unter seine berufsspezifische Lupe zu nehmen. Bevor Ormutz seine dreckigen Finger dazwischen hatte. Der Fremdrassenpsychologe öffnete das Tor und trat ein. Er spürte den Luftzug im Nacken, der durch das Schließen des Schottes entstand. Er richtete seine Augen erwartungsvoll nach vorn. Noch immer rührte sich nichts. Kein Arbeitslärm drang aus den einzelnen Kammern an seine Ohren. Niemand debattierte, und die hektische Stimme Ormutzʹ fehlte und ließ Romeo Helifax seinen Arbeitsbereich als äußerst friedlich und zufriedenstellend erscheinen. Die Arbeitskammern und die Ruhekabinen schwangen nur leicht in ihren Aufhängungen. Sie haben FR‐PSYCHO verlassen! durchzuckte es Halifax. Sie sind weg. Der verrückte Ormutz hat sie endgültig vertrieben. Wo aber war der Kollege selbst? Halifax überlegte, daß es Ormutz gut zu Gesicht stünde, wenn er jetzt in der Hauptzentrale Wirbel machte und den Solanern dort auf die Nerven ging. Ein Schlag gegen den Hinterkopf belehrte ihn, daß er besser nach oben hätte blicken sollen, als sich solche Gedanken zu machen. Etwas Weiches hatte ihn am Kopf getroffen. Der nächste Schlag folgte. Eine ganze Serie dunkler, kleiner Bälle prasselte auf ihn nieder, und aus einer verdeckten Nische, in der ein Löschrobot
eingelagert war, quoll schwarzer, stickiger Rauch. Überall um Halifax herum prallten undefinierbare Gegenstände auf den Boden. Sie knarrten und quietschten, und ein paar zerplatzten mit lautem Getöse. Der Fremdrassenpsychologe warf sich instinktiv zu Boden und robbte rückwärts zur Tür. In ihm stritten sich die unterschiedlichsten Empfindungen. Er dachte an Mylotta und Mjailam, an das ganze Arsenal und die ARSENALJYK. »Alarm!« stieß er hervor, aber die Positronik neben der Tür reagierte nicht auf seinen Ruf, Ihr Kontrollicht flackerte gelb und abweisend. Jemand hatte die akustischen Teile außer Betrieb gesetzt. Romeo Halifax war nun völlig mit den fremdartigen Gegenständen bedeckt. Sie tanzten auf ihm herum und kamen langsam zur Ruhe. Es waren tote Dinge, keine Lebewesen, das hatte er sofort erkannt. Über den Sinn des Überfalls rätselte er jedoch ununterbrochen. Er ertastete die Tür und richtete sich auf. Wie ein Ertrinkender arbeitete er sich empor und steckte den Kopf in den noch freien Bereich hinauf. Das Bombardement hatte aufgehört. Es war nicht festzustellen, von wo die Ballen und Kugeln und die kissenähnlichen Gegenstände gekommen waren, an der Hallendecke waren keine Halterungen oder Öffnungen zu erkennen. Gefährliche Stille trat ein. Nichts rührte sich. Nur das Schwingen der Kammern und Kabinen war da. Das Schwingen! Halifax riß die Augen auf. Die ganze Konstruktion schaukelte lustig hin und her, als würde sie von jemand angeschoben. Jetzt war dem Fremdrassenpsychologe alles klar. »Ormutz!« schrillte er. »Du hinterhältiger Zwerg! Komm sofort aus deinem Versteck hervor!« Ormutz ließ ein schallendes Lachen hören. Er kam unter die offene Tür seiner persönlichen Arbeitskugel. Mit einem Satz hüpfte er auf
den Hallenboden und eilte auf Halifax zu. »Da bist du ja, du Alleskönner!« rief er herausfordernd. »Du bist ein Übermensch, oder besser gesagt ein Übersolaner! Warum willst du nicht endlich einsehen, daß man mit einer künstlichen Intelligenz wie diesem Asgard nichts anfangen kann? Komm zurück auf den Teppich, Romeo!« »Was soll der Blödsinn hier, Ormutz!« schnaufte Halifax. »Was bezweckst du damit?« »Ich wollte deine Nervenkraft prüfen«, sagte Ormutz rasch. »Du hast schwache Nerven. Du bist nicht geeignet, um ein so gewagtes Experiment wie die Sache mit Asgard durchzuführen. Atlan hat schon recht, laß das Kunstgeschöpf in Ruhe!« »Ormutz!« Halifaxʹ Stimme grollte und schrillte in einem. Er arbeitete sich aus dem Meer von Ballons und Gummis hervor, in dem er steckte. »Wir haben uns gegenseitig versprochen, die Ansichten des anderen zu respektieren, sofern sie mit der wissenschaftlichen Arbeit zu tun haben. Du scheinst das vergessen zu haben!« »Nein. Ich habe nur meine Pflicht getan. Einem Solaner zu zeigen, daß er etwas Sinnloses tut, ist meine Pflicht als Fremdrassenpsychologe. Und mein gutes Recht. Denn schließlich bin ich kein Solaner. Solaner sind für mich ebenso fremd wie CptʹCpt, Beneterlogen oder andere!« »Kümmere dich um deinen eigenen Salat!« brummte Romeo Halifax. »Mehr verlange ich gar nicht von dir!« Er ließ Ormutz stehen und schritt hinüber zu seiner eigenen Kugel. Er öffnete den Eingang und warf die Stifte hinein und den Notizblock. Mit einem Schlag gegen die Brust vergewisserte er sich, daß die Brusttasche nichts mehr enthielt. Er schloß den Eingang, zog den Positronikschlüssel ab und steckte ihn ein. Einen letzten Blick warf er auf die Konstruktion in der großen Halle. Zwanzig Gebilde hingen jeweils an einem langen Stahlseil von der Decke. Es waren quaderförmige Kammern, runde Kugeln
und zylinderartige Ruhekabinen. Sie hingen alle nur wenige Zentimeter über dem Boden und waren untereinander durch elastische Stangen verbunden. Bewegte sich jemand in einer der Kammern, schwang automatisch das ganze Gebilde mit. Psychologie hatte viel mit Ruhe zu tun, aber auch mit Schwerelosigkeit. Traumatische Zustände waren da besser heilbar als unter normalen Druckverhältnissen. Das Schwingen der Kabinen vermittelte zudem ein Gefühl der Leichtigkeit und des Wohlbefindens. Auf die Patienten hatte es eine enorme Wirkung. »Romeo, was tust du da?« Ormutzʹ Stimme verlor ein wenig von ihrem herausfordernden Klang. »Was soll das?« »Du siehst es«, sagte der Fremdrassenpsychologe knapp und winkte dem königsblauen Würfel auf seinen vier Stempelbeinen leicht zu. »Nein!« rief Ormutz aus. »Das kannst du doch nicht tun! Halifax!« Romeo öffnete die Tür. Ein lautes Dröhnen setzte ein. Vom Korridor her schallte ihnen der Alarm entgegen. »Hayes gibt Alarm!« stieß Ormutz hervor. Er richtete sich zu seiner ganzen Höhe von einem Meter siebenundfünfzig auf. Die Stielaugen an den vier oberen Ecken des Würfels richteten sich in auffordernder Quadrovision auf Halifax. »Das bedeutet, jeder auf seinen Platz. Komm, Romeo!« »Mein Platz ist bei den Beibooten«, knurrte Romeo Halifax und stapfte hinaus und den Korridor entlang. »Merkʹs dir!« Ormutz blickte ihm durch die Türöffnung nach. »Romeo!« sagte er nochmals. »Dein Pflichtgefühl!« Halifax gab keine Antwort mehr. Seine Gedanken waren irgendwo anders. 2. Zwischen zwei Reihen hoch aufgeschossener Büsche lag das
Raumschiff. Es besaß die Form einer Kugel. Ihre Außenfläche schimmerte in rosaroten bis hellgrünen Farbtönen. Ein Mantel aus gehärteter Jenseitsmaterie umgab die MT‐K‐9, die früher den Eigennamen BANANE besessen hatte. Inzwischen trug das Schiff die Bezeichnung ARSENALJYK und unterstand der direkten Gewalt der Penetranz, die alle ihre Besatzungsmitglieder beherrschte und auch die übrigen Mitglieder des Arsenals kontrollierte. Die Penetranz befand sich in unmittelbarer Nähe des Schiffes. Sie schwebte etwa vierzig Meter über den Gestalten, die sich im Kreis versammelt hatten. Die Penetranz besaß die Gestalt eines leuchtenden Eis von einem Meter Länge und einem Durchmesser von sechzig Zentimetern an der dicksten Stelle. Der Körper des Wesens war rundum von flaumartigen, kaum fünf Zentimeter langen Haaren überzogen. Sie leuchteten in dunkelblauem bis violettem Licht und verbreiteten einen melancholischen, düsteren Glanz. Die Leuchtquellen, die ohne Unterlaß und unter stetiger Richtungsänderung über den Eikörper der Penetranz eilten, sandten eine Drohung aus und ein Signal der Unbezwingbarkeit. Übergangslos setzte sich das Ei in Bewegung. Ohne daß es die Arsenalmitglieder auf der Oberfläche des Arsenalplaneten merkten, driftete es davon und stieg ein Stück weiter in den Himmel hinauf. Es agierte unabhängig von jeder Schwerkraft, aber das war nur eine der weniger wichtigen Fähigkeiten dieses Wesens. Die Penetranz war ein Erfüllungsgehilfe von Anti‐ES, und in ihr hatte die Superintelligenz einen Teil ihrer selbst manifestiert. Einen winzigen Teil zwar, aber er genügte. Jetzt spürte die Penetranz, daß Anti‐ES sich meldete und die Vorbereitungen für einen neuerlichen Kontakt traf. Im Innern der Penetranz bildete sich ein mentales Signal, ein Erkennungszeichen. Und dann, von einem Sekundenbruchteil auf den anderen, war der mentale Kontakt da. Anti‐ES meldete sich mit seiner ganzen Intensität, und die
Penetranz verspürte die Gedanken so, als halte sich ihr Schöpfer in unmittelbarer Nähe auf. Die Penetranz stellte keine Fragen danach, sie war sicher, daß Anti‐ES sie nicht beantwortet hätte. Die Penetranz war lediglich ein Befehlsempfänger. Anti‐ES teilte ihr einen weiteren Teil des umfassenden Planes mit. Nachdem der Ansturm der Gyranter gegen die SOL von den Solanern, Anterferrantern und Beneterlogen und anderen Völkern zurückgeschlagen worden war und die Gyranter in die Flucht geschlagen worden waren, oblag es nun wieder dem Arsenal, einen neuen Einsatz durchzuführen. Ein Teil der Arsenalmitglieder wurde bestimmt, gegen die SOL vorzugehen. Die Penetranz merkte bald, daß Anti‐ES ihr nicht alles mitteilte. Sie gehorchte jedoch und schwieg. Sie erfuhr, daß Mylotta und Mjailam gehärtet worden waren. Was das bedeutete, erklärte Anti‐ ES ebenso wenig wie es eine Begründung lieferte, daß die ARSENALJYK II noch nicht verfügbar war. Die ARSENALJYK I sollte die SOL anfliegen. Dabei sollte die kleine Space‐Jet, die an Bord mitgeführt wurde, den Fluchtversuch einiger Abtrünniger vortäuschen. Das Manöver diente als Ablenkung von Anti‐ESʹ eigentlichem Plan. Es rechnete damit, daß die Abtrünnigen aufgefischt würden. Sie ließen sich als zusätzliche Waffe verwenden. Anti‐ES kalkulierte jedoch ein, daß sie keinen durchschlagenden Erfolg haben würden. Dazu waren die Solaner zu intelligent. Die Penetranz begriff, daß der Plan viel zu gut durchdacht war, um etwas unberücksichtigt zu lassen. Wieder würde das Arsenal der SOL schwere Schäden zufügen, würde die ARSENALJYK I wieder gezielte Angriffe gegen das Generationenschiff durchführen, bis in naher Zukunft nur noch das ausgeglühte Wrack der beiden Kugeln und ihres Verbindungsstücks durch das All trieb und den Triumph von Anti‐ES verkündete. Die Solaner sollten zittern, wenn sie die Wahrheit erkannten, daß
die Zerstörung ihrer Heimat von Mal zu Mal umfangreicher und schlimmer wurde. Die Penetranz bestätigte die Befehle von Anti‐ES und wartete ab, bis sich die Superintelligenz völlig zurückgezogen hatte. Anschließend machte sie sich daran, die Befehle auszuführen. Das leuchtende Ei schwebte zum Boden und in die Nähe des Arsenals zurück. Es legte seine ganze mentale Kraft in die Übermittlung der Befehle, und die unterschiedlichen Wesen eilten in die ARSENALJYK hinein und bereiteten sich auf den Start vor. Wie immer blieb die Penetranz auf dem Arsenalplaneten zurück, aber sie entließ die Mitglieder des Arsenals keinen Augenblick aus ihrem mentalen Zwang. * Das Nichtstun zermürbte die Nerven. Es machte die Männer und Frauen unberechenbar, und die Nervosität übertrug sich auch auf die Kinder im Schiff. Die Buhrlos waren ebenso davon betroffen wie die Extras. Für die Gläsernen gab es nur noch fest umrissene Zeiten, in denen sie ihrem natürlichen Trieb nachkommen und den Weltraum aufsuchen konnten. Sie waren es inzwischen gewöhnt, daß es ständig Alarm gab, der sie in die schützende Heimat zurückrief. Die SOL flog in einem Bereich von Bars‐2‐Bars, in dem es keine Sterne mit Planeten gab. Weitab von besiedelten Gebieten wartete sie darauf, daß etwas geschah. Das Schiff selbst und seine Bewohner konnten nichts tun als warten. Sie wußten, daß die Schergen von Anti‐ES irgendwann wieder auftauchen würden. Diesmal war man gewappnet. Das Schiff flog im Schutz seiner Paratronschirme, um ein erneutes Auftauchen des Wesens Mjailam zu verhindern. SENECA hatte sich nach den Erfahrungen mit Mylotta ebenfalls in seine undurchdringlichen Schutzschirme
gehüllt. Die Biopositronik hielt noch immer nach Hinweisen auf die verschwundene FARTULOON Ausschau, aber von den Verantwortlichen in der Schiffsführung glaubte keiner daran, daß sie Breiskoll, Vorlan Brick, Federspiel, Insider und die 56 Besatzungsmitglieder so schnell wiedersehen würden. Ein plötzlich entstandener Nabel nahe dem Treytschal‐System hatte das Schiff verschluckt. Breiskolls Notruf hatte die SOL noch erreicht, so daß man ungefähr über den Vorgang Bescheid wußte. Es sah nach einer gezielten Aktion von Anti‐ES aus, es konnte jedoch auch ein Zufall sein. An den wollte aber keiner so recht glauben. Irgendwo in der Namenlosen Zone hatte die SOL womöglich unfreiwillig einen Brückenkopf erhalten. Das hätte von Vorteil sein können, hätte die SOL eine Möglichkeit besessen, zwischen Normalraum und Namenloser Zone hin und her zu pendeln. Das Verschwinden der FARTULOON bedeutete im Augenblick mehr den Verlust weiterer Mitglieder des Atlan‐Teams. Atlans und Tyaris Rückkehr vom Arsenalplaneten konnte nicht darüber hinwegtäuschen. Auch die Anwesenheit von Asgard und Ticker nicht. Atlan stand mitten in der Hauptzentrale des Mittelteils und unterhielt sich mit Breckcrown Hayes und Gallatan Herts. Der Arkonide machte ein ernstes Gesicht, und die Stirn hatte eine Vielzahl waagrecht verlaufender Falten gebildet. »Ich rechne jeden Augenblick mit einem Angriff«, sagte er. »Durch Tyaris und Asgards Befreiung haben wir einen kleinen Vorteil erhalten. Anti‐ES wird über die Penetranz feststellen, daß wir zumindest teilweise in der Lage sind, seinen Plan zunichte zu machen. Es will uns dadurch zermürben, daß unsere eigenen Leute gegen uns kämpfen. Es hat sich verrechnet.« »Glaubst du, die Penetranz wird versuchen, Tyari zurückzuholen?« Atlan warf einen Blick in die Runde. Tyari war nicht anwesend. Sie hatte sich zur Ruhe gelegt.
»Nein, Breck«, erwiderte er. »Das dürfte ihr schwerfallen. Wir sind gewarnt, sie kann uns nicht überraschen. Das leuchtende Ei wird seine Diener schicken, um uns zu schaden. Das ist alles. Mehr will auch Anti‐ES zunächst nicht.« Es war ein Hohn, wie die negative Superintelligenz aus der Verbannung heraus die Entwicklung in einem Teil des Normalraums beeinflußte. Die Kosmokraten griffen nicht ein, obwohl es um einen Mann ging, dem sie einen Auftrag erteilt hatten. Schon oft, nach Atlans Meinung viel zu oft, hatten sie darüber diskutiert, welcher Sinn dahintersteckte. Es konnte nicht nur daran liegen, daß Atlan vor Antritt seiner nächsten Aufgabe einer Prüfung unterzogen wurde. Es mußte andere Hintergründe haben. Der High Sideryt ließ die Schultern sinken. »Wenn die ARSENALJYK kommt, wissen wir, wie wir uns zu verhalten haben«, meinte er. »Mjailam und Mylotta können nicht mehr in die SOL kommen. Es ist ganz ausgeschlossen!« »Vergiß nicht, daß es eine ARSENALJYK II gibt«, erinnerte Atlan ihn. »Wir wissen nicht, worum es sich dabei handelt. Es könnte ein Raumschiff sein, aber es ist keins von der SOL!« »Die FARTUL …«, stieß Breck hervor und verschluckte sich. Er hustete stark. Nein, es konnte nicht sein. Die ARSENALJYK II war nach Atlans Aussage schon vorher geplant und hergestellt worden. Es gab sie irgendwo, und sie hatte nichts mit der FARTULOON zu tun. »Die ARSENALJYKS soll der Teufel holen!« schimpfte Gallatan Herts, den sie zu SOLAG‐Zeiten Rumpelstilzchen genannt hatten. »Wenn wir angegriffen werden, haben wir auf alle Fälle einen Zweifrontenkampf zu führen!« »Was uns keine Schwierigkeiten bereitet«, nickte Atlan. »Es scheint, als habe man damals beim Bau der SOL gerade diese Aspekte besonders berücksichtigt!« Der Arkonide wußte, daß es tatsächlich so war. Die Dreiteilung
des Schiffes war trotz schwerer technischer Probleme bewerkstelligt worden, um taktischen Überlegungen Raum geben zu können. Im Fall von Gefahren und Auseinandersetzungen teilte sich das Schiff in seine drei Segmente auf, wobei der Mittelteil mit der Biopositronik sich im Hintergrund hielt, damit das komplette Wissen über die Menschheit, das in SENECA gespeichert war, geschützt blieb. Im aktuellen Fall der Auseinandersetzung mit Anti‐ES ergab sich dieses Problem nicht, da die Superintelligenz andere Ziele verfolgte und die Menschheit zur Genüge kannte. Das wertvolle Wissen der Biopositronik war für sie bedeutungslos. »Du willst das Schiff also teilen«, stellte Hayes fest. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, Breck. Oder willst du, daß wir mit unseren Schirmen zwischen das Punktfeuer zweier unbesiegbarer Schiffe geraten? Die ARSENALJYK II dürfte ein größeres Potential besitzen als ihre Vorgängerin, unsere Korvette BANANE.« Der High Sideryt senkte zustimmend den Kopf. Er trat an eine Konsole und berief eine kurze Besprechung ein. Dazu weckte er auch Tyari und rief Sternfeuer herbei, die sich ebenfalls in SOL‐City aufhielten. Die Zwillingsschwester Federspiels befand sich in gedrückter Stimmung. Wieder und wieder hatte sie versucht, einen mentalen Kontakt zu ihrem Bruder herzustellen. Es war ihr nicht gelungen, und schließlich hatte sie es aufgegeben. Es gab keine Möglichkeit, zwischen der SOL und der FARTULOON zu kommunizieren. Auch Experimente in der Nähe der Nabel waren zur Zeit nicht ratsam. Die Entwicklung in der Auseinandersetzung mit Anti‐ES ließ sie nicht zu. Tyari kam, und ihr folgte in einem Meter Abstand der große Adler. Mit schmetternden Flügelschlägen kam er in die Zentrale herein und stieg zur Decke empor. Dann glitt er sanft dem Boden
entgegen und ließ sich auf einem Geländer in unmittelbarer Nähe Atlans nieder. Ticker war ein Tier des Arsenalplaneten. Er war fast einen Meter lang und rund fünfundsechzig Zentimeter hoch. Seine Flügelspannweite betrug fast vier Meter. In seinen mit sechsteiligen Krallen bewehrten Pranken konnte er ohne Mühe einen Menschen transportieren, über kurze Entfernungen sogar zwei. Tickers Entwicklung war unter dem Aspekt der Anwesenheit der Penetranz auf dem Arsenalplaneten zu betrachten. Der Arsenalplanet war ohne intelligentes Leben, trug aber eine reichhaltige Fauna und Flora. Diese Natur hatte als Reaktion auf die Anwesenheit der Penetranz und des Arsenals damit begonnen, einen Gemeinschaftsinstinkt gegen diese Störfaktoren zu entwickeln. Teile von Fauna und Flora vereinigten ihre Kraft in einem starken und schnellen Mitglied, eben in Ticker. Er erhielt die Fähigkeit des vollkommenen Mimikry. Damit konnte er sich seiner Umgebung so anpassen, daß er kaum zu erkennen war. Der Gemeinschaftsinstinkt gab ihm auch mit, daß er sich an jene Wesen halten sollte, die gegen die Störenfriede kämpften. So wurde Ticker zum wertvollen Helfer Atlans, unterstützte ihn und ermöglichte später die Flucht vom Arsenalplaneten. In relativ kurzer Zeit hatte der Vogel auch gelernt, Atlans Gedanken zu erfassen und dessen Bitten oder Anweisungen auszuführen. Hallo Ticker! dachte der Arkonide, und der Vogel gab einen knirschenden Laut mit dem zwölf Zentimeter langen Schnabel von sich. Atlan ging zu Tyari und berührte ihre Arme. Aufmerksam musterte er ihre Augen. Tyars Geschöpf schien sich von den Qualen leidlich erholt zu haben, die es im Bann der Penetranz erduldet hatte. »Die anderen«, flüsterte Atlan heiser, »werden wir auch noch befreien. Das verspreche ich dir!« »Ich helfe dir, wo es geht«, erwiderte Tyari, und in ihren Augen
entstand ein leuchtender Glanz. Sie erwiderte den Druck von Atlans Hand an ihrem Arm und schritt neben ihm her auf den großen Wandbildschirm zu, vor dem die Hauptkontrollanlagen und die Konturensessel angebracht waren. In einem der Sessel wußte Atlan die unscheinbare Cara Doz. Dicht daneben stand Uster Brick, der seines Zwillings verlustig gegangen war. Sternfeuer gesellte sich zu ihm. Die beiden waren Leidensgenossen, und sie schauten sich an und lächelten verzerrt. »So ist das im Leben!« hörte Atlan Uster sagen. Er wollte dem Piloten etwas entgegnen, aber in diesem Augenblick meldete sich SENECA. »Die Fernortung zeigt die Annäherung eines kleinen Flugobjekts an. Es muß sich um die ARSENALJYK in ihrem Mantel aus Jenseitsmaterie handeln!« »Danke, SENECA«, klang Brecks Stimme auf. Der High Sideryt deutete auf Atlan. »Wohin willst du?« fragte er. »Wir nehmen die SZ‐2«, entschied der Arkonide. Er winkte Hage Nockemann und dem Roboter Blödel. »Begleitet mich!« Atlan steuerte auf den Transmitter zu, der sie zur SZ‐2 abstrahlen sollte. Er warf noch einen Blick zurück auf den Bildschirm, wo die Sterne der fremden Galaxis leuchteten. Die Entfernung zum nächsten von ihnen betrug über fünf Lichtjahre. Es war gut so, denn bei allen Vorgängen waren sich die Solaner der Verantwortung bewußt, die sie trugen. Die befreundeten Völker von Bars und Farynt wollten sie auf keinen Fall in die Auseinandersetzung verwickeln. Auch der letzte Solaner hatte inzwischen begriffen, daß es nicht um Anterferranter und Beneterlogen ging, sondern um ganz Bars und Farynt und um Anti‐ES. Die SOL war, so anmaßend das klang, der derzeit einzig ernst zu nehmende Gegner der negativen Superintelligenz.
* Es war die ARSENALJYK I. Ihre Außenhülle leuchtete in den ineinander verschwimmenden Farben der Jenseitsmaterie. Sie trat aus dem Linearraum aus und näherte sich der SOL, ohne daß Anzeichen einer negativen Beschleunigung sichtbar gewesen wären. »Das Arsenal fliegt auf Kollisionskurs«, stieß Solania von Terra hervor, die die SZ‐2 kommandierte. Atlan stand neben ihr und fixierte die Ortungsanzeige. Tatsächlich sah es so aus, als wollten die unter dem Bann der Penetranz stehenden Solaner und SOL‐ Mitglieder es darauf ankommen lassen. Ein Duell zwischen den vernichtenden Paratronenergien und der Hülle aus Jenseitsmaterie. Es ist undenkbar, meldete sich Atlans Extrasinn. Anti‐ES weiß, daß es dadurch sein Arsenal verliert. Selbst wenn die ARSENALJYK es übersteht! Der Arkonide nickte sinnend. Er löste seinen Blick von den Ortern und wandte sich den Steuerkonsolen zu. Ein Monitor flammte auf und zeigte das Gesicht des High Sideryts. Hayes machte sich Sorgen, und seine Narben glühten in hellem Rot. »Bist du dir deiner Sache sicher, Atlan?« fragte er. Der Arkonide nickte grimmig. Ein Signalton kündete an, daß der Countdown abgelaufen war. Die Schraubenverbinder lösten sich, und die SZ‐2 beschleunigte und entfernte sich von der Rest‐SOL. Atlans Absicht war es, den Gegner in die Zange zu nehmen, wenn es sich zahlenmäßig machen ließ. »Bisher keine weiteren Ortungen«, meldete sich die autarke Steuerpositronik der SOL‐Zelle‐2. »Die BANANE kommt allein.« Die neuerliche Erwähnung der Bezeichnung BANANE rief allen ins Gedächtnis zurück, daß es ja Solaner waren, die die ARSENALJYK steuerten. Anti‐ES hatte einen glänzenden Schachzug
vollbracht, indem es Solaner gegen die SOL schickte. Niemals würde es Atlan oder einem anderen Menschen einfallen, den Tod von Mata St. Felix und ihrer Besatzung oder von Sanny, Kik oder Twoxl in Kauf zu nehmen. »SZ‐1 koppelt vorläufig nicht ab«, kam Hayesʹ Stimme aus den Lautsprechern. »Die Rest‐SOL zieht sich nicht zurück!« Die ARSENALJYK raste heran. Wie immer versuchte SENECA auch jetzt, Funkkontakt zu den Unterjochten zu bekommen. Sie reagierten nicht auf seine Parolen, die Penetranz hatte sie voll in ihrer Gewalt. Erst seit Atlans Rückkehr vom Arsenalplaneten wußten die Solaner konkret, welche Bewandtnis es mit der Penetranz hatte. Der Arkonide hatte SENECA und die Schiffsführung darüber informiert, was die Penetranz war und wie sie wirkte. Man kannte nun das System und arbeitete an Lösungen, wie man der Bedrohung Herr werden konnte. Ergebnisse lagen bisher keine vor, mit Ausnahme von ein paar überspannten Vorschlägen, die Blödel in einem Anfall von künstlichem Humor von sich gegeben hatte. Jetzt war das erste Bremsmanöver zu erkennen. Die Korvette eilte heran und glich ihre Fahrt der der SOL an. Übergangslos eröffnete sie das Feuer auf Mittelteil und SZ‐1. Von der SZ‐2 nahm sie noch keine Notiz. »Bestimmt glaubt der Gegner, daß Atlan sich dort drüben aufhält«, ließ Blödel seine Stimme hören. Der Roboter mit der Gestalt eines Ofenrohrs stand mit leicht nach vorn geneigtem Körper da und schien in sich hineinzulauschen. Hage Nockemann hielt sich neben ihm und trat schweigend von einem Bein auf das andere. Dem Galakto‐Genetiker war nicht anzusehen, was er dachte. Nur sein zuckender Schnurrbart verriet etwas von dem, was ihn bewegte. Er drehte leicht den Kopf und fixierte Blödel, dessen grüne, künstliche Bartfäden ekstatisch hin und her wippten. Sie glänzten mehr als sonst.
Die Paratronschirme der SOL hielten dem Beschuß mühelos stand. Hayes richtete sich aus Erfahrung auf den Punktbeschuß ein und staffelte die Schirme zusätzlich und leitete den Hauptteil der Energie auf die Seite, die dem Beschuß ausgesetzt war. »Erster Warnschuß«, hörte Atlan seine Anweisung, und er gab Solania einen Wink. »Wir nehmen das Ding in die Zange«, murmelte er und beobachtete, wie die SZ‐2 Fahrt aufnahm und sich in einem eleganten Bogen dem »Kampfgebiet« näherte. Die ARSENALJYK feuerte aus allen Rohren, und der Arkonide versuchte abzuschätzen, wann in ferner Zukunft dem Beiboot der SOL die Munition und die Energie ausgehen würden, wenn es dem Arsenal nicht vorher gelang, sich aus der SOL oder sonst woher Nachschub zu besorgen. Die Energiemagazine und Bomben der Gyranter paßten nicht für terranische Systeme. »Punktbeschuß«, sagte Solania, und die Anweisung wurde ausgeführt, obwohl jeder an Bord wußte, daß es wenig Sinn hatte, Energie zu vergeuden. Die Schutzhülle aus Jenseitsmaterie war nicht zerstörbar. Das Manöver hatte lediglich einen psychologischen Effekt. Die ARSENALJYK würde sich in die Enge getrieben vorkommen, und der Beschuß von zwei Seiten, der die Korvette in eine leicht rotierende Bewegung versetzte, verhinderte, daß sie irgendeine Schwachstelle im Paratrongefüge finden und nutzen konnte. Von einer ARSENALJYK II war weit und breit nichts zu erkennen. Die Ortung blieb auf einen Bereich von etlichen Lichtjahren negativ. Der stürmische Angriff der ARSENALJYK I zeigte kein Ergebnis. Die beiden SOL‐Teile wehrten sich, es fand ein Geplänkel sinnlos ausgetauschter Energie statt. »Eine Pattsituation«, meinte Atlan. »Aus ihr heraus kann die ARSENALJYK unsere Schirme nicht durchschlagen. Sie müßte schon Jenseitsmaterie ins Spiel bringen. Warum tut sie es nicht bereits?«
Seine Frage blieb unbeantwortet in der Zentrale hängen. Schweigend starrten die Solaner auf die Schirme und warteten darauf, daß der Gegner das Feuer einstellte. »Ich habe eine Idee«, sagte Blödel nach einer Weile. »Wir müßten dazu allerdings eine Formation Ein‐Mann‐Jäger ausschleusen!« »Wahnsinn!« entfuhr es Nockemann. »Halt den Mund, du Schrottofen. Ich werde dich desaktivieren!« Er machte Anstalten, auf den Roboter zuzugehen und es zu tun. Blödel wich mit einer Gebärde des Entsetzens vor ihm zurück. Der Roboter fuhr seine Arme bis auf die Maximallänge von zwei Metern aus und hielt den Galakto‐Genetiker von sich ab. »Laßt mich ausreden«, zeterte er. »Wozu bin ich die bestimmende Komponente des Scientologenteams? Ich rede doch keinen Unsinn wie Hage Nockem … ich wollte sagen, wie viele Solaner!« Atlan hatte die Stirn in Falten gelegt. Er zeigte seinen Unwillen. »Es ist nicht die Zeit für dumme Witze«, meinte auch er. »Hage hat recht.« »Ich rede vom Paratron‐Verband!« ächzte der Roboter. Solania beugte sich vor und hantierte an der Positronik. Daten huschten über den unteren Rand des linken Nebenbildschirms. Sie zeigten einen Hangar, in dem zwölf der Jäger in ihren Halterungen hingen. Paratron‐Jäger, lautete der Kommentar der Positronik, und eine mit technischen Ausdrücken gespickte Legende wies die Solaner darauf hin, was es damit auf sich hatte. Paratron‐Aggregate waren zu groß dimensioniert, um sie in kleinen Jägern unterbringen zu können. Die Energieerzeuger für einen Paratronschirm waren noch größer, doch hier schien sich ein pfiffiger Tüftler etwas Besonderes ausgedacht zu haben. In jedem der Jäger war ein Teil des Paratron‐Geräts untergebracht. Alle Jäger zusammen bildeten also ein vollwertiges Gerät, und es funktionierte aufgrund leiterloser Impulsübertragung mittels zwischengeschalteter Energieumwandler. Die gab es in allen
Größen, und in diesem Fall schienen sie von der Kapazität her ausreichend zu sein. Ein Problem gab es nur. Die Energie mußte von außen in das System übertragen werden, und dazu waren die nötigen Umwandler vorhanden. Es fehlte lediglich der Energiesender. Dies konnte die SZ‐2 machen, unter einer Voraussetzung. Sie mußten in sichere Entfernung gehen und Strukturlücken in ihre Schirme schalten. Dann konnte sie gefahrlos Energie in das fliegende System übertragen. Jetzt begriffen die Solaner, was Blödel gemeint hatte. Nockemann sprang auf den Roboter zu und zog ihn vorsichtig an den grünen Haaren. »Du Teufelsbraten!« zischte er. »Du willst die Besatzung der ARSENALJYK aus ihrem Schiff herausholen!« »Es könnte in ähnlicher Fassung im Handbuch für Logistik stehen«, erwiderte Blödel. »Wenn es gelingt, die Formation der Jäger bis nahe an die ARSENALJYK heranzubringen!« »Unsinn«, rief Atlan aus. »Mylotta und Mjailam werden es nicht zulassen, daß jemand die Korvette betritt!« Hayes meldete sich. »Dennoch«, meinte er. »Wir würden über eine dritte Kraft verfügen, die den Gegner ablenken kann. Du solltest die Jäger ausschleusen, Atlan, wenn das System funktioniert!« Es besteht keine Gefahr für die Piloten, teilte der Extrasinn dem Arkoniden mit. Sie müssen sich eben in respektvoller Entfernung halten und auf die Stabilität ihres Schirmes achten. »Also gut«, sagte Atlan. »Solania, veranlasse das Nötige. Wir werden sehen, ob es uns Nutzen bringt!« Er wandte sich ab und schloß die Augen. Er dachte an die ARSENALJYK II, von der sie keine Informationen hatten. Es stand nicht einmal fest, ob es sich um ein Raumschiff nach herkömmlicher Vorstellung handelte. Atlan machte sich Gedanken über das Verhalten der
ARSENALJYK I. Sie hing zwischen der SZ‐2 und der Rest‐SOL und feuerte nach beiden Richtungen. Sonst tat sie nichts, und Atlan wartete darauf, daß endlich etwas geschah. Er öffnete die Augen und musterte den Hauptbildschirm. Warum waren sie gekommen? Was bezweckten sie? »Etwas ist faul«, sagte der Arkonide. »Ich kann nur noch nicht erkennen, was. Wir müssen auf der Hut sein!« Vielleicht war es ganz gut, wenn sie die Jäger ausschleusten und den Gegner ablenkten. 3. Der Aufruf der Zentrale kam Romeo Halifax sehr gelegen. Er stürzte unter der Dusche hervor in den Wohnbereich und blieb tropfend vor dem Interkom stehen. Sie suchten Piloten, die über eine Mindestzahl an Flugstunden verfügten, absolviert in den letzten sechs Monaten. Der Fremdrassenpsychologe lag erheblich über dem Limit, denn der Zeitpunkt seiner Pilotenprüfung war kurz davor gewesen, und er hatte die Gelegenheit benutzt, eine ganze Zahl von Übungsflügen zu unternehmen. Meist waren es kurze Flüge gewesen, irgendein Alarm hatte ihn immer zurückgerufen und ihn veranlaßt, sich schnellstens wieder einzuschleusen. Halifax hieb auf den Interkom. Die kleine Positronik gab seinen Standort und seine Daten durch, während Halifax nach dem Badetuch griff und sich hastig abtrocknete. »Romeo Halifax«, sagte eine Stimme. »Hier spricht die Steuerpositronik der Zentrale. Deine Qualifikation ist geprüft worden. Bitte finde dich in fünf Minuten an Hangar siebenundzwanzig ein!« Romeo hörte nur die Zahl. Er desaktivierte den Interkom und stolperte über seine Schuhe zu dem Sessel hinüber, auf dem die
frische Unterwäsche lag. Er zog sie an, ohne ihren Sitz zu prüfen, und stieg in die Kombination. Die Füße waren noch naß, als er sie in die mit Socken gefütterten Stiefel steckte, die leicht angestaubt in der hinteren Ecke neben dem Kleiderschrank standen. Er warf sich herum und stürmte hinaus auf den Korridor zum nächsten Antigrav, während sich hinter ihm die Duschautomatik ausschaltete. Sie tat das immer, wenn der Insasse seine Kabine verließ, und verhinderte dadurch, daß es zu Überschwemmungen oder unnötiger Frischwasservergeudung kam. Für Romeo Halifax eröffnete sich die Chance seines Lebens. Er wollte es diesen verbohrten Technokraten in der Zentrale schon zeigen, was er für ein Mann war. Niemand würde ihn ungestraft zurechtweisen und seine fachliche Qualifikation in Zweifel ziehen, nur weil er sich erlaubte, Asgard als Patienten zu bezeichnen. Nein, einen solchen Unfug machte der Fremdrassenpsychologe nicht mit. Er verließ den Antigrav und stieg auf ein Transportband, das in einer Röhre verschwand und an einem Kleintransmitter endete. Der Transmitterbogen war aktiviert, ein deutliches Zeichen, daß die Positronik in der Zentrale genau über seinen Standort Bescheid wußte. Halifax warf sich in den Transmitter und stolperte einen Kilometer entfernt aus dem Empfänger. Auf dem üblichen Fußweg hätte er dafür mindestens eine Viertelstunde benötigt, denn so etwas wie einen Weg per Luftlinie gab es in der SOL nicht. Und auch die Transmitteranschlüsse gab es nicht überall. »Dritter Korridor links«, dröhnte eine Maschinenstimme, und der Fremdrassenpsychologe rannte auf die mit einer römischen III bezeichneten Öffnung zu. Ormutz würde sich wundern! Keinem gönnte er ein bißchen Überraschung oder Niedergeschlagenheit so wie seinem Kollegen aus dem Volk der Effremser. Vielleicht gab es dieses Volk auch gar nicht. Vielleicht log Ormutz,
der das einzige Exemplar seiner Rasse an Bord der SOL war. Einen Beweis für seine Angaben konnte man nirgendwo finden. Selbst SENECA hatte auf eine Anfrage einmal geantwortet: »Das wüßte ich aber, lieber Romeo Halifax!« Die Biopositronik hatte dann etwas von einem Ableger gefaselt und sich eingehend erkundigt, wie er zu seinem »schönen« Vornamen gekommen war. Halifax fand seinen Vornamen überhaupt nicht schön. Er empfand ihn als schwülstig und zu romantisch für einen Menschen wie ihn. Und doch wurde er ihn nicht los, und Ormutz ärgerte ihn meistens damit, daß er ihn besonders betonte und quälend in die Länge zog. Rohhmeejoo! Der Fremdrassenpsychologe vernahm Schritte vor sich. Aus einem Quergang stürmte eine Gestalt auf ihn zu und schwenkte neben ihm in seine Richtung ein. Aus den Augenwinkeln sah er, daß es einer der Bordmutanten war. Seine Ohren leuchteten in sanftem Gelb und richteten sich wie kleine Parabolantennen nach außen. »Hallo!« keuchte der Solaner, den Romeo Halifax für einen Mann hielt. Bei den Bordmutanten konnte man sich da nie so sicher sein. »Hey!« schnaufte er zurück und deutete nach vorn. Ein blaues Blinklicht und eine Sirene nahmen ihren Betrieb auf und erinnerten die beiden Solaner daran, daß es die Zeichen des Alarms waren. Sie bedeuteten, daß der Countdown für die Ausschleusung der Ein‐ Mann‐Jäger verkürzt wurde. In Sichtweite tauchte ein Schott mit der Ziffer 27 auf. Es glitt in die Wand, und Halifax eilte in den Hangar hinein. Aus einem guten halben Dutzend ähnlicher Öffnungen stürmte der Rest der Einsatzmannschaft herein. Sie sammelten sich kurz, dann verteilten sie sich der Reihe nach auf die Maschinen, die zwei Mannslängen über ihnen in den Katapultschlitten hingen. »Das Kommando über den Verband hat Gregor Sfiewlliox«, teilte die Positronik mit.
Romeo Halifax schielte nach einem Mann mit einem Namensschild,
das unaussprechlich war. Er entdeckte es und stellte fest, daß es der Bordmutant war, der so hieß. Sie bestiegen die Jäger, schnallten sich in ihren Sitzen fest und betätigten den Schließungsmechanismus der Panzerplastkanzel. Von der Zentrale aus hatte Solania mit Hilfe ihrer Positronik vorgesorgt. Die Antriebsaggregate begannen warmzulaufen, und ein rotes Lämpchen wies darauf hin, daß bereits die Luft aus dem Hangar gepumpt wurde. »Einsatzplan«, sagte eine dumpfe Stimme. »Ihr fliegt einen Verband aus Paratron‐Jägern und halten euch genau an die Kommandos, die Sfiewlliox gibt. Es geht darum, so nah wie möglich an die ARSENALJYK heranzukommen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, an dem unverwundbaren Schiff anzudocken und dessen Waffen äußerlich zu beschädigen, dann ist schon viel erreicht. Achtung! Ihr dürft nicht aus dem vorprogrammierten Verband ausscheren, da sonst der Paratronschirm zusammenbricht, der euch schützt!« »Paratron …«, echote Romeo Halifax. »Verbandsflug?« Er bewegte sich unruhig in seinem Sitz, während er im Licht der großen Deckenscheinwerfer beobachtete, wie sich das riesige Außenschott öffnete und die Schwärze des Weltraums erkennen ließ. Irgendwo in weiter Ferne funkelten ein paar Punkte. »Das war nicht ausgemacht!« setzte Halifax hinzu. »Ich will doch zumindest informiert werden!« »Keine Volksreden«, hörte er die Stimme des Bordmutanten. »Wir werden in drei Viererformationen ausgeschleust und bilden nachher einen kugelförmigen Verband. Die Daten eurer Positionen habt ihr in den Positroniken eurer Maschinen. Bitte bestätigen!« Halifax berührte einen Sensor. Er löste das Bestätigungssignal aus und holte gleichzeitig die Daten auf den Monitor. Der Fremdrassenpsychologe sah, daß er die unterste Position des Verbands einzunehmen hatte, von der Schwerkraftebene der SOL gerechnet, der sie im Augenblick noch angehörten.
Ein Huschen belehrte Romeo Halifax, daß die ersten Katapulte losgegangen waren. Die Schlitten kamen kurz vor dem Tor zum Stillstand und sanken rasch nach unten. Dann folgten die nächsten, und zwei Sekunden später spürte Halifax den Ruck, als sein Jäger nach vorn schnellte und der winzige Andrucksabsorber seine Leistung erhöhte. Die Lichter über ihm verschwanden, und im Heck seines Raumfahrzeugs klang ein Brummen auf, das sich stark nach einem Triebwerksschaden anhörte. PARATRONTEIL 6 aktiviert, flirrte ein Schriftband über den Monitorschirm. Alle Aggregate bereit! Ein mehrfaches Husten kam aus dem Kopfhörer, den Halifax trug. »Was ist eigentlich mit Raumanzügen?« fragte er. »Warum tragen wir keine?« »Haha, guter Witz«, sagte eine anonyme Stimme. Dann aber meldete sich der Bordmutant. »Alle tragen Raumanzüge bis auf Romeo Halifax«, stellte er fest. »Jetzt wo er es sagt, fällt es mir erst auf. Er hatte keinen an, als er seine Maschine betrat!« »Unternehmen sofort abbrechen«, meldete Solania von Terra sich. »Wir setzen kein Menschenleben aufs Spiel!« Fast gleichzeitig flammte der Paratronschirm auf und hüllte die Kugel aus zwölf Ein‐Mann‐Jägern ein. »Er soll den Notanzug anziehen, der in der Rückenlehne seines Sitzes eingepackt ist«, wies Sfiewlliox den Einwand zurück. »Halifax, du hast zwanzig Sekunden Zeit dazu!« So schnell war Romeo noch nicht aus einem Sitz emporgekommen. Er stieß sich den Kopf an der durchsichtigen Kanzel und machte eine halbe Rolle nach hinten. Die gewohnte Schwerkraft erleichterte ihm seine Bewegungen etwas, und er riß den Verschluß an der Rückseite seines Sitzes auf, zog den leichten, faltbaren Anzug hervor und zwängte sich hinein, so schnell es ging. Er schloß ihn und klappte den Falthelm nach vorn, der sich zu einer
Kugel aufwölbte. Im nächsten Augenblick saß Halifax wieder in seinem Sitz und wurden von den Sicherheitsgurten umfangen. Der Magnetverschluß des Helmes rastete ein, und rasch stellte Halifax die Verbindung des Anzugs zur internen Luftversorgung der Kabine her. Sechsundzwanzig Sekunden! »Fertig!« ächzte er. »Halifax meldet Bereitschaft!« »Gut«, hörte er den Bordmutanten sagen. »Länger als dreißig Sekunden hättest du nicht brauchen dürfen!« Der Verband beschleunigte und entfernte sich rasch von der SZ‐2. Die Rest‐SOL und die zwischen beiden Schiffsteilen hängende ARSENALJYK I blieben zurück. Für den Gegner mußte es den Anschein haben, als sei ein Verband zu einem Unternehmen aufgebrochen, dessen Ziel weit weg auf irgendeinem Planeten zu suchen war. Im Licht des Energieschirms erkannte Romeo Halifax die Schatten der anderen Jäger über sich. Sie flogen synchron und computergesteuert, doch das konnte nur solange gut gehen, wie auch der Paratronschirm hielt. Fiel er aus, dann mußten die Jäger sofort ausschwärmen und ihr Heil in der Flucht suchen. Eine riskante Sache, wenn man die Schlagkraft der ARSENALJYK in Betracht zog. Halifax preßte die Lippen zusammen. Er fragte sich, warum er nicht auf Ormutz gehört und in FR‐PSYCHO geblieben war. Der Gedanke an den Kollegen machte ihn wütend und trotzig. Er faßte den Entschluß, nichts zu sagen und sich keine Blöße zu geben. »Hier Atlan«, hörte er den Arkoniden, der sich nach seinen Informationen ebenfalls in der SZ‐2 aufhielt. »Hat jemand Halifax gesagt? Romeo Halifax?« Sfiewlliox bestätigte es. »Er soll sich zusammenreißen«, fuhr Atlan fort. »Er scheint mir ein etwas übereifriger Typ zu sein!« Sekundenlang herrschte Stille auf dem Funkkanal. Der
Bordmutant brummte etwas Unverständliches, und Halifax biß sich fast auf die Zunge. »Ich kehre sofort in die SZ‐2 zurück, wenn es erforderlich ist«, sagte der Fremdrassenpsychologe dann. Sfiewlliox fuhr ihm über den Mund. »Du bleibst!« zischte er. »Wir sind zu nah daran, um uns solche Überlegungen leisten zu können.« »Einverstanden!« hörten sie Atlan sagen. Romeo Halifax sah, daß der Paratron‐Verband den Kurs änderte. An den eingehenden Impulsen konnte er erkennen, daß sie direkt von dem Bordmutanten gegeben wurden und nicht aus dem vorgespeicherten Programm stammten. Die Kugel aus zwölf Jägern beschrieb einen weiten Bogen, und die SZ‐2 und die Rest‐SOL veränderten ihre Position ebenfalls. Es entstand eine Zangenbewegung, die die ARSENALJYK endlich zu einer Reaktion bewegte. Das Schiff in seiner leuchtenden Hülle entfernte sich von der Rest‐SOL und näherte sich der SZ‐2. In einer Entfernung von etwa zweihunderttausend Kilometern kam es wieder zur Ruhe. »Aufpassen!« sagte der Bordmutant. »Dort drüben geschieht etwas!« * In der ARSENALJYK entstand eine Öffnung. Sie war klein, und ein optisch kaum wahrnehmbares Objekt schoß daraus hervor und raste in den Raum hinaus. Die Infrarotortung zeigte, daß es sich um eine Space‐Jet handelte. Die ARSENALJYK schleuste ihre Space‐Jet aus. »Da!« kam es Halifax über die Lippen. Er deutete zur Kanzel hinaus, als könnte er die anderen Piloten damit aufmerksam machen.
Die ARSENALJYK schoß. Sie nahm die Jet unter Feuer, und das winzige Schiff wurde hin und her geschüttelt und machte einen unkontrollierten Satz nach vorn auf die Rest‐SOL zu. Der Bordmutant änderte den Kurs der Paratron‐Kugel. Er dachte dasselbe wie Halifax, ohne es auszusprechen. Die Space‐Jet floh, sie war in Not. Es war offensichtlich, daß sich Solaner in ihr befanden, denen es gelungen war, den tödlichen Einfluß der Penetranz abzustreifen. Wie ein Keil stieß der Verband in die Lücke hinein, und sein Abstand von der ARSENALJYK betrug höchstens sechzigtausend Kilometer. Die Jäger schoben sich zwischen die ARSENALJYK und die kleine Jet, und die ersten Strahlen verfingen sich in dem Paratronschirm und brachten ihn zum Aufleuchten. »Gregor. Vorsicht!« Das was Atlans Stimme. Die Jäger setzten ihre Geschwindigkeit herab. Sie flogen mitten in den Feuerkegel hinein, den die Waffen der ARSENALJYK gebildet hatten. Die Space‐Jet erhielt dadurch Luft, und sie beeilte sich, den Abstand zu der Korvette zu vergrößern. Gleichzeitig entdeckte Romeo Halifax, daß schräg hinter ihnen ebenfalls Bewegung entstand. Die SZ‐2 hatte Fahrt aufgenommen und folgte dem Paratronverband. Sie besaß ein größeres Beschleunigungsvermögen und war im Nu heran. »Wir versuchen, die ARSENALJYK abzudrängen«, klang die Stimme des Bordmutanten auf, doch Atlan widersprach sofort. »Abgelehnt«, sagte der Arkonide. »Behaltet euren Kurs bei. Wir lösen euch ab. Kümmert ihr euch darum, daß die Space‐Jet keine Dummheiten macht!« Wieso denn? wollte Halifax wissen, aber er schluckte es hinunter. Atlan hatte recht. Wer sagte ihnen denn, daß die Insassen der Jet so harmlos waren, wie sie sich den Anschein gaben? Andererseits zeigte der Rauchschweif, den sie hinter sich herzog, daß es sich um eine ernste Sache handelte. Eine mechanische Stimme meldete sich und machte darauf
aufmerksam, daß ein hochwertiger Löschroboter die SZ‐2 verlassen hatte und sich im Anflug auf die Jet befand, die am unteren Ende brannte, wo sich die Kraftwerksektoren befanden. Es wird ein Schuß in den Hangar gewesen sein, in dem sich der Shift befindet, überlegte Romeo Halifax. Er wollte sich damit beruhigen und sich einreden, daß drüben niemand in Lebensgefahr schwebte. »Weg hier, Kommandant«, murmelte er. Sfiewlliox lachte. »Nur keine Bange«, sagte er, während der Paratron‐Verband eine Kursänderung durchführte. »Wir verschieben unser eigentliches Ziel auf später!« Halifax fiel es wie Schuppen von den Augen, daß der Bordmutant tatsächlich vorhatte, in die ARSENALJYK einzudringen. Die Öffnung in der Korvette hatte sich längst geschlossen, aber ihre Lage war aufgezeichnet und würde bei zukünftigen Annäherungen nützlich sein. Der Verband ließ den Feuerkegel hinter sich, und die SZ‐2 schob sich langsam zwischen den Gegner und die kleine Jet, die ihren Kurs zum ungezählten Mal änderte und in den Raum hinausfloh, dabei aber jenen Bereich nicht verließ, in dem sich die Rest‐SOL aufhielt. Über den Helmfunk bekam Romeo Halifax undeutlich mit, daß in der Zentrale der SOL‐Zelle mit der Rest‐SOL konferiert wurde. Atlan hatte die Stimme erhoben und versuchte Hayes von etwas zu überzeugen. Da er in ein anderes Mikrophon sprach, war nicht alles verständlich, was er sagte. Ein greller Blitz blendete den Fremdrassenpsychologen in seinem Ein‐Mann‐Jäger, und er stöhnte unterdrückt auf. Er blinzelte und starrte zur Kanzel hinaus. Das Leuchten verschwand. Gleichzeitig heulte der Alarm auf. »Weg!« schrillte die Stimme des Bordmutanten. »Absetzen!« Halifax spürte, wie sein Jäger vibrierte und dann leicht taumelte. Er begriff, daß die Automatik sich ausgeschaltet hatte, und er krampfte die rechte Faust um den Steuerknüppel, den er die ganze
Zeit nicht losgelassen hatte. Der Jäger bockte und schlingerte und schoß seitlich davon. Der Paratronschirm war zusammengebrochen. Aus unerfindlichen Gründen hatte er seinen Geist aufgegeben. Hinter Halifax, im Heck des Jägers, lief sein Teilaggregat aus. Das Brummen verstummte. Romeo Halifax handelte. Er drückte den Jäger aus seiner bisherigen Bahn und versuchte, aus jener Flugebene zu kommen, die sich in der Nähe des unteren Pols der Korvette befand. Dort ragten die Geschütze auf, und die Wärmeortung zeigte sich deutlich. Noch immer verließen Strahlen die Mündungen und verfingen sich in den Staffelschirmen der SZ‐2. Aber es gab auch vereinzelte Strahlen, die hinaus in den freien Raum zuckten in jenen Bereich, in dem sich der Verband soeben aufgehalten hatte. Ein paar tausend Kilometer vor Halifax zuckte ein solcher Leuchtfinger durch das All. Er veranlaßte den Fremdrassenpsychologen zu einer sofortigen Kursänderung. Halifax versuchte, zunächst in den Schatten der SZ‐2 zu kommen, obwohl er auch dort nicht sicher war, solange die Schirme glühten und Energie reflektierten. Die Nähe der Rest‐SOL war schon besser, aber zwischen ihr und den Jägern gähnte der leere Raum, der ab und zu von Bahnen aus den Waffen der ARSENALJYK durchzogen wurde. Ein paar Piloten versuchten, den freien Raum hinter der ARSENALJYK zu gewinnen und den Schauplatz der Auseinandersetzung erst einmal zu verlassen. Halifax beschloß, sich ihnen anzuschließen. Er gehörte zu den vier Maschinen, die sich noch am nächsten am Gegner befanden. Vor sich hatte Halifax die Ortung eines anderen Jägers, kaum dreihundert Kilometer entfernt. Die Identifikationsanzeige wies ihn als den Kommandanten des Verbands aus. »Laß deine x‐Koordinaten auf der positiven Seite wachsen«, rief Halifax in sein Mikrophon. »Ich gehe mehr auf y‐positiv!« Der Bordmutant lachte, befolgte aber den Ratschlag sofort.
»Wir sehen uns später!« meinte er. Romeo Halifax sah über die Hyperortung die Energiebahn kommen und stieß einen Warnschrei aus. Dicht unter ihm raste der Schuß vorbei, und er hätte ihn getroffen, wenn er nicht sofort auf Höhe gegangen wäre. Sie haben uns in der Zieloptik! durchzuckte es ihn. Es ist aus! Er sah das Aufblitzen vor sich. Sfiewlliox hatte es nicht mehr geschafft. Sein Jäger war gestreift worden. Er taumelte steuerlos davon, und Halifax folgte ihm auf einem weiten Zickzackkurs. »Gregor!« hustete er in das Mikrophon. »Was ist? Wie sieht es aus?« Der Bordmutant gab keine Antwort. Auf dem Bildschirm schlingerte sein Jäger davon und begann langsam zu gieren. Er geriet in eine Rotationsbewegung, die seinen Flug stabilisierte und ihn erneut zu einem deutlichen Ziel für den Gegner werden ließ. »MAYDAY«, sagte Halifax. »Hört ihr uns?« Es knisterte und knatterte in seinem Empfänger. Die Verbindung zur SZ‐2 war gestört, aber von der Rest‐SOL kam Antwort. »Hier Hayes«, meldete sich der High Sideryt. »Wir kommen!« Es ist zu spät, dachte Halifax. Bis ihr da seid, ist es zu spät. Er achtete fein säuberlich auf das Wärmebild der ARSENALJYK. Gleichzeitig versuchte er, näher an den Jäger des Bordmutanten heranzukommen. Halifax konnte ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Wenn Sfiewlliox nicht antwortete, benötigte er Hilfe. Der Fremdrassenpsychologe merkte, wie ihm der leichte Raumanzug auf der Haut klebte. Er schwitzte, und in seinem Nacken rannen feine Bäche abwärts und riefen auf seinem Rücken eine Gänsehaut hervor. »Gregor!« rief er nochmals. Hinter sich wußte er die SZ‐2, die ein Energiegewitter entfesselte und Unmengen wichtiger Energien gegen den unverwundbaren Mantel der ARSENALJYK schleuderte.
Der Mantel war aus Jenseitsmaterie, wußte Halifax. Er beugte sich vor. Im Leuchtfeuer der Auseinandersetzung tauchte der Jäger des Bordmutanten vor ihm auf. Die Lichtblitze wurden von seiner Außenhülle reflektiert. Halifax schaltete zusätzlich einen Außenscheinwerfer ein. Der Leib des Ein‐Mann‐Jägers rotierte, aber er war nicht mehr vollständig. Ganz in der Nähe schwebten kleine Metalltrümmer umher. Halifax achtete jetzt nicht mehr auf das, was sich hinter seinem Rücken abspielte. In diesem Augenblick überantwortete er sich ganz dem Schicksal und dachte flüchtig daran, daß er verantwortungsbewußt gelebt hatte, wenn es Ormutz ihm auch nicht immer leicht gemacht hatte. »Ich verzeihe dir«, flüsterte er. Ein kaum wahrnehmbares Stöhnen drang an seine Ohren. Mit kleinen Schüben aus den Seitendüsen steuerte er den Jäger an das Wrack heran. »Gregor, ich bin da!« sagte er. Halifax ging längsseits und schaltete den HÜ‐Schirm seines Jägers ab. Der Bordmutant besaß in seiner Maschine keine Möglichkeit mehr, einen Schirm aufzubauen, denn dem Jäger fehlte ein Teil des Hecks. Runde, bauchige Behälter ragten heraus, es waren die Treibstofftanks, die heil geblieben waren. Sonst wäre von dem Jäger und seinem Piloten nicht viel übriggeblieben. Dann sah der Psychologe im Licht des Scheinwerfers die Kanzel. Sie war zersplittert oder weggerissen. Gregor Sfiewlliox hing in seinen Gurten, und der Oberkörper war nach vorn bis dicht über die Kontrollen gesunken. Romeo Halifax erschrak. Er erkannte, daß der Bordmutant einen Doppelhelm trug. Der Helm des leichten Einsatzanzugs war zersplittert, und ein heller Schlauch führte in den Mund des Mannes. Es war der Sauerstoffschlauch. Darüber trug Gregor einen zweiten Helm, den seines Einsatzanzugs. Dessen Scheibe war noch
ganz, aber Halifax glaubte ein paar Sprünge und Risse zu erkennen. »Kommandant!« schrie Romeo. »Hörst du mich?« »Halifax«, klang es kaum hörbar auf. »Du mußt mich heimbringen!« Heim in die SOL. Noch nie in seinem Leben hatte Romeo Halifax so konzentriert und schnell gehandelt. Er brachte seinen Jäger auf die Unterseite des Wracks und legte ihn »Bauch auf Bauch« zurecht. Dann schaltete er den Magnetfesselprojektor ein. Vorsichtig begann er zu beschleunigen. »Wo sind wir?« stöhnte der Bordmutant. Romeo erklärte es ihm. »Wir sind fast in Sicherheit!« sagte er. »Wir haben wieder Funkverbindung zur SZ‐2. Solania hat einen Kreuzer ausgeschleust, der die Space‐Jet und die Jäger aufnimmt!« Es dauerte über eine halbe Stunde, bis sie in dem Bereich angelangt waren, in dem der Kreuzer operierte. Er tat es im Schutz der mächtigen Kugel der SZ‐2, und mehrere Hangars standen offen. Romeo Halifax steuerte auf eine der Strukturlücken zu. Als ihn die Wandung des Hangars umfing, da überwältigte ihn ein Gefühl, als sei er neu geboren worden. »Wir sind im Kreuzer!« jubelte er. Er drehte seinen Jäger nach unten und bugsierte ihn vorsichtig mit Hilfe des Antigravs auf eine Halterung zu. Er setzte ihn provisorisch ab und ließ sich aus den Gurten rutschen. Er öffnete die Kanzel und stieg nach unten aus. Sofort war er von Solanern umringt, die ihm Beruhigungsmittel verabreichen wollten. Er winkte ab und deutete nach oben, wo das Wrack des anderen Jägers hing. Solaner waren dort beschäftigt, den Bordmutanten aus seinem Sitz zu heben und auf eine Antigravscheibe zu legen. Sie brachte ihn herab zum Boden und nahmen eine Infusion vor. Vorsichtig lösten die Mediziner den äußeren und dann den inneren Helm vom Kopf ab und entfernten die Splitter und den Schlauch.
Romeo Halifax sah das Blut im Gesicht Gregors und wandte sich ab. »Halifax«, murmelte der Verletzte. »Wir sind daheim!« 4. Auf Atlan wirkte das Ausschleusen der Space‐Jet wie ein Signal. Er schluckte. Der Gegner reagierte endlich sichtbar, aber sein Vorgehen ließ die Absicht nicht erkennen. Erste Funkanrufe gingen ein. Sie kamen von der Jet, die von Solanern gesteuert wurde. Sie riefen um Hilfe und bemühten sich, so schnell wie möglich aus der Reichweite der ARSENALJYK zu kommen. Angesichts der hektischen Entwicklung bedauerte Atlan es, daß er der Ausschleusung des Jäger‐Verbands zugestimmt hatte. Die Entscheidung des Verbandskommandanten jedoch führte ihm vor Augen, daß es doch von Vorteil war. Die Jäger schirmten die Jet erst einmal ab und ermöglichten es, daß sie, obwohl schwer angeschlagen, entkommen konnte. Noch immer gingen die Notrufe ein, und schließlich kam auch eine Bildverbindung zustande. Das verschwitzte Gesicht einer Solanerin erschien. »Atlan«, keuchte sie. »Beeilt euch. Sie werden uns umbringen!« Die SZ‐2 hatte sich längst in Bewegung gesetzt. Sie folgte den Jägern und verstärkte die Abwehr gegenüber der ARSENALJYK. »Wir sind dabei«, sagte der Arkonide, und Solania fügte hinzu: »Wir schleusen einen Kreuzer aus, der euch aufnimmt!« Sie gab die nötigen Anweisungen. Und dann geschah, womit in diesem Augenblick niemand rechnete. Plötzlich erlosch der Paratronschirm um den Jägerverband, obwohl er nach wie vor durch Strukturlücken in den Schirmen der SZ‐2 mit Energie versorgt wurde. Atlan warf sich nach vorn an die Kontrollen und ließ sich mit dem
Ingenieur verbinden, der die Aggregate eingebaut hatte. Der Solaner ließ den Kopf hängen. Er konnte mit dem besten Willen keine Auskunft geben, woran es lag. »Die Jäger sollen zurückkehren, damit ich sie untersuchen kann«, meinte er nur. Es war leichter gesagt als getan. Atlan beobachtete, wie die Maschinen auseinanderstoben und ihr Heil in der Flucht suchten. Es war direkt ein Wunder, daß es ihnen ohne Schwierigkeiten gelang und lediglich eine getroffen wurde. Über den Funk hörte er mit, daß es die Maschine des Bordmutanten war, der den Verband angeführt hatte. Halifax brachte ihn in den Kreuzer zurück, der inzwischen die anderen Jäger und die Space‐Jet aufgenommen hatte. Atlan setzte sich mit Hayes in Verbindung. »Das war Rettung in letzter Sekunde«, ließ sich der High Sideryt vernehmen. »Was tun wir jetzt?« Der Arkonide verspürte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Er zog die Augenbrauen zusammen und öffnete den Mund. »Ich halte es für eine Falle«, sagte er. »Die Space‐Jet ist eine Falle. Etwas stimmt nicht mit ihr!« »Auch ich habe an so etwas gedacht«, nickte Hayes. »Obgleich es mir unwahrscheinlich erscheint. Was hast du vor?« »Wenn du einverstanden bist, unterbricht die SZ‐2 alle Verbindungen zur Rest‐SOL mit Ausnahme der Funkverbindung«, erklärte Atlan. »Auch die Transmitter. Eine Ankopplung unterbleibt vorläufig.« »Du denkst an Mjailam«, stellte Breckcrown fest. »Daß er an Bord der Space‐Jet ist!« »An ihn und an Mylotta«, nickte Atlan. »Ich kann nur hoffen, daß ich mich irre.« Hayes war einverstanden, und Solania veranlaßte, daß die Verbindungen unterbrochen wurden und auch nicht manipuliert werden konnten. Damit war die SZ‐2 vorläufig isoliert.
Eine Strukturlücke öffnete sich, und der Kreuzer kehrte in seinen Hangar zurück. * Es waren zwei Solaner und zwei Solanerinnen. Sie gehörten zur Besatzung der BANANE unter Mata St. Felix. Sie verließen die Schleuse des Kreuzers und wurden sofort von bewaffneten Männern in Empfang genommen. Ein Roboter war dabei, und er rannte hin und her und gab die unterschiedlichsten Anweisungen, bis eine laute Stimme ihn zur Ordnung rief. »Blödel!« dröhnte Nockemanns Stimme auf. »Kannst du nicht ein einziges Mal dein Programm zügeln? Sofort begibst du dich zurück in das Labor!« Der Roboter zögerte, aber als er auf einem Wandbildschirm das grimmige Gesicht des Galakto‐Genetikers sah, folgte er seiner Aufforderung. Dennoch behielt er die Gruppe längere Zeit im Auge, da sie den Weg gingen, den auch er benutzte. Und später verfolgte er über Funk mit, wie sich alles entwickelte. Die vier Ankömmlinge wurden zunächst wie Gefangene behandelt. Man sperrte sie in einen ausbruchsicheren Raum und untersuchte sie medizinisch. Sie waren gesund und beteuerten, nicht mehr unter dem Einfluß der Penetranz und damit von Anti‐ES zu stehen. Atlan genügte das nicht. Er suchte die vier auf und unterhielt sich über zwei Stunden mit ihnen, ohne zu einem schlüssigen Ergebnis zu kommen. »Seid ihr mit einem Verhör einverstanden?« fragte er sie, doch sie lehnten es zuerst ab. Erst nach kurzer Beratung untereinander stimmten sie zu. Auch aus diesem Verhalten ließ sich kein eindeutiger Schluß ziehen.
Altan bedauerte es, daß er auf der SZ‐2 keinen Telepathen zur Verfügung hatte. Sternfeuer und Tyari waren im Mittelteil zurückgeblieben, und Breiskoll galt als verschollen. Es blieb ihnen nur die Möglichkeit, das Verhör mit technischen Mitteln durchzuführen. Atlan verständigte Hage Nockemann und brachte die vier Solaner in das Labor, das der Wissenschaftler für sich in Anspruch nahm. Blödel thronte wie ein König auf einem Postament und hielt mehrere Anschlüsse in den feinen Händen. »Wir machen das schon«, sagte er und schwebte zu Boden. Dann ging er auf seinen kurzen Beinen den Solanern entgegen. »Es tut nicht weh und bringt uns die Erkenntnisse, die wir brauchen!« »Blödel, halte dich zurück!« warnte Nockemann. Er kam aus dem hinteren Teil des Labors herbei. »Wir sind soweit. Das Verhör kann durchgeführt werden.« Die vier Gefangenen wurden auf bereitstehende Liegen gebettet, die Nockemann herbeigezaubert hatte, und an verschiedene Aggregate angeschlossen. Ein Hypnosedetektor rollte herbei, und Blödel steckte die Anschlüsse ein, während Nockemann vier Hauben auf die Köpfe der Männer und Frauen senkte. Zuletzt stöpselte sich Blödel den Hauptanschluß aller Geräte ein und starrte Nockemann aus seinem einen Auge an. Als bewegliche Hochleistungspositronik überwachte er das Geschehen. Nockemann schickte die Wächter der Gefangenen hinaus und gab Atlan ein Zeichen. »Du kannst dich dort drüben hinsetzen, wenn du dich ruhig verhältst«, meinte er, doch der Arkonide schüttelte den Kopf und ging ebenfalls hinaus. »Du findest mich in der Zentrale, sobald du etwas herausgefunden hast«, meinte er. In Gedanken versunken machte er sich auf den Rückweg zur Zentrale. Ununterbrochen suchte er nach einer Deutung der Ereignisse, doch sie gelang ihm nicht.
Atlan änderte sein Ziel und suchte den Hangar auf, in dem er die inzwischen aus dem Kreuzer ausgeschleuste Space‐Jet wußte. Er betrat sie und suchte sie nach Hinweisen ab. Er fand nichts und warf den Robotern, die starr in der Nähe der Schleuse standen, einen mißbilligenden Blick zu. Als er die Zentrale betrat, blickte ihm Solania fragend entgegen. Er schüttelte den Kopf. »Nichts«, sagte er. »Es macht den Eindruck, als sei unsere Vorsicht umsonst. Und dabei kann es doch nicht möglich sein, daß der Vorgang nichts zu bedeuten hat!« »Wir müssen das Untersuchungsergebnis von Nockemann abwarten«, stimmte Solania ihm zu. »Über die Ungeduld mancher Solaner hinweg!« Sie berichtete Atlan, daß sich Curie van Herling und Wajsto Kölsch dafür ausgesprochen hatten, die SZ‐2 baldmöglichst wieder anzukoppeln. Es bot sich an, denn die Angriffslust der ARSENALJYK ließ merklich nach. Nur vereinzelt jagten Strahlenbahnen durch den Raum und verfingen sich in den Schutzschirmen der beiden SOL‐Teile. »Anti‐ES ist ein heimtückischer Gegner, wir werden nicht vorschnell handeln!« Atlan ballte die Hände zu Fäusten. »Wir haben die Space‐Jet eingeschleust, jetzt ist der Gegner am Zug.« Als seien seine Worte ein Signal gewesen, heulte der Alarm auf und riß die Solaner aus ihrer Nachdenklichkeit. »Sabotage!« verkündete die Positronik. »Der Feind ist im Schiff!« * Medoroboter brachten die Antigravscheibe in die zentrale Medostation. Dort hoben sie den Verletzten herab und legten ihn in eine Wanne, die sich als Betteil einer komplexen Diagnosemaschinerie herausstellte. Ein Wandbildschirm erhellte
sich, und ein dumpfer Ton begann den Pulsschlag des Patienten wiederzugeben. Romeo Halifax war neben dem Eingang stehengeblieben. Er verfolgte die Vorgänge aufmerksam, und er blickte auf seinen Chronographen und zählte mit. Zweiundneunzig. Der Bordmutant hatte eine Pulsfrequenz von zweiundneunzig Schlägen pro Minute. Das war zuviel. Etwas zischte. Ein Tentakelarm erschien unter der Wanne und streckte sich nach oben. Er bestand an der Spitze aus einer Injektionsnadel, die sich zielsicher in die Armvene des Patienten bohrte. Er erhält ein Beruhigungsmittel, erkannte Halifax, während er zusah, wie sich zwei Solaner mit Unterstützung eines Roboters daran machten, das Gesicht des Bordmutanten zu säubern. Gregor stöhnte unterdrückt, aber ein paar Sekunden später zeigte der Bildschirm an, daß sich die Pulsfrequenz verlangsamte und unter den Normalwert absank. Sfiewlliox verlor das Bewußtsein und dämmerte in den Zustand der Narkose hinüber. »Sieben Splitter!« hörte der Fremdrassenpsychologe einen der Ärzte sagen. »Die Muskeln und Nerven sind teilweise durchtrennt!« Die Diagnosemaschine hatte in der Zwischenzeit ihre Untersuchungen abgeschlossen und projizierte das Ergebnis auf dem Schirm. Der Bordmutant hatte mehrere Rippenprellungen und Stauchungen der Wirbelsäule davongetragen. Mit Unterstützung entsprechender Medikamente war das in wenigen Tagen ausgeheilt. Wesentlich schlimmer waren die Gesichtsverletzungen, und hier untersuchten die Mediziner noch. Der Roboter nahm eine Infraabtastung vor und bezeichnete die genaue Lage bisher nicht entdeckter Splitter. »Der Verletzte hat eine Gehirnerschütterung erlitten«, sagte er mit seiner mechanischen Stimme. »Er ist nicht transportfähig!« Romeo Halifax trat ein paar Schritte näher, achtete jedoch darauf,
daß er den Ärzten nicht im Weg stand. »Gregor«, flüsterte er, »du kannst mich nicht hören. Aber ich will es dir dennoch sagen. Es hätte jeden von uns erwischen können. Und jeder hätte sich so wie ich verhalten. Ich möchte keinen Dank!« Es waren Überlegungen, die ihm seine Berufserfahrung eingab. Er sagte es, weil er wußte, daß der Bordmutant zwar narkotisiert war, sein Unterbewußtsein jedoch die Worte empfangen und speichern würde. Der Appell an den Dank und der Trost führten bei einem normal veranlagten Menschen dazu, daß sich seine aufgedrehten Nerven entspannten und sich das unsichtbar aufgestaute Energiepotential verteilte. Dadurch erhielt der Patient bessere Möglichkeiten für eine schnelle Genesung. »Ruhe!« zischte einer der Ärzte. »Was willst du überhaupt hier?« »Laß ihn«, meinte ein anderer. »Er hat ihn gerettet!« Sie richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Patienten und kommunizierten mit dem Roboter. »Wir operieren«, entschieden die Solaner dann. »Solange die Wunden noch frisch sind und die Trennstellen der Nervenfasern nicht abgestorben sind, besteht die Chance, daß sie wieder zusammenwachsen.« Eine Operation. Halifax zog sich wieder zur Tür zurück. Er wollte nicht dabei sein, sich jedoch in der Nähe halten. Es konnte nichts schaden, wenn Gregor aus der Narkose erwachte und ihn als ersten sah. Was würde Ormutz dazu sagen? Der Fremdrassenpsychologe wunderte sich, daß der würfelförmige Kollege nicht schon aufgetaucht war, um ihm Vorhaltungen über sein leichtsinniges Verhalten zu machen. Er würde ihn mit Schmähungen überhäufen und ihn tage‐ und wochenlang nicht damit in Ruhe lassen. Romeo Halifax hatte seine Pflicht vergessen und FR‐PSYCHO verlassen. Statt dessen hatte er sich zu einem lebensgefährlichen Unternehmen gemeldet. Halifax hörte es schon, wie Ormutz an seinem Verstand zweifelte
und diese Meinung überall verbreitete. Andererseits hatte die Stimme des Effremsers ziemlich weinerlich geklungen, als Halifax ihn allein zurückgelassen hatte. Aus dem Würfel sollte schlau werden, wer wollte. Romeo Halifax, der als einer der besten Fremdrassenpsychologen der SOL galt, war nicht dazu imstande. Nach etlichen Versuchen zu Beginn ihrer gemeinsamen Arbeit hatte er es aufgegeben. Halifax ertrug Ormutz meistens mit Engelsgeduld. Er hatte einen psychischen Schild um sich herum aufgebaut, der ihn vor dem Wahnsinn schützte. Und das Ziel der eigentlichen Auseinandersetzung verlieh dem Solaner zusätzlichen Mut. Die Sache mit Clonefritz Petersal war noch nicht abgeschlossen, und irgendwann würde Halifax seinen Kollegen zu einem öffentlichen Wettstreit herausfordern. Seiner Meinung nach trug Ormutzʹ Auffassung von der Behandlung eines künstlich geschaffenen Intelligenzwesens regelrecht rassistische Züge. Und das war widerwärtig und ekelhaft. »Es hilft alles nichts«, hörte Romeo den Medorobot sagen. »Das Auge kann nicht wiederhergestellt werden. Wir benötigen ein Transplantat!« Auf dem Korridor vor der Station klang das Stampfen metallener Füße auf. Es hörte sich an, als marschierte eine ganze Kolonne von Maschinen auf die Medostation zu. Halifax öffnete die Tür und spähte hinaus. Es waren Roboter, wie man sie auf der SOL überall fand, und er zog beruhigt den Kopf zurück und schloß die Tür. Ein Transplantat! durchzuckte es ihn. Dann hatte es Gregor Sfiewlliox schlimmer erwischt, als er gedacht hatte. Niedergeschlagen stand er da und überlegte, wo sie es hernehmen könnten. Gab es Organbanken im Schiff, denen man ein tiefgekühltes Auge entnehmen und einem Verwundeten einpflanzen konnte? Halifax wußte es nicht, und er kam auch nicht dazu, sich weiter
mit diesem Gedanken zu beschäftigen. Hinter ihm zerknitterte das Metall der Tür, und es gab einen dumpfen Schlag, als sie aus ihrer Führung sprang und kreischend zu Boden ging. Die Roboter kamen, und sie hatten ihre Waffenarme erhoben. Der Fremdrassenpsychologe brachte sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit. Er ahnte instinktiv, daß etwas nicht stimmte. Er wußte nicht, was es war, doch die Lage sah gefährlich aus. Er ging zu Boden, rollte sich ab und kam hinter einer Röntgenanlage zu liegen. »Vorsicht!« schrie er. Der Medoroboter hatte bereits reagiert. Er schirmte die Wanne mit dem Verletzten ab, die von den Ärzten rasch in den Hintergrund geschoben wurde. Ein paar Anschlußkabel schleiften über den Boden, strafften sich und zogen sich dann selbst aus den Buchsen heraus. In der Medostation brach die Hölle aus. Die Roboter, ungefähr ein Dutzend an der Zahl, verteilten sich polternd und nahmen mit ihren Strahlern alles unter Beschuß, was irgendwie nach Maschine oder Aggregat aussah. Der Medoroboter, der wehrlos und ohne Schutzschirm vor ihnen stand und den Rückzug der Menschen deckte, wurde mit einem einzigen Schuß von den Beinen gefegt. Mit einem singenden Geräusch landete er am Boden, und seine Beine bildeten einen Haufen dampfenden, verklumpten Metalls. Sie haben es auf die Einrichtung abgesehen, erkannte Romeo Halifax. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg und sein Reaktionsvermögen anstachelte. Er sprang aus seiner Deckung hervor hinter die Schutzwand einer Operationsmaschine, die wie ein riesiger Sarg für Ysteronen aussah. »Links der Schacht!« schrie er den Medizinern zu. »Die Öffnung ist groß genug!« Über ihm krachte es und zwang ihn zum Weiterhetzen. Er verließ die Deckung, während ein containergroßes Metallsegment zu Boden stürzte und die Operationsmaschine unter sich begrub. Energieblitze zuckten auf, und in das immer lauter werdenden Wimmern der Sirenen und das Surren eintreffender Löschrobots
mischte sich das Krachen der Explosionen. Drüben glühte die Ummantelung der Röntgenanlage auf und löste einen zusätzlichen Alarm aus. »Der Kobaltstrahler!« schrie Halifax. »Weg hier!« Er begriff, daß es um Sekundenbruchteile ging, wenn er nicht sein Leben verlieren wollte. Die erste Hitzewelle breitete sich in der Medostation aus und trieb ihn vor sich her. Er erreichte die Trennwand zum Nebenraum und hieb gegen die Automatik des Versorgungs‐ und Abfallschachts. Die Klappe öffnete sich, und Halifax schwang sich hinein. Er spürte trügerischen Boden unter sich, der jeden Augenblick verschwinden und ihn in eine tödliche Zerkleinerungsmaschinerie hinabfallen lassen konnte. Wenn es der Automatik einfiel, auf die starke Gewichtsbelastung zu reagieren, war alles zu spät. Irgendwie fand der Fremdrassenpsychologe in der Dämmernis des Schachtes den Blockierungshebel, und er legte ihn aufatmend um. Die beiden Mediziner schoben die Wanne herbei und lösten ein paar schmorende Kabel von ihr. Die Wanne hatte sich erhitzt, und Spuren zeigten, daß sie einen Streifschuß abbekommen hatte. Die Gesichter der beiden Ärzte waren mit Ruß bedeckt, einer blutete an der Hand. »Schnell!« ächzten sie. Halifax hatte bereits die gegenüberliegende Klappe des Schachtes geöffnet. Sie führte in einen Außenbezirk der Medostation, der manchmal in der Vergangenheit als Isolierstation gedient hatte, wenn fremdartige Krankheiten an Bord aufgetaucht waren. Zu dritt bugsierten sie die Wanne hinüber, und Halifax verschloß den Fluchtweg sorgfältig. »Was ist mit dem übrigen Personal?« fragte er leise. »Es hat den Hinterausgang benutzt. Dort sind keine Roboter aufgetaucht!« Halifax hatte noch gesehen, wie der Hinterausgang durch herabstürzende Trümmer verschüttet worden war.
»Roboter von der SOL«, schnaufte er erregt. »Aus unserem eigenen Schiff! Wir müssen sofort die Zentrale verständigen!« »Erst mal hier raus!« sagte einer der Mediziner. »Das Leben des Patienten steht auf dem Spiel!« Sie fuhren die Wanne durch mehrere Räume, bis sie zu einem kleinen Lastenantigrav kamen, der in die Etage über ihnen führte. Sie benutzten ihn und gelangten in einen Bereich, in dem es völlig ruhig war mit Ausnahme der Sirenen und der roten Warnlampen, die in Betrieb waren. »Achtung, hier spricht Solania!« klang es aus versteckt angebrachten Lautsprechern. »An mehreren Stellen in der SZ‐2 ist es zu unerklärlichen Vorfällen mit Robotern gekommen. Verlaßt nach Möglichkeit eure Wohnbereiche nicht und richtet euch nach den Anweisungen, die über Lautsprecher gegeben werden. Wir haben eigene Robotergruppen in Marsch gesetzt, die für Ordnung sorgen. Ende!« Romeo Halifax stieß die Luft zwischen den Zähnen durch. Er beschleunigte seinen Gang und zog die Wanne mit sich. Das Kontrollicht des Antigravaggregats des Behälters flackerte und zeigte Ausfälle an. Die Wanne ruckte hin und her. »Wir sehen zu, daß wir in den Zentralbereich kommen«, sagte er. »Dort sind wir am sichersten!« Die beiden Mediziner nickten hastig und folgten ihm dichtauf. Immer wieder blickten sie sich ängstlich um, doch von den angreifenden Maschinen war nichts zu sehen. Sie hielten sich wohl noch in der Medostation in der Hauptebene auf. »Warum?« wollte einer der Mediziner wissen. »Warum verwüsten sie die Station, wo sie doch so wichtig ist!« Halifax antwortete nicht. Er starrte auf Sfiewlliox, der sich kaum merklich bewegte. Der Verletzte erwachte aus der Narkose und fuhr mit einer Hand zum Kopf. Halifax ergriff sie und zog sie nach unten. Er drückte sie fest. »Wir sind da, Gregor«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung!«
»Ich sehe nichts«, hauchte der Verwundete. »Meine SOL!« ächzte Halifax: Seine Lippen bewegten sich dazu, aber es kam kein Laut über seine Lippen. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. * Hage Nockemann zwirbelte die Enden seines Schnauzbarts und blickte nachdenklich auf die Enzephalogramme, die Blödel aufzeichnete. Der Galakto‐Genetiker stand leicht gebückt da, und seine faltige Haut ließ ihn viel älter erscheinen, als er war. Er trug einen fleckigen, zerrissenen Kaftan, den er großspurig Labormantel nannte. Die langen, grauen Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Jetzt zeigten die Aufzeichnungen einen winzigen, kaum wahrnehmbaren Ausschlag. Sofort richtete der Wissenschaftler sich auf. »Blödel«, sagte er, »dieser Ausschlag deutet auf eine Spur hin. Auch auf die Gefahr hin, daß wir uns irren, folgen wir dieser Spur!« »Jawohl, Chef, schon dabei«, erwiderte der Roboter, und Nockemann wandte sich den vier Solanern zu, die auf den Liegen ruhten. Sie hielten die Augen geschlossen und standen ganz im Bann des Hypnoverhörs. Zumindest erweckten sie diesen Anschein. Ganz sicher war sich der Wissenschaftler nicht, ob die Hypnose wirkte oder ob die Solaner unter einem fremden Einfluß standen und es nur vortäuschten. Die bisherigen Untersuchungen hatten keinen Hinweis ergeben, und der Galakto‐Genetiker hatte mit dem Gedanken gespielt, Atlan zu beruhigen und seine Vorbehalte auszuräumen. Jetzt gab es diesen Ausschlag, und Blödel fuhr fort: »Es scheint ein Anzeichen für erhöhtes Energiepotential zu sein, das gut getarnt ist und nur bei längerer Beobachtung zu Tage tritt. Ich werte aus.«
Prüfend überflog Nockemann die komplizierte Versuchseinrichtung. Längst hatten sie nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, und der Wissenschaftler spielte mit dem Gedanken, eine neuronische Anzapfung der Großhirnrinde vorzunehmen, um sich endgültig Gewißheit zu verschaffen. Schweigend verfolgte er Blödels Untersuchungen, und eine Viertelstunde später sagte der Roboter: »Es gibt keinen Zweifel, Chef. Entgegen ihren Beteuerungen stehen die vier Solaner unter einen tiefenhypnotischen Bann, der nur von der Penetranz verursacht worden sein kann. Wir haben die Wurzel dieses Hypnoblocks entdeckt.« »Können wir ihn lösen?« fragte Nockemann nachdenklich. Blödel beugte seinen schmalen Körper so weit vor, daß es den Anschein hatte, als kippte er jeden Moment um. »Wir werden es versuchen. Es ist wie beim Zahnarzt. Hält er erst einmal die Wurzel gepackt, stehen die Chance gut, daß er den Zahn vollkommen herausreißen kann!« Nockemann mußte bei diesem altertümlichen Vergleich lachen, doch er wurde übergangslos wieder ernst. »Beeilung«, meinte er. »Atlan wird ungeduldig, und er braucht ein Ergebnis. Wir alle brauchen es!« Ohne Klarheit über den Zustand der vier Solaner gab es kein Weiterkommen. Nach wie vor war man mißtrauisch, was das Manöver der ARSENALJYK und die Flucht der Space‐Jet zu bedeuten hatten. Die vier Solaner aus der BANANE würden Auskunft geben können, wenn ihr Hypnoblock erst gelöst war. Bisher hatten sie beteuert, völlig in Ordnung zu sein. Atlans Mißtrauen bestätigte sich jetzt. Der Galakto‐Genetiker aktivierte eine zusätzliche Hypnosonde. Das kopfgroße Gerät schwebte herbei und verharrte über den Köpfen der vier Solaner, die unter ihren Hauben lagen. Nockemann gab Blödel einen Wink, und der Roboter aktivierte die Energiezufuhr für das Gerät. Unsichtbare Ströme flossen über und
konzentrierten sich in der Sonde. Dort wurden sie halbiert, verstärkt und an die Hauben abgestrahlt. Medizinisch war das Verfahren nicht ganz ungefährlich. Der Kreislauf der Betroffenen wurde belastet, und es wirkte sich auf den Pulsschlag und die Atemfrequenz aus. Die Gesichter der vier Solaner röteten sich leicht. Nockemann trat dicht an die Liegen heran. »Welchen Auftrag hat euch die Penetranz erteilt?« fragte er. Der am nächsten Liegende gab Antwort. »Wir haben keinen Auftrag, wir sind aus der ARSENALJYK geflohen und gerettet worden. Jetzt sind wir in der SOL, unserer Heimat, und werden untersucht!« »Wann habt ihr den Arsenalplaneten verlassen?« »Das liegt etwas sechs Stunden zurück!« »Wie sieht die Penetranz aus?« »Sie ist ein eiförmiger Körper!« »Welche Befehle erteilt sie gewöhnlich?« »Sie gibt alle möglichen Befehle. Sie gibt uns Aufträge, wenn wir uns unter ihrem Mentalzwang befinden.« »Welchen Auftrag hat sie euch jetzt erteilt?« »Keinen. Wir unterliegen nicht ihrem Mentalzwang.« Nockemann schwieg und dachte nach. Blödel klopfte ihm auf die Schulter. »Weiterfragen, Chef. Ich bin der Quelle auf der Spur.« Er meinte das Zentrum des Hypnoblocks. »Warum seid ihr vom Arsenalplaneten aufgebrochen?« fragte der Galakto‐Genetiker weiter. Er hatte die Liegen umrundet und stand nun neben einer Frau, die ihm bereitwillig antwortete. »Um zur SOL zu fliegen.« »Worin bestand euer Auftrag?« »Wir hatten keinen Auftrag. Wir sind geflohen!« »Was war vor dem Auftrag?« »Der Arsenalplanet. Wir sind von dort …« Die Frau stockte kurz
und fuhr dann fort: »Wir sind aufgebrochen, um zu fliehen. Wir sind zur SOL geflohen!« »Die Penetranz hat euch fliehen lassen?« »Sie hat es nicht gemerkt!« »Aber die Penetranz kontrolliert das Arsenal über viele Lichtjahre hinweg vom Arsenalplaneten aus!« »Ja. Aber wir sind nicht das …« Wieder schwieg die Frau, und diesmal setzte sie den unterbrochenen Satz nicht fort. Blödel schwieg, und das leise Summen der Geräte veränderte sich nicht. »Du bist die Penetranz«, sagte Hage Nockemann unvermittelt und bewies damit ein nicht geringes psychologisches Geschick. »Du gibst die Befehle!« »Ich bin die Pene …«, begann die Frau. »Nein, ich bin Freda Ougor!« Sie schrie es hinaus, und ihr Körper bäumte sich auf. »Ich bin geflohen. Wir alle sind geflohen!« Das Brummen der Hypnosonde nahm zu. Blödel steuerte sie und sandte Energien in die Köpfe der vier Solaner. Alle vier fingen zu zittern an, und Nockemann rief beschwörend: »Ihr seid entlarvt. Ihr seid Verräter! Jeder von euch ist die Penetranz! Ihr seid die Manifestation von Anti‐ES!« Auf den Gesichtern der Solaner bildete sich Schweiß. Sie trugen einen innerlichen Kampf aus, und die Hypnosonde peinigte sie mit verstärkten Impulsen dessen, was Nockemann gesagt hatte. Ohne den Einfluß von Drogen, nur mit Hilfe mechanischer Apparaturen, versuchte das Scientologenteam, den tief verankerten Hypnoblock zu lösen, den sie nur durch Zufall und Geduld gefunden hatten. »Ihr seid die Penetranz!« wiederholte der Galakto‐Genetiker. Die vier Körper erschlafften plötzlich. Ihre Pulsfrequenz sank, und ihr Atem ging ruhiger. Die Hypnosonde schwebte zur Seite und kehrte in die für sie vorgesehene Halterung zurück. »Es ist geschafft«, summte Blödel und löste die ersten Kontakte von seinem Körper. Am unteren Ende des Ofenrohrs öffnete sich
eine Klappe, und der Bakwer Wuschel sauste heraus und rannte kurz und quer durch das Labor. »Es ist geschafft!« piepste er Blödels Worte nach. Der Hypnoblock war zerbrochen, die vier Solaner waren frei. Nockemann schritt zum Ausgang und fand ihn verriegelt. Ein rotes Licht wies darauf hin, daß die positronische Sicherung eingerastet war. Entrüstet drehte er sich um. »Atlan muß informiert werden!« sagte er vorwurfsvoll. »Er muß sofort von der SZ‐2 in den Mittelteil wechseln. Die Gefahr ist vorbei!« »Du wirst dich mit dem Interkom begnügen müssen«, erwiderte der Roboter und kraulte die grünen Haare seines »Kinnbarts«. »Es ist seit einer halben Stunde Alarm. Roboter haben in der SZ‐2 angegriffen und Verwüstungen angerichtet. Sie konnten vernichtet werden, aber der Alarm besteht noch!« »Warum hast du mir nichts gesagt?« brauste Nockemann auf. »Unsere Arbeit durfte nicht gestört werden, Chef. Deshalb habe ich schweigend die Tür verriegelt. Es hätte ja sein können, daß die Roboter bis hierher …« Nockemann hörte nicht mehr hin. Er war an den Interkom getreten. Er ließ sich eine Verbindung mit der Hauptzentrale im Mittelteil geben und gleichzeitig eine Verbindung mit der Zentrale der SZ‐2 schaffen, in der er sich befand. 5. Es lag etwas in der Luft. Alle spürten es. Gebannt starrten sie auf den Schirm, der die ARSENALJYK zeigte. Die Korvette hing draußen im All, und sie trieb hin und her. Es sah aus, als seien sich die Insassen unschlüssig über ihr weiteres Vorgehen. Atlan wußte, das dieses unverwundbare Schiff eine gefährliche Bedrohung war. Es bildete ein Machtinstrument in den Händen von
Anti‐ES, das nicht unterschätzt werden durfte. Das war der Hauptgrund, warum der Arkonide sich beharrlich weigerte, mit der SOL‐Zelle näher an das übrige Schiff heranzugehen oder gar Kontakte zu erlauben. Die Transmitter waren nach wie vor blockiert, und kein Beiboot verließ einen Hangar. Nur die Buhrlos nahmen ihre Gewohnheiten auf, sobald es möglich war. Und es war möglich. Die ARSENALJYK nahm plötzlich Fahrt auf. Sie driftete aus der unmittelbaren Nähe der SZ‐2 davon und raste in den Raum hinaus. Die Orter der SOL verfolgten sie und stellten fest, daß sie sich in einer sieben Lichtjahre entfernten Sonne verbarg, in deren äußeren Schichten sie nach wie vor anzumessen war. Dort blieb sie und rührte sich nicht. Die Bedrohung durch einen äußeren Angriff war also verschwunden. »Wir können den Alarm aufheben«, sagte Solania zu Atlan. »Es ist der Penetranz gelungen, mit der Space‐Jet Roboter einzuschleusen, die in ihrem Sinn programmiert waren. Die Roboter sind vernichtet, und die Sache mit den vier Solanern wird sich auch klären, davon bin ich überzeugt!« Atlan musterte die Solanerin. Er versuchte zu ergründen, ob die Kommandantin der SZ‐2 dachte, was sie sagte, oder ob sie lediglich einen von mehreren Gedanken äußerte. Er konnte es nicht erkennen und ließ ein wenig die Schultern sinken. Die roten Augen flackerten unruhig, und er wünschte sich, daß ihm eine Telepathin zur Verfügung stehen würde. Noch hatte sich die ARSENALJYK nicht völlig zurückgezogen, und die beiden SOL‐Teile verharrten nach wie vor im Schutz ihrer Staffelschirme. Die Angst vor Mjailam und Mylotta war zu groß, die Erfahrung mit ihnen zu frisch, als daß die Solaner leichtsinnig geworden wären. Die ARSENALJYK wartet auf etwas, meldete sich Atlans Extrasinn. Es kann die ARSENALJYK II sein, aber auch eine Entwicklung hier bei uns.
Atlan war einer Meinung mit seinem Logiksektor. Er glaubte auch, daß diese Entwicklung mit den vier Solanern zusammenhing, um die Hage Nockemann sich kümmerte. Noch war keine Meldung des Galakto‐Genetikers eingetroffen, und der Arkonide trug sich mit dem Gedanken, Nockemann entgegen der Abmachung aufzusuchen. Es kam ein Anruf von Hayes. Der High Sideryt blickte Atlan fragend an, doch der Arkonide schüttelte den Kopf. »Wir unternehmen nichts«, sagte er. »Ich bin gegen die Freigabe des Lasten‐ und Personenverkehrs zwischen den beiden Schiffsteilen. Lediglich eine Bitte habe ich, Breck.« »Sprich!« sagte Hayes. »Schicke mir Sternfeuer herüber. Achte darauf, daß der Transmitter nur einseitig gepolt und sofort wieder abgeschaltet wird. Dann kann nichts schiefgehen!« »Du glaubst immer noch an eine Bedrohung?« wollte Hayes wissen. »Die vier Gefangenen?« Atlan nickte. »Im Grunde glaubst du doch auch daran!« stellte er fest. »Ja. Ich kann es nur keinem begreiflich machen. Du weißt selbst, das es keine logische Begründung dafür gibt, die SOL weiter in zwei Teilen zu belassen.« »Ich informiere dich, sobald Nockemann die Untersuchung beendet hat«, sagte Atlan und unterbrach die Verbindung wieder. Auf anderen Kanälen gab es weiterhin einen Kontakt mit der Hauptzentrale im Mittelteil, wo man den Roboteralarm längst wieder aufgehoben hatte. Solania tat dies nun auch für die SZ‐2, und der Arkonide verfolgte mit gerunzelter Stirn, wie sie sich zum Ausgang wandte und irgendwo draußen verschwand. Gleichzeitig meldete sich Nockemann und berichtete von seinem Erfolg. Atlan bat ihn, die vier Solaner in die Zentrale zu bringen. Wenige Minuten später stand er ihnen gegenüber. Die Männer und Frauen machten einen ausgeruhten Eindruck. Es
waren ihnen keine Folgen der Hypnoverhörs anzusehen. Sie traten auf ihn zu und gaben ihm die Hand. »Es ist ausgestanden«, meinten sie. »Danke, daß du so umsichtig reagiert hast!« Blödel rannte herein, gefolgt von dem Galakto‐Genetiker. »Es war einfach, den Hypnoblock zu lösen. Es hat wunderbar geklappt«, säuselte er. »Wieder einmal hat das Scientologenteam der SOL die Existenz gerettet!« »Das mußt du erst einmal beweisen«, lächelte Nockemann und schlug dem Ofenrohr auf die Verkleidung, daß es dröhnte. »Worin soll denn die große Gefahr bestanden haben?« »Das können wir dir sagen«, meinten die vier Solaner. »Die Penetranz hat uns auf den Weg geschickt, um die SOL anzugreifen und gleichzeitig ein Ablenkungsmanöver zu vollführen. Sie rechnete damit, daß wir in die SOL gelangen und dort ähnlich wie die Roboter schwere Verwüstungen anrichten würden. Die Solaner sollten einen Zweifrontenkrieg nach innen und nach außen führen und so zermürbt werden. Darin bestand die Gefahr. Sie ist durch Nockemanns Eingreifen gebannt worden. Das wird auch der Grund sein, warum sich die ARSENALJYK zurückgezogen hat. Sie wartet auf weitere Anweisungen.« Es klang plausibel, und die Anwesenden atmeten unwillkürlich auf. Das meiste war also geschafft, der Plan der Penetranz vereitelt. Es war ein kleiner Erfolg, aber er konnte sich langfristig entscheidend auswirken. Dann, wenn es endgültig um die Entscheidung ging. »Ihr stammt aus dem Mittelteil«, sagte Atlan. »Ihr könnt noch nicht dorthin zurück, denn die Trennung zwischen den beiden Schiffsteilen bleibt vorerst bestehen. Die ARSENALJYK hat das Feld nicht völlig geräumt. Sie wartet ab.« Die Stabsspezialisten und der High Sideryt verfolgten vom Mittelteil aus die Unterhaltung über eine Konferenzschaltung. Auch Wajsto Kölsch in der SZ‐1 meldete sich.
»Übertreibst du es nicht ein wenig mit deiner Vorsicht, Atlan?« fragte er. »Es hört sich fast so an, als stündest du selbst unter dem Bann von Anti‐ES. Deine Absicht ist nicht begründet genug. Es tut sich nichts mehr in der SOL und der SZ‐2, und es wird sich auch in absehbarer Zeit nichts tun. Koppelt endlich an!« »Breck!« Atlan wandte sich an den High Sideryt. »Versuche ihm zu erklären, warum der Angriff der ARSENALJYK I noch nicht abgeschlossen ist. Wir beseitigen die Schäden, die hier entstanden sind, aber sonst ändert sich nichts.« »Aber sobald der Gegner endgültig verschwunden ist, tut sich doch etwas!« rief Kölsch. »Warum sollte unsere Heimat länger als nötig getrennt bleiben!« Atlan mußte um die Problematik, die das Ganze in sich trug. Die Solaner waren zu eng mit ihrem Schiff verwachsen, als daß sie eine Trennung über längere Zeit in Kauf genommen hätten. Was wäre, wenn eines Tages ein Teil des Schiffes vernichtet würde oder verlorenging? fragte der Arkonide sich. Würde es dann zu einem Chaos und zu unberechenbaren Reaktionen der Solaner kommen? Bisher hatten sie sich bemüht, alles zu vermeiden, was zu einer längeren Trennung eines Schiffsteils vom Rest führen konnte. Und auch jetzt handelte es sich lediglich um ein paar Stunden. Die Unruhe und Ungeduld, die von Kölsch und anderen gezeigt wurde, die konnte lediglich auf die starke nervliche Belastung in der letzten Zeit zurückgeführt werden. Oder gab es etwas anderes? Hatte etwas Einfluß auf die Solaner? Ganz kurz geisterte der Gedanke an eine unsichtbare ARSENALJYK II durch Atlans Gedanken, aber sofort meldete sich der Extrasinn. Du gehst in die Irre. Bleibe sachlich und realistisch! »Selbstverständlich bleibt die SZ‐2 keine Sekunde länger abgekoppelt als nötig«, versicherte Atlan Wajsto Kölsch. »Aber deine Ungeduld ist unnötig! Oder stehst du unter einem
hypnotischen Bann wie die vier Solaner? Verfolgst du fremde Ziele?« Kölsch verneinte stumm und blendete sich aus. Er gab sich für den Augenblick geschlagen, aber das Glühen seiner Augen hatte genug verraten. Kölsch war nicht mit Atlans Taktik einverstanden, und er würde alles tun, um sein Ziel zu erreichen. Der Transmitterbogen leuchtete auf und entließ Sternfeuer. Die junge Frau orientierte sich kurz und kam mit wiegenden Schritten auf Atlan zu, während der Transmitter wieder blockiert wurde. »Grüße von Tyari an dich, Arkonide«, lächelte sie. »Was macht Tyari? Wie geht es ihr?« wollte Atlan wissen. »Sie kümmert sich um Ticker, der sehr unruhig ist, seit der Kreuzer in die SZ‐2 zurückgekehrt ist«, erwiderte Sternfeuer. »Sind das die vier?« Sie deutete mit dem Kopf auf die Solaner. »Ja«, meinte der Arkonide und beobachtete, wie Sternfeuers Körper erstarrte und sie die Augen schloß. Sie konzentrierte sich. Unsichtbare psionische Ströme entstanden zwischen ihr und den vier Flüchtlingen. Sternfeuer prüfte sie. Nach einer Minute etwa öffnete die junge Frau die Augen. »Nichts«, sagte sie. »Sie denken das, was sie sagen. Es sind keine Rückstände irgendeines Hypnoblocks vorhanden!« »Dann ist also alles gut«, meinte Solania erleichtert. »Worauf warten wir?« »Nichts ist gut«, stieß Atlan hervor. »Vergiß Ticker nicht. Der Vogel vom Arsenalplaneten ist nur dann unruhig, wenn er etwas Feindliches verspürt. Die Penetranz und die Mitglieder des Arsenals sind seine Feinde und die der Natur des Arsenalplaneten. Der tierische Instinkt ist in einem solchen Fall höher zu bewerten als der verkümmerte Instinkt des Menschen!« »Du hältst Ticker für absolut loyal!« stellte Solania befremdend fest. »Er ist kein Solaner und auch kein Extra, der an Bord lebt. Die SOL und ihre Bewohner können ihm doch egal sein!«
Atlans Augen schickten der Kommandantin böse Blicke zu. Solania verstand es nicht oder wollte es nicht verstehen, daß Ticker solange auf ihrer Seite war, wie er sich von ihnen eine Befreiung des Arsenalplaneten versprach. Er war nicht irgendein Tier, er war der Beauftragte der Fauna und Flora eines ganzen Planeten, die ihren Gemeinschaftsinstinkt in ihn hineingelegt hatte, damit er in ihrem Sinn aktiv wurde. Ticker war absolut loyal, solange es um Anti‐ES, die Penetranz und das Arsenal ging. »Breck hat Verständnis für meine Ansicht«, sagte Atlan eindringlich. »Es bleibt dabei, daß wir vorläufig nicht ankoppeln. Nicht, solange Ticker die Nähe von Arsenalmitgliedern spürt!« Er wollte auch die vier Solaner heimlich überwachen lassen. Trotz Sternfeuers Versicherung nagten Zweifel in ihm. Der Grund dafür ist in der Dürftigkeit der Vorgänge zu suchen, sagte der Extrasinn. Der Anschlag der Roboter sowie die relativ leichte Beseitigung des Hypnoblocks sind zu wenig, als daß man es für gezielte Maßnahmen von Anti‐ES halten könnte. Und die ARSENALJYK wartet noch immer! Das war es. Es bestand ein Mißverhältnis zwischen dem, womit Anti‐ES bisher aufgewartet hatte, und dem, was sie jetzt erlebten. Das mußte sofort mißtrauisch machen. Atlan rief Breckcrown Hayes an und teilte ihm diese Gedanken mit. Der High Sideryt machte gerade kein glückliches Gesicht, aber schließlich gab er ihm recht. Atlan hoffte, daß es nicht zu wenig war, um seinen Verdacht zu bestätigen. Er mußte dafür sorgen, daß der Gegner, wenn er in der Nähe war, bald losschlug und sich zeigte, solange die SZ‐2 frei im Raum schwebte. »Sternfeuer«, sagte er, »du bleibst in meiner Nähe. Eine Rückkehr in den Mittelteil ist nicht möglich!«
* Zwei Stunden später löste sich die ARSENALJYK I aus dem Schutz der Sonne. Sie beschleunigte und verschwand im Linearraum, und es gab niemanden in den drei Zentralen der SOL, der das nicht bemerkt hätte. Fast augenblicklich wurde die SZ‐2 in ein Bad aus Funkwellen getaucht, und die Anrufe reichten von Kölsch bis hinab zu einfachen Solanern, die ein paar besonders Vorwitzige mobilisiert hatten. »Jetzt kannst du nicht mehr anders«, sagte Solania von Terra, die offensichtlich auch nicht Atlans Meinung war. »Es wird sich ja zeigen, ob der Vogel reagiert. Vielleicht unterschätzen wir ihn, und er beruhigt sich, sobald wir angekoppelt haben!« »Nein«, entgegnete der Arkonide hart. »Wir warten!« Er machte sich auf und beschattete die vier Solaner. Sie hatten eine Kantine ganz in der Nähe der Zentrale aufgesucht, wo sie sich erst einmal stärkten. Sie unterhielten sich ganz unbefangen mit anderen Schiffsangehörigen darüber, daß sie gern in ihren eigentlichen Wohnbereich im Mittelteil überwechseln wollten. Nur Atlan war dagegen, und sie äußerten ihren Unmut darüber, daß Hayes und Solania auf den Arkoniden Rücksicht nahmen. »Überhaupt hätten wir die Schwierigkeiten mit Anti‐ES nicht, wenn es ihn nicht gäbe«, meinten sie. Es gelang ihnen teilweise, die Solaner damit zu überzeugen. »Was sollen wir tun?« wurden sie gefragt. Darauf wußten die vier auch keine Antwort. Zumindest gaben sie sie nicht. Atlan entfernte sich, bis er außer Sichtweite war. Er wartete ab, und als die vier die Kantine verließen, folgte er ihnen. Sie wanderten ein wenig umher und unterhielten sich mit den ihnen begegnenden Männern und Frauen. Mehr taten sie nicht. Sie suchten keine Räume oder Zonen mit wichtigen technischen Einrichtungen auf und taten auch sonst nichts, was den Verdacht des Arkoniden erregt hätte. Sicherlich war es möglich, daß sie mit einer heimlichen
Überwachung rechneten und sich vorsahen, aber soviel Zeit hatte Atlan auch wieder nicht, daß er ihnen stundenlang hinterherlief, um sich Gewißheit zu verschaffen. Irgendwann kehrte er in die Zentrale der SZ‐2 zurück. Schon an den Blicken bemerkte er, daß sein Verhalten keinen Beifall fand. Die Solaner maßen ihn mit abschätzenden bis grimmigen Blicken, und sie machten keinen Hehl daraus, daß ihnen seine Anwesenheit unangenehm war. »Der High Sideryt will dich sprechen!« sagte Solania ernst. »Er ist ziemlich aufgeregt!« Atlan blickte zum Bildschirm, von dem ihm Breck entgegensah. »Du hast Schwierigkeiten«, stellte er fest. »Was gibt es?« »Es sind nicht nur Schwierigkeiten«, sagte Hayes zerknirscht. »Ich stehe hier unter dem Druck aller Verantwortlichen. Der Gegner hat sich zurückgezogen, und der Sinn des Abkopplungsmanövers ist dahin. Wir können also die SOL wieder vereinigen.« »Gib mir noch drei, vier Stunden!« rief Atlan. »Ich hoffe, das reicht, um mein Mißtrauen bestätigt zu sehen! Was macht Ticker?« »Du weißt es doch«, sagte Hayes. Er wirkte plötzlich müde. »Ticker ist unruhig und kaum zu halten. Du hast ja recht mit deiner Argumentation, aber es steckt nicht viel Überzeugungskraft dahinter!« Du mußt in den Mittelteil, meldete sich der Logiksektor. Durch deine körperliche Anwesenheit bist du überzeugender! »Ich kann nicht mehr als euch ins Gewissen reden«, sagte Atlan. »Laß uns ankoppeln!« drängte Hayes. Atlan schluckte hörbar. Er wurde bleich, und seine Gestalt versteifte sich. »Du weißt, daß es ein Fehler ist, aber du bist der High Sideryt«, sagte er. »Deine Entscheidung wird auch von mir akzeptiert. Aber du wirst feststellen müssen, daß ich recht behalte und einen Fehler vermeiden will. Du willst diesen Fehler jetzt begehen, und ich kann dich nicht zurückhalten!«
»Ich weiß, welche Verantwortung auf mir lastet«, entgegnete Hayes. »Du brauchst es mir nicht zu sagen! Gib mir jetzt Solania!« »Ich werde sofort veranlassen, daß das Kopplungsmanöver eingeleitet wird«, erhob die Kommandantin ihre Stimme. Sie war neben Atlan getreten. »Von mir aus können wir ja die Transmitter blockiert lassen bis auf einen!« »Das ist Unsinn!« fuhr Atlan dazwischen. »Alle oder keinen. Wozu brauchst du eine Transmitterverbindung?« »Draußen warten zwei Mediziner. Sie haben einen Verletzten und noch einen Begleiter bei sich: Sie sagen, daß sie nicht länger warten können. Sie müssen ein Auge transplantieren. Da die Medostation in unserer SOL‐Zelle zerstört ist, müssen sie in den Mittelteil oder die SZ‐1!« Nehmt die SZ‐1 und koppelt sie vorher ab! wollte Atlan rufen, aber da sagte Hayes bereits: »Es ist gut. Die Gesundheit eines Solaners geht vor. Ich gebe einen Transmitter frei!« Atlan knirschte mit den Zähnen und eilte aus der Zentrale hinaus. Draußen erblickte er eine Gruppe aus drei Männern mit einer Wanne, in der der Verletzte lag. »Romeo Halifax!« stieß der Arkonide hervor und deutete auf den Solaner, der nicht das Äskulapzeichen an der Brust trug. »Das bist du doch, oder? Ich verstehe!« Er warf einen kurzen Blick auf den Verwundeten, dann kehrte er in die Zentrale zurück. Er bebte innerlich und wollte irgend etwas tun. Die Rest‐SOL mußte geschützt bleiben. »Sternfeuer!« bat der Arkonide. »Begleite die Mediziner durch den Transmitter!« »Du glaubst, es könnte jemand heimlich …«, begann die Frau. »Ja. Du mußt deine telepathischen Sinne zu höchster Leistung aktivieren, hörst du?« Hinter dem Rücken sagte Solania: »Er phantasiert. Atlan hat Fieber!«
* Gregor Sfiewlliox hatte längere Zeit fast pausenlos geredet. Darum fiel sein Schweigen um so mehr auf. Der Bordmutant sagte nichts mehr, und nur sein Atem war ab und zu zu hören, wenn er tief Luft holte. Romeo Halifax trieb die beiden Mediziner an. In ihrer Verwirrung und unter den Anstrengungen, die hinter ihnen lagen, hatten sie die Orientierung verloren und stritten sich, wie sie am besten und schnellsten an ihr Ziel kommen konnten. Sie wollten den nächstbesten Transmitter aufsuchen, doch Halifax machte ihnen klar, daß die Transmitter noch alle blockiert waren. »Solania wird uns helfen«, sagte er. »Sie ist die einzige, von der wir uns im Augenblick Unterstützung erwarten können!« Er führte die Ärzte zur Zentrale und ließ sie die Wanne mit dem Verletzten in einen nahegelegenen Raum schieben. Es befand sich kein Transmitteranschluß darin. Er schickte die Ärzte zur Kommandantin. Er selbst blieb bei dem Bordmutanten zurück. »Es ist gleich soweit, Gregor«, sagte er. »Wir wechseln in den Mittelteil hinüber. Dann wirst du operiert!« »Ist es schlimm?« hauchte der Verwundete matt. »Wie sieht es aus?« Halifax schaute gar nicht hin, aber er sagte: »Ich kann es nicht beurteilen, aber ich denke, daß es nicht sehr schlimm ist. Du wirst ein paar Blutergüsse haben, die sich Zeit lassen, bis sie zurückgehen. Die Schnittwunden sind nicht schlimm!« Er haßte sich für diese Worte, weil er genau wußte, daß zumindest das eine Auge des Solaners nicht zu retten war. Sie wollten ihm ein Transplantat einsetzen. Dazu mußten sie sich aber beeilen. Romeo Halifax wartete und wartete. Es verging eine halbe Stunde,
eine ganze. Er wollte schon hinaus und die beiden Männer suchen. Doch da lag der Kranke, und er fing wieder zu sprechen an. »Weißt du was, Halifax«, sagte er. »Ich glaube, die Sache mit dem Paratronverband ist eine Idiotie. Hat man den Fehler schon gefunden?« »Nein, ich glaube nicht«, erwiderte Halifax. Er hatte keine Ahnung, wer für die Konstruktion verantwortlich war. »Aber du hast recht. Der Fehler lag nicht an der Energieübertragung, sondern an der dezentralisierten Anordnung der einzelnen Teile. Ich vermute, daß so etwas nie wieder gebaut wird. Es hat sich nicht bewährt. Vielleicht findet einer eines Tages eine Lösung, wie man ein solches Gerät in Miniaturform bauen kann, damit es samt Energieerzeuger in einen kleinen Jäger paßt. In der jetzigen Form taugt es nichts. Auch nicht für einen Verband von Space‐Jets oder anderen Beibooten.« »Ausgerechnet wir durften das ausprobieren, daß es nicht funktioniert«, flüsterte Sfiewlliox. »Wer hatte eigentlich die blödsinnige Idee?« Auch das konnte Romeo Halifax nicht sagen. Hätte er es gewußt, hätte er sich vermutlich nicht nur gewundert. Irgendwann würde er es bestimmt erfahren, und dann konnte er sich bei dem Betreffenden ja auf seine Weise bedanken. Die beiden Mediziner kehrten zurück, und in ihrer Begleitung befand sich Sternfeuer. Die Telepathin schloß einen Moment die Augen, dann richtete sie sie entsetzt auf den Verwundeten. »Du wirst nicht sterben«, sagte sie laut. »Komm jetzt. Der Transmitter ist bereit!« Sie führte die Gruppe zu einer der Transmitterstationen, die die Zentrale wie ein Netz umgaben. Das Gerät war bereits programmiert, und soeben baute sich der Transmissionsbogen auf. Dann jedoch schrillten die Alarmsirenen auf, und bevor sie mit der Wanne den Abstrahlkreis erreicht hatten, fiel der Bogen in sich zusammen. Das Licht ging überall aus, und die Notbeleuchtung
schaltete sich ein. »Achtung!« kam es aus den Lautsprechern. »Angriff auf die Zentrale! Es dauerte ein wenig, bis die Steuerung aller Funktionen wieder aufgenommen werden kann!« »Wer greift an?« schrie einer der Mediziner. »Wo bleibt die Energie für den Transmitter?« Sternfeuer lauschte in sich hinein. »Es sind die vier Solaner«, sagte sie. »Atlan hatte mit seinem Verdacht recht. Sie greifen die Zentrale an und zerstören alles. Mein Gott, ich muß weg, um zu helfen!« »Bleib!« bat der Verwundete. »Verlaß mich jetzt nicht! Du bist meine letzte Rettung!« Sternfeuer trat an die Wanne heran und ergriff seine Hand. Sie drückte sie kräftig. Nein, sie wollte den Mann nicht verlassen, über dessen Gedanken und seinen seelischen Zustand sie wie kein anderer Bescheid wußte. Wenn die Ärzte nicht bald operieren konnten, war es zu spät. Gregor Sfiewlliox würde seinen Verstand verlieren. Er ahnte, wie es um ihn bestellt war. Romeo Halifax ging unruhig in der Station umher. Einmal blieb er stehen und lauschte. Er tastete mit der Hand in der Luft herum, schüttelte den Kopf und ging weiter. »Merkwürdig«, meinte er. »Eben war es mir, als hätte ich einen Luftzug verspürt. So als ginge jemand an mir vorbei. Es war wohl Einbildung!« »Unsere Nerven sind überreizt«, antwortete Sternfeuer. »Es ist niemand hier. Auch kein Unsichtbarer!« Endlich ging die Normalbeleuchtung wieder an, und der Transmitter nahm seine Arbeit wieder auf. Er stellte den vorprogrammierten Zustand wieder her. Offensichtlich war es gelungen, ihn von einer der Nebenzentralen aus wieder in Betrieb zu nehmen. Romeo Halifax trat als erster in den Bereich des Abstrahlfelds. Er hoffte, daß die Koordinaten noch stimmten und es keine Fehler gab.
Was passierte, wenn die Energie wegblieb, während sie materialisierten? Er wollte einen Einwand machen, unterließ ihn dann mit Rücksicht auf den Kranken. Noch einmal spürte er einen Luftzug neben sich und streckte instinktiv seine Arme aus. Aber da war kein Widerstand, und er schüttelte den Kopf. Sternfeuer war neben ihn getreten. Die beiden Mediziner mit dem Bordmutanten in der Wanne stellten sich auf der anderen Seite der Frau auf. Im nächsten Augenblick erfaßte sie den Transmissionsvorgang, und Halifax spürte den leichten Entzerrungsschmerz am Beginn der Entmaterialisation. Noch etwas anderes nahm er wahr. Für einen kurzen Augenblick glaubte er, ein verhaltenes, höhnisches Lachen zu hören, aber da setzte seine Denkfähigkeit bereits aus. Die Körper verschwanden und materialisierten irgendwo in einer Zielstation. * Der Ankopplungsvorgang war bereits eingeleitet. Die SZ‐2 driftete auf die Rest‐SOL zu und würde irgendwann mit ihr zusammentreffen. Kurz vorher würden die Paratronschirme in sich zusammenfallen, um sich dann erneut aufzubauen und das Schiff in seiner Vollständigkeit zu schützen. Die kritischen Stimmen von Solanern wie Kölsch würden dann verstummen. Atlan beobachtete Solania. Die Frau war sich ihrer Sache ganz sicher, und sie zeigte es offen. Noch zehn Minuten bis zur Kopplung, weitere fünf bis zum Abschluß der Vereinigung. Dann waren auch die Schraubenverbinder fest, und Magnetfesselprojektoren für die Blitzkopplung konnten abgeschaltet werden. Der Arkonide lauschte nach hinten und behielt gleichzeitig die
Interkomanlage im Auge. Er stellte als erster fest, daß etwas nicht stimmte. Da war eine Energieleitung unterbrochen worden. Sie war zwar unwichtig, aber sie gehörte zu einem Zuleitungsstrang, der auch wichtige Verbindungen führte. »Vorsicht!« rief er aus. »Da ist ein Saboteur am Werk!« Solania lachte, aber dann merkte sie es auch. Sie wollte reagieren, doch da wurde es dunkel in der Zentrale. Geräusche entstanden am Eingang, das Getrampel von Füßen war zu hören. Atlan hechtete sich in Richtung Seitenwand. Er tastete sich entlang, während über ihm die Lampen der Notbeleuchtung angingen. Sie machten aus der Dunkelheit eine überschaubare Dämmernis. Der Arkonide sah, daß drei der vier Solaner in die Zentrale eingedrungen waren. Sie schossen mit Lähmwaffen auf alles, was sich bewegte. Solaner und Solanerinnen stürzten zu Boden, ehe sie reagieren konnten. Von den Bildschirmen der Verbindung mit der SOL kamen wütende Schreie. Atlan sah das Gesicht des High Sideryt, dann schlug ein Energiestrahl in den Bildschirm ein und ließ ihn implodieren. Weg hier! signalisierte der Extrasinn. Jemand muß den Überblick bewahren! Ein Königreich für eine Waffe! flehte der Arkonide innerlich. Er gab über den Armbandkom mehrere Signale ab und beorderte Roboter in die Zentrale. Inzwischen versuchte er, sich in Sicherheit zu bringen. Die Lage war aussichtslos. Niemand vom anwesenden Personal war bewaffnet. Wie durch ein Wunder gelang es ihm, sich an der Wand entlang bis zum Ausgang zu schleichen. Da erst nahmen sie ihn wahr. Er rettete sich vor dem tödlichen Strahl durch einen mutigen Sprung durch die Tür. Im Vorbeijagen berührte seine Hand den Schließungsmechanismus, und der nächste Schuß schlug in das Metall und ließ es flüssig werden. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte der Arkonide den nächsten Raum erreicht und aktivierte den
Interkom. »Atlan hier!« sagte er keuchend. »Sofort die Nebenzentrale in der A‐Ebene in Betrieb nehmen. Die Energieversorgung wiederherstellen!« Die Solaner reagierten. Sie hatten begriffen, daß in der Zentrale die Hölle los war. Die Roboter rückten an. Sie hatten sich in ihre Schutzschirme gehüllt und drangen in die Zentrale vor. Sie lieferten sich mit den Solanern, die inzwischen zu viert waren, ein andauerndes Gefecht. Die Flüchtlinge von der ARSENALJYK schienen sich in Kampfmaschinen verwandelt zu haben, denen Lähmstrahlen nichts ausmachten. Sie zerstörten ein Gerät nach dem anderen, versuchten auch die Roboter zu erledigen. Die Zentrale glich nach kurzer Zeit nur noch einem Trümmerhaufen. Die ersten Solaner trafen ein und beteiligten sich an der Auseinandersetzung mit den vier Saboteuren. »Versucht es mit Hochenergiestrahlen«, sagte der Arkonide. »Aber seht zu, daß ihr sie nicht tötet. Sie müssen lediglich kampfunfähig gemacht werden!« Ihm war plötzlich der Transmitter eingefallen, und er hastete los, um die Transmission doch noch zu verhindern. Er kam zu spät. Das Gerät hatte sich längst wieder desaktiviert. Als Atlan zur Zentrale zurückkehrte, war der Kampf entschieden. Die Roboter hatten, als das Leben der loyalen Solaner bedroht gewesen war, nicht länger gezögert und die vier Saboteure getötet. Der Arkonide bedauerte es, denn er hatte gehofft, etwas mehr über die Hintergründe zu erfahren und über das Geheimnis, wie die vier ihre Langzeitkonditionierung trotz Lösung des Hypnoblocks hatten aufrechterhalten können. Er stieg über die Trümmer der Zentrale hinweg, und die Hitze trieb ihm den Schweiß ins Gesicht. Innerhalb weniger Sekunden sah er aus, als habe er sich intensiv an der Auseinandersetzung beteiligt. Wie durch ein Wunder war ein kleiner Interkom noch in Betrieb,
und Atlan ließ sich mit Hayes verbinden. Der High Sideryt wußte oder ahnte, was geschehen war. Er hatte von sich aus Ankopplungsmanöver gestoppt und ersten Kontakt mit der Nebenzentrale in der SZ‐2 erhalten. »Hier sind nur noch Trümmer«, keuchte Atlan. »Die vier Solaner haben alles zerstört und die gesamte Zentralbesatzung ins Land der Träume geschickt!« »Was ist mit der Positronik?« fragte Hayes. »Hinüber. Die SZ‐2 ist nur noch bedingt steuerbar!« Der High Sideryt wurde noch eine Nuance blasser, als er sowieso schon war. »Es konnte wirklich keiner voraussehen, daß so etwas geschehen würde«, versuchte er sich zu verteidigen, doch der Arkonide wies ihn ab. »Ich habe mir das oder Ähnliches gedacht«, sagte er nur. »Ich weiß, Atlan, ich weiß!« Hayes war den Tränen nahe. »Wir alle haben dich um Entschuldigung zu bitten. Wir haben die Gefahr unterschätzt, die von Anti‐ES und seinen Helfern ausging.« »Und noch immer ausgeht, Breck. Das dürfte nicht der letzte Angriff gewesen sein. Ist Sternfeuer bei dir eingetroffen?« »Ja«, sagte der High Sideryt. Atlan sah, wie er sich plötzlich umwandte und dann mit geweiteten Augen wieder in die Kamera starrte. Er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, aber da wurde er zurückgeschleudert. Im nächsten Augenblick wurde der Bildschirm dunkel. »Entschuldigung hin und her«, knirschte Atlan. »Es ist nur die Frage, wie viele Solaner das noch mit dem Leben bezahlen müssen!« Er bückte sich und packte Solania von Terra unsanft unter den Armen. Dann trug er sie hinaus, während die Solaner seinem Beispiel folgten und die Roboter die letzten Schwelbrände löschten. Atlan hatte das Gefühl, daß er eine Niederlage erlitten hatte und Anti‐ES sich anschickte, über ihn zu triumphieren.
6. »Ticker!« Tyari rief es aus, doch der Vogel vom Arsenalplaneten reagierte weder auf den Ruf noch auf den Gedanken der Frau. Er löste sich von seinem Platz und flatterte erregt unter der Decke der Zentrale entlang. Hayes begriff es sofort. Etwas geschah in diesem Augenblick. Die SOL war in Gefahr. »Cara!« stieß der High Sideryt hervor, doch dann fiel ihm ein, daß die Emotionautin dienstfrei hatte und sich in ihrer Kabine oder sonst irgendwo befand. Auch Sternfeuer war nicht da. Sie hatte die drei Solaner und den Verwundeten in die Medostation begleitet. Der Bordmutant schien Wert auf ihre Anwesenheit zu legen. »Was ist?« fragte Uster Brick, der im Sessel des Chefpiloten saß. »Ich habe keine Ortung!« Die ARSENALJYK war nicht mehr aufgetaucht, und die Solaner fühlten sich momentan sicher. Dennoch wünschte Hayes sich weit weg, möglichst aus der verzahnten Galaxis Bars‐2‐Bars hinaus. Atlans Anruf traf ein. Hayes nahm ihn entgegen. Aus den Augenwinkeln heraus stellte er fest, daß Tyari sich entfernte. Sie öffnete den Ausgang, und Ticker stieß hinaus auf den Korridor. Die sich schließende Tür ließ nicht erkennen, was draußen weiter geschah. Hayes spürte etwas hinter seinem Rücken, während er mit Atlan sprach. Er wandte sich hastig um und sah den Strahl, der Uster Brick traf und ihn aus dem Sessel warf. Ohne Anzeichen einer Verletzung stürzte er zu Boden und blieb reglos liegen. Der Strahl war aus dem Nichts gekommen. Mitten in der Zentrale hatte er seinen Anfang genommen. Hayes drehte sich der Kamera zu und öffnete den Mund. Er wollte Atlan warnen und ihm sagen, daß er nicht mit der SZ‐2 ankoppeln durfte. Der Arkonide hatte ja so recht gehabt. Der unheimliche
Gegner war jetzt in der SOL, und vermutlich war er mit dem Transmitter gekommen. Hayes ahnte die furchtbare Wahrheit. Er wollte sie hinausschreien, aber da traf ihn der Lähmstrahl und warf ihn hintenüber. Ein Hochenergiestrahl schlug in die Kamera ein und verschmolz die Aufnahmeoptik zu einem Klumpen. Weitere Strahlen zuckten durch den Raum. Sie nahmen ihren Anfang immer von einer anderen Stelle, so als würde sich eine unsichtbare Energiequelle hin und her bewegen. Es gab erste Explosionen. Immer neue Strahlen traten auf, und die Besatzung stürzte der Reihe nach zu Boden. Sie waren paralysiert. Ein paar Solaner wandten sich zur Flucht und stoben dem Ausgang zu. Sie gerieten zum Teil in die Bahnen der Hochenergiestrahlen, die überall einschlugen. Ein paar von ihnen starben. Irgendwo krachten Sicherheitsschotte in ihre Verankerungen. Alarm winselte aus den Lautsprechern, aber in der Hauptzentrale gab es niemanden mehr, der ihn hörte. SENECA meldete sich. Die Biopositronik hatte die Gefahr sofort erkannt und die nötigen Maßnahmen getroffen. Sie versuchte, die unsichtbare Kraft aufzuhalten. Es nützte nichts. Strahlen zuckten gegen den Ausgang und trieben das Metall des Panzerschotts wie Papier auseinander. Die eigentliche Tür schmolz in sich zusammen und bildete eine dampfende Lache. Jetzt zuckten die Strahlen draußen auf dem Korridor auf. »Achtung, hier spricht SENECA!« verkündete die Biopositronik. »Das Schiff und die Solaner sind in höchster Gefahr! Sucht sofort die Sicherzeitszonen an den Beiboothangars auf! Achtung, hier spricht SENECA!« Tyari hatte ihre Kabine aufgesucht. Sie versuchte Ticker zu beruhigen. Der Vogel hackte nervös mit seinem Schnabel auf der Tischplatte herum. Die Frau schaltete sich in den Funkverkehr ein.
»SENECA, du mußt Cara Doz schützen! Alles andere ist zweitrangig!« »Keine Angst, Tyari«, kam die freundliche Stimme der Biopositronik aus den Lautsprechern. »Cara kann sich bestimmt selbst schützen. Aber ich werde sie überwachen. Es wird ihr nichts geschehen. Sie hält sich weit vom Gefahrenherd auf.« »Wer ist der Angreifer?« fragte Tyari. »Er ist unsichtbar. Ich kann ihn nicht erkennen. Aber ich habe die Energie seiner Waffe ausgewertet. Sie ist mir bekannt. Es gibt nur eine Erklärung!« »Sprich, es ist wichtig!« »Es handelt sich um Kerness Mylotta, den sie den Arsenalführer nennen. Er hat die Fähigkeit erhalten, sich unsichtbar zu machen. Er ist auch auf den Infrarotortern nicht als Wärmebild zu erkennen. In dieser Erscheinung ist er unüberwindlich. Er kann die gesamte SOL zerstören, wenn er will!« Tyari begann zu zittern. Ticker schlug heftig mit den Flügeln und hob vom Tisch ab. Er zog enge Kreise durch die Kabine und streifte überall mit seinen mächtigen Flügeln. Aus seinem Schnabel kam ein heiseres Krächzen, und es jagte Tyari einen kalten Schauer über den Rücken. »Noch hast du Zeit, dich zurückzuziehen!« sagte SENECA schnell. »Geh. Nimm Ticker mit. Verlaßt die Kabine. Mylotta sucht nach euch. Er will sein Arsenal wieder zurückholen und den Vogel wahrscheinlich töten!« »Atlan hatte recht!« stieß die Frau hervor, während sie die Kabinentür aufriß und hinausstürmte. Ticker folgte ihr. »Er hat es in seinem Unterbewußtsein gespürt, daß es passieren würde. Er hat auf Ticker vertraut und den Vogel richtig eingeschätzt!« »Beeile dich«, riet SENECA. »Die Spur der Zerstörung führt von der Hauptzentrale weg in deine Richtung!« Tyari beeilte sich, daß sie in die Außenbezirke kam. Sie legte den Weg rennend zurück, und Ticker folgte ihr mit rauschenden
Flügelschlägen. Die Transmitterstationen waren alle überfüllt, und ein paar Gleitbänder stellten ihre Tätigkeit wegen Überbelastung ein. Dennoch kam es nicht zu größeren Zwischenfällen unter den Solanern. Durch die Ereignisse der Vergangenheit erfahren gemacht, hielten sie sich an die Anweisungen, die für den Fall eines Alarms existierten und jedem Jugendlichen und Erwachsenen immer wieder eingebleut oder per Hypnoschulung eingetrichtert wurden. Tyari suchte die Sicherheitszone neben Hangar 32 auf. Das war eine Etage unter der Hauptebene, und sie justierte den Transmitter so, daß er nach Abschluß der Evakuierung eine Verbindung mit dem Transmitter der Zentrale herstellte. Tyari dachte an Atlan. Der Arkonide wußte, daß im Mittelteil nicht alles mit rechten Dingen zuging. Sie glaubte, daß er bald überwechseln würde, ohne die SZ‐2 anzukoppeln. In diesem Fall wollte sie sofort zu ihm gehen und ihm helfen. »Ticker, wie können wir Mylotta beikommen?« sandte sie eine starke Gedankenbotschaft aus. Der Adler gab keine Empfindungen von sich. Der Gesamtinstinkt der Natur des Arsenalplaneten regte sich nicht. * Romeo Halifax ging das höhnische Lachen nicht aus dem Kopf. Während er hinter der Wanne herging, in der Gregor Sfiewlliox lag, fragte er sich, ob er nicht Sternfeuer von seiner Wahrnehmung berichten sollte. Er kam zu dem Schluß, daß er es aufschieben mußte, denn die Telepathin beschäftigte sich konzentriert mit dem Bordmutanten. Nach wie vor hielt sie ihn an einer Hand und redete leise und beruhigend auf ihn ein. Manchmal antwortete er, und seine Stimme klang abwechselnd traurig und hoffnungsvoll. Sternfeuer machte ihm Mut, und sie tat es auch noch, als sie die Medostation erreicht hatten und die Wanne
hineinschoben. Die Kontrollichter des eingebauten Antigravaggregats flackerten noch immer, aber es hatte den beschwerlichen Weg von der SZ‐2 bis hierher durchgehalten. Halifax wagte nicht auszudenken, was hätte geschehen können, wenn es versagt hätte. Es hätte Gregor den Lebensmut endgültig nehmen können. »Ich sehe kein Licht«, sagte der Verwundete immer wieder. »Was ist eigentlich geschehen?« Halifax begriff, daß die Schockwirkung zugenommen hatte und der Bordmutant sich im Augenblick an so gut wie nichts erinnern konnte. Wahrscheinlich wußte er auch nicht, daß er selbst sich das Leben gerettet hatte, indem er bei der Zerstörung der Kanzel des Jägers und der Sichtscheibe seines leichten Helms blitzartig den Helm des schweren Raumanzugs darübergeklappt hatte, um dem endgültigen Entweichen der Atemluft und der Dekompression zu entgehen. Was Halifax später getan hatte, war lediglich die Bergung des Wracks und des Verletzten gewesen. Der Fremdrassenpsychologe hatte zunächst geglaubt, daß der Bordmutant es nicht überleben würde. Inzwischen wußte er es besser, und er hoffte inbrünstig, daß die beiden Mediziner mit ihrem Transplantationsversuch Glück haben würden. In der Medostation warteten mehrere Ärzte und eine kleine Gruppe Personals. Sie gingen sofort hilfreich zur Hand, und fünf Minuten später lag Gregor Sfiewlliox auf dem Operationstisch, und zum zweiten Mal nahm sich ein Roboter seiner an und spritzte ihm ein Narkotikum in die Armvene. »Halifax«, sagte Sternfeuer. »Es ist jetzt Zeit für dich. Du mußt dich zurückziehen!« »Nein, er soll bleiben«, sagte der Bordmutant kaum verständlich. »Er hat mich gerettet!« Er erinnerte sich offensichtlich jetzt an Einzelheiten. In diesem Augenblick meldete sich SENECA und teilte mit, daß der Mittelteil von einem Unsichtbaren bedroht wurde. Die
Medostation mußte sich darauf vorbereiten, daß sie eine Zeitlang isoliert in einem Energieschirm existieren mußte. »Warte, SENECA«, sagte Halifax. »Es ist vielleicht doch besser, wenn ich die Station vorher verlasse. Ich werde eines der Waffenarsenale aufsuchen und ein paar Strahler herbeischaffen!« »Apropos Arsenal, Romeo!« SENECAS Stimme klang ungewöhnlich freundlich, fast mütterlich. »Du sollst wissen, daß es sich bei dem unsichtbaren Gegner um Mylotta handelt. Du machst dich am besten dünn und ebenfalls unsichtbar!« »Ich gebe mir Mühe«, sagte Halifax. Er konzentrierte sich auf die Koordinaten, die SENECA ihm noch durchgab, dann stürmte er hinaus und suchte den kürzesten Weg zum nächsten Waffendepot. Er fand, was er suchte, und er entdeckte auch einen Transmitter, den er rasch auf die Hauptzentrale justierte. Er aktivierte ihn und betrat das Abstrahlfeld. Es entmaterialisierte ihn und ließ ihn an seinem Zielort sichtbar werden. Der Transmitter stand im Hintergrund der Zentrale, und Halifax konnte sie ganz überblicken. Roboter löschten Feuer und saugten gefährliche Dämpfe ab, die durch die Schwelbrände entstanden waren. Einer stampfte herbei und reichte ihm eine Atemmaske, die der Psychologe dankbar überstülpte. Ein Blick über die Schulter belehrte Halifax, daß es Zeit war, sich in eine Deckung zurückzuziehen. Der Transmitterbogen war nicht in sich zusammengefallen. Er existierte noch immer, und die Kontrollen zeigten an, daß jemand ankommen wollte. Mylotta! durchzuckte es Halifax, und er warf sich hinter die durchlöcherten Reste einer Schaltwand. Das Metall war warm bis heiß, und er verbrannte sich die Haare auf den Handrücken daran. Eine Gestalt materialisierte. Zwei weitere folgten, und hinter ihnen schimmerte es blau. Halifax achtete nicht darauf. Er richtete sich auf und verließ seine Deckung. »Atlan!« rief er aus. »Nockemann und Blödel! Gut, daß ihr da seid. Mylotta ist im Schiff!«
Nockemann verfärbte sich, und Blödel bewegte sich eckig. »Ich habe es mir gedacht«, stellte der Arkonide fest. »Es gab keinen anderen Schluß. Zunächst dachte ich, die vier Saboteure seien der eigentliche Gegner. Aber ich habe begriffen, daß es in Wahrheit nur darum ging, Mylotta in die Rest‐SOL einzuschleusen. Dazu kam ihm der verwundete Pilot gerade recht. Deshalb haben die Roboter die Medostation in der SZ‐2 zerstört!« »Deine Warnung«, sagte Nockemann dumpf. »Du wolltest nicht ankoppeln lassen und keinen Transmitter freigeben!« »Das ist jetzt nicht mehr zu ändern«, erwiderte Atlan. »Wir müssen zusehen, daß wir jetzt das Beste aus der Lage machen. Wo hält Mylotta sich auf?« »Niemand weiß es«, eröffnete Halifax. »Er ist unsichtbar!« Atlans Gesicht verfinsterte sich. Er wandte sich ruckartig zum Ausgang, und jetzt erst erblickte Romeo Halifax das Gebilde, das sich hinter den beiden Männern und dem Roboter aufhielt. Es leuchtete königsblau und winkte ihm mit seinen drei Armen zu. »Du lebst noch, das wundert mich«, verkündete der Würfel. »So fahrlässig, wie du mit deinem Leben umgehst, dauert es nicht mehr lange, bis du nur noch aus Ersatzteilen bestehst und nicht mehr als organisches Leben betrachtet werden kannst. Du hättest nicht Psychologe werden sollen. Kennst du den alten Spruch: ,Andern hat er geholfen, sich selbst kann er nicht …ʹ?« »Ormutz«, murmelte Halifax verbissen. »Du hast mir gerade noch gefehlt!« * Es war schwer, sich einen Überblick über die Verwüstungen zu machen. Die Steuerzentrale war völlig zerstört, und die wichtigsten Schaltungen und Prozesse wurden von der Ausweichzentrale aus geleitet. Die Hauptpositronik hatte so schwere Schäden
davongetragen, daß sie größtenteils erneuert werden mußte. Das würde Tage oder sogar Wochen dauern, und die Robotfabriken würden auf Hochtouren arbeiten müssen. Die SZ‐2 war aus diesem Grund nur noch bedingt steuerbar, und es war höchste Zeit, daß sie ankoppelte und SENECA die Kontrolle über die Schiffszelle übernahm. Solania von Terra rieb sich ihre schmerzenden Fingerknöchel. Es gab keine Stelle an ihrem Körper, die nicht weh tat, und die Kommandantin empfand ein dumpfes Gefühl im Kopf, das von der Paralyse herrührte. Sie schritt durch die Zentrale, in der die Roboter Wandplatten entfernten und gegen neue ersetzten. Der Fußboden wurde ebenfalls erneuert, und die Trümmer der Steueranlagen wurden mit Antigravplattformen hinausgefahren und der Wiederverwertung zugeführt. Ein durchgreifendes Computerprogramm würde dafür sorgen, daß alles so erneuert wurde, daß es wie vorher aussah. Irgendwann in der Zukunft würde keiner mehr sehen, daß es hier ausgesehen hatte wie nach der Explosion einer Bombe. Die kleinere Positronik der Ausweichzentrale war jedoch in ihrer Kapazität beschränkt. Es dauerte alles länger, als wenn sie es mit der großen Positronik steuerten, die im Normalfall mit SENECA gekoppelt war. Solanias Armbandkom summte, und die Stabsspezialistin meldete sich. »Unruhe breitet sich aus«, teilte ihr ein Techniker mit. »Es scheint Gespenster in der SZ‐2 zu geben. Die Notbesatzung der Nebenzentrale wird unruhig. Wir haben probeweise einen HÜ‐ Schirm aufgebaut, aber jemand hat den Projektor zerstrahlt!« »Ich komme!« Solania rief ein paar Robotern Befehle zu, und sie gaben ihre Arbeit auf und folgten ihr. Sie trug ihnen auf, in eine der Nachschubbasen zu gehen und mehrere Projektoren auf Antigravtransportern herbeizuschaffen. Sie selbst eilte in die
Nebenzentrale zurück und besah sich den Schaden. Der Projektor war unter starker Hitzeeinwirkung zerschmolzen. »Wer hat es gesehen?« Niemand meldete sich. Sie hatten den Schaden erst entdeckt, als es bereits passiert war. Solania setzte sich sofort mit der Rest‐SOL in Verbindung. Atlan meldete sich. »Wir haben einen nicht identifizierten Angreifer an Bord«, sagte sie. »Ich denke an Mylotta!« »Das ist unmöglich«, sagte der Arkonide. »Mylotta ist im Mittelteil, wir können seine Spur der Zerstörung ungefähr verfolgen. Es ist ihm jedoch nicht möglich, durch die Paratron‐ Staffelschirme zur SZ‐2 zu wechseln. Und die Transmitter sind wieder vollständig blockiert!« »Aber wer ist es dann?« rief Solania. »Wen hat die Penetranz noch alles eingeschleust?« »Wir selbst haben den Gegner eingeschleust!« erinnerte Atlan sie. »Mylotta hat einen Helfer, der ihn von der Space‐Jet in die SOL‐ Zelle gebracht hat und ihn dort transportierte, sooft er wollte.« »Mjailam!« stieß Solania hervor. »Jawohl, Mjailam. Und es steht zu befürchten, daß er sich wie Mylotta unsichtbar machen kann!« »Dann«, stellte Solania zerknirscht fest, »sind wir machtlos. Gegen ein Phantom kommen wir nicht an!« »Noch nicht!« sagte Atlan hart, und sie wußte genau, warum er sich ihr gegenüber so reserviert verhielt. Sie konnte es gut verstehen. »Ich schlage dir vor, daß wir die Bildverbindung aufrechterhalten. Ich werde hier einen Mann zurücklassen, der mich über alles informiert, was bei euch geschieht!« »Einverstanden!« sagte Solania, und es fiel ihr leicht, das Wort über ihre Lippen zu bringen. Plötzlich saßen sie alle wieder im selben Boot, wenn es auch in zwei Teile getrennt war. Von überall her gingen jetzt Verlustmeldungen ein. Solania
wandte sich an alle Bewohner des Schiffes und teilte ihnen mit, womit sie rechnen mußten. Und sie funkte die Roboter an, daß diese sich beeilen sollten. Die Maschinen hatten jedoch ebenfalls mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Jemand, der ortungsmäßig nicht auszumachen war, hatte sich darangemacht, alle Projektoren zu zerstören. Es gelang den Robotern unter hohen Verlusten, ein halbes Dutzend der Projektoren an sich zu nehmen und sie zur Nebenzentrale zu schaffen. Dort wurden sie unter schwerer Bewachung montiert und zu einem Netz zusammengeschlossen. Die Bewacher der Maschinen hatten Kampfanzüge angezogen und sich in ihre Schutzschirme gehüllt. Sie würden auf alles schießen, was sie sich nicht erklären konnten. Und dennoch richteten sie nichts aus. Plötzlich gehorchte das Schiff den Befehlen nicht mehr, die Solania und ihre Helfer gegeben hatten. Andere Programme waren eingespeichert worden, und die SZ‐2 setzte sich umständlich in Bewegung und nahm langsam Fahrt auf. Mehrere Männer und Frauen näherten sich den Kontrollen, die wie von Geisterhand bewegt arbeiteten, aber die Macht eines Lähmstrahlers ließ sie zusammenknicken. Das Schiff schlingerte. Die Positronik der Nebenzentrale hatte Schwierigkeiten, es zu steuern. Dennoch beschleunigte es jetzt unerwartet schnell, und von der Bildverbindung her kam ein fragender Ruf. Zitternd beobachtete Solania, wie ein Strahl den Bildschirm zerfetzte und fast im gleichen Augenblick ein Mann am gegenüberliegenden Ende der Zentrale von dem Unsichtbaren gerammt und zu Boden geschleudert wurde. Benommen blieb er liegen. Ein Signalton ertönte und alarmierte Solania. Sie stürzte hinüber zur Steuerung, aber harte Hände packten sie und wirbelten sie durch die Luft, schleuderten sie quer durch den Raum. Sie prallte zu Boden und rutschte eine Strecke weit, bis sie sich mit den Füßen an
einer Konsole abfing und sich hastig anklammerte. »Schießt!« schrie sie, doch die Männer in ihren Energieschirmen zielten nur unsicher mit den Waffen und gaben ein paar Warnschüsse in die Luft ab, die kleine, schwarze Löcher in die Decke und die Wände fraßen. Sie erzielten keinen Erfolg. Im nächsten Augenblick verschwanden die Sterne vom Bildschirm, um fast ohne Zeitverzögerung wieder zu erscheinen. Die SZ‐2 hatte einen Linearsprung durchgeführt, und die Kontrollen wiesen ihn mit 6,8 Lichtjahren aus. In unmittelbarer Nähe stand eine kleine, weiß wabernde Sonne. Solania blinzelte ungläubig. Es dauerte Sekunden, bis sie sich mit dem Vorgang abgefunden hatte. »Mjailam!« schrie sie. »Du Bestie! Du hast die SZ‐2 entführt. Das wird dich teuer zu stehen kommen!« Ein dröhnendes Lachen durchdrang die Nebenzentrale. Es wechselte ständig den Standort, ein deutliches Zeichen, daß das Arsenalmitglied laufend teleportierte. Im nächsten Moment spürte Solania den heißen Atem des Ungestüms dicht vor sich. Sie riß einem neben ihr stehenden Solaner die Waffe aus der Hand und schoß, aber da hatte Mjailam den Standort wieder gewechselt. Sein Lachen kam jetzt von der Tür. »Anti‐ES hat mit seiner Rache begonnen. Mylotta ist bei Atlan in der Rest‐SOL. Mir hat der Arsenalführer die SZ‐2 überlassen. Ich werde viel Spaß haben. Eure Stunden sind gezählt!« Die Tür ging auf und zu, aber gleich darauf schoß Mjailam auf die Steuerkontrollen und machte sie unbrauchbar. Daraufhin zog er mit dem Strahler eine glühende Furche quer über die Wand. Flüssiges Metall spritzte nach allen Seiten und trieb die Solaner in die Flucht. Dann herrschte Stille in der Nebenzentrale, und Solania blickte mit steinernem Gesicht auf die zusammengeschmolzenen Bedienungselemente. Wenn die SZ‐2 jetzt in die nahe Sonne stürzte, dann würden sie das nicht verhindern können. Die SZ‐2 war dann verloren.
Der Zeitpunkt ist wohl gekommen, gestand sich die Solanerin ein. Anti‐ES machte seine Drohung wahr. Wird die SOL es überleben? Wird ein Teil untergehen? Wird es die SZ‐2 sein, die in irgendeinem Stern oder auf irgendeiner Welt strandet? Oder die Rest‐SOL? Langsam begriff die Kommandantin der SZ‐2, daß es keine Rolle spielte, welchen Teil es zuerst traf. Die Heimat der Solaner befand sich am Abgrund. * Irgendwie war es beruhigend zu wissen, daß die Rest‐SOL trotz der Verwüstungen in der Hauptzentrale noch gesteuert werden konnte. SENECA, der sich ununterbrochen in seine Staffelschirme hüllte, führte alle Anweisungen aus, die er von Hayes, Atlan oder einem anderen autorisierten Solaner bekam. Der Arkonide rechnete damit, daß dies dem ehemaligen Astronomen aus der SZ‐1 ein Dorn im Auge war, und er behielt recht. SENECA meldete den Ausfall mehrerer Konverter und Triebwerksaggregate im Bereich des Ringwulsts des Mittelteils. Einer der Sektoren mußte wegen Strahlungsalarm hermetisch abgeriegelt werden. Noch konnte nicht festgestellt werden, ob Menschen dabei zu Schaden gekommen waren oder nicht. Auch im Mittelteil hatte es bereits Tote gegeben. Mylotta nahm keine Rücksicht, wenn es darum ging, zielgerichtete Zerstörungen zu bewerkstelligen. Romeo Halifax hatte keine Zeit, sich um die Anstrengungen der Solaner zu kümmern, Mylotta zu fangen und unschädlich zu machen. Ormutz war für kurze Zeit verschwunden gewesen, dann aber wieder aufgetaucht. Jetzt wich er nicht mehr von seiner Seite. »Romeo!« rief er immer wieder und wackelte mit seinen vier Stielaugen. »Wer hätte das gedacht. Ich muß mich bei dir entschuldigen, Romeo. Ich habe dich unterschätzt. Du bist ein Mann
von klarem Verstand. Du hast die Übersicht behalten und deinem Kameraden das Leben gerettet. Weißt du, was das heißt?« Halifax gab keine Antwort. Er kümmerte sich um den Transport eines Abstoßfeld‐Projektors, der auf elektromagnetischer Basis arbeitete. Die Idee stammte von Hayes. Das Feld sollte den Eingang der Zentrale abriegeln und verhindern, daß Mylotta dort Zugang nehmen konnte. »Es heißt, daß du ein umsichtiger Pilot bist und Qualitäten für Risikoeinsätze besitzt«, fuhr Ormutz ungerührt fort. »Du weißt gar nicht, was du da für eine Eigenschaft hast. Ich als Effremser kann das am besten beurteilen. Deine Fähigkeit ist vielleicht stärker ausgeprägt als deine Kenntnisse auf fremdenpsychologischem Gebiet. Jetzt kann ich dich verstehen, daß du lieber bei den Beibooten als in deiner Arbeitskugel sein wolltest!« Romeo Halifax seufzte. Wie sollte er Ormutz klarmachen, daß er das nur aus Wut getan hatte, weil er sich über Atlan geärgert hatte. Dieser Asgard war doch daran schuld, und eine Weile war Halifax die Plasmakugel völlig egal gewesen. Jetzt erwachte seine Neugier von neuem, und er sehnte den Tag herbei, an dem sie einmal Zeit finden würden, Atlan und er. Dann würde er Kontakt zu Asgard herstellen. Bei Fremdrassigen war es allerdings ein besonderes Problem, wenn sie nicht zur SOL gehörten. Wer konnte schon sagen, wann Asgard die Lust an den Solanern verlor und verschwand, ohne sein Ziel zu nennen. »Hilf mir lieber, den Projektor zu installieren«, brummte Halifax. »Solange Mylotta die Zentrale unsicher macht, kann die Rest‐SOL der SZ‐2 nicht folgen. Hayes bekommt schon Depressionen, weil er die Gefahr sieht, die SOL‐Zelle zu verlieren.« Gemeinsam transportierten sie das Gerät an das Ziel und stellten es auf. Aus der SZ‐2 kamen im Augenblick keine Meldungen, nur einmal wurde ein kurzes Signal aufgefangen, in dem Solania in geraffter Form einen Lagebericht abgab. Es sah nicht rosig aus in der
SZ‐2, und der High Sideryt schwitzte wie ein Fieberkranker. Als Atlan mit Tyari in der Zentrale erschien, leuchteten seine Augen kaum merklich auf. Auf Ticker achtete er kaum, doch Atlan deutete auf den Vogel. »Ticker ist unsere einzige Hoffnung«, behauptete der Arkonide, während Ormutz sich dem Tier näherte und es aufmerksam beäugte. »Ticker hat ein Gespür für alles, was Arsenal heißt oder dazugehört. Wenn wir den Vogel richtig einsetzen, dann kommen wir dem Unsichtbaren auf die Spur!« »Mylotta wird es merken und Ticker töten!« sagte Hayes. »Der Vorschlag ist nicht gut. Warte auf Nockemann, er sucht mit Blödel nach einer besseren Lösung.« Atlan legte die Stirn in Falten und blickte Breck mißmutig an. »Willst du schon wieder …«, begann er, doch Hayes winkte hastig ab. »Nein. Natürlich nicht! Ich will diesmal nur keinen Fehler machen und Tickers Existenz leichtfertig aufs Spiel setzen!« »Ticker ist besser als gar nichts. Er weiß, daß er sich vor Mylotta in acht nehmen muß. Dessen Körperwaffe wäre er hilflos ausgeliefert«, sagte Tyari. »Laß es uns ausprobieren!« »Also gut«, nickte Hayes. »Aber nur, weil wir etwas tun müssen.« Ormutz hatte seine Inspektion des Vogels inzwischen beendet. Ticker erhob sich vom Boden und segelte quer durch die Zentrale in Richtung Ausgang. Atlan und Tyari folgten ihm. Beide hielten schwere Strahler in den Händen. »Ein komisches Wesen«, stellte Ormutz fest. »Und kein bißchen schüchtern!« »Was interessiert es dich. Es ist ja nicht einmal intelligent in deinem Sinn. Du darfst es nicht beachten. Du mußt es glatt übersehen!« sagte Halifax herausfordernd, weil er die Sprüche und Theorien seines Kollegen gut genug kannte. Diesmal gab Ormutz keine Antwort, und das stimmte Halifax nachdenklich. Er wandte sich ab und nahm den Projektor in Betrieb,
in der Hoffnung, damit etwas ausrichten zu können. 7. Solania hob die Hand, und in diesem Augenblick schnappte die Falle zu. Ein dichtes Netz aus Energieschirmen, umgeben von einem Ring aus Paratronprojektoren nahm seine Arbeit auf. Mjailam teleportierte, und im Augenblick des Teleportationsvorgangs wurde er für einen kurzen Moment sichtbar. Der Hüne sah aus wie ein behaarter Neandertaler von zwei Metern Größe mit einem tiefbraunen bis schwarzen Fell. Er trug keine Kleidung und keine Ausrüstung. Sie sahen nur die schwere Waffe in seinen Händen, mit der er immer wieder um sich schoß und Zerstörungen anrichtete. Ursprünglich war er der Gestalt gewordene Instinkt des galaktischen Wesens Prezzar. Dann hatte ihn Penetranz unter ihr mentales Joch gespannt und ihn zu einer gefährlichen Waffe gemacht. Nach dem Arsenalführer Mylotta war er das wertvollste Mitglied des Arsenals. Solania hörte Mjailam aufschreien. Wieder wurde er für einen kurzen Moment sichtbar, aber er hatte seinen Standort nur unwesentlich verändert. Gleichzeitig kam die Meldung, daß die Schirmprojektoren konstant arbeiteten und die Schirme eine Kugel mit einem Gesamtdurchmesser von über dreihundert Metern bildeten. Was außerhalb dieser Kugel lag, konnte jetzt nicht mehr in das Geschehen mit einbezogen werden. Dort befanden sich Solania und zehn Solaner, und in ihr Mjailam. Wieder sah Solania seine Gestalt. Sie war am anderen Ende der Halle aufgetaucht, in der sie das Zentrum der Falle eingerichtet hatten. Dann unterließ Mjailam weitere Teleportationen, aber Solania war sicher, daß er sich noch in der Halle aufhielt. »Wenn du denkst, wir kommen jetzt zu dir hinein, dann hast du dich getäuscht«, sagte sie laut. »Wir liefern dir keine Geiseln und
geben dir auch keine Möglichkeit, aus dem Labyrinth zu entkommen.« Ein kurzer Aufschrei war die einzige Antwort, die sie erhielt. Aus den innersten Projektoren wurden jetzt kleine, metallische Keile in das Innere der Schirmkugel katapultiert. Sie schufen winzige Strukturlücken, die sich sofort hinter ihnen schlossen. Sie verteilten sich und erhielten von den Schirmen Energie. Sie bildeten Reflektoren, die sich auf die Suche nach Mjailam machten. Sie standen unter Starkstrom und mußten auch einen Bären wie ihn auf der Stelle töten, wenn sie ihn berührten. Solania unterschätzte jedoch die Möglichkeiten des Arsenals bei weitem. Plötzlich sah sie Mjailam, und er hatte einen Teil des inneren Schirmrings hinter sich gelassen und hing mitten zwischen ihnen. »Er findet Lücken, schnell!« schrie Solania. »Schickt ihm die Keile nach!« Es hatte den Anschein, als sei Mjailam jetzt verloren. Die Keile durchdrangen die Schirme, aber sie folgten den Energielinien und erreichten die Lücken nicht oder jene Zonen, an denen sich die Schirme überlappten. Mjailams Stimme dröhnte, und er lachte erneut. »Es ist ein Labyrinth. Ich finde hinaus! Ihr könnt mich nicht halten. In dem Augenblick, in dem ihr die Schirme zueinander verändert, bin ich bei euch!« Die Drohung ließ die Solaner erbleichen, und sie entfernten sich langsam nach rückwärts. Auch Solania zog sich zurück und überlegte krampfhaft, wie sie doch noch Herr über das Ungeheuer werden könnte. Mjailam hatte sich jetzt bereits fünfzig Meter vom Zentrum entfernt. Er kam immer näher und mußte bald den Paratronmantel erreichen. Er schien zu merken, daß er plötzlich nicht weiterkam, denn ein fürchterlicher Fluch klang auf. Er kam von der linken Seite der Halle. Dann verschwand Mjailam, und sie sichteten ihn draußen
auf dem Korridor, ohne daß er den Bereich der Schirmkugel hätte verlassen können. Sie folgten ihm in eine andere Halle, immer durch die energetischen Vorhänge getrennt. Wieder lachte Mjailam. Fast gleichzeitig erschütterte ein schwerer Schlag die SOL‐Zelle. Sirenen meldeten einen Treffer, und die Solaner in der Nebenzentrale meldeten konzentrierten Punktbeschuß der ARSENALJYK I. »Sie ist zurückgekehrt!« zischte die Solanerin. »Mjailam hat das Arsenal zu Hilfe gerufen! Schnell, beeilt euch!« Sie gab Anweisung, die SZ‐2 aus der Nähe der weißen Sonne fortzulenken, und rief die Rest‐SOL um, Hilfe. Von dort kam lapidar die Meldung, daß man ebenfalls behindert war und erst dann etwas unternehmen könnte, wenn Mylotta vertrieben oder besiegt war. Ein erneuter Schlag erschütterte das Schiff. Solania spürte, wie der Boden wankte, und sie stürzte kreidebleich in die Nebenzentrale. »Alle verfügbaren Energien auf die Triebwerke und die Schirme!« ordnete sie an. »Wir versuchen uns abzusetzen. Was ist mit den Polgeschützen?« »Wir können sie mit dieser Zwergpositronik nicht steuern«, antwortete jemand, den sie nicht einmal mit Namen kannte. »Wir müßten jemand hinschicken, der sie manuell bedient. Aber das dauert!« Ein Blick auf den Bildschirm belehrte sie, daß die Schirme flackerten und die SOL‐Zelle langsam abtrieb. Noch einmal erhielt das Schiff einen Schlag, und gleichzeitig sah sie aus den Augenwinkeln eine verschwommene Gestalt. Solania schoß ohne Zögern, doch Mjailam verhöhnte sie nur und setzte sein Zerstörungswerk fort. Er war tatsächlich aus dem Schirmlabyrinth entkommen. »Ich verlasse euch jetzt«, vernahmen sie seine Stimme. »Mein Werk ist getan. Den Rest erledigt dieser Stern!« Der kleine weiße Stern war in den Bildschirm gewandert und hielt
sich dort. Er wurde immer größer, und getrieben von den Schüssen der ARSENALJYK raste die SZ‐2 auf ihn zu. Seine Gravitation begann zu wirken und zog die Kugel in ihren wabernden Schirmen immer schneller auf sich zu. Immer schneller, aber doch nicht so schnell, wie man nach dem Abstandmesser eigentlich erwarten mußte? Solania wischte sich über die brennenden Augen. Sie sagte kein Wort und deutete nur voraus. Die weiße Sonne wurde ihnen zum Schicksal, und die Eruptionen der äußeren Korona würden bald den letzten Funkkontakt zur Rest‐ SOL unterbinden. »Solaner«, sagte Solania mit matter Stimme. »Unser Schicksal erfüllt sich hier. Wir können es nicht mehr ändern. Unsere Triebwerke sind nicht in der Lage, den Kräften zu widerstehen. Und die ARSENALJYK wacht darüber, daß wir nicht entkommen!« Hier, an dieser weißen Sonne, die nach ihren Karten zur ehemaligen Galaxis Bars gehören mußte, erfüllte sich das Schicksal der SZ‐2, die soviel hatte erdulden müssen. Es schien ein kosmisches Schicksal zu sein, aber irgendwie, fand Solania von Terra, beruhigte sie das weiße, flackernde Licht eher, als daß es ihr Angst einjagte. Sie war ruhig. Viel ruhiger als ein Mensch es normalerweise war, der dem Tod ins Angesicht blickte. * »Ticker, spürst du ihn?« fragte Atlan. Der Vogel vom Arsenalplaneten erfaßte Atlans Gedanken instinktiv und führte auch seine Bitten und Anweisungen aus. Er gab ein leises Krächzen von sich, und der Arkonide setzte sich in Bewegung. Ticker saß auf seiner linken Schulter und blickte auf Tyari hinab, die neben Atlan ging.
Sie hatten eine Spur Mylottas gefunden. Er geisterte zur Zeit durch die Triebwerkssektoren und ging dabei nach einem erkennbaren Muster vor. Zuerst legte er nacheinander alle Aggregate für die Ferntriebwerke lahm. Die SOL sollte keine Gelegenheit mehr haben, aus Bars‐2‐Bars fliehen zu können. Dann kümmerte er sich um die Lineartriebwerke, die die SOL an ihren derzeitigen Standort bannen sollten. In diesen Sektoren lauerten sie Mylotta auf. Niemand begleitete Atlan und Tyari. Sie trugen schwere Schutzanzüge mit Deflektoren und Schirmen. Lediglich Ticker war ungeschützt, aber sie konnten ihn notfalls in ihre Schutzschirme mit einbeziehen. Und dann kam Mylotta. Sie merkten es daran, daß ein Schott in Fetzen flog. Der Unsichtbare rechnete nicht damit, daß jemand auf ihn wartete. Mit seiner Körperwaffe zerstrahlte er alles, was ihm im Weg war. Elektrische Leitungen und Verbindungen zwischen den Energietransformatoren und den eigentlichen Triebwerken gingen in die Luft, und es begann nach verschmortem Plastik zu riechen. Atlan und Tyari schlossen ihre Helme. »Versuche, uns einen Hinweis zu geben, wo Mylotta sich aufhält«, dachte Atlan, und Tyari sagte über Helmfunk: »Ticker kann Mylotta anfliegen und seinen ungefähren Standort bezeichnen. Ticker, sei vorsichtig. Nähere dich Mylotta nur so weit, daß er dich nicht entdeckt. Wenn er dich sieht, wird er dich töten!« Sie hatten am Durchgang zwischen zwei Hallen Aufstellung genommen. Ticker löste sich von Atlans Schulter und segelte in aufsteigenden Kreisen davon. Die Hitze, die Mylotta mit seinen Sabotageakten entfachte, verlieh dem Vogelkörper zusätzlichen Auftrieb. Am Ende der Halle blitzte es zwischen hohen Energietürmen auf. Eine Explosion erfolgte, und eine Druckwelle wirbelte den Vogel davon und preßte Atlan und Tyari in den Gang zurück. Sie verloren Ticker aus den Augen, aber da war die Druckwelle vorüber, und die
beiden Solaner rannten los. Keiner von beiden dachte in diesen Augenblicken daran, daß er eigentlich nur auf dieses Schiff geschickt worden war, um etwas zu bewirken. Sie kämpften um das Leben aller Solaner, und das ließ sie alle Unterschiede vergessen. Und noch etwas war es, was Atlan und Tyari verband. Sie liebten sich, fanden jedoch nie richtig Zeit, einander diese Liebe zu beweisen. Tyari, das lebendige Geschöpf Tyars, und Atlan, der Auserwählte der Kosmokraten. Ticker kam in ihr Gesichtsfeld. Er kreiste hoch oben an der Decke. Atlan stutzte. »So weit oben kann er nicht sein«, sagte er, und Tyari stimmte ihm zu. »Was will Ticker uns zeigen?« Tyari konzentrierte sich. Sie versuchte, das Verhalten des Vogels zu interpretieren. »Er kreist über der Stelle, die Mylotta gerade besetzt hält«, sagte sie. »Da, jetzt ändert Mylotta den Standort!« »Befindet er sich unten auf dem Fußboden oder auf einer der Galerien?« Ticker reagierte nicht auf diesen Gedanken Atlans. Aber er versuchte, etwas von seiner optischen Wahrnehmung auf Tyari zu übertragen, die sich aufgrund ihrer starken telepathischen Kräfte besonders für den Kontakt eignete. Tyari verstand ihn langsam, und sie interpretierte die »Hintergrundbilder«, die der Vogel sah und verarbeitete. »Er muß dort hinten sein, wo der Steg beginnt!« sagte sie. »Nein, jetzt geht er weiter. Er betritt den Steg. Jetzt ist er aus unserem Blickfeld, weil die Türme ihn verdecken!« Atlan spurtete los. Tyari folgte ihm augenblicklich. Es ging um Sekunden, denn irgendwann würde Mylotta den Vogel entdecken und ihn herunterschießen, wenn er emporgeblickt hatte oder den Schatten am Boden entdeckte, der immer dann entstand, wenn Ticker einem der Deckenscheinwerfer zu nahe kam. Der Vogel
merkte den Fehler nicht, und es war keine Zeit, ihm den Fehler klarmachen zu wollen. Sie eilten zwischen den Türmen hindurch, und Tyari konzentrierte sich wieder. »Auf dem Steg, vor dem vierten Hyperakkumulator!« zischte sie. Atlan warf einen prüfenden Blick hinauf zu dem kreisenden Vogel. Genau vom Mittelpunkt des Kreises zog er eine Senkrechte nach unten. Wo sie auf den Steg traf, mußte Mylotta sein. »Direkt vor dem Steuerpult!« sagte Tyari. Da sie die Helme geschlossen hielten, konnte Mylotta sie nicht hören. »Jetzt bewegt er sich, dreht sich vielleicht um!« Atlan schoß. Er hatte den Strahler auf Dauerfeuer gestellt und hielt ihn waagrecht von sich ab. Der Kolben drückte ihm gegen die Hüfte, aber er achtete nicht darauf. Grellweiße Glut raste durch die Halle auf das Steuerpult zu. Es war plötzlich verdeckt von einem aufglühenden Widerstand. Mylotta reagierte. Der Arsenalführer gebrauchte seine Körperwaffe, und er verfehlte Atlan nur um Haaresbreite. Dann aber wich er zurück, und irgend etwas schien von seiner Gestalt auszugehen und sich zu verflüchtigen. Mylotta wurde sichtbar. Atlan erkannte plötzlich seine Umrisse und zielte genauer. Noch einmal verließ ein gefährlicher Strahl den Körper des ehemaligen Astronomen. Dann brach Mylotta zusammen, und seine Kleidung fing zu brennen an. Er stieß einen Schrei aus und starrte zur Decke hinauf. »Weg, Ticker!« signalisierte Tyari. »Bring dich in Sicherheit!« Es war nicht mehr nötig. Mylottas Körper bebte und zitterte, dann lag er still. Atlan eilte hinüber. Er sah sofort, daß der Arsenalführer tot war. Eine innere Flamme zehrte seinen Körper auf und löste ihn in stickige Luft auf, ohne daß der Arkonide den Vorgang verhindern konnte. Ticker kam herab und setzte sich auf das Geländer des
Steges. »Danke, Ticker«, sagte Atlan, und es klang unsäglich erleichtert. »Du hast die SOL vor der Vernichtung gerettet!« Der Vogel krächzte und hüpfte auf seine Schulter, wo er sich festkrallte. Mylottas Körper war vollständig zerstört. »Komm!« Tyari faßte Atlan an der Hand. »Wir wollen schnell zurück und Breck die frohe Botschaft bringen!« Sie eilten in die Hauptzentrale zurück und stürmten auf den High Sideryt zu. Atlan stutzte, als er die betretenen Gesichter sah. »Mylotta ist tot!« rief er, doch die Solaner reagierten nicht. »Sieh dir die Aufzeichnung an«, murmelte Breck dumpf. »Wir konnten es nicht verhindern. Selbst jetzt könnten wir es nicht!« Atlan starrte auf den Bildschirm, und was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er brachte keinen Ton heraus. »Die SZ‐2 ist vernichtet«, hauchte Hayes. »Sie ist in die weiße Sonne gestürzt und trotz ihrer Schirme verglüht. Weißt du, was das für uns bedeutet?« Er holte tief Luft. »Weißt du, was es heißt, wenn ein Teil der Heimat plötzlich vernichtet ist?« 8. Wieder war es an der Zeit, und Anti‐ES nahm mit der Penetranz Verbindung auf, ohne daß diese es merkte. Es durchforschte ihre Gedanken und erfuhr so alles, was sich ereignet hatte. Mylotta war tot. Seine Auflösung hatte dazu geführt, daß Mjailam fluchtartig die bereits in die Sonne stürzende SZ‐2 verlassen hatte. Mjailam war in die ARSENALJYK I zurückgekehrt und von einer Hochstimmung beseelt, wie er sie nie in seinem Dasein gekannt hatte. Mjailam hielt sich für den legitimen Nachfolger Mylottas als Arsenalführer. Es gab keinen, der ihm diese Aufgabe streitig
machen konnte. Anti‐ES war nicht traurig über den Verlust Mylottas. Der konditionierte Solaner hatte einen Teil seiner Aufgabe erfüllt, und der Tod war von Anti‐ES mit eingeplant worden. Er konnte die Superintelligenz nicht überraschen. Viel wichtiger war der Triumph. Die Rest‐SOL hatte empfindliche Rückschläge hinnehmen müssen. Viele Stationen und Anlagen in ihr waren zerstört. Und Atlan hatte die SZ‐2 verloren, die in die weiße Sonne gestürzt und rasch verglüht war. Der Rest war ein Kinderspiel. Die ARSENALJYK II war fertiggestellt. Anti‐ES schickte sie auf den Weg. Gegen den Partikelstromwerfer dieses Schiffes hatte die SOL keine Chance. Sie würde untergehen und Atlan mit ihr. Anti‐ES jubelte, und die Penetranz stellte plötzlich fest, daß ihr Schöpfer anwesend war. Sie wollte berichten und ihre Bedenken vortragen, aber Anti‐ES überschwemmte die primitive Intelligenz des Kunstwesens mit seinen Impulsen. »Es ist gut so, wie es gekommen ist«, teilte es ihr mit. »Die ARSENALJYK I kehrt zurück, und die ARSENALJYK II ist auf dem Weg zu ihrem Einsatz. Ich bin zufrieden!« Jetzt war die Penetranz von Glück erfüllt, und das Ei glitt in Kreisen und Ellipsen über die Oberfläche des Arsenalplaneten dahin. Anti‐ES zog sich wieder zurück und wartete ab. Das war alles, was die negative Superintelligenz jetzt noch zu tun brauchte. Abwarten und dann das Ergebnis betrachten. Der Triumph stand kurz bevor. Es würde ein Triumph nicht nur über Atlan, sondern auch über die Kosmokraten sein. * Romeo Halifax hätte seine Freude hinausschreien mögen, als er die
Hauptzentrale betrat. Es roch nach Reinigungs‐ und Desinfektionsmitteln, und der Lärm der Reparaturen ließ keine vernünftige Verständigung aufkommen. »Er kann wieder sehen«, wollte der Fremdrassenpsychologe rufen, doch keiner achtete auf ihn. Also schwieg er und behielt es für sich. Gregor Sfiewlliox befand sich auf dem Weg der Besserung. Sie hatten ihm ein neues Auge eingesetzt und das zweite, verletzte mit Wundplasma geheilt. Der Bordmutant besaß jetzt ein blaues und ein gelbgrünes Auge, aber es fiel bei ihm nicht so sehr auf. Die Anzeichen der Mutation waren zu deutlich, als daß jemand den farblichen Unterschied auf eine Operation zurückgeführt hätte. Dicht hinter Halifax kam Ormutz. Der königsblaue Würfel verhielt sich noch immer schweigsam und blickte nach vorn in Richtung der Bildschirme. Hayes sagte tonlos: »Die ARSENALJYK I ist verschwunden. Sie hat sich zurückgezogen, und Mjailam ist bestimmt an Bord!« Dem Arsenalmitglied mit seiner Quasi‐Teleportationsfähigkeit gaben sie die Schuld am Untergang der SOL‐Zelle 2. Nicht einmal Mylotta hatte so präzise gearbeitet wie das Erzeugnis Prezzars. »Die Gefahr ist vorerst gebannt«, meinte Tyari. »Das ist wichtig!« Niemand gab ihr Antwort. Schweigen wie bei einer Beerdigung lag über der Hauptzentrale, und keiner konnte es dem anderen verdenken, wenn er den Kopf hängen ließ. Sie hatten die SZ‐2 verloren, einen Teil ihres Schiffes. Sie hatten einen Teil der Heimat verloren und mit ihr viele tausend Solaner. Die SOL war nur noch ein Fragment, ein Torso, ein amputiertes Etwas, und manchen Solaner mochte Ekel ergreifen vor dem Gedanken, nichts Vollwertiges und Vollständiges mehr zu besitzen. Die SOL, ein abgebrochenes, zerbrochenes Ding. Plötzlich war das Metall der Wände und Böden kalt, war das Leben aus diesem Schiff entwichen. Nicht einmal Hayes brachte den Mut auf, jetzt vom Neuaufbau und von der Reparatur zerstörter Anlagen zu reden. Aus glanzlosen
Augen starrte er Atlan an und sagte matt: »Was hast du, Arkonide? Ist dir nicht gut?« Atlan schwankte. Er machte mit der Hand eine fahrige Bewegung, und Tyari trat rasch zu ihm und stützte ihn. »Atlan!« flüsterte sie. »Was spürst du?« Der Arkonide antwortete nicht. Er lauschte nach innen und suchte die Verbindung mit seinem Extrasinn. Der Logiksektor schwieg jedoch. ATLAN! Die Stimme riß den Arkoniden herum und ließ ihn zusammenzucken. Nein, das konnte nicht sein. Es widersprach allen logischen Gedanken. HALLO, ATLAN! »Wöbbeking!« stieß der Arkonide laut hervor, daß alle es hörten. »Nein, jemand narrt mich!« ICH BIN ES, WÖBBEKING! ES IST ZEIT, DASS ICH MICH MELDE UND MICH BEI DIR BLICKEN LASSE! JA, SCHAU NUR AUF DEN BILDSCHIRM, DANN SIEHST DU MICH! ICH MUSSTE KOMMEN. Atlan riß die Augen auf. »Ich soll dich sehen können? Wo?« Er suchte den Bildschirm ab, konnte jedoch nirgends den leuchtenden Mantel aus Jenseitsmaterie erkennen. DU SIEHST MICH UND ERKENNST MICH NICHT! teilte Wöbbeking ihm mit. ES IST LEICHT ERKLÄRLICH, DENN ICH HABE MICH VORÜBERGEHEND GETARNT. ABER ICH HABE DIE ZEIT GENUTZT. ICH BIN INNERLICH GEWACHSEN. »Gewachsen?« echote Atlan. »Warum kommst du nach Bars‐2‐ Bars? Du hast doch gesagt, du dürftest dich nicht in diese Galaxis trauen?« ICH KONNTE ES NICHT VERHINDERN, ATLAN. JETZT BIN ICH DA. ICH DARF NICHT EINGREIFEN, WIE ICH ES MÖCHTE. ABER ICH GEWÄHRE DIR ZEHN FRAGEN, DIE DIR BEI DER
LÖSUNG DES PROBLEMS HELFEN KÖNNEN, WENN DU SIE RICHTIG STELLST! »Zehn Fragen?« FÜR JEDEN ZOUNT, JEDEN ZÄHLER DER NAMENLOSEN ZONE, DIE DU DURCH DEIN WIRKEN BEFREIT HAST, EINE FRAGE. DESHALB BIN ICH DA, DESHALB RUFE ICH DICH, ATLAN. »Wir haben schwere Probleme«, antwortete der Arkonide. Er begriff, daß Wöbbeking ihn nach langer Zeit wieder in eine Reinkarnationsphase versetzen wollte, um ihm einen Teil der Vergangenheit und damit die Zusammenhänge zu enthüllen. Oder auch nur, um sich die Fragen anzuhören und ihn dann die entsprechenden Bilder sehen zu lassen. ICH WEISS, sagte Wöbbeking. ABER SIE SIND NUR HALB SO GROSS, WIE IHR GLAUBT. DIE SZ‐2 IST NICHT VERNICHTET. SIE EXISTIERT, UND IHR BRAUCHT EUCH WEGEN EURER HEIMAT KEINE SORGEN ZU MACHEN! »Sie ist verglüht! In eine Sonne gestürzt!« Atlan schrie es. SIE IST HIER BEI MIR. ICH HABE SIE GEBORGEN, DENN ICH BIN DIE WEISSE SONNE, DIE IHR SEHT. ICH HABE MICH GETARNT, UND NIEMAND WIRD DIE TARNUNG ENTHÜLLEN KÖNNEN, WENN NICHT IHR ES TUT! ES BESTEHT KEIN GRUND ZU VERZAGEN, ATLAN! Der Arkonide spürte, wie seine Beine nachgaben. Er ließ sich von Tyari zu einem Sessel führen und sank hinein. Stoßweise berichtete er wörtlich das, was Wöbbeking ihm mitgeteilt hatte. Ein Raunen ging durch die Hauptzentrale. Für einen Augenblick unterbrachen sogar die Roboter irritiert ihre Arbeit. »Ist das wahr?« fragte Breckcrown Hayes ungläubig. »Ist es wirklich Wöbbeking?« Atlan nickte. Es gab keinen Zweifel. Der positive Teil von Anti‐ES, den er selbst in der Namenlosen Zone befreit hatte, war in ihre Nähe zurückgekehrt.
»Dann sieht alles anders aus!« jubelte der High Sideryt. »Wir brauchen nicht zu verzagen!« Wie wichtig doch so ein winziges Körnchen Hoffnung ist! meldete sich der Extrasinn. ATLAN! Da war wieder der Ruf Wöbbekings. DU DARFST NICHT ZÖGERN! »Ich komme, Wöbbeking. Tyari, ich muß in meine Kabine. Begleite mich!« Zu zweit schritten sie hinaus, und die Solaner starrten ihnen nach, als seien sie Gespenster. Die SZ‐2 existierte noch, und Wöbbeking war da. Und da sagte jemand, von dem sie in diesen Augenblicken am wenigsten ein Wort erwartet hätten: »Es ist eine Wiedergeburt, Breckcrown Hayes!« Der High Sideryt fuhr herum und starrte die Sprecherin an. »Cara«, murmelte er. »Cara Doz. Wie bist du hereingekommen?« Der Engel setzte sich in den Pilotensessel und griff nach dem SERT‐Band. »Wie immer«, sagte die Emotionautin. »Zu Fuß!« ENDE Nach dem »Anschlag auf das Generationenschiff« kommt es zwischen Atlan und Wöbbeking zu einem erneuten Kontakt: Der Arkonide hat ein neues »Reinkarnationserlebnis« – und er erhält Antwort auf DIE ZEHN FRAGEN … DIE ZEHN FRAGEN – unter diesem Titel erscheint auch Atlan‐Band 646. Der Roman wurde von Hubert Haensel geschrieben.