Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 615 Anti-ES - Xiinx-Markant
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 615 Anti-ES - Xiinx-Markant
Angriff der Unsichtbaren von Hans Kneifel Schiffbruch in der Dunkelzone Die Verwirklichung von Atlans Ziel, das schon viele Strapazen und Opfer gekostet hat – das Ziel nämlich, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen –, scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besorgen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Randgebiete der Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird, die auf das unheilvolle Wirken der sogenannten »MentalRelais« zurückzuführen sind. Inzwischen herrscht durch die Ausschaltung einiger Relais im Umfeld der SOL Ruhe. Dafür aber ist in der SOL selbst der hoffnungslos anmutende Kampf gegen das Manifest C entbrannt, das das Schiff völlig zu übernehmen und in die Vernichtung zu führen droht. Um sich die Handlungsfähigkeit und die Chance zur Rettung der SOL zu bewahren, verläßt Atlan mit seinen engsten Mitarbeitern das Schiff und dringt in das Zentrum von Xiinx-Markant ein. Dabei trifft der Arkonide auf einen Gegner, der unbesiegbar zu sein scheint – das zeigt der ANGRIFF DER UNSICHTBAREN …
Die Hauptpersonen des Romans: Tauprin - Ein Manifest wird befreit. Atlan - Der Arkonide auf dem Planeten der Unsichtbaren. Iray Vouster, Tyari, Garrett und Insider - Atlans Gefährten im Kampf gegen die Unsichtbaren. Bjo Breiskoll - Der Telepath empfängt ein seltsames Signal. Aork und Dork - Eingeborene des Planeten Uhzwutz.
1. Im Augenblick herrschte in der Zentrale des Raumschiffs eine ungute Stimmung. Nur ein paar Grad oberhalb der Polarkälte, dachte Atlan. Archetypische, sozusagen steinzeitliche Reaktionen inmitten der Supertechnik, und das auch noch in der Dunkelzone einer fremden Milchstraße. Gefällt dir das? flüsterte der Extrasinn. Atlan würde noch lange brauchen, um statt Barleona den Namen Iray Vouster zu benutzen. Auch Iray selbst hatte damit einige Schwierigkeiten. Erst vor rund zwei Tagen, nach dem aufregenden Zwischenfall an Bord, war ihr Erinnerungsvermögen teilweise zurückgekehrt. Iray war Terranerin! Dort drüben saß sie, warf ihr schulterlanges braunes Haar in den Nacken und lächelte ihn an. Links von Atlan saß Tyari, körperlich und in fast allen Verhaltensweisen das genaue Gegenteil von Iray. Tyari, die ihm selbst überraschend ähnlich sah, schien auf die dunkelhaarige Terranerin eifersüchtig zu sein. Atlan war auch in diesem Punkt nicht sicher; manchmal war er ganz davon überzeugt, daß die weißhaarige Frau aus Bars-Zwei-Bars nichts anderes im Sinn hatte, als ihn herauszufordern und ihrer Nebenbuhlerin zu beweisen, daß sie aus irgendeinem Grund besser und begehrenswerter war. Atlans Überlegungen wurden durch Federspiels Stimme aus einem Bordkommunikator des Schwanenschiffs unterbrochen.
»Atlan. Du hast vor kurzem eine Information von mir verlangt.« »Ja …« »Ich habe alles sehr genau geprüft, und es bleibt dabei. Ich spüre noch immer deutlich den Impuls von Cpt'Carch. Zwar kann ich immer noch nicht genau sagen, von welchem Punkt die Impulse ausstrahlen. Aber ich glaube, daß wir dieser rätselhaften Quelle nähergekommen sind.« »Zumindest eine positive Neuigkeit!« murmelte Atlan. »Danke.« Tauprin schaltete die Verbindung ab. Das Schiff sagte mit der warmen, dunkelsympathischen Stimme: »Also weiter auf dem Flug ins Zentrum von Xiinx-Markant.« »Richtig. Weiter durch die Innenzone.« Die Ortungen und Untersuchungen ergaben keine aufregenden oder optimistisch stimmenden Neuigkeiten. Die Innenzone, durch die sich das Manifest J bewegte, glich der normalen, gewohnten Definition des Weltalls. Die Menge der Sonnen und deren Charakteristika waren ebenso alltäglich wie ihre Verteilung. Der Kern der Galaxis war keineswegs auffallend dicht gedrängt voller Sterne und Planeten. Eher ließen die Aufnahmen erkennen, daß der Kern leerer war, als es die Erfahrung der Raumfahrer vermuten ließ. Trotzdem liegt dein Ziel dort und nirgendwo anders, sagte der Logiksektor abermals. Er nickte und beobachtete weiterhin die Schirme und Anzeigen. Sowohl Sannys paramathematische Berechnungen als auch alle Vermutungen, die im Verlauf des Fluges geäußert worden waren, deuteten darauf hin. Es gab auch kein anderes, besseres Ziel. Wieder einmal war alles vage und unklar. Niemand an Bord des Schwanenschiffs – und ebenso wenig an Bord der beiden Beiboote der SOL – ahnte, wo des Rätsels Lösung lag und wie sie aussah. »Wie üblich«, murmelte der Arkonide. Er kippte den Sessel und lehnte sich zurück. Die Dunkelzone mit ihren Gefahren lag fast schon hinter ihnen. Durch den Korridor, der
von Yuz geschaffen worden war, konnten die SOL-Beiboote folgen. Bisher war der telepathische Kontakt zwischen Federspiel und Breiskoll immer wieder abgerissen. Die Verständigung stellte sich als sehr schwierig heraus. Die Dunkelzone beeinflußte nicht nur den Funkverkehr zwischen den Schiffen, sondern selbst die telepathischen Verbindungen. »In den letzten Stunden war der Kurs bemerkenswert stabil. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß wir weiterhin Ruhe haben werden?« fragte er. Augenblicklich erwiderte das Raumschiff: »Für die nächsten Stunden sehe ich keine Schwierigkeiten. Meine Vorausortung zeigt einen Abschnitt des Weltraums, der frei von herumschwirrenden Trümmern ist.« »Völlig frei?« »Abgesehen von kleineren Partikeln, die ich leicht vernichten kann. Es gibt bisher keine Anzeichen, daß wir auf ernsthafte Hindernisse stoßen.« »Eine beruhigende Auskunft. Ich habe vor, mich für die nächsten Stunden in mein Quartier zurückzuziehen.« Aus dem linken Sessel kam eine spitze Bemerkung. »Sicher nicht allein, Atlan?« Atlan drehte seinen Sessel halb herum und blickte Tyari ins Gesicht. »Ich bin ganz sicher«, sagte er höflich und beherrscht, »daß deine Anwesenheit hier genügen wird, uns allen einen friedvollen Flug zu gewährleisten. Zumal ich das Objekt deiner Aggression mitzunehmen gedenke.« Tyari stieß einen unverständlichen Laut aus und ignorierte Atlan und Barleona-Iray. Ungerührt bemerkte das Raumschiff: »Es ist erfrischend, inmitten kosmischer Gefahren die geistvollen Rededuelle von euch Besatzungsmitgliedern mitanzuhören.« Als Atlan aufstand und Iray mit sich zog, schaltete sich ein
Monitor zu, und Federspiel sagte: »Ein ironisches Raumschiff! Tut mir leid, Atlan, daß ich deinen Schlaf zum Alptraum mache. Aber soeben ist mein letzter, unscharfer Kontakt zu Bjo völlig abgerissen.« »Ein Ärger kommt selten allein. Was noch?« »Bjo hat sich trotz der Korridorspur von Yuz verflogen. Beim Eindringen in die Kerndunkelzone ist er auf ein ernstes Hindernis gestoßen. Ich erfuhr nicht, was es war. Er scheint aber nicht um die Schiffe und die Mannschaften zu bangen. Für uns bleibt allerdings die Unsicherheit.« »Sie bleibt. Vor allem wissen wir nicht, ob unsere Nachhut uns tatsächlich folgt.« »Erfahrungsgemäß«, meinte Federspiel beruhigend, »stellt Bjo bei der ersten sich bietenden Gelegenheit den Kontakt sofort wieder her.« Wieder unterbrach das Manifest J: »Zu unserer Sicherheit und zu deiner Beruhigung, Atlan, werde ich den Schutzschirm GELB zuschalten.« »Danke!« sagte Atlan, verließ die Hauptzentrale und schwebte zusammen mit Iray durch den Liftschacht in den Bereich der wenigen Kabinen, die dem Führungspersonal vorbehalten waren. Er atmete auf, als sich das Schott hinter ihm geschlossen hatte. Iray lehnte sich an ihn. Er strich über ihr Haar und zog sie an sich. »Hin und wieder sehne ich mich auf ein Südseeinselchen zurück, wo es nur Kokosnüsse, gegrillten Fisch und Wasser gibt, dazu Einsamkeit und dich.« »Jetzt ist ein solcher Moment!« sagte sie und lachte. Sekundenlang fiel die Spannung von ihnen ab. Sie versuchten unbewußt, sich wie normale Menschen zu verhalten, die ihre Verliebtheit entdeckt hatten. »Koste ihn aus«, sagte Atlan und küßte sie. »Tyari«, sagte Iray nach einer Weile, »ist noch immer eifersüchtig.« »Erstens stört es mich wenig«, meinte Atlan und versuchte, durch
die Auswahl von Beleuchtung und Getränken sowie durch Musik aus dem Bordspeicher eine Spur von Gemütlichkeit herzustellen, »zweitens glaube ich es nicht. Ich durchschaue sie nicht. Aber ich glaube, daß sie auf ihre Stunde wartet. Sie ist ein sehr starker, harter Charakter. Ihre Seele wird kaum ernsthaft Schaden nehmen.« »Bist du sicher?« fragte sie und nahm eines der Gläser, die aus demselben Material wie die Hülle von Tauprin zu bestehen schienen. »Ziemlich sicher«, antwortete der Arkonide. Sie saßen in tiefen, weichen Sesseln einander gegenüber. Auf einem Bildschirm, der fast eine Wand der geräumigen Kabine einnahm, erschienen im langsamen Wechsel holografische Bilder, die das Manifest irgendwann auf kosmischen Reisen und Planetenbesuchen aufgenommen und gespeichert hatte. »Denkst du an Benjamin?« fragte Atlan nach einer Weile. Schweigend schüttelte Iray den Kopf. »Nein. Irgendwie denke ich zwar ab und zu an meine Rache oder den Versuch, Geschehenes zu erklären – aber mein Bruder ist nicht allgegenwärtig.« Sie hatten nächtelang miteinander gesprochen, in der Dunkelheit der Kabine. Eng aneinandergepreßt, Iray in Atlans Armen, hatte sie erzählt, woran sie sich nach dem Schock erinnerte: Der Planetoid zwischen der Doppelsonne, der Raumgleiter, der von unbekannten Kräften gesprengt wurde, der feste Glaube an einen Traum, den jeder der beiden Geschwister gehabt hatte. Dann der sogenannte Entscheidungstest und der langsame Tod, die Auflösung, des Bruders. Testperson A! Dann neue, unbekannte Begriffe: Namenlose Zone … Anti-Homunk … weitere Ausbildung … Zeitspannen von mehreren hundert Jahren … ihr eigener Racheschwur, den sie im wortlosen Dialog mit der beschwichtigenden Stimme aussprach. Die Hohen Mächte … und dann: Anti-ES. Immer wieder kamen diese Erinnerungen, aber sie waren im Lauf einer langen Zeit verblaßt und nicht mehr
lebensbestimmend geworden. Sie lächelten sich an; niemand, der nicht verliebt war, verstand ein solches Lächeln richtig zu deuten. Für dritte Personen hatte es unzweifelhaft einen melodramatischen Charakter und wirkte oft unsinnig. Auch Atlan wußte es, aber ihn scherte es nicht. »Was hast du vor? Was erleben wir in den nächsten Tagen?« fragte sie, nahm sein leeres Glas und füllte es wieder, ebenso wie ihres. Atlan zog die Schultern hoch. »Wenn ich's wüßte«, gab er zurück, »würde ich weniger verkrampft sein.« Bisher hatte er versucht, Iray vorsichtig einige Zusammenhänge zu erklären, die für ihn und die Mitglieder des Teams sowie Breckcrown Hayes ziemlich sicher waren. Sie, Iray, stellte nur kluge Fragen, die niemals aus dem Zusammenhang gerissen waren. Wöbbekings Wirken diente dem Arkoniden dazu, für Iray wichtige Informationen geben zu können. Er selbst hielt es für möglich, daß Bruder Benjamin noch in irgendeiner Form mit Anti-Homunk zu verbinden war, vielleicht einen Teil dieser Kreatur darstellte. Natürlich belastete er seine schöne Freundin nicht mit diesem Wissen. Auch darüber hatten sie gesprochen: Zur Zeit, als das kosmische Schachspiel zwischen ES und Anti-ES die Erde und die Menschheit in Atem gehalten hatte, damals … waren die Geschwister aufgebrochen und vor dem Ende ihrer Mission in das Machtgefüge der Superintelligenzen hineingerissen worden. Es war müßig, den gesamten Weg von diesem Zeitpunkt bis heute mit akribischer Sorgfalt nachvollziehen zu wollen. Nur wenig aus der Zeit, die Iray bei den Barleonern verbracht hatte, konnte den aktuellen Stand des Wissens beeinflussen. Die Vergangenheit war ziemlich unwichtig – wenige Ausnahmen mochten diese Regel bestätigen. Atlans Gedanken wirbelten unruhig umher. Er selbst haßte diesen
Zustand. Auch er befand sich nachweislich leider nicht auf jenem imaginären terranischen Südseeatoll. Er war im Manifest Tauprin und flog mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit dem Zentrum von Xiinx-Markant entgegen und einer Vielfalt von Abenteuern, Überraschungen und Gefahren. Ein anderer Umstand indessen erfüllte Atlan mit zunehmender Freude. Iray war seit dem Tag, andern sie in der SOL aufgetaucht war, immer bewußter, sicherer und selbständiger geworden. Durch ihre gegenseitige Zuneigung hatte sie sich erinnern müssen, daß sie eine Frau war, eine schöne Frau, und dies gab ihr zusätzliche Festigkeit. Atlan streckte sich auf der Liege aus und zog die weichen Bordstiefel von seinen Füßen. »Tatsächlich müde? Ich dachte, du brauchtest keinen Schlaf?« fragte sie mit einem Anflug von Kokettheit. »Ich brauche Schlaf, wenn ich auch wegen des Aktivators länger ohne Ruhe und Schlaf sein kann. Aber die Natur läßt sich nicht ständig überbelasten«, sagte er und griff nach ihrer Hand.
* Atlan wachte auf und blieb still liegen. Er bemühte sich, Iray nicht zu wecken. Die fast nicht mehr wahrnehmbar leise Musik, das ruhige Bild scheinbar dicht außerhalb des Raumschiffs und die ruhigen Atemzüge der jungen Frau hielten ihn entspannt. Die Prognose des Schwanenschiffs war also richtig gewesen, wie Atlan nach einem Blick auf die wechselnden Ziffern des Chronometers feststellte. Tatsächlich hatten Mannschaft und Schiff ein paar Stunden Ruhe gehabt. Sechseinhalb Stunden genau. In der Stille hörte Atlan eine schnelle Folge dumpfer Gongsignale. Das Schiff meldete sich.
»Ich glaube, ernsthafte Schwierigkeiten stehen unmittelbar bevor, Atlan.« »Wir kommen!« sagte Atlan halblaut. Iray rührte sich, gähnte und rieb sich die Augen. »Gefahren?« »Ich kann es noch nicht genau abschätzen. Wir befinden uns in unterlichtschnellem Flug.« »Ich bin sofort in der Zentrale«, antwortete Atlan und zog sich schnell an. »Kommst du nach, Iray?« Sie nickte. Im gleichen Augenblick führte das Schwanenschiff eine harte Kursänderung durch. Der Boden vibrierte kurz, dann schwankte das Schiff, und Atlan wurde von den Füßen gerissen. Er klammerte sich an dem federnden Sessel fest, fluchte unterdrückt und hörte, während er sich aufzurichten versuchte, das Manifest sagen: »Wir weichen einem unsichtbaren Hindernis aus.« Wieder ertönte innerhalb des Schiffes eine warnende Tonfolge. Atlan war mit einigen Sätzen am Schott. Es glitt lautlos auf. Er stürmte ein kurzes Stück Korridor entlang, schwang sich in die Liftröhre und war wenige Sekunden später in der Zentrale. Eine Batterie von Leuchtfeldern brannte hell, flackerte und erlosch. Es war die Kontrolle der automatischen Abwehrgeschütze. Auf dem Bildschirm zeichnete sich – scheinbar – ein normaler Bezirk des Alls ab. Ein einzelner Stern, unmittelbar in der Flugbahn des Schiffes, leuchtete stärker, war also in größerer Nähe. »Was war das?« fragte Atlan, und ließ sich in einen Sessel fallen und das Gurtschloß zuschnappen. »Ich bin auf ein unsichtbares Hindernis geprallt. Glücklicherweise auf ein schwaches Feld, das nicht zu orten war. Die Schwierigkeiten beginnen wieder.« »Das sehe ich genauso!« bestätigte Tyari, lief durch die Zentrale und schnallte sich ebenfalls fest. »Tatsächlich nicht zu orten?« fragte Atlan.
»Nein. Die letzten Stunden wurden unter größter Beachtung sämtlicher Vorsichtsmaßnahmen durchgeführt. Ich habe nichts mehr als unsere Sicherheit geplant. Das Hindernis war nicht feststellbar.« Die TAUPRIN hatte ihre Geschwindigkeit abgebremst. Die Aktivitäten auf den Kontrollschirmen zeigten an, daß das Schwanenschiff ununterbrochen, mit höchstem Energieaufwand, Ortungsanstrengungen unternahm. Im normaloptischen Bereich war tatsächlich nicht das geringste zu sehen. Tauprin führte wieder eine Kursänderung durch. Gleichzeitig erklärte die dunkle Stimme: »Da nicht festzustellen ist, wo sich die Hindernisse befinden, fliege ich einen willkürlichen Kurs.« »Meinetwegen.« Außer Atlan und Tyari befanden sich nur noch Federspiel und Hage Nockemann in der Zentrale. In ruhigem Flug wich das Schiff aus, schwang herum, drehte sich entlang der komplizierten Flugachse und kippte wieder zurück. Und dann, gleichzeitig mit einem schmetternden Schlag, flammte der Schirm auf und ließ sekundenlang die Umrisse des Hindernisses erkennen. Rechts auf dem Schirm zeichnete sich eine seltsame Barriere ab; eine Kante, von der aus zwei riesige, leicht geschwungene Flächen sich nach »oben« und zur Seite erstreckten. Das Raumschiff taumelte hin und her, der Schirm riß auf und zerriß in einer Kaskade von vielfarbigen Blitzen. Wieder ließ das Schiff warnende Gongsignale erklingen. »Es schmerzt mich, erklären zu müssen, daß ich beschädigt wurde. Es sind im hinteren Bereich einige Teile der Hülle mit der Barriere in Berührung gekommen.« »Sind die Zerstörungen harmlos oder schwer?« »Zur Reparatur werde ich einen Planeten aufsuchen müssen, jedenfalls muß eine Landung durchgeführt werden. Irgendwo – aber bald.«
»Ich verstehe«, sagte Atlan. Der Flug würde also unterbrochen werden müssen. »Immerhin gibt es keinerlei Störungen in den Antriebseinheiten«, verkündete das Manifest. »Wie tröstlich!« sagte Tyari, wandte sich an Atlan und erkundigte sich: »Ich hoffe, daß du mehr Erfolg bei Iray hast als wir mit dem Flug, mein Freund.« Atlan verfolgte einige Sekunden lang, wie das Manifest versuchte, einen anderen, weniger gefährlichen Kurs zu fliegen. Der Stern war einige Lichtminuten seit dem ersten Aufprall näher gekommen. »Ich hingegen hoffe«, antwortete der Arkonide grimmig, »daß der Flug ebenso erfolgreich ist wie Iray und ich.« »Sehr witzig!« Hage Nockemann kicherte, zupfte an seinem Bart und meinte: »Es ist richtig erfrischend, dir zuzuhören, Tyari. Du benimmst dich, als sei Atlan der einzige Mann in dieser Galaxis.« »Sollte ich deiner Meinung nach mich Hayes an den Hals werfen?« gab sie bissig zurück. »Oder wäre vielleicht Blödel der richtige Partner für mich?« Hage brach in unkontrolliertes Gelächter aus. Mit einer energischen Geste faßte sie ihr auffallendes Haar zusammen und strich es nach hinten. Federspiel murmelte: »Solltest du etwa eifersüchtig sein, Tyari?« Tyari wurde einer Antwort enthoben, denn wieder schrammte Manifest J entlang eines unsichtbaren Riffs, der das gesamte Raumschiff in wilde Vibrationen versetzte. »Vor uns liegt ein Sonnensystem mit sechs Planeten«, erklärte Tauprin. »Ich werde versuchen, einen geeigneten Planeten anzusteuern und dort zu landen.« »Einverstanden.« Von den beiden Beibooten wußten sie nichts. Mit größter Wahrscheinlichkeit jagte die SOL, dessen Bordrechner vom Manifest
C unter Kontrolle genommen war, dem absoluten Untergang entgegen. Und jetzt wurde Manifest J gezwungen, auf einer unbekannten Welt zu landen, um Reparaturen auszuführen. Atlan war nicht wohl während all dieser Überlegungen. Auf den speziellen Bildschirmen erschienen die ersten umfassenden Informationen über die Bahnen, die Abstände und die Größen der sechs Welten, sowie die Charakteristika der Sonne. Das Schiff gab akustisch die weiterführenden Erklärungen ab. Federspiel drehte plötzlich seinen Sessel, stützte sich schwer auf das Vorderteil des seltsam geformten Pultes und konzentrierte sich auf die wenigen Bilder, die er vor sich sah. Ein Planet nach dem anderen wurde von Tauprin geschildert. Da zum großen Teil diese Informationen auch auf Anzeigen und Schirmen auftauchten, war der Verfremdungseffekt nicht außerordentlich groß. »Halt!« sagte Federspiel plötzlich. Seine Stimme war ungewöhnlich rauh. »Worauf bezieht sich diese Anordnung?« wollte Tauprin wissen. »Auf den vierten Planeten«, sagte der Telepath. »Warum?« »Ich muß mich korrigieren. Es ist der Planet, den du an vierter Stelle genannt hast. Ich sehe eben, daß es der zweite Planet ist, hier, an den projizierten Umlaufbahnen. Ich spüre, daß diese Welt bewohnt ist. Ich fange Bezeichnungen oder Namen auf. Kannst du mich bestätigen, Tyari.« Tyaris Gesicht war seltsam ausdruckslos, als sie entgegnete: »Du unterstellt mir Eifersucht und darüber hinaus die Fähigkeit, Fernanalysen lebender Wesen vornehmen zu können. Vermutlich unterschätzt du meine Fähigkeiten, zu kombinieren und naheliegende Dinge miteinander zu verbinden.« »Ganz sicher unterschätze ich dich nicht«, sagte Federspiel. »Die Wesen des zweiten Planeten nennen ihre Welt Uhzwutz oder so ähnlich. Sie sind ein Volk ohne viel Technik, offensichtlich wenig
jenseits des Stadiums der Jäger und Sammler.« Atlan fragte: »Die fünf anderen Welten sind unbewohnt?« »Ich empfange meine Impulse und Eindrücke nur vom zweiten Planeten«, antwortete Federspiel. »Es gibt keinerlei meßbare Hinweise darauf, daß auch nur eine der Welten bewohnt ist. Keinerlei Strahlungen oder einschlägige Emissionen«, erläuterte das Schwanenschiff weiter. »Das unterstreicht die Feststellungen unseres Freundes Federspiel.« »Uhzwutz den Uhzwutzern!« stöhnte Atlan. »Hoffentlich sehen sie netter aus, als ihr düsterer Name vermuten läßt.« »Das Zentralfeuer nennen sie Emtau« Das Schiff hatte in den zurückliegenden Minuten einen bizarren Kurs beschrieben. Es wirbelte in Spiralen, kurzen Geraden und engen Kurven durch den Weltraum. Inzwischen befand es sich innerhalb der Umlaufbahn des sechsten Planeten , einer atmosphärelosen Steinwelt, die von einem Ring aus winzigen Fragmenten umgeben war. Immer wieder hatten kleinere und größere Erschütterungen den Körper des langgestreckten Raumschiffs getroffen. Auf dem Instrumentenpaneel leuchteten inzwischen mehr als ein Dutzend Warnlampen. Die wenigen Geschütze, von denen normalerweise Felsbrocken und kleinere Asteroiden vernichtet wurden, halfen nichts gegen die unsichtbaren Sperren. Schräg auf die Ebene der Ekliptik hinuntertauchend, näherte sich die TAUPRIN dem zweiten Planeten. Hin und wieder beschleunigte das Schiff und flog fast lichtschnell, dann wieder wurde die Geschwindigkeit drastisch reduziert. Sanny kam an der Hand Irays in die Zentrale. »Es ist wirklich notwendig«, sagte das Manifest, »daß wir landen. Ich habe zwar keinen einzigen irreparablen Schaden festgestellt, aber die Gesamtheit der Ausfälle macht uns in kurzer Zeit manövrierunfähig.«
»Dann suche einen guten Landeplatz und lande auf Uhzwutz«, sagte der Arkonide. Vier Stunden lang bewegte sich das Manifest J von Hindernis zu Hindernis, von einem Fluchtpunkt zum anderen. Ununterbrochen klirrten und krachten die Inneneinrichtungen. Die künstliche Schwerkraft fiel etwa dreißigmal kurz aus. Sämtliche Hindernisse waren unsichtbar; die Ortung versagte vollständig. Für Atlan schien es, als würde das Schwanenschiff durch eine Art verdrehten und verkanteten Korridor geschleudert wie ein Ball, der völlig wahllos von Wand zur Decke, vom Boden zur anderen Wand sprang und geprellt wurde. Einmal sagte Federspiel: »Kannst du errechnen, Sanny, in welch einem Teil dieses verrückten Universums wir uns befinden?« »Ich kann nichts Genaues sagen«, wich sie aus. »Mir wäre wohler, wenn ich bestätigen könnte, daß wir in irgendeiner Form manipuliert werden. Fehlanzeige. Außerdem scheint dein weißer Schutzschirm zu flackern und ernsthafte Auflösungserscheinungen zu zeigen, Tauprin.« »Das trifft zu. Es wird Zeit, daß wir landen.« Nockemann stöhnte auf: »Es ist wie Spießrutenlaufen. Gut, daß sich Blödel gerade mit irgendwelchen Erfindungen beschäftigt. Ich könnte es nicht aushalten, auch noch von ihm geärgert zu werden.« Manifest J schwieg. Auf den Bildschirmen schälte sich unendlich langsam der Planet aus dem kosmischen Hell-Dunkel heraus. Zuerst nur ein Ortungsecho, dann ein Punkt, der das Sonnenlicht Emtaus reflektierte, dann eine fast volle Scheibe, schließlich eine Kugel, die voll von der Sonne angestrahlt wurde, und um die langsam die Sichel der Schattenzone zu wandern begann, als das Schiff auf seinem seltsamen Kollisionskurs einen indirekten Weg wählte, um in einen Landeorbit zu gehen.
Dann, ein plötzlicher Ruck. Es gab keine Hindernisse mehr. Der Planet lag unter ihnen. »Lande dort«, meinte Atlan, »wo es Wasser gibt, ein unüberschaubares Gelände, notfalls einige Schlupfwinkel und Bäume. Es kann sein, daß die Reparaturversuche einen unvermuteten Verlauf nehmen.« »Ich habe verstanden und führe genau diese Anregungen aus«, erwiderte das Schwanenschiff und ließ eine aufheiternde Folge von hellen Glockentönen durch sämtliche Räume hallen. Unter den faserigen weißen Spiralen und Wolkengebilden, die einzelnen Federn glichen, erstreckten sich braune, gelbe, blaue und grüne Flächen, in denen weiße Einsprengsel waren. Tauprin gab die Ergebnisse der Fernanalyse frei. »Genau jene Zusammensetzung der Atemluft, die ihr braucht und vertragt. Ein paar Spurenstoffe unterscheiden sich von den gewohnten Werten.« Der Schirm erlosch, die überforderten Projektoren wurden desaktiviert. Durch die immer dichter werdenden Luftschichten sank das Schwanenschiff schräg abwärts, beschrieb über der Landschaft einige Kreise, die immer enger wurden, und landete schließlich. Im Norden ein mäandernder Fluß, der lange Sandbänke und bewachsene Inseln erkennen ließ. Rund um das Schiff breitete sich eine Art Savanne aus, die aus hohen Gräsern, Sandflächen und kleinen Wäldchen bestand. Die Bäume wirkten seltsam geometrisch und starr. Zwischen den inselartigen Wäldern hingen dünne, treibende Nebelschichten. Im Westen stieg hinter den bewaldeten Hügeln ein schroffer Gebirgszug auf, dessen einzelne Gipfel voller Schnee oder Eis waren. Tiefe Erdspalten gab es im Osten, und im Süden breitete sich ein kleiner See aus. Ein letzter Ruck ging durch das Manifest J, wieder ein Glockensignal, und dann sagte Tauprin: »Wir sind gelandet. Ich bitte alle Besatzungsmitglieder in die
Zentrale.« »Wir kommen!« Zusammen mit den Beschädigungen und den notdürftigen Reparaturen aus dem Kampf mit den Ardsly-Schiffen würden die Defekte wohl einen weitaus gefährlicheren Grad erreicht haben. Die TAUPRIN war, wenn die Solaner die Anzeigen richtig deuteten, ziemlich schwer beschädigt. Als Schutz und Wohnbezirk war das Schiff jedoch voll funktionstüchtig. Wenigstens bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wisperte der Logiksektor. Es dauerte nicht lange, dann war das Team versammelt. Atlan sagte zunächst, daß sie sich alle in ihre Schutzanzüge kleiden und bewaffnen sollten. Dann unterbrach die Stimme der TAUPRIN: »Ihr seht, mit welchen Eingeborenen wir es zu tun haben. Hier sind die Vergrößerungen.« Einer der riesigen Monitoren zeigte eine Gruppe seltsamer Wesen. Sie waren etwa eineinhalb Meter groß und sahen aus wie eine Mischung zwischen Pflanze und Tier, mit Schädeln, die an die Darstellungen von Gottheiten aus altägyptischen Tempeln erinnerten. Sie waren mit Speeren, Bögen, Kampfäxten und Riemenschleudern bewaffnet. Schweigend und nachdenklich betrachtete Atlan die Wesen. »Die Uhzwutzer … schnell bewegen sie sich. Höllisch schnell«, murmelte Insider. Sonnenlicht und Schattenlinien ließen erkennen, daß es auf dieser Welt später Morgen war. Die Uhzwutzer waren aus dem nächstgelegenen Wald hervorgekommen, etwa zwanzig Wesen von dunkelgrüner und brauner Farbe, deren Fell oder Pelz aussah, als bestünde er aus vielen Blättern, die angeordnet waren wie Dachschindeln und mit ihren Spitzen nach unten zeigten. Die Eingeborenen liefen auf vier Gliedmaßen schnell wie Raubtiere durch den dünnen Nebel, hielten an und blieben in sicherer Entfernung vom Schiff stehen. Sie hatten Schakalköpfe mit großen,
schwarzen Ohren und großen Augen. Die Gesichter wirkten halb verschmitzt, halb wie die von großen Katzen. Zwischen den Ohren lief eine starre Mähne bis zum Rücken des Tierkörpers und verschwand dort zwischen den blattartigen Fellschuppen. In das Haar der Mähnen, das in allen Farben leuchtete, waren irgendwelche Dinge geknotet: ausgebleichte Knochen, schimmernde Steinsplitter, winzige Schädel von Beutetieren. Das Schiff sagte: »Ich werde mit ihnen reden. Vielleicht helfen sie uns.« »Einem dreihundertfünfzig Meter langem Schiff mit höchstentwickelter Technik?« zweifelte Insider. »Naja, warten wir's ab.« Außenlautsprecher knackten. Die Eingeborenen sprangen vor Schreck in die Höhe, rasten davon und wirbelten wild die Waffen über ihre Köpfe. Unter den Pranken wurden Gras und Erdreich hochgeschleudert. Die Büsche am Waldrand zitterten und peitschten mit ihren Ranken, dann waren die Eingeborenen verschwunden. »Sie sehen alles andere als entgegenkommend aus«, sagte Iray leise zu Atlan. »Jäger in dieser Zivilisationsstufe sind selten liebenswürdige Geschöpfe. Ihr Leben ist hart, und sie müssen schnell und entschlossen sein. Eine Eigenschaft der Evolution.« Natürlich verstanden die Solaner kein Wort der kehligen, vokalreichen Sprache, in der die TAUPRIN mit den Uhzwutzern sprach. Federspiel versuchte, deren Gedanken und Empfindungen zu erfassen, und winkte Atlan zu sich heran. Sie sprachen leise miteinander. »Immerhin …«, kommentierte Nockemann, als sich die Jäger wieder aus dem Wald hervortrauten. »Sie haben uns verstanden.« In den Nebelschleiern und dem schräg einfallenden Licht der gelben Sonne Emtau wirkten die Oberkörper der Uhzwutzer besonders bedrohlich. Die Wesen hatten vier Arme und einen
muskelstarrenden Oberkörper, der im Gegensatz zum übrigen Körper mit einem dunklen, nassen Pelz bedeckt war. Zwei winzige Arme mit langen Fingern hielten irgendwelche Waffen fest, die langen Gliedmaßen hingen fast bis zu den Kniegelenken der Vorderläufe herunter. Über die Brust verliefen fast bei allen Uhzwutzern breite Gurte aus Fell oder Leder, an denen Jagdutensilien steckten. Einer von ihnen trabte auf das Schiff zu und schrie etwas. Ein Glocken ton.. »Der Eingeborene nennt sich Aork«, sagte das Schwanenschiff. »Er meint, daß wir das Werk von kalacktischen Dämonen sind.« »Nichts weniger als das«, sagte Tyari. »Ich glaube, ich sollte hinausgehen und ihnen beibringen, wie sie sich zu verhalten haben.« »Oft schadet blinder Eifer«, erklärte Atlan. »Wir wollen etwas von ihnen, nicht umgekehrt. Lasse die TAUPRIN verhandeln – das Manifest kann es besser.« »Meinetwegen.« Aork und Tauprin verhandelten wortreich miteinander. Von Federspiel erfuhr Atlan, daß die Eingeborenen tatsächlich an alle möglichen Geister und an ein »Kleines Volk« glaubten, das in ihrer Sprache den Namen »Weißsäulengeister« genannt wurde. Schließlich faßte das Schiff alle Einzelheiten des langen Dialogs zusammen und übersetzte: »Die Eingeborenen werden uns helfen, wenn sie können. Natürlich weiß ich, daß sie bestenfalls Steine schleppen werden. Aber sie fürchten sich vor den allgegenwärtigen Geistern. Die Geister sind unsichtbar, aber zu bestimmten Zeiten gibt es Begegnungen, in denen sie sich zeigen. Sie gleichen weißen Säulen, einen Meter hoch und dreißig Zentimeter im Durchmesser, die schweben und fliegen können und natürlich alle Macht haben, die man Gespenstern allgemein andichtet.« Federspiel und Atlan wechselten einen beziehungsvollen Blick.
»Zum Thema Reparatur«, meldete sich die Molaatin. »Ich bin sicher, daß sie mit Bordmitteln durchzuführen sind?« »Ja. Nicht alle. Aber ich werde nach dem Start wieder voll aktionsfähig sein.« »Wie lange wird unser Aufenthalt dauern?« »Zwei Planetentage etwa«, antwortete das Manifest. Langsam, während die Außenlautsprecher ununterbrochen Worte von sich gaben, kamen die Uhzwutzer wieder aus dem Schutz der Bäume und Büsche hervor. Über einen Teil der Savanne galoppierten Rudel von rotwildähnlichen Tieren, von denen man die Köpfe sah und die Körper nur dann, wenn sie in die Luft sprangen. Über dem Schiff kreisten riesige Vögel mit metallisch glänzendem Gefieder. Die TAUPRIN öffnete eine kleine Schleuse, die hoch über dem Boden lag. Frische Luft kam durch die unsichtbaren Schächte in die Zentrale. »Also!« sagte Tyari zum Manifest. »Fange an, dich zu reparieren. Wir haben nichts zu verschenken, am wenigsten Zeit.« »Die Reparatursysteme arbeiten bereits!« antwortete die TAUPRIN. Ein undurchschaubares Spiel von flackernden Lichtern in vielen Farben bewies, daß innerhalb des riesigen Schiffes verborgene Mechanismen in voller Aktion waren. Dann summte etwas, und das Schwanenschiff bewegte den langen Hals. Der Kopfteil erhob sich hoch über den Boden der Savanne, drehte sich langsam nach allen Richtungen und verharrte dann, wie der Kopf eines riesigen Urweltvogels, in waagrechter Position. Die Solaner hatten im normaloptischen Bereich einen großartigen Ausblick über die gesamte Umgebung des Landeplatzes. »Ich werde TOCHTER ausschleusen«, sagte das Schiff nach einer Weile. »Ein paar von euch sollten sich vielleicht einen Überblick verschaffen. Ich traue diesem unsichtbaren Kleinen Volk nicht. Überdies brauche ich eine Schadensfeststellung im optischen Bereich – es erleichtert die Reparaturen.«
Atlan sagte: »Iray und ich sind die ersten Freiwilligen für diese Mission.« »Dann geht bitte in den hinteren Teil meines Körpers. Vermeidet, den Reparaturrobotern in den Weg zu laufen.« »Ich komme mit euch«, sagte Insider und schloß sich Atlan an. Ebenso Federspiel. Draußen löste die Wärme des Sonnenlichts die Nebelstreifen auf. Die Gruppe der Eingeborenen stand regungslos da und starrte hinauf zu dem seltsamen Vogelkopf. Die Uhzwutzer wirkten, als würden sie jeden Augenblick damit anfangen, Speere, Steine und Pfeile auf die TAUPRIN abzuschießen.
2. Bjo Breiskoll fühlte sich überfordert und alleingelassen. Die MT-K-20 FARTULOON hatte anscheinend das Ende des Korridors erreicht. Das Manövrieren wurde wieder so schwierig, daß Vorlan Bricks Fähigkeiten bis zum Äußersten beansprucht wurden. Die FARTULOON-Positronik vollbrachte zusammen mit den Instrumenten der Ortung wahre Wunderdinge. Die Besatzungen der Ortungszentrale dieser Korvette aber sahen sich außerstande, weiterzuplanen, sie waren ratlos. Vor dem Kreuzer und der Korvette erstreckte sich eine riesige, undurchdringliche Zone. Sie bestand aus kosmischem Staub, aus wilden Schleiern winziger Metallpartikel, die entlang rätselhafter Kraftlinien bizarre Strömungsbilder erkennen ließen, und aus gigantischen Massen von Gesteinsbrocken in jeder denkbaren Größe. »Ein kosmischer Sumpf!« stöhnte Breiskoll. Ununterbrochen berührten einzelne Partikel die Schutzschirme des Kreuzers und der Korvette. Beide Raumschiffe flogen fast im Sichtkontakt hintereinander. Die Materie dort draußen war keine unmittelbare Gefahr, denn schnellere Trümmerstücke verglühten in
der Energie der halbdurchsichtig flimmernden Kugelschirme. Größere Brocken wurden aufblitzend zurückgefedert und kollidierten ohne Unterlaß mit anderen Teilchen. Aber es war unmöglich, diese riesige Wolke zu durchfliegen, weil kein einziger Ortungsschirm etwas darüber aussagen konnte, was sich eintausend Meter jenseits der Sichtbarkeitsgrenze befand. Wenigstens funktionierte zwischen den beiden Schiffen der Funkverkehr noch. »Vorlan!« sagte Bjo nachdenklich. »Was tun wir?« »Weiterfliegen, Katzer!« brummte Brick. Er hatte offensichtlich den Rest seines Humors verloren. »Langsam weiterfliegen.« Für die Ortungsfachleute und die Kommandanten beider Schiffe stand fest, daß diese gigantische Materieansammlung am Rand der Innenzone sich unregelmäßig bewegte. Die diffuse Masse verhielt sich im wesentlichen wie eine Wolke aus Wasserdampf in einer planetaren Atmosphäre. Sie dehnte sich aus, schrumpfte, driftete in unterschiedliche Richtungen und entwickelte riesige Ausläufer. »Wir sind bisher immer wieder aus dem treibenden Chaos herausgekommen«, sagte Bjo. »Jetzt sieht es so aus, als säßen wir fest.« »Wir sitzen nicht fest!« beharrte der Pilot. Mit einem Fünftel der Lichtgeschwindigkeit bahnten sich die Schiffe ihren Weg durch die stauberfüllte Umgebung. Sie waren richtiggehend blind. Die FARTULOON-Positronik schaffte es aber mühelos, den Kurs zu halten. Beide Boote flogen parallel zueinander und seit Stunden geradeaus, einem unsichtbaren und unbekannten Zielpunkt entgegen. »Einverstanden«, murmelte Bjo und sehnte sich nach dem Anblick einiger einfacher Sterne. »Können wir es riskieren, die Geschwindigkeit heraufzusetzen?« »Geringfügig!« brummte Vorlan. Das Gebiet in Flugrichtung der Schiffe wurde heller; sie durchflogen eine Zone geringerer Dichte. Also mußte eine Sonne in
der Nähe sein. Breiskoll streckte die geistigen Fühler aus und versuchte, irgendetwas aufzufangen. Gab es in dieser Hölle aus Staub und kosmischem Schutt etwa einen Planeten. Wieder wurde es auf den Schirmen der Panoramagalerie heller. In Bjos Empfinden tauchte ein Begriff auf, ein Name … Murrleufer Er runzelte die Stirn und bewegte sich unruhig. Hinter dem Begriff entdeckte er keinerlei Bedeutung. Er fand keine Ausstrahlung lebender Wesen, keine geistigen Strömungen. Nur diesen Begriff. Bjo zuckte die Schultern und beobachtete weiterhin die Vorausschirme. Aus den Lautsprechern krächzte und knisterte die Stimme des Chefpiloten der CHYBRAIN. »Es scheint voraus etwas heller zu werden, Bjo!« »Seid darauf gefaßt, daß wir irgendeine Begegnung haben werden. Ich konnte einen Begriff orten!« sagte Bjo scharf akzentuiert in die Mikrophone. »Nähere … zelheiten?« »Noch nicht. Ich melde mich.« Tatsächlich zeichneten sich im harten Sonnenlicht einige Einzelheiten ab. Zwischen den Ausläufern schossen einzelne Lichtbalken durch. Sie kamen von einem riesigen Loch in der wolkigen Struktur. Das Licht wirkte leicht diffus; es brach sich an dem feinen Staub zwischen den dichteren Abschnitten. Wieder erhöhte der Pilot die Geschwindigkeit. Murrleufer Der Begriff wurde lautlos ein zweitesmal dem Telepathen entgegengeschleudert. Er erschrak, sagte seiner Mannschaft aber kein Wort und versuchte, Kontakt mit Federspiel aufzunehmen. Nichts. Bjo blieb unsicher und ratlos. Er konnte mit seiner Entdeckung nichts anfangen. Einige Minuten vergingen, während die Schiffe versuchten, mit ständig ansteigender Geschwindigkeit so weit wie
möglich durch den Staub zu kommen, um eine Linearetappe einleiten zu können. Die Ortungsabteilung schaltete ein Achtung!-Signal. Dann erschien auf dem Schirm ein ungewöhnliches Echo. Wieder drängte sich der seltsame Begriff in Bjos Bewußtsein. Er mußte ihn mit dem Echo in Verbindung bringen. Es gab keine andere gleichgroße Wahrscheinlichkeit. Mit Federspiel hatte er keinen Kontakt gehabt – noch immer nicht. Irgendwo hinter ihnen raste die SOL in ihr Verderben, irgendwo vor ihnen kämpfte die TAUPRIN mit Schwierigkeiten. »Also, Freunde«, sagte Breiskoll schließlich, »ich habe vor kurzer Zeit eine Art Signal empfangen. Ein Begriff wurde mir lautlos entgegengeschleudert. Kann jemand etwas mit Murrleufer anfangen?« Kein Besatzungsmitglied hatte diesen Ausdruck jemals gehört. Aus dem Ortungsecho war mittlerweile ein ziemlich scharfes dreidimensionales Bild geworden. Es schwebte dort, mehrere Lichtminuten entfernt, ein Würfel, der sich langsam über zwei Achsen drehte, als habe ihn die Hand eines Spielers ins All geschleudert. Der Würfel zeigte zwar keine Augen, aber an deren Stelle saßen in unregelmäßiger Verteilung verschieden große Öffnungen. Es konnten Löcher sein, riesige Höhlen oder auch nur Farbunterschiede oder solche der Struktur. »Ortung! Welches Material? Ich meine den Würfel!« rief Bjo aufgeregt. »Wir sind sicher, daß es sich um Gestein handelt. Und zwar um Basalt, um Urgestein.« »Könnt ihr Bearbeitungsspuren feststellen?« Es war ihnen klar, daß der Würfel irgendwann einmal bearbeitet worden war. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses exakte Gebilde natürlichen Ursprungs war, konnte als äußerst gering angesehen werden.
»Keine eindeutigen Spuren. Wir versuchen, ins Innere eines dieser Löcher hineinzutasten, aber wir haben immer nur dieselben Anzeigen. Kantenlänge übrigens elftausend Meter, ziemlich genau. Unser Kurs führt hinter der Bewegungsbahn des Würfels vorbei.« »Danke.« Vorlan Brick fragte kurz: »Hinfliegen und nachsehen, Bjo?« »Jawohl. Ich habe schon wieder den Begriff Murrleufer gehört. Der Würfel ist oder heißt Murrleufer. Ich schlage vor, wir folgen diesem Lockruf. Es kann sein, daß der Würfel diesen Begriff so aussendet wie ein Leuchtfeuer seine Blitze.« »Verstanden«, rief Uster Brick aus der CHYBRAIN. »Wir bleiben in unserer Position hinter euch.« Der Würfel kam nach zwei weiteren langsamen Überschlägen in den Bereich der Lichtflut. Vom gegenüberliegenden Rand der Staubmassen schoben sich die beiden Schiffe näher. Sie verringerten ihre Geschwindigkeit. »Ortung klar. Achtung. Informationen.« Als Maße und weitere Analysen auf den Monitoren erschienen, fiel das volle Licht von der Seite auf den Würfel. Noch immer gab es genügend Staub, so daß die Schatten weniger hart waren und sich nicht in der absoluten Schwärze auflösten. Die riesigen Flächen waren tatsächlich voller Löcher. Die Öffnungen waren unterschiedlich groß, von wenigen Metern bis hinauf zu neunhundert Metern Durchmesser, und sie waren völlig rund. Ohne Respekt vor der riesigen, dunkelschimmernden Masse bemerkte ein hochgewachsener Solaner: »Das Ding sieht aus wie ein Stück Käse mit Löchern. Nur schwarz kenne ich ihn nicht.« Bjo wandte sich wieder an den Piloten. »Geh im Schutz der Schirme näher an den Felsen dort draußen heran. Wir sollten eine Untersuchungssonde ausschleusen. Ich fühle mich durch diesen telepathischen Ruf herausgefordert.«
Der Kreuzer und die Korvette flogen einige enge Kreise um den Würfel. Der Schutzschirm öffnete sich an einer Stelle, bildete eine Strukturschleuse aus, und aus einem winzigen Hangar startete eine raketenförmige Sonde. Sie wurde von einem Platz in der Ortungsabteilung ferngesteuert. Natürlich fragte sich jeder, was inmitten der chaotischen Staubund Materiebrockenmasse ausgerechnet ein durchlöcherter Würfel zu suchen hatte. Wilde Vermutungen wurden laut; die Spannung stieg, als die ersten Bilder und Meßergebnisse der Sonde eintrafen und von der Ortung auf die Bildschirme überspielt wurden. Die Sonde aktivierte sämtliche Systeme, aber mehr als die sichtbaren Informationen vermochte sie auch aus nächster Nähe nicht einzuholen. »Ich kann mir nicht helfen«, sagte Bjo Breiskoll nach einer Weile, in der die Schiffe weiterhin ihre Kreise um den Würfel zogen und die ständig wechselnden Bilder der Sonde über die Schirme huschten, »aber der Würfel kann nichts anderes sein als ein effektvolles Nichts.« Das Spähgerät wechselte die Richtung und drang in ein Loch ein, dessen Durchmesser etwa zweihundert Meter betrug. Auch im Innern des Würfels gab es treibende Ansammlungen kosmischen Staubes. Langsam schwebte die Sonde tiefer, drehte sich langsam und tastete die Innenwandungen ab. »Fels!« Der winzige Fremdkörper beschleunigte und tauchte tief in das Loch hinein. Auf einer Strecke von eineinhalbtausend Meter verringerte sich der Durchmesser des Loches auf einhundert Meter, und der runde Tunnel beschrieb eine weite Spiralkurve und verschwand im Innern. Falls dies bei allen diesen Öffnungen der Fall war, dann mußten sich im Innern des Würfels unzählige Gänge kreuzen und umeinanderwinden wie ein Geflecht von Schlangen. Wieder reagierte die Sonde. Ein starker Rundum-Scheinwerfer schaltete sich ein und ließ den weiteren Weg des Testinstruments
erkennen. Der Gang verengte sich weiter, beschrieb abermals zwei Windungen und verlor sich im Würfelinnern. In den absolut glatten Wänden gab es keine einzige Unterbrechung, keine Öffnung und auch nicht ein einziges technisches Gerät. Uster Brick meldete sich von der CHYBRAIN. »Bjo! Wir kreisen seit mehr als einer Stunde um den Würfel.« »Das ist richtig. Ich bin inzwischen fast sicher, daß wir nichts finden werden. Aber da ist dieser Ausdruck.« »Murrleufer?« »Ja. Was schlägst du vor?« »Weiterfliegen«, sagte der Chefpilot der CHYBRAIN. »Vielleicht befindet sich Atlan in einer Notlage. Außer dem einzigen telepathischen Ruf gibt es nicht den geringsten Hinweis, daß der Würfel mehr ist als ein riesiges Stück Basalt. Hole deine Sonde zurück, Bjo.« »Wird gemacht.« Bjo winkte dem Diensthabenden der Ortung zu und machte einige eindeutige Handbewegungen. »Alles klar.« Die Ortungsabteilung bremste die Sonde ab. Sie hatte inzwischen innerhalb des Würfels eine Strecke von mehr als siebentausend Metern zurückgelegt. Das Gerät drehte sich und, als sich im letzten Augenblick der Spezialist anders besann, drehte sich abermals, nahm Geschwindigkeit auf und raste, immer schneller werdend, durch die Röhre weiter. Die Solaner hatten blitzschnell überlegt und sich gesagt, daß es länger dauern würde, wenn der gesamte Weg bis zum Eintrittspunkt zurückgelegt werden mußte. Es dauerte tatsächlich noch mehrere Minuten, bis die Sonde aus einem anderen Loch hervorschoß. Eine Strukturschleuse öffnete sich, und die Sonde wurde eingeholt. Bjo nahm seinen Blick von den stumpfen Kontrollschirmen und sagte zu den beiden Piloten:
»Wir behalten unseren bisherigen Kurs weiter bei. Auch das angestrebte Ziel. Versuchen wir weiter, Atlan und das Manifest J zu finden.« »Verstanden.« Die CHYBRAIN und die FARTULOON lösten sich aus den Kreisbahnen, die sie um den Würfel beschrieben hatten. Während der letzten Zeit war das rätselhafte Wort nicht wieder aufgetaucht. Während die Schiffe den neuen Kurs einschlugen und beschleunigten, sagte sich Breiskoll, daß er möglicherweise, ohne es bemerkt zu haben, einen Wächter der Dunkelzone getroffen hatte.
3. Das Beiboot TOCHTER, rund einundzwanzig Meter lang, wirkte nicht nur auf die Uhzwutzer wie ein kleineres Abbild der TAUPRIN. Als das Boot seinen ersten Rundflug beendet hatte, steuerte das Manifest das kleinere Schiffchen auf den riesigen Körper zu, bremste das Tempo herunter und ließ TOCHTER entlang der Hülle aus unbekanntem Material schweben, das aussah, als ob es hochverdichteter Stahl wäre. »Es sieht nicht gerade vielversprechend aus!« murmelte Atlan und erschrak, als er das wahre Ausmaß der Beschädigungen erkannte. Die letzte Phase des Fluges hatte durch die unaufhörlichen Kollisionen dem Schwanenschiff stark zugesetzt. »Die schwenkbaren Korrekturtriebwerke, fast alle Antennen, überall die Risse und Beulen im Metall …« Iray schüttelte fassungslos den Kopf. »Das Aussehen ist nicht so wichtig«, sagte Insider. »Wenn die Technik zu sehr beschädigt ist, wird es kritisch.« Das Schwanenschiff lag auf der Savanne. Sonnenlicht ließ alle Einzelheiten der tiefen Schrammen und Risse erkennen. An einigen Stellen arbeiteten bereits die Robotautomatiken und schweißten die
Risse in der Außenhülle. Einzelne Luken glitten auf und entließen kleine metallische Gestalten, die sich auf die zerstörten Punkte zu bewegten. »Immerhin verhalten sich die Ureinwohner friedlich«, stellte Federspiel fest. »Noch.« Mittlerweile umgaben etwa tausend der bewaffneten Vierbeiner das Raumschiff. Sie standen in schätzungsweise fünfzig Gruppen beisammen und bewegten sich unruhig hin und her. Beruhigend sprach Tauprin auf sie ein. TOCHTER schwebte weiter, über den Schiffskörper hinweg und auf die andere Seite der Metallmasse. Immer mehr kleine Öffnungen klappten auf, aus denen Roboter hervorwieselten und sich klappernd, summend und klirrend an die Arbeit machten. »Ich habe erkannt, daß die Zerstörungen offensichtlich ernster Natur sind«, erklärte das Schiff in der Kabine der TOCHTER. Atlan erwiderte: »Ich bin schon mit weitaus zerbeulteren Schiffen geflogen. Hoffentlich kannst du deine Technik wieder instandsetzen.« »Ich bin sicher, daß die nötigen Ersatzteile in meinen Magazinen vorhanden sind.« Federspiel hob warnend die Hand und sagte in aufgeregtem Tonfall: »Da geht etwas vor!« »Was hast du …« flüsterte Iray. Atlan und Federspiel deuteten gleichzeitig zu den Uhzwutzern hinunter. »Die Eingeborenen. Verdammt, sie werden immer aufgeregter.« »Sie denken jetzt nur an die Kalackter und an das Große Ungeheuer«, sagte der Telepath. »Sie scheinen etwas zu spüren.« »Spürst du nichts?« fragte Atlan. »Nein. Nur die Uhzwutzer.« Die Tauprin-Intelligenz schien nicht beunruhigt zu sein. Während das Beiboot tiefer dem Boden entgegensank, kamen noch mehr
Roboter, schleppten Einzelteile und arbeiteten an den verschiedenen Stellen der Hülle. Die Eingeborenen warfen die Köpfe hoch, daß die Mähnen flogen. Sie hoben ihre Waffen, stießen bellende Schreie aus und trabten auf das Schiff zu. Als TOCHTER herumschwenkte und auf die weit geöffnete Hangarschleuse zudirigiert wurde, erfaßte eine kollektive Bewegung auch die Roboter. Zuerst schwebten und rollten Dutzende von ihnen auf einen gemeinsamen Mittelpunkt zu, ließen Werkzeug und Lasten fallen und versammelten sich. Dann, auf ein unhörbares Kommando, rasten sie auseinander. Jeder begann gegen seinen Nachbarn zu kämpfen. Sie wandten ihre eigenen Waffen an; die eingebauten Apparate, Werkzeuge und Brenner. Auf der Außenhülle brach ein höllischer Lärm aus. Die Maschinen droschen aufeinander ein, stießen sich über abschüssige Teile hinunter und fielen funkensprühend und rauchend in die Montageöffnungen hinein. Atlan schlug mit der Hand auf das Instrumentenpaneel und fluchte. »Also doch die Kalackter! Sie scheinen uns vernichten zu wollen.« Oder das Wesen, das sie kontrolliert, will euch warnen! sagte der Logiksektor. Das Beiboot wurde in der Luft angehalten und steuerte dann langsam im Rückwärtsflug von der Schleuse weg. Die letzten Roboter ließen voneinander ab und schleppten sich zurück ins Schiff. Einige Sekunden später öffnete sich unter dem äußersten Heckteil des Schiffes ein Krater im Boden. Ein riesiger Sandtrichter erschien, riß weit auf, schickte seine Massen durch eine unsichtbare Öffnung in die Tiefe und ließ das Schiff um einige Meter absacken. Ein Teil der planetaren Jäger raste schreiend im schnellen Trab davon. In der Kabine war eine alarmierende Tonfolge zu hören. »Auf mich hat ein Angriff stattgefunden. Vielleicht existieren die
Gespenster der Eingeborenen tatsächlich. Jedenfalls ist keine Fehlschaltung meiner Systeme für dieses Debakel der Reparatureinheiten verantwortlich!« erklärte das Manifest. »Wir haben alles gesehen«, sagte Insider und verschränkte zwei seiner Arme vor der Brust. »Können wir irgend etwas helfen?« »Ich lasse es euch wissen. Zuerst beraten wir in der Zentrale. Ich hole euch herein.« TOCHTER wurde schnell und sicher in den Hangar bugsiert. Die Insassen liefen in die Zentrale. Viele Solaner hatten bereits ihr Gepäck bereitgestellt; Vorräte, Waffen, Kommunikationsgeräte und Material, das zum Überleben diente, waren Teile der eng gepackten Taschen, Rucksäcke und Tragen. Fast alle hatten die leichten, raumfesten Expeditionsanzüge angelegt. »Patsch-uuh!« machte der grünhäutige Allroundmann. »Wir werden wohl gegen die unsichtbaren Geister kämpfen müssen.« »Wenn du einen von ihnen sehen solltest«, spottete Federspiel voller Grimm, »er ist weiß, säulenartig und einen Meter hoch. Vermutlich ernähren sie sich von unserer Ratlosigkeit.« Atlan fragte sich, natürlich ergebnislos, was der Name Whyburin, der ihm in den Sinn gekommen war, mit den Kalacktern zu tun hatte – falls es sie tatsächlich geben sollte. Die nächste Auskunft der Manifests ließ einen Tatbestand erkennen, der wirklich sehr ernst war. »Ihr wißt, daß beide Boote, SOHN und TOCHTER, ohne mich und ohne Überlichtantrieb kaum als Raumschiff im herkömmlichen Sinn zu gebrauchen sind. Sie können für atmosphärische Flüge und draußen im All, von mir gesteuert, verwendet werden. Sie stellen also kein echtes Rettungsmittel dar.« »Mehr oder weniger wußten wir dies bereits«, antwortete der Arkonide. Wieder ein beruhigender Gongschlag oder Glockenton. »Ich habe jegliche Einflußmöglichkeit auf die kleinen, leistungsfähigen Reparaturmaschinen verloren.«
»Woran liegt das?« fragte die Molaatin. »Nicht an den Uhzwutzern, nicht an den von mir verwendeten Kodegebern und Steuerbefehlen. Die Verbindung ist abgerissen. An einigen Stellen habe ich erkennen müssen, daß eine Art unsichtbares Messer Verbindungen gekappt hat. Es gelangte hier eine unbekannte, aber sehr wirkungsvolle Kraft zur Anwendung.« »Federspiel?« Der junge Telepath winkte fast verärgert ab. Es war seiner Erregung und der Furcht, hier auf Uhzwutz ausgesetzt zu werden, zuzuschreiben, daß er schroff sagte: »Fragt mich nicht! Wenn ich etwas spüre, sage ich es schon! Bis jetzt registriere ich nur die Aufregung der Eingeborenen, die von dem Kampflärm erschrocken sind. Ich habe weder Verbindung mit Sternfeuer noch mit Bjo.« Unsichtbare Hindernisse im All und Angriffe der Unsichtbaren auf dem Planeten, rechnete Sanny aus, das kann mühelos miteinander verknüpft werden. Ob beides dieselben Ursachen hatte, konnte sie nicht sagen. Noch nicht. Noch während sie ziemlich ratlos ihre Meinungen austauschten, ertönte aus dem Heck des Schiffes ein neues, dröhnendes Geräusch. Einmal, zweimal, dann ging es in ein lautes, zerstörerisches Hämmern über. Die Konstruktion des langen Halteseils übertrug die Vibrationen, und der Klang der Erschütterungen wurde durch die vielen Hohlräume verstärkt. »Was ist das …?« schrie Jork Garrett, der hünenhafte Techniker. »Sie machen das Schiff kaputt!« Auf den Bildschirmen wechselten in rasend schneller Folge die Bilder. Tauprin aktivierte eine Außenkamera nach der anderen. Dann sahen sie es, aufgenommen von einer Optik nahe dem schwenkbaren Korrekturtriebwerk. Sanny stöhnte auf. »Ein unsichtbarer Hammer!« schrie sie. Scheinbar unerschütterlich verkündete die Stimme des Manifests:
»Die Zerstörungen können tatsächlich von einer derartigen Einwirkung herrühren.« Vom äußersten Punkt des Hecks, von der Wölbung um das Haupttriebwerk, bis zum Ansatz des Halsstückes, drosch mit gewaltiger Kraft ein unsichtbarer Hammer auf das Schiff ein. Die Einschlagstellen selbst waren nicht sonderlich groß, etwa dreißig, fünfzig Zentimeter im Durchmesser. Aber die Einschläge saßen dicht nebeneinander. Sie erschienen aus dem Nichts – im nächsten Sekundenbruchteil zeigte sich in der Schiffshülle ein metertiefer Krater im Metall. Der nächste, etwa einen Meter weiter, erschien augenblicklich. Die Serie der vernichtenden Einschläge hinterließ eine breite Bahn der Zerstörung. Luken, Linsensätze, Klappen und Verbindungsteile wurden verbogen, zerschmettert und hoffnungslos verbeult. Das Schiff dröhnte noch immer unter den Einschlägen, die hallende Geräusche weit in die Savanne hinausschickten und dort kleine Tiere zur Flucht trieben. Als die Zerstörung jene Stelle erreicht hatte, an der der Hals in den Körper überging, riß das schreckliche Geräusch ab. Der Angriff der Unsichtbaren hinterließ furchtbare Zerstörungen. An vielen Stellen detonierten Teile der Energieversorgung. Riesige Funkenbündel zuckten nach allen Seiten. Flammen und schwarzer Rauch schlugen aus den gezackten, weißglühenden Öffnungen. Der Arkonide reagierte, nachdem der letzte Lärm aufgehört hatte, ganz pragmatisch. »Ich bin sicher, daß keiner von uns im hinteren Teil wichtige Ausrüstungsgegenstände vergessen hat?« »Nein. Wir haben uns stets im Kopf teil aufgehalten!« sagte Garrett. Die anderen nickten. »Ich schleuse zur Sicherheit TOCHTER und SOHN aus«, meldete sich das Schiff. »Die Zerstörungen sind furchtbar. Ich glaube, wir haben keine Chancen mehr, alles zu reparieren.« »Und schon wieder unsichtbare Kräfte!« sinnierte die Molaatin. Die TAUPRIN handelte sofort. Die beiden Boote hoben sich aus
den Halterungen und schwebten entlang des Vorhangs aus Flammen und Rauch nach vorn. Das Kopfteil senkte sich langsam; noch funktionierte dieser Teil der Schaltungen. Dann lag der Kopf der TAUPRIN auf dem Boden der Savanne. In etwa fünfzig Metern Entfernung landeten die Beiboote. Die Tauprin-Intelligenz, also das Manifest, ist noch unversehrt, sagte Atlans Logiksektor. »Also doch die Kalackter!« murmelte Insider. Mittlerweile befanden sich alle Solaner mit ihrer gesamten Ausrüstung in der Zentrale und im angrenzenden Raum. Noch sprach es keiner aus, aber die Wahrscheinlichkeit, daß es außerhalb des Schiffes sicherer sein würde als innerhalb, war größer, je mehr Zeit verging. Schließlich sagte die Molaatin in das ratlose Schweigen hinein: »Die Hindernisse im All waren unsichtbar, ebenso die Kräfte, die das Schiff demolieren, nicht anders als die Gespenster der Eingeborenen, die Weißsäulengeister; auch sie sollen unsichtbar sein. Ich habe zwar nichts errechnet, aber ich meine, es ist sicher. Unsichtbare, die auf diesem Planeten oder in der Nähe hausen, griffen uns an.« »Möglicherweise haßt uns deren Chef«, fügte Atlan hinzu. »Was können wir tun? Recht wenig, denke ich.« Wenige Minuten waren seit dieser Orgie aus Krach und Zerstörung vergangen. »Ich habe einen Vorschlag«, sagte Tyari plötzlich. »Hörst du zu, Tauprin?« »Ich höre immer zu.« »Atlan und ich nehmen SOHN und TOCHTER und versuchen, unterstützt von deinen technischen Möglichkeiten, die Kalackter zu finden. Irgendwo auf dem Planeten, tief in seiner Kruste versteckt oder außerhalb der Lufthülle. Ich halte dies für eine gute Idee.« Sie fügte nach einer kurzen Denkpause hinzu: »Zumindest wird uns die Suche ablenken. Wir müssen einfach
etwas tun. Die Alternative ist, daß wir im Kopfteil des Schiffes bleiben und warten, bis die Unsichtbaren die TAUPRIN ganz zerstört haben.« Eine junge Solanerin nickte Iray zu und rief unterdrückt: »Sie hat recht. Das scheint eine Möglichkeit zu sein. Tauprin, was sind deine Anregungen?« »Ich denke ununterbrochen darüber nach, wie ich es schaffen könnte, mit welchen Verfahren, die unsichtbaren Kalackter zu entdecken. Bis zum gegenwärtigen Moment habe ich nicht einmal eine Ahnung.« Also rätselte auch die bisher so überlegene Tauprin-Intelligenz hoffnungslos herum. Zur Lösung des aktuellen Problems konnte sie nicht das geringste beitragen. Atlan und seine Freunde warteten auf den nächsten Angriff der rätselhaften Intelligenzen. Der Roboter Blödel verlängerte einen seiner dünnen Arme bis zum Maximum und zeigte in die Richtung des offenen Schotts. »Draußen ist es genauso wie drinnen«, sagte er vorwurfsvoll. »Nur anders. Ich suche mein Heil und das von Wuschel in der Flucht aus dem Kopfteil.« Nockemann rief aufgeregt einige Worte. »Jawohl!« gab Blödel zurück. »Ich mache genau das, was du in deiner bodenlosen Ignoranz vorgeschlagen hast, Partner. Ich bekehre die Uhzwutzer und entlocke ihnen das Geheimnis der Unsichtbaren. Außerdem erinnere ich mich an ein altes alchimistisches Rezept, mit dessen Hilfe man Unsichtbares sichtbar machen kann.« »Ziehe in Frieden!« rief ihm die Molaatin nach. Blödel stapfte in die Richtung der offenen Schleuse davon und verschwand aus dem Sichtfeld der Solaner. Die Unterbrechung hatte zwar gemäßigte Heiterkeit erzeugt, aber das Problem war dadurch nicht einmal angeschnitten worden. Atlan brummte nach einigen Sekunden. »Ich akzeptiere den Vorschlag Tyaris unter einer Bedingung.
Tauprin muß das Beiboot steuern und rechtzeitig vor dem nächsten Angriff alles tun, um uns zu retten oder erst gar nicht in eine schwierige Lage geraten zu lassen. Also: dauernde Beobachtung dessen, was wir sehen und erleben. Es genügt, wenn Iray und ich und meinetwegen dieser kräftige, entschlossene Garrett losfliegen.« »Akzeptiert!« erwiderte die Schiffsintelligenz. Atlan, Iray und Garrett hoben einen Teil ihres Gepäcks auf und gingen langsam hinüber zum Beiboot und stiegen ein. Vom Waldrand äugten die aufgeregten Uhzwutzer herüber. Atlan vergewisserte sich, daß seine Waffe entsichert war. Die Schleuse glitt in die wulstigen Dichtungslager und wurde verriegelt. »Wie können wir es schaffen, Unsichtbare sichtbar zu machen?« fragte sich der Arkonide laut. »Mir fällt nur der alte Trick mit Rauch und Nebel ein«, antwortete Garrett. »Es scheint, als ob wir endgültig auf Uhzwutz festsitzen.« »Bis uns Bjo abholen kann«, meinte Iray und schmiegte sich an Atlans Seite, »und das hängt davon ab, wann er mit Federspiel wieder Kontakt bekommt.« TOCHTER stieg auf, umkreiste einmal das Kopfteil des Schwanenschiffs und schwirrte nach Südosten davon, hinüber zum See und dem riesigen, cannonartigen System von Erdspalten. Nach einem Glockenton sagte die TAUPRIN: »Ich kümmere mich um deine Freunde, Atlan. Ich schlage vor, sie auf den Hügel im Norden zu bringen. Dort scheinen sie sicherer zu sein als im Raumschiff. Ich befürchte weitere Angriffe und Verzögerungen der Reparaturen.« »Einverstanden.« »Inzwischen verwende ich alle meine Systeme dazu, etwas zu finden, die Unsichtbaren aufzuspüren. Vielleicht gelingt es mir, die verwendete Energie anzumessen.« »Ich hoffe«, versicherte Atlan ehrlich, »daß es dir recht bald gelingt!« Die unverhältnismäßig großen, ungewöhnlich geformten
Bildschirme funktionierten besser als gläserne Fenster. Atlan, Garrett und Iray schauten jeder auf einen anderen Schirm und versuchten, hinter der vorübergleitenden Landschaft etwas zu erkennen, das sie näher an das Problem heranbringen konnte. Am Horizont jagten kleine Gruppen von Uhzwutzern. Sie kümmerten sich nicht um den stählernen Giganten, der mitten in ihrem Jagdgebiet gelandet war. Atlan versuchte, in den riesigen Grasflächen Spuren zu sehen, die von nicht sichtbaren Wesen stammten. Weiße, dicke Wolken trieben über einen dunkelblauen Himmel. Die Schatten zeigten ziselierte Umrißlinien, die gelb, purpurn und rot funkelten. Ein mittelstarker Wind aus westlichen Richtungen kräuselte die Oberfläche des Sees und schüttelte die Blätter der Bäume, die Büsche und die Gräser. Die Grasflächen wurden wie die Wellen eines Meeres bewegt. Ab und zu tauchten in dieser grünen Flut größere Tiere oder Rudel kleinerer Tiere auf. Sofort machten die Eingeborenen Jagd auf diese Beute, die sich meist durch rasende Flucht der Verfolgung entzog. »Es ist scheinbar so friedlich, so natürlich«, sagte Iray bedauernd. »Und dabei wimmelt es von Gefahren.« »Normalerweise sind wimmelnde Gefahren sichtbar«, meinte Garrett und sah Iray kurz an. Dann hob er dozierend den Zeigefinder und fügte hinzu: »Oder auch direkter Beschuß aus Energiewaffen, Atlan!« »Richtig!« stimmte der Arkonide zu. Beide Tricks waren ihm geläufig. Innerhalb einer rauch- oder nebelerfüllten Zone zeichneten sich unsichtbare Objekte mehr oder weniger deutlich als Hohlräume ab. Da die Solaner stillschweigend voraussetzten, daß die Unsichtbarkeit technisch herbeigeführt wurde, konnte auch ein Energiestrahl ebenso wie das Licht gleichmäßig um das Objekt herumgeleitet werden. Beides war mit bloßem Auge zu erkennen. Vermutlich verfügte die TAUPRIN auch,
ohne es zu wissen und ohne es bisher angewendet zu haben, über dementsprechende Ortungsmöglichkeiten. Garrett schwächte seinen optimistischen Zwischenruf ab, indem er sagte: »Um beide Techniken anzuwenden, muß man allerdings ungefähr wissen, wo sich die Unsichtbaren befinden.« Das Beiboot machte eine Schleife und umkreiste mehrmals den Hügel, den das Manifest erwähnt hatte. Der Ort versprach eine gute Deckung und genügend Platz für ein kleines Lager. Die Hügelkuppe war von Büschen, Bäumen und niedrigem, abgeweideten Gras bewachsen. In einem unregelmäßigen Dreiviertelkreis waren riesige Findlingsblöcke zu erkennen, stark bewachsen, die knapp unterhalb der Kuppe aus dem Boden zu wachsen schienen. »Ein guter Platz, Tauprin«, bestätigte Atlan. »Hast du eben unserer Unterhaltung zugehört?« »Ja. Garrett erwähnte interessante Methoden. Ich versuchte eben zum erstenmal, die Kalackter zu orten. Bisher ergebnislos.« Der Flug ging in geringer Höhe weiter. Wieder tauchten der See und die Erdspalten auf. Schweigend und konzentriert starrten die Solaner nach unten. Sie sahen eine Art Dorf der Uhzwutzer; einfache Hütten aus Geflecht, verstärkt mit Lehm und gedeckt mit Blättern und dicken Bündeln aus Gras. Neben den Bauwerken entdeckten sie zwischen großen Steinen die Feuer und die erkalteten Feuerstellen, aus denen dünne Rauchfäden hochstiegen. Abermals ein trügerisches Bild des Friedens! »Eines steht fest«, sagte Atlan überzeugt. »Die Eingeborenen haben alles andere im Sinn, als uns zu überfallen oder anzugreifen.« »Ich habe sie beruhigt!« bestätigte die TAUPRIN. »Vor euch, jenseits der ersten tiefen Schlucht, habe ich eine Energieemission angemessen, die es eigentlich hier nicht geben dürfte.« Garrett und Atlan hoben die Köpfe und sahen das Bild auf dem Frontalschirm. Etwa viertausend Meter entfernt, vor der Kulisse aus riesigen Zacken und Kegeln, deren Spitzen abgeschnitten, flach und
von Trümmern übersät waren, klaffte ein riesiger Abgrund. Zur Kante hin nahmen die Gewächse ah Höhe ab, das saftige Grün riß einige Dutzend Meter vor dem Fels jäh ab. Das Manifest zeichnete auf dem Schirm ein Lichtzeichen. Es deutete auf eine glatte, rötliche Felswand etwa in der Mitte der Schlucht, rechts hinter dem riesigen Kegelstumpf. »Mehr kannst du uns nicht sagen?« fragte Atlan. »Nein.« »Gibt es Schwierigkeiten mit dem Aufbau des Lagers?« »Bisher nicht die geringsten Schwierigkeiten.« Das Beiboot schwebte weiter, gesteuert von der TauprinIntelligenz und dem technischen Nervenknoten der eigenen automatischen Zentrale. Auch in der Vergrößerung war in der bewußten Felswand nichts Auffälliges zu sehen. Die Wand wurde zu einer Felsplatte, die nicht ganz senkrecht hing und von zahllosen unregelmäßigen Rillen und Sprüngen durchzogen war. Das Boot hielt unverändert darauf zu. Da nur die TAUPRIN mit ihren Beibooten kommunizieren konnte, waren Atlan und seine Begleiter vorübergehend von ihren Freunden abgeschnitten. Die TOCHTER schwankte hin und her, verlor einige Meter an Höhe und wurde langsamer. Garrett schrie auf. »Was hat das zu bedeuten, Tauprin?« »Es gibt neue Schwierigkeiten. Die Unsichtbaren haben euch soeben attackiert!« Noch ehe die drei Solaner reagieren konnten, spürten sie, daß das Boot unter harten Schlägen vibrierte, zur Seite gerissen wurde und sich so verhielt, als würde es mit Impulsstrahlen beschossen. In diesen Sekunden schwebte die TOCHTER über die schroffe Kante des Abrisses. Unter dem Beiboot öffnete sich, mindestens fünfhundert Meter tief, der steinerne Abgrund. Wieder schwankte und zitterte das Boot. Dreimal ruckte es, als ob gewaltige Hindernisse es aufhalten würden. Die Solaner wurden in den Sitzen wild geschüttelt.
In einer schrägen Fallbewegung torkelte und taumelte die TOCHTER auf die Felsen zu. Auf den Schirmen schwankten die Bilder, Felsen schoben sich ins Blickfeld und schienen direkt auf das Objekt zu zielen. Die Solaner kamen nicht einmal dazu, diesen neuen Angriff richtig zu verstehen. In dem Schlingern und Dröhnen, dem Kreischen und Klirren, das um sie herum Schrecken erzeugte, klammerten sie sich irgendwo fest und versuchten, zu sehen, was vor ihnen geschah. Das Beiboot überschlug sich in der Luft, fing sich wieder und kurvte in unberechenbaren Schwenkungen auf irgendwelche Felsplatten zu. Dann stabilisierte sich kurz die Fluglage, und nach zwei harten Gongsignalen rief die TAUPRIN-Intelligenz etwas, das in dem Krachen und Klirren unterging. Die TOCHTER berührte mit dem Unterteil einige Felszacken. Schwere Erschütterungen und ein infernalisches Kreischen zerreißenden Metalls erfüllten das Innere des Beiboots. Dann schlug es schwer auf, sprang wieder in die Höhe und landete abermals in einer gewaltigen Staubwolke und inmitten von losem Geröll, riesigen Steinbrocken und massiven Felsen. Ein letzter dröhnender Schlag, und der Kopfteil des Beiboots kam auf dem Boden zur Ruhe. »Ich habe vorübergehend die Kontrolle über die TOCHTER verloren«, berichtete das Schwanenschiff aus krachenden Lautsprechern. Sämtliche Anzeigen und Leuchtfelder auf den Instrumentenborden schalteten sich ab. »Wo sind wir gelandet?« schrie Garrett. »Wir sehen nichts!« Eine Wolke aus Staub und Sand verhinderte die Sicht auf die Umgebung. Atlan und Iray vermuteten, daß sie nicht auf dem Boden der Schlucht aufgeschlagen waren. »Nach meinen Feststellungen ist das Boot auf einem tafelbergähnlichen Felsen notgelandet.« Langsam sank der Staub. Die Schirme zeigten erste Bilder der Umgebung. Die Schleuse öffnete sich, während die Solaner mit zitternden Fingern die Gurte öffneten.
»Hinaus!« sagte Garrett. Atlan hob die Hand. Er murmelte: »Wir sind vermutlich von den Unsichtbaren abgeschossen worden. Mehr Vorsicht ist geboten!« »Klar.« Langsam tasteten sie sich hinaus ins Freie. Der aufgewirbelte Staub lagerte sich bereits in der Schleuse und auf den Flächen der Umgebung ab. Atlan sprang mit einem weiten Satz hinunter in Sand und Geröll, sah sich um und erstarrte vor Überraschung und Schrecken. Die TOCHTER war fast genau in der Mitte einer runden Fläche aufgeschlagen. Die Oberfläche, annähernd waagrecht, war von Steinbrocken in unterschiedlicher Größe übersät, aber keiner war wesentlich größer als das zerbeulte und zerschrammte Beiboot. Der riesige Kegel ragte aus der tiefen Schlucht auf und lag mit der Oberfläche höher als der erste Abbruch am Schluchtrand. Die drei Solaner waren also auf dem flachen Gipfel eines riesigen Berges ausgesetzt, dessen Rand von dem abgerissenen Ende der Savannenfläche nicht weniger als sechshundert Meter entfernt war. »Seht euch das an!« knurrte der Aktivatorträger und streckte den Arm aus, um Iray aus der Schleuse zu helfen. »Wir sind isoliert. Mit diesem Wrack werden wir es nicht mehr schaffen, dort hinüberzukommen.« Ohne zu antworten, tastete sich Garrett bis zum Abgrund vor, blickte kopfschüttelnd hinunter und hielt sich an den staubbedeckten Felszacken fest. »Dort hinunter geht es auch nicht. Die anderen müssen uns abholen. So schnell wie möglich.« Er kam zurück zu Atlan und Iray, lehnte sich gegen das staubige Metall und schaute in ihre Augen. »Ich habe bisher alles mitgemacht und mich nicht gewundert, weil es offensichtlich zu einem solchen Flug gehört. Aber jetzt wittere ich unter jedem Stein eine giftige Schlange«, sagte er. »Es wird noch viel schlimmer!« versprach Atlan und ließ sich auf
einem Felsbrocken nieder.
* Tyari blieb ganz starr stehen, langte nach dem Griff des Kombistrahlers und musterte aufmerksam die verstreuten Haufen der Gepäckstücke. Die SOHN löste sich gerade wieder aus dem tiefen Eindruck, den sie zwischen den Felsen des Hügels hinterlassen hatte, und flog langsam hinüber zur TAUPRIN. Einige bestimmte Vorgänge waren für die Frau aus Bars-2-Bars mittlerweile völlig klar geworden: Das Manifest war durch jenen unsichtbar abgegrenzten Korridor im All hierher, auf diesen Planeten Uhzwutz gelenkt worden. Es hatte unter diesen Umständen überhaupt keine andere Wahl gegeben. Atlan und Iray-Barleona waren ineinander verliebt; ein Umstand, der zwar Tyari nicht behagte, an ihrem Konzept aber nichts änderte und nichts verdarb. Der Translator, der in der kleinen Schleife an ihrem linken Ohr baumelte, gab flüsternde Übersetzungen von sich. Inzwischen beherrschte die Frau das Interkosmo der Solaner so gut, daß das Gerät nur selten einspringen mußte. Die Lage hier auf Uhzwutz wurde von Stunde zu Stunde gefährlicher. Die Unsichtbaren hatten sie hierher gelockt und begannen, das Schiff zu zerstören. Also verhinderten die Unsichtbaren den Weiterflug. Hier, in jenem Teil der Galaxis, in dem mit größter Wahrscheinlichkeit die Planetenvölker keine sogenannten Auslesekämpfe gegeneinander führten, wurden die Eindringlinge manipuliert. In diesem Fall waren es die Solaner, denen das weitere Vordringen unmöglich gemacht werden sollte. Hüter oder Beschützer der Dunkelzone, jene Kalackter also, sorgten dafür. Was Tauprin ebenso richtig gesehen hatte, war der übereinstimmende Faktor der Unsichtbarkeit.
Der Sitz der Unsichtbaren war der Planet. Irgendwo versteckten sie sich! Von hier aus bauten sie unsichtbare, nicht zu ortende Barrieren auf und würden die TAUPRIN flugunfähig machen. Tyari wußte fast instinktiv, daß sie absolut recht hatte. »Und wo sind die Unsichtbaren?« fragte die Frau laut, kontrollierte flüchtig ihren enganliegenden Einsatzanzug und versuchte zusammenzufassen, was sie in den vagen, ungeordneten Gedanken der Eingeborenen gefunden hatte. Die Unsichtbaren kamen von Sonnenaufgang. Das stimmte mit den Feststellungen Tauprins überein. Aber wie würde es möglich sein, sie zu bekämpfen oder umzustimmen? Sanny wandte sich an Tyari. »Du bist sicher ebenfalls davon überzeugt, daß die Kalackter die Innenzone schützen und Kreaturen von Anti-Homunk sind.« »Mit Sicherheit sind sie hochintelligent, haben überraschende technische Möglichkeiten und bekämpfen jeden, der die Innenzone erreichen will. Ja. Du hast recht. Nach meiner Meinung wenigstens.« Zwei kleine Roboter aus dem technischen Fundus des Schwanenschiffs halfen den Solanern, zwischen Felsen und Bäumen das Lager aufzuschlagen. Es ging sehr schnell vor sich, und die igluförmigen Elemente wurden aufgestellt und fixiert. »Ich werde …«, begann Tyari, aber ihr nächstes Wort wurde von einer Detonation übertönt. Schlagartig drehten sich alle Köpfe; jedermann starrte hinüber zur TAUPRIN, die sich hinter den Bäumen erhob. Im hinteren Drittel des Körpers wallte eine riesige, schwarze Rauchwolke in die Höhe und breitete sich pilzartig aus. In ihrem Innern zuckten und flackerten riesige Flammen. Dann erst schlugen das Heulen und Brodeln des Brandes an die Ohren der Arbeitenden. »Verdammt!« schrie Insider. »Die TAUPRIN kontrollierte noch immer die beiden Boote! Die Kalackter zerstören sie planmäßig und gnadenlos.«
Von hier aus waren die wenigen Solaner, die vom Schiff wegliefen, winzig wie Ameisen. Sie schleppten die Reste der Ausrüstung zum Beiboot. Tyari nahm einen schweren Feldstecher von einem Stapel und blickte hinunter auf die Szenerie. Die SOHN schwebte knapp hundert Meter vom brennenden Schiff entfernt. Jetzt setzte die TAUPRIN Löschanlagen ein. Die Flammen änderten ihre Farben und erloschen dann. Der Rauch färbte sich zuerst gelb, dann weiß. Das Beiboot startete, nachdem die letzten Solaner an Bord waren, mit weit offener Schleuse. In leicht torkelndem Flug bewegte es sich auf den Hügel zu. Nockemann kam zu Sanny und Tyari herüber und säuberte seine Hände an einem Spezialtuch. »Wir müssen warten, bis Breiskoll kommt, nicht wahr?« »Auf diese traurige Wahrheit müssen wir uns einstellen, Hage«, sagte Sanny. Tyari fügte grimmig hinzu: »Und wenn die Kalackter damit fertig sind, das Schwanenschiff zu demolieren, greifen sie uns an. Mit Sicherheit.« Die Frauen und Männer unterbrachen ihre Arbeiten und blickten dem näherkommenden Boot entgegen. Es schwankte hin und her und sackte in hartem Rucken tiefer, obwohl es nicht höher als hundert Meter über dem Boden schwebte. Der Hals mit dem kleinen, kopfartigen Steuerteil bewegte sich wie derjenige eines verletzten Vogels auf und ab. Die Korrekturtriebwerke arbeiteten knatternd und spuckend. Dann machte die SOHN einen langen Satz. Es war, als sammle sie zu einem entscheidenden Sprung die letzten Kräfte. Der Apparat stieg höher, wurde schneller, und für mehrere Sekunden stabilisierte sich die Fluglage. Das Beiboot steuerte direkt auf eine Gruppe niedriger Bäume mit ungewöhnlich dicken Stämmen zu, schien sich darüber hinwegschwingen zu wollen und krachte dann mitten in die Baumkronen hinein. Es hagelte Blätter und Blattfetzen. Zweige und Äste zitterten, rissen ab und brachen knackend. Das Boot fiel durch die verwüsteten Kronen, kippte hin und her und krachte haarscharf
zwischen zwei Felsen zu Boden, keine zwanzig Schritte von großen Gepäckstapeln und drei fertigen Iglus entfernt. Die Solaner waren in drei Richtungen auseinandergerannt. Tyari stürzte nach vorn und spurtete auf die Schleuse zu, um zu helfen, wenn es noch etwas zu helfen gab. In diesem Augenblick summte der Minikom Insiders auf. Der Extra blieb stehen, winkelte den Arm an und aktivierte das Gerät. »Hier Zwzwko! Wer ruft?« »Atlan hier, mit Iray und Garrett notgelandet. Ihr müßt uns abholen.« »Wo seid ihr?« Atlan schilderte ihren Standort so schnell und präzise wie möglich. Niedergeschlagen erwiderte der Allroundmann: »Soeben ist das andere Boot hier vor unseren Füßen abgestürzt. Tyari hilft gerade den Insassen aus der Schleuse. Es scheint keine Verluste gegeben zu haben. Habt ihr Flugaggregate?« »Nein. Ihr müßt uns holen, bringt die Aggregate mit. Ist es klar, wo wir sind?« »Ziemlich. Die TAUPRIN brennt.« Atlan stöhnte auf und fuhr fort: »Sonst scheint ihr alle in Ordnung zu sein? Jedenfalls …« »Tyari winkt gerade. Niemand ernsthaft verletzt, Atlan. Ich komme, so schnell ich kann – mit drei Ersatzaggregaten.« »Einverstanden.« Die übrigen Solaner waren zur Schleuse des Beiboots gerannt, schleppten das Gepäck heraus und halfen ihren Freunden. Stöhnend und fluchend hinkten sie zum Lager hinauf und ließen sich ins Gras fallen oder auf die ausgeklappten Liegen. Tyari rannte auf Insider zu, packte eines der Aggregate und fing an, die breiten Gurte zu befestigen. Insider benutzte alle vier Hände und gab einen kurzen Bericht für die anderen ab. »Wie weit ist es?« fragte Tyari knapp. »Fünfzehn Kilometer?«
»Nicht weniger, klatsch-hurra!« »Kein Grund zur guten Laune«, meinte die Molaatin. »Bringt sie heil zurück! Und denkt an die Unsichtbaren!« »Überlege dir in der Zwischenzeit, was wir gegen sie tun können«, erwiderte Tyari. Sie nickte ihm zu. »Fertig?« »Ja. Dicht über dem Boden, aus Sicherheitsgründen. Klar?« Die Ersatztriebwerke auf dem Rücken, packten sie die Steuerhebel der Aggregate, stiegen einige Meter hoch in die Luft und schwebten auf die Schlucht zu. Sie flogen nicht sonderlich schnell nebeneinander her. Sie dachten schweigend nach. Wieder hatten die Unsichtbaren zugeschlagen und das Raumschiff vermutlich derart zerstört, daß es aus eigener Kraft nie wieder würde starten können. Als habe Tauprin ihre Gedanken mitgehört, brüllten ihnen die Außenlautsprecher des Kolosses nach. »Tyari und Insider! Obwohl die Unsichtbaren mein Schiff innen und außen zu vernichten versuchen, konnte ich noch Ortungen ausführen. In direkter Linie, zwischen mir, über den Notlandeplatz der TOCHTER hinweg, erstreckt sich eine Felswand. Dort messe ich eine Art von Energie an, die jene ›Weißsäulenleute‹ unsichtbar machen kann. Es ist weit und breit die einzige hochorganisierte Energieemission! Fliegt dorthin und seht nach. Gefährdet euch und Atlan nicht. Ich habe keine andere Spur!« Insider meinte, daß TAUPRIN sie vielleicht noch sehen konnte. Er aktivierte seinen Minikom und winkte, während er antwortete, mit zwei Armen. »Verstanden. Wir sehen nach.« »Schade, daß wir keine schwere Waffe mitgenommen haben!« meinte Tyari. »Vielleicht schaffen wir es auch mit unseren Strahlern.« Im weiten Zickzack schwebten sie über die Savanne. Inzwischen war es Mittag geworden. Die Schatten fielen fast senkrecht.
Obwohl sie sich sagen mußten, daß sie die Unsichtbaren mit bloßem Auge nicht entdecken würden, hielten sie genau Umschau. Sie prägten sich jede Einzelheit des Geländes ein, das sie überflogen. Die Eingeborenen hielten an, als sie die Fliegenden sahen, und vergaßen die Jagd. Aber sie griffen nicht an, schienen sich eher zu fürchten. Insider, der Tyari seit langem genau beobachtete, wußte genau, daß sie schnell und entschlossen handelte, wenn es sein mußte. Überdies waren die Solaner sicher, daß die Abgesandte aus Bars-2Bars über die gleiche telepathische Begabung wie Sternfeuer, Breiskoll und Federspiel verfügte – aber sie verriet sich nicht. Unter ihnen wogte im Mittagswind das Gras. Die Kronen der Bäume raschelten, von den Blüten in den dunkelgrünen Büschen stiegen atemberaubende Düfte auf. Kleine Vögel flatterten hin und her, hoch über den beiden Solanern drehten geierartige Riesenvögel mit silbernen Schwingen ihre lautlosen Kreise. Das Wild äste friedlich und flüchtete nur, wenn eine Gruppe Uhzwutzer durch das Unterholz brach. Die Schlucht mit ihren gewaltigen Schroffen und Rissen schob sich näher. Von hier aus wirkte der trümmerübersäte Tafelberg vor der jenseitigen Felswand klein und unbedeutend, noch kleiner sah das zerbeulte Beiboot aus, das inmitten von braunen, gelben und schwarzgeäderten Felsen lag. Es hatte fast die Farbe der Umgebung angenommen. Tyari rief mit unterdrückter Stimme zu Insider hinüber: »Atlan hat sich ein unbequemes Liebesnest herausgesucht. Hier wird es bald ungemütlich werden!« Der kleine, breitschultrige Extra schüttelte seinen grünen Kopf und gab zurück: »Du bist tatsächlich eifersüchtig! Warum gönnst du ihm die Zerstreuung nicht? Er hat das Äußerste für die SOL und uns alle getan!« »Seine wahren Aufgaben und Ziele sind unvergleichlich größer!«
»Das weiß er. Auch dieses Abenteuer ist nur eine Station auf seinem beschwerlichen Weg.« »Ich, im Gegensatz zu Iray, würde ihn nicht ablenken!« »Atlan bestimmt selbst, wann er sich ablenken läßt – und von wem!« rief Insider und erhöhte die Geschwindigkeit. Sie schwebten über die steinerne Kante hinweg und sahen tief unter sich einen schmalen, schäumenden Fluß, der zwischen engen Felswänden dahinschoß und Katarakte bildete. Über dem Wasser, dessen Rauschen undeutlich bis hierher drang, hingen die Fetzen von Nebel und zerstäubtem Wasser. »Nicht gerade komfortabel, der Landeplatz!« brummte Insider und vermied es, direkt nach unten zu blicken. Vor sich sah er die drei Gestalten, die neben der offenen Schleuse und zwischen Felsbrocken standen und saßen. Er winkte kurz, überwand den gähnenden Abgrund und fühlte, wie ihn kurze Windstöße von vorn, von unten und vom Plateau her trafen und aus der Flugrichtung drängten. Er bremste ab, als er die kleine Gruppe erreichte, ließ sich auf einen freien Platz heruntersinken und wartete, bis dicht neben ihm Tyari aufsetzte. »Wir wissen jetzt«, sagte Tyari hart, »daß die Kalackter von dort kommen.« »Also von der Wand. Wir haben beobachtet«, erwiderte Garrett mürrisch und ließ sich von Iray helfen, »aber nichts gesehen.« Die drei befestigten die Gurte, schlossen die Verbindungen und rückten die Steuerung zurecht. Atlan und Tyari berieten sich kurz, nahmen an ihren Waffen kurze Einstellungen vor, und dann sagte der Arkonide in entschiedenem Tonfall: »Garrett! Bitte, hilf Iray hinüber zur Savanne oder zurück zum Hügel. Wir versuchen, die Unsichtbaren aufzustöbern.« »Wird gemacht, Chef!« Garrett und Iray testeten die Flugaggregate, nahmen ein paar Probeschaltungen vor, dann stiegen sie langsam senkrecht in die Höhe. Iray lächelte tapfer, obwohl sie Schwierigkeiten mit der
Technik hatte. Der Hüne schwebte hinüber zu Iray, legte seine Pranke auf ihre Finger und bewegte die Hebel der Schaltung. Nebeneinander sanken sie wieder abwärts. Garrett machte ein Stück isoliertes Tau vom Gürtel frei und klinkte es in eine Gürtelöse von Irays Ausrüstung. »Jetzt wird es gehen«, brummte er beruhigend. »Notfalls schleppe ich dich, Iray. Los!« Sie schwebten wieder hoch, dann vorwärts und über den Rand des Kegels hinweg. Atlan, Insider und Tyari blickten ihnen dreißig Sekunden lang nach, bis sie sicher sein konnten, daß sie den jenseitigen Rand der bodenlosen Schlucht erreicht hatten. »Wir gehen ein verdammtes Risiko ein«, sagte Atlan und warf einen bedauernden Blick auf das Wrack der TOCHTER. »Das wißt ihr!« »Das Risiko ist nicht geringer als das, hier ausgesetzt zu bleiben und von den Kalacktern gehetzt zu werden. Wir haben ganz andere Ziele, Atlan«, erwiderte Tyari. »Du sagst es.« Sie nickten sich zu, schalteten die Flugaggregate ein und schwebten schräg aufwärts und auf die Felswand zu. Nach einigen Dutzend Metern änderten sie ihre Flugrichtung nach rechts und steuerten auf kanzelartige, überhängende Felsformationen zu. Sie drehten sich in der Luft, unter sich den schroffen Abgrund und die hochwirbelnden Windstöße und Nebelfetzen. Dann erreichten sie den Raum hinter den Felsnasen und klammerten sich fest, ließen aber die Antigravelemente eingeschaltet. Insider schlug vor: »Einen ersten Schnitt diagonal über die Wand. Vielleicht treffen wir zufällig eine Luke oder sonst eine getarnte Öffnung.« »Ich ziele nach ganz links!« sagte Atlan. »Feuer frei.« Sie zogen die Strahler, zielten kurz und drückten die Auslöser. Das ohrenbetäubende Geräusch der Schüsse wurde von der Wand reflektiert und donnerte hallend durch die Schlucht. Drei
Einschlagstellen verwandelten sich in kochende, weißglühende Krater im Fels, die sich zu doppelt handbreiten Spalten erweiterten. Das Gestein spritzte in Tropfen und Splittern nach allen Seiten, krachend barsten Steine und fladenförmige Brocken und überschlugen sich, als sie abwärts polterten. Der Wind riß die Fahnen verdampfenden Gesteins zur Seite. Die drei Schnitte wurden tiefer und breiter und berührten sich schließlich. »Aufhören!« schrie Insider keuchend. Das Geräusch der Schüsse riß ab und rollte noch als schwächer werdendes Echo durch die Schlucht. Ein lautes Knirschen ertönte aus der Richtung der Wand. Der Spalt, der an den Rändern rauchte, zerbrach in riesige Platten. Unterhalb der Wand schienen sie gegen ein unsichtbares Hindernis zu prallen, rutschten schräg ab und türmten sich übereinander, bis sie schließlich in einer langgezogenen Lawine in die Schlucht krachten. Unterhalb des Felsens erschien plötzlich eine waffelartig gerasterte Platte, mit Sicherheit aus Metall, auf dem sich die Spur des Beschusses deutlich durch vielfarbige Brandlinien und Flecken abzeichnete. Also doch! sagte der Logiksektor. Die Tauprin-Intelligenz und ich hatten recht. »Tatsächlich!« stieß Insider hervor, löste seinen Griff und schwebte rückwärts aus der Deckung heraus, schwang sich hinüber und schwebte einige Meter vor der Metallfläche hin und her. Atlan brüllte aufgeregt: »Zurück! Weg hier! Die Unsichtbaren werden zurückschlagen, Zwo!« Mit einer Hand winkte Insider ab. Wie ein Insekt bewegte er sich aufwärts und abwärts, nach links und wieder zurück, dann sagte er aufgeregt in den Minikom: »Es gibt eine Öffnung. Sie ist nicht sehr groß. Mehr kann ich nicht erkennen.«
Wieder winkte er, deutete nach Westen und stieß sich mit den Beinen ab, als er sich herumdrehte und davonschwebte. Atlan und Tyari folgten und rasten Insider hinterher. Über dem Rand der Schlucht bogen sie nach Norden ab, in die Richtung auf den fernen Hügel. »Halt!« schrie Tyari plötzlich. Ihr langes, gekräuseltes Haar flatterte im Fahrtwind. Atlan und Insider stoppten und flogen eine enge Kurve. Noch ehe sie richtig begriffen hatten, warum Tyari den Schrei ausgestoßen hatte, sahen sie, was sie meinte. Wieder griffen die Unsichtbaren an. Die Solaner konnten nicht mehr erkennen, ob es in der Metallwand eine Öffnung gab, denn das Sonnenlicht brannte in einem grellen Reflex darauf und zwang dazu, die Augen abzuwenden und mit der Hand zu beschatten. Von mehreren Stellen aus schlugen gewaltige Kräfte nicht nur auf das Wrack der TOCHTER, sondern auch auf Felsen und Steine ein. Sie wirkten auch auf dem Plateau wie riesige Hammerschläge, die blitzschnell und mit äußerster Wucht herunterprasselten. Felsen, übermannsgroß, zersplitterten in tausend Bruchstücke. Die Hülle des Wracks wurde hin und her geschleudert, hochgewirbelt und wieder zu Boden geschlagen. Tyari griff mit der Linken in die Steuerung, raste in wilden Schlangenlinien auf das Plateau zu und begann mitten über dem Abgrund zu feuern. Ihre Schüsse blitzten und dröhnten über die Schlucht, trafen mitten in die Staubwolken, auf hochgewirbelte Felsen und auf Teile des Beiboots. In der Luft, zwischen den Trümmern und den aufflammenden Gasfackeln erschienen plötzlich seltsame Schemen. Sie sahen wie aufrecht schwebende Säulenstücke aus. Auch Atlan und Insider hatten es riskiert, zurückzukehren. Jetzt holten sie die junge Frau ein und sahen ebenfalls den ersten Kalackter. Auch das Schutzfeld, in dem er sich versteckt hatte, wurde sichtbar. Es entsprach einem sphärischen Oval und leuchtete
zuckend unter der Einwirkung der Waffenenergie und des vergasenden Materials. Im Innern des Feldes schwebte tatsächlich ein strahlend weißer Körper, der etwa einen Meter hoch, ohne jede Kontur oder Markierung war, eine Säule von weniger als dreißig Zentimeter Durchmesser. Flüchtig und immer wieder in einzelnen Phasen aufblitzend, zeigten sich andere Säulen. Sie bewegten sich aufwärts und abwärts und führten die dröhnenden Hammerschläge aus. »Zurück!« ordnete Atlan laut an. »Sofort!« Während sie auseinanderrasten, Höchstgeschwindigkeit einschalteten und ebenfalls in Spirallinien und im Zickzack davonjagten, steckte Tyari mit einem zufriedenen Lachen die Waffe ein. Die Frau, die Atlan so ähnlich sah, war wirklich eine eiskalte Kämpferin. Dicht über dem Boden zwischen den Vegetationsinseln und den Buschflächen, schwebten sie im heulenden Gegenwind auf den Hügel zu. Die TAUPRIN rief ihnen nach: »Ich habe fast alles mitangesehen. Jetzt kennen wir unsere Gegner besser.« »So ist es«, knurrte Atlan. »Aber die Lage ist nicht besser geworden dadurch.« Sie landeten inmitten der übrigen Solaner und berichteten der kleinen Gruppe, was sie erlebt hatten. Der letzte Rest von Hoffnung, mit dem Raumschiff von Uhzwutz starten zu können, schwand dahin. Ab jetzt würden die Kalackter nicht nur Material zerstören, sondern die notgelandeten Solaner angreifen.
4. Federspiel gähnte, richtete sich ächzend auf und fühlte, daß er schweißgebadet aufgewacht war. Er warf ein Tuch in den
Wasserbehälter und wischte Gesicht und Hals ab, reinigte die Hände und hörte von draußen die Schritte der Wachen und die knappen Fragen und Antworten, die aus den Minikomen drangen. Es war dunkel; vor dem Einschlafen hatte Federspiel einen Blick auf eine Handvoll Sterne und einen verdüsterten, von Wolken halb verdeckten Himmel werfen können. In den Iglus brannten nur wenige, schwache Leuchtkörper. Von zwei Seiten drang heftiges Schnarchen an Federspiels Ohren. Er schaltete die Lampe ab, öffnete den Iglu und verscheuchte einen Insektenschwarm. Er tastete sich einige Schritte weit zum nächsten Baum, lehnte sich zuerst gegen den Stamm und hockte dann entspannt zwischen den knorrigen, moosüberzogenen Wurzeln. Er konzentrierte sich, versuchte mit seinen Gedanken und Empfindungen die Enge des nächtlichen Planeten zu verlassen und vorzustoßen in die kosmische Weite, hinein in die Gedanken Bjo Breiskolls. Er kannte jede Schwingung, die eine bewußte Gegenwart von Breiskoll signalisierte. Schweigend, in sich gekehrt, lauschte er hinaus in den Kosmos, der von Staub und Trümmern erfüllt war. Leere … Ereignislosigkeit … nichts. Zwischen Bjo und ihm befand sich eine Barriere, die seine telepathischen Schwingungen schluckte. Federspiel tastete weiter – jetzt versuchte er den dünnen, ausgefaserten Impuls von Cpt'Carch zu spüren. Er erhielt ein Echo, einen Widerhall von unendlicher Zaghaftigkeit, dünn und gerade noch zu spüren. Er dachte, bewußt und zufrieden: Wir haben die Spur noch nicht verloren. Die Möglichkeit für IrayBarleona besteht weiterhin, Rache an Anti-ES zu nehmen. Die SOL? Wieder versuchte er, länger als eine Stunde, Kontakt zu Sternfeuer zu bekommen. Es war absolut vergebens. Er empfing die Impulse einer großen Anzahl von Eingeborenen, deren Träume voll von den
seltsamen Dingen waren, die während der Helligkeit des Tages geschehen waren. Erschöpft riß Federspiel die Augen auf und sah, wie zwischen den Iglus der Strahl eines Handscheinwerfers aufblendete und umherschwenkte. »Hier!« sagte er leise. Der Lichtkegel fiel auf sein Gesicht und den Oberkörper. Hage Nockemann, eine schwere Zweihandwaffe vor der Brust, kam fast geräuschlos heran und fragte leise: »Nachgedacht, Federspiel?« »Nein. Ich habe versucht, Verbindung zur SOL oder zu den zwei Nachhutschiffen aufzunehmen.« »Mit Erfolg?« fragte Hage in einem Ton, der erkennen ließ, daß er auf keine positive Antwort wartete. »Total erfolglos. Wo ist Atlan?« Nockemann tippte auf den Minikom am Handgelenk und brummte verdrießlich: »Ich warte auf eine neue Schreckensmeldung. Bei Anbruch der Dämmerung sind Atlan und Iray zum Schiff geflogen. Zum Wrack, um genauer zu sein.« »Was, bei allen Staubwirbeln, suchen sie dort?« »Atlan sagte, er wolle Zwiesprache mit der Tauprin-Intelligenz halten, ehe es ihm wegen der Zerstörung ganz unmöglich gemacht wird.« Federspiel überlegte kurz und nickte dann. »Keine unsinnige Idee. Von den Kalacktern ist nichts zu melden?« »Sie haben seit der Zerstörung der TOCHTER nichts mehr unternommen. Es wurde versucht, auf dem normalen und auf dem Hyperfunkweg die Beiboote zu erreichen. Ergebnis natürlich auch gleich null.« »Sonst?« »Alles normal und ruhig. Fast alle schlafen. Dort drüben sind noch zwei Wachen.« »Dann«, meinte der Telepath resignierend, »werde ich wieder in
den Iglu zurückgehen und weiterschlafen. Ich habe das dumpfe Gefühl, daß es morgen einen heißen, ungewohnten Tag geben wird.« »Höchstwahrscheinlich. Du kannst mich in vier Stunden ablösen, ja?« »Mit zweifelhaftem Vergnügen, aber notgedrungen …«, murmelte Federspiel und winkte dankbar zurück, nachdem der Strahl des Scheinwerfers ihm den Weg bis zum Eingang des Iglus beleuchtet hatte.
* Die Tauprin-Intelligenz, das eigentliche Manifest, befand sich im hinteren Teil des demolierten Schwanenschiffs. Ein einzigesmal war Atlan in jenem Bezirk gewesen, vor wenigen Tagen, als er gegen die Schein-Ungeheuer gekämpft hatte. Daß er sich, zusammen mit Iray, jetzt wieder im Schiff befand, hatte mehrere Gründe. Gegen Abend hatte die TAUPRIN ihre hochentwickelten Außenlautsprecher eingeschaltet. Die Fähigkeit des Schiffes, mit fremden Wesen innerhalb und außerhalb der Hülle verkehren zu können, war erstaunlich. Gerichteter Schall hatte das Lager erreicht und Atlan hierher gebeten. Noch immer war die Stimme Tauprins wohlklingend. Aber sie war längst nicht mehr so klar und voll wie vor den schweren Zerstörungen. »Ich wiederhole«, sagte das Manifest zögernd, »daß ich zwar hilfsbereit bis zum äußersten bin, aber von einer Lösung unserer Probleme so weit entfernt wie nie zuvor.« »Das wissen wir«, erwiderte Iray. Sie hielt Atlans Hand. »Das Schiff wird niemals wieder starten?« »Mit größter Wahrscheinlichkeit nicht! Ich muß euch bitten, etwas für mich zu tun.«
Als Iray und Atlan hierhergeflogen waren, hatten sie die erstaunliche Feststellung gemacht, daß einzelne Uhzwutzer ihnen nicht nur nachgeblickt, sondern auch zugewinkt hatten. Also identifizierten sie die Solaner nicht als Gefahr. »Gern. Wenn es in unserer Macht liegt!« sagte der Arkonide vage. Sie waren zweimal um den hingeschmetterten Körper geflogen und hatten die furchtbaren Zerstörungen gesehen. Als Raumschiff war die TAUPRIN nicht mehr zu gebrauchen. »Es ist riskant für euch«, sagte das Manifest J. »Seit wir gestartet sind«, erklärte Iray trotzig, »löst ein Risiko das nächste ab.« »Du weißt, Atlan, daß ich in einer Kugelschale eingeschlossen bin?« Atlan wußte es nicht; er hatte es sich ausgerechnet. In dem kugelförmigen Raum hatte er keinerlei Zeichen für die Anwesenheit des Manifests feststellen können. Aber wie konnte er ohne telepathische Fähigkeiten eine solche Wesenheit erkennen? »Jetzt weiß ich es«, antwortete er. »Aber was hat das mit uns zu tun?« »Sehr viel. Ich bin bewegungsunfähig. Die Beiboote sind zerstört.« »Das haben wir merken müssen«, sagte Iray leise. »Wir leiden ebenso wie du, wie das Schiff und das Manifest.« »Materielle Werte sind am leichtesten zu ersetzen. Bisher hat niemand von euch Schaden genommen.« »Das ist wirklich so. Bisher sind wir alle so gut wie unversehrt!« antwortete Atlan. »Das kann sich ändern.« »Wem sagst du das!« seufzte der Arkonide. »Zurück zu deiner Frage oder Bitte. Wir sollen dir helfen?« »Ich bitte darum.« »Wie? Auf welche Weise?« Die TAUPRIN machte eine kurze Pause. Dann sagte die warme, ruhige Stimme unsicher und gepreßt:
»Ich bin körperlos und unsichtbar. Ich bin kein Gas und kein Plasma. Ich brauche aber eine Umgrenzung meines Lebensraums. Zudem ist diese Umgrenzung nicht mein Werk, sondern zeigt, daß ich gefangen bin. Ich bin in dieser Kugelhülle eingeschlossen. Versuche nicht, eine schlüssige Erklärung für meine Zustandsform zu finden – vielleicht hilft dir ein Modell: Ich bin ein gefangener, eingeschlossener Gedanke. Akzeptiert?« »Akzeptiert«, entgegnete Atlan. »Eine solche Erklärung verwundert mich nicht. Ich kenne derlei.« »Gut. Danke. Bringe die Kalackter dazu, diese Schale zu zerstören.« Atlan zuckte zusammen. »Haben wir dich recht verstanden? Ist nicht schon genug zerstört?« Bevor dieser Teil der Unterhaltung angefangen hatte, ließ sich Tauprin berichten, was im einzelnen vorgefallen war. Vieles wußte das Manifest bereits, einiges half ihm dazu, weitere Schlüsse zu ziehen. Atlan versuchte zu erkennen, worauf das Manifest abzielte. »Darum geht es nicht«, sagte die Tauprin-Intelligenz. »Ich will frei sein. Das geht nur, wenn die Hülle durch mechanische Kräfte oder andere, übergeordnete, aufgerissen wird. Ich wäre dann frei.« »Was hätte deine neu gewonnene Freiheit«, wollte Iray wissen, »mit uns zu tun? Welche Vorteile oder Nachteile hätten wir zu erwarten?« Sofort antwortete das Manifest. »Keine Vorteile. Und keinerlei Nachteile. Abgesehen davon, daß die zerstörte Hülle des Schiffes vielleicht noch lediglich als Schlupfwinkel zu gebrauchen sein könnte.« Atlan holte tief Atem. »Wir sollen also die Kalackter dazu bringen, sich einen Weg durch die Schotte und den Stahl zu bahnen und die Kugelzelle zu zerstören. Vermutlich könnten wir es auch mit unseren Energiewaffen schaffen.«
»Ausgeschlossen.« Der Trick, mit dem Tyari endlich die Unsichtbaren zum Auftauchen gezwungen hatte, war vergleichsweise simpel gewesen – direkter Beschuß einer Stelle, an der man sie vermutete. Atlan sah neue Schwierigkeiten voraus und fragte wieder: »Wir, die Solaner, schaffen es nicht? Bist du dessen sicher?« »Ich bin völlig sicher.« »Ich bin es nicht«, murmelte Atlan. »Und ich habe nicht einmal die entfernteste Idee, wie wir es schaffen können, die Unsichtbaren hierher zu locken. Muß das sein?« Wieder dauerte es mindestens zwanzig Sekunden, bis Tauprin antwortete. »Warst du schon einmal unendlich lange eingesperrt, von allem, was dir wertvoll erschien, ausgeschlossen?« »Ja.« »Dann weißt du, welche Qualen ich ausstehe. Die Hülle, die mich von all dem trennt, ist eine Schöpfung von Anti-ES. Zerbrich diese Hülle, Atlan. Entlasse mich in die heißersehnte Freiheit. Ich kehre dann zurück in den Bereich des Kosmos, in dem ich zu Hause bin, in die namenlose Zone. Hilf mir, mein Freund!« Nach einer langen Pause des Nachdenkens fügte das Manifest hinzu: »Hilf mir, wie du Barleona geholfen hast. Ich habe mir gestattet, euch genau und intensiv zu beobachten.« Für ein Wesen wie das Manifest J war diese dringende Bitte weitaus mehr. Es war ein Notschrei aus tiefster »Seele«. Atlan verstand und billigte diese Bitte. »Wir helfen dir!« »Danke.« »Aber … wie?« meinte Iray. »Der Umstand, daß wir die Unsichtbaren erkannten, ist hier nicht wiederholbar.« »Ihr müßt sie hierher bringen. Den Rest besorge ich, mit euch zusammen.«
»Kannst du, wenigstens ein einzigesmal, noch starten? Beziehungsweise, würde es dir gelingen, das Schiff abheben zu lassen?« fragte Atlan. »Ich bin sicher, daß ich es schaffe. Viele Reparaturen wurden trotz der Zerstörungen und des Brandes durchgeführt. Eine Minute! Ich teste meine Systeme.« Schon nach neunzig Sekunden erklärte die Tauprin-Intelligenz: »Bis zum Anbruch der Helligkeit werde ich es fertigbringen, das Schiff wenigstens einmal vom Boden zu heben. Ich werde auch alle Voraussetzungen schaffen, daß ihr die Unsichtbaren erkennt. Vielleicht kann ich auch meine Materie-Abwehr einschalten.« Die persönlichen Interessen des Manifests waren ein wenig klarer geworden. Ein Gefangener des Anti-ES; auch in diesem höchst seltsamen Fall von Verschmelzung einer Intelligenz mit einem derart hochentwickelten Mechanismus ein bedauerliches Schicksal. Es war anzunehmen, daß nach diesem Versuch die Kalackter das Schiff in einen völlig unbrauchbaren Trümmerhaufen verwandeln würden. Das wiederum war die Voraussetzung, daß Tauprin befreit wurde. »Das bedeutet, daß Teile des Schiffes repariert werden können?« »Es ist richtig. Ununterbrochen wird alles unternommen, um Schäden zu neutralisieren.« »Wann soll der Überfall auf dich stattfinden?« fragte Atlan. »Bei Sonnenaufgang oder kurz danach.« »Einverstanden«, antwortete Atlan. »Tyari und ich werden die Kalackter hierher locken.« Iray hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie wandte sich an das Manifest. »Können wir ungefährdet die Nacht hier verbringen?« »Ja. Sucht euch eine Kabine aus.« »Vorher muß ich noch Tyari verständigen«, schaltete sich Atlan ein und ging in die Richtung der offenen Schleuse, deren Rahmen verkantet und deren Türen zerbeult waren. Er rief Nockemann und
bat ihn, Tyari zu wecken. Minuten später hatten sie die wichtigsten Einzelheiten des Einsatzes abgesprochen. Noch einmal wandte sich Atlan an die Tauprin-Intelligenz. »Nicht, daß ich deine erstaunlichen Fähigkeiten unterschätze, Manifest. Aber wir müssen uns darauf verlassen können, daß jeder einzelne Schritt genau mit dem nächsten verzahnt ist, daß wir uns in Sicherheit bringen können, und daß du alle deine Fähigkeiten anwendest, um uns zu helfen.« »Da ich dabei mir helfe, könnt ihr euch auf ein reibungsloses Zusammenspiel aller noch verbleibenden Kräfte verlassen«, betonte die TAUPRIN. »Warten wir's ab!« murmelte Atlan, legte seinen Arm um Irays Hüften und zog sie durch einen breiten Korridor auf die nächstgelegenen Kabinen zu. Überall waren Beleuchtungskörper und Schaltungen ausgefallen. Glas und Splitter aus scharfkantigem Material knirschten unter den Sohlen. Es stank nach kaltem Rauch, Kondensat und dem pulverisierten Niederschlag des Lösungsmittels. Atlan trat mit einem Fuß die klemmende Tür auf, sah sich einer leeren, unbenutzten Kabine gegenüber und tastete die Beleuchtung ein. Das Innere der kleinen Räume war fast unbeschädigt. »Wir haben noch acht Stunden Ruhe«, sagte Atlan nach einem Blick auf die Ziffern eines Monitors. »Machen wir das Beste daraus.« Sie strahlte ihn an, aber auch ihr Lächeln trug die Spuren der Erschöpfung. »Mit Vergnügen.« Die Versorgungseinheiten arbeiteten mit Ausfällen, aber Atlan und Iray konnten sowohl duschen, essen und trinken und ruhig schlafen. Das Manifest weckte sie mit leisen Gongsignalen. »Bleibe liegen«, sagte der Arkonide. »Es eilt nicht.« Er bereitete sich schweigend vor. Jeder einzelne Handgriff, ausgeführt mit der Sicherheit unendlicher Einsätze, saß. Die Schlösser der Gurte klickten, die Waffen wurden kontrolliert, die
Ersatzmagazine nachgesehen und wieder verstaut. Mitten unter den Vorbereitungen summte der Minikom. Atlan hob das Handgelenk und aktivierte das Gerät. »Du bist ungeduldig, Tyari«, sagte er leise. »Wir kommen sofort. Hier ist alles ruhig.« »Noch. Unsere Freunde befürchten, daß die Kalackter sich an uns rächen werden.« »Das befürchten sie zu Recht«, erwiderte der Arkonide. »Wir besprechen alles, wenn ich im Lager bin.« »Wie lange dauert es noch?« »Etwa eine halbe Stunde.« »Beeile dich, es wird bald hell sein.« Atlan seufzte leise. Die wenigen Stunden, in denen er sich seiner Liebe hatte widmen können, waren vorbei. Nach dem Einsatz gegen die Kalackter würde es keine Ruhe mehr geben. Die Unsichtbaren hetzten dann die Solaner. Das war für ihn sicher. Er warf Iray einen langen, schweigenden Blick zu. Die junge Frau zog sich an; Atlan bewunderte schweigend die Linien ihres Körpers. Dann drehte er sich herum und riß die klemmende Tür auf. »Manifest J!« rief er. Sofort ertönte wieder ein sanfter Glockenton. »Ich höre.« »Wir verlassen in wenigen Minuten das Schiff, fliegen zum Lager, und dann greifen wir die Metallplatte in der Felswand an. Das ist alles. Du weißt, was zu tun ist.« Sie leerten die großen Tassen eines heißen, aufmunternden Getränks, verließen die Kabine und kletterten aus der Schleuse. Die Dunkelheit der Nacht war nicht mehr vollkommen, denn am östlichen Horizont, über den zackigen Rändern der Schlucht, begann sich ein hellgrauer Streifen abzuzeichnen. Fast überall breitete sich dicht über dem Boden dichter Nebel aus. Atlan fiel, völlig unmotiviert, eine Zahl ein: etwa fünfundachtzig Tage brauchte die SOL noch, um das Zentrum dieser Galaxis zu erreichen.
Iray und Atlan schwebten mit summenden Aggregaten über dem Nebel durch die feuchte, kühle Luft. Sie roch frisch und nach den fremdartigen Pflanzen und Blüten. In einem der Wäldchen, in denen sich die Lager der Uhzwutzer befanden, brannte ein einzelnes, kleines Feuer. Der Rauch kroch mit dem Nebel über den Planetenboden und bildete dünne, fast nicht sichtbare Schleier in den verschiedenen Grautönen. Atlan drückte mehrmals seinen Daumen auf den Kontakt des Schalters. Aus dem Handscheinwerfer zuckte ein breitgefächerter kalkweißer Strahl auf das Lager zu, streifte die Bäume und wurde von den Iglus förmlich aufgesogen. Die Außenhülle hatte sich der Umgebung angepaßt und war dunkelgrün und gemustert. Ein Scheinwerfer blinkte zurück. Nockemann oder Federspiel! Atlan und Iray landeten in der Nähe des Postens. Es war Federspiel, der Atlan hastig versicherte, daß er keinerlei Kontakt mit Sternfeuer und ebenfalls keinen mit Breiskoll gefunden hatte. Tyari kam aus einem Iglu, blieb im Lichtkreis stehen und sagte hart: »Bringen wir's hinter uns, Arkonide?« »Nimm's leicht, Schwester«, erwiderte Atlan. »Noch haben wir nicht genug Licht.« »Das ist der beste Vorteil, den wir jetzt haben. Wir bleiben vermutlich ebenso unsichtbar wie die Kalackter.« »Ein ausgezeichnetes Argument, Tyari!« stimmte Atlan überrascht zu. »Du hast recht. Es ist keine Zeit zu verlieren. Die Waffen?« Sie reichte ihm eine schwere Zweihandwaffe. Atlan hängte sie sich um den Hals und sagte zu Iray: »Ihr müßt euch verteilen, verstecken und versuchen, den Kalacktern zu entkommen. Sie werden uns natürlich angreifen, klar?« »Klar!« sagte Federspiel trocken. »Viel Glück. Ich kümmere mich um Iray und organisiere hier alles. Der erste Schuß ist das Signal.« »Verstanden.«
Tyari hatte ihr langes Haar zu einem festen Zopf geflochten und ihn um den Kopf geschlungen und irgendwie befestigt. Ihr Gesicht wirkte hart und entschlossen. Auch sie trug Scheinwerfer, zwei Strahler und eine Zweihandwaffe mit mehreren Ersatzmagazinen. Über ihrer Brust kreuzten sich die Gurte des Flugaggregats. Atlan zog Iray kurz an sich, küßte sie und murmelte: »Keine Sorge. Wir kommen heil zurück.« Er schaltete den Scheinwerfer aus und nickte Tyari zu. Sie packten die Schaltung, stiegen langsam auf und schwirrten dann dem breiten, hellgrauen Streifen am östlichen Horizont entgegen, der bereits eine hellrote Kante hatte. Tyari rief unterdrückt: »Gut ausgeschlafen, Atlan?« »Es wird reichen, den Kalacktern unangenehme Augenblicke zu bereiten.« »Du hast mit Tauprin gesprochen.« »Ja. Und was das Manifest will, ist genau folgendes.« Atlan erklärte ihr alle Zusammenhänge, die sie noch nicht kannte. Tyari verstand das Problem schon längst und hörte schweigend zu. Sie näherten sich, eine schräg abdriftende Rauchsäule hinter sich lassend, dem Absturz der Felsformationen, und vor ihnen brodelten riesige Wolken aus Wasserdampf aus dem tiefen Talkessel. Schließlich fragte Atlan zurück: »Haben wir uns verstanden?« Ihre Stimmen klangen ebenso wie das Summen der Antigravtriebwerke unnatürlich laut in der fast absoluten Stille des anbrechenden Morgens. Tyari und Atlan überflogen den tiefen Riß, schwebten inmitten der Schwaden über den Kegel mit dem Wrack des Beiboots und näherten sich der riesigen Fläche aus Metall. Die gerasterte Oberfläche wirkte stumpf und abweisend. Tyari und Atlan blickten sich schweigend an. Sie wußten genau, was zu tun war. »Los!« zischte Atlan.
Sie bremsten ab und stemmten sich mit den Händen gegen die Metallplatte. Durch die Handschuhe spürten sie die feuchte Kälte des Taus, der sich daran niedergeschlagen hatte. Die Sonne hob sich über den Horizont, wurde von zahllosen Zacken verschiedener Farben reflektiert und hellten die Metallplatte auf. Tyari und Atlan schwebten hin und her und fanden schließlich die winzigen Vertiefungen, die eine Schleuse oder ein Schott kennzeichneten. Langsam schwebten sie zurück, schlangen die Riemen der Waffen um die Unterarme und eröffneten das Feuer. Die vernichtende Energie fraß sich entlang der fast unsichtbaren Linien in den Hohlraum hinein, ließ das Metall aufglühen und schmelzen, und über der Schlucht erhob sich ein gewaltiger Lärm. An einigen Stellen schlug die Energie durch und verlor sich heulend und dröhnend, funkenerzeugend und aufflammend in den unbekannten Hohlräumen. Einige Explosionen waren undeutlich zu hören und wölbten die Platte nach außen. Beide Angreifer veränderten langsam ihre Position. Sie schwebten weiter zurück und höher hinauf, ohne die Waffen abzusetzen. Die gleißenden, aufblitzenden Strahlen trennten die verborgenen Lager, Zuhaltungen und Scharniere auseinander, verbrannten die Dichtungen und trafen, wenn sie ungehindert durch den ständig breiter werdenden Zwischenraum schlügen, auf irgendwelche technischen Einrichtungen, die mit grellen Lichterscheinungen und gewaltigen Donnerschlägen explodierten. Schließlich, als Atlans erstes Magazin leer war und er mit schweißfeuchten Fingern das alte Magazin herausriß, fallen ließ und das neue hineinschlug, gab es eine ohrenbetäubende Detonation. Die Explosionswelle erfaßte die Platte der Öffnung, beulte sie aus und faltete sie förmlich zusammen, dann sprengte sie die schwere Metallmasse waagrecht aus der Felswand. Sie überschlug sich mehrmals und fiel taumelnd in den Abgrund. Der Druck der Detonation packte auch Tyari und Atlan mit unsichtbarer Faust, schleuderte sie wie Insekten rückwärts über die
riesigen, gähnenden Abgründe hinweg und ließ sie hilflos umherschwirren. Sie fingen sich ab, taub vom Donner und von dem mehrfachen Überschlagen und Herumgewirbeltwerden. Atlan hörte, wie seine Trommelfelle summten und sirrten. Er versuchte, sich mit Tyari zu verständigen und gestikulierte. Noch ein Vorstoß? besagten seine Gesten. Die Granaten? Ja. Einverstanden. Sofort! erwiderte sie auf demselben Weg. Sie schwebten wieder über gut ein Drittel der Schlucht hinweg, warfen die Waffen auf den Rücken und zogen die Explosivkörper aus den Gürtelhalterungen. Während des Fluges stellten sie die Vorlaufzeit der Zünder ein. Atlan wählte fünfzehn Sekunden. Vorsichtig segelten sie im Zickzack von zwei Seiten auf die Öffnung in der Felswand zu. Aus der rechteckigen Schleuse, etwa zehn zu zehn Meter groß, kamen mehrfarbige Rauchwolken. Hinter dem Rauch zuckten irgendwelche Entladungen.. Atlan klammerte sich an den unteren, zerfransten und gezackten Rand der Umfassung fest und blickte nach unten. Er sah, während der Explosivkörper Tyaris an seinem Kopf vorbeiflog, nur Rauch, Flammen und kalkweiße Funken in einem schräg nach unten führenden, großen Korridor. Die Gase stachen in seine Nase. Er riß den Arm nach vorn und schleuderte seine Bombe so weit nach vorn, wie er konnte. Dann packte er Tyari, die neben ihm an der Kante hing, am Unterarm. »Zurück zum Schiff!« schrie er und wußte noch immer nicht, ob sie ihn hörte. Aber sie verstand ihn, rief ebenfalls etwas und stieß sich von dem metallenen Rahmen ab. Nebeneinander schwebten sie zurück und sahen sich immer wieder um. Noch war nichts zu erkennen, keine Lücken oder Umrisse in dem Inferno aus Rauch und Dunst. Inzwischen war die Sonne über dem Horizont. Sie überschüttete das Gelände mit fast waagrechten Strahlen. Hinter den Baumwipfeln tauchte der zerbeulte Rumpf der TAUPRIN auf.
Durch das Sirren in seinem Kopf hindurch rief der Arkonide: »Wir müssen sicherstellen, daß uns die Kalackter hierher verfolgen!« . Tatsächlich konnte er inzwischen wieder verstehen, was Tyari ihm entgegenbrüllte. »Wenn wir sie nur sehen würden! Oder irgend etwas von ihnen. Meinetwegen ihre Waffen oder Rückstände.« »Warten wir über dem Schiff?« »Einverstanden. Wie besprochen, Atlan.« Sie flogen eine weite Kurve, rund fünfzehn Meter über den Baumwipfeln. Die ersten vierfüßigen Jäger rasten in verwegenem Trab hinter den Beutetieren her. Atlan und Tyari wußten, daß sie vom Lager aus genau beobachtet wurden. Sie hofften, daß sich die übrige Mannschaft entsprechend verteilt und versteckt hatte. Sie erreichten den Rand der riesigen Grube, in der die TAUPRIN lag. Dann senkten sie sich vorsichtig, landeten auf der höchsten Stelle des Rumpfes und verbargen sich hinter den zerbeulten Trümmerstücken. Plötzlich sagte eine durchdringende Stimme scheinbar im leeren Raum neben ihren Ohren: »Ich werde eine Nebelwand errichten. Die MeteorAbwehrgeschütze werden euch helfen, die Kalackter zu erkennen.« »Verstanden, Tauprin!« entgegnete Tyari nicht ohne Verwunderung und warf Atlan ein Lächeln zu, das ihn an anderer Stelle und anderer Zeit gefreut hätte. Sie warteten, erfüllt von fiebriger Unruhe. Rings um das Schiff breiteten sich die, kleinen Geräusche des Morgens aus. Die Sonne, mehrere Handbreit über der Zackenlinie des östlichen Horizonts, war blutigrot und färbte sich langsam durchdringend gelb. Vogelschwärme rasten kreischend hin und her, fielen in die Büsche ein und stoben daraus wieder hervor. Dann, nach einigen Minuten, in denen das Klingen in den Ohren sich beruhigte, flüsterte das Manifest:
»Achtung. Ich kann schwache Energieechos anmessen. Ich versuche den Start. Gebt acht.« »Verstanden.« Eine Hand an den Griffen der Aggregat-Schaltungen, die andere an einem Metallstück, warteten Tyari und Atlan. Unter den Sohlen ihrer Stiefel waren zuerst starke, langwellige, dann schnelle Vibrationen zu spüren. Es war, als würde die TAUPRIN ihre Muskeln spannen. Dann ächzte und knarrte die ungeheure Metallmasse, schüttelte sich förmlich und drohte, die Solaner abzuwerfen. Dann ging ein tiefes Dröhnen durch die Außenhülle. Das Geräusch schraubte sich die gesamte hörbare Tonleiter hinauf und riß ab. Die TAUPRIN stieg senkrecht auf! »Sie schafft es!« keuchte Tyari maßlos überrascht. »Tatsächlich!« »Ich muß gestehen«, brummte Atlan, »daß ich es selbst nicht für möglich gehalten habe.« Er deutete auf die Vielzahl der offenen Luken, deren Umgebung ausgeglüht war und erkennen ließ, wie wild und hemmungslos die Brände im Innern des Schiffes gewütet hatten. An den Baumkronen der Umgebung erkannten die beiden, wie hoch sich das Schiff vom Boden hob. Aber Atlan und Tyari konzentrierten sich auf den Blick nach Osten. Von dort kamen, wie es die Gedanken der Uhzwutzer wahrheitsgemäß bestätigt hatten, die Kalackter. Noch war nichts zu sehen, trotz der Ankündigung des Manifests. »Ruhig Blut, schönste Freundin«, sagte Atlan halblaut. »Wir werden alles erleben.« »Und hoffentlich auch überleben!« Die TAUPRIN hob sich höher. Zehn, zwanzig Meter, über die Bäume hinaus und noch höher. Ein unergründliches Geräusch drang aus dem Innern des Schiffes … dann folgte ein schrilles Zischen, mit dem aus einer Unzahl versteckter Düsen ein seltsamer Nebel entwich. Binnen einiger Sekunden hüllte er das Schiff vom
Kopfteil über den langen Hals bis zum Hecktriebwerk ein. Der Nebel war grün und wurde langsam rot, je höher das Schiff stieg. Atlan und die Frau blickten sich kurz an, griffen wortlos nach den Waffen und brachten sie in Anschlag. Atlan deutete auf eine aufeinanderfolgende Reihe weit offener Luken und rief: »Wenn es brenzlig wird, müssen wir dorthin!« »Richtig!« stimmte die Tauprin-Intelligenz zu. Wieder warteten die beiden Solaner gespannt und voller Nervosität, die Zeigefinger an den Auslösern der schweren Waffen. Das Schiff hüllte sich in kochendroten Nebel. Es schwebte rund hundertfünfzig Meter über dem Boden der langgestreckten Grube, die beim letzten Aufprall entstanden war. Durch den Rauch erkannten sie, daß sich der Hals krümmte und den Kopfteil hochhievte und nach hinten drehte, tatsächlich wie ein Vogel, der sich nach den Verfolgern umwandte. »Achtung! Dort!« zischte Tyari plötzlich. Sofort feuerte sie. Am Rand der Dunstwolke, kaum sichtbar, zeichneten sich einige der ovalen oder eiförmigen Körper als Hohlräume oder vage Umrisse ab. Sie wurden deutlicher, als sie die Energie aus den Waffen schluckten und ableiteten. Wieder sahen Atlan und Tyari die flimmernden und zuckenden Schutzfelder und darinnen die Säulen. Zuerst waren es nur fünf oder sechs, dann wurden es mehr. Sie bildeten einen unregelmäßig geformten Keil, der sich in die Richtung der beiden Schützen voranbewegte. »Weg hier!« rief, ununterbrochen feuernd, die weißhaarige Frau und stieß Atlan mit der Schulter an. Schritt um Schritt gingen sie vorwärts. Die Säulenwesen in ihren Schutzfeldern bewegten sich schneller und aufgeregter als am Vortag; sicherlich eine Folge des Feuerüberfalls in der ersten Morgenstunde. Sie folgten Atlan und Tyari durch den kochenden, brodelnden Nebel, schwenkten herum
und schoben sich, als die beiden durch das erste Luk flüchteten, hinter ihnen her ins Innere des Schiffes. Unaufhaltsam hob sich die TAUPRIN. Sie war jetzt schätzungsweise zweihundertfünfzig Meter hoch. Atlan und Tyari flüchteten durch einen verbrannten, verwüsteten Korridor und konnten sich nur nach dem Licht orientieren, das dessen Ende anzeigte. Sie taumelten und rannten durch rotleuchtenden Nebel und drehten sich alle zwanzig Schritte um. Ihre Waffen dröhnten auf und trafen die Schirme. Zweimal gelang es ihnen, einen Schirm gleichzeitig zu treffen und aufzulösen. Das Wesen darinnen wechselte die Farbe, wurde zuerst brandig gelb und dann fleckig braun, schließlich färbte es sich grau und schwarz und zerfiel in viele große Flocken. Hinter den Flüchtenden krachte ein massives Schott aus der Decke und versperrte den Kalacktern den Durchgang. Wieder handelten diese unbegreiflichen Wesen wie bisher gewohnt. Sie verwandelten sich in energiereiche Hämmer. Mit fünf Schlägen beulten sie das Schott aus. Der sechste, dröhnende Hieb sprengte die Metallscheibe aus den Halterungen und schleuderte sie einige Meter weit in den Gang hinein. Ein Schwarm Kalackter drängte sich in den Schiffskorridor und wurde nur durch das wütende Feuer der Solaner aufgehalten. Das Schiff schrie: »Nach rechts!« Tyari und Atlan wechselten die Richtung und rasten mit langen Sprüngen einen Quergang entlang. Er war von den Spuren des höllischen Brandes ebenso gezeichnet wie die Inneneinrichtung der zurückliegenden dreihundert Meter. Wieder schlossen sich hinter den Rennenden die schweren Stahlplatten. Sie wurden zerstört, aber der Vorgang hielt die Kalackter jedesmal eine Handvoll Sekunden auf. Das Manifest hielt, was es versprochen hatte. Der Weg der Solaner führte im Zickzack tiefer in den Schiffskörper
hinein und in der Form einer grob gezeichneten Spirale in dessen absolutes Zentrum. Atlan hoffte, daß er mit dieser flüchtigen Schätzung recht hatte. Das Schiff lenkte die Flüchtenden und dirigierte die Verfolger auf den Ort zu, an dem sich die Hohlkugel befand. Immer wieder brachen die Schotte auf, die Kalackter strömten in den Raum dahinter und schwebten schneller und schneller auf die Solaner zu und wurden im konzentrierten Feuer vernichtet. Aber für jeden Verfolger, den Tyari und Atlan vernichteten, schienen aus dem Innern des Planeten oder aus dem Heer, das über der Savanne schwebte, zwei oder drei andere nachzudrängen. Schließlich, nach mehr als einer halben Stunde Rennen und Feuern, glaubte Atlan jenen Bereich des Schwanenschiffs zu erkennen, in dem er bereits gegen die wütenden Phantasiewesen gekämpft hatte. Er rannte weiter und schrie: »Sind wir endlich am Ziel, Tauprin?« »Für meine Zwecke reicht es noch nicht. Geradeaus, Atlan!« Sie spurteten einen gekrümmten Korridor entlang, warfen sich an dessen Ende hinter eine herausgebrochene Schaltbank und feuerten auf die Verfolger. Wieder verwandelten sich vier Kalackter in handtellergroße Ruß- und Ascheflocken. Das Schiff stöhnte: »Noch hundert Schritte!« Fast gleichzeitig fielen dröhnend einige Schotte nach unten. Kurz darauf schoben sich mit kreischenden, schleifenden Geräuschen ebenso dicke Platten von rechts oder links aus den Wänden. Das nachfolgende Inferno aus dumpfen, hallenden Schlägen bewies, daß die vorrückenden Unsichtbaren die Barrieren zerstörten. Etwas langsamer und von zuckenden Lichtsignalen geleitet, zogen sich Atlan und seine Begleiterin zurück und befanden sich endlich an der Außenhülle der hohlen Kugelschale. »Diese Wände, nur eine davon«, rief die TAUPRIN, »müssen die Kalackter zerstören!« Gleichzeitig öffnete sich links von den schießenden Solanern ein
schmaler Durchgang. Dahinter blinkten vielfarbige Lichter. »Hoffentlich tun sie's!« meinte Tyari und lenkte den Feuerstrahl auf dieselbe Stelle, an der die Energie aus Atlans Projektor aufschlug. Unaufhaltsam kamen die Angreifer näher. Sie zerstörten mit den hämmernden Schlägen jedes Hindernis, das sich ihnen in den Weg stellte. Durch den Schiffskörper liefen schwere Erschütterungen und tiefe, dröhnende Vibrationen. Das Schiff schwankte hin und her. Atlan und Tyari stießen mit der rechten und der linken Schulter gegen die Wände, als sie sich auf den Durchgang zu entfernten. Der vorderste Kalackter rammte seinen Körper gegen die Kugelschale, die mit Geräten, Leerräumen und dicken Isolierschichten umhüllt war. Riesige Vertiefungen erschienen. Das Schiff schien Schmerzensschreie auszustoßen und schwankte noch stärker. Atlan zwängte sich direkt hinter Tyari durch den Spalt, drehte sich um und sah, wie die Unsichtbaren in rasender Wut auf jede Fläche einschlugen. Ein seltsam heiter klingendes Flüstern schlug durch die furchtbaren Geräusche an die Ohren der Solaner. »Ich bin frei! Ein Riß in der Kugelschale …« Vor ihnen öffnete sich ein weiterer Durchgang. Eine hell ausgeleuchtete Rampe erstreckte sich nach unten. Der riesige Organismus des Schiffes schwankte hin und her. Der Hals schien abzuknicken und förmlich durch die Luft zu peitschen. Mit einem scharfen Ruck sank die TAUPRIN abwärts. Atlan und Tyari wurden zu Boden geschleudert. »Das Anti-ES-Gefängnis ist zerbrochen! Ich bin frei und danke euch, Solaner. Ich kehre zurück in die Namenlose Zone! Anti-ES herrscht nicht mehr über mich; ich bin nicht mehr sein Sklave oder Werkzeug. Ein Wort an dich, Atlan …« Ein neuer Ruck, eine Reihe von Geräuschen, die allesamt
Zerstörung signalisierten, abermals eine wilde Serie dieser hammerartigen Einschläge, dann kippte das Schiff nach rechts. Die heisere Stimme keuchte auf. »Du siehst eine gewaltige Gefahr für dich und deine Freunde durch die unsichtbaren Kalackter. Auch sie sind nichts anderes als Handlanger eines Untergebenen, Sklaven eines Abhängigen, nämlich Anti-Homunk.« Atlan sagte stöhnend zu Tyari: »Hör gut zu! Wir erfahren neue Wahrheiten!« Wieder sprach das Schiff. »Die wirklichen Gefahren gehen jedoch von Anti-ES aus. Anti-ES ist das Symbol für Gefahr. Dagegen mußt du mit all deinen Kräften ankämpfen und dich davor schützen! Ohne dich hätte ich meine Freiheit nicht wieder! Dafür danke ich euch!« Mit einem letzten, dumpfen Aufprall schlug die TAUPRIN wieder in die Savanne ein. Draußen erhob sich eine riesige Staubwolke. Dann ließ die schwächer und dünner werdende Stimme aus den Lautsprechern erkennen, daß sich die Tauprin-Intelligenz, jenes befreite Manifest J, tatsächlich entfernte. »Meine Relativ-Einheit wird wohl niemals beginnen ...« Tyari und Atlan kamen stöhnend auf die Füße, orientierten sich und rannten einen schmalen Korridor entlang. An dessen Ende erkannten sie Licht und wallenden Staub. Während die Beleuchtungskörper erloschen, während jede Bewegung außer den Schlägen der Zerstörung aufhörte, liefen die Solaner auf die weit offene Luke zu, bahnten sich einen Weg durch den brodelnden Staub und über den nachrutschenden Sand und das Geröll. »Aggregate an – und hinüber zum Lager!« knurrte Atlan. »Geht in Ordnung.« Sie richteten sich auf, schalteten die Flugaggregate auf Höchstleistung und schossen aus der Staubwolke in nördliche Richtung hervor wie zwei Raketen.
Hinter ihnen zerhämmerten die Kalackter die Reste des zerstörten Raumschiffs. Sie alle waren gestrandet, ausgesetzt. Ihre einzige Hoffnung konzentrierte sich nunmehr auf Bjo Breiskoll, die FARTULOON und die CHYBRAIN.
5. Atlan öffnete das breite Schloß der Gurtkonstruktion und murmelte niedergeschlagen, durstig und erschöpft: »Das war wohl der letzte Akt der TAUPRIN. Habt ihr alles verstanden?« Die meisten der Solaner kauerten um Atlan, Tyari und Iray unter den Ästen der Bäume, zwischen den Iglus und in den Gräben, die sie mittlerweile ausgehoben hatten. Atlan hatte berichtet, wie sich die letzten Minuten des Schiffes ausgewirkt hatten. Während er sprach, ertönte aus der Richtung des Wracks ununterbrochen das vernichtende Hämmern. »Alles ist zerstört! Beiboote und die TAUPRIN!« stellte Hage Nockemann fest. »Wir sind auf das Wohlwollen der Eingeborenen angewiesen. Hoffentlich tauschen sie mit uns ihre Braten gegen einfache technische Gegenstände!« meinte Federspiel sarkastisch. »Jedenfalls sind sie nicht bösartig.« »Im Gegensatz zu den Kalacktern!« warf Tyari ein. Atlan hatte sich inzwischen ein wenig entspannt und beruhigt. Etwa dreißig Minuten war es her, daß sie aus dem Wrack geflohen waren. Das Manifest war endgültig verschwunden. Knapp zwei Dutzend Solaner waren hier gestrandet, und wenn sie sehr viel Glück hatten, gab es einen soliden Telepathie-Kontakt zwischen Federspiel und Breiskoll. Zwar hatte die Tauprin-Intelligenz einige Rätsel gelöst oder Unsicherheiten beseitigt, aber noch lag die
längere, weitaus gefährlichere Strecke vor den Eindringlingen. Verschiebe vorläufig die Gedanken an die Koordinaten, an Anti-Homunk und Anti-ES! Konzentriere dich auf die unmittelbaren Notwendigkeiten des Überlebens!, mahnte der Logiksektor. Als Antwort hob der Aktivatorträger lediglich die Schultern. Er ließ seinen Blick in dem grellen Licht des frühen Nachmittags über die gespannten Gesichter seiner Freunde gleiten, streichelte Irays Handrücken und sagte: »Bis uns Bjo findet und abholt, haben wir noch ein paar harte Tage. Im Augenblick haben uns die Kalackter noch nicht entdeckt.« Die Probleme, die mit dem Verschwinden der Tauprin-Intelligenz entstanden waren, und all seine Überlegungen über den weiteren Lebensweg schob er tatsächlich in den Hintergrund. Es war wichtig, die nächsten Tage zu überleben. »Ich erwarte ernsthafte Angriffe der Kalackter!« schaltete sich Sanny in das Gespräch ein. »Zumal sie einsehen werden, daß die Tauprin-Intelligenz sich ihrem Zugriff entzogen hat.« »Sie halten sich an uns schadlos!« schrillte der Robot Blödel. Nockemann hob einen kleinen Kiesel auf und schleuderte ihn in die Richtung seines intellektuellen Quälgeists. »Es wäre nicht schade um dich Metallröhre!« grollte er. »Höchstens um Wuschel.« »Vielleicht helfen uns die Uhzwutzer!« gab Federspiel zu bedenken. »Wie?« »In dem sie uns Verstecke zeigen. Das Manifest hat sie auf uns vorbereitet!« erläuterte der Vereiser. »Wie auch immer«, murmelte der Arkonide. »Wir brauchen rasche und große Hilfe. Lange können wir uns gegen die Übermacht nicht halten. Ich erwarte jeden Augenblick den ersten Überfall.« Wie jeder Planet in dieser Entwicklungsstufe bot auch Uhzwutz eine Unmenge Verstecke. Zwei Dutzend Individuen, ausgerüstet mit genügend Waffen und Funkgeräten, mit Nahrungsmitteln und
Flugaggregaten würden es wohl schaffen, sich einige Tage lang zu verstecken. Wie klug waren die Kalackter? Wie weit konnten die Uhzwutzer helfen? Und wenn sie halfen, konnte es leicht sein, daß sie gerade dadurch die Verstecke der Fremden verrieten. Es gab keine erkennbaren Möglichkeiten, die Handlanger von AntiHomunk zu beeinflussen. Atlan sagte voller Unruhe, aber mit Nachdruck: »Wir bilden kleine Gruppen! Je zwei oder drei Personen verstecken sich. Es ist wichtig, tagsüber unsichtbar zu sein. In der Dunkelheit sind die Kalackter wohl nicht aktiv.« Die Molaatin, die auf Federspiels Knie schaukelte, warf ein: »Keiner von uns kennt die Möglichkeiten der Kalackter genau. Bisher wissen wir, wie sie die TAUPRIN zerstört haben und SOHN und TOCHTER. Vielleicht verstehen sie es, Sonnenfinsternisse, Blitzschlag und Gewitter zu entfesseln und die harmlosen Vierbeiner auf uns zu hetzen. Ich setze dies voraus!« Atlan wußte selbst nicht, woher diese Idee kam. Aber er sagte: »Wir haben unsere Funkgeräte! Jeder versucht, sich zu verstecken. Iray und ich gehen zu einem Eingeborenenstamm. Dort sind wir vielleicht in Sicherheit!« Federspiel blieb sachlich und schwenkte seinen Arm. Er deutete auf die Iglus und somit auf den gesamten Besitz der Solaner, auf die Funkgeräte ebenso wie auf die Nahrungsmittelvorräte und die gerettete technische Ausrüstung. Vom Wrack her ertönten wieder die alarmierenden Geräusche. In das dumpfe Hämmern mischte sich ein neuer, nicht weniger gefährlicher Ton. Es war wie eine schnellaufende Säge, die sich durch Metall fraß. Die Geräusche kamen näher. Unter dem Hügel flüchtete eine Gruppe Eingeborener auf den nächsten Wald zu. »Auseinander, Freunde!« sagte Atlan scharf. »Es wird ernst.« In Gruppen von je zwei oder drei Personen huschten die Solaner auseinander. Das Lager war fast geräumt. Treffpunkte und besondere Vorsichtsmaßregeln waren längst verabredet. Die Solaner
versuchten, von den schwebenden Wesen nicht gesehen zu werden. Sie blieben in der Deckung der Bäume und der Büsche, sprangen von Felsen zu Felsen und suchten die einzelnen Verstecke auf. Atlan nahm Iray an der Hand, schaltete das Flugaggregat ein und schwebte einige Handbreit über dem Gras den Hügel hinunter. Auch er blieb im Sichtschatten der Stämme, Kronen und der Felsen. Der Schatten einer Baumreihe nahm die zwei Solaner auf. Am Fuß des Hügels hielten sie an, schwangen herum und blickten in die Richtung, aus der die rasenden Geräusche kamen. Die Kalackter suchten ihre Gegner! Sie schienen kein Risiko eingehen zu wollen. Das Schiff hatte sich in eine unförmige Metallmasse verwandelt und war von den Unsichtbaren tief in den Boden geschlagen worden. Jetzt vernichteten sie in einer breiten Front von nicht weniger als einem Kilometer sämtliche Gewächse. Das schauerlich grelle Sägen schwoll an, und sämtliche Gewächse verwandelten sich in kleine Bruchstücke, die wie eine grüne Walze hochwirbelten und zu Boden sanken. Etwa tausend Meter vom Kopf des Schwanenschiffs entfernt, in die direkte Richtung auf den fernen Hügel, erstreckte sich eine verwüstete Fläche. Sie war dick mit den zerfetzten Blättern, Ranken und dem Holz der Gewächse bedeckt. Wieder blieben die Kalackter unsichtbar – ihre Zerstörungen waren es nicht. »Sie sind brutal und rücksichtslos!« sagte Atlan und schüttelte fassungslos den Kopf. Iray blickte starr auf das Werk der Vernichtung, das sich langsam auf den Hügel zu entwickelte. Ein plötzlicher Windstoß wirbelte eine ungeheure Menge Holzstückchen und Blattreste in die Höhe und formte eine schlauchartige Wolke, die bald wieder zusammenfiel. »Das Wild flüchtet«, sagte Iray. »Es wird nicht mehr zurückkommen, denn Buschwerk und Wälder sind für alle Zeit vernichtet.« »Das bedeutet, daß auch die Uhzwutzer heimatlos werden!« meinte der Arkonide. »Dieser verdammte Anti-Homunk!«
Sie schwebten langsam weiter, zwischen mächtigen Bäumen, einen natürlichen Wall entlang, in südliche Richtung. Hinter ihnen blieben der Lärm und die Zeichen der Zerstörung zurück. Erst, als sie sicher sein konnten, von der Umgebung des Schiffes aus nicht mehr gesehen zu werden, gingen sie auf größere Flughöhe. Das Heulen und Kreischen der unbekannten Vernichtungsenergie verschmolz mit den anderen Hintergrundgeräuschen über der Savanne. Leere Zonen und einzelne Wälder wechselten miteinander ab, das Sonnenlicht verwandelte die Oberfläche des Sees in einen riesigen Spiegel. »Dort! Die Tiere! Bis hierher ist die Panik nicht gelangt!« sagte der Arkonide und deutete auf eine Waldzone, die sich um eine kleine Bucht des Sees schmiegte. Hier jagten die Uhzwutzer, als sei nichts geschehen. Am Strand sahen die Solaner einfache Hütten, zum Teil auf vielen dünnen, weiß gebleichten Pfählen. Zwischen ihnen bewegten sich Eingeborene. Andere paddelten auf kleinen Flößen auf dem See und schossen Fische. Iray deutete darauf und rief: »Unser Ziel. Hoffentlich fürchten sie sich nicht vor uns.« »Ich vertraue darauf, was ihnen die TAUPRIN gesagt hat!« Vorsichtig flogen Atlan und Tyari näher heran, umrundeten langsam den kleinen Wald und gingen tiefer. Aus dem Wald trabte eine kleine Gruppe Uhzwutzer mit farbigen Mähnen. Sie winkten mit ihren langen Armen, in denen sie Waffen hielten. Atlan lächelte kurz. »Du hast recht. Hoffentlich hat Tyari den Translator richtig programmiert.« Die Eingeborenen galoppierten in einem offenen Halbkreis auf die Stelle zu, an der Iray und Atlan landeten. Das Summen der Aggregate hörte auf. Die schweren Rucksäcke beider Solaner drückten plötzlich. Atlan aktivierte den Translator, der vor Stunden von Tyari so gut wie möglich in der drängenden Eile programmiert worden war.
Dann sagte er: »Wir sind nicht die Kalackter. Wir werden von diesen bekämpft.« In einer vokalreichen, schnellen Sprache antworteten fast schnatternd drei Eingeborene. Der Apparat übersetzte ihre Antwort keineswegs flüssig. »Woher seid ihr?« Iray sagte es langsam und hörte die Übersetzung. Die braunen und dunkelgrünen Felle der Eingeborenen rochen streng nach kaltem Rauch, nach ranzigem Fett und feuchtem Wasser. Die großen, flinken Augen waren erstaunlich menschlich; die Ohren bewegten sich und richteten sich immer wieder nach vorn. »Wir müssen uns vor den Kalacktern verstecken.« »Sie sind überall. Wir spüren sie manchmal.« »Sie sind nicht immer unsichtbar.« »Wenn sie uns erschrecken wollen, zeigen sie sich.« »Kommen sie oft hierher?« »Nein. Nicht oft.« Die Fremden und die Eingeborenen starrten einander an. Die Uhzwutzer sahen unbeschreiblich wild und kräftig aus. Ihre raubtierhaft schnellen Bewegungen wirkten gefährlich. Sie vibrierten förmlich vor Spannung und innerer Unruhe. Aber sie schienen die beiden Solaner, die ihnen körperlich zweifellos unterlegen waren, für willkommene Besucher zu halten. Derjenige, in dessen Mähne mindestens fünfundzwanzig große Knochen eingeflochten waren, sagte schließlich: »Ich bin Dork. Ich bin vom Stamm der Wasserrandjäger. Kommt zu uns. Wir kämpfen mit euch.« »Ihr sollt uns nur verstecken. Nicht kämpfen.« »Kommt.« Sie brachten Iray und Atlan zum Rand des Waldes. Ein schmaler Pfad führte in den Schatten hinein. Die Eingeborenen bildeten eine lange Kette und rasselten mit ihren Waffen. »Ihr seid viele!«
»Wir verstecken uns in vielen Gruppen.« »Wir wissen es.« »Woher?« »Hört ihr nicht in der Nacht die Vögel?« »Vögel?« »Wie sprecht ihr, wenn viel Land zwischen euch ist?« »Wir haben kleine Dinge, die wir aus unserer Heimat mitgebracht haben«, sagte Atlan. »Ihr schickt Vögel hin und her?« »Wir schreiben Zeichen auf Lederstücke und binden sie an die Beine von Vögeln.« »Ich verstehe.« Der Wald wurde schnell durchquert. Zweimal führte der Pfad über einen schmalen Wasserlauf. Ein Zeichen dafür, daß die Jäger bereits eine höhere Kulturstufe erreicht hatten, bildete die einfache, aber stabil gebaute Brücke aus Holz, mit Lianen und Lederschnüren zusammengebunden. Briefvögel, die Zeichen trugen, Brücken, Pfahlbauten … die Uhzwutzer konnten kaum als primitiv bezeichnet werden. »Wie lange bleibt ihr? So lange wie die Kalackter, das Weißsäulenvolk?« Atlan lachte kurz und sagte zu Dork: »Hoffentlich nur einige Hell-Dunkelwechsel.« Der Pfad verbreiterte sich, eine Lichtung schob sich auseinander, und die Rückseiten der Hütten wurden sichtbar. Weibliche Uhzwutzer und Kinder blickten den Solanern entgegen oder rannten neugierig auf sie zu. Iray wandte sich an Atlan und warf ein: »Sollten die Kalackter uns verfolgen, werden sie sich an diesen unschuldigen Wesen rächen.« »In diesem Fall fliehen wir von hier!« versicherte er. »Wir bringen sie nicht in Gefahr.« Shorg, einer der älteren Jäger, rief einige Befehle. Die etwa fünfzig, sechzig Bewohner der Siedlung bildeten eine
schmale Gasse. Ihre Neugierde war unverkennbar. Die Kinder benahmen sich wie alle jungen Wesen; aufgeregt und tolpatschig liefen sie zwischen die Beine der Solaner und ließen die Jäger stolpern. Die Vorstellung von Gastfreundschaft schien zu verlangen, daß man den Fremden eine Hütte gab. Am Rand des von Knochen und Abfällen übersäten Platzes erhob sie sich, ein wenig verfallen, über das Wasser vorspringend. Shorg und Dork schoben die Solaner auf eine breite, geflochtene Rampe aus Holz zu. Sie war für die Raubtierfüße der Uhzwutzer gebaut. »Geht hinauf. Entspannt eure Muskeln. Am Feuer findet sich Fisch oder Braten für euch.« »Danke. Warnt uns, wenn ihr Kalackter spürt.« Sie kletterten hinauf, warfen ihr Gepäck zu Boden und setzten sich. Iray lehnte sich schwer gegen Atlans Schulter, blickte hinaus aufs Wasser und sah einer Floßbesatzung zu, die zappelnde Fische mit langen Speeren aus dem See zog. »Ich fühle mich sicher. Aber es ist eine falsche Sicherheit.« Atlan nickte und schaute auf die Uhr. Daß sich keiner der anderen über die Minikomverbindung gemeldet hatte, war ein gutes Zeichen. Offensichtlich hatten die Kalackter keine der Gruppen gefunden. Die schakalköpfigen Fischer ruderten das Floß an den Strand. »Wir merken es rechtzeitig«, sagte Atlan, dem bei dem Gedanken, daß unsichtbare kalacktische Späher durch die Luft flogen, nicht wohl war. Noch waren es rund acht Stunden bis zur völligen Dunkelheit. Er öffnete sein Gepäck und stapelte ein paar Rationen auf den Boden der Hütte. Er bestand aus festem, wie poliert wirkendem Lehm. »Also! Warten wir!« sagte er, riß eine Dose auf und reichte sie Iray. Die folgenden Stunden vergingen langsam und ereignislos. Nur noch wenige Uhzwutzer kümmerten sich um die Fremden. Ein paar neugierige Kinder liefen die Rampe hinauf, betasteten neugierig alles und stellten Fragen. Die Riegel der Notrationen stellten für sie
unbegreifbare Delikatessen dar. Mitten in dem stockenden Gespräch mit einer jungen Fischerin summte der Minikom. Sie machte einen Satz, packte ihr Kleines und raste wie eine erschreckte Katze schnatternd die Rampe hinunter. Atlan drückte den Kontakt und meldete sich. »Hier Federspiel. Atlan! Ich habe schwachen Kontakt mit Bjo!« Atlan fühlte, wie sein Herz einen rasenden Wirbel schlug. Er zwang sich, ruhig zu fragen: »Sprich! Was ist los? Kommt er?« »Er weiß, wo wir sind, denn ich habe es ihm so gut wie möglich erklärt. Er hat seine Schwierigkeiten, denn ihm werfen sich dieselben Abwehrfelder entgegen, von denen die TAUPRIN ramponiert wurde. Es kann Tage und Wochen dauern, bis er hier ist.« »Verdammt. Also auch Probleme mit der Dunkelzone. Hast du ihn vor den Feldern gewarnt?« »Darüber weiß er ebenso viel wie wir.« »Und ihr im Versteck? Schwierigkeiten?« »Nein. Zweimal kamen Kalackter vorbei und zerfetzten die Bäume unmittelbar vor unserer Höhle. Ich habe von keinen Zwischenfällen gehört.« »Ausgezeichnet«, sagte Atlan. »Schalten wir ab. Vielleicht können sie uns auf diesem Weg orten.« »Verstanden. Nächste planmäßige Meldung um Mitternacht.« »Danke. Ende.« Iray hatte mitgehört. Sie legte das Flugaggregat ab und sah in Federspiels Meldung eine Bestätigung dafür, daß sie Ruhe vor den Verfolgern hatten. Als zwischen den Hütten das erste Feuer angezündet wurde, gingen Atlan und Iray hinunter und probierten von den gebratenen Fischen und dem langfaserigen Fleisch, das die Eingeborenen mit grauem Salz und grünen Kräutern würzten. Die Kinder wurden müde, eine träge, dumpfe Mattigkeit legte sich über die Handvoll Hütten. Das brennende Holz knackte unnatürlich
laut. Nach und nach verschwanden die Uhzwutzer in ihren Hütten. Aber sie achteten sorgsam auf alle ihre Waffen. Schließlich winkten auch die Solaner dankbar in die Runde und kletterten hinauf zu ihrem Schlafplatz. Atlan befahl seinem Extrasinn, ihn auf jeden Fall gegen Mitternacht zu wecken. Zwei Decken übereinander waren ihre einzige Unterlage. Atlan nahm Iray in die Arme und hoffte, daß die zwei Beiboote bald landen würden, ohne von den Kalacktern behelligt zu werden. Mitten in der Nacht, bei völliger Dunkelheit, wachte er auf. Er blinzelte, kam vollends zu sich und sah durch die Ritzen im Flechtwerk der Wände ein grelles Licht. Er schob Irays Arme zur Seite und kroch zum Eingang. Über dem See bewegten sich grelle Lichter. Sie spiegelten sich im stillen Wasser. Sichtbare Kalackter! rief der Extrasinn. Atlan starrte sie schweigend an. Etwa drei Dutzend jener Ovale schwebten hochkant mitten über dem See, keine dreihundert Meter entfernt. Sie kamen langsam näher und sanken tiefer. Als sie die leicht gekräuselte Oberfläche fast berührten, ertönte schlagartig wieder das bekannte, gefürchtete Geräusch, dieses kreischende Heulen. Eine hohe Wasserwand entstand, eine Reihe von ineinandergreifenden riesigen Fontänen, durch die das Licht der Schutzfelder strahlte. Binnen Sekunden verwandelten sich die Fontänen in eine heranrollende Riesenwelle. Sie leuchtete schreckerregend auf und schob sich kreischend und rauchend näher heran. Dann zerriß sie in mehrere Teile. Im Wald hinter den Hütten und in dem kleinen Dorf brach ein Chaos aus. Die Uhzwutzer flüchteten in rasender Eile Hals über Kopf. Neben Atlan richtete sich Iray auf und rief voller Angst: »Ist das wegen unserer Anwesenheit?« »Nein, ich glaube es nicht. Sie wollen uns aufstöbern!« »Ausgerechnet hier?« »Sie denken, daß wir zu den Eingeborenen geflohen sind.«
Das hochgewirbelte Wasser kochte und verdampfte. Schleier wurden in die Höhe gerissen und breiteten sich aus. In der großen Wand erschienen senkrechte Schlitze. Noch hundert Meter bis zum Ufer! Das Kreischen nahm an Lautstärke zu, ein Hagel von Tropfen ging über den Strand und die Dächer nieder. Rechts und links der Hütte, in der Atlan und Iray kauerten und nach den Waffen und den Flugaggregaten tasteten, fegten die Wassermassen vorbei, rissen das Dach herunter und das Laub und kleine Äste von den Bäumen. Die Hütte zitterte und schwankte, dann waren die erhellten Wassermassen und der Lärm vorbei und verwüsteten den Wald. Mit einem donnernden Geräusch fiel die Wassersäule zusammen und riß die benachbarte Hütte zu Boden. »Weg von hier!« rief Atlan und wischte sich das Wasser aus dem Haar und dem Gesicht. »Halt! Federspiel ruft uns in ein paar Minuten.« »Wir brauchen Licht.« Atlan fand eine winzige Lampe, schaltete sie ein und legte sie so ab, daß ihr Licht von einem hellen Teil der Ausrüstung reflektiert wurde. Sie brachten ihre Einsatzanzüge in Ordnung, packten zusammen und schnallten die Aggregate auf den Rücken. »Wohin?« fragte Iray. Atlan schaltete den Minikom ein und brummte dabei: »Das sprechen wir ab.« Die Lichterscheinungen und der höllische Radau erstarben in der Entfernung. Atlan flüsterte scharf in das Gerät: »Federspiel! Hört ihr mich?« Nach einigen Sekunden ertönte die müde Stimme des Telepathen. »Ich höre dich. Von überall stelle ich aufgeregte Aktivitäten der Kalackter fest. Sie schwirren herum, leuchten und erschrecken uns alle. Die Uhzwutzer galoppieren blind durch die Landschaft. Und bei euch?« Atlan schilderte, was vorgefallen war. Dann sagte er: »Ich denke, wir schaffen es, uns bis zum Morgengrauen zu
verstecken. Wir treffen uns in deiner Höhle. Neues von Bjo?« »Nein. Er ist unterwegs hierher.« »Verstanden.« Iray knipste die winzige Lampe aus. Totenstille herrschte an dem verwüsteten Uferstreifen. Atlan richtete sich auf und warf einen langen Blick in die Runde. Es gab keinen weiteren Hinweis auf einen Angriff der Kalackter. Schließlich fragte Iray: »Bleiben wir hier, oder suchen wir ein neues Versteck?« »Ich bin dafür, zu verschwinden. Aber es ist so dunkel, daß wir nicht sehen, wohin wir fliegen. Es ist mir zu gefährlich – nicht einmal Mondlicht. Und mit eingeschaltetem Scheinwerfer locken wir die Unsichtbaren an.« »Gehen wir trotzdem von hier weg!« bat sie. Atlan murmelte: »Meinetwegen.« Sie ließen nur die nassen, schweren Decken zurück, als sie senkrecht von der Plattform des zerstörten Holzhauses hochstiegen und langsam, weit über den zerzausten Baumwipfeln, in nördliche Richtung flogen. Es war nicht total finster; der Himmel, der Boden und die Gewächse konnten undeutlich voneinander unterschieden werden. Immerhin, sagte sich Atlan, die FARTULOON und die CHYBRAIN würden in absehbarer Zeit landen. Sie ließen den See und den Wald hinter sich und flogen geradeaus. Iray glitt durch die Dunkelheit weiter von Atlan weg, hielt sich auf gleicher Höhe und lauschte immer wieder auf das Summen von Atlans Flugaggregat. »Geradeaus!« sagte Atlan scharf. Dort, wo das Wrack lag, über dem Hügel, erschienen kleine, scharfe Lichter. Sie rasten auf das Gebiet der Felsspalten zu. Atlan und Iray bremsten sofort ab und schwebten aufeinander zu. Von Westen rasten weitere senkrecht stehende Ovale heran und vereinigten sich mit der anderen Lichterkette. Im Verlauf von wenigen Minuten bildeten die Kalackter eine langgezogene Reihe strahlender Ellipsen, unter denen die Landschaft zum Leben erwachte. Atlan driftete mit Iray auf einen einzeln stehenden Baum
zu, hielt sich an einem Ast fest und starrte hinüber. Die Kette riß auf, die Kalackter bildeten einzelne Gruppen, änderten ständig ihre Richtung, die Flughöhe und die Geschwindigkeit. Sie kamen näher, schwenkten wieder ab und verschwanden. Hin und wieder schien es, als ob sie ihre leuchtenden Schutzsphären abschalteten und wieder unsichtbar Jagd machten. Das hammerartige Donnern war hinter den Wäldern zu hören, dann setzte wieder das Kreischen ein, riß wieder ab – die Geräusche tobten über der mitternächtlichen Savanne in voller Lautstärke hin und her. Über den Baum rasten mit hohlem Rauschen die Unsichtbaren hinweg. Der Luftzug riß und zerrte an Atlan und an dem Ast. Er glaubte, durch das aufgeregte Zwitschern und Kreischen der aufgescheuchten Vögel einen Schrei zu hören. Er duckte sich zwischen die Zweige und kletterte mit ausgeschaltetem Aggregat einen Ast entlang, als schräg über ihm mehrere Kalackter die Sphären wieder zum Aufleuchten brachten. Kümmere dich um Iray! fauchte das Extrahirn. Atlan fuhr herum, verlor fast den Halt und klammerte sich am Stamm fest. Die strahlenden Unsichtbaren verschwanden. Dann heulten wieder einige der Sphäroide über den Baum hinweg, in östliche Richtung. Die Lichterkette im Norden war nicht mehr zu sehen. Nur noch das sägeartige Heulen kam aus dem Osten. Atlan aktivierte das Gerät, stieg aus dem Blattwerk auf und blickte sich ratlos um. Iray war verschwunden. Die Unsichtbaren hatten wieder zugeschlagen und Iray entführt. Das jedenfalls war seine sichere Meinung. Wenn sie entführt worden war, dann wußte er, an welchen Ort. »Und dort hole ich sie heraus!« sagte er in plötzlich aufflammendem wildem Zorn.
*
Whyburins letzte Meldungen und die Schilderungen des Vorgehens erfüllte den Beobachter mit Schrecken. Jetzt erfuhr das Wesen, das sich als Anti-Homunk begriff, was auf dem Bollwerkplaneten, der Heimat der vierfüßigen Uhzwutzer, vor sich ging. Anti-Homunk raste vor Wut. Seine Wut wurde noch größer, als er erkennen mußte, daß Whyburin und dessen vorprogrammierte Artgenossen genau das unternahmen, was ihnen verboten war. Sie handelten entgegen dem Befehl von Anti-ES! Sie mußten sofort aufhören! Von Anti-ES hatte Anti-Homunk den ausdrücklichen Befehl, die SOL ins Zentrum von Xiinx-Markant zu locken. Atlan mit dem Schwanenschiff und den beiden Beibooten bildete die Vorhut der SOL, ein Späherkommando. Wut verwandelte sich in Furcht und Angst, zu versagen und den Anforderungen nicht mehr zu genügen. Anti-Homunk stellte sofort eine Verbindung zu Whyburin her. Es war schon schlimm genug, daß er das Manifest C nicht mehr beeinflussen konnte. Dieses Manifest beherrschte SENECA und somit die SOL. Manifest J war von den Kalacktern zerstört worden und hatte die Freiheit wiedergewonnen. Versagen! Hilflosigkeit! Chaos an der falschen Stelle und zur unrechten Zeit! Es geschah präzise all das, was Anti-ES nicht wollte. Anti-Homunk dachte nicht im entferntesten daran, gegen seinen Herrn zu agieren. Er würde gehorchen, wie stets. Er dachte nach und erteilte dann Whyburin den Auftrag, die Kalackter anzuweisen. Der Befehl: Die Vorhut der SOL – alle Solaner und die beiden Schiffe – waren ab sofort tabu. Kein Angriff mehr! Ihr Weg ins Zentrum von Xiinx-Markant durfte nicht mehr behindert werden. Schauerliche Konsequenzen drohten für alle Werkzeuge von Anti-ES. Aus der Furcht und der Angst wurde Ratlosigkeit über die Vorgänge, die in naher Zukunft abliefen.
Die Solaner unter Atlan waren als Faktor der Berechnung schwierig zu handhaben. Sie verhielten sich irrational und emotional. Das erschwerte jeden weiteren Zug. Die Befehle von Anti-Homunk würden schnell befolgt werden.
* Federspiel und Sanny kannten den Gesichtsausdruck des Arkoniden und wußten, wie seine Stimmung war. Entschlossen und voller Härte blickte er unter dem überhängenden Felsen aus der Höhle und sah dann auf das Kombiinstrument am Handgelenk. »Wir schreiben den ersten Dezember«, sagte er. »Zu viert werden wir es schaffen, Tyari? Wir müssen Iray zurückholen.« »Ich bin dabei«, sagte sie kurz. Auch Garrett und Nockemann nickten. In den letzten Stunden der Nacht, nach einer langen verzweifelten Suche, war Atlan in der Höhle Federspiels und Sannys eingetroffen, hatte in aller Eile etwas gegessen und eine Stunde geschlafen. Während dieser Zeit hatten sich seine Freunde aus den Verstecken hervorgewagt nicht alle. »Mit voller Ausrüstung. Wir dringen in die unterplanetarische Anlage ein!« schlug Garrett vor. »Den Weg und den Einstieg kennen wir inzwischen.« »Und auch die Art, wie die Kalackter zu bekämpfen sind.« Im Osten zeigte sich die erste Helligkeit. Die Raumfahrer testeten die Anzüge durch, sahen die Waffen nach und ergänzten Ausrüstungsteile aus dem wenigen Gepäck. Bei der Flucht war vieles verlorengegangen; Sanny sah schaudernd, wie Ersatzmagazine die Taschen ausbeulten und die verschiedenen Granaten die Gürtel herunterzogen. Tyari hob die Hand, warf Atlan, Garrett und Nockemann einen fragenden Blick zu und nickte. Sie starteten von dem kleinen, von Fußabdrücken übersäten
Sandplateau vor der niedrigen Höhle, schalteten die Aggregate auf hohe Geschwindigkeit und jagten nach Osten davon, auf die Schlucht zu. Atlan war der erste, der den Helm des Raumanzugs schloß und die Funkgeräte aktivierte. Als sie das Wrack der TOCHTER überflogen, hatten auch die anderen die Helme geschlossen. Atlan bestimmte: »Wir stoßen so schnell und so weit wie möglich vor. Einverstanden?« »Alles klar, Atlan.« Tyari verzichtete auf ironische Bemerkungen, was Atlan dankbar vermerkte. Die Einstiegsschleuse war noch nicht instand gesetzt worden. Die schweren Waffen schwangen herum und legten sich in die Ellenbeuge der rechten Arme. Finger entsicherten die Projektoren und legten sich auf die Abzüge. Nacheinander, Atlan an der Spitze, schwangen sich die Raumfahrer über die Kante des Rahmens. Lautlos sanken sie etwa fünfundzwanzig Meter weit durch einen Schacht abwärts. Sämtliche Einrichtungen trugen die schweren Spuren der Zerstörung. Keiner von ihnen wußte, ob sich ihnen die Unsichtbaren entgegenwerfen würden – oder ob sie in ihren eigenen Räumen sogar sichtbar waren. Vor ihnen lag die lange, schräge Rampe. Wenige noch intakte Beleuchtungskörper verströmten ein blaues, schmerzendes Licht. Wie große, unbewegliche Vögel ebenso schnell, schossen die vier Eindringlinge etwa fünfhundert Meter weit in einem Winkel von fünfundfünfzig Grad abwärts. Dann hielt sie eine Energiesperre auf. »Überlastungsfeuer auf die Projektorenansätze!« sagte Tyari kurz und schoß. Aus vier schweren Waffen schlugen donnernde Glutstrahlen in die schmalen Falten zwischen dem Fels. Blitze schlugen über das federnde Feld, die Projektoren in den Wänden begannen zu schmelzen. Mit einem donnernden Krach löste sich die
Sperre auf. Mit der Linken steuernd, schwebten die Solaner weiter, jetzt einen fast waagrechten Korridor entlang. »Noch immer keine Gegenwehr!« stellte Hage verwundert fest. Tyari knurrte halblaut: »Vielleicht schlafen sie.« Der Korridor endete in einer würfelförmigen Höhle. Das Fehlen von Treppen oder Rampen bewies, daß die normale Fortbewegungsart der Kalackter das Schweben war. Auf dem Boden der Höhle standen zahllose Geräte, die ausnahmslos auf säulenartigen Postamenten standen. »Hinunter.« Sie schwangen sich in den freien Raum. Von jeder der vier Seiten zweigten jeweils mehr als zwanzig Stollen ab. Alle, bis auf zwei Ausnahmen, waren von dem zuckenden, intensiven blauen Licht erfüllt, mit einem einzigen Schwung landeten die Eindringlinge auf dem Boden. Sie sanken auf den letzten zwanzig Metern durch eine dünne Nebelschicht, und als sie die Köpfe hoben, sahen sie sich in eine erstaunliche Umgebung versetzt. »Das Weltall! Ein Modell des Emtau-Systems«, erklärte Tyari. »Kein Zweifel.« Aus einem brodelnden Nebel ragten die Bedienungspulte der Geräte hervor. Über ihnen schwebten entlang haarfeiner roter Linien die Symbole der Planeten, im Zentrum der Ringe stand die Sonne; ein winziger Leuchtkörper. Zwischen den Planeten sowie den zahllosen Trümmern von mehreren zerbrochenen Riesenkugeln auch außerhalb des Systems schwebten Fragmente einer transparenten Materie. Fast ehrfürchtig sagte Hage: »Bei der SOL! Atlan! Das sind die unsichtbaren Sperren!« »Du hast recht. In diesem Fall handelt es sich bei den Pulten um die Bedienungsgeräte. Wir zerstören sie!« »Seht ihr die Impulse der Beiboote?« Die Solaner versuchten etwas zu erkennen, als sie sich verteilten und durch den Bühneneffekt-Nebel wateten. Die Oberflächen der
Pulte waren etwa drei Meter vom Boden entfernt. Die Raumfahrer nahmen die Explosivkörper heraus, wählten unterschiedliche Zeiten im Bereich von hundertzwanzig bis dreihundert Sekunden vor und bemühten sich, an jedem Pult einen Explosivsatz anzubringen. Es waren etwa dreißig Pulte. Die Arbeit dauerte nicht lange, dann ordnete Atlan an: »Wir suchen Iray. Irgendwo hier ist sie. Rätselhaft, daß sich die Kalackter nicht wehren …« »Sie haben uns zweifellos entdeckt«, meinte Garrett und riß die Folie von dem Haftelement seiner letzten Bombe. »Aufwärts?« »Wohin sonst?« Sie schwebten durch die Teile der Projektion, dann hielten sie in der Höhe der untersten Querstollen an, schwebten auseinander und näherten sich den einzelnen Eingängen. Atlan schaltete den Außenlautsprecher und die Mikros ein, drehte den Regler auf Maximum und brüllte: »Iray? Barleona! Melde dich!« Es gab ein dröhnendes Echo. Die Raumfahrer suchten und lauschten. Die Gänge, etwa vier auf vier Meter groß, schienen sich endlos tief in den Fels hinein zu erstrecken und waren leer bis auf die langen Ketten der Beleuchtung. Garrett drängte: »Neunzig Sekunden, Freunde.« Atlan und Tyari feuerten in die Korridore hinein und stiegen langsam höher. Noch immer zeigte sich kein einziger Kalackter. Plötzlich gab es eine Lichterscheinung, ein Schuß dröhnte auf. »Hat von euch jemand geschossen?« schrie Atlan. Die Solaner verneinten. Er hatte gesehen, wie rechts oben der charakteristische Einschlag eines Blasters in den Fels getroffen hatte. Also raste er schräg aufwärts nach links, beschrieb einen Zickzackkurs und sah, winzig klein am Ende eines der obersten Korridore, eine Gestalt auf die Höhle zulaufen. »Ich habe Iray gesehen. Hierher, hinter mir nach«, rief er, schoß in den Stollen hinein und jagte ihr entgegen. Nach fünfzehn Sekunden
gab es die erste, donnernde Explosion. Der Lichtschein durchdrang mühelos die Nebelschicht der Tarnung. Dicht vor Iray bremste Atlan, berührte den Boden und sah, daß Iray nur noch den offenen Raumanzug und einen Strahler trug. »Sie haben mich ausgeplündert, während des Fluges …«, begann sie. Atlan bückte sich, warf sie über seine Schulter und legte ihre Hände vor dem Halsteil des Anzugs übereinander. Dann flog er los und rief über die Außenlautsprecher: »Es muß schnell gehen. Alles andere dort draußen.« Garrett und Tyari warteten bereits, sicherten Iray und folgten Hage, der ihnen winkte und vor ihnen durch den Eingangsstollen schwebte. Nacheinander, in Zehnsekundenabständen, ging eine Granate nach der anderen los. Die Detonationen und die Druckwellen wurden immer leiser und schwächer, und die Raumfahrer schoben sich aus der Öffnung und rasten über die Schlucht hinweg zum Hügel. Etwa über den ersten hundert Metern der Savanne meldete sich Federspiel über Funk und sagte, daß der Kontakt mit Bjo kristallklar sei. Die Hindernisse wären verschwunden, und in einer Stunde würde die CHYBRAIN vor dem Hügel landen.
* Noch im Raumanzug, stand Atlan in der Zentrale und blickte, während das Schiff startete, auf die Bildschirme. Aus dem rechteckigen Loch in der Felswand quoll eine dunkle Rauchfahne. Die Kalackter hatten die Vernichtung ihrer Schaltstation teilnahmslos hingenommen. Die Beiboote verließen die Welt der Uhzwutzer, und kaum eine einzige Frage war beantwortet worden. »Kurs liegt an, Atlan«, sagte Uster Brick. »Zum Zentrum von Xiinx-Markant.« Die Einschiffung der Gestrandeten war blitzschnell vor sich
gegangen. Aber der Arkonide hatte keine Ruhe, ehe nicht eine gebührende Entfernung zur Sonne Emtau zurückgelegt war. Neben ihm stand Tyari, betrachtete die Projektion des Kursrechners und sagte: »Elf Lichtjahre weit. Ich spüre die Quelle, und ich hoffe, du glaubst mir, daß ich es ehrlich meine. Dorther kommt der Leitstrahl für die Strahlung, mit der die Mental-Relais arbeiten. Sie nehmen sie auf, verstärken sie und strahlen sie ab. Dorthin müssen wir.« »Ich will ins Zentrum!« beharrte er. »Aber du siehst, daß unser Kurs an deinen Koordinaten knapp vorbei geht.« »Knapp? Du umfliegst diesen Punkt!« sagte sie und deutete auf die Darstellung. Sie erkannte, daß Atlan sie in dieser Beziehung nicht ernst genug nahm. Ihre Vermutung traf fast zu: Atlan, dessen Schock, Iray verloren zu haben, noch nicht vorbei war, meinte, sie wolle ihn erneut für sich gewinnen oder dachte an ähnliche Intrigen. Er merkte genau, daß sie ihn zu dieser Strahlenquelle dirigieren wollte. Wenig logisch erwiderte er: »Etwa in neunundachtzig Tagen rast die SOL ins Verderben. Wir werden zu tun haben, Erfrin, das Manifest C, unschädlich zu machen.« »Darf ich etwas sagen?« Sanny, von den Strapazen gezeichnet, hob aus der Tiefe des Sessels einen Arm. »Ja, natürlich«, murmelte Atlan und sehnte sich nach Ruhe und Zweisamkeit in seiner vertrauten Kabine. Er blickte die Molaatin, der er immerhin den Erfolg im Kampf gegen Hidden-X zu verdanken hatte, irritiert an. »Glaube an Tyaris Koordinaten. Ich habe es nachgerechnet. Es ist der richtige Weg, wenn wir uns zuerst um diese Strahlungsquelle kümmern. Und es wird uns nicht lange aufhalten. Kein Umweg, Arkonide.« Atlan stieß einen lautlosen Fluch aus und beharrte: »Mein Ziel ist das Zentrum.« Noch immer ruhig und bestimmt, mit einem
reizenden Lächeln, entgegnete Sanny: »Würdest du denn Kik glauben, wenn er es dir bestätigte?« Atlan zuckte in der nächsten Sekunde zusammen, als habe ihn ein Peitschenhieb getroffen. Dort, wo Sanny saß, verschwamm die Wirklichkeit für einige Sekunden. Im Sessel hockte jener seesternähnliche Kik mit flammend rotem Haar und fünf Gliedmaßen in auffälligem Dunkelbraun. Sein Paar großer Augen starrte den Arkoniden – kein anderer Eindruck war möglich – warnend an, dann zwinkerte er. Sofort war er verschwunden. Sanny saß wieder da und lächelte unschuldig. Oder war es nur ein Sekundenbruchteil gewesen? Atlan war völlig verwirrt. Sein Extrasinn wies ihn an: Vertraue den Zeichen. Du ahnst, daß Tyaris Telepathie anderen Gesetzmäßigkeiten gehorcht. Wenn Tyari dir schaden wollte, hätte sie bessere Gelegenheiten gehabt! »Meinetwegen«, grollte Atlan und fügte, wesentlich lauter, aber ebenso widerwillig hinzu: »Uster! Ich beuge mich der Einsicht. Wir steuern also diese mysteriöse Strahlenquelle an. Und mich laßt bis dorthin in Ruhe, ja!« »Gern«, antwortete Tyari gedehnt. »Späte Einsicht, aber immerhin. Versuche, mich zu vergessen, wenn du mit Iray allein bist!« Dann lachte sie schallend. Atlan verließ mit dem letzten Rest Beherrschung die Zentrale. Seine einzigen Gedanken waren bei Iray. Aber während er durch die leeren Korridore ging, die Verbindungen des Raumanzugs löste, merkte er, wie sich ein Impuls in sein Bewußtsein tastete, aus unendlicher Ferne und mehr als vage – mehr ein verirrter Gedanke als eine gezielte, versuchte Kontaktnahme. Kann es Wöbbeking-Nar'Bon sein? fragte behutsam der Logiksektor. Atlan hob die Schultern. Im Augenblick war es ihm gleichgültig. Er verschob alles Nachdenken auf einen späteren Zeitpunkt. Er
sehnte sich nach Irays Umarmung, und er sagte sich, daß es das einzig Erstrebenswerte sei.
ENDE
Im nächsten Atlan-Band wird der Handlungsfaden des zuletzt in Band 613 geschilderten »temporären Reinkarnationseffekts« weitergesponnen. Atlan, der Gefangene der Namenlosen Zone, wird konfrontiert mit dem Geheimnis der »Zähler«. Mehr zu diesem Thema berichtet Peter Griese in Atlan-Band 616. Der Roman erscheint unter dem Titel: DAS SPINAR