Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 735 Der Erleuchtete
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 735 Der Erleuchtete
Amazonen im All von H. G. Ewers Sie fürchten weder Tod noch Teufel Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide unvermutet in die Galaxis Manam-Turu gelangt. Das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und der neue Begleiter des Arkoniden ist Chipol, der junge Daila. In den rund acht Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich auf den Freiheitskampf der Daila gegen das Neue Konzil positiv auswirken dürfte. Doch Atlan ist längst nicht zufrieden mit dem bisher Erreichten. Das gilt auch für Mrothyr, und so haben die beiden mit der »Mission Zyrph« einen neuen Anlauf genommen. Indessen setzen Anima, Goman-Largo und Neithadl-Off, die drei so ungleichen Persönlichkeiten, die ein so seltsames Schicksal zusammengeführt hat, ihre Suche nach Atlan fort. Bei ihrer Kreuzfahrt durch Manam-Turu geraten sie an die AMAZONEN IM ALL …
Die Hauptpersonen des Romans: Goman-Largo, Anima und Neithadl-Off - Die Raum-Zeit-Spezialisten als Soldaten. Qumpoh und Koqtoh - Kriegerinnen von Khoros. Hatchiss, Sukiss und Furror - Piraten von der KOKAHU. John Urko - Ein angeblicher Celester.
1. Das Trommelfeuer hatte in der letzten halben Stunde noch zugenommen. Dort, wo sich die Stellungen der Verteidiger von Mhiklas befanden, war nur noch Rauch und Feuer zu sehen. »Ich hätte nie gedacht, daß die Waffen von Primitiven eine solche Vernichtungskraft entfalten!« schrie und gackerte Furror, einer der Piraten von der KOKAHU, mit der der Gesandte Gurays von Pechel verschwunden war. Neithadl-Off aber stand neben Goman-Largo in der Bereitschaftsstellung der Truppen von Khoros und blies einen Lagebericht in das Aufzeichnungsgerät, das sie in den Vordergliedmaßen hielt und vor ihrer Mundleiste hin und her bewegte. Der Modulmann ballte die Fäuste in ohnmächtigem Zorn und blickte hinüber zu den Damen Offizieren der Sturmbrigade von Khoros. Die Pecheles hatten ihn und seine Gefährten nach dem Verschwinden des Piratenschiffs ohne viel Federlesens entwaffnet und dazu gezwungen, in die Dienste der Stadtarmee von Khoros zu treten, um für die Dauer des Krieges gegen andere Städte des Planeten zu kämpfen – beziehungsweise bis zum Heldentod. »Ich wollte, wir besäßen unser Time-Shuttle noch!« rief er seiner Partnerin zu. Zwei der Pecheles stellten ihre Oberkörper aufrecht und blickten zu Goman-Largo. Die Stummelfinger der drei handlangen Armpaare, die aus Öffnungen der purpurroten Uniform eines jeden
der weiblichen Offiziere ragten, hielten Waffen: kurzläufige Maschinenpistolen, Handgranaten und Messer. Alles erschien irgendwie unwirklich, auch die Erscheinungsform der Pecheles. Sie ähnelten zirka anderthalb Meter langen, etwa einen Viertelmeter durchmessenden, hellgrau behaarten Raupen. Daran änderten auch die Uniformen nichts, die mit silbrigen und goldfarbenen Streifen und Winkeln verziert waren. Das Frappanteste an ihnen waren zweifellos die doppelt faustgroßen Köpfe. Sie wurden auf der Vorderseite von zwei riesigen, ovalen, gelblich leuchtenden Augen beherrscht und waren mit dichtem schwarzem Haar bedeckt, das dort, wo bei Hominiden die Ohren saßen, in Form unterarmlanger Strähnenbündel herabhing. Goman-Largo fragte sich, was in den Köpfen der beiden Pecheles wohl vorgehen mochte, während sie ihn anstarrten. Er war schließlich nur ein Mann – und Männer galten in der Gesellschaftsordnung auf Pechel nicht viel mehr als anderswo Haustiere. Sie wurden als Unfreie bezeichnet und in Käfigen gehalten. Sie durften auch nicht als Soldaten dienen (worüber sie nach Gomans Ansicht aber wohl kaum sehr unglücklich waren). Aber bei ihm und den Piraten hatten die Kriegerinnen von Pechel nicht gezögert, sie in die Truppe zu pressen, obwohl sie auch diese ansonsten nicht besser behandelten als ihre Männer. Lediglich Neithadl-Off und Anima wurden als gleichrangig angesehen. Die Parazeit-Historikerin genoß sogar allgemeine Hochachtung, weil die Pecheles ihrer Behauptung glaubten, sie sei die Prinzessin aus dem Reich der Hunderttausend Sonnen, die Siegelbewahrerin des Ordens der Zeitchirurgen und die beste Parazeit-Historikerin, die die Universen je gesehen hatten. Dabei war alles pure Erfindung. Goman-Largo runzelte nachdenklich die Stirn, als er sich bei diesem Gedanken ertappte.
Nein, nicht alles, was Neithadl-Off behauptete, war bloße Erfindung! sagte er sich. Sie war tatsächlich eine ParazeitHistorikerin. Zumindest hatte sie bewiesen, daß sie verblüffende Kenntnisse über Zeitphänomene, Zeitgrüfte, Zeit-Transfer-Kapseln und deren Funktionsweisen besaß. Möglicherweise hatte sie auch etwas mit dem Orden der Zeitchirurgen zu tun. Allerdings war sie wohl kaum die Siegelbewahrerin dieses anrüchigen Ordens, eher eine Widersacherin der Zeitverbrecher. Schließlich hatte sie ihn, den Spezialisten der Zeit und Feind des Ordens der Zeitchirurgen, aus dem Stasiskerker der Zeitgruft von Xissas befreit, in die die Agenten des Ordens ihn vor langer Zeit gesperrt hatten. Sie war einfach hypertemporal! Warum sollte sie dann nicht auch tatsächlich eine Prinzessin sein? Unwillig und ärgerlich über sich selbst blies der Tigganoi die Backen auf. Was er eben gedacht hatte, war barer Unsinn. Das mit der Prinzessin war seine eigene Erfindung. Er selbst hatte die Vigpanderin zuerst als Prinzessin tituliert – eigentlich scherzhaft. Vielleicht hatte er es zu oft getan, so daß sie schließlich daran glaubte. Es war zum Lachen. Nein, es wäre zum Lachen gewesen, wenn er nicht in diesem Augenblick in der Bereitstellung der Truppen von Khoros stünde, ein primitives Sturmgewehr in den Händen und die unter Beschuß liegenden Stellungen der Verteidiger von Mhiklas in Sichtweite – und unter dem Zwang, gegen sie anstürmen zu müssen, sobald das Trommelfeuer aufhörte. Ich werde einfach in die Luft schießen! dachte er grimmig. Niemand kann mich dazu zwingen, andere Intelligenzen zu töten. Das Trommelfeuer brach schlagartig ab. Die Stille danach wirkte lähmend. Goman-Largo spürte, wie seine Knie weich wurden. Seine Finger
zitterten so stark, daß er das Sturmgewehr kaum noch zu halten vermochte. Vor Furcht drehte sich ihm fast der Magen um. »Vorwärts!« schrie ihm und den anderen Gepreßten eine der beiden Pecheles zu, die herüberstarrten. Der Modulmann überlegte, ob es Qumpoh oder Koqtoh war. Er konnte die beiden führenden weiblichen Offiziere immer noch nicht auseinanderhalten. Er vergaß diese Überlegung wieder, als die Pechel unmißverständlich mit der Maschinenpistole winkte. Gleichzeitig krochen und trippelten überall links und rechts die rotuniformierten Offiziere und Soldaten der Stadt Khoros aus den Gräben und Löchern. Sie stießen gellende Schreie was, mit denen sie ihre Todesängste betäuben und sich gegenseitig anfeuern wollten. Einer der Barquass-Piraten, Goman-Largo kannte seinen Namen nicht, warf schluchzend sein Sturmgewehr auf den Boden. Im nächsten Augenblick schoß Qumpoh auf ihn (oder Koqtoh). Die Projektile pflügten nur den Boden zu seinen Füßen auf, aber das reichte. Alle Piraten, Anima, Neithadl-Off und Goman-Largo kletterten, wenn auch innerlich widerstrebend, aus ihren Stellungen und stapften mit der Masse der Khoros-Soldaten ins Niemandsland, das sie von den vom Trommelfeuer zerstampften Stellungen der Verteidiger von Mhiklas trennte.
* Eine Viertelstunde später bewegten sie sich wesentlich schneller, allerdings in umgekehrter Richtung. Sie hatten die Stellungen der Verteidiger von Mhiklas in unaufhaltsamem Sturmlauf überrannt – und zu Goman-Largos und Neithadl-Offs Erleichterung ohne jedes Blutvergießen. Das war aber wohl kaum ihr Verdienst gewesen, sondern hatte daran gelegen, daß die Überreste der Stellungen nicht verteidigt
wurden. Der Tigganoi hatte zuerst vermutet, alle Verteidiger wären im Trommelfeuer umgekommen. Schon bald war diese Vermutung jedoch ins Wanken geraten, denn er hatte nirgends Tote gesehen. Des Rätsels Lösung ließ nicht lange auf sich warten. Sie waren noch dabei gewesen, die zertrommelten Stellungen nach überlebenden Feinden abzusuchen, als der Gegenangriff erfolgte. Die Truppen von Mhiklas stürmten in so großer Zahl heran und wirkten so frisch, daß sie unmöglich stundenlang im Trommelfeuer gelegen haben konnten. Der Modulmann nahm an, daß sie sich rechtzeitig aus ihren Stellungen zurückgezogen und in darunterliegenden Ausweichstellungen das Ende des Trommelfeuers abgewartet hatten. Das begriffen anscheinend auch die Truppen von Khoros. Jedenfalls verriet ihr Verhalten Frustration, und ihr Kampfgeist schwand. Nach kurzem Feuerwechsel lösten sie sich vom Feind und fluteten in ungeordneter Flucht zurück. Die Damen Offiziere scheuten auch vor der Statuierung von Exempeln nicht zurück, um ihre Truppen wenigstens in den eigenen Ausgangsstellungen zum Stehen zu bewegen und sie ihrerseits zum Gegenangriff zu formieren. Es blieb vergeblich. Nur ein paar Begriffsstutzige ließen sich auf das kurzlebige Abenteuer ein, einen Feind aufhalten zu wollen, der durch seinen durchschlagenden Erfolg in eine Art Kampfrausch versetzt worden war. Die Masse der Soldaten rannte weiter bis zum Stadtrand von Khoros, unter ihnen die überlebenden Piraten. Goman-Largo und Neithadl-Off befanden sich nicht direkt unter ihnen. Allerdings nicht, weil sie die Helden in einer Schlacht spielten, die für sie völlig sinnlos war. Nein, so dumm waren sie nicht. Sie hatten vielmehr gesehen, daß Qumpoh und Koqtoh verwundet worden waren, als sie versuchten, als Helden in die Geschichte ihrer Stadt einzugehen. Da war dem Modulmann und seiner Partnerin ein
Gedanke gekommen, wie sie – vielleicht – einen Umschwung in der scheußlichen Kriegermentalität der Pechels bewirken konnten. Erste Voraussetzung für den Versuch war, daß sie sich Eingeborene zu Freunden machten – und zwar möglichst einflußreiche Eingeborene. Zwei Offiziere der Elitetruppe von Khoros erschienen ihnen als einflußreich genug. Sie aktivierten ihre Flugaggregate, die die Pecheles ihnen aus Unwissenheit gelassen hatten und schwebten so niedrig über dem Boden zu den Verwundeten, daß jemand, der nicht sehr genau hinsah, nicht bemerkte, daß sie sich technischer Hilfsmittel bedienten. Jeder griff sich einen Offizier, legte ihn sich über den dafür geeigneten Körperteil und machte sich im Tiefstflug und in Richtung Khoros aus dem Staub. Zumindest ein Gegner nahm daran Anstoß, was der Mudolmann der Tatsache entnahm, daß ihm ein paar Kugeln um die Ohren pfiffen und eine ihm den linken großen Gesäßmuskel zerfetzte, was so schmerzhaft war, daß ihm die Augen tränten – und was ihn zweifellos an einer weiteren Fortbewegung gehindert hätte, wenn er auf seine eigenen Gehwerkzeuge angewiesen gewesen wäre. Die Vigpanderin war ebenfalls nicht ungeschoren davongekommen. Das bemerkte Goman-Largo aber erst später, als sie sich wieder in Khoros befanden und er vergeblich darauf wartete, daß Anima ihm half. Notgedrungen nahm er mit der Ersten Hilfe zweier Sanitäterinnen der Truppe vorlieb. Sie gingen nicht gerade zartfühlend mit ihm um, und er biß sich die Lippen blutig, als er darum kämpfte, nicht vor Schmerz zu brüllen. Anima erschien schließlich doch, aber da waren die Sanitäterinnen bereits mit ihm fertig. »Es tut mir leid«, erklärte die Hominidin. »Neithadl-Off war schwerer verwundet als du. Außerdem machte sie mir klar, daß ich nach ihr zuerst die beiden Offiziere behandeln mußte, die ihr geborgen hattet.«
Er wollte sich darüber entrüsten, doch dann sah er ein, daß das zweckmäßig gewesen war, wenn es Erfolg gehabt hatte. »Werden sie durchkommen?« erkundigte er sich. »Ja«, antwortete Anima. Beruhigt ließ der Tigganoi sich zurücksinken. Er spürte bereits, daß die parapsychischen Fähigkeiten der geheimnisvollen Frau ihre Wirkung bei ihm entfalteten. Seine Schmerzen klangen rasch ab, und ein Kribbeln in der Wunde verriet ihm, daß der Heilungsprozeß eingesetzt hatte und ebenfalls parapsychisch beschleunigt wurde. Dadurch wurde er wieder dazu befähigt, auch an andere Dinge zu denken. Er sah sich um und stellte fest, daß er zusammen mit drei verwundeten Piraten und etwa dreißig verwundeten Pecheles unmittelbar hinter den Soldaten lag, die am Stadtrand von Khoros in eine vorbereitete Auffangstellung gegangen waren. Anscheinend hatte niemand versucht, sie daran zu hindern – und auch jetzt wurden sie nicht behelligt. Das war sonderbar. »Warum wird nicht gekämpft?« fragte er. »Der Krieg auf Pechel unterliegt strengen Regeln«, erinnerte ihn Anima an etwas, das ihm schon der Kapitän des Piratenschiffs erzählt hatte, noch bevor sie auf Pechel gelandet waren. »Eine dieser Regeln lautet, daß die Kämpfe niemals in die Städte hineingetragen werden dürfen. Als wir den Stadtrand von Khoros erreichten, stellten die Truppen von Mhiklas darum die Verfolgung ein.« »Tatsächlich!« wunderte sich Goman-Largo, denn sein Wissen, das ihm wahrscheinlich während seiner Ausbildung zum Spezialisten der Zeit an der Zeitschule von Rhuf vermittelt worden war, enthielt unter anderem die Information, daß im Verlauf von Kriegen schon unzählige Städte und Welten verwüstet und sogar vernichtet worden waren. »Die Pecheles scheinen vernünftiger zu sein, als ich dachte.« Seine Zuversicht, ihre Kriegermentalität aufweichen zu können, wuchs. Es würde dennoch nicht leicht sein! dachte er, als dicht über ihnen vier heulende Schemen durch die Luft jagten: Düsenjäger
beziehungsweise Jagdbomber. Wahrscheinlich welche von Khoros, denn sie wurden aus der Auffangstellung nicht beschossen. »Wie geht es dir?« pfiff jemand in seiner Nähe, kaum daß das Heulen und Donnern der Flugmaschinen verebbt war. Er wandte den Kopf und erkannte Neithadl-Off rechts neben sich. Die Vigpanderin hatte drei ihrer sechs Gließmaßen bandagiert. »Den Umständen entsprechend gut«, antwortete er. »Wenigstens ist der Krieg für uns zu Ende, Prinzessin.« »Achtung!« flüsterte Anima. »Zwei Offiziere! Aha, es sind Qumpoh und Koqtoh!« Die beiden Damen (jedenfalls pflegten die weiblichen Pecheles sich selbst als Damen zu bezeichnen) trippelten auf ihren je vier Beinpaaren verhältnismäßig schnell näher und blieben bei NeithadlOff stehen. »Wie geht es Ihnen, Prinzessin?« wandte sich die eine, der Modulmann hielt sie für Koqtoh, an die Vigpanderin. »Danke, recht gut«, antwortete Neithadl-Off. »Ich hoffe, Sie erholen sich ebenfalls schnell von Ihrer Verwundung.« »Schneller, als wir angenommen hatten«, erklärte die andere Dame, die nur Qumpoh sein konnte, wenn die andere wirklich Koqtoh war. »Wir möchten uns bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie uns durch Ihren tapferen Einsatz aus dem Gefechtsfeld und wahrscheinlich vor einer schmählichen Gefangenschaft retteten, der wir uns infolge unserer schweren Verwundungen nur hätten zu entziehen vermögen, indem wir uns töteten.« »Wir haben es gern getan«, versicherte Neithadl-Off. »Ich meine, mein Partner und ich, denn sein Verdienst um Ihre Rettung war ebenso groß wie meines.« »Sie sollten nicht übertreiben, Prinzessin!« mahnte Qumpoh. »Goman-Largo ist nur ein Mann und konnte deswegen niemals von sich aus planen, uns zu helfen. Selbstverständlich gehorchte er, als Sie ihm befahlen, Sie zu unterstützen – und er war trotz seines männlichen Geschlechts nicht ganz ungeschickt. Darum haben wir
ihn ebenfalls in unsere neue Planung einbezogen.« Goman-Largo, der sich eben noch darüber aufzuregen begonnen hatte, daß die beiden Pecheles seine Leistung so unverschämt abqualifizierten, wünschte sich plötzlich, sie hätten seine Leistungen überhaupt nicht anerkannt. Er ahnte nämlich bei Qumpohs Worten, daß er und die Vigpanderin schon bald wieder ins Feuer geschickt werden sollten. »Lassen Sie hören!« erwiderte die Parazeit-Historikerin, die anscheinend ahnungslos war. »Es handelt sich um ein tollkühnes Kommando-Unternehmen«, flüsterte Qumpoh. »Koqtoh, ich, Sie und der Mann werden in das Doranit-Lager der Stadt Mhiklas eindringen und den Kyptai entführen.« »Oh!« pfiff die Vigpanderin, als sie begriff, zu welcher Kriegstat sie und ihr Partner mißbraucht werden sollten. »Sie sind begeistert, nicht wahr, Prinzessin?« erkundigte sich Koqtoh. »Ja, das kann ich mir vorstellen. Wahrscheinlich wird man Sie nach dem Unternehmen zur Ehrenbürgerin von Khoros ernennen – und zwar auch dann, wenn Sie fallen sollten.« »Oh!« wiederholte Neithadl-Off sich – zum Amüsement von Goman-Largo, dessen Gedanken dabei waren, aus dem Schlechten ein Quentchen Gutes herauszufinden. »Sie sind doch begeistert, Prinzessin?« fragte Qumpoh mit erwachendem Mißtrauen. »Euphorie!« flüsterte Goman-Largo ihr ein. Er bediente sich dabei des Interkosmos, das sie von Anima gelernt hatten und das die Pecheles garantiert nicht beherrschten. Die Vigpanderin pfiff eine fragende Melodie – und brach ab, als sie begriff, was Goman-Largo von ihr wollte. »Meine Begeisterung kennt keine Grenzen!« pfiff sie überschwenglich in der Sprache der Barquass-Piraten, die anscheinend auf allen erschlossenen Welten von Manam-Turu beherrscht wurde. »Ich danke Ihnen, daß Sie mir diese einmalige
Gelegenheit bieten, mich auszuzeichnen.« Sie reckte ihre knallroten Sensorstäbchen in Goman-Largos Richtung. »Du bist doch auch begeistert, Partner?« »Und wie!« gab der Modulmann zurück. »Aber wer ist ›der Kyptai‹?« »Wer ist der Kyptai?« wiederholte Neithadl-Off die Frage, als die Damen Offiziere nicht auf Goman reagierten. »Ein Fremder«, antwortete ihr Qumpoh. »Unsere Spione haben berichtet, er wäre an die Stadt Mhiklas von Unbekannten ausgeliehen worden. Er soll ein Mann und trotzdem ein hochintelligentes Wesen sein, ein Beherrscher der Genetik, wie es heißt. Im Doranit-Lager von Mhiklas soll er ein Labor haben, in dem er das Doranit vorbehandelt, bevor es abgeholt wird. Mhiklas hat einen festen Abnehmer dafür, im Unterschied zu allen anderen Städten dieser Welt.« Goman-Largo horchte auf. Wenn der Kyptai ein Genetiker war, dann gehörte er zweifellos einer erheblich weiter oben auf der Evolutionsleiter stehenden Zivilisation als der von Pechel an. Er mußte folglich zumindest Grundkenntnisse über die Galaxis Manam-Turu besitzen, wie sie kein Pechel besaß – und die auch den Piraten nicht in allen Details zugänglich waren. Vielleicht wußte er sogar, wo sie Atlan fanden, und konnte Anima, Neithadl-Off und ihm zu einem Schiff verhelfen, das sie zu dem Arkoniden brachte. Es wurde allmählich Zeit, diese unfruchtbare Phase seines Daseins abzuschließen und sich endlich wieder seinen ureigensten Zielen zuzuwenden. »Ja, ich weiß nicht, ob wir ein solches Risiko eingehen sollen«, zauderte die Vigpanderin. »Wenn der Kyptai wirklich so wichtig ist, wird er bestimmt schwer bewacht.« »Das ist egal, Prinzessin!« entschied Goman-Largo in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. »Wir holen ihn dort heraus!«
2. Goman-Largo verspürte ein flaues Gefühl im Magen, als der Lastensegler gleichzeitig mit den beiden anderen Lastenseglern des »Unternehmens Nestraub« die Nase hochnahm, als das Schleppseil ausgeklinkt wurde. Mit aufheulendem Motor zog das Schleppflugzeug davon. Es kam allerdings nur etwa fünfhundert Meter weit, dann wurde es von den Luft-Luft-Raketen eines mhiklasischen Düsenjägers zerfetzt, die ihr Ziel mit Hilfe von Infrarot-Suchköpfen gefunden hatten. Der Modulmann stand in dem engen Cockpit hinter der Pilotin, hielt sich an deren Sitz fest und beobachtete das Geschehen durch die halbblinden Plexiglasscheiben hindurch. Auf dem Rücken trug er außer dem Aggregattornister seiner SdZ-Kombination einen Segeltuchpacken, in dem sich seine Ausrüstung für den bevorstehenden Einsatz befand. Eine Bordkanone hämmerte. Goman-Largo zuckte zusammen, als etwa ein Dutzend fingerlange Geschosse Löcher ins Plexiglas der Kanzel stanzten und auf der anderen Seite wieder hinausfuhren, bevor sie explodierten. »Stürzen wir ab?« pfiff Neithadl-Off aus dem Lastraum, in dem sie gemeinsam mit Qumpoh, Koqtoh und zwölf khorosischen Fallschirmjägern untergebracht war. »Nein«, antwortete Goman-Largo. Im nächsten Augenblick erkannte er, daß er sich geirrt hatte. Das war, als die Pilotin bewußtlos zusammensackte. Aus einer Wunde über ihren Augen quoll hellgrünes Blut. Wahrscheinlich handelte es sich nur um einen Streifschuß. Er hatte jedoch ausgereicht, um die Pechel in Bewußtlosigkeit zu versetzen. Der Tigganoi handelte, als die Maschine absackte. Er schnallte die Pilotin los, zog sie aus dem Sitz und ließ sie daneben liegen. Für Samariterdienste war keine Zeit. Schon neigte sich die Nase der Maschine nach vorn, die Geschwindigkeit wuchs, und der
Fahrtwind pfiff schrill und bedrohlich durch die Löcher in der Kanzel. Goman-Largo hockte sich auf die Sitzfläche. Er konnte seine Beine weder herunterhängen lassen noch ausstrecken. Der Sitz war für »Riesenraupen« mit Stummelbeinen gemacht. Er war fast niveaugleich mit dem Kanzelboden – und direkt vor ihm sperrten das Instrumentenbrett und die Schalt- und Steueranlagen jeglicher Ausdehnung den Weg ab. »Was macht dieses Wesen da?« hörte er eine der Damen Offiziere seine Partnerin fragen. »Will es etwa die Pilotin ersetzen? Es ist doch bloß ein Mann!« Der Tigganoi schluckte seinen Ärger hinunter. Es gab Wichtigeres für ihn zu tun, als etwa auf die Bemerkungen der Pechel zu reagieren. Der Lastensegler ging immer steiler hinunter. Dort unten war aber nichts anderes als das Gras der Sumpflandschaft. Wenn die Maschine dort zerschellte, würden er und die anderen Insassen den riesigen Reptilien fast hilflos ausgeliefert sein. Das Ziel lag noch mindestens drei Kilometer weiter nördlich: das Doranit-Lager von Mhiklas, abseits der Stadtplattform in den Sumpf gesetzt. Aus den Augenwinkeln sah der Modulmann, wie der mhiklasische Düsenjäger zum nächsten Angriff ansetzte. Er kam aber glücklicherweise nicht dazu, seine Bordkanonen oder Raketen abzufeuern, denn ein khorosischer Düsenjäger zerschoß ihm aus der Sonne heraus das Höhen- und Seitenleitwerk. Der Pilot rettete sich mit dem Schleudersitz, während seine Maschine abtrudelte. Goman-Largo gelang es endlich, die nicht für Hominiden-Finger gedachten Schalt- und Steueranlagen halbwegs sinnvoll zu bedienen. Er fing den Lastensegler ab und versuchte, ihn auf Höhe zu halten. Dort, wo das Ziel lag, nahmen Explosionswolken die Sicht. Khorosische Jagdbomber versuchten, die Luftabwehr des Doranit-Lagers auszuschalten. Weiter rechts tobten unterdessen auf der Landbrücke, die die Stadtplattform von Mhiklas und Khoros miteinander verband,
erbitterte Kämpfe. Die khorosischen Truppen wollten mit ihren hartnäckigen Angriffen allerdings nur vom »Unternehmen Nestraub« ablenken. »Das ist alles so idiotisch!« murmelte der Modulmann erbittert vor sich hin. »Anstatt im Miteinander ihren Planeten zu einem Paradies zu gestalten, verwandeln sie ihn im Gegeneinander in eine Hölle.« Er stöhnte. »Hat es dich auch erwischt?« pfiff die Vigpanderin besorgt von hinten. »Dann müssen wir die Honiglöffel wegschmeißen«, konstatierte Koqtoh. »Meinetwegen«, erklärte Qumpoh. »Es ist süß, fürs Mutterland zu sterben.« »Quatsch mit Soße!« knurrte Goman-Largo. »Mir sind nur die Füße eingeschlafen. Verflixt, ist das eng hier vorn!« Er tastete mit Hilfe eines seiner Module energetisch herum, in der Hoffnung, irgendwo im Steuer- und Schaltteil des Lastenseglers ansetzen zu können. Vergeblich. Es gab keine elektronischen und schon gar keine positronischen Elemente, an denen er mit Hilfe eines Moduls hätte ansetzen können. Er war auf die rein manuelle Bedienung angewiesen. Bei einem Düsenjäger oder Jagdbomber wäre das sicher anders gewesen, aber Lastensegler waren Einwegartikel. »Weg da!« schimpfte er, als ein Schatten über die Kanzel fiel und gleich darauf einer der beiden anderen Lastensegler des Unternehmens über ihn hinwegrauschte und sich vor ihn setzte. Nur wenig später folgte der nächste Lastensegler seinem Beispiel. Beide Flugzeuge segelten schräg unter ihn und nahmen ihm damit einen Großteil der Sicht aufs Zielgebiet. Er hielt das für Dummheit – bis rings um die beiden Segler grauweiße Wölkchen gleich großen Wattebäuschen auftauchten und Explosionen krachten. Da begriff er, daß die beiden anderen Lastensegler sich nur zwischen seinen und das Zielgebiet gesetzt
hatten, um das gegnerische Radar und Flakfeuer auf sich zu ziehen. »Das ist blanker Zynismus!« schimpfte er, als einer der Segler gleichzeitig zwei Volltreffer erhielt, in zwei Teile zerbrach und abstürzte, während aus seinem Sperrholzleib puppenhaft wirkende Gestalten purzelten. »Was meint er, Prinzessin?« wandte sich Qumpoh an NeithadlOff. »Er regt sich über die Kaltblütigkeit auf, mit der Ihre Kommandostelle die Piloten und Fallschirmjäger zweier Lastensegler opfert«, antwortete die Parazeit-Historikerin bebend. »Und ich finde es ebenfalls gemein.« »Wir vergeuden nichts«, entgegnete Qumpoh. »Die beiden anderen Segler sind ferngesteuert, und statt Soldaten enthalten sie nur Puppen. Das Opfer muß echt wirken, wenn der Feind die List nicht durchschauen soll.« Goman-Largo holte tief Luft, dann grinste er anerkennend. »Er wird sie nicht durchschauen, wenn sogar ich darauf hereingefallen bin«, meinte er. Das Flakfeuer riß dem anderen Segelflugzeug eine Tragfläche ab. Während es nach unten trudelte, wurde es von weiteren Treffern nach und nach förmlich zerhackt. Goman-Largos Lippen wurden schmal, als auch rings um sein Flugzeug die Explosionswolken von Flakgeschossen auftauchten. Er ließ die Maschine hin und her schwingen, um dem Gegner das Zielen zu erschweren. Dennoch prasselten immer wieder Granatsplitter durch die Sperrholzplanken, und mehrmals spürte er heißen Stahl ganz nahe an seiner Haut vorbeistreichen. Als ein glühender Splitter an seinem Gesicht vorbeifuhr und ihn um ein Haar blendete, schloß er den bisher zu einem Kapuzenwulst zusammengerollten Druckhelm und drückte den Segler tiefer. Die durch statische Aufladung verstärkte und versteifte Schichtstruktur des Helmes würde ihn gegen Splittereinwirkung schützen, allerdings nicht gegen Explosionen in allernächster Nähe.
Der Lastensegler wurde durch einige der nächsten Explosionen hart durchgeschüttelt und von Splittern durchsiebt. Zwei schrille Schreie hinter seinem Rücken verrieten dem Modulmann, daß zwei der weiblichen Fallschirmjäger getroffen worden waren. Er wedelte den Rauch, der plötzlich die Kanzel erfüllte, mit einer Hand beiseite. Den Rest besorgte der durch die Löcher rauschende Fahrtwind. Im nächsten Moment sah Goman-Largo das Zielgebiet schräg unter sich, höchstens noch fünfhundert Meter entfernt: die aus dem Sumpf ragende obere Hälfte des Stahlzylinders, in dem die Stadt Mhiklas ihr Doranit lagerte und aufbereiten ließ. Oberhalb des Sumpfes waren die Verteidigungsplattformen montiert. Die Luftangriffe hatten rund zwei Drittel von ihnen zerstört oder schwer beschädigt. Der Rest feuerte weiter: unbesetzt und von Computern gesteuert. Links und rechts wurde der Lastensegler von zwei Jagdbombern überholt. Ihre Bordwaffen zerschlugen mit hämmerndem Furioso und im Zusammenwirken mit Luft-Boden-Raketen die letzten Abwehrwaffen. Sie blendeten Goman-Largo und seine wenigen Instrumente aber auch durch einen dichten Vorhang von Rauch und Feuer. »Bei allen Zeitgrüften und ihren Wächtern!« flehte der Modulmann und steuerte den Segler blind ins Chaos hinein. »Die Hüter des Universums stehen uns bei!« Es krachte und splitterte, holperte und polterte, dann barst die Kanzel beim Aufprall gegen eine der Aufbauten des Stahlzylinders. Goman-Largo sah sich schon zerschmettert an dem Hindernis kleben, doch die Tragflächen des Seglers rammten ebenfalls Hindernisse und bremsten die Todesfahrt ab. Millimeter vor der Helmscheibe des Modulmanns kam eine stählerne Wand zum Stehen. Es dauerte eine Weile, bis er zu fassen vermochte, daß er noch lebte, dann bewegte er sich im Krebsgang aus dem Sitz heraus – und stieß mit Neithadl-Off zusammen, die nach vorn gekommen war, um nach ihm zu sehen.
»Du lebst, Modulmann!« pfiff sie erleichtert. »Halten Sie sich nicht auf, Prinzessin!« rief Qumpoh und bemühte sich, eine der beiden Türen zu öffnen. Hinter ihr drängten sich, mehr oder minder ramponiert, Koqtoh und einige Fallschirmjägerinnen. Goman-Largo fühlte sich benommen und deprimiert. Er schüttelte diese Gefühle ab und rief sich den Einsatzplan in Erinnerung. Sie waren auf dem Stahlzylinder des Doranit-Lagers gelandet, aber sie mußten sich erst noch durch die Zugänge zum eigentlichen Lager und zum Labor hinabkämpfen, dort den Kyptai überwältigen und mit ihm wieder nach oben gehen, um sich von einem Luftkissenboot abholen zu lassen. Falls eines durchkam – und falls sie dann noch am Leben waren. »Die Türen klemmen!« stellte Koqtoh fest, die sich vergeblich mit der zweiten Tür abgemüht hatte. »Wir sitzen fest.« »Unsinn!« sagte Goman-Largo. Er strich über die Sensorstäbchen der Parazeit-Historikerin, dann eilte er an Koqtohs Seite und trat mit voller Wucht gegen die verklemmte Tür. Sie flog hinaus – mitten hinein in einen Regensturm, der unmittelbar nach ihrer Bruchlandung ausgebrochen sein mußte. Wasser schwappte in das Flugzeug; Dampf wallte auf. Ganz nahe schlug ein Blitz ein und schien das ganze Universum in blaue Flammen zu hüllen. »Die Göttinnen stehen uns bei!« flehte Qumpoh. »Ach, nein!« ächzte Goman-Largo. »Ich dachte, es wäre süß, fürs Vaterland zu sterben.« »Fürs Mutterland«, korrigierte ihn Neithadl-Off über Helmfunk, denn sie hatte ebenfalls ihr Äquivalent eines Druckhelms geschlossen. »Hier dürfen wir jedenfalls nicht bleiben, wenn wir nicht in den Sumpf gespült werden wollen.« Sie sprang mit einem Satz aus der Tür und eilte in die rauschende und von Blitzen durchzuckte Finsternis hinein. Der Modulmann
folgte ihr schweigend. Es war ihm egal, was die Pecheles taten. Jeder mußte für sich selbst sorgen, und für seinen und Neithadl-Offs geheimen Plan wurden sie nicht unbedingt benötigt.
* Zu seiner Verblüffung und Erleichterung stellten sich ihnen keine Offiziere und Soldaten der Truppen von Mhiklas entgegen. Er sah auch nirgends Tote oder Verwundete herumliegen. Dennoch wurde der Abstieg in die Tiefe des Stahlzylinders zu einem Alptraum. Überall waren Sprengschnüre, Fangnetze und Minen installiert. Zu ihrem Glück stieß Neithadl-Off, die sich weiterhin an der Spitze hielt, zuerst auf ein Fangnetz anstatt auf eine Mine oder eine Sprengschnur. Sie fing sich nur deshalb nicht darin, weil es für walzenförmige Pechelkörper konstruiert war und ihr sperriger (Trampolin-)Körper verhinderte, daß es sich zuzog. Sie gab ihm mit ihrem Messer den Rest, dann ließ sie sich nur zu gern von Goman-Largo überreden, ihm die Spitzenposition zu überlassen. Der Tigganoi vermochte die Minen mit Hilfe von Modulen und mit dem Ortungssystem seiner Einsatzkombination aufzuspüren. Ein wenig schwieriger war es schon mit den Fangnetzen und vor allem mit den Sprengschnüren. Fünfmal löste er Detonationen aus, die ihn nur dank seiner stabilen Montur nicht töteten. Danach hatte er das System gecheckt, nach dem die Damen Pioniere von Mhiklas die Schnüre verlegt hatten, und er konnte weitere Detonationen vermeiden. Mit den Fangnetzen gab er sich weniger Mühe. Er war zwar nicht ganz so sperrig wie seine Partnerin, aber immerhin erheblich sperriger als jede Pechel. Sobald ein Netz über ihn fiel, genügte es, Arme und Beine zu spreizen, um das Schließen und anschließende Strangulieren zu verhindern. Danach befreite ihn die Vigpanderin
jedesmal rasch mit ihrem Messer. Es war dennoch nervenaufreibend und schweißtreibend, vor allem, weil die nachfolgenden Damen Offiziere und Fallschirmjäger in ihrem Eifer, sich auszuzeichnen, immer wieder in Nebenschächte eindrangen, in Schwierigkeiten gerieten und sich dezimierten. Aber endlich war die Sohle des Hauptschachts erreicht. Um Goman-Largo und Neithadl-Off sammelten sich Qumpoh und Koqtoh. »Wo sind die anderen?« fragte Neithadl-Off bestürzt. »Im Tempel der Heldinnen – oder auf dem Weg dorthin«, erklärte Koqtoh. Der Modulmann horchte auf. Ihm war es vorgekommen, als hätten in der Stimme der Pechel Niedergeschlagenheit und Bitterkeit mitgeschwungen. Das ließ sich natürlich bei der Stimme einer andersartigen Intelligenz nicht eindeutig bestimmen, aber es ließ sich gefühlsmäßig erahnen. Er stufte dieses Zeichen als hoffnungsvoll ein. »Sie waren uns eine wertvolle Hilfe, Prinzessin«, wandte sich Qumpoh an die Vigpanderin. »Die Hauptarbeit hat mein Partner geleistet«, korrigierte NeithadlOff sie. »Ich kann nicht darum herum, ihm ein gewisses Verdienst zuzugestehen, obwohl er nur ein Mann ist«, räumte die Pechel ein. »Ich wollte, du wärst eine Hominidin!« grollte Goman-Largo wütend. »Dann wüßte ich, was ich mit dir machte.« »Goman!« pfiff die Vigpanderin pikiert. »Ich würde dich übers Knie legen und dir die Backen streicheln, bis sie dir wie Feuer brennen«, fuhr der Modulmann ungerührt fort. »Die Backen?« fragte Neithadl-Off erleichtert und neugierig. »Das, was du im Gesicht hast?« »Nein, das, worauf Hominiden sitzen«, gab Goman-Largo zurück. »Ich glaube, er droht uns mit körperlicher Züchtigung!« schrie Koqtoh außer sich.
»Unerhört!« pflichtete Qumpoh ihr bei. »Jeder Pechel würde dafür mit Nahrungsentzug bestraft.« »Ich bin kein Pechel!« fuhr der Modulmann sie an. »Ich kenne eure Männer nicht, aber wenn sie sich in Käfigen halten lassen, kann es mit ihrer Intelligenz nicht weit her sein. Mich bekämt ihr jedenfalls nicht in einen Käfig.« »Das glaube ich ihm sogar«, meinte Koqtoh. »Oh, wie schön schauerlich!« »Er scheint tatsächlich etwas Besonderes zu sein«, stellte Qumpoh fest. »Ich werde ihn für mich requirieren, sobald wir nach Khoros zurückgekehrt sind.« »Nein, ich!« geiferte Koqtoh. »Er soll mein Haremswächter sein.« Neithadl-Off lachte plötzlich fast hysterisch. »Schluß mit der Komödie!« schrie Goman-Largo erbost. »Ich will weder ein Haremswächter noch ein Vorzugsmann sein, sondern mein eigener Herr! Und als solcher erinnere ich euch daran, daß unsere Mission noch nicht beendet ist. Da ihr Pecheies anscheinend lieber schnattert, anstatt etwas zu unternehmen, übernehme ich ab sofort das Kommando.« »Oh, ja!« schmatzte Qumpoh. »Befehlen Sie, Herr!« sagte Qumpoh. Verdattert starrte der Modulmann die beiden Pecheles an. Einen so leichten Sieg hatte er nicht erwartet. Eigentlich hatte er sich nur seinen Ärger von der Seele reden wollen. »Verstehe einer die Weiber!« rief er schließlich resignierend aus. Obwohl es ihn mächtig irritierte, daß Neithadl-Off daraufhin noch schlimmer lachte, sortierte er die weiteren Einzelheiten des Einsatzplanes in seinem Bewußtsein und erkannte, daß sie eigentlich nur noch durch eine Stahltür von dem Labor getrennt sein konnten, in dem sich der Kyptai aufhalten sollte. Er wickelte die entschärften Sprengschnüre ab, die er sich um den Leib geschlungen hatte, stopfte sie ringsum in die Ritzen der Tür, machte sie wieder scharf, scheuchte »seine« drei Damen in Deckung,
ging selbst hinter einem Stahlblock in die Hocke und gab einen Schuß aus seiner Maschinenpistole auf die Schnüre ab. Es krachte ohrenbetäubend und staubte. Als sich der Rauch und Staub verzog, stürmte der Modulmann an der Spitze des Einsatztrupps durch die Öffnung.
* Das erste, was Goman-Largo sah, war ein fragiles Wesen, das halb auf einer Arbeitsplatte lag und mit brechenden Augen auf den Bildschirm eines Korns starrte, der soeben dunkel wurde. Der Modulmann glaubte, schemenhaft und fast wie verwehenden Rauch noch etwas im Schirm zu sehen: das Abbild einer großen traubenförmigen Formation flatternder Nachtmahre. Doch es war zu undeutlich und flüchtig, um als Abbild einer irgendwo existierenden Realität eingestuft werden zu können. Wahrscheinlich handelte es sich um elektronische Geisterbilder, wie sie beim Abschalten eines Koms manchmal entstanden. Er konnte sich auch nicht mit einer Deutung aufhalten, denn er sah, daß das fragile Wesen starb. Wahrscheinlich hatte es Gift genommen. Es hätte mit einiger Phantasie als hominid bezeichnet werden können. Jedenfalls bestand es aus einem Rumpf, zwei Beinen, zwei Armen und einem Kopf. Aber im Vergleich zu Goman-Largo, Anima und anderen echten Hominiden war sein Rumpf zu dürr, sein Kopf zu eckig (und keilförmig) und seine Arme und Beine zu spinnenhaft. Goman-Largo stürzte auf den schwach zuckenden Körper zu, setzte seine Medobox an und wartete auf eine Diagnose, um eventuell helfen zu können. Doch der Rest des ehemaligen Lebens verflüchtigte sich zu schnell. Die Augen erloschen völlig, und der Kopf mit den drei Sehorganen sank schwer auf die Arbeitsplatte.
»Aus und vorbei«, stellte der Modulmann fest und verstaute seine Medobox wieder, während er bereits die Ausstattung des Labors musterte. »Der Kyptai!« pfiff Neithadl-Off nachdenklich und richtete ihre Sensorstäbchen auf den Leichnam. »Schade, daß er uns nichts mehr lagen konnte.« Der Modulmann trat an einen Computer, der mit einer Anordnung von transparenten Kesseln, Tanks und Filteranlagen verbunden war. Die Anordnung war in Betrieb und schien auf den ersten Blick der Reinigung einer öligen Flüssigkeit zu dienen, die im ersten Kessel noch sirupartig und dunkelbraun war und aus der letzten Filteranlage kristallklar und dünnflüssig in einen Vorratsbehälter floß. Nachdem er mit Hilfe einiger Module das Innenleben des Computers erforscht hatte, war Goman-Largo in der Lage, die in ihm gespeicherten Daten gezielt abzufragen. Als Sprache war die gleiche verwendet worden, die als die Sprache der Barquass-Piraten weite Verbreitung in Manam-Turu gefunden hatte. »Das ist phantastisch!« entfuhr es dem Tigganoi, als er sich einen Überblick verschafft hatte. »Wie meinst du das?« pfiff die Vigpanderin. Goman-Largo deutete auf die Anlage. »Es ist Doranit«, erklärte er. »Ein nukleinsäurehaltiges Öl, wie uns Hatchiss schon sagte. Aber diese DNA hat eine Besonderheit, wie sie sonst nur durch aufwendige mikrobiologische Technologien zu erzielen ist: Sie ist sozusagen offen. Das bedeutet, daß sie mit fast jeder anderen DNA hybridisierbar ist und sich mit ihr zu komplimentären Strängen zusammenschließt.« Die beiden Pecheles sahen ihn aus ihren gelblich leuchtenden Augen verständnislos an. »Du solltest Klartext reden, Modulmann!« ermahnte ihn NeithadlOff. »Was bedeutet es für die Praxis, daß diese DNA mit fast jeder anderen DNA hybridisierbar ist?«
»Man kann mit ihr die genetischen Kodes von Pflanzen und Tieren viel leichter manipulieren als mit anderen Mitteln«, antwortete Goman-Largo. »Beispielsweise, um Bakterienstämme zur Produktion von Hormonen und Medikamenten sowie auch Futtermitteln zu befähigen, neue Pflanzen- und Tierarten zu erschaffen und so weiter.« »Tatsächlich!« staunte Neithadl-Off. »Dann muß das Doranit aber sehr kostbar sein.« Sie wandte sich an die beiden Pecheles. »Was bekommen Sie von den Händlern dafür?« »Umgerechnet zehn Krunkle für das Kilogramm«, antwortete Qumpoh. »Der Krunkle ist die planetarische Währungseinheit von Pechel.« »Na, schön!« meinte Goman-Largo. »Jetzt brauchen wir nur noch zu wissen, was ein Krunkle wert ist. Was kann man dafür kaufen?« »Für einen Krunkle?« erwiderte Koqtoh. »Fünf Zentimeter Sprengschnur beispielsweise oder zehn Gramm Schießpulver.« »Also hundert Gramm Schießpulver für ein Kilogramm Doranit«, stellte Goman-Largo grimmig fest. »Das ist ja ungefähr so, als würde ich meinen Raumanzug für eine Scheibe trockenes Brot verkaufen.« »Sie meinen, der Preis ist zu niedrig?« erkundigte sich Koqtoh. Der Tigganoi lachte. »Zu niedrig! Das ist die Untertreibung des Jahrtausends! Der Preis ist glatter Betrug. Ich schätze, daß die Händler euch umgerechnet zehntausend Krunkle für das Kilo Doranit zahlen könnten und noch einmal soviel daran verdienen, wenn sie es weiterverkaufen.« »Das klingt nicht schlecht«, meinte Neithadl-Off. »Aber womit zahlen die Händler eigentlich wirklich? Sie haben ja von umgerechnet zehn Krunkle gesprochen, Qumpoh.« »Alles mögliche«, antwortete Qumpoh. »Angefangen bei Perlen über Waffen bis hin zu Medikamenten, Herbiziden und Düngemitteln.« »Kunststoffperlen, Waffen!« regte sich der Modulmann auf. »Ihr verschleudert den Reichtum eurer Welt geradezu. In Zukunft solltet
ihr für das Kilo Doranit einen Nukleoniumbarren verlangen.« »Nukleoniumbarren?« echote Koqtoh. »Was ist das? Und was sollen wir mit etwas anfangen, das wir nicht kennen?« »Sie könnten dafür von einem anderen Händler wirklich wertvolle Waren beziehen«, erklärte Goman-Largo. »Beispielsweise Hohe Technologien, mit deren Hilfe Sie viel produktiver erzeugen würden und sich einen Wohlstand schaffen könnten, wie Sie ihn sich jetzt noch nicht einmal erträumen.« »Sie müßten nur Ihre Kriege einstellen, die Ihnen ja nur unnötig das Bruttosozialprodukt wegfressen«, ergänzte Neithadl-Off. »Ganz abgesehen von Ihren Verlusten an Pecheles.« »Aber der Krieg ist der Vater aller Dinge!« wandte Koqtoh ein. »Das ist eine bei manchen rückständigen Völkern beliebte Verdrehung der Tatsachen«, sagte die Vigpanderin. »Nicht der Krieg, sondern der Friede ist der Vater aller Dinge.« »Das kann nicht stimmen«, widersprach Qumpoh. »Nur der Krieg gibt unseren Städten die Möglichkeit, reich zu werden, indem sie anderen Städten einige ihrer Doranit-Vorkommen abnehmen und sich dagegen schützen, beraubt zu werden.« »Ich verstehe allmählich, was hier los ist«, sagte Goman-Largo. »Die Kriege auf Pechel werden also nur um das Doranit geführt. Weil ein gerechter Anteil an den Vorkommen wegen der schlechten Bezahlung durch die Händler nicht ausreicht, die Bedürfnisse der Städte zu erfüllen, wird gewaltsam eine ungerechte Verteilung durchgesetzt. Die jeweiligen Sieger kommen zu einem gewissen Wohlstand, der allerdings nur bis zur Niederlage in einem der nächsten Kriege anhält; die jeweiligen Verlierer aber verarmen und werden schon allein dadurch in den nächsten Krieg getrieben.« »So sind nun einmal die Grundgesetze der Natur«, meinte Qumpoh. »Die Starken gewinnen, die Schwachen verlieren.« »Typische Verblendung!« pfiff die Vigpanderin. »Es ist ein Trugschluß, daß man die Auslese in freier Natur auf die Verhältnisse technologisch geprägter Zivilisationen übertragen
kann.« »So hochgeschraubte Worte verstehen unsere Damen Offiziere nicht«, sagte Goman-Largo. »Es geht aber viel einfacher.« Er wandte sich wieder an die beiden Pecheles. »Wenn Sie einen gerechten Preis für das Doranit bekommen, könnten Sie die Vorkommen gerecht auf alle Städte aufteilen – und jede Stadt würde dabei vor Reichtum überquellen.« »Ist das wahr?« fragte Koqtoh zaghaft. »Geben Sie uns die Chance, es Ihnen zu beweisen!« erwiderte der Tigganoi. »Lassen Sie uns mit den nächsten Händlern reden, die auf Pechel tauschen.« »Dann wollen Sie für immer bei uns bleiben?« erkundigte sich Qumpoh. »Für immer?« echote Goman-Largo. »Warum?« »Weil immer wieder Händler landen werden, mit denen Sie noch nicht gesprochen haben«, erklärte Qumpoh. »Wir müssen nicht mit allen Händlern reden«, sagte GomanLargo. »Sobald die ersten paar Abschlüsse auf der neuen Basis getätigt sind, spricht sich das bei allen Händlern dieser Galaxis herum, und sie wissen von vornherein, daß sie hier nicht absahnen können, sondern redlichen Handel treiben müssen.« »Das klingt logisch«, meinte Qumpoh. »Koqtoh und ich können natürlich nicht darüber entscheiden, ob Sie für alle Städte mit den Händlern reden dürfen, aber wir werden versuchen, unseren Einfluß auf die Stadtkommandantin von Khoros dahingehend geltend zu machen. Wie die anderen Städte zu einer Kooperation bewegt werden sollen, das allerdings weiß ich nicht.« »Es genügt, wenn Khoros den Anfang macht«, pfiff die Vigpanderin. »Sobald die Bürger der anderen Städte merken, was die Händler Khoros für ihr Doranit zahlen, wird sie allein schon die Habgier dazu treiben, es ebenso zu machen. Sie werden sich um uns reißen.« »Genau!« bekräftigte Goman-Largo.
»Einverstanden«, erklärte Qumpoh. »Schade nur, daß wir den Kyptai nicht lebend in unsere Gewalt bekommen haben.« »Oh, ja!« pfiff Neithadl-Off. »Wir hätten ihm auch viele Fragen zu stellen gehabt. Aber jetzt sollten wir schleunigst von hier verschwinden, sonst merken die Mhiklaser, was gespielt wird, und schicken Truppen hierher.« »In Ordnung«, erwiderte Goman-Largo. »Hoffen wir, daß das Luftkissenboot von Khoros durchgekommen ist. Schwimmen dürfte sehr ungesund sein.« Er hatte sich inzwischen alle Daten, die er für Verkaufsverhandlungen verwenden konnte, vom Computer ausdrucken lassen und verstaute sie in den Taschen seiner Kombination. Während Neithadl-Off und er hinter den beiden Pecheles wieder nach oben stiegen, fragte die Vigpanderin auf Interkosmo: »Wie kommt es eigentlich, daß ein so extrem pragmatisch denkendes Wesen wie du sich so sehr persönlich für die Belange der Pecheles engagiert, Modulmann?« »Eben weil ich pragmatisch denke«, antwortete Goman-Largo. »Wenn wir hier durch unsere Preisforderungen einen Wirbel veranstalten, werden wir außer den kleinen Händlern, die Pechel vorher angeflogen haben, auch ein paar der wirklich großen Fische herlocken – und von denen erhoffe ich mir mehr Informationen über Atlan.« Er blickte nachdenklich an der Vigpanderin vorbei. »Wer weiß, vielleicht kommt sogar Atlan persönlich hierher.«
3. Wie alle hochgesteckten Erwartungen gingen auch die von Neithadl-Off und Goman-Largo nicht so schnell in Erfüllung. Es dauerte zehn Tage, bis überhaupt wieder ein Raumschiff auf Pechel landete.
Diese Zeitspanne versuchten der Modulmann und die Vigpanderin zu nutzen, um einen Waffenstillstand zwischen den Städten herbeizuführen, damit eine künftige gemeinsame Handelspolitik angebahnt werden konnte. Es war vergeblich. Zu sehr waren die Kriege zwischen den Städten Bestandteil des Lebens auf Pechel geworden, als daß sie sich einstellen ließen. Immerhin aber hatten Goman-Largo und Neithadl-Off bei den maßgeblichen Pecheles von Khoros so an Ansehen gewonnen, daß sie sich nicht mehr an den Kämpfen beteiligen mußten – und auch für Anima und die überlebenden Piraten war dieses Martyrium vorbei. Allerdings litt Anima immer stärker darunter, daß sie von ihrem Ritter getrennt war. Manchmal fürchtete Goman-Largo sogar für ihre geistige Gesundheit. Als dann nach zehn Tagen ein Schiff landete, waren der Modulmann und die Parazeit-Historikerin außerordentlich erleichtert, denn damit wurden nach den geltenden Regeln erst einmal sämtliche Kampfhandlungen eingestellt. Leider war das Schiff nicht auf dem Raumhafen von Khoros gelandet, sondern auf dem von Arthulis, einer der armen Städte des Planeten. Dadurch bestand die Gefahr, daß Goman-Largo und Neithadl-Off zu spät eintrafen, um die Preisverhandlungen entsprechend ihren Vorstellungen zu führen. Zwar hatten die Vertreter aller Städte Zutritt zu jedem Raumschiff, egal bei welcher Stadt es landete, aber je weiter eine Stadt von dem Landeplatz entfernt war, um so länger brauchten ihre Vertreter, mit den Händlern ins Gespräch zu kommen. Und Khoros lag genau auf der gegenüberliegenden Seite des Planeten! Da bewiesen Qumpoh und Koqtoh, daß sie inzwischen einiges von dem Modulmann und seiner Partnerin gelernt hatten. Sie organisierten ein Höhenflugzeug der khorosischen Luftwaffe sowie Fallschirmspringerausrüstungen für sich und für Goman-Largo und Neithadl-Off. Natürlich benötigten die Vigpanderin und der
Tigganoi keine Fallschirme, um einen Sturz zu bremsen, aber das wollten sie nicht verraten, auch wenn sie inzwischen nicht mehr unbedingt befürchteten, daß man ihnen die Flugaggregate wegnehmen würde. Das Flugzeug startete ohne offizielle Genehmigung und so, daß es bei Anbruch der Dunkelheit zirka hundert Kilometer vor Arthulis ankommen mußte. Dort sollten die vier Personen springen. Mit Hilfe der Gleitfallschirme hofften sie, bis nach Arthulis zu kommen und dort unbemerkt zu landen. Die beiden Pecheles hatten offenbar schon Erfahrung im Umgang mit Gleitfallschirmen – und sie schienen vorauszusetzen, daß das für ihre Partner auch zutraf. In Wirklichkeit hätten Goman-Largo und Neithadl-Off sich niemals auf das Unternehmen eingelassen, wenn ihnen die Flugaggregate nicht ein Gefühl der Sicherheit vermittelt hätten, das ihnen der Anblick der ungewohnten Fallschirmspringerausrüstung nicht einzuflößen vermochte. Alles verlief planmäßig. Über dem errechneten Punkt sprangen die vier Personen in zehn Kilometern Höhe aus dem Flugzeug – die Pecheles selbstverständlich mit Kälteschutzanzügen und Sauerstoffgeräten. Es war fast windstill. Die Gleitfallschirme verloren zwar zuerst schnell an Höhe, aber nur, bis sie in dichtere Luftschichten kamen. Danach schwebten sie gleich Drachen dahin. Goman-Largo und Neithadl-Off verließen sich anfänglich nicht auf das »unzuverlässige Primitivgerät«, sondern benutzten ihre Flugaggregate. Doch schon nach kurzer Zeit bewirkte ihre Neugier, daß sie es wenigstens einmal probierten, ohne ihre Ausrüstung auszukommen. Zu ihrem eigenen Erstaunen klappte es besser, als sie befürchtet hatten. Das ermutigte sie zu weiteren Versuchen, und schließlich fanden sie an dem Verfahren soviel Gefallen, daß sie die letzten paar Kilometer bis zur Raumhafenplattform von Arthulis ausschließlich manuell steuerten. Als sie hinter Qumpoh und Koqtoh landen wollten, erlebten sie allerdings eine Überraschung, denn sie kamen einfach nicht
hinunter. Kaum waren sie so tief, daß sie den Boden beinahe mit den Füßen berührten, da wurden die Fallschirme schneller und stiegen plötzlich aufwärts. Über die Köpfe der beiden Pecheles hinweg rauschten sie in Richtung des Kontrollturms. In der ersten Verwirrung über diesen Mißerfolg aktivierten sie ihre Antigravs. Dadurch stiegen sie natürlich nur noch schneller und höher. Synchron schalteten sie ihre Antigravs aus. »Unser Fehlschlag muß sich ganz einfach erklären lassen«, teilte der Tigganoi seiner Partnerin über Helmfunk mit. »Aber die entsprechenden Berechnungen haben Zeit bis später. Ich schlage vor, wir versuchen es noch einmal auf die prähistorische Art.« »Einverstanden«, gab die Vigpanderin zurück. Abermals setzten sie zur aerodynamischen Landung an – und wieder vergaßen sie, auch aerodynamisch abzubremsen und den Bodeneffekt zu beachten. Prompt schossen sie wieder in die Höhe. Eine Weile dachten sie nicht mehr an die Landung, weil ein heftiger und böiger Seitenwind ihnen zu schaffen machte, doch dann verständigten sie sich durch Zurufe, lösten sich aus dem Gurtzeug und landeten allein mit Hilfe der Flugaggregate, während die Schirme davontrieben und in der Nacht verschwanden. Goman-Largo sah sich um. Sie waren dem eigentlichen Raumhafenareal schon ziemlich nahe gekommen und konnten das hell erleuchtete Schiff dort stehen sehen. Es handelte sich um eine eiförmige Konstruktion von zirka hundert Metern Höhe und einem größten Durchmesser (in der Mitte) von vielleicht vierzig Metern. Ein starker Scheinwerfer strahlte es vom Kontrollturm aus mit blauem Licht an. Soviel sie von den Barquass-Piraten wußten, war das ein Signal, das die Raumfahrer anwies, ihr Schiff bis auf weiteres nicht zu verlassen. »Es bedeutet aber auch, daß sich niemand von Arthulis oder einer anderen Stadt dem Schiff nähern darf«, dachte der Modulmann einen Gedankengang zu Ende. »Ich frage mich, warum.«
»Vielleicht wegen der Chancengleichheit«, sann Neithadl-Off laut nach. »Es könnte ja sein, daß man zuerst die Ankunft der Vertreter aller Städte abwartet, bevor man die Kontaktaufnahme erlaubt.« »Wie wäre es, wenn wir heimlich hinüberflögen?« meinte der Modulmann. »Aber unsere Pecheles warten!« wandte die Vigpanderin ein. »Außerdem bezweifle ich, daß wir ungesehen zum Schiff kämen. Es ist viel zu hell hier.« »Unsere Pecheles finden wir bei Nacht nicht«, entgegnete GomanLargo. »Durch die beiden mißlungenen Landeversuche und den Seitenwind sind wir unkontrolliert abgedriftet. Und was eine Entdeckung angeht, so könnte ich ja mit einigen Modulen Verwirrung stiften, so daß die allgemeine Aufmerksamkeit vom Landeplatz abgelenkt wird.« »Einverstanden«, pfiff Neithadl-Off. Aber bevor Goman-Largo seine Absicht verwirklichen konnte, trat etwas ein, was ihn davon abbrachte. Qumpoh und Koqtoh trafen ein: als Gefangene unter schwerer Bewachung in einem Luftkissenfahrzeug. »Das ist fatal«, stellte der Modulmann fest, während er und seine Partnerin beobachteten, wie das Luftkissenfahrzeug am Kontrollturm hielt und wie die Gefangenen ins Gebäude geführt wurden. »Es kommt gleich noch schlimmer«, meinte Neithadl-Off und deutete mit einem Vorderglied auf eine dem Kontrollturm benachbarte Fahrzeughalle. Goman-Largo sah, daß sich dort fünf breite Tore geöffnet hatten. Aus jedem von ihnen glitt mit rasch anschwellendem Gebläselärm ein Luftkissenfahrzeug. Die Fahrzeuge schwebten in verschiedenen Richtungen davon – und eines kam genau auf den Standort der beiden ungleichen Partner zu. »Qumpoh und Koqtoh haben geredet«, stellte Goman-Largo fest. »Man sucht nach uns.«
»Wer weiß, wie man ihnen zugesetzt hat«, entgegnete NeithadlOff. »Wir müssen schleunigst verschwinden.« Am Rand des Raumhafens flammten zahllose starke Scheinwerfer auf und Übergossen alles außerhalb des Hafens mit gleißendem Licht. Goman-Largo hatte eine Eingebung. Er warf sich unter die Vigpanderin und flüsterte: »Falte dich um mich zusammen, Prinzessin! Man muß uns für einen Müllsack halten, der bei der letzten Abfuhr vergessen wurde. Schnell!« Neithadl-Off tat, wie ihr geheißen, dann pfiff sie: »Ich muß sehr nachgelassen haben, daß ich diesen Unfug mitmache, Modulmann. Eine Sternenprinzessin als Müllsack!« Sie kicherte, dann pfiff sie schadenfroh: »Aber dein Image ist noch mehr ramponiert, Partner. Du spielst in dem Stück nämlich den Müll: Ein Konglomerat aus angefaulten Lebensmittelresten, leeren Verpackungen und Flaschen, schmutzigen Papiertüchern und was weiß ich noch.« »Dann müßte es dir doch eigentlich Schlecht werden«, gab der Tigganoi zurück. »Schließlich mußt du diesen Unrat bei dir behalten und darfst nicht einmal angewidert aufstoßen.« »Das denkst du!« pfiff Neithadl-Off und stieß auf. Anschließend wurde sie ganz still, denn da trippelten und trappelten viele kleine Stummelfußpaare auf sie zu (und ihr wie dem Modulmann wurde erst dadurch bewußt, daß das Luftkissenfahrzeug schon seit einigen Sekunden nicht mehr lärmte und folglich angehalten hatte) und bildeten einen Kreis um sie. Goman-Largo zog unwillkürlich den Kopf ein. »Das ist ein Müllsack«, stellte jemand fest – zweifellos eine Pechel. »Natürlich ist es ein Müllsack«, sagte eine zweite Stimme. »Aber ich hatte ganz deutlich ein unanständiges Geräusch gehört, wie manche Männer es von sich geben, wenn sie zu schnell geschlungen haben«, wandte die erste Stimme ein.
»Das ist aber kein Mann«, erklärte eine dritte Stimme. »Aber das Geräusch …«, blieb die erste Stimme beharrlich. »Gärungsprozesse«, sagte eine vierte Stimme. »Speisereste, die in Gärung übergegangen sind. Dadurch entstehen Gase in dem Sack, die sich hin und wieder Luft machen.« »Was ist denn das für eine Ausdrucksweise?« mokierte sich Neithadl-Off. »Gase können sich keine Luft machen, sie können höchstens entweichen – in diesem Fall schwallartig.« »Mach dich doch nicht wichtig, Muqdoh!« erregte sich die vierte Stimme. »Ich habe kein Wort gesagt«, verteidigte sich eine fünfte Stimme, wahrscheinlich die von Muqdoh. »Das war Qutsah gewesen, nehme ich an.« »Du lügst!« entrüstete sich eine sechste Stimme, die nur Qutsah gehören konnte. »Es klang aber so wie du!« erwiderte die fünfte Stimme. »Eher hörte es sich wie du an«, sagte die vierte Stimme. »Schluß jetzt!« rief die zweite Stimme. »Sucht lieber nach den beiden Fremden, anstatt euch zu streiten! Los, weiter!« »Und was wird mit dem Müllsack?« fragte die erste Stimme. »Wir nehmen ihn mit und werfen ihn in die Verbrennungsanlage«, erklärte die dritte Stimme. »Hier können wir ihn nicht einfach liegenlassen.« »Oh, nein!« imitierte Neithadl-Off fast perfekt die zweite Stimme. »Wegen diesem Dreck haben wir uns beinahe zerstritten. Das Zeug bleibt liegen!« Das beendete die Diskussion. Viele kleine Stummelfußpaare trippelten und trappelten von dem Ort weg – und hielten an, als die zweite Stimme (und diesmal die echte) rief: »Aber ich habe das doch gar nicht gesagt!« Nur Sekunden später fielen zahllose kleine Stummelfinger über den »Müllsack« her und zupften und zausten beharrlich, bis Neithadl-Off ihren Widerstand aufgab und sich öffnete.
Goman-Largo rollte sich über die Schulter ab, als er sich im Freien und von Pecheles umgeben wiederfand. Er war entschlossen, sein Leben und das seiner Partnerin bis zum Letzten zu verteidigen. In der Gewißheit, daß er dem Tode nahe war, starrte er auf den Kreis gelblich leuchtender riesiger Augenpaare, der ihn und die Vigpanderin umgab. Er ging in Nahkampfstellung, als sich eine der blauuniformierten Pecheles aus dem Kreis löste und auf ihn zutrippelte. Doch dann bemerkte er die Anmut der Bewegungen des »Raupenkörpers«: das melodische Wiegen des Vorderleibes, das Aufblähen und Zusammensinken der Kopfbehaarung und die synchronen Winkbewegungen der Stummelfinger – und er schämte sich seines Vorsatzes, seine Fäuste auf dieses graziöse Wesen abzuschießen. »Machen Sie mit mir, was immer Sie wollen!« sagte er mit rauher Stimme und gab seine Kampfhaltung auf. Die Pechel blieb drei Schritte vor ihm stehen. »Ich habe den Auftrag – wie die Leiterinnen der anderen Polizeischüleringruppen auch –, Sie im Namen der Stadtkommandantin von Arthulis zu bitten, in den Kontrollturm zu kommen, wenn es zutrifft, daß Sie Nagran Goman-Largo und Prinzessin Neithadl-Off sind. Ich heiße übrigens Duqdo.« Der Modulmann war perplex. Er brachte kein Wort heraus, weil seine Gedanken förmlich im Kopf herumschwirrten. »Ich bin Prinzessin Neithadl-Off«, erklärte die Vigpanderin unbeeindruckt. »Und das ist Goman-Largo, allerdings ohne Nagran.« »Das darfst du nicht behaupten«, erwachte Goman-Largo aus seiner Verblüffung. »Du weißt ja nicht, was das Wort bedeutet.« »Es ist ein pechelscher Titel und bedeutet soviel wie ›Mann mit Frauenwert‹«, erläuterte Duqdo liebenswürdig. »Unsere Stadtkommandantin hat Ihnen diesen Titel kraft ihres Amtes verliehen, als sie von Qumpoh und Koqtoh erfuhr, was Sie für eine außergewöhnliche Persönlichkeit sind.«
»Ah!« machte der Modulmann. »Wir sind also keine Gefangenen?« erkundigte sich die Vigpanderin. »Sie sind Ehrengäste der Stadt Arthulis«, versicherte Duqdo. Die übrigen Pecheles kicherten. Allmählich dämmerte es Goman-Largo, was hier gespielt wurde. Die Quarantäne, die Arthulis über das gelandete Schiff verhängt hatte, die beinahe gespenstische Zielsicherheit, mit der Qumpoh und Koqtoh aufgegriffen worden waren sowie die höfliche Einladung in den Kontrollturm – das alles konnte nur bedeuten, daß die Verantwortlichen von Arthulis aufsein und Neithadl-Offs Erscheinen gehofft und entsprechende Maßnahmen getroffen hatten, um sie ohne große Verzögerung abzufangen und ihrem Verwendungszweck zuzuführen. Dem Verwendungszweck, für Arthulis einen Höchstpreis für Doranit auszuhandeln. »Das nenne ich schlitzohrig!« kommentierte er den Sachverhalt. »Offiziell haben alle Städte es abgelehnt, unsere guten Dienste zu beanspruchen – und insgeheim haben sie alles getan, um uns zu engagieren, wenn die Zeit gekommen ist.« »Das ist Diplomatie, Nagran«, erklärte Duqdo. »Darf ich Sie höflichst bitten, in unser bescheidenes Fahrzeug einzusteigen?« »Aber natürlich«, erwiderte der Modulmann erleichtert und schritt auf das Luftkissenfahrzeug zu. Vor der Rampe blieb er stehen und drehte sich um. »Wir siezen uns gegenseitig«, stellte er fest und deutete auf Duqdo. »Das ist richtig, weil es auf Pechel üblich ist. Aber Sie haben sich vorher untereinander geduzt. Warum?« »Das sind meine Schülerinnen – und ich bin die Ausbilderin«, erklärte Duqdo. »Deshalb duze ich sie, und sie duzen sich untereinander. Mich allerdings .siezen sie. Es sind anständige Mädchen.« »Mädchen?« echote Goman-Largo verwundert, dann erst schaltete er und hüstelte verlegen. »Aber natürlich sind es Mädchen«,
versuchte er zu witzeln. »Alle kleinen süßen Maden sind Mädchen.« »Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Nagran«, sagte Duqdo mit deutlichen Anzeichen von Frust. »Das versteht er selbst nicht«, versuchte Neithadl-Off die Lage zu retten. »Er ist nämlich ein Tigganoi und ein Modulmann, den man aus lauter kleinen Bionen zusammengesteckt hat – und manchmal hat er sie nicht alle beisammen, dann redet er Makulatur.« »Jetzt begreife ich!« erwiderte Duqdo erleichtert – und ihre Mädchen kicherten amüsiert.
* In der Vorhalle des Kontrollturms wurde es dann wieder ernst. Die Stadtkommandantin von Arthulis empfing Goman-Largo und Neithadl-Off mit allen militärischen Ehren. Zumindest dabei war nichts von der Armut dieser Stadt zu merken. Qumpoh und Koqtoh, die ebenfalls zugegen waren, besaßen ganz eindeutig nicht den Status von Gefangenen. Die Stadtkommandantin hieß Quktih und kam sofort zur Sache. »Nagran Goman-Largo und Prinzessin Neithadl-Off, ich freue mich sehr, daß Sie uns Ihre Dienste angeboten haben«, erklärte sie. »Im Namen meiner Stadt bitte ich Sie hiermit, mit der Schiffsführung der LUKKERSCHNUTT in Verhandlungen einzutreten und den von Ihnen selbst vorgeschlagenen Abnahmepreis von einem Nukleoniumbarren für ein Kilo Doranit zu vereinbaren. Wir haben zwar nur siebzehn Kilo Doranit, aber …« »… aber Khoros kann mindestens fünfzig Kilo liefern«, warf Qumpoh ein. »Und die übrigen Städte haben sicher auch einiges anzubieten«, meinte Neithadl-Off. »Wo können wir die Schiffsführung der LUKKERSCHNUTT treffen?« »Sie befindet sich inzwischen ebenfalls im Kontrollturm«, erklärte
eine vornehm gekleidete Dame. »Ich lasse bitten!« befahl die Stadtkommandantin. Das Tor ging auf – und herein rumpelten zwei Wesen, die in Form und Größe an robotische Allzweckstaubsauger erinnerten, wie sie auf vielen Industrieschiffen verwendet wurden (jedenfalls auf denen, an die der Modulmann und die Vigpanderin sich erinnerten). »Kapitän und Handelsfaktor Lavallo Glurschatz«, stellte eine Pechel den gewichtigeren Ankömmling vor. »Aus dem hochzivilisierten Volke der Eidoranh-Schabaken«, ergänzte Lavallo Glurschatz. »Willkommen, willkommen!« rief Stadtkommandantin Quktih und raspelte mit den Zahnleisten, was wahrscheinlich Beifall bedeuten sollte. »Und das ist Astrogator und Buchhalter Digidan Lebuz«, führte die Pechel ihre Vorstellung weiter. »Willkommen!« sagte Qutkih. »Wir freuen uns über den Empfang und bitten darum, ein paar kleine Geschenke von mir anzunehmen«, sagte Lavallo Glurschatz mit dem blechernen Unterton, der Goman-Largo und seiner Partnerin bei beiden Eidoran-Schabaken sofort aufgefallen war. Der Kapitän schüttete den Inhalt eines Plastikbeutels auf ein Tablett, das eine Pechel ihm entgegenhielt: ungefähr hundert kleine und große, mehr oder weniger bunte Plastikperlen. »Flitter!« sagte Goman-Largo abfällig. »Wie bitte?« dröhnte ihm Lavallo Glurschatz entgegen, und richtete den graubraunen langen Rüssel auf ihn, der das Äquivalent des Grobschmutzschlauchs eines Allzweckstaubsaugers zu sein schien. »Es ist wertloser Tand«, bekräftigte der Modulmann absolut undiplomatisch. »Wer ist dieser mickrige Hominide?« tobte Kapitän Glurschatz. »Ich lasse mich nicht beleidigen! Wenn ich nicht sofort Genugtuung
bekomme, kehre ich in mein Schiff zurück, starte und lasse es auf Arthulis abstürzen.« »Das wäre ja verrückt«, meinte Goman-Largo. »Du würdest selber in dem Atomfeuer schmoren, das du damit entfachst.« »Mir wäre das egal, denn du müßtest die Verantwortung tragen!« tobte Glurschatz weiter. »Das könnte er nicht«, mischte sich Neithadl-Off ein. »Dieses Wesen ist ein Spezialist der Zeit – und Spezialisten der Zeit sind immer nur kurz zu Gast in dem jeweiligen Raum-Zeit-Kontinuum, in dem sie gerade verweilen.« »Was?« rumpelte der Kapitän. »Ein Spezialist der Zeit? Ist das wahr?« »Selbstverständlich«, erklärte Neithadl-Off. »Ich muß es wissen, denn ich bin nicht nur die Prinzessin des Reiches der Tausend Schwarzen Löcher, sondern auch die berühmteste ParazeitHistorikerin aller Zeiten und die Ausübende der Schlüsselgewalt in allen Zeitgrüften.« Sie deutete mit einem langausgestreckten Glied auf den Modulmann. »Das ist Nagran Goman-Largo, der Beherrscher von Raum und Zeit!« verkündete sie. »Allwissend und allmächtig, gleichzeitig existierend auf allen Zeitebenen, angefangen von der Phase des Urknalls bis hin zum Kollaps des Universums.« »Na, na!« machte der Tigganoi verlegen. Kapitän Glurschatz strich die Plastikperlen wieder in den Beutel und ließ ihn irgendwo verschwinden. Sein Rüssel war nicht mehr starr auf Goman-Largo gerichtet, sondern wedelte versöhnlich. »Es war ein Irrtum«, erklärte er gedämpft. »Ich ging ganz in Gedanken davon aus, daß wir uns auf einer Welt mit einer Typsechs-Zivilisation befänden. Aber Pechel ist ja als Typ-vierZivilisation eingestuft. Es tut mir leid, werte Stadtkommandantin. Beim nächstenmal bringe ich ein gebührendes Geschenk mit. Können wir jetzt zur Sache kommen! Wieviel Doranit haben Sie
diesmal anzubieten?« »Siebzehn Kilo«, antwortete Neithadl-Off anstelle der Stadtkommandantin, die noch ein wenig verwirrt zu sein schien über das, was sich eben vor ihren Augen und Ohren abgespielt hatte. »Siebzehn Kilo«, wiederholte Glurschatz blubbernd. »Na, das ist ja nicht umwerfend. Aber die anderen Städte werden auch noch kommen. Sie können das Zeug inzwischen schon auf mein Schiff bringen lassen, Stadtkommandantin. Ich schicke dann den Gegenwart zurück. Allerdings, so viel wie sonst kann ich nicht zahlen. Die Preise für Doranit sind gefallen.« »Aber wohl kaum unter einen Nukleoniumbarren für das Kilo«, .stellte Goman-Largo fest. »Natürlich nicht«, versprach sich der Kapitän. »Wir verschenken ja nichts.« Er bemerkte das warnende Rüsselwedeln seines Astrogators und Buchhalters und hielt inne. »Wir auch nicht«, sagte Goman-Largo in die plötzliche Stille hinein. »Auf ganz Pechel wird ab sofort das Kilo Doranit zu einem Nukleoniumbarren gehandelt. Das ist ein fairer Preis, der schon immer hätte gezahlt werden müssen.« Lavallo Glurschatz gab Geräusche von sich, als gurgelte er mit Salzsäure und Kieselsteinen. Digidan Lebuz drehte sich surrend im Kreis und verknotete seinen Rüssel. Goman-Largo hörte und sah sich das Theater eine Weile an, dann sagte er: »Ihr habt genug Reue gezeigt, Lavallo und Digidan. Laßt uns nun zur Sache kommen!« Glurschatz stellte das Gurgeln ein, und Lebuz verharrte schweigend. »Ja, zur Sache!« erklärte der Kapitän rumpelnd und deutete mit dem Rüssel auf Quktih. »Wir sind bisher immer gut miteinander ausgekommen, Stadtkommandantin. Wenn sich das plötzlich
geändert hat, kann nur dieser Unheimliche daran schuld sein.« Sein Rüssel schwenkte zu Goman-Largo. »Ich weiß nicht, welches Syndikat dich geschickt hat, Nagran Goman-Largo, aber ich weiß, daß ich ruiniert wäre, wenn ich den geforderten Preis zahlen würde. Mein letztes Angebot: ein Nukleoniumbarren für eine Tonne Doranit.« »Du scheinst dich vorhin verhört zu haben, Dosenkonserve!« pfiff Neithadl-Off. »Ein Kilo Doranit für einen Nukleoniumbarren! Das ist ein Festpreis. Niemand wird Doranit zu einem niedrigeren Preis kaufen können, deshalb ist es auch niemandes Ruin, wenn er ihn zahlt. Doranit ist durch seine Hydrierbarkeit einmalig im Universum!« »Durch seine Hybridisierbarkeit!« korrigierte der Modulmann die Vigpanderin. »Aber das weiß der Kapitän bestimmt schon längst. Das hat sein Versprecher vorhin bewiesen. Wenn er allerdings aus dem Doranit-Geschäft aussteigen will, dann soll er nur. Andere werden klüger sein.« »Ich habe nur zwanzig Nukleoniumbarren im Schiff«, blubberte Glurschatz kleinlaut. »Woher sollte ich wissen, daß Pechel kein Paradies mehr ist!« »Es wird eines werden, aber für Pecheles«, sagte Neithadl-Off. »Wenn du nur zwanzig Barren Nukleonium hast, kannst du eben nur zwanzig Kilo Doranit kaufen – und das nächstemal bringst du eben mehr Barren mit. Ist das nicht einleuchtend?« »Doch«, rumpelte Digidan Lebuz. »Wir schicken die Barren herüber«, entschied Glurschatz. »Dafür will ich aber einwandfreies Doranit sehen.« Er walzte zum Tor, den Rüssel nach hinten gereckt und rumpelte: »Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder nach Pechel komme – nach diesem Reinfall. Meine Frauen werden mich auslachen.« »Es hat uns sehr gefreut«, sagte die Stadtkommandantin höflich. Als der Kapitän und sein Astrogator den Kontrollturm verlassen hatten, wandte sie sich an Goman-Largo.
»Hoffentlich schrecken wir die Händler durch unseren neuen Preis nicht ab«, meinte sie skeptisch. »Das denke ich nicht«, erwiderte der Tigganoi. »Glurschatz hat schließlich den Preis akzeptiert. Das hätte er sicher nicht, wenn er nicht dennoch ausreichend am Doranit verdienen könnte – und wie ihm wird es den anderen Händlern auch gehen.« »Und Pechel wird tatsächlich zum Paradies für uns werden?« wollte Qutkih wissen. »Wenn Sie den kommenden Reichtum positiv nutzen, ja«, antwortete Neithadl-Off. »Zumindest das weibliche Geschlecht wird sich wie im Paradies fühlen können. Vielleicht sollten Sie Ihre Männer ein wenig daran teilhaben lassen.« »Das wäre zu überdenken«, meinte die Stadtkommandantin. »Wir könnten ja ihre Käfige mit Klimaanlagen ausstatten. Was halten Sie davon, Nagran Goman-Largo? Sie sind ja so etwas wie ein Mann.« »Ich bin ein Mann!« stellte der Tigganoi richtig. »Und ich ließe mich nicht in einem Käfig halten. Wenn ich ein Pechel wäre, ich würde ausbrechen und meine Frauen in den Käfig sperren.« »Nun, ja, Diplomatie ist wohl nicht deine starke Seite«, bemerkte die Vigpanderin, als die Stadtkommandantin nebst Gefolge in Ohnmacht gefallen war. »Sie werden sich noch an solche Töne gewöhnen«, erwiderte Goman-Largo grinsend und deutete mit einer Kopfbewegung zu Qumpoh und Koqtoh, die nicht bewußtlos geworden waren. »Du siehst es an ihnen.«
4. »Ihr hättet uns mitnehmen sollen!« schimpfte Hurgiss Fa Hatcher, der Kapitän ohne Schiff, nachdem der Modulmann und seine Partnerin nach Khoros zurückgekehrt waren. »Wir hätten die LUKKERSCHNUTT kassiert und wären nach Barquass
zurückgeflogen.« »Aber, aber!« pfiff Neithadl-Off. »Piraterie auf einem friedlichen Handelsplaneten!« »Friedlich, pah!« grollte der Nescharer höhnisch. »Kaum war die LUKKERSCHNUTT weg, lagen sich die Truppen von Khoros und zwei anderen Städten schon wieder in den Haarborsten.« »Das wird sich geben«, meinte der Modulmann optimistisch. »Sobald die Pecheles im Wohlstand schwimmen, werden sie süchtig danach werden, das süße Leben zu genießen, anstatt auf Schlachtfeldern herumzurennen. Noch dazu, wo der einzige materielle Anreiz für ihre Kriege wegfällt, weil sie schon mit kleinen Mengen Doranit unvorstellbar reich werden können.« »Ja, die Pecheles, aber wir nicht«, murrte Hatchiss und stieß seinen Astrogator von der KOKAHU an, weil er nur neben ihm stand und döste. »Habe ich nicht recht, Sukiss?« »Selbstverständlich, Kapitän«, beeilte sich Lubmo Ti Sukom zu sagen. »Wie meinst du das?« fragte Hatchiss argwöhnisch. »Habe ich nun recht oder habe ich nicht recht?« »Natürlich hast du recht, wenn du sagst, daß du nicht recht hast«, brummelte Sukiss, der völlig durcheinander gekommen war. »Die Staubmotten sollen deine Haut zerfressen!« schimpfte Hatchiss wütend. »Ach, wenn wir wenigstens mit den Pecheles ins Geschäft gekommen wären, als wir die KOKAHU noch hatten! Damals hätten wir das Doranit noch zum alten Preis bekommen. Das waren Zeiten! Warum nur dieser Eltaso uns das Schiff geklaut hat und damit verschwunden ist!« »Du hast doch von Furror gehört, was los war«, pfiff Neithadl-Off. »Eltaso hat uns verlassen, weil Guray ihn zu sich rief – und als Gesandter Gurays mußte er diesem Ruf wohl folgen.« »Na, das ist ja auch egal!« meinte Hatchiss. »Aber wir werden die KOKAHU schon wiederfinden und zurückholen – und wenn wir Eltaso erwischen, geht es ihm schlecht.«
»Erst einmal müssen wir überhaupt von Pechel wegkommen«, meinte Anima. Die Hominidin wirkte noch immer lethargisch und schien nur dann aufzuleben, wenn die Rede darauf kam, Pechel wieder zu verlassen. »Habt ihr kein Geld, daß wir auf einem normalen Handelsraumer eine Passage zu einer Welt bezahlen können, von der aus wir ein Schiff nach Barquass bekommen?« »Geld?« echote Hatchiss brummig. »Wir sind Piraten und Händler. Was sollen wir mit Papierscheinchen anfangen oder mit Kreditkarten? Jeder würde denken, die Dinger wären falsch. Wir haben stets mit Waren oder mit Nukleoniumbarren bezahlt – aber das alles ist mit unserem Schiff zusammen verschwunden. Aber eigentlich sollte Pechel laufend von Piratenschiffen angeflogen werden.« »Eigentlich ja!« brummte Sukiss bestätigend. »Na, dann müßte ja eigentlich bald eines landen«, pfiff die Vigpanderin ironisch. Goman-Largo horchte auf, als das Funkgerät summte, das Qumpoh ihnen in den Gemeinschaftsraum des Wohnheims für mittellose Fremdintelligenzen von Khoros gestellt hatte. Als er es einschaltete, flimmerte auf dem Bildschirm das Gesicht der Pechel (inzwischen konnte Goman-Largo manche Gesichter dieser Wesen schon erkennen). »Drei Raumschiffe haben sich aus dem Orbit gemeldet«, teilte die Pechel ihm mit. »Sie wollen Doranit holen. Eines kommt auf die Hafenplattform von Khoros, eines auf die von Mhiklas und eines auf die von Nhumirz. Würden Sie so freundlich sein, uns auch diesmal dabei zu helfen, den Händlern klar zu machen, was sie für das Doranit bezahlen müssen?« »Selbstverständlich«, antwortete der Tigganoi. Hatchiss stieß ihn grob beiseite und brummte: »Handelt es sich um Piratenschiffe – oder ist wenigstens ein Piratenschiff dabei, Verehrteste?« »Nicht eines, Kapitän«, erwiderte Qumpoh. »Ich bedaure sehr.«
»Ich auch«, gab der Nescharer zurück und hinkte wieder zu seinem Platz. Er brauchte zwar nicht mehr in einem Plasmatank zu liegen, aber die tiefe Narbe einer Schnittwunde am linken Unterschenkel schmerzte ihn manchmal noch. Goman-Largo und Neithadl-Off verabschiedeten sich von Anima und den noch lebenden sieben Piraten, um zur nächsten Runde im Kampf um den Frieden für Pechel anzutreten. Gemeinsam mit Qumpoh und Koqtoh, mit denen sie inzwischen eine echte Freundschaft verband, organisierten sie die Verhandlung so, daß die Verantwortlichen aller drei gelandeten Schiffe daran teilnahmen. So konnte alles in einem Aufwasch erledigt werden. Es wurde eine harte Runde, die dem Tigganoi und seiner Partnerin viel Stehvermögen abverlangte, aber gleichzeitig auch die Pecheles auf die bisher schwerste Probe stellte. Die Vertreter der drei Schiffe fühlten sich stark und ergingen sich in mehr oder weniger versteckten Drohungen, angefangen von der Organisierung eines Boykotts bis hin zur Aufstellung einer Interventionsflotte und einer militärischen Besetzung des Planeten. Letzten Endes aber gaben die Händler klein bei. Sie wußten, daß sie bei den kriegerischen Pecheles bei einer militärischen Intervention nur mit einem Guerillakrieg rechnen mußten, der der Besatzungsmacht Tag für Tag einen hohen Blutzoll abverlangen würde – und ein Boykott wäre ohnehin undurchführbar, weil die gentechnischen Industrien auf den hochentwickelten Welten von Manam-Turu vom Doranit abhängig waren. Diesmal blieben nach dem Abflug der drei Schiffe rund hunderttausend Barren Nukleonium auf Pechel zurück, auf alle Städte verteilt. Sie würden nicht lange auf dem Planeten bleiben, denn die Städte hatten für den größten Teil des Gegenwerts technisch hochentwickelte und qualitativ hochwertige Produkte bei den Händlern bestellt – in erster Linie beraten von Goman-Largo, der sich trotz seiner langen Stasis mit den modernsten High-TechProdukten allerbestens auskannte –, aber sie würden auch weitere
Nukleoniumbarren mitbringen, für das Doranit, das die Städte in der Zwischenzeit förderten. Es sah ganz danach aus, als wäre eine Wohlstandslawine ins Rollen gekommen – und hier und da wurde bereits deutlich, daß immer mehr Pecheles begriffen, daß eine neue Zeit für sie anbrach, in der es sich lohnte, sein Leben zu bewahren, um es genießen zu können. Goman-Largo und Neithadl-Off hätten zufrieden sein können, wenn die Piraten ihnen nicht ständig in den Ohren gelegen hätten. Ganz davon abgesehen, daß der Tigganoi ungeduldig wurde, weil sich seine Hoffnung, der Wirbel um die Preiserhöhung für Doranit würde ein paar »hochkarätige« Händler nach Pechel locken, von denen er etwas über Atlan erfahren könnte, bisher nicht erfüllt hatte – gar nicht zu reden von seiner noch höher gesteckten Hoffnung, der Arkonide würde selbst über Pechel auftauchen. Nicht, daß ihm soviel an einer Begegnung mit Atlan gelegen hätte jedenfalls nicht mehr als an jeder anderen interessanten Begegnung, aber sobald Anima ihren Atlan wiederbekam, konnte er endlich daran denken, auf sein Ziel hinzuarbeiten, das er erst dann nicht weiterverfolgen würde, wenn er es erreicht hatte. Vielmehr waren es zwei Ziele. Das erste hieß: festzustellen – und zwar definitiv –, ob der Orden der Zeitchirurgen noch existierte und wenn ja, den Kampf gegen ihn wieder aufzunehmen. Das zweite hieß: festzustellen, ob es sein Volk und die Zeitschule von Rhuf noch gab – und wenn, Verbindung mit anderen Tigganois und anderen Spezialisten der Zeit aufzunehmen. Goman-Largo glaubte, daß es sein Leben ausfüllen würde, diese Ziele zu verfolgen – und durchzustehen. Anima und Atlan konnten auf diesem Weg nur ein paar Randsteine sein, nicht mehr. Dachte er …
* Am zwölften Tag summte abermals das Funkgerät im Gemeinschaftsraum. Goman-Largo, der sich gerade auf eine Art Couch gelegt hatte, grunzte im Halbschlaf und wälzte sich auf die andere Seite. Es blieb Neithadl-Off nichts anderes übrig, als zum Funkgerät zu trippeln und es einzuschalten, denn von den Piraten war niemand anwesend. Auf dem Bildschirm erschien Koqtohs Gesicht. »Ein Piratenschiff!« rief die Pechel aufgeregt. »Es ist die MUGGEBRUGG von Barquass unter Kapitän Hhuffh. Aber sie brennt und muß notlanden. Qumpoh ist schon mit einem Helikopter zur voraussichtlichen Aufschlagstelle unterwegs, um die Lösch- und Rettungsarbeiten zu koordinieren. Ich soll fragen, ob Sie mich in einem zweiten Helikopter dorthin begleiten wollen.« »Aber selbstverständlich!« pfiff die Vigpanderin aufgewühlt. »Wir kommen! Können wir die Piraten auch mitbringen?« »Ja, aber bitte nur zwei«, erwiderte die Pechel. »Mehr gehen nicht in den Helikopter hinein.« »Klar!« pfiff Neithadl-Off, unterbrach die Verbindung und trippelte zu ihrem Partner. »Atlan ist da!« pfiff sie ihm ins rechte Ohr. Goman-Largo zuckte zusammen, fuhr hoch und starrte mit wild funkelnden Augen um sich, dann knirschte er enttäuscht mit den Zähnen. »Ich finde es ultramonotisch, mich so zu veralbern«, maulte er. »Und ich finde es hypertemporal, wie blitzartig du wach geworden bist«, entgegnete die Vigpanderin. »Nein, nicht wieder hinlegen, Partner! Zwar ist Atlan nicht gekommen, dafür aber ein Piratenschiff von Barquass.« »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« erwiderte Goman-
Largo. »Das ist doch ebenso wichtig wie Atlan. Wir müssen Hatchiss und seine Leute verständigen. Landet es auf der Hafenplattform von Khoros?« »Nein, es stürzt ab«, klärte Neithadl-Off ihn auf. »Vielleicht schafft es aber auch eine Notlandung. Ein Hubschrappschrapp kann uns, Koqtoh und zwei Piraten zur vermeintlichen Aufschlagstelle bringen.« »Ein Hub … was?« fragte Goman-Largo verwundert. »Hubschrappschrapp«, antwortete Neithadl-Off. »Ein Helikopter, Nagran. Die Kinder nennen ihn hier so. Mir gefällt diese Lautmalerei.« »Ja, sie ist hyperffft«, gab der Modulmann sarkastisch zurück, während er seine Kombination schloß, in die Hände spuckte und sich das Haar glattstrich. »Was ist ›hyperffft‹, bitte?« erkundigte sich die Vigpanderin. »Lautmalerei«, erklärte Goman-Largo schmunzelnd. »Du hast zu wenig Phantasie, Prinzessin. Aber nun los! Zuerst zu Hatchiss und dann zum Hubschrrr …, verflixt, zum Helikopter!« Hurgiss Fa Hatcher und Lubmo Ti Sukom hatten sich mit etlichen Flaschen Branntwein über ihre Lage zu trösten versucht und erwiesen sich als so trostlos betrunken, daß es unverantwortlich gewesen wäre, sie mitzunehmen. An ihrer Stelle waren Tscha-Nom und Furror mitgekommen. Die Armbrüche des Tukars waren verheilt, die Schnittplastikverbände abgenommen. Er durfte sich nur eine Zeitlang nicht zu sehr anstrengen – und der Savatse war so gut aufgelegt wie eh und je. Geduckt rannten, trippelten, trappelten und watschelten die insgesamt fünf Personen auf den Helikopter zu, der mit klatschenden Rotorblättern wartete. Die Pilotin startete sofort, als ihre Passagiere eingestiegen waren und Platz genommen hatten. Schnell fielen die architektonisch kühnen Bauten der Stadt Khoros zurück, und in rund tausend Metern Höhe ging der Helikopter zum Horizontalflug über.
Fast anderthalb Stunden ging es über das fließende Gras der planetenweiten Sumpflandschaft Pechels hinweg. Nur dreimal waren am Horizont die Silhouetten von Plattformstädten zu sehen. Es war diesig. Aber kurz vor der Ankunft im Zielgebiet klarte es auf. Allerdings flog der Helikopter in die Nachtseite des Planeten hinein. Es wurde eine Nacht, wie sie Goman-Largo und Neithadl-Off auf Pechel noch nie gesehen hatten: wolken- und nebelfrei und mit einem Himmelsgewölbe voller funkelnder Sternkonstellationen sowie rötlicher und bläulicher Gaswolken. Und mitten aus diesem Himmelsgewölbe löste sich plötzlich etwas, das wie ein Stern aussah, sich aber schnell in einen Meteor verwandelte, der als Feuerball niederzugehen drohte. Von einem anderen Helikopter aus nahm Qumpoh Funkverbindung mit Koqtoh auf und teilte ihr mit, daß Kapitän Hhuffh versuchte, seine MUGGEBRUGG im Sturzflug so schnell in die Atmosphäre zu jagen, daß der Fahrtwind die brennende hintere Schiffszelle löschte. »Dann sollten wir den Abstand zum voraussichtlichen Aufschlagspunkt vergrößern«, mischte sich Goman-Largo in das Gespräch ein. »Wenn die MUGGEBRUGG nämlich eine bestimmte Geschwindigkeit überschreitet, wird es kritisch. Dann erhitzt sie sich durch die Luftreibung so sehr, daß das Feuer nicht gelöscht, sondern stärker angefacht wird. Das würde zu einer Explosion führen, die das Schiff völlig zerstörte.« »Das gäbe ein tolles Feuerwerk!« gackerte Furror belustigt und blähte seinen Federkranz am Hals auf. »Mir scheint, du hast mit dem Kapitän und seinem Stellvertreter getrunken«, argwöhnte Goman-Largo. Der Savatse gab ein krötenhaftes Knarren von sich. »Aber mir hat man es nicht angesehen«, frohlockte er. »Dafür hört man es dir jetzt an!« pfiff Neithadl-Off empört. »Wer sich am Leid anderer Wesen ergötzt, gehört gestrarcht.« Furror gluckste ein paarmal, glotzte die Vigpanderin aus seinen
großen Augen an und versank danach in dumpfes Brüten. Koqtoh hatte unterdessen ihrer »Kollegin« Gomans Rat übermittelt und die Pilotin ihres Helikopters angewiesen, Distanz zum voraussichtlichen Aufschlagspunkt des Piratenschiffs zu halten. Goman-Largo konzentrierte sich ganz auf die Beobachtung des herabstürzenden Schiffes. Dabei war ihm, als hätte er so etwas schon einmal gesehen. Er vermochte sich jedoch nicht konkret daran zu erinnern. Demnach gehörte jenes frühere Erlebnis zu jenem Teil seiner Erinnerungen, die vor oder während seiner Stasishaft gelöscht oder überlagert worden waren. Als der Feuerball sich aufblähte, stieß Neithadl-Off ein paar schrille Entsetzenspfiffe aus, denn für sie war es das Zeichen dafür, daß die MUGGEBRUGG explodieren würde. Goman-Largo deutete es jedoch anders – und als der Feuerball sich in die Länge zog, hatte er Gewißheit. »Die Flammen werden abreißen«, erklärte er. »Der Kapitän hat alles riskiert und die Sturzgeschwindigkeit bis an die kritische Grenze gebracht – und er hat alles gewonnen, wenn er das Schiff auch sicher herunterbringt.« In diesem Moment erloschen die Flammen. Für die geblendeten Augen und anderen Wahrnehmungsorgane wurde das Schiff unsichtbar. Erst nach Sekunden machte es sich durch ein düsteres Glühen seines Rumpfes wieder bemerkbar. Wenn es heller geglüht hätte, wäre das das Todesurteil für die MUGGEBRUGG gewesen. So aber zeigte es an, daß die Aufheizung sich unterhalb der kritischen Grenze hielt. Gleich darauf wurde es vor dem Schiff so hell, als wäre dort eine Sonne entstanden. Der Kapitän hatte die Bugtriebwerke mit maximaler Leistung zum Bremsen eingesetzt. Langsam richtete sich die Nase des Schiffes wieder auf, dann glitt es gleich einem Flugzeugtorpedo auf die Oberfläche des Sumpfes zu, tauchte flach hinein, verschwand in einer riesigen Wasserdampfwolke und
schwamm, als sie sich verzogen hatte, gleich einem Ozeanliner auf der Wasserschicht des Sumpflands von Pechel. Tscha-Nom und Furror hüpften grölend auf ihren Sitzen herum, während die Pilotin des Helikopters Kurs auf die MUGGEBRUGG nahm und die Bugscheinwerfer voll aufblendete. Goman-Largo war aufgestanden und beobachtete scharf. Seinen Augen entgingen weder die deutlichen Spuren des Brandes, der das hintere Drittel des torpedoförmigen, zirka zweihundert Meter langen Raumschiffs heimgesucht hatte, noch die Schmelz- und Abbrandspuren am Bug. Die Besatzung hatte am Abgrund des Todes geschwebt und war ihm praktisch im letzten Augenblick noch einmal entronnen. Der Tigganoi konnte den Piraten nachfühlen, was sie dabei empfunden hatten. Als er sah, daß sich dicht hinter dem Bug an der Oberseite ein Schott öffnete, deutete er hinunter und sagte zu Koqtoh: »Weisen Sie bitte die Pilotin an, dort zu landen, neben der Schleuse! Ich möchte mit dem Kapitän reden.« »In Ordnung, Nagran«, erwiderte die Pechel.
* Hhuffh war für normale Augen unsichtbar, denn er gehörte dem Volk der Zappendus an, das sich in einer kosmischen Gaswolke entwickelt hatte und erst auf einer späten Stufe der Evolution auf einem Leichtgewicht unter den Planeten seßhaft geworden war. Neithadl-Off, deren Sensorstäbchen wesentlich bessere Wahrnehmungsorgane waren als Augen, erklärte, daß Hhuffh – und seine sechzig Artgenossen auf der MUGGEBRUGG – aus farblosem organischem Gas bestünden, in dem ständig chemische und chemoelektrische Reaktionen abliefen. Sein Durchmesser betrüge ungefähr sieben Meter, und seine Moleküle (richtige Zellen besaß er nur in Form von fünf sogenannten Demonstrationskörpern,
faustgroßen kugelförmigen und fast transparenten Organen, mit denen er Schaltungen bedienen und sich akustisch mit andersartigen Intelligenzen verständigen konnte) waren nicht spezialisiert. Er besaß also kein Zentralnervensystem, ja überhaupt keine Nerven im Sinne hominider Terminologie. Als Goman-Largo zusammen mit Neithadl-Off und Koqtoh die Hauptzentrale der MUGGEBRUGG betrat, da lief er in Hhuffhs Körper herum, der die Zentrale vollständig ausfüllte. Infolge der geringen Dichte seines Körpers spürte der Modulmann jedoch nichts davon. Nach und nach lernte er allerdings, die Anwesenheit beziehungsweise Gegenwärtigkeit eines Zappendus zu erkennen – und zwar an einer ganz schwachen grünlichen Färbung der Atmosphäre. Diese Färbung, die um so intensiver war, je höher die Beleuchtung geschaltet wurde, rührte daher, daß die Gasmoleküle von Zappendus etwas enthielten, das am besten Quasi-Chlorophyll genannt werden sollte, denn es war anders aufgebaut als das Chlorophyll von Pflanzen und dennoch mit diesem Chlorophyll so nahe verwandt wie etwa Hämoglobin. Vor allem bewirkte es grundsätzlich das gleiche wie Chlorophyll in den Blättern von Pflanzen: die Assimilation gasförmigen Kohlendioxids mit Hilfe des Lichts, also die Photosynthese. Goman-Largos Frage danach, ob denn die Zappendus zur Pflanzen- oder zur Tierwelt gerechnet werden mußten, konnte Neithadl-Off allerdings nicht beantworten – und den Kapitän wollte er aus einer inneren Scheu heraus nicht danach fragen. Er vermutete jedoch, daß diese Lebewesen sich nicht in eines der bekannten biologischen Schemata einordnen ließen, sondern in eine besondere Kategorie gehörten. Er kam sich seltsam vor, wie er da mitten in dem Piratenkapitän stand und sich mit einem seiner Demonstrationskörper unterhielt. Tscha-Nom und Furror dagegen hatten ganz offenkundig keine Hemmungen, da sie Hhuffh von Barquass her gut kannten. Sie
bewegten sich ungeniert in seinem gasförmigen Körper hin und her und schwatzten munter drauflos. Hhuffh selbst schien auch kein Kind von Traurigkeit zu sein. Er hatte das Feuer, die Todesangst und die Notlandung anscheinend völlig vergessen und unterhielt sich angeregt mit den beiden anderen Barquass-Piraten. Ein bißchen zu angeregt, wie der Modulmann nach einiger Zeit feststellte. Neithadl-Off, die er daraufhin ansprach, lachte leise und flüsterte: »Du vergißt anscheinend, daß Furror mit Alkohol getränkt ist wie ein Schwamm mit Wasser, Goman. Er kann gar nicht vermeiden, Alkoholdunst auszuatmen.« »Und da er ihn in einem gasförmigen Wesen ausatmet, .verleibt' Hhuffh ihn sich sozusagen automatisch ein«, führte er den Gedankengang zu Ende. »Es ist wirklich hypertemporal, Prinzessin, was es in der Natur alles gibt.« »Was hast du gesagt, Gogomann?« lallte Hhuffh mit seinem der Kommunikation dienenden Demonstrationskörper. »Ich habe meiner Bewunderung darüber Ausdruck verliehen, was die Natur alles zustande bringt«, antwortete der Tigganoi. »Schöön!« rief der Kapitän hohl. »Ich hab's nur nicht begriffen.« Furror lachte gackernd. »Das brauchst du auch nicht, Hhuffhchen. Dieser Goman-Largo ist ein bißchen verdreht, weißt du – und weltfremd obendrein. Manches bekommt er nie mit.« »Aber er war immer ehrlich uns gegenüber«, versuchte TschaNom das schlechte Urteil des Savatses abzumildern. »Deshalb sollten wir auch ihm gegenüber ehrlich sein.« Er drehte sich grunzend um sich selbst, als suche er den Modulmann. Doch erst bei der dritten Umdrehung sah er ihn bewußt. Er schien ebenfalls betrunken zu sein – oder anderweitig high. »Was willst du mir sagen?« erkundigte sich Goman-Largo und hielt den Tukar fest, damit er sich nicht wieder von ihm wegdrehte.
»Ist das nicht noch zu früh?« nörgelte Hhuffh. »Ach, was!« meinte Furror. »Sag es ihm, Tscha-Nom!« »Gut!« erwiderte Tscha-Nom ein wenig mühsam. »Wir haben mit Hhuffh Vereinbart, daß wir von der KOKAHU ihm und seinen Leuten helfen, die Schäden an der MUGGEBRUGG zu beheben. Zappendus sind nämlich nicht gerade ideal geschaffen für manuelle Arbeiten. Dafür fliegt Hhuffh anschließend wieder nach Barquass zurück anstatt nach Triggonad, wie er es ursprünglich vorhatte – und wir fliegen mit ihm und lassen uns auf Barquass absetzen.« »Auf Barquass?« echote Goman-Largo. »Aber was sollen wir dort? Und was wollt ihr dort? Ihr hattet doch ebenfalls vor, Atlan zu treffen, oder?« »So ungefähr könnte man dazu sagen«, gackerte Furror aufgedreht. »Aber jetzt kommt es für uns erst einmal darauf an, die KOKAHU wiederzufinden und sie diesem verfluchten Eltaso abzujagen.« »So ist es«, bestätigte Tscha-Nom. Goman-Largo ließ ihn los. »Dann werden sich unsere Wege wohl auf Pechel trennen müssen«, erklärte er. »Meine Partnerin und ich können uns nicht noch mehr Zeitvergeudung erlauben. Wir werden hier auf ein Schiff warten, das uns näher an Atlan heranbringt.« »Da werdet ihr unter Umständen sehr lange warten müssen«, lallte der Kapitän. »Wir haben auf unserem Flug hierher eine Menge komischer Funksprüche aufgefangen. Danach hat es auf vielen bewohnten Welten und auch Piratenstützpunkten merkwürdige Vorfälle gegeben. Raumschiffe sind einfach gestartet und mit unbekanntem Ziel abgeflogen, einflußreiche und teilweise mächtige Persönlichkeiten sind spurlos verschwunden und mit ihnen wichtige Geheimunterlagen. Es scheint so, als braute sich in ManamTuru etwas zusammen. Da wird wahrscheinlich jede Spur, die dieser Atlan irgendwo und irgendwann hinterließ, verwischt weiden.«
»Guray!« pfiff Neithadl-Off schrill. »Woher kennst du diesen Namen?« fragte Hhuffh. »Auf Barquass liefen eine Menge Gerüchte über eine Macht um – und im Zusammenhang damit fiel oft der Name ›Guray‹. Was weißt du darüber?« »So gut wie nichts«, erwiderte die Vigpanderin. »Nur, daß Eltaso, ein Besatzungsmitglied der KOKAHU und Pirat, der mit dem Schiff verschwand, ein Gesandter Gurays war.« »Ja, das stimmt«, bestätigte Furror mit schwerer Zunge. »Das alles scheint mit Guray zu tun zu haben«, überlegte Neithadl-Off laut. »Aber es wird uns nicht daran hindern, weiter nach Atlan zu suchen, damit wir endlich Anima loswerden«, erklärte GomanLargo. »Ich weiß nicht, ob wir zulassen sollen, daß sie sich von uns trennen«, sagte Tscha-Nom. »Eigentlich sind sie ja unsere Gefangenen, auch wenn sie sich meistens als unsere Passagiere aufgespielt haben. Furror, ich denke, wir fragen Hhuffh, ob er die beiden auf seinem Schiff einsperren kann, bis Hatchiss über ihr Schicksal entschieden hat. Wo ist denn Hhuffh eigentlich?« »Du stehst doch in ihm«, sagte Furror. »Du bist doch noch gegenwärtig, Hhuffhchen, oder?« »Selbstverständlich«, antwortete der Zappendu. »Ich bin auch bereit, eure Gefangenen einzusperren.« »Wir werden uns nicht einsperren lassen!« entgegnete der Modulmann. »Nein, lieber kämpfen wir!« pflichtete Neithadl-Off ihm bei. »Und ich kämpfe auf Ihrer Seite«, erklärte Koqtoh. »Kapitän Hhuffh, ich warne Sie! Falls Sie auch nur versuchen, gewaltsam gegen Nagran Goman-Largo und Prinzessin Neithadl-Off vorzugehen, werden wir Ihr Schiff beschlagnahmen und Sie mitsamt Ihrer Besatzung ausweisen.« »Du wirst doch nicht auf diese Pechel hören, Hhuffhchen!«
entrüstete sich Furror – und bedeckte seine Augen mit den Händen, als Koqtoh mit einer Pistole auf ihn zielte. »Noch weniger werde ich mich um mein schönes Schiff bringen«, erklärte der Kapitän. »Nehmen Sie Goman-Largo und Neithadl-Off mit und richten Sie der Stadtkommandantin von Khoros schöne Grüße von mir aus, Koqtoh! Wir kennen uns sehr intim, die schöne Quktih und ich.« »Wie kann er das nur gemeint haben, daß er und Quktih sich sehr intim kennen würden?« fragte Neithadl-Off schüchtern, als der Helikopter ihren Partner, sie und Koqtoh nach Khoros zurückflog. »Er hat es nur so dahingesagt«, erwiderte die Pechel. »Bestimmt!« bekräftigte der Modulmann. »Was denn sonst, Prinzessin!« »Ich weiß nicht!« pfiff die Vigpanderin. »Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, als dieser Gasmann das sagte.« »Er wird damit gemeint haben, daß sie schon einige Quadrilliarden Moleküle von ihm eingeatmet hat, als sie miteinander konferierten«, erklärte Koqtoh. »Ach so!« pfiff Neithadl-Off erleichtert. »So wie wir auch«, ergänzte Koqtoh sich. »Oh!« machte die Vigpanderin und sank in Ohnmacht. »Was ist mit ihr los?« erkundigte sich Koqtoh bei Goman-Largo. »Das wüßte ich auch gern«, sagte der Tigganoi nachdenklich. »Vielleicht ist sie in gewisser Hinsicht überempfindlich.« Er runzelte die Stirn. »Oder könnte es Folgen haben, wenn jemand Teile eines Zappendus einatmet?« »Das Volumen des Zappendus nimmt ab, denke ich«, erwiderte die Pechel. Goman-Largo schloß die Augen. »Ich glaube, ich verstehe Neithadls Befürchtungen, aber ich teile sie nicht. Vielleicht nimmt man zu, wenn man zuviel von einem Zappendu einatmet, aber man wird ganz sicher nicht zu einem Halbzappendu.«
»Darüber mache ich mir keine Gedanken«, erklärte die Pechel und schaltete ihr Funkgerät ein, als es summte. »Hier Koqtoh!« »Hier Kontrollturm der Raumhafenplattform von Khoros!« hörte Goman-Largo die Stimme einer anderen Pechel verzerrt aus dem Funkgerät quäken. »Soeben tauchte ein Raumschiff unbekannter Konstruktion in einem Orbit um Pechel auf. Es wird von einem Hominiden gesteuert, der sich John Urko nennt und eine verblüffende Ähnlichkeit mit Goman-Largo hat, den Sie betreuen. Erkundigen Sie sich bitte bei Goman-Largo, ob er einen John Urko kennt.« »Ich kenne ihn nicht«, sagte der Tigganoi, als Koqtoh ihn fragend ansah. »Aber ich glaube, ich sollte ihn schnellstens kennenlernen. Man soll seine Landung hinauszögern, bis ich auf der Raumhafenplattform bin. Ich möchte ihn sprechen, bevor Kapitän Hatchiss oder ein anderer Pirat mit ihm geredet hat.« »Das kann ich durchsetzen«, erwiderte Koqtoh und wandte sich wieder dem Funkgerät zu. »Du bist wie elektrisiert, Modulmann«, pfiff die Vigpanderin und war wieder hellwach. »Denkst du, dieser Hominide könnte etwas mit Atlan zu tun haben?« »Ich weiß es nicht«, gab Goman-Largo zurück, »aber ich ahne, daß sein Auftauchen bedeutungsvoll für uns sein könnte. Deswegen will ich nicht, daß die Piraten vor uns mit ihm reden und ihn vielleicht gegen uns beeinflussen.«
5. Es war ein seltsam geformtes Raumschiff, das aus der Richtung des blauen Sonnenriesen Haira auftauchte und auf ungewöhnliche Art zur Landung ansetzte. Hätte Goman-Largo Linsen gekannt, er hätte das Schiff, mit dem John Urko kam, als elliptisch verformte Linse bezeichnet – wenn
auch größer als der Same jener Hülsenfrucht, nämlich rund 40 Meter lang, 18 Meter breit und zirka 16,5 Meter hoch. Allerdings gab es eine Besonderheit, die den Vergleich mit einem Linsenkorn wieder in den Hintergrund drängte. Das waren die beiden zwölf Meter langen, ungefähr schwertförmigen Ausleger oder Seitenschwerter, die dicht am Rand der Schiffszelle links und rechts herunterhingen. Der Tigganoi rätselte herum, wozu diese Schwerter wohl vorgesehen sein mochten, denn im Weltraum waren sie überflüssig, da bekamen er und seine Gefährtinnen (und natürlich auch die anwesenden Pecheles und Piraten) den Verwendungszweck eindrucksvoll demonstriert. Das Schiff senkte sich nämlich nicht nach Art normaler Raumschiffe vertikal auf den Raumhafen herab, sondern schwebte in einem Antigravfeld und mit leise rumorenden Vortriebs-, Bremsund Korrekturdüsen in weitem Bogen auf das fließende Gras der Sumpflandschaft, tauchte die Seitenschwerter zu zirka einem Drittel in die Wasserbrühe über dem eigentlichen Sumpf und verlor dadurch energiesparend rasch an Geschwindigkeit, während es auf die Raumhafenplattform zupflügte, einen beeindruckenden Schweif aus feinstverteiltem Wasser hinter sich herschleppend. »Hypertemporal!« kommentierte Goman-Largo den Auftritt. »Ausgesprochen ästhetisch!« rief Anima verzückt, und ihre Augen glühten förmlich auf. »Ich muß diesen John Urko unbedingt näher kennenlernen!« »Wir auch«, pfiff Neithadl-Off. »Dazu sind wir ja hier.« »Die Form ist ausgesprochen unpraktisch«, mäkelte Hatchiss, der sich ebenfalls auf die Aussichtsplattform des Kontrollturms bemüht hatte und nur noch wenig schwankte. »Ich möchte wetten, daß sich dort kaum nennenswerte Mengen an Fracht unterbringen lassen.« »Ich halte nicht dagegen«, meinte Sukiss. »Laß uns von hier verschwinden, Kapitän! Wir haben noch eine angebrochene Flasche auf dem Tisch stehen.«
Hatchiss zögerte eine Weile, aber dann gab er nach und zog mit seinem Astrogator ab. Der Modulmann kümmerte sich nicht weiter darum. Fasziniert beobachtete er, wie das Auslegerschiff sich dem Rand der Hafenplattform näherte. Es sah für einige Momente so aus, als würden die Seitenschwerter zerschellen. Doch dann stieg das Schiff gerade soviel, wie nötig war, die Schwerter glitten aus dem Wasser und mit ihren Spitzen nur Zentimeter über den Rand der Plattform hinweg. Auf dem durch Laser angeleuchteten Platz des Raumhafens setzte es sanft mit den Schwertspitzen auf, dann stand es still, völlig ausbalanciert mit Hilfe seines Antigravs. »Dort ist der Pilot!« pfiff Neithadl-Off und deutete mit einem Vorderglied auf die rechte der beiden Kanzeln aus getöntem Glassit, direkt neben den beiden triggerförmigen Sensoren, die einige Meter über den Bugrand hinausragten. Goman-Largo kniff die Augen zusammen. Ein wenig undeutlich waren die hominiden Konturen eines Wesens zu sehen, das sich soeben hinter einer Steuerkonsole erhob und durch ein aufgleitendes Schott an der Rückseite der Kanzel trat. »Hoffentlich weiß er etwas!« flüsterte Anima bebend. Der Tigganoi wandte sich der Hominidin zu und sah erst jetzt, daß sie am ganzen Körper zitterte und daß ihre Wangen hektisch glühten. Er legte beruhigend einen Arm um ihre Schultern und ignorierte das protestierende Pfeifen der Vigpanderin. Auf dem höchsten Punkt der Oberseite des Schiffes öffnete sich ein kreisrundes Schott: eine Mannschleuse. Eine hominide Gestalt, in eine dunkelgrüne Kombination mit Aggregattornister gekleidet, schwebte heraus und langsam über die Oberfläche des Raumschiffs zur steuerbordseitigen Kante. Anima versteifte sich in Gomans Arm. Die Hominidin stammelte voller Hysterie aufgeregtes Zeug, dann stieß sie hervor: »Es ist Arien Richardson!«
Unwillkürlich versteifte sich Goman-Largos Haltung auch, denn er kannte den Namen (und andere) aus Animas gelegentlichen Erzählungen über die Abenteuer, die sie gemeinsam mit Atlan und den Angehörigen von sogenannten Menschenabkömmlingen, die sich Celester nannten, in der Galaxis Alkordoom erlebt hatte. Falls der Mann, der sich über Funk als John Urko vorgestellt hatte, in Wirklichkeit dieser Arien Richardson war, dann wußte er mit großer Wahrscheinlichkeit, wo sich Atlan befand, denn mit eigenen Mitteln konnte er niemals von Alkordoom in eine andere Galaxis gelangt sein. Jemand mußte ihn geholt beziehungsweise ihm geholfen haben – und diese Person konnte nach Lage der Dinge nur der Arkonide gewesen sein. In diesem Fall aber wäre sein, Goman-Largos, gemeinsamer Weg mit Anima zu Ende – und er konnte sich der Verfolgung seiner eigentlichen Ziele zuwenden. Der Modulmann lauschte in sich hinein, weil er sich wunderte, daß er bei solcher Aussicht keine überschwengliche Freude spürte. Verwundert stellte er fest, daß seine Gefühle zwar zu einer gewissen Befriedigung neigten, daneben aber auch von leiser Wehmut durchdrungen waren. Konnte es sein, daß er es im Innersten bedauerte, seiner eigenen Wege gehen zu müssen? Ein lautes Schluchzen Animas riß ihn aus seiner Selbstbetrachtung heraus. »Er ist es nicht«, sagte die Hominidin unter Tränen. »Es ist nicht Arien.« Der Modulmann blickte auf und sah, daß der Ankömmling sein Raumschiff inzwischen weit hinter sich gelassen hatte und nur noch etwa zwanzig Meter vom Kontrollturm entfernt war. Aus dieser Nähe vermochte er deutlich das Gesicht des Mannes zu sehen. Die Haut war hellbraun, das Haar dunkelbraun und leicht gewellt, der Körperbau kräftig, soweit die Kombination eine solche Beurteilung zuließ. Als er bis auf etwa zehn Meter herangekommen war, sah
Goman auch die leichte Schrägstellung der Augen und ihre dunkelbraune Farbe. »Das mag nicht Arien Richardson sein«, stellte er fest und preßte das rechte Schultergelenk Animas zusammen, damit sie ihm zuhörte. »Aber nach allem, was du uns über das Aussehen der Celester berichtet hast, ist das ein Celester.«
* John Urko landete auf der Aussichtsplattform, schaltete sein Flugaggregat ab, neigte lächelnd den Kopf und sagte in der Verkehrssprache von Manam-Turu: »Ich danke vielmals für die gütige Erlaubnis zur Landung und zum Betreten dieser schönen Welt.« »Im Namen der Stadt Khoros heiße ich Sie herzlich willkommen«, erwiderte Koqtoh. »John Urko!« rief Anima. Er verneigte sich in ihre Richtung und sagte: »Es ist richtig, schöne Frau. Ich bin John Urko.« »Und ich bin Anima!« sagte die Hominidin, erwartungsvoll bebend. »Sehr erfreut«, erwiderte Urko und wandte sich wieder Koqtoh zu. »Falls irgendwelche Formalitäten zu erledigen sind, könnten wir das jetzt gleich erledigen?« erkundigte er sich. »Du bist doch ein Celester!« rief Anima hitzig. Goman-Largo begriff, was sie damit sagen wollte, ohne es auszusprechen: Wenn du ein Celester bist, mußt du auf jeden Fall schon von mir gehört haben. Warum reagierst du dann nicht anders? »Das ist richtig«, sagte Urko und blickte die Hominidin vielsagend an. »Aber falls du plaudern willst, sollten wir das vielleicht später tun, wenn ich alle Formalitäten erledigt und mich ein wenig von den Strapazen der Reise erholt habe.« Der Tigganoi merkte, daß Anima aufbrausen wollte, weil Urko ihr
offenkundig auswich. »Ruhe bewahren!« flüsterte er ihr ins Ohr. »Er ist bestimmt in geheimer Mission unterwegs.« Das wirkte wie ein Zauberwort. Anima entspannte sich augenblicklich. Sie wirkte plötzlich gelöst, ja fast heiter. Sie lächelte den Celester an und sagte: »Ich werde mich auch erst ein wenig frisch machen, bevor ich in die Bar des Hotels Am Hammock gehe, John. Es würde mich freuen, wenn wir uns dort sehen könnten.« »Ich werde da sein«, versicherte der Celester. Danach wandte er sich erneut an Koqtoh, redete halblaut auf sie ein und übergab ihr eine etwa dreißig Zentimeter lange, schmale Transparentfolie, in die dicht an dicht Howalgoniumfäden eingelassen waren. Der Modulmann schätzte den Inhalt der Folie sehr hoch ein und vermutete, daß es sich um ein in Manam-Turu gebräuchliches Zahlungsmittel handelte, ähnlich den Nukleoniumbarren, aber durch sein geringes Volumen und Gewicht leichter zu transportieren. John Urko mußte ziemlich wohlhabend sein – und wenn ihm das Schiff, mit dem er gekommen war, gehörte, dann war er reich. Nachdenklich folgte er Anima, als sie zum Lift ging. Neithadl-Off trippelte neben ihm her. John Urko und Koqtoh fuhren mit einer Liftkabine nach unten, Goman-Largo und seine Partnerinnen nahmen eine andere. Als sie unten aus dem Turm kamen, stiegen der Celester und die Pechel gerade in ein Taxi. Es war ein Elektromobil mit dicken Gummireifen, denn außerhalb des Raumhafens verwendeten die Pecheles keine High-Tech-Produkte. »Er weiß, wer ich bin«, sagte Anima, während Goman-Largo einem zweiten Taxi winkte. »Bestimmt kommt er ins Am Hammock.« »Aber sicher«, erwiderte der Modulmann und gab der
Taxifahrerin einen Gutschein des Wohlfahrtsamts, das für sie aufkam, weil Eltaso sie mittellos und ohne Schiff zurückgelassen hatte. »Zum Wohnheim für Fremdintelligenzen!« Er wandte sich wieder Anima zu. »Ich sagte dir doch, daß der Celester wahrscheinlich in geheimer Mission unterwegs ist.« Er ließ sich in die Polster fallen. Anima folgte seinem Beispiel. Nur die Vigpanderin konnte nicht in das relativ enge Taxi steigen. Da hätte auch Zusammenfalten nichts genützt. Sie wußte sich jedoch zu helfen, indem sie aufs Dach stieg und sich mit den Tastfäden aller sechs Gliedmaßen am Gepäckträger festkrallte. Die Taxifahrerin störte sich nicht daran. Auf Pechel waren wahrscheinlich schon Vertreter von einigen hundert verschiedenen Völkern gelandet, die alle anders ausgesehen hatten und sich auch hinsichtlich ihrer Mentalität voneinander unterschieden. Da konnte eine Neithadl-Off kein Aufsehen mehr erregen. In zwanzig Minuten brachte das Taxi sie zum Wohnheim. Anima verschwand sofort in ihrem Zimmer. »Du vermutest auch, der Celester könnte ein Bote Atlans sein«, stellte Neithadl-Off fest. »Ja, das vermute ich«, bestätigte Goman-Largo. »Aber warten wir es ab!« »Du willst auch in die Bar des Am Hammock gehen?« fragte die Parazeit-Historikerin. »Also du auch«, stellte der Modulmann fest. »Dann nehmen wir doch nachher gemeinsam ein Taxi. In einer halben Stunde?« »In einer halben Stunde«, erwiderte Neithadl-Off.
* Das Am Hammock war das einzige Hotel in Khoros, aber es umfaßte beinahe ein ganzes Stadtviertel. Goman-Largo wunderte sich zuerst über diese Größe, bis er
feststellte, daß es nicht nur zum Übernachten diente, sondern mehrere Einkaufsstraßen beinhaltete sowie rund ein Dutzend Speiserestaurants, drei Kinos, ein Naßbad (so hieß es jedenfalls; es entpuppte sich als eine mit feuchtwarmer Luft gefüllte Halle, deren Fliesenboden mit einer zwei Millimeter hohen Wasserschicht bedeckt war) – und eben die Bar. Goman-Largo hielt unwillkürlich die Luft an, als er das in dunkelgrünes Dämmerlicht getauchte Etablissement sah, das aus einem langgestreckten Raum mit knöchelhohem Tresen und einer durch Vorhänge in Separees aufgeteilten Halle bestand. Für sein Empfinden stank es hier bestialisch. Aber die – ausschließlich weiblichen – Pecheles, die dort standen oder saßen, schienen sich ausgesprochen wohl zu fühlen. »Puh!« blies der Tigganoi die Luftuus. »Ist dir die Luft zu dick?« spottete Neithadl-Off. »Keine Sorge, das, was hier in der Luft liegt, dürfte dir nicht schaden, wenn allerdings auch nichts nützen. Soviel meine Sensoren feststellen können, handelt es sich um eine Mischung von zerstäubten Parfüms, Deodorants, Pheromonen und einigen undefinierbaren Ingredienzen sowie natürlich einem gewissen Anteil ganz normaler Stadtluft.« Der Tigganoi atmete ganz vorsichtig wieder ein – und diesmal war der Gestank nur noch halb so schlimm. »Ich werde mich daran gewöhnen«, meinte er ironisch. »Allerdings frage ich mich, woher hier Pheromone kommen. Hier sind doch nur Wei …, äh, ich meine, Frauen.« »Die Augen von Taglebewesen taugen nicht viel«, stellte die Vigpanderin fest. »Du mußt dir mal ein Separee aus der Nähe ansehen, dann weißt du, wer hier Sexuallockstoffe verströmt!« Goman-Largo befolgte den Rat – und stellte fest, daß sich in jedem Separee ein Käfig befand, hinter dessen vergoldeten Gittern je ein »Raupenwesen« hockte, das doppelt so groß wie eine Pechel war und viel längeres und dichteres schwarzes Haar besaß.
»Das also sind die Männer dieser Welt«, erkannte er erschüttert. »Fette Kusen, die sich durch Gitter anstarren lassen und unentwegt Pheromone ausdünsten.« »Na, und?« grunzte der Pechel in dem Separee, vor dem GomanLargo und Neithadl-Off standen. »Dafür bekommen wir satt zu essen und zu trinken, werden gebadet, frisiert und parfümiert und tragen keine Verantwortung. Außerdem stecken uns unsere Besucherinnen oft Gutscheine zu, die unsere Herrinnen uns nicht wegnehmen dürfen. Vor allem aber brauchen wir keinen Truppendienst zu leisten und müssen uns nicht gegenseitig abschlachten.« »Oh!« rief der Tigganoi. »Das ist ein Argument, das sogar mich bestechen könnte! Die männlichen Pecheles haben offenbar doch den besseren Part gewählt.« »Das gehört der Vergangenheit an«, korrigierte ihn Neithadl-Off. »Wenn es keine Kriege mehr gibt und der Wohlstand in den Städten überschwappt, dann werden diese Schmarotzer bald frustriert sein und sich nach Freiheit und Partizipation am süßen Leben sehnen.« »Was?« grunzte der Pechel. »Keine Kriege mehr und dafür Wohlstand?« Er rüttelte am Gitter. »Ich fordere Gleichberechtigung der Männer! Nieder mit den Vorrechten der Frauen!« Eine Pechel trappelte heran, in ein golddurchwirktes »Kleid« gehüllt und Blaustrahlfäden im Gesichtshaar. »Was forderst du, Glinkeindel-Nabusatra?« fuhr sie den Mann an. »Gleichberechtigung? Für Männer? Dann laßt euch erst einmal ein bißchen mehr Hirn wachsen, denn ohne uns Frauen seid ihr doch dumm und hilflos! Wenn ich noch ein freches Wort von dir höre, werden deine Rationen halbiert, und unseren Besucherinnen wird das .Vorrecht' genommen, euch Faulpelzen Gutscheine zuzustecken. Ich möchte mal sehen, was deine Geschlechtsgenossen dann von dir halten.« Glinkeindel-Nabusatra stöhnte. »Nein, nein, ich sage nichts mehr!« versicherte er. »Es leben die
Vorrechte der Frauen! Es ist schön, ein Mann zu sein!« »Du bist kein Mann!« erklärte Goman-Largo grimmig. »Du bist ein verfettetes, denkfaules und arbeitsscheues Lustobjekt.« »Aber sind Sie nicht auch ein Mann?« wandte sich die BlaustrahlPechel an ihn. »Er ist ein Nagran«, erklärte Neithadl-Off. »Quatsch, Nagran!« brauste der Modulmann auf. »Ich bin durch und durch Mann! Aber wie soll ich das einer Raupe und einem Hüpfgestell klarmachen!« »Versuche es gar nicht erst!« pfiff die Vigpanderin. »Außerdem steht jetzt etwas anderes auf dem Programm. Soeben ist John Urko eingetroffen.« »Tatsächlich?« entfuhr es dem Modulmann. »Wo ist er? Und wo ist Anima? Ist sie noch nicht hier?« »Dort ist er«, erklärte Neithadl-Off und deutete zum Tresen, wo sich der Celester soeben im Schneidersitz niederließ. »Und unsere Hominidin hat bisher in einer Nische gesessen und bereitet sich auf ihren Auftritt vor.« Sie deutete auf ein gegenüberliegendes Separee. Goman-Largo sah die Hominidin allerdings erst, als sie die Nische verließ und sich in Richtung Tresen bewegte. »Was machen wir jetzt?« überlegte er laut. »Ich möchte mich nicht aufdrängen, aber ich wüßte gern, was der Celester Anima zu sagen hat.« »Kannst du dazu nicht ein Modulpaar verwenden?« erkundigte sich die Vigpanderin. »Das kann ich schon«, erwiderte Goman. »Aber ich kenne die Möglichkeiten des Celesters nicht. Wenn er den Lauschangriff bemerkt, läßt er seinen Ärger vielleicht an Anima aus und schickt sie fort.« »Nicht, wenn er ihr etwas wirklich Wichtiges mitzuteilen hat«, erklärte Neithadl-Off. »Ich würde es riskieren. Schon deshalb, weil Anima mir nicht ganz zurechnungsfähig zu sein scheint. Ihr
Gefühlsleben scheint total verwirrt zu sein. Das macht sie anfällig.« »Anfällig?« echote der Modulmann. »Wofür?« »Rede nicht soviel!« beschied ihm seine Partnerin. »Handle!« »Gut!« sagte Goman-Largo – und konzentrierte sich auf das Auffinden und den Einsatz eines Modulpaars.
* »Trinken wir etwas?« wandte sich John Urko an die Hominidin, als sie vor ihm stand. »Ich schlage vor, einen Branntwein. Das dürfte außer Mineralwasser und einer Art Bier das einzige Getränk auf Pechel sein, das wir Hominiden vertragen.« Er winkte einer Pechel hinter dem Tresen und gab die Bestellung auf. Das Gewünschte kam ziemlich schnell: zwei große Kristallglser, mit einer hellbraunen Flüssigkeit gefüllt. Anima hob ihr Glas und sagte spontan: »Auf Atlans Wohl!« Urko sah sie über den Rand seines Glases lange an, dann erwiderte er: »Auf Atlans Wohl, Anima!« Beide tranken. »Weiter!« flüsterte Neithadl-Off ungeduldig in dem Separee, in dem sie sich mit Goman-Largo niedergelassen hatte. Mit normalen Ohren hätte sie das von ihrem Partner angezapfte Gespräch nicht gehört. Das erreichte sie nur durch die Konzentration mehrerer Sensorstäbchen auf die Empfangskomponente des Modulpaars, die sich noch in dem Tigganoi befand. »Dich hat Atlan geschickt, nicht wahr?« fragte Anima ungeduldig, nachdem sie und der Celester ihre Gläser abgesetzt hatten. »Warum ist er nicht selbst gekommen?« »Leise, bitte!« flüsterte Urko. »Die Sache ist streng geheim. Es ist wahr, Atlan hat mich zu dir geschickt. Er wartet an einem geheimen
Zufluchtsort. Selber konnte er nicht kommen, da der Erleuchtete überall in Manam-Turu seine Spione hat. Atlan ist noch nicht soweit, daß er sich zum offenen Kampf stellen könnte.« »Aber er ist da!« triumphierte Anima mit glühenden Augen. »Atlan ist in derselben Galaxis wie ich. Bring mich zu ihm, John! Ich werde ihm helfen. Mit ihm gemeinsam werde ich den Kampf gegen den Erleuchteten organisieren – und gemeinsam werden wir ihn besiegen!« Sterben! »Ja, das werdet ihr«, flüsterte Urko. »Wenn du einverstanden bist, bringe ich dich zu Atlan.« »Und ob ich einverstanden bin!« rief die Hominidin, dann senkte sie erschrocken die Stimme zu einem Flüstern. »Wo ist er?« »Das darf ich hier nicht sagen«, erwiderte der Celester. »Jemand könnte uns belauschen – und wenn der Erleuchtete erfährt, wo sich Atlan versteckt, werden seine Schergen früher bei ihm sein als wir.« »Das sehe ich ein«, gab Anima zu. »Gut«, lobte Urko. »Du bist vernünftig. Komm, wir trinken aus und nehmen noch einen Branntwein!« »Will er sie betrunken machen?« flüsterte Neithadl-Off. »Anima kann nicht betrunken werden«, gab der Modulmann zurück und überprüfte sein Modulpaar, weil er glaubte, eine geringfügige Störung festgestellt zu haben. »Aber Urko wird versuchen, sie noch stärker einzulullen. Na, so was, ich finde die Störquelle nicht!« Er musterte die Vigpanderin prüfend. »Hast du vorhin etwa mein Empfangsmodul manipuliert, Prinzessin?« »Was?« pfiff Neithadl-Off empört. »Das wäre ein unangebrachter Scherz gewesen, aber ich könnte es gar nicht.« »Wer hat dann ›sterben‹ gesagt?« überlegte der Tigganoi stirnrunzelnd. »Es war weder Animas noch Urkos Stimme.« »Sterben?« echote Neithadl-Off. »Ich habe nichts dergleichen
gehört. Hattest du früher schon Halluzinationen, Modulmann?« »Niemals«, entgegnete Goman-Largo. »Das ist ja ultramonotisch! Ich habe das Wort ganz deutlich gehört.« Er unterbrach seine diesbezüglichen Gedanken, weil Anima und Urko weiterredeten, nachdem sie sich mit dem zweiten Glas zugeprostet hatten. »Wir müssen mit Goman-Largo und Neithadl-Off darüber reden«, sagte Anima. »Worüber?« fragte der Celester. »Na, darüber, daß du mich zu Atlan bringen wirst«, erklärte die Hominidin. »Vielleicht kommen sie mit.« »Was sollten sie bei Atlan wollen?« entgegnete John Urko. »Sie kennen ihn doch gar nicht.« »Woher weiß er das?« flüsterte Neithadl-Off, förmlich vor Argwohn triefend. »Aber vielleicht möchten sie ihn kennenlernen«, sagte Anima. »Sie haben mir sehr bei der Suche nach ihm geholfen. Ich sollte ihnen wenigstens Bescheid sagen, wohin wir fliegen. Du kannst ja die Koordinaten seines Verstecks aufschreiben, und ich gebe ihnen den Zettel. Wenn sie ihn sofort nach dem Lesen vernichten, wird kein Unbefugter erfahren, wo Atlan sich verbirgt.« »Nein, das geht unmöglich!« wehrte Urko ab. »Der Erleuchtete hat seine Augen und Ohren überall. Seine Spione könnten den Zettel aus einer Entfernung lesen, die du dir nicht vorstellst.« »Unfug!« pfiff die Vigpanderin. »Aber es wäre nicht fair, sie einfach abzuschieben«, meinte Anima. Töten! »Schon wieder diese Störung!« schimpfte Goman-Largo. »Ich schlage dir etwas vor, Anima«, erklärte der Celester. »Wir machen alles so, daß es für deine Freunde eine freudige Überraschung wird. Noch in dieser Stunde werden wir mit meinem Schiff starten. Dann sind wir morgen bei Atlan – und noch bevor deine Freunde dich richtig vermissen, bist du wieder bei ihnen.«
»Und Atlan?« fragte Anima. »Er wird bei uns sein«, antwortete Urko. »Wenn du bei ihm bist, kann der Erleuchtete ihm nichts anhaben, denn du wirst ihn beschützen.« »Ja, das ist wahr«, erwiderte Anima impulsiv. »Das ist es eben nicht!« pfiff Neithadl-Off. »Trotz all ihrer besonderen Fähigkeiten – Anima kann nicht zaubern. Atlan wäre in ihrem Beisein nicht sicherer als allein.« »Gut!« sagte der Celester zu Anima. »Gehen wir!« »Geh du voraus zum Raumhafen!« erklärte die Hominidin. »Ich gehe nur schnell noch einmal in das Wohnheim zurück, dann folge ich dir.« John Urko schwieg einige Sekunden lang, dann sagte er: »Es wäre besser, wenn du dich nicht mehr von mir trennen würdest. Aber wenn es sein muß, machen wir es ein wenig anders. Ich bringe dich im Taxi zum Wohnheim und warte draußen, während du noch einmal in dein Zimmer gehst. Einverstanden?« »Einverstanden«, erwiderte Anima. »Wir müssen sie warnen!« pfiff Neithadl-Off. »Diesmal hat eine unbekannte Stimme etwas von Töten gesagt«, erklärte der Tigganoi. »Nein, nicht ganz unbekannt! Es war dieselbe Stimme, die zuvor etwas von Sterben sagte. Eigenartig!« »Halte dich nicht mit solchen Halluzinationen auf!« drängte die Vigpanderin ungestüm. »Wir haben höchstens eine Minute Zeit, Anima von ihrem gefährlichen Vorhaben abzubringen. Das ist, wenn sie noch einmal in ihr Zimmer geht. Wir müssen vor ihr dort sein, aber so, daß der Celester uns nicht bemerkt. Beeilen wir uns! Schnell raus hier und dann mit den Flugaggregaten zum Wohnheim!«
6.
Sie stiegen vorsichtshalber nicht höher als die höchsten Gebäude von Khoros, obwohl sie keine definitive Begründung dafür hätten nennen können. Es war eher so, daß sie einen inneren Zwang zu äußerster Vorsicht verspürten. Da es inzwischen Nacht geworden war, konnten Neithadl-Off und Goman-Largo auch mit bloßem Auge kaum entdeckt werden. Die Straßenzüge, denen sie folgten, waren meist nur tief unten erleuchtet, da die oberen Etagen nur Büros enthielten. Kurz bevor sie in Richtung Wohnheim abbogen, sahen sie die hell erleuchtete Brücke, die sich über das Sumpfland zwischen der Stadtund der Raumhafenplattform spannte. Wenige Minuten später waren sie am Ziel. Sie landeten im Innenhof, dann schlichen sie durch einen Nebeneingang ins Haus. Irgendwo sangen ein paar rauhe Stimmen: einige der Piraten wahrscheinlich, denn außer den Leuten von der KOKAHU wohnte niemand hier. Vorsichtshalber mieden die Vigpanderin und der Tigganoi den Fahrstuhl und liefen statt dessen eine Treppe hinauf in den dritten Stock, in dem Anima ein Zimmer bewohnte. Die Tür war abgeschlossen, aber mit Hilfe eines Moduls konnte Goman-Largo den primitiven Riegel aufdrücken. Sie huschten hinein, dann ließ Goman-Largo den Riegel wieder zuschnappen, obwohl das eigentlich überflüssig war, denn sie wollten sich ja nicht verstecken. Ungefähr zehn Minuten später hörten sie ein Fahrzeug bremsen, dann wurde eine Wagentür geöffnet und geschlossen. Eine Minute danach wurde ein Schlüssel ins Schloß geschoben und umgedreht, die Tür ging auf, Anima trat ein und blieb überrascht stehen. »Oh!« brachte sie hervor. »Ja, so ist es«, pfiff Neithadl-Off spöttisch. »Der Erleuchtete hat seine Augen und Ohren überall. Er hat uns etwas von dir und einem gewissen Celester geflüstert.« »Unsinn!« rief Anima und lachte. »Ihr habt doch nie etwas mit
dem Erleuchteten zu tun!« »Aber wir könnten dich wenigstens erleuchten«, sagte GomanLargo. »Wieso hast du nur gedacht, wir wären unzuverlässig oder sogar Verräter?« »Aber das habe ich nie gedacht!« wehrte sich die Hominidin. »Und warum wolltest du dann ohne uns zu Atlans Versteck fliegen?« erkundigte sich die Vigpanderin inquisitorisch. »Aber …, aber …«, stammelte Anima. »Weißt du was?« sagte der Modulmann. »Wir glauben gar nicht, daß John Urko dich zu Atlan bringen will.« »Das unterstellt ihr ihm nur«, meinte Anima. »Nein«, erklärte Neithadl-Off. »Atlan könnte gar nicht wissen, daß du auf Pechel bist. Nicht, wenn er sich wirklich in einem Versteck verkrochen hat.« »Aber vielleicht hat er Eltaso getroffen«, meinte die Hominidin. »Natürlich«, erwiderte Goman-Largo sarkastisch. »Atlan und Eltaso sind sich rein zufällig begegnet – in einer riesigen Galaxis, in der jede Sekunde Millionen von Raumschiffen mit intelligenten Wesen herumfliegen, ohne sich jemals zu begegnen oder voneinander zu hören. Nein, Anima, Atlan weiß nicht, daß du auf Pechel bist.« »Aber er hat doch John zu mir geschickt!« rief Anima empört. »Du hast uns einiges über deinen Ritter erzählt«, sagte NeithadlOff. »Dadurch kennen wir ihn zwar nicht so gut wie du, aber gut genug, denke ich, um zu wissen, daß der Arkonide sich erstens nicht klammheimlich irgendwo verkriechen würde – und daß er zweitens persönlich käme, wenn er wüßte, wo du bist.« »Aber wenn doch der Erleuchtete überall seine Spione hat!« protestierte die Hominidin. »Auch die Spione des Erleuchteten können nicht durch die Wandung eines Raumschiffs sehen«, sagte der Tigganoi. »Atlan hätte also mitkommen können. Er brauchte ja das Schiff nicht zu verlassen.«
»Da ist etwas dran«, erwiderte Anima. »Aber nicht so, wie ihr denkt. John ist schon in Ordnung.« »Dann wird er uns mitnehmen, wenn du darauf bestehst«, sagte Neithadl-Off schnell – und leise, denn sie hatte mit ihren hochempfindlichen Sensorstäbchen festgestellt, daß sich der Celester dem Zimmer näherte. Im nächsten Moment wurde die Tür hinter Anima aufgestoßen. John Urko huschte herein, eine bläulich schimmernde Waffe mit spiralförmigem Lauf in der linken Hand. »Vorsicht!« rief Goman-Largo. »Das Ding könnte losgehen!« Urko richtete die Waffe auf ihn und wandte sich an Anima. »Haben sie dich überfallen?« erkundigte er sich. »Aber nein!« rief die Hominidin ärgerlich. »Du mißverstehst das, John. Neithadl-Off und Goman-Largo sind meine Freunde. Außerdem wohnen sie im selben Haus wie ich. Sie hatten erfahren, daß du mich zu Atlan bringen willst und baten mich, sie mitzunehmen.« »Sie hatten erfahren, daß ich dich zu Atlan …?« Urkos Augen weiteten sich. »Aber wie denn?« »Der Erleuchtete sagte es uns«, erklärte Neithadl-Off. »Beziehungsweise hatten wir eine Erleuchtung. Anima versprach uns, daß wir mitkommen dürfen. Wir sind reisefertig.« »Aber wir hatten es doch ganz anders besprochen!« protestierte Urko. »Ohne Neithadl-Off und mir eine Gelegenheit zu geben, uns dazu zu äußern«, stellte der Tigganoi fest. »Das war unfair und damit ungültig.« »Nun, ja, ganz richtig war es wahrscheinlich nicht, John«, meinte Anima. »Ich hatte gleich ein schlechtes Gewissen dabei. Bitte, nimm sie mit!« John Urko überlegte eine Weile, dann sagte er ausdruckslos: »Nun, gut! Wenn es dein Gewissen beruhigt, bin ich einverstanden, Anima.« Er steckte die Waffe weg. »Wir brechen
sofort auf. Ich muß mich an meinen Zeitplan halten.«
* »Überlaß ihn mir für eine Weile!« pfiff die Vigpanderin dem Modulmann ins Ohr, als John Urko durch das Schott auf der Oberseite seines Raumschiffs schwebte. »In Ordnung«, flüsterte Goman-Largo zurück. Laut sagte er: »Wir sollten uns vielleicht beeilen. Vom Kontrollturm kommt unsere ganze Piratenhorde gerannt. Es sieht so aus, als wollten sie mitkommen.« »Das kommt gar nicht in Frage«, erklärte der Celester. Er ließ seine »Passagiere« an sich vorbeischweben, verriegelte das Schott und übernahm dann wieder die Spitze. In der Pilotenkanzel angekommen, stellte sie sich als zu klein heraus, um alle vier Personen aufzunehmen. Goman-Largo steuerte deshalb Anima zum Durchgang in die benachbarte Kanzel vorn links, die für einen Kopiloten und Astrogator vorgesehen war, wie die Instrumentierung bewies. Neithadl-Off machte sich in der Pilotenkanzel breit – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Urko hatte Mühe, sich an ihr vorbei an die Steuerkonsole zu quetschen. Zu Anfang nahmen Anima und der Modulmann in den Sesseln Platz, die es in der Kopiloten-Kanzel gab. Auf Monitoren verfolgten sie, wie die sieben Piraten schreiend und winkend zum Stellplatz des Schiffes rannten – und abrupt stehenblieben, als Urko den Protonenreaktor zündete und die Hilfstriebwerke »durchblies«. »Ob sie das Schiff für sich requirieren wollten?« meinte Anima. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Goman-Largo. »Aber es ist sicher besser, daß wir sie nicht an Bord gelassen haben. Sie hätten alles nur unnötig kompliziert.« Sein Blick fiel auf die Konsole, vor der er saß – und seine Augen weiteten sich, als er seinen Quintadimwerfer dort liegen sah. Aus
den Augenwinkeln bemerkte er, daß Anima gerade woanders hinsah. Rasch ergriff er seine Waffe und schob sie ins Gürtelhalfter zurück. Danach überlegte er. Qumpoh hatte den Quintadimwerfer beim Tempel der Weißen Schlange beschlagnahmt, als sie ihn und seine Gefährtinnen sowie die Piraten für Khoros rekrutierte – und sie hatte ihm versichert, er würde sie zurückbekommen, wenn der Krieg vorbei wäre. Der Krieg war tatsächlich vorbei. Also war es durchaus in Ordnung, daß Qumpoh ihm seine Waffe wieder hatte zukommen lassen. Es war nur rätselhaft, weshalb sie sie auf eine Konsole an Bord des Raumschiffs von John Urko gelegt hatte. Sie konnte unmöglich wissen, daß er dieses Schiff jemals betreten würde. Oder war Qumpoh eine Hellseherin? Er fuhr herum, als er ein komisches Ziehen im Genick spürte. Für einen Moment hatte er tatsächlich geglaubt, jemand stünde hinter ihm und starrte ihn an: vielleicht Qumpoh, vielleicht auch Koqtoh. »Du wirkst so nervös, Modulmann«, sagte Anima. »Das bin ich immer, wenn ich auf einem Schiff mitfliege, ohne mit seiner Technik vertraut zu sein«, erklärte er. »Wollen wir uns ein bißchen umsehen?« Er nickte in Richtung Pilotenkanzel, aus der die pfeifende Stimme seiner Partnerin ertönte. »Dort ist gerade Märchenstunde. Da sind wir entbehrlich.« Anima lachte. »Es freut mich, daß Neithadl-Off und John sich jetzt so gut verstehen. Gut, machen wir eine Runde.« Das bildest du dir nur ein! dachte Goman-Largo. Neithadl-Off kann diesen seltsamen Celester ebensowenig riechen wie ich – und daran wird sich kaum etwas ändern. Mit einem Blick durch die Kanzelverglasung vergewisserte er sich, daß das Schiff die Atmosphäre Pechels hinter sich gelassen hatte und mit ungeheuren Werten beschleunigte, dann stand er auf und
verließ die Kanzel durch das rückseitige Schott, gefolgt von der Hominidin. In erster Linie interessierte sich der Modulmann für den Maschinenraum, von dem aus alle Aggregate des Schiffes kontrolliert, gewartet und gesteuert werden konnten. Er fand ihn im Mittelpunkt des Schiffes – und erlebte eine Überraschung. Auf den ersten Blick sah der Maschinenraum so ähnlich aus wie die meisten Maschinenräume der Raumschiffe, die er bisher gesehen hatte. Doch sein geschulter Blick erfaßte sofort die unauffälligen Kleinigkeiten, die dem Fachmann verrieten, daß sich hinter konventionell wirkenden Computerfronten, Steuerverkleidungen und Kontrollkonsolen dichtgepackte Erzeugnisse einer Hochtechnologie verbargen, wie er sie in der Praxis noch nie kennengelernt hatte. Er war allerdings während seiner Ausbildung in der Zeitschule von Rhuf in der Theorie, an Modellen und mit Simulatoren damit vertraut gemacht worden. Es erschien ihm unwahrscheinlich, daß ein Mann, der vom Erleuchteten beziehungsweise dessen Helfern so erbarmungslos gehetzt worden war, daß er sich irgendwo verkroch und sich nicht aus seinem Versteck wagte, über ein derartig hochentwickeltes Erzeugnis einer Ultrahochtechnologie verfügte, wie es dieses Schiff darstellte. Er schaltete einige Monitoren ein, mit denen das Innere der verschiedenen Maschinensektionen optisch beobachtet werden konnte. Verwundert sah er auf den Bildschirmen Bauelemente einer Mitteltechnologie, durchsetzt mit solchen einer Niedrigtechnologie. Er wunderte sich aber nicht lange, denn ihm wurde klar, daß es sich um eine Vortäuschung handelte. Die abgebildeten Elemente konnten mit den Schaltungen einer Ultrahochtechnologie, wie sie sich im Maschinenraum befanden, niemals beherrscht werden. Mit Hilfe eines Moduls fand er bei einer Stichprobe dann auch heraus, daß die Monitoren nur Bandaufzeichnungen zeigten. Mit demselben Modul aktivierte er die Fernschaltung, die die
Direktbeobachtung ermöglichte. Da sah es schon anders aus. Erst jetzt erkannte der Modulmann die geballte Stärke der Kompaktaggregate aus mikrominiaturisierten Speichern, Prozessoren und Intermediatoren, die rund neun Zehntel des Schiffes so total ausfüllten, daß so gut wie nirgendwo noch etwas Platz gehabt hätte. Dieses Schiff war ein wahres Wunderwerk, das einen für normale Sterbliche unbegrenzten Aktionsradius haben mußte und wahrscheinlich jedes andere Raumschiff abzuhängen vermochte. Sehr nachdenklich kehrte der Tigganoi in die Doppel-Steuerkanzel zurück. »Wo warst du?« fragte John Urko argwöhnisch. »Ich habe das Schiff inspiziert«, gab Goman-Largo mit entwaffnender Offenheit zu. »Am liebsten würde ich es dir wegnehmen. Das ist ein perfektes Produkt perfekter Ultrahochtechnologie.« »Es ist nicht schlecht«, erwiderte der Celester. »Vor allem dann nicht, wenn die Monitoren die Wahrheit sagen«, erklärte der Modulmann sarkastisch, dann wechselte er den Tonfall: »Wo ist es her?« fuhr er Urko barsch an. In den Augen des Celesters glomm sekundenlang tödliche Drohung auf, dann hatte der Mann sich wieder in der Gewalt und antwortete gelassen: »Es gehörte früher dem Erleuchteten. Atlan hat es ihm abgejagt und für seine Zwecke umprogrammiert.« Goman-Largo war überrascht, aber er ließ es sich nicht anmerken. »So?« sagte er gedehnt. »Und wie überzeuge ich mich davon?« »Ganz einfach«, erklärte John Urko und nestelte vornübergebeugt an den Ärmeln seiner Kombination herum. »Du brauchst nur die Hauptpositronik abzufragen. Sie muß dir alles wahrheitsgemäß bestätigen. Diese Prozedur ist so simpel, daß sogar Neithadl-Off sie durchführen könnte. Nicht wahr, Neithadl-Off?« »Ich denke schon«, erwiderte die Vigpanderin.
Ich höre wohl nicht recht dachte Goman-Largo. Auf so eine abwertende Feststellung hätte die Prinzessin sonst gleich einem überhitzten Fusionsofen reagiert, niemals aber so zahm und lahm wie eben. Er blickte sie forschend an, da durchfuhr es ihn gleich einem hochenergetischen Schlag. Eine ganze Reihe seiner Module schienen rebellisch geworden zu sein. Tatsächlich! stellte er fest. Es ist eine Reihe! Sieben Module von außen nach innen hintereinander aufgereiht – und sie alle sind betroffen. »Das ist …!« fuhr er auf und brach verständnislos ab, denn da entglitten ihm die zuvor formierten Gedanken. »Es ist alles in Ordnung, nicht wahr?« erkundigte sich John Urko. »Bestens«, pflichtete ihm Neithadl-Off bei. »Das denke ich auch«, stimmte Goman-Largo ein. »Ja, natürlich ist alles in Ordnung. Ich freue mich schon darauf, Atlan kennenzulernen.« »Warum nicht gleich so!« rief Anima erfreut. »Ich habe doch gewußt, daß ihr euch früher oder später glänzend verstehen würdet. So ist es viel schöner, nicht wahr?« »Viel schöner!« rief der Tigganoi euphorisch. Seine Euphorie war allerdings nur gespielt, denn zu diesem Zeitpunkt hatte er schon erkannt, was für seine Sinneswandlung und die seiner Partnerin verantwortlich war. Ein winziger Pfeil, biotronisch programmiert, um fremde Zentralnervensysteme seinerseits zu programmieren, suggerierte ihm ein, daß John Urko ein echter Freund sei und daß alles stimmte, was er sagte – und daß er ihm unbedingtes Vertrauen schenken mußte. Bei Neithadl-Off hatte das »umwerfend« funktioniert. Sie war einer echten Bewußtseinswäsche unterzogen worden und würde auf absehbare Zeit auf alles positiv reagieren, was John Urko sagte und tat. Bei ihm war es nur der erste Schock gewesen, der von den direkt betroffenen Modulen ausgegangen und ihn kirre gemacht hatte.
Doch gleich darauf hatten die anderen Module – und sie waren weit in der Überzahl – mit Defensivschwingungen darauf reagiert. Noch konnte er sich nicht gegen den Einfluß auflehnen, den der Brückenkopf eines unheimlichen Gegners auf ihn ausübte. Aber nach und nach würden die Defensivschaltketten des Gros der Module den im Brückenkopf liegenden Feind packen und umdrehen. Bis Goman-Largo wieder er selbst war. Falls er so lange lebte …
7. »Wir sind da!« verkündete John Urko. Goman-Largo schreckte aus einem Alptraum hoch, der die Quintessenz der Ränke aller Mächte des Bösen gewesen sein mußte, denn er hatte seine Seele unbarmherzig mit den abscheulichsten Seiten intelligenter Organisationsformen der Materie konfrontiert. Das, zusammen mit der Erinnerung an die Manipulation, die der Celester an Neithadl-Off und ihm vorgenommen hatte, ließen ihn jede Vorsicht vergessen. Noch bevor er sah, wo sich der Celester aufhielt, erwiderte er hitzig: »Ja, wir sind da – in der Falle, die du uns gestellt hast und in der Atlan vermutlich schon steckt. Scher dich zu den Zeitlagerern, du Werkzeug des Bösen!« »So hast du also meinen Pfeil abwehren können«, stellte Urko zynisch fest und tauchte wieder in Goman-Largos Gesichtsfeld auf, seine bläulich schimmernde Waffe wiederum in der Hand. »Mal sehen, ob du auch einen Protonenstrahl abwehren kannst!« »Warte!« pfiff Neithadl-Off gellend und warf sich über den Tigganoi. »Er ist ein Modulmann und damit lebend wertvoller für uns als tot!«
Sie riß ihrem Partner den Quintadimwerfer aus dem Halfter und zielte damit auf sein linkes Ohr. »Ergib dich!« pfiff sie. »So wahr ich die Prinzessin des Reiches der Tausend Schwarzen Löcher bin, so bist du mein Gefangener!« Da begriff der Tigganoi. Seine Partnerin hatte den fremden Einfluß ebenfalls abwehren können, und sie hatte ihn nur gefangengenommen, um sein Leben zu retten. Langsam hob er die Hände. »Wo kann ich ihn einsperren?« wandte sich Neithadl-Off an den Celester. John Urko ließ die Hand mit der Waffe sinken. »Ich weiß nicht, was ein Modulmann ist«, sagte er nachdenklich. »Aber wahrscheinlich lohnt es sich, ihn noch am Leben zu lassen und später gründlich zu untersuchen. Zweifellos hat er einige Fähigkeiten, die andere Intelligenzen nicht haben.« »Was heißt, ihn noch am Leben zu lassen?« fragte Anima ungehalten. »Ich verstehe ja, daß ihr ihn einsperren wollt, damit er uns das Zusammentreffen mit Atlan nicht verdirbt, aber er ist doch nicht unser Feind.« »Schon gut!« beruhigte der Celester sie. »Das war nur ein verbaler Ausrutscher, weil ich in Gedanken schon woanders war. Natürlich geschieht ihm nichts. Neithadl-Off, auf dem Weg von hier zum Mannschott ist ein Lagerraum. Er steht offen und ist leer. Dort sperrst du Goman hinein und schiebst die drei Stahlriegel vor, die außen an der Tür angebracht sind. Vielleicht kann ein Modulmann mit elektronischen Verriegelungen herumspielen, aber nicht mit handfesten aus Stahl.« »Gut«, erwiderte Neithadl-Off, stand auf und rückte von GomanLargo ab, ihn aber weiterhin mit seiner Waffe bedrohend. »Du gehst langsam vor mir her und steigst in den Lagerraum, Modulmann! Wenn du leben willst, machst du keine Dummheiten. Ist das klar?« »Ich werde ganz brav sein«, versprach der Tigganoi. Er wartete ab, bis er sicher war, daß sie sich nicht mehr in
Hörweite Urkos befanden, dann fragte er leise: »Bist du wieder ganz du selbst, Prinzessin?« »Ja«, pfiff die Vigpanderin leise. »Das Ding, das Urko mir in den Körper geschossen hatte, war biotronisch vorprogrammiert. Darum sprach mein Immunsystem darauf an und zerstörte es.« »Gut!« erwiderte Goman-Largo. »Du darfst die Riegel nicht zuschieben, hörst du! Ich kann sie von innen nicht öffnen. Meine Module richten da nichts aus.« »So einfach geht das nicht«, widersprach Neithadl-Off. »Ich muß die Riegel zuschieben, weil wir beim Aussteigen an dem Lagerraum vorbeikommen. Erst, wenn wir aussteigen, kann ich sie wieder öffnen, wenn es mir gelingt, als letzte hinauszugehen. Sei froh, daß du noch lebst! Wie kann man nur so unvorsichtig reden!« »Es hat doch gewirkt«, versuchte sich Goman-Largo zu verteidigen. »Allerdings«, gab die Vigpanderin sarkastisch zurück. Eine halbe Minute später schlug die Stahltür hinter Goman-Largo zu, und er hörte, wie die drei Stahlriegel außen vorgeschoben wurden. »Das ist ultramonotisch!« schimpfte er und ballte die Fäuste. »Ohne mich sind die beiden Frauen verloren. Anima schwebt nur noch in höheren Regionen, seit sie annimmt, schon bald ihren Ritter wiederzusehen. Sie hat kaum noch einen Sinn für die Realitäten. Und Neithadl-Off bildet sich nur ein, den angeblichen Celester überlisten zu können. In Wirklichkeit will er mit ihr gar nichts zu tun haben, sondern sie so schnell wie möglich beseitigen – und mich mit. Er wartet nur darauf, daß Anima einmal nicht zugegen ist.« Er lehnte sich an die Wand und wartete auch, denn etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Nach einiger Zeit hörte er am Geräusch der Maschinen, daß das Schiff mit hohen Werten abbremste. Etwas später spürte er die kaum merklichen Schwingungen, die den Eintritt in eine planetarische Atmosphäre anzeigten – und die schlagartig
abbrachen, als der Prallfeldschirm aktiviert wurde. Dafür fühlte er die Änderung der durch das Schiff verlaufenden Gravitationslinien, die durch das Einschalten der Antigravaggregate bewirkt wurde – und schließlich empfand er den winzigen Ruck, mit dem das Schiff reagierte, nachdem es auf der Planetenoberfläche aufgesetzt hatte und nachdem anschließend das Antigravfeld desaktiviert worden war. Gespannt wartete der Tigganoi darauf, daß John Urko, Anima und Neithadl-Off das Schiff verließen – und daß die Vigpanderin ihn befreite. Er brauchte nicht lange zu warten. Bald spürte er ihre Schritte. Erleichtert stellte er fest, daß John Urko an der Spitze ging. Danach kam Anima und als letzte die Vigpanderin. Er atmete auf, als er das leise Scharren hörte, mit dem die Riegel aufglitten, und lauschte angespannt, um zu hören, wenn sich das Mannschott hinter den drei Personen schloß. Er mußte ungewöhnlich lange warten. Schon nahm er an, das Schließen des Schotts nicht gehört zu haben und wollte die Tür aufstoßen, als es dreimal hintereinander kurz scharrte und scharf klickte. Die Riegel waren erneut vorgeschoben worden! Jemand lachte draußen hämisch: John Urko. Dann entfernte sich der Mann. Diesmal schlich er nicht, wie bei seiner Rückkehr, sondern trat fest auf. Frustriert starrte der Modulmann gegen die Tür. Er ahnte, daß sie sich nach Urkos Willen erst wieder für ihn öffnen sollte, wenn sein letztes Stündlein geschlagen hatte.
* Goman-Largo hämmerte verzweifelt mit den Fäusten gegen die Tür. Er hatte zum wiederholten Male versucht, Module durch die
Klimaanlage nach draußen zu bringen und sie irgendwo anzusetzen, wo sie zu seiner Befreiung aus dem Gefängnis beitragen konnten – vergeblich. Resignierend zog er sie zurück und ließ sie wieder an ihren Plätzen einrasten. Er war völlig perplex, als es draußen dreimal scharrte, und als danach die Stahltür aufschwang. Vier riesige, gelblich leuchtende Augen-Ovale blickten ihm aus zwei schwarzbehaarten Gesichtern entgegen; kurze Ärmchen und Stummelfinger wedelten zur Begrüßung. »Qumpoh!« rief der Modulman. »Koqtoh!« »Wie ist Ihr wertes Befinden, Goman-Largo?« fragte Qumpoh. »Jetzt wieder gut«, antwortete der Tigganoi erfreut. »Ohne Sie wäre ich allerdings aufgeschmissen gewesen. Aber wie kommen Sie denn an Bord dieses Schiffes?« »Haben Sie denn Ihre Waffe nicht gefunden?« fragte Koqtoh. »Doch«, antwortete der Tigganoi. »Aber meine Partnerin hat sie sich, äh, ausgeliehen. Vielen Dank, daß Sie sie mir zurückgebracht hatten.« Ihm ging ein Licht auf. »Ah! Dann sind Sie gleich auf dem Schiff geblieben, nehme ich an.« »Ihre Annahme ist zutreffend«, sagte Qumpoh. »Aber wie sind Sie hereingekommen?« wollte der Modulmann wissen. »Es handelt sich immerhin um ein Erzeugnis von Ultrahochtechnologie.« »Wir sind in diesen Sachen sehr erfahren«, erklärte Koqtoh verschämt. »Es ist nämlich schon seit rund siebenhundert Jahren Tradition bei uns, daß hochdekorierte und trächtige Damen Offiziere sich als blinde Passagiere an Bord von Raumschiffen begeben, um zu fremden Welten zu kommen, dort Abenteuer zu bestehen und die Art zu verbreiten.« »So ist das!« rief der Tigganoi. »Und um die Art zu verbreiten! Dann muß es ja auf vielen Planeten dieser Galaxis Pecheies geben.« »Wahrscheinlich«, erwiderte Koqtoh. »Aber sie werden nicht
immer wie Pecheles aussehen. Wir sind nämlich sogenannte EintaktAnpasser. Das heißt, daß auf einem fremden Planeten mit anderen Umweltbedingungen schon nach einer Generation umweltangepaßte Nachkommen schlüpfen, die äußerlich kaum noch Ähnlichkeit mit ihren Vorfahren auf Pechel haben.« »Oh!« entfuhr es Goman-Largo. »Dann stammen die vielen Schmetterlingsarten mit ihren Raupen, die es auf so zahlreichen Welten des Universums gibt, vielleicht sogar von Pecheles ab!« Er lachte, weil er es nicht ernstgemeint hatte. »Oder umgekehrt«, erwiderte Koqtoh ernsthaft. »Aber wollen Sie nicht Ihren Gefährten folgen, Nagran Goman-Largo?« »Selbstverständlich«, erklärte der Tigganoi, als er sich wieder der Gefahr bewußt wurde, in der Anima und Neithadl-Off schwebten. »Kommt ihr mit?« Er lief los, bevor er eine Antwort bekam. Als er durch das Mannschott nach draußen schwebte, sah er unter sich die beiden Pecheles, die sich ebenfalls anschickten, das Schiff zu verlassen. Er fragte sich, wo in dem mit Aggregaten vollgestopften Schiff sie sich wohl versteckt gehabt hatten, fand aber keine Antwort darauf. Aber wenn Pecheles allgemein in diesen Sachen so erfahren waren, die Koqtoh das behauptet hatte, dann konnte es ihnen nicht schwergefallen sein. Alle diese Überlegungen verrauchten allerdings, als er hoch genug gestiegen war, um einen Überblick über den Planeten zu gewinnen, auf dem das Schiff stand. Sein erster Eindruck war, daß es sich um eine uralte Welt handelte, die ihre besten Tage vor Millionen Jahren gesehen haben mochte. Das Schiff stand auf seinen Seitenschwertern am Rand eines Salzsumpfes, der sich auf einer Seite bis hinter den Horizont erstreckte. Auf der anderen Seite ragten grau, weiß und schwarz gesprenkelte Felsterrassen auf – etwa zehn bis auf eine Höhe von zirka tausend Metern. Und auf diesen Felsterrassen lagen die Überreste des
Lebenswillens, der Philosophie und der Zukunftshoffnung einer offenbar ausgestorbenen intelligenten Art: Verfärbungen auf den obersten Terrassen, zerkrümelte Trümmer auf den mittleren und Ruinenfragmente auf den unteren. Und hochaufragende Ruinen auf der alleruntersten Terrasse: Mauern, Molen, Kais – und dazu düstere Festungen, deren Tore zum Salzsumpf hin geöffnet waren, als hätten die Erbauer und Bewohner am Ende ihrer Zeit die letzten salzigen Meerwasserbrisen in ihre Behausungen locken wollen. Vor seinem geistigen Auge sah der Modulmann das Becken, das jetzt nur noch ein elender Salzsumpf war, bis zum Rand der obersten Terrasse gefüllt mit den Wassern eines gigantischen Ozeans. Intelligentes Leben hatte sich am Meeresufer angesiedelt, nüchterne Zweckbauten errichtet und Boote gebaut, mit denen sie aufs Meer fuhren und die Ernte einbrachten, die die See ihnen darbot: große und kleine Fische, Schwämme, Krabben und Krebse, Muscheln und Schnecken. Nach Hunderttausenden von Jahren, als das Innere des Planeten abgekühlt war und das freie Wasser von der Oberfläche immer tiefer versickern konnte, ohne als Dampf wieder zurückgeschickt zu werden, war der Meeresspiegel mehr und mehr gesunken. Irgendwann mußte aber ein Stillstand eingetreten sein – und in dieser Zeitspanne hatte die Brandung die erste Terrasse in die Steilküste geschlagen. Auf ihr hatten dann neue Generationen ihre Häuser errichtet, ihre Träume geträumt und ihre Leben ausgehaucht. So war es Schritt um Schritt weiter in der Zeit gegangen – und tiefer ins Becken des austrocknenden Meeres. Zehnmal insgesamt hatte der Niedergang innegehalten, hatten die um ihre Existenz ringenden Intelligenzen eine Atempause erhalten – alles in allem vielleicht ein oder zwei Millionen Jahre lang. Wer weiß, vielleicht hatten diese Wesen irgendwann im Lauf dieser Zeitspanne ihre Sehnsucht nach den Sternen entdeckt und
Mittel und Wege gefunden, sie zu erreichen. Nachkommen dieser Generationen mochten heute auf vielen Planeten vieler anderer Sonnen leben. Aber sie waren nicht alle gegangen. Davon zeugten die Ruinen auf der untersten Terrasse. Sie waren ein beredtes Zeugnis dafür, daß die seßhaft gebliebenen Planetarier bis zuletzt versucht hatten, das Beste aus ihrer Lage zu machen, das Sterben des Planeten und ihrer Art aufzuhalten. Möglicherweise waren die düsteren Festungen, die in Abständen von zirka dreihundert Metern dicht am Rand des letzten Felsabfalls standen, so etwas wie Tempel gewesen, in denen die letzten Planetarier die unsichtbaren Kräfte und Mächte des Universums um Rettung angefleht hatten – oder auch nur um ein nicht allzu trostloses Sterben. Goman-Largo fühlte sich elend bei diesen Bildern und Gedanken, die sein Bewußtsein zwanghaft überfluteten. Ihm war, als hätte er selbst zu diesem Volk gehört. Vielleicht, weil er sein Volk ebenfalls für längst ausgestorben hielt. Er schrak heftig zusammen, als es laut knallte. Das Echo hallte von der Steilküste zurück, und unter dem Modulmann stand Qumpoh, eine dieser präkosmischen und dennoch tödlichen Schußwaffen der Pecheles in den Stummelfingern. Zuerst dachte Goman, sie hätte damit auf ihn geschossen, doch dann schoß sie erneut – und diesmal sah er ihr Ziel. Ein Roboter! Aber was für ein Roboter! Der Tigganoi sah an ihm fast nichts anderes als den riesigen Kopf (er war so groß wie die Seeminen, die er auf einem Luftkissenboot der Stadt Khoros gesehen hatte), mit einer Art Lautsprechergitter auf der Vorderseite, sowie zwei kurzen Beinen und zwei Armen, die direkt aus dem Schädel zu ragen schienen. Seltsamerweise trug er Handschuhe und Stiefel. Es wirkte grotesk. Der Roboter (war es überhaupt ein Roboter?) näherte sich
unaufhaltsam am Rand des Salzsumpfes. Ihn schien der Beschuß nicht zu stören. »Hör auf!« rief Goman-Largo. »Wir haben anderes zu tun. Wo steckt eigentlich Koqtoh?« Qumpoh deutete zur untersten Terrasse, in die Richtung, die der entgegengesetzt war, aus der der Roboter sich näherte. »Sie hat die Spur aufgenommen.« »Wir folgen ihr!« entschied der Tigganoi. »Ich werde Sie tragen.« »Nein«, widersprach Qumpoh. »Ich danke Ihnen, aber ich darf Ihre Hilfe nicht annehmen. Seit Koqtoh und ich Pechel verlassen haben, müssen wir ohne fremde Hilfe auskommen. Das gehört zu den Regeln.« »Na schön!« erwiderte Goman-Largo. »Dann los!« Er flog den Roboter an, um ihn von der Pechel abzulenken. Als er dicht vor ihm abdrehte und zurückflog, sah er, daß Qumpoh sich bereits an einem dünnen Seil von der Oberseite des Schiffes auf den Boden hinabgelassen hatte und trotz ihrer Stummelbeine ziemlich schnell zur untersten Terrasse eilte.
8. Bei der ersten Festung hielten Qumpoh und Goman-Largo an und blickten zurück. Der Tigganoi hatte erwartet, daß der Roboter ihnen folgte. Doch er war nirgends mehr zu sehen. »Vielleicht gehört er gar nicht zu John Urko, sondern hat hier schon immer gewohnt«, überlegte Goman-Largo laut. »Das ist doch egal, Nagran Goman-Largo«, entgegnete die Pechel. »Wir müssen auf der Spur Ihrer Leute bleiben, sonst verlieren wir sie.« Qumpoh lief weiter. Der Tigganoi folgte ihr. Diesmal verzichtete er darauf, das Flugaggregat zu benutzen.
Scheu blickte der Modulmann zu den Öffnungen der Festung, die hier, auf der dem Meer abgewandten Seite, genauso im Schatten lagen wie die mit großen Steinplatten befestigte Straße, die dort verlief. Ihm war, als sprächen die dunklen Höhlungen zu ihm. Natürlich wußte er, daß das nicht sein konnte. Aber er war auch sicher, daß er es sich nicht nur einbildete. Möglicherweise sandte etwas, was sich hinter den toten Augen aus Stein befand, Schwingungen aus, durch die seine Module zu Resonanzen angeregt wurden. Er erschauderte bei diesem Gedanken. Es gibt mehr Geheimnisse und Rätsel in Raum und Zeit, als ihr in eurer ausschweifendsten Phantasie erträumen könntet! Gomans Schritt stockte bei diesem Gedanken. Wer hatte das gesagt – und wo war es gewesen? Er wußte mit absoluter Sicherheit, daß er diesen Ausspruch irgendwann wirklich gehört hatte. Vielleicht war es auf der Zeitschule von Rhuf gewesen – und vielleicht hatte ihn ein Ausbilder seinen Zeitschülern als Mahnung zugedacht gehabt, sich niemals einzubilden, alle Geheimnisse entschleiern und alle Rätsel lösen zu wollen. »Wo bleiben Sie, Nagran!« rief Qumpoh. Der Tigganoi sah, daß die Pechel sich bereits bei der nächsten Festung befand. Er rannte. »Leise!« warnte Qumpoh, als er sie erreichte. »Sie sind dort drinnen.« Sie deutete mit dem Lauf ihrer Waffe auf eine rechteckige Öffnung in dem gut erhaltenen Mauerwerk der Festung, dann zeigte sie dem Modulmann das kleine Funkgerät, das sie umgehängt hatte. »Koqtoh hat es mir gesagt.« Sie drang in die Öffnung ein – und Goman-Largo folgte ihr, wenn auch mit gemischten Gefühlen, denn der Widerhall seiner Module verstärkte sich, je näher er der Öffnung kam. Als er sie durcheilte, wurde er fast unerträglich. Beinahe wäre der Tigganoi wieder umgekehrt und voller Panik davongestürzt. Doch dahinter herrschte Stille, allerdings eine nicht weniger unheimlich
wirkende Stille. Qumpoh schaltete eine Lampe ein, die sie bisher an einem Haken ihrer Uniform getragen hatte, und leuchtete umher. Goman-Largo benutzte ebenfalls seine Lampe. Sie befanden sich in einer quaderförmigen Halle, die schon nach etwa zehn Metern vor einer schnurgeraden Wand endete. Links und rechts gingen Treppen nach oben und unten. Der Modulmann bückte sich, um nach Spuren zu suchen. Überrascht stellte er fest, daß der Boden glatt und bar jeden Staubes war, so daß niemand Fußspuren hinterlassen konnte. Plötzlich gellte ein Laut wie von einer zerreißenden Instrumentensaite auf. Goman-Largo und Qumpoh zuckten zusammen, dann flüsterte die Pechel: »Das könnte Koqtoh gewesen sein – mit ihrem Tibai.« Sie zog aus einer Art Halfter an ihrer Uniform ein kleines dunkelbraunes Rohr mit Knebeln an beiden Öffnungen, die durch einen Draht verbunden zu sein schienen – und steckte es wieder weg, als von irgendwo gedämpfte Stimmen ertönten. »Das kam von unten«, flüsterte sie. Goman-Largo hatte es ebenfalls festgestellt, und er hatte NeithadlOffs pfeifende Stimme erkannt. Er lief bereits zu der rechten Treppe und hastete sie hinunter. Unten kam er in eine ähnliche Halle wie oben, doch hier war es nicht dunkel. Rötliches Licht drang durch kopfgroße Löcher in der schnurgeraden Wand, die es auch hier gab: das Licht der sterbenden roten Sonne, um die der verdorrte Planet kreiste. Abermals hörte der Tigganoi Stimmen. Er hastete weiter, dann blieb er stehen und blickte durch eines der Löcher. Goman sah in eine Halle hinein, die sich von der, in der er stand, nur dadurch unterschied, daß sie mit ihrer Außenwand an die Ödnis des Salzsumpfes grenzte und daß durch Tore in ihr das Licht
der roten Sonne in sie drang. Und daß sich in ihr John Urko, Anima und Neithadl-Off befanden! »Kommt!« sagte Urko gerade. »Atlan kann keine Ewigkeit lang warten.« »Ich komme!« flüsterte Anima verzückt. »Atlan vom Silberstern, ich komme!« »Sie hat völlig den Verstand verloren«, flüsterte Goman-Largo. »In ihrem kranken Hirn haben sich Atlan und Hartmann vom Silberstern zu einer Person verdichtet.« »Wo steckt denn Atlan?« pfiff Neithadl-Off. »Warum zeigt er sich uns nicht?« »Er ist nur in seinem speziell abgeschirmten Versteck vor dem Zugriff des Erleuchteten sicher«, erklärte Urko. »Erst wenn Anima bei ihm ist, kann er seine Zuflucht verlassen.« »So ein Humbug!« schimpfte der Modulmann. »Wie kann Anima nur auf solchen seichten Unsinn hereinfallen? Was hat ihren Verstand nur derartig verwirrt?« »Habt ihr es gehört?« rief Anima. »Habt ihr ihn auch gehört, meinen Ritter?« »Sie müssen leiser sprechen, Nagran Goman-Largo!« ermahnte die Pechel ihn. »Ich werde es beherzigen«, flüsterte der Tigganoi. »Wo ist Koqtoh?« »Ich sehe sie«, antwortete Qumpoh, die sich hochgereckt hatte und ebenfalls durch ein Loch spähte. »Sie hält sich in gebührendem Abstand und hat ihren Tarnmantel übergeworfen.« »Tarnmantel!« brummte der Tigganoi geringschätzig und eilte weiter an der Wand entlang, immer wieder durch eines der Löcher blickend. Am Ende der Wand nahmen Urko, Anima und Neithadl-Off die Treppe nach unten. Goman-Largo tat es ihnen auf seiner Seite nach. Kr achtete nicht mehr auf Qumpoh, denn er ahnte, daß sie bald am Ziel sein würden.
Und bei der Falle, die John Urko für Anima aufgebaut hatte! Im nächsten Untergeschoß erkannte er, daß es soweit war. Die beiden Säle vereinigten sich zu einem Saal – und an seinem Linken Ende ragte zwischen geborstenen Säulen eine metallisch graue Wand auf …
* John Urko blieb stehen und deutete auf die Wand. »Dort ist es!« rief er pathetisch. Goman-Largo hörte nicht hin. Seine Module hatten etwas festgestellt, und er dirigierte einige von ihnen, damit sie der Sache nachspürten. Geistesabwesend flüsterte er dabei zu Qumpoh: »Hinter der Wand ist ein leerer Raum. Aber in dessen Wänden befindet sich etwas, das von den charakteristischen Subätherschwingungen einer Zeitgruft erfüllt ist – nein, nicht einer Zeitgruft, sondern eines Time-Shuttles. Es handelt sich um eine Falle – um eine Art Tunnel in eine fremde Zeitebene.« »Gibt es das wirklich: eine fremde Zeitebene?« flüsterte Qumpoh. »Wenn Anima dort hineingeht, ist sie verloren«, flüsterte der Modulmann weiter, ohne auf Qumpohs Worte einzugehen. »Zumindest hat sie dann keine Chance mehr, Atlan wiederzusehen.« »Das ist eine einmalige Gelegenheit für Koqtoh und mich!« flüsterte Qumpoh und zupfte den Tigganoi am Ärmel. »Nagran Goman-Largo, bitten geben Sie Koqtoh und mir die Möglichkeit, in die fremde Zeitebene zu gehen!« Der Modulmann antwortete der Pechel nicht. Aber unbewußt steuerte er zwei Gruppen von Modulen so, daß sie den Raum hinter der grauen Wand einkreisten und ihn abtasteten – und das im Sinne der beiden Damen Offiziere. Irgendwo außerhalb seines Blickfelds – und außerhalb des
Blickfelds von John Urko – öffnete sich eine schmale Nebentür. Qumpoh und Koqtoh huschten hindurch und sahen sich neugierig um. Da sie nichts davon merkten, daß sie sich auf dem Weg in eine andere Zeitebene befanden, suchten sie sich erst einmal Verstecke und warfen ihre Tarnmäntel aus den lebenden Fasern des ChlappTanges über sich. Als sich die Tür hinter ihnen schloß, kam Goman-Largo zu sich. Aber er war noch so geistesabwesend, daß er den Schatten verließ, der ihn bisher verborgen hatte. John Urko griff nach seiner Waffe. »Nein!« pfiff Neithadl-Off und richtete den Quintadimwerfer Gomans auf den Celester. »Bis hierher und nicht weiter, Schurke!« »Was soll das heißen?« fragte Urko, faßte aber vorsichtshalber seine Waffe nicht an. »Wir glauben nicht, daß Atlan hinter dieser Wand ist«, sagte der Tigganoi. »Natürlich ist er dort!« schrie Urko. »Lautstärke ist kein Argument.« »Richtig«, sagte Goman-Largo. »Geh hinein und fordere Atlan auf, sich wenigstens für einen Augenblick an der Tür zu zeigen! Dann werde ich Anima persönlich erklären, daß das dort keine Falle für sie ist.« »Gut!« erwiderte Urko. »Du sollst deinen Willen haben. Ich bin es leid, mich immer wieder grundlos beschuldigen zu lassen, Anima in eine Falle locken zu wollen.« Er ging auf die graue Wand zu – und als er dicht davor war, öffnete sie sich gerade so weit, daß er hindurchgehen konnte. Goman-Largo schloß die Augen und setzte seine Module an den ausgekundschafteten Stellen ein. Er bekam Gewißheit, aber er wartete noch mit dem Auslösebefehl. Die Tür in der Wand hatte sich geschlossen. Jetzt öffnete sie sich wieder. »Atlan!« schrie Anima und wollte auf die Tür zustürzen.
Neithadl-Off sprang, umklammerte ihre Beine mit ihren Vordergliedmaßen und brachte die Hominidin zu Fall. Goman-Largo starrte mit brennenden Augen auf den Mann, der dort unter der Tür stand. Er war hochgewachsen, breitschultrig und muskulös, trug eine schwarze Raumkombination und hatte weißblondes, schulterlanges Haar. Genau wie Anima Atlan beschrieben hatte. Doch die Module verrieten dem Tigganoi etwas anderes. Das dort war nicht Atlan. Das war ein Wesen, das seine Erscheinungsform beliebig wechseln konnte und das über geheimnisvolle Kräfte verfügte – und den festen Willen besaß, Anima, Neithadl-Off und ihn zu vernichten. Er gab den Auslösebefehl. Alles wurde finster. Etwas wie ein schwerer Seufzer ertönte, dann dröhnten harte, metallische Schläge – und bei jedem Schlag entsprangen der Finsternis Hunderte greller Lichtpunkte und verharrten unbeweglich. »Es geht los!« ertönte scheinbar aus einem unendlich tiefen Abgrund eine Stimme, die Stimme einer Pechel. »Danke, Nagran Goman-Largo!« »Sei verflucht!« kreischte eine andere Stimme. Es wurde wieder hell. Alles war wie zuvor. Aber die Tür in der metallisch grauen Wand hatte sich geschlossen – und dahinter war nichts mehr, wie dem Tigganoi seine Module anzeigten. Rasch beorderte er sie zurück. »Atlan!« jammerte Anima und schluchzte auf. »Es war nicht Atlan«, sagte Neithadl-Off. »Unser Gomännchen hat dir das Leben gerettet.« Sie blickte zu dem Tigganoi auf. »Ich sah Qumpoh und Koqtoh. Was wollten sie?« Goman-Largo erklärte es ihr. Er war gerade fertig damit, da stürmte der Roboter herein, der draußen beim Schiff aufgetaucht wer.
»Ich habe festgestellt, daß das Pre-Lo verschwunden ist!« kreischte er mit klirrender Stimme. »Ihr habt nicht mehr viel Zeit, ebenfalls zu verschwinden. Kommt, ich bringe euch mit dem Schiff des Pre-Los fort von hier!«
* Goman-Largo und Neithadl-Off fanden das Verhalten des Roboters zwar seltsam, aber sie zweifelten nicht daran, daß er meinte, was er sagte. Deshalb folgten sie ihm. Die völlig willenlose Anima wurde von dem Tigganoi halb getragen. Zu seiner Überraschung stellte der Modulmann beim Verlassen der Festung fest, daß das Raumschiff unmittelbar davor wartete. Ununterbrochen angetrieben durch die Warnungen und Mahnungen des Roboters gingen er und seine Partnerin mit Anima an Bord und suchten ihr Plätze in den Steuerkanzeln auf. Dort bäumte sich Anima noch einmal auf. »Du hast meinen Ritter ermordet!« schleuderte sie Goman-Largo ins Gesicht. »Dafür werde ich dich töten!« »Unsinn!« entgegnete der Tigganoi. »Du weißt genau, daß Atlan niemals auf diesem Planeten war; du willst es dir nur nicht eingestehen. Oder hat dein Orbiterinneninstinkt hier jemals angesprochen?« Da erst schien die Hominidin zu begreifen, daß sie die ganze Zeit den Lügen eines falschen Celesters aufgesessen war – und daß sie ihm um ein Haar in die Falle gegangen wäre, wenn der Modulmann nicht eingegriffen hätte. Sie brach weinend zusammen, während der Roboter das Schiff startete und in den Weltraum brachte. »Ich weiß, daß du das Pre-Lo in die eigene Falle hast gehen lassen«, wandte er sich an Goman-Largo. »Es ist in eine fremde Zeitebene geglitten – hoffentlich für immer.«
»Was war oder ist das Pre-Lo?« wandte sich Neithadl-Off an ihn. »Ein Werkzeug des Erleuchteten«, antwortete der Roboter. »Sehr gefährlich. Es hätte euch beim ersten Kontakt umbringen können. Aber wahrscheinlich hatte der Erleuchtete ihm aufgetragen, zuerst Anima zu vernichten und danach Atlan und seine Helfer.« »Bist du allwissend?« erkundigte sich Neithadl-Off. »Nein, ich bin Traykon-6«, erwiderte der Roboter. »Reichlich blöd!« murmelte Goman-Largo halb abwesend. »Das auch!« brummte der Roboter klirrend vor sich hin. »Wir sollten uns deshalb aber keinen Illusionen hingeben. Ich bin sicher, daß das Pre-Lo sich regelmäßig beim Erleuchteten melden muß. Wenn die nächste fällige Meldung ausbleibt, wird er Verdacht schöpfen und zuschlagen.« »So?« meinte die Vigpanderin. »Aber wer ist dieser Erleuchtete eigentlich, von dem alle soviel erzählen, ohne etwas über ihn zu sagen?« »Ich weiß nicht viel mehr, als daß er ein erbitterter Feind Atlans ist«, erklärte Traykon-6. »Aber …« Ein Gongschlag unterbrach ihn. Wenige Sekunden später folgte der nächste Gongschlag – und so ging es in immer kürzeren Intervallen weiter. »Das ist die Mahnung des Erleuchteten an das Pre-Lo, sich bei ihm zu melden!« schrie Traykon. »Ich fürchte, er aktiviert eine Vernichtungsschaltung, wenn sich nichts rührt. Wir müssen hier heraus!« »Aber womit?« fragte Goman-Largo. »Es gibt ein Beiboot«, antwortete der Roboter. »Allerdings ein sehr kleine,?. Es wird eng werden, vor allem wegen dieses sperrigen Wesens.« Er deutete auf Neithadl-Off. Die Gongschläge folgten jetzt fast ohne Pausen aufeinander. »Schnell!« drängte der Tigganoi. Traykon-6 führte sie zu dem Boot, das an die Außenhülle des Schiffes so angeflanscht war, daß es kaum auffiel. Sie kletterten
mühsam hinein. Anschließend mußten sie praktisch auf die Vigpanderin steigen, weil es wirklich fürchterlich eng war. Durch einen Knopfdruck sprengte der Roboter das Boot vom Schiff los, dann aktivierte er die Triebwerke. »Die sind vielleicht schwach«, stellte Goman-Largo fest, nachdem er mit einem Modul dem Maschinengeräusch »gelauscht« hatte. »Denen leierst du doch in zehn Jahren nicht einmal eine Lichtwoche heraus, Trayky.« »Wartet es nur ab!« erwiderte der Roboter. »Wir hätten im Schiff bleiben sollen«, sagte Anima. Im nächsten Moment schlossen sie alle geblendet die Augen beziehungsweise die sonstigen Sensoren, denn dort, woher sie kamen, war im dunklen All eine ultrahell wabernde Blume erblüht, die jegliche Materie in ihrem Wirkungsbereich verdampfte. »Ultramonotisch!« flüsterte Goman-Largo mit bebender Stimme.
ENDE
Anima, deren Rückverwandlung vom lebenden Raumschiff zu der Person, die sie ehemals war, noch gar nicht lange zurückliegt, hat sich schon seit einiger Zeit merkwürdig benommen. Nun aber vollzieht sich ihre geistige Wende in den Fängen der Hyptons … IN DEN FÄNGEN DER HYPTONS – das ist auch der Titel des nächsten Atlan-Bandes. Als Autor des Romans fungiert Peter Griese.