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Jane Steintield stürzte in ihr winziges Büro und riß das Telefonbuch an sich. Es war der dicke Wälzer des Stadtteils Brooklyn. Sie blätterte in größter Eile. Vielleicht wenn ein paar Detectives schnell genug... Sie hatte noch nie mit der Polizei zu tun gehabt. Nun war sie verwirrt durch das, was sie alles unter dem fettgedruckten Sammelbegriff „Police" fand. Nur nicht das, was sie suchte. — Ärgerlich warf sie den dicken Wälzer auf ihren Schreibtisch. Dabei knickte das Umschlagblatt um. Von seiner Innenseite sprangen ihr die drei Buchstaben „FBI" förmlich in die Augen. Es war ein Wink des Himmels. Jane Steinfield wählte, sprudelte aufgeregt hervor, was sie sagen wollte. Leider formulierte sie nur sehr unzusammenhängend. Und dann war da plötzlich die Hand, die in ihr Haar griff und ihren Kopf brutal nach hinten riß...
Es war einer dieser glutheißen Sommertage, die imstande sind, die Betonschluchten von Manhattan in den flimmernden Vorhof der Hölle zu verwandeln. Scharenweise verzichteten die Büroangestellten aufs Mittagessen, weil sie lieber in ihren vollklimatisierten Wolkenkratzern hungrig blieben, als auf dem Weg zur nächsten Snackbar geröstet zu werden. Für meinen Freund Phil Decker und für mich stand Bereitschaft im Dienstplan. Das hieß erfreulicherweise, daß wir im angenehm kühlen Büro sitzen durften. Jedenfalls solange bei dieser Hitze kein Gangster auf die wahnsinnige Idee kam, ausgerechnet heute gegen ein Bundesgesetz zu verstoßen. Dafür hatten wir allerdings die Anrufe besorgter Bürger entgegenzunehmen — und derer gibt es mehr, als man für möglich hält. Das zeigt sich schon am Vormittag gegen zehn, als eine Lady anrief, die der Stimme nach steinalt sein mußte. Sie hatte beobachtet — leider verriet sie nicht, womit —, daß die bösen Russen ein gigantisches Vergrößerungsglas im Weltraum genau zwischen die Sonne und die Vereinigten Staaten aufgehängt hatten. Wir würden alle verglühen, wenn diese ungeheure Riesenlupe nicht schnellstens abgeschossen würde. „Ma'am", raunte ich im Verschwörerton, „sind Sie amerikanische Staatsbürgerin?" „Natürlich!" „Dann darf ich es Ihnen verraten: Unsere prächtige Air Force trifft gerade die letzten Vorbereitungen, um das Ding heimlich über Rußland aufzuhängen. Sie können ganz unbesorgt sein!" Es gab eine zufriedene amerikanische Steuerzahlerin mehr. Aber dann rief kurz nach elf Uhr einer an, der sich selbst „den letzten Menschenprediger" nannte. Das war sein gutes Recht, denn freie Religionsausübung gehört zu den unveräußerlichen Grundrechten aller Amerikaner. Er durfte sich also sämtliche Titel und Würden aller jemals existierenden Kirchen, Sekten, Tempel und Religionsgemeinschaften zulegen. Nur wo stand, daß er das Recht hatte, mich über eine halbe Stunde lang von der Arbeit an meinen Akten abzuhalten? „Kehre um, Bruder, noch ist es Zeit!" begann er und versicherte, daß er mir das Wesentlichste und Wichtigste im Leben eines Menschen erklären würde. Wer würde nicht gern wissen, was das Wesentlichste und Wichtigste ist? Ich hörte ihm geduldig zu. Aber nach einer halben Stunde hatte ich noch nicht einmal eine Andeutung vom Wichtigsten erfahren. Also beendete ich das Gespräch, damit auch noch andere Steuerzahler die Chance hatten, uns anzurufen und uns das Wichtigste zu erklären. Danach mag die zur Mittagsglut angestiegene Hitze selbst die Verrücktesten gehindert haben, mit schweißnassen Fingern einen Telefonhörer zu ergreifen. Es blieb ruhig, und wir konnten ein paar Akten des letzten Falles auf den Stand bringen, den Kriminalakten nun einmal haben müssen, bevor man sie der Staatsanwaltschaft endgültig übergeben kann. Das Telefon schlug erst wieder 1.06 Uhr nachmittags an. Während ich zum Hörer griff, brummte ich zum Schreibtisch meines Freundes hin: „Phil, halte die Daumen, daß nichts passiert ist, was uns in die Hitze hinausjagt!" „Ich halte sie so fest, daß sie schon wehtun", erwiderte Phil. Ich sagte meinen Spruch auf, wie es sich gehört: „Federal Bureau of Investigation, New York Field Office, Jerry Cotton am Apparat. Was kann ich für Sie tun?" Durch die Leitung drang eine aufgeregte Frauenstimme: „Es geht um das Gold, das morgen mittag ankommt! Sie wollen es irgendwie stehlen! Sie..." „Wer...", begann ich und wollte fragen, wer am anderen Ende sprach. Aber ich wurde schon nach dem ersten Wort unterbrochen: „Die drei von der Rutsche: Und dieser Fremde, der Kerl mit dem Buckel! Stellen Sie sich das vor: Gold für 16 Millionen Dollar! Und sie wollen es..." Es gab ein Poltern, als ihr der Hörer aus der Hand fiel oder aus der Hand gerissen wurde. Und dann gab es jenes entsetzliche Geräusch, das entsteht, wenn einem Menschen die Kehle durchgeschnitten wird... Am frühen Nachmittag trafen sich Joe Alby, Bill Morey und Tom Prudence auf einem schattigen Plätzchen im Central Park, der bei der Wärme so übervölkert war, daß er jeden Vergleich mit einem überlaufenen Strandbad aushielt.
Die drei Männer trugen helle, dünne Sommerhosen und bunte Sporthemden mit kurzen Ärmeln. Alle drei hatten große Schweißflecken in den Achselhöhlen. „Was ist?" fragte Prudence leise, „hat sie die Bullen angerufen?" „Das war nicht herauszufinden. Mit irgendwem hat sie gesprochen. Aber Tack ist sicher, daß sie nicht einmal dazu kam, den Ort auszusprechen, von wo sie anrief." „Aber mit dem Gold — das hat sie gesagt?" „Tack glaubt, so etwas gehört zu haben." „Verdammter Mist! Wenn es nicht die Bullen waren, die sie angerufen hat, wer könnte es sonst gewesen sein?" „Sie ist nicht verheiratet und lebt bei ihrem Vater", sagte Bill Morey. „Vielleicht hat sie ihn angerufen." „Und wenn es doch die Bullen waren?" Billy Morey zuckte mit den Achseln: „Morgen werden wir es wissen." „Du bist gut!" stöhnte Alby und kratzte sich an der Stelle, wo er sich am Morgen beim Rasieren geschnitten hatte. „Du bist gut!" wiederholte er noch einmal. „Willst du morgen wirklich hinspazieren — auch wenn die Bullen vielleicht schon auf uns warten?" „Natürlich gehen wir", entschied Morey. „Erstens gehen wir, weil eine solche Chance nur einmal im Leben vorkommt. Zweitens gehen wir, weil ich unseren Plan ein wenig abgeändert habe. Und zwar so abgeändert, daß uns kaum etwas passieren kann, selbst wenn wirklich die Bullen aufkreuzen." „Du hast den Plan geändert?" fragte Alby mißtrauisch. „Ohne uns zu fragen?" „Ich habe ihn geändert. Ich hatte von Anfang an nicht vor, nach dem Plan vorzugehen, den ich euch zuerst aufgetischt habe." Alby und Prudence sahen sich erst gegenseitig und dann wie auf Verabredung Bill Morey an. Ihre Gesichter verhießen nichts Gutes. Wenn es nicht überall von Menschen gewimmelt hätte, wäre es vielleicht sogar auf der Stelle zu einer handfesten Schlägerei gekommen. So knurrte Alby nur böse: „Bill, das kannst du nicht mit uns machen. Es ist vereinbart, daß wir drei zusammenarbeiten und daß jeder von uns dreien so gut der Boß ist wie die anderen beiden auch. Jeder von uns bringt seine Männer mit Und jeder von uns hat genausoviel zu sagen wie die anderen beiden." Bill Morey streckte sich auf der grünen Wiese aus, schloß die Augen und fuhr in dem leisen Tonfall fort, in dem sie ihr ganzes Gespräch führten: „Ich bin völlig deiner Meinung, Joe, was unsere Gemeinsamkeit angeht. Aber ich habe mir erlaubt, mir ein paar Gedanken mehr zu machen, als ihr es für nötig gehalten habt. Nein, hört mich erst einmal an, bevor ihr Protest erhebt! Kann ja sein, daß ihr mir hinterher zustimmt. Okay?" Er hatte die Augen geöffnet und zu Alby hin geblinzelt, als er dessen Knurren hörte. Nun wartete er auf ein Zeichen der Zustimmung. Alby nickte widerwillig. „Schön", fuhr Morey fort und schloß abermals die Augen. „Zuerst habe ich mir gesagt, daß keiner etwas ausplaudern oder gar bewußt verraten kann, was er nicht weiß." „Das ist ein alter Hut!" murrte Prudence. „Ja, aber wir haben uns nicht an diese Grundregel der Vorsicht gehalten, weil ihr glaubtet, ihr müßtet euren Jungs unbedingt erzählen, was wir vorhaben. Deshalb habe ich euch einen falschen Plan aufgetischt. Den richtigen werde ich euch gleich auseinandersetzen. Und ich wette, daß ihr mir um den Hals fallen werdet. So gut ist der Plan nämlich. Aber vorher noch etwas anderes: Wir sind uns einig darüber, daß wir nichts zurücklassen werden?" „Das haben wir doch abgemacht!" sagte Alby. „Ich wollte euch nur noch einmal daran erinnern. Es bleibt von uns nichts zurück: keine Fingerspur, kein Kaugummi, auch kein Verletzter, wenn es einen geben sollte. Und falls der schlimmste Fall eintritt auch keine Leiche. Rein gar nichts. Klar?" „Völlig klar", sagte Prudence ungeduldig. ,.Nicht einmal eine Leiche lassen wir liegen." „Gut", sagte Morey und walzte sich auf den Bauch. Er riß einen Grashalm aus und sagte leise: „Jetzt werde ich euch den wirklichen Plan erklären..." Vermutlich gibt es in New York mehr Banken als in jeder anderen Stadt der Welt. Die Uhren gingen bereits auf vier Uhr nachmittags zu. als ich die letzte Bank anrief, die auf meinem Zettel stand.
„Hier ist der FBI", sagte ich kurz und bündig. „Geben Sie mir Ihren Chef!" „Chef?" wiederholte die Telefonistin indigniert. „Hier ist der FBI", wiederholte ich geduldig. „Und wir haben es eilig. Ich kenne Ihre Bank nicht, und ich kann deshalb nicht wissen, ob sie von einem General Manager, einem Direktor, einem Präsidenten oder von wem auch immer geleitet wird. Deshalb sagte ich Chef. Und zwar den obersten. Haben Sie mich verstanden?" „Selbstverständlich, Sir", tönte es hochnäsig durch die Leitung. Vielleicht hatte ich gerade eine ganz besonders feine Bank an der Strippe. „Worauf warten Sie dann noch?" fragte ich ein bißchen schärfer. „Augenblick, Sir, ich will sehen, was ich für Sie tun kann." Ihre Arroganz war nicht zu erschüttern. Sie stellte eine Verbindung mit dem Vorzimmer des Vorzimmers her. Ich wurde ungeduldig. „Jerry Cotton vom New Yorker FBI-Büro. Ich möchte den Chef sprechen, und zwar auf der Stelle!" sagte ich. Das einzige, was ich erreichte, war, daß ich nun doch schon mit der echten, wirklichen, wahrhaftigen Chefsekretärin verbunden wurde. Und wie das so geht: Diese Lady war tatsächlich eine und intelligent dazu. Sie sagte: „FBI? Ich verbinde Sie sofort mit unserem Präsidenten. Gibt es etwas, was ich tun kann, während Sie mit ihm sprechen?" „Nein, ich glaube nicht." „Gut, ich stelle jetzt durch." Eine Sekunde später hörte ich den sonoren Baß eines Mannes, der an jeder Oper nur mit der Stimme sein Geld hätte verdienen können. „Hier spricht Waldo G. Hopkinsson. Mit wem spreche ich?" „Jerry Cotton vom New Yorker FBI-Büro. Ich habe nur eine Frage, Mr. Hopkinsson." „Nämlich, Mr. Cotton?" „Erwartet Ihre Bank morgen eine Goldlieferung?" „Nein, das tun wir nicht." „Erwarten Sie irgendeine andere Sache, deren Wert sich auf etwa 16 Millionen Dollar belaufen würde?" „Nein, auch das nicht. Was bringt Sie zu dieser Frage?" „Bedaure, Mr. Hopkinsson, das darf ich Ihnen nicht sagen. Wenn Sie aber dem FBI einen Gefallen erweisen wollen, dann denken Sie bitte drüber nach, ob es jemand gibt, bei dem Sie sich vorstellen könnten, daß er morgen wahrscheinlich Gold im Wert von 16 Millionen US-Dollar erhalten wird. Gibt es jemand?" „Das könnte ich mir höchstens von Fort Knox vorstellen, wo bekanntlich der Goldschatz der Vereinigten Staaten liegt und allerdings, wie man hört, recht zuverlässig bewacht wird." „Ich danke Ihnen, Mr. Hopkinsson", sagte ich, legte den Hörer auf und lehnte mich seufzend in meinem Stuhl zurück. Ein Blick zu Phil verriet mir genug: Er zerknüllte gerade den Zettel mit den Telefonnummern der Banken, die er angerufen hatte, und schleuderte das Knäuel in den Papierkorb. „16 Millionen Dollar", sagte er dabei mit gerunzelter Stirn. „In Gold!" fügte ich hinzu. „Das muß doch einen Haufen wiegen", meinte Phil. „In den Kofferraum von meinem Jaguar wird's nicht reinpassen", sagte ich. „Wo, zum Teufel, wird soviel Gold gebraucht?" fragte Phil. „Bei Goldschmieden, Juwelieren oder so was?" „Doch nicht so eine Menge!" widersprach ci h. „Das kann ich mir nicht einmal bei einer Schmuckfabrik vorstellen." „Dann", sagte Phil, „dann müssen wir die Sache von einer anderen Seite herangehen." „Du machst mich neugierig", gab ich zu. „Von welcher denn?" „Wir haben keine Ahnung, woher das Gold kommt, und wir wissen nicht, wohin es gebracht werden soll. Aber wir können uns denken, daß es nicht in einem gewöhnlichen Auto transportiert werden kann. Das dürfte wegen des Gewichtes unmöglich sein. Aber womit sonst kann es transportiert werden?" „Mit einem Lastzug oder zweien, was weiß ich", sagte ich. „Oder mit einem Schiff", schlug Phil vor.
„Vielleicht auch mit einem Flugzeug", gab ich zu bedenken. „Mit der Eisenbahn ginge es bestimmt auch", meinte Phil. „Das ist ja Wahnsinn", brummte ich. „Hast du eine Ahnung, wie viele Speditionen es allein in Manhattan gibt? Von Brooklyn, Queens, der Bronx und Richmond ganz zu schweigen? Oder wie viele Schiffahrtslinien New York anlaufen? Wie viele Flugzeuge täglich in New York landen? Wie viele Züge hier täglich ankommen?" „Nein", sagte Phil ernst, „aber wenn wir nicht früher draufstoßen, werde ich es irgendwann heute nacht wissen, wenn ich dieses Büro verlasse." Er griff zum Firmenverzeichnis, das von der Industrie- und Handelskammer jedes Jahr neu herausgegeben wird. Ich seufzte ergeben und griff zum Telefonbuch. Auch Kriminalbeamte dürfen meckern, wenn ihnen eine Arbeit über den Kopf zu wachsen droht. Nur eins dürfen sie nicht: aufgeben. Also wollte ich gerade das Telefonbuch aufschlagen, als ich eine Idee hatte. Ich stieß einen gellenden Pfiff aus und griff zum Telefon. „Du machst es ganz schön geheimnisvoll", sagte Mac Winterborg, als er sich den Gürtel mit dem schweren Colt abschnallte. „Was ist los?" „Nicht hier", meinte sein Kollege Adam Bohr und setzte sich die dunkelblaue Schirmmütze auf. „Gehen wir ein paar Schritte spazieren!" Er wandte sich an den jungen Burschen, der im Einsatzbüro der „Adler-Wachdienst, Incorporated" den Telefondienst versah, und brummte: „Wenn irgendwas ist — ich bin in zehn Minuten wieder zurück." „Okay, Chef", sagte der rothaarige Junge mit den zahllosen Sommersprossen. Die beiden Schichtleiter der privaten Wachgesellschaft verließen das Büro und stapften an der vorgebauten Rampe die elf Betonstufen hinab auf den Hof. Weit hinten, wo sich die endlosen Reihen der Garagentore hinzogen, fuhren gerade sechs der typischen Einsatzwagen auf die Ausfahrt zu. Sie alle trugen an den vorderen Türen den goldenen Adler, das Wahrzeichen ihrer Firma, das im kleineren Maße auch an ihren Uniformjacken und oben auf den Mützen angebracht war. „Meine Fresse", seufzte Winterborg, nahm sich die Schirmmütze ab und begann, seinen kahl werdenden Kopf abzuwischen. „Ich habe ja in dieser Stadt schon manche Hitzewelle erlebt. Aber so was noch nicht." „Das sagt man bei jeder", erwiderte Bohr. Seine Schicht hatte um vier Uhr nachmittags begonnen. Deshalb trug er den vorgeschriebenen Gürtel mit den Patronen und der schweren Schußwaffe. Auch war sein Hemd bis obenhin zugeknöpft, wie es die Firma von ihren Angestellten verlangte. Dennoch war ihm nicht anzumerken, daß ihm die Hitze irgendwie zu schaffen gemacht hätte. Bohr gehörte zu dem Typ, dem man nie ansehen wird, ob ihm irgend etwas zu schaffen macht. Trotz der unbarmherzig sengenden Sonne war er nicht dazu zu bewegen, für ihr vertrauliches Gespräch wenigstens eine schattige Stelle aufzusuchen. Nein, es mußte mitten auf dem Hof und also in der erbarmungslosen Sonnenglut sein. „Du tust ja gerade so, als handle es sich um ein Staatsgeheimnis", murrte Winterborg. „Vielleicht ist es sogar eins", sagte Bohr und ließ seinen Blick aufmerksam in die Runde schweifen. Auf dem Hof der großen Wachgesellschaft war sonst immer Betrieb. Aber heute drückten sich die Leute lieber unter den vorgebauten Dächern auf den Seiten des Hofes entlang, als das sonnenüberflutete Freigelände zu überqueren. „Ich bin gespannt", murmelte Winterborg. „Es geht um die Gruppe, die morgen zum Fughafen raus soll", verriet Bohr. „Was ist damit? Ist einer von den Jungs in der Gruppe nicht in Ordnung?" „Nein, nein. Sowas kommt bei uns ja so gut wie nie vor. Das ist es nicht. Bevor ich es dir sage, mußt du versprechen, daß du es für dich behalten wirst. Du darfst nicht einmal mit deiner Frau darüber reden. Und schon gar nicht morgen früh mit einem der Jungen, die für den Flugplatz eingeteilt sind. Mit den anderen natürlich auch nicht." „Okay, ich verspreche es", sagte Winterborg und wischte sich schon wieder über den schwitzenden Schädel. Solche Versprechungen gehörten bei seinem Job fast zu den Alltäglichkeiten. Deshalb sagte er es auch ganz beiläufig. „Hör zu, es ist ernster, als du glaubst!" mahnte Bohr.
Nun wurde Winterborg doch aufmerksam. Nach einem kurzen Blick in das verschlossene Gesicht seines nicht Übermäßig beliebten Kollegen setzte er hinzu: „In Ordnung, Adam, ich hab's begriffen. Du solltest nach acht Jahren Zusammenarbeit wissen, daß du dich auf mich verlassen kannst." „Das ist wahr, Mac. Deshalb hatte ich auch keine Einwände, daß die Geschichte während deiner Schichtzeit ablaufen muß. Also paß auf: Die Fracht, die ihr morgen vom Flugplatz abholen sollt, ist nicht irgend etwas." „Na, sie wird schon einiges wert sein. Sonst würden sie nicht unseren Wachschutz anfordern und bezahlen." „Natürlich. Aber wieviel haben sie angefordert?" „Vier Mann, hast du gestern gesagt. Zwei in einem Funkwagen und die beiden anderen auf Motorrädern." „Richtig. Du kennst dich lange genug in unserem Gewerbe aus. Wenn du von der Zahl der angeforderten Leute ausgehen solltest — wie hoch, schätzt du, wird dann der Wert der von uns bewachten Fracht sein?" Winterborg schob die Unterlippe vor, legte den Kopf auf die Seite und überlegte. Er wäre lieber nach Hause gefahren, um den Rasen in seinem Vorgarten zu sprengen und sich bei der Hitze in den Swimmingpool zu werfen. Aber mit diesem pedantischen Kollegen war ja nie eine dienstliche Geschichte schnell zu erledigen. „Na, vielleicht 100 000 Dollar", sagte er unschlüssig. Bohr nickte in seiner ernsten Art. Leise, aber sehr betont sagte er: „Mal 160." „Was?" fragte Winterborg und begriff nicht. „100 000 mal 160." Winterborg runzelte die Stirn. In seiner dunkelblauen Uniform und mitten in der unbarmherzigen Sonnenglut kam er sich wie im Brennofen eines Töpfers vor. Aber allmählich ging ihm auf, daß da offenbar tatsächlich von etwas höchst Ungewöhnlichem die Rede war. „100 000 mal.. .".murmelte er und versuchte zu rechnen. „16 Millionen", sagte Bohr scharf. „Sie haben nur vier Mann angefordert, aber die sollen einen Transport bewachen, dessen Wert 16 Millionen Dollar beträgt!" Trotz der brütenden Hitze wurde Winterborg blaß. „Aber das ist Wahnsinn", wandte er tonlos ein. „Sie meinen, daß es in Ordnung gehen wird", sagte Bohr. „Und weißt du, warum?" „Na?" Bohr lächelte kühl. „Weil sie überzeugt davon sind, daß kein Mensch etwas von diesem Transport weiß? Und sie wollen ihn nicht durch eine kleine Armee Wachpersonal auffällig machen. Natürlich ist es Wahnsinn. Aber sie bezahlen und bestimmen daher auch die Bedingungen. Jetzt weißt du Bescheid." Ich hatte den Hörer schon vorsorglich in eine gewisse Entfernung zu meinem Ohr gebracht. Trotzdem erschüttert es einen immer wieder, wenn die Lautsprecherstimme von Captain Hywood aus dem Hörer dröhnt: „Cotton? Ich kannte mal einen Cotton, aber der kann doch nicht beim FBI sein — so eine Schlafmütze!" „Hywood", sagte ich, „in der Hitze nicht auch noch abgeschmackte Scherze, bitte! Außerdem ist die Sache ernst genug, um die es geht." „Ich höre!" Ziemlich wörtlich gab ich den Anruf wieder, der bei uns kurz nach ein Uhr mittags eingegangen war. Und dann beschrieb ich ihm das Geräusch. Erklären mußte ich es nicht. Danach fuhr ich fort: „Das war kurz nach eins. Wenn ihr etwas angetan wurde, woran ich nicht zweifle, dann müßte sie doch inzwischen jemand gefunden haben! Es sind mehr als drei Stunden vergangen!" „Haben Sie's nicht gleich über die Telefongesellschaft versucht, die Leitung rückverfolgen zu lassen?" „Dazu gab es keine Möglichkeit. Wer auch immer sie in ihrem Anruf unterbrach, er war jedenfalls so schlau, den Hörer aufzulegen." „Oh", brummte Hywood nur.
Ich wußte, was er meinte: Wenn der Unbekannte nach seiner Tat, die vielleicht ein Mord war, soweit die Nerven behielt, daß er den Telefonhörer auflegte, dann handelte es sich um einen Profi. Und in dem Falle sanken die Chancen des Mädchens auf Null. „Ja", sagte ich nachdenklich, „so sieht es aus, Hywood. Mord ist Sache der City Police. Wenn das Mädchen oder die junge Frau inzwischen gefunden wurde, wird man euch verständigt haben, denn niemand kann wissen, dass sie mit uns telefoniert hat. Außer dem natürlich, der sie im Anruf unterbrach." „Sind Sie in Ihrem Office, Cotton?" wollte der Captain wissen „Ja." „Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich bei uns alle Möglichkeiten abgeklappert habe." Ich hörte das Klicken, als Hywood auflegte, bevor ich mich bedanken konnte. Langsam ließ auch ich den Hörer auf die Gabel sinken. Phil stand auf und trat neben meinen Schreibtisch. „Das war eine gute Idee. Jerry. lobte er. „Es könnte uns eine Menge Arbeit ersparen." „Hoffen wir es", seufzte ich. „Meine Leitung müssen wir jetzt freilassen, damit Hywood mich anrufen kann. Aber du darfst natürlich gern inzwischen weiter brav deine Pflicht erfüllen." „Eigentlich wollte ich uns gerade einen Kaffee holen", sagte Phil scheinheilig. „Aber wenn du lieber ..." „Ich telefoniere inzwischen für dich", sagte ich schnell und setzte mich an seinen Schreibtisch. Meistens knobeln wir darum, wer den Kaffee zu holen hat. Und meistens mogle ich dabei, weil man sich an diesen verdammten Pappbechern immer die Finger verbrennt. Wenn Phil also schon anbot, das schmerzhafte Geschäft zu übernehmen, dann wollte ich ihn gewiß nicht daran hindern. Ich fing auf gut Glück mit einer Hafenbehörde an, von der ich wußte, daß sie mir genaue Auskunft über Namen und Reederei der Schiffe geben konnte, die am kommenden Tage in New York erwartet wurden. Es waren nur 64 Schiffe, verteilt auf 55 Reedereien. Ich sandte ein Stoßgebet zum Himmel und sagte danach tapfer: „Bitte, fallen Sie nicht in Ohnmacht, aber Sie müssen mir die Namen aller Reedereien und wenn möglich auch deren Telefonnummern geben!" „Alle?" krächzte ein offenbar von Erstickungsanfällen bedrohter Clerk der Hafenverwaltung. „Alle!" wiederholte ich finster. „Alle", sagte er noch einmal, und es klang wie ein Abschied vom Leben. Danach raschelte Papier, und schließlich ging es los: „All American Shipping Corporation,..." Ich schrieb fleißig, als Phil mit dem Kaffee zurückkam. Er stellte schnell die weißen Plastikbecher, die wir aus alter Gewohnheit trotzdem „Pappbecher" nennen, auf meinem Schreibtisch ab und schüttelte heftig die rechte Hand, in der er sie getragen hatte. Ich unterdrückte mein fälliges Grinsen, schrieb die werweißwievielte Reederei auf und bat um eine Minute Unterbrechung, damit ich mir eine Zigarette anstecken konnte. „Es sind nur 55", rief ich Phil zu, während ich das Feuerzeug aufflammen ließ und wieder zum Hörer griff. „55 was?" fragte Phil zischelnd. „55 Grad Hitze?" Ich stellte zwischen der Spitze meines Zeigefingers und meiner Stirn einen innigen Kontakt her und winkte ab. Der Clerk sagte mir gerade den Namen der letzten Reederei durch, von der morgen ein Schiff New York anlaufen würde. Ich bedankte mich höflich für die große Mühe, die er sich gegeben hatte, legte den Hörer auf und nahm den ersten richtigen Zug aus meiner Zigarette. Dabei tippte ich auf die Liste, die ich an Phils Schreibtisch soeben angefertigt hatte: „Hier, mein Alter", sagte ich. „Damit kannst du dich beschäftigen: 55 Reedereien lassen morgen insgesamt 64 Schiffe in New York ankommen. Im Bauch eines jeden dieser Pötte könnte Gold für 16 Millionen Dollar liegen." „Und was machst du inzwischen?" fragte Phil. „Kaffeepause", sagte ich und ließ mich wieder in meinen Drehstuhl fallen. Der Kaffee war so heiß wie ganz New York. Ich blies ein bißchen, nahm ein Schlückchen und hatte mir trotzdem prompt die Zunge verbrannt. Ich sagte etwas wirklich sehr Unfeines — und da schlug das Telefon auf meinem Schreibtisch an. Seit ich mit Hywood telefoniert hatte, waren etwas mehr als 30 Minuten vergangen. Ich griff schnell zum Hörer. Phil sah erwartungsvoll
zu mir. Von der Auskunft, die wir erhielten, hing es ab, ob wir endlich mit der nervtötenden Telefoniererei aufhören konnten. „Tut mir leid, Cotton", dröhnte Hywoods Stimme aus dem Hörer. „Bei der City Police liegt keine Meldung vor, die das Mädchen angehen könnte, von der Sie erzählt haben. Auch droben in Yonkers nicht und drüben in Jersey City nicht." „Das verstehe ich nicht", murmelte ich enttäuscht. „Wenn ihr wirklich etwas passiert wäre, müßte doch irgend jemand sie inzwischen gefunden haben. Jetzt sind es schon rund vier Stunden!" „Es gibt natürlich noch eine andere Möglichkeit!" brüllte Hywood, der für seine furchtbare Lautstärke leider nicht haftbar gemacht werden kann. Eine andere Möglichkeit..., klang in meinen Ohren nach. Ich wartete, bis das Trommelfell wieder normal gespannt war. Dann sagte ich: „Sie meinen, daß es jemand witzig fand, uns das ganze Theater vorzuspielen. Ja, Captain, diese Möglichkeit besteht leider immer. Und ebenso klar ist, daß wir jeden dieser albernen und unverantwortbaren Scherze ernst nehmen müssen. Genau wie die Feuerwehr. Okay, Hywood, Dank für Ihre Mühe." Ich legte den Hörer auf. Phil wählte schon die Nummer der ersten Reederei. Ich war jetzt fest entschlossen, der Sache auf die Spur zu kommen. Aber es war purer Zufall, daß ich mit Kennedy International Airport anfing und nicht mit einer Spedition oder einem Bahnhof. Ich ließ mir den Technischen Direktor geben und stellte meine Frage. Die Antwort riß mich fast vom Stuhl: „Stimmt, ja. Bei uns kommen morgen Goldbarren im Wert von 16 Millionen Dollar an. Wenn die Maschine keine Verspätung hat, wird sie hier 12.50 Uhr landen." Ich warf unwillkürlich einen Blick auf meine Armbanduhr und rechnete. Da blieben uns ja ganze 19 Stunden... Es war gegen sieben Uhr abends, als wir das Office des Technischen Direktors betraten. Auf meine Bitte hin war er so lange im Büro geblieben. Wie an der Tür zu lesen stand, hieß er Samuel B. Coshing. Er war Mitte 30, gut genährt, ohne fett zu sein, und hatte das markante Gesicht eines Mannes, der hart an sich gearbeitet hat, um es zu etwas zu bringen. Trotz der Hitze trug er eine gelbe Krawatte, die er nicht gelockert hatte. „Hallo", sagte er, als uns der Wachmann in sein großes Büro führte. „Danke, Fred. Ich bringe die Gentlemen dann selbst zu ihrem Parkplatz." Der Wachmann, der uns geführt hatte, zog sich zurück, und Coshing fuhr fort: „Ich hoffe, daß Sie uns keinen Ärger bringen." „Da bin ich leider nicht sicher", sagte ich. „Das ist Phil Decker. Ich heiße Jerry Cotton. Wir beide haben vor zwei Stunden miteinander telefoniert." Wir schüttelten uns die Hände und setzten uns um einen riesigen runden Tisch. Natürlich war auch dieses Büro von der Klimaanlage beinahe unterkühlt, so daß man im ersten Augenblick fröstelte, wenn man aus der Hitze draußen hereinkam. Coshing bot uns Getränke an. aber wir lehnten dankend ab. „Kommen wir gleich zur Sache", bat ich. „Wer bekommt morgen Goldbarren für 16 Millionen Dollar?" „Oh", murmelte Coshing verdutzt, „wer sie bekommt, weiß ich gar nicht. Darum habe ich mich nicht gekümmert. Gehört ja auch nicht zu meinen Aufgaben. Ich habe überhaupt nur zufällig von der Geschichte erfahren." „Erzählen Sie uns. bitte, wie Sie davon erfuhren, durch wen und alles sonst, was mit dem Gold zusammenhängt!" „Also gehört habe ich von dem Goldtransport durch Jane Steinfield." „Wer ist das?" „Miß Steinfield leitet das Frachtbüro der EAA." „Was heißt das?" „East Asian Airlines. Das ist eine der kleineren Luftgesellschaften. An ihr sind, wenn ich richtig informiert bin, ein paar südasiatische Staaten beteiligt. Jedenfalls unterhält die EAA bei uns auf dem Flughafen ein Frachtbüro, dessen Chefin und einzige Mitarbeiterin diese Jane Steinfield ist. Sie rief mich an und fragte, ob wir Transportkarren hätten, die für besonders schwere Fracht geeignet seien. Kommt drauf an, wofür, habe ich gesagt. Und da rückte sie mit der Geschichte heraus, daß morgen Gold für 16 Millionen Dollar käme."
„Ich verstehe. Dieses Gespräch wurde telefonisch geführt?" „Ja, richtig." „Wann, bitte?" „Gestern am späten Nachmittag." „Okay, Mr. Coshing. Erzählen Sie weiter!" „Da gibt's nicht mehr viel zu erzählen. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich mit Dave Willcock in Verbindung setzen. Der müßte, meiner Kenntnis nach, ein paar Elektrokarren für Schwerstlasten haben, die er ihr ausleihen könnte. Sie bedankte sich und legte auf." „Das war gestern am späten Nachmittag. Seither haben Sie von Jane Steinfield nichts mehr gehört und sie auch nicht gesehen?" „So ist es. Hätte sie nicht angerufen, wüßte ich heute nicht einmal, daß es sie überhaupt bei uns gibt." „Wo ist das Office dieser Miß Steinfield?" „Weit draußen in dem Abschnitt, der für den Frachtumschlag zuständig ist. Aber darf ich auch mal was fragen?" „Bitte." „Warum interessieren Sie sich so für die Geschichte? Das Gold soll doch wohl nicht geschmuggelt werden? Ich meine, mit dem Zoll und so weiter muß doch alles in Ordnung sein?" „Das wissen wir nicht, aber es steht zu erwarten. Die Dame aus dem Frachtbüro würde wohl kaum offiziell herumtelefonieren, wenn die Papiere nicht in Ordnung wären. Mr. Coshing, sagt Ihnen die Bezeichnung .Rutsche' etwas?" • „Ja, sicher. Ich kenne meinen Job von der Pike auf, Mr. Cotton. Wir haben in einigen der großen Frachthallen Verteilersysteme für die ankommende Luftfracht. Das sind gewöhnlich so eine Art Förderbänder. An gewissen Stellen, wo das Auseinandersortieren der Frachtstücke vorgenommen wird, verlaufen diese Förderbänder abwärts. Dazu sagen die Leute, die dort arbeiten, Rutsche. Warum?" „Im Augenblick, Mr. Coshing, bitte ich um Ihr Verständnis dafür, daß wir unsere Karten noch nicht offen hinlegen möchten. Kennen Sie einen Mann, auf den die volkstümliche Bezeichnung ,der Bucklige' zutreffen würde?" Coshing runzelte die Stirn, dachte nach und strahlte plötzlich: „Oh ja! Billy Weiß-der-Himmelwie-weiter! Das war ein Studienfreund von mir. Das ist jetzt gut zehn Jahre her. Wir haben in Kalifornien zusammen ein paar Semester studiert. Dann haben wir uns aus den Augen verloren. Wie das so geht." „Hier auf dem Flughafen kennen Sie keinen?" „Keinen. Was nicht heißen muß, daß es keinen gibt. Ich kann nicht alle Leute kennen, die hier arbeiten. Dies ist nun mal einer der größten Flughäfen der Welt — in jeglicher Hinsicht. Auch was die Zahl seiner Mitarbeiter angeht." Ich nickte und warf meinem Freund einen fragenden Blick zu. Er wußte auch nicht, wonach man noch hätte fragen sollen oder können. Also sagte ich: „Mr. Coshing, wir möchten uns jetzt gern das Büro dieser Miß Steinfield ansehen." „Jetzt! Entschuldigen Sie, Gentlemen, aber darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es fast halb acht ist! Ich glaube nicht, daß Miß Steinfield noch in ihrem Büro sitzt." „Wir möchten uns trotzdem das Büro ansehen, bitte." Coshing kratzte sich an dem massiven Kinn. „Da weiß ich wirklich nicht, ob ich das darf", murmelte er. „Darf ich Sie in ein Büro hineinlassen, das eine andere Firma bei uns gemietet hat?" „Die Büroräume gehören Ihnen?" „Nicht mir. Der Gesellschaft, die den Flughafen betreibt und unterhält." „Aber deren Technischer Direktor Sie sind?" „Ja, sicher." Ich stand auf und sah ihn sehr ernst an. „In dem Falle, Mr. Coshing", sagte ich gedehnt, „würden Sie den FBI zu großem Dank verpflichten, wenn Sie die Freundlichkeit aufbrächten, sich einmal kurz im Büro von Miß Steinfield umzusehen. Wir sind bereit, das Büro nicht zu betreten, wenn Sie uns aus eigener Anschauung bestätigen können, daß alles einen normalen Eindruck macht."
„Allmählich fangen Sie wirklich an, mich zu beunruhigen", erwiderte er und stand ebenfalls auf. „Was soll das bringen, wenn ich da jetzt hinausfahre und mir ein leeres Büro ansehe?" „Ich hoffe sehr, Mr. Coshing", sagte ich ernst, „ich hoffe sehr, daß es gar nichts bringt. Trotzdem muß ich meine Bitte wiederholen. Sehen Sie sich in diesem Büro einmal schnell, aber gründlich um! Bitte!" Er sah mich kurz an. Dann ging er wortlos zu seinem beachtlich großen Schreibtisch, ließ sich in den riesigen Drehsessel fallen und drückte ein paar Knöpfe auf seiner ebenso beachtlichen Telefonanlage. „Coshing", sagte er knapp. „Einen Kleinbus für mich an C 14. Der Key Master soll mit seinem Wagen ebenfalls kommen. — Bitte? — Ja, auf der Stelle. Danke." Er stemmte sich hoch, zog die mittlere Schreibtischlade auf und stopfte ein Feuerzeug, einen Schlüsselbund und noch irgend etwas anderes in seine Hosentaschen. Danach nahm er sein Jackett, das über der Lehne seines Direktorsessels hing, und zog es an. „Kommen Sie mit!" sagte er. Er führte uns durch ein paar Gänge zu einem Fahrstuhl, für den man einen Schlüssel haben mußte, und fuhr mit uns hinab. Unten ging es noch einmal durch einen kurzen Flur, und dann standen wir im Freien. Vor uns erstreckte sich das schier unüberschaubare Gelände des Flugplatzes. Von links rollte mit leise schnurrendem Elektromotor ein kleines, blaues Auto auf uns zu. Ein alter Mann von vieleicht 70 Jahren kletterte hinter dem Steuer hervor. Er trug eine hellblaue Uniform mit einer Schirmmütze. „Hallo, Sam", sagte er. „Welcher Idiot hat seinen Schlüssel vergessen?" „Niemand, Dick. Gentlemen, das ist Dick Haggerty. Er ist unser Schlüsselmeister. Das heißt, er hat von jeder Tür, die es hier auf dem Gelände gibt, einen zweiten Schlüssel. Das sind Tausende. Aber das immer wieder Imponierende bei ihm ist, daß er nie zu suchen braucht." „Ordnung ist das halbe Leben", sagte der Alte. Er war nicht scheu, denn er fügte die Frage an: „Wer seid ihr denn?" Ich verstand, daß Coshing uns nicht vorgestellt hatte, weil er uns überlassen wollte, ob wir unsere amtliche Funktion zu erkennen gaben oder nicht. Aber es gab für uns keinen Grund, anonym zu bleiben. „Wir sind G-men, Mr. Haggerty", sagte ich. „Ich heiße Jerry Cotton. Das ist Phil Decker." „G-men, he?" rief der Alte lebhaft. „Donnerwetter! Solche Burschen habe ich bisher immer nur im Fernsehen gesehen. Was ist los? Gibt's gleich irgendwo bei uns eine tolle Schießerei oder so was?" Während ich ihm erklärte, daß wir keineswegs mit so etwas rechneten, rollte ein orangefarbener Kleinbus mit Rotlicht auf dem Dach heran, Coshing zog die Seitentür auf, und wir kletterten hinein. Haggerty mit seinem kleinen Elektroauto und den werweißwievielen Tausenden von Schlüsseln zuckelte hinter uns her. Wir rollten auf verschlungenen Wegen, die nur der Fachmann ahnen konnte, über die endlosen Betonflächen, an unzähligen abgestellten Flugzeugen aus allen Erdteilen vorbei und gelangten schließlich zu einem Gebäudekomplex, der sich aus mehreren riesigen Frachthallen und zwei kleineren Gebäuden zusammensetzte. Coshing gab dem Fahrer Anweisungen, und wir hielten vor einer langen Rampe. Ein paar Stufen führten hinaus, und oben sah man die Fensterreihen kleiner Büroräume. Coshing ging zielbewußt auf eine grüne Stahltür zu und drückte die Klinke nieder. Verwirrt drehte er sich um. „Um die Zeit müßte abgeschlossen sein", sagte er. „Aber das ist es nicht." „Dann hätten es die Wachleute um acht Uhr beim ersten Rundgang entdeckt", sagte der alte Haggerty hinter uns. Ich nahm die paar Stufen der Rampe mit zwei Sätzen. „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich hineinschaue?" fragte ich. Coshing schüttelte den Kopf. Ich deckte mein sauberes Taschentuch über die Fingerspitzen und stieß die Tür auf. Es war ein Fehler gewesen, Coshing die Türklinke anfassen zu lassen, aber nun war es zu spät. Obgleich es noch einigermaßen hell war, herrschte in dem kleinen Büro mit seinen bis an die Decke reichenden Aktenregalen ein düsteres Zwielicht, weil die kleinen Fenster nach Westen von den gegenüberliegenden hohen Hallen verfinstert wurden. Ich knipste das Licht an.
Gleich neben der Tür gab es eine Art Schaltertisch, über den hinweg man in das eigentliche Büro hineinschaute. Ein vollgestopftes Aktenregal verdeckte die Hälfte des Raumes. Ich flankte über den Schalter hinweg und tat zwei Schritte um das Regal herum. Das erste, was ich sah, war die riesige, inzwischen fast schwarze Blutlache. Hinter einem gelben Schreibtisch ragten ihre Füße hervor. Unwillkürlich sah ich zum Telefon, das auf dem Schreibtisch stand. Der Hörer war ordentlich aufgelegt. Ich weiß, dachte ich automatisch, wann er aufgelegt worden ist: heute mittag, etwa um 1.07 Uhr. Er hatte große, braune Augen, die uns wie die eines Kindes anstarrten, dem gerade ein unfaßbarer Schmerz zugefügt worden ist. Er trug nur ein Netzunterhemd und BermudaShorts und hockte auf dem Plastikstuhl in der kleinen Küche, wo er damit beschäftigt gewesen war, sich einen kühlen Drink zuzubereiten. Jetzt schm olzen die Eiswürfel in der kleinen Schüssel, und niemand nahm Notiz davon. „Das... das... das", sagte er, schüttelte den Kopf und fing wieder an: „Das... das..." Zu den erschütterndsten Aufgaben in unserem Beruf gehört es immer wieder, wenn man Angehörige davon verständigen muß, daß ein ihnen lieber Mensch Opfer eines Verbrechens geworden ist. Wir .hatten die Adresse von Jane Steinfield in den Papieren auf dem Flugplatz gefunden. Es war eine Adresse in Brooklyn, nur 20 Minuten vom Flughafen entfernt, und es hatte sich herausgestellt, daß Jane bei ihrem verwitweten Vater gelebt hatte. Nun saß der etwa 42jährige Mann auf dem Küchenstuhl und benahm sich wie alle, die vom Übermaß des Schmerzes schier um den Verstand gebracht werden. „Ich habe doch heute morgen noch mit ihr gefrühstückt", sagte er mit einer Stimme, die mit jeder neuen Silbe umzukippen drohte. „Sie saß hier auf diesem Stuhl und wir haben Pläne gemacht fürs Wochenende! Sie kann doch nicht auf einmal..." Er ließ den Kopf hängen und schluchzte. Es war ein so gequälter Laut aus den Tiefen seiner Brust, daß einem das Zuhören wehtat. Ich wandte mich ab und zog die Kühlschranktür auf. Was ich suchte, war nicht im Kühlschrank. Ich ging hinüber in das kleine Wohnzimmer und entdeckte drei Flaschen auf einer kleinen Anrichte neben dem Fernseher. Ich nahm die Bourbonflasche mit in die Küche, kippte drei Finger hoch in das Longdrink-Glas, in dem er sich seinen Drink hatte mixen wollen, und hielt es ihm hin. „Mr. Steinfield! Bitte, trinken Sie das! Bitte!" Er hob das tränenüberströmte Gesicht. Es wirkte wie auseinandergefallen. Der Schmerz hatte es zerstört. Ohne zu begreifen, was er tat, setzte er das Glas an, trank es in einem Zug aus und spürte nicht einmal, was er getrunken hatte. „Mr. Steinfield, wir sind FBI-Agenten", wiederholte ich, obgleich wir es ihm schon an der Tür gesagt hatten, als er uns einließ. „Wir wissen und verstehen sehr gut, was Sie jetzt durchmachen müssen. Trotzdem wären wir Ihnen dankbar, wenn wir Ihnen nur ein paar wenige Fragen stellen dürften. Meinen Sie, daß Sie uns antworten können0" Es war nicht so taktlos. wie es erscheinen mag. Wir haben oft die Erfahrung gemacht, daß die Ablenkung auf gezielte Zusammenhänge, das Konzentrieren auf ein bestimmtes Thema den Menschen hilft, vom schlimmsten Schmerz gleichsam ein wenig entfernt zu werden. Er räusperte sich, betrachtete das leere Glas in seiner Hand und sagte plötzlich: „Ich glaube, ich kann einen Schluck vertragen." Phil nahm die Flasche vom Tisch und schenkte ihm noch eine Kleinigkeit nach. Offenbar war ihm nicht bewu3t geworden, daß er schon einen kräftigen Schluck getrunken hatte. Nachdem er diesen zweiten gekippt hatte, stemmte er sich mühsam hoch und sah uns auffordernd an. „Fragen Sie!" „Kennen Sie einen Buckligen'7 " „Nein." „Hat Ihre Tochter je von einem buckligen Menschen gesprochen^1" „Nein." „Hat Ihre Tochter Ihnen etwas von einem großen Goldtransport erzählt, der mit der Luftfahrtgesellschaft ankommen soll, für die Ihre Tochter gearbeitet hat?" „Gold?"
„Ja. Einen Goldtransport. Einen mehrere Millonen Dollar schweren Goldtransport. Hat sie Ihnen etwas davon erzählt?" Er kratzte sich an der rechten Schläfe und runzelte die Stirn. „Jetzt, wo Sie es sagen, kommt es mir so vor, als hätte sie irgendwas von Gold erwähnt. Ja, ich glaube, sie sagte gestern beim Abendessen etwas davon. Es war nur so beiläufig angemerkt. Ich habe es nebenher gehört, wie wenn sie gesagt hätte: Morgen oder übermorgen oder nächste Woche kommt eine landwirtschaftliche Maschine oder eine Kleiderkollektion für eine Modenschau. Heutzutage kann doch alles und jedes mit Flugzeugen transportiert werden. Ist denn das mit dem Gold wichtig?" „Wir wissen es nicht", wich ich aus. „Mr. Steinfield, der Mann, der uns vorhin unten die Haustür aufgeschlossen hat, sagte, daß Sie eine Schwester hätten, die Sie oft besucht. Vielleicht sollten Sie Ihre Schwester anrufen?" Er sah uns an, aber sein Blick ging durch uns hindurch wie durch Glas. Trotzdem nickte er. Auch Phil riet ihm noch einmal, seine Schwester anzurufen. In solchen Augenblicken sollten leidgeprüfte Menschen nicht völlig allein sein. Wieder nickte er, und wieder hatten wir das Gefühl, in Wahrheit sei er meilenweit von uns entfernt. Wir schoben es auf seinen Schmerz. An Schuld dachten wir nicht. Im Büro unseres Distriktchefs brannte nur die Lampe auf seinem Schreibtisch. Wir hatten ihm Bericht erstattet und saßen nun abwartend in den bequemen Besuchersesseln. Wir waren seit 16 Stunden auf den Beinen, aber keiner von uns dachte daran. „Das Mädchen ist 22 Jahre alt gewesen", sagte ich rauh. Die schlanken Künstlerfinger von Mr. High lagen reglos auf der Schreibunterlage. Halblinks hinter ihm war in der Dunkelheit außerhalb des Lichtkreises seiner Schreibtischlampe die Flagge der Vereinigten Staaten mehr zu ahnen als zu sehen. Auch die Messingtafel war nicht zu erkennen, auf der die Namen der G-men eingraviert sind, die im Dienst starben. „Wer wird den Mord an dem Mädchen offiziell bearbeiten?" fragte der Chef nach einer Weile. „Eine Mordkommission aus Brooklyn", erwiderte Phil. „Unter einem gewissen Detective Lieutenant Harold Snyder. Ich habe mit ihm telefoniert, gleich nachdem wir die Leiche gefunden hatten." „Um den geplanten Goldraub kümmern wir uns", entschied der Chef. „Da gibt es ein halbes Dutzend Gründe, die aus dieser Sache einen Fall für den FBI machen. Die Frage ist nur, wie wir vorgehen. Was schlagt ihr vor?" Das hatten Phil und ich bereits besprochen. „Es hängt alles von der Örtlichkeit ab, Chef", sagte ich. „Bisher hatten wir noch keine Zeit, die Frachthalle genau zu besichtigen, in der das Gold gestohlen werden soll. Jane Steinfield sagte etwas von den Männern an der Rutsche. Man wird deshalb davon ausgehen müssen, daß diese Männer und die Rutsche irgendeine Rolle spielen sollen. Das müssen wir uns an Ort und Stelle ansehen." „Und wann wollt ihr das tun?" „Sobald wir hier fertig sind", sagte ich. „Direktor Coshing ist auf dem Flughafen geblieben, damit uns alle Türen geöffnet werden." „Dann solltet ihr ihn nicht länger warten lassen. Ruft mich zu Hause an, sobald ihr ungefähr wißt, wie ihr die Sache handhaben wollt! Ihr wißt ja, daß ich einen Dienstanschluß direkt neben dem Bett habe." Wir standen auf und gingen. Es war gegen Mitternacht, aber es hatte sich kein bißchen abgekühlt. Nur der Fahrtwind brachte uns ein wenig Erfrischung, denn wir hatten die Fenster auf beiden Seiten geöffnet, während wir durchs südliche Manhattan, über die Brooklyn Bridge und dann auf dem autobahnähnlichen Zubringer zum Flugplatz rollten. Direktor Coshing war inzwischen nicht untätig gewesen: Gleich am ersten Kontrollhäuschen erschien ein Uniformierter. Coshing mußte die Beschreibung meines Jaguars an alle Kontrollposten durchgegeben haben. „Mr. Cotton vom FBI?" fragte der Uniformierte. „Ja, richtig, warum?" „Wir sollen Sie lotsen, Sir. Fahren Sie einfach hinter uns her!" „Machen wir. Danke."
Sie hatten eins dieser Flughafenautos mit dem orangefarbenen Blinklicht auf dem Dach, und es war sehr gut, daß Coshing an diese Erleichterung gedacht hatte. Das gesamte Gelände von Kennedy International würde gut und gern ausreichen, um eine mittlere Kleinstadt darauf zu errichten. Hoch über unseren Köpfen hörten wir den Flugbetrieb, der auch in der Nacht nicht abreißt. Ein ganzes Stück fuhren wir durch einen Tunnel. Dann wieder kurvten wir über die endlosen Betonpisten, sahen rechts hintereinander vier Flugzeuge landen und weit links zur selben Zeit zwei andere starten. Wir brauchten trotz der ortskundigen Führung beinahe eine halbe Stunde, bis wir die Frachthalle erreicht hatten, in der morgen Gold für 16 Millionen Dollar geraubt werden sollte. Coshing erwartete uns mit einem rundlichen, kleinen Mann, der McDouglas hieß und irgendwas mit dem Frachtumschlag auf dem Flughafen zu tun hatte. In den nächsten anderthalb Stunden stellte sich heraus, daß McDouglas jedes Förderband, jede Verteilerstelle und jede Steueranlage kannte, als hätte er sie selbst gebaut. Wir krochen unter, zwischen und über schier endlosen Förderanlagen herum, hörten zahllose Erklärungen und fuhren zum Schluß einmal um den ganzen Hallenkomplex. Danach sprachen wir noch eine Viertelstunde mit Coshing und McDouglas, und dann sagten wir, sie könnten nach Hause fahren, wenn sie Lust dazu hätten. „Ein paar Stunden Schlaf wären nicht schlecht", meinte Coshing gähnend. „Unsere Wachmannschaften wissen Bescheid, daß sie Ihnen jede gewünschte Unterstützung zu gewähren haben. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?" „Nein, danke", sagte ich. Wir verabschiedeten uns von den hilfsbereiten Männern, zündeten uns eine Zigarette an und starrten in den nachtschwarzen Himmel, wo das Gebrumm der Flugzeuge nicht abriß. Erst wenn man länger in die Finsternis blickte, war zu erkennen, daß die Sterne an einem wolkenlosen Himmel standen. Die endlosen Ketten von Startbahnleuchten, dazu das ganze Lichtermeer der Millionenstadt rings um uns ließen die Sterne verblassen. „Es hat keinen Zweck, die Türen der Halle zu besetzen", sagte ich aus meinen Gedanken heraus. „Nein", stimmte Phil zu. „Es gibt zu viele Türen. Da brauchten wir eine halbe Armee, wenn wir an jede nur zwei Mann stellen wollten." „Also machen wir es mitten in der Halle", entschied ich. „McDouglas hat uns ja gezeigt, durch welches Tor die Fracht aus dem Flugzeug in die Halle gebracht wird. Da geht es mit dem Frachtaufzug erst einmal hoch zur Sortierbrücke." „Und von da zur Rutsche", setzte Phil fort. „Und an der stehen die drei Männer, die es machen wollen." „Zusammen mit dem Buckligen", fügte ich hinzu. „Das sind vier Mann. Ich denke, daß wir mit insgesamt zwölf G-men in der Lage sein sollten, die Burschen hopszunehmen..." Das war wohl die dümmste Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe. Bis zu diesem Augenblick haben meine Erinnerungen und die vorhandenen Unterlagen wie Vernehmungsprotokolle, Aktennotizen und anderes eine ziemlich genaue Erzählung des Geschehenen möglich gemacht. Aber rund zehn Stunden später erlebte ich den entsetzlichsten Schock meines Lebens, und er bewirkte, daß mein Gedächtnis diese zehn Stunden nur bruchstückhaft und sehr unzuverlässig gespeichert hat. Ich habe unsere Fälle immer so erzählt, wie ich sie erlebt habe, also auch meine Gefühle und Empfindungen ehrlich dargestellt. Kriminalbeamte, wie alle Polizisten, sind ja keine seelenlosen Verfolgungsmaschinen, auch wenn einige Leute uns das gern unterschieben möchten. Damit ich auch weiterhin ehrlich erzählen kann, muß ich deshalb dem Leser jetzt zumuten, sich mit einem teilweisen Gedächtnisverlust ebenso abzufinden, wie ich es tun muß. Natürlich bemühe ich mich, jeden zum Verstehen des Folgenden nötigen Zusammenhang zu erklären. In dieser Nacht traf ich die Entscheidung, daß zwölf G-men ausreichen würden, um den geplanten Goldraub zu verhindern. Diese Entscheidung war verhängnisvoll, wie sich herausgestellt hat. Ich muß deshalb begründen, warum ich zu dieser Entscheidung kam:
1. Der Anruf von Jane Steinfield muß von uns tödlich ernst genommen werden. Schließlich war sie wegen dieses Anrufes umgebracht worden. 2. Jane Steinfield hatte von „drei Männern an der Rutsche und dem Buckligen" gesprochen. Niemand konnte auch nur ahnen, daß wir es mit sage und schreibe 18 schießwütigen Gangstern zu tun bekommen würden. 3. Durch die Auskünfte, die wir von den Fachleuten auf dem Flughafen erhielten, stand zweifelsfrei fest, daß der Raub nicht auf dem Flugfeld ausgeführt werden konnte, sondern einzig in der für die EAA zuständigen Frachtumschlaghalle. Also in einem begrenzten, einigermaßen überschaubaren Raum. 4. Die Halle hatte auf beiden Längsseiten je acht riesige Tore, groß genug, dass auch die größten Lastzüge hindurchfahren konnten. Damit wäre jeder Einsatz von Tränengas illusorisch gewesen. 5. Weder Mr. High noch ein so erfahrener Mann wie unser Einsatzleiter oder irgendeiner der eingeteilten Kollegen hielt unsere Zahl für zu klein. Wir waren alle übereinstimmend der Meinung, daß zwölf G-men ausreichen würden... Die riesige Halle hatte in unseren Augen, solange wir die tatsächliche Zahl unserer Gegner nicht kannten, einen großen Vorteil: Sie wurde als Frachtumschlagplatz von insgesamt 14 ausländischen Luftverkehrsgesellschaften benutzt. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Dauernd surrten irgendwo die flughafeneigenen Elektrokarren mit Frachtgütern hin und her. Lieferwagen und Lastzüge holten angekommene Luftfracht ab, um sie auf dem Landweg weiter bis zum eigentlichen Empfänger zu befördern. Und dauernd standen überall in der Halle Gruppen von zwei, drei oder gar vier Männern beisammen, die irgendein Transportproblem diskutierten oder vielleicht auch nur ein kollegiales Schwätzchen hielten. So sah es auch um 12.30 Uhr an diesem merkwürdigen Mittag aus, als ich mit ein paar ausgeliehenen Frachtbriefen in der Hand meine Kontrollrunde machte. Wir konnten uns ja auf einen ganz bestimmten, ziemlich kleinen Abschnitt der Halle beschränken. Nämlich auf den, wo die EAA gewöhnlich ihre Fracht umlud. Die Fracht aus ihrem Flugzeug, also die Goldladung, sollte und mußte von der Ostseite her in die Halle gebracht werden. Das stand fest. Also hatte ich in der Nähe des Osttores vier G-men in die orangeroten Overalls der Flugplatzarbeiter gesteckt, die man überall auf dem Flugplatz herumlaufen sah. Sie waren mit einer Elektrokarre und mehreren Werkzeugkisten gekommen. In den Werkzeugkisten lagen allerdings zwölf Maschinenpistolen. Etwa drei Meter hoch zog sich eine Galerie hin, von der aus man die sogenannte Rutsche beobachten konnte. Nach unseren Informationen sollten ja die Männer von der Rutsche eine wesentliche Rolle spielen. Also mußten sie jederzeit von uns kontrolliert werden können. Und das war das eigentlich Problem. Denn auf der Galerie standen nur selten Leute herum. Deshalb hätte die Konzentration unserer Kräfte da oben auffallen müssen. Also verteilten wir sechs Mann in drei Zweiergruppen mit ihren Elektrokarren so, daß sie auf ein verabredetes Signal hin das Westtor abriegeln konnten, durch das mit größter Wahrcheinlichkeit das gestohlene Gold weggebracht werden sollte. Zu Phil sagte ich, indem ich ihm ein paar aus dem Bündel meiner geliehenen Frachtbriefe in die Hand drückte: „Lauf mit dem Kram herum, als ob du irgendeine Fracht suchst! Aber steh zur richtigen Zeit so, daß du die Rutsche von vorn beobachten kannst! Ich tue dasselbe oben von der Steuerbühne aus. Wir müssen zuerst herausfinden, wohin sie das Gold auf den Förderbändern lenken." „Okay, Jerry", erwiderte Phil und grinste in seiner freundlichen Art. An diesem Tage trug er einen hellgrauen Sommeranzug mit einem makellos weißen Hemd und einer goldfarbenen Seidenkrawatte. Er verschwand zwischen dem verwirrenden Gestänge der Frachtbeförderungsbänder. Das letzte, was ich von ihm sah, war das Lächeln, als er noch einmal zurückschaute.
Die Maschine der „East Asian Airlines" landete um 1.02 Uhr. Sie brauchte weitere sieben Minuten, bis sie zu ihrer Halteposition gerollt war. Danach dauerte es abermals sieben Minuten, bis die Türen zu den Frachträumen der Maschine geöffnet waren. Als endlich die vier Elektrokarren mit der Goldladung vom Flugzeug her auf die Frachthalle zurollten, war es 1.50 Uhr. Um die Zeit stand ich oben auf der Galerie, die sich an der ganzen Ostseite der Halle in einer Höhe von etwa drei Metern hinzog. Ungefähr acht Meter von mir entfernt ragte eine Arbeitsgalerie mit einem Lastenfahrstuhl empor, und dort standen die drei Männer, die Jane Steinfield gemeint haben mußte. Ich hatte sie nun schon seit über einer Stunde unauffällig beobachtet, und es gab für mich keinen Zweifel, daß die drei nervös waren. In dem Augenblick, als die vier Elektrokarren unten am Lastenaufzug hielten, hörte ich plötzlich das Geknatter von Motorrädern. Ich drehte mich um und schaute in die Richtung, aus der der Lärm kam. Durch das Westtor, das uns im Augenblick besonders interessierte, rollte ein dunkelblauer Ford und hinter ihm zwei schwere Motorräder. Im ersteh Augenblick dachte ich, die Uniformierten darauf gehörten zur City Police. Aber dann erkannte ich den Adler auf der Seitentür des Ford und wußte, daß sie von einer der großen privaten Wachgesellschaften kamen. Es konnte kaum ein Zufall sein, daß sie gerade auftauchten, als das Gold in den Lastenfahrstuhl geladen wurden. Wir hatten mit Hilfe des technischen Flughafendirektors herausgefunden, daß die Goldladung im Auftrage eines südostasiatischen Staates bei der Weltbank in New York hinterlegt werden sollte. Deshalb nahm ich an, daß die Weltbank die Männer von der Wachgesellschaft engagiert hatte, um den Goldtransport zu schützen. Doch in diesem Augenblick kamen mir auch die ersten Zweifel, ob wir es wirklich nur mit drei oder vier Gegnern zu tun bekämen. Aber da war es schon zu spät. Der blaue Ford hielt wenige Meter hinter dem Tor, und auch die Motorräder stoppten. Aus dem Ford stiegen zwei weitere Uniformierte aus. Ich drehte mich wieder in die entgegengesetzte Richtung, weil ich dem Abladen der Goldkisten zuschauen wollte. Wie wir später erfuhren, bestand die ganze Ladung aus rund 1000 Kilogramm Gold. Es war in lauter Barren auf 60 stabile Holzkisten verteilt. Tief unter mir luden sie gerade den zweiten Elektrokarren leer. Da unten gab es nichts Auffälliges. Ich sah hinüber zu der Arbeitsgalerie, wo die Rutsche begann. Die ersten Kisten wurden gerade auf das metallene Förderband gezogen. Die silbrig glitzernden Rollen klirrten leise. Es kam mir auf einmal vor, als ob in der Halle eine unnatürliche Stille herrschte. Im selben Augenblick gab es ungefähr 60 Meter links von mir, fast am anderen Ende der langen Galerie, einen dumpfen Knall, und von irgendwoher schoß eine Stichflamme in die Höhe. Das Ablenkungsmanöver! schoß es mir durch den Kopf. Ich sah, wie fast alle Leute, die sich an den anderen Förderbändern aufhielten, zu der Stelle hinabliefen, wo jetzt irgend etwas brannte. Die meisten rissen im Vorbeilaufen Feuerlöscher an sich, die in reichlicher Zahl an den Wänden und Pfeilern der Halle und an den Verstrebungen der Förderbänder hingen. Natürlich beteiligten sich unsere G-men nicht an dem Wettlauf zum Feuer. Sie wußten, was ihre Aufgabe war. Ich beugte mich wieder über das Geländer der Galerie und sah auf die Elektrokarren hinunter. Sie packten gerade die Kisten vom vierten Karren in den Lastenfahrstuhl, und das war verdammt eine Leistung. Die Burschen hatten so schnell gearbeitet, daß es einem auffallen mußte, auch wenn man nichts von einem geplanten Raubzug gewußt hätte. Ich sah zu der Arbeitsgalerie, wo die drei Männer an der Rutsche standen. Sie hatten die Goldkisten auf das endlos lange Förderband gestellt, aber es noch nicht eingeschaltet. An seinem Westende begann die Rutsche, ungefähr zwei bis drei Meter schräg abwärts. Danach folgte der Verteilerfächer. Er war noch geschlossen. Es war also noch nicht auszumachen, wohin sie den Strom der Goldkisten lenken würden. Insgesamt konnten von der Rutsche her 24 Auffangbehälter angesteuert werden. Ich zerbrach mir wieder einmal den Kopf, mit welchem Trick sie es schaffen wollten, an den Kontrollposten der Flughafentore vorbeizukommen. Und dann fuhr ich zusammen, als hätte mich plötzlich ein Stromstoß getroffen.
Urplötzlich erfüllte der scharf krachende Lärm von einem Dutzend Maschinenpistolen die Halle. Ich schaute hinab und sah, wie die vier Uniformierten von der Wachgesellschaft von den Kugeln getroffen wurden. Im selben Augenblick aber setzte sich auch das oberste Förderband kreischend in Bewegung und trieb die Kisten auf die Rutsche zu. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich, wie vier Männer in einem buchstäblich mörderischen Kugelhagel starben. Es mußten mindestens zwölf Schützen sein! Und wir hatten mit drei oder vier gerechnet... Als die Schießerei anfing, kletterte Phil in dem Gestänge vor dem Verteilerfächer herum, weil dort schließlich die Entscheidung fallen würde, in welche der 24 Verteilerbahnen der Goldstrom gelenkt werden würde. Phils Sicht in dem wirren Durcheinander von senkrechten, waagrechten und diagonalen Stützstreben war so behindert, daß er sich kein vernünftiges Bild von der Lage machen konnte. Also entschloß er sich, auf den Boden der Halle zurückzukehren. Er stopfte die Frachtbriefe zwischen zwei Streben, damit er die Hände freibekam, und rutschte an einer senkrechten Stange nach unten. Noch immer dröhnten die ratternden Stöße aus wer weiß wie vielen Maschinenpistolen. Dazu kam das ratternde Kreischen des ganz oben eingeschalteten Förderbandes. Der scharfe Geruch von verbranntem Schießpulver hing auch schon in der Luft. Und plötzlich krachte in dem chaotischen Durcheinander irgend etwas. Phil stieß hart auf dem Betonboden der Halle auf. Undeutlich sah er eine schemenhafte Gestalt halb links hinter sich... Aber da war es schon zu spät. Als die wüste Schießerei losging, hockte Zeery, der G-man indianischer Abstammung, auf einer Elektrokarre und spielte den auf irgend etwas Wartenden. Die ersten Schüsse sirrten als Querschläger gefährlich dicht neben Zeery vorbei, so daß ihm nichts übrigblieb, als eilig in Deckung zu gehen. Mit einem wahren Panthersatz hechtete er zu dem Gestänge der Förderbänder hinüber und brachte sich dort, so gut es ging, in Sicherheit. Aber das Kreuz und Quer der Streben und Stutzen, das ihm eine gewisse Sicherheit verschaffte, war zugleich auch ein Nachteil. Es behinderte seine Sicht. Er sah die vier Männer der privaten Wachgesellschaft vor seinen Augen sterben, ohne die Mordschützen entdecken zu können. Sie mußten irgendwo über ihm sein. Er zog seinen Smith & Wesson 38 Special aus der Halfter unter seinem orangeroten Overall hervor und schob sich tiefer in das Gestänge hinein, bis er eine Stelle gefunden hatte, die ihm günstig erschien. Er begann, lautlos wie eine Katze in den Stahlrohren emporzuklettern. Als er einen Augenblick verhielt, um den besten Weg zu suchen, hörte er unter sich etwas klirren. Er schaute hinab und sah Phil in seinem hellgrauen Anzug sich nach irgend etwas bücken. In diesem Sekundenbruchteil krachte ein vereinzelter Schuß — und Zeery sah mit kaltem Entsetzen, daß Phils Hinterkopf weggerissen wurde, als sei mitten in seinem Hirn eine Handgranate explodiert. Als sie das Förderband einschalteten und die Kisten auf die Rutsche zugeschoben wurden, wo sie dann vom eigenen Gewicht die Schräge hinabgleiten würden, war es für mich ein Alarmsignal. Ich mußte alles daran setzen, jetzt wenigstens das Westtor, das zu dieser Förderanlage gehörte, abzuriegeln, damit die Burschen nicht davonkommen konnten, so viele es auch sein mochten. Ich flankte über das Geländer der Galerie, hielt mich mit beiden Händen einen Augenblick fest, gab mir einen Schwung und sprang hinab. Ich kam hart auf, aber ich federte sofort wieder empor — und sah ungefähr zwölf Schritte von mir, wie Phil in seinem hellen Sommeranzug sich nach irgend etwas bückte. Und da krachte dieser eine verfluchte Schuß, und mir blieb das Herz stehen. Das nackte Chaos kam auf, als sie auch noch ihre Rauchbomben warfen. Innerhalb weniger Sekunden war alles von grauschwarzem Nebel verhüllt, der sich beißend auf die Atemwege
legte und einem jede Sicht nahm. Das Schießen hörte auf. Aber dafür gellten die Sirenen von Einsatzfahrzeugen der Flugplatzfeuerwehr, das Rufen von Männern, das Quietschen von Elektrokarren und das ratternde Dröhnen des noch immer eingeschalteten Förderbandes. Ich torkelte durch den beißenden Qualm. Ich rannte mit dem Schädel gegen stählerne Träger und Streben. Ich hustete, keuchte, kletterte im Gestänge der Förderanlagen herum und war dabei wie von Sinnen. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis sich der Rauch wenigstens halbwegs verzogen hatte. Aber ich erinnerte mich, daß ich mit tränenden Augen und einer Stimme, die nur noch ein heiseres Krächzen war, auf Zeery stieß. Zeery dürfte der eitelste Mann beim New Yorker FBI sein. An diesem Tag sah auch er nicht mehr wie aus einem Modejournal entsprungen aus. Sein Gesicht war rußgeschwärzt. Im linken Hosenbein hatte er einen dreieckigen Riß. Von seinem rechten Daumen tropfte Blut. „Jerry!" rief er. „He, Jerry!" Ich hatte im ganzen langsam dünner werdenden Qualm eine Gestalt auf dem Betonboden der Halle entdeckt und stürzte darauf zu. Es war ein Mann in dem orangefarbenen Overall, den die Flughafenarbeiter trugen. Er mochte um 40 sein, aber ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Eine Kugel hatte ihm den Kehlkopf und die Halsschlagader zerfetzt. Ich kniete in der großen Blutlache, die ihn umgab. Ich starrte auf den zerfetzten Hals, und der Brechreiz in mir würgte mir fast den Atem ab. „Jerry!" gellte es an meinem Ohr. Ich wandte langsam den Kopf. Undeutlich erschien Zeerys Gesicht vor mir. „Was tust du?" schrie er mich an. „Ich suche Phil", krächzte ich. „Was soll ich denn sonst tun?" Zeery griff mir in die Achselhöhlen und zog mich hoch. „Hast du gesehen, was mit ihm passiert ist?" krächzte er, genauso heiser wie ich. Ich konnte nur nicken. Aber ich sah es wieder vor mir: die gebückte Gestalt — und dann... Ich wankte ein paar Schritte zur Seite, hielt mich an dem Gestänge des Förderbandes fest und übergab mich. Und wieder war Zeery neben mir. „So hat das keinen Sinn", krächzte er, hustete und machte eine umfassende Handbewegung. „Ich organisiere jetzt eine methodische Suche. Du suchst dir einen Wasserhahn. Halt den Mund und tu, was ich dir sage, verdammt noch mal!" Der Gestank des Erbrochenen stieg mir in die Nase. Und der bittere Geruch der Gallenflüssigkeit, die vom Kinn auf mein Jackett getropft war. Ich mußte mich erneut bücken, und in meinem Magen gab es krampfartige Schmerzen, die mir fast die Luft nahmen. Als ich versuchte, mich aufzurichten, schnitt mir eine Schmerzwelle mit Rasiermesserschärfe durch die Eingeweide. Ich mußte mich zusammenkrümmen, um überhaupt ein paar Schritte machen zu können. Aber ich fand einen Wasserhahn an einer gefliesten Stelle der Hallenwand, wo auch ein Abfluß vorhanden war. Ich zog das Jackett aus, riß mir die Krawatte vom Hals und hielt den Kopf unter das kalte Wasser. Ich spülte mir den Mund aus und schaufelte ein paar Handvoll Wasser an die Lippen. Danach ging es mir etwas besser. Ich säuberte mich, so gut es ging. Dann setzte ich mich auf einen in der Nähe stehenden Elektrokarren und starrte leer vor mich hin. Ich weiß nicht, wie lange ich so saß. Irgendwann erschien Zeery mit den Kollegen. „Jerry", sagte er. „Ja?" fragte ich. „Verstehst du, was ich sage?" „Warum sollte ich es nicht verstehen?" Ich sah sie dastehen, die vertrauten Gesichter von verläßlichen Kameraden, aber ich sah sie dennoch nicht. Ich sah nur immer wieder diese Gestalt in dem hellgrauen Sommeranzug, die sich nach irgend etwas bückte, und der plötzlich der halbe Hinterkopf weggerissen wurde. „Es hat keinen Zweck", drang eine Stimme an mein Ohr. Ich hob den Kopf. Durch die großen, offenstehenden Hallentore hatte sich der Qualm ihrer Rauchbomben nicht allzu lange halten können, denn es fegte stets ein frischer Wind über das weite, ungeschützte Gelände. Aber es war lange genug gewesen für ihre Zwecke. „Was hat keinen Zweck?" fragte ich.
„Mit dir zu sprechen", sagte Zeery. „Du hörst ja nicht zu." „Doch", widersprach ich. „Ich höre zu." Meine Stimme klang so fremd, daß ich versucht war zu kichern. Aber das durfte ich natürlich nicht. Deshalb hob ich den Kopf und blickte Zeery fest an. „Wirklich, ich höre zu", wiederholte ich. Zeery sah mich zweifelnd an. Schließlich zuckte er mit den Achseln und meinte: „Also gut. Paß auf! Die Tatsachen sind folgende: Erstens ist das Gold weg. Sie haben es. Gold für 16 Millionen Dollar. 60 stabile Holzkisten. Wie sie es geschafft haben, ist im einzelnen noch nicht klar. Aber sie haben es, und sie sind fort damit." „Ja, ja", sagte ich. Es interessiert mich nicht besonders. „Hörst du noch zu?" fragte Zeery. „Sicher. Natürlich höre ich zu. Was gibt's denn noch?" „Sie haben sechs Tote zurückgelassen. Vier uniformierte Männer der Adler-Wachgesellschaft und zwei Flugplatzarbeiter. Von ihnen selbst ist nicht einmal eine leere Zigarettenschachtel zurückgeblieben." „Aha." „Ja. Das ist, was wir in den paar Minuten feststellen konnten, seit sich der Qualm einigermaßen verzogen hat." „Ja", sagte ich. Sie standen um mich herum, sie sahen mich an, aber ich sah sie nicht eigentlich. Ich sah immer wieder dasselbe Bild. Und dann stemmte ich mich von der Elektrokarre hoch und fragte das einzige, was mich in diesem Augenblick interessierte: „Wo ist Phil?" Ihre Gesichter verrieten, daß sie ihn nicht gefunden hatten. „Ich gebe das Kommando ab", sagte ich. „Mach du den Kram weiter, Zeery!" Ich ging hinaus auf das riesige Rollfeld. Zeery rief mir irgend etwas nach, aber ich konnte ihn nicht verstehen, weil ich es gar nicht richtig hörte. Die Dämmerung senkte sich über Manhattan und längst glühten die Millionen bunter Reklamelampen und die Lichter in den Wolkenkratzern. Vor den Theatern bildeten sich Schlangen. An den Kinos drängelten sich die Leute, wo es einen Film gab, „den man gesehen haben mußte". Überall, wo irgendeine Form von Vergnügung angeboten wurde, stauten sich erwartungsfrohe Menschen an den Eingangstüren. Ich hatte mich geduscht, umgezogen und einen kleinen Whisky getrunken. Seit einer halben Stunde lehnte ich in einer Nische in der 84th Street und beobachtete das Kommen und Gehen vor dem „Red Rose". Das war ein Nachtlokal, das in der letzten Zeit bei den reichen Leuten für schick galt. Von anderen Einrichtungen ähnlicher Art unterschied es sich, wie man hörte, durch seine erstklassige Küche und der Tatsache, daß jeden Abend nur ein Künstler das ganze Unterhaltungsprogramm gestaltete. Der allerdings mußte ein Künstler von Weltruf sein. Es war 8.10 Uhr, als die zitronengelbe Cadillac-Limousine vor dem Baldachin des „Red Rose" vorfuhr. Max Weinberg stieg allein aus. Er beugte sich zu seinem Fahrer und vereinbarte irgend etwas mit ihm. Der Wagen rollte lautlos davon, und Weinberg stieg die paar Stufen zum Eingang des Lokals hinab. Der Portier in seiner goldstrotzenden Operettenuniform riß die Mütze vom Kopf und die Tür auf. Die Verbeugung grenzte an Gymnastik. Ich schnippste den Zigarettenstummel in den Rinnstein, ließ eine Minute vergehen und überquerte eilig die Straße. Ich tat, als ob ich atemlos wäre, als ich vor dem Portier aufkreuzte. „Bitte", sagte ich drängend, „ist Mr. Weinberg schon angekommen? Ich habe eine wichtige Nachricht zu überbringen, und man sagte mir..." Ich tat, als ob mir die Puste ausgegangen sei und keuchte. „Mr. Weinberg hat vor wenigen Minuten unser Haus betreten. Vielleicht finden Sie ihn noch an der Garderobe." Er unterhielt sich offenbar nur ungern mit Leuten, die nicht nach ein paar Millionen Dollar rochen. Auch überließ er es mir, die Tür aufzuziehen. Dahinter empfing mich sofort ein großer Vorraum mit einer riesigen hufeisenförmigen Bar. Auf dem Boden lag ein dicker
Teppich. An den Wänden glänzten roter Samt und goldene Zierleisten, Spiegel und zierliche Wandleuchten, von dem kristallbehangenen Lüster an der Decke gar nicht zu reden. Hier trugen alle Gäste Abendgarderobe. Ich war der einzige, der in einem Straßenanzug hereinkam. Max Weinberg trug einen Frack und stand an der Bar, wo er mit einem Mixer plauderte. Es war offensichtlich, daß man ihn hier kannte, denn beinahe jeder, der an ihm vorbeiging, grüßte mehr oder minder vertraut. Ich kümmerte mich nicht um die Blicke einiger schmuckbehangenen Damen, sondern marschierte geradewegs auf Weinberg zu. Er war ungefähr 60. Seine wahren Vermögensverhältnisse kannten weder er noch das Finanzamt wirklich. Offiziell gehörten ihm 94 Wäschereien und zwei Supermarktketten. Inoffiziell gehörte ihm Manhattan, denn er kontrollierte das Glücksspiel und die Prostitution. Dabei sah er aus wie ein gutmütiger Onkel, der ein bißchen Bauch angesetzt hat. Ich stellte mich neben ihn an die Bar und sagte: „Scotch, bitte. Mit zwei Eiswürfeln. Ohne Wasser." Der Barkeeper musterte mich, als habe er etwas höchst Widerwärtiges vor sich. Auch Max Weinberg hatte mir einen kurzen Blick zugeworfen, als er meine Stimme hörte. Eins mußte man ihm lassen: Er konnte sich beherrschen. „Ich verstehe nicht, wie Sie in dieser Garderobe hier hereinkommen konnten", näselte der Barmensch. „Oh, Henry", sagte Weinberg leichthin, „wir wollen es doch nicht so genau nehmen. Scotch für den Gentleman, Sie haben es ja gehört." Nun war die Verwirrung des Keepers vollkommen. „Ja", stammelte er, „wenn Sie es wünschen, Mr. Weinberg, selbstverständlich sofort." Er zählte ein paar Marken auf, von denen ich wußte, daß ich mir keine von ihnen eigentlich hätte leisten können. Ich wählte trotzdem einen 25jährigen. Danach tauschte ich einen Blick mit Weinberg. Er sah in eine Nische, in der ein kleiner runder Tisch von zwei Rokokosesseln flankiert wurde. Ich nickte unmerklich, während Weinberg sich bereits auf den Weg zur Nische machte. Der Barmann legte eine Serviette vor mich hin, einen Silberstab zum Rühren und stellte das Glas mit Goldrand daneben. „Mr. Weinberg scheint seinen Drink vergessen zu haben", murmelte ich, sammelte mit der Linken meine, mit der Rechten Steinbergs Trinkutensilien zusammen und folgte ihm in die Nische, wo ich mich vorsichtig in dem geschnitzten Sesselchen niederließ. „Prost", sagte Weinberg und hob sein Glas. Seine Augen wirkten wie die eines toten Schellfischs. Aber ich ließ mich nicht davon täuschen. Weinberg war alles andere als ein toter Fisch. „Wenn der FBI hinter mir herschnüffelt", sagte Weinberg leise, aber in einem überaus freundlichen Tonfall, „dann ist das seine Sache. Aber wenn so ein verdammter Plattfuß sich einbildet, er darf mich beim Abendessen stören, dann frage ich mich, wie lange dieser Plattfuß wohl noch Schuhe brauchen wird." Er lächelte dabei. Aber ich wußte, daß seine Drohung durchaus ernst zu nehmen war. Ich nahm erneut einen Schluck von dem herrlichen Whisky, stellte das Glas auf die Serviette und sagte kühl: „Wenn Sie mir noch einmal drohen, Weinberg, kippe ich Ihnen diesen Whisky in Ihre Visage. Obgleich es verdammt schade um den W hisky wäre." Nur ein leichtes Stirnrunzeln verriet, daß er überrascht war. Sein Blick kroch von meinen Händen langsam hoch bis zu meinen Augen. Sein Format zeigte sich, als er sofort begriff, daß in mir eine tödliche Entschlossenheit alles andere beherrschte. Ohne die Freundlichkeit seines Tonfalls zu verändern, murmelte er: „Okay, mein Junge. Was ist los?" „Heute nachmittag sind auf Kennedy International 16 Millionen Dollar in Gold geraubt worden." Nun war er wirklich verblüfft. Er schnupperte an seinem Drink, weil er Zeit gewinnen wollte. Dann rührte er in seinem Cocktail und sagte ins Leere: „Es ist also wirklich war?" Obgleich ich ihn genau beobachtete, war mir klar, daß man in seinem Gesicht bestimmt nicht erkennen konnte, was mich interessierte. Es gab höchstens die Möglichkeit, daß er sich in einer Geste verriet, aber selbst das war zweifelhaft. „Ja, es ist wahr", sagte ich hart. „Und es hat Tote gegeben. Da sind mindestens zwölf Maschinenpistolen eingesetzt worden."
„Um Gottes willen!" sagte er, und es klang, als sei er wirklich betroffen. Aber nicht einmal das durfte man einem Mann wie Max Weinberg glauben. „Was wissen Sie von dieser Geschichte?" fragte ich. Zum ersten Mal sah er mich so an, daß man das Gefühl bekam, er sehe wirklich und blicke nicht durch einen hindurch. „Ich weiß nichts davon, Cotton", sagte er. „Und wenn ich etwas davon erfahren hätte, würde ich es schärfstens mißbilligt haben." Ich beugte mich ein wenig hinüber und sagte mit rauher Stimme: „Sie haben andere Möglichkeiten als wir, Mr. Weinberg. Ich gebe Ihnen 24 Stunden Zeit. Dann will ich von Ihnen etwas erfahren. Haben Sie mich verstanden? Bis morgen abend acht Uhr!" Auf einmal war wieder die falsche Freundlichkeit in seiner Stimme, als er fragte: „Wollen Sie mir drohen? Wollen Sie mir ein Ultimatum stellen?" Ich stand auf. „Höchste Zeit, daß es endlich einmal einer tut", sagte ich. „Mein Gott, was ist mit Ihnen?" „Was soll mit mir sein?" „So habe ich Sie noch nie gesehen. Das ist nicht Ihre Art. Sagen Sie mir, was an der Sache so schlimm ist, daß Sie Ihren Kopf riskieren?" „Kopf stimmt", sagte ich hart. „Den Kopf meines Freundes hat es schon gekostet. Und es ist mir verdammt egal, ob es meinen noch kosten wird. Aber vorher, Weinberg, vorher will ich dem Mörder meines Freundes Phil Decker die Hand auf die Schulter legen und meinen Spruch sagen. Ich meine nicht den einen unter den zwölf oder mehr Gangstern, der zufällig den für Phil tödlichen Schuß abgab. Ich meine den Kopf, der das alles geplant und die Leichen dabei einkalkuliert hat, wie andere Leute ihre Portokosten einkalkulieren. Also denken Sie dran: bis morgen acht Uhr. Und strengen Sie sich an! Auch ein Max Weinberg ist nicht unsterblich." Ich hatte noch von zu Hause aus ein paar Telefongespräche geführt. Als ich aus dem feinen Laden herauskam, in dem Leute wie Max Weinberg es sich erlauben konnten, zu speisen, überquerte ich wieder die Straße und ging die 84th Street hinunter in Richtung auf den East River. Dort, wo der Carl-Schurz-Park beginnt, heißt die Verlängerung der 84th Gracie Square. Und dorthin hatte ich den ersten bestellt. Inzwischen war es fast dunkel geworden, soweit es in Manhattan bei der Lichterfülle je dunkel werden kann. Ich ging ein paar Schritte in den Park hinein und fand meinen Mann auf der ersten leeren Bank, die zum Fluß blickte. Wortlos setzte ich mich neben ihn, zündete mir eine Zigarette an und legte die Schachtel so zwischen uns, daß ein Vorbeigehender nicht hätte erkennen können, ob sie mir oder ihm gehörte. „Mein Freund ist umgebracht worden", sagte ich. Meine Stimme hatte immer noch diesen fremdartigen Klang, der mich selbst verwunderte. Tony Calipolos sah mich mit offenem Munde an. „Auf Kennedy Airport", fuhr ich fort. „Heute nachmittag. Die Sache war erstklassig organisiert. Zwölf oder noch mehr Mann. Alle mit Maschinenpistolen. Sie haben um sich geschossen, was die Magazine hergaben. Ich rechne, daß es wenigstens sechs Tote gegeben hat. Außerdem wurde gestern ein junges Mädchen namens Jane Steinfield umgebracht. Macht sieben Tote." „Du lieber Gott", stöhnte Tony, „wer ist denn so verrückt?" „Das will ich von dir wissen. Und zwar bis morgen abend um acht Uhr. Wieder hier. Hör dich um!" „Worum ging es überhaupt?" „Schau dir die Fernsehnachrichten an! Es dürfte der Sensationsbericht des Jahres sein. Also bis morgen. Und komm mir nicht mit leeren Händen!" Ich stand auf und ließ die Zigarettenschachtel liegen. „Ich werde Geld brauchen, wenn ich etwas erfahren soll", sagte Tony Calipolos schnell. „In der Schachtel sind 500 Dollar", sagte ich. Alfredo Pinelli hatte vielleicht genauso viel Geld wie Max Weinberg. Er war auch ungefähr im selben Alter. Aber das war alles, was sie gemeinsam hatten. Während aber Pinelli der
primitivere war, war er gerade deshalb schwieriger zu finden. Ich versuchte es zuerst in der 14th Street in einem Haus, das seit 20 Jahren abgerissen werden soll und vielleicht in 100 Jahren noch stehen wird. Aber als ich langsam daran vorbeifuhr, wußte ich, daß sich hier nichts tat. Sie hatten sich irgendwo andershin verkrochen. Ich fuhr in die 22nd Street auf der Westside, stellte den Jaguar vor einem Polizeirevier ins Parkverbot und sagte im Revier Bescheid, daß es mein Wagen war. Danach ging ich in die 24th Street und zwei Blocks nach links, also zum Hudson hin. Dort gab es eine ganze Häuserzeile, vor der Treppen hinauf zum Hochparterre und daneben hinab zu den Kellerwohnungen führten. Vor einer dieser abwärts führenden Treppen lungerten zwei Typen herum, die unsereiner erkennt, auch wenn er sie nicht kennt. Ich hielt mich nicht mit Vorreden auf, sondern fragte sie unverblümt: „Ist Pinelli unten?" In der Nähe brannte eine Straßenlaterne. So konnten wir uns gegenseitig gut sehen. Die beiden — sie waren etwa 25 Jahre alt — betrachteten erst mich mit größter Gelassenheit, dann sich selbst ausführlich. Dann fingen sie wieder an, von den Baseballspielen zu reden. Ich setzte meinen linken Fuß vor. Es muß Zufall gewesen sein, daß er auf der Turnschuhspitze des einen landete. Als ich dann auch noch mein Gewicht ein bißchen verlagerte, blieb es nicht ohne Wirkung. Ich wiederholte: „Ist Pinelli unten?" Der von mir Festgenagelte wollte ausholen. Der daneben fummelte in der Hosentasche nach dem unvermeidlichen Schnappmesser. Ich faltete die Hände, ließ sie auseinanderfahren, und so ergab es sich, daß auf einmal jeder einen Ellenbogen von mir in der Magengegend hatte. Bevor sie rückwärtsfallen konnten, hatte ich beide Hände in ihren Haarschöpfen, drückte ihnen die Köpfe an die Hauswand und sagte: „Hände an die Mauer! Beine zurück! Und wackelt nicht mit den Ohren!" Bei uns in den Staaten weiß jeder, was es bedeutet, wenn man aufgefordert wird, sich mit zurückragenden, gespreizten Beinen gegen eine Hauswand zu lehnen. Die beiden wußte es auch. Aber der rechte wollte es trotzdem probieren. Er trat nach mir. Ich griff sein Fußgelenk, drehte ein bißchen, und er legte sich stöhnend auf den Gehsteig. „Ich frage zum letzten Mal hier", sagte ich. „Das nächste Mal frage ich im Vernehmungszimmer: Ist Pinelli unten?" Sie konnten kein Format haben, sonst hätte man sie nicht als Türsteher für geheime Pokerpartien aufgestellt. Aber sie waren wenigstens gescheit genug, zu wissen, wann sie verloren hatten. „Nein, Sir", stammelte der, der auf dem Gehsteig hockte und seinen Knöchel mas sierte. „Mr. Pinelli ist heute nicht hier. Ehrenwort!" „Weißt du denn, wie das geschrieben wird?" fragte ich. Er sah mich verständnislos an. Ich glaubte nicht, daß es etwas gebracht hätte, wenn ich versucht hätte, ihm die Bedeutung des Wortes „Ehrenwort" zu erklären. Deshalb winkte ich ab und sagte: „Okay, davon werde ich mich überzeugen." Der mit dem Knöchel sprang auf. Der an der Wand wagte sich umzudrehen. „Um Gottes willen!" riefen sie gleichzeitig. Und der mit dem Knöchel fügte schnell hinzu: „Chef, wenn Sie da reinplatzen, sind wir unseren Job los. Und wir haben keinen anderen." Er sagte es so treuherzig, daß ich stutzig wurde. „Sie wissen doch, wie's heute ist", fügte der andere hinzu. „Und von irgendwas muß man doch leben." Sie hatten ja recht. Die Jobs bei uns sind heutzutage rar geworden. „Na schön", brummte ich. „Aber ich muß wissen, ob Pinelli unten ist." „Er ist wirklich nicht da. Aber gestern nacht, als Mr. Pinelli herauskam, da sagte er: ,Also dann morgen bei Louise'. Das hat er wirklich gesagt, Sir." Ich grinste zufrieden. „Die gute, alte Louise", sagte ich. „Die kann's nicht lassen, und wenn sie 100 Jahre alt werden sollte." Ich zupfte zwei Fünf-Dollar-Noten aus dem Päckchen in meiner Hosentasche und gab sie ihnen. „Wir haben uns nie gesehen", erklärte ich dabei. „Kein Mensch hat nach Pinelli gefragt — und folglich gibt es für euch keinen Grund, in der Gegend herumzutelefonieren. Klar?" „Ehrenwort, Chef", sagte der mit dem Knöchel schon wieder. „Sie sind 'n dufter Typ. So einen legen wir nicht rein."
„Versucht trotzdem, einen anderen Job zu kriegen!" riet ich ihnen. „Ich kenne viele, bei denen es genauso anfing wie bei euch. Dann kamen die ersten besser bezahlten Aufgaben, dann kam das Geldeintreiben — und irgendwann kam Schlimmeres. Und am Ende stand immer Sing Sing. Denkt darüber nach!" Ich marschierte zu meinem Jaguar zurück und zerbrach mir den Kopf, bei wem ich am schnellsten herausfinden konnte, in welchem Hotel Louise wieder ihre in Spielerkreisen berühmte „Geburtstagsparty" organisiert haben mochte. Und weil mir nichts Besseres einfiel, kam ich auf eine ganz verwegene Idee... Hätte ihn jemand beobachtet, er hätte ihn vielleicht für einen turnenden Schimpansen gehalten. Denn Tack Hessling war verwachsen. Er hatte, wie man im Volksmund sagt, „einen Buckel". Dennoch war er gewandt wie ein Kletteraffe. Die Feuerleiter war für ihn überhaupt kein Problem. Und da er geschwärzte Tennisschuhe trug, blieb er unhörbar. Er hatte sich mit allem Nötigen ausgerüstet, aber er brauchte kein Einbrecherwerkzeug. Denn gleich neben der Feuerleiter stand ein Fenster jener Wohnung offen, die sein Ziel war. Er kauerte sich nieder und lauschte konzentriert. Aus der Wohnung drang nicht das leiseste Geräusch. Hessling wußte, daß kein Mensch völlig lautlos ist, wenn er sich in seiner Wohnung aufhält und es für ihn keinen Grund zur Geräuschlosigkeit gibt. Also schwang er sich über die Fensterbrüstung und schaltete ungeniert seine mitgebrachte Taschenlampe ein. Er war überzeugt davon, daß niemand zu Hause war. Was für ihn bedeutet hätte, daß er warten mußte, bis der Wohnungsinhaber zurückkehrte. Er war in die Küche geraten. Auf dem Tisch stand eine Schüssel für Eiswürfel, in der Wasser war, und ein leeres Glas neben einer Bourbonflasche. Plötzlich hörte Hessling unten in der Straße das Quietschen von Autoreifen. Er schaltete sofort seine Taschenlampe aus und drehte sich um. Mit der linken Hand riß er versehentlich etwas von einem Küchenschrank, der neben dem Fenster stand. Es fiel polternd zu Boden und verriet mit seinem Klirren, daß das Glas zerbrochen war. Hessling kümmerte sich nicht darum, sondern schaute vorsichtig hinab in die Straße. Jemand parkte rückwärts in eine Lücke. Es war ein Mann. Aber er überquerte die Straße und betrat ein Haus schräg gegenüber. Wieder schaltete Hessling die Taschenlampe ein und bückte sich. Er hatte einen billigen Wecker vom Schrank gestoßen. Seine Glasscheibe war zerbrochen. Daß der Wecker auch stehengeblieben war, hielt Hessling nicht für wichtig. Er ließ ihn liegen, stand auf und betrat das Wohnzimmer. Als er den Schein seiner Lampe umherwandern ließ, gerieten plötzlich zwei Beine in den Lichtkreis, die von oben herabhingen und keinen Kontakt mit dem Fußboden hatten. Hessling ließ den Lichtschein höher wandern. Der Mann hatte sich an der Lampe aufgehängt. Auf dem Tisch lag ein geschlossener Briefumschlag mit der dicken Aufschrift: FÜR DIE POLIZEI Hessling schob den Umschlag in seine Tasche und huschte zur Wohnungstür. Sie war nicht abgeschlossen. Als er ins Treppenhaus trat, ging die Tür der Nachbarwohnung auf, und das Licht im Treppenhaus flammte auf. Schnell sagte Hessling zurück, als ob er sich von jemand verabschiedete: „Gute Nacht, Mr. Steinsfield. Schlafen Sie gut!" Und damit zog er die Wohnungstür hinter sich zu. Das „Pierre" ist einer der Luxusschuppen in dieser an Luxus nicht eben armen Stadt. Ich hatte meine besten Koffer schnell zu Hause mit allem möglichen vollgestopft, was mir gerade in die Hände fiel, und verließ mich darauf, daß auch in New York ein Jaguar nicht gerade ein häufiges Fahrzeug ist. Wie es sich für einen blasierten Millionär gehört, fuhr ich vor dem „Pierre" vor und ließ den Jaguar genau unter dem Baldachin stehen. Der Türsteher riß mir die Tür auf, aber ich nahm von ihm keine Notiz. Ich stolzierte zur Rezeption und zupfte dabei gelangweilt die dünnen Schweinslederhandschuhe von meinen Fingern, die ich nur für diese Show angezogen hatte. „Ich hab's mir überlegt", sagte ich von oben herab, „ich bleibe noch ein oder zwei Tage in New York. Haben Sie ein Zimmer?"
„Natürlich, Sir", versicherte der Empfangschef, der durch die breiten Türen deutlich meinen Jaguar erkennen konnte. „Ich lasse den Wagen in die Garage bringen." „Nein, ich brauche ihn noch. Lassen Sie nur das Gepäck herausholen und auf mein Zimmer bringen." „Gern, Sir!" Er winkte weitaus hoheitsvoller, als es sich ein wirklich regierender König heutzutage noch erlauben dürfte, und gab die nötigen Anweisungen. Danach wandte er sich mir wieder zu. „Wäre Ihnen der 9. Stock recht, Sir?" „Sicher." Ich zupfte eine 50-Dollar-Note von dem Päckchen in meiner Hosentasche und legte sie diskret neben den Stapel Ansichtskarten, die auf dem Tisch standen. Dabei beugte ich mich ein wenig vor und sagte in jenem vertraulichen Tonfall, den Hotelgäste anzunehmen pflegen, wenn sie vom Portier gewisse Adressen brauchen: „Ich würde gern mal wieder ein Spielchen machen. Wie ich hörte, hat Louise heute abend eins ihrer berühmten großen Spiele organisiert. Sie wissen nicht zufällig, wo?" „Sir, ich werde es bestimmt in Erfahrung bringen", meinte er überzeugt. „Vielleicht nehmen Sie in der Bar inzwischen einen Drink?" „Gute Idee", lobte ich und machte mich auf den Weg. Gute Polizisten müssen nicht alles selber herausfinden wollen. Ab und zu muß man sich jener Leute bedienen, zu deren Beruf es gehört, vieles zu wissen. Und die wirklich guten Hotelportiere wissen verdammt viel. Was der eine nicht weiß, weiß der andere. Also setzte ich mich hoffnungsvoll an die lange Bar und bestellte mir einen Scotch. Und als ich das Glas vor mir hatte und die Eiswürfel klirren ließ, da überfiel mich das Geschehene mit solcher Wucht, daß die Schmerzen im Magen wieder aufbrachen. Ich dachte daran, wie oft wir miteinander Schach gespielt hatten. Ich dachte an die vielen Einsätze, wo wir zusammen den Kopf hingehalten hatten, in der Gewißheit, daß jeder den Rücken des anderen deckte. Die Selbstvorwürfe brachten mich fast um. Ich hätte Phil nicht vor die Rutsche schicken dürfen. Ich hätte mich niemals darauf verlassen dürfen, daß wir es nur mit drei oder vier Gegnern zu tun bekommen würden. Ich hätte, ich hätte, ich hätte... „Sir? Hallo, Sir!" Ich sah auf. Der Barkeeper trat erschrocken einen Schritt zurück, als er mein Gesicht sah. „Was ist?" fragte ich. „Der Portier hat durchgerufen. Die Freunde, die Sie suchen, sind heute abend im Wesley Hotel in der 44th Street." „Danke", sagte ich und stand auf. „Dann wollen wir mal, alter Junge", sagte ich leise. Der Barkeeper runzelte die Stirn. Er konnte ja nicht wissen, daß ich mit Phil sprach. Denn für mich stand er ganz deutlich neben mir. Es gab einen Vorraum mit einem runden Tisch und vier abgenutzten alten Sesseln. Der Teppich zeugte davon, daß dieses Hotel einmal bessere Tage gesehen hatte. Auch die verblichene Tapete an den Wänden hätte schon in den 20er Jahren erneuert werden müssen. Als ich hereinkam, sahen die beiden stämmigen Burschen, die am Tisch saßen, zuerst gelangweilt auf. Dann stemmten sie sich ziemlich schnell in die Höhe. „Hast dich im Zimmer geirrt, Bruder", sagte der Schwarzhaarige. Er war einer dieser ZweiZentner-Männer, ohne die gewisse Kreise nicht auskommen können. Er hatte eine nach links zeigende Nase, eine Narbe von einem tiefen Messerstich im linken Ohr und am Hals eine gezackte Stelle von wildem Fleisch, wo ihm irgendeiner einmal eine Zigarre ausgedrückt hatte. Der andere wog noch ein paar Pfund mehr. Aber seine Pfunde streckten sich als mächtiger Bauch in die Gegend. Auf seinem Kopf gab es nur noch ein paar schüttere Haarsträhnen. Er hatte keine sichtbare Narbe. Das bedeutete nur, daß er besser auf sein Gesicht aufgepaßt hatte. Im übrigen verrieten seine leblosen, hellblauen Augen, daß jedes Gefühl in ihm längst erloschen war, wenn er je zu Gefühlen fähig gewesen war. Ich zeigte auf die Doppeltür. Rechts und links gab es noch je eine einfache Tür. „Ist Pinelli drin?" fragte ich.
Die beiden sahen sich an. Sie wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Natürlich war es ihre Aufgabe, die Spieler vor jeder Störung zu schützen. Andrerseits konnten sie nicht wissen, in welchem Verhältnis ich zu Pinelli stand. „Was willst du von ihm?" fragte der Glatzkopf. „Ich habe ihm was zu sagen. Etwas Wichtiges." „Kennt er dich?" „Sicher", behauptete ich, obwohl es nicht stimmte. „Wie heißt du?" „Jack." „Jack und wie weiter?" „Jack und nichts." Er runzelte die fliehende Stirn und sah seinen Kumpel fragend an. Aber von dem kam auch keine Erleuchtung. Endlich hatte er sich zu einem Entschluß durchgerungen. „Warte hier!" sagte er überflussigerweise. Jack gehört zu den Allerweltsvornamen. Ich hoffte, daß Pinelli genug Leute kannte, die Jack hießen, daß er mit der Möglichkeit rechnen mußte, einer von ihnen komme tatsächlich mit irgendeiner wichtigen Nachricht. Aber entweder hatte ich auf den falschen Namen gesetzt, oder Pinelli ließ sich durch nichts stören, wenn er an seinem geliebten Pokertisch saß. Denn der Glatzkopf kam auf leisen Sohlen zurück und brummte: „Du sollst ihn morgen zu Hause anrufen. Aber nicht vor zwölf. Kapiert?" Ich schüttelte stur den Kopf. „Nein, ich rede jetzt mit ihm." Ich tat zwei Schritte auf die Doppeltür zu. Aber ich wußte natürlich, daß ich es zuerst einmal im Vorzimmer ausfechten mußte. Aus den Augenwinkeln hatte ich sie beobachtet. Der Schwarzhaarige schien zu glauben, daß sein Kumpel das bißchen Arbeit allein machen könnte. Er ließ sich wieder in seinen abgenutzten Plüschsessel fallen. Das war mir entschieden recht. Der andere legte mir die Hand mit gespreizten Fingern auf die Brust und meinte treuherzig: „Du willst doch keinen Ärger, Bruder?" Ich sah auf seine behaarte Hand und wartete einfach. Er druckste und wunderte sich, daß ich stehenblieb. „Besser, du nimmst die Hand weg", sagte ich und sah ihn wieder an. Jetzt verstand er. „Wie du's haben möchtest", knurrte er und holte aus. Bei dem Job darf man sich keinen Bauch anfressen. Ich setzte ihm eine gestochene Linke knapp über die Gürtelschnalle, bevor er mit seiner Rechten kommen konnte. Es war, als hatte ich meine Faust in einen Berg Brotteig hineingedruckt. Es nahm ihm die Luft, und seine Rechte flatterte an mir vorbei, weil ich schnell genug den Kopf wegzog. Schon die alten Chinesen wußten, daß ein Wassertropfen den härtesten Fels höhlt, wenn er nur immer wieder auf dieselbe Stelle fällt. Also setzte ich ihm meinerseits seine Rechte noch einmal genau auf dieselbe Stelle. Sein Gesicht verfärbte sich. Mit dem dritten Schlag wich die Luft aus ihm wie aus einer aufgeblasenen Luftmatratze, und er ging in die Knie. Im selben Augenblick sprang ich zur Seite und warf mich herum. Der schwarzhaarige war heran und holte mit einem gezackten Totschläger aus, den er sich über die Finger gestreift hatte. Mitten im Ausholen erstarrte er. Denn er schaute n die Mündung meines 38ers. „Besser, ihr bleibt friedlich", warnte eh. „Ich will nichts weiter, als mit Pinelli reden, aber hier und jetzt. Und daran werdet ihr beide mich nicht hindern." Ich machte zwei Schritte auf die Doppeltür zu, als sie nach innen aufging. Pinelli kam rückwärts heraus und sagte irgendwem drin: „Nur fünf Minuten." Als er sich herumdrehte, war er es, der in die Mündung meines 38ers schaute. „Keine Dummheiten, Pinelli!" warnte ich. „Ich will Sie nicht umbringen. Sie brauchen also keine Angst zu haben. Ich will mich nur ein paar Minuten mit Ihnen unterhalten. Das ist alles." Pinelli hätte einen Frack tragen können und trotzdem wie ein alter Hafenarbeiter ausgesehen. Es lag an seiner Figur, an seinem Gang, an seinem ganzen Wesen. Unter den buschigen Brauen schaute er mich aus seinen dunklen Augen ausdruckslos an. „Steck die Kanone weg!" brummte er mit seinem sonoren Baß.
„Sagen Sie vorher den beiden da, daß sie friedlich bleiben sollen!" Wieder sah er mich an. Dann nickte er. „Okay, Mann. Ich weiß ja nicht, was Sie so auf die Palme gebracht hat, aber ich sehe, daß Sie ganz oben sind. Also, Jungs, ihr habt's gehört." Der Glatzköpfige rappelte sich mit blassem Gesicht auf. Der Schwarzhaarige war rot vor Wut. Sie trauten dem Braten nicht. Aber sie wußten auch nicht, was sie machen sollten. Der Anblick eines Revolers hat sehr viel Überzeugendes. „Wo können wir uns unterhalten?" fragte ich. Pinelli stapfte statt einer Antwort auf die Tür in der rechten Wand zu. Ich folgte ihm, ohne den beiden Vorzimmerwächtern zu nahe zu kommen. Wir betraten ein gewöhnliches Hotelzimmer mit der abgenutzten Einrichtung, die für das ganze Hotel charakteristisch war. Pinelli ging zum Fenster, wo ein Sessel stand, und ließ sich hineinfallen. „Woher kenne ich Sie?" fragte er. „Das weiß ich nicht. Wir standen uns noch nie so nah gegenüber wie jetzt. Ich habe heute abend mit Max Weinberg gesprochen, Pinelli." In seinen dunklen Augen tauchte ein Flattern auf. „Hat er gesagt, Sie sollen mich umlegen? Hören Sie, mein Junge, damit kommen Sie..." Ich fiel ihm ins Wort: „Ich will Sie nicht umbringen. Solange Sie friedlich bleiben und mir keinen auf den Hals hetzen, passiert Ihnen gar nichts." „Was, zum Teufel, wollen Sie dann hier? Warum stören Sie mich in der größten Pokerparty, die es in dieser Stadt im letzten Jahr gegeben hat?" „Max Weinberg sagt, Sie wüßten etwas über die Sache, die auf Kennedy International passiert ist", bluffte ich. „Über den Goldraub?" dröhnte Pinelli. „Richtig." Sein kantiges Gesicht verfärbte sich dunkel. „Dieser verdammte Hurensohn!" brüllte er. „Er reißt sich den Brocken unter den Nagel — und mir will er es in die Schuhe schieben!" „Wie kommen Sie darauf, daß Weinberg die Sache eingefädelt hat?" „Jungchen", knurrte er, „ich weiß ja nicht, wie gut Sie sich bei uns in der Stadt auskennen, aber eins sage ich Ihnen: Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ich im Fernsehen darüber gesehen und im Radio gehört habe, dann gibt es derzeit in Manhattan nur zwei Männer, die so etwas hätten organisieren können. Das bin ich, und das ist Weinberg. Niemand sonst könnte 15 Maschinenpistolen im genau richtigen Augenblick an der genau richtigen Stelle zur Verfügung haben. Ich weiß, daß ich es nicht war — also wer bleibt da schon übrig?" „Und wenn es Weinberg auch nicht war?" Pinelli schüttelte den Kopf. „Er muß es gewesen sein. Es ist ja nicht damit getan, daß Sie 15 Burschen solche Feuerspritzen in die Hand drücken. Das Ganze muß meisterhaft organisiert sein, bis auf die Sekunde genau. Da gibt's in New York niemand, der das könnte und die Männer dafür hat. Es sei denn ..." Er brach ab und runzelte die Stirn. „Es sei denn was?" fragte ich. „Es sei denn", murmelte er nachdenklich, „es sei denn, da hätten sich ein paar Kleinere zusammengetan..." Bis drei Uhr früh war ich unterwegs. Ich traf mich mit einem halben Dutzend von V-Leuten und Polizeispitzeln und setzte sie unter Druck. Danach fuhr ich in die Midtown und betrat eine Kneipe, in der sich Nacht für Nacht die Zeitungsleute nach getaner Arbeit ihre mehr oder weniger zahlreichen Drinks genehmigten. Ich brauchte nicht lange zu suchen. Johnny O'Connor, Polizei- und Gerichtsreporter vom Herald, hockte an der endlos langen Theke, den speckigen Hut ins Genick geschoben, und stierte auf die Eiswürfel in seinem Glas. „Hallo, Johnny", fragte ich. Er drehte sich halb zu mir herum und riß die Augen auf, als sei er gerade Zeuge des Weltuntergangs. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. „Kommen Sie mit raus!" sagte ich. „Hier ist es mir zu laut." „Bin gleich wieder da, Jimmy!" rief er dem Barkeeper zu und rutschte vom Hocker.
Wir schoben uns durch die Meute der abgespannten Presseleute. Einige erkannten mich. Daran hätte ich denken sollen. Jetzt war es zu spät. An ein Abwimmeln war gar nicht zu denken. Als wir auf der nächtlichen Straße standen, fielen sie über mich her wie ein Rudel Wölfe. Ich wartete, bis sie sich selber leergeschrien haten. Dann sagte ich: „Der Reihe nach — oder ihr seid mich sofort wieder los." Johnny O'Connor hob die Arme und rief: „Kinder, laßt mich machen! Wer hinterher glaubt, er habe noch was auf Lager, kann dann immer noch nachhaken. Cotton, sagen Sie die Wahrheit: Ist Phil tot?" Ich sah mir den alten Johnny an und dachte: Jeder andere hätte nach dem verdammten Gold gefragt, jedenfalls zuerst. Denn das bringt Schlagzeilen, die ein erschossener G-man nicht erreicht. „Ich habe gesehen, wie ihm der Hinterkopf weggerissen wurde, als sei mitten in seinem Kopf eine Handgranate explodiert", sagte ich, und es war sehr still um uns. „Deswegen bin ich zu euch gekommen. Wir brauchen in dieser Sache jede Hilfe, die wir kriegen können. Meine Telefonnummer ist leicht zu finden: Sie steht auf der inneren Umschlagseite eines jeden Telefonbuchs der Vereinigten Staaten." „Soll das heißen, Cotton, daß Sie wie gewöhnlich Ihren Dienst tun?" fragte Johnny O'Connor mit verwunderter Miene. „Genau das", erwiderte ich. „Vor ein paar Stunden, das gebe ich zu, befand ich mich in einer anderen Marschrichtung. Aber dann fiel mir ein, daß Phil es war, der mich zum FBI gebracht hat. Ich denke, jetzt bin ich es ihm schuldig, daß ich kein Stäubchen auf meinen Dienstausweis kommen lasse." Johnny O'Connor schob die Unterlippe vor. Irgendein anderer rief aufgeregt. „Cotton, wie konnte euer Distriktchef einen Einsatz derart falsch planen, wie es bei euch auf Kennedy International der Fall war?" „Wer hat das behauptet?" fragte ich scharf. „Euer Chef hat es in seiner Pressekonferenz selbst zugegeben!" „Mr. High?" fragte ich ungläubig. „Mr. High!" bestätigte der Zeitungsmann. „Davon kann überhaupt keine Rede sein", widersprach ich heftig. „Es war einzig und allein mein Fehler!" Auf einmal griffen sie alle nach ihren Schreibstiften und zogen ihre Notizblöcke. Ich erklärte ihnen knapp, aber wahrheitsgetreu, wie es zu unserem Einsatz gekommen war. Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis sie endlich von mir abließen. Als ich mit Johnny O'Connor allein auf der Straße stand, sagte ich: „Tun Sie mir einen Gefallen, Johnny?" „Jeden, Cotton, das wissen Sie doch. Was soll ich machen?" „Veröffentlichen Sie bei der ersten Gelegenheit, aber wenn irgend möglich auf der ersten Seite, die Polizei sei der Ansicht, daß sich bei diesem tolldreisten und mörderischen Coup mehrere Banden zusammengetan hätten." Johnny fiel beinahe der Kugelschreiber aus der Hand. „Was?" krächzte er. „Sie haben schon richtig gehört", sagte ich. „Und wenn es wirklich so war, dann müßte das bei denen ein ganz schönes Mißtrauen gegeneinander erzeugen." „Ich verstehe", brummte Johnny. „Aber wenn es nicht so war?" „Dann", sagte ich, „wird sich von zwei bestimmten Männern einer sehr sicher fühlen. Und wer sich zu sicher fühlt, der stolpert am schnellsten." Ich drückte ihm die Hand, stieg in meinen Jaguar und fuhr zu meiner Wohnung. Ich betrat sie mit dem Revolver in der Hand. Aber es gab niemand, der auf mich gewartet hätte. Ich nahm Tesafilm und einen Zwirnsfaden und klebte ihn außen an meine Tür, bevor ich wieder zum Pierre fuhr. Wenn ich schon das Zimmer in einem Luxushotel bezahlten mußte, wollte ich wenigstens den Frühstücksservice in Anspruch nehmen. Es war punkt neun Uhr, als ich das Dienstzimmer unseres Chefs betrat. Mr. High war überrascht, stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Ich wollte mich entschuldigen, weil ich gestern mitten im Dienst das Handtuch geworfen hatte, aber er ließ es gar nicht dazu kommen. Er drückte mir die Hand und sagte: „Sie wissen Jerry, daß es mir sehr weh tut."
Ich mußte blinzeln und verfluchte meine Impulsivität. „Chef", krächzte ich, „Chef, es..." „Schon gut, Jerry. Sie können selbstverständlich Urlaub haben." Ich räusperte mich und schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Chef. Ich will keinen Urlaub. Im Gegenteil, ich möchte nur freigestellt werden. Ich habe gestern nacht ein paar Dinge angekurbelt, die wir nicht in der Luft hängen lassen sollten. Andererseits wäre es aber auch nicht gut, wenn wir sie hochoffiziell verfolgen." Der Chef sah mich stumm fragend an. Ich fuhr fort: „Ich habe gestern abend mit Max Weinberg und mit Alfredo Pinelli gesprochen." Auf der Stirn von Mr. High erschien eine Falte. „Was haben Sie?" fragte er ungläubig. „Ich habe mit Weinberg und Pinelli gesprochen", wiederholte ich. „Einfach so?'' „Ja, ich bin einfach zu Ihnen hingegangen." In den Mundwinkeln unseres Distriktchefs entstand die Andeutung eines Lächelns. „Wenn ich ein Army-General wäre", sagte er versonnen, „und wenn ich panzerbrechende Waffen brauchte, dann wüßte ich, nach wem ich rufen würde. Okay, Jerry, ich bin damit einverstanden, daß Sie auf eigene Faust operieren. Unter zwei Bedingungen." „Nämlich?" fragte ich. „Zeery leitet offiziell die Ermittlungen. Stimmen Sie sich mit ihm ab, und halten Sie sich gegenseitig auf dem laufenden." „Natürlich." Mr. High war wieder an seinen Schreibtisch getreten. Links hinter ihm stand die Flagge der Vereinigten Staaten. Rechts war diese Messingtafel, in der nun bald auch Phils Name... In meiner Kehle würgte es. Wie von fern hörte ich die Stimme von Mr. High: „Bitte, Jerry", sagte er, „bitte, tun Sie nichts, was ich nicht verantworten könnte!" Auf einmal war es gar nicht mehr das Gesicht unseres Distriktchefs. Ich sah plötzlich das zerfurchte Gesicht meines Vaters vor mir. Er hatte es nie zu viel gebracht, aber es hatte in seinem ganzen Leben nicht einen einzigen Augenblick gegeben, dessen er sich hätte schämen müssen. Ich räusperte mich erneut und sagte mit fester Stimme: „Diese Gefahr, Sir, besteht nicht mehr." Zeerookah sah wieder aus, wie man es von ihm gewöhnt ist: maßgeschneiderter Anzug und maßgeschneidertes Hemd, dazu handgefertigte Schuhe und Seidekrawatte. Und in seinem Dienstzimmer sah es aus, wie es in jedem Dienstzimmer eines G-man ausgesehen hätte, der als Leiter einer Sonderkommission arbeitet. An den Wänden hängten sie gerade die Fotos auf, die sie offenbar gestern noch am Ort des Überfalls aufgenommen hatten. Ic h schätze, daß ungefähr ein Dutzend Kollegen bei ihm herumschwirrte, als ich sein Zimmer betrat. „Hallo, Jungs", sagte ich. Auf einmal war es totenstill. „Was ist?" fragte ich. „Kennt ihr mich nicht mehr?" Sie wollten mir alle die Hand schütteln. Ich wußte, wie sie es meinten. Und ich wollte dem entgehen. Also sagte ich schnell: „Zeery, ich komme gerade vom Chef. Und ich hab's eilig. Kannst du mal mit rauskommen?" „Sicher, Jerry. Macht weiter, Jungs! Ich bin gleich wieder da." Wir traten hinaus in den Flur, aber auch da war mir zuviel Betrieb. „Ich spendiere einen Kaffee", sagte ich. „Kommst du mit in die Kantine?" „Wenn du möchtest." Er sah nicht sehr glücklich aus bei diesem Gedanken. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, während wir den Flur hinabgingen, und sagte: „Zeery, ich weiß, wie dir jetzt zumute ist. Du kommst dir vor, als würden von dir die Fähigkeiten eines kleinen Computers verlangt. Du sollst 1000 Einzelheiten im Kopfe haben und an weitere 2000 Kleinigkeiten der Reihe nach denken." „Genau!" rief er.
„Laß dich nicht verrückt machen!" riet ich ihm. „Und vor allem: Bilde dir nicht ein, du müßtest alles selber machen. Teile die Aufgabe in verschiedene Themenkreise, und mache für jede einen Kollegen verantwortlich. Du glaubst nicht, wie sehr das die Sache erleichtert." „Gute Idee, Jerry." Wir hatten die Kantine erreicht. Ich ließ uns zwei Tassen Kaffee geben. Wir setzten uns an den hintersten Tisch, wo die größte Ruhe herrschte. Es saßen ein paar Kollegen herum, die Nachtdienst gehabt hatten, und verzehrten ihr Frühstück. In der anderen Ecke redete Steve Dillaggio begütigend auf ein weinendes Negermädchen ein. Wahrscheinlich hing sie in irgendeiner Rauschgiftsache drin. Ich zog meine Zigaretten und zündete mir eine an, nachdem Zeery dankend den Kopf geschüttelt hatte. „Der Chef hat mich freigestellt", erklärte ich. „Aber wir sollen uns abstimmen und in Kontakt bleiben." „Willst du denn keinen Urlaub nehmen?" „Nein, verdammt noch mal! Glaubst du, ich überlasse es anderen, den Mann zu suchen, der sieben Tote und Phil auf dem Gewissen hat?" Zeery senkte den Kopf. „Entschuldige, Jerry", brummte er. „Aber so, wie du gestern..." „Vergiß es!" bat ich. „Gestern war es zu viel für mich. Komm, erzähl mir, was ihr gestern noch ermittelt habt, nachdem ich gegangen war!" „Also, wir wissen jetzt, wie sie uns übertölpelt haben." „Ah ja! Und wie?" „Sie haben von ihrer Rutsche eine Verbindung zur benachbarten gebaut. Sie nennen das 'eine Brücke machen'. Auf diese Weise kann Frachtgut, wenn es in Ausnahmefällen nötig ist, in ein ganz anderes Verteilersystem eingebracht werden als das, wo es angeliefert wurde." „Ich verstehe ungefähr, was du meinst. Es dürfte darauf hinauslaufen, daß sie ein ganz anderes Tor zur Abfahrt benutzen konnten als das von uns in Betracht gezogene. Habe ich recht?" „Genauso ist es. Und mit den Rauchbomben haben sie das nur sehr wirksam verschleiert." „Wißt ihr schon, was für Transportmittel sie benutzt haben?" „Nein, nicht die blasseste Ahnung. Es schwirrten zu viele Lieferwagen und Lastzüge herum. Wir müssen die Befragungen heute fortsetzen. Ich gehe mit 34 G-men raus." „Donnerwetter! Wer hat denn so viele bewilligt?" „Der Einsatzleiter. Auf direkten Befehl von Mr. High." „Was habt ihr sonst noch in Erfahrung gebracht?" „Die drei Männer von der Rutsche sind mit den Räubern verschwunden." „Sieh an! Das ist ein großartiger Anhaltspunkt! Die drei sind doch bekannt!" „Ich habe auf jeden zwei Kollegen angesetzt. Sie sollen bei ihnen zu Hause und in der Nachbarschaft jeden Stein umdrehen. Irgendwie müssen sie mit den Räubern Verbindung gehabt haben, und das muß doch mal irgendeiner beobachtet haben." „Das wird eine mühsame Arbeit", sagte ich aus Erfahrung, „aber sie kann sich lohnen. Was gibt's sonst noch?" „Wir haben natürlich alle Geschoßhülsen eingesammelt — es sind ein paar 100 — und sie der ballistischen Abteilung übergeben. Die sortieren sie nach den benutzten Waffen und untersuchen sie. Vielleicht ist an irgendeiner benutzten Waffe etwas Ungewöhnliches." „Ein paar 100 Geschoßhülsen unterm Mikroskop Millimeter für Millimeter genau betrachten — na, ich danke", sagte ich. „Habt ihr von den Blutspritzern Proben genommen?" „Natürlich! Was denkst du? Die Proben sind alle schon beim Gerichtsmediziner." „Habt ihr sonst etwas gefunden, was ein Hinweis auf einen der Täter sein könnte?" „Jerry, wir haben soviel gefunden, daß wir ein Kuriositäten-Museum eröffnen können. Aber wer will sagen, was einem der Täter gehört haben könnte?" „Was habt ihr denn gefunden?" Zeery stieß einen leisen Pfiff aus, während er sein Notizbuch zückte. Er las vor: „Ein Zinnsoldat mit abgebrochenem Kopf, insgesamt sieben Knöpfe aller Art, vier Büroklammern, die abgebrochene Spitze eines Taschenmessers, vier Kugelschreiber mit den Aufdrucken vier verschiedener Firmen, ein Damentaschentuch, zwei Feuerzeuge, einen Ringschlüssel, ein Schlüsselbund, 46 Zigaretten-Stummel..."
„Was?" unterbrach ich. „Ich denke, in der Halle darf nicht geraucht werden?" „Die Tatsachen beweisen das Gegenteil. Soll ich weitermachen?" „Ja, mach!" „Ein kleiner und ein großer Schraubenzieher, zwei schwarze Unterlegscheiben, ein Ölkännchen, eine Briefmarke, eine Damenperücke..." „Was?" unterbrach ich. Zeery zuckte mit den Achseln. „Ich kann's nicht ändern: eine Damenperücke. Sie hing in dem Gestänge der zweiten Förderanlage. Da sie eine Brücke zur zweiten Verteileranlage gebaut hatten, haben wir auch dort Spuren gesichert." „Mann", sagte ich anerkennend, „wie lange habt ihr denn gestern gearbeitet?" „Bis heute", sagte Zeery schlicht. „Soll ich weitermachen?" „Sicher, ich will alles wissen." „Wo war ich stehengeblieben? Bei der Perücke — ah ja, da geht's weiter: einen ölverschmierten Putzlappen, vier zerknüllte Hüllen von Kaugummipäckchen, das gleiche von sechs verschiedenen Zigarettensorten, eine Krawattennadel, unecht übrigens, einen Ehering und eine zwölf Zentimeter große Puppe mit beschädigtem Kopf. Das war's." Ich wußte ja schließlich, wie Spuren gesichert werden. Deshalb schüttelte ich den Kopf und fragte: „Und ihr wißt von jedem einzelnen Gegenstand, wo er gelegen hat?" „Natürlich! Was verstehst du unter Spurensicherung?" „Ist ja gut, ist ja gut", sagte ich, trank den letzten Rest Kaffee und zögerte einen Augenblick, bevor ich fortfuhr: „Willst du mir einen Gefallen tun?" „Sicher, wenn ich kann." „Ich habe heute nacht mit einerganzen Meute von Presseleuten geredet. Wenn der eine oder der andere etwas erfährt, wird er mich anrufen. Ich sage in der Telefonzentrale Bescheid, daß sie alle Anrufe für mich auf deinen Apparat legen. Einverstanden?" „Selbstverständlich." „Okay. Aber da könnte auch einer versuchen, sich nach meiner Adresse zu erkundigen. Wir stehen doch nicht im Telefonbuch." „Jerry, du brauchst doch keine Angst zu haben, daß ich deine Adresse verrate!" Ich schüttelte den Kopf und grinste: „Doch, Zeery! Gerade das sollst du ja! Laß es dir so rausrutschen! Du kannst das schon. Aber merk dir die Stimme dieser Person! Noch besser: Schalte sofort das Bandgerät ein! Eine Stimme auf Band haben — das ist doch heutzutage so gut wie ein Fingerabdruck..." Ich hatte noch ein paar Kleinigkeiten im Distriktgebäude erledigt, und als ich es zum Hof hinaus verlassen wollte, wo mein Jaguar stand, rief der aufsichtsführende Kollege in der Eingangshalle. „Hallo, Jerry! Du sollst Zeery anrufen!" „Danke", sagte ich und nahm den Hörer eines Hausapparates. Ich wählte Zeerys internen Anschluß. „Gut, daß du noch nicht weg bist", sagte er. „Einer deiner V-Leute hat angerufen. Ein gewisser Tony. Mehr wollte er nicht sagen. Kennst du ihn?" „Ja, ich weiß, von wem die Rede ist. Was hat er hinterlassen?" „Wenn du es einrichten könntest, möchtest du innerhalb der nächsten Stunde auf der Aussichtsplattform des Empire State Building sein. Sonst bleibe es bei dem Termin heute abend." „Okay. Danke." Es mußte Tony Calipolos sein, mit dem ich mich gestern abend im Carl Schurz Park getroffen hatte. Wenn er mich jetzt schon sehen wollte, konnte es nur bedeuten, daß er irgend etwas gehört hatte. Ich änderte meine Pläne und fuhr zum Empire State Building, das New Yorks höchster Wolkenkratzer war, bis die beiden Türme vom Welthandelszentrum gebaut wurden. Die Aussichtsplattform befindet sich in der 86. Etage und läuft rings um den ganzen Turm. Hier oben bläst immer ein frischer Wind, und hier oben ist immer Betrieb. Ich trat aus dem Innenraum hinaus auf die Plattform und schaute wieder einmal über die Dächer von Manhattan hin, als sei ich ein Tourist, der von diesem Anblick gebührend beeindruckt ist. Tony hatte einen Dime in eins der schwenkbaren Fernsichtgeräte gesteckt und ließ sich auch nicht stören, als ich neben ihn trat.
„Tag, Tony", sagte ich leise. „Hallo, Mr. Cotton", murmelte er und drehte das Fernrohr in Richtung auf die Freiheitsstatue im Süden. „Sehen Sie einen Mann mit einer schwarzen Hornbrille und hellblauen Wildlederschuhen?" „Bleib hier!" erwiderte ich und setzte meinen Rundgang fort. Ich tat es gemächlich, ständig das Panorama bewundernd, wozu an diesem Tage mit seinem wolkenlosen Himmel die beste Gelegenheit war, und es dauerte fast eine Viertelstunde, bis ich wieder bei Tony ankam. „Nichts", sagte ich. „Auch drinnen nicht." Tony atmete erleichtert auf. „Ich muß vorsichtig sein", meinte er. „Natürlich", sagte ich. „Wer vorsichtig ist, lebt länger. Also, was gibt's?" „Sagt Ih nen der Name Morton Olson etwas?" „Nicht auf Anhieb. Wer ist das?" „Er hat schon mal wegen bewaffneten Raubüberfalles gesessen." „Beschreibe ihn!" „Ungefähr 30 Jahre alt, fast so groß wie Sie, vielleicht ein paar Pfund schwerer. Kurz geschnittene schwarze Haare und blaue Augen. So ein kantiges Gesicht, auf das die Weiber fliegen. Aber ein brutaler Typ. Der nimmt sich, was er haben will. Lebt mit seinem Bruder zusammen. Der ist ein paar Jahre jünger, aber auch ein mieser Typ. Sie wohnen in der East 11th Street!" „Neger?" „Wegen Harlem? Das ist ja das Verrückte. Sie sind weiß, wohnen aber in Harlem." Das gab es selten, und es warf ein bezeichnendes Licht auf die beiden. „Und warum reden wir von ihnen?" fragte ich. „Der Ältere hat an der Westside in der Nähe vom Busbahnhof seine Stammkneipe. Ich verkehre dort auch manchmal. Wie ich hörte, hat er dort seit Wochen geprahlt, daß er jetzt an einer Maschinenpistole ausgebildet wird." „Was hat er gesagt?" „Sie haben's schon richtig gehört. Daß er an einer Maschinenpistole ausgebildet wird. Für irgend etwas ganz Tolles. Und jetzt kommt es, Mr. Cotton: Er ist seit gestern früh verschwunden." „Woher weißt du das?" „Ich habe ein Mädchen hineingeschickt. Eine Kleine, die mir einen Gefallen schuldig war. Sie hat mit dem jüngeren Bruder ein bißchen herumgeschäkert und ihm dabei die Würmer aus der Nase gezogen. Seit gestern früh ist er verschwunden." Ich sah geistesabwesend auf dem Hudson einen Schlepper nordwärts dampfen, aber in meinen Gedanken war ich woanders. „Seit wann läuft das mit dieser angeblichen Ausbildung an der Maschinenpistole?" fragte ich. „Seit bestimmt drei, wenn nicht vier Wochen." „Mann, o Mann!" seufzte ich. „Was sind wir doch für Esel!" Ich ließ Tony einfach stehen. Er sah nicht sehr geistreich aus nach meiner letzten Bemerkung. Aber das waren wir ja alle miteinander nicht gewesen... Ich hatte mit einem älteren Herrn gerechnet, aber der Mann von der Weltbank, der mich empfing, war höchstens 28 Jahre alt. Er trug einen hellen Anzug und eine Brille mit dünnen Goldbügeln. „Hallo", sagte er und streckte mir die Hand hin. „Ich bin Tom W. Milton." „Freut mich", sagte ich und drückte seine Hand. „Ich heiße Jerry Cotton. Der Ordnung halber: Hier ist mein Dienstausweis vom FBI." Milton besah sich das Dokument flüchtig, nickte und zeigte auf die kleine Sitzgruppe, die es in seinem Zimmer gab. Er klappte eine Zigarrenkiste auf und hielt sie mir hin. „Wenn Sie gestatten, bleibe ich bei meinen Zigaretten." „Bitte! Sie kommen natürlich wegen der Goldgeschichte, nicht wahr? Ich meine den Goldraub auf Kennedy International." „Ja, so ist es. Wir hätten gern ein paar Informationen. Wie wir erfahren haben, sollte die Weltbank das Gold bekommen?"
„Ja, als Pfand sozusagen." Ich runzelte die Stirn. Milton lachte. „Das machen wir nun schon seit mehr als 30 Jahren, aber niemand auf der ganzen Welt scheint etwas davon zu wissen. Dabei ist die Geschichte banktechnisch ganz alltäglich. Schauen Sie, Mr. Cotton, wir sind im Grunde eine Bank wie jede andere auch. Nur sind unsere Kunden nicht irgendwelche Privatpersonen oder private Firmen, sondern souveräne Staaten. Wenn nun ein solcher Staat von uns Geld leihen will, fragen wir natürlich — wie im Bankgeschäft üblich — nach Sicherheiten. Und da werden uns Vorschläge gemacht. In diesem Falle hatte der betroffene Staat angeboten, einen Teil seines Goldschatzes bei uns als Pfand zu hinterlegen. Und dafür haben wir ihm den gewünschten Kredit eingeräumt, den er übrigens in jeder gewünschten Währung haben kann, vorausgesetzt, daß sie frei konvertierbar ist." „Moment", sagte ich. „Ich möchte sichergehen, daß ich Sie richtig verstanden habe. Da war also der Staat. Der brauchte einen Kredit. Und den haben Sie ihm versprochen gegen die Zusicherung, daß er für 16 Millionen Dollar Gold bei Ihnen hinterlegt?" „Richtig." „Warum hat der Staat dann nicht einfach sein Gold verkauft?" „Das wäre eine Möglichkeit gewesen. Aber niemand kann vorhersagen, wie teuer Gold sein wird, wenn der Staat seinen Kredit zurückzahlt." „Ich verstehe. Die banktechnische Seite an der Geschichte interessiert uns auch nicht übermäßig. Uns interessiert in erster Linie, wer denn nun jetzt der Geschädigte ist." Milton machte eine kleine Geste: „Die Versicherung natürlich." „Der Goldtransport war also versichert?" „Von dem Augenblick an, da die Transportmaschine amerikanischen Boden berührte, bis zu dem Augenblick, da sich bei uns die Tresortüren hinter dem Gold geschlossen hätten. Für diesen Zeitraum war das Gold versichert." „Wie hoch?" „Zum tatsächlichen Wert, also für 16 Millionen US-Dollar." „Hm", brummte ich, denn in meinem Kopf regte sich etwas, das ich nicht in vernünftige Bahnen bekommen konnte. Ich hatte ein ungutes Gefühl, aber ich wußte nicht genau, warum eigentlich. „Wer hat jetzt eigentlich irgendeine Art von Vorteil dadurch, daß das Gold geraubt wurde?" fragte ich. „Soweit ich sehen kann, natürlich die Räuber." „Sonst niemand?" „Nein, natürlich nicht." „Bekommt das Land seinen Kredit?" „Nein, denn wir haben das Gold nicht. Aber es bekommt den gleichen Betrag von der Versicherung." „Was halten Sie eigentlich von dem politischen System, das in diesem Lande regiert, die Macht hat, am Ruder ist — oder wie immer man es nennen will." Milton lächelte sauersüß: „Mr. Cotton, ich werde mich hüten, über unsere Kunden Urteile zu fällen, die nichts mit der Handelsbilanz, dem Bruttosozialprodukt und ihrer Währung zu tun haben." Ich stand auf und bedankte mich. Und dabei dachte ich: Keine Antwort ist auch eine Antwort. Auf der Straße sah ich ganz in der Nähe eine Telefonzelle. Ich blätterte im Telefonbuch von Manhattan. Und da stand es: Der Staat, von dem das Gold gekommen war, hatte in New York eine UN-Delegation. Es war ein wolkenloser Tag. Aber die Hitze war immerhin auf ein erträglicheres Maß abgesunken. Ich fuhr nach Brooklyn zu der Mordkommission der City Police, die den Mordfall Jane Steinfield bearbeitete. Detective Lieutenant Harold Snyder war ein in Ehren ergrauter Kriminalbeamter, der auf den ersten Blick einen behäbigen, ja fast schläfrigen Eindruck machte. Ich hatte zu viele dieser Männer mit 30jähriger Berufserfahrung kennengelernt, als daß ich mich noch von Äußerlichkeiten hätte täuschen lassen.
Nachdem uns Snyder von einer farblosen älteren Dame Kaffee hatte aufbrühen lassen, zog er sich mit mir in das zurück, was er „meine Studierstube" nannte. Natürlich war es sein Büro, aber es sah tatsächlich eher nach dem Studierzimmer eines Privatgelehrten aus. Die Einrichtung mußte Snyder aus eigenen Kosten angeschafft haben, denn ich habe noch nie erlebt, daß eine Stadtverwaltung bei uns einem Detective Lieutenant Bücherregale vom Fußboden bis zur Decke bezahlt. Und sie waren so vollgestopft, daß sie beinahe überquollen. „Mein Gott", sagte ich beeindruckt, „bereiten Sie sich in Abendkursen auf irgendein schwieriges Examen vor, auf einen Doktortitel oder so was?" Snyder lachte polternd. „Ach wo", sagte er und schob mir einen gepolsterten Stuhl zurecht. „Was ich mir gedacht hatte", rutschte es mir heraus. „Was meinen Sie?" Ich machte eine umfassende Handbewegung: „Die Möbel hier drin haben Sie doch gekauft — oder?" „Natürlich, aber woran sieht man das?" Ich zeigte auf die Bücherregale und dann auf die Krönung des Luxus in einem städtischen Dienstzimmer, auf die gepolsterten Stühle. Snyder machte es sich in seinem imponierenden Direktoren-Drehsessel bequem und brummte: „Cotton, ich arbeite im Durchschnitt 50 bis 60 Stunden die Woche. Selbst wenn es täglich nur die vereinbarten acht Stunden wären, würde ich also ein Drittel des Tages hier zubringen. Ich habe doch keine Lust, ein Drittel meines Lebens in einem Raum zu verbringen, der mich ankotzt. Da gebe ich lieber ein paar Dollar aus der eigenen Tasche aus. Man muß nur jedes Jahr einmal aufpassen wie ein Luchs." „Warum?" „Na, sonst setzt einem irgendeiner das ganze private Mobiliar auf die Inventurlisten der Stadt!" Ich schmunzelte. Snyder gefiel mir. Er war offensichtlich mit seinem Beruf verheiratet. Ich habe nicht viel übrig für Leute, die behaupten, ihre Arbeit zu hassen. „Wie sieht's aus, Snyder", fragte ich. „Was macht der Fall Jane Steinfield?" „Er wird aufgeklärt werden", sagte Snyder gemächlich, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Entweder morgen oder in zehn Jahren. Aber er wird aufgeklärt werden. Darauf können Sie sich verlassen." „Was macht Sie so sicher?" Snyder schlürfte an seinem Kaffee. Als er die Tasse zurückstellte, meinte er: „Ich habe mich bei den Gerichtsmedizinern genau erkundigt. Es ist gar nicht so einfach, einem Menschen die Kehle durchzuschneiden. Unser Mann hatte das im Griff. So gut im Griff, daß ein einziger Schnitt genügte. Man möchte meinen, er hat das nicht zum ersten Mal gemacht." Ich stieß einen schrillen Pfiff aus. „Außerdem hat er eine geradezu gigantische Dummheit begangen." Ich beugte mich gespannt vor: „Welche?" „Nun, nachdem er das Mädchen umgebracht hatte, hat er ja zunächst den Telefonhörer aufgelegt, nicht wahr?" „Ja, das weiß ich genau, denn ich war es, der mit Jane Steinfield telefonierte." „Natürlich hat er das Telefon abgewischt, um keine Fingerspuren zu hinterlassen. Und den Schreibtisch auch. Da waren nicht einmal mehr die Prints von Jane Steinfield zu sichern. Aber dann wollte er ganz schlau sein. Er wollte die Entdeckung des Mordes dadurch hinauszögern, daß er den Leichnam so hinlegte, daß nicht jeder, der ins Büro hereinschaute, ihn unbedingt gleich finden mußte. Deshalb hat er die Leiche hinter dem Schreibtisch auf den Boden gelegt. Und das hätte er nicht tun sollen." „Warum nicht, Snyder?" „Der Fußboden besteht aus gebohnertem Linoleum. Als er das tote Mädchen hinlegte, mußte er sich einmal kurz mit der linken Hand aufstützen. Wir haben den Abdruck seines Handballens und seines linken Daumens. Das kann der genialste Verteidiger nicht wegdiskutieren."
Als ich im Hof des Gebäudes der Mordkommission in meinen Jaguar stieg, flackerte das Ruflämpchen des Sprechfunkgerätes. Ich meldete mich, und die Funkleitstelle verband mich mit Zeery. „Ich habe ja schon mancherlei erlebt", begann er, „aber daß einer der ganz großen Bosse mit einem ganz gewöhnlichen G-man reden will, das habe ich noch nicht erlebt." „Roter Bruder", erwiderte ich, „kannst du versuchen, dich so auszudrücken, daß es ein normaler Weißer begreifen kann?" „Du sollst Max Weinberg aufsuchen. Er hat angerufen und läßt dir ausrichten, daß er sich über deinen Besuch in seiner Villa am Hudson freuen würde. Ic h versteh's ja nicht, aber so ist es." „Danke", sagte ich. „Ich wäre auch zu ihm gefahren, wenn er nicht angerufen hätte. Allerdings ein paar Stunden später. Ich hatte ihm nämlich bis heute abend acht Uhr Zeit gegeben." „Soll das heißen, du hast einem Mann wie Weinberg eine Frist gestellt? Eine Art Ultimatum?" „Ja, so kann man es nennen." Durch den Hörer drang ein pfeifendes Geräusch und danach der lakonische Kom mentar: „Man kann die Leute einfach nicht daran hindern, Selbstmord zu begehen." Zeery hatte aufgelegt, und ich tat es auch. Ich benutzte den Brooklyn-Tunnel, um wieder nach Manhattan zu kommen, und fuhr dann einfach den Broadway hinauf. Die Schlaglöcher in New Yorks berühmtester Straße erinnerten mich wieder einmal daran, daß die Stadtkasse leer ist. Ich dachte an all die Dinge, die ich im Laufe der letzten Stunden zu hören bekommen hatte, und in mir stieg eine Idee auf, die ich anfangs schlicht für wahnsinnig hielt. Aber je länger ich darüber nachdachte, um so mehr schien sie mir in den Bereich des Vorstellbaren zu rücken. Es muß gegen vier Uhr nachmittags gewesen sein, als ich den Jaguar auf das schmiedeeiserne Tor zurollen ließ, das den Besitz von Max Weinberg begrenzte. Ich wollte aussteigen, aber ein uniformierter Wächter rief mir durch die Gitterstäbe des Tores zu: „Sind Sie Mr. Cotton vom FBI?" „Ja, der bin ich." „Fahren Sie einfach der Auffahrt nach bis zur Freitreppe." „Okay." Das Tor tat sich summend auf. Ich ließ meinen Jaguar weiterrollen. Die Auffahrt war mit Kies bestreut, und die Reifen erzeugten ein sanftes Rascheln. Rechts und links standen Bäume, die den Eindruck erweckten, als hätten sie hier schon gestanden, als ein paar betrügerische Weiße einigen ebenso betrügerischen Indianern die Insel Manhattan zum Gegenwert von 24 Dollar abhandelten. Später stellte es sich dann heraus, daß man die Insel von Indianern gekauft hatte, die ganz woanders wohnten. Die Villa war eher ein Palast, in dem man eine ganze Hundertschaft sehr bequem hätte unterbringen können. Von der Mitte des Gebäudes ragte eine halbkreisförmige Freitreppe vor, über der sechs Säulen den riesigen Balkon des ersten Obergeschosses trugen. Als ich aus dem Jaguar ausstieg, stand oben auf der Treppe ein weißhaariger Neger und verbeugte sich. „Willkommen, Mr. Cotton." „Hallo", sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich wurde durch eine Halle geführt, von der ich nur noch viel Marmor und Spiegelglas in der Erinnerung habe. Dann stand ich in der größten Bibliothek, die ich je bei einem Privatmenschen gesehen habe. Max Weinberg saß vor einem Tischchen, in dem die Schachfelder aus Ebenholz und Elfenbein eingelassen waren. Nur gab es keine Schachfiguren. Steinberg deutete auf einen Sessel und fragte: „Was darf ich Ihnen anbieten?" „Auskünfte", sagte ich. „Sonst nichts." „Wie sie wünschen." Ein Blick, und der Neger entfernte sich. Man kann einfach nicht sagen, daß er hinausgegangen wäre. Nein, er entfernte sich. Erst als sich die schweren Flügeltüren hinter ihm geschlossen hatten, fuhr Steinberg fort: „Spielen Sie Schach?" „Gelegentlich", erwiderte ich und dachte an die vielen Abende, an denen ich mit Phil Schach gespielt hatte. Es war nicht gut für Weinberg, daß er mich daran erinnert hatte. „Ich spiele nicht mehr", sagte er. „Ich löse nur noch Schachaufgaben."
„Ohne Figuren?" „Ohne. Es erhöht den Reiz und trainiert das Gedächtnis. Früher hatte ich mal ein anderes Hobby. Ich wollte ein Standardwerk über die Philosophie des Verbrechens schreiben." Im stillen beschloß ich, ihm noch zwei Minuten zu geben. „Was, glauben Sie, ist der häufigste Grund dafür, daß Verbrechen begangen werden?" „Die Sucht, sich zu bereichern." „Ich würde es anderes formulieren, aber man kann es so nennen. Nun, beziehen wir diese Erkenntnis auf den Goldraub! Aber vorweg noch eine Frage zum Thema: Wodurch ist Albert Einstein auf die meisten seiner revolutionierenden physikalischen Erkenntnisse gekommen?" „Ich weiß es nicht." „Durch Gedankenexperimente. Verglichen mit allen anderen Experimenten in den Naturwissenschaften haben sie den ungeheuren Vorzug, daß sie nichts kosten. Bedienen wir uns also dieser seit Einstein ja geradezu geadelten Möglichkeit. Sie sagen, daß auf dem Flughafen in Brooklyn Gold im Wert von 16 Millionen Dollar gestohlen wurde." „Unter dem Einsatz von Schußwaffen und in Tateinheit mit mehrfachem Mord geraubt, Mr. Weinberg. Das Wort 'gestohlen' klingt mir ein bißchen zu harmlos." „Gut, geraubt. Nun, beginnen wir mit unserem Gedankenexperiment. Warum wird man das Gold geraubt haben?" „Um sich zu bereichern." „Wahrscheinlich. Aber hat man etwas davon, wenn man irgendwo 1000 Kilo Gold herumliegen hat? Außer dem schönen Gefühl, 1000 Kilo Gold zu besitzen?" „Praktisch hat man natürlich nichts davon." „Eben. Man hat praktisch nichts davon. Man kann Gold weder essen noch trinken. Man muß aber essen und trinken. Also muß man das Gold doch verkaufen - oder?" „Selbstverständlich", sagte ich und fragte mich, ob Weinberg etwa auf dieselbe Idee wie ich gekommen war. „Bleiben wir bei unserem Gedankenexperiment", fuhr er mit halb geschlossenen Augen fort. „Stellen wir uns vor, Sie besitzen 1000 Kilo Gold und wollen es verkaufen. Natürlich setzen wir wie im Falle der Goldräuber voraus, daß es sich um illegal erworbenes Gold handelt. Also, Mr. Cotton, an wen verkaufen Sie Ihr Gold, damit es seinen Sinn, Ihnen ein luxuriöses Leben zu ermöglichen, erfüllen, kann? An wen?" „An einen Hehler." „Sie werden keinen Hehler auf der ganzen Welt finden, der Ihnen 1000 Kilo geraubtes Gold abkaufen könnte oder wollte. Das werde ich Ihnen durch mein Gedankenexperiment beweisen, und deshalb bitte ich Sie, diese angebliche Möglichkeit vorerst auszuklammern. An wen könnten sie es noch verkaufen?" Er bestätigte meinen Einfall. Gerade darüber hatte ich auf der ganzen Fahrt gegrübelt. Wo kann man 1000 Kilo Gold verkaufen? Ich versuchte es aufs Geratewohl: „An eine Schmuckfabrik." „Keine Schmuckfabrik auf der ganzen Welt kann eine solche Menge unauffällig durch ihre Produktion laufen lassen. Völlig ausgeschlossen." „An einen Spekulanten, der damit Geschäfte machen will." „Der stünde doch vor demselben Problem, wo er es verkaufen soll." „Dann weiß ich nicht, an wen sonst." Weinberg sah mich lächelnd an und sagte nur ein Wort: „Eben." Ich zündete mir eine Zigarette an, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen, und brummte: „Was soll das?" „Sie haben es doch längst begriffen, Mr. Cotton! Dieses Gold ist nicht zu verkaufen. In der ganzen Welt nicht. Es sei denn, Sie teilen es in Portionen zu je ein oder zwei Gramm auf und versuchen diese Winzigkeiten an Juweliere und Zahnärzte zu einem so günstigen Preis loszuschlagen, daß die Leute nicht nach der Herkunft fragen. Das wären eine Million Portionen. Um die abzusetzen, brauchten Sie entweder 1000 Jahre oder 1000 Zwischenhändler. In beiden Fällen hat es sich für Sie nicht gelohnt." „Also? Was folgt?" fragte ich. „Es folgt, daß dieser Goldraub gar nicht stattgefunden hat."
Ich sah ihn an, als hätte er mir gerade bewiesen, daß es mich gar nicht gibt. „Er hat aber stattgefunden", stotterte ich verdattert. „Da es mehrere Tote gegeben hat, muß man das wohl annehmen", sagte er. „Dann aber gibt es in unserem Gedankenkomplex mit zwingender Logik nur noch eine Möglichkeit. Und zwar welche?" Ich merkte, daß er doch wieder auf meine Idee zurückkam, wollte ihn aber nicht von mir aus darauf bringen und fragte deshalb zurück: „Sagen Sie es mir! Welche?" „Wenn die Räuber das Gold nicht verkaufen können, muß der Beraubte an der Sache einen Vorteil haben! Sehen Sie, Mr. Cotton, so einfach sind Gedankenexperimente, wenn man sich nur nicht scheut, die Logik walten zu lassen." Mr. High und Zeery starrten mich mit dem Gesichtsausdruck an, mit dem ich Weinberg angesehen haben muß, als er mir seine Gedanken auseinandergesetzt hatte. Ich fügte meinen Erklärungen hinzu: „Dieser Staat, der bei der Weltbank den Kredit haben wollte, wird von Leuten regiert, die ihr Volk mit Waffengewalt zurück in die Steinzeit treiben. Abendländische Wertvorstellungen gelten denen gar nichts. Sie brauchen das Geld — vermutlich nicht, um ihr Land zu entwickeln, sondern um Waffen und Munition zur Stützung ihres Terrorregimes zu kaufen. Aber warum sollen sie dafür das Gold hergeben? Sie versichern die Ladung auf 16 Millionen Dollar. Dann kaufen sie sich ein paar skrupellose Gangster bei uns und lassen die Ladung rauben, übernehmen die heimlich wieder und kassieren den angeblich von der Weltbank gewünschten Kredit von der Versicherung. Wenn Sie den Gangstern, sagen wir: drei Millionen bieten, finden sich genügend, die dafür morden. Das ist traurig, das ist entsetzlich, aber so ist es nun eben. Damit macht der bewußte Staat ein Geschäft, das ihm einen Reingewinn von 13 Millionen Dollar auf Kosten der amerikanischen Versicherten einträgt. Und ich wette, die Herren da unten in Südostasien finden das Ganze noch ungeheuer lustig." Ich stand auf und trat ans Fenster. Und dafür mußte Jane Steinfield einen entsetzlichen Tod sterben. Vier Männer von der Wachgesellschaft mußten sterben, und die beiden Flughafenarbeiter. Und Phil! Weil eine gewissenlose Verbrecherbande, die dank der Politik die Regierung eines souveränen Landes stellte, auf jede Gesittung und jede Moral pfiff. „Es ist ungeheuerlich", sagte Mr. High leise. „Aber ich glaube, wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß es so sein könnte." „Es gibt einiges, was dafür spricht", sagte ich. „Außer der Tatsache, daß das Gold kaum zu verkaufen wäre?" fragte Zeery. „Ja", antwortete ich. „Wieviel Zeit braucht man wohl, um einen solchen Überfall vorzubereiten?" „Wochen, wenn nicht Monate", sagte Zeery, ohne zu zögern. „Eben. Aber woher haben denn die Täter das schon wochenlang vorher gewußt? Jane Steinfield hat es erst vorgestern erfahren, wie wir aus ihrem Telefongespräch mit dem Technischen Direktor des Flughafens wissen. Einen Tag vor der Ankunft belauschte sie dann offenbar die Männer an der Rutsche, wie die mit dem Buckligen letzte Einzelheiten besprachen. Das müssen die Männer bemerkt haben. Deshalb wurde Jane Steinfield umgebracht. Aber das änderte nichts daran, daß die Täter es viel früher gewußt haben mußten. Sonst hätten sie es nicht so gut vorbereiten können. Wer kann es ihnen gesagt haben?" „Die Leute, die das.Gold schicken wollten, ganz klar", sagte Zeery. „Chef, ich glaube, daß Jerry auf dem richtigen Dampfer ist." „Außerdem habe ich vielleicht den Namen eines Mannes, der an der Sache beteiligt war. Ein gewisser Morton Olson. Er hat in seiner Stammkneipe seit ein paar Wochen damit geprahlt, daß er jetzt an der Maschinenpistole ausgebildet wird. Zeery, wir haben es selbst gesehen: Die Burschen wußten verdammt genau, wie man mit Maschinenpistolen umgeht. Die waren daran ausgebildet. Die hatten so ein Ding nicht zum ersten Mal in der Hand." „Das ist wahr", bestätigte Zeery. „Wenn dieser Olson, der übrigens seit gestern früh verschwunden ist, mit von der Partie war, dann haben wir jetzt schon den Beweis, daß die Täter wochenlang dafür geübt haben. Sie müssen es also Wochen vorher gewußt haben."
Mr. High ging ein paar Schritte hin und her. „Es ist unfaßbar", sagte er. „Aber in der Geschichte gibt es ja reichlich Beispiele dafür, daß Regierende sich wie Gangster aufgeführt haben. Was schlagen Sie vor, Jerry?" „Dieser Staat unterhält in New York eine UN-Delegation. Ich möchte wetten, daß von Mitgliedern der Delegation die ganze Geschichte eingefädelt worden ist. Ich habe bei den UN Erkundigungen eingezogen. Zum Gluck besteht die ganze Delegation nur aus sechs Personen. Vier Männer und zwei Frauen. Wir sollten sie so beschatten, daß sie um Himmels willen nichts davon merken, daß sie aber nicht mehr mit dem Ohr wackeln können, ohne daß wir es sehen." „Wenn sie nur sechs sind, läßt sich das unschwer einrichten. Aber wird es Sinn haben, Jerry?" fragte der Chef. „Der Raub ist ausgeführt. Warum sollten sie sich jetzt noch mit den Räubern treffen?" „Sie müssen ja auf irgendeine heimliche Weise das Gold wieder in ihren Besitz und zurück in ihr Land bringen. So einfach wie der Raub des Goldes wird das nicht werden. Denn sie wissen ja, daß wir den Fall bearbeiten. Sie können nicht einfach 60 Kisten wieder per Luftfracht nach Hause schicken." „Donnerwetter!" rief Zeery. „Du hast recht! Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht! Was meinst du, wie sie es anstellen werden, um das Gold zurückzuschicken? Im Flugzeug wahrscheinlich nicht. Das läßt sich von uns viel zu leicht kontrollieren." „Sie können es auf gar keinem normalen Weg", sagte ich. „Wir brauchen doch nur unseren Zoll einzusetzen, und es gibt für sie keine Möglichkeit, 1000 Kilo aus den Staaten rauszubekommen. Also müssen sie sich einen illegalen Weg suchen. Und da gibt es natürlich einige Möglichkeiten. Sie können versuchen, das Gold auf dem Landweg nach Mexiko zu schmuggeln und dort in irgendeiner abgelegenen Bucht an Bord eines Schiffes zu bringen. Dazu müßten sie 3000 Kilometer Landweg benutzen, und da kann eine Menge passieren. Ich glaube nicht, daß sie das Risiko auf sich nehmen werden." „Was können Sie sonst tun?" murmelte Mr. High. „In New York läßt es sich wahrscheinlich auf ein Schiff bringen. Aber wenn wir veranlassen, daß die Zollfahndung für ausgehende Schiffe verstärkt wird, wächst auch dabei ihr Risiko ins Unermeßliche." Ich zündete mir die Zigarette an, sah dem ersten Rauch nach und sagte leise: „Ich wette zehn gegen eins, daß jemand aus ihrer UN-Delegation in den nächsten Tagen irgend etwas kaufen wird, irgend etwas Harmloses, das zusammen mehr als 1000 Kilo wiegen wird." „Was denn?" fragte Zeery mit gerunzelter Stirn. „Stoffe beispielsweise. Oder Medikamente. Oder was weiß ich. Aber er wird diesen Kauf so durchführen, daß die Presse es bemerken muß. Das Wichtigste an dem Kauf wird nicht der gekaufte Gegenstand sein, sondern die Tatsache, daß die Presse darüber berichten wird." „Und?" fragte Zeery. „Warum das Theater?" „Das gekaufte Zeug läßt man irgendwo verschwinden und transportiert dafür 1000 Kilo Gold als unkontrolliertes Diplomatengepäck in Richtung Heimat." Der Chef bückte sich und griff in die linke Schreibtischlade. Als er sich wieder aufrichtete, stellte er eine Flasche Scotch und drei Gläser auf den Tisch. Das Telefon schlug an. Nachdem sich der Chef gemeldet hatte, hielt er mir den Hörer hin: „Für Sie, Jerry." Es war unser alter Freund Johnny O'Connor vom Herald. Seine Stimme klang aufgeregt: „Cotton, ich wollte mit dem Vater des Mädchens sprechen, das auf dem Flugplatz umgebracht worden ist..." „Ja - und?" „Der Mann hat sich aufgehängt! Ich habe ihn vor einer halben Stunde gefunden." „Er hat wohl den Tod seiner Tochter nicht verwinden können", sagte Detective Lieutenant Snyder von der Mordkommission in Brooklyn, als ich eine Dreiviertelstunde später in Steinfields Wohnung erschien. „Möglich", meinte ich und sah mich in der Wohnung um. Es war alles so, wie ich es von meinem ersten Besuch her in der Erinnerung hatte — alles, bis auf eine Kleinigkeit. In der Küche lag ein Wecker neben dem Fenster auf der Erde. Das Fenster stand auf und draußen sah man die rostigen Holme einer Feuerleiter.
„Haben Sie Spuren gesichert?" fragte ich. Snyder schüttelte den Kopf. „Bis jetzt nicht. Das ist doch ein klarer Fall von Selbstmord. Oder sind Sie anderer Meinung?" „Ich weiß nicht", sagte ich zweifelnd. „Die Sache mit dem Wecker gefällt mir nicht." „Warum? In jeder Wohnung fällt mal was runter." „Sicher. Aber sehen Sie sich doch mal um, Snyder! Die Wohnung ist penibel sauber gehalten. Hier hat alles seinen festen Platz. Der Mann war sehr ordentlich. Wenn dem der Wecker runtergefallen wäre, hätte er ihn aufgehoben. Er hätte sich ganz automatisch gebückt, um ihn aufzuheben." Snyder drehte sich um und rief hinüber ins Wohnzimmer: „Jimmy!" Auf der Schwelle erschien ein jüngerer Kriminalbeamter. Snyder zeigte auf den Wecker: „Machen Sie Fotos, Jimmy! Dann eine Lageskizze. Dann pinseln Sie ihn ein, ob Fingerspuren drauf sind! Dann drehen Sie ihn um und fotografieren noch mal! Alles klar?" „Klar, Chef." Wir sahen zu, wie der Wecker von vier verschiedenen Blickwinkeln her fotografiert wurde. Dann maß der junge Kriminalbeamte die Entfernung vom Wecker bis zum Fenster und vom Wecker bis zum Kühlschrank. Er trug es in eine Skizze ein und klappte anschließend sein Fingerspurenbesteck auf. „Du lieber Gott", brummte er. „Da ist ja kein Quadratzoll, wo es nicht von Prints wimmelt." „Alle sichern!" befahl Snyder. Es waren insgesamt 24 brauchbare Fingerspuren. Erst als jede einzelne mit durchsichtiger Folie abgezogen und auf einer Spurenkarte gesichert war, wurde der Wecker umgedreht. Er hatte ein kleines Fensterchen mit Datumanzeige und war um 10.36 Uhr stehengeblieben. Das Datum war von gestern. „Was hat der Arzt gesagt?" erkundigte ich mich. „Wann hat sich der Mann aufgehängt?" „Vor rund 30 Stunden. Plus minus zwei." Ich rechnete, während ich zusah, wie der Wecker nun auch von vorn fotografiert wurde. Dann bückte ich mich und fragte: „Darf ich mal was mit dem Wecker probieren?" „Da alle Spuren gesichert und genügend Fotos vom Originalzustand gemacht sind, können Sie mit dem Ding anfangen, was Sie wollen, Cotton. Ich verstehe allerdings nicht, was Sie vorhaben." „Ich will wissen, ob der Wecker um 10.36 Uhr vormittags oder um 10.36 Uhr abends stehengeblieben ist." „Wie wollen Sie denn das herausfinden?" „Nichts einfacher als das", sagte ich und drehte das Rädchen für die Zeigereinstellung. Als ich über die zwölfte Stunde hinwegkam, sprang das heutige Datum ins Fensterchen. „Abends", sagte ich. „Der Wecker wurde gestern abend um 10.36 Uhr vom Küchenschrank gestoßen. Zu der Zeit war Steinfield bereits seit Stunden tot. Snyder, wer war gestern abend hier in der Wohnung, fand den Toten — und verdrückte sich wieder, ohne irgend jemand zu alarmieren?" Snyder verzog das faltenreiche Gesicht. „Respekt, Cotton", sagte er. „Das war meisterhaft, ich geb's zu. Na, hören wir uns mal im Haus um! Vielleicht haben wir auch einmal Glück ..." Und wir hatten es. Diesmal stand der Kommissar Zufall auf unserer Seite. An der Nachbarwohnung wurde uns von einem kleinen Mann geöffnet, der einen Zwergdackel auf dem Arm hielt. Er sah uns ängstlich an — der Mann, nicht der Dackel. „Hallo", sagte Snyder und klappte sein Etui auf. „Ich bin Herold Snyder vom Police Department. Ich habe nur eine Frage: Haben Sie gestern abend gegen halb elf hier nebenan in der Wohnung von Mr. Steinfield irgend etwas gehört? Irgendein Geräusch? Oder sonst irgendwas beobachtet?" „Gestern abend um halb elf? Da kam dieser Herr mit dem Buckel aus der Wohnung und hat sich von Mr. Steinfield verabschiedet." Snyder machte ein Gesicht, als habe ihm gerade irgendeiner die Quadratur des Kreises erklärt. „Er hat sich von Mr. Steinfield verabschiedet?" wiederholte er. „Ja! Ich hab's doch selbst gehört. Um die Zeit gehe ich nämlich immer noch mal mit meinem Dackel runter auf die Straße." Um diese Zeit war Steinfield seit Stunden schon tot gewesen!
„Haben Sie Mr. Steinfield gesehen?" fragte ich. Das Männchen runzelte die Stirn. „Gesehen? Warten Sie mal... Nein, ich glaube nicht. Der Mann mit dem Buckel sagte nur gerade G ' ute Nacht' oder so was ähnliches, als ich die Treppenhausbeleuchtung einschaltete. Dann zog er die Tür zu ..." „Der Bucklige zog die Tür zu?" warf ich ein. „Ja! Eigentlich seltsam, nicht? Ich meine, wenn ich einen Gast an die Tür bringe, überlasse ich es doch nicht dem Gast, die Tür zuzum achen. Oder?" „Gewöhnlich wohl nicht", brummte Snyder. „Können Sie uns diesen Mann mit dem Buckel bitte genauer beschreiben? Wie groß war er?" Ohne zu zögern, zeigte das Männchen auf mich und erwiderte: „So groß wie dieser Gentleman." Wir waren beide überrascht. Gewöhnlich sind Verwachsene selten mehr als mittelgroß, meistens eher klein. „Sind Sie ganz sicher?" fragte ich. Das Männchen trat von seiner Türschwelle beiseite und forderte mich auf: „Stellen Sie sich mal hierher, wo ich eben stand!" Ich tat es und fragte: „Warum?" Das Männchen trat an die Tür, die in Steinfields Wohnung führte, streckte den Arm hoch und zeigte auf das seitlich, aber ungewöhnlich hoch angebrachte Namensschild an der Tür: „Er hat mit seinem Kopf noch das Schild hier verdeckt, genau wie Sie eben. Also muß er so groß wie Sie gewesen sein." Es sind immer die Kleinigkeiten, dachte ich und nickte zufrieden. Wir unterhielten uns etwa eine halbe Stunde lang mit dem Männchen. Dann hasteten Snyder und ich die Treppen hinab. Snyder stieg in seinen Dienstwagen, ich in meinen Jaguar. Wir griffen beide zum Hörer unserer Sprechfunkgeräte. Und wir werden beide fast wörtlich übereinstimmend dasselbe gesagt haben. „Fahndung an alle! Gesucht wird ein Mann mit einem Buckel, Größe rund 1,80 Meter, Gewicht etwa 80 Kilo. Der Gesuchte hat ein ovales Gesicht mit einer auffallend breiten Nase und ebenso breitem Mund. Der Mann hat große, abstehende Ohren. Zuletzt trug er eine dunkle Hose, ein dunkelblaues Jackett und einen dunklen, vielleicht schwarzen Rollkragenpullover. Der Gesuchte steht unter Mordverdacht. Vorsicht, es muß damit gerechnet werden, daß er sich einer Festnahme widersetzen wird! An alle! An alle!" Gegen acht Uhr abends stellte ich den Jaguar im Hof des Distriktgebäudes ab und nahm mir ein Taxi. Als ich dem Fahrer die Adresse nannte, tippte er sich an die Stirn: „Ich bin doch nicht verrückt", sagte er. „Abends nach Harlem!" Ich zückte mein Etui, klappte es auf und hielt es ihm hin: „FBI! Entweder Sie fahren mich — oder Sie sind Ihre Lizenz los." Er verdrehte die Augen, nickte aber ergeben und stöhnte: „Was habe ich bloß verbrochen, daß ausgerechnet ich immer solche Fahrgäste kriege! Tun Sie mir wenigstens einen Gefallen, ja?" „Welchen?" „Wenn Sie in Harlem aussteigen, machen Sie's schnell, ja? Damit keiner von den Lumpen da oben Zeit hat, mir einen Reifen durchzustechen." „Sie brauchen nicht einmal anzuhalten. Wenn Sie ganz langsam fahren, bin ich draußen, bevor Sie einmal hupen können." „Na, das ist doch ein Wort", sagte er und war halb mit seinem Schicksal ausgesöhnt. Die Dämmerung hing über der Stadt wie ein sich langsam dunkel färbender Wattebausch. Je weiter wir nach Norden hinaufkamen, desto verkommener wurde die Gegend. Schließlich sah man sogar ab und zu die Ruinen ausgebrannter Häuser, deren Besitzer nicht im Traum daran dachten, sie wieder instandsetzen zu lassen. Doch nicht in Harlem, wo jeder investierte Dollar zum Fenster hinausgeschmissen war — jedenfalls nach der Meinung der Leute, die die Dollars hatten.
Ich zahlte meinen Fahrpreis plus angemessenem Trinkgeld noch bevor wir mein Ziel erreicht hatten. An der richtigen Straßenecke sprang ich aus dem noch fahrenden Wagen hinaus und beobachtete, wie der Fahrer sofort wieder Gas gab und davonpreschte. Ich hatte Timmy Ragsome angerufen, und er stand schon wartend an der Ecke. Timmy ist der schwärzeste Neger, den man sich überhaupt vorstellen kann. Seit Phil und ich ihm die entführte, damals siebenjährige Tochter wohlbehalten zurückgebracht haben, würde er sich für uns in Stücke reißen lassen. Den Beweis erhielt ich postwendend. Ich hatte noch keine drei Schritte in Timmys Richtung getan, da rempelten mich zwei junge Neger an, die darauf warteten, einen Weißen zusammenzuschlagen. Ich wußte, daß ich hier oben nichts provozieren durfte. Aber ich hatte es auch nicht nötig, denn Timmy war blitzschnell da und langte dem stärkeren der beiden eine schallende Ohrfeige. „Das ist mein Freund", sagte er dabei und zeigte auf mich. „Wenn du was von ihm willst, mußt du es mir sagen. Willst du was?" Timmy ist 40 und die Hälfte seines Lebens hat er mit schwerer körperlicher Arbeit zugebracht. Er kann einen Zentner mit einer Hand stemmen. Entsprechend war die Güte seiner Ohrfeige. Die beiden Burschen trollten sich. Timmy hielt mir mit breitem Grinsen die Hand hin: „Hallo, Chef! Du siehst gut aus." „Lüg nicht!" erwiderte ich. „Ich seh so aus, wie ich mich fühle, und ich weiß, wie ich mich fühle." „Wo steckt Phil?" fragte er. Er sah mich an, und sein sympathisches breites Männergesicht veränderte sich. Ohne daß ich etwas sagen zu brauchte, begriff er plötzlich. „O nein", flüsterte er. „O Mann, Jesus, nein!" Ich griff schnell nach meinen Zigaretten. Als wir beide den ersten Zug gemacht hatten, fragte er: „Wie ist es passiert?" Ich erzählte es ihm. Wir standen an der Straßenecke. Um uns herrschte das übliche rege Treiben des schwarzen Harlem. Aber da alle sahen, daß Timmy sich vertraut mit mir unterhielt, wurde ich geduldet. Als ich mit meinem Bericht von den Ereignissen auf Kennedy International zu Ende war, fragte Timmy: „Und was machen wir heute abend? Warum hast du mich herbestellt?" „Hier in der 118th Street leben zwei Weiße. Brüder. Ihr Familienname ist Olson. Der ältere heißt Morton. Den Vornamen des jüngeren kenne ich nicht. Aber ich möchte mit ihm reden." „Zwei Weiße? Hier?" „Ja. „Nicht zu fassen", brummte Timmy. „Aber das wird kein Problem. Die finden wir so leicht wie ein Zebra unter lauter Ziegen." Er sah sich um und ging schließlich auf eine dicke Negermammy zu, die auf einer Haustreppe saß und einen kleinen schwarzen Wuschelkopf im Schoß wiegte. Er sprach ein Weilchen mit ihr. Dann kam er zurück. „Der Jüngere heißt Hank", sagte er. „Und im Augenblick hat er Besuch von Mr. Pinelli." Ich stieß einen Pfiff aus. Wenn sich der große Boß Pinelli für Olson interessierte, dann standen die Chancen gut, daß der Ältere tatsächlich zu den Goldräubern gehörte. „Wo wohnen die Olsons?" fragte ich. „Komm mit!" erwiderte Timmy nur. Ich folgte ihm. Er drückte sich durch eine Kinderschar, die in einer Toreinfahrt spielte, und überquerte einen Hinterhof. Noch bevor wir im Treppenhaus waren, hörte ich ein klatschendes Geräusch, dem ein spitzer Schrei folgte. Ich ahnte, was sich abspielte. Es roch nach Knoblauch, nach Moder und nach Rattenkot. Ich ließ die Zigarette im Mundwinkel hängen, damit mir der Rauch in die Nase stieg. Immer noch besser Rauch in der Nase als den Duft dieser Bruchbude. Die Olsons wohnten im 2. Stock. Timmy stieß einfach die Tür auf. Wir kamen in eine Art Wohnküche. Dahinter gab es etwas, das man Schlafzimmer nennen konnte, weil zwei Betten in ihm standen. Statt eines Kleiderschrankes gab es einen großen Tisch, auf dem ein Berg Klamotten lag. An der Wand hing der Rest eines Spiegels. Hank Olson lag auf dem schmutzigen Fußboden. Sein linkes Auge war zugeschwollen. Die Oberlippe war aufgeplatzt und blutete. Er lag auf der Seite, zusammengekrümmt, und preßte seine Hände auf den Leib.
Neben ihm standen die beiden Gorillas, die Pinellis Pokerspiel bewacht hatten. Pinelli selbst saß auf dem großen Tisch und sah mir mit finsterem Gesicht entgegen. „Ich hab' was läuten hören, Cotton", knurrte er. „Sein Bruder war draußen auf Kennedy International. Diese Ratten bilden sich ein, sie könnten in dieser Stadt machen, was sie wollen. Das werde ich ihnen austreiben, darauf können Sie sich verlassen." „Ich sehe es", sagte ich kalt. „Seit wann sind Sie auf unserer Seite?" „Das bin ich gar nicht. Aber wenn so ein paar größenwahnsinnige Idioten so einen Riesencoup landen, dann schwirrt doch die Polizei los wie ein aufgestöberter Bienenschwarm! Das ist für den normalen Gang der Geschäfte nicht gut." Ich begriff schon, was er meinte. Auch in der Unterwelt gelten ein paar Spielregeln, die man nicht ungestraft verletzt. Pinelli sprang vom Tisch herab und gab Hank Olson verächtlich einen Stoß. „Er ist soweit, Cotton", sagte er dabei. „Der spuckt alles aus, was Sie hören wollen. Stimmt's, du Ratte?" „Ich sage alles, ich sage alles, ich sage alles!" kreischte Olson in panischer Angst. Der Himmel mochte wissen, was Pinelli ihm angedroht hatte. „Ist es wahr, daß dein Bruder bei dem Überfall auf die Goldladung dabei war?" fragte ich. „Ja! Ja, Sir!" „Wer hat die Sache organisiert?" Olson holte ächzend Luft. Dann sprudelte er hervor: „Da haben sich drei Gangs zusammengetan. Die Banden von Joe Alby, Bill Morey und Tom Prudence..." „Wie lange haben sie die Sache vorbereitet?" „Seit ungefähr vier Wochen. Sie sind jedes Wochenende in die Adirondacks gefahren und haben mit den Maschinenpistolen geübt." „Woher hatten sie so viele Maschinenpistolen?" „Die hat ihnen der Chinese besorgt, der sie für die Geschichte bezahlt." „Sie haben den Überfall gegen Bezahlung ausgeführt? Sie wollten das Gold nicht selber haben?" „Was sollten sie denn mit so einem Haufen Gold anfangen?" „Dieser Chinese — wie heißt der?" „Weiß ich nicht. Vielleicht ist er auch gar kein Chinese. Mein Bruder hat nur immer vom Chinesen erzählt, weil der Mann solche Schlitzaugen hatte." „Wo ist dein Bruder jetzt? Warum ist er nach dem Überfall nicht wieder nach Hause gekommen?" „Das frage ich mich ja die ganze Zeit! Wirklich, Sir, ich weiß es nicht! Ich weiß es wirklich nicht! Das müssen Sie mir glauben!" „Okay", sagte ich. „Ich glaub's ja. Wo haben sich die drei Banden immer getroffen, wenn sie ihren Plan besprachen?" Er wollte vielleicht nur nachdenken. Aber schon hatte ihm einer der Gorillas einen Tritt versetzt, bevor ich es verhindern konnte: Olson bäumte sich auf und wimmerte. „Wo sich die Scheißkerle getroffen haben, wollen wir wissen!" schrie ihn Pinelli an. „Spuck's aus, solange du noch einen Zahn in der Fresse hast!" Olsons Augen verdrehten sich in Todesangst. „In den alten Bunkern unter der Eisenbahnbrücke von Randall's Island", stieß er hervor. „In den alten... unter der Brücke..." Die Patrolmen Dave Fischer und Allan McGinsey saßen in ihrem Streifenwagen und rollten langsam die Fifth Avenue nordwärts. Während McGinsey am Steuer auf den Verkehr achtete, ließ Fisher seinen Blick über den Gehsteig schweifen. Er sah die hell beleuchteten Schaufenster eines Juweliers, eines Pelzgeschäfts und dann den silbrig glänzenden Turm eines neuen Wolkenkratzers. Sein Blick glitt über die Passanten hin — und plötzlich rief er aufgeregt: „Allan! Guck mal! Der Bucklige da am Schaufenster des Juweliers!" McGinsey wandte den Kopf. Er sah einen verwachsenen Mann in einem dunklen Anzug, etwa 1,80 Meter groß und mit abstehenden Ohren. „Meine Fresse", sagte er. „Das ist er!" Er ließ den Wagen langsam ausrollen. Aber noch bevor sie aussteigen konnten, betrat der Mann den neuen Wolkenkratzer.
„Verdammter Mist!" fluchte Fisher. „Wie sollen wir den da drin finden! Das ist doch ein Fuchsbau!" „Mach erst mal Meldung", riet McGinsey. „Vielleicht ist er ihnen so wichtig, daß sie uns Verstärkung schicken." Es war dunkel geworden. In Manhattan brannten Millionen Lichter. Ich ließ meinen Blick fluchtig über die weltberühmte Skyline der Wolkenkratzerstadt gleiten. Dann konzentrierte ich mich erneut auf das schwierige Stück Weg, das vor mir lag. Wobei mir einfiel, daß eigentlich, so lange ich denken konnte, immer schwierige Wege vor mir gelegen hatten. Ich mußte an den stählernen Querstreben des Brückenpfeilers hinabklettern, wollte aber dabei die eingesteckte Taschenlampe nicht benutzen. Der Boden unten war in der Finsternis nicht zu erkennen. Die Träger und Streben waren mit irgendeinem Rostschutzmittel angestrichen, das abblätterte und in die Haut schnitt. Ich biß die Zähne zusammen, hangelte ein Stück weiter und spürte endlich den nächsten Träger unter meinen Füßen. Ich weiß nicht, wie lange die Turnerei gedauert hat, aber ich schätze, daß es wenigstens 20 Minuten waren. Dann hatte ich endlich wieder festen Grund unter den Füßen, den Grund von Randall's Is land, westlich von Queens, südlich der Bronx und östlich von Manhattan. Jenseits des Pfeilers ragte die Triboro Bridge empor, und auf ihr rissen die Ketten der Autolichter nicht ab. Nur hier unten herrschte eine fast undurchdringliche Schwärze. Ich lehnte mich gegen den Pfeiler, verschnaufte und hätte mir gern eine Zigarette angezündet. Aber das durfte ich nicht riskieren. Als mein Atem wieder normal ging, hatten sich auch meine Augen an die Finsternis soweit gewöhnt, daß ich wenigstens schemenhaft die Umrisse der nächsten Gegenstände erkennen konnte. Und da sah ich auch den entfernten Lichtstreifen. Ich tastete mich vorwärts, langsam und auf Geräuschlosigkeit bedacht. Unter der Eisenbahnbrücke, wo ich mich befand, mußten Stadtstreicher gelagert haben, denn mein Fuß stieß gegen eine leere Konservendose und gleich darauf, trotz aller Vorsicht, gegen eine leere Flasche. Es schepperte überlaut in meinen Ohren. Ich überlegte, ob ich niederknien und mich kriechend weiterbewegen sollte, als plötzlich zwei grelle Stabscheinwerfer dicht vor mir aufflammten. Eine harte Männerstimme sagte: „Beweg dich ja nicht! Wir haben zwei Maschinenpistolen und du bist ein Sieb, wenn du auch nur mit dem Ohr wackelst!" Zeery sprang aus dem neutralen Dienstwagen und trat an den jungen Cop heran, der neben seinem Streifenwagen lehnte. Hinter ihm stieg die glitzernde Aluminiumfassade des neuen Wolkenkratzers in den nächtlichen Himmel. „FBI", sagte Zeery. „Da drin?" „Ja, Sir!" „Und Sie sind sicher, daß es der Bucklige war?" „Ziemlich sicher, Sir." „Okay. Warten Sie einen Augenblick!" Zeery ging zum Haupteingang des Wolkenkratzers und betrat die Vorhalle. Links hingen die zahllosen Namensschilder der Firmen, die hier ihre Büros hatten. Zeery ließ seinen Blick darüber hingleiten. Und dann fand er es. Es war ein Messingschild mit der eingravierten Schrift: Delegation der Volksrepublik... Es war der Name des Staates, der das Gold geschickt hatte. Damit war für Zeery der letzte Zweifel ausgeräumt. Er drehte sich um und ging wieder hinaus. Zuerst sagte er den beiden aufmerksamen Cops Bescheid: „Sie dürften richtig beobachtet haben. Bitte, fahren Sie jetzt weiter! Der FBI übernimmt die Angelegenheit. Geben Sie mir bitte vorher Ihre Dienstnummern! Ich werde dafür sorgen, daß in Ihrem Hauptquartier eine offizielle Belobigung vom FBI ankommt." „Oh, Sir", sagte der junge Cop und strahlte. Er schrieb schnell seine und die Nummer seines Kollegen auf einen Zettel, bevor er in den Streifenwagen stieg und mit ihm davonfuhr. Zeery kletterte in den Dienstwagen
Steve Dillaggio, unser blonder Italiener, saß am Steuer. „Ich glaube, wir haben den richtigen. Aber wir werden ihn nicht festnehmen, wenn er herauskommt", sagte Zeery. „Wir werden ihn nur beobachten. Wir werden ihn so gut beobachten, wie wir noch niemals jemand beobachtet haben." Er griff zum Hörer des Sprechfunkgeräts und sagte: „Den Einsatzleiter, bitte! — Hallo, Richard! Hier ist Zeery. Ich brauche acht neutrale Fahrzeuge mit je zwei Mann..." Phil war zu sich gekommen, als es noch hell war. Er hatte fürchterliche Kopfschmerzen und schloß die Augen wieder. Erst nach einer ganzen Weile riskierte er es erneut, die Augen einen winzigen Spaltbreit zu öffnen. Durch ein staubbedecktes Fenster fiel helles Tageslicht herein. Phil bewegte ächzend den Kopf. Erst als er das Fenster nicht mehr im Blickfeld hatte, machte er die Augen ganz auf. Er wußte nicht, wo er war. Er befand sich in einem hohen Gewölbe aus weißgestrichenen Ziegelsteinen. Vergeblich zerbrach er sich den schmerzenden Kopf, wie er hierhergekommen sein konnte. Nach einer Weile richtete er sich auf. Eine zweiflügelige Metalltür führte irgendwo hin. Hinter ihr war undeutliches Stimmengewirr zu vernehmen. Phil entdeckte, daß er auf einem alten Army-Feldbett gelegen hatte. Er hob die Hände und begann behutsam seinen Kopf abzutasten. Er hatte einen dicken Verband um den Kopf, und in der Gegend der linken Schläfe spürte er Feuchtigkeit. In einer Jackentasche fand er seine Zigaretten, in der Hosentasche sein Feuerzeug. Er zündete sich eine Zigarette an, als die Tür aufging und ein wildfremder Mann hereinkam. „Na, endlich wieder da?" fragte der Fremde. Phil nickte andeutungsweise, verzog aber gleich darauf das Gesicht. Sein Kopf schien jede Bewegung übelnehmen zu wollen. „Wie... wie lange war ich denn weg?" fragte Phil. „Na, seit du gestern den Streifschuß abgekriegt hast! Junge, hast du geblutet! Wir haben zuerst gedacht, du wärst hinüber wie Olson. Dem hat's ja den halben Hinterkopf weggerissen. Sein heller Anzug sah vielleicht aus!" „Olson?" fragte Phil. „Ach, ich hab vergessen, daß du ja nicht zu den Leuten von Prudence gehörst. Olson war einer seiner Leute. Wie gesagt, ihm hat's den halben Schädel weggerissen. Wir haben seine Leiche im East River versenkt. Mit zwei Betonklötzen auf dem Bauch." „Aha", sagte Phil. In seinem Kopfe arbeitete es trotz der stechenden Schmerzen fieberhaft. „Sind die anderen alle draußen?" fragte er. „Sicher. Wir dürfen doch erst wieder nach Hause, wenn die Schlitzaugen ihr Gold abgeholt haben. Gehörst du zu den Leuten von Alby?" Phil wollte keine Antwort geben und stöhnte deshalb mit schmerzverzerrtem Gesicht „Ich glaube", sagte er schwach, „ich muß mich noch ein bißchen hinlegen." „Tu das!" meinte der andere verständnisvoll. „Kannst von Glück sagen, daß die Kugel nicht einen Zentimeter weiter links angeschwirrt kam. Dann hätten wir dich zusammen mit Olson beerdigen müssen. Ich komme später mal wieder." „Okay. Hast du mich verbunden?" „Klar. Ich war doch Sani bei der Army. Das vergißt man nicht alles." „Danke", sagte Phil. „Schon gut. Also bis dann!" Der Mann ging hinaus. Phil ließ sich behutsam auf das Feldbett zurücksinken und schloß die Augen wieder. Es war nicht zu fassen. Sie hielten ihn für einen der ihren! Wie konnte das möglich sein? Er grübelte. Plötzlich fuhr er so heftig empor, daß ein stechender Schmerz durch seinen Schädel flammte. Sein Dienstausweis! Sein Dienstrevolver! Er fand den Revolver in der Halfter, das Etui mit Ausweis und Dienstmarke in seiner Hüfttasche. Sie hatten ihn also nicht durchsucht. Und er besaß noch seinen Revolver. Er zog ihn hervor. Die Trommel war vollgeladen. Er wandte den Kopf zum Fenster. Es war fast drei Meter hoch — und vergittert. Phil sah sich in dem großen Gewölbe um. Außer seinem Feldbett gab es an einer anderen Wand nur
einen großen Stapel von Kisten. Phil nahm es wahr, ohne sich zunächst etwas dabei zu denken. Aber plötzlich zuckte es wie ein Stromstoß durch sein Hirn. Wieder stand er zu schnell auf, und wieder fuhr dieser blitzartige Schmerz durch seinen Kopf. Er schloß die Augen und wartete, bis die Schmerzwelle abebbte. Dann ging er zu den Kisten. Es waren genau 60 Stück. Das Gold, dachte Phil. Es ist verrückt! Ich stehe vor dem geraubten Gold. Und draußen sitzen wer weiß wie viele Gangster! Ich glaubte ihm aufs Wort, daß sie Maschinenpistolen hatten. Und ich verfluchte die verdammte Konservendose, die so laut gescheppert hatte, als ich sie anstieß. Sie nahmen mir als erstes natürlich meinen Revolver weg. Dann erlaubten sie mir gnädig, die Hände auf dem Kopf zu falten. So mußte ich vor ihnen hergehen. Sie leuchteten mit ihren Stabscheinwerfern. Es ging auf die Brückenbögen zu, unter denen sich die Gewölbe einer Spedition befanden, die es längst nicht mehr gab. Es war eine Spedition gewesen, die sich auf den Zulieferungsbetrieb für die inzwischen ebenfalls eingegangene Eisenbahngesellschaft spezialisiert hatte. „Schlag zweimal kurz hintereinander gegen die Metalltür!" kommandierte einer der Burschen hinter mir. „Und dann noch zweimal!" Ich tat es. Die Tür wurde von innen geöffnet. Das Licht von einem Dutzend Petroleumlampen fiel heraus. Sie stießen mich hinein. Und da hatte ich sie vor mir, die Räuber vom Kennedy Airport. Ihre Maschinenpistolen lehnten an der Wand. Und ich hatte die Mündung eines Revolvers oder einer Pistole im Genick. Natürlich konnte es auch die Mündung einer Maschinenpistole sein. So genau konnte mein Genick das nicht fühlen. „Wagen 4", sagte Zeery. „Wagen 4!" „Zielobjekt biegt zur Triboro Bridge ab. Wir folgen, fallen aber zurück. Überholen und dranbleiben!" „Verstanden. Wir übernehmen!" An Zeerys neutralem Dienstwagen schob sich der Lieferwagen der Wäscherei vorbei, der in Wahrheit dem FBI gehörte. „Na, wen haben wir denn da?", fragte einer, dem die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammengewachsen waren. Es war Bill Morey, wie sich später herausstellte. „Den Weihnachtsmann", sagte ich. „Kann ich die Hände runternehmen?" Morey holte einen Revolver unter seinem Jackett hervor, richtete ihn auf meine Magengegend und sagte: „Nimm sie runter, meinetwegen! Aber halt sie still! Mein Zeigefinger wird nervös, wenn ich überflüssige Bewegungen sehe." „Keine Angst", sagte ich. „Ich tu dir nichts." Aus den Kehlen von 18 Männern stieg ein schallendes Gelächter empor. Ich blieb ernst und wartete, bis sie sich beruhigt hatten. Dann bluffte ich, weil ich keine andere Wahl hatte: „Ich bin Jerry Cotton vom FBI. Und ihr seid festgenommen." Morey wurde unsicher. Er wand sich an die beiden Männer, die mich geschnappt hatten. „Ist er allein gekommen?" „Ganz allein. Er turnte am Pfeiler die Brücke runter." „So", brummte Morey. „Also du bist ein G-man, he?" „Richtig." „Habt ihr seine Kanone?" „Klar, doch, Bill!" „Dann zeig mir mal deinen Ausweis! " Ich schob langsam die Hand unter mein Jackett. Warum hatte ich mir nicht wenigstens ein Messer auf die Brust geklebt? Aber es hätte wohl auch nichts geholfen Ebenso langsam brachte ich meine Hand wieder zum Vorschein und hielt ihnen das aufgeklappte Etui hin. Es wurde still. Die drei Buchstaben FBI tun doch überall ihre Wirkung... „Wie bist du hierhergekommen?" fragte Morey. „Mit meinem Auto bis zum Güterbahnhof und zu Fuß auf die Brücke", sagte ich.
Er runzelte unwillig die Stirn. „Laß deine blöden Späße!" knurrte er. „Ich meine, wer dich auf diese Spur gebracht hat! Woher hast du gewußt, daß wir hier sind?" „Erst eine Gegenfrage", erwiderte ich. „Wie habt ihr es geschafft, mit dem Gold vom Flughafen wegzukommen?" „Du hast nichts zu fragen!" „Dann habe ich auch nichts zu sagen." Morey überlegte. Aber es war für ihn lebenswichtig zu erfahren, wie ich ihnen auf die Spur gekommen war. Also lenkte er ein: „Na schön. Ich kann es dir ruhig sagen. Denn in einer Stunde schwimmt deine Leiche im Fluß. Oder besser: sie wird auf dem Grund liegen, von Betonklötzen für alle Ewigkeit festgehalten." „In einer Stunde kann viel passieren", sagte ich, während ich mir krampfhaft den Kopf nach einem Ausweg zermarterte. „Also wie war das? Wie seid ihr mit dem Gold davongekommen?" Morey grinste selbstzufrieden. „Es gibt auf dem Flugplatz elf Blumenläden", erklärte er. „Sie gehören alle derselben Firma. Die Lieferwagen dieser Blumenläden kontrolliert längst kein Schwanz mehr. Übrigens hatten wir holländische Tulpen auf dem Gold liegen. Es sah wirklich sehr hübsch aus." Die ganze Zeit über hatte ich mich unauffällig umgesehen. Es gehört zu den Grundregeln unseres Handwerks, daß man sich überall die Örtlichkeit genau ansehen muß. Einen Meter über der Metalltür gab es ein vergittertes Fenster, dessen Scheiben mit schwarzem Papier verklebt waren. Zwei weitere Fenster waren links und drei rechts von der Metalltür. Aber sie waren alle vergittert. „Welche Rolle spielte eigentlich der unglückliche Mr. Steinfield?" fragte ich, um Morey abzulenken. „Steinfield? Der arbeitet in dem Blumengeschäft und hat uns doch die Idee mit dem Lieferwagen erzählt! Ohne die wäre es verdammt schwierig gewesen, das Gold wegzuschaffen." Jetzt begriff ich, warum Steinfield sich selbst umgebracht hatte. Er hatte mit Gangstern zusammengearbeitet, die seine eigene Tochter ermordet hatten! Er war bei einem Verbrechen beteiligt gewesen, das seine Tochter das Leben gekostet hatte. „Jetzt bist du an der Reihe", sagte Morey. „Los, ich will wissen, wie du uns auf die Spur gekommen bist!" Ich machte den Mund auf. Aber im selben Augenblick ertönte an der Tür ihr Klopfzeichen. Morey winkte. Einer der Männer hob den schweren Stahlriegel an und zog die Tür auf. Ein Mann mit einem Buckel kam herein. Ihm folgte ein Asiat mit hellbrauner Gesichtsfarbe und dem typischen Augenschnitt. Ich habe sie alle zusammen, dachte ich bitter. Nur ist es leider umgedreht. Sie haben mich! Nebenan war es ruhiger geworden. Phil lag im Dunkeln auf seinem Feldbett und sah auf seine Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Er mußte ein paar Stunden geschlafen haben. Ich muß versuchen rauszukommen, dachte er. Wenn sie mich für einen der ihren halten, kann es eigentlich keinen Grund geben, warum sie mich nicht rauslassen sollten. Ich brauche eben ein bißchen frische Luft. Oder ich muß austreten. Das ist noch besser. Er stand auf und wartete auf die Schmerzwelle, aber sie kam nur sehr schwach. Zufrieden tappte er im Dunkeln die Richtung, wo er am Nachmittag die einzige Tür seines Gewölbes gesehen hatte. Noch bevor er sie erreicht hatte, ging die Tür auf. Das gelbe Licht von Petroleumlamen wurde im Türrahmen sichtbar. Und ein Mann. „Nanu!" fuhr es Phil heraus. „Jerry? Was machst du denn hier?" Zeery war, nur von einem anderen Wagen begleitet, mit ausgeschalteten Lichtern hinter dem Anderthalbtonner hergefahren, den sie von der Fifth Avenue ab verfolgt hatten. Als der kleine Lastwagen etwa 60 Meter vor ihnen anhielt, trat auch Zeery auf die Bremse. Hinter ihm kam der zweite Wagen gerade noch vor einem Zusammenstoß zum Stehen. „Achtung!" rief Zeery ins Funksprechgerät: „An alle! Aufschließen! Lichter aus! Zu Fuß bis auf meine Höhe herankommen!"
Er drückte den Knopf für die Innenraumbeleuchtung, damit sie nicht aufflammte, wenn er ausstieg. Er mußte ungefähr fünf Minuten warten, bis alle Kollegen bei ihm angekommen waren. „Sieht aus, als ob sie in den Gewölben unter der Eisenbahnbrücke wären", sagte er. „Jedenfalls ist der Bucklige mit seinem Begleiter darin verschwunden. Wenn sie das Gold dort versteckt haben, müssen wir zugreifen. Jack Haggerty!" „Ja, Zeery?" „Lauf zurück, setz dich in deinen Wagen und nimm Verbindung mit der City Police auf! Sie sollen uns so viele Streifenwagen zur Verstärkung schicken, wie sie in der Nähe haben! Außerdem sollen sie uns Tränengas bringen!" „Streifenwagen und Tränengas, okay!" Der Kollege Haggerty hastete in die Nacht hinein. Zeery entwickelte — ohne Ortskenntnis und in der Finsternis — so etwas wie einen Einsatzplan. Ich glaubte, einer Halluzination zum Opfer gefallen zu sein, als ich plötzlich aus undurchdringlicher Finsternis heraus Phils Stimme hörte. Aber ich sah die Metalltür neben mir — und ich machte einen Satz vorwärts, warf mich herum und schlug die Eisentür zu. Während ich mich dagegenstemmte, fischte ich meine Taschenlampe aus der Hose und schaltete sie ein. Ich hätte sie beinahe fallen lassen. Denn im hellen Lichtschein meiner Taschenlampe stand Phil, zwar mit einem dicken und an der linken Schläfe blutgetränkten Verband um den Kopf, aber doch ganz ohne Zweifel der lebendige, echte, unverwechselbare Phil Decker! Ich stotterte irgend etwas, aber Phil hatte schon die Situation erfaßt und schleppte eine Kiste heran, die er unten gegen die Metalltür stellte. Dann kam eine zweite. Eine dritte. Und in der ganzen Zeit mußte ich mich mit aller Kraft gegen die Tür stemmen, denn von drüben versuchten sie natürlich, die Tür aufzubekommen. Nach der 20. Kiste hätten sie eine Ramme oder einen Panzer benötigt, aber zu der Zeit wurde es draußen auch schon laut... „Wir haben ein Megafon mitgebracht", sagte der uniformierte junge Lieutenant der City Police und hielt es Zeery hin. „Sehr schön", lobte Zeery, sah sich im Licht der vielen Autoscheinwerfer zufrieden um und hob die Flüstertüte an die Lippen. Und dann drang es laut und deutlich durch die Nacht, der Spruch, der in 100 ähnlichen Situationen schon l00mal genauso gerufen wurde: „Wir sind Bundesbeamte — kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!" „Auf die Kollegen kann man sich immer verlassen", sagte ich zufrieden, als ich Zeerookahs Stimme aus dem Megafon hörte. „Wo kommen sie auf einmal her?" fragte Phil. „Das möchte ich selber gern wissen", gab ich zu. „Hauptsache, sie sind da. Ich finde nicht, daß wir ihnen deshalb einen Vorwurf machen sollten." Nebenan wurde das Klirren zerschlagener Fensterscheiben laut und gleich darauf das Rattern mehrerer Maschinenpistolen. „Verdammt!" brummte ich. „Wenn ich wenigstens meinen Revolver hätte!" „Ich kann dir meinen geben. Aber wozu? Hinter der Metalltür sind wir ziemlich sicher. Willst du sie wieder aufmachen?" „Wenigstens einen Spalt, damit sie auch von hinten Zunder kriegen! Ich habe das Gelände draußen gesehen. Da gibt es kaum Deckungsmöglichkeiten. Es wird also für die Kollegen verdammt schwer, an diese Festung heranzukommen. Aber — hast du wirklich gesagt, du hast deinen Revolver noch? Den haben sie dir nicht abgenommen?" „Nein. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, sitzen da draußen die Mitglieder von drei verschiedenen Banden. Und offenbar hat von denen jeder geglaubt, daß ich zu einer der beiden anderen gehöre!" Ich schüttelte nur den Kopf, während ich schon anfing, die Kisten wieder wegzuräumen. Draußen krachten noch im mer die Maschinenpistolen. Das verriet, daß die Burschen aus
purer Panik feuerten. Denn die Kollegen waren ja bestimmt nicht so dumm, sich als Zielscheiben aufzubauen. Als nur noch vier Kisten an der Tür lehnten, stemmte ich mich gegen den anderen Türflügel und zog. Sie knallten so wild durch die zerschlagenen Fenster hinaus in die Dunkelheit, daß sie der Tür in ihrem Rücken keine Aufmerksamkeit mehr zuwandten. Ich bekam die Tür etwa zwei Fingerbreit auf, und das reichte mir völlig. Zuerst schoben wir alle anderen Kisten wieder gegen die Tür. Dann kletterte ich auf den Kistenstapel und lugte ganz oben durch den Spalt. Sechs von ihnen konnte ich an zwei Fenstern erkennen. Alle sechs feuerten mit ihren Maschinenpistolen in die Dunkelheit hinaus. Ich legte meinen Unterarm auf die oberste Kiste, den Revolverlauf auf den Arm und probierte es einmal, ohne abzudrücken. Es mußte gehen. Ich zielte noch einmal auf die Schultern der drei, die ich mir ausgesucht hatte. Dann machte ich ernst. Dreimal schnell hintereinander bellte der Smith & Wesson 38 Special auf. Danach drückte ich mich neben den Türspalt in Sicherheit. Draußen verstummten die Maschinenpistolen. Dafür wurde das Geschrei der getroffenen Männer laut. Ich riskierte es und schielte durch den Spalt. Ich hatte alle drei getroffen, und sie lagen stöhnend unter den Fenstern. Noch schienen sie allerdings zu glauben, daß sie von draußen getroffen worden sein mußten. Sie zogen die Verwundeten von den Fenstern fort. Andere bezogen dafür Posten. Und schon ging die irrsinnige Schießerei wieder los. Ich wiederholte das Manöver von eben: Probeweise anvisieren — und dann krachten die letzten drei Patronen, die in der Trommel von Phils Revolver saßen. Diesmal hatte ich Pech, denn den letzten verfehlte ich. Aber diesmal begriffen sie endlich, wo die Schüsse herkamen. Ich sah noch beim letzten Schuß, wie einer in meine Richtung zeigte und etwas schrie. „Vorsicht, Phil!" brüllte ich. .Jetzt kriegen wir's!" Und tatsächlich schossen sie jetzt wie die Verrückten auf die Metalltür, die nicht nur jede Kugel abhielt, sondern auch die Mehrzahl als Querschläger zurücksirren ließ. Und einige von den Querschlägern trafen sogar zufällig. Bei fast 20 Männern in einem einzigen Raum, war das eigentlich kein Wunder. Jedenfalls war Phils Revolver leergeschossen, und nun gab es nichts mehr, was ich zur Unterstützung der Kollegen draußen hätte tun können... Zeerookah hatte zwei Kollegen im weiten Bogen seitwärts an die Fenster heranschleichen lassen, im sicheren toten Winkel. Und auf einmal hörten die beiden, daß drinnen wie wild geschossen wurde, daß aber nicht eine Kugel aus den Fenstern kam. Und da taten sie natürlich das, weswegen sie an die Fenster herangekrochen waren: Sie ließen die Handgranaten mit dem Tränengas hineinfallen. Und sie hatten jeder acht Stuck davon... Ein paar Wochen später lasen wir in der Zeitung, daß die Mitglieder einer bestimmten UNDelegation ausgetauscht worden seien. Wir grinsten. Vor allem, als wir ein paar Seiten weiter lasen, daß ein bestimmtes Land gegen das Pfand von rund 1000 Kilo Gold (in den Tresoren der Weltbank) einen Kredit in Höhe von 16 Millionen Dollar erhalten hätte. „Und der ganze Goldschatz stand einen Tag lang in meinem Krankenzimmer!" seufzte Phil. „Sei froh, daß es nur dein Krankenzimmer war", murmelte ich. „Und wenn du dir wieder mal einen Anzug kaufst, dann vergewissere dich gefälligst, daß nicht ein Gangster haargenau den gleichen kauft!" Noch einmal sah ich es vor mir. Noch einmal erlebte ich den Augenblick, als ich Phil Decker sterben sah. Dann schüttelte ich mir die Erinnerung aus dem Kopf. Aber an dem Abend gab ich für Phil ein paar Whisky aus. Einfach nur so... Man muß ja nicht immer einen Grund haben, wenn man für einen Freund mal einen ausgibt.
ENDE