ALAN DEAN FOSTER
ALIEN DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER FREMDEN WELT
Nach dem Drehbuch von Dan O'Bannon. Idee von Dan ...
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ALAN DEAN FOSTER
ALIEN DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER FREMDEN WELT
Nach dem Drehbuch von Dan O'Bannon. Idee von Dan O'Bannon und Ronald Shusett
Copyright © 1979 by Twentieth Century Fox mit freundlicher Genehmigung von Wamer Books, Inc., New York. Copyright © der deutschen Ausgabe 1979 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München. Aus dem Englischen von Heinz Nagel. Der Band ist bereits in der Reihe Heyne Science Fiction unter der Nr. 06/3722 in der 16. Auflage erschienen.
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1.
Sieben Träumer. Damit wir uns richtig verstehen, es waren keine berufsmäßigen Träumer. Berufsmäßige Träumer sind hochbezahlte, sehr gesuchte Talente. Diese sieben träumten wie die meisten von uns, ohne Anstrengung und ohne Disziplin. Berufsmäßig zu träumen, so, daß diese Träume aufgezeichnet und zur Unterhaltung anderer wieder abgespielt werden können, ist eine viel kompliziertere Sache. Man braucht dazu die Fähigkeit, halbbewußte kreative Impulse zu lenken und seine Fantasie zu strukturieren, und das ist außerordentlich schwierig. Berufsmäßige Träumer sind gleichzeitig die am besten organisierten von allen Künstlern und dennoch die spontansten. Es sind Menschen, die auf subtile Art Spekulationen ineinander verweben können, nicht schwerfällig und gerade wie Sie oder ich, oder eben diese sieben Schläfer. Von ihnen allen kam Ripley dieser speziellen Fähigkeit noch am nächsten. Sie hatte ein gewisses Talent zum Träumen und eine flexiblere Fantasie als ihre Begleiter. Aber die richtige Inspiration fehlte ihr und auch die ausgeprägte gedankliche Reife, die für Berufsträumer so charakteristisch ist. Sie verstand sich sehr gut darauf, Vorräte und Ladung zu organisieren, Karton A in Lagerraum B zu verstauen oder Ladepläne abzustimmen. Im Lagerhaus des Geistes funktionierte ihr Ablagesystem nicht so gut. Hoffnungen und Ängste, Spekulationen und halb abgeschlossene Kreativorgänge rutschten willkürlich von einem Abteil ins andere. Deckoffizier Ripley brauchte mehr Selbstkontrolle. Ihre wirren Träume warteten darauf, angezapft und geformt zu werden, warteten unter der Oberfläche der Realisierung.
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Etwas mehr Mühe, intensivere Selbstbetrachtung, und sie hätte eine gute Träumerin abgegeben. Wenigstens glaubte sie das manchmal. Captain Dallas andererseits schien zwar träge, war aber von ihnen allen am besten organisiert. Auch an der Fantasie gebrach es ihm nicht. Das bewies sein Bart. Niemand nahm einen Bart mit in die Kühltruhen. Niemand außer Dallas. Der Bart war ein Te il seiner Persönlichkeit, hatte er mehr als einmal neugierigen Reisegefährten erklärt. Er war ebensowenig bereit, sich von dem antiken Gesichtsgestrüpp zu trennen wie von irgendwelchen anderen Teilen seiner Anatomie. Dallas war Kapitän zweier Schiffe: des Interstellarschleppers Nostromo und seines Körpers, und beide blieben intakt, ob er nun träumte oder wachte. Er verfügte also über die lenkende Fähigkeit und ein gewisses Maß an Fantasie. Aber ein berufsmäßiger Träumer braucht wesentlich mehr als ein gewisses Maß von letzterer, und was hier fehlt, läßt sich auch nicht durch ein Übermaß ersterer ausgleichen. Dallas eignete sich auch nicht mehr zum Träumer als Ripley. Kane war in seinen Gedanken und Handlungen weniger systematisch als Dallas und besaß viel weniger Fantasie. Er war ein guter Erster Offizier. Kapitän würde er nie werden. Das erfordert ein großes Maß an Risikobereitschaft, in Verbindung mit der Autorität, anderen Befehle zu erteilen, und beides besaß Kane nicht. Seine Träume waren - verglichen mit denen von Dallas - durchsichtige, formlose Schatten, ebenso wie Kane selbst ein dünneres weniger vibrierendes Echo des Kapitäns war. Das machte ihn nicht weniger beliebt. Aber berufsmäßiges Träumen erfordert ein gewisses Maß an Extraenergie, und Kane hatte kaum genug für das alltägliche Leben. Parkers Träume waren nicht unangenehm, aber sie waren
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nicht so beschaulich wie die Kanes. In ihnen steckte kaum Fantasie. Sie waren zu spezialisiert und befaßten sich nur selten mit menschlichen Dingen. Man konnte aber auch von einem Schiffsingenieur erwarten, daß er von Dingen träumte, die ihn hauptsächlich beschäftigten. Seine Träume waren direkt und gelegentlich häßlich. Im Wachzustand zeigte sich dieser tief vergrabene Unrat nur selten, nur dann, wenn der Ingenie ur gereizt oder verärgert war. Den größten Teil des Schlamms und der Verachtung, die auf dem Grunde der Zisterne seiner Seele vor sich hinfermentierten, hielt er gut verborgen. Seine Schiffsgenossen blickten nie über den destillierten Parker hinaus, der oben schwebte, bekamen das nie zu sehen, was in seinem Innern brodelte. Lambert war mehr eine Inspiration von Träumern als selbst eine Träumerin. Im Hyperschlaf waren ihre ruhelosen Grübeleien mit Intersystem-Kursberechnungen und Ladefaktoren angefüllt, überlagert von Treibstoffberechnungen für Kurskorrekturen und Beschleunigungsphasen. Gelegentlich drang auch etwas Fantasie in derartige Traumstrukturen ein, aber nie in einer Art und Weise, die das Blut anderer hätte in Wallung bringen können. Parker und Brett stellten sich oft vor, wie ihre eigenen Systeme sich mit den ihren verknüpften. Sie betrachteten die Frage von Ladefaktoren und räumlichen Beziehungen in einer Art und Weise, die Lambert wütend gemacht haben würde, hätte sie davon gewußt. Sie behielten solch unautorisierte Grübeleien für sich, sicher in Tagträumen und Nachtträumen verschlossen, um sie nicht wild zu machen. Es war nicht gut, Lambert zu ärgern. Als Navigatorin der Nostromo war sie in erster Linie dafür verantwortlich, daß sie wieder sicher nach Hause zurückkehrten, und das war das Wünschenswerteste, was jedermann sich vorstellen konnte. Brett stand in der Liste als Techniker der Ingenieurabteilung.
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Das besagte einfach, daß er ebenso intelligent und gut ausgebildet wie Parker war, aber nicht den gleichen Rang innehatte. Die beiden Männer bildeten ein seltsames Paar, ungleich und für Außenstehende völlig verschieden. Und doch gab es zwischen ihnen eine Art Koexistenz, die hervorragend funktionierte. Zum größten Teil war ihr Erfolg als Freunde und Kollegen darauf zurückzuführen, daß Brett nie in Parkers geistige Regionen eindrang. Der Techniker war in seiner Haltung und seiner Sprache ebenso ernst und phlegmatisch wie Parker sprunghaft und gesprächig war. Parker konnte stundenlang über das Versagen eines Mikrochip schimpfen und fluchen und seine Vorfahren bis zu dem Stück Erde zurück verfluchen, aus dem man seine Bestandteile abgebaut hatte, und Brett würde dann nur ganz geduldig »richtig« sagen. Für Brett war dieses eine Wort viel mehr als ein bloßer Ausdruck seiner Meinung. Für ihn war es Selbstbestätigung. Für ihn war Schweigen die sauberste Form der Kommunikation. Gesprächigkeit war für ihn Geschwätzigkeit, Narretei. Und dann war da noch Ash. Ash war der Wissenschaftsoffizier, aber nicht das war es, was seine Träume so komisch machte. Komisch im Sinne von seltsam, nicht im Sinne von spaßig. Seine Träume waren die professionell am besten organisierten der ganzen Mannschaft. Von ihnen allen kamen seine Träume seinem Verhalten im Wachzustand am nächsten, Ashs Träume waren ohne jede Illusion. Wenn man Ash wirklich kannte, überraschte das nicht. Aber keiner seiner sechs Mannschaftsgefährten kannte ihn. Ash kannte sich gut. Wenn man ihn fragte, hätte er einem sagen können, warum er nie ein berufsmäßiger Träumer geworden war. Aber niemand kam je auf die Idee, ihn zu fragen, obwohl der Wissenschaftsoffizier ganz eindeutig das professionelle Träumen faszinierender fand als sonst einer von ihnen. Oh, und da war dann noch die Katze. Sie hieß Jones. Eine
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ganz gewöhnliche Hauskatze oder in diesem Falle Schiffskatze. Jones war ein großer gelber Kater unbestimmter Herkunft und höchst unabhängig, seit langer Zeit an die Unberechenbarkeiten der Schiffsreise und die Eigentümlichkeiten der Menschen gewöhnt, die durch das Weltall rasten. Auch er schlief den kalten Schlaf und träumte einfache Träume von warmen, trockenen, dunklen Orten und von Mäusen, die der Schwerkraft unterworfen waren. Von allen Träumern an Bord war er der einzig zufriedene, wenn man ihn auch nic ht unschuldig nennen konnte. Es war jammerschade, daß keiner von ihnen als berufsmäßiger Träumer qualifiziert war, da jeder von ihnen im Laufe seiner Arbeit mehr Zeit zum Träumen hatte als ein Dutzend Professionelle, und dies, obwohl ihr Traumtempo durch den kalten Schlaf verlangsamt wurde. Die Notwendigkeit machte das Träumen zu ihrer wichtigsten Zerstreuung, eine Tiefraummannschaft kann in den Kühltruhen nichts anderes tun als schlafen und träumen. Sie würden vielleicht immer Amateure bleiben, aber sie waren schon vor langer Zeit sehr kompetente Amateure geworden. Sieben Menschen unterwegs. Sieben stille Träumer auf der Suche nach einem Alptraum. Die Nostromo besaß zwar auch ein gewisses Bewußtsein, aber sie träumte nicht. Sie brauchte das nicht, ebensowenig wie sie auch die Kühltruhen nicht brauchte. Wenn sie träumte, mußten das kurze und flüchtige Träume sein, denn sie schlief nie. Sie arbeitete und funktionierte und sorgte dafür, daß ihre im Winterschlaf befindliche menschliche Besatzung stets dem immer bereiten Tod einen Schritt voraus blieb, einem Tod, der dem kalten Schlaf folgte, wie ein großer grauer Hai einem Schiff auf hoher See. Beweise für die nie ruhende mechanische Wachsamkeit der Nostromo waren überall auf dem ruhigen Schiff zu finden, in
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einem leisen Summen und in Lichtern, die den Lebensatem des instrumentellen Bewußtseins bildeten. Diese Wachsamkeit erfüllte das ganze Schiff und manifestierte sich in Sensoren, die dauernd jeden Stromkreis und jede Strebe überprüften. Auch draußen hatte die Nostromo Sensoren, die den Puls des Kosmos fühlten. Und diese Sensoren hatten eine elektromagnetische Anomalie entdeckt. Ein Teil des Gehirns der Nostromo war besonders dafür begabt, Sinn und Vernunft aus Anomalien herauszudestillieren. Diese hier hatte es gründlich durchgekaut, den Geschmack seltsam gefunden, die Ergebnisse der Analyse untersucht und eine Entscheidung getroffen. Schlummernde Instrumente wurden aktiviert, schlafende Stromkreise aufgeweckt, um den Fluß der Elektronen zu regulieren. Zur Feier dieser Entsche idung flackerten ganze Reihen strahlender Lichter auf, Anzeichen eines sich regenden mechanischen Lebens. Ein deutliches Summen ertönte, wenn auch im Augenblick nur künstliche Trommelfelle es hören und registrieren konnten. Es war ein Geräusch, das auf der Nostromo eine ganze Weile lang nicht gehört worden war, und es kündigte einen seltenen Vorgang an. In dieser erwachenden Flasche, in der es summte und klickte, in der Geräte miteinander in Verbindung traten, lag ein ganz besonderer Raum. In diesem Raum aus weißem Metall lagen sieben Kokons aus schneeweißem Metall und Plastik. Ein neues Geräusch erfüllte diesen Raum, ein explosives Ausatmen, das ihn mit frisch gesäuberter atembarer Atmosphäre erfüllte. Die Menschheit hatte sich freiwillig in diese Lage versetzt und vertraute diesen kleinen blechernen Göttern, wie die Nostromo einer war, daß sie ihm den Atem des Lebens lieferten, wenn sie selbst nicht dazu imstande war. Sinnesorgane jenes halbbewußten elektronischen Wesens schmeckten die neu aus getretene Luft ab und kamen zu dem
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Schluß, daß sie geeignet war, in solch zerbrechlichen organischen Gebilden wie der Mensch es war, das Leben zu aktivieren. Weitere Lichter flammten auf, Schalter schlossen sich, Stromkreise erwachten. Die Deckel der sieben Kokons öffneten sich, und Licht fiel auf die Gebilde, die in ihnen ruhten. Ihrer Träume beraubt waren die sieben Mitglieder der Mannschaft der Nostromo noch weniger eindrucksvoll als im Hyperschlaf. Zum einen waren sie von der schützenden Cryoschlafflüssigkeit patschnaß, die ihre Körper gefüllt und umgeben hatte. Schleim jeder Art, so stärkend er auch sein mag, ist nicht kleidsam. Zum anderen waren sie nackt, und die Flüssigkeit war ein armseliger Ersatz für die schlankmachenden und formgebenden Effekte der künstlichen Häute, die man Kleider nennt. »Herrgott«, murmelte Lambert und wischte sich angewidert Flüssigkeit von den Schultern und der Brust, »ist mir kalt!« Sie trat aus dem Sarg, der Leben statt Tod bewahrte und suchte in einem Wandschrank herum. Mit dem Handtuch, das sie dort fand, begann sie sich den durchsichtigen Sirup von den Beinen zu wisehen. »Warum, zum Teufel, kann Mutter das Schiff nicht wärmen, ehe sie uns weckt!« Sie war mit dem Abreiben ihrer Füße beschäftigt und versuchte sich zu erinnern, wo sie ihre Kleider verstaut hatte. »Das weißt du doch.« Parker war zu sehr mit seiner eigenen klebrigen und müden Person beschäftigt, um die nackte Navigatorin anzustarren. »Vorschrift der Gesellschaft. Energie sparen, also billig wie alles. Warum Energie damit vergeuden, die Kühlabteilung vor dem Aufwecken zu erwärmen, wenn es reichte, die Körper auf Temperatur zu bringen! Außerdem ist es immer kalt, wenn man aus dem Hyperschlaf kommt. Du weißt doch, auf welche Temperatur du in der Truhe abgekühlt wirst.«
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»Ja sicher, weiß ich. Trotzdem ist es kalt.« Das murmelte sie nur, weil sie wußte, daß Parker völlig recht hatte, sich aber ärgerte, das zugeben zu müssen. Sie hatte den Ingenieur noch nie sonderlich leiden können. Verdammt, Mutter, dachte sie und sah die Gänsehaut an ihrem Unterarm an, mach schon warm! Dallas rubbelte sich ab und wischte sich das letzte Cryoschlafzeug vom Körper. Dabei versuchte er, nicht auf etwas zu starren, das die anderen nicht sehen konnten. Es war ihm schon aufgefallen, ehe er aus der Kühltruhe gestiegen war. Das Schiff hatte es so eingerichtet. »Die Arbeit wird uns schnell genug warm machen.« Lambert murmelte etwas Unverständliches. »Alle an die Plätze. Ich nehme an, ihr erinnert euch noch alle daran, wofür ihr bezahlt werdet. Davon abgesehen, hoffe ich, daß ihr eure Probleme ausschlafen habt können.« Niemand lächelte oder ging auf seine Bemerkung ein. Parker sah zu seinem Partner hinüber, der sich gerade in seiner Kühltruhe aufsetzte. »Morgen, immer noch bei uns, Brett?« »Hm.« »Haben wir ein Glück.« Das kam von Ripley. Sie dehnte sich und machte eine wesentlich ästhetischere Bewegung daraus als all die anderen. »Nett zu wissen, daß unser Hauptgesprächskünstler immer noch so geschwätzig wie eh und je ist.« Brett lächelte nur, sagte aber nichts. Er war ebenso gesprächig wie die Maschinen, die er bediente, und die siebenköpfige Mannschaftsfamilie machte sich darüber ununterbrochen lustig. Das heißt, sie lachten mit ihm, nicht über ihn. Dallas machte Rumpfbeugen, die Ellbogen parallel zum Boden, die Hände vor der Brust. Er bildete sich ein, er könnte seine lange nicht gebrauchten Muskeln ächzen hören. Das
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blitzende gelbe Licht, das ebenso gesprächig wie jede Stimme war, nahm seine Gedanken ganz in Anspruch. Dieser teuflische kleine Zyklop war die Methode, mit der das Schiff ihnen sagte, daß sie nicht etwa geweckt worden waren, weil die Reise zu Ende war, sondern aus einem anderen Grund. Er zerbrach sich den Kopf darüber, was das für ein Grund sein mochte. Ash setzte sich auf und sah sich ausdruckslos um. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, hätte er ebensogut noch hyperschlafen können. »Ich fühle mich tot«, sagte er anklagend. Er musterte Kane. Der Erste Offizier gähnte, war noch nicht ganz wach. Ash war überzeugt und sagte das auch jedem, der es hören wollte, daß der Erste den Hyperschlaf tatsächlich genoß und sein ganzes Leben als Narkoleptiker verbringen würde, wenn man es ihm nur gestattete. Parker, der die Meinung des Wissenschaftsoffiziers nicht kannte, blickte zu ihm hinüber und meinte freundlich: »Du siehst auch tot aus.« Er war sich bewußt, daß seine Gesichtszüge wahrscheinlich kaum besser aussahen. Im Hyperschlaf erschlafften nicht nur die Muskeln, sondern auch die Haut. Dann wanderte seine Aufmerksamkeit zu Kanes Sarg hinüber. Der Erste hatte sich jetzt aufgesetzt. »Nett, wieder da zu sein.« Er blinzelte. Der Ingenieur nickte und wandte sich zum Kapitän, der irgend etwas studierte, was der Ingenieur nicht sehen konnte. »Wir sollten uns vielleicht die Bonusfrage noch einmal vornehmen, ehe wir docken.« Brett ließ schwache Anzeichen von Begeisterung erkennen, die ersten seit dem Erwachen. »Yeah.« Parker schlüpfte in seine Stiefel und fuhr fort: »Brett und ich sind der Ansicht, daß uns ein voller Anteil zukommt. Voller Bonus für erfolgreichen Abschluß plus Gehalt und Zinsen.« Wenigstens wußte er, daß der Tiefschlaf seine Ingenieurabtei-
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lung nicht beeinträchtigt hatte, sagte sich Dallas müde. Jetzt waren sie kaum ein paar Minuten bei Bewußtsein und fingen schon an, sich zu beklagen. »Ihr beiden bekommt, was euch vertraglich zusteht. Nicht mehr und nicht weniger. Genauso wie alle anderen.« »Jeder kriegt mehr als wir«, sagte Brett leise. Für ihn war das eine größere Rede. Auf den Kapitän hatte sie freilich keine Wirkung. Dallas hatte jetzt keine Zeit für Trivialitäten oder unwichtige Wortspiele. Das blitzende Licht verlangte seine volle Aufmerksamkeit und bestimmte seine Gedanken so, daß für anderes keine Zeit war. »Jeder andere verdient auch mehr als ihr beiden. Beschwert euch doch beim Gehaltsbüro der Gesellschaft, wenn ihr Lust habt, und jetzt geht hinunter.« »Bei der Gesellschaft beschweren«, murmelte Parker mü rrisch und sah Brett zu, wie der sich aus seinem Sarg schwang und anfing, seine Beine abzutrocknen. »Da könnte ich mich gleich beim lieben Gott beschweren.« »Eben.« Brett überprüfte ein schwaches Lämpchen an seiner Kühlanlage. Kaum bei Bewußtsein, nackt und noch von Cryoflüssigkeit triefend, war er bereits an der Arbeit. Er war der Typ Mensch, der tagelang mit einem gebrochenen Bein gehen konnte, aber außerstande war, eine nichtfunktionierende Toilette zu ignorieren. Dallas machte sich zum zentralen Computerraum auf und rief den anderen über die Schulter zu: »Kümmert sich einer von euch um die Katze?« Ripley hob eine schlaffe gelbliche Gestalt aus einer der Kühlanlagen. Sie blickte verletzt. »Seid nicht so gleichgültig.« Sie streichelte das nasse Tier liebevoll. »Jones ist kein Teil der Ausrüstung. Er ist ebenso ein Mannschaftsmitglied wie jeder von uns.«
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»Mehr sogar.« Dallas sah Parker und Brett nach, die inzwischen angezogen und im Begriff waren, zur Ingenieurabteilung zu gehen. »Er erfüllt wenigstens die paar wachen Stunden, die ich an Bord habe, nicht mit Klagen über Gehalt oder Prämien.« Ripley hatte die Katze in ein dickes trockenes Handtuch eingehüllt und wandte sich zum Gehen. Jones schnurrte ungleichmäßig und putzte sich mit großer Würde. Das war nicht das erste Mal, daß er aus dem Hyperschlaf erwachte. Für den Augenblick würde er die Schande hinnehmen, getragen zu werden. Dallas war mit Abtrocknen fertig. Er drückte auf einen Knopf im Sockel seines Sarges. Eine Schublade schob sich auf fast reibungslosen Lagern heraus. Sie enthielt seine Kleidung und ein paar persönliche Habseligkeiten. Während er sich anzog, schlurfte Ash zu ihm herüber. Der Wissenschaftsoffizier sprach mit leiser Stimme, während er sein frisches Hemd schloß. »Mutter möchte mit dir sprechen?« Dabei deutete er mit einer Kopfbewegung auf das gelbe Licht, das gleichmäßig an der Konsole blinkte. »Das habe ich gleich gesehen.« Dallas fuhr mit den Armen in sein Hemd. »Ein helles Gelb. Sicherheitsstufe Eins, keine War nung. Sag den anderen vorerst nichts. Wenn es ernsthafte Probleme gibt, erfahren sie das früh genug.« Er fuhr in eine verdrückte braune Jacke und ließ sie offen. »Sehr schlimm kann es nicht sein«, murmelte Ash und deut ete wieder auf das gleichmäßig blinkende Licht. »Nur Gelb, nicht Rot.« »Für den Augenblick.« Dallas war alles andere als ein Optimist. »Ich hätte lieber ein sattes, gemütliches Grün vorgefunden.« Er zuckte die Achseln und versuchte seiner Stimme einen so zuversichtlichen Klang wie Ash zu geben. »Vielleicht ist der Autokoch ausgefallen. Wäre vielleicht gar nicht übel, wenn
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man bedenkt, was der unter Essen versteht«, witzelte er. Er versuchte zu lächeln, schaffte es aber nicht. Die Nostromo war kein Mensch. Und im Gegensatz zu Menschen war sie nicht zu Streichen fähig und hätte sie daher bestimmt nicht mit einem gelben Warnlicht aus dem Hyperschlaf geweckt, wenn es keinen guten Grund dafü r gab. Und ein ausgefallener Autokoch zählte da nicht dazu. Na schön. Nach einigen Monaten, in denen er nichts anderes getan hatte als geschlafen, hatte er kein Recht, sich zu beklagen, wenn man jetzt ein paar Stunden ehrliche Arbeit von ihm erwartete. Der zentrale Computerraum unterschied sich wenig von den anderen Räumen an Bord der Nostromo. Mit seinem Kaleidoskop von Lichtern und Bildschirmen, Skalen und Druckern vermittelte er den Eindruck von einem Dutzend betrunkenen Weihnachtsbäumen. Dallas nahm auf einem dick gepolsterten Sessel Platz und überlegte, was zu tun war. Ash nahm gegenüber dem Datenspeicher Platz und betätigte die Schalter schneller und geschickter, als man es einem Mann zugetraut hätte, der gerade aus dem Hyperschlaf erwacht war. Die Fähigkeit des Wissenschaftsoffiziers, mit Maschinen umzugehen, war unnachahmlich. Dallas wünschte sich oft, er besäße diese Fähigkeit. Immer noch von den Nachwirkungen des Hyperschlafs etwas beno mmen, drückte er ein paar Knöpfe. Lichtmuster jagten über den Bildschirm und bildeten erkennbare Wörter. Dallas las, was er getippt hatte und war zufrieden. MONITORFUNKTION BEREIT FÜR MATRIXWIEDERGABE UND FRAGE. Auch das Schiff war damit einverstanden und die Antwort
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von Mutter kam sofort. MONITOR ANSPRACHE MATRIX. Reihen von Informationskategorien tauchten unter den drei Begriffen auf. Dallas überprüfte die lange Liste, die über den Bildschirm lief, wählte den Abschnitt aus, den er wollte und tippte: KOMMANDOPRIORITÄT BEREIT FÜR ANFRAGE? MONITORFUNKTION BEREIT FÜR DIE ANFRAGE, antwortete Mutter. Computergehirne waren nicht für besond ere Gesprächigkeit programmiert. Mutter bildete da keine Ausnahme. Dallas war es recht. Er war auch nicht gesprächig gestimmt. Er tippte kurz WAS GIBT'S, MUTTER? und wartete. Man konnte nicht sagen, daß die Brücke der Nostromo geräumig war. Bestenfalls etwas weniger beengt als die anderen Räume und Kammern des Schiffes, aber nicht sehr. Fünf leere Konturensessel harrten ihrer Besitzer. Lichter blitzten geduldig an zahlreichen Konsolen auf und ab, während ein gutes Dutzend Bildschirme von verschiedener Form und Größe auf die Ankunft von Menschen warteten, die ihnen sagen würden, was sie abbilden sollten. Eine große Brücke wäre ein zu teurer Luxus gewesen, da die Mannschaft den größten Teil ihrer Flugzeit reglos in den Kühltruhen verbrachte. Sie war für die Arbeit konstruiert, nicht zur Entspannung oder Unterhaltung. Die Leute, die dort arbeiteten, wußten das ebenso genau wie die Maschinen. Eine Schiebetür glitt leise in eine Wand. Kane trat ein, dicht gefolgt von Ripley, Lambert und Ash. Sie gingen an ihre
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Stationen und nahmen mit der Selbstverständlichkeit alter Freunde, die sich nach langer Trennung wieder begrüßen, hinter ihren Konsolen Platz. Ein fünfter Sitz blieb leer und würde auch unbesetzt bleiben, bis Dallas von seinem Tete á tete mit Mutter, dem Computer der Nostromo, zurückkehrte. Der Spitzname paßte sehr gut und war keineswegs ironisch zu verstehen. Die Leute wurden sehr ernst, wenn sie von der Maschinerie sprachen, die die Verantwortung dafür trug, daß sie am Leben blieben. Die Maschine ihrerseits nahm die Bezeichnung ähnlich ernst hin, wenn auch nicht mit dem emotionellen Beigeschmack. Ihre Kleidung war ebenso gelockert wie ihre Körper. Ein Spott auf eine Uniform. Jedes Kleidungsstück reflektierte die Persönlichkeit seines Trägers. Hemden und Hosen waren nach Jahren des Lagerns zerdrückt und unansehnlich. Ebenso wie die Körper, die sie umhüllten. Die ersten Laute, die auf der Brücke nach so vielen Jahren gesprochen wurden, faßten die Gefühle aller Anwesenden zusammen, wenn sie sie auch nicht verstehen konnten. Jones miaute, als Ripley ihn auf das Deck setzte, ließ dann ein Schnurren vernehmen und strich um ihre Knöchel, als sie es sich in dem hochlehnigen Sessel bequem machte. »Stöpsel uns ein.« Kane überprüfte seine Konsole, liebkoste sie mit den Augen und suchte nach Kontrasten und Unsicherheiten, während Ripley und Lambert anfingen, die notwend igen Schalter zu drücken. Neue Lichter und Farben wanderten über die Bildschirme. Man hatte den Eindruck, als wären die Instrumente durch das Auftauchen ihrer organischen Partner erfreut und wollten ihre Talente bei der ersten sich bietenden Gelegenheit demonstrieren. Ziffern und Worte tauchten vor ihm auf. Kane korrelierte sie mit Ziffern und Worten, die seinem Geist eingeprägt waren.
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»Sieht soweit ganz gut aus. Gib uns etwas, das wir anstarren können.« Lamberts Finger tanzten über die Tastatur. Auf der ganzen Brücke flammten Bildschirme auf, die meisten hingen von der Decke, damit man sie besser im Auge behalten konnte. Die Navigatorin warf einen Blick auf die viereckigen Augen, die ihrem Platz am nächsten waren und runzelte die Stirn. Viel von dem, was sie sah, hatte sie erwartet. Aber noch mehr nicht. Das Wichtigste, die erwartete Kontur, die alles dominieren sollte, fehlte. Sie war so wichtig, daß ihr Fehlen die Normalität alles anderen in Zweifel stellte. »Wo ist die Erde?« Kane musterte seinen eigenen Bildschirm sorgfältig und entdeckte nur sternenübersäte Schwärze. Selbst, wenn sie zu früh aus dem Hyperraum aufgetaucht waren, sollte das Heimatsystem zumindest auf dem Schirm zu sehen sein. Aber Sol war ebenso unsichtbar wie die erwartete Erde. »Du bist der Navigator, Lambert. Sag es uns.« Es gab eine zentrale Sonne, die in der Mitte der Bildschirme erstrahlte. Aber die Sonne war nicht Sol. Die Farbe stimmte nicht, und die vom Computer verstärkten Punkte, die das Gestirn umkreisten, waren noch schlimmer als falsch. Sie waren unmöglich, ihre Form stimmte nicht, ihre Größe stimmte nicht und auch nicht die Anzahl. »Das ist nicht unser System«, stellte Ripley benommen fest und sprach damit das Offensichtliche aus. »Vielleicht ist es ein Problem unserer Orientierung, nicht der Sterne.« Was Kane da sagte, klang nicht sehr überzeugend, nicht einmal für ihn selbst. »Schiffe sind schon manchmal arschlings zu ihrem Bestimmungsort aus dem Hyperraum aufgetaucht. Das könnte Alpha Centauri bei maximaler Vergrößerung sein. Sol steht vielleicht unter uns. Blicken wir uns um, ehe wir in Panik geraten.« Daß das System auf den
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Bildschirmen dem von Alpha Centauri ebensowenig glich, behielt er für sich. Eingebaute Kameras an der zerbeulten Außenhaut der Nostromo begannen sich lautlos im Vakuum des Weltraums zu bewegen, die Unendlichkeit nach Spuren einer warmen Erde abzusuchen. Sekundärkameras auf der Ladung der Nostromo, einer monströsen Ansammlung ungeschlachter Gebilde und Formen aus Metall, fügten ihren Blickwinkel hinzu. Bewohner einer früheren Zeit hätten mit Staunen festgestellt, daß die Nostromo eine beträchtliche Menge von Rohöl durch das Nichts zwischen den Sternen zog, umgeben von einer automatischen, gleichmäßig funktionierenden Raffinerie. Bis die Nostromo in ihrem Orbit auf die Erde eintraf, würden aus dem Öl alle möglichen Petrochemikalien fertiggestellt sein. Diese Methoden waren notwendig. Die Menschheit hatte zwar schon vor langer Zeit einen wirksamen Ersatz zur Energieversorgung ihrer Zivilisation entwickelt, aber erst nachdem habgierige Individuen den letzten Tropfen Rohöl verbraucht hatten. Alle Maschinen des Menschen wurden durch Kernfusion und Solarenergie betrieben. Aber ein Ersatz für Petrochemikalien war das nicht. Eine Kernverschmelzungsanlage konnte beispielsweise kein Plastik herstellen. Und die modernen Welten konnten nicht ohne Plastikgegenstände existieren. Und daher Nostromos kommerziell sinnvolle, wenn auch historisch inkongruente Ladung von Maschinen und der wertvollen schwarzen Flüssigkeit, die diese Maschinen geduldig bearbeiteten. Das einzige System, das die Kameras fanden, war jenes, das ohnehin in der Mitte der Schirme hing: ein Stern der falschen Spektralfarbe mit einem unpassenden Halsband von Planeten. Jetzt hatte Kane keine Zweifel mehr, weniger sogar als Lambert, daß die Nostromo dieses System als unmittelbares
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Ziel auserwählt hatte. Aber vielleicht war es ein Fehler in der Zeit, nicht im Raum. Sol konnte links oder rechts von diesem Stern in der Tiefe liegen. Das ließ sich sehr leicht in Erfahrung bringen. »Ruf doch die Verkehrsüberwachung.« Kane kaute auf seiner Unterlippe. »Wenn wir etwas aufschnappen, wissen wir, daß wir im richtigen Quadranten sind. Wenn Sol in der Nähe steht, bekommen wir von einer der Relaisstationen Antwort.« Lamberts Finger drückten ein paar Knöpfe. »Hier ist der Tiefraumschlepper Nostromo, Registernummer eins acht null zwei vier sechs, auf Kurs zur Erde mit einer Ladung Rohöl in der Raffinerie. Rufen Verkehrsüberwachung Antarctica. Können Sie mich empfangen? Ende.« Nur das schwache gleichmäßige elektronische Prasseln der fernen Sonnen tönte aus den Lautsprechern. Zu Ripleys Füßen schnurrte Jones der Kater im Gleichklang mit den Sternen. Lambert versuchte es noch einmal. »Tiefraumschlepper Nostromo, rufen Sol/Antarctica Verkehrsüberwachung. Wir haben Navigationsprobleme. Dies ist ein Prioritätsanruf; erbitten Antwort.« Nur das gleichgültige Geräusch der Sterne antwortete. Lambert blickte besorgt auf. »Mayday, Mayday. Schlepper Nostromo ruft Sol Verkehrskontrolle oder jedes andere Schiff in Hörweite. Mayday. Antworten.« Der unberechtigte Notruf (La mbert wußte, daß sie sich nicht in unmittelbarer Gefahr befanden) blieb unbeantwortet. Enttäuscht schaltete sie den Sender ab, ließ den Empfänger aber auf allen Kanälen empfangsbereit für den Fall, daß ein anderes Schiff in der Nähe vorüberzog. »Ich wußte, daß wir nicht in der Nähe unseres Systems sein konnten«, murmelte Ripley, »ich kenne diese Gegend nicht.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf den Schirm, der über ihrem Platz hing. »Ein solches System gibt es nicht in der Nähe von Sol. Weiß der Himmel, wo wir sind.«
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»Probier's weiter«, befahl Kane. Dann wandte er sich wieder zu Lambert. »Und wo sind wir dann? Hast du schon etwas aufgenommen?« »Gib mir noch ein bißchen Zeit, ja? Das ist nicht so einfach. Wir sind irgendwo weit draußen.« »Versuch's weiter.« »Mach ich.« Nach einigen Minuten grinste sie befriedigt. »Jetzt habe ich es gefunden ... uns auch. Wir stehen knapp vor Zeta II Reticuli. Wir haben bis jetzt noch nicht einmal den äußeren besiedelten Ring erreicht. Zu tief, um ein Navigationsfeuer aufzuschnappen, geschweige denn, ein Sol-Verkehrsrelais.« »Was, zum Teufel, machen wir denn hier?« fragte Kane. »Wenn am Schiff nichts fehlt und wir noch nicht zu Hause sind, warum hat Mutter uns dann aufgetaut?« Es war kein Zufall und keine direkte Reaktion auf die Frage des Ersten, aber in dem Augenblick begann ein lautes, eindringliches Summen. In der Nähe des Hecks der Nostromo war ein großer Raum, der vorwiegend mit komplizierten starken Maschinen gefüllt war. Dort schlug das Herz des Schiffes, das ausgedehnte Antriebssystem, das es dem Schiff gestattete, den Raum zu verzerren, die Zeit zu ignorieren und Einstein eine lange Nase zu drehen - und nebenbei noch die Geräte mit Energie zu versorgen, die die zerbrechliche menschliche Mannschaft am Leben erhielt. Am vorderen Ende dieses massiven summenden Gebildes war eine gläserne Kammer, eine durchsichtige Warze auf der Spitze des Hyperdrive-Eisbergs, und in dieser Warze saßen zwei Männer auf Kontursesseln. Sie waren für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Schiffsantriebs verantwortlich, eine Aufgabe, mit der beide zufrieden waren. Sie kümmerten sich
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um den Antrieb, und er kümmerte sich um sie. Die meiste Zeit sorgte er für sich selbst, und das erlaubte ihnen, ihre Zeit mit angenehmeren, erfreulicheren Dingen zu verbringen wie zum Beispiel dem Biertrinken oder dem Austausch von zotigen Anekdoten. Im Augenblick war Parker an der Reihe. Er erzählte zum hundertsten Male die Geschichte des Mechanikerlehrlings, der zum ersten Mal ein Raumbordell besuchte, in dem es keine Schwerkraft gab. Es war eine gute Geschichte, eine die den schweigsamen Brett immer zu einem wissenden Lächeln und den Erzähler der Geschichte selbst zu einem dröhnenden Lachen verhalf. »... und so platzt die Madame herein, gleichzeitig besorgt und wütend«, sagte der Ingenieur, »und bestand darauf, daß wir den armen Teufel befreiten. Wahrscheinlich wußte er nicht, in was er da geraten war.« Wie gewöhnlich lachte er am lautesten über seine Story. »Du erinnerst dich doch an die Bude. Alle sechs Wände verspiegelt, kein Bett. Nur ein Netz aus Samt quer durch den Raum gespannt, damit man sich orientieren konnte und im Eifer des Gefechts nicht an die Spiegel prallte. Und dann bums mal ohne Schwerkraft. Hohoo!« Er schüttelte wiehernd den Kopf. »Das ist wirklich kein Ort für Amateure, ganz bestimmt nicht! Wahrscheinlich haben ältere Kollegen den Jungen dazu überredet. Nach dem, was das Mädchen mir später erzählte, als sie sich säuberte, ging erst alles ganz gut. Aber dann verlor er das Gefühl für den Schwerpunkt, und sie kamen ins Trudeln, und er geriet in Panik, konnte sich nicht mehr festhalten. Sie versuchte es, aber im freien Fall gehören zum Aufhören ebenso zwei wie zum Anfangen. Die Spiegel haben ihn völlig aus der Orientierung gebracht, ihm wurde erbärmlich schlecht, und er fing an zu kotzen.« Parker nahm einen Schluck Bier. »So eine Sauerei hast du noch nicht gesehen. Ich wette, die sind immer noch mit Spiegelputzen beschäftigt.«
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»Hm.« Brett grinste zufrieden. Parker nickte noch einmal bekräftigend und ge noß die letzten Reste seiner Erinnerung. Dann legte er abwesend einen Schalter an seiner Konsole um. Ein befriedigendes grünes Licht flammte auf und blieb stehen. »Wie ist dein Licht?« »Grün«, erklärte Brett, nachdem er das Schaltmanöver an seinem Instrume ntenbrett wiederholt hatte. »Meines auch.« Parker studierte die Luftblasen in seinem Bier. Jetzt war er erst vor ein paar Stunden aus dem Hyperschlaf erwacht und langweilte sich bereits. Der Maschinenraum versorgte sich selbst, versäumte keine Zeit, ihm klarzumachen, wie überflüssig er war. Es gab niemanden, mit dem man sich streiten konnte, wenn man von Brett absah, aber mit einem Menschen, der nur einsilbige Worte gebrauchte und für den ein kompletter Satz eine Strapaze darstellte, konnte man sich nicht streiten. »Ich glaube immer noch, daß Dallas unsere Klagen bewußt ignoriert,« meinte er. »Kann schon sein, daß es nicht in seiner Macht steht, uns einen vollen Bonus zuzuteilen, aber immerhin ist er der Kapitän. Wenn er wollte, könnte er wenigstens ein gutes Wort für uns beide einlegen. Das würde schon helfen.« Er studierte seinen Bildschirm. Auf ihm marschierten Zahle nkolonnen auf, reihten sich aneinander, sprangen nach links oder rechts. Die fluoreszierende rote Linie in der Mitte des Bildschirms stand genau auf Null. Parker hätte weitergeredet, sich irgendeine andere Geschichte einfallen lassen oder wieder angefangen, sich über sein Gehalt zu beklagen, hätte nicht plötzlich der Summer über ihnen zu tönen begonnen. »Herrgott, was ist jetzt schon wieder? Hat man denn hier nie seine Ruhe?« »Richtig.« Brett beugte sich vor, um besser hören zu können,
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als der Sprecher sich räusperte. Es war Ripleys Stimme. »In die Messe kommen.« »Das Mittagessen kann es nicht sein und das Abendessen ist es auch nicht.« Parker war verwirrt. »Entweder sollen wir entladen oder ...« Er sah seinen Kollegen fragend an. »Werden's ja sehen«, sagte Brett. Als sie zur Messe gingen, sah Parker die nicht gerade antiseptisch sauberen Wände des C-Korridors angewidert an. »Ich möchte wissen, warum die nie nach hier unten kommen. Hier gibt's die eigentliche Drecksarbeit.« »Aus demselben Grund, warum wir nur einen halben Anteil haben und die einen ganzen. Die haben unsere Zeit gekauft, so sehen die das.« »Nun, ich will dir etwas sagen. Das stinkt.« Parkers Ton ließ keinen Zweifel daran, daß er damit nicht den Geruch meinte, der von den Korridorwänden ausging.
2.
Die Messe war zwar weit davon entfernt, bequem zu sein, aber sie war gerade groß genug, um die ganze Mannschaft aufzunehmen. Da sie nur selten ihre Mahlzeiten gleichzeitig einnahmen (der allzeit funktionierende Autokoch ermunterte auf indirekte Weise zur Individualität in den Eßgewohnheiten), war man bei ihrer Konstruktion nicht davon ausgegangen, sieben Personen bequeme Sitzgelegenheiten zu schaffen. So traten sie unruhig von einem Fuß auf den anderen, stießen einander an und bemühten sich intensiv, einander nicht auf die Nerven zu gehen. Parker und Brett waren unglücklich und gaben sich auch gar
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keine Mühe, ihr Mißvergnügen zu verberge n. Ihr einziger Trost war das Wissen, daß in der technischen Anlage kein Fehler vorlag und daß der Anlaß was auch immer er sein mochte ihrer plötzlichen Erweckung in die Zuständigkeit anderer Personen fiel. Ripley hatte sie bereits davon informiert, daß ihr geplantes Ziel weit und breit nicht zu sehen war. Parker sagte sich, daß sie sich also alle wieder in den Hyperschlaf begeben würden, ein bestenfalls unangenehmer und höchst unappetitlicher Vorgang und fluchte halblaut. Alles, was ihn länger als unbedingt erforderlich von seinem am Ende der Reise fälligen Scheck trennte, war ihm zuwider. »Wir wissen, daß wir nicht im Sol-System angekommen sind, Captain.« Kane sprach damit auch für die anderen, die Dallas alle voll Erwartung ansahen. »Wir sind weit von zu Hause entfernt, und dennoch hat das Schiff es für richtig befunden, uns alle aus dem Hyperschlaf zu wecken. Höchste Zeit, daß wir den Grund dafür erfahren.« »Ja, allerdings«, pflichtete Dallas ihm bereitwillig bei. Und dann begann er wichtigtuerisch: »Wie ihr alle wißt, ist Mutter darauf programmiert, unsere Reise zu unterbrechen, aus dem Hyperdrive aufzutauchen und uns aus dem Hyperschlaf zu wecken, wenn gewisse, vorher genau festgelegte Umstände eintreten.« Er machte eine höchst wirkungsvolle Pause und sagte dann: »Das ist der Fall.« »Es muß aber doch etwas ziemlich Ernsthaftes, sein. Mir ist das nämlich noch nie passiert.« Lambert sah Jones dem Kater zu, wie er mit einer blitzenden Skala spielte. »Ihr wißt alle, daß man nicht ohne weiteres eine ganze Mannschaft aus dem Hyperschlaf weckt. Schließlich steckt da immer noch ein gewisses Risiko drin.« »Das ist aber interessant«, murmelte Parker so leise, daß nur Brett es hören konnte. »Ihr werdet alle gerne hören«, fuhr Dallas fort, »daß der
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Notfall, um dessentwillen wir geweckt wurden, keine Beziehung zur Nostromo hat. Mutter sagt, alles funktioniert perfekt.« In der engen Messe waren ein paar tief empfundene »Amen« zu hören. »Das Problem liegt anderswo. Um es genauer zu sagen, es liegt in dem kartographisch noch nicht erfaßten System, in das wir eben einfliegen. Wir werden in Kürze in einen Orbit um den betreffenden Planeten einschwenken.« Er sah Ash an, der zustimmend nickte. »Wir haben nämlich ein Signal aus einer unbekannten Quelle aufgefangen. Es ist verzerrt, und Mutter hat allem Anschein nach eine Weile dazu gebraucht, die Sendung zu enträtseln, aber es handelt sich jedenfalls ganz eindeutig um ein Notsignal.« »He, das kapier' ich nicht.« Lambert blickte verwirrt. »Von allen Standardsendungen sind Notrufe die deutlichsten und die am wenigsten komplizierten. Warum sollte Mutter bei der Interpretation eines Notrufs Schwierigkeiten haben?« »Mutter vermutet, daß es sich um alles andere als eine >gewöhnliche< Sendung handelt. Es ist ein akustisches Signal, das sich in Abständen von zwölf Sekunden wiederholt. Das wäre noch nichts Außergewöhnliches. Aber sie nimmt an, daß das Signal nichtmenschlichen Ursprungs ist.« Das schlug wie eine Bombe ein. Als die erste Erregung vorbei war, fuhr er mit seiner Erklärung fort. »Mutter ist aber nicht sicher, und das verstehe ich nicht. Ich habe noch nie einen verwirrten Computer erlebt. Unwissend ja, aber nicht verwirrt. Das ist vielleicht das erste Mal, daß so etwas passiert. Wichtig ist jedenfalls, sie ist genügend davon überzeugt, daß es sich um ein Notsignal handelt. Und das verpflichtet sie, uns aus dem Hyperschlaf zu reißen.« »Und?« Brett schien das völlig kalt zu lassen. Kanes Antwort klang leicht gereizt. »Komm schon, Mann, du kennst doch dein Handbuch auch. Nach den Vorschriften der
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Gesellschaft - Abschnitt B2 - sind wir verpflichtet, in einer solchen Situation Hilfe zu leisten. Ob der Notruf jetzt von Menschen oder von sonstwem ausgeht.« Parker stampfte angewidert mit dem Fuß auf. »Herrgott. Ich sage das ungern, aber wir sind ein Handelsschlepper mit einer schwer zu bewegenden Ladung und kein Rettungsboot. In unserem Vertrag steht nichts von dieser Art Service.« Und dann hellte sich sein Gesicht etwas auf. »Wenn es natürlich Extrabezahlung dafür ...« »Du solltest dir deinen Vertrag noch einmal genau durchlesen.« Ash zitierte den Text ebenso klar und eindeutig wie der Hauptcomputer, auf den er so stolz war. »Jedes Signal, das auf möglicherweise intelligenten Ursprung hindeutet, muß untersucht werden. Nachweisliches Ignorieren solcher Signale zieht bei Beendigung der Reise den Verlust sämtlicher Bezüge und Prämien nach sich.« Kein Wort von einer Prämie für Hilfsaktionen. Parker stampfte noch einmal mit dem Fuß auf, hielt aber den Mund. Weder er noch Brett hielten sich für den Heldentyp. Etwas, das imstande war, ein Schiff auf einer fremden Welt zur Landung zu veranlassen, könnte sie möglicherweise ähnlich unfreundlich behandeln. Nicht, daß sie irgendwelche Beweise dafür hatten, daß der unbekannte Anrufer zur Landung gezwungen worden war, aber in einem unfreundlichen Universum mußte man Realist sein, und als Realist war man besser Pessimist. Brett sah durch den Umweg erbittert eine weitere Verzögerung seines Schecks auf sich zukommen. »Wir gehen der Sache nach. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.« Dallas musterte sie der Reihe nach. Er hatte von den beiden langsam genug. Ihm machte der Umweg ebensowenig Spaß wie ihnen, und er war ebenso erpicht darauf, nach Hause zu kommen und die Ladung zu löschen. Aber es gab auch Zeiten, wo das Dampf ablassen in echten Ungehorsam
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überging. »Richtig", sagte Brett spöttisch. »Richtig was?" Der Ingenieur war alles andere als ein Narr. Dallas Stimme im Verein mit seinem Gesichtsausdruck ließ Brett erkennen, daß es Zeit war, etwas zurückzustecken. »Richtig ... wir gehen der Sache nach.« Dallas starrte ihn immer noch an und so fügte er lächelnd hinzu: »Sir.« Der Kapitän sah Parker mißtrauisch an, aber der hatte sich bereits beruhigt. »Können wir darauf landen?«, fragte er Ash. »Jemand anderer ist ja schon gelandet.« »Das meine ich ja«, sagte er. >Landen<, ist ein eindeutig definierter Begriff. Er impliziert eine Folge von Vorgängen, die erfolgreich durchgeführt werden und in einem weichen und sicheren Aufsetzen eines Schiffes auf einer harten Oberfläche resultieren. Wir haben einen Notruf aufgenommen. Das impliziert etwas kompliziertere Umstände. Wir wollen herausfinden, was hier vorgeht aber vorsichtig, sozusagen mit den Stiefeln in der Hand.« Auf der Brücke beugten sich Dallas, Kane, Ripley und Ash über einen beleuchteten Kartentisch, während Lambert an ihrer Station saß. »Da ist es.« Dallas deutete auf einen Leuchtpunkt auf dem Tisch. Er sah sich um. »Ich möchte, daß jeder das hört.« Sie nahmen ihre Plätze wieder ein, und er nickte Lambert zu. Ihr Finger schwebte über einem Schalter. »Okay, laß hören. Aber vorsichtig mit der Lautstärke.« Die Navigatorin legte den Schalter um. Zischen und Störgeräusche erfüllten die Brücke. Und dann verstummten die Störungen plötzlich, und ein Geräusch trat an ihr e Stelle, das Kane eisige Schauder über den Rücken jagte. Es dauerte zwölf Sekunden, dann kamen wieder die Störgeräusche.
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»Du großer Gott.« Kane wirkte benommen. Lambert schaltete die Lautsprecher ab. Jetzt waren auf der Brücke nur mehr menschliche Geräusche zu hören. »Was, zum Teufel, ist das?« Ripley sah aus, als hätte sie auf ihrem Teller plötzlich einen Kadaver entdeckt. »Ich habe noch nie ein solches Notsignal gehört.« »So nennt es Mutter«, erklärte Dallas ihnen. »Das hier >fremd< zu nennen, kommt mir etwas untertrieben vor.« »Vielleicht ist es eine Stimme, die ...« Lambert hielt inne, als ihr bewußt wurde, was sie gerade gesagt hatte, erkannte dann, daß die Folgerungen, die man daraus ziehen konnte, unangenehm waren, und tat so, als hätte sie nichts gesagt. »Das werden wir bald wissen. Hast du es schon geortet?« »Ich habe die Planetenregion gefunden.« Lambert wandte sich ihrer Schaltkonsole zu und war dankbar, daß sie sich wieder mit mathematischen Dingen befassen konnte, anstatt mit beunruhigenden Gedanken. »Nahe genug sind wir.« »Sonst hätte uns ja Mutter auch nicht aus dem Hyperschlaf gerissen«, murmelte Ripley. »Es kommt von hier, Aszension sechs Minuten zwanzig Sekunden, Deklination minus neununddreißig Grad zwei Sekunden.« »Werf mir das mal auf einen Bildschirm.« Die Navigatorin drückte ein paar Knöpfe. Einer der Brückenbildschirme flackerte und zeigte ihnen dann einen hellen Punkt. »Hohes Albedo. Geht's etwas näher?« »Nein. Ihr müßt es euch erst aus dieser Distanz ansehen. Das werde ich jetzt mache n.« Und im nächsten Augenblick schien der Bildschirm auf den Lichtpunkt zuzujagen und ließ ein nicht besonders auffälliges, etwas oval geformtes Gebilde mitten in der Leere erkennen. »Schlaukopf.« Dallas sagte das durchaus nicht unfreundlich.
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»Bist du sicher, daß es das ist? Es ist ein überfülltes System.« »Doch, das ist es schon. Eigentlich nur ein Planetoid. Vie lleicht zwölfhundert Kilometer, höchstens.« »Rotation?« »An die zwei Stunden nach den ersten Werten. In zehn Minuten weiß ich es genau.« »Für den Augenblick reicht das schon. Wie steht's mit der Schwerkraft?« Lambert prüfte ein paar Anzeigegeräte. »Null-Komma-sechsundachtzig muß verteufelt dichtes Zeug sein.« »Sagt es Parker und Brett nicht«, warf Ripley ein. »Sonst bilden die sich ein, es sei massives Schwermetall und fangen an zu schürfen, ehe wir unseren unbekannten Sender überprüft haben.« Ashs Bemerkung war etwas prosaischer. »Man kann darauf gehen.« Sie machten sich daran, in eine Parkbahn einzuschwenken. Die Nostromo schob sich dicht an die winzige Welt heran, zog ihre mächtige Ladung aus Tanks und Raffinerieanlagen hinter sich her. »Nähern uns dem Orbitalen Apogäum. Registrieren. Zwanzig Sekunden. Neunzehn, achtzehn ...« Lambert setzte den Countdown fort, während ihre Mannschaftskameraden um sie herum tätig waren. »Zweiundneunzig Grad Steuerbord«, verkündete Kane sachlich. Der Schlepper mit seiner Raffinierie drehte sich, vollführte in der endlosen Leere des Weltraums eine mächtige Pirouette. Am Heck des Schleppers wurde es einen Augenblick la ng hell, als die Sekundärmaschinen einen kurzen Düsenstoß feuerten. »Äquatorialorbit steht«, erklärte Ash. Unter ihnen drehte sich die Miniaturwelt, als ginge sie das Ganze nichts an.
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»Ich brauche eine EC Druckangabe.« Ash überprüfte Skalen und sagte dann, ohne sich zu Dallas umzudrehen. »Drei, vier fünf im Quadrat ... etwa null-Kommafünfunddreißig Atü, Sir.« »Sag Bescheid, wenn sich etwas ändert.« »Du machst dir wohl Sorgen, daß das CMG-Steuer außer Kontrolle geraten könnte, während wir anderswo beschäftigt sind?« »Genau.« »Das CMG-Steuer wird über DAS/DCS gebremst. Wir verstärken mit TAGS und überwachen das Ganze durch ATMDC und Computerinterface. Fühlst du dich jetzt besser?« »Wesentlich.« Ash war ein komischer Typ, auf seine Art kühl freundlich, aber ungemein tüchtig. Es gab nichts, was ihn aus der Fassung bringen konnte. Dallas fühlte sich bei der Vorstellung wohl, daß der Wissenschaftsoffizier ihn beobachtete und seine Entscheidungen überprüfte. »Bereithalten zum Abkoppeln von der Plattform.« Er legte einen Schalter um und sprach in ein kleines Mikrofon. »Ingenieurabteilung, vorbereiten zum Abkoppeln.« »Kontrolle an Backbord und Steuerbord ist grün«, meldete Parker jetzt völlig geschäftsmäßig. »Grün zum Abnabeln«, fügte Brett hinzu. »Überqueren jetzt Te rminator«, teilte Lambert allen mit. »Treten in die Nachtregion ein.« Unter ihnen spaltete eine dunkle Linie dicke Wolken; auf der einen Seite reflektierten sie hell, und auf der anderen waren sie dunkel wie das Innere eines Grabes. »Jetzt kommt es heran, kommt heran. Bereithalten.« Lambert legte einen Schalter nach dem anderen um. »Bereithalten. Fünfzehn Sekunden ... zehn ... fünf ... vier ... drei ... eins. Schließen.« »Abkoppeln«, befahl Dallas kurz.
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Winzige Gaswölkchen erschienen zwischen der Nostromo und der mächtigen Silhouette der Raffinerieplattform. Die beiden künstlichen Strukturen, die eine winzig und bewohnt, die andere riesig und verlassen, entfernten sich langsam voneinander. Dallas beobachtete das Trennungsmanöver auf dem Bildschirm Nummer zwei. »Nabelschnur klar«, verkündete Ripley nach kurzer Pause. »Korrekturmanöver abgeschlossen.« Kane lehnte sich in seinem Sessel zurück und entspannte sich ein paar Sekunden lang. »Alles sauber und klar. Trennung erfolgreich. Kein Schaden.« »Alles klar«, fü gte Lambert hinzu. »Hier auch«, sagte Ripley erleichtert. Dallas blickte zu seiner Navigatorin hinüber. »Bist du auch sicher, daß wir sie auf einer stabilen Bahn zurückgelassen haben. Ich bin nicht scharf darauf, daß die zwei Milliarden Tonnen Öl herunterfallen und verbrennen, während wir dort drunten herumstochern. Die Atmosphäre ist nicht dick genug, um uns einen sicheren Schutz zu geben.« Lambert warf einen Blick auf eine seiner Kontrollskalen. »Die bleibt wenigstens ein Jahr oben, Sir.« »Das dürfte reichen. Das Geld ist in Sicherheit und unsere Köpfe auch. Gehen wir hinunter. Bereithalten zum Atmosphärenflug.« Fünf Menschen arbeiteten an ihren jeweiligen Aufgaben. Jones, der Kater, saß vor einem Bildschirm und studierte die rasch näherkommenden Wolken. »Fallen.« Lamberts Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf eine Skala. »Fünfzigtausend Meter. Tiefer, tiefer. Neunundvierzigtausend. Haben Atmosphäreberührung.« Dallas beobachtete seine eigenen Instrumente und versuchte, Dutzende sich beständig verändernden Zahlen auszuwerten und sich zu merken. Der Tiefraumflug war einzig und allein eine
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Frage gebührenden Vertrauens auf die Instrumente. Die schwere Arbeit mußte man Mutter überlassen. Beim Atmosphäreflug war das eine ganz andere Geschichte. Hier hatte der Pilot zu arbeiten, nicht die Maschine. Braungraue Wolken berührten die Unterseite des Schiffes. »Aufpassen. Sieht scheußlich aus dort unten.« Typisch Dallas, dachte Ripley. Irgendwo in der hellbraunen Hölle dort unten jammerte ein anderes Schiff einen regelmäßigen, unmenschliche Angst einflößenden Notruf hinaus. Die Welt selbst war kartographisch nicht erfaßt, was bedeutete, daß sie in bezug auf Dinge wie atmosphärische Besonderheiten, Terrain und dergleichen bei Null anfangen mußten. Aber für Dallas war es nicht mehr und nicht weniger als »scheußlich«. Sie fragte sich oft, was einen so tüchtigen und erfahrenen Mann wie ihren Kapitän dazu veranlaßte, eine so unwichtige kleine Konservendose wie die Nostromo durch die Galaxis zu steuern. Die Antwort, hätte sie seine Gedanken jetzt lesen können, hätte sie überrascht. Es machte ihm Spaß. »Vertikalflug errechnet und registriert. Führen leichte Kur skorrektur durch«, teilte Lambert ihnen mit. »Jetzt auf Kurs. Haben Signal geortet, fliegen geradewegs darauf zu.« »Verstanden. Wie wird unsere Kursberechnung bei diesem Wetter mit dem Sekundärantrieb klarkommen?« »Bis jetzt läuft alles ganz gut, Sir. Genau kann ich es aber erst sagen, wenn wir unter diesen Wolken sind. Falls wir das schaffen.« »Gut.« Er betrachtete mit gefurchter Stirn eine Skala und berührte einen Knopf. Die Zahl veränderte sich. »Sag mir Bescheid, wenn du glaubst, daß wir es verlieren.« »Okay.« Der Schlepper stieß auf etwas Unsichtbares. Unsichtbar dem Auge, nicht für die Instrumente. Er schlingerte einmal und
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dann noch einmal und schließlich ein drittes Mal und fügte sich dann bequem in das dicke Polster finsterer Wolken. Das war alles ein Tribut an Lamberts Geschick bei der Kursberechnung und das von Dallas als Pilot. Es dauerte nicht lange. In dem Luftozean herrschten heftige Strömungen. Sie peitschten das Schiff. »Turbulenz.« Ripley kämpfte mit der Steuerung. »Ich brauche Navigations und Landescheinwerfer.« Dallas versuchte sich in dem Mahlstrom zu orientieren, der ihm die Sicht versperrte. »Vielleicht können wir visuell etwas entdecken.« »Kein Ersatz für die Instrumente,« sagte Ash. »Nicht in dieser Suppe.« »Das weiß ich auch, aber ich sehe gern, wohin ich fliege.« »Unter der Nostromo flammten kräftige Scheinwerfer auf. Sie vermochten die Wolkenmassen nicht weit zu durchdringen und lieferten Dallas nicht das klare Sichtfeld, das er sich so dringlich wünschte. Aber sie erleuchteten immerhin die dunklen Bildschirme und damit auch die Brücke und die düstere Stimmung, die mit einemmal auf ihr herrschte. Lamb ert hatte jetzt wenigstens nicht mehr den Eindruck, durch dicke Tinte zu fliegen. Parker und Brett konnten die Wolkendecke draußen nicht sehen, wohl aber spüren. Der Maschinenraum ruckte plötzlich nach vorne, dann nach hinten und kam dann wieder zum Stillstand. Parker fluchte halblaut. »Was war das? Hast du das gehört?« »Yeah.« Brett musterte nervös ein Ablesegerät. »Druckabfall an Einlaß Nummer drei. Wir müssen einen Schild verloren haben.« Er drückte Knöpfe. »Ja, drei ist weg. Staub kommt durch den Einlaß herein.« »Abschalten, abschalten.« »Was meinst du wohl, was ich tue?«
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»Klasse. Jetzt haben wir eine Sekundärmaschine voll Staub. Verflucht nochmal!« »Kein Problem, hoffe ich.« Brett drehte an einem Knopf. »Ich stelle Nummer drei auf Durchzug, dann verfängt sich das Zeug wenigstens nicht.« »Der Schaden ist aber schon geschehen. Was mag das gewesen sein?« Parker mochte gar nicht daran denken, was an der Auskleidung der Einlasse passiert war. »Durch was zum Teufel fliegen wir hier eigentlich? Wolken oder Felsbrocken? Wenn wir nicht abstürzen, dann wette ich zehn Dollar gegen die Unschuld deiner Großtante, daß irgendwo in den entspreche nden Stromkreisen ein elektrisches Feuer ausgebrochen ist.« Die fünf auf der Brücke wußten nichts von den beständigen Flüchen in der Ingenieurabteilung und beschäftigten sich in aller Ruhe mit der Aufgabe, den Schlepper intakt und in der Nähe der Stelle aufzusetzen, wo das Signal seinen Ursprung hatte. »Nähern uns Ursprungspunkt.« Lambert blickte auf ein Anzeigegerät. »Distanz jetzt fünfundzwanzig Kilometer. Zwanzig. Zehn. Fünf ...« »Verlangsamen Fahrt und wenden.« Dallas lehnte sich auf den Knüppel. »Kurskorrektur drei Grad vier Minuten.« Er entsprach der Anweisung. »Das war's. Fünf Kilometer bis zum Zentrum des Suchkreises, Fahrt geradeaus.« »Kurskorrektur abgeschlossen.« Wieder betätigte Dallas den Knüppel. »Drei Kilometer. Zwei.« Lambert schien etwas erregt, wenn Dallas auch nicht merken konnte, ob der Grund ihrer Erregung die potentielle Gefahr oder die Nähe des Signals war. »Wir kreisen jetzt praktisch darüber.« »Gute Arbeit, Lambert. Ripley, wie sieht das Terrain aus? Such uns eine Landestelle.«
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»Bin schon dabei, Sir.« Sie überprüfte einige Bildschirme, aber offenbar fand sie nichts Geeignetes, denn ihr Gesichtsausdruck wurde immer mürrischer. Dallas achtete weiterhin darauf, daß das Schiff seinen Zielpunkt festhielt, während Ripley sich alle Mühe gab, sich einen Reim auf die immer noch nicht sichtbare Planetenoberfläche zu machen. »Visuelle Beobachtung unmöglich.« »Das sehen wir auch«, murmelte Kane. »Oder besser gesagt, wir sehen es nicht.« Die wenigen unbestimmten Bilder, die die Instrumente an ihn weitergeleitet hatten, waren nicht gerade dazu angetan gewesen, ihn freudig zu stimmen. Alles hatte auf eine feindliche karge Wüste, verlassenes flaches Land hingewiesen. »Das Radar rauscht.« Ripley wünschte sich, daß elektronische Geräte ebenso schnell auf Unmut reagieren würden wie Menschen. »Das Sonar rauscht. Das Infrarot Moment mal, jetzt probier ich's mit Ultraviolett. Das Spektrum ist hoch genug, um nicht zu stören.« Im nächsten Augenblick tauchten auf einem Bildschirm wenigstens ein paar Zeilen auf, dicht gefolgt von hell erleuchteten Worten und einer Computerskizze. »So, das hat geklappt.« »Ein Landeplatz?« Ripley wirkte jetzt wieder ganz gelockert. »Soweit ich das feststellen kann, können wir überall aufsetzen. Die Instrumente behaupten, der Boden unter uns wäre flach. Völlig flach.« Dallas Gedanken zeigten ihm ein Bild von glatter Lava, einer kühlen, aber täuschend dünnen Kruste, die die geschmolzene Zerstörung darunter kaum verbarg. »Yeah, aber was? Wasser, Pahoehoe, Sand? Verschaff uns einen Reflex, Kane. Wir müsse.n es genau wissen. Ich gehe jetzt ganz weit runter, damit diese Interferenz verschwindet. Wenn es flach ist, kann ich dicht ran, ohne daß es Ärger gibt.« Kane legte ein paar Schalter um. »Analysegeräte eingescha l-
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tet. Ich bekomme immer noch Rauschen.« Dallas lenkte den Schlepper vorsichtig näher an die Planetenoberfläche heran. »Immer noch Störgeräusche, aber es fängt an, klarer zu werden.« Wieder verlor Dallas an Höhe. Lambert ließ die Anzeigegeräte nicht aus den Augen. Sie flogen hoch genug, um vor Bodenunebenheiten geschützt zu sein, aber bei ihrer Fluggeschwindigkeit konnte sich das schnell ändern, wenn es zu irgendeinem Defekt in den Schiffsmaschinen kam oder wenn es hier etwa eine unerwartete Luftströmung gab. Und eine weitere Reduzierung ihrer Geschwindigkeit war unmöglich. Bei diesem Wind hätte das bedeutet, daß sie die Kontrolle verloren. »Immer noch klar, klar, jetzt!« Er studierte die Anzeigen und die Konturlinien, die der Bildtaster des Schiffes lieferte. »Es war einmal geschmolzen, aber das ist es nicht mehr. Nach den Analysegeräten schon seit langer Zeit nicht mehr. Es ist in erster Linie Basalt und etwas Rhyolit, mit ein paar Lavaeinlagerungen. Jetzt ist alles erkaltet und fest. Keine Anzeichen von tektonischer Aktivität.« Er betätigte weitere Instrumente, um tiefer in die Geheimnisse der Haut dieser winzigen Welt einzudringen. »Keine Falten von einiger Ausdehnung unter uns oder in unmittelbarer Umgebung. Sollte als Landeplatz ganz annehmbar sein.« Dallas überlegte kurz. »Und hinsichtlich der Oberflächenzusammensetzung bist du ganz sicher?« »Es ist zu alt, um irgend etwas anderes zu sein.« Die Stimme des Zweiten Offiziers klang beinahe beleidigt. »Und dann habe ich natürlich die Altersdaten mit überprüft. Glaubst du, ich würde uns im Innern eines Vulkans absetzen?«
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»Schon gut, schon gut, tut mir leid. Ich frag' ja nur. Ich habe seit meiner Ausbildung keine Landung mehr ohne Karten und Funkfeuer gemacht. Ich bin ein wenig nervös.« »Sind wir das nicht alle?« warf Lambert ein. »Also, alles klar?« Niemand hatte etwas einzuwenden. »Dann wollen wir landen. Ich werde einen Spiralanflug versuchen, so gut das bei diesem heftigen Wind geht. Auf die Weise kommen wir besonders nahe heran. Aber du hältst Signalwache, Lambert. Ich habe keine Lust, auf diesem fremden Schiff zu landen. Sag mir Bescheid, wenn wir zu nahe herankommen.« Seine Stimme klang in dem engen Raum eindringlich. Einige Anpassungen wurden vorgenommen, Befehle erteilt und von getreuen elektronischen Dienern ausgeführt. Die Nostromo steuerte einen gleichmäßig spiralförmigen Kurs nach unten, kämpfte gegen seitliche Windströmungen und schwarze Wolkenwirbel an. »Fünfzehn Kilometer, sinken« verkündete Ripley mit gleichmäßiger Stimme. »Zwölf ... zehn ... acht.« Dallas betätigte einen Schalter. »Verlangsamen Sinkgeschwindigkeit. Fünf ... drei ... zwei ... ein Kilometer.« Wieder eine Schalterdrehung. »Landemaschinen aktivieren.« »Roger.« Kane schien mit seiner Konsole eins geworden zu sein. »Landeanflug jetzt unter Computerüberwachung.« Ein lautes Summen erfüllte die Brücke, als Mutter die Kontrolle über ihren Landeanflug übernahm und die letzten Meter mit mehr Präzision regulierte, als das der beste menschliche Pilot gekonnt hätte. »Kufen ausgefahren«, erklärte Kane. »Motoren abschalten.« Dallas nahm eine letzte Überprüfung der Instrumente vor und legte dann ein paar Schalter um. »Maschinen abgeschaltet. Landestützen funktionieren.« Ein gleichmäßiges Dröhnen erfüllte die Brücke.
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»Neunhundert Meter, sinken.« Ripley beobachtete ihre Konsole. »Achthundert. Siebenhundert, Sechshundert.« Sie fuhr fort, in Intervallen von hundert Metern ihre Höhe auszur ufen. Und dann in Intervallen von zehn Metern. Bei fünf Metern zögerte der Schlepper, balancierte auf seinen Landedüsen über der von Stürmen zerwühlten und der Nacht umhüllten Planetenoberfläche. »Stützen ausfahren.« Kane war bereits damit beschäftigt, das verlangte Manöve r durchzuführen, als Dallas noch den Befehl erteilte. Jetzt war ein leises Pfeifen zu hören. Ein paar dicke Metallstützen falteten sich wie Käferbeine aus dem Bauch des Schiffes, schwebten über dem immer noch unsichtbaren Felsen unter ihnen. »Vier Meter ... uff!« Ripley hielt inne. Ebenso die Nostromo, deren Landestützen jetzt das Felsgestein berührten. Mächtige Stoßdämpfer traten in Aktion. »Wir sind gelandet.« Irgend etwas schien zu zerbrechen. Ein knackendes Geräusch. Wahrscheinlich ein kleinerer Stromkreis oder vielleicht eine nicht ausreichend kompensierte Überladung. Ein schrecklicher Stoß durchlief das Schiff. Das Metall der Hülle vibrierte, und ein gespenstisches metallisches Stöhnen hallte durch das Schiff. »Abgerissen, abgerissen!« schrie Kane, während die Lichter auf der Brücke ausgingen. Alarmsignale schrillten, Warnlichter blitzten nervös, als der Schaden durch die miteinander vernetzten Nervenstränge der Nostromo jagte. Als der Stoß die Ingenieursabteilung erreichte, waren Parker und Brett gerade dabei, zwei weitere Bierdosen zu öffnen. Eine Reihe von Röhren in der Kontrollkanzel stand plötzlich in Flammen, und ein Druckventil in der Nähe schwoll an und zerplatzte. Die Lichter gingen aus, und sie suchten tastend nach Hand-
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strahlern, während Parker sich bemühte, den Knopf zu ertasten, mit dem der Hilfsgenerator eingeschaltet wurde, der sie beim Ausfall der Energiezufuhr von den Hauptmotoren mit Strom versorgen sollte. Auf der Brücke herrschte Aufregung. Als die Schreie und Fragen schließlich verstummt waren, war es Lambert, die der allgemeinen Ansicht Ausdruck verlieh. »Der Sekundärgenerator sollte inzwischen angelaufen sein.« Sie trat einen Schritt vor und stieß mit dem Knie gegen eine Konsole. »Ich möchte wissen, was da nicht stimmt?« Kane trat an die Wand und tastete sich an ihr entlang. Landehilfssteuer ... hier. Seine Finger tasteten einige vertraute Knöpfe. Auslöser für die Heckschleuse ... dort. Und ganz in der Nähe sollte ... seine Hand fand den Notlichtschalter, legte ihn um. Das schwache Leuchten ließ einige gespenstisch wirkende Silhouetten erkennen. Jetzt fanden auch Dallas und Lambert ihre Lichtschalter. Die drei Lichtquellen lieferten genug Helligkeit, um in ihrem Schein arbeiten zu können. »Was ist passiert? Warum ist der Sekundärgenerator nicht angelaufen? Was hat den Ausfall verursacht?« Ripley drückte den Sprechschalter des Interkom. »Maschinenraum, was ist geschehen? Wie ist unsere Lage?« »Lausig.« Parkers Stimme klang angestrengt, verärgert und besorgt. Ein fernes Summen wie die Flügel eines kolossalen Insekts lieferten das Hintergrundgeräusch zu seinen Worten. Und seine Worte schwollen an und wurden wieder leiser, als hätte er Schwierigkeiten, in Reichweite des InterkomMikrofons zu bleiben. »Der verdammte Staub in den Maschinen, das ist passiert. Den haben wir uns beim Herunterkommen eingefangen. Wir haben zu spät dicht gemacht. Wir haben hier ein Feuer in den elektrischen Anlagen.«
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»Ein ziemlich großes«, war Bretts einziger Beitrag zu dem Gespräch. Seine Stimme klang fern. In den nächsten paar Augenblicken hörten sie nur das Zischen der chemischen Feuerlöscher. »Die Einlasse hatten sich verstopft«, konnte Brett schließlich den besorgten Zuhörern mitteilen. »Das hat zu einer Überhitzung geführt, und dabei ist, glaube ich, eine ganze Ze lle ausgebrannt. Herrgott, jetzt geht's hier erst richtig los ...« Dallas blickte zu Ripley hinüber. »Die beiden scheinen ja ziemlich beschäftigt zu sein. Jetzt möchte ich eine kritische Antwort haben irgend etwas ist kaputt. Hoffentlich war das nur dort hinten, aber es könnte auch schlimmer sein. Ist der Rumpf aufgerissen?« Er atmete tief durch. »Und wenn ja, wo und wie schlimm?« Ripley sah sich die Druckskalen des Schiffes an und überprüfte dann die einzelnen Kabinendiagramme, ehe sie sich eine Antwort zutraute. »Ich sehe nichts. Wir haben noch vollen Druck in allen Abteilungen. Wenn es irgendwo ein Loch gegeben hat, ist es zu klein, um hier angezeigt zu werden, oder bereits von Dichtmasse abgedichtet.« Ash studierte seine Konsole. Ebenso wie die anderen Geräte hatte sie ihre autonome Energieversorgung, was sich bei einem größeren Energieausfall, wie sie ihn gerade erlebten, als sehr zweckmäßig erwies. »Die Luft in sämtlichen Abteilungen zeigt keine Anzeichen von Verseuchung durch Außenatmosphäre. Ich glaube, wir sind noch dicht, Sir.« »Die beste Nachricht, die ich seit sechzig Sekunden bekommen habe. Kane, schalte die Außenschirme ein, soweit die noch funktionieren.« Der Erste betätigte drei Schalter. Zuerst war ein Flackern zu sehen, Andeutungen von weiche n geologischen Konturen, dann völlige Finsternis. »Nichts. Wir sind draußen ebenso blind wie hier drinnen. Ich
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brauche zuerst Sekundärenergie, ehe wir uns draußen umsehen können. Die Batterien reichen nicht für ein Bild.« Die Audiosensoren benötigten weniger Energie. Sie übertrugen die Stimme dieser Welt in das Innere der Kabine. Die Sturmwinde schwollen an und wurden wieder leiser, erfüllten die Brücke mit klickenden und zischenden Geräuschen, als ob Fische miteinander stritten. »Ich wünschte, wir wären bei Tag hier runtergekommen.« Lambert sah zu einer finsteren Luke hinaus. »Dann könnten wir ohne Instrumente sehen.« »Was ist denn, Lambert?« spottete Kane. »Angst vor der Dunkelheit?« Sie erwiderte sein Lächeln nicht. »Die Dunkelheit, die ich kenne, macht mir keine Angst. Nur die, die ich nicht kenne. Besonders wenn sie mit Geräuschen wie diesem Notruf erfüllt ist.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der vom Staub umwirbelten Luke zu. Ihre Bereitschaft, ihren tiefsten Ängsten Ausdruck zu geben, trug nicht dazu bei, die gedrückte Stimmung auf der Brücke zu verbessern. Schon unter normalen Umständen überfüllt und eng, wirkte sie bei fast völliger Dunkelheit erstickend, und das Schweigen, das auf ihnen allen lastete, machte es noch schlimmer. Als Ripley verkündete: »Wir haben wieder Interkomverbindung mit der Ingenieursabteilung«, war das für alle eine Erleichterung. Dallas und die anderen sahen ihr erwartungsvoll zu, während sie am Verstärker herumdrehte. »Bist du das, Parker?« »Yeah, ich bin's.« Dem Klang seiner Stimme nach zu schließen, war der Ingenieur für eine seiner gewohnten bissigen Bemerkungen zu müde. »Und wie steht's?« Im Geiste drückte Dallas sich die Daumen. »Was ist mit dem Feuer?«
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»Das haben wir erstickt.« Er seufzte, was über das Interkom wie ein Windstoß klang. »Es war in der alten Wandverkleidung in der C-Etage ausgebrochen. Eine Weile dachte ich schon, wir müßten ersticken. Aber zum Glück ist das Zeug schneller verbrannt als ich dachte, ehe es zu viel von unserer Luft auffressen konnte. Das Kohlendioxid wird jetzt abgesogen.« Dallas leckte sich über die Lippen. »Und wie steht es mit Schäden? Ich meine nicht das oberflächliche Zeug. Mich interessiert jetzt nur die Schiffsfunktion und etwaige Störungen in unserer Leitung.« »Mal sehen ... Schirm drei ist total hin.« Dallas konnte sich jetzt gut vorstellen, wie der Ingenieur die einzelnen Punkte an den Fingern abzählte. »Der Überlastungsschutz ist weg und wenigstens drei Zellen in Modul zwölf sind auch hin, mit allen Folgen, die das hat.« Er ließ das einsinken und fügte dann hinzu: »Willst du die Kleinigkeiten auch wissen? Gib' mir eine Stunde Zeit, dann mache ich dir eine Liste.« »Laß nur, Augenblick.« Er wandte sich zu Ripley. »Probier's noch mal mit den Bildschirmen.« Das tat sie, aber ohne Wirkung. »Wir müssen eben noch eine Weile ohne auskommen«, erklärte er ihr. »Seid ihr sicher, daß das alles ist?« sagte sie. Ripley ertappte sich dabei, wie sie zum ersten Mal seit die beiden zur Mannschaft gekommen waren, für Parker und Brett Sympathie empfand. Oder besser gesagt, seit sie eingetreten war, da Parker ja bereits vor ihr der Besatzung der Nostromo angehört hatte. »Bis jetzt schon.« Er hustete. »Im Augenblick versuchen wir wieder volle Energieversorgung herzustellen. Der Ausfall von Modul zwölf hat hier hinten alles durcheinandergebracht. Wir sagen euch Bescheid, wie es um die Energieversorgung steht, wenn wir alles überprüft haben, was das Feuer zerstört hat.«
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»Wie steht es mit Reparaturen? Kommt ihr klar?« Dallas überdachte noch einmal den kurzen Bericht, den der Ingenieur gegeben hatte. Die ersten Schäden sollten sie selbst zurechtflicken können. Aber das Problem mit den Zellen würde Zeit beanspruchen. Und was an Modul zwölf nicht funktionierte er zog es vor, gar nicht daran zu denken. »Hier draußen können wir ganz bestimmt nicht alles reparieren, ganz gleich, wieviel Mühe wir uns auch geben«, erwiderte Parker. »Das habe ich auch nicht angenommen. Keiner erwartet das. Was könnt ihr denn machen?« »Wir müssen einige dieser Röhren neu verlegen und die beschädigten Einlässe neu auskleiden. An die größeren Schäden können wir nicht heran. Dazu brauchten wir ein komplett ausgestattetes Dock. Wir müssen also improvisieren.« »Ich verstehe. Was noch?« »Sage ich doch, Modul zwölf. Ich will da nichts beschönigen. Wir haben eine Hauptzelle verloren.« »Wie? Der Staub?« »Teilweise.« Parker hielt inne, wechselte ein paar auf der Brükke unhörbare Worte mit Brett und kam dann wieder ans Mikrofon. »Einige Fragmente haben sich am Einlaß gesammelt, sich miteinander verbunden und die Überhitzung verursacht, die das Feuer auslöste. Du weißt ja, wie empfindlich diese Düsen sind.« »Und könnt ihr etwas machen?« fragte Dallas. Irgendwie mußte das System ja repariert werden. Ersetzen konnten sie es nicht. »Ich glaube schon. Brett ist auch meiner Ansicht. Wir müssen alles säubern und dann aussaugen und sehen, ob es hält. Wenn es nach dem Reinigen dicht bleibt, sollten wir es schaffen. Wenn nicht, können wir ja versuchen, das Loch zu flicken. Wenn sich freilich herausstellen sollte, daß ein Rohr der Länge
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nach gesprungen Ist, nun ...« Er verstummte. »Davon wollen wir im Augenblick noch nicht sprechen, schlug Dallas vor. »Kümmern wir uns zunächst um die vordringlichen Probleme und hoffen, daß es sonst keine gibt.« »Einverstanden.« »Richtig«, fügte Brett hinzu, wobei es so klang, als arbeite er irgendwo links vom Ingenieur. »Brücke, Ende.« »Ingenieurabteilung, Ende. Haltet den Kaffee warm.« Ripley schaltete das Interkom aus und blickte Dallas erwartungsvoll an. Er saß stumm da und überlegte. »Wie lange dauert es, bis wir wieder funktionsfähig sind, Ripley. Angenommen, Parker schätzt den Schaden richtig ein und er und Brett scharfen die Reparaturen, und die Flickstellen halten?« Sie überlegte. »Wenn es ihnen gelingt, die Leitungen umzulegen und Modul zwölf soweit zusammenzuflicken, daß es wieder seinen Anteil der Belastung übernehmen kann, würde ich fünfzehn bis zwanzig Stunden schätzen.« »Nicht übel. Ich war auf achtzehn gekommen.« Er lächelte nicht, fühlte sich aber wieder etwas hoffnungsvoller. »Wie steht es mit den Hilfsaggregaten? Hoffentlich funktionieren die, sobald wir wieder Energie haben.« »Ich arbeite schon daran.« Lambert betätigte ein paar Scha lter. »Bis die in der Ingenieurabteilung fertig sind, sind wir es auch.« Zehn Minuten später meldete sich ein winziger Lautsprecher an Kanes Konsole und gab einige piepsende Laute von sich. Er sah auf eine Skala und schaltete dann das Interkom ein. »Brücke, hier Kane.« Erschöpft, aber gleichzeitig auch zufrieden klingend, meldete sich Parkers Stimme: »Ich weiß nicht, wie lange es halten wird ... einige der Schweißnähte, die wir machen mußten, sind
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ziemlich lausig. Wenn jetzt alles so läuft, wie es sollte, dann gehen wir die Nähte noch einmal durch. Ihr solltet jetzt eigentlich Energie haben.« Der Erste drückte einen Schalter. Auf der Brücke wurde es wieder hell, die Anzeigegeräte flackerten, und der Rest der Mannschaft brummte zustimmend. »Wir haben wieder Energie und Licht«, meldete Kane. Gute Arbeit, ihr beiden.« »Alles was wir tun, ist gut«, erwiderte Parker. »Richtig.« Brett mußte neben dem Mikrofon gestanden haben, unmittelbar vor den Maschinen. Das konnte man aus dem gleichmäßigen Summen schließen, das den Hintergrund zu seinen einsilbigen Bemerkungen bildete. »Freut euch nur nicht zu früh«, sagte Parker. »Die neuen Verbindungen sollten halten, aber ich will nichts versprechen. Wir haben hier hinten nur improvisiert. Gibt's vorne etwas Neues?« Kane schüttelte den Kopf und erinnerte sich dann, daß Parker die Geste nicht sehen konnte. »Nicht das Geringste.« Er blickte zur nächsten Luke hinaus. Die Lichter der Brücke erhellten den nackten kahlen Boden draußen. Gelegendich trug der wütende Sturm einen größeren Stein in die Höhe, der dann das Licht der Scheinwerfer reflektierte. Aber das war alles. »Nur nackter Felsen, wir sehen nicht besonders weit. Nach allem, was ich weiß, könnten wir fünf Meter neben einer Oase hocken.« »Träumt nur weiter.« Parker rief Brett etwas zu und schloß dann mit einem geschäftsmäßigen: »Wir sagen Bescheid, wenn es hier Ärger gibt. Haltet uns bitte auch auf dem laufenden.« »Wir schicken euch eine Postkarte.« Kane schaltete ab.
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3.
Vielleicht wäre es für den inneren Frieden eines jeden besser gewesen, wenn die Notsituation angehalten hätte. Jetzt, wo sie wieder Licht und Energie hatten und nichts anderes zu tun, als einander oder die Instrumente anzustarren, wurden die fünf Leute auf der Brücke zunehmend unruhig. Es gab keinen Platz, um sich zu strecken und zu entspannen. Wäre auch nur einer von ihnen auf und ab ge gangen, hätte er den ganzen verfügbaren Raum dazu benötigt. So brüteten sie an ihren Stationen, tranken unmäßige Mengen von Kaffee, die der Autokoch von sich gab und versuchten sich etwas einfallen zu lassen, das sie von der augenblicklichen unangenehmen Situation ablenkte. Sie zogen es vor, über das, was außerhalb des Schiffes auf sie wartete, vielleicht sogar in unmittelbarer Nähe, keine Spekulationen anzustellen. Von ihnen allen schien nur Ash einigermaßen mit seiner Lage zufrieden. Im Augenblick erfüllte ihn nur der geistige Zustand seiner Mannschaftsgefährten mit Besorgnis. Auf dem Schiff gab es keine Möglichkeit, sich zu entspannen. Die Nostromo war ein Schlepper, ein Arbeitsschiff, jedenfalls kein Vergnügungskreuzer. Wenn keine wichtigen Aufgaben zu erfüllen waren, so pflegte die Mannschaft ihre Zeit im Schoße des Hyperschlafes zu verbringen. So war es ganz natürlich, daß sie im Wachzustand verbrachte Zeit, in der es nichts zu tun gab, selbst unter günstigen Umständen nervös machte. Und die augenblicklichen Umstände waren alles andere als günstig. Ash war imstande, sich voll und ganz mit theoretischen Problemen und dem Computer beschäftigt zu halten, ohne sich je zu langweilen. Er empfand im Wachzustand verbrachte Zeit als anregend. »Schon irgendwelche Reaktionen auf unsere Rufe?« Dallas
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beugte sich in seinem Sessel vor und sah den Wissenschaftsoffizier erwartungsvoll an. »Ich habe jede Art von Reaktion untersucht, die im Handbuch steht, und außerdem noch freie Assoziationen. Und dann habe ich Mutter noch einen streng mechanisch-analogen Code ausprobieren lassen.« Ash schüttelte enttäuscht den Kopf. »Nichts außer demselben Notruf, der sich in den üblichen Intervallen wiederholt. Alle anderen Kanäle sind leer, abgesehen von einem schwachen gleichmäßigen Knattern auf NullKomma-dreiunddreißig.« Er deutete mit dem Daumen nach oben. »Mutter sagt, das sei die charakteristische Signatur des Zentralsterns dieser Welt. Wenn dort draußen irgend etwas oder irgend jemand lebt, so kann er nur diesen Hilferuf von sich geben, sonst nichts.« Dallas knurrte einen Fluch. »Wir haben doch wieder volle Energie. Sehen wir nach, wo wir sind. Schaltet die Flutlichter ein.« Ripley legte einen Schalter um. Eine Batterie kräftiger Scheinwerfer, helle Perlen auf dem dunklen Hintergrund des Rumpfs der Nostromo, flammten vor den Luken auf. Wind und Staub waren jetzt deutlicher zu sehen und bildeten kleine Wirbel in der Luft. Weit und breit war keine Spur von Leben zu erkennen, kein Moosbüschel, kein Baum, kein Strauch, nichts. Nur Wind und Staub, die durch die Nacht wirbelten. »Keine Oase«, flüsterte Kane wie im Selbstgespräch. Leer, gleichmäßig, unwirtlich, das war es, was sie alle dachten. Dallas erhob sich, ging zu einer Luke und starrte in den Sturm hinaus, sah zu, wie Felssplitter vorbeihuschten. Er fragte sich, ob die Luft auf dieser kleinen Welt wohl je zum Stillstand kam. Schließlich kannten sie die Zustände hier nicht, und es war gut möglich, daß die Nostromo mitten in einer stillen Sommernacht gelandet war. Aber das war unwahrscheinlich. Diese Welt war
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nicht groß genug, um wirklich unangenehmes Wetter zu produzieren, wie beispielsweise Jupiter. Das tröstete ihn etwas. Das und die Erkenntnis, daß das Wetter draußen wahrscheinlich nicht mehr viel schlechter werden konnte. Das lokale Klima lieferte auch den meisten Gesprächsstoff. »Da kommen wir nirgends hin«, meinte Kane. »Jedenfalls nicht, solange es finster ist.« Ash blickte von seiner Konsole auf. Er hatte sich nicht bewegt, offenbar war er physisch ebenso zufrieden wie geistig. Kane konnte nicht verstehen, wie der Wissenschaftsoffizier das machte. Wenn er nicht gelegentlich seinen Platz verlassen hätte, um herumzulaufen, wäre er inzwischen sicher schon verrückt geworden. Ash bemerkte seinen Blick und meinte: »Mutter sagt, die Sonne geht in zwanzig Minuten auf. Wo immer wir auch hinwollen - jedenfalls brauchen wir nicht mehr in der Finsternis herumzulaufen.« »Das ist schon etwas«, räumte Dallas ein, froh, sich an etwas halten zu können. »Wenn die Leute, die den Notruf ausgeschickt haben, sonst nichts zu sagen haben oder nichts sagen können, werden wir sie suchen müssen. Oder es, falls das Signal von einem automatischen Sender abgestrahlt wird. Wie weit sind wir denn von der Sendestelle entfernt'« Ash warf einen Blick auf sein Anzeigegerät und tippte dann ein paar Zeilen in den Computer. »Etwa dreitausend Meter, im wesentlichen über ebenes Terrain, soweit die Scanner das erkennen können. Die Stelle liegt im Nordosten unserer gegenwärtigen Position.« »Zustand des Terrains?« »So, wie wir es beim Anflug feststellten. Dasselbe harte Zeug wie das, auf dem wir jetzt sitzen. Massiver Basalt mit kleinen Variationen, wenn ich auch nicht ausschließen möchte, daß wir da und dort auf umfangreiche amygdaloidale Einschüsse
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stoßen könnten.« »Dann werden wir eben aufpassen.« Kane überlegte und rechnete im Kopf. »Wenigstens nahe genug, um zu Fuß hinzugehen.« »Ja.« Lambert schien zufrieden. »Ich war nicht besonders scharf darauf, das Schiff bewegen zu müssen. Eine gerade Landung aus dem Orbit ist leichter zu errechnen, als eine Boden-Boden Bewegung. Wenigstens bei dem Wetter.« »Okay. Wir wissen, worauf wir uns bewegen müssen. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, worin. Ash, bitte einen Atmosphäretest.« Der Wissenschaftsoffizier drückte ein paar Knöpfe. In der Außenhaut der Nostromo öffnete sich eine winzige Luke. Eine Metallflasche schob sich in den Wind, sog eine winzige Menge der Luft dieser Welt ein und sank ins Schiff zurück. Die Probe wurde in eine Vakuumkammer ausgestoßen. Komplizierte Instrumente machten sich daran, ihren Inhalt zu analysieren. Kurz darauf erschienen die Bestandteile der Luft in Gestalt von Ziffern und Symbolen auf Ashs Bildschirm. Er studierte sie kurz, veranlaßte, daß eine Position noch einmal überprüft wurde, und berichtete dann seinen Kollegen. »Fast eine Urmischung. Eine Menge Stickstoff, etwas Saue rstoff und eine hohe Konzentration von freiem Kohlendioxid. Spuren von Methan und Ammoniak, ein Teil des letzteren im gefrorenen Zustand ... es ist kalt draußen. Ich arbeite jetzt an den kleineren Beimischungen, aber ich rechne nicht mit irgendwelchen Überraschungen. Es sieht alles ziemlich normal und nicht atembar aus.« »Druck?« »Zehn hoch vier dyn pro Quadratzentimeter. Das sollte nicht behindern, solange der Wind nicht stärker wird.« »Wie steht es mit dem Feuchtigkeitsgehalt?« wollte Kane wissen. Die Bilder einer imaginären Oase fern der Erde
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verblaßten schnell in seiner Vorstellung. »Achtundneunzig DoppelP. Es riecht wahrscheinlich nicht besonders gut, aber es ist feucht. Eine Menge Wasserdampf. Komische Mischung, muß ich sagen. Ich hätte nie damit gerechnet, so viel Dampf gemeinsam mit Methan vorzufinden. Na, schön. Ich würde jedenfalls nicht raten, aus irgendwelchen Wasserlöchern zu trinken, falls es solche geben sollte. Sie enthalten nämlich wahrscheinlich kein Wasser.« »Noch etwas, das wir wissen müssen?« fragte Dallas. »Nur die Basaltoberfläche, eine Menge harter Lava. Und kalte Luft, weit unterhalb der Marke«, informierte sie Ash. »Wir würden auch dann Schutzanzüge brauchen, wenn die Luft atembar wäre, schon wegen der Temperatur. Wenn es dort draußen etwas Lebendes gibt, dann muß es verflucht zäh sein.« Dallas blickte resigniert drein. »Wahrscheinlich war es unvernünftig, etwas anderes zu erwarten. Aber hoffen darf man ja schließlich. Die Atmosphäre reicht also gerade aus, um die Sicht zu erschweren. Da hätte ich dann schon gar keine Luft vorgezogen, aber schließlich haben wir ja diesen Felsbrocken nicht konstruiert.« »Wer weiß.« Kane gab sich wieder philosophisch. »Vielleicht erfüllt er für irgend jemand oder irgend etwas die Vorstellung vom Paradies.« »Hat keinen Sinn, sich drüber aufzuregen«, riet ihnen La mbert. »Es hätte viel schlimmer sein können.« Sie blickte in den Sturm hinaus. Die Morgendämmerung nahte, und es begann langsam heller zu werden. »Jedenfalls ziehe ich das hier einem Gasriesen vor, wo wir in ruhigen Zeiten Winde von dreihundert Stundenkilometern hätten oder zehn oder zwanzigfaches Gewicht. Hier können wir wenigstens herumlaufen, ohne Stabilisatoren oder alle möglichen Geräte herumzuschleppen. Ihr wißt nicht einmal mehr, wann ihr es gut habt.«
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»Komisch, daß ich mich auch gar nicht so gut fühle«, konterte Ripley. »Ich würde mich lieber wieder zum Hyperschlaf hinlegen.« Etwas berührte sie am Fuß, und sie beugte sich hinunter, um Jones zu streicheln. Die Katze schnurrte dankbar. »Ob es jetzt eine Oase ist oder nicht«, verkündete Kane, »ich melde mich jedenfalls freiwillig, als erster hinauszugehen. Ich hätte gerne die Chance, unseren geheimnisvollen Notrufer aus der Nähe anzusehen. Man kann nie wissen, was man vorfindet.« »Juwelen und Gold?« Dallas mußte grinsen. Kane war ein notorischer Schatzsucher. Er zuckte die Achseln. »Warum nicht?« »Ich hab's gehört. Okay.« Auch Dallas würde der kleinen Expedition angehören. Er sah sich auf der Brücke um und suchte einen dritten Kandidaten. »Lambert. Du auch.« Sie schien nicht besonders glücklich. »Meinetwegen. Warum ich?« »Warum nicht du? Du bist soast auch für unseren Kurs verantwortlich. Wollen mal sehen, wie gut du außerhalb der Brücke bist.« Er setzte sich in Richtung auf den Korridor zu in Bewegung, blieb dann stehen und meinte: »Noch eines. Wir werden wahrscheinlich ein totes Wrack und einen automatischen Signalgeber vorfinden, sonst hätten wir wahrscheinlich schon von irgendwelchen Überlebenden gehört. Aber ganz sicher können wir noch nicht sagen, womit wir es zu tun bekommen. Diese Welt scheint ja nicht gerade von Leben zu wimmeln, feindli chem oder sonstigem, aber jedenfalls wollen wir kein unnötiges Risiko eingehen. Nehmen wir uns also ein paar Waffen mit.« Er zögerte, als Ripley Anstalten machte, sich ihnen anzuschließen. »Drei ist die Maximalzahl, die das Schiff verlassen dürfen, Ripley. Du wirst warten müssen.«
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»Ich will nicht hinaus«, erklärte sie. »Mir gefällt es hier. Ich hab' nur alles getan, was ich hier tun kann. Parker und Brett werden Hilfe brauchen können ...« Im Maschinenraum war es viel zu heiß, und das trotz aller Mühe, die sich die Kühlanlage des Schleppers gab. Das kam von dem vielen Schweißen, zu dem Brett und Parker sich genötigt sahen und dem engen Raum, in dem sie arbeiten mußten. Die Luft in der Nähe der Thermostate blieb vergleichsweise kühl, während die in der Nähe der Schweißstellen sich schnell aufheizte. Den Laserschweißgeräten war das nicht zum Vorwurf zu machen. Sie erzeugten einen relativ kühlen Strahl. Aber wo das Metall schmolz und zusammenfloß, um eine frische Naht zu bilden, wurde natürlich als Nebenprodukt Hitze erzeugt. Beide Männer arbeiteten ohne Hemd, und der Schweiß strömte ihnen über die nackten Oberkörper. Ripley lehnte ganz in der Nähe an der Wand und benutzte ein seltsam aussehendes Werkzeug dazu, eine Schutzverschalung zu lösen. Komplizierte Ansammlungen aus buntem Draht und winzigen geometrischen Gebilden kamen darunter zum Vorschein. Zwei kleine Stücke davon waren verkohlt. Mit Hilfe eines weiteren Werkzeugs entfernte sie die beschädigten Teile und suchte in der Tasche, die an ihrer Seite hing, nach Ersatz. Als sie das erste Ersatzteil befestigte, schaltete Parker gerade den Laser ab. Er musterte die Schweißnaht kritisch. »Eigentlich nicht schlecht, wenn ich mich selbst loben darf.« Er wandte sich um und sah Ripley an. Der Schweiß ließ ihre Bluse am Körper kleben. »Hey, Ripley, ... ich hab' eine Frage.« Sie blickte nicht von ihrer Arbeit auf. Ein zweites neues Modul schnappte neben dem ersten fest, wie ein Zahn, der neu in seinen Sockel geschoben wird.
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»Ja? Ich hör' schon zu.« »Bekommen wir auch eine Chance, mal hinauszugehen, oder sitzen wir hier fest, bis alles erledigt ist? Die Energieversorgung haben wir ja wieder hergestellt. Das übrige Zeug hier ...« damit wies er mit einer weit ausholenden Handbewegung auf die rauchgeschwärzten Wände des Maschinenraums »ist reine Kosmetik. Nichts, das nicht ein paar Tage Zeit hätte.« »Die Antwort kennt ihr doch beide.« Sie setzte sich hin und rieb sich die Hände, während sie ihn ansah. »Der Kapitän hat sich seine beiden Begleiter ausgewählt, und damit ist das erledigt. Solange sie nicht zurück sind und Meldung gemacht haben, kann niemand hinaus. Drei draußen, vier drinnen. So lautet die Regel.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke, und sie hielt inne und musterte ihn wissend. »Aber das ist es gar nicht, was dich stört, wie? Du machst dir Gedanken über das, was sie vielleicht finden könnten. Oder wir haben dich alle falsch eingeschätzt und in Wirklichkeit interessiert dich nur das abstrakte Wissen, bist du ganz dem Wunsch ergeben, die Grenzen des bekannten Universums weiter nach draußen zu schieben?« »Nein, zum Teufel.« Ripleys sarkastische Bemerkung schien Parker nicht im geringsten zu stören. »Ich bin einzig und allein dem Ziel ergeben, die Grenzen meines Bankkontos hinauszuschieben. Also wie steht es mit meinem Anteil, falls die etwas Wertvolles finden?« Ripley wirkte gelangweilt. »Keine Sorge. Ihr bekommt schon beide, was euch zusteht.« Sie suchte wieder in ihrer Tasche nach einem bestimmten Chip. »Ich arbeite jetzt nicht mehr weiter«, verkündete Brett plötzlich, »sofern uns kein voller Anteil garantiert wird.« Ripley fand das Stück, das sie brauchte, und befestigte es an der Wand. »Euer Vertrag garantiert einem jeden von euch, daß ihr einen Anteil an allem bekommt, das wir finden. Das wißt
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ihr beide. Und jetzt hört auf mit dem Gerede und geht wieder an die Arbeit.« Sie wandte sich ab und begann zu überprüfen, ob die neu eingebauten Module richtig funktionierten. Parker starrte sie an, wollte schon etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Sie war Deckoffizier des Schiffes, und es würde ihnen überhaupt nichts einbringen, sie zu ärgern. Er hatte gesagt, was er sagen wollte, und sie hatte ihn in seine Grenzen verwiesen. Besser, es dabei zu belassen, ganz gleich wie ihm dabei zumute war. Er war durchaus imstande, logisch zu handeln, wenn die Lage das erforderte. Ärgerlich schaltete er den Laser wieder ein und begann einen weiteren Abschnitt der aufgeplatzten Röhre abzudichten. Brett, der die Zuleitung des Schweißgerätes hielt, sagte »Richtig« ohne etwas Bestimmtes zu meinen. Dallas, Kane und Lambert gingen durch einen schmalen Korridor. Neben ihren isolierten Arbeitshosen waren sie jetzt mit Stiefeln, Jacken und Handschuhen bekleidet. Sie trugen Laserpistolen, eine Miniaturausgabe des Schweißgerätes, das Parker und Brett benutzten. Vor einer wuchtigen Tür mit Warnsymbolen und den Worten HAUPTSCHLEUSE ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN blieben sie stehen. Dallas fand die Warnung immer höchst überflüssig, da es an Bord des Schiffes so etwas wie eine unbefugte Person nicht geben konnte und jedermann, der dazu befugt war, an Bord zu sein, auch befugt war, die Schleuse zu benutzen. Kane berührte einen Schalter. Ein Schutzschild schob sich zur Seite und legte drei darunter verborgene Knöpfe frei. Er drückte sie in der richtigen Reihenfolge. Ein Pfeifen ertönte, und die Türe schob sich zur Seite. Sie traten ein.
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An den Wänden hingen sieben Vakuumanzüge. Sie waren unförmig und schwerfällig, aber für diesen Ausflug absolut notwendig, falls Ashs Einschätzung der draußen herrschenden Zustände auch nur einigermaßen zutraf. Sie waren einander beim Anlegen der künstlichen Häute behilflich und überprüften gegenseitig die Anzugfunktionen. Dann kam die Zeit, die Helme aufzusetzen. Das geschah mit der gebotenen Sorgfalt, und jeder überzeugte sich, daß die Dichtung seines Nachbarn auch funktionierte. Dallas überprüfte Kanes Helm, Kane den von Lambert, und diese wiederum leistete dem Kapitän denselben Dienst. Dieses fast rituelle Spiel zelebrierten sie mit dem größten Ernst - das war das Astronautenäquivalent von Affen, die einander putzten. Automatische Regelgeräte wurden eingeschaltet. Bald atmeten alle drei die etwas abgestanden schmeckende Luft aus ihren Anzugtanks. Dallas schaltete mit einer behandschuhten Hand die Sprechanlage des Helms ein. »Ich sende. Hört ihr mich?« »Empfang«, verkündete Kane und steuerte sein Mikrofon aus. »Hörst du mich auch?« Dallas nickte und wandte sich Lambert zu. »Empfange«, sagte sie ohne sich die geringste Mühe zu geben, ihr Mißvergnügen zu verbergen. Sie war immer noch nicht froh darüber, daß man sie für die Exkursion ausgewählt hatte. »Komm schon, Lambert«, sagte Dallas in dem Bemühen sie aufzuheitern. »Ich hab' dich wegen deiner Fähigkeiten, nicht wegen deines sonnigen Gemüts ausgewählt.« »Danke für die Blumen«, erwiderte sie trocken, »aber sonst für nichts. Hättest du nicht Ash oder Parker mitnehmen können? Wahrscheinlich hätten die sich sogar gefreut.« »Ash muß an Bord bleiben. Das weißt du. Parker hat im
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Maschinenraum zu tun und könnte ohne Instrumente nicht einmal aus einer Papiertüte herausfinden. Mir macht es nichts aus, wenn du mich bei jedem Schritt verfluchst. Sorge nur dafür, daß wir den Ursprung dieses verdammten Signals finden.« »Wunderbar.« »Okay, dann wären wir soweit. Und daß mir keiner von der Waffe Gebrauch macht, solange ich es nicht befehle.« »Erwartest du freundliche Gesellschaft?« Kane musterte ihn zweifelnd. »Man sollte auf das Beste hoffen, nicht das Schlimmste befürchten.« Er schaltete auf einen anderen Kanal. »Ash, bist du da?« Die Antwort kam von Ripley. »Er ist zur Wissenschaftskuppel unterwegs. Gib ihm ein paar Minuten.« »Roger.« Er wandte sich zu Kane. »Innere Luke schließen.« Der Erste betätigte die entsprechenden Schalter, und die Türe schloß sich hinter ihnen. »Jetzt äußere öffnen.« Kane wiederholte die Prozedur, die ihnen Zutritt zu der Schleuse verschafft hatte. Nachdem er den letzten Knopf gedrückt hatte, trat er zurück und wartete neben den beiden anderen. Ohne sich dessen bewußt zu werden, preßte Lambert sich mit dem Rücken gegen die innere Schleusentür. Eine instinktive Reaktion auf das ihnen bevorstehende Unbekannte. Das äußere Schleusentor glitt beiseite. Vor den drei Menschen zogen Wolken aus Staub und Dampf vorüber. Das Licht der frühen Dämmerung hatte die Farbe von verbrannten Orangen. Das war nicht das vertraute beruhigende Gelb von Sol, aber Dallas hoffte, daß es besser werden würde, wenn die Sonne weiter am Himmel emporstieg. Sie gab ihnen genug Licht, um zu sehen, wenn es auch in der dichten mit Staubpartikeln beladenen Luft wenig genug zu sehen gab. Sie traten auf die Liftplattform hinaus, die zwischen Trägern
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verlief. Kane berührte einen weiteren Schalter. Die Plattform sank in die Tiefe. An der Unterseite der Plattform angebrachte Sensoren sorgten dafür, daß sie in dem Augenblick anhielt, als sie den höchsten Punkt des fremden Terrains berührte. Geführ t von Dallas, der mehr aus Gewohnheit als irgendeiner Vorschrift folgend, die Spitze übernommen hatte, traten sie vorsichtig auf die Oberfläche des Planeten. Die Lava war hart und gab auch unter ihren Stiefeln nicht nach. Winde von Orkanstärke zerrten an ihnen, als sie sich umsahen. Im Auge nblick konnten sie nichts anderes erkennen, als das, was unter ihren Stiefeln war und irgendwo im orangebraunen Nebel verschwamm. Was für ein schrecklicher, deprimierender Ort, dachte La mbert. Nicht, daß er ihr Furcht eingejagt hätte, wenn es auch beunruhigend genug war, nur ein kurzes Stück weit sehen zu können. Es erinnerte sie an einen nächtlichen Sprung in ein von Haien wimmelndes Wasser. Auch dort konnte man nie wissen, was plötzlich aus der Finsternis auf einen zukam. Vielleicht traf sie ihre Entscheidung zu schnell. Aber eigentlich glaubte sie das nicht. In all dem verhüllten Land, das sie umgab, war keine einzige warme leuchtende Farbe, kein Blau, kein Grün; nur ein beständiges Wogen von trübem Gelb, traurigem Orange, müdem Braun und Grau. Nichts, das einen wärmte und einen damit auch auf angenehmere Gedanken brachte. Die Atmosphäre hatte die Farbe eines mißlungenen Chemieexperiments, und sie bedauerte alles, das vielleicht einmal hier gelebt hatte. Obwohl es dafür keinerlei Beweise gab, war sie innerlich davon überzeugt, daß zu dieser Stunde auf dieser Welt nichts lebte. Vielleicht hatte Kane recht, vielleicht war das für irgendein unbekanntes Geschöpf der Inbegriff des Paradieses. Aber wenn das der Fall sein sollte, konnte sie sich nicht vorstellen, daß sie auf die Gesellschaft eines solchen Geschöpfes großen Wert
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legen würde. »Welche Richtung?« »Was?« Der Nebel und die Wolken hatten ihre Gedanken gleichsam stocken lassen. Sie schüttelte den Kopf, wie um sie wieder in Bewegung zu setzten. »Welche Richtung, Lambert?« Dallas starrte sie an. »Hhm? Ich habe zuviel nachgedacht.« Vor ihrem geistigen Auge stellte sie sich ihre Station an Bord der Nostromo vor. Dieser Sitz und die Navigationsinstrumente, die unter normalen Umständen so beengend wirkten, kamen ihr jetzt wie ein kleines Stück des Himmels vor. Sie nahm ein kleines Gerät, das an ihrem Gürtel hing und warf einen prüfenden Blick auf den winzigen Bildschirm. »Dort drüben.« Sie deutete in die Richtung. »Geh du voraus.« Dallas trat hinter sie. Von dem Kapitän und Kane gefolgt, stapfte sie in den Sturm hinaus. Als sie die schützende Masse der Nostromo hinter sich gelassen hatten, packte sie der Sturm und hüllte sie ein. Sie blieb verärgert stehen und betätigte eines der Instrumente ihres Anzugs. »Jetzt sehe ich überhaupt nichts mehr.« Plötzlich hallte Ashs Stimme in ihrem Helm. »Schalte den Sucher ein. Er ist auf das Notsignal abgestimmt. Laß dich von ihm lenken und dreh' nicht daran herum. Ich hab' ihn schon eingeschaltet.« »Er ist eingeschaltet und abgestimmt«, schoß sie zurück. »Glaubst du, ich kenne meinen Job nicht?« »Ich wollte dir nicht zu nahe treten«, erwiderte der Wissenschaftsoffizier abwehrend. Sie brummte nur etwas Unverständliches und drang dann tiefer in die Düsternis ein. Dallas sprach in sein Helmmikrofon: »Der Sucher funktioniert einwandfrei. Kannst du uns klar empfangen, Ash?« In der Beobachtungskuppel an der Unterseite des Schiffs wandte Ash seinen Blick von den staubverhüllten Gestalten ab, die sich langsam von der Nostromo entfernten, und sah auf die
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hell beleuchtete Konsole vor sich. Auf dem Bildschirm waren deutlich die stilisierten Umrisse von drei Menschen zu erkennen. Er tippte an einen Schalter, und sein Sessel schob sich unter leichtem Summen ein Stückchen nach vorne, so daß er genau vor dem Leuchtschirm saß. »Ich sehe euch ganz deutlich. Ausgezeichnete Bildwiedergabe. Audioempfang ebenfalls einwandfrei. Ich glaube nicht, daß ich euch verlieren würde, dazu ist die Suppe nicht dick genug, und viel Interferenz scheint es hier unten auch nicht zu geben. Das Notsignal kommt auf einer anderen Frequenz herein, es besteht also auch keine Gefahr von Überlagerung.« »Das klingt gut.« Dallas Stimme hallte unnatürlich laut aus dem Lautsprecher. »Wir empfangen dich ganz klar. Laß den Kanal offen. Wir haben keine Lust, uns hier draußen zu verlaufen, nicht in dieser dicken Suppe.« »Roger. Ich überwache jeden Schritt, den ihr macht, aber ich werde euch nicht belästigen, wenn sich nicht etwas Auffälliges ergibt.« »Roger. Dallas Ende.« Er ließ den Schiffskanal offen und bemerkte, daß Lambert ihn durch die Gesichtsscheibe ihres Helms beobachtete. »Wir vergeuden Anzugzeit. Gehen wir.« Sie drehte sich wortlos um und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Sucher zu, stapfte in die wallende Finsternis. Die etwas geringere Schwerkraft machte die Last des Anzugs und der Tanks etwas leichter, wenn auch alle sich immer noch wunderten, woraus diese kleine Welt wohl bestehen mochte, daß sie eine so hohe Anziehungskraft erzeugen konnte. Dallas überlegte, wie man am besten eine geologische Untersuchung anstellen könnte. Vielleicht war das Parkers Einfluß; jedenfalls wollte er die Möglichkeit, daß diese Welt größere Lager an wertvollen Schwermetallen enthielt, nicht ignorieren. Die Gesellschaft würde natürlich auf solche Entdeckungen Anspruch erheben, da sie ja mit Geräten der Gesellschaft und
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auch im Dienste der Gesellschaft gemacht wurden. Aber immerhin würde das ein paar großzügige Prämien bedeuten. Am Ende erwies sich ihr unbeabsichtigter Zwischenaufenthalt hier vielleicht doch noch als profitabel. Der Wind blies ihnen entgegen, hämmerte als massiver Regen aus Staub und kleinen Gesteinsbrocken auf sie hernieder. »Ich sehe in keine Richtung weiter als drei Meter, murmelte Lambert. »Hör auf zu meckern«, sagte Kane. »Ich meckere gern.« »Hört auf, euch wie Kinder zu benehmen. Das ist jetzt nicht der richtige Ort dafür.« »Ein reizender Ort, würde ich sagen.« Lambert ließ sich nicht einschüchtern. »Von Mensch und Natur völlig unbeeinträchtigt. Ein herrlicher Ort wenn man ein Felsbrocken ist.« »Schluß, habe ich gesagt.« Darauf verstummte sie, murmelte aber, so daß die anderen es nicht hören konnten weiter. Dallas konnte ihr den Befehl erteilen, daß sie zu reden aufhörte, aber daß sie meckerte, konnte er ihr nicht verbieten. Plötzlich lieferten ihr ihre Augen eine Information, die ihre Gedanken von der beständigen Klage über diesen Ort ablenkten. Etwas war vom Bildschirm ihres Suchers verschwunden. »Was ist denn los?« fragte Dallas. »Augenblick mal.« Sie betätigte die Feineinstellung des Geräts, was mit den unförmigen Handschuhen nicht einfach war. Die Linie, die vom Bildschirm verschwunden war, tauchte wieder auf. »Ich hatte einen Moment lang das Signal verloren. Jetzt habe ich es wieder.« »Probleme?« Eine Stimme hallte aus der Ferne in ihren Helmen. Ash gab seiner Sorge Ausdruck. »Nichts Ernsthaftes«, teilte Dallas ihm mit. Er drehte sich langsam im Kreise und versuchte trotz des Sturms irgendetwas
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Massives zu entdecken. »Eine Menge Staub und Dampf. Der Sucherstrahl beginnt sich abzuschwächen. Wir hatten das Signal einen Augenblick lang verloren.« »Hier ist es immer noch ganz kräftig.« Ash warf einen Blick auf sein Anzeigegerät. »Ich glaube nicht, daß der Sturm daran schuld ist. Vielleicht kommt ihr in hügeliges Terrain. Das könnte das Signal blockieren. Paßt auf. Wenn ihr es verliert und nicht gleich wiederfindet, schaltet ihr am besten den Sucher um und verfolgt mein Signal zum Schiff zurück, bis ihr die Sendung wieder auffangt, dann versuche ich euch von hier aus zu lenken.« »Wir merken es uns, aber bis jetzt ist es nicht notwendig. Wir sagen dir Bescheid, wenn es Schwierigkeiten gibt.« »Roger. Ash Ende.« Jetzt herrschte wieder Stille. Sie tasteten sich ohne zu sprechen durch den staubbeladene n orangeroten Dunst. Nach einer Weile blieb Lambert wieder stehen. »Wieder verloren?« wollte Kane wissen. »Nee. Richtungswechsel.« Sie deutete nach links. »Jetzt in die Richtung.« Sie gingen in die Richtung, die sie ihnen gewiesen hatte, und Lambert ließ jetzt den Bildschirm ihres Suchers keinen Augenblick mehr aus den Augen, während Dallas und Kane ihre Geräte auf Lambert gerichtet hatten. Der Sturm um sie wurde noch heftiger. Die Staubpartikel klirrten an den Gesichtsplatten ihrer Helme, und manchmal glaubten sie aus den Geräuschen Worte herauslesen zu können. Tick, Tick ... laß uns rein ... tick, tick ... laß uns rein, laß uns rein ... tick, tick ... Dallas schüttelte unwirsch den Kopf. Das Schweigen, die von Staub eingehüllte Verlassenheit, die sie umgab, der orangerote Dunst; all das fing an, seine Wirkung auf ihn auszuüben. »Es ist ganz nahe«, sagte Lambert. Die Sensoren ihrer Anzü-
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ge verrieten Ash gleichzeitig, daß plötzlich ihr Pulsschlag schneller geworden war. »Ganz nahe.« Sie setzten ihren Marsch fo rt. Etwas ragte hoch über sie auf. Dallas Atem ging jetzt flach und schnell. Das war die Erregung ebenso wie die Anstrengung. Enttäuschung ... es war nur eine große Felsformation, grotesk verzerrt. Ashs Vermutung, daß sie jetzt in bergigeres Terrain eindrangen, erwies sich als richtig. Einen Augenblick lang suchten sie unter dem Steinmonolith Schutz. Gleichzeitig verschwand die Linie erneut von Lamberts Sucher. »Jetzt hab' ich sie wieder verloren«, teilte sie ihnen mit. »Haben wir es verfehlt?« Kane studierte die Felsen, versuchte über sie hinwegzusehen, konnte es aber nicht. »Nein, sofern es nicht unter der Erde liegt.« Dallas lehnte sich an die Felswand. »Vielleicht ist es hinter diesem Zeug.« Er schlug prüfend mit der Faust gegen den Stein. »Vielleicht is t es auch nur wegen dem Sturm ausgefallen. Machen wir Pause und sehen dann weiter.« Sie warteten, lehnten sich an den von Erosion zerfressenen Felsbrocken. Rings um sie heulten Staub und Sturm. »Jetzt sind wir wirklich blind«, sagte Kane. »Es sollte bald hell werden.« Er betätigte einen Schalter an seinem Helm. »Ash, falls du mich hörst wie lange noch, bis wir Tageslicht haben?« Die Stimme des Wissenschaftsoffiziers klang schwach und war von Störungen überlagert. »Die Sonne geht in etwa zehn Minuten auf.« »Dann sollten wir mehr sehen können.« »Oder umgekehrt«, warf Lambert ein. Sie gab sich nicht die geringste Mühe, ihr fehlendes Interesse zu verbergen. Sie war verdammt müde, und bis jetzt hatten sie den Ursprung des Signals noch nicht erreicht. Das war nicht nur physische Schwäche. Die Leere, die sie umgab, und die deprimierend
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dunklen Farben machten sie müde. Sie fühlte sich wie in einer trüben, schlammigen Unterwasserlandschaft und sehnte sich nach der hellen sauberen Vertrautheit ihrer Konsole. Die zunehmende Helligkeit trug nichts dazu bei, ihre Laune zu heben. Anstatt ihre Stimmung zu verbessern, kühlte die aufgehende Sonne sie eher ab, indem die Luft sich von fauligem Orangerot ins Blutrote verfärbte. Vielleicht würde das Ganze weniger furchterregend wirken, wenn der schwache Stern ganz aufgegangen war. Ripley wischte sich mit der Hand über die Stirn und atmete erschöpft aus. Sie brachte das letzte Stück Verschalung an, nachdem sie sich vorher überzeugt hatte, daß die neuen Chips richtig funktionierten, und legte dann ihre Werkzeuge in die Tasche zurück. »Mit dem Rest solltet ihr alleine klarkommen. Die komplizierten Sachen habe ich erledigt.« »Keine Sorge. Das schaffen wir schon«, versicherte ihr Parker, wobei er darauf achtete, daß seine Stimme gleichmäßig blieb. Er blickte nicht in ihre Richtung, sondern konzentrierte sich weiter auf die eigene Arbeit. Er ärgerte sich immer noch, daß man ihm und Brett keine Chance gegeben hatte, sich irgendwie an dem Fund zu beteiligen, der ihnen vielleicht bevorstand. Sie ging auf die nächste Treppe zu. Wenn ihr Schwierigkeiten habt und Hilfe braucht - ich bin auf der Brücke.« »Richtig«, sagte Brett leise. Parker blickte ihr nach und sah, wie ihre schlanke Gestalt nach oben verschwand. »Miststück.« Ash betätigte einen Schalter. Drei sich bewegende Silhoue tten wurden scharf und regelmäßig, verloren die verschwo mmenen Umrisse und wurden wieder klar, als der Bildverstärker seine Funktion aufnahm. Er überprüfte die anderen Monitore.
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Die drei Signale kamen jetzt glasklar herein. »Wie geht's denn?« wollte eine Stimme über das Interkom wissen. Er schaltete schnell den Schirm ab und drückte den Sprechknopf. »Bis jetzt alles klar.« »Wo sind sie?« fragte Ripley. »Die sind jetzt ziemlich dicht dran. Sie sind in felsigem Terrain, und das Signal wandert immer wieder aus, aber sie sind so nahe dran, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, sie könnten es verfehlen. Wir müssen jeden Augenblick von ihnen hören.« »Weil wir gerade von dem Signal reden, wissen wir inzwischen mehr darüber?« »Noch nicht.« »Hast du schon versucht, die Sendung durch den ECIU zu jagen, um sie genauer zu analysieren.« Ihre Stimme klang etwas ungeduldig. »Hör' zu, mich interessieren die Einzelheiten ebenso wie dich. Aber Mutter hat es noch nicht identifiziert, warum soll ich also daran herumbasteln?« »Darf ich es mal versuchen?« »Wenn du Lust hast«, erklärte er. »Schaden kann es nicht, und es vertreibt uns die Zeit. Sag mir Bescheid, wenn du etwas findest, falls du Glück hast.« »Yeah. Falls ich Glück habe.« Sie schaltete ab. Sie lehnte sich in ihrem Sessel auf der Brücke zurück. Jetzt, wo die anderen draußen und Ash unten in seiner Kuppel war, kam ihr die Brücke seltsam geräumig vor. Das war, soweit sie sich er innern konnte, das erste Mal, daß sie alleine auf der Brücke war. Es war ein seltsames Gefühl und eigentlich auch nicht ganz angenehm. Nun, wenn sie sich schon die Mühe machen würde, eine ECIU Analyse vorzunehmen, sollte sie jetzt anfangen. Sie
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drückte einen Schalter, und das gequälte fremdartige Klagen erfüllte die Brücke. Eilig drehte sie die Lautstärke zurück. Selbst, wenn man es leise hörte, ging es einem noch durch Mark und Knochen. Sie konnte sich gut vorstellen, daß es eine Stimme war, wie Lambert das vermutete. Freilich war das eine Vorstellung, die mehr der Fantasie als der wissenschaftlichen Erkenntnis entstammte. Reiß dich zusammen, Frau stelle fest, was die Maschine zu sagen hat, und laß deine emotionellen Reaktionen beiseite. Es war natürlich höchst unwahrscheinlich, daß ihr etwas gelang, was Mutter nicht geschafft hatte. Aber Ash hatte das richtig erkannt, es war immerhin etwas zu tun. Sie konnte es nicht ertragen, auf der leeren Brücke zu sitzen und nichts zu tun, das ließ ihr viel zuviel Zeit zum Nachdenken. Besser unnötige Arbeit, als überhaupt keine ...
4.
Je höher die verborgene Sonne stieg, desto heller wurde die blutrote Farbe der Atmosphäre. Jetzt war es ein verschwo mmenes, schmutziges Gelbrot, statt des vertrauten hellen Sonnenscheins der Erde, aber dennoch viel freundlicher anzusehen als vorher. Der Sturm hatte etwas nachgelassen; auch der Staub war nun weniger dicht. Zum ersten Mal konnten die drei müden Menschen weiter als ein paar Meter sehen. Bereits seit einiger Zeit hatte der Weg sie bergauf geführt. Das Terrain war immer noch hügelig, bestand aber, abgesehen von vereinzelten Basaltsäulen, aus erstarrter Lava. Es gab nur
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wenige schroffe Vorsprünge, weil das Gestein in ungezählten Äonen von der beständigen Winderosion zu sanften Rundungen abgeschliffen worden war. Kane hatte jetzt die Spitze übernommen und ging ein paar Schritte vor Lambert. Er rechnete jeden Augenblick damit, von ihr zu hören, daß sie das Signal wieder aufgefunden hatte. Er erstieg einen leichten Abhang, blickte nach vorne und rechnete damit, dieselbe Szenerie zu sehen, die sie bis jetzt begleitet hatte: geglättetes Felsgestein, das nach oben führte. Statt dessen entdeckten seine Augen etwas ganz anderes, so völlig unerwartet, daß sie sich hinter der schmutzigen durchsichtigen Gesichtsplatte seines Helms weiteten und er einen heiseren Ruf ausstieß. »DU GROSSER GOTT!« »Was ist denn? Was ist ...?« Lambert war, dicht gefolgt von Dallas, neben ihn getreten. Beide waren von dem unerwarteten Anblick ebenso schockiert, wie Kane das gewesen war. Sie hatten angenommen, daß das Notsignal von irgendeinem Mechanismus ausging, aber eine bildhafte Vorstellung hatten sie sich von dem Sender nicht gemacht. Der Sturm und die Notwendigkeit, dicht beieinander zu bleiben, hatte sie voll beschäftigt. Jetzt mit dem Gegenstand konfrontiert, der die Signale aussandte, einem Gegenstand, der wesentlich eindrucksvoller war als irgendeiner von ihnen erwartet hatte, war es einen Augenblick lang um ihre wissenschaftliche Distanz geschehen. Es war ein Schiff. Es war relativ intakt, aber fremdartiger, als irgendeiner von ihnen für möglich gehalten hätte. Dallas hätte es nicht gerade als unheimlich bezeichnet, aber es war doch in einer Art und Weise beunruhigend, wie das eigentlich bei einem technischen Gegenstand nicht sein dürfte. Die Linien des mächtigen Wracks waren klar, aber unnatürlich und gab dem Gebilde eine Aura des Bizarren.
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Es überragte sie und die Felsen, auf denen es ruhte. Nach dem, was sie davon sehen konnten, mußte es ebenso wie die Nostromo gelandet sein. Mit dem Bauch nach unten. Das Schiff war aus Metall und hatte die Form eines riesigen Us, wobei die beiden Hörner des Us ganz leicht nach innen aufeinander zugebogen waren. Der eine Arm war etwas kürzer als sein Gegenstück und stärker gebogen. Ob das auf einen Schaden zurückzuführen war oder eine fremdartige Konzeption von Symmetrie, konnten sie natürlich nicht wissen. Als sie näher kamen, stellten sie fest, daß das Fahrzeug sich an der Basis des Us etwas verdickte, wobei eine Reihe konze ntrischer Erhebungen wie dicke Platten sich am Ende in eine Kuppel verjüngten. Dallas kam zu dem Schluß, daß die beiden Hörner den Antrieb und die Maschinenräume des Schiffes enthielten, während in der dickeren Vorderpartie die Aufenthaltsräume, möglicherweise der Laderaum und die Brücke untergebracht waren. Aber ebensogut konnte es genau umgekehrt sein. Das Schiff lag allem Anschein nach leblos und ohne jegliche Aktivität da. Aus dieser Nähe war die inzwischen wieder aufgefundene Sendung ohrenbetäubend, und alle drei beeilten sich, die Lautstärke zu reduzieren. Das unbekannte Metall, aus dem der Rumpf bestand, schimmerte stumpf in dem immer heller werdenden Licht in seltsam glasiger Art, jedenfalls wie keine Legierung, die je von Menschenhand geformt worden war. Dallas war nicht einmal überzeugt, daß es sich um Metall handelte. Eine erste Untersuchung ließ nämlich erkennen, daß die Schiffshaut allem Anschein nach aus einem Stück zu bestehen schien; jedenfalls waren keinerlei Schweißnähte oder sonstige Verfahren zum Verbinden von Platten oder Rumpfteilen zu erkennen. Insgesamt vermittelte das fremde Schiff den seltsamen Eindruck, als wäre es gewachsen und nicht industriell hergestellt worden. Das war natürlich bizarr. Und unabhängig von der Baume-
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thode war die wesentliche Erkenntnis natürlich, daß es sich ohne jeden Zweifel um ein Schiff handelte. Der unerwartete Anblick hatte sie so verblüfft, daß keiner auch nur einen Gedanken darauf verwendete, was das sichtlich intakte Schiff in Gestalt von Prämien oder Bergegeldern wert sein mochte. Alle drei schrien gleichze itig in ihre Helmmikrofone. »Irgendein Schiff. Ja, ein Schiff«, wiederholte Kane immer wieder. Lambert studierte die gläsern schimmernde Oberfläche der gewölbten Schiffsflanken, das Fehlen jeglicher erkennbarer Außenaufbauten, und schüttelte verwundert den Kopf. »Bist du ganz sicher? Vielleicht ist es ein lokales Gebäude. Es ist wirklich unheimlich ... »Nee.« Kane blickte immer noch auf die zwei gebogenen Hörner, die das »Heck« des Schiffes bildeten. »Es ist nicht mit dem Boden verbunden. Selbst wenn man fremdartige architektonische Vorstellungen zugrundelegt, ist es doch ganz eindeutig, daß das kein Gebäude sein kann. Es ist ganz bestimmt ein Schiff.« »Ash, kannst du es sehen?« Dallas erinnerte sich jetzt, daß der Wissenschaftsoffizier über ihre Anzugvideokameras alles mitverfolgen konnte und das Wrack wahrscheinlich im selben Augenblick entdeckt hatte, in dem Kane seinen erschreckten Schrei ausgestoßen hatte. »Yeah, ich kann es sehen. Nicht besonders deutlich, aber gut genug, um Kanes Meinung zu teilen, daß es sich um ein Schiff handelt.« Ashs Stimme klang in ihren Helmen erregt. Zumindest so erregt, wie das bei dem Wissenschaftsoffizier möglich war. »Habe noch nie so etwas gesehen. Augenblick mal.« Sie wartete, während Ash die Anzeigegeräte studierte und ein paar schnelle Fragen in den Schiffscomputer tippte. »Mutter auch nicht«, meldete er dann. »Es ist ein völlig
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unbekannter Typ, er läßt sich mit nichts in Verbindung bringen, das wir je zuvor gefunden haben. Ist es so groß, wie es von hier aus wirkt?« »Eher größer«, erklärte Dallas. »Eine massive Konstruktion. Bis jetzt sind keinerlei Details zu erkennen. Wenn es im selben Maßstab gebaut ist wie unsere Schiffe, müssen die Erbauer ein gutes Stück größer als wir gewesen sein.« Lambert stieß ein nervöses Kichern aus. »Wir werden es ja sehen, wenn noch welche an Bord geblieben sind, um uns zu begrüßen.« »Wir sind ganz nahe und genau auf der Peillinie«, sagte Dallas zu Ash, ohne die Bemerkung der Navigatorin zu beachten. »Du solltest ein viel klareres Signal von uns empfa ngen. Was ist mit dem Notruf? Irgendwelche Verschiebungen? Wir sind zu nahe dran, um etwas festzustellen.« »Nein. Was dieses Signal erzeugt, muß im Inneren dieses Gebildes sein, da bin ich ganz sicher. Das muß so sein. Wenn es dahinter läge, hätten wir es nie durch diese Metallmasse aufnehmen können.« »Wenn es Metall ist.« Dallas untersuchte immer noch den Rumpf des fremden Schiffes. »Sieht eher wie Plastik aus.« »Oder Bein«, meinte Kane nachdenklich. »Angenommen, die Sendung kommt tatsächlich aus dem Inneren des Schiffes, was tun wir dann?« fragte sich Lambert. Der Erste Offizier trat einen Schritt vor. »Ich gehe hinein und sehe mich um, dann sage ich euch Bescheid.« »Langsam, Kane, sei nicht so verdammt wild auf Abenteuer. Irgendwann kriegst du damit noch mächtigen Ärger.« »Ich gehe hinein. Wir müssen doch etwas tun. Schließlich können wir nicht hier draußen rumstehen und warten, bis über dem Schiff irgendwelche magische Offenbarungen in der Luft auftauchen.« Kane blickte Dallas mit gerunzelter Stirn an. »Würdest du
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denn ernsthaft vorschlagen, daß wir nicht hineingehen?« »Nein, nein. Aber zu überstürzen brauchen wir auch nichts.« Er wandte sich dem Wissenschaftsoffizier im Schiff zu. »Empfängst du uns noch, Ash?« »Jetzt schwächer, seit ihr vor dem Sender steht«, kam die Antwort. »Das gibt einige Interferenz. Aber ich kann euch noch ganz gut hören.« »Okay. Ich sehe keine Lichter oder Lebenszeichen. Keinerlei Bewegung, abgesehen von diesem verdammten Staub. Versuche uns anzupeilen und setze alle Sensoren ein. Ich möchte wissen, ob du irgend etwas siehst oder findest, das wir nicht wahrnehmen können.« Ash brauchte eine Weile, um dem Befehl nachzukommen. Sie bewunderten immer noch die elegant unsymmetrischen Linien des riesigen Schiffes. »Ich habe alles versucht«, berichtete der Wissenschaftsoffizier schließlich. »Wir sind auf so etwas nicht eingerichtet. Die Nostromo ist ein Schlepper, kein Forschungsschiff. Um vernünftige Werte zu bekommen, würde ich eine Menge teures Zeug brauchen, das wir einfach nicht an Bord haben.« »Also gut was kannst du mir sagen?« »Von hier aus gar nichts. Ich kriege überhaupt keine eindeutigen Resultate. Von dem Gebilde geht soviel verschiedene Strahlung aus, daß ich nur einen Wirrwarr von Werten bekomme. Wir haben einfach nicht die richtigen Geräte dafür.« Dallas versuchte seine Enttäuschung vor den anderen zu verbergen. »Ich verstehe. Ist ohnehin nicht wichtig. Aber versuche es weiter. Und sag mir sofort Bescheid, wenn du etwas Auffälliges findest. Irgend etwas. Besonders, wenn sich etwas bewegen sollte. Keine Einzelheiten. Die Analyse übernehmen wir hier.« »Roger. Paßt gut auf euch auf.« »Was nun, Captain?« Dallas Blick wanderte an dem mächt i-
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gen Schiff entlang und kehrte dann zu Kane und Lambert zurück, die ihn beobachteten. Der Erste hatte natürlich recht. Das bloße Wissen, daß das Signal von diesem Schiff ausging, reichte nicht. Sie mußten versuchen, die Ursache des Signals zu erfahren, mußten herausfinden, was die Anwesenheit dieses Schiffes auf dieser winzigen Welt zu bedeuten hatte. So weit gekommen zu sein und dann das Innere des Fremden nicht zu erforschen, war einfach unvorstellbar. Schließlich war es die Neugierde gewesen, die die Menschheit von ihrer isolierten, unwichtigen Welt hinausgetrieben hatte über den Abgrund, der die Sterne voneinander trennte. Er traf seine Entscheidung, die einzig logische Entscheidung. »Von hier sieht es ziemlich tot aus. Wir nähern uns zuerst der Basis. Und dann, wenn sich nichts zeigt ...« Lambert sah ihn an. Ja?" »Dann ... das werden wir ja dann sehen.« Sie gingen auf das Schiff zu, der überflüssige Sucher baume lte von Lamberts Gürtel. »Ich kann jetzt nur ...«, sagte Dallas, als sie sich dem mächt igen Schiff näherten. An Bord der Nostromo verfolgte Ash jedes Wort, das gesprochen wurde, und dann verstummte Dallas Stimme plötzlich. Sie kam noch einmal kräftig durch und verschwand dann ganz. Gleichzeitig verlor Ash den Bildkontakt. »Dallas!« Er betätigte in fieberhafter Eile ein paar Schalter an der Konsole und versuchte den bereits überlasteten Kameras höheren Kontrast abzugewinnen. »Dallas, kannst du mich hören? Ich hab' dich verloren, wiederhole, verloren ...« Nur das gleichmäßige thermonukleare Zischen der lokalen Sonne hallte klagend aus den Lautsprechern ... Wenn man unmittelbar unter dem Rumpf stand, war die kolossale Größe des fremden Raumschiffs noch beeindruckender. Es wölbte sich über ihnen, stieg in den mit Staub belade-
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nen Himmel auf und wirkte viel massiver als das zerklüftete Felsgestein, auf dem es ruhte. »Immer noch keine Spur von Leben«, murmelte Dallas halb im Selbstgespräch, während er den Rumpf musterte. »Keine Lichter, keine Bewegung.« Er deutete auf das, was er für den Bug des Schiffes hielt. »Und kein Weg nach innen. Versuchen wir es in der Richtung.« Während sie vorsichtig über zersplittertes Gestein und lose Felsbrocken stiegen, wurde Dallas bewußt, wie klein er sich angesichts des fremden Schiffes vorkam. Nicht im physischen Sinne, obwohl der mächtige Bogen des Rumpfes die drei Menschen wie Zwerge erscheinen ließ, sondern unbedeutend und winzig im kosmischen Maßstab. Die Menschheit wußte immer noch sehr wenig vom Universum, hatte nur den winzigen Bruchteil eines einzigen Winkels erforscht. Es war erregend und intellektuell in hohem Maße befriedigend, wenn man hinter einem Teleskop stand, Spekulationen über das anzustellen, was in den schwarzen Abgründen auf einen wartete, aber es war eine völlig andere Sache, das isoliert auf einem unangenehm kleinen Staubkorn von einer Welt wie dieser hier zu tun, überragt von einem Schiff nichtmenschlicher Herkunft, das eher einem natürlichen Gewächs glich als einem vertrauten Mechanismus zum Manipulieren und Überwinden der Gesetze der Physik. Das, so gestand er sich im stillen, störte ihn an dem Wrack am meisten. Hätte es in seinen Umrissen und seiner Zusammensetzung mehr dem Hergebrachten entsprochen, so wäre ihm sein nichtmenschlicher Ursprung nicht so bedrohlich vorgekommen. Er schrieb seine Gefühle nicht einfacher Xenophobie zu. Nur hatte er eben nicht erwartet, daß das Fremde derart fremd sein würde. »Es kommt etwas.« Er sah, daß Kane auf den Schiffsrumpf vor ihnen deutete. Zeit, sich von müßigen Spekulationen zu
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befreien, sagte er sich. Zeit, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Dieses seltsame Gebilde war ein Raumfahrzeug, das sich nur oberflächlich von der Nostromo unterschied. An dem Material, aus dem es gebaut war, war nichts Böses, an der Konstruktion nichts Bedrohliches. Ersteres war das Resultat einer anderen Technologie, letzteres entsprang wahrscheinlich in erster Linie ästhetischen Vorstellungen. So betrachtet, nahm das Schiff eine Art exotischer Schönheit an. Ohne Zweifel erregte sich Ash inzwischen bereits über die einzigartige Konstruktion des Schiffes und wünschte bei ihnen zu sein. Dallas bemerkte Lamberts unveränderten Ausdruck und wußte, daß es zumindest eine Person unter den Mitgliedern seiner kleinen Expedition gab, die ohne zu zögern mit dem Wissenschaftsoffizier den Platz getauscht hätte. Kane hatte auf drei dunkle Flecken an der Flanke des Rumpfes hingewiesen. Als sie näher kamen, wurden aus den Flecken ovale Öffnungen, die neben Höhe und Breite auch Tiefe zeigten. Schließlich standen sie unmittelbar unter den drei Pockenna rben des Metalls (oder der Plastikmasse? Glas? oder was sonst?) des Rumpfes. Hinter den außen liegenden Ovalen gähnten engere, noch dunklere Öffnungen. Der Wind fegte Staub und Bimsstein durch die Öffnungen, ein Zeichen dafür, daß sie schon seit einiger Zeit offen standen. »Sieht wie ein Eingang aus«, mutmaßte Kane, während er mit auf die Hüften gestützten Händen dastand und die Öffnungen studierte. »Vielleicht eine Art Luftschleuse. Seht ihr die inneren Öffnungen dahinter?« »Wenn es Schleusen sind, warum dann alle drei so dicht beisammen?« Lambert musterte die Öffnungen argwöhnisch. »Und warum stehen sie alle offen?« »Vielleicht hatten die Erbauer des Schiffes etwas für die Zahl
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drei übrig.« Kane zuckte die Achseln. »Wenn wir einen finden, kannst du ihn fragen.« »Sehr komisch.« Sie lächelte nicht. »Vielleicht war es so, aber warum haben sie dann alle drei offengelassen.« »Wir wissen nicht, daß sie offen sind.« Dallas war von den glattlippigen Ovalen fasziniert, die so völlig anders waren, als die schwerfälligen viereckigen Schleusenöffnungen der Nostromo. Sie schienen in die Außenhaut des Rumpfes eingearbeitet, anstatt nachträglich mit schwerfälligen Schweißnähten und Bolzen befestigt. »Was die Frage angeht, warum sie vielleicht offenstehen, falls das tatsächlich der Fall ist«, fuhr Dallas fort, »nun, vielleicht wollte die Mannschaft schnell heraus.« »Warum brauchen sie dazu drei offene Schleusen?« Jetzt riß Dallas die Geduld. »Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?« Doch gleich darauf fügte er hinzu: »Tut mir leid ... das war überflüssig.« »Nein, das war es nicht.« Diesmal grinste sie leicht. »Es war eine dumme Frage.« »Höchste Zeit, daß wir uns ein paar Antworten holen.« Nach einem prüfenden Blick auf den Boden, um nicht auf dem lockeren Gestein zu Fall zu kommen, stieg er die leichte Neigung zu den Öffnungen hinauf. »Wir haben lange genug gewartet. Gehen wir hinein, wenn wir das können.« »Irgend jemand kann das ja als Schleuse betrachten.« Kane studierte das Innere der Öffnung, die sie jetzt betraten. »Aber ich nicht.« Dallas war bereits drinnen. »Die Oberfläche ist fest. Die zweite Türe oder Luke oder was auch immer das sein soll, steht ebenfalls offen.« Und nach kurzer Pause: »Hier ist eine große Kammer.« »Wie steht es mit Licht?« Lambert griff nach ihrer Taschenlampe, die sie neben der Pistole an der Hüfte trug.
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»Für den Augenblick scheint es auszureichen. Spart euch eure Lampen, bis wir sie brauchen. Kommt herein.« Kane und Lambert folgten ihm durch einen kurzen Korridor, der sie in einen Raum mit hoher Decke führte. Wenn es in diesem Abschnitt des Schiffes Anzeigegeräte, Skalen oder irgendwelche Instrumente gab, so waren sie hinter grauen Wänden verborgen. Eine Art Rippen von rundem Querschnitt umspannten Boden, Decke und Wände. Das Ganze erinnerte frappierend und unangenehm an einen menschlichen Brustkorb. Gespenstisches Licht von draußen fiel auf Staubpartikeln, die in der fast unbewegten Luft der unheimlichen Kammer schwebten. Dallas sah seinen Ersten Offizier an. »Was meinst denn du?« »Keine Ahnung. Der Laderaum vielleicht - oder Teil eines komplizierten Schleusensystems? Ja, das ist's wohl. Wir haben gerade eine Doppeltür passiert, und das hier ist die eigentliche Schleuse.« »Mächtig groß für eine Luftschleuse.« Lamberts Stimme klang in ihren Helmen ganz leise. »Ist auch nur eine Vermutung. Wenn die Insassen dieses Schiffes ihm gegenüber die gleiche Proportion hatten, wie wir zur Nostromo, brauchten sie wahrscheinlich eine Schleuse dieser Größe. Aber ich muß zugeben, daß mir die Vorstellung eines Laderaumes eher einleuchtet. Vielleicht erklärt das sogar, warum drei Eingänge benötigt wurden.« Er wandte sich um und sah, wie Dallas sich über ein schwarzes Loch im Boden beugte. »He, Vorsicht, Dallas! Wir haben keine Ahnung, was dort unten lauern könnte oder wie tief das Loch ist.« »Dieses Schiff steht nach außen offen, und bis jetzt hat niemand unser Eindringen zur Kenntnis genommen. Ich glaube nicht, daß hier drinnen irgend etwas lebt.« Dallas nahm seine Lampe vom Gürtel, knipste sie an und richtete den grellen
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Strahl nach unten. »Siehst du etwas?« fragte Lambert. »Yeah.« Kane grinste. »Zum Be ispiel einen Hasen mit einer Armbanduhr?« Es klang fast hoffnungsvoll. »Gar nichts sehe ich.« Dallas ließ den Lichtstrahl langsam kreisen. Es war ein eng gebündelter kräftiger Strahl. »Was ist es denn?« Lambert war neben ihn getreten, hielt sich aber vorsichtig ein paar Schritte von dem Abgrund entfernt. »Noch ein Laderaum?« »Das kann man von hier aus nicht sagen. Es führt einfach nach unten. Glatte Wände soweit mein Lichtstrahl reicht. Keine Spur von Handgriffen oder einem Lift, einer Leiter oder sonst einer Möglichkeit, hinunterzukommen. Ich sehe den Boden nicht. Das Licht reicht nicht weit genug. Muß ein Zugangsschacht oder so etwas ähnliches sein.« Er schaltete seine Lampe aus, trat einen Meter von dem Loch zurück und hakte Geräte von seinem Gürtel los. Er legte sie auf den Boden, nahm den Tornister ab, legte ihn daneben und sah sich dann in der schwach beleuchteten grauen Kammer um. »Was auch immer dort unten ist, wartet. Sehen wir uns zuerst hier um. Ich möchte sicher gehen, daß wir keine Überraschungen erleben. Vielleicht finden wir sogar einen bequemeren Weg nach unten.« Er ließ noch einmal seine Lampe aufleuc hten und ließ den Lichtkegel über die Wände gleiten. So sehr sie auch an das Innere eines Wals erinnerten, blieben sie erfreulich reglos. »Wir können uns jetzt ruhig trennen, aber wir sollten uns nicht zu weit voneinander entfernen. Unter keinen Umständen sollten wir einander aus den Augen verlieren. Länger als ein paar Minuten dürfte das nicht dauern.« Kane und Lambert schalteten ihre eigenen Lampen ein. Dann begannen sie, den großen Saal zu erforschen. Auf dem Boden lagen verstreut Fragmente irgendeines grauen
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Materials. Zum größten Teil war es unter kleinen Staubdünen vergraben, die irgendwie in das Schiff eingedrungen waren. Kane kümmerte sich nicht um das Zeug. Sie suchten nach etwas, das noch intakt war. Plötzlich fiel der Lichtkegel von Dallas' Lampe auf ein Gebilde, das nicht zum Boden oder den Wänden gehörte. Er trat näher und sah sich die Umrisse des Gegenstandes genauer an. Es schien sich um eine kleine Urne oder Vase von hellbrauner, glänzender Farbe zu handeln. Er trat näher, hielt die Lampe so, daß er hineinsehen konnte. Leer. Enttäuscht ging er weiter und wunderte sich darüber, daß etwas dem Anschein nach so Zerbrechliches ganz geblieben war, während andere dauerhaftere Substanzen offenbar zerbrochen waren. Freilich war es durchaus möglich, daß das Material der Urne selbst dem Hitzestrahl seiner Pistole widerstehen würde. Er war schon fast bereit, zu dem Schacht im Boden zurückzukehren, als sein Lichtstrahl auf etwas Kompliziertes und offenkundig Mechanisches fiel. In den halborganisch wirkenden Wänden des fremden Schiffes war das beruhigend funktionelle Aussehen dieses Gegenstandes gleichsam eine Erleichterung, wenn er sich auch keinerlei Vorstellung machen konnte, was es darstellte oder wie er gebaut war. »Hierher!« »Irgend etwas passiert?« fragte Kane. »Nein, gar nicht. Ich habe einen Mechanismus gefunden.« Lambert und Kane eilten auf ihn zu, ihre Stiefel ließen kleine Stauhfontänen aufsteigen. Jetzt beleuchteten auch ihre Lampen das, was Dallas gefunden hatte. Alles schien still und tot, obwohl Dallas das merkwürdige Gefühl beschlich, als funktionierte irgendwo hinter diesen seltsam geformten Paneelen eine geduldige Kraft. Der Anblick einer einzelnen Metallstange, die
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sich langsam und gleichmäßig in einer Art Schiene vor und zurück bewegte, deutete auf mechanisches Leben hin, auch wenn es nach den Sensoren ihrer Anzüge völlig lautlos geschah. »Das scheint noch zu funktionieren. Ich möchte nur wissen, wie lange es schon so auf und ab fährt.« Kane untersuchte das Gerät fasziniert. »Und dann möchte ich wissen, was es macht.« »Das kann ich dir sagen.« Sie wandten sich Lambert zu, die bestätigte, was Dallas bereits vermutet hatte. Sie hielt ihren Sucher in der Hand, das Instrument, das sie von der Nostromo hergeführt hatte. »Das ist der Sender. Automatischer Notruf, wie wir es vermutet haben. Sieht so sauber aus, als wäre es nagelneu, obwohl es wahrscheinlich das Signal schon seit Jahren absetzt.« Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht seit Jahrzehnten. Oder noch viel länger.« Dallas führte ein kleines Gerät über den fremden Mechanismus. »Elektrostatische Ablenkung. Das erklärt, weshalb kein Staub darauf liegt. Schade. Hier drinnen ist kein Wind, und die Dicke der Staubschicht könnte uns einen Hinweis darauf geben, wie lange die Maschine schon läuft. Sie scheint tragbar zu sein.« Er schaltete den Scanner ab und schob ihn wieder in das Futteral, das er am Gürtel trug. »Hat sonst noch jemand etwas gefunden?« Sie schüttelten beide den Kopf. »Nur Wände mit Rippen und Staub.« Kane schien enttäuscht. »Kein Hinweis auf eine Öffnung, die in einen anderen Abschnitt des Schiffes führt? Keine weiteren Löcher im Boden?« Wieder die doppelte Verneinung. »Dann bleibt uns nur der Schacht, es sei denn, wir bohren ein Loch in die nächste Wand. Ich glaube, wir sollten zunächst ersteres versuchen, ehe wir hier Dinge kaputtmachen.« Er sah, daß Kane die Achseln zuckte. »Willst du aufgeben?« »Noch nicht. Das tue ich erst, wenn wir jeden Zentimeter
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dieser großen grauen Bestie durchsucht haben und außer glatten Wänden und versiegelten Maschinen nichts finden.« »Mich würde das überhaupt nicht stören«, sagte Lambert. Ihr Gesichtsausdruck machte allen klar, daß das auch ihre feste Überzeugung war. Sie gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren, und reihten sich vorsichtig am Rande der kreisförmigen Öffnung im Deck auf. Dallas kniete nieder, was in dem Schutzanzug nicht ganz einfach war, und betastete, so gut das ging, den Rand des Schachtes. »Mit diesen verdammten Handschuhen kann man nicht viel sagen, aber es fühlt sich regelmäßig an. Der Schacht muß ein normaler Bestandteil des Schiffes sein. Ich dachte, er könnte durch eine Explosion entstanden sein. Schließlich haben wir einen Notruf aufgefangen.« Lambert studierte das Loch. »Eine Hohlladung könnte tatsächlich ein glattes Loch wie dieses erzeugen.« »So etwas macht dir richtig Spaß, wie?« Dallas war enttäuscht. »Aber ich bin trotzdem der Ansicht, daß es ein normaler Teil dieses Schiffes ist. Die Wände sind zu regelmäßig. Selbst für eine Hohlladung, und wäre sie noch so kräftig.« »Ich habe ja nur meine Meinung gesagt.« »Jedenfalls haben wir nun die Wahl, da hinunterzusteigen, ein Loch in eine Wand zu blasen oder wieder hinauszugehen und uns einen anderen Eingang zu suchen.« Er blickte zu Kane hinüber, der auf der anderen Seite des Schachtes stand. »Das ist deine große Chance.« Der Erste Offizier wirkte gleichgültig. »Wenn du willst, mir soll's recht sein. Und wenn mir nach Großzügigkeit zumute ist, sage ich dir sogar über die Diamanten Bescheid.« »Was für Diamanten?« »Die ich dort unten in den alten Kisten finden werde.« Er deutete in das Loch.
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Lambert half ihm das Klettergerät anzulegen, vergewisserte sich, daß das Geschirr siche r an seinen Schultern und dem Rükken befestigt war und drückte dann den Prüfknopf. Ein leises Summen im Lautsprecher seines Helms verriet ihm, daß alles in Ordnung war. An der Vorderseite des Gerätes blinkte ein grünes Licht. »Fertig.« Er sah Dallas an. »Bist du soweit?« »Einen Augenblick noch.« Der Kapitän hatte aus ein paar Metallstreben ein Dreibein aufgebaut. Das Gebilde wirkte zerbrechlich, viel zu dünn, um das Gewicht eines Mannes zu tragen. In Wirklichkeit hätte es sie alle drei ausgehalten, ohne sich auch nur einen Millimeter zu verbiegen. Jetzt stellte Dallas es so auf, daß die Spitze über dem Schacht stand. Die drei Beine wurden mit Klammern mit dem Deck verbunden. An der Spitze hing eine kleine Vorrichtung, die aus einer Winde und einer Spule mit dünnem Kabel bestand. Dallas rollte zwei Meter davon ab und reichte Kane das Ende. Der Erste befestigte es an dem Karabinerhaken an seiner Brust, überzeugte sich, daß das Kabel hielt und forderte Lambert dann auf, sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegenzustemmen. Es hielt. »Du darfst das Kabel unter keinen Umstanden aushaken«, sagte Dallas streng. »Selbst wenn du haufenweise Diamanten glitzern siehst.« Er überprüfte seinerseits die Kabeleinheit. Kane war ein guter Offizier. Die Schwerkraft war hier zwar geringer als auf der Erde, würde aber völlig ausreichen, um Hackfleisch aus Kane zu machen, wenn er abstürzte. Sie hatten keine Ahnung, wie tief der Schacht in die Eingeweide des Schiffes hinunterführte. Vielleicht handelte es sich sogar um einen Bergwerksschacht, der sich unter dem Rumpf fortsetzte und ins Innere des Planeten führte. Plötzlich mußte Dallas grinsen. Vielleicht würde Kane doch noch seine Diamanten finden.
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»Du kommst in weniger als zehn Minuten zurück«, befahl er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Klar?« »Aye, aye.« Kane setzte sich vorsichtig und ließ die Beine über den Rand baumeln. Dann packte er das Kabel mit beiden Händen, stieß sich ab und hing in der Mitte der Öffnung. Die untere Hälfte seines Körpers war bereits nicht mehr zu sehen. »Wenn du nicht in zehn Minuten wieder zurück bist, ziehe ich dich heraus«, warnte ihn Dallas. »Beruhige dich. Ich werd' ein braver Junge sein. Außerdem kann ich auf mich selbst aufpassen.« Er hörte auf, hin und her zu pendeln, und hing nun bewegungslos über dem Abgrund. »Tu das. Und halt uns auf dem laufenden.« »Roger.« Kane schaltete das Klettergerät ein. Das Kabel entrollte sich gleichmäßig, und er sank in den Schacht. Er spreizte die Beine und berührte prüfend die glatten Schachtwände. Wenn er sich zurücklehnte und die Füße gegen die vertikale Wand stemmte, konnte er nach unten gehen. Bemüht, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, schaltete er seine Lampe ein und richtete den Scheinwerferkegel nach unten. Jetzt konnte er zehn Meter matt glänzendes Metall sehen. Dahinter war undurchdringliche Schwärze. »Hier drinnen ist es wärmer«, meldete er, nachdem er kurz die Sensoren seines Anzugs überprüft hatte. »Das muß warme Luft sein, die von unten aufsteigt. Könnte ein Teil der Maschinenanlage sein, wenn die noch funktioniert. Irgendetwas muß ja schließlich diesen Sender mit Energie versorgen.« Er stieß sich von der Wand ab, ließ mehr Kabel abrollen und setzte seinen Abstieg fort. Nach einigen Minuten hielt er inne, um sich kurz auszuruhen. Es war tatsächlich merklich wärmer geworden und wurde noch wärmer, je weiter er nach unten kam. Der plötzliche Klimawechsel belastete das Kühlsystem seines Anzugs, und er begann zu schwitzen, wenn auch die Klimaanlage im Helm dafür sorgte, daß seine Gesichtsplatte
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klar blieb. Sein Atem hallte laut im Helm wider, und er machte sich Sorgen, weil er wußte, daß Dallas und Lambert es hören konnten. Er wollte nicht, daß man ihn schon zurückrief. Er lehnte sich zurück, blickte nach oben und sah die Mündung des Schachts, einen runden Lichtkreis in einem schwarzen Rahmen. Jetzt tauchte ein dunkler Punkt auf und schob sich in den Lichtkreis. Ein Lichtstrahl wurde von der glatten Wand reflektiert. »Alles klar dort unten?« »Okay. Nur mächtig heiß. Ich kann dich noch sehen. Bin noch nicht auf dem Grund.« Er holte tief Luft, dann noch einmal, suchte seine Lungen zu füllen. Der Regulator seines Tanks summte protestierend. »Das ist schwere Arbeit. Ich kann jetzt nicht mehr reden.« Er beugte die Knie und stieß sich wieder von der Wand ab, ließ noch mehr Kabel abrollen. Inzwischen hatte er sich etwas mit seiner Umgebung vertraut gemacht und fühlte sich sicherer. Der Schacht führte weiterhin nach unten. Bis jetzt waren keine Anzeichen sichtbar geworden, daß er sich verengte oder seine Richtung veränderte. Und falls er weiter wurde, sollte ihn das nicht stören. Das nächste Mal stieß er sich kräftiger ab und machte längere und längere Sprünge, fiel in der Dunkelheit immer schneller. Der Lichtkegel seiner Lampe schien unverändert in die Tiefe, zeigte ihm aber nichts als dieselbe monotone unveränderte Dunkelheit. Als er wieder verschnaufen mußte, hielt er inne und überprüfte die Instrumente seines Anzugs. »Interessant«, sagte er dann ins Mikrofon. »Ich bin jetzt bereits unter dem Bodenniveau.« »Wir hören«, erwiderte Dallas. Dann mußte er wieder an Bergwerksschächte denken und fragte: »Irgendeine Veränderung in deiner Umgebung? Immer noch der gleiche Wandbelag?« »Soweit ich sehen kann. Wie steht's mit der Leine?«
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Eine kurze Pause, in der Dallas das auf der Rolle verbliebene Kabel überprüfte. »Gut. Du hast noch mehr als fünfzig Meter. Wenn der Schacht noch weiter in die Tiefe führt, müssen wir abbrechen und uns vom Schiff ein anderes Gerät holen. Aber ich glaube nicht, daß der Schacht so weit nach unten führt.« »Wieso?« Dallas Stimme klang nachdenklich. »Dann würden die Proportionen des Schiffes nicht mehr stimmen.« »Die Proportionen in bezug auf was und wessen Gefühl für Proportionen?« Darauf wußte Dallas keine Antwort. Ripley hätte ihre Suche aufgegeben, wenn sie etwas Besseres zu tun gehabt hätte. Aber das war nicht der Fall. Am ECIUBrett zu spielen war aber immer noch besser, als in einem leeren Schiff herumzuwandern oder die unbesetzten Liegen anzustarren, die sie umgaben. Und dann stupste irgendeine Veränderung in den Prioritäten ihrer Fragestellung etwas in dem gigantischen Informationsspeicher des Schiffes an. Der Text flackerte so abrupt über den Bildschirm, daß sie ihn beinahe gelöscht und die nächste Serie begonnen hätte, ehe ihr klar wurde, daß sie tatsächlich eine vernünftige Antwort erhalten hatte. Das war das Unangenehme an Computern, dachte sie, sie hatten einfach keinen Sinn für Intuition. Sie konnten nur Schlüsse ziehen - die richtigen Fragen mußte ein Mensch ihnen stellen. Sie studierte den Bildschirmtext gebannt, runzelte die Stirn und tippte dann weitere Fragen ein. Manchmal konnte Mutter einem ausweichen, ohne es zu wollen. Man mußte sich darauf verstehen, diese verwirrenden Einzelheiten zu vermeiden. Aber diesmal war der Text, den sie las, ganz klar und ließ auch keinen Platz für Mißverständnisse. Dabei wäre ihr das vielleicht sogar lieber gewesen. Sie drückte den Knopf der Sprechanlage. Sofort meldete sich eine Stimme.
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»Wissenschaftskuppel. Was ist Ripley?« »Es ist sehr wichtig, Ash, und dringend.« Sie sprach in kurzen, abgehackten Sätzen. »Ich habe endlich etwas aus der Gedächtnisbank. Über ECIU. Vielleicht ist es gerade erst gekommen. Ich weiß nicht, aber darauf kommt es nicht an.« »Gratuliere.« »Das ist jetzt nicht wichtig«, herrschte sie ihn besorgt an. »Mutter hat allem Anschein nach einen Teil der fremden Sendung entziffert. Sie ist sich nicht sicher, aber nach dem, was ich lese, fürchte ich, daß das Signal kein SOS-Ruf ist.« Das brachte Ash zum Schweigen, wenn auch nur einen Augenblick lang. Als er dann antwortete, war seine Stimme so ruhig und emotionslos wie immer, trotz der Bedeutung von Ripleys Mitteilung. Sie bewunderte seine Ruhe. »Wenn es kein Notruf ist, was ist es dann?« fragte er ruhig. »Und warum so nervös? Du bist doch nervös, oder?« »Kann man wohl sagen, daß ich nervös bin! Mehr als nervös, wenn Mutter recht hat. Sie sagt, sie sei sich nicht sicher, aber das Signal könnte eine Warnung sein.« »Was für eine Warnung?« »Als ob das etwas zu bedeuten hätte - was für eine Warnung!« »Es gibt keinen Anlaß zum Schreien.« Ripley atmete ein paarmal kurz durch und zählte dann bis fünf. »Wir müssen sie erreichen. Die müssen das sofort erfahren.« »Der Ansicht bin ich auch«, sagte Ash bereitwillig. »Aber es nützt nichts. Als sie das fremde Schiff betraten, haben wir sie völlig verloren. Ich habe jetzt schon seit einiger Zeit keinen Kontakt mehr mit ihnen. Die Nähe des fremden Senders im Verein mit der seltsamen Zusammensetzung des fremden Schiffes hat alle meine Versuche vereitelt, die Verbindung wiederherzustellen. Und du kannst mir glauben, daß ich es
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versucht habe!« Und was er dann sagte, klang fast wie eine Herausforderung. »Du kannst ja selbst versuchen, mit ihnen Verbindung zu bekommen, wenn du das willst. Ich bin dir gerne behilflich.« »Hör zu, ich habe mit keinem Wort behauptet, daß ich dich für unfähig halte, Ash. Wenn du sagst, daß wir sie nicht erreichen können, dann können wir sie nicht erreichen. Aber verdammt noch mal, sie müssen es erfahren!" »Was schlägst du vor?« Sie zögerte und meinte dann entschlossen: »Ich gehe ihnen nach. Ich werde es ihnen persönlich sagen.« »Das glaube ich nicht.« »Ist das ein Befehl, Ash?« Sie wußte, daß der Wissenschaft soffizier in Notsituationen wie dieser Befehlsgewalt über sie hatte. »Nein, aber gesunder Menschenverstand. Verstehst du denn nicht? Überleg doch, Ripley«, drängte er sie, »ich weiß, daß ich dir nicht besonders sympathisch bin, aber versuch doch einmal, das Ganze rational zu Sehen. Wir können das einfach nicht riskieren. Wir vier du und ich und Parker und Brett sind die Mindestzahl, die benötigt wird, um einen Start durchzuführen. Drei runter, vier drauf. Das ist die Vorschrift. Deshalb hat Dallas uns alle an Bord gelassen. Wenn du ihnen jetzt nachläufst, aus welchem Grund auch immer, dann sitzen wir hier fest, bis jemand zurückkommt. Wenn sie nicht zurückkommen, wird niemand erfahren, was hier geschehen ist.« Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Außerdem haben wir keinen Anlaß, irgend etwas zu befürchten. Wahrscheinlich ist dort alles in bester Ordnung.« »Also gut.« Es fiel ihr schwer nachzugeben. »Ich räume ein, daß du recht hast. Aber das ist eine Ausnahmesituation. Ich bin trotzdem der Ansicht, daß ihnen jemand nachgehen sollte.« Sie hatte Ash noch nie seufzen hören, und das tat er auch jetzt
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nicht, aber danach zumute war ihm ganz bestimmt. »Was soll das Ganze?« Er sagte es ganz ruhig, als wäre es sonnenklar. »In der Zeit, die einer von uns brauchen würde, um zu ihnen zu kommen, erfahren sie ohnehin, ob es ein Warnsignal ist oder nicht. Habe ich recht?« Ripley gab keine Antwort, sondern starrte Ash auf dem Monitorschirm an. Der Wissenschaftsoffizier erwiderte ihren Blick. Was sie nicht sehen konnte, war das Diagramm auf dem Monitorschirm seiner Konsole. Sie hätte es sehr interessant gefunden.
5.
Von der kurzen Rast erfrischt, stieß Kane sich von der glatten Schachtwand ab und setzte seinen Weg in die Tiefe fort. Ein zweites Mal stieß er sich ab, wartete darauf, daß seine Stiefel erneut die Wand berührten. Aber diesmal blieb der Kontakt aus, er segelte ins Leere. Die Wände des Schachts waren verschwunden. Er schwang frei am Ende des Kabels. Irgendein Raum, dachte er. Vielleicht wieder eine Kammer, wie die große oben. Jedenfalls hatte der Schacht in diesen Raum geführt. Der anstrengende Abstieg ließ seinen Atem schneller gehen, und er spürte auch, daß es erneut wärmer geworden war. Seltsam, aber jetzt schien die Finsternis ihn stärker einzuengen als vorher, als er sich noch in dem Schacht bewegt hatte. Er überlegte, was wohl unter ihm liegen mochte, wie weit es entfernt war und was passieren würde, wenn das Kabel jetzt riß. Ruhig Blut, Kane, redete er sich ein. Du mußt weiter an
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Diamanten denken. Funkelnde große Diamanten, klar und lupenrein, viele Karat. Nicht an diese nebelartige Schwärze, in der du jetzt hängst, diese Finsternis, die den Hauch fremder Gespenster trug. Erinnerungen und ... Verdammt, jetzt tat er es schon wieder. »Siehst du etwas?« Erschreckt riß er reflexartig an dem Kabel und fing wieder zu schwingen an. Er benutzte den Mechanismus, um zur Ruhe zu kommen und räusperte sich dann, ehe er Antwort gab. Er durfte nicht vergessen, daß er nicht alleine hier unten war. Dallas und Lambert warteten über ihm, gar nicht weit entfernt. Und einen bescheidenen Fußmarsch südwestlich des Wracks lag die Nostromo, angefüllt mit dem heimeligen Duft von Kaffee, vertrauten Schweißausdünstungen und dem beruhigenden Komfort des Kälteschlafs. Einen Augenblick lang wünschte er sich fast verzweifelt, wieder an Bord des Schiffes zu sein. Und dann machte er sich klar, daß es auf dem Schlepper keine Diamanten gab und ganz bestimmt keinen Ruhm. Hier hingegen war vielleicht beides zu finden. »Nein, nichts. Unter mir ist jetzt eine Höhle oder ein Raum. Ich bin aus dem Schacht raus.« »Höhle? Reiß dich zusammen, Kane. Du bist immer noch im Schiff.« »Bin ich das? Denk an das, was wir von Bergwerksschächten gesprochen haben? Vielleicht stimmt das doch.« »Dann solltest du jetzt jeden Augenblick in deinen verdammten Diamanten schwimmen.« Beide Männer lachten, Dallas Stimme klang aus dem Helmlautsprecher hohl und verzerrt. Kane versuchte sich die Schweißtropfen von der Stirn zu schütteln. Das war das Unangenehme an Schutzanzügen. Wenn sie einen kühl hielten, waren sie Klasse, aber wenn man zu schwitzen anfing, konnte
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man sich nichts abwischen, bloß die Gesichtsplatte, und das nützte nichts. »Okay, dann ist es eben keine Höhle. Jedenfalls ist es hier unten warm wie in einer Sauna.« Er lehnte sich etwas zur Seite und überprüfte die Instrumente, die er am Gürtel trug. Er war weit genug unter der Oberfläche, um sich in einer Höhle zu befinden, aber bis jetzt hatte er nichts gefunden, was darauf hindeutete, daß er sich irgendwo anders, als in den Eingeweiden des fremden Schiffes befand. Es gab nur eine Möglichkeit, sich da zu vergewissern. Er mußte den Boden finden. »Wie ist die Luft dort unten? Außer daß sie heiß ist.« Wieder ein Blick auf die Instrumente. »Ganz ähnlich wie draußen. Hoher Stickstoffgehalt, wenig bis gar kein Sauerstoff. Die Wasserdampfkonzentration ist hier unten sogar noch höher, das kommt von dem Temperaturanstieg. Wenn du willst, kann ich eine Probe nehmen. Ash kann sich dann ja daran versuchen.« »Laß das jetzt ruhig. Mach weiter.« Kane drückte einen Schalter. Sein Gürtel registrierte die Zusammensetzung der Atmosphäre am gegenwärtigen Ort. Das sollte Ash befriedigen, wenn auch eine Probe besser gewesen wäre. Immer noch schwer atmend schaltete Kane die Einheit an seiner Brust wieder ein. Mit vertrauenerweckendem Sum men fuhr das Gerät fort, ihn langsam in die Tiefe absinken zu lassen. Es war ein einsameres Gefühl, als wenn man durch den Weltraum fällt. Während das Kabel sich abspulte und er sich langsam im Kreise drehte, sank er durch völlige Finsternis. Kein Stern, kein Nebel war zu sehen. Die friedliche Schwärze hatte ihn so völlig ruhig gemacht, daß er beinahe einen Schock empfand, als seine Stiefel auf festen Boden trafen. Er grunzte überrascht und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Dann richtete er sich auf und
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schaltete die Klettereinheit ab. Er war schon im Begriff, das Kabel zu lösen, als er sich an Dallas Anweisung erinnerte. Es würde recht schwierig sein, seine Umgebung zu erforschen, solange er an dem störenden Kabel hing, aber Dallas würde wütend werden, wenn er feststellte, daß Kane sich von dem Kabel gelöst hatte. Blieb ihm also nur, zu beten, daß das blöde Ding sich nicht irgendwo verhedderte. Sein Atem ging jetzt etwas ruhiger, und er schaltete seine Lampe und die Anzuglichter ein, um sich in seiner neuen Umgebung zu orient ieren. Im nächsten Augenblick war ihm klar, daß seine Annahme, sich in einer Höhle zu befinden, ebenso unrichtig wie emotionell gewesen war. Ganz offensichtlich war dies eine andere Kammer in dem fremden Schiff. Dem Aussehen nach den kahlen Wänden und der hohen Decke nach zu schließen handelt es sich vermutlich um einen Frachtraum. Sein Scheinwerferkegel huschte über seltsame Gebilde und Formationen, die entweder integrierter Bestandteil des Frachtraumes selbst waren oder die man irgendwie daran befestigt hatte. Sie wirkten weich, fast flexibel und standen damit im Gegensatz zu dem massiven Aussehen der Rippen, die die Korridorwände verstärkten. Sie säumten die Wände vom Boden bis zur Decke, sauber und ordentlich. Und doch hatte er nicht den Eindruck, als ha ndle es sich um Gegenstände, die man hier verstaut hatte. Dazu war in dem mächtigen Raum zuviel Platz verschwendet. Freilich, solange sie keine Ahnung hatten, um was es sich bei den Vorsprüngen handelte, war es eigentlich absurd, Spekulationen anzustellen, welche Überlegung hinter den fremden Methoden des Verstauens von Ladung steckten. »Alles klar dort unten, Kane?« Das war Dallas Stimme. »Yeah. Ihr solltet das sehen.« »Was sehen? Was hast du gefunden?«
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»Das weiß ich nicht. Aber unheimlich ist es.« »Wovon redest du denn?« Und nach einer kurzen Pause: »Kane, könntest du dich nicht etwas klarer ausdrücken? >Unheimlich< besagt nicht sonderlich viel. Dieses ganze Schiff ist unheimlich, aber in dem offiziellen Bericht werden wir es wohl etwas anders beschreiben müssen.« »Okay. Also, ich bin wieder in einer großen Kammer, so wie die oben. Und da ist etwas, überall an den Wänden.« Er hielt seine Handlampe unbewußt wie eine Waffe vor sich, ging zu der nächstliegenden Wand und untersuchte die Vorsprünge. Aus der Nähe war jetzt ganz deutlich zu erkennen, daß es sich nicht um Teile der Wandstruktur handelte. Nicht nur das, sie wirkten irgendwie ... organischer. Oben sah Dallas Lambert an. »Wie lange noch bis zum Sonnenuntergang?« Sie studierte ihre Instrumente und drückte dann an einem davon kurz einen Schalter. »Zwanzig Minuten.« Sie verband die Feststellung mit einem vielsagenden Blick, aber Dallas reagierte nicht darauf, sondern wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem schwarzen Kreis des Schachtes zu und blickte in die Tiefe, obwohl er dort natürlich nichts sehen konnte. Im Scheinwerferkegel erkannte Kane, daß weitere dieser seltsamen Gebilde auf dem Boden der Kammer lagen, in der Mitte des Raumes. Er ging auf sie zu und umkreiste sie vorsichtig, während er einzelne davon näher untersuchte. Sie waren alle etwa dreißig Zentimeter hoch, von ovaler Form und sahen irgendwie ledern aus. Er wählte sich eins der Gebilde aus, richtete seine Lampe darauf und hielt den Lichtkegel fest. In dem gleichmäßigen Licht war nichts Neues zu erkennen, es schien auch keine Wirkung auf das eiförmige Ding zu haben. »Es ist ganz sicher irgendeine Art Lagerraum.« Aus dem Helmlautsprecher kam keine Antwort. »Ich habe gesagt, daß es ganz sicher ein Lagerraum ist. Hört mich jemand?«
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»Klar und deutlich«, antwortete Dallas schnell. »Wir hören nur zu, das ist alles. Du sagst, du bist ziemlich sicher, daß es ein Lagerraum ist?« »Richtig.« »Irgend etwas, das diese Vermutung bestätigt, außer der Größe und der Form?« »Sicher. Ein paar von diesen Vorsprüngen an den Wänden liegen hier auch auf dem Boden herum, und sie sind mit Sicherheit nicht Teil des Schiffes. Der ganze Raum ist voll davon. Lederartige Dinger, eigentlich ähneln sie dieser Urne, die wir oben gefunden haben, nur daß die hier viel weicher aussehen. Ich habe den Eindruck, sie sind mit irgend etwas gefüllt und abgedichtet, während die oben leer war. Und sie scheinen nach irgendeinem Schema angeordnet zu sein, obwohl dabei ziemlich viel Platz verschwendet ist. Kannst du erkennen, was in den Dingern ist'« Dallas erinnerte sich an das hohle Urnengebilde, das er gefunden hatte. »Augenblick mal. Ich seh's mir mal aus der Nähe an.« Ohne die Lampe auszuschalten, ging er näher an das Gebilde heran, das er studiert hatte und berührte es mit der behandschuhten Hand. Nichts geschah. Er beugte sich vor und drückte an den Seiten. Dann oben. An der glatten Oberfläche war nichts zu sehen, das darauf hindeutete, daß man es öffnen konnte. »Fühlt sich irgendwie komisch an, selbst durch die Handschuhe.« Dallas schien plötzlich beunruhigt. »Ich habe nur gefragt, ob du hineinsehen kannst. Versuche nicht, es zu öffnen. Du weißt nicht, was drinnen ist.« Kane sah sich den Gegenstand näher an. Er hatte sich nicht verändert und zeigte auch keine Auswirkung seines Drückens und Quetschens. »Was auch immer drinnen ist, das Ding ist jedenfalls dicht.« Er wandte sich ab und ließ seinen Scheinwerferstrahl über die
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Reihen von Gebilden schweifen. »Vielleicht finde ich eines, das gesprungen ist oder sich etwas geöffnet hat.« Im Widerschein seiner Anzuglampe tauchte lautlos eine Art Beule an der prallen Oberfläche des Gebildes auf, das er berührt hatte. Jetzt entstand eine zweite Beule und dann noch eine, mehrere, bis die glatte Fläche von einer ganzen Anzahl Warzen überzogen war. »Alle gleich«, meldete er Dallas und Lambert. »Keines der Dinger hat eine Ritze oder ein Loch.« Geistesabwesend ließ er den Scheinwerferstrahl wieder zu dem Gegenstand zurückwandern, den er berührt hatte, beugte sich vor und kniff verblüfft die Augen zusammen. Die bisher undurchsichtige Oberfläche des Dings war jetzt halb durchsichtig geworden. Und während er sie mit geweiteten Augen anstarrte, klarte die Oberfläche weiter auf, wurde völlig durchsichtig wie Glas. Er trat näher heran, richtete seinen Scheinwerferstrahl auf die Unterseite des Gegenstandes, starrte ihn an, atmete kaum, während im Inneren des ovalen Behälters Umrisse sichtbar wurden. »Jesus ... « »Was? Kane, was geht dort unten vor?« Dallas mußte an sich halten, um nicht zu schreien. Im Inneren des Ovoids war jetzt ganz deutlich ein winziger Alptraum sichtbar. Er lag eingerollt und zusammengefaltet da, kompakt und zart, ganz aus gummiartigem Fleisch bestehend. Auf Kane wirkte es wie die Ausgeburt eines Delirium tremens, die man aus einem kranken Gehirn herausdestilliert und der man Form und Gestalt verliehen hatte. Das Ding hatte die Form einer vielfingerigen Hand, deren lange knochige Finger in die Handfläche eingerollt waren. Sah man von den zusätzlichen Fingern ab, so hätte man meinen können, es hand le sich um die Hand eines Skeletts. Und aus der Mitte der Handfläche stach etwas hervor, etwas, das wie
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ein kurzes Rohr aussah. Und unter der Hand war ein muskulöser Schwanz eingerollt. Auf ihrem Rücken konnte er ganz undeutlich ein konvexes Gebilde ausmachen, das wie ein glasiges Auge aussah. Dieses Auge ... wenn es ein Auge war und nicht einfach eine glänzende Auswucherung ... mußte er sich aus der Nähe ansehen. Trotz des Ekels, der in ihm aufstieg, schob er sich noch näher heran und hob die Lampe, um besser sehen zu können. Das Auge bewegte sich - und blickte ihn an. Das Ovoid explodierte. Und dann öffnete sich die Hand und sprang ihn an, von der Energie des aufgerollten Schwanzes getrieben. Er hob den Arm, um sie abzuwehren. Zu spät. Sie klammerte sich an seiner Gesichtsplatte fest. Aus schrecklicher Nähe sah er das sich bewegende Rohr in der Mitte der Handfläche, es strich nur Zentimeter von seiner Nase entfernt über das Glas. Etwas fing an zu zischen, und das Material seiner Gesichtsplatte begann sich aufzulösen. Er geriet in Panik, versuchte das Geschöpf wegzureißen. Jetzt hatte es die Platte durchdrungen. Fremde Atmosphäre, kalt und übelriechend, mischte sich in seine Atemluft. Er fühlte, wie ihn Schwäche erfaßte, zerrte hilflos an der Hand. Etwas schob sich eindringlich gegen seine Lippen. So benommen, daß auch das Schreckliche seinen Schrecken verloren hatte, taumelte er in dem Raum herum und versuchte das widerliche Ding von sich zu reißen. Die langen empfindlichen Finger waren durch die offene Gesichtsplatte geglitten. Sie betasteten jetzt seinen Schädel, während der dicke Schwanz sich hereinschob, und wie eine Schlange um seinen Hals wand. Er bekam kaum noch Luft, und dieses widerliche Rohr, das sich wie ein fetter Wurm anfühlte, glitt in seinen Rachen. Er stolperte über die eigenen Füße, stürzte und fiel dann nach hinten.
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»Kane ... Kane, kannst du mich hörea?« Dallas schwitzte unter seinem Anzug. »Kane, gib Antwort.« Schweigen. Er überlegte einen Augenblick lang. «Wenn du dein Sprechgerät nicht benutzen kannst, dann gib mir zwei Piepser aus deinem Ortungsgerät.« Er blickte Lambert an, die das Signal empfa ngen konnte. Sie wartete eine Weile, schüttelte dann langsam den Kopf. »Was kann passiert sein?« fragte sie. «Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht. Vie lleicht ist er gestürzt und hat seine Energiezellen beschädigt. Er zögerte. »Er kann oder will nicht antworten. Ich glaube, wir sollten ihn hochziehen.« »Ist das nicht etwas voreilig? Ich mache mir auch Sorgen, aber ...« Dallas Augen waren angstgeweitet. Als er bemerkte, daß Lambert ihn anstarrte, beruhigte er sich. »Schon gut, schon gut. Dieser Ort ...« seine Handbewegung umfaßte alles, die Wände, das schwarze Loch im Boden - »hat mich einen Augenblick lang erwischt, das ist alles. Ich sage immer noch, daß wir ihn heraufholen sollten.« »Das reißt ihn von den Füßen, wenn er nicht damit rechnet. Er könnte sich dabei verletzen, wenn er ungünstig liegt. Wenn wirklich etwas passiert ist, wirst du es nie erfahren.« »Versuche es noch einmal, ihn zu erreichen.« Lambert drückte den Sprechschalter ihres Interkom. »Kane ... Kane. Verdammt noch mal, gib Antwort!« »Versuch es weiter.« Während Lambert ihre Bemühungen fortsetzte und abwechselnd bettelte und drohte, beugte Dallas sich über den Schacht und untersuchte das Kabel. Es ließ sich leicht in seiner Hand bewegen. Zu leicht. Er zog daran, und ein Meter Leine kam ihm entgegen, ohne daß er irgendeinen Widerstand verspürte. »Die Leine ist los.« Er drehte sich zu ihr um.
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»Er gibt noch immer keine Antwort. Kann nicht oder will nicht. Meinst du, daß er sich abgehakt hat? Ich weiß, was du ihm gesagt hast, aber du kennst ihn ja. Wahrscheinlich dachte er, wir würden es nicht merken, wenn die Kabelspannung eine Weile nachläßt. Wenn er etwas entdeckt hat und Angst hat, das Kabel könnte sich irgendwo verhängen oder nicht lang genug sein, würde ich es ihm durchaus zutrauen, daß er den Haken löst.« »Mich interessiert nicht, was er möglicherweise gefunden hat. Mich interessiert nur, weshalb er keine Antwort gibt.« Dallas schaltete den Windenmotor ein. »Würde mir leid tun, wenn es ihn stört. Wenn ihm und seinen Geräten nichts passiert ist, wird er sich noch wünschen, daß er das Kabel gelöst hätte.« Die Winde begann jetzt das Kabel aufzuspulen. Dallas beobachtete es gebannt und entspannte sich dann etwas, als er sah, wie die Leine nach ein paar Metern straff wurde. Wie erwartet bewegte sie sich jetzt langsamer. »Jetzt hängt ein Gewicht dran.« »Hat es sich irgendwo verhängt?« »Nein. Es kommt immer noch herauf. Nur langsamer. Wenn es sich an etwas verhängt hätte und außer Kane noch etwas in die Höhe ziehen würde, dann würde man das bemerken. Ich glaube, er hängt noch dran, wenn er auch keine Antwort geben kann.« »Was ist, wenn er unten bleiben will und sein Brustgerät dazu benützte um wieder in die Tiefe zu sinken?« Dallas schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Winde. »Der Hauptschalter ist hier oben, nicht an dem tragbaren Gerät, das er umgeschnallt hat. Er wird heraufkommen, ob es ihm nun paßt oder nicht.« Lambert blickte voll Erwartung in den Schacht. »Ich kann immer noch nichts sehen.« Der Lichtkegel beleuchtete einen Teil des Loches. Dallas
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hatte seine Handlampe darauf gerichtet. »Ich auch nicht. Aber die Leine kommt immer noch herauf.« Die Winde drehte sich, und die beiden Gestalten in ihren Schutzanzügen warteten besorgt, daß etwas im Lichtkegel von Dallas Scheinwerfer auftauchte. Es dauerte ein paar Minuten, bis der Kegel von etwas durchbrochen wurde, das von unten heraufkam. »Da kommt er.« »Er bewegt sich nicht.« Lambert suchte besorgt nach irgendeiner Bewegung, aber da war nichts. Kane regte sich nicht. Das Dreibein bog sich leicht nach unten durch, als die letzten paar Meter Kabel aufgespult wurden. »Halte dich bereit, ihn aufzufangen, wenn er in deine Richtung schwingt.« Lambert machte sich auf der gegenüberliege nden Seite der Schachtöffnung bereit. Jetzt tauchte Kanes Körper am Ende des Kabels auf. In dem schwachen Licht konnte man erkennen, daß er völlig schlaff in seinem Geschirr hing. Dallas lehnte sich über den Abgrund und wollte den reglosen Ersten Offizier an seinem Brustgeschirr packen. Beinahe hätte seine Hand ihn berührt, als er im Inneren des Helms das graue, ebenso reglose Geschöpf sah, das Kanes Kopf umfaßt hielt. Er zog die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. »Was ist denn?« wollte Lambert wissen. »Paß auf. Da ist etwas an seinem Gesicht, in seinem Helm. Ein Alien, ein fremdes Geschöpf.« Sie ging um die Schachtöffnung herum. »Was ist ...« Dann sah sie zum ersten Mal das Wesen, das sich wie eine Molluske in ihrer Schale im Helm festgesetzt hatte. »O Gott!« »Nicht anfassen.« Dallas studierte die reglose Gestalt seines Schiffskameraden. Dann machte er eine fächelnde Handbewegung auf das Ding zu, das an Kanes Gesicht hing. Es rührte sich nicht. Dann griff er danach, bereit, sich zurückzuwerfen
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und wegzurennen. Seine Hand bewegte sich ganz dicht auf das Ding zu, näherte sich der augenähnlichen Ausbuchtung an seinem Rücken. Das Alien nahm keine Notiz von ihm, gab, abgesehen von einem schwachen gleichmäßigen Pulsieren, keinerlei Lebenszeichen von sich. »Lebt es?« Lamberts Magen begann zu revoltieren. Ihr war, als hätte sie gerade einen Liter von den halbverarbeiteten Abfallprodukten der Nostromo geschluckt. »Es bewegt sich nicht, aber ich glaube, daß es lebt. Nimm seine Arme, ich nehme die Beine. Vielleicht können wir es herunterwerfen.« Lambert schickte sich an, den Befehl auszuführen, hielt dann inne und musterte ihn unsicher. »Wieso soll ich die Arme ...?« »Ach, zum Teufel, dann nimm die Beine!« »Danke.« Dallas tauschte mit ihr den Platz. Während er das tat, glaubte er zu erkennen, wie ein Finger der Hand sich bewegte, ganz leicht, aber er war nicht sicher. Er wollte Kane unter den Armen anheben, spürte sein Gewicht, zögerte. »So bringen wir ihn nie bis zum Schiff. Nimm du die eine Seite und ich nehme die andere.« Vorsichtig drehten sie den reglosen Körper des Ersten Offiziers herum. Das Alien fiel nicht herunter. Es blieb an Kanes Gesicht ebenso sicher hängen wie vorher, als der Offizier noch unberührt auf dem Rücken gelegen hatte. »Klappt nicht. Wunschdenken. Ich habe eigentlich auch nicht damit gerechnet, daß es herunterfallen würde. Schaffen wir ihn zum Schiff.« Er schob einen Arm unter Kanes Rücken und hob ihn in sitzende Position. Dann legte er sich einen Arm des Ersten Offiziers über die Schultern. Lambert tat es ihm auf der anderen Seite gleich. »Fertig?« Sie nickte. »Behalt' das Ding im Auge. Wenn es so
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aussieht, als wollte es herunterfallen, dann laß sofort los und hau ab.« Sie nickte wieder. »Gehen wir.« Als sie den Eingang des fremden Schiffes erreicht hatten, blieben sie stehen. Beider Atem ging schwer. »Laß ihn herunter«, sagte Dallas zu ihr. Lambert kam dem Befehl bereitwillig nach. »So geht das nicht. Seine Füße bleiben an jedem Steinbrocken und in jeder Bodenspalte hängen. Bleib bei ihm. Ich werde versuchen, eine Art Travois zu machen.« »Aus was denn?« Aber Dallas war bereits ins Schiff zurückgeeilt. »Das Winden-Dreibein«, hörte sie seine Stimme in ihrem Helm. »Das ist kräftig genug.« Während sie auf Dallas Rückkehr wartete, hielt Lambert sich so weit von Kane entfernt, wie das möglich war. Draußen heulte der Sturm, und das schwächer werdende Licht verkündete das Herannahen der Nacht. Sie ertappte sich dabei, daß sie immer wieder das winzige Monstrum anstarrte, das sich an Kane festgekrallt hatte. Ihre Gedanken kreisten beständig um das, was wohl in der Tiefe des Schachtes geschehen sein mochte. Sie brachte es fertig, nicht an das zu denken, was das Gebilde vielleicht mit ihm tat. Das mußte sie, um nicht hysterisch zu werden. Da kehrte Dallas zurück, Teile des zerlegten Dreibeins unter dem rechten Arm. Er breitete die Stücke auf dem Deck aus und begann daraus eine Art Schlitten zu machen, auf dem sie Kane ziehen konnten. Die Angst beflügelte seine behandschuhten Finger. Als das Travois fertig war, ließ er es vorsichtig zur Oberfläche des Planeten hinunter. Die letzten paar Meter fiel es, zerbrach aber nicht. Er sagte sich, daß das primitive Gebilde den bewußtlosen Ersten trage n konnte, bis sie die Nostrotno erreichten.
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Der kurze Tag neigte sich inzwischen seinem Ende zu, und der Himmel nahm wieder die Farbe von Blut an. Der Sturm nahm wieder zu und heulte klagend. Nicht, daß sie im Dunkeln Kane nicht zurücktransportieren oder den Schlepper nicht finden könnten, aber Dallas verspürte nicht den geringsten Drang, des Nachts auf dieser von Winden gepeitschten Welt unterwegs zu sein. Etwas unvorstellbar Groteskes war aus den Tiefen des Wracks heraufgestiegen und hatte sich an Kanes Gesicht und in ihren Gedanken festgekrallt. Vielleicht sammelten sich in diesem Augenblick in der staubverhüllten Dämmerung noch schrecklichere Gestalten. Er sehnte sich verzweifelt nach den sicheren Metallwänden der Nostromo. Als die Sonne hinter den Wolken versank, flammte der Ring von Scheinwerfern an der Unterseite des Schleppers auf. Sie schafften es nicht, die Landschaft, die das Schiff umgab, in freundlicherem Licht erstrahlen zu lassen, aber sie reichten immerhin aus, um die düsteren Konturen des Felsgesteias zu erhellen, auf dem die Nostromo ruhte. Gelegentlich wirbelten vor ihnen dichtere Staubfahnen auf und vereitelten selbst diesen schwachen Versuch, sich die Nacht fernzuhalten. Auf der Brücke wartete Ripley resignierend auf irgendein Wort von der schweigenden Forschergruppe. Die ersten Gefühle der Hilflosigkeit und des Unwissens waren inzwischen verblaßt. An ihre Stelle war ein unbestimmt taubes Gefühl an Körper und Seele getreten. Sie brachte es nicht über sich, durch eine Luke nach draußen zu blicken. Sie konnte nur stumm dasitzen, gelegentlich einen Schluck lauwarmen Kaffee trinken und ausdruckslos auf die sich langsam verändernden Zeilen ihres Anzeigegerätes zu starren. Jones, der Kater, saß vor einer Luke. Er empfand den Sturm erheiternd und hatte ein hektisches Spiel erfunden, in dem er immer wieder nach den größeren Steinpartikeln schlug, wenn eines außen gegen die Luke prallte. Jones wußte, daß er keines
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der fliegenden Staubkörner fangen konnte. Er verstand die Naturgesetze, die hinter der festen Durchsichtigkeit lagen. Das machte zwar sein Spiel etwas weniger lustig, aber nicht unmöglich. Außerdem konnte er so tun, als wären die dunklen Steinfragmente Vögel, obwohl er nie einen Vogel gesehen hatte. Aber instinktiv kannte er auch sie. Ripley war nicht die einzige, die die Monitorschirme überwachte und immer wieder auf die Anzeigegeräte blickte. Ash als der einzige Nicht-Kaffee-Trinker auf der Nostromo tat seine Arbeit ohne flüssige Anregung. Sein Interesse wurde nur durch neue Informationen verstärkt. Zwei Anzeigegeräte, die eine Weile unverändert gewesen waren, erwachten plötzlich zum Leben, und auf das Nervensystem des Wissenschaftsoffiziers wirkten die neuen Zahlen ebenso wie jenes Narkotikum auf seine Mannschaftskameraden. Er schaltete die Lautsprecher an und überprüfte sie gründlich, ehe er die Sprechanlage zur Brücke hinzuschaltete und die Daten meldete. »Ripley? Bist du da?« »Yo.« Sie bemerkte seine Erregung und saß plötzlich kerzengerade auf ihrem Sitz. »Gute Nachrichten?« »Ich glaube schon. Ich habe gerade die Signale ihrer Anzüge aufgenommen. Und die Anzugbilder sind wieder auf den Schirmen.« Sie atmete tief und stellte dann die beängstigende aber no twendige Frage: »Wie viele?« »Alle. Drei Signale, gleichmäßig.« »Wo sind sie?« »Nahe ... sehr nahe. Jemand muß auf den Gedanken gekommen sein, die Peilsender einzuschalten, damit wir sie sehen können. Sie kommen im gleichmäßigen Tempo auf uns zu. Langsam, aber stetig. Sieht gut aus.« Darauf solltest du dich nicht verlassen, dachte sie bei sich und
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schaltete gleichzeitig ihren Stationssender ein. »Dallas ... Dallas, kannst du mich hören?« Ein Wirbel von Störgeräuschen antwortete, und sie verfeinerte ihre Abstimmung. »Dallas, hier spricht Ripley. Bitte kommen.« »Ruhig Blut, Ripley. Wir hören dic h. Wir sind fast zurück.« »Was ist geschehen? Wir haben euch von den Bildschirmen verloren, und eure Anzugsignale waren auch weg, als ihr in das Wrack eingedrungen seid. Ich habe Ash' Bänder gesehen. Habt ihr ...?« »Wir haben einen Notfall.« Dallas Stimme klang erschöpft und verärgert. »Kane ist verletzt. Wir werden Hilfe brauchen, um ihn ins Schiff zu schaffen. Er ist bewußtlos. Jemand wird uns helfen müssen, ihn aus der Schleuse zu tragen.« Über die Lautsprecher kam schnell Antwort. »Ich komme«, sagte Ash. Parker und Brett verfolgten im Maschinenraum interessiert das Gespräch. »Bewußtlos«, wiederholte Parker. »Ich hab' immer gewußt, daß Kane eines Tages Probleme bekommen würde.« »Richtig.« Bretts Stimme klang besorgt. »Aber für einen Schiffsoffizier eigentlich kein übler Bursche. Er ist mir lieber als Dallas. Ist nicht so schnell mit einem Befehl bei der Hand. Ich bin ja neugierig, was denen dort draußen zugestoßen ist.« »Weiß nicht. Werden's erfahren.« »Vielleicht«, fuhr Parker fort, »ist er bloß gestürzt und hat sich dabei die Rübe angeschlagen.« Die Erklärung überzeugte Parker ebensowenig wie Brett. Beide Männer verstummten und wandten ihre Aufmerksamkeit wieder dem knackenden Lautsprecher zu. »Wir sind da.« Dallas war noch kräftig genug, um mit einer Kopfbewegung auf das Schiff zu deuten. Einige undeutlich sichtbare, an Bäume erinnernde Gebilde ragten in der Nacht
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vor ihnen auf. Sie trugen ein größeres formloses Gebilde: den Rumpf der Nostromo. Sie kamen am Schiff an, als Ash die innere Schleusentore erreicht hatte. Dort blieb er stehen, vergewisserte sich, daß das Schleusentor funktionierte und drückte dann den nächsten InterkomKnopf. »Ripley ... ich bin am inneren Schleusentor.« Er ließ den Sprechkanal offen und trat an die kleine Sichtluke. »Bis jetzt noch keine Spur von ihnen. Draußen ist es schon stockfinster, aber wenn sie an den Lift kommen, sollte ich ihre Anzuglichter sehen können.« »Okay.« Ihre Gedanken kreisten fieberhaft, und einige davon hätten den wartenden Wissenschaftsoffizier vielleicht überrascht. Sie überraschten sie selbst. »Welche Richtung?« Dallas kniff die Augen zusammen und versuchte, sich in dem wirbelnden Staub zu orientieren, versuchte, im Licht der Scheinwerfer den Lift zu finden. Lambert deutete nach links. »Dort drüben, glaube ich. Beim ersten Träger. Der Lift sollte dahinter sein.« Sie bewegten sich in jene Richtung, bis sie fast über das Liftgitter stolperten. Trotz ihrer Müdigkeit zerrten sie Kanes reglose Gestalt von dem Travois und stemmten ihn auf die Liftplattform. »Glaubst du, du kannst ihn aufrecht halten? Wenn wir ihn nicht noch einmal hochheben müssen, ist es leichter.« Sie atmete tief. »Yeah, ich denke schon. Solange uns nur jemand hilft, sobald wir durch die Schleuse sind.« »Ripley, bist du da?« »Ja, Dallas.« »Wir kommen jetzt hoch.« Er sah zu Lambert hinüber. »Bereit?« Sie nickte. Er drückte einen Knopf. Zuerst ein Ruck, dann hob sich die Liftplattform gleichmäßig und kam an der Schleuse zum Stillstand. Dallas lehnte sich etwas zur Seite und legte einen Schalter um. Die Außenschleuse glitt beiseite, sie traten ein.
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»Druck?« fragte ihn Lambert. »Laß nur. Eine Schleuse voll Luft können wir erübrigen. Wir sind in einer Minute drinnen, und dann können wir aus diesen verdammten Anzügen raus.« Sie schlossen das Außentor und warteten darauf, daß die innere Tür sich öffnete. »Was ist mit Kane passiert?« fragte Ripley. Dallas war zu müde, um zu bemerken, daß in ihrer Stimme außer der zu erwartenden Sorge noch etwas anderes lag. Er stemmte Kane etwas höher auf seinen Schultern und kümmerte sich jetzt nicht mehr um das Geschöpf. Es hatte sich auf dem Weg zurück zum Schiff keinen Zentimeter bewegt, und er erwartete auch nicht, daß es sich jetzt plötzlich regen würde. »Irgendein fremder Organismus, ein Alien«, sagte er zu ihr und empfand das schwache Echo seiner eigenen Stimme in dem engen Helm beruhigend. »Wir wissen nicht, wie es geschah und woher es kam. Es hat sich an ihm festgekrallt. Ich habe noch nie so etwas gesehen. Jetzt bewegt es sich nicht, den ganzen Rückweg hat es sich nicht bewegt. Wir müssen ihn in die Krankenstation schaffen.« »Ich brauche eine klare Definition«, sagte sie mit leiser Stimme. »Klare Definition, zum Teufel damit!« Dallas bemühte sich, seine Stimme so ruhig wie möglich klingen und sich die Wut, die er emp fand, nicht anmerken zu lassen. »Hör zu, Ripley, wir haben nicht gesehen, wie es passiert ist. Er war in einem Schacht weit unter uns. Wir wußten nicht, daß etwas passiert war, bis wir ihn in die Höhe gezogen haben. Genügt das als klare Definition?« Am anderen Ende des Sprechkanals nur Schweigen. »Hör zu, mach jetzt das Tor auf.« »Einen Augenblick.« Sie wählte ihre Worte sorgfältig. »Wenn wir ein Allen an Bord lassen, könnte das ganze Schiff angesteckt werden.«
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»Verdammt noch mal, das ist kein Virus! Es ist größer als meine Hand und sieht ziemlich massiv aus.« »Du kennst die Quarantänevorschriften.« Von ihrer Stimme ging eine Entschlossenheit aus, die sie nicht empfand. »Vierundzwanzig Stunden für die Entseuchung. Ihr habt beide mehr als genug Luft in euren Anzügen, um das zu überstehen. Wenn nötig, können wir euch auch Zusatztanks hinausreichen. Vierundzwanzig Stunden werden zwar nicht schlüssig beweisen, daß das Alien nicht gefährlich ist, aber das ist nicht meine Verantwortung. Ich muß nur dafür sorgen, daß die Regeln eingehalten werden. Ihr kennt sie ebensogut wie ich.« »Ich kenne auch Ausnahmen, und ich bin derjenige, der das stützt, was von einem guten Freund übrig geblieben ist, nicht du. In vierundzwanzig Stunden wird er tot sein, wenn er das nicht schon ist. Mach die Schleuse auf.« »Hab' doch Vernunft«, flehte sie ihn an. »Wenn ich die Quarantäne breche, sterben wir vielleicht alle.« »Mach die verdammte Schleuse auf!« schrie Lambert. »Zum Teufel mit den Vorschriften und der Gesellschaft. Wir müssen ihn auf die Krankenstation bringen, wo der Autodoc sich um ihn kümmern kann.« »Das darf ich nicht. Wenn du in meiner Lage wärest und meine Verantwortung hättest, würdest du das gleiche tun. Ein Alien darf nicht an Bord.« »Ripley«, sagte Dallas langsam, »hörst du mich?« »Ich höre dich klar und deutlich.« Ihre Stimme klang angespannt. »Die Antwort ist immer noch nein. Vierundzwanzig Stunden Entseuchung, dann könnt ihr ihn hereinbringen.« Im Inneren des Schiffes traf jemand anderer eine Entsche idung. Ash drückte den Notschalter neben der Schleuse. Ein rotes Licht flammte auf, und ein lautes Summen war zu hören. Dallas und Lambert starrten die innere Tür an, die sich lang-
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sam beiseite schob. Auf Ripleys Konsole blitzte etwas auf, und dann las sie die Worte, die sie nicht glauben konnte. INNENSCHLEUSE OFFEN, AUSSENSCHLEUSE GESCHLOSSEN. Sie blickte starr und benommen auf die Worte, konnte sie nicht glauben. Ihre Instrumente bestätigten das Unglaubliche. Unter ihrer schweren Last taumelten Dallas und Lambert aus der Schleuse in den Korridor, sobald die Innentüre sich weit genug beiseite geschoben hatte, um sie durchzulassen. Im gleichen Augenblick erschienen Parker und Brett. Ash wollte ihnen helfen, aber Dallas scheuchte ihn zurück. »Bleib stehen!« Sie ließen Kanes Körper zu Boden sinken und nahmen die Helme ab. In respektvollem Abstand ging Ash um die zusammengesackte Gestalt des Ersten Offiziers herum, bis er das Ding an seinem Kopf sah. »Herrgott«, murmelte er. »Lebt es?« Parker studierte das Alien und bewunderte seine Symmetrie. Deshalb wirkte es in seinen Augen um nichts weniger scheußlich. »Ich weiß es nicht, aber faßt es nicht an«, sagte Lambert, die sich gerade die Stiefel auszog. »Macht euch darüber keine Sorgen.« Parker beugte sich vor und versuchte Einzelheiten des Geschöpfes auszumachen. »Was macht es denn?« »Ich weiß nicht. Wir wollen ihn in die Krankenstation scha ffen und es herausfinden.« »Richtig«, pflichtete Brett bereitwillig bei. »Seid ihr beide okay?« Dallas nickte langsam. »Ja. Bloß hundemüde. Es hat sich
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nicht bewegt, aber behaltet es im Auge.« »Machen wir.« Die beiden Ingenieure hoben die Last vom Boden auf und faßten Kane vorsichtig unter den Armen. Ash half ihnen, so gut er konnte ...
6.
In der Krankenstation legten sie Kane vorsichtig auf die aus der Wand ragende Medo-Plattform. Ein Komplex von Instrumenten und Steuergeräten, die sich von allen anderen an Bord des Schiffes unterschieden, nahm die Wand hinter dem Kopf des bewußtlosen Ersten Offiziers ein. Dallas betätigte einige Schalter und aktivierte den Autodoc. Er ging an eine Schublade und entnahm ihr ein winziges Rohr aus glänzendem Metall. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß das Rohr geladen war, stellte er sich wieder neben Kane. Ash hielt sich in der Nähe bereit, während Lambert, Parker und Brett sie vom Korridor aus hinter einem dicken Glasfenster beobachteten. Dallas beruhte einen Sensor am Außenmantel der Röhre, worauf aus ihrem Ende ein kurzer intensiver Lichtstrahl zuckte. Dallas regulierte den Strahl, bis er so kurz und dünn war, wie sich das ohne Reduzierung der Energie ermöglichen ließ. Dann fuhr er mit dem Strahl am Unterteil von Kanes Helm entlang. Das Metall begann sich zu lösen. Er zog das Schneidwerkzeug langsam und vorsichtig über den Helm und an der anderen Seite wieder nach unten. Dann hatte er den Helmansatz erreicht und führte den Strahl durch den Dichtungswulst. Der Helm war säuberlich auseinandergetrennt. Dallas schaltete den Strahl ab, dann zogen er und Ash je eine
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Helmhälfte weg. Abgesehen von dem langsamen gleichmäßigen Pulsieren zeigte das Alien keinerlei Lebenszeichen und reagierte auch nicht darauf, daß der Helm entfernt worden war und sie es jetzt in seiner Gänze sehen konnten. Dallas zögerte, dann betastete er das Geschöpf und zog hastig die Hand wieder zurück. Es pulsierte weiter, reagierte nicht auf die Berührung. Wieder schob er die Hand vor und legte die Handfläche auf den Rücken des Geschöpfes. Es fühlte sich trocken und kalt an. Das langsame Vibrieren erzeugte Übelkeit in ihm. Beinahe hätte er die Hand wieder weggezogen, aber als das fremde Wesen immer noch reglos blieb, packte er entschlossen das gummiartige Gewebe so gut er konnte und zog. Dies zeigte keinerlei Wirkung, was ihn auch nicht überraschte. Das Alien bewegte sich nicht, ließ aber auch nicht los. »Laß es mich mal versuchen.« Ash stand an einem Regal mit nichtmedizinischen Werkzeugen. Er entnahm ihm eine kräftige Zange und trat an den Tisch. Vorsichtig packte er das Geschöpf damit und lehnte sich zurück. »Rührt sich nicht. Versuch es kräftige r«, riet Dallas. Ash drückte die Backen der Zange zusammen und lehnte sich gleichzeitig nach hinten. Dallas hob die Hand, als er bemerkte, daß Kane ein dünner Blutfaden über die Wange rann. «Halt. Du reißt ihm die Haut auf.« Ash lockerte seinen Griff. »Das bin nicht ich. Das ist dieses Ding.« Dallas Gesicht wirkte grün. »So geht das nicht. Wir werden es nicht herunterbekommen, ohne ihm gleichzeitig das ganze Gesicht wegzureißen.« »Da hast du recht. Soll die Maschine es versuchen. Vielleicht hat sie mehr Glück.« »Hoffentlich.«
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Ash betätigte nacheinander einige Schalter. Der Autodoc summte, und die Öffnung am anderen Ende der Plattform wurde hell. Dann glitt die Plattform lautlos in die Wand. Eine Glasplatte senkte sich hinter Kane. Lichter flammten auf. Man konnte Kanes Körper ganz deutlich hinter der Glasscheibe sehen. Ein paar Videomonitore leuchteten auf. Ash beugte sich über einen. Er kam dem Begriff eines Arztes auf der Nostromo noch am nächsten, war sich sowohl der Tatsache als auch seiner Verantwortung bewußt und begierig, alles zu erfahren, was die Maschine ihm über Kanes augenblicklichen Zustand sagen konnte. Ganz zu schweigen von dem Alien. Eine weitere Person erschien im Korridor und ging auf die drei Zuschauer zu. Lambert warf Ripley einen langen unfreundlichen Blick zu. »Du wolltest uns dort draußen lassen. Du wolltest Kane draußen lassen. Vierundzwanzig Stunden wolltest du uns mit diesem Ding auf seinem Gesicht herumsitzen lassen, wo die Nacht gerade begann.« Ihr Ausdruck vermittelte ihre Gefühle viel deutlicher als ihre Worte. Parker, vielleicht der letzte, von dem man erwartet hätte, daß er Ripley zu Hilfe kam, sah die Navigatorin herausfordernd an. »Vielleicht hätte sie das tun sollen. Sie hat nur die Vorschriften befolgt.« Er deutete auf das blitzende Innere des Autodoc mit seinem reglosen Patienten. »Wer, zum Teufel, weiß denn, was es ist oder wozu es imstande ist? Sicher, Kane ist etwas impulsiv, aber er ist ja nicht dumm und trotzdem konnte er es nicht vermeiden. Vielleicht ist einer von uns der nächste.« »Richtig«, pflichtete Brett ihm bei. Ripley ließ Lambert nicht aus den Augen. Die Navigatorin hatte sich nicht bewegt und starrte sie an. »Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Hoffentlich war es keiner. Jedenfalls habe ich mich nur bemüht, meine Pflicht zu erfüllen. Wollen
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wir es dabei belassen?« Lambert zögerte, ihre Augen musterten Ripleys Gesicht, suchten. Dann nickte sie kurz. Ripley seufzte und entspannte sich dann etwas. »Was ist dort draußen passiert?« »Wir sind in das Wrack eingedrungen«, erklärte Lambert und beobachtete währenddessen die beiden Männer, die drinnen an dem Autodoc tätig waren. »Es waren keine Spuren von Leben festzustellen. Diese Sendung muß schon seit Jahrhunderten ausgestrahlt werden. Wir glauben, den Sender gefunden zu haben.« »Und die Mannschaft des Wracks?« »Keine Spur davon.« »Und Kane ...?« »Er hat sich freiwillig gemeldet, alleine die untere Etage abzusuchen.« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde hart. »Er suchte Diamanten. Statt dessen hat er offenbar so etwas wie Eier gefunden. Wir haben ihm gesagt, daß er sie nicht anfassen soll. Wahrscheinlich zu spät. Irgend etwas geschah dort unten, aber das konnten wir nicht sehen. Als wir ihn herauszogen, hing das an seinem Gesicht. Irgendwie hat es sich einfach durch seine Helmplatte gefressen, und du weißt ja, wie stark das Material ist.« »Ich möchte wissen, wo dieses Wesen ursprünglich he rkommt?« sagte Ripley, ohne den Blick vom Inneren der Krankenstation zu wenden. »Dieser Planetoid ist doch völlig tot. Ich ne hme an, es kam mit dem fremden Schiff.« »Das weiß der Himmel«, sagte Parker leise. »Ich möchte auch wissen, woher es stammt.« »Warum?« Ripley würdigte ihn kaum eines Blickes. »Dann würde ich einen weiteren Ort kennen, um den ich einen großen Bogen mache.« »Amen«, sagte Brett.
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»Was ich wissen möchte«, sagte Dallas, »ist, wie zum Teufel er eigentlich atmet. Oder tut er das nicht mehr?« Ash studierte die Anzeigegeräte. »Physisch scheint er in Ordnung zu sein. Nicht nur, daß er noch am Leben ist, obwohl er die ganze Zeit ohne normale Luft war, nein, auch all seine sonstigen Lebensfunktionen sind ganz regelmäßig. Das Einatmen von all dem Stickstoff und Methan hätte ihn doch töten müssen, noch auf dem Wrack. Nach dem Autodoc ist er im Koma, aber innerlich ist alles ganz normal. Viel gesünder, als er eigentlich sein dürfte.« »Aber wie?« Dallas beugte sich vor und versuchte, ins Innere des Autodoc zu sehen. »Ich hab' mir das Ding gründlich angesehen. Sein Mund und seine Nase scheinen völlig blockiert zu sein.« Ash drückte nacheinander drei Knöpfe. »Was außen geschieht, wissen wir. Jetzt sollten wir ihn uns von innen ansehen.« Ein großer Bildschirm leuchtete auf, und dann erschien auf ihm ein Bild. Es zeigte ein farbiges Röntgenbild von Kanes Kopf und Oberkörper. Wenn man das Auflösungsvermögen steigerte, würde man auch das Blut durch seine Venen und Arterien fließen, die Lungen pulsieren und das Herz schlagen sehen. Im Augenblick aber interessierten sich die Zuschauer mehr für das Innenleben des kleinen runden Gebildes, welches das Gesicht des Ersten Offiziers bedeckte. »Ich bin kein Biologe«, sagte Ash mit leiser Stimme, »aber ich habe noch nie im Innern eines anderen Lebewesens so ein Labyrinth gesehen.« Verblüfft starrte er das komplizierte Netzwerk von Röhren und sonstigen Gebilden an. »Ich habe keine Ahnung, wozu das alles dient.« »Sieht von innen auch nicht hübscher aus als von außen«, meinte Dallas. »Sieh dir doch die Muskulatur in diesen Fingern und am
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Schwanz an«, erregte sich Ash. »Es mag vielleicht zerbrechlich aussehen, aber das ist es keineswegs. Kein Wunder, daß wir es nicht herunterziehen konnten. Auch kein Wunder, daß er das nicht schaffte. Ich nehme an, er hatte noch Zeit, das zu versuchen, ehe er die Besinnung verlor.« Was das Geschöpf mit Kane machte, war klar, wenn auch nicht der Grund dafür. Die Kiefer des Ersten Offiziers waren auseinandergedrückt worden. Eine lange flexible Röhre reichte von der Innenfläche des Handgeschöpfes in seinen Rachen und endete am Ende seiner Speiseröhre. Die Röhre bewegte sich nicht, saß einfach fest. Mehr als alles andere, was er bisher erlebt oder gesehen hatte, erregte dieser Anblick in Dallas Übelkeit. »Es hat ihm etwas in den Hals geschoben.« Seine Hände spannten und entspannten sich unbewußt, mit mörderischer Regelmäßigkeit. »Das ist doch nicht fair, so darf man doch nicht kämpfen. Verdammt noch mal, Ash, das ist nicht ... sauber.« »Wir wissen nicht, ob es mit ihm kämpft oder ihn auch nur beeinträchtigt.« Ash gestand, daß die ganze Situation ihn verwirrte. »Nach den Monitoren fehlt ihm überhaupt nichts. Es ist nur außerstande, auf uns zu reagieren. Ich weiß, daß das im Augenblick albern klingt, aber überlege einmal: Vielleicht ist das Alien ein gutartiger Symbiont. Vielleicht hat es das, was es tut, in seiner eigenen verwirrten Art getan, um ihm zu helfen.« Dallas lachte, ein völlig humorloses Geräusch. »Ja, es mag ihn. Es läßt ihn gar nicht mehr los.« »Ich nehme an, daß es ihm mit diesem Rohr Sauerstoff zuführt.« Der Wissenschaftsoffizier drehte an einem Abstimmknopf und veränderte damit das Auflösungsvermögen des Bildschirms. Man konnte jetzt Kanes Lungen gleichmäßig und im normalen Rhythmus arbeiten sehen; die Behinderung in seinem Rachen schien keinen Einfluß auf seine Lungentätigkeit
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zu haben. Ash schaltete auf das erste Bild zurück. »Was für Sauerstoff?«, wollte Dallas wissen. »Er ist mit zersprungener Gesichtsplatte zum Schiff zurückgekommen. Das Wesen hängt nicht an seinen Tanks, also muß die ganze Luft seines Anzugs in den ersten paar Minuten durch das offene Ventil ausgeströmt sein.« Ash nickte nachdenklich. »Ich kann mir einige Möglichkeiten vorstellen. In der Atmosphäre hier gibt es ein wenig freien Sauerstoff. Nicht viel, aber etwas. Und eine ganze Menge mehr ist in verschiedenen Oxiden gebunden. Ich vermute, daß dieses Alien über die Fähigkeit verfügt, diese Oxide aufzulösen und den Sauerstoff herauszuholen. Jedenfalls ist es imstande, ihn an Kane weiterzugeben, vielleicht auch für sich selbst. Ein guter Symbiont ist zweifellos imstande, schnell festzustellen, welche Bedürfnisse sein Wirt hat. Gewisse Pflanzen verfügen über dieselbe Fähigkeit, Sauerstoff aus Verbindungen herauszulösen; andere geben anderen Gasen den Vorzug. Unmöglich ist das nicht.« Er wandte sich wieder den Bildschirmen zu. »Wunschdenken«, sagte Dallas. »Vielleicht sind hier unsere terrestrischen Vorurteile am Werk, und es handelt sich bei dem Geschöpf in Wirklichkeit um eine Pflanze und nicht um ein Tier. Vielleicht hat es auch Eigenschaften und Fähigkeiten, die beiden gemeinsam sind.« »Das gibt keinen Sinn.« Ash sah ihn an. »Was gibt keinen Sinn?« »Es paralysiert ihn, versetzt ihn in Koma und arbeitet dann wie verrückt, um ihn am Leben zu halten.« Dallas schüttelte den Kopf und blickte zum Bildschirm auf. »Ich dachte, es würde sich irgendwie ... äh ... an ihm nähren. Seine Haltung ist typisch dafür. Aber die Instrumente zeigen an, daß es genau das Gegenteil tut. Ich versteh' das nicht. Jedenfalls können wir das verdammte Ding nicht an ihm
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hängenlassen. Es mag alles mögliche mit ihm tun, vielleicht Gutes, wahrscheinlich aber Schlechtes. Aber eines können wir mit Sicherheit sagen: Nichts von dem, was es tut, ist für das menschliche System natürlich.« Ash sah ihn zweifelnd an. »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.« »Warum nicht?« Dallas musterte seinen Wissenschaftsoffizier fragend. »Im Augenblick«, erklärte Ash, dem Dallas' Tonfall nichts auszumachen schien, »erhält das Geschöpf ihn am Leben. Wenn wir es entfernen, riskieren wir, Kane zu verlieren.« »Das Risiko müssen wir eingehen.« »Was schlägst du vor? Man kann es nicht abreißen.« »Wir müssen versuchen, es abzuschneiden. Je schneller wir es entfernen, desto besser ist das wahrscheinlich für Kane.« Ash schien weitere Einwände machen zu wollen, überlegte es sich dann aber offensichtlich anders. »Mir gefällt das nicht« sagte er mürrisch, »aber ich bin natürlich bereit, wenn du die Verantwortung übernimmst. Das ist zwar eine Entscheidung in meinem Ressort, aber du nimmst sie mir bitte ab.« »Yeah, ich trage die Verantwortung.« Er streifte sich ein Paar Chirurgenhandschuhe über und überzeugte sich, daß der Autodoc im Augenblick nicht am Körper hing, so daß kein Schaden entstehen konnte, wenn man ihn einen Augenblick lang entfernte. Ein Knopfdruck, und die Platte mit Kane schob sich aus der Maschine. Eine oberflächliche Überprüfung zeigte, daß das Alien sich immer noch nicht bewegt und auch Kanes Gesicht nicht lasgelassen hatte. »Das Schneidegerät?« Ash deutete auf den Laser, den Dallas dazu benutzt hatte, Kanes Helm zu entfernen. »Nein. Ich werde so langsam wie möglich vorgehen. Sieh nach, ob du ein kleineres Skalpell findest.«
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Ash trat an einen Instrumentenschrank und suchte darin herum. Dann reichte er Dallas eine dünnere Version des Schneidegerätes. Er untersuchte das winzige Gerät und war bemüht, den bleistiftdünnen Griff sicher in der Hand zu halten. Dann schaltete er es ein. Eine Miniaturausgabe des Strahls zuckte aus der Spitze des Chirurgenmessers. Dallas trat neben Kanes Kopf. Langsam schob er die Lichtklinge auf das Alien zu. Er mußte bereit sein, das Gerät schnell und doch vorsichtig zurückzuziehen, wenn es reagierte. Eine einzige falsche Bewegung, und er könnte Kane den Kopf von den Schultern schneiden. Das Alien regte sich nicht. Dallas schob den Strahl an die graue Haut heran, bewegte ihn ein oder zwei Millimeter nach unten, bis er sicher war, tatsächlich Fleisch zu durchschneiden. Der Strahl fuhr mühelos über den Rücken der Kreatur. Das Objekt dieser vorsichtigen Biopsie bewegte sich nicht, gab auch durch nichts zu erkennen, daß es Schmerz empfand. Aus der frischen Schnittwunde begann eine gelbliche Flüssigkeit auszutreten und an der Seite herunterzufließen. »Fängt zu bluten an«, stellte Ash fest. Die Flüssigkeit tropfte auf das Bett neben Kanes Kopf. Ein kleines Wölkchen, das Dallas zuerst für Dampf hielt, stieg auf. Das dunkle Gas war ihm fremd. Nicht hingegen das Zischen, das von dem Bett ausging. Er hielt inne, hob das Skalpell ab und starrte die zischende Stelle an. Jetzt wurde das Geräusch lauter, tiefer. Er blickte nach unten. Die Flüssigkeit hatte sich bereits durch das Kissen und die Metallplattform gefressen. Jetzt zischte es wie eine Miniaturhülle in der Nähe seiner Füße und begann sich in das Deck hineinzufressen. Das Metall warf Blasen. Das Gas, das als Nebenprodukt erzeugt wurde, begann die Krankenstation zu
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füllen. Es biß in Dallas Hals und erinnerte ihn an Gas, das die Polizei einsetzte und das kaum Schmerzen bereitete, aber unerträglich für den Magen war. Er geriet bei der Vorstellung in Panik, was dieses Zeug vielleicht in seinen Lungen anrichten konnte. Während ihm Tränen in die Augen traten und seine Nase zu laufen begann, versuchte er verzweifelt, die Wunde zu schließen, indem er die beiden Schnittflächen mit den Händen zusammendrückte. Dabei geriet etwas von der immer noch fliegenden Flüssigkeit auf seine Handschuhe. Sie begannen zu rauchen. Während er auf den Korridor hinaustaumelte, riß er sie sich herunter, ehe das zähe Material durchgefressen wurde und die Flüssigkeit seine Haut berühren konnte. Er warf sie auf das Deck. Die Tropfen fielen von den Handschuhen und begannen augenblicklich das Metall anzugreifen. Brett stand die Angst im Gesicht. »Scheiße, das frißt sich durch die Decks und die Außenwand.« Er wandte sich um und rannte auf den nächsten Gang zu. Dallas riß eine Notlampe aus ihrer Wandhalterung und folgte dem Ingenieur. Die anderen drängten sich dicht hinter ihm. Der B-Deck Korridor unter ihnen war von Instrumenten und Leitungen gesäumt. Brett suchte bereits die Decke unter der Krankenstation ab. Noch mußte die Flüssigkeit einige Schic hten der Legierung durchdringen. Dallas richtete das Licht auf die Decke, suchte und hatte es dann gefunden. »Dort.« Über ihnen begann es zu rauchen. Ein gelber Fleck bildete sich, dann trat Flüssigkeit aus, und das Metall begann zu kochen. Die Flüssigkeit quoll durch, bildete einen Tropfen und fiel. Jetzt begann sie auf dem Boden Blasen zu ziehen. Dallas und Brett sahen hilflos zu, wie die kleine Pfütze größer wurde und sich durch das Schott fraß.
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»Was ist unter uns?« »Korridor C«, erklärte Parker.»Keine Instrumente.« Er und Ripley rannten auf die nächste Treppe zu, während die anderen entgeistert das größer werdende Loch im Boden anstarrten. »Was können wir darunterlegen?« Ash überdachte das Problem wie gewohnt logisch, wenn ihm auch voll und ganz bewußt war, daß die Nostromo in wenigen Augenblicken ein Loch in der Außenhaut haben konnte. Das würde bedeuten, daß sie sämtliche Abteile abdichten mußten, bis der Schaden repariert werden konnte, und dabei konnte es noch viel schlimmer kommen. Unmittelbar unter der Außenhaut lagen eine ganze Menge wichtiger Stromkreise für den Hyperdrive. Wenn die von der Flüssigkeit beschädigt wurden, war es durchaus möglich, daß der entstehende Schaden die Reparaturmöglichkeiten der Ingenieurabteilung überstieg. Der größte Teil dieser Stromkreise war in die Schiffswand integriert und nicht dafür gedacht, außerhalb eines größeren Raumdocks repariert zu werden. Keiner hatte eine Ahnung, womit man die Flüssigkeit auffangen konnte. Unter ihnen eilten Parker und Ripley durch die engeren Gänge des C-Korridors. Sie blickten unverwandt zur Decke. »Paß auf, daß du nicht darunter zu stehen kommst«, warnte Parker. »Wenn es sich so rasch durch Metall fressen kann, will ich mir gar nicht erst ausmalen, was es mit deinem hübschen Gesicht anrichten könnte.« «Keine Sorge. Ich passe schon auf mein hübsches Gesicht auf. Kümmere du dich nur um das deine.« »Es scheint an Aktivität zu verlieren.« Dallas blickte auf das Loch im Boden, wagte kaum zu hoffen. Brett und Ash stand en ihm gegenüber und kauerten über dem dunklen Loch im Deck. Ash holte einen Stift aus einer Tasche und betastete das Loch. Der Metallüberzug des Schreibgerätes
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warf augenblicklich Blasen, sah wie mit Kohlensäure durchsetztes Quecksilber aus. Dann beruhigte es sich wieder, nachdem es kaum die schimmernde Oberfläche beeinträchtigt hatte. Der Wissenschaftsoffizier fuhr fort, in dem Loch herumzustochern. Anstatt aber durchzurutschen, stieß der Stift auf Widerstand. »Es dringt nur drei Zentimeter ein. Die Flüssigkeit hat ihre Wirkung verloren.« Unten sah Parker in dem schwachen Licht zu Ripley hinüber. »Siehst du etwas?« Sie starrten die Decke an. Unter ihren Füßen war ein kleiner Kriechgang und wiederum darunter die Außenhaut der Nostromo. Und dahinter war nur noch die Atmosphäre eines unbekannten Planeten. »Nichts«, erklärte sie schließlich. »Halt die Augen offen, ich werde nachsehen, was oben passiert ist.« Sie wandte sich um und eilte den Korridor hinunter auf die Treppe zu. Sie sah die anderen, die sich über das Loch im Deck beugten. »Was ist los? Es ist noch nicht durch.« »Ich glaube, das Zeug hat seinen Schwung verloren.« Ash kniete auf dem Boden. »Entweder hat es durch die intensive Reaktion mit den Legierungen seine Kraft verloren oder es verliert seine kaustische Wirkung nach einer gewissen Zeit. Jedenfalls scheint es nicht mehr aktiv zu sein.« Ripley sah sich das immer noch rauchende Loch im Boden an. »Könnte die Legierung in diesem Deck kräftiger sein als oben? Vielleicht korrodiert das Zeug das Deck jetzt in horizo ntaler Richtung und sucht sich eine schwache Stelle, von der aus es sich wieder nach unten fressen kann.« Ash schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Nach dem Wenigen, was ich über die Schiffskonstruktion weiß, bestehen die Hauptdecks und die Außenhaut der Nostromo aus demselben Material. Nein, ich glaube, wir dürfen annehmen, daß die
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Flüssigkeit nicht mehr gefährlich ist.« Er schickte sich an, den Stift wieder einzustecken, überlegte es sich aber im letzten Augenblick anders und behielt ihn in der Hand. Ripley bemerkte sein Zögern, grinste. »Wenn es nicht mehr gefährlich ist, warum steckst du ihn dann nicht ein?« »Für Unvorsichtigkeit besteht deshalb noch längst kein Grund. Ich will zuerst ein paar Tests machen, um mich zu vergewissern, daß die Substanz nicht mehr aktiv ist. Dann kann ich ihn immer noch einstecken. Die Tatsache, daß es sich nicht mehr durch die Decks fressen kann, heißt noch lange nicht, daß man nicht eine verdammt unangenehme Brandwunde davo ntragen könnte.« »Hast du eine Ahnung, um was für ein Zeug es sich handeln könnte?« Dallas Blick wanderte von dem winzigen Krater im Deck zu dem Loch über ihnen. »Ich hab' noch nie etwas gesehen, das sich derart durch eine Legierung fressen kann. Mit dieser Geschwindigkeit.« »Ich hab' selbst noch nie so etwas gesehen«, gestand der Wissenschaftsoffizier. »Bestimmte hochgradig raffinierte Abarten molekularer Säure sind ungeheuer kräftig, aber sie wirken üblicherweise nur auf ganz bestimmte Materialien. Dieses Zeug andererseits scheint universell wirksam zu sein. Wir haben ja gesehen, wie es sich durch eine Vielfalt höchst unterschiedlicher Substanzen hindurchgefressen hat. Metallegierung, Chirurgenhandschuhe, Bettzeug; nichts konnte ihm widerstehen.« »Und dieses verdammte Ding benutzt es als Blut! Ein beachtlich zähes kleines Monstrum.« Brett sprach von dem handförmigen Fremden mit Respekt, wenn er ihm auch nicht gerade freundliche Gefühle entgegenbrachte. »Wir wissen nicht, ob es die Flüssigkeit als Blut benutzt.« Ashs Verstand arbeitete unter dem Druck der Situation
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fieberhaft. »Es könnte auch von einem separaten Kreislaufsystem ausgehen und dazu bestimmt sein, das Ding innen sozusagen zu schmieren, ebensogut könnte es Bestandteil einer schützenden Innenschicht sein, eine Art von flüssigem Schutzendothelium. Vielleicht ist es nichts anderes, als das Gege nstück unserer Lymphflüssigkeit.« »Aber jedenfalls sehr wirksam«, stellte Dallas fest. »Man wagt nicht, es zu töten.« »Jedenfalls nicht an Bord eines abgedichteten Schiffes.« Ripley stellte das ganz ruhig fest. »So ist es«, nickte Ash. »Wir könnten Kane nach draußen bringen, wo die Körperflüssigkeiten des Allen die Nostromo nicht beschädigen können, und versuchen, es abzuschneiden. Nur, daß wir ziemlich sicher sind, daß dieses Geschöpf ihn am Leben hält.« »Sobald wir es von ihm abgeschnitten und dieses Rohr aus seiner Kehle geholt haben, könnten wir ihm Sauerstoff einflößen«, meinte Ripley. »Wir könnten ihn auch in eine Thermodecke hüllen, um ihn warm zu halten. Es wäre schließlich auch möglich, draußen ein Luftzelt ohne Boden aufzubauen. Soll die Flüssigkeit doch im Boden versickern.« »Keine schlechte Idee«, räumte Ash ein, »nur sind zwei Dinge dabei nicht bedacht.« Ripley wartete ungeduldig. »Zum ersten könnte eine gewaltsame Entfernung der Kreatur zu einer fatalen Unterbrechung seiner lebenserhaltenden Funktion führen. Der Schock könnte Kane töten. Zum zweiten haben wir keine Garantie, daß die Kreatur, wenn man sie verletzt, nicht dadurch reagiert, daß sie sich und alles andere in ihrer Reic hweite mit dieser Flüssigkeit besprüht. Eine solche Reaktion würde durchaus im Einklang mit den gleichzeitig zerstörerischen und schützenden Möglichkeiten der Flüssigkeit stehen.« Er machte eine kleine Pause, damit die Vorstellung bei allen einsinken konnte. »Selbst wenn derjenige, der den Schnitt durchführt, irgendwie
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der Flüssigkeit ausweichen könnte, möchte ich nicht die Verantwortung für das übernehmen, was von Kanes Gesicht übrigbleibt. Oder seinem Kopf.« »Also schön.« Ripleys Stimme klang etwas beleidigt. »Dann war es eben keine gute Idee. Was schlagt ihr denn vor?« Sie deutete mit dem Daumen auf die Krankenstation. »Sollen wir ihn etwa mit diesem Ding im Gesicht nach Hause bringen?« »Ich sehe darin keine Gefahr.« Ash schien von ihrem Sarkasmus nicht beeindruckt. »Solange seine Lebensreaktionen stabil bleiben, halte ich das für eine brauchbare Alternative. Wenn sie sich verändern, müssen wir natürlich etwas anderes versuchen. Aber im Augenblick muß ich sagen, daß die Aussicht, Kane Schaden zuzufügen, größer ist, wenn wir diese Kreatur gewaltsam entfernen.« Ein weiteres Gesicht erschien im Treppenaufgang. »Immer noch keine Spur von dem Zeug. Hat es zu bluten aufgehört?« Parkers Blick wanderte von der mürrischen Ripley zu Dallas. »Ja. Nachdem es sich durch zwei Etagen gefressen hat.« Die Kraft der fremden Flüssigkeit beunruhigte ihn noch immer. Ripley sah sich plötzlich erschrocken um. »Wir sind alle hier unten, was ist mit Kane? Keiner kümmert sich um ihn ... oder den Fremden.« Alle rannten gleichzeitig auf die Treppe zu. Dallas erreichte die Krankenstation als erster. Ein schneller Blick verriet ihm, daß sich nichts verändert hatte. Kane lag immer noch so, wie sie ihn verlassen hatten, und das Alien klammerte sich an sein Gesicht. Dallas war über sich selbst verärgert. Wie ein kleiner Junge hatte er sich verhalten. Freilich hatte die Flüssigkeit eine unerwartete, ja gefährliche Reaktion gezeigt, aber keineswegs genug, um die Panik zu rechtfertigen, die sich ergeben hatte. Er hätte zuerst ein oder zwei Leute der Mannschaft damit beauftragen müssen, in der Krankenstation zu bleiben und das
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fremde Geschöpf im Auge zu behalten. Zum Glück hatte sich während ihrer Abwesenheit nichts verändert. Das Alien hatte sich nicht bewegt. Und Kane wie es schien, ebenfalls nicht. Von nun an würde, gleichgültig, welche Probleme sich andernorts ergeben mochten, immer jemand in der Krankenstation Wache halten. Die Situation war schon gefährlich genug, ohne daß dem Fremden die Gelegenheit geboten wurde, unbeobachtet zu handeln. »Ist ihm etwas von der Säure ans Gesicht gekommen?« Parker stand an der Tür und bemühte sich, einen Blick auf Kane zu werfen. Dallas trat neben die Plattform. Er untersuchte den Kopf des Ersten Offiziers sorgfältig. »Ich glaube nicht. Die Flüssigkeit ist außen an dem Ding heruntergelaufen ohne Kanes Haut zu berühren.« Brett drängte sich in die Tür. »Tropft das Zeug immer noch herunter? Wir haben im Lager unten Keramikmaterial, das so ziemlich allem widersteht. Ich weiß nicht, wie das mit diesem Zeug hier ist, aber wenn nötig, können wir es ja ausprobieren. Ich könnte einen Behälter improvisieren.« »Nicht nötig«, erklärte Dallas. »Es hat zu bluten aufgehört.« Ash untersuchte die Stelle, wo Dallas das Laserskalpell angesetzt hatte. »Völlig verheilt. Keine Spur der Wunde. Bemerkenswerte Regenerationsfähigkeit. Man sieht nicht einmal mehr, daß es geschnitten wurde.« »Es muß doch irgendeine Möglichkeit geben, es wegzukriegen.« Lambert schauderte. »Mir wird richtig übel, wenn ich es so dort liegen sehe mit diesem Rohr oder was es ist in Kanes Hals.« »Wenn es an dir kleben würde, würde dir noch übler« spottete Ripley. Lambert blieb auf Distanz. »Das ist aber gar nicht komisch.« »Ich sage es noch einmal ich glaube nicht, daß es eine gute
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Idee wäre, wenn wir versuchten, diese Kreatur zu entfernen.« Ash sah Dallas nicht an. »Beim letzten Mal hat es auch nicht besonders gut funktioniert.« Dallas warf seinem Wissenschaftsoffizier einen scharfen Blick zu, entspannte sich dann aber wieder. Ash war wie gewöhnlich nur objektiv. Es lag einfach nicht in seiner Natur, sarkastisch zu sein. »Also, was machen wir?« wollte Lambert wissen. »Gar nichts«, entschied Dallas schließlich. »Wir können nichts tun. Wir haben es versucht, und das hat, wie Ash richtig feststellte, beinahe dazu geführt, daß wir ein Loch in die Schiffswand bekamen. Also ... übergeben wir ihm wieder dem Autodoc und hoffen, daß dem etwas Besseres einfällt.« Er drückte einen Knopf. Ein leises Summen ertönte, und Kanes Plattform glitt wieder in die Maschine zurück. Dallas legte weitere Schalter um und konnte erneut das Innenleben des komatosen Ersten Offiziers sowie dazugehörige Diagramme bewundern. Aber Neues erfuhr er nicht, und eine Lösung wurde ihm auch nicht angeboten. Ash kontrollierte einige Angaben. »Seine Körperfunktionen sind weiterhin normal, aber es gibt Anzeichen für einsetzende Gewebedegeneration und -auflösung.« »Dann schadet es ihm also doch, sagte Lambert. »Das muß nicht sein. Er ist jetzt schon einige Zeit ohne Nahrung und Wasser. Diese Angaben könnten auch nur auf einen ganz gewöhnlichen Gewichtsverlust hindeuten. Es gibt keine Anzeichen, daß er drastisch geschwächt würde, sei es nun durch den Fremden oder die Umstände. Trotzdem wollen wir ihn natürlich im bestmöglichen Zustand halten. Ich werde für intravenöse Ernährung sorgen, bis ich sicher feststellen kann, ob das Alien Protein aus seinem System absorbiert.« Er betätigte einige Schalter. Neue Geräusche hallten durch die Krankenstation, als der Autodoc die Aufgabe
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übernahm, den hilflosen Kane zu ernähren und die sich ergebenden Abfallprodukte zu verarbeiten. »Was ist das denn?« Ripley deutete auf sein Röntgenbild. »Dieser Fleck an seiner Lunge?« »Ich sehe keinen >Fleck<.« Dallas studierte den Bildschirm. »Ich glaube, ich weiß, was sie meint. Vergrößerungsmaßstab an den Atemorganen erhöhen, Ash ...« Der Wissenschaftsoffizier kam dem Befehl nach. Jetzt war der kleine Fleck, der Ripley aufgefallen war, deutlich zu sehen: eine dunkle unregelmäßige Stelle in Kanes Brustregion. Sie war völlig undurchsichtig. »Wir wissen nicht, was das ist.« Ash drehte an einigen Knöpfen. »Es könnte ebensogut ein Defekt am Objektiv sein, kommt gelegentlich vor.« »Gib mehr Energie drauf«, verlangte Dallas. »Vielleicht können wir die Auflösung verbessern.« Ash drehte an den Knöpfen, aber der dunkle Fleck blieb das, was er war: etwas Schwarzes, das man nicht identifizieren konnte. »Mehr kann ich die Intensität nicht steigern, sonst trägt er Strahlungsschäden davon.« »Ich weiß.« Dallas musterte den rätselhaften Fleck. »Wenn das Gerät nicht richtig funktioniert, erfahren wir nie, was in ihm vorgeht.« »Ich würde das erledigen«, erklärte der Wissenschaftsoffizier. »Ich glaube, ich kann die Linse säubern. Ich muß sie nur etwas nachpolieren.« »Aber dann sind wir ja blind.« Ash sah ihn hilflos an. »Ohne das Gerät zu zerlegen, geht es natürlich nicht.« »Dann laß es.« »Zu Befehl.« Ash wandte sich beleidigt seinen Skalen zu.
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Brett wirkte verwirrt. Seine Stimme klang enttäuscht: »Was passiert jetzt, hm? Bleiben wir einfach hier sitzen und warten?« »Nein«, antwortete Dallas, der sich daran erinnerte, daß er sich außer um Kane auch noch um das Schiff kümmern mußte. #»Wir bleiben sitzen und warten. Ihr beiden geht wieder an eure Arbeit ....
7.
»Was meinst du?« Parker beugte sich neben Brett vor und sah letzterem zu, wie dieser versuchte, in dem engen Innenraum von Modul zwölf eine letzte Verbindung abzudichten. Die Arbeit, die sie hier leisteten, erforderte normalerweise den Einsatz automatisch geführter computergesteuerter Werkzeuge. Da sie weder über eine Führungsschiene noch über Computerwerkzeuge verfü gten, waren sie gezwungen, den Schaden mit Hilfe von Geräten zu beheben, die nicht dafür gebaut waren. Die falschen Werkzeuge für die falsche Arbeit, dachte Parker verärgert. Irgendwie würden sie es schaffen müssen. Wenn sie Modul zwölf nicht einwandfrei reparierten und einsatzfähig machten, würde der Start verdammt schwierig sein. Und um diese Welt zu verlassen, hätte Parker die nötigen Reparaturarbeiten sogar mit den Zähnen vorgenommen. Im Augenblick freilich war Brett an der Reihe, sich mit den widerspenstigen Bauteilen herumzuärgern. Wie jedes Instrument an Bord der Nostromo wurden auch in dem Modul austauschbare Chips und ähnliche Ersatzteile verwendet. Es kam nur darauf an, beschädigte Teile zu entfernen, ohne daß andere kritische Funktionen unterbrochen oder noch kompli-
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ziertere Teile des Schiffsantriebs beschädigt wurden. Das Einpassen der neuen Teile bereitete keine Schwierigkeiten, wenn sie nur den verkohlten Mist los wurden. »Ich glaub', ich hab's«, erklärte sein Kollege schließlich. »Probier's mal.« Parker trat einen Schritt zurück, betätigte zwei Knöpfe an der Deckenkonsole und blickte dann hoffnungsvoll auf einen tragbaren Monitor. Er versuchte es ein zweites Mal, aber ohne Erfolg. Der Monitor blieb dunkel. »Nichts.« »Verdammt. Dabei war ich ganz sicher, daß ich das richtige Teil erwischt hatte.« »Nun, das hast du eben nicht. Versuch das nächste. Ich weiß, daß alle mit Ausnahme dieser Nummer dreiundvierzig einwandfrei aussehen, und die haben wir bereits ersetzt. Das ist ja das Blöde mit diesen verdammten Partikelzellen. Wenn der Regulator überlastet ist und welche ausbrennen, dann mußt du hinein und die herausfinden, die Vakuumschäden haben.« Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Ich wünschte, wir hätten eine Schiene.« »Ich auch.« Aus dem Inneren der Einheit waren leise scha rrende Geräusche zu hören. »Dann muß es die nächste sein.« Parker bemühte sich, optimistisch zu klingen. »Wir brauchen wenigstens nicht jede einzelne Zelle von Hand zu überprüfen. Soweit hat Mutter das schon eingegrenzt. Dafür solltest du dankbar sein.« »Ich werde dankbar sein«, antwortete Brett, »wenn wir von diesem häßlichen Felsbrocken herunter sind und ich wieder in meiner Kühltruhe liege.« »Denk nicht an Kane.« Er betätigt e die beiden Knöpfe und fluchte leise. »Wieder 'ne Niete. Probier den nächsten, Brett.« »Richtig.« Er setzte die soeben überprüfte Zelle wieder ein. Parker legte ein paar Schalter an der Decke um. Vielleicht
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gelang es ihnen, die beschädigte Leitung noch etwas weiter einzugrenzen. Modul zwölf enthielt einhundert der winzigen Partikelbeschleunigerzellen. Die Vorstellung, manuell jede einzelne davon zu überprüfen um die eine zu finden, die ausgefallen war, ließ in ihm den Wunsch aufkommen, etwas zu zerschlagen. Und genau in diesem Augenblick einem völlig unpassenden Augenblick rief eine Stimme aus einem der Lautsprecher an der Decke: »Wie steht's?« Ach, zum Teufel, dachte Parker. Ripley. Dieses verdammte Weib. Ich werd' ihr schon sagen, wie's steht. Er drückte den Knopf des Interkom. »Wie's steht willst du wissen? Ne' Menge harter Arbeit, so steht's. Richtige Arbeit. Du solltest mal hierherkommen und es probieren. Und jetzt laß mich in Frieden.« »Ich werd' dich dann in Frieden lassen, wenn Modul zwölf repariert ist, vorher nicht. Darauf kannst du dich verlassen.« Am anderen Ende klickte es, ehe Parker etwas erwidern konnte. »Was ist denn?« Brett lehnte sich aus dem Modul. Streitet ihr beiden euch schon wieder?« »Nee. Ich mag bloß dieses großmäulige Weibsstück nicht.« Brett zögerte und untersuchte dann das Innere der freigelegten Zelle. »Richtig. Versuchen wir es noch einmal.« Parker drückte die Knöpfe, blickte auf den Monitorschirm und überlegte, wie es wohl wäre, wenn er mit der Faust auf den Bildschirm einschlug und sich vorstellte, er wäre das Gesicht eines gewissen Deckoffiziers. Nicht, daß er etwas so Melodramatisches wirklich tun würde. Er neigte zwar zu Temperamentsausbrüchen, war aber vernünftig genug, um einzusehen, wie dringend er den Monitor brauchte. Und Ripley. Ash war mit einer weiteren Testreihe an Kanes bewußtloser
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Gestalt beschäftigt. Diese Testreihen lieferten ihm zusätzliche Informationen über seinen Zustand. Keine dieser Informationen war besonders nützlich, aber der Wissenschaftsoffizier fand das alles dennoch faszinierend. Kanes Innenleben war für jedermann sichtbar, der die Krankenstation betrat und einen Blick auf den Röntgenbildschirm warf. Kane selbst war außerstande, gegen dieses Eindringen in seine Privatsphäre Protest einzulegen. Ripley trat ein und warf einen Blick auf die Anzeigegeräte. Sein Zustand hatte sich nicht verändert, seit sie das letzte Mal hiergewesen war. Damit hatte sie auch nicht gerechnet. Das Alien hing immer noch an seinem Gesicht. Sie studierte die kleineren Anzeigegeräte und nahm dann den freien Platz neben Ash ein. Er reagierte auf ihr Kommen mit einem leichten Lächeln, wandte den Blick aber nicht von seiner Konsole. »Ich mache jetzt ein paar andere Tests«, teilte er ihr mit. »Nur für den Fall, daß etwas passiert.« »Was zum Beispiel?« »Ich hab' nicht die leiseste Ahnung. Aber wenn etwas passiert, möchte ich es sofort wissen.« »Etwas Neues?« »Bei Kane?« Ash überlegte, brachte Ordnung in seine Gedan ken. »Immer noch das gleiche. Unverändert. Nein, eher besser. Keine Verschlechterungen.« »Und was ist mit dem Alien? Wir wissen jetzt, daß es Säure in sich herumträgt und sich selbst schnell regenerieren kann. Wissen wir sonst noch etwas?« Ashs Stimme klang selbstgefällig, als er antwortete: «Ich hab' dir ja gesagt, daß ich Tests gemacht habe. Da wir für Kane nichts tun können, hielt ich es für vernünftig, soviel wie möglich über das fremde Geschöpf zu erfahren. Man kann schließlich nie wissen, ob nicht eine scheinbar unbedeutende
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Entdeckung uns eine Möglichkeit gibt, ihn am Ende zu entfernen. »Ich weiß.« Sie rutschte ungeduldig auf ihrem Sessel herum. »Was hast du in Erfahrung gebracht?« »Es hat eine äußere Schicht, die offenbar aus Proteinpolysachariden besteht. Das nehme ich wenigstens an. Schwer zu sagen, wenn man nicht detailliert ein Stück analysieren kann. Und wenn ich jetzt versuche, eine kleine Probe zu entnehmen, dann könnte wieder diese Flüssigkeit austreten. Wir dürfen nicht riskieren, daß der Autodoc beschädigt wird.« »Nein, kaum«, sagte sie trocken. »Im Augenblick is t diese Maschine die einzige Chance, die Kane hat.« »Genau. Noch interessanter ist, daß das Ding dauernd Zellen in einer sekundären Endodermis absondert und sie durch polarisierte organische Silikate ersetzt. Es scheint eine Doppelhaut zu haben, und diese Säure fließt zwischen den beiden Schichten. Außerdem scheint diese Säure unter hohem Druck zu stehen. Gut, daß Dallas mit dem Skalpell nicht zu tief hineingeschnitten hat, sonst hätte das Alien wahrscheinlich die ganze Krankenstation mit Säure übersprüht.« Ripley blickte gebührend beeindruckt. »Die Silikatschicht zeigt unter dem Mikroskop eine einzigartige sehr dichte Molekularstruktur. Möglicherweise ist sie sogar imstande, dem Laser Widerstand zu leisten. Ich weiß, ich weiß«, sagte er, als er ihren ungläubigen Gesichtsausdruck bemerkte, »das klingt verrückt. Aber ich hab' noch nie so zähes organisches Material gesehen. Die Anordnung dieser Zellen im Verein mit der Substanz, aus der sie bestehen, ergibt etwas, das allen Regeln der Biologie zuwider läuft. Diese Silikatzellen zum Beispiel. Sie haben metallische Bestandteile. Das verleiht der Kreatur eine ungewöhnliche Widerstandsfähigkeit gegenüber ungünstigen Umweltbedin-
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gungen.« »Sonst noch etwas Neues, ich meine außer den Silikaten und der Doppeldermis?« »Nun, ich habe noch keine Ahnung, was es atmet, oder selbst, ob es überhaupt so atmet, wie wir das verstehen. Das Alien scheint die Atmosphäre in seiner Umgebung zu verändern; möglicherweise absorbiert es die Gase, die es benötigt, durch zahlreiche Oberfläche nporen. Jedenfalls habe ich nichts gefunden, was auch nur entfernt an eine Nase erinnert. Als lebende chemische Fabrik übertrifft es in seiner Effizienz alles, wovon ich je gehört habe. Einige seiner inneren Organe scheinen überhaupt nicht zu funktionieren, während andere Organe Funktionen ausüben, die ich nicht einmal ahne. Es ist möglich, daß die im Ruhezustand befindlichen Organe Verteidigungsfunktionen haben. Das werden wir erfahren, wenn wir es je weiter provozieren müssen.« Er sah sie von der Seite an. »Genügt das?« »Allerdings.« Man hätte Kane unter keinen Umständen mehr an Bord bringen dürfen. Sie hätten ihn und das Alien draußen lassen müssen. Ash war derjenige, der die Verantwortung dafür trug, daß sie hier waren. Sie studierte den Wissenschaftsoffizier unauffällig und sah ihm zu, wie er mit seinen Instrumenten arbeitete, Ergebnisse registrierte, die ihm zusagten, und andere wieder löschte. Ash war unter der ganzen Mannschaft der letzte, den sie einer dramatischen Geste für fähig gehalten hatte, und doch war er derjenige, der die plötzliche Entscheidung, die Schleuse zu öffnen, getroffen und damit alle Vorschriften in den Wind geschlagen hatte. Sie mußte sich berichtigen. Außer Ash hatten auch Dallas und Lambert gegen die Vorschriften verstoßen, indem sie den Zutritt verlangt hatten. Und Kanes Leben war auf dem Spiel gestanden. Angenommen, Ash hätte ihrer Anweisung Folge
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geleistet und die drei draußen gelassen? Würde Kane dann noch leben? Oder wäre er jetzt schon nur mehr eine Eintragung im Logbuch? Eines freilich wäre dann einfacher gewesen: Wenn Kane überlebte, würde sie ihm nicht in die Augen sehen und versuchen müssen, ihm zu erklären, warum sie ihm und den anderen den Zutritt verweigert hatte. Ash bemerkte ihren Blick und sah sie an. »Ist etwas?« »Nein.« Sie richtete sich auf. »Fasse das für mich zusammen. Geh' einfach davon aus, daß ich so dumm bin, wie ich mir manchmal vorkomme. Was bedeutet das alles? Wo stehen wir?« »Eine interessante Kombination von Elementen und Struktur machen das fremde Lebewesen in unserer gegenwärtigen Lage und unter Zugrundelegung unserer Möglichkeiten praktisch unverletzbar.« Sie nickte. »Genau das habe ich auch herausgelesen, falls deine Ergebnisse stimmen.« Er blickte beleidigt. »Entschuldige. Okay, es ist also unverle tzlich.« Sie musterte ihn prüfend. »Hast du es deshalb hereingelassen?« Wie immer ließ sich auch diesmal der Wissenschaftsoffizier von ihr nicht herausfordern. Seiner Antwort war keinerlei Verstimmung anzumerken. »Ich befolgte einen direkten Befehl des Kapitäns. Erinnerst du dich?« Sie gab sich große Mühe, die Stimme nicht zu erheben, weil sie wußte, daß Ash nur logische Gründe respektierte. »Wenn Dallas und Kane nicht im Schiff sind, bin ich ranghöchster Offizier. Bis einer der beiden das Schiff betritt, bin ich diensttuender Kommandant.« »Ja, natürlich. Das habe ich einfach vergessen. Die Erregung des Augenblicks.« »Unsinn!« Er wandte den Blick nicht von seinen Anzeigegeräten. «Gefühle haben dich noch nie dazu gebracht, etwas zu vergessen.«
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Jetzt wandte er sich zu ihr um. »Du meinst, du kennst mich. Ihr alle meint das. Ihr seid so sicher, genau zu wissen, was für ein Mensch ich bin. Ich will dir etwas sagen, Ripley. Als ich die Innenschleuse öffnete, war mir bewußt, was ich tat, ja. Aber was die Frage angeht, wer wann das Kommando hat, nun, ich kann genauso etwas vergessen, wie jeder andere. Mein Gedächtnis ist sehr gut, aber es kann auch versagen, wie bei jedem anderen Menschen. Selbst ein mechanisches Gedächtnis wie das von Mutter kann eine Information verlieren.« Ein Fehler, sicher, dachte sie. Ein selektiver Fehler. Trotzdem war es möglich, daß der Wissenschaftsoffizier die Wahrheit sprach. Sie mußte aufpassen, nicht zu viele ihrer Mannschaftskameraden zu verärgern. Parker und Brett liebten sie schon nicht gerade, und jetzt war sie im Begriff, sich Ash zum Feind zu machen. Aber sie konnte einfach ihren Argwohn nicht unterdrücken. Beinahe wünschte sie sich, daß Ash auf sie böse werden würde. »Außerdem hast du es geschafft, das Quarantänegesetz der Wissenschaftsabteilung zu vergessen, etwas, das jedem Schiffsoffizier am Anfang seiner Ausbildung eingedrillt wird: Nimm nie ein Alien an Bord, ob lebendig oder tot.« »Nein.« Endlich, dachte sie. Eine Aussage, die sie glauben konnte. »Das habe ich nicht vergessen.« »Aha. Das hast du nicht vergessen.« Sie wartete einen Augenblick, um das, was sie sagte, noch stärker zu betonen. »Du hast es einfach gebrochen.« »Du glaubst, ich hätte das leicht fertig getan. Du glaubst, ich hätte die mögliche Konsequenzen meiner Handlungsweise nicht bedacht.« »Nein, Ash. So etwas würde ich nie denken.« Wieder reagie rte er nicht auf ihre Provokation. »Ich habe es nicht gerne getan, aber ich war der Ansicht, daß ich keine andere Wahl hatte« erklärte er mit leiser Stimme.
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»Was hättest du denn mit Kane getan? Seine einzige Überlebenschance schien mir davon abzuhängen, daß er in die Krankenstation gebracht wurde, wo der Autodoc sofort die Arbeit an ihm aufnehmen konnte. Sein Zustand hat sich stabilisiert. Ich neige dazu, das der Maschine und ihrer schne llen Behandlung zuzuschreiben, dem frühen Einsatz von Antisepsis und intravenöser Ernährung.« »Du widersprichst dir selbst, Ash. Vor einer Minute noch hast du gesagt, das Alien erhielte ihn am Leben, nicht der Autodoc.« »Das Alien scheint einen Beitrag zu leisten, aber immerhin tut es das in Kanes Atmosphäre und seiner Umgebung. Wir wissen nicht, was es getan hätte, wenn wir es mit Kane allein draußen gelassen hätten. Hier können wir ihn sorgfältig überwachen und eingreifen, wenn das Geschöpf anfängt, feindselige Handlungen zu unternehmen. Das könnten wir nicht, wenn er noch draußen wäre.« Er hielt inne, um einen Schalter umzulegen und eine Skala abzulesen. »Außerdem war es eine direkte Anweisung.« »Soll das heißen, du würdest, ganz gleich wie die Situation ist, Dallas Anweisung vor der meinen den Vorzug geben?« »Das soll einfach heißen, daß der Kapitän der Kapitän ist, und daß die Tatsache, daß er einen Meter vor dem Korridor stand, anstatt in ihm, für mich nicht als Begründung ausreicht, um seine Entscheidungen zu ignorieren.« Sie wandte den Blick ab und ärgerte sich über ihn und sich selbst. »Indem du die Quarantänevorschriften brichst, riskierst du das Leben aller, nicht nur das von Kane.« Ash beugte sich vor, um einen Befehl in den Computer zu tippen und blickte dann wie gebannt auf den Bildschirm. Als er antwortete, sah er Ripley nicht an. »Glaubst du, die Entscheidung ist mir leicht gefallen? Ich bin mir der Vorschriften hinsichtlich Quarantäne und fremder
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Lebensformen sehr wohl bewußt, vielleicht mehr als du. Ich mußte zwischen ihnen und einem Menschenleben abwägen. Vielleicht hätte ich ihn da draußen sterben lassen sollen, vielleicht habe ich uns alle in Gefahr gebracht. Aber eines weiß ich: Leute, die Vorschriften erlassen, tun das immer in der Sicherheit und fern jeder Gefahr, nicht draußen, wo diese absoluten Weisungen befolgt werden sollen. Und in Zeiten wie diesen müssen wir uns auf unseren eigenen Verstand und unsere Gefühle verlassen. Und das habe ich getan. Bis zur Stunde hat das Alien noch gegenüber keinem von uns in irgendeiner Welse bedrohlich gehandelt. Vielleicht tut es das noch, in dem Fall aber steht es einer gewarnten Gruppe von sechs gegenüber, nicht einem unvorbereiteten Mann, der durch den dunklen Laderaum eines fremden Schiffes stolpert. Und dieses Risiko würde ich gegen Kanes Leben aufrechnen.« Seine Finger tanzten über das Tastenfeld. »Ich will mit dir nicht über deine persönlichen Gefühle diskutieren.« Ripley verlegte ihr Gewicht nach links und stand dann auf. »Ich sage einfach, daß du weder das Recht noch die Befugnis hast, uns diese Gefühle aufzuzwingen. Vielleicht ist uns nicht danach zumute, dieses Risiko einzugehen.« »Das hat jetzt nichts mehr zu sagen. Kane ist an Bord ... und lebt. Die Ereignisse werden sich von dieser Realität aus weiterentwickeln, nicht von Alternativen, die in der Verga ngenheit bestanden. Es ist Zeitvergeudung, darüber zu diskutieren.« »Das ist also deine offizielle Stellungnahme als Wissenschaftsoffizier? In der Dienstvorschrift steht es anders.« »Du fängst an, dich zu wiederholen, Ripley. Warum? Willst du mich provozieren? Ich habe das, was ich getan habe, bereits freiwillig in das offizielle Logbuch diktiert und unterwerfe mich jeder Entscheidung, die die Gesellschaft in dieser Sache treffen wird. Ja, es ist meine offizielle Stellungnahme. Vergiß
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nicht, daß das erste Ziel der Wissenschaft der Schutz und die Verbesserung des menschlichen Lebens ist. Dagegen würde ich nie handeln.« »Nein, aber deine Vorstellung, wie man das menschliche Leben verbessern kann, weicht vielleicht von der Meinung anderer ab.« Aus irgendeinem Grunde veranlaßte ihn das, sich umzudrehen und sie scharf anzusehen, wo andere direktere Angriffe keine Reaktion ausgelöst hatten. »Ich nehme meine Verantwortung als Wissenschaftsoffizier ebenso ernst wie du die deine als Deckoffizier. Das sollte dir genügen. Ich habe jetzt keine Lust mehr, dieses Gespräch fortzusetzen. Wenn du eine offizielle Beschwerde über mich vorbringen willst, dann sag das Dallas. Wenn nicht«, und damit wandte er sich wieder seinen Instrumenten zu, »dann tu deinen Job und laß mich den meinen tun.« Sie nickte. »Okay.« Dann wandte sie sich um und ging zum Korridor ... Sie war unbefriedigt, wußte aber nicht, weshalb. Ashs Antworten klangen vernünftig. Es war schwer, Einwände dagegen zu finden. Aber das war es nicht, was sie störte. Was sie störte, war die Tatsache, daß das, was er getan hatte, gegen viel mehr als nur die Vorschriften verstieß. Es verstieß gegen jede Faser in der Persönlichkeit eines Wissenschaftsoffiziers, widersprach dem Professionalismus, den er so häufig unter Beweis gestellt hatte. Sie kannte ihn noch nicht sehr lange, aber bis zu diesem Augenblick hatte er auf sie und alle anderen den Eindruck gemacht, daß es für ihn nichts gab, das Vorrang vor den Dienstvorschriften hatte. Ash behauptete, er hätte so gehandelt, um ein Menschenleben zu retten. Sie hatte den offiziellen Standpunkt eingenommen. Hatte sie unrecht? Hätte Kane ihr recht gegeben? Sie begab sich zur Brücke. Sie wurde damit einfach nicht fertig, unwichtige Einzelheiten drängten sich ihr auf, nagten an ihren Gedanken. Aber das, was sie verband, fehlte noch ...
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Auf der Nostromo gab es jetzt nichts zu tun, als warten. Warten, bis Parker und Brett ihre Arbeit vollendet hatten. Warten, bis Kanes Zustand sich änderte. Auf der Brücke spielte Lambert mit dem Kater Jones. Sie hatte dazu ein Stück Schnur in der Hand, das angeblich nur zu Jones Vergnügen an Bord war. Aber der Kater wußte das besser. Manchmal oblag es ihm, die Menschen zu unterhalten. Sie schienen großes Vergnügen zu empfinden, wenn er nach der weißen Schnur haschte und sie zu fangen versuchte, wenn sie sie in ihren großen schwerfälligen Pfoten hielten. Lambert nannte das, was sie tat mit der Katze spielen. Jones nannte es mit den Menschen spielen. Er war ein sehr pflichtbewußter Kater und gab sich alle Mühe, die Navigatorin zum Lächeln zu bringen. Sie waren manchmal so ernst. Es war eine schwere Aufgabe für eine Katze, aber Jones war pflichtbewußt. Er gab sich große Mühe, die Menschen zu erfreuen und dachte an Nahrung und warme fette Mäuse. »Was denkst du?« Brett blickte unter einem Überhang hervor und musterte seinen Kollegen. Parker zog eine Schraube fest und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Fast. Noch ein halbes Grad, dann sind wir fertig. Vielleicht ist Ripley dann zufrieden.« Der Techniker schnob verächtlich. »Hast du das nicht gewußt? Ripley ist nicht zu befriedigen.« Hinter dem Einlaßgitter, an dem er arbeitete, waren pfeifende Geräusche zu vernehmen. Parker blickte auf den stummen Lautsprecher des Interkom und knurrte: »Wenn wir nach dem jetzt keinen vollen Anteil bekommen, beschwere ich mich. Wir haben uns ein doppeltes Gehalt verdient. Außerdem müßte eigentlich eine Gefahrenzulage dazukommen. Wenn die diesmal nichts ausspucken, gehe ich zur Gilde. Ich laß mir das einfach nicht mehr gefallen.« »Richtig«, brummte Brett. Eine Hand griff aus dem Inneren
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der Röhre heraus. »Ich brauche eine Abdichtung Nummer drei.« Parker fischte in einem Plastikbehälter herum und reichte Brett ein kleines graues Stück Plastik mit einer grünroten Markierung und funkelte das Interkom böse an. Der Rhythmus war primitiv, und die Aufnahme hatte mit den Jahren und durch das häufige Abspielen viel von ihrem Glanz verloren, trotzdem lag Dallas zurückgele hnt da und nahm die Musik in sich auf, als wäre er selbst im Aufnahmestudio zugegen. Sein rechter Fuß wippte lautlos im Takt mit. Das Interkom piepste. Das tat es dreimal, ehe der Kapitän es bemerkte. Er seufzte resigniert, schaltete die Musik ab und drückte die Sprechtaste. »Dallas hier.« »Ash. Ich glaube, du solltest dir Kane ansehen. Es ist ... da etwas geschehen.« Dallas schwang die Beine von der Liege und setzte sich schnell auf. Ashs Stimme klang nicht besorgt, das war ermutigend. Sie klang verwirrt, das war nicht ermutigend. »Gefährlich?« »Interessant.« »Ich komme sofort.« Er stand auf, schaltete das Bandgerät ab und sah, wie das grüne Licht an seiner Seite erlosch. Interessant, hatte Ash gesagt. Das konnte eine ganze Menge bedeuten, nicht notwendigerweise etwas Gutes. Die Gewißheit, daß Ash etwas ganz anderes gesagt hätte, wenn Kane gestorben wäre, bereitete ihm einige Erleichterung. Was bedeutete, daß der erste Offizier noch lebte ... aber in einem 'interessanten' Zustand. Wie sich gleich erweisen sollte, bezog sich Ash überhaupt nicht auf Kane. Sein Anruf war von etwas anderem ausgelöst worden.
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Dallas fand den Wissenschaftsoffizier im Korridor vor der Krankenstation. Er hielt die Nase gegen das Glas gepreßt und starrte hinein. Als der Kapitän näher kam, blickte er sich um. »Was ist denn los?« Plötzlich war Ripley am anderen Ende des Korridors aufgetaucht. Ihr Blick wanderte schnell zwischen Ash und Dallas hin und her. »Ich habe mitgehört.« »Gelauscht« Dallas sah sie überrascht an. Sie schnitt eine Grimasse. »Auf diesem Kahn gibt's doch sonst nichts zu tun. Warum? Einwände?« »Nein, nur neugierig.« Er blickte durch das dicke Glas in die Krankenstation und fragte dann Ash, als ihm keine besondere Offenbarung zuteil wurde: »Nun?« »Kane.« Der Wissenschaftsoffizier deutete. »Sieh ihn dir genau an. Ganz.« Dallas blickte durch die Scheibe, kniff die Augen zusammen und bemerkte dann, wovon Ash redete. Oder besser, er bemerkte es nicht. »Es ist weg.« Das Alien war nirgends in der Krankenstation zu sehen. Kane lag reglos auf der Plattform des Autodoc. Seine Brust hob und senkte sich regelmäßig. Er schien normal und ohne Mühe zu atmen, obwohl das Alien nicht mehr da war. Bei genauerem Hinsehen konnte man kleine schwarze Punkte sehen, die über sein Gesicht verteilt waren. »Hat es etwas an ihm hinterlassen?« Dallas schauderte bei dem Gedanken. »Nein.« Ash sagte das ganz entschieden, und Dallas war willens, ihm zu glauben. Er mußte ihm glauben. Außerdem konnte man den Personalakten entnehmen, daß der Wissenschaftsoffizier von allen Mannschaftsmitgliedern die schärfsten Augen hatte. »Das sind Eindrücke, keine Erhebungen. Wahrscheinlich Saugmarken.« Ash hielt inne und fügte dann hinzu: »Davon abgesehen, scheint Kane von dem, was er mitgemacht hat,
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völlig unverletzt.« »Was aber möglicherweise noch nicht vorüber ist«, warf Ripley ein. »Die Tür ist dicht. Das Alien muß noch irgendwo dort drinnen sein.« Ihre Stimme klang selbstsicher, aber sie entsprach keineswegs den wahren Gefühlen, die sie empfand. Die Vorstellung, daß das spinnenähnliche Handgebilde mit seinem glasigen starren Auge irgendwo auf dem Boden herumhuschte, machte ihr mehr Angst als sie zu zeigen wagte. »Wir können die Tür nicht öffnen«, sagte Ash nachdenklich. »Schließlich wollen wir es nicht herauslassen. Es frei im Schiff herumlaufen zu lassen, wäre das Allerletzte.« »Ganz meine Meinung.« Ripley suchte den Boden der Krankenstation ab, sah aber nur glattes Metall und Farbe. »Wir können es nicht packen oder aus der Ferne töten. Was also tun?« »Als wir versuchten, es von Kanes Gesicht zu entfernen«, sagte Dallas, »haben wir es geschnitten, es verletzt. Vielleicht würde das Alien keinen Widerstand leisten, wenn wir es nicht zu offenkundig bedrohten. Vielleicht können wir es einfach aufheben.« Visionen von spektakulären Anerkennungen durch die Gesellschaft, vielleicht eine Beförderung, ganz sicher eine Prämie, kreisten durch seinen Kopf. Dann fiel sein Blick wieder auf die bewußtlose Gestalt Kanes, und er empfand Schuldgefühle. Ripley schauderte immer noch bei dem Gedanken. »Du kannst ja versuchen, es aufzuheben. Ich behalte die Tür im Auge.« »Ich glaube, die Idee ist gut.« Ash entfernte sich von der Tür. »Es ist ein Specimen von unschätzbarem Wert. Wir sollten auf alle Fälle den Versuch machen, es lebend und unversehrt einzufangen.« Er betätigte den Türschalter. Die Krankenstation eignete sich gut dazu, das flüchtige Alien dingfest zu machen. Sie hatte
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doppelte Wände und war, abgesehen von den Schleusen, das bestgesicherte Abteil der Nostromo. Die Tür schob sich lautlos zurück. Ash warf Dallas einen Blick zu; der nickte. Wieder wurde der Schalter betätigt, und die Tür öffnete sich noch ein paar Zentimeter. Jetzt stand sie weit genug offen, daß ein Mann sich hindurchschieben konnte. Dallas ging als erster hinein, vorsichtig gefolgt von Ripley. Ash betrat den Raum als letzter und drückte schnell den Knopf, der die Tür hinter ihm schloß. Sie standen dicht nebeneinander an der Tür, und ihre Augen suchten den Raum ab. Immer noch keine Spur des Alien. Dallas schürzte die Lippen und stieg einen scharfen Pfiff aus. Das förderte zwar das Alien nicht zutage, ließ aber Ripley etwas unsicher kichern. Jetzt ging Dallas vorsichtig auf einen offenen Schrank zu. Er bot ein ausgezeichnetes Versteck. Aber als er ihn untersuchte, fand er nur sorgfältig aufgereihte medizinische Instrumente. Wenn sie das fremde Wesen nicht gerade mit den Händen einfangen wollten, brauchten sie etwas Festes. Dallas wählte den ersten Gegenstand von geeigneter Größe, den er sah, ein Tablett aus rostfreiem Stahl. Als er sich umwandte, um die Suche fortzusetzen, war er sich sehr wohl der Tatsache bewußt, daß das Alien, wenn es sich nur hinreichend bedroht fühlte, sich ebenso leicht und mühelos durch das Tablett hindurchätzen konnte wie durch seine Hände. Trotzdem machte ihn das Gewicht, das er in den Händen hielt, zuversichtlich. Ash untersuchte eine Ecke der Krankenstation. Ripley begann es zu langweilen, untätig neben der Tür zu stehen. Sie bückte sich und blickte unter die Plattform, auf der Kane lag, weil sie dachte, das Alien könne vielleicht an der Unterseite hängen. Jeder Muskel in ihrem Körper spannte sich, bereit, mit einem Satz zu fliehen, sobald sie das Wesen sah. Als die Unterseite der Plattform sich als leer erwies, war sie keineswegs ent-
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täuscht. Sie richtete sich auf und überlegte, wo sie nun suchen sollte. Sie stieß gegen ein Schott. Etwas Massives, Schweres landete auf ihrer Schulter. Ihr Kopf ruckte herum und sie erblickte lange skelettartige Finger und ein stumpfgraues Auge, das sie anstarrte. Irgendwie schaffte sie es, obwohl ihre Kehle wie zugeschnürt war, einen Schrei auszustoßen. Ihre Muskeln spannten sich. Und dabei fiel das Geschöpf schwer auf das Deck. Dort blieb es reglos liegen. Dallas und Ash waren zu ihr gerannt, als sie aufgeschrien hatte. Jetzt standen sie alle drei da und starrten das reglose Ding an, das vor ihnen lag. Die Finger waren verkrümmt wie die der Hand eines Toten, der es immer noch verblüffend glich. Nur die zusätzlichen Finger, der Schwanz und das stumpfe lidlose Auge störten die Illusion. Ripleys rechte Hand lag auf der Schulter, wo das Ding gelandet war. Sie schluckte Luft, anstatt sie einzuatmen, und langsam wich das Adrenalin wieder aus ihrem Kreislauf. Sie glaubte immer noch das Gewicht des Alien auf sich zu spüren. Ihr Fuß schob sich vor, stieß das handähnliche Gebilde an. Es bewegte sich nicht, leistete auch keinen Widerstand. Das Auge war stumpf, und die lederne Haut sah eingeschrumpft und trocken aus. Wieder stieß sie es mit dem Fuß an, drehte es um. Das Rohr lag schlaff an der Handfläche, fast völlig eingezogen. Ich glaube, es ist tot.« Dallas studierte noch einen Augenblick lang die Leiche, die er nicht erwartet hatte, und sah dann Ripley an. »Alles in Ordnung?« Sie mußte sich mit aller Willenskraft zwingen, Zunge und Kehlkopf zu betätigen. »Yeah. Es hat nichts gemacht. Ich glaube, es war schon tot, ehe es auf mich fiel.« Sie trat an den offenen Schrank und entnahm ihm eine lange Zange. Als sie damit die verkrümmten Finger berührte, löste
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das keine Reaktion aus, ebensowenig wie ein leichter Stoß nach dem Auge. Dallas hielt ihr das Tablett hin. Mit Hilfe der Zange schob sie das versteinerte Alien hinauf und klappte dann hastig den Deckel zu. Sie traten an einen Tisch. Das Alien wurde vorsichtig von dem Tablett entfernt und auf eine glatte Fläche gelegt. Ash richtete ein helles Licht darauf. Jetzt konnte man die gespenstische Blässe deutlich erkennen. Er nahm eine kleine Sonde und betastete damit das reglose Ding. »Seht euch diese Saugnäpfe an.« Er deutete mit der Sonde auf eine Reihe kleiner tiefer Löcher, die dicht an dicht die Inne nseite der »Handfläche« des Geschöpfes ringsum säumten. »Kein Wunder, daß wir ihn nicht herunterkriegen konnten damit und mit den Fingern und dem Schwanz, den er um seinen Hals geschlungen hatte.« »Wo ist sein Mund?« Dallas mußte sich zwingen, um den Blick von dem großen Auge zu reißen. Selbst im Tode ging noch eine hypnotische Anziehung von ihm aus. »Er muß in diesem rohrähnlichen Organ hier oben sein. Dem Ding, das er ihm in den Hals geschoben hat. Aber man konnte nie irgendwelche Anzeichen sehen, daß er Nahrung aufnahm.« Ash drehte die Leiche mit der Sonde auf den Rücken. Er griff mit der Zange nach dem Rohr und zog es halb aus der Handfläche heraus. Es veränderte rasch die Farbe, wurde dem Rest des Körpers gleich. »Es verhärtet offenbar, sobald es mit Luft in Berührung kommt.« Ash schob die Leiche unter ein Betrachtungsgerät, fokussierte die Linse und drehte an einigen Knöpfen. Ziffern und Worte erschienen auf winzigen Bildschirmen, als er einen bestimmten Knopf drückte. »Es ist alles«, teilte er ihnen schließlich mit. »Es ist vorbei. Das Alien ist tot. Keinerlei Spuren von Leben. Wir wissen zwar nicht viel über das Wesen, aber es ist auch nicht so
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fremdartig, daß man nicht bestimmen kann, ob es lebt oder tot ist.« Ripleys Schulter prickelte immer noch. »Gut. Schaffen wir es weg.« Ash sah sie ungläubig an. »Das soll natürlich ein Witz sein. Sehr komisch.« Sie schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht.« »Aber ... wir müssen das doch mitnehmen.« Ashs Stimme klang beinahe erregt. »Das ist der erste Kontakt mit einem Wesen wie diesem. Es gibt auf keinem der Bänder so etwas. Es ist einzigartig. Eine einmalige Chance. Wir müssen alle möglichen Tests durchführen.« »Schön« sagte sie. »Dann mach deine Tests und dann scha ffen wir es weg.« »Nein, nein. Dazu braucht man die Hilfsmittel eines komplett ausgestatteten Biologielabors. Ich kann nur oberflächliche Einzelheiten über Zusammensetzung und Körperbau aufzeic hnen. Über seine Evolutionsgeschichte möchte ich nicht einmal Vermutungen anstellen. Wir können doch nicht eine der größten xenobiologischen Entdeckungen des letzten Jahrzehnts wie ein Stück Müll durch die Schleuse werfen! Ich protestiere persönlich und in meiner Eigenschaft als Wissenschaftsoffizier ganz entschieden. Kane würde dasselbe tun.« »Dieses Ding hat Säure geblutet und fast ein Loch durch das Schiff gefressen.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung darauf. »Der Himmel weiß, wozu es jetzt, da es tot ist, noch imstande ist.« »Es hat überhaupt nichts getan«, konterte Ash. »Die Säur eflüssigkeit ist wahrscheinlich von den toten Zellen absorbiert und dort unwirksam gemacht worden. Überhaupt nichts hat es getan.« »Noch nicht.«
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Ash sah Dallas flehend an. Es hat sich nicht bewegt und in keiner Weise Widerstand geleistet, als wir es von allen Seiten betasteten, selbst am Auge. Das Gerät hier beharrt darauf, daß es tot ist, und ich glaube, ich gehe kein Risiko ein, wenn ich annehme, daß es kein Zombie ist. Dallas, wir müssen dieses Specimen behalten.« Als Dallas keine Antwort gab, fuhr Ash fort: »Außerdem, wenn es uns nicht gelingt, ihn aus seinem Koma herauszureißen, braucht das Ärzteteam, das ihn behandelt, dringend das Wesen, das diesen Zustand herbeigeführt hat. Wenn wir es wegwerfen, werfen wir vielleicht auch unsere Chance weg, Kane wieder zum Leben zu erwecken.« Jetzt sprach Dallas endlich. »Du bist der Wissenschaftsoffizier. Das ist deine Abteilung, deine Entscheidung.« »Dann ist die Entscheidung auch getroffen.« Ash warf seiner Akquisition einen liebevollen Blick zu. »Ich werde es in ein Stasisrohr einschließen. Damit ist jede Gefahr gebannt, daß es wieder zum Leben erwacht. Wir kommen schon klar damit.« »Das dachte Kane wahrscheinlich auch«, murmelte Ripley. Dallas funkelte sie an, und sie wandte den Blick ab. »Damit wäre die Zukunft des Monstrums wohl geklärt, denke ich.« Sie deutete auf den Autodoc. »Und was ist mit Kane?« Ash blickte auf den Patienten. Nachdem er den Ersten Offizier, insbesondere sein Gesicht mit den Druckstellen der Saugnäpfe untersucht hatte, schaltete der Wissenschaftsoffizier einige Instrumente an der Medizinkonsole ein. Der Autodoc gab einige Geräusche von sich, und dann traten die Anzeigegeräte in Aktion. »Er hat Fieber.« »Schlimm?« »Nein. Sein Körper kommt damit zurecht. Die Maschine wird seine Temperatur senken. Er ist immer noch bewußtlos.«
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»Das sieht man«, sagte Ripley verärgert. Ash warf ihr einen finsteren Blick zu. »Nicht unbedingt. Er könnte auch schlafen, das wäre dann etwas anderes.« Ripley wollte antworten, aber Dallas hinderte sie daran. »Hört auf, euch zu streiten, ihr beiden.« Als ob er nicht ohnehin schon genug zu tun hätte, nun mußte er auch noch Streit unter der Mannschaft schlichten. Angesichts der Ausnahmesituation, in der sich zuletzt alle befunden hatten, mußte man mit solchen Konflikten rechnen. Aber er würde das nicht dulden. Auf alle Fälle galt es offene Streitigkeiten zu vermeiden. Er hatte jetzt keine Zeit für so etwas. Um Ripleys Gedanken von Ash abzulenken und umgekehrt, fragte er: »Bewußtlos und leichtes Fieber. Noch etwas?« Ash studierte die Instrumente. »Nichts, was man hier sehen kann. Seine Vitalsignatur ist anhaltend stark.« »Langzeitprognose?« Der Wissenschaftsoffizier zögerte. »Ich bin kein Mediziner. Die Nostromo ist dafür zu klein.« »Oder zu unwichtig. Ich weiß. Aber du kommst einem Mediziner am nächsten. Ich will nur deine Meinung erfahren. Das kommt nicht ins Logbuch, und ich werde es dir später auch nicht vorhalten. Verdammt, wie könnte ich auch.« Sein Blick wanderte zu Kane zurück, Kane, der sein Mannschaftskamerad, sein Freund war. »Ich will nicht unangemessen optimistisch erscheinen«, sagte Ash vorsichtig, »aber basierend auf seinen augenblicklichen Zustand und dem, was die Monitore zeigen, würde ich sagen, daß er durchkommt.« Dallas lächelte erleichtert und nickte langsam. »Gut. Mehr kann man nicht verlangen.« »Hoffentlich hast du recht«, fügte Ripley hinzu. »In einigen Dingen sind wir unterschiedlicher Meinung, aber diesmal bete ich darum, daß du recht hast.«
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Ash zuckte die Achseln. »Ich wünschte, ich könnte mehr für ihn tun, aber, wie gesagt, ich bin dazu nicht ausgebildet. Alles liegt beim Autodoc. Im Augenblick sehe ich hier ein paar höchst seltsame Daten, aber die Maschine kann auf keinerlei Präzedenzfälle zurückgreifen. Wir können nur warten, bis sie sich zurecht reimt, was der Fremde ihm angetan hat. Dann erst kann sie die Behandlung aufnehmen.« Plötzlich wirkte er enttäuscht. »Ich wünschte, ich hätte eine medizinische Ausbildung. Ich warte nicht gerne auf Maschinen.« Ripley blickte überrascht auf. »Das ist das erste Mal, daß ich dich etwas Negatives über eine Maschine sagen höre, Ash.« »Keine Maschine ist perfekt. Sie sollten flexibler sein. Wir brauchen hier ein komplettes Krankenhaus, nicht nur diesen kleinen Autodoc. Seine Konstruktion reicht nicht aus, um mit etwas so ... nun, mit diesem Fremden fertig zu werden. Das Problem übersteigt möglicherweise seine Fähigkeiten. Wie jede Maschine ist auch der Autodoc nur so wirksam wie die Informationen, die man ihm einprogrammiert hat. Ich wü nschte, ich verstünde mehr von Medizin.« »Dies ist auch das erste Mal«, fuhr Ripley fort, »daß ich von dir höre, daß du dich irgendeiner Sache nicht gewachsen fühlst.« »Wenn man weniger als alles weiß, fühlt man sich immer unsicher. Ich verstehe nicht, wie du das anders sehen kannst.« Er blickte wieder auf Kane. »Und dieses Gefühl verstärkt sich, wenn einen das Universum mit etwas konfrontiert, das über alle bisherigen Erfahrungen hinausgeht. Ich verfüge nicht über das Wissen, um angemessen zu reagieren, und das vermittelt mir ein Gefühl der Hilflosigkeit.« Er griff nach der Zange und hob das Alien an zwei seiner Finger an und praktizierte es in ein großes durchsichtiges Glas.
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Dann drückte er einen Knopf im Verschluß des Glases und schloß es damit dicht. Ein gelbes Licht erfüllte das Rohr. Ripley hatte den Vorgang scharf beobachtet. Irgendwie hatte sie erwartet, daß das Alien sich plötzlich durch das Stasisrohr schmelzen und sie alle angreifen würde. Endlich überzeugt, daß es sie nicht mehr bedrohen konnte, nur noch in Alpträumen, wandte sie sich um und ging auf den Ausgang zu. »Ich weiß nicht, wie es mit euch steht«, meinte sie über die Schulter, »aber ich könnte jetzt eine Tasse Kaffee vertragen.« »Gute Idee.« Dallas sah Ash an. »Kommst du alleine hier kla r?« »Du meinst alleine damit?« Er deutete mit dem Daumen auf den abgedichteten Behälter und grinste. »Ich bin Wissenschaftler. Solche Dinge erhöhen meine Neugierde, nicht meinen Pulsschlag. Ich komm schon klar, danke. Wenn sich etwas entwickelt, oder Kanes Zustand sich verändert, gebe ich sofort Bescheid.« Okay.« Er wandte sich wieder der wartenden Ripley zu. »Gehen wir Kaffee trinken.« Die Tür der Krankenstation schloß sich hinter ihnen, und sie machten sich auf den Weg zur Brücke und ließen den Autodoc zurück, der sich mit Kane beschäftigte. Und Ash, der sich mit dem Autodoc beschäftigte ...
8.
Der Kaffee beruhigte ihren Magen, wenn auch nicht ihren Geist. Rings um sie funktionierte die Nostromo glatt und
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reibungslos ohne Interesse für den hingeschiedenen Fremden, der in der Krankenstation in Stasis lag. Vertraute Geräusche und Gerüche erfüllten die Brücke. Dallas kannte einige der Gerüche und wußte, von welchen Mannschaftsmitgliedern sie stammten. Sie störten ihn nicht, er schnüffelte nur ein paarmal erkennend. Feinheiten der Zivilisation wie desodorierende Mittel wurden auf einem Schiff von der Größe der Nostromo weder vermißt, noch beklagte man ihr Fehlen. Eingeschlossen in eine Flasche aus Metall, Lichtjahre weit von warmen Welten und gesäuberten Atmosphären entfernt, hatte die Mannschaft wichtigere Dinge zu tun, als an den Ausdünstungen ihrer Nächsten Anstoß zu nehmen. Ripley wirkte immer noch beunruhigt. »Was frißt dich denn? Grübelst du immer noch darüber nach, was Ash dazu veranlaßt hat, die Schleuse zu öffnen und uns einzulassen« Ihre Stimme klang angespannt und enttäuscht. »Wie konntest du eine solche Entscheidung ihm überlassen?« »Ich habe es dir doch gesagt«, erklärte er geduldig. »Es war meine Entscheidung, Kane hereinzulassen, nicht ... oh, du meinst wegen der Leiche des Alien?« Sie nickte. »Ja. Jetzt ist es zu spät, sich wegen der Schleuse aufzuregen. Vielleicht hatte ich da sogar unrecht. Aber dieses Ding dortzulassen, ob es nun tot ist oder nicht, nach dem, was es Kane angetan hat.« Er versuchte, sie zu besänftigen. »Wir wissen nicht sicher, daß es Kane etwas angetan hat nur ausgenockt hat es ihn. Nach den Daten der Anzeigegeräte fehlt ihm sonst nichts. Und was die Frage angeht, daß wir das Alien an Bord behalten haben, nun, ich lenke dieses Schiff nur. Ich bin nur ein Pilot.« »Der Kapitän bist du.« »Ein Titel ohne Mittel, einer, der in speziellen Situationen nichts bedeutet. Parker kann in technischen Fragen meine
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Entscheidung widerrufen. Und in allem, das mit der Wissenschaftsabteilung zu tun hat, hat Ash das letzte Wort.« »Und wie geschieht das?« Die Frage klang eher neugierig als verbittert. »So wie alles andere auch geschieht. Auf Anweisung der Gesellschaft. Du mußt nur deine Dienstvorschrift lesen.« »Seit wann ist das so?« Das Gespräch begann ihm auf die Nerven zu gehen. »Komm schon, Ripley. Das ist kein Militärschiff. Du weißt so genau wie ich, daß die Vorschrift eben das ist, was die einem auftragen. Und zu diesem Prinzip gehört eben auch die Unabhängigkeit der einzelnen Abteilungen, wie beispielsweise die Wissenschaft. Wäre ich anderer Meinung, ich bin nicht sicher, ob ich hier gelandet wäre.« »Was? Die Vision der Entdeckerprämie verblaßt wohl vor dem Schemen eines Toten?« »Du weißt ganz genau, daß es nicht so ist«, sagte er scharf. »Es gibt keine Prämie, die groß genug wäre, als daß ich Kanes Gesundheit dafür eintauschen wollte. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Wir sind hier, und es ist geschehen. Hör zu, laß mich in Frieden, ja? Ich bin Kapitän eines Frachters und tue meinen Job, weil ich mir meinen Lebensunterhalt verdienen muß. Wenn ich ein wirklicher Entdecker sein wollte, und hinter Entdeckerprämien her wäre, dann wäre ich zum Randcorps gegangen. Dann hätte ich mir inzwischen schon ein halbes Dutzendmal den Kopf abreißen lassen. Ruhm und Ehre nein, vielen Dank. Nicht für mich. Mir wär's lieber, wenn ich meinen Ersten Offizier wieder hätte.« Sie gab keine Antwort und saß ein paar Minuten lang stumm da. Als sie dann weiterredete, war die Bitterkeit aus ihrer Stimme verschwunden. »Bist du mit Kane auf vielen Flügen zusammen gewesen?« »Auf genügend, um einander kennenzulernen.« Dallas Stim-
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me klang ausdruckslos, und seine Augen ruhten auf seiner Konsole. »Und Ash?. »Fängst du jetzt schon wieder an?« Er seufzte. Aber es gab keinen Ausweg. »Was ist mit ihm?« »Dasselbe. Du sagst, du kennst Kane. Kennst du Ash? Warst du je mit ihm auf Fahrt?« »Nein.« Der Gedanke störte Dallas überhaupt nicht. »Das ist das erstemal. Ich habe fünf Fahrten - lange und kurze, verschiedene Ladungen mit einem anderen Wissenschaftsoffizier gemacht, und dann, zwei Tage vor dem Abflug von Thedus, haben sie ihn durch Ash ersetzt.« Sie starrte ihn vielsagend an. »Na und?«, herrschte er sie an. »Meinen alten Deckoffizier haben sie ja auch gegen dich ausgetauscht.« »Ich vertraue ihm nicht.« »Sehr vernünftig. Was mich betrifft ... ich vertraue überhaupt niemandem.« Zeit, das Thema zu wechseln, dachte er. Nach allem, was er bisher gesehen hatte, war Ash ein guter Offizier, wenn auch ein wenig steif, was den Kontakt mit den anderen anging. Aber auf Reisen, bei denen man die meiste Zeit mit Ausnahme von Landung und Start im Hyperschlaf verbrachte, war persönliche Intimität nicht so notwendig, wie man vielleicht aus der Tradition hätte entnehmen sollen, die noch aus der Frühze it der Raumfahrt stammte und derzufolge sich alle Mannschaftsmitglieder duzten, der Kapitän eingeschlossen. Nein, solange ein Mannschaftsmitglied seine Arbeit tat, war Dallas seine Persönlichkeit gleichgültig. Und Ashs Kompetenz in Zweifel zu ziehen, hatte es bis jetzt keinen Anlaß gegeben. »Warum gehen denn die Reparaturarbeiten so langsam vo ran?« fragte Dallas. Sie blickte auf die Uhr und stellte eine kurze Berechnung an. »Die müßten jetzt allmählich abgeschlossen sein. Wahrschein-
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lich sind sie bei den letzten Überprüfungen.« »Warum hast du das nicht gesagt?« »Ich bin sicher, daß noch einiges zu erledigen ist, sonst hätten die sich schon gemeldet. Oder meinst du, ich will für Parker Zeit schinden?« »Nein. Was ist denn noch zu tun?« Sie tippte die Anfrage in ihren Computer. »Wir sind auf dem B-Deck und dem C-Deck noch blind. Die Kameras sind ausgefallen und müssen dort komplett ersetzt werden.« »Ich lege keinen großen Wert darauf, B-Deck und C-Deck zu sehen. Ich weiß, wie die aussehen. Sonst noch etwas?« »Die Energiereservesysteme sind während der Landung ausgefallen. Erinnerst du dich an das Problem mit der Sekundäranlage?. »Aber der Hauptantrieb funktioniert doch wieder.« Sie nickte. »Dann ist das mit den Reserven doch Unsinn. Wir können doch auch ohne sie starten, in unsere Kühltruhen steigen und weiterfliegen, anstatt hier herumzuhängen.« »Ist das eine gute Idee? Ich meine, mit defekten Sekundäranlagen zu starten.« »Wahrscheinlich nicht. Aber ich will hier weg und zwar schnell. Wir haben dieses Signal überprüft so gut das geht, und außer Kane gibt es hier niemanden zu retten. Soll doch eine vernünftig ausgerüstete Expedition der Gesellschaft hier landen und dieses Wrack ausgraben. Wir werden dafür nicht bezahlt. Die Vorschriften haben wir erfüllt, jetzt habe ich genug. Sehen wir zu, daß wir unseren Vogel wieder hochkriegen.« Sie übernahmen ihre vertrauten Rollen auf der Brücke. Kane und das tote Alien waren vergessen. Alles war vergessen mit Ausnahme der Startroutine. Sie waren jetzt eine Einheit. Persönliche Animositäten und Meinungen ordneten sich dem Wunsch unter, den Schlepper zu starten und wieder in den
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sauberen freien Weltraum zu bringen. »Primärantrieb aktiviert«, meldete Ash, der die Krankenstation verlassen und wieder seine Station besetzt hatte. »Roger«, sagte Lambert. »Sekundäreinheiten funktionieren immer noch nicht, Sir.« Ripley runzelte die Stirn, als sie die rote Anzeige an ihrer Deckenkonsole ablas. »Ja, verdammt noch mal, ich weiß. Navigation, sind wir bereit?« Lambert studierte ihre Armaturen. »Orbitalmanöver errechnet und eingegeben. Ich bin eben dabei, das Andockmanöver an die Raffinerie zu errechnen. Eine Sekunde noch. So.« Sie drückte nacheinander eine Reihe von Knöpfen. Über Dallas' Kopf leuchteten Ziffern auf. »Gut. Wir korrigieren, wenn nötig, sobald wir oben sind. Fertigmachen zum Start.« Von Staub umhüllt begann die Nostromo zu vibrieren. Ein tosendes Brüllen übertönte das Heulen des Sturms. Ein Donner von Menschenhand, der über die Lavahügel und die zerbrochenen sechseckigen Basaltsäulen hallte. »Startbereit«, sagte Ripley. Dallas blickte zu Ash hinüber. »Wie hält sie zusammen?« Der Wissenschaftsoffizier studierte seine Anzeigegeräte. »Alles funktioniert. Wie lange, kann ich nicht sagen.« »Lange genug für unseren Start.« Dallas schaltete das Interkom ein. »Parker, wie sehen wir denn von dort unten aus? Schaffen wir es ohne den Hyperdrive?« Wenn sie mit dem Primärantrieb die Schwerkraft des Planeten nicht überwinden konnten, das wußte Dallas, würden sie den Hyperdrive einschalten müssen. Aber ein oder zwei Sekunden Hyperdrive würden sie völlig aus diesem System schleudern, und das bedeutete, daß sie eine neue Ortsbestimmung machen mußten. Und das würde sie wertvolle Wachzeit
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kosten, um ihre Ladung wieder aufzufinden. Und Wachzeit bedeutete Luft. Minuten entsprachen Litern. Die Nostromo konnte ihren mageren Vorrat an Atemluft nur eine bestimmte Zeit lang wieder aufbereiten. Wenn ihre Lungen anfingen, die ihnen angebotene Luft abzuweisen, würden sie in die Kühltruhen zurücksteigen müssen, ob sie die Raffinerie gefunden hatten oder nicht. Dallas dachte an die gigantische schwebende Fabrik und versuchte sich vorzustellen, wie lange sie wohl brauchen würden, um sie mit ihren bescheidenen Gehältern abzubeza hlen. Parkers Antwort klang hoffnungsvo ll, wenn auch nicht gerade ermutigend. »Okay. Aber denkt daran, daß das alles nur Flickwerk ist. Für richtige Reparaturen würde ich ein Raumdock brauchen.« »Wird sie zusammenhalten?« »Das sollte sie schon, wenn wir nicht in zu viele Turbulenzen geraten. Dann könnten die neuen Zellen durchbrennen ... und dann wäre Sense ... Noch mal reparieren könnten wir sie nicht.« »Also vorsichtig«, fügte Brett von seinem Platz in der Technikabteilung hinzu. »Verstanden, wir werden aufpassen. Wir brauchen ja nicht mehr als Null- G, dann fliegen wir den Rest des Weges bis Sol im Hyperdrive. Und wenn die verdammten Zellen dann Lust haben, können sie meinetwegen wie Popcorn platzen. Aber bis wir droben und draußen sind, sorgt ihr dafür, daß sie intakt bleiben, und wenn ihr sie dazu mit bloßen Händen festhalten müßt.« »Wir werden uns bemühen«, sagte Parker. »Roger. Brücke Ende.« Dallas wandte sich um und blickte den Deckoffizier der Nostromo an. Ripley hatte den Dienst von Kane übernommen. »Bring uns auf hundert Meter Höhe und
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zieh die Landestreben ein.« Er wandte sich seiner eigenen Konsole zu. »Ich werde dafür sorgen, daß sie sich ruhig hält.« »Hundert.« Ripley betätigte ihre Schalter. Das Donnern draußen wurde stärker, als der Schlepper von der ausgedörrten staubbedeckten Planetenoberfläche abhob. Das Schiff hing jetzt hundert Meter über dem Boden, und unter ihm wirbelte der Staub. Massive beinähnliche Säulen, die die Nostromo getragen hatten, falteten sich jetzt in ihren stählernen Leib. Auf der Brücke war ein leichter Stoß zu verspüren, der die Computeranzeigen bestätigte. »Streben eingezogen«, verkündete Ripley. »Schließe Schilde.« Metallplatten schoben sich über die Gehäuse der Streben und verhinderten, daß Staubpartikel oder fremde Atmosphäre eindrang. »Bereit«, erklärte Ash. »Okay. Ripley, Kane ist nicht hier, sie gehört also dir. Bring sie in die Höhe.« Sie schob einen Doppelhebel an der Konsole des Ersten Offiziers nach vorne. Das Brüllen draußen war jetzt ohrenbetäubend, aber da war niemand, der es hören und gebührend vo n den Fähigkeiten der Menschheit beeindruckt sein konnte. Leicht nach oben geneigt, begann die Nostromo sich nach vorne zu schieben. »Ich nehme jetzt Fahrt auf«, sagte Ripley und drückte ein paar zusätzliche Knöpfe. »Los geht's.« Unter gleichmäßiger Beschleunigung jagte der Schlepper himmelwärts. Mächtige Winde zerrten an der zähen Außenhaut, konnten aber das Sternenschiff weder abbremsen, noch von seinem Kurs abbringen. Lamberts ganze Aufmerksamkeit war auf eine Skala fixiert. »Ein Kilometer und steigend. Auf Kurs. Orbitaleinschuß in fünf Komma drei zwo Minuten.« Wenn, fügte sie in Gedanken hinzu, wir solange zusammenhalten.
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»Sieht gut aus«, murmelte Dallas und sah zu, wie sich auf seiner Konsole zwei Linien überlagerten. »Künstliche Schwerkraft einschalten.« Lambert legte einen Schalter um. Das Schiff schien einen Satz zu machen. Dallas Magen revoltierte, als der Andruck, den die Motoren erzeugten, plötzlich verschwand und an seine Stelle normale Erdschwerkraft trat. »Eingeschaltet«, meldete Lambert, sobald ihr Innenleben sich wieder beruhigt hatte. Ripleys Blick wanderte von einer Skala zur anderen. Eine kleine Diskrepanz zeigte sich, und sie beeilte sich, sie zu korrigieren. »Ungleichmäßiger Andruck. Ändere jetzt den Vektor.« Sie drehte an einem Knopf und sah befriedigt zu, wie eine Flüssigkeitssäule an ihrem Armaturenbrett wieder an die Stelle kroch, wo sie hingehörte. »Ausgleich durchgeführt.« Dallas begann schon zu glauben, daß sie es ohne Schwierigkeiten schaffen würden, als plötzlich ein heftiges Zittern die Brücke durchlief. Nicht festgeklemmte Gegenstände flogen herum. Das Zittern dauerte nur einen Augenblick lang und wiederholte sich nicht. »Was, zum Teufel, war das?« fragte Dallas. Wie um ihm zu antworten, piepste das Interkom. »Bist du das, Parker?« »Yeah. Wir haben hier ein Problem.« »Gefährlich?« »Steuerbordantrieb überhitzt sich. Bilde dir selbst deine Meinung.« »Kannst du das reparieren?« »Du machst wohl Witze? Ich schalte ihn ab.« »Gleiche unregelmäßigen Schub aus«, verkündete Ripley feierlich. »Sorge dafür, daß wir am Stück bleiben, bis wir draußen sind«, bat Dallas das Mikrofon.
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»Was meinst du wohl, was wir hier hinten machen?« Das Interkom verstummte klickend. Jetzt war auf der Brücke eine leichte Veränderung im Tosen der Motoren zu hören. Alle blickten starr geradeaus, aus Angst, im Gesicht des anderen ein Spiegelbild der eigenen Ängste zu sehen. Die Nostromo setzte jetzt etwas langsamer, aber immer noch mühelos durch kochende Wolken schneidend, ihren Kurs hinauf ins All fort, der den kleinen Planeten umkreisenden Raffinerie entgegen. Im Gegensatz zu der vergleichsweisen Ruhe, die auf der Brücke herrschte, war der Maschinenraum Schauplatz hektischer Aktivität. Brett war wieder in ein Rohr gekrochen. Er schwitzte und wünschte sich, woanders zu sein. »Hast du es raus?« fragte Parker von draußen. »Yeah. Ich denke schon. Die verdammten Einlässe sind wieder mit Staub verstopft. Jetzt überhitzt sich Nummer zwei.« »Ich dachte, wir hätten den Dreck ausgesperrt.« »Ich auch. Muß irgendwie durchgekommen sein. Diese verdammten Maschinen sind zu empfindlich.« »Sie sind auch nicht dafür konstruiert, durch Staubhurrikane zu fliegen«, erinnerte Parker seinen Kollegen. »Spuck noch zwei Minuten drauf, dann sind wir durch.« Ein zweites Zittern ging durch die Brücke. Alle Augen klebten an den Anzeigegeräten. Dallas überlegte, ob er in der Ingenieurabteilung anfragen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Wenn Parker etwas zu melden hatte, würde er das auch ohne Aufforderung tun. Komm schon, komm schon, drängte er stumm. Er gelobte, wenn Parker und Brett den Primärantrieb noch ein oder zwei Minuten in Gang halten konnten, würde er sie für die Prämien vorschlagen, von denen sie dauernd redeten. Eine Skala an seinem Armaturenbrett zeigte ihm, daß die Anziehungskraft
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des Planetoiden schnell schwächer wurde. Eine Minute noch, bettelte er, und seine Hand streichelte, ohne daß ihm das bewußt wurde, die Wand. Eine lausige Minute noch. Und dann brach die Nostromo durch eine hohe Wolkendecke ins freie Weltall hinaus. Eine Minute und fünfzig Sekunden später fiel der Schwerkraftindikator auf Dallas Konsole auf Null zurück. Das war das Signal für einige höchst unprofessionelle, aber aus tiefstem Herzen kommende Hurrarufe auf der Brücke. »Wir haben's geschafft!« Ripley lag erschöpft auf ihrem gepolsterten Kontursessel. »Verdammt, wir haben es geschafft.« »Als dieses erste Zittern durchs Schiff ging und unser Vektor abrutschte, dachte ich schon, wir würden es nicht mehr schaffen«, hauchte Dallas. »Ich sah uns schon am nächsten Berghang kleben wie unsere Vorgänger.« Er deutete nach unten. »Die haben weniger Glück gehabt. Aber dann wäre es wohl besser gewesen, gleich in den Hyperdrive zu gehen und die Raffinerie im Orbit hängen zu lassen. Aber ohne die möchte ich lieber nicht nach Hause kommen.« »Kein Anlaß zur Sorge.« Lambert lächelte nicht. »Wir hätten auch ohne weiteres wieder landen und dortbleiben können. Und dann wäre unser automatisches Notsignal angelaufen. Wir hätten im Hyperschlaf abwarten können, bis irgendeine andere Mannschaft dieses Glückslos zieht und aus den Kühltruhen geworfen wird, um uns zu retten.« Du darfst noch nichts von den Prämien erwähnen, redete Dallas sich ein. Du mußt sie damit überraschen, wenn sie im Erdorbit aufwachen. Aber ein verbales Lob hatte sich die Ingenieurmannschaft zumindest verdient. Er drückte den Schalter seiner Sprechanlage. »Gute Arbeit, ihr beiden. Wie läuft sie denn?« »Jetzt, wo wir aus dem Staub raus sind, schnurrt sie wie
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Jones.« Aus dem Lautsprecher kam ein scharfes Knacken. Dallas runzelte die Stirn. Er konnte das Geräusch nirgends unterbringen. Dann begriff er, daß Parker vermutlich eine Bierdose dicht vor dem Mikrofon geöffnet hatte. »Der reinste Spaziergang war das«, fuhr der Ingenieur stolzgeschwellt fort. »Wenn wir etwas reparieren, dann bleibt es auch repariert.« Ein gurgelndes Geräusch kam aus dem Lautsprecher, als wäre Parker am Ertrinken. »Sicher war es das. Feine Arbeit«, versicherte ihm Dallas. »Macht Pause. Ihr habt sie euch beide verdient. Und, Parker sie ...? »Hm?« »Wenn wir die Erde anrufen und du deine Abteilung mit der Technikkontrolle koordinierst, solltest du dein Bier vielleicht nicht so dicht am Mikrofon öffnen.« Das gurgelnde Geräusch entfernte sich. Dallas schaltete befriedigt ab und sagte zu niemand bestimmtem: »Jetzt holen wir uns das Geld und gehen nach Hause. Fahr sie in die Garage, Lambert.« Der Steigwinkel der Nostromo begann flacher zu werden. Einige Minuten verstrichen, ehe aus einem kleinen Gitter über der Navigationsstation ein gleichmäßiges Piepen ertönte. »Hier kommt sie«, teilte Ripley ihren Kollegen mit. »Genau wo sie hingehört.« »Okay.« Dallas drückte ein paar Schalter. »Bring uns in den gleichen Orbit und halte dich zum Andockmanöver bereit.« Die Instrumente summten, während der Schlepper Position zu dem Berg aus Metall und Plastik aufnahm. Ripley legte einen Schalter um, und der Schlepper bezog mit dem Heck voran Position vor der finsteren Masse der Raffinerie. »Position erreicht«, meldete sie. »Bring uns ran.« Dallas konzentrierte sich voll auf seine Anzeigegeräte. Seine Hand schwebte über einer Reihe roter
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Knöpfe. »Wir liegen okay.« Ripley mußte zwei Bildschirme gleichzeitig im Auge beha lten. »Abstand schrumpft. Zwanzig ... fünfzehn ... zehn ... fünf ... okay.« Sie legte einen Schalter um. »Andocken!« Dallas drückte die roten Knöpfe ein. »Motoren abgeschaltet, Primärantrieb ausgeglichen. Trägheitsstabilität erreicht. Hyperdrivesperre aktivieren.« »Aktiviert«, meldete Ripley. »Jetzt hängen wir aneinander.« Wenn die Nostromo jetzt aktiviert wurde, würde sie ein Hyperdrivefeld von ausreichender Ausdehnung erzeugen, um auch die Raffinerie einzuschließen. Sie würde jetzt mit ihnen durch das Weltall reisen, eingehüllt in jene mysteriöse Manifestation der Unwirklichkeit, die es Schiffen und Menschen gestattete, schneller als das Licht zu reisen. »Kurs auf Erde setzen«, befahl Dallas. »Dann machst du in dem großen Ofen Feuer und bringst uns auf Licht plus vier, Ripley.« »Mit Vergnügen.« »Kurs errechnet und eingespeist«, sagte Lambert kurz darauf. »Zeit, nach Hause zu gehen.« Ripley berührte einen Hauptschalter. Die winzige Welt und das auf ihr gefangene fremde Schiff verschwanden, als hätten sie nie existiert. Die Nostromo erreichte die Lichtgeschwindigkeit, überschritt sie. Eine strahlende Corona materialisierte um das Schiff und die Raffinerie. Die Sterne vor ihnen wurden blau, die hinter ihnen verschoben sich ins Rot. Sechs Mannschaftsmitglieder rasten erleichtert nach Hause. Sechs Mannschaftsmitglieder und etwas anderes namens Kane ... Sie saßen um den Messetisch und tranken Kaffee, Tee oder andere flüssige Anregungsmittel, je nach Geschmack und Gewohnheit. Ihre entspannte Haltung spiegelte ihren gege n-
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wärtigen Geisteszustand wider, der bis vor kurzem steif wie Glas und doppelt so zerbrechlich gewesen war. Jetzt baumelten ihre Beine gleichgültig über den Armlehnen der Sessel. Lambert war noch auf der Brücke und führte die letzten Kurskontrollen durch, ehe auch sie sich den Luxus des Gehe nlassens gestatten würde. Ash war in der Krankenstation und hielt Wache bei Kane. Der Erste Offizier und sein Zustand waren das Hauptgesprächsthema . Parker schlürfte dampfenden Tee, schmatzte genießerisch und schlug mit seinem gewohnten Selbstvertrauen vor: »Das Beste ist, wir frieren ihn einfach ein. Das hält die verdammte Krankheit auf.« »Wir wissen nicht, ob sein Zustand durch das Einfrieren verändert wird«, wandte Dallas ein. »Es könnte ihn ebenso verschlechtern. Was irdische Krankheiten beeinträchtigt, könnte das, was immer er sich zugezogen hat, nur noch verstärken.« »Jedenfalls wäre es besser, als gar nichts zu tun.« Parker fuchtelte mit seiner Tasse herum. »Und genau das hat der Autodoc bis jetzt für ihn getan: nichts. Das, was er sich zugezogen hat, übersteigt einfach seine Möglichkeiten, genau wie Ash das gesagt hat. Dieser Medizincomputer ist darauf programmiert, um mit Dingen wie Gravitationskrankheiten und Knochenbrüchen zurechtzukommen, nicht mit so etwas. Wir sind uns alle einig, daß Kane die Hilfe von Spezialisten braucht.« »Die wir ihm, wie du gerade zugegeben hast, nicht bieten können.« »Richtig.« Parker lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Genau. Also sage ich, wir sollten ihn einfrieren, bis wir nach Hause kommen und ihn sich ein Arzt, der sich auf Fremdkrankheiten spezialisiert hat, ansehen kann.« »Richtig«, fü gte Brett hinzu.
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Ripley schüttelte den Kopf. »Jedesmal, wenn er etwas sagt, sagst du >richtig<. Weißt du das, Brett?« Er grinste. »Richtig.« Sie wandte sich dem Ingenieur zu. »Was hältst du davon, Parker? Dein Mitarbeiter läuft einfach hinter dir her und sagt 'richtig'. Wie ein Papagei.« Parker wandte sich zu seinem Kollegen um. »Yeah. Reiß dich zusammen. Was bist du denn, ein Papagei?« »Richtig.« »Oh, hört schon auf.« Im gleichen Augenblick bedauerte Dallas, daß er das gesagt hatte. Etwas Humor würde ihnen guttun, und da mußte er jetzt dazwischenfahren. Warum war er eigentlich so sauertöpfisch? Die Beziehungen zwischen den Angehörigen der Schleppermannschaft waren formlos, waren die Beziehung von Gleichgestellten und nicht die von Vorgesetzten und Untergebenen. Warum fühlte er sich also plötzlich veranlaßt, den Kapitän zu spielea? Vielleicht, weil sie sich in einer Art Krisensituation befanden und jemand offiziell die Führung übernehmen mußte. Die Verantwortung hing an ihm. Ein lausiger Job. Im Augenblick hätte er den von Ripley oder von Parker vorgezogen. Ganz besonders den von Parker. Die beiden Ingenieure konnten sich in ihr Kämmerchen zurückziehen und alles ignorieren, das sie nicht unmittelbar betraf. Solange die Maschinen und die Schiffssysteme funktionierten, waren sie nur einander selbst, sonst niemandem verantwortlich. Dallas kam in den Sinn, daß er nicht besonders gerne Entscheidungen traf. Vielleicht war das der Grund, weshalb er einen alten Schlepper befehligte und nicht ein Linienschiff oder noch mehr. Vielleicht war der Grund, weil er sich nie darüber beklagte. Als Kapitän eines Schleppers konnte er den größten Teil seiner Zeit im Hyperschlaf verbringen und nichts anderes tun, als träumen und sein Gehalt einzustreichen. Im Hyper-
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schlaf brauchte er keine Entscheidungen zu treffen. Bald, versprach er sich, würden sie alle in die wohltuende Abgeschlossenheit ihrer Särge zurückkehren. Die Nadeln würden sich senken, die Schlafmittel würden in ihre Venen eindringen und ihr Gehirn betäuben, und dann würden sie auf angenehme Weise dahintreiben, in ein Land, wo keine Entscheidungen mehr getroffen werden mußten und in das die unangenehmen Überraschungen eines feindlichen Universums nicht eindringen konnten. »Kane wird in Quarantäne gehen müssen«, sagte er abwesend und nippte an seiner Tasse. »Ja, und wir auch.« Ripley schien der Gedanke keine Freude zu bereiten. Das war verständlich. Sie würden den ganzen Weg bis zur Erde zurücklegen und dann Wochen in einer Isolierstation verbringen müssen, bis die Mediziner überzeugt waren, daß keiner von ihnen etwas in sich trug, das dem glich, was Kane umgeworfen hatte. Bilder von grünem Glas und blauem Himmel erfüllten ihre Gedanken. Sie sah einen Strand und eine verträumte kleine Stadt an der Küste von El Salvador. Es tat weh, diese Bilder zu verdrängen. Lambert kam herein. Alle Augen wandten sich ihr zu. Sie wirkte müde und deprimiert. »Habt ihr Lust auf einen kleinen Dämpfer«, fragte sie. »Bring mich in Stimmung.« Dallas versuchte sich geistig auf das vorzubereiten, was jetzt wahrscheinlich kommen würde. Er wußte, weshalb die Navigatorin auf der Brücke geblieben war. »Nach meinen Berechnungen, basierend auf der Zeit, die wir für diesen außerplanmäßigen Zwischenhalt verbraucht haben, und ...« »Die Kurzversion bitte«, unterbrach sie Dallas. »Wir wissen, daß wir unseren Kurs verlassen haben, um diesem Signal nachzugehen. Wie lange bis zur Erde?« Sie hatte inzwischen ihre Tasse mit Kaffee gefüllt, ließ sich in
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einen Sessel sinken und sagte niedergeschlagen: »Zehn Monate.« »Du liebe Güte.« Ripley starrte in ihre leere Tasse. Wolken, Gras und Strand rückten in noch weitere Fernen und verschwammen zu einem blassen blaugrünen Dunst weit außer Reichweite. Freilich, zehn Monate im Hyperschlaf unterschieden sich kaum von einem Monat. Aber ihre Vorstellung orientierte sich an wirklicher Zeit. Ripley hätte lieber sechs Monate statt der errechneten zehn gehört. Das Interkom summte, und Dallas meldete sich: »Was gibt's denn, Ash?« »Komm sofort zu Kane.« Die Aufforderung klang eindringlich, und doch war ein gewisses Zögern aus ihr herauszuhören. Dallas richtete sich wie die anderen am Tisch ruckartig auf. »Hat sein Zustand sich verändert? Was Ernsthaftes?« »Es ist viel einfacher, wenn ihr ihn euch anseht.« Alles drängte in den Korridor. Der Kaffee dampfte verlassen auf dem Tisch. Schreckliche Visionen erfüllten Dallas Gedanken, als er, dicht gefolgt von den anderen, zur Krankenstation eilte. Hatte die fremde Krankheit irgendwelche unheimliche Nebenwirkungen hervorgerufen? Dallas stellte sich einen Schwarm winziger grauer Hände vor, deren Augen feucht glänzten und die besitzergreifend über die Wände der Krankenstation krochen. Oder irgendeinen leprösen Fungus, der die verfaulende Leiche des glücklosen Kane überwucherte. Sie erreichten die Krankenstation, keuchten von dem schne llen Lauf durch den Korridor und über die Treppen herunter. Aber sie fanden keinen Schwarm grauer Hände, die an den Wänden krochen, und die Leiche des Ersten Offiziers war auch nicht von fremden Gewächsen überwuchert. Ashs Meldung, daß Kanes Zustand sich verändert hatte, war eine maßlose Untertreibung gewesen.
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Der Erste saß aufrecht auf der Plattform des Autodoc. Seine Augen waren offen und klar und musterten die Männer und Frauen, die sich durch die Türe drängten. »Kane?« Lambert konnte es nicht glauben. »Bist du in Ordnung?« Er sieht gut aus, dachte sie benommen, als wäre überhaupt nichts geschehen. »Willst du etwas?« fragte Ripley, als er nicht auf Lamberts Frage antwortete. »Mein Mund ist trocken.« Plötzlich fiel Dallas ein, woran Kane ihn in seinem augenblicklichen Zustand erinnerte: an einen Mann, der soeben aus einer Amnesie erwacht. Der Erste sah munter und fit aus, aber ohne erkennbaren Grund verwirrt, so als versuchte er immer noch, seine Gedanken zu ordnen. »Kann ich einen Schluck Wasser haben?« Ash trat schnell an ein Becken, füllte einen Plastikbecher mit Wasser und reichte ihn Kane. Der Erste leerte ihn mit einem einzigen langen Zug. Dallas registrierte geistesabwesend, daß seine Muskelkoordination unbeeinträchtigt schien. Die Trinkbewegungen waren instinktiv und völlig normal abgelaufen. Die Situation war ungeheuer beruhigend und doch lächerlich. Irgend etwas mußte an ihm nicht stimmen. »Mehr«, war alles, was Kane sagte, wobei er weiterhin wie ein Mann handelte, der sich völlig unter Kontrolle hat. Ripley fand einen großen Behälter, füllte ihn bis zum Rand und reichte ihn ihm. Er leerte ihn wie ein Mann, der die letzten zehn Jahre damit verbracht hat, durch die Wüsten von Piolin zu wandern. Dann sank er keuchend auf die Polster der Plattform zurück. »Wie fühlst du dich?« fragte Dallas. »Schrecklich. Was ist mit mir passiert?« »Erinnerst du dich nicht?« sagte Ash. Na also, dachte Dallas befriedigt, der Vergleich mit Amnesie war der Wahrheit also näher gekommen, als er vermutet hatte.
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Kane zuckte leicht zusammen, wahrscheinlich von dem Krampf irgendeines Muskelstranges, der zu lange nicht benutzt worden war. Er atmete tief. »Ich kann mich an gar nichts erinnern. Gerade, daß ich meinen Namen noch weiß.« »Nur der Form ha lber ... und für den medizinischen Bericht«, fragte Ash geschäftsmäßig, »wie heißt du?« »Kane. Thomas Kane.« »Ist das alles, woran du dich erinnerst'« »Im Augenblick, ja.« Sein Blick wanderte langsam über die Reihe besorgter Gesichter. »Ich erinnere mich an euch alle, obwohl ich im Augenblick noch keinen Namen weiß.« »Die fallen dir wieder ein«, versicherte Ash ihm zuversichtlich. »Du erinnerst dich an deinen eigenen Namen und an die Gesichter. Das ist ein guter Anfang. Und ein Zeichen dafür, daß dein Gedächtnisverlust nicht absolut ist.« »Hast du Schmerzen?« Zur Überraschung aller war es der stoische Parker, der die vernünftige Frage stellte. »Am ganzen Körper. Ich fühle mich, als hätte mich jemand stundenlang mit einem Stock verprügelt.« Er setzte sich wieder auf, schwang die Beine herunter und lächelte. »Herrgott, habe ich Hunger. Wie lange war ich weg?« Dallas fuhr fort, den offensichtlich unverletzten Mann ungläubig anzustarren. »Zwei Tage. Bist du auch ganz sicher, daß du dich nicht erinnerst, was dir passiert ist?« »Nein, gar nichts.« »Was ist das letzte, woran du dich erinnerst?« fragte ihn Ripley. »Ich weiß nicht.« »Du warst mit Dallas und mir auf einem fremden Planeten. Erinnerst du dich, was dort passiert ist?« Kanes Stirn runzelte sich, während er versuchte, die Nebel zu durchdringen, die seine Erinnerung verdunkelten. Es war, als
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wichen sie immer wieder vor ihm zurück, jedesmal, wenn er sich ausstreckte, um sie zu erreichen. »Nur ein schrecklicher Traum, vom Ersticken. Wo sind wir jetzt. Immer noch auf dem Planeten?« Ripley schüttelte den Kopf. »Nein, zu meiner großen Freude nicht. Wir sind im Hyperraum und auf dem Weg nach Hause.« »Wir fangen gerade an, uns auf das Besteigen der Kühltruhen vorzubereiten«, fügte Brett voll Mitgefühl hinzu. Ebenso wie die anderen drängte es auch ihn, in den Schutz des Hyperschlafes zurückzukehren. Der Alptraum, der ihnen aufgezwungen worden war, würde dort dann von ihnen genommen werden, würde neben ihren Körpern erkalten und ruhen. Wenn man den wieder zum Leben erweckten Kane ansah, fiel es schwer, die Beziehung zu dem Bild des fremden Schreckens herzustellen, den er an Bord gebracht hatte, aber dort drüben hing reglos die versteinerte Kreatur, und jeder konnte sie sehen. »Dafür bin ich auch«, sagte Kane bereitwillig. »Ich fühle mich müde und benommen genug, um ohne Kühlung in den Tiefschlaf zu gehen.« Er sah sich verwirrt in der Krankenstation um. »Aber im Augenblick bin ich am Verhungern. Ich brauche etwas zu essen.« »Ich hab' selbst auch gewaltigen Hunger.« Parkers Magen grollte so laut, daß jeder es hören konnte. »Eine scheußliche Sache, wenn man mit Magenknurren aus dem Hyperschlaf aufwacht. Besser man legt sich mit vollem Magen hin. Da ist das Aufwachen leichter.« »Nichts dagegen.« Dallas hatte das Gefühl, daß eine kleine Feier angebracht war. Da sie nicht für eine Party ausgerüstet waren, würde es eben ein Festmahl tun müssen.
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»Wir können alle etwas zu essen gebrauchen. Eine Mahlzeit vor dem Zubettgehen ...«
9.
Neben den Kaffee und Teetassen standen jetzt auch Teller und Schüsseln auf dem Tisch. Sie aßen langsam und waren guter Stimmung, einer Stimmung, die der Tatsache entsprang, daß sie wieder eine komplette Mannschaft waren - nicht etwa den relativ geschmacklosen kulinarischen Angeboten des Autokochs. Nur Kane aß nicht, er fraß; er schlang riesige Portionen des künstlichen Fleisches und der Beilagen hinunter. Er hatte bereits zwei normale Portionen verdrückt und machte sich gerade an eine dritte, ohne daß Anzeichen sichtbar wurden, er habe vor, irgendwann Schluß zu machen. Ohne dieses Scha uspiel menschlicher Freßgier eines Blickes zu würdigen, aß Jones der Kater gemessen aus seiner kleinen Schüssel, die mitten auf dem Tisch stand. Kane blickte auf, fuchtelte mit einem Löffel herum und sagte dann mit vollem Mund: »Das erste, was ich tue, wenn wir zuhause sind, ist etwas Anständiges zu essen. Ich bin dieses künstliche Zeug leid. Mir ist egal, was in den Dienstvorschriften der Gesellschaft steht, ich sage jedenfalls, das Zeug schmeckt wiederaufbereitet. Diese Pampe hat einen Beigeschmack, den man mit noch so viel Gewürzen nicht beseitigen kann.« »Ich habe schon Schlechteres gegessen», meinte Parker nachdenklich. »Besseres freilich auch.« Lambert blickte den Ingenieur mit gefurchter Stirn an. Sie
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hielt ein Stück SteakdaskeinSteakwar auf der Gabel und musterte es nachdenklich. »Für jemanden, der das Zeug nicht mag, würgst du es hinunter, als gäbe es monatelang nichts mehr zu essen.« »Ist ja auch so, oder?« erklärte Parker und schaufelte wieder eine Ladung hinunt er. »Ich meine ja, daß es mir schmeckt.« »Wirklich?« Kane hörte nicht auf zu essen, warf aber Parker einen argwöhnischen Blick zu, als dächte er, der Ingenieur sei vielleicht nicht ganz richtig im Kopf. Parker gab sich einige Mühe, nicht den Anschein zu erwecken, als müsse er sich verteidigen. »Es schmeckt mir eben. Langsam gewöhnt man sich daran.« »Sollte es auch«, gab Kane zurück. »Du weißt ja, woraus dieses Zeug besteht« »Ich weiß, woraus es besteht«, erwiderte Parker. »Und? jetzt ist es Essen. Du brauchst übrigens gar nicht zu reden, so wie du das Zeug hinunterschlingst.« »Ich hab' auch einen Grund.« Wieder stopfte sich Kane ein riesiges Stück Fleisch in den Mund. »Ich bin halb verhungert.« Er sah sich am Tisch um. »Weiß jemand, ob Amnesie den Appetit beeinträchtigt?« »Ach was, Appetit.« Dallas stocherte in den Überresten seiner ersten Portion herum. »Du hattest doch die ganze Zeit, die du im Autodoc gelegen bist, nichts als Flüssigkeit in dir. Saccharose, Dextrose und dergleichen halten einen zwar am Leben, aber satt wird man davon nicht. Kein Wunder, daß du halb verhungert bist.« »Yeah.« Kane würgte wieder eine mächtige Ladung hinunter. »Es ist fast als ... als ...« Er hielt inne, schnitt eine Grimasse und wirkte plötzlich verwirrt, fast etwas verängstigt. Ripley lehnte sich zu ihm hinüber. »Was ist denn? Stimmt etwas nicht? Etwas mit dem Essen?« »Nein ... ich denke nicht. Es hat schon richtig geschmeckt.
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Ich glaube nicht ...« Wieder hielt er mitten im Satz inne. Sein Ausdruck wirkte gequält, und er gab grunzende Laute von sich. »Was ist dann?« wollte die besorgte Lambert wissen. »Ich weiß nicht.« Wieder verzog er das Gesicht. Er wirkte wie ein Boxer, der einen Tiefschlag bekommen hat. »Ich habe Krämpfe ... es wird immer schlimmer.« Die anderen sahen mit verwirrten Gesichtern zu, wie der Erste Offizier sich in Schmerzen wand. Plötzlich entrang sich ihm ein lautes Stöhnen, und er krallte sich mit beiden Händen am Tischrand fest. Seine Knöchel wurden weiß, und die Sehnen traten in Strängen an seinen Armen hervor. Er zitterte am ganzen Körper, als friere er, obwohl es in der Messe angenehm warm war. »Du mußt tief durchatmen, gib' dir Mühe«, riet Ash, als keiner der anderen irgendwelche Vorschläge machte. Kane versuchte es. Aber aus dem tiefen Atemzug wurde ein Schrei. »O Gott, tut das weh. Es tut weh, Mann. Weh.« Er stand unsicher auf, zitterte wie Espenlaub. Seine Hände umklammerten die Tischkante, als hätte er Angst, sie loszulassen. »Ooooh!« »Was ist denn?« fragte Brett hilflos. »Was tut weh. Etwas in ...?« Der schmerzerfüllte Blick, der Kanes Gesicht in diesem Augenblick erfüllte, schnitt Bretts Frage wirksamer als jeder Schrei ab. Der Erste versuchte aufzustehen, schaffte es nicht und fiel zurück. Er konnte seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle halten. Seine Augen traten hervor, und er stieß einen langanhaltenden Schrei aus, daß es ihnen allen kalt über den Rücken lief. Der entsetzliche Schrei gellte durch die Messe und wollte nicht enden. »Sein Hemd ...«, murmelte Ripley, die ebenso paralysiert war wie Kane, wenn auch aus einem anderen Grund. Sie deutete
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auf die Brust des Offiziers. An Kanes Hemd hatte sich ein roter Fleck gebildet. Er breit ete sich schnell aus, wurde zu einem breiten ungleichmäßigen blutigen Schmierer unmittelbar unter seiner Brust. Dann war das Geräusch von reißendem Stoff zu hören, ein häßliches, geradezu ekelerregendes Geräusch. Sein Hemd platzte auf wie die Haut einer Melone, schälte sich zu beiden Seiten zurück, als ein kleiner Kopf, etwa von der Größe einer Männerfaust nach außen stieß. Er wand sich hin und her wie der Kopf einer Schlange. Der winzige Schädel schien zum größten Teil aus Zähnen zu bestehen, scharfen blutbesudelten Zähnen. Seine Haut war von blassem, krankhaft wirkendem Weiß, das jetzt von einem karminroten Schleim verdunkelt wurde. Man konnte keine äußeren Organe erkennen, nicht einmal Augen. Ein ekelerregender Geruch, faulig und stinkend, drang an ihre Nasen. Jetzt war Kane nicht mehr der einzige, der schrie. Die Mannschaft prallte von Panik geschüttelt vom Tisch zurück. Doch der Kater war ihnen allen zuvorgekommen. Mit hochgerecktem Schwanz und gesträubtem Fell stieß er ein wütendes Zischen aus und war mit einem Satz vom Tisch und einem weiteren aus der Messe. Der mit Zähnen besetzte Schädel schoß mit einem konvulsivischen Ruck nach vorne. Plötzlich schien er förmlich aus Kanes Oberkörper herauszuplatzen. Kopf und Hals hingen an einem dicken kompakten Körper, der mit demselben weißen Fleisch bedeckt war, klauenbewehrte Arme und Beine schle uderten ihn mit unerwarteter Geschwindigkeit nach draußen. Er landete mitten zwischen den Tellern und dem Essen auf dem Tisch, Teile von Kanes Innereien hingen noch an ihm. Hinter ihm bildete sich eine Lache aus Blut und Flüssigkeit. Das Scheusal erinnerte Dallas an einen geschlachteten Truthahn, an dessen Halsstummel Zähne hervorstanden. Ehe einer der Anwesenden reagieren und handeln konnte,
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hatte das Wesen sich mit der Geschwindigkeit einer Echse vom Tisch gewunden, war durch die offene Tür in den Korridor geschossen und verschwunden. In der Messe waren nur keuchende Atemzüge zu hören. Kane lag in seinem Sessel, den Kopf nach hinten geworfen, den Mund weit geöffnet. Dallas war dankbar dafür. Das bedeutete, daß weder er noch sonst jemand in Kanes angstgeweitete, brechende Augen sehen mußte. Der explodierte Leib des Ersten Offiziers war eine einzige riesige Wunde, aus der unablässig Blut quoll. Selbst aus der Ferne konnte Dallas erkennen, wie die Gedärme beiseite geschoben worden waren, ohne verletzt zu werden, um für die Kreatur eine genü gend große Höhle zu bilden. Teller lagen über Tisch und Boden verstreut. Der Tisch, Besteck und Speisereste waren über und über mit Blut besudelt. »Nein, nein, nein!« wiederholte Lambert immer wieder und starrte mit glasigen Augen auf den Tisch. »Was war das?« murmelte Brett und blickte starr auf Kanes Leiche. »Großer Gott, was war das?« Parker war übel, und er kam gar nicht auf die Idee, Ripley zu verspotten, als diese sich abwandte und sich übergab. »Es ist die ganze Zeit in ihm gewachsen, und er wußte es nicht einmal.« »Es hat ihn als Inkubator benutzt«, meinte Ash leise. »Wie es gewisse Wespen auf der Erde mit Spinnen tun. Sie paralysieren die Spinne zuerst und legen dann ihre Eier hinein. Wenn die Larven ausschlüpfen, fangen sie an ... »Herrgott!« schrie Lambert, die plötzlich aus ihrer Trance erwacht schien, »halt doch den Mund, ja!« Ash sah sich beleidigt um. »Ich habe doch nur ...« Dann fing er einen Blick von Dallas auf, nickte kaum merkbar und wechselte das Thema. »Was geschehen ist, ist offenkundig.« »Der dunkle Fleck auf dem Monitorschirm.« Dallas fühlte
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sich selbst nicht besonders wohl. Er fragte sich, ob er wohl ebenso mitgenommen aussah wie seine Kollegen. »Es war also doch nicht das Objektiv. Es war in seiner Brust. Warum haben die Geräte das nicht erkannt?« »Es gab keinen Grund, überhaupt keinen Grund, so etwas zu vermuten«, beeilte Ash sich zu erklären. »Als wir ihn untersuchten, war der Fleck zu klein, als daß man ihn hätte ernst nehmen müssen. Und er sah so aus wie ein Objektivdefekt. Es hätte tatsächlich ein Fleck auf der Linse sein können.« »Ich kann dir nicht folgen.« »Es ist möglich, daß das Alien in diesem Stadium ein Feld erzeugt, das die Strahlung unserer Scanner ablenkt. Im Gege nsatz zum ersten Stadium, der Hand-Phase, in der wir es ohne weiteres sehen konnten. Es sind Aliens bekannt, die ähnliche Felder erzeugen. Das deutet auf biologische Bedürfnisse hin, die wir uns nicht einmal ausmalen können, vielleicht auch auf einen bewußt entwickelten Schutzmechanismus für Bedürfnisse, die so weit fortgeschritten sind, daß ich es vorziehe, keine Vermutungen darüber anzustellen.« »Es läuft doch darauf hinaus«, stellte Ripley fest und wischte sich mit einer sauberen Serviette den Mund, »daß wir es an Bord wieder mit einem Alien zu tun haben, wahrscheinlich ebenso feindselig und doppelt so gefährlich.« Sie sah Ash herausfordernd an, aber diesmal konnte oder wollte der Wissenschaftsoffizier ihr nicht widersprechen. »Richtig. Und es läuft frei im Schiff herum.« Dallas trat widerwillig neben Kanes Leiche und drückte dem Ersten die im fassungslosen Entsetzen erstarrten Augen zu. Die anderen traten neben ihn. Eine Untersuchung war notwendig, ganz gleich, wie unangenehm sie ihnen auch war. Vielsagende Blicke wanderten von Parker zu Lambert, von Lambert zu Ash und dann reihum. Draußen drängte drohend das dunkle Universum von allen Seiten auf die Nostromo ein, während der
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dicke faulige Geruch des Todes die Korridore und die Messe erfüllte. Parker und Brett kamen die Treppe vom Servicedeck herunter und schlossen sich dem Rest der müden, entmutigten Gruppe von Jägern an. »Irgendwelche Spuren?« fragte Dallas die Versammlung. »Irgendwelche fremdartigen Gerüche, Blut«, er zögerte einen Augenblick lang und fügte dann hinzu: »Reste von Kanes Eingeweiden?« »Nichts«, erklärte Lambert. »Nichts«, kam es wie ein Echo von Ash. Parker wischte sich Staub von den Armen. »Nichts habe ich gesehen. Es weiß, wie man sich versteckt.« »Auch nichts«, erklärte Brett. »Kann mir nicht vorstellen, wo es sich versteckt hat, obwohl es Teile im Schiff gibt, die ihm zugänglich sind und uns nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß in diesen geheizten Rohrleitungen irgend etwas leben könnte.« »Vergiß die Umgebung nicht, in dem sein ... äh ...« Dallas blickte Ash an, »wie würdest du sein erstes Stadium nennen?« »Vorlarvenstadium. Nur, um ihm einen Namen zu geben. Ich kann mir seine Entwicklungsstufen auch nicht vorstellen.« »Nun, wir wollen jedenfalls nicht vergessen, in was es während seiner ersten Inkarnation gelebt hat. Wir wissen, daß dieses Alien ziemlich zäh und höllisch anpassungsfähig ist. Mich würde es überhaupt nicht überraschen, wenn wir es auf den Reaktorkammern fänden.« »Wenn es sich dort versteckt hat, können wir nicht an ihn ran«, meinte Parker. »Dann wollen wir hoffen, daß es sich eine andere Richtung gesucht hat. Irgendwo, wo wir auch hinkönnen.« »Wir müssen es finden.« Ripleys Gesichtsausdruck spiegelte die Sorge aller wider.
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»Warum gehen wir nicht einfach in Hyperschlaf?« schlug Brett vor. »Wir pumpen die Luft in die Tanks zurück und ersticken es.« »Zunächst wissen wir überhaupt nicht, wie lange diese Lebensform ohne Luft überleben kann«, argumentierte Ripley hitzig. »Vielleicht braucht sie überhaupt keine Luft. Wir haben nur einen Mund, aber keine Nase gesehen.« »Nichts kann ohne irgendeine Art von Atmosphäre existieren«, sagte Brett, aber es klang nicht ganz überzeugt. Sie sah ihn von der Seite an. »Würdest du dein Leben darauf wetten?« Er gab keine Antwort. »Außerdem braucht das Alien nur kurze Zeit ohne Luft zu leben. Vielleicht kann es die Gase, die es benötigt, aus seiner - Nahrung beziehen. Finden würde es ja genug. In den Kühltruhen wären wir ihm völlig ausgeliefert. Erinnert ihr euch, wie leicht es im ersten Stadium die Gesichtsplatte von Kanes Helm durchgeätzt hat? Wer garantiert uns denn, ob diese Version nicht dasselbe mit den Kühltruhen schafft?« Sie schüttelte resignierend den Kopf. »Nein, ich lege mich nicht schlafen, solange wir dieses entsetzliche Biest nicht gefunden und getötet haben.« »Aber wir können es nicht töten.« Lambert stampfte vor Frustration auf den Boden. »Vermutlich ist sein Körper genauso aufgebaut wie die erste Version. Wenn das der Fall ist und wir es mit dem Laser abschießen wollen, lösen wir damit vielleicht einen Säureregen aus. Es ist viel größer, als diese Hand war. Wenn es das Zeug verspritzt, dann könnte es ein größeres Loch ins Schiff fressen, als wir zuzustopfen in der Lage sind. Ihr alle wißt, wie kritisch die Hüllenbelastung während des überlichtschnellen Fluges ist, ganz zu schweigen von den komplizierten Stromkreisen unter der Außenhaut.« »Verdammtes Mistvieh«, murmelte Brett. »Wenn wir es nicht töten können, was machen wir dann damit, wenn wir es
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finden?« »Irgendwie müssen wir es aufspüren, fangen und aus dem Schiff entfernen«, sagte Ripley. Sie blickte Dallas an, als erwartete sie von ihm eine Bestätigung ihres Vorschlags. Der überlegte einen Augenblick lang. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, als das zu versuchen.« »Wenn wir noch lange reden, anstatt mit der Suche zu beginnen, ist es ganz gleichgültig, was wir beschließen«, teilte Ash ihnen mit. »Unsere Vorräte sind darauf abgestimmt, daß wir nur beschränkte Zeit im Wachzustand verbringen. Eine sehr begrenzte Zeit. Ich schlage dringend vor, daß wir sofort eine organisierte Suchaktion einleiten ...« »Richtig«, pflichtete Ripley ihm schnell bei. »Zuallererst müssen wir es finden.« Nein«, sagte Dallas mit seltsam klingender Stimme. Sie warfen ihm überraschte Blicke zu. »Zuerst müssen wir noch etwas anderes tun.« Er blickte den Korridor hinunter, wo Kanes blutiger Leichnam durch die Tür der Messe zu sehen war. Sie fanden genug Folie, um einen Leichensack daraus zu fertigen, den Parker mit dem Laser zuschweißte. Das Ganze wirkte sehr primitiv, und als sie sich von der Hauptschleuse entfernten, merkte man allen an, daß sie nicht mit dem zufrieden waren, was sie taten. Aber sie hatten immerhin den Trost zu wissen, daß sie das taten, wozu sie imstande waren. Sie hätten die Leiche natürlich einfrieren können und sie für ein formelles Begräbnis auf der Erde aufheben, aber dann hätten sie Kanes zerfetzten Leichnam sofort beim Erwachen durch den duchsichtigen Deckel seiner Kühltruhe gesehen. Besser, die Leiche hier zu beseitigen, schnell und sauber und sie dann so schnell wie möglich zu vergessen. Sie kehrten auf die Brücke zurück und nahmen ihre Plätze ein. Eine lastende Stille lag über ihnen, und die Luft wirkte, als
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wäre sie dick wie Vaseline. Dallas überprüfte die Anzeigegeräte und sagte dann niedergeschlagen: »Innenschleuse dicht.« Ripley nickte. »Schleuse noch unter Druck?« Wieder ein Nicken. Er zögerte, sein Blick wanderte von einem ernsten Gesicht zum anderen. Keiner erwiderte seinen Blick. »Will jemand etwas sagen?« Niemand wollte etwas sagen. Kane war tot. Er hatte gelebt und jetzt lebte er nicht mehr. Keiner seiner Kollegen konnte besonders gut mit Worten umgehen. »Bringen wir es hinter uns«, murmelte Lambert. Dallas fand, daß das keine besonders gute Grabrede war, aber ihm fiel auch nichts Besseres ein. Nur, daß sie Zeit vergeudeten. Er gab der wartenden Ripley ein Zeichen Sie drückte einen Knopf. Die Außenschleuse sprang auf. Die in der Schleusenkammer verbliebene Luft trieb Kanes Leiche ins Nichts hinaus. Es war ein dankenswert schnelles Begräbnis, Dallas brachte es nicht fertig, den Vorgang als Beseitigung, zu bezeichnen. Kanes Abschied von dieser Welt war sauberer gewesen als sein Tod. Sein letzter gequälter Schrei hallte noch in Dallas Erinnerung. Sie versammelten sich wieder in der Messe. Es war leichter, etwas zu diskutieren, wenn alle sich sehen konnten. Außerdem gab ihm das die Möglichkeit, alle zu bitten, beim Saubermachen mitzuhelfen. »Ich hab' die Vorräte überprüft«, teilte Ripley ihnen mit. »Mit Stimulanzien schaffen wir es etwa eine Woche. Vielleicht auch einen Tag mehr, aber das ist das Allerhöchste.« »Und was dann?« Brett griff sich ans Kinn. »Dann gehen uns die Lebensmittel und der Sauerstoff aus. Auf Lebensmittel können wir verzichten, auf Sauerstoff nicht. Womit sich die Frage erübrigt, wie lange wir von wiederaufbereiteten Produkten leben können.« Lambert schnitt bei der unappetitlichen Vorstellung eine Grimasse. »Vielen Dank, ich glaube, da möchte ich dann lieber
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sterben.« »Also gut.« Dallas gab sich Mühe, zuversichtlich zu ersche inen. »Das haben wir also. Eine Woche voller Aktivität. Das ist eine Menge Zeit. Mehr als genug, um diesen Fremden zu finden.« Brett blickte zu Boden. »Ich sage immer noch, wir sollten versuchen, die Luft abzusaugen. Das könnte das Alien umbringen. Mir scheint das die sicherste Methode. Damit bleibt uns erspart, ihm direkt gegenüberzutreten. Schließlich wissen wir nicht, was für widerliche Tricks der Bursche noch auf Lager hat.« »Das haben wir schon einmal besprochen, erinnerst du dich?« meinte Ripley. »Da gingen wir davon aus, daß wir die luftlose Zeit in den Kühltruhen verbringen. Angenommen, wir ziehen statt dessen unsere Druckanzüge an und lassen dann die Luft ab? Wenn wir wach in unseren Anzügen sind, kann er sich nicht an uns heranschleichen.« »Was für eine raffinierte Idee.« Lamberts Tonfall war zu entnehmen, daß sie den Vorschlag in Wirklichkeit für alles andere hielt. »Was paßt dir daran nicht?« »Wir haben in unseren Druckanzügen Luft für achtundvierzig Stunden, und für die Rückreise nach Hause brauchen wir zehn Monate«, erklärte Ash. »Wenn das Alien neunundvierzig Stunden ohne Luft auskommt, sind wir wieder da, wo wir angefangen haben. Nur, daß wir dann zwei Tage Anzugzeit verloren haben.« »Davon abgesehen«, sagte Lambert, »eine prima Idee. Komm, Parker, laßt euch etwas Neues einfallen, ihr beiden.« Die Ingenieure hatten nicht die Absicht, die Idee so leicht aufzugeben. »Vielleicht könnten wir ein paar Spezialleitungen von den Tanks der Anzüge zu den Haupttanks verlegen. Brett
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und ich verstehen uns auf so etwas. Die Ventilverbindungen wären etwas kompliziert, aber wir würden es ganz bestimmt schaffen. Die Nostromo haben wir schließlich auch zusammengeflickt, oder?« »Ganz alleine.« Ripley gab sich keine Mühe, ihren Sarkasmus zu mäßigen. »Das ist einfach nicht durchführbar«, sagte Ash und erklärte den beiden Männern dann: »Ihr erinnert euch doch, daß wir über die Möglichkeit gesprochen haben, ob dieses Geschöpf ohne Luft überleben kann. Das Problem ist aber noch viel umfangreicher. Wir können nicht mit Schläuchen an den Haupttanks hängen und gleichzeitig das Alien jagen. Selbst wenn eure Idee funktionierte, würden wir soviel Luft in den Anzügen verbrauchen, daß keine mehr übrig wäre, wenn wir aus dem Hyperschlaf erwachen. Dann würden sich die Kühltruhen automatisch öffnen ... ins Vakuum.« »Wie wäre es, wenn wir eine Botschaft hinterließen oder einen Funkspruch vorausschickten, daß die auf uns warten und uns mit frischer Luft füllen, sobald wir andocken?« überlegte Parker. Ash sah ihn zweifelnd an. »Zu riskant. Erstens würde unser Funkspruch höchstens ein paar Minuten vor uns eintreffen. Daß uns dann eine Notmannschaft in dem Augenblick empfängt, in dem wir aus dem Hyperraum kommen, sich von außen an uns anschließt, uns mit Luft füllt, ohne das Schiff zu beschädigen ... Nein, ich glaube nicht, daß das durchführbar wäre. Und selbst wenn es ginge, muß ich Ripley in einem kritischen Punkt zustimmen. Wir können es nicht riskieren, uns in die Kühltruhen zu legen, solange wir nicht ganz sicher sind, daß das Alien tot oder unter völliger Kontrolle ist. Und wir können uns nicht davon überzeugen, ob es tot ist, wenn wir zwei Tage in den Anzügen verbringen und dann in die Truhen
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steigen.« Parker schnaubte. »Ich halte das immer noch für eine gute Idee.« »Wollen wir uns doch um das eigentliche Problem kümmern«, sagte Ripley ungeduldig. »Wie finden wir es? Wir können ein Dutzend Methoden ausprobieren, um es zu töten, aber erst wenn wir wissen, wo es steckt. Die Kameras auf Deck B und C sind ausgefallen.« »Also müssen wir es aufstöbern.« Dallas war überrascht, wie leicht es ihm fiel, die erschreckende, aber offenkundige Entscheidung zu treffen. Sobald sie einmal ausgesprochen war, wußte er auch, daß sie keine andere Wahl hatten. »Klingt vernünftig«, räumte Ash ein. »Aber das ist leichter gesagt als getan. Wie, meinst du, sollen wir vorgehen?« Dallas bemerkte, daß alle sich wünschten, er würde das Unvermeidliche nicht bis zum Ende verfolgen. Aber es war die einzige Möglichkeit. »Stimmt, es ist nicht einfach. Es gibt nur eine Methode, die uns garantiert, daß es uns nicht entkommt, und mit der wir gleichzeitig unseren Luftvorrat optimal ausnutzen. Wir müssen das Schiff Raum für Raum und Korridor für Korridor durchkämmen.« »Vielleicht können wir eine Art tragbare Kühleinheit improvisieren«, schlug Ripley unsicher vor. »Wir könnten jeden Raum und jeden Korridor vereisen und aus der Ferne ...«Sie hielt inne, als sie sah, daß Dallas betrübt den Kopf schüttelte. Sie wandte den Blick ab und fügte hinzu: »Nicht daß ich Angst hätte, ich versuche nur praktisch vorzugehen. Ebenso wie Parker glaube ich, daß es eine gute Idee wäre, wenn wir einer direkten Konfrontation ausweichen.« »Hör auf, Ripley.« Dallas deutete mit dem Daumen auf sich. »Ich hab die Hosen gestrichen voll. Uns allen geht das so. Wir haben nicht die Zeit, etwas so Komp liziertes zusammenzubasteln. Wir haben viel zu viel Zeit vergeudet, indem wir es einer
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Maschine überließen, Kane zu helfen. Nun ist es höchste Zeit, daß wir uns selbst helfen. Das ist schließlich der Grund, weshalb wir an Bord dieser Maschine sind, vergeßt das nicht. Wenn die Maschine mit einem Problem nicht klarkommt, wird das unser Job. Außerdem will ich mir das Vergnügen nicht entgehen lassen, das kleine Monstrum explodieren zu sehen, wenn wir es durch die Schleuse blasen.« Das war nicht gerade eine aufmunternde Rede. Es war auch nicht Dallas Absicht gewesen, eine aufmunternde Rede zu halten. Aber immerhin half es mit, die Mannschaft wieder zu beleben. Sie konnten einander wieder ansehen, statt Wände und den Boden anzustarren; es war sogar ein entschlossenes Murmeln zu hören. »Schön«, sagte Lambert. »Wir stöbern es also in seinem Versteck auf und blasen es dann durch die Schleuse. Was ich wissen möchte, ist nur: wie kommen wir von Punkt A nach Punkt G? »Wir müssen es irgendwie in eine Falle locken.« Ripley ließ sich verschiedene Ideen durch den Kopf gehen. Die Fähigkeit des Fremden, Säure abzusondern, machte alle diese Ideen zunichte. »Es gibt vielleicht nichtmetallische Substanzen, durch die es sich nicht so schnell fressen kann«, überlegte Brett laut und zeigte dadurch, daß seine Vorstellungen etwa in derselben Richtung wie die Ripleys verliefen. »Trylonschnur zum Beispiel. Wenn wir daraus ein Netz machten, könnten wir es einfangen, ohne es zu beschädigen. Ein dünnes Netz wirkt vielleicht nicht so bedrohlich wie, sagen wir, eine Kiste aus massivem Metall.« Er sah sich im Kreise um. »Ich könnte etwas machen, es schnell zusammenschweißen.« »Er bildet sich ein, wir gehen auf Schmetterlingsjagd«, ereiferte sich Lambert. »Wie bekommen wir es ins Netz?« fragte Dallas leise.
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Brett überlegte. »Wir würden natürlich etwas benutzen müssen, das es nicht zum Bluten bringt. Messer und dergleichen kommen also nicht in Frage. Ebensowenig Pistolen. Ich könnte ein paar lange Metallrohre mit Batterien zusammenlöten. Im Lager gibt es davon eine ganze Menge. Es dauert nur ein paar Stunden.« »Für die Rohre und das Netz?« »Sicher. Das ist gar nicht schwierig.« Lambert konnte es nicht mehr ertragen. »Zuerst Schmetterlingsnetze und jetzt Rohre. Warum hören wir uns diesen Quatsch eige ntlich an?« Dallas überlegte und versuchte sich ein Bild von Bretts Vorschlag zu machen. Das Alien, in die Enge getrieben, sie mit Zähnen und Klauen bedrohend. Elektroschocks von einer Seite, stark genug, um es zu reizen, aber nicht zu verletzten. Zwei von ihnen, die es in das Netz trieben und beschäftigten, während die übrigen es zur Hauptschleuse zerrten. Vielleicht würde das Alien sich einen Fluchtweg durch das Netz beißen oder ätzen vielleicht auch nicht. Man könnte zweite und dritte Netze bereithalten, für den Fall, daß es das tat. Und dann würden sie das Monstrum in seinem Netz in die Schleuse werfen, das Innentor abdichten und es hinausblasen. Leb wohl, Fremder, gute Reise, zum Arkturus. Leb wohl, Alptraum. Erde, wir kommen. Er erinnerte sich an Lamberts spöttische Reaktion und meinte, wobei er niemand Bestimmten ansprach: »Wir hören ihm zu, weil er diesmal vielleicht recht hat ...« Die Nostromo, die nichts von der hektischen Aktivität einiger ihrer Passagiere wußte und die auch das resignierte Warten der anderen kalt ließ, raste weiterhin mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit auf die Erde zu. Brett hatte erklärt, er würde einige Stunden brauchen, um das Netz und die Schockrohre fertigzustellen, aber er und Parker arbeiteten, als stünden ihnen
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nur Minuten zur Verfügung. Parker ertappte sich bei dem Wunsch, die Arbeit wäre komplizierter. Dann hätte er nicht soviel Zeit gehabt, immer wieder nervös in dunkle Korridore, Schränke und Winkel zu spähen. Unterdessen konnte sich der Rest der Mannschaft nur mit Warten beschäftigen. Der einzige Unterschied war, daß nach einer Weile die meisten nicht mehr dachten: »Wo ist das Alien?« sondern: »Was tut das Alien? « Nur ein Mitglied der Mannschaft befaßte sich mit anderen Gedanken. Er hatte sich schon eine Weile damit beschäftigt, bis die Idee immer mehr Form und Gestalt angenommen hatte. Jetzt standen ihm zwei Alternativen offen. Er konnte seine Idee mit der ganzen Mannschaft besprechen oder nur mit dem, durch den er auf sie gestoßen war. Wenn er sich zu ersterem entschloß und die Idee sich dann als falsch erwies, wie er sich das verzweifelt wünschte, würde das einen nicht wiedergutzumachenden Schaden an der Moral der Mannschaft verursachen. Ganz zu schweigen davon, daß man ihm den Prozeß machen konnte. Wenn er recht hatte, würden die anderen es früh genug erfahren. Ash saß an der Zentralkonsole der Krankenstation und stellte dem Medizincomputer Fragen und bekam auch gelegentlich ein paar Antworten. Er blickte auf und lächelte freundlich, als Dallas eintrat, wandte sich dann aber wieder seiner Arbeit zu. Dallas stand still neben ihm, und sein Blick wanderte zw ischen seinem Wissenschaftsoffizier und den manchmal unverständlichen Sätzen auf dem Bildschirm hin und her. Immerhin waren die Ziffern, Worte und Diagramme auf den Schirmen leichter zu durchschauen als der Mann. »Ist das Arbeit oder Spiel?« »Zum Spielen ist keine Zeit« erwiderte Ash mit undurchdringlicher Miene. Er drückte einen Knopf, und der Computer
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zeigte ihm eine lange Liste von Molekularketten für eine ganz bestimmte hypothetische Aminosäure. Als er einen weiteren Knopf drückte, begannen zwei der ausgewählten Ketten sich langsam in drei Dimensionen zu drehen. »Ich hab' aus dem ersten Loch, die das Hand-Alien durch das Deck gefressen hat, ein paar Proben abgeschabt.« Er deutete auf den winzigen Krater rechts neben der Plattform, wo die Kreatur geblutet hatte. »Ich denke, es war noch genügend Säurerest vorhanden, um sie in den Griff zu bekommen, chemisch gesprochen. Wenn ich die Struktur auflösen kann, könnte Mutter vielleicht eine Formel vorschlagen, mit der man sie neutralisiert. Dann kann unser blinder Passagier bluten soviel er will, wenn wir auf ihn schießen, und wir können jede Säure neutralisieren, die er absondert.« »Klingt gut«, räumte Dallas ein und musterte Ash scharf. »Wenn jemand an Bord es schafft, bist du das.« Ash zuckte gleichmütig die Achseln. »Ist ja mein Job.« Einige Minuten verstrichen. Sie schwiegen. Ash sah keinen Anlaß, das Gespräch wieder aufzunehmen. Dallas fuhr fort, die Zeilen auf dem Bildschirm zu studieren und sagte schließlich mit gleichmäßiger Stimme: »Ich möchte mit dir sprechen.« »Ich sag dir sofort Bescheid, wenn ich etwas finde«, versicherte ihm Ash. »Das ist es nicht, worüber ich sprechen möchte.« Ash blickte überrascht zu ihm auf, wandte sich aber dann wieder seinen Instrumenten zu, als zwei kleine Bildschirme aufleuchteten. »Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Struktur dieser Säure zu ermitteln. Ich denke, das siehst du ein. Wir wollen später reden. Ich bin jetzt ziemlich beschäftigt.« Dallas wartete einen Augenblick lang, ehe er antwortete. Dann sagte er leise, aber bestimmt: »Das ist mir gleichgültig. Ich möchte jetzt mit dir sprechen.«
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Ash betätigte ein paar Schalter, sah zu, wie die Bildschirme erloschen und blickte zu Dallas auf. »Schließlich will ich auch deinen Kopf retten. Aber wenn es so wichtig ist, bitte.« »Warum hast du zugelassen, daß das Alien in Kane überlebte?« Der Wissenschaftsoffizier runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob ich dich eben richtig verstanden habe. Nie mand hat irgend etwas in jemandem überleben lassen. Es ist einfach geschehen.« »Quatsch.« »Das ist kaum eine rationale Bewertung der Situation« sagte Ash trocken und unbeeindruckt. »So oder so nicht.« »Du weißt genau, wovon ich rede. Mutter hat seinen Körper überwacht. Du hast Mutter überwacht. Das war richtig, da du am besten dafür geeignet bist. Du mußt doch eine Vorstellung gehabt haben, was hier vor sich ging.« »Hör zu, du hast den dunklen Fleck auf dem Monitorschirm zur gleichen Zeit wie ich gesehen.« »Und ich soll glauben, daß der Autodoc nicht genug Kraft hatte, um diesen Fleck zu durchdringen?« »Das ist keine Frage der Kraft, sondern eine Frage der Wellenlänge. Das Alien konnte die Wellenlänge abschirmen, die vom Scanner des Autodoc ausgestrahlt wurde. Wir sprachen doch bereits darüber, wie und weshalb das geschehen sein könnte.« »Angenommen, ich nehme dir das wirklich ab, daß das Alien imstande sein soll, ein Schutzfeld zu erzeugen, das für einen Scanner undurchsichtig ist - und das habe ich noch nicht gesagt - dann hätte Mutter doch andere Anzeichen für das, was geschah, finden müssen. Vor seinem Tode beklagte sich Kane über schrecklichen Hunger. Das hat er uns am Messetisch bewiesen. Liegt der Grund für seinen fantastischen Appetit nicht auf der Hand?«
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»Tut er das?« »Das Alien in seiner neuen Form benutzte Kanes Vorrat an Proteinen, Nährstoffen und Körperfetten, um daraus seinen eigenen Körper aufzubauen. Es Ist bestimmt nicht so groß geworden, indem es nur Luft umwandelte.« »Das stimmt. Das liegt auf der Hand.« »Aber die Art von Stoffwechselaktivität würde doch auf den Anzeigegeräten des Autodoc entsprechende Skalenausschläge erzeugen, angefangen mit der Verringerung von Kanes Körpergewicht bis zu anderen Dingen.« »Was die Gewichtsverringerung angeht«, erwiderte Ash ruhig, »sie wäre nicht feststellbar gewesen. Kanes Gewicht wurde einfach auf das Alien übertragen. Der Scanner des Autodoc würde dieses Gewicht als das Gewicht Kanes registrieren. Und welche anderen Dinge, meinst du?« Dallas gab sich Mühe, sich seine Enttäuschung nicht anme rken zu lassen, was ihm aber nur teilweise gelang. »Ich weiß nicht. Einzelheiten kann ich dir nicht sagen. Ich bin nur ein Pilot. Von medizinischer Analyse verstehe ich nichts.« »Nein«, sagte Ash vielsagend, »aber ich.« »Aber ein völliger Idiot bin ich auch nicht«, herrschte Dallas ihn an. »Vielleicht stehen mir nicht die richtigen Worte zur Verfügung, um das zu sagen, was ich meine, aber ich bin nicht blind. Ich kann sehen, was hier vorgeht.« Ash schlug die Arme übereinander, stieß sich von der Konsole ab und starrte Dallas an. »Was willst du damit sagen? Raus mit der Sprache!« Jetzt schlug Dallas zu: »Du willst, daß das Alien am Leben bleibt. Du bist so erpicht darauf, daß du sogar Kanes Tod in Kauf genommen hast. Ich stelle mir vor, daß du einen Grund dafür hast. Ich kenne dich erst seit kurzer Zeit, Ash, aber bis jetzt hast du noch nie etwas ohne Grund getan. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du jetzt damit anfängst.«
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»Du behauptest also, ich hatte für diesen Wahnsinn, den du mir vorwirfst, einen Grund. Nenn mir einen.« »Hör zu, wir arbeiten beide für dieselbe Gesellschaft.« Er mußte ihn anders anpacken. Mit seiner Anklage hatte er nichts erreicht. Jetzt würde er versuchen, an Ashs Sympathie zu appellieren. Dallas kam plötzlich in den Sinn, daß der andere von ihm den Eindruck gewinnen könnte, er leide an Verfolgungswahn. Es war leicht, das Problem auf jemanden zu schieben, mit dem er vertraut war, auf Ash, zum Beispiel, anstatt dorthin, wo es hingehörte, zu dem Alien nämlich. Ash war ein merkwürdiger Bursche, aber wie ein Mörder verhielt er sich nicht. »Ich möchte ja nur wissen«, schloß er eindringlich, »was hier vor sich geht.« Der Wissenschaftsoffizier breitete die Arme aus und blickte kurz auf seine Konsole, ehe er antwortete. »Ich weiß nicht, wovon du redest. Und diese Anspielungen passen mir nicht. Das Alien ist eine gefährliche Lebensform. Sicher, in mancher Hinsicht bewundernswert, das will ich nicht leugnen. Als Wissenschaftler finde ich es sogar faszinierend. Aber nachdem, was es getan hat, bin ich ebensowenig wie du darauf erpicht, daß es am Leben bleibt.« »Ganz bestimmt?« »Ja, ganz bestimmt.« Seine Stimme klang angeekelt. »Wenn du in letzter Zeit nicht unter solchem Druck gestanden hättest, würdest du das genauso sehen. Vergiß es, ich will auch nicht mehr daran denken.« »Yeah.« Dallas drehte sich um, ging durch die offene Tür hinaus und eilte durch den Korridor auf die Brücke zu. Ash sah ihm nach und überlegte, dann wandte er sich wieder den geduldigen, leichter begreiflichen Instrumenten zu. Zuviel gearbeitet, zuviel gearbeitet, sagte sich Dallas. Sein Kopf drohte zu zerspringen. Wahrscheinlich hatte er recht er
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hatte einfach unter zuviel Druck gestanden. Er machte sich um alle Sorgen, nicht nur um das Problem des Alien. Wie lange würde er diesen Druck noch ertragen können? Wieviel länger sollte er es auch noch versuchen? Schließlich war er nur ein Pilot. Kane hätte einen besseren Kapitän abgegeben, dachte er. Kane war mit solchen Problemen leichter zurande gekommen und hatte es nie zu persönlich genommen. Aber Kane war nicht mehr da. Kane konnte ihm nicht helfen. Er trat an eine Sprechanlage und drückte den Knopf. Eine Stimme meldete sich. »Ingenieurabteilung.« »Dallas. Wie steht's bei euch?« Parkers Antwort klang desinteressiert. »Nun, es steht eben.« »Verdammt noch mal, mach keine Witze. Ich will es genau wissen!« »He, keine Aufregung, Dallas. Sir. Wir arbeiten so schnell wir können. Brett kann auch nicht zaubern. Hast du Lust, dieses Ding in eine Ecke zu treiben und es mit einem gewöhnlichen Metallrohr anzufassen oder lieber mit ein paar hundert Volt?« »Tut mir leid.« Er meinte es auch so. »Tut euer Bestes.« »Wir tun es für jeden. Ingenieurabteilung Ende.« Das Interkom verstummte. Das war völlig unnötig gewesen, machte er sich klar, und außerdem peinlich. Wenn er schon anfing, selbst durchzudrehen, wie konnte er dann von den anderen Haltung erwarten? Im Augenblick war ihm gar nicht danach zumute, jemanden zu sehen. Nicht nach dieser unangenehmen und unergiebigen Konfrontation mit Ash. Er mußte immer noch seine eigene Entscheidung treffen, ob seine Meinung über den Wissenschaftsoffizier zutraf oder ob er ein Narr war. Da Ash überhaupt kein Motiv hatte, neigte er fast dazu, letzteres anzune h-
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men. Wenn Ash log, so tat er das geradezu meisterhaft. Dallas hatte noch nie einen Mann gesehen, der seine Gefühle so unter Kontrolle hatte. Auf der Nostromo gab es einen Ort, wo Dallas gelegentlich völlig für sich alleine sein und sich trotzdem einigermaßen sicher fühlen konnte. Eine Art Ersatzmutterleib. Er bog in den B-Korridor, wobei er freilich nicht so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, daß er versäumt hätte, dauernd nach Bewegungen in finsteren Ecken Ausschau zu halten. Aber nichts zeigte sich. Schließlich kam er an eine Stelle, wo der Rumpf sich leicht nach außen ausbeulte. Eine kleine Klappe war in die Wand eingelassen. Er drückte den Schalter daneben und wartete, während die Klappe zur Seite glitt. Die Innenluke des Shuttle stand offen. Das Landefahrzeug war zu klein, um eine Luftschleuse zu besitzen. Er stieg hinein und setzte sich. Seine Hand lag über einem roten Knopf auf dem Armaturenbrett des Shuttle, löste sich dann aber wieder von ihm, ohne ihn zu berühren. Auf der Brücke mußte man bereits registriert haben, daß er die Klappe im Korridor geöffnet hatte. Das würde noch niemanden beunruhigen, der es zufällig bemerkte. Aber wenn er jetzt die Klappe des Shuttle schloß, konnte das passieren. Also ließ er sie zum Korridor hin offen und fühlte sich ein winziges angenehmes Stück von der Nostromo und den ihr innewohnenden Schrecken und Unsicherheiten entfernt ...
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Er studierte den verbleibenden Sauerstoff zum letzten Mal, hoffte, irgendein unbemerktes Wunder hätte der gnadenlosen
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Zahl auf der Skala eine weitere Null hinzugefügt. Während er zusah, wie der Zähler seine Arbeit vollendete, verwandelte sich die letzte Zahl in der Reihe von einer Neun in eine Acht. Vor der Tür war ein polterndes Geräusch zu hören, und er fuhr herum. Als er sah, daß es Parker und Brett waren, war er erleichtert. Parker warf einen Armvoll Metallrohre auf den Boden. Jedes der Rohre war etwa doppelt so dick wie ein Männerdaumen. Sie klapperten hohl und hörten sich weder wie Waffen an, noch sahen sie so aus. Brett löste sich aus ein paar Metern Netz, er sah sehr zufrieden aus. »Hier ist das Zeug, alles erprobt und einsatzbereit.« Dallas nickte. »Ich rufe die anderen.« Er nahm Verbindung mit der Brücke auf und verbrachte dann die Zeit bis zum Eintreffen der restlichen Mannschaft damit, die Sammlung von Rohren zweifelnd zu inspizieren. Ash traf als letzter ein. Er hatte den weitesten Weg gehabt. »Damit wollen wir dieses Monster bedrohen?« Lambert deutete auf die Rohre, und ihr Ton ließ an ihrer Meinung hinsichtlich der Wirksamkeit der Waffen wenig Zweifel. »Gib ihnen doch die Chance«, sagte Dallas. »Jeder soll sich eins nehmen.« Sie stellten sich hintereinander an, und Brett gab die Rohre aus. Jedes war etwa eineinhalb Meter lang und trug am einen Ende eine Anzahl Instrumente sowie einen primitiven Handgriff. Dallas schwang das Rohr wie einen Degen und versuchte, sich daran zu gewöhnen. Es war nicht schwer, und das war ihm ganz recht so. Er brauchte etwas, das er schnell zwischen sich und das Alien bringen konnte, trotz säurehaltiger Spucke und anderen ihm unvorstellbaren, fremden Verteidigungswaffen. Von dem Gefühl, eine Keule oder einen Stock in der Hand zu halten, ging etwas Primitives und Unlogisches, aber ungemein Beruhigendes aus. »Ich hab' in jeden drei Batterien eingebaut«, sagte Brett. »Die
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liefern einen ganz beachtlichen Schlag. Ihr braucht sie nicht aufzuladen, sofern ihr den Entladeknopf nicht sehr lange festhaltet, ich meine wirklich lange.« Er deutete auf den Griff seines eigenen Rohrs. »Ihr braucht also keine Angst zu haben, sie zu benutzen. Hier oben am Griff sind sie völlig isoliert. Wenn ihr das Rohr anfaßt, laßt ihr es sofort fallen, falls es eingeschaltet ist. Aber im Inneren ist ein weiteres Rohr mit einem Supraleiter. Dort ist auch der größte Teil der Ladung. Der Supraleiter liefert fast hundert Prozent der freigegebenen Energie bis zur Spitze. Seid also verdammt vorsichtig, und berührt das Ende nicht.« »Wie wär's mit einer Vorführung?« fragte Ripley. »Yeah, sicher.« Der Techniker hielt die Spitze seines Rohrs gegen einen Profilträger. Ein blauer Funken sprang vom Rohr auf den Träger über, es ertönte ein befriedigendes lautes Popp, und leichter Ozongeruch drang an ihre Nasen. Brett lächelte. »Sie sind alle erprobt und funktionieren. Ihr habt eine Menge Saft in diesen Rohren.« »Gibt es eine Möglichkeit, die Spannung zu variieren?« fragte Dallas. Parker schüttelte den Kopf. »Wir haben versucht, hier etwas zu bauen, das weh tut, aber nicht tödlich ist. Wir wissen nichts über diese Spielart des Alien, und wir hatten keine Zeit, Spielereien wie Stromabstimmung und dergleichen einzubauen. Jedes Rohr erzeugt eine einheitliche unveränderliche Ladung. Schließlich sind wir keine Wundertäter.« »Das ist das erste Mal, daß ihr das zugebt«, sagte Ripley. Parker warf ihr einen säuerlichen Blick zu. »Es wird dem kleinen Bastard keinen Schaden zufügen, es sei denn, sein Nervensystem wäre viel empfindlicher als das unsere«, erklärte Brett. »Da sind wir ziemlich sicher. Sein Vorläufer war kleiner und ziemlich zäh.« Er nahm das Rohr und hielt es wie ein Gladiator, der sich anschickt, in die Arena
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zu treten. »Das sollte nur ein Kneifen für ihn sein. Natürlich würde mir nicht gerade das Herz brechen, wenn es uns gelänge, unseren kleinen Liebling damit zu elektrokutieren.« »Vielleicht funktioniert es«, räumte Lambert ein. »Das wäre also unsere mögliche Lösung für Problem eins. Wie steht es mit Problem zwei: das Biest auffinden.« »Darum habe ich mich gekümmert.« Alle wandten sich überrascht zu Ash um, der ein kleines Gerät etwa von der Größe einer tragbaren Sprechanlage in der Hand hielt. Ash freilich sah nur Dallas an. Der wich dem Blick des Wissenschaftsoffiziers aus und konzentrierte sich ganz auf das kleine Gerät. »Da es von entscheidender Wichtigkeit ist, diese Kreatur so schnell wie möglich ausfindig zu machen, habe ich auch etwas herumgebastelt. Brett und Parker haben bewundernswerte Arbeit geleistet, indem sie etwas gebaut haben, womit man das Alien vielleicht manipulieren kann. Hier ist das Gerät, um es zu finden.« »Ein tragbares Ortungsgerät, ein Tracker also?« Ripley bewunderte das kompakte Instrument. Es sah aus, als wäre es in einer Fabrik zusammengebaut worden und nicht hastig im Labor eines Raumschleppers zusammengeflickt. Ash nickte. »Man stellt es auf die Suche nach einem sich bewegenden Gegenstand ein. Die Reichweite ist nicht besonders groß, aber wenn man auf eine gewisse Distanz herankommt, fängt es zu piepsen an, und die Lautstärke nimmt in dem Maße zu, wie die Distanz zu dem zu ortenden Gegenstand abnimmt.« Ripley nahm dem Wissenschaftsoffizier das Gerät aus der Hand, drehte es herum und untersuchte es mit prüfendem Blick. »Worauf ist es eingestellt? Und wie können wir Verwechslungen vermeiden?« »Auf zweierlei Art« erklärte Ash stolz. »Wie ich schon
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erwähnte, ist die Reichweite nur gering. Man könnte das als Nachteil ansehen, aber in diesem Falle kommt es uns zugute, da es zwei Gruppen erlaubt, gleichzeitig dicht nebeneinander zu suchen, ohne daß das Ortungsgerät die andere Gruppe wahrnimmt. Aber was noch wichtiger ist, das Gerät enthält einen sehr empfindlichen Luftdichte-Sensor, der auf jeden sich bewege nden Gegenstand anspricht. Man kann von einer Skala ablesen, in welche Richtung sich der Gegenstand bewegt. Ihr braucht es immer nur vor euch zu halten. Das Gerät ist bei weitem nicht so empfindlich, wie ich mir das gewünscht hätte, aber mehr war mir in der kurzen Zeit nicht möglich.« »Du hast erstklassige Arbeit geleistet, Ash«, mußte Dallas einräumen. Ripley hielt ihm das Gerät hin, und er nahm es in Empfang. »Das sollte mehr als ausreichend sein. Wieviele hast du gemacht?« Anstelle einer Antwort hielt Ash dem Kapitän ein zweites Gerät hin. »Das bedeutet, daß wir in zwei Gruppen suchen können. Sehr gut. Ich habe euch keine besonderen Anweisungen zu geben. Ihr alle wißt genausogut wie ich, was zu tun ist. Wer es zuerst entdeckt, sieht zu, daß es ihn ins Netz bekommt, schafft es schleunigst irgendwie in die Schleuse und bläst es so schnell der Schleusenmechanismus arbeitet in Richtung Rigel. Wenn ihr Lust habt, die Sprengbolzen an der Außentür zu verwenden, habe ich nichts dagegen. Wenn nötig, verlassen wir das Schiff in den Anzügen.« Er schickte sich an, in den Korridor hinauszutreten und blieb noch einmal stehen, um sich in dem engen mit Instrumenten vollgepackten Raum umzusehen. Es schien unmöglich, daß hier etwas unbemerkt hereingeschlüpft sein konnte, aber wenn sie schon eine gründliche Suchaktion durchführen wollten, dann durften sie keine Ausnahmen zulassen.
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»Jetzt wollen wir uns zuerst vergewissern, daß die Brücke sauber ist.« Parker hielt eines der Ortungsgeräte in der Hand. Er schaltete es ein und ließ seinen Arm kreisen, wobei er den kleinen Bildschirm des Gerätes nicht aus dem Auge ließ. »Sechs Anzeigen«, verkündete er, als er fertig war. »Alle ungefähr an der Stelle, wo einer von uns steht. Hier drinnen scheint es sauber zu sein ... wenn das verdammte Ding einwandfrei funktioniert.« Ash schien nicht beleidigt. »Es funktioniert. Das hast du ja gerade demonstriert.« Dallas sah die wartenden Männer und Frauen an. »Alle bereit?« Ein paar flüsterten »nein«, und alle lächelten. Kanes schrecklicher Tod war in ihrer Erinnerung schon etwas verblaßt. Diesmal waren sie auf das Alien vorbereitet und hoffentlich auch mit den richtigen Waffen versehen. »Kanäle auf allen Decks offen.« Dallas setzte sich in Richtung Korridor in Bewegung. »Wir bleiben dauernd in Verbindung. Ash und ich gehen mit Lambert und nehmen einen Tracker mit. Brett und Parker gehen zur zweiten Gruppe. Ripley, du übernimmst die Führung und trägst den zweiten Tracker. Wenn das Scheusal auftaucht, hat absolute Priorität, es einzufangen und zur Schleuse zu schaffen. Anschließend verständigt ihr das andere Team. Also, fangen wir an.« Sie verließen die Brücke. Die Korridore der Etage A waren ihnen noch nie so lang oder so finster vorgekommen. Dallas waren sie ebenso vertraut wie seine Hosentasche, und doch ließ ihn das Wissen, daß sich in irgendeiner Ecke etwas Tödliches verstecken konnte, vorsic htig und leise auftreten, wo er sonst selbst mit geschlossenen Augen hätte gehen können. Alle Lichter waren eingeschaltet. Aber das machte den Korridor nicht heller. Es handelte sich um
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Notlichter, die nur selten gebraucht wurden. Warum auch Energie vergeuden, um jeden Winkel eines Schleppers wie der Nostromo zu beleuchten, wo ihre Mannschaft doch nur kurze Zeitspannen im Wachzustand verbrachte. Die Konstruktion des Schiffes sah genügend Licht während Start und Landung und gelegentlichen Notfällen während des Fluges vor. Dallas war für die Beleuchtung dankbar, die ihm zur Verfügung stand, aber das hielt ihn nicht davon ab, sich über das düstere Licht zu beklagen. Lambert hielt die andere Seite des Netzes, gegenüber von Dallas. Das Geflecht dehnte sich von einer Seite des Korridors bis zur anderen. Er hielt sein Ende etwas fester und zog daran. Ihr Kopf ruckte zu ihm herüber, ihre Augen waren geweitet. Dann lockerte sie sich, nickte ihm zu und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Korridor zu. Sie hatte geträumt, war in eine Art Selbsthypnose gesunken, so mit den schrecklichen Möglichkeiten beschäftigt, daß sie die augenblickliche Aufgabe völlig vergessen hatte. Sie sollte die Ecken und Winkel des Schiffes durchstöbern, nicht die ihrer Fantasie. Ihr Gesichtsausdruck war nun wieder aufmerksam und gespannt; Dallas selbst konzentrierte sich auf die nächste Biegung im Korridor. Ash folgte dicht hinter ihnen, die Augen gebannt auf den Bildschirm seines Trackers gerichtet. Er bewegte das Gerät langsam aber regelmäßig von rechts nach links und dann wieder von links nach rechts, suchte Boden und Wände ab. Das Instrument blieb stumm; nur wenn er es etwas zu weit nach rechts oder links bewegte und es Lambert und Dallas ortete, gab es ein klagendes Piepen von sich, bis Ash einen Knopf drückte und es zum Schweigen brachte. An einer in die Tiefe führenden Wendeltreppe blieben sie stehen. Lambert beugte sich darüber und rief: »Ist dort unten etwas? Hier oben ist alles sauber.«
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Brett und Parker packten das Netz fester, während Ripley vor ihnen stehenblieb, den Blick von ihrem Gerät wandte und nach oben rief: »Hier ist auch nichts.« Oben setzten Lambert und Dallas, gefolgt von Ash, ihre Suche fort. Ihre ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die vor ihnen liegende Biegung des Korridors. Sie mochten diese Biegungen nicht, weil sie die besten Möglichkeiten für einen Überraschungsangriff boten. Wenn man dann vor sich nur leeren Korridor entdeckte, war das für Lambert so, als hätte sie den heiligen Gral gefunden. Der Tracker begann schwer in Ripleys Hand zu wiegen, als plötzlich unter dem Hauptschirm ein winziges Licht rot aufflakkerte. Sie sah, wie die Nadel an der Skala zuckte. Sie war ganz sicher, daß es die Nadel und nicht ihre Hand war. Dann schlug die Nadel aus und wanderte um Haaresbreite von der Nullstelle der Skala nach rechts. Sie vergewisserte sich, daß sie nicht etwa Parker oder Brett angepeilt hatte, ehe sie etwas sagte. »Halt. Ich habe etwas.« Sie trat ein paar Schritte vor. Die Nadel schoß über die ganze Skala, und wieder flackerte das rote Licht auf. Diesmal blieb es stehen. Sie stand da und blickte auf ihr Gerät, aber es zeigte keine Anzeichen einer Bewegung. Das rote Licht leuchtete regelmäßig. Brett und Parker starrten den Korridor hinunter und inspizierten Wände, Decke und Boden. Alle erinnerten sich, wie das erste Alien, obwohl es da schon mausetot war, Ripley auf die Schulter fiel. Niemand war bereit, das Risiko einzugehen, daß diese Version nicht ebenfalls klettern konnte. Also suchten ihre Augen die Decke ebenso ab wie den Boden. »Wo kommt es denn her?« fragte Brett leise. Ripley musterte das Ortungsgerät mit gerunzelter Stirn. Die Nadel hatte plötzlich angefangen, über die ganze Skala zu tanzen. Wenn das Alien nicht durch massive Wände gehen
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konnte, paßte das Verhalten der Nadel nicht zu einem lebenden Wesen. Sie schüttelte das Gerät, aber das unerklärliche Verhalten der Nadel hörte nicht auf. Das rote Licht leuchtete unverändert. »Ich weiß nicht. Das Ding spinnt. Die Nadel hüpft über die ganze Skala.« Brett zupfte an dem Netz und fluchte. »Verdammt, wir können uns keine Versager leisten. Ich würde Ash den Hals ... »Halt«, beruhigte sie ihn und stellte das Gerät auf den Kopf. Die Nadel kam sofort zum Stillstand. »Es funktioniert schon richtig. Es ist nur verwirrt. Oder besser gesagt, ich war verwirrt. Das Signal kommt von hier, unter uns.« Sie blickten vor ihre Füße. Nichts schoß durch das Deck, um sie anzugreifen. »Das ist Etage C«, brummte Parker, »reine Versorgungsgänge. Wird verdammt schwierig sein, dort zu suchen.« »Wollt ihr die Etage etwa ignorieren?« Er funkelte sie an. »Gar nicht komisch.« »Nein, komisch ist es nicht.« Ihre Stimme klang leise. »Geht voraus, ihr beiden kennt diese Etage besser als ich.« Parker und Brett gingen langsam die wenig benutzte Treppe hinunter, das Netz zwischen sich ausgespannt. Die C-Etage war selbst nach dem spärlichen Standard der Nostromo schwach beleuchtet. Sie blieben unten an der Treppe stehen, um ihre Augen an das Halbdunkel zu gewöhnen. Ripley berührte versehentlich eine Wand und zog die Hand angewidert zurück. Sie war mit dickem klebrigem Schleim bedeckt. Alte Schmiermittel, sagte sie sich. Ein Passagierschiff wäre sofort aus dem Verkehr gezogen worden, wenn man bei einer Inspektion solche Zustände darauf entdeckt hätte. Aber auf einem Schiff wie der Nostromo machte sich niemand über solche Lecks Gedanken. Wen störte schon ein wenig Schmutz auf einem Schlepper? Wenn sie diese Fahrt hinter sich hatten, würde sie beantragen,
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daß sie auf ein Passagierschiff versetzt wurde, oder kündigen. Sie wußte, daß sie sich das schon zwei Dutzendmal vorgenommen hatte. Aber diesmal würde sie das Versprechen halten. Sie hielt den Tracker den Korridor hinunter. Nichts. Als sie ihn herumdrehte, flammte das rote Licht wieder auf. Die beleuchtete Nadel sprach deutlich an. »Okay. Gehen wir.« Sie setzte sich in Bewegung und vertraute auf die kleine Nadel, weil sie wußte, daß Ash gute Arbeit tat, weil das Gerät bis jetzt funktioniert hatte und weil sie keine andere Wahl hatte. »Wir kommen jetzt gleich an eine Gabelung«, warnte sie Brett. Einige Minuten verstrichen. Der Korridor teilte sic h. Sie blickte auf den Bildschirm und wählte den rechten Gang. Das rote Licht begann blasser zu werden. Sie blieb stehen, kehrte um und drang in den anderen Korridor ein. »Diese Richtung.« In diesem Abschnitt des Schiffes war die Beleuchtung noch sparsamer. Tiefe Schatten lasteten auf ihnen und drohten sie zu ersticken, obwohl niemand, der zum Dienst im Tiefraum zugelassen ist, unter Klaustrophobie leidet. Ihre Schritte hallten auf den Deckplatten aus Metall, ein Geräusch, das nur gelegentlich gedämpft wurde, wenn sie durch Pfützen von Schmieröl wateten. »Dallas sollte eine Inspektion verlangen«, murmelte Parker angeekelt. »Die würden 40 Prozent des Schiffes einsatzunfähig schreiben, und dann müßte die Gesellschaft zahlen, um es einmal gründlich sauber zu machen.« Ripley schüttelte den Kopf und warf dem Ingenieur einen skeptischen Blick zu. »Wollen wir wetten? Für die wäre es viel billiger, den Inspektor zu schmieren.« Parker verdrehte enttäuscht die Augen. Wieder eine seiner glänzenden Ideen beim Teufel. Das Schlimmste daran war, daß Ripleys Logik gewöhnlich unwiderleglich war. Die Abneigung,
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die er für sie empfand, und seine Bewunderung für sie wuchsen proportional zueinander. »Weil wir gerade von Reparieren und Saubermachen reden«, fuhr sie fort, »was ist eigentlich mit der Beleuchtung los? Ich sagte schon, daß ich mit diesem Teil des Schiffes nicht vertraut bin, aber hier unten sieht man ja kaum die Hand vor den Augen. Ich dachte, ihr hättet Modul zwölf repariert. Die Beleuchtung sollte wirklich besser sein, selbst hier unten.« »Wir haben es ja repariert«, protestierte Brett. Parker beugte sich vor und studierte eine Leuchtscheibe in der Nähe. »Die Verteilungsanlage muß nicht ganz in Ordnung sein. Einige der Geräte haben nicht ihren üblichen gleichmäßigen Strom erhalten, weißt du. Es war schwierig genug, die Energieversorgung wieder herzustellen, ohne dabei jede einzelne Leitung kurzzuschließen. Und in einer solchen Situation nehmen betroffene Abnahmesysteme nur Minimalenergie auf, um Überlastungen zu vermeid en. Aber die hier übertreibt. Das läßt sich reparieren.« Er betätigte einen Schalter an der Leuchtplatte, und das Licht im Korridor wurde heller. Eine Weile zogen sie schweigend dahin, bis Ripley plötzlich stehenblieb und warnend die Hand hob. »Wartet.« Parker wäre in seiner Hast beinahe gestürzt, und Brett hatte Mühe, sich nicht in dem Netz zu verfangen. Niemand lachte. »Sind wir da?« flüsterte Parker und versuchte die Finsternis vor ihnen zu durchdringen. Ripley prüfte den Stand der Nadel und verglich ihn mit der Skala, die Ash neben den Leuchtschirm eingraviert hatte. »Nach dieser Skala ist es noch fünfzehn Meter entfernt.« Parker und Brett faßten das Netz fester, obwohl ihnen das niemand auftrug. Ripley schaltete ihr Rohr ein. Langsam trat sie mit dem Ro hr in der rechten und dem Tracker in der linken
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Hand vor. Es war schwer, ja unmöglich, sich drei Leute vorzustellen, die weniger Lärm machten, als Ripley, Parker und Brett das in diesem Korridor taten. Selbst ihr schwerer Atem klang jetzt leiser. Sie legten fünf Meter zurück, dann waren es zehn. Ein Muskel an Ripleys linker Wange hüpfte wie eine Heuschrecke, tat weh. Sie ignorierte es, und sie gingen vorsichtig weiter. Die Distanz, die der Tracker anzeigte, wurde immer kleiner. Jetzt ging sie halb geduckt, bereit sofort zurückzuspringen, wenn sich in der Dunkelheit irgend etwas bewegte. Sie hatte den Piepser ihres Peilgerätes absichtlich abgeschaltet. Nach fünfzehn Metern blieb sie stehen. Das Licht war immer noch schwach, reichte aber aus, um ihnen zu zeige n, daß in dem stinkenden Korridor nichts lauerte. Langsam drehte sie den Tracker vor sich hin und her und versuchte gleichzeitig den Bildschirm, die Nadel und den Korridor zu beobachten. Die Nadel bewegte sich leicht. Sie hob den Blick und sah eine kleine Tür in der Wand. Sie stand einen Spalt offen. Parker und Brett merkten, worauf sich ihre Aufmerksamkeit konzentrierte. Sie bezogen vor der Tür Position. Ripley nickte ihnen zu und versuchte, sich den Schweiß vom Gesicht zu schütteln. Dann atmete sie tief durch und stellte den Tracker auf den Boden. Mit der freien Hand tastete sie nach dem Türgriff. Er fühlte sich an ihrer bereits feuchten Handfläche kalt und klamm an. Jetzt hob sie ihr Rohr, drückte den Knopf am Handgriff nieder, warf sich gegen die Korridorwand und stieß das Metallrohr in den Schrank hinein. Ein schreckliches Jaulen hallte durch den Korridor. Ein kleines Wesen, das ganz aus hervortretenden Augen und blitzenden Klauen zu bestehen schien, schoß aus dem Schrank. Es landete mitten im Netz, und die beiden Ingenieure gaben sich Mühe, es in möglichst viele Schichten des zähen Gewebes einzuhüllen.
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Festhalten, festhalten!« schrie Parker triumphierend. »Jetzt haben wir das verfluchte Biest. Wir ...« Ripley spähte ins Netz. Eine Woge von Enttäuschung schlug über ihr zusammen. Sie schaltete das Rohr ab und hob den Trakker wieder auf. »Verdammt«, murmelte sie müde. »Beruhigt euch, ihr beiden. Seht euch das an.« Parker ließ das Netz gleichzeitig mit Brett los. Beide hatten gesehen, was sie gefangen hatten und fluchten wütend vor sich hin. Eine höchst verärgerte Katze schoß aus dem Geflecht und rannte fauchend den Korridor hinauf, ehe Ripley protestieren konnte. »Nein, nein.« Sie versuchte zu spät einzugreifen. »Laßt ihn nicht entkommen.« Ein orangerotes Pelzknäuel verschwand am Ende des Gangs. »Ja, du hast recht«, nickte Parker. »Töten hätten wir ihn sollen. Jetzt orten wir ihn vielleicht noch einmal.« Ripley sah ihn scharf an, sagte aber nichts. Dann wandte sie sich dem weniger mörderisch gestimmten Brett zu. »Hol ihn. Was mit ihm geschehen soll, können wir später besprechen, aber jedenfalls sollten wir ihn einsperren, damit er die Maschine nicht verwirrt - und uns.« Brett nickte. »Richtig.« Er wandte sich um und trottete hinter dem Kater her. Ripley und Parker setzten ihre Suche langsam in entgegengesetzter Richtung fort. Ripley gab sich Mühe, gleichzeitig Tracker und Rohr zu tragen und Parker mit dem Netz zu helfen. Eine offene Tür führte in eine geräumige Gerätekammer. Brett sah sich noch einmal im Korridor um und entdeckte keine Spur der Katze. Andererseits war die Gerätekammer voll mit idealen Katzenverstecken. Wenn die Katze nicht drinnen war, würde er sich wieder den anderen anschließen, entschied er. Inzwischen konnte sie überall auf dem Schiff sein. Aber diese
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Kammer war eigentlich ein logisches Versteck für sie. Drinnen war Licht, wenn auch nicht heller als draußen im Korridor. Brett achtete nicht auf die aufgestapelten Instrume ntenkästen, die festgezurrten Container mit Ersatzchips und eingefetteten Werkzeugen. Der Inhalt der einzelnen Behälter war auf Leuchtschildern angegeben. Seine Begleiter waren jetzt wahrscheinlich schon außer Hörweite. Der Gedanke machte ihn unruhig. Je schneller er diese verdammte Katze zwischen die Finger bekam, desto besser. »Jones ... hier. Pssst, pssst. Komm schon, komm schon. Pssst, pssst. Jones ... Komm schon zu Brett, Kätzchen.« Er beugte sich vor und spähte in einen dunklen Spalt zwischen zwei großen Containern. Der Spalt war leer. Er richtete sich auf und wischte sich den Schweiß aus den Augen, erst das linke, dann das rechte. »Verdammt, Jones«, murmelte er leise, »wo zum Teufel, steckst du denn?« Er hörte kratzende Geräusche tiefer im Inneren des Raums. Dann ein unsicheres, aber eindeutig von einer Katze stammendes Mia uen. Er atmete erleichtert auf und ging auf den Ursprung des Geräusches zu. Ripley blieb stehen und blickte mißmutig auf den Trackerschirm. Das rote Licht war erloschen, die Nadel stand wieder auf Null, und der Warnton war schon lange nicht mehr erklungen. Jetzt zitterte die Nadel einmal, beruhigte sich aber gleich wieder. »Hier ist nichts«, sagte sie zu Parker. »Wenn es außer uns und Jones hier je etwas gegeben hat.« Sie blickte den Ingenieur an. »Bitte um Vorschläge.« »Kehren wir um. Das wenigste, was wir tun können, ist Brett dabei zu helfen, diesen Mistkater einzufangen.« »Laß Jones in Frieden.« Ripley verteidigte das Tier automa-
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tisch. »Er hat genau so viel Angst wie wir.« Sie drehten sich um und gingen den stinkenden Korridor hinunter. Ripley ließ das Peilgerät für alle Fälle eingeschaltet. Brett hatte sich zwischen Containerstapeln hindurchgezwängt. Viel weiter konnte er nicht mehr vordringen. Streben und Träger für den Aufbau der Nostromo bildeten um ihn ein Labyrinth aus Metall. Er begann wieder mutlos zu werden, als erneut ein vertrautes Miauen an sein Ohr drang. Er bog um eine Metallstrebe und sah in der Finsternis zwei kleine gelbe Augen leuchten. Einen Augenblick lang zögerte er. Jones hatte etwa die gleiche Größe wie das Ding, das aus der Brust des armen Kane herausgeplatzt war. Ein weiteres deutliches Miau ließ ihn sich wieder besser fühlen. Nur ein gewöhnlicher Kater konnte solche Laute erzeugen. Als er sich näher heranarbeitete, beugte er sich vor, um einem Deckenträger auszuweichen und sah orangeroten Pelz, einen Schnurrbart: Jones. »Komm, Kätzchen ... fein, daß du da bist, du kleines Biest.« Er griff nach der Katze. Sie zischte drohend und schob sich rückwärts tiefer in die Ecke hinein. »Komm schon, Jones. Komm zu Brett. Komm, jetzt ist keine Zeit zum Spielen.« Etwas, das nicht ganz so dick war wie der Träger, unter dem der Techniker sich gerade gebückt hatte, griff nach unten. In völliger Lautlosigkeit senkte es sich herunter und vermittelte das Gefühl ungeheurer gebändigter Kraft. Finger spreizten sich, schlangen sich um den Hals des Ingenieurs. Brett stieß einen gurgelnden Schrei aus, seine beiden Hände fuhren reflexartig an den Hals, aber ebensogut hätten diese Finger zusammengeschweißt sein können. Seine Hände richteten nichts aus. Die beiden Hände hoben
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ihn hoch, und seine Beine baumelten frei in der Luft. Jones schoß unter ihm davon wie eine Rakete. Die Katze schoß an Ripley und Parker vorbei, die gerade eingetroffen waren. Ohne zu überlegen, drangen sie in den Lagerraum ein. Und kurz darauf standen sie dort, wo sie noch vor Augenblicken Bretts Beine hatten baumeln sehen. Sie blickten nach oben und erhaschten einen letzten Blick auf baumelnde Füße und einen sich zusammenkrümmenden Leib, die nach oben verschwanden. Und über der hilflosen Gestalt des Ingenieurs war undeutlich eine Silhouette zu erkennen, etwas Menschenähnliches, aber ganz bestimmt kein Mensch. Etwas Großes, Bösartiges. Den Bruchteil einer Sekunde lang reflektierte sich das Licht in Augen, die selbst für den Kopf eines Riesen zu groß waren. Dann waren das Alien und der Ingenieur in den oberen Regionen der Nostromo verschwunden. »Herrgott«, flüsterte Parker entsetzt. »Es ist gewachsen.« Ripley blickte ausdruckslos auf ihr Rohr, brachte es in Relation zu der hünenhaften Masse über ihnen. »Es ist schnell gewachsen. Die ganze Zeit während der wir etwas in der Größe von Jones jagten, ist es gewachsen und hatte sich in das verwandelt.« Plötzlich wurde ihr der enge Raum bewußt, der sie umgab, die Finsternis und die mächtigen Container, die rings um sie aufragten. Die zahlreichen Gänge zwischen Behältern und dicken Metallträgern. »Was stehen wir hier herum? Es kann zurückkommen.« Sie zog das spielzeugartige Rohr an sich und war sich bewußt, wie wenig es gegen ein Geschöpf von der Größe ausrichten konnte. Sie eilten hinaus. Aber so sehr sie sich auch Mühe gaben, das Echo jenes letzten verhallenden Gurgeins verfolgte sie, blieb ihnen im Gedächtnis haften. Parker hatte Brett nicht lange gekannt, aber dieser letzte
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erstickte Schrei ließ ihn ebenso schnell rennen wie Ripley.
11.
Aus den Gesichtern der in der Messe Versammelten war alle Zuversicht gewichen. Niemand versuchte es zu verbergen, am wenigsten Parker und Ripley. Seit sie gesehen hatten, womit sie jetzt konfrontiert waren, war von ihrem Selbstvertrauen nur mehr sehr wenig übriggeblieben. Dallas musterte einen vor kurzem ausgedruckten Plan der Nostromo. Parker stand mit blassem Gesicht an der Tür und blickte gelegentlich nervös den Korridor hinunter. »Was auch immer es war«, sagte der Ingenieur in das Schweigen hinein, »es war groß. Wie eine riesige Fledermaus hat es sich auf ihn gestürzt.« Dallas blickte von dem Plan auf. »Und ihr seid ganz sicher, daß es Brett in ein Rohr gezerrt hat?« »Es ist in einem der Kühlrohre verschwunden.« Ripley kratzte sich am Handrücken. »Ich bin ganz sicher, daß es dort hinein verschwunden ist. Außerdem, wo hätte es auch sonst hin verschwinden sollen?« »Keine Frage«, fügte Parker hinzu. »Es benutzt die Luftschächte. Deshalb konnten wir es mit dem Tracker nicht auspüren.« »Die Luftschächte.« Dallas nickte langsam. »Das leuchtet ein. Jones macht es genauso.« Lambert spielte gedankenverloren mit ihrem Kaffee und rührte mit dem Finger in der dunklen Flüssigkeit herum. »Brett könnte noch arn Leben sein.« »Keine Chance.« Ripley war nicht fatalistisch, sie dachte nur
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logisch. »Wie eine Puppe hat es ihn in die Höhe gerissen.« »Wozu will es ihn denn?« wollte Lambert wissen. »Warum hat es ihn mitgeschleppt, statt ihn einfach an Ort und Stelle umzubringen?« »Vielleicht braucht es einen Inkubator, so wie die erste Form Kane gebraucht hat«, schlug Ash vor. »Oder als Nahrung«, sagte Ripley und schauderte. Lambert stellte ihren Kaffee weg. »Jedenfalls heißt das vom Standpunkt des Alien: da waren's nur noch fünf.« Parker hatte die ganze Zeit sein Schockrohr in den Händen gedreht. Jetzt wandte er sich um und warf es gegen die Wand. Es verbog sich, klirrte zu Boden und rollte ein Stück weit, ehe es liegenblieb. »Ich sage, wir gehen das Risiko ein, und rösten den ve rdammten Bastard mit einem Laser.« Dallas gab sich Mühe, sein Mitgefühl zu zeigen. »Ich weiß, wie dir zumute ist, Parker. Wir haben Brett alle gemocht, aber jetzt müssen wir unseren Verstand gebrauchen. Wenn diese Kreatur jetzt so groß ist, wie du sagst, dann hat sie genug Säure in sich, um ein Loch von der Größe dieses Raums ins Schiff zu ätzen, ganz zu schweigen, was es mit den Stromkreisen und Steueraggregaten in den Decks anrichten könnte. Nein, das dürfen wir nicht riskieren. Noch nicht.« »Noch nicht?« Parkers Gefühl der Hilflosigkeit war stärker als seine Wut. »Wie viele müssen denn noch sterben, ehe du begreifst, daß das die einzige Methode ist, mit diesem Ding umzugehen?« »Es würde sowieso nicht funktionieren, Parker«, sagte Ash ruhig. Der Ingenieur wandte sich zu ihm um und sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Was willst du damit sagen?« »Ich will damit sagen, daß du bei deinem ersten Schuß ein lebenswichtiges Organ treffen müßtest. Nach deiner Beschrei-
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bung ist das Alien jetzt ungeheuer schnell davon abgesehe n, daß es groß und kräftig ist. Ich glaube, man muß vernünftigerweise annehmen, daß es über dieselbe Fähigkeit zur schnellen Regeneration verfügt wie seine erste Form als Hand. Das bedeutet, daß du ihn sofort töten mußt, sonst hast du keine Chance. Das wäre aber nicht nur dann schwierig, wenn dein Gegner ein gewöhnlicher Mensch wäre, nein, bei diesem Alien aber ist es praktisch unmöglich, weil wir keine Ahnung haben, wo seine lebenswichtigen Organe sitzen. Wir wissen nicht einmal, ob es solche Stellen überhaupt hat. Verstehst du?« Er gab sich Mühe, seiner Stimme einen ebenso verständnisvollen Tonfall wie Dallas zu geben. Jeder wußte, wie nahe sich die beiden Ingenieure gestanden hatten. »Kannst du dir nicht vorstellen, was geschehen würde? Nehmen wir einmal an, es gelänge zweien von uns, das Alien in einem freien Raum zu stellen, wo wir einen Schuß darauf abgeben können, was keineswegs sicher ist. Wir treffen es, sagen wir, ein halbes Dutzendmal mit dem Laser, ehe es uns in Stücke reißt. Alle sechs Wunden heilen schnell genug, um das Leben des Alien zu bewahren, aber nicht so schnell, daß nicht genügend Säure austritt, um zahllose Löcher in das Schiff zu fressen. Vielleicht ätzt sich das Zeug durch die Steueraggregate unserer Luftversorgung oder durch die Schiffsbeleuchtung. Angesichts dessen, was wir über diese Kreatur wissen, halte ich das keineswegs für ein vernünftiges Szenario. Und dann? Wir haben zwei Leute verloren oder mehr und sind in bezug auf das Schiff noch schlechter dran als vorher.« Parker gab keine Antwort. Er blickte mürrisch drein. Schließlich murmelte er: »Was, zum Teufel, sollen wir dann machen?« »Der einzige Plan, der eine Chance auf Erfolg hat, ist der, den wir vorher hatten«, erklärte Dallas. Er tippte auf den Schiffsplan. »Wir finden heraus, in welchem Schacht das Alien sich
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aufhält, treiben es von dort in eine Luftschleuse und blasen es ins All hinaus.« »Treiben es?« Parker lachte hohl. »Ich sag' euch doch, dieses Monster ist riesig." Er spuckte verächtlich auf sein verbogenes Schockrohr. »Damit treiben wir dieses Ding nirgends hin.« »Damit hat er zum ersten Mal recht«, sagte Lambert. »Wir müssen es zu einer Schleuse treiben, aber wie?« Ripleys Blick wanderte im Kreise. »Ich glaube, es ist Zeit, daß die Wissenschaftsabteilung uns die letzten Erkenntnisse über unseren ungebetenen Gast bekanntgibt. Hast du keine Ahnung, Ash?« Der Wissenschaftsoffizier überlegte. »Nun, er scheint sich recht problemlos an eine sauerstoffreiche Atmosphäre angepaßt zu haben. Vielleicht hat das etwas mit seinem auffällig schne llen Wachstum in diesem Stadium zu tun.« »Diesem Stadium?« wiederholte Lambert. »Meinst du damit, es könnte sich noch einmal in etwas anderes verwandeln?« Ash spreizte die Hände. »Wir wissen zu wenig über das Alien. Wir sollten auf alles vorbereitet sein. Es hat bereits drei Metamorphosen durchgemacht: vom Ei in die Handform, von der Hand in das Ding, das aus Kane kam und daraus in diese viel größere zweibeinige Form. Wir haben keinen Grund, anzunehmen, daß diese Form das letzte Stadium seiner Entwicklungskette ist.« Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Die nächste Form, die es annimmt, ist möglicherweise noch größer und kräftiger.« »Das ist richtig ermutigend«, murmelte Ripley. »Was noch?« »Neben der neuen Atmosphäre ist es auch in bezug auf seine Ernährungsbedürfnisse gut angepaßt. Wir wissen also, daß es in verschiedenen Atmosphären, wahrscheinlich auch in gar keiner, existieren kann. Und zwar eine unbestimmte Zeit lang. So ziemlich das einzige, was wir nicht wissen, ist, wie es mit drastische n Temperaturveränderungen zurande kommt. An
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Bord der Nostromo ist es angenehm warm. Berücksichtigt man die Durchschnittstemperatur auf der Welt, wo wir es gefunden haben, so glaube ich, daß wir vernünftigerweise ausschließen können, daß es bittere Kälte stört, wenn auch die frühe Eiform in dieser Hinsicht widerstandsfähiger gewesen sein mag als die gegenwärtige. Dafür gibt es Beweise.« »Also schön«, fragte Ripley, »was ist dann mit der Temperatur. Was geschieht, wenn wir sie erhöhen?« »Versuchen wir es«, sagte Ash. »Wir können die Temperatur des ganzen Schiffes aus demselben Grund nicht steigern, wie wir nicht die gesamte Luft ausstoßen können. Nicht genug Luft in unseren Anzügen, beschränkte Beweglichkeit, Hilflosigkeit, solange wir in den Kühltruhen liegen usw. Aber die meisten Lebewesen fliehen vor dem Feuer. Es ist nicht notwendig, das ganze Schiff zu erhitzen.« »Wir könnten einen Hochspannungsdraht über ein paar Korridore spannen und das Alien in einen hineinlocken, dann können wir es rösten«, schlug Lambert vor. »Wir haben es hier nicht mit einem Tier zu tun oder, wenn doch ...«, meinte Ash, »dann mit einem äußerst geschickten. Es wird nicht blindlings in eine Schnur oder sonst etwas rennen, das einen offenkundigen Durchgang versperrt. Das hat es bereits demonstriert, indem es sich die Luftschächte anstelle der Korridore ausgesucht hat, um sich darin zu bewegen. Außerdem sind gewisse primitive Organismen, wie beispielsweise der Hai, für elektrische Felder empfindlich. Alles zusammengerechnet keine gute Idee.« »Vielleicht kann es die elektrischen Felder entdecken, die unser eigener Körper erzeugt«, sagte Ripley niedergeschlagen. »Vielleicht ist das eine Peilmethode.« Parker sah sie zweifelnd an. Ich würde keine Wette eingehen, daß es sich nicht auf seine Augen verläßt. Wenn diese Dinger Augen sind.«
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»Das sind sie nicht.« »Ein so offenkundig geschicktes Lebewesen benutzt wahrscheinlich mehrere Sinne zur Orientierung«, fügte Ash hinzu. Mir gefällt diese Idee mit der Hochspannungsleitung ohnehin nicht.« Parkers Gesicht war gerötet. »Ich mag keine Tricks. Wenn wir es zur Schleuse hinausbefördern, möchte ich dabeisein. Ich will es sterben sehen.« Er verstummte eine Weile und fügte dann etwas weniger erregt hinzu: »Ich will es schreien hören wie Brett.« »Wie lange dauert es, um drei oder vier Flammenwerfer herzurichten?« wollte Dallas wissen. »Gib' mir zwanzig Minuten. Die Dinger liegen im Lager. Ich muß sie nur auf Handbetrieb umstellen.« »Kannst du sie kräftig genug machen? Wir wollen nicht in die Situation geraten, die Ash uns für den Einsatz von Lasern geschildert hat. Wir wollen etwas, das es zum Stehen bringt.« »Keine Sorge.« Parkers Stimme klang eiskalt. »Ich richte die so, daß sie alles kochen, was sie berühren.« »Das scheint dann unsere beste Chance zu sein.« Der Kapitän sah sich um. »Hat noch jemand eine Idee?« Niemand meldete sich. »Okay.« Dallas schob seinen Sessel zurück und stand auf. »Wenn Parker mit seinen Flammenwerfern fertig ist, beginnen wir hier und arbeiten uns in die C-Etage hinunter, zu dem Lagerraum, wo das Alien Brett getötet hat. Dann versuchen wir, es von dort aus aufzuspüren.« Parker schien nicht überzeugt. »Es ist mit ihm zwischen den Trägern hochgeklettert, ehe es in dem Luftschacht verschwunden ist. Wird verdammt schwierig sein, ihm dort oben zu folgen. Ich bin kein Affe.« Er warf Ripley einen warnenden Blick zu, aber die sagte nichts. »Willst du lieber hier sitzen bleiben und warten, bis es .dich abholt?« fragte Dallas. »Je länger wir es in der Defensive
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halten können, desto besser für uns.« »Mit einer kleinen Ausnahme«, sagte Ripley. »Und die wäre?« »Wir sind nicht sicher, daß es jemals in der Defensive war. Sie blickte ihm fest in die Augen. Die Flammenwerfer waren größer als die Schockrohre und sahen weniger wirkungsvoll aus. Aber die Rohre hatten funktioniert, und Parker hatte ihnen versichert, daß die Brenner auch funktionieren würden. Diesmal gab es keine Demonstration, weil die Flammenwerfer, wie er erklärte, so kräftig waren, daß sie die Deckplatten versengen würden. Aber die Tatsache, daß er den Geräten sein eigenes Leben anvertraute, war für alle, mit Ausnahme Ripleys, Beweis genug. Sie fing an, jeden und alles zu beargwöhnen. Eine Andeutung von Verfolgungswahn war bei ihr latent immer schon vorhanden gewesen - und die letzten Ereignisse hatten diese Andeutung verstärkt. Sie fing an, sich Sorgen über ihren Geisteszustand zu machen, ebenso große Sorgen wie über das Alien. Freilich, sobald sie das Alien gefunden und getötet hatten, würden diese Probleme wieder verschwinden - oder nicht? Langsam und vorsichtig arbeiteten sie sich von der Messe auf Deck B hinunter. Sie näherten sich gerade der nächsten Treppe, als die beiden Peilgeräte heftig zu piepen begannen. Ash und Ripley schalteten die akustischen Signale ab. Sie brauchten den Nadeln nur ein Dutzend Meter zu folgen, ehe ein lauteres, völlig anderes Geräusch hörbar wurde: das Knirschen von zerreißendem Metall. »Vorsichtig.« Dallas legte seinen Flammenwerfer in die Armbeuge und bog um die Ecke im Korridor. Laute reitende Geräusche, jetzt viel deutlicher, drangen an ihr Ohr. Er wußte, woher sie kamen. »Das Lebensmittellager«, flüsterte er. »Es ist drin.«
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»Hört euch das an«, murmelte Lambert geradezu ehrfürchtig. »Herrgott, es muß riesig sein.« »Groß genug«, pflichtete Parker ihr leise bei. »Ich hab' es gesehen. Und stark. Es hat Brett getragen wie ...« Er verstummte mitten im Satz, und die Erinnerung an Brett erstickte seine Worte. Dallas hob seinen Flammenwerfer. »Ein Luftschacht führt in das Lager. So ist es hineingekommen.« Er blickte zu Parker hinüber. »Bist du sicher, daß diese Dinger funktionieren?« «Ich hab' sie ja schließlich gemacht, oder?« »Das ist es ja, was uns beunruhigt«, sagte Ripley. Sie gingen weiter. Die fetzenden Geräusche hielten an. Als sie vor der Vorratskammer standen, wanderte Dallas Blick von Parker zum Türgriff. Der Ingenieur umfaßte zögernd den schweren Griff. Dallas trat ein paar Schritte zurück und machte den Flammenwerfer schußbereit. »Jetzt!«, schrie der Kapitän. Parker riß die Tür auf und sprang zur Seite. Dallas drückte den Feuerknopf an der schwerfälligen Waffe. Ein erstaunlich breiter orangeroter Feuerkegel erfüllte den Eingang zum Lebensmittellager. Alle zuckten vor der intensiven Hitze zurück. Dallas sprang schnell vor, ignorierte die Hitze, die ihm in der Kehle brannte und gab einen weiteren Feuerstoß ab, und dann einen dritten. Er war inzwischen über der Schwelle und mußte sich etwas zur Seite beugen, um richtig feuern zu können. Dann mußten sie ein paar Minuten vor der Vorratskammer warten, bis sie ge nügend abgekühlt war, daß sie eintreten konnten. Trotzdem war die Hitze, die von den rauchenden Überresten ihrer Vorräte ausging, so intensiv, daß sie nur ganz vorsichtig gehen konnten, um nicht an einen der glühend heißen Behälter oder die Wände zu stoßen. Den Inhalt der Kammer konnten sie abschreiben. Was das
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Alien begonnen hatte, hatte Dallas Flammenwerfer zu Ende geführt. An den Wänden waren tiefe schwarze Streifen zu sehen, Beweis für die konzentrierte Energie des Flammenwerfers. Der Gestank der verkohlten Lebensmittel und der Plastikverpackungen war in dem engen Raum überwältigend. Trotz der Verwüstung, die der Flammenwerfer angerichtet hatte, war nicht der ganze Inhalt des Lagers zerstört worden. Es gab noch reichlich Hinweise auf das Werk des Alien, die die Flammen nicht berührt hatten. Packungen aller Größen lagen auf dem Boden herum, auf eine Art und Weise aufgerissen wie die Hersteller das nie vorgesehen hatten. Konserven waren aufgerissen worden, wie man eine Orange schält. Nachdem, was man sehen konnte, hatte das Alien dem Flammenwerfer nicht viel übriggelassen. Sie stocherten in dem halb verkohlten Zeug herum. Beißender Rauch stieg ihnen in die Augen. Aber die erhoffte Entdeckung machten sie nicht. Da alle an Bord der Nostromo gelagerten Nahrungsmittel künstlich und von homogener Zusammensetzung waren, mußten die einzigen Knochen, die sie finden konnten, von dem Alien stammen. Aber da waren keine Knochen. Ripley und Lambert wollten sich schon an eine der noch glühenden Wände lehnen, dachten aber im letzen Augenblick daran, daß das gefährlich sein könnte. »Wir haben es wieder nicht erwischt«, murmelte Ripley enttäuscht. »Wo, zum Teufel, steckt es dann?«, fragte Lambert. »Da drüben.« Sie wandten sich um und sahen Dallas an der Rückwand hinter einem Haufen geschmolzenen schwarzen Plastikmaterial stehen. Sein Flammenwerfer war auf die Wand gerichtet. »Hier ist es abgehauen.« Ripley und die anderen gingen zu ihm. Dallas versperrte den Blick auf die Ventilatoröffnung. Das Schutzgitter, das norma-
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lerweise daran befestigt war, lag in Stücke gerissen daneben auf dem Boden. Dallas nahm die Lampe vom Gürtel und richtete den Strahl in den Schacht. Aber nur glattes Metall war zu sehen, das in der Ferne verschwamm. Als er wieder sprach, klang seine Stimme erregt. »Wird langsam Zeit, daß wir auch mal Glück haben.« »Wovon redest du denn?« fragte Lambert. Er blickte sie an. »Versteht ihr denn nicht? Das könnte uns helfen. Dieser Schacht mündet in die Hauptschleuse. Auf dem ganzen Weg gibt es nur eine Öffnung, die groß genug ist, daß das Biest hindurchschlüpfen könnte, und die können wir abdecken. Und dann treiben wir es mit den Flammenwerfern in die Schleuse und pusten es ins All.« »Hm.« Lamberts Tonfall ließ erkennen, daß sie die Begeisterung des Kapitäns nicht teilte. »Ganz einfach. Du brauchst bloß hinter ihm in das Rohr zu kriechen, dich in dem Labyrinth zurechtzufinden, bis du ihn vor dir hast, und darum beten, daß er Angst vor Feuer hat.« Dallas Lächeln verblaßte. »Wenn man das menschliche Element in Betracht zieht, ist es nicht mehr so einfach, wie? Aber es sollte klappen, vorausgesetzt, daß es Angst vor Feuer hat. Das ist unsere einzige Chance. Auf die Weise brauchen wir es nicht in eine Ecke zu treiben und hoffen, daß die Flammen es töten. Es kann sich die ganze Zeit zurückziehen. Bis zur Schleuse.« »Alles schön und gut«, nickte Lambert. »Das Problem ist nur: Wer steigt in die Röhre?« Dallas' Blick wanderte über die kleine Gruppe. Ash hatte die besten Nerven von allen, aber Dallas traute dem Wissenschaftsoffizier immer noch nicht ganz. Außerdem kam Ash nicht in Frage, weil er noch damit beschäftigt war, eine Substanz zu finden, die die Säure des Alien neutralisierte. Lambert gab sich äußerlich sehr stark, würde aber unter
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Beanspruchung schneller in die Brüche gehe n als irgendeiner der anderen. Ripley wiederum würde bis zum Augenblick der Konfrontation durchhalten aber dann? Würde sie einfach zur Untätigkeit erstarren oder nicht? Eigentlich glaubte er, daß sie durchhalten würde ... Aber konnte er ihrer aller Leben darauf riskieren? Parker ... Parker hatte sich stets als harter Bursche gegeben. Er beklagte sich dauernd, aber wenn es darauf ankam, eine schwierige Sache in die Hand zu nehmen und zu erledigen, dann schaffte er es auch. Siehe die Schockrohre und jetzt die Flammenwerfer. Außerdem hatte das Alien seinen Freund getötet. Und darüber hinaus konnte er besser als irgendeiner von ihnen mit den Flammenwerfern umgehen. »Nun, Parker, du wolltest doch immer einen vollen Anteil und eine Prämie am Ende der Fahrt.« »Yeah?« Der Ingenieur schien zu ahnen, was auf ihn zukam. »Steig ins Rohr.« »Warum ich?« Dallas überlegte, ob er seine verschiedenen Gründe nennen sollte, entschied sich aber dann dafür, es ganz einfach zu halten: »Einfach, weil ich will, daß du dir deinen vollen Anteil verdienst. Das ist alles.« Parker schüttelte den Kopf, trat einen Schritt zurück. »Kommt nicht in Frage. Du kannst meinen Anteil haben. Mein ganzes Gehalt für die Fahrt schenke ich dir.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Schachtöffnung. »Aber da geh ich nicht hinein.« »Ich gehe.« Dallas sah Ripley an. Er hatte gewußt, daß sie sich über kurz oder lang freiwillig melden würde. Ein seltsames Mädchen. Er hatte sie immer unterschätzt. Alle taten das. »Vergiß es.« »Warum?« Sie blickte ihn heraus fordernd an. »Ja, warum?« meinte Parker. »Wenn sie gehen will, warum
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läßt du sie dann nicht?« »Weil ich es so entschieden habe«, erklärte er schroff. Er sah sie an und sah die Mischung aus Verwirrung und Enttäuschung. Sie begriff nicht, weshalb er sie abge lehnt hatte. Nun, sollte sie. Eines Tages würde er es ihr vielleicht erklären. Wenn er es sich selbst erklären konnte. »Du übernimmst die Luftschleuse«, befahl er. »Ash, du bleibst hier und bewachst dieses Ende für den Fall, daß es irgendwie hinter mich kommt oder durch mich hindurch. Parker, du und Lambert, ihr übernehmt den Seitenausgang, den ich erwähnt habe.« Sie sahen ihn aus großen Augen an. Es gab keinen Zweifel mehr, wer in das Rohr steigen würde. Ripley kam keuchend am Innentor der Steuerbordschleuse an. Ein Blick auf ihren Tracker zeigte ihr, daß sich hier nichts bewegte. Sie drückte einen roten Schalter. Ein leises Summen erfüllte den Korridor. Das mächtige Schleusentor schob sich zur Seite. Als es ganz geöffnet und das Geräusch verstummt war, drückte sie den Sprechschalter. »Steuerbordluftschleuse bereit.« Parker und Lambert erreichten die von Dallas bezeichnete Stelle im Korridor und blieben stehen. Die Lüftungsöffnung mit dem unschuldigen Gitter darüber, lag in dreiviertel Höhe. »Dort kommt es heraus, wenn es das versuchen sollte«, stellte Parker fest. Lambert nickte und trat an die nächste Sprechanlage, um zu melden, daß sie ihre Position eingenommen hatten. Dallas hörte Lamberts Meldung in der Vorratskammer. Gleich darauf kam die Ripleys. Er stellte ein paar Fragen und schaltete dann ab. Ash reichte ihm seinen Flammenwerfer. Dallas stellte die Düse ein und gab ein paar schnelle kurze Feuerstöße ab. »Er funktioniert hervorragend. Parker ist ein viel besserer Ingenieur als er glaubt.« Ashs Gesichtsausdruck fiel ihm auf.
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»Ist etwas?« »Du hast deine Entscheidung getroffen. Mir kommt hier kein Kommentar zu.« »Du bist der Wissenschaftsoffizier. Sag, was du denkst.« »Das hat nichts mit Wissenschaft zu tun.« »Jetzt ist keine Zeit für Ausflüchte. Sag, was du zu sagen hast!« Ash musterte ihn mit echter Wißbegierde. »Warum mußt du derjenige sein, der geht? Warum hast du nicht Ripley geschickt? Sie war dazu bereit und ist auch dazu fähig.« »Ich hätte niemanden außer mir vorschlagen dürfen.« Er überprüfte den Tank des Flammenwerfers. »Das war ein Fehler. Es ist meine Verantwortung. Ich habe Kane in dem fremden Schiff in die Tiefe steigen lassen. Jetzt bin ich dran. Ich habe genügend Risiko delegiert, ohne selbst eins einzugehen. Höchste Zeit, daß ich das tue.« »Du bist der Kapitän«, wandte Ash ein. »Jetzt ist die Zeit für praktische Entscheidungen, nicht für heroische Gesten. Du hast richtig gehandelt, als du Kane schicktest. Warum gehst du jetzt selbst?« Dallas grinste. Es kam nicht oft vor, daß man Ash bei einem Widerspruch ertappte. »Du bist ja gerade der Richtige, um etwas über die Vorschriften zu sagen. Du hast doch die Schleuse geöffnet und uns wieder ins Schiff gelassen, erinnerst du dich?« Der Wisseaschaftsoffizier gab keine Antwort. »Halte mir also keine Vorträge, was ich tun muß.« »Wenn wir dich verlieren, wird es nur um so schwieriger für uns. Besonders jetzt.« »Du hast gerade erwähnt, daß du Ripley für fähig hältst. Ich gebe dir recht, sie ist meine Stellvertreterin. Wenn ich nicht zurückkommen sollte, gibt es nichts, was sie nicht an meiner Stelle tun könnte.« »Da bin ich anderer Meinung.«
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Sie vergeudeten Zeit. Wer weiß, wie weit das Alien bereits gekommen war. Dallas wollte die Auseinandersetzung beenden. »Schlimm. Ich habe aber entschieden, und die Entscheidung ist endgültig.« Er drehte sich um, stieg mit dem rechten Fuß voraus in die Öffnung und schob den Flammenwerfer vor sich her, sorgte dafür, daß er nicht auf der leicht nach unten geneigten Fläche abrutschte. »So geht das nicht«, brummte er und blickte den Schacht hinab. »Da ist nicht genug Platz, um gebückt zu gehen.« Er zog das Bein wieder heraus. »Ich muß hineinkriechen.« Er zog den Kopf ein und zwängte sich in die Öffnung. In dem Schacht war noch weniger Raum, als er gehofft hatte. Wie etwas von der Größe, die Parker und Ripley ihm beschrieben hatten, sich da hatte hineinzwängen können, war ihm unbegreiflich. Nun gut! Hoffentlich wurde der Schacht noch enger. Vielleicht zwängte sich die Bestie in ihrer Hast, zu entkommen, irgendwo fest. Das wü rde die Dinge noch einfacher machen. »Wie geht's denn?« rief eine Stimme hinter ihm. »Nicht besonders gut«, teilte er Ash mit und zuckte zusammen, als er das Echo seiner eigenen Stimme hörte. »Es ist gerade groß genug, um unbequem zu sein.« Er schaltete seine Lampe ein und suchte ein paar Augenblicke lang unruhig herum, bis er das Kehlkopfmikrofon fand, das er sich umgehängt hatte. Das Licht beleuchtete vor ihm den dunklen leeren Schacht, der sich in einer geraden metallischen Linie etwas nach unten neigte. Die Neigung würde zunehmen. Er mußte um ein ganzes Deck tiefer hinunter, ehe er die Steuerbordschleuse erreichte. »Ripley, Parker, Lambert ... hört ihr mich? Ich bin jetzt im Schacht.« Unten trat Lambert vor die Wandsprechanlage. »Wir empfan-
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gen dich ausge zeichnet. Ich werde versuchen, dich auf unserem Tracker zu orten, wenn du hier bist.« Neben ihr hob Parker seinen Flammenwerfer und blickte grimmig auf das Gitter, hinter dem die Schachtöffnung gähnte. »Parker«, wies Dallas den Ingenieur an, »wenn es bei euch herauszukommen versucht, müßt ihr es wieder hineintreiben. Ich treibe es nach vorne.« »Okay.« »Schleuse bereit«, meldete Ripley. »Sie steht offen und wartet auf unseren Gast.« »Er ist unterwegs.« Dallas begann zu kriechen, die Augen auf den Tunnelschacht vor sich gerichtet, die Finger am Abzug des Flammenwerfers. Der Schacht war hier nur einen knappen Meter breit. Das Metall rieb an seinen Knien, und er wünschte, er hätte einen zusätzlichen Overall angezogen. Aber dafür war es jetzt zu spät. Alle waren bereit. Er würde nicht umkehren. »Wie steht's denn?«, hallte eine Stimme über den Lautsprecher. »Okay, Ash«, antwortete er dem besorgten Wissenschaftsoffizier. »Mach dir um mich keine Sorgen. Behalte die Öffnung im Auge, falls es irgendwie hinter mich geschlüpft sein und mir den Arsch aufreißen sollte.« Er kam um die erste Biegung des Schachts und konzentrierte sich auf den Plan des Ventilationssystems, den er sich eingeprägt hatte. Der gedruckte Plan in der Messe war in seiner Erinnerung verschwommen und undeutlich. Er wünschte, er hätte sich mehr Zeit genommen, ihn sorgfältiger zu studieren. Der Schacht vor ihm zeigte einige weitere enge Biegungen. Er hielt inne, atmete schwer und hob die Mündung des Fla mmenwerfers. Nichts deutete darauf hin, daß sich hinter diesen Biegungen etwas verborgen hielt, aber es war besser, kein Risiko einzugehen. Der Vorratstank des Flammenwerfers war fast voll. Es konnte nichts schaden, die Bestie wissen zu lassen,
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was dicht hinter ihr folgte. Vielleicht sie weiterzutreiben, ohne ihr gegenübertreten zu müssen. Er tippte kurz den roten Knopf an, und vor ihm schoß eine Flammenzunge durch den Tunnel. Das Brüllen hallte lange in dem engen Schacht nach, und eine Hitzewelle schlug ihm ins Gesicht. Er kroch weiter, achtete darauf, die nicht mit Handschuhen geschützten Hände dem heißen Metall fernzuhalten, über das er kroch. Etwas Hitze drang sogar durch den zähen Stoff seiner Hose. Er spürte sie nicht. Seine Sinne konzentrierten sich alle ganz nach vorne, suchten eine Bewegung oder einen Geruch. Lambert blickte nachdenklich auf die mit einem feinen Gitter bedeckte Öffnung. Sie beugte sich etwas zur Seite und legte einen Schalter um. Ein Summen ertönte; das Metallgitter schob sich zur Seite und hinterließ ein gähnendes Loch in der Wand. »Bist du verrückt?« Parker sah sie entsetzt an. »Das ist das Loch, aus dem es kommen muß, wenn es den Hauptschacht verläßt«, erklärte sie. »Lassen wir den Durchschlupf doch offen. Hinter dem Gitter ist es so dunkel. Ich möchte wissen, ob es hier rauskommt.« Parker wollte schon Einwände erheben, entschied dann aber, daß er seine Energie besser einsetzte, wenn er die Öffnung im Auge behielt, ob sie nun vergittert war oder nicht. Außerdem war Lamberts Rang höher als der seine. Schweiß rann ihm in die Augen, hartnäckig wie Ameisen, und Dallas mußte innehalten, um ihn sich wegzuwischen. Das Salz brannte, beeinträchtigte sein Sehvermögen. Vor ihm senkte sich der Schacht steil nach unten. Er hatte damit schon gerechnet, aber die Befriedigung, sich bestätigt zu sehen, bereitete ihm nur wenig Vergnügen. Jetzt würde er nicht nur nach dem Alien Ausschau halten, sondern auch noch aufpassen müssen, daß er nicht ausglitt. Er kroch an die Neigung heran, richtete den Flammenwerfer
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nach unten und gab wieder einen Feuerstoß ab. Kein Schrei, kein Gestank von angesengtem Fleisch schlug ihm entgegen. Das Alien war immer noch zu weit vor ihm. Er fragte sich, ob es wohl auch kröche wie er, wütend oder verängstigt, jedenfalls auf der Suche nach dem Ausgang. Vielleicht wartete es auch und hatte sich bereits umgedreht, um den hartnäckigen Verfolger zu stellen. In dem Schacht war es heiß, und er begann müde zu werden. Es gab noch eine Möglichkeit, überlegte er. Was, wenn das Alien irgendwie eine Möglichkeit entdeckt hatte, den Schacht zu verlassen? In dem Fall war diese ganze mühsame Kriechpartie umsonst. Aber es gab nur eine Möglichkeit, all diese Fragen zu klären. Er schob sich mit dem Kopf voraus nach unten, sorgfältig bemüht, den Flammenwerfer nach vorne gerichtet und schußbereit zu halten. Lambert bemerkte die Bewegung der Nadel. Einen Augenblick lang erschrak sie, dann stellte sie im Kopf eine kurze Berechnung an und teilte dem noch fernen Dallas mit: »Ich hab' dich jetzt auf dem Schirm.« »Okay.« Das Wissen, daß die anderen genau wußten, wo er war, beruhigte ihn. »Behalte mich im Gerät.« Wieder beschrieb der Schacht eine Biegung. Er erinnerte sich nicht daran, daß es hier so viele Biegungen und Winkel gab, aber er war ganz sicher, sich noch im Hauptschacht zu befinden. Er hatte noch keinen einzigen Seitentunnel passiert, der breit genug gewesen wäre, etwas durchzulassen, das größer war als Jones. Trotz der Fähigkeit, sich auch in enge Räume zu zwängen, die das Alien bewiesen hatte, glaubte Dallas nicht, daß es sich so klein machen konnte, um in ein Sekundärlüftungsrohr zu passen, das nur einen Durchmesser von etwa zehn Zentimetern hatte. Die Krümmung, mit der er jetzt zu tun hatte, erwies sich als besonders schwierig, vor allem wegen des langen starren
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Flammenwerfers. Dallas lag keuchend auf dem Bauch und überlegte, wie er weitermachen sollte. »Ripley.« Die Schärfe seiner Stimme ließ sie zusammenzucken, und sie antwortete hastig: »Ich bin hier. Ich höre dich ganz deutlich. Stimmt etwas nicht? Deine Stimme klang so ...« Sie verstummte. Wie anders als nervös sollte Dallas Stimme denn klingen? »Ich bin okay«, sagte er. »Nur müde. Durchgedreht. Wenn man zu viele Wochen im Hyperschlaf verbringt, werden die Muskeln schlaff. Wenn die einem noch so viele Aufputschmittel spritzen.« Er veränderte seine Lage und konnte jetzt besser nach vorne blicken. »Ich glaube nicht, daß dieser Schacht noch viel weiter führt. Hier drinnen wird es heiß.« Damit war zu rechnen gewesen, überlegte er. Die vielen Feuerstöße aus seinem Flammenwerfer hatten natürlich die Kühlkapazität des Schachtes stark beansprucht. »Ich krieche jetzt weiter. Halte dich bereit.« Hätte jetzt jemand Dallas sehen können, dann wäre ihm sicher die Erleichterung in seinem Gesicht aufgefallen, als er aus dem engen Tunnel hervorkam. Er mündete in einen der Hauptluftkanäle der Nostromo, ein zweistöckiger Tunnel mit einem Laufgang. Er kroch aus dem Schacht heraus, trat auf den Laufgang und streckte sich genüßlich. Dann untersuchte er den größeren Gang, fand aber nichts. Das einzige Geräusch, das er hörte, war das geduldige Pochen der Kühlmaschinen. Ein Stück weiter vorne war eine Reparaturstation, und er schlenderte darauf zu, wiederholte seine Inspektion. Soweit er sehen konnte, war der Raum leer. Hier konnte sich nichts an ihn heranschleichen, nicht, solange er mitten im Raum stand. Das war eine gute Chance, ein paar Minuten Rast zu machen. Er setzte sich auf den Laufgang und blickte auf den glatten Boden in die Tiefe. Dann sprach er in sein Kehlkopf-
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mikrofon. »Lambert, was zeigt dein Gerät? Ich bin in einer der zentralen Mischkammern, bei der Reparaturstation in der Mitte. Hier ist niemand außer mir.« Die Navigatorin blickte auf ihren Tracker. Plötzlich wirkte sie verwirrt. Sie sah besorgt zu Parker hinüber und hielt ihm das Gerät hin. »Kapierst du das?« Parker studierte die Nadel. »Ich nicht. Das ist nicht mein Spielzeug, das hat Ash gemacht, aber verwirrend ist es schon.« »Lambert?« fragte Dallas. »Hier. Ich bin nicht sicher.« Sie schüttelte den Tracker. Die Anzeige blieb so unbegreiflich wie vorher. »Da scheint ein Doppelsignal zu sein.« »Das ist verrückt. Hast du zwei separate Anzeigen für mich?« »Nein. Nur eine unmögliche.« »Vielleicht eine Interferenz«, meinte er. »So wie die Luft hier herumgewirbelt wird, könnte das natürlich ein Gerät, das provisorisch zum Ablesen der Luftdichte gebaut ist, durcheinanderbringen. Ich geh mal ein Stück weiter. Sobald ich mich bewege, wird es wahrscheinlich klar.« Er richtete sich auf und sah die riesige klauenbewaffnete Hand nicht, die sich langsam von dem Laufsteg unter ihm erhob. Die tastende Pranke verfehlte seinen linken Fuß, als er weiterging, um Haaresbreite. Jetzt verzog sie sich wieder, ebenso lautlos wie sie erschienen war, unter den Steg. Dallas hatte inzwischen die Hälfte des Weges ans Ende der Kammer zurückgelegt. Jetzt blieb er stehen. »Ist es jetzt besser, Lambert? Ich habe mich bewegt. Ist mein Signal jetzt klarer?« »Klar ist es schon.« Ihre Stimme klang nervös. »Aber ich bekomme immer noch ein Doppelsignal. Ich glaube sogar, es sind - zwei Signale. Ich bin nicht sicher, was nun was ist.« Dallas wirbelte herum, seine Augen huschten durch den Tunnel, suchten Decke, Boden, Wände und die große Schacht-
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öffnung ab, aus der er gerade gekommen war. Dann wanderte sein Blick den Laufsteg entlang und blieb an der Stelle hängen, wo er noch vor Sekunden gesessen hatte. Er senkte die Düse des Flammenwerfers. Wenn er jetzt das vordere Signal war, seit er sich über den Steg bewegt hatte, dann mußte die Ursache des Doppelsignals … sein Finger spannte sich um den Abzug des Flammenwerfers. Eine Hand griff von unten und hinten herauf, bewegte sich auf seinen Knöchel zu. Das Alien war das vordere Signal. * Ripley stand alleine am Schacht, behielt ihn im Auge und dachte an die offene Schleuse, die neben ihr wartete. Aus der Ferne war ein Klingeln zu hören. Zuerst glaubte sie, es käme aus ihrem Kopf, sie hörte häufig seltsame Geräusche. Dann wiederholte es sich, lauter, diesmal von einem Echo gefolgt. Es schien aus den Tiefen des Schachtes zu kommen. Ihre Hände spannten sich um den Flammenwerfer. Das Klingeln hörte auf. Gegen besseres Wissen trat sie etwas näher an die Öffnung heran, hielt die Mündung des Flammenwerfers darauf gerichtet. Jetzt kam ein Laut, den sie erkennen konnte. Ein Schrei. Sie erkannte die Stimme. Alle Vorsicht in den Wind schlagend, entgegen allen Plänen und Vorschriften rannte sie den Rest des Weges zu der Öffnung. »Dallas ... Dallas! « Nach dem ersten Schrei kamen keine weiteren mehr. Nur ein weiches weitentferntes Klatschen, das schnell leiser wurde und schließlich verstummte. Sie sah auf ihren Tracker. Auf dem Bildschirm war nur noch ein einziges Signal zu sehen, und auch das rote Lämpchen begann bereits schwächer zu werden.
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Wie der Schrei. »Oh, mein Gott, Parker, Lambert!« Sie rannte auf die Sprechan läge zu und schrie ins Mikrofon. »Hier, Ripley«, antwortete Lambert. »Was ist los?« Ich habe gerade mein Signal verloren.« Sie setzte dazu an, etwas zu sagen, hatte es schon auf den Lippen. Und dann wurde ihr plötzlich ihre neue Position und ihre neue Verantwortung bewußt, und ihre Stimme wurde kräftiger. Sie richtete sich auf, obwohl niemand da war, der sie sehen konnte. »Wir haben gerade Dallas verloren ...«
12.
Die vier überlebenden Mannschaftsmitglieder der Nostromo versammelten sich aufs neue in der Messe. Jetzt war sie nicht mehr eng und drückend. Sie war jetzt in einer Art und Weise geräumig, die die vier verabscheuten, und barg Erinnerungen, die sie zu verdrängen suchten. Parker hielt zwei Flammenwerfer und ließ jetzt einen davon auf die Tischplatte fallen. Ripley sah ihn niedergeschlagen an. »Wo war er?« »Wir haben ihn auf dem Boden der Mischkammer gefunden, unter dem Laufsteg«, sagte der Ingenieur mit ausdrucksloser Stimme. »Keine Spur von ihm, kein Blut. Nichts.« »Und was ist mit dem Alien?« »Das gleiche. Nichts. Nur ein Loch in der Schachrwand, das in den zentralen Kühlkomplex führt. Durchs Metall. Ich hatte nicht gedacht, daß es so stark wäre.« »Keiner von uns hat das gedacht. Dallas auch nicht. Diese
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Kreatur war uns immer zwei Schritte voraus, seit wir das 'Handstadium' an Bord gebracht haben. Das muß sich ändern. Von nun an gehen wir davon aus, daß es zu allem fähig ist, auch dazu, sich unsichtbar zu machen.« »Kein der Wissenschaft bekanntes Lebewesen ist von Natur aus unsichtbar«, sagte Ash. Sie sah ihn erbittert an. »Kein der Wissenschaft bekanntes Lebewesen kann drei Zentimeter dicke Stahlplatten zerreißen.« Darauf hatte Ash keine Antwort. »Es wird langsam Zeit, daß wir uns klarmachen, womit wir es hier zu tun haben.« In der Messe herrschte Schweigen. »Ripley. Damit hast du das Kommando.« Parker blickte sie eindringlich an. »Ich bin damit einverstanden.« »Okay.« Sie musterte ihn, aber in seinen Worten war keine Spur von Sarkasmus, auch in seinem Verhalten nicht. Was nun, Ripley? fragte sie sich. Drei Gesichter musterten sie erwartungsvoll, warteten auf Anweisungen. Sie stöberte verzweifelt in ihrem Verstand und suchte Brillanz, fand aber nur Unsicherheit, Angst und Verwirrung. Exakt die gleichen Gefühle, die jetzt ohne Zweifel ihre Mannschaftskameraden empfanden. Sie begann Dallas etwas besser zu begreifen. Aber das hatte jetzt nichts mehr zu besagen. »Damit wäre das erledigt. Wenn niemand eine bessere Idee hat, fahren wir mit dem alten Plan fort.« »Mit demselben Ergebnis?« Lambert schüttelte den Kopf. »Nein, danke.« »Hast du denn eine bessere Idee?« »Ja. Wir geben das Schiff auf. Wir nehmen das Shuttle und verschwinden hier. Hoffen, daß wir es in den Erdorbit schaffen und dort aufgenommen werden. Sobald wir in dichter befahrene Raumregionen kommen, hört bestimmt jemand unser SOS.« Jetzt meldete Ash sich zu Wort. Seine Stimme klang ganz leise, und er sagte Worte, die besser ungesagt geblieben wären.
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Lambert hatte ihn dazu gezwungen. »Ihr vergeßt alle etwas: Dallas und Brett sind vielleicht gar nicht tot. Zugegeben, es ist eine entsetzliche Vorstellung, aber die Möglichkeit besteht immerhin. Wir können das Schiff nicht verlassen, solange wir nicht ganz sicher sind - so oder so.« »Ash hat recht«, pflichtete Ripley ihm bei. »Wir müssen es nochmal versuchen. Wir wissen, daß es die Luftschächte benutzt. Wir gehen jetzt Etage für Etage vor. Diesmal dichten wir mit dem Laser jedes Schott und jedes Ventilationsrohr hinter uns ab, bis wir es gestellt haben.« »Einverstanden.« Parker sah zu Lambert hinüber. Die schwieg, hielt den Blick gesenkt. »Wie steht es um unsere Waffen?« fragte ihn Ripley. Der Ingenieur überprüfte die Zuleitungen und den Brennstoffpegel der Flammenwerfer. »Leitungen und Ventile sind noch ziemlich sauber. Nach allem, was ich sehen kann, funktionieren sie.« Er deutete auf Dallas Gerät, das auf dem Tisch lag. »Dafür könnten wir mehr Brennstoff gebrauchen.« Er blickte ernst. »Eine hübsche Menge verbraucht.« »Dann solltest du welchen holen. Ash, du gehst mit.« Parker blickte den Wissenschaftsoffizier an. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich. »Es geht schon allein.« Ash nickte. Der Ingenieur klemmte sich seine Waffe unter den Arm, drehte sich um und ging. Die drei standen um den Tisch und warteten auf Parkers Rückkehr. Ripley konnte das Schweigen nicht länger ertragen und warf dem Wissenschaftsoffizier einen Blick zu. »Sonst irgendwelche Ideen? Neue Gedanken, Vorschläge, Anregungen? Von dir oder Mutter?« Er zuckte die Achseln. »Nichts Neues. Ich trage immer noch Informationen zusammen.« Sie musterte ihn scharf. »Das kann ich nicht glauben. Willst du behaupten, daß wir bei all den Informationen, die an Bord
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dieses Schiffes gespeichert sind, nichts besseres finden, das man gegen dieses Ding einsetzen kann?« »Sieht so aus, wie? Du solltest bedenken, daß es sich hier nicht um ein berechenbares durchschnittliches wildes Tier handelt. Du hast ja selbst gesagt, daß es möglicherweise zu allem fähig ist. Das Alien verfügt über ein gewisses Maß an geistigen Fähigkeiten, mindestens soviel wie ein Hund, wahrscheinlich aber mehr als ein Schimpanse. Außerdem hat es bereits Lernfähigkeit bewiesen. Als völlig Fremder auf der Nostromo ist es ihm ganz schnell gelungen, eine Methode zu finden, sich weitgehend unbehindert und unentdeckt durch das Schiff zu bewegen. Es ist schnell, kräftig und schlau. Kein Wunder, daß all unsere Versuche, es zu stellen und unschädlich zu machen bis jetzt erfolglos waren.« »Das klingt gerade, als wolltest du aufgeben.« »Ich spreche nur aus, was offensichtlich ist.« »Dies ist ein modernes, gut ausgerüstetes Schiff, das imstande ist, durch den Hyperraum zu reisen und eine Vielfalt komplizierter Funktionen auszuführen. Und du willst mir weismachen, daß alle Ressourcen nicht ausreichen, um mit einem Viech, das sich an Bord befindet, fertigzuwerden?« »Tut mir leid, Captain. Ich habe dir meine Beurteilung der Situation gegeben, so wie ich sie sehe. Etwas anderes zu wünschen, ändert die Fakten nicht. Ein Mann mit einem Gewehr kann untertags einen Tiger jagen und sich einige Erfolgschancen ausrechnen. Aber nimm ihm das Licht, steck den Mann nachts in den Dschungel, umgebe ihn mit dem Unbekannten, und all seine primitiven Ängste kehren zurück. Der Vorteil liegt dann eindeutig beim Tiger. Und wir tappen hier in der Finsternis des Unwissens herum.« »Sehr poetisch, aber nicht besonders nützlich.« »Tut mir leid.« Ihm schien das völlig gleichgültig. »Was soll
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ich tun?« »Versuche einige dieser Fakten, zu verändern, derer du so sicher bist. Geh zu Mutter zurück«, befahl sie, »und fahre fort, Fragen zu stellen, bis du ein paar bessere Antworten bekommst.« »Also gut. Ich will es versuchen, obwohl ich nicht weiß, was du erwartest. Mutter kann keine Informationen verbergen.« »Dann versuche es mit anderen Fragen. Wenn du dich erinnerst, ich hatte Glück, als ich es mit ECIU versuchte. Das Notsignal, das keines war?« »Ich erinnere mich.« Ash musterte sie voll Respekt. »Vie lleicht hast du recht.« Er ging. Lambert hatte sich gesetzt. Ripley setzte sich jetzt neben sie. »Du mußt versuchen, durchzuhalten. Du weißt, daß Dallas das gleiche für uns getan hätte. Er hätte unter keinen Umständen das Schiff verlassen, ohne sich zu vergewissern, ob wir noch am Leben waren oder nicht.« Lambert schien davon nicht besänftigt. »Ich weiß nur, daß du von uns verlangst, daß wir hierbleiben und uns einen nach dem anderen wegpicken lassen.« »Ich verspreche dir etwas: Wenn es so aussieht, als hätten wir keine Chance mehr, dann sorge ich dafür, daß wir hier herauskommen. Aber erst dann.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Es war ein seltsamer Gedanke, einer, der gar nicht hierher paßte und doch war er in unerklärlicher Art und Weise auf all ihre gegenwärtigen Sorgen anwendbar. Sie blickte zu Lambert hinüber. Sie brauchte jetzt eine wahrheitsgemäße Antwort, sonst hatte es keinen Sinn, die Frage zu stellen. Sie überlegte. Lambert mochte in anderen Dingen etwas prüde sein, aber in dem Punkt glaubte sie darauf vertrauen zu können, daß sie wahrheitsgemäß antworten würde. Natürlich würde eine Antwort so oder so wahrscheinlich gar
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nichts ändern. Es war nur so eine kleine Idee, die sonst weiterwachsen würde und ihre Gedanken beherrschen, solange sie die Frage nicht stellte. Zu bedeuten hatte sie eigentlich nichts. »Lambert, hast du je mit Ash geschlafen?« »Nein.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, ließ keinen Raum für Zögern oder Überlegung. »Du?« »Nein.« Beide blieben ein paar Minuten lang stumm, ehe Lambert von sich aus weiterredete. »Ich hatte nie den Eindruck«, meinte sie beiläufig, »daß ihn das sonderlich interessiert hätte.« Für die Navigatorin war dieses Thema damit erledigt. So weit es Ripley betraf, war es fast erledigt. Sie hätte nicht sagen können, warum ihr der Gedanke weiter im Kopf herumging, aber er beschäftigte sie jedenfalls, quälte sie, und sie hätte um nichts in der Welt sagen können, weshalb das so war. Parker überprüfte die Füllung des Methanzylinders, vergewisserte sich, daß die Druckflasche bis zum Bersten gefüllt war. Dann nahm er sich einen zweiten Behälter vor, vergewisserte sich, daß er ebenfalls voll war, und machte sich dann mit den beiden schweren Behältern unter dem Arm auf den Weg. Auf dem B-Deck war es ebenso einsam wie auf dem Deck darunter. Je schneller er wieder zu den anderen zurückkehrte, desto besser würde er sich fühlen. Eigentlich bedauerte er jetzt, daß er die Begleitung durch Ash abgelehnt hatte. Es war wirklich dumm von ihm gewesen, alleine die Zylinder zu holen. Alle Opfer des Alien bisher waren alleine gewesen. Er versuchte etwas schneller zu laufen, obwohl die schweren Flaschen ihn daran hinderten. Er bog um eine Ecke im Korridor, blieb stehen und hätte beinahe einen der Behälter fallen lassen. Vor ihm lag die Hauptschleuse. Ein Stückchen dahinter, aber nicht sehr weit entfernt, hatte sich etwas bewegt. Oder täuschte er sich? In ihrer augenblicklichen geistigen Verfassung neigten sie alle zu
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Halluzinationen, und so blinzelte er und versuchte, Verstand und Augen klar zu bekommen. Schon wollte er seinen Weg fortsetzen, als sich die schattenhafte Bewegung wiederholte. Nur undeutlich war da etwas Großes, Schweres zu ahnen. Er blickte sich um und entdeckte eine der zahlreichen Wandsprechanlagen. Ripley und Lambert sollten noch auf der Brücke sein. Er drückte den Sprechschalter unter dem Gitter. Etwas Unverständliches drang aus dem kleinen Lautsprecher in Ripleys Konsole. Zuerst hielt sie es für ein Störgeräusch, dann wurde ihr klar, daß es sich um menschliche Worte handelte. »Hier Ripley«, meldete sie sich. »Leise!« flüsterte der Ingenieur eindringlich in das Mikrofon. Vor ihm hatte die Bewegung im Korridor plötzlich aufgehört. Wenn das Alien ihn gehört hatte ... »Ich kann dich nicht verstehen.« Ripley warf einen erstaunten Blick zu Lambert hinüber, deren Gesichtsausdruck unverändert blieb. Aber als sie wieder ins Mikrofon sprach, tat sie das wie verlangt mit leiser Stimme. »Noch einmal ... warum soll ich leise sein?« »Das Alien.« Parker flüsterte es nur, wagte es nicht, seine Stimme zu erheben. »Es ist vor der Steuerbordschleuse. Ja, jetzt in diesem Augenblick! Öffne die Tür langsam, und wenn ich es sage, dann schließe sie ganz schnell und blase den Schleuseninhalt nach draußen.« »Bist du sicher ...?« Er unterbrach sie ungeduldig. »Ich sage es dir, wenn wir es haben! Himmel noch mal! Tu was ich dir sage!« Er zwang sich zur Ruhe. »Jetzt öffne. Langsam ...« Ripley zögerte, wollte etwas sagen und sah dann, wie La mbert heftig nickte. Wenn Parker unrecht hatte, hatten sie nichts zu verlieren, nur ein winziges Quantum an Luft. Wenn er
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wußte, was er tat, andererseits ... sie legte einen Schalter um. Unten versuchte Parker mit der Korridorwand eins zu werden, als ein leises Summen ertönte. Die innere Schleusentür schob sich zur Seite. Das Alien trat aus dem Schatten hervor und bewegte sich auf die Schleuse zu. In ihrem Inneren blitzten einige Lichter auf. Eines war von besonders auffälligem Smaragdgrün. Das Alien musterte es interessiert, ging darauf zu. Komm schon, verdammt, dachte der Ingenieur fieberhaft. Schau dir das hübsche grüne Licht an ... so ist's gut. Möchtest du nicht das hübsche grüne Licht ganz für dich haben? Sicher möchtest du das. Geh doch hinein und nimm dir das schöne Grün. Nur ein paar Schritte, und es gehört für immer dir. Nur ein paar Schritte. Herrgott, ein paar Schritte nur. Von dem gleichmäßig pulsierenden Lichtern fasziniert, betrat das Alien die Schleuse. Jetzt war es ganz darin. Ganz knapp nur, aber wer konnte schon sagen, wann es sich wieder langweilen würde - oder vielleicht Argwohn schöpfen? »Jetzt«, hauchte er ins Mikrofon. Jetzt!« Ripley schickte sich an, den Notschalter umzulegen. Ihre Hand hatte gerade den Schalter erreicht, als die Notsirene der Nostromo aufheulte, Aufmerksamkeit heischte. Sie und Lambert erstarrten. Jede sah die andere an, sah im Gesicht der anderen nur ein Spiegelbild des eigenen Schreckens. Ripley legte den Schalter um. Das Alien hörte die Sirene auch. Seine Muskeln spannten sich, und es sprang rückwärts. Ein einziger unglaublicher Satz. Die Schleusentüre knallte den Bruchteil einer Sekunde schne ller zu. Eines seiner Gliedmaßen wurde zwischen Wand und Türe eingezwängt. Flüssigkeit kochte aus dem zerquetschten Glied. Das Wesen gab ein Geräusch von sich, das wie ein Stöhnen klang, wie ein Bellen unter Wasser. Es riß sich los und ließ das eingequetsch-
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te Glied zwischen den Metallwänden zurück. Dann wandte es sich um und rannte vor Schmerz blind den Korridor hinunter, nahm den vor Schrecken gelähmten Ingenieur nicht wahr, stieß ihn einfach beiseite, ehe es um die nächste Biegung im Korridor verschwand. Über dem zu Boden geschmetterten Parker blitzte ein grünes Licht auf und auf einer Leuchtfläche konnte man die Worte INNENSCHLEUSE GESCHLOSSEN lesen. Das Metall der Schleuse warf Blasen und schmolz, während das äußere Schleusentor aufschwang. Eine Wölke gefrorener Luft blähte sich vor der Schleuse auf, als die in ihr enthaltene Atmosphäre ins All hinausstob. »Parker?«, fragte Ripley besorgt. Sie drückte einen Knopf, betätigte einen Schieber. »Parker? Was geht dort unten vor?« jetzt fiel ihr ein grünes Licht auf, das gleichmäßig an ihrer Konsole blinkte. »Was ist los?« Lambert lehnte sich in ihren Sessel. »Hat es geklappt?« »Ich bin nicht sicher. Die Innentür ist geschlossen, die äußere hat sich geöffnet.« »Dann wäre ja alles in Ordnung. Aber was ist mit Parker?« »Ich weiß nicht. Er gibt keine Antwort. Wenn es geklappt hat, müßte er jetzt vor Freude so laut schreien, daß die Lautsprecher bersten.« Sie traf eine Entscheidung. »Ich gehe hinunter und sehe nach. Übernimm du.« Sie erhob sich aus ihrem Sessel und rannte los. Ein paarmal wäre sie beinahe gestürzt. Einmal stieß sie gegen ein Schott und hätte fast die Besinnung verloren. Aber irgendwie behielt sie ihr Gleichgewicht und taumelte weiter. Dabei war es gar nicht das Alien, das ihre Gedanken beherrschte, es war Parker, ein menschliches Wesen, etwas, das an Bord der Nostromo selten zu werden begann. Sie raste die Treppe in den BKorridor hinunter, rannte auf die Schleuse zu. Sie war leer, sah man von einer reglosen Gestalt
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ab, die gekrümmt auf dem Deck lag: Parker. Sie beugte sich über ihn. Er war benommen, halb bewußtlos. »Was ist denn passiert? Du siehst schrecklich aus. Hat ...?« Der Ingenieur versuchte Worte zu formen, mußte sich aber damit begnügen, hilflos in Richtung auf die Luftschleuse zu gestikulieren. Ripley verstummte, blickte in die Richtung, die er wies, sah das brodelnde Loch in der Schleusentür. Die Außenschleuse stand immer noch offen, wie es schien, nachdem sie das Alien ins All hinausgeblasen hatte. Sie richtete sich auf. Und in dem Augenblick hatte die Säure sich völlig durchgefressen. Ein explosives Zischen ertönte, und im nächsten Augenblick erfaßte sie ein Sturm. Heulend wurde die Luft ins Vakuum hinausgesogen. In einigen Nischen im Korridor blitzten rote Lampen auf. KRITISCHER DRUCKVERLUST. Wieder ertönte die Sirene, aber diesmal hysterischer und aus gutem Grund. Im gesamten Schiff knallten Schotte zu, angefangen in dem Abschnitt, wo der Luftverlust aufgetreten war. Parker und Ripley hätten sicher in einem Korridorabschnitt abgeschlossen sein sollen ... Bloß hatte sich das dichtende Schott, das sie vom Schleusenvorraum abtrennen sollte, an einem der Methanzylinder gefangen. Der Sturm zerrte an ihr, während sie fieberhaft etwas suchte, um den festgeklemmten Zylinder wegzuschlagen. Aber da blieb nur der andere Tank. Sie hob ihn, schlug damit auf den festgezwängten Zylinder ein. Wenn einer davonsprang, würde der geringste Funken den Inhalt beider Flaschen entzünden. Aber wenn es ihr nicht gelang und zwar schnell, würden sie ohnehin ersticken. Der Luftmangel begann sie bereits zu schwächen. Blut
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schäumte ihr aus Nase und Ohren. Durch den geringer werdenden Luftdruck fingen Parkers Wunden wieder zu bluten an. Ein letztes Mal krachte die Flasche gegen den eingezwängten Zylinder. Er schoß davon, wie ein Kirschkern, den man zwischen Daumen und Zeigefinger wegdrückt. Das Schott krachte hinter ihm zu, und das Heulen der entweichenden Luft verstummte. Ein paar Minuten lang waren sie noch von Luftwirbeln umgeben. Auf der Brücke hatte Lambert fieberhaft die Anzeigen auf ihrer Konsole überprüft. RUMPF UNDICHT NOTSCHOTTS GESCHLOSSEN. Sie drückte auf den Sprechschalter. »Ash, hol Sauerstoff. Wir treffen uns an der Hauptschleuse am letzten Schott.« »Roger. Bin gleich dort.« Ripley richtete sich taumelnd auf, kämpfte in der engen Kammer um jeden Atemzug. Sie trat neben die Schottentür und suchte den Druckknopf, mit dem man die Tür öffnen und sich Zugang zum nächsten abgedichteten Abteil und damit zu frischer Luft verschaffen konnte Im letzten Augenblick, als sie schon dabei war, den roten Knopf niederzudrücken, sah sie zu ihrem Schrecken, daß sie nicht an dem Schott war, das in den B-Korridor führte, sondern an dem Schott, hinter dem der leere Schleusenvorraum lag. Sie drehte sich um, versuchte sich zu orientieren und taumelte mehr als daß sie ging auf das gegenüberliegende Schott zu. Wertvolle Minuten verstrichen, bis sie den Schalter fand. Gedanken schwammen in ihrem Bewußtsein, brachen auseinander wie Öl auf Wasser. Die Luft um sie herum begann sie zu umnebeln, war mit dem Geruch von Rosen und Flieder
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durchdrungen. Sie drückte den Knopf nieder. Das Schott bewegte sich nicht. Dann sah sie, daß sie den falschen Schalter betätigt hatte. Sie taumelte gegen die Tür, versuchte sich zu stützen, nahm alle ihre Kräfte zusammen. Es war nicht mehr viel Luft übrig, die zu atmen es sich lohnte. Ein Gesicht erschien an der in die Tür eingelassenen Scheibe. Es war verzerrt, aufgedunsen und doch irgendwie vertraut. Dieses Gesicht kannte sie doch, irgendwann einmal in grauer Vorzeit hatte sie es gekannt. Jemand, der Lambert hieß, lebte hinter diesem Gesicht. Sie war jetzt sehr müde und rutschte langsam zu Boden. Unendlich ferne Gedanken bewegten sie, ärgerliche Gedanken, als ihre letzte Stütze weggenommen wurde. Die Schottentür schob sich in die Decke, und ihr Kopf stieß auf den Boden. Ein Hauch sauberer Luft, unsagbar süß und erfrischend, ergoß sich über ihr Gesicht. Der Nebel um ihre Augen begann sich aufzulösen, wenn er auch ihr ausgehungertes Gehirn immer noch umfaßt hielt. Und dann verkündete ein Sirenenton das Erreichen des vollen Innendrucks, als Lambert und Ash zu ihnen traten. Der Wissenschaftsoffizier nahm sich sofort Parkers an, der wegen Sauerstoffmangel wieder das Bewußtsein verloren hatte und jetzt erst langsam wieder zu sich kam. Ripleys Augen standen offen, sie konnte sehen, aber der Rest ihres Körpers funktionierte nicht. Hände und Füße, Arme und Beine lagen grotesk verrenkt an ihrem Körper, lagen irgendwie auf dem Boden, wie die Gliedmaßen einer schlanken, aber nicht besonders gut gearbeiteten Puppe. Ihr Atem ging in flachen mühsamen Stößen. Lambert stellte einen der Sauerstofftanks neben sie, schob die durchsichtige Maske über Ripleys Mund und Nase und öffnete das Ventil. Ripley atmete ein. Ein herrliches Parfüm erfüllte
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ihre Lungen. Ihre Augen schlossen sich aus schierem Vergnügen. So blieb sie reglos liegen, sog den reinen Sauerstoff in langen tiefen Zügen ein. Schließlich schob sie die Atemmaske beiseite, lag einen Augenblick befriedigt da und atmete normal. Jetzt herrschte wieder voller Druck, stellte sie fest. Die Schottentüren hatten sich automatisch wieder geöffnet, als normale atmosphärische Verhältnisse zurückgekehrt waren. Um die Atmosphäre zu erneuern, hatte das Schiff ihre Tanks entleeren müssen, das wußte sie. Aber mit diesem Problem würden sie sich beschäftigen, wenn die Umstände sie dazu zwangen, dachte sie. »Bist du wieder in Ordnung?« fragte Ash Parker. »Was ist hier passiert?« Parker wischte sich ein Blutgerinnsel von der Oberlippe und versuchte die Spinnweben von seinem Bewußtsein abzuschütteln. »Ich werde leben.« Die zweite Frage ignorierte er für den Augenblick. »Und was ist mit dem Alien?« fragte Ash noch einmal. Parker schüttelte den Kopf, zuckte bei dem Schmerz zusammen, der ihn durchschoß. »Wir haben es nicht erwischt. Als die Warnsirene ertönte, sprang es in den Korridor zurück. Dabei wurde sein Arm, oder wie du das nennen willst, in der inneren Schleusentür eingeklemmt. Es riß sich einfach los, wie eine Eidechse, die ihren Schwanz zurückläßt.« »Warum nicht«, meinte Ash, »es kann sich ja regenerieren!« Aber der Ingenieur achtete nicht darauf, sondern fuhr mit enttäuschter Stimme fort: »Wir hatten das Biest. Wir hatten es.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Als es sich den Arm abriß, spritzte Flüssigkeit heraus. Ich schätze, der Stumpf ist sofort zugeheilt, zu unserem Glück. Die Säure hat sich augenblicklich durch das Innentor der Schleuse gefressen, daher der Druckverlust.« Er deutete benommen auf das Schott,
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das den Schleusenvorraum vom Rest des Korridors abtrennte. »Man kann wahrscheinlich von hier aus das Loch in der Schleuse sehen.« »Das ist jetzt nicht wichtig.« Ash sah ihn fragend an: »Wer hat die Warnsirene ausgelöst?« Ripley blickte zu ihm hinüber. »Das frage ich dich.« »Was soll das bedeuten?« Sie wischte sich das Blut von der Nase und schniefte. »Ich nehme an, der Alarm hat sich selbst ausgelöst. Das wäre doch eine logische Erklärung oder? Reiner Zufall .... ein kleiner Defekt ,.. schierer Zufall?« Der Wissenschaftsoffizier richtete sich auf und sah sie unter gesenkten Lidern heraus an. Sie hatte sich vergewissert, daß der zurückgebliebene Methanzylinder in Reichweite war, ehe sie das gesagt hatte. Aber Ash machte keine Anstalten, sie anzugreifen. Sie begriff ihn immer noch nicht ganz. Wenn er schuldig war, hätte er sie anspringen müssen, solange sie noch geschwächt und Parker bewegungsunfähig war. Wenn er unschuldig war, hätte er jetzt wütend sein und ebenfalls irgend etwas tun müssen. Aber er tat nichts, und darauf war sie nicht gefaßt gewesen. Immerhin überraschten sie wenigstens seine Worte nicht. Seine Stimme klang verärgert: »Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es. Ich bin es langsam leid, mir dauernd diese Anspielungen anhören zu müssen - diese versteckten Anklagen.« »Niemand klagt dich an.« »Und ob.« Er verfiel in mürrisches Schweigen. Riple y sagte ein paar Augenblicke lang nichts und deutete dann auf Parker. »Bring ihn in die Krankenstation und flick ihn zusammen. Das zumindest sollte der Autodoc ja schaffen.« Ash war dem Ingenieur behilflich, legte sich Parkers rechten Arm über die Schultern und führte ihn den Korridor hinunter.
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Als er an Ripley vorbeiging, würdigte er sie keines Blickes. Als er und Parker um die erste Biegung im Korridor ve rschwunden waren, streckte Ripley Lambert die Hand hin. Die nahm sie, lehnte sich zurück und sah besorgt zu, wie Ripley schwankte. Die lächelte und ließ die Hand wieder los. »Es geht schon.« Sie wischte sich die Hände an der HÄse ab. »Wieviel Sauerstoff haben wir dabei verloren? Das müßte ich genau wissen.« Lambert gab keine Antwort, sondern sah sie weiterhin nachdenklich an. »Ist etwas? Was siehst du mich so an? Hätte ich das nicht verlangen dürfen?« »Reiß mir nicht gleich den Kopf ab«, sagte Lambert ruhig. Ihre Stimme klang ungläubig. »Du hast ihn angeschuldigt. Du hast ihm tatsächlich vorgeworfen, er hätte den Alarm ausgelöst, um das Alien zu retten.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Warum?« »Weil ich glaube, daß er lügt. Und wenn ich an die Bänder rankomme, werde ich es beweisen.« »Was beweisen? Selbst wenn du irgendwie beweisen könntest, daß er die Schuld an dem Alarm trägt, dann kannst du doch niemals beweisen, daß es kein Versehen war.« »Ein merkwürdiges Versehen, findest du nicht. Ausgerechnet im kritischen Moment. Äußerst seltsam.« Ripley schüttelte ein paarmal den Kopf und fragte dann leise: »Du glaubst immer noch, daß ich unrecht habe, oder?« »Ich weiß nicht.« Lambert wirkte müde. »Ich weiß überhaupt nichts mehr. Ja, ich denke, daß du unrecht hast. Entweder hast du unrecht oder du bist verrückt. Warum sollte Ash oder sonst jemand das Alien schützen wollen? Es würde ihn ebenso umbringen, wie es Dallas und Brett umgebracht hat. Falls sie tot sind.« »Danke. Es ist immer schön zu wissen, auf wen ich mich verlassen kann.« Ripley wandte sich von der Navigatorin ab
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und ging den Korridor hinunter auf die Treppe zu. Lambert blickte ihr nach, zuckte die Achseln und sammelte die Druckzylinder ein. Sie ging mit den Methanflaschen ebenso sorgfältig um wie mit dem Sauerstoff. Beide waren für ihr Überleben von gleicher Wichtigkeit. »Ash, bist du dort drinnen? Parker?« Als keine Antwort kam, trat Ripley vorsichtig in den Computerraum ein. Für den Augenblick stand das Gehirn der Nostromo einzig und allein zu ihrer Verfügung. Sie setzte sich vor die Hauptkonsole, schaltete das Gerät ein und drückte den Daumen auf die Identifizierungsscheibe. Datenschirme leuchteten auf. Bis jetzt war es ganz einfach gewesen. Jetzt kam der schwierige Teil. Sie überlegte einen Augenblick lang und gab dann einen fünfstelligen Code ein, von dem sie annahm, daß er ihr die gewünschten Informationen liefern würde. Die Bildschirme blieben leer, warteten auf die richtige Frage. Sie versuchte eine zweite, wenig gebrauchte Kombination, aber ebenfalls ohne Erfolg. Sie fluchte enttäuscht. Wenn sie es mit willkürlichen Komb inationen versuchen mußte, saß sie am Jüngsten Tag noch hier. Und wenn man das Tempo berücksichtigte, mit dem das Alien unter der Mannschaft aufräumte, so lag der in nicht allzu ferner Zukunft. Sie probierte es mit einer tertiären Kombination anstelle einer primären und stellte erstaunt fest, daß der Bildschirm prompt reagierte. Aber er hellte sich nur auf, stellte ihr keine Fragen. Das bedeutete, daß ihr Code nur zur Hälfte erfolgreich gewesen war. Was tun? Sie sah zu der zweiten Tastatur hinüber. Die stand jedem Mannschaftsmitglied zur Verfügung, gab also keine vertraulichen Informationen heraus oder solche, die nur für die Schiffsführung bestimmt waren.
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Wenn sie sich an die richtige Komb ination erinnerte, würde sie die zweite Tastatur dazu benutzen können, dem Hauptcomputer Fragen zu stellen. Schnell wechselte sie den Sitz, gab die Codierung ein und tippte die erste Frage. Nun würde es sich zeigen, ob es die richtige Codierung war und der Computer sie akzeptierte. Das würde sie gleich sehen dann nämlich, wenn ihre Frage auf dem Bildschirm auftauchte. Eine Sekunde lang huschten Farbmuster über den Schirm. Dann kamen Worte. WER HAT WARNSYSTEM AN SCHLEUSE ZWO EINGESCHALTET? Die Antwort blitzte darunter auf. ASH. Sie lehnte sich zurück und verdaute das. Das war die Antwort, die sie erwartet hatte, aber jetzt, da sie sie in drei kalten Buchstaben vor sich sah, wurde ihr erst die ganze Tragweite bewußt. Es war also doch Ash gewesen. Die kritische Frage war jetzt: War es Ash die ganze Zeit über gewesen? Sie tippte die nächste Frage ein: SCHÜTZT ASH DAS ALIEN? Mutter schien heute ihren Tag für kurze Antworten zu haben. JA. Aber das konnte sie auch.
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Ihre Finger drückten die Tasten nieder. WARUM? Sie beugte sich gespannt vor. Wenn der Computer jetzt keine weiteren Informationen lieferte, kannte sie keine zusätzlichen Codes, mit denen sie ihn dazu zwingen konnte. Es gab auch die Möglichkeit, daß der Computer keine Erklärung für die bizarren Aktionen des Wissenschaftsoffiziers hatte. Aber die schien er zu haben. SPEZIALANWEISUNG 927. VERTRAULICHE INFORMATION NUR FÜR WISSENSCHAFTSPERSONAL. VERSCHLUSSSACHE. Nun, bis hierher war sie immerhin gekommen. Über diese Einschränkungen würde sie schon irgendwie hinwegkommen. Sie wollte gerade mit der Eingabe anfangen, als eine Hand neben ihr herunterkrachte und bis zum Ellbogen in den Computerterminal einsank. Sie wirbelte im Sessel herum, und ihr Herz setzte aus, sah aber nicht das fremde Wesen, sondern eine Gestalt und ein Gesicht, die ihr jetzt ebenso fremd geworden waren. Ash lächelte leicht. Aber an seinen hochgezogenen Lippen war keine Spur von Humor zu erkennen. »Das Kommando scheint dir etwas schwerzufallen. Aber unter diesen Umständen ist Führung immer schwierig. Ich glaube, man sollte es dir nicht verübeln.« Ripley schob sich langsam seitlich aus dem Sessel heraus, achtete darauf, ihn zwischen sich und Ash zu halten. Ashs Worte klangen nicht unfreundlich, ja eher mitfühlend. Aber das, was er tat, war alles andere.
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»Das Problem ist nicht die Führungsqualität, Ash. Das ist eine Frage der Loyalität.« Sie schob sich langsam auf die Tür zu. Immer noch grinsend blickte er sie an. »Loyalität? Ich sehe da kein Problem.« Er wirkte jetzt geradezu charmant, dachte sie. »Ich, glaube, wir haben alle unser Bestes getan. Lambert fängt an, etwas pessimistisch zu werden, aber wir haben ja immer gewußt, daß sie etwas emotionell ist. Sie versteht sich sehr gut darauf, den Kurs eines Schiffes zu bestimmen. Ihren eigenen Weg zu planen, fällt ihr etwas schwerer.« Ripley versuchte ihm auszuweichen, zwang sich zu einem Lächeln. »Um Lambert mache ich mir im Augenblick keine Sorgen. Aber um dich.« Sie drehte sich langsam herum, auf die offene Türe zu, fühlte wie ihre Magenmuskeln sich anspannten. »Schon wieder dieser Verfolgungswahn«, sagte er traurig. »Du brauchst nur etwas Ruhe.« Er machte einen Schritt auf sie zu, streckte hilfbereit die Hand aus. Sie schoß davon, duckte sich unter seiner Hand weg und dann war sie draußen im Korridor, raste auf die Brücke zu. Sie hatte keine Zeit, um Hilfe zu schreien, hatte dringendere Verwendung für ihren Atem. Auf der Brücke war niemand. Irgendwie gelang es ihr, ihm zu entfliehen. Während sie rannte, drückte sie einige Notschalter. Schottentüren krachten hinter ihr zu, aber jede um Bruchteile von Sekunden zu spät, um ihn aufzuhalten. Endlich, in der Messe, holte er sie ein. Parker und Lambert trafen Sekunden später ein. Die Signale, welche die sich schließenden Schottentüren auslösten, hatten ihnen angezeigt, daß in der Umgebung der Brücke irgend etwas passierte, etwas nicht stimmte. Und als sie nachsehen kamen, entdeckten sie Verfolger und Verfolgte. Dies war zwar nicht die Situation, mit der sie gerechnet hatten, aber sie reagierten gut. Lambert war die erste. Sie
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sprang Ash auf den Rücken. Verärgert ließ er Ripley los, packte die Navigatorin, schleuderte sie durch den Raum und fiel über Ripley her, versuchte, sie zu erwürgen. Parkers Reaktion war etwas langsamer, dafür aber besser überlegt. Ash hätte ganz bestimmt die Überlegung des Ingenieurs gebilligt. Parker packte einen der schweren Tracker und trat hinter Ash, der immer noch Ripley würgte. Der Ingenieur schwang den Tracker mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft. Ein dumpfes Krachen war zu hören. Der Tracker vollendete seinen Bogen. Ashs Kopf flog zur Seite. Kein Blut schoß aus dem durchtrennten Hals. Vielfarbige Drähte und gedruckte Schaltungen standen aus dem abgerissenen Halsstumpf des Wissenschaftsoffiziers. Ash ließ Ripley los. Sie sank zu Boden, japste nach Luft, hielt sich den Hals. Seine Hände vollführten eine makabre Pantomime über seinen Schultern, tasteten unsicher nach dem fehlenden Schädel. Dann taumelte er oder besser gesagt es, nach rückwärts, gewann das Gleichgewicht zurück und fuhr fort, auf dem Boden nach dem abgetrennten Kopf zu suchen ...
13.
»Ein Roboter ... ein Roboter!« murmelte Parker entgeistert. Der Tracker hing in seiner erschlafften Hand. Offenbar waren im Torso des Roboters ebenso Sensoren untergebracht wie in seinem Schädel, denn auf den Klang von Parkers Stimme hin drehte das Gebilde sich sofort herum und begann auf ihn zuzugehen. Der Ingenieur hob den Tracker und ließ ihn auf Ashs Schulter niederkrachen und dann noch einmal
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und noch einmal ... Aber ohne Wirkung. Die tastenden Hände griffen zu, umarmten Parker, aber es war eine Umarmung, die alles andere als liebevoll war. Die Hände tasteten sich in die Höhe, schlossen sich um seinen Hals und drückten mit unmenschlicher Kraft zu. Ripley hatte sich inzwischen wieder etwas erholt und suchte verzweifelt herum, bis sie eines der alten Schockrohre gefunden hatte, mit denen sie ursprünglich das Alien hatten in Schach halten wollen. Sie riß das Rohr hoch und stellte fest, daß es immer noch geladen war. Lambert zerrte an Ashs Beinen und versuchte, die Maschine zu Fall zu bringen. Am abgetrennten Hals waren nackte Drähte und Kontakte zu sehen. Ripley stocherte mit ihrem Schockrohr darin herum. Parkers Augen begannen glasig zu werden, und seiner Kehle entrangen sich qualvoll krächzende Laute. Jetzt hatte sie die richtige Stelle gefunden, stieß das Rohr hinein und betätigte den Abzug. Es hatte den Anschein, als lockerten sich Ashs Hände etwas. Sie zog das Rohr zurück, zielte erneut und stieß ein zweites Mal zu. Blaue Funken flogen aus dem Halsstumpf. Wieder stieß sie zu, hielt den Schalter niedergedrückt. Ein greller Blitz flammte auf, und der Geruch von verbrennendem Isoliermaterial breitete sich aus. Ash brach zusammen. Parkers Brustkasten hob und senkte sich, als er sich abmühte, wieder Luft zu bekommen. Er hustete ein paarmal, spuckte auf das Deck. Dann riß er die Augen weit auf, blinzelte ein paarmal und funkelte die reglose Maschine an. »Verdammt! Verdammte Maschine!« Er trat nach dem Metallgebilde. Es reagierte nicht, lag reglos und unschuldig auf dem Deck. Lamberts Blick wanderte verstört zwischen Parker und Ripley hin und her. »Würde jemand mir bitte sagen, was zum Teufel
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hier vorgeht?« »Es gibt nur eine Möglichkeit, das festzustellen.« Ripley stellte vorsichtig ihre Waffe zur Seite, vergewisserte sich aber, daß sie in Reichweite war, sollte sie sie brauchen und näherte sich der >Leiche<. »Und wie wäre das?« fragte Lambert. Ripley blickte zu Parker hinüber, der sich den Hals massierte. »Wir müssen den Kopf wieder anschließen. Ich glaube, ich habe sein Bewegungssystem im Torso ausgebrannt, aber der Kopf und sein Erinnerungsvermögen sollten funktionieren, wenn wir es mit Energie versorgen. Er hat das Alien von Anfang an geschützt. Ich habe ja dauernd versucht, euch das klar zu machen.« Sie deutete auf die Leiche. Es war schwer, in Ash einen Mechanismus und nicht einen Mannschaftskameraden zu sehen. »Er hat ihn schließlich gegen die Vorschriften an Bord gelassen.« Ihr Gesicht verzog sich bei der Erinnerung. »Er behauptete, er hätte es getan, um Kane das Leben zu retten. Aber Kane hat ihn nie interessiert. Er hat dieses Ding in ihm wachsen lassen. Die ganze Zeit hat er gewußt, was passierte. Und dann hat er den Schleusenalärm ausgelöst, um das Alien zu retten.« »Aber warum?« Lambert begriff immer noch nicht. »Das ist eine reine Vermutung aber ich kann mir nur einen Grund vorstellen, warum die einen Roboter hier eingeschleust haben, ohne es uns zu sagen: jemand wollte einen Sklaven als Beobachter an Bord haben, um zu berichten, was sich hier entwickelte.« Sie blickte zu Lambert auf. »Wer weist denn den Schiffen das Personal zu und nimmt in letzter Minute Änderungen vor, wie zum Beispiel den Austausch von Wissenschaftsoffizieren? Wer ist denn imstande, einen Roboter an Bord einzuschleusen, ohne daß wir das erfahren? Und zu welchem Zweck?«
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Lambert wirkte jetzt nicht mehr verwirrt. »Die Gesellschaft.« »Sicher.« Ripley lächelte humorlos. »Die unbemannten Sonden der Gesellschaft müssen diese Sendung des Wracks aufgenommen haben. Die Nostromo war zufälligerweise das nächste Schiff der Gesellschaft, das durch diesen Raumquadranten kommen mußte. Sie haben Ash an Bord gebracht, um die Entwicklung für sie zu überwachen und sicherzustellen, daß wir das befolgten, was Mutter Speziala nweisung 927 nennt. Falls sich erwiesen hätte, daß hinter der Sendung nichts von Bedeutung stand, hätte Ash ihnen das melden können, ohne daß wir je etwas erfahren hätten. Andernfalls erfährt die Gesellschaft das, was sie wissen möchte, und kann sich die Mühe sparen, ein um teures Geld komplett ausgestattetes Forschungsteam auszuschicken. Eine ganz einfache Methode, den Gewinn zu maximieren und den Verlust zu minimieren. Deren Gewinn und unser Verlust.« »Großartig«, schnob Parker. »Das hast du dir alles gut zusammengereimt. Jetzt sag mir nur, warum wir diesen Schweinehund wieder zusammenflicken müssen.« Er spuckte auf Ashs Leiche. Ripley hatte Ashs Kopf auf einen Schrank gesetzt und führte ein Kabel von einer Steckdose, die neben dem Autokoch an der Wand befestigt war, zu dem Schädel. »Wir müssen in Erfa hrung bringen, was er sonst noch weiß. Einverstanden?« Parker nickte widerstrebend. »Einverstanden.« Er trat neben sie. »Komm, laß mich das machen.« Der Ingenieur versuchte sich in den Drähten an Ashs Hinterkopf und dem künstlichen Haar zu orientieren. Als die Lider des Wissenschaftsoffiziers zu flattern begannen, brummte Parker befriedigt, trat zur Seite.
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Ripley beugte sich über den Robot. »Ash, kannst du mich hören?« Keine Antwort. Sie sah Parker an. »Die Verbindung stimmt. Wenn nicht ein wichtiger Stromkreis unterbrochen wurde, als der Schädel auf das Deck fiel, müßte er antworten. In diesen komplizierten Modellen sind die Gedächtniszellen und die verbalvisuellen Komponenten ziemlich dicht gepackt. Ich erwarte, daß er redet.« Sie versuchte es noch einmal. »Kannst du mich hören, Ash?« Eine vertraute Stimme hallte plötzlich durch die Messe. »Ja, ich kann dich hören.« Es fiel ihr schwer, den vom Körper abgetrennten Kopf anzusprechen, wenn sie auch wußte, daß es sich nur um eine Maschine handelte, ebenso wie das Schockrohr oder der Autokoch. Dazu hatte sie zu viele Stunden in Ashs Gesellschaft verbracht. »Was ... was besagt Spezialanweisung 927?« »Das widerspricht den Vorschriften und meiner Programmierung. Du weißt, daß ich das nicht sagen kann.« Sie trat zurück. »Dann hat es auch keinen Sinn, mit ihm zu reden. Parker, zieh den Stecker raus.« Der Ingenieur griff nach dem Kabel, und Ash reagierte schnell genug, um damit zu beweisen, daß seine Erkennungsstromkreise noch intakt waren. »Im wesentlichen waren meine Anweisungen folgende:« Parkers Hand schwebte drohend über der Leitung. »Ich hatte Anweisung, den Kurs der Nostromo so zu verändern oder sicherzustellen, daß ihre Mannschaft den Kurs so veränderte, daß das Signal aufgenommen werden konnte. Ich sollte Mutter programmieren, daß sie euch aus dem Hyperschlaf holte, und ihr Gedächtnis so programmieren, daß sie euch die Story von dem Notruf übermittelte. Die Spezialisten der Gesellschaft wußten bereits, daß es sich bei der Sendung um eine Warnung, nicht um einen Notruf handelte.«
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Parkers Hände ballten sich zu Fäusten. »Am Ursprungsort des Signals«, fuhr Ash fort, »sollten wir diese Lebensform erforschen. Nach Ansicht der Experten handelte es sich fast mit Sicherheit um ein feindliches Lebewesen, das wir zurückbringen sollten, damit es gründlich untersucht und von den Fachleuten der Gesellschaft auf mögliche kommerzielle Auswertung überprüft werden konnte. Unter Wahrung der gebotenen Diskretion natürlich.« »Natürlich«, pflichtete Ripley ihm bei und äffte dabei den gleichmäßigen Tonfall der Maschine nach. »Das erklärt natürlich, warum man uns ausgewählt und nicht an unserer Stelle zuerst ein wertvolles Forscherteam hinausgeschickt hat.« Sie schien darüber befriedigt, daß sie die Motive hinter Ashs Worten durchschaut hatte. »Die Einfuhr gefährlicher fremder Lebensformen auf irgendwelchen bewohnten Welten, ganz zu schweigen von der Erde, ist streng verboten. Indem man es so hinstellte, als wären wir einfachen Schlepperjockeys zufällig darauf gestoßen, konnte die Gesellschaft so tun, als wäre das Alien unabsichtlich, zur Erde gelangt. Uns hätte man wahrscheinlich ins Gefängnis gesteckt, aber das Alien wäre dann erst einmal da gewesen. Die Spezialisten der Gesellschaft wären natürlich >rein zufällig< bereit gewesen, diesen gefährlichen Ankömmling den Zollbeamten abzunehmen. Vielleicht nach ein paar großzügigen Geschenken, um die ganze Transaktion zu erleichtern. Mit etwas Glück hätte die Gesellschaft dann sogar vielleicht dafür gesorgt, daß man uns wieder freiließ, sobald die Behörden sich davon überzeugt hatten, daß wir wirklich so dumm waren, wie es aussah. Was wir ja auch waren.« »Warum?« wollte Lambert wissen. »Warum hast du uns nicht gewarnt? Warum konnte man uns nicht sagen, was uns bevorstand?« »Weil ihr dann vielleicht nicht mitgemacht hättet«, erklärte
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Ash mit kalter Logik. »Es war notwendig, daß euch unbekannt blieb, was geschah. Was Ripley hier hinsichtlich der Zollbehörden sagte, ist ganz richtig.« »Du und diese verdammte Gesellschaft!« knurrte Parker. »Und was ist mit unserem Leben, Mann?« »Nicht Mann«, verbesserte Ash gleichmütig. »Was euer Leben angeht, so fürchte ich, hielt die Gesellschaft das für zweitrangig. In erster Linie interessierte sie sich für die fremde Lebensform. Man hoffte zwar, daß ihr sie unter Kontrolle bekommen und überleben würdet, um eure Anteile in Empfang zu nehmen, aber ich muß gestehen, daß diese Überlegung nur zweitrangig war. Von seiten der Gesellschaft war das nichts Persönliches. Ein reiner Zufall.« »Wie beruhigend«, ereiferte sich Ripley. Sie überlegte einen Augenblick lang und sagte dann: »Du hast uns bereits gesagt, daß man uns in erster Linie deshalb zu dieser Welt geschickt hat, um eine Lebensform zu erforschen, die fast mit Sicherheit feindselig war.« Und daß die Experten der Gesellschaft die ganze Zeit wußten, daß es sich bei der Sendung um eine Warnung, kein Notsignal handelte.« »Ja«, erwiderte Ash. »Nach dem, was die Übersetzer feststellen konnten, war es viel zu spät für ein Signal, als daß es den Sendern noch hätte nützen können. Das Signal selbst war erschreckend spezifisch, sehr detailliert. Wir stellten fest, daß das verlassene Raumschiff offenbar im Rahmen einer normalen Forschungsexpedition auf dem Planeten gelandet war. Die Besatzung stieß ebenso wie Kane auf eine oder mehrere der fremden Sporenschoten. Der Sendung war nicht zu entnehmen, ob die Forscher noch Zeit hatten, festzustellen, ob die Sporen ihren Ursprung auf dieser Welt hatten oder von anderswo dort eingeschleppt worden waren. Aber ehe sie alle überwältigt wurden, schafften sie es noch,
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den Warnsender aufzubauen, um die Insassen anderer Schiffe, die vielleicht vorhatten, auf jener Welt zu landen, davon abzuhalten. Wo immer sie auch herkamen - sie waren ein selbstloses Volk. Hoffendich begegnet ihnen die Menschheit unter angenehmeren Begleitumständen wieder einmal.« »Jedenfalls bessere Leute als manche, an die ich denken kann«, sagte Ripley erbittert. »Das Alien, das an Bord ist - wie töten wir es?« »Die Forscher, von denen das Wrack stammt, waren größer und wahrscheinlich auch intelligenter als die Menschen. Ich glaube nicht, daß ihr es töten könnt, aber ich könnte das vielleicht. Da ich nicht organisch bin, sieht das Alien in mir keine Gefahr. Und auch keine Nahrung. Ich bin wesentlich stärker als irgendeiner von euch. Ich bin dem Alien vielleicht gewachsen. Im Augenblick freilich bin ich nicht im Vollbesitz meiner Kräfte. Wenn ihr einfach ...« »Nicht schlecht gedacht, Ash«, unterbrach ihn Ripley und schüttelte den Kopf. »Aber das kommt nicht in Frage.« »Ihr Idioten! Ihr begreift immer noch nicht, womit ihr es hier zu tun habt. Das Alien ist ein absolut perfekter Organismus. Mit euren begrenzten Möglichkeiten habt ihr gegen dieses Wesen keine Chance.« »Mein Gott.« Lambert starrte den Kopf wie benommen an. »Du bewunderst das verdammte Ding ja geradezu.« »Wie kann man denn die einfache Symmetrie, die es darstellt, nicht bewundern? Ein idealer Interspeciesparasit, der imstande ist, auf jeder Lebensform zu gedeihen, welche atmet, gleichgü ltig, um welche Atmosphäre es sich handelt. Ein Parasit, der imstande ist, unter den unwirtlichsten Umständen unbegrenzte Zeit zu überdauern. Sein einziger Zweck ist es, seine Art fortzupflanzen, eine Aufgabe, die er mit überlegener Effizienz verfolgt. Die Menschheit hat noch nie etwas kennengelernt, das
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man damit vergleichen könnte. Die Parasiten, an deren Bekämpfung die Menschheit gewöhnt ist, sind Moskitos, winzige Arthropoden und dergleichen. Im Vergleich mit ihnen ist dieses Geschöpf in seiner Wildheit und in seiner Effizienz das, was der Mensch in puncto Intelligenz zum Wurm ist. Ihr könnt nicht einmal ahnen, wie man dieses Alien bekämpfen kann.« »Jetzt habe ich genug von diesem Scheiß!« Parkers Hand griff nach dem Kabel. Ripley hob abwehrend die Hand und starrte den Kopf an. »Du bist doch ein Teil unserer Mannschaft, Ash. Du bist unser Wissenschaftsoffizier, wenn du auch ein Werkzeug der Gesellschaft bist.« »Ihr habt mir Intelligenz gegeben. Und mit dem Intellekt kommt die unausweichliche Wahl: meine Loyalität gilt nur der Wahrheit. Und die wissenschaftliche Wahrheit verlangt Schönheit, Harmonie und über allem: Einfachheit. Das Problem eurer Konfrontation mit dem Alien kann nur eine einfache und elegante Lösung haben: nur einer von euch wird überleben.« »Das verweist uns Menschen auf die Plätze, wie? Sag mir etwas, Ash. Die Gesellschaft hat die ganze Zeit damit gerechnet, daß nur du und das Alien lebend an Bord der Nostromo seid, wenn sie auf der Erde eintrifft, oder?« »Nein. Man hat ehrlich gehofft, daß ihr überleben und das Alien überwältigen könnt. Die Beamten der Gesellschaft hatten keine Vorstellung davon, wie gefährlich und effizient es ist.« »Was, meinst du, wird geschehen, wenn die Nostromo die Erde erreicht, wir alle tot sind und das Alien die Macht über das Schiff hat? »Das kann ich nicht sagen. Es besteht die Möglichkeit, daß es dem Alien gelingt, die Beamten, die an Bord kommen, und auch jeden anderen, mit dem es in Berührung kommt, zu
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infizieren, ehe man erkennt, wie groß die Gefahr ist, die es repräsentiert, und Schritte dagegen unternimmt. Bis dahin ist es vielleicht schon zu spät. Der Menschheit ist es in Tausenden von Jahren nicht gelungen, andere Parasiten auszutilgen. Und einen Parasiten, der so fortgeschritten ist, wie dieser, hat die Menschheit noch nie erlebt. Versucht euch einige Milliarden Moskitos vorzustellen, die intelligent sind und zusammenwirken. Hätte die Menschheit eine Chance? Wenn ich anwesend bin und noch funktioniere, sobald die Nostromo die Erde erreicht, kann ich den Beamten mitteilen, was sie erwartet und was sie unternehmen müssen. Indem ihr mich zerstört, riskiert ihr es, eine schreckliche Seuche auf die Menschheit loszulassen.« In der Messe herrschte Schweigen, aber nicht lange. Parker war der erste, der das Wort ergriff. »Die Menschheit in Gestalt der Gesellschaft scheint nach alledem auf uns keinen großen Wert zu legen. Wir werden also versuchen, alleine mit dem Alien fertig zu werden. Zumindest wissen wir jetzt, wie er zu uns steht.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf Ashs Kopf, dann blickte er zu Ripley hinüber. »Wenn ich nicht mehr am Leben bin, stört mich eine Seuche nicht. Ich sage, wir sollten jetzt den Stecker herausziehen.« »Ich bin einverstanden«, sagte Lambert. Ripley trat an die Steckdose und schickte sich an, das Kabel herausziehen. »Ein letztes Wort«, sagte Ash schnell. »Ein Vermächtnis, wenn ihr so wollt.« Ripley zögerte. »Nun?« »Vielleicht ist das Alien intelligent. Vielleicht solltet ihr versuchen, mit ihm in Verbindung zu treten.« »Hast du das getan?« »Bitte, laßt mich dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen.«
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Ripley zog das Kabel aus der Steckdose. »Adieu, Ash.« Sie wandte den Blick von dem verstummten Kopf. »Wenn ich schon zwischen Parasiten wählen muß, dann sind mir solche lieber, die nicht lügen. Außerdem, wenn wir mit dem Ding schon nicht fertig werden, dann sterben wir wenigstens mit der freudigen Gewißheit, daß es sich ein paar Experten der Gesellschaft schnappt ...« Sie saß vor der Konsole des Zentralcomputers, als Parker und Lambert zurückkamen. »In einem hat Ash recht gehabt«, sagte sie niedergeschlagen. »Große Chancen haben wir nicht.« Sie deutete auf ein Anzeigegerät. »Unser Sauerstoff reicht nur noch zwölf Stunden.« »Dann ist bald alles vorbei.« Parker blickte zu Boden. »Ash wieder einzustecken, wäre eine schnellere Form des Selbstmordes. Oh, ich bin sicher, er würde versuchen, das Alien zu erledigen. Aber er würde uns nicht leben lassen. Das ist ein Auftrag der Gesellschaft, von dem er uns nichts sagen konnte. Denn nachdem er uns alles andere gesagt hat, kann er uns unmöglich am Leben lassen sonst würden die Hafenbehörden erfahren, was die Firma vorhatte.« Er grinste. »Ash war eine loyale Maschine der Gesellschaft.« »Ich weiß nicht, wie ihr das seht«, sagte Lambert ernst, »aber ich glaube, ich ziehe einen schmerzlosen, friedlichen Tod den anderen Alternativen vor, die zur Wahl stehen.« »Soweit sind wir noch nicht.« Lambert hielt ihnen einen kleinen Karton mit Kapseln hin. Ripley erkannte die Selbstmordpillen an ihrer roten Farbe und dem winzigen eingeprägten Totenschädeln mit den gekreuzten Knochen. »Nein? Hm.« Ripley drehte sich in ihrem Sessel herum. »Ich sage, daß es noch nicht soweit ist. Ihr habt euch von Ash überzeugen lassen. Er sagte, er sei der einzige, der eine Chance hätte mit dem Alien fertig zu werden. Aber
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immerhin liegt er hilflos in der Messe und nicht wir.« »Es gibt noch eine Möglichkeit. Wir könnten das Schiff sprengen.« »Ist das deine Alternative?« fragte Lambert mit leiser Stimme. »Ich ziehe chemische Mittel vor, wenn es dir nichts ausmacht.« »Nein, nein, erinnerst du dich an das, was du früher vorgeschlagen hast, Lambert? Wir verlassen das Schiff im Shuttle und lassen es hochgehen. Wir nehmen die übriggebliebene Luft in tragbaren Tanks mit. Das Shuttle hat seine eigene Luftversorgung. Mit dem zusätzlichen Sauerstoff haben wir immerhin eine Chance, es bis in stärker befahrene Raumsektoren zu schaffen, wo man uns auflesen wird. Mag sein, daß wir bis dahin unsere eigenen Abfallprodukte atmen. Aber immerhin haben wir so eine Chance.« Sie schwiegen. Alle überlegten. Parker sah Ripley an und nickte dann. »Das gefällt mir besser als Chemikalien. Außerdem wird es mir ein Vergnügen sein, dabei zuzusehen, wie Eigentum der Gesellschaft in Stücke geht.« Er wandte sich zum Gehen. »Wir fangen damit an, Luft in Flaschen abzufüllen.« Der Ingenieur überwachte das Umfüllen von komprimierter Luft aus den Haupttanks der Nostromo in kleinere tragbare Kanister, die sie in das Shuttle befördern konnten. »Ist das alles?« fragte Ripley, als Lambert sich müde an den Lukenrahmen lehnte. »Alles, was wir mitnehmen können.« Er deutete auf die aufgereihten Kanister. »Das sieht vielleicht nicht nach viel aus, aber das Zeug steht wirklich unter Druck. Genügend zusätzliche Luft, um etwas Zeit zu gewinnen.« Er grinste. »Fein. Holen wir uns noch einige Lebensmittel, schalten die Motoren ein und verschwinden hier.« Plötzlich kam ihr ein Gedanken, und sie hielt inne: »Jones. Wo ist Jones?« »Wer weiß?« Parker war sichtlich nicht an der Schiffskatze
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interessiert. »Als ich ihn das letzte Mal sah, schnüffelte er in der Messe an Ash herum«, sagt e Lambert. »Geh nachsehen. Wir wollen ihn nicht zurücklassen. Soviel Menschlichkeit können wir uns noch immer leisten.« Lambert sah sie verstört an. »Kommt nicht in Frage. Ich gehe auf diesem Schiff nirgendwo alleine hin.« »Konnte das Biest nie leiden«, brummte Parker. »Laßt nur«, meinte Ripley. »Ich gehe. Ihr könnt inzwischen die Luft und die Lebensmittel verladen.« »Okay«, nickte Lambert. Sie und Parker luden sich die Saue rstoffkanister auf und gingen zum Shuttle. Ripley lief zur Messe. Sie brauchte nicht lange zu suchen. Nachdem sie die ganze Messe durchstöbert hatte, sorgfältig darauf bedacht, Ashs kopflosen Torso nicht zu berühren, ging sie zur Brücke. Dort fand sie Jones sofort. Er lag auf Dallas Konsole, putzte sich und wirkte gelangweilt. Sie lächelte ihm zu. »Jones, du hast's gut.« Offenbar war der Kater anderer Meinung. Als sie nach ihm griff, sprang er mit einem eleganten Satz von der Konsole und stolzierte davon. Sie folgte ihm, redete auf ihn ein. »Komm schon, Jones. Mach dich nicht so rar. Nicht jetzt. Die anderen warten sonst nicht auf dich.« »Wieviel, glaubst du, werden wir brauchen?« Lambert hielt inne, Behälter aufeinanderzustapeln und sah zu Parker hinüber. Sie wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Soviel wir tragen können. Schließlich wollen wir nicht zweimal gehen.« »Allerdings nicht.« Sie schob sich ihren Stapel zurecht. Plötzlich hallte eine Stimme über die Sprechanlage. »Verdammt noch mal, Jones, komm schon her. Komm, Kätzchen ... komm schön, Kätzchen.« Ripleys Stimme klang
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sanft und einschmeichelnd, aber Lambert konnte ihre Gereiztheit spüren. Parker kam mit einem Armvoll Schachteln und Konserven aus dem Vorratsraum. Lambert fuhr fort, Vorräte zu sortieren, wobei sie gelegentlich eine austauschte. Die Vorstellung, künstliche Lebensmittel unzubereitet essen zu müssen, war nicht gerade erhebend. In dem winzigen Shuttle gab es keinen Autokoch. Das Zeug würde sie zwar am Leben erhalten, aber das war auch alles. Sie wählte die wohlschmeckendsten Kombinationen aus, die es gab. Das rote Licht an dem Tracker, der neben ihr lag, bemerkte sie nicht. »Jetzt habe ich dich!« Jones leistete zwar indigniert Widerstand, aber Ripley hatte ihn am Nackenfell gepackt. Auch seine abgespreizten Beine halfen ihm nichts er wurde ziemlich unsanft in seinen abgedichteten Reisebehälter geschoben. Ripley schaltete ihn ein. »So, jetzt kannst du eine Weile deinen eigenen Gestank einatmen.« Die beiden Flammenwerfer lagen vor dem Vorratsraum. Parker kniete vorsichtig nieder und versuchte, seinen aufzuheben. Er verlor das Gleichgewicht, und eine ganze Anzahl der sorgfaltig aufgetürmten Schachteln fiel ihm herunter. »Verdammt!« Lambert unterbrach ihre Tätigkeit und blickte aus der Tür der Vorratskammer. »Was ist los?« »Nichts. Ich hab' nur versucht, zuviel auf einmal zu tragen, das ist alles. Beeil dich.« »Ich komm schon. Dreh nicht gleich durch.« Das rote Licht an dem Tracker leuchtete jetzt kräftiger, und nun fing das Gerät zu piepsen an. Parker ließ seine Schachteln fallen, starrte den Tracker an und hob seinen Flammenwerfer auf. Er rief Lambert zu: »Verschwinden wir hier!«
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Sie hatte das Geräusch auch gehört. »Ich komm schon.« Hinter ihr war plötzlich ein anderes Geräusch zu hören. Sie drehte sich um und schrie, als die Hand sie packte. Das Alien zwängte sich aus dem Luftschacht. Es war riesig. Ripley hörte den Schrei aus der Sprechanlage auf der Brücke und erstarrte. Parker eilte in den Vorratsraum - und sah sich dem Alien gegenüber. Den Flammenwerfer konnte er nicht einsetzen, ohne Lambert zu treffen. So schwang er die Waffe wie eine Keule und ging auf das Monster los. »Verdammtes Biest!« Das Alien ließ Lambert fallen. Sie sank schlaff zu Boden, als Parkers erster Schlag das Alien traf - freilich ohne irgendeine Wirkung zu zeitigen. Ebensogut hätte Parker versuche n können, die Wand einzuschlagen. Er versuchte der riesigen Hand, die auf ihn zuschoß, auszuweichen, aber er schaffte es nicht. Der Schlag des Alien brach ihm das Genick und tötete ihn auf der Stelle. Das Alien wandte sich wieder Lambert zu. Ripley hatte sich immer noch nicht bewegt. Über den Lautsprecher waren schwache Schreie zu hören. Das war Lambert, und die Schreie wurden immer schwächer. Dann trat Stille ein. »Parker ... Lambert?« fragte sie. Sie wartete auf eine Reaktion, ahnte aber, daß keine mehr kommen würde. Nun war sie allein. Auf dem Schiff gab es wahrscheinlich nur noch drei lebende Wesen: das Alien, Jones und sie selbst. Aber sie mußte sicher sein. Das bedeutete, daß sie Jones zurücklassen mußte. Sie wollte das nicht, aber der Kater hatte die Schreie gehört und miaute verzweifelt. Er machte zuviel Lärm. Sie erreichte ohne Behinderung das B-Deck, hielt den Fla mmenwerfer schußbereit. Unmittelbar vor ihr lag der Vorrats-
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schrank. Es bestand eine geringe Chance, daß das Alien eins seiner Opfer zurückgelassen hatte, weil es sicher nicht leicht war, beide gleichzeitig durch den engen Schacht zu befördern. Es bestand also immerhin eine Chance, daß noch jemand am Leben war. Sie spähte hinein. Aber offenbar war es dem Alien gelungen, beide Opfer durch den Luftschacht zu zwängen. Dann rannte sie, rannte, blindlings, halb wahnsinnig, ohne zu denken. Wände versperrten ihr den Weg, hielten sie auf. Sie floh weiter, wie eine Rasende. Sie rannte, bis ihr die Lungen brannten. Und das erinnerte sie an Kane und die Kreatur, die in ihm herangereift war, neben seinen Lungen. Und das wiederum erinnerte sie an das Alien. Und diese Gedanken brachten sie wieder zu sich. Nach Atem ringend verlangsamte sie ihren Lauf und versuchte sich zu orientieren. Sie war durch das ganze Schiff gerannt. Jetzt stand sie alleine mitten im Maschinenraum. Sie hörte etwas, hielt den Atem an. Das Geräusch wiederholte sich. Es war ein vertrautes menschliches Geräusch. Das Geräusch von jemandem, der weinte. Den Flammenwerfer schußbereit in der Hand, ging sie langsam durch den Raum, bis sie sich unmittelbar über dem Ursprung des Geräusches befand. Sie stellte fest, daß sie auf einem Treppendeckel stand, einer runden Scheibe aus Metall. Nachdem sie sich vorsichtig umgesehen hatte, kniete sie nieder und entfernte den Deckel. Eine Leiter führte in die Finsternis hinab. Sie tastete sich die Leiter hinunter, bis sie etwas Festes unter den Füßen verspürte. Dann knipste sie ihre Taschenlampe an. Sie stand in einem kleinen Versorgungsraum. Jetzt konnte sie Plastikbehälter und selten gebrauchte Werkzeuge erkennen. Und dann fiel das Licht auf Knochen, an denen noch Fleischfetzen hingen. Ihre Haare sträubten sich, als ihr Lichtkegel
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Überreste von Kleidern erfaßte, getrocknetes Blut, einen halb zerrissenen Stiefel, einen blutigen Fuß darin. Die Wände waren von bizarren Vorsprüngen gesäumt. Etwas bewegte sich in der Finsternis. Sie wirbelte herum, hob den Flammenwerfer, als der Lichtkegel das erfaßte, was sich bewegt hatte. Ein riesiger Kokon hing rechts von ihr von der Decke. Er sah aus wie eine Art durchsichtige Hängematte aus feinem, seidig wirkendem weißem Material. Der Kokon zuckte. Den Finger am Abzug des Flammenwerfers trat sie näher. Sie konnte etwas in dem halbdurchsichtigen Kokon erkennen, einen Körper ... Dallas! Dann öffneten sich plötzlich seine Augen, erfaßten Ripley. Seine Lippen öffneten sich, versuchten Worte zu bilden. Sie trat näher, gleichzeitig fasziniert und abgestoßen. »Töte mich«, bettelte die unhörbare Stimme. »Was ... was hat es dir getan?« Wieder versuchte Dallas zu sprechen, aber es gelang ihm nicht. Er drehte den Kopf etwas zur Seite. Ripley folgte der Bewegung mit der Lampe, richtete sie nach oben. Dort hing ein zweiter Kokon. Er war kleiner und dunkler, aus dem seidigen Gewebe hatte sich bereits eine harte glänzende Schale gebildet. Er sah aus - wenn Ripley das auch nicht wissen konnte - wie die zerbrochene leere Urne auf dem Schiffswrack. »Das war Brett.« Der Lichtkegel ihrer Taschenlampe wanderte wieder zu Dallas zurück. »Ich hol dich hier raus.« Jetzt liefen ihr die Tränen über die Wangen. »Wir schalten den Autodoc ein, holen dich ...« Dallas schüttelte mühsam den Kopf. Sie hielt inne, konnte nicht weitersprechen. Was Ash gesagt hatte, fiel ihr ein, die Analogie mit der Spinne, der Wespe. Die lebenden Jungen, die sich von dem paralysierten Körper der Spinne ernährten, wuchsen, wobei die Spinne wußte, was
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geschah, aber ... Irgendwie gelang es ihr, den schrecklichen Gedanken abzublocken. In dieser Richtung lag der nackte Wahnsinn. »Was kann ich tun?« Wieder das schmerzgepeinigte Sprechen der stummen Lippen. »Töte mich.« Sie starrte ihn an. Seine Augen hatten sich geschlossen, aber seine Lippen zitterten, als schickte er sich an, zu schreien. Sie glaubte nicht, daß sie diesen Schrei würde ertragen können. Sie hob die Mündung ihres Flammenwerfers und dann drückte sie blindlings ab. Eine Flammenzunge leckte nach dem Kokon und hüllte ihn und das Ding ein, das einmal Dallas gewesen war. Es verbrannte lautlos. Dann ließ sie die Fla mmenzunge durch den Raum kreisen, bis er von einem Inferno erfüllt war. Sie hastete wieder die Leiter hinauf, und die Hitze leckte nach ihren Füßen. Sie schob den Kopf in den Maschinenraum hinaus. Er war immer noch leer. Rauch kräuselte um sie herum in die Höhe, sie hustete. Sie kletterte heraus, schlug den Deckel mit dem Fuß auf die Öffnung, ließ ihn aber einen Spalt offen stehen, damit Luft an das Feuer konnte. Dann eilte sie auf die Steuerkanzel des Maschinenraums zu. Skalen und Instrumente warteten geduldig auf Anweisungen. Ein Schaltbrett trug rot umrandete Schalter. Sie studierte es einen Augenblick lang, erinnerte sich an Schaltfolgen und begann dann die Hebel einen nach dem anderen umzulegen. Ein Doppelschalter war von einer AB-Deckung geschützt. Sie versuchte vergeblich den Deckel zu heben, trat zurück und zerschlug ihn mit dem stumpfen Ende des Flammenwerfers, dann legte sie entschlossen den Schalter um. Sie wartete eine Ewigkeit lang. Sirenen begannen zu heulen. Eine Stimme hallte aus dem Lautsprecher, und sie zuckte
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erschreckt zusammen, bis ihr klar wurde, daß das Mutters Stimme war. »ACHTUNG, ACHTUNG, DIE KÜHLEINHEITEN FÜR DEN HYPERDRIVE FUNKTIONIEREN NICHT. ÜBERLASTUNGSSCHALTER AUßER FUNKTION. MOTOREN ÜBERLADEN IN VIER MINUTEN FÜNFZIG SEKUNDEN. EXPLOSIONSGEFAHR.« Sie war auf halbem Wege durch den B-Korridor, als ihr Jones einfiel. Er befand sich in seinem luftdichten Behälter, und sein Miauen hallte aus dem Lautsprecher. Sie ergriff den Behälter und rannte auf das Shuttle zu, den Flammenwerfer unter den Arm geklemmt. Sie erreichte die letzte Biegung des Korridors, der zum Shuttle führte. Plötzlich zischte Jones in der Box, und sein Nackenfell sträubte sich. Ripley blieb stehen, starrte beno mmen auf die offene Schleuse. Geräusche drangen an ihr Ohr. Das Alien war im Shuttle. Sie ließ Jones auf der Treppe zur B-Etage stehen und rannte zum Maschinenraum zurück. Der Kater protestierte, weil er wieder alleingelassen wurde. Während sie auf die Maschinenkanzel zurannte, erfüllte eine geduldige ausdruckslose Stimme den Raum. »Achtung. Maschinen überladen. Antrieb explodiert in drei Minuten zwanzig Sekunden.« Eine Hitzemauer schlug ihr entgegen, als sie die Kanzel betrat. Es war schwer, in dem Rauch etwas zu sehen. Sirenen heulten, die Maschinen ringsum arbeiteten auf Hochtouren. Sie wischte sich den Schweiß vom Gesicht und tastete sich weiter. Irgendwie fand sie das Armaturenbrett, zwang sich zur Kon-
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zentration und schloß die Schalter wieder, die sie erst vor wenigen Augenblicken geöffnet hatte. Das klagende Lied der Sirenen hielt an. »ACHTUNG. MASCHINEN ÜBERLADEN. ANTRIEB EXPLODIERT IN DREI MINUTEN. MASCHINEN ÜBERLADEN. ANTRIEB EXPLODIERT IN DREI MINUTEN.« Keuchend lehnte sie sich gegen die heiße Wand und drückte einen Knopf. »Mutter, ich habe alle Kühleinheiten wieder eingeschaltet!« »ZU SPÄT. DER REAKTORKERN DES ANTRIEBS HAT BEREITS ZU SCHMELZEN BEGONNEN. REAKTION JETZT NICHT MEHR AUFZUHALTEN. EXPLOSION STEHT KURZ BEVOR. ANTRIEB EXPLODIERT IN ZWEI MINUTEN UND FÜNFUNDFÜNFZIG SEKUNDEN.« Mutters Stimme war Ripley immer beruhigend erschienen. Jetzt fehlte der Computerstimme jegliches menschliche Element, sie war ebenso gnadenlos wie die Zeit, deren Ablauf sie registrierte. Halb erstickt und mit brennender Kehle taumelte sie aus der Kanzel, während die Sirenen hysterisch jaulten. »ACHTUNG. ANTRIEB EXPLODIERT IN ZWEI MINUTEN«, verkündete Mutter über die Wandlautsprecher. Der Behälter mit Jones stand auf der Treppe. Der Kater gab
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keinen Laut von sich. Sie taumelte zum Shuttle zurück, zerrte den Behälter mit dem Kater hinter sich her, schaffte es irgendwie, den Flammenwerfer schußbereit zu halten. Einmal glaubte sie, einen Schatten hinter sich zu entdecken und wirbelte herum, aber diesmal war es wirklich nur ein Schatten. Sie zögerte im Korridor, unschlüssig, was sie nun tun sollte, schrecklich müde. Mutters Stimme trieb sie wieder an: »Achtung. Antrieb explodiert in neunzig Sekunden.« Sie stellte Jones' Behälter ab, packte den Flammenwerfer mit beiden Händen und rannte zur Shuttleschleuse. Sie war leer. Sie wirbelte herum, rannte in den Korridor zurück und packte den Reisebehälter. Nichts tauchte vor ihr auf, um sie anzugreifen. »ACHTUNG. ANTRIEB EXPLODIERT IN SECHZIG SEKUNDEN«, sagte Mutter ausdruckslos. Der Behälter mit dem unglücklichen Jones flog neben die Hauptkonsole, während Ripley sich auf den Pilotensessel warf. Jetzt war keine Sekunde mehr zu verlieren für Feinheiten wie eine Kursberechnung oder die Festlegung eines Startwinkels. Sie konzentrierte sich voll und ganz darauf, einen einzigen Knopf niederzudrücken, unter dem in roten Buchstaben ein einziges Wort stand. START Haltebolzen explodierten mit winzigen Explosionen. Die Sekundärmotoren heulten auf, als das Shuttle sich von der Nostromo trennte. Der Andruck zerrte an Ripley, als sie versuchte, sich anzuschnallen, aber der Schub würde gleich nachlassen, sobald das Shuttle das Hyperdrivefeld der Nostromo verlassen hatte und
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seinen eigenen Kurs durchs Weltall aufnahm. Es gelang ihr, die Gurte zu schließen und gestattete sich den Luxus eines tiefen Atemzugs von der sauberen Luft des Shuttles. Ein Heulen drang an ihr Ohr. Wo sie lag, konnte sie mit Mühe den Reisebehälter der Katze erreichen. Ihr Gesicht schob sich über den Behälter, und dann quollen Tränen aus ihren vom Rauch geröteten Augen. Dann wanderte ihr Blick zum Heckschirm. Ein kleiner Lichtpunkt schwoll lautlos zu einem majestätischen Feuerball an, von dem Tentakel aus zerfetztem Plastik und zerrissenem Metall ausgingen. Er verblaßte, und dann folgte ihm ein viel größerer Feuerball, als die Raffinerie explodierte. Zwei Milliarden Tonnen Gas und verdampfender Maschinenanlagen erfüllten den Kosmos, verdunkelten ihre Sicht, bis auch dieser Feuerball zu verblassen begann. Die Schockwelle erreichte das Shuttlefahrzeug, als das sich ausdehnende überhitzte Gas vorbeiraste. Als sie das Fahrzeug wieder unter Kontrolle hatte, schnallte sie sich los, ging zum hinteren Ende der kleinen Kabine und blickte durch eine Luke nach draußen. Ihr Gesicht war in orangerotes Licht getaucht, während die letzten Überreste der kochenden Feuerkugel verblaßten. Schließlich wandte sie sich ab. Die Nostromo, ihre Mannschaftskameraden ... sie alle hatten aufgehört zu existieren. Es gab sie nicht mehr. In jenem stillen isolierten Augenblick traf sie das mit größerer Wucht, als sie erwartet hatte. Die schreckliche Endgültigkeit war es, die sie so schwer hinnehmen konnte, das Wissen, daß sie nicht mehr als Teile dieses Universums existierten. Nicht einmal als Leichen. Es gab sie einfach nicht mehr. Sie waren zu kosmischem Staub zerblasen. Und mit ihnen das schreckliche Monster. Sie sah die mächtige Hand nicht, die aus dem Schutz eines
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tiefen Schattens nach ihr griff. Aber Jones sah sie. Er fauchte. Ripley wirbelte herum und sah sich dem Alien gegenüber. Es war die ganze Zeit über im Shuttle gewesen. Der erste Gedanke galt dem Flammenwerfer. Er lag neben dem zum Sprung geduckten Alien auf dem Deck. Sie suchte verzweifelt nach einem Zufluchtsort. Ganz in der Nähe war ein kleiner Schrank. Die Türe war unter der Schockwelle aufgesprungen. Sie bewegte sich darauf zu. Das fremde Wesen richtete sich im gleichen Augenblick auf, als sie sich zu rühren begann. Sie sprang auf den Schrank zu, warf sich hinein. Ihre eine Hand tastete nach dem Griff. Und während sie hineinfiel, zog ihr Gewicht die Türe krachend hinter sich zu. Im Oberteil der Türe war ein Schauglas. Ripley klebte praktisch mit der Nase daran. Draußen schob das Alien seinen grausigen Kopf an das Fenster, spähte beinahe neugierig zu ihr hinein, als wäre sie ein Ausstellungsstück in einem Käfig. Sie versuchte zu schreien, konnte es aber nicht. Der Schrei erstarb ihr in der Kehle. Sie konnte nur mit geweiteten Augen auf das Wesen starren, das sie von draußen anblickte. Der Schrank war nicht luftdicht. Ein Jammern drang von draußen zu ihr herein. Das Alien drehte sich um, inspizierte den Herkunftsort des fremden Geräusches. Es beugte sich vor, hob den Reisebehälter hoch und veranlaßte Jones dadurch, noch lauter zu schreien. Ripley pochte gegen das Glas, versuchte die Aufmerksamkeit des fremden Lebewesens von dem hilflosen Tier abzulenken. Es funktionierte. Im nächsten Augenblick war das Alien wieder am Glas. Sie erstarrte, dann wandte sich das Alien wieder dem Tierbehälter zu. Ripley begann verzweifelt den engen Raum zu durchsuchen, in dem sie eingeschlossen war. Abgesehen von einem Druckanzug war nichts zu finden. Obwohl sie Mühe hatte, ihre zitternden Hände unter Kontrolle zu halten, dauerte es nur
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kurze Zeit, bis sie hineingeschlüpft war. Draußen schüttelte das Alien den Reisebehälter. Jones Schreie hallten aus dem Lautsprecher. Ripley hatte den Druckanzug zur Hälfte angelegt, als das Alien den Behälter zu Boden schmetterte. Er prallte ab, zerbrach aber nicht. Das Alien hob ihn wieder auf und schmetterte ihn gegen die Wand. Jones war wie von Sinnen und tobte wie ein Besessener darin herum. Darauf zwängte das Alien den Behälter zwischen zwei freiliegende Rohre und begann ihn in die Öffnung hineinzudreschen, während Jones zu entkommen versuchte und fauchend um sich schlug. Ripley hatte sich inzwischen den Helm übergestülpt und begann ihn abzudichten. Es gab hier niemand, der ihr beim Test helfen konnte. Wenn die Dichtungen nicht richtig funktionierten, würde sie das früh genug feststellen. Ein Schalterdruck setzte das Atemgerät in Gang, und der Anzug füllte sich mit Luft. Sie sah sich ein letztes Mal in dem Schrank um. Nirgends war ein Laser oder dergleichen zu finden - nicht daß er ihr viel genützt hätte. Aber dann entdeckte sie einen langen Metallstab mit einer scharfen Spitze, der zwar als Waffe nicht viel taugte, ihr aber wenigstens etwas Selbstvertrauen verlieh, was viel wichtiger war. Sie atmete tief durch und zog langsam den Riegel der Tür zurück, dann stieß sie sie auf. Das Alien drehte sich herum, sah sie an - und da traf ihn die Stange mitten im Leib. Ripley hatte ihr ganzes Gewicht dahintergelegt, und so bohrte sie sich tief hinein. Das Alien griff nach der Stange; gelbe Flüssigkeit quoll aus der Wunde und begann heftig zu zischen, wo sie auf Metall traf. Ripley fiel zurück, hielt sich an einem Träger fest, während ihre andere Hand nach einem Notschalter tastete. Einen Sekundenbruchteil später flog die hintere Luke auf. Im glei-
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chen Augenblick wurde die ganze Luft im Shuttle und alles, was nicht festgeschnallt war oder sich festhielt, ins Weltall hinausgesogen. Das Alien schoß an ihr vorbei. Mit seinen unmenschlichen schnellen Reflexen gelang es ihm noch, eine Hand auszustrecken ... und packte eines ihrer Beine gerade über dem Knöchel. Sie hing halb aus der Luke, trat verzweifelt nach der Hand, die sich an ihrem Bein festgekrallt hatte. Aber das Alien ließ nicht los. Neben dem Notschalter war ein Hebel, den sie jetzt umlegte. Die Luke knallte zu, schloß sie ein und ließ das Alien draußen. Säure schäumte an der Innenverkleidung der Luke, quoll aus dem zermalmten Arm des Alien. Sie riß sich von der abgetrennten Hand los und stolperte nach vorne, warf einen Blick auf die Konsole, fand die Schalter, die die Sekundärmotoren betätigten, und drückte einige Knöpfe ein. Aus dem Heck des Shuttle schossen fa rblose Energieströme ins All. Nun löste sich das Alien vom Schiff. Und im gleichen Augenblick hörte auch die Säure zu fließen auf. Nervös beobachtete sie die letzten Blasen, aber es war nur wenig von dem>Blut< ausgetreten. Schließlich hörte das Metall zu kochen auf. Sie betätigte die Tastatur des kleinen Computers und wartete benommen auf die Schrift. FRAGE: SCHADEN HINTERLUKE ANALYSE: KLEINERE ÄTZUNG IN DER AUSSENHAUT. SCHIFFSINTEGRITÄT NICHT BEEINTRÄCHTIGT. ATMOSPHÄRISCHE DICHTE UNBEEINTRÄCHTIGT. AUSREICHEND DICHTUNGSMASSE.
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FESTSTELLUNG: BESCHÄDIGTEN ABSCHNITT SOFORT NACH ZIELERREICHUNG REPARIEREN. AUSSENHAUT NICHT VORSCHRIFTSMÄSSIG. Sie stieß einen Freudenschrei aus und trat dann an die Luke, um hinauszublicken. Ein rauchendes Gebilde blieb langsam hinter dem Schiff zurück. Stücke von verkohltem Fleisch fielen von ihm ab. Dann gab der unglaublich zähe Organismus schließlich doch den Gesetzen des Druckunterschieds nach. Das Alien schwoll an und barst, so daß seine Körperteile explosionsartig nach allen Richtungen davonflogen. Dann entschwanden die harmlosen rauchenden Fragmente im All. Man konnte nicht sagen, daß sie froh war. In ihr Gesicht waren tiefe Furchen eingegraben, aber sie war gefaßt genug, um sich zu entspannen und sich im Pilotensessel zurückzulehnen. Sie betätigte einige Schalter, und die Kabine füllte sich wieder mit Luft. Dann öffnete sie den Tierbehälter. Jene allen Katzen gemeinsame wunderbare Eigenschaft hatte den Kater bereits den Angriff vergessen lassen. Er rollte sich auf ihrem Schoß zusammen, als sie sich wieder setzte, ein rötliches Pelzknäuel voll Zufriedenheit, und fing an zu schnurren. Sie streichelte ihm den Hals und diktierte in den Schiffsrecorder: »Ich sollte die Grenze in etwa vier Monaten erreichen. Wenn ich etwas Glück habe, wird mein SOS empfangen werden. Ich habe eine Erklärung für die Medien und werde ein Duplikat davon diesem Logbuch beifügen, und einige interessante Feststellungen hinsichtlich der Aktivitäten der Gesellschaft machen, die die Behörden interessieren dürften.
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Hier spricht Ripley, Identnummer W5645022460H, Deckoffizier, letzte Überlebende des Handelssternenschiffs Nostromo. Ende dieser Eintragung.« Sie schaltete das Mikrofon ab. Jetzt war es in der Kabine still, das erste Mal seit vielen Tagen, daß Stille sie umgab. Sie vermochte es kaum zu glauben, daß sie jetzt ausruhen konnte. Hoffentlich blieben ihr die Träume erspart. Ihre Hand strich liebkosend über orangegelbes Fell. Dann lächelte sie. »Komm Kater ... gehen wir schla fen ...«
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ALAN DEAN FOSTER
ALIENS 2 DIE RÜCKKEHR
© 1986 by Twentieth CenturyFox Film Corporation; mit freundlicher Genehmigung von Warner Books, Inc., New York. Copyright © der deutschen Ausgabe 1986 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München. Aus dem Englischen von Irene Holicki. Der Band ist bereits in der Allgemeinen Reihe unter der Nr. 01/6839 in der 10. Auflage erschienen.
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Zwei Träumer. Gar nicht so viel Unterschied zwischen ihnen, trotz der offensichtlicheren Verschiedenheiten. Der eine war von bescheidener Statur, der andere größer. Der eine war weiblich, der andere männlich. Im Mund des ersten befanden sich sowohl Schneide- wie auch Mahlzähne, ein deutlicher Hinweis darauf, daß er ein Allesfresser war, während die Schneidewerkzeuge im Kiefer des anderen nur zum Abbeißen und Durchtrennen gedacht waren. Beide waren Abkömmlinge einer Killerrasse. Die Gattung der ersten Träumerin hatte gelernt, diese genetische Neigung zu mäßigen. Der zweite Träumer blieb ganz und gar ungezähmt. In den Träumen der beiden zeigten sich mehr Unterschiede als in ihrem Aussehen. Die erste Träumerin schlief unruhig, Erinnerungen an jüngst erlebte, unaussprechliche Schrecken sickerten aus den Tiefen ihres Unterbewußtseins herauf und störten die normalerweise friedvolle Stasis des Hyperschlafs. Sie hätte sich gefährlich herumgewälzt und geworfen, wäre da nicht die Truhe gewesen, die ihre Bewegungen zugehe und einschränkte. Das, und die Tatsache, daß im Tiefschlaf die Muskeltätigkeit auf ein Minimum reduziert Ist. Deshalb wälzte und warf sie sich nur im Geiste herum. Es war ihr nicht bewußt. Im Hyperschlaf ist einem gar nichts bewußt. Immer wieder drängte sich jedoch eine dunkle, abscheuliche Erinnerung an die Oberfläche, wie Abwasser, das unter einer Straße in der Stadt heraufdrückt. Zeitweise überflutete sie den Schlaf der Träumerin. Dann stöhnte diese in der Truhe. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Der Computer, der über sie wachte wie ein elektronischer Engel, bemerkte die gesteigerte Aktivität und reagierte darauf, indem er ihre Körpertemperatur
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noch um ein weiteres Grad senkte und gleichzeitig den Zustrom stabilisierender Medikamente in ihr System verstärkte. Das Stöhnen hörte auf. Die Träumerin beruhigte sich und sank in ihre Kissen zurück. Dann dauerte es einige Zeit, bis der Alptraum wiederkehrte. Der kleine Killer neben ihr reagierte auf diese vereinzelten Episoden, indem er zuckte, als antworte er auf die Qualen der größeren Schläferin. Dann entspannte er sich wieder, träumte von kleinen, warmen Leibern und heiß strömendem Blut, von dem Wohlbehagen, das er in der Gesellschaft seiner Artgenossen finden konnte, und von der Zuversicht, daß dies wieder so sein würde. Irgendwie wußte er, daß die beiden Träumer gemeinsam aufwachen würden oder überhaupt nicht. Diese letzte Möglichkeit störte seine Ruhe nicht. Er besaß mehr Geduld als seine Hyperschlafgefährtin und hatte eine realistischere Einschätzung seiner Stellung im Kosmos. Er gab sich damit zufrieden, zu schlafen und abzuwarten, denn er wußte, wenn und falls er das Bewußtsein wiedererlangte, würde er sich auch wieder anschleichen und töten können. Bis dahin ruhte er. Die Zeit vergeht, Das Entsetzen nicht. In der Unendlichkeit des Weltraums sind Sonnen nicht mehr als Sandkörner. Ein weißer Zwerg ist kaum der Beachtung wert. Ein kleines Raumschiff wie das Rettungsboot des verschwundenen Schleppers Nostromo ist fast zu winzig, um in solcher Leere zu existieren. Es schwebte durch das große Nichts wie ein freies Elektron, das aus seiner atomaren Umlaufbahn ausgebrochen ist. Aber ein freies Elektron kann Aufmerksamkeit erregen, wenn andere, mit den notwendigen Instrumenten zu seiner Feststellung ausgerüstet, zufällig darauf stoßen. Und so kam es, daß der Kurs des Rettungsbootes dicht an einem bekannten Stern vorbeiführte. Trotzdem war es ein Glücksfall, daß es nicht
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endgültig übersehen wurde. Es kam ganz nahe an einem anderen Schiff vorbei, wobei im Weltraum mit >ganz nahe< alles bezeichnet wird, was unter einem Lichtjahr ist. Es erschien am Bildschirmrand eines Entfernungsscanners. Einige, die den Leuchtpunkt sahen, plädierten dafür, ihn nicht zu beachten. Er sei zu klein, um ein Schiff zu sein, behaupteten sie. Er gehörte nicht dahin, wo er war. Und Schiffe gaben Antwort. Das hier war so stumm wie ein Toter. Es war wahrscheinlich nur ein wandernder Asteroid, ein abtrünniger Nickel- Eisen-Brocken, der sich aufgemacht hatte, um das Universum zu bereisen. Wenn es ein Schiff war, hätte es doch zumindest alles, was in Hörweite war, mit einem Notsignal angeplärrt. Aber der Kapitän des umherstreifenden Schiffs war ein neugieriger Bursche. Mit einer kleinen Kursabweichung hätten sie die Möglichkeit, den stummen Wanderer zu überprüfen, und ein wenig Raffinesse in der Buchführung würde ausreichen, um die Kosten des Umwegs bei den Schiffseignern zu rechtfertigen. Befehle wurden erteilt und Computer in Gang gesetzt, um die Flugbahn zu regulieren. Die Einschätzung des Kapitäns wurde bestätigt, als man längsseits des fremden Fahrzeugs anlegte. Es war das Rettungsboot eines Raumschiffs. Immer noch kein Lebenszeichen, keine Reaktion auf höfliche Anfragen. Nicht einmal die Positionslichter brannten. Aber das Schiff war nicht völlig tot. Wie ein Körper bei kaltem Wetter hatte es Energie von seinen Extremitäten zurückgezogen, um etwas ganz Wichtiges tief im Innern zu schützen. Der Kapitän bestimmte drei Mann, die das ziellos treibende Boot entern sollten. Sanft wie ein Adler, der auf eine verlorene Feder trifft, schob sich das größere Schiff dicht an die Narcissus heran. Metall küßte Metall. Enterhaken wurden angesetzt. Die Geräusche der Andockprozedur hallten durch beide
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Schiffe. Mit Druckanzügen betraten die drei Mitglieder des Enterkommandos ihre Luftschleuse. Sie hatten tragbare Scheinwerfer und andere Geräte dabei. Da die Luft zu kostbar war, um sie ins Vakuum hinausströmen zu lassen, warteten sie geduldig, bis das Schiff den Sauerstoff eingezogen hatte. Dann glitt die äußere Schleusentür beiseite. Der erste Anblick des Rettungsbootes war eine Enttäuschung: durch das Bullauge in der Tür war keine Innenbeleuchtung zu sehen, kein Lebenszeichen im Schiff. Die Tür wollte nicht reagieren, als die Außenschalter gedrückt wurden. Sie war von innen blockiert worden. Nachdem die Männer sich vergewissert hatten, daß in der Kabine des Rettungsbootes keine Luft war, machte man sich mit einem Robotschweißer an die Arbeit. Zwei Flammen leuchteten in der Dunkelheit hell auf und schnitten von zwei Seiten in die Tür. Die Flammen trafen sich unten an der Barriere. Zwei Männer stützten den dritten, und der trat das Metall mit dem Fuß weg. Der Weg war frei. Im Innern des Rettungsbootes war es dunkel und still wie in einem Grab. Ein Stück tragbares Enterkabel schlängelte sich über den Boden. Seine abgerissene, aus gefranste Spitze endete nahe der Außentür. Oben, dicht am Cockpit, war ein schwacher Lichtschein zu sehen. Die Männer gingen darauf zu. Die vertraute Kuppel einer Hyperschlaftruhe glühte im Inneren. Die Eindringlinge wechselten einen Blick, ehe sie näher traten. Zwei von ihnen beugten sich über den dicken Glasdeckel des durchsichtigen Sarkophags. Hinter ihnen studierte ihr Gefährte seine Instrumente und murmelte laut: »Innendruck positiv. Nominale Rumpf und Systemintegrität vorausgesetzt. Beschädigt scheint nichts; nur abgeschaltet, um Energie zu sparen. Druck in der Truhe konstant. Energieversorgung läuft, aber ich möchte wetten, daß die Batterien ziemlich am Ende sind. Seht nur, wie schwach die Innenanzei-
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gen leuchten. Schon mal so eine Hyperschlaftruhe gesehen?« »Späte Zwanziger.« Der Sprecher beugte sich über das Glas und murmelte in sein Anzugmikrophon: »Sieht gut aus, das Mädchen.« »Pfeif auf das Aussehen.« Sein Gefährte schien enttäuscht. »Die Dioden für die Lebensfunktionen sind alle grün. Das heißt, sie lebt noch. Damit ist unsere Bergungsprämie dahin, Leute.« Der zweite Kontrolleur machte eine überraschte Bewegung. »He, da ist noch was bei ihr drin. Nicht menschlich. Sieht so aus, als lebte es auch noch. Kann es nicht deutlich sehen. Ist zum Teil von ihren Haaren verdeckt. Sieht orangefarben aus.« »Orange?« Der Anführer des Trios drängte sich an den beiden vorbei und drückte die Gesichtsplatte seines Helms gegen die durchsichtige Barriere. »Hat Klauen, was es auch ist.« »He.« Einer der Männer stieß seinen Geführten an. »Vie lleicht eine fremde Lebensform, wie? Das wäre 'n paar Kröten wert.« Diesen Augenblick wählte Ripley, um sich ganz leicht zu bewegen. Unter ihrem Kopf verrutschten auf dem Kissen ein paar Haarsträhnen und ließen das Geschöpf, das dicht an sie gedrückt schlief, deutlich sichtbar werden. Der Anführer des Enterkommandos richtete sich auf und schüttelte verärgert den Kopf. »Soviel Glück haben wir nicht. Nur 'ne verdammte Katze.« * Hören war anstrengend. Sehen kam nicht in Frage. Ihre Kehle war eine Anthrazitader im leichteren Bimsstein ihres Schädels; schwarz, trocken und mit einem leicht harzigen Geschmack. Ihre Zunge strich leicht über lang vergessene Gebiete. Sie versuchte sich zu erinnern, wie Sprechen war. Ihre Lippen
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öffneten sich. Luft stürzte aus ihren Lungen herauf, und jene lange nicht mehr benützten Bälge schmerzten vor Anstrengung. Das Ergebnis dieses mühsamen Zusammenspiels zwischen Lippen, Zunge, Gaumen und Lungen war ein kleiner Triumph, ein Wort. Es schwebte durch den Raum. »Durst.« Etwas Glattes, Kühles schob sich zwischen ihre Lippen. Der Schreck über die Feuchtigkeit überwältigte sie fast. Eine Erinnerung veranlaßte sie beinahe, das Wasserrohr zurückzuweisen. In einer anderen Zeit und an einem anderen Ort war es das Vorspiel zu einem besonders gräßlichen und einzigartigen Tod, wenn einem so etwas eingeführt wurde. Aber aus diesem Rohr floß nur Wasser. Es wurde von einer ruhigen, etwas singenden Stimme begleitet, die Ratschläge erteilte. »Nicht schlucken. Langsam nippen.« Sie gehorchte, obwohl ein Teil ihrer Gedanken schrie, sie solle die kräftigende Flüssigkeit so schnell wie möglich einsaugen. Sonderbarerweise fühlte sie sich nicht ausgetrocknet, nur schrecklich durstig. »Gut«, flüsterte sie heiser. »Habt ihr etwas Festeres?« »Dazu ist es noch zu früh«, sagte die Stimme. »Zum Teufel damit! Wie wär's mit Fruchtsaft?« »Die Zitronensäure zerreißt Sie.« Die Stimme zögerte, überlegte, dann sagte sie: »Versuchen Sie das!« Wieder glitt das glänzende Metallrohr sanft in ihren Mund. Sie saugte lustvoll daran. Gezuckerter Eistee stürzte ihre Kehle hinunter und stillte sowohl den Durst als auch die erste Gier nach Nahrung. Als sie genug hatte, sagte sie es, und das Rohr wurde weggezogen. Neue Geräusche drangen an ihre Ohren; das Trillern eines exotischen Vogels. Sie konnte hören und schmecken, jetzt war es Zeit zu sehen. Ihre Augen öffneten sich und erblickten einen tropischen Regenwald. Bäume streckten ihre buschigen grünen Kronen
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himmelwärts. Buntschillernde, geflügelte Wesen flitzten summend von Ast zu Ast. Vögel zogen lange Schwanzfedern wie Kondensstreifen hinter sich her, während sie auf der Suche nach Insekten auf und abwippten. Ein Quetzalvogel blinzelte aus seinem Heim im Stamm einer Kletterfeige zu ihr heraus. Orchideen standen in voller Blüte, und Käfer hasteten zw ischen Blättern und herabgefallenen Zweigen umher wie wandelnde Edelsteine. Ein Aguti erschien, sah sie und sauste zurück ins Unterholz. Von dem stattlichen Laubbaum weiter links baumelte ein Brüllaffe und sprach leise gurrend auf sein Junges ein. Der Ansturm auf ihre Sinne war zu stark. Sie schloß die Augen vor der schnatternden Überfülle des Lebens. Später (eine Stunde? einen Tag?) tat sich mitten in den stützenden Wurzeln des großen Baumes ein Spalt auf. Die Öffnung weitete sich und riß den Torso eines herumspringenden Pinseläffchens auseinander. Eine Frau trat aus der Lücke, schloß sie hinter sich und dichtete damit die vorübergehende, unblutige Wunde in Baum und Tier ab. Sie berührte einen verborgenen Wandschalter, und der Regenwald verschwand. Für ein Illuso war es sehr gut, aber jetzt, nachdem es ausgeschaltet war, sah Ripley die komplizierten, medizinischen Geräte, die durch die Regenwaldkulisse getarnt gewesen waren. Direkt links von ihr befand sich der Autodoc, der so aufmerksam auf ihre Bitte zuerst um Wasser und dann um kalten Tee reagiert hatte. Die Maschine hing reglos und einsatzbereit an der Wand, über alles informiert, was in ihr vorging, bereit, Medikamente zu verabreichen, sie mit Essen und Trinken zu versorgen oder menschliche Hilfe zu rufen, sollte das notwendig werden. Die Frau, die eingetreten war, lächelte der Patientin zu und stellte mit einer an ihrer Brusttasche befestigten Fernbedienung die Rückenstütze von Ripleys Bett höher. Das Abzeichen auf
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ihrem Hemd, das sie als Obermedizintechnikerin auswies, leuchtete bunt vor dem Hintergrund der weißen Uniform. Ripley musterte die Frau mißtrauisch, ohne feststellen zu können, ob ihr Lächeln echt oder nur Routine war. Die Stimme klang angenehm und mütterlich, ohne süßlich zu sein. »Das Beruhigungsmittel klingt ab. Ich glaube nicht, daß Sie noch mehr brauchen. Können Sie mich verstehe n?« Ripley nickte. Die Med-Tech betrachtete ihre Patientin und schien zu einem Entschluß zu kommen. »Wir wollen etwas Neues versuchen. Warum mache ich nicht das Fenster auf?« »Ich komme nicht drauf. Warum nicht« Das Lächeln erschlaffte an den Mundwinkeln, verstärkte sich aber sofort wieder. Also doch professionell und eingeübt, nicht von Herzen kommend. Und warum auch? Die Med-Tech kannte Ripley nicht, und Ripley kannte sie nicht. Na und? Die Frau richtete ihre Fernbedienung auf die Wand gegenüber dem Fußteil des Bettes. »Vorsicht mit den Augen!« Na, da haben wir ja ein erlesenes Paradoxon, dachte Ripley. Trotzdem blinzelte sie vor dem grellen Licht, auf das sie durch die Warnung hingewiesen worden war. Ein Motor summte leise, und die Illuso-Platte glitt in die Decke. Hartes Licht erfüllte den Raum. Obwohl gefiltert und gedämpft, war es für Ripleys erschöpftes Nervensystem immer noch ein Schock. Vor dem Fenster lag eine riesige Leere. Und jenseits der Leere lag alles. Ein paar der kastenförmigen Wohnelemente von Gateway Station bildeten weiter links eine Schlinge, die Plastikzellen waren aneinandergefädelt wie Kinderbausteine. Von weiter unten ragten zwei Nachrichtenantennen ins Blickfeld. Die Szene wurde von der hellen Wölbung der Erde beherrscht. Afrika war ein brauner Schmierer mit weißen
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Streifen, der in Meeresblau schwamm, das Mittelmeer eine Saphirtiara, die die Sahara krönte. Ripley hatte das alles schon gesehen, erst in der Schule und dann mit eigenen Augen. Sie war von der Aussicht nicht besonders erregt, sondern vielmehr froh, daß es sie überhaupt noch gab. Ereignisse aus jüngster Erinnerung ließen die Vermutung aufkommen, daß das auch nicht der Fall sein konnte, daß der Alptraum Wirklichkeit war und diese weiche, einladende Kugel nur eine höhnische Illusion. Aber sie war tröstlich, vertraut, beruhigend wie ein zerschlissener Teddybär. Die Szene wurde durch den kahlen Ball des Mondes ergänzt, der wie ein unstetes Ausrufungszeichen im Hintergrund schwebte: das Planetensystem als Sicherheitsdecke. »Und wie geht es uns heute?« Sie wurde sich bewußt, daß die Med-Tech sie ansprach, anstatt nur auf sie einzureden. »Schrecklich.« Irgendwann einmal hatte man ihr gelegentlich gesagt, sie hätte eine schöne, einmalige Stimme. Mit der Zeit würde sie sie wiederbekommen. Im Augenblick funktionierte kein Teil ihres Körpers optimal. Sie fragte sich, ob das je wieder so werden würde, denn sie unterschied sich sehr von der Person, die sie früher einmal gewesen war. Jene Ripley war zu einer Routinefahrt auf einem jetzt verschwundenen Raumschlepper aufgebrochen. Eine andere Ripley war zurückgekehrt, lag jetzt im Krankenhausbett und betrachtete ihre Krankenschwester. »Nur schrecklich?« Man mußte die Med-Tech bewundern, dachte sie. Eine Frau, die nicht so leicht abzuschrecken war. »Das ist immerhin besser als gestern. 'Schrecklich' ist ein Quantensprung nach oben von 'grauenhaft', würde ich sagen.« Ripley kniff die Augenlider zu und machte sie dann langsam wieder auf. Die Erde war immer noch da. Die Zeit, um die sie sich bisher keinen Deut geschert hatte, gewann plötzlich neue Bedeutung.
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»Wie lange bin ich schon in Gateway Station?« »Erst zwei Tage.« Immer noch lächelnd. »Mir kommt es länger vor.« Die Med-Tech wandte das Gesicht ab, und Ripley fragte sich, ob sie die knappe Bemerkung als langweilig oder als beunruhigend empfand. »Fühlen Sie sich einem Besuch gewachsen?« »Habe ich denn eine Wahl?« »Natürlich haben Sie die Wahl. Sie sind die Patientin. Nach den Ärzten können Sie es am besten beurteilen. Wenn Sie Ihre Ruhe haben wollen, dann bekommen Sie Ihre Ruhe.« Ripley zuckte die Achseln, ein wenig überrascht, daß ihre Schultermuskeln zu dieser Bewegung in der Lage waren. »Ich war lange genug allein. Was soll's? Wer ist es?« Die Med-Tech ging zur Tür. »Eigentlich sind es zwei.« Ripley konnte sehen, daß sie wieder lächelte. Ein Mann trat ein und hatte etwas im Arm. Ripley kannte ihn nicht, aber seine dicke, orangefarbene, gelangweilt wirkende Last, die kannte sie. »Jones!« Sie setzte sich gerade auf, die Rückenstütze brauchte sie jetzt nicht mehr. Der Mann gab den großen Kater dankbar frei. Ripley drückte ihn an sich. »Komm her, Jonesey, du häßliches, altes Vieh, du süßer Flaumknäuel, du!« Die Katze ließ diese peinliche, für Menschen so typische Vorstellung geduldig mit all der Würde über sich ergehen, die ein Erbteil ihrer Gattung war. Damit bezeigte Jones die Toleranz, die Katzen gewöhnlich den Menschen entgegenbringen. Ein außerirdischer Beobachter, der Zeuge dieses stummen Spiels geworden wäre, hätte keinen Augenblick gezweifelt, welches der beiden Geschöpfe auf dem Bett die überlegene Intelligenz war. Der Mann, der die gute, orangefarbene Nachricht mitgebracht hatte, zog einen Stuhl dicht ans Bett und wartete geduldig, bis Ripley Notiz von ihm nahm. Er war in den Dreißigern, gutaus-
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sehend, ohne auffallend zu sein, und trug einen schlichten Geschäftsanzug. Sein Lächeln war nicht mehr und nicht weniger wirklich als das der Med-Tech, auch wenn er mehr Übung darin hatte. Irgendwann erkannte Ripley seine Gege nwart mit einem Nicken an, beschränkte aber ihr Gespräch weiterhin auf die Katze. Ihr Besucher sagte sich, es sei an ihm, den ersten Schritt zu tun, wenn er für mehr gehalten werden wollte als für einen Botenjungen. »Hübsches Zimmer«, sagte er, ohne es ehrlich zu meinen. Er wirkte wie ein Junge vom Lande, redete aber nicht so, dachte Ripley, als er den Stuhl noch ein wenig näher zu ihr heranschob. »Ich bin Burke. Carter Burke. Ich arbeite für die Gesellschaft, aber davon abgesehen bin ich ein ganz anständ iger Bursche. Freut mich, daß Sie sich besser fühlen.« Zumindest das letzte klang so, als meine er es ehrlich. »Wer sagt, daß ich mich besser fühle?« Sie streichelte Jones, der zufrieden schnurrte und das sterile Bett ungeniert mit Katzenhaaren verunreinigte. »Ihre Ärzte und die Maschinen. Wie man mir sagte, werden die Schwäche und die Verwirrtheit bald vorübergehen, aber so verwirrt sehen Sie mir gar nicht aus. Nebenwirkungen des ungewöhnlich langen Hyperschlafes oder so was Ähnliches. Biologie war nicht unbedingt mein Lieblingsfach. Zahlen und Maße haben mir mehr gelegen. Die Ihren scheinen sich zum Beispiel recht gut gehalten zu haben.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf die Bettdecke. »Hoffentliche sehe ich besser aus, als ich mich fühle, denn ich fühle mich wie das Innere einer ägyptischen Mumie. Sie sagten >ungewöhnlich langer Hyperschlaf<. Wie lange war ich denn da draußen?« Sie machte eine Bewegung zu der MedTech hin, die sie beobachtete. »Die wollen mir nichts sagen.« Burkes Stimme klang beschwichtigend, väterlich. »Nun, vielleicht sollten Sie sich darüber jetzt auch noch keine
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Gedanken machen.« Ripleys Hand schoß unter der Decke hervor und packte seinen Arm. Die Schnelligkeit ihrer Reaktion und die Stärke ihres Griffs überraschten ihn sichtlich. »Lassen Sie das Gequatsche! Ich bin bei Bewußtsein und brauche nicht mehr gehätschelt zu werden. Wie lange?« Er warf einen Blick zur Med-Tech hinüber. Die hob die Schultern und wandte sich ab, um sich einem unverständlichen Wirrwarr von Lichtern und Röhren zu widmen. Als er wieder zu der Frau im Bett hinsah, merkte er, daß er seinen Blick nicht von dem ihren lösen konnte. »Also schön. Ist zwar nicht meine Sache, es Ihnen zu sagen, aber meine Instinkte meinen, Sie sind kräftig genug, um damit fertigzuwerden. Siebenundfünfzig Jahre.« Die Zahl traf sie wie ein Hammerschlag. Siebenundfünfzig Hämmer zuviel. Es traf sie härter als das Aufwachen, härter als der erste Blick auf ihre Heimatwelt. Sie schien in sich zusammenzufallen, gleichzeitig Kraft und Farbe zu verlieren, sank auf die Matratze zurück. Plötzlich kam ihr die künstliche Schwerkraft der Station dreimal so hoch vor wie auf der Erde, sie wurde nach hinten und unten gedrückt. Das luftgefüllte Polster, auf dem sie ruhte, blähte sich um sie auf, drohte, ihr die Luft abzuschnüren und sie zu ersticken. Die Med-Tech warf einen Blick auf ihre Warnlampen, doch keine flammte auf. Siebenundfünfzig Jahre! Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hatte sie im Tiefschlaf geträumt, und währenddessen waren Freunde, die sie zurückgelassen hatte, alt geworden und gestorben, Familienangehörige herangewachsen und verblüht, hatte sich die Welt, die sie zurückgelassen hatte, in wer weiß was verwandelt. Regierungen waren an die Macht gekommen und wieder gestürzt worden, man hatte neue Erfindungen auf den Markt geworfen, sie waren überholt und ausrangiert
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worden. Niemand hatte jemals mehr als fünfundsechzig Jahre im Hyperschlaf überlebt. Wenn es länger dauerte, begann der Körper so zu verfallen, daß die Kühltruhen ihn nicht mehr am Leben erhalten konnten. Sie hatte also knapp überlebt, war an die Grenzen des physiologisch Möglichen gestoßen nur um zu erkennen, daß sie das Leben überlebt hatte. »Siebenundfünfzig o Jesus!« »Sie sind direkt durch die Kernsysteme der Galaxis getrieben«, erklärte Burke ihr gerade. »Ihr Funksignal war ausgefallen. Es war blinder Zufall, daß dieses Tiefraumbergungsteam Sie erwischt hat, als es ...« Er zögerte. Sie war plötzlich bleich geworden, riß die Augen auf. »Alles in Ordnung?« Sie hustete einmal, dann ein zweitesmal, stärker. Da war ein Druck auf ihrem Gesicht wechselte Besorgnis zu aufdämmerndem Entsetzen. Burke wollte ihr ein Glas Wasser vom Nachttisch reichen, aber sie schlug es weg. Es fiel zu Boden und zerschellte. Jones sprang mit gesträubtem Fell jaulend und fauchend zu Boden. Seine Klauen kratzten schnell über das glatte Plastik, als er hastig vom Bett wegzappelte. Ripley griff sich an die Brust, ihr Rücken bog sich durch, die Krämpfe begannen. Sie sah aus, als würde sie ersticken. Die Med-Tech schrie ins Rundstrahlmikrophon: »Kode Blau auf Vier-Fünfzehn! Kode Blau, Vier, Eins, Fünf!« Sie und Burke umklammerten Ripleys Schultern, als die Patientin sich gegen die Matratze warf. Sie ließen auch nicht los, als ein Arzt und zwei weitere Techniker in den Raum gerannt kamen. Es konnte nicht sein! Es konnte nicht! »Nein - neiiin!« Die Techniker versuchten, ihr Fesseln um die Arme und Beine zu legen, während sie wild um sich schlug. Bettdecken flogen davon. Mit einem Fuß stieß sie einen Med-Tech zu Boden, mit dem anderen zertrümmerte sie das seelenlose
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Glasauge eines Monitorgeräts. Unter einem Schrank hervor funkelte Jones sein Frauchen zornig an und fauchte. »Festhalten!« schrie der Arzt. »Ein Luftrohr, schnell! Und fünfzehn ccm … Jesus!« Ein Blutschwall färbte plötzlich das oberste Laken rot, und die Leintücher begannen, sich hochzuwölben, als unter ihnen etwas aufstieg. Ungläubig wichen der Arzt und die Techniker zurück. Das Laken hob sich weiter. Ripley sah deutlich, wie das Laken wegglitt. Die Med-Tech fiel in Ohnmacht. Der Doktor gab würgende Laute von sich, als der augenlose, mit Zähnen bewehrte Wurm sich vollends aus dem zerrissenen Brustkorb der Patientin schob. Er drehte sich langsam, bis sein zahnstarrender Mund nur einen Fuß vom Gesicht seines Wirts entfernt war, und schrillte durchdringend. Der Laut übertönte alles, was in dem Raum menschlich war, erfüllte Ripleys Ohren, überlastete ihre betäubte Hirnr inde, hallte wider, schallte durch ihr ganzes Sein, sie ... ... setzte sich schreiend auf, ihr Körper schnellte im Bett in eine aufrechte Stellung. Sie war allein in dem dunklen Krankenzimmer. Farbige Lichter strahlten von den insektenähnlichen Punkten leuchtender Computeranzeigen. Sie drückte in einer erbarmungswürdigen Geste die Hände an die Brust und rang um den Atem, den ihr der Alptraum genommen hatte. Ihr Körper war unversehrt: Brustbein, Muskeln, Brüste, Sehnen und Bänder, alles war an Ort und Stelle und funktionierte. Kein wahnsinniges Scheusal sprengte sich aus ihrem Rumpf, keine obszöne Geburt war im Gange. Ihre Augen bewegten sich zuckend in ihren Höhlen, als sie sich im Raum umblickte. Nichts lauerte auf dem Boden, nichts versteckte sich hinter den Schränken und wartete, bis sie ihre Deckung aufgab. Nur stumme Maschinen, die ihr Leben überwachten, und das bequeme Bett, das es enthielt. Schweiß lief ihr am Körper herunter, obwohl es im Raum angenehm kühl war. Sie drückte
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eine Faust schützend gegen ihr Brustbein, als wolle sie sich beständig versichern, daß es immer noch unversehrt war. Sie fuhr leicht zusammen, als der Videomonitor, der über dem Bett hing, zum Leben erwachte. Eine ältere Frau blickte beunruhigt auf sie nieder. Die Nacht-Med-Tech. Ihr Gesicht drückte ehrliche, nicht nur berufsmäßige Besorgnis aus. »Wieder schlimme Träume? Möchten Sie etwas zum Schlafen?« Ein Robotarm sprang schwirrend links neben Ripleys Arm an. Sie betrachtete ihn voll Abscheu. »Nein. Ich habe genug geschlafen.« »Gut. Das müssen Sie selbst am besten wissen. Wenn Sie es sich anders überlegen, brauchen Sie nur auf die Klingel neben dem Bett zu drücken.« Sie schaltete ab. Der Bildschirm wurde dunkel. Ripley lehnte sich langsam gegen den erhöhten, oberen Teil der Matratze und berührte einen der zahlreichen Knöpfe, die in die Seite ihres Nachttisches eingelassen wäre. Wieder glitt die IIlusoplatte, die die gegenüberliegende Wand kaschierte, in die Decke. Sie konnte hinausschauen. Da war der Teil von Gateway, jetzt von nächtlichen Lichtern strahlend hell erleuchtet, und dahinter die in Nacht gehüllte Kugel der Erde. Wolkenfetzen verbargen ferne Lichtpunkte. Städte, wimmelnd von glücklichen Menschen, in seliger Unkenntnis der nackten Realität, die ein gleichgültiger Kosmos war. Etwas landete neben ihr auf dem Bett, aber diesmal fuhr sie nicht zusammen. Es war eine vertraute, fordernde Gestalt, und sie drückte sich fest an sie, ohne das beiläufig protestierende Miauen zu beachten. Schon gut, Jones. Wir haben es überstanden, wir sind in Sicherheit. Tut mir leid, daß ich dich erschreckt habe. Jetzt wird alles gut. Ganz bestimmt kommt alles in Ordnung.« Ja, in Ordnung, nur mußte sie wieder von neuem lernen, wie
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man schläft. Sonnenschein strömte durch den Pappelhain. Hinter den Bäumen war eine Wiese zu sehen, grüne Stengel, dazwischen bunte Tupfer von Glockenblumen, Gänseblümchen und Phlox. Ein Rotkehlchen tänzelte nahe am Fuß eines Baumes herum und suchte nach Insekten. Es bemerkte offenbar den sehnigen Räuber nicht, der sich mit gespanntem Blick und gestrafften Muskeln anschlich. Der Vogel kehrte ihm den Rücken, und der Jäger sprang. Jones krachte in das Illuso des Rotkehlchens, er machte weder Beute, noch zerstörte er das Bild, das seine Suche nach BildInsekten ungerührt fortsetzte. Der Kater schüttelte verstört den Kopf und taumelte zurück. Ripley saß in der Nähe auf einer Bank und sah dem Spiel der Katze zu. »Dummkopf? Kannst du denn immer noch kein Illuso von der Wirklichkeit unterscheiden, wenn du eines siehst?« Aber vielleicht sollte sie nicht zu streng sein mit der Katze. Die Illuso-Designs hatten sich in den vergangenen siebenundfünfzig Jahren gewaltig verbessert. Alles war in den vergangenen siebenundfünfzig Jahren verbessert worden. Bis auf sie und Jones. Glastüren trennten das Atrium vom Rest von Gateway Station ab. Von dem teuren Illuso eines nordamerikanischen Waldes der gemäßigten Zone hoben sich die Topfpflanzen und das kränkliche Gras am Boden ab. Das Illuso sah echter aus als die echten Pflanzen, aber letztere rochen wenigstens ehrlich. Sie beugte sich über einen Topf. Erde und Feuchtigkeit und wachsende Pflanzen. Der Geruch von Kohl und Königen, dachte sie verdrießlich. Mist! Sie wollte von Gateway weg. Die Erde war verlockend nahe, und sie sehnte sich danach, blauen Himmel zwischen sich und die schreckliche Leere des Weltraums zu bringen. Zwei der Glastüren, die das Atrium abtrennten, teilten sich,
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und Carter Burke trat ein. Einen Augenblick lang ertappte sie sich dabei, wie sie ihn als Menschen und nicht nur als Null der Gesellschaft betrachtete. Vielleicht war das ein Zeichen, daß sie allmählich wieder normal wurde. Das Wissen, daß er erst zwei Jahrzehnte, nachdem die >Nostromo< ihre Unglücksfahrt angetreten hatte, geboren worden war, milderte ihr Urteil über ihn. Eigentlich hätte es nichts ausmachen dürfen. Körperlich waren sie beide ungefähr im gleichen Alter. »Entschuldigung.« Immer das fröhliche Lächeln. »Ich bin schon den ganzen Morgen zu spät dran. Endlich konnte ich wegkommen.« Ripley hatte sich nie auf belangloses Geplauder verstanden. Jetzt schien ihr das Leben mehr denn je zu kostbar, um es auf inhaltsloses Geplapper zu verschwenden. Warum konnten die Leute nicht einfach sagen, was sie zu sagen hatten, anstatt fünf Minuten um ein Thema herumzutanzen? »Haben Sie meine Tochter schon ausfindig gemacht?« Burke machte ein verlegenes Gesicht. »Tja, ich wollte damit bis nach der Untersuchung warten.« »Ich warte seit siebenundfünfzig Jahren. Ich bin ungeduldig. Also lassen Sie mir meinen Willen!« Er nickte, stellte seinen Aktenkoffer ab und ließ den Deckel aufschnappen. Nachdem er eine Minute darin herumgekramt hatte, zog er mehrere dünne Plastikblätter hervor. »Ist sie ...?« Burke las laut von einem der Blätter ab. »Amanda RipleyMcClarren. Das ist wohl der Ehename. Alter Sechsundsechzig - zum Zeitpunkt des Todes. Das war vor zwei Jahren. Wir haben hier die ganze Lebensgeschichte. Nichts Sensationelles oder sonderlich Bemerkenswertes. Einzelheiten eines angenehmen, normalen Lebens. Wie es die meisten von uns führen, nehme ich an. Es tut mir leid.« Er reichte Ripley die Blätter und studierte ihr Gesicht, während sie die Ausdrucke überflog.
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»Das ist wohl heute so ein Morgen, an dem mir ständig etwas leid tut.« Ripley studierte die Holographie, die auf eines der Blätter aufgedruckt war. Sie zeigte eine rundliche, etwas blasse Frau Mitte der Sechzig. Hätte jedermanns Tante sein können. An dem Gesicht war nichts Besonderes, nichts, was einem entgegensprang und auffallend bekannt vorkam. Es war unmöglich, das Bild dieser älteren Frau mit der Erinnerung an das kleine Mädchen zu versöhnen, das sie zurückgelassen hatte. »Amy«, flüsterte sie. Burke hielt immer noch ein paar Blätter in der Hand und las leise, während sie weiter das Hologramm anstarrte. »Krebs. Hmmm. Alle Abarten davon hat man immer noch nicht besiegt. Leiche wurde verbrannt. In der Parkside Gedenkstätte, Little Chute, Wisconsin beigesetzt. Keine Kinder.« Ripley schaute an ihm vorbei zu dem Wald-Illuso hinüber, ohne es jedoch wahrzunehmen. Sie starrte in die unsichtbare Landschaft der Vergangenheit. »Ich habe ihr versprochen, zu ihrem Geburtstag zu Hause zu sein. Ihrem elften Geburtstag. Den habe ich jedenfalls versäumt.« Sie warf noch einen Blick auf das Bild. »Nun ja, sie hatte schon gelernt, meine Versprechungen mit Vorsicht zu genießen, jedenfalls, was Flugpläne anging.« Burke nickte, bemühte sich, Mitgefühl zu zeigen. Das fiel ihm schon unter gewöhnlichen Umständen schwer, und an diesem Vormittag noch mehr. Wenigstens hatte er soviel Verstand, den Mund zu halten, anstatt die üblichen, höflichen Nichtigkeiten zu murmeln. »Man glaubt immer, man kann es wiedergutmachen später, wissen Sie.« Sie holte tief Atem. »Aber jetzt kann ich es nicht mehr. Ich kann es nie mehr.« Nun kamen die Tränen, lange überfällig. Siebenundfünfzig Jahre überfällig. Sie saß auf der Bank und schluchzte leise vor sich hin, allein jetzt, in einem
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anderen Weltraum. Schließlich klopfte Burke ihr beruhigend auf die Schulter, der Ausbruch war ihm peinlich, und er gab sich alle Mühe, sich das nicht anmerken zu lassen. »Die Verhandlung ist auf 09:30 angesetzt. Sie sollten nicht zu spät kommen. Das würde gleich zu Anfang keinen guten Eindruck machen.« Sie nickte, stand auf. »Jones. Jonesey, komm her!« Miauend schlenderte der Kater herüber und ließ sich von ihr aufheben. Sie wischte sich verlegen die Augen. »Ich muß mich umziehen. Wird nicht lange dauern.« Sie rieb die Nase am Rücken des Tiers, eine kleine Ausschreitung, die Jones schweigend über sich ergehen ließ. »Soll ich Sie zu Ihrem Zimmer begleiten?« »Sicher, warum nicht?« Er drehte sich um und ging auf den richtigen Korridor zu. Die Türen öffneten sich und gestatteten ihnen, das Atrium zu verlassen. »Sie wissen, daß die Katze so etwas wie ein Sonderprivileg ist. Auf Gateway sind Haustiere nicht erlaubt.« »Jones ist kein Haustier.« Sie kraulte den Kater hinter den Ohren. »Er ist ein Überlebender.« Wie Ripley versprochen hatte, war sie früh genug fertig. Burke beschloß, vor ihrem Privatzimmer auf sie zu warten und seine Berichte zu studieren, bis sie erschien. Die Verwandlung war beeindruckend. Verschwunden war die bleiche, wächserne Haut, verschwunden der bittere Ausdruck und der unsichere Schritt. Entschlossenheit, fragte er sich, während sie zum Hauptkorridor gingen. Oder nur raffiniertes Makeup? Sie sprachen nicht miteinander, bis sie sich dem Untergeschoß näherten, wo der Verhandlungsraum lag. »Was werden Sie ihnen sagen?« fragte er schließlich. »Was gibt es zu sagen, das nicht schon gesagt wurde? Sie haben meine Aussage gelesen. Sie ist vollständig und genau. Keine Ausschmückungen. Ausschmückungen waren nicht
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nötig.« »Wissen Sie, ich glaube Ihnen ja, aber da drin werden ein paar hohe Tiere sitzen, und von denen wird jeder versuchen, Ihre Geschichte zu durchlöchern. Da sind FBI-Leute, da ist die Interstellare Handelskommission, da ist die Kolonialbehörde, da sind die Leute von der Versicherungsgesellschaft ...« »Ich verstehe.« »Erzählen Sie ihnen nur, was passiert ist. Wichtig ist, daß Sie gelassen bleiben und keine Gefühle zeigen.« Sicher, dachte sie. Alle ihre Freunde, Schiffsgefährten und Verwandten waren tot, und sie hatte siebenundfünfzig Jahre Wirklichkeit an einen Schlaf verloren, der sie nicht belebte. Gelassen bleiben und keine Gefühle zeigen. Sicher. Trotz ihrer Entschlossenheit war sie, als es Mittag wurde, alles andere als gelassen und beherrscht. Die Wiederholung immer der gleichen Fragen, die gleichen idiotischen Zweifel an den Fakten, wie sie sie dargestellt hatte, die gleiche erschöpfende Untersuchung nebensächlicher Punkte, wobei die wichtigen unberührt blieben, all das kam zusammen und machte sie frustriert und wütend. Während sie mit den düsteren Inquisitoren sprach, zeigte der große Videoschirm hinter ihr Fotos und Dossiers. Sie war froh, daß er sich hinter ihr befand, denn die Gesichter waren die der Besatzung. Da war Parker, grinsend wie ein Idiot. Und Brett, ruhig und gelangweilt, während die Kamera ihre Pflicht tat. Auch Kane war da, und Lambert. Und Ash, der Verräter, das nichtssagende Gesicht von eingeübter heuchlerischer Frömmigkeit übergössen. Und Dallas ... Dallas. Besser, das Bild war hinter ihr, genau wie die Erinnerungen. »Habt ihr denn alle Schmalz in den Ohren oder was?« fauchte sie schließlich. »Wir sitzen jetzt seit drei Stunden hier. Auf wie viele verschiedene Arten soll ich denn ein und dieselbe
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Geschichte noch erzählen? Wenn Sie meinen, auf Kisuaheli klingt sie besser, dann besorgen Sie mir einen Dolmetscher, und ich erzähle es noch auf Kisuaheli. Ich würd's ja auch mit japanisch versuchen, aber ich bin aus der Übung. Und Geduld habe ich auch keine mehr. Wie lange brauchen Sie denn noch, um sich endlich zu einer Kollektiventscheidung durchzuringen?« Van Leuwen legte die Finger aneinander und runzelte die Stirn. Seine Miene war so grau wie sein Anzug. Der Ausdruck auf den Gesichtern der anderen Ausschußmitglieder war fast der gleiche. Sie waren zu acht im offiziellen Untersuchungsausschuß, und in dem ganzen Haufen war ihr kein einziger freundlich gesinnt. Leitende Angestellte. Verwaltungsbeamte. Sachverständige. Wie konnte sie da überzeugen? Das waren keine Menschen. Sie waren der Ausdruck bürokratischer Mißbilligung. Beamtenärsche. Phantome. Sie war daran gewöhnt, sich mit der Realität zu befassen. Die Feinheiten firmenpolitischer Manöver gingen über ihren Horizont. »Das alles ist nicht so einfach, wie Sie anscheinend glauben«, sagte er ruhig. »Betrachten Sie die Sache doch einmal von unserer Warte aus. Sie geben offen zu, daß Sie die Motoren eines interstellaren Frachtschiffs der M-Klasse haben explodieren lassen und somit das Schiff zerstört haben. Wissen Sie, das ist ein ziemlich teures Stück Metall.« Der Schadensermittler von der Versicherung war vielleicht das unzufriedenste Mitglied des ganzen Ausschusses. »Zweiundvierzig Millionen angeglichene Dollar. Ohne Fracht natürlich. Bei Maschinenexplosion bleibt nichts zum Bergen übrig, selbst wenn wir nach siebenundfünfzig Jahren die Überreste noch ausfindig machen könnten.« Van Leuwen nickte zerstreut, dann fuhr er fort: »Wir wollen nicht etwa sagen, daß Sie lügen. Der Recorder des RettungsShuttles bestätigt einige Teile Ihres Berichts. Die am wenigsten
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umstrittenen. Daß die >Nostromo< auf LV426 landete, einem nicht vermessenen und bis dahin nicht angeflogenen Planeten, zu der Zeit und dem Datum, die Sie anführten. Daß Reparaturen vorgenommen wurden. Daß sie nach einem kurzen Aufenthalt wieder auf Kurs ging, in der Folge auf Selbstzerstörung geschaltet wurde und daß es tatsächlich dazu kam. Daß der Befehl zur Überladung der Motoren von Ihnen gegeben wurde. Aus unbekannten Gründen.« »Hören Sie, ich habe Ihnen doch gesagt ...« Van Leuwen unterbrach sie, weil er das schon gehört hatte. »Er enthielt jedoch keine Einträge bezüglich der fremden, feindlichen Lebensform, die Sie angeblich während Ihres kurzen Aufenthalts auf der Oberfläche des Planeten aufgenommen haben.« »Wir haben sie nicht aufgenommen«, schoß sie zurück. »Wie ich Ihnen schon sagte, ist sie ...« Sie brach ab und starrte in die abweisenden Gesichter, die ihren Blick mit strengen Mienen erwiderten. Sie konnte sich den Atem sparen. Das war kein Untersuchungsausschuß, das war eine formelle Totenwache, ein Leichenschmaus. Das Ziel war hier nicht, in der Hoffnung auf Rechtfertigung die Wahrheit festzustellen, sondern hier sollten Unebenheiten ausgebügelt und die Landschaft wieder schön sauber gemacht werden. Und sie konnte, verdammt noch mal, nicht das mindeste dagegen tun, das sah sie jetzt. Über ihr Schicksal war schon entschieden worden, ehe sie noch einen Fuß in den Raum gesetzt hatte. Das Verhör war eine Show, die Fragen Heuchelei - nur ein zufriedenstellendes Protokoll hinzubügeln. »Dann ist jemand an den Recorder drangekommen und hat rumgebastelt. Ein fähiger Techniker könnte das in einer Stunde. Wer hatte Zugang dazu?« Der Vertreter der Extrasolaren Kolonialbehörde war eine Frau in einer weniger schönen Hälfte der Fünfzig. Zuvor hatte sie
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gelangweilt dreingeschaut. Jetzt saß sie nur auf ihrem Stuhl und schüttelte zweifelnd den Kopf. »Würden Sie sich bitte einmal einen Augenblick lang selbst zuhören? Erwarten Sie wirklich, daß wir einiges von dem glauben, was Sie uns da erzählt haben? Zuviel Hyperschlaf kann im Gehirn alle möglichen komischen Sachen anrichten.« Ripley funkelte sie an, wütend über ihre eigene Hilflosigkeit. »Wollen Sie ein paar komische Sachen hören?« Van Leuwen trat dazwischen, indem er sagte: »Das Analys eteam, das Ihr Shuttle Zentimeter für Zentimeter untersucht hat, fand keine Anzeichen für das Geschöpf, das Sie beschrieben haben, und auch sonst nichts in dieser Richtung. Kein Schaden im Innern des Schiffes. Keine Verätzung von Metallflächen, die von einer unbekannten, korrosiven Substanz verursacht worden sein könnten.« Ripley hatte sich den ganzen Vormittag beherrscht und auch die dümmsten Fragen mit Geduld und Verständnis beantwortet. Die Zeit für vernünftiges Verhalten war jetzt zu Ende, und mit ihrem Geduldsvorrat war es ebenso. »Das kommt daher, daß ich es durch die gottverdammte Luftschleuse rausgeblasen habe!« Sie beruhigte sich ein wenig, als diese Erklärung mit Grabesstille aufgenommen wurde. »Wie ich schon sagte.« Der Mann von der Versicherung beugte sich vor und blinzelte über den Tisch hinweg die Vertreterin der EKB an. »Leben auf LV-426 irgendwelche Gattungen wie dieser feindliche Organismus?« »Nein.« Die Frau strahlte Zuversicht aus. »Es ist ein Felsen. Keine einheimischen Lebensformen, die größer wären als ein einfaches Virus. Bestimmt nichts Komplexes. Nicht einmal Plattwürmer. Hat es nie gegeben und wird es nie geben.« Ripley knirschte mit den Zähnen in dem Bemühen, ruhig zu bleiben. »Ich sagte doch schon, daß es keine einheimische
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Lebensform war.« Sie versuchte, den beiden in die Augen zu sehen, aber die wichen aus, und so konzentrierte sie sich auf Van Leuwen und die Vertreterin der EKB. »Da war ein Signal, das von der Oberfläche kam. Der Scanner der >Nostromo< hat es aufgefangen und uns, wie es die Standarddienstvorschrift verlangt, aus dem Hyperschlaf geweckt. Als wir dem Signal nachgingen, fanden wir ein außerirdisches Raumschiff, wie weder Sie noch sonst jemand es jemals gesehen hat. Auch das war auf dem Recorder. Das Schiff war ein Wrack. Abgestürzt, verlassen, wir haben es nie herausgefunden. Wir steuerten auf sein Funksignal zu. Wir fanden den Piloten des Schiffes, auch er war anders als alles, was man bis dahin getroffen hatte. Er saß tot in seinem Stuhl und hatte in der Brust ein Loch von der Größe eines Schweißtanks.« Vielleicht beunruhigte diese Geschichte die Vertreterin der EKB. Vielleicht hatte sie es auch satt, sie zum x-ten Mal zu hören. Was immer es war, sie fand, jetzt sei es an ihr, zu antworten. »Um völlig offen zu sein, wir haben mehr als dreihundert Welten vermessen, und niemand hat jemals die Existenz eines Wesens gemeldet, das, mit Ihren Worten«, und sie beugte sich vor, um aus ihrem Exemplar von Ripleys formeller Aussage vorzulesen, »in einem lebendigen, menschlichen Wirt heranreift und konzentrierte molekulare Säure als Blut hat.« Ripley warf einen Blick auf Burke, der schweigend, mit zusammengepreßten Lippen am anderen Ende des Tisches saß. Er war kein Angehöriger des Untersuchungsausschusses und hatte sich daher während der Befragung still verhalten. Und er hätte auch nichts tun können, um ihr zu helfen. Alles hing davon ab, wie ihre offizielle Version vom Ende der >Nostromo< aufgenommen wurde. Ohne die Bestätigung vom Schiffsrecorder des Shuttle konnte sich der Ausschuß nur auf ihr Wort
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stützen, und es war von Anfang an klargemacht worden, wie wenig Gewicht man dem zuzugestehen gedachte. Sie fragte sich von neuem, wer wohl an dem Recorder herumgebastelt hatte, und warum. Vielleicht hatte er auch einfach von sich aus eine Panne gehabt. Im Augenblick war das nicht besonders wichtig. Sie hatte das Spiel satt. »Hören Sie, ich merke schon, worauf das alles hinausläuft.« Sie lächelte fast, eine absolut humorlose Grimasse. Jetzt lief das Spiel, und sie würde es zu Ende führen, obwohl sie keine Chance hatte, es zu gewinnen. »Die ganze Sache mit dem Androiden, und warum wir dem Signal überhaupt folgten, alles paßt zusammen, auch wenn ich es nicht beweisen kann.« Sie schaute den Tisch hinunter, und jetzt grinste sie wirklich. »Jemand will Ash decken, und so hat man beschlossen, daß der Dreck an mir hängenbleiben soll. Na schön. Aber es gibt etwas, das können Sie nicht ändern, eine Tatsache, die Sie nicht wegmanipulieren können. Diese Wesen existieren. Mich können Sie auslöschen, aber das können Sie nicht auslöschen. Dort, auf diesem Planeten, steht ein Alien-Schiff, und auf diesem Schiff sind Tausende von Eiern. Tausende. Begreifen Sie? Haben Sie eine Ahnung, was das bedeutet? Ich schlage vor, Sie fliegen mit einer Expedition hin und suchen es, mit Hilfe der Daten aus dem Schiffsrecorder, und finden Sie es schnell. Finden Sie es und erledigen Sie es, am besten mit einer Atombombe aus dem Orbit, ehe eines von Ihren Vermessungsteams mit einer kleinen Überraschung zurückkommt!« »Vielen Dank, Officer Ripley«, begann van Leuwen, »aber das …« »Denn eines dieser Wesen«, fuhr sie fort, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, »hat es fertiggebracht, innerhalb von zwölf Stunden nach dem Ausschlüpfen die gesamte Besatzung zu töten.«
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Der Verwaltungsbeamte erhob sich. Ripley war nicht die einzige im Raum, deren Geduld am Ende war. »Danke. Das reicht.« »Das reicht eben nicht, verdammt noch mal!« Sie stand auf und funkelte ihn an. »Wenn diese Wesen hierherkommen, dann reicht es wirklich! Dann können Sie der schönen Welt adieu sagen, mein Junge! Endgültig adieu!« Die Vertreterin der EKB wandte sich ruhig an den Verwaltungsbeamten. »Ich glaube, wir haben genügend Information, um darauf eine Entscheidung zu gründen. Ich meine, es ist Zeit, daß wir die Untersuchung abschließen und uns zur Beratung zurückziehen.« Van Leuwen warf einen Blick auf die übrigen Ausschußmitglieder. Er hätte genausogut auf Spiegelbilder seiner selbst schauen können, trotz aller oberflächlichen Unterschiede in Gesicht und Körperbau. Von der Geisteshaltung her waren sie alle gleich: karrierebewußt, pedantisch und absolut phantasielos - Bürokraten. Aber das war etwas, was man nicht offen ausdrücken konnte. Es würde im Protokoll nicht gut aussehen. Und das wichtigste war, daß im Protokoll alles gut aussah. »Meine Damen und Herren?« Zustimmendes Nicken. Er schaute wieder auf das zur Debatte stehende Subjekt hinunter. Das zu sezierende Subjekt wäre zutreffender, dachte sie ironisch. »Officer Ripley, wenn Sie uns bitte entschuldigen würden?« »Unwahrscheinlich.« Zitternd vor Enttäuschung drehte sie sich um und wollte den Raum, verlassen. Dabei hefteten sich ihre Augen auf das Bild von Dallas, das ausdruckslos vom Videoschirm herunterstarrte. Kapitän Dallas. Freund Dallas. Liebhaber Dallas. Toter Dallas. Wütend verließ sie den Raum.
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Es gab nichts mehr zu tun oder zu sagen. Man hatte sie für schuldig befunden, und jetzt machte man ihr pro forma einen ehrlichen Prozeß. Formalitäten. Die Gesellschaft und ihre Freunde hingen an ihren Formalitäten. Gegen Tod und Tragödien war nichts einzuwenden, solange man alles Gefühlsmäßige sauber daraus entfernen konnte. Dann konnte man es gefahrlos in den Jahresbericht setzen. Deshalb mußte man die Untersuchung durchführen und die Gefühle in keimfrei gemachte Zahlen in ordentlichen Reihen übersetzen. Ein Urteil mußte gefällt werden. Aber nicht zu laut, sonst bekamen es die Nachbarn mit. Nichts von alledem störte Ripley wirklich. Das bevorstehende Ende ihrer Karriere regte sie nicht auf. Was sie nicht verzeihen konnte, war die blinde Dummheit, die die Allmächtigen in dem Raum, den sie soeben verlassen hatte, vor sich hertrugen. Sie glaubten ihr nicht. Bei ihrer konservativen Geisteshaltung und bei dem Fehlen eindeutiger Beweise konnte sie das verstehen. Aber daß sie ihre Geschichte völlig ignorierten, sich weigerten, sie nachzuprüfen, das konnte sie niemals verzeihen. Denn es stand verdammt viel mehr auf dem Spiel als ein lausiges Leben, eine bescheidene Karriere als Deckoffizier auf einem Frachtschiff. Und ihnen war es egal. Es war nichts als Gewinn oder Verlust auszuweisen, und deshalb war es ihnen egal. Sie versetzte der Wand neben Burke einen Tritt, als er aufstand, um Kaffee und Krapfen aus einem Automaten in der Halle zu holen. Die Maschine bedankte sich höflich, als sie seine Kreditkarte in Empfang nahm. Wie praktisch alles auf Gateway Station hatte die Maschine keinen Geruch. Auch die schwarze Flüssigkeit nicht, die sie ausschenkte. Was die angeblichen Krapfen anging, so mochten sie einmal über ein Weizenfeld geflogen sein. »Sie haben Ihnen aus der Hand gefressen, Kindchen.« Burke versuchte, sie aufzuheitern. Sie war dankbar für den Versuch,
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auch wenn er fehlschlug. Aber sie hatte keinen Grund, ihren Zorn an ihm auszulassen. Vielfachzucker und künstliche Sahne verliehen dem Ersatzkaffee ein wenig Geschmack. »Sie hatten schon entschieden, ehe ich da überhaupt hineinging. Ich habe einen ganzen Vormittag verschwendet. Sie hätten für jeden, mich eingeschlossen, ein Skript drucken lassen sollen, aus dem man vorlesen konnte. Wäre einfacher gewesen, nur aufzusagen, was sie hören wollten, statt sich an die Wahrheit zu erinnern.« Sie schaute ihn an. »Wissen Sie, was die glauben?« »Ich kann es mir vorstellen.« Er biß in einen Krapfen. »Die glauben, ich bin nicht ganz richtig im Kopf.« »Sie sind nicht ganz richtig im Kopf«, erklärte er fröhlich. »Nehmen Sie einen Krapfen. Schokolade oder Buttermilch?« Sie musterte den vorgefertigten Ballen, den er ihr hinhielt, voll Ekel. »Schmeckt man den Unterschied?« »Eigentlich nicht, aber die Farben sind ganz hübsch.« Sie grinste nicht, aber sie verspottete ihn auch nicht. Die Beratung dauerte nicht lange. Dazu bestand auch kein Grund, dachte sie, als sie den Raum wieder betrat und ihren Platz einnahm. Burke setzte sich auf die andere Seite des Zimmers. Er wollte ihr zuzwinkern, überlegte es sich dann aber anders. Sie erkannte das Augenzucken als das, was es fast geworden wäre, und war froh, daß er es nicht beendet hatte. Van Leuwen räusperte sich. Er hielt es nicht für nötig, die übrigen Mitglieder des Untersuchungsausschusses Unterstützung heischend anzublicken. »Dieser Untersuchungsausschuß ist zu dem Resultat gelangt, daß Deckoffizier Ellen Ripley, NOC-14672, eine fragwürdige Entscheidung getroffen hat, es wird ihr daher die Befähigung aberkannt, eine IHK-Lizenz als Offizier für Handelsschlepper zu führen.« Wenn jemand eine Reaktion von der Verurteilten erwartet
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hatte, so wurde er enttäuscht. Sie saß da und starrte alle schweigend an, trotzig, mit zusammengepreßten Lippen. Wahrscheinlich war man darüber eher erleichtert. Gefühlsausbrüche hätte man im Protokoll vermerken müssen. Van Leuwen fuhr fort, ohne sich bewußt zu sein, daß Ripley ihn wieder mit einem schwarzen Umhang und einer Kapuze ausgestattet hatte. »Besagte Lizenz wird daher auf unbestimmte Zeit aufgehoben, vorbehaltich einer Überprüfung zu einem späteren Zeitpunkt, der noch genauer zu bestimmen sein wird.« Er befreite zuerst seine Kehle, dann sein Gewissen. »In Anbetracht der unge wöhnlich langen Zeit, die Deckoffizier Ellen Ripley im Hyperschlaf verbrachte, und angesichts der begleitenden, nicht genau zu bestimmenden Auswirkungen auf das menschliche Nervensystem wird im Augenblick von einer Anklageerhebung abgesehen.« Im Augenblick, dachte Ripley, ohne es komisch zu finden. Das hieß auf Gesellschaftschinesisch: >Halt den Mund und bleib von den Medien weg, dann kannst du deine Pension vielleicht doch noch kassieren!< »Sie werden auf freien Fuß gesetzt, wenn Sie sich verpflichten, eine sechsmonatige psychometrische Bewährungsfrist einzuhalten, die eine monatliche Überprüfung durch einen zugelassenen Psychiatrie-Techniker der IHK und eine Behandlung und/oder Medikation, je nach Verordnung, einschließt.« Es war kurz, bündig und überhaupt nicht schön, und sie nahm es wortlos hin. Bis Van Leuwen fertig war und ging. Burke sah den Ausdruck in ihren Augen und versuchte, sie zurückzuhalten. »Lassen Sie's gut sein!« flüsterte er ihr zu. Sie schüttelte seine Hand ab und ging weiter den Korridor entlang. »Es ist vorüber.« »Richtig«, rief sie zurück, während sie noch längere Schritte
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machte. »Was können sie mir also noch anhaben?« Sie holte Van Leuwen ein, als er stehenblieb, um auf den Lift zu warten. »Warum wollen Sie LV-426 nicht überprüfen?« Er erwiderte ihren Blick. »Mrs. Ripley, das wäre ohne Bedeutung. Die Entscheidung des Ausschusses ist endgültig.« »Zum Teufel mit der Entscheidung des Ausschusses! Es geht jetzt nicht um mich. Es geht um die nächsten armen Hunde, die dieses Schiff finden. Sagen Sie mir nur, warum Sie die Sache nicht nachprüfen wollen.« »Weil das nicht nötig ist«, sagte er schroff. »Die Leute, die dort leben, haben es schon vor Jahren nachgeprüft, und sie haben nie etwas von einem feindlichen Organismus, oder einem Alien-Schiff gemeldet. Halten Sie mich für einen kompletten Narren? Glauben Sie denn, der Ausschuß würde nicht irgendeine Bestätigung anstreben, wenn auch nur, um sich vor künftigen Untersuchungen zu schützen? Und übrigens heißt es jetzt Acheron.« Siebenundfünfzig Jahre. Eine lange Zeit. In siebenundfünfzig Jahren konnten die Menschen eine Menge erreichen. Bauen, umherziehen, neue Kolonien errichten. Ripley kämpfte mit der Bedeutung der Worte des Verwaltungsbeamten. »Wovon sprechen Sie? Was für Leute?« Van Leuwen trat zu den anderen Fahrgästen in die Liftkabine. Ripley hielt den Arm zwischen die Türen, damit sie sich nicht schlossen. Gehorsam warteten die Sensoren, bis daß sie ihn zurückzog. »Terraformer«, erklärte Van Leuwen. »Planetentechniker. In dem Bereich hat sich viel getan, während Sie geschlafen haben, Ripley. Wir haben bedeutende Fortschritte gemacht, große Schritte. Der Kosmos ist nicht sehr gastfreundlich, aber das werden wir ändern. Acheron ist das, was wir eine >Vor Gebrauch schütteln< Kolonie nennen. Man stellt Atmosphäreprozessoren auf, um die Luft atembar
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zu machen. Dazu sind wir jetzt in der Lage, auf wirkungsvolle und wirtschaftliche Weise, solange irgendeine Atmosphäre vorhanden ist, mit der wir arbeiten können. Wasserstoff, Argon am besten ist Metha n. Acheron schwimmt in Methan, mit einer Portion Sauerstoff und genügend Stickstoff, um mit der Anlagerung zu beginnen. Bis jetzt ist es noch nichts. Die Luft ist kaum atembar. Aber wenn wir Zeit, Geduld und harte Arbeit aufwenden, werden wir da draußen eine weitere bewohnbare Welt bekommen, bereit, die Menschheit zu erquicken und ihr beizustehen. Das kostet natürlich seinen Preis. Wir sind keine menschenfreundliche Institution, obwohl wir das, was wir tun, gerne für eine Förderung des menschlichen Fortschr itts halten. Es ist eine große Aufgabe. Über Jahrzehnte hinweg. Die Leute sind schon seit mehr als zehn Jahren dort. Friedlich.« »Warum haben Sie mir das nicht gesagt?« »Weil man der Ansicht war, diese Information könnte Ihre Aussage beeinflussen. Ich persönlich glaube nicht, daß es den geringsten Einfluß gehabt hätte. Aber meine Kollegen waren da anderer Ansicht. Ich zweifle daran, daß es unsere Entsche idung geändert hätte.« Die Türen wollten sich schließen, und sie schlug sie auseinander. Die anderen Fahr gäste begannen, Verärgerung zu zeigen. »Wie viele Kolonisten?« Van Leuwen legte die Stirn in Falten. »Nach letzter Zählung würde ich sagen, sechzig, vielleicht siebzig Familien. Wir haben festgestellt, daß die Leute besser arbeiten, wenn sie nicht von ihren Lieben getrennt sind. Es ist teurer, zahlt sich aber auf lange Sicht aus und gibt der Gemeinde das Gefühl, eine richtige Kolonie zu sein, nicht nur ein technischer Außenposten. Es ist hart für einige von den Frauen und Kindern, aber wenn ihre Dienstzeit abgelaufen ist, können sie sich bequem zur Ruhe setzen. Von dieser Vereinbarung profitieren alle.«
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»Heiliger Gott!« flüsterte Ripley. Einer der Fahrgäste beugte sich vor und sagte gereizt: »Dürfte ich bitten?« Zerstreut ließ sie den Arm sinken. Von der Verantwortung dafür befreit, schlossen sich die Türen lautlos. Van Leuwen hatte sie schon vergessen, und sie ihn. Statt dessen blickte sie in ihre Fantasie. Und was sie da sah, machte ihr angst.
2.
Es war nicht die beste Zeit, und es war sicherlich der schlechteste Ort. Von gewaltigen meteorologischen Kräften angetrieben, hämmerten die Winde von Acheron unablässig auf die kahle Oberfläche des Planeten ein. Sie waren so alt wie die felsige Kugel selbst. Da sie gegen keine Ozeane anzukämpften brauchten, hätten sie die Landschaft schon vor Äonen glattgeschliffen, wären da nicht die unruhigen Kräfte tief unter der Basalthülle gewesen, die ständig neue Berge und Hochebenen aufwarfen. Die Winde von Acheron lagen im Kampf mit dem Planeten, der ihnen das Leben gab. Bisher hatte es nichts gegeben, was sich ihrer unerbittlichen Strömung entgegengestellt hätte. Nichts, was ihre sanderfüllten Stürme störte, nichts, was sich gegen die Orkane stemmte, anstatt ihnen einfach die Herrschaft über die Luft zuzugestehen. Bis die Menschen nach Acheron gekommen waren und Anspruch darauf erhoben hatten. Nicht so, wie es jetzt war, eine Höllenlandschaft aus gemarterten Felsen und Staub, die man durch die gelbliche Luft nur undeutlich sehen konnte, sondern so, wie es einmal sein würde, wenn die Atmosphäre-
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prozessoren ihre Aufgabe erfüllt hatten. Zuerst würde die Atmosphäre selbst umgeformt werden, wobei das Methan seine Vorherrschaft an den Sauerstoff und den Stickstoff abgeben mußte. Dann würde man die Winde zähmen und die Oberfläche. Das Endergebnis würde ein milderes Klima sein, dessen Auswirkungen die Gestalt von Schnee, Regen und Wachstum annehmen würden. Das würde das Vermächtnis der Gegenwart an künftige Generationen sein. Im Augenblick betrieben die Bewohner von Acheron die Prozessoren und bemühten sich darum, einen Traum Wahrheit werden zu lassen, sie überlebten mit einer Ration, die sich aus Entschlossenheit, Humor und überdimensionierten Gehaltsschecks zusammensetzte. Sie würden es nicht erleben, daß Acheron ein Land wurde, in dem Milch und Honig floß. Nur die Gesellschaft würde lange genug leben, um das zu sehen. Die Gesellschaft war so unsterblich, wie es keiner von ihnen jemals sein konnte. Der Sinn für Humor, der allen Pionieren, die unter schwierigen Bedingungen lebten, gemeinsam war, machte sich überall in der Kolonie bemerkbar, am deutlichsten an einem Stahlschild auf Betonpfeilern vor dem letzten integrierten Bauwerk: HADLEY'S HOFFNUNG Bevölkerung: 159 Willkommen auf Acheron! Darunter hatte ein ortsansässiger Witzbold ohne offizielle Genehmigung mit wasserfester Sprühfarbe geschrieben: »MACHEN SIE SICH EINEN SCHÖNEN TAG!« Die Winde mißachteten diese Aufforderung. Von der Luft herangetragene Sand und Splittpartikel hatten die Stahlplatte
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bereits stark erodiert. Ein neuer Besucher auf Acheron, freundlicherweise bereitgestellt von den Atmosphäreprozessoren, hatte mit brauner Verzierung seinen eigenen Kommentar dazugegeben: die ersten Regenfälle hatten den ersten Rost hervorgebracht. Hinter dem Schild lag die Kolonie selbst, eine Traube von bunkerähnlichen Bauwerken aus Metall und Plastbeton, zusammengefügt von Leitungsrohren, die zu zerbrechlich schienen, um den Winden Acherons standhalten zu können. Die Gebäude waren nicht so eindrucksvoll anzusehen wie das umliegende Gebiet mit seinen vom Wind zurechtgeschliffenen Felsformationen und zerbröckelnden Bergen, aber sie waren fast genauso massiv und viel anheimelnder. Sie hielten die Stürme ab und die immer noch dünne Atmosphäre und schützten jene, die in ihrem Innern arbeiteten. Hochrädrige Traktoren und andere Fahrzeuge krochen über die offenen Zufahrten zwischen den Gebäuden, tauchten aus unterirdischen Garagen auf oder verschwanden darin wie kommunale Pillenkäfer. Neonlichter flackerten unruhig an Geschäftsgebäuden und warben für die wenigen erbärmlichen, aber ernsthaften Unterhaltungen, die man zu schamlosen Preisen haben konnte. Sie wurden kommentarlos bezahlt. Wo es große Gehaltsschecks gibt, findet man immer kleine Unternehmen, die von Männern und Frauen mit überdimensionierten Träumen betrieben werden. Die Gesellschaft hatte kein Interesse, selbst solche Pfennigbetriebe aufzumachen, aber sie verkaufte denen, die das tun wollten, gerne die Konzessionen dafür. Hinter dem Kolonialkomplex erhob sich der erste Atmosphäreprozessor. Mit Fusionsenergie betrieben, rülpste er einen stetigen Strom gereinigter Luft in die Gashülle, die den Planeten umgab. Materieteilchen und gefährliche Gase wurden entweder durch Verbrennung oder durch chemische Zerlegung
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entfernt, Sauerstoff und Stickstoff wurden in den düsteren Himmel zurückgeschleudert. Herein mit der schlechten Luft, hinaus mit der guten. Es war kein komplizierter Vorgang, aber er war zeitraubend und sehr teuer. Wieviel ist eine Welt wert? Und Acheron war noch nicht so schlimm wie manche andere, in die die Gesellschaft investiert hatte. Wenigstens besaß er überhaupt eine Atmosphäre, die man verändern konnte. Es war viel einfacher, die Zusammensetzung der Luft einer Welt zu regulieren, als sie überhaupt erst zu schaffen. Acheron hatte ein Wetter und eine fast normale Schwerkraft. Das waren schon fast paradiesische Zustände. Der feurige Schein, der vom First des vulkanähnlichen Atmosphäreprozessors ausging, deutete auf ein ganz und gar anderes Reich hin. Der Symbolismus entging den Kolonisten keineswegs. Er regte nur zu weiteren humorvollen Sprüchen an. Man hatte sich nicht wegen des Wetters bereiterklärt, nach Acheron zu kommen. In den Korridoren der Kolonie sah man keine weichen Körper und keine bläßlichen, schwächlichen Gesichter. Sogar die Kinder wirkten hart. Nicht hart im Sinne von gemein oder herrisch, sondern stark, innen wie außen. Für Tyrannen war hier kein Platz. Zusammenarbeit war eine Lektion, die man früh lernte. Die Kinder wurden schneller erwachsen als ihre Altersgenossen auf der Erde und als jene, die auf üppigeren, milderen Welten lebten. Sie und ihre Eltern waren eine eigene Rasse, selbständig und aufeinander angewiesen. Einmalig waren sie nicht. Ihre Vorfahren waren mit Planwagen in die Wildnis gezogen, anstatt mit Sternenschiffen. Es half, wenn man sich einbildete, ein Pionier zu sein. Das klang viel besser als eine numerische Arbeitsbeschreibung. Im Zentrum dieses Nervenknotens aus Menschen und Maschinen stand das große Gebäude, das unter dem Namen >Zentralblock' bekannt war. Es erhob sich über jedes andere,
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künstlich errichtete Bauwerk auf Acheron, mit Ausnahme der Atmosphäreaufbereitungsstationen selbst. Von außen sah es geräumig aus. Im Innern fand man keinen ungenutzten Quadratmeter. Instrumente drängten sich in Ecken und waren in den Kriechräumen unter den Fußböden und in den Wartungsgängen über den Zwischendecken verstaut. Und trotzdem reichte der Platz nie. Die Menschen drängten sich ein wenig enger aneinander, damit die Computer und die dazugehörigen Geräte mehr Raum bekamen. Papiere stapelten sich in Ecken, trotz unablässiger Bemühungen, jeden Fetzen notwendiger Information in elektronische Bytes umzusetzen. Geräte, die fabrikneu versandt worden waren, bekamen schnell eine Menge anhe imelnder Kratzer, Beulen und Kaffeetassenringe. Zwei Männer leiteten die Zentrale und damit die Kolonie. Einer war der Einsatzleiter, der zweite sein Assistent. Sie duzten sich. Wenn ein Mann zu sehr auf Titeln und Höflichkeitsformen beharrte, zu hochnäsig den Vorgesetzten herauskehrte, konnte es geschehen, daß er draußen verlorenging, ohne Überlebensanzug oder Funkgerät in Reichweite. Sie hießen Lydecker und Simpson, und es war völlig offen, welcher von beiden gehetzter aussah. Beide hatten den Gesichtsausdruck von Männern, für die der Schlaf eine launische Geliebte ist, die sie selten zu Gesicht bekommen. Lydecker wirkte wie ein Buchhalter, den eine zehn Jahre früher falsch angegebene, größere Steuerermäßigung verfolgte. Simpson war ein großer, vierschrötiger Typ, der sich als Lastwagenfahrer wohler gefühlt hätte denn als Leiter einer Kolonie. Leider hatte er nicht nur Muskeln, sondern auch Köpfchen mitbekommen und das vor seinen Arbeitgebern nicht verbergen können. Seine Hemdbrust hatte ständig Schweißflecken. Lydecker stellte ihn, ehe er den Rückzug antreten konnte. »Hast du den Wetterbericht für nächste Woche gesehen?« Simpson kaute auf etwas Wohlriechendem herum, das Flecken
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in seiner Mundhöhle hinterließ. Wahrscheinlich illegal, das wußte Lydecker. Er sagte nichts dazu. Es war Simpsons Sache, und Simpson war sein Chef. Außerdem hatte er sich schon überlegt, ob er sich etwas zum Kauen ausborgen sollte. Kleine Laster wurden auf Acheron zwar nicht gutgeheißen, aber solange sie die Arbeit nicht störten, machte man sich auch nicht darüber lustig. Es war schwer genug, bei Verstand zu bleiben, hart genug, überhaupt durchzukommen. »Was ist damit?« wollte der Einsatzleiter wissen. »Wir kriegen 'nen richtigen Altweibersommer. Der Wind müßte bis auf vierzig Knoten runtergehen.« «Oh, prima! Ich hole schon mal die Fahrräder und das Sonnenöl raus. Verdammt, ich wäre doch schon zufrieden, wenn ich die hiesige Sonne nur mal richtig zu sehen bekäme.« Lydecker schüttelte den Kopf und setzte eine mißbilligende Miene auf. »Nie zufrieden, was? Reicht es denn nicht, daß sie immer noch da oben ist?« »Ich kann's nicht ändern; ich bin eben gierig. Eigentlich sollte ich ja den Mund halten und mit dem glücklich sein, was ich habe, was? Du hast doch noch was anderes auf dem Herzen, Lydecker, oder machst du bloß wieder eine von deinen stundenlangen Kaffeepausen?« »So bin ich eben. Mach' mir bei jeder Gelegenheit 'nen faulen Lenz. Die nächste Gelegenheit wird, schätze ich, in etwa zwei Jahren kommen.« Er sah sich ein ausgedrucktes Meßergebnis an. »Weißt du noch, daß du vor ein paar Tagen ein paar Schatzsucher auf dieses Hochplateau hinter der Ilium-Kette geschickt hast?« »Ja. Ein paar von unseren Träumern zu Hause dachten, da draußen könnte radioaktives Erz sein. Ich habe also nach Freiwilligen gefragt, und ein Bursche namens Jorden hat den Handschuh gehoben. Ich hab' gesagt, sie soll'n mal nachsehen, wenn sie wollen. Vielleicht sind da auch noch 'n paar andere in
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die Richtung gegangen. Was ist damit?« »Da ist gerade einer in der Leitung. Vermessungsteam auf Familienbasis. Sagt, er steuert da was an, und möchte wissen, ob sein Anspruch anerkannt wird.« »Heutzutage will jeder Rechtsanwalt sein. Manchmal glaube ich, ich hätte da auch einsteigen sollen.« »Was, und dein hochentwickeltes Image ruinieren? Außerdem ist der Bedarf für Rechtsanwälte hier nicht sehr groß. Und du verdienst mehr.« »Sag mir das nur immer wieder! Es hilft mir.« Simpson schüttelte den Kopf, drehte sich um und blickte auf einen grünen Schirm. »Mein Gott. Irgend so ein Großmaul in einem kuscheligen Büro auf der Erde sagt, wir sollen uns einen Punkt auf der Landkarte ansehen, mitten im Nichts, und wir tun es. Die sagen nicht, warum, und ich frage auch nicht. Ich frage nicht, weil es zwei Wochen dauert, bis man von da draußen eine Antwort kriegt, und die Antwort lautet immer: >Frag nicht!< Manchmal weiß ich nicht mehr, warum wir uns überhaupt die Mühe machen.« »Das hab' ich dir doch gerade gesagt: Wegen des Geldes.« Der Stellvertretende Einsatzleiter lehnte sich an eine Konsole. »Und was soll ich dem Burschen sagen?« Simpson drehte sich um und starrte auf einen Videoschirm, der den größten Teil einer Wand bedeckte. Er zeigte eine topographische Computerkarte des erforschten Teils von Acheron. Die Karte war nicht sehr umfassend, und die landschaftlichen Merkmale, die sie darstellte, ließen die schlimmsten Teile der Kalahari-Wüste aussehen wie Polynesien. Simpson bekam Acherons Oberfläche nur selten persönlich zu sehen. Seine Pflichten verlangten, daß er ständig dicht bei der Zentrale blieb, und ihm war das gerade recht. »Sag ihm«, teilte er Lydecker mit, »soweit es mich betrifft, gehört es ihm, wenn er etwas findet! Wenn einer den Mumm
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hat, da draußen rumzukriechen, verdient er auch, daß er behalten darf, was er findet.« Der Traktor hatte sechs Räder, gepanzerte Flanken, übergroße Reifen und ein korrosionsgeschütztes Fahrgestell. Er war nicht völlig acheronsicher, aber das waren schließlich nur sehr wenige von den Geräten der Kolonie. Wiederholtes Flicken und Schweißen hatte das einstmals gepflegte Äußere des Traktors in eine Collage verfärbter Metallkleckse verwandelt, die mit Lötzinn und Harzdichtungsmasse zusammengehalten wurden. Aber er bot Schutz vor Wind und Sand und kletterte stetig weiter. Das genügte den Menschen, denen er als Unterschlupf diente. Im Augenblick tuckerte er einen sanften Abhang hinauf, die breiten Reifen wirbelten Fontänen von Vulkanstaub auf, den der Wind schnell wegtrug. Unter seinem Gewicht zerkrümelten verwitterter Sandstein und Schiefer. Ein gleichmäßiger Sturm heulte und pfiff von Westen her in dem unablässigen Versuch, das Fahrzeug und seine Insassen blind zu machen, warf sich gegen die mit kleinen Dellen übersäten Fenster und Sichtluken. Die Entschlossenheit derer, die den Traktor fuhren, verband sich mit seinem zuverlässigen Motor und brachte ihn dazu, das Fahrzeug weiter bergauf zu bewegen. Der Motor brummte beruhigend, während die Luftfilter in dem Bemühen, Staub und Splitt aus dem Innenraum draußenzuhalten, unaufhörlich kreisten. Die Maschine brauchte, ebenso wie ihre Insassen, saubere Luft zu Atmen. Russ Jorden war nicht ganz so wettergegerbt wie sein Fahrzeug, aber er hatte doch das unverkennbare Aussehen eines Menschen, der schon einige Zeit auf Acheron verbracht hatte. Verwittert und windzerzaust. In geringerem Maße traf diese Beschreibung auch auf seine Frau Anne zu, wenn auch nicht auf die beiden Kinder, die im rückwärtigen Teil des großen Führerhauses umherhüpften. Irgendwie schafften sie es,
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zwischen tragbaren Geräten zur Probensammlung und Gesteinscontainern herumzuflitzen, ohne gegen die Wände geschleudert zu werden. Ihre Vorfahren hatten in jungen Jahren gelernt, auf etwas zu reiten, was man ein Pferd nannte. Die Bewegungen des Traktors unterschieden sich nicht allzusehr von den Schwingungen, mit welchen man auf dem Rückgrat jenes einfühlsamen Vierbeiners fertigzuwerden hat, und die Kinder meisterten sie fast so schnell, wie sie laufen lernten. Ihre Kleider und Gesichter waren von Staub verschmiert, trotz des angeblich völlig dichten Fahrzeuginnenraums. Damit mußte man auf Acheron leben. Ganz gleich, wie dicht man sich abzuschließen versuchte, der Staub drang immer irgendwie in Fahrzeuge, Büros und Wohnungen ein. Einer der ersten Kolonisten hatte für dieses Phänomen einen Namen geprägt, der eher beschreibend als wissenschaftlich war: >Partikularosmose<, eine acheronische Wissenschaft. Die fantasievolleren Kolonisten behaupteten steif und fest, der Staub sei empfindungsfähig, er verstecke sich und warte, bis sich Türen und Fenster einen Spalt breit öffneten, um dann ganz bewußt ins Innere zu stürmen. Hausfrauen stritten im Scherz darüber, was schneller ging, die Kleidung zu waschen oder sie abzukratzen. Russ Jorden zwang den massigen Traktor um Felsen herum, die zu groß waren, um darüberzufahren, und bahnte sich einen Weg durch enge Spalten auf die Hochebene, die sie gerade zu erklimmen suchten. Das stetige Klingeln des Ortungsgeräts gab ihm die Kraft, weiterzumachen. Es wurde lauter, je näher sie dem Ursprung der elektromagnetischen Störung kamen, aber er wollte es nicht leiserstellen. Jedes Klingelzeichen war eine herzerfrischende Melodie für ihn, wie das Klirren der alten Registrierkassen. Seine Frau überwachte den Zustand des Traktors und der lebenserhaltenden Systeme, während ihr Mann fuhr. »Schau dir nur dieses fette, saftige Magnetprofil an!« Jorden
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klopfte auf die kleine Anzeige rechts von ihm. »Und das gehört mir, mir, mir! Lydecker sagt, daß Simpson das gesagt hat, und wir haben es aufgezeichnet. Das können sie uns jetzt nicht mehr wegnehmen. Nicht einmal die Gesellschaft kann es uns wegnehmen. Es gehört mir, mir ganz allein!« »Zur Hälfte mir, mein Schatz.« Seine Frau blickte zu ihm hinüber und lächelte. »Und zur Hälfte mir!« Diese fröhliche Entweihung grundlegender mathematischer Prinzipien kam von Newt, der Tochter der Jordens. Sie war sechs Jahre alt, fast sieben, und besaß mehr Energie als ihre Eltern und der Traktor zusammengenommen. Ihr Vater grinste liebevoll, ohne den Blick vom Armaturenbrett zu wenden. »Ich habe zu viele Partner.« Das Mädchen hatte mit seinem älteren Bruder gespielt, bis der schließlich genug hatte. »Tim ist es langweilig, Papi, und mir auch. Wann fahren wir in die Stadt zurück?« »Wenn wir reich sind, Newt.« »Das sagst du immer.« Sie krabbelte hoch, behend wie ein Otter. »Ich will zurück. Ich möchte 'Monsterlabyrinth spielen.« Ihr Bruder stieß mit seinem Gesicht an das ihre. »Diesmal kannst du allein spielen. Du schwindelst zuviel.« »Das tue ich nicht!« Sie stemmte ihre kleinen Fäuste in die unentwickelten Hüften. »Ich bin einfach am besten, und du bist neidisch.« »Bin ich nicht! Du gehst an Stellen, wo wir nicht reinpassen.« »Na und? Deshalb bin ich doch am besten.« Ihre Mutter löste für einen Moment den Blick von ihrer Reihe von Monitoren und Anzeigen und schaute hinüber. »Hört auf damit! Wenn ich euch noch einmal dabei erwische, wie ihr in den Luftschächten spielt, dann versohle ich euch. Es ist nicht nur gegen die Vorschriften der Kolonie, es ist auch gefährlich. Was ist, wenn einer von euch danebentritt und einen senkrech-
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ten Schacht hinunterfällt?« »Och, Mami. So blöd ist doch keiner. Außerdem spielen das alle Kinder, und bisher ist keinem was passiert. Wir passen schon auf.« Ihr Lächeln kehrte wieder. »Und ich bin am besten, weil ich überall da reinpasse, wo sonst keiner hinkommt.« »Wie ein kleiner Wurm.« Ihr Bruder streckte ihr die Zunge heraus. Sie tat es ihm nach. »Bäh! Bäh! Neidisch, neidisch.« Er wollte die herausgestreckte Zunge packen. Sie stieß einen kindischen Schrei aus und duckte sich hinter einen fahrbaren Erzanalysator. »Hört mal, ihr zwei!« In Anne Jordens Stimme klang mehr Zuneigung als Ärger mit. »Jetzt versuchen wir mal zwei Minuten lang, uns zu beruhigen, ja? Wir sind hier oben fast fertig. Bald fahren wir in die Stadt zurück, und dann ...« »Heiliger Scheiß!« Russ Jordan hatte sich halb aus seinem Sitz erhoben und starrte durch die Windschutzscheibe. Seine Frau vergaß vorübergehend die Kinderstreitigkeiten und wandte sich ihm zu. »Was ist, Russ?« Sie legte eine Hand auf seine Schulter, um Halt zu bekommen, als der Traktor nach links schlingerte. »Da draußen ist was. Die Wolken haben sich nur eine Sekunde geteilt, und da hab ich's gesehen: Ich weiß nicht, was es ist, aber es ist riesig. Und es gehört uns. Dir und mir - und den Kindern.« Neben dem fremden Raumschiff sah der Traktor aus wie ein Zwerg, als der große Dreiachser kurz davor rumpelnd zum Stehen kam. Zwei Bögen aus metallischem Glas strebten in anmutigen, aber irgendwie beunruhigenden Linien vom Heck des Wracks in den Himmel. Aus der Entfernung ähnelten sie den ausgestreckten Armen eines auf dem Bauch liegenden toten Menschen, die in fortgeschrittener Leichenstarre festgefroren waren. Ein Bogen war kürzer als der andre, und doch
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konnte das die Symmetrie des Schiffes nicht zerstören. Sein Design war genauso fremdartig wie seine Zusammensetzung. Es hätte ebensogut gewachsen anstatt gebaut sein können. Die glatte Wölbung des Rumpfes zeigte immer noch einen eigentümlich emailartigen Glanz, den der vom Wind herangetragene Staub von Acheron nicht völlig hatte auslöschen können. Jorden zog die Bremsen des Traktors an. »Leute, diesmal haben wir 'nen Haupttreffer gelandet. Anne, hol die Anzüge raus. Ob das Hadley-Cafe wohl synthetischen Champagner herstellen kann?« Seine Frau blieb stehen, wo sie war, und starrte durch das harte Glas hinaus. »Laß uns das erst mal untersuchen und wieder sicher zurückkommen, ehe wir mit dem Feiern anfa ngen, Russ. Vielleicht sind wir nicht die ersten, die es finden.« »Machst du Witze? Auf der ganzen verdammten Hochebene gibt es kein einziges Funksignal. Keine Tafel draußen. Vor uns war niemand hier. Niemand! Es gehört uns ganz allein.« Er ging auf den hinteren Teil des Führerhauses zu, während er redete. Annes Stimme klang immer noch zweifelnd. »Schwer zu glauben, daß etwas so Großes, das so ein Echo abgibt, so lange hier gestanden sein soll, ohne daß jemand es bemerkt hat.« »Quatsch!« Jorden stieg schon in seinen Schutzanzug, legte Schnapper um, ohne danach suchen zu müssen, und schloß Dichtungen mit der Mühelosigkeit langer Übung. »Du machst dir zu viele Sorgen. Ich kann mir eine Menge Gründe vorstellen, warum es bisher unbemerkt geblieben ist.« »Zum Beispiel?« Zögernd wandte sie sich vom Fenster ab und trat neben ihn, um ebenfalls ihren Anzug anzulegen. »Zum Beispiel ist es von den Detektoren der Kolonie durch diese Berge abgeschnitten, und du weißt so gut wie ich, daß Beobachtungssatelliten in dieser Art von Atmosphäre un-
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brauchbar sind.« »Was ist mit Infrarot?« Sie zog den Reifsverschluß an der Vorderseite ihres Anzugs zu. »Was für ein >Infrarot< Sieh es dir doch an: mausetot. Steht wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden so da. Selbst wenn es erst gestern hergekommen wäre, könntest du auf diesem Teil des Planeten keine Infrarotstrahlung auffangen; die neue Luft, die aus dem Atmosphärenprozessor kommt, ist zu heiß.« »Und wie ist dann die Zentrale darauf gestoßen?« Sie hängte sich ihre Geräte um und füllte den Gürtel mit Instrumenten. Er zuckte die Achseln. »Woher, zum Teufel, soll ich das wissen? Wenn's dich beißt, kannst du's ja aus Lydecker rauskitzeln, wenn wir zurückkommen. Wichtig ist, daß sie uns ausgesucht haben, damit wir's nachprüfen. Glück gehabt.« Er wandte sich der Luftschleusentür zu. »Komm, Kleines! Knacken wir die Schatzkiste. Ich wette, das Baby platzt vor lauter Kostbarkeiten aus allen Nähten.« Ebenso begeistert, aber beträchtlich beherrschter, schloß Anne Jorden die Dichtungen an ihrem Anzug. Mann und Frau kontrollierten sich gegenseitig: Sauerstoff, Werkzeug, Licht, Energiezellen, alles an Ort und Stelle. Als sie bereit waren, den Traktor zu verlassen, klappte sie ihren Windschutz hoch und bedachte ihren Nachwuchs mit einem strengen Blick. »Kinder, ihr bleibt hier drin! Ich meine es ernst.« »Och, Mami.« Tims Gesicht drückte kindliche Enttäuschung aus. »Kann ich nicht mitkommen?« »Nein, du kannst nicht mitkommen. Wir werden euch alles erzählen, wenn wir wieder hier sind.« Sie schloß die Luftschleusentür hinter sich. Tim rannte sofort zum nächsten Bullauge und drückte die Nase gegen das Glas. Vor dem Traktor wurde die dämmrige Landschaft von den Helmscheinwerfern seiner Eltern beleuc htet.
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»Ich versteh' nicht, warum ich nicht auch mitkommen darf.« »Weil Mami es gesagt hat.« Newt überlegte schon, was sie als nächstes spielen sollte, während sie das Gesicht gegen ein anderes Fenster drückte. Die Lichter von den Helmen ihrer Eltern wurden schwächer, während diese auf das fremde Schiff zugingen. Etwas packte sie von hinten. Sie drehte sich quiekend zu ihrem Bruder um. »Schwindlerin!« spottete er. Dann drehte er sich um und rannte weg, um sich zu verstecken. Sie folgte ihm und schrie ihn ihrerseits an. Das fremde Schiff türmte sich wuchtig über den beiden Zweibeinern auf, als sie über den Schutt stiegen, der es umgab. Wind heulte um sie herum. Staub verhüllte die Sonne. »Sollten wir es nicht melden?« Anne starrte auf die Masse mit den glatten Wänden. Erst mal abwarten, bis wir wissen, als was wir es melden sollen.« Ihr Mann trat gegen einen Brocken Vulkangestein, der ihm im Weg lag. »Wie wäre es mit großes, unheimliches Ding?« Russ Jorden drehte sich um und sah sie an, sein Gesicht hinter dem Schirm drückte Überraschung aus. »He, was ist los, Schätzchen? Nervös?« »Wir schicken uns an, ein fremdes Schiffswrack unbekannten Typs zu betreten. Du kannst dich drauf verlassen, daß ich nervös bin.« Er klopfte ihr auf den Rücken. »Denk doch nur an all das schöne Geld! Das Schiff allein ist schon ein Vermögen wert, selbst wenn es leer sein sollte. Es ist ein unbezahlbares Stück. Ich wüßte zu gerne, wer es gebaut hat, wo es herkam, und warum es schließlich auf diesem gottverlassenen Steinbrocken hier zerschellt ist.« Seine Stimme und sein Gesicht waren voller Begeisterung, als er auf eine dunkle, klaffende Spalte in
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der Seite des Schiffes deutete. »Da ist eine aufgerissene Stelle. Laß uns mal nachsehen!« Sie wandten sich der Öffnung zu. Während sie näher traten, betrachtete Anne Jorden sie mißtrauisch. »Ich glaube nicht, daß das durch eine Beschädigung entstanden ist, Russ. Für mich sieht es so aus, als gehört es zum Rumpf. Wer immer dieses Ding hier entworfen hat, mochte keine rechten Winkel.« »Was der mochte, ist mir egal. Wir gehen rein.« Eine einzelne Träne lief über Newt Jordens Wange herunter. Sie starrte jetzt schon lange durch die vordere Windschut zscheibe nach draußen. Schließlich stieg sie herunter und ging zum Fahrersitz, um ihren schlafenden Bruder wachzurütteln. Sie schniefte und wischte sich die Träne ab, weil sie nicht wollte, daß Tim sie weinen sah. »Timmy - wach auf, Timmy! Sie sind schon so lange weg.« Ihr Bruder blinzelte, nahm seine Füße von der Konsole und setzte sich auf. Er blickte unbekümmert auf den Chronometer am Armaturenbrett, dann spähte er hinaus in die düstere, öde Landschaft. Trotz der dicken Isolierung des Traktors konnte man den Wind draußen heulen hören, wenn der Motor abgestellt war. Tim sog an seiner Unterlippe. »Das ist nicht so schlimm, Newt. Papi weiß schon, was er tut.« In diesem Augenblick öffnete sich krachend die Außentür und ließ Wind, Staub und eine große, dunkle Gestalt ein. Newt schrie, und Tim krabbelte hastig aus dem Sitz, als ihre Mutter sich den Schirm abriß und ihn beiseite warf, ohne sich darum zu kümmern, welchen Schaden sie damit an den empfindlichen Instrumenten anrichtete. Ihre Augen blickten wild, und an ihrem Hals standen die Sehnen hervor, als sie sich an ihren Kindern vorbeidrängte. Sie riß das Mikrophon vom Armaturenbrett und schrie in den Kondensator: »Mayday! Mayday! Alpha Kilo Zwei Vier Neun ruft Hadley
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Zentrale. Wiederhole. Alpha Kil .... Newt hörte ihre Mutter kaum. Sie preßte beide Hände vor den Mund, als sie die abgestandene Atmosphäre einatmete. Hinter ihr winselten die Filter des Traktors und bemühten sich, die von Staub belastete Luft zu sieben. Sie starrte hinaus durch die offene Tür und auf den Boden. Dort lag ihr Vater flach auf dem Rücken auf den Steinen. Irgendwie hatte ihn ihre Mutter die ganze Strecke von dem fremden Schiff bis hierher geschleppt. Da war etwas auf seinem Gesicht. Es war flach, hatte dicke Rippen und viele spinnenähnliche Chitinbeine. Der lange, muskulöse Schwanz war fest um den Kragen des Schutzanzugs ihres Vaters gewickelt. Mehr als alles andere ähnelte das Geschöpf einer mutierten Königskrabbe mit weichem Äußeren. Es pulsierte auf und ab, auf und ab wie eine Pumpe. Wie eine Maschine. Nur war es keine Maschine. Es war deutlich, sichtlich, abscheulich lebendig. Newt begann wieder zu schreien, und diesmal hörte sie nicht auf.
3.
In der Wohnung war es still bis auf das Geplärre vom Wandschirm. Ripley ignorierte das Simpkom und konzentrierte sich statt dessen auf den Rauch, der aus ihrer nikotinfreien Zigarette aufstieg. Er bildete träge Dunstmuster in der unbewegten Luft. Obwohl es schon spät am Tage war, hatte sie es bisher ve rmeiden können, vor einen Spiegel zu treten. Das war auch gut so, denn ihr hageres, ungepflegtes Erscheinungsbild konnte sie nur noch mehr deprimieren. Die Wohnung war in besserem Zustand als sie. Es gab gerade soviele schmückende Elemente, daß sie nicht spartanisch wirkte. Keines dieser Elemente war
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das, was jemand anderer als >persönlich< bezeichnet hätte. Das war auch verständlich. Sie hatte alles überlebt, was man einst als persönlich hätte ansehen können. Das Abwaschbecken war voll mit schmutzigem Geschirr, obwohl die Spülmaschine leer darunter stand. Sie trug einen Bademantel, der genauso schnell alterte wie seine Besitzerin. Im angrenzenden Schlafzimmer lagen Laken und Decken in einem Haufen am Fußende der Matratze. Jones strich in der Küche herum und suchte nach übersehenen Krümeln. Er würde keine finden. Die Küche hielt sich selbst in einem einigermaßen antiseptischen Zustand, obwohl ihre Besitzerin ihr die Unterstützung dabei bewußt verweigerte. »Je, Bob!« blökte es geistlos vom Wandschirm. »Du willst mit deiner Familie in die Kolonien, hab' ich gehört!« »Der beste Entschluß, den ich je gefaßt hab', Phil«, erwiderte ein albern grinsender, nichtssagender Typ von der gegenüberliegenden Seite der Wand her. »Wir fangen ganz von vorne an, ein neues Leben in einer sauberen Welt. Kein Verbrechen, keine Arbeitslosigkeit ...« Und die beiden gutaussehenden Darsteller, die dieses behördlich gesponserte Blabla vorführten, wohnten wahrscheinlich in einem kostspieligen Grüngürtel an der Ostküste, dachte Ripley sarkastisch, während sie mit halbem Ohr zuhörte. In Eige ntumswohnungen auf Cape Cod mit Blick über Martha's Vineyard oder Hilton Head oder sonst einer nicht verschmutzten, wahnsinnsteuren Snobzuflucht für die wenigen Glücklichen, die wußten, wie man schnäbelte und gurrte und tanzte, ja, mein Herr, wenn herrschsüchtige Gesellschaftsbosse mit den Fingern schnippten. Für sie war das nichts. Kein Geruch nach Salz, keine kühlen Bergwinde. Gesellschaftsalmosen mitten in der Stadt, und sie hatte noch Glück, daß sie soviel bekam. Diese Bastarde. Zum Kuckuck mit ihnen! Bald würde sie etwas finden. Man
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wollte sie nur eine Weile abschotten, bis sie sich beruhigt hatte. Man würde ihr gerne helfen, beim Umzug und bei der Umschulung. Und danach hatte man sie praktischerweise vergessen. Und das war, soweit es sie betraf, ganz einfach superprima. Sie wollte mit der Gesellschaft nicht mehr zu tun haben, als die Gesellschaft mit ihr. Wenn sie ihr nicht ihre verdammte Lizenz gesperrt hätten, wäre sie schon lange auf und davon. Die Tür machte mit einem scharfen Summen auf sich aufmerksam, und Ripley fuhr zusammen. Jones blickte nur auf und miaute, ehe er sich in Richtung Badezimmer trollte. Er mochte keine Fremden. War schon immer eine kluge Katze gewesen. Sie legte die Zigarette (garantiert ohne krebserregende Stoffe, Nikotin und Tabak unschädlich für Ihre Gesundheit, das behauptete jedenfalls das Warnetikett auf der Seite der Packung) beiseite und ging zur Tür, um zu öffnen. Sie machte sich nicht die Mühe, durch den Spion zu schauen. Sie wohnte in einem voll gesicherten Gebäude. Nicht, daß es in einer Stadt auf der Erde irgend etwas gegeben hätte, was ihr nach ihren jüngsten Erlebnissen hätte Angst einjagen können. Carter Burke stand mit seinem üblichen, um Verzeihung bittenden Lächeln vor ihr. Neben ihm stand, mit förmlicher Miene, ein jüngerer Mann in der strengen galaschwarzen Uniform eines Offiziers bei den Kolonialen Marines. »Hallo, Ripley.« Burke deutete auf seinen Begleiter. »Das ist Lieutenant Gorman von den Ko ... Die zufallende Tür schnitt ihm das Wort ab. Ripley kehrte ihr den Rücken zu, aber sie hatte es versäumt, den Korridorlautspreeher abzuschalten. Burkes Stimme drang über die verborgene Membran zu ihr. »Ripley, wir müssen miteinander sprechen.« »Nein, das müssen wir nicht. Hauen Sie ab, Carter! Und
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nehmen Sie Ihren Freund mit.« »Nichts zu machen. Die Sache ist wichtig.« »Nicht für mich. Für mich ist gar nichts wichtig.« Burke verstummte, aber sie spürte, daß er nicht gegangen war. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß er nicht so leicht aufgeben würde. Der Vertreter der Gesellschaft stellte keine Forderungen, aber er war sehr geübt im Schmeicheln. Wie sich herausstellte, brauchte er gar nicht mit ihr zu diskutieren. Er brauchte nur einen einzigen Satz zu sagen. »Wir haben die Verbindung mit der Kolonie auf Acheron verloren.« Ein flaues Gefühl im Innern, als sie die Auswirkungen dieser unerwarteten Feststellung überdachte. Nun, so völlig unerwartet vielleicht nicht. Sie zögerte noch einen Augenblick länger, dann öffnete sie die Tür. Es war kein Trick. Soviel war aus Burkes Ausdruck erkennbar. Gormans Blick ging vo n einem zum anderen. Es war ihm sichtlich unangenehm, daß man ihn ignorierte, auch wenn er sich bemühte, sich das nicht anmerken zu lassen. Sie trat zur Seite. »Kommen Sie rein!« Burke musterte die Wohnung und sagte dankenswerterweise nichts, scheute zurück vor Nichtigkeiten wie hübsch haben Sie's hier«, wenn es offensichtlich nicht stimmte. Er verkniff es sich auch zu sagen >Sie sehen gut aus<, da auch das offensichtlich unwahr gewesen wäre. Sie konnte ihn für seine Zurückha ltung achten und wies sie mit einer Geste zum Tisch hin. »Was zu trinken? Kaffee, Tee, Schorle?« »Kaffee wäre nicht schlecht«, antwortete er, Gorman steuerte ein Nicken bei. Sie ging in die kleine Küche und wählte ein paar Tassen an. Blubbernde Geräusche begannen aus dem Automaten zu ertönen, während sie sich ins Wohnzimmer zurückwandte. »Es war nicht nötig, gleich die Marines mitzubringen.« Sie
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lächelte ihn mit schmalen Lippen an. »Ich bin über das gewalttätige Stadium hinaus. Das haben die Psychotechniker gesagt, und es steht auch hier auf meiner Karte.« Sie deutete zu einem Schreibtisch hin, auf dem sich Disketten und Papiere stapelten. »Also, wozu die Eskorte?« »Ich bin als offizieller Vertreter des Corps hier.« Gorman war merklich unsicher und nur allzu bereit, Burke den Löwenanteil des Gesprächs zu überlassen. Wieviel wußte er, und was hatten sie ihm über sie erzählt, fragte sie sich. War er enttäuscht, weil er nicht eine völlig weggetretene, alte Vettel vor sich hatte? Nicht, daß seine Meinung über sie irgendwie von Bedeutung gewesen wäre. »Sie haben also die Verbindung verloren.« Sie gab sich gleichgültig. »Na und?« Burke schaute auf seine schmale, gesicherte Aktenmappe hinunter. »Das muß überprüft werden. Schnell. Alle Nachric htenverbindungen sind unterbrochen. Sie sind schon zu la nge außer Betrieb, als daß die Unterbrechung auf ein Geräteversagen zurückzuführen sein könnte. Acheron läuft seit Jahren. Die Leute haben Erfahrung und die nötigen Austauschsysteme. Vielleicht sind sie im Augenblick gerade dabei, die Sache ins reine zu bringen. Aber da herrscht schon zu lange absolute Funkstille. Die Leute werden nervös. Jemand muß hinaus und persönlich nachsehen. Das ist die einzige Möglichkeit, diese nervösen Gäule zu beruhigen. Wahrscheinlich werden die Schwierigkeiten behoben, während das Schiff noch unterwegs ist, und die ganze Reise ist Zeit- und Geldverschwendung, aber es ist jetzt Zeit zum Aufbruch.« Er brauchte nicht ausführlicher zu werden. Ripley war schon dort angekommen, wo er sie wollte - und wieder zurückgekehrt. Verdammt. Sie ging in die Küche und brachte den
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Kaffee. Während Gorman an seiner Tasse des Gebräus nippte, begann sie, auf und ab zu gehen. Das Wohnzimmer war zu klein, um richtig auf und ab marschieren zu können, aber sie versuchte es trotzdem. Burke wartete einfach ab. »Nein«, sagte sie schließlich. »Da führt kein Weg hin.« »Hören Sie mich doch zu Ende an! Es ist nicht so, wie Sie denken.« Sie blieb in der Mitte des Zimmers stehen und starrte ihn ungläubig an. »Nicht so, wie ich denke? Nicht so, wie ich denke? Ich brauche gar nicht zu denken, Burke. Ihr Burschen habt mich aufgebohrt, gedämpft und chemisch gereinigt, und jetzt wollt ihr, daß ich dahin zurückgehe? Vergessen Sie's!« Sie zitterte, während sie sprach. Gorman mißverstand die Reaktion als Zorn, aber es war nackte Angst. Sie fürchtete sich. Eine ganz kreatürliche Angst, und sie versuchte, sie mit Empörung zu bemänteln. Burke wußte, was sie empfand, drängte aber doch weiter. Er hatte keine andere Wahl. »Hören Sie«, begann er in seinem, wie er hoffte, beschwichtigendsten Tonfall, »wir wissen nicht, was da draußen vorgeht. Wenn statt des Bodensenders der Übertragungssatellit ausgefallen ist, dann kann man ihn nur mit einem Hilfsteam reparieren. In der Kolonie gibt es keine Raumschiffe. Wenn das der Fall ist, dann sitzen die da draußen alle herum und fluchen auf die Gesellschaft, weil die ihren Kollektivhintern nicht hochbringt und zackzack eine Reparaturmannschaft schickt. Wenn es das Satellitenrelais ist, dann braucht das Hilfsteam nicht einmal einen Fuß auf den Planeten zu setzen. Aber wir wissen nicht, wo der Fehler liegt, und wenn es nicht der Orbitalsender ist, dann möchte ich gerne, daß Sie dabei sind. Als Beraterin. Das ist alles.« Gorman ließ seine Kaffeetasse sinken. »Sie würden nicht mit den Soldaten reingehen. Vorausgesetzt, wir müssen überhaupt
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rein. Ich kann für Ihre Sicherheit garantieren.« Sie rollte die Augen und blickte zur Decke. »Das sind nicht unsere durchschnittlichen Stadtpolizisten oder Soldaten, die uns da begleiten, Ripley«, sagte Burke eindringlich. »Diese Kolonialen Marines sind harte Burschen, und sie werden modernste Feuerwaffen dabeihaben. Mann plus Maschine. Es gibt nichts, womit die nicht fertigwerden. Richtig, Lieutenant'« Gorman gestattete sich ein leichtes Lächeln. »Wir sind dafür ausgebildet, es mit dem Unerwarteten aufzunehmen. Wir sind schon auf schlimmeren Welten als Acheron mit Problemen zurechtgekommen. Unsere Verlustrate für diese Art von Einsatz bewegt sich im Null. Ich rechne damit, daß sich der Prozentsatz nach diesem Besuch noch ein wenig verbessert.« Wenn diese Erklärung auf Ripley Eindruck machen sollte, so ging das kläglich daneben. Sie schaute wieder Burke an. »Was ist mit Ihnen? Welches Interesse haben Sie an der Sache?« »Nun, die Gesellschaft hat zusammen mit der Kolonialbehö rde die Kolonie finanziert. So was wie ein Vorschuß auf Schürfrechte und einen Teil der langfristigen Entwicklungsgewinne. Wir sind dabei, zu diversifizieren, beteiligen uns an vielen Terraformprojekten. Immobilien auf galaktischer Ebene. Aufbau besserer Welten und so weiter.« »Ja, ja«, murmelte sie. »Ich habe die Werbesendungen gesehen.« »Die Gesellschaft kriegt von Acheron keine nennenswerten Gewinne zu sehen, solange die Terraformung nicht abgeschlossen ist, aber ein so großes Unternehmen muß langfristig planen.« Da Burke sah, daß er damit auf seine Gastgeberin keinen Eindruck machte, schlug er eine andere Richtung ein. »Soviel ich höre, arbeiten Sie auf den Frachtdocks über Portside?«
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Ihre Antwort war abwehrend, wie zu erwarten. »Das stimmt. Wieso?« Er ging auf die Herausforderung nicht ein. »Sie fahren Lader, Gabelstapler, Hängegitter und so was?« »Es ist alles, was ich kriegen konnte. Ich will verdammt sein, wenn ich mein ganzes Leben von Almosen lebe. Jedenfalls lenkt es mich ab - von allem. Freie Tage sind schlimmer. Zuviel Zeit zum Denken. Ich wäre lieber ständig beschäftigt.« »Gefällt Ihnen diese Arbeit?« »Soll das ein Witz sein?« Er fummelte an dem Verschluß seiner Aktenmappe herum. »Vielleicht ist es nicht alles, was Sie kriegen können. Und wenn ich nun sagte, ich könnte erreichen, daß Sie wieder als Schiffsoffizier eingesetzt werden? Könnte Ihnen Ihre Lizenz zurückholen? Und die Gesellschaft hätte sich bereiterklärt, Ihren Vertrag fortzusetzen? Kein Zirkus mehr mit der Kommission, keine Streitereien. Die offizielle Abmahnung wird aus Ihren Akten gestrichen. Spurlos. Soweit es jemanden etwas angeht, waren Sie bis jetzt beurlaubt. Völlig normal nach einem langen Einsatz. Es wird sein, als wäre nichts geschehen. Nicht einmal Ihre Pensionsberechnung wäre betroffen.« »Was ist mit der EKB und den Versicherungsleuten?« »Die Versicherung ist geregelt, aus und vorbei. Die sind aus der Sache raus. Da in Ihren Akten nichts stehen wird, wird man Sie nicht als größeres Risiko einstufen, als Sie es vor Ihrer letzten Reise waren. Soweit die EKB betroffen ist, hätten die es auch gerne, wenn Sie mit dem Hilfsteam rausgingen. Das ist alles erledigt.« »Falls ich gehe.« »Falls Sie gehen.« Er nickte und verneigte sich leicht vor ihr. Er flehte nicht gerade. Es war eher eine routinierte Verkaufsmasche. Es ist eine zweite Chance, Kindchen. Die meisten Leute, die von einem Untersuchungsausschuß auseinanderge-
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nommen werden, bekommen nie Gelegenheit, wieder zurückzukehren. Wenn das Problem nur ein kaputter Übertragungssatellit ist, dann brauchen Sie nichts zu tun, als in Ihrem Kabäuschen zu sitzen und zu lesen, während die Techniker sich darum kümmern. Und Ihre Reisespesen zu kassieren, während Sie im Hyperschlaf liegen. Wenn Sie gehen, können Sie damit alle Unannehmlichkeiten auslöschen und sich selbst wieder genau dahinbringen, wo Sie früher waren. Volle Einstufung, volle Anhäufung der Pensionsansprüche, mit allem Drum und Dran. Ich habe Ihre Akte gesehen. Noch eine große Reise, und Sie haben sich für das Kapitänspatent qualifiziert. Und es wird für Sie das beste auf der Welt sein, sich dieser Angst zu stellen und sie zu besiegen. Sie müssen wieder auf den Gaul rauf.« »Verschonen Sie mich damit, Burke!« sagte sie eisig. »Ich habe meine psychologische Beurteilung für diesen Monat schon bekommen.« Sein Lächeln verrutschte ein wenig, aber sein Tonfall wurde entschlossener. »Schön. Also Schluß mit dem Schmus! Ich habe Ihre PsyTech-Beurteilungen gelesen. Sie wachen jede Nacht auf, mit patschnassen Laken, immer wieder der gleiche Alptraum ...« »Nein! Die Antwort ist NEIN!« Sie nahm beide Kaffeetassen weg, obwohl keine davon leer war. Es war eine andere Form der Verabschiedung. »Gehen Sie jetzt bitte! Es tut mir leid. Gehen Sie einfach, ja?« Die beiden Männer wechselten einen Blick. Gormans Gesichtsausdruck war unergründlich, aber sie hatte das Gefühl, daß seine Haltung von Neugier in Verachtung umgeschlagen war. Zum Teufel mit ihm! Was wußte der schon? Burke wühlte in einer Tasche, holte eine durchsichtige Karte heraus und legte sie auf den Tisch, ehe er auf die Tür zuging. Im Korridor blieb er noch einmal stehen und schaute lächelnd zu ihr zurück.
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»Überlegen Sie es sich!« Dann waren sie fort und ließen sie mit ihren Gedanken allein. Unangenehme Gesellschaft. Wind. Wind und Sand und ein stöhnender Himmel. Die blasse Scheibe einer fremden Sonne flatterte, wie aus Papier ausgeschnitten, jenseits der zerrissenen Atmosphäre. Ein Heulen, das sich in Tonhöhe und Intensität steigerte, kam näher, näher, bis es direkt über einem war, einen erstickte, den Atem abschnürte. Mit einem kehligen Klagelaut setzte sich Ripley in ihrem Bett auf und griff sich an die Brust. Ihr Atem ging schwer, schmerzhaft. Sie atmete besonders tief ein und blickte sich in dem winzigen Schlafzimmer um. Das schwache, in den Nachttisch eingelassene Licht erhellte kahle Wände, einen Frisiertisch mit Kommode, und Laken, die an den Fuß des Bettes geschoben waren. Jones lag lang ausgestreckt oben auf der Kommode, dem höchsten Punkt im Raum, und erwiderte gelassen ihren Blick. Das war eine Gewohnheit, die sich der Kater bald nach ihrer Rückkehr zu eigen gemacht hatte. Wenn sie zu Bett gingen, rollte er sich dicht neben ihr zusammen, nur um diesen Platz, kurz nachdem sie eingeschlafen war, gegen die Sicherheit und Ungestörtheit der Kommode einzutauschen. Er wußte, daß der Alptraum unterwegs war und wollte ihm genug Raum lassen. Sie wischte sich mit einem Zipfel des Lakens von Stirn und Wangen und zwischen den Brüsten den Schweiß ab. Ihre Finger tasteten in der Nachttischschublade, bis sie eine Zigarette fanden. Sie schnippte kurz mit der Spitze und wartete, bis der Zylinder sich entzündetete. Da war etwas - ihr Kopf zuckte herum. Nichts. Nur das leise Summen der Uhr. Da war sonst nichts im Zimmer. Nur Jones und sie. Ganz bestimmt kein Wind. Sie beugte sich nach links und kramte in der anderen Nacht-
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tischschublade, bis sie die Karte fand, die Burke dagelassen hatte. Sie drehte sie zwischen den Fingern, dann schob sie in einen Schlitz in der Konsole neben dem Bett. Der Videoschirm, der die gegenüberliegende Wand beherrschte, blitzte ihr sofort das Wort EINSATZBEREIT zu. Sie wartete geduldig, bis Burkes Gesicht erschien. Er hatte verquollene Augen und war unrasiert, denn sie hatte ihn aus tiefstem Schlaf gerissen, aber er brachte ein Grinsen zuwege, als er sah, wer ihn anrief. »Ja? Ach, Ripley. Hallo.« »Burke, sagen Sie mir nur eines.« Sie hoffte, es war hell genug im Raum, daß der Monitor ihren Gesichtsausdruck ebenso aufnehmen konnte wie ihre Stimme. »Sagen Sie mir, daß Sie da hinausgehen, um sie zurückzubringen. Nur, um sie auszubrennen, restlos und für immer!« Er wurde sehr schnell wach, stellte sie fest. »So ist es geplant. Wenn da draußen irgend etwas Gefährliches rumläuft, beseitigen wir es. Wir müssen eine Kolonnie schützen. Da wird nicht mit potentiell gefährlich Organismen rumgespielt. Das ist die Strategie der Gesellschaft. Wenn wir etwas Tödliches finden, ganz gleich, was es ist, wird es gebraten. Die Wissenschaftler können sehen, wo sie bleiben. Mein Wort darauf.« Eine lange Pause, dann beugte er sich dicht an sein eigenes Objektiv, und sein Gesicht wurde auf dem Schirm riesengroß. »Ripley! Ripley? Sind Sie noch da?« Keine Zeit mehr zum Nachdenken. Vielleicht war es Zeit, mit dem Nachdenken aufzuhören und zu handeln. »Na schön. Ich bin dabei.« So, jetzt war es heraus. Irgendwie hatte sie es herausgebracht. Er sah so aus, als wolle er antworten, ihr gratulieren oder danken. Irgend etwas. Sie unterbrach die Verbindung, ehe er ein Wort sagen konnte. Etwas landete mit einem dumpfen Aufprall neben ihr auf den Laken, sie drehte sich um und
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schaute liebevoll auf Jones hinunter. Sie fuhr mit den Fingernägeln an seinem Rückgrat entlang, und er putzte sich voll Entzücken, rieb sich an ihrer Hüfte und schnurrte. »Und du, mein Lieber, du bleibst schön hier.« Der Kater blinzelte zu ihr auf, während sie mit seinem Rücken weiterhin ihre Finger streichelte. Es ist nicht sicher, ob er ihre Worte oder den Sinn des vorangegangenen Telefonanrufs verstanden hatte, aber er erbot sich nicht, sie zu begleiten. Wenigstens hat einer von uns noch ein bißchen Verstand behalten, dachte sie, als sie wieder unter die Decke schlüpfte.
4.
Es war ein häßliches Schiff. Ramponiert, abgenützt, mit reparierten Teilen, die man besser ersetzt hätte, zu haltbar und wertvoll zum Verschrotten. Es war für seine Besitzer einfacher, es zu verbessern und abzuändern, als ein neues zu bauen. Seine Linien waren plump und seine Motoren überdimensioniert. Ein Berg aus Metall, Kunststoff und Keramik, ein schwebender Schrotthaufen, ein gewichtsloses Kriegerdenkmal, so drängte es sich rücksichtslos durch die geheimnisvolle, Hyperraum genannte Region. Wie seine menschliche Fracht war es rein funktionell. Sein Name war Sulaco. Vierzehn Träumer auf dieser Reise. Elf in miteina nder verwandten Traumphantasien befangen, einfach und geradlinig wie das Schiff, das sie durch das Nichts trug. Zwei andere individualistischer. Ein letzter schlief unter Beruhigungsmitteln, die notwendig waren, um die Auswirkungen wiederkehrender Alpträume zu dämpfen. Vierzehn Träumer und einer, für den der Schlaf eine
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überflüssige Abstraktion war. Bishop, der Erste Offizier, überprüfte Meßanzeigen und regulierte Schaltungen. Das lange Warten war zu Ende. Durch den massigen Militärtransporter ertönte ein Alarmsignal. Seit langem schlafende Maschinen - mit gedrosselter Leistung, um Energie zu sparen - erwachten wieder zum Leben. Das taten auch seit langem schlafende Menschen, als ihre Hyperschlaftruhen aufgeladen wurden und aufsprangen. Zufrieden, daß seine Schützlinge den langen Winterschlaf überlebt hatten, machte sich Bishop daran, die Sulaco in einen niedrigen, geostationären Orbit um die Kolonialwelt Acheron zu bringen. Ripley war die erste von den Schläfern, die erwachte. Nicht, weil sie anpassungsfähiger gewesen wäre als ihre Mitreisenden oder besser an die Wirkungen des Hyperschlafs gewöhnt, sondern einfach, weil ihre Truhe als erste in der Reihe aufgeladen wurde. Sie setzte sich in dem eingefriedeten Bett auf, rieb sich energisch die Arme und begann dann, ihre Beine zu bearbeiten. Burke setzte sich in der Truhe gegenüber von ihr auf und der Lieutenant wie hieß er doch noch? Ach ja, Gorman - gleich hinter ihm. Die anderen Truhen enthielten die militärische Besatzung der Sulaco: acht Männer und drei Frauen. Sie waren insofern eine besondere Gruppe, als sie freiwillig die meiste Zeit, die sie wach waren, ihr Leben aufs Spiel setzten: Individuen, die an lange Perioden des Hyperschlafs gewöhnt waren, denen kurze, aber äußerst intensive Wachperioden folgten. Die Art von Leuten, denen andere auf einem Gehsteig oder in einer Bar Platz machen. PFC Spunkmeyer war der Kommandant des Landefahrzeugs, der Mann, der zusammen mit der Pilotin, Corporal Ferro, dafür verantwortlich war, daß seine Kollegen sicher auf der Oberflä-
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che der jeweiligen Welt abgesetzt wurden, die sie gerade besuchten, und daß sie auch in einem Stück wieder abgeholt wurden. In aller Eile, wenn nötig. Er rieb sich die Augen und stöhnte, als er in die Hyperschlafkammer blinzelte. »Ich werde allmählich zu alt für diesen Scheiß.« Niemand nahm Notiz von dieser Bemerkung, da es wohlbekannt war (oder jedenfalls weithin gemunkelt wurde), daß Spunkmeyer sich schon als Minderjähriger dienstverpflichtet hatte. Keiner mokierte sich jedoch über seine Reife oder den Mangel daran, wenn sie in einem von dem PFC befehligten Landefahrzeug der Oberfläche einer neuen Welt zustürzten. Private Drake wälzte sich aus der Truhe neben Spunkmeyer. Er war ein wenig älter als Spunkmeyer und viel häßlicher. Er zeigte nicht nur in bezug auf das Aussehen Ähnlichkeit mit der Sulaco; er war auch noch fast so gebaut wie der alte Frachter. Drake war ein unleugbar übler Kunde, er hatte Arme wie der legendäre einäugige Seemann, eine Nase, die so zerschlagen war, daß sie kein Schönheitschirurg mehr zu reparieren vermochte, und eine häßliche Narbe, die eine Seite seines Mundes zu einem höhnischen Dauergrinsen verzerrte. Die Narbe wäre chirurgisch zu beseitigen gewesen, aber Drake hing an ihr. Sie war eine Medaille, die er ständig tragen konnte. Er hatte eine enganliegende Knautschmütze auf dem Kopf, die kein lebendes Wesen als süß zu bezeichnen wagte. Drake war Automatikkanonier. Er war auch im Umgang mit Gewehren, Handfeuerwaffen, Granaten, verschiedenen Klingen und seinen Zähnen bewandert. »Die zahlen einfach nicht genug für so was«, murmelte er. »Nicht genug, wenn man beim Aufwachen dein Gesicht sehen muß, Drake.« Das kam von Corporal Dietrich, die wohl die hübscheste der ganzen Gruppe war, solange sie den Mund nicht aufmachte. »Schluck doch Vakuum!« empfahl ihr Drake. Er musterte den
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Insassen einer weiteren, vor kurzem geöffneten Truhe. »He, Hicks, du siehst so aus, wie ich mich fühle.« Hicks war der dienstälteste Corporal und Zweite Kommandant der Truppe nach Master Sergeant Apone. Er redete nicht viel und schien immer zur potentiell gefährlichsten Zeit am richtigen Platz zu sein, eine Tatsache, die seine Kollegen bei den Marines sehr zu schätzen wußten. Er behielt seine Meinung für sich, wenn die anderen heraussprudelten. Wenn er aber etwas sagte, lohnte es sich gewöhnlich, ihm zuzuhören. Ripley stand wieder, massierte sich das Blut in die Beine zurück und machte Kniebeugen, um ihre steifen Gelenke zu lockern. Sie musterte die Soldaten, als sie auf dem Weg zu einer Reihe von Spinden an ihr vorbeischlurften. Es waren keine Supermänner darunter, keine Archetypen mit dicken Muskelpaketen, aber jeder einzelne war trainiert und gestählt. Sie vermutete, daß auch der schlechteste von ihnen einen ganzen Tag mit vollem Gepäck über eine Welt mit 2g laufen, dabei einen Kleinkrieg führen und dann die Nacht über komplizierte Computergeräte auseinandernehmen und reparieren konnte. Reichlich Muskeln und Hirn, auch wenn sie am liebsten wie gewöhnliche Straßenschläger daherredeten. Das beste, was das zeitgenössische Militär zu bieten hatte. Sie fühlte sich ein wenig sicherer - aber nur ein wenig. Master Sergeant Apone kam den Mittelgang herauf und wechselte nacheinander mit jedem seiner soeben wiederbelebten Soldaten ein paar Worte. Der Sergeant sah so aus, als könne er einen mittelgroßen Laster mit bloßen Händen auseinandernehmen. Als er an der Palette von Nachrichtenoffizier Hudson vorbeikam, brachte dieser eine Beschwerde vor. »Der Fußboden ist ja eiskalt!« Das warst du vor zehn Minuten auch noch. Himmel, ich hab' noch nie so'nen Haufen alter Weiber gesehen. Soll ich dir deine
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Pantoffeln holen, Hudson?« Der Corporal klimperte dem Sergeant mit den Wimpern zu. »Würden Sie das für mich tun, Sir? Ich wäre Ihnen sooo dankbar.« Ein paar rauhe Gluckser belohnten Hudsons schlagfertige Antwort. Apone lächelte vor sich hin, als er weiterging, seine Leute ausschalt und sie drängte, sich zu beeilen. Ripley ging ihnen aus dem Weg, als sie vorbeitrotteten. Sie waren ein verschworener Haufen, ein einziger Kampforganismus mit elf Köpfen, und sie gehörte nicht zu ihnen. Sie stand außerhalb, war isoliert. Zwei nickten ihr zu, als sie vorbeigingen, und ein oder zweimal hörte sie ein beiläufiges Hallo. Mehr konnte sie auch nicht erwarten, aber sie fühlte sich dadurch in dieser Gesellschaft auch nicht wohler. PFC Vasquez starrte sie nur an, als sie vorbeiging. Ripley hatte von den Robotern schon wärmere Blicke geerntet. Die zweite Automatikkanonierin blinzelte nicht und lächelte nicht. Schwarzes Haar, noch schwärzere Augen, schmale Lippen. Attraktiv wenn sie sich auch nur ein bißchen Mühe gegeben hätte. Man brauchte eine besondere Begabung, eine einmalige Kombination aus Kraft, geistigen Fähigkeiten und Reflexen, um eine Automatikkanone zu bedienen. Ripley wartete darauf, daß die Frau etwas sagte. Sie machte den Mund nicht auf, als sie vorüberging. Alle Soldaten wirkten hart. Drake und Vasquez wirkten hart und bösartig. Vasquez' Gegenstück rief sie an, als sie auf die Höhe seines Spindes kam. He, Vasquez, hat man dich schon mal für'n Mann gehalten?« »Nein. Dich?« Drake streckte ihr die offene Hand hin. Sie schlug darauf, und seine Finger schlossen sich sofort fest um ihre kleineren. Der Druck wurde auf beiden Seiten verstärkt, eine stumme,
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schmerzhafte Begrüßung. Beide waren froh, aus dem Hyperschlaf erwacht und wieder lebendig zu sein. Schließlich schlug sie ihm quer übers Gesicht, und ihre Hände lösten sich voneinander. Sie lachten, junge Dobermä nner beim Spiel. Drake war der Stärkere, aber Vasquez war schneller, sagte sich Riple y, während sie ihnen zusah. Wenn sie hinunter mußte, so beschloß sie, dann würde sie versuchen, die beiden rechts und links von sich zu halten. Das wäre der sicherste Platz. Bishop ging ruhig zwischen den Leuten herum und half beim Massieren und mit einer Flasche spezieller NachschlafFlüssigkeit, er verhielt sich eher wie ein Kammerdiener als wie ein Schiffsoffizier. Er schien älter als jeder der Soldaten, einschließlich Lieutenant Gorman. Als er dicht an Ripley vorbeikam, bemerkte sie den alphanumerischen Code, der ihm auf den Rü cken der linken Hand tätowiert war. Sie erstarrte, als sie ihn erkannte, sagte aber nichts. »He, Lakai«, sagte der Private Frost zu jemandem, den Ripley nicht sehen konnte, »nimmst du mein Handtuch?« Frost war genauso jung wie Hudson, sah aber besser aus, jedenfalls erklärte er das jedem, der seine Zeit damit verschwendete, ihm zuzuhören. Wenn es ums Aufschneiden ging, stand es zwischen den beiden jüngeren Soldaten gewöhnlich unentschieden. Hudson neigte dazu, sich auf Lautstärke zu stützen, während Frost sich um die richtigen Worte bemühte. Spunkmeyer war fast vorne in der Reihe und beschwerte sich immer noch. »Ich brauche Zeit zum Bummeln, Mann. Wieso schicken die uns gleich wieder so raus? Das ist nicht fair! Wir haben 'ne Pause verdient, Mann.« Hicks murmelte leise: »Du hast gerade drei Wochen gehabt. Willst du dein ganzes Leben nur bummeln?« »Ich meine atmen, nicht diesen gefrorenen Scheiß. Drei Wochen in der Kühltruhe, das ist doch kein richtiger Urlaub.«
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»Ja, Chef, wie war's damit?« wollte Dietrich wissen. »Ihr wißt, daß es auf mich nicht ankommt.« Apone hob seine Stimme über das Gemeckere. »Okay, Schluß mit dem Gequassel! Erste Zusammenkunft in fünfzehn. Ich möchte, daß bis dahin jeder aussieht wie'n Mensch die meisten von euch werden sich verkleiden müssen. Also, legt'n Zahn zu!« Die Hyperschlafkleidung wurde ausgezogen und in den Abfallschlucker geworfen. Es war einfacher, die Überreste zu verbrennen und für die Rückreise eine neue Ausstattung zur Verfügung zu stellen, als zu versuchen, Shorts und Oberteile, die mehrere Wochen an einem Körper gehaftet hatten, wiederverwendbar zu machen. Die Reihe hagerer, nackter Körper marschierte unter die Dusche. Hochdruckwasserstrahlen fegten angesammelten Schweiß und Schmutz weg und brachten Nervenenden unter gescheuerter Haut zum Kribbeln. Durch die Dampfschwaden beobachtete Hudson, Vasquez und Ferro, wie Ripley sich abtrocknete. »Wer ist das Frischfleisch gleich wieder?« Vasquez stellte die Frage, während sie sich das Shampoo aus dem Haar wusch. »Soll irgendwie den Berater spielen. Viel weiß ich nicht von ihr.« Die winzige Ferro rieb sich ihren Bauch, der so flach und muskelhart war wie eine Stahlplatte, und erklärte dabei, in Mimik und Tonfall übertreibend: »Sie hat mal einen Alien gesehen. Das sagt wenigstens der Schiffsklatsch.« »Huch!« Hudson schnitt eine Grimasse. »Kein Quatsch? Ich bin beeindruckt.« Apone schrie nach hinten. Er war schon draußen im Trockenraum und frottierte sich die Schultern. An ihnen war genausowenig Fett wie bei einem zwanzig Jahre jüngeren Soldaten. »Weiter, weiter! Verdammter Haufen von Faulpelzen, ihr werdet noch die Recycler trocken laufen lassen. Los doch, durch mit euch! Ihr müßt erst mal dreckig werden, ehe ihr
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sauber werden könnt.« Formlose Trennung war die Parole in der Messe. Das ging automatisch. Es bedurfte keiner geflüsterten Worte oder kleinen Namensschilder neben den Gläsern. Apone und seine Soldaten belegten den großen Tisch mit Beschlag, während Ripley, Gorman, Burke und Bishop sich an den anderen setzten. Jeder hielt sich an Kaffee, Tee, Schorle oder Wasser fest, während sie daraufwarteten, daß der Autokoch des Schiffs Eier und Speckersatz, Toast mit Haschee, Gewürze und Ergänzungsvitamine austeilte. Man konnte jeden Soldaten an seiner oder ihrer Uniform erkennen. Keine zwei davon waren genau gleich. Das lag nicht etwa an speziellen Erkennungsabzeichen, sondern am individuellen Geschmack. Die Sulaco war keine Kaserne und Acheron kein Exerzierplatz. Gelegentlich mußte Apone jemanden wegen einer besonders ausgefallenen Idee zur Schnecke machen, wie damals, als Crowe mit dem lebensgroßen Aktfoto seiner neuesten Freundin daherge kommen war, das er sich vom Computer auf den Rücken seiner Panzerung hatte kopieren lassen. Aber meistens durften die Soldaten ihre Kleidung so dekorieren, wie sie wollten. »He, Chef«, drängelte Hudson. »Was is'n das eigentlich für'n Einsatz?« »Ja.« Frost blies in seinen Tee, daß er schäumte. »Ich weiß nur, daß ich Befehl zum Einschiffen kriege und nicht mal Grüß Gott/Auf Wiedersehen zu Myrna sagen kann.« »Myrna?« Private Wierzbowski zog eine buschige Augenbraue hoch. »Ich dachte, sie heißt Leina?« Frost schien einen Moment lang nicht ganz sicher zu sein. »Ich glaube, Leina war vor drei Monaten. Oder vor sechs?« »Es ist ein Rettungseinsatz.« Apone nippte an seinem Kaffee. »Da sind 'n paar saftige Kolonistentöchter, die wir vor der Jungfräulichkeit retten müssen.«
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Ferro tat so, als sei sie schrecklich enttäuscht. »Verdammt, dann bin ich draußen.« »Wer sagt das?« höhnte Hudson. Sie warf mit Zucker nach ihm. Apone hörte nur zu und beobachtete. Er hatte keinen Grund, einzuschreiten. Er hätte sie beruhigen, hätte streng nach Vorschrift arbeiten können. Aber er ließ das Ganze lieber lässig und fair laufen, aber nur, weil er wußte, daß seine Leute die besten waren. Er würde in jeden Kampf gehen, wenn einer von ihnen ihm den Rücken deckte, ohne sich über das Sorgen zu machen, was er nicht sehen konnte, weil er wußte, das alles, was sich an ihn heranschleichen wollte, so wirkungsvoll erledigt werden würde, als hätte er Augen im Hinterkopf. Sollten sie doch spielen, sollten sie die EKB, das Corps, die Gesellschaft und auch ihn verfluchen. Wenn es soweit war, würde das Spielen aufhören, und jeder einzelne von ihnen würde voll bei der Sache sein. »Scheiß. Blöde Kolonisten.« Spunkmeyer konzentrierte sich auf seinen Teller, als das Essen endlich angeliefert wurde. Nach drei Wochen Schlaf war er halb verhungert, aber doch nicht so, daß er auf den obligatorischen kulinarischen Kommentar des Soldaten ve rzichtet hätte: »Was soll das denn für'n Zeug seia?« »Eier, du Blödmann«, sagte Ferro. »Was ein Ei ist, weiß ich schon, du Blasenhirn. Ich meine das matschige, flache, gelbe Zeug daneben.« »Maisbrot, glaube ich.« Wierzbowski betastete seine Portion und bemerkte noch zerstreut: »He, ich hätte nichts dagegen, mir noch was von dieser arkturischen Nutte zu holen. Wißt ihr noch?« Hicks saß rechts von ihm. Der Corporal blickte kurz auf, dann schaute er wieder auf seinen Teller. »Sieht so aus, als wäre sich der neue Lieutenant zu gut, um mit uns armen Schweinen zu
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essen. Der schmeißt sich an den Gesellschaftsvertreter ran.« Wierzbowski starrte am Corporal vorbei, ohne sich darum zu kümmern, ob jemand zufällig bemerkte, in welche Richtung sein Blick ging. »Ja. Hat eindeutig 'nen Maiskolben im Hintern.« »Macht nichts, wenn er seinen Job versteht«, sagte Crowe. »Das Zauberwort.« Frost hackte auf seine Eier ein. »Wir werden's schon sehen.« Vielleicht war es Gormans Jugend, die sie störte, obwohl er älter war als die Hälfte der Soldaten. Aber wahrscheinlich war es noch mehr sein Aussehen: die Frisur ordentlich, selbst nach Wochen im Hyperschlaf, die Bügelfalten scharf und gerade, die Stiefel glänzend wie schwarzes Metall. Er sah zu gut aus. Während sie aßen, murrten und herumstarrten, setzte sich Bishop auf den leeren Platz neben Ripley. Sie stand ostentativ auf und ging an die andere Seite des Tisches. Der Eins O schien gekränkt. »Tut mir leid, daß Sie so über Syntheten denken, Ripley.« Sie ignorierte ihn, starrte wütend hinunter zu Burke und sagte in vorwurfsvollem Ton. »Sie haben mir kein Wort davon gesagt, daß ein Androide an Bord sein würde! Warum nicht? Und Sie brauchen mich auch nicht anzulügen, Carter. Ich habe vor der Dusche seine Tätowierung gesehen.« Burke schien völlig verdutzt. »Tja, daran habe ich gar nicht gedacht. Ich weiß auch nicht, warum Sie so empört sind. Es ist seit Jahren die Strategie der Gesellschaft, bei jedem Transport einen Syntheten an Bord zu nehmen. Sie brauchen keinen Hyperschlaf, und es ist viel billiger, als zur Überwachung der Interstellarsprünge einen menschlichen Piloten einzustellen. Sie werden auch nicht verrückt, wenn sie über lange Zeit solo arbeiten müssen. Gar nichts Besonderes dahinter.« »Ich selbst bevorzuge den Ausdruck >Künstliche Person<«, warf Bishop sanft ein. »Gibt es irgendein Problem? Vielleicht
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kann ich irgendwie behilflich sein.« »Ich glaube nicht.« Burke wischte sich Ei von den Lippen. »Auf ihrer letzten Reise hat ein Synthet nicht richtig funktioniert. Dadurch kam es zu einigen Todesfällen.« »Ich bin erschüttert. Ist das schon lange her?« »Ja, ziemlich lange.« Burke stellte das fest, ohne genauer darauf einzugehen, und Ripley war ihm dankbar dafür. »Das muß dann ein älteres Modell gewesen sein.« »Cyberdene Systems 120A/2.« Bishop überschlug sich fast vor Eifer, Ripley versöhnlich zu stimmen, als er sich an sie wandte. »Nun, das erklärt alles. Die alten A- Zweis waren immer ein wenig wacklig. Jetzt könnte das nicht mehr passieren, nicht mit den neu implantierten Verhaltensinhibitoren. Für mich ist es unmöglich, einem menschlichen Wesen Schaden zuzufügen oder durch Unterlassung einer Handlung zu gestatten, daß ihm Schaden zugefügt wird. Die Inhibitoren werden im Werk zusammen mit meinen übrigen Gehirnfunktionen eingebaut. Niemand kann daran herumpfuschen. Sie sehen also, ich bin ganz harmlos.« Er reichte ihr einen Teller, auf dem ein hoher Stapel gelber Rechtecke lag. »Noch etwas Maisbrot?« Der Teller zerbrach nicht, als er auf die gegenüberliegende Wand traf, nachdem Ripley ihn ihm aus der Hand geschlagen hatte. Maisbrot zerkrümelte, als der Teller zu Boden sank. »Bleiben Sie mir vom Leib, Bishop! Haben Sie das kapiert? Halten Sie sich, verdammt noch mal, von mir fern!« Wierzbowski beobachtete die kleine Episode schweigend, dann zuckte er die Achseln und wandte sich wieder seinem Essen zu. »Sie mag das Maisbrot auch nicht.« Weitere Gespräche löste Ripleys Ausbruch nicht aus, die Soldaten beendeten ihr Frühstück und zogen sich in den Bereitschaftsraum zurück. Reihen exotischer Waffen säumten
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die Wände hinter ihnen. Einige stellten ihre Stühle zusammen und begannen mit einem improvisierten Würfelspiel. Es war schwierig, ein Spiel mit schwebenden Würfeln fortzusetzen, nachdem man drei Wochen lang bewußtlos war, aber sie versuchten es trotzdem. Als Gorman und Burke eintraten, reckten sie sich faul, nahmen aber Haltung an, als Apone sie anbellte. »Aaaaachtuuuuung!« Die Männer und Frauen reagierten wie eine Person, die Arme senkrecht an der Seite, die Augen geradeaus und nur auf das gerichtet, was der Sergeant als nächstes sagen würde. Gormans Augen schnellten über die Reihe. Wenn möglich, waren die Soldaten in Habachtstellung noch bewegungsloser als vorher, eingefroren im Hyperschlaf. Er ließ sie noch einen Augenblick stehen, ehe er weitersprach. »Rührt euch!« Die Reihe bewegte sich, als Muskeln entspannt wurden. »Tut mir leid, daß wir keine Zeit mehr hatten, Sie zu instruieren, ehe wir von Gateway starteten, aber ...« »Sir?« meldete sich Hudson. Ärgerlich blickte Gorman zu dem Sprecher hinüber. Konnte er ihn nicht einmal seinen ersten Satz beenden lassen, ehe er mit den Fragen anfing? Nicht, daß er etwas anderes erwartet hätte. Man hatte ihn gewarnt, daß dieser Haufen vielleicht so sein würde. »Ja, was ist, Hicks?« »Hudson, Sir.« Der Sprecher deutete mit einem Nicken zu seinem Nebenmann hin. »Das da ist Hicks.« »Was wollen Sie fragen, Soldat?« »Wird es ein richtiger Kampf, Sir, oder wieder eine Ungeziefer-Jagd?« »Wenn Sie einen Augenblick warten könnten, würden Sie vielleicht feststellen, daß ein paar von Ihren Fragen schon im voraus beantwortet werden, Hudson. Ich kann Ihre Ungeduld
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und Neugier verstehen. Viel gibt es nicht zu erklären. Wir wissen nur, daß wir immer noch keine Verbindung mit der Kolonie haben. Der Erste Offizier Bishop hat sofort versucht, Hadley anzurufen, als die Sulaco in Reichweite von Acheron kam. Er bekam keine Antwort. Das Tiefraum-Satellitenrelais des Planeten erwies sich als funktionsfähig; das ist also nicht der Grund für die fehlende Verbindung. Wir wissen noch nicht, woran es liegt.« »Irgendwelche Ahnungen?« fragte Crowe. »Es besteht eine Möglichkeit, im Augenblick wirklich nur eine Möglichkeit, daß ein Xeno morph damit zu tun hat.« »Ein waaaaaas?" fragte Wierzbowski. Hicks beugte sich zu ihm und flüsterte leise: »Es wird 'ne Ungezieferjagd.« Dann, lauter, zum Lieutenant: »Und was sind das für Wesen, wenn sie überhaupt da sind?« Gorman nickte Ripley. zu, und sie trat vor. Elf Augenpaare richteten sich wie Visiere auf sie: wachsam, durchdringend, neugierig und forschend. Sie schätzten sie ab, wußten noch nicht, ob sie sie in dieselbe Kategorie einordnen sollten wie Burke und Gorman, oder anderswo. Sie mochten sie weder, noch hatten sie eine Abneigung gegen sie, weil sie sie noch nicht kannten. Schön. Belassen wir's dabei! Sie legte eine Handvoll winziger Recorder-Disketten vor sich auf den Tisch. »Ich habe alles, was ich weiß, auf diese Dinger hier diktiert. Es gibt einige Duplikate. Sie können Sie auf Ihren Zimmern oder in Ihren Anzügen lesen.« »Ich bin ein langsamer Leser.« Apones Stimmung heiterte sich soweit auf, daß er ein wenig lächelte. »Machen Sie uns ein bißchen Appetit.« »Ja, geben Sie uns 'ne kleine Vorschau.« Spunkmeyer lehnte sich nach hinten, gegen soviel Sprengstoff, daß man ein Hotel damit hätte hochjagen können, und kuschelte sich zwischen die
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Zünder und die Sprengkapseln. »Okay. Zuerst ist es wichtig, den Lebenszyklus dieses Organismus zu verstehen. Es sind eigentlich zwei Wesen. Die erste Form schlüpft aus einer Sporenschote, einer Art großem Ei, und hängt sich an ihr Opfer. Dann führt sie einen Embryo in dessen Körper ein, löst sich und stirbt. Diese Daseinsform ist im wesentlichen ein wandelndes Sexualorgan. Dann ...« »Hört sich an wie du, Hicks.« Hudson grinste zu dem älteren Mann hinüber, der wie gewöhnlich mit einem toleranten Lächeln reagierte. Ripley fand es nicht komisch. Sie fand nichts komisch, was mit dem Alien zu tun hatte, aber sie hatte es schließlich auch gesehen. Die Soldaten begriffen noch nicht, daß sie ihnen etwas beschrieb, was ihre Fantasie bei weitem überstieg. Sie würde sich bemühen müssen, Geduld mit ihnen zu haben. Einfach würde das nicht sein. »Der Embryo, die zweite Daseinsform, nistet sich mehrere Stunden lang im Körper des Opfers ein. Er reift heran. Dann ...« sie mußte schlucken und gegen eine plötzliche Trockenheit in ihrer Kehle ankämpfen »… kommt es heraus. Häutet sich. Wächst rasend schnell. Die erwachsene Form durchläuft einige kurze Zwischenstadien, bis sie ausgewachsen die Gestalt eines ...« Diesmal war es Vasquez, die unterbrach. »Ist ja alles schön und gut, aber ich brauche nur eines zu wissen.« »Ja?« »Wo sie sind.« Sie deutete mit dem Finger auf eine leere Stelle zwischen Ripley und der Tür, krümmte ihren Daumen und feuerte auf einen Phantasieeindringling. Von ihren Kollegen kam zustimmendes Gejohle und Gepruste. »Jo! Vasquez, tritt's in den Hintern.« Wie immer entzückte sich Drake an der nüchternen Blutrünstigkeit seines Pandants.
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Ihr Spitzname war >Mörderknabe<. Er war nicht unzutreffend. Sie nickte schroff: »Jederzeit. Ganz gleich, wo.« »Hat jemand >Alien< gesagt'« Hudson lehnte sich in seinem Stuhl zurück und spielte müßig mit einer Waffe mit einem besonders langen, dünnen Lauf herum. »Sie dachte, es hätte illegales Alien geheißen und sich deshalb gemeldet.« »Geh zum Henker!« Vasquez schnippte beiläufig mit dem Finger zu dem Nachrichtentechniker hin. Er reagierte darauf, indem er ihren Tonfall und ihre Haltung so genau wie möglich nachäffte. »Jederzeit. Ganz gleich, wo.« Ripleys Tonfall war so kalt wie die Außenhaut der Sulaco. »Habe ich Sie bei Ihrer Unterhaltung gestört, Mr. Hudson? Ich weiß, daß die meisten von Ihnen dies nur für einen neuen typischen Polizeieinsatz halten. Ich kann Ihnen versichern, daß es mehr ist als das. Ich habe dieses Geschöpf gesehen. Ich habe gesehen, wozu es fähig ist. Wenn Sie mit ihm zusammentreffen, dann wird Ihnen das Lachen vergehen, das garantiere ich Ihnen.« Hudson beruhigte sich mit süffisantem Grinsen. Ripley richtete ihre Aufmerksamkeit auf Vasquez. »Ich hoffe, es wird so einfach werden, wie Sie es hinstellen. Ich hoffe es wirklich.« Die Blicke der beiden Frauen bohrten sich ineina nder. Keine schaute weg. Burke brach das Ganze ab, indem er zwischen sie trat und die versammelten Soldaten ansprach: »Als Vorschau reicht das. Ich schlage vor, Sie alle nehmen sich die Zeit, die Disketten zu studieren, die Ripley freundlicherweise für Sie vorbereitet hat. Sie enthalten weitere grundlegende Informationen, außerdem einige sehr detaillierte, spekulative Graphiken, die von einem modernen Abbildungscomputer hergestellt wurden. Ich glaube, die werden Sie interessieren. Ich verspreche Ihnen, daß sie gefesselt sein werden.« Er überließ Gorman das Wort. Der
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Lieutenant machte es kurz, er hörte sich wenigstens so an wie ein Kommandant, auch wenn er nicht ganz so aussah. »Vielen Dank, Mr. Burke, Ms. Ripley.« Sein Blick schweifte über die gleichgültigen Gesichter seines Trupps. »Irgendwelche Fragen?« Hinten in der Gruppe hob sich lässig eine Hand, und er seufzte resigniert: »Ja, Hudson?« Der Nachrichtentechniker betrachtete seine Fingernägel. »Wie komme ich aus dieser Hasenfußeinheit raus?« Gorman machte ein finsteres Gesicht und verkniff es sich, den ersten Gedanken auszusprechen, der ihm in den Sinn kam. Er dankte Ripley noch einmal, und sie setzte sich erleichtert. »Schön. Ich möchte, daß dieser Einsatz glatt und vorschriftsmäßig über die Bühne geht. Ich will bis 08:30 die volle DCS und die taktische Basisdatenassimilation.« Von einigen Stellen aus der Gruppe war Stöhnen zu hören, aber nirgends gab es einen wirklichen Protest. Niemand hatte mit weniger gerechnet. »Zum Munitionfassen, Auseinandernehmen und Kontrollieren der Waffen und zur Vorbereitung des Landefahrzeugs stehen sieben Stunden zur Verfügung. Ich möchte, daß jeder und alles rechtzeitig startbereit ist. Los jetzt! Sie hatten drei Wochen zum Ausruhen.«
5.
Die Sulaco war eine riesige Muschel aus Metall, die in einem schwarzen Meer schwamm. Bläuliche Lichter blitzten geräuschlos an den Flanken ihres unschönen Rumpfs auf, als sie sich in die endgültige Umlaufbahn begab. Auf der Brücke beobachtete Bishop seine Instrumente und Meßwerte, ohne zu
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blinzeln. Gelegentlich berührte er einen Schalter oder tippte einen Schwarm von Befehlen in das System ein. Meistens brauchte er nur zuzusehen, während die Computer das Schiff in die erwünschte Umlaufbahn brachten. Die Automatik, die eine interstellare Navigation erst möglich machte, hatte den Menschen auf den Status eines Hilfssystems für den äußersten Notfall eingeschränkt. Jetzt hatten Syntheten wie Bishop den Menschen vollends ersetzt. Die Erforschung des Kosmos war zu einem Ausflug mit Chauffeur geworden. Als sich die Scheiben und Meßinstrumente zu seiner Zufriedenheit angeordnet hatten, beugte er sich zum nächsten Aufnahmegerät: »Achtung, hier spricht die Brücke. Bishop. Damit sind die letzten intraorbitalen Steueroperationen beendet. Die planetensynchrone Anpassung ist vollzogen. Ich habe die künstliche Schwerkraft auf Acheronnorm reguliert. Danke für die Mitarbeit. Sie können die Arbeit wieder aufne hmen.« Im Gegensatz zu der friedlichen Stille, die fast überall auf dem Schiff herrschte, herrschte im Fracht und Verladeraum wimmelnde Aktivität. Spunkmeyer saß im rollenden Käfig einer großen Verlademaschine, einem Gehzeug, das einem mechanische n Elefantenskelett ähnelte, aber viel stärker als ein Mammut war. Die Waldoschuhe, in denen seine Hände und Füße steckten, nahmen seine Bewegungen auf und übertrugen sie auf die Metallarme und -beine der Maschine, wobei seine Hebekapazität mit einem Faktor von mehreren Tausend multipliziert wurde. Er schob die langen Arme in ein prall gefülltes Munitionsregal und hob einen Ständer mit kleinen, taktischen Raketen heraus. Mit glatten, mühelosen Bewegungen seiner Waldoprothese schwenkte er die Ladung in den Ba uch des Landefahrzeugs hinauf. Von innen klickte und klirrte es, als das Fahrzeug die Ladung annahm und die Raketen automatisch befestigte
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und sicherte. Spunkmeyer kehrte zurück, um die nächste Ladung zu holen. Die Verlademaschine war ramponiert und voller Wagenschmiere. Auf ihrer Rückseite stand schwach sichtbar das Wort Raupe geschrieben. Andere Soldaten fuhren Motorschlepper oder bedienten Verladearme. Gelegentlich riefen sie sich etwas zu, aber meistens gingen die Lade und Vorbereitungsarbeiten schweigend vonstatten. Auch ohne Zwischenfälle, denn die Mitglieder der Truppe griffen ineinander wie die Räder einer halb metallischen, halb organischen Maschine. Trotz der Enge, in der sie arbeiteten, und trotz der vielen gefährlichen Maschinen, die ständig in Bewegung waren, brachte keiner seinem Nachbarn auch nur eine Schramme bei. Hicks überwachte alles, hakte auf einem elektronischen Manifest einen Punkt nach dem anderen ab und nickte gelegentlich vor sich hin, wenn eine der notwendigen Prozeduren vor der Landung zufriedenstellend erledigt war. Im Waffenlager nahmen Wierzbowski, Drake und Vasquez leichte Waffen vorschriftsmäßig auseinander, ihre Finger bewegten sich mit der gleichen Präzision wie die Verlademaschinen im Frachtraum. Winzige Schaltelemente wurden entfernt, überprüft, von Staub und Müll freigeblasen und dann wieder in die glatten, tödlichen Skulpturen aus Metall und Plastik eingesetzt. Vasquez hob ihre schwere Automatikkanone aus dem Regal und spannte sie in einen Ständer ein, dann begann sie liebevoll mit der computergestützten Endüberprüfung. Die Waffe war so gebaut, daß man sie wie ein Kleidungsstück trug, nicht wie einen Gegenstand. Sie war mit einer integrierten, computergesteuerten Feuerautomatik und einer eigenen Zielsuchmechanik ausge stattet und auf einem Präzisionskardanring gelagert, der sich, je nach den Bewegungen des Schützen selbst stabilisierte. Die Waffe
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konnte praktisch alles, außer ihren Abzug selbst betätigen. Vasquez lächelte zärtlich, während sie daran arbeitete. Es war ein schwieriges Kind, ein kompliziertes Kind, aber es würde sie und ihre Kameraden schützen und vor Schaden bewahren. Sie ließ ihrer Waffe mehr Verständnis und Fürsorge angedeihen als irgendeinem ihrer Kollegen. Drake verstand das vollkommen. Auch er sprach mit seiner Waffe, wenn auch unhörbar. Keiner ihrer Mitsoldaten fand ein solches Verhalten anormal. Jeder wußte, daß alle Kolonialen Marines ein wenig verrückt waren, und daß die Automatikkanoniere die sonderbarsten Typen des ganzen Haufens darstellten. Sie neigten dazu, ihre Waffe als Fortsetzung ihres Körpers zu behandeln. Anders als bei ihren Kollegen war die Waffenbedienung ihre Hauptaufgabe. Drake und Vasquez brauchten sich nicht damit abzugeben, Nachrichtengeräte zu beherrschen, ein Landefahrzeug zu steuern, den Schützenpanzer zu fahren oder auch nur mitzuhelfen, das Schiff für die Landung zu beladen. Alles, was man von ihnen verlangte, war, auf Dinge zu schießen. Ihr Spezialauftrag laut ete, den Tod zu verbreiten … Beide liebten ihre Arbeit. Nicht jeder war so beschäftigt wie die Soldaten. Burke hatte seine wenigen persönlichen Vorbereitungen für die Landung beendet, während Gorman die tatsächliche Überwachung der letzten Vorarbeiten Apone überlassen konnte. Während sie danebenstanden und zusahen, sprach der Vertreter der Gesellschaft den Lieutenant beiläufig an. »Immer noch nichts von der Kolonie?« Gorman schüttelte den Kopf, dann fiel ihm etwas am Ladeverfahren auf, was ihn veranlaßte, sich auf seinem elektronischen Block eine Notiz zu machen. »Nicht einmal eine Trägerwelle im Hintergrund. Alle Kanäle tot.« »Und wegen des Übertragungssatelliten sind wir sicher?«
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»Bishop behauptet steif und fest, er habe ihn gründlich überprüft, und der Satellit hätte auf jeden Befehl einwandfrei reagiert. Er sagt, damit hätte er sich die Zeit vertrieben, während wir uns im letzten Stadium der Annäherung an das System befanden. Er hat ein Standardprüfsignal über den Sender zur Erde laufen lassen, und wir müßten in ein paar Tagen eine Antwort bekommen. Das wäre dann die end gültige Bestätigung, aber er war sich seiner eigenen Untersuchung so sicher, daß er für die Leistungsfähigkeit des Systems garantieren will.« »Dann liegt das Problem auf der Oberfläche des Planeten.« Gorman nickte. »Wie wir es die ganze Zeit vermutet hatten.« Burke machte ein nachdenkliches Gesicht. »Was ist mit den Nachrichtenverbindungen dort unten? Gemeindevideo, Zentrale an Traktoren, Übertragungen zwischen den Atmosphäreaufbereitungsstationen und so weiter?« Der Lieutenant schüttelte bedauernd den Kopf. »Wenn da unten Leute miteinander reden, dann tun sie es mit Rauchzeichen oder Spiegeln. Bis auf das übliche leise Zischen von der hiesigen Sonne ist das elektromagnetische Spektrum so tot wie ein Klumpen Blei.« Der Vertreter der Gesellschaft zuckte die Achseln. »Nun ja, wir haben nicht erwartet, etwas anderes vorzufinden. Trotzdem hatten wir immer noch Hoffnung.« »Die besteht auch jetzt noch. Vielleicht hat die Kolonie ein gemeinschaftliches Schweigegelübde abgelegt. Vielleicht werden wir nur von einem kollektiven Schmollen empfangen.« »Warum sollten sie so etwas tun?« »Woher soll ich das wissen? Eine religiöse Massenbekehrung oder etwas anderes, was Funkstille fordert.« »Ja. Vielleicht.« Burke wollte Gorman glauben. Gorman wollte Burke glauben. Keiner glaubte dem anderen auch nur einen Augenblick lang. Was immer die Kolonie auf Acheron
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zum Verstummen gebracht hatte, es war keine freiwillige Entscheidung gewesen. Menschen redeten gerne. Kolonisten noch mehr als die meisten anderen. Sie würden niemals freiwillig alle Nachrichtenverbindungen abschalten. Ripley hatte die beiden Männer beobachtet. Jetzt wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder den noch in Gang befindlichen Verladearbeiten und den Landungsvorbereitungen zu. Sie hatte schon in den Nachrichten militärische Landefahrzeuge gesehen, aber jetzt stand sie zum erstenmal dicht neben einem. Es vermittelte ihr ein etwas sichereres Gefühl. Schwer gepanzert und bewaffnet, sah es aus wie eine riesige schwarze Wespe. Während sie zusah, wurde gerade ein sechsrädriger Schütze npanzer in den Bauch des Schiffes gehievt. Er war wie ein Eisenbarren gebaut, niedrig und gedrungen, unschön im Profil und rein funktione ll. Eine Bewegung von links ließ sie zur Seite stolpern. Frost kam mit einem Gestell voll unverständlicher Geräte auf sie zugerollt. »Bahn frei, bitte«, sagte er höflich. Als sie sich entschuldigte und zur Seite trat, war sie auch schon wieder gezwungen, in eine andere Richtung auszuweichen, um Hudson nicht in die Quere zu kommen. »Entschuldigung.« Er sah sie nicht an, sondern konzentrierte sich auf seine Staplerladung von Vorräten. Sie fluchte lautlos und suchte in dem organisierten Durcheinander so lange, bis sie Apone fand. Der Sergeant plauderte mit Hicks, und beide studierten die Prüfliste des Corporal, als sie herantrat. Sie schwieg, bis der Sergeant von ihrer Anwesenheit Notiz nahm. »Ist was?« fragte er neugierig. »Ja, es ist was. Ich fühle mich hier unten wie das fünfte Rad am Wagen und habe das Nichtstun satt.« Apone grinste. »Wir haben alle das Nichtstun satt. Und?«
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»Gibt es etwas, das ich tun kann?« Er kratzte sich am Hinterkopf und musterte sie. »Ich weiß es nicht. Gibt es etwas, was Sie tun können?« Sie drehte sich um und streckte die Hand aus. »Ich kann diese Lader fahren. Ich habe eine Dockeinstufung Klasse Zwei. Mein letzter Karrieresprung.« Apone blickte in die Richtung, in die sie zeigte. Die zweite Verlademaschine der Sulaco stand untätig in ihrer Wartungsnische. Seine Leute waren vielseitig, aber in erster Linie waren sie Soldaten. Marines, keine Stauer. Ein zusätzliches Paar Hände beim Verladen der schweren Sachen wäre ihm schon willkommen, besonders, wenn diese Hände aus Titanlegierung waren wie die der Verlademaschine. »Das ist kein Spielzeug.« Die Skepsis in Apones Stimme stand auch in Hicks' Gesicht. »Das macht nichts«, erwiderte sie knapp. »Wir haben ja auch nicht Weihnachten.« Der Sergeant schürzte die Lippen. »Klasse Zwei, ja?« Statt einer Antwort drehte sie sich auf dem Absatz um und schritt zu dem Lader hinüber, sie stieg die Leiter hinauf und nahm den Sitz im Schutzkäfig des Gehzeugs ein. Eine schnelle Inspektion ergab, daß der Lader, wie sie schon vermutet hatte, ein wenig anders war als die, die sie in Portside auf der Erde gefahren hatte. Vielleicht ein etwas neueres Modell. Sie drückte nacheinander auf mehrere Schalter. Motoren wurden gestartet. Ein tiefes Brummen drang aus den Eingeweiden der Maschine und stieg zu einem gleichmäßigen Summen an. Sie schlüpfte mit Händen und Füßen in die Waldoschuhe. Wie ein gelähmter Dinosaurier, der plötzlich mit einem Ruck ins Leben zurückgeholt wird, hob sich der Lader auf seine Titanpolster. Er dröhnte, als sie ihn zu einem Stapel Frachtelemente hinübermarschieren ließ. Riesige Klauen wurden ausgefahren, senkten sich, schoben sich in Hebekuhlen unter
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den nächsten Behälter. Sie hob ihn vom Stapel herunter und schwang ihn nach hinten auf die zuschauenden Männer zu. Ihre Stimme übertönte das Summen der Motoren. »Wo soll er hin?« Hicks warf seinem Sergeant einen Blick zu und zog anerkennend eine Augenbraue hoch. Die persönlichen Vorbereitungen liefen im gleichen Tempo ab wie die Beladung des Landefahrzeugs, aber mit noch mehr Sorgfalt. Mit dem Schützenpanzer konnte etwas schieflaufen, oder mit den Vorräten, die hineingestopft waren, mit der Nachrichtenverbindung oder mit den Ersatzgeräten, aber kein Soldat würde zulassen, daß mit ihrer oder seiner persönlichen Bewaffnung etwas nicht in Ordnung war. Jeder von ihnen mußte in der Lage sein, allein einen kleinen Krieg auszufechten und zu gewinnen. Zuerst wurde die Panzerung zusammengesteckt und auf Risse oder Verwerfungen untersucht. Dann kamen die Spezialkampfstiefel an die Reihe, die jeder Verbindung von Wetter, Korrosion und Zähnen standzuhalten vermochten. Rucksäcke, die es einem zarten Menschenwesen erlaubten, mehr als einen Monat in feindlicher Umgebung zu überleben, ohne irgendwelche zusätzliche Hilfe. Gurtwerke, die verhinderten, daß man während eines unruhigen Landeflugs oder wenn der Schützenpanzer sich einen Weg über schwieriges Gelände bahnte, herumgeworfen wurde. Helme, die den Schädel rundum schützten, aber die Sicht nicht beeinträchtigten, und Schirme, um die Augen zu schonen. Sprechgeräte zur Verständigung mit dem Landefahrzeug, mit dem Schützenpanzer, mit dem Kumpel, der einem zufällig gerade den Rücken deckte. Finger glitten geschmeidig über Befestigungen und Schnappverschlüsse. Wenn alles fix und fertig war, wenn alles auf seine Funktionsfähigkeit überprüft worden war, fing man noch
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einmal ganz von vorne an. Und wenn das vorüber war und ma n eine Minute erübrigen konnte, dann verwendete man sie dazu, die Arbeit seines Nachbarn zu überprüfen. Apone ging zwischen seinen Leuten hin und her und prüfte seinerseits unauffällig nach, auch wenn er wußte, daß das unnötig war. Er war jedoch ein unerschütterlicher Anhänger der >Mangels-eines-Nagels<-Schule. Jetzt war der Zeitpunkt, den übersehenen Schnappverschluß, den vergessenen Haken zu entdecken. Wenn die Sache einmal heiß wurde, war Bedauern gewöhnlich tödlich. »Los jetzt! An die Startlinie! Auf, auf! Ihr habt lange genug geschlafen.« Sie formierten sich und gingen auf das Landefahrzeug zu, aufgeregt schnatternd, in Zweier und Dreiergruppen daherstapfend. Apone hätte eine Schau abziehen können, wenn er gewollt hätte, hätte sie Aufstellung nehmen und im Schritt marschieren lassen können, aber seine Leute waren keine Schauobjekte, und er wollte ihnen auch nicht vorschreiben, wie sie zu gehen hätten. Der Sergeant stellte erfreut fest, daß ihr neuer Lieutenant inzwischen genug gelernt hatte, um den Mund zu halten. Sie betraten vor sich hinmurmelnd das Schiff, ohne wehende Fahnen oder aufgezeichnetes Geschmetter eines Musikzugs. Ihre Hymne war eine Kette viel benutzter und wohlvertrauter Flüche, die von einem zum anderen weitergereicht wurden: trotzige Worte von Männern und Frauen, die bereit waren, den Tod herauszufordern. Schändliche Worte, die von Exkreme nten und Unzucht handelten. Apone teilte sie. Wie alle Fußsoldaten seit Jahrtausenden wissen, ist am Sterben nichts Edles. Es ist nur verflucht endgültig. Sobald sie im Landefahrzeug waren, kletterten sie gleich in den Schützenpanzer. Der würde sofort eingesetzt werden, wenn das Shuttle den Boden berührte. Der Flug würde darin unbe-
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quemer werden, aber Koloniale Marines erwarteten nicht, daß man sie verhätschelte. Sobald alle an Bord und die Türen des Landefahrzeugs geschlossen waren, ertönte ein Hupsignal zum Zeichen dafür, daß der Druck im Frachtraum abgelassen wurde. Serviceroboter flitzten in Deckung. Warnlampen blinkten auf. Die Soldaten saßen sich in zwei Reihen gegenüber, zwischen ihnen verlief ein einzelner Gang. Neben den Soldaten in ihrer massigen Panzerung fühlte sich Ripley klein und verletzlich. Außer ihrem Dienstanzug trug sie nur eine Fliegerjacke und Kopfhörer. Niemand bot ihr eine Waffe an. Hudson war zu aufgedreht, um stillsitzen zu können. Adrenalin durchströmte ihn, und seine Augen waren weit aufgerissen. Er schlich den Gang entlang, mit raubtierhaften, gleitenden Bewegungen, wie eine sprungbereite Katze. Während er auf und ab ging, gab er einen nicht abreißenden Strom von Psychogeschwätz von sich, dem man in dem engen Raum nicht entgehen konnte. »Ich bin bereit, Mann. Bereit zum Losschlagen. Prüf´s nach! Ich bin der schlimmste Bösewicht. Bösewicht auf dem neuesten Stand. Mit mir will man sich nicht anlegen. He, Ripley!« Sie blickte ausdruckslos zu ihm auf. »Keine Angst, kleine Frau. Ich und mein Trupp allerschlimmster Bösewichte werden Sie schützen. Prüfen Sie's nach!« Er schlug auf die Schalter der Servokanone, die über ihnen in der Geschütznische montiert war, achtete aber sorgfältig darauf, keinen Auslöseknopf zu treffen. »Unabhängig zielende Phalanx-Kanone mit Partikelstrahl. Ist sie nicht niedlich? Wamml Mit diesem Kerlchen kann man 'ne halbe Stadt rösten. Wir haben taktische Zielsuchraketen, Plasmaphasen-Impulsgewehre, Programmgeneratoren. Wir haben auf Schall reagierende elektronische Kugelbrecher, wir haben todsichere Atombomben, wir haben Messer, spitze
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Stöcke ...« Hicks griff nach oben, packte Hudson an seinem Kampfgurtwerk und riß ihn auf einen leeren Sitz. Seine Stimme war leise, aber sie drang durch. »Schluck's runter!« »Sicher, Hicks.« Hudson lehnte sich, plötzlich ganz sanftmütig, zurück. Ripley nickte dem Corporal dankend zu. Junges Gesicht, alte Augen, dachte sie, als sie ihn musterte. Hat mehr erlebt, als es seinem Alter zukommt. Wahrscheinlich auch mehr, als er wollte. Sie hatte nichts gegen die Stille, die auf Hudsons Selbstgespräche folgte. Unten war genug Hysterie. Sie brauchte sich nicht noch mehr anzuhören. Der Corporal beugte sich zu ihr. »Kümmern Sie sich nicht um Hudson! Kümmern Sie sich um keinen von denen! Sie sind alle so, aber wenn's hart auf hart geht, gibt es keine Besseren.« »Wenn er mit seiner Waffe so gut umgehen kann wie mit seinem Mundwerk, dann geht mein Blutdruck vielleicht 'ne Kerbe runter.« Hicks grinste. »Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Hudson ist Nachrichtentechniker, aber er ist auch Nahkampfspezialist, genau wie alle anderen.« »Sie auch?« Er lehnte sich in seinem Sitz zurück: gelassen, zurückhaltend, bereit. »Ich bin nicht hier, weil ich Konditor werden wollte.« Motoren begannen zu arbeiten. Das Landefahrzeug schlingerte und schob sich mit seinen Greifern nach unten aus dem Frachtraum. »He«, murmelte Frost, »hat jemand die Schlösser an diesem Sarg überprüft? Wenn die nicht dicht sind, krachen wir wahrscheinlich direkt aus dem Boden des Shuttle raus.« »Ganz ruhig, Süßer!« sagte Dietrich.
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»Hab sie selbst nachgesehen. Wir sind sicher. Dieser Dreiachser fährt nirgendwo hin, ehe wir die Erde küssen.« Frost wirkte erleichtert. Die Motoren des Landefahrzeugs sprangen polternd an. Mägen hoben sich, als sie das künstliche Schwerkraftfeld der Sulaco hinter sich ließen. Sie waren jetzt frei und schwebten langsam von dem großen Transporter weg. Bald würden sie weit genug entfernt sein, und die Motoren würden auf volle Leistung gehen. Beine und Hände begannen in der Schwerelosigkeit zu schweben, aber die Gurtwerke hielten sie an den Sitzen fest. Fußboden und Wände des Schützenpanzers vibrierten im Donnern der Motoren. Die Schwerkraft kehrte verstärkt zurück. Burke sah aus, als befände er sich auf einem Fischkutter vor Jamaika. Er grinste begeistert und konnte es nicht erwarten, daß das Abenteuer richtig anfing. »Jetzt geht's los!« erklärte er aufgekratzt. Ripley schloß die Augen und machte sie fast sofort wieder auf. Alles war besser, als auf die schwarze Rückseite ihrer Lider zu starren. Sie waren wie winzige Videoschirme, die von wilden Funken und schwebenden grünen Klecksen wimmelten. Bösartige Gestalten erschienen in den Klecksen. Da waren die angespannten, zuversichtlichen Gesichter von Frost und Crowe, Apone und Hicks beruhigender anzusehen. Oben im Cockpit studierten Spunkmeyer und Ferro Meßwerte und bedienten Schalter. Als das Landefahrzeug seine Geschwindigkeit steigerte, baute sich im Schützenpanzer Schwerkraft auf. Einigen zitterten die Lippen. Niemand sagte ein Wort, während sie auf die Atmosphäre zustürzten. Unter ihnen eine graue Zwischenwelt. Der dunkle Wolkenmantel, der die Oberfläche von Acheron verhüllte, wurde plötzlich mehr als ein perlmuttfarbener Schimmer, den man von oben bewundern konnte. Die Atmo-
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sphäre war dicht und unruhig, brodelte über trockenen Wüsten und leblosen Felsen und machte die Landschaft für alles außer empfindlichen Sensoren und Abbildungsgeräten unsichtbar. Das Landefahrzeug taumelte zitternd und schaukelnd durch heftige Luftströmungen. Ferros Stimme klang in eisiger Ruhe über die offene Sprechanlage, während sie das stromlinienförmige Schiff durch den stauberfüllten Sturm steuerte. »Schalte auf DCS-Beobachtung. Sicht Null. Ein richtiger Picknickplatz. So eine Riesenscheiße!« »Zwei Vier Null.« Spunkmeyer war zu beschäftigt, um in ihre Beschwerden einzustimmen. » Der Analyse entsprechend. Nehmen etwas Rumpf-Ionisierung auf.« Ferro warf einen Blick auf eine Anzeige. »Schlimm?« »Nichts, womit die Filter nicht fertig würden. Wind zweihundert und mehr.« Zwischen ihnen flackerte ein Schirm auf und zeigte ein topographisches Modell des Geländes, das sie soeben überflogen. »Oberflächenbeobachtung an. Was hast du erwartet, Ferro? Tropische Strände?« Er legte drei Schalter um. »Fangen jetzt an, auf Thermik zu treffen. Vertikalschub nicht berechenbar. Viele Wirbel.« »Verstanden.« Ferro drückte mit dem Daumen auf einen Knopf. »Nichts, was nicht in unserem Programm wäre. Wenigstens das verdammte Wetter hat sich da unten nicht verändert.« Sie schaute auf eine Anzeige. »Unruhige Luft vor uns.« Die Stimme der Pilotin ertönte knapp über das InterkomSystem des Schützenpanzers. »Hier Ferro. Ihr habt alle die Analyse dieser Dreckskugel gesehen. Kein Sommerspaß. Könnt euch auf einige Schaukelei gefaßt machen.« Ripleys Augen flogen schnell über ihre Gefährten hin, die in dem engen Schützenpanzer dicht zusammengedrängt saßen. Hicks lag zusammengesunken auf der Seite und schlief in
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seinen Sitzgurten. Das Stoßen schien ihn nicht im mindesten zu stören. Die meisten anderen Soldaten saßen ruhig da, starrten gerade vor sich hin und wälzten private Gedanken in ihren Köpfen. Hudson redete unaufhörlich und lautlos mit sich selbst. Seine Lippen bewegten sich unablässig. Sie versuchte nicht, die Worte abzulesen. Burke studierte die Inneneinrichtung des Schützenpanzers mit berufsmäßigem Interesse. Ihm gegenüber saß Gorman und hatte die Augen fest geschlossen. Seine Haut war bleich, und der Schweiß stand ihm auf Stirn und Hals. Seine Hände waren ständig in Bewegung, wischten über seine Knie, massierten Spannungen weg - oder versuchten, Feuchtigkeit abzutrocknen, dachte sie. Vielleicht half es ihm, wenn er mit jemandem sprechen konnte. »Wie viele Landungen haben Sie denn schon hinter sich, Lieutenant?« Seine Augen gingen ruckartig auf, und er blinzelte sie an. »Achtunddreißig im Simulator.« »Wie viele echte Landungen?« fragte Vasquez geradeheraus. Gorman versuchte, so zu antworten, als sei das ganz egal. Eine Nebensächlichkeit, und was hatte es überhaupt zu bedeuten? »Nun ja zwei. Drei mit dieser hier.« Vasquez und Drake wechselten einen Blick, ohne etwas zu sagen. Das brauchten sie auch nicht. Ihre Mienen waren ausreichend beredt. Ripley warf Burke einen vorwurfsvollen Blick zu, und der schaute sie mit gleichgültiger Hilflosigkeit an, als wolle er sagen: »He, ich bin Zivilist. Über militärische Einsatzbefehle habe ich keine Kontrolle.« Was natürlich völliger Quatsch war, aber es führte zu nichts, wenn man jetzt darüber stritt. Unter ihnen lag Acheron, und die Bürokratie der Erde war wirklich sehr weit entfernt. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und versuchte, sich nicht beunruhigen zu lassen. Gorman wirkte recht kompetent. Außerdem würde bei
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jedem wirklichen Zusammenstoß oder Kampf Apone das Heft in der Hand haben. Apone und Hicks. Die Stimmen aus dem Cockpit hallten weiterhin über das Interkom. Ferro schaffte es, Spunkmeyer im Meckern Drei zu Eins zu übertrumpfen. Zwischen Nörgeleien und Beschwerden brachten sie es auch noch fertig, das Landefahrzeug zu fliegen. »Kommen zum Landeanflug«, sagte sie gerade. »Fliegen auf Sieben Null Neun. Terminal-Leitsystem eingestellt.« «Ich habe schon immer gewußt, daß du ein terminaler Fall bist", sagte Spunkmeyer. Das war ein alter Pilotenwitz, und Ferro ignorierte ihn. »Paß auf deinen Schirm auf! Ich kann nicht diesen Lutscher hier fliegen und gleichzeitig die Geländewerte im Auge behalten. Halt uns von den Bergen weg!« Pause, dann: »Wo ist das verdammte Funkfeuer?« »Nichts auf Empfang.« Spunkmeyers Stimme klang ruhig. »Muß mit den anderen Nachrichtenverbindungen ausgefallen sein.« »Das ist blödes Geschwätz, und du weißt es auch. Funkfeuer sind automatisch und haben ihre eigene Energieversorgung.« »Okay. Dann such du das Funkfeuer!« »Ich bin schon zufrieden, wenn einer 'ne lausige Flagge schwenkt.« Schweigen trat ein. Keiner der Soldaten schien sich Sorgen zu machen. Ferro und Spunkmeyer hatten sie schon bei schlechterem Wetter als hier auf Acheron sanfter als ein Babykuß abgesetzt. »Wind läßt nach. Gutes Wetter zum Drachenfliegen. Wir halten sie 'ne Weile hier oben, damit ihr Kleinen da hinten mit euren Spielsachen spielen könnt.« Nervöse Bewegungen, als die Soldaten mit den letzten Landevorbereitungen begannen. Gorman schlüpfte aus seinem Fluggurtwerk und ging durch den Mittelgang zur taktischen Schaltzentrale des Schützenpanzers. Burke und Ripley folgten
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ihm und überließen die Marines ihrer Tätigkeit. Zu dritt drängten sie sich in den Raum. Gorman rutschte hinter die Steuerkonsole, während Burke sich hinter ihm aufstellte, um dem Lieutenant über die Schulter schauen zu können. Ripley sah erfreut, daß mit Gormans mechanischen Fähigkeiten alles in Ordnung war. Er schien erle ichtert, weil er etwas zu tun hatte. Seine Finger erweckten Anzeigen und Monitorschirme zum Leben wie die eines Organisten, die aus Registern und Tasten Töne hervorlocken. Ferros Stimme drang leicht triumphierend aus dem Cockpit zu ihnen. »Hab' die verdammten Funkfeuer endlich gefunden. Signal ist verschwommen, aber deutlich erkennbar. Und die Wolken haben sich soweit verzogen, daß wir ein bißchen was auf den Bildschirm kriegen. Wir können Hadley sehen.« Gorman sprach in Richtung eines Mikrophons. Wie sieht's aus?« »Genau wie im Prospekt«, antwortete sie sarkastisch. »Ferienparadies der Galaxis. Häßliche Bauten, dreckig. Ein paar Lichter brennen, irgendwo haben sie also noch Energie. Aus dieser Entfernung kann ich nicht sagen, ob es normale oder Notbeleuchtung ist. Viele sind es nicht. Vielleicht halten die gerade Mittagsschlaf. Ich würde jederzeit für zwei Wochen in der Antarktis tauschen.« »Spunkmeyer, Ihre Eindrücke?« »Verteufelt windig. Bombardiert wurden sie nicht. Zustand der Gebäude sieht gut aus, aber von hier oben und bei schlechtem Licht. Tut mir leid, daß wir zu beschäftigt sind, um eine Bodenuntersuchung zu machen.« »Das übernehmen wir persönlich.« Gorman wandte seine Aufmerksamkeit wieder den vielen Schirmen zu. Je näher sie dem Aufsetzen kamen, desto zuversichtlicher schien er zu werden. Vielleicht war seine einzige Schwäche die Höhenangst, überlegte Ripley. Wenn
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sich das als richtig herausstellte, konnte sie sich entspannen. Außer den taktischen Bildschirmen gab es noch zwei kleine für jeden Soldaten. Alle waren mit Namensschildern versehen. Das oberste Gerät zeigte den Blick aus den Videokameras, die in jeden Kampfhelm eingebaut waren. Das untere lieferte individuelle Biowerte: EEG, EKG, Atemfrequenz, Kreislauffunktion, Sehschärfe usw. Genügend Informationen für jeden, der die Schirme überwachte, um ein vollständiges physiologisches Profil jedes Soldaten von Kopf bis Fuß aufstellen zu können. Oberhalb und seitlich der kleinen Doppelschirme standen größere Monitoren, die den Insassen des Schütze npanzers eine vollständige Rundumsicht auf das Gelände draußen vermittelten. Gorman drückte mit dem Daumen auf Schalter. Sofort piepten und reagierten versteckte Kontrollampen. »Sieht gut aus«, murmelte er, zu sich wie auch zu seinen zivilen Beobachtern. »Alles eingeschaltet.« Ripley bemerkte, daß die Blutdruckwerte sich bemerkenswert stabil hielten. Und bei keinem der Soldaten stieg der Puls über fünfundsiebzig. Einer der kleinen Videomonitoren zeigte anstatt eines klaren Blicks auf das Innere des Schützenpanzers ein Störbild. »Drake, überprüfen Sie mal Ihre Kamera!« befahl Gorman. »Ich bekomme kein Bild. Frost, zeigen Sie mir Drake! Könnte ein Riß an der Außenseite sein.« Das Bild auf dem Schirm neben dem von Drake wechselte und zeigte dann das behelmte Gesicht des Automatikkanoniers, der sich gerade mit einem Batterieblock seitlich gegen den Kopf schlug. Sofort zeigte sein Schirm ein scharfes Bild. »So ist's besser. Schwenken Sie mal ein bißchen!« Drake gehorchte. »Das hab' ich im Technikkurs gelernt«, teilte er den Insassen der Schaltzentrale mit. »Man muß nur aufpassen, daß man die linke Seite erwischt, sonst funktioniert es nicht.«
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»Was passiert, wenn Sie auf die rechte Seite schlagen?« fragte Ripley neugierig. »Man überlastet die Innendruckkontrolle, die dafür sorgt, daß einem der Helm auf dem Kopf bleibt.« Sie sah, wie Drake wölfisch in Frosts Kamera grinste. »Dann implodieren die Augäpfel, und das Gehirn explodiert.« »Was für ein Gehirn?« Vasquez schnaubte. Drake beugte sich sofort vor und versuchte, mit einem Batterieblock gegen die rechte Seite ihres Helms zu schlagen. Apone beruhigte sie. Er wußte, daß es unwichtig war, was mit Drakes Helm nicht stimmte, weil der Automatikkanonier ihn bei der erstbesten Gelegenheit sowieso irgendwo liegenlassen würde. Genau wie Vasquez. Drake würde in seiner Knautschmütze erscheinen und Vasquez mit ihrem roten Halstuch. Nicht vorschriftsmäßige Kopfbedeckung im Einsatz. Beide behaupteten, die Helme hinderten sie daran, die Visiere an ihrer Waffe zu bewegen, und wenn das ihre Ansicht war, dann wollte Apone nicht mit ihnen darüber streiten. Sie konnten sich die Schädel rasieren und kahlköpfig kämpfen, wenn sie wollten, solange sie nur ins Ziel trafen. »Na gut. Feuerteam A, bereitmachen! Seht eure Ersatzsysteme und eure Energiezellen nach! Wenn jemand ausfällt, während wir ausschwärmen, dann fällt er vermutlich endgültig aus. Wenn ihn nicht irgendein Schwarzer Mann umbringt, dann tu ich's. Bewegung jetzt! Zwei Minuten.« Er blickte nach rechts. »Weck' mal einer Hicks auf!« Ein paar von den versammelten Soldaten lachten brüllend. Ripley mußte lächeln, als sie auf den Biomonitor mit dem Namen des Corporals darüber blickte. Die Werte zeigten einen Mann, den die Langeweile überwältigt hatte. Apones Stellvertreter lag tief im ROM-Schlaf. Träumte zweifellos von milde-
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ren Zonen. Sie wünschte, sie könnte sich auch so entspannen. Irgendwann einmal war sie dazu fähig gewesen. Wenn diese Reise vorüber war, würde es vielleicht wieder so sein. Der Fahrgastraum erlebte eine neue Welle von Aktivität, als Rucksäcke umgeschnallt und Waffen präsentiert wurden. Vasquez und Drake halfen sich gegenseitig, die komplizierten Gurtwerke ihrer Automatikkanonen zu befestigen. Der nach vorne gerichtete Bildschirm zeigte den in der Schaltzentrale Versammelten die gleiche Aussicht, wie sie Ferro und Spunkmeyer hatten. Direkt vor ihnen stieß ein Metallvulkan seinen vollkommenen Kegel in die Wolken und rülpste heißes Gas in den Himmel. Audioempfänger dämpften das Donnern des Atmosphäreprozessors. »Wie viele davon gibt es auf Acheron?« wollte Ripley von Burke wissen. »Das ist einer von ungefähr dreißig. Ich könnte Ihnen nicht alle Koordinaten nennen. Sie sind über den ganzen Planeten verstreut. Na ja, nicht verstreut. So plaziert, daß sie bestmö glich in die Atmosphäre einspeisen können. Jeder ist vollautomatisch, und der Ausstoß wird von der Einsatzzentrale Hadley kontrolliert. Die Produktion wird reguliert, wenn sich die Luft hier mehr an die normale Zusammensetzung auf der Erde annähert. Irgendwann werden sie sich selbst abschalten. Bis es so weit ist, arbeiten sie noch zwanzig oder dreißig Jahre rund um die Uhr. Sie sind teuer und zuverlässig. Übrigens werden sie von uns hergestellt.« Das Schiff schwebte wie eine Staubfluse an dem massiven, polternden Turm vorbei. Ripley war beeindruckt. Wie jeder andere, den seine Arbeit in den Weltraum hinausführte, hatte sie von den großen Terraformanlagen gehört, aber nie damit gerechnet, eine davon persönlich zu sehen. Gorman schob Regler herum und schwenkte den äußeren Hauptbildempfänger nach unten, um die stummen Dächer der
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Kolonie sichtbar zu machen. »Bleiben Sie auf vierzig!« befahl er Ferro über das Konsolenmikrophon. »Kreisen Sie langsam um den Komplex! Ich glaube nicht, daß wir von hier oben etwas entdecken werden, aber so sollen wir laut Vorschrift vorgehen, und so werden wir es auch halten.« »Können wir«, antwortete die Pilotin. »Festhalten da hinten! Könnte ein wenig rumpeln, wenn wir im Kreis fliegen. Das ist kein Atmosphärenflug, vergeßt das nicht. Ist nur ein lausiges Landefahrzeug. Enge, suborbitale Manöver sind nicht gerade seine größte Stärke.« »Tun Sie nur, was man Ihnen sagt, Sergeant!« »Jawohl, Sir.« Ferro fügte noch etwas hinzu, aber so leise, daß ihr Mikro es nicht auffangen konnte. Ripley bezweifelte, daß es etwas Schmeichelhaftes war. Sie kreisten über der Stadt. Zwischen den Gebäuden unter ihnen bewegte sich nichts. Die wenigen Lichter, die sie aus der Ferne entdeckt hatten, brannten weiter. Im Hintergrund dröhnte der Atmosphäreprozessor. »Sieht alles unversehrt aus«, kommentierte Burke. »Vielleicht liegen die alle mit irgendeiner Seuche flach.« »Vielleicht.« Für Gorman sahen die Gebäude der Kolonie aus wie die Wracks von uralten Frachtern, die auf dem Meeresgrund herumlagen. »Okay«, sagte er scharf zu Apone. »Es geht los.« Hinten im Fahrgastraum erhob sich der Master Sergeant von seinem Sitz, funkelte seine Truppe an und hielt sich dabei oben an einem Handgriff fest, als das Landefahrzeug in Acherons nicht nachlassendem Sturm schwankte. »Na schön! Ihr habt gehört, was der Lieutenant gesagt hat. Diesmal möchte ich eine hübsche, saubere Verteilung. Achtet auf den Anzug vor euch! Jeder, der beim Rausgehen über die Stiefel von 'nem anderen stolpert, bekommt einen Tritt, daß er gleich wieder ins Schiff rauffliegt.«
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»Ist das ein Verspreche n?« Crowe machte ein unschuldiges Gesicht. »He, Crowe, brauchst du deine Mami?« Wierzbowski grinste seinen Kollegen an. »Ich wollte, sie wär' da«, entgegnete der. »Sie würde mit der Hälfte von euch den Boden aufwischen. Andererseits, wozu soll ich meine brauchen, wenn ich deine schon gehabt habe?« Wierzbowski antwortete mit einer Fingerbewegung. Sie gingen hintereinander auf die vordere Schleuse zu und drückten sich an der Schaltzentrale vorbei. Vasquez stieß Ripley im Vorbeigehen mit dem Ellbogen an. »Bleiben Sie hier drin?« »Darauf können Sie wetten.« »Zahl.« Die Automatikkanonierin wandte sich ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Drakes Hinterkopf. »Setzen Sie sechzig Meter diesseits des Haupttelemetriemasts auf.« Gorman drehte an der Ballführung des Bildempfängers. Immer noch kein Lebenszeichen unter ihnen. »Sobald ich Alles klar!« sage, sofort starten, eine weiche Wolke suchen und auf Empfang bleiben!« »Verstanden«, sagte Ferro der Form halber. Apone beobachtete den Chronometer, der in seinen Anzugärmel eingelassen war. »Noch zehn Sekunden, Leute. Gut aufpassen!« Als das Landefahrzeug auf hundertfünfzig Meter an die Landerampe der Kolonie herangekommer war, leuchteten seine Außenscheinwerfer automatisch auf, die starken Strahlen drangen überraschend weit in das Dämmerlicht hinein. Der Asphalt war feucht und gesprenkelt mit Abfall, den der Wind hergeweht hatte, aber die Teile waren nicht groß genug, um Ferros sorgfältig abgestimmte Landung zu stören. Hydraulische Stütze n fingen den Berührungsstoß ab, als Tonnen von Metall sich auf dem Boden niederließen.
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Sekunden später fuhr der Schützenpanzer dröhnend aus dem Frachtraum und entfernte sich von dem kleinen Schiff. Das Landefahrzeug hatte noch kaum die Oberfläche von Acheron berührt, da brüllten seine Motoren auch schon auf, und es kroch wieder in den dunklen Himmel hinauf. Nichts materialisierte in der atmosphärischen Brühe, um den Schützenpanzer herauszufordern oder sich ihm entgegenzustellen, als er polternd zum ersten der stummen Koloniegebäude hinauffuhr. Spritzwasser und Schmutz flogen von seinen massiven, gepanzerten Rädern auf. Er schwenkte scharf nach links, so daß die Mannschaftstür vor den Haupteingang der Stadt zu stehen kam. Noch ehe die Tür halb offen war, hatte sich Hudson schon hinausgedrängt, erreichte den Boden und lief los. Seine Kameraden waren direkt hinter ihm. Sie schwärmten schnell aus, um soviel Boden wie möglich zu sichern, ohne sich gegenseitig aus den Augen zu verlieren. Apones Aufmerksamkeit war unverwandt auf den Bildve rstärkungsschirm seines Helmschilds gerichtet, während er die Gebäude musterte, die sie umgaben. Der Innencomputer des Scanners verstärkte das zur Verfügung stehende Licht, verbesserte die Sicht, so gut er konnte, und lieferte so ein helles Bild, das aber immer noch grell gefärbt und voller Kontraste war. Es reichte aus. Koloniale Architektur neigte zur Funktionalität. Die Verschönerung der Umgebung würde später kommen, wenn der Wind nicht mehr alle Bemühungen, ganz gleich, wie bescheiden sie waren, zunichte machen würde. Der Wind peitschte Unrat zwischen die Gebäude - all den Abfall, der zu schwer war, um weggeblasen zu werden. Ein Metallbrocken schaukelte auf unebenem Untergrund und krachte dann gegen eine Wand, wobei jedes Echo vom Wind verschluckt wurde. Ein paar Neonlichter flackerten. Gormans Stimme erklang über alle Anzugempfänger.
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»Erster Trupp, aufstellen!« sagte er knapp. »Hicks, Sie bilden mit Ihren Leuten einen Kordon zwischen dem Eingang und dem Schützenpanzer! Achten Sie auf Ihre Rückseite.« »Ich würde lieber auf deine Rückseite achten«, sagte Hudson zu Dietrich. Die Medotechnikerin antwortete, ohne in seine Richtung zu schauen: »Wenn du das nächstemal ein Beruhigungsmittel brauchst, wie wär's denn dann mit 'ner Kortisonspritze in die Eier?« »Schluß!« Ein Wort von Apone unterbrach das Geplänkel sofort. »Vasquez, Stellung einnehmen! Vorwärts!« Eine Reihe von Soldaten rückte auf die Haupteingangsschleuse vor. Niemand erwartete ein Begrüßungskomitee, genausowenig wie jemand damit rechnete, daß die Schleusentore aufgingen und sie ohne Schwierigkeiten hineinschlendern konnten, aber es war trotzdem ein gewisser Schock, als sie die beiden schweren Traktoren sahen, die Schnauze an Schnauze vor der großen Tür parkten und jedermann den Eintritt verwehrten. Das bedeutete eine bewußte Anstrengung seitens der Dringebliebenen, um etwas draußen zu halten. Vasquez erreichte die stummen Maschinen als erste, blieb stehen und spähte ins Führerhaus der nächststehenden. Die Kontrollen waren herausgerissen und im Inneren herumgeworfen worden. Gleichmütig zwängte sie sich zwischen die Erdbewegungsmaschinen und meldete sich mit phlegmatischem Tonfall. »Sieht so aus, als war' da jemand mit 'nem Brecheisen über die Instrumente hergefallen.« Sie erreichte die Haupttür und nickte nach rechts, wo Drake ihr Flankenschutz gab. Apone traf ein, überblickte die Barriere und trat an die äußeren Türkontrollen. Seine Finger versuchten jede Kombination. Keines der Lichter leuchtete auf. »Kaputt?« erkundigte sich Drake. »Abgeschaltet. Das ist ein Unterschied. Hudson, komm rauf
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hier! Wir brauchen 'ne Überbrückung.« Keine Witzeleien jetzt, als der Nachrichtentechniker ganz geschäftsmäßig sein Gewehr weglegte und sich vorbeugte, um die Türtafel zu untersuchen. »Standardmodell«, sagte er weniger als eine Minute später. Mit einem Werkzeug aus seinem Arbeitsgürtel stemmte er die Wetterschutzverkleidung weg und studierte die Drähte. »Zweimal niesen, Feldwebel.« Mit geschickten, trotz Wind und Kälte in ihren Bewegungen sicheren Fingern begann er, eine Verbindung um die zerstörten Schaltkreise herumzulegen. Apone und die anderen warteten und sahen zu. »Erster Trupp«, schnauzte der Sergeant in sein Anzugmikrophon, »an der Hauptschleuse bei mir sammeln!« Über ihnen ächzte und knarrte ein Schild, das aus seiner Verankerung gerissen war. Der Wind heulte um sie herum, er zerrte mehr an den Nerven als an den Körpern. Hudson schloß an. Zwei Anzeigelampen flackerten unruhig. Quietschend wegen des Staubs, der sich in der Führungsschiene angesammelt hatte, glitt die große Tür zurück, sie bewegte sich ruckhaft, synchron mit den flackernden Lichtern. Auf halbem Wege blieb sie hängen. Es war mehr als genug. Apone winkte Vasquez nach vorne. Die Mündung ihrer Automatikkanone vor sich haltend, trat sie ein. Ihre Kameraden folgten, als Gormans Stimme aus ihren Kopfhörern knatterte. »Zweite Mannschaft vorrücken! Flankenpositionen, dicht aufschließen! Wie sieht's aus, Sergeant?« Apones Augen schweiften über das Innere des stummen Gebäudes. »Bisher sauber, Sir. Niemand zu Hause.« »Gut. Zweite Mannschaft immer Blick nach hinten, während Sie vorrücken!« Der Lieutenant nahm sich einen Augenblick Zeit, um hinter sich zu schauen. »Alles okay, Ripley?« Sie merkte plötzlich, daß sie zu schnell atmete, so, als hätte sie gerade einen Marathonlauf hinter sich gebracht, anstatt auf
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einem Fleck zu stehen. Sie nickte kurz, wütend auf sich selbst, wütend auf Gorman wegen seiner Besorgnis. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Konsole. Vasquez und Apone schritten den breiten, verlassenen Korridor hinunter. Über ihnen brannten ein paar blaue Lichter. Notbeleuchtung, die allmählich schon schwächer wurde. Niemand konnte sagen, wie lange die Batterien schon in Gebrauch waren. Der Wind begleitete sie ein Stück weit hinein und pfiff durch die Eingangshalle aus Metall. Auf dem Boden waren Pfützen. Weiter drinnen tropfte Wasser durch Löcher in der Decke. Apone legte den Kopf zurück, damit seine Helmkamera die Spuren des Schußwechsels aufzeichnen und gleichzeitig zum Schützenpanzer zurücksenden konnte. »Impulsgewehre«, murmelte er, um die Ursache der gezackten Löcher zu erklären. »Da war ja ein ganz wilder Schütze dabei.« In der Schaltzentrale warf Ripley Burke einen prüfenden Blick zu. »Bettlägrige Leute laufen nicht herum und feuern Impulsgewehre in ihrem Wohnbereich ab. Leute mit nicht funktionierenden Nachrichtenverbindungen laufen auch nicht herum und feuern Impulsgewehre ab. Zu so etwas zwingt sie etwas anderes.« Burke zuckte nur die Achseln und drehte sich um, um die Schirme zu beobachten. Apone verzog das Gesicht, als er die Schußlöcher betrachtete. »Scheußlich.« Es war ein professionelles Urteil, kein ästhetisches. Der Master Sergeant konnte schlampige Arbeit nicht ausstehen. Natürlich waren es nur Kolonisten, rief er sich ins Gedächtnis. Ingenieure, Bautechniker, Wartungspersonal. Keine Soldaten. Ein oder zwei Polizisten vielleicht. Kein Bedarf für Soldaten bis jetzt. Und warum jetzt! Der Wind verspottete ihn. Er suchte den Korridor vor sich ab, forschte nach Antworten und fand
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nur Dunkelheit. »Vorrücken!« Vasquez setzte ihren Marsch fort, mechanischer in ihren Bewegungen als jeder Roboter. Ihre Automatikkanone bewegte sich langsam von links nach rechts und wieder zurück, deckte alle paar Sekunden jeden Zoll vor ihr ab. Vasquez' Augen waren nach unten gerichtet, beobachteten gespannt den Ortungsmonitor der Kanone statt des Bodens unter ihren Füßen. Ringsum und hinter ihr hallten Schritte, aber vor ihr war alles still. Gorman klopfte mit dem Finger gegen den Rand eines großen roten Knopfs. »Vierteln und in Zweiergruppen suchen! Zweites Team ins Innere! Hicks, Sie nehmen die obere Etage! Setzen Sie Ihre Bewegungstracker ein! Jeder, der irgend etwas sieht, soll sofort singen!« Jemand wagte a capella ein paar Takte aus Thors Sturmrufgesang am Ende von Rheingold. Es hörte sich an wie Hudson, aber Ripley konnte nicht sicher sein, und niemand gab den Chorgesang zu. Sie versuchte, alle Kameramonitoren gleichzeitig zu beobachten. Jede dunkle Ecke im Innern des Gebäudes war eine Pforte zur Hölle, jeder Schatten eine tödliche Bedrohung. Sie mußte sich anstrengen, um ruhig zu atmen. Hicks führte seinen Trupp durch ein verlassenes Treppenhaus in die zweite Etage der Stadt hinauf. Der Korridor war ein Spiegelbild des ersten, der direkt darunter lag, ein wenig schmaler vielleicht, aber genauso leer. Einen Vorteil bot er: Hier waren sie ziemlich windgeschützt. Mitten in einer Gruppe von Soldaten stehend, machte Hicks einen kleinen Metallkasten mit Glasfront bereit. Er hatte ein empfindliches Inneres und, wie die meisten Geräte der Marines, eine dick gepanzerte Außenseite. Hicks zielte damit den Korridor hinunter und regulierte die Einstellung. Ein paar
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Leuchtanzeigen strahlen hell auf. Die Meßskalen bewegten sich nicht. Er schwenkte das Ding langsam von rechts nach links. »Nichts«, meldete er. »Keine Bewegung, kein Lebenszeichen.« »Weitergehen!« lautete Gormans enttäuschte Antwort. Hicks trug den Scanner vor sich her, während sein Trupp ihn von vorn, von hinten und von den Seiten deckte. Sie kamen an Räumen und Büros vorbei. Einige der Türen waren angelehnt, andere fest verschlossen. Im Innern waren sie alle ähnlich, es gab keine Überraschungen. Je weiter sie kamen, desto unverkennbarer wurden die Spuren eines Kampfes. Möbel waren umgestürzt und Papiere verstreut. Unersetzliche Speicherdisketten für die Computer waren zertrampelt worden. Persönliche Habseligkeiten, die unter großen Kosten über interstellare Entfernungen transportiert worden waren, hatte man achtlos beiseite geworfen, zerbrochen und zerschmettert. Unbezahlbare Bücher aus echtem Papier schwammen durchweicht in Pfützen, wo Wasser aus geplatzten Rohren und Löchern in der Decke heruntergetropft war. »Sieht aus wie mein Zimmer im College.« Burke wollte witzig sein. Es mißlang. In mehreren der Räume, an denen Hicks' Trupp vorbeikam, war nicht nur das Unterste zuoberst gekehrt worden, sondern hatte es auch gebrannt. Schwarze Streifen zogen sich über Wände aus Metall und Kunststoff. In mehreren Büros waren die dreifach verglasten Sicherheitsscheiben hinausgesprengt worden. Durch die Löcher stürzten Regen und Wind herein. Hicks trat in ein Büro, um von einem Programmiertisch einen halb aufgegessenen Krapfen aufzuheben. Daneben floß eine Kaffeetasse von Regenwasser über. Der dunkle Kaffeesatz lag verstreut auf dem Boden und schwamm in den Pfützen. Apones Leute durchsuchten das untere Stockwerk systema-
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tisch, immer in Zweiergruppen, die wie ein einziger Organismus funktionierten. Sie gingen durch eins der bescheidenen, engen Quartiere der Kolonisten nach dem anderen. Viel gab es nicht zu sehen. Hudson ließ den Scanner nicht aus den Augen, während er neben Vasquez entlangschlich. Er blickte nur einmal lange genug auf, um von einem besonderen Fleck an einer Wand Notiz zu nehme n. Er brauchte keine komplizierten elektronischen Analysegeräte, um zu erkennen, was das war: getrocknetes Blut. Auch im Schützenpanzer sahen es alle. Niemand sagte etwas. Hudsons Tracker stieß einen Piepton aus, der in dem leeren Korridor so laut klang wie eine Explosion. Vasquez wirbelte mit schußbereiter Waffe herum. Der Bediener des Trackers und die Automatikkanonierin wechselten einen Blick. Hudson nickte, dann ging er langsam auf eine halbgeöffnete Tür zu, die zum Teil aus dem Rahmen gerissen war. Impulsgewehrsalven hatten die Überreste der Tür und die Wände ringsum mit Löchern durchsiebt. Während der Nachrichtentechniker sich aus dem Weg schob, schlich sich Vasquez dicht an die zerstörte Barriere heran und trat sie ein. Sie stand so dicht vor dem Abdrücken wie nur möglich, ohne wirklich einen Strom der Zerstörung auf das Innere des Raumes loszulassen. An einem Stück Leitung baumelte ein Verteilerkasten hin und her wie ein Pendel, vom Wind bewegt, der durch ein zerbrochenes Fenster hereinfuhr. Der schwere Metallkasten stieß dabei immer wieder krachend gegen ein Kinderetagenbett. Vasquez stieß einen kehligen Laut aus. »Bewegungsorter. Ich hasse die Dinger.« Sie kehrten beide in den Korridor zurück. Ripley beobachtete das Bild, das Hicks' Monitor lieferte. Plötzlich beugte sie sich vor. »Warten Sie! Sagen Sie ihm ...« Unvermittelt wurde ihr bewußt, daß nur Burke und Gorman
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sie hören konnten, deshalb stöpselte sie hastig ihren Kopfhörer ein und schloß sich an das Kommunikationsnetz zwischen den Anzügen an. »Hicks, hier spricht Ripley. Ich habe auf Ihrem Schirm was gesehen. Gehen Sie zurück!« Er gehorchte, und das Bild auf seinem Monitor wanderte rückwärts. »Hier ist es. Jetzt nach links. Da!« Die beiden Männer, die die Schaltzentrale mit ihr teilten, sahen zu, wie das Bild, das die Kamera des Corporals lieferte, weiterschwenkte, bis es sich auf einem Wandabschnitt voller Löcher und seltsam geformter Furchten und Kratern stabilisierte. Ripley überlief ein Schauder. Sie wußte, was dieses unregelmäßige Zerstörungsmuster verursacht hatte. Hicks fuhr mit einem Handschuh über das ramponierte Metall. »Sehen Sie das gut? Sieht geschmolzen aus.« »Nicht geschmolzen«, verbesserte Ripley. »Korrodiert.« Burke schaute zu ihr hinüber und zog eine Augenbraue hoch. »Hm. Säure statt Blut.« »Sieht so aus, als hätte sich hier jemand einen von Ripleys bösen Buben geschnappt.« Hicks hörte sich weniger beeindruckt an als der Vertreter der Gesellschaft. Hudson hatte auf eigene Faust einen Raum auf der unteren Etage inspiziert. Jetzt winkte er seine Kameraden heran. »He, wenn euch so was gefällt, dann werdet ihr von dem hier ganz begeistert sein.« Ripley und ihre Gefährten richteten ihre Aufmerksamkeit auf das Bild, das von der Kamera des geschwätzigen Private zum Schützenpanzer übertragen wurde. Er schaute nach unten. Seine Füße standen beiderseits eines klaffenden Lochs. Als er sich vorbeugte und über den Rand schaute, konnte er direkt unterhalb des ersten ein zweites Loch sehen, und noch weiter, schwach erleuchtet von seinem Helmscheinwerfer, einen Abschnitt der Wartungsetage. Röhren, Leitungsrohre, Drähte, alles war von einer höchst aggressiven Flüssigkeit weggefressen worden.
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Apone untersuchte das Bild, wandte sich ab. »Trupp Zwei, bitte melden! Wie weit seid ihr?« Hicks' Stimme antwortete. »Sind gerade mit der Durchsuchung fertiggeworden. Niemand zu Hause.« Der Master Sergeant nickte, dann sprach er die Insassen des fernen Schützenpanzers an. »Hier ist alles tot, Sir. Tot und verlassen. Alles ruhig an der Hadley-Front. Was immer hier passiert ist, wir haben's versäumt.« »Schon wieder zu spät zur Party gekommen.« Drake trat gegen einen Klumpen korrodiertes Metall. »Verdammt!« Gorman beugte sich nach hinten und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Na schön. Der Bereich ist gesiche rt. Wir gehen rein und sehen nach, was uns der Computer dort zu erzählen hat. Erstes Team, in Richtung Einsatzzentrale! Sie wissen, wo das ist, Feldwebel?« Apone legte einen Schalter auf seinem Ärmel um. Eine kleine Karte der Kolonie Hadley erschien auf der Innenseite seines Helmschirms. »Dieses große Gebäude, das wir beim Anflug gesehen haben. Ist nicht weit entfernt, Sir. Wir sind schon unterwegs. »Gut. Hudson, wenn Sie dort sind, sehen Sie zu, ob Sie die Zentrale Datenverarbeitung auf Sendung bringen können! Nichts Tolles. Wir wollen nicht damit arbeiten; wir wollen nur damit reden. Hicks, wir kommen rein. Erwarten Sie mich an der Südschleuse neben dem Verbindungsturm! Gorman Ende.« »Ende ist richtig.« Hudson hätte ausgespuckt, wenn sich ein passendes Zie l geboten hätte. »Er kommt rein. Da fühl ich mich doch gleich viel sicherer.« Vasquez überzeugte sich, daß ihr Anzugmikrophon ausgeschaltet war, ehe sie ihm zustimmte. »Pendejo Wichser.« Die starken Bogenscheinwerfer an der Vorderseite des Schü t-
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zenpanzers erleuchteten die fleckigen, vom Wind abgeschliffenen Wände der Koloniegebäude, als das Panzerfahrzeug die Hauptzufahrt entlangrumpelte. Sie kamen an ein paar kleineren Fahrzeugen vorbei, die im abgeschirmten Bereich parkten. Die glänzenden Metallräder des Schützenpanzers spritzten ganze Fontänen von Schmutzwasser auf, als er durch übergroße Schlaglöcher schaukelte. Eingebaute Stoßdämpfer fingen den Aufprall ab. Der Wind peitschte Regen durch das Scheinwerferlicht. Im Führerhaus arbeiteten Bishop und Wierzbowski reibungslos Seite an Seite, Mensch und Synthet funktionierten in vollkommener Harmonie. Jeder hatte Respekt vor den Fähigkeiten des anderen. Beide wußten beispielsweise, daß Wierzbowski jeden Rat mißachten konnte, den Bishop ihm gab. Aber beide wußten auch, daß er den Rat wahrscheinlich nicht mißachten würde. Wierzbowski spähte blinzelnd durch das schmale Fahrerfenster und deutete hinaus. »Da drüben, glaube ich. Bishop sah auf der blitzenden, bunt kolorierten Landkarte auf dem Schirm zwischen ihnen nach. »Das muß es sein. Eine andere Schleuse gibt es in dieser Gegend nicht.« Er legte sich ins Steuer, und die schwere Maschine schwenkte auf eine höhlenartige Öffnung in der nahe gelegenen Wand zu. »Ja, da ist Hicks.« Apones Stellvertreter tauchte in der offenen Schleuse auf, als der Schützenpanzer zum Stehen kam. Er sah zu, wie die Mannschaftstür sich drehte und beiseite glitt. Gorman, im Anzug, kam als erster die Rampe herunter, dann Burke, Bishop und Wierzbowski. Burke schaute zurück, suchte nach dem noch verbliebenen Insassen des Panzers, sah aber, daß sie zögernd in der Öffnung stehenblieb. Sie schaute ihn nicht an. Ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den dunklen Eingang, der tief in die Kolonie hineinführte.
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»Ripley?« Ihre Augen senkten sich, begegneten seinem Blick. Als Antwort schüttelte sie nur heftig den Kopf. »Der Bereich ist abgesichert.« Burke bemühte sich um einen verständnisvollen Tonfall. »Sie haben doch gehört, was Apone gesagt hat.« Wieder eine ablehnende Bewegung. In den Kopfhörern ertönte Hudsons Stimme. »Sir, der Zentralcomputer der Kolonie ist auf Sendung.« »Gute Arbeit, Hudson«, sagte der Lieutenant. »Alle in der Einsatzzentrale, bereithalten! Wir sind bald da.« Er nickte seinen Begleitern zu. »Gehen wir!« Sie marschierten hine in. Hicks blickte an ihnen vorbei zu der einsamen Gestalt, die in der offenen Schleuse des Schütze npanzers Stand. Er sagte nichts, starrte nur weiter hin, bis die Tür geschlossen wurde. Erst dann wandte er sich ab und fiel neben Gorman und den anderen in Gleichschritt. Ripley war wieder allein.
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Sie schlenderte zurück in die Schaltzentrale, ihr gesunder Menschenverstand kämpfte gegen ihre Gefühle an. Nicht einmal Jones hatte sie zum Trost. Die Katze war, Lichtjahre entfernt, in Sicherheit. Ringsum fü llten taktische Anzeigen und Meßskalen den Raum mit vielfarbigem Licht. Es war, als säße man in einem riesigen Christbaum, aber es war eine kalte, trostlose Schönheit. Außensensoren trugen die Geräusche Acherons in den Schützenpanzer: das Fauchen und Heule n des Winds und das Klirren von Partikeln, die gegen unnachgiebige
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Metallgebäude geschleudert wurden. Sie schlug fröstelnd die Arme um sich. Der Schützenpanzer war das widerstandsfähigste Stück Ausrüstung, das die Sulaco auf diese Welt transportiert hatte. Abgesehen vom Sternenschiff und vom Landefahrzeug war er der sicherste Aufenthaltsort, bestimmt der sicherste Platz auf der bedrohlichen Oberfläche des Planeten. Eine moderne, vielseitige, unglaublich zähe Maschine, der Inbegriff der modernen Militärwissenschaft. Würde er einer Molekularsäure unbekannten Typs standha lten können? Sie traf den schweren Entschluß, machte kehrt und ging in den Mannschaftsraum zurück. Es kam ihr vor, als brauche die Tür eine Stunde, um sich zu öffnen. Sie glitt gerade noch rechtzeitig beiseite, um sehen zu können, wie sich die großen Zufahrtstore im gegenüberliegenden Gebäude polternd schlossen. »Burke!« Der Wind riß ihr den Schrei von den Lippen. Die kalte, feuchte Luft von Acheron trieb ihr die Tränen in die Augen, als sie zu der Platte hinüberstürzte, die die Türkontrollen verdeckte. Kombination und Design waren ihr unbekannt. Sie drückte erst auf einen Knopf, dann auf einen anderen. Nichts geschah. Vielleicht konnte man die Türen jetzt nur von innen öffnen, obwohl Hudsons Überbrückung noch da war. Sie versuchte es mit einer anderen Kombination und wurde mit dem Anspringen riesiger Motoren im Innern belohnt. Die Tür begann sich zu bewegen. Sie blickte zurück zum Schützenpanzer und schrie auf, als sie direkt hinter sich ein Gesicht sah. Ihre Beinmuskeln verkrampften sich, als sie zurücksprang, und sie krachte in die massive Wand, an der die Schalterplatte befestigt war. Gleichzeitig sah sie, daß das Gesicht, wenn auch unerwartet und unschön, kaum Anlaß zum Entsetzen war. Wierzbowski schaute sie reumütig an.
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»Hab' ich Sie erschreckt'« Sie rang nach Luft. »Himmel, Wierzbowski! Wenn Sie mich umbringen wollen, warum nehmen Sie dann nicht einfach das verdammte Gewehr?« »Entschuldigung.« Der große Soldat nickte zu dem schwach beleuchteten Korridor hin, den die jetzt aufgedrehte Tür freigab. »Hicks sagte, ich soll Sie im Auge behalten.« Sie richtete sich auf und rieb sich die Schulter, wo sie an die Wand geprallt war. »Prima, aber ehe Sie sich wieder so an mich ranschleichen, werfen Sie bitte vorher 'nen Stein oder so was, ja?« »Sicher. Soll nicht wieder vorkommen.« Er zeigte nach drinnen. »Wollen doch die anderen nicht verlieren.« »Das verdammt sicher nicht.« Sie drehte sich um und ging ihm voran mit langen Schritten ins Gebäude hinein, bis sie Gormans Gruppe eingeholt hatten. Der Lieutenant warf ihr einen flüchtigen Blick zu, dann richtete er seine Augen wieder auf den Korridor, der sich vor ihnen erstreckte. Wenn man die Verwüstung mit eigenen Augen sah, wirkte sie noch viel schlimmer als auf den Monitoren des Schützenpanzers. »Sieht so aus, als könne Ihre Gesellschaft ihren Anteil an dieser Kolonie abschreiben«, murmelte er zu Burke hin. »Die Gebäude sind größtenteils unversehrt.« Der Vertreter der Gesellschaft schien sich weiter keine Sorgen zu machen. »Alles andere ist versichert.« »Ja? Und was ist mit den Kolonisten?« wollte Ripley wissen. »Wir wissen noch nicht, was mit ihnen passiert ist.« Die Frage schien ihm ein wenig auf die Nerven zu gehen. Im Innern des Komplexes war es kühl. Die Klimatisierung der Innenräume war zusammen mit dem Strom ausgefallen, und die hinausgesprengten Fenster und die klaffenden Löcher in den Wänden hätten die Geräte ohnehin schnell überlastet.
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Ripley merkte, daß sie schwitzte, obwohl ihr Anzug sich alle Mühe gab, es ihr angenehm zu machen. Ihre Augen überprüften genauso aktiv wie die jedes Soldaten jedes Loch in Wänden und Boden und jede dunkle Ecke. Hier hatte alles angefangen. Von hier war es gekommen. Das Alien. Sie hatte keinerlei Zweifel daran, was hier geschehen war. Ein Alien wie das, welches die Zerstörung der Nostromo und den Tod aller ihrer Mannschaftskameraden verursacht hatte, war über die Hadley-Kolonie hergefallen. Hicks merkte, wie nervös sie war, als sie den verwüsteten Korridor und die aus gebrannten Büros und Lagerräume überschaute, Wortlos gab er Wierzbowski einen Wink. Der Soldat nickte unmerklich und paßte seine Schritte so an, daß er rechts neben Ripley auf gleiche Höhe kam. Hicks wurde langsamer, bis er sie von links flankierte. Zusammen bildeten sie einen Schutzgürtel um sie. Sie bemerkte den Wechsel und warf dem Corporal einen Blick zu. Er zwinkerte, oder wenigstens hielt sie es für möglich. Es ging zu schnell, als daß sie es mit Sicherheit hätte sagen können. Vielleicht hatte er nur geblinzelt, weil ihm etwas ins Auge gekommen war. Selbst hier im Korridor war der Luftzug stark genug, um Sand und Ruß herumzuwirbeln. Frost tauchte gleich vor ihnen aus dem Seitenkorridor auf. Er winkte den Neuankömmlingen zu und sprach Gorman an, schaute dabei aber zu Hicks. »Sir, Sie sollten sich das ansehen.« »Was ist, Frost'« Gorman hatte es eilig, mit Apone zusammenzutreffen. Aber der Soldat gab nicht nach. »Es ist einfacher, wenn ich es Ihnen zeige, Sir.« »Schön. Hier hinauf?« Der Lieutenant zeigte den Korridor entlang. Frost nickte und wandte sich, gefolgt von den anderen, in die Dunkelheit. Er führte sie in einen Flügel, der völlig ohne Strom war. Ihre
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Anzugscheinwerfer erhellten Szenen der Zerstörung, die schlimmer waren als alles, worauf sie bisher gestoßen waren. Ripley merkte, daß sie zitterte. Der Schützenpanzer, sicher, massig, schwer gepanzert und nicht weit entfernt, türmte sich in ihren Gedanken zu riesiger Größe auf. Wenn sie rannte, so schnell sie konnte, würde sie ihn in ein paar Minuten erreichen. Und wieder allein sein. Ganz gleich, wie sicher der Schütze npanzer war, sie wußte, daß sie hier, umgeben von den Soldaten, sicherer war. Sie sagte sich das immer wieder, während sie weitergingen. Frost winkte. »Gleich hier vorne, Sir.« Der Korridor war blockiert. Jemand hatte eine improvisierte Barrikade aus zusammengeschweißten Rohren und Stahlblech, zusätzlichen Türblättern, Deckenverkleidungen und Kunststoffbodenbelag errichtet. Die hastig hochgezogene Barriere war von Säurelöchern und Schrammen übersät. Das Metall war von unglaublich gewaltigen Kräften weggerissen und verbogen worden. Gleich rechts von der Stelle, wo Frost stand, war die Barrikade wie eine alte Suppendose aufgerissen worden. Sie zwängten sich nacheinander durch die schmale Öffnung. Scheinwerfer spielten über die Verwüstung dahinter. »Weiß irgend jemand, wo wir sind?« fragte Gorman. Burke studierte eine beleuchtete Landkarte der Gesellschaft. »Medizinischer Flügel. Wir sind im richtigen Abschnitt, und er hat auch das richtige Aussehen.« Sie schwärmten aus, die Scheinwerfer ihrer Anzüge beleuchteten umgestürzte Tische und Schränke, zerbrochene Stühle und teure chirurgische Geräte. Kleinere medizinische Instrumente lagen wie Stahlkonfetti über den Fußboden verstreut. Weitere Tische und Möbelstücke waren an der Innenseite der Barrikade, die den Flügel vom übrigen Komplex hatte abschneiden sollen, aufgestapelt, verkeilt und ange schweißt worden. Schwarze Streifen verrieten, wo unkontrolliert Feuer
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aufgeflammt war, während die Wände mit Löchern von Impulsgewehrfeuer und Säure wie mit Pockennarben gezeic hnet waren. Trotz der fehlenden Beleuchtung war der Flügel nicht völlig stromlos. Ein paar vereinzelte Instrumente und Kontrolltafeln wurden noch mit Notstrom versorgt und leuchteten schwach. Wierzbowski fuhr mit seiner behandschuhten Hand über ein Loch in der Wand, das so groß war wie ein Basketball. »Der letzte Widerstand. Sie hatten diese Barrikade aufgerichtet und sich hier drin verschanzt.« »Klingt vernünftig.« Gorman stieß mit dem Fuß eine leere Plastikflasche zur Seite. Sie rollte klappernd über den Boden. »Die Medizinische wurde am längsten mit Notstrom versorgt und hatte noch dazu ein eigenes Vorratslager. Ich würde auch hierher gehen. Keine Leichen?« Frost strich mit seinem Sche inwerferlicht über das andere Ende des Flügels. »Ich habe keine gesehen, als ich hier reinkam, Sir, und ich sehe auch jetzt keine. Sieht so aus, als wär's ein höllischer Kampf gewesen.« »Ich sehe auch keines von Ihren bösen Aliens, Ripley.« Wierzbowski schaute auf und blickte sich um. »He, Ripley?« Sein Finger spannte sich um den Auslöser des Impulsgewehrs. »Wo ist Ripley?« »Hier drüben.« Der Klang ihrer Stimme führte sie in einen zweiten Raum. Burke untersuchte ihre neue Umgebung kurz, ehe er sie benannte. »Medizinisches Labor. Sieht ziemlich sauber aus. Ich glaube nicht, daß der Kampf bis hierher getobt hat. Ich glaube, sie haben schon im äußeren Raum verloren.« Wierzbowskis Augen streiften durch das mit Notstrom beleuchtete Zimmer, bis sie fanden, was Ripleys Aufmerksamkeit erregt hatte. Er murmelte etwas vor sich hin und ging zu ihr. Die anderen taten es ihm nach.
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Auf der anderen Seite des Labors glühten sieben durchsicht ige Zylinder in violettem Licht. Zusammen mit der Flüssigkeit, die sie enthielten, diente das Licht dazu, das organische Material im Innern zu konservieren. Alle sieben Zylinder waren in Betrieb. »Das ist eine Destille. Jemand braut hier Schnaps«, sagte Gorman. Niemand lachte. »Stasisröhren. Standardausrüstung für ein medizinisches Labor dieser Größe in einer Kolonie.« Burke näherte sich den Glaszylindern. Sieben Röhren für sieben Präparate. Jeder Zylinder enthielt etwas, das wie eine mit zu vielen Fingern ausgestattete, abgetrennte Hand aussah. Die Körper, an denen die langen Finger befestigt waren, waren flachgezogen und in ein Material eingehüllt, das aussah wie beiges Leder. Pseudokiemen schwebten träge in der Stasislösung. Es waren keine Seh- oder Hörorgane zu erkennen. Vom Rücken eines jeden Scheusals hing ein langer Schwanz, der sich frei in die Flüssigkeit rankte. Zwei von den Geschöpfen hielten die Schwänze eng zusammengerollt an ihrer Unterseite. Burke fragte Ripley, ohne die Augen von den Präparaten zu lösen: »Sind das dieselben wie die, die Sie in Ihrem Bericht beschrieben haben?« Sie nickte wortlos. Fasziniert trat der Vertreter der Gesellschaft auf einen Zylinder zu und beugte sich vor, bis sein Gesicht das Spezialglas fast berührte. »Vorsichtig, Burke«, warnte Ripley. Sie hatte die Warnung gerade ausgesprochen, als das in der Röhre gefangene Wesen einen schnellen Satz machte und gegen die Innenauskleidung des Zylinders krachte. Burke sprang erschrocken zurück. Aus dem Bauchbereich des flachen, handähnlichen Körpers war ein dünner, fleischiger
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Auswuchs aufgetaucht. Er sah aus wie ein sich verjüngendes Stück Darm und glitt wie eine Zunge über das Innere der Röhre. Irgendwann zog es sich zurück und rollte sich in einer Schutzhülle zwischen den kiemenartigen Teilen ein. Beine und Schwanz falteten sich zu einer ruhenden Stellung zusammen. Hicks schaute Burke gelassen an. »Es mag Sie.« Der Vertreter der Gesellschaft antwortete nicht, sondern ging die Reihe entlang und inspizierte nacheinander jeden einzelnen Zylinder. Jedesmal, wenn er an einer Röhre vorbeiging, drückte er seine Hand gegen das glatte Äußere. Nur eines der restlichen Exemplare reagierte auf seine Anwesenheit. Die anderen schwebten ziellos in der Suspensionsflüssigkeit, ihre Finger und Schwänze schwammen unkontrolliert herum. »Die sind tot«, sagte er, als er mit der le tzten Röhre fertig war. »Nur zwei sind noch am Leben. Es sei denn, sie treten in ein anderes Stadium ein, aber das bezweifle ich. Sehen Sie, die toten haben eine andere Farbe. Irgendwie ausgebleicht.« Oben auf jedem Zylinder lag ein Aktenhefter. Nur unter Aufbietung aller Selbstbeherrschung, die sie besaß, war Ripley fähig, den Hefter von einer Röhre herunterzunehmen, die eins der lebenden Aliens enthielt. Sie trat schnell zurück, öffnete den Hefter und begann, mit Hilfe ihres Anzugscheinwerfers zu lesen. Zusätzlich zu dem gedruckten Material quoll die Akte über von Diagrammen und Sonogrammen. Auch ein paar nuklearmagnetische Resonanzbildplatten waren vorhanden, die sich bemühten, etwas vom inneren Aufbau des Geschöpfes zu zeigen. Sie waren stark vermischt. Überall an die Ränder der ziemlich langen Computerausdrucke waren umfangreiche handschriftliche Notizen gekritztelt. Arzthandschrift, entschied sie. Die Notizen waren größtenteils unleserlich. »Irgend etwas von Interesse?« Burke beugte sich um den Stasiszylinder herum, dessen Akte sie gerade durchsah, und
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studierte das darin befindliche Geschöpf aus jedem möglichen Winkel. »Wahrscheinlich eine ganze Menge, aber das meiste ist für mich zu technisch.« Sie klopfte auf den Ordner. »Bericht des untersuchenden Arztes. Ein Doktor namens Ling.« »Chester O. Ling.« Burke klopfte mit einem Fingernagel auf die Röhre. Diesmal reagierte das Geschöpf darin nicht. »In Hadley waren drei Ärzte stationiert. Ling war Chirurg, glaube ich. Was hat er über dieses kleine Prachtstück zu sage n?« »Es wurde chirurgisch entfernt, ehe die Embryoeinpflanzung durchgeführt werden konnte. Chirurgische Standardverfahren wirkungslos.« »Ich frage mich, warum?« Gorman war an dem Präparat genauso interessiert wie alle anderen, aber nicht so sehr, daß er den Rest des Raumes aus den Augen gelassen hätte. »Die Körperflüssigkeit hat die Instrumente während der Arbeit zersetzt. Man mußte mit chirurgischen Lasern arbeiten, um das Exemplar zu entfernen und gleich zu kauterisieren. Es hing an jemandem namens Marachuk John L.« Sie blickte zu Burke auf, aber der schüttelte den Kopf. »Da klingelt nichts. Niemand von der Verwaltung oder von weiter oben. Muß ein Traktorfahrer oder ein Hilfsarbeiter gewesen sein.« Sie schaute wieder in den Bericht. »Er ist bei der Prozedur gestorben. Er hat es nicht überlebt, als sie es entfernten.« »Armer Teufel.« Hicks kam herüber, um über Ripleys Schulter hinweg einen Blick auf den Bericht zu werfen. Er bekam keine Gelegenheit, ihn zu lesen. Sein Bewegungstracker sandte einen unerwarteten und erschreckenden lauten Piepston aus. Die vier Soldaten fuhren herum, überprüften zuerst den Eingang zum Labor und gingen dann weiter, um in dunkle Ecken zu spähen. Hicks richtete den Tracker nach hinten in Richtung auf die Barrikade.
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»Hinter uns.« Er zeigte auf den Korridor, den sie soeben verlassen hatten. »Jemand von uns?« Unwillkürlich rückte Ripley dichter an den Corporal heran. »Kann man nicht sagen. Das Baby hier ist kein Präzisionsgerät. Es ist so gebaut, daß es von so dummen Schweine n wie mir 'ne Menge schluckt und doch weiterfunktioniert, aber Urteile gibt es nicht ab.« Gorman sprach in sein Kopfhörermikrophon. »Apone, wir sind oben in der Medizinischen und haben was gefunden. Wo sind Ihre Leute?« Er überflog kurz die Landkarte auf seinem Helmschild. »Ist im D-Block jemand?« »Negativ.« Alle konnten die lautsprechergefilterte Antwort des Sergeants hören. »Wir sind alle drüben in der Einsatzzentrale, wie befohlen. Brauchen Sie Gesellschaft?« »Noch nicht. Wir halten Sie auf dem laufenden.« Er schob das Mikrophon von seinem Mund weg. »Gehen wir, Vasques.« Sie nickte knapp und schwang die Automatikkanone auf dem Stützgestell in Schußposition. Die Waffe rastete mit einem respekteinflößenden Klicken ein. Sie und Hicks marschierten in die Richtung, aus der das Signal kam, während Frost und Wierzbowski die Nachhut heranführten. Der Unteroffizier ging voran in den Hauptkorridor hinaus und wandte sich dann nach rechts in ein Labyrinth aus rostfreiem Stahl. »Es wird stärker. Eindeutig nicht mechanisch.« Er hielt den Tracker fest in einer Hand und wiegte mit der anderen sein Gewehr. »Unregelmäßige Bewegung. Wo, zum Teufel, sind wir hier überhaupt?« Burke musterte die Umgebung. »Küche. Wenn wir hier weitergehen, kommen wir zwischen die Geräte zur Nahrungsmittelaufbereitung.« Ripley war langsamer geworden, bis sie hinter Wierzbowski und Frost war. Dann erkannte sie plötzlich, daß sie hinter sich
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nichts mehr hatte als Dunkelheit und beeilte sich, ihre Begleiter einzuholen. Burkes Ansicht wurde bestätigt, als sie weiter vorrückten und ihr Scheinwerferlicht von den glänzenden Oberflächen klobiger Maschinen zurückgeworfen wurde; Gefriertruhen, Herde, Defroster und Sterilisatoren. Hicks kümmerte sich nicht darum, sondern konzentrierte sich nur auf seinen Tracker. »Es bewegt sich wieder.« Vasquez sah sich mit kaltem Blick im Raum um. Genügend Deckung gab es hier. Ihre Finger streichelten die Bedienungsknöpfe der Automatikkanone. Vor ihnen ragte ein langer Vorbereitungstisch auf. »Welche Richtung?« Hicks zögerte kurz, dann deutete er mit einem Kopfnicken zu einer komplizierten Ansammlung von Geräten hin, die zur Aufbereitung von gefriergetrocknetem Fleisch und Gemüse bestimmt waren. Die Soldaten gingen darauf zu, in langsamem, feierlichem Marschtritt. Wierzbowski stolperte über einen Metallkanister und stieß das Ding ärgerlich beiseite, worauf es klappernd in die Schatten rollte. Er behielt sein Gleichgewicht und seine Würde, aber Ripley wäre fast die nächste Wand hinaufgeklettert. Der Tracker des Unteroffiziers piepste jetzt ununterbrochen, es war fast ein Summen. Das Summen stieg zu einem scharfen Winseln an. Plötzlich kam rechts von ihnen ein Stapel Suppentöpfe heruntergekracht, und man konnte flüchtig eine undeutliche Gestalt sehen, die hinter den Vorbereitungstheken durch die Schatten lief. Vasquez drehte sich geschmeidig herum, ihr Finger schloß sich schon um den Abzug. Im gleichen Augenblick schlug Hicks' Gewehr den schweren Lauf nach oben. Leuchtspurfeuer schlug in die Decke und verspritzte Tröpfchen von geschmolzenem Metall. Sie wirbelte herum und schrie ihn an.
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Ohne sie zu beachten, eilte er nach vorne in ihre Schußlinie und richtete seinen Scheinwerfer unter eine Reihe von Metallschränken. Eine Ewigkeit, so schien es, blieb er so, dann winkte er Ripley zu sich heran. Ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen, und ihre Füße schienen am Boden festgewachsen. Hicks winkte wieder, drängender diesmal, und sie merkte, daß sie wie im Taumel vorwärtsging. Er beugte sich vornüber und versuchte, den Scheinwerfer unter einen hohen Vorratsspind zu schieben. Sie kauerte sich neben ihn. Von seinem Licht an der Wand gehalten wie ein Schmetterling von einer Nadel, stand da eine kleine, völlig verschreckte Gestalt. Schmutzig, mit aufgerissenen Augen wich das kleine Mädchen vor den Eindringlingen zurück. In einer Hand hielt es ein Lebensmittelpaket aus Plastik, das halb angenagt war. Mit der anderen umklammerte es den Kopf einer großen Puppe, die es an den Haaren hielt. Vom Rest des Plastikkörpers war nichts zu sehen. Die Kleine war ebenso ausgemergelt wie schmutzig, die Haut spannte sich straff um ihr schmales Gesicht. Sie sah viel zerbrechlicher aus als der Puppenkopf in ihrer Hand. Ihr blondes Haar war zerzaust und verfilzt, eine Girlande aus Stahlwolle, die ihr Gesicht einrahmte. Ripley lauschte, konnte sie aber nicht atmen hören. Das Mädchen blinzelte ins Licht, eine kleine Bewegung, die ausreichte, Ripleys Gedanken schlagartig in Gang zu setzen. Sie streckte langsam eine Hand nach dem kleinen Ding aus, mit geschlossenen Finge rn, und lächelte es an. »Komm raus!« sagte sie besänftigend. »Alles ist gut. Hier ist nichts, wovor du dich fürchten müßtest.« Sie versuchte, weiter hinter den Schrank zu greifen. Das Mädchen wich den sich nach ihm ausstreckenden Fingern aus, preßte sich an die Wand und zitterte sichtlich. Es hatte den Blick eines von den näher kommenden Schein-
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werfern paralysierten Kaninchens. Ripleys Finger hatten es fast erreicht. Sie öffnete die Hand und wollte die zerrissene Bluse sanft streicheln. Wie der Blitz machte das Mädchen einen Satz nach rechts und schob sich mit unglaublicher Behendigkeit unter den Schränken hindurch. Ripley warf sich nach vorne und robbte auf Ellbogen und Knien, bemüht, das Kind nicht aus den Augen zu verlieren. Vor den Schränken lief Hicks in hektischer Eile seitwärts, bis sich zwischen zwei Vorratsspinden eine kleine Lücke auftat. Er schoß mit einer Hand vor, und seine Finger umschlossen einen winzigen Knöchel. Einen Augenblick später zog er die Hand zurück. »Au! Scheiße. Vorsicht, sie beiß t!« Ripley griff nach dem zweiten, flüchtenden Fuß und verfehlte ihn. Eine Sekunde später erreichte die Kleine einen Lüftungsschacht, dessen Gitter herausgestoßen war. Ehe Hicks oder sonst jemand noch einmal nach ihr greifen konnte, war sie schon, sich windend wie ein Fisch, hineingekrochen. Hicks versuchte gar nicht erst, ihr zu folgen. Nicht einmal splitternackt hätte er durch die schmale Öffnung gepaßt, noch weniger in seiner unförmigen Panzerung. Ripley machte ohne nachzudenken einen Satz, zwängte sich mit vorgestreckten Armen in den Schacht und schob sich mit Schenkeln und Armen weiter. Ihre Hüften gingen fast nicht durch die Öffnung. Das Mädchen war direkt vor ihr und bewegte sich immer noch weiter. Als Ripley ihm folgte, in dem engen Tunnel war ihr Atem als lautes Keuchen zu vernehmen, knallte das Mädchen vor ihr eine Metallfalltür zu. Mit einem Satz nach vorn erreichte Ripley die Barriere und stieß sie auf, ehe sie von der anderen Seite verriegelt werden konnte. Als sie mit der Stirn oben gegen das Metall anrannte, fluchte sie. Nun richtete sie ihren Scheinwerfer nach vorne, und da vergaß sie den Schmerz. Das Mädchen lehnte mit dem Rücken
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am anderen Ende eines kleinen, kugelförmigen Raums, einer der Druckminderungsblasen im Lüftungssystem der Kolonie. Es war nicht allein. Es war umgeben von zusammengeknüllten Decken und Kissen, dazwischen eine aufs Geratewohl zusammengetragene Sammlung von Spielsachen, Stofftieren, Puppen, billigem Schmuck, Bilderbüchern und leeren Nahrungsmittelpaketen. Sogar ein batteriebetriebener Diskettenspieler war da, gedämpft von aufgeschnittenen Kissen. Das Ganze war das Ergebnis der Beutezüge der Kleinen durch den gesamten Komplex. Sie hatte alles ganz allein an diesen Ort geschleppt und sich ihr privates Versteck nach ihren eigenen, kindlichen Plänen eingerichtet. Es war eher ein Nest als ein Raum, sagte sich Ripley. Irgendwie hatte dieses Kind überlebt. Irgendwie hatte es seine verwüstete Umgebung verkraftet und sich ihr angepaßt, als alle Erwachsenen ihr erlegen waren. Während Ripley noch mit dem Eindruck dessen kämpfte, was sie sah, drückte sich das Mädchen an der Rückwand entlang. Es strebte einer weiteren Falltür zu. Wenn das Leitungsrohr, das diese versperrte, keinen größeren Durchmesser hatte als der Deckel, der es schü tzte, dann würde das Mädchen für Ripley unerreichbar sein. Sie sah, daß sie da niemals hineinpassen würde. Die Kleine drehte sich um und schoß davon, und Ripley stimmte ihren Hechtsprung darauf ab. Es gelang ihr, beide Arme um das Mädchen zu werfen und es fest zu umschließen. Als das Kind merkte, daß es gefangen war, drehte es durch, es trat und schlug um sich und versuchte, die Zähne einzusetzen. Es war mehr als erschreckend, es war entsetzlich: denn das Kind kämpfte, ohne dabei einen Laut von sich zu geben. Während es sich gegen Ripleys Umschlingung wehrte, war sein heftiges Atmen das einzige Geräusch in dem engen Raum, und selbst das klang unheimlich gedämpft. Nur einmal im
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Leben hatte Ripley ein kleines Wesen bändigen müssen, das ähnlich verbissen dagege n ankämpfte, seiner Freiheit beraubt zu werden, und das war Jones gewesen, als sie ihn zum Tierarzt hatte schaffen müssen. Sie sprach auf das Kind ein und hielt sich dabei außer Reichweite von schlagenden Füßen und Ellbogen und kleinen scharfen Zähnen. »Ist schon gut, ist schon gut. Es ist vorüber, jetzt wird alles gut. Alles okay, du bist in Sicherheit.« Endlich ließ die Kraft des Mädchens nach, es wurde langs amer wie ein auslaufender Motor. Schließlich lag es völlig schlaff, fast katatonisch, in Ripleys Armen und ließ sich hin und her schaukeln. Es fiel ihr schwer, dem Kind ins Gesicht zu sehen, dem traumatischen, leeren Blick zu begegnen. Seine Lippen waren weiß und zitterten, seine Augen schossen wild umher, ohne etwas zu sehen, und es versuchte, sich in der Brust der Erwachsenen zu vergraben, zuckte zurück vor einem dunklen Alptraum, den es nur selbst sehen konnte. Ripley schaukelte die Kleine weiter hin und her, hin und her und redete mit gleichmäßiger, beruhigender Stimme sanft auf sie ein. Während sie flüsterte, ließ sie den Blick in der Kammer herumschweifen, bis sie etwas sah, was oben auf einem Haufen zusammengetragener Dinge lag. Es war ein gerahmtes Illuso des Mädchens, unverwechselbar, und doch so ganz anders. Das Kind auf dem Bild war hübsch angezogen und lächelte, es hatte ordentlich frisiertes, frisch gewaschenes Haar, ein buntes Band leuchtete in den blonden Strähnen. Seine Kleidung war fleckenlos und seine Haut rosa geschrubbt. Die Worte unter dem Bild waren in Gold geprägt: BÜRGERMEDAILLE ERSTER KLASSE REBECCA JORDEN »Ripley. Ripley?« Das war Hicks' Stimme, die durch den
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Luftschacht hereinhallte. »Alles okay da drin?« »Ja.« Sie merkte, daß man sie vielleicht nicht gehört hatte und hob die Stimme. »Ich bin okay. Wir sind beide okay. Wir kommen jetzt raus.« Das Mädchen wehrte sich nicht, als Ripley mit den Füßen voraus zurückkroch und es an den Knöcheln mitzog.
7.
Das Mädchen kauerte an der Stuhllehne und hatte die Knie bis an die Brust hochgezogen. Es schaute weder nach links noch nach rechts und sah auch keinen der Erwachsenen an, die es neugierig betrachteten. Seine Aufmerksamkeit war auf einen fernen Punkt im Weltraum gerichtet. Um seinen linken Arm hatte man eine Biomonitormanschette geschnallt. Dietrich hatte sie abändern müssen, damit sie den abgemagerten Arm des Kindes auch richtig umschloß. Gorman saß in der Nähe, während die Medotechnikerin die Informationen studierte, die die Manschette lieferte. »Wie heißt sie noch mal?« Dietrich machte einen Eintrag auf einem elektronischen Block. »Was?« »Ihr Name. Wir hatten doch einen Namen, oder nicht?« Die Medotechnikerin nickte zerstreut, sie war in die Meßwerte vertieft. »Rebecca, glaube ich.« »Richtig.« Der Lieutenant setzte sein schönstes Lächeln auf und beugte sich vor, die Hände auf den Knien. »Jetzt denk nach, Rebecca! Konzentriere dich! Du mußt versuchen, uns zu helfen, damit wir dir helfen können. Deshalb sind wir ja hier, um dir zu helfen. Ich möchte, daß du dir Zeit läßt und uns alles
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erzählst, woran du dich erinnerst. Wirklich alles. Versuche, ganz von vorne anzufangen.« Das Mädchen bewegte sich nicht, und auch sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Es reagierte nicht, aber es war auch nicht komatös, es schwieg, war aber nicht stumm. Gorman lehnte sich enttäuscht zurück und warf einen kurzen Blick nach links, als Ripley mit einer dampfenden Kaffeetasse eintrat. »Wo sind deine Eltern? Du mußt versuchen ...« »Gorman! Machen Sie mal Pause, ja?« Der Lieutenant wollte eine scharfe Antwort geben. Es wurde aber nur ein resigniertes Nicken daraus. Er stand kopfschüttelnd auf. »Totale Denksperre. Habe alles versucht, was ich konnte. Außer, sie anzuschreien, und das werde ich nicht tun. Das könnte sie noch völlig überschnappen lassen wenn sie nicht schon völlig übergeschnappt ist.« »Das ist sie nicht.« Dietrich wandte sich von ihren tragbaren Diagnosegeräten ab und entfernte sanft die Sensormanschette vom Arm des widerstandslosen Mädchens. »Körperlich ist sie in Ordnung. An der Grenze zur Unterernährung, aber ich glaube nicht, daß es zu einem Dauerschaden gekommen ist. Das Wunder ist nur, daß sie überhaupt noch lebt, von aufgelesenen Nahrungsmittelpaketen und gefriergetrocknetem Pulver.« Sie schaute Ripley an. »Haben Sie da drin irgendwelche Vitaminpakete bemerkt?« »Ich hatte keine Zeit für Besichtigungen, und sie hat mir auch nicht angeboten, mich rumzuführen.« Sie nickte zu dem Mädchen hin. »Na gut. Tja, sie muß sich wohl mit Nahrungszusätzen auskennen, denn sie zeigt keine kritischen Mangelerscheinungen. Cleveres kleines Ding.« »Wie sieht's geistig aus?« Ripley nippte an ihrem Kaffee und starrte dabei die Kleine in ihrem Stuhl an. Über dem Handrü-
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cken sah die Haut des Kindes aus wie Pergament. »Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber die motorischen Reaktionen sind gut. Ich glaube, es ist noch zu früh, um von einer Denkblockade zu sprechen. Ich würde sagen, sie hat auf Pause geschaltet.« »Nennen Sie's, wie Sie wollen!« Gorman stand auf und ging auf den Ausgang zu. »Was immer es ist, wir vergeuden nur unsere Zeit, wenn wir versuchen, mit ihr zu sprechen.« Er verließ den Nebenraum und ging zurück in die Einsatzzentrale zu Burke und Bishop, die auf das Terminal des Zentralcomputers der Kolonie starrten. Dietrich verschwand in eine andere Richtung. Eine Zeitlang sah Ripley zu, wie sich die drei Männer auf die Terminals konzentrierten, die Hudson wieder zum Leben erweckt hatte, dann kniete sie neben dem Mädchen nieder. Sanft strich sie dem Kind das wirre Haar aus den Augen. Sie hätte ebensogut eine Statue kämmen können, so wenig Reaktion rief sie hervor. Immer noch lächelnd hielt sie dem Kind die dampfende Tasse hin, die sie in der Hand hatte. »Hier, versuch das! Wenn du schon keinen Hunger hast, mußt du doch wenigstens durstig sein. Ich möchte wetten, in dieser Lüftungsblase wird es kalt, die Heizung ist doch aus und so.« Sie bewegte die Tasse hin und her und ließ den warmen, aromatischen Geruch des Inhalts an die Nase des Mädchens dringen. »Das ist nur ein bißchen heiße Schokolade. Magst du keine Schokolade?« Als das Mädchen nicht reagierte, legte Ripley die kleinen Hände um die Tasse und bog die Finger zueinander. Dann schob sie Hände und Tasse nach oben. Was die motorischen Reaktionen des Kindes anging, so hatte Dietrich recht. Es trank, mechanisch und ohne darauf zu achten, was es tat. Kakao lief ihm das Kinn hinunter, aber das meiste ging die kleine Kehle hinab und blieb unten. Ripley fühlte sich bestätigt.
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Da sie einen offensichtlich zusammengeschrumpften Magen nicht überbeanspruchen wollte, zog sie die Tasse weg, obwohl sie noch halb voll war. »So, das war doch gut? Gleich kannst du noch mehr haben. Ich weiß nicht, was du die ganze Zeit gegessen und getrunken hast, und wir wollen doch nicht, daß dir übel wird, wenn wir dir zu schnell zu viele schwere Sachen geben.« Sie strich wieder die blonden Locken zurück. »Armes Ding. Du sprichst nicht viel, was? Mir ist das schon recht. Wenn du lieber still sein möchtest, dann sei still. Ich bin eigentlich genauso. Ich habe gemerkt, daß die meisten Leute eine Menge reden und am Ende doch nicht sehr viel sagen. Besonders Erwachsene, wenn sie mit Kindern sprechen. Es ist, als ob es ihnen irgendwie Spaß machte, auf einen einzureden, aber nicht, mit einem zu reden. Sie wollen, daß man ihnen die ganze Zeit zuhört, aber sie selbst wollen nicht zuhören. Ich finde das ziemlich dumm. Nur weil man klein ist, heißt das doch noch nicht, daß man nicht auch ein paar wichtige Sachen zu sagen hat.« Sie stellte die Tasse weg und tupfte mit einem Tuch das braunfleckige Kinn ab. Man spürte gleich den noch unfertigen Knochen unter der straffgespannten Haut. »Oh!« Sie grinste breit. »Da habe ich einen sauberen Fleck gemacht. Jetzt ist es passiert. Jetzt muß ich es wohl ganz machen. Sonst paßt gar nichts mehr zusammen.« Aus einer geöffneten Vorratspackung zog sie eine Spritzflasche mit destilliertem Wasser und tränkte damit das Tuch, das sie in der Hand hielt. Dann drückte sie den improvisierten Waschlappen fest gegen das Gesicht des Mädchens und wischte, zusammen mit den restlichen Kakaoflecken, Schmutz und angesammelten Ruß weg. Während der ganzen Prozedur blieb das Kind ruhig sitzen. Aber die strahlend blauen Augen bewegten sich und schienen sich erstmals auf Ripley zu heften. Erregung stieg in ihr auf, und sie kämpfte dagegen an. »Schwer zu glauben, daß unter dem ganzen Zeug da ein
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kleines Mädchen sein soll.« Sie untersuchte mit großer Geste die Oberfläche des Tuches. »Da ist soviel Dreck drauf, daß man sich die Schürfrechte geben lassen könnte.« Sie beugte sich vor und starrte anerkennend auf das jetzt freigelegte Gesicht. »Eindeutig ein kleines Mädchen. Und sogar ein hübsches.« Sie blickte ganz kurz weg, nur um sich zu vergewissern, daß niemand aus der Einsatzzentrale gerade hereinplatzte. In diesem kritischen Augenblick konnte eine Unterbrechung alles zunichte mache n, was sie mit Hilfe von ein wenig heißer Schokolade und sauberem Wasser so mühsam erreicht hatte. Kein Grund zur Besorgnis. In der Einsatzzentrale drängten sich immer noch alle um das Hauptterminal. Hudson saß an der Konsole und bearbeitete Schalter, während die anderen zusahen. Ein dreidimensionaler Abriß der Kolonie schwebte über dem Hauptschirm, geometrische Umrisse taumelten träge von links nach rechts, dann von unten nach oben, als Hudson das Programm veränderte. Der Nachrichtentechniker spielte weder, noch wollte er angeben: er suchte etwas. Jetzt kamen keine groben Bemerkungen von seinen Lippen, keine beiläufige Lästerung erfüllte die Luft. Jetzt war Arbeitszeit. Wenn er überhaupt fluchte, dann im stillen. Der Computer kannte alle Antworten. Aber die richtigen Fragen zu finden war ein aufreibend langsamer Vorgang. Burke hatte die anderen Geräte inspiziert. Jetzt veränderte er seine Stellung, um besser sehen zu können, und flüsterte Gorman zu. »Was sucht er denn?« »PDS - Personaldatensender. Die werden allen Kolonisten chirurgisch implantiert, sobald sie hier ankommen.« »Ich weiß, was ein PDS ist«, antwortete Burk gelangweilt. »Die Gesellschaft stellt sie her. Ich sehe nur keinen Sinn darin,
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ein PDS-Suchprogramm laufen zu lassen. Wenn in dem Komplex sonst noch jemand am Leben wäre, hätten wir ihn inzwischen sicher gefunden. Oder er hätte uns gefunden.« »Nicht unbedingt.« Gormans Antwort war höflich, ohne unterwürfig zu sein. Technisch gesehen war Burke auf diese Expedition als Beobachter für die Gesellschaft mitgekommen, um sich um deren finanzielle Interessen zu kümmern. Sein Arbeitgeber bezahlte die Kolonialbehörde für diesen kleinen Ferienausflug, aber seine Autorität war größtenteils nicht schriftlich festgelegt. Er konnte Ratschläge, aber keine Befehle erteilen. Das war ein militärischer Einsatz, und die Leitung hatte Gorman. Auf dem Papier war Burke ihm gleichgestellt. In Wirklichkeit sah es ganz anders aus. »Es wäre möglich, daß noch jemand am Leben ist, sich aber nicht bewegen kann. Daß er verletzt ist oder vielleicht in einem beschädigten Gebäude festsitzt. Sicher ist das Suchprogramm eine recht unwahrscheinliche Möglichkeit, aber die Vorschrift verlangt es. Wir müssen es durchlaufen lassen.« Er wandte sich an den Nachrichtentechniker. »Funktioniert alles, Hudson?« »Wenn in zwei Kilometern Umkreis von der Basiszentrale jemand am Leben ist, werden wir es hier ablesen können.« Er klopfte auf den Schirm. »Bisher habe ich nichts bis auf das Kind.« Wierzbowski meldete sich von der anderen Seite des Raumes zu Wort. »Sendet ein PDS nicht auch weiter, wenn sein Träger stirbt?« »Die neuen nicht.« Dietrich kramte in ihren Instrumenten. »Sie werden durch das elektrische Feld des Körpers mit Energie versorgt. Wenn der Träger abgeschaltet wird, dann schaltet auch das Signal ab. Die elektrische Kapazität einer Leiche ist gleich Null. Das ist der einzige Nachteil, wenn man den Körper als Batterie benützt.« »Kein Scheiß?« Hudson warf einen Blick auf die hübsche
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Medotechnikerin. »Woher willst du wissen, ob jemand Gleichstrom oder Wechselstrom ist?« »In deinem Fall kein Problem, Hudson.« Sie klappte ihre Medizintasche zu. »Klarer Fall von Schwachstrom.« Es war einfacher, sich ein neues, sauberes Tuch zu suchen, als das erste auszuwaschen. Ripley bearbeitete jetzt die Hände des Mädchens und grub Schmutz zwischen den Fingern und unter den Nägeln heraus. Hinter einer Schicht aus dunklem Ruß wurde rosa Haut sichtbar. Während der Säuberung gab sie einen nicht abreisenden Strom beruhigenden Geplappers von sich. »Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, am Leben zu ble iben, nachdem alle anderen weg waren, aber du bist wirklich ein tapferes Kind, Rebecca.« Ein für Ripleys Ohren neuer, kaum hörbarer Laut: »N…Newt.« Ripley erstarrte und wandte den Blick ab, um ihre Erregung nicht sichtbar werden zu lassen. Sie hörte nicht auf, den Waschlappen herumzubewegen, beugte sich aber näher zu dem Kind. »Tut mir leid, Kleines, ich habe dich nicht verstanden. Manchmal höre ich nicht so gut. Was hast du gesagt?« »Newt. Mein Name ist Newt. Alle nennen mich so. Niemand sagte Rebecca, bis auf meinen blöden Bruder.« Ripley wurde gerade mit der zweiten Hand fertig. Wenn sie jetzt nicht antwortete, fiel das Mädchen vielleicht wieder in sein Schweigen zurück. Gleichzeitig mußte sie aber achtgeben, um nichts zu sagen, was das Kind verstörte. Ganz lässig bleiben und keine Fragen stellen. »Tja, dann also Newt. Ich heiße Ripley und so nennen mich die Leute auch. Du kannst mich aber nennen, wie du magst.« Als von dem Mädchen keine Antwort kam, hob Ripley die kleine Hand auf, die sie soeben fertig gesäubert hatte, und schüttelte sie ganz förmlich. »Freut mich, dich kennenzulernen, Newt.« Sie zeigte auf den
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körperlosen Puppenkopf, den das Mädchen immer noch krampfhaft in einer Hand hielt. »Und wer ist das? Hat sie auch einen Namen? Ich möchte wetten, sie hat einen. Jede Puppe hat einen Namen. Als ich so alt war wie du, hatte ich eine Menge Puppen, und jede hatte einen Namen. Wie kann man sie sonst auseinanderhalten?« Newt blickte auf die Plastikkugel mit ihren leeren Glasaugen hinunter. »Casey. Sie ist meine einzige Freundin.« »Und was ist mit mir?« Das Mädchen warf ihr einen so scharfen Blick zu, daß Ripley ganz perplex war. Die Sicherheit in Newts Augen verriet eine Härte, die alles andere als kindlich war. Ihre Stimme klang flach, neutral. »Ich will dich nicht als Freundin.« Ripley versuchte, ihre Überraschung zu verbergen. Warum nicht?« »Weil du bald auch nicht mehr da sein wirst, genau wie die anderen. Alle.« Sie schaute auf den Puppenkopf hinunter. »Casey ist in Ordnung. Sie bleibt bei mir. Aber du wirst weggehen. Du wirst tot sein und mich allein lassen.« In der Rede des Kindes war kein Zorn, kein Vorwurf, kein Gefühl des Verratenseins. Sie wurde kühl und mit völliger Sicherheit vorgetragen, als sei das Ereignis schon eingetreten. Es war keine Voraussage, sondern eher eine Feststellung von Tatsachen, die sich bald ereignen würden. Ripley erschauerte bis ins Mark, diese Worte erschreckten sie mehr als alles andere, was geschehen war, seit das Landefahrzeug die sichere Zuflucht der im Orbit befindlichen Sulaco verlassen hatte. »Oh, Newt. Deine Mama und dein Papa sind so … weggegangen, nicht wahr? Du willst nur nicht darüber sprechen.« Das Mädchen nickte mit niedergeschlagenen Augen und starrte auf ihre Knie. Die Finger umklammerten den Puppenkopf so fest, daß die Knöchel ganz weiß waren.
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»Sie wären hier, wenn sie könnten, Schätzchen«, erklärte Ripley ihr feierlich. »Das weiß ich bestimmt.« »Sie sind tot. Und deshalb können sie mich auch nicht mehr besuchen kommen. Sie sind tot, wie alle anderen auch.« Das wurde mit einer kalten Sicherheit vorgebracht, die bei einem so kleinen Kind einen schrecklichen Eindruck machte. »Vielleicht doch nicht. Wie kannst du so sicher sein?« Newt blickte auf und starrte geradewegs in Ripleys Augen. Kleine Kinder schauen Erwachsenen nicht so in die Augen, aber Newt war nur der Größe nach noch ein Kind. »Ich bin sicher. Sie sind tot. Sie sind alle tot, und bald bist auch du tot, und dann sind Casey und ich wieder alleine.« Ripley wandte den Blick nicht ab, und sie lächelte auch nicht. Sie wußte, daß dieses Mädchen alles sofort durchschaute, was auch nur entfernt unecht war. »Newt. Sieh mich an, Newt! Ich gehe nicht weg. Ich werde dich nicht verlassen, und ich werde nicht tot sein. Ich verspreche es dir. Ich bleibe hier. Ich bleibe bei dir, solange du das willst.« Das Mädchen blickte weiter zu Boden. Ripley sah, wie es mit sich kämpfte, wie es glauben wollte, was es soeben gehört hatte, wie es sich bemühte, es zu glauben. Nach einer Weile schaute es wieder auf. »Versprichst du mir das?« »Hand aufs Herz. Ripley führte die kindliche Geste aus. »Und du willst sterben, wenn es nicht stimmt!« Jetzt lächelte Ripley doch, grimmig. »Dann will ich sterben.« Mädchen und Frau sahen sich an. Newts Augen füllten sich mit Tränen, ihre Unterlippe begann zu zittern. Langsam wich die Spannung aus ihrem kleinen Körper, und an die Stelle der gleichgültigen Maske, die sie über ihr Gesicht gezogen hatte, trat etwas, was viel natürlicher war: der Blick eines verängstigten Kindes. Sie warf beide Arme um Ripleys Hals und begann
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zu schluchzen. Ripley spürte, wie die Tränen über die frischgewaschenen Wangen liefen und ihren Hals naß machten. Sie achtete nicht darauf, wiegte das Mädchen in ihren Armen hin und her und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. Sie schloß selbst die Augen vor den Tränen, vor der Angst und vor der Todesstimmung, die in der Einsatzzentrale von Hadley immer noch allgegenwärtig war, und hoffte, daß sie das Versprechen, das sie soeben gegeben ha tte, auch würde halten können. Dem Durchbruch bei dem Mädchen folgte ein zweiter in der Einsatzzentrale, als Hudson einen Triumpfschrei ausstieß. »Hah! Hört auf zu grinsen und laßt die Wäsche fallen! Ich hab' sie. Gebt dem alten Hudson 'ne anständige Maschine, und er findet euer Geld, eure Geheimnisse und euren lange verscho llenen Vetter Jed.« Er belohnte die Steuerkonsole mit einem liebevollen Klaps. »Das Baby hier hat zwar einiges abbekommen, aber es spielt immer noch mit.« Gorman beugte sich über die Schulter des Nachrichtentechnikers. »In welchem Zustand sind sie?« »Unbekannt. Diese kolonialen PDS liefern lange Signale und knappe Einzelheiten. Aber es sieht so aus, als wären sie vollzählig.. »Wo?« »Drüben, in der Atmosphäreaufbereitungsstation.« Hudson studierte die Schemazeichnung. »Tiefgeschoß G unter dem südlichen Teil des Komplexes.« Er klopfte auf den Schirm. Wenn es um Ortsangaben geht, ist dieses reizende Ding hier einfach Spitze.« Alle in der Einsatzzentrale drängten sich jetzt um den Nachrichtentechniker, um einen Blick auf den Monitor zu werfen. Hudson hielt die Aufnahme an und vergrößerte einen Teil davon. Im Zentrum der Schemazeichnung der Aufbereitungsstation pulsierte eine Traube leuchtender blauer Punkte wie
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Tiefseekrustentiere. Hicks knurrte, als er auf den Schirm starrte. »Sieht aus wie 'ne verdammte Stadtratssitzung.« »Warum die wohl alle da rüber gegangen sind?« überlegte Dietrich laut. »Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, daß sie hier ihren letzten Widerstand geleistet haben?« »Vielleicht konnten sie ausbrechen und sich an einer besseren Stelle verschanzen.« Gorman wandte sich ab, energisch und geschäftsmäßig. »Vergessen Sie nicht, die Aufbereitungsstation hat noch volle Energie. Das wäre viel wert. Machen wir uns auf den Weg und sehen wir nach.« »Na schön, los geht's, Mädchen!« Apone hängte sich seinen Rucksack über die Schultern. In der Einsatzzentrale wurde es lebendig wie in einem Bienenstock. »Die zahlen uns keine Stundenlöhne.« Er blickte Hudson an. »Wie kommen wir da rüber?« Der Nachrichtentechniker regulierte den Schirm und reduzie rte die Vergrößerung. Eine Gesamtansicht der Kolonie erschien auf dem Monitor. »Da gibt es einen kleinen Wartungskorridor. 'Ne ganz schöne Wanderung, Sergeant.« Apone schaute Gorman an und wartete auf Befehle. »Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, Sergeant«, sagte der Lieutenant, »aber ich mag lange, enge Korridore überhaupt nicht. Und ich möchte, daß wir alle frisch sind, wenn wir ankommen. Ich möchte auch gerne die Bewaffnung des Schützenpanzers im Rücken haben, wenn wir da reingehen.« »Genau meine Meinung, Sir.« Der Sergeant wirkte erleichtert. Er war bereit gewesen, Vorschläge zu machen und zu diskutieren, und war froh, daß keines von beiden notwendig sein würde. Ein paar Soldaten nickten und schienen befriedigt. Gorman mochte im Feld unerfahren sein, aber wenigstens war er kein Narr.
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Hicks schrie nach hinten in den kleinen Bereitschaftsraum: He, Ripley, wir machen 'ne kleine Landpartie. Kommen Sie mit?« Wir kommen beide mit.« Überraschte Blicke empfingen sie, als sie das Mädchen aus dem Hinterzimmer führte. »Das ist Newt. Newt, das sind meine Freunde. Sie sind auch deine Freunde ...« Das Mädchen nickte nur, es war noch nicht bereit, dieses Privileg außer Ripley noch anderen zu gewähren. Ein paar von den Soldaten nickten dem Kind zu, während sie ihre Ausrüstung schulterten. Burke lächelte es ermutigend an. Gorman machte ein überraschtes Gesicht. Newt blickte zu ihrer lebendigen Freundin auf, umklammerte aber weiterhin mit der rechten Hand den körperlosen Puppenkopf. »Wo gehen wir hin?« »An einen sicheren Ort. Bald.« Newt lächelte beinahe. Während der Fahrt vom Einsatzzentrum der Kolonie zur Aufbereitungsstation war die Atmosphäre im Schützenpanzer gedämpfter als zu dem Zeitpunkt, da er brüllend aus dem Landefahrzeug gekommen war. Die allgemeine Verwüstung, die hohlen, beschädigten Gebäude und die unverkennbaren Spuren schwerer Kämpfe hatten dem anfänglichen Übermut der Marines einen Dämpfer aufgesetzt. Es war klar, daß die Ursache für die unterbrochene Verbindung der Kolonie mit der Erde nichts mit ihrem Satelliten oder den Geräten in der Basis zu tun hatte. Sie hatte mit Ripleys Alien zu tun. Die Kolonisten hatten keine Nachrichten mehr gesendet, weil etwas sie gezwungen hatte, damit aufzuhören. Wenn man Ripley Glauben schenken konnte, dann trieb sich dieses Etwas immer noch herum. Zweifellos war das kleine Mädchen zu diesem Thema ein ganzer Informationsspeicher, aber niemand machte den Versuch, es mit Fragen zu bedrängen
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- Dietrichs Anweisung. Der Zustand des Kindes war immer noch labil, man durfte seine Erholung nicht mit traumatisierenden Erkundigungen in Gefahr bringen. Also mußten sie während der Fahrt die Lücken in Ripleys Bibliotheksdisketten mit ihrer Fantasie auffüllen. Soldaten haben im Gegensatz zu Bürokraten eine lebhafte Fantasie. Wierzbowski fuhr den Schützenpanzer durch die dämmrige Landschaft und überquerte einen Damm, der den Rest des Koloniekomplexes mit der einen Kilometer entfernten Atmosphäreaufbereitungsstation verband. Windstöße rissen an dem massigen Fahrzeug, konnten es aber nicht ins Schwanken bringen. Der Schützenpanzer war so konstruiert, daß man bei Windgeschwindigkeiten bis zu dreihundet Stundenkilometern noch angenehm fahren konnte. Ein typischer Acheron-Sturm machte ihm nichts aus. Hinter ihm hatte sich das Landefahrzeug auf dem Rollfeld niedergelassen und wartete dort auf die Rückkehr der Soldaten. Vor ihnen glühte der kegelförmige Turm der Terraformanlage in geisterhaftem Licht, während er weiter seiner Arbeit nachging und Acherons ungastliche Atmosphäre der irdischen näher brachte. Ripley und Newt saßen nebeneinander gleich hinter dem Führerhaus. Wierzbowski mußte sich auf das Fahren konzentrieren. In der relativ sicheren Umgebung des schwer gepanzerten Fahrzeugs wurde das Mädchen allmählich gesprächiger. Obwohl es mindestens ein Dutzend Fragen gab, die Ripley ihm unbedingt stellen wollte, saß sie nur geduldig da, hörte zu und ließ ihren Schützling plappern. Gelegentlich gab Newt ohnehin Antwort auf eine nicht gestellte Frage. Wir zum Beispiel jetzt: »Ich war die Beste bei dem Spiel.« Sie drückte den Puppenkopf an sich und starrte auf die gegenüberliegende Wand. »Ich kannte das ganze Labyrinth.« »Das >Labyrinth« Ripley dachte zurück an die Stelle, wo sie sie gefunden hatten. »Du meinst, das Luftschachtsystem?«
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»Ja, du weißt schon«, antwortete sie stolz. »Und nicht nur die Luftschächte. Ich kam sogar in Tunnel rein, die voll mit Drähten und solchem Zeug waren. In den Wänden, unter dem Fußboden. Ich kam überall rein. Ich war das Ass. Ich konnte mich besser verstecken als alle anderen. Sie sagten alle, ich schwindle, weil ich kleiner war als die anderen, aber es war nicht, weil ich kleiner war. Ich war nur schlauer, das ist alles. Und ich habe wirklich ein gutes Gedächtnis. Ich konnte mich an jede Stelle erinnern, wo ich schon mal gewesen war.« »Du bist wirklich ein Ass.« Das Mädchen schien erfreut. Ripleys Blick richtete sich nach vorne. Durch die Windschutzscheibe sah sie direkt vor ihnen die Aufbereitungsstation aufragen. Es war ein unschönes Bauwerk, streng nach funktionalen Gesichtspunkten entworfen. Die vielen Rohre, Kammern und Leitungsgänge waren durch Steine und Sand, die der Wind jahrzehntelang dagegengepeitscht hatte, zerkratzt und verbeult. Die Anlage war ebenso leistungsfähig wie hässlich. Sie und ihre Schwestern überall auf dem Planeten arbeiteten jahrelang rund um die Uhr, zerlegten ununterbrochen die Atmosphäre von Acheron in ihre Bestandteile, scheuerten sie sauber, reicherten sie an und erzeugten schließlich eine angenehme Biosphäre mit einem mildern, der irdischen Heimat ähnlichen Klima. Eine Menge Schönheit, die da aus soviel Häßlichkeit entstand. Die gigantische Metallmasse türmte sich über dem Schützenpanzer auf, als Wierzbowski das Fahrzeug vor dem Haupteingang abbremste. Angeführt von Hicks und Apone, stellten sich die wartenden Soldaten vor der überdimensionierten Tür auf. So nahe am Komplex erfüllte das Trommeln schwerer Maschinen ihre Ohren und übertönte noch das gleichmäßige Pfeifen des Windes. Die gut gebauten Maschinen verrichteten ihre Arbeit
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auch in Abwesenheit ihrer menschlichen Herren weiter. Hudson war als erster am Eingang und ließ seine Finger über die Türkontrollen spielen, wie ein Einbrecher, der seinen nächsten Überfall ausbaldowert. »Das ist 'ne Überraschung, Kinderlein. Alles funktioniert.« Er drückte mit dem Daumen auf einen Knopf, und die schwere Platte glitt beiseite und gab einen Eingang frei. Rechts davon führte eine Betonrampe nach unten. »Wohin, Sir?« erkundigte sich Apone. »Nehmen Sie die Rampe!« wies Gorman sie aus dem Innern des Schützenpanzers an. »Unten kommt dann eine zweite. Auf der gehen Sie bis zur C-Ebene hinunter.« »Alles nachprüfen.« Der Sergeant winkte seiner Truppe. »Drake, an die Spitze! Die übrigen folgen in Zweiergruppen! Gehen wir!« Hudson blieb zögernd an der Schalttafel stehen. »Was ist mit der Tür?« »Es ist niemand da. Lassen Sie sie offen!« Sie gingen über die breite Rampe nach unten, in den Bauch der Station. Von oben sickerte Licht herunter, es fiel schräg durch Fußböden und Laufstege aus Stahlgitter und bog sich um Leitungsrohre herum, die wie Orgelpfeifen nebeneinander aufgereiht waren. Ihre Anzugscheinwerfer hatten sie ohnehin eingeschaltet. Ringsum hämmerten gleichmäßig die Maschinen, während sie hinabstiegen. Die vielen Bilder, die ihre Anzugkameras lieferten, hüpften und schwankten beim Gehen und machten denen, die im Schützenpanzer die Monitoren überwachten, das Zusehen schwer. Endlich wurde der Boden eben, und die Bilder stabilisierten sich. Viele Linsen zeigten ein Stockwerk, das überquoll von schweren Zylindern und Leitungsrohren, Stapeln von Plastikkästen und großen Metallflaschen.
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»B-Etage.« Gorman sprach ins Mikrophon der Schaltzentrale. »Sie sind noch eine Ebene tiefer. Versuchen Sie, ein wenig langsamer zu gehen! Es ist schwer, etwas zu erkennen, wenn Sie sich so schnell abwärts bewegen.« Dietrich wandte sich an Frost. »Sollen wir vielleicht fliegen? Dann würde das Bild nicht hüpfen.« »Wie wär's, wenn ich dich statt dessen trage?« rief Hudson zurück. »Wie wär's, wenn ich dich übers Geländer werfe?« antwortete sie. »Dann wäre das Bild auch ruhig, bis du auf dem Boden aufkämst.« »Ruhe da hinten!« knurrte Apone, als sie um eine Biegung der abschüssigen Rampe kamen. Hudson und die übrigen gehorchten. In der Schaltzentrale spähte Ripley über Gormans rechte Schulter und Burke über die andere, während Newt versuchte, sich von hinten dazwischenzudrängen. Trotz aller Wunderwerke, über die der Lieutenant verfügen konnte, lieferte keine einzelne Anzugkamera ein klares Bild dessen, was die Soldaten sahen. »Versuchen Sie es mit Kontrastverstärkung«, riet Burke. »Das habe ich gleich als erstes getan, Mr. Burke. Da unten gibt's 'ne Menge Störungen. Je tiefer sie kommen, desto mehr Schrott ist da, durch den die Signale durchmüssen, und diese Anzuggeräte geben nicht viel Energie ab. Woraus besteht eine Atmosphäreaufbereitungsstation überhaupt''« »Kohlenstofffaserkunststoff und Quarzmischungen obendrauf, wo immer möglich, wegen der Festigkeit und wegen des geringen Gewichts. In den Zwischenwänden 'ne Menge Metallglas. Fundamente und Untergeschosse brauchen nicht so luxuriös zu sein. Beton und Stahlböden, dazu 'ne Menge Titanlegierung.« Gorman konnte seine Enttäuschung nicht beherrschen, als er
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vergeblich an seinen Instrumenten herumfingerte. »Wenn der Notstrom aus und die Station abgeschaltet wäre, hätte ich einen besseren Empfang, aber dann müßten die mit ihren Anzugscheinwerfern allein vorrücken. Das ist Jacke wir Hose.« Er schüttelte den Kopf, als er die verzerrten Bilder studierte, und beugte sich zum Mikrophon. »Wir können nicht allzugut erkennen, was da vor Ihnen ist. Was ist es?« Störungen verzerrten Hudsons Stimme ebenso wie das Bild, das seine Kamera lieferten. »Das müssen Sie mir sagen. Ich arbeite nur hier.« Der Lieutenant sah nach hinten zu Burke. »Haben das Ihre Leute gebaut?« Der Vertreter der Gesellschaft beugte sich zu den Monitoren vor und sah sich blinzelnd die schwachen Bilder an, die aus den Eingeweiden der Atmosphäreaufbereitungsstation übertragen wurden. »Nein, verdammt.« »Dann wissen Sie nicht, was es ist?« »Ich habe so was in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.« »Könnten das vielleicht die Kolonisten angebaut haben?« Burke starrte wieder hin, schließlich schüttelte er den Kopf. »Wenn ja, dann haben sie improvisiert. Das stammt aus keinem Bauhandbuch für Aufbereitungsstationen.« Das Gitterwerk von Rohren und Leitungen, das die unterste Etage der Aufbereitungsstation kreuz und quer durchzog, war erweitert worden. Die Anbauten waren zweifellos das Ergebnis zielbewußter Planung, kein unbekanntes, industrielles Zufallsprodukt. Das Material, das man für die Erweiterung verwendet hatte, war stellenweise sichtlich feucht und glänzend und ähnelte einem verfestigten Flüssigharz oder -kleber. Teilweise drang Licht mehrere Zentimeter weit in das Material ein und
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ließ eine komplizierte innere Struktur erkennen. Anderswo war die Substanz undurchsichtig. Sie zeigte nur wenig Farbe, und die war gedämpft: Grün und Grautöne; da und dort ein Hauch dunkleres Grün. Verwinkelte Kammern von einem halben Meter bis zu zwölf Metern im Durchmesser waren untereinander mit fragil aussehenden Gespinststreifen verbunden, die sich bei näherem Zusehen als etwa so zerbrechlich wie Stahlseile herausstellten. Tunnel führten tiefer in das Labyrinth hinein, während spezielle, kegelförmige Gruben ohne Ausgang im Boden endeten. Das neue Material fügte sich so exakt in die schon bestehende Maschinerie ein, daß schwer zu erkennen war, wo die menschliche Arbeit endete und etwas essentiell völlig anderes begann. An manchen Stellen waren die Anbauten sogar fast Imitationen bestehender Geräte der Station, aber es war nicht festzustellen, ob da zielbewußt getarnt oder lediglich blind imitiert worden war. Der ganze glänzende Komplex reichte so weit in die C-Etage hinein, wie die Kameras der Soldaten vordringen konnten. Obwohl er jeden verfügbaren freien Raum füllte, schienen die epoxydartigen Verkrustungen die Funktion der Station in keiner Weise beeinträchtigt zu haben. Sie polterte weiter und trieb, unbeeinflußt von den heteromorphen Kammern, die einen großen Teil ihrer unteren Etage füllten, ihr Spiel mit Acherons Luft. Von allen hatte nur Ripley eine Ahnung, worüber die Sold aten da gestolpert waren, und sie war im Augenblick zu gelähmt von einer gräßlichen Faszination, um eine Erklärung abzugeben. Sie konnte nur hinstarren und sich erinnern. Gorman blickte zufällig so lange zurück, daß ihm der Ausdruck auf ihrem Gesicht auffiel. »Was ist?« »Ich weiß nicht.« »Sie wissen etwas, und das ist mehr als wir übrigen! Los,
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Ripley! Raus damit! Im Augenblick würde ich für eine auf Informationen beruhende Vermutung hundert Kredits zahlen.« »Ich weiß es wirklich nicht. Ich glaube, ich habe etwas Ähnliches schon einmal gesehen, aber ich bin nicht sicher. Irgendwie ist es anders, komplizierter und ...« »Lassen Sie's mich wissen, wenn Ihr Gehirn die Arbeit wieder aufnimmt!« Enttäuscht wandte sich der Lieutenant erneut dem Mikrophon zu. »Vormarsch fortsetzen, Sergeant!« Die Soldaten setzten sich wieder in Marsch, ihre Anzugscheinwerfer beleuchteten die emailartigen Wände ringsum. Je tiefer sie in den Irrgarten eindrangen, desto mehr hatte es den Anschein, als sei er nicht gebaut worden, sondern gewachsen oder durch Sekretion entstanden. Das Labyrinth sah aus wie das Innere eines gigantischen Organs oder eines Knochens. Keines menschlichen Organs und keines menschlichen Knochens. Was immer der Anbau sonst für einen Zweck haben mochte, er diente dazu, Abwärme aus dem Fusionsreaktor des Prozessors zu speichern. Kondenswasser bildete Pfützen auf dem Boden und zischte um sie herum. Fabrikatmung. »Gleich da vorne wird es ein wenig breiter.« Hicks schwenkte seine Kamera. Der Trupp betrat ein großes Gewölbe. Die Beschaffenheit und das Aussehen der Wände änderten sich abrupt. Es war ein Beweis für die Qualität ihrer Ausbildung, daß nicht einer der Soldaten auf der Stelle zusammenbrach. Ripley murmelte: »O Gott!« Burke stammelte einen Fluch. Kameras und Anzugscheinwerfer erleuchteten die Kammer. Statt der glatten, gewölbten Wände, an denen sie zuvor vorbeigekommen waren, waren diese hier rauh und uneben. Sie bildeten ein grobes Flachrelief aus Abfall, der in der Stadt zusammengesammelt worden war: Möbel, Drähte, feste und flüssige Bestandteile, Maschinentrümmer, persönliche Habse-
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ligkeiten der Kolonisten, zerrissene Kleidung, menschliche Knochen und Schädel, alles war mit diesem allgegenwärtigen, durchscheinenden, epoxydartigen Harz zusammengefügt. Hudson streckte eine behandschuhte Hand aus, fuhr damit über eine Wand und streichelte dabei zufällig über ein Bündel menschlicher Rippen. Er zupfte an dem harzigen Schleim, konnte ihn aber kaum ankratzen. »Schon mal so was wie dieses Zeug gesehen?« »Ich nicht.« Hicks hätte ausgespuckt, wenn er Platz gehabt hätte. »Ich bin kein Chemiker.« Man erwartete von Dietrich, daß sie eine Meinung äußerte, und das tat sie auch. »Sieht aus wie ein Leimsekret. Haben Ihre Bösewichte dieses Zeug ausgespuckt, Ripley, oder was?« »Ich ... ich weiß nicht, wie es erzeugt wird, aber ich habe es schon gesehen, nur in viel kleineren Mengen.« Gorman schürzte die Lippen, analytisches Denken verdrängte den ersten Schock. »Sieht so aus, als hätten sie die Kolonie auseinandergerissen, um Baumaterial zu bekommen.« Er deutete auf das Bild, das Hicks' Schirm lieferte. »Da ist ein ganzer Stapel leerer Speicheldisketten eingebettet.« »Und tragbare Energiezellen.« Burke zeigte auf einen anderen der Einzelmonitoren. »Teures Zeug. Alles auseinandergerissen.« »Und die Kolonisten dazu«, erklärte Ripley, »wenn sie mit ihnen fertig waren.« Sie drehte sich um und schaute auf das kleine Mädchen hinunter, das mit verschlossenem Gesicht neben ihr stand. »Du setzt dich besser vorne hin, Newt. Geh schon!« Das Kind nickte und ging gehorsam zum Führerhaus. Der Dampf auf der C-Etage wurde dichter, als die Truppe noch tiefer in die Kammer vordrang. Er wurde von einer entsprechenden Temperaturerhöhung begleitet. »Hier drin ist es heißer als in der Hölle«, murrte Frost.
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»Ja«, stimmte Hudson sarkastisch zu, »aber es ist 'ne trockene Hitze.« Ripley schaute nach links. Burke und Gorman starrten weiterhin gespannt auf die Videoschirme. Links vom Lieutenant stand der kleine Monitor, der eine Graphik vom Grundriß der Station zeigte. »Sie sind direkt unter den Primärwärmetauschern.« »Ja.« Burke war so fasziniert, daß er seine Augen nicht von dem Bild losreißen konnte, das von Apones Kamera übertragen wurde. »Vielleicht mögen die Organismen die Hitze. Deshalb haben sie auch ihre Bauten ...« »Das meine ich nicht. Gorman, wenn Ihre Leute da drin ihre Waffen einsetzen müssen, werden sie das Kühlsystem in die Luft jagen.« Burke begriff plötzlich, worauf Ripley hinauswollte. »Sie hat recht.« »Und?« fragte der Lieutenant. »Und«, fuhr sie fort, »dann wird das Freon und/oder das Wasser freigesetzt, das für Kühlzwecke aus der Luft kondensiert wurde.« »Schön.« Er klopfte auf die Schirme. »Das wird für alle eine Abkühlung sein.« «Es wird mehr passieren als eine Abkühlung.« »Zum Beispiel?« »Die Fusionskontrolle schaltet sich ab.« »Und?« Warum kam sie nicht zur Sache? Begriff diese Frau denn nicht, daß er sich bemühte, hier eine Such- und Räume xpedition zu leiten? »Wir reden von einer thermonuklearen Explosion.« »Scheiße!« Das brachte Gorman dazu, daß er sich zurücklehnte und nachdachte. Er erwog die Möglichkeiten, die er hatte. Die Entscheidung wurde ihm durch die Tatsache erleichtert, daß er
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keine hatte. »Apone, sammeln Sie von allen die Magazine ein! Wir können nicht zulassen, daß da drin geschossen wird.« Apone war nicht der einzige, der den Befehl hörte. Die Soldaten sahen sich mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Bestürzung an. »Ist der denn total verrückt?« Wierzbowski drückte sein Gewehr schützend gegen die Rippen, als wolle er Gorman herausfordern, er solle nur herunterkommen und es persönlich entschärfen. Hudson knurrte fast: »Und was sollen wir dann nehmen, Mana? Flüche oder Zaubersprüche?« Er sprach in seinen Kopfhörer. »He, Lieutenant, wollen Sie vielleicht, daß wir's mit Judo probieren? Und wenn die keine Arme haben?« »Sie haben Arme«, versic herte Ripley ihm gepreßt. »Sie gehen ja nicht nackt rein, Hudson«, erklärte ihm Go rman: »Sie haben noch andere Waffen, die Sie benützen können.« »Wäre vielleicht gar keine so schlechte Idee«, murmelte Dietrich. »Was, andere Waffen zu verwenden?« murmelte Wierzbowski. »Nein. Daß Hudson nackt reingeht. Den Schock könnte kein lebendes Wesen ertragen.« »Geh zum Teufel, Dietrich!« schoß der Nachrichtentechniker zurück. »Keine Aussichten.« Mit einem Seufzer riß die Medotechnikerin das voll geladene Magazin aus ihrem Gewehr. »Nur Flammenwerfer.« Gormans Stimme klang sehr energisch. »Ich möchte, daß alle Gewehre umgehängt werden.« »Ihr habt gehört, was der Lieutenant gesagt hat.« Apone ging zwischen ihnen he rum und sammelte Magazine ein. »Zieht sie
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raus!« Ein Gewehr nach dem anderen wurde unschädlich gemacht. Vasquez gab die Energieblocks für ihre Automatikkanone nur äußerst ungern ab. Drei von den Soldaten hatten zusätzlich zu ihren Schußwaffen noch tragbare Brenngeräte. Diese wurden nun bereitgemacht, aufgewärmt und überprüft. Ohne daß Apone oder einer ihrer Kollegen es merkten, zog Vasquez eine Reserveenergiezelle aus der Hüfttasche ihrer Hose und schob sie in ihre Automatikkanone ein. Sobald die Augen des Sergeants und alle Anzugkameras von ihnen abgelenkt waren, tat Drake es ihr nach. Die beiden Kanoniere zwinkerten sich grimmig zu. Hicks hatte niemanden, dem er zuzwinkern, und keine Automatikkanone, mit der er schwindeln konnte. Aber dafür hatte er einen zylindrischen Behälter, der am Innenfutter seines Kampfgurtwerks befestigt war. Er zog den Reißverschluß seiner Brustpanzerung auf, öffnete den Behälter und legte die metallgrauen Doppelläufe einer antiken Schrotflinte Kaliber Zwölf mit abgesägtem Kolbenschaft frei. Während Hudson mit berufsmäßigem Interesse zusah, dichtete der Corporal seine Panzerung wieder ab, klappte den Schaft seiner gut erhaltenen Antiquität auf und schob eine Patrone hinein. »Wo hast du die her, Hicks? Als ich die Ausbuchtung sah, dachte ich schon, du schmuggelst Schnaps, aber das hätte nicht zu dir gepaßt. Hast du sie aus 'nem Museum gestohlen?« »Die ist schon lange in meiner Familie. Niedlich, nicht?« »Das scheint mir so 'ne Familie zu sein. Kann man was damit machen?« Hicks zeigte ihm ein Geschoß. »Nicht das Standard-Hochgeschwindigkeitsprojektil, das eine Panzerung durchschlägt, wie man es beim Militär verwendet, aber wenn man sie mitten ins Gesicht kriegt, ist das auch nicht mehr so schön.« Er sprach mit gedämpfter Stimme. »Die habe
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ich immer bei der Hand. Für den Nahkampf. Ich glaube nicht, daß sie irgendwo so weit durchschlägt, daß wir Pilzwolken hochschicken.« »Ja, wirklich niedlich.« Hudson schenkte der Abgesägten einen letzten bewundernden Blick. »Du bist 'n verdammter Traditionalist, Hicks.« Der Corporal lächelte sparsam. »Das ist meine zarte Natur.« Apones Stimme drang von etwas weiter vorn zu ihnen. »Weiter. Hicks, dir gefällt's offenbar da hinten, also übernimmst du die Nachhut!« »Mit Vergnügen, Sergeant.« Der Corporal stützte die alte Schrotflinte gegen seine rechte Schulter und balancierte sie mühelos mit einer Hand, den Finger auf dem schweren Abzugsbügel. Hudson grinste anerkennend, gab Hicks das Geheimzeichen und trabte nach vorne, um die ihm zugewiesene Position nahe der Spitze einzunehmen. Die Luft war dick, das Licht aus ihren Scheinwerfern wurde durch den wogenden Dampf gestreut. Hudson kam es vor, als marschierten sie durch einen Dschungel aus Stahl und Plastik. Gormans Stimme hallte in seinen Kopfhörer. »Irgendeine Bewegung?« Die Stimme des Lieutenants klang schwach und weit entfernt, obwohl der Nachrichtentechniker wußte, daß er nur ein paar Etagen über ihnen und gleich vor dem Eingang zur Aufbereitungsstation war. Er hielt die Augen auf seinen Tracker gerichtet, während er weiterging. »Hier Hudson, Sir. Bisher nichts. Null. Das einzige, was sich hier unten bewegt, ist die Luft.« Er bog um eine Ecke und blickte von den winzigen Anzeigen auf. Was er sah, ließ ihn den Tracker, sein Gewehr und alles andere vergessen. Wieder lag vor ihnen eine überkrustete Wand. Sie war von Ausbuchtungen und Kräuselwellen durchzogen und von einer
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unbekannten, nichtmenschlichen Hand geformt worden, eine teratogene Version von Rodins Pforten der Hölle. Hier waren die verschollenen Kolonisten, lebendig eingemauert in dem gleichen epoxydartigen Harz, das man für das Gitterwerk und die Tunnel, die Kammern und Gruben verwendet hatte, die die unterste Etage der Aufbereitungsstation in die Kulissen eines xenopsychotischen Alptraums verwandelt hatten. Jeder Kolonist war ohne Rücksicht auf menschliche Beque mlichkeit in die Wand eingesponnen worden. Arme und Beine waren grotesk verdreht, wenn nötig gebrochen, um den Körper in den fremden Plan und Entwurf einzupassen. Köpfe hingen in unnatürlichen Winkeln. Viele der Körper waren nur noch ausgetrocknete Mumien, von denen Fleisch und Haut zum Teil abgefault waren. Andere waren bis auf die nackten Knochen gesäubert worden. Das waren die glücklicheren, denen das Geschenk des Todes gleich gewährt worden war. Alle Körper hatten eins gemeinsam, ganz gleich, wo sie sich befanden, oder wie sie in die Wand eingefügt waren: der Brustkorb war nach außen aufgerissen, als sei etwas hinter dem Brustbein von innen explodiert. Die Soldaten betraten langsam den Raum. Ihre Gesichter waren verbissen. Niemand sprach ein Wort. Keiner war unter ihnen, der nicht dem Tod ins Gesicht gelacht hätte, aber das hier war schlimmer als der Tod es war das nackte Grauen. Dietrich näherte sich der noch unversehrten Gestalt einer Frau. Der Körper war geisterhaft bleich, ausgezehrt. Die Augenlider flatterten und öffneten sich, als die Frau eine Bewegung, eine Gegenwart, irgend etwas spürte. Dahinter wohnte der Wahnsinn. Die Gestalt sprach mit hohler Grabesstimme; es war ein Flüstern aus tiefster Verzweiflung. Dietrich beugte sich näher zu ihr, um sie zu verstehen. »Bitte Gott, töte mich.« Mit weit aufgerissenen Augen taumelte die Medotechnikerin
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zurück. Ripley konnte in der sicheren Zuflucht des Schütze npanzers nur noch hilflos hinstarren und sich fest auf die Knöchel ihrer linken Hand beißen. Sie wußte, was jetzt kam, wußte, was die Frau zu ihrer letzten Bitte veranlaßt hatte, genau wie sie wußte, daß weder sie noch sonst jemand etwas anderes tun konnte, als ihr zu willfahren. Man hörte über die Lautsprecher der Zentrale jemanden würgen. Nie mand riß darüber Witze wie sonst. Die in der Wand gefangene Frau begann krampfhaft zu zucken. Irgendwoher nahm sie genügend Energie, um zu schreien, ein anhaltender Schrei irrsinniger Qual, der an den Nerven zerrte. Ripley machte einen Schritt auf das nächste Mikrophon zu, wollte die Soldaten vor dem warnen, was jetzt kam, konnte aber ihrer Kehle kein Wort entlocken. Es war auch nicht nötig. Alle hatten sie die Forschungsdisketten studiert, die sie für sie vorbereitet hatte. »Flammenwerfer!« bellte Apone. »Schnell! Frost reichte dem Sergeant sein Brennrohr und trat beiseite. Als Apone es übernahm, explodierte die Brust der Frau in einem Regen von Blut. Aus der entstandenen Höhle tauchte ein kleiner Schädel voller Zähne auf und zischte bösartig. Apones Finger riß den Abzug des Flammenwerfers durch. Die beiden anderen Soldaten, die ähnliche Waffen trugen, taten es ihm nach. Hitze und Licht erfüllten die Kammer, versengten die Wand und vernichteten das kreischende Scheusal, das sie gebar. Die Kokons und ihr Inhalt schmolzen und liefen herunter wie durchscheinende Bonbonmasse. Ein betäubendes Schrillen hallte allen in den Ohren, als sie das Feuer über die gesamte Wand verteilten. Was nicht von der intensiven Hitze verkohlt wurde, schmolz. Die Wand verlief zu Pfützen und sammelte sich um ihre Stiefel wie geronnenes Plastik. Aber es roch nicht nach Plastik. Es verströmte einen gräßlichen
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organischen Gestank. Alle im Raum konzentrierten sich auf die brennende Wand und die Flammenwerfer. Niemand bemerkte, daß sich ein Abschnitt in der Wand hinter ihnen bewegte.
8.
Das Alien hatte lange ausgestreckt in einer Tasche gelegen, die sich vollkommen in den übrigen Raum einfügte, und geschlafen. Langsam tauchte es aus seiner Ruhenische auf. Rauch von brennenden Kokons und anderen organischen Stoffen wogte nach oben und verringerte die Sicht in der Kammer fast auf Null. Irgend etwas veranlaßte Hudson, kurz auf seinen Tracker zu schauen. Seine Pupillen weiteten sich, und er wirbelte herum, um einen Warnschrei auszustoßen. »Bewegung! Ich orte Bewegung!« »Position?« erkundigte Apone sich scharf. »Kann ich nicht eingrenzen. Ist zu verdammt eng hier drin, und es sind zuviele andere Körper da.« Ein gereizter Ton schlich sich in die Stimme des Master Sergeants ein. »Komm mir nicht mit so was! Rede mit mir, Hudson! Wo ist es?« Der Nachrichtentechniker bemühte sich verzweifelt, die Information des Trackers genauer zu fassen. Das war die Schwierigkeit mit diesen Feldgeräten: sie waren strapazierfähig, aber ungenau. »Hm, scheint vorne und hinten zu sein.« In der Schaltzentrale des Schützenpanzers regulierte Gorman in rasender Eile die Lautstärke und die Schärfe an einzelnen
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Monitoren. »Wir sehen hier oben gar nichts, Apone. Was ist los?« Ripley wußte, was los war. Und sie wußte, was jetzt kam. Sie spürte es, auch wenn sie es nicht sehen konnte, wie eine Woge, die bei Nacht auf einen schwarzen Sandstrand zustürzt. Sie fand gleichzeitig ihre Stimme und das Mikrophon. »Ziehen Sie sofort Ihre Leute ab, Gorman! Holen Sie sie augenblicklich da raus!« Der Lieutenant warf ihr einen gereizten Blick zu. »Geben Sie mir keine Befehle, Gnädigste! Ich weiß schon, was ich tue.« »Vielleicht, aber Sie wissen nicht, was da getan wird!« Unten auf der C-Etage erwachten Wände und Decke der Alien-Kammer zum Leben. Biomechanische Finger fuhren Krallen aus, die mühelos Metall zerfetzen konnten. Schleimige Kiefer begannen sich zu regen, öffneten und schlossen sich; allmähliches Erwachen von schlaftrunkenen Gehirnen. Unsichere Bewegungen, die die nervösen menschlichen Eindringlinge durch Rauch und Qualm nun immer deutlicher wahrne hmen konnten. Apone merkte, daß er instinktiv zurückwich. »Schaltet auf Infrarot! Seid vorsichtig, Leute!« Schilde wurden eingerastet. Auf ihrer glatten, durchsichtigen Innenseite begannen Bilder zu materialisieren, alptraumhafte Silhouetten, die sich in gespenstischer Lautlosigkeit durch den treibenden Dunst bewegten. »Viele Signale«, erklärte Hudson, »von allen Seiten. Sie kommen aus allen Richtungen auf uns zu.« Dietrichs Nerven versagten, sie wirbelte herum und wollte den Rückzug antreten. Als sie sich umdrehte, tauchte etwas Großes mit unheimlichen Kräften über dem Qualm auf und umschlang sie mit langen Armen. Gliedmaßen wie Metallstangen schlossen sich um ihre Brust und drückten zu. Die Medotechnikerin schrie, ihr Finger spannte sich unwillkürlich um den Abzug ihres Flammenwerfers. Der Feuerstoß hüllte Frost
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ein und verwandelte ihn in eine blind taumelnde, zweibeinige Fackel. Sein Schrei hallte durch alle Kopfhörer. Apone fuhr herum, er konnte in der dichten Atmosphäre und bei der schlechten Beleuchtung nichts sehen, aber nur allzuviel hören. Durch die Hitze von den Maschinen der Luftaufbereitung in der Etage darüber wurden die Funktion der Infrarotschirme der Soldaten verhängnisvoll beeinträchtigt. Im Schützenpanzer oben starrte Gorman nur noch fassungslos, als Frosts Monitor erlosch. Gleichzeitig flachten sich dessen Biowerte ab, die Berge und Täler, die das Leben darstellten, wurden von grimmigen, geraden Linien ersetzt. Auf den übrigen Monitorschirmen hüpften und schwankten die Umrisse wirr herum. Die Napalmfeuerstöße aus den noch funktionierenden Flammenwerfern bewirkten, daß die Lichtregulierungsfähigkeit der Anzugkameras völlig überlastet und die Bilder, die sie lieferten, bis zur Unkenntlichkeit überbelichtet wurden. Inmitten von Chaos und Verwirrung fanden sich Vasquez und Drake. Die Harpyie der Hochtechnologie nickte dem NewWave-Neandertaler wissend zu, während sie das zurückbehaltene Magazin in die Waffe schob. »Der Tanz geht los«, sagte sie kurz. Rücken an Rücken stehend, eröffneten sie gleichzeitig mit ihren Automatikkanonen das Feuer, erzeugten zwei Flammenbögen, wie Schweißgeräte beim Abdichten der Außenhaut eines Raumschiffs. In der engen Kammer war der Lärm der beiden schweren Waffen überwältigend. Für die Schützen der Automatikkanonen klang der Donner wie eine Bachfuge und ein Grimoire-Synthesizer in einem. Gormans Stimme hallte in ihren Ohren, kaum vernehmbar über dem Schlachtenlärm. »Wer schießt da? Ich habe doch schweres Feuer verboten, verdammt!«
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Vasquez griff gerade so lange hoch, um sich die Kopfhörer abzureißen, ihre Augen und ihre Aufmerksamkeit wichen keinen Augenblick vom Zielschirm der Automatikkanone. Füße, Hände, Augen und Körper wurden zur Verlängerung der Waffe, alles tanzte und drehte sich in Harmonie. Donner, Blitz, Rauch und Schreie erfüllten die Kammer, ein kleines Stück Armageddon auf der C-Etage. Eine große Ruhe durchströmte sie. Besser konnte es im Himmel sicher auch nicht sein. Ripley zuckte zusammen, als wieder ein Schrei durch die Lautsprecher der Schaltzentrale dröhnte. Das Bild von Wierzbowskis Anzugkamera zerfiel, gleich darauf flachten sich seine Biofunktionen unvermittelt ab. Ihre Finger verkrampften sich ineinander, die Nägel bohrten sich in die Handflächen. Sie hatte Wierzbowski gemocht. Was hatte sie überhaupt hier zu suchen! Warum war sie nicht zu Hause, arm und ohne Lizenz, aber in Sicherheit in ihrer kleinen Wohnung, umgeben von Jones, gewöhnlichen Leuten und gesundem Menschenverstand? Warum hatte sie freiwillig die Gesellschaft von Alpträumen gesucht? Aus Altruismus? Weil sie von Anfang an geahnt hatte, was für die Unterbrechung der Nachrichtenverbindung zwischen Acheron und der Erde verantwortlich gewesen war? Oder weil sie eine lausige Flugberechtigung wiederhaben wollte? Unten in den Tiefen der Aufbereitungsstation gingen auf der einzigen Frequenz für persönliche Verständigung panische, verzweifelte Stimmen durcheinander, Kopfhörerkomponenten sortierten aus dem Gewirr einen Sinn heraus. Sie erkannte die Stimme von Hudson, die alle anderen übertönte. Der unkomplizierte Pragmatismus des Nachrichtentechnikers schimmerte durch den Zusammenbruch jeglicher Taktik hindurch. »Wir müssen, verdammt noch mal, hier raus! Sie hörte, wie Hicks jemand anderen anschrie. Der Corporal hörte sich eher frust-
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riert an als sonst etwas. »Nicht diesen Tunnel, den anderen!« »Bist du sicher?« Crowes Bild schwankte verrückt herum, als er sich vor etwas Unsichtbarem duckte, die Aussicht, die seine Anzugkamera lieferte, war ein wildes Chaos voller Rauch, Qualm und biomechanischer Umrisse. »Vorsicht, hinter dir! Verdammt, rühr dich doch vom Fleck!« Gormans Hände wurden langsamer. Jetzt war mehr gefordert als Knöpfedrücken, und aus der aschgrauen Blässe, die das Gesicht des Lieutenants überzogen hatte, sah Ripley, daß er es nicht geben konnte. »Holen Sie sie da raus!« schrie sie ihn an. »Und zwar jetzt! »Halten Sie den Mund!« Er schnappte nach Luft wie ein Zackenbarsch, während er seine Meßwerte studierte. Alles löste sich auf, sein sorgfältig ausgetüftelter Vormarschplan zerfiel auf den noch verbliebenen Monitoren zu schnell, als daß er noch etwas hätte durchdenken können. Zu schnell. »Halten Sie doch den Mund, zum Henker!« Das Geräusch von zerreißendem Metall kam über Crowes Kopfhörermikrophon, und seine Telemetrie wurde dunkel. Gorman stammelte etwas Unverständliches, versuchte, sich zu beherrschen, während er doch die Herrschaft über die Lage verlor. »Hm, Apone, ich möchte, daß Sie mit den Feuerrohren alles abriegeln und sich truppweise zum Schützenpanzer zurückziehen! Ende.« Die schwache Antwort des Sergeant wurde von Störungen, dem Brüllen der Flammenwerfer und den schnellen, stotternden Feuerstößen aus den Automatikkanonen verzerrt. »Bitte wiederholen! Alle Feuerrohre zurückziehen?« »Ich sagte ...« Gorman wiederholte seine Anweisungen. Es war nicht von Bedeutung, ob jemand sie hörte. Die in der Kokonkammer gefangenen Männer und Frauen hatten nur Zeit zu reagieren, zuhören konnten sie nicht.
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Nur Apone fummelte an seinem Kopfhörer herum und ve rsuchte, in den verstümmelten Befehlen einen Sinn zu erkennen. Gormans Stimme war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Die Kopfhörer waren so konstruiert, daß sie in jeder Lage, auch unter Wasser, funktionierten und ein klares Signal übermittelten, aber was sich hier abspielte, das hatten die Konstrukteure der Kommunikationsgeräte nicht voraussehen können, das hatte auch sonst niemand voraussehen können, weil noch nie jemand so etwas erlebt hatte. Hinter dem Sergeant schrie jemand. Zum Teufel mit Gorman. Er schaltete die Kopfhörer auf die direkte Frequenz zwischen den Anzügen. »Dietrich? Crowe? Meldet euch doch! Wierzbowski, wo, zum Teufel, seid ihr?« Bewegung links von ihm. Er wirbelte herum und verfehlte Hudsons Kopf nur um Millimeter. Die Augen des Nachrichtentechnikers blickten wild. Er stand am Rande des Wahnsinns und erkannte den Sergeant kaum. Seine kühnen Beteuerungen, alle falsche Prahlerei waren jetzt verschwunden. Er war zu Tode geängstigt und bemühte sich auch nicht, diese Tatsache zu verbergen. »Die machen uns fertig! Wir kommen hier alle um!« Apone reichte ihm ein Gewehrmagazin. Der Nachrichtentechniker legte es ein und versuchte dabei, gleichzeitig in alle Richtungen zu schauen. »So besser?« fragte ihn Apone. »Ja, schon. Gut!« Dankbar führte der Nachrichtentechniker ein Impulsprojektil in die Kammer ein. »Zur Hölle mit diesen Maschinen.« Er spürte Bewegung, drehte sich um und feuerte. Der leichte Rückstoß, den die Waffe abgab, setzte sich seinen Arm hinauf fort und gab ihm ein wenig von seinem verlorenen Selbstvertrauen wieder. Rechts von ihnen legte Vasquez ein lückenloses Feuerfeld aus und vernichtete alles, was nicht menschlich war und auf einen
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Meter an sie herankam, mochte es tot, lebendig oder ein Teil der Maschinerie der Aufbereitunganlage sein. Sie wirkte so, als habe sie jede Kontrolle verloren. Apone wußte, daß dem nicht so war. Wenn sie außer sich gewesen wäre, wären sie schon längst alle tot. Hicks rannte auf sie zu. Sie vollführte eine elegante Drehung und feuerte eine lange Salve aus der schweren Waffe ab. Der Corporal duckte sich, als der Lauf der Automatikkanone auf sein Gesicht zuschwang, und stolperte weg, als die Alptraumgestalt, die hinter ihm herschlich, von Vasquez' Schuß nach hinten katapultiert wurde. Biomechanische Finger waren nur Zentimeter von seinem Hals entfernt gewesen. Im Schützenpanzer wirbelte Apones Monitor plötzlich wie verrückt und schaltete sich dann ab. Gorman starrte ihn an, als könne er ihn dadurch, zusammen mit dem Mann, den er repräsentierte, wieder zum Leben erwecken. »Ich habe ihnen doch gesagt, sie sollen sich zurückziehen.« Seine Stimme klang abwesend, ungläubig. »Sie müssen den Befehl nicht gehört haben.« Ripley schob ihr Gesicht vor das seine, sah den betäubten, verständnislosen Ausdruck. »Die sind da drin abgeschnitten! Tun Sie was!« Er schaute langsam zu ihr auf. Seine Lippen bewegten sich, aber das Murmeln, das sie hervorbrachten, war unverständlich. Er schüttelte nur ungläubig den Kopf. »Verdammt!« Von dieser Seite war keine Hilfe zu erwarten. Der Lieutenant war aus der Sache draußen. Burke war an die gegenüberliegende Wand zurückgewichen, als könne er sich dadurch, daß er einen Abstand zwischen sich und die Bilder auf den noch verbliebenen funktionierenden Monitoren legte, irgendwie aus dem Kampf stehlen, der in den Eingeweiden der Aufbereitungsstation wütete.
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Jetzt gab es nur noch eines, was den überlebenden Soldaten irgend etwas nützen konnte, und das war unmittelbare Hilfe. Gorman würde nichts unternehmen, und Burke konnte nicht. Also blieb nur noch Mr. Jones' Lieblingsmensch übrig. Wenn der Kater anwesend und in der Lage gewesen wäre, für sie etwas zu tun, dann wußte sie, was er getan hätte: er hätte den Schützenpanzer gewendet und die Kiste mit Höchstgeschwindigkeit aufs Landefeld gefahren, hätte ihn ins Landefahrzeug verladen und zur Sulaco zurückbringen lassen, wäre in Hyperschlaf gegangen und heimgeflogen. Diesmal war es unwahrscheinlich, daß irgend jemand von der Kolonialbehörde ihren Bericht in Zweifel ziehen würde. Nicht, wenn sie einen kriegsneurotischen Gorman und einen halb im Koma befindlichen Burke als Beweis dabeihatte. Nicht, wenn sie die Aufzeichnungen, die der Computer des Schützenpanzers direkt von den Anzugkameras der Soldaten übernommen und automatisch gespeichert hatte, diesen selbstgefälligen, selbstzufriedenen Bürokraten unter die Nase halten konnte. Raus hier, nach Hause, weg von hier! schrie die Stimme in ihrem Schädel. Du hast den Beweis, den du haben wolltest. Die Kolonie ist kaputt, es gibt eine Überlebende, die anderen sind tot oder schlimmer als tot. Flieg zurück zur Erde und komm beim nächstenmal mit einer Armee wieder, nicht nur mit einem Trupp! Atmosphäreflieger zur Deckung aus der Luft. Schwere Waffen. Sie sollen alles dem Erdboden gleichmachen, wenn es sein muß, aber das sollen sie ohne dich machen. Bei dieser tröstlichen Argumentationsweise gab es nur ein Problem. Wenn sie jetzt fortging, bedeutete das, daß sie Vasquez, Hudson, Hicks und alle anderen, die unten auf der CEtage noch am Leben waren, der zärtlichen Behandlung durch die Aliens überließ. Wenn sie Glück hatten, würden sie sterben. Wenn nicht, dann würden sie, in eine Kokonwand einzeme ntiert, als Ersatz für die noch lebenden Wirtskolonisten enden,
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die sie gnädigerweise verkohlt hatten. Damit konnte sie nicht leben. Sie würde jedesmal, wenn sie ihren Kopf auf ein Kissen legte, ihre Gesichter sehen und ihre Schreie hören. Wenn sie floh, würde sie den unmittelbaren Alptraum gegen Hunderte von späteren eintauschen. Ein schlechtes Geschäft. Wieder einmal waren die verdammten Zahlen gegen sie. Sie hatte schreckliche Angst vor dem, was sie tun mußte, aber der Zorn, der sich in ihr angestaut hatte, über Gormans Unfähigkeit, über die Gesellschaft, weil die sie mit einem im Felde unerfahrenen Offizier und mit weniger als einem Dutzend Soldaten hier herausschickte (weil die Aktion sonst zuviel gekostet hätte), dieser Zorn half ihr, an dem gelähmten Lieutenant vorbei auf das Cockpit des Schützenpanzers zuzueilen. Die einzige Überlebende der Hadley-Kolonie erwartete sie mit ernstem Blick. »Newt, setz dich nach hinten und schnall deinen Gurt an!« »Du willst die anderen holen, nicht wahr?« Sie zögerte, als sie sich in den Fahrersitz schnallte. »Ich muß. Da unten sind noch Menschen am Leben, und sie brauchen Hilfe. Du verstehst das, nicht wahr?« Das Mädchen nickte. Das verstand sie völlig. Als Ripley die Verriegelungen an den Fahrergurten einschnappen ließ, rannte die Kleine durch den Mittelgang nach hinten. Das warme Leuchten der auf Halt geschalteten Instrumente begrüßte Ripley, als sie sich den Armaturen zuwandte. Gorman und Burke waren vielleicht unfähig zu reagieren, aber die Bewegungen des Schützenpanzers waren durch keine derartigen psychologischen Zwänge behindert. Sie begann, auf Schalter und Knöpfe zu drücken, jetzt war sie dankbar für die Zeit, die sie im letzten Jahr damit verbracht hatte, draußen in Portside alle möglichen schweren Lade und Beförderungsmaschinen zu bedienen. Der überdimensionierte Turbomotor
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erhöhte beruhigend seine Drehzahl, und der Schützenpanzer zitterte und war bereit loszufahren. Die Vibration der Motoren reichte aus, um Gorman wieder in die Wirklichkeit zurückzureißen. Er lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten und schrie: »Ripley, was machen Sie da, verdammt noch mal?« Es war nicht schwer, nicht auf ihn zu achten, wichtiger, sich auf die Steuerung zu konzentrieren. Sie legte den Gang ein. Die Antriebsräder des massigen Fahrzeugs drehten sich auf feuchtem Grund, als der Schützenpanzer auf den gähnenden Eingang zur Station zutorkelte. Aus dem Komplex quoll Rauch. Die großen, gepanzerten Räder schleuderten ein wenig auf dem feuchten Beton, als sie den Panzer zur Seite riß und ihn die breite, abschüssige Zufahrt hinunterjagte. Die Rampe bot dem Schützenpanzer mehr als genug Raum. Sie war dafür gebaut, schwere Erdbewegungsmaschinen und Wartungsfahrzeuge einzulassen. Die Bauweise der Kolonie war typisch übertrieben. Trotzdem wurde die Fahrbahn durch das Gewicht des Panzers niedergedrückt, aber hinter ihm erschienen keine Risse. Ripley setzte das Fahrzeug hinunter. Ihre Hände hämmerten auf die Bedienungsschalter der einzeln angetriebenen Räder, sie ließ einen Teil ihres Zorns an dem geduldigen Plastik aus. Dunst und Rauch verdeckten die Sicht, die die Aussenmonitore lieferten. Sie schaltete auf automatische Steuerung, und der Schützenpanzer bewahrte sich selbst davor, in die ihn umgebenden Wände hineinzukrachen. Laserstrahlen tasteten zwanzigmal pro Sekunde nach allen Seiten die Entfernung zwischen Rädern und Hindernissen ab und meldeten sie dem Zentralcomputer des Fahrzeugs. Ripley behielt die Geschwindigkeit bei, denn sie wußte, daß die Maschine keinen Aufprall zulassen würde.
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Gorman hörte auf, die nur undeutlich sichtbaren Wände anzustarren, die auf den Bildschirmen der Schaltzentrale vorbeirasten, legte sein Anzuggurtwerk ab, stolperte nach vorne und wurde gegen die Wände geschleudert, als Ripley den Schützenpanzer wild um enge Kurven zog. »Was machen Sie da?« »Was glauben Sie denn, was ich mache?« Sie drehte sich nicht zu ihm um, weil sie vollauf damit beschäftigt war, den Panzer unter Kontrolle zu halten. Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Kehren Sie um! Das ist ein Befehl!« »Sie können mir keine Befehle erteilen, Gorman. Ich bin Zivilistin, wissen Sie noch?« »Das ist eine militärische Expedition unter militärischer Kontrolle. Als kommandierender Offizier befehle ich Ihnen, dieses Fahrzeug zu wenden!« Sie biß die Zähne zusammen, konzentrierte sich auf die vorderen Sichtschirme. »Setzen Sie sich auf 'ne Granate, Gorman. Ich bin beschäftigt.« Er griff hinunter und wollte sie vom Sitz ziehen. Burke legte beide Arme um ihn und zog ihn weg. Sie hätte sich gerne bei dem Vertreter der Gesellschaft bedankt, hatte aber keine Zeit dazu. Sie erreichten die C-Etage; die großen Räder kreischten, als sie den Schützenpanzer in eine verrückte Kurve jagte und gleichzeitig das automatische Steuersystem und die Abtastlaser abschaltete. Der Motor heulte auf, als sie vorwärtspolterten und dabei Rohre und Leitungen, Gerätemodule und Brocken der von den Aliens gebauten Überkrustungen wegrissen. Sie schaute auf die Steuerkonsole, bis sie die Außeninstrumente gefunden hatte, die sie brauchte: Blinklicht, Sirene, Positionslichter. Sie wischte mit ihrer rechten Handfläche über die ganze Tafel.
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Das Äußere des Schützenpanzers wurde lebendig, als Natriumbogenlicht, Infrarot-Zielsuchstrahlen, sich drehende Suchblitzlichter und das durchdringende Jaulen der Kampfsirene angingen. Die einzelnen Anzugmonitoren waren alle hinten in der Schaltzentrale, aber die brauc hte sie nicht zu sehen, sie orientierte sich an den aufblitzenden Schüssen gleich vor ihr. Licht und Krachen kamen von jenseits einer dicken Wand durchscheinenden Alien-Harzes, das Material verteilte das Licht aus den Gewehren auf unheimliche Weise durch seine ganze Substanz und verlieh der Konkonmasse das Aussehen einer von innen heraus pulsierenden Kuppel. Sie bewegte den Gashebel. Der Schützenpanzer brach durch die gewölbte Wand wie ein massiver, aus einer Kanone abgeschossener Eisenblock. Bruchstücke vo n Harz und biochemischem Mörtel flogen davon. Riesige Brocken wurden unter den Panzerrädern zermalmt. Sie riß am Steuer, und der Schützenpanzer vollführte eine saubere Drehung. Als das Heck der kraftvollen Maschine herumschwang, riß es noch einen Abschnitt der Alien-Wand herunter. Hicks erschien aus dem Qualm. Er feuerte nach hinten in die Richtung, aus der er gekommen war, hielt das große Impulsgewehr in einer Hand und stützte mit der anderen den hinkenden Hudson. Adrenalin, Muskeln und Entschlossenheit, das war alles, was die beiden Männer noch auf den Beinen hielt. Ripley schaute von der Windschutzscheibe weg und den Mittelgang des Schützenpanzers hinunter. »Burke, sie kommen!« Eine schwache Antwort, als er zum Führerhaus zurückbrüllte: »Ich bin schon unterwegs! Bleiben Sie dran!« Der Vertreter der Gesellschaft stolperte zur Mannschaftstür und fummelte an unbekannten Schaltern herum, bis die gepanzerte Luke sich weit aufdrehte. Gleich hinter Hicks und Hudson materialisierten die beiden Automatikkanoniere aus
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dem dichten Nebel. Sie befanden sich auf einem präzisen Rückzug, Seite an Seite, schossen und gaben sich gegenseitig Feuerschutz, während sie auf den Schützenpanzer zueilten. Während Ripley noch zusah, wurde Drakes Waffe leer. Automatisch löste er die Schnallen an den Gurten der Automatikkanone. Sie fiel von ihm ab wie eine alte Haut. Ehe sie auf dem Boden aufschlug, hatte er schon einen Flammenwerfer vom Rücken gezogen und ihn gezündet. Das hohle Zischen des Napalms vermischte sich mit dem tiefen Rattern von Vasquez' noch funktionierender Automatikkanone. Hicks erreichte den Schützenpanzer, legte seine Waffe weg und warf den verletzten Hudson wie einen Sack durch die Öffnung. Dann schleuderte er sein Impulsgewehr hinter dem Nachrichtentechniker her und sprang mit zwei Schritten durch die Luke. Vasquez feuerte noch, als der Corporal beide Hände unter ihre Arme schob und sie hinter sich hereinhob. Gleichzeitig sah sie eine dunkle, hochaufragende Silhouette von hinten Drake anspringen und wechselte ihr Schuß feld, als Hicks sie auf dem Deck des Schützenpanzers absetzte. Ein Lichtblitz erleuchtete ein unmenschliches, starres Grinsen, als die Geschosse der Automatikkanone trafen und den Brustkorb des Alien aufrissen. Hellgelbe Körperflüssigkeit sprühte in alle Richtungen. Sie spritzte Drake über Gesicht und Brust. Vom schwankenden Körper des Automatikkanoniers stieg Rauch auf, als die Säure sich blitzschnell durch Fleisch und Knochen fraß. Seine Muskeln verkrampften sich, und sein Flammenwerfer spie unkontrolliert Feuer, während er nach hinten kippte. Vasquez und Hicks rollten sich weg, als ein Flammenstoß durch die offene Mannschaftstür fauchte und eine Sektion im Innern des Schützenpanzers in Brand setzte. Als Drake stürzte, sprang Hicks auf die Luke los und wollte die Tür zudrehen. Auf Händen und Knien schnellte Vasquez wie wild auf die
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Öffnung zu. Der Corporal mußte von den Schaltern ablassen, um nach ihr zu greifen. Er mußte alle Kräfte aufbieten, um sie davon abzuhalten, hinauszuspringen. »Drake!« Jetzt schrie sie, mit ihrer Ruhe und Beherrschtheit war es vorbei. »Er ist am Boden!« Hicks brauchte seine ganze überlegene Größe und Kraft, um sie zu sich herumzudrehen. »Es ist aus mit ihm! Vergiß es, Vasquez. Es ist aus!« Sie starrte zu ihm auf, von aller Vernunft verlassen, das Gesicht mit Schmutz und Ruß verschmiert. »Nein. Nein, das ist nicht wahr! Es ist ...« Hicks schaute nach hinten zu den anderen Insassen des Schützenpanzers. »Bringt sie hier weg! Wir müssen diese verdammte Tür zukriegen.« Hudson nickte. Gemeinsam zerrten er und Burke die betäubte Automatikkanonierin von der Einstiegsluke weg. Der Corporal schaute zum Cockpit und schrie, so laut er noch konnte: »Weg von hier! Hier hinten sind wir soweit!« »Geht schon los!« Ripley drückte die Schalter und trat den Gashebel durch. Der Schützenpanzer brüllte auf und zitterte, als sie ihn rückwärts die Rampe hinaufjagte. Ein Lagerregal wurde losgerissen und begrub Hudson unter einem Berg von Geräten. Fluchend und um sich schlagend, warf er das Zeug beiseite, wobei es ihm gleichgü ltig war, ob auf den Etiketten Notrationen oder Sprengstoff stand. Hicks wandte sich wieder der Tür zu und fummelte an den Schaltern herum. Sie war fast geschlossen, als plötzlich zwei lange Klauenpaare erschienen und wie zwei Elektrohämmer in den Metallflansch hieben. Newt auf ihrem Sitz stieß den Urschrei des Kindes aus. Der Säbelzahntiger, der Riesenbär, der Schwarze Mann stand am Höhleneingang, und diesmal konnte sie sich nirgends verstecken. Vasquez kam taumelnd auf die Beine und stemmte sich mit
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Hicks und Burke gegen die Tür. Trotz ihrer vereinten Anstrengungen wurde die metallene Schranke von außen langsam aufgedrückt. Schlösser und Dichtungen ächzten protestierend. Hicks sammelte soviel Luft, daß er den immer noch betäubten Gorman anschreien konnte: »Gehen Sie an die verdammte Tür!« Der Lieutenant hörte ihn und reagierte. Reagierte, indem er zurückwich und mit weit aufgerissenen Augen den Kopf schüttelte. Hicks murmelte einen Fluch und warf sich mit der Schulter gegen den Verriegelungs hebel. Dadurch bekam er eine Hand frei, um die abgesägte Schrotflinte herauszuziehen, gerade als ein alptraumhafter Alien-Kopf sich durch die Öffnung zwängte. Außenkiefer teilten sich, die kolbenähnliche innere Kehle und die schauerlichen Zähne waren zu erkennen. Als schleimbedeckte Reißzähne auf Hicks zuschwenkten, klemmte er den Lauf der Schrotflinte zwischen die klaffenden Kiefer und zog den Abzug durch. Die Explosion der antiken Projektilwaffe hallte durch den Schützenpanzer, während der zerschmetterte Schädel nach hinten flog und Säureblut verspritzte. Die Tropfen begannen sich sofort in die Tür und das Deck zu fressen. Hicks und Vasquez warfen sich zur Seite, aber ein paar Tröpfchen trafen Hudson am Arm. Rauch stieg von seiner Haut auf, als das Fleisch sich zischend auflöste. Der Nachrichtentechniker brüllte auf vor Schmerz und stolperte in die leeren Sitze. Hicks und Burke knallten die Luke zu und sicherten sie. Wie ein aus seiner Bahn geworfener Komet polterte der Schützenpanzer rückwärts die Rampe hinauf und krachte in eine Masse von Leitungsrohren. Ripley bediente die Räder, drehte die überdimensionierten Metallreifen und riß das Fahrzeug frei. Funken stoben darüber hin.
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Im Mannschaftsraum hinter ihr schienen alle gleichzeitig zu schreien. Feuerlöscher wurden abgeschraubt und gegen den Brand im Inneren eingesetzt. Newt blieb aus dem Weg, sie saß still auf ihrem Sitz, während um sie herum Erwachsene hektisch hin und her rannten. Sie atmete schwer, aber gleic hmäßig und beobachtete alles mit wachen Augen. Nichts von dem, was sich abspielte, war ihr neu. Sie hatte das alles schon einmal erlebt. Mit einem weichen metallischen Womp! landete etwas auf dem Dach. Gorman hatte sich in eine Ecke links vom Mittelgang zurückgezogen. Er starrte mit leeren Augen auf seine wie wild herumhetzenden Kollegen. Infolgedessen bemerkte er nicht, wie die kleine Geschützluke, an die er sich lehnte, zu vibrieren anfing. Aber er spürte es, als der Lukendeckel aus seiner Verankerung gerissen wurde. Er wollte sich gerade umdrehe n, war aber bei weitem nicht schnell genug und wurde halb durch die Öffnung gerissen. Da war etwas an der Schwanzspitze des Alien, etwas Silberscharfes und Superschnelles. Es peitschte um ein Bein herum und grub sich in die Schulter des Lieutenants. Der schrie. Hicks warf sich in den Stuhl zur Feuerkontrolle im Mannschaftsraum und umklammerte die Steuerung, mit der anderen Hand schlug er auf Kontaktpunkte und Schalter ein, der Motor des Sitzes summte und schwenkte herum. Bunte Kontrollampen leuchteten auf, sie machten zwar das belagerte Innere des Schütze npanzers nicht freundlicher, zauberten aber ein Lächeln auf das Gesicht des Corporals. Als Reaktion auf seine Tätigkeiten surrten Servomotoren, und auf dem Dach des Panzers begann sich ein kleines Türmchen zu bewegen. Es beschrieb einen Halbkreis. Das Alien, das Gorman schon zu zwei Dritteln aus dem Fahrzeug gezogen hatte, drehte sich ruckartig um, als es das neue Geräusch hörte,
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und in diesem Augenblick feuerte eine Doppelkanone in seine Richtung. Die schweren Granaten fegten es vom Dach der Maschine, und der Aufprall schleuderte es weg, ehe die Säure aus seinem Körper austreten konnte. Burke zerrte den bewußtlosen Gorman wieder ins Innere, während Vasquez nach etwas suchte, womit sie die Öffnung verstopfen konnte. Feuer und Rauch hinter sich herziehend, raste der Schützenpanzer die Rampe hinauf. Ripley kämpfte mit der Steuerung, als das große Fahrzeug seitlich ausbrach und mit der Breitseite in einen außen angebauten Kontrollraum krachte. Büromöbel und abgesplitterte Wandstücke flogen in alle Richtungen und bildeten ein Kielwasser aus Plastik und Kunstfasern hinter der sich entfernenden Maschine. Fast frei waren sie jetzt, fast draußen. Noch ein oder zwei Minuten, dann würden sie, wenn nichts versagte, die beengende Station verlassen haben. Würden frei sein, um ... Direkt vor Ripleys Gesicht kam von oben ein Alien-Arm herab und zerschmetterte die bruchsichere Windschutzscheibe. Glänzende, schleimüberzogene Kiefer fuhren herein. Ripley warf beide Arme hoch, um ihr Gesicht zu schützen und tauchte weg. Schon einmal war sie dem Verderben so nahe gewesen. Im Shuttle Narcissus hatte sie sicher im Pilotensitz gesessen und ein anderes Alien an eine Stelle gelockt, wo sie es aus der Luftschleuse werfen konnte. Aber hier gab es keine Luftschleuse und keinen Atmosphäreanzug, der sie beruhigend umhüllte. Hier hatte sie keine Tricks mehr auf Lager und auch keine Zeit, sich neue einfallen zu lassen. Sie versuchte, die Bremsen unter ihrem Fuß durchzutreten. Die großen Räder blockierten bei hoher Geschwindigkeit und kreischten noch über das chaotische Getöse draußen weg. Sie spürte, wie sie nach vorne gerissen wurde, wie ihr Kopf auf
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diese klaffenden Kiefer zuflog. Aber die Sitzgurte bremsten die Bewegung ab und hielten sie fest. Das Alien wurde von keinen derartigen Fesseln gesichert. Über die Windschutzscheibe gebeugt, klammerte es sich ungeschickt an den Rand des Dachs, und nicht einmal seine unmenschliche Kraft konnte verhindern, daß es nach vorne gerissen wurde. Sobald es auf dem Boden landete, legte Ripley den Gang wieder ein. Der Schützenpanzer holperte nicht einmal, als er über den knochigen Körper rollte und ihn unter seinem massiven Gewicht zermalmte. Säure spritzte über die Panzerräder, aber die Vorwärtsbewegung trug den Schütze npanzer weg, ehe mehr als ein paar unbedeutende Dellen in die sich drehenden Scheiben gefressen werden konnten. Ihre Bewegungsfähigkeit wurde nicht beeinträchtigt. Vor ihr lag Dunkelheit. Saubere, einladende Dunkelheit. Keine Decke, die über ihre Gedanken gefallen wäre, sondern die Dunkelheit einer schwach erhellten Welt: die Oberfläche von Acheron, eingerahmt von den Mauern der Station. Einen Augenblick später waren sie durch, rumpelten über den Verbindungsdamm auf das Landefeld zu. Ein Geräusch wie von Schrauben, die in einen Nahrungsmittelprozessor gefallen waren, kam aus dem Heck des Schütze npanzers. Gelegentlich konnte man ein lauteres Klang! hören. Es war ein Geräusch, das über die beschwichtigende Wirkung von Schmieröl über Reparaturen hinausging. Sie spielte mit Schaltern herum und versuchte, das Geräusch durch Regulieren zum Verschwinden zu bringen, aber wie ihre immer wiederkehrenden Alpträume wehrte es sich gegen ein einfaches Wegschalten. Hicks kam nach vorne und schob sanft, aber entschieden ihre Finger vom Gashebel weg. Ihr Gesicht war so weiß wie ihre Knöchel. Sie blinzelte, blickte zu ihm auf. »Alles okay, beruhigte er sie. »Wir sind draußen. Wir haben
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sie alle hinter uns gelassen. Ich glaube nicht, daß der Kampf draußen im Freien ihnen zusagt. Fahren Sie langsamer! Wir kommen in dieser Schrottbüchse ohnehin nicht mehr weit.« Als sie langsamer wurden, wurde das Knirschen überwältigend. Sie lauschte gespannt, während sie das große Fahrzeug zum Stehen brachte. »Verlangen Sie keine Analyse von mir! Ich kann das Ding nur bedienen, ein Mechaniker bin ich nicht.« Hicks hielt ein Ohr in Richtung des metallischen Röche lns. Hört sich an wie eine gebrochene Kardanwelle. Vielleicht auch zwei. Sie mahlen nur Metall. Eigentlich bin ich ja überrascht, daß die Unterseite dieses Babys nicht irgendwo auf der BEtage liegengeblieben ist. Die Dinger halten schon was aus.« »Nicht genug.« Das war Burkes Stimme, die von irgendwo aus dem Fahrgastraum zu ihnen drang. »Niemand hat erwartet, daß man mit etwas wie diesen Geschöpfen zu tun bekommen würde. Niemals!« Hicks beugte sich zur Konsole und ließ einen Außenbeobachter rotieren. Der Schützenpanzer sah auf der Außenseite entsetzlich aus, ein rauchendes, von Säurenarben entstelltes Wrack. Angeblich sollte er unzerstörbar sein, jetzt war er Schrott. Ripley schwenkte ihren Sitz herum, blickte auf den leeren neben sich, drehte sich dann um und starrte den Gang entlang, der durch den Schützenpanzer nach hinten führte. »Newt. Wo ist Newt?« Etwas zupfte an ihrem Hosenbein. Nicht fest, damit sie nicht erschrak. Newt hatte sich in den winzigen Spalt zwischen dem Fahrersitz und dem gepanzerten Schott des Schützenpanzers gezwängt. Sie zitterte und war verängstigt, aber wach. Keine Katatonie diesmal, kein Rückzug aus der Realität. Es bestand kein Grund für eine extreme Reaktion, wie Ripley wußte. Zweifellos hatte das Mädchen viel Schlimmeres miterlebt, als die Aliens die Kolonie überwältigt hatten.
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Hatte sie gleich zu Anfang auf die Monitoren in der Schaltzentrale gesehen, wie die Soldaten in die Kokonkammer der Aliens eingedrungen waren? Hatte sie das Gesicht der Frau gesehen, die in ihrem Todeskampf Dietrich angesprochen hatte? Und wenn die Frau nun ...? Aber das war nicht möglich. Wenn das Newts Mutter gewesen wäre, wäre das Mädchen jetzt jenseits aller Katatonie. Fort, in sich zurückgezogen und unerreichbar, vielleicht für immer. »Alles okay?« Manchmal mußte man solche Nichtigkeiten fragen. Außerdem wollte, mußte sie das Kind antworten hören. Newt tat es, indem sie einen Daumen hob. Sie setzte immer noch wahlweise als Verteidigungsmechanismus Schweigen ein. Ripley drängte sie nicht zum Sprechen. Dadurch, daß sie sich still verhielt, während um sie herum alle getötet wurden, war sie am Leben geblieben. »Ich muß nach den anderen sehen«, sagte sie zu dem nach oben gewandten Gesicht. »Kommst du zurecht?« Ein Nicken diesmal, begleitet von einem schüchternen kle inen Lächeln, bei dem Ripley schwer schlucken mußte. Sie versuchte zu verbergen, was sie empfand, weil jetzt weder die rechte Zeit noch der rechte Ort für einen Zusammenbruch waren. Das konnten sie immer noch, wenn sie wieder sicher an Bord der Sulaco waren. »Gut. Ich bin gleich wieder zurück. Wenn du nicht mehr da unten bleiben magst, kannst du zu uns nach hinten kommen, ja?« Das Lächeln wurde ein wenig breiter, ein energischeres Nicken folgte, aber das Mädchen blieb, wo es war. Es vertraute seinen eigenen Instinkten immer noch mehr als jedem Erwachsenen. Ripley war nicht gekränkt. Sie schnallte sich los und ging durch den Gang nach hinten. Hudson stand etwas seitlich und untersuchte seinen Arm. Die Tatsache, daß er überhaupt noch einen Arm hatte, bewies, daß er von der Säure des Alien nur leicht übersprüht worden war.
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Er durchlebte gerade noch einmal die letzten zwanzig Minuten seines Daseins, spielte jede Sekunde im Geiste wieder und wieder durch und konnte nicht glauben, was er dort sah. Sie hörte, wie er vor sich hin murmelte. »Jesus, Jesus ich kann es nicht glauben. Es ist nicht passiert. Es ist einfach nicht passiert, verdammt, Mann!« Burke wollte sich den Arm des verletzten Nachrichtentechnikers ansehen, mehr aus Neugier denn aus Mitgefühl. Hudson zuckte vor dem Vertreter der Gesellschaft zurück. »Es geht schon. Lassen Sie nur!« Burke schürzte die Lippen, er wollte die Verletzung gerne sehen, Hudson aber nicht drängen. »Sie sollten das lieber mal anschauen lassen. Man weiß nicht, was für Nebenwirkungen das gibt. Könnte toxisch sein.« »Ja? Und wenn es so ist, dann sehen Sie vermutlich im Lager nach und bringen in ein paar Minuten ein Gegenmittel an, was? Dietrich ist die Med-Tech.« Er schluckte, und sein Zorn verflog. »War unsere Med-Tech. Stinkendes Ungeziefer.« Hicks beugte sich über den bewegungslosen Gorman und suchte nach einem Puls. Ripley trat zu ihm. »Irgendwas da?« fragte sie gepreßt. »Herzschlag verlangsamt, aber regelmäßig. Atmung ebenso. Mit seinen übrigen Lebenszeichen ist es nicht anders: verlangsamt und regelmäßig. Er lebt. Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, er schläft, aber es ist kein Schlaf. Ich glaube, er ist paralysiert.« Vasquez stieß sie beide beiseite und packte den bewußtlosen Lieutenant am Kragen. Sie war zu wütend, um zu weinen. »Er ist mausetot, verdammt noch mal, genau das ist er!« Sie zerrte die obere Hälfte von Gormans Körper mit einer Hand in eine aufrechte Stellung, nahm die andere, zur Faust geballt, zurück und schrie ihm ins Gesicht. »Wach auf, Pendejo! Wach auf, verdammt! Ich bring' dich
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um, du nutzloses Stück Dreck!« Hicks schob seinen massigen Körper zwischen sie und den erstarrten Lieutenant. Er sprach mit der gleichen sanften Stimme, aber jetzt klang eine leichte Schärfe mit. Die gleichen harten Augen starrten in das Gesicht der Automatikkanonierin. »Schluß jetzt! Schluß! Geh zurück sofort!« Ihre Blicke verfingen sich ineinander. Vasquez hielt Gorman weiterhin auf halber Höhe fest. Etwas Grundlegendes drängte sich durch ihre Wut. Marine, sie war eine Marine, und Marines lebten nach Grundregeln. In diesem Fall waren die Grundregeln einfach. Apone war nicht mehr, und deshalb ha tte Hicks jetzt das Kommando. »Scheiß drauf!« murmelte sie schließlich. »Lohnt sich nicht, daß ich mir die Knöchel prelle.« Sie ließ den Kragen des Lieutenants los, und dessen Kopf knallte auf das Deck, während sie sich, immer noch vor sich hin fluchend, abwandte. Ripley zweifelte keinen Augenblick daran, daß die Automatikkanonierin dem bewußtlosen Gorman das Gesicht zu Brei geschlagen hätte, wenn Hicks nicht dazwischengetreten wäre. Nachdem Vasquez den Weg freigemacht hatte, beugte sich Ripley über den gelähmten Offizier und öffnete seinen Uniformrock. Die nicht blutende purpurfarbene Stichwunde, die seine Schulter entstellte, hatte sich schon geschlossen. »Sieht so aus, als hätte es ihn gestochen oder sowas. Interessant. Ich wußte nicht, daß sie das können.« »He!« Bei dem aufgeregten Schrei wandten Hicks und sie sich der Schaltzentrale zu. Dort saß Hudson. Er hatte düster auf die Biomonitoren und Videoschirme gestarrt, und dabei war ihm etwas ins Auge gefallen. »Seht mal! Crowe und Dietrich sind gar nicht tot, Mann!« Er zeigte auf die Bioanzeigen und schluckte beklommen. »Es geht ihnen offenbar wie Gorman. Ihre Lebenszeichen
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sind wirklich schwach, aber tot sind sie nicht.« Seine Stimme sank zugleich mit seiner anfänglichen Erregung. Wenn sie nicht tot waren, und wenn es ihnen wie Gorman erging, dann bedeutete das ... der Nachrichtentechniker begann vor Zorn und Kummer zu zittern. Er stand ganz knapp am Rande der Hysterie. Das galt für sie alle. Sie klebte an ihnen wie ein psychischer Blutegel, hängte sich an die letzten Reste ihres Verstandes und drohte, einzudringen und die Herrschaft zu übernehmen, sobald jemand seine geistige Deckung auch nur einen Spalt breit öffnete. Ripley wußte, was diese schlafähnlichen Biowerte bedeut eten. Sie versuchte es zu erklären, konnte Hudson dabei aber nicht in die Augen sehen. »Sie können ihnen nicht helfen.« »He, aber wenn sie noch leben ...« »Vergessen Sie es! Sie werden in diesem Augenblick in Kokons eingesponnen, genau wie die anderen. Wie die Kolonisten, die ihr in der Wand gefunden habt, als ihr da unten reingegangen seid. Sie können, verdammt noch mal, überhaupt nichts für die beiden tun! Niemand kann das! Es ist eben so. Seien Sie bloß froh, daß Sie hier sind und über sie reden, anstatt da unten mit ihnen beisammenzusein. Wenn Dietrich hier wäre, wüßte sie, daß sie nichts tun könnte, um Ihnen zu helfen.« Der Nachrichtentechniker schien in sich zusammenzusinken. »O Gott. Jesus, das kann doch nicht sein!« Ripley wandte sich von ihm ab. Dabei begegnete ihr Blick dem von Vasquez. Es wäre ganz einfach gewesen, der Automatikkanonierin ein »Ich hab's ja gesagt« hinzuwerfen. Es wäre aber auch überflüssig gewesen. Dieser eine Blick drückte alles aus, was die beiden Frauen zu
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sagen hatten. Diesmal war es Vasquez, die sich abwandte.
9.
Im medizinischen Labor der Kolonie stand Bishop über ein Okular gebeugt. Unter dem Objektiv war eine Scheibe von einem der toten Gesichtsklammerer ausgespannt, die dem Exemplar im nächsten Stasiszylinder entnommen war. Selbst im Tode sah das zerschnittene Geschöpf noch bedrohlich aus, wie es da auf dem Rücken auf dem Seziertisch lag. Die klauenbewehrten Beine warteten allem Anschein nach nur darauf, jedes Gesicht zu packen, das sich zu dicht darüberbeugte, der kräftige Schwanz schien bereit, das Geschöpf mit einem einzigen federnden Sprung quer durch den ganzen Raum zu tragen. Die innere Struktur war ebenso faszinierend wie das funktionelle Äußere, und Bishop klebte am Okular des Geräts. Wenn er den hohen Vergrößerungsgrad des Geräts mit der Vielseitigkeit seines eigenen, künstlichen Auges kombinierte, konnte er vieles sehen, was den Kolonisten vielleicht entgangen war. Eine der Fragen, die ihn besonders reizte und die er unbedingt beantwortet haben wollte, drehte sich darum, ob die Möglichkeit bestand, daß ein Alien-Parasit versuchen könnte, sich an einen Syntheten wie ihn zu heften. Sein Inneres unterschied sich grundlegend von dem eines rein biologischen, menschlichen Wesens. Würde ein Schmarotzer diese Unterschiede entdecken können, ehe er sprang? Angenommen, er konnte es nicht und versuchte, einen Syntheten als Wirt zu benützen, was mochte dann wohl das Ergebnis einer solch erzwungenen
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Vereinigung sein? Würde er einfach abfallen und sich auf die Suche nach einem anderen Körper begeben, oder würde er ohne Verstand die embryonische Saat, die er trug, in einen künstlichen Wirt einführen? Wenn ja, würde der Embryo wachsen können, oder wäre er der Überraschtere von beiden, wenn er darum kämpfte, in einem Körper ohne Fleisch und Blut heranzureifen? Konnte ein Roboter von Parasiten befallen werden? Nahe der Tür war ein Geräusch zu hören. Bishop schaute gerade so lange auf, um zu sehen, wie der Kommandant des Landefahrzeugs eine Palette mit Geräten und Arzneimitteln ins Labor rollte. »Wo soll dieses Zeug hin?« »Da hinüber.« Bishop winkte mit der Hand. »Am Ende der Bank, das wäre ganz gut.« Spunkmeyer begann, die Frachtpalette abzuladen. »Brauchst du sonst noch was?« Bishop machte eine unbestimmte Handbewegung, ohne den Blick von der Sonde zu wenden. »Gut, ich bin dann wieder im Schiff. Klingle, wenn du was brauchst.« Noch eine Handbewegung. Spunkmeyer zuckte die Achseln und wandte sich zum Gehen. Bishop war schon ein komischer Vogel, überlegte der Kommandant, während er seinen Handkarren durch die leeren Korridore und hinaus auf das Rollfeld schob. Komischer Kunstvogel, verbesserte er sich und lächelte über das Wortspiel. Er pfiff fröhlich vor sich hin, während er seinen Kragen enger um den Hals zog. Der Wind blies zwar nicht allzu heftig, aber ohne vollständigen Schutzanzug war es immer noch kühl draußen. Wenn er sich auf eine Melodie konzentrierte, half ihm das auch, nicht an die Katastrophe zu denken, die über die Expedition hereingebrochen war.
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Crowe, Dietrich, der alte Apone keiner war mehr da. Schwer zu glauben, wie es auch Hudson immer und immer wieder vor sich hin murmelte. Schwer zu glauben, und eine verdammte Schande. Er hatte sie alle gekannt, sie hatten eine Reihe von Einsätzen miteinander geflogen. Obwohl er nicht sagen konnte, daß er mit einem von ihnen eng vertraut gewesen wäre. Auch eine Schande, besonders im Fall von Dietrich. Er zuckte die Achseln, obwohl niemand da war, der es sehen konnte. Der Tod war etwas, woran sie alle gewöhnt waren, ein Bekannter, von dem jeder erwartete, ihm vor seiner Pensionierung zu begegnen. Crowe und Dietrich hatten nur einen früheren Termin gehabt, das war alles. Nichts dagegen zu machen. Aber Hicks und die anderen waren rausgekommen. Sie würden ihre Studien und die Aufräumungsarbeiten hier beenden und morgen verschwinden. So war es geplant. Noch ein paar Studien, ein paar letzte Aufzeichnungen, und dann raus hier, so schnell wie möglich! Er wußte, daß er sich nicht als einziger auf den Augenblick freute, wenn das Landefahrzeug abheben und zur guten alten Sulaco zurückfliegen würde. Seine Gedanken wanderten wieder zu Bishop. Vielleicht hatte es bei den neueren Synthet-Modellen irgendeine kleine Verbesserung gegeben, vielleicht lag es auch nur an Bishop selbst, aber er stellte fest, daß ihm der Androide recht sympathisch war. Alle sagten, die Jungs von der Künsüichen Intelligenz hätten seit Jahren schwer daran gearbeitet, die Persönlichkeitsprogrammierung zu verbessern, und sogar jedem neuen Modell, das vom Fließband marschierte, ein Quentchen willkürliches Verhalten mitgegeben. Sicher, das war es Bishop war ein Individuum. Man konnte ihn nur dadurch, daß man mit ihm redete, von jedem anderen Syntheten unterscheiden. Und es war gar nicht schlecht, wenn unter all den prahlerischen Großmäulern auch ein ruhiger, hö flicher Kampfgefährte war.
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Als er den Handkarren, auf die Laderampe des Landefahrzeugs hinaufschob, rutschte er aus. Er fing sich wieder und bückte sich, um den feuchten Fleck zu untersuchen. Da keine Vertiefung da war, in der sich das Regenwasser sammeln konnte, glaubte er, er müsse wohl einen Behälter mit Bishops kostbarer Konservierungsflüssigkeit zerbrochen haben, aber der stechende, anhaltende Geruch nach Formaldehyd war nicht festzustellen. Das glänzende Zeug, das an der Metallrampe klebte, sah eher aus wie dicker Schleim oder Gel. Er zuckte die Achseln und richtete sich auf. Er konnte sich nicht erinnern, eine Flasche mit so etwas zerbrochen zu haben, und solange ihn niemand danach fragte, brauchte er sich auch keine Sorgen zu machen. Er hatte auch gar keine Zeit, sich Sorgen zu machen. Es gab zuviel Arbeit bei den Vorbereitungen für den Abflug. Der Wind fegte auf ihn los. Lausige Atmosphäre, und doch war sie viel milder als früher, ehe die Atmosphäreprozessoren ihre Arbeit aufgenommen hatten. Nicht atembar, hatten die Instruktionen vor dem Hyperschlaf gelautet. Er zog den Handkarren hinter sich hinein und drückte auf den Schalter, um die Rampe einzuziehen und die Tür zu schließen. Vasquez ging im Schützenpanzer auf und ab. Untätigkeit in einer Situatio n, die eigentlich immer noch Kampf war, das war eine unbekannte Erfahrung für sie. Sie wollte eine Waffe in der Hand haben und etwas, worauf sie schießen konnte. Sie wußte, daß die Situation sorgfältige Analyse verlangte, und das frustrierte sie entsetzlich, weil sie kein analytischer Typ war. Ihre Methoden waren direkt, endgültig, und Reden war dabei nicht vorgesehen. Aber sie war klug genug einzusehen, daß dies keine Standardoperation mehr war. Die Vorgehensweisen für Standardoperationen hatte der Feind zerkaut und wieder ausgespuckt. Aber es beruhigte sie nicht, daß sie das wußte. Sie wollte diesen Feind töten.
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Gelegentlich bogen sich ihre Finger, als umfaßten sie immer noch die Schalter ihrer Automatikkanone. Es hätte Ripley nervös gemacht, sie zu beobachten, wenn sie nicht schon so gespannt gewesen wäre, wie es nur möglich war, ohne wie die überdrehte Feder einer alten Uhr zu zerbrechen. Es ging so weit, bis Vasquez wußte, daß sie jetzt entweder etwas sagen oder anfangen mußte, sich die Haare auszureißen. »Na schön, wir können sie nicht zum Teufel jagen. Wir können nicht als Trupp da runtergehen, wir können nicht mal im Schützenpanzer zurückfahren, weil sie uns wie 'ne Dose Erbsen auseinanderreißen werden. Warum rollen wir nicht ein paar Kanister CN20 da runter? Räuchern das ganze Nest mit Nervengas aus? Wir haben genug von dem Stoff im Landefahrzeug, um die ganze Kolonie unbewohnbar zu machen.« Hudson schaute einen nach dem anderen mit flehentlichen Blicken an. »Hör zu, Mann, wir verziehen uns einfach und sagen, wir sind quitt, okay?« Er blickte die Frau an, die neben ihm stand. Ich schließe mich Ripley an. Sollen sie doch die ganze Scheißkolonie zu ihrem Laufstall machen, wenn sie wollen, aber wir hauen jetzt ab und kommen mit 'nem verdammten Kriegsschiff zurück!« Vasquez schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Wird's uns mulmig, Hudson?« »Mulmig, zum Teufel!« Er richtete sich, als Reaktion auf die darin enthaltene Herausforderung, ein wenig auf: »Wir stecken hier bis zum Hals drin. Niemand hat gesagt, daß wir in so was reinkommen würden. Ich bin der erste, der sich freiwillig meldet, hierher zurückzukommen, aber wenn ich das mache, dann will ich mit der richtigen Ausrüstung an das Problem rangehen. Das ist was anderes als 'n Einsatz gegen 'n Pöbelhaufen, Vasquez. Versuch doch mal, ein paar von denen hier in 'n Hintern zu treten, die beißen dir gleich das ganze Bein ab.«
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Ripley schaute die Automatikkanonierin an. »Das Nervengas wird auch nicht funktionieren. Woher wissen wir, daß es ihre Biochemie angreift? Vielleicht schnupfen sie das Zeug bloß. So wie diese Kerle gebaut sind, werden sie von dem Nervengas möglicherweise nur angenehm high. Ich habe eines davon mit 'ner Metallstange im Bauch durch eine Luftschleuse hinausgeblasen, und es ist nichts weiter passiert, als daß es ein bißchen langsamer wurde. Ich mußte es mit den Schiffsmotoren braten.« Sie lehnte sich gegen die Wand. »Ich sage, wir starten und werfen auf den ganzen Platz hier und auf das ganze Hochplateau, wo wir das Schiff, das sie hergebracht hat, ursprünglich gefunden haben, aus dem Orbit Atombomben. Das ist die einzige sichere Möglichkeit.« »Jetzt mal 'ne Sekunde!« Burke, der bisher während der Diskussion geschwiegen hatte, wurde unvermittelt lebendig. »So ein Vorgehen genehmige ich nicht. Das ist ungefähr das Extremste, was wir machen können.« »Finden Sie nicht, daß die Situation beschissen extrem ist?« brummte Hudson. Er zupfte an dem Verband auf seinem verätzten Arm herum und starrte den Vertreter der Gesellschaft zornig an. »Natürlich ist sie extrem.« »Warum wollen Sie dann den Einsatz von Atomwaffen nicht genehmigen?« drängte Ripley. »Sie verlieren die Kolonie und eine Aufbereitungsstation, aber fünfundneunzig Prozent Ihrer Terraformkapazität auf dem Rest des Planeten bleiben erhalten und funktionsfähig. Warum also das Zögern?« Der Vertreter der Gesellschaft spürte die Herausforderung in ihrem Ton und schaltete geschickt auf einen versöhnlichen Modus um. »Tja, ich meine, ich weiß, daß das ein gefühlsbeladener Augenblick ist. Ich bin genauso verstört wie alle anderen. Aber
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das bedeutet doch nicht, daß wir übereilte Entscheidungen treffen müssen. Wir müssen hier bedachtsam vorgehen. Erst nachdenken, ehe wir das Kind mit dem Bade ausschütten.« »Das Kind ist tot, Burke, für den Fall, daß Sie das noch nicht bemerkt haben.« Ripley wollte sich nicht umstimmen lassen. »Ich will ja nur sagen«, erläuterte er, »daß es an der Zeit ist, die Gesamtsituation zu betrachten, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Nein, Burke, was meinen Sie denn?« Er überlegte schnell. »Vor allem hat diese Anlage einen ganz beträchtlichen finanziellen Wert. Wir sprechen hier über eine ganze Kolonie. Lassen wir mal die Kosten für einen Ersatz beiseite. Die Transportinvestitionen sind allein schon gewaltig, und der Prozeß der Terraformung von Acheron zeigt gerade jetzt die ersten richtigen Fortschritte. Es trifft zu, daß die anderen Atmosphäreaufbereitungsstationen automatisch funktionieren, aber sie müssen doch regelmäßig gewartet und überwacht werden. Wenn keine Möglichkeit besteht, die Belegschaft unterzubringen und zu versorgen, bedeutet das, man muß mehrere Transportschiffe als fliegende Hotels für das notwendige Personal im Orbit kreisen lassen. Das bedingt laufende Kosten, die Sie sich nicht einmal ansatzweise vorstellen können.« »Die Gesellschaft kann mir die Rechnung schicken«, sagte sie, ohne zu lächeln. »Ich hab' noch 'n Guthaben. Was noch?« »Zum anderen haben wir es hier eindeutig mit einer wichtigen Spezies zu tun. Wir können nicht einfach willkürlich Wesen ausrotten, die den Weg in diese Welt gefunden haben. Der Verlust für die Wissenschaft wäre nicht zu beziffern. Vielleicht würden wir ihnen nie wieder begegnen.« »Ja, und das wäre wirklich ein Jammer.« Sie löste ihre ve rschränkten Arme. »Vergessen Sie jetzt nicht etwas, Burke? Sie
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haben mir gesagt, wenn wir hier einer feindlichen Lebensform begegnen sollten, würden wir sie erledigen und die wissenschaftlichen Bedenken zum Teufel jagen. Das ist der Grund, warum ich nicht gerne mit Bürokraten zu tun habe: ihr Burschen habt alle ein Selektivgedächtnis.« »Aber so kann man eben einfach nicht vorgehen!« protestie rte er. »Völliger Quatsch!« »Ja, völliger Quatsch.« Vasquez wiederholte Ripleys Gefühle ebenso wie ihre abschätzige Bemerkungen. »Sie brauchen uns nur zuzusehen.« »Vielleicht sind Sie über die jüngsten Ereignisse nicht ganz auf dem laufenden«, warf Hudson ein, »aber wir haben grade 'nen fürchterlichen Tritt in den Hintern gekriegt, Kumpel.« »Schauen Sie, Burke.« Ripley war sichtlich nicht zufrieden. »Wir hatten eine Vereinbarung. Ich glaube, ich habe meine Behauptung bewiesen, alles klargestellt, wie immer Sie es ausdrücken wollen. Wir sind hierhergekommen, um meine Geschichte nachzuprüfen und herauszufinden, was der Grund für die Unterbrechung der Nachrichtenverbindung zwischen Acheron und der Erde war. Sie haben Ihre Bestätigung, die Gesellschaft hat ihre Erklärung, und ich habe meine Rechtfertigung. Jetzt ist es Zeit, verdammt schnell von hier zu verschwinden.« »Ich weiß, ich weiß.« Er legte ihr den Arm um die Schultern, sorgfältig darauf bedacht, es nicht so aussehen zu lassen, als nähme er sich Vertraulichkeiten heraus, und drehte sie, während er seine Stimme senkte, von den anderen weg. »Aber wir haben es hier mit wechselnden Drehbüchern zu tun. Sie müssen bereit sein, die erste Reaktion, die Ihnen in den Sinn kommt, beiseite zu schieben, ihre natürlichen Empfindungen beiseite zu schieben und sich die Lage zunutze zu machen. Wir haben hier überlebt; jetzt müssen wir bereit sein, auf der Erde
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zu überleben.« »Worauf wollen Sie hinaus, Burke?« Entweder bemerkte er die eisige Kälte in ihren Augen nicht, oder er wollte einfach nicht darauf eingehen. »Was ich sagen will, ist, daß das hier eine große Sache ist, Ripley. Ich meine, wirklich groß! Wir sind so etwas wie diesen Geschöpfen nie zuvor begegnet, und wir haben vielleicht nie wieder Gelege nheit dazu. Ihre Kraft und ihr Einfallsreichtum sind unglaublich. So etwas, ein Potential, wie sie es darstellen, vernichtet man nicht einfach. Man hält sich zurück, bis man lernt, wie man damit umgeht, sicher, aber man jagt sie nicht einfach in die Luft.« »Wollen wir wetten?« »Jetzt denken Sie nicht rational. Nun, ich begreife, was Sie gerade durchmachen. Glauben Sie nicht, daß ich das nicht verstehe. Aber Sie müssen das alles beiseite lassen und das Bild im Gesamtzusammenhang betrachten. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir können den Kolonisten nicht helfen, und wir können für Crowe, Apone und die anderen nichts tun, aber uns selbst können wir helfen. Wir können uns über diese Wesen informieren, sie benützen, sie zu unserem Vorteil einsetzen, sie beherrschen.« »Etwas wie die Aliens beherrscht man nicht! Man geht ihnen aus dem Weg, und wenn sich die Gelegenheit bietet, zerfetzt man sie zu Atomen. Reden Sie mir nicht von >Überleben< auf der Erde!« Er atmete tief durch. »Kommen Sie, Ripley! Diese Aliens sind in manchen Dingen, die wir noch nicht einmal im Ansatz verstehen, etwas Besonderes. Einmaligkeit ist etwas, womit der Kosmos knausrig ist. Man muß sie studieren, sorgfältig und unter den richtigen Bedingungen, damit man von ihnen lernen kann. Alles, was hier falsch lief, war, daß die Kolonisten angefangen haben, sie ohne die richtigen Geräte zu studieren.
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Sie wußten nicht, was sie erwartete. Wir wissen es.« »Wirklich? Sehen Sie doch, was mit Apone und den übrigen passiert ist.« »Die wußten nicht, womit sie es zu tun hatten und gingen mit ein bißchen zuviel Selbstvertrauen an die Sache heran. Sie gerieten in die Klemme. Das ist ein Fehler, den wir nicht mehr machen werden.« »Darauf können Sie wetten!« »Was hier passiert ist, ist sicher tragisch, aber es wird sich nicht wiederholen. Wenn wir zurückkommen, dann angemessen ausgerüstet. Diese Säure kann sich nicht durch alles durchfressen. Wir werden irgendwie eine Probe mitnehmen und sie in den Labors der Gesellschaft analysieren lassen. Dann wird man eine Verteidigung, einen Schutzschild entwickeln. Und man wird einen Weg finden, wie man die ausgewachsene Form unbeweglich machen kann, um sie zu manipulieren und zu benützen. Sicher, die Aliens sind stark, aber allmächtig sind sie nicht. Sie sind zäh, aber nicht unverletzlich. Man kann sie töten, mit Handwaffen, die nicht größer sind als Impulsgewehre und Flammenwerfer. Das ist etwas, was diese Expedition tatsächlich bewiesen hat. Verdammt, Sie selbst haben es doch bewiesen«, fügte er in einem bewundernden Tonfall hinzu, den sie ihm keinen Augenblick lang abnahm. »Ich sage Ihnen, Ripley, das ist eine Gelegenheit, wie sie nur wenige Leute bekommen. Wir können sie nicht in einer emotionalen Augenblicksentscheidung vertun. Ich dachte nicht, daß Sie der Typ wären, der wegen etwas so Abstraktem, wie ein bißchen Rache, die Chance seines Lebens wegwirft.« »Das hat nichts mit Rache zu tun«, erklärte sie ihm gelassen. »Es hat mit Überleben zu tun. Mit unserem Überleben.« »Sie verstehen mich immer noch nicht.« Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Sehen Sie, da Sie der Vertreter der Gesellschaft sind, die diese Spezies entdeckt hat, wird Ihr
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Anteil an den künftigen Gewinnen, die durch das Studium und die begleitende Nutzung dieser Geschöpfe erzielt werden, natürlich eine beträchtliche Menge Geld sein. Die Tatsache, daß die Gesellschaft Sie einmal angeklagt und dann die Entscheidung des Anklageausschusses revidieren ließ, kommt da gar nicht mit rein. Jedermann weiß, daß Sie die einzige Überlebende der Besatzung sind, die diesen Geschöpfen zuerst begegnet ist. Das Gesetz verlangt, daß Sie eine angemessene Gewinnbeteiligung bekommen. Sie werden reicher sein, als Sie es sich jemals erträumt haben, Ripley.« Sie starrte ihn lange schweigend an, als beobachte sie eine völlig neue, eben erst entdeckte Gattung von Aliens. Noch dazu eine besonders abscheuliche Abart. »Sie Hundesohn!« Er wich zurück, seine Züge verhä rteten sich. Die falsche Kameraderie, die er hatte vermitteln wollen, fiel von ihm ab wie eine Maske. »Tut mir leid, daß Sie so denken. Zwingen Sie mich nicht, den Vorgesetzten herauszukehren, Ripley!« »Was für einen Vorgesetzten? Das haben wir doch alles schon durchexerziert.« Sie nickte zum Mittelgang hin. »Ich glaube, Corporal Hicks hat hier die Befehlsgewalt.« Burke wollte schon anfangen zu lachen. Dann sah er, daß sie es ernst meinte. »Sie scherzen wohl? Was soll das sein, ein Witz? Corporal Hicks? Seit wann hatte denn ein Corporal mehr zu befehligen als seine eigenen Stiefel?« »Diese Operation ist dem Militär unterstellt«, erinnerte sie ihn ruhig. »So lauten die Einsatzbefehle der Sulaco. Vielleicht haben Sie sich nicht die Mühe gemacht, sie zu lesen. Ich schon. So wurde es von der Kolonialbehörde formuliert. Sie und ich, Burke, wir sind nur Beobachter. Wir dürfen nur mitfahren. Apone ist tot, und Gorman so gut wie. Als nächster in der Hierarchie kommt Hicks.« Sie spähte an dem verdutzten
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Vertreter der Gesellschaft vorbei. »Richtig?« Hicks' Antwort klang sachlich. »Sieht so aus.« Burkes Vorsicht und Selbstbeherrschung im Dienst der Gesellschaft begannen zu schwinden. »Hören Sie mal, das ist eine Multi-Millionen Kredit-Operation. So eine Entscheidung kann er nicht treffen. Corporals genehmigen keine Atomwaffeneinsätze. Er ist doch nur ein Frontschwein.« Eine nachträgliche Überlegung und ein hastiger Blick in Richtung des Soldaten veranlaßten Burke, ein höfliches »Nichts für ungut!« hinzuzufügen. »Ich nehm's nicht übel.« Hicks' Antwort klang kühl und korrekt. Er sprach in sein Kopfhörermikrophon. »Ferro, hast du das alles mitgeschnitten?« »Wir warten«, kam die Antwort der Landefahrzeugpilotin über die Lautsprecher. »Mach dich fertig zum Abheben! Wir brauche n 'ne sofortige Evakuierung.« »Das dachte ich mir schon, nach dem, was wir hier drüben gehört haben. Ganz schön hart.« »Dabei kennst du noch nicht die Hälfte davon.« Hicks' Miene veränderte sich nicht, als er Burke ansah, der die Lippen zusammenpreßte. »In einem haben Sie recht. Man kann eine solche Entscheidung nicht so spontan treffen.« Burke entspannte sich ein wenig. »Das klingt schon besser. Was werden wir also tun?« »Darüber nachdenken, wie Sie es verlangt haben.« Der Corporal schloß ungefähr fünf Sekunden lang die Augen. »Okay. Ich hab's mir überlegt. Ich meine, wir starten und bombardieren die Stelle aus dem Orbit mit Atomwaffen. Das ist die einzige Möglichkeit, um sicher zu sein.« Er blinzelte. Aus dem Gesicht des Vertreters der Gesellschaft wich alle Farbe. Er machte zornig einen Schritt auf Hicks zu, aber dann begriff er, daß das, was er tun wollte, keinerlei
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Beziehung zur Realität hatte. Er mußte sich statt dessen damit begnügen, seiner Entrüstung mit Worten Ausdruck zu verleihen. »Das ist doch absurd! Sie können doch nicht ernstlich daran denken, eine Atomwaffe auf den Standort der Kolonie abzuwerfen.« »Nur eine kleine«, versicherte ihm Hicks ruhig, »aber groß genug.« Er legte die Hände zusammen, lächelte und stieß sie auseinander. »Wusch!« »Ich sage Ihnen zum letztenmal, daß Sie nicht befugt sind, so etwas ...!« Sein Wortschwall wurde von einem lauten Klack! Unterbrochen: Das Geräusch, mit dem ein Impulsgewehr aktiviert wurde. Vasquez wiegte die schwere Waffe unter ihrem rechten Arm. Sie war nicht direkt auf Burke gerichtet, zeigte aber allgemein in die Gegend, wo er stand. Vasquez' Gesicht war ausdruckslos. Er wußte, es würde sich auch dann nicht verändern, wenn sie sich entschloß, ihm ein Impulsprojektil durch die Brust zu jagen. Ende der Debatte. Er ließ sich schwer in einen der leeren Sitze fallen, die an der Wand aufgereiht waren. »Sie sind alle verrückt«, murmelte er. »Wissen Sie das?« »Verdammt, Mann«, erklärte Vasquez ihm sanft, »weshalb sonst würde wohl jemand zu den Marines gehen?« Sie warf einen Blick zum Corporal hinüber. »Sag mir nur eins, Hicks: soll das heißen, daß ich mich auf Unzurechnungsfähigkeit berufen kann, wenn ich diese >mierda< erschieße? Wenn ja, könnte ich diesen traurigen Ersatz für einen Lieutenant gleich auch noch erledigen, wenn ich schon dabei bin. Man sollte doch 'ne gute Verteidigung nicht vergeuden.« »Hier wird niemand erschossen«, teilte ihr der Corporal entschieden mit. »Wir sehen zu, daß wir wegkommen.« Ripley blickte ihm in die Augen, nickte einmal, drehte sich dann um und setzte sich. Sie legte beruhigend einen Arm um
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den einzigen Fahrzeuginsassen, der bei Bewußtsein war, sich aber nicht an der Diskussion beteiligte. Newt lehnte sich an ihre Schulter. »Jetzt geht's nach Hause, Schätzchen«, sagte sie zu der Kle inen. Nachdem über das weitere Vorgehen entschieden war, nahm sich Hicks einen Augenblick Zeit, um das Innere des Schützenpanzers zu untersuchen. Mit den Feuerschäden und den Löchern, die die Alien-Säure gefressen hatte, war das Fahrzeug eindeutig als Totalschaden anzusehen. »Holen wir alles zusammen, was wir tragen können. Hudson, hilf mir mal mit dem Lieutenant.« Der Nachrichtentechniker betrachtete die gelähmte Gestalt seines kommandierenden Offiziers mit unverhohlenem Abscheu. »Wie wär's, wenn wir ihn in die Schaltzentrale setzen und in den Stuhl schnallen? Er wird sich wie Zuhause fühlen. »Nichts zu machen. Er lebt noch, und wir müssen ihn hier rausbringen.« »Ja. Ich weiß, ich weiß. Brauchst mich nicht ständig wieder dran zu erinnern.« »Ripley, Sie behalten das Kind im Auge. Es hat sich sowieso an Sie angeschlossen.« »Das beruht auf Gegenseitigkeit.« Sie drückte Newt fest an sich. »Vasquez, kannst du uns Feuerschutz geben, bis das Land efahrzeug aufsetzt'« Sie lächelte ihn an und entblößte dabei ein makelloses Gebiß. »Können Schweine fliegen?« Sie klopfte auf den Lauf ihres Impulsgewehrs. Der Corporal wandte sich dem letzten menschlichen Mitglied des Landeteams zu. »Kommen Sie mit?« »Machen Sie keine Witze!« brummte Burke. »Das tue ich nicht. Nicht hier. Hier ist es nicht komisch.« Er
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schaltete sein Kopfhörermikrophon ein. »Bishop, hast du was rausgefunden?« Die Stimme des Syntheten füllte den Fahrgastraum. »Nicht viel. Die Geräte hier sind koloniale Grundausstattung. Ich bin mit den verfügbaren Werkzeugen etwa so weit gegangen, wie ich kann.« »Das macht nichts. Wir ziehen uns jetzt zurück. Packe alles ein und warte auf dem Rollfeld auf uns. Kommst du gut hin? Ich möchte den Schützenpanzer erst verlassen, wenn das Landefahrzeug in der letzten Anflugphase ist.« »Kein Problem. Hier drin ist es bis jetzt ruhig.« »Okay. Nimm nur soviel mit, wie du leicht tragen kannst. Beeil dich!« Das Landefahrzeug hob sich von seinem Standort auf der Betonrampe und mußte beim Aufstieg gegen den Wind ankämpfen. Unter Ferros ruhiger Hand schwebte es, drehte sich mitten in der Luft um die eigene Achse und bewegte sich dann über die Kolonie hinweg auf den abgestellten Schützenpanzer zu. »Ich habe Sichtverbindung mit euch. Der Wind hat ein wenig nachgelassen. Ich bringe sie so dicht runter, wie ich kann«, teilte Ferro ihnen mit. »Roger.« Hicks wandte sich an seine Gefährten. »Seid ihr bereit?« Alle nickten, bis auf Burke, der ein saures Gesicht machte, aber nichts sagte. »Dann raus mit uns!« Er drehte die Tür auf. Wind und Regen peitschten herein, als die Treppe ausgefahren wurde. Sie verließen schnell hintereinander den Panzer. Das Landefahrzeug war schon deutlich zu sehen und schob sich auf sie zu. Von seinen Flanken und seinem Bauch strahlten Suchscheinwerfer. Einer erfaßte eine einzelne menschliche Gestalt, die durch den Nebel auf sie zukam. »Bishop!« Vasquez winkte. »Lange nicht gesehen.«
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Er rief zu ihr hinüber. »Nicht so gut gelaufen, was?« »Stinkt.« Sie spuckte in Windrichtung. »Erzähl ich dir alles noch mal.« »Später. Nach dem Hyperschlaf. Wenn wir diesen Ort weit hinter uns gebracht haben.« Sie nickte, als einzige der wartenden Gruppe konzentrierte sie sich nicht voll auf das sich nähernde Landefahrzeug. Ihre dunklen Augen suchten ständig die Landschaft rings um den Schützenpanzer ab. In der Nähe wartete Ripley und hielt Newts kleine Hand fest in der ihren. Hudson und Hicks trugen den immer noch bewußtlosen Gorman zwischen sich. »Bleibt da stehen!« wies Ferro sie an. »Laßt mir ein bißchen Platz! Ich will doch nicht auf euren Köpfen runtergehen.« Sie klopfte auf ihr Kopfhörermikrophon. »Wäre ganz nett, wenn ich hier oben 'n bißchen Hilfe kriegen könnte, Spunkmeyer. Runter vom Topf!« Hinter ihr glitt die Abteiltür auf. Sie blickte voller Wut über die Schulter und gab sich auch keine Mühe, diese Tatsache zu verbergen. »Wird ja auch Zeit. Wo zum Teu ...« Ihre Augen weiteten sich, und der Rest des Vorwurfs ve rklang. Es war nicht Spunkmeyer. Das Alien paßte fast nicht durch die Öffnung. Die äußeren Kiefer blähten sich und entblößten das innere Gebiß. Eine verschwommene Bewegung und ein explosives, organisches Wusch. Ferro hatte kaum noch Zeit zu schreien, als sie rücklings in die Steuerkonsole geschleudert wurde. Von unten sahen die Wartenden bestürzt, wie das Landefahrzeug wild nach Backbord abschwenkte. Seine Primärmotoren brüllten auf, und es beschleunigte noch, während es an Höhe verlor. Ripley packte Newt und sprintete mit ihr auf das nächste Gebäude zu. »LAUF!«
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Das Landefahrzeug streifte eine Felsformation am Rande des Damms, wurde nach links geworfen und flog gegen einen Basaltkamm. Es schlingerte, drehte sich völlig auf den Rücken wie eine sterbende Libelle, schlug auf dem Rollfeld auf und explodierte. Abschnitte und Schotts brachen vom Fahrgestell ab, einige davon standen schon in Flammen. Der Schiffsrumpf flog noch einmal in hohem Bogen durch die Luft und prallte von dem unelastischen Stein ab, aus seinen Motoren und aus den Aufbauten schlugen Flammen. Ein Teil eines Motormoduls krachte in den Schützenpanzer und löste dessen Geschütze aus. Der Panzer sprengte sich selbst in Stücke, als in seinem Innern Granaten und Treibstoff explodierten. Wie ein flammendes Katharinenrad hüpften die Überreste des Landefahrzeugs vorbei und prallten gegen die Flanke der Atmosphäreaufbereitungsstation. Ein gewaltiger Feuerball erhellte den dunklen Himmel über Acheron. Er verblaßte schnell. Die betäubten Überlebenden tauchten aus ihren Verstecken auf und starrten ungläubig auf die Trümmer, während ihre überlegene Bewaffnung und ihre Hoffnung, von dem Planeten wegzukommen, gleichzeitig in verkohltes Metall und Asche verwandelt wurden. »Tja, das ist ja großartig!« rief ein beinahe hysterischer Hudson. »Das ist wirklich beschissen großartig, Mann! Und was zum Teufel sollen wir jetzt tun? Jetzt stecken wir wirklich in der Scheiße.« »Bist du fertig?« Hicks schaute den Nachrichtentechniker scharf an, bis Hudson ein beschämtes Gesicht machte. Dann warf er einen Blick auf Ripley. »Alles okay?« Sie nickte und bemühte sich zu verbergen, was sie wirklich empfand, als sie auf Newt hinunterschaute. Sie hätte sich die Mühe sparen können. Es war unmöglich, vor diesem Kind etwas zu verbergen. Newt wirkte recht ruhig. Sie atmete zwar
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schwer, aber das kam daher, daß sie in Deckung gehetzt waren, nicht von der Angst. Das Mädchen zuckte die Achseln, und es klang bemerkenswert erwachsen, als es sagte: »Jetzt fliegen wir wohl doch nicht weg, was?« Ripley biß sich auf die Unterlippe. »Tut mir leid, Newt.« »Das braucht dir nicht leid zu tun. Es war ja nicht deine Schuld.« Sie starrte schweigend auf die flammenden Trümmer des Landefahrzeugs. Hudson stieß mit den Füßen Steine, Metallstücke und alles beiseite, was kleiner war als sein Stiefel. »Sagt mir nur, was zum Henker, wir jetzt tun sollen? Was werden wir jetzt tun?« Burke machte ein gereiztes Gesicht. »Vielleicht könnten wir ein Feuer anmachen und Lieder singen.« Hudson machte einen Schritt auf den Vertreter der Gesellschaft zu, und Hicks mußte intervenieren. »Wir sollten zurückgehen.« Alle drehten sich um und schauten auf Newt hinunter, die immer noch das brennende Landefahrzeug anstarrte. »Wir sollten zurückgehen, weil es bald dunkel wird. Sie kommen meistens bei Nacht. Meistens.« »Na schön.« Hicks deutete mit einem Kopfnicken zu dem zerstörten Schützenpanzer hinüber. Er bestand größtenteils aus Metall und Kunststoffen und konnte eigentlich nicht mehr lange brennen. »Das Feuer ist fast aus. Mal sehen, was wir noch finden können.« »Altmetall«, schlug Burke vor. »Und vielleicht noch mehr. Kommen Sie mit?« Der Vertreter der Gesellschaft erhob sich. »Hier bleibe ich todsicher nicht.« »Liegt bei Ihnen.« Der Corporal wandte sich an ihren Syntheten. »Bishop, sieh mal nach, ob du die Zentrale bewohnbar machen kannst. Damit meine ich, du sollst dich vergewissern, daß sie … frei ist.«
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Der Androide antwortete mit einem sanften Lächeln: »Ich soll an die Spitze? Ich weiß, was das bedeutet. Ich bin natürlich entbehrlich.« »Einen Dreck bist du! Niemand ist entbehrlich.« Hicks ging über das Rollfeld auf den qualmenden Schützenpanzer zu. »Los jetzt!« Am Tage herrschte auf Acheron Dämmerlicht; die Nacht war dunkler als die entferntesten Winkel des interstellaren Raumes, weil hier nicht einmal die Sterne durch die dichte Atmosphäre dringen und die öde Oberfläche mit ihrem zwinkernden Licht mildern konnten. Der Wind heulte um die ramponierten Metallgebäude der Stadt Hadley, pfiff durch Korridore und rüttelte an kaputten Türen. Sand rasselte gegen zerbrochene Fenster wie ein ständiger Trommelwirbel. Kein tröstlicher Laut war zu hören. Im Innern warteten alle darauf, daß der Alptraum kam. Der Notstrom reichte aus, um die Zentrale und ihre unmittelbare Umgebung zu beleuchten, aber nicht viel mehr. Dort sammelten sich die müden, demoralisierten Überlebenden, um darüber nachzudenken, welche Möglichkeiten ihnen noch blieben. Vasquez und Hudson waren ein letztesmal zu dem Wrack gelaufen, das einmal der Schützenpanzer gewesen war. Jetzt stellten sie ihre Errungenschaft, eine große, versengte und verbeulte Packkiste, ab. Mehrere ähnliche Kisten waren in der Nähe gestapelt. Hicks warf einen Blick auf die Kiste und bemühte sich, seine Enttäuschung nicht zu deutlich hörbar werden zu lassen. Er wußte, welche Antwort er auf seine Frage bekommen würde, aber er stellte sie trotzdem. Vielleicht irrte er sich. »Munition dabei?« Vasquez schüttelte den Kopf und ließ sich in einen Bürostuhl fallen. »War alles in dem Luftraum zwischen den Wänden des Panzers gelagert. Ist alles hochgegangen, als er in Brand
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geriet.« Sie zog sich ihr schweißdurchtränktes Halstuch vom Kopf und wischte sich mit dem Unterarm über den Haaransatz. »Mann, was gäbe ich nicht für ein Stück Seife und eine heiße Dusche.« Hicks wandte sich dem Tisch zu, auf dem ihr gesamtes Waffenarsenal ruhte. »Das war's dann. Alles, was wir bergen konnten.« Sein Blick musterte den Vorrat, er wünschte, er könnte ihn durch Anschauen verdreifachen. »Wir haben vier Impulsgewehre, jedes mit etwa fünfzig Schuß. Nicht so gut. Ungefähr fünfzehn M40 Granten und zwei Flammenwerfer, weniger als halb voll einer beschädigt. Und wir haben vier von diesen Wachrobotereinheiten mit unversehrten Scannern und Anzeigerelais.« Er trat an den Packkistenstapel heran und brach die Plombe der ersten Kiste auf. Ripley kam zu ihm, und sie inspizierten gemeinsam den Inhalt. In Verpackungsschaum gegen Stoß gesichert, lag da eine gedrungene Automatikwaffe. In einer eigenen Reihe von Kisten lagen daneben gut geschützt die dazugehörigen Videound Bewegungssensorgeräte. »Sieht ziemlich leistungsfähig aus«, bemerkte sie. »Das sind sie auch.« Hicks schloß die Kiste. »Wenn wir die nicht hätten, würde ich sagen, wir können uns jetzt gleich die Pulsadern aufschneiden. Mit ihnen, nun, da stehen unsere Chancen jedenfalls besser als Null. Die Schwierigkeit ist, daß wir ungefähr hundert von den Dingern brauchten und zehnmal soviel Munition. Aber ich bin auch für Kleinigkeiten dankbar.« Er klopfte mit den Knöcheln auf die Hartplastikkiste. »Wenn die nicht so verpackt gewesen wären, wären sie mit dem Rest des Schützenpanzers hochgegangen.« »Wie kommst du darauf, daß wir überhaupt eine Chance habea?« fragte Hudson.
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Ripley beachtete ihn nicht. »Wie bald, nachdem wir als überfällig erklärt werden, können wir mit einer Rettungsmannschaft rechnen?« Hicks machte ein nachdenkliches Gesicht. Er war zu sehr mit den unmittelbaren Überlebensproblemen beschäftigt gewesen, um über die Möglichkeit einer Hilfe von außen nachzudenken. »Wir hätten gestern den letzten Missionsbericht absetzen müssen. Sagen wir, von heute abend an ungefähr siebzehn Tage.« Der Nachrichtentechniker wirbelte herum und stapfte, niedergeschlagen die Arme schwenkend, davon. »Mann, wir schaffen es keine siebzehn Stunden. Diese Wesen werden hier reinkommen, genau wie sie es vorher gemacht haben, Mann. Sie werden hier reinkommen und uns kriegen, lange bevor irgendein Arschloch von der Erde kommt und hier rumschnüffelt und nachsehen will, was noch von uns übrig ist. Und die finden uns dann auch, ausgesaugt und trockengeblasen wie die armen Schweinehunde, die wir unten auf der C-Etage verbrannt haben. Wie Dietrich und Crowe, Mann.« Er begann zu schluchzen. Ripley deutete auf Newt, die schweigend zusah. Sie hat noch länger überlebt, ohne Waffen und ohne Ausbildung. Die Kolonisten wußten nicht, was da über sie herfiel. Wir wissen, was uns erwartet, und wir haben mehr als Hammer und Schraubenschlüssel, um zurückzuschlagen. Wir brauchen sie nicht auszurotten. Wir brauchen doch nur ein paar Wochen zu überleben. Sie von uns fernhalten und am Leben bleiben.« Hudson lachte bitter. »Ja, ganz klar. Nur am Leben bleiben. Dietrich und Crowe sind auch noch am Leben.« »Wir sind hier, wir haben einige Waffen, und wir wissen, was auf uns zukommt. Also fangen Sie lieber an, sich damit zu befassen. Befassen Sie sich einfach damit, Hudson! Weil wir Sie brauchen, und weil ich Ihr Gequatsche satt habe.« Er starrte
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sie an, aber sie war noch nicht ganz fertig. »Jetzt setzen Sie sich an das Hauptterminal und holen uns irgendeinen Grundriß her. Baupläne, Wartungsschemata, alles, was die Anlage dieses Gebäudes zeigt. Ich möchte Luftschächte, Kabelschächte, Zugangstunnel, Untergeschosse und Wasserrohre sehen: jeden möglichen Zugang zu diesem Flügel der Kolonie. Ich möchte die Eingeweide dieses Gebäudes sehen, Hudson. Wenn sie uns nicht erreichen können, dann können sie uns auch nichts tun. Sie sind bisher noch nicht durch Wände durchgebrochen, vielleicht bedeutet das, daß sie dazu nicht fähig sind. Das hier ist die Zentrale der Kolonie. Wir befinden uns im festesten Gebäude auf diesem Planeten, abgesehen von den großen Atmosphäreaufbereitungsstationen vielleicht. Wir sind über dem Boden, und sie haben bisher noch nicht erkennen lassen, daß sie in der Lage sind, eine glatte, senkrechte Wand hinaufzuklettern.« Hudson zögerte, dann richtete er sich ein wenig auf, erleichtert, weil er etwas hatte, worauf er sich konzentrieren konnte. Hicks nickte Ripley anerkennend zu. »Positiv«, erklärte der Nachrichtentechniker mit einem Anflug seiner früheren Großspurigkeit. Mit ihr kehrte auch ein wenig Zuversicht zurück. Ich bin schon dran. Wenn Sie wissen wollen, wo in diesem Loch hier jeder Stöpsel sitzt, dann suche ich ihn.« Er ging auf die unbesetzte Computerkonsole zu. Hicks wandte sich an den Syntheten. »Brauchst du einen Auftrag, oder hast du dir schon was vorgenommen?« Bishop wirkte unsicher. Das war ein Teil seiner Sozialprogrammierung. Ein Androide konnte nie wirklich unsicher sein. »Wenn du mich für etwas Besonderes brauchst ...« Hicks schüttelte den Kopf. »In diesem Fall bin ich in der Medizinischen. Ich möchte
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gerne meine Forschung fortsetzen. Vielleicht stolpere ich über etwas, was sich für uns als nützlich erweist.« »Schön«, erklärte Ripley. »Tun Sie das!« Sie beobachtete ihn scharf. Wenn sich Bishop dieser übermäßigen Aufmerksamkeit bewußt war, so ließ er es sich nicht anmerken, er drehte sich um und ging zum Labor.
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Sobald Hudson etwas hatte, woran er arbeiten konnte, war er sehr flink. Schon bald drängten sich Ripley, Hicks und Burke um den Nachrichtentechniker und spähten an ihm vorbei auf den großen, flachen Videoschirm. Darauf le uchteten eine komplexe Reihe von Plänen und mechanischen Zeichnungen. Newt hüpfte von einem Fuß auf den anderen und versuchte, um die massigen Erwachsenenkörper herumzusehen. Ripley klopfte auf den Schirm. »Es muß dieser Wartungstunnel sein, durch den sie raus und reinkommen.« Hudson studierte die Anzeige. »Ja, richtig. Er läuft direkt von der Aufbereitungsstation in die untere Wartungsetage der Kolonie hier.« Er fuhr die Strecke mit der Fingerspitze nach. »Auf diesem Weg sind sie eingedrungen und haben die Kolonisten überrascht. Ich hätte es auch so gemacht.« »Na schön. An diesem Ende ist eine Feuertür. Als erstes müssen wir einen der ferngesteuerten Posten in den Tunnel stellen und diese Tür dichtmachen.« Das wird sie nicht aufhalten.« Hicks' Blick schweifte über die Pläne. »Sobald sie im Wartungstunnel aufgehalten werden, suchen sie sich einen anderen Zugang. Wir müssen damit
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rechnen, daß sie mit der Zeit in den Komplex eindringen.« »Das ist richtig. Wir errichten also an diesen Kreuzungspunkten geschweißte Barrikaden«, sie zeigte, während sie sprach, auf die Schemazeichnung, »und dichten diese Schächte hier, und hier, ab. Dann können sie nur durch diese beiden Korridore an uns heran, und wir schaffen hier für die beiden anderen Wacheinheiten freies Schuß feld.« Sie klopfte auf die Stelle, und ihr Nagel klickte laut auf der harten Oberfläche des beleuchteten Schirms. »Natürlich können sie immer noch das Dach aufreißen, aber ich glaube, dazu würden sie eine Weile brauchen. Inzwischen müßte die Hilfsmannschaft eingetroffen sein und uns hier rausholen.« »Das wäre auch gut so«, murmelte Hicks. Er studierte die Anlage der Zentrale konzentriert. »Ansonsten sieht das großartig aus. Wir dichten die Feuertür im Tunnel ab, schweißen die Korridore zu, und dann brauchen wir nur noch 'nen Pack Spielkarten, um uns die Zeit zu vertreiben.« Er richtete sich auf und musterte seine Gefährten. »Na schön: tun wir so, als hätten wir 'n Ziel.« Hudson nahm eine halbe Habachtstellung ein. »Positiv!« Neben ihm ahmte Newt die Geste und den Tonfall nach. »Positiv!« Der Nachrichtentechniker schaute auf sie hinunter und mußte unwillkürlich lächeln. Hoffentlich hatte niemand das flüchtige Grinsen bemerkt. Sonst wäre sein Ruf als unverbesserliches Rauhbein ruiniert. * Hudson ächzte, als er die zweite schwere Wachkanone auf ihren rückstoßabsorbierenden Ständer stellte. Die Waffe war gedrungen, häßlich und nicht mit Visier oder Abzug belastet. Vasquez ließ die Waffe einrasten und steckte dann die Verbindungen auf, die vom Schießmechanismus zu dem angeschlos-
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senen Bewegungssensor führten. Als sie sicher war, daß sich der Nachrichtentechniker nicht mehr im Schußfeld befand, schob sie einen einzelnen Schalter mit der Aufschrift AKTIVIEREN vor. Ein kleines grünes Licht leuchtete oben an der Waffe auf. Auf der kleinen diagnostischen Anzeige, die bündig in die Seite eingelassen war, blitzte das Wort BEREIT erst gelb auf, dann rot. Beide Soldaten traten zurück. Vasquez hob einen verbeulten Papierkorb auf, der in den Korridor gerollt war, und rief dem Mikrophon der Waffe >Probe!< zu. Dann warf sie den leeren Metallbehälter in die Mitte des Korridors. Beide Kanonen schwenkten herum, feuerten, noch ehe der Korb den Boden erreichte, und zerfetzten den Behälter in Trümmer von Münzengröße. Hudson grollte entzückt. »Das schluckt mal, ihr Dummköpfe!« Er senkte die Stimme und wandte sich mit rollenden Augen an Vasquez: »O schickt mich nach Haus, wo der Feuersturm braust, wo Hackfleisch man macht aus dem Rotwild bei Nacht.« »Du warst schon immer einer von den Sensiblen«, erklärte Vasquez. »Ich weiß. Das sieht man mir an der Nasenspitze an.« Er drehte sich um und stemmte sich mit der Schulter gegen die Feuertür. »Hilf mir mal bei diesem Brocken.« Vasquez half ihm, die schwere Stahltrennwand zuzuschieben. Dann packte sie das tragbare Hochleistungsschweißgerät aus, das sie mitgebracht hatte, und schaltete es ein. Brüllend schoß eine blaue Flamme aus der Öffnung. Sie drehte eine Scheibe am Griff, um den Azetylenfinger feiner einzustellen. »Mach mal Platz, Mann, sonst schweiße ich dir die Füße in die Stiefel!« Hudson gehorchte und wich zurück, um ihr zuzusehen. Er begann auf und ab zu gehen, starrte den leeren Wartungsgang hinunter und lauschte. Nervös spielte er an den Reglern seiner Kopfhörer herum.
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»Hier Hudson.« Hicks meldete sich sofort. »Wie geht's euch beiden? Wir arbeiten gerade an dem großen Luftschacht, den du in den Plänen gefunden hast.« »Posten A und B sind aufgestellt und aktiviert. Sieht gut aus. Durch diesen Tunnel kommt nichts rein, ohne daß sie es wahrne hmen.« Neben ihm zischte Vasquez' Schweißbrenner. »Wir schweißen gerade die Feuertür zu.« »Roger. Wenn ihr fertig seid, bewegt euren Hintern hier rauf.« »He, glaubst du, ich will 'n Anschiß wegen Trödeln?« Hicks lächelte. Das klang mehr nach dem alten Hudson. Er schob das winzige Mikrophon von seinen Lippen weg und justierte die dicke Metallplatte, die er trug, so, daß sie die Öffnung des Schachts bedeckte. Ripley nickte ihm zu und schob ihre Platte an die richtige Stelle. Er machte ein genaues Gegenstück von Vasquez' Schweißbrenner einsatzbereit und begann, die Platte an den Boden zu schweißen. Hinter ihnen waren Burke und Newt eifrig damit beschäftigt, Behälter mit Medikamenten und Nahrungsmitteln in einer Ecke aufzustapeln. Die Aliens hatten die Nahrungsmittelvorräte der Kolonie nicht angerührt. Noch wichtiger war, daß das Wasserdestillationssystem noch funktionierte. Da es selbst unter Druck stand, brauchte man keine Energie, um Wasser aus den Hähnen zu bekommen. Sie würden also weder Hunger noch Durst leiden müssen. Als Hicks zwei Drittel der Platte festgeschweißt hatte, stellte er den Schweißbrenner weg und zog aus seiner Gürteltasche ein kleines Armband heraus. Er legte einen winzigen, bündig ins Metall eingelassenen Schalter um, und eine winzige Leuchtanzeige ging an, als er Ripley den Reif reichte. »Was ist das?« »Ein Notfallpiepser. Militärische Version der PDS, die man
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den Kolonisten chirurgisch eingepflanzt hatte. Hat keine so große Reichweite und wird außerhalb des Körpers getragen statt innerhalb, aber das Prinzip ist das gleiche. Wenn der eingeschaltet ist, kann ich Sie damit überall in der Nähe des Komplexes orten.« Er klopfte auf den Miniaturtracker, der in sein Kampfgurtwerk eingebaut war. Sie betrachtete das Gerät neugierig. »Ich brauche das nicht.« »He, das ist doch nur eine Vorsichtsmaßnahme. Sie wissen schon.« Sie sah ihn einen Augenblick lang spöttisch an, dann zuckte sie die Achseln und schob sich das Armband über das Handgelenk. »Danke. Tragen Sie auch einen?« Er lächelte und wandte den Blick ab. »Hab' nur einen Tracker.« Er klopfte auf sein Gurtwerk. »Ich weiß ja, wo ich bin. Was kommt als nächstes?« Sie vergaß das Armband völlig, als sie die Kopie von Hudsons Schemazeichnung zu Rate zog. Während sie arbeiteten, geschah etwas sehr Seltsames. Sie waren zu beschäftigt, um es zu bemerken, und so blieb es Newt vorbehalten, sie darauf hinzuweisen. Der Wind hatte sich gelegt. Er hatte völlig aufgehört. In der acheronuntypischen Stille außerhalb der Kolonie wirbelte und wogte unsicher ein diffuser Nebel. Ripley hatte Acheron schon zweimal besucht, aber dies war das erstemal, daß sie den Wind nicht hörte. Es war beunruhigend. Das Fehlen des Windes verringerte die Sicht draußen von schlecht auf nicht vorhanden. Nebel wallte um die Zentrale und verlieh der Welt hinter den dreifachverglasten Fenstern das Aussehen einer Unterwasserlandschaft. Nichts regte sich. In dem Wartungstunnel, der die Gebäude der Kolonie mit der Aufbereitungsstation und untereinander verband, stand schweigend ein Paar Robotkanone n mit wachen, summenden Bewegungsscannern. Kanone C überwachte den leeren
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Korridor, ihr Scharf-Licht blinkte grün. Durch ein Loch in der Decke am anderen Ende des Durchgangs wirbelte Nebel herein. Wasser kondensierte auf kahlen Metallwänden und tropfte zu Boden. Die Kanone schoß nicht auf die fallenden Tropfen. Sie war klüger, selektierte besser, konnte zwischen harmlosen Naturphänomenen und feindlichen Bewegungen unterscheiden. Das Wasser machte keinen Versuch, vorzurücken, und deshalb feuerte die Waffe nicht, sondern wartete geduldig auf etwas, das sie töten konnte. Newt hatte Kisten getragen, bis sie völlig erschöpft war. Als Ripley sie aus der Zentrale in den medizinischen Flügel trug, ruhte der kleine Kopf müde an der Schulter der Frau. Gelegentlich versuchte das Kind, etwas zu sagen, und Ripley antwortete, als verstünde sie alles. Sie suchte nach einem Platz, wo die Kleine sich ungestört und verhältnismäßig sicher ausruhen konnte. Der Operationssaal befand sich am anderen Ende der medizinischen Abteilung. Viele seiner komplizierten Geräte standen in Nischen in den Wänden, alle anderen hingen an ausziehbaren Armen von der Decke. Eine große Kugel mit Lichtern und zusätzlichen chirurgischen Instrumenten beherrschte die Decke. Schränke und Geräte, die nicht befestigt waren, hatte man in eine Ecke geschoben, um Platz für mehrere faltbare Metallpritschen zu schaffen. Hier würden sie schlafen. Hierher würden sie sich zurückziehen, wenn die Aliens die äußeren Verteidigungsanlagen durchbrachen. Die innere Kasematte. Der Bergfried. Der Operationssaal war fester abgeriegelt und hatte dickere Wände als jeder andere Teil des Kolonialkomplexes, das behaupteten jedenfalls die Schemazeichnungen, die Hudson abgerufen hatte. Er sah einem übergroßen Hochtechnikgewölbe sehr ähnlich. Wenn sie sich erschießen mußten, um zu verhindern, daß sie den Aliens
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lebend in die Hände fielen, würden irgendwelche künftigen Retter hier ihre Leichen finden. Aber jetzt war der Raum ein sicherer Hafen, behaglich und ruhig. Sanft legte Ripley das Mädchen auf die nächste Pritsche und lächelte auf das ihr zugewandte Gesicht hinunter. »Jetzt bleibst du einfach hier liegen und machst ein Nickerchen. Ich muß gehen und den anderen helfen, aber ich komme rein, sooft ich kann, und sehe nach dir. Du hast dir eine Pause verdient. Du bist erschöpft.« Newt starrte zu ihr auf. »Ich will nicht schlafen.« »Du mußt aber, Newt. Jeder muß das manchmal. Wenn du dich ausgeruht hast, wirst du dich besser fühlen.« »Aber ich hab' so scheußliche Träume.« Das schlug eine verwandte Saite in Ripley an, aber es gelang ihr, Fröhlichkeit vorzutäuschen. »Jeder hat mal schlechte Traume, Newt.« Das Mädchen kuschelte sich tiefer in die gepolsterte Liege. »Nicht so wie die meinen.« Da würde ich keine Wetten drauf abschließen, Kind, dachte sie. Laut sagte sie: »Ich wette, Casey hat keine schlechten Träume.« Sie löste den Puppenkopf aus den kleinen Fingern des Mädchens und gab vor, hineinzuschauen. »Genau wie ich es mir dachte: da ist nichts Schlimmes drin. Vielleicht könntest du mal versuchen, so wie Casey zu sein. So zu tun, als wäre da nichts drin.« Sie klopfte auf die Stirn des Mädchens, und Newt lächelte sie an. »Du meinst, ich soll versuchen, es alles irgendwie leer zu machen?« »Ja, irgendwie leer. Wie Casey.« Sie streichelte das zarte Gesicht und strich Newt das Haar aus der Stirn. »Wenn du das tust, kannst du sicher schlafen, ohne schlechte Träume zu haben.« Sie schloß die starren Puppenaugen und reichte den Kopf
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seiner Besitzerin zurück. Newt nahm ihn und rollte mit den Augen, als wolle sie sagen: >Komm mir nicht mit diesem Quatsch für Fünfjährige, Mädchen. Ich bin sechs!< aber sie sagte: »Ripley, sie hat deshalb keine schlechten Träume, weil sie nur ein Stück Plastik ist.« »Oh. Entschuldige, Newt. Nun, dann könntest du vielleicht so tun, als wärst du wie sie. Einfach aus Plastik.« Das Mädchen lächelte - beinahe. »Ich werd's versuchen.« »Braves Mädchen. Vielleicht versuche ich es auch.« Newt zog Casey dicht an ihren Hals hinauf und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Meine Mami sagte immer, daß es so was wie Monster nicht gibt. Keine echten. Aber es gibt sie doch.« Ripley strich weiterhin vereinzelte blonde Haarsträhnen von der blassen Stirn zurück. »Ja, die gibt es, nicht?« »Sie sind so wirklich wie du und ich. Sie sind nicht eingebildet, und sie kommen nicht aus einem Buch. Sie sind wirklich echt, nicht gefälscht. Echt wie die, die ich früher im Video gesehen habe. Warum erzählen sie kleinen Kindern solche Sachen, wenn sie nicht wahr sind?« Ein schwacher Hauch von Verratensein schwang in ihrer Stimme mit. Dieses Kind konnte man nicht anlügen, das wußte Ripley. Und sie hatte auch nicht die leiseste Absicht, dies zu tun. Newt hatte zuviel Wirklichkeit erfahren, um sich von einer einfachen Schwindelei hinters Licht führen zu lassen. Ripley spürte instinktiv, daß sie das Vertrauen des Mädchens für immer verlieren würde, wenn sie es anlog. »Tja, manche Kinder werden eben nicht so damit fertig wie du. Mit der Wahrheit, meine ich. Sie sind zu ängstlich, oder ihre Eltern glauben, sie wären zu ängstlich. Erwachsene haben so 'ne Art, immer zu unterschätzen, wie gut kleine Kinder die Wahrheit verkraften können. Deshalb versuchen sie, es ihnen leichter zu machen, indem sie Sachen erfinden.«
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»Und diese Monster. Ist eines von den Dingern auch in Mami gewachsen?« Ripley suchte ein paar Decken und begann, sie über die kleine Gestalt zu legen und sie fest um die dünnen Rippen zu stecken. »Ich weiß es nicht, Newt. Und sonst weiß es auch niemand. Das ist die Wahrheit. Ich glaube auch nicht, daß man es je erfahren wird.« Das Mädchen überlegte. »Kommen so nicht auch die Babys? Ich meine, die Menschenbabys. Sie wachsen doch in einem?« Ein Schauer lief Ripley das Rückgrat hinunter. »Nein, nicht so, ganz bestimmt nicht so. Bei Menschen ist es anders, Schätzchen. Es fängt anders an, und die Art, wie das Baby kommt, ist auch anders. Bei den Menschen arbeiten das Baby und die Mutter zusammen. Bei diesen Aliens ...« »Ich verstehe«, unterbrach Newt. »Hast du je ein Baby gehabt?« »Ja.« Sie zog die Decke bis unter das Kinn des Mädchens hoch. »Nur einmal. Ein kleines Mädchen.« »Wo ist es? Auf der Erde?« »Nein. Es ist fort.« »Du meinst tot.« Es war keine Frage. Ripley nickte langsam und versuchte, sich an ein kleines weibliches Wesen zu erinnern, Newt nicht unähnlich, das herumlief und spielte, ein Wunder mit dunklen Locken, die um ihr Gesicht hüpften. Sie versuchte, diese Erinnerung mit dem kurzen Eindruck des Bildes einer älteren Frau zu versöhnen, Kind und reife Frau, zusammengefügt durch die allzulange Zeit, die sie in der Stasis des Hyperschlafs verbracht hatte. Der Vater des Kindes war eine noch fernere Erinnerung. Soviel von einem Leben verloren und vergessen. Jugendliche Liebe verdorben durch Mangel an gesundem Menschenverstand, ein kurzes Aufflackern von Glück erstickt von der Realität. Scheidung. Hyperschlaf. Zeit.
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Sie wandte sich vom Bett ab und griff nach einem tragbaren Heizgerät. Obwohl es im Operationssaal nicht ungemütlich war, würde es doch behaglicher werden, wenn sie das Gerät, anschaltete. Es sah aus wie eine Plastikplatte, aber als sie mit dem Daumen auf den Ein-Schalter drückte, wurden seine integrierten Wärmeelemente aktiviert, und es gab ein Surren und ein schwaches Leuchten von sich. Als sich die Wärme ausbreitete, wurde der Operationssaal etwas weniger steril, eine Nuance gemütlicher. Newt blinzelte schläfrig. »Ripley, ich habe gerade nachgedacht. Vielleicht könnte ich dir einen Gefallen tun und dafür einspringen. Für dein kleines Mädchen, meine ich. Nicht auf Dauer. Nur eine Zeitlang. Du kannst es versuchen, und wenn es dir nicht gefällt, ist es auch gut. Ich verstehe das schon. Keine große Sache. Was meinst du?« Ripley brauchte all das bißchen Entschlossenheit und Selbstbeherrschung, das ihr noch verblieben war, um nicht vor dem Kind in Tränen auszubrechen. Sie beschränkte sich darauf, die Kleine fest zu umarmen. Sie wußte auch, daß vielleicht keiner von ihnen beiden noch einmal das Licht des nächsten Tages sehen würde. Daß sie vielleicht während eines sehr gut möglichen apokalyptischen letzten Augenblicks Newts Gesicht würde zur Seite drehen und den Lauf eines Impulsgewehrs an diese blonden Flechten würde halten müssen. »Ich glaube, das ist nicht die schlechteste Idee, die ich heute gehört habe. Laß uns später darüber reden, ja?« »Ja.« Ein scheues, hoffnungsvolles Lächeln. Ripley schaltete die Raumbeleuchtung aus und wollte aufstehen. Eine kleine Hand packte mit verzweifelter Kraft ihren Arm. »Geh nicht weg! Bitte!« Äußerst widerwillig löste Ripley ihren Arm aus Newts Griff. »Es ist alles in Ordnung. Ich bin im anderen Zimmer, gleich
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nebenan. Ich gehe sonst nirgendwohin. Und vergiß nicht. Das ist auch noch hier.« Sie zeigte auf die winzige Videokamera, die über der Tür eingelassen war. »Du weißt, was das ist, nicht wahr?« Ein kleines Nicken in der Dunkelheit. »Mhm. Das ist ein Securcam.« »Richtig. Siehst du, das grüne Licht brennt. Mr. Hicks und Mr. Hudson haben alle Securcams in diesem Bereich überprüft, um sicherzugehen, daß alle funktionieren. Die Kamera beobachtet dich, und ich beobachte den Monitor drüben im anderen Raum. Ich kann dich da drin genauso deutlich sehen, als wenn ich direkt hier wäre.« Als Newt immer noch zu zögern schien, löste Ripley das Ortungsarmband, das Hicks ihr gegeben hatte. Sie schob es auf das schmalere Handgelenk des Mädchens und zog es fest. »Hier. Das ist ein Glücksbringer. Er hilft mir auch, dich im Auge zu behalten. Und jetzt schlaf und träume nicht. Okay?« »Ich werde es versuchen.« Man hörte, wie ein kleiner Körper zwischen saubere Laken hineinrutschte. Ripley sah im schwachen Licht der einsatzbereiten Instrumente, wie sich das Mädchen auf die Seite drehte, den Puppenkopf umarmte und dann unter halb gesenkten Lidern hervor das ständig leuchtende Funktionslicht anschaute, das in das Armband eingebettet war. Das Heizgerät summte beruhigend, während sie rückwärts aus dem Raum ging. * Andere halbgeöffnete Augen zuckten unstet hin und her. Sie waren das einzige sichtbare Zeichen dafür, daß Lieutenant Gorman noch lebte. Das war immerhin ein Fortschritt. Ein Schritt weg vo n der völligen Lähmung. Ripley beugte sich über den Tisch, auf dem der Lieutenant lag, studierte die Augenbewegungen und fragte sich, ob er sie
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wohl erkennen konnte. »Wie geht es ihm? Wie ich sehe, hat er die Augen offen.« »Vielleicht kostet ihn das seine ganze Kraft.« Bishop schaute von einer Werkbank in der Nähe auf. Er war von Instrumenten und glänzenden medizinischen Geräten umgeben. Im Licht der einzelnen Intensivlampe, bei der er arbeitete, zeichneten sich seine Züge scharf ab, und sein Gesicht bekam einen makabren Ausdruck. »Hat er Schmerzen?« »Seinen Biowerten nach nicht. Die sind natürlich kaum ein Beweis. Er wird es uns sicher mitteilen, sobald er seinen Kehlkopf wieder gebrauchen kann. Übrigens habe ich das Toxin isoliert. Interessantes Zeug. Ein muskelspezifisches Nervengift. Wirkt nur auf die nicht lebenswichtigen Teile des Systems und läßt die Atmungs und Kreislauffunktion unangetastet. Ich frage mich, ob die Geschöpfe die Dosis instinktiv an verschiedene mögliche Wirte anpassen?« »Ich werde einen von ihnen fragen, sobald ich Gelegenheit dazu bekomme.« Während sie Gorman anstarrte, hob sich eines seiner Augenlider ganz, dann senkte es sich zitternd wieder. »Entweder war das ein unwillkürliches Zucken, oder er hat mir zugezwinkert. Geht es ihm allmählich besser?« Bishop nickte. Das Gift scheint sich umzuwandeln. Es ist sehr stark, aber der Körper ist offenbar in der Lage, es aufzuspalten und abzusondern. Es läßt sich jetzt schon in seinem Urin nachweisen. Ein erstaunlicher Mechanismus, der menschliche Körper. Anpassungsfähig. Wenn er das Gift weiterhin in konstanten Mengen ausschwemmt, müßte er bald aufwachen.« »Ich möchte das mal ganz durchblicken. Die Aliens haben alle Kolonisten gelähmt, die sie nicht getötet haben, dann haben sie sie zur Aufbereitungsstation hinübergebracht und dort eingesponnen, damit sie als Wirte für neue Aliens dienen konnten.«
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Sie zeigte in den hinteren Raum, wo die Stasiszylinder die restlichen Gesichtsklammerer-Exemplare enthielten. »Was bedeuten würde, daß es eine Menge von diesen Parasiten gibt, richtig? Für jeden Kolonisten einen. Auf jeden Fall mehr als hundert, wenn man eine Todesrate von etwa einem Drittel während des letzten Kampfes annimmt.« »Ja, das folgt daraus«, stimmte Bishop bereitwillig zu. »Aber diese Dinger, diese parasitischen Gesichtsklammererform, die kommen doch aus Eiern. Aber woher stammen diese Eier? Als der Typ, der das fremde Schiff als erster gefunden hat, sich bei uns meldete, sagte er, da seien eine Menge Eier im Innern, aber er hat nie gesagt, wie viele es waren, und nach ihm ist niemand mehr reingegangen, um nachzusehen. Vielleicht waren nicht alle dieser Eier lebensfähig. Es ist doch so: Nach der Schnelligkeit zu urteilen, mit der die Kolonie hier überrollt wurde, glaube ich nicht, daß die ersten Aliens Zeit hatten, Eier von diesem Schiff hierher zu bringen. Das bedeutet, sie mußten anderswo herkommen.« »Das ist die Frage der Stunde.« Bishop drehte seinen Stuhl herum und sah sie an. »Ich habe darüber unaufhörlich nachgedacht, seit uns das wahre Ausmaß der Katastrophe hier erstmals klar wurde.« »Irgendeine Idee, klug oder nicht?« »Solange es keine stichhaltigen Beweise dafür gibt, ist es nicht mehr als eine Vermutung.« »Na dann los, vermuten Sie mal.« »Wir können annehmen, daß eine Parallele zu bestimmten Insektenformen besteht, die eine bienenstockähnliche Organisation haben. Eine Ameisen- oder Termitenkolonie wird zum Beispiel von einem einzigen Weibchen beherrscht, einer Königin, die die Quelle neuer Eier ist.« Ripley runzelte die Stirn. Von der interstellaren Navigation
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zur Insektenkunde war ein geistiger Sprung, auf den sie nicht vorbereitet war. »Kommen nicht auch Insektenköniginnen aus Eiern?« Der Synthet nickte. »Unbedingt.« »Und wenn es an Bord des Schiffes, das diese Wesen hierherbrachte, kein Königinnenei gegeben hat?« »In einem Insektenstaat gibt es so etwas wie ein Königinneneierst, wenn die Arbeiter beschließen, eines zu schaffen. Ameisen, Bienen, Termiten, alle wenden im wesentlichen die gleiche Methode an. Sie suchen sich ein ganz gewöhnliches Ei aus und füttern die sich darin entwickelnde Puppe mit einem besonderen Nahrungsbrei, der bestimmte Nährstoffe konzentriert enthält. Bei den Bienen heißt er zum Beispiel >Gelee Royale<. Die Chemikalien in diesem Gelee bewirken eine Veränderung in der Zusammensetzung der reifen Puppe, so daß am Ende eine Königin ausschlüpft und nicht eine neue Arbeiterin. Theoretisch kann man aus jedem Ei eine Königin ausbrüten. Warum die Insekten gerade diese Eier auswählten, das wissen wir immer noch nicht.« »Sie wollen sagen, daß eines von diesen Wesen alle Eier legt?« »Nun ja, nicht gerade so eines, wie wir sie kennen. Und auch nur, wenn der Vergleich mit den Insekten stimmt. Vorausgesetzt, das ist so, könnte es noch mehr Ähnlichkeiten geben. Eine Alien-Königin, die mit einer Ameisen oder Termitenkönigin vergleichbar wäre, könnte körperlich viel größer sein als die Aliens, denen wir bisher begegnet sind. Der Unterleib einer Termitenkönigin ist so von Eiern aufgetrieben, daß sie sich überhaupt nicht mehr von selbst bewegen kann. Sie wird von Arbeiterinnen gefüttert und gepflegt, mit Drohnen gepaart und von hochspezialisierten Kriegern verteidigt. Sie ist außerdem ziemlich harmlos. Andererseits ist eine Bienenkönigin viel gefährlicher als jede Arbeiterin, weil sie häufig stechen kann.
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Sie ist das Zentrum des Bienenlebens, die Mutter der Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes. Jedenfalls haben wir Glück, daß der Vergleich in einer Hinsicht nicht stimmt. Ameisen und Bienen entwickeln sich aus Eiern direkt zu Larven, Puppen und schließlich erwachsenen Tieren. Jeder Alien-Embryo braucht hingegen einen lebendigen Wirt, in dem er reifen kann. Sonst wäre Acheron inzwischen schon völlig bedeckt von ihnen.« »Komisch, aber so sehr beruhigt mich das gar nicht. Diese Wesen sind größer als jede Ameise oder Termite. Könnten sie intelligent sein? Könnte diese hypothetische Königin intelligent sein? Das ist etwas, worüber wir uns damals auf der Nostromo nie klarwerden konnten. Wir waren zu sehr damit beschäftigt, mit dem Leben davonzukommen. Für Spekulationen blieb da nicht viel Zeit.« »Das ist schwer zu sagen.« Bishop machte ein nachdenkliches Gesicht. »Aber über eines lohnt es sich, nachzudenken.« »Nämlich?« »Vielleicht war es nicht mehr als blinder Instinkt, Anziehung durch die Wärme oder sonst etwas, aber sie hat sich, vorausgesetzt, sie existiert überhaupt, für ihre Brut die einzige Stelle in der gesamten Kolonie ausgesucht, wo wir sie nicht vernichten können, ohne uns selbst zu vernichten. Unter den Wärmeaustauschern der atmosphärischen Aufbereitungsanlage. Wenn diese Stelle instinktiv gewählt wurde, bedeutet das, daß sie vielleicht nicht intelligenter ist als eine Durchschnittstermite. Wenn sie andererseits aufgrund intelligenter Überlegungen ausgewählt wurde, nun, dann stecken wir, glaube ich, wirklich ernsthaft in Schwierigkeiten. Das heißt, wenn an diesen Vermutungen überhaupt irgend etwas Wahres dran ist. Trotz der Entfernung könnten die Eier, aus denen diese Aliens ausgeschlüpft sind, von den ersten hierhergebracht worden sein, die auftauchten. Vielleicht ist
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überhaupt keine Königin daran beteiligt, und es gibt keine komplexe Alien-Gesellschaft. Aber ob nun durch Intelligenz oder Instinkt, wir haben gesehen, daß sie kooperieren: Das ist etwas, worüber wir nicht zu spekulieren brauchen. Wir haben sie in Aktion erlebt.« Ripley stand da und dachte über die mit Bishops Analyse verbundenen Schlußfolgerungen nach. Keine davon war ermutigend, aber das hatte sie auch nicht erwartet. Sie nickte zu den Stasiszylindern hin. »Ich möchte, das diese Exemplare vernichtet werden, sobald sie mit ihnen fertig sind. Haben Sie verstanden?« Der Androide warf einen Blick auf die beiden lebendigen Gesichtsklammerer, die in ihren röhrenförmigen Gefängnissen bösartig pulsierten. Er schien nicht sehr glücklich. »Mr. Burke hat Anweisung gegeben, sie sollten in Stasis am Leben erhalten und in die Labors der Gesellschaft zurückgebracht werden. Er hat sich da sehr unmißverständlich ausgedrückt.« Das Erstaunliche war nur, daß sie zur Sprechanlage ging, anstatt nach der nächsten Waffe zu greifen. »Burke!« Ein schwaches statisches Rauschen konnte seine Antwort nicht stören. »Ja? Sie sind es, Ripley, nicht wahr?« »Darauf können Sie Ihren Arsch wetten! Wo sind Sie?« »Ich stöbere herum, solange noch Zeit dazu ist. Ich dachte, ich könnte vielleicht auf eigene Faust was rausfinden, nachdem ich da oben doch offenbar nur allen im Weg bin.« »Kommen Sie ins Labor!« »Jetzt? Aber ich bin noch ...« »Jetzt!« Sie unterbrach die Verbindung und funkelte den friedlichen Bishop zornig an: »Sie kommen mit mir!« Gehorsam legte er seine Arbeit weg und stand auf, um ihr zu folgen. Das war alles, was sie bezweckte; sie wollte sichergehen, daß er gehorchte, wenn sie ihm einen Befehl gab. Das bedeutete, daß er nicht völlig unter Burkes Einfluß stand, ob er
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nun eine Maschine der Gesellschaft war oder nicht. »Schon gut, lassen Sie nur!« »Ich begleite Sie gerne, wenn Sie das wünschen.« »Nicht nötig. Ich habe mich entschlossen, das allein zu erledigen. Machen Sie mit Ihren Forschungsarbeiten weiter! Das ist wichtiger als alles andere!« Er nickte, sah sie verständnislos an und setzte sich wieder. Burke wartete am Eingang zum Labor auf sie. Sein Gesicht war ausdruckslos. »Hoffentlich ist es wichtig. Ich glaube, ich hatte da was gefunden, und wir haben vielleicht nicht mehr viel Zeit.« »Sie haben vielleicht überhaupt keine Zeit mehr.« Er wollte protestieren, aber sie schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Nein, da hinein!« Sie deutete auf den Operationssaal. Der war schalldicht verkleidet, und sie konnte Burke nach Herzenslust anschreien, ohne daß alle anderen aufmerksam wurden. Burke sollte ihr eigentlich für diese Rücksichtnahme dankbar sein. Wenn Vasquez mitbekam, was der Vertreter der Gesellschaft geplant hatte, würde sie keine Zeit damit vergeuden, mit ihm zu streiten. Sie würde ihm auf der Stelle einen Feuerstoß durch den Leib jagen. »Bishop sagte mir, Sie hätten die Absicht, die Parasiten lebendig in der Tasche mit nach Hause zu nehmen. Ist das wahr?« Er versuchte gar nicht, es abzustreiten. »In Stasis sind sie harmlos.« »Diese Biester sind erst harmlos, wenn sie tot sind. Haben Sie das immer noch nicht begriffen? Ich will, daß sie sofort getötet werden, wenn Bishop alles aus ihnen herausgeholt hat, was er kann.« »Seien Sie doch vernünftig, Ripley!« Ein Abglanz des alten, selbstbewußten, der Gesellschaft verpflichteten Lächelns stahl
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sich in Burkes Gesicht. »Diese Exemplare sind für die Biowaffenabteilung der Gesellschaft Millionen wert. Okay, werfen wir Atombomben auf die Kolonie. Darin hat man mich überstimmt. Aber hierin nicht. Zwei lumpige Exemplare, Ripley. Welches Unheil können sie denn, gefangen in der Stasis, schon anric hten? Und wenn Sie sich Sorgen machen, daß etwas passieren könnte, nachdem wir sie in die Labors auf der Erde gebracht haben, so ist das unnötig. Wir haben Leute, die wissen, wie man mit solchen Sachen umgeht.« »Niemand weiß, wie man mit solchen Sachen umgeht! Niemand ist je so etwas begegnet. Halten Sie es für gefährlich, wenn aus einem B-Waffenlabor ein paar Keime entweichen? Dann versuchen Sie mal, sich vorzustellen, was passieren würde, wenn nur einer von diesen Schmarotzern in einer großen Stadt entkäme, mit ihren Tausenden von Kilometern von Kanälen und Rohren, in denen er sich verstecken kann.« »Sie werden aber nicht entkommen. Ein Stasisfeld ist nicht zu durchbrechen.« »Nichts zu machen, Burke! Es gibt noch zuviel, was wir über diese Monster nicht wissen. Es ist zu riskant.« »Kommen Sie, ich weiß doch, daß Sie nicht dumm sind.« Er versuchte, sie gleichzeitig zu beschwichtigen und zu überreden. »Wenn wir es richtig anfangen, können wir beide als Helden aus der Sache hervorgehen. Auf Lebenszeit finanziell gesichert.« »Sehen Sie das wirklich so?« Sie schaute ihn von der Seite an. »Carter Burke, der Alien-Töter? Hat denn das was auf der C-Etage der Aufbereitungsstation passiert ist, überhaupt keinen Eindruck auf Sie gemacht?« »Die Leute sind unvorbereitet und übermäßig selbstsicher da reingegangen.« Burkes Tonfall war flach, ohne Gefühle. »Sie gerieten in einem engen Raum in die Klemme, wo sie ihre Taktik und ihre Waffen nicht optimal einsetzen konnten. Wenn
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sie alle mit ihren Impulsgewehren gearbeitet, einen klaren Kopf behalten und es geschafft hätten, rauszukommen, ohne die Wärmeaustauscher anzuschießen, dann wären sie jetzt alle noch hier, und wir wären unterwegs zur Sulaco, anstatt uns wie ein Haufen verängstigter Kaninchen hier in der Zentrale zu verschanzen. Aber daß sie so reingeschickt wurden, war Gormans Entscheidung, nicht die meine. Und außerdem kämpften sie da gegen erwachsene Aliens, nicht gegen Parasiten.« »Ich habe keinen lauten Protest von Ihnen gehört, als über die Strategie diskutiert wurde.« »Wer hätte mich schon ernst genommen? Wissen Sie nicht mehr, was Hicks sagte? Was Sie sagten? Gorman wäre nicht anders gewesen.« Sein Tonfall wurde sarkastisch. »Das ist eine militärische Expedition.« »Vergessen Sie das Ganze, Burke. Sie könnten es nicht durchkriegen, selbst wenn ich es zuließe. Versuchen Sie doch mal, einen gefährlichen Organismus an der Quarantäne der IHK vorbeizukriegen. Abschnitt 22350 des Handelskodex.« »Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht. Genauso steht es im Kodex, richtig. Aber Sie vergessen eines. Der Kodex ist nicht mehr als Worte auf Papier. Papier hat einen entschlossenen Mann noch nie aufhalten können. Ich brauche nur die Gelege nheit, fünf Minuten unter vier Augen mit dem diensthabenden Zollbeamten zu sprechen, wenn wir durch Gateway Station gehen, dann kriegen wir sie durch. Das können Sie mir überlassen. Die IHK kann nichts beschlagnahmen, wovon sie gar nichts weiß.« »Aber sie wird davon erfahren, Burke.« »Wie denn? Zuerst werden sie mit uns reden wollen, dann lassen sie uns durch einen Detektortunnel gehen. Großer Bahnhof. Bis die Rettungsmannschaft soweit ist, daß sie unser Gepäck untersucht, habe ich mit dem Schiffspersonal schon
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vereinbart, daß die Stasisröhren irgendwo unten, nahe am Motor oder an der Recyclinganlage für Abfallprodukte abgestellt werden. Dort holen wir sie ab und schmuggeln sie auf die gleiche Weise vom Rettungsschiff runter. Alle werden so damit beschäftigt sein, uns mit Fragen zu bombardieren, daß sie gar keine Zeit haben, die Ladung nachzuprüfen. Außerdem wird jeder wissen, daß wir eine verwüstete Kolonie vorgefunden und uns so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht haben. Niemand wird damit rechnen, daß wir etwas mit zurückgeschmuggelt haben. Die Gesellschaft wird mir den Rücken decken, Ripley, besonders, wenn man sieht, was ich mitgebracht habe. Sie werden sich auch Ihrer annehmen, falls Sie sich deshalb Sorgen machen.« »Ich bin sicher, daß man Sie unterstützen wird«, antwortete sie. »Daran zweifle ich keinen Augenblick. Ein Unternehmen, das weniger als ein Dutzend Soldaten mit einem unerfahrenen Schwachkopf wie Gorman als Einsatzleiter hier rausschickt, nachdem es meine Geschichte gehört hat, ist zu allem fähig.« »Sie machen sich zu viel Gedanken.« »Tut mir leid. Ich lebe gerne. Mir gefällt der Gedanke nicht, eines Morgens davon aufzuwachen, daß ein Alien-Scheusal aus meinem Brustkorb herausplatzt.« »Das wird nicht geschehen.« »Darauf können Sie wetten. Denn wenn Sie versuchen, diese häßlichen kleinen Monstrositäten von hier mitzunehmen, werde ich jedem auf dem Rettungsschiff erzählen, was Sie vorhaben. Ich glaube, diesmal werden die Leute auf mich hören. Nicht, daß es überhaupt je soweit kommen würde. Ich brauche nur Hicks, Vasquez oder Hudson zu erzählen, was Sie im Sinn haben. Die werden nicht warten, bis Sie eine Anweisung bekommen, und sie werden mehr einsetzen als zornige Worte. Sie können also genausogut aufgeben, Burke.« Sie nickte zu den Zylindern hin. »Sie werden sie nicht aus diesem
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Labor rauskriegen, und noch viel weniger kriegen Sie sie von der Oberfläche dieses Planeten weg.« »Angenommen, ich kann die anderen überzeuge n?« »Das können Sie nicht, aber nehmen wir mal eine Minute lang an, Sie könnten es, wie würden Sie es anstellen, sie davon zu überzeugen, daß Sie nicht für den Tod der einhundertsiebenundfünfzig Kolonisten hier verantwortlich sind?« Burkes Aggressivität verschwand, und er erbleichte. »Jetzt warten Sie mal eine Sekunde! Wovon, zum Teufel, reden Sie denn?« »Sie haben schon richtig gehört. Die Kolonisten. All diese armen, arglosen, umgänglichen Leute. Wie Newts Familie. Wissen Sie noch, Sie sagten, ich hätte meine Hausaufgaben gemacht? Sie haben sie zu diesem fremden Schiff geschickt, damit sie das Wrack untersuchten. Ich habe es eben im Lo gbuch der Kolonie nachgelesen. Es ist genauso vollständig wie die Pläne, die Hudson abgerufen hat. Wäre interessant, es vor Gericht zu verlesen. »Gesellschaftsanweisung Sechs Zwölf Neun, datiert Fünf Dreizehn Neunundsiehzig. Untersuchen Sie mögliche elektromagnetische Emission bei Koordinaten ... und so weiter - aber ich erzähle Ihnen nichts, was Sie nicht schon wissen, oder? Unterzeichnet: Burke, Carter J.« Sie bebte vor Zorn. Jetzt sprudelte alles auf einmal aus ihr heraus, die Enttäuschung und die Wut über die Unfähigkeit und die Habgier, die sie in diese Welt des Entsetzens zurückgeführt hatten. »Sie haben sie da rausgeschickt und sie nicht einmal gewarnt, Burke. Sie haben während der ganzen Untersuchung dabeigesessen. Sie haben meine Geschichte gehört. Selbst wenn Sie nicht alles geglaubt haben, so doch soviel, daß Sie die Koordinaten geprüft haben wollten. Sie müssen sich gedacht haben, daß etwas dran war, sonst hätten Sie sich nicht die Mühe gemacht, jemanden rauszuschicken, damit er sich mal umsah.
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Hinaus zum Schiff der Aliens. Vielleicht haben Sie es nicht geglaubt, aber vermutet haben Sie etwas. Sie haben sich gefragt. Schön. Gegen eine Nachprüfung ist nichts einzuwenden. Aber dann sorgfältig, mit einer voll ausgerüsteten Mannschaft, nicht mit einem unabhängigen Prospektor. Und mit einer Warnung vor dem, was Sie vermuteten. Warum haben Sie diese armen Schweine nicht gewarnt, Burke?« »Wovor hätte ich sie denn warnen sollen?« protestierte er. Er hatte nur ihre Worte gehört, hatte die moralische Entrüstung in ihrer Stimme nicht gespürt. Das allein erklärte schon eine Menge. Allmählich durchschaute sie Carter J. Burke schon recht gut. »Sehen Sie, vielleicht existierte das Ding ja gar nicht einmal oder? Vielleicht war nicht viel dahinter. Wir konnten uns doch nur nach Ihrer Geschichte richten, und das war ein bißchen zu dick, um sie für bare Münze zu nehmen.« »Wirklich? Jemand hat sich am Recorder der Narcissus zu schaffen gemacht, Burke. Wissen Sie noch, daß ich dem Untersuchungsausschuß davon erzählt habe? Sie wissen nicht zufällig, was mit dem Recorder passiert ist oder doch?« Er beachtete die Frage nicht. »Was glauben Sie, wäre geschehen, wenn ich den Kopf rausgestreckt und aus der Sache eine Gefahrensituation ersten Ranges gemacht hätte?« »Ich weiß es nicht«, sagte sie gepreßt. »Klären Sie mich auf.« »Die Kolonialbehörde hätte sich eingeschaltet. Das bedeutet, daß einem auf Schritt und Tritt Regierungsbeamte über die Schulter schauen, daß einem der Papierkram zu den Ohren rauskommt und daß man überhaupt keine Bewegungsfreiheit mehr hat. Daß überall Inspektoren rumkriechen und nach einer Ausrede suchen, um alles zu schließen und im Namen des allmächtigen öffentlichen Interesses zu übernehmen. Keine Exklusivrechte zur Entwicklung, nichts. Die Tatsache, daß Ihre Geschichte sich als wahr herausgestellt hat, überrascht mich
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kein bißchen weniger als alle anderen.« Er zuckte die Achseln, genauso unbelehrbar und blasiert wie eh und je. »Es war eine schlechte Karte, sonst nichts.« In Ripley rastete endlich etwas aus. Sie waren beide überrascht, als sie ihn am Kragen packte und gegen die Wand schleuderte. »Schlechte Karten? Diese Leute sind tot, verdammt noch mal, Burke! Hundertsiebenundfünfzig Menschen minus ein Kind, alle tot, wegen Ihrer schlechten Forderung. Dabei sind Apone und die anderen, die in dieser Hölle da drüben zerrissen oder paralysiert wurden, noch gar nicht mitgerechnet.« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung der Aufbereitungsstation. »Man wird Ihre Haut an den Schuppen nageln, und ich werde dabeistehen und mithelfen, die Nägel zuzureichen, wenn es soweit ist. Das setzt aber voraus, daß trotz Ihrer >schlechten Karte< irgend jemand von uns noch lebendig von diesem Kiesbrocken runterkommt. Denken Sie mal eine Weile darüber nach!« Sie ließ ihn, vor Wut zitternd, stehen und wandte sich ab. Die Winkelzüge dieses habgierigen, karrieregeilen Kerls ekelten sie an. Die Motivationen der Aliens waren wenigstens verständlich. Burke richtete sich auf und zog sein Hemd zurecht, in seiner Stimme klang Mitleid. »Sie sehen einfach die großen Zusammenhänge nicht, wie? Ihre Weltsicht ist ausschließlich auf das Hier und Jetzt begrenzt. Es interessiert Sie nicht wie das Leben morgen aussehen könnte.« »Wenn Sie dazugehören, dann nicht.« »Ich hätte mehr von Ihnen erwartet, Ripley. Ich dachte, Sie seien klüger. Ich dachte, ich könnte auf Sie zählen, wenn es an der Zeit ist, die kritischen Entscheidungen zu treffen.« »Noch eine schlechte Karte für Sie, Burke. Tut mir leid, wenn ich Sie enttäuschen muß.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Beobachtungsraum, die Tür schloß sich hinter
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ihr. Burke verfolgte sie mit den Augen, in seinem Kopf wirbelten die verschiedenartigsten Möglichkeiten herum. Schwer atmend ging sie auf die Zentrale zu, als der Alarm ertönte. Das half ihr, ihre Gedanken von der Konfrontation mit Burke loszureißen. Sie fing an zu laufen.
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Hudson ließ die tragbare Taktikkonsole direkt neben dem Hauptcomputerterminal der Kolonie aufstellen. Von der Konsole zum Computer führten Drähte, ein Rattennest von Verbindungen, die jedem, der hinter der Taktiktastatur saß, die Möglichkeit gaben, sich an die noch verbliebenen funktionierenden Teile der Kolonie anzukoppeln. Hicks schaute auf, als Ripley die Zentrale betrat und auf einen Schalter drückte, um den Alarm abzustellen. Vasquez und Hudson drängten sich mit ihr um die Konsole. »Sie kommen«, teilte er ihnen ruhig mit. »Dachte nur, ihr würdet' s gern wissen. Sie sind schon im Tunnel.« Ripley fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, während sie auf die Anzeigen der Konsole starrte. »Sind wir bereit für sie?« Der Corporal zuckte die Achseln und drehte an einem Lautstärkeregler. »So bereit, wie wir eben sein können. Vorausgesetzt, alles, was wir aufgestellt haben, funktioniert auch. Herstellergarantien werden uns verdammt wenig nützen, wenn etwas durchbrennt, sobald es schießen sollte, wie zum Beispiel die Wachkanonen. Die sind so ungefähr alles, was wir haben.« »Keine Sorge, Mann, die werden funktionieren.« Hudson sah besser aus als irgendwann seit dem ersten Ansturm auf die unteren Etagen der Aufbereitungsstation. »Ich habe Hunderte
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von den Dingern aufgestellt. Sobald die Bereitschaftslichter mal angehen, kann man sie stehenlassen und vergessen. Ich weiß nur nicht, ob es genug sind.« »Hat keinen Zweck, sich deshalb Gedanken zu machen. Wir schmeißen ihnen alles entgegen, was wir haben. Entweder halten die RSS-Kanonen sie auf, oder sie tun's nicht. Kommt drauf an, wieviele es sind.« Hicks legte ein paar Kontaktschalter um. Alle Anzeigen lauteten >In Betrieb< und >Einsatzbereit<. Er blickte auf die Lampen für die auf den Kanonen A und B montierten Bewegungssensoren. Sie blinkten schnell, und die Freque nz steigerte sich, bis beide Lichter gleichmäßig leuchteten. Im selben Augenblick ließ schweres Artilleriefeuer den Boden leicht erzittern. »Kanone A und B. Orten und beschießen mehrere Ziele.« Er schaute zu Hudson auf. »Du bringst 'ne ganz schöne Feuerkraft rein.« Der Nachrichtentechniker nahm keine Notiz von Hicks, sondern beobachtete die zahlreichen Anzeigen. »Noch ein Dutzend Kanonen, murmelte er vor sich hin. »Mehr brauchten wir nicht. Wenn wir nur noch ein Dutzend Kanonen hätten ...« Ein gleichmäßiges Poltern hallte durch den Komplex, als die automatischen Waffen unterhalb von ihnen losratterten. Zwei Munitionszähler auf der Konsole rasten unerbittlich auf einstellige Ziffern zu. »Fünfzig Schuß pro Kanone. Wie, zum Teufel, sollen wir sie mit nicht mehr als fünfzig Schuß pro Kanone aufhalten?« murmelte Hicks. »Die müssen sich da unten von einer Wand bis zur anderen drängen.« Hudson deutete auf die Anzeigen. »Seht nur, wie die Munitionszähler laufen. Das ist'n Schießstand da unten!« »Was ist mit der Säure?« überlegte Ripley. »Ich weiß, daß die Kanonen gepanzert sind, aber Sie haben gesehen, wie das Zeug
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wirkt. Es frißt sich überall durch.« »Solange die Kanonen schießen, dürfte eigentlich nichts fehlen«, meinte Hicks. »Diese RSS-Granaten haben 'ne große Wucht. Wenn die Aliens ständig zurückgeworfen werden, hält das auch die Säure fern. Sie wird über die Wände und den Fußboden spritzen, aber die Kanonen müßten sauber bleiben.« So schien es sich offenbar im Wartungstunnel auch abzuspielen, denn die Wachkanonen hielten ihr ständiges Sperrfeuer aufrecht. Zwei Minuten vergingen; drei. Der Zähler an der BKanone ging auf Null, und der Donner unter ihnen verringerte sich um die Hälfte. Der Bewegungssensor auf der Taktikanzeige flackerte weiter, die leere Waffe ortete Ziele, auf die sie nicht mehr feuern konnte. »Kanone B ist trocken. A hat noch zwanzig.« Hicks beobachtete mit rauher Kehle den Zähler. »Zehn. Fünf. Das war's.« Ein grimmiges Schweigen senkte sich über die Zentrale. Es wurde von einem hallenden >Bumm!< von unten unterbrochen. Der Laut wiederholte sich in regelmäßigen Abständen, wie das Dröhnen eines massiven Gongs. Alle wußten, was er zu bedeuten hatte. »Sie sind an der Feuertür«, murmelte Ripley. Das Dröhnen wurde lauter und heftiger. Neben dem tiefe ren Poltern war noch ein anderes, neues Geräusch zu hören: das nervenzerfetzende Kratzen von Klauen auf Stahl. »Glauben Sie, die können da durchbrechen?« Ripley fand Hicks bemerkenswert ruhig. Sicherheit oder Resignation? »Eines von denen hat eine Klappe vom Schützenpanzer abgerissen, als es versuchte, Gorman rauszuziehen, wissen Sie noch?« erinnerte sie ihn. Vasquez nickte zum Fußboden hin. »Das da unten ist keine Klappe. Es ist eine Doppelfeuertür A, drei Schichten Stahlle-
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gierung mit Kohlenfaserkunststoff dazwischen. Die Tür wird halten. Sorge mache ich mir wegen der verdammten Schweißnähte. Wir hatten nicht viel Zeit. Ich würde mich sicherer fühlen, wenn ich mit ein paar Stangen Löt-Chromit und einem Laser statt einer Gasflamme hätte arbeiten können.« »Und eine Stunde länger Zeit gehabt hätte«, fügte Hudson hinzu. »Warum wünschst du dir nicht noch ein paar Katjuscha Sechs Schützenraketen, wenn du schon dabei bist? Mit einem von den Babys könnte man den ganzen Tunnel ausräumen.« Das Interkom summte, und sie schraken zusammen. Hicks schaltete es ein. »Hier Bishop. Ich habe die Kanonen gehört. Wie halten wir uns?« »So gut, wie man erwarten kann. Die A- und B-Posten sind leer, müßten aber einigen Schaden angerichtet haben.« »Das ist gut, denn ich habe leider schlechte Nachrichten.« Hudson verzog das Gesicht und lehnte sich gegen einen Schrank. »Na, das ist aber mal 'ne Abwechslung.« »Was für schlechte Nachrichten?« erkundigte sich Hicks. »Es wird einfacher sein, wenn ich es euch gleichzeitig erkläre und zeige. Ich komme sofort rüber.« »Wir sind hier.« Hicks schaltete das Interkom aus. »Reizend.« »He, nur nicht schwitzen«, sagte der Nachrichtentechniker munter. »Wir sitzen doch schon auf der Toilette, also weshalb sich aufregen?« Gleich darauf kam der Androide herein und trat an das einzige hohe Fenster, das auf einen großen Teil des Kolonialkomplexes hinausging. Es war wieder Wind aufgekommen und hatte den zäh hängenden Nebel weggeblasen. Die Sicht war immer noch bei weitem nicht gut, aber sie reichte aus, um ihnen einen Blick auf die weit entfernte Atmosphärenaufberei-
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tungsstation zu gestatten. Während sie hinstarrten, raste unerwartet vom Fuß der Station eine Flammensäule himmelwärts. Einen Augenblick lang war sie heller als der gleichmäßige Glutschein, der von der Spitze der Kegels selbst ausging. »Was, zum Teufel, war das?« Hudson drückte sein Gesicht dichter an das Glas. »Notausstoß«, teilte Bishop ihm mit. Ripley stand nahe bei dem Nachrichtentechniker. »Kann das Gebäude die Überlastung aushalten?« »Keine Cha nce. Nicht, wenn die Zahlen, die ich abgelesen habe, auch nur annähernd stimmen, und ich habe keinen Grund zu der Annahme, daß sie etwas anderes als völlig zutreffend sind.« »Was ist geschehen?« Hicks ergriff das Wort, während er zur Taktikkonsole zurückging. »Haben das die Aliens gemacht, haben sie da drin rumgespielt?« »Das kann man nicht sagen. Vielleicht. Wahrscheinlicher ist, daß jemand mit einer Automatikgranate oder einem Schuß aus einem Impulsgewehr während des Kampfes auf der C-Etage etwas Wichtiges erwischt hat. Der Schaden könnte auch entstanden sein, als das Landefahrzeug in den unteren Teil des Komplexes gekracht ist. Die Ursache ist nicht von Bedeutung. Er zählt nur das Ergebnis, und das ist nicht gut.« Ripley begann mit den Fingern ans Fenster zu klopfen, überlegte dann und zog ihre Hand zurück. Am Ende war da draußen etwas, das ihr zuhörte. Während sie hinausstarrte, flammte am Fuß der Aufbereitungsstation noch ein Schwall überhitzten Gases auf. »Wie lange noch, ehe sie explodiert?« »Das kann ich nicht genau sagen. Man kann von den verfügbaren Zahlen aus hochrechnen, aber das gibt keine sicheren Werte. Es sind zu viele Variablen im Spiel, die man nur grob kompensieren kann, und die erforderlichen Berechnungen sind
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kompliziert.« »Wie lange?« fragte Hicks geduldig. Der Androide wandte sich ihm zu. »Aus den Informationen, die ich sammeln konnte, schließe ich, daß der totale Zusammenbruch der Systeme in knapp vier Stunden stattfindet. Der Explosionsradius wird etwa dreißig Kilometer betragen. Eine hübsche saubere Sache. Natürlich kein Fallout. Ungefähr zehn Megatonnen.« »Das ist sehr beruhigend«, stellte Hudson trocken fest. Hicks sog Luft ein. »Da haben wir ein Problem.« Der Nachrichtentechniker breitete die Arme aus und wandte sich von seinen Gefährten ab. »Scheiße, ich kann das nicht glauben«, sagte er verzweifelt. »Glaubt ihr es? Die RSSKanonen reißen die ganze Horde von diesen Bastarden in kleine Stücke, die Feuertür hält immer noch, und alles ist für die Katz!« »Ist es zu spät, um die Station abzuschalten? Vorausgesetzt, die dafür notwendigen Geräte funktionieren noch?« Ripley starrte den Androiden an. »Nicht, daß ich voller Begeisterung über das Rollfeld traben würde, aber wenn das die einzige Chance ist, die wir haben, werde ich einen Versuch machen.« Er lächelte bedauernd. »Schonen Sie Ihre Beine. Ich fürchte, dazu ist es zu spät. Der Aufprall der Landefahrzeuge, die Waffen, oder was immer, haben einen zu großen Schaden angerichtet. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Überlastung unvermeidlich.« »Phantastisch! Und welches Verfahren wäre zu empfehlen?« Vasquez grinste sie an. »Vorbeugen, den Kopf zwischen die Beine stecken und seinem Arsch 'nen Abschiedskuß geben.« Hudson ging auf und ab wie eine Katze im Käfig. »Oh, Mann. Und ich hatte es schon fast abgesessen! Noch vier Wochen, und dann raus. Drei davon im Hyperschlaf. Frühpensionierung. Zehn Jahre bei den Marines, dann kommt man raus
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und sitzt im warmen Nest, haben sie gesagt. Scheißwerber. Jetzt krieg ich's auf diesem Scheißfelsen. Das ist nicht fair, Mann!« Vasquez machte ein gelangweiltes Gesicht. »Mach mal Pause, Hudson.« Er wirbelte zu ihr herum. »Das kannst du leicht sagen, Vasquez. Du bist 'ne Lebenslängliche. Dir gefällt es, auf diesen fremden Dreckskugeln rumzumantschen, damit du alles wegpusten kannst, was Insektenaugen rausstreckt. Ich, ich bin wegen der Pension zu dem Verein gegangen. Zehn Jahre und dann raus, den Kredit nehmen und sich irgendwo in 'ne kleine Bar einkaufen, jemanden einstellen, der die Kneipe führt, damit ich rumgammeln und mit den Kunden quasseln kann, während das Geld reinkommt.« Die Automatikkanonierin schaute nach hinten aus dem Fenster, als eine weitere glühende Gasfontäne die dunstverhüllte Landschaft erleuchtete. Ihr Gesicht war hart. »Du brichst mir das Herz. Jetzt geh und häng dich auf oder sonst was!« »Es ist ganz einfach.« Ripley schaute zu Hicks hinüber. »Wir können nicht hierbleiben, also müssen wir weg. Dazu gibt es nur eine Möglichkeit: wir brauchen das zweite Landefahrzeug. Das, welches noch auf der Sulaco ist. Irgendwie müssen wir es per Fernsteuerung runterholen. Es muß doch eine Möglichkeit dazu geben.« »Die gab es auch. Glauben Sie, darüber habe ich nicht nachgedacht, seit Ferro das unsere in die Station gefahren hat?« Hudson hörte auf, hin und her zu gehen. »Man nimmt einen Sender mit einem gebündelten Leitstrahl, der nur auf die Steuerung des Landesfahrzeugs eingestellt ist.« »Ich weiß«, sagte sie ungeduldig. »Daran habe ich auch schon gedacht, aber so können wir's nicht machen.« »Verdammt richtig. Der Sender war auf dem Schützenpanzer. Er ist hinüber.«
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»Es muß noch eine andere Möglichkeit geben, dieses Shuttle runterzukriegen. Wie, ist mir egal. Lassen Sie sich was einfallen! Sie sind der Nachrichtentechniker. Denken Sie sich was aus!« »Was denn? Wir sind am Ende.« »Das ist doch wohl nicht alles, Hudson. Was ist mit dem Sender der Kolonie? Dieser Verbindungsturm unten am anderen Ende des Komplexes? Wir könnten ihn so programmieren, daß er die Steuerfrequenz für das Landefahrzeug sendet. Warum können wir den nicht benützen? Er sah so aus, als sei er unbeschädigt.« »Daran hatte ich schon früher gedacht.« Alle Augen wandten sich Bishop zu. »Ich habe es auch schon überprüft. Die Verbindungsleitungen zwischen hier und dem Turm wurden bei den Kämpfen zwischen den Kolonisten und den Aliens durchtrennt. Noch ein Grund, warum sie mit dem Satellitensender da oben keine Verbindung mehr aufnehmen und nicht einmal den Leuten, die vielleicht kommen würden, um nach ihnen zu sehen, eine Warnung hinterlassen konnten.« Ripleys Gedanken drehten sich wie ein Dynamo, durchforschten Alternativen, zogen mögliche Lösungen in Betracht und verwarfen sie, bis nur noch eine übrig war. »Das heißt also, der Sender selbst funktioniert, kann aber von hier aus nicht benützt werden?« Der Androide machte ein nachdenkliches Gesicht und nickte schließlich. »Wenn er seinen Anteil vom Notstrom bekommt, ja, dann sehe ich keinen Grund, weshalb er nicht in der Lage sein sollte, die erforderlichen Signale zu senden. Man würde gar nicht soviel Energie brauchen, weil alle anderen Kanäle, auf denen er normalerweise senden würde, tot sind.« »Das wäre es dann.« Sie betrachtete prüfend die Gesichter ihrer Gefährten. »Dann muß eben einfach jemand da rausgehen. Ein tragbares Terminal nehmen, rausgehen, den Anschluß
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von Hand machen.« »Ja, schön, schön!« sagte Hudson mit vorgetäuschter Begeisterung. »Und diese Bestien, die da draußen rumlaufen? Unmöglich!« Bishop trat einen Schritt vor. »Ich gehe.« Ruhig. Sachlich. Als gäbe es keine Alternative. Ripley starrte ihn mit offenem Munde an. »Was?« Er lächelte entschuldigend. »Ich bin wirklich der einzige hier Anwesende, der überhaupt fähig ist, ein Landefahrzeug fernzusteuern. Und das Wetter draußen wird mich nicht so stören wie die übrigen hier. Außerdem - ich bin auch nicht im selben Maße ... äh ... geistigen Ablenkungen ausgesetzt. Ich kann mich voll auf die Aufgabe konzentrieren.« »Wenn Sie nicht von Passanten angepöbelt werden«, gab Ripley zu bedenken. »Ja, wenn man mich nicht unterbricht, wird alles gutgehen.« Sein Lächeln wurde breiter. »Glauben Sie mir, es wäre mir lieber, wenn ich es nicht versuchen müßte. Ich bin vielleicht ein Synthet, aber ich bin kein Dummkopf. Da aber atomare Verbrennung die einzige Alternative ist, bin ich bereit, einen Versuch zu wage n.« »Na schön. Packen wir's an! Was brauchen Sie?« »Den tragbaren Sender natürlich. Und wir werden uns vergewissern müssen, daß die Antenne noch Strom bezieht. Nachdem wir eine außeratmosphärische Sendung auf einem schmalen Leitstrahl machen, muß der Sender so präzise wie irgend möglich ausgerichtet werden. Ich brauche auch ein paar ...« Vasquez unterbrach schneidend: »Hört mal!« »Was denn?« Hudson drehte sich langsam im Kreis. »Ich höre nichts.« »Genau. Es hat aufgehört.« Die Automatikkanonierin hatte recht. Das Hämmern und
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Kratzen an der Feuertür hatte aufgehört. Während sie lauschten, wurde die Stille durch das hohe Trillern eines Bewegungssensoralarms unterbrochen. Hicks schaute auf die Taktikkonsole. »Sie sind in den Komplex eingedrungen.« Sie brauchten nicht lange, um die Ausrüstung zusammenzustellen, die Bishop benötigte. Eine ganz andere Sache war es, einen sicheren Weg nach draußen für ihn zu finden. Sie debattierten über mögliche Routen, mischten Informationen aus dem Computer der Kolonie mit Vorschlägen von der Taktikkonsole und würzten die Ergebnisse mit ihren eigenen, hitzigen, persönlichen Ansichten. Schließlich einigte man sich auf einen Weg, der aus einem nicht sehr vielversprechenden Haufen der beste war. Man legte ihn Bishop vor. Androide hin oder her, er hatte das letzte Wort. Neben einer Vielzahl anderer menschlicher Emotionen waren die neuen Syntheten auch voll auf Selbsterhaltung programmiert. Oder, wie Bishop bemerkte, als die Diskussion über mögliche Fluchtwege zu hitzig wurde, im ganzen gesehen wäre er lieber in Philadelphia gewesen. Es gab nicht viel zu streiten. Alle waren sich einig, daß die gewählte Route die einzige war, die ihm auch nur eine schwache Chance gab, sich aus der Zentrale zu schleichen, ohne unwillkommene Aufmerksamkeit zu erregen. Ein unbehagliches Schweigen folgte, sobald man sich auf diesen Kurs verständigt hatte, und es hielt an, bis Bishop aufbruchbereit war. Durch eines der Säurelöcher, das noch von der verlorenen Schlacht der Kolonisten mit den Aliens herrührte, war eine ziemlich große Öffnung im Boden des medizinischen Labors entstanden. Das Loch bot Zugang zu dem Labyrinth unter dem Boden gelegener Leitungen und Wartungsgänge. Einige davon waren nach der ursprünglichen Errichtung der Kolonie hinzu-
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gefügt worden, man hatte sie so angebaut, wie es die fleißigen Bewohner von Hadley verlangten. Einen dieser neuen Gänge wollte Bishop nun betreten. Der Androide ließ sich durch die Öffnung hinab und rutschte und drehte sich so lange, bis er auf dem Rücken lag und zu den anderen hinaufschaute. »Wie ist es?« fragte Hicks. Bishop blickte zwischen seinen Füßen nach hinten, dann bog er den, Hals durch, um gerade nach vorne zu sehen. Der gewählte Weg. »Dunkel. Leer. Eng, aber ich glaube, ich kann es schaffen.« Es wird dir wohl nichts anderes übrigbleiben, überlegte Ripley lautlos. »Bereit fürs Terminal?« Zwei Hände hoben sich wie flehentlich. »Geben Sie's runter.« Sie reichte ihm das schwere, kompakte Gerät. Er drehte sich mühsam um und schob es vor sich in den schmalen Schacht. Glücklicherweise war das Instrument in eine Plastikschutzhülle eingeschweißt. Es würde zwar Lärm machen, wenn es durch die Leitung geschoben wurde, aber nicht so viel, als wenn Metall auf Metall kratzte. Er drehte sich auf den Rücken und hob zum zweitenmal die Hände. »Und jetzt den Rest.« Ripley reichte ihm die kleine Tasche. Sie enthielt Werkzeug, Kabel zum Flicken und Ersatzschaltkreise, Energieumleitungen, eine Dienstpistole und einen kleinen Schweißbrenner mit dazugehörigem Treibstoff. Noch mehr Gewicht und Masse, aber das war nicht zu ändern. Es war immer noch besser, wenn er etwas länger brauchte, um den Verbindungsturm zu erreichen, als wenn er dort ankam, und ein wesentliches Teil fehlte ihm. »Wissen Sie genau, wo Sie hinmüssen?« fragte ihn Ripley. »Wenn die korrigierte Schemazeichnung der Kolonie richtig ist, ja. Dieser Schacht führt fast bis zur Verbindungsanlage
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hinauf. Einhundertachtzig Meter. Sagen wir, vierzig Minuten, um da entlangzukriechen. Auf Laufflächen oder Rädern wäre es einfacher, aber meine Konstrukteure mußtes es ja auf die sentimentale Tour machen. Sie haben mir Beine gegeben.« Niemand lachte. »Wenn ich dort angekommen bin, eine Stunde, um die Antenne zu reparieren und auszurichten. Sollte ich sofort Antwort bekommen, dreißig Minuten, um das Schiff fertigzumachen, dann etwa fünfzig Minuten Flugzeit.« »Warum so lange?« fragte Hicks. »Mit einem Piloten an Bord des Landeflugzeugs würde es nur halb so lange dauern, aber eine Fernsteuerung von einem tragbaren Terminal aus wird verdammt heikel werden. Und ich will auf keinen Fall den Sinkflug überstürzen und dann vielleicht den Kontakt oder die Kontrolle verlieren. Ich brauche die zusätzliche Zeit, um es langsam runterzuholen. Sonst geht es ihm am Ende noch wie seinem Schwesternschiff.« Ripley sah auf ihren Chronometer. »Es wird knapp werden. Machen Sie sich lieber auf den Weg!« »Richtig. Bis bald.« Sein Abschied war gezwungen fröhlich. Nur ihnen zuliebe, das wußte Ripley. Kein Grund, es sich nahegehen zu lassen. Er war doch nur ein Synthet, eine verdammte Beinahe-Maschine. Sie trat von dem Loch weg, Vasquez schob eine Metallplatte über die Öffnung und begann sie festzuschweißen. Es gab kein Vielleicht bei dem, was Bishop zu tun hatte. Wenn er scheiterte, brauchten sie sich keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie sie die Aliens fernhalten wollten: Das Freudenfeuer, das sich allmählich in der Aufbereitungsstation entzündete, würde sie alle erledigen. Bishop lag auf dem Rücken und sah zu, wie die Flamme von Vasquez' Schweißbrenner über seinem Kopf einen Kreis beschrieb. Es sah hübsch aus, und er war soweit verfeinert, daß
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er Schönheit zu würdigen wußte, aber wenn er sie jetzt genoß, war das Zeitverschwendung. Er rollte sich auf den Bauch und begann, sich vorwärtszuschieben und das Terminal und den Sack mit den Geräten vor sich herzustoßen. Stoßen, schieben, stoßen, schieben: es ging langsam. Der Schacht war kaum breit genug für seine Schultern. Glücklicherweise litt er nicht unter Platzangst, genausowenig, wie er unter Schwindel oder einer der anderen geistigen Beschwerden zu leiden hatte, die ein Erbe der Menschheit waren. Es sprach so vieles für künstliche Intelligenz. Vor ihm zog sich die Leitung unendlich weit hin. So muß sich eine Kugel vorkommen, überlegte er, die im Lauf eines Gewehres steckt. Nur war eine Kugel im Gegensatz zu ihm nicht mit Gefühlen belastet. Aber auch das nur, weil man sie ihm einprogrammiert hatte. Die Dunkelheit und Einsamkeit ließen ihm viel Zeit zum Nachdenken. Sich vorwärts zu bewegen verlangte nicht viel geistige Anstrengung, so konnte er den Rest darauf verwenden, sich Gedanken über seine Lage zu machen. Gefühle und Programmierung. Organische Wutanfälle oder Byte-Zittern? War letzten Endes der Unterschied zwischen ihm und Ripley oder auch einem anderen Menschen wirklich so groß? Abgesehen von der Tatsache natürlich, daß er Pazifist war und die meisten von ihnen kriegerisch gesinnt waren. Wie erwarb sich ein Mensch seine Gefühle? Durch langsame Programmierung. Ein menschliches Kleinkind kam schon mit vorprogrammierten Instinkten zur Welt, konnte aber durch Milieu, Kameraden, Erziehung und eine Masse anderer Faktoren radikal umprogrammiert werden. Bishop wußte, daß seine eigene Porgrammierung durch die Umwelt nicht beeinflußbar war. Was war dann mit seinen früheren Verwandten passiert, mit dem, der übergeschnappt war und die Schuld daran trug, daß Ripley ihn so haßte? Eine
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Panne in der Programmierung oder eine absichtliche, böswillige Umprogrammierung durch einen immer noch nicht identifizierten Menschen? Warum sollte ein Mensch so etwas tun? Ganz gleich, wie raffiniert seine eigene Programmierung war, oder wieviel er in der ihm zugewiesenen Existenzspanne dazulernte, Bishop wußte, daß die Gattung, die ihn erschaffen hatte, für ihn immer geheimnisumwittert bleiben würde. Für einen Syntheten würden die Menschen immer ein Rätsel sein, wenn auch ein unterhaltsames und geniales. Im Gegensatz zu seinen Gefährten war an den Aliens nichts Mysteriöses. Keine unverständlichen Geheimnisse, über die man nachgrübeln, keine Doppeldeutigkeiten, die man entwirren mußte. Man konnte voraussagen, wie sie sich in einer bestimmten Situation verhalten würden. Mehr noch, ein Dutzend Aliens würde wahrscheinlich genau gleich reagieren, wohingegen ein Dutzend Menschen ein Dutzend völlig verschiedender, nicht miteinander verbundener Dinge tun konnten, von denen mindestens die Hälfte unlogisch war. Aber schließlich waren Menschen auch keine Angehörigen einer Bienenstockgesellschaft. Wenigstens wollten sie sich nicht als solche sehen. Bishop war immer noch nicht sicher, ob er darin mit ihnen übereinstimmte. So groß waren die Unterschiede zwischen Menschen, Aliens und Androiden gar nicht. Alles Bienenstockkulturen. Der Unterschied war, daß im menschlichen Stock das Chaos regierte, welches durch jene sonderbare Erscheinung hervorgerufen wurde, die man Individualität nannte. Man hatte ihn damit programmiert. Infolgedessen war er zum Teil Mensch. Ehrenhalber organisch. In mancher Hinsicht war er einem menschlichen Wesen überlegen, in anderer weniger gut. Am allerbesten fühlte er sich, wenn sie so taten, als sei er einer von
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ihnen. Er sah auf seinen Chronometer. Er mußte schneller kriechen, sonst würde er es nicht mehr rechtzeitig schaffen. * Die Robotkanonen, die den Eingang zur Zentrale bewachten, eröffneten das Feuer, ihr metallisches Rattern dröhnte durch die Korridore. Ripley hob ihren Flammenwerfer auf und machte sich auf den Weg zur Computerzentrale. Vasquez beendete das Festschweißen der Fußbodenplatte, die Bishops Kaninchenloch versperrte, mit einem eleganten Schwung, legte den Brenner beiseite und folgte ihr. Hicks starrte auf die Taktikkonsole, hypnotisiert von den Bildern, die die Videokameras oben auf den Kanonen aufna hmen. Er blickte kaum lange genug auf, um die beiden neu Hinzugekommenen heranzuwinken. »Seht euch das an!» sagte er ruhig. Ripley zwang sich, hinzusehen. Irgendwie machte es ihr die Tatsache, daß es ferne, zweidimensionale Bilder waren und keine unmittelbare Realität, leichter. Jedesmal, wenn eine Kanone feuerte, löschte der kurze Feuerstrahl aus dem Lauf der Waffe das Videobild aus, aber sie sahen die Alien-Horde immer noch deutlich und oft genug, um mitzubekommen, wie sie sich stolpernd durch den Korridor herandrängte. Jedesmal, wenn ein Alien von einer RSS-Granate getroffen wurde, explodierte der Chitinkörper und verspritzte Säureblut in alle Richtungen. Die klaffenden Löcher und Furchen in den Wänden hoben sich scharf ab. Das einzige, was die Säure nicht zerfraß, waren andere Aliens. Leuchtspurfeuer erhellte den wirbelnden Dunst, der sich aus gezackten Rissen in den Wänden in den Korridor ergoß, während die Automatikwaffen weiterhin auf die Eindringlinge
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einhämmerten. »Zwanzig Meter, kommen näher.« Hicks' Aufmerksamkeit wurde von den numerischen Anzeigen angezogen. »Fünfzehn. Kanone C und D auf etwa fünfzig Prozent runter.« Ripley sah nach ihrem Flammenwerfer, um sich zu vergewissern, daß er entsichert war. Vasquez brauchte ihr Impulsgewehr nicht nachzuprüfen. Es war ein Teil von ihr. Die Kontrollampen flackerten gleichmäßig. Zwischen den Feuerstößen war deutlich ein durchdringendes, unmenschliches Schrillen zu hören. »Wie viele?« fragte Ripley. »Kann ich nicht sagen. Viele. Schwer festzustellen, wie viele davon noch leben und wie viele es erwischt hat. Sie verlieren Arme und Beine und dringen doch weiter vor, bis die Kanonen sie voll erwischen.« Hudsons Blick schnellte zu einer anderen Anzeige. »Kanone D ist runter auf zwanzig Schuß. Zehn.« Er schluckte. »Sie ist leer.« Das Schießen hörte unvermittelt auf, als auch der letzten Kanone die Geschosse ausgingen. Rauch und Nebel verdunkelten das zweifache Kamerabild von unten her. Kleine Feuer brannten, wo Leuchtspurmunition im Korridor brennbares Material entzündet hatte. Der Boden war mit verrenkten, geschwärzten Leichen übersät, ein biochemischer Schrottplatz. Während sie noch auf die Monitore starrten, brachen mehrere Körper zusammen und verschwanden, als die aus ihren Gliedern sickernde Säure ein gewaltiges Loch in den Fußboden fraß. Aus der zähen Dunstglocke sprang nichts heraus, um die verstummten Waffen aus ihren Befestigungen zu reißen. Der Bewegungssensoralarm schwieg. »Was, zum Teufel, ist jetzt los?« Hudson fummelte unsicher an seinen Instrumenten herum. »Was geht vor, wo sind sie?« »Ich will verdammt sein.« Ripley atmete scharf. »Sie haben
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aufgegeben, haben sich zurückgezogen. Die Kanonen haben sie aufgehalten. Das heißt, sie können soweit denken, daß sie Ursache und Wirkung miteinander in Verbindung bringen. Sie sind nicht einfach sinnlos weitergelaufen.« »Ja, aber sehen Sie sich das an! Hicks klopfte auf das Plastikgehäuse zwischen zwei Anzeigen. Der Zähler, der die Kanone D überwachte, blieb auf Null stehen. Kanone C war auf zehn herunter - bei der Geschwindigkeit von vorher eine Feuerkapazität von ein paar Sekunden. »Nächstesmal können sie gleich an die Tür kommen und anklopfen. Wenn nur der verdammte Schützenpanzer nicht hochgegangen wäre.« »Wenn der Schützenpanzer nicht hochgegangen wäre, dann stünden wir nicht hier, um uns darüber zu unterhalten. Wir würden irgendwo herumfahren und mit der Turmkanone reden«, erklärte Vasquez scharf. Nur Ripley ließ sich nicht entmutigen. »Aber sie wissen nicht, wie weit die Kanonen runter sind. Sie haben etwas abbekommen. Sie haben wirklich etwas abbekommen. Im Augenblick beraten sie sich wahrscheinlich irgendwo, oder was immer sie tun, um Gruppenentscheidungen zu treffen. Sie werden anfangen, nach einem anderen Zugang zu suchen: Das wird eine Weile dauern, und wenn sie sich für ein anderes Vorgehen entscheiden, werden sie vorsichtiger sein. Sie werden sich einbilden, diese Wachkanonen überall zu sehen.« »Vielleicht haben wir ihnen den Schneid abgekauft.« Hudson ließ sich von ihrer Zuversicht anstecken. Er hatte wieder etwas Farbe im Gesicht. »Sie hatten recht, Ripley. Diese häßlichen Bestien sind nicht unverwundbar.« Hicks blickte von der Konsole auf und sagte zu Vasquez und dem Nachrichtentechniker: »Ich möchte, daß ihr beiden den Perimeter abgeht. Von der Zentrale bis zur Medizinischen. Das ist so ungefähr alles, was wir abdecken können. Ich weiß, wir sind alle erschöpft, aber versucht, kühl und wachsam zu
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bleiben. Wenn Ripley recht hat, werden sie anfangen, die Wände und Leitungsschächte zu untersuchen. Wir müssen jedes Eindringen verhindern, ehe uns die Sache über den Kopf wächst. Schießt einen nach dem anderen ab, wenn sie versuchen, hier durchzukommen!« Die beiden Soldaten nickten. Hudson verließ die Konsole, nahm sein Gewehr und ging mit Vasquez auf den Hauptkorridor zu. Ripley entdeckte eine halbe Tasse Kaffee, nahm sie und stürzte den lauwarmen Inhalt auf einmal hinunter. Das Zeug schmeckte abscheulich, beruhigte aber ihre Kehle. Der Corporal beobachtete sie und wartete, bis sie fertig war. »Wie lange haben Sie nicht mehr geschlafen? Vierundzwanzig Stunden?« Ripley zuckte gleichgültig die Achseln. Die Frage überraschte sie nicht. Die ständige Anspannung hatte sie erschöpft. Wenn sie nur halb so müde aussah, wie sie sich fühlte, war es kein Wunder, daß Hicks Besorgnis geäußert hatte. Die Erschöpfung drohte sie noch vor den Aliens zu überwältigen. Als sie antwortete, klang ihre Stimme distanziert und emotionslos. »Was macht es schon aus? Wir treten doch nur auf der Stelle.« »Bisher haben Sie aber anders geredet.« Sie nickte zu dem Korridor hin, in dem Hudson und Vasquez verschwunden waren. »Das war nur ihretwegen. Vielleicht auch ein bißchen meinetwegen. Wir können schlafen, aber sie werden es nicht tun. Sie werden nicht nachlassen, und sie werden nicht zurückweichen, bis sie haben, was sie wollen, und sie wollen uns. Und sie werden uns auch bekommen.« »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« Er lächelte ein wenig. Sie versuchte, sein Lächeln zu erwidern, war aber nicht sicher, ob es ihr gelang oder nicht. In diesem Augenblick hätte sie das Fluggehalt eines Jahres für eine frische, heiße Tasse Kaffee gegeben, aber es war niemand da, mit dem sie hätte
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tauschen können. Sie war zu müde, um den Automaten zu bedienen. Sie schlang sich den Flammenwerfer um die Schulter. »Hicks, ich will nicht enden wie die anderen. Wie die Kolonisten und Dietrich und Crowe. Sie werden dafür sorgen, nicht wahr, wenn es soweit kommt.« »Falls es soweit kommt«, sagte er sanft, »erledige ich uns alle beide. Aber falls wir noch hier sind, wenn diese Aufbereitungsstation hochgeht, ist das nicht mehr nötig. Dann ist für alle gesorgt, für uns beide und für sie. Sehen wir zu, daß es nicht soweit kommt.« Diesmal war sie sicher, daß sie ein Grinsen zustandebrachte. »Ich werde nicht schlau aus Ihnen, Hicks. Soldaten sind doch eigentlich keine Optimisten.« »Ja, ich weiß. Sie sind nicht die erste, die mich darauf aufmerksam macht. Ich bin 'ne verrückte Ausnahme.« Er wandte sich um und holte etwas hinter der Taktikkonsole hervor. »Hier, ich möchte Sie mit einem guten Freund von mir bekannt machen.« Mit einer fließenden, mühelosen Be wegung, die lange Übung verriet, löste er das Magazin des Impulsgewehrs und legte es beiseite. Dann reichte er ihr die Waffe. »M41A 10 mm Impulsgewehr, mit einem 30 mm Granatwerfer mit Druckluftmechanismus darüber und darunter. Ein richtiger Wonneproppen. Der beste Freund des Marines die Ehegattinnen ausgenommen. Fast blockiersicher, selbstschmierend, funktioniert auch unter Wasser oder im Vakuum und kann durch eine Stahlplatte ein Loch schießen. Sie verlangt nicht mehr, als daß man sie sauberhält und nicht zu sehr damit rumschlägt, dann hält sie einen am Leben.« Ripley wog die Waffe in der Hand. Sie war schwer und unförmig und hatte ein rückstoßabsorbierendes Faserpolster,
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um den Stoß der schweren Projektile abzufangen, die damit abgeschossen wurden: das Ding war viel eindrucksvoller als ihr Flammenwerfer. Sie hob den Lauf und richtete ihn versuchsweise auf die gegenüberliegende Wand. »Was meinen Sie?« fragte Hicks. »Kommen Sie mit so was zurecht?« Sie erwiderte seinen Blick und sagte gelassen: »Was muß ich tun?« Er nickte anerkennend und reichte ihr das Magazin. * Ganz egal, wie leise Bishop zu sein versuchte, er machte immer noch Lärm, wenn das tragbare Flugterminal und seine Gerätetasche über den Boden des Leitungsschachtes schabten. Kein Mensch hätte das Tempo durchhalten können, das er anschlug, seit er die Zentrale verlassen hatte, aber das bedeutete nicht, daß er unbegrenzt lange so weitermachen konnte. Auch für die Fähigkeiten eines Syntheten gab es Grenzen. Sein verbessertes Sehvermögen gestattete es ihm, die Wände des pechschwarzen Tunnels zu erkennen, der sich vor ihm hinzog. Ein Mensch wäre in dem zylindrischen Schacht völlig blind gewesen. Wenigstens brauchte er nicht zu befürchten, daß er sich verirrte. Die Leitung führte fast direkt zum Sendeturm. Ein unregelmäßiges Loch erschien rechts von ihm in der Wand und ließ einen dünnen Lichtstreifen ein. Zu den Gefü hlen, die man ihm einprogrammiert hatte, gehörte auch Neugier. Er hielt an, um durch den von der Säure ausgeätzten Riß hinauszuspähen. Es wäre ganz nett gewesen, wenn man sich persönlich hätte orientieren können, anstatt sich ausschließlich auf den Computerausdruck der Wartungs schacht pläne verlassen zu müssen.
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Sabbernde Kiefer zuckten auf sein Gesicht zu und krachten mit einem bösartig knirschenden Geräusch gegen die Stahlummantelung. Bishop drückte sich flach gegen die andere Seite des Schachts, während das Echo des Angriffs am Metall entlanglief. Die Wölbung der Wand beulte sich leicht nach innen, wo die Kiefer zugeschlagen hatten. Eilig kroch er weiter. Er war ziemlich überrascht, als der Angriff nicht wiederholt wurde und er auch keine Verfolgung wahrnehmen konnte. Vielleicht hatte das Geschöpf lediglich eine Bewegung gespürt und blind zugestoßen. Als aus dem Inneren des Schachts keine Reaktion gekommen war, hatte es keinen Grund mehr, noch einmal zuzuschlagen. Wie konnte es potentielle Wirte entdecken? Bishop vollführte Atembewegungen, ohne tatsächlich zu atmen. Er roch auch nicht nach Wärme oder Blut. Einem streunenden Alien mochte ein Androide als nichts anderes vorkommen als eine Maschine. Solange man nicht angriff oder Widerstand leistete, konnte man sich möglicherweise frei unter ihnen bewegen. Nicht, daß solch ein Ausflug Bishop gereizt hätte, denn die Reaktionen und Motive der Aliens blieben weiterhin unberechenbar, aber es war eine nützliche Information, an die er da gelangt war. Wenn die Hypothese verifiziert werden konnte, bot sich vielleicht eine Möglichkeit, die Aliens zu studieren. Sollte doch jemand anders diese Monster studieren, dachte er. Sollte sich jemand anders um die Bestätigung bemühen. Dazu war ein kühneres Modell als er erforderlich. Er wollte Acheron genauso dringend um seiner selbst willen verlassen wie um der Menschen willen, mit denen er zusammenarbeitete. Er blickte auf seinen Chronometer, der in der Dunkelheit schwach leuchtete.
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Immer noch verspätet. Blaß und angestrengt versuchte er, sich schneller zu bewegen. * Ripley hielt den Kolben der Waffe gegen ihre Wange gedrückt. Sie tat, was sie konnte, um Hicks' Anweisungen zu folgen, sie wußte ja, daß sie nicht viel Zeit hatten, und sie wußte auch, daß sie kein zweitesmal nachfragen konnte, wie etwas funktionierte, wenn sie die Waffe einsetzen mußte. Hicks war so geduldig mit ihr wie möglich in Anbetracht der Tatsache, daß er versuchte, eine komplette Instruktion im Umgang mit Waffen in ein paar Minuten zu zwängen. Der Corporal stand dicht hinter ihr und führte ihr die Arme, während er ihr den Umgang mit dem eingebauten Visier erklärte. Beide mußten sich bemü hen, die Intimität ihrer Position zu ignorieren. In der verwüsteten Kolonie gab es so wenig Wärme, so wenig Menschlichkeit, an die man sich klammern konnte, und dies war das erste Mal, daß sie körperlichen Kontakt zueinander hatten, nicht nur verbal. Obwohl Hicks ihr die Funktion des Impulsgewehrs in seinem gewohnt ruhigen, phlegmatischen Tonfall erklärte, wäre Ripley überrascht gewesen, wenn sie erfahren hätte, daß ihre Nähe ihm ganz schön zu schaffen machte. »Sie müssen sie ganz dicht ranziehen«, sagte er gerade. »Trotz der eingebauten Stoßdämpfer prellt sie immer noch etwas. Das ist der Preis dafür, daß man Projektile verwendet, die fast alles durchschlagen.« Er deutete auf eine seitlich in den Schaft eingebaute Anzeige. »Wenn dieser Zähler auf Null steht, drücken Sie da drauf!« Er fuhr mit dem Daumen über einen Knopf, und das Magazin löste sich und fiel klappernd zu Boden. »Im allgemeinen müssen wir die verbrauchten Magazine
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einsammeln: sie sind teuer. Aber im Augenblick würde ich mich nicht unbedingt um die Vorschriften kümmern.« »Keine Sorge«, sagte sie. »Lassen Sie's einfach liegen, wo es hinfällt. Legen Sie schnell das andere ein.« Er reichte ihr ein neues Magazin, und sie bemühte sich, die schwere Waffe mit einer Hand im Gleichgewicht zu halten, während sie mit der anderen lud. »Schlagen Sie es nur fest rein, es will schlecht behandelt werden.« Sie tat es und wurde mit einem scharfen Klick belohnt, als das Magazin einrastete. »Jetzt laden Sie es!« Sie drückte auf einen anderen Schalter. Ein rotes Licht flammte seitlich am Entsicherungsmechanismus auf. Hicks trat zurück und musterte anerkennend ihre Haltung. »Mehr ist nicht dahinter. Jetzt dürfen Sie wieder damit spielen. Gehen Sie die ganze Sache noch mal durch.« Ripley wiederholte das Verfahren: Magazin auswerfen, überprüfen, nachladen, entsichern. Die Waffe war physisch unhandlich, aber psychisch beruhigend. Ihre Hände zitterten von dem enormen Gewicht. Sie senkte den Lauf und zeigte auf das Metallrohr, das darunter verlief. »Wozu ist das gut?« »Das ist der Granatwerfer. Damit wollen Sie wahrscheinlich nicht rummurksen. Sie müssen sich schon genug merken. Wenn Sie die Waffe benützen wollen, müssen Sie das tun können, ohne nachzudenken.« Sie hielt seinem Blick stand. »Hören Sie, Sie haben angefangen. Jetzt zeigen Sie mir alles. Ich kann schon auf mich achtgeben.« »Das habe ich gemerkt.« Sie exerzierte das Anvisieren noch einmal durch, dann das Laden und Abschießen von Granaten, ein kompletter Lehrgang in fünfzehn Minuten. Hicks zeigte ihr alles, bis auf das Auseinandernehmen und Reinigen der Waffe. Befriedigt, daß ihr
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nichts entgangen war, ließ sie ihn über den Anzeigen der Taktikkonsole brüten und ging zur Medizinischen, um nach Newt zu sehen. An seinen Gurten hängend, schlug ihr neugewonnener Freund ihr beruhigend gegen die Schulter. Sie wurde langsamer, als sie vor sich Schritte hörte, dann entspannte sie sich. Trotz seiner größeren Masse würde ein Alien viel weniger Lärm machen als der Lieutenant. Gorman trat aus der Türöffnung, er wirkte schwach, aber gesund. Gleich hinter ihm kam Burke. Er gönnte ihr kaum einen Blick. Ripley machte sich nichts daraus. Jedesmal, wenn der Vertreter der Gesellschaft den Mund aufmachte, verspürte sie den Drang, ihm mit der Faust die Zähne in den Rachen zu dreschen, aber sie brauchten ihn noch. Sie brauchten jede Hand, die sie bekommen konnten, auch die mit Blut befleckten. Burke war immer noch einer von ihnen, ein menschliches Wesen. Wenn auch kaum noch, dachte sie. »Wie fühlen Sie sich?« fragte sie Gorman. Der Lieutenant lehnte sich an die Wand und legte eine Hand an die Stirn. »Ganz gut, glaube ich. Ein bißchen schwindlig. Ein höllischer Kater. Hören Sie, Ripley, ich ...« »Vergessen Sie's!« Sie hatte keine Zeit für nutzlose Entschuldigungen. Außerdem war das, was geschehen war, nicht ausschließlich Gormans Schuld. Die Schuld für das Fiasko unter der Atmosphärenaufbereitungsstation mußte denen angelastet werden, die dumm oder unfähig genug gewesen waren, ihm das Kommando über die militärische Begleitmannschaft zu geben. Gormans mangelnde Erfahrung einmal beiseite gelassen, auf die Wirklichkeit der Aliens hätte man niemanden vorbereiten können, ganz gleich, wie lange man die Ausbildung angesetzt hätte. Wie organisiert man einen Kampf nach herkömmlichen Methoden gegen einen Feind, der genauso gefährlich ist, wenn er verblutet, wie wenn er lebt? Sie drängte sich an Gorman vorbei in das medizinische Labor.
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Er folgte ihr mit den Augen, dann wandte er sich wieder um und ging den Korridor hinauf. Dabei begegnete er Vasquez, die aus der Gegenrichtung auf ihn zukam. Sie betrachtete ihn aus kalten, schmalen Augen. Ihr buntes Halstuch zeigte Schweißflecken und klebte an ihrem dunklen Haar und ihrer Haut. »Wollen Sie mich immer noch töten?" fragte er ruhig. In ihrer Antwort vermischte sich Verachtung und Resignation. »Das ist nicht mehr nötig.« Sie ging weiter, an ihm vorbei, und schritt auf den nächsten Kontrollpunkt zu. Nachdem Gorman und Burke weg waren, war die Medizinische verlassen. Sie durchquerte sie und ging in den Operationssaal, wo sie Newt zurückgelassen hatte. Das Licht war nicht sehr hell, aber nicht so schwach, daß sie das leere Bett nicht hätte sehen können. Angst durchraste sie wie eine Droge, sie wirbelte herum, ihre Augen durchsuchten in panischer Hast den Raum, bis ein Gedanke sie veranlagte, sich zu bücken und unter die Pritsche zu schauen. Sie entspannte sich, die Verkrampfung wich von ihr. Natürlich, die Kleine hatte sich an der Wand zusammengerollt und sich so weit nach hinten gedrückt, wie sie nur konnte. Sie schlief fest, Casey hielt sie mit ihrer kleinen Hand umklammert. Der engelhafte Ausdruck beruhigte Ripley noch weiter, unschuldig und unberührt, trotz der Dämonen, die das Kind im Wachen wie im Schlafen gequält hatten. Gesegnet seien die Kinder, dachte sie, die überall schlafen und alles vergessen können. Vorsichtig legte sie das Gewehr auf die Pritsche. Sie ließ sich auf Hände und Knie nieder und kroch unter die Sprungfedern. Ohne Newt zu wecken, schlang sie beide Arme um sie. Das Mädchen zuckte im Schlaf und kuschelte sich instinktiv dichter an die tröstende Wärme der Erwachsenen. Eine Urgeste. Ripley drehte sich ein wenig auf die Seite und seufzte.
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Newts Gesicht verzerrte sich im äußeren Ausdruck einer privaten, qualvollen Traumlandschaft. Sie schrie unartikuliert auf, ein unbestimmtes, traumverzerrtes Flehen. Ripley wiegte sie sanft. »Gut, gut. Ganz still. Ist ja schon gut. Ist ja gut.« * Mehrere der Hochdruckkühlleitungen, die den massiven Atmosphärenaufbereitungsturm umgaben, hatten durch die überschüssige Hitze zu glühen begonnen. Hochspannungsentladungen jagten um die kegelförmige Krone und die oberen Gitter und schickten unregelmäßige, intensive Lichtblitze in die öde Landschaft Acherons und über die stummen Gebäude von Hadley. Jedermann hätte sofort gesehen, daß in der Station eine drastische Störung vorlag. Moderatoren bemühten sich, eine Reaktion aufzuhalten, die schon außer Kontrolle geraten war. Sie machten trotzdem weiter. Sinnlosigkeit zu konstatieren war ihnen nicht einprogrammiert. Gegenüber der Landeplattform ragte ein hoher Metallturm in die Wolken. Mehrere Parabolantennen drängten sich um die Spitze wie Vögel, die im Winter einen Baum umschwärmen. Am Fuß des Turmes stand eine einzelne Gestalt mit dem Rücken zum Wind über eine offene Schalttafel gebeugt. Bishop hatte den Deckel der Testsäule so eingerastet, daß er offenblieb, und es war ihm gelungen, die tragbare Terminalkonsole an die Instrumente des Turmes anzuschließen. Bisher war alles so gut gegangen, wie man nur hoffen konnte. Zu Anfang war es nicht so gewesen. Er hatte den Turm mit Verspätung erreicht, weil er unterschätzt hatte, wie lange er brauchen würde, um durch die Leitung zu kriechen. Wie zum Ausgleich waren die Vorprüfungen und die Tests reibungslos
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vonstatten gegangen und hatten es ihm ermöglicht, einen Teil der verlorenen Zeit wieder aufzuholen. Ob er genug aufgeholt hatte, mußte sich erst noch zeigen. Seine Jacke lag über der Tastatur und dem Monitor des Terminals, um sie vor dem herumfliegenden Sand und Staub abzuschirmen. Die Elektronik war gegen das rauhe Wetter viel empfindlicher als er. Während der letzten paar Minuten hatte er wie rasend getippt, so schnell, daß seine Finger auf den Eingabetasten verschwammen. Er schaffte in einer Minute, wozu ein ausgebildeter Mensch zehn gebraucht hätte. Wäre er ein Mensch gewesen, dann hätte er vielleicht ein kleines Stoßgebet gesprochen. Möglicherweise tat er das auch. Synthesen haben ihre eigenen Geheimnisse. Er musterte die Tastatur ein letztes Mal und murmelte vor sich hin: »Wenn ich es jetzt richtig gemacht habe und im Inneren nichts gerissen ist ...« Er drückte auf eine periphere Funktionstaste, auf der nur das Wort ERMÄCHTIGUNG stand. Weit oben schwebte die Sulaco geduldig und stumm in der Leere des Raums. Keine geschäftigen Gestalten bewegten sich durch ihre leeren Korridore. Keine Maschinen arbeiteten summend mit voller Leistung im riesigen Laderaum. Instrumente blinkten lautlos und hielten das Schiff in seinem planetostationären Orbit über der Kolonie. Eine Hupe ertönte, obwohl niemand da war, der sie hätte hören können. Rotierende Warnlampen leuchteten in dem großen Frachtraum auf, obwohl niemand da war, der das Zusammenspiel von Rot, Blau und Grün miterleben konnte. Hydraulische Getriebe winselten. Enorm starke Hebegeräte fuhren polternd über ihre Schienen, als das zweite Landefahrzeug an seiner Aufhängung herausgezogen wurde. Räder rasteten ein, Flaschenzüge und Hebel übernahmen das Gewicht. Das Shuttle wurde in die weit geöffnete Startluke
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gesenkt. Sobald es in Startposition eingerastet war, fuhren Servicearme und automatische Abkoppler aus Wänden und Fußböden, um sich in das wartende Schiff einzustöpseln. Die Tanks wurden gefüllt, und die letzte Überprüfung vor dem Start begann. Das waren banale Routineaufgaben, die keine menschliche Aufmerksamkeit erforderten. Eigentlich konnte das Schiff diese Arbeiten besser erledigen, wenn keine Menschen dabei waren. Sie standen nur im Weg und behinderten die Operation. Motoren wurden angelassen, abgeschaltet und wieder gestartet. Schleusen wurden aufgedreht und abgedichtet. Im Inneren schalteten sich Kommunikationssysteme ein und tauschten mit dem Hauptcomputer der Sulaco Datenströme aus. Eine aufgezeichnete Ankündigung dröhnte durch den riesigen, offenen Raum. Das war Vorschrift, auch wenn niemand da war, der sie hören konnte. »Achtung, Achtung. Das Betanken beginnt in wenigen Sekunden. Bitte löschen Sie alle offenen Feuer!« Keinen dieser Vorgänge erlebte Bishop mit, er sah keine schnell rotierenden Lichter, hörte keine Warnung. Trotzdem war er zufrieden. Die winzigen Anzeigen, die auf der tragbaren Steuerkoasole aufleuchteten, waren so beredt wie ein Shakespearesonett. Er wußte, daß das Landefahrzeug vorbereitet war und daß es betankt wurde, weil ihm die Konsole das mitteilte. Er hatte mehr getan, als nur Kontakt mit der Sulaco aufzune hmen: er kommunizierte mit ihr. Er brauchte nicht persönlich dort zu sein. Das tragbare Gerät war sein elektronischer Stellvertreter. Es sagte ihm alles, was er wissen mußte, und was es ihm sagte, war gut.
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Sie hatte nicht vorgehabt, einzuschlafen. Sie hatte nur ein wenig Raum, etwas Wärme und ein paar Augenblicke Stille mit dem Mädchen teilen wollen. Aber ihr Körper wußte besser, was sie brauchte. Als sie die Kontrolle abgab und ihm die Chance ließ, sich um seine eigenen Bedürfnisse zu kümmern, übernahm er sofort das Kommando. Ripley erwachte mit einem Ruck und vermied es gerade noch, sich den Kopf an der Unterseite der Pritsche zu stoßen. Sie war sofort hellwach. Aus dem Medizinlabor sickerte ein wenig Licht in den Operationssaal. Als sie auf die Uhr sah, stellte sie erschrocken fest, daß mehr als eine Stunde vergangen war. In dieser Zeitspanne hätte der Tod kommen und wieder gehen können, aber anscheinend hatte sich nichts verändert. Niemand war hereingekommen, um sie zu wecken, aber das überraschte sie nicht. Die Gedanken der anderen waren mit wichtigeren Dingen beschä ftigt. Die Tatsache, daß man sie in Ruhe gelassen hatte, war an sich schon ein gutes Zeichen. Wenn der letzte Ansturm begonnen hätte, hätte Hicks oder jemand anders sie inzwischen sicher aus der warmen Ecke unter dem Bett herausgeholt. Vorsichtig löste sie sich von Newt, die weiterschlief, unb erührt von der Besessenheit der Erwachsenen von der Zeit. Ripley vergewisserte sich, daß die kleine Jacke bis ans Kinn des Mädchens hochgezogen war, ehe sie sich umdrehte, um unter dem Feldbett herauszukriechen. Als sie sich dann herumrollen wollte, erhaschte sie noch einen Blick auf den Rest des Medizinlabors und erstarrte. Die Reihe der Stasiszylinder stand gleich vor der Tür, die in die Zentrale von Hadley führte. Zwei der Röhren waren dunkel, ihr Deckel offen, die Stasisfelder inaktiv. Beide waren
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leer. Sie wagte kaum zu atmen, als sie versuchte, in jede dunkle Ecke, unter jeden Tisch, unter jedes freistehende Einrichtungsstück zu spähen. Unfähig, sich zu bewegen, versuchte sie in panischer Hast, die Situation einzuschätzen, dann stieß sie mit der linken Hand das Mädchen an, das hinter ihr schlief. »Newt«, flüsterte sie. Konnte dieses Wesen Schallwellen spüren? Sie hatten keine sichtbaren Ohren, keine erkennbaren Hörorgane, aber wer konnte schon sagen, wie die primitiven Sinne der Aliens ihre Umwelt interpretierten? »Newt, wach auf!« »Was?« Das Mädchen wälzte sich herum und rieb sich schla ftrunken die Augen. »Ripley? Wo sind ...« »Schscht!« Sie legte einen Finger an die Lippen. »Nicht bewegen. Wir sind in Schwierigkeiten.« Das Mädchen riß die Augen auf. Es antwortete nur mit einem Nicken, war jetzt genauso hellwach und in Alarmbereitschaft wie seine erwachsene Beschützerin. Ripley brauchte Newt kein zweitesmal zu sagen, sie solle still sein. Während ihres alptraumhaften Einsiedlerlebens tief in den Leitungen und Wartungsschächten, die die Kolonie wie eine Wabe durchzogen, hatte sie als erstes gelernt, wie wertvoll Stille war, wenn man überleben wollte. Ripley deutete auf die geöffneten Stasisröhren. Newt sah sie und nickte wieder. Sie wimmerte nicht einmal. Sie lagen dicht nebeneinander und lauschten in die Dunkelheit. Lauschten auf Bewegungen, hielten Ausschau nach tödlichen, länglichflachen Gestalten, die über den polierten Boden huschten. Der kleine Heizlüfter summte kräftig in der Nähe. Ripley atmete tief ein, schluckte und begann sich zu bewegen. Sie griff nach oben und packte die Federn der Unterseit e, dann begann sie, das Feldbett von der Wand wegzuschieben. Das
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metallische Quietschen, als die Beine über den Boden schleiften, klang in der Stille gellend laut. Als der Spalt zwischen Bettgestell und Wand breit genug war, zog sie sich vorsichtig hoch, den Rücken gegen die Wand gedrückt. Mit der rechten Hand griff sie über die Matratze nach dem Impulsgewehr. Ihre Finger tasteten zwischen Laken und Decke umher. Das Impulsgewehr war verschwunden. Ihre Augen hoben sich über den Bettrand. Sie hatte es bestimmt da liegengelassen, mitten auf der Matratze! Die schwache Andeutung einer Bewegung erregte ihre Aufmerksamkeit, ihr Kopf zuckte nach links. Noch während er das tat, sprang etwas, das nur aus Beinen und Gemeinheit bestand und am Fuß des Bettes gehockt hatte, auf sie los. Sie stieß einen erschrockenen, winselnden Schrei nackten Entsetzens aus und duckte sich wieder nach unten. Hornige Klauen griffen nach ihrem Haar, als die gräßliche Gestalt gegen die Wand prallte, wo einen Augenblick zuvor noch ihr Kopf ge wesen war. Das Wesen rutschte ab, suchte nach einem Halt und tastete gleichzeitig nach dem verletzlichen Gesicht, das sich noch eine Sekunde zuvor gezeigt hatte. Ripley rollte sich herum wie eine Wahnsinnige, sie grub ihre bloßen Finger in die Sprungfedern, rammte die Pritsche zurück und klemmte das Ungeheuer nur Zentimeter oberhalb ihres Gesichts an der Wand ein. Seine Beine zuckten und wanden sich mit der Wildheit eines Irren, während der muskulöse Schwanz wie eine tobende Python gegen Sprungfedern und Wände schlug. Das Wesen stieß einen schrillen, durchdringe nden Schrei aus, eine Mischung aus Quieken und Zischen. Ripley schob Newt über den Fußboden und krabbelte in rasender Eile hinter ihr her. Sobald sie draußen war, legte sie beide Hände gegen die Seite des Feldbetts und stieß es noch fester gegen den gefangenen Gesichtsklammerer. Dann kippte
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sie mit einer sorgfältig berechneten Bewegung die Pritsche um, und es gelang ihr, das Vieh unter einer der Metallschienen einzuklemmen. Sie hielt Newt fest an sich gedrückt, während sie von dem umgestürzten Bett zurückwich. Ihre Augen waren in ständiger Bewegung, sie flitzten von Schatten zu Schränken, durchsuc hten jeden Winkel. Der ganze Laborbereich war voller Todesverheißung. Als sie sich zurückzogen, schob der Gesichtsklammerer mit einer für ein so kleines Wesen erschreckenden Kraft das schwere Bett von seinem Körper und flitzte unter eine Reihe von Schränken. Seine zahlreichen Beine bewegten sich so schnell, daß man sie nur verschwommen sah. Ripley wich weiter zur Tür zurück, versuchte dabei aber, so weit wie möglich in der Mitte des Raums zu bleiben. Sobald sie mit dem Rücken die Tür berührte, griff sie nach oben und fuhr mit einer Hand über den Wandschalter. Das Hindernis in ihrem Rücken hätte jetzt eigentlich zur Seite gleiten müssen. Es bewegte sich nicht. Sie drückte wieder auf den Schalter, begann dann dagegenzuhämmern, ohne sich um den Lärm zu kümmern, den sie machte. Nichts. Desaktiviert, kaputt, es war nicht wichtig. Sie probierte es mit dem Lichtschalter. Das gleiche. Sie saßen im Dunkeln fest. Bemüht, den Boden vor ihnen nicht aus den Augen zu lassen, schlug sie mit einer Faust gegen die Tür. Die Schläge hallten dumpf auf dem schalldämpfenden Material. Natürlich war der Eingang zum Operationssaal schalldicht. Man wollte doch nicht, daß unerwartete Schreie einen ängstlichen Kolonisten verschreckten, der zufällig gerade vorbeiging. Ohne Newt loszulassen, schob sie sich von der Tür weg und an der Wand entlang, bis sie hinter dem großen Beobachtungsfenster standen, das auf den Hauptkorridor hinausging. Obwohl sie kaum wagte, einen Blick von dem bedrohlichen Fußboden zu wenden, drehte sie sich um und schrie.
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»He! He!« Sie hämmerte verzweifelt gegen das Fenster. Niemand erschien auf der anderen Seite der dreifachverglasten Scheibe. Ein Kratzen auf dem Fußboden ließ sie herumfahren. Jetzt begann Newt zu wimmern, angesteckt von der Angst der Erwachsenen. Verzweifelt trat Ripley vor die an der Wand befestigten Überwachungsvideokamera und begann, die Arme zu schwenken. »Hicks! Hicks! Es kam keine Reaktion, weder von der Kamera noch aus dem leeren Raum auf der anderen Seite des Glases. Die Kamera schwenkte nicht herum, um sie einzufangen, und aus ihrem Lautsprecher kam keine neugierig fragende Stimme. Frustriert hob Ripley einen Stahlstuhl auf und knallte ihn gegen das Beobachtungsfenster. Er prallte ab, ohne auf dem harten Material auch nur einen Kratzer zu hinterlassen. Sie versuchte es weiter. Kraftverschwendung. Das Fenster würde nicht brechen, und im äußeren Labor war niemand, der ihre verzweifelten Anstrengungen sehen konnte. Sie stellte den Stuhl weg und bemühte sich, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen, während sie den Raum überschaute. In einem Schränkchen in der Nähe fand sie eine kleine Untersuchungslampe mit starkem Lichtstrahl. Sie schaltete sie ein und ließ den schmalen Strahl über die Wände wandern. Der Lichtkreis zuckte über die Stasisröhren, an hoch aufeinandergestellten chirurgischen und Narkosegeräten vorbei, über ordentlich gestapelte Lagerkästen, Schränke und Forschungsinstrumente. Sie spürte, wie Newt neben ihr zitterte und sich an ihr Bein klammerte. »Mami Mamiiiiiii…« Paradoxerweise wurde Ripley dadurch ruhiger. Das Kind war völlig auf sie angewiesen, und ihr eigene offensichtliche Angst
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versetzte das Mädchen nur in Panik. Sie fuhr mit dem Strahl über die Decke, führte ihn zu etwas zurück. Ein Gedanke faßte Fuß. Sie holte ihr Feuerzeug aus einer Jackentasche und zerknüllte hastig eine Handvoll Papier, das sie in dem gleichen Schränkchen gefunden hatte wie die Lampe. Mit so langsamen Bewegungen, wie sie es nur wagte, hob sie Newt auf den Operationstisch, der in der Mitte des Raumes stand, und kletterte dann hinter ihr hinauf. »Mami - Ripley - ich habe Angst!« »Ich weiß, Schätzchen«, erwiderte sie zerstreut. »Ich auch.« Sie drehte das Papier fest zusammen und berührte die Spitze der improvisierten Fackel mit der Flamme des Feuerzeugs. Sie fing sofort Feuer und loderte zur Decke empor. Sie streckte die Hand hoch und hielt das Feuer gegen den Temperatur sensor unten an einem der Sprinklerköpfe, die zur Feuerschutzeinrichtung des medizinischen Labors gehörten. Wie viele selbständige Sicherheitseinrichtungen in Standardausführung für Grenzlandwelten hatte der Sprinkler seine eigene, batteriebetriebene Ersatzstromversorgung. Sie wurde durch das, was immer die Tür und die Lichter ausgeschaltet hatte, nicht beeinträchtigt. Die Flammen verzehrten ihre Handvoll Papier sehr schnell und drohten, ihre ungeschützte Haut zu verbrennen. Sie biß die Zähne zusammen und ließ die Fackel nicht los, die den Raum erleuchtete und deren Licht von der spiegelblanken Oberfläche der kugelförmigen Traube aus chirurgischen Instrumenten, die über dem Operationstisch hing, zurückgeworfen wurde. »Komm schon! Komm schon!« murmelte sie gepreßt. Seitlich am Sprinklerkopf blinkte rotes Licht auf, als die Flammen aus ihrer improvisierten Fackel endlich heiß genug wurden, um die Innensensoren auszulösen. Als der Sensor aktiviert wurde, gab er seine Information automatisch an die
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anderen, in die Decke eingelassenen Sprinkler weiter. Aus mehreren Dutzend Öffnungen stürzte Wasser und überflutete Schränke und Fußboden mit einem künstlichen Wolkenbruch. Gleichzeitig regte sich der komplizierte Feueralarm der Zentrale wie ein erwachender Riese. In der Einsatzzentrale fuhr Hicks zusammen, als der Alarm ertönte. Sein Blick schoß von der Taktikkonsole zum Hauptcomputerschirm. Ein kleiner Abschnitt des Lageplans blitzte hell auf. Hicks stand auf, stürzte zum Ausgang und schrie im Laufen in sein Kopfhörermikrophon: »Vasquez, Hudson, kommt in die Medizinische! Es brennt!« Beide Soldaten verließen ihre Wachpositionen und rannten los, um sich dem Corporal anzuschließen. Ripley klebten die Kleider am Leibe, aber die Sprinkler setzten den Raum und alles was darin war weiterhin unter Wasser. Die Sirene jaulte wild. Neben dem stetigen Heulen und dem Plätschern des Wassers auf Metall und Fußboden war es unmöglich, noch etwas zu hören. Sie versuchte, durch den dichten Regen zu sehen, und wischte sich Wasser und Haare aus den Augen. Mit einem Ellbogen stieß sie gegen die chirurgische Multikugel und ihr Sortiment von Kabeln, superhellen Lichtern und Werkzeugen und brachte alles ins Schwingen. Sie blickte hin und wandte sich ab, um weiter den Raum zu beobachten. Irgendetwas veranlaßte sie, ein zweitesmal hinzusehen. Das Etwas sprang auf ihr Gesicht los. Das herabstürzende Wasser und die heulende Sirene übertönte ihren Schrei, als sie, mit den Armen um sich schlagend und mit den Beinen wild tretend, nach rückwärts vom Tisch taumelte und platschend auf den Boden fiel. Newt schrie und strampelte sich frei, als Ripley den schnatternden Gesichtsklammerer wegschleuderte. Er prallte gegen eine Wand, blieb hängen wie eine abscheuliche Parodie einer kletternden
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Tarantel und sprang dann, wie von einer Stahlfeder angetrieben, erneut auf sie los. Ripley strampelte verzweifelt, zerrte Geräte auf sich herunter und versuchte, etwas Festes zwischen sich und das abscheuliche Ding zu bringen, während sie zurückwich. Es ging über, unter oder um alles herum, was sie ihm in den Weg schob, seine vielgliedrigen Beine bewegten sich unablässig in irrem Tempo. Klauen fanden an ihren Stiefeln Halt, und es kletterte an ihrem Körper hinauf. Sie wollte es wieder wegstoßen, und als sie die glitschige, ledrige Haut berührte, wurde ihr übel. Das einzige, was sie nicht wagte, war, sich zu übergeben. Das Wesen besaß unglaubliche Kräfte. Als es von der Multikugel auf sie herabgesprungen war, hatte sie es wegschleudern können, ehe es richtig Halt gefunden hatte. Diesmal ließ es sich nicht ablösen, es klammerte sich eisern fest, als es ihren Rumpf erkletterte. Sie versuchte, daran zu reißen, es wegzuziehen, aber es wich ihren Händen aus und stieg mit unbeirrbarer Zielbewußtheit auf ihren Kopf zu. Newt schrie erbärmlich und wich zurück, bis sie in einer Ecke gegen einen Schreibtisch stieß und nicht weiterkonnte. Mit einer letzten, verzweifelten Geste fuhr Ripley mit beiden Händen am Brustkorb nach oben, bis sie, gerade als der Gesichtsklammerer es erreichte, ihr Gesicht blockierte. Sie drückte mit aller Kraft, die sie noch hatte, gegen das Wesen und versuchte, es von sich wegzudrängen. Während sie damit kämpfte, stolperte sie blind umher, warf Geräte um und schleuderte Instrumente durch die Gegend. Auf dem nassen Fußboden drohten ihr die Füße wegzurutschen. Das Wasser stürzte weiter von der Decke, überschwemmte den Raum und blendete sie. Es behinderte auch den Gesichtsklammerer etwas in seinen Bewegungen, aber ihr war es dadurch unmöglich, seinen Körper oder seine Be ine in einen festen Griff zu bekommen.
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Newt hörte nicht auf zu schreien und sie anzustarren. Folglich sah sie die krabbenartigen Beine nicht, die über dem Rand des Schreibtisches erschienen, an dem sie lehnte. Aber ihre Fähigkeit, Bewegungen wahrzunehmen, war mittlerweile fast so ausgeprägt wie die der Wachkanonensensoren. Sie fuhr herum und preßte den Schreibtisch gegen die Wand. Die Angst verlieh ihrem kleinen Körper Kraft. Gegen die Wand geheftet, wand sich das Geschöpf wild, kämpfte mit Beinen und Schwanz, um sich zu befreien, während sie sich schreiend gegen den Schreibtisch stemmte. »RIPLEYYYYYY!« Der Schreibtisch zitterte und bebte von den Zuckungen des Ungeheuers. Es zog ein Bein heraus, dann ein zweites. Schließlich ein drittes, und nun begann es, sich ganz aus der Falle herauszuwinden. Die Beine des Gesichtsklammerers griffen nach Ripleys Kopf, versuchten, herumzugreifen und ihn zu umschließen, obwohl sie ihr Gesicht von einer Seite zur anderen riß. Während das Wesen um einen nicht zu lösenden Griff rang, fuhr es aus einer Unterleibsöffnung die einem Eiableger ähnliche Röhre aus. Das feuchte Organ stieß gegen Ripleys Arme und versuchte, sich zwischen ihnen durchzuzwängen. Vor dem Beobachtungsfenster erschien eine Gestalt, undeutlich sichtbar hinter dem beschlagenen Glas. Eine Hand wischte einen Fleck frei. Hicks drückte sein Gesicht gegen das Glas. Seine Augen weiteten sich, als er sah, was sich drinnen abspielte. Es war ausgeschlossen, zu versuchen, den nicht funktionierenden Türmechanismus zu reparieren. Er trat zurück und hob den Lauf seines Impulsgewehrs. Die schweren Projektile zertrümmerten die dreifachverglaste Trennwand an mehreren Stellen. Dann warf sich der Corporal gegen die entstandenen Spinnwebmuster und flog krachend, in einem Schauer glitzernder Scherben in den Raum, wie ein
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menschlicher Komet mit einem gläsernen Schweif. Er rollte sich auf dem Boden ab, seine Panzerung zerdrückte knirschend die Scherben und schützte ihn vor scharfen Kanten, dann schlitterte er zu Ripley hinüber, um deren Kehle der Gesichtsklammerer seinen starken Schwanz endlich fest gelegt hatte. Er begann, sie damit zu würgen und zog sich dichter an ihr Gesicht heran. Hicks schlang seine Finger um die peitschenden, spinnenartigen Glieder und zerrte mit übermenschlicher Kraft daran. Zu zweit zwangen sie das Ungeheuer von Ripleys Gesicht weg. Hudson folgte Hicks in den Raum und starrte einen Augenblick lang Ripley und den Corporal an, die mit dem Gesichtsklammerer kämpften. Dann entdeckte er Newt, die sich gegen den Schreibtisch stemmte. Er stieß sie beiseite, daß sie über den feuchten Fußboden schlitterte, und hob mit der gleichen Bewegung sein Gewehr, um den zweiten Parasiten in Stücke zu schießen, ehe er hinter dem schweren Schreibtisch, der ihn festhielt, herauskrieche n konnte. Säure spritzte und fraß sich qualmend in den Schreibtisch, die Wand und den Fußboden, als der krabbenähnliche Körper zerrissen wurde. Gorman ging dicht an Ripley heran und umfaßte mit beiden Hände das Schwanzende des Gesichtsklammerers. Wie ein Herpetologe, der eine Boa constrictor von ihrem Lieblingsast entfernt, wickelte er den Schwanz von ihrem Hals ab. Sie keuchte, schluckte Luft und Wasser und würgte krampfhaft. Aber sie lockerte ihren Griff um das Wesen nicht, das sie nun zu dritt zwischen sich festhielten. Hicks blinzelte gegen den Sprühnebel an und nickte nach rechts hin. »In die Ecke! Gleichzeitig. Laßt nicht zu, daß es sich festklammert.« Er blickte über die Schulter zu dem wartenden Hudson hin. »Fertig?« »Nur zu!« Der Nachrichtentechniker hob seine Waffe. Zu dritt warfen sie das Ding in die leere Ecke. Es brachte sich
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sofort in eine aufrechte Stellung und sprang mit wahnsinniger Energie erneut auf sie los. Hudsons Schuß erwischte es im Sprung und riß es in Stücke. Der schwere Regen aus den Sprinklern half mit, den darauffolgenden Säurestrahl einzugrenzen. Rauch mischte sich mit Wasserdampf, als sich die gelbe Flüssigkeit in den Boden fraß. Würgend fiel Ripley auf die Knie. Rote Streifen zogen sich wie Seilschürfwunden um ihren Hals. Während sie neben Hicks und Hudson kniete, schalteten sich die Sprinkler endlich ab. Wasser tropfte von Schränken und Geräten und lief durch die Löcher ab, die die Säure in den Boden gefressen hatte. Die Sirene verstummte. Hicks starrte die Stasiszylinder an. »Wie, zum Teufel, sind die da rausgekommen? Ein Stasisfeld ist doch nicht zu durchbrechen.« Sein Blick wanderte nach oben zu der Überwachungskamera, die an der gegenüberliegenden Wand montiert war. »Ich habe die Monitore doch beobachtet, verdammt. Warum habe ich nicht gesehen, was hier drin passierte?« »Burke.« Es kam als langgezogenes Keuchen heraus. »Es war Burke.« In der Zentrale war es ganz still. In allen Köpfen jagten die Gedanken mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dahin, aber niemand sagte ein Wort. Keiner der Gedanken war erfreulich. Endlich deutete Hudson auf den Gegenstand all dieser feierlichen Betrachtungen und ergriff mit gewohnter Beredsamkeit das Wort. »Ich sage, wir reißen diesen Rattendreck von einem Bürokraten gleich jetzt auf der Stelle in tausend Stücke.« Burke vermied es krampfhaft, in die drohende Gewehrmündung des Nachrichtentechnikers zu schauen. Ein Zucken von Hudsons Finger, das wußte der Vertreter der Gesellschaft, und sein Kopf würde auseinanderplatzen wie eine überreife Melone. Es gelang ihm, eine eisige Ruhe zu bewahren, nur die
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vereinzelten Schweißperlen, die seine Stirn sprenkelten, verrieten ihn. Während der letzten fünf Minuten hatte er ein halbes Dutzend Reden verfaßt und wieder verworfen und schließlich entschieden, daß es am besten war, gar nichts zu sagen. Hicks würde vielleicht auf seine Argumente hören, aber ein falsches Wort, eine falsche Bewegung nur, und jeder der anderen konnte losgehen. Mit dieser Einschätzung lag er auch ganz richtig. Der Corporal marschierte vor dem Stuhl des Vertreters der Gesellschaft auf und ab. Gelegendich schaute er auf ihn hinunter und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich verstehe es nicht. Das ergibt doch, verdammt noch mal, überhaupt keinen Sinn!« Ripley verschränkte die Arme und betrachtete die Gestalt in dem Stuhl. Ihre Augen hatten nichts Menschliches mehr. »Es ergibt 'ne Menge Sinn. Er wollte ein Alien, nur fand er keine Möglichkeit, es heimlich durch die Quarantäne von Gateway zu bringen. Ich habe ihm garantiert, daß ich die zuständigen Behörden informieren würde, wenn er es versuchen sollte. Das war mein Fehler.« »Warum in Gottes Namen sollte er denn so etwas versuchen wollen?« Hicks stand die Verwirrung im Gesicht geschrieben. »Für die Waffenforschung. B-Waffen! Leute, und ich ve rwende das Wort ganz bewußt, Leute wie der tun so etwas! Wenn etwas neu und einmalig ist, um es zur Vernichtung von Gegnern zu verwenden, sehen sie einen Gewinn darin, und das schließt alles andere aus.« Sie zuckte die Achseln. »Zuerst dachte ich, er wäre vielleicht doch anders. Als ich dahinterkam, daß dem nicht so war, machte ich den Fehler, nicht weit genug vorauszudenken. Wahrscheinlich hin ich jetzt zu streng mit mir. Meine Vorstellung ging eben nicht über das hinaus, was ein normales menschliches Wesen tun würde.« »Ich komme da einfach nicht mit«, sagte Vasquez. »Was
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hätte er davon gehabt, wenn diese Dinger Sie getötet hätten? Was hätte ihm das eingebracht?« »Er hatte nicht die Absicht, zuzulassen, daß sie uns töteten jedenfalls nicht gleich. Erst nachdem wir ihm seine Spielsachen auf die Erde gebracht hätten. Er hatte sich genau den richtigen Zeitpunkt ausgesucht. Bishop wird das Landefahrzeug ziemlich bald unten haben. Bis dahin hätten die Gesichtsklammerer ihr Geschäft erledigt, und Newt und ich wären hinüber, ohne daß jemand wüßte, warum. Die anderen hätten uns bewußtlos ins Landefahrzeug geschleppt. Sehen Sie, wenn wir befruchtet, parasitiert oder wie immer man es nennen will, im Hyperschlaf eingefroren worden wären, ehe wir zu uns kamen, würden die Wirkungen des Hyperschlafs das Wachstum des embryonalen Alien genauso verlangsamen wie das unsere. Es würde während des Heimflugs nicht ausreifen. Niemand wüßte, was wir in uns trügen, und solange unsere Lebenszeichen stabil blieben, würde auch niemand glauben, daß da eine ernstliche Störung vorläge. Wir würden in Gateway ausgeladen, und als erstes würden uns die Behörden in ein Krankenhaus auf die Erde verfrachten. Und dann würden Burke und seine Kumpane von der Gesellschaft auf den Plan treten. Sie würden die Verantwortung beanspruchen oder jemanden bestechen und uns in eine ihrer eigenen Einrichtungen einweisen. Dort könnten sie uns ungestört studieren. Mich und Newt.« Sie schaute hinüber auf die schmächtige Gestalt des Mädchens, das in der Nähe saß. Newt hatte die Knie bis ans Kinn hochgezogen und beobachtete die Vorgänge mit düsterem Blick. Sie versank beinahe in der Erwachsenenjacke die jemand für sie aufgetrieben hatte, die üppige Wattierung und der hohe Kragen erdrückten sie fast. Ihr Haar war noch feucht und klebte ihr an Stirn und Wangen. Hicks hörte auf, hin und her zu marschieren und starrte
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Ripley an. »Moment mal! Wir wüßten doch Bescheid. Vielleicht wären wir nicht sicher, aber wir würden das doch auf jeden Fall nachprüfen lassen, sobald wir die Station erreichten. Wir würden doch niemals zulassen, daß irgend jemand euch ohne eine vollständige medizinische Untersuchung zur Erde verfrachtet. Ripley dachte darüber nach, dann nickte sie. Das ginge nur, wenn er die Schlaftruhen für die Rückreise beschädige n würde. Nachdem Dietrich nicht mehr da ist, müßte sich jemand von uns selbst in Hyperschlaf versetzen. Er könnte seinen Zeitschalter so einstellen, daß er ihn nach ein paar Tagen weckt, dann könnte er aus seiner Truhe steigen, bei allen anderen die Biosysteme abschalten und die Leichen über Bord werfen. Danach könnte er sich irgendeine Geschichte ausdenken. Nachdem der größte Teil eures Trupps schon von den Aliens getötet wurde und die Einzelheiten des Kampfes drüben in der C-Etage von den Anzugscannern aufgezeichnet wurden und in den Unterlagen der Sulaco gespeichert sind, wäre es kein Problem, auch euren Tod den Aliens in die Schuhe zu schieben.« »Scheiiiiße! Er ist tot!« Hudson entzog Ripley seine Aufmerksamkeit und wandte sich wieder dem Vertreter der Gesellschaft zu. »Hörst du das? Kumpel, du bist Hundefutter!« »Das ist eine völlig paranoide Einbildung.« Burke sah keine Gefahr mehr drin, schließlich doch noch etwas zu sagen, er war überzeugt, das Ganze nicht mehr schlimmer machen zu können, als es ohne hin schon war. »Sie haben gesehen, welche Kraft diese Wesen haben. Ich hatte mit Ihrer Flucht nichts zu tun.« »Blödes Geschwätz! Nichts ist so stark, das es sich aus einer Stasisröhre befreien könnte«, sagte Hicks ruhig. »Vermutlich haben sie, nachdem sie rausgestiegen sind, auch
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den Operationssaal von außen verschlossen, die Notstromversorgung zu den Deckenlichtern unterbrochen, mein Gewehr versteckt und außerdem die Videokamera abgeschaltet.« Ripley wirkte müde. »Wissen Sie, Burke, ich könnte nicht sagen, welche Spezies schlimmer ist. Wir haben noch nicht erlebt, daß die sich wegen eines Scheißanteils gegenseitig übers Ohr hauen.« »Machen wir Hackfleisch aus ihm.« Hicks' Ausdruck war unergründlich, als er auf den Vertreter der Gesellschaft hinunterblickte. »Nichts für ungut.« Ripley schüttelte den Kopf. In ihrem Innern wich der anfängliche Zorn Leere und Ekel. »Finden Sie nur einen Platz, wo wir ihn einsperren können, bis es Zeit zum Aufbruch ist.« »Warum, in Gottes Name n?« Hudson bebte vor unterdrückter Wut, sein Finger spannte sich um den Abzug seines Gewehrs. Ripley warf einen Blick auf den Nachrichtentechniker. »Weil ich ihn gerne mit zurücknehmen möchte. Ich will, daß die Leute erfahren, was er getan hat. Sie müssen wissen, was mit der Kolonie hier passiert ist und warum. Ich will ...« Die Lichter erloschen. Hicks wandte sich sofort der Taktikkonsole zu. Der Schirm leuchtete noch mit Batteriestrom, aber es blitzten keine Bilder mehr darüber, weil die Stromversorgung zum Computer der Kolonie unterbroche n war. Eine schnelle Überprüfung der Zentrale ergab, daß alles aus war: elektrische Türen, Videoschirme, Sensorkameras, das ganze Drum und Dran. »Sie haben den Strom abgeschaltet.« Ripley stand reglos in der fast völligen Dunkelheit. »Was soll das heißen, sie haben den Strom abgeschaltet?« Hudson drehte sich langsam im Kreis und wich an eine Wand zurück. »Wie konnten sie den Strom abschalten, Mann? Das sind doch blöde Tiere.« »Wer weiß schon, was sie wirklich sind? Wir wissen noch
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nicht genug über sie, um das sicher sagen zu können.« Sie hob das Impulsgewehr auf, das Burke ihr weggenommen hatte, und drückte mit dem Daumen die Sicherung hinunter. »Vielleicht verhalten sie sich einzeln so, aber sie könnten auch eine Art von kollektiver Intelligenz besitzen. Wie Ameisen oder Termiten. Bishop hatte davon gesprochen, ehe er ging. Termiten bauen Hügel von drei Metern Höhe. Blattschneiderameisen betreiben Landwirtschaft. Ist das nur Instinkt? Was, zum Teufel, ist Intelligenz überhaupt?« Sie blickte nach links. »Bleib dicht bei mir, Newt! Die anderen sollen ein paar Tracker abschalten. Los, los, Bewegung! Gorman, Sie behalten Burke im Auge.« Hudson und Vasquez schalteten ihre Scanner ein. Die Sensoren zur Bewegungsentdeckung leuchteten in der Dunkelheit tröstlich. Die moderne Technologie hatte sie noch nicht völlig im Stich gelassen. Mit den beiden Soldaten an der Spitze, gingen sie alle auf den Korridor zu. Da jede Energieversorgung zur Zentrale unterbrochen war, mußte Vasquez die Tür mit der Hand aufschieben. Ripleys Stimme ertönte hinter der Automatikkanonierin. »Ist da was?« »Nichts.« Vasquez war nicht mehr als ein Schatten vor einer Wand. Sie brauchte Hudson diese Frage nicht zu stellen, weil jeder hörte, wie der Tracker des Nachrichtentechnikers laut piepte. Alle Augen wandten sich in seine Richtung. »Da ist was. Ich habe was.« Er schwenkte den Tracker. Wieder piepte das Gerät, diesmal lauter. »Es bewegt sich. Es ist innerhalb des Komplexes.« »Ich sehe nichts.« Vasquez' Tracker blieb stumm. »Du ortest nur mich.« Hudsons Stimme schnappte leicht über. »Nein. Nein! Das bist
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nicht du. Sie sind hier drin. Innerhalb des Perimeters. Sie sind hier!« »Ganz ruhig bleiben, Hudson!« Ripley versuchte, bis ans andere Ende des Korridors zu sehen. »Vasquez, Sie müßten das doch eigentlich bestätigen können.« Die Automatikkanonierin beschrieb mit ihrem Tracker und ihrem Gewehr einen weiten Bogen. Die letzte Stelle, auf die sie beides richtete, war direkt hinter ihr. Der tragbare Sensor ließ ein scharfes Piepen hören. »Vielleicht hat Hudson doch recht.« Ripley und Hicks wechselten einen Blick. Wenigstens brauchten sie jetzt nicht mehr herumzustehen und zu warten, daß etwas passierte. »Jagdzeit«, sagte der Corporal gepreßt. Ripley rief den beiden Soldaten zu: »Kommen Sie hierher! Alle beide! Wir ziehen uns in die Zentrale zurück.« Hudson und Vasquez begannen rückwärts zu gehen. Die Augen des Nachrichtentechnikers beobachteten nervös den dunklen Tunnel, den sie gerade räumten. Da stimmte etwas nicht. »Dieses Signal ist unheimlich. Das muß eine Störung oder so was sein. Vielleicht sind da irgendwo unregelmäßige Energiestöße. Ich orte hier überall Bewegung, aber sehen kann ich, verdammt noch mal, gar nichts.« »Kommen Sie nur zurück!« Ripley spürte, wie ihr auf der Stirn und unter den Armen der Schweiß ausbrach. Kalt, wie ihre Magengrube. Hudson drehte sich um, fing an zu laufen und erreichte die Tür einen Augenblick vor Vasquez. Gemeinsam zogen sie sie zu und dichteten sie ab. Sobald sie drin waren, verteilten sie die Reste ihres erbärmlich kleinen Arsenals. Flammenwerfer, Granaten und schließlich, ganz gerecht, die geladenen Impulsgewehre. Hudsons Tracker sandte weiterhin unregelmäßige Pieptöne aus, die sich
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in einem allmählichen Crescendo steigerten. »Bewegung!« Er blickte wild um sich, sah in dem düsteren Raum nur die Umrisse seiner Gefährten. »Das Signal ist sauber. Es kann kein Irrtum sein.« Er hob den Scanner auf und bewegte das Aufnahmeende im ganzen Raum herum. »Ich habe in zwanzig Metern Umkreis überall Bewegung.« Ripley flüsterte Vasquez zu: »Schweißen Sie die Tür zu!« »Wie kommen wir zum Landefahrzeug, wenn ich die Tür zuschweiße?« »Auf dem gleichen Weg wie Bishop. Außer, Sie wollen versuchen, zu Fuß rauszukommen.« »Siebzehn Meter«, murmelte Hudson. Vasquez hob ihren Handschweißbrenner auf und ging zur Tür. Hicks reichte Ripley einen der Flammenwerfer und begann, den anderen für sich selbst scharfzumachen. »Zünden wir die Dinger an.« Einen Augenblick später sprang der seine an, eine kleine gleichmäßige blaue Flamme zischte aus dem Lauf der Waffe wie aus einem übergroßen Feuerzeug. Der von Ripley flammte strahlend hell auf, als sie auf den Knopf mit der Aufschrift ZÜNDUNG drückte, der seitlich in den Griff eingelassen war. Überall stoben Funken umher, als Vasquez begann, die Tür an Boden, Decke und Wänden festzuschweißen. Hudsons Tracker piepte jetzt wie wild, aber er war immer noch nicht so schnell wie Ripleys Herz. »Sie haben dazugelernt«, sagte sie, weil sie die Stille nicht länger ertragen konnte. »Man kann es Instinkt oder Intelligenz oder Gruppenanalyse nennen, aber sie haben dazugelernt. Sie haben den Strom abgeschaltet, und sie sind den Kanonen ausgewichen. Sie müssen einen anderen Weg in den Komplex gefunden haben, etwas, das uns entgangen ist.« »Uns ist nichts entgangen, knurrte Hicks. »Fünfzehn Meter.« Hudson trat einen Schritt von der Tür
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weg. »Ich weiß nicht, wie sie es gemacht haben. Ein Säureloch in einem Schacht, etwas unter dem Fußboden, was eigentlich dicht sein sollte, es aber nicht war. Etwas, das die Kolonisten angebaut oder verändert haben, ohne sich die Mühe zu machen, es in der offiziellen Schemazeichnung einzufügen. Wir wissen nicht, inwieweit diese Pläne auf dem neuesten Stand sind oder wann sie zum letzten Mal überprüft und alle baulichen Neuerungen eingetragen wurden. Ich weiß nicht, was, aber etwas muß da sein!« Sie hob Vasquez' Tracker auf und hielt ihn in die gleiche Richtung, in die auch Hudson zielte. »Zwölf Meter«, teilte ihnen der Nachrichtentechniker mit. »Mann, das ist vielleicht ein dickes Signal. Zehn Meter.« »Sie sind direkt über uns.« Ripley starrte die Tür an. »Vasquez, wie kommen Sie voran?« Die Automatikkanonierin antwortete nicht. Kleine Tropfen flüssigen Metalls versengten ihre Haut und landeten rauchend auf ihrem Anzug. Sie biß die Zähne zusammen und versuchte, den Schweißbrenner, mit einigen ausgesuchten Verwünschungen, schneller zu führen. »Neun Meter. Acht.« Hudsons Stimme wurde schriller, als er die letzte Zahl verkündete, und er schaute wild um sich. »Das kann nicht sein.« Ripley stellte es mit Nachdruck fest, obwohl der Tracker, den sie in der Hand hielt, den gleichen unmöglichen Wert lieferte. »Das wäre ja innerhalb dieses Raumes.« »Es stimmt, es stimmt.« Er hielt sein Instrument schräg, damit sie den winzigen Bildschirm und die dazugehörigen Leuchtanzeigen sehen konnte. »Sehen Sie doch!« Ripley fummelte an ihrem eigenen Tracker herum und drehte an den Schrauben zur Feinregulierung, während Hicks mit einem einzigen Schritt zu Hudson hinüberging. »Tja, dann liest
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du nicht richtig ab.« »Verdammt, natürlich!« Die Stimme des Nachrichtentechnikers klang fast hysterisch. »Ich kenne diese kleinen Babys, und sie lügen nicht, Mann. Sie sind zu einfach, um durchzudrehen.« Er starrte mit vorquellenden Augen auf die flackernden Anzeigen: »Sechs Meter. Fünf. Was zur Höl ...« Seine Augen begegneten denen von Ripley, und beide hatten gleichzeitig dieselbe Erkenntnis. Beide bogen die Köpfe nach hinten und hielten die Tracker in die gleiche Richtung. Das Piepen aus beiden Instrumenten wurde zu einem betäubenden Summen. Hicks kletterte auf einen Aktenschrank. Er schlang sich sein Gewehr über die Schulter und nahm den Flammenwerfer fest in die Hand, dann hob er eine der schalldämmenden Deckenplatten an und leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein. Sie erhellte eine Szene, wie sie sich Dante in seinen wildesten Alpträumen und Poe in den Fängen eines Opiumrausches nicht hätten vorstellen können.
13.
Der Wartungsgang zwischen der schalldämmenden Zwischenplatte und dem Metalldach war voll mit Aliens. Mehr Aliens, als er auf die schnelle zählen konnte. Sie hingen kopfüber an Rohren und Pfeilern und krochen, metallisch glänzend, wie Fledermäuse auf sein Licht zu. Sie füllten den Wartungsgang, so weit seine Lampe reichte. Er brauchte keinen Bewegungstracker, um die Bewegung hinter sich zu spüren. Als er Licht und Körper herumriß,
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erfaßte der Strahl ein Alien in weniger als einen Meter Entfernung. Es stürzte auf sein Gesicht los. Als der Corporal heftig auswich, spürte er, wie Klauen, die fähig waren, Metall zu zerreißen, über den Rücken seiner Panzerung harkten. Er taumelte in die Zentrale zurück, und die eingedrungenen Geschöpfe lösten massenweise ihre Greifwerkzeuge und Klauen. Die dünne Zwischendecke brach durch, und Trümmer und Alptraumgestalten regneten in den Raum darunter. Newt schrie, Hudson eröffnete das Feuer, und Vasquez half Hicks herunter, während sie gleichzeitig ihren Flammenwerfer rauchen ließ. Ripley schnappte sich Newt und stolperte nach rückwärts. Gorman war sofort an ihrer Seite und schoß mit seinem Gewehr, was das Zeug hielt. Niemand hatte Zeit, auf Burke zu achten, als der Vertreter der Gesellschaft auf den einzigen nicht blockierten Korridor zustürzte, den Verbindungsgang zwischen der Zentrale und der Medizinischen Abteilung. Flammenwerfer tauchten das Chaos in helles Licht und setzten einen Angreifer nach dem anderen in Brand. Manchmal stolperten die brennenden Aliens mit wahnsinnigem Gekreisch übereinander und vergrößerten die Verwirrung und die Feuersbrunst noch. Die Schreie hörten sich viel eher wütend an als schmerzlich. Säure strömte aus versengten Körpern, fraß klaffende Löcher in den Fußboden und steigerte die Gefahr. »In die Medizinische!« Ripley wich langsam zurück, Newt dicht bei sich haltend. »In die Medizinische!« Sie drehte sich um und stürzte auf den Verbindungsgang zu. Die Wände um sie verschwammen, aber wenigstens hielt die Decke über ihrem Kopf stand. Sie konnte sich auf den Korridor vor sich konzentrieren. Ganz kurz erblickte sie Burke, als er die schwere Tür in den Laborbereich passierte und sie hinter sich zuschob. Ripley rannte dagegen und zerrte an dem äußeren Riegel, aber da schnappte er schon auf der anderen Seite zu.
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»Burke! Machen Sie die Tür auf! Zum Teufel mit Ihnen, Burke, machen Sie die Tür auf!« Newt zupfte an Rip leys Hosen, schlüpfte hinter sie und deutete den Korridor hinunter. »Schau!« Ein Alien kam durch den Gang auf sie zugeschritten. Ein großes Alien. Zitternd hob Ripley ihr Gewehr und versuchte, sich in einem winzigen Augenblick an alles zu erinnern, was ihr Hicks über diese starke Waffe beigebracht hatte. Sie richtete den Lauf direkt auf die Mitte der glänzenden Skelettbrust und drückte den Abzug. Nichts geschah. Das heranrückende Ungeheuer stieß ein Zischen aus. Die äußeren Kiefer öffneten sich, Schleim tropfte auf den Boden. Ruhig, ruhig, nicht das Ziel verlieren! sagte sich Ripley. Sie sah nach der Sicherung. Offen. Ein Blick verriet ihr, daß das Magazin voll war. Newt klammerte sich verzweifelt an ihr Bein und fing an zu schreien. Ripleys Hände zitterten so heftig, daß sie das Gewehr beinahe fallen ließ. Das Alien hatte sie fast erreicht, als ihr einfiel, daß man das erste Hochenergieprojektil von Hand in den Verschluß drücken mußte. Das tat sie nun und zuckte dann krampfhaft am Abzug. Der Schuß traf das Wesen mitten ins Gesicht und schleuderte es zurück. Sie wandte sich ab und bedeckte in einer inzwischen instinktiv gewordenen Verteidigungsbewegung ihr Gesicht, so gut sie konnte. Aber die Energie des Projektils, das auf kürzeste Distanz in den Körper des Aliens eingeschlagen hatte, hatte es mit solcher Gewalt nach hinten geworfen, daß die spritzende Säure sie nicht erreichte. Obwohl der Rückstoß gedämpft war, war er immer noch stark genug, daß sie aus dem Gleichgewicht geworfen wurde und gegen die verschlossene Tür taumelte. Ihr Sehvermögen war durch die Explosion aus nächster Nähe vorübergehend außer Kraft gesetzt, und sie bemühte sich durch heftiges Blinzeln,
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ihre Augen wieder funktionsfähig zu machen. Ihre Ohren dröhnten von der Erschütterung. In der Zentrale schaute Hicks gerade rechtzeitig auf, um auf einen ihn anspringenden Schatten zu schießen, die Wucht des Impulsprojektils schleuderte seinen Angreifer rückwärts in einen brennenden Schrank. Inzwischen hatten die Flammenwerfer mit vereinten Kräften das Feuerschutzsystem aktiviert, und die Sprinklerdüsen an der Decke überfluteten den Raum. Wasser stürzte auf den Corporal herab und durchnäßte die anderen Soldaten. Etwas davon drang in den Zentralcomputer der Kolonie ein und machte ihn unbrauchbar. Aber wenigstens sammelte es sich nicht um ihre Beine. Es gab inzwischen so viele Säurelöcher, daß es abfließen konnte. Die Feuersirene jaulte, erschwerte es den Kämpfenden, sich gegenseitig zu hören, und schloß jeden Gedanken an eine gemeinsame Taktik aus. Hudson schrie aus voller Kehle, seine schrille Stimme war über das Heulen der Sirene hinweg zu vernehmen. »Raus hier, raus hier!« »In die Medizinische!« brüllte ihm Hicks zu. Er gestikulierte hektisch, während er sich zum Korridor zurückzog. »Kommt schon, verdammt!« Als sich der Nachrichtentechniker ihm zuwandte, rissen die Bodenplatten unter seinen Füßen auf. Klauenbewehrte Arme packten ihn, kraftvolle Dreifachfinger umschlossen seine Knöchel und zerrten ihn hinunter. Eine zweite hochaufragende Gestalt stürzte sich von hinten auf ihn, und innerhalb von Sekunden war er verschwunden, von dem Kriechgang unter dem Fußboden verschluckt. Hicks gab eine Schnellfeuersalve in die Höhlung ab und hoffte, den Nachrichtentechniker samt seinen Entführern erwischt zu haben, dann drehte er sich um und rannte davon. Vasquez und Gorman waren direkt hinter ihm, die Automatikkanonierin legte noch einen mörderischen
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Feuerbogen, um ihnen den Rückzug zu decken. Ripley fummelte an dem Türgriff herum, als Newt sie am Arm zog, um auf sich aufmerksam zu machen. Das Mädchen deutete schweigend auf das blutende, halb zerrissene Alien, das gerade versuchte, sich aufzurichten und erneut auf sie loszugehen. Vor dem Krach und dem Lichtblitz zurückzuckend, durchbohrte Ripley es ein zweitesmal. Der Lauf des Impulsgewehrs zuckte zur Decke, und Newt hielt sich vor dem Krachen die Ohren zu. Diesmal blieb das Alptraumwesen liegen. Hinter ihnen ertönte eine Stimme. »Nicht schießen!« Hicks und die anderen erschienen aus Rauch und Staub. Sie waren rußverschmiert und triefend naß. Ripley trat beiseite und zeigte auf die Tür. »Versperrt.« Sie brauchte nicht zu erklären, wieso. Hicks nickte nur. »Zurücktreten!« Aus seinem Gürtel zog er einen Schneidbrenner, eine Miniaturausgabe des Geräts, das Vasquez vorher benutzt hatte, um zuerst die Feuertür und dann die zu verschweißen, die in die Zentrale führte. Er machte kurzen Prozeß mit dem Schloß. Nichtmenschliche Gestalten erschienen am anderen Ende des Korridors. Ripley fragte sich, wie sie ihre Beute so wirkungsvoll verfolgen konnten. Sie hatten keine erkennbaren Augen und Ohren und keine Nasenlöcher. Ein unbekanntes, spezielles Spürorgan der Aliens? Eines Tages würde vielleicht ein Wissenschaftler eines dieser Scheusale sezieren und eine Antwort finden. Eines Tages, lange nach ihrem Tod, denn sie hatte nicht die Absicht, in der Nähe zu sein, wenn man es versuchte. Vasquez reichte Gorman ihren Flammenwerfer und nahm ihr das Gewehr ab. Aus einem Beutel zog sie mehrere kleine eiförmige Gegenstände und schob sie in das unten angebrachte Rohr der M41.
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Gormans Augen wurden groß, als er sah, wie sie die Granaten lud. »He, die können Sie hier drin nicht verwenden.« Er wich von ihr zurück. »Richtig. Ich verletze soeben Nahkampfvorschrift fünfundneunzig bis achtundneunzig. Machen Sie Meldung!« Sie richtete den Lauf der Waffe auf die anrückende Horde. »Feuer im Loch!« Sie pumpte einen Schuß hoch, feuerte und drehte dabei leicht den Kopf. Die Explosion der Granate ließ Ripley taumeln und hätte Vasquez beinahe umgerissen. Ripley war sicher, daß sie die Automatikkanonierin lächeln sah, als das vom Kampf verschmierte Gesicht von der Explosion erleuchtet wurde. Hicks wankte, und die blauglühende Flamme aus seinem Brenner schoß einen Moment unkontrolliert nach oben. Dann richtete er sich auf und schnitt weiter. Einen Augenblick später fiel das Schloß klappernd aus der Tür und ins Innere der Medizinischen. Er steckte den Brenner wieder in den Gürtel, stand auf und trat die Tür ein. Schmelztropfen flogen umher. Hicks und seine Gefährten beachteten sie gar nicht. Sie waren daran gewöhnt, spritzender Säure auszuweichen. Er drehte sich gerade so lange um, daß er Vasquez zurufen konnte: »Vielen Dank! Jetzt höre ich gar nichts mehr!« Sie machte ein verwirrtes Gesicht, das ebenso echt und von Herzen kommend war wie ihr sanftes Wesen, und legte eine Hand ans Ohr: »Was sagst du?« Sie stolperte in das zerstörte Medizinlabor. Als letzte kam Vasquez. Sie drehte sich um, schob die schwere Tür halb hinter sich zu und feuerte schnell nacheinander drei Granaten durch den so entstandenen Spalt. Kurz bevor sie explodierten, schloß sie die Tür ganz und rannte wie der Teufel davon. Der Dreifachknall hörte sich an wie ein riesiger Gong. Die schwere Sicherheitstür aus Metall wurde nach innen aus den Schienen
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gedrückt. Ripley war schon zur anderen Seite des Anbaus gegangen, um dort die Tür zu probieren. Diesmal war sie nicht überrascht, als sie sie verschlossen fand. Sie beschäftigte sich damit, während Hicks mit seinem Brenner die verbogene Tür zuschweißte, durch die sie eben gekommen waren. Im Hauptlabor wich Burke über den dunklen Fußboden zurück. Diesmal würde es keine Diskussion über hypothetische Greueltaten geben, kein höfliches Geben und Nehmen. Man würde ihn erschießen, sowie man ihn sah, darüber war er sich im klaren. Hicks würde sich vielleicht noch zurückhalten, und Gorman auch, aber Hudson oder diese irre Vasquez würden sie nicht bändigen können. Keuchend ging er zur Tür, die in den Hauptkomplex hinausführte. Wenn die Aliens völlig mit seinen ehemaligen Kollegen beschäftigt waren, hatte er vielleicht eine Chance, konnte es schaffen, trotz allem, was so schrecklich danebengegangen war. Er konnte sich in die eigentliche Kolonie zurückschleichen, sich vom Kampf entfernen und auf Umwegen zum Landefeld laufen. Bishop war vernünftigen Argumenten zugänglich, wie es sich für einen guten Syntheten gehörte. Vielleicht konnte er ihn davon überzeugen, daß alle anderen tot waren. Wenn er dieses kleine semantische Kunststück fertigbrachte und außerdem den Kommunikator des Androiden außer Betrieb setzte, so daß die anderen nicht mit ihm in Verbindung treten und die Behauptung entkräften konnten, dann würden sie keine andere Wahl haben, als unverzüglich zu starten. Wenn die Anweisung mit genügend Nachdruck erteilt wurde und niemand da war, der ihr widersprechen konnte, müßte Bishop ihr eigentlich Folge leisten. Seine Finger griffen nach dem Türriegel und erstarrten, ohne das Metall zu berühren. Der Riegel drehte sich schon, ansche inend von selbst. Fast gelähmt vor Angst, stolperte er rückwärts,
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als die Tür von der anderen Seite langsam geöffnet wurde. Das laute Peitschen eines herabsausenden Stachels hörten die anderen im Anbau nicht. Vasquez Bombardement hatte den Korridor lange genug freigemacht, daß Hicks die Tür zuschweißen konnte. Es sicherte ihnen ein paar ruhige Minuten, ein Hinhalten, mehr nicht. Nun wich der Corporal von der Tür zurück und lud sein Gewehr für die letzte Konfrontation, als etwas von außen gegen die Trennwand krachte und sie in der Mitte eindellte. Ein zweiter Stoß ließ das Metall quietschen, und die Tür begann, sich aus dem Rahmen zu lösen. Newt zupfte hartnäckig an Ripleys Hand. Endlich nahm die Erwachsene Notiz davon und riß sich von der nachgebenden Tür los. »Komm mit! Hier herein!« Newt zog Ripley auf die gegenüberliegende Wand zu. »Das geht nicht, Newt. Ich habe kaum in dein Versteck gepaßt. Die anderen haben eine Panzerung an, und einige von ihnen sind größer als ich. Die passen da überhaupt nicht rein.« »Nicht den Weg«, sagte das Mädchen ungeduldig. »Es gibt einen anderen.« Hinter einem Schreibtisch war als dunkles Rechteck an der Wand ein Luftschacht zu erkennen. Newt entriegelte geschickt das Schutzgitter und schwang es auf. Sie bückte sich, um hineinzuschlüpfen, aber Ripley zog sie zurück. Sie blickte eigensinnig zu der Erwachsenen auf. »Ich weiß, wohin ich will.« »Daran zweifle ich keinen Augenblick, Newt. Du wirst nur nicht als erste gehen, das ist alles.« »Früher bin ich immer als erste gegangen.« »Früher war ich nicht hier, und früher war dir auch nicht jedes Alien auf Acheron auf den Fersen.« Sie ging zu Gorman hinüber und tauschte ihr Gewehr gegen seinen Flammenwerfer,
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ehe er auf die Idee kam, dagegen zu protestieren. Sie zögerte lange genug, um Newt liebevoll durchs Haar zu fahren, dann ließ sie sich auf die Knie fallen und schob sich in den Schacht. Drohende Dunkelheit lag vor ihr. Im Augenblick kam sie ihr vor wie ein tröstlicher alter Freund. Sie schaute über die Schulter zurück. »Hol die anderen! Du bleibst hinter mir.« Newt nickte energisch und verschwand. Sekunden später war sie zurück, tauchte in den Schacht und drängte sich dicht an Ripley, die sofort loskroch. Hinter dem Mädchen kamen Hicks, Gorman und Vasquez. Mit der Panzerung und den großen Impulsgewehren, die sie mitschleppten, war es sehr eng für die Soldaten, aber alle kamen durch die Öffnung. Vasquez nahm sich noch die Zeit, das Gitter hinter sich zuzuziehen. Wenn sich der Tunnel weiter vorne verengte oder sich in kleinere Nebenschächte aufspaltete, saßen sie in der Falle, aber Ripley machte sich deshalb keine Sorgen. Sie hatte großes Vertrauen zu Newt. Schlimmstenfalls würden sie noch Zeit haben, sich höflich voneinander zu verabschieden, ehe sie Strohhalme zogen oder etwas Ähnliches, um zu entscheiden, wer schließlich den anderen den Gnadenstoß versetzen mußte. Ein Blick zeigte ihr, daß das Kind direkt hinter ihr war. Noch näher. Newt war es gewöhnt, sich in viel höherem Tempo durch das Labyrinth von Schächten zu bewegen, und so kroch sie Ripley fast auf die Beine hinauf. »Los!« drängte das Mädchen wiederholt. »Mach schneller!« »Ich tue, was ich kann. Ich bin nicht für so etwas gebaut, Newt. Keiner von uns, und wir haben auch nicht deine Erfa hrung. Weißt du sicher, wo wir sind?« »Natürlich.« Leise Verachtung klang in der Stimme des Mädchens mit, als habe Ripley soeben das Offensichtlichste auf der Welt festgestellt. »Und du weißt auch, wie wir von hier zum Landefeld kom-
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men?« »Sicher. Nur weiter. Ein kleines Stück noch, dann mündet der Tunnel hier in einen größeren ein. Danach halten wir uns links.« »Ein größerer Schacht?« Hicks' Stimme hallte von den Metallwänden wider, als er Newt ansprach. »Mädchen, wenn wir nach Hause kommen, kaufe ich dir die größte Puppe, die du je gesehen hast. Oder was immer du willst.« »Nur ein Bett, das wäre schön, Mr. Hicks.« Tatsächlich, nachdem sie noch einige Minuten schnell gekrochen waren, gelangten sie in den Hauptbelüftungsschacht der Kolonie, wie Newt gesagt hatte. Er war so geräumig, daß sie, anstatt zu kriechen, gebückt gehen konnten. Ripleys Hände und Knie schrien vor Erleichterung auf, und alle kamen merklich schneller voran. Sie stieß sich ständig den Kopf an der niedrigen Decke, aber es war eine solche Erleic hterung, sich nicht mehr auf allen vieren bewegen zu müssen, daß sie die gelege ntliche Berührung kaum bemerkte. Trotz des höheren Tempos kam Newt gut mit. Wo die Erwachsenen sich bücken mußten, um unter der Decke des Schachts durchzukommen, konnte sie stehen und laufen. Panzerungen klapperten und krachten in dem engen Tunnel, aber man war sich einig, daß im Augenblick Schnelligkeit wichtiger war als Geräuschlosigkeit. Soviel sie wußten, hörten die Aliens schlecht und orteten sie mit Hilfe ihres Geruchssinns. Sie kamen an eine Gabelung, wo sich zwei Hauptschächte kreuzten. Ripley wurde langsamer, gab vorbeugend einen Feuerstoß aus ihrem Flammenwerfer ab und versengte systematisch beide Gänge. »Welche Richtung?« Newt brauchte nicht zu überlegen. »Hier, nach rechts!« Ripley drehte sich um und betrat den rechten Tunnel. Der neue
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Schacht war ein wenig kleiner als der Hauptschacht der Kolonie, aber immer noch größer als der, in dem sie aus der Medizinischen geflohen waren. Hinter ihr und Newt sprach Hicks in sein Kopfhörermikrophon, während sie weiterhasteten. »Bishop, hier spricht Hicks, hörst du mich? Hörst du mich, Bishop? Ende.« Auf seine erste Anfrage bekam er nur Schweigen zur Antwort, aber schließlich wurde seine Ausdauer mit einer von Störungen verzerrten, aber doch erkennbaren Stimme belohnt. »Ja, ich höre. Aber nicht sehr gut.« »Das reicht«, sagte Hicks. »Es wird besser werden, je näher wir rankommen. Wir sind unterwegs. Die Route führt durch die Schächte der Kolonie. Daher die schlechte Verbindung. Wie sieht's auf deiner Seite aus?« »Gut und schlecht«, antwortete der Synthet. »Der Wind ist viel stärker geworden. Aber das Landefahrzeug ist unterwegs. Habe mir gerade den Start und das Abheben von der Sulaco nochmals bestätigen lassen. Geschätzte Ankunftszeit in etwa sechzehn Minuten. Ich habe alle Hände voll zu tun, bei diesem Wind eine Fernsteuerung zu versuchen.« Ein elektronisches Aufbrüllen verzerrte das Ende des Satzes. »Wie war das?« Hicks fummelte an den Reglern des Kopfhörers herum. »Sag das noch einmal, Bishop? Wind?« »Nein. Die Atmosphärenaufbereitungsstation. Das Notausstoßsystem kommt der Überlastung immer näher. Es wird knapp werden, Corporal. Haltet euch nicht mit dem Mittagessen auf.« Der Soldat grinste im Dunkeln. Nicht alle Syntheten war ein Sinn für Humor einprogrammiert, und nicht alle, die ihn hatten, wußten etwas damit anzufangen. Bishop war schon etwas Besonderes. »Keine Sorge. Im Augenblick hat keiner von uns den rechten Appetit. Wir schaffen es rechtzeitig. Warte da draußen auf uns!
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Ende.« Er hatte sich so auf das Gespräch konzentriert, daß er beinahe über Newt gestolpert wäre. Sie war im Schacht stehengeblieben. Als er über sie hinwegschaute, sah er, daß Ripley vor ihr angehalten hatte. »Was ist los? Was ist passiert?« »Ich bin nicht sicher.« Ripleys Stimme klang im Dunkeln gespenstisch. »Ich könnte schwören, daß ich ... da!« An der äußersten Grenze ihres Taschenlampenstrahls konnte Hicks sich bewegende, abscheuliche Gestalten erkennen. Wie ein Frettchen hatte das Alien es irgendwie geschafft, seinen Körper so flach zu machen, daß es in den Schacht paßte. Hinter dem Eindringling bewegte sich noch mehr. »Zurück, geht zurück!« schrie Ripley gellend. Alle wollten der Aufforderung nachkommen und prallten in dem engen Tunnel ineinander. Hinter ihnen wurde ein Gitter auseinandergerissen, und das Geräusch hallte durch den Schacht. Das Gitter gab mit einem scharfen Twäng nach, und eine tödliche Silhouette stieg mit fließenden Bewegungen durch die entstandene Öffnung. Vasquez machte ihren Fla mmenwerfer einsatzbereit und tauchte den Tunnel hinter ihnen in Feuer. Alle wußten, daß das nur ein zeitweiliger Sieg war. Sie saßen in der Falle. Vasquez beugte sich zur Seite und starrte nach oben. »Genau hier ist ein senkrechter Schacht. Schlüpfrig, keine Handgriffe.« Ihre Stimme klang knapp und sachlich. »Zu glatt, um einen Kaminaufstieg zu versuchen.« »Verdammt!« Hicks riß seinen Schneidbrenner heraus, knipste ihn an und begann die Wand des Schachts durchzuschneiden. Geschmolzenes Metall spritzte auf seine Panzerung. Funken füllten den engen Tunnel mit grellem Licht. Vasquez' Flammenwerfer brüllte wieder auf und erlosch zischend. »Brennstoffverlust.« Aus der anderen Richtung kam die
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Alien-Kolonne näher, ihr Vormarsch verzögerte sich nur dadurch, daß sie sich durch die enge Röhre zwängen mußte. Hicks hatte zu drei Vierteln einen Ausgang in die Tunnelseite geschnitten, als der tragbare Brenner flackerte und erlosch. Fluchend stemmte er sich mit dem Rücken gegen die gegenüberliegende Wand des Schachts und trat fest zu. Das Metall bog sich. Er trat noch einmal, und es gab nach. Ohne nachzusehen, was auf der anderen Seite lag, packte er sein Gewehr und sprang durch die Öffnung. Er kam in einem engen, dicht mit Rohren und freiliegenden Leitungen vollgepackten Wartungsgang heraus. Ohne die immer noch heißen Ränder der Öffnung zu beachten, griff er in den Schacht zurück und zog Newt heraus und in Sicherheit. Ripley folgte und wandte sich um, um Gorman zu helfen. Der zögerte lange genug an der Öffnung, um zu sehen, wie Vasquez' Flammenwerfer leer wurde. Die Automatikkanonierin warf ihn weg und zog ihren Dienstrevolver. Bewegung über ihr, eine groteske Gestalt ließ sich durch den senkrechten Schacht herunterfallen. Als das Alien im Tunnel landete, rollte sie sich weg und feuerte die Pistole ab. Das Alien stolperte auf sie zu, die kleinen Projektile schlugen in seinen Exoskelettkörper ein. Vasquez riß den Kopf gerade rechtzeitig zur Seite, um dem Stachel auszuweichen. Er grub sich direkt neben ihrer Wange in die Metallwand. Sie feuerte weiter, leerte die Pistole in die um sich schlagende Gestalt und trat dabei nach den kräftigen Beinen und dem zuckenden Schwanz. Schließlich fraß sich ein Säurestrahl durch die Panzerung und versengte ihr die Schenkel. Sie stöhnte vor Schmerz auf. Gorman erstarrte im Tunnel. Er blickte Ripley an. Sie sind direkt hinter mir. Verschwindet!« Sie sahen sich so lange in die Augen, wie sie sich Zeit zu nehmen wagten. Dann drehte sie
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sich um und rannte, mit Newt im Schlepptau, den Wartungsgang hinauf. Hicks folgte ihr widerstrebend, er starrte zurück zu der Öffnung, die er in den Ventilationsschacht geschnitten hatte. Er hoffte noch. Wider besseres Wissen. Gorman kroch auf die bewegungslose Automatikkanonierin zu. Als er sie erreichte, sah er, daß aus dem Loch in ihrer Panzerung Rauch quoll, und er roch den gräßlichen Gestank von verkohltem Fleisch. Seine Finger schlossen sich um ihr Kampfgurtwerk, und er begann sie auf die Öffnung zuzuziehen. Zu spät. Das erste Alien, das aus der anderen Richtung kam, hatte das Loch, das Hicks gemacht hatte, schon erreicht und passiert. Gorman zog nicht weiter, sondern beugte sich vor, um sich Vasquez' Bein anzusehen. Da, wo die Säure Panzerung, Gurte und Fleisch weggefressen hatte, schimmerte weiß der Knochen. Ihre Augen waren glasig, als sie zu ihm aufblickte. Ihre Stimme war ein heiseres Flüstern. »Du warst immer ein Arschloch, Gorman.« Ihre Finger umfaßten die seinen im Todesgriff. Ein besond erer Griff, den nur ein paar Auserwählte teilten. Gorman erwiderte ihn, so gut er konnte. Dann reichte er ihr ein Paar Granaten und machte zwei weitere für sich selbst scharf, während die Aliens von beiden Enden des Tunnels her auf sie zukamen. Er grinste und hob einen der summenden Sprengkörper. Sie hatte kaum noch die Kraft, diese Geste nachzuahmen. »Prosit!« flüsterte er. Er konnte nicht sehen, ob sie sein Grinsen erwiderte, weil er die Augen geschlossen hielt, aber er hatte das Gefühl, daß sie es tat. Etwas Scharfes, Erbarmungsloses strich über seinen Rücken. Er wandte nicht den Kopf, um zu sehen, was es war. »Scheiß drauf!« flüsterte er schwach.
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Er stieß eine seiner Granaten in einem letzten Toast gegen eine von Vasquez. * Hinter Ripley, Newt und Hicks leuchtete der Wartungsgang auf wie die Sonne, während sie weiterrannten, so schnell sie konnten. Sie waren schon weit von der Öffnung entfernt, die der Corporal in die Wand des Schachts geschnitten hatte, aber die Schockwelle der vierfachen Explosion war noch stark genug, um die ganze Etage zu erschüttern. Newt hielt das Gleichgewicht am besten und rannte vor den beiden Erwachsenen her. Ripley und Hicks schafften es gerade noch, mit ihr Schritt zu halten. »Hierher! Hierher!« schrie sie aufgeregt. »Kommt, wir sind fast da!« »Newt, warte!« Ripley versuchte, längere Schritte zu machen, um das Mädchen einzuholen. Das Pochen ihres Herzens dröhnte ihr laut in den Ohren, und ihre Lungen protestierten heftig bei jedem Schritt, den sie machte. Rings um sie verschwammen die Wände. Sie war sich undeutlich bewußt, daß Hicks wie eine Dampfmaschine gleich hinter ihr daherpolterte. Trotz seiner Panzerung hätte er sie wahrscheinlich abhängen können, aber er versuchte es gar nicht. Er blieb vielmehr zurück, um sie beide gegen einen Angriff von hinten schützen zu können. Vor ihnen gabelte sich der Korridor. Am Ende des linken Astes führte eine schmale Ventilationsrutsche im steilen fünrundvierzig GradWinkel nach oben. Newt stand darunter und winkte heftig. »Hier! Da müssen wir hinauf!« Ripleys Körper war froh um jede Pause, ganz gleich, wie kurz, und so blieb sie stehen und untersuchte den Schacht. Er
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war steil, aber weit brauchte man nicht zu klettern. Schwaches Licht zeigte das Ende des Aufstiegs an. Von oben konnte sie den Wind dröhnen hören wie Luft, die über den Rand einer Flasche strich. Schmale Kletterrippen waren in die glatten Seiten des Schachts eingelassen. Sie scha ute hinunter zu der Stelle, wo die Rutsche ein Loch in den Boden bohrte und in unbekannte, in Dunkelheit gehüllte Tiefen verschwand. Da unten regte sich nichts. Nichts kam zu ihnen hinaufgeklettert. Sie würden es schaffen. Sie stellte den Fuß auf die erste Kletterrippe und begann den Aufstieg. Das Mädchen folgte ihr, als Hicks hinter ihnen aus dem Hauptkorridor auftauchte. Newt drehte sich um und winkte ihm zu. »Nur hier herauf, Mr. Hicks! Es ist nicht so weit, wie es aussieht. Ich habe es schon o ...« Die durch Sickerwasser verrostete und von den korrosiven Elementen in Acherons ungezähmter Atmosphäre angegriffene Rippe brach unter ihren Füßen. Sie rutschte ab, bekam mit einer Hand eine andere Rippe zu fassen. Ripley stemmte sich gegen die gefährlich schlüpfrige Oberfläche der Rutsche, drehte sich um und streckte die Hand nach ihr aus. Dabei ließ sie ihre Taschenlampe fallen und sah, wie sie rutschend und hüpfend in der Öffnung hinunterfiel, bis ihr tröstlicher Schein den Blicken entschwand. Sie streckte sich, bis sie glaubte, der Arm würde ihr aus dem Schultergelenk gerissen, ihre Finger tasteten nach denen von Newt. Aber ganz gleich, wie weit sie sich vorbeugte, es waren immer noch Zentimeter dazwischen. Newts Griff löste sich. Als sie die Rutsche hinunterglitt, warf Hicks sich ihr entgegen, den ganzen Körper gestreckt, ohne auf den kommenden Aufprall zu achten. Er krachte neben der Rutsche auf den Boden, seine Finger gruben sich in den Kragen der übergroßen Jacke des Mädchens, hielten den Stoff
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mit festem Griff. Sie rutschte heraus. Ihr Schrei hallte von unten herauf, während sie in die Dunkelheit hinunterstürzte und verschwand. Hicks warf die leere Jacke beiseite und starrte Ripley an. Sie sahen sich nur eine Sekunde lang in die Augen, dann ließ auch sie los und rutschte hinter Newt her. Während sie dahinglitt, stieß sie die Füße nach vorne, um ihre unkontrollierte Fahrt abzubremsen. Wie der Korridor darüber, so gabelte sich auch die Rutsche, wo sie die tiefergelegene Etage kreuzte. Die Taschenlampe leuchtete rechts von ihr, und sie verlagerte ihr Gewicht, um in diese Richtung zu rutschen. »Newt! Newt!« Ein fernes Wimmern, kläglich und verzerrt durch die Entfe rnung und das dazwischenliegende Metall, drang zu ihr herauf. »Mami wo bist du?« Newt war kaum zu hören. War sie auf der anderen Seite hinuntergerutscht? Der Schacht endete in einem horizontalen Wartungstunnel. Die Taschenlampe lag unbeschädigt auf dem Boden, aber von dem Mädchen war nichts zu sehen. Als Ripley sich bückte, um die Lampe aufzuheben, erreic hte der Schrei sie wieder, von den schmalen Wänden widerhallend. Ripley ging in der, wie sie hoffte, richtigen Richtung den Tunnel hinunter. Durch die wilde Rutschpartie hatte sie jegliche Orientierung verloren. Newts Ruf erklang wieder. Schwächer? Ripley konnte es nicht sagen. Sie drehte sich im Kreis, Panik stieg in ihr auf, ihr Licht erhellte nur Ruß und Feuchtigkeit. Hinter jedem Vorsprung sah sie grinsende, schleimverschmierte Kiefer, jede Höhlung war ein klaffendes Alien-Maul. Dann fiel ihr ein, daß sie immer noch ihre Kopfhörer aufhatte. Und noch etwas fiel ihr ein. Etwas, was der Corporal ihr gegeben und was sie ihrerseits weitergegeben
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hatte. »Hicks, kommen Sie runter! Ich brauche den Orter für das Armband, daß Sie mir gegeben haben.« Sie legte die Hände an den Mund und schrie den Wartungsgang hinunter: »Newt! Bleib, wo du bist. Wir kommen!« * Das Mädchen befand sich in einem niedrigen, grottenartigen Raum, wo der zweite Ast der Rutsche sie abgesetzt hatte. Der Raum war kreuz und quer von Rohren und Plastikleitungen durchzogen und bis an ihre Gürtellinie mit Wasser gefüllt. Licht kam nur von oben, durch ein schweres Gitter. Vielleicht war Ripleys Stimme auch von oben gekommen, dachte sie. Sie begann an dem Netzwerk von Rohren hochzuklettern. Etwas Großes, Massiges kam die Rutsche herunter. Hicks hätte diese Beschreibung nicht sehr schmeichelhaft gefunden, aber Ripley war riesig erleichtert, als sie ihn erblickte, ganz gleich, wie zerknittert er aussah. Allein die Anwesenheit eines zweiten menschliche n Wesens in diesem stygischen Gespenstertunnel genügte, um die Angst ein klein wenig zurückzudrängen. Er landete auf den Füßen, sein Gewehr mit einer Hand umklammernd, und schnallte das Notsuchgerät von seinem Kampfgurtwerk ab. »Ich habe das Armband Ihnen gegeben«, sagte er vorwurfsvoll, als er den Tracker einschaltete. »Und ich habe es Newt gegeben. Ich dachte, sie würde es dringender brauchen als ich, und ich hatte recht. Es ist gut, daß ich es getan habe, sonst würden wir sie hier niemals finden. Sie können später mit mir schimpfen. Wohin?« Er blickte auf die Anzeige des Trackers, drehte sich um und ging in den Tunnel hinein. Das Gerät führte sie zu einem Abschnitt des Wartungsganges, in dem der Strom nicht
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ausgefallen war. Immer noch erhellten Notlampen Wände und Decke. Sie schalteten ihre Scheinwerfer aus. Irgendwo in der Nähe tropfte Wasser. Der Blick des Unteroffiziers wich kaum vom Schirm des Trackers. Er bog nach links ab. »Diese Richtung. Wir kommen näher.« Der Orter führte sie zu einem großen, in den Boden eingela ssenen Gitterrost und zu einer Stimme von unten. »Ripley?« »Wir sind es, Newt.« »Hier! Ich bin hier, hier unten.« Ripley kniete sich an den Rand des Gitters, dann legte sie die Finger um die Mittelstange und zog. Der Rost bewegte sich nicht. Eine schnelle Untersuchung ergab, daß er nicht verriegelt, sondern in den Boden eingeschweißt war, damit man ihn nicht herausheben konnte. Als sie hinunterschaute, konnte sie gerade Newts tränenverschmiertes Gesicht erkennen. Das Mädchen streckte die Hand nach oben. Ihre kleinen Finger zwängten sich durch die eng zusammenstehenden Stäbe. Ripley drückte sie beruhigend. »Klettere von dem Rohr wieder runter, Schätzchen! Wir werden das Gitter durchschneiden müssen. In einer Minute haben wir dich da rausgeholt.« Gehorsam wich die Kleine zurück und rutschte an den Rohren hinunter, die sie hinaufgeklettert war, Hicks schaltete seinen Handbrenner ein. Ripley warf einen bedeutungsvollen Blick in seine Richtung, sah ihm dann in die Augen und senkte die Stimme. »Wieviel Treibstoff noch?« Sie dachte daran, wie Vasquez' Flammenwerfer im kritischen Augenblick leer geworden war. Er schaute weg. »Genug.« Er beugte sich vor und begann, den ersten Stab zu durchschneiden. Newt sah von unten, wie grelle Funken herunterstoben, als Hicks durch die gehärtete Legierung schnitt. Es war kalt im
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Tunnel, und sie stand wieder im Wasser. Sie biß sich auf die Unterlippe, um die Tränen zurückzukämpfen. Sie sah die glänzende Erscheinung nicht, die lautlos hinter ihr aus dem Wasser stieg. Es hätte auch nichts geändert, wenn sie sie gesehen hätte. Sie konnte nirgendwo hinlaufen, es gab keinen sicheren Luftschacht, in den sie verschwinden konnte. Einen Augenblick zögerte das Alien reglos über ihr, neben ihm wirkte ihre winzige Gestalt zwergenhaft klein. Erst als es sich wieder bewegte, spürte sie seine Gegenwart und fuhr herum. Sie hatte kaum genug Zeit zu schreien, als der Schatten sie verschlang. Ripley hörte den Schrei und das kurze Platschen von unten und geriet völlig außer sich. Der Rost war halb durchgeschnitten. Sie und Hicks rissen daran und traten dagegen, bis sich ein Teil davon nach unten bog. Nach einem weiteren Tritt fiel der verbogene Metallbrocken ins Wasser. Ohne auf die rotglühenden Ränder zu achten, warf sich Ripley über die Öffnung, umklammerte mit einer Hand die Lampe und fuhr mit dem Lichtstrahl über Rohre und Leitungen. »Newt! Newt!« Die dunkle Wasserfläche warf das Licht nach oben zurück. Das Wasser war glatt und still, nachdem es das Gitterstück geschluckt hatte. Von dem Mädchen war nichts mehr zu sehen. Alles, was noch übrig war und bewies, daß es sich jemals hier befunden hatte, war Casey. Während Ripley noch hilflos zusah, versank der Puppenkopf in der öligen Schwärze. Hicks mußte sie buchstäblich aus der Öffnung zerren. Sie wehrte sich blind und wollte sich aus seiner Umarmung losreißen. »Nein, neiiiiin!« Er brauchte seine ganze Kraft und seine größeren Körpermaße, um sie von der Öffnung wegzudrängen. »Sie ist fort«, sagte
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er eindringlich. »Weder Sie noch ich noch sons t jemand kann daran etwas ändern. Gehen wir!« Mit einem Blick sah er, daß sich am anderen Ende des Korridors, der sie zu dem Rost geführt hatte, etwas bewegte. Vielleicht spielten ihm auch nur seine Augen einen Streich. Aber solche Streiche konnten sich auf Acheron als tödlich erweisen. Ripley glitt schnell in die Hysterie hinein, sie schrie und weinte und schlug mit Armen und Beinen um sich. Er mußte sie vom Boden hochheben, um zu verhindern, daß sie sich in die Öffnung stürzte. Ein wilder Sprung in die wassergefüllte Dunkelheit darunter war eine Abkürzung zum Selbstmord. »Nein! Nein! Sie lebt noch! Wie müssen …« »Na schön!« brüllte Hicks. »Sie lebt noch. Ich glaube es ja. Aber wir müssen weg. Jetzt! Auf diese Weise kriegen Sie sie nicht wieder.« Er deutete mit einem Nicken zu dem Loch im Boden hinunter. »Sie wird da unten nicht auf Sie warten, aber die anderen. Sehen Sie!« Er deutete mit der Hand, und sie hörte auf zu zappeln. Am anderen Ende des Tunnels war ein Lift. »Wenn die Lampen in diesem Abschnitt Notstrom haben, dann funktioniert vielleicht auch der. Sehen wir zu, daß wir hier wegkommen. Wenn wir mal oben sind, können wir versuchen, das Ganze zu durchdenken, ohne daß sie sich an uns ranschleichen können.« Er mußte sie trotzdem halb zum Lift schleppen und sie hineinschieben. Die Bewegung, die er am anderen Ende des Tunnels entdeckt hatte, verfestigte sich zum vorrückenden Umriß eines Alien. Hicks drückte fast das Plastik durch, als er mit dem Daumen auf den AUF-Knopf hieb. Die Doppeltüren des Lifts begannen sich zu schließen nicht schnell genug. Das Geschöpf warf seinen riesigen Arm dazwischen. Während die beiden Men-
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schen voller Grauen zusahen, summte die eingebaute Sicherheitsautomatik, und die Lifttüren begannen sich wieder zu öffnen. Die Maschine konnte nicht zwischen Mensch und Alien unterscheiden. Das sabbernde Scheusal stürzte auf sie zu, und Hicks schoß es auf kürzeste Distanz mit seinem Impulsgewehr ab. Zu dicht. Säure spritzte zwischen den sich schließenden Türen herein und lief ihm über die Brust, als er Ripley mit seiner Panzerung abschirmte. Glücklicherweise traf nichts von der Säure die Liftseile. Der Lift fuhr an und mühte sich mit dem noch vorhandenen Notstrom bis zur Oberfläche hoch. Hicks zerrte an den Schnellöffnungsschnallen seines Gurtwerks, während sich die aggressive Flüssigkeit durch die Kunststofffasern der Panzerung fraß. Die Notlage, in der er sich befand, rüttelte Ripley aus ihrer Panik auf. Sie riß an seinen Gurten und war bemüht, ihm zu helfen, so gut sie konnte. Die Säure erreichte seine Brust und seinen Arm, und er schrie und warf den Kampfpanzer ab, wie ein Insekt seine alte Haut abstreift. Die qualmenden Platten fielen zu Boden, und die Säure begann sich unerbittlich durch das Metall zu fressen. Stechende Dämpfe erfüllten die Luft im Aufzug und reizten Augen und Lungen. Es kam ihnen vor, als dauere es tausend Jahre, bis der Lift endlich zum Stehen kam. Die Säure hatte sich durch den Boden gefressen und begann, auf die Seile und Stützräder zu tropfen. Die Türen gingen auf, und sie taumelten hinaus. Diesmal mußte Ripley Hicks stützen. Von seiner Brust stieg immer noch Rauch auf, und er krümmte sich vor Schmerzen. »Kommen Sie, Sie schaffen es! Ich dachte, Sie sind ein harter Bursche.« Sie atmete tief ein, hustete und atmete wieder. Hicks würgte, biß die Zähne zusammen und versuchte zu grinsen. Nach dem Gestank in den Tunnels und Schächten duftete die alles andere als idyllische Luft von Acheron wie Parfüm.
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»Fast geschafft!« Nicht weit von ihnen sank die schnittige, stromlinienförmige Gestalt von Landefahrzeug Zwei wie ein dunkler Engel mit ruckhaften Bewegungen aufs Landefeld, immer wieder rutschte es seitlich weg, während es durch die heftigen Windboen direkt über der Oberfläche kämpfte. Sie konnten Bishop sehen, der mit dem Rücken zu ihnen im Windschatten des Sendeturms stand und mit dem tragbaren Steuerterminal kämpfte, um das Fahrzeug herunterzubringen. Es setzte hart auf, rutschte seitlich weg und kam etwa in der Mitte der Landerampe zum Stehen. Bis auf eine verbogene Stütze schien es die wenig elegante Landung unbeschadet überstanden zu haben. Sie schrie. Der Synthet drehte sich um und sah die beiden hinter sich aus einer Tür des Kolonialgebäudes herausstolpern. Vorsichtig stellte er das Terminal ab, eilte ihnen zu Hilfe, legte einen starken Arm um Hicks und führte ihn zum Schiff. Im Laufen schrie Ripley dem Androiden Worte zu, die über dem Sturm kaum zu verstehen waren. »Wieviel Zeit noch?« »Genug!« Bishop schien zufrieden. Er hatte auch allen Grund dazu. »Noch sechsundzwanzig Minuten.« »Wir starten nicht!« Das sagte sie, während sie die Laderampe hinauf in die Wärme und Sicherheit des Schiffes stolperte. Bishop starrte sie mit offenem Mund an. »Was? Warum nicht?« Sie betrachtete ihn genau, suchte nach den leisesten Anze ichen von Täuschung in seinem Gesicht und fand nichts. Seine Frage war unter den gegebenen Umständen völlig verständlich. Sie entspannte sich ein wenig. »Das sage ich Ihnen gleich. Erst verarzten wir Hicks und schließen das Ding hier ab, dann erkläre ich alles.«
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14.
Blitze knatterten um den oberen Rand der versagenden Atmösphäreaufbereitungsanlage. Dampf zischte aus Notauslaßschächten. Weißglühende Gassäulen schossen Hunderte von Metern hoch in den Himmel, während Innenkompensatoren sich vergeblich bemühten, Temperatur und Drucküberlastungen zu regulieren, die nicht mehr zu korrigieren waren. Bishop achtete darauf, nicht zu nahe an die Station heranzutreiben, als er das Schiff auf die Landeplattform auf der oberen Etage zusteuerte. Beim Anflug sahen sie unter sich den zerstörten Schützenpanzer. Der Panzer war ein zertrümmertes, regloses Wrack vor dem Eingang zur Station und hatte endlich auch zu qualmen aufgehört. Ripley starrte ihn an, als er unter ihnen vorüberglitt, ein Denkmal für übermäßige Selbstsicherheit und den irrgeleiteten Glauben an die Fähigkeit modernster Technik, jedes Hindernis zu überwinden. Bald würde er zusammen mit der Station und dem Rest der Kolonie Hadley verdampfen. Ungefähr in einem Drittel der Höhe der gewaltigen, kegelförmigen Aufbereitungsstation ragte an der Seite eine schmale Landeplattform in den Wind hinaus. Sie war dafür gedacht, Ladebegleiter und kleine Atmosphärenflieger aufzunehmen, aber kein Schiff von der Größe des Landefahrzeugs. Irgendwie gelang es Bishop, es dicht heranzusteuern. Die Plattform ächzte unter dem Gewicht des Shuttle. Ein Stützpfeiler bog sich gefährlich durch, aber er hielt. Ripley hörte auf damit, Metallband um das klobige Projekt zu wickeln, das ihre Hände und ihre Gedanken während der vergangenen Minut en beschäftigt hatte. Sie warf die halbleere Rolle beiseite und betrachtete ihr Werk. Es war keine saubere
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Arbeit, und sie verletzte damit wahrscheinlich zwanzig verschiedene militärische Sicherheitsvorschriften, aber das war ihr scheißegal. Sie wollte ja nicht auf eine Parade, und es war auch niemand da, der ihr sagen konnte, daß das gefährlich und unmöglich wäre. Was sie getan hatte, während Bishop sie dicht an die Station heransteuerte, war, Hicks' Impulsgewehr seitlich an einen Flammenwerfer zu befestigen. Das Ergebnis war ein massives, klobiges, siamesisches Waffenpaket mit gewaltiger und vielfältiger Feuerkraft. Vielleicht reichte es sogar aus, um sie lebendig zum Schiff zurückzubringen wenn sie es tragen konnte. Sie wandte sich wieder dem Arsenal des Landefahrzeugs zu und begann, einen Beutel und ihre Taschen mit allem vollzustopfen, womit man eventuell Aliens töten konnte: Granaten, voll aufgeladene Impulsgewehrmagazine, Schrapnellstreifen und noch mehr. Nachdem Bishop für den Fall, daß die Landeplattform nachzugeben drohte, das Landefahrzeug auf automatischen Start programmiert hatte, verließ er die Pilotenkanzel und ging nach hinten, um Hicks bei der Behandlung seiner Verletzungen zu helfen. Der Corporal lag lang ausgestreckt über mehreren Sitzen und hatte den Inhalt eines Feldverbandskastens um sich verstreut. Gemeinsam war es ihm und Ripley gelungen, die Blutung zu stillen. Mit Hilfe der Medikamente würde sein Körper heilen: Das aufgelöste Fleisch begann sich schon zu regenerieren. Aber um die Schmerzen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, hatte er sich mehrere Injektionen geben müssen. Durch die Medikamente fühlte er sich halbwegs wohl, aber sie verschleierten seinen Blick und verlangsamten seine Reaktionen. Die einzige Unterstützung, die er Ripley bei ihrem verrückten Plan zuteil werden lassen konnte, war moralischer Natur.
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Bishop versuchte, ihr ins Gewissen zu reden. »Ripley, das ist keine sehr aussichtsreiche Idee. Ich verstehe, wie Ihnen zumute ist .... »Wirklich?« Sie fauchte ihn an, ohne aufzuschauen. »Ich verstehe es tatsächlich. Das ist Teil meiner Programmierung. Es ist unvernünftig, ein Leben einem anderen nachzuwerfen.« »Sie lebt.« Ripley fand noch eine leere Tasche und füllte sie mit Granaten. »Sie haben sie hierhergebracht, genau wie alle anderen, und das wissen Sie auch.« »Es scheint das logischste zu sein, ja. Ich gebe zu, daß es keinen offensichtlichen Grund gibt, warum sie von dem Muster abweichen sollten, an das sie sich bisher gehalten haben. Das ist auch nicht der springende Punkt. Der springende Punkt ist, daß, selbst wenn sie hier sein sollte, es unwahrscheinlich ist, sie zu finden, zu retten und sich rechtzeitig wieder hierher durchzuschlagen. In etwa siebzehn Minuten ist diese Station hier eine Gaswolke von der Größe Nebraskas.« Sie achtete nicht auf ihn, sondern schloß mit fliegenden Fingern den überfüllten Beutel. »Hicks, lassen Sie ihn nicht weg!« Er blinzelte sie schwach an, das Gesicht ganz verzerrt vor Schmerzen. Die Medikamente trieben ihm das Wasser in die Augen. »Wir bleiben schon, wo wir sind.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Füße. »Können Sie diesen Bastard tragen?« Sie wog ihre kombinierte Waffe in der Hand. »So lange, wie ich muß.« Sie hob den Beutel auf, hängte ihn sich über die Schulter, drehte sich um und schritt zur Mannschaftstür. Sie drückte mit dem Daumen auf den Öffnungsmechanismus und wartete ungeduldig, bis die Tür sich aufdrehte. Der Wind und das Brüllen des versagenden Atmosphäreprozessors stürzten durch den Spalt herein. Sie trat oben auf die Laderampe und
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blieb stehen, um einen letzten Blick zurückzuwerfen. »Bis später, Hicks!« Er versuchte sich aufzusetzen, schaffte es nicht und gab sich damit zufrieden, sich auf die Seite zu wälzen. Mit einer Hand drückte er sich einen Packen Verbandsmull fest gegen das Gesicht. »Dwayne. Ich heiße Dwayne.« Sie ging zu ihm zurück und ergriff seine Hand. »Ellen.« Das genügte. Hicks nickte, legte sich zurück und machte ein zufriedenes Gesicht. Seine Stimme war nur ein blasser Schatten des ihr inzwischen so wohlbekannten Organs. »Bleib nicht zu lange weg, Ellen!« Sie schluckte, dann drehte sie sich um und ging hinaus, ohne zurückzuschauen, die Luke schloß sich hinter ihr. Der Wind hätte sie vielleicht von der Plattform geblasen, wenn sie nicht so schwer beladen gewesen wären. Gegenüber dem Landefahrzeug waren die Türen eines großen Frachtaufzugs in die Wand der Station eingelassen. Die Schalter reagierten sofort, als sie sie berührte. Hier gab es genug Energie. Zuviel Energie. Der Aufzug war leer. Sie stieg ein und berührte den Kontakt Schalter gegenüber der C-Etage. Ganz unten. Der siebte Kreis, dachte sie, als der Lift anfuhr. Es ging langsam voran. Der Aufzug war für schwere, empfindliche Lasten gebaut worden und würde sich Zeit lassen. Sie stand da, den Rücken gegen die Wand gedrückt, und sah zu, wie Lichtstreifen nach unten wanderten. Als der Aufzug in die Eingeweide der Station hinabsank, wurde die Hitze sehr stark. Überall brüllte Dampf. Sie hatte Mühe zu atmen. Das langsame Fahrtempo ließ ihr Zeit, ihre Jacke auszuziehen und das Kampfgurtwerk, das sie sich aus dem Lager des Landefahrzeugs beschafft hatte, direkt über ihrem Unterhemd zu befestigen. Durch den Schweiß klebte ihr Haar an Hals und Stirn fest, als sie zum letztenmal die Waffen überprüfte, die sie
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mitgebracht hatte. Ein Schultergurt mit Granaten paßte genau über die Vorderseite des Kampfgurtwerks. Sie entsicherte den Flammenwerfer und überzeugte sich, daß er einsatzbereit war. Genauso verfuhr sie mit dem Magazin, das an der Unterseite des Gewehrs eingerastet war. Diesmal vergaß sie auch nicht, den ersten Schuß einzulegen, um die Ladung zu aktivieren. Ihre Finger betasteten nervös die Stelle, wo Markierungsfackeln die Hüfttaschen ihrer Overallhosen ausbeulten. Sie fummelte mit einer Granate herum. Die rutschte ihr zwischen den Fingern durch, fiel zu Boden und prallte auf, ohne daß etwas passierte. Zitternd sammelte sie sie ein und schob sie in die Tasche zurück. Trotz aller detaillierten Anweisungen von Hicks war sie sich deutlich bewußt, daß sie von Granaten, Fackeln und so weiter kaum einen blassen Schimmer hatte. Am schlimmsten war die Tatsache, daß sie zum ersten Mal, seit sie auf Acheron gelandet waren, allein war. Mutterseelenallein. Sie hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, weil die Liftmotoren langsamer wurden. Der Aufzug setzte mit einem sanften Stoß auf. Das Sicherheitsgitter, das die Kabine umschloß, glitt zur Seite. Sie hob die klobige Doppelwaffe aus Gewehr und Flammenwerfer, als die Tür sich öffnete. Vor ihr lag ein leerer Korridor. Außer der Beleuchtung, die die Notlampen lieferten, war hinter dicken Metallwülsten ein schwacher rötlicher Schein zu sehen. Dampf zischte aus geplatzten Rohren. Aus überlasteten und beschädigten Schaltkreisen stoben Funkenkaskaden auf. Kupplungen ächzten, während stark beanspruchte Maschinen pochten und heulten. Irgendwo in der Ferne hörte man das Karank, Karank eines massiven mechanischen Arms oder eines Kolbens. Ihre Augen schnellten erst nach links, dann nach rechts. Ihre Knöchel spannten sich weiß um die Doppelwaffe, die sie trug. Sie hatte keinen flexiblen Kampfschirm zur Unterstützung,
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aber bei dieser Hitze ringsum hätten ihr die InfrarotAbbildungssensoren ohnehin nicht viel genützt. Sie trat auf den Korridor und hinein in eine Szene, wie sie Piranesi entwerfen und Dante hätte ausschmücken können. Die Anwesenheit der Aliens war unübersehbar, sobald sie die erste Biegung des Fußwegs hinter sich gebracht hatte. Epoxydähnliches Material überzog Leitungen und Rohre und stieg in einer fließenden glatten Wand hinauf zu den darüberliegenden Laufstegen. Maschinen und Harz waren fugenlos miteinander verbunden und schufen eine einzige Kammer. Sie hatte Hicks' Orter oben auf den Flammenwerfer geklebt und schaute darauf, so oft sie es wagte. Er funktionierte noch, war immer noch auf sein einziges Ziel ausgerichtet. Eine Stimme hallte durch den Korridor und ließ sie zusammenzucken. Sie klang ruhig, tüchtig und künstlich. »Achtung! Notfall. Das Personal wird aufgefordert, das Gebäude unverzüglich zu räumen! Sie haben jetzt noch vierzehn Minuten Zeit, um einen minimalen Sicherheitsabstand zu erreichen.« Der Orter arbeitete weiter, Entfernung und Richtung erschienen deutlich auf der Leuchtanzeige. Während sie weiterging, blinzelte sie sich Schweiß aus den Augen. Dampf wirbelte um sie herum und machte es ihr schwer, in irgendeiner Richtung weiter als ein kurzes Stück zu sehen. Blitzende Notlichter erhellten einen Quergang gleich vor ihr. Bewegung. Sie wirbelte herum, der Flammenwerfer rülpste Napalmazin und verbrannte einen eingebildeten Dämon. Da war nichts. Würde man den Hitzestoß aus ihrer Waffe bemerken? Sie hatte jetzt keine Zeit, sich um Eventualitäten zu sorgen. Sie marschierte weiter, versuchte, nicht zu zittern und sich auf die Angaben des Ortungsgerätes zu konze ntrieren. Sie betrat die Hölle.
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Jetzt war sie in den inneren Kammern. In den Wänden ringsum waren Skelettgestalten eingeschlossen, die Körper der unglücklichen Kolonisten, die man hierhergebracht hatte, damit sie als hilflose Wirte für embryonische Aliens dienten. Ihre harzüberkrusteten Gestalten schimmerten wie in Bernstein erstarrte Insekten. Das Signal der Orters wurde stärker, führte sie nach links. Sie mußte sich bücken, um unter einem Überhang durchzukommen. Bei jedem Wendepunkt, jeder Kreuzung zündete sie sorgfä ltig eine auf eine bestimmte Zeit eingestellte Markierungsfackel an und postierte sie hinter sich auf dem Boden. Man konnte sich in dem Labyrinth nur allzuleicht verirren ohne diese Zeichen, die ihr helfen sollten, den Rückweg zu finden. Ein Gang war so schmal, daß sie nur seitlich durchschlüpfen konnte. Ihr Blick streifte ein gequältes Gesicht nach dem anderen, jeder der eingeschlossenen Kolonisten war in einer Grimasse des Schmerzes erstarrt. Etwas griff nach ihr. Ihre Knie knickten ein, der Atem entwich ihr, ehe sie auch nur schreien konnte. Aber die Hand war menschlich. Sie gehörte zu einem gefangenen Körper, über dem ein Gesicht war, ein bekanntes Gesicht: Carter Burke. »R i p l e y.« Das Stöhnen war kaum noch menschlich zu nennen. »Helfen Sie mir! Ich spüre es in mir. O Gott, es bewegt sich. O Gotttt ...« Sie starrte ihn an, hatte allen Abscheu hinter sich gelassen. Dieses Schicksal hatte niemand verdient. »Hier.« Seine Finger schlossen sich krampfhaft um die Granate, die sie ihm reichte. Sie machte sie scharf und eilte weiter. Die Stimme der Station dröhnte rings um sie. In ihrem Ton war ein gesteigertes mechanisches Drängen zu hören.
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»Sie haben jetzt noch elf Minuten, um einen minimalen Sicherheitsabstand zu erreichen.« Dem Ortungsgerät zufolge war sie so gut wie am Ziel. Hinter ihr ging die Granate los, die Druckwelle riß sie fast um. Eine zweite, stärkere Explosion tief innerhalb der Station selbst folgte gleich darauf. Eine Sirene begann zu heulen, und die ganze Anlage erbebte. Der Orter führte sie um eine Ecke. Sie spannte sich voller Erwartung. Der Entfernungsmesser des Geräts zeigte auf Null. Newts Ortungsarmband lag auf dem Tunnelboden, das Metallgewebe war zerfetzt. Das Sendemodul leuchtete in hellem, freundlosem Grün. Ripley sank gegen eine Wand. Es war vorbei. Alles vorbei. * Newts Augen öffneten sich zitternd, und sie erkannte, wo sie sich befand. Man hatte sie in ein säulenähnliches Gebilde am Rand einer Traube von eiförmigen Gegenständen eingesponnen: Alien-Eier. Sie erkannte sie sofort. Ehe die letzten verzweifelten erwachsenen Kolonisten weggeschleppt oder getötet worden waren, hatte sie sich noch ein paar beschaffen und sie studieren können. Aber die waren alle leer und an der Spitze offen gewesen. Diese hier waren verschlossen. Irgendwie nahm das Ei, das ihrem Gefängnis am nächsten war, ihre Bewegungen wahr. Es bebte, und dann begann es sich zu öffnen wie eine abscheuliche Blume. Etwas Feuchtes, Ledriges regte sich darin. Starr vor Entsetzen sah Newt zu, wie sich vielgliedrige, spinnenartige Beine über den Rand des Ovoids schoben. Eines nach dem anderen tauchte auf. Sie wußte, was als nächstes
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geschehen würde und reagierte auf die einzige Weise, die ihr möglich war und die sie kannte - sie schrie. * Ripley hörte ihren Schrei, wandte sich nach dem Laut um und begann zu laufen. Entsetzt und doch fasziniert beobachtete Newt, wie der Gesichtsklammerer aus dem Ei kroch. Er zögerte einen Augenblick lang auf dem Rand, sammelte seine Kräfte und orientierte sich. Dann wandte er sich ihr zu. Ripley kam in die Kammer getrampelt, als er gerade zum Sprung ansetzte. Ihre Finger spannten sich um den Abzug des Impulsgewehrs. Das Projektil zerriß das geduckte Geschöpf. Das Aufblitzen des Gewehrs beleuchtete die Gestalt eines reifen Aliens, das in der Nähe stand. Es fuhr herum und sprang den Eindringling genau in dem Augenblick an, als es durch zwei Schüsse aus dem Gewehr nach rückwärts geschleudert wurde. Ripley ging auf die Leiche zu und feuerte immer wieder in den Körper, einen mordlüsternen Ausdruck auf dem Gesicht. Das Alien fiel zuckend auf den Rücken, und sie gab ihm mit dem Flammenwerfer den Rest. Während es verbrannte, rannte Ripley zu Newt. Das harzartige Material, aus dem der Kokon des Mädchens bestand, hatte sich noch nicht völlig verhärtet, und Ripley konnte es soweit lockern, daß das Mädchen herauskriechen konnte. »Hier.« Ripley wandte dem Kind den Rücken zu und ging in die Knie. »Steig auf!« Newt kletterte ihr auf die Hüften und schlang die Arme um ihren Hals. Ihre Stimme war schwach. »Ich wußte, du würdest kommen.« »Solange ich noch atmen konnte. Okay, verschwinden wir von hier. Ich möchte, daß du dich festhältst, Newt. Richtig fest. Ich werde dich nicht halten können, weil ich die Hände
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freihaben muß, um die Waffen zu bediene n.« Sie sah das Nicken nicht, spürte es aber an ihrem Rücken. »Ich verstehe. Keine Angst. Ich lasse nicht los.« Ripley spürte eine Bewegung auf der rechten Seite. Sie beachtete sie nicht und zerstörte die Eier mit dem Flammenwerfer. Erst dann richtete sie ihn gegen die vorrückenden Aliens. Eines hätte sie fast erreicht, ein lebender Feuerball, und sie zerfetzte es mit zwei Schüssen aus dem Gewehr. Dann duckte sie sich unter einer glänzenden, zylinderförmigen Masse hindurch und trat den Rückzug an. Ein durchdringendes Kreischen erfüllte die Luft, hob sich über das Hämmern versagender Maschinen, das Heulen der Notsirene und das Schrillen angreifender Aliens. Sie hätte es schon früher sehen können, wenn sie nach oben anstatt nach vorne geschaut hätte, als sie die Eierkammer betrat. Es war ganz gut, daß sie es nicht gesehen hatte, denn trotz ihrer Entschlossenheit wäre sie sonst vielleicht wankend geworden. Als gigantische Silhouette im rötlichen Nebel hockte die Alienkönigin wütend über ihrem Gelege wie eine große, glänzende Todesgöttin Kali in Insektengestalt. Ihr Schädel mit den Reißzähnen war der Inbegriff des Entsetzlichen. Sechs Gliedmaßen, zwei Beine und vier klauenbewehrte Arme, waren grotesk über einem aufgeblähten Unterleib verschränkt. Aufgeschwollen mit Eiern bestand er aus einem riesigen röhrenförmigen Sack, der mit einer spinnwebähnlichen Membran an dem Gitterwerk aus Rohren und Leitungen eingehängt war, so, als habe man eine endlose Drahtschlinge über die stützenden Maschinenteile drapiert. Ripley erkannte, daß sie einen Moment zuvor direkt unter einem Teil des Sackes hindurchgegangen war. Im Innern des Unterleibs bewegten sich zahllose Eier in mahlenden Drehungen wie auf einem gräßlichen organischen Fließband auf einen pulsierenden Eiableger zu. Aus diesem
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erschienen sie, glänzend und feucht, um von winzigen Drohnen aufgenommen zu werden. Diese Miniaturausgaben der Alienkrieger rannten hin und her, um die Bedürfnisse sowohl der Eier als auch der Königin zu befriedigen. Sie beachteten den entsetzt starrenden Menschen in ihrer Mitte nicht, sondern konzentrierten sich unbeirrbar und ausschließlich darauf, neu abgelegte Eier an einen sicheren Platz zu bringen. Ripley erinnerte sich, wie Vasquez vorgegangen war, als sie den Schieber auf dem Granatwerfer aufgepumpt hatte: sie hatte gepumpt und dann viermal geschossen. Die Granaten bohrten sich tief in den dünnen Eiersack hinein, explodierten dann und rissen ihn in Fetzen. Eier und Tonnen von widerlichem geleeartigen Material ergossen sich über den Fußboden der Kammer. Die Königin wurde rasend und schrillte wie eine psychotische Lokomotive. Ripley fuhr mit dem Flammenwerfer herum und steckte systematisch alles in Brand, was sie sah, während sie den Rückzug antrat. In dem Inferno schrumpften die Eier zusammen, und Krieger und Drohnen verschwanden, hektisch um sich schlagend. Die Königin erhob sich, in den Flammen zappelnd, hoch über das Gemetzel. Zwei Krieger rückten Ripley auf den Leib. Das Impulsgewehr gab nur noch ein leeres Klicken von sich. Mit einer fließenden Bewegung warf sie das Magazin aus, rammte ein neues hinein und drückte den Abzug. Ihre Angreifer verschwanden im mörderischen Feuerstoß. Es war nicht wichtig, ob sich etwas bewegte oder nicht. Sie schoß auf alles, was nicht völlig mechanisch aussah, während sie zum Aufzug rannte, steckte Geräte in Brand und zerstörte Steuermechanismen und Instrumente zusammen mit angreifenden Aliens. Schweiß und Dampf nahmen ihr fast die Sicht, aber die Markierungsfackeln, die sie abgesetzt hatte, um den Weg zu markieren, leuchteten in der Verwüstung hell wie
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eingestreute Edelsteine. Ringsum heulten Sirenen, und die Station bebte in inneren Zuckungen. Sie rannte fast an einer Fackel vorbei, kam schlitternd zum Stehen und wandte sich in die angebene Richtung. Sie stolp erte weiter wie im Traum, ihre Lungen keuchten nicht mehr, ihr Körper war so ausgepumpt, daß sie glaubte, über den Metallboden zu fliegen. Hinter ihr löste sich die Königin von ihrem zerstörten Eie rsack, indem sie ihn sich vom Hinterleib riß. Sie erhob sic h auf Beine von der Größe von Tempelsäulen, trampelte vorwärts und zermalmte Maschinen, Kokons, Drohnen und alles, was ihr sonst in den Weg kam. Ripley sterilisierte mit dem Flammenwerfer den Korridor vor sich, sie gab in regelmäßigen Abständen Feuerstöße ab und schoß in Seitengänge hinein, ehe sie an ihnen vorbeiging, um sich vor Überraschungen zu bewahren. Als sie mit Newt den Frachtaufzug erreichte, war der Tank der Waffe leer. Der Lift, mit dem sie heruntergefahren war, war von herabstürzenden Trümmern beschädigt. Sie drückte auf den Rufknopf, um sein Gegenstück herunterzuholen, und wurde durch das Winseln eines funktionierenden Motors belohnt, als der zweite Metallkäfig langsam aus den oberen Etagen herunterzusinken begann. Ein zorniges Kreischen veranlaßte sie, sich umzudrehen. In der Ferne versuchte eine glänzende Gestalt, sich wie ein wildgewordener Kran durch störende Rohre und Leitungen einen Weg zu bahnen, um sie zu erreichen. Der Schädel der Königin streifte die Decke. Sie kontrollierte das Impulsgewehr nach: das Magazin war leer, und sie hatte auch keines mehr zum Nachfüllen, weil sie, während sie Newt gerettet hatte, so verschwenderisch mit den Projektilen umgegangen war. Auch Granaten hatte sie nicht mehr. Sie warf die nutzlos gewordene Doppelwaffe weg, froh, das Gewicht los zusein.
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Die Kabine kam langsam herunter. In die Wand gleich neben den beiden Liftschächten war eine Leiter eingelassen, und sie kletterte die ersten Sprossen hinauf, Newt war auf ihrem Rücken so leicht wie eine Feder. Als sie den Treppenschacht hinaufeilte, schoß ein kraftvoller schwarzer Arm wie ein Kolben durch die Türöffnung. Rasiermesserscharfe Klauen krachten Zentimeter von ihren Beinen entfernt, in den Fußboden und gruben sich in das Metall. Wohin jetzt? Sie hatte keine Angst mehr, für Panik war keine Zeit. Zu viele andere Dinge, auf die sie sich konzentrieren mußte. Sie war zu beschäftigt, um entsetzt zu sein. Da: ein offener Treppenschacht, der zu den oberen Etagen der Station führte. Er schaukelte und zitterte, als unter ihr die riesige Anlage in Stücke zu zerfallen begann. Hinter ihr beulte sich der Fußboden aus, als sich etwas mit unglaublichen Kräften wie wahnsinnig gegen die Metallwand warf. Klauen und Kiefer durchbohrten die dicken Metallplatten. »Sie haben jetzt noch zwei Minuten, um einen minimalen Sicherheitsabstand zu erreichen«, teilte die traurige Stimme der Station jedem mit, der es hören wollte. Ripley stürzte, schlug mit einem Knie gegen die Metallstufen. Der Schmerz zwang sie, innezuhalten. Als sie wieder zu Atem gekommen war, veranlaßte sie das Geräusch der anspringenden Liftmotoren, durch das offene Gitterwerk des Gebäudes nach unten zu schauen. Die Liftkabine kam nach oben gefahren. Sie konnte hören, wie die überlasteten Seile in dem offenen Schacht ächzten. Sie setzte ihre Flucht nach oben fort. Der Treppenschacht verschwamm rings um sie her zu verrückten Formen. Es konnte nur einen Grund haben, warum der Aufzug wieder aufwärts fuhr. Endlich erreichte sie die Türöffnung, die hinaus auf die Landeplattform der oberen Etage führte. Newt hing immer
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noch irgendwie an ihr, als Ripley die Tür aufriß und in Wind und Qualm hinausstolperte. Das Landefahrzeug war nicht mehr da! »BISHOP!« Der Wind trug ihren Schrei fort, während sie den Himmel absuchte. »Bishop!« An ihrem Rücken schluchzte Newt. Ein Jaulen veranlaßte sie, sich umzudrehen, der strapazierte Aufzug kam langsam in Sicht. Sie wich von der Tür zurück, bis sie an dem schmalen Geländer lehnte, das die Landeplattform umgab. Der harte Boden unten war zehn Etagen weit entfernt. Die Außenverkleidung der von Stößen erschütterten Aufbereitungsstation war glatt wie Glas. Sie konnten nicht hinauf, und sie konnten nicht hinunter. Sie konnten nicht einmal in einen Luftschacht stürzen. Die Plattform bebte, als eine Exp losion durch die Eingeweide der Station tobte. Metallpfeiler bogen sich, sie wurde fast umgeworfen. Mit einem Aufschrei zerreißenden Stahls brach in der Nähe ein Kühlturm zusammen, kippte um wie ein gefällter Mammutbaum. Diesmal hörten die Explosionen nicht mehr nach dem ersten Mal auf. Eine folgte auf die andere, als die Sicherungssysteme die sich ausweitende Kettenreaktion nicht mehr aufhalten konnten. Auf der anderen Seite der Türöffnung kam der Aufzug knirschend zum Stehen. Das Sicherheitsgitter, das die Ladefläche umschloß, begann sich zu öffnen. Sie flüsterte Newt zu: »Schließ die Augen, Baby!« Das Mädchen nickte ernst, es wußte, was Ripley vorhatte, als sie ein Bein über das Geländer schwang. Sie würden gemeinsam auf den Boden aufschlagen, schnell und sauber. Sie wollte gerade ins Nichts treten, als sie das Landefahrzeug fast direkt unter sich mit brüllenden Schwebedüsen heraufsteigen sah. Wegen des heulenden Windes hatte sie es nicht herankommen hören. Der Ladebaum des Schiffes war ausgefahren, eine einzelne lange Metallstrebe, die sich auf sie
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zustreckte wie der Finger Gottes. Wie Bishop das Schiff in dem tobenden Sturm ruhig halten konnte, wußte Ripley nicht, und es war ihr auch egal. Hinter sich konnte sie gerade noch die Stimme der Station hören. Ihre Zeit war, wie die der Anlage, der sie diente, fast abgelaufen. »Sie haben jetzt noch dreißig Sekunden, um …« Sie sprang auf den Ladebaum und hielt sich fest, während er in den Frachtraum des Schiffes eingezogen wurde. Einen Augenblick später jagte eine gewaltige Explosion durch die Station. Der dadurch entstandene Windsog warf das schwebende Fahrzeug zur Seite. Ausgefahrene Landebeine rasten in ein Durcheinander aus Plattform, Mauer und Leitungsschacht. Metall rieb quietschend auf Metall, das Schiff hatte sich verfangen und drohte, nach unten gezogen zu werden. Im Frachtraum warf sich Ripley in einen Sitz und drückte Newt an sich, während sie sich mit ihr zusammen anschnallte. Als sie den Gang entlangschaute, konnte sie gerade noch ins Cockpit sehen, wo Bishop mit der Steuerung kämpfte. Das Geräusch, mit dem die Landebeine freikamen, als sie eingezogen wurden, hallte durch das kleine Schiff. Ripley knallte die Verriegelung an ihren Sitzgurten zu und legte beide Arme fest um Newt. »Nichts wie weg, Bishop!« Die gesamte untere Etage der Station verschwand in einem sich ausdehnenden Feuerball. Der Boden hob sich, Erde und Metall verdampften, während er himmelwärts explodierte. Die Motoren des Landefahrzeugs gaben her, was sie hatten, und der dabei entstehende Andruck preßte Ripley und Newt in ihren Sitz zurück. Diesmal gab es kein angenehmes langsames Aufsteigen in den Orbit. Bishop ließ die Motoren auf vollen Touren laufen, und das Landefahrzeug bohrte sich durch die verpestete Atmosphäre. Ripleys Rücken protestierte, aber gleichzeitig drängte sie Bishop im Geiste, die Geschwindigkeit
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noch zu steigern. Als sie aus der Bläue in die Schwärze kamen, wurden die Wolken von unten angestrahlt. Eine weißglühende Gasblase brach durch die Troposphäre. Die Druckwelle der thermonuklearen Explosion rüttelte das Schiff zwar durch, beschädigte es aber nicht, und sie stiegen weiter zum Orbit auf. Im Innern der Metallflasche starrten Ripley und Newt durch ein Bullauge hinaus und sahen zu, wie sich das blendende Gleißen hinter ihnen ausbreitete. Dann ließ sich Newt gegen Ripleys Schultern sinken und begann leise zu weinen. Ripley wiegte sie und streichelte ihr Haar. »Ist schon gut, Baby. Wir haben's geschafft. Es ist vorüber.« Vor ihnen hing der große häßliche Rumpf der Sulaco im planetoynchronen Orbit und wartete auf das Eintreffen seines kleineren Abkömmlings. Auf Bishops Kommando hin hob sich das Landefahrzeug, bis die Andockhaken einrasteten und es in den Frachtraum zogen. Die äußeren Schleusentüren drehten sich zu. Automatische Warnlichter strichen durch die dunkle, verlassene Kammer, und eine Warnsirene hörte auf zu heulen. Überschüssige Motorwärme wurde abgeleitet, während sich der höhlenförmige Frachtraum mit Luft füllte. Im Innern des Schiffes stand Bishop hinter Ripley, die neben dem komatösen Hicks kniete. Sie blickte den Androiden fragend an. »Ich habe ihm noch eine Spritze gegen die Schmerzen gegeben. Er behauptete immer wieder, er brauche sie nicht, aber er hat sich nicht gegen die Injektion gewehrt. Eine sonderbare Sache, der Schmerz. Aber für mich ist dieses eigentümliche, innere Bedürfnis bestimmter Typen von Menschen, so zu tun, als existiere er nicht, noch unbegreiflicher. Ich bin oft froh, daß ich ein Synthet bin.« »Wir müssen ihn in die medizinische Abteilung der Sulaco bringen«, entgegnete sie und stand auf. »Wenn Sie ihn bei den
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Armen nehmen können, trage ich die Beine.« Bishop lächelte. »Er liegt jetzt ganz bequem. Es ist sicher besser für ihn, wenn wir ihn so wenig herumschütteln wie möglich. Und Sie sind müde. Ich übrigens auch. Es wird einfacher sein, wenn wir eine Bahre holen.« Ripley zögerte, schaute auf Hicks hinunter und nickte dann. »Sie haben natürlich recht.« Sie hob Newt auf und ging dem Androiden voran den Gang hinunter, der zur ausgefahrenen Laderampe führte. In ein paar Minuten konnten sie eine selbstfahrende Bahre für Hicks hierhaben. Bishop sprach weiter. »Es tut mir leid, daß ich Sie erschreckt habe, als Sie auf die Landeplattform kamen und das Schiff nicht vorfanden, aber der Platz war einfach zu unstabil geworden. Ich fürchtete, das Schiff zu verlieren, wenn ich weiter dort stehenblieb. Es war einfacher und sicherer, ein kleines Stück weiter entfernt zu schweben. Dicht am Boden ist der Wind nicht so stark. Ich hatte die ganze Zeit eine Kamera auf den Ausgang gerichtet, um zu wissen, wann Sie rauskämen.« »Ich wünschte, ich hätte das in diesem Augenblick gewußt.« »Ich weiß. Ich mußte kreisen und hoffen, das Wetter würde nicht zu stürmisch werden, um Sie abzuholen. Mangels menschlicher Anweisungen mußte ich mich, meiner Programmierung folgend, auf mein eigenes Urteilsvermögen verlassen. Es tut mir leid, wenn ich nicht die bestmögliche Entscheidung getroffen habe.« Sie waren die Laderampe zur Hälfte hinuntergegangen. Ripley blieb stehen, legte ihm eine Hand auf die Schulter und blickte gelassen in die künstlichen Augen. »Sie haben es gut gemacht, Bishop.« »Tja, danke, ich ...« Er unterbrach sich mitten im Satz. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf etwas, was er aus dem Augenwinkel flüchtig wahrgenommen hatte. Eigentlich war es
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nichts. Ein harmloser Tropfen Flüssigkeit, der dicht neben seinem Schuh auf die Rampe gespritzt war. Kondenswasser von der Außenhaut des Landefahrzeugs. Das Tröpfchen begann zu zischen und sich in die Metallrampe hineinzufressen. Säure. Etwas Scharfes, Glänzendes brach mitten aus Bishops Brust, und Ripley wurde mit der milchigen Innenflüssigkeit des Androiden bespritzt. Ein Alienstachel im Königinnenformat wurde von hinten ganz durch seinen Körper getrieben. Bishop schlug um sich, stieß bedeutungslose Maschinengeräusche aus und umklammerte die hervorstehende Speerspitze, während die ihn langsam von der Laderampe hob. Die Königin hatte sich im Landemechanismus in einer Stütznische versteckt. Die Atmosphärenplatten, die normalerweise die Nische bündig mit der übrigen Außenhaut des Landefahrzeugs abdichteten, waren zur Seite gebogen oder weggerissen worden. Sie war vollständig mit der übrigen schweren Maschinerie verschmolzen, bis sie dann schließlich auftauchte. Sie packte Bishop mit zwei riesigen Händen, riß ihn auseinander und schleuderte die beiden Hälften zur Seite. Der Widerschein rotierender Warnlichter blinkte auf ihre glänze nden dunklen Gliedmaßen, während sie langsam auf das Deck herunterstieg, immer noch qualmend, wo Ripley sie halb gebraten hatte. Säure tropfte aus kleineren Wunden, die schnell heilten. Sechsfache Gliedmaßen entfalteten sich in unmenschlichen geometrischen Formen. Ripley riß sich aus ihrer Erstarrung und stellte Newt auf das Deck, ohne den Blick von dem herabsteigenden Alptraum zu wenden. »Lauf weg.« Newt stürzte auf den nächsten Stapel mit Packkisten und Geräten zu. Das Alien sprang auf das Deck und drehte sich
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nach der Bewegung um. Ripley trat weg, schwenkte die Arme, schrie, schnitt Grimassen und sprang auf, sie tat alles, was ihr nur in den Sinn kommen wollte, um die Aufmerksamkeit des Monsters von dem fliehenden Kind abzulenken. Ihre Lockvogelaktion war erfolgreich. Das Riesenwesen wirbelte herum - viel zu schnell für etwas von dieser Größe und sprang, während Ripley auf die große Tür im inneren Lager zuraste, die das andere Ende des Frachtraumes beherrschte. Gewaltige Gliedmaßen dröhnten hinter ihr auf dem Deck. Sie passierte die Tür und schlug auf den SCHLIESSENSchalter. Die Trennwand schwirrte und kam dem Befehl nach, schneller als die Türen der zerstörten Station. Ein hallendes Wamm! tönte durch den Lagerraum, als das Alien die massive Wand einen Augenblick zu spät erreichte und dagegenprallte. Ripley hatte keine Zeit, um stehenzubleiben und zu sehen, ob die Tür hielt. Sie lief schnell zwischen den großen dunklen Umrissen herum und suchte nach einem ganz bestimmten. Draußen wurde die Aufmerksamkeit der Königin durch eine sichtbare Bewegung von der widerspenstigen Trennwand abgelenkt. Ein Netz von grabenartigen Wartungskanälen, von schweren Metallgittern geschützt, zog sich unter dem Frachtraumdeck hin wie die Zuflüsse eines Flußsystems. Die Kanäle waren gerade groß genug, daß Newt hineinschlüpfen konnte. Sie hatte sich durch eine Öffnung fallen lassen und zu kriechen begonnen, und nun hastete sie auf das andere Ende des Frachtraums zu wie ein sich eingrabendes Kaninchen. Das Alien ortete die Bewegung. Klauen stießen nieder, rissen direkt hinter dem verzweifelten Kind ein Stück Gitter heraus. Newt versuchte schneller zu laufen und zappelte verzweifelt, als dicht hinter ihren Fersen wieder ein Gitterstück verschwand. Das nächstemal würde es direkt über ihr sein. Das Alien erstarrte mitten in der Greifbewegung, als es hörte,
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wie sich die schwere Lagerraumtür hinter ihm knirschend öffnete. In der Öffnung stand eine massige, gegliederte Silhouette. Auf zwei Tonnen Stahl sitzend, bewegte Ripley die Verlademaschine heraus. Ihre Hände steckten in den Waldoschuhen, ihre Füße ruhten in ähnlichen Behältnissen, die an der Bodensteuerung der Sicherheitskabine befestigt waren. Sie setzte den Lader ein wie eine hochtechnisierte Panzerung, als sie auf die sie beobachtende Königin vorrückte. Die gewichtigen Füße der Maschine dröhnten auf den Deckplatten. Ripleys Gesicht war eine Maske mütterlicher Wut, völlig frei von Angst. »Geh weg von ihr, du Biest!« Die Königin stieß ein lautes Schrillen aus und sprang die sich nähernde Maschine an. Ripley warf ihren Arm mit einer Bewegung herum, die normalerweise nicht mit den Aktivitäten von Verladema schinen und ähnlichen Geräten in Verbindung gebracht wurden, aber die elegante Maschine reagierte tadellos. Ein massiver Hydraulikarm krachte in den Schädel des Alien und warf es nach hinten gegen eine Wand. Die Königin reagierte sofort und griff wieder an, nur um in eine Rückhand zu laufen, die buchstäblich wie eine Tonne landete. Sie fiel rückwärts in einen Haufen schwerer Ladegeräte. »Komm schon!« Ripley hatte ein irres, verzerrtes Lächeln auf dem Gesicht. »Komm schon, verdammt!« Mit wütend peitschendem Schwanz griff die Königin den Lader ein drittesmal an. Vier biomechanische Arme schwangen gegen die zwei der Maschine. Der große Stachel hieb auf die Flanken und die Unterseite des Laders ein und glitt wirkungslos von dem massiven Metall ab. Ripley parierte mit weit ausholenden Schlägen der Stahlzacken, sie bewegte den Lader zurück, dann vor, und drehte ihn, um die Arme der Maschine zwischen sich und der Königin zu halten. Der Kampf ging über
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das ganze Deck und demolierte Packkisten, tragbare Instrumente, kleine Maschinen, alles, was in die Quere kam. Der Frachtraum hallte wider von den alptraumhaften Geräuschen zweier Drachen, die auf Leben und Tod gegeneinander kämpften. Ripley bekam mit den beiden kraftvollen mechanischen Händen zwei Alien-Arme in den Griff, drückte ihre Finger in den Waldos fest zu und zermalmte die beiden biomechanischen Gliedmaßen. Die Königin wand sich entrüstet, und es fehlten nur Zentimeter, dann hätten die Klauen ihrer übrigen Hände den Sicherheitskäfig durchdrungen, um den winzigen Menschen darin zu zerfetzen. Ripley fuhr die Arme hoch und hob die Königin vom Deck. Der Motor des Laders protestierte ächzend gegen das zusätzliche Gewicht. Hinterbeine rissen an der Maschine und beulten den Sicherheitskäfig ein, der die Fahrerin schützte. Der Alienschädel beugte sich ihr entgegen, und die Aufsenkiefer begannen sich zu öffnen. Ripley klammerte sich voll Ingrimm an ihre Steuerung. Die inneren Schneidezähne rasten auf sie zu. Sie duckte sich, und die Zähne krachten mit einer aufspritzenden Fontäne geleeartigen Speichels in das Sitzkissen hinter ihr. Gelbe Säure schäumte über die Hydraulikarme und kroch auf den Sicherheitskäfig zu. Die Königin riß an Hochdruckschläuchen. Purpurne Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen, Maschinenblut mischte sich mit ätzendem Alienblut. Als der Lader auf einer Seite hydraulischen Druck verlor, sank er zusammen und kippte um. Die Königin wälzte sich sofort obendrauf, wich den zermalmenden Metallarmen aus und versuchte, einen Weg zu finden, um in den Sicherheitskäfig einzudringen. Ripley schlug auf einen Schalter an der Konsole des Laders, und der Schneidbrenner erwachte zum Leben, die grelle blaue Flamme brannte dem Alien direkt ins Gesicht. Es schrie, wich zurück und zerrte den Lader mit sich.
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Als Ripley stürzte und die Welt um sie herum kopfstand, hielten ihre Sicherheitsgurte sie am Fahrersitz fest. Gemeinsam rollten Maschine, Biomechanoid und Mensch in die rechteckige Grube der Ladeschleuse. Der Lader landete oben auf dem Alien, zermalmte einen Teil seines Rumpfes und klemmte es unter seinem Gewicht ein. Aus dem schwer beschädigten Körper begann in stetigem Strom Säure zu fließen. Ripleys Augen wurden immer größer, während sie mit der Steuerung des Laders kämpfte. Die tropfende Säure verteilte sich über die Türen der Luftschleuse und begann zu qualmen, als sie anfing, sich durch die superstarke Legierung zu fressen. Hinter der äußeren Schleuse lag die Leere. Als die ersten winzigen Löcher erschienen, bemühte sie sich zappelnd, sich vom Fahrersitz loszuschnallen. Aus der Sulaco begann Luft zu entweichen, die unersättliche Leere des Weltraums saugte an dem Schiff. Ein stärker werdender Wind zerrte an Ripley, während sie vom Lader wegstolperte. Sie sprang über eine qualmende Säurepfütze und griff nach den unteren Sprossen der Leiter, die in die Wand der Luftschleuse eingebaut war. Mit einer Hand schlug sie auf den Notschalter für die Innentür. Über ihr begannen die schweren Flügel der inneren Luftschleuse aufeinanderzuzupoltern wie stählerne Kiefer. Sie kletterte wie wild. Unter ihr vergrößerten sich die ersten Löcher, andere kamen dazu, die Säure tat ihr Werk. Der Strom entweichender Luft ringsum wurde starker und behinderte den Aufstieg. Newt war aus dem Netz von Kanälen unter dem Boden aufgetaucht und hatte sich in einem Wald von Gaszylindern versteckt. Als die Lademaschine, Ripley und das Alien in die Luftschleuse getaumelt waren, war sie hinausgeschlüpft, um besser sehen zu können. Jetzt zog ihr der Sog von unten die Beine weg und zerrte sie,
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während sie um sich trat und schrie, über das glatte Deck. Bishop, oder vielmehr seine obere Hälfte, sah sie kommen. Er packte mit einer Hand einen Stützpfosten. Die andere streckte er aus, und es gelang ihm, dank der perfekten Reaktionsfähigkeit eines Syntheten, genau in dem Augenblick seine Finger in den Gürtel des Mädchens zu haken, als es vorbeirutschte. Es hing in seinem Griff, in dem immer stärker werdenden Sturm schwebend wie eine Fahne, während der Wind an ihr zerrte. Ripleys Kopf erschien über dem Deck. Als sie versuchte, sich mit dem rechten Bein abzustoßen, strich etwas über ihren linken Knöchel und packte zu. Als sie versuchsweise zog, wurden ihr fast die Arme aus den Gelenken gerissen. Verzweifelt warf sie beide Arme um die oberste Sprosse der Leiter, die dreißig Zentimeter entfernt auf dem Deck befestigt war. Die inneren Schleusentüren polterten weiter aufeinander zu. Wenn sie sich nicht innerhalb von zwei Sekunden befreite oder zurückfiel, würde es ihr genauso ergehen wie Bishop. Unter ihr ächzten die von der Säure angefressenen äußeren Schleusentore. Ein Teil der inneren Alarmierung brach zusammen. Die Lademaschine und die Alienkönigin senkten sich, ineinander verkeilt, ein paar Zentimeter. Ripley spürte, wie ihre Arme nachgaben und sie nach unten gezogen wurde, aber dann löste sich zuerst ihr Schuh. Ihr Bein kam frei. Sie sammelte Kräfte aus unbekannten Quellen und zog sich auf Deck, gerade als die inneren Luftschleusentüren zukrachten. Unter ihr stieß die Alienkönigin noch einen Wutschrei aus und setzte ihre ganze unvorstellbare Kraft ein. Der schwere Lader quietschte, als sie begann, ihn beiseite zu schieben. Sie hatte es zur Hälfte geschafft, als die äußeren Türen, von Säure durchlöchert, auseinanderfielen und Metallbrocken, Säureblasen, die Königin und die Verlademaschine in den Weltraum hinausschütteten. Ripley erhob sich und stolperte
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zum nächsten Sichtfenster. Die Anstrengungen der Königin reichten aus, um sie aus dem künstlichen Schwerkraftfeld der Sulaco wegzustoßen. Immer noch schreiend und an der Verlademaschine zerrend, taumelte sie langsam auf die ungastliche Welt zurück, von der sie eben erst geflohen war. Ripley starrte ihr nach, während ihre Nemesis erst zu einem Tupfen verblaßte, dann zu einem schwachen Punkt, und schließlich von den wogenden Wolken verschluckt wurde. Im Frachtraum wirbelten Luftturbulenzen und beruhigten sich, als die Ventilationsanlagen der Sulaco ansprangen, um die verlorengegangene Atmosphäre zu ersetzen. Bishop hielt Newt immer noch mit einer Hand fest. Aus seinem durchtrennten Torso hingen künstliche innere Organe und funkensprühende Leitungen heraus. Seine Augenlider flatterten, und sein Kopf zuckte manchmal unberechenbar und krachte gegen das Deck. Seine Innenregulatoren hatten den Strom von Androidenblut absperren können und führten jetzt einen hinhaltenden Kampf gegen die schwere Verletzung. Weiße Verkrustungen funkelten an den Rändern des Risses. Er brachte ein Lächeln zustande, als er die herankommende Ripley wahrnahm. »Nicht schlecht für einen Menschen.« Er gewann die Kontrolle über seine Augenlider so lange wieder, daß er unmißverständlich zuzwinkern konnte. Ripley stolperte zu Newt hinüber. Das Mädchen wirkte benommen. »Mami Mami?« »Hier bin ich, Baby. Ich bin schon da.« Sie riß das Mädchen in ihre Arme und drückte es, so fest sie konnte. Dann ging sie auf das Mannschaftsquartier der Sulaco zu. Um sie herum war das beruhigende Summen der Systeme des großen Schiffes. Sie fand den Weg hinauf zur medizinischen Abteilung und kehrte, mit einer Bahre im Schlepptau, in den
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Frachtraum zurück. Bishop versicherte ihr, er könne warten. Mit Hilfe der Bahre lud sie den bewußtlosen Hicks sanft auf und fuhr ihn zur Krankenstation zurück. Sein Gesicht wirkte ruhig, zufrieden. Er hatte die ganze Geschichte nicht mitbekommen, weil er unter dem Einfluß der Injektion stand, die Bishop ihm gegeben hatte. Was den Androiden anging, so lag er auf dem Deck, die Hände über der Brust gekreuzt, die Augen geschlossen. Sie konnte nicht sagen, ob er tot war oder nur schlief. Bessere Köpfe als der ihre würden das feststellen, sobald sie zur Erde zurückkamen. Im Schlaf hatte Hicks' Gesicht viel von der Macho-Härte eines Marine verloren. Er unterschied sich nicht allzusehr von jedem anderen Mann. Aber er sah besser aus, und sicher müder. Nur war er nicht wie jeder andere Mann. Wenn er nicht gewesen wäre, wären sie jetzt tot, Newt wäre tot, alle wären tot. Nur die Sulaco hätte weitergelebt, ein leerer Behälter, der auf die Rückkehr von Menschen wartete, die niemals wiederkommen würden. Sie überlegte, ob sie ihn wecken sollte, entschied sich aber dagegen. Einige Zeit später, wenn sie sicher war, daß seine Lebensfunktionen sich stabilisiert hätten und daß die Heilung seines säureverätzten Fleisches gut vonstatten ging, würde sie ihn in eine der leeren, wartenden Hyperschlaftruhen legen. Sie drehte sich um und sah sich die Schlafkammern an. Drei Truhen hatte sie vorzubereiten. Auch wenn Bishop noch lebte, würde er keine brauchen. Der Synthet hätte den Hyperschlaf wahrscheinlich nur beengend gefunden. Newt schaute zu ihr auf. Sie hielt sich an zwei Fingern von Ripley fest, während die beiden gemeinsam den Korridor hinuntergingen. »Legen wir uns jetzt schlafen?« , »Richtig, Newt.«
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»Können wir träumen?« Ripley blickte hinunter in das strahlende, ihr zugewandte Gesicht und lächelte. »Ja, Schätzchen. Ich glaube, das sollten wir jetzt beide.«
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ALAN DEAN FOSTER
ALIEN 3
Copyright © 1992 by Twentieth Century Fox Film mit freundlicher Genehmigung von Warner Books, Inc. Copyright © der deutschen Ausgabe 1992 by Wilhelm Heyne Verlag, München. Aus dem Englischen von Thomas Hag
Dieser Band ist bereits in der Allgemeinen Reihe unter der Nr. 01/8490 in der 4. Auflage erschienen.
WILHELM HEYNE VERLAG, MÜNCHEN.
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Böse Träume. Diese Alpträume haben etwas Seltsames an sich. Sie sind wie eine in regelmäßigen Abständen wiederkehrende Krankheit. Mentale Malaria. Gerade wenn man glaubt, mit ihnen fertiggeworden zu sein, dann schlagen sie wieder zu, schleichen sich von hinten heran, wenn man sie am wenigsten erwartet, wenn man völlig entspannt und unvorbereitet ist. Man kann nichts dagegen machen. Überhaupt nichts. Es gibt keine Tabletten und Mixturen und man kann auch nicht um eine retroaktive Spritze bitten. Das einzige Heilmittel ist ein guter, gesunder Schlaf; und gerade dieser Schlaf nährt die Infektion. Also versucht man nicht zu schlafen. Aber in der Tiefe des Weltraumes hat man keine Wahl. Wer die Hyperschlafkammern meidet, den tötet die Langeweile während einer langen Reise durch den Raum. Oder schlimmer noch, man überlebt, als betäubtes, vor sich hin murmelndes Wrack, das zehn, zwanzig oder dreißig Jahre geopfert hat, in denen es ohne jeden Sinn bei Bewußtsein war. Das ein ganzes Leben damit vergeudet hat, auf Instrumente zu starren, und gehofft hat, in dem beständigen Glimmen von bunten Kontrollanzeigen so etwas wie eine Erleuchtung zu finden. Man kann lesen, sich Videos anschauen, Gymnastik machen und sich vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn man versucht hätte, der Langeweile durch den Hyperschlaf zu entgehen. Es gibt nicht viele Berufe, wo es von Vorteil ist, bei der Arbeit zu schlafen. Eigentlich ist es kein schlechter Deal. Die Bezahlung ist gut, und man erhält die Gelegenheit, die sozialen und technischen Veränderungen von einer einzigartigen Position aus mitzubekommen. Den Tod hinauszuzögern ist zwar nicht das gleiche wie
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Unsterblichkeit, aber immerhin eine brauchbare Imitation. Bis auf die Alpträume. Sie sind der unvermeidbare Nachteil, wenn man auf einem Langstreckenraumschiff Dienst tut. Das Beste, was man gegen einen Alptraum machen kann, ist aufzuwachen. Aber im Hyperschlaf kann man nicht aufwachen. Das erlauben die Maschinen nicht. Es ist ihr Job, dich unten zu halten, die Körperfunktionen zu verlangsamen, das Bewußtsein zu verzögern. Nur haben die Wissenschaftler bis jetzt noch nicht herausgefunden, wie man die Träume und ihre dunklen Brüder, die Alpträume, unterdrückt. So wurden mit der Atmung und der Blutzirkulation auch diese unbewußten Gedanken in die Länge gezogen, verlangsamt und ausgedehnt. Ein einziger Traum konnte ein, zwei Jahre dauern. Ein einziger Alptraum auch. Unter gewissen Umständen war es vielleicht vorzuziehen, sich zu Tode zu langweilen. Aber im Hyperschlaf hat man keine Wahl. Die Kälte, die regulierte Atmosphäre, die Nadeln, die stechen und sondieren, sie steuern deinen Körper, dein Leben. Wenn man sich in den Hyperschlaf begibt, dann übergibt man seine Entscheidungsfähigkeit in die Obhut der Maschinen. Man vertraut ihnen und verläßt sich auf sie. Und warum auch nicht? Über Jahrzehnte hinweg haben sie sich als weitaus verläßlicher erwiesen als die Menschen, die sie konstruiert haben. Maschinen nehmen nichts übel und kennen keine negativen Gefühle. Die Urteile, die sie fällen, basieren ausschließlich auf Wahrnehmung und Analyse. Emotionen sind etwas, daß sie nicht quantifizieren brauchen, und wonach sie schon gar nicht handeln. Die Maschine namens Sulaco erledigte ihren Job. Die vier Schläfer an Bord träumten und ruhten in regelmäßigen Intervallen. Sie hielten sich an ihren vorprogrammierten Kurs und ließen sich von der besten Technologie verwöhnen, derer die Zivilisation fähig war. Sie hielt sie am Leben, kontrollierte ihre
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Körperfunktionen und reparierte momentane kleine Aussetzer in ihren Systemen. Ripley, Hicks, Newt und sogar Bishop, auch wenn das, was von Bishop noch übrig war, ziemlich leicht zu warten war. Er war es gewohnt, an- und ausgeschaltet zu werden. Er war der einzige der vier, der nicht träumte, also auch keine Alpträume hatte, was er sehr bedauerte. Es schien eine solche Zeitverschwendung, zu schlafen ohne zu träumen. Aber die Ingenieure der erweiterten Androiden-Serie, zu der er gehörte, hatten das Träumen als eine kostspielige Frivolität betrachtet und daher überhaupt nicht daran gedacht, sich diesem Problem zu widmen. Selbstverständlich kam auch niemand auf die Idee, die Androiden zu fragen, was sie darüber dachten. Nach Bishop, der technisch gesehen Bestandteil des Schiffes war und daher nicht zählte, war Hicks von den Schläfern am übelsten dran. Nicht etwa, weil seine Alpträume schlimmer waren als die seiner Begleiter, sondern weil die Verletzungen, die er vor kurzer Zeit erlitten hatte, keine Vernachlässigung duldeten. Er brauchte die ganze Fürsorge einer modernen, kompletten medizinischen Einheit, und was dem am nächsten kam, lag noch sehr weit weg, zwei Reisejahre entfernt. Ripley hatte für ihn getan, was sie konnte. Die endgültige Diagnose und die Behandlungsmethode mußte sie dem medizinischen Instrumentarium der Sulaco überlassen, aber da keiner vom medizinischen Personal die Sache auf Acheron überlebt hatte, war die Behandlung gezwungenermaßen auf ein Minimum beschränkt. Zwei Jahre im Hyperschlaf waren einer raschen Heilung nicht gerade förderlich. Sie konnte nicht viel mehr tun, als zu sehen, wie er in die schützende Bewußtlosigkeit glitt, und hoffen. Während das Schiff sein Bestes tat, gab sich sein Körper alle Mühe, den Schaden zu reparieren. Die Körperfunktionen zu
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verlangsamen, war von Vorteil, denn dadurch wurde gleichzeitig die mögliche Ausbreitung einer Infektion verlangsamt, aber die inneren Verletzungen konnten weder der Körper noch das Schiff beheben. Bisher hatte er durch seine Willenskraft überlebt und von seinen Reserven gelebt. Jetzt brauchte er einen Chirurgen. Im Hyperschlafraum bewegte sich etwas, das kein Teil des Schiffes war, aber auch dieses Etwas wurde von einer Art Programmierung vorwärts getrieben, die der gleichgültigen Kälte der Flure, durch die es kroch, sehr nahe kam. Ein einziger Impuls steuerte seine unablässige Suche, trieb es vorwärts ohne nachzudenken. Es war nicht Nahrung, denn es war nicht hungrig und aß auch nicht. Nicht Sex, denn es hatte kein Geschlecht. Einzig und allein das Verlangen nach Fortpflanzung trieb es vorwärts. Es war zwar organisch, ähnelte aber eher den Computern, die das Schiff steuerten, auch wenn es einen Willen besaß, der diesen Maschinen völlig fremd war. Wenn es überhaupt einem irdischen Lebewesen ähnelte, dann am ehesten einer Königskrabbe mit einem beweglichen Schwanz. Es bewegte sich auf ausgeprägten Beinen, die mit einem ungewöhnlich kohlenstoffhaltigen Gewand ausgestattet waren, über den glatten Boden der Hyperschlafkammer. Sein Körperbau war einfach, zweckmäßig und diente nur dazu, eine einzige biologische Funktion zu erfüllen, und zwar effizienter als jede bekannte vergleichbare Konstruktion. Eine Maschine hätte es nicht besser machen können. Es wurde von Sinnesorganen geleitet, die eine einzigartige Mischung aus Primitivität und Verfeinerung darstellten, und von dem eingepflanzten Ziel vorwärtsgetrieben, das bei keinem anderen Lebewesen so ausgeprägt war, huschte es durch den Hyperschlafraum. Für ein Wesen mit einer solch einzigartigen Ausstattung war es ein leichtes, auf den glatten Zylinder zu klettern, der eine der
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Schlaftruhen bedeckte und der aus durchsichtigem metallischem Glas bestand. Darunter schlief eine kleine organische Gestalt; erst halb ausgebildet, blond und unschuldig, bis auf ihre Alpträume, die genauso ausgeprägt und manchmal sogar noch heftiger waren als die der Erwachsenen, die neben ihr lagen. Ihre Augen waren geschlossen, und sie schlief weiter, ohne das schreckliche Wesen zu bemerken, das die dünne Kuppel erkundete, von der sie umschlossen wurde. Gerade jetzt träumte sie nicht. Gerade jetzt war der Alptraum Wirklichkeit geworden, und es war wohl weitaus besser, daß sie nichts von seiner Existenz ahnte. Ungeduldig erkundete das Ding den Schlafzylinder, indem es am unteren Ende begann und sich sorgfältig bis zum Kopfende vorantastete. Der Behälter war dicht verschlossen und dreifach versiegelt, eigentlich sicherer als der Rumpf der Sulaco selbst. Auch wenn es unruhig war, so kannte das Wesen doch keine Frustration. Daß sein biologisches Ziel in greifbare Nähe gerückt war, regte es an und trieb es zu noch größeren Anstrengungen. Der ausfahrbare Fühler, der aus der Bauchseite hervorlugte, ertastete die undurchdringliche Glaskuppel, die den hilflosen Körper schützte, der auf den für das Wesen so unerreichbar fernen Kissen ruhte. Seiner Beute so nahe zu sein, veranlaßte das Wesen zu rauschartiger Betriebsamkeit. Es glitt auf die Seite des Zylinders und entdeckte schließlich die hauchdünne Naht zwischen der durchsichtigen Kuppel und dem metallenen Unterbau. Winzige Klauen bohrten sich in den kaum sichtbaren Spalt, während sich der ungeheuer kraftvolle Schwanz an der Instrumententafel am Kopfende des Zylinders einen Halt schaffte. Das Wesen übte einen geradezu unglaublichen Druck aus, und sein kleiner Körper zitterte vor Anstrengung. Die Versiegelung drohte zu brechen, die Anstrengungen der Kreatur ließen nicht nach, und seine Kraftreserven schienen
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unerschöpflich. Schon zeigte die untere Kante der durchsichtigen Kuppel einen Riß. Dann barst das Glas in einer Linie, parallel zum Fußboden. Ein Splitter des Materials, scharf wie ein chirurgisches Instrument, bohrte sich mitten durch den Körper des Wesens. Aus dem Zylinder strömte kalte Luft, bis das interne Notsiegel sein atmosphärisches Gleichgewicht wieder hergestellt hatte. Newt lag mit dem Bauch auf dem Bett ihrer unguten Träume und stöhnte leise, den Kopf zur Seite gewandt, aber sie wachte nicht auf. Das Gleichgewicht der Truhe war im letzten Moment wieder erreicht worden und hatte ihr so das Leben gerettet. Der tödlich verletzte Kriecher wand sich zuckend auf dem Fußboden und stieß unregelmäßige, unirdische Schmerzenslaute aus. Beine und Schwanz schlugen vergeblich nach dem durchsichtigen Splitter, der seinen Körper durchbohrte. Schließlich landete es auf dem Zylinder, in dem Hicks bewegungslos ruhte, und klammerte sich wild zuckend mit den Beinen an die Kuppel. Zitternd und bebend hielt es sich an dem Glas fest, während säurehaltige Körperflüssigkeit aus der Wunde strömte. Sie fraß sich durch das Glas, durch den Metallsockel des Zylinders und schließlich durch den Boden. Von unten stieg Rauch auf und erfüllte den Raum. Sofort erwachten hier wie auch im ganzen Schiff Warnzeichen zum Leben, Alarmsignale leuchteten auf und Sirenen heulten. Die Schläfer konnten sie nicht hören, aber das änderte nichts an der Reaktion der Sulaco. Sie tat ihre Arbeit, so wie es ihre Programmierung vorgesehen hatte. Immer noch stieg Rauch aus der ausgefransten Öffnung im Fußboden auf. Das Wesen auf Hicks' Zylinder preßte sich wie in einer obszönen Geste gegen das Glas, während weiterhin Zerstörung aus ihm heraus blutete. Eine weibliche Stimme, ruhig und mit dem Ernst der Künst-
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lichkeit, echote ungehört durch die Hyperschlafkammer. »ACHTUNG. IN DER HYP ERSCHLAFSEKTION SAMMELN SICH EXPLOSIVE GASE AN. ICH WIEDERHOLE: IN DER HYPERSCHLAFSEKTION SAMMELN SICH EXPLOSIVE GASE AN.« Versenkbare Ventilatoren begannen in der Decke zu summen und saugten das umherwirbelnde, sich verdickende Gas ab. Aus dem nun bewegungslosen, toten Kriecher tropfte immer noch Säure. Unterhalb des Fußbodens explodierte etwas. Helles, strahlenförmiges Licht blitzte auf, dann schoß eine gelbe Stichflamme empor. Dunkler Rauch begann sich mit den dünneren Gasen zu vermischen, die nun durch den Raum waberten. Die Deckenleuchten flackerten nervös. Der Ventilator schaltete sich aus. »FEUER IN DER HYPERSCHLAFSEKTION«, wiederholte die unerschütterliche Stimme, die klang wie etwas, das nichts zu verlieren hatte. »FEUER IN DER HYPERSCHLAFSEKTION.« Ein Rohr schraubte sich aus der Decke, um die eigene Achse rotierend, wie eine Miniaturkanone, die sich ein Ziel sucht. Schließlich stoppte es und zielte auf die Flammen und das Gas aus dem Loch auf dem Boden. Flüssigkeit spritzte aus der Öffnung und ergoß sich über das Feuer. Einen kurzen Auge nblick lang schien es, als seien die Flammen erstickt. Plötzlich schlugen Funken aus dem Unterteil des Rohres. Der kräftige Strahl versiegte, und nur ein paar Spritzer tropften
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noch wirkungslos aus der Öffnung. »FEUERLÖSCHSYSTEME INAKTIVIERT. FEUERLÖSCHSYSTEME IN AKTIVIERT. VENTILATIONSSYSTEM INAKTIVIERT. VENTILATIONSSYSTEM INAKTIVIERT. FEUER UND EXPLOSIVE GASE IN DER HYPERSCHLAFKAMMER.« Motoren erwachten brummend zum Leben. Die vier arbeitenden Hyperschlafzylinder wurden durch hydraulische Hebel aus ihren Wiegen gehoben. Mit blinkenden Warnleuchten bewegten sie sich auf die andere Seite des Raumes zu. Rauch und sich vermehrende Flammen verdunkelten ihren Weg, konnten sie aber nicht aufhalten. Der tote Kriecher glitt von dem fahrenden Sarg ab und fiel auf den Boden. Der Glassplitter, der ihn durchbohrt hatte, steckte noch immer in seinem Körper. »DIE GESAMTE MANNSCHAFT SOFORT ZU DEN RETTUNGSFAHRZEUGEN«, ordnete die Stimme mit unverändertem Tonfall an. »VORSICHTSMAßNAHME: EVAKUIERUNG IN EINER MINUTE.« Hintereinander wurden die Hyperschlafzylinder in eine Transportröhre gelenkt und bewegten sich mit großer Geschwindigkeit durch die Eingeweide des Schiffes, bis sie die Steuerbordschleuse erreicht hatten, wo sie von automatischen Greifern in die RF´s geladen wurden. Außer ihnen war niemand darin. Unter der transparenten Kuppel wälzte sich Newt
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in ihrem Schlaf. Lichter blitzten auf, Motoren begannen zu arbeiten. Eine gleichmäßige Stimme, die niemand hörte, verkündete: »ALLE RF´S WERDEN IN ZEHN SEK UNDEN VON BORD GEWORFEN. NEUN ...« Innere Schleusen wurden geschlossen, äußere öffneten sich, während der Countdown weiterging. Bei Null ereigneten sich zwei Dinge gleichzeitig: Zehn RF´s, neun davon leer, wurden aus dem Schiff geschleudert und der Anteil der entweichenden Gase in der beschädigten Hyperschlafkammer reagierte kritisch mit den Flammen, die aus dem säurezerfressenen Loch im Boden drangen. Einen kurzen eruptiven Augenblick lang erglühte die gesamte Vordeckseite der Sulaco, als wolle sie den fernen Sternen feurige Konkurrenz machen. Die Hälfte der fliehenden RF ´s wurde von der Explosion schwer beschädigt. Zwei gerieten völlig außer Kontrolle und taumelten im Weltraum umher. Ein weiteres ging auf eine kurze Kurvenbahn, die es in einem weitausholenden Bogen zu eben jenem Schiff zurücktrug, das es ausgestoßen hatte. Ohne die Geschwindigkeit zu senken, raste es auf seine ehemalige Schutzhülle zu und krachte mit voller Geschwindigkeit in die Seite des Transporters. Eine zweite, noch größere Explosion erschütterte das Fahrzeug. Schwer verwundet schleppte es sich durch die Leere des Raumes. Von Zeit zu Zeit stieß es dabei unregelmäßige Licht und Hitzewellen aus, wobei es die makellose Welt um sich herum mit geschmolzenen, zerhackten Teilen seines irreparabel beschädigten Selbst verunreinigte. An Bord des Rettungsfahrzeuges, das die vier Hyperschlafzylinder beherbergte, blinkten Kontrollanzeigen und Schaltkreise flackerten und glühten. Die kleineren, weniger leistungsstarken
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Computer des RF´s bemühten sich, die Schäden, die die erste Explosion in letzter Sekunde verursacht hatte, zu lokalisieren, zu minimieren und zu beheben. Die Außenwand des Fahrzeuges war nicht durchbohrt wo rden, aber die Erschütterung hatte empfindliche Instrumente beschädigt. Es versuchte, vom Mutterschiff eine Zustandsbeschreibung zu erhalten, und als keine Antwort kam, begann es selbst, seine unmittelbare Umgebung abzutasten. Mitten in der eilig durchgeführten Untersuchung brach das benötigte Instrumentarium zusammen, konnte aber durch ein Notsystem schnell wieder zum Leben erweckt werden. Die Sulaco hatte sich weit ab von den ausgetretenen Photonenpfaden bewegt, ihre Mission hatte sie bis an die Grenzen dessen geführt, was Menschen erkundet hatten. Als sich die Katastrophe ereignete, lag erst ein kleiner Teil ihrer Heimreise hinter ihr. In diesem Abschnitt des Weltraums war der Mensch alles andere als allgegenwärtig, seine Außenposten lagen weit voneinander verstreut. Doch der Steuerungscomputer des RF´s fand etwas. Nichts verlockendes, keinesfalls erste Wahl. Aber unter den gegebenen Umständen gab es keine andere Alternative. Das Schiff konnte nicht abschätzen, wie lange es angesichts der schweren Schäden, die es davongetragen hatte, noch funktionieren würde. Seine Hauptaufgabe war es, das menschliche Leben, das es in sich trug, zu schützen. Ein Kurs wurde gewählt und eingegeben. Unter Stottern, immer noch bemüht, sich selbst zu reparieren, erwachte der Antrieb des kompakten Schiffes zu zuckendem Leben. Fiorina war kein beeindruckender Planet, und was man sehen konnte, ließ ihn noch weniger einladend erscheinen, aber es war der einzige innerhalb des Neroidsektors mit einem aktiven Funkfeuer. Die Datenbanken des RF´s klinkten sich in das
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gleichmäßige Signal ein. Zweimal verlor das beschädigte Navigationssystem den Leitstrahl, doch es konnte den vorgegebenen Kurs halten, und es gelang ihm auch, das Signal wiederzufinden. Die Informationen über Fiorina waren spärlich und veraltet, was wegen seiner Lage und seines merkwürdigen Status nicht verwunderlich war. »Fiorina „Fury“ 161«, begann die Mitteilung. »Äußerer Gürtel, Erzraffinerie, Einrichtung für Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit, oberste Sicherheitsstufe.« Für den Schiffscomputer bedeuteten diese Worte nichts, aber um so mehr hätten sie den Passagieren gesagt, wären sie in der Lage oder in dem Zustand gewesen, irgend etwas zu lesen. Die Computerschrift blinkte beflissen auf: »Weitere Informationen gewünscht?« Als die richtige Taste nicht gedrückt wurde, schaltete sich der Bildschirm gehorsam aus. * Einige Tage später hatte das Rettungsfahrzeug die dunkle, aufgewühlte Atmosphäre seines Bestimmungsortes erreicht. Die grauen Wolken, die über der Oberfläche des Planeten hingen und die Sicht auf ihn versperrten, hatten nichts Einladendes an sich. Kein blauer oder grüner Schimmer drang durch sie hindurch, kein Hinweis auf irgendeine Form von Leben. Aber laut Planetenverzeichnis gab es hier eine menschliche Ansiedlung, und das Funkfeuer leuchtete in immer kürzeren Abständen in die Leere. Die Computersysteme an Bord fielen weiterhin mit deprimierender Regelmäßigkeit aus. Der Hauptcomputer bemühte sich, das Raumschiff unter Kontrolle zu behalten, während ein Notsystem nach dem anderen zusammenbrach. Wie Kohlen-
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staub zogen Wolken an den unbesetzten Heckfenstern vorbei, und Atmosphärenblitze prallten bedrohlich von den gekühlten und versiegelten Särgen ab. Der Computer hatte keine besonderen Schwierigkeiten, als er versuchte, das Rettungsfahrzeug sicher hinunterzubringen. Es bedurfte keiner außergewöhnlichen Maßnahmen. Er hätte genauso funktioniert, wenn der Himmel klar und der Wind sachte gewesen wäre, wenn seine internen Systeme optimal funktioniert hätten, anstatt in immer kürzeren Abständen zu versagen und schließlich ganz zu erlahmen. Die Landevorrichtung des Schiffes hatte auf das Kommando zum Ausfahren nicht reagiert, und es blieb weder Zeit noch Energie, es ein zweites Mal zu versuchen. Wegen der unebenen und abschüssigen Oberfläche in direkter Nähe des Leitstrahls und des offiziellen Landeplatzes, entschloß sich der Computer zu einer Notlandung auf dem relativ weichen Sandstrand. Zu dieser Landung benötigte das RF zusätzliche Energie, und es stellte sich heraus, daß diese zusätzliche Energie nicht existierte. Der Computer bemühte sich, das war sein Job. Doch das Raumschiff verfehlte den Strand und schlug in einem gefährlich spitzen Winkel auf dem Meer auf. Die Wände und Verstrebungen stemmten sich gegen die Wucht des Aufpralls. Metall und Karbonteile stöhnten auf, von Kräften gepeinigt, für die sie nicht gebaut waren. Stützstreben brachen oder verbogen sich, Wände erzitterten. Der Computer konzentrierte all seine Bemühungen darauf, die vier Zylinder in seiner Obhut zu schützen, so daß für alles andere nur wenig Zeit blieb. Um sich selbst kümmerte er sich nicht. Egoismus war eine Funktion, mit der man ihn nicht ausgestattet hatte. Die Oberfläche Fiorinas war genauso abweisend wie sein Himmel. Eine wilde Ansammlung schwarzgrauen Gesteins, durch die ein heulender Wind fegte. An einigen geschützten Winkeln der Felsen hatten sich ein paar verdrehte und verkrüp-
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pelte Büsche halten können. Prasselnder Regen peitschte auf dunkle, kalte Pfützen. In dieser traurigen Landschaft ruhten verstreut die unbelebten Formen riesiger Maschinen und Fahrzeuge. Lader, Transporter, Greifbagger und Hebegeräte lagen dort, wo man sie verlassen hatte. Sie waren zu groß, und es wäre teuer gewesen, sie von den unglaublich ergiebigen Abbaustellen fortzuschaffen, an denen ihre Anwesenheit einst so dringend benötigt worden war. Drei riesige Schaufelbagger hockten im Wind wie ein Trio gigantischer fleischfressender Würmer. Ihre Bohrmäuler schwiegen, und die Fahrerkabinen waren dunkel und leer. Um sie herum standen kleinere Fahrzeuge und Maschinen wie ein Haufen Parasiten, die nur darauf warteten, daß eine der großen Maschinen wieder zu neuem Leben ansprang, damit sie an ihren Seiten eifrig Krümel auflesen konnten. Weiter unten brachen dunkle Wellen unablässig gegen den schwarz glänzenden Sandstrand und vergeudeten ihre Energie an einer leblosen Küste. Über die Oberfläche dieser düsteren Bucht glitten keine eleganten Gliederfüßer, keine Vögel schossen mit geübtem, suchenden Flügelschlag auf die zerfransten Kanten der hereinkommenden Wellen hinab, um sie auf kleine, eßbare Dinge zu überprüfen. Doch es gab Fische im Wasser, seltsame, längliche Kreaturen mit glubschigen Augen und kleinen scharfen Zähnen. Die menschlichen Besucher, die Fiorina ihr Zuhause nannten, diskutierten gelegentlich über die wahre Natur dieser Wesen, aber da angeregte Unterhaltungen über die Probleme der Evolutionstheorie ihnen nicht so recht lagen, einigten sie sich darauf, daß diese Wasserwesen ungeachtet ihres seltsamen Aussehens eßbar waren, und beließen es dabei. Frische Lebensmittel, egal welcher Art, waren selten, und deshalb schien es nicht angebracht, sich allzusehr um die Herkunft dessen zu kümmern, was im Kochtopf landete,
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solange es genießbar war. * Der Mann, der den Strand entlangging, war in Gedanken versunken und hatte es nicht eilig. Sein intelligentes Gesicht wirkte fast abwesend, ansonsten drückte es keine Emotionen aus. Eine leichte Plastikbekleidung schützte seinen vollkommen kahlen Schädel gegen Wind und Regen. Ab und zu trat er wütend nach den fremdartigen Insekten, die um seine Füße herumkrabbelten und versuchten, sich einen Weg unter das glatte, beschichtete Plastik zu bahnen. So wie Fiorinas Besucher immer wieder den dubiosen Reichtum der gefährlichen Gewässer zu ernten suchten, so bemühten sich die primitiveren Lebensformen an Land nach allen Kräften, sich an den Besuchern schadlos zu halten. Mit ruhigen Schritten ging er an verlassenen Drehkranen und fast schon versteinerten Bohrtürmen vorbei, ganz mit seinen Gedanken beschäftigt und mit ernster Miene. Seine Haltung drückte eine stille Duldsamkeit aus, die nicht daher rührte, daß er ein bestimmtes Ziel verfolgte, sondern die das Ergebnis einer allgemeinen Gleichgültigkeit war, so als kümmere er sich wenig darum, was morgen geschah, oder ob es überhaupt ein Morgen gab. Er fand es weitaus interessanter, in sich hineinzuschauen. Seine ihm nur allzu bekannte Umgebung bot ihm wenig Anlaß zur Freude. Er hörte ein Geräusch und blickte auf, blinzelte und wischte kalte Regentropfen von seinem Gesichtsschutz. Ein fernes Donnern veranlaßte ihn, in den Himmel zu schauen. Plötzlich gebar eine niedrige Wolke ohne Vorwarnung drohend einen Klumpen herabstürzenden Metalls. Er glühte sanft, und die Luft brüllte, während er herabfiel. Der Mann sah zu der Stelle im Ozean, wo er aufgeschlagen
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war, und hielt einen Moment lang inne, bevor er weiterging. Nach der halben Strecke des Strandes blickte er auf seine Armbanduhr und begann, seinen eigenen Spuren folgend, wieder zurückzugehen. Ab und an warf er einen Blick auf das Meer, aber da er dort nichts entdecken konnte, erwartete er auch nicht, etwas zu finden. Deshalb war seine Überraschung groß, als er vor sich auf dem Strand einen zusammenge krümmten Körper liegen sah. Er ging etwas schneller und beugte sich über die Gestalt, während die Wellen seine Füße umspülten. Jetzt erst begann sein Puls etwas schneller zu schlagen. Der Körper war der einer Frau, und sie lebte noch. Er drehte sie auf den Rücken und starrte in Ripleys bewußtloses, salzbedecktes Gesicht. Der Mann blickte um sich, doch er hatte den Strand immer ganz für sich allein. Für sich und diesen so völlig unerwarteten Neuankömmling. Sie hier liegenzulassen, um Hilfe zu holen, bedeutete, daß die lebensnotwendige Versorgung sich verzögern würde, ganz zu schweigen davon, daß sie den kleinen, aber enthusiastischen Kriechtieren, die den Strand und Teile von Fiorina bevölkerten, wehrlos ausgeliefert gewesen wäre. Er packte sie unter den Armen und zog sie hoch. Mit einem kräftigen Ruck gelang es ihm, ihren Körper auf seine Schultern zu hieven. Mit wackeligen Beinen erhob er sich und ging langsam auf die Wetterschleuse zu, aus der er vor kurzem herausgekommen war. Drinnen angekommen, hielt er kurz an, um Atem zu schöpfen und um zur Wanzenwäsche zu gehen. Hier waren gerade drei Gefangene, die draußen gearbeitet hatten, eifrig damit beschä ftigt, sich zu entlausen. Nackt standen sie unter dem heißen, gleichmäßigen Strahl, der Wasser und Desinfektionslösung auf sie herabsandte. Als Gefängnisarzt verfügte Clemens über eine gewisse Autorität, die er nun einsetzte. »Hört mal zu!« Die Männer drehten sich um und betrachteten
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ihn neugierig. Clemens sprach nicht viel mit den Gefangenen, wenn sie sich nicht gerade bei ihm krank meldeten. Normalerweise hätten sie relativ gleichgültig reagiert, aber der Anblick des Körpers auf seinen Schultern war etwas anderes. »Ein RF ist gerade notgelandet.« Die drei Männer blickten einander an. »Steht nicht einfach so rum, fuhr Clemens sie an, auch, um sie von der Last auf seinen Schultern abzulenken. »Sucht den Strand ab, vielleicht sind da noch mehr. Und benachrichtigt Andrews.« Nach kurzem Zögern setzten sie sich in Bewegung. Während sie die Duschen abstellten und nach ihren Kleidern griffen, starrten sie auf die Frau, die Clemens trug. Er wagte nicht, sie abzusetzen.
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Andrews benutzte den Kommunikator nicht gerne. Jedesmal gab es einen Eintrag in seinen Lebenslauf. Weltraumkommunikation war teuer, und er hatte Instruktionen, das Gerät nur im absoluten Notfall einzuschalten. Es war durchaus möglich, daß sich seine Einschätzung nicht mit der eines glattärschigen Holzkopfs im Hauptquartier deckte, und das konnte bedeuten, daß man ihm den angesammelten Lohn kürzte oder ihn bei der nächsten Beförderung übersah. Er hatte noch nicht einmal eine Chance, sich zu verteidigen, denn wenn man ihn aus diesem Höllenloch namens Fiorina abkommandiert hatte und er wieder auf der Erde war, dann war der Schwachkopf, der ihn betrogen hatte, wahrscheinlich schon längst tot oder pensioniert.
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Aber zum Teufel, worüber machte er sich Sorge n? Wenn er endlich nach Hause kam, würde jeder, den er gekannt hatte, tot sein. Dennoch wünschte er sich nichts so sehr wie jene Heimreise, an die er so oft dachte. Also machte er seinen verdammten Job so gut er konnte und hoffte, daß seine verdammten Bosse sein Geschick und seine Tüchtigkeit irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen würden und ihm eine vorzeitige Pensionierung anboten. Aber gerade jetzt war eine verdammte, unvorhergesehene Schwierigkeit eingetreten, die nur dazu da war, ihm das Leben schwer zu machen. Andrews besaß eine ausgeprägte Abneigung gegen das Unvorhergesehene. Was seinen Job bislang erträglich gemacht hatte, war die stete Vorhersehbarkeit der Abläufe gewesen. Bis heute. Jetzt war er sogar gezwungen, den Kommunikator zu benutzen. Zornig hämmerte er auf die Tasten ein. FURY 361 GEFÄNGNIS GRUPPE C IRIS 12037154 MELDE NOTLANDUNG RF 2650 AN BORD BISHOP ANDROID, INAKTIV; HlCKS, CORPORAL, MARINES L55321 TOT; RIPLEY, LEUTNANT SVC. B515617 ÜBERLEBENDE; UNIDENTIFIZIERTES JUNGES MÄDCHEN, TOT. BITTE UM SOFORTIGE NOTEVAKUIERUNG, ERWARTE ANTWORT ANDREWS, DIR. M51021 (zeitverzögerte Übertragung 1844 Fiorina) * Clemens hatte die Frau aus dem Wasser gezogen und sie so schnell er konnte in die Anlage gebracht. In der Eile hatten sie
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nur an ihren gesundheitlichen Zustand und nicht an ihr Geschlecht gedacht. Aber bald würde man darüber nachdenken müssen, genauso wie über die anderen Probleme, die Andrews nahen sah. Das Rettungsfahrzeug selbst hatten sie mit den mutierten Ochsen an Land gezogen. Mit irgendeinem der Minenfahrzeuge hätte man das leichter und schneller bewerkstelligen können, aber diejenigen, die man im Freien hatte stehen lassen, hatten schon längst ihren Maschinengeist aufgegeben, und die innerhalb des Komplexes waren zu wertvoll für die Bewohner, um sie den Risiken des Wetters auszusetzen, wenn man es überhaupt geschafft hätte, ein geeignetes Fahrzeug nach draußen zu schaffen. Mit den Ochsen ging es einfacher, auch wenn die Aufgabe ungewohnt für sie war. Doch sie hielten sich gut, bis auf einen, der im Anschluß an die Aktion tot zusammenbrach. Offenbar war die ungewohnte Erfahrung tatsächlicher Arbeit zu viel für ihn gewesen. Als dann das RF endlich im Bereich des einzigen Krans war, der im äußeren Minenbereich noch funktionierte, war es ein leichtes Unterfangen, das schwer beschädigte Raumschiff an den Schaufeln zu befestigen und in das Innere der Anlage herabzulassen. Andrews war dabei, als die Männer das Schiff betraten, und schon bald kam er wieder heraus, um zu verkünden, daß die Frau nicht allein gewesen war, daß es noch andere gab. Der Direktor war wenig erfreut. Noch mehr Schwierigkeiten, noch mehr Risse im ruhig vor sich hin plätschernden Alltag. Und noch mehr Entscheidungen, die er treffen mußte. Er haßte es, Entscheidungen zu treffen, es bestand immer die Gefahr, daß mal eine falsche dabei war. Der Corporal der Marines war tot, genauso wie das unglückliche Kind. Der Android spielte keine Rolle. Andrews spürte so etwas wie Erleichterung. Also mußte er nur mit der Frau fertig
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werden, und das reichte ihm auch. Sie stellte schon ein ausreichendes Problem dar. Einer der Männer teilte ihm mit, daß auf dem Kommunikator eine Nachricht eingetroffen war. Der Direktor ließ das RF und seinen Inhalt in der Obhut der anderen und machte sich auf den Weg zu seinem Büro. Er war ein großer Mann, Ende Vierzig. Muskulös, kräftig und entschlossen. Ohne diese Eigenschaften, und noch ein paar andere, wäre er niemals nach Fiorina geschickt worden. Die Antwort war ebenso knapp wie seine Meldung selbst es gewesen war. AN: FURY 361 STRAFANSTALT KLASSE C 1237154 VON: NETWORK CONCOM 01500 WEYLAND YUTANI NACHRICHT ERHALTEN. Nun, das war sehr informativ. Andrews starrte auf den Bildschirm, aber mehr kam nicht. Keine Vorschläge, keine Bitte um zusätzliche Informationen, keine elegante Erklärung, wie sie ein solcher Großkonzern bieten konnte. Keine Kritik, kein Lob. Irgendwie hatte er mehr erwartet. Er hätte eine weitere Anfrage absenden können, aber wahrscheinlich würden die Verantwortlichen ihm dann wegen überflüssiger Meldungen die Kosten vom Lohn abziehen. Sie hatten ja schließlich reagiert, auch wenn sie nicht genau geantwortet hatten. Es blieb ihm nichts anderes übrig als zu versuchen, so gut wie möglich mit der Situation fertig zu werden ... und zu warten. * Schon wieder ein Traum. Man hat kein Zeitgefühl im Traum, keine Ausdehnung der Zeit. Die Le ute sehen alles mögliche in
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ihren Träumen, zugleich äußerst realistisch und völlig irreal. Auf die Uhr sehen sie nur selten. Der doppelläufige Flammenwerfer lag schwer in ihrem Arm, als sie sich vorsichtig den Hyperschlaftruhen näherte. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß alle drei Reisenden unberührt und ungestört darin lagen. Bishop, in Fragmenten, ruhig. Newt war in ihrer vollkommenen Kindlichkeit ein Bild von himmlischer Schönheit und wirkte um so fremder an diesem Ort, zu dem sie unfreiwillig gekommen war. Hicks lag friedlich da, völlig unversehrt. Sie merkte, wie sie zögerte, als sie sich ihm näherte, aber seine Kuppel blieb geschlossen, genau wie seine Augen. Ein Geräusch, und sie wirbelte herum, krümmte den Finger um den Abzug und bewegte gleichzeitig einen Schalter an der Seite der Waffe. Nichts, außer einem müden Klicken. Kramp fhaft versuchte sie es erneut. Eine zögerliche, kleine Flamme kroch ein paar Zentimeter aus einem der Läufe hervor, um sogleich zu verpuffen. Verzweifelt überprüfte sie die Waffe, checkte das Benzinlevel, den Abzug, die sichtbaren Zuleitungen. Alles schien in Ordnung. Sie mußte einfach funktionieren, sie mußte ... Plötzlich war etwas bei ihr, ganz nah. Im Traum sah sie sich zurückweichen, vorsichtig deckte sie ihren Rücken und suchte den Schutz einer festen Wand, während sie sich mit dem Flammenwerfer abmühte. Es war ganz in der Nähe, sie kannte es zu gut, um an etwas anderes zu glauben. Ihre Finger zerrten an der klobigen Waffe. Sie wußte nun, woran es lag, sie brauchte nur noch eine Minute. Aufladen, in Ausgangsposition bringen, auf Feuer stellen. Noch eine halbe Minute. Ihr Blick fiel auf den Boden. Der Schwanz des Alien war zwischen ihren Beinen. Schreiend sprang sie zurück, genau in seine wartenden Arme, und versuchte den Flammenwerfer zu betätigen. Eine Hand
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griff zu; grauenhaft elegante, unglaublich kräftige Finger zerquetschten die Waffe in der Mitte, brachen die beiden Läufe ab. Der andere Arm hielt sie fest. Sie schlug mit den Fäusten auf den glänzenden, funkelnden Körper ein. Eine sinnlose Geste, so sinnlos wie alles, was sie jetzt tun konnte. Es zerrte sie zur nächsten Hyperschlaftruhe hin, stieß sie vorwärts. Ihr Gesicht wurde gegen das kühle, anorganische Glas gedrückt. Unter ihr öffnete Hicks die Augen und lächelte, immer wieder. Sie schrie. Die Krankenstation war relativ klein und fast völlig leer. Sie lag neben einer weitaus größeren medizinischen Einrichtung, die Dutzende von Patienten pro Tag hätte aufnehmen können. Diese potentiellen Patienten, die Minena rbeiter, hatten Fiorina schon vor langer Zeit verlassen. Es war Jahre her, daß sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, und nachdem sie dem Boden das wertvolle Erz entrissen hatten, waren sie ihrer Beute nach Hause gefolgt. Nur die Gefangenen mußten bleiben, und für sie war die umfangreiche Abteilung zu groß. Also hatte man das verwendbare Material mitgenommen und die kleinere Ambulanz dem Gefängnis überlassen. So war es billiger, es gab geringere Heizungskosten und weniger verbrauchte Energie. Wenn es sich um Häftlinge handelte, konnte man sich das erlauben. Es war jedoch nicht so, daß man ihnen kaum etwas gelassen hätte. Für die Bedürfnisse des Gefängnisses waren die Vorräte und Einrichtungen mehr als ausreichend. Die Gesellschaft konnte es sich leisten, großzügig zu sein. Abgesehen davon war es teuer, selbst durchaus wertvolle Güter durch den Weltraum zu transportieren. Es war besser, einiges von dem zweitklassigen Zeug zurückzulassen und gleichzeitig ein paar Pluspunkte für Hilfsbereitschaft zu sammeln. Der Effekt für die Öffentlichkeit war mehr wert als die Ausrüstung.
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Neben der medizinischen Station gab es noch Clemens. Wie einige Teile der Ausrüstung war er eigentlich zu gut für Fiorina, obwohl es schwer gewesen wäre, jemanden, der seinen Fall kannte, davon zu überzeugen. Er selbst hätte auch kaum Einwände erhoben. Aber die Gefangenen konnten dankbar dafür sein, daß er hier war, und das wußten sie auch. Die meisten von ihnen waren keineswegs dumm, lediglich ein bißchen unangenehm. Eine solche Veranlagung läßt manche Männer zu Industriebossen und Stützen der Gesellschaft werden. Andere wiederum enden in entwürdigenden Sackgassen. Wenn sich dann das Leid einen Weg nach innen suchte, wurde man auf der Erde von einem Psychiater behandelt oder in eine Zwangsjacke gesteckt. Bahnte sich dieses Leid jedoch einen Weg nach außen und zog Unschuldige in Mitleidenschaft, so führte er woanders hin, zum Beispiel nach Fiorina. Clemens war einer der vielen, die zu spät erkannt hatten, daß sein Schicksalsweg vom Pfad der anderen abgewichen war und ihn direkt zu einem Ort wie diesen führte. Die Frau versuchte etwas zu sagen. Ihre Lippen bewegten sich, und sie bäumte sich auf, doch er konnte nicht sagen, ob sie sich gegen etwas stemmte oder vor etwas zurückwich. Er beugte sich vor und hielt sein Ohr vor ihren Mund. Gurgelnde Geräusche drangen zu ihm, wie Luftblasen, die aus der Tiefe an die Oberfläche gelangen. Er richtete sich wieder auf und drehte ihren Kopf zur Seite. Sanft, aber fest hielt er ihn, während sie hustend und würgend einen Schwall dunklen Salzwassers von sich gab. Der Brechreiz war schnell vorüber, und sie lag da, immer noch bewußtlos, aber sie schien nun ruhig zu schlafen, leichter und sanfter. Er schob ihren Kopf wieder auf das Kissen und betrachtete versonnen ihr maskenartiges Antlitz. Ihre Gesichtszüge waren anmutig, fast mädchenhaft, trotz ihres Alters. Aber etwas in
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ihrem Gesicht verriet, daß sie allzu lange einen Abstecher in die Hölle gemacht hatte. Nun ja, sagte sich Clemens, durch ein RF aus einem Raumschiff befördert und durch eine Bruchlandung im Meer aus dem Hyperschlaf gerissen zu werden, dürfte an niemandem spurlos vorübergehen. Ein zischendes Geräusch ertönte, als sich die Tür zur Krankenstation öffnete und Andrews und Aaron den Raum betraten. Clemens war nicht gerade wild auf den Direktor oder seine Nummer zwei. Aber ihm war klar, daß auch Andrews keine überschwenglichen Gefühle für den einzigen Mediziner in seiner Anstalt hegte. Obwohl er vom Status her etwas über der übrigen Bevölkerung stand, so war er doch immer noch ein Häftling, der seine Strafe absaß, eine Tatsache, die ihn keiner der beiden Männer vergessen ließ. Aber das wäre kaum nötig gewesen. Es gab vieles auf Fiorina, das nur schwer zu bewerkstelligen war, aber Vergessen war unmöglich. Sie gingen zum Bett und blickten auf die bewegungslose Gestalt, die darin lag. Andrews räusperte sich ohne ersichtlichen Grund. »Wie ist ihr Zustand, Mr. Clemens?« Der Mediziner lehnte sich etwas zurück und blickte zu dem Mann hinauf, der aufgrund der Umstände Fiorinas Herr und Meister war. »Sie lebt.« Andrews Blick verhärtete sich, und er bedachte den Med mit einem zynischen Lächeln. »Danke, Mr. Clemens, das ist sehr hilfreich. Aber wenn Sie mir auch sicher glauben, daß ich es mir gar nicht anders wünsche oder wünschen dürfte, so bedeutet es doch, daß wir hier ein Problem haben, nicht wahr?« »Keine Sorge, Sir. Ich glaube, ich kann sie durchbringen. Sie hat keine inneren Blutungen, es ist nichts gebrochen, ja noch nicht einmal schwer verstaucht. Ich bin sicher, daß sie sich
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vollständig erholen wird.« »Und genau das ist es, was mir Sorgen macht, Mr. Clemens, und das wissen Sie auch.« Er blickte abschätzend auf die Frau im Bett. »Ich wünschte, sie wäre nicht hierher gekommen. Ich wünschte, sie wäre gar nicht hier.« »Bei allem Respekt, Sir, aber ich denke, daß sie Ihnen da sofort zustimmen würde. Nach dem, was ich über ihre Landung erfahren habe und nach dem Zustand ihres RF´s zu urteilen, hatte sie wohl weniger als eine verdammt kleine Auswahl bei der Sache. Wissen Sie, wo sie herkommt, von welchem Schiff?« »Nein«, antwortete Andrews mürrisch. »Ich habe Weyland benachrichtigt.« »Und ihre Antwort?« Clemens hielt Ripleys Handgelenk, so als wolle er ihr den Puls messen. »Antwort kann man es kaum nennen. Sie haben lediglich den Empfang meiner Nachricht bestätigt. Wahrscheinlich war ihnen einfach nicht nach Konversation zumute.« »Verständlich, wenn sie an dem verlorengegangenen Raumschiff interessiert waren. Dann rennen sie jetzt wahrscheinlich wie wild durcheinander und versuchen herauszukriegen, was ihre Meldung bedeuten könnte.« Sich die hohen Tiere der Gesellschaft in heller Aufregung vorzustellen, bereitete Clemens Vergnügen. »Lassen Sie mich wissen, wenn sich ihr Zustand ändert.« »Zum Beispiel dann, wenn sie uns den Gefallen tun würde zu sterben?« Andrews warf ihm einen düsteren Blick zu. »Clemens, das hier macht mir schon genug Sorgen. Seien Sie schlau, und machen Sie es mir nicht noch schwerer. Und achten Sie darauf, daß Sie nicht ein Teil dieses Problems werden. Es gibt keinen Grund für Ihre morbiden Scherze. Es wird Sie vielleicht überraschen, aber ich hoffe tatsächlich, daß sie überlebt. Aber
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vielleicht bedauert sie es selbst, wenn sie zu sich kommt. Gehen wir«, wandte er sich an sein Faktotum, und die beiden Männer verliefsen den Raum. Die Frau stöhnte leise, sie drehte den Kopf unruhig von der einen auf die andere Seite. Er fragte sich, ob das eine bloße physische Reaktion war oder ob die Medikamente, die er hastig und auf das Beste hoffend in ihr System eingeschle ust hatte, Nebenwirkungen zeigten. Er saß da und sah sie an, unendlich dankbar für die Gelegenheit, sich in ihrer Aura zu entspannen, für die bloße Gelegenheit neben ihr zu sein, sie genau zu betrachten, sie zu atmen. Er hatte beinahe schon vergessen, wie das war, mit einer Frau zusammen zu sein. Jetzt kehrten die Erinnerungen schnell zurück, ausgelöst durch ihr Auftauchen. Unter den Kratzern und den Sorgenfalten war sie ausgesprochen schön. Viel, viel schöner als er erwarten durfte. Sie stöhnte erneut. Das waren nicht die Medikamente und auch nicht der Schmerz der Verletzungen. Sie träumte einfach. Nun, das war nicht schlimm. Schließlich konnten ihr ein paar Träume wenig antun. * Die schwach beleuchtete Versammlungshalle war vier Stockwerke hoch. Am Geländer des zweiten Stocks lehnten Männer, in leise Gespräche vertieft. Einige rauchten die verschiedensten Kombinationen von Tabak und Chemie. Die oberen Stockwerke waren leer. Wie alles in der Mine von Fiorina hatte man auch diesen Raum für mehr als die zwei Dutzend Männer gebaut, die sich jetzt in seinen höhlenartigen Tiefen versammelt hatten. Sie waren auf den Wunsch des Direktors hier zusammengekommen, alle fünfundzwanzig. Hart, drahtig, kahlköpfig, jung, nicht mehr ganz so jung und solche, für die Juge nd nur noch eine dahinschwindende
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Erinnerung war. Andrews saß vor ihnen, sein Stellvertreter Aaron an seiner Seite. Clemens stand etwas abseits zwischen Häftlingen und Aufsehern, ganz so wie es seinem merkwürdigen Status entsprach. Zwei Aufseher, fünfundzwanzig Gefangene. Es wäre für sie vergleichsweise leicht gewesen, den Direktor und seinen Assistenten jederzeit zu überwältigen. Aber wozu? Eine Revolte hätte ihnen nur die Macht über eine Einrichtung gegeben, die ihnen praktisch schon gehörte. Man konnte nirgendwohin flüchten, es gab keinen Flecken auf Fiorina, den sie nicht betreten durften und wo es angenehmer war, als in der Anlage selbst. Wenn dann das nächste Versorgungsschiff käme und die Lage erkannte, würde es einfach keine Vorräte abwerfen, sondern Meldung erstatten. Schwerbewaffnete Truppen würden folgen, man würde mit den Aufrührern abrechnen, und alle, die sich an dem Aufstand beteiligt hatten und noch lebten, hätten mit einer Verlängerung ihrer Haftstrafe zu rechnen. Die kleinen Freuden, die ein Widerstand gegen die Leitung vielleicht brachte, waren keinen weiteren Monat auf Fiorina wert, ganz zu schweigen von einem Jahr oder zwei. Selbst die verstocktesten Häftlinge sahen das ein. Also gab es keine Revolte, niemand zweifelte Andrews Autorität an. Das Überleben auf Fiorina und, noch wichtiger, das Verlassen des Planeten hingen davon ab, daß man tat, was von einem erwartet wurde. Die Gefangenen waren vielleicht nicht zufrieden, aber sie waren friedlich. Aaron ließ seinen Blick über die murmelnde Menge schweifen und rief schließlich ungeduldig: »O.K., O.K., also fangen wir an, es geht los. In Ordnung? Gut. Bitte, Mr. Dillon.« Dillon trat vor. Er war der Führer der Häftlinge und das nicht nur wegen seiner Körpergröße und seiner Kraft. Seine randlose Brille mit dem Drahtgestell war mehr ein Zugeständnis an die Tradition, eher eine Affektiertheit als Notwendigkeit. Er zog
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sie Kontaktlinsen vor, und man konnte natürlich kaum von der Gesellschaft erwarten, daß sie Zeit und Geld opferte, nur um einen Häftling mit Transplantaten zu versehen. Dillon war es nur recht. Die Brille war alt, ein Erbstück, das irgendwie Generationen unversehrt überdauert hatte. Für seine Zwecke war sie ausreichend. Langsam trat er vor. Eine einzelne Rastalocke baumelte auf seinem ansonsten kahlen Schädel hin und her. Es erforderte viel Zeit und Sorgfalt, die zottige Haartracht frei von Fiorinas allgegenwärtigen Läusen zu halten, aber er nahm die Mühe auf sich, um dieses kleine Zeichen seiner Individualität zu pflegen. Er räusperte sich laut. »O Herr, gib uns die Kraft auszuhalten. Wir wissen, daß wir arme Sünder sind, in der Hand eines zornigen Gottes. Möge der Kreis nie unterbrochen werden ... bis der Tag kommt. Amen.« Es war ein kurzes Gebet, aber es verfehlte seine Wirkung nicht. Die Häftlinge hoben gemeinsam die rechte Faust und ließen sie schweigend wieder sinken. Die Geste drückte Zustimmung und Ergebenheit aus, keinen Trotz. Auf Fiorina brachte einem Trotz nur die Achtung durch die Mitgefangenen und möglicherweise ein frühes Grab ein. Denn wer allzusehr ausscherte, den konnte Andrews, ohne etwaige Folgen fürchten zu müssen, aus der Anlage verbannen, was er auch schon getan hatte. Es gab niemanden, der ihm widersprach oder kontrollierte und die Korrektheit seiner Handlungen bewertete. Es gab keinen unabhängigen Untersuchungsausschuß, wenn ein Häftling starb. Andrews schlug vor und Andrews bestimmte. Dieser Zustand wäre sicher auf Dauer unerträglich gewesen, aber man mußte zugeben, daß der Direktor zwar ein harter, aber auch gerechter Mann war. Deswegen konnten sich die Insassen glücklich schätzen, denn es hätte leicht anders sein können. Er betrachtete seine Schützlinge. Er kannte jeden von ihnen
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genau, weitaus besser als er sie überhaupt kennen wollte, aber darin hatte er keine Wahl. Andrews kannte ihre persönlichen Stärken und Schwächen, ihre Abneigungen und kleinen Sünden und die Details ihrer Fallgeschichten. Ein paar von ihnen waren Abschaum, andere lediglich unheilbar antisozial. Dazwischen gab es alle möglichen Abstufungen. Er räusperte sich mit einer Geste, die um Aufmerksamkeit bat. »Vielen Dank, meine Herren. Über das, was hier heute mo rgen geschehen ist, hat es schon viel Gerede gegeben, und das meiste davon war ziemlich leichtfertig. Sie können dies also auch als eine Sitzung zur Eindämmung von Gerüchten betrachten. Hier nun die Tatsachen. Wie einige von Ihnen wissen, fand heute um 6.00 während der Morgenwache die Notlandung eines RF´s Modell 337 statt. Es gab zwei Tote und einen Androiden, der irreparable Schäden davongetragen hatte.« Er hielt kurz inne, damit die Worte ihre Wirkung entfalten konnten. »Eine Person hat überlebt. Eine Frau.« Das Gemurmel begann. Andrews hörte genau hin und beobachtete die Reaktionen der Häftlinge. Nicht schlecht ... noch. Einer der Gefange nen lehnte sich über das obere Geländer. Morse war Ende Zwanzig, sah aber älter aus. Fiorina ließ seine unfreiwilligen Besucher schnell altern. Er zeigte eine ganze Menge goldanodisierter Zähne, die Folge gewisser antisozialer Aktivitäten. Die goldene Farbe war lediglich eine kosmetische Entscheidung. Er wirkte hektisch, so wie immer. »Ich möchte nur sagen, daß ich ein Keuschheitsgelübde abgelegt habe, als ich hier ankam. Das heißt keine Frau und auch sonst kein Sex.« Sein aufgeregter Blick wanderte über die Versammlung. »Wir alle haben das Gelübde abgelegt. Und ich persönlich finde, daß es sicherlich keine gute Politik der
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Gesellschaft wäre, wenn sie sich frei zwischen uns bewegen dürfte ...« Während seine Stimme weiterdröhnte, flüsterte Aaron seinem Vorgesetzten zu: »Hinterhältiger Bastard, was, Sir?« Schließlich trat Dillon erneut vor seine Mitgefangenen. Seine voll klingende Stimme war sanft aber fest. »Der Bruder will damit sagen, daß wir die Gegenwart eines Außenseiters, besonders wenn es sich um eine Frau handelt, als Verletzung unserer Harmonie betrachten, als mögliche Gefahr für die geistige Einheit, die uns durch jeden neuen Tag bringt und uns vor dem Wahnsinn bewahrt. Hören Sie, was ich sage, Direktor? Verstehen Sie, was ich meine?« Andrews hielt Dillons Blick stand. »Glauben Sie mir, wir sind uns über Ihre Gefühle in dieser Angelegenheit durchaus im klaren. Ich versichere Ihnen allen, daß wir alles tun werden, um Ihren Bedenken entgegenzuwirken und diese Sache so schnell wie möglich hinter uns zu bringen. Ich glaube, das ist das beste für uns alle.« In der Menge erhoben sich Stimmen. »Ich kann Ihnen mitteilen, daß ich bereits ein Rettungsteam angefordert habe. Ich hoffe, daß es innerhalb einer Woche hier sein wird, um die Frau so schnell wie möglich abzuholen.« Jemand aus der Mitte der Gruppe meldete sich. »Eine Woche, Direktor? Niemand kann so schnell hierherkommen. Von nirgendwo.« Andrews faßte den Mann ins Auge. »Es sieht so aus, daß sich augenblicklich ein Raumschiff auf dem Transitweg nach Motinea befindet. Es ist schon seit Monaten programmiert. Aber dies ist ein Notfall, und es gibt Regeln, an die sich auch die Gesellschaft halten muß. Ich bin sicher, daß sie mit dem Schiff Kontakt aufnehmen wird, zumindest einen Piloten aus dem Hyperschlaf holt und ihn einen kleinen Abstecher zu uns machen läßt, um sie aufzunehmen. Womit die Angelegenheit dann beendet wäre.«
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Natürlich hatte er keine Ahnung, ob so etwas schon geplant war, aber das wäre logischerweise das Vorgehen der Gesellschaft, und er fühlte sich einigermaßen sicher, diesen Vorgang im voraus anzukündigen. Wenn das Raumschiff zum Motinea seinen Kurs nicht änderte, würde er mit dieser Situation auch schon fertig werden. Ein Problem nach dem anderen. Er blickte zu Clemens hinüber. »Hatten Sie Zeit genug, um eine Diagnose vorzunehmen?« Der Med verschränkte die Arme unsicher vor der Brust. »So ungefähr. So gut ich es bei den Möglichkeiten, die wir hier haben, konnte.« »Die Klagen können Sie sich sparen. Wie ist ihr gesundheitlicher Zustand?« Clemens bemerkte, daß sich alle Augen im Raum auf ihn gerichtet hatten, aber er ignorierte die Blicke und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den Direktor. »Sie scheint nicht allzu schwer verletzt. Sie ist nur ordentlich durchgeschüttelt worden und hat ein paar blaue Flecken. Vielleicht ist eine Rippe gebrochen, aber wenn, dann ist es nur ein Ermüdungsbruch. Die größere Gefahr besteht wahrscheinlich in der Tatsache, daß sie zu plötzlich aus dem Hyperschlaf geholt wurde.« Er machte eine Pause, um seine Gedanken zu sammeln. »Also, ich bin zwar kein Spezialist, aber selbst ich kann erkennen, daß sie einen braucht. Wenn man jemanden zu früh aus dem Hyperschlaf reißt, ohne biophysikalische Vorbereitung, dann kann es alle möglichen Probleme geben. Unvorhersehbare Nebeneffekte, latente Atem- und Kreislaufbeschwerden, Zellstörungen, die sich oft erst nach Wochen bemerkbar machen; Dinge, die ich nicht mal ansatzweise diagnostizieren und schon gar nicht behandeln könnte. Ich hoffe nur für sie, daß im Rettungsschiff eine komplette medizinische Versorgungsstation vorhanden ist.«
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»Wird sie überleben?« fragte Andrews. Verblüfft schaute Clemens ihn an. Der Direktor hatte eine besondere Begabung, nur das zu hören, was er wollte. »Vorausgesetzt, daß keine Spätfolgen eintreten, wird es ihr bald wieder gut gehen. Aber zitieren Sie mich nicht damit. Vor allen Dingen nicht vor einem zugelassenen Arzt.« »Wovor haben Sie Angst?« höhnte jemand hinter ihm. »Daß man Ihnen einen Kunstfehler vorwirft?« Ein paar Männer lachten unbarmherzig. Andrews griff schnell ein, noch bevor Clemens oder sonst jemand etwas sagen konnte. »Also, niemand ist hier naiv. Es ist für alle das Beste, wenn die Frau die Krankenstation nicht verläßt, bis das Rettungsteam eintrifft. Und wenn, dann auf keinen Fall ohne Begleitung. Aus den Augen, aus dem Sinn, nicht wahr?« Niemand wollte dazu einen Kommentar abgeben. »Also halten wir uns an die vorgegebene Routine und regen wir uns nicht unnötig auf. Habe ich recht? Also gut.« Er erhob sich. »Danke, meine Herren.« Keiner bewegte sich, bis Dillon zu Andrews blickte und leise sagte: »Okay.« Die Versammlung löste sich auf, und die Männer kehrten zu ihren täglichen Pflichten zurück. Andrews schien über die Respektlosigkeit nicht sonderlich verstimmt. Das war nichts als eine kleine Geste der Häftlinge, und er war durchaus bereit, solche kleinen Gesten zu erlauben. Dadurch konnten sie sich etwas abreagieren und kamen nicht auf den Gedanken, größere Muskelspiele auszuprobieren. Die Zusammenkunft war bestens gelaufen. Er hatte den Eindruck, gut mit der Situation fertig geworden zu sein, indem er den Gerüchten ein Ende gemacht hatte, bevor sie sich ausbreiten konnten. Zusammen mit Aaron ging er in sein Büro zurück. Trotzdem wäre eine etwas informativere Antwort der Gesell-
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schaft scho n nützlich gewesen. Als Clemens die Halle verlassen wollte, stellte sich ihm Dillon in den Weg. »Was gibt's?« Der große Mann sah besorgt aus. »Du paßt besser gut auf die Frau auf, Pillendreher.« Clemens lächelte. »In ihrem Zustand kann sie keinen Ärger machen. Und sollten nicht alle Kinder Gottes eine faire Chance haben?« »Wir wissen noch nicht, wessen Kind sie ist.« Die beiden Männer starrten einander an. Dann ging Dillon zur Seite, um den Med vorbeizulassen. Er sah ihm nach, bis er durch das Tor verschwunden war, das zu Korridor D führte. * Die Frau lag reglos auf dem Bett, zur Abwechslung einmal nicht stöhnend und träumend. Clemens überprüfte die intravenöse Infusion an ihrem Arm. Da er ihren Zustand nicht genau hatte diagnostizieren können, blieb ihm nichts anderes übrig, als sie wegen allgemeiner Erschöpfung zu behandeln. Außer Glukose und Sukrose enthielt die Infusion eine Reihe leichterer Antibiotika, Rapid-Eye-Movement Schlafmodifizierer und schmerzstillende Mittel. Die robuste Identifikationskarte, die sie getragen hatte, war bei der Bruchlandung zerstört worden, und so mußte er sie auf Verdacht behandeln. Er untersuchte sie sorgfältig nach irgendwelchen Zeichen einer Abstoßung und atmete erleichtert auf, als er keine finden konnte. Zumindest war sie bis jetzt gegen nichts allergisch, was er in ihren Kreislauf gepumpt hatte. Erfreut stellte er fest, daß die Arminfusion fast schon leer war. Offensichtlich machte ihr Körper guten Gebrauch von der Aufbaulösung. Als er den VS-Apparat über ihren Brustkorb
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und den Schädel führte, blieben die Anzeigen im grünen Bereich. Ermutigt schob er eine Kapsel in den Injektor und drehte ihren Arm leicht herum, um besser an den Trizepsmuskel zu kommen. Ihre Augen klappten so plötzlich auf, als hätte sie den Schlaf bislang nur vorgetäuscht. Clemens war von ihrer Reaktion völlig verblüfft und zögerte. Sie deutete auf das Gerät in seiner Hand. »Was ist das?« »Ein ganz normaler Injektor.« »Das sehe ich selbst. Sie wissen, was ich meine.« Er lächelte kurz. »Er enthält einen kleinen, selbstkomponierten Cocktail. Eine Art Muntermacher. Adrenalin, ein paar ausgewählte DesignerEndorphine und ein paar geheime Proteine. Wegen des Geschmacks. Ich denke, daß sich Ihr Körper genügend erholt hat, um sie umzuwandeln. Fünf Minuten, nachdem sie sich in ihrem System ausgehreitet haben, fühlen Sie sich bestimmt viel besser als jetzt.« Sie betrachtete ihn weiterhin argwöhnisch. »Sind Sie Arzt?« Er zuckte mit den Schultern und schaute kurz weg, so als sei ihm die Frage unangenehm. »Allgemeiner Med-Tech. Ich habe nur eine 3C Qualifikation. Aber ich bin der beste, den Sie hier finden werden.« Er beugte sich vor und untersuchte mit zusammengekniffenen Augen ihre Haare. »Ich sollte wirklich Ihr Haar abrasieren. Ich hätte es sofort machen sollen, aber ich hatte Wichtigeres zu tun.« Der Vorschlag ließ Ripley in ihrem Bett hochfahren. Schü tzend zog sie sich die Decke bis an den Hals. »Erschrecken Sie nicht. Ich bin kein Mörder, auch wenn man hier welche finden kann.« »Warum wollen Sie mir die Haare abrasieren?« »Mikroskopisch kleine Parasiten. Fleischfressende Gliederfü-
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ßer. Es gibt sie überall auf Fiorina. Glücklicherweise finden sie Menschen nicht besonders appetitlich ... bis auf das Keratin in unserem Haar. Aus irgendeinem Grund entwickeln sie aber für die Fingernägel keine Vorliebe. Vielleicht hat es nicht die richtige Konsistenz. Wir nennen die ganzen Arten einfach Läuse und sparen uns die verdammten wissenschaft lichen Bezeichnungen.« »Gibt es nicht irgendein Spray oder ein vorbeugendes Sha mpoo oder sonstwas?« Ripleys Blicke klebten noch immer an der Rasierklinge. »Oh, die Gesellschaft hat es versucht, als sie die Mine hier einrichtete, aber diese kleinen Teufel sind zäh. Alles, was in dieser Welt erfolgreich sein will, muß so sein. Es war so, daß alles, das stark genug war, die Parasiten zu töten, die Haut zu sehr reizte. Auf dem Kopf war es schon schlimm genug, aber weiter unten noch erheblich schlimmer. Rasieren erwies sich als einfachere, billigere und bessere Lösung. Ein paar von den Kerlen lassen sich zum Trotz irgendwo ein paar Haare wachsen und kämpfen dann so gut es geht gegen die Läuse. Augenbrauen, zum Beispiel. Man sollte kaum glauben, daß sich jemand um so etwas so Unwichtiges wie Augenbrauen kümmert. Aber dichtes Haar, das ist vö llig unmöglich. Wenn man versucht, mit den Läusen zu leben, dann treiben sie einen in den Wahnsinn, überall krabbelt es, nagt es, juckt es ...« »Schon gut, schon gut«, unterbrach Ripley ihn eilig. »Ich verstehe.« »Für die untere Partie gebe ich Ihnen einen Elektrorasierer. Kümmern Sie sich darum, wenn Sie sich besser fühlen. Die Krankenstation ist sicher der sterilste Teil der gesamten Anlage, also sollten Sie eine Zeitlang okay sein. Aber irgendwann finden die kleinen Burschen Sie. Man kann sie nirgends aussperren, sie sind zu winzig. Aber wenn Sie sich rasieren, haben Sie keine Probleme mit ihnen.«
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Einen Augenblick zögerte sie, schien zu überlegen und nickte dann zustimmend. »Ich heiße übrigens Clemens. Ich bin der Amtsarzt hier in Fury 36l.« Sie zog die Stirn in Falten. »Das klingt nicht wie die Bezeichnung für ein Bergwerk.« »Ein Bergwerk war es früher. Irgendwann hatte man den letzten Klumpen Erz gefördert, raffiniert und zur Erde geschickt. Weyland-Yutani standen also da mit dieser riesigen Anlage, die sie aus Kostengründen aufgeben mußten, und um wenigstens einen Teil des Geldes wieder reinzubekommen, haben sie den betriebsfähigen Teil als ein Hochsicherheitsgefängnis vermietet. Jeder profitiert davon. Die Allgemeinheit ist ihre unerwünschtesten Unerwünschten los, und die Gesellschaft bekommt kostenlose Hausmeister. Wie gesagt, jeder profitiert, außer uns, die man hierher geschickt hat.« Er deutete auf den Injektor. »Wenn ich jetzt dürfte. Es ist nur eine Art Stabilisator.« Sie fühlte sich nun einigermaßen sicher und ließ ihn gewähren. Aufmerksam betrachtete sie ihre Umgebung. »Wie bin ich hierher gekommen?« »Sie sind mit einem RF notgelandet. Niemand weiß, was mit Ihrem Mutterschiff geschehen ist oder warum Sie mit dem RF hinausgeschleudert wurden. Wenn Harry Andrews ... der Anstaltsleiter hier ... etwas weiß dann sagt er nichts. Aber bei der Katastrophe, die verursacht hat, daß Sie hinausgeschleudert wurden, muß die Landevorrichtung des RF´s beschädigt worden sein, denn Sie sind ziemlich hart in die Bucht geknallt. Wir haben das Schiff an Land geschafft. Ich selbst bin nicht drin gewesen, aber wenn das Äußere Rückschlüsse auf die Schäden im Inneren zuläßt, dann haben Sie verdammt viel Glück gehabt, daß Sie noch leben, und dazu noch mehr oder weniger unversehrt.«
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Sie schluckte. »Was ist mit den anderen?« »Ja, das habe ich mich auch schon gefragt. Wo ist der Rest der Mannschaft? Sind sie mit anderen RF´s weggekommen?« »Es gibt keinen >Rest der Mannschaft«, teilte sie ihm kurz und bündig mit. »Es ist eine lange Geschichte, und im Auge nblick ist mir nicht danach, sie zu erzählen. Aber ich meinte diejenigen, die mit mir im RF waren. Wie viele waren da?« »Zwei. Drei, wenn man den Androiden mitzählt.« Er zögerte. »Leider haben sie es nicht geschafft.« »Was?« Ripley schien es noch nicht zu begreifen. »Sie haben nicht überlebt.« Sie überlegte einen Augenblick und schüttelte dann brüsk den Kopf. »Ich will zum Schiff. Ich muß mir das selbst ansehen.« Sie setzte sich auf, aber Clemens legte abwehrend seine Hand auf ihre Schulter. »He, warten Sie. Als Ihr Arzt muß ich Ihnen mitteilen, daß Ihr Zustand das jetzt nicht erlaubt.« »Sie haben selbst gesagt, daß Sie gar kein richtiger Arzt sind.« Sie drehte sich zur Seite und stand auf. Fast nackt schaute sie Clemens wartend an. »Besorgen Sie mir ein paar Kleider oder soll ich so gehen?« Clemens ließ sich bei seiner Entscheidung Zeit. Er war nicht besonders betrübt, sie so zu sehen. »Bei dem Wesen der einheimischen Bevölkerung würde ich dringend zu Bekleidung raten.« Er ging zu einem Schrank am anderen Ende der Station und begann seinen Inhalt durchzusehen. »Und wenn Sie durch unser kleines Wunderland tanzen, dann denken Sie bitte daran, daß es hier nur männliche Häftlinge gibt, die seit Jahren keine Frau mehr gesehen haben. Genau wie ich, was das betrifft.« Sie wartete, die Hände in die Hüften gestützt und betrachtete ihn abschätzend. »Ja, aber vor Ihnen brauche ich ja wohl keine
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Angst zu haben, denn Sie sind ja Arzt, nicht wahr?« Unwillkürlich mußte er lächeln.
3.
Clemens fiel auf, wie ihre Augen hin und her wanderten, während er sie durch die Flure und Gänge rührte. Wie ein nervöses Kind ... oder ein hochsensibles Raubtier. Nichts entging ihr, das kleinste Geräusch erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie ging fast lautlos über den abgewetzten Metallboden. Die Kleidung, die er für sie gefunden hatte, war etwas klein, aber es schien ihr nichts auszumachen. »Ich habe keine Ahnung, wie lange Sie im Hyperschlaf waren, aber so wie Sie rausgekommen sind, kann es ein verdammt großer Schock für Ihren Körper gewesen sein. Also geraten Sie nicht in Panik, wenn ich Sie von der Seite anschaue. Ich will wirklich nur auf mögliche verzögerte Nebene ffekte achten. Also, ganz sachte, Ripley.« Sie sah ihn scharf an. »Woher wissen Sie meinen Namen?« »Er stand auf der Rückseite Ihres Slips.« Er lächelte entschuldigend. »Außerdem haben wir Ihre Identifikationsmarke gefunden. Sie war so zerfetzt, daß der Computer sie nicht mehr lesen konnte, aber soviel war noch erkennbar. Leider waren auch Ihre medizinischen Daten zerstört. Ich mußte eine ganze Menge erraten.« Ripley bewegte prüfend ihre Schultern vor und zurück und senkte den Kopf von einer Seite zur anderen. »Kommt mir vor, als hätten Sie ziemlich gute Arbeit geleistet. Danke.« Er war selbst überrascht, daß ihm dieses Lob fast peinlich
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war. »Na ja, jeder Idiot kann eine Arminfusion anbringen.« Sie lächelte. »Das glaube ich nicht. Es muß schon ein besonders qualifizierter Idiot sein.« Die Arbeitsmannschaft ging so vorsichtig wie möglich mit dem Rumpf des RF´s um, das sie auf eilig errichtete Blöcke hievten. Der alte Kran stöhnte vor Anstrengung. Seit das Bergwerk geschlossen worden war, war er kaum noch verwendet worden, und ihn für die Bergung des Rettungsfahrzeugs kurzfristig wieder zu aktivieren, war eine kitzlige Angelege nheit. Aber das Gerät arbeitete zufriedenstellend und ließ das Schiff mit singenden Tauen sanft herab. Als es in den Komplex herabgelassen worden war, hatte es eine Menge Aufmerksamkeit erregt, wenn auch nicht so viel wie Ripley, die mit Clemens auf das RF zukam. Es gelang ihr weitaus besser, so zu tun, als bemerke sie nichts, als es den Häftlingen gelang, so zu tun, als starrten sie Ripley nicht an. »Was genau ist dieses Arbeitslager eigentlich?« fragte sie ihren Führer, als sie über die Rampe zu dem zerschlagenen Rettungsschiff kamen. Clemens blieb nahe bei ihr. »Früher war es ein Bergwerk plus Raffinerie. Hauptsächlich Mineralien aus der Platingruppe. Das Roherz wurde natürlich gleich hier veredelt, das war viel billiger, als es erst durch den Weltraum zu schicken, um es woanders weiterzubehandeln. Soweit ich weiß, gab es zu der Zeit, als das Erz hier entdeckt wurde, einen gewaltigen Anstieg des Platinpreises, sonst hätte es sich für die Gesellschaft nicht gelohnt, hier eine solch große Anlage, weit weg von irgendeinem Verwendungsort, einzurichten. Es war ein äußerst ergiebiger Erzgang, hochkonzentriert.« »Und heute?« Ripley hatte das RF erreicht und untersuchte die beschädigte Außenhaut. »Alles gehört immer noch Weyland-Yutani. Interstellare
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Immobilien sind nicht gerade mein Fachgebiet, und ich wüßte auch nicht, daß sich jemand hier damit vergnügt, die Schwankungen der Rohstoffpreise zu verfolgen. Ich habe nur gehört, daß der Bedarf an Edelmetallen nachließ und gleichzeitig der Preis fiel. Also hat man die gesamte Ausrüstung eingemottet. Es war zu teuer, sie mitzunehmen, und der Schrottwert war auch zu gering. Es gibt hier immer noch Erz, und ich bin sicher, daß die Gesellschaft die Mine wieder öffnen würde, wenn der Erzpreis entsprechend steigt. Dann müßten wir hier wahrscheinlich weg. Straftäter und anständige, ehrbare Bergleute, das paßt nicht zusammen. Nicht, daß irgend jemand etwas dagegen hätte, von diesem Felsen verlegt zu werden. Eine Abwechslung wäre wunderbar, und man kann sich kaum vorstellen, daß es woanders noch schlimmer sein könnte. Solange sind wir lediglich die Hausmeister. Eine fünfund zwanzigköpfige Wachmannschaft, damit hier nichts eingefroren ist, sollte der Bedarf an Erz und der Preis wieder steigen. Kein schlechtes Geschäft für die Regierung und die Gesellschaft.« »Man sollte meinen, daß man an einem solchen Ort nach einem Jahr wahnsinnig wird.« Clemens mußte lachen. »Das haben sie von einigen von uns schon gesagt, bevor sie hierher geschickt wurden. Aber ich glaube, wir sind es nicht, zumindest die meisten. Die Isolation ist weniger schwer zu ertragen, wenn man sich nicht als eingekerkerter Krimineller sieht, sondern eher als in sich versunkener Büßer.« »Gibt es hier Frauen?« »Tut mir leid, Leutnant Ripley. Dies ist eine Doppel-Y Chromosomen-Anstalt. Nur Männer.« Sie nickte, drehte sich um und kroch durch das, was von der zerschundenen Luftschleuse übriggeblieben war. Clemens ließ
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sie einen Pfad bahnen und folgte ihr dann. Im Vergleich zu dem, was sie im Inneren vorfanden, wirkte das demolierte Äußere des RF´s geradezu neu. Wände waren verbogen und zusammengepreßt, Anzeigen und Konsolen zerschmettert und die Ausrüstung des Schiffes wahllos an Bord verstreut. Über allem lag der penetrante Geruch von Salzwasser. Sie blieb stehen und fragte sich, wie hier irgend etwas oder irgend jemand unversehrt hatte überleben können, erst recht sie selbst in ihrer zerbrechlichen Hülle. »Wo sind die Leichen?« Auch Clemens war vom Ausmaß der Zerstörung überrascht und gleichermaßen verblüfft, daß Ripley so relativ wenig zugestoßen war. »Wir haben eine Leichenhalle. Erzabbau ist wohl die Art Arbeit, wo man eine braucht. Wir lassen Ihre Freunde so lange dort, bis das Untersuchungsteam eintrifft, wahrscheinlich in einer Woche.« »Da war noch ein Android ...« Clemens verzog das Gesicht. »In Stücke gerissen. Überall lag etwas von ihm rum. Was noch da war, ist auf dem Müll gelandet. Der Corporal wurde durch ein Stück Metall getötet, das ihm durch den Brustkorb drang. Selbst wenn er bei Bewußtsein gewesen wäre, hätte er nicht mitbekommen, was ihn da getroffen hat. Aber er war höchstwahrscheinlich noch nicht lange genug aus dem Hyperschlaf raus, um Schmerzen zu empfinden.« »Und das Mädchen?« Sie hielt viel zurück, das spürte Clemens. Aber er hatte keine Ahnung, wie viel. »Sie ist in ihrer Hyperschlaftruhe ertrunken. Ich glaube nicht, daß sie schon wach war. Wenn überhaupt, dann ging sie noch friedlicher als der Corporal. Tut mir leid.« Ripley verdaute die Nachricht schweigend. Dann begannen
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ihre Schultern zu zucken, und sie weinte. Das war alles. Kein Schreien, kein Brüllen, keine wilde Anklage gegen ein ungerechtes und mitleidloses Universum. Die kleine Newt. Sie hatte nie eine Chance gehabt. Jetzt endlich war sie frei. Ripley wischte sich die Tränen aus den Augen und untersuchte die Truhe des Mädchens. Die Glaskuppel war zerbrochen, aber das war keine Überraschung. Plötzlich zog sie die Stirn in Falten. Das Metall unter der Kuppel war merkwürdig verfärbt. Sie beugte sich vor und fuhr mit dem Finger über den Fleck. Clemens schaute ihr neugierig zu. »Was ist das?« Ripley richtete sich wieder auf. Die Trauer war schlagartig etwas anderem gewichen. In ihrer Stimme klang kein Mitgefühl mehr an, nichts von der Zartheit, die ihm zuvor aufgefallen war. »Wo ist sie?« »Ich sagte Ihnen doch, in der Leichenhalle. Wissen Sie das nicht mehr?« Er betrachtete sie besorgt. Vielleicht reagierte sie auf einen Teil der Infusionslösung. »Sie sind desorientiert. Die Hälfte Ihres Körpers glaubt sich noch im Hyperschlaf.« Sie drehte sich so plötzlich herum, daß er erschrak. »Ich will sehen, was von ihrem Körper noch übrig ist.« »Was meinen Sie damit, noch übrig ist? Der Körper ist unversehrt.« »Tatsächlich? Nun, ich will ihn sehen. Ich will mich selbst überzeugen.« Er zögerte, stellte aber keine Fragen. Da war etwas in ihrem Blick ... Eines war klar: man würde sie nicht daran hindern können, sich Zutritt zu verschaffen. Es gab auch keinen Grund, das zu tun. Er hatte den Eindruck, daß ihr Wille, den Leichnam zu sehen, nichts mit Trauer zu tun hatte. Obwohl er sie kaum kannte und nicht wußte, wie sie wirklich war, schien sie
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ausgesprochen unsentimental zu sein. Die Wendeltreppe war eng und glitschig, aber sie verkürzte den langen Weg von der Lagerhalle, wo man das RF abgestellt hatte. Clemens konnte seine Neugier nicht länger zurückhalten. »Gibt es einen bestimmten Grund für Ihre Beharrlichkeit?« »Ich muß genau wissen, wie sie gestorben ist«, sagte sie ruhig. »Ob es nicht etwas anderes war.« »Etwas anderes?« Unter anderen Umständen hätte sich Clemens sicherlich gekränkt gefühlt. »Ich möchte mich bei diesem heiklen Thema wirklich nicht wiederholen, aber es ist ganz eindeutig, daß ihre Hyperschlaftruhe aufbrach und sie ertrunken ist.« Er überlegte. »War sie Ihre Tochter?« »Nein«, antwortete Ripley beherrscht. »Sie war nicht meine Tochter. Meine Tochter ist schon vor langer Zeit gestorben.« Sie sah ihn nicht an, während sie sprach, aber sie war natürlich immer noch geschwächt und mußte sich auf die engen, gewundenen Stufen konzentrieren. »Warum ist es dann so wichtig?« Sie antwortete nicht sofort. »Auch wenn wir nicht verwandt waren, so war sie mir doch sehr nahe. Glauben Sie, daß es mir Spaß macht, sie so zu sehen, wie Sie sie beschrieben haben? Ich würde sie lieber so in Erinnerung behalten, wie sie war. Ich würde nicht darum bitten, sie zu sehen, wenn es nicht so verdammt wichtig für mich wäre.« Er wollte etwas sagen, schwieg dann aber. Er hatte schon begriffen, daß Ripley niemand war, von dem man eine Antwort erzwingen konnte. Wenn sie ihm etwas erzählen wollte, dann würde sie den Zeitpunkt dafür bestimmen. Er schloß die Eingangstür auf und ging vor ihr hinein. Eine Rolltruhe reagierte auf seinen offiziellen Schlüsselcode und glitt auf lautlosen Rädern heraus. Sie stellte sich neben ihn, und gemeinsam blickten sie auf den friedlichen kleinen Körper hinab.
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»Lassen Sie mir einen Augenblick. Bitte.« Clemens nickte und ging ans andere Ende des Raumes, wo er so tat, als beschäftige er sich mit einer Kontrollanzeige. Von Zeit zu Zeit wandte er sich um, um zu beobachten, wie seine Begleiterin die Leiche des kleinen Mädchens untersuchte. Trotz der Gefühle, die an ihr zerren mußten, war sie gründlich und effizient. Als er annahm, ihr nun genügend Zeit gelassen zu haben, ging er wieder zu ihr. »Alles in Ordnung?« Er erwartete ein Nicken, vielleicht einen Seufzer. Aber auf das, was sie schließlich sagte, war er wirklich nicht vorbereitet. »Nein. Wir müssen eine Autopsie machen.« »Sie machen Witze.« Er starrte sie an. »Keinesfalls. Glauben Sie, ich würde über so etwas Witze machen? Wir müssen ganz genau wissen, wie sie starb.« Ripleys Augen waren stahlhart. »Ich sage Ihnen doch: sie ist ertrunken.« Er wollte den Leichnam wieder zurückschieben, aber sie hielt ihn fest. »Ich bin mir nicht so sicher«, sagte sie und holte tief Atem. »Ich will, daß Sie sie aufschneiden.« Ungläubig schaute er sie an. »Hören Sie mir zu. Jetzt glaube ich wirklich, daß sie desorientiert sind. Sie sind noch immer halb im Hyperschlaf.« »Passen Sie auf«, sagte sie in einem Ton, der wenig Widerspruch duldete. »Ich habe einen sehr guten Grund, warum ich darum bitte, und ich will, daß Sie es machen.« »Würde es Ihnen etwas ausmachen, auch mir diesen Grund zu verraten?« Er bemühte sich, gefaßt zu bleiben. Sie zögerte. »Re icht es nicht, daß ich Sie darum bitte?« »Das tut es nicht. Auf besonderen Wunsch eines guten Freundes dürfte bei den Inspektoren der Gesellschaft nicht
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besonders ankommen. Sie müssen mir etwas Besseres bieten.« Ungeduldig stand er vor ihr. »Na gut«, sagte sie. »Ansteckungsgefahr.« »Was denn für eine Ansteckung?« fragte Clemens aufgebracht. Offenbar war sie in Schwierigkeiten. »Ich bin hier nicht der Arzt, das sind Sie.« Er schüttelte den Kopf. »Sie müssen schon mit etwas herausrücken.« »Cholera.« Sie blickte ihm direkt in die Augen. Sie wollte ihr Ziel unbedingt erreichen. »Das kann nicht Ihr Ernst sein. Seit über zweihundert Jahren ist kein Fall mehr aufgetaucht. Also los, nehmen Sie was anderes. Ein guter Witz kommt hier immer an. Die Pocken, oder vielleicht das Dschungelfieber?« »Wenn ich es Ihnen sage. Cholera. Die Kampftruppe, die Acheron nuklear bombardiert hat, hatte die Viren an Bord. Sie wollten mit allen möglichen Bakterien und Viren dort oben herumexperimentieren, schließlich galt es als sicherer, geschlossener Bereich. Vielleicht kennen Sie einige der Vorlieben der Gesellschaft. Das infektiöse Material wurde durch einen Unfall freigesetzt ... und verbreitete sich. Es war besonders virulent, und es gab kein wirksames Gegenmittel. Es gelang auch nicht, die Infektion zu begrenzen, auch wenn es die Leute versuchten.« »Und deshalb haben sie alles bombardiert? Hört sich nach einem ziemlich extremen Rezept an. Wir kriegen hier natürlich nicht allzu viel mit, aber von so etwas hätten wir bestimmt gehört.« »Wirklich? Vielleicht arbeiten Sie nicht für die gleiche Gesellschaft wie ich. Oder vielleicht haben Sie ja davon gehört. Nach dem, was ich bis jetzt mitbekommen habe, scheint mir Ihr Direktor kein besonders schwatzhafter Mann zu sein.
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Vielleicht weiß er alles, hielt es aber nicht für nötig, die Information weiterzuleiten.« »Tja.« Clemens mußte zugeben, daß sie ihn verunsichert hatte. Außerdem war er neugierig geworden. Hielt Andrews diese Information wirklich zurück? Es war schließlich nicht so, daß er verpflichtet war, den Gesprächsstoff der Gefangenen mit den neuesten Nachrichten anzureichern. Aber Cholera? Mutierte Viren oder nicht, die Story klang ziemlich dünn. Aber wenn sie die Wahrheit sagte und die Leiche des kleinen Mädchens wirklich mit etwas infiziert war, dem sie nicht beikommen konnten ... Oder es war eine Halbwahrheit. Vielleicht gab es eine bestimmte Infektionsgefahr, und die Geschichte mit der Cholera war das einzige, was ihr so schnell eingefallen war. Offenbar glaubte sie, gute Gründe zu haben. Außerdem war sie vom Militär, und was zum Teufel verstand er schon davon? Sie stand ruhig vor ihm und betrachtete ihn abwartend. Was soll's, dachte er. »Wie Sie wollen.« Im Vergleich zur Leichenhalle wirkte der Rest des versteine rten, vernachlässigten Komplexes hell und fröhlich wie eine Alpenwiese mitten im Frühling. An den Wänden reihten sich Edelstahlschränke aneinander, einige davon mit Codeschlössern versehen. Die Fliesen auf dem Boden waren eingedrückt und teilweise zerbrochen. Man hätte sie leicht ausbessern können, aber niemand verfügte über die notwendige Ausrüstung oder das notwendige Können. Außerdem kümmerte es sowieso niemanden. Der leuchtende, cremeweiße Tisch in der Mitte des Raumes lag im Strahl der Deckenlampe. Clemens, mit Kittel und Maske, beugte sich über den vorbereiteten Körper des Mädchens und nahm mit dem Skalpell den ersten Einschnitt vor. Dann wischte er sich den Schweiß von der
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Stirn. Es war lange her, daß er so etwas gemacht hatte, und er war nicht nur aus der Übung, sondern fragte sich auch noch, warum er es überhaupt tat. Leise und wirkungsvoll bahnte sich die Säge einen Weg zwischen die kleinen Rippen. »Sind Sie sicher, daß Sie das durchziehen wollen?« fragte er Ripley, die auf die Leiche starrte. Sie ignorierte ihn und sah weiter ruhig und kalt zu. Ihre Gefühle waren verborgen, dort, wo sie ihr nicht in die Quere kommen konnten. Er zuckte mit den Schultern und arbeitete weiter. Clemens steckte beide Hände in die Öffnung, die er geschnitten hatte, die Knöchel einander gegenüber, holte tief Atem und zog die Rippen auseinander. Vor ihm lag der geöffnete Brustkorb. Konzentriert schaute er hinein, dann und wann den Kopf etwas tiefer oder zur Seite senkend, um einen anderen Blickwinkel zu bekommen. Schließlich richtete er sich auf und entspannte seine Finger. »Ich habe nichts Ungewöhnliches entdeckt. Alles ist dort, wo es sein sollte, nichts fehlt. Keine Zeichen einer Krankheit, keine ungewöhnliche Verfärbung. Ich habe die Lungen besonders genau untersucht, und gerade sie sind in einem perfekten Zustand. Sie sind natürlich voller Flüssigkeit, wie ich angenommen hatte, und ich denke, daß eine genaue Analyse diese Flüssigkeit als Meerwasser identifizieren wird. Ein ziemlich merkwürdiger körperlicher Zustand für ein Choleraopfer, hm?« Er machte einen letzten seitlichen Schnitt, untersuchte die Stelle und blickte dann auf. »Auch nichts. Zufrieden?« Sie wandte sich ab. »Also, wenn Sie mich nicht für vollkommen schwachsinnig halten, dann sagen Sie mir jetzt endlich, wonach Sie wirklich suchen.« Bevor sie antworten konnte, flog die Tür am anderen Ende
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des Raumes auf. Die beiden Männer, die eintraten, blickten finster und beachteten kaum, daß die Tür an die Wand krachte. Andrews schaute noch etwas weniger freundlich als sonst drein. »Mr. Clemens.« »Direktor.« Clemens Antwort war korrekt, aber nicht gerade hochachtungsvoll. Ripley beobachtete interessiert, wie die beiden Männer miteinander umgingen. »Ich glaube, Sie haben Leutnant Ripley noch nicht kennengelernt.« Es kam ihr vor, als verweilte der abschätzende Blick des stämmigen Direktors länger auf ihr, als er wollte. Dann galt seine Aufmerksamkeit dem Operationstisch, bevor er sich wieder an seinen Med-Tech wandte. »Was geht hier vor, Mr. Clemens?« »Ja, genau, Sir«, meldete sich Aaron, und da er seinem Chef schon äußerlich ähnlich war, wollte er ihm offensichtlich auch als Echo dienen. »Was geht hier vor, Mr. Clemens?« »Zunächst einmal darf ich Ihnen mitteilen, daß es Leutnant Ripley schon wieder viel besser geht. Wie Sie sehen, ist sie physisch schon wieder ziemlich fit.« Andrews schnappte nicht nach diesem Köder, und Clemens fuhr leicht enttäuscht fort. »Und dann führe ich hier im allgemeinen Interesse der Sicherheit und Gesundheit eine Autopsie an dem verstorbenen Kind durch.« »Ohne meine Einwilligung?« Die Stimme des Direktors klang bedrohlich. Der Med-Tech antwortete fast beiläufig, er wirkte kein bißchen eingeschüchtert. »Es schien nicht mehr genug Zeit.« Andrews zog leicht eine Augenbraue hoch. »Kommen Sie mir nicht damit, Clemens. Davon haben wir hier auf Fiorina mehr als genug.« »Es war so, daß der Leutnant befürchtete, daß sich in der Leiche möglicherweise ein imitierter infektiöser Organismus
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befinden könne.« Der Direktor schaute die stumme Ripley fragend an. »Stimmt das?« Sie nickte, sagte aber nichts weiter dazu. »Es hat sich erledigt«, warf Clemens ein. »Der Körper ist völlig normal und zeigt keinerlei Spuren einer Infektion. Ich war mir sicher«, fügte er trocken hinzu, »daß auch Sie mich so schnell wie möglich angewiesen hätten, der Sache auf den Grund zu gehen. Daher mein Wunsch, die Autopsie so schnell wie möglich durchzuführen.« Man konnte förmlich sehen, wie die Gedanken durch Andrews Kopf tanzten, dachte Ripley. In ihm gärte es. »Na schön«, sagte er schließlich. »Trotzdem wäre es besser, wenn Leutnant Ripley in Zukunft nicht vor den Leuten herumläuft, wie sie es offensichtlich getan hat, ungeachtet deren mönchischem Gelübde. Das ist nichts Persönliches, Leutnant. Ich gebe Ihnen diesen Rat nicht nur zu meinem eigenen Seelenfr ieden, sondern auch zu Ihrem eigenen Schutz.« »Ich kann das sehr gut verstehen«, murmelte sie und bemühte sich um ein Lächeln. »Ich bin sicher, daß Sie das können.« Andrews wandte sich wieder an den Med-Tech. »Es wäre auch schön, wenn Sie mich über jede Änderung ihres gesundheitlichen Zustands informieren würden. Ich muß solche Sachen in das Bordbuch eintragen. Oder wäre das zuviel verlangt?« Ripley trat einen Schritt vor. »Wir müssen die Leichen verbrennen.« Andrews blickte sie ungehalten an. »Unsinn. Wir legen sie auf Eis, bis das Rettungsteam eintrifft. Für so etwas müssen alle möglichen Formulare ausgefüllt werden. Außerdem habe ich dafür nicht den nötigen juristischen Spielraum.« »Verbrennen ... das ist wirklich gut, Sir«, kicherte Aaron schmeichlerisch. »Hören Sie, das ist hier keine Laune von mir«, hielt ihm
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Ripley entgegen. »Es hat auch nichts mit ... persönlichen Gefühlen zu tun. Aber es geht um die allgemeine Gesundheit.« Erwartungsvoll blickte sie zu Clemens. Was um alles in der Welt macht ihr solche Sorgen, fragte er sich unwillkürlich. »Leutnant Ripley ist der Meinung, daß die Gefahr einer übertragbaren Infektion noch immer besteht.« Der Direktor betrachtete sie argwöhnisch. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, daß es keinerlei Anzeichen für eine Krankheit gibt.« »Ich habe gesagt, daß der Körper sauber war und keine Zeichen von Infektion zu sehen waren. Sie wissen, wie effektiv die Apparate sind, die ich hier zur Verfügung habe und welchen ausgezeichneten Ruf ich noch immer in Fachkreisen genieße.« And rews gab einen zustimmenden Laut von sich. »Nur weil ich verkünde, daß der Körper sauber ist, muß das nicht unbedingt stimmen. Es sieht so aus, als sei das Kind schlicht und einfach ertrunken, aber ohne die nötigen forensischen Tests kann man das unmöglich mit einhundertprozentiger Sicherheit sagen. Auch wenn ich damit meiner eigenen Analyse widerspreche, so glaube ich doch, daß es unklug wäre, zumindest die Möglichkeit zu ignorieren, daß ein mutierter Virus innerhalb der Anlage freikommt. Ich glaube auch nicht, daß die Mitglieder des Rettungsteams eine solche Entwicklung sehr begrüßen würden, wenn sie hier ankommen. Vielleicht würden sie ein wenig kontaktscheu, und dabei freuen wir uns doch so über gelegentliche Besuche, nicht wahr? Außerdem sähe es bestimmt nicht gut aus, wenn Sie in Ihrem Bericht erwähnen müßten, daß Sie den Ausbruch einer Infektion hätten verhindern können, wegen der Acheron bis zur Zerstörung bombardiert werden mußte. Vorausgesetzt, daß Sie dann noch in der Lage sind, sich wegen eines Berichtes Sorgen zu machen.« Andrews blickte mittlerweile ausgesprochen mißmutig drein.
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»Wenn die Körper eingefroren sind, hat doch kein Virus eine Chance mehr.« »Nicht unbedingt«, entgegnete Ripley. »Woher wollen Sie das wissen?« »Wir reden hier von komplexen biomechanischen Mutationen. Was wissen Sie darüber?« Der Direktor fluchte kaum hörbar, und er blickte noch besorgter drein. »Momentan befinden sich fünfundzwanzig Häftlinge in dieser Anstalt. Sie sind hier Hausmeister zweiter Klasse. Alle sind männlich. Frühere Berufsverbrecher, Diebe, Vergewaltiger, Mörder, Brandstifter, Kinderschänder, Droge nhändler ... Abschaum.« Er hielt kurz inne, um die Aufzählung wirken zu lassen. »Aber Abschaum, der zur Religion gefunden hat. Vielleicht sehen sie dadurch sanfter aus und hören sich auch so an, doch ich halte sie deshalb für nicht weniger gefährlich. Aber ich schätze den erzieherischen Effekt, und daher bemühe ich mich, ihre Überzeugungen zu respektieren. Sie wiederum wissen meine Toleranz zu würdigen, und ich werde mit mehr Frieden und Ruhe belohnt, als man normalerweise an solchen Orten vorfindet. Ich will die bestehende Ordnung nicht gefährden, ich will keine Steine ins Wasser werfen. Und ich will schon gar nicht, daß hier eine Frau herumläuft, sie auf Gedanken bringt und Sehnsüchte in ihnen erweckt, die sie bislang ganz gut begraben haben.« »Ganz recht«, stimmte Ripley zu. »Vor allen Dingen, wie Sie sagten, zu meiner eigenen Sicherheit. Ich möchte noch hinzufügen, daß ich entgegen Ihrer Meinung durchaus in der Lage bin, die Gefahren zu erkennen, die meine Anwesenheit hier für Sie beinhaltet.« »Gut.« Es war offensichtlich, daß Andrews erleichtert schien, daß sie ihm ihre Hilfe anbot, oder ihm, in anderen Worten, das
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Leben so leicht wie möglich machen wollte. Er schaute zum Med-Tech hinüber. »Ich überlasse Ihnen die Formalitäten der Kremation, Mr. Clemens.« Er wandte sich um. »Eines noch, Direktor.« Andrews blieb stehen. »Ja?« »Wünschen Sie einen genauen Bericht, wenn ich fertig bin? Für das Bordbuch, meine ich.« Andrews verzog nachdenklich die Lippen. »Das wird nicht nötig sein, Mr. Clemens. Geben Sie mir nur Bescheid, ich kümmere mich dann um den Rest.« »Wie Sie wünschen, Direktor.« Clemens grinste leicht.
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Fleisch. Einiges davon vertraut, einiges nicht. Düsteres Rostrot mit hellen pinkfarbenen Streifen durchzogen. Kleine Kadaver, die an alten Haken baumelten. Riesige Leiber, an denen man die Stellen erkannte, wo die Glieder abgehackt worden waren, die Linien nachgezeichnet in gefrorenem Fett. Daneben standen einige Hühner und Rinder, die nichts von ihrem bevorstehenden Schicksal ahnten. Ein einsames Schaf. Lebendiges Fleisch. Der größte Teil des Schlachthauses war leer. Als es gebaut worden war, diente es dem täglichen Bedarf von Hunderten von Technikern, Bergleuten und Raffineriepersonal. Für die inhaftierten Hausmeister war es viel zu groß. Sie hätten zwischen den Vorräten mehr Platz lassen können, aber den geräumigen hinteren Teil der riesigen Halle, mit den Echos des Abhackens, Aufschlitzens und Ausblutens, suchten sie nicht
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allzu gerne auf. Zu viele Geister trieben sich hier herum und suchten in den umherirrenden Molekülen der befleckten Luft Gestalt anzunehmen. Die beiden Männer kämpften mit dem Karren, auf dem der plumpe Kadaver eines toten Ochsen ruhte. Frank versuchte die Richtung anzugeben, während Murphy den aufladbaren Elektromotor zu Vorwärtsbewegungen trieb. Die Maschine stotterte und schlug beleidigt Funken. Falls sie irgendwann ihren Geist aufgeben sollte, würden sie sich einen neuen Karren nehmen. Unter den Häftlingen gab es keine WartungsTechs. Frank hatte den Ausdruck der auf ewig Verdammten. Sein viele Jahre jüngerer Begleiter sah noch wesentlich unverbrauchter aus. Nur seine Augen enthüllten die gerissene Natur eines Mannes, der auf der Flucht und der falschen Seite des Gesetzes gewesen war, seit er alt genug war, um sich vorstellen zu können, daß man Arbeit nicht unbedingt mit einem täglichen Job gleichsetzen mußte. Es war doch viel einfacher, sich die Einkünfte anderer anzueignen, am besten, aber nicht zwingenderweise, ohne deren Wissen. Manchmal hatte man ihn erwischt, manchmal nicht. Beim letzten Mal war es einmal zu oft gewesen, und nun durfte er seine Strafe auf der gastlichen, exotischen Fiorina absitzen. Murphy betätigte einen Schalter, und der Karren kippte den schwerfälligen Leib auf die mit dunklen Flecken gesprenkelten Fliesen. Frank hielt die Ketten bereit. Sie banden sie um die Hinterläufe des toten Tieres und begannen es hochzukurbeln. Es kam langsam höher, in zitternden unregelmäßigen Schüben. Die dünnen, aber erstaunlich robusten verzinkten Kettenglieder rasselten unter dem Gewicht. »Na, zumindest ist Weihnachten dieses Jahr ziemlich früh.« Frank rang schwer atmend mit dem Gewicht.
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»Was meinst du?« fragte Murphy. »Jeder tote Ochse ist ein guter Ochse.« »Mein Gott, ja, du hast recht. Stinkende Bastarde voller Läuse. Besser sie zu essen als sauberzumachen.« Frank schaute zu den Ställen hinüber. »Jetzt sind nur noch drei von den Viechern übrig, und dann sind wir diese Mistdinger los. Mein Gott, wie ich es hasse, diese Scheusale abzuspritzen. Jedesmal kriege ich Scheiße auf meine Stiefel.« Murphy kaute auf seiner Unterlippe herum, in Gedanken versunken. »Apropos Abspritzen, Frank ...« »He?« Erinnerungen klangen in der Stimme des Mannes mit, huschten über sein Gesicht. Keine sentimentalen Erinnerungen. »Ich meine, wenn du die Gelegenheit hättest ... nur mal angenommen ... was würdest du zu ihr sagea?« Sein Begleiter runzelte die Stirn. »Was meinst du damit, wenn ich die Gelegenheit hätte?« »Du weißt schon. Einfach eine Gelegenheit.« Murphy atmete heftiger. Frank dachte nach. »So privat, meinst du?« »Ja, wenn sie dir einfach über den Weg liefe, allein, ohne Andrews oder Clemens neben ihr. Wie würdest du es ihr sagen? Weißt du, im Speisesaal oder irgendwo.« Die Augen des anderen leuchteten auf. »Kein Problem. Hatte nie Probleme mit den Frauen. Ich würde sagen Guten Tag, meine Süße, wie sieht's aus, kann ich irgendwas für dich tun?« Und dann käme der Blick, du weißt schon, von oben nach unten. Ein kleines Zwinkern, ein schmutziges Grinsen, und sie wüßte Bescheid.« »Genau«, sagte Murphy sarkastisch. »Und sie würde zurücklächeln und sagen Leck mich am Arsch, du geiler alter Bock.« »Ich wurd' sie gern da lecken. Überall, wo sie will.« »Ja.« Murphys Miene verdunkelte sich erschreckend. »Aber
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du weißt ja, Frank ... je schlechter man sie behandelt, desto schärfer werden sie.« Der ältere Mann nickte wissend. »Behandele Königinnen wie Huren und Huren wie Königinnen. Ist immer richtig.« Gemeinsam zogen sie die Ketten hoch, bis der Kadaver richtig hing. Frank schloß den Kettenzug, und sie traten zurück. Das tote Tier baumelte in seinem Geschirr. Einen langen, kontemplativen Augenblick waren die Männer still. Schließlich fluchte Frank vor sich hin. »Frank?« »Ja?« »Woran, glaubst du, ist Bäbe gestorben?« Frank zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Einfach umgefallen. Vielleicht ein Herzschlag.« Murphy sah ihn von der Seite an. »Wieso Herzschlag? Wie alt war sie?« »Nach den Unterlagen elf. In ihren besten Jahren. Pech für sie, Glück für uns. Du weißt ja, daß uns der Direktor nicht erlaubt, Tiere zu schlachten, außer bei besonderen Gelegenhe iten. Also, ich sehe das als Belohnung für gute Arbeit. Schne iden wir sie zurecht und schmeißen sie später in den Eintopf. Ein so großes Tier reicht sicher eine ganze Weile. Dann schmeckt dieses ganze Trockenzeug vielleicht nach richtigem Essen.« »O ja!« Murphy konnte es schon schmecken, sah, wie das Fleisch aus großen Kellen über das selbstaufgehende und selbstbackende Brot aus den Vorratslagern gehäuft wurde. Plötzlich bemerkte er etwas auf dem Karren, doch was immer es gewesen war, der massive Leib des toten Tieres hatte es platt wie einen Pfannkuchen gedrückt. Aber man konnte noch einen kleinen, scheibenförmigen Körper erkennen und mehrere spinne nartige Arme, zermalmt und zerbrochen. Voller Abscheu ergriff er das Wesen am Schwanz, dessen zersplitterte Arme
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herabbaumelten. »Was ist das?« Frank beugte sich vor und zuckte dann gleichgültig mit den Schultern. »Keine Ahnung. Bin ich Experte für abartige Tiersorten? Sieht aus wie irgendeine Qualle vom Strand.« Der andere Mann schnüffelte. Das Ding roch nach nichts. »Du wirst wohl recht haben.« Nachlässig warf er es beiseite. * Die Glashütte war eine Art flüssiger Hölle, ein Ort des Feuers und brodelnder Hitzewellen, wo die Luft und auch die Dinge waberten, als hätten sie keinen genauen Umriß. Wie der Großteil der Minenanlage hatte man auch diesen Teil in mehr oder weniger betriebsbereitem Zustand verlassen. Aber hier konnten die Häftlinge etwas tun, denn die Arbeit mit dem Glas war erheblich einfacher als, zum Beispiel, die Herstellung von Platindraht oder die Wartung der schweren Maschinen. Die Einwohner Fiorinas wurden ermutigt, die Anlage zu benutzen, nicht nur, um sich mit etwas zu beschäftigen und abzulenken, sondern auch, um bestimmte Ausrüstungsgegenstände zu ersetzen, die mit der Zeit kaputt gingen. Jetzt gerade zogen die automatischen Pressen geschmolzenes Glas aus dem glühenden Kessel in dünne Röhren, die ältere in einem Teil der Wasseraufbereitungsanlage ersetzen sollten. Die wachhabenden Häftlinge sahen zu, abwechselnd fasziniert und gelangweilt von der weitgehend automatisierten Prozedur. Die Glasschmelze war ein beliebter Arbeitsplatz, nicht nur, weil man sich hier ablenken konnte, sondern auch, weil es hier ständig wärmer war als in den anderen Teilen der Anlage. »Gehst du?« Der Mann, der die Frage stellte, beobachtete
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zwei der recht einfachen Anzeigen auf dem Kontrollbord. Wie immer waren sie weit unterhalb der zulässigen Werte. Sein Begleiter zuckte mit den Schultern. »Weiß noch nicht. Hat ja eigentlich nichts mit uns zu tun.« »Aber wär' doch einfach 'ne Abwechslung.« »Trotzdem, ich weiß nicht.« Ein dritter Mann wandte sich von dem glühenden Kessel ab und schob sich die Schutzbrille auf die Stirn. »Kommt Dillon auch?« Noch während er die Frage aussprach, erschien der großgewachsene Häftling, von dem die Rede war, auf dem metallenen Laufsteg und kam auf sie zu. »Abschalten«, sagte er beiläufig, als er vor ihnen stand. Gehorsam betätigte der erste Gefangene einen Schalter, und sofort begann der Kessel, sich abzukühlen. »Wie sieht die Sache aus, Mann?« fragte der mit der Schut zbrille. Er blinzelte heftig, um kleine Schmutzpartikel aus seinen Augen zu entfernen. »Nun«, meinte der mittlere Mann. »Wir haben schon drüber gesprochen, aber entschieden haben wir noch nichts.« »Man hat schon darüber entschieden«, informierte ihn Dillon. Abwechselnd blickte er jeden eindringlich an. »Wir gehen alle. Wir mögen diese Leute nicht gekannt haben, aber wir sollten ihnen unseren Respekt erweisen. Wenn man sie verbrennen will, warum nicht? Solange es nicht einer von uns ist.« Nachdem er diese Nachricht übermittelt hatte, drehte er sich um und ging. Die drei Männer folgten ihm. Der dritte zog sich die Schut zbrille um den Hals. »Bin schon lange nicht mehr bei 'ner Beerdigung gewesen.« »Das stimmt«, pflichtete ihm sein Begleiter feierlich bei. »Irgendwie hab' ich einen Trauergottesdienst schon lange vermißt. Es ist so wie eine lange Re ise, weg von diesem Ort.«
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»Amen, Bruder«, entgegnete der erste Mann und beschleunigte seinen Gang, um mit dem größeren Dillon Schritt zu halten. Die alte Schmelze ächzte und stöhnte, als sie wieder zum Leben erweckt wurde. Die riesige Kammer war aus dem soliden Felsgestein direkt über der Erzader geschnitten und gesprengt worden. Wo nötig, hatte man sie mit hitzereflektierenden Platten verkleidet. Monitore und Kontrollkonsolen säumten die Gänge und Gleise. Kräne und andere schwere Fahrzeuge standen stumm dort, wo sie die Minenarbeiter zurückgelassen hatten. In den Schatten, die das notdürftige Licht warf, ähnelten sie steinzeitlichen Fossilien, die aus einem weit entfernten Museum geflohen waren. An der abgeschrägten Kante der Schmelzgrube flackerten Flammen auf. Sie warfen lange Schatten auf die beiden unbeweglichen Gefangenen, die auf einem Kran direkt über dem Abgrund standen. Zwischen ihnen baumelten zwei Nylonsäcke, deren lebloser Inhalt in der Mitte durchhing. Ripley blickte hinauf zu den beiden Männern und deren Last. Ihre Hände klammerten sich um das Geländer, das sie von der künstlichen Hölle unter ihr trennte. Clemens stand neben ihr. Wie immer verspürte er den Drang, etwas zu sagen, und wie immer fand er nicht die richtigen Worte. Er hatte seine Fähigkeit zu trösten schon vor Jahren erschöpft und mußte nun feststellen, daß für diese einzelne, verlorene Frau neben ihm nichts mehr übriggeblieben war. Auch Aaron war da, Dillon, und ein paar andere Insassen. Trotz der Tatsache, daß der tote Mann ja so etwas wie ein Vertreter der Staatsmacht gewesen war, wagte es niemand zu grinsen oder irgendeine sarkastische Bemerkung anzubringen. Für sie alle war der Tod ein nur allzu vertrauter Begleiter, und er war in ihrem täglichen Leben stets so gegenwärtig, daß ma n ihm mit Respekt begegnen mußte.
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Andrews räusperte sich auffällig und öffnete das dünne Buch in seinen Händen. »Wir übergeben dieses Kind und diesen Mann deiner Obhut, o Herr. Ihre Körper haben den Schatten unserer Nächte verlassen. Sie sind befreit von aller Dunkelheit und allem Schmerz. Laß ihre Seelen nicht im Nichts wandern, sondern nimm sie auf in die Gesellschaft derer, die ihnen vorangegangen sind.« Unten im Kontrollzentrum lauschte ein Gefangener namens Troy über die Sprechanlage den Worten, die auf dem Laufsteg hoch über ihm gesprochen wurden. Als Andrews die vereinbarte Stelle in seiner Trauerrede erreicht hatte, begann der Tech die notwendigen Hebel zu bedienen. Warnzeichen schalteten von Gelb auf Grün. Ein tiefes Stöhnen ertönte hinter ihm und ging schließlich in ein anklagendes Heulen über, bevor es erstarb. Andere Lichter blinkten und zeigten Bereitschaft an. Unter dem Laufsteg füllten weißglühende Flammen die Schmelzgrube. Im Halbdunkel klang ihr Brüllen eindrucksvoll und effizient. Aber die Flammen konnten keinen Erzfelsen begrüßen, und es standen keine Techniker bereit, die den Prozeß, Tonnen von Geröll in Schlacke zu verwandeln, überwachen würden. Die Flammen versengten die Seiten der Grube, sonst nichts. Tränen liefen Ripley langsam die Wangen hinab, während sie in die kontrollierte Feuersbrunst starrte. In ihrem Schmerz und ihrer Erinnerung blieb sie stumm, sie brachte keinen Ton, kein Geräusch hervor. Nur Tränen. Clemens sah sie voller Mitgefühl an. Er wollte sie in die Arme nehmen, sie ha lten, ihr Trost spenden. Aber da waren die anderen, unter ihnen auch Andrews; also blieb er, wo er war. »Das Kind und der Mann haben unsere Welt verlassen«, fuhr Andrews mit monotoner Stimme fort. »Doch sind ihre Körper auch leblos, ihre Seelen existieren auf immer und ewig weiter. »Wir, die wir leiden, fragen: warum?« Die Blicke wanderten
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vom Anstaltsleiter zu Dillon. »Warum werden die Unschuldigen bestraft? Warum die Opfer? Warum der Schmerz?« Andrews schloß lautlos sein Buch. »Es gibt keine Versprechungen«, verkündete der große Gefangene düster. »Es gibt keine Gewißheit. Nur die, daß einige gerufen werden. Und einige errettet.« Die aus dem Schmelzofen aufsteigende Hitze wurde für die auf dem Kran postierten Männer langsam zuviel. Sie schwangen ihre Last hin und her und warfen sie hinab in die Grube. Danach zogen sie sich eilig zurück, um kühlere Luft zu atmen. Die Säcke fielen und drehten sich ein paar Mal, bevor das Inferno sie verschluckte. Am Rande der Grube zuckte für einen kurzen Augenblick eine etwas hellere Flamme empor, als die Säcke und ihr Inhalt augenblicklich eingeäschert wurden. Ripley schwankte leicht und hielt sich an Clemens Arm fest. Er schien überrascht, wich aber nicht zurück, sondern gab ihr den Halt, den sie brauchte. Die anderen Männer sahen zu. In ihren Augen war kein Neid, nur Mitleid. Dillon bemerkte die Szene nicht. Er hatte seine Ansprache noch nicht beendet. »Doch diese von uns gegangenen Seelen werden nie erfahren, wieviel Kummer und Schmerz uns bevorsteht, die wir zurückbleiben. So übergeben wir diese Körper mit frohem Herzen der Leere. Denn in jedem Samen liegt das Versprechen einer Blume, und in jedem Tod, egal wie klein, liegt ein neues Leben. Ein neuer Anfang.« * Etwas bewegte sich im Schlachthaus. Zwischen den Kadavern, die an den Haken baumelten, und den tänzelnden Schwaden kalter Luft tat sich etwas. Der massive Leib des Ochsen zuckte und begann wie wild in seinen Ketten zu tanzen. Es gab keinen Zeugen, als der Bauch anschwoll und sich ausdehnte,
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bis die tote Haut so angespannt war wie die eines Zeppelins. Niemand sah, wie sie unter dem Druck aufplatzte und Fleischstücke und Fettklumpen umherspritzten. Die inneren Organe, Leber und Magen, zusammengerollte Därme klatschten auf den Boden. Und noch etwas anderes. Ein Kopf ragte empor und kämpfte sich mit zuckender, instinktiver Sicherheit nach oben. Der kompakte Alptraum drehte sich langsam herum und suchte seine Umgebung ab, schon auf der Jagd. Es begann sich suchend fortzubewegen, etwas unbeholfen zunächst, aber bereits erstaunlich gewandt und schnell. Bald hatte es den Luftschacht gefunden und untersuchte ihn kurz, bevor es darin verschwand. Seit es aus dem Bauch des Ochsen gekommen und auf diese geschickte Weise verschwunden war, war nicht einmal eine Minute vergangen. * Dillon beendete seine Ansprache und senkte den Kopf. Die anderen Insassen taten es ihm nach. Ripley blickte zu ihnen hinüber, dann noch einmal zu der Grube, wo die Flammen elektronisch mit Asche belegt wurden. Ripley griff sich ans Haar, dann an ein Ohr. Als sie einen Augenblick später auf ihre Finger sah, waren sie mit einem dunklen Staub bedeckt, der sich zu bewegen schien. Angeekelt wischte sie den Belag mit hastigen Bewegungen an ihrem geliehenen Overall ab. Als sie aufschaute, sah Clemens sie wissend an. »Ich habe Sie gewarnt.« »Okay, ich bin überzeugt. Und was tue ich jetzt dagegen?« »Sie können damit leben«, antwortete er. »Oder ...« Er strich sich über seinen kahlen Schädel und lächelte bedauernd. »Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?« fragte sie
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entsetzt. Er schüttelte den Kopf. »Wenn, dann hätten wir sie schon längst gefunden. Nicht, daß wir großen Ansporn verspürt hätten. Die Eitelkeit ist eines der ersten Opfer, wenn man auf Fiorina anheuert. Hauptsache ist, Sie fühlen sich bequem. Wenn sie hier weggehen, wächst es wieder, und wenn Sie nichts tun, fressen es Ihnen die Flöhe hier sowieso bis auf die Haarwurzeln weg. Sie mögen winzig sein, aber ihr Appetit ist riesig und sie haben lausige Tischmanieren. Glauben Sie mir, wenn Sie versuchen, sie zu ignorieren, sehen Sie letzten Endes schlimmer aus. Außerdem werden Sie sich zu Tode kratzen.« Sie sackte zusammen. »Also gut? Wo lang geht's zum Schönheitssalon?« Der Tech lächelte verlegen. »Ich fürchte, Sie sprechen gerade mit dem Inhaber.« * Die Reihe der Duschkabinen lag nüchtern und steril vor ihnen, ein helles Weiß unter den Leitungen, Im Augenblick waren sie unbenutzt, bis auf eine. Während das heiße, chemisch behandelte Wasser über ihren Körper lief, betrachtete sich Ripley in einer der verspiegelten Wände. Seltsam, keine Haare mehr zu haben. Sie waren ein solch substanzloser, flüchtiger Teil des Körpers. Der einzige Aspekt der Erscheinung, den man leicht und je nach Laune verändern konnte. Dennoch fühlte sie sich körperlich beraubt, eine Königin, die plötzlich ohne Krone dastand. Nun, das Haar würde wieder wachsen, Clemens hatte es ihr versichert. Die Gefangenen mußten sich regelmäßig rasieren. Weder die Flöhe noch die Atmosphäre des Planeten stoppten den Haarwuchs. Sie seifte ihren kahlen Schädel ein. Es war eine seltsame
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Empfindung, und trotz des dampfend heißen Wassers spürte sie einen kalten Schauder. Der alten Minen und Schmelzanlage mochte es an vielem mangeln, aber Wasser gehörte nicht dazu. Die große Entsalzungsanlage an der Bucht war gebaut worden, um alle Einrichtungen und das vollständige Personal mit Wasser zu versorgen. Selbst wenn sie auf ein Minimum zurückgeschaltet wurde, versorgte sie die Gefangenen mit mehr Wasser, als sie verbrauchen konnten, selbst wenn sie verschwenderisch damit umgingen. Sie schloß die Augen und trat unter dem vollen Strahl des Wassers zurück. Was sie betraf, so hatten die letzten zehntausend Jahre der menschlichen Zivilisation drei wirklich bedeutende Erfindungen hervorgebracht: die Sprache, die Schrift und fließendes warmes Wasser. Außerhalb der Duschkabinen warteten alte Todesfälle und neue Probleme, obwohl die letzteren im Vergleich zu dem, was sie schon ertragen hatte, unbedeutend erschienen. Clemens, Andrews und der Rest verstanden das nicht, konnten es nicht verstehen, und sie hielt es nicht für ihre Pflicht, großartige Erklärungen abzugeben. Nach dem, was sie durchgemacht hatte, kam ihr die Aussicht, ein paar Wochen in der Gesellschaft einiger hartgesottener Verbrecher zu verbringen, ungefähr so erschreckend vor wie ein Spaziergang im Park. * Die Gefangenen nahmen ihre Mahlzeiten in dem Teil des Gebäudes ein, das zu Minenzeiten die Ingenieurskantine gewesen war. Der Raum überstieg immer noch ihre bescheidenen Ansprüche. Aber während die Inneneinrichtung eindrucksvoll war, auch wenn man die besten Möbelstücke schon entfernt hatte, so war es mit dem Essen etwas anderes. Doch
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Beschwerden gab es nur selten, und wenn, waren sie zurückhaltend. Denn wenn die Nahrung auch den Ansprüchen eines Gourmets kaum genügte, so gab es immerhin reichlich davon. Auch wenn die Gesellschaft ihre unfreiwilligen Hausmeister nicht gerade verwöhnen wollte, so lag ihr doch nichts daran, daß sie verhungerten. Innerhalb eines gewissen vorgeschriebenen und wohlbekannten zeitliche n Rahmens konnten die Männer essen, wann sie wollten. Da die Räumlichkeiten es zuließen, neigten sie dazu, sich in kleinen Gruppen zusammenzufinden. Einige wenige zogen es vor, allein zu essen, und ihre Abkapselung wurde stets respektiert. Unter den restriktiven Umständen auf Fiorina stellte eine aufgezwungene Unterhaltung sofort eine bedrohliche Unterhaltung dar. Dillon nahm sein vorgewärmtes Tablett und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Die Männer aßen, sie redeten miteinander und taten so, als lebten sie ein normales Leben. Wie immer nahmen der Direktor und sein Stellvertreter ihre Mahlzeit zusammen mit den Gefangenen ein, auch wenn sie etwas abgegrenzt an einer Seite saßen. Wortlos setzte sich Dillon an einen Tisch, an dem schon drei Männer Platz genommen hatten, deren Gesichter besonders versunkene Ausdrücke zeigten. Nein, nicht versunken, verbesserte er sich. Düster. Nun, das war auf Fiorina kaum etwas Besonderes. Trotzdem war er neugierig. Golic schaute auf, als der Körper des Neuankömmlings einen Schatten auf ihren Tisch warf und blickte dann schnell beiseite. Sein Blick traf die seiner Kumpel Boggs und Rains. Als sich Dillon auf einen leeren Stuhl schob, konzentrierten sich die drei mit einer fast schon übernatürlichen Intensität auf ihre öden Mahlzeiten. Sie schienen nichts gegen seine Anwesenheit zu haben, begrüßten ihn aber auch nicht erfreut.
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Zusammen aßen sie schweigend. Dillon beobachtete sie, aber obwohl sie seine Blicke registrierten, sagte keiner ein Wort. Schließlich hatte der große Mann genug. Er führte gerade den Löffel zum Mund, als er innehielt und sich an Boggs wandte. Also. Es ist Essenszeit, Zeit, miteinander zu reden. Kein Selbstbesinnungs-Seminar. Es wird gemunkelt, daß gewisse Disharmonien entstanden sind. Will mir nicht einer von euch Kerlen erzählen, wo das Problem liegt?« Boggs schaute weg. Golic konzentrierte sich auf seinen Brei. Dillons Stimme hob sich nicht, aber dennoch war seine Ungeduld deutlich spürbar. »Redet mit mir, Brüder. Ihr kennt mich und wißt, daß ich sehr hartnäckig sein kann. Ich spüre, daß ihr euch Sorgen macht, und ich will euch wirklich nur helfen.« Er legte seinen muskulösen, kräftigen Arm sanft neben seinem Tablett auf den Tisch. »Erleichtert eure Seelen. Sagt mir, was los ist.« Rains zögerte. Dann legte er seine Gabel weg und schob sein Tablett in die Mitte des Tisches. »Okay, du willst wissen, was nicht in Ordnung ist? Ich werde dir sagen, was nicht in Ordnung ist. Ich habe gelernt, wie man hier zurechtkommt. Ich hätte es nicht geglaubt, aber ich habe es geschafft. Die Dunkelheit macht mir nichts mehr aus, die Läuse machen mir nichts mehr aus, auch nicht die Einsamkeit oder all das Gerede von Geistern in den Maschinen. Was mir auf die Nerven geht, ist Golic.« Er deutete auf das fragliche Individuum, das fortfuhr, mit einem glückseligen Ausdruck das Essen in sich hineinzuschaufeln. Dillon wandte sich an Boggs. »Du denkst genauso?« Boggs fuhr nervös in seinem Brei herum. Schließlich blickte er auf. »Ich bin keiner, der Krach schlägt oder Ärger macht. Ich will nur zurechtkommen und meine Zeit absitzen, wie alle anderen.« Der große Mann beugte sich vor. Der Tisch ächzte leise unter
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seinem Gewicht. »Ich hab' dich gefragt, ob du genauso über Golic denkst?« »Also schön, ja. Ja. He, der Mann ist verrückt. Es ist mir ganz egal, was Clemens sagt oder was im 'offiziellen' Bericht steht. Bei dem ist 'ne Schraube locker. Wenn das nicht schon so war, als er hierher gekommen ist, dann ist es eben jetzt so. Der Planet oder dieser Ort oder beides haben ihm 'nen Knacks versetzt. Der Mann pfeift auf dem letzten Loch, und er riecht schlecht. Ich geh' auf keinen Fall mehr mit ihm allein raus. Nicht an den Strand, nicht um die Schächte zu checken, nirgendwohin. Und mich kann auch keiner zwingen«, fügte er trotzig hinzu. »Ich kenne meine Rechte.« »Deine Rechte?« Dillon lächelte dünn. »Ja, natürlich. Deine Rechte.« Er blickte nach links. »Willst du selbst was dazu sagen?« Golic schaute auf. An seinen Lippen klebten Essensreste. Er grinste schwachsinnig und warf ein gleichgültiges Achselzucken in die Diskussion, bevor er sich wieder der Mahlzeit zuwandte. Dillons Blick heftete sich eindringlich auf die beiden anderen. »Daß Golic nicht spricht, heißt noch lange nicht, daß er verrückt ist. Ehrlich gesagt, von dem zu schließen, was er ohne Worte mitteilen kann, geht es ihm mindestens so gut wie allen anderen. Wir haben hier nun mal keine Plauderer.« »Komm zur Sache«, murmelte Boggs unbehaglich. »Die Sache ist die: Er geht mit euch. Er gehört zu eurem Arbeitsteam, und bis auf weiteres oder bis er etwas Schlimmeres tut, als den Mund nicht aufzukriegen, bleibt das auch so. Ihr müßt einen Job erledigen. Laßt es euch gesagt sein, ihr werdet noch lernen, Golic und seine kleinen Schwächen zu ignorieren. Er ist auch nur ein armer, erbärmlicher, leidender Mistkerl wie ihr und ich. Was bedeutet, daß er nicht verrückter ist als alle anderen.«
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»Er riecht bloß schlechter«, warf Rains angeekelt ein. »Und er ist verrückt«, fügte Boggs starrsinnig hinzu. Dillon richtete sich in seinem Stuhl auf. »Also, ihr macht viel zuviel aus dieser Sache. Ich habe so etwas schon oft gesehen. Es passiert, wenn es sonst nicht viel zu tun gibt. Man fängt an sich über das Essen zu ärgern, dann über die Flöhe und schließlich über alle anderen. Golic ist nur anders, das is t alles. Nicht besser oder schlechter als der Rest.« »Er stinkt«, murmelte Rains. Dillon warf ihm einen drohenden Blick zu. »Keiner von uns ist ein wandelndes Blumenbukett. Vergeßt diese Scheiße. Ihr müßt euren Job machen. Ihr drei zusammen. Und es ist ein guter Job.« »Ich hab' nicht darum gebeten«, maulte Boggs. »Hier bittet niemand um irgend etwas. Du nimmst, was du kriegst, und machst das Beste daraus. So läuft das Überleben. Für euch und für alle anderen. Das hier ist nicht wie ein Gefängnis auf der Erde. Wenn du hier einen Aufruhr anzettelst, dann kommt keiner von den bürgerlichen Medien angerannt und hört sich deine Beschwerden an. Dir geht es bloß plötzlich viel schlechter. Oder du stirbst.« Boggs schob unruhig seine Füße hin und her. »Also hört mir zu. Es gibt genug andere, die sich für die Vorratssuche melden würden. Aber falls ihr es noch nicht bemerkt habt: Andrews ist im Moment nicht in allergnädigster Stimmung. Ich möchte ihn jetzt nicht fragen, ob er Schichten und Personal wechseln könnte.« Der große Mann lächelte ermutigend. »He, ihr macht euch an die Arbeit, wie schnell ihr seid, bestimmt ihr, und ihr seid dem Direktor und seinen Lakaien aus den Augen. Vielleicht habt ihr Glück, und ihr findet was Gutes, das ihr vielleicht für euch behalten könnt.« »Ganz bestimmt.« Boggs war noch immer mürrisch, aber er hatte sich etwas beruhigt. Dillon hatte ihn an die Möglichkeiten
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seines Jobs erinnert. »So ist es besser«, sagte der große Mann. »Konzentriert euch auf eure Arbeit, dann wird auch Golic gar nicht auffallen. Ihr seid Vorratssucher, und ihr wißt, was das bedeutet. Ihr sucht nach übersehenen Vorräten und nützlichen Ausrüstungs gegenständen. Wie wir alle von früheren Beschaffungsexpeditionen wissen, hatten die ehrenwerten, aufrechten Bergleute von Weyland-Yutani die nützliche Angewohnheit, sich die Vorräte ihrer Arbeitgeber anzueignen und sie in kleinen, privaten Vorratskammern und Höhlen zu horten, die sie in den Fels geschlagen hatten. Alles in der Hoffnung, daß sie etwas von dem Zeug rausschmuggeln und auf dem offenen Markt verkaufen könnten. Sie haben versucht, ihr Einkommen aufzubessern. Wir sind daran interessiert, unsere Lebensbedingungen aufzubessern. Ich will keine Einwände mehr hören, und ich habe auch keine Lust mehr, noch weiter darüber zu diskutieren. Wenn ihr noch weiter drängt: Es gibt auch härtere Dienste. Ihr macht euren Job, um euren Mitgefangenen zu helfen. Und ihr werdet ihn tun, als Zeichen eurer Loyalität gegenüber mir. Und kein Wort mehr über den armen Golic.« »Ja, aber .... wo llte Rains entgegnen. Plötzlich hielt er inne und starrte zur Tür. Auch Boggs blickte auf und sogar Golic. Dillon drehte sich langsam um. Dort stand Ripley. Sie ließ ihren Blick durch die Kantine schweifen, in der es bei ihrem Auftauchen schlagartig still geworden war. Ihre Augen sahen alles, wanderten jedoch schnell weiter. Sie reihte sich in die Warteschlange ein und betrachtete abschätzig die identischen Tabletts. Der Gefangene, der das Essen austeilte, starrte sie ungeniert mit offenem Mund an. Die Schöpfkelle in seiner Hand hing leblos herab. Ripley nahm sich ein Stück Maisbrot aus einem großen Plastikkorb,
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wandte sich um und blickte erneut durch den Raum, bis sie Dillon entdeckt hatte. Andrews und sein Stellvertreter waren ebenso Teil der Stummfilmszene wie die Häftlinge. Der Direktor beobachtete nachdenklich, wie der Leutnant auf den Tisch des großen Mannes zuging und dort stehenblieb. Sein wissender Ausdruck schien fast schicksalsergeben, als er sich wieder seinem Teller zuwandte. »Wie ich mir gedacht hatte, Mr. Aaron, wie ich mir gedacht hatte.« Sein Stellvertreter schaute noch immer stirnrunzelnd durch den Raum zu Ripley hinüber. »Sie hatten recht, Sir. Was nun?« Andrews seufzte. »Nichts. Jedenfalls nicht im Moment. Essen Sie weiter.« Er nahm seine Gabel und stach in den dampfenden braunen Brei in der Mitte seines Tabletts. Ripley stand Dillon gegenüber, hinter Boggs. Die vier Männer stocherten in ihrem Essen herum und ignorierten nach Kräften ihre Anwesenheit. »Ich möchte Ihnen für die Worte danken, die Sie bei der Beerdigung gesprochen haben. Sie haben geholfen. Ich hatte nicht geglaubt, daß ich auf so etwas Vergängliches wie Worte überhaupt noch reagieren könnte, aber ich habe mich geirrt. Ich möchte nur, daß Sie wissen, wie sehr ich das zu schätzen weiß.« Der große Mann blickte unverwandt auf seinen Teller und schaufelte das Essen mit einer bewundernswerten Konzentration in sich hinein. Als Ripley sich nicht bewegte, blickte er endlich auf. »Sie sollten nicht hier sein. Ich meine, nicht nur auf Fiorina ... da hatten Sie kaum eine andere Wahl. Aber ich meine in diesem Raum. Mit uns. Sie sollten auf der Krankenstation bleiben, dort wo sie hingehören. Aus dem Weg.« Sie biß ein Stück Maisbrot ab und kaute nachdenklich. Für
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etwas auf dehydrierter Basis besaß es fast einen richtigen Geschmack. »Ich hatte Hunger.« »Clemens hätte Ihnen was bringen können.« »Ich habe mich gelangweilt.« Entnervt legte er seine Gabel beiseite und blickte sie an. »Ich weiß nicht, warum Sie das tun. Es gibt wirklich Schlimmeres als Langeweile. Ich weiß auch nicht, warum Sie mit mir sprechen. Leute wie mich wollen Sie gar nicht kennenlernen, Leutnant. Ich habe gemordet und vergewaltigt. Frauen.« »Wirklich.« Sie hob die Augenbrauen, die sie ausgedünnt, aber nicht völlig abrasiert hatte. »Dann mache ich Sie wahrscheinlich nervös.« Boggs vergaß, die Gabel zum Mund zu führen. Rains runzelte die Stirn. Nur Golic aß einfach weiter und ignorierte die Nebenhandlung völlig. Dillon zögerte einen Moment, doch dann breitete sich langsam ein Lächeln auf seinem zerklüfteten Gesicht aus. Er nickte, und Ripley setzte sich auf den letzten freien Stuhl. »Woran glauben Sie, Schwester?« »Woran sollte ich glauben?« Sie kaute auf ihrem Maisbrot herum. »An irgend etwas.« Sie brauchte nicht lange zum Überlegen. »Nicht an viel.« Er hob die Hand und vollzog mit ihr einen Kreis, der sowohl die Kantine als auch die Gefangenen einschloß. Wir haben hier viele Arten von Glauben. Sonst haben wir nicht viel, mag sein, aber davon haben wir eine Menge. Er nimmt nicht viel Platz weg, die Gesellschaft und die Regierung können ihn uns nicht wegnehmen, und jeder einzelne hat ein Auge auf seinen ganz persönlichen Vorrat von diesem Zeug. An einem Ort wie diesem ist er nicht nur nützlich, er ist verdammt nötig. Sonst verzweifelt man, und wenn man verzweifelt, verliert man seine
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Seele. Die Regierung kann dir die Freiheit nehmen, aber nicht die Seele. Auf der Erde wäre es an einem Ort wie diesem ganz anders. Aber dies ist nicht die Erde. Es ist noch nicht einmal das Sonnensystem. Hier draußen reagieren die Leute anders. Gefangene und Freie gleichermaßen. Wir sind weniger als frei, aber mehr als tot. Und eines von den Dingen, die uns am Leben erhalten, ist unser Glaube. Wir haben genug davon. Auch für Sie, Leutnant.« Ich hatte das Gefühl, daß Frauen in Ihrem Glauben nichts zu suchen hätten.« »Warum? Nur weil wir hier alle Männer sind? Das ist nur eine Konsequenz der Besetzung, nicht unserer Philosophie. Wenn man Frauen hierher schicken würde, würden auch sie eingeladen werden. Inhaftierung macht keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Der einzige Grund, warum keine Frauen an unserem Glauben teilhaben, ist der, daß man niemals welche hierher geschickt hat. Aber wir tolerieren jeden. Es gibt keinen Grund, jemanden auszuschließen, der durch die simple Tatsache, hierhergeschickt worden zu sein, schon von allem anderen ausgeschlossen ist. Wir dulden selbst die Unduldsamen.« Sein Lächeln wurde breiter. »Danke«, antwortete Ripley trocken. Er bemerkte ihren Tonfall. »He, das sollte nur eine Aussage zu unseren Grundsätzen sein. Nichts Persönliches. Hier ist ein guter Platz zum Warten. Keine Versuchungen, bis jetzt.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Wenn man diesen Ort länger als ein Jahr ertragen kann, ohne verrückt zu werden, kann man wahrscheinlich auch jeden Neuzugang ertragen.« Dillon aß mit sichtlichem Vergnügen weiter. »Warten kann man auf Fiorina so gut wie überall. Keine Überraschungen. Mehr Bewegungsfreiheit als man auf einer bewohnten Welt hätte. Andrews macht sich keine Sorgen darüber, ob wir uns
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allzuweit von der Anlage entfernen. Wohin sollten wir auch gehen? Dort draußen ist es hart. Kaum Nahrung, beschissenes Klima. Man ist allein. Wir sitzen hier alle lange Strafen ab, wenn auch nicht alle lebenslänglich. Jeder kennt den anderen, weiß, wie er ist. Man weiß, auf wen man sich verlassen kann und wer ein wenig Unterstützung braucht, um es zu schaffen.« Er kaute und schluckte einen Bissen herunter. »Es gibt schlimmere Orte, seine Zeit abzusitzen. Ich war noch nicht woanders, aber man hat es mir erzählt. Alles in allem gefällt mir Fiorina. Hier gibt es keine Versuchungen.« Ripley sah ihn von der Seite an. »Worauf warten Sie eigentlich?« Dem großen Mann entging nichts, nicht einmal sein nächster Bissen. »Wir warten darauf«, antwortete er vollkommen ernst, »daß Gott wiederkehrt und seine Diener erlöst.« Sie hob die Augenbrauen. »Ich glaube, ihr könnt euch auf eine lange Wartezeit gefaßt machen.«
5.
Später zeigte Clemens ihr die Versammlungshalle und wies sie auf ein paar Kleinigkeiten hin, von denen er glaubte, daß sie Ripley interessieren könnten. Schließlich setzten sie sich. Sie waren allein in dem großen Raum, bis auf den Gefangenen Martin, der schweigend in der Nähe den Boden wischte. »Wieviel wissen Sie schon von der Geschichte dieses Ortes?« »Nur was Sie mir erzählt haben. Was Andrews gesagt hat. Und ein bißchen von ein paar Insassen.« »Ja, ich habe gesehen, daß Sie mit Dillon gesprochen haben.« Er holte einen metallenen Flachmann aus seiner Jacke und
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schenkte sic h und Ripley einen kleinen Whisky ein. Vier Stockwerke hoch über ihnen wölbte sich in weiter Entfernung die Decke. »Vom psychosozialen Standpunkt her ist es ziemlich interessant. Es ist ungefähr fünf Jahre her, daß Dillon und der Rest zum Glauben gefunden haben, wenn man so sagen soll.« »Was für eine Art von Glauben?« Clemens nippte an seinem Alkohol. »Ich weiß nicht genau. Schwer zu sagen. So eine Art tausendjähriges, apokalyptisches, christlich-fundamentalistisches Gebräu.« »Mhm.« »Genau. Der Punkt ist der: als die Gesellschaft diese Anlage hier schließen wollte, wollten Dillon und seine Jünger hier bleiben. Und die Gesellschaft erkennt eine gute Gelegenheit sofort. Man erlaubte ihnen, als Verwalter zu fungieren, mit zwei Aufsehern und einem medizinischen Offizier.« Er deutete in die leere Versammlungshalle. »Und da wären wir. Es ist gar nicht so schlecht. Niemand redet uns rein, niemand kümmert sich um uns. Das Notwendigste werfen vorbeikommende Schiffe ab. Alles, was wir instandsetzen, dürfen wir benutzen, und solange sie ihre Zeit absitzen, zahlt die Gesellschaft den Männern einen minimalen Hausmeisterlohn. Im Vergleich zu dem, was ein Gefangener in einem Gefängnis auf der Erde verdient, ist das verdammt viel. Als Ausgleich haben die Männer ihre Fernseh- und LeseChips und ihre private Religion. Es gibt mehr als genug zu essen, auch wenn der Speiseplan ein bißchen monoton ist. Das Wasser ist in Ordnung, und solange man sich regelmäßig rasiert, machen einem die Flöhe nicht zu schaffen. Wenn das Wetter noch etwas schöner wäre, könnte es richtig angenehm sein.«
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Sie sah ihn nachdenklich an und nippte an ihrem Drink. »Was ist mit Ihnen? Wie sind Sie zu diesem großartigen Posten gekommen?« Er hielt sein Glas zwischen den Händen und rollte es hin und her. »Sie werden es kaum für möglich halten, aber hier ist es wesentlich angenehmer als auf meinem letzten Posten. Ich hab's gern, wenn man mich allein läßt. Ich hab's gern, wenn man mich ignoriert. Dafür ist dieser Ort sehr gut. Wenn nicht gerade jemand meine Aufmerksamkeit beansprucht, weil er sich verletzt hat was hier übrigens erstaunlich selten vorkommt, kann ich mit meiner Zeit so ziemlich machen, was ich will. Ich kann mich hinsetzen und lesen, kann mir Filme ansehen, ich kann die Anlage erkunden oder in einen Lagerraum gehen und mir die Seele aus dem Leib brüllen.« Er lächelte gewinnend. »Es ist verdammt viel besser, als wenn dauernd irgendein sadistischer Wärter oder ein quengelnder Häftling hinter Ihnen her ist. Wie gefällt Ihnen eigentlich Ihr neuer Haarschnitt?« Er deutete auf ihren kahlen Schädel. Behutsam strich sie mit den Fingern über die glatte Haut. »Es fühlt sich komisch an. Man denkt, die Haare wären noch da, aber wenn man nach ihnen greift, ist da nichts.« Er nickte. »Wie bei jemandem, der ein Bein verloren hat und glaubt, er könne noch immer seinen Fuß spüren. Der Körper ist schon ein komisches Ding, aber der Geist ist noch eine ganze Ecke komischer.« Er leerte sein Glas und schaute ihr in die Augen. »Nachdem ich mich jetzt für Sie wegen der Einäscherung so bei Andrews eingesetzt habe und meine sowieso nicht allzu brillante Beziehung zu dem guten Mann noch mehr gelitten hat, nachdem ich Ihnen die Geschichte von Fury 16l erzählt
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habe: wie wär's, wenn Sie mir erzählen, wonach Sie in dem toten Mädchen gesucht haben? Und warum war es nötig, die Leichen zu verbrennen?« Sie wollte gerade antworten, als er mit der Hand eine abwehrende Geste machte. »Bitte, nichts mehr von irgendwelchen bösen Bakterien. Andrews hatte recht. Die Leichen einzufrieren hätte genügt, um sie harmlos zu machen. Aber das hat Ihnen nicht gereicht. Ich will wissen warum.« Sie nickte, stellte ihr Glas ab und sah ihn an. »Zuerst muß ich etwas anderes wissen.« Er zuckte mit der Schulter. »Nur heraus damit.« »Fühlen Sie sich zu mir hingezogen?« Seine Augen wurden schmaler. Während er sich überlegte, wie er reagieren sollte, hörte er, wie seine eigene Stimme eine Antwort gab, so als ob Zunge und Lippen sich entschlossen hätten, unabhängig vom Gehirn zu arbeiten. Was nicht unbedingt schlecht sein mußte, dachte er mit mildem Erstaunen. »Inwiefern?« »Insofern.« Es schien, als sei das Universum doch noch voller Wunder, auch wenn die ewige Wolkendecke über Fiorina sie zu verbergen schien. »Sie sind ziemlich direkt. Für jemanden wie mich, der einen leichten Hang zur Einsamkeit hat, wie ich schon sagte, ist das mehr als nur ein wenig irritierend.« »Tut mir leid. Aber anders kann ich nicht mehr sein. Ich bin schon zu lange hier draußen.« »Ja«, murmelte er. »Ich auch.« »Ich habe keine Zeit für lange Spielchen. Ich habe keine Zeit für irgend etwas, das nicht wirklich wichtig ist. Das mußte ich lernen.« Er schenkte ihnen nach, nahm sein Glas in die Hand und schwenkte den Inhalt hin und her. Aufmerksam betrachtete er
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die Wirbel, die in der Flüssigkeit entstanden. Aber auch sie konnten ihm nicht helfen. * Die Ventilatorflügel hatten doppelte Körperlänge. Sie mußten so groß sein, um die Luft von der Oberfläche zu saugen und sie nach unten in die Filteranlage zu schicken, wo Fiorinas staubige Atmosphäre geschrubbt, gereinigt und gesäubert wurde, bevor das Ergebnis durch die Rohre und in die Gebäude gepumpt werden konnte. Fiorinas Luft war einfach zu dreckig. Es gab zehn Ventilatoren, einen für jeden Schacht. Acht davon schwiegen. Das übrige Paar lief auf halber Geschwindigkeit und versorgte brüllend die westlichen Quadranten der Anlage mit Luft. Murphy sang durch die Atemmaske, die seinen Mund und seine Nase bedeckte. Sie hielt Oberflächenpartikel ab, solange sie noch nicht vom Ventilator eingesaugt waren. An den Wänden der Rohrschächte sammelten sich leicht KarbonRückstände. Er brannte sie mit seinem Laser ab und sah zu wie der Ventilator sie vor seinen Füßen aufsaugte und verschluckte. Es war nicht der beste Job, den man kriegen konnte, aber auch nicht der schlechteste. Er ließ sich Zeit und erledigte ihn so gut er konnte. Nicht weil er die unmittelbare Ankunft von Inspektoren der Gesellschaft erwartete oder sich auch nur ein Deut darum geschert hätte; nein, aber wenn er mit den Schächten fertig war, dann würde er eben einen neuen Job bekommen. Also konnte er die Wände genausogut so gründlich wie möglich säubern und möglichst viel Zeit dabei totschlagen. Er sang den alten Song schief, aber um so enthusiastischer. »Ich seh' 'ne rote Tür und wünschte, sie wär' schwarz. Die Farben in mir drin, sie werden alle schwarz. Ich seh' die Mädchen im Sommer an mir vorübergehen. Ich muß die Augen
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schließen, kann nur noch Dunkel sehen.« Plötzlich stoppte er seinen Gesang. In der Nische links vor ihm hatten sich eine Menge Rückstände angesammelt. Die verdammten Lagerschächte waren so, hier fing sich viel von dem Müll, den die Oberflächenfilter verpaßt hatten. Er kniete sich hin und hebelte mit dem Ende seines Druckbesens das Objekt aus. Es ließ sich leicht lösen, längst nicht so schwer wie ein Klumpen dreckiges Karbon. Es war flach und beweglich. Zuerst hielt er es für eine alte Uniform, aber nachdem er es in den Hauptschacht gezogen hatte, sah er, daß es sich um eine Art Tierhaut handelte. Sie war dunkel und glänzend, eher wie eine Metallfolie und nicht wie Haut. Seltsames Zeug. Er breitete sie auf dem Boden aus. Groß genug, um zwei Männern Platz zu bieten oder einem Kalb. Was zum Teufel ...? Plötzlich fiel es ihm ein. Es gab einige wenige große, auf Fiorina seßhafte Tiere; armselige, schmutzliebende primitive Dinger mit schwächlichen Nervensystemen und langsamen Reaktionszeiten. Offenbar war eines von ihnen in den Luftkanal gestolpert. Da es nicht wieder hinauskonnte, war es dann verhungert und verdurstet. Die Leitern konnte es nicht benutzen, und die brüllenden Fächer des Ventilators stellten ein unüberwindliches Hindernis dar. Er stocherte in der leeren Hauthülle herum. Diese ausgetrocknete Hülse war alles, was von dem unglückseligen Besucher übriggeblieben war. Wer weiß, wie lange er in dem Winkel gelegen hatte, unbemerkt und vergessen. Dafür, daß sie einen alten, schon seit langem ausgetrockneten Körper beherbergt hatte, sah die Haut verdammt frisch aus. Die Wanzen, fiel ihm ein. Die Wanzen machten mit Fleisch, an das sie frei herankamen, kurzen Prozeß. Das war interessant. Er hatte nicht gewußt, daß Wanzen auch Knochen fressen. Aber vielleicht hatte es ja gar keine Knochen gegeben, die
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man knacken mußte. Vielleicht war es ja ein ... wie war noch das Wort? Genau, ein Wirbelloser. Etwas ohne Knochen. Kamen die nicht auch auf Fiorina vor? Er würde nachsehen, oder noch besser, Clemens fragen. Der Arzt würde die Antwort wissen. Er würde die Haut zusammenfalten und zur Krankenstation bringen. Vielleicht hatte er ja eine besondere Entdeckung gemacht, die Haut eines bislang unbekannten Tieres gefunden. Das würde sich in seinen Personalakten gut machen. Aber im Moment vernachlässigte er lediglich seinen Job. »Ich schaue in mich rein und seh', mein Herz ist schwarz. Ich seh' meine rote Tür und wünschte, sie war' schwarz. Vielleicht muß ich dann der Welt nicht mehr in die Augen sehen. Wenn alles schwarz ist, ist es nicht leicht, sie zu verstehen.« Er drehte sich um und brannte ein paar Rückstände ab, die an der unteren rechten Biegung des Schachts klebten. Plötzlich hörte er ein Geräusch. Stirnrunzelnd schaltete er den Laser ab und die Sicherung ein, während er sich umdrehte und nach hinten schaute. Er wollte sich gerade damit zufriedengeben, daß ihm seine Fantasie einen Streich gespielt hatte, als er es erneut hörte. Ein Geräusch, als würde etwas Nasses auf den Boden klatschen. Ein paar Meter den Schacht hinunter gab es eine etwas größere Nische, in der man früher Vorräte und Werkzeuge gelagert hatte. Eigentlich mußte sie leer sein, ausgeräumt. Die Vorräte waren an einen anderen Platz gebracht worden, und die Werkzeuge hatte das abreisende Kontrollpersonal mitgehen lassen. Aber je näher er kam, desto deutlicher wurden die gurgelnden Laute. Er mußte sich bücken, um hineinschauen zu können. Er blinzelte im reflektierten Glanz des Schachts und wünschte sich eine Lampe herbei. Etwas bewegte sich dort, ein unförmiger Klumpen in der Dunkelheit. Die Kreatur, die sich gehäutet
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hatte? Wenn dem so war und er sie lebendig nach oben bringen konnte, erhielt er bestimmt eine offizielle Belobigung der Gesellschaft. Vielleicht war sein unerwarteter Beitrag zur dahinsiechenden Forschung auf Fiorina ein oder zwei Monate Hafterlassung wert. Seine Augen gewöhnten sich an das spärliche Licht. Er konnte nun deutlicher sehen, erkannte einen Kopf auf einem Hals. Das Wesen spürte seine Anwesenheit und wandte sich ihm zu. Er erstarrte, unfähig sich zu bewegen. Seine Augen weiteten sich. Aus dem unförmigen Maul des Ungeheuers spritzte Flüssigkeit in einem dichten, konzentrierten Strahl und traf den wie gelähmten Gefangenen mitten ins Gesicht. Gas zischte, als das Fleisch durch den Kontakt mit der hochätzenden Flüssigkeit schmolz. Murphy stolperte schreiend rückwärts die Hände vor dem sich auflösenden Gesicht. Während er von der Nische fortwankte, drang Rauch durch die Finger, die er auf sein Gesicht preßte. Er stolperte erst gegen die eine Wand, dann gegen die andere. Er dachte nicht daran, wohin er ging oder wo er war. Er hatte nur noch einen Gedanken, den Schmerz. Und er dachte nicht an den Ventilator. Als er in die riesigen Blätter taumelte, wurde er auf der Stelle in Stücke gerissen. Blut und zerfranste Fetzen Fleisch spritzten gegen die Metallwände des Schachts. Seine einstigen Freunde hätten sicherlich eine Weile gebraucht ihn zu finden, wenn nicht ein Teil seines Kopfes genau zwischen einem Rotorblatt und dem Gehäuse steckengeblieben wäre. Das Sicherheitsprogramm stellte einen Betriebsfehler fest und schaltete den Mechanismus ab. Der Motor ging aus, und die Fächer kamen zu einem knirschenden Halt. Im Hauptkorridor übernahm ein bis dahin abgeschalteter Ventilator sofort die
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Arbeit. Dann war es wieder still im Seitenschacht, bis auf die kaum hörbaren Laute, die aus der alten Lagernische kamen, ein perverses wimmerndes Zischen, das jetzt niemand mehr mithören konnte. * Im Vergleich zu den anderen Gefangenen wohnte Clemens nahezu luxuriös. Er hatte mehr Platz und in seiner Eigenschaft als Med-Tech Zugang zu gewissen Annehmlichkeiten, die seinen fiorinischen La ndsleuten versagt blieben. Aber sein Zimmer war wirklich nur im Vergleich komfortabel zu nennen. Selbst auf dem abgelegensten Außenposten der Erde hätte es keinen großen Eindruck gemacht. Aber er war sich einer privilegierten Position bewußt und war so dankbar dafür, wie er unter den Umständen nur sein konnte. Und in letzter Zeit hatten sich diese Umstände auch noch äußerst positiv entwickelt. Ripley bewegte sich unter den Laken des Bettes. Sie streckte sich und blinzelte zur Decke. Clemens stand am anderen Ende des Raumes, neben den Einbauschränken. Er goß etwas Dunkles und offenbar sehr Starkes aus einem Kanister in ein Glas. Zwischen seinen Lippen glühte eine Narko-Zigarette. Zum ersten Mal sah sie ihn ohne seine offizielle Kopfbedeckung. Der eingedruckte Code auf der Rückseite seines kahlrasierten Schädels war deutlich sichtbar. Als er sich umwandte und bemerkte, daß sie ihn beobachtete, gestikulierte er mit dem Kanister. »Leider kann ich dir keinen Drink anbieten. Du stehst unter Medikamenten.« Sie verdrehte die Augen. »Was ist es denn diesmal?« »Du wärst überrascht.«
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»Das bezweifle ich nicht.« Sie lächelte. »Du hast mich schon genug überrascht.« »Danke.« Er hielt das Glas gegen das Licht. »Die medizinische Ausrüstung, die die Gesellschaft zurückgelassen hat, ist ziemlich rudimentär, aber auf ihre Weise wiederum recht brauchbar. Wir können uns nicht immer darauf verlassen, daß Medikamente rechtzeitig abgeworfen werden. Deshalb muß ich in der Lage sein, einige Sachen synthetisch herzustellen. Wenn man das Programm, das Alkohol zum Abreiben synthetisiert, nur ein wenig verändert, erhält man etwas, das dem Gaumen weitaus mehr bekommt.« Er nippte am Inhalt des Glases und blickte recht zufrieden drein. »Nur ein kleines Hobby, aber ein sehr lohnenswertes.« »Weiß Andrews davon?« fragte sie. »Ich glaube nicht. Ich habe ihm bestimmt nichts davon erzählt. Wenn er davon wüßte, würde er es mir sicher verbieten, mit der Begründung, daß es schlecht für die Moral sei und gefährlich, wenn die anderen Männer wüßten, was ic h da kann. Ich würde ihm sogar zustimmen. Aber bis er es herausfindet, werde ich fröhlich damit fortfahren, Ethyl-Moleküle und ihre stimulierenden Nachbarn umzugruppieren, bis sie meinen persönlichen Bedürfnissen entsprechen.« Er goß etwas aus dem Kanister in eine Karaffe. »Mach dir keine Sorgen, ich hebe dir etwas auf. Für später.« »Sehr fürsorglich von dir.« »Keine Ursache. In der Schule war rekombinierende synthetische Chemie eines meiner besseren Fächer.« Er zögerte. »Wo wir gerade von Fürsorge spreche n. Ich bin dir sehr dankbar, daß du mir so viel Aufmerksamkeit geschenkt hast. Andererseits ist mir nicht entgangen, daß du dadurch meiner letzten Frage aus dem Weg gegangen bist. Allerdings auf eine sehr schöne Weise. Ich hätte es wirklich nicht anders haben wollen, das solltest du wissen. Aber die verdammte Sache hat mich
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gepackt und läßt mich nicht mehr los.« Sie hielt ihr Glas behutsam in einer Hand und sah ihn eindringlich an. »Du verdirbst die Stimmung.« »Das ist nicht meine Absicht. Aber ich bin noch immer medizinischer Offizier und muß meinen Job machen, und ehrlich, je mehr du versuchst, dem Thema auszuweichen, desto neugieriger werde ich. Wonach hast du in dem Mädchen gesucht? Warum hast du so hartnäckig darauf bestanden, daß die Leichen eingeäsche rt werden sollten?« »Ich verstehe. Jetzt, wo ich in deinem Bett liege, glaubst du, daß ich dir eine Antwort schulde.« Er blieb geduldig. »Mich wütend zu machen funktioniert auch nicht. Nein, du schuldest mir eine Antwort, weil es mein Job ist, eine zu finden, und weil ich mich so weit aus dem Fenster gelehnt habe, um zu erreichen, was du wolltest. Daß du in meinem Bett liegst, hat nichts damit zu tun.« Er lächelte dünn. »Deine Einsilbigkeit in dieser Angelege nheit wird unser Verhältnis noch sehr belasten.« Sie seufzte resignierend und drehte sich auf die Seite. »Es ist wirklich nichts besonderes. Können wir es nicht dabei belassen. Im Hyperschlaf hatte ich einen wirklich furchtbaren Traum.« Sie schloß ihre Augen, um die schreckliche Erinnerung zu verbannen. »Ich will nicht darüber sprechen. Ich mußte nur sicher sein, woran sie gestorben sind.« Sie sah den Med-Tech wieder an. »Du hast keinen Schimmer, wie mein Leben bisher verlaufen ist oder was ich durchgemacht habe. Deine wildesten Alpträume würden dage gen wirken wie die verschwommenen Gedanken eines unschuldigen Kindes. Ich weiß, daß ich nichts davon jemals vergessen werde. Nie! Aber trotzdem versuche ich es.
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Wenn ich also manchmal etwas irrational wirke oder manc hmal ohne Grund auf etwas beharre, dann sieh es mir nach. Glaub mir, ich brauche das. Ich brauche jemanden, der sich zur Abwechslung mal um mich kümmert. Was Newt ... was das Mädchen betrifft ... da habe ich einfach einen Fehler gemacht.« Sein Daumen umkreiste den Rand des Glases, das er hielt. Er nickte langsam und verständnisvoll, wenn auch mit zusammengekniffenen Lippen. »Ja, vielleicht.« Sie sah ihn immer noch an. »Vielleicht habe ich noch einen Fehler gemacht.« »Wieso?« »Fraternisieren mit einem Häftling. Körperlicher Kontakt. Das ist gegen die Vorschriften, nicht wahr?« »Eindeutig. Wer war der Glückspilz?« »Du, Dummkopf.« Er betrachtete sie unsicher. »Ich bin kein Häftling.« Sie streckte den Arm aus. »Und was ist mit dem Code auf deinem Hinterkopf?« Reflexartig fuhr er mit der Hand über die Stelle. »Ich nehme an, das verlangt nach einer Erklärung. Aber ich glaube nicht, daß jetzt der richtige Augenblick ist. Tut mir leid. Wir verderben wohl wirklich alles, was?« Die Sprechanlage summte und verlangte Antwort. Er sah sie entschuldigend an und nahm den Anruf entgegen. »Ich muß mich melden. Den Luxus, Anrufe nicht anzunehmen, kann ich mir nicht leisten. Ich bin nicht der Chef der Sorbonne.« Er drückte einen Knopf, und eine dünne, schlecht wiedergegebene Stimme ertönte. »Clemens?« Der Arzt warf Ripley einen resignierten Blick zu.
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»Ja, Mr. Aaron.« »Andrews möchte, daß Sie sich im Ventilationsschacht siebzehn im zweiten Quadranten melden. So schnell wie möglich. Es hat einen Unfall gegeben.« Sofort zeigte er Interesse und beugte sich über das Mikrofon in der Sprechanlage, damit seine Frage auch gut verstanden wurde. »Etwas Ernstes?« »Ja, kann man wohl sagen«, antwortete der Stellvertreter des Direktors. »Einen der Gefangenen hat es bei seinem Arbeitskommando in Würfel zerhackt.« Abrupt wurde die Anlage abgeschaltet. »Verdammt.« Clemens leerte sein Glas und stellte es auf der Konsole ab. Er wandte sich seinem Gast zu. »Tut mir leid, aber ich muß gehen. Die Pflicht ruft.« Ripleys Haltung versteifte sich leicht. Sie befingerte ihr Glas. »Gerade fing die Unterhaltung an, mir Spaß zu machen. Im Gegensatz zu anderen Dingen.« »Was glaubst du, wie ich mich fühle?« murmelte er, während er einen Schrank öffnete und ein paar Kleidungsstücke herausnahm. »Vielleicht sollte ich mitkommen.« Er warf ihr einen Blick über die Schulter zu. »Besser nicht. Wenn ich dich im Rahmen meiner üblichen Visite sehe, dann ist das okay. Aber wenn jeder mitkriegt, daß wir dauernd zusammen sind, obwohl du ausgesprochen gesund aussiehst, dann gibt das bestimmt Anlaß für Gerede. Und Fragen. Und je weniger Gerede unter diesen Typen, desto besser.« »Ich verstehe. Es gefällt mir nicht, aber ich verstehe.« Er streifte sich die Arbeitshose über. »Das sind die beiden Sachen, die man wissen muß, wenn man auf Fiorina überleben will. Außerdem glaube ich nicht, daß deine Anwesenheit Direktor Andrews besonders erfreuen
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würde. Also, nimm's nicht so schwer und warte hier.« Er lächelte aufmunternd. »Ich bin bald wieder zurück.« Sie sagte nichts mehr und schaute nur äußerst unzufrieden drein. * Viel gab es nicht zu untersuchen. Zum Teufel, dachte Cleme ns, während er die Überreste des Gefangenen im Luftschacht sah, es gab auch nicht viel zu beerdigen. Die Todesursache war offensichtlich. An dem bewegungslosen Ventilator fanden sich ebensoviele Blutspritzer wie an den Wänden der Röhre. Es ergab nicht viel Sinn. Es kam zwar vor, daß Männer gegen scharfe Metallkanten stießen und Schnittwunden erlitten, daß sie von Laufstegen stürzten, oder daß sie sich bei Ausflügen in der zerklüfteten Bucht verletzten, aber die potentiellen Gefa hren der eingemotteten Mine kannten sie genau und bemühten sich besonders, ihnen zu entgehen. Der riesige Ventilator war eine Bedrohung, die man einfach nicht ignorieren oder gar übersehen konnte. Aber das bedeutete natürlich nicht, daß der unglückliche, verblichene Murphy nicht dumm genug gewesen war, Unsinn zu machen. Vielleicht war er gerannt oder über das glatte Metall des Schachts geschliddert, oder er hatte zum Spaß seinen Besen gegen den Ventilator gehalten. Dann war er ausgerutscht, oder ein Stück Kleidung hatte sich verfangen. Natürlich würde man es nie erfahren. Es gab keinen Grund, zwei Männer für den Reinigungsjob abzukommandieren. Murphy hatte allein gearbeitet. Aaron dachte offenbar ähnlich. Er starrte grimmig auf den Ventilator. »Er war ein Idiot, und ich habe ihm den Auftrag
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auch noch erteilt. Ich hätte es wissen sollen, ich hätte jemand anderen schicken sollen, oder zumindest hätte ich noch einen zweiten Mann abkommandieren sollen, einen, der etwas vernünftiger ist.« Hinter ihnen war der Gefangene Jude noch immer damit beschäftigt aufzuwischen. Andrews war wütend. Nicht, weil Murphy tot war, sondern wegen der Umstände. Sie würden kein gutes Licht auf ihn werfen. Außerdem bedeutete es zusätzlichen Papierkram. »Sie brauchen sich nicht entschuldigen, Mr. Aaron. Es war nicht Ihr Fehler. So wie es aussieht, hatte niemand Schuld außer Mr. Murphy, und er hat für seinen Fehler bezahlt.. Er blickte seinen Arzt an. »Irgendwelche Beobachtungen, Mr. Clemens?. Der Med-Tech zuckte mit den Schultern. »Da gibt es nicht viel zu sagen, oder? Über die Todesursache braucht man nicht lange rätseln. Ich glaube nicht, daß er viel gemerkt hat. Ich bin sicher, daß der Tod sofort eingetreten ist.« »Aber ganz bestimmt.« Aaron betrachtete die weit verstreuten menschlichen Überreste mit unverhohlenem Ekel. »Ich versuche, einen Hergang zu konstruieren«, fuhr der Direktor fort. Für den Bericht, Sie verstehen. Es ist schwer vorstellbar, daß er einfach in eine solch offensichtliche Gefahr hineingestolpert sein soll, zumal er doch schon recht lange in ihrer Nähe gearbeitet hatte. Vielleicht hat es ihn hineingezoge n?« Clemens kräuselte die Lippen. »Vielleicht. Ich bin zwar weder Physiker noch Mechaniker .... »Das ist niemand hier, Mr. Clemens«, erinnerte Aaron ihn. »Ich bitte Sie auch nicht um Ihr Urteil. Alles was ich will, ist Ihre Meinung in dieser Angelegenheit.« Der Arzt nickte. »Ein plötzlicher Luftstrom könnte die Ursache gewesen sein. Ein Spannungsstoß, der zu einer ungewöhnlichen Sogwirkung führte. Aber ...« »Genau«, meinte Aaron eiligst.
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»Wäre mir auch beinahe mal passiert, in dem anderen Haup tquadranten. Vor vier Jahren. Ich sage den Leuten immer wieder, achtet auf die Ventilatoren. Aber sie sind so verdammt groß, so solide und verläßlich, daß keiner glaubt, daß in ihrer Nähe etwas Unvorhergesehenes passieren könnte.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Egal, wie viel ich auch rede, niemand hört zu.« »Das stimmt schon alles«, meinte Clemens. »Aber bevor ich runtergekommen bin, habe ich die Programmierung überprüft. Der Ventilator war in Betrieb, und das heißt ein Spannungsstoß hätte ihn in den Schacht geweht und nicht in den Ventilator.« Aarons Blick verengte sich, doch dann zuckte er im Geist mit den Schultern. Sollten doch der Direktor und Clemens die Sache erklären. Es lag in ihrer Verantwortung, ihm war es egal. Er hatte eine Vermutung angeboten, das Beste getan, was er konnte. Um Murphy tat es ihm leid, aber was sollte es. Unfälle geschahen nun einmal. Clemens ging den Schacht hinunter und untersuchte die Wände. Mit jedem Schritt wurden die Blutflecken weniger. An der linken Seite entdeckte er eine tiefe Einbuchtung. Er bückte sich, um hineinzuschauen. Es war eine der typischen kleineren Lagerkammern, die schon vor langer Zeit geleert worden waren. Gerade, als er aufstehen und weitergehen wollte, fiel ihm etwas auf, das ihn zögern ließ. Es sah aus wie ein Fleck. Kein Blut, irgendeine Art von chemischer Verfärbung. Die sonst so glatte Metalloberfläche war tief eingedrückt. Andrews war ihm leise gefolgt und stand plötzlich neben ihm. Zusammen mit dem Arzt begutachtete er die Kammer. »Was ist das?« Clemens richtete sich auf. »Keine Ahnung. Es sah nur komisch aus. Ist wahrscheinlich schon so lange da wie der Schacht selbst.«
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Seine Gleichgü ltigkeit wirkte etwas gewollt, und der Direktor spürte das sofort und sah den Arzt scharf an. Clemens blickte zur Seite. »Ich möchte Sie in, sagen wir, einer halben Stunde in meinem Quartier sehen«, sagte er beiläufig. »Wenn Sie so freundlich wären, Mr. Clemens.« Er wandte sich wieder dem Rest des Bergungstrupps zu, der immer noch damit beschäftigt war, die Überbleibsel des Toten aufzulesen. »Also. Ich habe nicht vor, hier den Rest meines Tages zu verbringen. Ich glaube, Sie können jetzt aufhören. Wir verschwinden hier, und Mr. Troy kann die Einheit wieder in Betrieb nehmen, während wir unseren normalen Geschäften nachgehen.« Er drängte die Männer zum Ausgang. Clemens blieb zurück. Als er sicher war, daß Andrews Aufmerksamkeit ganz dem Beenden der schrecklichen Putzarbeiten galt, untersuchte der Arzt das beschädigte Metall noch einmal genauer. * Im Rettungsschiff war es totenstill. Zerschmetterte Konsolenteile klebten wie aufgespießte Insekten an den Wänden. Ausrüstungsteile lagen dort, wo sie aus ihren Halterungen gefallen waren oder aus Schränken geschleudert worden waren. Der Pilotensessel hing schräg auf seiner Stütze, wie ein betrunkener Handschuh. Ein einziges Licht beleuchtete die chaotische Szene. Ripley arbeitete in einem zerborstenen Schott. Abwechselnd benutzte sie den Laserschneider und etwas behutsamere Werkzeuge. Eine Schutzplatte schälte sich zögernd auf und enthüllte eine versiegelte Füllung. Erleichtert begann sie die Verschlüsse zu lösen, indem sie einen nach dem anderen mit einem Spezial-
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werkzeug entfernte. Das Fach selbst war eindeutig beschriftet. FLUGSCHREIBER SIEGEL NICHT AUFBRECHEN OFFIZIELLE GENEHMIGUNG ERFORDERLICH Als der letzte Verschluß aufschnappte, nahm sie das Fach heraus und legte es vor sich. In einem doppelwandigen, besonders gepolsterten Behälter kuschelte sich eine schwarze Box mit glatter Oberfläche. Der Behälter war trocken und sauber, und kein schwelender Geruch und kein Anzeichen von Feuchtigkeit deutete darauf hin, daß auch nur ein Tropfen des zersetzenden Salzwassers der Bucht eingedrungen war. Der Riegel an der Seite ließ sich leicht zurückschieben, und die Vorderseite der Box glitt zur Seite, um hinter dem Schut zglas Readouts und glatte Druckknöpfe zu enthüllen. Sie drückte einen und sofort leuchteten einige Anze igen auf. Auf einen erneuten Druck hin gingen sie wieder aus. Die Box ließ sich leicht aus dem Behälter nehmen. Vorsichtig stellte Ripley sie auf den Boden neben das Licht und ließ ihren Blick erneut über die zertrümmerte Einrichtung des Rettungsschiffs gleiten, um sich zu erinnern und um zu vergessen. Etwas bewegte sich hinter ihr, stolperte gegen die zerborstenen und zerbrochenen Aufbauten. In Panik wirbelte sie herum und sah, daß dort jemand in der Dunkelheit stand. »Verdammt!« rief sie zusammensackend. »Willst du mich zu Tode erschrecken?« Clemens blieb im zerbeulten Eingang stehen. Er grinste seltsam jungenhaft. »Tut mir leid, aber die Klingel funktioniert nicht.« Mühsam kam er in die Kapsel. »Ohne Begleitung durch die Gegend zu laufen. Direktor Andrews dürfte ziemlich sauer sein, wenn er das wüßte. Und was immer du vorhast, es ist bestimmt nicht hilfreich, ihn gegen sich zu haben.«
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»Er kann mich mal. Was war mit dem Unfall?« Ihr Tonfall war eindringlich, und sie blickte ihn ernst an. »Leider sehr übel.« Er lehnte sich gegen ein herabhängendes Drahtgeflecht und trat hastig vor, als es plötzlich nachzugeben schien. »Einer der Gefangenen ist getötet worden.« »Wie?« fragte sie besorgt. »Es war nicht schön. Willst du es wirklich wissen?« Sie schnaubte verächtlich. »Wenn du befürchtest, daß ich dir ohnmächtig in die Arme falle, hast du dich getäuscht.« »Das hatte ich auch nicht erwartet. Ich wollte dir nur die Wahl lassen. Es ist in einem der betriebenen Luftschächte passiert.« Er schüttelte den Kopf bei dem Gedanken. »Der arme dumme Bastard ist in einen laufenden Zwei-Meter Hochgeschwindigkeitsventilator geraten. Es hat ihn überallhin verspritzt. Wir mußten ihn praktisch von den Wänden abkratzen.« »Ich verstehe. Kann vorkommen.« »Aber hier eigentlich nicht. Andrews ist ziemlich nervös. Er muß jetzt einen Bericht schreiben.« »Per Kommunikationsstrahl?« »Nein. Für diese Extrakosten besteht kein Bedarf. Ich denke mal, daß er mit dem nächsten Raumschiff abgehen wird.« »Worüber macht er sich dann Sorgen. Es wird Monate dauern, bevor jemand den Bericht liest.« »Wenn man den Direktor kennt, versteht man es besser. Er nimmt alles persönlich.« »Zu schade für ihn, besonders in Anbetracht seines jetzigen Postens.« Clemens nickte nachdenklich. »Ich habe am Unfallort etwas entdeckt, nur ein paar Schritte weiter weg. Eine Art eingebrannter Fleck auf dem Boden. Das Metall war verfärbt und warf Blasen. Es sah ungefähr aus wie das, was du auf der Hyperschlaftruhe des Mädchens entdeckt
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hast.« Sie starrte ihn nur unverwandt an, nichtssagend, mit einem undurchdringlichen Ausdruck. »Ich bin auf deiner Seite, wirklich«, beharrte der Arzt, als sie stumm blieb. »Worin du auch verwickelt bist oder was immer du tun willst, ich möchte dir helfen. Aber ich muß wissen, was hier vor sich geht oder deiner Meinung nach vor sich geht. Sonst kann ich dir kaum nützlich sein. Vielleicht kannst du das, was du tun willst, was immer es auch ist, allein tun. Ich kann dich nicht zwingen, mit mir zu reden. Ich denke nur, daß ich dir helfen kann, es dir leichter machen kann. Ich komme an verschiedene Geräte heran. Du nicht. Ich verfüge über Wissen, das du nicht hast. Ich werde mich nicht einmischen und mich ganz auf deine Entscheidungen verlassen. Gezwungenermaßen. Ich habe ja keine Ahnung, was du vorhast.« Sie zögerte und überlegte, während er sie erwartungsvoll ansah. »Ich kenne dich kaum. Warum sollte ich dir vertrauen?« Er zwang sich, die verletzenden Worte zu ignorieren. Er wußte, daß hinter diesem Zweifel nichts Persönliches steckte. »Sicher. Aber ohne Hilfe wird es sehr schwer für dich werden, was immer du vorhast. Ich kenne dich auch kaum, aber ich bin bereit, dir zu folgen.« »Warum? Warum solltest du? Du hast doch selbst zugegeben, daß du gar nicht weißt, was hier vorgeht, was auf dem Spiel steht.« Er lächelte ermutigend. »Vielleicht glaube ich dich etwas besser zu kennen, als du mich zu kennen glaubst.« »Du bist verrückt.« »Ist das ein Hinderungsgrund für deine Pläne?« Sie mußte lächeln. »Wahrscheinlich genau das Gegenteil. Also gut.« Sie schob die schwarze Box ins Licht. »Ich muß wissen, was hier im RF passiert ist, warum wir das Schiff verlassen mußten, obwohl wir noch im Hyperschlaf waren.
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Wenn du mir wirklich helfen willst, dann such mir einen Computer mit audiovisuellen Interpretationsfähigkeiten, mit dem ich an die Daten des Flugschreibers komme.« Clemens schaute zweifelnd drein. »So etwas haben wir hier nicht. Die hochentwickelte Kybernetik hat die Gesellschaft mitgenommen. Was sie uns hiergelassen haben, ist entweder Basic und Response oder nur ROM.« Er lächelte sardonisch. »Sie hatten wohl nicht die Absicht, einen Haufen tumber Häftlinge an ihren teuren Geräten herumspielen zu lassen.« »Was ist mit Bishop?« »Bishop?« fragte er erstaunt. »Der Android, der mit mir notgelandet ist.« »Man hat ihn untersucht und als unbrauchbar weggeschafft.« Vielleicht sollte ich das selbst beurteilen.« Ihre Stimme klang besorgt. »Hoffentlich sind seine Bestandteile nicht ausgeschlachtet oder eingestampft worden.« »Ich hab's dir doch gesagt: für das erstere ist keiner hier schlau genug, und es gab keinen Grund, für das zweitere Energie zu verschwenden. Es gibt mehr zusammenhängende Teile von ihm als von dem toten Häftling, wenn auch nicht allzuviele. Erzähl mir nicht, daß du mit ihm noch etwas anfangen kannst.« »Also gut, ich erzähl's dir nicht. Wo ist er?« Clemens gab auf. »Ich werde dich auf den richtigen Weg bringen. Mitkommen kann ich nicht, ich habe eine Unterredung. Paß auf dich auf, okay?« Sie blieb ungerührt. »Wenn ich mir das nicht zur Gewohnheit gemacht hätte, wäre ich jetzt schon ungefähr zwanzig Mal tot.«
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6.
Die Kerzenfabrik war mehr als eine Freizeitbeschaftigung. Die versiegelte, selbständig arbeitende Fusionsanlage der Einrichtung erzeugte zwar soviel Energie, daß man sämtliche Gebäude hell erleuchten konnte, wenn man es für wünschenswert hielt, aber sie stellte natürlich nichts an tragbarer Energie zur Verfügung. Aufladbare Lampen waren rar und kostbar. Als die Gesellschaft sich entschließen mußte, was man bergen wollte und was auf Fiorina zurückbleiben konnte, hatte sie logischerweise angenommen, daß die Gefangenen kein Interesse daran hatten, nachts außerhalb der Anlage auf Fiorina herumzuwandern. In den Gebäuden selbst würde die Fusionsanlage soviel Licht produzieren, wie sie wollten. Und da diese Anlagen schlichtweg niemals ausfielen, gab es keinen Grund, an einen Ersatz zu denken; daher war auch kein nennenswerter vorhanden. Aber es gab Vorräte. Entweder von Minenarbeitern versteckt oder vom Evakuierungstrupp übersehen, lagerten sie tief in den Schächten, aus denen Millionen Tonnen Erz gefördert worden waren. Vorräte, die das Leben für die Gefangenen und das Personal ein wenig leichter machen konnten. Es gab reichlich Zeit, sie aufzuspüren. Alles was fehlte, war genügend tragbare Beleuchtung. Die Kerzenfabrik löste dieses Problem, und gab den Bewo hnern Fiorinas nebenbei noch etwas anderes zu tun. Von dem Spezialwachs lagerte reichlich. Es war eine jener Großladungen gewesen, deren Wert die Verschiffungskosten zur Erde nicht lohnte. Früher hatte man es benutzt, um Testformen für neue Geräte herzustellen. Ein computergesteuerter Laser-Cadcam modellierte das Teil und bearbeitete das Wachs, das dann mit einer Plastik oder
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Carbon-Verbindung ausgegossen wurde; und eins, zwei, drei, schon hatte man ein Ersatzteil. Ohne Maschinen, ohne langwierige Arbeiten an Drehbänken und mit Stechformen. Danach konnte das Spezialwachs wieder eingeschmolzen und erneut verwendet werden. Die Gefangenen benötigten keine Ersatzteile. Die Geräte, die für ihr Überleben wichtig waren, arbeiteten selbständig und funktionierten auch ohne ihre Wartung einwandfrei. Also machten sie Kerzen. Sie brannten hell und strahlend überall in der Anlage, hingen in Bündeln von der Decke und leuchteten in Glasbehältern, die sich die Gefangenen für ihren eigenen Bedarf hergestellt hatten. Das Industrieglas und das Wachs einer hochentwickelten Zivilisation leisteten so den gleichen Dienst, den schon eine tausend Jahre alte Technologie entwickelt hatte. Der Gefangene Gregor half Golic, Boggs und Rains dabei, die speziellen, besonders dicken Beleuchtungskerzen in ihre riesigen Rucksäcke zu packen. Der Einschluß einiger sorgfältig ausgesuchter Unreinheiten sorgte dafür, daß die Kerzen ihre Form behielten und eine sehr lange Brenndauer hatten. Es blieb den Häftlingen auch gar nichts anderes übrig, als sie zu benutzen, denn Andrews hätte kaum erlaubt, daß die unersetzlichen tragbaren Lampen für solch frivole Zwecke eingesetzt würden. Den Männern war es im Grunde egal. Die Technik mochte primitiv sein, aber in der Qualität der Beleuchtung gab es keinen nennenswerten Unterschied zwischen den Kerzen und den wenigen kostbaren, aufladbaren Lichtzellen. Licht war Licht. Und es gab keinen Mangel an Kerzen. Golic schob abwechselnd Kerzen in seinen Rucksack und Essen in seinen Mund. Kleine Bröckchen fielen ihm aus dem Mund, in seinen Sack. Rains sah ihn angeekelt an.
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»Das war's.« Gregor hob eine der massigen Tragetaschen hoch. »Damit seid ihr komplett. Trödele nicht so rum, Golic. Wieso schleppst du eigentlich all dieses verdammte Essen mit? Außerdem ist es nicht richtig eingepackt.« Der Adressat des Tadels lächelte abwesend und fuhr fort, sich Brocken in den Mund zu stopfen. Boggs schüttelte den Kopf. »Macht er eigentlich auch irgendwas richtig?« Rains schnaubte. »Essen. Das hat er ziemlich gut drauf.« Dillon und der Häftling Junior erschienen in der Tür. »He, Golic«, sagte der größere Mann leise. Der Angesprochene blickte auf und antwortete kauend. »Ja?« »Zünde eine Kerze für Murphy an, ja?« Golic lächelte zustimmend, wobei ihm wieder ein paar Brocken aus dem Mund fielen. »Gut. Ich zünde tausend an.« Plötzlich wirkte er versonnen. »Er war ein besonderer Freund. Er hat sich nie über mich beschwert, nicht einmal. Ich habe ihn geliebt. Stimmt es, daß sein Kopf in tausend Stücke zerfetzt worden ist? Das sagen die anderen.« Dillon half ihnen, die sperrigen Rucksäcke zu schultern und klopfte jedem auf die Schulter, nachdem er die Schutzanzüge der Männer noch einmal überprüft hatte. »Paßt da unten auf euch auf. Ihr habt ziemlich genaue Karten, richtet euch nach ihnen. Wenn ihr etwas findet, das zu groß ist, um es mitzubringen, dann achtet verdammt genau darauf, die Stelle so zu markieren, daß ein Nachfolgetrupp sie finden kann. Vor vier Jahren haben ein paar Burschen den persönlichen Vorrat eines Minenarbeiters an Konservendosen entdeckt. Es hätte gereicht, den Speiseplan für Monate zu versüßen. Aber sie haben den Fundort nicht richtig gekennzeichnet, und wir
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haben sie nie mehr wiedergefunden. Vielleicht habt ihr Glück und findet etwas.« Boggs rülpste laut, und die Männer kicherten. »So bin ich. Ich kann mich vor Glück nie halten.« »Also gut.« Dillon trat beiseite. »Los mit euch, und kommt ja nicht zurück, bevor ihr etwas Nützliches gefunden habt. Achtet auf die Kippschächte. Manche sind bis zu hundert Meter tief.« Der große Mann sah ihnen nach, während sie im Zugangstunnel verschwanden, solange, bis die Entfernung und die Krümmungen ihre Lichter verdunkelt hatten. Dann gingen er und Junior wieder zurück, in Richtung der Versammlungshalle. Er mußte sich um seine eigene Arbeit kümmern. Andrews Quartier bot viel Platz, auch wenn es etwas spartanisch möbliert war. Als Gefängnisdirektor hatte man ihm die Räume des früheren Minendirektors überlassen. Er besaß mehrere Zimmer, aber nicht genug Möbelstücke, um sie zu füllen. Da er über nicht allzuviel Fantasie verfügte und keinen Wert auf Luxus und Prunk legte, hatte er die meisten Zimmer einfach verschlossen und benutzte nur drei regelmäßig; ein Bad, ein Schlaf- und ein Besuchszimmer. Es war der dritte Raum, der im Moment gebraucht wurde. Vor seinem bescheidenen Schreibtisch saß sein einziger Mediziner. Clemens stellte ein Problem dar. Juristisch war er ein Häftling und konnte genauso behandelt werden wie alle anderen. Aber niemand, auch nicht der Direktor, bestritt seinen besonderen Status. Geringer als ein freier Mann, aber höhergestellt als die inhaftierten Hausmeister, verdiente er mehr als die Gefangenen. Und was noch wichtiger war: Sie waren von ihm abhängig, weil er Dienstleistungen erbrachte, zu denen niemand sonst fähig war. Wie Andrews und Aaron. Auch intellektuell war Clemens dem Rest der Gefängnisinsassen überlegen. In Betracht des Mangels an funkelnder Konversation auf Fiorina schätzte Andrews diese Fähigkeit fast
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so sehr wie Clemens' medizinische Talente. Eine Unterhaltung mit Aaron war ungefähr so anregend wie ein Gespräch mit seinem Logbuch. Aber er mußte vorsichtig sein. Es täte Clemens nicht gut, genau wie jedem anderen Häftling, wenn er eine zu hohe Meinung von sich entwickeln würde. Wenn sie aufeinandertrafen, webten die beiden Männer sorgsam gewählte Worte umeinander. Sie tanzten einen Wortwalzer, so feinfühlig wie ein Paar alte Klapperschlangen. Clemens legte beständig den Antrag auf Unabhängigkeit vor, und Andrews ignorierte ihn immer wieder. Jetzt goß er Tee in die Tasse des Arztes und verschüttete etwas dabei. »Zucker?« »Danke«, antwortete Clemens. Der Direktor reichte ihm die Plastikdose und sah zu, wie sein Gast das weiße Granulat in seine Tasse warf. »Milch?« »Ja, bitte.« Andrews schob die Dose über den Schreibtisch. Er beugte sich angespannt vor, während Clemens das starke dunkle Gebräu aufhellte. »Hör mir gut zu, du Stück Scheiße«, wandte sich der Direktor vertraulich an seinen Gast. »Wenn du mich noch einmal verarschst, dann reiße ich dich in Stücke.« Der Med-Tech schob die Milchdose beiseite, nahm seine Tasse in die Hand und begann vorsichtig umzurühren. In der Totenstille des Raumes klang der Löffel, der regelmäßig gegen die Porzellantasse schlug, laut und aufdringlich wie ein Hammer, der auf einen Amboß kracht. »Ich bin nicht sicher, ob ich Sie verstanden habe«, sagte Clemens schließlich. Andrews lehnte sich zurück und sah ihn durchdringend an. »Um sieben Uhr habe ich vom Netzwerk eine Antwort auf
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meinen Bericht erhalten. Ich sollte erwähnen, daß es meines Wissens die erste hochrangige Prioritätsnachricht war, die dieser Planet je erhalten hat. Selbst als auf Fiorina noch Bergbau betrieben wurde und die Raffinerie in Betrieb war, ist ihm eine solche Ehre nicht widerfahren. Und wissen Sie warum?« Clemens trank einen Schluck Tee. »Eine wichtige Prioritätsnachricht muß durch den Subraum, um das Zeitproblem zu überwinden. Das kostet viel Geld.« Andrews nickte. »Mehr als Sie oder ich je sehen werden.« »Und warum fahren Sie mich an?« »Es ist wegen der Frau.« Andrews klang ernsthaft besorgt. »Sie wollen, daß wir uns um sie kümmern. Nein, mehr noch. Sie haben ganz klar formuliert, daß diese Frau von äußerster Wichtigkeit ist. In der Nachricht ist sogar zum Ausdruck gekommen, daß unsere gesamte Anlage in einem Schwarzen Loch verschwinden könnte, solange wir nur dafür sorgen, daß sie lebendig und bei guter Gesundheit ist, wenn das Rettungsteam hier eintrifft.« »Warum?« »Ich hatte gehofft, daß Sie mir das sagen können.« Der Direktor sah ihn eindringlich an. Clemens stellte behutsam seine Tasse auf dem Tisch ab. »Ich denke, daß es langsam an der Zeit ist, ganz offen mit Ihnen zu sprechen, Sir.« Andrews beugte sich erwartungsvoll vor. Der Med-Tech lächelte entschuldigend. »Ich habe nicht die geringste Ahnung.« In der entstehenden Pause verdunkelte sich Andrews Miene. »Es freut mich, daß Sie dies alles so lustig finden, Clemens. Schön, daß Sie sich so amüsieren. Ich wünschte, ich könnte es auch. Wissen Sie, was diese Nachricht bedeutet?« »Daß Ihr Hals in der Schlinge steckt?« fragte Clemens freundlich.
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»Daß jedermanns Hals in der Schlinge steckt. Wenn wir Mist bauen und die Frau verletzt wird oder ihr sonst etwas passiert, dann werden sie uns alle in der Hölle schmoren.« »Dann sollten wir uns über die Bedingungen doch schnell einig werden. Schließlich sind wir ja schon da.« »Machen Sie nur Ihre Witze. Sie werden Ihnen schon noch vergehen, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert und einige Strafen plötzlich verlänge rt werden.« Clemens preßte leicht die Lippen zusammen. »So sehr interessieren die sich für die Sache?« »Ich würde Ihnen den genauen Text zeigen, wenn das nicht gegen die Bestimmungen verstoßen würde. Aber ich gebe Ihnen mein Wort. Ich verstehe diese ganze Aufregung nicht«, sagte Andrews ehrlich. »Sicher hat sie eine Menge durchgemacht, aber auch andere haben solche Weltraumtragödien überlebt. Warum interessiert sich die Gesellschaft gerade für sie so sehr?« »Keine Ahnung.« Andrews stützte seine Ellenbogen auf den Tisch und ve rschränkte die Hände. »Warum haben Sie die Frau aus der Krankenstation gelassen? Bestimmt hat Murphys Unfall damit zu tun. Ich würde meine Pension darauf wetten.« Er schlug mit der Hand auf seinen Schreibtisch. »Das kommt davon, wenn einer von diesen tumben Hundesöhnen mit einem Steifen durch die Gegend läuft. Hätten Sie sie nicht unter Verschluß und außer Sichtweite halten können?« »Es gab keinen Grund. Sie war gesund, konnte gehen und wollte raus. Ich hatte weder einen Grund noch die Befugnis, sie zurückzuhalten.« Clemens' einstudierte Lässigkeit begann, Sprünge zu zeigen. »Ich bin Arzt, kein Wachmann.« Der Direktor verzog das Gesicht. »Kommen Sie mir nicht damit. Wir beide wissen genau, was Sie sind.« Abrupt stand Clemens auf und ging zur Tür. Erneut schlug
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Andrews auf den Tisch, diesmal mit der geballten Faust. »Setzen Sie sich wieder. Ich habe Sie noch nicht entlassen.« Der Med-Tech antwortete, ohne sich umzudrehen. Er hatte Schwierigkeiten, sich unter Kontrolle zu halten. »Ich hatte den Eindruck, daß ich einer Einladung folgte, als ich zu Ihnen kam und nicht einem offiziellen Befehl. Im Augenblick halte ich es für besser, wenn ich gehe. Ich finde Sie momentan etwas schwer erträglich. Wenn ich bleibe, könnte ich etwas sagen oder tun, was ich hinterher bedauere.« »Könnten Sie?« spottete Andrews mit gespielter Sorge. »Wie lustig. Denken Sie daran, Mr. Clemens. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ich Sie bloßstelle? Auch wenn Sie woanders ein öffentliches Ärgernis waren, auf Fiorina sind die Einzelheiten Ihres Lebens bislang Ihre Privatsache gewesen. Dieses persönliche Privileg hat Ihnen die Arbeit mit den Gefangenen sehr erleichtert, hat Ihnen sogar einen etwas merkwürdigen, aber nichtsdestotrotz bestehenden Status unter ihnen verschafft. Das ließe sich leicht ändern. Und dann wäre das Leben hier für Sie wahrscheinlich längst nicht mehr so angenehm.« Er machte eine kleine Pause, um die Wirkung seiner Worte zu überprüfen. »Was denn, keine witzige Retourkutsche? Keine clevere Spitze? Darf ich Ihr Schweigen so deuten, daß Sie es vorziehen würden, wenn Ihre dreckige kleine Vergangenheit nicht zum Bestandteil der allgemeinen Konversation würde? Aber man könnte ja noch weitergehen. Vielleicht sollte ich die Einzelheiten Ihrer trostlosen Geschichte Ihrer Patientin und neuen Bekanntschaft Ripley mitteilen. Natürlich nur zu ihrer persönlichen Erbauung und nur, um ihr zu helfen, sich die ihr hier verbleibende Zeit gut einzuteilen. Nein? Dann setzen Sie sich wieder, verdammt noch mal.« Wortlos wandte sich Clemens um und nahm wieder Platz. Mit einem Mal sah er gealtert aus, wie ein Mann, der gerade etwas
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Wertvolles verloren hat und ohne Hoffnung ist, es jemals wiederzufinden. Andrews blickte seinen Gast nachdenklich an. »Ich bin immer offen zu Ihnen gewesen. Ich glaube, das ist eine gute Politik, besonders wenn man bedenkt, wo wir sind. Sie werden also nicht besonders überrascht oder verärgert sein, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie nicht mag.« »Nein«, murmelte Clemens leise und tonlos. »Ich bin nicht überrascht.« »Ich mag Sie nicht«, wiederholte der Direktor. »Sie sind unzuverlässig, aufsässig, wahrscheinlich gefährlich. Sie besitzen ein gewisses Maß an Bildung und eine unbestrittene Intelligenz. Und das macht Sie gefährlicher als den normalen Häftling. Sie hinterfragen alles und verbringen zuviel Zeit allein. Das ist immer ein schlechtes Zeichen. Ich habe dieses Geschäft schon recht lange überlebt und spreche aus Erfa hrung. Der typische Häftling wird schon mal revoltieren, manchmal sogar töten, aber es sind immer die stillen, schlauen Burschen, die einem wirkliche Probleme bereiten.« Nachdenklich hielt er inne. »Aber man hat Sie nun mal hierher geschickt, und ich muß damit leben. Aber eines sollen Sie wissen: wenn ich nicht unbedingt einen medizinischen Offizier brauchte, würde ich Sie nicht auf einige Lichtjahre an diese Anlage herankommen lassen.« »Ich bin Ihnen sehr dankbar.« »Warum probieren Sie nicht mal etwas Neues aus, Clemens? Etwas wirklich anderes? Versuchen Sie einfach, Ihren Sarkasmus für sich zu behalten, ja?« Er wand sich leicht in seinem Stuhl. »Ich frage Sie jetzt noch einmal. Als jemand, mit dem Sie intellektuell auf einer Stufe stehen. Als jemand, den Sie respektieren, wenn auch nicht mögen. Und als der Mann, der letzten Endes für das Wohlergehen jedes einzelnen in dieser
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Anstalt, Sie eingeschlossen, verantwortlich ist. Gibt es etwas, das ich wissen sollte?« »Worüber?« Andrews zählte im Geiste bis fünf, bevor er ein Lächeln aufsetzte. »Über die Frau. Weichen Sie mir nicht aus. Ich denke, daß ich meine Haltung klar dargelegt habe, sowohl persönlich als auch als Anstaltsleiter.« »Warum sollte ich etwas über Sie wissen, was nicht schon bekannt ist'« »Weil Sie jede Minute mit ihr zusammen verbringen. Ich habe übrigens auch den Verdacht, daß Ihr Interesse weit über das medizinische hinausgeht. Sie sind viel zu bemüht, ihr zu helfen. Das paßt nicht zu Ihrem Persönlichkeitsprofil. Sie sagten vorhin selbst, daß sie wieder okay ist und auch allein gut zurechtkommt. Glauben Sie, ich bin blind? Glauben Sie, man hätte mir diesen Posten gegeben, wenn ich nicht in der Lage wäre, die leiseste Abweichung von der Norm zu registrieren? Die Abweichung der Abgewichenen«, murmelte er mehr zu sich selbst. Clemens seufzte. »Was wollen Sie wissen?« »So ist es besser.« Andrews nickte zufrieden. »Hat sie Ihnen irgend etwas erzählt? Nichts Persönliches, das interessiert mich einen Dreck. Sie können sich in beiderseitigen Erinnerungen wälzen, solange Sie wollen. Mir ist das egal. Ich meine ihre Laufbahn. Woher ist sie gekommen? Was war oder ist ihr Auftrag? Und vor allem: wie zum Teufel kam sie in das RF, zusammen mit einem kaputten Androiden, einem ertrunkenen sechsjährigen Mädchen und einem toten Korporal? Wo zum Teufel ist der Rest der Schiffsbesatzung? Und was das betrifft: wo zum Teufel ist ihr Schiff?« »Sie hat mir erzählt, daß sie Mitglied eines Einsatzkommandos war, das in Schwierigkeiten geriet. Das letzte, woran sie sich erinnert, ist die Hyperschlaftruhen aufgesucht zu haben.
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Zu diesem Zeitpunkt war der Marine noch am Leben, und die Hyperschlaftruhe des Mädchens arbeitete einwandfrei. Ich habe schon immer angenommen, daß das Mädchen ertrunken ist und der Marine beim Aufschlag des RF getötet wurde. Alles weitere ist wahrscheinlich streng geheim. Ich habe daher auch nicht weiter gebohrt. Sie hat immerhin den Rang eines Marineleutnants.« »Das ist alles?« drängte Andrews. Clemens studierte seine leere Teetasse. »Ja.« »Sonst nichts?« »Nein.« »Sind Sie sicher?« »Der Arzt blickte auf und sah dem Älteren direkt in die Augen. »Ganz sicher.« Andrews schaute auf seine Hände und biß die Zähne zusammen. Es war offensichtlich, daß es da etwas gab, das ihm der Med-Tech nicht erzählen wollte, aber außer Gewalt anzuwenden, konnte er nichts unternehmen. Und Gewalt würde bei jemandem wie Clemens nicht wirken, jemand, dessen Starrköpfigkeit ihn davon abhalten würde, zuzugeben, daß er gar keinen Stolz mehr zu verteidigen hatte. »Raus hier«, zischte Andrews. Ohne ein Wort erhob sich Clemens und ging ein zweites Mal auf die Tür zu. »Eines noch.« Der Med-Tech blieb stehen. Als er sich umdrehte, fixierte ihn der Direktor genau. »Die tägliche Routine hier gibt mir viel. In geregelter Monotonie steckt vieles, das einem Sicherheit gibt. Ich werde nicht zulassen, daß das zerbricht. Systematische Wiederholung bekannter Aufgaben ist das beste und sicherste Narkotikum. Ich werde nicht zulassen, daß die Raubtiere unruhig werden. Weder durch eine Frau, noch durch Unfälle. Und auch nicht durch Sie.«
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»Natürlich nicht«, antwortete Clemens einlenkend. »Kommen Sie ja nicht auf dumme Gedanken. Eigenmächtige Aktionen sind auf Fiorina ein wertloses Konzept. Denken Sie nicht zuviel nach. Ihre Reputation in unserer kleinen Gemeinschaft könnte sehr darunter leiden, besonders was mich betrifft. Letzten Endes schaden Sie sich nur selbst. Sie sollten sich lieber auf langfristige Ziele konzentrieren. Ihre Loyalität hat dieser Einrichtung und Ihrem Arbeitgeber zu gelten. Nicht irgendwelchen Fremden oder fehlgeleiteten Ideen, die Sie auf der Grundlage Ihrer eigenen Langeweile entwickelt haben. Sie wird bald wieder fort sein, aber wir sind dann alle noch hier. Sie und ich, Dillon, Aaron und der Rest. Alles wird so sein wie vor dem Absturz des RF. Bringen Sie Ihre beneidenswerte Position nicht durch eine zeitweilige Ablenk ung in Gefahr. Haben Sie das verstanden?« »Ja. Ihr Standpunkt ist mir klar. Selbst für jemanden wie mich.« Andrews hatte noch andere Sorgen. »Ich will keinen Ärger mit unseren Arbeitgebern. Ich will überhaupt keinen Ärger. Ich werde dafür bezahlt, damit es keinen gibt. Es gibt gewisse Kreise auf der Erde, die unsere Anwesenheit hier mit ... einem gewissen Stirnrunzeln betrachten. Seit dem Tag, an dem diese Gruppe die Hausmeisterfunktion von ihren Vorgängern übernommen hat, gab es hier nur natürliche Todesfälle. Bis zu dem Unfall. Mir ist klar, daß man ihn nicht verhindern hätte können, aber es macht sich trotzdem schlecht in den Berichten. Damit stehe ich schlecht da, Mr. Clemens, und das mag ich nicht.« Er sah den Arzt mißtrauisch an. »Verstehen Sie, was ich meine?« »Vollkommen, Sir.« Andrews fuhr fort. »Der Rettungstrupp kommt mit dem nächsten Vorratsschiff. Er wird bald hier sein. Bis dahin halten Sie ein Auge auf den Leutnant, und wenn Sie etwas, äh,
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potentiell Gefährdendes beobachten, dann kann ich mich sicher darauf verlassen, daß Sie mich umgehend informieren. Stimmt's?« Clemens nickte kurz. »Stimmt.« Obwohl er immer noch nicht ganz beruhigt war, wußte Andrews nicht mehr, was er noch sagen konnte. »Also gut. Wir haben uns verstanden. Gute Nacht, Mr. Cle mens.« »Gute Nacht, Direktor.« Leise schloß er die Tür hinter sich. * Der Wind auf Fiorina kam auf und flaute ab. Es kam vor, daß er sich von einem lauen Lüftchen in einen kreischenden Tornado verwandelte, aber er legte sich nie. Er blies ständig von der Bucht her und trug den stechenden Geruch des Salzwassers bis in die hintersten Ecken der Anlage. Manchmal brachten der Sturm und die Strömung noch fremdartigere Gerüche aus den Tiefen der See mit und ließen sie durch die Luftschächte strömen. Wenn sie durch die Filter gelangten, erinnerten sich die Männer daran, daß die Welt, die sie bewohnten, nicht für Erdenbürger geschaffen war und sie töten würde, wenn sie nur könnte. Selten nur wagten sie sich nach draußen. Sie zogen die ve rtraute Umgebung der riesigen Anlage der bedrückenden Weite der öden Landschaft vor. Alles, was man betrachten konnte, waren die dunklen Wellen, die sich an dem schwarzen Sandstrand brachen, nichts, was sie an die Welt erinnerte, in der sie einst gelebt hatten. Aber das war ihr Glück. Denn diese Erinnerungen waren schwerer zu ertragen als der schlimmste Dienst. Das Wasser war kalt und beherbergte winzige, ekelhafte Kreaturen, die bissen. Manchmal gingen einige Männer
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fischen, aber nur um ihren Speiseplan aufzufrischen, nicht ihren Geist. Innerhalb der Anlage war es warm und trocken. Dort hörte man den Wind nur als ferne, unharmonische Musik, die man ignorieren konnte. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, nach draußen zu gehen, dann wurden diese Exkursionen auf ein Minimum beschränkt und so schnell wie möglich erledigt. Im Gegensatz dazu suchte die Gestalt auf dem Müllberg die Abfälle langsam und sorgfältig durch. Ripley wanderte über die Oberfläche der riesigen Grube und suchte jeden Zentimeter genau ab. Die einstige Ausgrabungsstätte war mit nutzlosen, beschädigten Ausrüstungsgegenständen gefüllt. Sie kämpfte sich voran, vorbei an monumentalen Bauteilen, durchlöcherten Wassertanks, abgenutzten Bohrteilen von der Größe kleiner Lastwagen, bunten Geflechten alter Leitungen und verrosteter Röhren. Der Wind blies ihr um die Ohren, und sie zog den Kragen des Overalls hoch, den Clemens für sie organisiert hatte. Die mechanische Ruinenlandschaft schien endlos. Langsam durchdrang die Kälte ihre Muskeln, ihre Kräfte und ihre Konzentration ließen nach. Aber nicht so sehr, daß ihr die kostbaren, silbrigen Fasern entgangen wären, die auf einem Haufen kürzlich hier abgeladenen Mülls wehten. Sie kniete sich nieder und begann, in den Überbleibseln herumzuwühlen, und nachdem sie zerstörte Maschinenteile und Müllsäcke beiseitegeräumt hatte ... Bishop. Oder besser gesagt, das, was von ihm übriggeblieben war. Die Einzelteile des Androiden lagen überall verstreut, und sie grub und suchte noch eine ganze weitere Stunde, bis sie sicher war, alles gefunden zu haben, was noch irgendwie von Nutzen sein konnte. Ripley unternahm einen ersten Versuch, die Teile in der richtigen Position zusammenzulegen. Das Ergebnis war nicht
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nur entmutigend, es war regelrecht erbärmlich. Der größte Teil des Gesichts und des Unterkiefe rs fehlten ganz. Entweder waren sie im RF bis zur Unkenntlichkeit zermalmt worden oder zusammen mit den anderen Massen unbrauchbaren Metalls verlorengegangen. Teile des Halses, der Schulter und des Rückens hatten irgendwie intakt überlebt. Zusätzlich hatte sie noch einige Teile der sensitiven Wahrnehmung gefunden, die aus ihrer Schutzhülle gerissen worden waren und in der Nähe herumlagen. Mit grimmigem Gesicht begann sie, die Teile vorsichtig in den Sack zu stecken, den sie mitgebracht hatte. Plötzlich legte sich ein Arm um ihren Hals, und Hände packten ihre Schultern. Noch eine Hand, die fieberhaft zwischen ihren Beinen hin und her fuhr, fast wie ein Streicheln, aber grober. Vor ihr tauchte ein Mann auf. Er grinste sie an, aber es war ein sehr humorloses Grinsen. Mit einem Schrei riß sie sich von dem Arm los, der sie festhielt. Der überraschte Gefangene konnte nur noch nach Luft schnappen, als Ripleys Faust in seinem Gesicht und ihr Fuß zwischen seinen Beinen landete. Aber noch während er zusammensackte, hatte Junior seine kräftigen Arme um sie gelegt, sie unter dem ermutigenden Gelächter seiner Begleiter hochgehoben und dann flach auf den Beden gedrückt, quer über eine vor sich hinrostende Röhre. Die anderen Männer drängten sich heran, und ihre Körperausdüns tungen überdeckten fast den Geruch des Salzwassers. Ihre Augen glitzerten. »Schluß damit!« Gregor drehte sich herum, und als er die sich nahende Silhouette ausmachen konnte, verengte sich sein Blick. Es war Dillon. Der Häftling zwang sich zu einem Grinsen. »Spring in den Sattel, Mann. Willst du als erster?« Dillons Stimme war tief und bedrohlich. »Ich sagte, Schluß damit.«
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Junior, der mit seinem ganzen Gewicht auf der nach Atem ringenden Ripley lag, knurrte über die Schulter: »He, was geht es dich an, Mann?« »Es ist nicht richtig.« »Verpiß dich.« Dillon bewegte sich mit erstaunlicher Schnelligkeit. Die beiden anderen Männer hinten gingen hart zu Boden. Junior wirbelte herum und wollte seine riesige Faust wie einen Hammer auf Dillon niederbringen, aber sein Widersacher wich aus, versetzte ihm einen Schlag in den Magen und griff nach einem Stück Eisen. Stolpernd versuchte Junior ihn umzurempeln, aber das Eisen sauste auf seinen Schädel nieder. Nach einem zweiten, härteren Schlag fiel er wie ein Stein. Die anderen kauerten noch auf dem Müll, und Dillon versetzte ihnen noch einen Tritt, nur um ihnen etwas zum Nachdenken zu geben. Dann wandte er sich ernst an Ripley. »Sind Sie okay?« Sie richtete sich schwer atmend auf. »Ja. Außer meinem Stolz ist nichts verletzt worden.« »Verschwindet.« Er deutete auf seine Mithäftlinge. »Ich muß einige der Brüder noch einmal erziehen. Wir werden einige Glaubensfragen diskutieren.« Sie nickte, schulterte den Sack voll Bishop und machte sich auf den Weg zum Eingang. Als sie an den Männern auf dem Boden vorbeiging, blickte Gregor zu ihr hinauf. Sie verpaßte ihm einen strammen Schlag auf den Mund und ging dann weiter. Sie fühlte sich schon viel besser.
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7.
Es gibt die Nacht, die Dunkelheit bringt. Dann gibt es die hartnäckige Leere der Träume, deren Licht nur von kurzer Dauer ist. Hinter all dem liegt die große Leere, beleuchtet von Abermillionen nuklearer Feuer. Die wahre Dunkelheit, die wirkliche Abwesenheit des Lichtes, der Ort, an dem ein streunendes Photon so unwirksam ist wie eine atomare Anomalie, liegt tief im Kern der Erde. »In Höhlen, die kein Mensch ermißt«, wie der alte Vers es rhyt hmisch ausdrückt. Aber auch in jenen Spalten und Furchen, die der Mensch schafft, um an die Reichtümer des Planeten zu gelangen. Ein kleiner, aber in sich eindrucksvoller Teil Fiorinas war von einem solchen Geflecht von Ausschachtungen durchzogen. Wie die Teile eines riesigen unsichtbaren Puzzles kreuzten sie sich und gingen ineinander über. Ihre Gesamtstruktur war nur den Karten zu entnehmen, die von den Bergleuten zurückgelassen worden waren. Boggs hielt seine wachsimprägnierte Fackel hoch und bewegte sie hin und her, während Rains eine Kerze anzündete. Diese Männer fürchteten sich nicht vor der Dunkelheit. Für sie war sie lediglich die Abwesenheit von Licht. In den Tunneln war es auch warm, fast schon bedrückend warm. Rains stellte die langbrennende Kerze auf den Boden, neben die Schachtwand. Hinter ihnen zog sich eine Reihe gleicher Lichter bis in die Dunkelheit zurück und zeigte ihnen an, welchen Weg sie gegangen waren. Zugleich wiesen sie den Pfad, der sie wieder zum bewohnten Teil des Komplexes zurückführte. Golic setzte sich und lehnte sich an eine Tür, die in den massiven Felsen gebaut war. Die Aufschrift auf dem Metall
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war durch die Zeit und die Arbeit zerkratzt und abgeblättert. GIFTMÜLLDEPONIE HERMETISCH VERSIEGELTES GEBIET EINTRITT FÜR NICHTBEFUGTE UNTERSAGT Das kam den Expediteuren gerade recht. Sie waren froh, als Nichtbefugte zu gelten. Rains hatte die Karte vor seinen Füßen auseinandergefaltet. Er beugte sich tief über sie und studierte die Gänge und Schächte beim Licht seiner Fackel. Die Karte zeigte kein simples Muster horizontaler und vertikaler Linien. Es gab alte Schächte und relativ neue, manche waren geschlossen, andere wieder geöffnet worden, es gab Winkel und verengte Zugänge, die man nur für bestimmte Spezialmaschinen gebohrt hatte. Ganz zu schweigen von den Tausenden sich schneidenden Luftschächten. Die verschiedenen Formen waren durch verschiedene Farben gekennzeichnet. Andere, frühere Expeditionen hatten den Gefangenen eine Vorstellung davon gegeben, was sie erwartete, aber es bestand immer die Möglichkeit, daß jedes neue Suchteam auf etwas Unerwartetes stieß. Ein falsches Byte in der Speichereinheit konnte dafür sorgen, daß ein abgrundtiefer Schacht zehn Meter näher lag, als man glaubte, oder man ihn in einem ganz anderen Tunnel vermutete. Die Karte war bestenfalls ein vager Führer. Also bewegten sie sich vorsichtig vorwärts und verließen sich lieber auf ihre eigene n Sinne als auf veraltete Ausdrucke. Boggs setzte sich ebenfalls. »Wieviel?« Obwohl er leise sprach, hallte seine Stimme dennoch die glatten Wände des Tunnels hinunter. Rains verglich die Karte mit seinem tragbaren Datengerät.
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»Mit dieser einhundertundsechsundachtzig.« Sein Begleiter stöhnte. »Ich denke, wir lassen es gut sein und machen uns auf den Rückweg.« »Geht nicht.« Rains deutete auf die scheinbar endlose Tunnelstrecke, die noch vor ihnen lag. »Wir müssen zumindest diesen Abschnitt noch überprüfen, sonst haut uns Dillon zu Brei.« »Wenn er nichts weiß, kann er sich auch über nichts ärgern. Ich werde ihm nichts erzählen. Wie sieht's mit dir aus, Golic?« Der dritte Mann des Trios wühlte in seinem Rucksack herum. Als er seinen Namen hörte, blickte er auf, runzelte die Stirn und gab ein tiefes, offenbar fragendes Geräusch von sich. »Genau das habe ich mir gedacht«, murmelte Boggs sarkastisch. Golic ging auf einen altertümlichen Zigarettenautomat zu. Er brach das Schloß auf, öffnete die Glastür und schob die noch brauchbaren Narko-Zigaretten paketweise in seine Taschen. Wie immer kaute er beim Arbeiten. Auf der Oberfläche hätte man seine Geräusche weitaus weniger wahrgenommen, aber in der abgeschlossenen Umgebung und der vollkommenen Stille im Tunnel klangen die mahlenden Kaubewegungen des dritten Mannes wie eine große, schlecht geölte Maschine. Boggs beschwerte sich. »Kannst du nicht wenigstens den Mund zumachen, wenn du kaust? Oder noch besser, schluck den Mist, den du da in dich hineinstopfst, doch gleich ganz runter. Ich versuche hier, herauszukriegen, wie groß dieser Abschnitt ist, damit wir wissen, ob es sich um eine offizielle Giftmülldeponie handelt oder die private Vorratskammer eines Minenarbeiters. Aber bei dem gottverdammten Lärm, den du machst, kann ich nicht nachdenken.. Rains raschelte entrüstet mit der Karte. »Daß wir so weit entfernt von den anderen sind, sollte nicht
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bedeuten, daß wir die Regeln verletzen. Du sollst nicht fluchen.« Boggs verzog den Mund. »Tut mir leid.« Er durchbohrte Golic mit Blicken, aber der schien ihn gar nicht zu bemerken. Schließlich gab er es auf, erhob sich und schielte den Tunnel hinunter. »Wir haben das gesamte Gebiet einmal umkreist. Mehr kann man nicht verlangen. Wie viele Kerzen haben wir noch mal aufgestellt'« Keine Antwort. »Rains, wie viele Kerzen?« Sein Begleiter hörte ihm nicht zu. Er war damit beschäftigt, sich wie wild zu kratzen, eine intensive, nervöse Reaktion, die nicht das geringste mit den Wanzen zu tun hatte, die es in den Tunneln auch gar nicht gab. Rains Verhalten war so untypisch und uncharakteristisch, daß selbst Golic aufhörte zu kauen. Boggs bemerkte, daß er wie gebannt in die Richtung starrte, aus der sie gekommen waren. Eine nach der anderen verlöschten die Kerzen, die ihren Weg zurück zur Oberfläche markierten. »Scheiße, warum gehen die aus?« Golic kräuselte die Lippen und wischte sich mit dem Handrücken Essensreste vom Mund. »Du sollst doch nicht fluchen.« »Halt den Mund.« Es war nicht Furcht, die in Boggs Stimme mitklang ... in den Tunneln gab es nichts zu fürchten ... aber doch so etwas wie Besorgnis. »Scheiße darf man sagen. Das ist nicht gegen Gott.« »Woher weißt du das?« fragte Golic mit einer fast kindlichen Neugier. »Weil ich ihn gefragt habe, als ich mich das letzte Mal mit ihm unterhalten habe. Und er hat gesagt, es ist okay. Jetzt halt
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den Mund.« »Dillon dreht durch, wenn wir gar nichts mitbringen«, meinte Golic. Die undurchsichtige Situation machte ihn offenbar gesprächig. Boggs erkannte, daß er es vorzog, wenn sein Mithäftling aß und still war. »Soll er durchdrehen.« Er wartete, während Rains eine weitere Kerze anzündete. Zögernd packte Golic den Rest seines Essens ein und erhob sich. Alle drei starrten den Tunnel hinunter, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Was immer die Kerzen ausgeblasen hatte, es blieb unsichtbar. »Muß ein Luftzug aus einem der Ventilationsschächte gewesen sein. Ein Rückstrom aus der nächstgelegenen Zirkulationseinheit. Oder vielleicht ein Sturm auf der Oberfläche. Ihr wißt, was diese plötzlichen Luftwirbel anrichten können. Verdammt! Woher sollen wir wissen, wo wir sind, wenn alle Kerzen ausgehen?« »Wir haben ja noch die Karte.« Rains umklammerte den stabilen Ausdruck. »Darauf willst du dich verlassen, um wieder zurückzukommen?« »He, das habe ich nicht gesagt. Aber es ist nicht so, daß wir uns verirrt hätten. Wir haben nur ein kleines Problem.« »Aber mir gefällt dieses kleine Problem nicht, und ich habe auch keine Lust, länger als absolut nötig hier unten festzusitzen.« »Ich auch nicht.« Rains seufzte ergeben. »Ihr wißt, was das bedeutet. Jemand muß zurückgehen und die Kerzen wieder anzünden.« »Es sei denn, du entscheidest, daß wir nicht mehr weitergehen«, meinte Boggs hoffnungsvoll. Rains brachte ein Grinsen zustande. »Haha. Wir beenden noch diesen Tunnel. Dann können wir umkehren.«
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»Wie du willst.« Boggs verschränkte die Arme, und es gelang ihm, einen Mann darzustellen, der es überhaupt nicht eilig hatte. »Es ist deine Pflicht; du mußt es machen.« »Stimmt schon. Okay, sieht so aus, als sei ich nominiert.« Boggs deutete auf Golic. »Gib ihm deine Fackel.« Der andere Mann zögerte. »Dann haben wir ja nur noch eine.« »Was soll daran so schlimm sein?« Boggs schwenkte seine Fackel, um seine Meinung zu verdeutlichen. »Wir haben ja auch noch den Rest der Kerzen. Außerdem ist Rains ja bald wieder zurück, nicht wahr, Kumpel?« »So schnell ich kann. Wird schon nicht allzu lange dauern.« »Also gut.« Mißmutig reichte Golic dem größeren Mann seine Fackel. Er und Boggs sahen zu, wie ihr Begleiter die Reihe der Kerzen abging und immer wieder stehenblieb, um jede erneut anzuzünden. Sie standen alle noch an der gleichen Stelle. Nichts deutete darauf hin, was sie hatte verlöschen lassen. Nur ein plötzlicher Luftzug, sagte sich Rains. Was sonst. Boggs Stimme hallte durch den Tunnel, schon recht weit entfernt und dünn. »He, Rains, paß auf, wo du hintrittst!« Sie hatten die beiden tiefen Schächte, an denen sie vorbeigekommen waren, zwar markiert, aber wenn man sich in der Dunkelheit zu schnell bewegte, konnte immer ein Unglück geschehen. Rains freute sich über die Anteilnahme. Wenn man mit einigen wenigen Leuten für einen verhältnismäßig langen Zeitraum eng zusammenlebt, lernt man, sich aufeinander zu verlassen. Nicht, daß Boggs einen Grund zur Sorge gehabt hätte. Ra ins bewegte sich mit bewundernswerter Vorsicht vorwärts. Vor ihm ging eine weitere Kerze aus. Er runzelte die Stirn. Kein Hauch war zu spüren, nicht die Spur eines Luftzuges.
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Was sonst konnte die Kerze zum Verlöschen bringen? Nur wenige Lebewesen hielten sich für längere Zeit in den Schächten auf. Es gab ein primitives, größeres Insekt, das vielleicht eine Kerze umstoßen konnte, aber eine ganze Reihe ausblasen? Er schüttelte nachdenklich den Kopf, auch wenn niemand die Geste mitbekam. Das Insekt konnte es nicht gewesen sein. Was dann? Die Kerzen, die er angezündet hatte, brannten beruhigend hinter ihm. Er zog die Schultern hoch. Hier waren keine geheimnisvollen Kräfte am Werk. Er hob die Fackel und hielt sie hoch. Nichts zu sehen. Der Häftling kniete nieder, zündete eine weitere Kerze an und wollte gerade auf die nächste zugehen, als das Licht seiner Fackel einen Teil der glattgeschliffenen Felswand vor ihm erhellte. Und etwas Großes, Knochiges. Etwas, das sich bewegte. Schnell, allzu schnell. Boggs nahm reflektierende Splitter wahr, so wie verchromtes Glas in hartem schwarzen Metall. Das Wesen gab ein erstaunlich weiches, gurgelndes Geräusch von sich, als es ihn lautlos ansprang. Er wuß te nicht, was es war, hatte so etwas nie zuvor gesehen, außer vielleicht in einigen besonders bösen Träumen aus seiner Kindheit, an die er sich kaum noch erinnerte. Schon war es über ihm, und in diesem Augenblick hätte er sich gerne in seinen schlimmsten Alptraum zurückgeflüchtet. Hundert Meter den Tunnel hinauf hörten Golic und Boggs das Echo des einzigen Schrei's ihres Begleiters. Boggs brach der kalte Schweiß aus. Sein Nacken und seine Hände waren naß. Zu ihrem Schrecken brach der Schrei nicht abrupt ab, sondern verhallte langsam und stufenweise in der Dunkelheit. Schließlich klang er wie ein hohes Pfeifen. In Panik ergriff Boggs die übriggebliebene Fackel und rannte
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den Tunnel hinauf, fort von dem Schrei. Golic folgte ihm. Boggs wunderte sich, daß er noch so schnell laufen konnte. Für ein paar Augenblicke schien Golic ihm nicht folgen zu können. Doch dann zeigte sich, daß er nicht genug Luft hatte, und er wurde langsamer. Die Fackel warf wirre Schatten auf die Wände, die Decke, den Boden. Als Golic ihn eingeholt hatte, war er gleichermaßen erschöpft wie verwirrt. Es war reines Glück, daß sie nicht in eine offene Probegrube oder einen vertikalen Verbindungsschacht gefallen waren. Golic stolperte leicht, hielt dann den anderen Mann am Arm fest und wirbelte ihn herum. »Hast du das gehört?« keuchte er mit stumpfem Entsetzen. »Das war Rains. O Gott, es war Rains.« »Ja.« Boggs rang nach Atem. »Ich hab's gehört. Ihm ist irgendwas passiert.« Er hob die Fackel hoch und leuchtete den verlassenen Tunnel hinab. »Wir müssen ihm helfen.« »Ihm helfen?« Golics Augen weiteten sich. »Du kannst ihm helfen. Ich will nur hier raus.« »Ganz ruhig. Das will ich auch, bestimmt. Aber zuerst mü ssen wir rauskriegen, wo wir überhaupt sind.« »Steht da nicht eine Kerze?« Boggs drehte sich um und machte einige vorsichtige Schritte. Tatsächlich. Die Reihe der flackernden Kerzen war deutlich sichtbar, bis sie sich in der Ferne verlor. »Mist. Wir müssen einen Zugangsweg gekreuzt haben. Wir sind im Kreis gelaufen. Wir sind wieder ...« Er blieb stehen und richtete seine Fackel auf die gegenüberliegende Wand. Dort lehnte eine Gestalt, so steif als käme sie geradewegs aus dem Kühlhaus. Rains. Er sah sie nicht an, er starrte ins Nichts. Seine Augen waren
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weit geöffnet und so unbeweglich wie gefrorenes Gelee. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war nicht für menschliche Wesen bestimmt. Sein Körper war ... er war ... Boggs spürte einen säuerlichen Geschmack in der Kehle und beugte sich nach vorne. Er erbrach sich in einem kräftigen Schwall. Die Fackel fiel aus seinen zitternden Händen, und Golic bückte sich, um sie aufzuheben. Als er sich aufrichtete, fiel sein Blick an die Decke. Dort oben war etwas. Etwas war an der Decke. Es war groß und schwarz und schnell, und sein Gesicht war wie eine Vision der Hölle. Während er es noch mit offenem Mund anstarrte, griff es nach unten, wie eine riesige Fledermaus an seinen klauenbehafteten Hinterbeinen hängend, und umschloß Boggs Kopf mit einem Paar Hände, das Finger wie gelenkige Kabel besaß. Der Häftling zog scharf den Atem ein und verschluckte sich an seinem Erbrochenen. Mit einer abrupten, ruckartigen Drehung riß der arachnoide Horror Boggs den Kopf von den Schultern, so genau, als hätte Golic einen losen Bolzen von einer Schraube entfernt. Aber nicht ganz so sauber. Ein Springbrunnen aus Blut ergoß sich aus dem blutigen Torso und spritzte über das Wesen, Rains Körper und den fassungslosen Golic. Der blutige Schauer löste seine Lähmung, aber gleichzeitig ging etwas in seinem Kopf entzwei. Mit abscheulicher Gleichgültigkeit warf das Ungeheuer Boggs enthaupteten Kopf beiseite und wandte sich der verbliebenen zweibeinigen Lebensform zu. Seine Zähne glänzten wie die Platinbarren, die man den Gedärmen Fiorinas entrissen hatte. Golic wirbelte herum und raste den Tunnel hinab. Dabei heulte er auf, als seien alle Heerscharen der Verdammten hinter ihm her. Er achtete nicht darauf, wohin er lief, und er dachte nicht daran, was er gesehen hatte. Vor allem aber
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blickte er sich nicht um. Das wagte er nicht. Er wußte: wenn er es tat, könnte er etwas sehen. * Bishops Überreste lagen sorgfältig ausgebreitet auf dem Arbeitstisch. Helle Spots beleuchteten jedes Einzelteil, Werkzeuge lagen in speziellen Behältern bereit. Die Fülle der haardünnen fiberoptischen Drähte war geordnet. Ripley hatte einfach versucht, das Beste daraus zu machen. Ihre Kenntnis se reichten nicht aus, um Reparaturarbeiten auf Mikroskoplevel auszuführen. Sie hatte viel Zeit damit verbracht, die Drähte zusammenzuflicken, so gut wie sie konnte, sie zu versiegeln und zu umwickeln. Sie hatte die offensichtlichen Verbindungen hergestellt und konnte nur hoffen, daß ihr begrenztes Improvisationstalent ausreichte. Nun wischte sie sich über die Stirn und betrachtete ihre Handarbeit. Es sah recht vielversprechend aus, aber das wollte gar nichts heißen. Theoretisch konnte es funktionieren, aber theoretisch hätte sie auch nicht in den Schwierigkeiten sein sollen, in denen sie nun war. Man mußte es einfach versuchen. Sie testete die wichtigsten Verbindungen und berührte einen Schalter. Ein kurzes Knistern ließ sie in ihrem Stuhl hochfahren. Sie justierte eine Verbindung und betätigte den Schalter erneut. Dieses Mal gab es keinen unerwarteten Blitz. Vorsichtig schob sie ein Bündel fiberoptischer Leitungen in das, was hoffentlich ein noch funktionierender, selbstordnender Kontaktstecker war. Eine rote Digitalanzeige an der Testeinheit ging sofort von Null auf sieben bis acht. Als sie einen weiteren Knopf drückte, flackerten die Werte auf, blieben aber beständig.
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Das verbliebene intakte Auge des Androiden blinzelte. Ripley beugte sich vor und fragte sich, warum sie eigentlich flüsterte. »Kommando für verbale Interaktion. Testsequenz ablaufen lassen.« Irgendwo in dem angeschlagenen künstlichen Schädel wimmerte etwas. Weitere Anzeigen auf der Testeinheit blinkten ermutigend. Aus dem künstlichen Kehlkopf drang ein verworrenes Blubbern und die Kollagen-Lippen bebten. Vorsichtig griff sie in die offene Kehle und justierte etwas. Das Blubbern klarte sich auf, und das Auge richtete sich auf ihr Gesicht. »Ripley.« Sie holte tief Luft. Visuelle und sprachliche Koordination waren vorhanden, das Gedächtnis offenbar auch. Die externen Ohren sahen noch ganz brauchbar aus, aber das bedeutete nichts. Alles was zählte, war der Zustand der internen Leitungen. »Hallo Bishop.« Sie wunderte sich über den warmen Klang ihrer Stimme. Schließlich sprach sie nicht mit einem menschlichen Wesen. »Bitte geben Sie mir einen vorläufigen Zustandsbericht.« Es gab eine kleine Pause. Dann rollte zu Ripleys Erstaunen das eine Auge vielsagend in seiner Höhle. »Lausig. Motorische Funktionen bei Null. Extrakraniale Sensoren antworten nicht. Aussichten für die Ausführung programmierter Funktionen Null. Minimale sensorische Möglichkeiten kaum operativ einsetzbar. Keine besonders optimistische Selbstdiagnose, fürchte ich.« »Tut mir leid, das zu hören«, sagte Ripley. Sie meinte es ehrlich. »Ich wünschte, es wäre anders.« »Nicht so sehr wie ich.« »Können Sie irgend etwas fühlen?« »Ja. Mein Bein schmerzt.«
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Sie zog die Lippen zusammen. »Ich muß Ihnen leider ...« »Schon okay. Schmerzsimulation. Das sind auch nur Daten. Und nach meinem jetzigen Zustand zu schließen, sind sie wahrscheinlich nicht korrekt. Bestätigung?« »Leider ja.« Ripley brachte ein müdes Lächeln zustande. »Ich fürchte, daß Ihre Beine wie auch das meiste andere den Weg allen Fleisches gegangen sind.« »Zu schade. Die ganze Qualitätsarbeit, alles weg. Nicht, daß es im großen und ganzen viel bedeutet. Schließlich bin ich letzten Endes nur ein frisierter Toaster. Wie geht es Ihnen? Ihre neue Frisur gefällt mir. So sah ich auch aus, bevor man mir meine Accessoires verpaßt hat. Sogar genauso glänzend.« »Offenbar ist Ihr Sinn für Humor noch vollkommen intakt.« Das Auge blinzelte. »Wie ich schon sagte, die entscheidenden mentalen Funktionen sind einsetzbar. Humor nimmt nur einen kleinen Teil meiner RAM- interpretativen Speicherkapazität ein.« »Dem würde ich nicht zustimmen.« Ihr Lächeln verschwand. »Ich brauche Ihre Hilfe.« Aus den künstlichen Lippen drang ein gurgelndes Geräusch. »Erwarten Sie nichts besonderes.« »Ich glaube nicht, daß extensive Analyse notwendig ist. Eher ein offenes Sondieren. Wo ich jetzt bin, gibt es nicht viel, mit dem man intrusiv arbeiten könnte. Was ich wissen muß, ist folgendes: Können Sie sich Zugang zur Datenbank eines RFFlugschreibers verschaffen?« »Kein Problem. Warum?« »Das kann Ihnen der Flugschreiber schneller erklären als ich. Und sagen Sie mir, warum wir hier sind.« Das Auge drehte sich. »Ich kann es so gerade eben sehen. Sie müssen einen direkten Anschluß an das Gehirn vornehmen, da meine Hilfsanschlüsse nicht me hr vorhanden sind.« »Ich weiß. Ich habe alles vorbereitet ... hoffe ich.«
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»Also los, schließen Sie es an.« Sie nahm die Kabelstränge, die aus der schwarzen Box liefen und beugte sich über den enthaupteten Schädel. »Ich habe so etwas noch nie gemacht. Es wird Ihnen doch nicht weh tun?« »Im Gegenteil, ich hoffe, daß ich mich dann besser fühle.« Sie nickte und führte die Stränge vorsichtig in einen der vielen Rezeptoren auf der Hinterseite des Kopfes ein und bewegte sie leicht hin und her, um zu prüfen, ob sie auch fest saßen. »Das kitzelt.« Ihre Hände zuckten zurück. »Das war ein Scherz.« Der Android lächelte ihr aufmunternd zu. »Einen Moment.« Sein Auge schloß sich, und was von der Stirn noch übrig war, legte sich in nachdenkliche Falten. Das war, dachte sie bewundernd, natürlich nur ein überflüssiges Stück kosmetischer Programmierung, aber es war ermutigend zu sehen, daß außer den elementaren Funktionen noch mehr zu arbeiten schien. »Ich bin da, murmelte der Android einige Augenblicke später. »Hat länger gebraucht, als ich dachte. Ich mußte einen Probelauf durch verschiedene beschädigte Sektoren machen.« »Ich habe den Flugschreiber untersucht, nachdem ich ihn entdeckt hatte. Er schien okay zu sein.« »Ist er auch. Die beschädigten Sektoren sind in mir. Was wollen Sie wissen?« »Alles.« McNaiy Flugschreiber, Modell OV122, Seriennummer FR3664874, installiert am .... »Sind Ihre Spracherfassungsschaltkreise hinüber? Sie wissen, was ich meine. Alles von dem Zeitpunkt ab, an dem der Notfall eintrat. Was ist auf der Sulaco geschehen? Warum wurden die Hyperschlaftruhen abgestoßen?«
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Eine neue Stimme drang aus der Kehle des Androiden. Sie klang weiblich und mechanisch. »Explosive Gase im Hyperschlafraum. Feuer im Hyperschlafraum. Die Besatzung soll die Evakuierungspunkte aufsuchen.« Bishops Stimme kam zurück. »Es gibt dann eine Anzahl von Wiederholungen, ohne daß sich am Inhalt der Mitteilungen viel ändert. Wollen Sie die alle hören?« Ripley rieb sich das Kinn und dachte angestrengt nach. »Nein, das reicht für den Moment. Explosive Gase? Woher kamen sie? Und wie entstand das Feuer?« Als sie keine Antwort erhielt, fragte sie beunruhigt: »Bishop? Können Sie mich hören?« Ein Gurgeln, dann ertönte wieder die seidige Kunststimme des Androiden. »Tut mir leid. Es ist schwerer für mich, als ich dachte. Das Aufladen und die Funktionen schwächen meine schon beschädigten Sektoren. Ich verliere ständig Gedächtnis und Antwortfähigkeiten. Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalte. Halten Sie Ihre Fragen besser knapp.« »Lassen Sie mich nicht im Stich, Bishop«, antwortete sie besorgt. »Ich habe Sie nach dem Feueralarm gefragt.« »Feuer ...« Ein leichtes Knistern. »Ja. Es war ein elektrisches Feuer im Fußboden des Hyperschlafraumes. Die Anwesenheit eines Katalysators in Verbindung mit beschädigten Stoffen hat das explosive Gasgemisch hervorgebracht. Die Entlüftung versagte völlig. Das Resultat war eine sofort lebensbedrohliche Situation. Daher die Entscheidung des Computers zu evakuieren. Das RF stellte fest, daß nach der Evakuierung eine Explosion an Bord stattgefunden hat, bei der Teile der RFSteuerung beschädigt wurden. Deshalb verlief unsere Landung hier nicht ganz perfekt. Gegenwärtiger Status der Sulaco unbekannt. Weitere Details des Fluges von der Sulaco zur jetzigen Position sind verfügbar.« »Nicht nötig. Haben die Sensoren auf der Sulaco vor der
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Notabsprengung irgendeine frei bewegliche Lebensform registriert?« Einen Moment war es still. »Es ist sehr dunkel hier, Ripley«, flüstere der Android. »Hier drinnen. Ich bin das nicht ge wohnt. Während wir sprechen, schalten sich Teile von mir ab. Es wird schwerer für mich, Überlegungen anzustellen. Ich muß mich auf die Gesetze der Logik stützen, und das gefällt mir nicht. Es ist mir zu starr. Dafür bin ich nicht gebaut worden. Ich bin nicht mehr der, der ich war.« »Halten Sie noch durch, Bishop«, bedrängte sie ihn. Sie versuchte die Stromstärke zu erhöhen, aber erreichte bloß, daß sich sein Auge leicht weitete, und schaltete eilig auf die vorgegebene Spannung zurück. »Sie wissen, wonach ic h frage. Gibt der Flugschreiber Hinweise darauf, daß außer den vier Überlebenden von Acheron noch jemand an Bord der Sulaco war. War ein Alien an Bord? Bishop!« . Nichts. Sie arbeitete an der Feinabstimmung, drückte auf Knöpfe. Das Auge rollte. »Lassen Sie das. Ich bin noch da, genau wie die Antworten. Es dauert nur länger und länger, uns beide zusammenzubringen. Um Ihre Frage zu beantworten: ja.« Ripley holte tief Atem. Der Arbeitsraum schien sich um sie zu schließen, die Wände rückten scheinbar zusammen. Nicht, daß sie sich auf der Krankenstation sicherer gefühlt hätte. Es war lange her, daß sie ein Gefühl von Sicherheit gespürt hatte. »Ist es noch auf der Sulaco, oder ist es im RF mit uns zusammen hier gelandet?« »Es war die ganze Zeit bei uns.« Ihre Stimme verfinsterte sich. »Weiß die Gesellschaft Bescheid?« »Die Gesellschaft weiß genau, was auf dem Schiff passiert ist, von dem Zeitpunkt an, da es die Erde in Richtung Acheron verlassen hat bis jetzt, vorausgesetzt, daß es noch intakt ist.
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Alle Daten gingen in den Zentralcomputer und wurden dann in das Netzwerk eingespeist.« Ein tödliches Dejavu-Gefühl ergriff von Ripley Besitz. Schon einmal hatte sie sich mit der Gesellschaft angelegt und gesehen, wie sie reagiert hatten. Jedes bißchen gesunder Menschenverstand oder Menschlichkeit, das jene gesichtslose Organisation besaß, wurde von einer alles umfassenden, übermächtigen Gier unterdrückt. Auf der Erde alterten die einzelnen Mitarbeiter und starben. Sie wurden von neuen Mitarbeitern ersetzt, von neuen Direktoren. Doch die Gesellschaft selbst war unsterblich. Ripley bezweifelte, daß die Zeit irgendwelche bedeutsamen Veränderungen der Finnenpolitik bewirkt hatte, ganz zu schweigen von der Firmenethik. Aber ein solches Risiko konnte sie sowieso nicht eingehen. »Wollen sie noch immer einen Alien?« »Ich weiß es nicht. Verborgene Firmenziele waren nicht Bestandteil meiner Programmierung. Zumindest glaube ich das. Ganz sicher bin ich mir nicht. Ich fühle mich nicht sehr gut.« »Tun Sir mir einen Gefallen, Bishop: sehen Sie sich noch einmal genau um.« Sie wartete, während er suchte. »Tut mir leid«, sagte er schließlich. »Ich finde nichts mehr. Das bedeutet nicht, daß dort niemals etwas war. Ich bin nicht länger in der Lage, mir Zugang zu denjenigen Sektoren zu verschaffen, wo solche Informationen normalerweise gelagert wurden. Ich wünschte, ich könnte mehr für Sie tun, aber in meinem jetzigen Zustand bin ich nicht mehr viel wert.« »Unsinn. Ihr Identitätsprogramm ist noch immer intakt.« Sie beugte sich vor und strich sachte über den enthaupteten Schädel. »Da ist noch immer eine Menge Bishop drin. Ich werde Ihre Programme aufbewahren. Speicherkapazität habe
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ich hier genug. Wenn ich hier jemals wegkomme, dann nehme ich Sie auf alle Fälle mit. Dann kann man Sie wieder zusammenflicken.« »Wie wollen Sie meine Identität aufbewahren? Sie in ein normales ROM-System kopieren? Ich weiß, wie das ist. Kein sensorischer Input, kein Output der Tastsinne. Blind, taub, stumm und unbeweglich. Die Menschen bezeichnen das als Vorhölle. Wissen Sie, wie wir Androiden das nennen? Elektrohölle, das elektronische Fegefeuer. Nein danke. Drehen Sie mich lieber ab, bevor ich durchdrehe.« »Sie werden nicht durchdrehen, Bishop. Dafür sind Sie zu zäh.« »Wirklich? Ich bin nur so zäh wie mein Körper und meine Programmierung. Der erstere ist fort, und die letztere verabschiedet sich langsam. Ich wäre lieber eine intakte Erinnerung als eine ausgedörrte Wirklichkeit. Ich bin müde. Mir gleitet alles davon. Tun Sie mir einen Gefallen und schalten Sie einfach ab. Vielleicht könnte ich noch einmal aufgearbeitet und in einem neuen Körper installiert werden, aber sicher nicht ohne omphalotische Schäden, wahrscheinlich auch nicht ohne Identitätsverlust. Ich wäre nie mehr Spitzenklasse. Damit möchte ich nicht konfrontiert werden. Verstehen Sie, was das bedeutet, in die Zukunft zu schauen, mit der Aussicht, weniger zu sein als vorher? Nein danke. Dann bin ich lieber nichts.« Sie zögerte. »Sind Sie sicher?« »Tun sie es für mich, Ripley. Das schulden Sie mir.« »Ich schulde Ihnen gar nichts, Bishop. Sie sind bloß eine Maschine.« »Ich habe Sie und das Mädchen gerettet, auf Acheron. Tun Sie es für mich ... als Freund.« Sie nickte zaghaft. Das Auge blinzelte ein letztes Mal und schloß sich dann friedlich. Als sie die Kabelstränge herauszog, zeigte sich keine Reaktion, kein Zucken oder Beben. Der Kopf
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lag wieder bewegungslos auf dem Arbeitstisch. »Tut mir leid, Bishop, aber du bist wie ein alter Rechner, freundlich und gut bedienbar. Wenn man dich reparieren kann, dann werde ich dafür sorgen, wenn es einmal so weit kommen sollte. Wenn nicht, dann schlafe sanft, wo immer die Androiden schlafen und versuche nicht zu träumen. Wenn alles klappt, kümmere ich mich später um dich.« Der Schleier vor ihren Augen lichtete sich, und sie merkte, daß sie die ganze Zeit auf die gegenüberliegende Wand gestarrt hatte. Dort hing ein einzelnes Hologramm. Es zeigte ein kleines strohgedecktes Landhaus, das sich zwischen grüne Bäume und Hecken schmiegte. Ein kristallklarer grünblauer Bach schlängelte sich vor dem Haus und ein paar Wolken trieben am Himmel. Während sie das Holo betrachtete, verdunkelte sich der Himmel und ein brillanter Sonnenuntergang erschien über dem Gebäude. Ihre Finger fuhren über die Tischplatte, bis sie sich um einen Präzisionsschraubenzieher geschlossen hatten. Sie schleuderte ihn mit all ihrer nicht unbeträchtlichen Kraft, die von ihrem Schrei der Wut und Frustration noch gesteigert wurde, gegen das Bild, und zufrieden lauschte sie dem Knall, mit dem die kitschige Simulation in glitzernde Scherben zerstob. * Ein Teil des Blutes auf Golics Jacke und seinem Gesicht war schon geronnen und hatte eine dicke, gelatineartige Konsistenz angenommen. Dennoch fielen einige Tropfen auf den Tisch in der Messe. Er aß ruhig und löffelte knusprige Corn Flakes in sich hinein. Ab und an streute er etwas Zucker darüber. Er starrte auf seinen Teller, ohne ihn wahrzunehmen. Was er sah, war ganz persönlich und tief in ihm verschlossen. Eric, der Tageskoch, kam mit einer Ladung Teller in den
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Raum. Als er auf den ersten Tisch zuging, fiel sein Blick auf Golic, und er blieb stehen und starrte ihn an. Glücklicherweise waren die Teller unzerbrechlich. Neues Geschirr war auf Fiorina schwer zu beschaffen. »Golic?« murmelte er endlich. Der Gefangene am Tisch aß weiter und sah nicht auf. Das Scheppern der Teller lockte andere herbei; Dillon, Andrews, Aaron und Morse, den Häftling Arthur. Genau wie der fassungslose Koch starrten auch sie die Erscheinung an, die da vor ihnen saß. Schließlich bemerkte Golic, daß ihm soviel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Er blickte auf und lächelte. Ein leeres Lächeln. * Ripley saß allein im hinteren Teil der Krankenstation, als sie ihn hereinbrachten. Sie sah schweigend zu, wie Dillon, Andrews, Aaron und Clemens den in einer Zwangsjacke steckenden Golic zu einem Bett führten und ihn hinsetzten. Sein Gesicht und sein Haar war mit dunklen Blutflecken bedeckt, und seine Augen bewegten sich ständig hin und her. Sie suchten unablässig die Decke ab, die Ventilatorklappen, die Tür. Clemens tat sein Bestes, ihn zu säubern. Er benutzte weiche Tücher, ein mildes Lösungsmittel und Desinfektionsflüssigkeit. Es ging ihm offenbar nicht so schlimm, wie er aussah. Physisch, zumindest. Andrews, Aaron und Dillon fesselten ihn auf das Bett. Den Mund hatte man ihm nicht zugebunden. »Macht nur weiter so, hört nicht auf mich. Glaubt mir nicht. Das spielt keine Rolle mehr. Nichts spielt mehr eine Rolle. Ihr frommen Arschlöcher werdet alle sterben. Das Biest hat sich erhoben und es ernährt sich von menschlichem Blut. Nichts
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kann es aufhalten. Die Zeit ist gekommen.« Er wandte sich vom Direktor ab und starrte geradeaus. »Ich sah es, und es sah mich an. Es hatte keine Augen, aber es sah mich an.« »Was ist mit Boggs und Rains?« fragte Dillon ruhig. »Wo sind sie? Was ist mit ihnen geschehen?« Golic blinzelte und betrachtete seine Befrager ohne Reue. »Ich habe es nicht getan. Unten im Tunnel. Sie hatten keine Chance, nicht die geringste. Ich konnte nichts machen, außer mich selbst zu retten. Der Drachen hat es getan. Hat sie wie Schweine abgeschlachtet. Ich war es nicht. Warum soll ich immer an allem schuld sein? Niemand kann es aufhalten.« Er begann gleichzeitig zu lachen und zu weinen. »Keine Chance, nein nein, keine Chance.« Andrews betrachtete die zitternden Überreste eines menschlichen Wesens. Kein besonderes, sicherlich, aber immerhin ein Mensch. Es freute ihn nicht, aber er war auch nicht wütend. Hier war niemand, auf den man wütend sein konnte. »Völlig übergeschnappt. Ich will nicht sagen, daß irge nd jemand einen Fehler gemacht hat, aber man hätte ihn beizeiten anketten sollen. Natürlich nur figürlich gesprochen.« Der Direktor warf seinem Arzt einen Blick zu. »Unter Drogen gesetzt, meine ich. Haben Sie das nicht kommen sehen, Clemens?« »Sie kennen mich, Sir. Ich stelle keine Diagnosen, ich ve rschreibe nur.« Clemens hatte seine Säuberungsarbeiten fast beendet. Golic sah wirklich besser aus, aber nur wenn man ihm nicht in die Augen schaute. »Ja, natürlich. Vorsorgende Psychologie ist nicht gerade ihre Spezialität. Wenn es jemandem hätte auffallen müssen, dann mir.« »Nehmen Sie die Schuld nicht auf sich, Sir«, sagte Aaron. Das tue ich auch nicht. Ich drücke lediglich ein gewisses
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Bedauern aus. Manchmal lauert der Wahnsinn ruhig und unsichtbar hinter der Fassade eines Menschen und wartet nur auf den nötigen Reiz, um hervorzubrechen. Wie gewisse Wüstensamen, die nur alle zehn oder elf Jahre aufgehen, wenn die Regenfälle heftig genug sind.« Er seufzte. »Ich würde einen normalen, freundlichen Regen vorziehen.« »Sie haben es ganz richtig gesagt, Sir«, fügte Aaron hinzu. »Bei diesem Idioten sind sämtliche Sicherungen durchgeknallt.« »Es freut mich immer wieder, Mr. Aaron, wie Sie die alltägliche Konversation mit einigen kernigen, wenn auch etwas anachronistischen Ausdrücken beleben.« Er wandte sich wieder an seinen Schutzbefohlenen. »Er scheint sich ein wenig beruhigt zu haben. Ihn permanent mit Tranquilizern zu beha ndeln, ist eine teure Angelegenheit, die ich in den Berichten begründen müßte. Halten wir ihn erst einmal eine Weile von den anderen fern, Mr. Dillon. Vielleicht hat ja schon das einen heilsamen Effekt. Ich will auf keinen Fall, daß er eine Panik verursacht. Clemens, geben Sie diesem armen Irren soviel Beruhigungsmittel, daß er für sich oder andere keine Gefahr darstellt. Mr. Dillon, ich verlasse mich darauf, daß Sie ein Auge auf ihn werfen, wenn er entlassen wird. Hoffentlich erholt er sich etwas. Das würde die Dinge erleichtern.« »Gut, Direktor. Aber bevor wir nichts über die anderen Brüder erfa hren haben, sollte er nicht völlig kaltgestellt werden.« »Aus dem da werden Sie nichts herausbekommen.« Aaron deutete angewidert auf den zitternden Zwangsjackenträger. »Wir müssen es versuchen.« Dillon beugte sich vor und studierte das Gesicht seines Mit-
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häftlings. »Reiß dich zusammen, Mann. Sprich mit mir. Wo sind die Brüder? Wo sind Rains und Boggs?« Golic leckte sich die Lippen. Sie waren böse zerkaut, und trotz der effizienten Behandlung durch Clemens bluteten sie immer noch leicht. »Rains?« flüsterte er. Unter der Anstrengung, die ihn die Erinnerung kostete, legte sich seine Stirn in Falten. »Boggs?« Plötzlich weiteten sich seine Augen wieder, und er blickte erschrocken auf, so als sähe er die Männer um ihn herum zum ersten Mal. »Ich habe es nicht getan! Nein! Ich war es nicht. Es war ... es war ...« Er begann erneut zu schluchzen und hysterisch zu schreien, während er sinnlose Wortfetzen stammelte. Andrews betrachtete ihn und schüttelte traurig den Kopf. »Hoffnungslos. Mr. Aaron hat recht. Im Moment werden Sie nichts aus ihm herausbekommen, wenn überhaupt jemals. Solange werden wir nicht warten.« Dillon richtete sich auf. »Wie lauten Ihre Anweisungen, Direktor?« »Wir müssen einen Suchtrupp losschicken. Vernünftige Männer, die keine Angst vor der Dunkelheit oder voreinander haben. Ich fürchte, daß es gute Gründe für die Annahme gibt, daß dieser einfältige Bastard seine Begleiter getötet hat.« Er zögerte etwas. »Wenn Sie seine Papiere kennen, dann wissen Sie, daß ein solches Szenario nicht unvorstellbar ist.« »Das kann man so nicht sagen, Sir«, meinte Dillon. »Er hat mich noch nie angelogen. Er ist verrückt. Er ist ein Narr. Aber er ist kein Lügner.« »Sie meinen es gut, Mr. Dillon, aber glauben Sie nicht, daß Sie Ihren Mithäftling etwas überschätzen?« Andrews mußte
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seinen Sarkasmus zügeln. »Ich persönlich halte den armen Golic nicht mehr für sehr vertrauenswürdig.« Dillon preßte die Lippen zusammen. »Ich bin nicht naiv, Sir. Ich weiß so viel von ihm, daß ich ihm helfen möchte, aber ich weiß auch, daß man ihn im Auge behalten muß.« »Gut. Ich möchte nicht, daß er in seiner Raserei noch mehr Leute verschwinden läßt.« Ripley erhob sich und kam auf die Gruppe zu. Alle Augen richteten sich auf sie. »Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, daß er die Wahrheit sagt.« Clemens sah sie erstaunt an. Sie ignorierte ihn. »Ich muß mit ihm über diesen Drachen sprechen.« Andrews Antwort war deutlich. «Sie werden mit niemandem sprechen, Leutnant. Da Sie nicht vollständig informiert sind, bin ich an Ihrer Meinung nicht interessiert.« Er deutete auf Golic. »Dieser Mann ist ein mehrfacher Mörder, und die Verbrechen, für die man ihn verurteilt hat, waren besonders brutal und scheußlich.« »Ich habe es nicht getan«, brabbelte der Mann in der Zwangsjacke hilflos. Andrews blickte umher. »Stimmt es nicht, Mr. Dillon?« »Ja«, bestätigte Dillon zögernd. »Dieser Teil stimmt.« Ripley blickte den Direktor eindringlich an. »Ich muß mit Ihnen reden. Es ist wichtig.« Der ältere Mann überlegte einen Moment. »Wenn ich meinen offiziellen Pflichten nachgekommen bin, würde ich mich freuen, einen kleinen Plausch mit Ihnen zu halten. Einverstanden?« Es schien, als wolle sie noch etwas sagen, aber dann nickte Ripley nur zustimmend.
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8.
Aaron kümmerte sich um den Wasserkrug und sorgte dafür, daß jeder ein gefülltes Glas vor sich stehen hatte. Er hätte sich die Mühe ersparen können. Sobald Ripley begonnen hatte, achtete niemand mehr auf die Glaser. Ihre Erklärungen waren eingehend und detailliert. Sie ließ nichts unerwähnt. Sie schilderte, wie die ursprünglichen AlienEier im Rumpf des riesigen Schiffes, dessen Herkunft noch immer unbekannt war, auf Acheron entdeckt worden waren. Sie berichtete von der Vernichtung der Besatzung der Nostromo und ihrem eigenen Entkommen, von der unheilvollen Rückkehr nach Acheron und dem Flug mit ihren Begleitern, die nun tot waren. Den Zuhörer mochte ihre Fähigkeit, sich an jede relevante Einzelheit und jedes Detail zu erinnern, verblüffen, aber sich zu erinnern, war nicht das Problem für Ripley. Was sie täglich quälte, war ihre Unfähigkeit zu vergessen. Nachdem sie ihren Bericht beendet hatte, war es für einige Momente still im Quartier des Direktors. Ripley trank ihr Glas mit gefiltertem Wasser bis zur Hälfte leer und blickte zu Andrews hinüber. Er faltete seine Hände über dem Bauch zusammen. »Habe ich Sie richtig verstanden, Leutnant? Sie sagen, daß wir es hier mit einem über zwei Meter großen, menschenfressenden Insekt zu tun haben, dessen Korperflüssigkeit säurehaltig ist und das mit Ihrem Raumschiff hier gela ndet ist'« »Wir wissen nicht, ob es tatsächlich ein Insekt ist«, verbesserte sie ihn. »Es ist lediglich die einfachste und offensichtlichste Analogie, aber niemand weiß es genau. Sie geben sich nicht gerne für taxonomische Studien her. Es ist schwierig, etwas zu sezieren, das Ihre Instrumente auflöst, wenn es tot ist, und
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versucht, Sie zu töten oder zu befruchten, wenn es lebt. Die Kolonie auf Acheron hat sich geradezu auf solche Studien gestürzt. Es hat ihnen nichts genützt. Die Kreaturen haben sie ausgelöscht, bevor sie irgend etwas Wichtiges über sie herausgefunden hatten. Und unglücklicherweise sind all ihre Berichte zerstört worden, als die Schmelzanlage der Basis ihren kritischen Punkt erreicht hatte. Wir wissen nur wenig über sie, gerade genug, um einige Verallgemeinerungen zu treffen. Alles, was wir mit einiger Sicherheit sagen können, ist, daß sie über ein biosoziales System verfügen, das dem der staatenbildenden Insekten auf der Erde, wie Bienen, Ameisen und so weiter, ungefähr gleicht. Darüber hinaus weiß niemand etwas. Ihre Intelligenz ist wahrscheinlich wesentlich höher als die der Ameisen oder Bienen, aber noch ist es schwer zu sagen, ob sie zu einer Form des logischen Denkens, wie wir es nennen, fähig sind. Ich bin ziemlich sicher, daß sie über den Geruch miteinander kommunizieren. Sie verfügen vielleicht über zusätzliche perzeptive Fähigkeiten, von denen wir nichts wissen. Sie sind unglaublich schnell, stark und zäh. Ich habe persönlich miterlebt, wie eins von ihnen selbst im interstellaren luftleeren Raum ganz gut überlebt hat, bevor ich es mit den Maschinen des RF rösten konnte.« »Und es tötet sofort und ist ganz allgemein unangenehm«, fuhr Andrews an ihrer Stelle fort. »Behaupten Sie. Und natürlich erwarten Sie, daß ich diese ganze fantastische Geschichte glaube, nur weil Sie mir Ihr Wort darauf geben.« »Genau, Sir«, pflichtete Aaron ihm bei. »Wirklich eine tolle Geschichte. So etwas habe ich noch nicht gehört, Sir.« »Nein, ich erwarte nicht, daß Sie mir glauben«, antwortete Ripley sachte. »Ich habe mit Leuten wie Ihnen schon zu tun gehabt.« »Ihre letzte Bemerkung möchte ich ignorieren«, entgegnete Andrews gelassen. »Wenn wir für den Augenblick einmal
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annehmen, daß ich Ihnen Ihre Geschichte im großen und ganzen abnehme, was sollen wir Ihrer Meinung nach unternehmen? Unser Testament aufsetzen und uns auffressen lassen?« »Für manche Menschen wäre das sicher keine schlechte Idee, aber mir würde es nicht helfen. Man kann diese Dinger bekämpfen. Man kann sie töten. Über welche Waffen verfügen Sie hier?« Andrews entknotete seine Finger. Er wirkte betrübt. »Dies ist ein Gefängnis. Obwohl es sich auf Fiorina für niemanden lohnt, von hier zu fliehen, wäre es zweifellos keine gute Idee, den Gefangenen Zugang zu Schußwaffen zu gewähren. Jemand könnte auf die Idee kommen, das Versorgungsshuttle zu kapern oder etwas ähnlich Schwachsinniges zu tun. Wenn es also gar keine Waffen gibt, entfällt auch die Versuchung, sie zu stehlen und zu benutzen.« »Es gibt hier überhaupt keine Waffen?« »Tut mir leid. Dies ist ein moderner, sozialer Strafvollzug. Wir arbeiten nach dem Ehrensystem. All diese Männer hier sind besonders schwere Fälle, aber trotzdem leisten sie mehr, als nur ihre Schuld an die Gesellschaft abzuzahlen. Sie arbeiten praktisch als Hausmeister. Die Gesellschaft war der Meinung, daß sie sich durch Waffen eingeschüchtert fühlen könnten und daß ihre Arbeit darunter leiden würde. Warum, glauben Sie, gibt es hier lediglich zwei Aufseher, Aaron und mich? Ohne das System könnten wir diesen Haufen auch nicht mit zwanzig Mann und einem Waffenarsenal unter Kontrolle halten. Es gibt ein paar große Schlachtermesser im Schlachthaus, in der Kantine und der Küche noch ein paar mehr. Dann noch einige Feueräxte. Nichts besonders Eindrucksvolles.« Ripley ließ sich in ihren Sessel zurückfallen. »Dann geht es uns an den Kragen«, murmelte sie tonlos. »Zuerst einmal geht es Ihnen an den Kragen«, entgegnete der
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Direktor ruhig. »Sie bleiben ab sofort auf der Krankenstation. Unter Quarantäne.« Sie starrte ihn an. »Wieso?« »Weil Sie seit Ihrem Auftauchen hier ein Problem dargestellt haben und ich nicht will, daß sich dieses Problem noch vergrößert. Ich bin für diese Angelegenheit, was immer es auch ist, verantwortlich, und ich kann bedeutend besser schlafen, wenn ich immer weiß, wo Sie sich aufhalten. So wie die Dinge liegen, werden die Männer schon nervös genug sein. Wenn Sie dazu noch überall ihre Nase hineinstecken, dann wäre das alles andere als ein stabilisierender Faktor.« »Das können Sie nicht machen. Ich habe nichts Verbotenes getan.« »Das habe ich auch nicht behauptet. Ich arrestiere Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit. Ich habe hier die Aufsicht und handle in meiner Eigenschaft als Anstaltsleiter. Es steht Ihnen frei, eine Beschwerde beim Untersuchungsausschuß einzureichen, wenn Sie wieder zurück sind.« Andrews lächelte väterlich. »Sie haben die ganze Station für sich allein, Leutnant. Solange Sie dort sind, brauchen Sie keine Angst vor großen, bösen Monstern zu haben. Stimmt's? Also, seien Sie ein braves Mädchen. Mr. Aaron wird Sie begleiten.« Ripley erhob sich. »Sie treffen keine gute Entscheidung.« »Damit kann ich, glaube ich, ganz gut leben. Aaron, sobald Sie den Leutnant zu ihrem neuen Quartier gebracht haben, stellen Sie einen Suchtrupp zusammen. Und zwar schnell. Bis jetzt wissen wir nur, was Golic zusammengeplappert hat. Vielleicht sind Boggs und Rains nur verletzt und warten auf Hilfe.« »Jawohl, Sir.« »Sie irren sich vollkommen, Andrews«, meinte Ripley. »Vollkommen. Sie werden in diesen Gängen keinen Lebenden mehr finden.«
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»Wir werden sehen.« Er schaute ihr hinterher, während sein Assistent sie hinausführte. * Düster und zornig saß sie auf ihrem Bett. Clemens stand neben ihr und beobachtete sie. Als Aarons Stimme durch die Sprechanlage tönte, blickte sie auf. »Versammeln Sie sich sofort in der Kantine. Mr. Andrews will eine Versammlung abhalten. Die Kantine. Sofort, Leute.« Ein sanftes elektronisches Brummen begleitete die Durchsage des stellvertretenden Direktors. Ripley sah den Med- Tech an. »Gibt es keine Möglichkeit, von Fiorina wegzukommen? Irgendein Notfallshuttle? Irgendeine verdammte Chance zur Flucht?« Clemens schüttelte den Kopf. »Hast du vergessen, daß wir in einem Gefängnis sind? Es gibt keinen Fluchtweg. Unser Versorgungsschiff kommt alle sechs Monate.« »Ist das alles?« Sie sackte zusammen. »Kein Grund zur Panik. Sie schicken jemand her, der dich abholt und diese ganze Geschichte untersucht. Ziemlich bald, schätze ich.« »Wirklich? Und wie bald?« »Ich weiß es nicht.« Irgend etwas schien Clemens Sorgen zu machen. »Bis jetzt hatte es niemand eilig, hierherzukommen. Im Gegenteil. Ein Raumschiff von seiner normalen Route abzuleiten, ist schwierig und teuer. Willst du mir nicht sagen, worüber du mit Andrews gesprochen hast'« Sie wich seinem Blick aus. »Nein. Du würdest mich nur für verrückt halten.« Ihre Aufmerksamkeit wurde auf die andere Seite gelenkt, wo Golic wie gelähmt und mit leeren Augen die
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Wand anstarrte. »Eigentlich hätte ich die Information verdient«, murmelte der Med-Tech. »Wie fühlst du dich?« Ripley fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Nicht so toll. Mir ist schlecht, richtig übel. Und ich bin wütend.« Er zog die Schultern hoch und nickte, mehr zu sich selbst. »Der Schock macht sich langsam bemerkbar. Nichts Ungewöhnliches, nach dem, was du durchgemacht hast. Es ist schon ein Wunder, daß du nicht mit Golic zusammen die leeren Wände anstarrst.« Er kam zu ihr, untersuchte sie kurz und ging zum Schrank. Nachdem er die Sicherung geöffnet hatte, begann er darin herumzustöbern. »Am besten mixe ich dir noch einen Cocktail.« Sie sah, wie er den Injektor in die Hand nahm. »Nein. Ich muß wach bleiben.« Instinktiv suchten ihre Augen nach möglichen Fluchtwegen; die Belüftungsklappen, die Tür. Aber ihr Blick verschwamm, ihr Kopf war leer. Clemens kam mit dem Injektor auf sie zu. »Sieh dich nur an. Das nennst du wach? Du kippst praktisch schon um. Der Körper ist eine verdammt effiziente Maschine, aber eben doch nur eine Maschine. Wenn man ihm zuviel abverlangt, riskiert man eine Überbelastung.« Sie schob einen Ärmel hoch. »Halt mir keine Vorlesung. Ich weiß, wann ich übertreibe. Gib mir das Zeug einfach.« Die Gestalt in der Ecke murmelte laut vor sich hin. »Ich weiß nicht, warum sie mir immer die Schuld zuschieben. Komisch, was? Es ist nicht so, daß ich perfekt wäre oder so, aber, du liebe Güte, warum brauchen manche Leute immer einen Sündenbock, für die kleinen Probleme in ihrem Leben?« Clemens lächelte. »Das war ja richtig tiefschürfend. Danke, Golic.« Er füllte den Injektor und überprüfte die Menge. Während sie darauf wartete, ihr Medikament verabreicht zu bekommen, sah Ripley zu Golic hinüber. Zu ihrer Überra-
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schung schien er sie anzulächeln, aber seine Miene war unmenschlich, ohne Verstand. Ein reines Idiotengrinsen. Angewidert sah sie weg und dachte an wichtigere Dinge. »Sind Sie verheiratet?« fragte der Klotz in der Zwangsjacke plötzlich. Ripley starrte ihn an. »Ich?« »Sie sollten heiraten.« Golic sprach voller Ernst. »Kinder kriegen ... ein süßes Mädchen. Habe viele von der Sorte gekannt. Damals, zu Hause. Mochten mich immer gern. Sie werden auch sterben.« Er begann vor sich hinzupfeifen. »Bist du?« wollte Clemens wissen. »Was?« »Verheiratet?« »Warum?« »Ich bin nur neugierig.« »Nein.« Sie sah, wie er den Injektor hob. »Wie wär's, wenn wir gleichzögen?« fragte sie. »Könntest du mir das etwas genauer erklären?« antwortete er zögernd. »Als ich dich gefragt habe, wie du hierhergekommen bist, hast du mir nicht geantwortet. Und als ich nach der Gefängnistätowierung auf deinem Kopf gefragt habe, bist du wieder ausgewichen.« Clemens sah zur Seite. »Das ist eine lange, traurige Geschichte. Etwas melodramatisch, fürchte ich.« »Dann unterhalte mich.« Sie verschränkte die Arme über der Brust und wartete. »Nun, mein Problem war, daß ich smart war. Sehr smart. Ich wußte alles, wirklich. Ich war brillant, und deshalb konnte ich mit allem durchkommen. Und eine Weile gelang mir das auch. Ich war gerade mit der Ausbildung fertig, und trotz einer für meine Vorstellungen erträglichen Medaphinabhängigkeit war mir die ungewöhnliche Leistung gelungen, unter den besten
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fünf Prozent meiner Klasse abzuschließen. Kennst du diese Droge?« Langsam schüttelte Ripley den Kopf. »Oh, es handelt sich um eine wirklich schöne Kette von Peptiden und so. Man fühlt sich unbesiegbar, und es schränkt dein Urteilsvermögen in keiner Weise ein. Man muß nur immer ein gewisses Level im Blutkreislauf aufrechterhalten. Aber ein so cleverer Bursche wie ich hatte keine Schwierigkeiten, die notwendigen Vorräte an meiner jeweiligen Arbeitsstätte abzuzweigen. Ich galt als äußerst vielversprechend, ein zukünftiger Arzt, der außerordentlich talentiert und konzentriert wirkte, voller Einsicht und Mitgefühl. Niemand kam auf den Verdacht, daß ich stets der Patient war, an dem mir am meisten lag. Es geschah während meiner ersten Anstellung. Das Krankenhaus war froh, daß ich mich bei ihnen beworben hatte. Und ich arbeitete für zwei, beklagte mich nie, lag bei meinen Diagnosen und den Behandlungsmethoden so gut wie immer richtig. Ich hatte gerade eine Sechsunddreißigstundenschicht im OP hinter mir. Ich ging nach Hause, spritzte mich high wie eine Rakete und kroch gerade ins Bett, um die ganze Nacht umherzutreiben, als mein Telefon klingelte. Ein Druckbehälter des Treibstofflagers des Krankenhauses war explodiert. Jeder, den sie kriegen konnten, wurde zur Hilfe geholt. Dreißig Personen waren verletzt worden, aber nur ein paar davon mußten auf die Intensivstation. Die anderen brauchten schnelle, aber unkomplizierte Hilfe. Nichts, was ein halbwegs kompetenter Assistenzarzt nicht geschafft hätte. Ich sagte mir, daß ich mich schnell selbst darum kümmern könnte und mich nach Hause schleichen würde, bevor auffiel, daß ich für jemanden, den man um drei Uhr nachts aus dem Bett geholt hatte, verdammt munter und fröhlich wirkte.«
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Clemens machte eine kleine Pause und sammelte seine Gedanken. »Elf von den dreißig starben, nachdem ich eine falsche Dosis eines schmerzstillenden Mittels verschrieben hatte. So eine kleine Sache. So eine einfache Sache. Jeder Idiot hätte das hinkriegen können. Jeder Idiot. So ist Medaphin. Schränkt das Urteilsvermögen nicht ein. Nur ab und zu.« »Das tut mir leid«, sagte sie sanft. »Das braucht es nicht«, sagte er ohne Selbstmitleid. »Sonst hat mich auch niemand bedauert. Ich bekam sieben Jahre Gefängnis mit lebenslanger Bewährung, meine Approbation wurde auf 3C reduziert. Dadurch wurde enorm eingeschränkt, was und wo ich praktizieren durfte. Im Gefängnis habe ich mich von meiner wunderbaren Sucht entwöhnt. Egal. Es gab zuviele Verwandte, die sich an ihre Toten erinnerten. Ich hatte keine Aussicht, daß die Restriktionen je wieder aufgehoben würden. Ich hatte meinem Berufsstand Schande bereitet, und der Prüfungsausschuß genoß es, ein Exempel an mir zu statuieren. Du kannst dir vorstellen, wie viele Firmen scharf darauf gewesen wären, jemanden mit meinen beruflichen Qualifikationen einzustellen. So bin ich hier gelandet.« »Es tut mir immer noch leid.« »Um mich? Oder um das, was geschehen ist? Wenn es das ist, das tut mir auch leid. Aber die Gefängnisstrafen und die nachfolgenden Einschränkungen? Nein. Ich habe sie verdient. Ich habe alles verdient, was mir passiert ist. Ich habe elf Menschenleben ausgelöscht. Im Vorbeigehen sozusagen, mit einem dummen Grinsen im Gesicht. Sicher hatten die Leute, die ich getötet habe, ebenfalls glänzende Berufsaussichten vor sich. Ich habe elf Familien zerstört. Aber wenn ich es auch niemals vergessen kann, so habe ich doch gelernt, damit zu leben. Das ist das Positive an einem Ort wie diesem. Er hilft einem zu lernen, wie man mit den Dingen lebt, die man getan
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hat.« »Warst du hier noch Gefangener?« »Ja, und ich habe diesen bunten Haufen ganz gut kennengelernt. Na ja, und da sie blieben, bin ich auch geblieben. Mich hätte sowieso sonst keiner eingestellt.« Er beugte sich mit dem Injektor vor. »Also, vertraust du mir mit diesem Ding?« Während er sich zu ihr herabbeugte, landete das Alien hinter ihm so leise auf dem Boden, wie es von der Decke gefallen war. Es richtete sich aus seiner gebückten Haltung zu voller Größe auf. Daß etwas von seiner Größe sich so lautlos bewegen konnte, war ebenso erstaunlich wie erschreckend. Ripley sah, wie es sich hinter dem lächelnden Arzt auftürmte. Seine metallischen Schneidezähne glänzten im Licht der Deckenstrahler. Noch während sie versuchte, einen Ton hervo rzubringen, fiel ihr auf, daß dieses Alien anders aussah als alle, die sie zuvor gesehen hatte. Der Kopf war größer, der Körper massiver. Die kleineren physischen Unterschiede nahm sie in diesem eingefrorenen Schreckensmoment als kurze Beobachtungs fetzen war. Clemens beugte sich über sie, plötzlich mehr als nur besorgt. »He, was ist los? Du siehst aus, als würdest du keine Luft mehr kriegen. Ich kann ...« Das Alien riß ihm den Kopf ab und warf ihn beiseite. Noch immer schrie sie nicht. Sie wollte. Sie versuchte es. Aber sie konnte nicht. Aus ihrer Kehle kam Luft, aber kein Geräusch. Es schob Clemens' blutspritzenden Leichnam weg und blickte zu ihr hinab. Wenn es doch wenigstens Augen hätte, dachte ein Teil von ihr, anstelle dieser visuellen Perzeptoren, die noch niemals jemand untersucht hatte. Egal, wie furchtbar oder blutunterlaufen Augen sein mochten, zumindest konnte man eine Art von Kontakt mit ihnen aufnehmen. Die Fenster der
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Seele, hatte sie einmal gelesen. Das Alien hatte keine Augen und wahrscheinlich auch keine Seele. Sie zitterte. Ripley war schon oft vor Wesen wie diesem geflohen, hatte auch schon oft gegen sie gekämpft. Aber zwischen den engen Wänden der gruftartigen Krankenstation gab es keinen Fluchtweg und keine Waffe. Es war vorbei. Etwas in ihr war froh. Keine Alpträume mehr, nie mehr würde sie schreiend in fremden Betten aufwachen. Endlich Frieden. »He, los, kommen Sie rüber«, rief Golic plötzlich. »Machen Sie mich los. Ich kann Ihnen helfen. Wir können diese Arschlöcher killen.« Das Wesen aus einem Höllengemälde von Hieronymus Bosch drehte sich langsam um und sah den Häftling an. Dann wandte es sich wieder der unbeweglichen Frau auf dem Bett zu. Plötzlich schwang es sich mit einer einzigen Bewegung wieder zur Decke hinauf. Die kabelartigen Finger griffen um die Kanten des offenen Belüftungsschachts, durch den es gekommen war. Dann war es verschwunden. Man hörte nur ein paar Gleitgeräusche, die schnell in der Ferne verhallten. Ripley blieb unbeweglich. Ihr war nichts geschehen. Das Biest hatte sie nicht berührt. Aber sie wußte ja im Grunde nichts von ihnen. Irgend etwas hatte es zurückgehalten. Vielleicht griffen sie nur gesunde Measchen an, vielleicht hatte es mit Golics Verhalten zu tun. Sie lebte, aber sie wußte nicht, ob sie dafür dankbar sein sollte oder nicht.
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9.
Andrews stand in der Kantine vor seinen Schützlingen und blickte schweigend in ihre erwartungsvollen, neugierigen Gesichter, während Dillon seine traditionelle Ansprache beendete. Aaron saß neben ihm und fragte sich, was seinem Chef im Kopf herumging. »Erhebt euch und betet. Gesegnet sei der Herr.« Die Gefangenen gehorchten und nahmen andächtige Haltungen ein. Dillon fuhr fort. »Gib uns die Kraft, o Herr, die Mühen zu ertragen. Wir wissen, daß wir arme Sünder in den Händen eines zornigen Gottes sind. Möge der Kreis nicht zerbrechen, bis der Tag kommt. Amen.« Jeder Häftling erhob seine rechte Faust und nahm wieder Platz. Dillon sah über sie hinweg, und sein huldvoller Blick veränderte sich plötzlich. »Was für eine Scheiße läuft hier ab? Was ist das für ein Mist, der hier auf einmal passiert? Tod. Gewalt. Brüder in Not. Ich will, daß diese Scheiße aufhört. Wir haben Probleme, also müssen wir zusammenhalten.« Andrews ließ das Schweigen, das Dillons Ausbruch folgte, eine Weile andauern, bis er sicher war, daß ihm jeder zuhören würde. Er räusperte sich förmlich. »Ja, danke, Mr. Dillon«, begann er in seinem bekannt ve rnünftigen Tonfall. »Also, hier spricht wieder die Gerüchtekontrolle. Hier sind die Tatsachen. Um vier Uhr wurde der Gefangene Murphy tot im Ventilationszugangsschacht siebzehn gefunden. Offenbar ist er durch Unachtsamkeit und seine eigene Dummheit ums Leben gekommen. Aus den Informationen, die wir an Ort und Stelle gesammelt haben, geht hervor, daß er zu nahe am
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Ventilator stand, als eine starke Windböe durch den Schacht fuhr. Er wurde entweder in die Fächer geblasen oder hineingezogen. Der medizinische Offizier Clemens als der Leichenbeschauer lieferte einen offiziellen Bericht ab, aus dem die Todesursache eindeutig hervorgeht.« Einige Gefangene tuschelten untereinander, und Andrews heftete seinen Blick auf sie, bis sie wieder still waren. Er sprach jetzt schneller. »Nicht lange danach brachen die Häftlinge Boggs, Rains und Golic zu einer Routinesuche und Beschaffungsmission in die Schächte auf. Sie waren gut ausgerüstet und wußten um ihre Aufgabe wohl Bescheid.« »Ich war vorher noch bei ihnen, ich kann das bestätigen«, warf Dillon ein. Andrews akzeptierte den Kommentar des großen Mannes mit einem kurzen Blick und setzte seine Ansprache fort. »Gegen sieben Uhr kehrte der Häftling Golic in einem völlig verwirrten Zustand zurück; er war blutbespritzt und stammelte wirres Zeug. Momentan ist er in unserer Obhut und wird auf der Krankenstation behandelt. Die Häftlinge Boggs und Rains werden noch immer vermißt. Wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß Golic eine Straftat an ihnen begangen hat.« Er hielt inne, um seine Worte wirken zu lassen. »Eine solche Vermutung läßt sich mit dem Werdegang des Häftlings durchaus vereinbaren. Auch wenn niemand hierher geschickt wird, der nicht von der Rehabilitationszentrale auf der Erde behandelt und als geheilt betrachtet wurde, so ist doch nicht jede Behandlung völlig perfekt oder für immer.« »Soll vorgekommen sein«, meinte Dillon. »In der Tat. Nichtsdestotrotz; solange Boggs und Rains oder ihre Leichen nicht gefunden sind und die Ursachen ihres Ausbleibens festgestellt werden können, sind alle Schlußfolgerungen notwendigerweise voreilig. Vielleicht hocken sie in
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einem der Tunnel, verletzt und bewegungsunfähig und warten auf Hilfe. Oder sie haben sich auf dem Rückweg verirrt. Es muß also schnellstens ein Suchtrupp aufgestellt und ausgesandt werden. Ich würde es begrüßen, wenn sich Freiwillige melden. Ihr Angebot wird in ihren Papieren angemessene Berücksichtigung finden.« Andrews stand vor der Nordwand, die man aus in der Anlage hergestelltem durchscheinendem Glas gegossen hatte. »Ich denke, daß man zugeben muß, daß unsere bis jetzt so glatt laufende Einrichtung ein paar Probleme bekommen hat. Aber das ist kein Grund zur Panik oder zum Alarm. Tatsache ist, daß man auf so etwas in einer solchen Situation gefaßt sein muß. Wie immer die Aufklärung dieses besonders unglücklichen Zwischenfalls schließlich aussehen wird, ich kann mit Sicherheit sagen, daß wir in Kürze wieder zu einem noimalen Ablauf der Dinge zurückkehren werden. In der Zwischenzeit sollten wir alle unsere Sinne beisammenhalten und uns in den nächsten Tagen im Zaum halten, solange bis das Rettungsteam Leutnant Ripley abholt. Immerhin hat ihre unerwartete Ankunft, die auch einige Probleme aufgeworfen hat, die Gesellschaft dazu veranlaßt, ein Raumschiff nach Fiorina umzuleiten. Das bedeutet die Möglichkeit, weitere Vorräte und vielleicht ein paar Luxusartikel weitaus früher als erwartet zu bekommen. Sicherlich etwas, worauf man sich freuen kann. Wir sollten also alle den vor uns liegenden Tagen hoffnungsvoll entgegensehen.» Die Tür zu seiner Rechten flog auf, und Ripley stürmte in den Raum. Sie rang nach Atem und schien verschreckt. Die erstaunten Blicke der Anwesenden ignorierte sie. »Es ist hier! Es hat Clemens getötet!« Sie blickte wild um sich. Ihre Augen durchforschten die dunklen Ecken und fernen Flure der Versammlungshalle. Die Adern in Andrews Hals traten hervor.
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»Leutnant, ich habe jetzt wirklich genug von Ihnen. Hören Sie sofort mit diesem Unfug auf! Hören Sie auf! Sie verbreiten ohne Beweise unnötige Panik, und ich werde das nicht dulden, verstehen Sie mich? Ich werde es nicht dulden!« Sie starrte ihn an. »Wenn ich es Ihnen sage! Es ist hier!« »Und ich sage Ihnen, nehmen Sie sich zusammen, Leutnant!« Er blickte scharf nach rechts. »Mr. Aaron, nehmen Sie diese närrische Person sofort in Gewahrsam. Bringen Sie sie in die Krankenstation zurück!« »Jawohl, Sir.« Aaron ging einen Schritt auf Ripley zu, aber der Ausdruck in ihrem Gesicht ließ ihn zögern. Sie wirkte nicht weniger kräftig als die Mehrzahl der Häftlinge. Während er noch überlegte, was er tun sollte, begann das elektrische Licht plötzlich wild zu flackern. Die Gefangenen schrien auf, liefen durcheinander oder schauten sich verwirrt um. Andrews schüttelte entsetzt den Kopf. »Ich werde diese Art von Unfug in meiner Anstalt nicht dulden. Hört ihr mich? Ich werde es nicht dulden!« Ein leises, kratzendes Geräusch veranlaßte ihn, nach oben zu blicken. Das Alien langte hinab, packte den Direktor und zog ihn nach oben, so gekonnt, wie eine Spinne Fliegen fängt. Im nächsten Augenblick waren Jäger und Beute verschwunden. In der folgenden Hysterie konnten nur Ripley und der Häftling Morse wirklich sehen, wie das Ungeheuer die leblose Gestalt Andrews in einen offenen Luftschacht zog. * Ripley warf sich auf einen Stuhl in der Ecke und streckte sich eine Narko-Zigarette an. Sie mußte an Clemens denken. Ihre Miene verhärtete sich. Clemens. Es war besser, nicht mehr an ihn zu denken. Sie hatte gelernt, auch die anderen Männer, die sie kennengelernt hatte, zu vergessen, denn auch die anderen
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waren nur allzu schnell durch Vertreter der scheinbar unbesiegbaren Alienhorden verschleppt und getötet worden. Aber sie waren nicht unbesiegbar. Man konnte sie töten. Und solange sie lebte, schien das ihr Schicksal zu sein. Sie auszulöschen, sie vom Angesicht des Universums zu vertreiben. Es war eine Pflicht, die sie nur allzu gerne jemand anderem übergeben hätte. Warum gerade sie? Öfter als einmal hatte sie sich diese Frage gestellt. Warum war sie auserwählt wordea? Nein, das war nicht das richtige Wort. Niemand hatte sie auserwählt. Das Schicksal hatte ihr kein Leben voller Schrecken und Verwüstung zugedacht. Andere hatten sich gegen die Aliens gestellt und waren vernichtet worden. Nur sie mußte weiter leiden, weil sie überlebte. Es war ein Schicksal, das sie jederzeit beenden konnte. Die Krankenstation war gut bestückt, jede Flasche klar gekennzeichnet. Eine einzige, kleine Injektion konnte all den Schmerz und den Schrecken auslöschen. Es war leicht genug, all dem ein Ende zu bereiten. Aber ihr Überlebenswille war zu stark. Vielleicht war das ihre Aufgabe im Leben: zu überleben. Nein, das Schicksal hatte sie nicht auserwählt, um ihr besondere Mühen zu bereiten. Sie konnte nichts für die Tatsache, daß sie härter war als die anderen. Es war nur etwas, mit dem sie zu leben gelernt hatte. Wieder ein Mann weniger. Dieses Mal war es einer, den sie nicht besonders gemocht hatte. Trotzdem bedauerte sie es. Andrews war ein Mensch, und das wenigste, was er verlangen durfte, war ein Tod in Würde. Nach dem erstaunlich schnellen Angriff des Alien war Totenstille in der Halle eingetreten. Die Männer standen schweigend herum, oder sie saßen und starrten ins Leere. Manche blickten ihre Nachbarn an, andere schauten in ihr Innerstes. Wie sonst auch, blieb es Dillon vorbehalten, sich niederzuknien und ein
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Gebet zu beginnen. »Wir haben ein Zeichen erhalten, Brüder. Wie wir damit umgehen, wird unser Schicksal entscheiden.« »Amen«, antworteten einige der Häftlinge im Chor. Die gemurmelten Kommentare einiger anderer blieben glücklicherweise unverständlich. Dillon fuhr fort. »Wir danken dir, o Herr. Dein Zorn ist auf uns herabgekommen, und die Zeit des Gerichts ist nahe. Die Apokalypse ist hier. Wir sind bereit und hoffen auf Gerechtigkeit und Gnade.« Im hinteren Teil der Halle hatten einige Häftlinge ungeachtet des Gebets untereinander zu tuscheln begonnen. »Es war groß«, flüsterte der Häftling David. »Ich meine, wirklich groß. Und schnell.« »Ich hab's selbst gesehen, Idiot.« Kevin blickte starr zur Decke hinauf, dorthin, wo das Alien gehangen hatte. »Ich war hier. Glaubst du, ich bin blind?« »Ich meine ja nur, es war groß.« Sie waren noch derartig von den Ereignissen schockiert, daß sie sogar vergaßen, Ripley anzustarren. Der Häftling William erhob sich und musterte seine Kameraden. »Also, was machen wir jetzt, Leute?« Ein paar Männer sahen einander an, aber niemand sagte etwas. »Nun, wer hat jetzt das Kommando? Ich meine, wir müssen uns organisieren, stimmt's?« Aaron schluckte und blickte durch den Raum. »Ich bin wohl dran.« Morse blickte zur Decke und rollte mit den Augen. »Fünfundachtzig will das Kommando übernehmen. Herr im Himmel, ich glaub' es nicht!« »Nicht noch einmal diesen Namen!« Zornig blickte Aaron den Häftling an. »Nie mehr, nicht ein Mal!« Er erhob sich und trat vor die Gefangenen.
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»Also, Andrews kann ich nicht ersetzen, das ist klar. Ich werde nicht mal so tun als ob. Ihr Typen habt ihn nicht sehr geschätzt. Er konnte manchmal ein harter Knochen sein, aber er war der beste Mann, mit dem ich je gearbeitet habe.« Dillon war wenig beeindruckt. »Diese Scheiße können Sie sich sparen.« Sein Blick wanderte vom Stellvertreter zu der schlanken Gestalt, die am anderen Ende der Halle saß. »Wie steht's mit Ihnen? Sie sind Offizier? Wie wär's, wenn Sie uns Ihre Führungsqualitäten demonstrieren würden?« Ripley sah ihn kurz an, zog an ihrer Zigarette und wandte sich ab. William durchbrach die folgende Stille, indem er auf Dillon deutete. »Du übernimmst die Sache. Du leitest sowieso alles.« Dillon schüttelte eilig den Kopf. »Kommt nicht in Frage. Ich bin kein beschissener Befehlstyp. Ich kümmere mich nur um meine Sachen.« »Also, was will dieses Mistvieh überhaupt'« fragte der enttäuschte William laut. »Will es uns allen den Arsch aufreißen?« Ripley nahm die Zigarette aus dem Mund. »Ja.« »Na, ist das nicht wunderbar?« knurrte Morse sarkastisch. »Wie halten wir es auf?« Wütend warf Ripley den Zigarettenstummel auf den Boden und erhob sich. »Wir haben keine Waffen, stimmt's? Keine Schußwaffen, keine Impulsgewehre, nichts?« Aaron nickte langsam. »Stimmt.« Sie sah nachdenklich aus. »Eines, das genauso aussieht, habe ich bisher noch nie angetroffen. Es ist größer, die Beine sind anders. Die anderen hatten Angst vor Feuer oder zeigten zumindest einen gewissen Respekt davor. Wenn auch nicht vor vielem anderen.« Sie sah sich um.
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»Können wir dieses Gebiet versiegeln?« »Keine Chance«, antwortete Aaron. »Der Minenkomplex hat eine Fläche von zehn Quadratmeilen. Es gibt sechshundert Luftschächte, die zur Oberfläche führen. Diese Anlage ist verdammt groß.« »Wie sieht es mit Videokameras aus? Wir könnten versuchen, es damit zu lokalisieren. Ich sehe hier überall Monitore.« Erneut schüttelte der Stellvertreter den Kopf. »Das interne Videosystem arbeitet seit Jahren nicht mehr. Es gab keinen Grund, ein teueres HiTech-System in Gang zu halten, nur um lausige fünfundzwanzig Gefangene im Auge zu haben, die hier die Hausmeister spielen und die sowieso nirgendwo anders hingehen können. Tatsache ist, daß hier überhaupt nicht mehr viel funktioniert. Wir haben zwar die Technologie hier, aber wir können sie nicht instandsetzen.“ »Was Fünfundachtzig Ihnen sagen will ...«, begann Morse. »Sie sollen mich nicht so nennen!« bellte Aaron. Der Gefangene ignorierte ihn. »... ist, daß wir keine Freizeiträume, keine Klimakontrolle, keine Videoanlagen, keine Überwachungsanlage, keine Kühltruhen, keine beschissene Eiscreme, keine Kanonen, keine Gummis und keine Frauen haben. Wir haben hier nichts als Scheiße.« »Halt den Mund, sagte Dillon warnend. »Wieso, zum Teufel, reden wir überhaupt mit ihr?« fuhr Morse fort. »Sie hat doch dieses Biest erst hierhergebracht. Wir sollten sie ins Messer laufen lassen.« Ripley zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Klingt gut.« Dillon baute sich vor Morse auf. »Ich möchte es nicht noch einmal sagen«, meinte er freundlich. »Halt deinen Mund.« Morse zögerte. Dann senkte er den Blick und wich zurück. Aber er war nicht zufrieden. Aaron wandte sich an Ripley. »Also schön. Und was tun wir
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jetzt?« Sie war sich bewußt, daß nicht nur die drei Männer am Tisch, sondern auch fast alle Gefangenen sie erwartungsvoll beobachteten. »Auf Acheron haben wir versucht, Zwischentüren zu versiegeln und eine Verteidigungsstellung aufzubauen. Es hat funktioniert, aber nur für kurze Zeit. Diese Dinger finden immer irgendeinen Weg. Zunächst muß ich sehen, nicht nur hören, wie unsere Lage eigentlich ist.« »Beschissen«, murmelte Morse, aber so, daß es niemand mitbekam. Aaron nickte. »Kommen Sie mit.« Er sah Dillon an. »Sorry, aber Sie kennen die Bestimmungen.« Der große Mann nickte. »Bleiben Sie nur nicht zu lange.« Aaron versuchte ein Lächeln. »Sehen Sie es mal so: heute gibt es keine Arbeitseinsätze.« Dillon blickte nach oben, dort wo die Bücherei lag. »Und doch kann ich mich nicht so richtig entspannen.« * Sie gingen den Hauptgang entlang. Aaron hielt die Karte, und Ripleys Blicke wanderten vom Ausdruck zu den Korridoren und Wänden. Die Deckenlampen brannten noch, wenn auch nur dämmrig. Morse hatte unrecht. Einige der wichtigsten Versorgungsanlagen funktionierten noch. Sie stieß mit dem Finger auf die Plastikkarte. »Was ist das?« »Ein Serviceweg. Verbindet die Krankenstation mit der Kantine.« »Vielleicht können wir da rein und es rausspülen.«
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»Hören Sie mal. Das sind mehrere Meilen Tunnelstrecke.« Sie folgte den Linien auf dem Blatt. »Es wird sich nicht weit entfernen. Es wird in diesem Gebiet hier nisten, in einem der kleinen Gänge oder Luftschächte.« Er blickte sie erstaunt an. »Verzeihung, ich habe »nisten« verstanden.« »Ich meine, was ich sage«, entgegnete Ripley leicht gereizt. »Fragen Sie mich nur nicht nach Einzelheiten. Wenn wir es töten oder unschädlich machen können, erinnern Sie mich dran, und ich erkläre es Ihnen. Wenn nicht, sollten Sie es lieber nicht erfahren.« Er sah ihr einen Moment in die Augen, bevor sein Blick sich wieder auf die Karte richtete. »Woher wissen Sie, daß es hier ist?« »Es ist wie ein Löwe, es bleibt nahe bei den Zebras.« »Wir haben hier keine Zebras.« Ripley blieb abrupt stehen und sah ihn von der Seite an. »Oh, natürlich«, sagte er verlegen. »Aber hier in der Dunkelheit herumlaufen? Sie machen Witze. Sobald man die Hauptgänge verläßt, endet auch die Deckenbeleuchtung.« »Wie sieht's mit Taschenlampen aus?« »Sicher. Wir haben sechstausend Stück. Und aufladbare Batterien. Bloß keine Glühbirnen. Dieses kleine Detail hat irgend jemand übersehen. Ich habe Ihnen ja gesagt, nichts funktioniert.« »Wie ist es mit Fackeln? Können wir wenigstens Feuer mache n? Dieses Privileg haben die meisten Menschen seit der Steinzeit genossen.« * Der alte senkrechte Schacht verschwand oben und unten in
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der Dunkelheit. Die angeschweißte Leiter war mit kohlehaltigem Schleim und angesammeltem Schmutz bedeckt. Aus der Tiefe stieg träge feuchte Luft auf, die in Ripleys Nase stach, als sie sich vorbeugte und ihre Fackel nach unten hielt. Es war kein Boden zu erkennen, aber sie hatte auch keinen erwartet. Sie waren in den Tunnel aufgebrochen, in dem Murphy getötet worden war, vorbei an den riesigen Ventilatoren, die Aaron vorher abgeschaltet hatte. Sie schnüffelte und rümpfte die Nase. Die aufsteigende Luft war mehr als feucht. Sie war voller faulender Vegetation und dem scharfen Geruch recycleter Chemikalien. »Was ist da unten?« Aaron kletterte dicht hinter ihr. »Luft- und Wasseraufbereitung und Umlaufsystem.« »Das erklärt den Gestank. Durch Kernkraft?« »Ja, aber versiegelt. Alles läuft automatisch. Zwei Techniker vom Versorgungsschiff checken die Anlage alle sechs Monate.« Er grinste. »Warum sie nur die Wartungsdetails einer funktionierenden Kernschmelzanlage nicht den geschickten Händen eines Haufen Gefangener und zweier Anstaltsleiter ohne Doktortitel überlassen?« Sie erwiderte sein Lächeln nicht. »Bei der Gesellschaft würde mich nichts überraschen.« Sie hielt sich an der Kante der Öffnung fest und hielt die Fackel hoch. Das Licht floß über die glatten Metallwände. »Und was ist oben?« »LowTech-Zeug. Lagerkammern, die meisten davon leer. Ausgeräumt, als Weyland-Yutani die Mine schloß. Servicetunnel. Strom und Wasserleitungen. All die Tunnel und Schächte sind größer als eigentlich nötig. Die Ingenieure hatten soviel Bohr- und Ausschachtungsgeräte zur Verfügung, daß sie es sich so leicht wie möglich machen konnten. Sie haben alles in Übergröße gebaut.« Er hielt inne. »Glauben Sie, daß es nach dort oben gegangen sein kann?«
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»Es wird sich von Natur aus eine große, geräumige Kammer als Nest suchen, und es ist gerne über seiner ... Beute. Es läßt sich lieber darauf hinabfallen als von unten zu kommen. Außerdem sind die oberen Ebenen näher am Gefängnistrakt. Dort glaubt es uns eingeschlossen. Wenn wir Glück haben, können wir es von hinten angreifen. Wenn wir Pech haben ...« »Was dann?« warf Aaron ein. »Können wir es von hinten angreifen.« Sie schwang sich auf die Leiter und begann hinaufzuklettern. Sie war nicht nur von verkrustetem Schleim bedeckt. Die feuchte Luft, die von unten aufstieg, hatte das Wachstum von örtlichen Algen und anderen Mikroorganismen gefördert. Die Sprossen waren schlüpfrig und uneben. Sie achtete darauf, mit ihrer freien Hand fest am Rand der Leiter zuzupacken, während sie hochstieg. Der Schacht wurde ungefähr alle drei Meter von einem horizontalen Korridor gekreuzt. Auf jeder Ebene leuchtete sie mit ihrer Fackel hinein und suchte im Lichtschein alles genau ab, bevor sie ihren Aufstieg fortsetzte. Aaron achtete so genau auf Ripley, daß er die Konzentration auf seine eigenen Schritte vernachlässigte. Er rutschte ab, und Dillon, der hinter ihm ging, schwang den Arm mit der Fackel um die Leiter und ergriff den schwankenden Knöchel des Stellvertreters mit der anderen Hand. Dann schob er den bestiefelten Fuß wieder auf die nächste Sprosse. »Alles in Ordnung da oben?« erkundigte er sich mit einem heiseren Flüstern. »Prima«, erwiderte Aaron mit leicht zitternder Stimme. »Halten Sie mir nur nicht die Fackel unter den Hintern.« »Komisch, daß Sie davon sprechen«, sagte Dillon im Halbdunkel. »Aber davon träume ich schon seit Jahren.« »Sparen Sie es sich für ein anderes Mal auf, okay?« Aaron kletterte schneller. Er wollte nicht, daß Ripley sich gefährlich
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weit entfernte. »Noch eines, Mann«, sagte der Häftling leise. Der Assistenzdirektor blickte herab. »Was? »Wenn Sie mal den Platz tauschen wollen, sagen Sie nur Bescheid.« »Davon können Sie träumen.« Trotz der Umstände brachten die beiden Männer ein kumpelhaftes Grinsen zustande. Dann kletterten sie weiter. Das kurze Gefühl der Kameradschaft wich wieder der Sorge über ihre verzweifelte Lage. Ripley warf einen Blick nach unten und fragte sich, worüber sie sprachen. Es war gut, wenn ihnen unter diesen Umständen noch ein Lächeln gelang. Sie wünschte, daß sie mit ihnen lachen könnte, aber sie wußte auch, daß sie nicht konnte. Ihr war viel zu klar bewußt, was vor ihnen lag. Sie seufzte ergeben, erklomm die nächste Stufe und leuchtete in die nächste Öffnung. Genau in die Fratze des Wesens. Wenn ihre Finger sich nicht instinktiv zusammengezogen hätten, wäre sie sicherlich schreiend von der Leiter gestürzt. Erschrocken schwang sie die Fackel. Sie traf das Horrorwesen mitten auf den glänzenden schwarzen Schädel ... der in sich zusammenfiel. »Was ist los, was ist?« schrie Andrews unter ihr. Sie ignorierte ihn, während sie versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Erst dann zog sie sich hoch und betrat den Querschacht. Aaron und Dillon folgten ihr. Gemeinsam betrachteten sie die zusammengefallene, ausgetrocknete Hülle des ausgewachsenen Alien. »Ein häßlicher Vogel, was?« bemerkte Dillon. Ripley kniete sich nieder, um die abgeworfene Schale näher zu untersuchen. Bei der ersten Berührung zitterten ihre Finger leicht, bis sie langsam ruhiger wurden. Es war vollkommen
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harmlos, lediglich der Schatten eines Geistes. Nichts war mehr da. Der Schädel, den die Fackel getroffen hatte, war leer. Versuchsweise gab sie ihm einen leichten Stoß, und die massive Stromlinienform rollte zur Seite. Sie richtete sich auf. »Es hat sich gehäutet.« Sie blickte eindringlich den Tunnel hinauf. »Das hier ist ein neues. Ich habe so eins noch nie gesehen. Nicht in diesem Entwicklungsstadium.« »Was bedeutet das?« fragte Dillon. »Ich weiß es nicht. Es gibt nichts Vergleichbares. Eines können wir aber mit Sicherheit sagen. Es ist jetzt größer.« »Wieviel größer?« Auch Aaron schaute nun in den dunklen Tunnel. »Kommt darauf an«, murmelte Ripley. »Worauf?« »Was es geworden ist.« Sie ging an ihm vorbei und machte sich mit erhobener Fackel auf den Weg in den Tunnel. Irgend etwas trieb sie vorwärts, ließ sie eher eilen als ausruhen. Sie blieb kaum lange genug stehen, um die Seitengänge auszuleuchten, die vom Hauptschacht abgingen. Die Entdeckung des Alien hatte sie mit der gleichen unablässigen Willenskraft erfüllt, mit der sie die Zerstörung Acherons überlebt hatte. Willenskraft und ein wachsender Zorn. Sie mußte an Jonesy denken. Kein Wunder, daß sie und der Kater auf der Nostromo überlebt hatten. Neugier und ein Talent zum Überleben waren nicht die einzigen Fähigkeiten, die sie gemeinsam gehabt hatten. Jonesy gab es nicht mehr, ein Opfer der Zeitverzerrungen, die beim Raumflug unvermeidlich waren. Keine Katzenalpträume mehr für ihn. Nur sie mußte noch mit dem Leben fertig werden und mit all den Erinnerungen. »Langsamer.« Aaron mußte fast laufen, um mit ihr Schritt zu halten. Er hielt die Karte hoch und deutete nach vorne. »Wir
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sind fast da.« »Ich hoffe, daß es den Aufstieg wert war. Was ist mit den ganzen verdammten Aufzügen in der Anlage?« »Machen Sie Witze? Die hat man mit der ganzen Anlage stillgelegt. Hier sollten sich sowieso keine Gefangenen aufhalten.« Sie gingen noch etwa hundert Meter weiter. Dann ging der Tunnel in einen noch breiteren Gang über, der hoch und weit genug war, um nicht nur Arbeitern, sondern auch Fahrzeugen Platz zu bieten. Aaron blieb stehen, um mit seiner Fackel eine Tafel zu beleuchten, die in die Wand geschweißt war. GIFTMÜLLAGER HERMETISCH ABGESCHLOSSENE KAMMER KEIN ZUTRITT OHNE ERLAUBNIS Nur Giftstoffe der Klasse B8 oder höher. »So, so. Was haben wir denn hier?« Zum ersten Mal erlaubte sich Ripley, so etwas wie einen Funken Hoffnung zu spüren. »Es gibt auf dem Gelände ungefähr ein Dutzend solcher Kammern, weit verstreut.« Aaron beugte sich vor, um die detaillierten Informationen unter dem Warnschild zu studieren. »Diese hier liegt unseren Behausungen am nächsten.« Er tippte mit der Fackel an die Wand, und Funken stoben auf den Boden. »Hier sollte vor allem Giftmüll erster Klasse gelagert werden. Abfallprodukte der Raffinerie und so etwas. Einige dieser Kammern sind auch gefüllt und permanent versiegelt, andere sind teilweise gefüllt. Das war billiger, leichter und auch sicherer, als den Müll in Fässer zu füllen und in den Weltraum zu kippen. Diese hier ist nie benutzt worden. Vielleicht eben weil sie so nahe an den Wohnquartieren liegt. Vielleicht haben sie die
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Kammer auch einfach nicht benutzt, weil sie vorher dichtgemacht haben. Da drinnen ist es so sauber wie in einer Badewanne.« Ripley untersuchte die Wand. »Wie sieht der Eingang aus?« »Genauso wie man ihn für eine Lagereinrichtung in dieser Klasse erwarten darf.« Er führte sie zur Vorderseite. Die Tür war zerkratzt und dreckig, aber noch immer eindrucksvoll. Sie bemerkte die fast unsichtbaren Nähte an den Seiten. »Das ist also der einzige Weg hinein oder herauszukommen?« Aaron nickte. »Das stimmt. Ich habe die Einzelheiten überprüft, bevor wir losgingen. Der Eingang ist gerade groß genug, um einen kleinen Transporter-Lader samt Fahrer und Fracht aufzunehmen. Die Decke, die Wände und der Fußboden sind aus über einem Meter dickem, solidem Keramikkarbid-Stahl, genau wie die Tür. Alle Kontrollarmaturen und aktiven Teile liegen außerhalb oder sind in das Gestein selbst eingebettet.« »Wir müssen uns hier völlig im klaren sein. Wenn ich da etwas hineinbringe und die Türe schließe, dann gibt es keinen Ausweg?« Aaron knurrte zuversichtlich. »Genau. Keinen einzigen verdammten Ausweg. Dieses Baby ist dicht. Nach den Unterlagen erzeugt es ein perfektes Vakuum. Da kommt nichts durch, das größer wäre als ein Neutrino. Dieses Keramikkarbid-Zeug zerstreut sogar Laser. Man brauchte eine kontrollierte Atomsprengung, um da rein zu kommen.« »Sind Sie sicher, daß alles noch funktioniert?« Er deutete auf eine Kontrollbox ganz in der Nähe. »Warum probieren Sie's nicht einfach aus?« Ripley trat vor und brach das dünne Siegel auf, das die in die Wand eingebaute Box bedeckte. Ein Deckel schob sich nach unten und enthüllte mehrere Kontrollknöpfe. Sie studierte die Apparatur einen Moment und drückte dann einen großen
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grünen Knopf. Die riesige Tür schien sich weniger zu öffnen, als vielmehr lautlos in der Wand zu verschwinden. Sie ließ sie noch einmal hin und zurückgleiten, so sehr bewunderte sie das sanfte Spiel der Kräfte, die solch eine Masse mit derartiger Geschwindigkeit und Leichtigkeit bewegen konnten. Auch die anderen waren gleichermaßen beeindruckt. Die Effizienz der Technologie, die so lange im Dornröschenschlaf gelegen hatte, machte ihnen wieder neuen Mut. Hinter der geöffneten Barriere tat sich eine leere Kammer mit glatten Wänden auf. Ein hauchdünner Staubmantel bedeckte den Boden. Hier fanden mehrere ausgewachsene Aliens mit Leichtigkeit Platz. »Zeigen Sie mir noch mal die Karte.« Aaron reichte sie Ripley, und sie malte mit dem Zeigefinger ein Muster auf das Plastik. »Wir sind hier?« Er lehnte sich heran und nickte. »Die Verwaltung ist hier, die Versammlungshalle hier diesen Gang hinauf?« »Sie haben es erfaßt. Und zwar schnell«, fügte er beeindruckt hinzu. »Der Tatsache, daß mein Sinn für räumliche Relationen so ausgeprägt ist, verdanke ich mein Leben.« Sie tippte auf das Blatt. »Wenn wir das Alien dazu bringen, uns durch diese Gänge zu jagen, hier und hier, und sie hinter ihm nacheinander versiegeln, dann könnten wir es da hinein bekommen.« Alle drei blickten in die Lagerkammer. »Verstehe ich Sie richtig?« meinte Dillon. »Sie wollen es ausräuchern und durch die Gänge hetzen, es hier rein locken, die Tür zuschlagen und seinen Arsch hier einschließea?« Sie antwortete, ohne von der Karte aufzusehen. »Mhmm.« »Und Sie erwarten, daß wir Y-chromo-Jungs Ihnen dabei helfen?« »Haben Sie etwas Besseres zu tun?«
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»Warum sollten wir unsere Ärsche für Sie ins Feuer halten?« Jetzt erst sah sie ihn mit kalten Augen an. »Eure Ärsche hängen schon längst im Feuer. Die einzige Frage ist noch, was ihr dagegen machen wollt.«
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Aaron zeigte Ripley die riesigen Vorratsräume, begleitet von Häftling David. Als sie zu der Abteilung kamen, wo die Fässer verstaut waren, blieb er stehen. »Hier bewahren wir es auf. Ich weiß nicht mal den Namen von diesem Scheißzeug.« »Quinitricetyline«, klärte ihn David beflissen auf. »Ach ja, natürlich«, murmelte der Zweite Direktor, während er sein Notizbuch durchsah. »Okay. Ich mache mich dann auf den Weg, um mit Dillon die Sektionen für das Anstreichteam zu kennzeichnen. David, Sie sorgen dafür, daß diese Fässer transportbereit sind.« Er drehte sich um und ging in Richtung des Hauptschachtes davon. »Jawohl, fünfundachtzig!« rief David ihm nach. »Sie sollen mich nicht so nennen!« Aaron verschwand in der Finsternis des fernen Korridors. Ripley untersuchte die Fässer. Sie waren leicht angerostet und standen offenbar schon lange Zeit unberührt herum, aber ansonsten schienen sie intakt. »Was bedeutet dieses fünfundachtzig?« David packte den ersten Behälter. Er trug Handschuhe. »Die meisten nennen ihn so. Vor ein paar Jahren haben wir seine persönlichen Daten aus dem Computer gefischt. >Fünfundachtzig< ist sein Intelligenzquotient.«
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Er grinste und rollte das Faß davon. Ripley trat zur Seite. »Er scheint viel von diesem Zeug zu halten. Was meinen Sie?« Der Häftling stellte die Tonne zum Aufladen bereit. »Verdammt, ich bin nur ein blöder Wachmann, wie die anderen Typen hier auch. Aber ich habe mal gesehen, wie ein Faß von diesem Mist in einen Hafenschuppen fiel. Nach der Explosion mußte ein Schlepper für siebzehn Wochen ins Trockendock. Tolles Zeug.« In einem anderen Teil der Vorratsräume durchsuchten die Häftlinge Troy und Arthur die Berge ausgemusterter elektronischer Ausrüstung. Troy schob eine Glühhirne in den Zylinder, den er in der Hand hielt, drückte mit dem Daumen den Scha lter, zog die kaputte Birne fluchend wieder heraus und sah sich nach einer neuen um. »So ein Mist. Von diesen verdammten Glühbirnen funktioniert vielleicht eine von zweitausend.« Sein Begleiter unterbrach seine eigene Suc haktion. »He, es könnte viel schlimmer sein. Wir hätten auch den Anstreichjob kriegen können.« Er steckte eine Glühbirne in seine Lampe und drückte den Schalter. Zu seinem Erstaunen und seiner Freude leuchtete sie auf. Die beiden Männer füllten den Luftschacht fast aus. Sie strichen die Innenwände mit dem stechenden Quinitricetyline. »Diese Scheiße stinkt furchtbar«, verkündete der Häftling Kevin zum hundertsten Mal. Sein Begleiter ließ sich kaum zu einer Antwort herab. »Ich hab's dir schon gesagt; du sollst es nicht einatmen.« »Warum nicht?« »Wegen der beschissenen Dämpfe.« »Ich stecke mit diesen Dämpfen in einer beschissenen Röhre.
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Soll ich aufhören zu atme n?« Vor der Giftmüllkammer kippten andere Männer Eimer mit QTC auf den Boden und versuchten, es so gut wie möglich zu verteilen. Einige hatten Besen und Aufnehmer, andere konnten nur ihre Stiefel benutzen. Ripley wartete mit Dillon im Gang. Alles war nach Plan verlaufen, aber ob das so weitergehen würde, blieb abzuwarten. Er sah sie an und studierte ihren Gesichtsausdruck. Dillon war nicht übermäßig sensibel, aber er hatte viel vom Leben mitbekommen. »Sie vermissen den Doc, stimmt's?« »Ich kannte ihn gar nicht so gut«, murmelte sie ausweichend. »Ich dachte, Sie wären sich ziemlich nahe gekommen.« Jetzt erst sah sie ihn an. »Sie haben wohl durch ein paar Schlüssellöcher geschaut.« Dillon lächelte. »Ich habe daran gedacht.« Die Übelkeit überkam sie nicht langsam; sie griff heftig und blitzschnell an. Sie verlor fast das Gleichgewicht und mußte sich würgend und hustend an die Wand lehnen. Dillon wollte sie stützen, aber sie schob ihn weg. Er betrachtete sie besorgt, während sie nach Atem rang. »Sind Sie okay?« Sie holte tief Luft und nickte. »Wie Sie meinen. Aber für mich sehen Sie nicht okay aus, Schwester.« * Aaron schaute auf die Gefangenen, die mit ihm gekommen waren. Einige standen vor ihm, andere auf dem oberen Laufsteg. Sie alle trugen scharfgemachte Notfallfackeln, die sich bei hartem Kontakt entzündeten.
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»Okay, hört zu.« Alle Augen richten sich aufmerksam auf ihn. »Entzündet keine Flamme, bevor ich den Befehl gebe. Das ist das Signal.« Er hob den rechten Arm. »Habt ihr das kapiert? Könnt ihr das behalten?« Alle hörten angespannt zu. Der Mann, der am nächsten neben dem vertikalen Luftschacht stand, war so angespannt, daß ihm die Fackel aus der Hand glitt. Er wollte sie packen, griff daneben und sah mit angehaltenem Atem, wie sie in die Leiste neben seinem Fuß rollte. Sein Begleiter hatte nichts bemerkt. Er kniete nieder und brachte sie wieder an sich. Erleichtert atmete er auf. Im gleichen Augenblick erschien das Alien hinter dem Rost, auf dem die Fackel so bedrohlich hin und her gerollt war und griff nach ihm. Er brachte einen Schrei heraus und ließ die Fackel erneut zu Boden fallen. Wo sie hell aufloderte. Aaron hörte und sah die Explosion gleichzeitig. Seine Augen weiteten sich. »Nein, verdammt noch mal. Wartet auf das verdammte Signal. O Scheiße!« Dann sah er das Alien und dachte nicht mehr an die Fla mmen. Sie verbreiteten sich so schnell, wie die verzweifelten Planer gehofft hatten. Das Feuer schoß die mit QTC gestrichenen Korridore hinab, züngelte Luftschächte hinauf und grillte die getünchten Böden und Gänge. Ripley hörte in ihrem Korridor, wie die Flammen näher kamen und preßte sich gegen eine unbemalte Stelle, während die Luftschächte über ihr in Flammen gehüllt wurden. Ein Häftling in der Nähe war nicht so schnell. Er schrie, als seine Kleidung durch die Hitze Feuer fing. Morse rollte sich verzweifelt vor den züngelnden Flammen davon, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie das Alien über ihm vorbeihastete.
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a?Es ist hier drüben! He, es ist hier!« Niemand besaß die Neigung oder die Möglichkeit, seinem Alarm Taten folgen zu lassen. Es war unmöglich, die Ereignisse auch nur noch halbwegs zu überblicken. Verletzte stürzten sich von brennenden Geländern oder von heißen Rosten. Der Häftling Eric sah, wie das Feuer nach ihm griff und schwang sich im letzten Moment in die Sicherheit einer unbemalten Serviceröhre. Kaum hatte er sich hineingezwängt, als die Flammen an ihm vorbeischossen und die Sohlen seiner Stiefel ansengte. Ein Mann wurde getötet, als das Alien aus einem dampfenden Ventilationsschacht auftauc hte und direkt auf ihm landete. Aaron und ein weiterer Häftling rannten wie von Sinnen auf die Giftmüllkammer zu und versuchten den Flammen zu entkommen. Der Zweite Direktor schaffte es. Der andere Mann war nicht ganz so schnell, er hatte weniger Glück. Das Feuer kreiste ihn ein, ohne ihn jedoch aufzuhalten. Als sie stolpernd die Abzweigung zur Giftmüllkammer erreicht hatten, gelang es Ripley, Dillon und dem Häftling George, den brennenden Mann auf den Boden zu reißen und die Flammen auf seinem Rücken zu ersticken. Aaron schnappte nach Luft. Plötzlich hörte er über sich ein Geräusch. Erstaunlich geistesgegenwärtig schnappte er sich einen QTCgetränkten Aufnehmer und hielt ihn in die nahen Flammen. Dann riß er die improvisierte Fackel in die Höhe und stieß sie durch die offene Luke des oberen Schachts. Die hastenden Schritte entfernten sich. Ein Häftling starb in Juniors Armen. Seine Lippen bewegten sich, ohne Worte zu formen. Junior sprang auf und stürzte sich wütend in den Rauch und das Feuer hinein. »Komm schon, du Scheusal, hol mich doch! Komm und hol mich!« Im Hauptzugangskorridor brach ein Mann hustend und nach Atem ringend zusammen. Das letzte, was er sah, als er zu
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Boden ging, war das Alien, das vor einer Silhouette aus Feuer und enormer Hitze vor ihm aufstieg. Er versuchte zu schreien, aber es gelang ihm nicht mehr. Junior bog um eine Ecke und kam schlitternd zum Stehen. Das Alien wirbelte herum. »Lauf, lauf!« Der verzweifelte Mann rannte an dem Monster vorbei, das sofort seine Verfolgung aufnahm. Vor dem Eingang zur Giftmüllkammer trafen sie alle wieder zusammen, Ripley und Dillon, Aaron und Morse, die Häftlinge, die überlebt hatten. Als das Alien auftauchte, um sie anzugreifen, folgten sie Aarons Beispiel, setzten Aufnehmer in Brand und feuerten die improvisierten Geschosse auf das Ungeheuer ab. Junior nutzte die Situation, um sich von hinten an es heranzuschleichen. »Hier! Nimm das, du Arsch!« Wieder einmal demonstrierte das Alien seine Neigung, im Kampf das Nächstliegende dem Allgemeinen vorzuziehen. Es wirbelte herum und stürzte sich auf Junior. Zusammen stolperten sie nach hinten ... in die Lagerkammer. Ohne sich von der Hitze abhalten zu lassen, erstickte Dillon noch immer die Flammen auf brennenden Kameraden. Als die Kleidung des letzten Mannes nur noch qualmte, wandte er sich ab und versuchte, durch den Brand zur Rückwand zu gelangen. Ripley hatte die Kontrollbox erreicht und drückte den roten Knopf, während Aaron weitere brennende Aufnehmer in die Kammer schleuderte. Eine Sekunde später setzte Dillon die Sprinkleranlage in Gang. Junior stieß einen letzten, verzweifelten Schrei aus, der verstummte, als sich die schwere Tür vor ihm schloß und die Giftmüllkammer versiegelte. Gleichzeitig strömte das Wasser herab, und erschöpfte, geschockte Männer, alle mit den verschiedensten Brand und Rauchverletzungen, hockten bewegungslos auf dem Gang.
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Hinter der Tür ertönte ein Geräusch, wie ein weit entferntes Kratzen. Dinge, nicht Hände, ertasteten die Umgebung, NichtFinger kratzten an den Wänden. Das gefangene Alien suchte nach einem Ausweg. Langsam verstummte das Geräusch. Zwei der Überlebenden sahen einander an, als wollten sie in Jubel ausbrechen. Ripley nahm ihnen barsch die Freude. »Es ist noch nicht vorbei.« »Unsinn!« entgegnete einer der Männer erregt. »Es ist drin, die Tür hat funktioniert. Wir haben es.« »Wovon reden Sie?« wollte nun auch Aaron von ihr wissen. »Wir haben den Bastard in der Falle, ganz wie Sie es geplant hatten.« Ripley sah ihn nicht einmal an. Sie brauchte auch nichts weiter zu erklären, denn plötzlich wurde die Stille von einem ohrenbetäubenden Schlag zerrissen. Einige Männer stöhnten auf, zwei rannten davon. Die anderen starrten ungläubig auf die Tür, in der sich eine riesige Ausbuchtung zeigte. Das Echo des Aufpralls donnerte durch die verschiedenen Gänge. Bevor es noch ganz verhallt war, vibrierte ein zweiter donnernder Schlag durch die Vorkammer, und eine zweite Delle zeigte sich in der Tür. »Dieser Scheißkerl«, knurrte Aaron. »Die Tür ist aus Keramikkarbid.« Dillon hörte ihm nicht zu. Auch er hatte das Talent zum Überleben. Er beobachtete Ripley, und da diese sich nicht bewegte, blieb auch er stehen. Wenn sie weglaufen würde, dann würde er ihr ohne Zögern oder anzuhalten auf dem Füße folgen. Aber sie lief nicht weg, auch nicht, als sich eine dritte Ausbuchtung bildete. Seine Ohren dröhnten. Diese Frau hätte ich gerne früher kennengelernt, ging es ihm durch den Kopf. Diese Frau konnte einen Mann verändern, konnte den Kurs und die Richtung seines Lebens ändern. Sie hätte auch seines ändern
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können. Aber das war vorher. Jetzt war es zu spät, und zwar schon lange. Nun zerrten keine Schlagvibrationen mehr an seinem Trommelfell. In der Barriere erschien keine vierte Ausbuchtung. Totenstille hing über dem Korridor. Langsam wanderten die Blicke von der eingedrückten, aber intakten Tür zu der Frau, die einsam vor den Männern stand. Als sie sich langsam an der Wand niederließ und die Augen schloß, klang der vereinte Seufzer der Erleichterung, der den Gang füllte, wie der letzte verebbende Windhauch, der das Ende des vorübergezogenen Sturmes anzeigt.
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Die Überlebenden trafen sich in der Versammlungshalle. Sie waren dezimiert worden, hatten aber wieder neuen Mut geschöpft. Dillon stand vor ihnen. Er wartete, bis alle anwesend waren. Erst dann begann er. »Freut euch Brüder! Selbst für die, die gefallen sind, ist dies eine Zeit der Freude. Auch wenn wir ihr Dahinscheiden betrauern, so zollen wir ihrem Mut Ehre. Durch ihr Opfer leben wir, und wer von uns vermag zu sagen, wer es besser hat, die Lebenden oder die Toten? Eines ist sicher: sie werden belohnt werden. Sie sind schon jetzt an einem besseren Ort, denn einen schlimmeren als diesen kann es nicht geben. Sie werden ewig leben. Freuet euch! Die von uns gegangen sind, sind nicht tot. Sie leben weiter, frei von ihren Fesseln, frei von den Wunden, die ihnen eine gedankenlose Gesellschaft zugefügt hat. Sie hat sie verstoßen, doch nun haben sie die Gesellschaft verstoßen. Sie sind emporgestiegen.
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Höher! Freut euch und sagt Dank!« Die Männer neigten sich herab und murmelten leise vor sich hin. Ripley und Aaron beobachteten die Szene von der Galerie aus. Nach einer Weile sah Aaron seine Begleiterin an. Beide hatten einige Zeit unter der Dusche gestanden. Sie waren zwar noch immer erschöpft, aber zumindest sauber. Ripley hatte die heißen, trommelnden Strahlen genossen. Sie wußte, daß sie dieses Mal kein wachsames Auge auf die Luftschächte oder die Rohrleitungen werfen mußte. »Was halten Sie davon?« Er deutete auf die zerlumpte kleine Versammlung unter ihnen. Sie hatte nur mit halbem Ohr zugehört, ihre Gedanken waren woanders. »Nicht allzuviel. Aber ich denke, wenn es ihnen etwas bringt ...« »Sie haben völlig recht. Die Typen sind irre. Aber es hält sie ruhig. Der Direktor und ich waren da einer Meinung. Andrews sagte immer, wie gut es sei, daß Dillon und seine Schäfchen auf diese Sektenekstase abfahren. Danach sind sie gefügiger.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Sie halten nichts von Religion?« »Ich? Scheiße, nein. Ich habe einen Job.« Er sah nachdenklich aus. »Ich schätze, daß der Rettungstrupp in vier, fünf Tagen hier sein wird. Höchstens sechs. Sie öffnen die Tür, gehen mit ihren intelligenten Kanonen da rein und killen den Bastard? Ric htig?« Ihre Stimme klang gleichgültig. »Haben Sie schon was von ihnen gehört?« »Nein.« Die Situation gefiel ihm mittlerweile recht gut. Er selbst gefiel sich ebenfalls recht gut. Aus diesem Mist würde sicherlich etwas Gutes für ihn entstehen.
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»Wir haben nur ein >Nachricht verstanden< erhalten. Keine Einzelheiten. Später haben wir eine Meldung bekommen, die besagte, Sie seien oberste Priorität. Wieder ohne Erklärung. Sie teilen uns nicht gerne etwas mit. Wir sind hier draußen am Arsch der Welt.« »Hören Sie«, begann sie vorsichtig. »Wenn die Gesellschaft das Ding mitnehmen will ...« »Es mitnehmen? Machen Sie Witze? Die sind doch nicht wahnsinnig. Sie werden es sofort töten.« Er sah sie ungläubig an und zuckte dann im Geist mit den Schultern. Manchmal glaubte er diese ungewöhnliche Frau genau zu kennen, nur um wenig später völlig überrascht zu werden. Nun, es war nicht seine Aufgabe, sie zu verstehen; nur sie am Leben zu halten. Das war es, was Weyland-Yutani wollte. Jetzt, wo Andrews tot und das Alien sicher verwahrt war, begann er, einige Möglichkeiten in der Situation zu sehen. Er hatte jetzt nicht nur die Leitung hier, er würde auch derjenige sein, der den Vertreter der Gesellschaft begrüßen und ihn über die Lage unterrichten würde. Er konnte die Ereignisse und seine eigene Rolle seinen Vorgesetzten sicherlich eindrucksvoll darstellen. Vielleicht war ein Bonus für ihn drin, oder vielleicht sogar eine frühzeitige Pensionierung von dem Job auf Fiorina. Es schien ihm nicht zuviel, was er sich erhoffte. Außerdem verdiente er nach all den Jahren, in denen er vor Andrews hatte kriechen müssen, und den Ereignissen der letzten beiden Tage eine Belohnung. »He, Sie machen sich wirklich Sorgen, was? Warum? Was gibt es noch für Probleme. Das verdammte Ding ist eingesperrt, es kann uns nicht mehr an den Kragen.« »Es ist nicht das Alien. Es ist die Gesellschaft. Ich habe das schon zweimal mitgemacht. Sie wollten eines dieser Dinger, von dem ersten Augenblick an, da eines meiner ursprünglichen Crewmitglieder sie entdeckt hatte. Zur Erforschung biologi-
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scher Waffen. Sie haben keine Ahnung, womit sie es hier zu tun haben, und es ist mir völlig egal, wie viele Daten sie mittlerweile gesammelt haben. Ich habe Angst, daß sie versuchen werden, dieses hier mitzunehmen.« Er starrte sie mit offenem Mund an, und sein ehrliches Erstaunen ermutigte sie. Sie hatte Verbündete, zumindest für den Augenblick. »Zurückbringe n? Sie meinen lebendig? Zur Erde?« Er sah, wie sie nickte. »Sie machen Witze.« »Sehen Sie mich an, Aaron. Ich erzähle das nicht zum Spaß.« »Scheiße, Sie meinen es ernst. Aber das ist Wahnsinn. Sie müssen es töten.« Ripley lächelte grimmig. »Genau. Wir sind also derselben Meinung?« »Jawohl, Sie haben verdammt recht«, entgegnete er eifrig. Er stand also auf ihrer Seite, überlegte sie. Jetzt noch. Die Gesellschaft verstand es, Menschen umzustimmen, sie dazu zu bringen, ihre Meinung zu ändern. Von ihren Werten ganz zu schweigen. * Es war still auf der Krankenstation. Der Frieden war in die Anstalt zurückgekehrt, wenn auch nicht zu allen ihren Bewo hnern. Aaron wußte, daß einige der Häftlinge auf Fiorina waren, weil sie gewisse rezeptpflichtige Pharmazeutika zu persönlichen Zwecken mißbraucht hatten. Nun, da Clemens nicht mehr da war, fürchtete er, daß einige von ihnen diese Stoffe oder ihre chemischen Verwandten entwenden könnten. Deshalb hatte er Morse entsandt, um auf die Giftschränke und auch auf den einzigen Patienten ein Auge zu werfen. Morse saß auf einer der Kojen und überflog einen Viewer. Er
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war einer der wenigen, die sich nicht über die mageren Unterhaltungsmöglichkeiten beklagten, er hatte für solche Zerstreuungen nie viel übrig gehabt. Er war ein Mann der Tat, war es zumindest in früheren, aktiveren Tagen gewesen. Jetzt war er nichts als ein Gauner, der von Erinnerungen lebte. Obwohl sie einander seit Jahren kannten und schon Seite an Seite gearbeitet hatten, hatte Golic Morse mit keinem Wort begrüßt und auch danach keinen Ton hervorgebracht. Doch nun wandte der bullige Mann seinen Blick von der Wand. Seine Arme steckten noch immer in der altertümlichen Zwangsjacke. »He, Morse.« Der Ältere blickte von seinem Viewer auf. »Du kannst also doch sprechen. Und wenn schon. Du hattest sowieso nie was zu sagen.« »Komm, Bruder. Zieh mir dieses Ding aus.« Morse grinste höhnisch. »Oh, jetzt, wo sie dich wie einen Sonntagsbraten eingewickelt haben, bin ich plötzlich ein Bruder. Komm mir nicht mit so einer Scheiße.« »Komm doch, Mann, sei nicht so. Dieses Ding ist höllisch unbequem. Gib mir 'ne Chance.« »Niemals. Ich hab' meine Befehle.« »Bitte, Mann. Es tut weh.« »Pech.« Morse wandte sich wieder seinem Viewer zu. »Wenn Aaron sagt, daß ich dich losmachen soll, mach' ich dich los. Bis dahin bleibst du in der Jacke. Ich will keinen Ärger, besonders nicht, wenn ein Schiff der Gesellschaft kommt.« »Ich hab' nichts getan. Ich meine, sicher war ich eine Weile ein bißchen überdreht. Scheiße, nachdem was ich gesehen habe, wer wäre das nicht gewesen? Aber jetzt bin ich okay. Der Doc hat mich wieder hingekriegt. Frag ihn doch einfach.«
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Morse sah ihn mißtrauisch an. »Das geht nicht. Den Doc hat's erwischt. Und du warst dabei.« »O ja, stimmt. Jetzt fällt es mir wieder ein. Schade. Er war kein schlechter Kerl, auch wenn er mir dieses Ding angelegt hat.« »Halt jetzt den Mund.« Morse verzog angewidert das Gesicht. Golic bettelte weiter. »Was habe ich denn getan. Sag es mir doch, was habe ich getan?« Morse seufzte und stellte den Viewer beiseite. Er sah zu seinem Mithäftling hinüber. »Ich weiß es nicht, aber ich sage dir jetzt eines. Ich werde deinen Arsch bewachen, genau, wie man es mir befohlen hat.« Golic zog verächtlich die Nase hoch. »Du hast vor diesem Hosenscheißer Aaron Angst?« »Nein, auch wenn er momentan der Anstaltsleiter ist. Ich will nur keinen Ärger mit Dillon, und wenn du schlau bist, was ich bezweifle, dann solltest du besser auch keinen wollen.« Der größere Mann seufzte düster. »Ich habe nur von dem Drachen erzählt. Davon, was er mit Boggs und Rains gemacht hat. Keiner hat mir geglaubt, aber ich habe die Wahrheit gesagt. Ich bin der letzte, den man festbinden sollte. Es ist nicht fair. Du weißt, daß ich nicht lüge. Du hast es selbst gesehen.« Morse nickte. »Und ob ich es gesehen habe! Es war groß. Und schnell. Mann, war das Biest schnell. Und häßlich.« Er schüttelte sich leicht. »Es gibt sauberere Arten zu sterben.« »Du hast recht.« Golic sträubte sich vergebens gegen seine Fesseln.
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»Binde mich los, Mann. Du mußt mich losbinden. Was passiert, wenn es hier reinkommt. Ich könnte nicht mehr weglaufen. Ich wäre totes Fleisch.« »Du wärst auch so totes Fleisch. Ich habe genug von diesem Vieh gesehen. Aber das spielt keine Rolle, weil es nicht hier reinkommen wird.« Er lächelte stolz. »Wir haben es gefangen. Ich und die anderen. Hinter Schloß und Riegel. Ich wette, es ist völlig durchgedreht. Sobald das Schiff ankommt, wird sich die Gesellschaft darum kümmern.« »Bestimmt«, pflichtete Golic ihm bei. »Und nach dem, was ich gehört habe, sind sie bald hier. Also was soll's? Warum muß ich in dieser Jacke bleiben? Wenn das Schiff kommt, sind meine Arme abgestorben. Dann muß ich operiert werden, völlig sinnlos. Komm schon, Mann. Du weißt, daß sie mich nicht mitnehmen werden, und es kann Monate dauern, bis ein neuer Arzt kommt. Ich werde leiden, und du bist schuld.« »He, sachte, Mann. Ich hab' dir das Ding nicht angelegt.« »Nein, aber du läßt mich drin, und der Typ, der es angeordnet hat, ist tot. Aaron kümmert es einen Dreck. Der hat zu viel damit zu tun, sich an den Leutnant ranzuschmeißen. Hat er sich überhaupt mal nach mir erkundigt?« »Nun, eigentlich nicht«, gab Morse zu. »Siehst du?« Golics Gesicht leuchtete vor pathetischem Eifer. »Ich mach' dir keinen Ärger, Morse. Ich verkrieche mich, bis das Schiff landet. Aaron wird gar nicht merken, daß ich da bin. Komm schon, mach mich los. Ich habe Hunger. Was ist denn schon dabei? Habe ich dir nicht immer Zigaretten geschenkt?« »Na ja ... das hast du.« »Du bist mein Freund. Ich mag dich.« »Ja, ich mag dich auch.« Morse zögerte und fluchte dann leise.
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»Scheiß drauf, warum nicht? Niemand verdient es, den ganzen Tag wie ein Tier festgebunden zu sein. Nicht mal ein großer, tumber Schwachkopf wie du. Aber du benimmst dich. Wenn du Scheiße baust, kriege ich verdammt viel Ärger.« »Sicher, Morse. Ich mach' alles, was du sagst.« Golic drehte sich um, und Morse löste die Klammern an den Riemen. »Kein Problem. Vertrau mir, Kumpel. Ich hätte das auch für dich getan.« »Ja, aber ich bin nicht blöd genug, mich in diesen Frack stecken zu lassen. Die wissen, daß ich normal bin«, meinte Morse. »Mach dich nicht über mich lustig. Rede ich wie ein Verrückter? Natürlich nicht. Aber jeder macht sich über mich lustig. Nur weil ich soviel esse.« »Es ist nicht die Tatsache, daß du gerne ißt, es sind deine Tischmanieren, Mann.« Morse kicherte über seinen eigenen Witz, während er den letzten Riemen löste. »Das war's.« »Hilf mir bitte, ja? Meine Arme sind so taub, daß ich sie nicht bewegen kann.« »Scheiße. Schlimm genug, daß sie mir befehlen, auf dich aufzupassen, jetzt muß ich auch noch Kindermädchen spielen.« Er streifte Golic die Jacke ab. Der größere Mann half mit, so gut er konnte. »Wo haben Sie das Biest eigentlich?« »In der nächstgelegenen Giftmüllkammer auf Ebene fünf. Mann, haben wir das Ding reingelegt! Ich meine, das Vieh sitzt fest.« Er begann fast zu schwärmen. »Die Scheiß-Marines haben's nicht geschafft, aber wir.« Golic ruderte mit den Armen. Sie flogen von hinten über seinen breiten Brustkorb, dann wirbelte er sie herum, um den Blutkreislauf wieder in Schwung zu bringen.
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»Aber es lebt noch?« »Ja. Schade. Du hättest die Dellen sehen sollen, die es in die Tür geschlagen hat. Eine Keramikkarbid-Tür, Mann!« Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ein verdammt zäher Organismus. Aber wir haben ihn erwischt.« »Ich muß ihn wiedersehen.« Der Blick des großen Mannes war auf einen Punkt hinter Morse gerichtet, auf etwas, das nur Golic sehen konnte. Seine Miene war ausdruckslos und undurchdringlich. »Muß ihn wiedersehen. Er ist mein Freund.« Morse wich argwöhnisch zurück. »Wovon, zum Teufel, sprichst du?« Er blickte zur Eingangstür der Krankenstation hinüber. Golic riß fast beiläufig einen Feuerlöscher von der Wand. Die Augen des anderen weiteten sich. Er versuchte, an Golic vorbei zur Tür zu gelangen, aber er war zu langsam. Der Feuerlöscher sauste herab, einmal, zweimal, und Morse brach zusammen wie ein schlechtes Alibi. Golic betrachtete ihn nachdenklich. Die Traurigkeit des Wahnsinnigen spiegelte sich in seinem Gesicht, sein Tonfall war entschuldigend. »Tut mir leid, Bruder, aber ich hatte das Gefühl, du würdest mich nicht verstehen. Keine Zigaretten mehr für dich, Kumpel.« Lautlos stieg er über den bewußtlosen Körper und verließ den Raum.
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12.
Aaron fingerte an dem Raumkommunikator herum. Er war in die Bedienung der Anlage eingeweiht worden, bei seinem Dienstgrad war es Pflicht, sie bedienen zu können. Aber seit er nach Fiorina geschickt worden war, hatte er keine Möglichkeit mehr gehabt, seine Kenntnisse anzuwenden. Die wenigen Male, bei denen die kostspielige, fast augenblickliche Kommunikation zwischen der Anlage und dem Hauptquartier erforderlich gewesen war, ha tte Andrews die Dinge in die Hand genommen. So war er gleichermaßen erfreut und erleichtert, als die ersten Zeichen auf dem Bildschirm erschienen und anzeigten, daß der Kontakt mit den notwendigen Relais hergestellt war. Ripley beugte sich über ihn, während er das Keyboard bediente. Sie gab ihm keine Ratschläge, und auf eine seltsame, aber dennoch ehrliche Art war er ihr dankbar dafür. Noch während er sendete, erschien die Botschaft auf dem Hauptbildschirm. Jeder Buchstabe repräsentierte eine ungeheuere Sendestärke. Glücklicherweise arbeitete die Kernschmelzungsanlage so effektiv wie immer, so daß an der notwendigen Energie kein Mangel bestand. Was die Kosten anbetraf, nun, das war etwas ganz anderes, aber er beschloß diesen Aspekt zu ignorieren, bis und falls die Gesellschaft darüber reden wollte. FURY 36l STRAFANSTALT KLASSE C FIORINA MELDUNG: TODESFÄLLE: DIR. ANDREWS, MED. OFF. CLEMENS, 8 HÄFTLINGE. NAMEN: ...
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Als er die Liste beendet hatte, schaute er sich nach ihr um. »Okay, das war der erste Teil. Schön formal, so wie die Gesellschaft es gerne hat. Was sage ich jetzt?« »Sagen Sie ihnen, was geschehe n ist. Daß das Alien mit dem RF gelandet und in den Komplex eingedrungen ist, daß es die Bewohner des Planeten einen nach dem anderen niedergemacht hat, bis wir einen Plan entwickelt und es in eine Falle gelockt haben.« »Gut.« Er wandte sich wieder seiner Tastatur zu. Er zögerte. »Wie soll ich es nennen? Einfach das >Alien« »Das wird der Gesellschaft wahrscheinlich reichen. Sie wissen, was Sie meinen. Technisch gesehen ist es ein Xenomorph.« »Gut.« Er zögerte erneut. »Wie buchstabiert man das?« »Hier.« Sie schob ihn mit dem Ellbogen beiseite und beugte sich über das Keyboard. »Mit Ihrer Erlaubnis?« »Machen Sie nur«, meinte er generös. Staunend sah er zu, wie ihre Finger über die Tasten flogen. HABEN XENOMORPH GEFANGEN. ERBITTEN ERLAUBNIS ZUR LIQUIDIERUNG. Aaron runzelte die Stirn, als sie zurücktrat. »Das war verschwendet. Wir können es gar nicht töten. Wir haben keine Waffen, haben Sie das vergessen?« Ripley ignorierte ihn und konzentrierte sich auf den leuchtenden Bildschirm. »Das müssen wir ihnen ja nicht verraten.«
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»Warum fragen wir dann?« Er war ganz offenbar verwirrt, und sie hatte es nicht eilig, ihn aufzuklären. Sie mußte an wichtigere Dinge denken. Schon tauchten die ersten Buchstaben auf der Anzeige auf. Sie lächelte böse. Sie verschwendeten keine Zeit mit ihrer Antwort. Zweifellos hatten sie Angst, daß sie beim Ausbleiben einer schnellen Antwort ihre Anfrage einfach in die Tat umsetzen würde. AN FURY 36l STRAFANSTALT KLASSE C VOM NETZWERK COMCON WEYLAND-YUTAMI NACHRICHT ERHALTEN Aaron lehnte sich zurück und rieb sich erschöpft die Stirn. »Sehen Sie, das ist alles, was sie uns je mitteilen. Behandeln uns wie Dreck, so als ob wir es nicht wert wären, daß man Geld für ein paar zusätzliche Worte ausgibt.« »Warten Sie nur«, meinte Ripley. Er blinzelte erstaunt. Die erwartete offizielle Bestätigung verschwand vom Bildschirm, aber schon erschienen dort neue Buchstaben. SUCHTRUPP TRITT IN 12 STUNDEN IN IHRE UMLAUFBAHN EIN. EINTREFFEN ABWARTEN. ERLAUBNIS ZUR LIQUIDIERUNG DES XENOMORPHS VERWEIGERT. VERMEIDEN SIE BIS ZUM EINTREFFEN DES SUCHTRUPPS JEDEN KONTAKT. WIEDERHOLE BEFEHL ERLAUBNIS VERWEIGERT. Es folgte noch mehr von der gleichen Machart, aber Ripley hatte genug gesehen.
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»Scheiße.« Sie wandte sich ab und kaute gedankenverloren auf ihrer Unterlippe herum. »Ich wußte es.« Sein Blick verengte sich, während er versuchte, sich auf sie und den Bildschirm zu konzentrieren. »Was meinen Sie, Sie wußten es? Es bedeutet gar nichts. Vielleicht wissen sie, daß wir keine Waffen haben.« »Und warum dann ein Befehl? Warum bestehen sie so ängs tlich darauf, daß wir etwas nicht tun, wovon sie wissen, daß wir es gar nicht tun können?« Er zuckte unschlüssig mit den Schultern. »Wahrscheinlich wollen sie keine Risiken eingehen.« »Das stimmt«, murmelte sie entschlossen. »Sie wollen keine Risiken eingehen.« »He«, meinte Aaron plötzlich. »Sie denken doch nicht etwa daran, die Firmenpolitik zu unterlaufen, oder?« Jetzt lächelte sie. »Wer, ich? Verbannen Sie den Gedanken aus Ihrem Kopf.« * Der Vorraum der Giftmüllkammer war nur spärlich erhellt, aber die unzureichende Beleuchtung störte die beiden Wache schiebenden Gefangenen nicht. Es gab nichts mehr in den Schächten und Tunneln, das ihnen etwas tun konnte, und in der Kammer war es still. Die drei Dellen waren deutlich sichtbar, aber sie waren nicht größer geworden, und es war keine vierte hinzugekommen. Ein Häftling lehnte lässig an der Wand und kratzte mit einem dünnen Stück Plastik den Dreck unter seinen Fingernägeln hervor. Sein Begleiter saß auf dem ha rten kalten Boden und sprach mit sanfter Stimme.
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»Und ich sage dir, das Ding ist längst tot.« Der Sprecher hatte sandblondes Haar mit grauen Flecken an den Schläfen, und seine lange, gebogene Nase hätte einen Beobachter zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort an einen libanesischen Kaufmann erinnert. »Woher willst du das wissen?« fragte sein Begleiter. »Du hast doch gehört, was der Direktor gesagt hat. Nichts kann in diese Schachtel rein und nichts kann raus.« Er deutete mit dem Daumen zur Lagerkammer hin. »Nicht einmal Gase.« »Na und?« Der erste Mann tippte sich gegen die Stirn. Denk nach, Schwachkopf. Wenn kein Gas entweichen kann, dann kann auch kein Sauerstoff reinkommen. Und dieses Mistvieh ist schon so lange da drin, daß es die Luft schon zweimal aufgebraucht hat.« Der andere schielte zu der eingedellten Tür hinüber. »Na ja, vielleicht.« »Was soll das heißen, >Vielleicht Es ist groß, und deshalb verbraucht es viel Sauerstoff. Viel mehr als ein Mensch.« »Das wissen wir nicht«, entgegnete sein Freund mit dem düsteren Tonfall des ewigen Skeptikers. »Es ist eben kein Mensch. Vielleicht braucht es weniger Luft. Oder es kann so eine Art Winterschlaf halten.« »Vielleicht solltest du mal reingehen und nachsehen, wie es ihm geht.« Der Angesprochene sah nur gelangweilt von seiner Arbeit auf. »He, hast du das gehört?« Der andere sah plötzlich nach rechts, in das finstere Licht des Haupttunnels. »Was ist denn los?« fragte sein Begleiter grinsend. »Kommt der Schwarze Mann?«
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»Verdammt noch mal, ich habe was gehört.« Dann hörten sie beide deutlich die Fußschritte, die sich näherten. »Mist.« Der Manikürte stieß sich von der Wand ab und schaute in die Dunkelheit. Eine Gestalt tauchte auf, die Hände hinter dem Rücken. Die beiden Männer atmeten erleichtert auf und lachten verlegen. »Scheiße, Golic.« Der kleinere Mann setzte sich wieder auf den Boden. »Du hättest dich wirklich anmelden können. Wenigstens pfeifen oder so.« »Ja«, sagte sein Freund und deutete auf die Kammer. »Das Ding kann bestimmt nicht pfeifen.« »Ich werde dran denken«, meinte der große Mann. Sein Blick war leer, und er schwankte leicht hin und her. »He, bist du okay, Mann? Du siehst komisch aus«, erkundigte sich der Skeptiker. »Er sieht immer komisch aus«, gluckste der kleinere Mann. »Schon okay. Ist nur ab und zu. Also, ich muß da rein.« Golic nickte zur Kammer hinüber. Die beiden Männer sahen einander erstaunt an. Der eine ließ seinen Nagelreiniger langsam in einer Jackentasche verschwinden. Er betrachtete den Neuankömmling genauer. »Wovon, zum Teufel, spricht er?« fragte der Theoretiker. »Der Typ ist verrückt«, erklärte sein Begleiter mit Überzeugung. »Was machst du überhaupt hier, Mann? Wann haben sie dich aus der Krankenstation entlassen?« »Ist schon in Ordnung.« Golics Gesicht leuchtete vor Glück und Erwartung. »Ich muß nur da rein und das Monster sehen. Wir haben verdammt viel zu bereden«, fügte er hinzu, als würde das alles erklären. »Ich muß da rein, versteht ihr?« »Nein, das verstehen wir nicht. Aber eines weiß ich. Weder du noch sonst irgend jemand wird da hineingehen, Blödmann.
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Dieses Vieh wird dir bei lebendigem Leib den Arsch aufreißen. Und wenn du dieses Stück Scheiße rausläßt, dann macht es das gleiche mit uns allen. Bist du denn völlig blöde, Bruder?« »Wenn du dich umbringen willst«, meinte sein Begleiter, »dann spring in einen Minenschacht. Aber hier wirst du es nicht tun. Und jetzt verschwinde, wir wollen keinen Ärger mit dem Direktor kriegen.« Er ging auf den Störenfried zu. »Der Direktor ist tot«, entgegnete Golic ernst, während er den Knüppel hervorholte, den er die ganze Zeit hinter seinem Rücken verborgen hatte. Blitzschnell schlug er den auf ihn zukommenden Häftling nieder. »Was, zum Teufel? ... Nimm ihm ...!« Sie waren nicht darauf vorbereitet, wie schnell und beweglich Golic war, aber dieses Mal trieb ihn etwas voran, das viel stärker war als seine Freßlust. Auch der andere Mann ging unter seinen Schlägen zu Boden, das Blut strömte über ihre Köpfe und Gesichter. Alles war sehr schnell vorbei. Golic blieb nicht stehen, um zu sehen, ob seine Kameraden noch lebten, da es ihn einfach nicht interessierte. Alles, was jetzt noch zählte, war die Obsession, die die absolute Herrschaft über seinen Geist, seine Emotionen, ja über ihn selbst übernommen hatte. Dann warf er doch einen Blick auf die Körper, die vor ihm lagen. »Ich wollte es eigentlich gar nicht. Ich werde mit euren Müttern sprechen, ich werde alles erklären.« Er ließ den Knüppel fallen, ging zur Tür und fuhr mit den Händen über das eingedellte Metall. Er preßte ein Ohr an die glatte Oberfläche und lauschte aufmerksam. Kein Geräusch, kein Kratzen, nichts. Er kicherte leise und ging zur Kontrollbox. Nachdenklich betrachtete er sie eine Weile, so wie ein Kind ein kompliziertes neues Spielzeug studiert. Glucksend begann er, verschiedene Knöpfe auszuprobieren, bis einer reagierte. Der Mechanismus der Keramo-Karbid-Wände ächzte, Metall
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strich gegen Metall. Die Tür glitt langsam zur Seite. Doch nur bis eine der großen Dellen gegen den Rand stieß. Stirnrunzelnd stemmte Golic seinen Körper in den schmalen Spalt und versuchte mit aller Kraft die hinderliche Barriere zu überwinden. Die Motoren summten verwirrt. Die Tür öffnete sich einen Spalt breiter, dann blieb sie ganz stehen. Das Geräusch der Motoren erstarb. Erneut regierte die Stille. Golic konnte kaum mehr als einen Kopf in die Dunkelheit der Kammer stecken. »Okay, ich bin hier. Ich hab's geschafft. Sag mir nur, was du willst. Sag mir nur, was ich tun soll, Bruder.« Er lächelte. In der Dunkelheit vor ihm war es still wie in einem Grab. Nichts rührte sich. »Um eines klarzustellen: ich bin ganz auf deiner Seite. Ich will meine Aufgabe erfüllen. Du mußt mir nur sagen, was ich als nächstes machen soll.« * Obwohl es eine ganze Weile durch die leeren Gänge hallte, konnten die beiden bewußtlosen, blutenden Männer auf dem Boden den langgezogenen, hohen Schrei nicht hören. Dillon saß entspannt auf seinem Bett und spielte konzentriert die tausendste oder zehntausendste Partie Solitaire. Langsam drehte er eine neue Karte um und drehte seine eine lange Rastalocke, während er zu der Frau sprach, die vor ihm stand. »Sie wollen mir erzählen, daß sie kommen und dieses Ding mitnehmen werden?« »Sie werden es versuchen«, bekräftigte Ripley. »Sie wollen es nicht töten.« »Warum? Das ist doch unsinnig.« »Sie haben vollkommen recht, aber sie werden es trotzdem versuchen. Ich habe das schon einmal durchgemacht. Sie
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betrachten das Alien als potentielle Quelle neuer biologischer Kampfstoffe, vielleicht sogar eines ganzen Waffensystems.« Dillons Lachen klang tief und voll. Aber die Vorstellung machte auch ihm angst. »Mann, die sind wahnsinnig.« »Sie werden uns nicht zuhören, sie denken, sie wissen alles. Und da nichts auf der Erde ihnen etwas anhaben kann, glauben sie auch, daß dieses Ding das nicht kann. Aber ihm ist es egal, wieviel Macht die Gesellschaft hat und wie viele Politiker sie kontrolliert. Wenn sie es für Studienzwecke mit runternehmen, wird es ihnen außer Kontrolle geraten. Das Risiko ist zu groß. Wir müssen einen Weg finden, mit ihm Schluß zu machen, bevor sie hier sind.« »Nach dem, was Sie mir erzählt haben, dürfte das WeylandYutani gar nicht gefallen.« »Es ist mir scheißegal, ob es ihnen gefällt oder nicht. Ich weiß besser als jeder andere, besser als ihre sogenannten Spezialisten, zu was diese Dinger imstande sind. Sicher, man kann eine Zelle bauen, aus der sie nicht mehr herauskommen. Das haben wir bewiesen. Aber sie sind geduldig, und sie nutzen die kleinste Gelegenheit. Ein Fehler, und alles ist vorbei. Hier oder auf einem kleinen, isolierten Außenposten wie Acheron bedeutet das nicht viel. Aber wenn diese Dinger je auf die Erde losgelassen werden, dann wird das jüngste Gericht dagegen wie ein Schulausflug wirken.« Der große Mann spielte noch immer mit seiner Rastalocke. Er zog an seiner Zigarette. »Schwester, bis wir dieses Mistvieh in der Falle hatten, habe ich viele Glaubensbrüder verloren. Männer, die ich kannte und mit denen ich lange, harte Jahre verbracht habe. So viele von uns gab es von Anfang an nicht, und ich werde sie vermissen.« Er sah auf. »Ich und meine Brüder werden nicht diejenigen sein, die in
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die Kammer gehen und mit Holzlatten auf dieses Vieh einschlagen. Außerdem, warum sollen wir es töten, wenn die Gesellschaft extra deswegen herkommt? Sollen die sich darum kümmern.« Sie beherrschte sich. »Das habe ich Ihnen gesagt. Sie werden es mit zur Erde nehmen.« Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Was ist daran so schlimm?« »Es wird sie vernichten. Sie können es nicht unter Kontrolle halten. Ich habe doch schon gesagt, es wird sie umbringen. Alle.« Dillon lag auf dem Rücken, blickte zur Decke und zog nachdenklich an seiner Zigarette. »Wie ich schon sagte, was ist daran so schlimm?« Auf dem Flur vor dem Zimmer des großen Mannes ertönten Fußschritte. Neugierig richtete er sich auf. Auch Ripley wandte sich um. Morse stand vor ihnen. Er atmete schwer. Sein Blick wanderte vom einen zur anderen. Offensichtlich hatte er Ripley nicht hier erwartet. »He, Dillon.« Der Angesprochene nahm die Zigarette aus dem Mund. »Du unterbrichst eine private Unterhaltung, Bruder.« Morse blickte erneut zu Ripley, dann wieder zu seinem Mithäftling. »Verschiebt sie. Wir haben da ein ganz beschissenes Problem, Kumpel.« * Aaron war kein Med-Tech, aber man brauchte keinen Arzt, um zu erkennen, wie die beiden Männer umgebracht worden
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waren. Man hatte ihnen die Schädel eingeschlagen. Das war nicht die Art des Aliens. Der blutige Knüppel, den Aaron neben den Leichen entdeckte, bestätigte seinen Verdacht. Der Mörder hatte von seiner Tat allerdings auch nicht profitiert. Golics verstümmelter Körper lag ganz in der Nähe. Nachdem Aaron sich erhoben hatte, blickte auch er, wie alle anderen, betäubt auf den Spalt in der Türöffnung der Giftmüllkammer. Dillon hatte mit einer Fackel hineingeleuchtet; die Kammer war leer. »Jetzt reicht es«, zischte Aaron wütend. »Dieser armselige, verrückte Mistkerl hat es rausgelassen. Dieses Arschloch. Aber bei Gott, er hat bekommen, was er verdient hat. Andrews hatte recht. Den Kerl hätte man vom ersten Tag an unter Drogen setzen und anketten sollen. Diese verdammten, sogenannten Rehabilitationsexperten.« Aaron schäumte vor Wut. Dann fiel sein Blick auf Ripley. »Was ist los? Wieder Nebenwirkunge n?« fragte er besorgt. Sie lehnte an der Wand, atmete in langen, merkwürdigen Zügen ein und hielt sich den Magen. »Ich scheiß' auf sie«, knurrte Morse. »Das Scheiß-Vieh läuft frei herum.« Er starrte wild um sich. »Was, zum Teufel, machen wir jetzt?« »Das fragst du?« knurrte Aaron. »Du bist der Idiot, der Golic hat laufen lassen. Du verdammter Mistkerl, du hast uns alle auf dem Gewissen.« Für einen Mann, dessen Körperbau recht unauffällig war, besaß er einen harten Schlag. Morse ging schwer zu Boden, und das Blut strömte aus seiner Nase. Der Direktor beugte sich drohend über ihn, aber plötzlich packte ihn jemand von hinten. Dillon hob ihn wie ein Kind in die Luft und ließ ihn etwas weiter wieder auf den Boden. Aaron schnappte nach Luft und funkelte ihn zornig an.
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»Diese Scheiße läuft hier nicht«, warnte Dillon ihn. »Sehen Sie sich vor, Dillon! Noch habe ich hier die Aufsicht!« »Das stelle ich nicht in Frage. Aber so etwas machen Sie nicht noch einmal. Haben Sie mich verstanden? Sie schlagen keinen der Brüder. Das ist mein Job.« Einen Augenblick lang sahen sie einander an. Dann holte der Direktor tief Luft und deutete auf Morse, der sich noch immer auf dem Boden wand. »Dann sag deinem Hampelmann hier, daß er sich zusammenreißen soll. Er ist an dieser ganzen Scheiße schuld.« Dillon ignorierte beide Männer und wandte sich an Ripley. »Was glauben Sie? Wir haben es einmal geschafft. Haben wir noch eine Chance?« Sie lehnte noch immer an der Wand. Ihr Atem ging schwer, ihre Gesichtszüge waren schmerzverzerrt. Ihr Kopf brachte sie fast um. Als sie schließlich aufblickte, sah man ihr den Schmerz und die Übelkeit an. »Ich muß ... ich muß zum RF.« »Ja, sicher, aber zuerst sollten wir über das Vieh reden.« »Nein.« Sie schüttelte heftig den Kopf, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Zuerst das RF ... jetzt.« Aaron betrachtete sie beunruhigt. »Ja, okay. Wie Sie wollen. Kein Problem. Aber warum?« »Der Neuroscanner. Ich brauche einen der Scanner, die in Hyperschlaftruhen eingebaut sind. Ich weiß nicht, ob Sie auf der Krankenstation etwas Ähnliches haben, aber das spielt keine Rolle. Clemens ist nicht mehr da, und ich bin nur in der Lage, die Geräte im RF zu bedienen. Wenn sie noch funktionieren.« Sie zuckte zusammen, beugte sich nach vorne und preßte eine Hand gegen den Bauch. Dillon eilte zu ihr und schob Aaron auf die andere Seite.
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Dieses Mal wehrte sie sich nicht gegen die Hände, die sie stützten. Sie lehnte sich gegen Dillon, bis ihr Atem wieder regelmäßiger wurde. »Was ist mit Ihnen los? Sie sehen nicht gut aus.« »Nebenwirkungen der Medikamente, die Clemens ihr gegeben hat«, klärte Aaron ihn auf. »Denke ich zumindest, fügte er unsicher hinzu. »Wer schert sich einen Dreck darum, wie es ihr geht«, schnappte Morse, der sich wieder erholt hatte. »Was machen wir jetzt?« Aaron warf ihm einen drohenden Blick zu. »Willst du wieder auf die Bretter, du kleiner Scheißer? Halt dein verdammtes Maul und hör auf, Panik zu verbreiten.« Morse ließ sich nicht einschüchtern. »Panik! Sie sind so blöd, daß Sie das Wort nicht mal buchstabieren könnten. Erzählen Sie mir nichts von Panik! Panik ist angesagt. Wir sind dran!« »Ja? Und wessen Fehler ist das?« »Haltet den Mund! Beide!« brüllte Dillon. Einen Moment lang war es still, während die zwei Männer einander anstarrten. Schließlich zuckte Aaron mit den Schultern. »Okay. Also, mir fällt nichts mehr ein. Was sollen wir tun?« »Wie wär's, wenn wir am Strand warten würden?« schlug Morse hoffnungsvoll vor. »Oh, am Strand«, entgegnete der Direktor sarkastisch. Es dauert ja nur noch eine Woche, bevor sich die Sonne wieder zeigt, und bis dahin sind es draußen lediglich minus vierzig Grad. Das Rettungsteam kommt in zehn Stunden. Ein sehr guter Vorschlag.« »Na, wunderbar«, murmelte Morse, während Ripley sich umdrehte und fortging. »Also bleiben wir hier und lassen uns von diesem beschissenen Vieh zum Frühstück auffressen.«
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»Hol alle zusammen, die noch übriggeblieben sind«, befahl ihm Dillon plötzlich. »Bring sie in die Versammlungshalle. Leutnant, Sie können ...« Er sah sich verwundert um. »Wo ist sie hin?« * Das RF lag noch immer in der riesigen Entladebucht, dort wo man es zurückgelassen hatte. Unberührt und irgendwie einsam leuchtete es im flackernden Schein des düsteren, industriellen Lichts. Ripleys Fußschritte hallten durch die Gänge, präzise und kurz klangen sie in der Metallgrube wider. Eine schwache Beleuchtung vor ihren Füßen zeigte ihr den Weg durch das Halbdunkel. Als sie die zusammengedrückten Quartiere erreicht hatte, zog Ripley sich aus und legte ihre Kleider sorgfältig zur Seite. Nackt setzte sie sich vor ein kleineres Keyboard. Nach mehreren Anläufen erwachte es schließlich flackernd zum Leben. Ihre Finger bearbeiteten die Tastatur. Sie dachte kurz nach, gab noch weitere Daten ein. Dann betrachtete sie nachdenklich die Informationen, die auf dem kleinen Bildschirm auftauchten. Sie erhob sich, drehte der Anzeige den Rücken zu und ging zu der Hyperschlaftruhe, in der sie nach Fiorina gekommen war. Es kostete sie Mühe, sich in den Behälter zu zwängen, und als sie die Hand ausstreckte, um das Keyboard zu betätigen, konnte sie es kaum erreichen. Brauchen Sie Hilfe?« Aarons plötzliches Auftauchen ließ sie zusammenfahren. »He, ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber Sie sollten nicht allein herumlaufen.« »Das habe ich schon mal gehört. Tun Sie mir einen Gefallen. Bedienen Sie das Keyboard. Ich komme kaum ran und kann
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nicht sehen, was ich tue.« Er nickte und nahm den Sitz ein, während sie sich wieder in der Truhe zurücklehnte. »Was muß ich tun?« »Nur sehr wenig, hoffe ich. Die Prozedur ist ziemlich simpel. Fertig?« fragte sie, ohne ihn anzusehen. Er saß vor dem Bildschir m, hilfsbereit, aber von der Vielzahl der Optionen und Befehle ziemlich verwirrt. »Ich denke schon. Was mache ich jetzt?« »Vergessen Sie die Fachsprache. Unten am Bildschirm finden Sie ein Menü.« Er senkte den Blick und nickte. »Ich sehe es. Was jetzt 7 « »Drücken Sie entweder B oder C. Was ist C?« Er studierte die schimmernde Anzeige. »Zeige Biofunktionen.« »Genau das.« Auf den Befehl hin erschien ein neues Bild auf dem Schirm, nicht weniger kompliziert als das zuvor. »Okay, jetzt habe ich hier eine neue Seite voller Kauderwelsch.« »Genau das gleiche. Menü am unteren Bildschirmrand. Da müßte ein V-Befehl sein, für visuelle Anzeige. Geben Sie den ein.« Er gehorchte und warf einen Blick über die Schulter. In der klaustrophobischen Enge der Truhe begann ein kleiner Motor zu summen. Ripley rutschte unbehaglich auf der gepolsterten Liegefläche hin und her. Sie kam sich wie eine Wanze unter einem Mikroskop vor. Plötzlich schien alles zusammenzuschrumpfen, die Wände und die Decke des RF drohten zusammenzustürzen und sie für immer in der Truhe zu begraben. Sie konzentrierte sich darauf, ihren Herzschlag regelmäßig zu halten. Sie schloß die Augen und atmete ruhig. Das half, wenigstens etwas. Der Monitor vor Aaron flackerte auf. Die unverständlichen
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technischen Informationen verschwanden und wurden von einem dreidimensionalen Abbild des Inneren von Ripleys Schädel ersetzt, der langsam abgetastet wurde. »Okay«, sagte er zu ihr. Ganz heiß. Ich sehe mir gerade Ihr Gehirn an. Der Scanner druckt neben dem Bild noch eine ganze Reihe von Informationen aus, und unten am Bildschirm gibt es noch alle möglichen Optionen.« »Damit kann man das Scanner-System präzisieren«, hörte Ripley ihre eigene Stimme sagen. »Sie wissen schon: Nervensystem, Blutkreislauf, und so weiter. Aber ich brauche es nur ganz allgemein. Rühren Sie nichts an.« »Das ist kein Problem.« Fasziniert starrte er auf den Bildschirm. »Wonach soll ich suchen? Ich weiß nicht, wie man dieses Zeug richtig liest.« »Ingorieren Sie die Informationen und achten Sie nur auf das Visuelle. Wo ist der Scanner jetzt?« »Bewegt sich Ihren Hals hinab. Sollte ich da schon etwas feststellen können?« »Wenn es da ist, dann werden Sie es erkennen, sobald Sie es sehen.« »Okay, aber bis jetzt sieht alles ganz normal aus. Ich bin natürlich kein Clemens.« »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, beruhigte sie ihn. »Das brauchen Sie auch nicht zu sein.« Sie hörte das leise Säuseln des Scanners, der ihren Körper hinunterfuhr. Irgendwo in der mit Instrumenten vollgepackten Hyperschlaftruhe glitt er auf seinen verborgenen Schienen weiter. Obwohl es zwischen ihr und dem Gerät keinen direkten körperlichen Kontakt gab, zuckte sie bei dem Gedanken daran leicht zusammen. Wer behauptete, daß es zwischen der Vorstellungskraft und dem Körper keine Verbindung gab, hatte noch nie einige Zeit in einer Hyperschlaftruhe verbracht.
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»Jetzt kommt der obere Brustkorb«, meldete Aaron. »Ich kann die Spitzen Ihrer Lungen sehen. Jetzt kommt das Herz in Sicht.« Trotz ihrer Unbeirrbarkeit merkte sie, wie sie sich unwillkürlich verspannte. Die Muskeln ihres rechten Oberarms begannen spasmodisch zu zucken. Die Stimme des Direktors hallte wie ein tödliches Dröhnen in ihren Ohren. »Volle Sicht auf den Brustkorb, zumindest nach dem, was hier steht. Herz und Lunge scheinen normal zu funktionieren. Weiter abwärts.« Das Zucken ließ nach, ihr Atem wurde ruhiger. »Sind Sie sicher?« »Also, ich sehe nichts. Wenn Sie mir genauer erklären, wonach ich suchen soll ... vielleicht habe ich es übersehen.« »Nein.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Sie haben es nicht übersehen.« »Wie kann man das Bild vergrößern?« »Versuchen Sie B.« Er folgte ihrem Vorschlag. »Nichts.« Er versuchte es erneut, wobei er vor sich hinmurmelte. »Ich muß einen besseren Winkel kriegen.« Das Gerät summte. Plötzlich fuhr er zusammen. »O Gott, das ist ...« Er hielt mitten im Satz inne und starrte mit aufgerissenen Augen auf den Bildschirm. »Was ist los?« wollte sie wissen. »Was ist da?« »Ich ... ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll. Ich glaube, Sie tragen eins von denen in sich.« Er starrte ungläubig auf den Schirm. Die embryoartige Kreatur zeigte eindeutige Ähnlichkeiten mit dem Monster, das die Männer getötet hatte ... und doch war es anders, auf subtile, aber nicht zu übersehende Art und Weise. Das war nicht fair, dachte sie. Sie hatte schon seit Tagen
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einen Verdacht, ja, sie hatte es gewußt. Dann hatte der Brustkorbscanner nichts gezeigt, und sie hatte Hoffnung geschöpft. Und jetzt das: die ultimative, tödliche Enthüllung. Aber ein Schock war es nicht mehr. Jetzt, da ihre Befürchtungen bestätigt waren, fühlte sie sich merkwürdig erleichtert. Die Zukunft war nicht länger ungewiß. Sie konnte vertrauensvoll vorangehen, sie wußte nun, daß sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Den einzigen Weg. »Wie sieht es aus?« »Grauenhaft, furchtbar«, antwortete Aaron. Was er sah, schockierte und faszinierte ihn zugleich. »Wie eins von denen, nur kleiner. Vielleicht ein bißchen anders.« »Anders? Sind Sie sicher?« »Wie kann ich sicher sein! Ich bin nicht lange genug geblieben, um ein paar Schnappschüsse von dem anderen zu machen.« »Keyboard«, sagte sie zu ihm. »Drücken Sie auf Pause.« »Schon geschehen. Der Scanner steht still.« »Drehen Sie den Bildschirm zu mir. Ich muß einen Blick darauf werfen.« Aaron zögerte. Er blickte zur Truhe und der Frau, die darin lag. »Ich weiß nicht recht. Lieber nicht.« »Ich will es so. Machen Sie schon.« Er kniff die Lippen zusammen. »Okay. Wenn Sie soweit sind.« »Ich habe nicht gesagt, daß ich soweit bin. Sie sollen es nur machen.« Er verschob den Monitor und wartete, während sie einen langen, furchtlosen Blick darauf warf. »Okay, das reicht.« Sofort deaktivierte Aaron den Scanner.
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»Es tut mir leid, murmelte er so sanft wie möglich. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wenn ich irgend etwas tun kann ...« »Ja.« Sie versuchte, sich aus dem engen Behälter zu zwängen. »Helfen Sie mir hier raus.« Sie streckte ihm ihre Arme entgegen.
13.
Die wenigen Gefangenen, die noch lebten, ließen die Versammlungshalle um so größer erscheinen. Die Männer diskutierten leise untereinander, bis Dillon einen Glaskasten an der Wand einschlug. Er griff hinein und riß eine Feueraxt aus ihrer Halterung. Dann drehte er sich um und hielt sie über seinen Kopf. »Gib uns die Kraft, o Herr, unser Schicksal zu ertragen, bis der Tag kommt. Amen.« Fäuste reckten sich in die Höhe. Die Männer wußten nicht, was sie erwartete, aber sie waren bereit. Dillon sah sie eindringlich an. »Es ist frei. Es ist irgendwo da draußen. Ein Suchtrupp mit Gewehren und allem möglichen ist auf dem Weg. Für uns gibt es jetzt keinen Ort mehr, der sicher wäre. Ich sage, wir sollten hier bleiben. Hier gibt es keine Ventilationsschächte in der Decke. Wenn es hier herein will, dann muß es durch die Tür. Wir stellen eine Wache auf, die Alarm schlägt, wenn es auftaucht. Bleibt auf alle Fälle ruhig. Seid bereit und gewappnet, falls eure Zeit kommen sollte.« »So ein Quatsch, Mann«, meinte der Häftling David. »Hier sitzen wir doch wie die Ratten in der Falle.«
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Dillon funkelte ihn an. »Die meisten von euch haben irgendwo Messer versteckt. Holt sie raus.« »Aber klar«, murrte William. »Und du glaubst, daß wir das Biest dann einfach zu Tode stechen?« »Ich glaube gar nichts«, fuhr Dillon ihn an. »Aber vielleicht können wir ihm wenigstens eins verpassen, während wir uns verabschieden. Das ist immerhin etwas. Hast du etwa eine bessere Idee?« William hatte keine. Die anderen auch nicht. »Ich sag's euch noch mal«, fuhr Dillon fort. »Bis das Re ttungsteam hier auftaucht, sitzen wir in der Scheiße. Bereitet euch vor.« »Ich bleibe nicht hier.« William wich langsam zurück. »Darauf könnt ihr wetten.« Dillon drehte sich um und spuckte aus. »Wie du meinst.« * Aaron gab den Code ein und fuhr dann mit dem Daumen über den Identitätsprüfer. Die innere Tür, die die zentrale Kommunikationsanlage sicherte, glitt zur Seite, Anzeigen erwachten zu flackerndem Leben und der Bildschirm leuchtete gehorsam auf. Das System wartete auf Input. »Okay«, meinte er zu der Frau, die sich über ihn beugte. »Was wollen Sie senden?« »Haben Sie Kontakt zum Netzwerk?« Seine Stirn furchte sich, während er die Anzeigen überprüfte. »Okay, ist hergestellt. Was soll ich der Gesellschaft mitteilen?« »Teilen Sie ihr mit, daß der ganze Planet verseucht ist. Ich glaube, darauf werden sie reinfallen. Hier liegt genug
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Raffinerieabfall herum, um eine solche Meldung glaubwürdig erscheinen zu lassen.« Er starrte sie ungläubig an. »Machen Sie Witze? Wenn Sie ihnen das senden, landen sie hier nicht. Nicht, bevor sie die Meldung durch eine Fernanalyse überprüft haben. Der Rettungstrupp wird umkehren.« »Genau.« »Wovon reden Sie? Wir sitzen hier wie die Fische auf dem Trockenen. Unsere einzige Hoffnung ist, daß sie rechtzeitig eintreffen und dem Vieh den Garaus machen, bevor es auch den Rest von uns holt. Vielleicht können sie auch Ihnen helfen. Haben Sie daran mal gedacht 7 Sie sind sich so sicher, daß dieses Ding alles schlagen kann, was sie haben, aber ganz genau wissen Sie das auch nicht. Vielleicht kann man Sie einfrieren, vielleicht gibt es eine besondere Operationsmethode. Sie haben gesagt, daß sie Informationen gesammelt haben. Glauben Sie, daß die Gesellschaft versuchen würde, das Ding mitzunehmen, wenn sie nicht sicher wären, es unter Verschluß halten zu können? Zum Teufel, wir haben es eingesperrt, und wir waren nicht einmal darauf vorbereitet. Sie sind für eine Gefangennahme ausgerüstet. Sie haben die Technologie ...« Sie blieb ungerührt. »Wo andere ein Gehirn haben, sitzt bei der Gesellschaft nichts als Gier. Ich weiß es. Ich habe mit ihnen zu tun gehabt, und ich habe mit Aliens zu tun gehabt, und ganz ehrlich, auf lange Sicht ist die Gesellschaft vielleicht doch die größere Gefahr. Ich kann das Risiko nicht eingehen. Wenn eines dieser Dinger auf die Erde kommt, dann wird es alles vernichten. Dafür ist es gebaut: zu vernichten und sich zu vermehren. Die Gesellschaft darf nicht hierherkommen. Sie werden alles in ihrer Macht stehende versuchen, um das Ding mitzunehmen.« Sie zischte verächtlich.
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»Um Profit zu machen.« »Sie können mich mal. Tut mir wirklich verdammt leid, Lady, daß Sie dieses Ding in sich sitzen haben, aber ich will gerettet werden. Wahrscheinlich ist mein Vertrauen in die Gesellschaft größer als Ihres. Wie es aussieht, betrachten Sie die Situation nicht von einem rationalen Standpunkt aus, und wahrscheinlich haben Sie sogar gute Gründe dafür. Aber deshalb muß ich die Dinge noch lange nicht genauso sehen wie Sie, und das tue ich auch nicht. Diese armseligen Häftlinge sind mir scheißegal. Sie können das Ding von mir aus töten, vor ihm davonlaufen und Hosia nnas zum Himmel senden, bis sie tot umfallen, aber ich habe Frau und Kind auf der Erde. Wir haben jung geheiratet, so daß wir trotz der Zeitverschiebungen immer noch die besten Jahre vor uns hätten, wenn mein Job hier abläuft. Bei der nächsten Rotation sollte ich nach Hause kommen. Wegen dieser ganzen Geschichte kann ich vielleicht außergewöhnliche Belastungen anführen und mit dem Rettungsschiff zurückkehren. Ich bekomme die volle Bezahlung und vielleicht sogar noch einen Bonus. Wenn das alles geschieht, dann hat mir Ihr Xenomorph vielleicht sogar einen Gefallen getan.« »Tut mir leid. Ich weiß, dies ist hart für Sie«, entgegnete sie und versuchte, ihre Wut im Zaum zu halten. »Aber ich muß diese Nachricht senden. Hier steht viel mehr auf dem Spiel als Ihre persönliche Vorstellung von einem glücklichen Rentnerdasein in der Vorstadt. Wenn das Alien über die Erde herfällt, sind all Ihre dummen Träume nur noch Schrott.« »Ich vertraue der Gesellschaft«, erklärte er fest. »Verdammt noch mal, Aaron. Ich brauche den Code.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Tut mir leid, meine Dame. Er ist geheim. Und Sie erwarten doch nicht etwa, daß ich die Bestimmungen verletze, oder?« Sie wußte, daß sie nicht mehr viel Zeit hatte und ihr die
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wenige, die ihr blieb, aus den Händen glitt. Wieder einmal war sie auf die typische Haltung der Gesellschaft und ihrer Angestellten gestoßen; jene abgeschlossene, restriktive Firmenwelt, in der Ethik und Moral sich hinter Bestimmungen verschanzten. »Hören Sie mir zu, Sie Hosenscheißer, Sie können sich Ihre kostbaren Bestimmungen in den Arsch schieben. Ich muß es tun. Geben Sie mir den Code!« »Ums Verrecken nicht, Lady. Den Code kriegen Sie nicht aus mir heraus, und wenn Sie mich umbringen.« Sie wollte schon auf ihn los, hie lt sich aber zurück. Erneut spürte sie eine nie gekannte Müdigkeit. Warum quälte sie sich so? Sie schuldete niemandem etwas, schon gar nicht den Vertretern der Gesellschaft. Wenn sie das Alien mit an Bord nahmen und es sie alle umbrachte, was kümmerte es sie? »Ich meine es nicht persönlich, verstehen Sie?« Aaron beobachtete sie aufmerksam und achtete auf jede plötzliche Bewegung. Er glaubte nicht, daß sie eine wirkliche Gefahr für ihn darstellte, aber in der kurzen Zeit, in der er mitbekommen hatte, zu was sie imstande war, hatte er gelernt, daß es gefährlich wäre, sie zu unterschätzen. »Sie sind in Ordnung?« »Danke.« Ihre Stimme war flach und tonlos. »Also das wäre geklärt. Wir arbeiten wieder zusammen.« Er schien überaus erfreut. »Haben Sie irgendeine Idee?« Für einen Augenblick spannte sich alles in ihrem Körper an, aber dann ging sie an ihm vorbei zur Service-Theke und goß sich ein Glas Wasser ein. Sie verspürte ständig Durst, und das nicht nur, weil sie angespannt und nervös war. Ihr Körper stellte jetzt Flüssigkeit für zwei bereit. »Dieses Alien ist ein Arbeiter-Krieger«, sagte sie und ging
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wieder zu ihm. »Es wird mich nicht töten.« Er hob die Augenbrauen. »Ach ja? Warum nicht?« Sie nippte an ihrem Glas. »Es kann mich nicht umbringen, ohne die Gesundheit der Embryo-Königin aufs Spiel zu setzen. Ich weiß zwar, daß ein einzelnes Alien andere seiner Art reproduzieren kann, aber vielleicht kann es nicht mehr als eine einzige Königin hervorbringen. Nicht genug richtiges genetisches Material oder so etwas. Ich kann das nicht beweisen, aber daß es mich bis jetzt nicht getötet hat, spricht dafür.« »Wollen Sie wirklich darauf setzen, daß dieses Biest Verstand besitzt'« «Der Verstand hat vielleicht gar nichts damit zu tun. Möglicherweise ist es reiner Instinkt. Füge dem Gastkörper Schaden zu und du riskierst vorgeburtliche Schäden an der ungeborenen Königin. Das ergibt Sinn.« Sie erwiderte seinen Blick. »Es hätte mich schon zweimal töten können, hat es aber nicht getan. Es weiß, was ich trage.« Nachdenklich rieb sie ihr Kinn. »Ich werde es finden«, verkündete sie plötzlich. »Wir werden ja sehen, wieviel Verstand es besitzt.« Er starrte sie an. »Sie wollen danach suchen?« »Ja. Ich kann mir denken, wo es steckt. Auf dem Dachboden.« Er runzelte die Stirn. »Was für ein Dachboden? Wir haben keine Dachböden hier.« »Das ist metaphorisch gemeint.« Sie trank ihr Wasser aus. »Oh.« Er starrte sie immer noch an.
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»Kommen Sie mit?« Aaron schüttelte den Kopf. Sie lächelte, stellte das Glas wieder in den Halter und verließ den Kommunikationsraum. Er sah ihr nach. »Ach du Scheiße«, murmelte er vor sich hin.
14.
Der Zugangskorridor war leer. Sie blieb stehen und rammte die Fackel, die sie trug, in eine Naht in der Metallwand. Ihr Blick galt den Reihen der alten, verrosteten Röhren in der Nähe. Sie packte die erstbeste, spannte ihre Muskeln an und zerrte einmal kräftig. Das Metall knickte ein und bog sich. Ein Tritt, und es war los. Zufrieden ging sie weiter. Die Krankenstation wirkte verlassener als je zuvor. Einen Moment lang blieb sie stehen. Fast erwartete sie Clemens zu sehen. Wie er gebeugt über seinem Arbeitstisch saß, aufblickte und ihr zulächelte. Aber der Bildschirm des Computers war dunkel, kein Geräusch war zu hören, und sein Stuhl war leer. Es war gar nicht so einfach, sich mit der über einen Meter langen Röhre und der Taschenlampe in den Luftschacht an der Decke zu zwängen, aber sie schaffte es. Der Schacht war finster und verlassen. Sie erweiterte den Lichtstrahl der zerbeulten Taschenlampe und leuchtete noch einmal nach hinten. Dann machte sie sich auf den Weg in die andere Richtung. Sie wußte nicht genau, wie lange oder wie weit sie gekrochen war, als sie das erste Mal rief. Aber das schwache Licht der Krankenstation war schon lange verblaßt. Zuerst klangen ihre Rufe dünn, dann, als die Furcht dem Zorn weichen mußte,
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immer lauter. »Komm her! Ich weiß, daß du hier bist!« Auf Händen und Knien bewegte sie sich vorwärts. »Komm her! Das ist doch einfach. Mach nur, was du sonst auch machst.« Der Luftschacht bog scharf nach links ab. Sie kroch weiter, abwechselnd murmelnd und rufend. »Komm her, du Arschloch, wo bist du, wenn ich dich brauche?« Als sie endlich anhielt und angestrengt lauschte, waren Hände und Knie aufgeschabt. Ein Geräusch? Oder nur ihre Fantasie, die Überstunden machte? »Scheiße.« Sie nahm ihren seltsamen, unbequemen Gang wieder auf und erreichte eine neue Ecke. Hier erweiterte sich der Gang zu einem kleinen Nebenraum, in dem sie stehen konnte. Erleichtert richtete sie sich auf und streckte sich. Der Raum beherbergte eine verrottete, rostige Wasseraufbereitungseinheit mit einem Tausend-Gallonen-Tank und einem Irrgarten vernachlässigter Röhren. Hinter dem Tank setzte sich der Ventilationsschacht fort, eine endlose, schwer begehbare Röhre in die Finsternis. Noch während sie hineinsah, überkam sie eine erneute Welle der Übelkeit, und sie mußte sich an den Tank lehnen, um nicht zu stürzen. Kaum hatte sie das getan, da zuckte der Alien-Schwanz hervor und schlug ihr die Lampe aus der Hand. Sie landete auf dem Betonboden, wo sie sich hin und her drehte, aber nicht erlosch. Ripley wirbelte herum. Das Alien blickte sie von seinem Versteck hinter dem Netzwerk aus Röhren und Leitungen an. Es betrachtete sie. »Du Scheusal«, murmelte sie und nahm all ihre Kraft zusammen. Dann rammte sie ihm das Metallstück direkt in die Kehle. Sein Brüllen echote durch die Gänge, als es hinter dem Irrgarten hervorbrach. Die Röhren gaben nach, als seien es
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Strohhalme. Aufgebracht stand es vor ihr, hielt sich aber zurück. Dicker ge latineartiger Speichel tropfte aus seinem Kiefer. Sie wich nicht zurück und zog die Schultern hoch. »Komm doch, Miststück! Töte mich!« Als es nicht reagierte, schlug sie erneut mit dem Metallteil auf es ein. Mit einem Brüllen holte das Alien aus und schlug ihr die Röhre aus der Hand. Wieder stand es vor ihr und betrachtete sie. Der Schweiß strömte Ripley das Gesicht hinab, aber sie blieb stehen. Das Alien wirbelte herum und schoß in die Dunkelheit davon. Sie ließ sich auf den Boden fallen und sah ihm hinterher. »Bastard!« * Dillon fand den Leutnant in der Versammlungshalle. Sie saß allein in dem riesigen Raum, in den tiefe Schatten fielen. Sie stützte ihren Kopf mit den Händen, unendlich erschöpft, unendlich einsam. Er ging auf sie zu, die Feueraxt in der rechten Hand. Sie mußte ihn bemerkt haben, deutete dies aber mit keinem Zeichen an. Unter normalen Umständen hätte er ihr Schweigen akzeptiert, aber die Umstände hatten sich drastisch verändert. »Sind Sie okay?« Sie antwortete nicht, blickte nicht auf. »Was machen Sie hier? Sie sollten sich verkriechen, wie alle anderen auch. Was passiert, wenn das Ding hier auftaucht?« Sie hob den Kopf. »Es wird mich nicht töten.« »Warum nicht?« »Weil ich einen von ihnen in mir habe. Das Große wird seine
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eigene Art nicht töten.« Dillon starrte sie an. »Das ist doch Unsinn.« »Ich bin ihm vor einer Stunde begegnet. Es stand genau vor mir. Es hätte mich leicht zum Lunch haben können, aber es hat mich nicht angerührt. Es rannte davon. Es wird seine eigene Zukunft nicht vernichten.« »Woher wissen Sie, daß dieses Ding in Ihnen ist?« »Ich habe es auf dem Scanner im RF gesehen. Es ist eine Königin. Es kann Tausende von der Sorte produzieren, die jetzt hier herumläuft.« »Sie meinen, so wie eine Bienenkönigin?« »Oder eine Ameisenkönigin. Wie gesagt, es ist nur eine Analogie. Diese Wesen sind keine Insekten. Sie haben nur ein ungefähr ähnliches soziales System. Wir wissen nicht sehr viel von ihnen. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, geben sie kein einfaches Studienobjekt ab.« »Woher wissen Sie, daß es eine Königin ist?« fragte er nach. »Zum einen ist die Form des Schädels sehr charakteristisch. Hinten hat es eine große, nach oben gebogene Krause. Die ersten Ansätze waren auf dem Scanner-Bild deutlich erkennbar. Außerdem ist die embryonale Entwicklung der Arbeiter-Krieger sehr kurz, manchmal nicht länger als ein Tag. Sie durchlaufen die verschiedenen Wachstumsstufen mit ungeheurer Geschwindigkeit.« Sie sah fast wehmütig aus. »Eine sehr effektive Überlebensstrategie.« »Wenn dieses hier ein normaler Arbeiter wäre, dann wäre er jetzt schon herausgekommen, und zwar durch den Brustkorb. Aber in mir wächst es nicht in der Brust heran, sondern in der Gebärmutter. Da die Königin ein sehr viel komplexerer Organismus ist, braucht er offenbar sowohl mehr Raum als auch mehr Zeit, um heranzuwachsen. Andernfalls wäre ich
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schon längst tot. Ich habe gesehen, wie sie arbeiten, und es ist nicht sehr nett. Wenn es ausgewachsen ist, ist dieses Ding riesig, viel größer als das, gegen das wir kämpfen. Es wird eine Königin, sie wird Eier legen. Millionen von Eiern. Es wird etwas völlig anderes als das, was da draußen herumläuft.« Ihre Stimme sank. »Wie gesagt, mit einer solchen Larven-Königin hat niemand Erfahrung. Ich weiß nicht, wie lange die Schwangerschaftsphase dauert, ich weiß nur, daß sie offenbar länger ist als die eines normalen Arbeiters.« Er blickte auf sie herab. »Ich verstehe es immer noch nicht. Wenn dieses Ding in Ihnen ist, wie ist es da hineingekommen?« Sie betrachtete ihre Hände. »Während ich im Hyperschlaf war. Offenbar war dieser schreckliche Traum, den ich hatte, viel mehr als ein Traum. Ich bin vergewaltigt worden, obwohl das vielleicht nicht einmal der richtige Ausdruck ist. Vergewaltigung ist ein vorsätzliches, brutales Verbrechen. Dies war ein Fortpflanzungsakt, selbst wenn meine Beteiligung daran unfreiwillig war. Wir würden es Vergewaltigung nennen, aber ich bezweifle, daß es das für das Wesen war. Wahrscheinlich fände es die Vorstellung eher ... nun, fremd.« »Das Wesen auf dem ersten Schiff, der Nostromo, war dabei, sich selbst zu reproduzieren, obwohl es keine Königin war. Zumindest einige von ihnen müssen zweigeschlechtlich sein. Selbstbefruchtend, so daß sogar ein einzelnes, isoliertes Individuum die Spezies fortpflanzen kann. Ein Arbeiter-Krieger kann auch Eier legen, aber nur langsam und immer nur eins. Irgendwann aber bringt er eine Königin
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hervor, die dann den Job übernimmt. Und bei mir war er dann soweit. So stelle ich es mir zumindest vor. Ich bin keine Fortpflanzungs expertin.« Sie zögerte. »Großartig, was? Ich werde die Mutter der Apokalypse. Ich kann nicht tun, was ich tun sollte. Also müssen Sie mir helfen. Sie müssen mich töten.« Er trat einen Schritt zurück. »Wovon, zum Teufel, sprechen Sie?« »Sie kapieren es nicht, stimmt's? Ich bin am Ende. In der Sekunde, da es auf die Welt kommt, bin ich tot. Ich bin dann nicht mehr notwendig für sein weiteres Überleben. Ich habe gesehen, was geschieht. Aber damit kann ich leben, wenn Sie mir diesen widersprüchlichen Ausdruck gestatten. Seit ich das erste Mal eines dieser Dinger gesehen habe, rechne ich mit dem Tod. Aber ich will verdammt sein, wenn ich zulasse, daß diese Idioten von Weyland-Yutani es mit zur Erde nehmen. Sie könnten es sogar schaffen, und das wäre dann das Ende für die Menschheit. Vielleicht für alles Leben auf dem Planeten. Es ist nicht einzusehen, warum diese Wesen sich nicht in jedem Tier fortpflanzen könnten, das größer wäre als, sagen wir mal, eine Katze. Es muß sterben, und deshalb muß jemand mich töten. Verstehen Sie jetzt?« »Ja, jetzt verstehe ich.« »Irgendwie ist es komisch. Ich habe so viele von diesen Wesen getötet, aber noch ein Mord will mir nicht gelingen. Vielleicht habe ich mich zu sehr auf mein Überleben konzentriert. Sie müssen mir also helfen.« Sie sah ihm in die Augen. »Tun Sie's einfach. Ohne große Reden.« Sie drehte ihm den Rücken zu. »Kommen Sie«, drängte sie ihn. »Tun Sie's! Sie sind doch ein
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Killer ... töten Sie mich. Kommen Sie, Malcolm. Geben Sie sich einen Ruck. Denken Sie an früher. Sie können es bestimmt noch, Sie großer, häßlicher Mistkerl.« Er betrachtete ihre schlanke Gestalt, den blassen Nacken und die hängenden Schultern. Ein einziger gutgezielter Schlag mit der Axt würde genügen, würde ihre Wirbelsäule und ihr Rückenmark schnell und sauber durchtrennen. Sie wäre sofort tot. Dann könnte er sich um ihren Bauch kümmern, um den monströsen Organismus, der darin wuchs. Er würde den Leichnam zur Schmelze bringen und in das Feuer werfen. In ein paar Minuten wäre alles erledigt, ein für alle mal. Er hob die Axt. Die Muskeln in seinem Gesicht und in seinen Armen zuckten krampfhaft, und die Axt zischte mit einem leisen Geräusch durch die abgestandene Luft. Mit aller Kraft ließ er sie niedersausen ... und rammte sie in die Wand neben ihr. Sie zuckte zusammen und wirbelte mit aufgerissenen Augen herum. »Was, zum Teufel, soll das? Sie tun mir wirklich keinen Gefallen.« »Ich verliere nicht gerne einen Kampf, gegen niemanden, gegen nichts. Dieser große Kerl da draußen hat schon die Hälfte meiner Männer umgebracht, und die andere Hälfte macht sich vor Angst in die Hosen. Solange er noch lebt, retten Sie kein Universum.« »Was ist los? Ich dachte, Sie seien ein Killer?« »Ich will dieses Ding erwischen, und ich brauche Sie dabei. Wenn es Sie nicht töten will, dann hilft uns das vielleicht.« Er sah, wie sie ihn hilflos anblickte. »Wenn nicht, vergessen Sie's. Bringen Sie sich selbst um.« »Wir reißen ihm den Arsch auf, und Sie töten mich?« »Kein Problem. Schnell und schmerzlos.«
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Er zog die Axt aus der Wand. * Der Rest der Männer hatte sich in der Haupthalle versammelt. Aaron hatte sich etwas seitlich abgesetzt und trank aus einem Becher. Dillon und Ripley standen nebeneinander in der Mitte vor den anderen. »Ihr könnt wählen«, erklärte der große Mann. »Entweder sterbt ihr, während ihr auf eurem Hintern sitzt, oder ihr sterbt vielleicht dort draußen. Aber zumindest haben wir dann noch mal versucht, es zu töten. Wir haben mit ihm noch eine Rechnung offen, es hat uns reingelegt. Vielleicht können wir uns für die anderen Brüder revanchieren. Also, wie wollt ihr's?« Morse sah ihn ungläubig an. »Wovon, zum Teufel, sprichst du überhaupt'« »Davon, dieses Miststück zu killen.« Aaron trat mit unbehaglicher Miene vor. »Moment mal. Das Rettungsteam ist unterwegs. Warum setzen wir die Sache nicht einfach aus?« Ripley sah ihn zornig an. »Ein Rettungsteam für wen?« »Für uns.« »Quatsch«, fuhr sie ihn an. »Alles, was die wollen, ist das Biest, und das wissen Sie.« »Es ist mir verdammt egal, was die wollen. Aber sie werden uns nicht umbringen.« »Da bin ich nicht so sicher. Sie kennen die Gesellschaft nicht so wie ich.« »Hören Sie doch auf. Die werden uns hier rausholen, uns nach Hause bringen.« »Uns werden sie sicher nicht nach Haus bringen«, warf
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Dillon ein. »Aber das heißt doch noch lange nicht, daß wir rausgehen und es bekämpfen müssen«, wimmerte Morse. »Herr im Himmel, das schaffe ich nicht.« Aaron schüttelte langsam den Kopf. »Ihr Typen seid völlig verrückt. Ich habe eine Frau, ich habe ein Kind. Ich gehe nach Hause.« Dillons Gesichtsausdruck war hart, unnachgiebig, und seine Stimme drückte die unangenehme Wahrheit aus. »Hör auf zu träumen. Niemand kümmert sich einen Dreck um dich, Fünfundachtzig. Du bist keiner von uns. Du bist nicht gläubig. Du bist nichts weiter als ein Mann der Gesellschaft.« »Das stimmt allerdings, entgegnete Aaron. »Ich bin ein Mann der Gesellschaft und kein mieser Krimineller. Ihr erzählt mir dauernd, wie blöd ich bin, aber ich bin clever genug, keine lebenslange Haftstrafe auf diesem Felsen absitzen zu müssen, und ich bin clever genug, auf Leute mit richtigen Waffen zu warten, bevor ich rausgehe und es mit dem Ding aufnehme.« »Okay. Gut. Du bleibst einfach hier auf deinem Hintern sitzen. Das ist prima.« Morse zuckte mit dem Kopf. »Und wenn ich auch lieber hier auf meinem Hintern sitzenbleibe?« »Kein Problem«, versicherte ihm Dillon. »Ich hatte es ja ganz vergessen: du bist der Kerl, der mit Gott abgemacht hat, daß er ewig leben wird. Und der Rest von euch Duckmäusern kann es auch hier aussitzen. Ich und sie«, er deutete auf Ripley, »wir werden ganz allein kämpfen.« Morse zögerte. Er spürte, daß die anderen auf seine Antwort warteten. Er fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Okay, ich mache mit. Ich will, daß es draufgeht. Ich hasse das Vieh. Es hat meine Freunde getötet. Aber warum können wir wirklich nicht ein paar Stunden warten, bis uns die beschis-
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senen Techs von der Gesellschaft mit ihren Kanonen helfen. Warum, zum Teufel, sollen wir auf diesen beschissenen Selbstmord-Trip gehen?« »Weil sie es nicht töten werden«, erklärte Ripley ihm. »Sie werden euch umbringen, weil ihr es gesehen habt, aber das Ding werden sie nicht töten.« »Das ist doch verrückt.« Aaron schüttelte wieder den Kopf. »Einfach Unsinn. Sie werden uns nicht töten.« »Glauben Sie nicht?« Ripley lächelte böse. »Als sie das erste Mal davon hörten, war meine Crew entbehrlich. Beim zweiten Mal schickten sie die Marines, und auch die Marines waren entbehrlich. Glauben Sie etwa, ein Haufen Gefangener im hintersten Winkel des Alls interessiert die? Glauben Sie wirklich, daß die Gesellschaft sich bei ihrer Waffenforschung von irgend jemandem stören läßt? Für die Gesellschaft seid ihr nichts als Abfall, ihr alle zusammen. Ob eure Freunde gestorben sind, interessiert die einen Dreck.« Ihren Sätzen folgte Stille. Dann meldete sich jemand von hinten. »Habt ihr irgendeinen Plan?« Dillon studierte die Gesichter seiner Kameraden, mit denen er diese Hölle teilte. »Dies ist nicht nur eine Mine, sondern auch eine Raffinerie, stimmt's? Das Ding hat doch Angst vor Feuer. Wir müssen das verdammte Vieh nur in die große Gießform kriegen, dann können wir geschmolzenes Metall darauf kippen.« Er kickte einen Stuhl über den Boden. »Sterben werdet ihr alle. Die Frage ist nur, wann. Und um den ersten Schritt zum Himmel zu wagen, ist dieser Ort so gut wie jeder andere. Er gehört uns. Er mag nicht viel wert sein, aber er gehört uns. Die einzige Frage im Leben ist, wie man
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sich verabschiedet. Nun, wollt ihr aufrecht abtreten oder auf den Knien, um Gnade bettelnd? Ich persönlich halte nicht so viel vom Betteln, mir hat keiner jemals was gegeben. Also sage ich, scheiß drauf. Laßt uns kämpfen.« Die Männer sahen einander an und warteten darauf, daß jemand die entstandene Stille durchbrach. Als es end lich jemand tat, kamen die Antworten schnell und bestimmt. »Also, okay. Ich bin dabei.« »Warum nicht? Wir haben nichts zu verlieren.« »Ja ... okay ... gut... ich mache mit ...« Eine Stimme übertönte die anderen. »Reißen wir ihm den Arsch auf.« Ein anderer grinste. »Du hältst ihn, ich reiß' ihn auf.« »Scheiß drauf«, stieß Morse schließlich hervor. »Machen wir's.« * Irgendwie war es ihnen gelungen, einen Teil der Beleuchtung in den Gängen wieder einzuschalten. Es war keine Frage von Energie ... die zentrale Kernanlage versorgte sie mit mehr als genug Strom. Aber Terminals, Schalter und Kontrollanlagen waren seit Jahren nicht mehr gewartet worden, und das bei dem feuchten Klima auf Fiorina. Einige Korridore und Zugänge waren also beleuchtet, während andere weiterhin im Dunkeln lagen. Ripley betrachtete die Gießkammer nachdenklich, während Dillon und der Häftling Troy näher kamen. Troy verstand von den Überlebenden am meisten von Technik. Er hatte eine kurze Karriere als erfolgreicher Ingenieur eingeschlagen, bevor er eines Tages seine Frau mit seinem Chef im Bett überraschte. Er hatte alle beide ermordet, mit der ganzen technischen Fertig-
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keit, über die er verfügte. Bei seiner Festnahme hatte er wie ein Hund geheult, war für zeitweise unzurechnungsfähig erklärt worden und hatte einen Fahrschein nach Fiorina bekommen. Jetzt demonstrierte er, wie die Anlage bedient wurde, welche Instrumente für die Funktion der Kammer besonders wichtig waren. Ripley hörte und sah ihm etwas skeptisch zu. »Wann ist dieses Ding das letzte Mal benutzt worden?« »Vor fünf oder sechs Jahren haben wir es einmal angefeuert. Routinemäßige Wartung. Das war das letzte Mal.« Sie schürzte die Lippen. »Sind Sie sicher, daß die Kippvorrichtung funktioniert?« Dillon antwortete für Troy. »Nichts ist sicher. Sie eingeschlossen.« »Alles, was ich sagen kann ist, daß die Indikatoren alle positiv sind.« Troy zuckte hilflos mit den Schultern. »Es ist das Beste, was wir haben.« »Denkt daran«, erinnerte Dillon die beiden. »Zuerst locken wir es hier in die Falle. Wir drücken den Auslöser, starten den Kolben, und dann schiebt die Kippvorrichtung das Mistvieh direkt in die Gießform. Das hier ist eine High- Tech Kaltwalzanlage. Ende des Biests. Ende der Geschichte.« Ripley warf ihm einen Blick zu. »Was ist, wenn jemand Mist baut?« »Dann sind wir am Arsch«, teilte ihr Dillon sachlich mit. »Wir haben nur eine Chance. Einen Schuß nur, mehr nicht. Keine Zeit mehr, nachzuladen. Denken Sie daran, wenn Sie den Auslöser betätigen, dann sitzen Sie für einige Sekunden gemeinsam mit dem Ding in der Falle.« Sie nickte. »Ich mach's. Wenn von euch Typen keiner den Ball fallenläßt, dann tu' ich's auch nicht.« Dillon betrachtete sie genauer. »Schwester, hoffentlich haben Sie recht damit, daß Ihnen das Biest nichts tut. Denn wenn es raus will, dann gibt es nur einen Weg. Mitten durch Sie
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hindurch.« Sie erwiderte seinen Blick. »Würde Ihnen doch nur Arbeit ersparen, nicht wahr?« Troy blinzelte verständnislos, aber er wußte, daß jetzt nicht die Zeit für Fragen war. »Wo werden sie sein?« fragte sie den großen Mann. »In der Nähe.« »Was ist mit den anderen? Wo sind sie?« »Sie beten.« Die Überlebenden verstreuten sich, arbeiteten sich durch die Gänge, schlugen gegen die Wände, um sich anzufeuern und stießen Flüche und Schlachtrufe aus. Sie kümmerten sich nicht mehr darum, ob das Monster sie hörte. Im Gegenteil, sie wollten gehört werden. Fackellicht strömte durch Zugangswege und Schächte und warf harte Schatten auf nervöse, aber erregte Gesichter. Häftling Gregor sah aus einem Nebenraum, daß sein Kumpel William tief in ein Gebet versunken war. »He, Willie? Glaubst du etwa an diese Himmelsscheiße?« Der Angesprochene blickte auf. »Weiß nicht genau.« »Ich auch nicht.« »Scheiß drauf. An was sollen wir sonst glauben? Bißchen spät, jetzt wo wir hier festsitzen.« »Ja, da sagst du was Wahres. Aber zum Teufel damit, was?« Er lachte herzlich und beide Männer hörten, wie das Gelächter den Gang hinabhallte. Die Wände verstärkten und verzerrten den Klang. Morse hörte alles: die fernen Echos nervösen Gelächters, die Geräusche der Angst, der nahenden Hysterie. Er drückte den Knopf, der die Tür aktivieren sollte, die ihm zugewiesen worden war. Sie ächzte ... und öffnete sich halb. »He, Jungs? Wartet doch mal. Ich weiß nicht so recht. Vie l-
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leicht sollten wir uns die ganze Scheiße noch mal überlegen. Ich merke hier gerade, daß meine Scheißtür nicht richtig funktioniert. Jungs?« Aus dem Korridor vor ihm kam keine Antwort. Weiter hinten wandte sich Gregor seinem Begleiter zu. »Was, zum Teufel, ruft er da?« »Scheiße, keine Ahnung«, antwortete William schulterzuckend. Häftling Kevin hielt die Langzeitfackel vor sich, während er sich an der Wand des Ganges entlangtastete. Hinter ihm ging ein anderer Mann und dahinter ein dritter, und so weiter, den ganzen Tunne l entlang. Aber im Moment sah er niemanden, und seine Nerven lagen blank wie Leitungsdraht. »He, habt ihr das gehört?« rief er demjenigen zu, der gerade in Hörweite sein mochte. »Das war Morse. Klang irgendwie ... Der Schrei ließ ihn verstummen. Er war so nah, daß es schmerzte. Seine Beine bewegten sich noch vorwärts, aber es war so, als hätte ihn eine geistige Lähmung erfaßt, die die untere Hälfte des Körpers noch nicht erreicht hatte. Vor ihm zerstückelte das Alien seinen Freund Vincent, der nichts mehr hatte, womit er noch schreien konnte. Kevin zögerte nur kurz. »Komm und hol mich doch, du Scheißvieh.« Gehorsam ließ das Monster ein Stück von Vincent fallen und griff an. Kevin war seinerzeit ein ziemlich guter Sportler gewesen. Während er den Gang hinunterrannte, mußte er daran denken, daß es noch vor zwei Jahren keinen gegeben hatte, der schne ller war als er. Aber dieses Mal rannte er nicht gegen ein menschliches Wesen. Das Monster holte schnell auf, auch als er all seine Kraft aufwandte. Je langsamer er wurde, desto näher kam sein höllischer Verfolger.
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Kevin stürzte sich praktisch auf den Schalter und wirbelte herum. Er krachte mit dem Rücken gegen die Tunnelwand, sein Brustkorb ging auf und nieder wie ein Blasebalg. Die Stahltür fiel ins Schloß. Keine Sekunde, nachdem er sie versiegelt hatte, krachte etwas dagegen und drückte eine große Delle in die Mitte der Tür. Er sackte erleichtert zusammen und fand irgendwo noch die Luft für eine Meldung. »Tor C9 ... geschlossen.« Am anderen Ende des eben durchquerten Tunnels erschien Häftling Jude. Er hielt eine Fackel in der Hand und erleuchtete den Korridor. »Huhu! He, Arschgesicht, komm und hol mich. Aber ziele gut.« Die unnachgiebige Tür irritierte das Alien. Als es die neue Stimme hörte, drehte es sich um und bewegte sich in die andere Richtung. Jude lief los, nicht so schnell wie Kevin, aber mit einem größeren Vorsprung. Das Alien kam schnell näher, aber dieses Mal fehlten ihm einige Sekunden. Die Schiebetür trennte es von seiner Beute. Auf der anderen Seite der Schranke rang Jude nach Atem. »Im Ostflügel. Tor B7. Sicher.« Plötzlich krachte das Bein des Alien durch das Sichtfenster, das in den Stahl eingebaut war. Schreiend krabbelte Jude zurück, gegen die Wand, außerhalb der Reichweite der frenetisch zuckend en Klauen. Dillon stand allein in dem Gang, den er sich zur Kontrolle ausgesucht hatte. »Es hat angefangen«, murmelte er. »Es ist in Kanal B«, schrie Morse, während er seinen eigenen, ganz privaten Tunnel entlanglief. »Es nähert sich Kanal A!« An einer Kreuzung stieß William fast mit Gregor zusammen. »Ich hab's gehört«, keuchte Gregor. »Kanal E, verdammt.« »Was, B?«
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»Nein, E.« »Wir sollen doch hierbleiben«, brachte William hervor. »Beweg deinen verdammten Hintern!« Gregor hatte keine Lust zu diskutieren, wie ihre Position theoretisch aussehen sollte. Er rannte wortlos weiter. William folgte ihm. In einem Seitengang traf Jude auf Kevin und warf ihm einen wissenden Blick zu. »Du auch?« »Ja.« Kevin schnappte nach Luft. »Okay. Rüber zu E. Alle.« Kevin verzog das Gesicht. Er versuchte sich zu erinnern. »Wo zum Teufel ist E?« Sein Begleiter streckte ungeduldig die Arme aus. »Hier lang. Jetzt beweg dich endlich vorwärts, verdammt noch mal.« David war noch immer allein, und er genoß die andauernde Einsamkeit keineswegs. Nach dem Plan hätte er schon längst auf jemanden treffen sollen. Was er fand, waren die Überreste von Vincent. Er wurde langsamer, blieb aber nicht stehen. »Kevin? Gregor, Morse? Ich habe Vincent gefunden.« Keine Antwort. Er lief weiter, er hatte nicht die Absicht, für irgend jemanden oder irgend etwas anzuhalten. »Kesseln wir das Mistvieh ein.« Der Abschnitt des Tunnels, der vor ihm lag, war dunkler als der vorherige, aber zumindest war er leer. Im Hauptgang sah Dillon zu Troy hinüber. »Hilf ihnen.« Der andere Häftling nickte und startete, nur mit einer Karte bewaffnet, in den Irrgarten der Gänge. Der Häftling Eric stand neben ihnen. Sein Blick wanderte von Dillon zu Ripley. Er kaute auf seinen Lippen herum, dann an seinen Fingernägeln. Sie beobachtete den Monitor, der anzeigte, daß Gregor und Morse in entgegengesetzte Richtungen liefen und zuckte
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zusammen. »Wohin läuft der, verdammt noch mal. Warum halten sie sich nicht an den Plan?« »Ripley, Sie haben keine Angst vor dem Biest«, erinnerte sie Dillon. »Die da schon.« »Aber was, zum Teufel, machen sie da?« Dillons Aufmerksamkeit galt dem schwach erleuchteten Ende des Hauptkorridors. »Sie improvisieren.« Ihre Hand ruhte auf dem Hauptschalter der Kippvorrichtung. Eric sah ihr zu. Der Schweiß lief ihm in Strömen hinab. David stolperte durch den dunklen Korridor. Er hielt seine Fackel hoch und versuchte, die Dunkelheit vor ihm zu erhellen. »Hierher, mein Kätzchen, komm, komm. Hier ...« Er beendete den Satz nicht. Deutlich konnte er das Alien in der Ferne erkennen. Es bemühte sich vergeblich, die Tür zu überwinden, durch die Jude entkommen war. Er spannte die Muskeln seines Armes an, als sich das Alien umdrehte. »Hierher, Kätzchen. Zeit zum Spielen.« Er schwenkte die zischende Fackel. Das Alien sprang hoch und war schon hinter ihm her, als es noch in der Luft hing. So schnell er konnte, rannte Jude den Weg zurück, den er gekommen war. Die Strecke bis zur nächsten Tür war relativ kurz, und er zweifelte nicht daran, daß er es schaffen würde. Sicher, er hatte genug Zeit. Seine Faust landete schwer auf dem Schließen-Knopf. Die Tür glitt hinab ... und blieb stecken. Seine Augen weiteten sich, und er stöhnte leise auf, während er zurückstolperte, einen tastenden Schritt nach dem anderen. Er sah, wie die Tür weiterhin stockend und zitternd hinabsackte, und fuhr zusammen, als das Alien in vollem Lauf dagegenkrachte. Das Metall beulte sich aus, bewegte sich aber auf seine ungleichmäßige, ruckartige Weise weiter nach unten.
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Eine Alien- Tatze langte unter der Tür durch und griff nach seinem Bein. Schreiend sprang David auf einen Sims in der Tunnelwand. Die Hand tastete nach ihm, jagte ihn, während die Tür weiter nach unten zuckte. Im letzten Moment zog das Alien seine Klauen zurück. Im Tunnel wurde es still. Er brauchte einige Zeit, bis er seine Stimme wiedergefunden hatte, und auch dann brachte er nicht mehr als ein entsetztes Winseln heraus. »Tor 3, Kanal F. Geschlossen ... hoffe ich.« Morse, der blind seinen eigenen Gang hinunterstolperte, hörte ihn nicht. »Kevin? Gregor? Wo, zum Teufel, steckt ihr? K, L, M: alle verschlossen und gesichert.« Er blickte auf ein Schild, das in die Wand eingelassen war. »Ich bin wieder in A.« Auch Gregor zählte in einem Seitengang die Buchstaben ab. »Kanal V sicher. Kanal P dicht.« Hinter ihm versuchte William Schritt zu halten. »Hast du P oder D gesagt?« rief er. »Verdammt noch mal ...« Ohne stehenzubleiben rief Gregor zurück: »Halt dein ve rdammtes Maul! Beweg dich!« Kevin wußte nicht mehr, wo er war, aber schließlich entdeckte er, daß er zu seinem Ausgangspunkt zurückgelaufen war. »Scheiße. Ich bin wieder in R. Hier bin ich doch sicher, oder?« Jude hatte ihn gehört und antwortete mit lauter Stimme: »Mann, du hast vergessen, daß R wieder zu F zurückführt. Ich bin jetzt in F und schließe gleich das Tor.« Auch Troy fand sich orientierungslos an einer Kreuzung wieder. Er war zu schnell gelaufen, hatte sich lieber auf sein Gedächtnis als auf die Karte verlassen. Jetzt blickte er unsicher von einem Tunnel zum anderen. »Kanal F? Wo, zum Teufel ... hier gibt es keinen verdammten
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Kanal F.« Er ging zögernd weiter und wählte den Gang, der rechts von ihm verlief. Doch hier wartete schon ein anderer, ebenfalls recht frustrierter Wanderer. Dillon und Ripley hörten die Schreie aus der Ferne. Wie sonst auch verstummten sie nach kurzer Zeit. »Morse?« rief Dillon. »Kevin, Gregor?« Ripley versuchte über seine Schulter zu sehen. »Was geht da vor?« Der große Mann wirkte nervös. »Sie brauchen doch bloß die verdammten Gänge entlangzulaufen.« Er ergriff seine Axt und machte sich auf den Weg. »Sie bleiben hier.« Der seitliche Gang, aus dem sie ihren Besucher erwarteten, blieb leer. Kein Alien. Kein Mensch. Nur das schwache Echo von Stimmen, einige offenbar panische Angst verkündend. Hinter ihr meldete sich Eric. »Wo, zum Teufel, ist es?« Ripley sah ihn nur an. David nahm seinen ganzen Mut zusammen, schlich sich zur Tür zurück und lugte durch das kleine Fenster. Der Gang war leer. »Ich habe ihn verloren!« rief er laut. »Ich weiß nicht, wo das Scheißvieh ist. Die Tür mache ich nicht mehr auf. Ich nehme an, daß es den Luftschacht raufgeklettert ist.« Er drehte sich langsam um und sah in den Luftschacht des Tunnels über ihm. Seine Annahme war richtig. Ripley wartete, bis das letzte Echo verhallt war. Eric bewegte sich nervös hin und her, seine Augen zeigten an, daß er kurz vor dem Zusammenbruch stand. Wenn sie nichts unternahm, konnte er jeden Augenblick die Nerven verlieren und davo nlaufen. Auch wenn es keinen Weg zum Davonlaufen gab. Sie ging zu ihm, sah ihm in die Augen und blickte ihn eindringlich
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an, so als könne sie etwas von ihrer eigenen Zuversicht auf ihn übertragen. Dillon war im Seitengang verschwunden. Er brauchte nicht lange, um Troys Überreste zu finden. Nach einem kurzen Blick ging er wieder den Weg zurück, den er gekommen war. Morse und Jude waren endlich aufeinandergestoßen. Sie liefen Seite an Seite ... bis Jude ausrutschte und hart auf den Boden fiel. Seine Finger fuhren durch das warme, klebrige Etwas, auf dem er ausgeglitten war. »Verdammte Scheiße ... iih!« Als Jude das Zeug nach oben hielt, um es besser erkennen zu können, fuhr Morse entsetzt zurück. Als Jude erkannte, was er da in der Hand hielt, stimmte er in den Schrei ein. Ripley lauschte angespannt. Einen Moment lang vergaß sie Eric. Die Schreie kamen näher; man hörte sie selbst, nicht ihre Echos. Plötzlich fuhr Eric herum und hastete zum Kontrollpult der Kippvorrichtung. Sie lief ihm nach. Denn in diesem Augenblick war das Alien im Korridor aufgetaucht und raste auf sie zu. Eric fingerte hektisch an den Schaltern herum, und sie konnte ihn gerade noch abhalten, sie zu betätigen. »Noch nicht! Es ist noch nicht in Position!« Mit all ihrer Kraft hielt sie seine Arme fest. Es war soweit. Sowohl geistig als auch körperlich überfo rdert, sackte er nach hinten, erschöpft und zitternd. Kevin bewegte sich langsam durch den Tunnel. Er näherte sich nun dem Kolbenraum. Einen sicheren Ort gab es nicht, und er hatte wirklich alles getan, was man von ihm erwarten konnte. Mehr konnte sie nicht von ihm verlangen, jetzt nicht. Etwas veranlaßte ihn, nach oben zu schauen. Das Alien im Schacht über ihm machte sich nicht die Mühe, herabzuspringen. Statt dessen griff es nach unten und packte ihn mit einer Leichtigkeit, als fische es nach einem Frosch.
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Blut spritzte. Am anderen Ende des Ganges erschien Dillon. Als er die zuckenden Beine des Mannes sah, rannte er los und umschlang dessen Arme und Knie. Darauf war das Alien nicht gefaßt. Es ließ los, und beide Männer stürzten zu Boden. Ripley beobachtete, wie Dillon den verwundeten Eric in den Hauptgang zog. Sie warf einen Blick auf den unbrauchbaren Eric und lief los, um zu helfen. Das Blut spritzte aus dem Hals des Verwundeten. Ripley streifte ihre Jacke ab und wickelte sie um die Wunde, so fest sie konnte. Das Blut floß langsamer, aber nicht langsam genug. Dillon hielt den Mann im Arm und betete leise. »Nicht der Tod, nur ...« Es blieb keine Zeit, das Gebet zu beenden. Das Alien kam auf sie zu. Ripley sprang auf und wich zurück. »Lassen Sie ihn liegen. Locken Sie es zu mir.« Dillon nickte und schloß zu ihr auf. Gemeinsam bewegten sie sich rückwärts zum Kontrollraum. Das Alien beobachtete sie. Sie gingen langsam, hatten keinen Platz zum Ausweichen mehr. In der blutigen Gestalt auf dem Boden schien noch Leben zu sein. Es sprang vor, um seinen Job zu beenden. Ripley drehte sich um, machte eine Bewegung, als würde sie jemandem die Kehle durchschneiden. Eric kam aus seinem Versteck hervor und ließ seine Faust auf den Schalter knallen. Der Kolben der Kippvorrichtung schoß hervor. Er erfaßte sowohl den toten Kevin als auch das Alien und schob sie auf die Spalte zu, die zum Feuer führte. Hitze und flirrende Luft erfüllte den Gang. Doch plötzlich war das Alien verschwunden. Schwitzend trat Ripley einen Schritt vor. »Wo, zum Teufel, ist es hin?« »Scheiße!« Dillon versuchte, um das Gerät herumzuschauen.
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»Es muß hinter dem beschissenen Kolben sein.« »Dahinter?« Sie sah ihn ungläubig an. »Versiegelt die Türen«, schrie er. »Wir müssen es zurückkriegen!« Sie warfen einander einen Blick zu und eilten in verschiedene Richtungen davon. »Jude, Morse!« Dillon rannte polternd durch den Korridor, den er gewählt hatte und suchte nach Überlebenden. Ripley suchte ebenfalls. Bald traf sie auf William und den Hals über Kopf davo ngestürmten Eric. Sie waren durcheinander, im wahrsten Sinne des Wortes, und für immer sorglos. Sie lief weiter. Morse lief nicht mehr, er kroch nur noch. Er hörte ein Geräusch und hielt an, um den seitlichen Gang zu überprüfen, aus dem es gekommen war. Er sah nichts und atmete erleichtert auf. Er begann, seine Schritte zurückzuverfolgen, und hielt seine Augen nach vorne gerichtet. Bis er auf etwas Weiches, Lebendiges stieß. »Was, zum ...!« Es war Jude. Gleichermaßen aufgeschreckt fuhr der andere Mann herum und hielt die Schere, die er als Waffe bei sich trug, dem anderen entgegen. Erleichtert, aber auch zornig, ergriff Morse die Zwillingsschneide und schob sie zusammen. »Nicht so. So, du Idiot.« Er verpaßte dem anderen eine leichte Kopfnuß. Jude blinzelte, nickte und startete in die andere Richtung. Dillon stand im Hauptgang. »Jude, Jude!« schrie er. Der Häftling hörte ihn und zögerte. Das Alien war genau hinter ihm. Der Häftling rannte wie der Teufel auf Dillon zu, der ihn antrieb.
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»Schau nicht zurück. Lauf, so schnell du kannst!« Jude kam näher. Er lief verzweifelt um sein Leben, aber er war nicht Kevin oder Gregor. Das Alien holte ihn ein. Das Blut spritzte wie eine Fontäne gegen die Tür, die Dillon in ohnmächtiger Wut hatte schließen müssen. Im Nebengang hörte Rip ley alles mit und fluchte vor sich hin. Die Zeit lief ihnen davon, und der Kolben glitt unaufhaltsam und völlig sinnlos vorwärts. Gregor schrie um Hilfe, aber es war niemand in der Nähe, der ihn hören konnte. Blind rannte er den Zwischengang hinunter und schleuderte um die Ecke wie eine Flipperkugel, bis er direkt in Morse rannte, der ihm ebenso schnell entgegengekommen war. Nervös lachend halfen sie einander auf und sahen sich erleichtert an. Bis das Alien auftauchte und sich auf den lachenden Gregor stürzte. Es riß ihn förmlich auseinander. Blutiger Brei spritzte über Morses Gesicht und Körper. Er stolperte zurück und bat schreiend ein Wesen um Gnade, das seine Verzweiflung weder verstand noch interessierte. Während es Gregors Körper sorgsam in Fetzen riß, konnte er nur mit starrem Blick davonkriechen. Er stieß gegen etwas Festes und wandte den Kopf. Füße. Er zuckte zurück. Ripleys Füße. Sie warf die Fackel, die sie in der Hand hielt, nach dem Alien, das gerade in einen Luftschacht wollte. Das brennende Magnesiumgemisch zwang es, Gregors verstümmelten Körper fallen zu lassen. »Komm her, du Bastard!« Morse beobachtete staunend, wie sich das Alien an die andere Wand zurückzog, anstatt nach vorne zu stürzen und dem Leutnant den Kopf abzureißen. Sie ging ohne zu zögern auf das sich windende und speicheltriefende Wesen zu. »Komm her. Ich habe, was du willst. Komm mir nach, ich
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will dir etwas zeigen. Komm schon, verdammt noch mal!« Der Schwanz des Alien zuckte hervor und schlug nach ihr, nicht um sie zu töten, sondern um sich vor ihr zu verteidigen. In diesem Augenblick tauchte Dillon im Gang auf. »Zurück! Sie stehen im Weg!« rief Ripley ihm zu. Das Alien nahm wieder seine Angriffsstellung ein und wandte sich dem neuen Gast zu. Verzweifelt stellte sich Ripley zwischen das Wesen und Dillon, der mit einem Mal begriff, was geschah und was sie vorhatte. Er ging von hinten auf sie zu, schlang seine Arme um sie und hielt sie fest. Das Alien schäumte vor Wut, aber es kam nicht näher, während die beiden Menschen langsam zurückgingen, fest ane inandergeklammert. Es folgte ihnen in den Hauptgang. Die Entfernung zwischen ihnen veränderte sich nicht. Es wartete. Dillon sah zur Gießform hinüber. »Hierher, Schwachkopf!« rief er. Das Alien zögerte. Dann sprang es zur Decke und huschte über die Tür. »Zumachen!« schrie Ripley aufgeregt. »Jetzt!« Dillon mußte nicht erst aufgefordert werden. Er aktivierte die Tür. Sie knallte zu und sperrte sie beide im Hauptgang ein, zusammen mit dem Biest. Morse tauchte hinter ihnen auf und sah, was los war. »Raus! Verdammt noch mal, raus!« »Mach die Tür zu!« schrie Ripley zurück. Der Mann zögerte, und das Alien kam auf ihn zu. »Jetzt!« Morse sprang vor und drückte den Knopf. Die Tür schoß nach unten und trennte sie von seiner Position. Einen Moment später tauchte der Kolben auf, der seine Putzarbeit fortsetzte und ihm die Sicht auf sie nahm. Er drehte sich um und rannte zurück.
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Im Hauptgang wurde das Alien ein zweites Mal erfaßt und nach hinten geschoben. Es vergaß die beiden Menschen und versuchte, sich an der schweren Barriere vorbeizudrücken. Aber weder oben noch an der Seite war genug Platz. Der Kolben schob es immer näher an die Gießform heran. Dillon und Ripley waren schon dort. Ende des Weges. Schluß. Morse krabbelte die Leiter hinauf, die zur Krankabine führte. Er fragte sich, ob er noch wußte, wie man die Apparaturen bediente. Für die Konsultation von Handbüchern fehlte ihm die Zeit, und es gab keinen mehr, den er fragen konnte. * Das massive Landeschiff zog es vor, den kaum noch gewarteten Landeplatz der Mine nicht zu benutzen. Statt dessen setzte es auf dem Kies davor auf. Der Rückstrahl der Maschinen wirbelte Schmutz und Steine hoch. Kurze Zeit später eilte eine Gruppe schwer bewaffneter Männer und Frauen auf den Haupteingang der Anlage zu. Dahinter beobachtete Aaron das Landemanöver mit einem zufriedenen Lächeln. Sie hatten intelligente Gewehre, Panzerfäuste, feuerfeste Schilde und Schnellfeuerwaffen. Sie wußten, mit was sie es zu tun hatten, und waren vorbereitet. Er glättete, so gut es ging, seine Uniform und bereitete sich auf das Öffnen des Schlosses vor. »Ich wußte, daß ihr es schafft. He, hierher!« rief er laut und begann mit der Aktivierung des Schloßmechanismus. Aber er kam nicht weit. Die Tür explodierte von innen, und die Soldaten und zwei medizinische Offiziere waren durch, noch bevor sich der Staub gelegt hatte. Geschäftsmäßig verteilten sich die Truppen, um das Eingangsgebiet abzusichern. Aaron ging auf den Captain zu. Ihm fiel auf, daß er das
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Ebenbild des toten Androiden war, den man im RF des Leutnants geborgen hatte. »Sir!« Er baute sich vor dem Offizier auf und salutierte stramm. »Wärter Aaron, 137512.« Der Captain ignorierte ihn. »Wo ist Leutnant Ripley? Lebt sie noch?« Diese Gleichgültigkeit verstimmte Aaron etwas, aber er war noch immer bereit zu helfen. »Jawohl, Sir. Wenn sie noch lebt, ist sie an der Gießform. Sie sind alle mit dem Biest zusammen im Metallwerk. Absoluter Wahnsinn. Sie wollten nicht warten. Ich habe versucht, ihnen zu sagen ...« Der Offizier unterbrach ihn einfach. »Sie haben dieses Biest auch gesehen?« »Jawohl, Sir. Schrecklich. Unglaublich. Sie trägt eins in sich.« »Das wissen wir.« Der Offizier nickte knapp zu seinen Leuten hinüber. »Wir übernehmen die Sache jetzt. Zeigen Sie uns, wo Sie Ripley zuletzt gesehen haben.« Er nickte und führte sie eifrig in die Tiefen des Komplexes. * Ripley und Dillon wichen immer weiter zurück, bis sie vor der Keramiklegierung standen und sie nicht mehr weiter konnten. Das Knirschen von Metallgelenken ließ Ripley nach oben blicken. Sie sah, wie sich die Maschinenteile bewegten. Die Raffinerie folgte unaufhaltsam ihrer programmierten Sequenz. »Klettern Sie hoch«, riet sie ihrem Begleiter. »Das ist Ihre einzige Chance!« »Was ist mit Ihnen?«
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Kaum hatte Dillon seine Frage gestellt, da tauchte das Alien im hinteren Teil der Gießform auf. Der massive Kolben hatte es dazu gezwungen. »Es wird mich nicht töten.« »Unsinn! Hier werden bald zehn Tonnen heißer Stahl sein.« »Gut! Ich will immer noch sterben.« »Ja, aber ich nicht ...« Bald würde das Alien bei ihnen sein. »Jetzt haben Sie die Chance. Los!« Er zögerte und packte sie plötzlich. »Ich nehme Sie mit.« Er schob sie nach oben. Trotzdem sie sich wehrte, kletterte er weiter. Als sie merkte, daß er ohne sie nicht gehen würde, gab sie zögernd nach und bewegte sich über ihm an der Seite der Form hoch. Das Alien wandte sich von dem Kolben ab, entdeckte sie und folgte ihnen. Auf der Spitze der Form verschaffte sich Ripley einen sicheren Halt an der Kante und half Dillon hinauf. Das Maul des Alien schnappte nach ihm. Dillon trat nach unten und schlug mit seiner Feueraxt zu. Ripley setzte ihren Aufstieg fort, während sich Dillon bemühte, den Verfolger abzuwehren. Erneuter Lärm zeigte ihr, daß der Portalkran funktionierte. Sie konnte Morse ausmachen, der fluchend auf die Kontrolltasten einhämmerte. Die Truppe der Gesellschaft erschien am Rand der Beobachtungsplattform. Ihr Führer erfaßte mit einem Blick, was vor sich ging. Morse sah, daß die Männer ihm etwas zuriefen, doch er ignorierte sie und bediente die Anlage hektisch weiter. Er drückte einen Knopf, und der Container, in dem das geschmolzene Metall brodelte, wurde nach vorne gekippt. »Tun Sie es nicht!« schrie der Führer der Neuankömmlinge. »Nein!« Das Alien war sehr nahe, aber nicht nahe genug. Nicht ganz.
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Weißglühendes, flüssiges Metall strömte an Dillon und Ripley vorbei, ein Sturzbach von solch intensiver Hitze, daß sie mit beiden Händen ihr Gesicht bedecken mußten. Die metallische Kaskade prasselte auf das Alien und ließ es mit einem schrecklichen Laut in die Gießform stürzen. Es wurde davongewischt, während die Flammen in alle Richtungen schossen. Hoch oben stand Morse und starrte aus dem Fenster seines Krans. Seine Miene drückte nur noch Befriedigung aus. »Friß Scheiße, du verdammter Bastard!« Dillon trat am Rand der Gießform neben Ripley. Sie schützten ihr Gesicht mit den Händen vor der Hitze, die aus dem Becken mit brodelndem Metall emporstieg und starrten hinab. Plötzlich bemerkten sie die Soldaten. »Sie sind hier!« Verzweifelt klammerte sich Ripley an ihren Begleiter. »Halten Sie Ihr Versprechen!« Dillon sah sie an. »Sie meinen es ernst.« »Ja. Es ist in mir! Machen Sie endlich!« Unschlüssig legte er seine Hände um ihren Hals. Sie starrte ihn zornig an. »Tun Sie es!« Seine Hände schlossen sich. Ein wenig Druck, eine Drehung, und ihr Genick würde brechen. Mehr brauchte es nicht. Ein kurzer Augenblick der Anstrengung nur. Es war nicht so, daß er nicht wußte, wie es ging; er hatte es öfter als einmal getan, vor langer Zeit. »Ich kann nicht!« Der Satz kam als krächzender Schrei aus seinem Hals. »Ich kann es nicht tun!« Er sah sie beinahe flehentlich an. Doch plötzlich verwandelte sich seine Miene in eine Maske des Schreckens. Etwas riß ihn nach hinten.
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Das Alien war brennend und qualmend aus dem Becken aufgetaucht und zerrte ihn in seine Arme. Zusammen verschwanden sie unter der schwankenden Oberfläche aus geschmolzenem Metall. Ripley sah ihnen nach, entsetzt und fasziniert zugleich. Eine Sekunde später tauchte der geschwungene Alienschädel erneut auf. Geschmolzenes Metall tropfte von ihm herab, aber dennoch begann es, sich aus der Gießform zu ziehen. Verzweifelt sah sie um sich und entdeckte die Notfallkette. Sie war alt und verrostet, wie wahrscheinlich auch der Mechanismus, den sie auslöste. Aber das war egal. Es gab nichts anderes. Sie zerrte daran. Das Wasser strömte aus dem riesigen Löschbehälter, der über dem Rand der Gießform hing. Ripley verhedderte sich in der Kette, konnte sich nicht losmachen. Die Fluten ergossen sich über sie und ließen die Ketten in Spiralen herumwirbeln. Sie hing fest. Das kalte Wasser prasselte auf das Alien und seinen heißen Metallmantel. Zuerst explodierte der Kopf, dann der Rest des Körpers. Dann brach die Gießform auseinander und erbrach Brocken erkalteten Metalls. Dampf stieg auf, und Morse wurde auf den Boden der Kabine geschleudert, während der Kran auf seinen Stützen schwankte. Die Männer des Rettungstrupps gingen instinktiv in Deckung. Warmes Wasser und abkühlendes Metall regneten herab. Als sich die Überschwemmung legte, rückte das Team wieder vor. Mittlerweile hatte sich Ripley mit Hilfe von Morse auf die Plattform des Krans schwingen können. Als sie festen Halt unter den Füßen hatte, lehnte sie sich über das Schutzgeländer und starrte in das Feuer. Erneut wurde ihr schlecht. Die Wellen der Übelkeit und des Schmerzes kamen nun immer häufiger über sie. Sie sah, wie die Männer der Gesellschaft die Stufen hinauf-
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kamen und sich dem Kran näherten. Aaron war an ihrer Spitze. Sie mußte lächeln, war über seine Anwesenheit weder überrascht noch zornig. Er wußte es einfach nicht besser. »Kommen Sie nicht näher!« rief sie warnend. »Bleiben Sie, wo Sie sind!« Aaron blieb stehen. »Warten Sie. Diese Leute sind hier, um Ihnen zu helfen.« Mitleidig sah sie den Einfaltspinsel an. Er hatte nicht die geringste Ahnung, worum es ging oder was wahrscheinlich mit ihm geschehen würde, wenn die Gesellschaft bekommen hatte, was sie wollte. Aber das würde sie nicht. Eine weitere Welle der Übelkeit schwappte über sie hinweg, und sie stolperte gegen das Geländer. Als sie sich wieder aufrichtete, trat eine Gestalt zwischen den schwer bewaffneten Soldaten hervor. Ripley konnte ihren Augen kaum glauben. Sie kannte dieses Gesicht. »Bishop?« murmelte sie zweifelnd. Er blieb stehen, und die anderen schlossen zu ihm auf und warteten auf Befehle. Er gab ihnen ein Zeichen, und sie rührten sich. Dann wandte er sich beruhigend lächelnd an Ripley. »Ich will Ihnen nur helfen. Wir sitzen alle im selben Boot.« »Keinen Unsinn mehr!« herrschte sie ihn an. Trotz ihrer Schwäche bemühte sie sich, ihren Ausruf so überzeugend wie möglich klingen zu lassen. »Gerade hat sich das verdammte Ding in mir bewegt.« Sie trat etwas weiter auf die Plattform hinaus, und alle Augen folgten ihr. Etwas stieß gegen ihre Lungen, und sie zuckte zusammen, ohne den Blick von der Gestalt vor ihr abzuwenden. Es war Bishop. Nein, nicht der Bishop, sondern ein perfektes Duplikat. Ein bis auf die Poren seiner Haut perfektes Double des auf so traurige Weise zerfe tzten und kybernetisch toten Bishop. Dieser Bishop hatte alles unter Kontrolle. Bishop II
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ging es ihr durch den Kopf. Bishop-Doppel. Bishop auf B 4. Bishop schlägt Königin. Nicht, solange ich lebe, dachte sie grimmig. »Sie wissen, wer ich bin«, sagte der Mann. »Ja. Ein Android. Das gleiche Modell wie Bishop. Und die beschissene Gesellschaft hat Sie hergeschickt.« »Ich bin nicht der Bishop-Android, ich habe den BishopAndroiden entwickelt. Ich bin der Prototyp, also war es ganz natürlich, daß ich ihm das gleiche Aussehen gegeben habe. Ich bin sehr menschlich. Man hat mich hergeschickt, damit ich Ihnen freundlich entgegentrete und Ihnen beweise, wie wichtig Sie für uns und auch für mich sind. Ich hatte von Anfang an mit diesem Projekt zu tun. Sie bedeuten mir viel, Leutnant Ripley, und einer Menge anderen Leuten auch. Bitte, kommen Sie herunter. Ich will Ihnen nur helfen. Wir haben alles dabei, was Sie brauchen, Ripley.« Er blickte nervös zu ihr herauf. Jetzt erkannte sie die Uniformen, die zwei von Bishop II Begleiter trugen: es waren biomedizinische Techniker. Sie mußte an Clemens denken. »Ich scheiß' drauf. Ich kenne die >Freundlichkeit< der Gesellschaft. Der letzte, der mir so freundlich entgegengetreten ist, war ein Arschloch namens Burke.« Bishops Lächeln verblaßte. »Es hat sich erwiesen, daß es ein Fehler war, Burke als Begleiter für Ihre vorige Mission auszuwählen. Er war mehr an seiner persönlichen Bereicherung interessiert als daran, die Firmenpolitik zu verfolgen. Ich versichere Ihnen, daß ein solcher Fehler nicht mehr vorkommen wird. Deshalb bin ich hier und nicht irgendein unerfahrener, überehrgeiziger Laufbursche.« »Und Sie haben natürlich keinen persönlichen Ehrgeiz.« »Ich will Ihnen nur helfen.« »Sie sind ein Lügner«, sagte sie ruhig. »Sie scheren sich
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einen Dreck um mich oder sonst jemanden. Sie wollen es nur mitnehmen. Diese Dinger mögen Säure statt Blut haben, aber in euren Adern fließt nur Geld. Kein großer Unterschied.« Bishop II blickte eine Weile auf den Boden, bevor er seinen Blick wieder nach oben richtete, wo die einsame Gestalt auf der Plattform stand. »Sie haben gute Gründe, mißtrauisch zu sein, aber bedauerlicherweise nicht mehr genug Zeit dazu. Wir wollen nur Sie nach Hause bringen. Das Ding interessiert uns nicht mehr. Wir wissen, was Sie durchgemacht haben. Sie waren sehr tapfer.« „Dummes Zeug!« »Sie irren sich. Wir wollen helfen.« »Was soll das heißea?« »Wir wollen Sie von dem Ding befreien.« »Und es behalten.« Bishop II schüttelte den Kopf. »Nein. Wir werden es vernichten.« Zögernd stand sie da. Ein Teil von ihr wollte ihm glauben. Er bemerkte ihr Schwanken und beeilte sich weiterzusprechen. »Ripley, Sie sind erschöpft, ausgelaugt. Halten Sie einmal inne und denken Sie nach. Ich habe nur Ihr Bestes im Sinn. Auf dem Schiff, mit dem wir gekommen sind, der Patna, befindet sich eine chirurgische Abteilung auf dem neuesten Stand der Technik. Wir können den Fötus entfernen, die Larve, oder wie man es immer auch nennen mag. Wir haben noch keinen Namen für die verschiedenen Entwicklungsstadien. Die Operation wird erfolgreich sein. Sie haben noch ein langes, erfülltes Leben vor sich.« Sie sah zu ihm herab, ganz ruhig, in ihr Schicksal ergeben. »Ich hatte schon ein Leben, vielen Dank. Eines, um das ich niemanden bitten mußte und für das ich keine Rechenschaft schuldig bin.« Beschwörend hob der Android die Hand.
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»Denken Sie doch einmal ganz nüchtern, Ripley. Wir geben zu, daß wir Fehler gemacht haben. Wir wußten es nicht besser. Aber wir wollen alles wiedergutmachen. All die Zeit, all den potentiellen Verlust. Sie können noch Kinder bekommen. Wir kaufen Sie aus Ihrem Vertrag. Sie bekommen alles, was Sie verdienen. Wir schulden Ihnen etwas.« Sie schwankte. »Sie werden es nicht mit zurücknehmen?« »Nein. Wir haben erkannt, womit wir uns eingelassen haben. Sie hatten von Anfang an recht. Aber uns läuft die Zeit davon. Lassen Sie uns nur machen. Die Operation ist schon vorbereitet.« Der BioTech trat einen Schritt vor. »Es geht schnell und schmerzlos. Nur zwei Einschnitte. Sie sind zwei Stunden in Narkose, das ist alles. Danach können Sie schon wieder aufstehen und sind so gut wie neu. Wieder gesund.« »Welche Garantie habe ich, daß Sie das Ding auch wirklich vernichten, nachdem Sie es rausgeholt haben?« Bishop II kam erneut einen Schritt näher. Er war nun nicht mehr weit von ihr entfernt. »Sie brauchen mir nur vertrauen.« Freundschaftlich streckte er seine Hand aus. »Vertrauen Sie mir. Bitte. Wir wollen Ihnen wirklich nur helfen.« Sie überlegte, ließ sich Zeit. Sie sah, daß Aaron und Morse sie beobachteten. Ihr Blick ging wieder zu Bishop II. Sie schlug die Tür vor ihm zu. »Nein ...« Sie nickte zu Morse hinüber, der sofort die Schalter betätigte, die den Kran in Bewegung setzten. Rumpelnd verließ er die Stufen und bewegte sich über das Feuer. Bishop II versuchte sie festzuhalten, aber sie riß sich los.
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Das Rettungsteam reagierte sofort. Morse wurde von einer Kugel in die Schulter getroffen und brach hinter dem Kontrollpult des Krans zusammen. Zornig ergriff Aaron ein Stück Leitungsrohr. »Du beschissener Android!« Das Rohr landete hart auf Bishop II Kopf. Es war, als hätte man auf einen Schwamm geschlagen. Der Android taumelte zuckend. Echtes Blut lief aus seinem eingeschlagenen Schädel. Aaron wurde von mehreren Kugeln niedergestreckt. »Ich bin ... kein ... beschissener Android«, murmelte die blutende Gestalt überrascht, als sie zu Boden sank. Ripley griff sich an die Brust. »Es bewegt sich!« Einige Männer liefen auf den gestürzten Bishop zu. Er drehte sich auf die Seite und sah zu ihr hinauf. »Sie schulden es uns. Sie schulden es sich selbst.« Ein friedliches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Niemals!« rief sie zornig. Die Plattform des Krans schwebte nun genau über dem Kessel. Ihr Magen pochte, und für einen Moment geriet sie ins Stolpern. Doch dann trat sie ruhig und gelassen an den Rand der Plattform. Unter ihr brodelte ein See aus geschmolzenem Metall. Das imitierte Inferno ließ ihre Haut aufplatzen, die Hitze streckte einladend ihre Fühler nach ihr aus. »Es ist zu spät!« »Noch nicht!« flehte Bishop II sie an. Plötzlich teilte sich die Uniform über Ripleys Brustkorb, und der Stoff färbte sich rot. Das kleine, strampelnde Ding, das hervorbrach, war schnell, aber sie war bereit. Taumelnd umklammerte sie es mit beiden Händen und hielt es über die Flammen. Es wehrte sich und zuckte wild in ihren Händen. »Auf Wiedersehen.«
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»Neiiin!« heulte Bishop II auf. Sie sprang von der Plattform und verschwand in dem brodelnden Kessel. Morse hatte sich aufgerappelt und ihren Sprung beobachtet. »Jene, die tot sind, sind nicht tot«, murmelte er. »Sie sind aufgestiegen. Hoch aufgestiegen.« Da sie nun nichts mehr zu tun hatten, kümmerten sich die Bio-Techs um ihn und verbanden seine Wunde. Die anderen Männer redeten zunächst kein Wort miteinander. Schweigend begannen sie damit, alles systematisch stillzulegen: den Schmelzofen, die Raffinerie, die gesamte WeylandYutaniStrafanstalt Fury 16l.
Epilog
Dort draußen treiben Botschaften durch das All. Die Geister der Radiowellen schweben dahin, die Echos gesprochener Worte und vergangener Existenzen. Manchmal werden sie entdeckt und aufgezeichnet oder niedergeschrieben. Manchmal bedeuten sie denen, die sie erhalten, etwas. Manchmal nicht. Manchmal sind sie ausführlich, manchmal knapp und kurz. So wie in ... »Hier ist Ripley, letztes überlebendes Mitglied der Nostromo. Ich melde mich ab.«
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