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Acrylamid in Lebensmitteln - Behörden haben zu lange geschlafen Autoren: Jörg Heimbrecht, H. C. Schultze, Michael Houben und Fabian Elsäßer Krebserregendes Acrylamid entsteht in hohen Konzentrationen bei der Produktion hoch erhitzter Nahrungsmittel wie Fritten, Chips und Kekse. Davon haben deutsche Behörden, so das Verbraucherschutzministerium, erst vor zwei Monaten erfahren. Jetzt fand plusminus heraus: Die Gefahr ist schon Jahren bekannt. Aber wieder einmal haben deutsche Behörden ihre Verantwortung verschlafen. Hätten sie früher reagiert, könnten die Verbraucher längst viel weniger belastete Produkte kaufen. In Fritten, Keksen oder Kartoffelchips hat das von plusminus beauftragte, renommierte NAFU-Labor in Berlin auch bei uns bedenklich hohe Konzentrationen Acrylamid gefunden. Einen Link zu den Testergebnissen sowie weitere Links finden Sie am Ende des Textes. Wer täglich davon isst, davon gehen Wissenschaftler aus, setzt sich einem erheblichen Gesundheitsrisiko aus. Denn Versuchstiere wie etwa Ratten sterben an Krebs, wenn man ihr Futter mit hohen Dosen Acrylamid versetzt. Um Menschen vor der Krebsgefahr zu schützen, darf ihre Nahrung nur mit einem Bruchteil der Giftdosis belastet sein, die bei Ratten Krebs verursacht. Das nennen die Forscher "Sicherheitsabstand". Zu kleiner Sicherheitsabstand Wenn Verbraucher täglich Fritten und Chips zu sich nehmen, wird die Sicherheitsmarge nach Ansicht des Direktors des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz, Dr. Dieter Arnold, nicht mehr eingehalten: "Dann ist der Sicherheitsabstand für den Verbraucher zu gering, wenn man auf der einen Seite sieht, welche Dosen ausreichen, Tumore zu erzeugen, und auf der anderen Seite sieht, wie viel nimmt man auf, wenn man bestimmte Mengen Pommes Frites, Chips und andere Produkte isst. Das Bundesinstitut für Verbraucherschutz hält die Gefahr, die Acrylamid in Lebensmitteln für den Verbraucher darstellt, sogar für größer als die Gefährdung durch Nitrofen, das in Tierfutter gefunden wurde. Keine einzige Untersuchung Doch während im Nitrofenskandal Hunderttausende von Tieren getötet und Bauernhöfe reihenweise geschlossen wurden, fehlen Maßnahmen in Sachen Acrylamid. Trotz der Gefahr haben deutsche Behören bis heute nicht ein einziges Lebensmittel auf Acrylamid untersucht. Schweden, aber auch England und die Schweiz tun dies seit Monaten. In Deutschland wollen Bund und Länder nach eigenen Aussagen erst vor zwei Monaten zum ersten mal von diesem Problem erfahren haben. Kaum zu glauben, denn deutsche Wissenschaftler, die außerhalb von Behörden arbeiten, wissen schon seit Jahren von der Acrylamid-Belastung von hocherhitzten Lebensmitteln. "Das ist veröffentlicht worden in angesehenen, vielgelesenen Zeitschriften, die den Behörden, Verwaltungen aber auch den Instituten bekannt sind", sagt etwa der Toxikologe Dr. Hermann Kruse von der Universität Kiel. Er sei davon ausgegangen, dass dieses Problem längst näher untersucht worden sei, so Kruse zu plusminus. Erkenntnis ohne Folgen Schon vor über zwei Jahren hatten schwedische Wissenschaftler in einer internationalen anerkannten Fachzeitschrift (Herausgeber die America Chemical Society) einen Artikel mit dem Titel "Acrylamid: ein Krebserreger, der beim Kochen entsteht?" veröffentlicht. Das Gift hatten sie zwar nicht in gekochten, wohl aber in sehr hoch erhitzten Lebensmitteln nachgewiesen. Sie gingen davon aus, dass das Erhitzen von Lebensmitteln an den beim Menschen gefundenen Konzentrationen von Acrylamid schuld sei. Und kamen zu der Einschätzung, "dass diese Konzentrationen mit einem erheblichen Krebsrisiko verbunden sind. Hätten die Behörden daraus Konsequenzen gezogen, wäre das Acrylamid-Problem wohl längst vom Esstisch. Denn gleichartige Produkte wie Knäckebrot können völlig unterschiedlich mit Acrylamid belastet sein. Bei den Analysen für plusminus kam heraus: Einige Marken waren hoch belastet, andere dagegen fast frei von dem Gift. Schon durch kleine Veränderungen bei der Herstellung kann man die Belastung offenbar drastisch verringern. Der Kieler Toxikologe Dr. Hermann Kruse: "Man hätte im Grunde genommen schon viel früher hierüber Bescheid wissen können. Und es ist unverantwortlich, dass man den Verbraucher diesen hohen AcrylamidBelastungen ausgesetzt hat, zumal es Technologien gibt, um die Acrylamid-Belastung drastisch zu reduzieren. 1
Trübe Zustände in der Lebensmittelüberwachung Zu wenig untersucht wird nicht nur bei Acrylamid. Der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure kritisiert seit Jahren: Bei der Lebensmittelüberwachung wird am Personal und schon an der einfachsten Ausstattung gespart. Hans-Henning Vieth, der Vorsitzende des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure: "Die Missstände sind einfach die: Wir brauchen das Doppelte an Personal und eine einheitliche Ausstattung. Es kann nicht sein, dass sich fünf Lebensmittelkontrolleure in einer Dienststelle einen Fotoapparat teilen oder zum Teil noch Thermometer haben, die 20 Jahre alt sind." Auch Dr. Hedda von Wedel, die damalige Präsidentin des Bundesrechnungshofes, wies im vergangenen Jahr auf zahlreiche Schwachstellen beim Schutz der Verbraucher hin. In einem Gutachten zur "Organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes" schreibt sie: "Die Kontrolldichte ist in allen Kernbereichen (Lebens-, Futter- und Tierarzneimittel) so zu erhöhen, dass die Kontrollen präventiv, also vorbeugend wirken." Meist kritisiert der Bundesrechnungshof die Verschwendung von Steuergeldern. Zum besseren Schutz der Verbraucher, fordert seine frühere Präsidentin, aber soll - wie in vielen anderen Ländern auch - mehr Geld ausgegeben werden: "Die vorgeschlagenen Veränderungen werden ohne zusätzliche Kosten nicht zu realisieren sein. Es ist mit erhöhtem Personalaufwand zu rechnen." Künast schweigt, Schröder isst unbelastete Wurst. Wir wollten von Ministerin Renate Künast wissen, warum der Verbraucherschutz nicht nur bei Acrylamid so schlecht funktioniert. Aber sie hatte keine Zeit für ein Interview. Bundeskanzler Schröder braucht sich indessen keine Sorgen zu machen. Seine Bratwurst, auch das hat der plusminus-Test ergeben, ist frei von Acrylamid-Gift. Auch die Fritten aus seiner Lieblingsimbissbude in BerlinMitte waren nur halb so hoch belastet, wie die untersuchten Produkte der großen Fast-Food-Ketten. Vielleicht hat ja wenigsten er einen Tipp aus dem Verbraucherschutzministerium bekommen. plusminus-Test zeigt: Zahlreiche Lebensmittel in Deutschland mitkrebsverdächtigem Acrylamid belastet Autoren: Jörg Heimbrecht und Michael Houben Deutschland steht nach dem Nitrofen-Skandal möglicherweise vor einem weiteren Lebensmittel-GAU. Im Auftrag von plusminus haben Experten des renommierten Berliner NAFU-Labors stichprobenartig 20 Lebensmittel nach einer international abgestimmten Messmethode untersucht, nachdem die schwedische Gesundheitsbehörde festgestellt hatte, dass sich bei der Herstellung von gebackenen, frittierten oder gerösteten Lebensmitteln größere Mengen der giftigen Substanz Acrylamid bilden können. Dieser Stoff kann beim Tier Krebs auslösen. Schon lange weiß man, dass Acrylamid in kleinen Mengen aus Verpackung in Lebensmittel gelangen kann. Deshalb gibt es für Lebensmittel einen Grenzwert, der unsere Gesundheit schützen soll. Viel mehr Acrylamid kann sich beim Erhitzen zum Beispiel von Fritten bilden. Die höchsten Belastungen fand das Labor in den Fritten von Burger King: 100-mal so viel wie der Grenzwert. Kaum niedriger belastet waren die Pommes der Konkurrenz von McDonalds und Kentucky. Das Produkt einer normalen Berliner Frittenbude lag aber immerhin ein Drittel niedriger. Ähnlich hoch erhitzt wie die Fritten werden auch Kartoffelchips. Sind sie auch ähnlich hoch belastet? Die Analyse des NAFU-Labors bestätigt das zumindest für einige bekannte Marken: Spitzenreiter war hier im Testvergleich der Stichproben eine untersuchte Packung Chipsfrisch von funny, ebenfalls 100-mal so hoch belastet wie der Grenzwert. Fast genauso hoch belastet: Pringles Original und Chio Chips Red Paprika. Immerhin noch über 20-mal höher als der Grenzwert lagen IBU Chips von ALDI und Chips knabberfrisch von Lidl. Wer Müsli isst, ist fein raus. Ungeröstete Nüsse, Rosinen und Getreideprodukte sind frei von Acrylamid und auch für unsere Kleinsten gesund. Wenn die Cerealien dagegen geröstet sind, bildet sich auch hier krebsverdächtiges Acrylamid. Spitzenreiter war hier die untersuchte Probe Nut Crisps von ALDI. Sie lag 30-mal höher, als der Grenzwert. Nestlés Mandel Nuss Clusters waren ein Drittel weniger belastet, ebenso wie Flakers Honey and Peanuts. Und Kellogg' s Choko Krispies lagen bei der Analyse nur noch dreimal so hoch wie der Grenzwert. Knäckebrot wird ebenfalls heiß gebacken und kann so mit Acrylamid belastet sein. Die Untersuchung des NAFU-Labors zeigt: Hier gibt es erhebliche Unterschiede: Die untersuchte Packung Roggen-Vollkorn von Burger ist gut 30-mal höher belastet als der Grenzwert, ebenso wie Wasa Vollkorn-Knäcke. In Vollkorn2
Knäcke Lieken Urkorn fand das NAFU-Labor dagegen fast kein Acrylamid. Das von plusminus beauftragte Labor hat lediglich stichprobenartig einige bekannte Produkte untersucht. Untersuchungen in Schweden und Großbritannien zeigen aber, dass auch bei anderen, nicht von plusminus getesteten Produkten mit ähnlichen Ergebnissen gerechnet werden muss. Wie gefährlich sind die gemessenen Werte für den Verbraucher? Das kann heute noch kein Wissenschaftler beantworten. Weil man an Menschen keine Versuche durchführen kann, testet man, ab welcher Dosis Tiere an Krebs erkranken und sorgt dann für einen deutlichen Sicherheitsabstand. Selbst der Direktor des Berliner Bundesinstitutes für Verbraucherschutzes BgVV, Dr. Dieter Arnold hält diesen Sicherheitsabstand für sehr gering. Auch im Vergleich zum Nitrofen, das in jüngster Zeit die Debatte in Deutschland beherrschte. Und wegen Nitrofen, das immerhin einen größeren Sicherheitsabstand zu krebsauslösenden Konzentrationen hat, wurden Höfe geschlossen und Tier aus dem Verkehr gezogen. plusminus-Test zeigt: Zahlreiche Lebensmittel in Deutschland mit krebsverdächtigem Acrylamid belastet Die Analysenergebnisse des NAFU-Labors Untersuchung von Lebensmittelproben auf Acrylamid lfd.Nr. gekauft am Produkt Hersteller µg/kg 2203867 14.05.2002 Pringles Original Procter&Gamble Manufacturing Belgium 910 2203868 14.05.2002 Vollkornknäcke, Lieken Urkorn Wendeln Brot, 49681 Garrel <20 2203869 14.05.2002 Roggen-Vollkorn Knäckebrot, Burger Delikatesse Burger Knäcke AG, 39288 Burg 376 2203870 14.05.2002 Kellogg's Choco Krispies Kellogg (Deutschland) GmbH, Bremen 30 2203871 14.05.2002 Nestlè-Mandel Nuss-Clusters C.P.D. Cereal Partners Deutschland GmbH & Co. KG, Frankfurt/Main 226 2203872 14.05.2002 Chips knabberfrisch; Kartoffelchips mit Paprikawürzung Hergestellt für: Lidl Stiftung & Co. KG Neckarsulm 216 2203873 14.05.2002 Flakers Honey and Peanuts Hergestellt für: Lidl Stiftung & Co. KG Neckarsulm 184 2203874 14.05.2002 Chips IBU GmbH, Neu-Isenburg Aldi 366 2203875 14.05.2002 Nut Crisp Vollkornflakes mit Nüssen und Mandeln "Gletscherkrone" FB-Vertrieb GmbH, Lüneburg Aldi 330 2203876 14.05.2002 Chipsfrisch, gesalzen funny-frisch Snack und Gebäck GmbH, Köln 1008 2203877 14.05.2002 Chio Chips, Red Paprika Chio Chips Knabberartikel GmbH; 67227 Frankenthal 780 2203878 14.05.2002 Wasa-Vollkorn Knäcke Vollkornknäcke aus Roggen hergestellt in Schweden 337 2203879 14.05.2002 Azora zartes Orangengebäck Bahlsen, Hannover 253 2203880 14.05.2002 Leibniz Butterkeks Bahlsen, Hannover 888 2203881 14.05.2002 TUC-Cracker De Beukelaer 385 2203882 14.05.2002 Pommes Frites Burger King 1107 2203883 14.05.2002 Pommes Frites Kentucky 893 2203884 14.05.2002 Pommes Frites Mc Donald's 916 2203897 15.05.2002 Pommes Frites gekauft: Frittenbude Schröder; 13088 Berlin; Mahlerstr. 3 648 2203898 15.05.2002 Bratwurst gekauft: Frittenbude Schröder; 13088 Berlin; Mahlerstr. 3 <20
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Mehr als nur ein neuer Lebensmittelskandal WHO-Experten beraten über Krebs-Gefahren durch Acrylamid Jorgen Schlundt, Direktor für Lebensmittelsicherheit der Weltgesundheitsorganisation WHO, ist alarmiert: „Das ist mehr als nur ein weiterer Lebensmittelskandal“, sagte er nach ersten Berichten über Konzentrationen der als Krebs erregend geltenden Substanz Acrylamid in Lebensmitteln, die bei hohen Temperaturen – Backen, Braten, Frittieren – erhitzt wurden. Die heute in Genf beginnende dreitägige Expertenkonferenz von mehr als zwei Dutzend Wissenschaftlern ist eine Reaktion auf diese Besorgnis der WHO. Dabei soll über das Ausmaß des Risikos und über möglicherweise notwendig werdende Konsequenzen beraten werden. Im Mai hatten die schwedischen Behörden einen Bericht über Acrylamid-Konzentrationen in stärkehaltigen Nahrungsmitteln wie Kartoffelchips, Cornflakes, Pommes frites oder Knäckebrot veröffentlicht. Auch in anderen europäischen Ländern wurden ähnliche Untersuchungen vorgestellt. In Deutschland kam das renommierte NAFU-Labor in Berlin zu ähnlichen Ergebnissen, nachdem es von plusminus mit der Untersuchung von Lebensmitteln beauftragt worden war. Bisherigen Forschungsergebnissen zufolge kann Acrylamid eine sehr wichtige Ursache für Krebserkrankungen beim Menschen sein. In Tierversuchen, so WHO-Direktor Schlundt, sei festgestellt worden, dass der Stoff zu Magen-, Brust-, Haut- und Hodenkrebs führen kann. Versuchstiere wie Ratten sterben an Krebs, wenn man ihr Futter mit hohen Dosen Acrylamid versetzt. Nach einer EU-Risikobewertung sind die in Tierversuchen festgestellten krebserregenden Eigenschaften auf den Menschen übertragbar. Das als erbgutschädigend geltende Acrylamid ist auch Bestandteil von Kunststoffen und kann auch in Verpackungsmaterial für Lebensmittel enthalten sein.
http://www.wdr.de/tv/plusminus/aktuell_20020625_1.html siehe auch http://www.mhouben.de/tv_main.htm
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Krebs durch Pommes? Gift in Pommes und Chips! Acrylamid, so heißt der Stoff, der den zuständigen Behörden mittlerweile ernste Kopfschmerzen bereitet. Er ist als Produkt der chemischen Industrie seit Jahrzehnten bekannt und im Tierversuch krebserregend sowie erbgutverändernd. Deshalb wird sein Einsatz gesetzlich streng reguliert. Die schwedische Lebensmittelbehörde fand in einer Vielzahl von Produkten Acrylamidmengen, die alle vorhanden Grenzwerte um mehr als das tausendfache überstiegen. Einige hundert Krebsfälle pro Jahr - so ihr Fazit - entstehen allein in Schweden durch den übermäßigen Verzehr frittierter und heiß gebackener stärkehaltiger Nahrung. „Der Sicherheitsabstand zwischen dem, was ein Mensch mit dieser Nahrung aufnimmt und der Menge, die im Tierversuch Krebs auslöst, war noch nie so gering wie in diesem Fall.“ Erst einmal: Skepsis! Wegen ihrer deutlichen Warnung vor dem übermäßigen Verzehr dieser Produkte waren die Schweden schon im eigenen Land heftig kritisiert worden. Auch Wissenschaftler zweifelten die Befunde an. Das deutsche Bundesinstitut für Verbraucherschutz organisierte kurzfristig eine Expertenanhörung - doch auch die äußerte Zweifel und empfahl erst einmal weitere Daten abzuwarten. Das Problem: der Stoff läßt sich in Lebensmitteln nur mit sehr hohem Aufwand nachweisen Die Schweden haben zwar ein praktikables Verfahren entwickelt. Dessen Details werden aber erst in den kommenden Tagen publiziert. Außerdem verwiesen Kritiker darauf, daß in der Bevölkerung bisher kein Zusammenhang zwischen Krebs und dem Verzehr solcher Produkte beobachtet wurde. Vor allem aber: Wie der Stoff beim Erhitzen stärkehaltiger Lebensmittel überhaupt entsteht, sei noch gar nicht geklärt. Messungen bestätigt ! Doch die Zweifel an den Messungen sind mittlerweile verstummt. In Deutschland hat zwar noch immer kein Labor eine staatlich anerkannte Messmethode etabliert - doch aus England kam eine eindeutige Bestätigung. In entsprechenden Lebensmitteln wurden sogar noch sehr viel höhere Werte an Acrylamid gefunden als in Schweden. Auch aus deutschen, dänischen und holländischen Laboren hört man - ohne Nennung konkreter Ergebnisse - nur noch die allgemeine Bestätigung: Soweit wir das bisher sehen, stimmen die Ergebnisse. Die Ergebnisse ! Angesichts der Vielzahl von möglicherweise acrylamidhaltigen Produkten dauert es zwangsläufig eine Weile, bis man konkrete Angaben über die Belastung einzelner Markenprodukte machen kann. Bisher sind noch nicht einmal alle in Frage kommenden Produkte ein einziges Mal getestet worden. Doch für einzelne Produktgruppen lassen sich durchaus Angaben zur Belastung machen. Grundsätzlich handelt es sich um sehr stärkehaltige Produkte, die sehr hoch erhitzt werden. 1 1 1 1 1
kg Chips und ähnliche ´Knabberprodukte´ : 300 bis 2300 µg (Mikrogramm) kg Pommes Frites und ´Verwandte´ 300 bis 1100 µg (Mikrogramm) kg Frühstücks-Cerealien 50 bis 1300 µg (Mikrogramm) kg Knäckebrot 30 bis 1874 µg (Mikrogramm) kg Popcorn ca 400 µg (Mikrogramm)
Auch andere Produkte, etwa normales Brot oder frittiertes Fleisch und Gemüse kann gewisse Mengen Acrylamid enthalten, allerdings liegt der Gehalt hier unter der Nachweisgrenze von derzeit etwa 30 Mikrogramm. Toxikologische Feinheiten: Aber wie gefährlich ist dieses Acrylamid nun wirklich? Die wichtige Meßgröße heißt ´Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht´. Da kommen Risikogruppen, insbesondere Kinder durchaus auf 10 Mikrogramm pro Tag. Laut aktuellen Daten der amerikanischen Umweltbehörde EPA und WHO beträgt das Todesfallrisko durch Krebs bei nur einem Mikrogramm zwischen 0,7 bis 4 Tote je 1000 Einwohner. Normalerweise gilt ein Risiko von 0,01 je 1000 als maximal tolerabel und wird in der EU gegebenfalls auch durch Produktverbote durchgesetzt. Das zeigt die Dimension, um die es geht. Leif Busk, der wissenschaftliche Direktor des Schwedischen Amtes für Lebensmittelsicherheit, sagt dazu ganz klar: „Wenn man die Mengen vergleicht, die in Tierversuchen Krebs auslösen und die wir in manchen Nahrungsmitteln aufnehmen, dann ist der Unterschied sehr klein .Ich nenne das lieber Warnsignal als Risiko
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- aber dies Warnsignal ist bedeutsamer als bei irgend einem anderen Stoff, mit dem wir es in den letzten dreißig Jahren zu tun hatten. „ Während des Expertengespräches des BgVV war nun von deutschen Wissenschaftlern ein sogenannter „Schwellenwert“ ins Spiel gebracht worden - die Vermutung also, daß der krebsauslösende Prozeß erst ab einer gewissen Mindestschwelle einsetzt - Bisher geht man von einer ´linearen´ Wirkung aus, so daß eben auch geringere Mengen schon gefährlich werden können. Selbst wenn es einen Schwellenwert gäbe: Der Abstand zwischen der Belastung, die vor allem Kinder oft zu sich nehmen und der Belastung, die bei Mäusen Krebs auslöst, ist schon wirklich sehr gering. Tatsächlich erhöhtes Krebsrisiko sichtbar ! Aber kann das denn wahr sein - wir essen doch seit Jahrzehnten frittierte Produkte aller Art? Seit den siebziger Jahren nimmt ihr Konsum kontinuierlich zu - müßte man nicht eigentlich auch in der Bevölkerung einen statistischen Zusammenhang mit tatsächlichen Krebsfällen erkennen ? Nun angesichts der Vielzahl von Menschen und Krebsfällen ist ein solcher Zusammenhang per se nur zu finden, wenn doch schon relativ viele Menschen erkranken. Doch auch dazu ist mittlerweile eine schwedische Studie aufgetaucht - mit fast schon absurder Vorgeschichte, wie Dr. Leif Busk erzählt „Sie wurde gemacht, um einen Zusammenhang zwischen frittiertem Fleisch und Krebs zu zeigen. Das Essverhalten gesunder und krebskranker Menschen wurde verglichen, aber die Studie ergab keinen solchen Zusammenhang. Aber, einen zwischen frittierten Kartoffeln und Krebs! Doch damals wußte man nichts von Acrylamid und deshalb hat man es abgetan und weggelegt, als eine Art. Zufall!“ Andere Herstellungsmethoden = keine Gefahr ? Immerhin ist Hoffnung in Sicht: Vollständig vermeiden kann man die Entstehung des krebserregenden Stoffes wohl nicht - doch die große Spannweite der Ergebnisse zeigt: Nicht jedes Knäckebrot enthält nachweisbare Mengen von Acrylamid. Auch bei den Cerealien gibt es extreme Unterschiede. Selbst bei Pommes und Chips unterscheiden sich einzelne Proben um das Zehnfache. Das kann man natürlich ausnutzen: Sobald der genaue Prozess der Acrylamidentstehung gefunden ist, kann man die Herstellungsprozesse möglicherweise so anpassen, daß zumindest extrem hohe Belastungen vermieden werden. Dr Arnold, der Leiter des BgVV, erklärt aber auch: „Wenn man das Problem überhaupt nicht in den Griff kriegt, dann wird man nicht Fritten oder Chips verbieten, aber dann müssen die Risikomanager, die Politiker, die Entscheidungsträger, die müssen sich dann wirklich überlegen, ob man nicht Warnhinweise anbringen soll, oder die Bevölkerung aufklären soll, was sie für ein Risiko eingeht.“ Tipps zum Kochen! Für das Kochen am eigenen Herd kann man bislang nur allgemeine Hinweise geben. Acrylamid entsteht grundsätzlich nicht beim Kochen. Erst wenn Temperaturen von deutlich mehr als 100 Grad entstehen beginnt der Prozeß. Trotzdem sind Wok, Pfanne und Ofen grundsätzlich unbedenklich, wenn das Lebensmittel wenig Stärke enthält, auch dann können wohl Spuren des krebsauslösenden Stoffes entstehen, doch nur in geringer Menge. Wenn man dann doch mal Lust auf Pommes, Kroketten oder ähnliches hat: je geringer die Temperatur und die Verweildauer im Ofen ist, also je heller das Produkt bleibt, desto weniger Acrylamid wird den bisherigen Ergebnissen zufolge gebildet. Warum gab es bisher keine offizielle Warnung ? Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz hat zwar im Prinzip bereits gewarnt, jedoch sehr verklausuliert. Getreu dem Motto: „Wer sich an unsere bisherigen Empfehlungen hält und abwechslungsreiche, frische Nahrung zu sich nimmt, der geht auch diesem Problem aus dem Weg.“ Aber eine wirklich deutliche Warnung, gar eine Nennung einzelner besonders belasteter Produkte hält das Amt bis auf weiteres nicht für möglich: Wer jetzt aufgrund weniger Messungen vor Produkten warnt, könnte von den Herstellern auf Schadenersatz verklagt werden - auch der Staat. Es müssen in gewissem Sinn ´gerichtsfeste´ Beweise vorliegen, bevor zum Beispiel auch nur Meßergebnisse veröffentlicht werden dürfen - und diese Einschränkung gilt selbst für staatliche Behörden. Eigentlich sollte ja noch in der letzten Woche das neue Verbraucherinformationsgesetz durch den Bundesrat gehen. Das hätte die schlichte Veröffentlichung der einzelnen Meßwerte auch schon bei einem begründeten Verdacht möglich gemacht, wurde aber von den CDU-regierten Ländern im Bundesrat gestoppt.
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Links zu diesem Thema: Homepage des BGVV mit den in Deutschland bisher (und teilweise zur Dschungel-Sendung neu) ins Internet gestellten Informationen zu Acrylamid: http://www.bgvv.de Homepage des schwedischen Amtes für Lebensmittel, auf der auch einzelne Meßergebnisse veröffentlich sind (leider komplett in Englisch) http://192.71.90.8/ Bei den einzelnen Meßergebnissen gilt es zu berücksichtigen, daß nicht immer auf eine prinzipiell gleiche Belastung dieser spezifischen ´Marke´ geschlossen werden kann. Während für industrielle Produkte zumindest von sehr einheitlichen Herstellungsprozessen ausgegangen werden kann, spielt bei der Friteuse ´vor Ort´ möglicherweise die individuelle Zubereitung dieser einzelnen Probe eine größere Rolle.
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