Karl L. KossakRaytenau
Abenteuer im Zepp
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Karl L. KossakRaytenau
Abenteuer im Zepp
scanned by knochentasche corrected by DerPrediger Der hier beschriebene Zeppelin DLZ 130 wurde als D-LZ 130 »Graf Zeppelin II« tatsächlich gebaut. Die erste Fahrt fand am 14. September 1938 statt. Insgesamt machte er 30 Werkstatt- und Probefahrten, bevor er im März/April 1940 auf Befehl Görings zerstört wurde. Verlag: Lipsia Erscheinungsjahr: 1939
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Der hier beschriebene Zeppelin DLZ 130 wurde als D-LZ 130 »Graf Zeppelin II« tatsächlich gebaut. Die erste Fahrt fand am 14. September 1938 statt. Insgesamt machte er 30 Werkstatt- und Probefahrten, bevor er im März/April 1940 auf Befehl Görings zerstört wurde.
1. Die »Florida-Kapelle« am Dachgarten des Neuyorker Empire-Gebäudes spielte nicht sehr laut. Immerhin aber laut genug, daß Frank Meyerheim, der mit drei anderen in einer Ecke unter einer Palme saß und ein Eisgetränk schlürfte, ärgerlich sagte: »Lies doch lauter, man versteht ja kein Wort! Bin ja keine Schleiereule oder wie das Biest heißt, daß das Gras wachsen hört …« Wo Frank Meyerheim dergleichen Kenntnisse her hatte und was er sich unter einer das Gras wachsen hörenden Schleiereule vorstellte, blieb sein Geheimnis. Und nicht das einzige, das er zu bewahren hatte. Jedenfalls hatte er seine Kenntnisse von keiner Universität bezogen, denn dergleichen Institute kannte Frank kaum vom Hörensagen; was ihn aber nicht hinderte, mitunter so zu tun, als hätte er da und dort etliche Semester studiert. Aber schließlich hat jeder sein Steckenpferd. Jimmy steckte seine Nase einige Sekunden tief in das Glas, in das der Kellner einige Minuten vorher viel Whisky und ganz, ganz wenig Soda getan hatte, und rückte dann das gleiche Organ einen Zoll tiefer in das Blatt, das er in der Hand hielt, und aus dem er vorgelesen hatte. »Du siehst wohl heute schon nicht wieder genug, Jimmy, was?« fragte Frank Meyerheim und verzog den breiten Mund, der einen Goldsucher in Entzücken versetzt hätte. »Deine Mutter hat wohl bei deiner Geburt ihre Augen vor Schrecken zugemacht …« »Und wenn sie deine bei dieser Gelegenheit weit genug aufgemacht hätte, wäre sie sofort darauf gekommen, daß 3
sie im Begriff ist, ein völlig zweckloses Exemplar der Sorte Mensch in die Welt zu setzen! Kalkuliere, daß sie dich ausgesetzt hätte, wie die Japaner es bei solchen Gelegenheiten zu tun beliebten …« »Fein, Jimmy!« lachte der Dritte, der so dünne Lippen hatte, als wären sie mit einem Rasiermesser geschnitten worden, und steckte einen Kaugummi in den Mund. »Laß dich nicht verulken von Franki!« »Du halte den Schnabel, Bunny!« sagte Frank Meyerheim zärtlich, »und denke daran, daß du sozusagen überhaupt keine Mama hast, was natürlich ganz erklärlich ist, wenn man dich ansieht. Ich wette einen Wolkenkratzer gegen eine Wurst, daß du …« Der vierte von ihnen, der ganz im Schatten der breitfächerigen Palme saß und scheinbar auch keinen Wert darauf legte, aus diesem Schatten in das Licht zu treten, beugte sich etwas vor und sagte mit einer Stimme, die ziemlich deutlich einen kaum ausgeheilten Halskatarrh zu verraten schien, etwas gereizt: »Jungens, wenn ihr fertig seid, dann weckt mich auf! Wenn man euch zuhört, so könnte man meinen, daß wir zum Vergnügen auf diesem Kasten sitzen, nicht aber um Geschäfte zu mächen! Ich für meinen Teil habe die Zeit nicht gestohlen … entweder wir arbeiten weiter oder …« »Fünfzig Prozent aller Todesfälle kommen von Aufregungen!« sagte Frank Meyerheim. »Es gibt nichts schöneres, als Ruhe, Ted! Aber recht hast du … Wir müssen weiterkommen … und wir wären schon weiter, wenn nicht diese Blindschleiche von Jimmy …« »Ich schlage vor, die Komplimente zu lassen und zu lesen!« sagte nun der Mann, der jedenfalls einmal Ted hieß, ziemlich scharf. »Kabbeln könnt ihr euch dann in der Bar … los, Jimmy, und etwas lauter, aber nicht zu laut! 4
Wir haben schließlich keine öffentliche Versammlung …« »Klar!« sagte Jimmy Hogan und benutzte die Gelegenheit, um seine Nase abermals tief in das Glas zu versenken. »Ich bin so weit!« Er hob das Blatt Papier zu den Augen und las weiter. »Nach unseren Informationen startet Zepp 130 in einer Woche von Frankfurt. Überquerung ist auf vier Tage festgesetzt. Wir können also damit rechnen, daß er in elf Tagen in Lakehurst Anker wirft. Der Aufenthalt ist in Anbetracht der vorgesehenen Feierlichkeiten – Empfang durch den Präsidenten und so weiter – mit einer Woche angesetzt. Man kann also annenmen, daß der Zepp in achtzehn Tagen wieder Anker lichtet und die Rückfahrt antritt …« »Die Liste der Passagiere, die in Europa Rückfahrkarte genommen haben, liegt bei. Ebenso die Liste jener Persönlichkeiten, die hier belegt haben.« Jimmy hob den Kopf und fragte: »Soll ich sie vorlesen?« Ted Laferty nickte. »Nur die zweite! Die Herren von drüben interessieren uns nicht …« Jimmy Hogan stärkte sich schnell und las dann eine alphabetisch geordnete Reihe von einigen zwanzig Namen vor. Als er dann mit erhobener Stimme sagte: »Frank Meyerheim aus Chikago«, setzte er eine Weile ab und grinste. »Fein, Franki, man bekommt allerhand Respekt! Vor dir hast du Maud Meerland, die ihre drei Millionen wert ist und hinter dir Richard Neestrand von den Neestrand-Silber-Gruben.« »Und vor mir einen Esel!« setzte Frank Meyerheim ungerührt fort, »der wie immer zu viel redet! Lies, Mann, und erspare dir jede Kollektar!« »Kommentar!« rügte Ted Laferty, der wirklich eine Universität besucht hatte und dem jedes falsche Fremdwort unangenehmer als ein Messerstich war. »Es 5
heißt, der Kommentar! Du sollst dir doch abgewöhnen, Fremdworte zu gebrauchen, Frank, besonders, wenn du jetzt nach Europa gondelst! Man könnte sonst auf den Gedanken kommen, daß du kein gebildeter Mensch bist!« »Was ich mit meinem Revolver jederzeit beweisen kann! Und im übrigen sagte man zu meiner Zeit eben noch Kollektar! Jeder gebildete Mensch weiß, daß sich Fremdworte ändern … oder hast du vielleicht in deiner Schule damals etwas über das Radio gelernt? Eben! Aber machen wir weiter! Los, Jimmy! Wenn du so weiter trinkst, wirst du nie mehr nach Hause finden!« Jimmy Hogan antwortete nicht. Er wußte, daß es so viel Schnaps, um ihn zu verwirren, überhaupt nicht gab, und begann nun die Liste abzuleiern, ohne sich aber hie und da eines Kommentars enthalten zu können, was Ted Laferty zu rügen nicht müde wurde. Als er fertig war, strich sich Bunny über den schwarzen Schnurrbart und sagte anerkennend: »Wenn ich fünf Prozent des Geldes hätte, das da in der Luft schwimmen wird, rührte ich keine Karte mehr an …« »Und ich lasse mir ein Bassin bauen, in dem fünfzig Dampfer Platz haben … und das lasse ich dann mit Whisky vollaufen und fahre darauf spazieren! Jungens, das wäre eine Sache …« »Euch fehlen die höheren Gefühle!« verwies Frank Meyerheim überlegen. »Ich würde meiner Universität eine Million Dollar vermachen – eine Frank-MeyerheimStiftung als Dankbarkeit dafür, daß ich etwas gelernt habe …« »Und ich würde fünf Millionen für den Mann aussetzen, der diese Universität finden würde … Wetten, Junge, daß wir beide unser Geld behalten?« »Das nächste Mal hole ich mir drei Jungens aus einem 6
Kindergarten und spiele Domino mit ihnen!« sagte Ted Laferty eifrig. »Das ist vernünftiger als mit euch die Zeit zu vertrödeln! Die Hitze hat eure Gehirnrinde mächtig angegriffen!« Er sah um sich, prüfte die Gäste am Nebentische, an dem es aber sehr laut zuging und sagte, sich etwas gegen seine Genossen vorbeugend: »Ihr wißt scheinbar nicht, was am Spiel steht, Jungens!? Wir haben die einzige großartige Gelegenheit unseres Lebens, uns für immer gesund zu machen! Die Zeiten sind, mit Respekt zu sagen, lausig! Die goldene Zeit des Alkoholverbots ist für immer dahin! Kinder zu rauben, erscheint der Polizei komischerweise als ein Verbrechen. Ansichtssache, Jungens! Jedenfalls ist das Risiko zu hoch … Und was die Banken anbetrifft, so steht es doch so, daß man bald genötigt wäre, Geld hinzubringen, statt fortzunehmen! Die Tresors sind überdies mit einer geradezu lächerlichen Vorsicht umgeben – mit einem Wort, Jungens, das freie Amerika, der Hort der Demokratie, macht Bürgern, wie wir sind, jetzt das Leben sauer … so ist’s!« Er schwieg einige Sekunden und sprach dann weiter. »Nun aber winkt uns eine Chance … wir haben das Ding kreuz und quer besprochen – die Leitung ist einverstanden, und ihr sitzt da und quatscht euch den Bauch voll …« »Ganz deiner Meinung, aber wir haben immerhin noch Zeit!« gab Meyerheim zu bedenken. »Wir schaffen es schon!« »Dann schaffst du auch noch eine Fahrkarte, was?« fragte Ted Laferty nicht ohne Ironie. »Nachdem dieser Ochsenfrosch von Jimmy so schlau war, nur eine zu besorgen, fehlt uns noch eine! Und die muß beschafft werden …« »Ted, ich will nicht sagen, daß du kein Gehirn hast, denn 7
das wäre übertrieben!« antwortete Frank Meyerheim ruhig. »Aber kannst du mir sagen, wie ich eine Fahrkarte beschaffen soll? Ausgerechnet ich? Wo man schon heute den achtfachen Preis bezahlt! Den zehnfachen? Mensch, meine Mutter war eine vornehme, anständige alte Dame und keine Zauberin – was ich betont wissen möchte …« »Ich wollte, sie wäre eine Zauberin gewesen!« erwiderte Ted ohne jede Spitze. »Denn dann könnte man sich jetzt an diese Dame wenden. Immerhin, sage ich nochmals, müssen wir noch eine Fahrkarte haben und wenn wir das ganze gesegnete Land dazu in Brand stecken müßten! Einer kann es nicht schaffen – kommt gar nicht in Frage – und deshalb werde ich selbst mit … Ich, Ted Laferty …« »Dann besorge dir gefälligst auch eine Fahrkarte!« sagte Jimmy Hogan etwas unüberlegt. »Klar, daß das deine Sache ist!« Ted Laferty fegte mit einer Fingerfpitze ein winziges Stäubchen vom Frack, den er ebenso trug, wie die andern und hob dann den Blick, der, wenn er wollte, außerordentlich unangenehm sein konnte. Und jetzt wollte er. »Jimmy Hogan«, sagte Laferty und ließ den Angesprochenen nicht aus dem scharfen Kegel seines Blickes, »ich habe mich schon immer gewundert, daß wir dich in unserer Mitte haben! Deine Verdienste sind so groß wie das Gehirn einer Maus – wiege es und du hast Bescheid! Du hast in drei Jahren ein Kind hopp genommen und warst dabei so unsagbar dumm, daß du statt des Kindes von Fred Vanderholen das Kind seines Chauffeurs geschnappt hast! Halte den Mund! Ich weiß genau, was du sagen willst – daß du ein Esel warst! Stimmt! … Du hast ferner bei dem Einbruch in die Maidland-Bank den verkehrten Tresor angebohrt und 8
nichts gefunden als die Liebesbriefe des Kassierers! Halte den Schnabel – ich weiß genau, was du sagen willst: daß du ein Hornochse warst? Stimmt! Immerhin tust du so, als könntest du einem gewissen Ted Laferty, einem Menschen, der dir so überlegen ist, wie dieser Wolkenkratzer einer Hundehütte, gute Ratschläge geben. Lasse das, Jimmy! Ich habe weiter nichts gegen dich, aber du langweilst mich! Geh in die Sonntagsschule oder zur Heilsarmee – ich habe keine Lust, Kinder um mich zu haben …« »Pech kann jeder haben!« sagte Jimmy Hogan gedrückt, »und schließlich …« »Ich kalkuliere, wir sollen uns zusammennehmen und arbeiten!« sagte Bunny, der es weder mit Laferty, noch mit Jimmy verderben wollte. »Sprechen wir von Geschäften – was ist zu tun …?« »Meinetwegen! – Ich bin nicht so!« sagte Ted Laferty großartig. »Die Sache ist also die, daß wir noch eine Fahrkarte brauchen! Ich muß mit an Bord des Zepp – so oder so!« Er wandte sich an Frank Meyerheim, der nachdenklich dasaß. »Du schaffst es nicht allin, Franki! Du bist ein tüchtiger Junge, aber eine Fahrkarte muß doch noch herbei …« »Tolle Sache!« knurrte Meyerheim. »Hatte Glück, die eine zu bekommen!« »Vielleicht stirbt jemand?« gab Bunny zu bedenken. »Möglich, aber darauf können wir uns nicht verlassen!« sagte Laferty. »Ich glaube ja, daß einige Karten noch zum Vorschein kommen! Man wird welche belegt haben, um daran zu verdienen …«Er wandte sich an Jimmy. »Du hast die Liste – und Gelegenheit zu zeigen, daß du kein Dummkopf bist! In drei Tagen weißt du, wer die Leute sind – zum Beispiel dieser Lister … dieser Brown … 9
dieser Strang … keine Namen, die ich kenne … möchte wetten, daß einer dieser Burschen mit den Karten nur spekuliert! Keine Sache, Jimmy, das herauszubekommen – verstehst du?« »Bin ja kein Hirschkäfer!« »Dann ist es richtig! In drei Tagen will ich Bescheid …« Er stand auf. »Ich muß fort – übernimm meine Zeche, Frank … habe keine Zeit mehr …« Er wandte sich um und stieß dabei an einen Herrn, der fast zu der gleichen Zeit vom Nebentisch aufgestanden war und scheinbar ebenfalls gehen wollte. Es war ein mittelgroßer, nicht sehr schmaler Herr mit blondem Haar und einer etwas merkwürdigen Nase. Er sah Ted Laferty kurz an und sagte: »Oh, Verzeihung!« lächelte höflich und ging gegen den Aufzug fort, ohne sich noch einmal umzuwenden. Ted Laferty sah ihm nach und wandte sich dann an Frank Meyerheim, der dieser Szene kaum Beachtung geschenkt hatte. »Frank« – die Stimme des Mannes war noch heiserer als sonst –, »hast du diesen Burschen gesehen?« »Schon viele Burschen wie diesen gesehen!« knurrte Frank Meyerheim gänzlich uninteressiert. »Was soll’s damit?« »Mir gefällt diese Visage nicht – und überdies war es ein Deutscher oder ich will nicht Laferty sein …« »Es gibt eine Menge von dieser Sorte, Ted! Schließlich haben sie doch den Zepp gebaut, sollte ich denken und überhaupt – was interessiert dich das?« »Mag sie nicht!« antwortete Laferty verdrossen, »und du vielleicht auch nicht, wenn ich mich nicht geirrt habe. – Es ist recht – in drei Tagen – hier an dieser Stelle! Gehabt 10
euch wohl, Jungens!« * Richard Overland, der Chef des Amerika-Zepp-Dienstes, rückte den Aschenbecher etwas unruhig vor sich hin und her und sah dann seinen Sekretär an. »Pitt, ich möchte – Ihnen kann ich es ja sagen –, daß das Schiff schon wieder schwämme! Gegen Europa! So verdammt ich mich darauf freue, daß es kommt, so sehr liegt mir die Sache in den Knochen!« Pitt Batt lächelte. »Wir sind alle etwas nervös, aber ich denke, wir haben keinen Grund dazu! Das Schiff ist so sicher, wie eine Kinderwiege! Jetzt mit der neuen Konstruktion gibt es ja überhaupt nichts, was ihm etwas tun könnte! Kommt gar nicht in Frage! Ich sage Ihnen, daß wir in drei Jahren nicht einmal mehr die Nase hochnehmen, wenn ein Zepp vor uns liegt! Alles Gewohnheit! Ich war ja droben – und ich sage Ihnen, Overland, das Schiff ist herrlich – einfach der Himmel! Das haben sie wirklich fein gemacht! Die haben sich nicht unterkriegen lassen, obgleich es bei uns gewisse Leute gerne gesehen hätten.« »Das wissen wir, Pitt, und es geht auch gar nicht darum, obwohl …«, er sah durch das offene, breite Fenster auf den Startplatz von Lakehurst, »obwohl jeder, der damals dabei war, als er« – er unterstrich das Wort mit einer breiten Gebärde – »das, nie, niemals vergessen wird! Ich sehe das noch wie heute, Pitt – es war grauenhaft!« Overland bedeckte für einige Sekunden die Augen. »Ich ging keine zehn Schritte hinter dem Kapitän – hinter ihm!« Wieder unterstrich er das Wort mit einer Handbewegung. »Wir hatten alle aufgeatmet, daß wir wenigstens ihn hatten retten können – er ging – nein, er konnte nicht allein gehen – aber es schien, als würde er 11
nicht viel abbekommen haben, obschon ihm die Fetzen vom Leibe hingen – dann aber im Spital, dann sahen wir, was er abbekommen hatte –, es war zu viel, aber er hatte das Schiff nicht verlassen wollen. Sein Schiff! Es war ja alles so blitzschnell gekommen, Pitt! Es war nicht mehr Zeit notwendig, als um ein Zündholz anzuzünden, und das Schiff war ein Haufen Trümmer. Vergesse das, wer es kann!« Overland schwieg einige Sekunden und sagte dann leise: »Ich habe ihm die Hand gereicht – wir kannten uns. – Es wird alles gutgehen, lieber Overland, sagte er zu mir – und war zwei Stunden darauf tot! Er war ein Held, Pitt, ein richtiger Held, und ich bewundere das Land, das solche Männer hat – und nicht nur einen …« »Lakehurst wird Kapitän Lehmann nicht vergessen, das ist sicher!« sagte Batt langsam. »Es hat ihn jeder gern gehabt …« »So ist es, Pitt, und eben deshalb – verstehen Sie – ich will, daß alles glatt erledigt wird …« Er hob den Kopf, und seine hellen Augen, die in dem braungebrannten Gesicht noch lichter wirkten, leuchteten auf. »Ich fürchte nicht um das Schiff – ich fürchte mich vor den Leuten, die darauf fahren …« »Und warum? Fürchten Sie einen Anschlag?« »Nein – das nicht, sicher nicht, aber bedenken Sie eines – wir haben rund vierhundert Millionen Dollar Vermögen an Bord – ich meine, die Leute, die mitgondeln, sind so viel wert, und das Zeug, das die Frauen mit sich schleppen werden, wird gut und gern fünfzig wert sein! Begreifen Sie, weshalb ich unruhig bin? Und wir haben ferner gesperrte Fracht im Werte von achtzig Millionen – Banknoten, Steine und dergleichen Schätze – und ich möchte nicht, daß auch nur ein Deut verschwindet …« 12
»Ich glaube, Chef, daß Sie sich unnütze Sorgen machen. – Wir kennen doch schließlich die Leute, die mitfahren …« »So? Sie meinen, daß wir sie kennen?« Er sah auf eine Liste. »Und ich sage Ihnen, daß wir sie nicht kennen!« Er legte einen Finger auf einen Namen. »Wer ist dieser Harris Brown aus Chikago?« Er runzelte die Stirn. »Chikago, verstehen sie?« Pitt Batt lachte. »Sie reden so, Chef, als ob Chikago aus lauter Halunken und Verbrechern bestehen würde!« »Muß ich, muß ich, Pitt! Und da – wer ist dieser Lister? Dieser Strano – und da – da …« Er tippte auf einen Namen. »Dieser Meyerheim? Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, daß wir einen waschechten Banditen an Bord bekommen!« »Der auf einmal, mitten in der Luft, eine Kanone zückt und sagt: aussteigen, Herrschaften, aber erst den Schmuck abliefern und nicht drängen, es kommen alle an die Reihe! Nicht – ungefähr so!« »Sie machen faule Witze, und ich habe schlaflose Nächte!« stöhnte der Chef und ließ den Ventilator laufen. »Ich muß Sie bitten, Pitt, nochmals mit Clever zu sprechen! Er ist zwar auf der Höhe, aber Mensch ist Mensch! Er soll nochmals alles kontrollieren! Ich will ganz genau wissen, wer auf das Schiff kommt. Was ich tun kann, um Ruhe zu haben, soll getan werden …« »Inspektor Clever ist in Ordnung, Chef! Überdies fährt er ja mit!« »Natürlich, aber vorsorgen ist besser als nachsehen, Pitt! Ihr Jungens seid mir zu sorglos! Sprechen sie mit ihm – er weiß, was auf dem Spiel steht! Wir riskieren unsern Kragen, wenn auch nur eine Maus mitkommt!« Pitti Batt, den immer der Teufel ritt, sagte harmlos: »Ich 13
bin dafür, daß wir eine Tafel an den Zepp hängen!« »Was für eine Tafel?« fragte der Chef ohne Arg. »Banditen ist der Eintritt verboten!« »Jetzt machen Sie aber, daß Sie rauskommen, Pitt! Und ich sage Ihnen, wenn das Geringste passiert, haben Sie keine Ohren!«
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2. Der nicht mehr junge, blonde Mann, der das Mißfallen von Ted Laferty erregt hatte, schlenderte erst gemächlich gegen den Aufzug, überlegte es sich aber, dort angekommen, scheinbar wieder, winkte dem Negerboy, der eine der Türen aufgerissen hatte, ab, und ging langsam gegen das eine Ende der Terrasse. Er lehnte sich an die Brüstung und blickte, sechzig Stock tief, auf das nächtliche Neuyork hinunter, das sich zu seinen Füßen dehnte und eine Orgie von Licht in den Himmel sandte, daß die Sterne darüber beschämt verblaßten. Mit der flammenden Ankündigung von Kaugummi, Kinderseife, Plattfußeinlagen und Woods Büstenhaltern konnte das Licht des Sirius ebensowenig konkurrieren wie das strahlende Feuer der Venus, und vor dem Lichtbündel, das ein Warenhaus in den Himmel warf, schrumpfte der fahle Schein des Mondes ins wesenlose Nichts zusammen. Max Bolle, dem dieses Schauspiel nichts Neues war, sah es scheinbar auch gar nicht. Er sah in die Nacht und fuhr sich dann gedankenvoll über die Nase, die, das soll ohne weiteres zugegeben werden, bei einem Schönheitswettbewerb für männliche Riechorgane so gut wie keine Chancen gehabt hätte. Aber daran dachte Bolle auch gar nicht. Er dachte vielmehr an die letzten Minuten, die er eben unter Freunden verbrachte, und die sonderbaren Worte, die er, dank eines ganz vorzüglichen Gehörs, vom Nebentische aufgefangen hatte. Und zwar, wenn er nicht irrte, von jenem Herrn, mit dem 15
er, als er im Begriff gewesen war fortzugehen, zuammengestoßen war. Und diese Worte versetzten Max Bolle in Nachdenken. Seine Nase war nicht schön, aber gut; auf sie konnte er sich verlassen. Auf seine Ohren, die, wie boshafte Freunde behaupteten, um einen halben Meter zu lang geraten waren, ebenfalls. Daran gab es nichts zu rühren. Sie erfüllten ihre Funktionen und hatten ihren Träger, der sie nicht schlechter, öfters allerdings schöner gewünscht hätte, noch nie im Stich gelassen. Weniger aber konnte er sich auf sein Gedächtnis für Gesichter verlassen. Trotzdem schien Max Bolle, als habe er dieses schmale, harte Gesicht schon einmal gsehen. Vor vielen Jahren allerdings, und zwar in Berlin und in Wien und unter Umständen, die hart am Tod vorbeigegangen waren, ihm immerhin aber zu einer Frau verholfen hatten. Zu Suse, die jetzt an der Seite eines kleinen, niedlichen Bolle sicher friedlich schlummerte und nur die Sorge hatte, daß er wieder bald nach Hause kam. Hm! Bolle fummelte wieder an seinem Riechorgan herum und ging dann, ohne sich weiter um die Ankündigung für Plattfußeinlagen und so weiter zu kümmern, wieder gegen den Aufzug, mit dem er nun in den vierzigsten Stock sauste. Dann setzte er sich, ohne sich erst des Fracks zu entledigen, sofort an den Schreibtisch und zückte die Füllfeder. Radio! Suse Bolle Berlin Grunewald Waldweg 2 Sende Akt Isserloh Luft stop 16
Vielleicht Spur stop keine Sorge Küsse dich und Murx hunderttausendmal … - er strich dies Wort durch, lächelte zärtlich und setzte dafür ein millionmal – Dein Max Dann dachte er nach und fügte vor der Unterschrift noch einige Worte bei: Großes Schweigen stop. Er überlas die Depesche, klingelte einen Diener herein, gab sie ihm und ging dann, die Hände in die Hofentasche versenkt, nachdenklich auf und ab. Dann setzte er sich abermals hin und begann wieder zu schreiben. Lieber Heide! Ich habe eben eine Erscheinung gehabt, die mich an unseren Kampf um Isserloh erinnert … begriffen? Mehr kann ich nicht sagen. Es war ja nun schon immer dein Wunsch, dieses gesegnete Land – Mensch, halt den Atem an – kennenzulernen. Ich habe nun ein Gefühl in meiner Nase, als würde ich einen Schnupfen bekommen, kalkuliere aber, daß es etwas anderes bedeutet. Da Deine Tante unmöglich deshalb gestorben ist, damit das Geld in Deinen lächerlichen Strümpfen vergilbt, rate Dir, sofort in einen Kahn zu steigen und herüberzupaddeln. Habe das Gefühl, als würde ich dich brauchen. Beunruhige aber Suse nicht, Heupferd! Küsse Murks zum Abschied für mich. Aber nicht Suse. Besorge ich persönlich besser. Also los, alter Junge! Es winken Skalpe! Siehst dann auch den Zepp! Dein Bolle. Er gab den Brief in einen Umschlag, schrieb die Anschrift und oben Durch Flugpost, warf ihn dann in 17
einen Kasten und lehnte sich zurück. Betrog ihn seine Nase, dann hatte Heide eben eine Spazierfahrt gemacht und Suse den Akt, der alles enthielt, was ihm nötig schien, umsonst gesandt. Betrog ihn sein Riechorgan aber nicht, dann hatte er jetzt so ziemlich alles getan, was getan werden konnte. Blieb nur noch, den Menschen, mit dem er zusammengestoßen war, nicht aus den Augen zu verlieren. Und das wollte er besorgen. * Inspektor Clever steckte eine Zigarette in sein gutmütiges Gesicht, das keineswegs so aussah, als habe dessen Träger schon mehr als einen Galgenvogel ins bessere Jenseits befördern helfen, und zuckte die breiten Schultern. »Overland, es ist schließlich mein Geschäft, Halunken an die Leine zu legen – aber vorerst muß ich sie haben … das ist die Sache … und ich habe sie nicht! Wir haben ganz Neuyork mit einem Lausekamm durchgekämmt und so gut wie nichts gefunden … Jedenfalls nichts, was mit dem Zepp zusammenhängen würde …« Er lachte. »Und irgendwie ist das ja auch begreiflich, Overland … Er ist zu groß, als daß man ihn stehlen könnte … Und sonst … kalkuliere, daß Sie umsonst Angst haben … Die Jungens, die da in Frage kommen, wissen, daß ich auf dem Posten bin …« Overland, der in den letzten Wochen vier Pfund abgenommen hatte, sah den Detektiv-Inspektor mit einem Blick an, der nicht frei von Zweifel war. »Clever, unter anderen Umständen wären Ihre Worte wie Whisky auf einen trockenen Gaumen … aber so … Ich habe ein Gefühl, als stünden wir vor bitteren Tagen … Diese Burschen …« Clevers Mund verzog sich etwas unwillig. »Mann, ich 18
sagte Ihnen doch, daß ich gegen diese Leute nicht einschreiten kann! Dieser Brown ist als Agent eingetragen … Agent für alles … Hosenträger bis Kanonen … Kein Mensch in den Staaten, nicht einmal der Präsident« – Clever lächelte etwas spitz – »kann ihm verbieten, einen Platz für den Zepp zu belegen … Er hat ihn richtig bezahlt und es liegt nichts gegen ihn vor … Und bei den anderen ebensowenig …« »Aber Brown ist aus Chikago, Clever!« Der Inspektor hob die buschigen Augenbrauen über den so harmlos aussehenden Augen. »Ich auch, Overland.. Immerhin habe ich noch kein Kind geraubt und keinen Tresor angebohrt …« Overland lachte. »Nichts für ungut, Clever, aber es ist nun einmal so, daß …« »Ich weiß, daß meine Vaterstadt kein gutes Sittenzeugnis bekommt, aber immerhin gibt es unter den zwei Millionen einige Dutzend ordentlicher Leute …« Er sah in das Dunkel, das über Lakehurst lag. »Ich verspreche Ihnen, daß nichts versäumt wird, Overland! Ich lasse die Leute, die Ihnen so viel schlaflose Nächte bereiten, beschatten … auch diesen Frank Meyerheim … ab morgen wird dieser Mann keinen Schritt tun können, ohne daß ich weiß, wohin … Ich riskiere dabei, daß ich fliege, denn es ist gegen das Gesetz … Frank Meyerheim ist zwar ebenfalls aus Chikago, aber es liegt nichts gegen ihn vor … leider, sonst hätte ich den Jungen festgesetzt … , schon Ihnen zuliebe … Er wohnt im Metro und arbeitet an der Börse … Getreide und so … und das ist nicht verboten … obschon« – der Inspektor spuckte kunstvoll aus – »ich das für die größte Gaunerei halte … Schlimmer als ein sauberer Einbruch, denn diese Halunken verteuern ja nur das Brot …« 19
Overland schien das nicht zu interessieren. Er nickte etwas geistesabwesend und sagte dann mit einem Seufzer: »In drei Tagen fliegt er droben ab … Es wird toll werden bei uns … Ich habe um ein Regiment gebeten … Man zertrampelt mir sonst den ganzen Hafen …« Clever lachte. »Stimmt! Wir müssen zusehen, daß sich die Leute nicht aus Begeisterung Andenken aus dem Zepp schneiden … verrückt genug sind sie …« Er erhob sich. »Muß gehen, Overland. Habe noch in der Stadt zu tun … Meine Leute sind am Posten!« Seine mächtige Gestalt wirkte beruhigend. »Schlafen Sie ruhig, Chef … Clever ist kein Wickelkind … danke, ich finde den Weg allein …« Er ging aus dem Büro, das am Ende der Ankunftshalle lag, blieb am Ausgang stehen, zündete sich noch eine Zigarette an und sah über das mächtige Feld, in dessen Mitte der Ankermast schlank in das Dunkel der Nacht ragte. Dann ging er gegen den Parkplatz, wo sein Wagen stand. Er wollte eben den Schlag öffnen, als ein Mann an ihn herantrat, der, wie er im Dunkel der Nacht zu Sehen glaubte, die Mütze des Flugplatzes trug und etwas in der Hand hielt, das wie ein Brief aussah. »Herr Clever?« fragte der Mann und streckte die Hand vor. »Ja. Was ist los?« »Wurde eben beim Chef abgegeben … gut, daß ich Sie noch erreiche.« Inspektor Clever ließ die Hand vom Schlag los, griff nach dem Schreiben, riß es auf und wollte eben zu lesen beginnen, als der Mann noch einen Schritt näher trat. Und ehe der Inspektor noch aufsehen konnte, hob der andere 20
den Arm und schmetterte Clever einen Kinnhaken ins Gesicht, daß er zu Boden fiel, ohne auch nur mehr mit einer Wimper zu zucken. Eine Sekunde sah der Mann auf ihn nieder; dann nahm er die Kappe vom Kopfe, vertauschte sie gegen eine Mütze, nahm Clever den Starter aus der Hand, stieg in den Wagen und fuhr los. Als Pitti Batt die Türe aufriß und wie ein Tiger in das Büro seines Chefs sprang, fuhr Overland steil vom Stuhl auf. »Was ist los? Mensch, was ist denn los?« Jetzt war Pitti nicht zum Scherzen aufgelegt. Er keuchte wie nach einem Dauerlauf. »Draußen … am Startplatz liegt … liegt Clever … Bewußtlos … der Wagen ist fort … sie bringen ihn schon …« »Du lieber Gott!« Mehr konnte Overland nicht sagen. »Du lieber Gott!« »Er hatte einen Brief in der Hand … aber man kann die Hand nicht öffnen … da … da ist er …« Zwei Männer trugen den Inspektor und legten ihn auf das Sofa. »Den Arzt! Den Arzt!« rief Overland verzweifelt. »Er stirbt ja, er rührt sich ja nicht … Den Arzt, Pitti!« In diesem Augenblick bewegte sich Clever, stöhnte auf und sagte mühsam, aber immerhin verständlich: »Kei … keinen Arzt, Over … Overland … Was ist los … oh, ach … ich … ich bin gestürzt …« Er versuchte, sich zu erheben, sank aber wieder stöhnend zurück. »Sterne … herrliche Sterne habe ich gesehen … Schicken Sie die Leute raus … Pitti kann bleiben … sollen … sollen Mund halten …« Der Chef instruierte die Leute und sagte dann erregt: 21
»Aber was fehlt Ihnen denn, Clever …?« »Ein Whisky … ein ordentlicher Whisky!« gab der Detektiv zur Antwort und stürzte ein nettes Glas voll hinunter, setzte sich auf und rieb sich den Kopf. »Ordentlicher Hieb … und wenn ich nicht ein so hervorragendes Gehirndach hätte, so würde ich noch jetzt im Himmel sein … wie er aussieht, weiß ich jetzt … feine Sache …« »Aber Mann, so erzählen Sie doch … was ist denn los …« Inspektor Clever feuchtete sich erst noch einmal richtig an und sagte dann: »Ist doch klar, Mann, Überfall …« »Aber Raub ist es keiner!« warf Pitti schnell ein, »wir haben Sie untersucht, Inspektor … ist noch alles da … Uhr, Brieftasche und so weiter …« Clever nahm jetzt den Brief auf, der ihm entfallen war, warf einen Blick darauf und sagte dann, indem er die beiden fest ansah: »Und ich sage, es ist ein Raubüberfall … ein ganz gewöhnlicher Raubüberfall. Verstehen Sie, Chef … und Sie, Pitti …« Der Chef schüttelte den Kopf. »Nein, denn wenn nichts …« Der Detektiv reichte Overland den Brief. »Lesen Sie erst und dann werden Sie begreifen …« Es waren nur ein paar Zeilen, die der Brief enthielt, und Pitti ließ es sich nicht nehmen, sie, über die Schulter Overlands gebeugt, mitzulesen: »Inspektor Clever, es gibt in den Staaten ein sehr gesundes Sprichwort: Neugierige Leute sterben bald! Lernen Sie es auswendig oder machen Sie Ihr Testament. Es gibt eine Menge Leute, die Ihnen riesig gerne einen Kranz spendieren würden! Wir auch!« 22
»Allerhand!« rief Pitti erregt aus, »das sieht ja ganz wüst aus!« »Aber … aber Clever, das ist doch kein Raub!« sagte Overland langsam und mit blassem Gesicht, »das ist doch … Mann, das ist ja doch … das bedeutet doch, daß …« »Daß Sie recht haben, Overland!« sagte der Inspektor ruhig, steckte den Brief fort und goß sich nach. »Ich gebe es zu …« »Heiliger Himmel!« rief der Chef. »Sie glauben, daß das mit dem Zepp zusammenhängt?« »So sicher wie eine Henne gackert, wenn sie ein Ei legt, Overland!« gab der Detektiv ruhig zurück. »Und warum dann die Komödie mit dem Raub?« fragte Pitti neugierig. »Weil wir erstens die Öffentlichkeit nicht beunruhigen dürfen, mein Junge, und weil es mir zweitens so paßt … Der Kinnhaken hat mir allerhand verraten, was mir vorher schleierhaft war … Saubere Arbeit … muß einer vom Ring gewesen sein … werde mir den Galgenvogel so sicher kaufen, wie ich mit dem Zepp in das alte Land gondele … Und jetzt muß ich in die Stadt …« »Aber Ihr Wagen ist auch fort!« rief Pitti und machte ein Gesicht, als sei das der großartigste Witz der Weltgeschichte. »Verdammter Lümmel!« rief Clever. »Ein ganz neuer Karren … Na, den Burschen werde ich mir kaufen … wird wohl so ein Dampfschiff aufzutreiben sein, um mich nach der Stadt zu bringen – oder …?« »Ich bringe Sie nach Hause, Inspektor!« rief Pitti schnell. »Mit dem Dienstwagen … ist es recht so, Chef?« »Klar!« stimmte Overland zu. »Aber wollen Sie nicht zu einem Arzt?« 23
Der Inspektor lachte und reichte ihm die Hand. »Bin ja keine alte Jungfer, die Migräne hat, Overland? Unsereiner muß schon eine auf den Globus vertragen können … Wir teilen ja auch aus … und in diesem Falle sogar sehr bald …« Er war schon an der Tür, wandte sich um und fagte: »Sorgen Sie dafür, Overland, daß die Sache möglichst unter uns bleibt … und wenn … Raub … verstehen Sie. Uhr und Brieftasche geklaut und Sie, junger Mann, fahren mich nicht zuschanden. Ehe ich zu den Engeln in den Himmel rutsche, habe ich noch allerhand zu erledigen … Wiedersehen, Overland …«
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3. Auch ohne Frack sah Laferty gut, ja, fast konnte man sagen, vornehm aus, und irgendwie schien er für das kleine, aber hervorragend eingerichtete Weinlokal in der vierzigsten Straße wie geschaffen. Von seinen Genossen konnte man das, wenn man Frank Meyerheim ausnahm, nicht ganz so sagen. Meyerheim ging hin. Er sah wie ein richtiger Börsenonkel aus. Trotzdem – ein Farmer aus dem Westen würde dem breiten Mann mit dem runden Gesicht, das, wenn es notwendig war, ungeheuer bieder aussehen konnte, ohne Zweifel vollstes Vertrauen entgegengebracht haben, was ein gewisser Akt mit der Oberschrift »Frank Meyerheim, Kredit- und BörsenSchwindel« auch überaus eingehend bestätigte. Jimmy Hogan hatte es da schwerer. Sein schmales Gesicht mit der Raubvogelnase, den grauen, stechenden Augen und langen Ohren, mit denen er wackeln konnte, was ihn bei den Kindern beliebt machte und in vorgerückter Stunde schon öfters zu einem Glas Whisky verholfen hatte, war wenig einladend. Ein ziemlich deutlicher Schein seines Berufes lag darüber, und wenn man bedenkt, daß Jimmy Hogan von der Pike angefangen hatte, so war das mehr als begreiflich. Eine Börse mit lumpigen vierzig Cents war seine erste Beute, und die Ohrfeige, die ihm darob sein Chef und Lehrmeister versetzt hatte, war ehrlicher verdient gewesen als jene. Bald hatte er allerdings goldene Uhren und dicke Brieftaschen wie reife Kirschen gepflückt und er hätte 25
diesen scheinbar einträglichen Beruf auch sicher nicht aufgegeben, wenn er nicht scheußliches Pech gehabt hätte. Im »Central Hotel« war er im Vorjahr an den Unrichtigen gekommen. Er hatte einem Boxer die Uhr entführen wollen und hatte dabei Hiebe bezogen, die auch einen Stärkeren als Jimmy auf den Boden gelegt hätten. Überdies hatte ihn der erboste Meister so auf die Finger geklopft, daß sie nur noch beschränkt gebrauchsfähig geblieben waren. Eine Klage auf Berufsstörung hatte er wegen Aussichtslosigkeit nicht einbringen können, und es war ihm nur eines übriggeblieben, die so liebgewordene Gewohnheit, die eigenen Finger in fremde Taschen zu stecken, aufzugeben. Er war ein, wenn man so sagen konnte, ordentlicher Schränker geworden und bildete sich ein, die dicksten Panzerkästen mit sozusagen einem Zündholz aufzukriegen. Freilich, Ted Laferty hielt von seinen Künsten so gut wie nichts und billigte ihm nur eines zu: unerhört viel Whisky vertragen zu können. Und auf diesem Gebiete war er wirklich Meister. Bunny Gold war ebenfalls nichts weniger als eine Männerschönheit. Das blasse, durch einen schmalen, fast lippenlosen Mund, wie entzweigeschnittene Gesicht, das durch eine Narbe, die sich vom linken Mundwinkel zum Kinn hinzog, nicht anziehender wurde und die der rabenschwarze Schnurrbart nur sehr unvollkommen verdeckte, verriet ohne weiteres ein dunkles Gewerbe, und Golds Photo hatte auch schon öfters als einmal auf einer Aufforderung gestanden, ihn der Polizei zur Aufbewahrung zu übergeben. Mitunter hatte er schmerzliche Erinnerung an jene Zeiten, in denen er noch ehrlicher Kassierer einer großen Bank gewesen war. Aber diese »Rückfälle«, wie Ted Laferty sie zynisch nannte, dauerten nie sehr lange. 26
Was schließlich Laferty anbetraf, so wußten seine Genossen über ihn so gut wie gar nichts. Eines Tages war er in der Unterwelt aufgetaucht und man munkelte nur, daß er in der alten Welt eine große Sache hinter sich gebracht hatte. Mindest machte Frank hin und wieder eine derartige Andeutung. Freilich nur dann, wenn er vollgeladen und Ted nicht anwesend war. In seiner Gegenwart hielt er sich lieber zurück, denn so frech er sonst war, mit Laferty anzubinden, erschien ihm doch nicht ratsam. Laferty schien heute befonders schlechter Laune. Er fauchte den Kellner an, da ihm der »Chateau Lafitte« nicht genügend temperiert erschien und sagte, als sie dann in der kleinen Loge allein waren, gereizt: »Hat jemand von euch mit Clever zu tun gehabt?« Er sah von einem zum andern und dann auf Jimmy Hogan, der ihm nicht besonders angenehm zu sein schien. »Du vielleicht?« Jimmy Hogan stellte das Glas umständlich hin und sagte mit einem Gesicht, das maßloses Erstaunen ausdrücken sollte: »Clever? Kenne ich gar nicht? Wer soll das sein, Laferty?« Ted Laferty runzelte die Stirn, und um seine Mundwinkel erschien eine böse Falte. »Wenn ich nicht irre; so hieß der Mann, der dich vor einem Jahr in Broocklin abfaßte, ebenfalls Clever … Wäre ein verdammter Zufall, wenn es nicht derselbe wäre, Jimmy? Oder vieleicht war es sein Großvater? Kannst ihn gelegentlich fragen … Schätze, daß er dich besser kennt, als du ihn … begreife, daß du keinen Wert darauf legst …« Jimmy Hogan, der Clever viel genauer kannte, als sogar Ted wußte, wollte ein gekränktes Gesicht aufziehen, aber Laferty winkte ab. »Halt, Junge! Wir kennen uns … Hast 27
du mit ihm zu tun gehabt oder nicht? Ich rate dir nicht, mir falsch zu kommen … es wäre eine Dummheit …« Jimmy Hogan, der immer das Gefühl hatte, als würde er noch einmal fest mit Laferty zusammenkrachen, fühlte, wie die Galle in ihm hochstieg, aber er beherrschte sich. Einmal wollte er sich diesen Mann ja doch noch kaufen – aber heute nicht … durchaus nicht. Er kniff seinen Mund zufammen, und einige Sekunden sah es aus, als würde er in der Richtung des Fragers ausspucken wollen. Dann aber sagte er gedehnt: »Habe Clever seit einer Ewigkeit nicht gesehen … war deshalb gar nicht im Bilde … jedenfalls weiß ich von nichts … Was ist denn los?« Laferty sah ihn durchdringend an und wandte sich dann, ohne Jimmy einer Antwort zu würdigen, an die beiden andern. »Und ihr? Ich will die Wahrheit! Es ist für unser Geschäft wichtig … Hast du, Frank, oder du, Bunny, eine Rechnung mit ihm beglichen …? Ja oder nein?« Bunny Gold machte seinen Mund noch schmäler. »Kann zwar diesen neugierigen Teufel nicht riechen … wüßte aber nicht, was ich mit ihm zu tun haben sollte … Geh’ ihm lieber aus dem Weg …« »Was ich begreifen kann!« sagte Laferty trocken. »Und du, Franki?« Frank Meyerheim, der nicht nur ein Feind aller staatlichen Sicherungseinrichtungen, sondern auch aller Aufregungen war, wischte sich den Genießermund und knipste dann die Asche von seiner kinderhandstarken Zigarre und sagte so erhaben, als stünde er vor einem Gerichtshof: »Ted, schon die alten Römer, die ich mit Begeisterung studiert habe, liebten die Wahrheit … und jeder gebildete Mensch weiß zum Beispiel, daß Nero, oder war es Cäsar, jedem die Zunge ausreißen ließ, der die Wahrheit, ich wollte sagen, der eine Lüge sprach … Und 28
ich schwöre bei Herkules, der bekanntlich Troja eroberte und Helena raubte, daß …« Laferty schloß schmerzbewegt die Augen und unterbrach ihn jäh. »Franki, tu’ mir den Gefallen und schände mir weder Griechen noch Römer! Mir wird übel bei diesem Geschwätz …« Frank Meyerheim zuckte beleidigt die Schultern. »Daß auch du ein Kind klassischer Bildung bist, schmerzt mich, Ted, denn schließlich …« »Sage mir klipp und klar, hast du etwas mit Clever zu tun gehabt oder nicht?« fragte Ted Laferty nun schon erbost. »Es ist ja zum Weinen mit euch?« Frank Meyerheim, dem seine unbewegliche Ruhe schon in peinlicheren Situationen sehr gute Dienste geleistet hatte, wiegte den Kopf. »Meine Herkunft gestattet mir nicht, mich mit Individualisten wie Clever abzugeben … Ich bin Humaniker von Geburt und …« »… ein Rindvieh seltener Größe!« schrie Laferty nun wütend und warf Bunny, der Meyerheim augenzwinkernd aufhetzte, einen bösen Blick zu. »Wollt ihr Abkommen eines an Verrücktheit verstorbenen Schimpansen mit Gewalt ins Zuchthaus? Wißt ihr denn nicht, daß man Clever gestern in Lakehurst niederschlug? Und hast du keine Ahnung davon, daß du seit heute beschattet wirst?« Frank Meyerheim legte die Zigarre schnell aus der Hand und starrte Laferty an, als habe er statt eines Kopfes plötzlich einen Kürbis am Halse sitzen. »Ted, meine Mama, die gebildet erzogen wurde, sagte schon immer …« »Daß ihr nichts erspart bleibe, als du auf die Welt kamst … richtig …« »Daß man einen ehrlichen Menschen nicht erschrecken 29
soll … das sagte sie und ich kann dir sagen, daß eine feinere Dame niemals Geschirr spülte, aber …« Ted Laferty beugte sich zu dem angeblichen Börsenmakler und sagte so eindringlich, als richte er gleichzeitig einen Revolver auf ihn. »Mensch, ich spaße nicht … irgend jemand hat Clever gestern niedergeschlagen … und ich frage nochmals: war es einer von euch?« Nachdem jeder der drei nochmals verneint hatte, sagte Laferty nachdenklich: »Dann arbeitet noch jemand … dann hat noch jemand Absichten … und ich will nicht Laferty heißen, wenn diese Burschen nicht ebenfalls Absichten auf den Zepp haben …« »Und wieso weißt du, daß Clever hinter mir her ist?« fragte Meyerheim mit einem Lächeln, das nicht ganz echt, immerhin aber auch nicht furchtsam war. »Hat er dir eine Postkarte geschrieben?« Bunny grinste verstohlen über den Witz, während Jimmy, um nicht laut herauszulachen, schnell seine Nase in sein Glas steckte. Daß Frank Meyerheim sich an den Laferty herantraute, war beiden ein ganz köstlicher Spaß. Nur Ted blieb unbewegt. »Ja, er schrieb mir eine Postkarte, Franki«, sagte er fast heiter. »Er läßt dich herzlich grüßen und erinnert dich daran, daß man in einem gewissen Staat – wenn ich nicht irre – heißt er Minnesota – sich ungemein freuen würde, einen gewissen Frank Meyerheim empfangen zu dürfen … er hat die Stadt um die Kleinigkeit von hunderttausend Dollar begaunert …« Er goß sich langsam von dem funkelnden »Lafitte« ein. »An deiner Stelle würde ich Clever glatt anklagen … halte so etwas für eine Ehrenbeleidigung …« Die dicke, fette Hand Franks zitterte nun doch leicht, als er das Glas hob, und sie war noch nicht ganz ruhig, als er 30
es hinstellte. Und ehe er antwortete, wischte er sich auch noch das Gesicht ab, das plötzlich von feinen Schweißperlen überzogen war. Dann sagte er mit einem etwas gequälten Lächeln: »Bist ein Spaßvogel, Ted … hahaha … war nie in Minnesota … muß ein ganz elender Laden sein, schätze ich, und was die Karte anbetrifft« – er war sofort im Bilde, daß Ted da gelogen hatte, und zerbrach sich den Kopf, wieso er auch davon wissen konnte – »So … also, Clever soll sich vorsehen …« »Das meine ich ebenfalls!« sagte Ted und zog seine Augen zusammen. »Jedenfalls … hast du die Hand im Spiel …? Nochmals … ja oder nein …?« Frank Meyerheim, der auf einmal begriffen hatte, daß hinter den Worten seines Kollegen Gefahr lauerte, sagte ernst: »Nein … und ich will hören, was los ist, Ted!« »Vielleicht der Teufel!« antwortete Laferty kurz, begann dann zu berichten und sagte nach einer Weile abschließend: »Jimmy hat natürlich an die Leute nicht herankommen können … hätte mich auch gewundert, wenn ja … solltest bei Gelegenheit in Pension und fischen gehen … Die Sache ist also die, daß Overland die Hosen voll und Clever verrückt gemacht hat. Und die Sache ist weiter die, daß wir nicht allein arbeiten … und daß die andern Clever einen Wink gegeben haben, sich nicht in die Sache zu mischen … Die Sache ist aber auch die, daß Clever, dessen Gesundheit ich für viel zu gut halte, sich auch für uns interessiert! Jedenfalls für dich, Franki, als Inhaber einer Fahrkarte … Du hast alle Ursache, auf deine Haut aufzupassen, sonst gondelst du nicht über das Wasser, sondern mit Armbändern nach Sing-Sing! Was dir nicht unbekannt ist …« Frank Meyerheim bekam einen trockenen Hals. Dieser Laferty hatte eine Art, Dinge nackt zu nennen, 31
daß man sich schämen mußte. Sing-Sing! Als ob … Er wollte widersprechen, aber sein Freund winkte ab. »Halt! Ich habe noch zu reden! Du wirst von diesem Tag an deinen Geschäften an der Börse nachgehen … nichts sonst … Wenn du mich brauchst oder ich dich, rufen wir Hall an. Treffen können wir uns, wenn überhaupt, bei Chin-Fu. Und ich nehme an, daß du in diesem Falle schlau genug bist, deinen Begleiter abzuhängen. Wenn nicht, kommst du unter keinen Umständen … sonst fliegt alles auf … Alles … Verstanden?« »Danke!« Sagte Frank und fühlte, wie seine gute Laune irgendwohin rutschte, wo er nichts davon hatte. »Und wenn du dich geirrt hast?« »Ted Laferty irrt nicht!« sagte dieser mit einem Nachdruck, der keine Widerrede zuließ. »Ich komme nicht aus einem Kindergarten. Und wenn ich irrte, so ist es besser, vorsichtig zu sein als das Gegenteil … wir dürfen nicht mehr zusammen gesehen werden … und wenn einer geschnappt wird, so weiß er nichts …« – er sah die drei der Reihe nach scharf an – »… nichts, verstanden? Wer redet, der … nun, der täte besser, mir nicht mehr in die Augen zu sehen …« Bunny Gold, der sich plötzlich wieder hinter dem Schalter der »Nationalbank« sah, bekam große Augen und sagte leise: »Wenn … wenn die Sache so steht, ist es dann nicht besser, sie zu lassen, Jungens?« Er sah von einem zum andern. »Wenn sie schon jetzt hinter uns her sind, dann …« Ted Laferty bekam kalte Augen. »Wenn du deinen Koller bekommst, dann trinke Kindermilch und singe Halleluja!« sagte er scharf. »Burschen mit weichen Knien habe ich satt, wie die Pest! Für den Anteil, der am Spiel steht – ich schätze ihn auf hunderttausend Dollar – bekomme ich Kerle, die der Großmutter des Teufels den 32
Kaugummi aus den Zähnen holen! Hast noch Zeit, deine wertvolle Haut in Sicherheit zu bringen …« Bunny Gold hatte seine bessere Regung schon wieder überwunden. Sie kam selten und dauerte dafür nie lange. Immer hoffte er, einmal mit einem Schlag so viel zu verdienen, um sich dann wirklich zurückziehen zu können. Eine kleine Farm wollte er sich kaufen, eine nette Frau suchen und sein Leben vergessen. Aber nie hatte er so viel bekommen, um auch nur entfernt daran denken zu können, und so hatte er immer wieder mitgemacht. Er war nicht gerade eine verbrecherische Natur, aber der so verhängnisvollen Ansicht, als könne aus geraubtem Gut jemals etwas Gutes kommen. Auch jetzt blendete ihn die verlockende Aussicht, mit einem Schlag reich werden zu können, und er sagte schnell: »Denke ja gar nicht daran, Ted! Halte Selbstverständlich mit …« »Dann ist es gut!« sagte Laferty mit einem Blick, der nichts Gutes für den andern Fall verhieß. Er wandte sich an Frank: »Du verläßt das Lokal durch den andern Ausgang – den kennt der Mann draußen sicher nicht, sonst stünde er nicht allein … Rufe mich morgen an – ich gehe jetzt … und ihr geht nicht zusammen fort. – Man darf euch unter keinen Umständen mit Frank sehen – ihr kennt ihn nicht … verschwindet bei Zeiten …« Er bezahlte, setzte sich dann aber nochmals und sagte: »Ich heiße überdies für euch ab heute Strong. Charles Strong. Ich bin gestern aus Boston gekommen. Das für den Fall, daß es schief geht. Einen Ted Laferty habt ihr nie gesehen. Verstanden?« * Ehe Laferty aus dem Lokal trat, hielt er genau Umschau. Er sah auch den Posten, der, wie er genau wußte, die 33
Aufgabe hatte, Frank Meyerheim zu beobachten, murmelte eine Verwünschung, ging, als er sich überzeugt hatte, daß der Mann ihm keine Aufmerksamkeit schenkte, schnell weiter, hielt eine Taxe an und fuhr nach Bronx. Eine Stunde später saß er einem Manne gegenüber, der so aussah, wie in den illustrierten Blättern der erfolgreiche Amerikaner abgebildet wird: der berühmte ehemalige Zeitungsjunge, der solange Nickel auf Nickel legte, bis er auf einmal Millionär geworden war. Tex Corner war auch Millionär. Und einmal war er wirklich so etwas ähnliches wie Zeitungsjunge gewesen. Bis er das Glück oder das Pech gehabt hatte, Sam Langwy kennenzulernen, der den aufgeweckten Jungen zu seinem Gehilfen erzog. Das heißt, Tex Corner wurde Anreißer für wertlose Aktien. Für Schwindelgründungen; für Minenunternehmen, die angeblich Gold, Kupfer oder Zinn und Geld in Hülle und Fülle bringen sollten, in Wirklichkeit auch brachten. Aber nur den Gaunern, die die Dummen, die eben nicht alle werden, zu Tausenden hereinlegten. Einige Male wurde er gefaßt, aber wer Geld hat, der muß nicht sitzen. Jedenfalls nicht so lange wie ein armer Teufel. Das ist eben Demokratie. Und an Geld hatte es Tex Corner nie gefehlt. Sein bester Mitarbeiter war Laferty. Und so hatte er dessen Plan, die erste Fahrt des neuen »Zepp« zu einem ganz riesigen Vorhaben zu benützen, nach kurzer Prüfung glatt angenommen. Es war ein Plan, der ihm lag. Kühn und voll Aussichten. Er saß, den breiten, fast quadratischen Kopf mit dem brutalen Gesicht vorgestreckt, in Hemdärmeln vor seinem 34
Schreibtisch und hörte Laferty aufmerksam zu. Als sein Besucher fertig war, sagte er mit einem Nicken: »Clever ist bei Gott zu neugierig, Ted! Du hast recht! Und daß er mitfährt, kann uns den ganzen Laden schmeißen. Frank ist sonst in Ordnung, aber zu Schwerfällig … Du mußt mit! Vorher aber …« – er schwieg und sah Laferty an, der sofort weitersprach. »Vorher muß Clever in Ordnung gebracht werden.« »Stimmt!« Tex Corner lächelte. »Es ist eine wahre Freude, mit dir zu arbeiten … Verstehst einen, ohne daß man spricht! Ist der Mann zu kaufen?« »Nein!« Sagte Laferty fofort. »Sonst wäre der Fall einfach. Clever ist rein.« »Idiot!« brummte Tex, der nicht verstand, daß ein Mann sich nicht bestechen ließ. »Idiot! Könnte mit einem Händedruck mehr verdienen, als ihm der Staat das ganze liebe Jahr gibt – aber es gibt solche Heilige. – Was soll also geschehen? Wir können nicht riskieren, daß …« »Wir müssen vor allen Dingen wissen, wer da noch am Zug ist. Entweder wir arbeiten zusammen oder die Leute müssen verschwinden – Sonst fliegt alles auf …« Corner nickte und hüllte sich für Sekunden in eine Wolke von Tabakrauch. »Vermute, daß Jonny dahinter steckt – war immer ein verdammt fixer Junge …« »Auch meine Idee!« erwiderte Laferty. »Ich will das untersuchen.« »Und Clever?« fragte Corner und richtete seine kalten Augen auf den Genossen, der diesem Blick nicht auswich. »Clever?« fragte er nochmals. »Sehr richtig, Junge!« Sagte Corner mit einem gefährlichen Feuer in den Augen. »Tote Hunde beißen nicht … Und darüber wollen wir uns unterhalten.« Er 35
stand auf und holte eine Flasche und Gläser aus der Hausbar. »Hier, Junge, schenke ein … Kannst ihn unbesorgt trinken. Ist auch für deinen Gaumen nicht zu schlecht. Prost! Und nun schieße los …«
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4. Chefredakteur Bully von der Neuyorker »Sun« raufte sich die letzten Haare, deren Pflege ein kleines Vermögen verschlang und schrie dann, als habe ihn ein Mann mit einem Eisenhammer auf seine erbsengroßen Hühneraugen geschlagen, schrill auf: »Molly, Sie sind – ich weiß was Sie sind, aber ich sage es nicht! Ich sage es nicht!« Schrie er wie ein Sioux vor dem Marterpfahl und tanzte mit seinen zweihundertzwanzig Pfund etwas, das einem Czardas zum Verwechseln ähnlich sah. »Ich sage es nicht«, wiederholte er, »aber …« – er versuchte seinen himmelblauen Augen einen durchbohrenden Blick abzugewinnen, aber Molly, der Lokalreporter, lächelte nur verzeihend, bohrte seinerseits dann nachdenklich in seiner Nase, was ihm weitaus besser gelang und gähnte dann, daß ein halbwegs geübter Beobachter ohne weiteres bis in seine Magenwände gesehen hätte. Dann blinzelte er verschlafen und sagte, indem er den Kaugummi von rechts nach links schob, gelassen: »In viertausend Jahren, Chef, werden Sie sich über die Wurst nicht mehr aufregen, kalkuliere ich … Verstehe Sie nicht. – Sie mit Ihrem schwachen Herzen! – Haben Sie die Prämien bezahlt, Bully? Sonst ist Ihre holde Gattin schief gewickelt, wenn Sie absterben. – Ein Mann in ihrer Position hat die Pflicht …« »… einen Burschen wie Sie in die Hölle zu schicken, Molly? Haben Sie Gras gegessen, daß Sie mir Antworten geben wie ein Tier, das ich nicht zu beschreiben brauche …« »Ochse!« sagte Molly ungerührt und setzte dann Schnell hinzu: »Womit ich natürlich nicht Sie meine …« 37
»Molly!« Der Chef trat an den Reporter heran und faßte ihn bei einem Rockknopf. »Molly, ich halte verdammt viel von Ihnen …« »Kostet hundert Dollar Vorschuß!« warf der Reporter ein und rückte seinem Chef eine Kassenanweisung zurecht. »Verdammt viel – kommt nicht in Frage. – Sie stecken bis zum Hals drinnen – aber in diesem Falle bummeln Sie. Ich sage, Sie bummeln – so wahr Neuyork eine Stadt ist!« »Was noch nicht heraus ist!« meinte Molly und begann die Anweisung auszufüllen. »… ehe wir die Augen aufmachen, ist die Wurst, wie Sie sich auszudrücken belieben, im Land – und was ist geschehen? Wo ist die Sensation? Was haben Sie in der Tasche? Was, frage ich, hat Molly gemacht? In der Bar haben Sie gesessen und haben mit Ihrem Herzchen geflirtet …« Molly stand auf und hieb seinem Chef eine auf die Schulter, daß der einknickte. »Sind ein Hellseher, Bully! Weiß, warum unser Weltblatt so unverschämt schlecht geht. – Weil Sie so verdammt klug sind …« »Oder wollen Sie vielleicht behaupten, daß Sie gearbeitet haben? Wo ist der Schlager, Mann? Sie haben die Listen der Leute, die mit hinübergondeln. Haben Sie eine Ahnung, was Maud Meerland für Toiletten mitnimmt? Haben Sie eine Ahnung, was sie in der ersten Nacht im Zepp für einen Pyjama tragen wird … hm? Haben Sie das?« Molly grinste. »Wenn ich davon eine Ahnung hätte, würde mir mein Mädel eine versetzen, daß ich eine Beule hätte, nicht viel kleiner als der Zepp. – Sie ist in diesen Dingen leider ohne Humor …« – er seufzte – »leider! Sie erinnern sich doch, wie ich Fanny Kissing von den 38
Ziegfield-Girls interviewt habe. – Erinnern Sie sich noch, daß ich dann vierzehn Tage, vierzehn lange Tage ein himmelblaues Auge hatte.« »Aber wir wußten, was Fanny für Nachthemden trägt und so …« »… und einen Fehmantel kostete mich die Sache obendrein. Nee …! Dieses Studium habe ich mir abgewöhnt … Die Spesen sind mir zu teuer, schließlich habe ich nur zwei Augen …« »Trotzdem, Molly!« Der Chef zeichnete einen kleinen »Zepp« auf seine Schreibunterlage, hob das Telefon ab und schrie erbost hinein: »Habe jetzt keine Zeit … soll zum Teufel oder sonstwohin gehen …« – er legte ab und sprach weiter –, »trotzdem … Der Zepp interessiert nun einmal, und es muß etwas geschehen. Es fliegt doch auch Florence Millford mit. – Sie kommt heute aus Hollywood … Wissen Sie nicht, daß sie sich eben von ihrem achten Mann hat scheiden lassen – das ist doch unerhört …« »Langweilig!« setzte Molly fort und gähnte angeregt. »Florence nehme ich mir erst wieder einmal vor, wenn sie sich vierzehn Tage lang nicht scheiden läßt. – Das gibt eine Titelzeile, Chef – aber so – keine Katze miaut deshalb … Haben Sie keine anderen Einfälle?« »Jetzt verliere ich aber den Hut!« schrie Bully erbost. »Sie beziehen ein Riesengehalt …« »Hahaha, da platzt mir der Kragen!« lachte Molly heraus. »Riesengehalt – wollte eben unsere Sternwarte bemühen, die Winzigkeit mal zu suchen, eher findet sie ein Muttermal auf der Venus als mein Gehalt. – Sie haben wohl Anlagen zu Lachkrämpfen, Chef …« Bully wischte sich den Schweiß von der Stirne. »Sie werden einmal ’ne Witwe trösten, Mann …« »Warum nicht, Bully – wenn die Versicherung in 39
Ordnung ist? Zweihunderttaufend – dafür tröste ich auf Ehrenwort …« »Molly – entweder werden Sie ernst oder ich übertrage den Fall Smith – Sie wissen, daß er schon lange auf eine Chance wartet … Ich …« Molly sah auf und rieb sich die Nase. »Sie wissen, Chef, daß ich über Kollegen prinzipiell nichts Schlechtes sage – wenn Sie aber glauben, daß ein lahmes Känguruh schon schreiben kann, wenn Sie ihm eine Füllfeder in die Pfoten stecken, dann können Sie natürlich auch Smith die Sache übergeben. Schätze, daß sich einen Tag später hunderttausend Amerikaner aus Kummer totschießen … Aber wie gesagt – von mir hören Sie nichts Nachteiliges über Jack. Er ist ein Kerl, wie er sein soll …« Bully seufzte auf und sah den Reporter an. »Und wie viel muß es sein, Sie Schandfleck der Sun?« Der Reporter grinste und schob dem Chef die Anweisung hin. »Ist zu Ihrer Bequemlichkeit schon ausgefüllt – zweihundert …« – er seufzte –, »mein Schatz braucht dringend einen Sommerhut, und je weniger so ein Ding wiegt, um so teurer ist es …« Der Chef überlegte einige Sekunden und hieb dann seinen Namen hin. »Gut – Sie sollen sehen, daß ich eine Perle bin – wehe Ihnen aber, wenn Sie eine faule Auster sind, dann sind wir geschiedene Leute …« »Wie Florence, nicht?« sagte der Reporter und steckte die Anweiung ein. »Und nun sollen Sie sehen, was ich bin.« Er griff in eine Rocktasche, zog ein zerknittertes Blatt heraus, strich es glatt und legte es dem Chef hin. »Da … und wenn Sie jemals ein Känguruh finden sollten, das Ihnen solche Dinge bringt, dann haben Sie ausgesorgt …« Bully warf einen Blick auf das Blatt, Sah dann den 40
Reporter an, dann wieder das Blatt und schrie dann auf. »Mann – Molly … Goldkind …« – er hielt das Blatt wie eine Fahne hoch und tanzte wieder wie besessen –, »das ist unerhört … warum haben Sie denn das nicht gleich gesagt?« »Weil Bescheidenheit meine Stärke ist … und weil wir noch zehn Minuten Zeit für die Abendausgabe haben!« Der Chef nahm das Blatt und las es dann halblaut vor: Inspektor geht in Lakehurst k. o.! Inspektor Clever von der bekannten 10. Polizeistation, die Dienst in Lakehurst hat, besuchte gestern am Abend den Kommandanten Overland, um über die Sicherheitsmaßnahmen anläßlich des Zepp zu beraten. Als er dann seinen Wagen besteigen wollte, um nach Neuyork zu fahren, wurde ihm von einem Unbekannten, der sich ihm in der Mütze des Flugplatzes näherte, ein Brief überreicht. Als Inspektor Clever diesen lesen wollte, versetzte ihm der Unbekannte einen Kinnhaken, der den Inspektor für die Zeit auf die Bretter, wollen sagen, auf den Rasen sandte. Clever gibt Raubüberfall an. Wir zweifeln daran. Clever, dessen letzter Fang noch in Erinnerung ist – er nahm Sammy Would fest – soll nämlich die Zepp-Fahrt mitmachen und es scheint uns so, als bestünde zwischen dem Überfall und damit eine Verbindung. Es dürfte Leute geben, denen Clever an Bord des Zepp nicht angenehm ist, was wir begreifen könnten. Clever ist wohlauf und schweigsam. Wir werden uns bemühen, die Spur zu finden, die Inspektor Clever nicht, oder sagen wir, angeblich nicht sieht. Die Sun wird auch da hineinscheinen! »Fein!« sagte Bully anerkennend. »Fein, Junge! Und was halten Sie wirklich von der Sache?« »Daß sie mich noch eine Menge kosten wird, Chef, 41
zumindest einen Abendmantel für mein Mädel. Weil ich sie nämlich werde verletzen müssen und das nimmt sie ungeheuer krumm … Sie kann ohne ihren Bubi nicht sein – oder nur gegen schweres Pflaster …« Bully seufzte. »Ein netter Schurke sind Sie, Molly, aber ich werde ehen, was sich tun läßt – nur bleiben Sie fest … Wir müssen die Chance fassen – Neuyork wird in einer Woche Kopf stehen …« »Ehrensache, Chef!« sagte Molly und nahm Seinen Hut. »Ich wittere gewisse Dinge … und sorgen Sie für Kleingeld … meine Teure ist so unerhört feinfühlig … Sie verstehen …« * Max Bolle trank die Molle Berliner Kindl mit richtigem Genuß, sah sich dann in dem Lokal, das einem Deutschen gehörte, der nicht aufgehört hatte, einer zu sein, mit einem Gefühl des Zuhauseseins um und nickte seinem Freund Fritz Weber, der Ingenieur war, zu. »Mensch, wenn man das Bier in die Kehle rinnen läßt und dabei die Augen zudrückt, könnte man sich denken, in unserm alten Keller in der Friedrichstraße zu sitzen … Kann diesem verdammten Whisky keine Liebe abgewinnen … unser deutsches Bier ist mir hundertmal lieber …« Weber nickte. »Kannst dir auch den Rummel gar nicht vorstellen, als die gesegnete Prohibition zu Ende war und die ersten Fässer Münchner hier antrudelten … War ein richtiges Volksfest …« »Jaja, bleibe in der Heimat und trinke Bier!« philosophierte Bolle etwas schwermütig, da er einen sehnsuchtsvollen Brief von Suse in der Tasche hatte. »Wäre auch besser gewesen, wenn du drüben geblieben wärst, Junge … Menschen wie dich suchen sie mit der Laterne …« 42
»Jetzt, Max, aber nicht damals … weißt doch, daß ich fast vor die Hunde ging, weil ich keine Arbeit bekommen konnte … und übrigens« – er lächelte in die Ferne –, »kann ich dir verraten, daß ich die Absicht habe, wieder nach Deutschland zu gehen … es gibt dort« – er sah seinen Freund an – »ein Mädchen, das ich nicht vergessen habe … und das mich nicht vergaß …« Er bekam große Augen. »Ich will mein Glück in Deutschland finden … will nichts gegen die Mädels hier sagen, Junge, sind verdammt tüchtig, aber an ein deutsches Mädchen kommen sie nicht ran!« Max Bolle trank den Rest weg. »Worauf wir eine kippen wollen! Hallo, eine Flasche aus der Heimat … eine vom alten Rhein … Junge, Junge, das freut mich aber ganz verdammt … Und wenn der erste kleine Weber anschnurrt, dann klingle mal bei Bolle an … Den wollen wir dann mal schaukeln …« – er hob das Glas, in dem der goldgelbe Wein der Heimat perlte, hoch –, »auf die Heimat, Junge! Auf Deutschland! Und darauf, daß du dir bald ein Nest baust!« Fritz Weber stieß an das Glas. »Auf Deutschland! Freue mich aufrichtig, daß du wieder hier bist … und schade, daß du wieder so schnell abfährst … Beneide dich um die Fahrt mit dem Zepp. Bist überall dabei … feiner Beruf, so ein Reporter … Wir Deutsche sind stolz, daß sie drüben nicht nachgegeben haben und wieder einen bauten … und die Amerikaner, Junge, haben mächtigen Respekt … So etwas imponiert …« »Kann auch … Wer das Schiff sieht, legt sich auf den Rücken …« »Ich habe deine Berichte gelesen, Mensch, und ich bin gespannt … Die Hindenburg kannte ich ja, du weißt doch, daß ich draußen in Lakehurst die Anlage einrichtete … War ein großes Unglück … Overland hat es heute noch 43
nicht verwunden … War mit Lehmann befreundet …« – er nickte einem Eintretenden zu – »Tag!« und sagte, als ihn Bolle ansah: »Molly Brand von der Sun. Hast du den Artikel über Lakehurst gelesen?« Bolle legte blitzschnell die Hand auf den Arm seines Freundes. »Mensch, den Mann muß ich kennenlernen … aber kein Wort, daß ich vom Fach bin … Mich interessiert da eine Menge … mehr, als ich jetzt sagen kann … Kennst du ihn gut …« »So, so … er geistert überall herum … Kein Heiliger, aber auch kein Lump … Und immer in der Klemme … Seine Kleine scheint ihn mächtig zu rupfen …« Er grüßte Molly, der nun ganz knapp am Tisch vorbeikam, nochmals. »Hallo, Molly, hier ist ein Platz frei … Landsmann von mir … würde sich freuen, einen so berühmten Zeitungsmann kennenzulernen …« »Oh, Sie kommen von drüben?« sagte Molly als man sich bekannt gemacht hatte und wischte sich schmunzelnd den Mund. »Wegen der Wurst kommen Sie?!« – er lachte – »So nenne ich den Zepp – wird bald fertig zum anschneiden sein … Ich kalkuliere, daß sie mir noch manch einen Dollar bringen wird … hahaha und wenn unserm Alten der letzte Knopf springt, die Sache wird ihm Geld kosten …« »Da wissen Sie ja auch, wer den famosen Bericht über diesen Inspektor geschrieben hat … wie hieß er denn nur …« Bolle dachte scheinbar angestrengt nach. »Wohl so ein Märchen, was?« »Mann aus Deutschland!« sagte Molly, der schon das dritte Glas hinter seine Binde gegossen hatte, etwas erregt. »Der Mann, der das schrieb, sitzt vor Ihnen …« Er sah die großen Augen, die Bolle machte und lachte. »Hahaha, famos nicht … aber Mann, ich will mit meiner 44
Schwiegermutter jeden Tag tanzen gehen, wenn das nicht richtig ist … Molly Brand hat das geschwungen … klar … vollkommen in Ordnung …« Max Bolle sah sich den Mann genauer an, bestellte noch eine Flasche und lud den Reporter freundlich ein, was dieser nicht ausschlug. »Aber gerne trinke ich mit, denn erstens«, sagte er offen, »trinke ich überhaupt gerne, und zweitens sind sie mir sehr sympathisch, die Deutschen!« Er stieß an. »Ist nicht überall so in diesem Land, meine Herren, aber sie sollen zur Hölle gehen! Und ich sage, wer Stunk machen will mit dieser Wunderwurst, der soll Molly Brand kennenlernen … So wahr mein Mädel Haare auf den Zähnen hat!« Max Bolle, der keineswegs nur zum Vergnügen in USA war und schon seit Tagen ein angenehmes Gefühl hatte, fragte vorsichtig: »Glauben Sie wirklich, Molly, daß hinter der Sache mit Clever etwas steckt?« »Ja, das glaube ich … versteht mich doch, Leute«, er rückte näher und sprach leiser. »Clever hat doch einen Brief bekommen, ehe man ihm eine auf die Krone gab … also … wo ist der Brief, und warum sagt Clever nicht, was darin stand …? Aber Molly Brand ist nicht der Sohn eines lahmen Känguruhs, denke ich, und man hat seine Verbindungen … man hat sie, und ich will zur Heilsarmee gehen, wenn ich nichts herausbekomme …« »Wird schwer werden!« warf Bolle die Fangleine aus. »Sehr schwer …« Der Reporter schlug Bolle mit aller Kraft auf die Schulter. »Und ich sage, daß ich morgen um die Zeit jedes Wort kenne … hundert Dollar gegen einen …« Er lachte. »Molly Brand hat schon andere Dinge gewickelt …« Max Bolle dachte eine Sekunde nach. Dann sagte er, nicht übertrieben schnell und neugierig: »Fünfzig wäre 45
mir die Sache wert, Herr Brand … aber ich bin überzeugt, daß sie es nicht um tausend schaffen …« »Mann aus Deutschland, Sie kennen dieses Land nicht … noch nicht … Aber Molly Brand kennt es wie seinen alten Hut!« Er trank sein Glas leer, und machte keine Einwendung, als Bolle noch eine Flasche bestellte. »Und ich sage, daß hinter dieser Geschichte in Lakehurst der Teufel steckt …« Er wandte sich an Weber. »Hallo, Weber, kennen Sie mich als Mann, der mehr redet als er weiß?« Fritz Weber, der wußte, daß der Reporter schon einige ganz knifflige Dinge herausbekommen hatte, sagte mit einem Lachen und einem Blick zu Bolle: »Ich weiß, Molly, daß Sie ein ganz verdammt tüchtiger Bursche sind …« »Dann sage ich, daß der Kerl, der Clever eine auf den Globus gab, es mächtig scharf auf den Zepp hat …« »Und warum?« fragte Bolle So schnell und aufgeregt, daß es Molly zu einer anderen Zeit sicher aufgefallen wäre. »Warum?« »Das will ich euch erzählen … rückt näher, Jungens …« Er machte einen langen Trunk. »Verdammt guter Saft … also …« Er sah Fritz Weber an. »Kennen Sie, Herr Weber, vielleicht Laferty?« »Nie gehört davon? Wer ist das? Zeitungsmensch oder was? Millionär?« Molly Brand lachte etwas heiser, trank sein Glas leer und sagte mit gedämpfter Stimme: »Laferty … Zeitungsmensch? Nein, mein Lieber! Aber … auch kein Millionär, aber wenn ich wüßte, was er genau ist, würde ich bereit sein, eine Nacht in einer Dachrinne zu schlafen … und dieser Laferty …« Er dämpfte seine Stimme zu einem Flüsterton – »also, ich kalkuliere, daß …« 46
5. Maud Meerland war nach amerikanischen Begriffen vollkommen unmodern. Vor drei Jahren war ihr Mann, Fred Meerland, gestorben, hatte ihr ein Haus in Neuyork, einen Besitz in Florida und zwei Millionen in guten Papieren hinterlassen, den Schmuck nicht gerechnet, den Fachleute auf eine Million schätzten. Das Smaragdarmband, das bei der Edelsteinschau den ersten Preis erhalten hatte, war allein fast die Hälfte wert. Fred Meerland hatte das Geld in Grundstücksspekulationen verdient. Seine letzte Erwerbung aber war Maud gewesen. Aber schon nach einem Jahr hatte er sie verlassen müssen. Über seinen Spekulationen hatte er seine Gesundheit vergessen, und das hatten ihm gewisse Bazillen übelgenommen. Sie hatten auf den noch nicht Fünfundfünfzigjährigen einen Generalangriff eröffnet und ihn in nicht ganz einem halben Jahr hingelegt. Jedermann in der großen Gesellschaft von Neuyork hatte erwartet, daß Maud, die knapp vorher zum fünftenmal ihren dreißigsten Geburtstag gefeiert hatte – Ethel Snob behauptete zum siebenten Male –, sich umgehend mit Bill Wanemaker verloben oder sogleich verheiraten würde. Aber Maud enttäuschte. Sie trug große Trauer und ergab sich Bill auch nicht, als er ihr Herz mit Bomben in Form hochkarätiger Diamanten bombardierte. Hingegen sah man sie in der letzten Zeit öfters in Gesellschaft eines Herrn, von dem man nur wußte, daß er 47
Ted Laferty hieß und aus dem Westen kam. Dort hatte er, wie man flüsterte, Ländereien und Herden von einigen hunderttausend Rindern, deren Fleisch und Knochen er ziemlich bequem in Neuyork verzehrte. Und da er im Atlantic-Club verkehrte, so war er für alle, auf die es ankam, schließlich bald in Ordnung. Nur nicht für Bill Wanemaker, der sich nur für drei Dinge interessierte: für Maud, für Schlagball und seine Sammlung alter Brieftaschen. Nebenbei auch noch für Wanemakers Plattfußeinlagen, ein Betrieb, in dem fünftaufend Menschen daran arbeiteten, die Plattfüße ihrer Mitmenschen wieder in Ordnung zu bringen, und den Papa Wanemaker, der inzwischen schon auf ganz ordentlichen Beinen in den Himmel spaziert war, seinem einzigen Sohn ohne einen Pfennig Schulden, aber mit reichlich viel Guthaben hinterlassen hatte. Bill war achtunddreißig und hatte weder Bedarf für Eigenbau-Plattfußeinlagen noch für sonst welche Hilfsmittel. Er war tadellos gewachsen und sah aus, als würde er in Hollywood jederzeit als Extra unterkommen können. Sonst brachte ihn wenig aus der Ruhe – höchstens sein Klub und eine historische Brieftasche – aber dieser Lafefty ging ihm auf die Nerven, und er war eben jetzt dabei, das Maud wieder begreiflich zu machen. »Versteh’ nicht, was dir an diesem Burschen gefällt, Maud?« sagte er und steckte seine Zigarettendose fort. »Man beginnt bereits, über dich zu sprechen …« »Oh, sehr interessant!« erwiderte Maud Meerland, die ganz so aussah, als habe sie erst gestern den dreißigsten Geburtstag gefeiert. »Ich habe mir immer gewünscht, daß man das tut … Warum soll ich nicht mit ihm soupieren gehen, Liebling?« 48
Bill Wanemaker schlenkerte mit den langen Armen und tippte mit einem Finger auf ein Muttermal, das genau auf der Nasenspitze lag und seine Schönheit einigermaßen beeinträchtigte. »Weil … weil du doch sozusagen meine Braut bist … und weil mir der Bursche nicht angenehm ist und weil ich ganz verdammt eiferfüchtig bin und weil ich ihn überhaupt nicht für einen ordentlichen Menschen halte … und weil …« Maud lächelte verführerisch. »Danke, Billy, das genügt … aber es ist doch zu wenig? Seit wann bin ich deine Braut? … Weiß nichts davon, Junge, und ich glaube, ich kann ausgehen, mit wem es mir Spaß macht …« »Aber nicht mit diesem Burschen!« rief Bill und ging erregt im Salon auf und ab. »Ich habe meine Bedenken, Maud, Liebling … Ich mag ihn nun einmal nicht! Weiß der Teufel, wie er in den Klub kam …« Gleichgültig ob Maud Meerland bei ihren Geburtsdaten mogelte oder nicht, sie war eine schöne Frau. Mittelgroß war ihr Körper von vollendetem Ebenmaß, und das ovale Gesicht mit den blauen Augen und dunklem, leicht gewelltem Haar war so reizvoll, daß man ihr die Jahre nicht nachzählte. Sie hätte auch ohne Geld eine Menge Chancen gehabt, wußte das auch, und warum sie diese bis jetzt nicht ausgenützt hatte, war nur ihr Geheimnis. Ob sie Billy liebte, darüber war sich dieser am wenigsten im klaren, und so sehr er an der Brieftasche hing, aus der angeblich Napoleon I. die Banknoten zog, um die letzte Zeche vor dem großen Unfall von Waterloo zu bezahlen, so gerne hätte er sie geopfert, um mit Maud ins reine zu kommen. Die aber hatte es scheinbar nicht eilig, und nun war ihm dieser Laferty ins Gehege seiner Wünsche und Träume 49
gekommen! Maud Meerland kraute ihre persische Tempelkatze, die Billy unerhört gelangweilt ansah, und sagte ruhig: »Er benimmt sich wie ein edler Mensch, Billy … und er ist auch einer …« »Und ich sage dir, er ist keiner … und wenn ich ihn noch einmal hier sehe, mache ich Hackfleisch aus ihm!« versprach Billy wütend. »Es wäre Zeit, daß du vernünftig wirst, Maud, und wir heirateten! Statt dessen …« – er verschluckte den Rest und knurrte verdrießlich: »Statt dessen gondelst du jetzt nach Europa … noch dazu mit dem Zepp! Und wenn dir etwas passiert? Wenn …« »Kindskopf … Ich fahre so sicher wie nur sonstwo … Ich muß schon deshalb fahren, weil Ethel Snob dann sicher vor Neid zerspringt! Sie hat keine Karte mehr bekommen … und dann wartet Margareth Malcoln in Berlin auf mich … Du wirst dich schon nicht langweilen …« Sie lächelte ihn an. »Ich verspreche dir, daß ich alles tun werde, um eine Brieftasche von diesem König aufzutreiben, der feinen Frauen so scharmant den Kopf abschneiden ließ … Ich finde das sehr originell …« »Kalkuliere, daß die Frauen das weniger fanden, Maud, aber ich fände es prachtvoll, wenn sich jemand fände und diesem Burschen den Kopf …« »Du bist sehr ungerecht, Billy!« schmollte Maud. »Laferty ist sehr nett zu mir … Ich finde, er unterhält sehr entzückend …« Billy Wanemaker war, wenn auch im großen und ganzen ein Nichtstuer, doch ein netter, harmloser Junge. Nun aber bekam er Temperament. Er versetzte der Katze, die ihn nicht leiden konnte und nun etwas beleidigt an seinem rechten Hosenbein schnupperte, heimlich einen Tritt und stand dann, nicht weniger zornig als Othello am 50
Lager Desdemonas, vor Maud und rief gereizt: »Kalkuliere, daß du den Kopf verloren hast, Liebling … Dieser … dieser Bursche … ja meinst du denn, daß der dich liebt?« Er machte eine Pause, legte tollkühn einen Pfeil auf den Bogen seiner Wut und schoß ihn schnell ab. »Ich wette, daß es dieser Lump nur auf dein Geld abgesehen hat, Maud, auf nichts sonst …« Maud Meerland war so wenig Desdemona, wie Billy ein Mohr war. Sie dachte auch nicht daran, schon zur Nacht zu beten. Sie war im Gegenteil jetzt außerordentlich munter, sprang von dem Sofa auf und rief erregt: »Du bist ungezogen, Bill! Herr Laferty ist reich … wenn auch …« – jetzt schoß sie einen Pfeil ab, dessen Wirkung sie kannte –, »wenn er auch keine Plattfußeinlagen verkauft …« Das große Muttermal an Billys Nasenspitze erbleichte vor Wut. Es war wie weggewischt, aber der Besitzer raste. »Plattfußeinlagen sind eine Notwendigkeit und so gut wie ein Ochse, aber …« »Und du hast nicht das Recht, ihn zu verdächtigen!« sprach Maud ungerührt weiter. »Und weil du so häßlich bist, werde ich heute mit Herrn Laferty ins Theater und soupieren gehen … und ich verbiete dir, nochmals so von ihm zu sprechen … Ich fühle, daß er mich liebt und …« »Und …?« fragte Billy und jetzt fehlte ihm zu Othello nur die schwarze Haut. »Und …? Willst du vielleicht damit sagen, daß dir dieser Rinderhirte, dieser Fleichhändler nicht gleichgültig ist … dann … dann …« – er sagte nicht, was dann kommen würde. Er machte eine Pause, holte tief Atem, trat dann ganz knapp zu Maud hin, die einen entzückenden blauen, echten Kimono trug und sprach weiter: »Ich sage dir eines, Maud, dieser Ted Laferty ist nicht in Ordnung, und ich will eine Million Plattfußeinlagen aufessen, wenn das nicht wahr ist. Und jetzt gehe ich, Liebling!« – er schluckte erregt –, »… ich 51
bin ja hier überflüssig … aber ich komme wieder und dann …« – er küßte Maud die Hand –, »dann werden wir ja sehen …« * Als Fritz Weber, Molly Brand und Maxe Bolle in der »Deutschen Eiche« so weit waren, daß weit und breit kein Gast mehr saß, hing der Reporter tränenschwer am Halse Bolles und rief selig: »Und ich bin so glücklich, daß du bist eine Reporter wie ich … und ich werde dir helfen, denn ich liebe die Deutschen und ich will nicht haben, daß man … also, Junge …« – er schlug Bolle fest auf die Schulter –, »wir werden sehen, daß alles in Ordnung geht … Kenne diesen Clever … ist ein alter Diebesfänger und versteht keinen Spaß …« – er blinzelte mit den Augen. »Maxe, mein Mädel wird sehr böse sein und wird mich viele Dollar, schätze einen ganzen Hut kosten, daß ich sie versetzt habe, aber du bist richtig, und Weber ist auch richtig …« Er stand auf, suchte seinen Hut und fand ihn nach längerer Zeit auf seinem Kopf. »Und ich will meinen Hut essen, wenn ich nicht … oh, das Bier ist sehr gut, und ich komme nach München und nach Berlin, und wir trinken Bier … immer Bier … und diesen Laferty … Ich sage dir, Maxe, ein Schurke … ich denke, ein ganz großartiger Schurke oder ich will meine Kleine nicht mehr küssen, und ich schätze, ich werde sie bald küssen …« Max Bolle lachte, und da er die Adresse seines neuen Freundes wußte, schafften ihn Fritz Weber und er vermittelst einer Taxe nach Hause. Dann brachte Weber seinen Freund noch bis zum Hotel. »Du mußt Molly so nehmen, wie er ist«, sagte Weber dann beim Abschied, »und nicht europäische Maßstäbe anlegen, dann wirst du dich mit ihm verstehen …« Max Bolle, der trotz der schweren Sitzung munter und 52
gerade innerlich sehr hell war, nickte. »Verstehe, Junge … und ich habe das Gefühl, daß ich ihn sehr gut verwenden kann … Werde erst einmal versuchen, diesen Laferty kennenzulernen … Scheint mir ja ein sauberer Bruder zu sein …« »Solche findest du hier zu Hunderten … Und jetzt muß ich nach Hause … Wir sehen uns morgen … oder nein …?« – er lachte –, »heute Abend wieder in der Kneipe …. Sie ist ein Stückchen Heimat … Wiedersehen, alter Junge …« »Wiedersehen … und schönen Dank! War, glaube ich, ein guter Abend!«
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6. Jonny Walker schob dem Barwirt das Glas hin und zog es voll wieder zurück. Dann wandte er sein Bulldoggengesicht dem Manne zu, der an seiner rechten Seite saß, und grinste ihn an. »Bist ein verdammt schlauer Hund, Strong, aber doch nicht schlau genug, um da mitzukönnen! Wir machen das Geschäft allein, kannst das deinem Chef sagen, und wer uns in den Whisky spuckt, den. lassen wir hochgehen! Ist unsere Idee, das mit der Wurst, verstanden, wir brauchen die Moneten ebensogut wie Corner!« Er schob den rechten Arm, an dem eine Hand von der Größe eines kleinen Kürbisses hing, gegen seinen Nachbarn. »Wir lassen niemand ran, Junge … und sind in diesem Fall verdammt empfindlich … Kannst dir meine Handschuhnummer ansehen für den Fall, daß du Bedarf haben solltest … Es gibt ausgewachsene Männer, die sie verdammt schlecht vertragen haben …« Charles Strong, der in einem Überkleid stak, das wohl für diese düstere Kneipe, weniger aber für das »Empire« paßte, sah Jonny von der Seite an und hatte ein Wort schon auf seiner Zungenspitze. Er verstand aber außerordentlich gut zu schweigen und sagte nur mit einem halben Lächeln: »Wir wissen, daß du eine Nummer im Ring warst … aber trotzdem: warum wollt ihr nicht Halbpart machen? Das Geschäft ist für beide groß genug … Und wenn ich es recht bedenke, so haben wir die Idee gleichzeitig gehabt …« »Ist mir verdammt egal, Strong! Wir sind am Zuge. und ich kann dir verraten, daß wir den Stein rücken!« Er brüllte den Barwirt, der ihm das Glas wieder zugeschoben hatte, erbost an. »Du Negervieh, wenn du mir das Glas 54
nicht ordentlich vollschenkst, so kannst du in einer Minute im Himmel sein oder in der Hölle bei deiner Großmutter … Schätze, daß sie dort die Kessel putzt, wo die verdammten Neger gebraten werden …« Der Barwirt fletschte die Zähne zu einem Grinsen und goß nach, aber Strong sah das wilde Aufleuchten der Augen und warf dem Manne, den er kannte, einen Blick zu, der Jonny vielleicht beunruhigt hätte. Der aber sah nichts von alledem. Er lümmelte auf der Theke, stieß ein Frauenzimmer, das sich an ihn heranmachen wollte, zurück und sah dann Strong scharf an. »Ist mir verdammt egal, Junge, sage ich nochmals!« »Und wenn wir unser Angebot erhöhen?« fragte Strong, der weit lieber Frack als Übermantel trug und dem Burschen wie dieser Jonny auf die Nerven gingen. »Wir sind nicht kleinlich …« Jonny Walker schlug auf die Theke, daß die Gläser tanzten und der Barwirt böse Augen bekam. »Hahaha, nicht kleinlich? Und ich sage dir, daß es um jeden lausigen Pfennig schade ist, den ihr daran verdienen würdet!« Strongs Gesicht war ganz ruhig. Er sah den Burschen an, dessen Brust fast zweimal so breit war als die eigene, und fragte nochmals: »Ist das dein letztes Wort, Jonny?« »Mein allerletztes, Strong … Ist mir verdammt ernst …« Er maß den Frager mit großen und etwas verächtlichem Blick. »Bist mir überhaupt reichlich unangenehm, mein Junge … Hast eben erst da hereingerochen und gibst schon verdammt an – kenne welche, denen das nicht paßt – verstanden …« Charles Strongs Gesicht wurde noch bleicher, und er fühlte dort, wo er eine ganz erstklassige und bewährte Waffe trug, ein brennendes Gefühl. Trotzdem blieb er unbewegt. Ja er lächelte fast. »Bist heute außerordentlich 55
schlechter Laune … Was passiert, Jonny?« »Nichts, als daß mich jeder hergelaufene dumme Junge anquatscht, was meiner Mutter einziger Sohn verdammt unangenehm ist …« Noch immer lächelte Strong. »Bist nicht in Form, Jonny! Ich mache dir einen Vorschlag … Ich geh’ mal an die Strippe und rede mit meinem Chef … Vielleicht kommen wir doch zusammen!« Er sah Jonny groß an. »Wäre für beide besser …« »Meinetwegen kannst du mit des Teufels alter Tante reden, Strong, ist mir unerhört egal! He, Schwarzer, gieß’ mir ein, aber richtig, sonst mache ich Trauerflor aus deiner Haut, du schwarzes Biest …« Charles Strong warf dem Neger abermals einen Blick zu und sprang dann vom Barstuhl. »Ich ruf also mal an, Jonny … Hoffe, daß deine Laune besser wird …« Er ging durch das winzige, unsaubere Lokal, in dem noch einige Gestalten herumlungerten, verschwand im Hintergrund und dann in einer Telefonzelle, die nahe bei einem der zwei Ausgänge der Bar lag. Ehe er abhob, zog er seine Uhr. Dann rief er an. * Inspektor Clever goß sich aus einer Thermosflasche Kaffee in die Tasse nach und brummte ärgerlich über den Tisch: »Miller, bist ein ungeheuer kluger Bursche … Daß so etwas wie du überhaupt Wachtmeister wurde, ist jammerschade … Aus diesem Stoff macht man Präsidenten …« Mike Miller grinste. »Sage ich ja immer, daß Onkel Sam keine Augen im Kopfe hat. – Wäre sonst schon längst …« »Präsident für Kindergärten …«, sprach Clever fertig. Mike Miller lief rot an. »Bist zwar mein Vorgesetzter, 56
Clever, aber …« ’ »Das beweist nur, daß alles in Ordnung geht!« fuhr Clever wieder fort und lachte, »Behalte ruhig Blut, Junge, und schnake nicht so verdammt klug – oder glaubst du, ich weiß noch nicht, wer mir eine auf den Kürbis gab? War zwar gemein duster draußen, und die Kappe machte mich dumm, ich will aber gratis Amme bei deinem Baby werden – wenn …« – er maß den Wachtmeister mit einem geringschätzigen Blick – »wenn es jemals so weit kommen sollte, was aber den Burschen anbetrifft, so …« Er konnte nicht weitersprechen, denn in diesem Moment schrillte das Telefon. Er hob ab, horchte und deutete Mike erregt, den zweiten Hörer zu nehmen. Dann sagte er schnell: »Und wer spricht? Mann, wollen Sie uns hochnehmen? Was? Hier ist die zehnte und …« – er warf Mike einen Blick zu. Der Wachtmeister ließ den Hörer fallen, sprang zum nächsten Apparat und rief die Kontrollstation an: »Hier zehnte … welcher Apparat spricht mit uns? Aber fix …« Ehe er noch Antwort bekam, hing Clever schon den Hörer auf. »Mensch, wenn das wahr ist …« – er hatte schon die Kappe auf, griff noch nach dem Revolver und stand schon bei der Tür – »… ich sause zum Chef … Mache los … Wagen … nee, nicht Überfall, ganz allein … wir beide …« Mike hing noch an der Strippe. Horchte und sagte dann: »Danke!« In zwei Minuten Später saßen sie in einem kleinen, aber außerordentlich starken Wagen, den niemand als Polizeifahrzeug erkannte, und sausten gegen Harlem, daß die Funken stoben. Drinnen aber funkte Clever wirklich. 57
»Wenn die Sache stimmt, Junge, dann haben wir den Burschen. Sie müssen von der einhundertdreißig das Nest umstellen – aber herausgeholt wird er von mir persönlich – und wenn er muckst, bekommt er eine auf seine Melone, daß ihn seine eigene Mutter verleugnen muß …« – er hatte die Station und sprach hinein – »… zehnte, Inspektor Clever … dreitausendsechshundertachtundsiebzig … In der Micky-Maus-Bar soll sich Jonny befinden – ja, Jonny Walker – wird dringend von uns gesucht … mehr private Angelegenheit … Jungens, micht euch nicht zu viel rein in den Salat – sollt nur dicht machen – wenn er aber ausrückt, ehe wir kommen, dann faßt zu … Wissen wir … kennen seine Handschuhnummer … leider … geht in Ordnung – dreitausendsechshundertachtundsiebzig …« Mit unbewegter Miene betrat Strong wieder die Bar und nahm neben Jonny Platz, dessen Laune sich in der Zwischenzeit nicht verbessert hatte. »Leider nichts zu machen, Jonny!« sagte Strong und zündete sich eine Zigarette an. »Der Chef war nicht zu Hause!« »Dann war er sicher in der Hölle, wo man schon auf ihn wartet!« schimpfte Jonny Walker. »Und im übrigen, Junge, ist mir das ungeheuer egal, wo er sich herumtreibt. Ich sage dir, es ist nichts zu machen …« Charles Strong nickte. »Schade …« – er warf dem Barwirt einen Dollar zu –, »geht in Ordnung …« Dann stand er auf. »Vielleicht überlegt ihr es doch noch. Du und Hart! Wo du mich findest, weißt du ja …« »Bei des Teufels Großmutter!« maulte Jonny und goß wieder einen Whisky hinunter, »aber ich habe verdammt wenig Lust, dich dort zu suchen!« Strongs Augen wurden ganz schmal. Sein Gesicht verzerrte sich für den Bruchteil einer Sekunde. Dann aber 58
war es wieder glatt, und indem er die Kappe nahm, die er heute trug und sich zum Gehen wandte, sagte er mit einem scheinbar frohen Lächeln: »Bist ein altes Rauhbein, Jonny … aber richtig, sehr richtig! Grüße mir Hart … und auf Wiedersehen …« Jonny Walker antwortete nicht. Er lümmelte sich auf die Theke und schrie den Neger an: »He, alter Satan, laß mich nicht vertrocknen – oder ist dir vielleicht mein Geld nicht gut genug?« Der Barwirt, dessen Fäuste nicht viel kleiner waren als die des Gastes, wollte keinen Streit. Er kannte diesen Gast und hatte Auftrag, ihn mit Ruhe zu behandeln. Männer, wie er einer war, wollte der Besitzer, der eben mit einer Stichwunde im Spital lag, nicht als Feinde haben. »Mir ist jedes Geld gleich gut!« sagte er deshalb und goß wieder ein. »Strong sind gute Gast in Micky Maus!« »Gut für dich, wenn das endlich in deinem lächerlichen schwarzen Schädel sitzt! Wäre sonst bei Gelegenheit gezwungen, dir ein Loch zu schlagen, daß du es begreifst, was es heißt, einen Weißen zu bedienen …« Ohne Zweifel hätte Jonny Walker noch weiter gebrüllt. In diesem Moment aber betraten zwei Männer die kleine Bar, die sofort seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Es war Clever und Mike, die gemächlich zur Bar schlenderten und sich so setzten, daß Jonny in ihre Mitte kam. Jonny, der schon einen Haushohen sitzen hatte, besah sich erst den Inspektor und dann den Wachtmeister, die sich in aller Ruhe einen Schnaps bestellt hatten. Dann sagte er mit einem Grinsen: »So spät noch auf, Kleiner, allerhand, daß Mutter so leichtsinnig ist … Könnt’ euch doch allerhand passieren, oder?« 59
»Klar!« antwortete Inspektor Clever und sah Jonny ruhig an. »Und darum sind wir auch hierhergegangen … Wo Jonny Walker sitzt, sitzt man so sicher wie bei Muttern …« Der Ex-Boxer bekam grüne Augen. »Schätze, daß ich dich kennen sollte, Junge …«, sagte er zu Clever. »Deine Visage ist mir schon einmal unangenehm aufgefallen …« »Hast ein entzückendes Gedächtnis, Jonny …« – er gab seinem Wachtmeister einen Wink –, »wie steht es – gehst du gerne mit, oder willst du Klamauk machen, hm?« Mit einem Sprung war der Boxer auf den Beinen und hatte dabei blitzschnell den Barstuhl hochgehoben. Einige Sekunden wirbelte er über dem Kopfe des Inspektors, aber in der nächsten Sekunde hatte ihn Mike von hinten untergefaßt, um ihn niederzureißen. Aber Jonny Walker war nicht umsonst drei Jahre Schwergewichtsmeister gewesen. Mit einer Schnelligkeit, die auch jetzt verblüffte, wandte er sich um und gab Mike einen Schlag, daß dieser gegen die Theke taumelte. Fast gleichzeitig setzte er an, um über die Bar zu springen, um den geheimen Ausgang zu gewinnen, aber es war zu spät. Clever schlug zu und riß den Boxer, der so selten k. o. gegangen war, mit einem kurzen Aufwärtshaken zu Boden, während Mike die Pistole zog und die drei zweifelhaften Gestalten, die sich interessiert aus dem Hintergrund nähergeschoben hatten, in Schach hielt. Jonny taumelte auf und stürzte mit einem Wutgebrüll auf Clever, der absichtlich seine Pistole in der Tasche hatte stecken lassen. Er war weitaus kleiner als der Boxer, auch lange nicht so stark, aber der Schlag von Lakehurst brannte jetzt wieder wie Feuer und er wollte den Mann, der ihn so lächerlich hereingelegt hatte, so erledigen, daß sein Ruf in der Station wieder in Ordnung kam. 60
Er fing den rechten Schwinger, mit dem ihn der Boxer umlegen wollte, ab, konterte, ließ Jonny, den der Whisky unvorsichtig machte, anlaufen, durchschlug die schwache Deckung und hieb ihn eine ans Kinn, daß der Riese ohne zu meckern zu Boden fiel. Inspektor Clever rieb sich die rechte Hand und sagte dann trocken: »Wir können ihn abführen, Mike! Und ihr …?« – er wandte sich dabei an die andern, die noch immer Lust hatten, einzugreifen –, »ihr werdet draußen in Empfang genommen – sieht ganz so aus, als ob ihr die richtigen Galgenvögel wäret …« Er setzte die Pfeife an, und drei Sekunden später war das Lokal besetzt. »Den da«, sagte Clever und deutete auf den reglos liegenden Jonny, »nehme ich mit – die andern könnt ihr euch behalten. – Mist genug zu Hause …« – er wandte sich an den Barwirt – »Sag’ mal Junge, war dieser Herr allein hier?« »Nein – mit einem andern. – Sie hatten Streit …« »Aha!« sagte Clever und pfiff neben einem Goldzahn. »Aha! Er wurde verpfiffen, Mike … Und wie heißt dieser Mann …« Der Neger machte große Augen. »Oh, ich nicht wissen – war zum erstenmal in Micky Maus. Ich ihn nicht kennen …« Clever sah den Neger von der Seite an. »Schade, daß du ein so schlechtes Gedächtnis hast, Sam! Leicht möglich, daß du in eine Anstalt kommst, wo man es zusammenflickt … Werde es mir merken …« Der Neger, der Strong sehr gut kannte, antwortete nicht und jammerte nur: »Und wer mir bezahlen die Zeche von Herrn Jonny? Er haben so viel Whisky getrunken – wer sie mir bezahlen?« »Vielleicht seine Großmutter, Sam!« sagte Clever 61
ungerührt. »Kannst sie ja mal fragen, wenn du zu ihr in die Hölle kommst. – Und jetzt faßt an, Jungens. – Jonny hat einen unerhört festen Schlummer … n’Tag Sam! Es war ungemein interessant in diesem vornehmen Lokal!«
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7. »Bitte, Herr Bolle, ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung!« sagte Inspektor Clever und kratzte sich mit dem Bleistift auf der Nase. »Aber ich Schätze denn doch, daß Sie sich verhört haben …« »Mein alter Freund Maxe hört unerhört, Clever!« warf Molly Brand ein. »Kalkuliere, daß er weiß, was er sagt!« »Hm, möglich, wer aber war der Mann, von dem Sie sprechen, Herr Bolle? Jetzt redet ja jeder Mensch über den Zepp! Weiter gar nicht verwunderlich – ist ja alles verrückt. Was soll er gesagt haben?« Max Bolle dachte angestrengt nach und sagte dann langsam: »Hier winkt uns eine Chance. – Die Leitung ist einverstanden. – Und dann: Einer kann es nicht schaffen – und zwar werde ich selbst … – Mehr habe ich nicht gehört – ja doch – vorher hörte ich deutlich das Wort Zepp. Ich kann es beschwören.« Clever war nicht nur ein kühner, sondern auch ein sehr vorsichtiger Mensch und, ohne gerade dem Manne gegenüber, den ihm der Reporter gebracht hatte, mißtrauisch zu sein, zurückhaltend. Er witterte Sensationslust der Presse und war so gut wie entschlossen, Molly nicht auf den Leim zu gehen. Andererseits war er jetzt davon überzeugt, daß Kommandant Overland recht habe. Er war ferner auch davon überzeugt, daß Jonny Walker nur der Arm war, und daß er den Kopf, der dazu gehörte, erst finden müsse. Bis jetzt war ihm das, obwohl er Jonny in durchaus freundliche Behandlung genommen hatte – der Boxer war so weich geworden, wie ein Eierkuchen – nicht gelungen. Entweder wußte Jonny 63
wirklich nicht, wer hinter ihm stand, oder aber er mußte ihn nochmals behandeln. Inspektor Clever sah Max Bolle nachdenklich an. »Möglich, daß Sie recht haben, möglich auch nicht! Schade, daß Sie den Mann nicht kennen. Können Sie ihn uns nicht wenigstens anständig beschreiben?« Max Bolle Sah das Gesicht des Mannes genau vor sich. Er hätte darauf schwören können, es schon seit Jahren zu kennen. Als er jetzt aber begann, es zu beschreiben, verschwieg er was: irgend etwas hielt ihn zurück, alles das zu sagen, was er dachte. Als er geendet hatte, nahm Inspektor Clever einen Bleistift vom Schreibtisch auf, kratzte sich wieder nachdenklich auf der Nase. »Solche Visagen gibt es leider eine Menge in Neuyork. … Ich rate Ihnen, sich wieder auf den Dachgarten des Empire zu setzen. Ich wette eins gegen Hundert, daß der Bursche wieder erscheint. Dann läuten Sie bei uns an. Ich werde ihn mir ansehen und vielleicht gleich mitnehmen.« Er wandte sich an Molly. »Und was meinen Sie?« Molly Brand, der schon öfters als einmal seinen Ärger mit der Polizei gehabt hatte, auch mit Clever, verzog den Mund zu einem Grinsen. »Wundert mich, Clever, daß Sie sich mal um meine Meinung kümmern! Kalkuliere, daß Herr Bolle keine verstopften Ohren gehabt hat und daß wir den Burschen finden müssen und auch die Anderen, die mit ihm waren. Ich sage Ihnen nur eines: Mich juckt meine Haut und ich wette Ihr Gesicht gegen das meine, daß in dieser Geschichte Laferty seine Pfoten hat.« Inspektor Clever machte ein etwas dummes Gesicht. »Lafery? Nie gehört!« Der Reporter lachte. »Als ob die Zehnte schon jemals etwas gehört hätte!« »Wenn Sie mir zu üppig werden, Molly, setze ich Sie zu 64
Jonny! Ihr zwei paßt irgendwie ganz gut zusammen. Reden Sie kein Blech, wir müssen weiterkommen.« Molly Brand machte ein erschrockenes Gesicht. »Nur nicht so scharf, General! Also reden wir vernünftig. Ehrlich gesagt, weiß ich über Ted Laferty nichts, als daß mir sein Gesicht nicht gefällt …« »Ich kann mir denken, daß man auch gegen das Ihre eine Menge einzuwenden hat!« meinte der Inspektor. »Sie werden anzüglich, Clever! Wir sind alle keine Schönheiten! Die Hauptsache ist, daß mein Gesicht meinem Mädel gefällt, und was das betrifft, ist sie einfach bezaubert! Also, ich sage, Jungens, mir gefällt sein Gesicht nicht, und ich will meinen Hut essen, wenn der Bursche nicht schon im Gefängnis gesessen hat!« Inspektor Clever gähnte, als habe er drei Nächte nicht geschlafen. »Mensch, wenn Sie hierher gekommen sind, um mir Märchen zu erzählen, so lasse ich Sie einsperren. Romane werden hier nicht herausgegeben! Entweder sagen Sie mir, was Sie gegen diesen Mann haben oder Sie machen sich wieder auf Ihre Socken! Ist ja lächerlich, mich mit diesem Quatsch aufzuhalten!« »Ein bißchen Phantasie könnte auch Ihnen nicht schaden, Clever!« Er trat vorsichtig einen Schritt zurück. »Oder brauchen Sie immer erst eine auf Ihre Melone, bis Sie etwas merken? Unsereiner hat eben Gefühle!« Er fummelte mit seinen Fingern vor dem Gesicht des Inspektors umher. »In den Fingerspitzen muß es sitzen, Clever! Ich warte nicht so lange, bis ich eine auf den Kürbis bekomme!« Clever, der die Beule von Lakehurst noch immer nicht verschmerzen konnte, sah den Reporter böse an. »Hätte nichts dagegen, wenn Jonny Walker mal Ihnen eine versetzen würde! Wette, daß ihr Schatz dann Trauerkleider 65
bestellen muß, falls er es nicht vorzieht tanzen zu gehen, was ich begreifen würde!« Max Bolle, den diese Auseinandersetzungen einerseits belustigten, der aber andererseits immerhin nicht zu seinem Vergnügen auf die Polizeistation gekommen war, sagte vermittelnd: »Ich bin dafür, daß wir uns an Tatsachen halten! Auch ich habe etwas gegen Gesichter, die mir nicht gefallen, und das Gesicht des Mannes, den ich meine, gefällt mir verdammt wenig.« Inspektor Clever war etwas ärgerlich. »Dann suchen Sie ihn! Ich halte mich an Jonny, nehme an, daß hinter ihm der Mann steht, den wir suchen. Möglich, daß es auch der Mann ist, den Sie meinen. Aber wir haben keine Zeit, um jeden Menschen in Neuyork vorzunehmen! Setzen Sie sich ins Empire und machen Sie die Augen auf! Und Sie, Molly, tun dasselbe. Ich habe verdammt viel zu tun und keine Zeit für unnützes Geschwätz!« Als sie draußen waren, sagte Molly mit einem Lachen: »Clever muß man immer mit der Nase draufstoßen, oder aber man muß ihm eine auf den Hut geben. Kalkuliere, daß dieser Jonny mit der ganzen Sache nicht so viel zu tun hat! Man hat dem Jungen, der keinen Kampf mehr bekommt, weil er trinkt, wahrscheinlich fünfzig Dollar gegeben, und er weiß vom Zepp nicht mehr als ein neugeborenes Känguruh!« Er sah, daß Bolle etwas enttäuscht war, gab ihm einen freundschaftlichen Rippenstoß und sagte ermunternd: »Nur keine Bange, Junge! Molly Brand wird den Zepp schon schaukeln!« * Professor Walsham betrachtete sich Bolle genau und sagte dann mit einem etwas eigentümlichen Lächeln: »Wollen Sie selbst eine Operation vornehmen lassen? Ich meine an sich oder …« 66
Bolle schüttelte den Kopf. »Nein! Ich bin zwar …« – er lächelte – »von meinem Gesicht nicht besonders begeistert, aber auch wieder nicht so enttäuscht darüber, daß ich mir ein anderes wünschen würde! Was ich fragen wollte, ist folgendes: Nehmen wir an, ich hätte auf meiner Wange eine Narbe, die von der Stirne bis zum Mund reicht! Nehmen wir ferner, an, daß diese Narbe so ordentlich ist, daß man sie schon auf zehn Schritte sehen kann!« Max Bolle hielt etwas inne und legte dabei seine Hand auf die rechte Brusttasche, in der sich ein Bild befand, das er heute per Flugpost aus Berlin erhalten hatte. Dann sprach er langsam weiter und sah den Professor dabei aufmerksam an: »Nehmen wir das alles an, Professor. Sind Sie dann imstande, eine solche Narbe verschwinden zu lassen? Ich meine, können Sie, der größte kosmetische Chirurg in den Staaten, diese Narbe wegzaubern? So wegzaubern, daß, sagen wir, die eigene Mutter sie nicht mehr sieht?« Professor Walsham, der ein Gesicht wie ein alter, kahlköpfiger Uhu hatte und dessen Hände so feingliedrig wie Spinnenfüße waren, lächelte, und Bolle war es, als ob wirklich eine alte Eule den Versuch machen würde, erfreut auszusehen. »Herr Bolle, Sie sind mir von einer sehr guten Seite empfohlen, aber, was Sie da fragen, soll eigentlich mein Geheimnis bleiben!« Er machte Augen, so daß er aussah, als würde eine Eule ein geometrisches Problem lösen wollen. Dann sagte er, indem er die feinen Finger ineinander verschlang: »Menschen, die daher kommen, um ihr Gesicht ändern zu lassen, haben sehr oft kein Interesse daran, daß andere erfahren, wie es früher ausgesehen habe!« Er blickte Bolle scharf an und setzte schnell hinzu: »Ich will damit nicht sagen, daß es Verbrecher sind, obwohl ich nicht frage, warum zum Beispiel ein Mensch, sagen wir, ein Muttermal von der 67
rechten Wange entfernt haben will oder warum« – er lächelte verbindlich – »eine Frau um zehn Jahre jünger aussehen will; so etwas kommt vor, Herr Bolle! Ich frage nicht und darum …« Max Bolle war nicht zufällig zu Professor Walsham gekommen. Er wußte genau, daß Walsham einige peinliche Affären hinter sich hatte. So war es zum Beispiel Morisson, der eine halbe Million Dollar ergaunert gehabt hatte, nur mit Hilfe Walshams gelungen, sich drei Jahre der Polizei zu entziehen. Morisson hatte eine Nase wie eine kleine Salzgurke gehabt und sogar ein Kind hätte ihn finden können. Als man ihn dann durch einen Zufall faßte, saß in seinem Gesicht eine Nase, die mit seiner früheren so wenig Ähnlichkeit hatte wie ein Nilpferd mit einer Giraffe. Und diesen Zauber hatte niemand anders als Walsham vollbracht, der auf seinem Gebiete nicht weniger ein Künstler war als Morisson. Auch andere Streiche wußte Bolle, aber er tat so, als wisse er nichts und sagte ruhig: »Ich will selbstverständlich nicht, daß Sie Ihre Geheimnisse verraten! Ich möchte nur wissen, ob eine derartige Operation theoretisch möglich ist oder« – Max Bolle verzog etwas den Mund – »reicht Ihre Kunst nicht so weit?« Walsham, der genau wußte, wie weit seine Kunst reichte und der auch keinen Hehl daraus machte, sich diese anständig bezahlen zu lassen – sogar sehr anständig –, fühlte sich etwas in seiner Künstlerehre getroffen und sagte schnell: »Im Prinzip, Herr Bolle, kann ich eine Narbe ebenso verschwinden lassen wie es zum Beispiel möglich ist, Ihnen eine zu machen! Ich sage im Prinzip! Wäre ich ein Schuhmacher, so würde ich Ihnen Bilder meiner Patienten zeigen, sowie jener die Bilder besonders gut gelungener Schuhe. Aber ich bin kein Schuhmacher! Ich bin Professor Walsham!« Er richtete sich etwas auf 68
und wies mit einer Handbewegung auf die Schränke, die sich an den Wänden befanden und sagte feierlich: »Hier drinnen, Herr Bolle, befinden sich die Beweise meiner Kunst! Daß ich sie Ihnen nicht zeigen kann, beweist nicht, daß sie nicht existieren! Bringen Sie mir den Mann mit der Narbe und wir werden sehen!« Max Bolle warf einen wehmutsvollen Blick nach den Wandschränken und er hätte, weiß Gott, was dafür gegeben, hätte er sie durchschauen können. Vielleicht – es war nicht ganz ausgeschlossen – hatte der Mann, dem er auf der Spur war, ebenfalls Walsham aufgesucht? Vielleicht lag hier, nur eine Handlänge von ihm entfernt, der Beweis dafür, daß der Mann, den er im »Empire« gesehen hatte, derselbe war, dessen Bilder er in seiner Tasche trug. Er dachte einige Sekunden nach, griff dann schnell in diese Tasche, hielt dem Professor ein Bild unter die Augen und fragte schnell: »Kennen Sie vielleicht diesen Mann, Professor?« Das Gesicht des Professors wurde starr. Dann sagte er langsam: »Es waren schon sehr viele Männer in diesen Räumen, diesen aber kenne ich nicht. Und wenn ich ihn kennen würde …« – sein Gesicht wurde schlau und dabei doch undurchdringlich – »So würde ich ihn doch nicht kennen wollen. Genau so wie ich Ihr Gesicht vergessen würde, wenn Sie vielleicht den Wunsch hätten, Ihre …« – Sein Blick wurde ironisch und streifte Bolles Gesichtsvorsprung – »Nase richten zu lassen!« Max Bolle war nun keineswegs auf seine Nase eingebildet, immerhin liebte er dergleichen Anspielungen nicht besonders, und er sagte etwas gekränkt: »Ich glaube nicht, daß ein Anlaß dazu vorliegt, Herr Professor! Und im übrigen danke ich Ihnen!« Als Bolle die Tür von außen schloß, war er ungefähr so klug wie vorher. 69
Er zweifelte nicht an der Kunst des berühmten kosmetischen Chirurgen; er zweifelte auch nicht daran, daß Walsham, bekam er nur ein gutes Honorar, bereit war, jede Operation zu vollziehen, gleichgültig ob der Mann einwandfrei war oder nicht. Trotzdem fühlte er, daß er seiner Sache mit einem Schritt nähergekommen war, und er beschloß, einen anderen Weg einzuschlagen. * Für den Abend hatte Molly Brand Bolle ins Roxy-Theater eingeladen. Bolle kannte es noch nicht, und er mußte sich gestehen, daß er auf dem alten Kontinent so etwas an Luxus und Aufmachung noch nicht gesehen hatte. Man gab ein Stück des irischen Spötters Shaw, aber Bolle sah mehr in den Zuschauerraum als auf die Bühne; Shaw spielte man in Berlin nicht schlechter, aber diese Ansammlung von Reichtum war einmalig. In der ersten Pause zeigte ihm Molly einige ganz große Kanonen; einen Ölkönig mit Frau, deren Brust aussah wie ein kleiner Juwelenladen, einen Fleischprinzen, der Hemdknöpfe aus Diamanten trug, die so groß waren, daß man mit dem Gelde, das sie kosteten, ohne Zweifel eine kleine Stadt hätte kaufen können und einen Börsenschieber, dessen momentane Freundin eine Perlenkette trug, die nicht weniger als sechsmal um Hals und Brust hing. Max Bolle machte ganz große Augen. Hier trugen ein halbes Dutzend Menschen Schmuck an sich, der Hunderte Millionen wert war, und tausend Schritte vom Roxy entfernt suchten sich Hunderte ihr Abendessen aus Abfalleimern. Er hatte einen bitteren Geschmack auf der Zunge und nicht weniger bittere Worte, aber da ging der Vorhang wieder hoch, und er warf Molly anen Blick zu, der von Begeisterung ziemlich weit 70
entfernt war. In der großen Pause gingen sie in das kreisrunde Foyer, das mit seinen Säulen, seiner von Gold und Silber überladenen Decke und dem phantastisch schönen Kristallleuchter vielmehr an den Prunksaal einer kaiserlichen Residenz erinnerte, als an einen Theatervorraum, was Bolle auch Molly zu verstehen gab. Der Reporter grinste. »Das ist so, mein Junge, aber die Leute kommen ja auch gar nicht so sehr wegen Shaw oder sonst einem ollen Theateronkel her, sondern um gesehen zu werden, und da brauchen sie für ihre Juwelen den richtigen Rahmen …« – er sah um sich in die Menge –, »wie du die Leute hier siehst, tragen sie eine Jahresproduktion von Diamanten an sich herum …« »Und draußen krepieren die Arbeitslosen in Eurer Demokratie …« Molly Brand zuckte ungerührt die Schulter. »So ist es, aber ich kann dir flüstern, daß das keinen Hund bewegt … vielleicht geht einer, der heute noch betteln muß, schon morgen oder übermorgen hier spazieren …« »Einer, und vielleicht auch die andern zehn Millionen?« »Wer kümmert sich darum, Junge? Die Staaten sind kein Wohltätigkeitsinstitut …« Bolle hatte eine scharfe Antwort auf der Zunge, da aber faßte der Reporter seinen Arm und sagte schnell: »Da, sieh dir lieber die schöne Frau an, Mensch … ist das nicht etwas Süßes?« Max Bolle war nun zwar gerade kein Mann, dem vor lauter Tugend Flügel wuchsen, aber er liebte seine Suse und war immer bemüht, vom manchmal allerdings verteufelt schmalen Pfad der Treue nicht abzuweichen. Schon gar nicht in diesem Lande, wo solche Dinge ganz peinlich werden konnten. Immerhin riskierte er einen 71
Blick und sagte dann langsam: »Ganz nettes Kind – nicht gerade aufregend, aber …« – Die zarte, mittelgroße Frau, die ein weißes Kleid von kostbaren Spitzen trug, gefiel ihm. Das dunkle Haar und die großen blauen Augen, die nur einige Schritte vor ihm leuchteten, fesselten ihn mehr, als er sagen wollte und er fand sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Suse. Nur, daß diese dunkle Augen hatte und überhaupt … »Mensch«, Sagte der Reporter etwas empört, »ganz nettes Kind … hast du eine Ahnung – eine Schönheit … und nicht weniger als ihre drei Millionen wert – guck’ mal das Armband an – Smaragden – tolle Kiste …« – er seufzte – »wenn ich die in meiner Tasche hätte, könnte mich die Sun sonstwo suchen … Und weist du, wer sie ist …« Bolle zuckte etwas verloren die Schulter. »Keine Idee – Beefsteak oder so etwas. – Jedenfalls sieht das Baby an ihrer Seite nach saftigem Rinderbraten aus …« Molly Brand neigte sich zu Bolle und sagte leise und wie andächtig: »Nee, Witwe … Scharf über Dreißig … ein Happen für Kenner, Maxe … aber schwer was zu machen … und das Baby …« – er lachte –, »das ist mein Freund Billy Wanemaker … Plattfußeinlagen … nebenbei sammelt er olle Brieftaschen – wenn du zu Hause auf dem Boden etwas findest, kannst ihm einreden, daß sie vom Alten Fritz ist – und einen dicken Scheck nach Hause tragen … ist so harmlos wie eine Kirchenmaus und nur unheilbar in Maud verknallt … Maud Meerland, so heißt nämlich das schöne Kind … weiß Gott, warum sie Billy nicht heiratet – ist ja auch nicht von Pappe. – Wer hat heutzutage keine Plattfüße …« »Ich zum Beispiel!« sagte Bolle mit Würde und versank dabei in den unerhört schönen Teppich. »Ich …« – er sah die Frau an und sagte dann langsam: »Du kennst sie …?« 72
»Leider nicht – aber Billy kenne ich – ist nämlich auch ein großer Baseball-Narr, und ich interviewe ihn hie und da …« – er lächelte – »feiner Kerl, nicht? Ich meine natürlich Maud!« sagte er schnell und lachte. »Kommt ja gar nicht in Frage … Müßtest erst einmal meine Suse sehen, Junge …«, erwiderte er, und seine Augen leuchteten. »Natürlich, so ein Kleid mit Löchern hat sie nicht und Smaragden auch nicht – immerhin – sie ist goldrichtig und …« – er schwieg, sah nach Maud Meerland und fragte dann schnell: »Und – wer ist der Mann, der jetzt zu ihnen tritt? Wer ist das?« Molly Brand hob den Kopf, blieb stehen und sagte dann ebenfalls schnell: »Oh! Oh!« Dann schwieg er eine Weile und sagte dann langsam und sehr erstaunt: »Das ist ja außerordentlich interessant.« Maud Meerland und Billy Wanemaker waren nur einige Schritte vor ihnen. Plötzlich war ein nicht mehr ganz junger, hagerer Herr an ihrer Seite, der Maud ganz so begrüßte, als würde er sie recht gut kennen. Und in diesem Augenblick erkannte ihn auch Bolle. Aber auch Billy Wanemaker schien er nicht fremd zu sein, aber doch weniger angenehm; denn als er ihm jetzt die Hand reichte, machte er ein Gesicht, als würde er in eine unreife und noch dazu bittere Zitrone beißen. »Da, sieh mal, das Gesicht!« sagte Molly Brand. »Billy kann ihn nicht schmecken … aber dafür Maud – sieh doch, wie sie ihn anlächelt …« Tatsächlich machte Maud ein Gesicht, als habe sie den Mann schon mit Sehnsucht erwartet, und obwohl Bolle sich innerlich beschimpfte, empfand er deutlich, daß er sich darüber ärgerte. »Hornochse!« sagte er laut und verzog das Gesicht, »Ochsenfrosch, dämlicher!« »Wer?« fragte der Reporter erstaunt. »Der Mann?« 73
»Nee – ein anderer!« sagte Bolle, der sich schon wieder gefaßt hatte und fragte schnell: »Und wer ist der neue Mann? Dieser lange da?« »Das …?« – der Reporter sah Bolle mit einem langen Blick an – »oh, Junge, das ist niemand anders als – nun – als Ted Laferty …« Max Bolle blieb so jäh stehen, daß der dicke Herr, der hinter ihm ging, fast über seine Füße gestolpert wäre. Er warf Bolle einen bösen Blick zu, der aber sah nur riesige Hemdknöpfe – es schien ihm, als seien sie so groß wie ein Wagenrad und fragte hart: »Wie heißt er, Molly?« »Laferty … Ted Laferty, und ist kein anderer, als der Mann, von dem ich zu Clever sprach … genau derselbe oder ich will keinen Vorschuß mehr nehmen …« Max Bolle schwieg. Das also war Laferty. Ted Laferty. Dann hieß also der Mann, dessen Gesicht ihm im »Empire« aufgefallen war, verdammt aufgefallen sogar, Laferty. Ted Laferty … War das aber möglich, daß der Mann, den er zu kennen glaubte, mit Maud Meerland befreundet war? War es möglich, daß der Mann, den er vor einigen Jahren drüben in Europa gejagt hatte – mit Heide gejagt hatte – derselbe war, der hier einige Schritte vor ihm ging? Es war das Gesicht, und es war es doch auch wieder nicht. Es fehlte ihm etwas, das entscheidend war, und solange er nicht festgestellt hatte, ob er sich nicht irrte, wollte – konnte er nicht sprechen – es war zu phantastisch … Trotzdem hatte er einige Sekunden das Verlangen, Molly ins Vertrauen zu ziehen. Er widerstand aber und 74
fragte nur hastig: »Und wieso – ich meine, wieso kann ein Mann, den du für einen Verbrecher hältst, der Freund oder Bekannte dieser Frau sein … Wie ist das möglich …« Molly Brand hob die Augenbrauen über der schiefen Nase und sagte feierlich: »In diesem Lande ist alles möglich, mein Junge – und dann – ob Laferty ein Gangster ist, das ist eben die Frage – die ganz verdammte Frage. – Ich habe das Gefühl, daß er nicht in Ordnung ist, aber es ist nur ein Gefühl. – In der Greensache war er drinnen – aber er ging frei – er klagte sogar und bekam recht …« »Und was war das für eine Sache?« Molly Brand lächelte. »Ich vergesse, daß du ein Anfänger bist, Maxe – es war die größte Aktienschiebung der letzten fünfzig Jahre … Die Hintermänner hat man nicht gefaßt – nicht alle, ich aber weiß, wer sie sind – wer der Hauptmacher ist …« »Und warum schreibst du nicht darüber?« »Weil ich kein verrücktes Känguruh bin, Junge – weil ich leben will und weil ich – na weil ich eben nicht kann, ohne meine Haut zu riskieren. – Ich warte noch. Eines aber sage ich dir, wenn du jemals den Namen Tex Corner hörst, dann weißt du Bescheid – er ist ein Haifisch – ein ganz verdammter Haifisch – und dieser Mann dort, Ted Laferty, ist sein Mann – und das genügt mir. – Kann sein, daß ich eines Tages so weit bin, und beide an meiner Angel habe – und dann, Junge, kaufe ich meinem Mädel einen Stein, so groß, wie mein Hut … So – es hat gebimmelt – sieh mal, wie sie lächelt. Hat ein ganz verdammtes Glück, dieser Herr Laferty …« Ehe sie den Zuschauerraum betraten, wandte sich Laferty, der Maud vorgehen ließ, um, und eine Sekunde lang fühlte Bolle den Blick der scharfen Augen auf sich gerichtet und erkannte gleichzeitig, daß er erkannt worden 75
war. Und irgendwie war ihm das unangenehm. Sehr Sogar. * »Keine Rede davon, daß ich mich fürchte«, sagte Laferty und lächelte Tex Corner an, »aber der Mann ist mir drüben außerordentlich unangenehm gewesen, er ist neugieriger als ein Seehund, Tex, und ich liebe neugierige Leute nun einmal nicht …« Tex Corner wiegte seinen massigen Schädel. »Sind auch mir nicht angenehm, Ted, gar nicht!« Er hob die Riesenzigarre und schob eine Rauchwolke aus dem Mund, als sei er eine Lokomotive. »Du glaubst, daß er dich erkannt hat?« Laferty verzog den Mund. »Weiß ich eben nicht – aber ich weiß mehr« – er rückte seinen Stuhl näher zu dem des Schiebers und sagte halblaut: »Ich weiß, daß er mit Clever gesprochen hat …« Corner hob die schweren Augenlider. »Ach – mit Clever …« »Ja – und das ist nicht alles … Er ist jetzt mit Molly Brand verdammt gut, und du weißt ja, daß der Bursche uns beide in der Green-Geschichte einwickeln wollte …« Die Augen Corners wurden ganz schmal. »So … dieser Lausejunge ist das …« – er wiegte den Kopf –, »sieht fast so aus, als ob meiner Mutter hoffnungsvoller Sohn nicht mehr ruhig Geschäfte machen sollte. Und es sieht auch so aus, als ob dieser Brand eine auf den Hut haben wollte!« – er lachte auf –, »soll sich nicht irren … Was meinst du zu Hogan?« Laferty machte eine abweisende Handbewegung. »Ich will meine Leute nicht vorzeitig herausstellen, Tex! Du weißt doch, daß uns Clever auf der Spur ist …« 76
Tex Corner nickte zustimmend. »Richtig!« – er dachte nach –, »und was hältst du von Richards?« »Geht in Ordnung!« stimmte Laferty bei. »Aber er soll sich vorsehen! Der Molly ist flink.« »Um so besser!« lachte Tex. »Kennst du sein Mädel?« »May Smith heißt sie … ist in einem Schönheitssalon …« – er fingerte in der Tasche und schob Laferty einen Zettel zu –, »… hier ist die Adresse; dachte mir, man könne sie brauchen …« »Sieht so aus, Ted … Ich werde die Sache in die Hand nehmen …« – sein Gesicht wurde noch brutaler als es schon war –, »kannst sicher sein, daß er vorsichtiger werden wird … Es ist Zeit, daß wir mal wieder Ordnung machen … Und was willst du tun?« »Abwarten!« erwiderte Laferty. »Möglich, daß ich mich täusche, und es wäre ja auch toll, wenn er mich kennen würde …« »Und warum sprach er dann mit Clever? Und was sprach er?« »Unbekannt! Unser Mann konnte nichts hören … Clever lud ihn leider dazu nicht ein!« – Laferty lachte kurz auf –, »ich vermute aber, daß nur Molly dahinter steckt, denn mein Mann kann auf keinen Fall wissen, wie ich heiße …« Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich zurück. »Jedenfalls behalte ich den Jungen im Auge. Er soll mir nicht noch einmal in die Suppe spucken …« »Und wie weit bist du mit Maud?« Ted Laferty hob die Augenbrauen. »Es geht alles wie auf Gummi, Tex! Billy ist zwar mächtig in Saft und würde mich, wenn er nur könnte, abknallen, aber Maud lacht ihn nur aus …« »Sie fliegt also mit?« 77
»Klar … Er macht ihr zwar die Hölle heiß, aber sie hat es sich in den Kopf gesetzt und läßt nicht locker.« Corner lächelte. »Wenn dir das gelingt, mein Junge, hast du den Meisterbrief in der Tasche! Von den Dollars gar nicht zu reden … Herschell zahlt für das Armband dreihunderttausend …« »Sage ihm, daß ich ihm seinen schmierigen Hals abschneide, wenn er nicht fünfzig zulegt! Dieser lausige Hebräer wird mir zu üppig! Unter dreihundertfünfzigtausend mache ich es nicht. Tex! Die Steine sind prima …« – er lächelte –, »sehe sie oft genug …« »Und warum …« – Tex Corner machte eine Handbewegung, die ganz eindeutig war –, »warum langst du nicht zu?« »Weil das keinen Sinn hätte, Tex! Ich käme nicht weit und dann … Maud möchte ich nicht So schnell enttäuschen … Ich habe noch allerhand Pläne mit ihr … du verstehst!?« Corner dachte eine Sekunde nach und machte dann ganz große Augen. »Verdammt … du wirst doch nicht … du glaubst, daß … Mensch, das wäre ja ganz toll …« Ted Laferty wischte ein Stäubchen vom dunkelblauen Anzug und sah dann Corner wie erstaunt an. »Warum nicht, Ted? Schließlich bin ich ein Mann in den besten Jahren, und es sieht nicht aus, als ob Maud das nicht sehen würde!« Er stand auf. »Und es wäre mir eine verdammte Ehre, wenn Herr Tex Corner bei der Hochzeit anwesend wäre!« Der Mann, der schon Tausende zugrunde gerichtet hatte und den kaum mehr etwas imponieren konnte, legte die Zigarre fort und stand auf. »Ted, wenn dir das gelingt, wenn du den Fisch, diesen Riesengoldfisch an die Angel 78
bekommst, dann … dann gebe ich der Heilsarmee einen Dollar …« Er lachte plötzlich auf und schlug mit der Hand, die so groß wie eine Zigarrenkiste war, auf den Tisch. »Mann! Mann wenn du erst das Scheckbuch in der Hand hast … dann …« »Dann …« – Ted Laferty machte ein ernstes Gesicht – »dann sind die Flitterwochen auch schon zu Ende …« Er gab Corner die Hand. »Es ist Zeit, daß der Haifisch wieder ordentlich zuschnappt … Vergiß mir Molly nicht … Er spricht viel zu viel …« * Mit einem Gefühl der Freude, Genugtuung, in das sich aber auch eine Spur Besorgnis mischte, las Bolle am andern Tag vom geglückten Start des neuen Zepp. Er war flott aus der Halle gekommen und hatte, umjubelt und beglückwünscht von Hunderttausenden, Kurs auf den Ozean genommen, nach den Staaten, die ihn, wie Bolle genau wußte, mit wirklicher Freude, ja mit Begeisterung erwarteten. War ihm das Wetter günstig, drückten ihn nicht heimtückische Winde zurück, so mußte er mit den neuen Maschinen die Fahrt in etwas mehr als drei Tagen machen. Max Bolle hatte wirklich Sorgen. Zwar wußte er noch nicht, ob der Mann, hinter dem er her war, der war, den hier zu treffen er am wenigsten gedacht hatte – trotzdem aber hatte er ein Gefühl, als würden sich dunkle Wolken am Himmel seiner Hoffnungen ansammeln, und er vergaß nicht, daß er eigentlich deshalb hierhergekommen war, um solche Wolken rechtzeitig zu sehen, zu melden und – wenn es möglich war – unschädlich zu machen. Er legte die Serviette hin, bezahlte und fuhr nach dem 79
Hafen, um Heide abzuholen. In zwei Depeschen hatte sich dieser gesträubt, zu kommen – um mit der dritten seine Ankunft anzuzeigen. Bolle war froh, daß er kam. Fritz Weber war zwar ein verläßlicher Freund – ganz ohne Zweifel –, immerhin hatte er den ganzen Tag zu tun, und so kam sich Bolle etwas verlassen vor. Gerade jetzt, wo, wie er ahnte, er einen Freund so dringend brauchen konnte wie selten in seinem Leben. Und hatte ihm Heide nicht damals, als er Raff jagte – Raff oder Max, wie er sich auch nannte, gute Dienste geleistet? Sehr gute sogar? – Zwei Stunden später ging er mit Heide über die Laufbrücke, und eine Stunde später saß er mit ihm in einer Taxe. Aber es hätte nur wenig gefehlt, und Heide hätte nie den geheiligten Boden der Staaten betreten, denn so wenig er sich drüben von seiner ungeheuren Botanisiertrommel trennte, so wenig hatte er Lust, sie hier zu opfern, und er hatte mit den Zöllnern eine volle Stunde um ihre Freigabe gerungen. In der ersten Zeit hatten sie das Instrument scheinbar für eine Höllenmaschine gehalten – dann entdeckten sie einen verstaubten Paragraphen, der die Einfuhr eines solchen Instrumentes verbot, noch dazu in Verbindung mit einem Schmetterlingsnetz, das, wie einer der Zöllner sagte, groß genug war, um die Freiheitsstatue einzufangen. Aber Heide hatte nicht nachgegeben, und da er ein Englisch sprach, das entschieden eine außerordentliche Ähnlichkeit mit der Aussprache des Deutschen von Dresden und Umgebung hatte, so hatte er so lange geredet, bis die Zollbeamten, die gegen diese Ursprache nicht aufgekommen waren, weich wurden. Aber nicht nur am Zollamt erregte Heide Aufsehen, 80
sondern auch im Hotel, und fast hätte man ihn ersucht, in einen Zirkus zu gehen, statt ins »Empire«. Er trug nämlich um seine unheimlich langen Beine karierte Beinkleider, eine grüne Joppe dazu und ein Tiroler Hütchen, von dessen rückwärtiger Fassade eine lange Fasanenfeder wippte, die die Neigung hatte, Menschen, mit denen er sprach, im Gesicht zu kitzeln, was nicht immer Wohlgefallen erregte. Schließlich aber hatte ihn Bolle in einem Zimmer einquartiert, das neben seinem lag. »Mensch«, lachte er, als Heide erschöpft auf einem Stuhl lag. »Jetzt bist du aber froh, daß du hier gelandest bist, was?« Hans Heide maß seinen Freund empört: »Sieht dir ähnlich, mich in ein Land zu locken, wo man nicht mal eine Botanisiertrommel kennt … und Geschichten wegen eines Schmetterlingsnetzes macht … eine Demokratie …« »Glaubst du, daß du am Broadway Schmetterlinge fangen kannst … nee, mein Junge …« – er wurde ernst – »vielleicht etwas anderes … erst aber sage mir nochmals, wie es zu Hause steht … Wie sieht Suse aus und Murx? Hm? Ich brenne vor Ungeduld …« Heide machte ein ernstes Gesicht. »Du kannst unbesorgt sein, Junge! Suse bekommt deine Abwesenheit glänzend! Sie sieht erst jetzt, was du für ein Reinfall bist … sie blüht ordentlich auf …« Max Bolle machte wilde Augen und schwang seine Fäuste. »Mensch, Heide …« »Und was deinen Sohn anbetrifft«, sprach Heide weiter, »so sieht er Dank einer Fügung des Schicksals jeden Tag seinem Vater weniger ähnlich … Suse ist glücklich … Sie hatte wirklich Angst, er könnte deine Nase bekommen … Grund genug, sich die Augen auszuweinen und Antrag auf 81
Scheidung einzureichen … und so …« Bolle hieb Heide einen sehr freundschaftlichen Kinnhaken ins Gesicht. »Junge, Junge, vergiß nicht, daß wir hier vierzig Stock hoch hausen … wenn du unten landest, bist du nichts als eine Pastete … Rede klar oder ich … Du kennst mein Temperament …« »Na, dann will ich dir sagen, daß sich Suse unbegreiflicherweife voll Sehnsucht nach dir verzehrt … wer kennt sich schon bei den Frauen aus – und daß Murx ein ganz verdammt süßer Bengel ist … da« – er fummelte in seiner Brieftasche und legte dann einige Bilder auf den Tisch – »… ich habe sie in einem Anfall von Freundschaft geknipst … guck’ mal … Ist er nicht goldig!..« – er machte ein ernstes Gesicht –, »leider hat er einen Fehler! Einen sehr schlimmen …« Bolle, der sich schon über die Bilder gebeugt hatte, sah erschreckt auf. »Mensch, was ist denn los? Was ist das für ein Fehler?« »Ein Erbfehler … er hat einen unmöglichen Vater …« »Du verdankst es nur den süßen Photos, daß ich dich nicht kidnappe, verstanden!« Er beugte sich über die Bilder, und seine Augen strahlten. »Mensch, erst wieder zu Hause sein! Erst wieder beide in den Armen haben …« »Könntest du ja, du Ochsenfrosch, wenn dich nicht immer der Hut jucken würde! Wer hat dich gebeten, hierherüber zu gondeln, statt in der Heimat Pellkartoffeln zu futtern! Ich sage dir, lächerlich! Und überhaupt« – er richtete sich zur vollen Länge auf und grub dabei fast ein Loch in die Decke – »… warum hast du mich herübergelockt, du Zigeuner? Hm? Glaubst du, ich habe nichts anderes zu tun, als der ollen Freiheitstante am Wasser in die Augen zu kieken? Lächerlich! Ich sage dir, lächerlich! Und überhaupt … die Leute auf dem Schiff … 82
ich sage dir, die haben noch keinen richtig angezogenen Menschen gesehen … Hast keine Ahnung, wie die mich angesehen haben … Dabei ist meine Kluft in Ordnung! Ganz richtig aus Tirol … Jodelecht!« »So siehst du aus!« lachte Bolle und zog seinen Freund auf einen Stuhl nieder. »Höre jetzt mal zu … du bist doch mein Freund …« »Leider!« sagte Heide und versuchte betrübt auszusehen. »Ist so ein Komplex von mir … eine lächerliche Schwäche …« »Na also, dann ist es ja gut … Erinnerst du dich an unsere Jagd nach Raff … den Kampf um Isserloh …?« »Mensch, wo werde ich nicht … Habe erst gestern in der Nacht, als ich davon träumte, den Steward, der gerade zur Tür hereinkam, etwas an den Kopf geworfen … war eine tolle Angelegenheit … Aber was ist damit los … Was hast du entdeckt …?« Max Bolle beugte sich etwas gegen seinen Freund vor, sah ihm in die Augen und sagte dann langsam und mit Betonung: »Was ich entdeckt habe … Raff! Alexander Raff … sonst nichts …« Hans Heide stand schnell auf und sah auf Bolle nieder, der um mehr als einen Kopf kleiner war. »Mensch, hast du Sommersprossen im Gehirn? Du willst doch nicht behaupten, daß … daß …« – er sah Bolle aus seinen wasserhellen Augen entsetzt an – »daß dieser Verbrecher, dieser Abschaum der Menschheit, dieser … mir fehlen die Worte, hier in Neuyork ist … Mensch, bei dir piept es in der Leitung …« »Vielleicht, Heide, vielleicht auch nicht!« Er drückte den Freund wieder in einen Stuhl. »Hier … sieh mal …« – er holte seine Brieftasche heraus und legte einige Photos auf den Tisch – »sieh dir das mal an … Kennst du das Gesicht 83
… Du mußt bedenken, daß es nicht leicht war, ihn zu knipsen … Sieh mal genau, Junge …« Hans Heide putzte seine Brille, die ene Stahleinfassung hatte, umständlich und sah dann die Bilder an. Er sah sie solange an, daß Bolle ungeduldig wurde und erregt fragte: »Nun? Ist er es? Oder ist er es nicht?« Heide sah auf. Er war sehr ernst geworden. »Ja und nein, Maxe! Es ist etwas da … eine ganz verdammte Ähnlichkeit … aber …« – er sah auf die Bilder nieder und dann wieder auf – »wo ist die Narbe, Junge? Die lange Narbe? Ich kann nichts sehen … oder sind die Bilder so unscharf?« »Die Bilder sind nicht gerade großartig, aber … die Narbe ist gar nicht da … Der Mann da hat keine Narbe …« »Dann ist er es nicht!« sagte Heide und schob die Bilder fort. »Dann hast du dich versehen … Er kann die Narbe ja nicht verschluckt haben …« »Das nicht – aber …« – Bolle sah Heide groß an –, »er kann sie haben operieren lassen … So etwas gibt es …« »Hm … gelesen habe ich davon, aber ich habe das immer für Schwindel gehalten! Du glaubst daran?« »Im allgemeinen ja … es gibt ganz hervorragende Operationen. Warum auch nicht? Die Frage ist nur die, ob es möglich ist, eine immerhin bedeutende Gesichtsnarbe so verschwinden zu lassen, daß man sie nicht sieht … Schließlich müßte man doch glauben, daß wenigstens eine Spur zurückbleibt …« »Hast du den Mann schon genau ansehen können?« »Leider nicht! So einfach ist das nicht, mein Junge.« »Kennt er dich? Oder hat er dich erkannt?« »Möglich.« 84
»Und warum, Maxe, warum interessierst du dich eigentlich wieder für ihn? Du hast ihn doch damals erledigt! Damit ist doch Schluß! Was kümmert er dich?« »Was er mich kümmert? Nun, das will ich dir erzählen, mein Junge … komm, wir wollen uns erst einen Whisky mischen, denn die Sache dauert … im übrigen wirst du heute Fritz Weber kennenlernen … ich schrieb dir darüber … und einen Kollegen … Molly heißt er …« Heide verzog den Mund. »Du lieber Gott, noch einen Reporter? Auch so verrückt wie du?« Bolle gab seinem Freund einen Rippenstoß. »Noch verrückter! Prost Junge … Am Abend zischen wir dann eine Molle aus der Heimat … So … und nun höre gut zu …«
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8. Molly Brand fegte durch das Diktatzimmer der Redaktion, als habe er einen Schwarm Bienen am Halse sitzen, hielt bei einem Mädchen, das frei war und begann, noch außer Atem, zu diktieren: »Überschrift: Katze am Zepp wohlauf! Das erste Miau in der Luft! Weiter: Der erste ZeppBordkater Otto, der als Maskotte mitfliegt, befindet sich wohl. Jawohl … das nicht schreiben, Himmeldonnerwetter … auch nicht schreiben!« – er raufte sich die Haare – … War das eine Qual, immer neue Sensationen aus der Luft hervorzuzaubern, um dem Moloch Publikum etwas zu futtern hinwerfen zu können. Er dachte nach und sagte dann mit einem Seufzer: »Die Fahrt im Zepp bekommt dem Kater sichtlich wohl, und es ist nur zu bedauern, daß es in der Luft keine Mäuse gibt! Absatz … jawoll, Absatz … nein, nicht Absatz. Im übrigen nähert sich der neue Zepp in brausender Fahrt den glückhaften Küsten der Staaten. An Bord ist alles wohl, und wir können damit rechnen, daß wir das herrliche Schiff der Lüfte, das Luxusschiff des Äthers, in nicht ganz vierzig Stunden über uns werden sehen können. Bis dahin ein brausendes Miau, Miau; nein, Fräulein, streichen, streichen, sage ich, nicht miau, bis dahin ein brausendes Hurra dem neuen Zepp! Die Staaten begrüßen ihn! Schluß! Schluß! Schluß! Nein, das nicht schreiben … Bis ihn! Jawoll! Ich bin in einer Stunde wieder da … es ist elf …« – er sah in die Nacht – »in einer Stunde, wenn der Chef fragt … ich muß fort …« Er war schon bei der Tür, sprang in den Fahrstuhl und sauste hinunter. Wenn er sich sehr beeilte, kam er pünktlich um halb zehn in das kleine Lokal, in das ihn sein Mädel bestellt 86
hatte. Wenn er sie heute wieder versetzte, gab es Krach, einen Riesenkrach! Der verdammte Zepp nahm ihm wirklich unerhört viel Zeit fort. Und dann wollte er diesen deutschen Reporter treffen … Er war beim Eingang und sah sich nach einer Taxe um, als eben eine anrollte und gerade vor ihm stehen blieb. Ein Mann stieg aus, und ohne viel zu sagen, sauste Molly in den Wagen, rief dem Fahrer das Ziel zu und sank in eine Ecke. Verdammte Schinderei das! Langsam bekam er den Zepp über! Der nahm ihm noch das Mark aus den Knochen und jedenfalls jede Minute Zeit für sein Mädel. Und machte seinen Chef obendrein noch total verrückt! Er dehnte sich etwas und atmete tief. Dann machte er einen Blick aus dem Fenster, stutzte und rief schnell durch das Telefon den Fahrer an: »Hallo, Boy, Sie fahren schief! So kommen wir nie zu der kleinen Kneipe, und mein Mädel nimmt es mächtig krumm, wenn ich zu spät komme … bieg’ rechts ab … aber schnell …« Der Fahrer nickte, fuhr aber schnurgerade weiter. Molly Brand, der diese Sorte Kilometerschinder zu kennen glaubte, wurde ärgerlich und klopfte scharf an das Fenster. »Mensch, wenn du nicht sofort langsamer fährst, kostet dich das hundert Dollar … Bin ja kein Esel … Presse! Verstehst du! Presse …« Wieder nickte der Fahrer; dann wendete er sich um, wies mit einer Hand nach rechts und bog dann auch wirklich scharf in diese Richtung ein. Molly seufzte ergeben auf. Was hatte ihn da der liebe Gott für einen Ochsen als Fahrer geschickt? Er wollte sich eben genau orientieren, als der Wagen hielt. Mit einem Sprung war Molly draußen, und mit einem Blick übersah er die Situation. Er 87
war weit im Osten, und sie hatten einen ganz verdammten Umweg gemacht. Wütend wandte er sich an den Fahrer: »Mensch, hast du kalt gebadet? Fahre das nächstemal einen Kinderwagen, aber kein Auto …« – er sah sich in der stillen Straße nach einer anderen Taxe um –, »… verdammte Sache …« Der Fahrer war langsam vom Wagen gestiegen und stand jetzt neben Molly. »Bin verdammt neugierig, wenn ich mein Fahrgdd bekomme, Mann! Bin dorthin gefahren, wohin sie wollten, Mister … genau dorthin, wohin sie sollen …« »Quatsch nicht!« sagte Molly und suchte seine Geldtasche. »Bin ja kein Onkel aus dem Westen … hast Pech gehabt …. Wirst deine Nummer verlieren und kannst Babymilch austragen …« »Nicht wegen dir!« sagte der Mann, und ehe Molly sich noch regen konnte, hatte er eine weg, daß ihm der Atem ausblieb. Aber Molly war doch irgendwie auf der Hut gewesen, und der Schlag hatte ihn mehr gestreift als getroffen. Und nun war er im Bilde. Wie eine Katze schlüpfte er unten weg und hieb dem andern eine vor den Magen, daß er laut aufstöhnte: »Du verdammter Gangster! Mich willst du kaputt machen!« Er war ganz hell und munter und freute sich fast auf einen ordentlichen Kampf, aber plötzlich tauchte neben ihm hoch eine Gestalt auf. Molly Brand schrie sie an. »Mensch, her da! Gib dem Kerl eine auf den Globus … Der will mich kalt machen …« – er ging auf den Fahrer zu, der sich eben duckte, um ihn anzuspringen –, »… ruf’ doch nach einem Bobby … ist denn in dieser lausigen Gegend alles verhext …?« Er stellte sich breit hin, um den Gegner zu erwarten, fühlte aber plötzlich einen Schlag auf den Hinterkopf. »Schnell, Mensch, und schon rinn in den Zirkus! Warum 88
warst du nicht hier!« Molly Brand fühlte, daß sein Bewußtsein schwand. Himmelherrgott noch einmal, das war ja ein regelrechter Überfall. Das sah ja ganz so aus, als würde man ihn richtig hierher gelockt haben? Er riß sich zusammen und hieb mit letzter Kraft, die er noch in seinen Fäusten fühlte, dem neuen Gegner eine an den Kopf, daß er selbst taumelte und fast hinfiel. Dann raffte er alles zusammen und wollte eben einen Sprung in die Dunkelheit machen, als der Fahrer wieder heran war und sich ohne einen Laut auf ihn stürzte. Molly Brand war kein Feigling und auch kein Schwächling. Er hatte Boxen gelernt und hatte schon mehr als einen Gegner eine Zeitlang auf die Bretter geschickt. Aber er war müde. Der Schlag auf den Kopf hatte ihn fast betäubt, und er fühlte, daß er nicht mehr lange oben bleiben würde. Mit verbissener Wut drosch er um sich und brüllte dabei aus Leibeskräften nach Hilfe. Jetzt hatte er den Burschen am Halse. Sachte, aber hart und ohne Schonung drückte er ihn auf den Boden und hieb ihm dabei eine an das Kinn, daß ihm fast die Knöchel sprangen – aber in genau der gleichen Sekunde krachte es an seinem Schädel. Er mußte loslassen und fühlte nur noch, daß man ihn aufhob und irgendwo hinwarf und daß er gefahren wurde. Dann hatte er das Gefühl, in eine unerhört tiefe Grube zu fallen. Immer zu fallen und immer tiefer. Und dann fühlte er gar nichts mehr.
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9. Fred Bully, Chefredakteur der »Sun«, tobte in seinem Zimmer umher, und schrie seinen Sekretär, der etwas bleichwangig und mager vor ihm stand, wütend an: »Wo also steckt Molly? Ist er noch nicht da?« »Nein!« »Haben Sie keine Ahnung, wo er hin ist?« »Nein!« »Hat er nichts hinterlassen?« »Nein!« Billy griff entsetzt an seinen Kopf und fegte dann einen stapel Papiere vom Tisch. »Nein!, Nein! Mann, sind Sie eine Puppe! Haben Sie nichts anderes in Ihrem Gehirnkasten als das lächerliche Nein!« »Nein! Ich weiß nicht, wo Molly ist! Er ging um elf und sagte Fräulein Bing, er würde in einer Stunde wiederkommen …« Bully schob den zweihundert Pfund schweren Körper gegen den Sekretär vor, der wie ein Windhund gegen ihn aussah und fauchte: »Und das sagen Sie mir erst jetzt? Sie … Sie … ich will Ihre Mutter nicht beleidigen, aber die Dame tut mir leid … Werden Sie Leichenbestatter, Woodle, und lassen Sie die Pfoten von der Presse … Und herein mit Fräulein Bing … Aber schon …« »Jawohl, aber Fräulein Bing ist bereits nach Hause gegangen … Ihr Dienst ist aus …« Bully faßte sich dort, wo vor vielen, vielen Jahren noch Haare gewachsen waren und sandte einen verzweifelten Blick zum Himmel. »Woodle, meine Frau wird Sie einmal 90
wegen Mord belangen …« »Jawohl!« sagte Woodle mit stoischer Ruhe. »… sie bringen mich kaltblütig um!« setzte Bully erregt fort. »Bringen Sie mir Herrn Smith … aber Tempo …« »Jawohl!« antwortete Woodle und ging so schnell hinaus, daß ihn eine Schnecke mit Leichtigkeit eingeholt hätte. Immerhin rollte nach einiger Zeit Sam Smith herein. Man konnte ohne weiteres sagen: rollte, denn er war tatsächlich ebensolang wie rund, und sein Kopf sah aus wie ein Edamer Käse, in den man einige Löcher geschnitten und ein paar Henkel als Ohren angeklebt hatte. Trotzdem war Smith ein ganz tüchtiger Reporter, und vor allen Dingen hatte er es verdammt scharf auf Molly abgesehen; ihm eins auswischen zu können, war seine größte Freude. »Smith«, sagte Bully mit einem kummervollen Blick auf die Kugel, »Molly ist nicht da … und wir brauchen unbedingt einen Bericht über Lakehurst … Sie müssen hinaus …« Sam rollte einige Schritte vor und hob die kurzen Arme zum Himmel. »Unglaublich, Chef, daß er sie jetzt sitzen läßt … säuft sicher mit seinem Mädel herum … aber ich sagte es ja immer, auf Molly ist kein Verlaß …« »Halten Sie die Luft an, Smith, Molly ist ein feiner Kerl … Möglich, daß er einer Sache auf der Spur ist …« »Schätze eher einem Whisky!« grinste Smith. »Ist ein Windhund …« »Das seid ihr Reporter hier alle!« knurrte Bully, der trotz aller Sorgen, die ihm Molly machte, eine Schwäche für ihn hatte. »Jedenfalls muß noch ein Bericht her … Sie sausen zu Overland und …« 91
Sam Smith rollte einige Schritte zurück. »Jetzt in der Nacht? Nein … da fliege ich wie noch nie … kommt nicht in Frage …« Bully hieb auf den Tisch. »Mensch, und wenn ich Ihnen sage, daß Sie jetzt des Teufels Tante interviewen müssen, so muß es gehen … Klappern können Sie, Smith, und über Molly herziehen, aber etwas schaffen, das nicht … Molly macht das im Handumdrehen … wette meinen anständigen Kopf gegen Ihren Käsekuchen, daß Molly jetzt mitten in der Nacht Overland die Würmer aus der Nase ziehen würde … Jawoll, Smith, können da noch eine Menge lernen …« »Aber er ist nicht da, Ihr berühmter Molly!« sagte Smith und verzog die kurze Nase; »er bummelt, statt zu arbeiten …« »Abwarten!« sagte Billy. »Abwarten … Fahren Sie oder fahren Sie nicht? Morgen ist der Zepp da … wir brauchen noch eine Sensation … eine ganz tolle Sache … Ich …« »Herr Bully, eine Dame möchte Sie sprechen!« sagte da der Sekretär Woodle, der unhörbar eingetreten war und ein Gesicht machte, als würde er den König von irgendwo anmelden. »Sagen sie der Dame, daß sie sonstwo hingehen soll … vielleicht auf den Mond …« »Jawohl!« erwiderte Woodle, ohne eine Miene zu verziehen und zog ab. »Ich an Ihrer Stelle«, sagte Bully, der nun schon sehr in Hitze kam, »würde …« »Die Dame behauptet, die Angelegenheit sei dringend!« meldete sich da wieder Woodle mit Amtsmiene. »Es sei eine private Sache …« »Himmeldonner und Artischocken, ich habe mitten in 92
der Nacht keine privaten Angelegenheiten zu besprechen … sagen Sie der Dame, Woodle, daß sie sich zur Hölle scheren soll oder so ähnlich … verstanden? Und lassen Sie uns ungeschoren …« »Jawohl! Sie soll zur Hölle gehen, sehr wohl …« Bully atmete schwer. Was für ein Rindvieh war doch dieser Woodle? War seine absolute Schweigsamkeit wirklich so viel wert, um sich zu Tode zu ärgern? Er wandte sich zu Smith und sagte gallig: »Im übrigen, Sam, wenn Sie nicht selbst wissen, was Sie zu tun haben, so werden Sie nie ein richtiger Reporter werden und …« »Die Dame lehnt es durchaus ab, zur Hölle zu gehen!« sagte da Woodle, »Sie behauptet Smith zu heißen und …« Der Reporter wurde trotz der Röte seines Gesichtes bleich und rollte fast bis zur Tür. »Smith, Woodle? Wie … wie sieht sie aus … jung?« »Sehr wohl, Herr Smith!« »Hübsch?« »Sehr wohl, Herr Smith!« Der Reporter sank in einen Stuhl. Du lieber Himmel, war ihm seine Frau nachgerollt, weil sie seit Tagen glaubte, daß er sie … Na, das konnte eine schöne Geschichte werden … Bully grinste ihn schadenfroh an. »Na, Smith, ist wohl Ihre Frau … machen Sie sich gefälligst Ihre Tragödien zu Hause aus … ist hier kein Zirkus …« – er wandte sich an den Leichenbestatter – »… sagen Sie Mistreß Smith, daß wir keine Zeit haben … Ihr Mann kommt dann nach Hause …« Er wurde wütend. »… so schaffen Sie uns doch endlich dieses Frauenzimmer vom Halse, Woodle, sind Sie denn ganz vernagelt?« »Jawohl!« sagte Woodle und stolzierte hinaus. »Ich werde Sie hinauswerfen!« 93
Aber schon nach zwei Minuten kam er wieder und hielt sich eine Backe. »Die Dame, Sir, behauptet keinen Mann zu haben … Und sie geht nicht früher fort, sagt sie, ehe sie nicht weiß, wo Herr Brand steckt …« Bully sprang fast in die Höhe, während Smiths Gesicht einen friedlichen Ausdruck bekam. »Wegen Molly ist sie da?« fragte Bully erregt, »dann herein mit ihr … Herein!« brüllte er Woodle an, der steif wie ein Besenstiel vor ihm stand. »Warum sagen Sie denn das nicht gleich, Sie Kamel!« »Ja!« antwortete Woodle, schritt vornehm hinaus, wurde aber, ehe er noch draußen war, von einer Dame fast umgerannt, die wie eine Feder ins Zimmer sprang. Sie war etwas über zwanzig, schlank, blond und außerordentlich schick angezogen. Sie sah aus, als habe sie eben einen Schönheitssalon verlassen. »Sind Sie Herr Bully?« fragte sie den Chefredakteur. »Verdammt lange dauert es, bis man da herein kommt, und nun sagen Sie mir, wo Molly steckt? Ich bin May Smith, seine Braut, daß Sie das wissen, und ich habe ihn um elf erwartet, und er ist nicht gekommen! Und nun will ich wissen, wo der Junge steckt? Haben Sie ihn wegen Ihres lächerlichen Blattes, das kein Känguruh liest und für das mein Liebster viel zu schade ist, wohin gehetzt, Herr Bully? Hat er mich wegen der Sun versetzt? Wo ist er?« – sie stampfte mit den niedlichen Füßen auf, die an ebenso netten Beinen befestigt waren. – »Ich will es wissen und sofort …« Bully seufzte auf. Das fehlte ihm gerade noch, daß er sich nun auch noch mit den Herzallerliebsten seiner Reporter beschäftigen sollte. Auch wenn sie so verdammt hübsch waren, wie diese, war das eine üble Sache. Aber Frau war Frau, und er wußte, was er ihnen schuldig war. 94
»Fräulein May, tut mir leid … Herr Molly ging nach der Aussage von Fräulein Bing um elf Uhr fort … Er hatte es augenscheinlich sehr eilig … seit dieser Zeit wissen wir nichts von ihm … Keine Spur, wo er steckt …« Sam Smith, der sich schon lange von seinem Schreck erholt hatte, fand, daß seine Zeit wieder gekommen sei und sagte langsam: »Vielleicht suchen Sie ihn in einer Kneipe, Fräulein May … soll mich wundern, wenn er nicht Anschluß gefunden hätte … Natürlich eine Stunde bei so einer Schönheit, aber …« May Smith machte einen Schritt gegen den Reporter zu und sagte scharf: »Sie sind wohl der runde Käse, wie mein Molly sagt … Lächerlich genug sehen Sie dazu aus … Mein Molly hat mehr in seinem Absatz als Sie in ihrem runden Dach, Sie Gebilde … , rollen Sie fort aus meinen Augen, Mann, sonst werde ich deutlich …« – sie wandte sich an Bully. – »Ich habe Angst, Chef, rufen Sie sofort die Polizei an …« »Lächerlich …«, sagte Bully, »er ist ja kein Baby … er …« »Ein Herr Bolle will den Chef sprechen!« meldete sich da wieder der Sekretär und sah das Mädchen scheu an. »Es ist wegen Herrn Molly …« »Oh!!« schrie May erregt auf. »Sie haben ihn gefunden …« »Er soll hereinkommen«, sagte Bully ergeben und wischte sich den Schweiß von der Glatze. Das war ja eine nette Sache. Mit wenigen Worten erklärte Max Bolle seine Bekanntschaft mit dem Reporter und sagte dann: »Wir hätten uns um zwölf treffen sollen … Er wollte eine Dame, May Smith, treffen, wenn ich nicht irre, so habe ich hier das Vergnügen … er zeigte mir nämlich Bilder …« – 95
erklärte Bolle und stellte sich vor –, »aber er kam nicht … Wir … ich und mein Freund, wurden unruhig und so sauste ich hierher … wo steckt er denn …« Bully sagte, was er wußte und meinte dann: »Verstehe nicht, was ihm geschehen sollte? Doch leicht möglich, daß ihm ein Fall untergekommen ist! Feuer oder sonst eine aktuelle Sache … ist ja schließlich keine Jungfrau … wird schon eintrudeln … wäre mir allerdings recht wenn schon …« Bolle dachte nach. »Ich will Sie nicht beunruhigen, Fräulein, aber ich würde es vorziehen, die Polizei zu verständigen …« Das Mädchen schrie auf. »Sie wissen etwas! Sagen Sie es mir … er hat mir von Ihnen erzählt …« – sie rang die Hände, auf denen rote Fingernägel leuchteten. – »Sagen Sie mir alles … ich bin untröstlich … mein guter, guter Molly … wenn sie ihn entführt haben …« Smith meckerte, schwieg aber, als ihn May mit einem Blick ansah, erschreckt, aber Bully sagte abweisend: »Lächerlich, Fräulein May … wer zahlt denn Lösegeld für ihn …« »Trotzdem!« sagte Bolle, »ich würde anrufen!« »Und wen?« »Die Zehnte! Inspektor Clever! Er kennt Molly und ist im Bilde …« Bully seufzte auf, ließ sich mit der Station verbinden, bekam nach einer Weile auch den Inspektor, sprach mit ihm und sagte dann, den Hörer hinlegend: »Er ist wütend … hat sich eben erst hingelegt … meinte, daß er bummeln gegangen ist … aber er kommt … Na, ich danke, das hat mir eben noch gefehlt …« – Er wandte sich zu dem Leichenbitter. – »Woodle, einen Whisky für mich und die Herren … Haben Sie verstanden? Also …!« 96
»Jawohl, aber es ist keiner da!« »Was …?« brüllte Bully, »ich habe doch erst gestern eine Flasche gekauft! Haben sie den wieder ausgetrunken, Woddle?« »Jawohl, ich hatte bedeutende Leibschmerzen! Jetzt ist mir aber wohler!« * Inspektor Hektor Clever war wirklich nicht in rosiger Laune. Der Dienst am Flugplatz nahm kein Ende, und richtig hatten sie gestern eine Bande abgefaßt, die darauf ausgegangen war, die Gepäckhalle auszurauben, was Overland noch ängstlicher gemacht hatte, als er ohnehin schon war. Aber Dienst war Dienst und Zepp war Zepp, und irgendwie hatte er eben das Gefühl, als würde der Anruf mit dem Zepp zusammenhängen. Er ließ sich berichten und dann den Portier holen, der Dienst gehabt hatte, als der Reporter das Haus verlassen hatte. »Nun«, sagte der Mann verschlafen, »ich sah Herrn Molly aus dem Hause gehen … er hatte es augenscheinlich sehr eilig … er sah sich nach einer Taxe um … da kam eine an … irgend jemand stieg aus … Molly sprang hinein, und dann fuhr der Wagen los …« »Und haben Sie nicht gehört, was er als Fahrtziel angab?« »Nein?« »Und wer war der Mann, der ausstieg?« Der Portier zuckte die Schultern. »Kenne ihn nicht …« »Ging er denn nicht in das Haus?« 97
»Nein … das ist eben das Komische … Er blieb stehen und ging, als der Wagen losfuhr, die Straße lang … Ich möchte nicht gerade beschwören, aber es sah ganz so aus, als ob er grinste …« »Würden Sie ihn wiedererkennen?« »Vielleicht, Inspektor!« »Haben Sie sich die Nummer des Wagens gemerkt?« »Nein! Es war doch schon elf Uhr nachts, und ich sah nicht hin … Dachte erst später darüber nach …« Inspektor Clever brummte etwas, das vielleicht so ähnlich wie Rindvieh klang, ließ sich noch die Richtung beschreiben, in der der Wagen gefahren war, den Mann, der ausgestiegen war und sandte den Portier dann fort. Dann nahm er das Mädchen vor, aber alles, was sie sagen konnte, war, daß sie schon gestern eine Zusammenkunft mit Molly vereinbart hatte, und zwar in der kleinen Kneipe, die er kannte. Sie war vorher mit einer Freundin in einem Kino verabredet und hatte Molly solange zugesetzt, bis er ihr versprochen hatte, sich eine Stunde freizumachen. Jedenfalls wollte er dann den Bericht durchsehen und sich nachher mit Bolle treffen. Clever dachte nach. »Leicht möglich, daß er jede Sekunde frisch wie ein Seehund zur Tür hereinspaziert … warum ruft er nicht an?« – Er wandte sich an Woodle. – »Ich möchte jemand von der Telefonzentrale, Mann!« »Sehr wohl!« Fräulein Miller wußte nicht viel. Molly wurde so viel des Tages angerufen, daß sie so gut wie nichts sagen konnte, und abhören durfte sie auch gar nicht. Der Inspektor schickte sie unzufrieden fort. »Wann 98
verläßt Molly gewöhnlich das Haus?« »Ganz verschieden, Inspektor«, sagte Bully, dem langsam unheimlich wurde. »Wenn er Nachtdienst hat, so wie heute – oder man muß schon sagen gestern, erst gegen morgen … Je nachdem etwas los ist … Ist ja hier kein Kindergarten, sondern eine Zeitung … Wie die Arbeit kommt … Verdammte Sache …« Der Inspektor ließ sich die Adresse des Reporters geben, der in der Nähe in einem Gasthause wohnte und wandte sich an das Mädchen. »Kann jetzt gar nichts sagen … schätze, daß es am besten ist, wenn Sie nach Hause gehen und schlafen … Wenn etwas los ist, werden sie verständigt … Können auch bei mir anklingeln …« Fräulein May hielt sich jetzt ganz tapfer. »Danke, Inspektor … Wenn sich jemand an meinem Jungen vergriffen hat, soll er sich vorsehen …« Als sie draußen war, sagte er ruhig: »Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder ist Molly wirklich auf einem Bummel – daß er gerne einen hinter die Binde gießt, wissen wir ja … oder er ist in eine Keilerei geraten und hat eine auf den Kürbis bekommen. In diesem Falle haben wir in einigen Stunden die Meldung aus einem Hospital … das ist alles, was ich zu sagen habe …« Max Bolle schüttelte den Kopf. »Sie vergessen die dritte Möglichkeit, Inspektor, die nämlich, daß er überfallen würde! Mit Absicht überfallen … Ich meine verschleppt …« Der Inspektor machte ein ungläubiges Gesicht. »Und von wem?« »Ted Laferty?« Clever lächelte. »Aha … wieder einmal Laferty! Wissen Sie, daß dieser 99
Mann bei Maud Meerland aus und eingeht? Habe mich nämlich etwas für ihn interessiert … und daß er schwerreich ist? Rinder und so … Und der soll Molly entführt haben? Auch eine Idee?« »Vielleicht nicht die dümmste, Inspektor!« Er war schon nahe daran, alles zu sagen, was er über Laferty zu wissen glaubte, aber er fühlte, daß er keinen Glauben finden würde und sagte nur: »Irgend jemand hat jedenfalls seine Hand im Spiel … sonst wäre er doch da! Ich kennne ihn nicht lange, aber ich weiß, daß er Freunde nicht warten läßt …« Der Inspektor nickte. »Stimmt – aber Sie vergessen, daß wir in Neuyork sind, Mann! Und das ist eine große Stadt … Ein Mann wie Molly hat eine Menge Feinde … Weiß der Teufel, in welche Sache er seine Nase gesteckt hat und wer ihm eine darauf gab! Kalkuliere, daß wir in vierundzwanzig Stunden mehr wissen …« »Möglich!« gab Bolle ohne große Begeisterung zu. »Ich für meine Person würde mir Herrn Laferty genauer ansehen …« »Nee …«, lehnte Clever ab. »Der Mann ist in Ordnung! Habe keine Lust, mir die Pfoten zu verbrennen … Werde mir die einlaufenden Berichte genau ansehen … Hoffentlich liegt er nicht schon als Leiche zur Identifizierung … Wiedersehen, meine Herren … Muß eine Handvoll schlafen … Geht nicht mehr so weiter … Lasse von mir hören, wenn etwas los ist …« »Toller Gemütsathlet!« sagte Bolle, als Clever die Tür von außen zugemacht hatte. »Will nicht an Laferty heran … und inzwischen geht uns Molly vor die Hunde …« »Schätze, daß er in einer Bar liegt und blau wie der Himmel ist!« meckerte Smith. »Und morgen um Vorschuß kommt …« 100
»Habe nicht das Vergnügen, Sie besonders zu kennen, Herr«, sagte Bolle, »aber ich schätze, daß Sie ein schlechter Kollege sind! Und nun gehe ich … Sie finden mich im Empire, Herr Bully, wenn etwas los sein sollte … Bin mächtig gespannt und hoffe, daß er gesund wiederkommt …« »Ich danke für Ihren Besuch, Herr!« sagte Bully und schüttelte Bolle fast die Hand aus den Gelenken. »War eine tolle Nacht … und dabei kommt der Zepp …« »Auch schon eine Angelegenheit!« knurrte Smith. »Lächerlich!« »Noch lange nicht so lächerlich wie Ihr Käsegesicht, Mister Smith!« sagte Bolle scharf. »Denn sonst würde er platzen – was ich für Sie bald annehme … Wird dann mächtigen Gestank geben, schätze ich! Leben Sie wohl, Herr Smith … war mir ein Vergnügen!«
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10. Als Molly Brand zu sich kam, hatte er ein Gefühl, als würde er nicht ohne Geschick gerädert, dann gepfählt und schließlich von massiven Fäusten geprügelt worden sein, und sein Bewußtsein war so tief irgendwo versunken, daß er sich erst langsam darauf besann, was geschehen war. Er vermied es, die Augen zu öffnen; irgendein Gefühl sagte ihm, daß es damit Zeit habe, und so lag er halbwach und dachte nach. Ohne Zweifel war das bestellte Arbeit gewesen, denn so ein kleiner Reporter, wie er einer war, konnte keinen Gangster zur Entführung reizen. Wer aber konnte ein Interesse daran haben, ihn verschwinden zu lassen? Feinde hatte er allerdings eine Menge; es war mitunter nicht anders möglich gewesen, als in den stinkenden Sumpf Neuyorker Korruption hineinzuleuchten, und einige Male hatte er auch einigen stadtbekannten Gangstern, die in Frack und Brillanten gingen, tüchtig auf die Finger geklopft … Diesem Corner zum Beispiel! Er dachte nach, und plötzlich ging ihm ein Licht in solcher Stärke auf, daß ihn der Kopf schmerzte. Klar! Niemand anders als Laferty hatte ihn holen lassen. Oh, dieser elende Bursche! Und niemand anderes als der Zepp war schuld. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. Wenn er jetzt nicht allen Grips zusammennahm, dann konnte sein Mädel sich bald einen anderen suchen. Und dazu hatte er verdammt wenig Lust. 102
Mit einem plötzlichen Entschluß öffnete er die Augen und sah um sich. Das Lager, auf dem er lag, stand in einem ganz behaglich eingerichteten Wohnzimmer; knapp vor ihm stand ein Radioapparat, quer davor ein großer Schreibtisch mit bequemen Stühlen, an der Wand Bücherschränke, die ganz ordentlich gefüllt waren und am Boden lagen Teppiche, die Molly ganz gerne in seiner Wohnung gehabt hätte. Die Einrichtung gefiel ihm; weniger war er davon entzückt, daß das eine Fenster vergittert war; und noch weniger gefiel ihm der Mann, der auf einem Stuhl lümmelte, die Beine auf dem Schreibtisch liegen hatte und augenscheinlich döste. Behutsam wollte sich Molly regen, als ihm zum Bewußtsein kam, daß er gefesselt war. Hände und Füße waren mit Schnüren gebunden, die ihn, je klarer er fühlte und dachte, um so härter schmerzten. Er sah den Mann an und atmete tief. Wie, wenn er versuchte, sich frei zu machen und den Kerl überfiel? Vielleicht war er allein, und vielleicht hatte er Glück. Er dachte an einige Griffe, die er von einem Japaner gelernt hatte und war entschlossen, sie, wenn irgendwann, heute anzuwenden. Nur mußte er dazu frei sein. Millimeter um Millimeter hob er die gefesselten Hände, spannte alle Muskeln an und fühlte auch, wie die Schnüre, wenn auch fast unmerklich, doch nachgaben. Jedenfalls waren die Hände geschwollen gewesen, jetzt wieder normal und die Schnüre deshalb lockerer gebunden. Aus halb verdeckten Augen warf er einen Blick auf den Mann, der beim Tisch saß; hoffentlich hatte er der Flasche Whisky, die nebst einem Glas vor ihm stand, ordentlich zugesprochen. Dann konnte er hoffen, ihn zu erledigen. 103
Gleichzeitig versuchte er, die Füße freizubekommen; er arbeitete so angespannt, daß ihm der Schweiß aus den Poren brach. Wenn der Kerl aufwachte, ehe er fertig war, konnte es geschehen, daß er mit Rohrpost in den Himmel kam. Mit Zeitlupentempo zog er eine Hand aus der Schlinge, zog dann die Füße an und machte auch, nun schon schneller, diese von der würgenden Schlinge frei; dann massierte er sich die Hände und fühlte, wie sie schnell wieder geschmeidig wurden. Schade, daß er keinen Browning bei sich hatte – dann hätte er den nächsten Minuten fröhlicher oder doch beruhigter ins Auge sehen können. Er sah sich nach einer Waffe um, sah aber nichts als eine Wölbung an der Hüfte seines Wächters, der sich, nach den schweren Atemzügen zu schließen, noch im Traumland befinden mußte. Unhörbar wie eine Katze und so gespannt, wie ein Panther, richtete sich Molly Brand auf, jede Sekunde bereit, einem Gegner an den Hals zu springen. Als er so weit war und sich nichts regte, hob er die Beine und stand eine Sekunde später neben seinem Lager. Was jetzt? Er sah einen Bund Schlüssel auf dem Schreibtisch liegen und hätte auch ohne diese gewußt, daß die Tür, die vor ihm lag und vielleicht noch andere versperrt waren. Sollte er versuchen, die Schlüssel an sich zu nehmen und sich ohne gehört zu werden aus dem Staub machen? Wie aber, wenn draußen noch jemand war? Dann war er erst recht in der Falle? Er stand knapp zwei Schritte vor dem Schlafenden, dessen Gesicht er nun von der Seite sehen konnte; und was er sah, war eine Mischung zwischen einem Gorilla und einem Menschen; jedenfalls paßten der ungeheure Hals 104
und die Fäuste, die auf dem Tisch lagen, besser zu einem Riesenaffen, als zu einem Menschen. Daß er bei so einem Exemplar so gut wie keine Chance hatte, lebendig aus einem Kampfe hervorzugehen, wurde Molly in einer Sekunde klar, und er beschloß, sich sofort einen anständigen Vorsprung zu verschaffen. Ja, vielleicht konnte er den menschlichen Gorilla gleich in der ersten Runde k. o. schlagen. Er atmete einige Male tief, um sein etwas unruhig schlagendes Herz zu besänftigen und trat dann, so geräuschlos er nur konnte, an den Tisch heran. Einige Sekunden überflogen seine Augen alles, was darauf lag, und es sah aus, als würde er sich alles genau und für immer einprägen wollen. Dann schob sich seine Hand vor, nahm ein schmales Blatt auf und ließ es verschwinden. Dann nahm er die Schlüssel an sich. In der nächsten Sekunde aber griff er mit seiner Rechten nach der Flasche, umklammerte sie, hob sie hoch und schmetterte sie dann mit aller Kraft auf den Kopf nieder. Selten noch war ein Mensch so schnell munter wie diesmal; Joe Richards aber noch nie. Er taumelte mit einem tierischen Schrei auf, griff sich an den Kopf, von dem das Blut strömte und stürzte sich, halb wankend, auf den Reporter, der aber flink wie ein Wiesel schon den Tisch zwischen sich und den Mann gebracht hatte, der nun in seiner unmenschlichen Wut wirklich einem Gorilla glich. »Oh, du verdammter Hund!« schrie er auf und wischte sich das Blut aus den Augen. »Ich mache ein Beefsteak aus dir! Verdammt! Verdammt! Ich zerschlage dir jeden schäbigen Knochen in deinem schäbigen Aas! – Au weh!« schrie er wütend, »du hast mir den Globus eingedroschen, du Tintenfisch und bist schon so gut wie tot …« Er sprang 105
vor, aber Molly war auf der Hut. Mit einem Sprung war er aus der Reichweite der allerdings affenartig langen Arme, dann flitzte er vor und schmetterte dem Kerl den Rest der Flasche, die er noch umklammert hielt, mitten ins Gesicht. Das mußte langen! Und es langte auch. Mit einem Aufstöhnen sank Joe Richards in die Knie und schlug gleichzeitig beide Hände vor das Gesicht und schrie vor Schmerzen grell auf. Molly Brand, der nicht wußte, was noch im Hintergrund dieser Räume lauerte, kümmerte sich nicht um ihn. Er sprang zur Tür, riß den Bund Schlüssel aus der Tasche und versuchte in fieberhafter Hast aufzusperren. Daß sie verschlossen war, hatte er gleich festgestellt. Erst der dritte schien zu passen; mit etwas zitternden Fingern wollte er eben aufsperren, als er mit einem Blick nach rückwärts sah, daß sein Gegner den Revolver aus der Tasche gezogen hatte. Wie der Blitz nahm Molly hinter dem Schreibtisch Deckung und ergriff gleichzeitig das schwere Tintenfaß, um es dem Wächter, der, wie er sah, halb blind war, an den Kopf zu werfen. Aber er fehlte, und in der gleichen Sekunde krachte ein Schuß; die Kugel ging ebenfalls vorbei, und ehe der zweite kam, hatte sich Molly, der wußte, daß es nun hart auf hart ging, auf den Mann geworfen. Joe Richards war ein Riese an Kraft; er hätte den Reporter mit seinen Armen wie eine Maus zerdrücken können – aber er konnte kaum mehr sehen; der erste Hieb hatte ihn halb betäubt und der zweite das Gesicht zerrissen, so daß das Blut über Augen und Wangen floß und ihn fast hilflos machte. Mit einem harten Schlag gegen den Unterarm hieb ihm Molly den Revolver aus der Hand; in der nächsten Sekunde bückte er sich, fühlte auch schon die Waffe in 106
seinen Fingern, als er, im Begriff sich zurückzuziehen, stolperte und hinfiel. Joe war fast blind, aber doch nicht genug, um das nicht zu sehen. Mit einem Gebrüll ließ er sich niederfallen und das Gewicht des riesigen Körpers genügte schon allein, um Molly fast bewegungslos zu machen. Joe Richards, der früher im Ring nur der »Killer« geheißen hatte, weil er seine Gegner unbarmherzig zerdroschen hatte, umschlang Molly und hieb ihm vorerst eine gegen die Rippen, daß dem Reporter fast das Herz stillstand. Er bekam aber doch noch einmal Luft und landete eine gegen den Magen des Boxers, daß nun Joe für eine Sekunde der Atem fortblieb. Dann aber sprang er auf, hob Molly hoch und warf ihn in eine Ecke. Molly fühlte, daß es nun schlimm ausging; er raffte sich aber nochmals auf und wälzte sich vor, um den Revolver, der zwei Schritte vor ihm lag, in die Hand zu bekommen, aber Joe war doch schneller. Er faßte ihn, griff selbst nach der Waffe und wollte ihn eben mit dem Kolben erledigen, als die Tür aufgerissen wurde. Molly sah nichts; er hörte nur »Stop!« Ein widerwilliges Knurren, und dann flog er abermals gegen eine Wand, daß ihm Hören und Sehen verging. * »Es ist fünf Uhr!« sagte Max Bolle und sah Heide an, »und wir wissen noch immer nichts von ihm! Am Morgen kommt der Zepp und abgesehen davon – ich kann dir sagen, daß ich außerordentlich unruhig bin …« Hans Heide, der das karierte Beinkleid schon ebenso abgelegt hatte wie das Tiroler Hütchen und ganz ordentlich aussah, trommelte mit seinen langen Fingern auf den Tisch. »Will weiter nichts gegen diesen Brand sagen, Maxe, aber ich habe das Gefühl, als ob er einige zu 107
viel gekippt hätte und nun irgendwo seinen Dusel ausschläft! Schließlich ist Neuyork ja kein Urwald, daß ein Mensch einfach verschwindet …« »Du hast eine Ahnung von solchen Dingen wie eine Schleiereule!« antwortete Bolle etwas gereizt. »Sogar in Berlin verschwinden Leute spurlos, wenn du es wissen willst, und ich muß dich nicht erst an Inge Isserloh erinnern …« »Die du aber wieder gefunden hast!« warf Heide triumphierend ein. »Egal, Mensch, suche doch mal deine Gehirnklamotten zusammen und denke nach … was soll man tun?« »Abwarten!« sagte Heide mit größter Ruhe. »Na ja, kiek mich nicht so ganstermäßig an. – Was sollst du denn tun? In dieser Stadt auf Suche gehen, wo ein anständiger Christ keinen Schritt tun kann, ohne unter Gummi zu kommen? Ist ja gelacht. – Ich wette, daß …« Bolle griff nach dem Hörer. »Ja, Bolle … Fräulein May, ich weiß leider noch nichts … Aber wir sind fest überzeugt, daß er wiederkommt – ganz fest – und Sie können sicher sein, daß wir Sie sofort verständigen …« Er horchte und sagte dann lächelnd, aber mit einem vorwurfsvollen Blick zu Heide. »Aber Fräulein May – was Sie denken. – Ich wette, daß er so gesund wie ein Haifisch ist – sicher – Wiederhören – Bitte!« Er legte ab. »Das Mädchen weint sich die Augen aus, und du machst Witze …« »Ich?« sagte Heide staunend und nahm die Brille ab. »Ich mache Witze? Herr Bolle, Sie gestatten, daß ich …« Wieder griff er nach dem Hörer, horchte, sprang dann mit einem Satz hoch, warf den Hörer hin und hatte schon seinen Hut auf. »Vorwärts, Mensch, sie haben ihn … Molly ist da …« 108
Er war schon bei der Tür und warf Heide, der natürlich seinen Hut nicht finden konnte, fast auf den Korridor. »Mach’ doch weiter, lächerlicher Mensch … Du versäumst noch mal dein Begräbnis … sie haben ihn, verstehst du – sie haben ihn …« * Inspektor Clever stand von seinem Stuhl auf, begrüßte die beiden und sagte etwas zögernd: »Ja – gefunden ist er, aber …« »Was aber?« unterbrach ihn Bolle ungeduldig. »Sagen Sie doch schon, was los ist …« Clever verzog den Mund. »Nur nicht so hastig, Herr Bolle! Auch Molly wird sich gedulden müssen!« Er machte eine Pause und sagte dann schnell: »Er liegt nämlich im Hospital!« »Und was fehlt ihm?« »Eine Menge!« antwortete der Inspektor und nahm seine Kappe. »Einige Rippen müssen überholt, die rechte Schulter repariert, der Kopf genäht werden; das rechte Bein liegt in Gips, dafür ist der linke Arm gebrochen … Es ist mit einem Wort eine Generalreparatur notwendig …« »Und wie ist das geschehen?« fragte Bolle dann im Auto, das sie zum Krankenhaus bringen sollte. »Wissen Sie das?« »Uns Polizeibeamten ist das Wahrsagen verboten!« knurrte der Inspektor, »und ich habe es auch nicht gelernt. Was ich weiß, ist folgendes: vor einer Stunde fuhr ein grauer Luxuswagen längs des Central-Parkes. Bei einer Straßenkreuzung stoppte er einige Sekunden, eine Tür wurde geöffnet und etwas auf die Straße geworfen. Dann brauste der Wagen ab mit allen Sachen, die er in sich hatte. Das Etwas stellte sich dann als ein Mensch heraus. 109
Im weiteren Verlauf als der Reporter Molly Brand. Ziemlich beschädigt zwar, aber immerhin noch lebendig; ich nehme an, daß man ihm inzwischen den Schädel zusammengeflickt hat. Er fiel nämlich auf Steine und verknackste sich den Kopf – Pech …« – Clever kniff die Lippen zusammen –, »alles, Herr Bolle! Das ist alles …« »Hat er Schmerzen?« fragte Heide, unvorsichtig. »Nein, Herr, Lachkrämpfe! Manchmal tanzt er auch im Bett!« knurrte Clever und warf Heide einen Blick zu, als hielte er ihn für reif, Pensionär in einem Irrenhaus zu werden. Bolle warf Heide gleichfalls einen eisigen Blick zu und fragte vorsichtig: »Ich verstehe, Inspektor – aber trotzdem – was halten Sie von der Sache?« – er schmeichelte ein wenig –, »Sie sind doch schließlich Fachmann und werden sich einen Reim machen …« »Reim?« murmelte Clever düster. »Nein, ein ganzes Gedicht, und ich wäre glücklich, wenn ich den Verfasser zwischen meinen Händen hätte. Kalkuliere, daß er nicht mehr lange weiter dichtet …« »Und im Ernst, Clever? Was denken Sie da?« »Daß das Ganze eine ganz verfluchte Schweinerei ist, Leute!« – er war ohne Zweifel wirklich erbittert –, »… und ich will Moses heißen, wenn ich mir die Lumpen nicht kaufe! Wir sind da …« Kingstone-Hospital war eine Ansammlung von weitläufigen, meist nur stockhohen Gebäuden, die hell und freundlich in einer weithingestreckten Parkanlage standen und ihre Existenz Franklin Kingstone verdankten, der seinen Mitmenschen Zeit seines Lebens mit Kaugummi so die Magen verdorben hatte, daß er sich bewogen fühlte, ein Krankenhaus zu errichten. Und da lag nun Molly Brand. 110
Die Schwester führte sie über spiegelglatte Korridore, auf deren Glätte Hans Heide bald sein Gleichgewicht verloren und sich hingelegt hätte, und machte dann vor einem Zimmer Halt. »Ich muß erst sehen, wie es ihm geht …« Nach einiger Zeit kam sie wieder, und dann durften Bolle und Clever eintreten. Heide, der scheinbar so aussah, als würde er irgend etwas Gräßliches anstellen, mußte in einem Wartezimmer Platz nehmen. Molly Brand lag in einem sehr hellen und reinen Zimmer ganz allein. Das heißt, in einem Bett lag etwas, das einer frisch gewickelten ägyptischen Mumie ähnlicher sah als einem Menschen, und unter keinen Umständen hätte Bolle einen Eid geschworen, daß dieses Bündel aus Leinen, Pflaster, Wickeln, Tüchern, aus dem oben ein Schopf Haare stand, Molly Brand sei. Die Schwester, die ohne weiteres in einem Schönheitssalon hätte arbeiten können, legte einen Finger auf ihren roten Mund. »Ganz leise – nicht sprechen – er kam erst aus dem Operationssaal …« Nicht sprechen ist gut! dachte Bolle und schlich mit Clever auf den Fußspitzen näher. Was soll denn da sprechen? Seit wann sprechen Mumien? Er sah in das stück Gesicht, das die Verbände frei gelassen hatten und fühlte plötzlich ein solches Gefühl der Wut in sich, daß er am liebsten laut herausgebrüllt hatte. Was hatte man da aus dem lieben, netten Kerl gemacht! Und wer? Er sah den Inspektor an, der düster und mit verbissener Entschlossenheit auf den Reporter niedersah und flüsterte: »Eine Affenschande, Clever! Die Hunde müssen wir finden!« Der Polizeibeamte knurrte etwas, das Zustimmung oder auch Ablehnung sein konnte, und dann mußten sie wieder 111
hinaus, wo sie schon Heide aufgeregt erwartete. »Hat er gesprochen? Wie ist ihm das passiert?« Clever fah Hans Heide von der Seite an. »Natürlich hat er gesprochen! Jetzt ißt er eben ein Beefsteak! Und Sie läßt er besonders grüßen … Ist entzückt von Ihnen …« Bolle klärte Heide, der sich in diesem Ton nicht ganz zurecht fand, auf, und dann ging Clever in das Büro. Nachdem er sich ausgewiesen hatte, gab man ihm alles, was man bei dem Eingelieferten gefunden hatte: die Pfeife, Tabak, einen Notizblock, Füllfeder, die Brieftasche mit sechs Dollar, verschiedenen Aufzeichnungen und vielen Bildern seines Mädels … einen Schlüsselbund, einen Kamm mit Taschenspiegel, und schließlich ein kleines Taschenmesser. Der Inspektor sah alles genau an, kramte in der Brieftasche und hielt Bolle dann etwas hin. »Ist das Ihre Karte, Mister Bolle?« Dieser warf einen Blick darauf und nickte. Ja, es war seine Besuchskarte, die er Molly bei ihrem ersten Zusammentreffen in der »Deutschen Eiche« gegeben hatte. Clever schob das ganze Zeug dem Beamten hin. »Danke! Nicht viel los damit!« – er ging schon, als ihn der Mann zurückrief und ihm ein Blatt Papier hinschob –, »das fand sich auch noch, Inspektor …« – er schob Clever ein banknotengroßes Stück Papier hin –, »vielleicht interessiert Sie das!« Es war ein Stück gewöhnlichen Papiers, so, wie man es zu Notizen verwendet, etwas zerknüllt und mit zwei Zeichnungen bedeckt. Und diese Zeichnungen waren es, die sowohl Clever, wie auch Bolle auf das höchste interessierten. Die eine stellte einen »Zepp« dar, die andere ein Flugzeug. 112
Darunter stand in leicht hingeworfener Schrift ein Wort: Glänzend! Und das Wort machte ganz den Eindruck, als hätte derjenige, der es schrieb, dabei gelacht oder sich königlich gefreut. Es war wie ein geschriebenes Ausrufzeichen! Clever sah mit großen, wachen und gespannten Augen auf das Blatt, und auch Bolle verschlang es mit gierigem Blick. »Und was halten Sie davon?« fragte dann Clever. Bolle zuckte ratlos die Schultern. »Keine Idee!« »Auch so viel!« sagte der Inspektor trocken und wandte sich dann an den Beamten: »Das Blatt ist beschlagnahmt!« – er unterschrieb einen Schein und wandte sich zum Gehen –, »… sollte sich noch etwas finden, anrufen! Die zehnte Polizeistation, Inspektor Clever … Danke!« Im Auto schwiegen erst alle drei, dann sagte Clever ohne jede Einleitung: »Sieht so aus, Bolle, als ob der Überfall auf Molly doch mit dem Zepp zusammenhängen würde? Oder?« Bolle war schon lange dieser Meinung. »So ist es, Inspektor! Ich habe noch keine Ahnung, was diese Zeichnungen zu bedeuten haben, aber mir ist, als gehörten sie dazu … Hoffen wir, daß uns Molly Antwort geben kann! Glaube nicht, daß er das gezeichnet hat …« »Nein! Ist nicht seine Pfote! Wo kann ich Sie absetzen? Habe noch eine Menge zu tun?« »Im Empire!« »In Ordnung! Wollen Sie das Mädel auf sich nehmen? Kann Frauen mit Tränen nicht sehen! Geht gegen meine Überzeugung!« »Wenn es sein muß!« sagte Bolle. »Angenehm ist es 113
nicht …« Clever sah ihn an. »In diesem Falle täte ich es selbst, denke ich! Sie können aussteigen!«
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11. »… ein Ochsenfrosch ist ein Gelehrter gegen ihn!« sagte Laferty wütend und warf den Zigarettenrest in den Aschenbecher. »Man kann sich auf niemand mehr verlassen, Tex! Die Kerle glauben, man kann alles mit der Faust machen! Irrtum …« – er tippte sich an den Kopf –, »das da drinnen ist das Wichtigste, aber da fehlt es …« Tex Corner lehnte sich in dem breiten Stuhl, den er vollkommen ausfüllte, zurück und nickte. »Richtig! Du warst aber mit Richards einverstanden!« »War ich auch! Konnte nicht wissen, daß er sich besäuft und so dumm ist, sich von diesem Bengel überfallen zu lassen!« »Noch dazu mit der eigenen Whiskyflasche!« lachte Corner. »Habe Molly so etwas gar nicht zugetraut – ein verteufelt fixer Junge …« »Für die nächste Zeit wird ihm der Spaß vergehen, denke ich. – Hätte nicht viel gefehlt, und Richards wäre hopps gegangen – dann allerdings er ebenfalls …« »Hat er dich erkannt?« »Nein! Als ich hineinstürzte, hatte ihn Joe fast schon k. o.!« »Aber ich hätte ihn verdammt gerne einiges fragen lassen …« »Und dieser Herr Bolle, oder wie er heißt, ist also der, welcher drüben …« »Yes!« sagte Laferty kurz, »er ist es! Ich habe seine Karte in Mollys Brieftasche gefunden! Kann mich auf meine Augen verlassen …« 115
»Hoffentlich sind seine nicht so gut, sonst …« »Sieht so aus, als ob er schon Bescheid wüßte, Corner! Er war bei Walsham. Traf ihn gestern zufällig … Hat sich wegen einer Narbe erkundigt – kann nur mich angehen – ist ein ganz verdammter Schnüffler …« Tex Corner, der keine Lust hatte, gerade jetzt keine Lust hatte, die Polizei in seinem Hause zu sehen, sagte etwas vorsichtig: »Du hast nicht die Absicht, die Sache laufen zu lassen …?« »Nein, Tex! Habe ich nicht! Einmal hat mir dieser Bursche ein großes Geschäft verdorben – das zweitemal faß ich ihn am Kragen. – Ist deine Jacht in Ordnung?« »Ja! So wie bestimmt …« Laferty sah auf seine Uhr. »Wo steckt denn dieser Kerl? Möchte wirklich Leute haben, auf die man sich verlassen kann!« Fast in der gleichen Minute klopfte es, und ein Diener, der ohne weiteres in ein gräfliches Schloß gepaßt hätte, meldete würdig: »Mister Reynolds, Sir!« Corner nickte. »Eintreten!« Frank Meyerheim schob sich mit einer Miene herein, als hätte er eben einen ganz großen Coup gelandet; als er aber die keineswegs rosigen Mienen seiner beiden Genossen sah, ließ auch er die Nase etwas hängen und sagte: »Was los? Sieht ja aus, als läge ein Toter im Schreibtisch, Corner?« »Wenn du so weiter quasselst, ist es nicht ausgeschlossen, daß du bald irgendwo ruhig liegst!« antwortete Laferty ärgerlich. »Hat dich jemand gesehen? Oder bist du wie ein Verrückter hier herein?« »Nein!« – er setzte sich und steckte sich eine Zigarre an –, »bin ja schließlich keine Amme und kann dir verraten, 116
daß der Mann, der so nett ist, mich zu begleiten, jetzt noch immer vor der Börse lauert …« – er lachte. »Frank Meyerheim ist ja, Gott sei Dank, kein Idiot …« »Was mich wundern sollte!« meinte Laferty weniger höflich als skeptisch und sagte dann: »Hör’ mal zu! Du verschwindest mit Hogan und Gold auf die Jacht! Was dich betrifft, so läßt du dich nicht früher in der Stadt sehen, ehe du nicht in den Zepp mußt! Habe nämlich so eine Ahnung, als würdest du sonst eine Dummheit machen …« Frank Meyerheim wollte protestieren, aber Laferty schnitt seine Worte mit einer herrischen Handbewegung ab. »Schon gut! Aber besser ist besser!« »Und dann? Kommst du mit?« »Das wirst du genau dann erfahren, wenn es notwendig ist, Frank!« »Und unser Plan?« – er stand auf und ging unruhig auf und ab –, »… mir ist, Ted, als ob da etwas nicht stimmen würde …« »Vielleicht! Hör’ mal – werde mir nur nicht nervös! Du gehst an Bord des Zepp und hast nichts zu tun, als zu sehen, daß du alles, was du haben sollst, zu der Stunde beisammen hast! Kapitän Marvens ist im Bilde! Du funkst Kurs des Zepp … Die Jacht erwartet euch auf diesem Kurs. – Wenn ihr eine Seemeile von ihr entfernt seid – du wirst angefunkt –, mußt du bereit sein … Und in dem Moment, oder sagen wir, in dieser Stunde, wirfst du die Boje … Am besten in der Nacht. Die Leuchtpatrone nicht vergessen … sonst geht alles zum Teufel …« – er legte Meyerheim, der etwas unruhig auf und ab ging, eine Hand auf die Schulter –, »die Sache ist einfach wie ein Kürbis! Kein Mensch kann dich verdächtigen! Und keine Seele kann auf den Trick kommen! Maud fliegt sicher mit! Jessy 117
Cooper ebenfalls … Beide sind sorglose Hühner, und wenn du etwas taugst, nimmst du auch anderes mit! Verstanden? Vergiß nicht, daß die Chance nur einmal kommt! Ja, was ich sagen wollte – ich habe Maud veranlaßt, daß sie auch Bargeld mitnimmt …« – er wandte sich an Corner –, »ist so eine Marotte von ihr … ist komischerweise in neue Banknoten verliebt – soll mich nicht wundern, wenn sie einen anständigen Packen mitschleppt!« – er lachte –, »sieh jedenfalls nach, Frank – wird mit berücksichtigt!« Frank Meyerheim hatte seine gute und geliebte Zigarre ausgehen lassen, und wenn das eintrat, dann lief ihm etwas über die Leber. Er blieb vor Laferty stehen und sah ihn besorgt an: »Ted, du weißt, daß ich keiner bin, der leicht Angst hat … aber mir hat gestern von einer Kröte geträumt, und das gefällt mir nicht …« »Und mir hat von einem Kerl geträumt, der die Hosen voll hat, und wenn ich mich nicht irre, hatte er deine Visage!« antwortete Laferty kalt. »Du wirst bequem, Frank, du wirst faul und feig! Gut! Bleibe in diesem Lande und gaunere ruhig an der Börse weiter! Kann mir recht sein! Es gibt ja noch welche, die Herz in den Knochen haben und richtig verdienen wollen …« Frank Meyerheim hatte in der letzten Zeit, dank Corners Tips, gut verdient! Die Börse war fest, und er hatte das Gefühl, als könne er noch eine Menge Geld heimtragen. Irgendwie hatte er sich das Bild eines wohlhabenden Bürgers vorgezaubert, der an die Börse ging, sein Konto auffüllte und sich schließlich zurückzieht, um seine Dollar in Ruhe zu verzehren. Daß die Geschäfte, die er machte, fast immer hart am Gesetzbuch vorbeigingen, kam ihm gar nicht mehr zu Bewußtsein. Andererseits lockte ihn, sowie Rogan ein großer Wurf. Er kannte die Börse, und er war 118
sich darüber klar, daß es auch schief gehen konnte; sehr schief. Dann saß er auf dem Trockenen. Besonders dann, wenn er sich mit Corner und Laferty überwarf. Peinlich war ihm, daß er seit Tagen kein gutes Gefühl mehr hatte. Ihm war, als würde ihm dieser »Zepp« kein Glück bringen. Wenn die Geschichte aufflog, so war er verdammt in der Falle. Aus dem »Zepp« gab es dann keinen Ausweg. so ein Luftschiff war nicht Neuyork, in dem man verschwinden konnte. Verdammte Sache! Er überlegte noch einige Sekunden und sagte dann nicht gerade begeistert, aber immerhin entschlossen: »Erledigt … schließlich kann man auch mal wackeln, oder …?« »Besser nicht, Frank, und ich kann dir sagen, daß du gerade in dieser Sache wirst verdammt gerade stehen müssen! Oder wir fallen alle um!« Ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht bemerkt, daß auch Laferty innerlich nicht so sicher war, wie er vorgab, und das leise Flackern seiner Augen war kein Zeichen allzu großer innerer Ruhe. Aber Laferty war doch ein Mann von Stahl, und es mußten schon ganz große Brocken kommen, ehe er vor etwas zurückwich. »Du saust also zur Jacht, Frank! Und nochmals: am Zepp wartest du auf Nachricht! Vergiß alles, meinetwegen deinen Hut, aber den Chiffrierschlüssel nicht, sonst bist du aufgeschmissen! Der Schlag dürfte einen Tag nach dem Start fallen … sei auf dem Posten, Franki!« – seine Stimme wurde bei aller Härte fast warm, und er legte dem Manne, der keineswegs sehr froh aussah, eine Hand auf die Schulter –, »und halte durch! Die ganze Kiste ist einfach wie ein Hühnerei … nur kaltes Blut …! Ja …« – Laferty biß sich auf die Lippen –, »noch eines! Du erinnerst dich an den Mann, dessen Visage mir im Empire so gar nicht gefallen hat …« 119
»Ja.. aber kennen, wenn du meinst, kann ich ihn nicht …« »Nein, ist auch gar nicht notwendig! Du wirst Bilder auf die Jacht bekommen, und für alle Fälle merke dir einen Namen: Bolle! Max Bolle heißt der verdammte Schnüffler, und ich werde mich nicht irren, wenn ich annehme, daß er mit hinübergondelt! Auf diesen Kerl mußt du verdammt auspassen … Bin sicher, daß er nicht spazieren fährt … Verstanden?« Meyerheim knurrte etwas. Noch eine Komplikation? War es nicht besser, er blieb hier und amüsierte sich mit Jessy? Er wollte schon wieder zurückweichen, aber ein Blick in die kalten Augen Lafertys warnte ihn. Er schwieg und sagte zögernd: »Scheint keine Vergnügungsfahrt zu werden …« Corner lachte. »Nein, Frank, so einen Berg Geld muß man verdienen! Schätze auch, daß es für dich ganz gesund ist, wenn man dich eine Zeit nicht hier sieht … Es gibt Dinge, die lange nicht vergessen werden, hm …?« – sein Blick wurde tückisch –, »will weiter nichts gesagt haben, Junge! Es ist am besten, du machst keine Mätzchen und haust ab … Ted weiß ganz genau, was gut ist …« »Recht!« lachte Laferty. »Mache, daß du an Bord der Jacht kommst! Die Mary ist schließlich kein schlechter Aufenthalt …!« – er zog die Stirne in Falten – »ich kenne schlechtere, Franki, nicht wahr? Eben!« * »Auch Frank wird alt!« sagte Laferty, als Meyerheim das Zimmer verlassen hatte. »Er hat jetzt zu leicht verdient, und Jessy Moon verdreht ihm den Kopf! Frauen sind für unsereins nicht gut! Man wird zu leicht dumm davon …« »Bei dir hat’s damit wohl keine Gefahr, was?« »Nein«, sagte Laferty kalt. »Was mich an Frauen 120
interessiert, ist ihr Bankkonto, Tex! Dollar sind besser als eine glatte Haut und schöne Augen … Kannst für dein gutes Geld dir jederzeit kaufen! Aber höre zu!« – er setzte sich bequem hin –, »ich wollte mit hinüber! Hatte das Gefühl, daß Frank versagt … habe es noch – aber ich kann nicht mit!« »Und warum?« »Von wegen diesem verdammten Bolle! So ein Zepp ist eng! Ausgeschlossen, daß wir nicht zusammenstoßen, und ausgeschlossen, daß er mich dann aus den Augen läßt! Was immer geschehen würde, ginge auf meinen Kopf! Und ich habe verdammt wenig Lust, drüben nochmals zu sitzen! Sind jetzt außerordentlich ungemütlich. Glaube nicht, daß ich wieder loskäme wie damals.« »Und was soll geschehen? Was, wenn Frank alles verhaut? Wir haben bis jetzt einen ganz netten Betrag im Geschäft!« »Es wird nicht schief gehen, Tex! Ich habe so meine Ideen! Aber es ist nicht so weit! Tu’ mir den Gefallen, und mach’ mal einen Sprung auf die Jacht … möchte nicht, daß Frank dort Dummheiten macht … oder die andern. Finde, daß diese Burschen keinen Ernst haben … Ich selbst« – er sah in die Ferne – »habe eine Menge zu tun …« * Max Bolle sah auf die Photokopie des Blattes, das man bei Molly gefunden hatte; er sah den flüchtig und doch sauber gezeichneten »Zepp« an, das Flugzeug, das einen weitverbreiteten amerikanischen Typ darstellte, und stützte gedankenvoll den Kopf in die Hände. Was bedeuteten diese Zeichnungen? Und was bedeutete das Wort »Glänzend«? Er sah Heide an, der neben ihm lümmelte und ebenfalls 121
auf das Blatt sah. »Hast keine Idee, Junge?« »Nee! Vielleicht soll das heißen, daß die Zeichnung glänzend ist? Hm?« Bolle schüttelte den Kopf. »Nein, glaube ich nicht! Der Mann, der das zeichnete, war kein Kind, das sich selbst eine Zensur ausstellt! Das ist keine Spielerei. Diese Leute haben keine Zeit dazu. Ich habe das Gefühl, als hätten wir in dieser Zeichnung den Schlüssel zu allerhand …« Hans Heide zuckte die Schultern. »Seit du Laferty gerochen hast oder glaubst, ihn gerochen zu haben, witterst du überall Geheimnisse! Ich glaube, daß es solche Zeichnungen in Menge gibt! Man zeichnet jetzt Zepp und Flugzeuge, so wie man früher Kinderwagen zeichnete! Nichts Besonderes, mein Junge! Du wirst noch überschnappen, wenn du überall Räuber siehst! Ich habe sozusagen die Verantwortung für dich! Suse sagte mir, mein lieber, lieber Heide … jawoll, zweimal lieber! also, mein lieber, lieber Heide, passen Sie mir doch nur auf, daß Max … nicht, mein lieber Maxe – keine Dummheiten macht! Sie wissen doch, wie er ist … ein Kind … nichts als ein Kind! Und Sie sind so ein ernster Mensch … Ich verlasse mich ganz auf Sie, lieber, lieber Heide …« Bolle mußte lachen. »Schafskopf! Aber nicht lieber, lieber, sondern ganz gewöhnlicher Schafskopf! Komm« – er war aufgestanden –, »ich möchte zu Molly … wir haben nicht mehr viel Zeit … wenn erst mal der Zepp da ist, haben wir andere Dinge zu tun …« * Molly ging es besser; jeder andere als sein irischer Schädel wäre bei diesem Zusammenstoß in Stücke gegangen. Der seine hatte gehalten, und es sah ganz so aus, als würde er in absehbarer Zeit wieder auf dem Damm sein. 122
Nur sprechen durfte er noch nicht, und die Schwester – es war wieder eine andere, aber nicht weniger nette – ging den beiden auch nicht von der Pelle. Bolle, der den Reporter irgendwie ins Herz geschlossen hatte, beugte sich zu ihm nieder und sah ihn an. Die Augen waren schon klarer, und wenn er von dem Gesicht auch heute nicht mehr sah als am Tage vorher, so schien ihm das, was er nun sah, doch irgendwie vertrauter. »Hallo, Junge, wie geht’s?« »Er darf nicht sprechen, Herr!« sagte die Schwester schnell. »Es ist streng verboten!« »Ich weiß«, sagte Bolle. »Ich erwarte ja auch keine Antwort! Und dann, Schwester, er kann es mir ja auch mit den Augen sagen!« Augen war in diesem Falle allerdings übertrieben. Das eine lag nämlich unter einem Verband, und das andere hatte eine veilchenblaue Umrahmung. Immerhin schien Molly verstanden zu haben. Er machte das eine halb zu und zwinkerte dann ein bißchen, und Bolle wußte, daß er verstanden worden war. Dann öffnete Molly seinen Mund und Bolle sah, daß er ein Wort zu formen versuchte. Es war wie das Lallen eines Kindes, und wieder beugte sich Bolle zu seinem Kollegen nieder. Und während die Schwester sich abwandte, hatte er sein Ohr fast ganz bei dem Munde des Verletzten. »La … La …«, mehr hörte er nicht, denn schon war die Schwester heran und sagte erbost: »Er soll doch nicht sprechen! Ich muß bitten, das Zimmer zu verlassen … Herr Molly, Sie sind sehr unvorsichtig …« Max Bolle, der vor allen Dingen nicht den Anschein erwecken wollte, als würde er die Gesundheit des Kranken gefährden wollen, wandte sich an die Schwester und sagte: »Ich muß Sie auf eines aufmerksam machen: Herr Molly 123
ist offenbar das Opfer eines Verbrechens, und es ist auch in seinem Interesse, wenn das aufgeklärt wird! Ich möchte nichts, als noch eine Frage an ihn richten – er soll nicht antworten … ich meine, nicht sprechen … Es genügt mir, wenn er mich versteht … Wollen Sie das erlauben?« Eine Sekunde zögerte die Schwester, dann sagte sie unsicher: »Gut! Aber er darf nicht sprechen!« »Danke!« Bolle trat wieder ganz zu dem Bett, beugte sich nieder und fragte: »Meinst du Laferty, Molly? Glaubst du, daß er die Hand im Spiel hat? Es genügt, wenn du das Auge schließt … Ich werde dich verstehen!« Er schwieg und sah gespannt auf den Kranken nieder. Was würde er tun? In diesem Moment schloß Molly Brand das Auge, hielt es vielleicht zwei Sekunden geschlossen, öffnete es dann und sah Bolly, so gut es eben ging, damit groß an. Bolles Gesicht verhärtete sich. Er nickte und sagte schnell: »Danke, Molly! Ich bin im Bilde! Nur eines noch …« – er lächelte die Schwester an –, »fandest du das Blatt mit den Zeichnungen – dem Zepp und dem Flugzeug dort, wo man dich gefangen hielt? Wenn ja, dann schließe wieder das Auge?« Wieder schloß Molly das Auge, und wieder sah er Bolle an, und diesmal schien es ihm, als würde ein wütendes Funkeln darin liegen. »Danke, Molly! Werde bald gesund! Fräulein Smith läßt grüßen! Clever ebenfalls … Komme bald in die Eiche, Junge! Das Bier wartet auf dich! … Und glaube eines: wir sind auf dem Posten! Auf Wiedersehen, Junge! Der Kerl, der dich so hingerichtet hat, kommt noch in unsere Fäuste … aber ganz bedeutend …« »Bist du jetzt klüger?« fragte Heide, der mit gespreizten Beinen über den glatt gebohnerten Korridor ging. 124
»Ich glaube ja, Junge!« sagte Bolle mit harter Stimme. »Mir ist es, als würden wir bald auf Jagd gehen müssen!« »Au weh!« sagte Heide und saß dabei auch schon auf seinem Hinterteil, rappelte sich hoch und hielt sich dort, wohin er gefallen war. »Wieder bum! bum! Fein! Aber diesmal mache ich Beefsteak aus dem Kerl! Habe es verdammt satt, in ein Land zu gondeln, wo es solche Parketts gibt … das ist doch …« In diesem Moment heulte eine Sirene auf, daß Heide sich erschreckt an Bolle anklammerte. »Mensch, Fliegerüberfall … Um Gottes willen …!« Es heulte nun, als sei die Hölle losgelassen, und Heide war so weiß wie die Wand des Korridors. »Da … das ist ja … Flieger … Mensch, es ist Krieg ausgekommen …« »Nee!« lachte Bolle, faßte Heide an der Hand und schlitterte mit ihm blitzschnell über den Korridor. »Nee, Junge … Die Heimat ist gekommen! Der Zepp ist gemeldet … Er kommt über Boston! Marsch, Mensch, ’ran an die Gewehre … Jetzt wird es ganz groß!«
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12. Obgleich eine gewisse Clique gegen den »Zepp« gehetzt hatte, war der Empfang triumphal geworden, und Bolle hatte dabei sogar seinen neuen Hut verloren, den ihm jemand im Wirbel einfach vom Kopf gerissen und gegen die Autos geworfen hatte, in denen, begleitet vom neuen Bürgermeister von Neuyork, die Offiziere des »Zepp« zum Rathaus gefahren waren. Jetzt saßen Bolle, Heide und ein etwa vierzigjähriger Mann, der das Aussehen eines Seeoffiziers hatte und mit herübergekommen war und Otto Falke hieß, in der Halle des »Metro«. Bolle hatte lange gesprochen, und als er nun schwieg, hob Falke das Glas: »Prost!« – er lehnte sich in die Ecke zuück und sagte ernst: »Das ist also alles, was Sie wissen, Bolle? Hm?« »Ja! Ich gebe zu, daß es bis jetzt mehr Gefühle sind als Tatsachen, aber schon die eine Tatsache, dieser Laferty zum Beispiel, genügt mir …« »Sie sind also überzeugt, daß er es ist?« »Ja! Und mein Freund Heide auch! Und der kennt ihn nicht weniger als ich!« »Also, so ganz überzeugt möchte ich nun nicht sagen!« meldete sich Heide. »Eine Ähnlichkeit … Bis auf die Narbe …« Otto Falke dachte nach. »Sie wissen, Bolle, daß ich für das Schiff eine gewisse Verantwortung habe! Ich meine für die innere Sicherheit! Wenn etwas nicht klappt, faßt man zuerst mich am Kragen!« »Gewiß, Herr Kommissar!« »Sagen Sie das lieber nicht«, lächelte Falke und sah in 126
das Gedränge der Menge. »Ich nehme an, daß es auch hier lange Ohren gibt … und …« »Oh!« Bolle schrie fast auf. »Dort … Falke, der Mensch an der Säule … er ist eben hereingekommen … Der lange, dunkle mit der scharfen Nase … das soll er sein … Alles stimmt, bis auf die Narbe …« »So?« sagte Falke und stand auf. »Das werden wir sofort haben! Decken Sie sich … Zeitung …« In der nächsten Sekunde waren Bolle und Heide hinter einer der riesigen amerikanischen Zeitungen verschwunden, während Falke schon aufgestanden war und scheinbar ohne Eile, in Wirklichkeit aber trotzdem sich sehr schnell gegen den Mann vorschob, der jetzt in der Nähe der Empfangshalle stand und scheinbar auf jemand wartete. Mit etwas unruhig klopfendem Herzen blinzelte Bolle hinter der Zeitung hervor. Was hatte Falke, dessen Gerissenheit er kannte, denn vor? Er würde doch nicht offen auf ihn losgehen? Ähnlich sah ihm so etwas, aber … Otto Falke dachte nicht daran. Er schlängelte sich in die Nähe des beschriebenen Mannes, der in dem Gedränge, das in der Empfangshalle herrschte, nur mühsam seinen Platz behalten konnte und hatte auf einmal, ohne daß Bolle sehen konnte wie, einen kleinen Wirbel in Szene gesetzt. Eine Dame schrie auf und in der gleichen Sekunde rempelte Falke mit wunderbarer Geschicklichkeit Laferty so an, daß diesem der Hut zu Boden fiel. Ehe aber Laferty noch beginnen konnte, hatte sich Falke auch schon danach gebückt und reichte nun Laferty mit einem bezaubernden Lächeln den Hut. »Entschuldigen Sie! Ich wurde gestoßen! Ich hoffe, daß Sie mir nicht böse sind …« Er sah dem Manne scharf und dabei doch offen 127
in die Augen. »Sie werden vielleicht um so eher entschuldigen, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich eben erst von drüben komme … Ich bin vom Zepp … Und schrecklich müde …« »Oh!« Ted Lafertys Gesicht wurde locker. »Das hat nichts zu sagen, es gibt viele Hüte, aber …« – er lächelte verbindlich –, »nur einen Zepp! Ich nehme an, daß Sie eine gute Überfahrt hatten?« »Oh, … wunderbar …« »Und Sie werden wieder zurückfahren?« fragte Laferty. Das ist allerhand, Junge! dachte Falke. Du willst mich wohl ausfragen, hm? Na, das kannst du haben. Er studierte das Gesicht so gut es nur ging und sagte, Laferty dabei scharf beobachtend: »Doch … ich … ich vertrete mein Haus … Maschinen … Ich hoffe Geschäfte zu machen und wieder glücklich drüben zu landen …« »Und wann denken Sie, werden Sie starten?« Hm, das interessiert dich also auch? Falke dachte eine Sekunde nach. Sollte er sagen, was er wußte? Oder … Er lächelte. »Wenn ich das wüßte, Herr …« »Strong! Charles Strong …« »Ja, also, Herr Strong …« »Herr Laferty! Herr Laferty!« rief in diesem Moment einer der Boys! Telefon! Herr Laferty! Zelle zwanzig! Der Boy trat auf ihn zu. »Herr, Ihr Gespräch.« Ted Laferty wurde den Bruchteil einer Sekunde verlegen, dann sagte er schnell: »Oh, mein Freund ist leider nicht da, Boy … ich werde für ihn sprechen!« – er wandte sich an Falke: »Sie entschuldigen! Es war sehr interessant!« »Und ob!« sagte Falke sehr leise, als er sich wieder zu dem Tisch zurück begab. »Und ob!« Er ging aber nicht bis 128
zu seinem Tisch. Er wartete, bis Bolle hinter der Zeitung hervorsah und gab ihm einen Wink mit den Augen. Dann ging er langsam gegen einen Aufzug. Bolle hatte sofort verstanden. Er erhob sich sofort und sagte schnell: »Heide, wir trennen uns! Erwarte mich im Empire. Falke hat etwas erfahren. Los!« Vorsichtig und immer darauf bedacht, daß ihn Laferty nicht sehen könne, steuerte Bolle zu einem Fahrstuhl und war einige Minuten später in Falkes Zimmer, der schon aufgeregt auf und ab ging. Er blieb vor Bolle stehen und sagte scharf: »Er ist es!« Bolle machte große Augen und sagte, als Falke geendet hatte: »Also doch!?« »Ja! Er wurde ganz ohne Zweifel operiert! Narbe hat er keine, Bolle, das heißt, keine solche, wie sie beschrieben haben; sie wurde entfernt, und zwar durch eine Transplantation eines Hautstückes! Man bemerkt, wenn man sehr genau hinsieht, die neue Narbe – fast nur einen Strich, beim Haaransatz der linken Wange! Dieser Professor muß ein Künstler sein!« »Und der Name?« »Natürlich ein Trick! Er heißt selbstverständlich Laferty! Hat eine wunderbare Selbstbeherrschung, Bolle! Der Mann interessiert mich! Glaube gerne, daß der Ihnen zu schaffen machte! Wenn es richtig ist, daß er etwas im Schilde hat, so können wir uns auf ein aufregendes Duell gefaßt machen!« »Es wäre mir lieber, wenn ich wüßte, was er will! Eine verdammte Sache, einen Feind im Zepp zu wissen!« »Ja!« sagte Falke ernst. »Das ist richtig! Aber es ist gut, daß wir den Feind wenigstens kennen … Und daß wir ihn 129
kennen, das verdanken wir Ihnen, Bolle!« Max Bolle errötete. »Aber, aber! Wirklich kein Verdienst! Und was wollen Sie tun.« »Vorerst einmal pennen!« lachte Falke. »Denn sehen Sie, nichts ist so schwer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen – oder Stunden! Ich habe heute schon so oft Hände geschüttelt, daß mir alle Knochen weh tun, und die letzten vierundzwanzig Stunden an Bord waren gerade auch nicht sehr schlummerreich …« – er gähnte –, »und morgen ist ein Diner hinter dem andern! Im Stadthaus! City-Klub! Deutscher Klub! Aero-Klub! Und so weiter an der Leine! Nee – Sie entschuldigen mich, Bolle …« – er begann schon, sich auszukleiden –, »… aber schlafen muß der Mensch. – Und wenn er das erst getan hat, dann wollen wir uns mal Onkel Clever vornehmen. Schätze, daß er uns einen Tip geben kann. Und den verunglückten Molly möchte ich auch bewimpeln …« – er ging in das Badezimmer und stellte sich unter die Brause –, »… und dann gehen wir auf die Jagd, Bolle …« – er rieb sich ab –, »und jetzt schlafen. – Gute Nacht und schönen Dank!« * Als Bolle die Halle des »Empire« betrat, saß Heide dort und ruderte aufgeregt mit seinen langen Armen. »Mensch, Bolle, schaff’ mir bloß das Mädchen vom Halse! Redet wie ein Wasserfall, hat Lippen wie eine Purpurschnecke und Augen – ich sage dir, Augen, wie, na wie – also, wie ein Mädchen!« Er putzte sich aufgeregt die Gläser. »Augen, daß meine Fenster blind werden! Blau, verstehste, vollkommen und überall blau, und Zähne hat sie – also, Zähne, wenn da nur nicht mal Haare darauf wachsen … Eine ganze Perücke, verstehste … Ich bitte dich, Mensch, schaffe mir bloß das Mädchen vom Halse … Zehnte Alarmstufe!« Er schnaufte. »Warum guckst du mich so dämlich an? Geh und schaffe mir sie vom Halse! 130
Mir ist schon ganz gestern!« »Hm!« Bolle griff teilnehmend und wie besorgt an die Stirne seines Freundes. »Hm! Sechzig Grad im Schatten! Ja, ich sage es immer, das Klima bekommt nicht jedermann!« »Maxe! Mache keine geistreichen Komplimente! Geh’ in die Bar! Sie sieht sich ihre herrlichen Augen nach dir aus …« »Möchtest du vielleicht deine etwas lose gewordenen Gehirnschraube befestigen und dich europäisch ausdrücken?« fragte Bolle und schüttelte den Kopf. »Ich bin ja schließlich nicht ausschließlich dazu da, um Rätsel aufzulösen! Wer oder was wartet?« »Geh’ und schau! Aber paß auf deinen Hals auf! Sie hängt sich so sicher daran, wie Hühner Eier legen!« Als Bolle mit ziemlich gemischten Gefühlen die Bar betrat – hinter ihm in respektvoller Entfernung Heide –, flog ihm May Smith wirklich fast um den Hals. »Oh, Herr Bolle, ich erwarte Sie mit sehr großer Ungeduld!« Sie verdrehte die wirklich ganz netten, blauen Augen. »Ich habe mit Herrn Heide gesprochen, aber er ist, glaube ich, sehr dumm! Er hat mich nur immer angesehen und Jawohl! gesagt, und dabei habe ich gefragt, ob er auch glaubt, daß mein Molly sterben muß … Oh, muß er?« fragte sie und spitzte dabei den roten Mund. »Nein! Er muß nicht!« sagte Bolle und verbiß sich das Lachen. »Sie müssen meinem Freund Heide verzeihen! Er kann nur drei Worte englisch – vielleicht etwas mehr: Bei Ihnen hat er ja und nein verwechselt! Sonst ist er ein guter Junge!« May Smith lachte. »Oh, Herr Bolle, Sie müssen mir helfen! Ich war bei meinem Molly … Er ist sehr krank, und die Schwester hat mir gar nicht erlaubt, ihm einen 131
Kuß zu geben …« Eine Sekunde wollte Bolle sagen, daß er zur Stellvertretung bereit sei, erinnerte sich aber gleichzeitig verschiedener Dinge und sagte tröstend: »Ich hoffe, Fräulein May, daß Sie das bald nachholen können! Herr Molly wird bald so weit sein …« Die veilchenblauen Augen funkelten. »Oh, nein! Er hat ja einen Arm gebrochen …« Bolle verstand nicht gleich, was ein gebrochener Arm mit einem oder einigen Küssen zu tun haben könne, kombinierte dann aber und wollte eben weiter sprechen, als May Smith erregt sagte: »Ich habe große Angst, daß er wieder überfallen wird … Ich kenne diese Gangster von hier!« – sie machte eine Pause und sah Bolle an, daß auch ihm etwas anders wurde. – »Ich will Ihnen etwas sagen, – ich werde diesen finden, der meinen Molly entführt und kaputt gemacht hat, und ich werde ihn nach Sing-Sing schicken – ich werde ihn finden und ihn niederboxen!« Oh, du süße Koralle! dachte Bolle und sah verstohlen auf die kleinen sehr gepflegten Hände. Wäre vielleicht nicht das schlechteste, von ihnen k. o. geschlagen zu werden … »Oh, Sie müssen nicht lachen!« sagte da May Smith sehr ernst und verzog den Mund. »Ich spaße nicht …« Ich auch nicht! dachte Bolle amüsiert. Mit so einem Mund boxen – auch eine Idee … »Und –« May Smith machte eine Pause. »Und – daß ich fangen kann, werde ich mit dem Zepp fliegen …« Bolle lehnte sich auf dem Barhocker zurück und wäre fast zur Erde gefallen. »Oh, du süße Koralle, du! Du netter Frosch, du willst …« – er machte ganz große Augen – »du kleine Krabbe, das wäre vielleicht eine nette Fracht, aber …« 132
»Ja!« sagte da May Smith sehr ernst und energisch: »Ich werde mitfahren … Ich habe schon meine Stelle aufgegeben … Oh, Sie sehen jetzt aber auch nicht sehr klug aus – ganz so, wie« – sie deutete nach dem Hintergrund, wo Heide verstohlen einen Cocktail schlürfte –, »ganz so, wie Ihr Freund … Oh, ich werde diese Gangster fangen! Sicher! Und Sie werden mir dabei helfen!« * Ted Laferty war überzeugt, selten einen Fehler zu machen und hatte damit nicht unrecht; als er sich aber von dem Fremden verabschiedet hatte, biß er sich ärgerlich auf die Zunge. Was war ihm da eingefallen? Warum hatte er sich vorgestellt? Hätte er es nicht getan, so hätte dieser verdammte Deutsche nicht Gelegenheit gehabt, den Boy zu hören, als dieser seinen Namen rief? Wie, wenn … Er sah sich, ehe er in die Sprechzelle glitt, um, und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. »Verflucht!« Saß dort nicht, hinter einer Zritung verborgen, die sich jetzt halb verschoben hatte, dieser dreimal verdammte Herr Bolle? Laferty ließ das Gespräch Gespräch sein, verbarg sich hinter der Säule, der er zunächst stand und blickte gegen die Ecke, auf die Falke zugeschritten war. Eine Sekunde später sah er, wie Bolle aufstand, vorsichtig einem Fahrstuhl zuschritt und darin verschwand. Mit funkelnden Augen sah er sich nach dem Fremden um. Und als er ihn nicht sah, war er im Bilde. Und als er dann Heide aufstehen sah, wich einen Augenblick alle Farbe aus seinem Gesicht. Er wartete, bis dieser die Halle verlassen hatte und ließ sich das Gästebuch geben. Es waren viele Gäste angekommen, besonders Deutsche, 133
aber Lafertys Augen blieben nur an zwei Namen hängen: Otto Falke, Kaufmann aus Hamburg, und Wilhelm Gumpke, Dresden. Er schob das Buch zurück, richtete einige Fragen an einen der Männer in der Auskunft und nickte nachdenklich. Falke also hieß der Mann; Gumpke konnte es nicht sein, denn der war nach der Beschreibung klein und rundlich, und gerade das konnte man von dem Manne, der ihn so hereingelegt hatte, nicht sagen! Einige Sekunden stand Ted Laferty wie in tiefem Nachsinnen. Dann ging er in eine Sprechzelle. »Ja, ich Ted! … Ich muß dich noch heute sprechen, Tex! … Nein, das gerade nicht, aber auch nichts besonders Angenehmes! Stimmt, die Stadt ist verrückt. – Im Metro! Und noch eines: Schaffe mir Ruffo herbei! Richtig! Nein … nein! sage ich, du mußt keine Sorge haben, aber es ist nichts für den Draht! Ich bin um zehn bei dir!« * »Nein, Miß Maud, ich fahre nicht mit«, sagte Laferty, »aber …« – seine dunklen Augen schienen Funken zu sprühen – »ich werde immer an Sie denken!« Maud Meerland spielte zerstreut mit funkelnden Halbedelsteinen, die in einer kostbaren Onyxschale lagen und sah dann Laferty verträumt an. »Oh, und ich dachte, Sie würden mit nach dem alten Kontinent kommen!« Sie lächelte, und der Schein des gedämpften Lichtes spielte verführerisch auf dem Weiß ihrer Schultern. »Es wäre schön gewesen!« Ted Laferty mimte mit hinreißender Geschicklichkeit Leidenschaft und sagte mit einer Stimme, die auch eine 134
andere Frau nicht ganz kalt gelassen hätte, leise: »Ich bin unglücklich, daß ich Sie allein lassen muß, Miß Maud, aber …« – er seufzte sehr echt und sagte dann mit einem innigen Blick seiner jetzt schmachtenden Augen: »Es sind leider unaufschiebbare Geschäfte! Und dann …« – sein Blick wurde fast unmerklich lauernd –, »ich meine, was würde Herr Wanemaker sagen?« Fräulein Maud Meerland hob die Augenbrauen, und ihr Blick wurde kühl. »Oh, ich glaube nicht, daß ich ihm Rechenschaft schuldig bin! Billy ist ein guter Junge, aber …« – sie lächelte – »sonst vielleicht nichts!« Laferty, der seine Zeit gekommen sah, fragte scheinbar sehr interessiert: »Aber man spricht doch davon, daß – nun, daß Billy große Aussicht hätte, Fräulein Meerland zu seiner Frau zu machen!« »So? Spricht man das?« – Sie ließ eine Handvoll Steine durch ihre weißen Hände gleiten und sah in das Funkeln – »man spricht viel, Herr Laferty, sehr viel! Ich glaube, daß Billy am meisten spricht!« – Sie lachte. – »Er ist sehr komisch – er hat Angst, daß der Zepp verunglückt, er ist sehr altmodisch …« Ted Laferty nickt. »Ich würde es nie erlauben«, sagte er mit einem heißen Blick, »daß Sie mitfahren, wenn ich nicht glauben würde, daß er so sicher sei, wie sonst etwas auf der Welt! Das heißt …« – stellte er eine Falle –, »ich habe keine Ahnung, ob Sie auf mich hören würden?« »Vielleicht!« antwortete Maud, die alles merkte, nur nicht eben diese Falle. »Vielleicht würde ich!« Ted Laferty hatte in seinem Innern daran nicht gezweifelt. Er wußte schon lange, daß der Fisch an der Angel lag, aber er war viel zu gerissen, um das merken zu lassen. Er wollte diesen Goldfisch nach der Art der Sportfischer drillen und erst dann herausgeben, bis er so 135
fest stak, daß jeder Widerstand zwecklos war und er willenlos am Haken hing. Er faßte die Hand der schönen Frau und hauchte einen Kuß darauf. »Sie machen mich sehr glücklich, Fräulein Maud, und ich werde noch glücklicher sein, wenn Sie wieder zurück sind. Ich hoffe, daß Sie nicht lange bleiben!« Langsam und nicht ohne seine Hand unmerklich aber doch zu drücken, zog Maud die ihrige zurück und lächelte. »Nein, Ted, ich werde bald kommen!« Ted ist gut, sehr gut, dachte Laferty und machte einen Zuck mit der Schnur. »Und Sie versprechen mir, vorsichtig zu sein! Ich meine drüben! Sie werden nicht auf Berge steigen, Fräulein Maud – bedenken Sie, daß ich warte – und mich sorge!« – sein Gesicht drückte tausend Prozent Kummer aus. – »Ich werde keine Nacht ruhig schlafen!« »Oh!« Fräulein Maud war gerührt. »Ich werde sehr brav sein! Ich werde nicht auf Berge steigen!« »Ich danke Ihnen!« fagte Laferty schlicht und warf gleich wieder seine Schnur weit aus. »Und – Sie haben doch immer die Gewohnheit, Geld mitzunehmen – Banknoten!« – Er runzelte die Stirn. – »Halten Sie das nicht für gefährlich? Und Ihren Schmuck?« – Er schüttelte den Kopf. – »Wenn ich daran denke, daß – daß Sie jemand berauben könnte – es wäre schrecklich!« »Oh!« Maud lachte hell auf. »Nun machen Sie das gleiche wie Billy! Ich habe keine Angst! Ich stecke« – sie machte geheimnisvolle Augen –, »alles Geld in eine Hutschachtel, darauf kommt niemand! Und meinen Schmuck« – sie sah auf das berühmte Armband nieder und spielte mit der Halskette –, »oh, das lege ich immer in eine kleine Dose!« – Sie sah ihn lustig an. »In eine kleine rote Dose und wissen sie, was darauf steht?« 136
»Nein«, antwortete Laferty und fühlte, wie sein Herz doch etwas schneller schlug. »Da steht darauf Puder und unten ist ein kleines Fach, und in diesem Fach liegt dieses Armband und noch anderes …« – Sie lachte herzlich. – »Ist das nicht schlau?« »Sehr schlau!« sagte Laferty und atmete tief. »Ich staune, Fräulein Maud!« Maud verzog den Mund. »Und Billy sagt, das ist Blech! Er sagt, diese Gangster sind so große Spitzbuben, daß sie alles finden – aber ich glaube das nicht!« »Ich auch nicht!« antwortete Laferty mit Überzeugung und stand auf. »Herr Wanemaker überschätzt, glaube ich, diese Leute. In Wirklichkeit haben sie keine Phantasie und man müßte ihnen so ein großartiges Versteck« – er lächelte verbindlich – »wohl schon sagen, damit sie es finden!« – Er lachte nun herzlich. – »Und das, Fräulein Maud, werden Sie ja wohl nicht tun!« Maud lachte, daß ihr fast die Tränen kamen. »Oh, nein, das werde ich wirklich nicht tun! Sie find sehr lustig, Herr Laferty? Müssen Sie schon gehen?« »Leider!« sagte Laferty, beugte sich über die Hand und küßte sie heiß. »Geschäfte!« – Er machte ein wichtiges Gesicht. – »Mein Verwalter ist gekommen – irgend etwas ist mit meinen Rindern los. – Es gibt ja …« – er machte ein ganz fröhliches Gesicht –, »so viele Rinder und vor allen Dingen Kälber, Fräulein Maud, daß man staunen muß!« »Oh, ja, das ist wahr!« – sie lachte und sagte froh: »Aber Sie kommen bald wieder?« »Gewiß! Oh, es ist bereits zehn – nun muß ich aber eilen! Es war wunderbar! Fräulein Maud … Wirklich wunderbar!« 137
13. Die Feierlichkeiten, die die Stadt Neuyork den Offizieren und der Mannschaft des »Zepp« gab, machte Max Bolle nur widerwillig mit, denn er hatte inzwischen mit Molly Brand gesprochen und ganz andere Dinge im Kopfe, als Ansprachen, endlose Ansprachen sogar und ähnliche Dinge. Er war fest überzeugt, daß er seinen alten Gegner Max vor sich hatte und wie keiner – Heide vielleicht ausgenommen – wußte, was dies hieß! Nervös ging er in seinem Zimmer auf und ab und dachte daran, was Laferty, wie er sich hier nannte, wohl vorhatte. Ging er auf eine Erpressung größten Stiles aus, ohne dabei, so wie damals, Mord und Totschlag zu scheuen? Wollte er vielleicht Maud Meerland entführen und Billy Wanemaker um die Ecke bringen, wenn er ihn dabei störte? Vor allen Dingen – was aber hatte Laferty mit dem »Zepp« vor? Zum tausendsten Male starrte Bolle auf die Kopie der von Molly Brand mitgenommenen Zeichnung, ohne auch diesmal weiterzukommen. Was zum Teufel bedeutete diese Zeichnung. Und – stammte sie von Laferty? Wie, wenn er sich auf einer falschen Fährte befand? Wenn Laferty mit dem »Zepp« gar nichts zu tun hatte und die Worte, die er damals im »Empire« aufgeschnappt hatte, gar keine Bedeutung hatten? Oder wenn – Bolle floß bei diesem Gedanken ein kalter Schauer über den Rücken – wenn Laferty ihn narrte und jemand, den er gar nicht kannte, eine Teufelei mit dem 138
»Zepp« ausheckte, während er wie verrückt hinter seinem alten Freund her war? Er starrte in Gedanken versunken auf die Zeichnung nieder und hatte dabei das ganz sichere Gefühl, daß gerade sie die Lösung des Rätsels enthielt, aber diese Lösung zu finden – das war eben das verdammt Schwere … Und Heide ließ ihn diesmal scheinbar auch im Stich … Und dabei mußte er auf die Spur kommen … und zwar schnell, denn der »Zepp« war den dritten Tag hier und würde höchstens noch vier bleiben! Und bis dahin mußte er bedeutend mehr wissen als heute … Er nahm seinen Hut, verschloß das Zimmer sorgfältig und ließ unten eine Taxe heranpfeifen. Irgend etwas mußte geschehen! * Billy Wanemaker wohnte im Central Park South, und Bolle kannte Neuyork gut genug, um zu wissen, was das hier hieß. Wer da wohnte, mußte Geld haben; viel sogar! Das kleine Palais, das den Wanemakers gehörte, war insofern ein architektonisches Wunder, als es keinen Baustil gab, der daran nicht vertreten war: das Portal stammte aus der Sarazenenzeit in Spanien, die Säulen, die es flankierten, konnten in Griechenland ausgegraben sein, während das Haus selbst eine liebliche Mischung von Renaissance, Gotik und etwas war, was sich wieder aus drei oder vier Stilarten zusammensetzte. Bolle bekam Augen, so groß wie eine Kaffeetasse und sie wurden nicht viel kleiner, als er in die Halle geführt wurde, in der neben echten, herrlichen RenaissanceMöbeln moderner Kram stand, den Bolle nicht einmal in einem Berliner Ramschladen erwartet hätte. Ehe er aber dazu kam, sich von seinem Entsetzen zu 139
erholen, stand Billy Wanemaker vor ihm, und so wenig ihm das Sammelsurium der Einrichtung gefiel, so sehr gefiel ihm die frische, lebendige Art dieses jungen Millionärs, der ihm sogleich die Hand hinstreckte. »Erfreut, Herr Bolle! Kenne Deutschland! Große Sache! Habe zwei Brieftaschen vom Alten Fritz und eine von Bismarck! Ganz groß! Kosteten viele Dollar, sind aber in Ordnung! Sie kommen von Molly! Feiner Kerl – hitzig, schreibt aber herrlich über Baseball! Ganz große Sache! Herrlich!« Er sprach so schnell, daß Bolle mit dem Hören kaum nachkam. »Gehört, daß er im Krankenhaus liegt … Hoffentlich nichts Schlimmes … Gute Besserung! Und womit kann ich Ihnen dienen, Herr Bolle? Mollys Freunde sind meine Freunde …« – Er rief laut: »Hallo, Jack, Halunke, Whisky, aber schon!« Einige Sekunden später schob ein Neger eine kleine Hausbar auf Rädern herbei, mischte Whisky und verschwand wieder. Billy Wanemaker trank und sagte dann noch immer sehr lebendig: »Mit Zepp hier? Feine Sache! Ganz groß! Muß auch mal ’rüber … jetzt leider keine Zeit … großer Sportkampf … Schon meine Mannschaft gesehen? Nein? Oh, schade – ganz groß! Sie müssen das ansehen … Und womit kann ich Ihnen dienen?« Er zündete sich eine Zigarette an. »Fremd hier, was? Feine Stadt! Ganz groß!« Bolle war von der explosiven Art des Amerikaners etwas mitgenommen. Diese Stadt war doch irgendwie anstrengend! Dann faßte er sich aber und begann zu erzählen; ganz, ganz vorsichtig und nur in Andeutungen. Kaum hörte aber Billy, daß möglicherweise Maud Meerland Gefahr drohe, so sprang er wie von einer Natter gestochen in die Höhe und war kaum wieder zu beruhigen. Er wollte sofort und unter allen Umständen die Polizei anrufen, und Bolle hatte alle Hände voll zu tun, um ihn wieder zu beruhigen. 140
»Sie müssen mich recht verstehen … oder uns, Herr Wanemaker«, sagte er und stärkte sich mit einem Whisky. »Wir wissen gar nichts und hundert gegen eins, daß nichts passiert … Aber ich habe nun einmal einen Argwohn gegen diesen Herrn Laferty …« Billy sprang wieder in die Höhe. »Oh, Laferty … Laferty … Ich sage Ihnen, ein Gangster! Ich wette meinen Laden gegen eine blinde Kuh, daß er einer ist, aber Maud … Ich meine, Fräulein Meerland ist von ihm verhext! Laferty hin und Laferty her! Soll ihn der Teufel in der Nacht holen! Rinderherden soll er besitzen, wette, daß er keinen Kuhschwanz hat! Zum Lachen, Herr!« »Sie dürften recht haben, Herr Wanemaker … und eben darum wollen wir sicher gehen, und ich glaube, daß es ganz gut wäre, wenn Fräulein Smith Fräulein Meerland begleiten würde! Ohne, daß diese es weiß! Ganz im geheimen … Aber sie dürfte sie nicht aus den Augen lassen! Als Frau wäre ihr das leicht möglich! Fräulein Smith ist eine sehr kluge und energische Dame … sie ist außerordentlich schlecht auf die Leute zu sprechen, die ihren Liebsten so zugerichtet haben und wird alles tun, um sie zu finden! Es dreht sich nur um … ich muß es doch sagen – um das Finanzielle! Die Fahrkarten sind offiziell vergriffen … Man müßte eine von diesen bekommen! Das kostet allerdings …« Billy Wanemaker sprang so schnell auf, daß die fahrende Bar ins Gleiten kam und er sie nur mit Mühe davor bewahrte, ins maurische Bassin zu sausen. Dann sprang er auf Bolle zu, rannte ihn dabei fast um und rief, als würde er gemordet: »Mann, Geld spielt keine Rolle! Ich finde die Idee ganz groß! Herrlich! Fräulein Smith muß mit hinüber! Sofort!« – Er rannte um das Bassin und wäre bald selbst zu den vornehmen Goldfischen gesaust. – »Aber wie kommt man zu so einer Fahrkarte?« fragte er atemlos. 141
»Wie?« »Ich würde eine Anzeige in einigen Blättern vorziehen!« sagte Bolle. »Das kostet wieder Geld, ist aber das beste!« Billy Wanemaker setzte sich hin, zückte ein Scheckbuch und Feder und reichte Bolle dann das Papier. »Tausend Dollar für die Anzeigen! So groß, wie möglich … Ganz groß!« – Er besann sich. – »Schätze, daß Fräulein Smith keine Prinzessin ist … ausgezeichnet … soll einkaufen … Kleider und so … Geld ist Nebensache! Ich will, daß dieser ganz verdammte Gangster eine auf den Hut bekommt! Fräulein Smith soll die Rechnungen zu mir schicken lassen! Sie soll ganz wie eine Dame aussehen! Paßt sonst nicht zu Fräulein Meerland und fällt auf!« – Er lachte. – »Daran muß man denken! Bin nicht so dumm, wie meine Plattfußeinlagen aussehen, hahaha! Fräulein Smith kommt aus dem Westen … Farmerstochter … ausgezeichnet … Maud … ich meine Fräulein Meerland liebt den Westen … werde mit ihr sprechen … Ich meine, mit Fräulein Smith! Sie werden das veranlassen … Vielleicht können wir morgen zusammen frühstücken …« – Er rieb sich die Hände. – »Ganz große Sache! Ja und wenn Sie eine Brieftasche haben … eine alte … ich meine vom Alten Fritz oder so ähnlich … Napoleon oder Ramses … zahle jeden Preis! Ist sie hübsch?« fragte er dann. »Ich meine natürlich Fräulein Smith!« sagte er schnell, als er Bolles verblüfftes Gesicht sah. »Doch! Fräulein Smith ist sehr hübsch!« »Ausgezeichnet!« rief Billy heiter. »Sehr große Sache – glänzend!« – Er war augenscheinlich sehr vergnügt. – »Wir werden die Gangster nach Sing-Sing schicken … Ich hoffe so!« »Aber nur, wenn Sie schweigen können! Wenn Fräulein Meerland auch nur ein Wort erfährt, erfährt es auch Herr 142
Laferty und dann …« – Bolle machte ein sehr ernstes Gesicht –, »… gebe ich für Ihre Gesundheit, Herr Wanemaker nicht mal mehr eine Plattfußeinlage! Und ob Fräulein Meerland dann gut wegkommt, möchte ich bezweifeln!«’ Der Millionär schluckte. »Ich … ich schwöre Ihnen!« – Er legte dabei einen Finger auf die Sommersprosse auf seiner Nasenspitze. – »Ich bin stumm wie ein … wie ein Fisch … Ich … Ich will doch Maud Meerland heiraten, müssen Sie wissen, und dieser verdammte Gangster hat ihr den Kopf verdreht … Ich werde alles tun, was Sie wollen …« »Dann habe ich Hoffnung!« sagte Bolle und faltete den Scheck. »Ich werde Fräulein Smith verständigen …«
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14. Fahrkarte für Zepp Kaufe Fahrkarte für Zepp nach Europa. Angebote: Amerika-Zepp Dienst Lakehurst. Batt. Ted Laferty schlug mit der Hand auf die Anzeige und auf den Stapel Zeitungen, die am Tisch lagen, und zog seine Augenbrauen zusammen. »Verdammt will ich sein, wenn da nicht eine Teufelei dahinter steckt! Es gibt kein Blatt heute, wo diese Anzeige nicht drinnen ist … und das kostet eine Menge Dollar! Glaubt ihr, daß das nichts zu bedeuten hat?« Tex Corner schüttelte den Kopf und sah seinen Mitarbeiter etwas erstaunt an. »Finde, daß du seit einiger Zeit reichlich nervös bist! Was soll denn das wieder zu bedeuten haben? Nichts, als daß irgendein verrückter Kerl sich einbildet, mitfahren zu müssen! Das haben wir ja schon einige Male erlebt! Erinnere mich, daß man bei der letzten Fahrt dieselbe Komödie hatte! Frank verdiente damals fünftausend Dollar, und für nichts, als daß er so klug war, sich eine Fahrkarte zu bestellen! Rechtzeitig allerdings!« Alex Ruffo nickte. »Stimmt! Frank schmiß damals Champagner! War ein Esel, daß es mir nicht einfiel! War eine verrückte Kuh aus dem Westen, die unbedingt mitwollte! Frank hätte leicht um tausend mehr verdienen können.« Ruffo, noch keine Dreißig, groß, sehr schlank, schwarz mit einem harten, aber doch einnehmenden Gesicht, sah einem Zigeuner sehr ähnlich, und es gab einige, die 144
behaupteten, daß er einer sei. Jedenfalls war er aus einem Balkanstaat eingewandert, und Laferty kannte ihn noch von der Zeit her, wo er in einem durchaus zweitrangigen Lokal Teller gewaschen hatte. Ein Zufall hatte sie nähergebracht und Laferty veranlaßt, den flinken und gut aussehenden Burschen nach Chikago zur »Ausbildung« zu senden. Und nach drei Jahren war er so weit gewesen, daß er ihn zu allem verwenden konnte. Alex Ruffo war nicht kleinlich und nicht wählerisch. Er verlangte nur Geld. Er verlangte nur ein gutes Leben und hatte eine unüberwindliche Abneigung, richtig arbeiten zu müssen. Was Ted Laferty vollkommen verstand, und er setzte Ruffo mit Vorliebe dort ein, wo er selbst nicht auftreten wollte, aber jemand brauchte, auf den er sich vollkommen verlassen konnte. Und das war bei Ruffo der Fall. Er hing an Laferty und war bereit, für ihn in die Hölle zu steigen. Laferty sah jetzt seinen Schüler an und schüttelte den Kopf. »Das mag stimmen, aber trotzdem … ich sage euch, daß diese Anzeige nicht richtig ist!« »Es gefällt mir nicht, daß du hinter allem etwas vermutest!« sagte Corner unruhig. »Bist doch sonst nicht so! Finde, daß deine Nerven nicht in Ordnung sind!« Laferty lachte etwas heifer auf. »Lächerlich, Tex! Waren nie besser, aber man muß sich vorsehen! Solange ich diesen Burschen nicht unschädlich gemacht habe – für immer –, bin ich verdammt auf dem Posten!« »Und warum überläßt du ihn nicht mir?« fragte Ruffo und sah seinen Meister kalt an. »Ich bin ganz groß in Form, und es wäre denn doch gelacht, wenn ich nicht fertig werden würde mit dem Kerl!« – Er tastete nach der Tasche an der Hüfte. – »Es ist alles bereit.« 145
»Weiß, daß du in Ordnung bist, Ruffo!« sagte Laferty mit einem dankbaren Lächeln. »Aber es hat keinen Sinn! Wir müssen alles Aufsehen vermeiden, sonst geht alles schief! Molly hat schon genug Stunk gemacht! Was ich wissen will, ist das Eine, ob diese Kerls mit der Anzeige zu tun haben! Ob das eine Falle ist! Mir fällt auf, daß die Anzeige in der Sun besonders herausgestellt ist … Da …!« – er schlug die genannte Zeitung auf und schlug auf die ganz groß aufgemachte Anzeige –, »Bully tut das nicht aus Nächstenliebe, das wissen wir …« »Stimmt!« gab Corner zu, »aber es kann ein Zufall sein!« »Glaube an keinen Zufall!« widersprach Laferty. »Glaube daran, daß dieser Bolle hinter Bully steckt! Und hinter Bolle dieser Herr Falke!« – Sein Gesicht wurde böse. – »Und beiden traue ich nicht … habe verdammt Lust, sie mir anzusehen …« Ruffo lächelte. »Stop, Laferty! Bei Bully ist doch Woodle! Ein ordentlicher Bursche, aber dumm! Verdammt dumm!« – Er sah auf die Uhr. – »Zehn … um diese Zeit ist Bully noch nicht im Bau …« »Du kennst Woodle?« fragte Laferty. »Ich habe mit ihm schon mehr als einen gehoben … Alexander Ruffo kennt er nicht … ist jetzt auch gleich … Ich wette, daß er hereinfällt … Paßt auf!« – Er ging zum Schreibtisch, rückte die Lampe näher und wählte eine Nummer. – »Hallo, hier Metro-Hotel … ist Mister Bully im Haus? Nein, oh, das ist schade, ist vielleicht Herr Woodle da? Ja, am Apparat … Oh, Herr Woodle, sehr nett, Sie wissen doch sicher Bescheid … Ich frage für Herrn …« – er zögerte eine Weile –, »für Herrn Bolle und Herrn Falke … ja … wegen dieser Anzeige … wegen dieser Fahrkarte … ist noch nichts bekannt? Noch keine 146
Angebote … Ach, natürlich, an die Zepp-Agentur … richtig, aber ich dachte, daß Sie alles wissen … oh, vielen Dank, Herr Woodle … Noch einen Moment, war Herr Bolle heute bei Ihnen? Ja? Danke! Vielen Dank!« – Er legte den Hörer ab und sah von Corner zu Laferty, der mit zusammengebissenen Lippen vor sich hinstarrte und sagte dann kurz: »Na, habe ich recht? Woodle hat geschwätzt!« »Und warum hast du nochmals nach Bolle gefragt?« wollte Laferty wissen. »Weil ich sicher gehen wollte … Nun wissen wir, daß er sich nicht verhört hat, daß Mister Bolle hinter der Anzeige steckt! Und Mister Falke!« Ted Laferty setzte sich hin und verschränkte die Arme. Sein Gesicht war noch verschlossener als sonst. Dann stand er auf. »Meine Herren, das Geschäft ist in Gefahr!« – Seine Augen blitzten. – »Ich habe es gefürchtet! Ich weiß nicht, was diese Anzeige bedeutet, aber eines weiß ich: nichts Gutes für mich! Für uns!« – Er sah von einem zum andern. – »Wollen wir die Sache lassen? Wir verlieren damit rund eine Million Dollar! Ich weiß jetzt so gut wie sicher, daß Maud dreihunderttausend mitnimmt! Eine dumme Marotte! Aber es ist so! Den Schmuck nicht gerechnet! Jessy Coopers Diamanten-Agraffe ist kein Hund, und wenn Frank kein Idiot ist, so räumt er so auf, daß wir versorgt sind! Wollen wir das machen oder wollen wir es lassen! Gestehe, daß mir diese beiden, Bolle und dieser Neue, sorgen machen, aber …« Tex Corner rieb sich nachdenklich die feisten Wangen. »Du fährst also nicht mit?« »Nein, wäre verrückt! Wette, daß mich Bolle erkannt hat … gar kein Zweifel … Ich habe dir gesagt, was ich mache …« »Großartig! Großartig!« murmelte Corner. »Was hältst 147
du davon, Ruffo? Bist ja auch von der Partie?« »Machen!« sagte Ruffo kurz und klemmte ein Auge zu. »Ich habe eine Idee, Jungens …« – er rückte den beiden näher –, »was sagt ihr dazu? Hört mal …« * Kommissar Falke war bei einem Bankier gewesen, hatte sich ausgezeichnet amüsiert und es nur bedauert, daß nicht auch Bolle mitgekommen war. Man hatte, wie überall seit der Ankunft des Lustschiffes, die Leute des »Zepp« begeistert gefeiert, und so war auch auf ihn, obschon er nur als einfacher Mister Falke, Kaufmann, aufgetreten war, der Abglanz des Ruhmes gefallen, der alles umstrahlte, was mit dem »Zepp« zu tun hatte. Es war weit nach Mitternacht, als er vor dem »Metro« aus dem Wagen stieg, und er hatte nicht übel Lust, in das nicht weit entfernte »Empire« zu gondeln, um Bolle aufzuklingeln. Ein Glas deutsches Bier hätte er jetzt unerhört gern getrunken, als er aber die verschlafene Miene des Portiers sah, der ihm mit einem Murmeln den Schlüssel reichte, verbannte er den Gedanken, gab dafür dem schwarzen Liftboy ein besonders gutes Trinkgeld und ging über den weichen Teppich ganz vergnügt seinem Zimmer zu und sperrte auf. Er knipfte das Licht an, hing Hut und den leichten Mantel auf einen Haken und ging einige Male auf und ab. Er fühlte sich außerordentlich munter und hatte so gar keine Lust, ins Bett zu kriechen. Vielleicht war auch Bolle noch auf? Er setzte sich und lachte. Man konnte es ja versuchen! 148
Die Nummer hatte er schnell, aber er mußte lange warten, bis sich jemand meldete. »Hier Falke … Jawoll!« sagte er lachend. »F wie Fummel*, a wie Artaxerxes, l wie Lieb mich und die Welt ist mein! k wie komm in meine Liebeslaube und e wie es wird ein Wein sein! Nee, nicht verrückt, nur unerhört lebendig … Schlafmütze … jetzt um vier Uhr in der Früh schlafen, es gibt sehr komische Gemüter … Na, na, nur nicht brummen … Ich geh’ jetzt auch schlafen … Wie, nein nichts Neues in Neuyork! Noch keine Fahrkarte? Schade, Miß Smith wird nervös werden …« – Kommissar Falke baumelte mit den Beinen, sah auf die Erde und zuckte plötzlich wie von einem elektrischen Schlag getroffen zusammen. Er horchte und begann dann ganz leise mit der einen freien Hand die Lade des Tisches aufzuziehen. Als sie tatsächlich nachgab, sagte er mit großen Augen und ganz anderer Stimme: »Donnerwetter, habe ich plötzlich Schlaf bekommen … wie …« – er lachte auf. – »Wie ein oller Schwede … ja, Sie haben ganz recht verstanden … Wie ein oller Schwede! Also, gute Nacht!« – Er dehnte die Worte. – »Guute Naacht! Es wird, hoffen wir, alles ganz nett!« – Er legte den Hörer hin und stand auf. Sein Gesicht war gespannt und hart. Man hatte bei ihm eingebrochen! Die Klammer am Boden hatte es ihm verraten. Die konnte nur aus seinem Schreibtisch stammen. Er zog nochmals die Lade auf, die versperrt gewesen war, nahm eine Brieftasche und klappte sie nervös auf. Das Geld war beim Teufel. Fünfzig Dollar und vierhundert Mark! Verdammt! Sonst fehlte nichts; sein Dienstausweis lag unverrückt drinnen, Besuchskarten, einige Dokumente, Photos … *
im Original steht: F Fummel 149
Kleinigkeiten. Otto Falke biß sich auf die Lippen. Diebstahl? Und wer? Hotelpersonal? Kaum glaublich. Er streckte die Hand aus, um jemand heraufzuläuten, ließ sie dann aber sinken. Nein, kein Aufsehen. Er wollte mit dem Inspektor der Hotelbrigade selbst sprechen. Das war ein schönes Ende dieses Tages. Bolle wußte nun, daß etwas nicht in Ordnung war … Er mußte ihn verstanden haben. »Oller Schwede« war das vereinbarte Wort, wenn etwas nicht richtig war … Er stand auf. Das war fatal! Sein Gehirn arbeitete präzise. Was sollte er tun? War es nicht besser, alles ohne Aufsehen zu erledigen? Er wandte sich gegen das Fenster und sah auf die Lichtreklame, die in kurzen Zwischenräumen verschwand und aufflammte. Und er stand kaum einige Sekunden, als er in der Scheibe, durch die er starrte, sah, daß die Tür des Badezimmers geöffnet wurde. Einige Sekunden fühlte er, wie es kalt über seinen Rücken rann, dann fuhr er herum und sah in die Mündung eines Revolvers, den ein Mann ihm entgegenhielt, der nun knapp neben der Badezimmertür stand. Er war groß, größer als der Kommissar, schlank, schwarz, trug einen tadellosen Abendanzug – einen Frack, der wie angegossen saß – und einen Zylinder. »Bleiben Sie stehen!« sagte der Mensch, dessen Gesicht eine schmale, schwarze Samtmaske unkenntlich machte. »Was machen Sie in meiner Wohnung?« fragte der Kommissar und tastete vorsichtig nach seinem Browning. »Lassen Sie die Hände von der Tasche, sonst schieße ich!« war die Antwort. »Ich suche nichts mehr!« Falke sah 150
weiße Zähne schimmern. »Ich bin versorgt …« »Sie haben also gestohlen?« fragte der Kommissar, der Zeit gewinnen wollte und hoffte, daß Bolle erscheinen würde. »Vielleicht! Treten Sie vor … Sie werden in das Badezimmer gehen …« – Falke sah, daß der Mann zur Tür zurückwich und den Abstand vergrößerte –, »Schnell! Läuten ist zwecklos … Sie können sicher sein, daß niemand kommt – ich habe dafür gesorgt …« Otto Falke hatte sich schon oft genug in peinlichen Situationen befunden, aber immer wieder war er ihrer irgendwie Herr geworden. Diesmal aber hatte er kein gutes Gefühl. Er stand etwa vier Schritte von dem Gangster entfernt, der seinerseits ganz knapp an der Tür stand, die zum Korridor führte. Zum Badezimmer hatte er noch zwei Schritte; dann war er ebenso viele von diesem Einbrecher entfernt, der auf jeden Fall stark im Vorteil war. »Gehen Sie!« sagte der Gangster und deutete mit der Waffe nach links. »Ich bin in Eile!« Verdammter Hund! dachte Falke, in Eile – ich auch, und wenn ich dich eiligst in die Hölle schicken kann, soll es mir ein Vergnügen sein. »Und wenn ich rufe?« fragte er, »was dann?« »Es wird Sie niemand hören! Die Türen sind gepolstert! Und die Waffe geladen!« setzte er drohend hinzu. »Es ist vernünftig, wenn Sie gehorchen!« – Er lachte frech auf. – »Sie verlieren nicht viel – ich hatte auf mehr gehofft! Ich warte …« Falke antwortete nicht. Er ging einen Schritt gegen die zu seiner Rechten liegenden Tür zu, die nun weit offen stand und blieb abermals stehen. Er war nun nur mehr einen Schritt von dem Gangster entfernt, der die Waffe 151
drohend vorstreckte. »Halt!« »Keine Sorge!« lachte Falke scheinbar ergeben. »Ich verstehe! Vielleicht treffen wir uns unter anderen Umständen!« – Er wandte sich nach rechts, schnellte aber plötzlich vor und hieb dem Mann mit einem Schlag die Waffe aus der Hand, die weit weg flog. Dann sprang er lautlos auf seinen Gegner zu, erhielt aber gleichzeitig einen so furchtbaren Schlag auf den Kopf, daß er jäh zusammensank.
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15. Max Bolle legte ärgerlich den Hörer hin. Das kam davon, wenn man in dieser blödsinnigen Hitze zu viel Whisky trank! Da wurde sogar ein Berliner Kriminalkommissar kribbelig! Oller Schwede! Zum Lachen! Eigentlich war das kein Witz! Bolle knipste das Licht aus und legte sich verdrossen auf die Seite. Bei dieser Bullenhitze wieder einzuschlafen war schwerer als geweckt zu werden. Er schloß die Augen, setzte sich aber plötzlich wieder auf, machte abermals Licht, und sprang dann aus dem Bett. Wie, wenn der Kommissar nicht gescherzt hatte. Schließlich sah ihm das doch nicht ähnlich. Mit einem Griff hatte Bolle den Pyjama sich vom Körper gerissen und stand einige Minuten später angekleidet vor der Tür. Er fühlte noch nach der Waffe, verschloß im Fluge das Zimmer, sauste zum Fahrstuhl und so schnell durch die Halle und aus dem Hotel, daß der Portier, der eben einige Gäste hereinließ, ihm erstaunt nachsah. Nach dem »Metro« war es nicht weit, und Bolle versuchte erst gar nicht, eine Taxe zu bekommen. Vor dem Hotel angekommen, läutete er Sturm und überrannte dann den Portier fast. »Läuten Sie fünfhundertachtzig an!« rief er dann erregt, »aber schnell!« »Es ist Nacht!« sagte der Portier. »Und …« »Sie merken aber auch alles!« schrie Bolle erregt. »Läuten Sie und halten sie keine Vorträge …« 153
Der Nachtportier machte große Augen, läutete dann und sagte nach einigen Sekunden: »Der Herr meldet sich nicht …« – Er hob die Augen und meinte überlegen: »Der Herr schläft …« »Gute Nacht!« antwortete Bolle und sauste zu einem Aufzug. »Sechster Stock!« Eben als der Boy auch etwas erstaunt die Tür schließen wollte, öffnete sich der daneben gelegene Fahrstuhl; Bolle fah einen noch jüngeren Mann aussteigen und zur Portierloge gehen. Er hörte noch, wie der Fremde sagte: »Ich reise doch, Portier! Zentralbahnhof …« Dann sauste der Aufzug jäh in die Höhe. Kaum hielt er, riß Bolle, ohne die Handgriffe des Boys abzuwarten, die Tür auf und eilte in den Korridor; er kannte das Zimmer, und es war hell genug, um sich nicht verirren zu können. 570 … 570 … Er ging schon nicht mehr, sondern lief – 579 – er machte einen Sprung, ergriff die Klinke, zauderte den Bruchteil einer Sekunde und riß dann die Tür auf. Vor der zweiten zauderte er wieder, klopfte, drückte, als sich niemand meldete, auch diese auf, und warf sich in der nächsten Sekunde auch schon über den starr liegenden Körper des Kommissars, über den er fast gestolpert wäre. Er sah kein Blut, als er ihn aber untersuchte, entdeckte er an der rechten Schläfenseite eine beträchtliche Beule. Bolle verkniff die Lippen, faßte zu und legte den Kommissar auf das Bett. Dann ging er in das Badezimmer, befeuchtete ein Handtuch und legte es dem Kommissar auf die verletzte Stelle. In der gleichen Sekunde blitzte ein Gedanke durch seinen Kopf. Er sprang zum Telefon, hob ab, fühlte aber sofort, daß es leer ging – kein Strom! 154
Er untersuchte die Klingelleitung und entdeckte unschwer, daß alle Drähte durchschnitten waren. Im Nu war er am Korridor und läutete dort nach der Portierloge. »Mensch, sofort den Hoteldetektiv auf fünfhundertachtzig! Überfall! Aber keinen Alarm! Und noch eines – lassen Sie niemand aus dem Haus. – Wer war der Mensch, der nach dem Zentralbahnhof wollte – zurückhalten. – Wie? Schon fort! Verdammt … vielleicht können Sie ihn noch einholen lassen – also, schnell den Inspektor!« Im Badezimmer fand Bolle Kölnischwasser; er rieb vorsichtig Stirn und Gesicht des noch immer regungslos Liegenden ein und öffnete ihm gleichzeitig Kragen und Weste. Ehe er weiter kam, wurde die Tür hastig geöffnet. »Perkins!« sagte der Mann, der ins Zimmer trat und mit seinem kolossalen Körper, dem glattrasierten Gesicht, in dem ein paar unerhört scharfe Augen brannten, absolutes Vertrauen erweckte. »Inspektor Perkins! Was ist los?« Er beugte sich über Falke, nahm das Tuch fort und nickte. »Wenn ich nicht irre, Niederschlag, hm?« Bolle stellte sich vor, berichtete, was er wußte und sagte: »Es liegt uns daran, daß der Beruf meines Freundes nicht genannt wird! Er ist hier Kaufmann!« Perkins nickte. »Verstehe, Herr Bolle! Etwas gestohlen?« Er sah sich im Zimmer um und deutete dann auf die offenstehende Lade des Schreibtisches. »Dort! Oder?« »Weiß gar nichts! Habe mich darum nicht kümmern können!« In diesem Moment schlug Falke die Augen auf, sah um sich und griff sich mit verzerrtem Gesicht an den Kopf. Dann sah er Bolle an, den Inspektor und fragte dann 155
stockend: »Was – was ist los? Warum – wieso? …« »Sie wurden niedergeschlagen! Ich bin Chef der Hotelbrigade, Herr Falke! Inspektor Perkins! Bin im Bilde … Können Sie uns etwas erzählen? Aber nicht anstrengen! Der Kerl ist ohnehin durch die Lappen gegangen! Hat gar keinen Sinn, ihn jetzt zu suchen!« Falke erholte sich schnell und der Whisky, den ihm Perkins verabreichte, tat ihm gut. Aber mit seinem Bericht war der Inspektor augenscheinlich nicht zufrieden, was Falke, der ja selbst Fachmann war, nur zu gut begriff. »Bedauere, daß ich nicht mehr sagen kann! Mann mit der Samtmaske.« – Er lächelte und verzog dabei schmerzhaft das Gesicht. »Etwas romantisch – würde man das mir drüben erzählen, kann sein, daß ich es nicht glauben würde …« »Es gibt hier viel tollere Dinge!« sagte Perkins trocken. »Vorgestern hat ein so ganz verdammter Gangster am Tage, genau um zwölf Uhr, im Lesezimmer des Majestic eine Brieftasche ergaunert! Ganz einfach … Hinter einer Zeitung hat er dem Manne einen Browning an die Seite gehalten und dann gebeten, kein Aufsehen zu machen … Was blieb dem übrig, als still zu halten und die Dollars herauszurücken! Und keine zehn Schritte davon saß mein Kollege Roß! Er hat fast die Gelbsucht vor Ärger bekommen – und eine bedeutende Nase vom Chef! Aber die Burschen sind großartig! – Sie können also keine Personenbeschreibung geben, was?« Falke zuckte die Schulter. »Nein! Groß, schlank, schwarz – aber die verdammte Maske … Ich könnte ihn nicht identifizieren!« Bolle rief schnell. »Inspektor, der Mann, der zum Zentralbahnhof wollte, war groß, schwarz …« Perkins nickte. »Wollen Sie mir den Portier holen, Herr 156
Bolle? Das Telefon ist ja kaputt, wie Sie sagen …« Bolle jagte auf den Korridor, klingelte dem Portier, der nach einigen Minuten erschien und mit großen Augen den Gast ansah, der, ein Tuch um den Kopf, im Bett lag. Viel konnte er nicht sagen, nur das eine, daß der Gast Wert darauf gelegt hatte, ein Zimmer im sechsten Stock zu bekommen … Als der Inspektor gegangen war, sagte Falke nach einer Pause: »Sie tippen natürlich wieder auf Laferty, was?« »Klar!« sagte Bolle ohne jede Überlegung. »Oder glauben Sie, daß man hier eingebrochen ist, um lumpige fünfzig Dollar und einige hundert Mark zu rauben …« »Erlauben Sie mal!« entrüstete sich der Kommissar, »das ist doch kein Bettel …« »Immerhin riskiert man deshalb nicht Zuchthaus, Falke! Es gibt reichere Leute, als Sie in diesem Hotel …« »Möglich!« sagte der Kommissar und lachte. »Eben – und darum hat das einen anderen Sinn! Vermissen Sie nichts? Sehen sie bitte nochmals nach …« Der Kommissar kramte etwas unruhig in seinen Papieren und sagte dann entschieden: »Nein! Habe ja nicht viel mit! Mir fehlt kein Blatt …« »Trotzdem!« Bolle ging unruhig auf und ab. »Ich möchte wetten, daß in dieser Stunde Laferty weiß, wer Sie sind! Ich sehe da Ihren Dienstausweis – Marke – Mensch, ich sehe vollkommen klar … und ich nehme an, daß das dicke Ende noch kommt!« »Der Diebstahl ist also, Ihrer Meinung nach, nur vorgetäuscht?« »Ich glaube …« Kriminalkommissar Otto Falke sagte grimmig: »Möglich, Bolle! Für mich ist er jedenfalls echt genug, 157
und ich muß Sie anpumpen!« Bolle nickte. »Stehe zur Verfügung! Und ich sage Ihnen eines, Falke, Laferty hat einen ganz großen Schlag vor – und wenn wir nicht auf dem Posten sind, ist alles verloren! Der Bursche wittert Gefahr – und dann – Sie wissen, daß ich ihn kenne, dann wird er ungemütlich …« Kommissar Falke fuhr sich über die Beule, die nicht viel kleiner war, als eine mittlere Zitrone und sagte nachdenklich: »Kommt mir so vor, Bolle!«
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16. »Kriminalkommissar!« »Kriminalkommissar!« wiederholte Laferty und warf die Zigarette fort. »Kriminalkommissar und nichts anderes!« sagte Ruffo und nickte. »Ich habe den Ausweis in der Hand gehabt und die Marke, und es hat mich verdammt gejuckt, sie mitzunehmen, aber …« »Es wäre eine verdammte Dummheit gewesen!« setzte Laferty kalt fort, »und ich freue mich, daß du sie nicht gemacht hast!« Er sprang vom Stuhl und ging erregt auf und ab und mischte sich einen Whisky. »Verdammt! Verdammt!« Er sah Ruffo an. »War jemand hinter dir her?« »Nein! Fuhr bis zum Zentral und dann direkt hierher! Ehe dieser Bolle oben war, saß ich schon in der Taxe …« »Du hast die Sache gut geschmissen, Alex!« sagte Laferty und legte dem Gangster, der so aussah, als wäre er eben von einem Ball und nicht von einem Überfall gekommen, eine Hand auf die Schulter. »Wir wissen eine Menge. – Dieses Fräulein Smith ist natürlich niemand anderes als das Mädchen von diesem Molly! – Klar …« »Und wer bezahlt die Fahrkarte?« »Kann uns gleich sein!« sagte Laferty. »Wichtig ist, daß Frank sie sofort unschädlich macht! Mit Frauenzimmern umzugehen, das versteht er. Die Frage ist die, Jungens – was haben die Leute vor? Was wissen sie?« »Was können sie wissen?« fragte Corner zurück. »Nichts!« beantwortete er seine Frage selbst. »Nichts!« 159
»Vielleicht!« gab Laferty zu erwägen. »Es ist aber besser, das Gegenteil anzunehmen! Wozu ist dieser Kommissar hier?« »Daran finde ich nichts Besonderes!« gab Ruffo zurück. »So etwas Ähnliches ist immer an Bord! Wäre sonst zu gemütlich für unsereins!« Er lachte. »Fährt nicht auch Clever mit hinüber? Eben! Können dann zusammen Skat spielen! Und meinetwegen zum Teufel gehen! Vor allen Dingen Clever!« Ted Laferty saß im vollen Licht der Lampe. Es war kaum zu übersehen, daß er in den letzten Tagen bleicher geworden war; sein Gesicht, schon sonst nicht voll, war noch schmäler geworden und die Schatten unter seinen unruhigen Augen verrieten schlaflose Nächte. Und er hatte auch tatsächlich schlecht geschlafen. Schlechter sicher als Tex Corner, dessen zweihundert Pfund um nichts abgenommen hatten und der sich überhaupt keine Gedanken zu machen schien. Ted Laferty hingegen wußte, daß das Spiel, das er diesmal spielte, um einen hohen Einsatz ging. Nicht nur um Maud Meerland – das hätte ihn wenig gekümmert –, aber darum, Max Bolle endgültig zu erledigen. Bis zum Auftauchen dieses Mannes hatte ihm sein Plan Spaß gemacht. Darum, weil er verwegen war und er hoffen konnte, mit einem Schlag eine Summe in die Hand zu bekommen, die ihn für Jahre sicherte. Er war schließlich nicht mehr zwanzig und hatte den Wunsch – ähnlich wie Frank Meyerheim –, sich etwas auszuruhen. Große Sachen gab es nicht jeden Tag und man mußte Geld haben, um sie abwarten zu können. Seit er aber Bolle im Spiel wußte, ging es für ihn um etwas anderes. Der Haß, den er gegen den Mann hegte, der ihm vor 160
Jahren nicht nur einen ganz großen Coup verdorben, sondern ihn sogar ins Zuchthaus gebracht hatte, war so jung wie damals und eben damals hatte er sich geschworen, ihm bei der nächsten Gelegenheit die Rechnung zu präsentieren. Jetzt, jetzt war die Gelegenheit da. Er saß unbeweglich und sagte dann unvermittelt: »Clever darf unter keinen Umständen mit! Ich will Euch sagen, warum … Einmal sagte ich es schon – ich sage es nochmals: erstens kennt er Frank! Er würde ihn nicht zum Hervortreten kommen lassen! Im Gegenteil? Frank würde drüben ins Zuchthaus wandern! Zweitens würde er sich an Maud hängen, und keine Maus würde an sie herankommen! Und drittens: kennt er mich!« »Aber du fährst doch nicht mit!« rief Ruffo erstaunt. Laferty lächelte eigentümlich, und als Alex Ruffo von ihm zu Corner sah, erblickte er auch auf dessen Gesicht ein Lächeln, das er sich nicht zu deuten vermochte. »Stimmt, ich fahre nicht mit!« sagte Laferty nach einer Pause. »Aber eben deshalb …« »Verstehe ich nicht!« gab Ruffo zu. »Verstehe kein Wort!« »Aber bald! Komm, Ruffo, wir wollen gehen! Corner ist müde!« Er sah zu dem alten Gangster, der eine Hand vor dem Mund hielt. »Ist auch kein Wunder … es wird schon Tag … Im übrigen, Ruffo, ist Lady Monky in Ordnung?« Ruffo sah seinen Freund und Meister erstaunt an. »Klar, Ted, wie immer!« »Dann ist es gut! Komm, Junge, wir trinken noch einen bei mir … es gibt allerhand zu erzählen …« »Und Clever?« fragte Ruffo sich erhebend. »Eben deshalb!«
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17. »Auf Grund eingehender tiefschürfender Untersuchungen und schlafloser Nächte bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß …« »Du ein Riesenesel bist!« schloß Bolle nicht eben sehr freundlich. »Dazu hätte es keiner besonderen tiefschürfenden Untersuchungen bedurft, mein Junge …« Hans Heide, der sich in Anbetracht des bevorstehenden Startes schon wieder in seine »Original-Tiroler Kluft« geworfen hatte, wie er das nannte, ignorierte den Einwurf und sagte erhaben: »Bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß diese Gangster uns …« Er kam nicht dazu, seine Weisheiten, wie Bolle sagte, an den Mann zu bringen, denn in diesem Moment trat der Kommissar in das Zimmer. Er hatte sich von dem Überfall erholt und nur die Beule, die allerdings etwas zurückgegangen war, erinnerte noch daran. »Meine Herren!« sagte er, und gab den beiden die Hand, »heute Abend steigt ein großes Abschiedsfest im ZentralHotel! Ihr kommt doch mit? Es wird alles erscheinen, was mit uns fährt! Ich meine, es kommen auch die Passagiere … jedenfalls sind sie geladen!« Bolle dachte nach. »Wollte eigentlich arbeiten, Berichte schreiben, aber ich komme … Ist, scheint mir, eine gute Gelegenheit, uns umzusehen! Wie geht’s?« Falke brummte etwas und sagte dann gut gelaunt: »Wenn der Kerl erwischt wird, wäre das noch ein Happen vor der Abfahrt … aber ich glaube nicht daran! Perkins gibt sich alle Mühe. Und im übrigen … Das Hotel hat mir das Geld ersetzt! Sind mächtig froh, daß ich keinen Krach 162
schlug!« »Anständig!« gab Bolle zu. »Wohin jetzt?« »Lakehurst!« antwortete Falke. »Das Schiff nachsehen! Wir starten ja doch, morgen um fünf Uhr früh. Der Zutritt ist bereits gesperrt, und es ist nicht ausgeschlossen, daß ein Schlauer auf die Idee kommt, das Fahrgeld zu sparen!« »Ich komme mit!« sagte Bolle entschlossen. »Kenne den Laden zwar, aber es kann nichts schaden!« Er sah Heide an, der mit hängenden Armen in einem Stuhl saß und vor sich hin grübelte. »Und du, Junge?« »Ich …« Heide sah auf und die beiden an, »ich bin, wie ich schon sagte, auf Grund eingehender, tiefschürfender Untersuchungen und schlafloser Nächte zu der Überzeugung gekommen, daß … das Neuyorker Klima sehr ungesund ist!« Bolle lachte und tippte Heide auf den Kopf. »Begreife, Junge! Na, unterhalte dich gut! Die Bar ist recht kühl! Wiedersehen …« Heide machte noch einen Versuch, sich verständlich zu machen, aber Bolle war schon an der Tür. »Schon gut, schon gut! Schreibe nach Hause, Junge … weiß alles …« * Der Abend brachte nur eine ganz leichte Abkühlung; vom Hafen her strich eine Brise und Frank Meyerheim ging mit offenem Hemdkragen schnaufend am Deck der »Mary« hin und her, die sich schneeweiß an ihren Ankern wiegte. Dann warf er sich in einen der sehr bequemen Korbstühle und sprach Kapitän Marvens an, der schweigend über das Deck schritt, hin und wieder dem ersten Offizier, der ihn begleitete, Anweisung gab und nun stehen blieb. »Wie wird das Wetter, Kapitän? Diese Eselhitze macht 163
einen verdammt schlapp!« Er wischte über sein breites Gesicht, auf dem seine Schweißperlen standen. »Zeit, daß wir Wasser unter das Schiff bekommen!« Marvens, kurz, dick und breit, verzog das Bullenbeißergesicht. Ihm hing dieses Im-Hafen-Liegen auch schon zum Halse heraus. Vor Jahren hatte er eine Flotille kommandiert, die richtigen, schottischen Whisky in die Staaten geschmuggelt hatte, und schon damals war Corner sein Chef gewesen. Er trauerte diesen Zeiten nach; man hatte verdient, und wenn er hin und wieder mit den Patrouillen-Booten der Hafenpolizei zusammengestoßen war, so hatte ihn das nicht weiter angefochten. Jetzt lebte er, es war alles da, was man für Geld bekommen konnte, und Geld hatte für Corner keine Rolle gespielt. Die Jacht brachte wieder Geld! »Mary« war nicht nur für den Luxus da, sie machte auch Geschäfte. »Um es klar zu sagen«, begann Laferty als alle saßen und Kapitän Marvens die Whisky-Gläser gefüllt hatte, »so startet morgen der Zepp! Um fünf Uhr …« Jimmy Hogan grinste hinter seinem Glas hervor. »Gr … große Neuigkeit, Ted … Das habe ich schon im Radio gehört! Hahaha! Bist du deshalb an Bo … Bord gekommen? Da … das hättest du dir ersparen können … das weiß ja schon jede bessere Sardine, hm? Kommst dir verdammt gr … groß vor, was?« Bunny Gold wischte sich über den traurig hängenden schwarzen Schnurrbart; verdammt, Jimmy hatte heute Mumm in den Knochen. Das konnte fein werden! Ted Laferty sagte kein Wort; er sah Jimmy Hogan an, der ihm gegenüber saß und sprach dann weiter. »Du, Frank, weißt, was du zu tun hast … Du bist um vier, keine Minute früher und keine Minute später beim Zepp! 164
Ohne Begleitung! Ohne Aufsehen! Du wirst eine Dame kennenlernen – Fräulein Smith, Fräulein May Smith. Ist das Mädel von Molly Brand! Wissen nicht, was sie an Bord will … wahrscheinlich schnüffeln! Du wirst dich ihrer annehmen …« »Fein, Franki! Bist großartig!« grinste Jimmy Hogan. »Fei … feine Da … Dame … Wäre etwas für meiner Mutter schö … schönen Sohn!« »Halt das Maul, Jimmy!« sagte Laferty und wandte sich wieder Meyerheim zu. »Du wirst versuchen, ihr auf den Trick zu kommen? Kann nicht schwer sein … Verstehst dich ja auf Frauenzimmer!« Frank Meyerheim schnupperte mit der Nase. »Ich bin in den besten Kreisen aufgewachsen, Ted, und man sagt nicht umsonst, daß Umgang mit Frauen adelt … wie sagt der Dichter? Da werden Weiber zu Hyänen, und sie flechten und weben, himmlische Laster in irdische Reben … oder so ähnlich …« Ted Laferty stöhnte qualvoll. »Franki, ich bitte dich um Himmels willen, halte im Zepp deine Klappe! Die Leute werden dich aus dem Zepp werfen … Rede wenig und anständig und benimm dich bei Tisch! Vergiß nicht, daß Erbsen rund sind und vom Messer kullern und iß Fisch nicht mit einem Löffel! Und sage nicht – nie, am besten ist, du sagst so wenig wie möglich … Verstehst du? Nicht auffallen …« Frank Meyerheim verzog das Gesicht. »Persönlichkeiten fallen immer auf … vergiß das nicht, Ted!« »Schön! Schön!« Laferty war ohne Zweifel etwas nervös. »Und nun merk auf: Maud Meerland hat ein ganzes Bündel Banknoten mit … sie liegen in der Hutschachtel … glaube allerdings, daß sie zwei hat … trotzdem, kinderleicht … Den Schmuck versteckt sie in 165
einer roten Puderdose … Kinderei, ihn von dort wegzuholen! Jessy Cooper mußt du selbst erledigen! Verstanden?« »Wie Latein!« sagte Frank selbstbewußt, »gehört schon mir!« »Hoffentlich! Der Witz liegt darin, daß du alles innerhalb einer ganz kurzen Zeit machen mußt … am besten in der Nacht … Denn wenn eines auffliegt, kommst du an nichts mehr heran …« »Klar wie persisch!« antwortete Frank. »Gut! Im gleichen Augenblick, in dem du alles beisammen hast, rein damit in den Gummisack! Aufblasen, Patrone montieren, ab! – Dann Funk an mich Geschäft kann abgeschlossen werden! Aus! Handschuhe, Junge! Geh’ Bolle aus dem Wege und dem Falke! Laß dich in keinen Quatsch ein! Sind gerissene Hunde! Wickeln dich glatt ein, und wir sind aufgeschmissen! Glaube nicht, daß dir ein deutsches Zuchthaus bekommen würde! Ernährung außerordentlich mangelhaft für unsereinen … Wenig Verständnis für große Männer wie du einer bist!« Frank rückte unruhig auf dem Stuhl hin und her. »Bin ganz im Bilde, Ted! Mußt keine Sorgen haben …« »Ich hoffe so! Geht etwas schief, funke mich an! Besser einmal zu viel, als zu wenig! Nicht unvorsichtig sein … Der Zepp ist klein … dafür klein, und wenn du auffällst, bist du auch schon erledigt! Und nimm dich vor Herrn Heide in acht! Ein Schnüffler!« Frank Meyerheim seufzte. »Bißchen viel unangenehme Leute an Bord, finde ich!« sagte er nicht sehr laut. »Werde froh sein, wenn alles vorbei ist …« »Ebenfalls!« gab Laferty zu und wandte sich an den Kapitän. »Marvens, Sie erwarten den Zepp auf seinem 166
Kurs! Sie nehmen die letzte Route und steuern dann nach Funk! Der Zepp gibt laufend seine Positionen an … Richten Sie es so ein, daß Sie morgen gegen Mitternacht in seiner Nähe liegen … Wann können Sie losmachen?« »Jede Sekunde, Laferty! Und wenn ich Mitternacht auf seinem Kurs liegen soll, muß ich los! Sofort! Er fährt rund hundert in der Stunde, ich fünfzig!« »Dann gehen wir!« sagte Laferty. »Hast du einen Wunsch, Tex?« »Nein? Hoffe nur, daß ihr die Augen offen haltet und den Gummisack findet!« Laferty wandte sich an Jimmy Hogan. »Jimmy, wenn du noch einen Tropfen von diesem verdammten Whisky trinkst, schlage ich dir eigenhändig alle Knochen im Leibe kaputt, Junge …« Er wandte sich an den Kapitän. »Marvens, ich mache Sie dafür verantwortlich, daß keiner der beiden eine Flasche auch nur sieht! Habe keine Lust, mir alles verhauen zu lassen …« Er kümmerte sich nicht darum, daß Jimmy ein böses Gesicht machte und Bunny Golds Augen tückisch wurden, er nickte den beiden kurz zu und stand auf. »So, das wäre alles!« Oben gab er Marvens die Hand. »Mann, halten Sie die beiden Kerls in Ordnung! Und sehen Sie zu, daß Sie am Kurs bleiben! Muß Ihnen nicht sagen, daß eine Menge von Ihnen abhängt! Wo ist Barens?« »In der Funkbude!« Laferty begab sich allein hinauf, sprach eine Weile mit dem Funker, kam dann an Deck und nahm Meyerheim zur Seite. »Franki, mache keine Dummheiten! Wenn alles glatt geht, bist du fein heraus! Hast auf drei Jahre Ruhe … kannst leben wie ein richtiger Mensch … Verliere die Nerven nicht und halte die Augen offen!« Er gab ihm die Hand. »n’Tag! Junge … auf Wiedersehen!« 167
Meyerheim lächelte zuversichtlich. »Es wird alles klappen, Ted! Wie sagt der Dichter? Der Mensch in seinem stillen Drange … ich habe es einmal genau gewußt … sehr verständigt, Franki … Auf meiner Universität war einer, der konnte …« »Es ist gut!« sagte Laferty aufatmend und begab sich zum Fallreep. »Das andere weiß ich bereits … Du wirst ohne Zweifel Ehrendoktor …«, sagte er und stieg ins Boot, »aber ich fürchte von keiner Universität, Franki …« Er winkte.ihm. »Mach’s gut und sei kein Frosch!«
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18. Seit Stunden rollten Autos, dickleibige Hotelwagen nach Lakehurst, und der ungeheure Platz schien die Menge, die gekommen war, den siegreichen Luftriesen starten zu sehen, kaum fassen zu können. Bolle und Kommissar Falke gingen in der Halle, die in Ausmaßen gut zwei Zepp fassen konnte, etwas nervös auf und ab und sahen in ziemlich kurzen Zwischenräumen auf ihre Uhren. Und trotzdem sie alle – auch Heide – nicht sehr früh nach Haufe gekommen waren, fühlten sie sich außerordentlich frisch, belebt, und Bolle war zumute, als hätte er erst vor ganz wenigen Minuten Schaumwein getrunken. Eine noch selten gefühlte Spannung hatte ihn erfaßt, und als er den Kommissar ansah, glaubte er zu bemerken, daß auch dieser in derselben Verfassung war. Sie gingen längs des Riesen, der noch in der Halle lag, auf und ab, beobachteten das Einbringen der letzten Frachten, der Gepäckstücke, die zu hohen Bergen gehäuft gelegen hatten, sie sahen den Offizieren und Ingenieuren zu, die noch ein letztes Mal das Schiff durchsuchten, bis in die letzten Winkel krochen, sozusagen nochmals jede Schraube kontrollierten, und Bolle meinte nach einer Weile: »Vier Uhr … nun wird der Rummel gleich losgehen … sage ehrlich, wäre froh, wenn wir oben wären! Glaube, daß uns in der Luft angenehmer zumute sein wird!« Kaum hatte er das letzte Wort ganz ausgesprochen, so wurde das riesige Hallentor weit geöffnet und wenige 169
Sekunden später ergoß sich der Strom der Passagiere und was dazu gehörte ungehemmt gegen das Schiff. Noch schneller aber waren Bolle und der Kommissar hinaufgeentert; sie verschwanden im Schiff und beobachteten, gut gedeckt, die Kontrolle der Fahrkarten; eine der ersten, die sie sahen, war Fräulein Smith, die hier Fräulein May hieß. Sie trug ein phantastisch gut gearbeitetes Reisekostüm und führte, wennschon nicht Molly Brand, so doch wenigstens ihren Pekineser Molly an der Leine, der allerdings nicht so aussah, als hätte er besonders Lust, über die Treppe zu gehen. Sie nahm ihn denn auch bald auf den Arm und als sie in das Schiff stieg, hätte Bolle seinen Hals bald zu weit vorgestreckt; um ein Haar hätte sie ihn gesehen, und gerade jetzt wollte er seine Beobachtungen in Ruhe fortsetzen. »Sieht gut aus!« sagte er zu Falke, der leicht lächelte. »Wie eine richtige seine Dame …« »Fast!« antwortete der Kommissar und deutete nach unten. »Dort aber kommt die wirkliche!« Bolle machte einen Blick in die Tiefe und zuckte zurück. »Ah, Maud Meerland und Billy Wanemaker! Natürlich ist Billy dabei!« Sie waren es. Der Millionär hatte es sich selbstverständlich nicht nehmen lassen, seine angebetete Maud zum Schiff zu begleiten, und er hatte nur eine Sorge, Laferty zu begegnen. Sorge deshalb, weil er sich nicht zutraute, ewig ruhig zu bleiben und doch Maud keinen Skandal machen wollte. Aber er sorgte umsonst! Laferty hatte noch dringendere Geschäfte vorgeschützt als das letztemal und sich entschuldigt. Tausendmal entschuldigt, und Maud hatte ihn schmollend, aber immerhin gerührt, freigegeben. Er hatte durchaus keine 170
Lust, von Bolle oder sonst jemand gesehen zu werden; je weniger er jetzt auffiel, um so besser paßte das in seinen Plan. Billy trug einen ungeheuren Strauß Rosen unter einen Arm geklemmt und er sah Maud Meerland mit so strahlender Miene an, daß man fühlte, er würde ihr am liebsten eine ganze Rosenfarm in den »Zepp« mitgegeben haben. Mit hochrotem Gesicht stiegen einige der »Neuen« in das Schiff, lächelnd und so, als würden sie in eine Taxe klettern, einige Stammgäste, die schon seit langem darauf brannten, wieder mit dem geliebten Schiff zu fahren, für das es sonst keinen Ersatz gab. Kapitän und Erster Offizier kamen aus der Führergondel vorbei, und Bolle sah, daß der Kommandant Hartmann mit ruhiger Miene die letzten Handgriffe überwachte. Im Nu war es gegen fünf geworden; der Andrang an der Einstiegtreppe hatte nachgelassen, mehr als zwei Dutzend Köpfe sahen bereits aus den Fenstern auf die unten Wartenden nieder, und der Schiffsführer hatte jetzt den »Zepp« verlassen, um von unten nochmals nach dem Rechten zu sehen. »Jetzt geht es bald los!« sagte Bolle mit einigem Herzklopfen. »Haben Sie Clever gesehen?« Falke schüttelte den Kopf. »Nein, weiß der Teufel, wo er steckt! Vorhin sah ich ihn noch draußen am Feld … das heißt, das ist schon eine Zeit her … Na, er wird schon nicht zu spät kommen!« Bolle lachte. »Das wäre vielleicht eine schöne Sache …«; er wandte sich um und sah Heide an, der, zum erstenmal auf einem Luftschiff, bereits in allen möglichen Winkeln umhergekrochen war. »Na, die Hauptsache ist, daß du da bist …« 171
»Sage ich auch!« erwiderte Heide vollkommen ernst und rückte sein Tiroler Hütchen an die Seite. »Netter Kahn, geht es bald los!« »Umgehend, aber ich möchte dir raten, dieses sonderbare Hütchen vom Kopf zu geben, sonst wird der Zepp scheu … siehst höchst verhauen aus!« »Trotzdem möchte ich dir wiederholen, daß ich auf Grund tiefgründiger Untersuchungen …« »Da sehen Sie mal!« schrie in diesem Moment Bolle, »wie der saust!« Er deutete nach unten. »Rast wie ein Känguruh …« Tatsächlich kam vom Eingang der Halle ein Mann mit fliegenden Rockschößen angetrabt, hielt vor der Treppe, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und stieg dann langsam hinauf. Er war nicht mehr ganz jung, hatte ein volles rundes Gesicht, und als er seine Fahrkarte reichte, hörte Bolle, wie er erschöpft seinen Namen nannte. »Meyerheim … Meyerheim … nun hätte ich bei Gott bald den Zepp versäumt!« Der Quartiermeister lächelte verbindlich. »Nein, mein Herr, es ist noch Zeit … rechts bitte … Ihre Karte … Danke!« Bolle sah dem Manne nach und kratzte sich dann nachdenklich am Kopf. »Meyerheim, Meyerheim, habe ich diesen Namen nicht schon gehört?« Er lachte. »Bin neugierig, ob jemand wirklich zu spät kommt …« »Nur Clever!« fagte Falke verdrossen und unruhig. »Etwas sonderbar, daß er nicht da ist …« * Clever war schon lange am Posten, hatte sich durchaus nicht verspätet. 172
Er beobachtete mit seinen hellen Augen scharf die Menge, die sich zum Eingang der Halle drängte und hatte seinen Leuten, besonders aber dem Wachtmeister Mike Miller, einige Photos eingehändigt, sie aufgefordert, sich die berühmten Persönlichkeiten genau anzusehen und sie nicht aus den Augen zu lassen, falls sie kommen würden. Aber Mike strengte umsonst seine runden Glubschaugen an; er sah ebensowenig Laferty wie der Inspektor, und auch Jimmy Hogan, auf den Clever es abgesehen hatte, ließ sich nicht sehen. Mit etwas gemischten Gefühlen hörte Commander Overland den Bericht des Inspektors an, der ihm abermals auseinanderzusetzen veruchte, daß aller Kummer und alle Nervosität zwecklos seien. »Ich glaube nicht, daß irgend etwas los ist, Overland! Ich habe alles getan, was möglich war! Es kommt kein Rattenschwanz an das Gepäck! Und sonst … Laferty fährt nicht mit, das ist so klar wie die Sonne, und wenn er sich blicken ließe, so säße er in einer Falle … so dumm ist der Bursche nicht …« Commander Overland nickte und warf Pitti Batt, der den Mund verzog, einen strafenden Blick zu. »Ich hoffe, Sie haben recht! Bis jetzt ist auch alles ruhig …« Er sah auf die Uhr. »Noch eine halbe Stunde! Ich geh’ zum Schiff, Pitti … bin beim Kapitän, falls etwas fehlen sollte …« »Nur der Champagner, den Sie schmeißen wollten, wenn alles in Ordnung ist«, sagte Pitti frech. »Schätze, daß er fällig ist! In Ordnung.« »Besonders Ihr Mund!« antwortete Overland verweifend. »Noch ist das Schiff nicht in der Luft und nicht in Deutschland … Werde mich rechtzeitig erinnern …« »Ich hoffe so«, sagte Batt und grinste. »Würde aber immerhin einen kleinen Vorschuß in Erwägung ziehen, 173
Chef!« »Sorgen Sie lieber dafür, daß hier alles in Ordnung geht!« sagte Overland schon an der Tür. »Kommen Sie mit, Inspektor?« »Eine Strecke! Ich möchte nochmals zur Gepäckeinlieferung!« Er ging einige hundert Schritt mit dem Commander, trennte sich dann und sagte: »Wir sehen uns noch beim Start, Overland! Können ruhig sein …« Mit weitausholenden und doch bedächtigen, festen Schritten drängte er sich durch die Menge, die jenseits des abgesperrten Startplatzes aufgeregt auf den Moment wartete, in dem der Luftriese aus der Halle gezogen wurde, tauschte mit Mike einen Blick und ging zum Halleneingang, wo von der Auffahrt her noch immer Autos heranjagten, auf denen sich Gepäckstücke türmten. Clever blieb einige Sekunden stehen, wischte sich den Schweiß von der Stirne, betrat dann einen Seitenausgang der Halle, der als Lagerraum diente und sah sich um. Hier kamen die kleinen Wagen vorbei, die Frachtstücke zum »Zepp« beförderten, und eben hier hatte man einmal versucht, einige wie sich herausstellte wertvolle Koffer von einem Wagen zu werfen und in bereitgestellte Autos verschwinden zu lassen. Inspektor Clever schlenderte im Halbdunkel des Korridors, in das der Lärm aus der daneben liegenden Halle wie das Brausen eines fernen Meeres zu hören war, als er Schritte hinter sich hörte. Er drückte sich blitzschnell in eine Nische; das Betreten dieses Korridors war verboten. Er wurde nur durchfahren, und wer da kam, mußte sich ausweisen können. Er wartete, bis die Schritte näher kamen und trat dann schnell hervor; er sah sich einem etwa dreißigjährigen 174
Manne gegenüber, der nicht gerade sehr sauber gekleidet war und allem Anschein nach zu den Arbeitern der Halle gehörte. »Ausweis, Mann!« sagte Clever kurz. Der Bursche hatte die Hände in den Taschen seines nicht mehr sehr neuen Rockes stecken und grinste Clever frech an. »Ausweis, goldig! Und wo ist deiner?« »Junge, halte die Klappe!« Inspektor Clever drehte den Aufschlag seines Rockes um. »Kriminalpolizei … Inspektor Clever … Was suchst du hier … Wird es bald?« »Clever? Dann ist es ja gut, Junge …« Er trat einen halben Schritt zurück, und in der gleichen Sekunde peitschte, ohne daß er die Hände aus der Tasche genommen hatte, ein Schuß durch den Korridor. Ohne einen Laut zu sagen, sank Clever um. Der Mann sprang schnell hinzu, schleifte den Körper in die Nische, in der Clever gewartet hatte, warf einen Blick um sich und ging, die Mütze tief in die Stirne geschoben, mit katzengleichen Schritten gegen den Ausgang des Korridors. Draußen wandte er sich gegen links und war Minuten später in der sich immer mehr drängenden Menge verschwunden, wie ein Tropfen Wasser in einer vollen Flasche. * Kapitän Hartmann machte ein erstauntes Gesicht. »Mein lieber Kommissar, ich verstehe das nicht! Schließlich ist ein Polizeiinspektor so etwas wie ein Soldat und muß wissen, was Pünktlichkeit bedeutet … Ich kann unmöglich auf einen Menschen Rücksicht nehmen, der seinen Dienst nicht ordentlich versieht …« Er wandte sich an Overland. »Sie sagten doch, Overland, er sei bei Ihnen gewesen …« Commander Overland bekam große Augen; er hatte ja immer gewußt, daß etwas nicht stimmen würde. Jetzt begann es also schon. Er zog seine Uhr. »Wir haben jetzt 175
fünf auf fünf … vor zwanzig Minuten haben wir uns getrennt …« Kapitän Hartmann, der mit den beiden Herren vor der Führergondel stand, dachte nach. »Rufen Sie doch im Büro an, Overland … Man soll sofort suchen …« Overland nickte und ging zum nächsten Apparat. »Pitti, ist Clever bei Ihnen? Nein? Machen Sie bitte jetzt keine faulen Witze … wir sollen um fünf starten, und Clever ist noch nicht da! Lassen Sie sofort die Bereitschaft antreten und die Halle durchsuchen! Verständigen Sie Mike Müller … aber sofort …« Er war sehr erregt und rief laut: »Pitti, wir müssen ihn finden. Müssen …« Er hing ab und ging wieder zu Hartmann und Falke. »Unverständlich …« Der Kapitän sah auf die Uhr, dann in die Gondel und rief hinein: »Bereithalten, Witt!« Sein Gesicht war gespannt. »Mein lieber Overland, Sie kennen die Wetterlage! Wir müssen in einer Stunde über dem Wasser sein, sonst kommen wir hier in Regen …« Er zuckte die Schulter. »Ich kann noch fünf Minuten zugeben … mehr auf keinen Fall …« Er wandte sich an Bolle, der eben herankam. »Was sagen Sie … Clever ist noch nicht da …« Bolles Gesicht war ganz ruhig. »Ich komme deshalb … aber …«, er sah von einem zum andern, »ich muß sagen, daß ich so etwas Ähnliches erwartet habe …« Hartmanns Gesicht wurde verschlossen. »Bolle, Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie … Ich meine, glauben Sie, daß er mit Absicht nicht kommt?« »Ganz im Gegenteil, Kapitän!« sagte Bolle langsam und betont. »Im Gegenteil … eben weil er kommen wollte, kommt er nicht!« Der Schiffsführer sah Bolle erstaunt an. »Wollen Sie sich bitte deutlich ausdrücken … Meine Zeit ist kurz …« »Ich will damit sagen, Kapitän, daß Clever verhindert 176
sein wird zu kommen … Wir haben sie orientiert … sie sind sozusagen im Bilde … Daß Clever nicht kommt, beweist, daß wir recht haben … Clever muß mit Gewalt zurückgehalten werden … sonst wäre er hier!« sagte Bolle heftig. »Ich kenne den Mann … Er ist kein Deserteur …« »Behaupte ich auch nicht!« erwiderte der Kapitän. »Aber ich glaube auch nicht an Romane … Meine Herren!« – er hob die Hand und nahm eine Pfeife –, »ich kann nicht mehr warten …« »Eine Sekunde noch!« bat Overland und hing schon wieder am Apparat, legte aber, als er Pitti heranstürzen sah, wieder ab. »Nun? Nun?« Pitti Batt war atemlos, und er keuchte. »Haben alles durchsucht … nicht zu finden … Mike hat ihn gesehen … er muß da eben von Ihnen gekommen sein … Ich werde … wir wollen …« Kapitän Hartmanns Gesicht war eisern. »Ich bedaure, Overland, aber ich muß das Schiff starten lassen!« Er hob die Hand, die Pfeife schrillte. »Halle frei!« Mit dem Gellen des Pfiffes rollten die letzten Türen der Halle zurück, das Licht flutete ungehemmt herein und übergoß den riesigen Leib des »Zepp« mit einem silbernen Schimmer. Es sah aus, als würde er hell aufleuchten. Kapitän Hartmann trat näher zur Führergondel, in der alles gespannt und doch ruhig auf dem Posten stand. »In Ordnung, Quandt?« »Zu Befehl! Alles in Ordnung!« »Schiff klar zur Abfahrt!« rief Hartmann mit heller, durchdringender Stimme und wandte sich gleichzeitig an Overland, der, fast unfähig zu sprechen, den Kapitän fragend ansieht, der bedauernd die Schultern zuckt. »Overland, ich kann nicht mehr warten! Sie verstehen!« 177
Commander Overland nickte. »Ich verstehe … gewiß … es ist …« »Meine Herren!« Hartmann wandte sich an Falke und Bolle. »Auf Ihre Plätze, bitte!« Mit einem Sprung waren die beiden in der Führergondel. Kapitän Quandt, der das Schiff vorerst führen sollte, stand am Kommandostand! Jede Muskel war gespannt, und sein Auge hing am Mund des Kapitäns und an seinen Instrumenten. »Luftschiff aus der Halle!« kommandiert nun Hartmann. »Marsch!« In der gleichen Sekunde faßt die Haltemannschaft die Handgriffe am Gondelrand; noch ein Kommando, und sie geht mit gleichmäßigen, eingeübten Schritten gegen den Ausgang der Halle und zieht das Schiff so leicht mit, als wäre es ein Kinderwagen. Es ist vollendet ausgewogen und obgleich es ungefähr soviel wiegt, wie eine gigantische Lokomotive, könnte man es mit einer Hand stemmen. Hartmann geht neben dem Schiff und je näher er dem Ausgang kommt, um so mehr schwillt die Flut der Menschen an, der offiziellen, die ihm noch einmal die Hand drücken wollen. Vertreter der Behörden, des Heeres, der Marine, der Stadt und Körperschaften, der heimischen Vereine drängen sich um ihn, und ehe er es abwehren kann, hat sich ein nettes Mädchen durch die Menge gedrängt und drückt dem Kapitän einen herzhaften Kuß auf die Wange. »Viel Glück mit dem Schiff!« sagte es und lacht. »Ich grüße Deutschland!« Draußen empfängt das Schiff ein stürmisches, wie Meeresbrausen klingendes Hurra, und immer wieder muß Hartmann den Arm zum Gruß erheben. Wenn er aber auf Overland sieht, der nervös neben ihm geht, dann zieht ein Schatten über sein zufriedenes 178
Gesicht. Er reißt sich aber zusammen, drückt schnell noch ein Dutzend Hände, spricht nochmals einige Worte des Dankes in die Mikrophone, die ihm vor den Mund gehalten werden, und steht dann still und gesammelt vor der Gondel. Sein Blick gleitet scharf über das Schiff, das im Lichte silbern wie ein Fisch glänzt. Dann hebt er die Hand und schwingt sich hurtig in die Gondel, die leicht erzittert. »Einholen!« Die Halteleinen werden ausgeschoren. »Hoch!« Die Haltemannschaft wirft das Schiff wie einen Kinderballon hoch, der gigantische Bug hebt sich spielend, scheinbar ohne jedes Gewicht, dem Himmel entgegen. Hartmann wirft Quandt einen Blick zu. In der nächsten Sekunde klingelt der Maschinentelegraph. »Beide Achtermaschinen voll voraus!« Einige Sekunden und schon laufen die Motoren mit einem Gesumm an, als flögen Millionen Hummeln auf. Bald aber brausen sie in vollen Touren und in ihrem herrlichen Gesang mischt sich das Schreien und Brüllen der begeisterten Menge, bis sich beide Geräusche zu einem Orkan der Freude verdichten, der hell zum Himmel steigt. Wie flimmernde, rasende, silberne Schwerter funkeln die Luftschrauben, werden zu flitzenden Scheiben, die sich scharf wie Messer in die Luft schneiden. Hoch aufgerichtet steht der Schiffsführer in der Gondel. »Alle Maschinen voraus!« Wie Millionen gebändigte Pferde, jäh ihrer Fessel ledig, so brüllen nun die restlichen Motoren auf, und in ihren stählernen Sang, der sich wie ein Jubelruf zum Himmel erhebt, mischt sich, nun schon leiser werdend, das glückhafte Rufen der Menge, die, immer kleiner im jähen Sturz zum Himmel bald verschwindet. 179
Silbern, von der Sonne umglänzt und umleuchtet, leicht wie die Feder vom Halse eines Schwanes, zieht Zepp »Kapitän Lehmann« dem Wasser zu, dem Ozean, dessen Salzluft ihn schon fächelnd umspielt.
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19. Wie eine Vision aus Stahl, Eisen und Beton, zum Himmel ragende Häuserpyramiden, verschwindet das gigantische Neuyork; die Riesenfigur der Freiheitsstatue, deren Fackel nach Osten und nicht nach Westen weist, schrumpft zum Kinderspielzeug zusammen, und ehe die Passagiere noch richtig auf ihren Plätzen sind, ist der Saum der Küste verschwunden und die Wasser des Ozeans unter dem Luftschiff, das mit Eilzugsgeschwindigkeit der Heimat zubraust. Staunend stehen die Passagiere vor den breiten Fenstern der Wandelgänge, sehen mit großen Augen gegen die versunkene Küste der neuen Welt, während Berichterstatter schon an ihren Maschinen sitzen und eine Depesche um die andere in die Luft jagen. Die Rohrpostanlage, die vom Schreibzimmer direkt in die Funkbude und zum Postraum führt, ist schon überlastet. Bolle, Falke und Heide hatten sich gleich nach dem Start in eine Ecke des Rauchsalons im B-Deck zusammengesetzt. Bolle umriß die Situation. »Daß keiner von uns merken läßt, daß wir Fräulein Smith kennen, möchte ich nochmals in Erinnerung bringen … besonders dir, Heide … Laßt nur … Ich hoffe, du wirst Verstand haben … Fräulein Smith hat die Probe schon bestanden. Sie sah mich an, als würde sie durch die Luft sehen. Ich habe ferner veranlaßt, daß sie im Speisesaal neben Maud zu sitzen kommt … Und sonft …«, er zuckte die Schulter, »sonst werden wir abwarten müssen … Die Sache mit Clever ist höchst mysteriös …« »Es besteht immer noch die Möglichkeit, daß er durch irgend etwas aufgehalten wurde, was nichts mit dem Zepp 181
zu tun hat, aber ich glaube es nicht!« sagte Falke und tippte die Zigarette ab. »Werden sehen!« Bolle war in den letzten Tagen schmaler geworden. Er hatte das bestimmte Gefühl einer drohenden Gefahr und hatte noch keine Ahnung, woher sie kommen würde! Er sah den Kommissar an. »Es bleibt also dabei, Falke, daß wir mit dem Kommandanten nur schriftlich verkehren … Das heißt, wir dürfen nicht den Anschein erwecken, als daß wir besonders vertraut mit der Schiffsführung stehen …« »Und warum?« fragte Heide. »Ich …« »Darum, weil wir damit rechnen müssen, daß wir Gangster an Bord haben … oder doch so etwas Ähnliches … Möglich, daß sie uns kennen … Mich vielleicht, möglich auch nicht … Jedenfalls dürfen wir nicht auffallen … Steward Nummer vier ist eingeweiht … Er wird notwendige Nachrichten immer sofort an die richtige Stelle bringen … außerdem haben wir die Rohrpost … Es ist wichtig, Heide, daß du dich daran hältst …« »Ja, ja«, sagte Heide etwas verletzt, »bin ja kein Kamel!« »Dann ist es ja gut!« Bolle legte eine Liste auf den Tisch. »Wir haben im ganzen dreißig Passagiere an Bord … uns mitgerechnet … Etwa zwanzig scheiden aus … Namen, die bekannt sind; bleiben ungefähr sechs, die wir nicht kennen. Können Verbrecher oder auch keine sein … sehen wir mal zu: Edgar Richmond, San Franzisko, Privat … Hm … Privat … Gangster sind sozusagen auch Privatleute. Fräulein Eveline Portens, Hollywood … nie gehört … Wilkins Baxter, Schiffsmakler … solider Beruf … Wenn er stimmt! Frank Meyerheim, Kaufmann …« Bolle sah Heide und Falke an. »Weiß der Teufel, den Namen hörte ich schon … denke schon die ganze Zeit 182
darüber nach und komme nicht darauf …« »Etwas schwach im Kopf!« sagte Heide. »Wenn ich …« »Später!« antwortete Bolle. »Später … William Roberts, Stahlwerke Pittsburg … hm, das ist vielleicht ein Kerl … Pittsburg … Stahlmagnat … dicker Millionär …« Heide seufzte. »Vielleicht verliert er tausend Dollar …« »Kannst ja hinter ihm hergehen!« erwiderte Bolle … »Zeit hast du ja … Margaret Milford, Neuyork … Keine Idee, was da los ist … James Jackson … Manager … Na, hoffentlich managert er keinen Klamauk!« meinte Bolle mit einem kurzen Lachen. »Franklin Hayes, Kaufmann … Na ja, man muß die Leute ansehen … Spencer Jefferson, Farmer … wahrscheinlich will der Onkel Weizen verkaufen oder so etwas Ähnliches … Milred Harrison … wieder nichts … fährt spazieren … James Garfield … Agent … Millard Harding … nichts … ohne Beruf … John Clifford, ohne Beruf …« Bolle schob das Blatt von sich, und Heide steckte seine Nase hinein, während der Kommissar nachdenklich aus dem Fenster sah. Dann brach Bolle das Schweigen. »Wir sitzen natürlich auch nicht zusammen, Falke … Ich habe es bereits so eingeteilt, daß Heide und ich je an einem Ende des Speisesaales sitzen und Sie in der Mitte … so haben wir es doch vereinbart … Einverstanden?« Falke nickte. »Selbstverständlich! Wir kontrollieren auf diese Art den ganzen Raum … Und im übrigen wollen wir die Augen offen halten.« Er lachte. »Ich bin ganz ruhig, Bolle … Laferty ist nicht an Bord, und das muß doch gerade Ihnen eine große Beruhigung sein …« »Sie wollen sagen, er ist nicht zu sehen!« erwiderte Bolle und sah den Kommissar groß an. Falke stand auf. »Glauben Sie denn, daß er sich versteckt hat? Sie vergessen, daß die Schiffsführung den Zepp 183
peinlich durchsucht hat …« »Daran zweifle ich nicht … aber daran, daß Laferty seinen Plan, wenn er allerdings einen hatte, aufgab. Ich kenne den Mann …« »Sie sehen Gespenster!« sagte der Kommissar. »Gehen wir hinauf! Sehen wir uns die Leutchen an …« In der Halle, die vor dem Rauchzimmer lag, saßen einige Passagiere; Bolle, dem schon einige der markantesten Persönlichkeiten gezeigt worden waren, erkannte einige davon wieder, orientierte Falke unauffällig; sie stiegen über die Treppe, und Bolle sagte: »So, jetzt trennen wir uns … es ist besser, wenn wir nicht zusammen gesehen werden …« Unauffällig mischten sich die drei in die Gruppen, die im großen Wandelgang standen und saßen, und sie bemerkten mit Vergnügen, daß es May Smith bereits gelungen war, sich Maud Meerland anzuschließen. Sie hatte den Hund, in den sich Maud sofort verliebt hatte, geschickt verwendet, um mit der schönen Frau bekannt zu werden, und nun saß Molly schon auf Mauds Knien und fraß ein Stückchen Zucker, und die beiden plauderten. »Oh, ich liebe Tiere sehr!« sagte Maud und blickte gerührt auf das winzige Tier, »aber ich habe gefürchtet, meine Hunde würden das Klima nicht vertragen … Wenn ich wieder mit dem Zepp fahre, nehme ich sie alle mit …« »Ich hätte mich nicht getrennt von meinem süßen Molly!« schwärmte May, die ganz wie eine Dame aussah … »Ich komme weit vom Westen … und ich möchte nicht sein ohne diesen Hund …« Sie wandte sich um, griff nach ihrer Handtasche, die zu Boden gefallen war, aber der Herr, der eben vorbeiging, war schneller gewesen. Er reichte sie ihr, blieb stehen und strich über den Hund, der 184
ihn etwas erstaunt ansah. Es war ein älterer Herr mit einem runden, freundlichen Gesicht, gut gepflegt, und Fräulein Smith war er deshalb sympathisch, weil er sie an ihren Onkel erinnert, der auch so ausgesehen hatte. »Ein entzückendes Tier!« sagte der Herr. »Reizend … Ich glaube, er fürchtet sich gar nicht …« Fräulein Maud Meerland sah auf und den Herrn an. Der Hund gehörte wohl nicht ihr, aber sie fühlte sich durch das Kompliment geschmeichelt, lächelte und sagte: »Nein, er ist ein guter Hund … nicht wahr, Molly?« »Oh, Molly?« Das Gesicht des Mannes verzog sich etwas. »Molly! Ein sehr origineller Name!« sagte er dann. »Sehr originell …« May nickte. »Oh, ja … es ist mein Hund …« Sie lächelte vergnügt. »Ich liebe diesen Namen …« Max Bolle hatte die beiden Damen keinen Augenblick aus den Augen gelassen und beobachtete sie auch jetzt scharf. Das war doch der Herr, der fast zu spät gekommen war? Herr … Er dachte nach … Herr Meyerheim … Donnerwetter, wo hatte er denn diesen Namen schon gehört? Er warf dem Kommissar, der nicht weit von ihm entfernt stand, einen bezeichnenden Blick zu, setzte sich und raunte, als Falke bei ihm vorbei kam und wie zufällig stehen blieb, leise zu: »Sehen Sie sich den Mann bei den beiden an … Meyerheim …« »Schon gesehen … sieht ruhig aus …« Bolle zuckte die Schulter und ging weiter. Ruhig … möglich … vielleicht auch nicht. Jeder war verdächtig und niemand. Frank Meyerheim, der sich eben mit einem höflichen Gruß von Fräulein Maud und May entfernte, hatte die 185
Blicke, mit welchen Bolle ihn beobachtet und dann Falke verständigt hatte, genau gesehen. Jetzt, wo er für sich allein stand, war seine alte Entschlossenheit und Kaltblütigkeit wieder über ihn gekommen; das also war dieser Bolle und der andere der Kommissar. Sein volles, friedliches Gesicht war vollkommen ruhig. Er trat an das breite Fenster des Wandelganges, streifte wie zufällig Bolle, entschuldigte sich höflich und sagte mit einem Lächeln: »Außerordentlich erstaunt, nicht seekrank zu sein …« Bolle, der sich den Kopf über diesen Namen zerbrach und nicht mehr wußte, ob ihm dieser Mensch nicht einmal vorgestellt worden war, sagte verbindlich: »Kommt gar nicht in Frage! …« »Meyerheim … Frank Meyerheim … Ich fahre hinüber … und wenn ich nicht irre, so sind sie von drüben … Herr …« »Bolle! Max Bolle …« »Herr Bolle!« setzte Meyerheim mit unbewegter Miene fort. »Ich will etwas ausspannen … Deutschland ansehen …« Er verzog etwas den Mund. »Man hört so viel, und meine Meinung ist, erst sehen und dann sprechen …« »Sehr richtig!« erwiderte Bolle, dem der Mann nicht schlecht gefiel. »Ich bin überzeugt, daß Sie Gefallen an meiner Heimat finden werden …« Frank Meyerheim bat Bolle um einige Auskünfte, und in ganz kurzer Zeit waren sie in ein lebhaftes Gespräch über die beste Art, Deutschland schnell und gründlich kennenzulernen, verwickelt. Er sah, daß sich der Amerikaner die Ratschläge, die er ihm gab, sorgfältig notierte und bemerkte dabei auch, daß die Brieftasche, die der Passagier bei dieser Gelegenheit gezogen hatte, gut gefüllt war. 186
Nach einiger Zeit sagte Meyerheim, indem er seinen Notizblock fortsteckte, mit einem Lächeln: »Ich danke, Herr Bolle! Sie waren außerordentlich liebenswürdig … Ich danke sehr!« Er lachte. »Und jetzt muß ich mir eine Zigarre anstecken … Großartig, daß man rauchen kann.« Frank Meyerheim war, wenn er nicht seine Bildung herauskehren wollte, klug und welterfahren. Er war schon auf vielen Schiffen gefahren, hatte schon viele Meere durchjagt, und sein biederes Aussehen hatte ihm mehr als einmal große Dienste geleistet. Zufrieden ging er jetzt in das B-Deck, setzte sich in den Rauchsalon und zündete sich beruhigt eine Zigarre an. Mit diesem Herrn Bolle würde er fertig werden. Scheinbar hatte da Laferty keine Nerven gehabt … Und die beiden Damen … Mein Gott, Gänse … Lächerliche Gänse … Wenn es so weiter ging, dann … er klopfte schnell auf Holz, dann war alles in Butter. * Der Himmel hatte sich mit Wolken überzogen; der Ozean warf Schaumkämme gegen den »Zepp«, der in mäßiger Höhe darüber hinbrauste, und es sah aus, als würde es Sturm oder doch Schlechtwetter geben. Kapitän Witt, der durch die Passagierräume ging, beruhigte lächelnd einige Damen: »Vielleicht kommt etwas Sturm – sicher sogar, aber wir sind hier sicher, wie zu Hause. – Der Zepp hat nichts zu fürchten, meine Damen und Herren …« Er hatte sich an alle gewandt. »Das Schiff liegt sicher in unserer Hand! Es gibt keinen Sturm, der stärker ist als wir!« Es war inzwischen dunkel geworden; das Licht flammte auf, und die Stewards deckten dieTische. Kapitän Witt deutete lächelnd darauf hin und sagte heiter: »Ich hoffe, daß Ihnen unsere Küche 187
mundet. Auf Wiedersehen!« Sie mundete. Daß draußen ein ganz tüchtiger Sturm tobte, sah man nur an den Wellen, die wie verlangend zum »Zepp« schlugen; sonst glitt das Schiff so ruhig dahin, daß nicht ein Tropfen der herrlichen Königinsuppe, mit der das Abendessen begann, verschüttet wurde, und Meyerheim, der durch einen seltsamen Zufall mit den beiden Damen, die ihn nun schon kannten, beisammen saß, lächelnd sagte: »Es ist besser, in einem Zepp zu essen, als in einem Zug! Ich glaube, hier kann man sogar Erbsen mit dem Messer essen, hahaha …« Fräulein Maud Meerland sah ihn einige Augenblicke erstaunt an. Meyerheim, dem die Zunge durchgegangen war, biß sich darauf und sagte lachend: »So sagte nämlich mein Freund Jack immer. – Ein rauher, aber netter Bursche … Kam von unten … Hatte keine Universität besucht, bildete sich aber ein, mächtig gelehrt zu sein … Hielt Ramses für einen Ägypter, während doch jeder Schuljunge weiß, daß er ein oller Grieche war … toller Bursche, Jack! Jack, sage ich immer, mußt deinen Laden halten … Ich bitte um Entschuldigung … das sind so seine Ausdrücke … Bist ein verd …« Meyerheim biß sich auf die Zunge. »Bist ein feiner Junge, aber rede nicht soviel … Guter Wein – sehr gut … Gutes Hündchen … willst du ein Fleisch …« Er wollte dem kleinen Molly einen Bissen zustecken, aber May protestierte ängstlich. »O nein, er ist sofort krank, Herr! Er darf das nicht essen!« Sie erging sich breit über die Diät des Hundes, und Meyerheim tat alles, um die Damen zu unterhalten, und da weder May noch Maud besonders stark in klassischer Bildung waren, so schadete es gar nichts, daß er feste danebenhaute. Er fühlte sich bei diesem Wein außerordentlich wohl und war froh, daß Laferty ihn nicht 188
überwachte, goß den Damen ein und wollte unbedingt erreichen, daß ihm Molly das Pfötchen gab. Aber der Pekineser sah ihn mit seinen vorstehenden, runden Glotzaugen so verachtend an, als würde er sagen wollen: »Ich heiße Molly, verstehste, und dir Pfötchen geben kommt ja gar nicht in Frage, du Gangster!« Der Sturm rauschte vorbei; oder besser gesagt: die Schiffsführung hatte ihn umfahren. Aber immer noch war der Himmel von Wolken umhangen, und umsonst versuchte der Mond durchzubrechen. Man war nun schon beim Kaffee; dienstfreie Offiziere saßen bei den Passagieren, man lauschte ihren Erzählungen, sie gaben Autogramme auf die Speisekarten und versprachen für den nächsten Tag eine Führung durch das Schiff. Bolle saß mit Franklin Hayes, Margaret Milford, Willy Stolz aus Hamburg und Kapitän Witt an einem Tisch; er saß so, daß er den Tisch, an dem die beiden Damen saßen, gut beobachten konnte, und so sehr er das Gespräch an seinem Tisch verfolgte, so sehr war er bestrebt, etwas von der Unterhaltung von drüben zu erhaschen. »Wir fahren jetzt gut unsere hundertzehn!« sagte Kapitän Witt befriedigt. »Die Wetterlage ist ausgezeichnet – die Aussichten für morgen gut …« »Aber wenn noch ein Sturm kommt!« sagte Margaret Milford etwas ängstlich. »Ist das nicht schlimm?« »Nein, Fräulein Milford! Gar nicht …«, er setzte der etwas ältlichen, sehr vornehm aussehenden Amerikanerin die völlige Gefahrlosigkeit auseinander, und Bolle, der nur mit einem halben Ohr zuhörte, hatte Zeit, mit dem anderen nach der anderen Seite zu hören. »Herr Meyerheim?« Ein Steward trat an den Tisch und 189
reichte Frank Meyerheim ein Papier. »Eine Depesche!« Der Amerikaner nahm die Depesche, entschuldigte sich, öffnete sie und stand auf. »Einen Augenblick, meine Damen … Eine geschäftliche Nachricht …« »Hoffentlich ist sie gut?« sagte Maud Meerland. »Oh, durchaus nicht schlecht … Ich hoffe, bald wieder das Vergnügen zu haben …« Bolle hatte jedes Wort gehört. Er hatte so gut wie keinen Verdacht auf diesen behäbigen Bürger, aber er hätte doch zu gerne gewußt, was man ihm depeschiert hatte. Er entschuldigte sich ebenfalls bei seinem Tisch und schlenderte, scheinbar ziellos, durch die Halle, winkte dabei Falke mit den Augen, und wenige Sekunden später trafen sie sich auf der schmalen Treppe, die vom A-Deck zur Führergondel führte und deren Betreten verboten war. »Meyerheim hat eine Depesche erhalten …«, sagte Bolle. »Und?« fragte Falke. »Ich möchte wissen, was los ist …« »Gut!« Sie gingen in die Führergondel, berichteten dem Kommandanten Hartmann, der jetzt den »Zepp« führte und sie am Kommandostand anhörte, und der Kommissar sagte abschließend: »Möglich, daß nichts los ist – aber man kann nicht wissen …« Kapitän Hartmann dachte nach und nickte. Die Überwachung der Funkdepeschen, die kamen und gingen, war nicht angeordnet. Hier aber lag eine Ausnahme vor; Falke war für die Sicherheit des Schiffes, so weit sie solche Dinge betraf, die vielleicht hier vorlagen, verantwortlich, und er selbst hatte alle Ursache, alles zu tun, um ein etwaiges Verbrechen zu verhüten. Er drückte 190
auf einen Knopf und sprach dann in einen Apparat: »Hummel, die Kopie der eben eingelaufenen Depesche für Herrn Meyerheim! Danke! Hoffen wir, daß Ihre Sorge unbegründet ist … Wäre mir aufrichtig angenehm … Scheußliches Gefühl, wenn Sie recht haben!« Er nahm einem eintretenden Funker ein Blatt aus der Hand, überflog es und sagte mit großen Augen: »In Chiffren! Merkwürdig!« Er sah die beiden an. »Geschlüsselt!« Seine Augen wurden schmal. »Ist zwar auch bei Geschäftsdepeschen üblich – aber immerhin!« Er reichte das Blatt Falke: »Bitte!«
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20. Frank Meyerheim an Bord DLZ 130 »Kapitän Lehmann« seiw thet seid ehca crud hüfh okeoha gnur lgöm kiop shci rofo akep cant cirn pekao awth ebnn quot tier. Larenc Limited. Kommissar Falke war nicht leicht zu verblüffen. Er war nicht von gestern, und im »Alex« hatte er bereits Dinge erlebt, die gerade auch nicht von schlechten Eltern waren. Immerhin sah er mit erstaunten Augen auf die Depesche, reichte sie dann Bolle und sagte langsam: »Hm! Hm! Außerordentlich merkwürdig!« Max Bolle überlas die Gruppen von Buchstaben und sagte dann trocken: »Das ist vielleicht chinesisch!« »Hört sich so an, aber es ist natürlich englisch und eben geschlüsselt!« meinte Falke. »Larence Limited … Hm – klingt ganz ordentlich …« Sein Gesicht war gespannt. Dann sagte er jäh: »Ja, so geht es … Wir funken Overland an …« »Und?« fragte Bolle. »Er muß herausbekommen, ob es eine Larenc Limited gibt? Das wäre immerhin etwas …« »Fein!« sagte Bolle, während der Kommissar schon schrieb: Lakehurst Overland sofort erheben ob Larenc Limited Neuyork eingetragen. DLZ 130 Zwei Sekunden später war der Text beim Funker, und nicht länger brauchte es, und die Wellen trugen ihn hinaus. »Werden sehen!« sagte der Kommissar etwas erregt. 192
»Ich bin weiter dafür, daß die Antwort dieses Mannes vor Abgang erst uns vorgelegt wird!« »Lesen können wir sie allerdings nicht!« sagte Bolle. »Tut nichts … Und im übrigen – wenn wir Zeit hätten, könnte man sie lesen …« Der Kommandant gab den Auftrag, eine von dem Fahrgast Meyerheim auslaufende Depesche erst ihm vorzulegen, und sagte dann, indem er einen Blick auf den Kurs des Schiffes warf, ernst: »Ich tue das nicht gern, meine Herren!« »Ich übernehme die Verantwortung, Herr Kapitän!« sagte der Kommissar schnell. »Es wird sich sofort zeigen, ob es notwendig ist oder nicht!« Bolle wollte eben etwas sagen, als der Funker eine Depesche brachte. Schon nach dem ersten Blick, den Kapitän Hartmann darauf warf, erkannten die beiden, daß ihn der Inhalt erregte und als sie ihn überflogen, begriffen sie das auch. An DLZ 130 Bei abermaliger Kontrolle Clever in einem Seitengang der Halle mit schwerer Schußwunde in Brust aufgefunden stop nicht vernehmungsfähig, stop keine spur stop GM eingesetzt. Overland. »Na also!« sagte Bolle mit bleichen Lippen. »Da haben wir es! Der arme Clever! Ob es die Gun-Men schaffen werden? Sind ja tüchtige Kerle! Aber diese Lumpen auch!« Er sah Falke an, der finster vor sich her sah. »Und ich hätte ihm bald unrecht getan!« meinte er nach einer Weile. »Er muß auf dem Weg zu uns gewesen sein! Hoffentlich erholt er sich bald – vielleicht hat er jemand überrascht …« 193
»Glaube ich nicht, dann hätte er zuerst geschossen! Kennt ja diese Bande«, sagte Bolle wütend. »Er muß überfallen worden sein … Vielleicht von – Laferty …« »Glaube nicht, daß sich dieser Gauner in die Nähe der Halle wagte?« zweifelte der Kommissar. Er sah auf die Uhr. »Antwort könnte schon hier sein …« »Ja, wenn es nur zu funken gäbe!« stimmte der Kapitän bei, »aber man muß ja erst nachsehen …« Sie sahen durch die Fenster des Kommandantenstandes in die Nacht; sie hörten das Surren der Motoren, das Kommen und Gehen der leitenden Ingenieure, die unermüdlich wachten, die Stimmen, die Befehle durchgaben, sie sahen das Aufleuchten der Signallampen, die in verwirrender Fülle vor ihnen lagen, und ihre Nerven waren voll Spannung. Wann würde die Antwort kommen? Wie würde sie lauten? Wer hatte Clever niedergeschlagen? Und warum? Sie fanden keine Antwort. Wie auf einen geheimen Befehl nahmen sie die Depesche an Meyerheim auf, beugten sich darüber und lasen abermals Buchstaben um Buchstaben. * Frank Meyerheim war in seine Kabine gegangen; er versperrte sie hastig, öffnete einen kleinen Koffer, entnahm einem Geheimfach ein nicht allzu großes Stück Papier und setzte sich dann nieder. Sein Gesicht hatte einen verschlossenen Ausdruck. Sein Kopf war tief über die Depesche gebeugt, und seine Füllfeder glitt schnell über ein Stück Papier. Nach einigen Minuten hielt er still, sah nieder und las halblaut vor sich hin. 194
Dann hob er den Kopf, und ein ärgerliches Grinsen zuckte über sein Gesicht. Wieder hob er die Füllfeder, und nachdem er das Papier, das er sich aus dem Geheimfach geholt hatte, immer wieder vornahm und viermal einen Bogen vernichtet hatte, schrieb er schnell einige Zeilen nieder. Er überlas sie nachdenklich, verschloß das Papier wieder im Geheimfach des Koffers, den er sorgfältig verschloß, ließ den kleinen Schlüssel in einer verborgenen Tasche des Rockes verschwinden und ging schnell nach oben. »Steward, Funk!« Er überreichte dem Steward die Depesche, gab ihm einen Dollar und sagte »dringend!« »Gewiß mein Herr! Es bleibt nichts liegen!« »Danke – bin überzeugt, daß hier alles klappt!« Er ging weiter, und als er die beiden Damen noch auf ihren Plätzen sitzen sah, glitt ein zufriedener Zug über sein Gesicht. Er straffte sich etwas und trat mit einem gewinnenden Lächeln wieder an den Tisch. * Als der Funker den Text, den Meyerheim zur Weitergabe dem Steward gegeben hatte, überbrachte, und der Kommandant ihn überflogen und an die beiden weitergegeben hatte, sahen sie sich abermals erstaunt, vielleicht nun schon an wenig ratlos an. Larenc Limited Neuyork 410 ztis time dieb nane enie sitm opeda ays uahs ciss neth wtug bnne iere remat trest cant cirh akth innn sthc rebü opeda cima nez quit game. Meyerheim »Eine sehr schöne Sprache!« sagte Bolle grimmig. »Schade, daß sie nicht gesprochen wird!« »Der Schlüssel, wenn wir den hätten!« erwiderte der Kommissar ärgerlich. 195
Im gleichen Augenblick wurde dem Kapitän eine Depesche gereicht. »Hier haben wir die Antwort von Overland!« sagte er gleich darauf. »Ich lese vor!« DLZ 130 Larenc Limited eingetragen stop Getreidemaklerfirma stop nachteiliges liegt nicht vor stop nicht umfangreich stop Clevers befinden unverändert stop Overland »So weit wäre das in Ordnung!« sagte Bolle nach einer langen Pause. »Was heißt so weit?« fragte der Kapitän. »Ich glaube, die Nachricht ist doch eindeutig! Oder nicht?« Auch der Kommissar war etwas überrascht. »Sie sind nicht zufrieden?« »Nein!« sagte Bolle energisch. »Ich bin nicht zufrieden! Ich denke nicht daran …« Er wandte sich schnell zur Seite und fragte etwas brüsk: »Was willst du hier, Heide? Hier ist kein Bierlokal …« Er war gereizt. »Ich bitte dich …« »Nur keine Aufregung!« sagte Heide. »Ich wünsche gar kein Bier – das oben schmeckt mir ausgezeichnet. – Ich möchte dir nur sagen – und auch Ihnen, Kommissar, daß mir dieser Onkel, der bei May Smith und Maud Meerland sitzt, nicht gefällt …« »Du meinst Meyerheim?« »Genau derselbige!« »Und warum, Junge?« Hans Heide zuckte die Schulter. »Weiß ich nicht – weiß ich nicht – aber ich habe so einen Blick aufgefangen, der allerhand schlecht war – wenn das kein falscher Fünfziger ist, denn …« »Ich werde dir etwas flüstern!« sagte Bolle energisch. »Setze dich wieder auf den dazu bestimmten Körperteil und sieh weiter … sehr interessant, was du uns erzählst, 196
sehr …« »Hm – und im übrigen möchte ich wieder sagen, daß ich auf Grund tiefgründigen Nachdenkens …« »Mir den Kopf schwach gemacht habe!« ergänzte Bolle. »Stimmt! Vielleicht kannst du ihn bei einem Glas Berliner Kindl auffrischen …« »Ist diesmal nicht auf dem Posten!« sagte Bolle wie entschuldigend, als Heide die Führergondel verlassen hatte. »Weiß der Teufel, was los ist!« Kapitän Hartmann sah die beiden an. »Meine Herren, soll die Depesche abgehen? Ich habe kein Recht, sie zurückzuhalten! Möglich, daß wir auf Schadenersatz verklagt werden, wenn es sich um ein Geschäft handelt! Wir haben erfahren, daß der Mann Getreidehändler ist …« »Also auf alle Fälle einer, der am Brot verdient – höchst unsympathische Erscheinung!« Er sah Falke an. »Was meinen sie?« »Wir können sie nicht zurückhalten?« »Gut!« Der Schiffsführer ließ die Depesche weiterlaufen und sagte dann etwas erregt: »Ich hoffe, daß nun alles in Ordnung ist!« Bolle sah den Kommissar an und antwortete dann schnell. »Das können wir Ihnen nicht versprechen. – Jedenfalls habe ich an Overland noch eine Frage zu richten!« Er nahm ein Blatt Papier und schrieb schnell den Text nieder und reichte ihn dann dem Kommissar, der ihn an den Kommandanten weitergab. Lakehurst Overland Funk d 360 erhalten stop wer beteiligt an Larenc Ltd. stop dringend stop. Da Bolle den fragenden Blick des Kapitäns sah, sagte er: »Daß die Firma besteht, ist ja richtig! Mich interessiert aber, wer da mitmacht! Es gibt Hunderte 197
Schwindelfirmen, und ich habe so meine Gedanken!« »Sie sind sehr mißtrauisch!« meinte Kapitän Hartmann, indem er die Depesche an die Funkbude weiterlaufen ließ. »Ja, aber ich bin mit Bolle ganz einverstanden!« fuhr der Kommissar fort. »Und ich bitte sie, uns sofort zu benachrichtigen, wenn die Antwort kommt!« Er sah auf die Uhr. »Ich denke, es ist Zeit, wieder hinaufzugehen …« »Wetterstation Cap Race meldet Tief auf unserm Kurs!« sagte in diesem Moment der Erste Offizier. Sofort war Kapitän Hartmann beim Kartentisch. Bolle und der Kommissar hörten noch, wie er sich mit Kapitän Quandt, der das Schiff führte, dem Steuermann und dem Ersten Offizier beriet und wie dann der Kurs des Schiffes um einige Grade nach Süd zu Ost gedreht wurde. Es ging alles ohne Hast, und sie verließen die Führergondel mit dem Gefühl, daß die Männer, die den Zepp führten, unbedingt auf dem Posten waren. Was sie allerdings keine Sekunde bezweifelt hatten. * Seit sechs Stunden flog der »Zepp« über den Ozean, der grün und bleigrau im Mondlicht schimmernd unter ihm lag und mit Kämmen der weithin rollenden Wellenberge zu ihm aufsprang. Das Abendessen war längst zu Ende, und als Bolle und der Kommissar den Wandelgang neben dem Speisesaal betraten, war alles fast leer; die meisten Passagiere hatten es scheinbar schon vorgezogen, ihre Kabinen aufzusuchen, um wohl am nächsten Morgen, der sie schon nahe Europa finden mußte, frisch und ausgeruht zu sein. Nur einige Tische waren noch befetzt, und die beiden sahen mit Erstaunen, daß auch May Smith und Maud 198
Meerland noch wach waren und sich scheinbar mit Herrn Meyerheim ausgezeichnet unterhielten. Sie warfen sich erstaunte Blicke zu, setzten sich, bestellten eine Flasche Wein und sahen dann auch zu Heide, der auch noch in vollem Betrieb war und jetzt herankam. »Solltest eigentlich zu Bett sein!« sagte Bolle streng. »Wäre Zeit!« »Nur Ruhe, Onkel Bolle!« sagte Heide und zwinkerte mit den Augen, »hat seine Gründe …« Er sah, daß Meyerheim freundlich hergrüßte und Bolle den Gruß ebenso erwiderte und fragte: »Bist ja scheinbar recht gut mit dem Onkel …« »Doch – wir haben recht angenehm geplaudert …« »Hm – und ich habe ihm scharf auf die Finger gesehen! Ist nicht selten verschwunden gewesen – hat scheinbar in der Bar einen Whisky genehmigt, sah ihn jedenfalls einmal heraushopsen …« Bolle achtete wenig auf Heide. Seine Gedanken waren bei den geheimnisvollen Depeschen. Er sah den Kommissar an und sagte: »Ich gäbe verdammt viel dafür, wenn ich sie lesen könnte! Aber es hat nicht viel Sinn, sich damit zu befassen! Es ist ein vereinbarter Schlüssel und das kostet Zeit – dazu muß man Begabung haben – Übung …« Der Kommissar stimmte zu, erzählte einige Beispiele aus seiner Praxis und hätte wohl noch weiter gesprochen, wenn nicht Heide etwas gereizt gefragt hätte: »Darf ich gefälligst wissen, was da los ist? Machst ja jetzt alles allein, Junge! Hältst du mich für einen Idioten?« »Nicht gerade!« sagte Bolle. »Aber … Mein Gott, du kannst es natürlich wissen!« Er sah nach dem Tisch, wo Meyerheim saß, dämpfte dann seine Stimme, erzählte 199
Heide, was los war und war erstaunt, als ihn dieser erregt anfuhr: »So, so, und das sagst du mir erst jetzt, du Mondkalb?! Bist ja von allen Göttern verlassen …« »Mensch, was ist denn?« Heide ruderte erregt mit seinen langen Armen. »Ja, hast du denn noch nie etwas von Professor Kattos gehört?« »Nee? Was ist los?« »Alter Freund von mir …« Heide sprach jetzt sehr schnell und erregt. »Privatgelehrter … im Krieg in der Abteilung 3 B … spricht zwanzig sprachen – alle skandinavischen – Holländisch, Italienisch, Russisch, Spanisch, Türkisch, Arabisch, beherrscht zehn indische Dialekte oder weiß Gott wie viele …« »Das ist ja alles sehr interessant, aber …« »Ruhe! Ruhe!« sagte Heide. »Und ist ein genialer Auflöser! Dechiffreur!« Er sah den Kommissar an. »Nie gehört?« Der Kommissar mußte das zugeben. »Hm? Lebt jetzt sehr zurückgezogen. – Ist schon ein alter Knabe. – Freund meines Vaters – liest solche Dinge wie offene Schrift und – und wir müssen ihn sofort aufsuchen … Los!« Er stand auf. »Wenn einer, dann kann er das Zeug lesen …« »Du glaubst, daß er uns hilft?« fragte Heide. »Es ist bald Mitternacht, und wir müßten sofort Nachricht haben …« »Kattos ist ein Deutscher!« sagte Heide stolz. »Und wenn er weiß, um was es geht, ist es ihm gleich, ob er aus dem Bett geholt wird oder nicht … Wir funken über Alex … Geht das, Kommissar …?« Falke war schon ganz im Bilde und voll Interesse. »Natürlich … sehr sogar!« Er war schon aufgestanden, setzte sich aber wieder nieder. »Wir dürfen aber nicht alle 200
verschwinden … Ist Meyerheim ein Gangster, so würde ihm das auffallen. – Bin dafür, daß Sie, Bolle, sitzen bleiben. Ich verschwinde, und Heide kommt in die Führergondel nach. Einverstanden?« Bolle stimmte zu, und wenige Sekunden später gingen die beiden in der Richtung gegen die Bar. Falls sie beobachtet wurden, war das besser. Kaum saß Bolle, als ihm Frank Meyerheim freundlich zuwinkte und wenig später einlud, an den Tisch zu kommen, was Bolle nicht ablehnte. Er ließ sich Fräulein Maud Meerland und May Smith, die ganz so tat, als habe sie den Namen nie gehört und den Mann nie gesehen, vorstellen, und gleich darauf bat Meyerheim um die Erlaubnis, Champagner bestellen zu dürfen, was ihm die beiden Damen, die, wie Bolle sah, sehr vergnügt waren, erlaubten. »Dort sitzt Jessy Cooper!« sagte Maud Meerland und deutete auf eine sehr exklusiv angezogene Dame, die zwei Tische weiter zwischen zwei Herren saß. »Sie ist früher Ziegfield-Mädel gewesen, hat dann sehr reich geheiratet, viele, viele Millionen, und jetzt reist sie viel! Oh« Fräulein Meerland hob die Augenbrauen, »sie hat sehr schönen Schmuck … Viele Perlen …« »Die bringen Unglück!« lachte Frank Meyerheim und hob das Glas. »Ich kann Perlen an Damen nicht sehen! Ich liebe andere Steine mehr … Prost, meine Damen! Es ist mir ein Vergnügen, mit so schönen Frauen meine erste Fahrt im Zepp zu machen … Ich bin entzückt …« Er trank Bolle zu. »Prost, Herr Bolle … Ich freue mich, einen so hervorragenden Deutschen kennenzulernen.« Max Bolle fühlte einen ganz kleinen Fuß auf seinem; er sah May an, und ihre Augen warnten ihn deutlich. Er warf ihr blitzschnell einen Blick zu und sagte dann lachend: 201
»Sie sind ein großer Schmeichler, Herr Meyerheim! Prost! Auf gute Geschäfte!«
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21. Alex Berlin, Abteilung 30 Unterbreitet nachfolgende Chiffre-Depeschen an Professor Kattos, Grunewald, Drei Föhren-Haus, stop Hans Heide an Bord DLZ 130 ersucht um Klärung stop sehr dringend stop möglicherweise Verbrechen stop Einsetzet eigene Mittel ebenfalls stop. DLZ Geyer 220 Heide nickte, und auch Kapitän Hartmann, der aufmerksam die Berichte der beiden angehört hatte, gab seine Zustimmung, und wenige Sekunden später trugen die Wellen die Botschaft in die Heimat. »Sie glauben also, daß Kattos das Rätsel löst?« fragte Falke, der doch etwas nervös war. »Ich kann nur sagen, daß er auf diesem Gebiet ein Genie ist! Wäre er nicht so bescheiden, würde ihn die ganze Welt kennen – aber er liebt die Öffentlichkeit nicht und fühlt sich nur unter seinen Büchern wohl …« »Herr Kapitän!« sagte da der Erste Funkoffizier, der eingetreten war, »wir werden von U. S. Navy Hochseetorpedoboot Baltimore angefunkt.« Er reichte dem Kapitän eine Depesche. »Sie wünschen glückliche Fahrt und fragen, ob wir Wünsche hätten?« Kapitän Hartmann warf einen Blick auf die Depesche. »Nett! Können ja ganz entzückend sein, diese Herren Amerikaner, wenn sie nicht verdammt verhetzt werden!« Er wandte sich an den Zweiten Offizier. »Wilkens, danken Sie nett und sagen Sie, daß wir mit allem versorgt sind. – Wo steht das Boot?« »Etwa vier Seemeilen von unserm Kurs – drei Striche 203
Nord zu West …«, antwortete der Funker. »Danke! Also, ein paar nette Worte …« Er wandte sich zu den beiden, als der zweite Funkoffizier eintrat und Haltung nahm. »Herr Kapitän, wir erhalten seit einiger Zeit Funksprüche einer Jacht. Die üblichen Fragen … Sie sendet auf einer privaten Wellenlänge – nun ist aber eben dieser Funkspruch eingelaufen. – Erst glaubten wir, er käme von Neuyork – wir haben aber geprüft, und es ist kein Zwefel, daß die Jacht die offizielle Welle verwendet – hier ist der Funkspruch!« Frank Meyerheim an Bord DLZ 130 glof uane rukf tims yram weiw sarked west dtie gnir sarked ost dne quit norded Larenc Ltd. Kapitän Hartmanns Gesicht wurde ernst. »Wieder eine Schlüssel-Depesche, meine Herren! Ohne Zweifel steht also die Jacht mit Herrn Meyerheim in Verbindung!« Der Kommissar sagte schnell: »Ob da nicht ein ganz gemeines Börsenmanöver ausgebrütet wird! Meyerheim ist doch Getreidespekulant! Kommt mir ganz so vor!« »Möglich!« gab der Kommandant zu. »Jedenfalls ist der Gedanke, dabei sozusagen behilflich zu sein, nicht erbaulich …« Er wandte sich an den Funker: »Depesche an Herrn Meyerheim weiterleiten! Kopie lassen Sie hier!« »Wir müssen sie sofort an Kattos weitergeben!« sagte Heide schnell. »Vielleicht ist gerade sie interessant!« Wenige Minuten später wurde sie nach Berlin gefunkt, und dann gingen die beiden wieder nach oben, wo sie zu ihrem nicht geringen Erstaunen Bolle in großer Gesellschaft fanden, und Meyerheim war eben dabei, die Depesche zu lesen. Gerade als der Kommissar und Heide an dem Tische vorbeigingen, stand Meyerheim auf. »Die Herrschaften entschuldigen!« sagte er, »aber ich habe Geschäfte!« Er 204
schwenkte die Depesche. »Ich hoffe, bald wieder hier zu sein …« Kaum war Meyerheim verschwunden, so gab May Smith Bolle einen Wink. Sie schlenderte unauffällig gegen eines der großen Fenster im Wandelgang. Bolle folgte ihr, lehnte sich ebenfalls hin, und sie flüsterte ihm schnell zu: »Meyerheim ist einige Male verschwunden … während Sie nicht oben waren! Er gefällt mir nicht … Aber Maud ist entzückt von ihm …« Bolle dachte nach. Was war da zu tun? Konnte man gegen Meyerheim vorgehen? Sicher nicht. Noch war nichts geschehen, und es war keineswegs sicher, daß etwas geschehen würde. Die Depeschen konnten harmlos sein. Und Meyerheim verhaften oder verhören konnte der Kapitän doch nur, wenn er einwandfreie Verdachtsgründe gegen den Mann hatte. »Wissen Sie, wohin er ging?« »Ich glaube in seine Kabine!« »So?« Die Kabinen lagen zwischen dem rechten und linken Wandelgang eingeschachtelt. Auf der einen Seite lag ferner der große Speisesaal, auf der anderen die Halle und das Schreibzimmer. Der Zugang lag in der Mitte des A-Deckes, und man konnte kaum zu den Kabinen gelangen, ohne gesehen zu werden. Er nickte. »Ich danke Ihnen, Fräulein May … Ich werde sehen, was ich tun kann … Gehen Sie bitte wieder zu der Gesellschaft!« Er wartete, bis der Kommissar zu ihm kam, winkte ihm und sprach dann mit ihm. »Wir müssen sehen, was er jetzt treibt!« sagte Bolle dann abschließend. »Es gefällt mir nicht, daß er so oft verschwunden ist!« »Glauben Sie, daß er eine fremde Kabine besucht? Wohin sollte er, wenn er etwas klaut, mit der Beute?« 205
Bolle zuckte die Schulter. »Das weiß ich nicht, ich weiß nur, daß sich etwas anspinnt, Falke! Gehen wir ihn suchen …« Sie waren aber noch keine zwei Schritte gegangen, als ihnen Meyerheim scheinbar freudestrahlend entgegenkam. »Meine Herren, ich habe eine ausgezeichnete Nachricht erhalten …« – er lächelte – »Geschäfte …« – er schwenkte ein Blatt Papier –, »Sie gestatten, daß ich Sie auf einen Drink in die Bar einlade … Das muß gefeiert werden … Ich gebe nur noch einen Funkspruch durch … Ich komme sofort wieder … Sie geben mir keinen Korb … sicher nicht!« Ehe einer der beiden etwas sagen konnte, war Meyerheim schon fortgelaufen. Sie sahen sich an, und Bolle sagte: »Entweder ist der Mann vollkommen harmlos, oder ein ganz durchtriebener Schurke!« Er hob die Augenbrauen: »Ich bin dafür, daß wir annehmen …« Falke war einverstanden. »Gut, aber wir müssen auch die Antwort nach Berlin funken … die Depesche, die er jetzt durchgibt … Kattos muß alles beisammen haben … Wollen Sie zum Kapitän?« »Ja … dann gehen Sie bitte zu der Gesellschaft … Es ist vielleicht wichtig, daß Maud mithält … wie ich sehe, ist sie ja noch sehr vergnügt!« * Es wurde sogar sehr bald außerordentlich vergnügt! Die kleine Bar am B-Deck, deren entzückende Ausstattung ihre Kleinheit vergessen ließ, widerhallte bald vom Lachen der Damen, zu welchen nun auch Jessy Cooper gehörte. Frank Meyerheim hatte sie ohne viel Federlesens samt ihren männlichen Partnern eingeladen, und die hatten alle angenommen. 206
Das Erregende der Fahrt im »Zepp« ließ sie, wie sie sagten, nicht schlafen gehen; sie wollten sich die Nacht um die Ohren schlagen und die Sensation, über dem Ozean in einer richtigen Bar sitzen zu können, bis zur Neige auskosten. Frank Meyerheim zog alle Register seiner Beredsamkeit, und Bolle, der bereits wieder aus der Führergondel zurückgekommen war, schien es, als habe er die Absicht, alle tot zu reden. Er hatte Champagner auffahren lassen – Bolle wußte schon nicht mehr, wie viele Flaschen auf sein Konto gingen – und redete darauf los. »Erst die Geschäfte, meine Damen … Geschäft, meine Damen und Herren! Das sagte schon meine Mama, die eine feine Dame war … Nie hatte eine feinere Geschirr gespült, ich wollte sagen, auf silbernem Porzellan gegessen, hahaha, und sie sagte immer, Franki, sagte sie, das Geschäft kommt zuerst! Egal, wie du dein Geld verdienst, mein Junge, nur Geld muß es sein, und sie war eine feine Dame, meine Mutter! Prost, Herr Bolle, Prost Herr Falke … mir ein Vergnügen …! Prost, meine Damen … schon die alten Griechen, oder waren es die Römer, sagten In hoc signo vinci … Im Weine liegt der Hund begraben … haha tüchtige Burschen diese Römer … erledigt, jetzt, vollkommen erledigt … Ich habe auf der Universität … meine Damen und Herren, glauben Sie … daß mein Freund La …« – er stutzte plötzlich und sagte schnell und wie ernüchternd: »großartige Fahrt im Zepp … herrlich … wundervoll … möchte nur wissen, wie der fliegt … höre nichts … großartig …« Max Bolle gab dem Kommissar unter dem Tisch ein Zeichen, beugte sich dann zu ihm und sagte leise: »La … das sollte doch wohl Laferty heißen? Meinen Sie …« Kommissar Falke hob das Glas, trank Bolle zu und 207
flüsterte: »Ich glaube, wir müssen weitersehen …« Jessy Cooper, die über die erste Maienzeit seit ziemlich langen Jahren hinaus war und brandrote Haare trug, in denen einige herrliche Steine funkelten, sagte anerkennend: »Sie sind sicher ein sehr guter Geschäftsmann, Herr Meyerheim! Ich bewundere das!« Frank Meyerheim warf seinerseits einen bewundernden und bedauernden Blick auf den kostbaren Schmuck, der vor seiner Nase baumelte und doch so unendlich fern war und sagte galant: »Und ich bewundere schöne Frauen, Fräulein Cooper! Und die Geschäfte …« – er ließ ein bedauerndes Seufzen hören – »… keine Ruhe …« – er stand auf. »Eben fällt mir eine Sache ein … ich muß mich wieder entschuldigen … Ich bin sofort wieder hier …« Bolle, der Kommissar und Heide warfen sich erstaunte Blicke zu. Schon wieder. Bolle sagte lachend: »Sie scheinen ja mächtig in Form zu sein, Herr Meyerheim! So eine Zepp-Fahrt regt Sie wohl sehr an, nicht?« »Hahaha!« lachte Meyerheim scheinbar sehr gut gelaunt. »Haben recht! Glänzende Idee … macht wahrscheinlich die Gesellschaft, Herr Bolle … Ihre Gesellschaft …« Bolle und der Kommissar hatten Lust, Meyerheim nachzugehen; aber sie überlegten es sich. Was konnte er tun? Wenn er eine Kabine ausraubte, so mußte es bald herauskommen, und über Bord springen konnte er nicht. Er faß in einer Falle und es erschien deshalb unwahrscheinlich, daß er etwas im Schilde führte. Sie flüsterten zusammen und waren entschlossen, den Fahrgästen vor dem Verlassen des »Zepp« zu raten, genau auf ihren Schmuck und ihre Wertsachen zu achten. solange der »Zepp« noch in der Luft lag. Dann hatte man, war wirklich etwas geklaut worden, leichtes Spiel. 208
Sie widmeten sich wieder der Gesellschaft, und May Smith sagte leise: »Ich habe sehr aufgepaßt auf Maud … Aber sie hat ihren schönen Schmuck in der Kabine … Sie mußte es Herrn Wanemaker versprechen …« Der Kommissar brummte etwas, mußte dann eine Frage von Miß Cooper beantworten. Ob das gerade klug war, wollte er bezweifeln … Es wäre besser gewesen, sie hätte ihren Juwelenladen bei sich getragen … * Kaum hatte Frank Meyerheim die Bar verlassen, so wurde sein Gesicht, das voll Genießerfreude gewefen war, gespannt. Er ging die schmale Treppe, die von der Bar in das ADeck führte hinauf und war Sekunden später in seiner Kabine verschwunden. Mit einem Griff zog er aus einem Koffer einen roten Gummisack von der Größe eines kleinen Bettkissens. Dann holte er aus einem zweiten kleinen Koffer einige Schmuckstücke. Sekundenlang betrachtete er sie mit großen Augen, dann verpackte er sie in einem etwa handgroßen Lederbeutel, den er wieder in einen etwas größeren Gummibeutel steckte. Mit einem Griff öffnete er den großen Gummisack, und im Nu war der kleine im großen verschwunden. Dann begann er den Sack aufzublasen, der in wenigen Minuten zu einem Ballon aufschwoll. Meyerheim arbeitete ohne Hast, aber außerordentlich schnell. Kaum war der Gummisack prall, so entnahm er einem Koffer ein Ding von zylinderförmiger Gestalt, das an einem Ende zugespitzt war und am andern Ende einen Zapfen hatte, der in das Ende des Gummisackes paßte und von Meyerheim dort festgesteckt wurde. Das ganze sah aus wie eine Rakete, und als Meyerheim es jetzt mit 209
kritischen Augen ansah, glitt ein zufriedenes Leuchten über sein Gesicht. Er nahm den Sack, ging damit zu dem Fenster der Kabine, und es war klar, daß er die Absicht hatte, ihn durch das Fenster abzuwerfen. In der gleichen Sekunde sah er aber, daß es unmöglich war; das Fenster war zu schmal, um den Gummisack durchzulassen. Meyerheim drückte mit ganzer Kraft dagegen, ein Teil preßte sich auch durch den Rahmen, rückwärts aber stak der Sack fest und es schien, als würde er platzen. Mit einem Fluch zog ihn Meyerheim zuräck, und wie auf einen Schlag war sein Gesicht verändert. Alle Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit war daraus verschwunden. Es war verzerrt, dicke Schweißtropfen standen auf der breiten Stirn, und er war so bleich wie der Bezug des Bettes, auf dem der Steward schon lange den Pyjama ausgebreitet hatte. Mit schnellen Handgriffen entleerte Meyerheim den Sack, verstreute wieder alles, und in wenigen Minuten hätte man nichts mehr gesehen. Er dachte etwas nach, setzte sich zu der kleinen Schreibmaschine, warf einige Zeilen auf ein Blatt Papier und stand dann auf. Sein Gesicht war entschlossen, und er war jetzt ein ganz anderer als unten in der Bar. Er übersah noch einmal seine Kabine, hob ein Stück Papier auf, zerriß es in winzige Stückchen, drehte das Licht ab, trat in den Vorraum der Kabinen und übergab einem Steward, der gerade vorbeikam, das Blatt, das er in der Hand hielt. »Ein Funk, Steward!« Er ließ wieder ein Geldstück in die Hand gleiten. »Sehr dringend!« Er wartete, bis der Mann in der Funkkabine verschwunden war und ging dann mit gefurchter Stirn, die 210
sich aber langsam und wie mit Gewalt aufhellte, gegen die Treppe, die zur Bar führte.
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22. Es war lange nach Mitternacht, als die Damen müde wurden und Anstalten machten, aufzubrechen. Gerade aber als man dabei war, die lange Sitzung aufzuheben, bekam Fräulein Maud Meerland eine Funkdepesche. Sie las sie und sagte mit frohem Lächeln: »Oh, von Herrn Wanemaker! Er wünscht mir eine gute Reise! Das ist sehr nett …« Sie sah einige Sekunden auf das Blatt, als wäre ihr eine andere Unterschrift lieber gewesen, aber schon rief Frank Meyerheim, dessen Gesicht wieder ganz glatt war, überlaut: »Das muß man feiern, Fräulein Meerland!« Und ohne eine Antwort abzuwarten, hatte er auch schon eine Runde eines Drinks bestellt, der den Damen besonders gemundet hatte, dessen Zusammensetzung aber der Mixer unter keinen Umständen verraten wollte. Man prostete erst etwas, trank aber dann, und es war irgendwie ganz selbstverständlich, daß die nächste Runde Fräulein Maud ausgab. Sie lachte, wandte sich an May und sagte: »Oh, man muß alles feiern … Sie gefallen mir sehr, und wenn wir wieder in Neuyork sind, kommen Sie zu mir! Wir fahren zusammen nach Palm Beach, wenn Sie wollen! Ich habe dort ein Haus … und gute Freunde … Oh, sehr gute« – ihre Augen blickten in die Ferne –, »auch Herr Wanemaker wird dort sein … Er wird ihnen gefallen, er ist ein guter Junge und Herr …« – sie seufzte –, »oh, es wird schön sein …« May Smith nahm die Einladung mit Haltung entgegen. Wenn sie dann nicht schon wieder verkümmerte Zehen pediküren mußte, so hatte sie gegen Palm Beach so gut wie gar nichts einzuwenden. Bis jetzt hatte sie es nur im Film und in Journalen gesehen, und das war ihr sowieso 212
zu wenig. Bolle, der Kommissar und Heide machten mit; sie hatten wohl schon reichlich genug, aber es erschien ihnen notwendig, Meyerheim nicht aus den Augen zu lassen. Vielleicht kam die Antwort von Professor Kattos. Ergab sich, daß man sich geirrt hatte, dann war Zeit, den Schlaf nachzuholen. Bolle leerte eben ein Glas, als ihn der Steward zur Seite rief. Sekunden später verließ er die Gesellschaft und ging eilig gegen die Führergondel. Hinter ihm kam der Kommissar, der ebenfalls unauffällig weggeholt worden war. Kapitän Hartmann, der den Kommandostand noch nicht verlassen hatte, war etwas erregt. »Meine Herren, wir haben eben einen Notfunk erhalten! Ein USAWasserflugzeug ist in Seenot! Wir müssen den Kurs umlegen! Das Flugzeug liegt einige Seemeilen zurück … Wir verlieren natürlich Zeit, aber es ist selbstverständlich, daß wir zu Hilfe eilen … wir sind, wie wir bereits festgestellt haben, das nächste Fahrzeug … Es ist nun so: Die Mehrzahl der Passagiere ist ja zu Bett … Ich höre aber, daß immerhin nicht wenige noch in der Bar sitzen … Ich möchte nun nicht, daß durch das Manöver, das nun unvermeidlich sein wird, Panik an Bord ausbricht – oder doch Unruhe, wozu natürlich nicht der geringste Anlaß vorliegt! Wir sind bereits auf Gegenkurs gegangen … Wollen Sie, meine Herren, für den Fall, daß die Herrschaften etwas nervös werden, sie entsprechend beruhigen … Natürlich wird auch die Schiffsführung die notwendigen Aufklärungen geben …« Bolle und der Kommissar beeilten sich, ihre Hilfe zur Verfügung zu stellen und wollten sich eben wieder in die 213
Bar verfügen, als dem Kapitän eine Depesche gebracht wurde. Es war eine an Meyerheim und abermals war sie geschlüsselt. Sie beugten sich alle drei über die geheimnisvollen Worte, die unverständlich waren, und schließlich sagte der Kapitän: »Nützt nichts … ich muß sie weitergeben … sicher eine ganz verdammte Börsenschieberei!« »Flugboot achtern voraus!« meldete da der Ausguck. Kapitän Hartmann sah durch das Glas und sagte dann in die Ferne weisend: »Dort, meine Herren … es treibt … Quandt, vorbereiten zum Wassern!« »Sie werden niedergehen?« fragte der Kommissar. »Ja … die See ist ruhig … es geht ohne weiteres … Wir müssen ja die Passagiere aufnehmen … Es sind drei Mann … Es ist eine Motorpanne … werden sehen …« Plötzlich sagte der Kommissar: »Ich möchte, daß diese Depesche nicht weitergeht!« Kapitän Hartmann sah erstaunt auf: »Und warum?« »Das kann ich nicht genau sagen …« Er sah Bolle an: »Was meinen Sie?« »Bin Ihrer Meinung! Wir übernehmen die Verantwortung!« sagte Bolle, als er das unschlüssige Gesicht des Schiffsführers sah. »Kam die letzte Depesche abemals von der Jacht?« »Ja!« »Das gefällt mir nicht!« erwiderte Bolle. »Er soll warten!« Kapitän Hartmann nickte kurz. Seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt dem Schiff. Wohl war Kapitän Witt aus dem Bett geholt worden, in das er sich eben erst zurückgezogen hatte, aber die Wasserung erforderte auch die ganze Aufmerksamkeit der erfahrenen Männer, und 214
bei aller Ruhe merkte man ihren Mienen die innere Gespanntheit an. Schon war das Luftschiff bis auf fünfzig Meter niedergegangen; wie ein Riesenvogel schaukelte sich in einer Entfernung von etwa zweihundert Metern ein großes Wasserflugzeug auf den Wellen, in dem jetzt auch einige Männer sichtbar wurden. »Bruch der Benzinleitung zu zwei Motoren … Bruch notdürftig repariert, brauchen dringend Benzin! Wieviel könnt ihr uns ablassen! Wollen sofort nach Neuyork zurück! Ein Mann will an Bord …« Kapitän Hartmann sprach mit seinen Leuten und funkte dann zurück: »Fünfhundert Liter! Mann wird mit Gummiboot übergeholt! Gehen längsseits! Könnt ihr manöverieren?« »Nein, noch nicht … sind an der Arbeit …« Kapitän Hartmann ließ das Benzin bereitstellen, und schon wurde auch das kleine Gummiboot niedergelassen; mußte man nicht die ganze Mannschaft übernehmen, so mußte der »Zepp« auch nicht wassern, was dem Kapitän nur angenehm war, denn wenn schon die See ruhig ging, so hatte doch Cap Race wieder Sturm gemeldet, und es war besser, wenn er das Schiff wieder schnell in die Höhe brachte. So ruhig aber auch alle Manöver vor sich gingen, so wenig waren sie unbemerkt geblieben; nach kaum einer Viertelstunde wurden die Stewards in der Bar mit Fragen umstürmt, und wenige Minuten später war die kleine Bar wie ausgefegt. Maud Meerland drängte sich an May Smith, die sie im großen Wandelgang beruhigte, während Jessy Cooper versuchte, inmitten ihrer Kavaliere, von denen einer auch eine spitze, weiße Nase bekommen hatte, Kaltblütigkeit 215
vorzutäuschen. Bolle und Falke und mit ihnen Heide waren bestrebt, die völlige Ungefährlichkeit des Manövers zu erklären, aber Maud Meerland, die einen kleinen – oder vielleicht schon einen großen Schwips hatte, begann zu weinen. »Oh, Billy hat recht gehabt! Er hat gesagt, ich soll nicht fahren mit dem Zepp … Es ist sehr gefährlich, wir werden in das Wasser fallen … und alle werden ertrinken – das ganze Schiff wird kaputt sein …« Halte die Klappe, dumme Gans! wollte Bolle sagen, er verkniff es sich aber und lächelte, ließ etwas Wein bringen und versuchte, das Ganze ins Scherzhafte zu ziehen. Aber da funkte ihm Meyerheim in die Quere. Er gebärdete sich wie ein Kind, rang die Hände und sagte dann ganz ernsthaft: »Oh, Fräulein Meerland, es ist vielleicht gut, wenn wir mit dem Flugboot fliegen. – Ich glaube, es ist gut. – Ich werde vielleicht fliegen …« »Sie haben wohl einen Sonnenstich, Herr Meyerheim!« fuhr Bolle auf. »Sie vergessen wohl, daß Sie nicht in einem Omnibus sitzen, sondern in einem Zepp … Es ist gar keine Gefahr! Verstehen Sie denn nicht, Mensch, nicht wir haben eine Panne, sondern das Flugboot …« In diesem Moment wurde es aber in der Nähe der Kabinen lebendig; einige mangelhaft bekleidete Passagiere stürzten heraus, und ein langer Herr, dem ein überaus weiter Bademantel um das klapperdürre Gerippe wedelte, schrie laut: »Oh, oh, warum gehen wir unter! Oh, wo sein Kapitän? Oh, man muß mich retten! Oh, das sein schlimm! Oh, warum hat man mich nicht geweckt …?« Die Stewards sprachen ruhig auf die Leute ein, und es war gut, daß in diesem Moment Kapitän Hartmann erschien. Seine hohe Gestalt, die Ruhe, die von ihm ausging, wirkte, ehe er sprach. Er sah um sich, schüttelte 216
den Kopf und sagte streng: »Aber meine Damen und Herren, was ist denn los? Es ist doch wirklich keine Ursache, unruhig zu werden! Herr Hayes, Sie werden sich erkälten!« Er wandte sich an Meyerheim, der knapp neben Fräulein Meerland stand. »Herr Meyerheim, ich höre, daß Sie von Bord wollen! Ich bitte, sich so etwas aus dem Kopfe zu schlagen! Kapitän bin ich! Die Sicherheit des Zepp ist in gar keiner Weise gefährdet!« Seine Stimme wurde hart. »Ich muß Sie bitten, nicht Unruhe zu schaffen!« Er wandte sich zum Gehen. »Ich bitte nochmals, Ruhe zu bewahren!« Er wies nun nach unten, auf den Ozean, wo eben das kleine Gummiboot gegen das treibende Flugboot gerudert wurde. »Sie sehen, um was es geht!« Er lächelte. »Wir bekommen einen seltenen Gast an Bord! Ich würde vorschlagen, ihn mit einem Grog zu bewirten – zu empfangen. Kann mir vorstellen, daß er ihn braucht …« Blitzschnell schlug die Stimmung um. Fräulein Maud trocknete ihre Tränen, das Gespenst im weiten Bademantel sah mit großen, etwas rot umränderten Augen um sich und ging dann wie ein römischer Senator mit einer etwas zu weit geratenen Toga unschlüssig auf und ab, während zwei Stewards schon alle Hände voll zu tun hatten, um Grog, Whisky und andere geistige Säfte aus der Bar zu schleppen, so, als sollte der Gast in Alkohol baden. Gespannt sahen Bolle, der Kommissar und Heide zu, wie ein Mann aus dem Flugboot kletterte, geschickt in das Gummiboot sprang, das sofort wieder zurückgerudert wurde, während man schon beschäftigt war, Benzinkanister, die aus dem »Zepp« abgefeilt worden waren, im Boot zu verstauen. »Geht so, als würde man das jeden Tag erleben!« sagte Bolle zu dem Kommissar, der mit Heide neben ihm stand. 217
»Hm«, erwiderte Heide mit gerunzelter Stirn. »Ich bin, wie ich bereits einige Male sagte, auf Grund tiefgründiger Untersuchungen und …« »Mensch, wenn du der Meinung bist, daß jetzt Zeit ist, faule Witze zu machen, so hast du dich geschnitten!« sagte Bolle scharf. »Beruhige lieber Fräulein Meerland, die scheint schon wieder Zustände zu bekommen …« »Bin ja nicht gerade Amme!« sagte Heide verdrossen. »Habe andere Ideen im Kopfe, als dumme Gänse zu hüten!« Bolle wollte etwas sagen, als Kapitän Hartmann, begleitet von einem Fremden in Fliegerdreß, auftauchte. »Meine Damen und Herren, Herr Fred Harrison!« Er deutete nach unten. »Vom Flugboot Fräulein Monky. Er wird sie nicht lange stören, wie er meinte – er bittet schon jetzt um Entschuldigung dafür, daß er notwendigerweise das Schiff aufhalten mußte …« »Ja, so ist es!« sagte nun Fred Harrisson und lächelte besonders die Damen an. »Ich und meine Freunde sind unglücklich! Aber wir hatten Pech! Eine kleine Panne … Oh, ich danke …« Er konnte nicht viel sprechen, denn schon hatten ihn die Damen, besonders Fräulein Maud und Fräulein Jessy Cooper in Beschlag genommen, und er hätte einen Bauch wie ein Walfisch haben müssen, hätte er alle Grogs, Whiskys, die man ihm anbot, trinken wollen. Es war vielleicht kein Wunder, daß die Damen ihn so umschwärmten. Er war groß, schlank, hatte schwarzes Haar und schöne, weiße Zähne. Und der Fliegeranzug stand ihm. Daß er auch ein guter Gesellschafter war, bewies er umgehend. Er sagte Maud Meerland nette Schmeicheleien, vergaß Jessy Cooper nicht und hatte auch ein paar nette Worte für 218
May Smith. »Oh, meine Freunde bedauern es sehr, daß sie nicht mitkommen konnten!« sagte er mit Überzeugung. »Und ich werde ihnen gar nicht sagen dürfen, was sie versäumt haben …« – er sah dabei die Damen der Reihe nach an –, »sonst …« – er lachte und trank dabei Maud Meerland zu –, »machen sie eine Panne aus Vergnügen!« »Wie nett!« schmachtete Jessy Cooper und fummelte auffällig an ihren Diamanten. »Wie romantisch …« – sie seufzte –, »… ach, wenn man gleich mitfliegen könnte …« »Oh, bitte!« sagte Harrisson schnell. »Wir haben noch Platz – wir gondeln direkt nach Neuyork … sind in wenigen Stunden dort …« »Also, bitte!« sagte da Frank Meyerheim schnell und wie empört. »Ich sagte es doch! Mir macht der Zepp gar keinen Spaß mehr – Herr Harrisson, darf ich sie einen Moment sprechen – meine Damen, Sie erlauben, daß ich unseren Helden für einen Moment entführe … Ich muß ihn etwas fragen …« Die beiden zogen sich in eine Ecke zuräck und Bolle sah, wie Frank Meyerheim auf den Flieger einsprach, der aber den Kopf schüttelte, schließlich Meyerheim die Hand reichte, die dieser scheinbar gar nicht mehr loslassen wollte. Dann waren die beiden wieder bei dem Tische, wo der Flieger schon sehnsüchtig erwartet worden war. Bolle beteiligte sich an diesem Gespräch nur wenig; er war müde. Das ununterbrochen »auf der Hut sein« hatte seine Nerven immerhin hergenommen, und er sah, daß auch der Kommissar mitgenommen war. Er wollte sich eben, um munter zu bleiben, einen starken Kaffee bestellen, als ihn ein Wink eines Offiziers traf. Er stand auf und stand wenige Minuten später vor dem 219
Kapitän, der ihm erregt eine Depesche zeigte. »Hier … eben eingetroffen … aus Berlin …« – er wandte sich an den Offizier –, »… verständigen Sie bitte die beiden anderen Herren ebenfalls … Ich lasse bitten …« Bolle nahm die Depesche und begann zu lesen. Hans Heide an Bord des DLZ 130 gleichzeitig für Geyer von Professor Kattos und Alex. Depeschen kinderleicht stop Klartext wie folgt: Wie steht Sache, Durchführung möglich sofort nachricht Larence Limited. Sitze mit beiden an einem Tisch Aussichten gut wenn bereit Nachricht kann nicht überstürzen. Meyerheim. Folgen auf Kurs mit Mary wie weit Dringend Larence Erledigt stop nicht kann Sack landen stop zu groß stop Was tun stop Meyerheim Warten für Besuch vorbereiten alles vernichten Larenc Limited Kommissar Falke, der schon mitgelesen hatte, wurde bleich. »Meine Herren, ich denke, es ist alles klar …« »Ich gestatte mir die bescheidene Bemerkung!« sagte da Heide und nahm die Augengläser von den kurzsichtigen Augen, »daß ich bereits alles sagte, ja, sieh mich nicht so an … Ich sagte, daß ich auf Grund tiefschürfender Überlegungen …« »Du Riesenochse, so rede doch … Was hast du überlegt … Waaas?« schrie Bolle erbost. Heide hob einen seiner langen Finger. »Die Zeichnung! Den Zepp und das Flugzeug! Glänzend! Das Wort glänzend! Ein Rätsellöser – Bilderrätsel – sehr amüsante Beschäftigung, Bolle – lieber Bolle – und hier haben wir es …« 220
»Du Riesenroß, und warum hast du …?« »Weil du mich …« »Meine Herren!« sagte der Kapitän erregt. »Ich glaube, daß wir nun …« »Jawohl!« antwortete der Kommissar. »Wir haben jetzt anderes zu tun! Ich bitte, den Befehl zu geben, daß niemand das Schiff verläßt!« Kapitän Hartmann nickte. »Quandt! Verlassen des Schiffes verboten! Gummiboot einziehen! Luftschiff auf hundert Meter! Los!« * Frank Meyerheim hob das Glas und sagte mit einem Blick auf den Flieger: »Wir sind bald ganz allein, Herr Harrisson!« – er sah nach der Treppe, die in die Führergondel führte –, »die Herren scheinen sehr dringende Geschäfte zu haben …« »Oh«, antwortete der Flieger und erhob sich schnell. »Dann will ich nicht stören!« – er wandte sich an den Offizier, der eben eingetreten war –, »ich möchte wieder von Bord! Meine Kameraden werden warten …« »Bitte!« sagte der Offizier, der nicht aus der Führergondel gekommen war, »ich werde den Herrn Kapitän verständigen! Das Benzin ist an Bord Ihrer Maschine, ich glaube, es ist alles in Ordnung!« Mit einem bezaubernden Lächeln verabschiedete sich Herr Harrisson von den Damen und versprach hoch und heilig, nicht nur zu Fräulein Meerland, sondern auch zu Fräulein Cooper zu kommen, und zwar bald, sehr bald! Er ging schnell vor und war so schnell an der Treppe, daß ihm nur Meyerheim folgen konnte; einige Sekunden standen sie allein, und dann eilte der Flieger über die 221
Treppe zum B-Deck hinunter, und er ging so schnell, daß Meyerheim ihm kaum folgen konnte. Schon stand er mit dem Offizier beim Einstieg, durch den er hereingekommen war, als ein schrilles Signal durch den Laufgang jagte. In der gleichen Sekunde stutzte der Offizier und blieb stehen. »Ich muß schnell in mein Boot!« sagte Herr Harrisson. »Ich habe Eile!« »Eine Sekunde!« antwortete der Offizier. »Hören Sie das Signal?« »Doch!« Herr Harrisson schien etwas nervös zu werden. »Und was soll das?« »Niemand darf von Bord … Da …« – er zeigte auf ein Schaltbrett, auf dem Lichter aufflammten –, »wir steigen, ein Manöver … Sie werden ohne Zweifel sofort von Bord kommen! Ich kann nicht übersehen, was los ist!« »Ich muß aber hinunter!« schrie jetzt der Flieger und wollte den Offizier vom Einstieg fortdrängen. »Ich muß …« Fritz Barke sah den Flieger an. »Aber Herr Harrisson! Sie werden doch begreifen, daß Sie jetzt nicht von Bord können! Sie find doch selbst Flieger und …« »Quatsch!« sagte Harrisson scharf und hatte in der gleichen Sekunde einen Revolver in der Hand. »Weg! Los! Meyerheim! Los!« Mit einem blitzschnellen Schlag holte Barke aus; aber der Flieger war auf der Hut gewesen. Ein Schuß pritschte im Laufgang, Barke sank etwas zusammen, hatte aber noch die Kraft, einen Hebel niederzureißen. Alarm! Alarm! Alle Alarmzeichen schlugen an. Von den Wachstationen stürzten einige Leute herbei, aber schon war Harrisson beim Einstieg; mit Riesenkraft 222
riß er den Verschluß fort, als von der Stiege her der Kapitän, Falke und Heide angesaust kamen. »Halten, Leute! Beide halten!« Wie der Blitz warfen sich zwei Maschinisten, die aus ihren Kabinen gesprungen waren, auf die Beiden. Aber wieder entglitt ihnen der Flieger. Schon war die Tür offen; einen Fuß hatte er bereits draußen, da faßte ihn Bolle und wollte ihn zurückreißen, während der Kommissar Meyerheim, der sich verzweifelt wehrte, beim Kragen hatte. Da bekam der Flieger abermals eine Hand frei; er wandte sich mit erhobener Pistole um und schoß – aber er traf nicht Bolle, der sich schnell zurückgeworfen hatte, sondern Meyerheim, der eben den Kommissar mit einem Ruck zum Ausstieg hingezogen hatte. Mit einem Aufschrei sank Meyerheim zurück; eine Sekunde stutzte Bolle, und schon hatte Harrisson sich freigemacht – in der nächsten Sekunde sprang er, ohne sich zu besinnen, hinunter in die Tiefe. * Sekundenlang stand der Kapitän wie erstarrt; dann sprang er in langen Sätzen davon und stand im Nu auf der Kommandobrücke. »Mann über Bord!« Er stand mit dem Glas beim Steuer. »Dort, Halm … Auf Gegenkurs … nieder auf fünfzig Meter.. achter Maschinen ausfallen … Beiboot ausklaren! Nieder! Halbe Kraft! Wie? Der Mann ist tot? Gut, das ist nicht unsere Schuld, Kommissar … Beiboot ab vom Schiff … Schiff Backbord … halbe Kraft … Bei Wind.. Funkdienst: Anruf an U. S. Navy Torpedoboot Baltimoor Dringend zu Hilfe! Achtung auf Flugboot Lady Monky Sollen es stellen … zum Niedergehen zwingen … Funk an 223
alle. Flugboot Lady Monky verdächtig! Funk an U. S. Air Service. Flugboot Lady Monky verdächtig … Funk an Polizei Neuyork: Suchet Eigentümer Lady Monky … Verdächtig, Besitzer feststellen …« Er sah nach unten, wo das Gummiboot sich bemühte, an den immer weiter abtreibenden Flieger heranzukommen. Dann rief er: »Dort, Bolle, Falke … , das Flugzeug kommt an ihn heran … Verdammte Halunken … Signal an Beiboot … sofort zurück … Himmelherrgott, sie haben ihn schon aufgenommen …« Er riß einem Funker eine Depesche aus der Hand und las laut vor: Suchen Lady Monky stop Flugzeug aufgestiegen stop bleibt in Verbindung U. S. Navy Baltimore »Großartig!« sagte der Kapitän, »Sie haben ein Flugzeug … Hallo, geben Sie Baltimore laufend unsern Kurs! Wie?« – er wandte sich an den Arzt, der eingetreten war. »Nicht tot? Nur tiefe Schulterwunde … auch gut … Festsetzen … zwei Mann als Wache … Ja, was ist denn los?« – er horchte. »Wer weint denn da so entsetzlich …« »Oh! Oh! Mein Armband! Oh, meine Ringe! Oh, meine Ketten!« Miß Maud Meerland war in Tränen aufgelöst. »Und mein Geld aus der Hutschachtel … oh, es ist alles gestohlen! Alles ist kaputt, Kapitän! Alles ist gestohlen … Oh, Billy hat recht gehabt, wo ist der Gangster? Wo ist der Mann?« »Wenn ich das wüßte!« sagte Kapitän Hartmann schnell, und wandte sich dann an Fräulein Cooper, die jetzt auch weinend vor ihm stand, »oh, man hat mir eine Kette gestohlen … eine Perlenkette! Oh, ich habe sie gezeigt Herrn Meyerheim! Oh, was ist geschehen mit dieser Kette?« »Ich bitte vor allen Dingen, die Führergondel zu verlassen!« sagte der Kapitän streng. »Herr Kommissar, haben Sie die Freundlichkeit, die Damen aufzuklären! Und 224
ich möchte nicht, daß jemand der anderen Fahrgäste munter wird … Meine Damen, es war sehr unvorsichtig von Ihnen … aber wir werden sehen, was sich machen läßt … Guten Abend!« Verfolgen Flugboot stop jagen es auf euern Kurs stop ist angebracht gewalt U. S. Navy Baltimore 230 erhalten stop bleiben auf Kurs stop Gewalt nötig stop DLZ 130 »Wir verlieren viel Zeit!« sagte der Kapitän und ging unruhig auf und ab, »aber ich will, daß meine Fahrgäste ihren Schmuck wiedererhalten!« Er sah den Kommissar und Falke an. »Was sagen Sie dazu, meine Herren! Ist das nicht unglaublich …« »Herr Kapitän!« meldete da der Wachoffizier. »Zwei Flugzeuge auf Gegenkurs … Etwa eine Seemeile … Wir haben bereits Funkverbindung … Beide senden … eines stört …« Kapitän Hartmann riß das Glas an die Augen und zeigte dann auf zwei Punkte, die sich schnell näherten. »Da …« – er ließ Bolle, Heide und dem Kommissar scharfe Gläser geben – »da … Donnerwetter, das Flugzeug der Baltimore braust aber mächtig … Da kann das andere nicht mehr lange mit!« »Sie fordern die Lady Monky zur Übergabe auf!« meldete der Offizier. »Sonst Maschinengewehre!« * »Mach das Gewehr fertig!« schrie in der gleichen Sekunde Laferty, ging auf die letzten Touren und schlug einen Haken, daß die Malschine fast kippte. »Verdammter Hund! Glaubt der Kerl, wir fürchten uns?« »Fertig!« sagte Ruffo und visierte die Militärmaschine 225
an. »Corner, sieh zu, daß der Gurt läuft … er läuft mit deinem Leben … Junge …« Der Millionär saß mit bleichem Gesicht beim Gewehr; seine vollen Backen hingen schlaff nieder, und er war so grün, wie der Ozean unter ihm. Verdammt, daß er sich auf diesen Flug eingelassen hatte. »Achtung!« schrie Laferty, riß die Maschine jäh herum und jagte der BX 200, aus der vier Gewehrläufe ragten, mit aller Kraft entgegen. »Hau ihr eine in den Kasten, Junge! Los!« In der gleichen Sekunde ratterte das Gewehr; Salve auf Salve spritzte gegen die BX, die aber unbeirrt näher heranbrauste. »Die Hunde sind gepanzert! Noch eine!« Er sauste noch näher heran. »Los! Los!« Abermals ratterte eine Salve, aber wieder sah man keine Wirkung. »Zieh los, verdammter Narr!« schrie jetzt Corner. »Willst Wasser saufen? Los, was du drinnen hast! Kannst doch nichts tun!« Jetzt aber schossen sie drüben; eine Salve ratterte, und schon in der nächsten Sekunde splitterte es in der »Lady«. »Zurück! Zurück, du Narr!« brüllte Corner und sprang zum Steuer, aber es war zu spät. Wieder ratterte es, und wie von einer ungeheuren Faust geschlagen, sank Corner neben Laferty in die Knie. »Aus!« sagte er leise, aber sehr deutlich. »Aus …« »Schieß! Schieß, du Idiot!« brüllte Laferty, aber Ruffo konnte nicht mehr schießen; sein Kopf war über das Gewehr gefallen und eine dünne Blutspur lief von der Stirn über die Wange bis auf den Boden. Er war tot. Ted Laferty biß sich in die Lippen; seine Augen glühten, und er sah jetzt wie der leibhastige Satan aus. Mit aller 226
Kraft riß er die Maschine hoch; er wollte leben. Er wollte nicht sterben. Er wollte nach Neuyork. Aber Sergeant Tom Farr, der am vorderen Maschinengewehr saß, klemmte die Augen etwas zusammen; dann hatte er die verdammte Maschine wieder im Druckpunkt. Eine Sekunde später jagte er eine Serie hinaus und sagte dann zu Kapitän Tweed: »Er hat genug … Aus!« Lautlos ließ drüben Ted Laferty das Steuer los! Sekundenlang jagte »Lady Monky« schnurgerade durch die Luft; dann bäumte sie sich wie ein Renner auf, und während Laferty still zur Seite rollte und erst zur Ruhe kam, als er Leib an Leib mit Corner und Ruffo lag, stürzte das Flugboot mit sausenden Propellern auf die Wellen. »Aus!« sagte Kapitän Hartmann, als das Flugboot zerschossen auf den Ozean stürzte. »Aus! Schade, daß solche Burschen so einen Weg gehen!« »Ja, schade!« sagte Bolle und sah auf den Ozean, der grüngrau dahinrollte. »Aber so mußte es kommen! Früher konnte er keinen Frieden haben, ich sah es kommen …« »Lady Monky« erledigt stop drei Mann an Bord stop aufgefunden viel schmuck stop Wohin gehört dieser stop BX 230 Schmuck gehört Passagieren von Zepp stop bitten um Depot in Neuyork stop wir gehen auf Heimatkurs stop Meldung nach Polizei Neuyork erfolgt stop vielen Dank DLZ 130 »Ja!« sagte der Kapitän, »es ist alles in Ordnung, meine Damen … Ihr Schmuck ist gerettet! Alles! Sie werden ihn in Neuyork wieder bekommen!« »Oh, ich bin sehr glücklich!« sagte Maud Meerland und drückte dabei ein Taschentüchlein an die Augen. »Aber ich kann nicht glauben, daß Herr Laferty so ein Gauner 227
gewesen ist … Oh, das ist aber schade …« »Vielleicht!« sagte der Kapitän Hartmann und bugsierte die Damen sanft, aber deutlich aus der Führergondel. »Und jetzt möchte ich vorschlagen, daß Sie schlafen gehen, meine Damen …« »Ja«, sagte Maud, »ich will nur noch eine Depesche aufgeben …« Sie schrieb schnell etwas nieder. »Oh, das war sehr aufregend … Kommen Sie, Fräulein Smith … oh, ich bin Ihnen sehr dankbar … sehr …« Billy Wanemaker, Neuyork Oh, Billy, ich liebe dich sehr stop Herr Laferty ist ein sehr großer Gangster oh!! stop oh, ich will bald wieder kommen oh!!! stop Oh, wo werden wir heiraten Liebling Frage stop oh, ich werde mir machen lassen ein ganz entzückendes Kleid stop Oh, ich sende dir sehr viele Küsse stop oh, es ist sehr schade Maud. »Na, also«, lachte der Kapitän, »dann ist ja alles in Ordnung!« Er wandte sich an den Kommissar und die beiden andern: »Meine Herren, ich danke Ihnen! Es ist vielleicht kein schlechtes Zeichen der Volkstümlichkeit des Zepp, wenn ihn schon so große Diebe beehren! Immerhin bin ich herzlich froh, daß die Sache so ausgeht! Herrn Meyerheim werden wir der Polizei übergeben, nochmals vielen Dank …« »Der gebührt hauptsächlich Bolle!« sagte der Kommissar und schlug Max Bolle fest auf die Schulter. »Wenn er nicht Laferty …« »Ach, Quatsch!« wehrte Bolle verlegen ab. »Ich habe nichts getan als meine Pflicht, und damit Schluß … Jedenfalls hat hier unser Freund Heide …« »Hm!« sagte Heide und wischte an seiner Brille herum. »Ich habe sozusagen gar nichts getan! Ich habe allerdings auf Grund tiefgründiger Untersuchungen … aber ich 228
wußte gar nichts …« Bolle lachte auf. »Eben …« Der Kapitän winkte den Steward, der eingetreten war. »Meine Herren, jetzt will es keiner gewesen sein … Jedenfalls … wir wollen jetzt ein Glas darauf trinken, daß alles in Ordnung ist! Meine Herren …!« – er erhob sein Glas und stieß an –, »… das Luftschiff DLZ 130 Kapitän Lehmann soll leben! … – Quandt …« – er wandte sich an den Kapitän – »… auf alten Kurs! Alle Maschinen mit ganzer Kraft voraus! Der Heimat zu! Deutschland!« Ende
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