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М И Н И СТ Е РСТ В О О БРА ЗО В А Н И Я РО ССИ Й СК О Й Ф Е Д Е РА Ц И И В О РО Н Е Ж СК И Й ГО СУ Д А РСТ В Е Н Н Ы ...
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М И Н И СТ Е РСТ В О О БРА ЗО В А Н И Я РО ССИ Й СК О Й Ф Е Д Е РА Ц И И В О РО Н Е Ж СК И Й ГО СУ Д А РСТ В Е Н Н Ы Й У Н И В Е РСИ Т Е Т К А Ф Е Д РА Н Е М Е Ц К О ГО Я ЗЫ К А
У Ч Е Б НО -М Е ТО Д И Ч Е С К И Е У К А ЗА НИ Я П О Л И НГ В О С ТИ Л И С ТИ Ч Е С К О М У А НА Л И ЗУ Х У Д О Ж Е С ТВ Е ННО Г О Т ЕК С ТА Д Л Я С Т У Д Е НТ О В С П Е ЦГ РУ П П Ы 4 К У РС А И С ТО РИ Ч Е С К О Г О Ф А К У Л ЬТЕ ТА
Составите ль: Борисова Л.М . Ре дактор: Бунина Т .Д .
В О РО НЕ Ж
2001
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Д анные уче бно-ме тодиче ские указания соде рж ат отрывки из ориг инальной не ме цкоязычной малой прозы совре ме нных авторов, пре дставле нных в сборнике „Jetzt. 50 Geschichten vom Alltag.“Hrsg.von Gerhard Rothbauer.Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1986.423S. Х удож е стве нные тексты пре длаг аю тся студе нтам для линг вистиче скогоанализа и инте рпре тации. П ре длаг ае мые для анализа малые ф орматы те кстов х орош ообозримы в композиционном смысле , пре дставляю тсобой различные пове ствовате льные мане ры в зависимости от типа ф иктивного пове ствовате ля, коммуникативное пове де ние которогоре ализуе тся согласноинте нции и замыслу автора х удож е стве нногопроизве де ния. Работа над данными те кстами в г руппе позволяе т сравнить ре зультаты анализа текста студе нтами, сове рш е нствуе т навык опре де ле ния пове ствовате льной ситуации в зависимости от коммуникативногопове де ния соотве тствую щ е г отипа рассказчика, которое маниф е стируется в тексте с помощ ью опре де ле нных лексиче ских индикаторов.
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Aufgaben zum Text Lesen Sie entsprechenden Text und machen Sie linguostilistische Analyse des Textes. Versuchen Sie die Erzä hlsituation und den Erzä hler – Typ festzulegen. Analysieren Sie dabei das kommunikative Verhalten des Erzä hlers, versuchen Sie festzulegen, ob in der Sprachhandlungsstruktur des Textes auch Textherstellungshandlungen vorkommen. Bestimmen Sie Ihren Typ und funktionale Zusammenhä nge.
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BERND SCHIRMER JETZT Jetzt erzä hle ich von Frau Heinrich, und ich pfeife darauf, woher der Erzä hler das alles weiß. Frau Heinrich hat eine Zweizimmerwohnung, das vorweg, und die wurde nach der Scheidung ihr zugesprochen, wegen der Kinder. Das ist zwanwig Monate her. Der Vater der Kinder lebt in einer anderen Stadt, er wird selten erwä hnt. Wenn er zu den Kindern kommt, ist er da. Wenn nicht, dann nicht. Er steuert bei, was er beizusteuern hat, und zu den Geburtstagen schickt er den Kindern Pä ckchen. Frau Heinrich hat nicht wieder geheiratet. Aber jetzt fä ngt die Geschichte an. Jetzt öffnet Frau Heinrich eine Tür, erst einen Spalt, dann ganz. Sie hat etwas gehört, aber es ist nichts. Sie tritt aus dem Zimmer, schließt lautlos die Tür und geht die wenigen Schritte zum Kinderzimmer. Die Kinder liegen aufgedeckt, sie deckt sie zu. Dann geht sie ins Bad. Sie hä tte sowieso bald aufstehen müssen, nun bleibt sie auf. Jetzt steht sie vor dem Spiegel. Sie zieht sich das Nachthemd über den Kopf und betrachtet sich einige Zeit. Eigentlich ist sie noch jung, und die Büchmann hat gesagt: Wie du das so aushä ltst, ich würde das nie aushalten, ich seh auch keinen Grund dafür. An den Nä hmaschinen ist gekichert und getuschelt worden, wer es aushä lt, so, ohne zu, und mehrere Jahre, ein Zufall sei es dann nicht, daß ihr der Mann weggelaufen ist. Aber die alte Nestler hatte abgewinkt, laß sie reden, was wissen denn die, und die Hahnfuß, ihre Freundin, gleichfalls geschieden, die hatte gesagt: Aus Liebe nicht mehr, aus Freundschaft, gut, das ist eine andere Sache. Aber die Hahnfuß redet auch bloß so daher, überhaupt reden alle so daher, genau wie die Nä hmaschinen daherschnarren, immer dasselbe. Frau Heinrich, Margarita, wä scht sich jetzt mit kaltem Wasser skeptisch die Brüste. Aber auf einmal ist sie froh. Sie ist froh wie lange nicht. Als hä tte sie alle überlistet, die Büchmann, die Hahnfuß. Und sich selber. Sie füllt, wie jeden Morgen, lauwarmes Wasser in die beiden Zahnputzbecher und drückt auf die Zahnbürste von Astrid zwei Zentimeter Zahnpasta, auf die von Stefan einen Zentimeter. Sie zieht sich rasch an. Es ist alles wie sonst, und es ist nicht wie sonst. PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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Jetzt setzt sie in der Küche den Wasserkessel auf die Gasflamme. Drei Teller, drei Tassen, wie immer, dann Kaffee gemahlen, die Milch in die Kasserolle, die Kasserolle auf den Herd, nun das Brot abgeschnitten, die Butter aus dem Kühlschrank, die Butter auf das Brot. Marmelade kann jeder selbst nehmen. Sie stellt sechs Glä ser Marmelade hin, Erdbeer, Orange, Vierfrucht, Pflaume, Kirsch, Aprikose, das ist Sitte. Das Kofferradio hat sie nicht eingeschaltet wie sonst, sie summt selbst etwas. Das Deckenlicht im Kinderzimmer blendet. Stefan kommt gleich hoch, reibt sich die Augen. Astrid muß wachgestreichelt werden. Macht leise, sagt Frau Heinrich. Das hat sie morgens nie gesagt. Und wä hrend sie aus der Schale zwei Ä pfel aussucht, die Wurstbrote einwickelt, ein lauter Zank im Bad. Gleich kommt sie hinzu, schlichtet, legt den Zeigefinger an die Lippen, stopft Stefans Füße in die Strumpfhose. Jetzt sitzen sie am Frühstückstisch und beißen in die Marmeladenbrote. Es ist alles wie sonst. Frau Heinrich lä chelt, und es lä chelt, auf einmal, Astrid, die morgens nie lä chelt, weil ihre Mutter morgens nie lä chelt, und Stefan, der mampft, wie er morgens immer mampft, nimmt den Löffel aus dem Kakao und schlä gt mit ihm immerzu auf den Teller. Es hat geklingelt gestern abend, sagt Astrid, wer hat denn geklingelt? Es hat nicht geklingelt, sagt Frau Heinrich, das hast du vielleicht geträ umt, oder es war im Fernsehen. Ich bin ja dann auch gleich wieder eingeschlafen, sagt Astrid mißtraurisch. Und darauf sagr Frau Heinrich: Am Sonntag gehen wir in den Zoo. Die Kinder stoßen sich mit den Ellbogen an und schmunzeln. Jetzt tickt die Uhr sehr laut. Astrid fragt nach den fünf ausgeblasenen Eiern, die sie in die Schule mitbringen muß.
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FRANZ FÜ HMANN SPIEGELGESCHICHTE Daß ich diese kleine Geschichte so erlebte, wie ich sie erlebte, verdanke ich nur einem Spiegel, und wenn es aus ihr eine Lehre gä lte, dann vielleicht die, in Kulturrä umen keine Spiegel anzubringen und schon vorhandene zu verhä ngen. Jener, den ich meine, hing oder hä ngt vielleicht noch immer im Eß- und Kulturraum der thüringischen Steinsalzgrube zu T., oder genauer, er ist dort eingelassen, und ganz genau sind es ihrer zwei, in den Innenseiten der flachen Pfeiler, die sich die schmale Front nach vorn, gleich hinter der im Sommer stä ndig offengehaltenen Schwingtür erheben, so daß man vom unteren Ende des Mitteltisches in den gleich hinter der Tür rechtwinklig geknickten Gang bis zur Freitreppe nach außen blicken kann. Sie waren, die Spiegel, mit einer dicken Goldleiste umgeben, einer runden, zweifach kannelierten Ü berhöhung, aber das spielt jetzt keine Rolle, und ich will es darum nicht weiter schildern. Es kommt überhaupt nicht auf die Begleitumstä nde an. Ein Betriebsjubilä um; die örtliche Presse; ich durch Zufall dorthin verschlagen, und nun, mitten im Vormittag, ein Empfang der Gewerkschaftleitung für verdiente Arbeitsveteranen. Als ich, zehn Minuten zu früh, dort eintraf, saßen die Alten schon alle bereit, und sie saßen schon so seit einer Stunde, der Ankunft des letzten Morgenbusses. Der quergestellte Prä sidiumstisch war noch leer. – Sie saßen um den Mitteltisch; ihrer vierzig; ich kannte keinen; ich war ja erst den zweiten Tag hier. – August, weiß, sehr warm, doch sie saßen im Sonntagsanzug da, tiefschwarz oder bratenbraun, zugeknöpft, weiße halbsteifkragige Hemden, die roten Krawatten mit kleinen Knoten, nur zwei oder drei in Bergsmannskluft. Vor jedem ein Kaffeegedeck, vor jedem drei Nelken, vor jedem ein Schnapsglas, vor jedem in vierfacher Postkartengröße das goldgerahmte Bild der Grube: der alte Backsteinförderturm mit der alten, milchglasfenstrigen Kaue, die alte Verwaltung, der alte Hof, die alte Halde, doch darüber ein Himmel, der sogar hier, im alten Schwarzweiß, von einer gestellten Frische schien. – Keine Frauen. – Kaffee wurde bereitgestellt; zwei sehr junge Dinger, noch oder schon zu müd, um zu kichern, standen mit je zwei gerä umigen, ihnen soeben zugeschobenen PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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Kannen am blaugestrichenen Essenschalter; die Kannen dampften; es war acht vor neun. Die Dinger hielten, zurückgebogen, die Kannen einen Augenblick unschlüssig, dann schauten sie zur Blechuhr mit den verschnörkelten Zeigern und stellten die Kannen auf den Schalter zurück. – Die Alten saßen. – Sieben vor neun. Die Kannen dampften. Die Alten saßen und rauchten und schwiegen; sie saßen steif; der Rauch war arg, doch in ihrem Schweigen konnte man heimisch werden, wenn man es unverschlossen teilte. – Ich nahm mir die Freiheit, sie anzusehen. – Sie waren Legenden, unaustauschbar geprä gt und doch schwer zu unterscheiden, und gä nzlich aus den Bildnissen ablesbar. – Leben im Salz. – Jeder hatte die Hä nde vor sich auf dem Tisch, vom Salz geledert wie ihre Gesichter, lange, langfaltige, hagre Gesichter, trotz der Rasur schon wieder stopplig, eisgrau gleich dem platt aufliegenden, zumeist spä rlichen Haar. – Manchmal sah der und jener die Fotografie an, ohne sie in die Hand zu nehmen; er sah dann auf sie wie auf ein Schicksal, das ja vornehmlich die Gestalt von Bauwerken annimmt: das Geburtshaus; die Schule; die Kirche; der Tanzboden; die Kaserne; die Arbeitsstä tte; die Wohnung; das Grab. – Einer, mir schrä g gegenüber an der anderen Tischfront, neigte sich, starrer Hals, in der Hüfte zur Seite; er blickte den Förderturm hinauf, und da sah ich den Raum tief unten im Dunkel, die Wä nde und Pfeiler Stöße des Salzsteins, und der Rauch der Pfeifen
und
Zigaretten trieb als der ewige Staub der Grube: wehende Schleier von Salz, die ä tzten und brannten, wen sie umschmiegten. – Vielleicht trug er auf der Brust noch Narben; sie gehören zu denen, die man verbirgt. In der Grube sieht man die Geschwüre. – Er blieb so sitzen, schief, mit halboffnem Mund; er kniff die Augen zu; zogen jetzt Bilder? – Keine Bewegung in seinen Mienen. – Im Saal leises Scharren; Rä uspern und Husten; die Stille der Grube kurz vor dem Sprengen, aber zum Schweigen gehörte auch, daß ein paar Worte gewechselt wurden, immer zum Nebenmann, nie über den Tisch; immer mit waagrechten Gesten; nie laut. Auf dem Tisch standen Teller mit Schinkensemmeln; sie waren fürsorgerlich angerichtet, mit geschnitzelten Gurken und Petersilie, die es um PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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diese Zeit sonst nirgends gab, aber dennoch war etwas Requisitenhaftes an ihnen, ich weiß nicht, warum. Vielleicht: ein wenig zu aufdringlich, ein wenig zu einfallslos, aber das wä re doch schon ungerecht. – Natürlich griff jetzt noch keiner zu. – Mir gegenüber und neben mir standen nur Teller und Kaffeetassen, also Plä tze für andere Gä ste, und da war außer mir keiner erschienen; dies Treffen war eine Routinesache, verpflichtend notwendig, aber uninteressant. Von mir nahm keiner der Alten Notiz, obwohl in ihren Wortwechseleien gewiß auch gefragt wurde, wer ich sei, doch ebensogewiß nur beilä ufig; es war nicht wichtig. Wenn ich zur Grube gehörte, müßte man mich kennen; wenn ich künftig zu ihr zu gehören bestimmt war, würde ich nicht am Ende der Tafel sitzen, und nicht allein, und nicht vor Beginn, und wahrscheinlich gar nicht bei diesem Empfang. Es gab darum auch kein verstohlenes Mustern. . Selbst die ich anschaute, erwiderten nichts, und andererseits warnte mich meine Erfahrung, daß es sinnlos sei, sie anzusprechen. Ich würde, günstigenfalls, ein paar Daten des ä ußeren Lebens erkunden, die ich ebensogut ausdenken konnte, doch mir jede Annä herung versperrten. – War es nicht überhaupt das beste, sich, was man brauchte, auszudenken? – Im Begriff, diese Versuchung brüsk abzuweisen, schreckte eine Verä nderung der Stille mich auf. Ich sah auf sie Uhr. Es war drei nach neun.
UWE SAEGER DRITTER BRIEF VON HERZ Das war so. Ich war ziemlich fertig vom Vormittag. Vier Stunden Warenannahme. Und keiner, der einen Durchblick hat. Bleibt alles bei mir hä ngen. Und dann zur Fürsorge wegen der Krippenplä tze, die dem Handel zustehen. Na, ich war geladen und ausgebufft. Steh sowieso nicht mehr viel durch in letzter Zeit. Ja. Also. Ich komme in die Wohnung und … Nein, ich riech nichts. Er hat es ja so gemacht – hier, Sie können´s lesen -, hat mein ganzes Nachtzeug zerschnitten dafür. Ich habe sogar noch an der Küchentür gerüttelt, weil ich mir doch schnell, bevor die Jungs kamen, noch´n Kaffee PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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brühen wollte. Habe doch an so was nicht gedacht. Und dreh mich um, weil der Schlüssel, wenn schon mal einer die Küche abschließt bei uns, an der Garderobe hä ngt immer, dreh mich um deswegen und guck ins Wohnzimmer dabei und seh die Blä tter auf´m Tisch. Nicht mal ins Kuvert hat er sie gesteckt. Und ich hab mich hingesetzt und es gelesen. Vom ersten Satz an habe ich gewußt, daß er in der Küche war und es gemacht hatte. Ich konnte ja noch´n paar Zipfel von dem Zeug sehen, daß er in die Ritzen gestopft hatte. Aber ich habe sogar dran gedacht, daß ich es doch müßte, ich konnte nicht weinen drüber. Habe es gelesen, als wä r´s aus der Zeitung, als wä r´s nicht ich, zu der er versucht hat zu sprechen. Er hat doch versucht, mit mir zu sprechen? Lesen Sie´s und sagen Sie, hat er versucht, mit mir zu sprechen?
Frau, ich habe, bis Du kommst, noch vier Stunden, Und dies ist der einzige Tag, an dem Du vor den Jungs nach Hause kommst - entschuldige, wenn es Dir nicht passen sollte, wegen´ner Sitzung oder ´ner Schulung nachmittags noch, aber es blieb keine andere Möglichkeit - ersparen kann ich es ihnen ja doch nicht, aber sie würden sicher noch die Nerven verlieren (Du wirst kalt bleiben, überlegt, sie hast Du noch nicht so weit), und es könnte, weil sie vielleicht blöderweise Licht einschalten im Flur oder sich schon die Zigaretten anpaffen, was passieren; und das ist nicht nötig. Ich werde aber zur Sicherheit die Türfüllung abdichten und hinter mir abschließen, wenn Du sagst, was los ist, bringt die Polizei einen Schlosser mit, auch soll´s dann schneller gehen; aber um diese Zeit ist der Gasdruck sowieso am höchsten. Noch als ich beim Arzt war heute früh – ich bin seit zwei Monaten jeden Donnerstag früh (außer wenn ich Frühschicht hatte, dann nachmittags, danach hab ich immer schnell´n paar gekippt, damit Du nicht fragen brauchtest und immer gleich loslegen konntest) bei Doktor Bloß. Jedesmal habe ich ihn gebeten, Dich nicht zu informieren; heute hat er es nicht mehr versprechen wollen, aber nicht deshals schreibe ich. Noch als ich dort saß, war ich sicher, daß ich Dir nicht schreiben würde, dies nicht und überhaupt, wußte nicht, wozu und für wen, zwischen uns ist alles hundert- und hundertmal gesagt, und die Bilder drüber, das Gerede, das wirst Du machen, wie Du es PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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brauchst, und mir ist es gleich. Nur jetzt, da ich bald anfangen muß – ich bin, obwohl Du es so lange anzweifeln wirst, bis der Befund es Dir bestä tigt, völlig nüchtern; ich brauche es jetzt nicht, komisch -, jetzt ist es wie selbstverstä ndlich, dabei denke ich nicht an Rechtfertigung oder so, dennoch fä llt´s mir schwer; wenn ich geahnt hä tte, daß ich´s doch mache, hä tte ich mir die ganze Nachtschicht Gedanken drüber machen können, und ich bin jetzt auch sehr müde, einfach zum Schlafen müde, ist doch wieder das Förderband ausgefallen nach zwei Stunden, und um zwölf kriegst du doch keinen mehr ran von den Schlossern, die doch nicht, haben die ganze Beschickung mit der Karre ranfahren müssen. Na ja. Aber so ist das, sitz jetzt da und muß was aufschreiben, muß wohl, obwohl vor zwei Stunden ich grad das nicht wollte. Hab Dir auch zwei Briefe erst geschrieben, solange wir verheiratet sind, weißt ja, die beiden, als Du zum Lehrgang warst nach Thüringen, und ich hä tte Dir nie wieder einen geschrieben; das war mir doch egal, ob Du hinten ein „d“ hast am Namen oder ein „t“, für mich war´n „t“ so gut wie´n „d“, aber Du mußt drüber heulen und sagen: Dußliger Kerl, nur schä men und ä rgern kann man sich, wenn das einer gelesen hä tte! Nein, Du, nie wieder wollte ich Dir schreiben. Drei Stunden und ´n paar Minuten noch. Und ich weiß nicht, ob es Angst ist, was ich fühle – so ä hnlich, aber ä hnlich nur, nicht so – habe ich gefühlt, wenn man Endgültigkeit oder Einsamkeit oder so was überhaupt fühlen kann, aber so ä hnlich, als ich Dir zum erstenmal vorgeschlagen habe, daß wir uns trennen sollten. Und vielleicht hä tte ich Dich bitten sollen, damals hä tte ich das noch gekonnt, oder ich hä tte sagen sollen, auch das war da noch möglich, daß es nur meinetwegen ist, daß ICH nicht mehr leben konnte so, ich konnte es noch sechs Jahre lang, bis heute, ja, sieben fast, aber wie? Ich weiß, der Suff ist keine Lösung für so was, hat´s nicht gelöst und nicht leichter gemacht, aber die Stunden davon, so was wie Kraft, das Gefühl, und ich wußte immer, daß es nur das Gefühl war, nicht Dein Ballast zu sein, Dein Fußabtreter - so herum, ja, nicht Du für mich, obwohl ich der Dreck bin, aber ich habe gesagt, und der Satz warf alles auf mich: Und auch für Dich wä re es das beste, Du brauchtest Dich nicht mehr zu schä men, denn Du schä mst Dich doch meinetwegen, und … Und PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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Du sagtest: Ich entscheide, was für mich das Beste ist, für mich und die Kinder, Du denkst natürlich nicht an die Kinder, Du denkst nur an Dich, Du … Das ist alles sinnlos jetzt. Aber auch dieser Worte wegen schreibe ich nicht. Weißt Du, morgen hä tte ich zu Hause bleiben müssen, Wochen, Monate Krankenhaus, Kur (aber nicht deshalb dies!), spä ter vielleicht eine leichte Arbeit, Betriebsschutz oder so was, na danke, aber die neunzehn Jahre überm Ofen haben
eben
reingehaun in die Lungen – und der Sprit auch, ja, aber dann vierhundert, fünfhundert Mark am Monatsende!
MARTIN STEPHAN SPÄ TER GAST BEI ARMER WITWE Am letzten Freitag im Oktober wurde Emma Schneider aus dem Krankenhaus entlassen. Der Schenkelhalsbruch, links, den sie sich im Frühjahr auf der glatten, kalten Marmortreppe der Stadtbibliothek zugezogen hatte (in ihrer Handtasche, eben ausgeliehen „Der Sohn einer Magd“ von August Strinberg), wurde von dem leitenden Arzt der Station als mehr oder weniger ausgeheilt bezeichnet. Wenn wir Ihr Alter in Betracht ziehen, sagte er, und das müssen wir schon, liebe Frau Schneider, können wir doch recht zufrieden sein. Sie fand diesen Arzt sehr sympathisch, ein wenig erinnerte er sie sogar an ihren Sohn Joachim, doch war natürlich, wie sie sich etwas bekümmert eingestehen mußte, an Doktor Breitmann alles schlanker und irgendwie vornehmer, eben feiner; besonders seine Hä nde hatten es ihr angetan, lange weiße Hä nde mit blaßrosa Nä geln. Solche Hä nde müssen Gutes tun, dachte sie, sie sind wie die des steinernen Lazarus im Heimatdorf meiner Mutter. Es war an diesem Oktobermorgen noch sommerlich warm – oder wieder und wie zum letztenmal, denn es hatte schon nasse Kä lte gegeben in diesem Herbst , in den Doppelfenstern der Krankenzimmer summten dicke, müde Fliegen ihre eigene Totenmesse, und die tabakfarbenen Kronen der Laubbä ume vor dem Haus strahlten im Sonnenlicht.
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Sie haben richtig Glück, an einem solch schönen Tag entlassen zu werden, sagte Schwester Gudrun mit einem Lä cheln, als wä re sie verantwortlich, für dieses Wetter und für die mühsam errungene Gesundheit auch. Emma Schneider bedankte sich bei dem medizinischen Personal der Station, verabschiedete sich von den Patienten in ihrem Zimmer, zwei alten Damen, ebenfalls schon über die Siebzig, von denen gemunkelt wurde, daß sie hier höchstwahrscheinlich nicht mehr rauskommen würden; die beiden Frauen sahen der Heimkehrenden nach wie langsam Ertrinkende einem am Horizont verschwindenden Schiff. Nun fühlte sich Emma Schneider gewiß nicht wie ein stolzes Schiff mit windgeblä hten Segeln, ganz im Gegenteil: Das Gehen fiel ihr schwer nach der langen Krankheit, bei jedem Schritt stöhnte sie vor Schmerz. In der Aufnahme des Krankenhauses wartete sie und beobachtete mitfühlend die Neueingä nge. Sie hatte es abgelehnt, mit dem Rettungswagen nach Hause gebracht zu werden, schließlich war sie ja mit wehender Fahne im Frühjahr hier eingeliefert worden, sollte sie vielleicht jetzt mit Martinshorn heimfahren, wo wä re denn da der Unterschied? Nein, sie leistete sich eine Taxe. Der Fahrer wußte den Weg zur Gartensiedlung, in der Emma Schneider wohnte, nicht genau. Also mußte sie den Lotsen spielen und konnte nicht, wie sie es vorgehabt und sich in langen Krankenhausnä chten ausgemalt hatte, die Fahrt durch die Stadt genießen und, bequem im weichen Autosessel sitzend, mögliche Verä nderungen entdecken. Ein langer Sommer, so dachte sie, kann nicht spurlos an der Stadt vorbeigegangen sein. Doch sie sah nicht viel, und die Straßen, durch die sie fuhr, weckten in ihr nicht einmal alltä gliche Erinnerungen. Wohnen Sie etwa da draußen, oder haben Sie da nur Ihr Grundstück? fragte der Fahrer. Ich wohne da, antwortete sie, und
vielleicht war eine Spur Trotz in ihrer
Stimme, jawohl, Sommer wie Winter, mein verstorbener Mann war der Wä chter. Gleich tat es ihr leid, zuviel gesagt zu haben, denn der Kerl gefiel ihr ganz und gar nicht, was der für Augen hat, dachte sie, wie ein Raubvogel.
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Er war dennoch unerwartet gefä llig, trug ihr, da er wegen der Schmalheit der Wege nicht vor das Grundstück fahren konnte, die Tasche bis an die Tür und verabschiedete sich mit einigen freundlichen Worten. Man soll doch nicht nur nach dem Aussehen gehen, reute es sie ein wenig, und wieder fiel ihr Joachim, ihr Sohn, ein, der es in seiner Jugend seines mürrischen Gesichts und schroffen Wesens wegen nicht leicht gehabt hatte. Sie seufzte mit doppeltem Grund: Das Bein tat ihr weh, andererseits schmerzte der Gedanke an Joachim. Weshalb hatte er sie im Krankenhaus nicht besucht, wenigstens einmal hä tte er doch kommen können. Sie hatte ihm geschrieben, er hatte nicht geantwortet. Sollte ihr Brief ihn nicht erreicht haben? Das war nicht auszuschließen – bei dem Leben, das er führte. Ü berhaupt war niemand sie besuchen gekommen, all die lange Zeit. Die Frau von der Volkssolidaritä t, gewiß, die freudliche Frau Danzer, war zweimal dagewesen, das war sehr nett, zä hlte aber gewissermaßen nicht.
ELFRIEDE BRÜ NING DAS LANGSAME STERBEN DER ALTEN FRAU HULDA Das Sterben der alten Frau Hulda dauerte fast ein Jahr. Es begann, wenn man so sagen kann, genau an dem Tag, als ins Erdgeschoß des Hauses, in dem Frau Hulda oben die Mansarde bewohnte, die neue Mieterin einzog, das schon leicht angejahrte „Frä ulein“ Sommer, wie sie von allen gennant wurde, Lehrerin an der nahen Berufsschule, ein ä ußerlich reizloses, nichtsagendes Wesen, dem man indes nachrühmte, daß es erstaunlich energisch sei und sich selbst die schlimmsten Rabauken unter den Lehrlingen rasch gefügig mache. Nun hä tte Frau Hulda, nachgiebig, wie sie von Natur aus war, eine charakterfeste Person mit starkem Durchsetzungsvermögen, als die ihr die Mieterin geschildert wurde, kaum zu fürchten gahabt, denn sie war bisher überall mit jedermann gut ausgekommen. Wenn der bevorstehende Einzug der Fremden sie dennoch aufs ä usserste beunruhigte, so konnte das nur an ihrem vorgerückten Alter liegen, in dem man schon den geringsten Abweichungen vom eingefahrenen Tagesablauf mit Mißtrauen und instinktiver Abwehr entgegensieht.
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Und ein Einschnitt in ihr bisheriges Leben war es wohl allemal, der zweite innerhalb von kurzer Zeit. Noch vor wenigen Jahren hatte die Alte im eigenen Haus gewohnt, das sie und ihr Mann sich in der Jugend unter großen Entbehrungen aufgebaut hatten. Als ihr indes nach dem Tode des Mannes die Instandhaltung des Anwesens allein zu beschwerlich wurde, hatte sie kurzentschlossen Haus und Grundstück verkauft und war in die Wohnung des Kä ufers übergesiedelt, eben in die schon erwä hnte Mansarde, die, wie sie glaubte, ihrem hohen Alter mit seinen zunehmenden Gebrechen gemä ßer war. Damals hatte sich Hulda allerdings noch bester Gesundheit erfreut. Sie war nie in ihrem Leben ernsthaft krank gewesen, hatte nie Kinder gehabt und war deshalb ihr Leben lang von tiefen Erschütterungen verschont geblieben, hatte weder Kummer noch
Leid erfahren oder
auch
nur
vorübergehende
Enttä uschungen erleben müssen, wie sie das Heranreifen von Kindern mit sich bringen – allerdings hatte sie auch nie tiefes Glück empfunden. Das ereignisarme Leben, das hinter ihr lag und das auch in ihrer Ehe nur von einer einzigen, schnell überwundenen Krise flüchtig gestreift worden war, spiegelte sich in ihrem Ä ußeren wider. Selbst die Achtzigjä hrige hatte noch ein rundes Apfelgesicht, lebhafte, muntere Augen und die hurtigen Bewegungen einer Jüngeren. Nur das leichte Gekrä usel um den schmalen Mund und das strä hnige Haar, das an vielen Stellen die Kopfhaut durchschimmern ließ, verrieten ihr wirkliches Alter. Doch trug sie damals der Mode entsprechend das Haar unter einer Perücke verborgen, die sie sich von ihren Westverwandten schicken ließ, so daß sie für den flüchtigen Betrachter leicht als hohe Sechzigerin durchgehen mochte. Wie gesagt, es lag sicher an ihrer damaligen guten Verfassung, daß sie den Mä ngeln in der neuen Wohnung, die sich spä ter so verhä ngnisvoll für sie auswirkten, zu wenig Beachtung schenkte. So verfügte das schlichte Einfamilienhaus, das nach dem Tode des einstigen Besitzers an die Gemeinde gefallen war und von dieser seither an zwei Parteien vermietet wurde, nur über ein einziges, im Parterre gelegenes Bad und, was schlimmer war, nur über eine Toilette. Hulda mußte also, um sich zu erleichtern, mehrmals tä glich die steile PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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Stiege erklimmen, die vom Erdgeschoß in ihre Mansarde führte. Auch in den Zimmern gab es Ä rgernisse. Ü ber der kleineren Kammer war das Dach beschä digt und der Regen tropfte auf die Möbel, ja sogar mitten aufs Bett, so daß Hulda sich schweren Herzens entschloß, ihre Lagerstatt im Wohnzimmer aufzuschlagen. Hier aber trieb über ihrem Kopf ein Steinmarder sein Unwesen. Zuerst versuchte sie noch, dem ungebetenen Hausgenossen den Garaus zu machen, indem sie sich um Hilfe an den Förster wandte. Der versprach auch zu helfen, ließ aber Monate verstreichen, ohne etwas zu tun, und schließlich geriet alles in Vergessenheit, zumal Hulda sich nie wieder mit ihren Klagen in Erinnerung brachte. Denn inzwischen hatte sie sich an die nä chtlichen Gerä usche derart gewöhnt, daß sie sie geradezu brauchte, um einzuschlafen. Auch das schadhafte Dach regte sie kaum noch auf, teils weil sowieso nichts an dem Zustand zu ä ndern war (die Dachdecker waren auf Jahre hinaus ausgebucht), teils weil sie die Kammer nicht brauchte. Ihre damaligen Mitbewohner, Mutter und erwachsene Tochter, arbeiteten und vergnügten sich in Berlin und stellten sich hier im Vorort nur zum Schlafen ein. Somit verfügte Frau Hulda praktisch über das ganze Haus. Auch im Garten konnte sie nach Herzenlust schalten und walten, doch machte sie davon kaum Gebrauch. Das Wühlen im Erdreich lag ihr nicht, und für das Obst, das ihr überreift vor die Füße fiel, hatte sie erst recht keine Verwendung mehr. So war der Garten mit den Jahren zu einer Wildnis entartet, Bä ume und Strä ucher strecken ihre Zweige ungezä hmt nach allen Richtungen aus, und die Wege waren von Unkraut überwuchert und kaum noch zu erkennen. Doch der Alten war solch Urwald gerade recht. Sie genoß es, von ihrem Balkon aus ins Grüne zu sehen und dem Gezwitscher der Vögel zu lauschen, die das Vogelhaus umschwirrten, das sie gleich nach ihrem Einzug am nä chststehenden Baum hatte anbringen lassen. Manchmal saß sie im Garten, um unter den wenigen, die sich bis in diese Gegend verirrten und die langsam am Grundstück vorüberkamen, nach einem bekannten Gesicht auszuspä hen. Doch meistens wartete sie vergeblich. Besuch erhielt sie selten, und ihre Mitbewohnerinnen ließen sich allenfalls des Sonntags blicken. Von den kurzen Unterbrechungen durch Einkä ufe abgesehen, die sie PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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glücklicherweise noch allein bewä ltigen konnte, führte die alte Frau ein zurückgezogenes Dornröschenleben. Doch sie war daran gewöhnt, und es gefiel ihr so.
REINER TETZNER DER PLATZANWEISER Ich bin ihm dankbar. Ohne ihn wä re ich uneinsichtig gebleiben. Frä her standen Platzanweiser nur an den Türen fremder Lokale. Die mied ich hartnä ckig. Daß es ihn auch in meinem Stammlokal geben würde, hielt ich für ein böses Gerücht. Bis er eines Tages hinter der Tür stand und seinen langen Arm wie eine Schranke vor mir herunterklappte. Ich bin hier Stammgast, beharrte ich. Anordnung
des neuen Geschä ftsführes, erwiderte der große Mann im
schwarzen Anzug. Sogar die drei scharfgespitzten Bleistifte in seiner Brusttasche flößten Respekt ein. Ach, Sie hatten ja bestellt, sagte der Platzanweiser plötzlich so laut, daß die Wartenden mich ohne Murren passieren ließen. Er führte mich an einen Tisch nahe der Tür. Auf diese Plä tze hatte ich früher von oben herabgeblickt. Ich deutete auf freie Vierertische, wo ich sonst zu sitzen pflegte. Reserviert, knurrte der Platzanweiser und ließ mich stehen. Platz ist eben nicht Platz. Neben den Achtertrischen – an einen mußte ich mich quetschen – standen die gemütlicheren Sechsertische, dann die begehrten Vierertische unter dem Gewölbe. In den Nischen waren Vorzugsplä tze für besondere Gä ste. Mir kam nicht mal der Gedanke, dort sitzen zu wollen. Darüber war selbst dem Platzanweiser die Entscheidung entzogen. Am Achtertisch wurde mein Bier schal, mein Gaumen trocknete. Mein Gesprä ch mit den Tischnachbarn stockte. Ich fühlte mich verkannt. Mir kam ein weit besserer Platz zu, was ich den Mann im schwarzen Anzug merken ließ. Zwei Tage spä ter blieb die Sperre seines Armes vor mir gesenkt. Obwohl Plä tze an Sechsertischen frei waren. Wütend kehrte ich meinem Stammlokal den Rücken. Nie wieder würde ich einem Platzanweiser unter die Augen treten. PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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Drei Monate suchte ich Ablenkung in anderen Gaststä tten. Dort schmeckte mir das Bier immer wä ßrig. Und ich hatte Zeit nachzudenken. Eines Tages kehrte ich an die Tür meines Stammlokales zurück. Der Platzanweiser sah sofort, was in mir vorgegangen war. Er ließ mich eine Weile warten. Das hatte ich verdient. Dann erlöste mich sein „Sie hatten doch bestellt“. Diesmal genügte mir der Tisch neben der Tür. Wer glaubt, man erkauft sie beim Platzanweiser einen guten Tisch durch ein Scheinchen oder einen Schnaps, der irrt. Auch beste Beziehungen bewirken nichts. Dieser Mann ist unbestechlich. Einmal sah ich ihn sogar einen Herrn, der sich Professor nennen ließ, vor die Tür weisen. Nach einem Jahr durfte ich zu den gefragen Vierertischen aufrücken. Der Platzanweiser erwartete dafür keinen Dank. Von meinem Vierertisch unter dem Gewölbe überblickte ich das Lokal und kann ermessen, was es heißt, Platzanweiser zu sein. Triviales erledigt er am Rande. Er verhindert Gedrä nge in den Gä nden und unnötiges Stühlerücken. Was wä re, stritten sich Gä ste um den gleichen Platz? Manchem schadet Zug. Andere brauchen der kürzesten Weg zur Toilette. Der Mann im schwaren Anzug garantiert Ordnung und schafft jene dezente Atmosphä re, die ein Lokal mit bestimmtem Niveau auszeichnet. Der Platzanweiser weiß um die Bedeutung und höheren Notwendigkeiten eines jeden Platzes. Das beste Psychologiestudium vermittelt nicht derartige Fä higkeiten. Auf den ersten Blick erkennt er die Gä ste und vermag sie richtig zu plazieren. Mir ist kein Fall bekannt, wo er sich geirrt hä tte. Ich bewundere den Scharfsinn dieses Mannes. Außer dem Satz „Sie hatten doch bestellt!“ höre ich vom Platzanweiser nur Worte wie „Reserviert“, „Alles belgt“, „Tisch Nr… “. Mit dem Platzanweiser unterhä lt man sich nicht privat, das lenkt ihn ab. Auch „Guten Abend“ und „Auf Wiedersehen“ sind überflüssige Floskeln. Er lebt ganz nach den inneren Gesetzen seiner gastronomischen Einrichtung, die im Vergleich zu anderen Lokalen unserer Stadt wahrhaftig einmalig ist Составите ль: Борисова Лю дмила М итроф ановна Ре дактор: Бунина Т .Д . PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com