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Folgenden Menschen möchte ich für ihre Mithilfe und freundliche Unterstützung danken: Stephan Straß, der sich immer wieder geduldig Kapitel für Kapitel anhörte und Verbesserungsvorschläge machte. Beate Plein, die für die Umschlagsgestaltung verantwortlich war.
Autor: Melanie Krayer (1975 in Saarlouis geboren) arbeitet hauptberuflich als Sekretärin bei einer Bank. Da sie sich schon immer für Kriminalliteratur begeistern konnte und vom Schreiben eigener Bücher fasziniert war, hat sie dies nun in die Tat umgesetzt und veröffentlicht hiermit ihr erstes Meisterwerk „Zum Töten missbraucht".
Buch: Der mysteriöse Mord an einer jungen Mutter in dem kleinen Ort Northigia stellt die Kriminalbeamten Sylvia Notalagy und Dirk Kentner vor immer größer werdende Probleme bei ihren Ermittlungen. Je weiter diese in den Bekanntenkreis der Ermordeten vordringen, desto unüberschaubarer wird das Gewirr der Verdächtigen. War es Monika Lossen, die das Opfer samt Kind in einem Müllcontainer fand? Oder gar ihr eigener Bruder der sie abgrundtief hasste und jetzt nach ihrem Tod alles erben wird? Oder musste Dorothee Lavalle wegen einer vermutlichen Affäre mit ihrem Nachbarn sterben? Lange klammern sich die Beamten an jede Spur, bis sich eine unglaubliche Wendung ergibt...
Bild-/ Titelgestaltung: Beate Plein
Prolog
Lydia läuft verzweifelt, bestimmt schon seit einer Viertelstunde, immer wieder um ihren Küchentisch herum. Was sollte sie nur tun? Sie musste sich mit ihm treffen, vielleicht hatte sie ja einmal in ihrem Leben Glück. Aber die Angst davor war schlimmer als alles andere. Warum hatte sie nur solche Angst? Vielleicht schreckte ja gerade das die Männer ab. Ihre Freundinnen sagten ihr immer wieder, dass sie nicht schlecht aussähe, einen guten Charakter habe und wirklich liebenswürdig sei, aber trotzdem hatte sie noch nie in ihrem Leben einen abbekommen. Nein, nein, sie wusste es besser, sah es wenn sie in den Spiegel schaute, sie war einfach hässlich. Dick und hässlich. Ihre Freundinnen sagten das nur um sie zu beruhigen, weil sie sie gerne hatten. Lydia hatte Tränen in den Augen. Beruhige dich, ermahnte sie sich selbst, mach dich lieber fertig, schau dass du halbwegs manierlich aussiehst, und sei ganz einfach du selbst. Dann wird es schon klappen. Schon seid ihrer Kindheit sprach sie sich selbst so gut zu. Oft half das, und sie richtete sich dann auch nach ihren Gedanken, aber heute sah das ganz anders aus. Die Nervosität schwand nicht, aber immerhin schaffte sie es unter die Dusche zu springen und ihrem Äußeren einen gewissen Glanz zu verleihen. * Selbstbewusst stand Tom vor dem Spiegel und betrachtete sein tolles Äußeres. Heute würde er sich mit einer Frau namens Lydia treffen und endlich, so hoffte er, seinen Plan verwirklichen können.
Draußen war es ziemlich kalt. Monika Lossen hasste dieses Wetter. Trotzdem blieb es ihr nicht erspart fast als einzige durch die Kälte zu laufen. In diesem kleinen Dorf war es schon im Sommer sehr ruhig, aber im Winter, wie man so schön sagte, jagte man keinen Hund vor die Tür. Sie zog die Jacke fester zu und dachte an den Eignungstest zurück, den sie gerade hinter sich gebracht hatte. Irgendwie hatte sie ein schlechtes Gefühl. Dieses Gefühl, dass einfach nichts in ihrem Leben funktionierte. Nicht den Beruf lernen zu können den sie wollte, und was noch viel schlimmer war, keine Kinder bekommen zu können. Ein ewiges Streitthema zwischen Monika und ihrem Freund Marc. Am Anfang waren die Illusionen so schön gewesen. Bis festgestellt wurde, dass Monika keine Kinder bekommen konnte. Sie hatten es trotz allem immer und immer wieder versucht, vergeblich. Monika dachte an die Beteuerungen zurück die Marc ihr ständig gab: "Ich liebe Dich auch so, und wir können auch ohne Kinder gut leben." Sie dachte daran, dass sie nicht glaubte, dass er als Mann den Schmerz so nachvollziehen könne wie sie ihn empfand. Dieses Gefühl, die erste Zeit nach der Eröffnung des Frauenarztes, nicht mehr unter die Leute gehen zu können, nichts mehr wert zu sein. Jede Frau konnte Kinder kriegen, warum ausgerechnet sie nicht? War es nicht einfach ungerecht? Wenn sie an die Menschen dachte, die ihre Kinder einfach weggaben, oder noch schlimmer umbrachten oder misshandelten. Und die, die wirklich Kinder wollten, und diese mit Liebe großziehen wollten, denen es wichtiger war als alles andere auf der Welt, die wurden so gestraft. Ihre jüngere Schwester, Conni, hatte sogar Zwillinge bekommen. Zwei ganz goldige Mädchen. Natürlich war es anstrengend die Kleinen zu versorgen, und auch nicht ganz billig, aber trotzdem war sie glücklich. Conni hatte ihrem Leben einen Sinn gegeben, nicht wie sie. Sie fühlte sich nutzlos, der Sinn in ihrem Leben fehlte. Was half es da, dass sie öfter mal auf die Zwillinge aufpassen durfte? Es war schön mit den Kleinen zu spielen, rumzutoben oder ihnen etwas Wertvolles fürs Leben zu vermitteln. Aber es waren nicht ihre eigenen, sie waren nicht immer da. Es war einfach nicht dasselbe. Monika hatte schon mal daran gedacht ein Baby zu adoptieren, aber Marc war total dagegen gewesen. Sie konnte sich noch sehr gut an den riesigen Krach zwischen ihnen erinnern. "Weißt du wie schwer es ist ausgerechnet ein Baby zu adoptieren? Alle Paare wollen ein kleines Baby, und nicht ein älteres Kind, das schon denken kann und weiß, dass die Eltern nicht die leiblichen sind." „Na und, du lässt es noch nicht einmal darauf ankommen. Wir könnten es doch wenigstens versuchen." "Ich weiß einfach nicht was du dir dabei denkst", regte er sich auf "alleine die Folgen. Die Gene. Denk an die Gene. Was ist wenn die leiblichen Eltern Schwerverbrecher waren, das steckt bestimmt schon in dem Kind drin. Und du ziehst es dann groß, ja? Du kümmerst dich dann darum, wenn im 16. Lebensjahr des Kindes die Polizei vor der Tür steht und dir berichtet, dass es geklaut oder eine arme alte Frau zusammen geschlagen hat." Monika schüttelte den Kopf und begann auch schon wütend zu werden. "Die Erziehung spielt auch eine sehr große Rolle. Das Baby würde behütet aufwachsen bei uns und eine sehr gute Erziehung genießen. Es lernt doch von uns was anständig ist. Und bei einem eigenen Kind..., ich weiß nicht, ich glaube nicht an die Gene." So ging das Gespräch weiter. Zum Schluss hatten sie sich beide angeschwiegen. Jeder hatte seine Meinung und solange sie keinen Kompromiss fanden, hatte es keinen Zweck sich weitere Gedanken darüber zu machen. Für sich, insgeheim dachte Monika natürlich schon darüber nach. Mit Conni hatte sie auch gesprochen, aber auch diese war nicht auf ihrer Seite. Conni hatte versucht sich diplomatisch heraus zuhalten. An die Gene glaubte sie nicht unbedingt, sie vermutete eher eine Überforderung Monikas. "Es ist etwas ganz anderes wenn es nicht dein eigenes Kind ist. Und irgendwann wirst du es ihm
bzw. ihr sagen müssen. Jedes Adoptivkind findet irgendwann heraus, wer seine leiblichen Eltern sind. Und die meisten Kinder machen sich, wenn sie in dem richtigen Alter sind, auf die Suche nach ihnen. Versuche dich doch mal in die Situation der Kinder zu versetzen. Es ist wirklich schwer. Solange sie noch klein sind kannst du ihnen etwas vormachen, aber später. Ich weiß wirklich nicht, ob es richtig wäre. Du solltest es dir gut überlegen." Monika hatte erwidert: "Ich habe es mir sehr lange überlegt und ich bin auch überzeugt. Ich sehe ja auch ein, dass es gewisse Nachteile hat, so wie du es jetzt sagst. Aber der Wunsch, weißt du?, der überwiegt einfach. Ich könnte dem Kind so viel geben, meine ganze Liebe, das Wichtigste was ein Kind braucht, es würde behütet aufwachsen und hätte auch materiell alles was es braucht." Während der Rede hatte Monika kaum Luft genommen. Aber Conni schaute sie nur weiterhin misstrauisch an und meinte: "Du bist einfach zu schnell in deinen Überlegungen, Monika. Jetzt, für den Moment, meinst du es vielleicht auch so, aber wenn die Probleme auftauchen. Du sollst das jetzt nicht missverstehen. Ich gönne dir ein Kind, ich würde dir wirklich sehr gerne helfen, aber ich weiß nicht wie. Ich weiß einfach nicht ob es richtig wäre. Hast du auch einmal daran gedacht ein älteres Kind zu adoptieren? Oder vielleicht vorerst mal zur Probe bei dir aufzunehmen? Du könntest dieses Kind dann eine Weile kennen lernen und rausfinden, ob du, und auch das Kind damit klarkommen. Ihr könntet euch aneinander gewöhnen und hättet beide eine Wahl. Verstehst du was ich meine?" Monika hatte den Kopf geschüttelt. "Das will ich aber nicht." "Es zählt nicht nur was du willst. Denk doch auch mal an das Kind. Das ist wichtig." Damit hatte das Gespräch damals geendet und Monika war danach sehr beleidigt gewesen. Auch jetzt ärgerte sie sich noch über die Bemerkung der Schwester. Die hatte gut reden, sie hatte schließlich zwei eigene Kinder. Gerne hätte Monika mal die umgekehrte Situation erlebt. Nicht weil sie es ihrer Schwester gegönnt hätte, sondern weil sie einfach der Meinung war, dass diese in ihrer Situation nicht anders reagiert hätte wie sie selbst. Während sie sich weiter in Wut dachte hörte sie ein leises Wimmern. Es hörte sich an wie ein Kind. Wie ein Baby. Drehte sie jetzt völlig durch? Nur weil sie darüber nachdachte, konnte sie doch nicht plötzlich schreiende Babys in ihrem Kopf hören, oder? Monika blieb stehen. Da war es wieder. Wo kam das Geräusch her? Aus dem Müllcontainer? Unmöglich. Zögernd ging Monika ein paar Schritte auf den Container zu. Das Wimmern wurde lauter. ‚Es muss ein Baby sein’, dachte Monika. Sie bekam ein komisches Gefühl im Magen und hatte Angst. Was soll ich bloß tun? Nachschauen? Aber das war doch das mindeste was sie tun musste. Wenn es wirklich ein echtes Baby sein sollte. Vielleicht hatte sich ja jemand einen Scherz erlaubt, und wollte sie ärgern. Eine Puppe, oder so. Aber das war unrealistisch. Wer sollte schon wissen, dass Monika solche Probleme mit ihrem Kinderwunsch hatte, und sie ärgern wollen? Keiner würde das tun. Nervös trippelte Monika vor dem Müllcontainer hin und her. ‚Warum bin ich nur so unsicher?’, fragte sie sich. Jeder andere Mensch hätte schon lange einen Blick in den Container geworfen. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. ‚Ich muss es tun, ich muss es tun. Ich muss nachschauen’, dachte sie. Monika ging auf den Container zu und schaute hinein. Mit einem lauten Aufschrei und einem Riesenschreck taumelte sie zurück. "Oh nein, oh nein" schrie sie. "Das kann doch nicht wahr sein. Hilfe, Hilfe, warum hilft mir niemand?" Aber keine Menschenseele war in der Nähe zu sehen, schlimmer noch, nicht einmal ein Haus war in der Nähe. Dafür musste sie mindestens drei Straßen weiter laufen. Eigentlich war es ohnehin unverständlich, dass dieser Container noch da stand. Früher war hier mal ein Altenheim gewesen, zu dem auch dieser Container gehört hatte. Zwischenzeitlich stand das Altenheim leer, es hatte sich für einen so kleinen Ort wie Northigia
nicht gelohnt. Jetzt gab es nur noch ein Altenheim in Bergendo. Alte Leute nutzten den Container noch, wegen der Müllgebühren. Um so mehr Müll ein Haushalt produzierte, umso mehr musste der Besitzer des Haushaltes bezahlen. Denn die Gebühren wurden nach Gewicht berechnet. Die Menschen die sparen wollten, liefen deshalb immer hierher und entsorgten ihren Dreck hier. Praktisch für die Leute, aber im Moment schlecht für Monika. Irgendetwas musste geschehen, das war ihr klar. Und sie war die einzige die jetzt noch etwas tun konnte. Ob sie wollte oder nicht, sie musste wieder auf den Container zugehen. Monika fasste all ihren Mut zusammen, ging zu dem Container und hob ein schreiendes kleines Bündel, das in mehrere warme Decken eingewickelt war, hinaus. Obwohl das kleine Wesen "gut verpackt" war, litt es höchstwahrscheinlich an Unterkühlung. Ein Wunder, dass es nicht schon tot war. Trotz der eisigen Kälte die sie selbst überfiel zog Monika ihre warme Windjacke aus, und verpackte das Baby darin. Irgendwie musste sie es so schnell wie möglich ins Krankenhaus transportieren. Nur was war mit der Frau? Die Frau, die Mutter des Säuglings wie Monika annahm, lag auch in dem Container. Ob sie noch lebte? Monika war sich im Klaren darüber, dass sie es wahrscheinlich nicht schaffen würde, die Frau da alleine heraus zu holen. Aber wenn sie länger wartete, würde sie damit verschulden, dass die Frau dann erst starb? Wegen Erfrierungen? Es gab nur eine Lösung, Monika musste feststellen, ob die Frau schon tot war oder nicht. Sie legte das Baby zur Seite, versuchte es zu beruhigen, und ging zitternd zum Container. Sie beugte sich zu der Frau herunter und fühlte nach dem Puls, zuerst am Handgelenk, dann am Hals. Vor lauter Nervosität und Angst rüttelte und schüttelte sie an ihr und schrie: "Wach auf, komm bewege dich, du musst leben, du musst einfach leben. Denk an Dein Kind." Aber ... Nichts, die Frau war eindeutig tot. Obwohl Monika selbst schon völlig neben sich stand, und nur noch reflexartig handelte, tat sie das richtige. Sie schnappte sich den immer noch vor sich hin wimmernden Säugling und rannte die Straßen entlang zum nächstgelegenen Haus. Dort klingelte sie Sturm. "Mach doch schon auf", schrie sie dabei. "Notfall, Notfall." Obwohl es nicht lange dauerte bis Buggy Olsen öffnete, kam es Monika wie Ewigkeiten vor. Verdattert starrte er Monika an. "Was ist denn passiert? Kommen Sie herein. Sie sehen schrecklich aus, wie kann ich denn nur helfen?" Buggy stammelte die Worte nur so heraus, durcheinander und sehr verwirrt. Monika erging es nicht viel besser. Stotternd, nach einzelnen Worten greifend, berichtete sie das notwendigste. "Krankenwagen, die arme Frau, das Baby, wahrscheinlich unterkühlt, und sie ist tot. Schnell, wir brauchen dringend, Krankenhaus, die Polizei." Das Buggy überhaupt verstand was los war, war ein Wunder. Auf jeden Fall hatte er genug kapiert um an das Telefon zu stürzen und die Polizei und einen Rettungswagen zu alarmieren. Während die beiden auf die rettenden Engel warteten, packten sie das Baby in eine frische warme Wolldecke und tranken einen Schnaps zur Beruhigung. Nach dem Schnaps war Monika fähig Buggy halbwegs zu erklären was passiert war. Buggy war auch sehr entsetzt von der tragischen Geschichte und sehr erstaunt. Würde er nicht mit eigenen Augen dieses kleine Geschöpf Gottes vor sich sehen, würde er nicht glauben, dass so etwas tatsächlich in diesem kleinen Northigia passiert war. Klar, man sah solche entsetzliche Sachen im Fernsehen und litt mit, aber hier? Es war fast unmöglich zu glauben. Die Dorfbewohner kannten sich zumindest alle vom Sehen und ein Fremder fiel schnell auf. Es war für die vielen alten Leute etwas besonderes, wenn sie mal ein anderes Gesicht sahen, weswegen sie dann gleich darüber tratschen mussten. Aber etwas wirklich Aufregendes war hier noch nie passiert. Obwohl, wer konnte das schon sagen? Dies war das erste Mal das Buggy sich Gedanken darüber machte, ob man die wirklich schlimmen Sachen auch immer mitbekam. Blieben Familiendramen nicht meistens tief verborgen? Wurden die
Geheimnisse nicht von den Familien mit ins Grab genommen? Nur weil bei ihm alles ganz toll lief, er eine klasse Familie, und sein Leben im Griff hatte, hieß das noch lange nicht, dass das überall so war. Der Rettungswagen war innerhalb kürzester Zeit da. Monika hatte gerade erst den Satz beendet, indem sie, so gut sie es eben in ihrer derzeitigen Verfassung noch konnte, ihr Erlebnis geschildert hatte. Der Säugling, ein kleines Mädchen von gerade mal 6 Monaten, wurde von den Sanitätern vorerst mit dem wichtigsten versorgt. Sanitäter Ralf Hegener sagte: "Wir werden die Kleine ins St. Peters Krankenhaus bringen, das können Sie ja dann der Polizei weitergeben." Monika schaltete direkt. "Darf ich mitkommen? Ich möchte bei ihr bleiben. Ich habe sie doch gefunden. Bitte." Ralf Hegener war erstaunt über solch eine Anfrage. Die meisten Menschen, die eine Leiche fanden, waren nicht annähernd in der Lage an irgendetwas anderes zu denken, geschweige denn an ein Kind. Bestimmt wollte die Polizei mit der Frau sprechen, schließlich war sie eine wichtige Zeugin. Nach einiger Überlegung sagte er: "Tut mir leid, junge Frau, aber das ist unmöglich. Die Polizei müsste gleich hier sein, und sie hat sicherlich einige Fragen an Sie. Rufen Sie doch nachher im Krankenhaus an, dann kann man Ihnen sagen wie es dem Kind geht." Ein enttäuschtes Gesicht blickte zu Ralf. "Es tut mir wirklich leid", sagte er, drehte sich um und marschierte mit dem Baby und seinem Helfer davon. Buggy sah die Verzweiflung in Monikas Gesicht, konnte sie aber nicht richtig verstehen. Er legte einen Arm um sie und meinte: "Was ist denn? Ich weiß, so etwas zu entdecken ist sehr erschreckend. Aber mir scheint, dass Sie nicht mitfahren durften hat Sie fast noch mehr mitgenommen. Sagen Sie mir ruhig warum. Jemand der zuhört und neutral ist kann meistens helfen." Zuerst traute Monika sich nicht, sich dem für sie fremden Mann anzuvertrauen. Aber dann antwortete sie doch, mit Tränen in den Augen. „Es ist als wäre es mein eigenes Kind. Wissen Sie, ich kann keine Kinder bekommen, und ich wünsche mir so sehr welche. Und jetzt habe ich dieses Baby gefunden, die Mutter tot. Ist das nicht Schicksal? Hätte ich nicht verdient dieses Kind zu bekommen?" Buggy wirkte entsetzt, ließ sich jedoch nichts anmerken. Hatte diese Frau die Mutter des Kindes umgebracht um an das Baby ranzukommen? Nur weil sie keine Kinder bekommen konnte? Ein flaues Gefühl floss durch seinen Magen. Buggy konnte meistens gut verbergen was er wirklich dachte, und wollte ihr noch beruhigend entgegenkommen. Aber dazu hatte er dann doch keine Zeit mehr. Es klingelte an der Tür. Tröstend fuhr er Monika noch einmal durchs Haar bevor er öffnete. Es war die Polizei. Zwei Beamte, die sich als Dirk Kentner und Sylvia Notalagy vorstellten, betraten das Zimmer. Zu viert nahmen sie im Wohnzimmer von Buggy Platz. * Zur gleichen Zeit waren weitere Beamte bei dem Müllcontainer angetroffen. Die Spuren mussten gesichert und die Frau geborgen werden. Keine angenehme Arbeit. Es war auch auf den ersten Blick nichts zu sehen was hätte verraten können wer dieser gemeine Übeltäter war. In einem Müllcontainer irgendwelche außergewöhnlichen Dinge in Bezug auf einen Mord zu finden war auch nicht so einfach. Fingerabdrücke konnte man sich schon so gut wie sparen. Mit Sicherheit hatten sehr viele Leute den Container angefasst, Menschen die einfach nur ihren Müll loswerden
wollten. Die Möglichkeit die sie noch besaßen, waren die Fingerabdrücke an der Leiche der Frau. Und selbst wenn sie da welche finden würden wäre das keine Garantie dafür, dass dies der Mörder gewesen sein könnte. Bei solchen Fällen fragte man sich oft, warum man eigentlich auf Spurensuche ging. "Man kann gar keine äußerlichen Merkmale feststellen", meinte einer der Spurensicherung. "Dann müssen der Kentner und die Notalagy halt die Obduktion abwarten." "Ja, aber irgendwie hätte es mich auch interessiert. Es ist so mysteriös." "Hm, stimmt schon. Von einem Ort wie diesem erwartet man, dass immer Friede, Freude, Eierkuchen herrscht." Der erste Spurensicherer zuckte die Achseln. "Schau mal nach. Hat sie was bei sich?" "Ja, einen Geldbeutel." Nachdem er einen Blick hineingeworfen hatte, pfiff er laut durch die Zähne. "Alle Achtung! Ein Raubüberfall war das nicht gerade. Sie hat 2.500,00 € in ihrem Geldbeutel. Ob sie noch was vor hatte?" "Also ich kenne niemanden der einfach mal so mit so viel Geld durch die Gegend läuft. Und welcher Verbrecher hätte da mal nicht zugeschlagen?" "Lassen wir das mal Kentners Sorge sein." Der andere nickte zustimmend. * Im Krankenhaus, auf der Kinderstation, ging es sehr hektisch zu. Drei Jungen wurden nach Hause entlassen, einer in den OP gefahren und in weiteren Räumen hörte man Kinder verschiedenen Geschlechts schreien. Manche spielten auf dem Flur. Die Schwestern hatten alle Hände voll zu tun. Schwester Ingrid saß bei einem kleinen Jungen am Bett der einen Gehirntumor hatte. Sie sollte ihm erklären warum es so wichtig war ihn zu operieren und dass es nicht schlimmer werden würde. Dabei wusste sie genau, dass sie den Jungen anlügen musste. Er würde sterben, kein Zweifel, trotz der Operation. Der Junge hatte Schmerzen, er glaubte natürlich nicht an eine Besserung. Kranke kleine Kinder wurden schnell reif, man konnte ihn nicht so einfach etwas vormachen. Wenn sie ernsthaft krank waren, waren sie sich ihrer Situation meistens sehr wohl bewusst, und es war traurig wenn man dann als Krankenschwester nur da sitzen konnte, und die tröstenden Worte auch nicht halfen. Ingrid versuchte ihr Bestes um ihren kleinen Patienten zu überzeugen, zu überzeugen dass er leben würde. Obwohl es eine Lüge war. Aber warum sollte sie ihm unnötige Angst machen? Konnte nicht auch einmal ein Wunder geschehen, die Ärzte sich irren? Ingrid hoffte darauf. Sie hoffte jedes Mal darauf, wenn sie bei einem todkranken Kind saß. Doch auch nach ihrer Erklärung starrten sie die braunen Kinderaugen nur traurig an. So als ob er wüsste, dass sie log. Während Ingrids Erklärung wurde das kleine gefundene Mädchen eingeliefert, verpflegt und sofort von den Schwestern umhimmelt. Worte wie "die arme Kleine" waren zu hören. "Jetzt hat sie keine Mutter mehr." "So ein armes kleines Ding schon ins Heim." Es war nur gut, dass wenigstens das Kind gesund und munter war, wo doch schon die Mutter tot war. Wirklich ein Zufall, dass um diese kalte Jahreszeit, an einem solch ruhigen Ort jemand die Leiche und das Baby entdeckt hatte. Wirklich nur ein Zufall? * Frau Notalagy, die Gehilfin des ermittelnden Beamten Kentner, nahm ihr Notizbuch zur Hand. Es
war oft sehr wichtig sich schon Kleinigkeiten zu notieren, denn wenn man es auch nicht glaubte, meist führten gerade diese kleinen Dinge auf die richtige Spur. Dirk Kentner übernahm wie fast immer die Befragung. "Frau Lossen, Sie haben also die Leiche gefunden?" Monika nickte nur. "Wann war das genau? Erzählen Sie einfach mal an was Sie sich momentan erinnern können. Jede Kleinigkeit ist wichtig." "Ich bin gerade von einem Eignungstest gekommen", begann Monika. "Es war ungefähr viertel nach sechs. Ich habe darüber nachgedacht wie das mit eigenen Kindern ist und war so darin vertieft, dass ich zuerst glaubte ich hätte Halluzinationen. Weil, also, ich hörte plötzlich ein Baby schreien und dachte wirklich ich spinne. Aber dann war mir doch irgendwie klar, dass das Geräusch echt war und ich bin automatisch zu diesem Container gegangen, dahin woher das Schreien kam. Und da habe ich dann das Baby gesehen. Ich habe meine Jacke ausgezogen und sie um das Baby gelegt, damit es nicht noch kälter bekommt. Wahrscheinlich habe ich ein bisschen überlegt, weil ich nicht wusste was ich tun sollte, nach der Frau schauen oder sofort das Kind ins Krankenhaus bringen. Aber es hätte ja sein können, dass die Frau noch lebt. Also hab ich das Baby auf den Boden gelegt und nach der Frau geschaut und festgestellt, dass sie tot ist. Da bin ich sofort los gerannt, hierher, und ja..." Monika stockte. Was sollte sie mehr erzählen? Es machte sie alles nervös, hinzu kam, dass ihr im Moment, so komisch es klang, dass Baby am wichtigsten erschien. Sie wollte eigentlich nur wissen, wie es dem kleinen Mädchen ging und ließ sich deshalb zu einem Gefühlsausbruch hinreißen, bevor die Polizeibeamten irgendetwas sagen konnten. "Bitte, ich will zu dem Baby. Ich muss unbedingt zu dem Baby." Mit verdutzten Augen wurde sie von den beiden Beamten angeschaut. Herr Kentner beschloss erst mal nicht darauf zu reagieren. Voreilig sein hatte noch nie zu der Aufklärung eines Falles beigetragen. Zu Hause in seinem stillen Kämmerlein wollte er sich weitere Gedanken darüber machen. Deshalb räusperte er sich nur und meinte: "Selbstverständlich dürfen Sie im Krankenhaus nachsehen wie es dem Kind geht. Aber es wäre nett wenn Sie sich verfügbar halten. Also bitte nicht in Urlaub fahren. Geben Sie uns bitte noch eine Telefonnummer und Adresse unter der wir Sie erreichen können, dann können Sie gehen." Frau Notalagy notierte die Angaben von Monika Lossen. Dann verließen die Beamten das Haus. Sie hatten nicht viel von Frau Lossen erfahren, und hatten auch nicht viel gefragt, aber es war auch sicher, dass sie wieder mit ihr sprechen würden. Und dass sie sich auch über sie informieren würden. Vorerst war jeder verdächtig. * „Na Marc, kommst du noch mit einen trinken, oder hörst du dir lieber das Gejammer deiner Freundin an?", fragten ein paar Arbeitskollegen. Ständig wurde Marc damit aufgezogen. Seit er einmal auf einem Betriebsfest von den privaten Schwierigkeiten mit seiner Freundin erzählt hatte. Mittlerweile bedauerte er das schon. Wie immer, lehnte er auch heute das Angebot auf einen gemütlichen Kneipenabend ab. Monika würde überrascht sein, wenn er ihr die Papiere für eine Adoption unter die Nase halten würde. Wie oft hatte sie ihn schon damit genervt. Tausende von Gesprächen hatten sie darüber geführt. Lange Zeit war er absolut dagegen gewesen, doch jetzt hatte er sich eines besseren besonnen. Warum nicht ein Adoptivkind? Monika würde endlich eine Aufgabe haben und nicht mehr nur gelangweilt zu Hause herumsitzen und sich ständig beklagen. Er hoffte, dass durch diese Wende in ihrer beider Leben, auch die Beziehung wieder einen Aufschwung bekommen würde.
Glücklich pfeifend, mit dem Gedanken und dem Glauben, dass ab sofort alles besser werden würde hüpfte er zu seinem Auto um den Heimweg anzutreten. Genauso fröhlich betrat er auch die gemeinsame Wohnung. Bei dem Öffnen der Haustür und dem Rufen nach Monika hallte nur eiserne Stille zurück. Selbst nach mehrmaligem Rufen ihres Namens erhielt er keine Reaktion. Seine Stimmung verdüsterte sich augenblicklich, als er sie auf dem Bett liegend, den Kater Maunzi im Arm, fand. „Du liegst im Bett?", fragte er resigniert. Sie weinte, was ihn wieder etwas friedlicher stimmte. „Hey, was ist denn los? Ist etwas passiert?" Seine Freundin stammelte etwas von Leichen und Babys, ein Durcheinander, das er beim besten Willen nicht verstand. Ein paar Mal versuchte er noch aus ihr herauszukriegen, was denn passiert war, aber keine Chance. Außer einem Gemurmel welches vermutlich nur ihr selber begreiflich war, reagierte sie nicht. Nicht auf seine Anwesenheit, nicht auf sein Zureden, auf nichts. Marc schüttelte den Kopf und verließ das Zimmer. Die Formulare für die Adoption landeten zwischen Essensresten und leeren Putzmittelflaschen im Eimer. Während Marc sich in der Küche seinen Frust von der Seele trank, streichelte Monika den Kater, und erzählte ihm in unverständlichem Geplauder die schrecklichen Erlebnisse des Tages. Maunzi war das egal, er schnurrte und hoffte darauf Milch abzukassieren. * 3 Monate vor dem Fund der Leichen: In einer Pizzeria die etwas abgelegen in der großen Stadt Bergendo lag wollten sich Lydia und Tom treffen. Das Erkennungszeichen sollte eine kleine rote Plastikrose, die beide bei sich trugen, sein. Lydia lugte unauffällig durch das Nebenfenster der Pizzeria. Doch bisher konnte sie niemanden mit dem entsprechenden Erkennungszeichen entdecken. Sie selbst hatte sich die Rose an der Bluse befestigt. Es war relativ neutral, wirkte aber passend. So als wäre die Rose ein Accessoires, das einfach dazu gehörte. Ob er überhaupt kommen würde? Es war das erste Mal das Lydia ihr Glück per Kontaktanzeige versuchte. Wenn sie mal in eine Disco gegangen war, hatte sie immer alleine verklemmt in der Ecke gestanden. Die andere Frauen tanzten und amüsierten sich. Manche, die aus Schüchternheit auch einfach nur so herumstanden, wurden wenigstens angesprochen. Nur sie nicht. Ob die Männer merkten, dass sie nur darauf aus war, sich jemanden fest zu angeln? Jemandem zum heiraten? Lydia konnte es einfach nicht verstehen. Es gab doch auch andere dicke Mädchen, Mädchen die nicht so gut aussahen, so wie sie, und die trotzdem einen Freund hatten bzw. einen Mann. Das erste und einzige Mal, dass sie mit einem Mann geschlafen hatte, war der Flop ihres Lebens gewesen. Am nächsten Morgen war der Mann fort und sie wusste nicht einmal seinen Namen. Sie wollte lieber nicht daran denken. Wieder lugte sie durch das Fenster. Neben ihr räusperte sich jemand. Erschrocken drehte Lydia sich um und blickte einem gutaussehenden Mann ins Gesicht, der eine Rose in der Hand hielt. Er stellte sich ihr als Tom vor. * Dirk Kentner und Sylvia Notalagy entschlossen sich nach dem Verhör noch auf einen Drink in eine nahe gelegene Kneipe zu gehen. Sie pflegten das bei ihren Fällen immer so zu tun, so konnten sie ihre Meinungen über Vernehmungen oder weitere Erkenntnisse sofort ausdiskutieren. Im Laufe der Zeit hatte sich gezeigt, dass sie so viel schneller Kleinigkeiten entdecken konnten, die sie anders vielleicht ganz übersehen hätten. Nachdem die Bedienung das Bier gebracht hatte und die Schweigsamkeit zwischen ihnen unerträglich zu werden schien, begann Sylvia.
"Bei anderen Fällen wissen wir immer recht schnell was wir darüber denken und können uns darüber austauschen, aber diesmal scheint es nicht nur mir schwer zu fallen. Sie klingt schuldig, oder?" "Ja, aber es wäre zu einfach. Irgend etwas hindert mich daran an ihre Schuld zu glauben. Sie will ein Kind, ja, sie interessiert sich sehr stark für dieses aber sie steht auch unter einem gewissen Schock. Es gibt so viele Möglichkeiten auf legalem Weg. Und wenn sie schon den illegalen Weg gehen wollte, warum hat sie sich dann nicht eine Leihmutter gesucht?" "Vielleicht wegen dem Geld. So eine Leihmutterschaft ist doch unbezahlbar." "Natürlich, es lässt sich alles immer drehen und wenden, aber es ist einfach noch zu früh diese Frau zu verurteilen. Wir sollten sie vorerst mal im Auge behalten, mal mit Bekannten von ihr sprechen und herausfinden ob sie dazu in der Lage sein könnte. Zuerst möchte ich mal abwarten, was sich sonst noch so ergibt und ihr Zeit lassen." Sylvia schaute sich während des Gesprächs mit ihrem Kollegen in der Kneipe um. Es war interessant die fremden Menschen zu beobachten. Jeder dieser Menschen hatte eine Geschichte, und einen Teil davon bekam man als Außenstehender mit, wenn man wollte. Man glaubte zumindest etwas mitzubekommen. Schon vor langer Zeit hatte Sylvia sich einen Spaß daraus gemacht, wenn sie alleine war, anderen bei ihren Gesprächen zuzuhören. Im Zug ging das einmalig. Sie fuhr zwar selten mit dem Zug, aber wenn sie die Gelegenheit bekam, lauschte sie den Gesprächen der fremden Menschen. Vom Nachbarschaftsstreit bis zu Beziehungsproblemen, es gab nichts, was die Leute nicht lautstark in die Welt hinausposaunten. Obwohl sie doch wissen mussten, dass jemand lauschte. Ob manche Menschen wollten, dass auch fremde Leute an ihrem Leben Anteil haben durften? Kamen sie sich dann besonders toll vor? Während Sylvia darüber nachdachte und ihre Augen durch die Wirtschaft kreisen ließ, machte sie eine schreckliche Entdeckung. Ausgerechnet in dieses Lokal musste ihr Exfreund nun kommen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Dirk, der nur den erschreckten Blick von Sylvia bemerkte, nicht jedoch ihre Gedanken erriet, fragte: "Was ist? Habe ich etwas falsches gesagt? Du bist ja ganz weiß im Gesicht." "Nein, ehm, tut mir leid", murmelte Sylvia und sah auf ihr Bier herunter. Doch auch das schnelle Wegschauen konnte sie nicht mehr retten. Ein mittelgroßer blonder Mann mit blauen Augen, halblangen Haaren und einer mageren Gestalt trat auf sie zu, Sylvias Exfreund. "Hallo Schätzchen." Dirk sah die Anspannung in Sylvias Gesicht. Sie erwiderte nichts auf die Begrüßung. Doch ihn schien das nicht weiter zu stören, zumindest konnte man ihm nichts ansehen. "Süße, ich muss mit dir reden." Als immer noch keine Reaktion von ihr kam: "Ehrlich. Es ist wichtig. Bitte lass uns über alles sprechen." Dirk konnte sehen wie Sylvia ihre Tränen zurückhielt. "Ich habe keine Zeit. Außerdem möchte ich in Moment nicht mit dir sprechen. Bitte gehe jetzt." "Ich kann es Dir wirklich erklären. Bitte. Ich muss einfach mit dir reden. Ich liebe dich." Dirk, der erkannte, dass Sylvia die Kraft fehlte sich mit diesem "miesen Typen", wie er ihn beurteilte, auseinander zu setzen, griff ein. "Sie haben doch gehört, dass sie momentan keine Zeit hat. Wir bearbeiten einen schwierigen Fall und der ist zur Zeit wichtiger." Thomas, Sylvias Exfreund, fehlte wohl der Mut es mit einem Kommissar aufzunehmen. "Ich rufe dich an", meinte er noch an Sylvia gewand bevor er verschwand. "Noch ein Bier?" fragte Dirk. Sylvia nickte.
"Es muss ja wirklich schlimm sein zwischen euch. Ich meine du hast ihm doch sonst immer alles verziehen." Eine Träne rollte über ihre Wange. "Entschuldigung, das wollte ich nicht. Du kannst dich bei mir aussprechen wenn du willst. Du weißt ja, dass ich ihn noch nie mochte, aber ich kann verstehen, dass es dir sehr weh tut. Immerhin ward ihr 5 Jahre zusammen. Ich möchte dir helfen. Wirklich." Dirk machte ein zerknirschtes Gesicht. Da war er wohl ins Fettnäpfchen getappt. Es tat ihm wirklich leid. "Ja, ich weiß. Das ist nett von dir. Aber es ist eine lange Geschichte." Dirk lächelte. "Ich habe Zeit. Heute Abend nach der Arbeit? Ich koche uns etwas." Da sie wusste wie gut er kochte, konnte sie das Angebot keinesfalls ablehnen. Er hatte bei Betriebsfesten oft zu sich nach Hause eingeladen, in einen großen Garten, in dem dann gegrillt wurde. Seine Frau, die wie er erzählt hatte, momentan in Kur war, hatte sich um die Salate gekümmert und für gute Stimmung bei den Gästen gesorgt. Sie hatte das Organisieren wirklich drauf. Sylvia war auf drei Festen bei Kentners gewesen, und alle drei waren von einem Megaerfolg gekrönt gewesen. Annette, Dirks Frau, hatte an dem letzten Fest erzählt was für ein begnadeter Koch ihr Mann sei. Sie selber müsse nur ganz selten mal kochen. Und lachend hatte sie zum besten gegeben, dass das auch gut so sei. "An dir ist ein Koch verloren gegangen, da lehne ich bestimmt nicht ab." Nachdem der Verlauf für den Feierabend geklärt war fuhren sie ins Revier zurück. Dort wurden sie schon gleich von ihrem Vorgesetzten, Herrn Dollting, erwartet. "Sie haben mit der Frau gesprochen welche die Leiche gefunden hat?" "Ja", antwortete Dirk. "Eine Frau Monika Lossen. Man kann aber noch nicht viel sagen, wie Sie sich sicher denken können. Sie wollte unbedingt zu dem Baby ins Krankenhaus und ich habe sie dann auch gehen lassen, natürlich mit der Auflage, dass sie in der Nähe bleibt. Es ist zwar ungewöhnlich, aber ich hielt es für das Beste. Sie können ja alles im Bericht nachlesen." "Ja, ja" erwiderte Dollting. "Ich wollte ihnen beiden auch nur ein paar neue Erkenntnisse mitteilen. Dass Sie ihre Arbeit gut machen und dass das alles nicht so schnell geht ist mir schon klar. Sie wissen ja, dass ich ihnen in solchen Dingen keine Vorschriften mache. Hauptsache der Fall wird geklärt. Aber nun zu den Fakten: Die Leute von der Spurensicherung haben einen Geldbeutel bei der toten Frau gefunden. Das ist an für sich nichts ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist nur, dass sie 2.500,00 € bei sich trug. Die Tote hieß Dorothee Lavalle. Sie wissen was zu tun ist?" Die beiden Ermittelnden nickten und verzogen sich in ihr eigenes Büro. Dort lagen schon die Unterlagen für sie bereit, wozu der Personalausweis der Frau gehörte. Dorothee Lavalle, Königsstraße 19, Bergendo. "Sie hat noch nicht mal in Northigia gewohnt, dort wo sie umgekommen ist", stellte Sylvia fest. "Na dann mal auf zur Königsstraße. Vielleicht können uns die Nachbarn ein bisschen was über die gute Frau erzählen. Oder ihr Lebensgefährte." Die beiden stiegen in Dirks alten Golf und brausten zur Königsstraße. Schon von außen machte die Hausnummer 19 einen teuren Eindruck. Ein großer, gepflegter Vorgarten mit überdachtem Swimmingpool ließ auf viel Geld der Inhaber des Hauses schließen. Dirk drückte pausenlos auf die Klingel, aber keine Reaktion. Der Lebensgefährte, wenn sie denn einen hatte, war nicht da. "Die ist schon den ganzen Tag heute nicht da", hörten sie eine Stimme neben sich. Eine Nachbarin, die ihnen einen misstrauischen Blick zuwarf. "Kentner" stellte er sich vor. "Das ist meine Partnerin, Frau Notalagy. Wir sind von der Kriminalpolizei."
Ein erschrockenes Gesicht. "Ist etwas passiert?" "Das möchten wir lieber nicht auf der Straße besprechen. Dürfen wir zu Ihnen hereinkommen?" Die Nachbarin nickte. Sie führte sie in ein schickes Wohnzimmer, das geschmackvoll, aber nicht unbedingt teuer eingerichtet war. "Aber bitte nehmen Sie doch Platz". Sie wies auf ein schwarzes Ledersofa. "Möchten Sie etwas trinken? Kaffee und Kuchen?" Die Besucher lehnten ab. Dann nahm auch die Nachbarin Platz, auf einem der beiden schwarzen Ledersessel. Sylvia sah sich aufmerksam in dem Zimmer um. An der Wand hingen private Fotos. Man konnte die Frau bei der sie saßen, wie hieß sie eigentlich?, und einen Mann darauf erkennen. Vermutlich ihr Ehemann. Er schien in demselben Alter zu sein, so um die fünfzig. Die Frau schien außerdem Blumen zu lieben, das Zimmer war durchgängig damit geschmückt. Selbst in dem Bücherregal konnte Sylvia Schriftwerke über Blumenpflege entdecken. Die Frau wirkte angespannt und nervös. Sylvia wusste, dass es witzlos war, die Frau so zu befragen. Dafür war sie viel zu befangen. Irgendwie musste sie es schaffen ein unbefangenes Gespräch anzufangen und Vertrauen aufzubauen. Mit einem gezückten Notizbuch, das war ihr klar, würde ihr das ganz sicher nicht gelingen. Die Nachbarin sah ängstlich von einem zum anderen. "Wie heißen Sie denn?", fragte Sylvia. "Claudia Maier." "Sie lieben Pflanzen, oder?" Für einen Moment konnte Sylvia den Glanz in Frau Maiers Augen sehen. "Ja, es ist fast als hätte man Kinder oder ein Haustier. Man trägt die Verantwortung für die Schönheit der Blumen. Wasser, Liebe und ein bisschen Gespräch, das ist es was sie brauchen." "Das bekommen sie bei Ihnen, das sieht man." Ein nettes Lächeln von Frau Maier. "Wissen Sie, seit mein Mann tot ist sind die Blumen das einzige was ich noch habe. Mit ihnen kann ich über alles reden. Sie hören mir zu, nicht wie die Menschen. Es ist nicht so wie wenn man beim Arzt sitzt, oder wie mit den Nachbarn..." Frau Maier unterbrach sich und schluckte. Ihr fiel der eigentliche Grund des Besuches der Kriminalpolizei wieder ein. ‚Mist’, dachte Sylvia. "Ich weiß was Sie meinen, mit ihren Blumen können Sie über alles sprechen, wahrscheinlich so wie früher mit ihrem Mann." Damit war Frau Maier schnell wieder in ihrem Element. "Es war so schön als mein Mann noch gelebt hat. Er ist vor einem Jahr an einem Herzinfarkt gestorben, wohl weil er zu viel gearbeitet hat. Er war Filialleiter eines kleinen Lebensmittelladens und das war ihm sehr wichtig. Erfolg war ihm wichtig. Wissen Sie, uns beiden war Erfolg sehr wichtig. Ich habe Krankenschwester gelernt, aber mir hat es nie gereicht die Leute einfach nur zu pflegen. Ich wollte mehr erreichen. Also habe ich Fortbildungen gemacht, alle Weiterbildungen die ich bekommen konnte. Ja, ich habe einfach jede Chance genutzt die sich mir bot. Als ich fast 30 Jahre alt war bot man mir die Leitung der Abteilung an, ich durfte also Stationsschwester werden. Das war der Höhepunkt meiner Karriere. Privat stand ich da allerdings vor der Entscheidung meine Karriere auf den höchsten Stand zu bringen, oder ein Kind zu kriegen und das langweilige Hausmütterchen zu spielen. Mein Mann hätte, glaube ich, ganz gerne gehabt, dass ich Kinder bekomme und zu Hause bleibe. Aber mir war mein Beruf damals wichtiger." Bedächtig nickte Frau Maier mit einem traurigen Blick, der verriet, dass sie sich mit ihren Gedanken momentan mehr in der Vergangenheit befand als in der Gegenwart.
"Bereuen Sie es mittlerweile?", fragte Dirk. Frau Maier zuckte mit den Achseln. "Ich weiß nicht. Ich weiß noch, wie wichtig es mir damals war so einen verantwortungsvollen Job zu übernehmen. Aber ein Kind großzuziehen bedeutet auch Verantwortung, dass weiß ich jetzt. Und jetzt im Alter... Ich sehe es an den anderen alten Frauen. Sie sind Oma und freuen sich über ihre Enkelkinder. Oder wenn nicht Oma, dann doch wenigstens Mutter. Mütter haben das Privileg sich immer um ihre Kinder kümmern zu dürfen. Zumindest in einem gewissen Sinn. Man kann für seine Kinder da sein, hat jemanden zum Reden, der einem wirklich zuhört und meistens, denke ich, auch versteht. Als Mutter kann man an dem Leben seiner Kinder teilhaben, das hält alte Eltern jung. Man fühlt sich dann als würde man selbst in der Phase stecken in der das Kind gerade steckt, egal wie alt es dann auch schon sein mag. Vielleicht bereue ich es, aber erst jetzt, damals nicht. Für den damaligen Zeitpunkt war meine Entscheidung richtig. Das ist schwer zu verstehen, oder?" Sylvia versuchte ein verständnisvolles Gesicht zu machen, obwohl sie überhaupt keine Lust mehr hatte die "arme" Frau aufzubauen. Viel lieber wäre sie zu dem Kern der Sache vorgedrungen und hätte sich dabei ihrem Feierabend genähert. Ein Abendessen mit Dirk reizte sie mehr als ein langweiliges Gespräch über die Frage was wichtiger war, Karriere oder Kinder. Sylvia wusste, dass sie in Dirk einen tollen Zuhörer und kompetenten Berater hatte. Er würde sie verstehen, obwohl dass, was sie privat durchgemacht hatte, kaum zu verstehen war. Wenigstens wusste sie, dass sie nicht die einzige weibliche Person war, die sich von einem Mann so fertig machen ließ. Na ja, dachte Sylvia, jetzt muss ich erst mal meine Arbeit hinter mich bringen. Noch ein kleines bisschen Smalltalk führen, dann könnte sie es wohl wagen auf den eigentlichen Besuch bei Frau Maier zurückzukommen. "Nein, Frau Maier, wenn man sich in ihre Lage versetzt ist es nicht schwer zu verstehen. Die Menschen handeln meistens nach dem jeweiligen Bedürfnis. Sie haben es damals gut abgewägt, was Ihnen wichtig ist und was nicht. Vor der Entscheidung steht jeder Mensch. Und alles hat seine Vor- und Nachteile. Stört es Sie, wenn wir jetzt über Frau Lavalle sprechen? Ich würde gerne mitschreiben, wenn ich darf." "Schreiben Sie nur. Was ist denn eigentlich passiert?" Dirk antwortete: "Frau Lavalle ist tot in einem Müllcontainer in Northigia aufgefunden worden." Frau Maier wurde kalkweiß im Gesicht und stotterte: "Was? Sie ist was? Aber, aber, das kann doch nicht, und das Kind? Ich, aber." "Ich weiß, das ist jetzt schlimm für Sie und vielleicht auch unglaublich. Sie haben ja lange neben ihr gewohnt. Oder? Aber beruhigen Sie sich. Dem Baby geht es gut, es ist noch im Krankenhaus. Es wird in ein Heim kommen sobald es wieder voll auf den Beinen ist. Sie können nur noch eines für ihre Nachbarin tun, nämlich uns helfen. Uns helfen den Mörder zu finden." "Ich kann nicht glauben, dass, ich meine wer sollte denn so was tun? Ich glaube das einfach nicht. Mörder? Es, ach ich weiß nicht, es kommt mir vor wie in einem schlechten Film." "Tja, nur leider ist es kein Film." "Aber woher soll ich denn wissen?" Sie stockte. "Wie kann ich Ihnen denn helfen?" "Sie können uns etwas über Frau Lavalle erzählen. Kleinigkeiten sind oft sehr wichtig. Und für uns ist es wichtig, dass wir uns ein Bild von Frau Lavalle machen können. Wir müssen wissen wie sie gelebt hat, was für ein Mensch sie war und ob es irgend jemanden gibt der ein Interesse daran hatte sie umzubringen." "Ich weiß nicht, ich bin zu durcheinander. Ich habe einen Schlüssel von der Wohnung. Wenn Dorothee, ich meine Frau Lavalle, in Urlaub war, habe ich die Blumen gegossen und so."
"Aber dann müssen Sie sie doch recht gut gekannt und sich gut mit ihr verstanden haben. Man gibt ja nicht irgend einem Nachbarn den Schlüssel zu seiner Wohnung. Also ich würde das bei meinem Nachbarn nicht tun." "Nein, so kann man das nicht sagen. Wir hatten ein normales Nachbarschaftsverhältnis. Wir haben mal zusammen Kaffee getrunken und Kuchen gegessen und dann halt ein bisschen geredet. Aber wir waren nicht die besten Freundinnen." "Dann haben Sie also von allen ihren Nachbarn die Schlüssel?" "Nein, Dorothee hat es damals meinem Mann angeboten und als er gestorben ist habe ich den Schlüssel behalten." "Und Frau Lavalle wollte den Schlüssel nicht zurück? Verstand sie sich so gut mit ihrem Mann? Hatte sie zu ihm ein besseres Verhältnis, ich meine mehr als nur ein Nachbarschaftsverhältnis? Wenn sie ihm die Schlüssel gibt und nicht Ihnen." "Was wollen Sie damit sagen? Mein Mann hatte mich und seine Arbeit. Es war ein reines Nachbarschaftsverhältnis, genau wie bei mir. Es war einfach nur Zufall, dass sie ihm den Schlüssel gegeben hat, und nicht mir. Ich weiß nicht mehr warum. Vielleicht hat sie ihn gerade gesehen, als sie vorhatte uns einen Schlüssel zu geben. Bevor sie es vergessen würde, hat sie ihm den Schlüssel gegeben. Ich habe mir damals keine Gedanken darüber gemacht und werde es auch heute nicht tun." Manchmal musste man die Menschen unter Druck setzen um etwas von ihnen zu erfahren. Oft verplapperten sich die Zeugen, die sie vernahmen, oder sagten mehr als sie wollten, wenn sie in die Ecke gedrängt wurden. So wie sie es jetzt mit Frau Maier gemacht hatten. Trotzdem glaubte Dirk diesmal zu weit gegangen zu sein und versuchte Frau Maier wieder zu beruhigen. "Wir verdächtigen Sie nicht, Frau Maier. Wir wollen weder Ihnen noch Ihrem Mann irgendetwas unterstellen. Sie sollen uns einfach nur helfen. Aus dem heraus was Sie uns erzählt haben, habe ich das Gefühl, dass Sie Frau Lavalle ganz gut gekannt haben. Zumindest kannten Sie sie besser als manch anderer Nachbar. Ich will es Ihnen genau erklären: Sie sprachen sich mit Vornamen und Du an, Frau Lavalle gab Ihnen die Haustürschlüssel. Das heißt sie hat Vertrauen zu Ihnen gehabt. Und dieses Vertrauen kann sie nur aufgebaut haben weil sie Sie nicht nur oberflächlich kannte." "Also für mich ist es ein ganz normales Nachbarschaftsverhältnis", erklärte Frau Maier nun wieder etwas ruhiger. "Sie hat doch sonst niemanden gehabt dem sie hätte die Schlüssel geben können." "Keine Verwandten, Eltern, Geschwister?" "Ihre Eltern sind schon beide tot. Ansonsten hat sie noch einen Bruder, aber sie hat keinen sehr guten Kontakt zu ihm." "Hatte Sie Krach mit ihrem Bruder? Hat sie irgend etwas darüber erzählt?" "Nein, sie hat sehr selten etwas erzählt. Nur einmal, weil sie sich da so sehr geärgert hat. Er wollte sich scheinbar wieder einmal Geld von ihr leihen, das tut er öfter, und sie wollte nicht. Dorothee meinte, wenn er Geld wolle, solle er doch arbeiten gehen. Es muss wirklich ein riesiger Krach gewesen sein." "Haben Sie die Adresse von ihrem Bruder? Und wie lange ist das her mit dem Streit?" "Bestimmt schon ein Jahr. Ja, die Adresse, hm, die müssten wir drüben in Dorothees Haus finden. Sie hat alles genau in ihrem Telefonverzeichnis aufgeschrieben. Ich habe ihr damals beim Eintragen geholfen, deshalb weiß ich es so genau." "Sie haben ihr geholfen? Warum? Waren es so viele Adressen?" Frau Maier lachte. "Nein, sie hatte sich einen Arm gebrochen und kam alleine nicht so gut zurecht. Da hat sie mich gefragt ob ich ihr ein bisschen unter die Arme greifen kann."
"Haben Sie ihr dann auch im Haushalt geholfen?" "Nicht direkt. Ich habe mittags mehr gekocht und habe ihr dann von unserem Essen etwas gebracht. Das dreckige Geschirr hat sie mir dann wieder gebracht, aber das war es auch schon. Bis auf die Adressen. Aber das sind auch nicht so viele." „Haben Sie eine Ahnung wer ein Interesse daran gehabt haben könnte sie umzubringen?" Frau Maier zuckte die Achseln. „Nein." "Na dann würde ich sagen schauen wir uns mal das Haus an." Frau Maier kramte den Schlüssel aus einer Schublade, die nicht sehr benutzt aussah, und sie gingen zu dritt zu dem Haus der Toten. Claudia Maier sperrte auf. Sie betraten einen hellen Flur. Die Inneneinrichtung wirkte genauso teuer wie es von außen ausgesehen hatte. Das Haus war riesig groß, teure moderne Möbel, und kein Staubkörnchen zu sehen. "Hatte Sie eine Haushaltshilfe?" "Ja, aber die kommt nur einmal in der Woche." Im Keller des Hauses befand sich eine Sauna und ein Fitnessraum. Vom Laufband, über Rudergerät, Stepper, Fahrrad und richtigen Muskelaufbaugeräten war alles vorhanden. "Muss das ein Geld gekostet haben", entfuhr es Sylvia. Dann gingen sie weiter, nach oben, in den Raum in dem das Telefonregister zu finden war. "Ich frage mich, woher sie sich die Zeit für das alles nahm. Hat sie eigentlich gearbeitet?" "Ja", antwortete Frau Maier "bevor sie das Kind hatte. Sie war Sozialpädagogin, hat bei der Drogenberatung gearbeitet." "Was ist eigentlich mit ihrem Mann, ich meine Frau Lavalles Mann, wo ist der?" Frau Maier zuckte die Achseln. "Sie hatte keinen Mann bzw. Lebensgefährten. Und ich glaube sie wollte auch keinen. Zumindest wüsste ich nichts davon." "Von wem ist denn dann das Kind?" Wieder zuckte Frau Maier mit den Achseln. "Tut mir leid, aber ich weiß es nicht. Ich würde Ihnen gern helfen, aber solch anonyme Fragen habe ich mit ihr nicht besprochen." Dirk fragte nicht weiter nach, er hätte auch nicht gewusst, was er hätte darauf erwidern sollen. Es war doch eine sehr wichtige Frage die es noch zu klären galt: Wer war der Vater des Kindes? Vielleicht war das die wichtigste Frage überhaupt. "Schauen wir mal nach der Adresse des Bruders, vielleicht kennt er ja den Vater des Kindes." Frau Maier nickte und schlug das Telefonregister auf. Sie schlug es gleich unter dem Buchstaben "L" auf. Mehrere Notizen waren darunter eingetragen. Als erstes Lavalle Fabian. "Das ist wohl ihr Bruder", meinte Sylvia. Frau Maier nickte bestätigend, worauf Sylvia sich die Adresse notierte. Des weiteren war ein Lesty Christoph eingetragen. "Wer ist das?" wollte Dirk wissen. "Ihr Arzt. Sie hatte öfter Kopfschmerzen und nachts Probleme mit dem Einschlafen. Außerdem litt sie an Diabetes. Dr. Lesty ist der beste Arzt hier in der Gegend. Fast jeder geht zu ihm. Es ist allerdings sehr schwer einen Termin zu bekommen. Und beruflich hatte sie auch mit ihm zu tun." Als letztes war eine Linde Regina eingetragen. Bevor die beiden Beamten fragen konnten wer das sei sagte Frau Maier: "Das ist ihre beste Freundin. Sie ist sehr oft bei ihr." "Warum hat Frau Lavalle dann nicht ihr einen Schlüssel für das Haus gegeben?" „Das hätten Sie sie schon selber fragen müssen."
Dirk und Sylvia ließen einen letzten Blick durch das Zimmer gleiten bevor sie sich verabschiedeten. * Claudia Maier grinste vor sich hin nachdem die Beamten das Haus verlassen hatten. Mittlerweile hatte sie sich in ihre eigenen vier Wände zurückgezogen. Sie dachte nach. Dass Kriminalbeamte manchmal so leichtgläubig waren. Ja, vieles was sie ihnen erzählt hatte stimmte, aber ohne aufzufallen, hatte sie ihnen auch eine Menge verschwiegen. Etwas verschwiegen, was die Beamten wohl als wichtig erachtet hätten. Warum sollte ausgerechnet sie weiterhelfen? Sie hatte Dorothee nicht gemocht, nicht nachdem was alles passiert war. Dabei waren sie anfangs die besten Freundinnen gewesen. Nur bei ihr selbst, bei Claudia, schien immer alles schief zu laufen. Sie hätte niemals geboren werden sollen, das hatte sie schon so oft gedacht. Geboren um so viel Leid durchzustehen. Ihre Eltern hatten sie nicht gewollt, ein Unfall, wie er bei so vielen Paaren vorkam. Nur dass andere Paare sich damit abfanden, und ihr Kind, sobald es auf der Welt war trotzdem liebten. Bei ihren Eltern war es anders gewesen. Immer und immer wieder hatten sie ihr vorgehalten wie nutzlos sie war, und dass sie das Leben ihrer Eltern zerstören würde. Windeln wechseln statt Disco und Party. Claudias Mutter, ein absoluter Lebemensch, der nichts von Aufräumen, Sauber machen und Wäsche waschen gehalten hatte, hatte sich gedacht, wenn schon ein Kind dann sollte es wenigstens etwas tun. So bald Claudia alt genug gewesen war, hatte die Arbeit auf ihr gelastet. Ihr Kinderleben hatte darin bestanden eine perfekte Hausfrau zu sein. Wenn sie dann mal in der Schule eine schlechte Note gehabt hatte, hatte es heftige Prügel vom Vater gesetzt, der natürlich schlau genug gewesen war, seine Schläge so zu setzen, dass sie vor der Öffentlichkeit verborgen geblieben waren. Mit 15 Jahren hatte Claudia ihren jetzt toten Mann Horst kennen gelernt. Klar hatte sie in ihm die absolute Zuflucht gesehen. Er war für sie der Retter in der Not gewesen. Endlich hatte sie auch einmal Spaß haben können, hatte weggehen dürfen und hatte erkannt was Leben bedeutete. Ihre Eltern hatten Horst gemocht. Claudia hatte nie verstanden warum. Der einzige Grund der ihr eingefallen war, war dass ihre Eltern sie los waren. Ihr war das damals egal gewesen und sie hatte auch nicht weiter darüber nachgedacht. Sie hatte ihren Märchenprinzen gefunden und wollte ihn nie mehr gehen lassen. Mit der Einwilligung ihrer Eltern hatte sie ihn dann bereits mit 16 Jahren geheiratet. Horst hatte ihr so viel ermöglicht. Ihm war Karriere sehr wichtig gewesen und er hatte das auf sie übertragen. Erst später war ihr klar geworden wie wichtig es war einen guten Schulabschluss zu machen und einen anständigen Beruf zu lernen. Da sie sozial eingestellt war, aber nicht scharf darauf noch das Abitur nachzumachen, hatte sie sich für den Beruf der Krankenschwester entschieden. Es hatte ausgesehen als würde es jetzt nur noch aufwärts gehen. Aber wie das Leben so spielte, so war es nicht. Horst hatte sich nach der Ehe sehr schnell zu einem totalen Macho entwickelt. Es war nichts mehr zu sehen gewesen von dem damaligen Märchenprinzen. Wie auch ihre Eltern hatte er begonnen ihr den Haushalt komplett alleine aufzuerlegen. Jeden Mittag ein tolles Essen, bloß kein Fastfood und das in einer kurzen 2stündigen Mittagspause. Doch auch sie war nur ein normaler Mensch, der keine Wunder vollbringen konnte. Sie hatte sich bemüht ein halbwegs anständiges Essen zuzubereiten, dass seinen Ansprüchen genügt hatte und hatte ihn mit was richtigem, wie einem 3-Gänge-Menü auf den Abend vertröstet. Während er sich dann mit vollem Bauch vor dem Fernsehen vergnügt hatte, hatte sie den Abwasch erledigen, die Wäsche waschen und die Betten überziehen dürfen. Für die Überstunden die sie im Krankenhaus hatte leisten müssen, vor allen Dingen die Nachtschichten, war Claudia dankbar gewesen. Das Krankenhaus, dass war es was sie aufrecht
erhalten hatte. Vor allen Dingen die Nachtschichten hatte sie als angenehm empfunden. So hatte Horst sie nicht mit ihren ehelichen Pflichten genervt. Er war total süchtig nach Sex gewesen. Mindestens drei Mal am Tag hatte er seinen Spaß gebraucht. Und mit "seinem Spaß" war es wirklich auf den Punkt gebracht, denn sie hatte überhaupt nichts davon gehabt. Er war nicht mal auf die Idee gekommen, dass es auch so etwas wie Zärtlichkeit und ein Vorspiel gab. Wenn er Lust gehabt hatte, hatte er sie aufs Bett gezogen, sie auf die Couch geworfen, oder dorthin wo es ihm gerade beliebt hatte, ihr ungeduldig die Kleider vom Leib gezogen und war in sie eingedrungen. Ihm war es egal gewesen ob sie Lust hatte oder etwas dabei empfand. Nur er war wichtig gewesen. Doch in ihrer Phantasie gab es immer noch den perfekten Ehemann. Claudia brauchte ihre Traumwelt um weiter leben zu können. In ihrer Traumwelt war Horst der perfekte Mann, und so gab sie es auch an Außenstehende, wie z. B. die Polizei, weiter. Ob er ein Verhältnis mit Dorothee gehabt hatte? Claudia wusste es nicht, aber vorstellen konnte sie es sich schon. Aber es war nicht nur der Hass auf ihren toten Mann der sie dazu veranlasst hatte zu lügen. Nein, auch Dorothee, war nicht die Unschuld vom Lande. Als sie zugezogen war, hatte sie erst einmal einen sehr positiven Eindruck hinterlassen. Sobald ihr Haus eingerichtet worden war, und sie einzog, kam sie vorbei und stellte sich ihnen vor. Sie hatte zu Kaffe und Kuchen eingeladen und gleich darauf hingewiesen, dass ihre Nachbarn sie jederzeit um einen Gefallen bitten dürften, und sie sich ein freundschaftliches Verhältnis wünsche. Das freundschaftliche Verhältnis war auch entstanden. Claudia hatte sich ganz toll mit ihrer neuen Nachbarin verstanden. Schon beim ersten Besuch, bei Kaffee und Kuchen, war zu erkennen gewesen wie viel Geld Dorothee besaß. Dorothee hatte ihnen zuerst ihr neu eingerichtetes Haus gezeigt, dass nur vom allerfeinsten gewesen war. Es war einfach alles vorhanden gewesen, was man bei jemandem erwartete der Geld hatte. Vom Fitnesskeller bis zur Sauna und den besten Designermöbeln. Doch Claudia war nicht neidisch gewesen auf das viele Geld. Sie hatte selbst gut gelebt mit ihrem Gehalt und dem ihres Mannes, zumindest was die Finanzen anging. Im Gegenteil, sie hatte das Gefühl eine Freundin gefunden zu haben, jemandem mit dem sie reden konnte. Dorothee hatte einen so netten Eindruck gemacht, aber wie leicht es doch war sich in den Menschen zu täuschen. Claudia hatte lange für diese Erkenntnis gebraucht. Jahrelang war sie zu der Nachbarin gegangen und hatte sich mit ihr in den unteren Räumen amüsiert, dort wo Fitness einfach nur Spaß machte. Nicht ein Ort an dem man sich blamierte, weil man nach zwei Minuten auf dem Laufband keine Luft mehr bekam. Denn so war es Claudia anfangs ergangen. Als sie das erste Mal in ein Fitnesscenter gegangen war um Leute kennen zu lernen und ihr Selbstvertrauen aufzubauen. Klar, niemand hatte ihr offen ins Gesicht gelacht, aber das heimliche Kichern der Jugendlichen in der Ecke, die immer wieder zu ihr hinschauten, hatte ihr gereicht. Das Geld war zum Fenster herausgeschmissen. Bei Dorothee war das alles ganz anders gewesen. Schon sehr schnell nach dem ersten Kennen lernen hatte sie Claudia eingeladen mit ihr zusammen zu trainieren. Claudia war es peinlich gewesen und sie hatte Angst sich bei der neuen Nachbarin genauso zu blamieren wie im Fitnesscenter. Trotzdem hatte sie den Versuch gewagt, war in Sportkleider gehüpft und hatte sich zum zweiten Mal in ihrem Leben auf ein Laufband getraut. Wie vorauszusehen hatte sie nach zwei Minuten nach Luft gehechelt und hatte Pause machen müssen. Doch kein Gelächter, im Gegenteil, Dorothee hatte sie ermuntert weiterzumachen. "Das geht jedem am Anfang so. Mach einfach weiter. Irgendwann läufst Du wie ein Profi, eine Stunde am Stück oder so. Glaub mir, du darfst nur nicht aufgeben." Und Claudia hatte nicht aufgegeben. Jeden Tag war sie zu Dorothee gegangen und hatte trainiert. Nach drei Monaten hatte sie es geschafft. Es war unglaublich, aber sie konnte ohne zu hecheln eine Stunde am Stück laufen. Ja, so war die erste Zeit mit Dorothee gewesen. Einfach toll. In so
einer schönen Zeit dachte man, dass es ewig so weitergehen würde. Aber was sie sich dann geleistet hatte machte alles kaputt. Irgendwann war Dorothee wie besessen von der Idee gewesen ein Kind zu bekommen. Doch einen Mann, nein, den hatte sie nicht gewollt. Höchstens für eine Nacht. Ihr hatte es aber auch nicht gelegen in der Nacht herum zu laufen und sich irgendeinen Typen zu angeln. Dorothee hatte Geld gehabt, nicht schlecht ausgesehen und sie hatte immer nur das Beste gewollt. Sie hatte zu den Menschen gehört, die glaubten mit Geld alles erreichen zu können. Wenn es um so etwas Wichtiges wie ein Kind ging sowieso. Deshalb hatte sie einen Mann gebraucht, von dem sie wusste, dass er anständig war, der dem Kind auch etwas mitgeben konnte. Und es war nur Zufall, dass sie, Claudia, das unmoralische Angebot mitbekommen hatte. Sie konnte sich noch ganz genau an den Tag erinnern. Vor 1 1/2 Jahren, es war März und für den März schon recht warm, hatte sie gehört wie ihr mittlerweile verstorbener Mann Horst sich mit Dorothee unterhalten hatte. Eigentlich hatte sie nicht lauschen wollen, sondern hatte Horst etwas fragen wollen. Doch irgendein Gefühl hatte sie davon abgehalten gehabt. Kurz bevor sie die beiden erreicht hatte, war sie stehen geblieben, hatte sich hinter einem Baum versteckt, und dem Gespräch gelauscht. "Ich weiß, dass ich dich jetzt etwas frage was vielleicht nicht ganz richtig ist. Das heißt ich muss mich zuerst vergewissern, dass das ganze unter uns bleibt. Es ist wirklich sehr wichtig. Du musst es mir versprechen." "Natürlich. Ich schweige wie ein Grab." "Auch Claudia darf nie etwas davon erfahren, okay?" "Ja, ich habe doch gesagt, sobald du mir dein großes Geheimnis erzählt hast habe ich es auch schon vergessen." Dorothee hatte gelacht. "Na ja, vergessen sollst du es nicht direkt, du sollst mir helfen." "Ja, ja, du machst mich wirklich neugierig. Ich schwöre dir bei allem was mir lieb und heilig ist, kein Wort wird über meine Lippen kommen." "Du hast bestimmt schon von meinem Wunsch gehört, ich möchte gerne ein Kind. Hat Claudia dir es erzählt?" "Ja, wo ist das Problem? Suche dir einen Mann und schwups kannst du ein Kind haben. Ich wünschte meine Frau würde so denken. Aber ihr ist die Karriere wichtiger. Dabei hätte ich so gerne einen Nachkömmling." "Ja, man will irgendwie das etwas von einem selbst auf dieser Welt weiterleben kann, nicht? Aber, so leicht ist das alles nicht. Ich will ein Kind, ja, aber keinen Mann." "Dürfte doch auch nicht so schwer sein", hatte Horst gegrinst. "Du verstehst das wohl nicht richtig. Ich will nicht irgendeinen Vater für mein Kind, er muss auch etwas haben. Intelligent sein, gut aussehen. Verstehst du? Ich kenne nicht viele Männer, die meisten die ich kenne sind... Na ja, wie soll ich es erklären? Ich glaube du verstehst was ich will, oder?" Horst hatte verblüfft geschaut, es aber nicht geschafft etwas zu erwidern, sondern nur langsam den Kopf geschüttelt. "Ach komm, ich möchte, dass du der Vater meines Kindes wirst. Es soll ja keiner wissen. Du schläfst mit mir bis es geklappt hat und hast nachher mit der Sache nichts mehr am Hut. Es wird nie jemand erfahren. Und wir haben dann doch beide irgendwie was wir wollten, oder nicht? Du willst doch auch einen Nachkömmling, zumindest hast du das eben gesagt. Nur du weißt, dass er von dir ist, und ich natürlich. Außerdem werde ich dich selbstverständlich anständig dafür bezahlen." Totenstille ... Doch Dorothee hatte weiter versucht ihm die Vorteile schmackhaft zu machen. "Es mag für dich jetzt unmoralisch oder so erscheinen. Aber es wird dir auch Spaß machen, das
garantiere ich dir." Dabei hatte sie anzüglich gelächelt und ihn einen Blick in ihre Bluse werfen lassen. "Okay, du brauchst ein bisschen Zeit. Ich kann das verstehen. Denke einfach mal über mein Angebot nach, ich biete dir 100.000 €." "Ich habe genug Geld um gut zu leben. Ich, ich meine, natürlich würde es mir Spaß machen mit dir zu schlafen, aber ich bin verheiratet. Es ist einfach verwerflich. Vor allen Dingen wenn es nicht nur um eine Affäre geht, es ist wirklich, ich finde gar keine Worte dafür." Dorothee hatte gelächelt. "Ja, es ist jetzt erst mal schwer, und ich verstehe auch, dass du mir noch nicht gleich eine Antwort geben kannst. Lasse dir ruhig Zeit, sage ich ja." Claudia hatte nicht weiter zugehört. Sie hatte nicht auf eine Erwiderung ihres Mannes gewartet. Vielleicht hätte sie es machen sollen, aber sie hatte nicht die Kraft dazu gehabt. Okay, er hatte im ersten Moment abgelehnt, aber woher sollte sie wissen ob das Kind nicht doch von ihm stammte? Für ihn musste es der totale Anreiz gewesen sein: Mit einer hübschen Frau schlafen und sich einen Traum erfüllen den er schon immer gehabt hatte. Nein, Claudia wusste bis heute nicht ob die beiden ein Verhältnis miteinander hatten und sie würde es auch nie erfahren. Sie wünschte sich, dass es nicht so war. Sie wollte es einfach nicht wahr haben. Doch nicht ihr Mann. Er hatte doch sie geheiratet, hatte geschworen sie für immer zu lieben. Da konnte er doch nicht so klammheimlich mit einer anderen ein Kind zeugen. Claudia gönnte ihnen den Tod, ihnen beiden. Horst weil er sie immer so schlecht behandelt hatte und für die Ungewissheit die sie durchleiden musste. Und Dorothee, das entbehrte jeder Erklärung. Wie konnte man eine Freundin nur so enttäuschen? Claudia hatte es sich nicht verkneifen können Dorothee ihre Verachtung spüren zu lassen. Nachdem sie dieses Gespräch mit angehört hatte war nichts mehr so wie früher. Doch sie hatte sich nicht getraut, Dorothee sozusagen ihre beste Freundin, zumindest war es vorher so gewesen, darauf anzusprechen. Sie war ihr einfach aus dem Weg gegangen. Immer wieder hatte sie neue Ausreden erfunden, warum sie nicht vorbei kommen konnte, keine Zeit mehr hatte. Ein paar Mal hatte Dorothee gefragt ob irgendetwas nicht stimme, ob sie helfen könne oder irgendetwas gesagt oder gemacht habe was ihr, Claudia, nicht gefalle. Doch Claudia war immer gekonnt ausgewichen. Ob Dorothee etwas geahnt hatte? Vielleicht, aber nie hatte jemand etwas gesagt, bis zu dem Tag als sie das Kind hatte. Da hatte Claudia einfach nicht mehr gekonnt. Dorothees Schwangerschaft war nicht leicht zu erkennen gewesen, aber Claudia hatte auch nicht so darauf geachtet. Meistens hatte Dorothee sehr weite Sachen an, einen richtig fetten Bauch hatte sie nicht gehabt. Zumindest hatte man es unter den weiten Sachen nicht genauer erkennen können. Aber Dorothee war schon immer schlank gewesen, sie hatte zu den beneidenswerten Frauen gehört, die auch in der Schwangerschaft nicht sonderlich dick wurden. Kurz vor der Geburt hatte sich Dorothee dann verzogen. Sie hatte doch tatsächlich im Urlaub entbinden wollen. Im neunten Monat hatte sie sich mit einem Koffer voller Kleider in ein Taxi geschwungen und war davon gebraust. Zuvor hatte sie sich verabschiedet. Sie hatte bei ihnen geklingelt und Horst hatte geöffnet. "Kann ich bitte mit Claudia sprechen?", hatte sie gefragt und Horst hatte gerufen. Claudia hatte nicht das geringste Bedürfnis verspürt, aber auch keine Möglichkeit gesehen sich aus der Affäre zu ziehen. Also war sie an die Tür gegangen. Sie hatte Dorothee nicht herein gebeten. Diese hatte sich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen. "Scheinbar habe ich dich schon vor langer Zeit mit irgendetwas sehr verletzt. Und du willst nicht mit mir darüber sprechen. Ich finde das wirklich sehr schade. Du bist eine meiner besten Freundinnen. Auf jeden Fall macht mir das alles zu schaffen, gerade jetzt in der Schwangerschaft. Ich möchte die letzten Wochen Ruhe haben, keine Schuldgefühle, bei denen ich nicht weiß
warum ich sie überhaupt habe. Nur weil ich dich gerne habe? Du brauchst nicht darauf zu antworten. Ich möchte dir nur sagen, dass ich mich entschlossen habe zu verreisen. Ich werde mein Kind im Urlaub auf die Welt bringen und wohl auch eine ganze Weile wegbleiben. Ich weiß noch nicht wann ich wiederkomme. Aber ich hoffe, dass du bis dahin wieder zur Vernunft gekommen bist. Ich hoffe, dass du dann wieder öfter zu mir kommst, dich mit mir an dem Kind freust, ja, dass wir einfach wieder gute Freundinnen werden. Vielleicht kannst du ja bis dahin mit mir darüber sprechen was los ist." Dorothee hatte nicht auf eine Antwort gewartet, sie hatte sich herumgedreht und war gegangen. Nach einem halben Jahr war sie wieder zurückgekehrt, vor einer Woche. Mit einem 6 Monate alten Baby, Michelle. Claudia hatte schon das Taxi vorfahren sehen, hatte die beiden aussteigen sehen. Am späten Abend war Dorothee zu ihr rüber gekommen. Die Kleine hatte sie schon schlafen gelegt. "Ich habe nicht viel Zeit. Michelle liegt im Bett, ich möchte sie nicht alleine lassen. Willst du sie mal sehen?" Claudia hatte mit den Achseln gezuckt. "Von mir aus". Dann waren sie rüber gegangen. Zusammen hatten sie vor dem Kinderbettchen gestanden, in dem das kleine Mädchen friedlich geschlafen hatte. Sie hatte schon sehr lieb ausgesehen, keine Ähnlichkeit mit der Mutter, und auch nicht mit Horst. Aber bei einem kleinen Kind konnte man das nie so genau sagen. Wie oft sagten Leute auf der Straße: "Ach, die sieht Ihnen aber ähnlich", selbst wenn man mit einem fremden Kind herumspazierte. Trotzdem hatte sich Claudia über das Kind geärgert, sie hatte es nicht als ein Wesen betrachten können, dass keine Schuld trug. Schließlich hatte sie nicht wissen können, ob nicht doch Horst der Vater war. Für sie selbst hatte das Baby Schuld, auch wenn die Vernunft etwas anderes gesagt hatte. Die Wut in Claudias Bauch war immer mehr hoch gestiegen. Sie hatte das Zimmer verlassen müssen. Keine Minute länger hätte sie neben dem schlummernden Säugling, der so unschuldig ausgesehen hatte und ihrer Meinung nach doch so schuldig war, aushalten können. Dorothee war erstaunt gewesen über die plötzlich heftige Reaktion. Sie war leise, um das Baby nicht zu wecken, hinter Claudia hergekommen. "Was ist denn?", hatte sie gefragt und es dabei tatsächlich fertig gebracht unschuldig auszusehen. Da hatte Claudia nicht mehr gekonnt. Sie hatte geschrieen: "Von wem ist das Kind eigentlich? Von Horst? Hast du ihn mit deinem vielen Geld rumkriegen können? Mit deiner Schönheit oder einfach damit, dass er Lust auf Sex mit einer anderen Frau hatte? Oder musste ein anderer verheirateter Mann daran glauben? Aber nein, wie konnte ich vergessen, du musst ihn ja kennen, das Kind soll ja intelligent sein und hübsch werden. Dann hoffe ich für dich, dass sie nicht so viel von dir abbekommen hat." Claudia hatte nicht mehr über die Worte nachgedacht, die sie ihrer damaligen besten Freundin an den Kopf geworfen hatte. Sie hatte auch nicht darüber nachgedacht, dass im Nebenzimmer ein Kind geschlafen hatte das jeden Moment hatte aufwachen können, was auch passiert war, Michelle hatte geweint. "Na klasse, jetzt ist sie wach", hatte Dorothee gemeint, aber dennoch ziemlich gelassen. Sie hatte die Kleine schreien gelassen. "Jetzt weiß ich wenigstens warum du so sauer auf mich bist. Hat er es dir erzählt?" "Was spielt denn das noch für eine Rolle? Willst du wissen ob deine Michelle die Gene von Horst geerbt hat und später auch nicht den Mund halten kann, auch wenn sie ein Versprechen gegeben hat?" "Jetzt reicht es. Wirklich. Hör mir mal zu. Ich kann dir das erklären." "Du brauchst mir überhaupt nichts mehr zu erklären. Ich habe alles mit meinen eigenen Ohren
mit angehört. Und von so jemandem wie dir soll ich mir irgendeine Erklärung anhören. Ich bin nicht irgendein Freund dem du ein Verhältnis erklären musst, ich habe dir vertraut. Du hast einfach alles kaputt gemacht. Und Spaß hat es dir wohl auch gemacht. Lebe du doch mit deinem schlechten Gewissen." Claudia hatte sich umgedreht und war gegangen. "Warte, warte doch. Horst ist nicht der Vater. Wirklich, ich erkläre es dir, es war doch alles nur eine blöde Idee. Ich wollte das wirklich nicht." Die Worte waren hinter Claudia hergehallt, die das Haus verlassen hatte und kein Wort von den Beteuerungen Dorothees geglaubt hatte. Sie war danach in eine Ecke geflüchtet, in eine Ecke in der sie ihre Tränen hatte fließen lassen können. Nach dem Gespräch hatte sie sich noch mehr betrogen gefühlt. Sie hatte einfach nicht gewusst was sie glauben sollte. Das Kind war da gewesen, es war doch der Beweis dafür, dass Dorothees Plan funktioniert hatte, oder? Ob mit ihrem Mann oder einem anderen, es war einfach Betrug. Mit so einem Menschen hatte sie keine Freundschaft mehr führen können. Sie bereute die Jahre, die sie mit Dorothee verbracht und genossen hatte. Hätte sie diese Frau doch nie kennen gelernt. Doch jetzt war sie tot, und Claudia hoffte, so den Alptraum endlich hinter sich lassen zu können. * In der Drogenberatungsstelle war einiges los. Wenn man durch die Tür trat kam man an einen Empfang. Von diesem Empfang ging es einen langen Flur herunter, der aus einzelnen abgeschlossenen Zimmern bestand. Dort fanden die Beratungen statt. Sylvia und Dirk meldeten sich am Empfang und fragten nach, mit wem sie über Dorothee Lavalle sprechen könnten. Sie wurden auf die Chefin verwiesen, die zu ihrem Glück auch einen Moment Zeit hatte. Nachdem sie auch dieser Frau die tragische Geschichte erzählt hatten, informierten sie sich genauer über die Drogenarbeit. "Bei uns arbeiten die Leute ziemlich selbständig. Sie beraten die Abhängigen und versuchen alles um ihnen Plätze zu organisieren für eine Entziehungskur. Auch draußen auf den Straßen leisten unsere Mitarbeiter Aufklärungsarbeit, versuchen vor allen Dingen junge Leute dazu zu bewegen etwas zu ändern. Frau Lavalle war eine sehr gute Mitarbeiterin, ich habe es schon sehr bedauert als sie uns verlassen hat." "Weswegen ist sie denn gegangen?" "Wegen dem Kind. Sie wollte ganz und gar für ihr Kind da sein." "Wir haben gehört, dass Frau Lavalle beruflich mit Dr. Lesty zu tun hatte. Können Sie uns darüber etwas sagen?" "Nein, davon weiß ich leider nichts. Da müssten Sie schon mit Dr. Lesty selbst sprechen." "Hatten Sie privaten Kontakt zu Frau Lavalle? Oder können Sie uns etwas über ihre Persönlichkeit sagen?" "Ich hatte nur beruflich mit ihr zu tun. Eben als ihre Chefin. Aber ich lasse meinen Mitarbeitern gerne Freiheit. Über wichtige berufliche Dinge haben wir gesprochen, aber ich kann Ihnen nicht viel sagen. Ich habe Frau Lavalle sehr geschätzt. Sie hat sich immer stark engagiert und hat auch vielen Drogenopfern helfen können. In den Beratungen ist sie sehr einfühlsam auf die Leute eingegangen. Patienten, die es geschafft haben clean zu werden, haben sich nachher bei mir bedankt und Frau Lavalle in den höchsten Tönen gelobt. Von ihrem Privatleben hat sie hier nichts erzählt, sie hat sich sehr zurückgehalten." Die Leiterin der Drogenberatungsstelle dachte über die Persönlichkeit von Dorothee Lavalle nach. Beruflich war sie eine der besten Mitarbeiterinnen gewesen, ja, aber privat? Sie hatte ihr
nicht mal von der Schwangerschaft erzählt. An einem Tag hatte sie einfach angerufen und gemeint sie würde kündigen. Für die Dauer der Kündigungsfrist hatte sie sich krank gemeldet. Als Entschuldigung hatte sie angegeben, dass sie bald ein Kind gebären würde und nur noch für dieses da sein wolle. Ihr Verhalten war alles andere als normal gewesen. Doch Dorothee hatte sich das erlauben können, sie hatte ja Geld, hatte es nicht nötig arbeiten zu gehen. Trotzdem wollte sie über ihre ehemalige Kollegin nichts negatives bei den Beamten verlauten lassen. Was hätte das in Bezug auf ihren Tod schon gebracht? Ständig hatte Dorothee versucht die anderen zu manipulieren, wollte immer nur das beste für sich heraus holen. Es war schwer gewesen sie zu durchschauen. Sie hatte freundlich mit jedem geredet, hatte immer versucht die beste Freundin für alle zu sein. Niemand sollte auf die Idee kommen, dass sie einem etwas schlechtes wolle. Dorothee hatte es nicht ertragen können wenn jemand sie nicht mochte. Sie trieb ihr Unheil hinter dem Rücken der Leute, ohne dass diese sich dessen bewusst waren. * Dirk und Sylvia machten sich auf den Weg zu Dirk um ein köstliches Abendessen zu genießen. "Na, was hältst du von der Nachbarin, dieser Frau Maier?" fragte Dirk. Sylvia machte ein nachdenkliches Gesicht. "Ich finde es schon reichlich komisch, dass sie einen Schlüssel von Frau Lavalle hat, aber gleichzeitig behauptet sie würden kein freundschaftliches Verhältnis haben. Ich habe noch nie jemanden kennen gelernt der jemandem, den er einfach nur so kannte und grüßte, einen Schlüssel gibt. Außerdem hat sie sehr heftig reagiert als wir ihr ein Verhältnis zwischen ihrem Mann und Frau Lavalle unterjubeln wollten. Es sollte ja eigentlich kein Vorwurf oder Verdacht sein, aber ich habe das Gefühl, als ob da irgendetwas nicht stimmt." "Meinst du sie könnte Frau Lavalle umgebracht haben?" "Ich kann mich nicht recht entscheiden. Ein bisschen schuldig wirkt sie schon, andererseits wirkt sie so unsicher, und so als ob sie keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte. Irgendwo sehe ich auch keinen richtigen Grund." "Wieso keinen Grund? Wenn ihr Mann, den sie doch scheinbar so geliebt hat, ein Verhältnis mit der Nachbarin gehabt hätte? Eifersucht ist doch ein Grund der gar nicht so selten vorkommt." "Jetzt muss ich dir dasselbe antworten was du mir bei Frau Lossen gesagt hast, es wäre zu einfach. Und warum hätte sie sich die Mühe machen sollen, die Frau und das Kind in den Container zu schleppen? Wie hätte sie das überhaupt machen sollen? Glaubst du sie hätte die Kraft dazu? Okay, sie hatte einen Haustürschlüssel. Aber wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte ich Frau Lavalle in ihrem eigenen Haus umgebracht und hätte sie auch da gelassen." "Was mich auch verwirrt ist, dass wir nicht wissen wer der Vater des Kindes ist. Wir haben kein Motiv, können jeden für schuldig halten und wissen tun wir gar nichts. Das Vernünftigste ist wohl wenn wir die Obduktion abwarten, dann wissen wir wenigstens, wie sie umgebracht wurde." "Ja, und dann sollten wir mit dem Bruder sprechen, und natürlich mit der besten Freundin, wie hieß sie noch schnell?" Sylvia blätterte in ihrem Notizbuch. "Ach ja, hier habe ich es, Regina Linde. Sie kann uns bestimmt etwas erzählen, über die Lebensgewohnheiten oder so, vielleicht ja sogar über den Vater des Kindes." Dirk nickte. Schweigend fuhren sie weiter. Jeder hing während dem Rest der Fahrt seinen eigenen Gedanken nach. Als sie endlich in Dirks Wohnung angekommen waren, schwang sich Dirk gleich an den Herd. "Kann ich helfen?" fragte Sylvia.
Dirk schüttelte den Kopf. "Nein, ruhe dich einfach aus. Schnapp dir eine Flasche Wein und erhole dich. Unsere nächsten Tage werden noch stressig genug." Sylvia befolgte seinen Rat und tigerte mit zwei Rotweingläsern und einer Flasche Chianti bewaffnet Richtung Sofa. Sie schnappte sich eine Zeitschrift und blätterte durch das Fernsehprogramm. "Krimi" sagte sie laut und lachte. "Wofür soll man sich so etwas im Fernsehen ansehen, man braucht sich doch nur in der Welt umzuschauen." "Ja, meistens sind sie sehr unrealistisch oder? Zumindest die, die ich gesehen habe. Die Wirklichkeit dagegen ist knallhart und nie so einfach zu durchschauen." Trotzdem griff Sylvia zur Fernbedienung und schaltete den Krimi an. "Entspannung", murmelte sie und dachte sich in den Film hinein, in dem die Kommissare dabei waren Spuren zu sammeln und dem Mörder auf die Schliche zu kommen. Am Ende war wie in jedem Film alles geklärt und alles ging friedlich und fröhlich weiter. Jeder war froh, dass die unglückliche Zeit überstanden war und der Bösewicht im Gefängnis saß. Sylvia konnte über die Naivität des Films nur den Kopf schütteln. Im wirklichen Leben war es nie so. Irgendein Problem trug man immer mit sich herum. Und wenn ein Mörder gefasst war, so liefen doch noch tausend andere in der Welt frei herum. Darunter auch jene, die wohl nie gefasst werden würden. Man sollte auch nicht das Schicksal der Betroffenen einfach übersehen. Wie fühlte sich wohl eine Mutter wenn ihr Sohn oder ihre Tochter wegen Mord verhaftet wurden? Oder die Freunde und Bekannte eines Toten? Das Opfer war nie mehr lebendig zu machen, doch in den Filmen war das egal. Das Essen war fertig, es roch verlockend nach Steak, Bratkartoffeln und Salat. Und Sylvia hatte einen Riesenhunger. Sie half Dirk den Tisch decken, dann konnte das große Schlemmen losgehen. Beim Essen plauderten sie noch über Belanglosigkeiten, doch als sie sich genüsslich und satt zurücklehnten, wollte Dirk doch wissen warum Sylvias Privatleben so durcheinander war und wie er helfen konnte. Ihm würde dieses private Gespräch helfen nicht ununterbrochen an den Fall denken zu müssen. "Nun erzähl mal. Was hat dein Exfreund jetzt schon wieder angerichtet?" "Zuerst war es wie immer. Ich durfte alleine bei ihm im Zimmer sitzen während er angeblich noch zu irgendwelchen Freunden fuhr. Er meinte, ich könne mich ja schlafen legen, es würde mich ja sowieso nicht interessieren mit seinen Kumpels dazusitzen und Männergespräche anzuhören. Ich habe natürlich gewusst, dass er mal wieder log, dass er eigentlich darauf aus war ein neues Mädchen abzuschleppen. Das war in der letzten Zeit aber ziemlich häufig vorgekommen, dass er alleine weggegangen ist, und ich habe echt gedacht das kann nicht sein, dass er da jeden Tag tatsächlich neue Beute findet. Also habe ich ihm nachspioniert. Du wirst mich für verrückt halten, aber ich habe in diesen Spinner tatsächlich eine ganze Menge Geld investiert. Fast alles was ich mir zusammen gespart habe. Ich habe einen Privatdetektiv auf ihn angesetzt um heraus zu finden wo er sich so rumtreibt und vor allen Dingen mit wem. Tja, das Geld war es wohl wert. Der Detektiv hat hervorragende Arbeit geleistet. Er hat mir nicht nur Bilder von ihm und ihr gezeigt, sondern auch die Adresse des Mädchens besorgt. Katharina Melgossi heißt sie, seine Dauergeliebte. Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich da echt fertig war. Ich wollte es aber nicht darauf beruhen lassen. Was bringt es schon, immer den Mädchen die Schuld zu geben aber nie ihm? Eigentlich war er ja der Hauptschuldige. Trotzdem hatte ich immer nur diese Wut auf die Mädchen, ich hab einfach nicht verstehen können wie sie so auf die Schnelle mit ihm ins Bett hüpfen und sich mit ein paar Abenden zufrieden geben konnten. Da habe ich mich entschlossen mich mit Katharina zu treffen."
"Du hast dich mit ihr getroffen? Was hast du ihr denn erzählt?" "Ich habe sie angerufen und ihr gleich gesagt, dass sie mich nicht kennt, ich aber unbedingt mal mit ihr sprechen müsste. Es wäre wichtig. Sie wollte natürlich wissen warum, aber ich habe es geschafft sie zu vertrösten. Sie hat dann nicht darauf gedrängt und wir haben uns verabredet. Da habe ich ihr dann konkret gesagt wer ich bin und sie hat erst mal total den Schock bekommen. Ich habe ihr meine Situation erklärt und sie gefragt warum sie das tut und wie sie das alles sieht. Sie sollte es mir erklären, eben aus ihrer Sicht alles schildern. Das hat sie dann auch getan, und du wirst es nicht glauben, sie tut mir einfach nur leid. Sie ist ein Opfer, kein Täter. Er ist das Schwein und das habe ich erst begriffen, nachdem sie mir alles erzählt hat und ich gemerkt habe wie nahe es ihr geht." Sylvia dachte an das Gespräch zurück und schilderte Dirk was Katharina erzählt hatte: Ich habe ihn durch Zufall kennen gelernt wie das meistens so ist. Durch Freunde. Wie immer habe ich mit meiner Freundin und dessen Freund in der Wohnung gesessen und wir haben uns gelangweilt. Dann ist Thomas durch die Tür gekommen und er hat mich fasziniert. Wie er da durch die Tür kam, wie er ging, die Ruhe die er ausstrahlte. Ich dachte „der ist es." Aber er hat mich gar nicht beachtet, zuerst. Es kam irgendwie ganz plötzlich, da hat er sich umgedreht, mich mit einem Blick angeschaut den ich wohl nie vergessen werde, und da wusste ich, dass irgendetwas zwischen uns passiert war. Wir haben dann Blödsinn gemacht. Ich habe seine Sachen versteckt und er hat sich geärgert und mir dafür die Schnürsenkel aufgemacht. Natürlich wollte ich, dass er sie auch wieder zumacht und habe dann meine Beine über seine gelegt. Er hat mir die Schuhe gebunden und ich bin so liegen geblieben, und dann, ja dann hab ich auch schon in seinen Armen gelegen. Es war sehr harmlos zuerst und ich wollte auch nicht das alles so schnell passiert, aber es war irgendwie wie Schicksal. Wir haben uns an den darauffolgenden Tagen immer wieder getroffen und ich wusste ja nicht, dass er eine Freundin hat. Ich war einfach nur total verliebt und konnte mein Glück nicht fassen. Schon in der ersten Woche unseres Kennenlernens habe ich mein erstes Mal mit ihm verbracht. Wir haben uns geküsst, haben uns gegenseitig ausgezogen und dann ist es passiert. Ich hatte keine Zeit mehr darüber nachzudenken ob ich es wirklich wollte. Für den Moment war es schön, auch wenn es sehr weh getan hat. Danach hat er mir dann erzählt, dass er eine Freundin hat mit der er schon seit 5 Jahren zusammen ist. Irgendwie war mir da schlagartig klar, dass ich für ihn nur ein flüchtiges Abenteuer war, dass er zu ihr zurückgehen würde. Und das habe ich ihm auch gesagt: „Du gehst ja sowieso zu ihr zurück." Selbst da war er noch zu feige es zuzugeben. Vielleicht auch weil er sich den Spaß mit mir erhalten wollte. Eine Zeit lang brauchte ich eine Ruhepause, ich verkraftete es nicht ihn weiterhin zu sehen. Gleichzeitig habe ich ihn aber wahnsinnig vermisst, weil ich mich in der kurzen Zeit schon in ihn verliebt hatte. Wie der Zufall so will habe ich ihn dann doch wieder getroffen. Eigentlich wollte ich nicht, dass wieder etwas zwischen uns passiert, aber es gab da etwas in mir, dass stärker war als ich. Er zog mich total in seinen Bann, ich war richtig gehend abhängig. Sobald er etwas sagte hing ich an seinen Lippen, konnte meinen Blick nicht von seinen tiefblauen Augen wenden. Es ist sehr schwer zu erklären, ich weiß nicht ob man in einer so kurzen Zeit einem Mann schon hörig werden kann. Wenn das geht, dann war ich es. Es war auch mehr für mich als nur der Sex. Der war noch nicht mal so berauschend. Er selbst war es der mich faszinierte. Ich habe nie mehr einen Menschen kennen gelernt der so viel Gelassenheit und Ruhe ausstrahlt. Fast nichts schien ihn zu berühren. Als wir zusammen im Auto gefahren sind, ich bin gefahren, habe ich beinahe einen Unfall gebaut, zwischen mir und dem Blumenkasten hätte man wohl nur noch ein dünnes Blatt Papier durchhalten können. Ich war wie gelähmt, total geschockt, aber er ... Er saß da wie ein Brett, unbeteiligt, so als hätte ihm absolut nichts passieren können. Einerseits bewunderte ich ihn für dieses Verhalten, nur verstehen konnte ich es nicht. Wie so vieles, was ich nicht verstand. Trotz
der Freundin hatte er Zeit für mich, er hat mich angerufen, wir haben gesprochen und sind durch die Gegend gefahren. Damit hatte er mir das Gefühl gegeben, dass er mich doch mag. Er ist nicht einfach nur gekommen und einmal mit mir ins Bett zu hüpfen, sondern hat wirklich den ganzen Abend mit mir verbracht. Und ich dachte immer er muss mich einfach gerne haben, sonst würde er das doch nicht tun. Warum kommt er immer wieder zu mir wenn er doch eigentlich nichts von mir will? Warum redet er so lange und viel mit mir und versucht mich zu verstehen? Ist das wirklich nur eine Masche? Ich kam mir selbst richtig daneben vor, konnte auch mich nicht verstehen, konnte nicht verstehen, warum ich das mitmachte. Und ich weiß es bis heute nicht. Ich war dankbar für jede Minute die ich mit ihm zusammen sein durfte. Alles andere war mir egal. Es war wie eine Sucht, so wie andere Leute eine Zigarette brauchten so brauchte ich ihn. Man kann mir vorwerfen, dass ich jetzt wusste, dass er eine Freundin hat, aber selbst sie war für mich ganz weit weg. Anstatt sie zu bedauern, beneidete ich sie. Denn sie wusste, dass er dauerhaft für sie da war, also wirklich immer wieder zu ihr zurückkommen würde, nicht nur für einen Tag in der Woche oder so. Ich wollte mit dieser Frau tauschen, konnte mir nicht vorstellen, je einen anderen Mann zu lieben. Das Kribbeln, die Nervosität, die Aufregung und die Magenschmerzen wenn ich ihn sah, schienen nie aufzuhören. Den ganzen Tag bin ich mit diesem Schwindel im Kopf rumgelaufen und habe nur an ihn gedacht. Meine Abhängigkeit war ganz klar an einem Tag zu erkennen an dem ich wieder mit ihm zusammen bei meiner Freundin war. Er saß auf einem Sessel und alle Plätze waren von den anderen belegt. Ich musste als einziger stehen. Als mir das dann zuviel wurde habe ich mich auf die Lehne bei meiner Freundin gesetzt. Er sagte: „Komm doch zu mir" und ich bin wie hypnotisiert aufgestanden und zu ihm rüber gegangen. Ich konnte nicht anders, es war wirklich so, als hätte er eine unsichtbare Leine an der er nur zu ziehen brauchte und ich machen musste was er will. Er hat mich in seine Arme gezogen und gemeint: „Aber nicht dass das so endet wie letztes Mal." Dabei hat es immer so geendet. Er hat mich einfach nur mies behandelt, die ganze Zeit. Zu Fuß musste ich durch den Regen laufen, nur weil er keine Lust hatte mich heimzufahren. Er saß ja im trockenen Auto, was mit mir war, war ihm egal. Ihm war klar, dass ich trotz allem immer wieder zu ihm kommen würde. Schön blöd, denkt bestimmt jeder der davon etwas mitbekommen hat. Ja, ich war schön blöd und konnte eigentlich noch nicht mal was dafür. Noch jetzt schwirren mir Sätze von ihm im Kopf herum, wie: „Sie hängt halt an mir", oder „Wir finden doch immer wieder zusammen". Wie soll man so etwas erklären? Das kann nur jemand verstehen der es selber durchgemacht hat. Ein anderes Mal, im Auto, während einer der vielen Gespräche, hat er so getan als wäre er eifersüchtig. Auf einen Jungen mit dem absolut nichts gelaufen ist, und das wusste er. Ich habe nur einmal bei ihm im Arm gelegen, nur so aus Freundschaft. „Hast du in seinen Armen gelegen?" hatte er gefragt. Als ich nickte: „Obwohl du nicht mit ihm zusammen bist?" Ha, ha einfach lachhaft. Dann: „Man holt ein Mädchen nicht einfach so in den Arm." Ach nein? Tut man es nur, wenn man sie ins Bett kriegen will? Es gibt noch tausend Begebenheiten die ich erzählen könnte, und die ich in meinem Leben wohl nie vergessen kann. Aber ich glaube, dass es alles nichts bringt. Nicht mal mit einem Menschen zu reden, der mich vielleicht verstehen kann hat Sinn. Ich fühle mich nur alleine, wünschte es wäre alles nie passiert, ich könnte es rückgängig oder besser machen. Aber das geht ja nicht. Sylvia hörte auf zu erzählen. Dirk schüttelte den Kopf. „Mir ist das unbegreiflich. Dass er überhaupt noch Frauen findet die das mitmachen. Ich glaube, mit einem hast du Recht, wenn man nicht selbst betroffen ist kann man es nicht verstehen. So geht es mir auch immer mit den Fällen die wir bearbeiten. Ich verstehe die Leute oft nicht, warum sie etwas tun, Streit haben wo eigentlich keiner sein müsste, oder einfach etwas schlimmes passiert, weil sie nicht miteinander reden. Es scheint als würde wirklich immer nur der Betroffene seine Handlungen nachvollziehen können."
„Wenigstens habe ich es jetzt endgültig kapiert. Ich will mit Thomas nichts mehr zu tun haben auch wenn ich 5 Jahre meines Lebens damit verschwendet habe ihn zu mögen. Und Katharina sieht es genauso, sagt sie jedenfalls." „Für mich ist es sehr schwer dir zu helfen, Worte sind da wohl nutzlos. Ich kann dir zwar sagen, dass ich deinen Schmerz verstehe, aber fühlen kannst nur du ihn. Und ich möchte dich jetzt nicht mit irgendwelchen Floskeln überschütten wie, dass die Zeit alle Wunden heilt und du es nicht nötig hast. Schließlich sind das alles Dinge, die du selbst weißt. Ich kann dir nur helfen dich abzulenken." „Das dürfte bei unserem derzeitigen Fall kein Problem sein". „Ja, ich zerbreche mir stundenlang den Kopf darüber. Es ist bestimmt nervig, dass ich jetzt schon wieder anfange, wo wir doch Feierabend haben. Aber ich verstehe nicht, warum die Frau in einen Container geschleppt wurde. Warum hat der Mörder sie nicht zu Hause erledigt?" „Es ist zu früh um das zu sagen. Wir wissen einfach noch zu wenig. Und es ist auch zu spät um sich jetzt noch Gedanken darüber zu machen. Ich bin auf jeden Fall total müde und um zu denken brauche ich meinen Schlaf. Ich glaube ich fahre dann mal nach Hause." „Du willst jetzt noch mit dem Bus oder mit dem Taxi ins Revier fahren? Dort hast du doch dein Auto stehen, oder?" Sylvia nickte. „Ich fahre Dich", meinte Dirk. Eigentlich wollte Sylvia das Angebot nicht annehmen, er hatte schon so viel für sie getan, aber dann ließ sie sich doch überreden. Als die beiden am nächsten Morgen ins Revier kamen wurden sie gleich von Herrn Dollting zu sich gerufen. Er hatte den Bericht der Obduktion erhalten und wollte ihnen den Befund weitergeben. Herr Dollting selbst hatte sich, seit er den Bericht in den Händen hielt, Gedanken darüber gemacht, aber es war ihm unbegreiflich. Normalerweise wurden die Opfer erstochen, erschossen oder erschlagen. Meist war also eindeutig erkennbar, woran die Menschen gestorben waren. Und diesmal? Wieder schüttelte Herr Dollting den Kopf. Er bat Sylvia und Dirk Platz zu nehmen und bot ihnen einen Kaffee an. „Ich würde es Ihnen beiden gerne leicht machen, aber ich fürchte meine Nachrichten entsprechen nicht dem, was Sie hören möchten", begann er. „Ich habe den Obduktionsbericht heute morgen bekommen. Leider ist absolut nicht erkennbar woran Frau Lavalle gestorben ist. Das einzige was festzustellen war, war dass sie an dem Abend bevor sie gefunden wurde, der Todestag übrigens, eine Schlaftablette genommen haben muss. Der Leichenarzt vermutet, dass sie zwischen 20.00 und 22.00 Uhr gestorben sein muss." „Warum sollte sie schon gegen 20.00 Uhr eine Schlaftablette genommen haben?" Dollting schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber ich kann absolut nicht nachvollziehen, wie und warum diese Frau sterben musste. An einer Schlaftablette stirbt man nicht, und der Arzt war sich ganz sicher, dass sie nicht mehr als eine Tablette genommen hat. Und auch sonst war sie gesund. Okay, sie hatte Diabetes gehabt, aber auch dass ist ja keine schlimme Krankheit. Der Pathologe hat Einstiche entdeckt, was aber in Bezug auf den Diabetes völlig normal ist. Ansonsten wird sie wohl die Wehwehchen gehabt haben die jeder von uns hat, aber ihr Herz, ihr Gehirn, alles war in Ordnung. Es waren keine Schläge, Schüsse oder Stichverletzungen zu erkennen, einfach nichts, was uns weiterhelfen könnte. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass es Ihnen nicht gefallen wird." Dann reichte Herr Dollting den Bericht weiter und wünschte ihnen viel Glück. „Toll. Jetzt haben wir den Bericht und sind trotzdem kein Stück weiter." Dirk konnte da nur zustimmen. Er dachte genauso. Wie sollte man so einen Fall lösen? Alles was sie versuchten, stiftete noch mehr Verwirrung. Und aufgeben? Das gab es für Dirk nicht. Der
Mörder musste gefunden werden. Dirk wollte sich nicht damit zufrieden geben, den Fall zu den Akten zu legen und zu sagen: „Tut mir leid" Viele Kriminalbeamte taten das, weil sie keine Möglichkeit mehr sahen, aber Dirk brauchte die Befriedigung und die Bestätigung zu hören, dass er das Unmögliche geschafft hatte. Es gab auch Fälle in denen er aufgeben musste, aber er tat es nur sehr ungern. „Ich würde sagen wir unterhalten uns mal mit ihrer besten Freundin, Regina Linde. Sie haben die Adresse, oder?" „Ja, aber sollten wir nicht vorher mal bei ihr anrufen?" Dirk schüttelte den Kopf. „Nein, wir fahren gleich hin. Ich möchte den Überraschungseffekt nutzen." Die beiden packten ihre Sachen und fuhren los. Die gute Stimmung die um sie herum herrschte nahmen sie nicht wahr. Zur Zeit ging es ihnen nicht so wie all den anderen. Denen, die jetzt bei einem Kaffee saßen, lachten, flirteten und nicht an die schlimmen Dinge dachten die in der Welt passierten. Viele Menschen sahen immer nur ihr eigenes Schicksal. Ging es ihnen gut fanden sie die ganze Welt schön und toll, und ging es ihnen schlecht hatten sie auch nur ihre Probleme im Kopf. Es gab so selten Menschen die über die eigene Nasenspitze hinaus mitdachten und mit anderen das Leid empfinden konnten, das diese hatten. Sylvia hätte gerne mit den positiv denkenden Menschen getauscht, denen die gerade verliebt waren, die ein unbeschwertes Leben führten und sich höchstens darüber aufregten morgens aufstehen und arbeiten gehen zu müssen. Manchmal wünschte sie sich sie hätte einen anderen Beruf gewählt. Zwar war es schön die Befriedigung über einen gelösten Fall zu erfahren, aber die Zeit davor war eine starke psychische Belastung. Sylvia seufzte. Man hatte es wirklich nicht leicht im Leben. * Regina tanzte pfeifend durch ihre Wohnung und freute sich über die restlichen drei Urlaubstage, die ihr noch verblieben. Für heute hatte sie geplant mit ihrer Freundin Dorothee einen Einkaufsbummel zu machen und dann zu ihrem gemeinsamen Lieblingsitaliener zu gehen. Am späten Abend vielleicht noch ein Kinofilm. Das war auch der einzige Grund warum sie schon so früh aufgestanden war. Den Abend zuvor hatte sie noch mal kein Auge zugetan. Der Grund war ihr Nachbar gewesen. Regina nahm sich vor deswegen auf Mietminderung zu pochen. Es war auch wirklich unzumutbar. Entweder lief er durch das ganze Haus um Zigaretten, Kartoffeln, Nudeln, Salz und was es sonst noch so gab, zu organisieren. Für den Nachbarn war es selbstverständlich die geliehenen Sachen nicht mehr zurückzubringen. Von Regina bekam er schon nichts mehr. Was ihn nicht daran hinderte es jeden Tag aufs Neue zu versuchen. Mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt und schaute, bevor sie öffnete, durch den Spion, wenn sie nicht gerade Besuch erwartete. Doch gegen den Lärm, der da in der Nebenwohnung veranstaltet wurde, konnte sie sich nicht wappnen. Das einzige Mittel, um wieder für Ruhe zu sorgen, war die Polizei zu rufen. Gestern war es mal wieder besonders schlimm gewesen. Es fing an mit dem typischen Geschrei das fast jeden Abend zu hören war. Kurze Zeit später ging es in ein regelrecht hysterisches Schreien der Freundin, die sich wahrscheinlich wieder ihre täglichen Prügel einfing, über. Es hörte sich an als würde jemand umgebracht werden. Einige Minuten Stille, wahrscheinlich die Zeit, die der Nachbar brauchte, um seine Freundin vor die Tür zu befördern. Dies schien realistisch, denn nach der Stille wurde demonstrativ an die Tür getreten. Dass die Tür den Fußtritten und Attacken des wütenden Mädchens standgehalten hatten, war wohl auch nur einem Wunder zu verdanken gewesen. Zwischendurch wieder hysterische Schreie, die keine Worte beinhalteten, sondern nur die Wahnsinnigkeit dieser Menschen wiedergab. Irgendjemandem war es dann scheinbar doch zu viel geworden, die Polizei hatte dem Theater ein
Ende gesetzt. Regina schüttelte den Kopf, jetzt wo sie daran dachte. Hätte sie am nächsten Tag arbeiten müssen, hätte sie den Anruf bei der Polizei erledigt, so viel war sicher. Nun stand sie also da, nicht ganz ausgeschlafen, aber dennoch fröhlich, und wartete auf Dorothee, die schon längst hätte bei ihr sein müssen. Eine halbe Stunde war diese schon überfällig. Doch das war kein Grund zur Beunruhigung. Vielleicht hatte der Babysitter kurzfristig abgesagt, und sie musste auf die Schnelle jemand neuen finden, der auf die kleine Michelle aufpasste. Oder sie hatte wieder diese unerträglichen Kopfschmerzen. Wirklich ein Elend, dass ihr niemand dagegen helfen konnte. Die Tabletten brachten immer nur für eine kurze Zeit Linderung. Wenn sie sich nicht gleich melden würde, würde sie mal bei ihr anrufen und nachfragen müssen. Hoffentlich würde der schön geplante Tag nicht ins Wasser fallen, nicht wegen dieser dummen Migräne Dorothees. Irgendwann mussten sie doch mal ein Medikament finden, dass auch die Ursachen bekämpfte, nicht nur die Symptome. Regina beschwor sich selbst nicht schon über Dinge nachzudenken, von denen sie nicht mal wusste, ob sie relevant waren. Es konnte schließlich auch nur der Babysitter sein. Sie ging zu ihrem Musikturm, legte eine neue CD ein und sang lauthals mit. Währenddessen sortierte sie die Wäsche nach Farben, so wie sie es immer tat. Ungefähr zur gleichen Zeit, zu der die Musik ausging, klingelte es. „Da ist sie ja endlich", dachte Regina und drückte auf den elektrischen Türöffner. Dann riss sie die Tür auf und starrte hinaus. Zu ihrer Überraschung stand aber nicht Dorothee vor der Tür, sondern ein ihr unbekannter Mann und eine Frau. „Bitte?", fragte sie. Es klang höflich, freundlich, mit einer leisen sehr angenehmen Stimme. Die Frau wirkte offen, aber auch vorsichtig. Sie war sehr hübsch mit ihrem schwarzen Haar und den blauen Augen. So wie sie schaute, hatte sie mit einem anderen Besucher gerechnet. „Guten Tag. Sie müssen keine Angst haben, wir möchten Sie nur etwas fragen zu einer Ihnen bekannten Person. Es wäre nett, wenn wir hereinkommen dürften." Dirk zeigte der Frau, die schon sehr erschrocken schaute, die Dienstausweise. Nachdem Frau Linde diese sehr genau inspiziert hatte, bat sie die Beamten herein. Sylvia stellte fest, dass Frau Linde eine sehr schöne Mietwohnung hatte. Zwar klein aber sauber, mit vielen eigenen Ideen geschmückt. Freundliche selbst gemalte Bilder hingen an der Wand, was an der Signatur am unteren Rand der Bilder erkennbar war. Holzschnitzereien standen auf den Schränken, darunter ein grünes Ampelmännchen, welches in einem Reagenzglas eine Blume hielt. Ein bequem aussehendes blaues Sofa lud zum sitzen ein. Davor stand ein Wohnzimmertisch dessen Glasplatte von einer Meerjungfrau gehalten wurde. Die Wohnung hatte etwas extravagantes, was besagte, dass die Besitzerin wohl das normale nicht mochte. Es sah nicht aus wie bei jedem. Nachdem Frau Linde ihnen einen Platz angeboten hatte, schaute sie die Beamten abwartend an. Sie fragte nicht was passiert war, ihr war klar, dass sie es noch früh genug erfahren würde. Kentner teilte ihr mit, was mit ihrer besten Freundin geschehen war. Eigentlich wollte er Frau Linde danach befragen, doch das war nach der erschreckenden Nachricht nicht mehr möglich. Frau Linde war, noch ehe er auf nähere Details eingehen konnte, zusammen geklappt. Sylvia stürzte hin und versuchte ihre Zeugin von der Ohnmacht in die Realität zurückzuholen. Frau Linde schlug zwar die Augen auf, wirkte aber nicht so, als könne sie noch irgendwelche Fragen beantworten. Während Sylvia die Frau mit Wasser versorgte, auf die Couch verfrachtete und versuchte ihr irgendwie zu helfen, rief Dirk einen Krankenwagen an. Dieser traf auch wenig später ein. Die Sanitäter legten Frau Linde auf eine Liege, maßen den Puls und befragten sie, bekamen aber keine Antwort. Man konnte nur die Tränen in ihren Augen sehen und ab und zu hörte man ein gemurmeltes „Dorothee". Einer der Sanitäter fragte dann bei Dirk nach was denn passiert sei. Nachdem das geklärt war, wurde Frau Linde ins St. Peters Krankenhaus gebracht. Kentner und Notalagy entschlossen sich, hinterher zu fahren um von dem Arzt zu erfahren, was
genau Frau Linde hatte und wann sie denn mit ihr sprechen können würden. Während der Fahrt nahm Sylvia ihr erstes Frühstück für diesen Tag zu sich, mit den Worten: „Heute morgen bin ich nicht mehr dazu gekommen. Mir läuft immer die Zeit davon." „Kann ich verstehen. Geht mir genauso. Ich würde vorschlagen, dass wir, nachdem wir uns im Krankenhaus schlau gemacht haben, mal mit ihrem Bruder sprechen. Dann hören wir wenigstens ob an dem Streit mit dem Geld etwas wahres dran ist. Vielleicht ist das ja eine Spur." „Ich hätte da noch eine Idee. Ich weiß zwar nicht, ob sie sehr sinnvoll ist, aber schaden, kann es glaube ich nicht." „Was denn?", fragte Dirk. „Wir könnten mal mit dem Arzt sprechen, den Frau Maier erwähnt hat und rausfinden was es mit den Kopfschmerzen auf sich hat, und vor allen Dingen mit den Schlaftabletten. Die Tabletten erscheinen mir wichtig." „Keine schlechte Idee. Ich glaube zwar nicht, dass er uns sehr viel weiter helfen kann, aber da er Frau Lavalle gekannt hat, reden wir mal mit ihm. Er ist ja Arzt, vielleicht kann er uns etwas über die Krankheitsgeschichte erzählen." „Was machen wir zuerst? Zu ihrem Bruder gehen oder zum Arzt?" „Ich würde ihren Bruder vorschlagen, davon verspreche ich mir mehr." Zuerst war jedoch mal die Fahrt ins Krankenhaus angesagt. Sylvia und Dirk mussten schon ziemlich lange warten bis endlich ein Arzt kam, der ihnen Auskunft geben konnte. „Frau Linde leidet unter einem Schock. Das kommt bei einer so erschreckenden Nachricht, wie Sie sie ihr gebracht haben schon mal vor. Leider konnten wir hier momentan auch nicht so viel machen. Ich habe ihr vorerst ein Beruhigungsmittel gegeben, aber ich denke, dass es noch eine Weile dauern wird, bis sie mit Ihnen sprechen kann. Momentan schläft sie. Ich weiß, dass Ihnen die Aufklärung des Falls sehr wichtig ist und sie wahrscheinlich so schnell wie möglich Antworten auf Ihre Fragen haben wollen. Ich nehme aber mal vorweg, dass sie mich auch verstehen müssen, meine Patientin soll gesund werden. Am besten kommen Sie also frühestens übermorgen wieder." „Was? So lange? Sie meinen, sie kann vorher nicht mit uns sprechen? Das finde ich aber wirklich übertrieben. Um so länger wir warten, umso schwieriger wird es für uns. Und sie hat die Tote gut gekannt, wahrscheinlich ist sie bisher die Einzige die uns wirklich helfen kann. Ich möchte ja auch nicht die Gesundheit von Frau Linde gefährden, aber sagen wir wenigstens morgen?" Der Arzt schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber der Schock von Frau Linde ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Sie steht unter meiner Verantwortung und ich möchte sie nicht mehr belasten als unbedingt notwendig. Übermorgen, dabei bleibt es." Selbst als sie wieder im Auto saßen konnte Kentner seine Wut über den Arzt nicht unterdrücken. „Dieser Mistkerl. Was ist denn schon dabei, ein paar harmlose Fragen. Wenn seine Frau ermordet worden wäre, würde er bestimmt auch wollen, dass es so schnell wie möglich geklärt wird. Aber hier ... Ist ihm ja egal, ist nur eine Patientin." Notalagy beschwichtigte. „Mich ärgert es auch, aber das hilft jetzt nicht. Er will doch seine Patientin nur schützen, macht das was sein Beruf von ihm erwartet. Das kannst du ihm nicht übel nehmen, auch wenn es dir nicht gefällt. Wir warten jetzt einfach bis Frau Linde wieder fit ist, dann ist sie uns bestimmt auch nützlicher. Überlege mal, wir hätten mir ihr in einem so schlechten Zustand gesprochen, dann hätte sie vielleicht vergessen uns die Hälfte zu erzählen." „Dann wären wir halt ein zweites Mal hingegangen" meinte Dirk grimmig. „Hoffentlich kommen wir bei ihrem Bruder ein Stück weiter." Und zu dem fuhren sie dann. Umso näher sie der Heimat des Bruders kamen, umso schlechter
wurde die Gegend. Einer der miesesten kleinen Orte von Bergendo. Am Straßenrand saßen Bettler denen man wirklich ansah, dass sie arm waren. Zerlumpte Kleider, schmierige Haare, dreckig und meist alt. Sylvia wusste nicht ob sie ihr leid tun sollten. Hinter jedem dieser „armen Schweine" steckte ein schweres Schicksal. Nur leider wusste man als Fremder nie wer die Hilfe in Form einer Geldspende verdiente. Sie dachte darüber nach was Menschen dazu veranlasste einen solchen Weg zu wählen. Schlechte Kindheit? Blieb einem dann wirklich nur noch diese Möglichkeit? Für sie selbst war es einfach unverständlich. Sie stellte sich einen Menschen vor, der nie schreiben und lesen gelernt hatte, vielleicht irgendetwas gearbeitet hatte, was dieses im Grunde genommen lebenswichtige Wissen nicht erforderte, und dann seine Arbeit verloren hatte. Kein Geld, ohne Geld keine Wohnung mehr, und beim Sozialamt keine Hilfe, denn ein Legastheniker konnte ja alleine nicht das Formular ausfüllen. Sylvia wusste nicht ob es stimmte, aber sie hatte mal von einem Fall gehört, bei dem die Mitarbeiter des Sozialamtes sich weigerten dem Legastheniker zu helfen. Angenommen das wäre der Fall, dann wäre solch ein bedauernswertes Wesen auf der Straße gelandet, wenn er niemanden gefunden hätte, der ihm geholfen hätte. Aber das war eine Überlegung die einfach nur traurig und bei den vielen Pennern hier draußen nicht mehr nachzuvollziehen war. Man konnte nicht wissen ob sie einfach nur zu faul zum arbeiten waren und das Leben auf der Straße bevorzugten oder ob sie das Leben schwer bestraft hatte. Nun saßen diese Menschen vor den Häuserbaracken, in denen sie wahrscheinlich noch gerne gelebt hätten. Denn dann hätten sie immerhin warm gehabt und ein Dach über dem Kopf. Es war wirklich armselig. Wenn man bedachte, dass man hier in der Hauptstraße schon diese verwahrlosten Menschen sah, und in den versteckten Ecken, wo kein zivilisierter Mensch hinkam, sah es wahrscheinlich noch schlimmer aus. Sylvia wusste von Kollegen die bei der Streife waren wie oft diese hierher gefahren waren um tote Drogenopfer aufzusammeln oder alte Penner die an Unterernährung gestorben waren. Für die Leute die mitten in der Stadt wohnten, war die Gegend hier ganz weit weg. Viele wussten wahrscheinlich noch nicht mal wie schlecht es hier den Menschen ging. Es war unglaublich, dass der Bruder einer so reichen Frau wie Dorothee Lavalle hier wohnen sollte. Aber die angegebene Adresse aus dem Telefonregister besagte dies. Während Sylvia ihren Gedanken nachhing, suchte Dirk einen halbwegs vernünftigen Parkplatz, auf dem er nicht befürchten musste, dass sein Auto nachher keine Räder mehr hatte, aufgebrochen und nicht mehr zu gebrauchen war. Als er sich dann aber doch nirgends wohl fühlte, beschloss er, direkt vor dem Haus zu parken in dem Fabian Lavalle wohnte und bei der Befragung am Fenster stehen zu bleiben um einen Blick auf sein Auto werfen zu können. In dem Haus, in dem Fabian Lavalle wohnte, hatte man fast Angst die Treppe hoch zu steigen. Bei jedem Schritt knarrte es unter den Füßen, Teile des Geländers waren abgebrochen, Spinnenweben hingen an den Wänden und man hatte das Gefühl, dass die Treppe jeden Moment ganz zusammenbrechen würde. Trotz dieses Gefühls kamen die beiden Beamten heil vor der Tür von Herrn Lavalle an. Eine Klingel gab es nicht, man musste sich damit begnügen mit den Händen an die dreckige Haustür zu klopfen, denn auch ein Klopfer war scheinbar schon zu viel verlangt. Ihnen wurde von einem Mann geöffnet, der genau so aussah, wie es diese Gegend und das was sie zuvor gesehen hatten, versprach. Lange ungepflegte Haare, eine Zigarette im Mundwinkel und absolut dreckig. Er wirkte heruntergekommen. Dass er Geld nötig hatte, war so sicher wie das Amen in der Kirche. „Was ist? Hauen Sie ab. Ich hasse fremde Leute", motzte er sie an, ohne dass sie sich vorgestellt hatten. „Kriminalpolizei", kam es von Kentner schroff zurück. Er hielt ihm die Ausweise unter die Nase, diesmal eher um ihm Angst einzujagen, nicht wie bei den anderen Leuten um sie zu beruhigen.
„Habe nichts ausgefressen", meinte Fabian ohne eine Spur von Angst zu zeigen. „Sie sind Fabian Lavalle, oder?" „Ja." „Dürfen wir hereinkommen? Es geht um ihre Schwester." Fabian schritt zur Seite und ließ die beiden eintreten. Wenn es überhaupt noch möglich war, sah die Wohnung noch schlimmer aus als der Flur. Man hatte kaum eine Möglichkeit in die Bude hineinzugehen, ohne auf irgendetwas zu treten das im Weg lag. Doch der Schmutz überall war schlimmer als nur die unaufgeräumte dreckige Wäsche die neben dem Bett lag. Fabians ganze Bleibe bestand nur aus einem einzigen Zimmer. In der Mitte das Bett, daneben überall dreckige Klamotten, Essensreste und Krümel, Zigarettenkippen. Es war schwer in Worte zu fassen was sie da sahen. Dirk kämpfte sich bis zum Fenster durch und stellte sich demonstrativ davor. Er musste es aufreißen um einen Blick auf sein Auto zu haben, das Glas war so dreckig, dass es bei geschlossenen Scheiben unmöglich gewesen wäre etwas zu sehen. Deshalb brannte bei Fabian vermutlich auch am helllichten Tage Licht. „Was wollen Sie denn? Ätzende Bullen, ich habe keine Zeit für so einen Scheiß." Dirk reagierte nicht auf die Beleidigungen, sondern kam gleich auf das richtige Thema zu sprechen. Das einzige was er wollte, war hier wieder herausgehen zu können. Seiner Kollegin erging es nicht viel anders. Am liebsten hätte sie sich die Nase zugehalten, um den Gestank nicht ertragen zu müssen, der von diesem Zimmer ausging. „Ihre Schwester wurde umgebracht. Vielleicht erzählen Sie uns dazu ein bisschen was." „Wollen Sie mich verhaften? Ich war es, he, weil sie Kohle hat. Muss sie leider enttäuschen, ich mag zwar schuldig wirken, aber ich war es nicht." „Lassen Sie das mal unsere Sorge sein. Sie hatten doch Streit mit ihr, oder?" „Gut informiert. Ich hatte immer Streit mit dieser blöden Kuh. Haben Sie Bodyguard gesehen? Da gab es so einen tollen Satz: Sie hat alles, ich habe nichts. Das trifft es bei uns auch. Obwohl es mir so dreckig geht kommt, ehm kam, sie nicht annähernd auf die Idee mir mal ein bisschen unter die Arme zu greifen. Dabei hat sie so viel Geld, sie könnte es mit beiden Händen aus dem Fenster schmeißen und wäre immer noch reich." „Vielleicht fangen wir mal von vorne an. Woher hatte sie das Geld?" „Na, geerbt. Und ich habe keinen Pfennig abbekommen. Meine Eltern haben sich einen Rechtsverdreher gesucht und es so gedreht, dass ich nichts bekam. Und soll ich Ihnen was sagen? Jetzt werde ich alles erben. Ich liebe es, dass sie gestorben ist. Gott sei Dank. Dem Mörder gebe ich einen Handkuss." „Sie sollten vorsichtig sein, dass ist fast schon ein Geständnis." „Ach, sie haben doch keine Beweise und können auch keine finden. Ich war es nämlich nicht." „Dann helfen Sie uns, wenn Sie es nicht waren. Wo waren Sie eigentlich am Mittwoch, zwischen 19.00 und 23.00 Uhr?" „Hier zu Hause. Aber das wird Ihnen niemand bestätigen können. Was wollen Sie sonst noch wissen?" „Warum ihre Eltern alles ihrer Schwester vererbt haben und Sie nichts abgekriegt haben." „Meine Eltern wollten schon immer lieber ein Mädchen haben. Dorothee ist, ehm war, zwei Jahre jünger als ich. Als sie auf die Welt gekommen ist haben meine Eltern sich nur um sie gekümmert, ich war ihnen egal. Das heißt, nein, eigentlich kann man es so nicht sagen. Ich empfand es so. Aber wahrscheinlich taten sie es unbewusst, Dorothee war kleiner und hilfloser. Ich war ziemlich auf mich alleine gestellt. Und ich fühlte mich dabei auch ganz schön mies, als ob ich niemanden hätte. Ich wollte Aufmerksamkeit, und wie glauben Sie kriegt man die am ehesten? Natürlich indem man immer genau das Gegenteil macht von dem was die Eltern wollen. Das habe ich dann getan, ich war frech, habe immer irgendetwas Verbotenes angestellt und meine Eltern hatten
ständig Ärger mit mir. Aber sie kümmerten sich dann um mich, und das war es was ich wollte. Später war es dann auch nur meine Schwester die Abitur machte, studierte, es wurde halt was aus ihr. Ich kriegte immer nur zu hören: Hol dir mal ein Beispiel an ihr. Und als alles nichts half, haben sie das mit dem Testament gemacht. Sie haben gesagt, dass Dorothee alles alleine erben werde und erst wenn sie stirbt geht das Vermögen auf mich über. Jetzt ist sie tot und ich kriege das Vermögen." Fabian machte nur einen freudigen Eindruck, von Trauer oder wenigstens Mitleid war nichts zu spüren. „Wie schön für Sie", bemerkte Kentner sarkastisch. „Was können Sie uns denn noch über ihre Schwester erzählen? Der Streit würde mich interessieren, den sie mit ihr hatten." „Ich wollte Geld haben, was sonst? Sie sehen doch wie ich hier hause und aussehe. Okay, ich war schon oft bei ihr wegen Geld. Und meistens hat sie mir auch etwas gegeben. Aber nicht genug. An dem Tag hat sich mich nur angeschnauzt, ich solle doch arbeiten gehen. Mit dem Geld, das sie mir vorher gegeben hätte, hätte ich schon lange was aus mir machen können, anständige Kleider kaufen und so. Und wer Arbeit wolle, der werde auch welche finden. ‚So wie ich aussehe' habe ich gesagt. Außerdem habe ich noch nicht einmal einen Hauptschulabschluss, wie soll ich da Arbeit finden? Für mich schien es als ob alles schon zu spät wäre. Aber ich will Ihnen nicht meine Lebensgeschichte erzählen. Tatsache ist, ich wollte Geld von ihr und sie hat es mir nicht gegeben. Wir haben uns deswegen ziemlich laut und lange angeschrieen, aber geholfen hat sie mir nicht." „Sie sind nicht zufällig auf die Idee gekommen, ihre Schwester umzubringen und sich zu holen was Ihnen endlich zusteht?" „Nein. Wie oft soll ich das noch sagen?" „Was wollen Sie denn mit dem vielen Geld ihrer Schwester tun, wenn sie es jetzt bekommen?" „Zuerst mal werde ich in ihr Haus ziehen, mir die Haare schneiden lassen, Kleider kaufen, gut essen gehen. Vielleicht mache ich auch etwas aus mir, einen Beruf lernen oder mich selbständig machen." Er lachte. Für ihn schien es absonderlich, dass er es jemals schaffen könnte etwas Besseres aus seinem Leben zu machen. „Was haben Sie eigentlich mit dem Geld gemacht, dass sie sonst immer von ihrer Schwester bekommen haben? Kleider gekauft ja wohl nicht." „Ich war spielsüchtig, ich habe das ganze schöne Geld verprasst. Geschieht mir ganz recht, dass ich nichts mehr bekommen habe, oder?" „Ihre Schwester hätte das Geld besser in eine Therapie für Sie gesteckt." „Meine Schwester wollte ihre Ruhe haben. In dem Moment, in dem sie mir das Geld gab, hatte sie die eine Weile. Sie war eine verwöhnte Ziege. Von meinen Eltern hat sie immer alles bekommen was sie wollte und als sie geerbt hat, tja, da hatte sie sowieso genug. An andere hat sie nie gedacht, sie ist, ehm war, eine Egoistin." „Kennen Sie den Vater des Kindes ihrer Schwester?" „Keine Ahnung. Einen festen Mann hatte sie nie. Wird wohl einer sein den sie für eine Nacht aufgegabelt hat." „Sind Sie eigentlich immer noch spielsüchtig?" „Ich hab nichts mehr was ich setzen kann, wenn ich Kohle hätte, würde ich wahrscheinlich spielen, ja. Aber wenn Sie auf mein Erbe hinaus wollen, sobald ich es in Händen halte mache ich eine Therapie." „Vernünftig. Können Sie uns noch Freunde, Bekannte von Dorothee Lavalle nennen?" „Ihre beste Freundin ist Regina Linde, die war öfter bei ihr als ich betteln gekommen bin. Mit ihrem jetzigen Arzt, Christoph Lesty war sie vor ungefähr 15 Jahren mal eine Weile zusammen.
Ansonsten weiß ich nicht, fällt mir keiner ein. Ach doch, Thomas Jaab, mit dem hat sie sich auch ganz gut verstanden." „Waaas?" Sylvia fielen bald die Augen aus dem Kopf. „Wer? Das kann nicht sein." „Kennen Sie ihn?" fragte Fabian. Sylvia gab keine Antwort. Dirk und sie warfen sich einen Blick zu der Bände sprach. Es war nicht zum Aushalten, das konnte einfach nicht wahr sein. Ihr Exfreund ein Bekannter der Toten? Und er hatte doch nie etwas erwähnt. Vielleicht war Dorothee Lavalle auch eine seiner vielen Geliebten gewesen. Irgendwie traf sie der Gedanke mehr als wenn es nur eine lebende Geliebte gewesen wäre. Was wenn ihr Exfreund, den sie in- und auswendig zu kennen glaubte, ein Mörder war? Zu einem Verhör war Sylvia nun nicht mehr fähig und Dirk verstand das sofort. Zu Fabian gewandt sagte Kentner noch abschließend: „Es ist wohl selbstverständlich, dass Sie in der Nähe bleiben. Kein Urlaub, kein fremder Aufenthaltsort und so weiter. Wir werden Sie finden wenn Sie verschwinden, ist das klar? Selbst wenn Sie jetzt reich sind, das schützt Sie nicht vor den Gesetzen. Ich hoffe, wir haben uns verstanden." Fabian lächelte verschmitzt ohne eine Antwort zu geben. „Außerdem werden wir bestimmt noch öfter mit Ihnen reden müssen." Als Dirk und Sylvia schon fast die Tür draußen waren, hörten sie Fabian hinterher rufen: „Beim nächsten Mal finden Sie mich in der Königsstraße, dann bin ich ein neuer Mensch." Danach begleitete sie fröhliches Gelächter. Bevor sie sich ins Auto setzten hörten sie Fabian noch einmal aus dem Fenster schreien: „Leute ich bin reich, reich. Endlich raus, aus diesem Scheißviertel. Sie hat bekommen was sie verdient und ich darf leben. Leben. Ich will auch das bekommen was mir zusteht und jetzt geht es los." * Notalagy wirkte im Auto sehr schweigsam und Kentner konnte das gut verstehen. "Wenn Du willst rede ich alleine mit ihm." "Nein, es ist doch meine Arbeit, ich werde es schon irgendwie schaffen." "Du liebst ihn noch, oder?" Sylvia gab keine Antwort. "Ist doch selbstverständlich nach so vielen Jahren", meinte Kentner. "Vielleicht sollte ich zum Schein darauf eingehen, so machen als wollte ich wieder mit ihm zusammen sein, dann könnte ich herausfinden was er weiß." "Kommt gar nicht in Frage. Ich werde alleine mit ihm sprechen." "Was soll ich denn dann machen?" fragte sie resigniert. "Du könntest schon mal mit dem Arzt, diesem Christoph Lesty, sprechen." "Was ist mit Fabian Lavalle? Über das Ärgernis hinaus, dass mein Exfreund an der Sache beteiligt ist haben wir ihn jetzt einfach sitzen lassen. Für mich wirkt er sehr schuldig." "Für mich auch. Abgesehen von dem Motiv hat er ja nicht gerade nett über seine Schwester gesprochen. Aber ich denke wir lassen ihn einfach mal von einem in zivil gekleideten Polizisten beobachten. Später können wir ihn uns dann wieder vorknöpfen." Kentner setzte Sylvia beim Revier ab, damit sie mit ihrem eigenen Auto zu Christoph Lesty fahren konnte. Dirk selbst fuhr weiter um Thomas Jaab zu vernehmen. *
Thomas lag auf seinem Bett und dachte darüber nach wie er Sylvia zurück gewinnen konnte. Als er ihr in der Kneipe begegnet war, war ihm zum ersten Mal in seinem Leben klar geworden, dass er nur sie wirklich liebte. Fünf Jahre hatte er sie immer nur verletzt, angelogen und betrogen. Das tat ihm jetzt leid. Doch es hatte nicht so ausgesehen als ob Sylvia ihm wieder verzeihen wollte. Sie hatte zwar einen verletzlichen, aber dennoch starken Eindruck gemacht. Wahrscheinlich war seine letzte Geliebte, Katharina, zu viel gewesen. Katharina hatte den Ausschlag für das Ende ihrer Beziehung gegeben. Warum hatte er sich mit ihr eingelassen? Der erste Grund der ihm einfiel, wenn er ehrlich zu sich selbst war, war die Selbstbestätigung. Die Frauen sollten ihm zu Füßen liegen, er wollte spüren, dass sie ihn liebten, egal was er tat. Ihn so liebten wie er war. Sylvia hatte ihn geliebt, aber das hatte ihm nicht gereicht. Langeweile hatte sich breit gemacht, und die Abende an denen sie arbeiten musste, brauchte er Beschäftigung. Okay, Katharina hatte er durch Zufall kennen gelernt. Als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte sie den Blick nicht mehr von ihm wenden können, und das war ihm sofort ins Auge gesprungen. Diese Frau hatte sich auf den ersten Blick in ihn verliebt, und wann hatte man schon das Glück, dass einem so etwas passierte? Anfangs wollte er sie nur für eine Nacht, doch nachdem er festgestellt hatte, dass er der erste Mann für sie war, konnte er sie nicht fallen lassen. Außerdem hatte es Spaß gemacht, warum sich also nicht holen, was er bekommen konnte? Er hatte Katharina danach erzählt, dass er seit fünf Jahren liiert war und hatte ihr die Enttäuschung angesehen. Doch als typischer Casanova war es ihm nicht schwer gefallen, sie zu beeindrucken, sie immer wieder dazu zu bringen, dass sie bei ihm blieb. Sie würde alles für ihn tun, dessen war er sich sicher. Er stand vom Bett auf um Sylvia auf ihrem Handy anzurufen und ihr seine Liebe zu beteuern, als Kentner vor der Tür stand, allerdings ohne seine Kollegin. Obwohl ihm nicht danach zumute war, ausgerechnet jetzt mit einem Beamten zu sprechen, gab er sich cool. "Ah, der Kommissar. Ich wollte gerade Sylvia anrufen, wo haben Sie sie denn gelassen?" "Ich bin wegen dem Tod von Dorothee Lavalle hier. Darf ich hereinkommen?" "Bitte." "Sie haben Frau Lavalle gekannt?" "Gekannt ist zu viel gesagt. Ich habe sie zusammen mit einer Freundin von mir, Katharina Melgossi, getroffen. Katharina hat sie mir vorgestellt und ..." Thomas beendete seinen Satz und zuckte mit den Achseln. "Was und? Ist Katharina Melgossi nicht Ihre Dauergeliebte?" "Ja. Hat Sylvia Ihnen das erzählt? Sie braucht sich keine Sorgen mehr über Katharina zu machen, ich habe mit ihr Schluss gemacht. Und ich werde sie auch nicht mehr betrügen, ganz ehrlich." „Hatten Sie ein Verhältnis mit Dorothee?" „Nein, ich habe sie einmal flüchtig gesehen, mehr nicht. Und ich kann Ihnen auch nichts über diese Frau sagen." „Und das soll ich Ihnen jetzt glauben? Halten Sie es nicht für besser mir gleich die Wahrheit zu sagen?" „Ich sage Ihnen die Wahrheit." „Woher hat Fabian Lavalle Sie dann gekannt und uns gesagt, dass Sie ein guter Freund von Frau Lavalle seien?" „Was weiß ich, wie der auf mich kommt. Vielleicht hat Dorothee aus Zufall mal meinen Namen erwähnt." Kentners Blick besagte, dass er ihm kein Wort glaubte. Aber was sollte er tun? Ihm blieb nur die Aussage zu überprüfen, und wenn sich bestätigte, dass irgendetwas nicht ganz überein stimmte würde er darauf zurück kommen können. Momentan war aus Thomas nichts mehr herauszukriegen, weswegen Dirk beschloss Thomas seinem Schicksal zu überlassen. Dieser griff, nachdem er den Beamten los geworden war, sofort zum Telefon.
„Katharina, bist du es? Ein Dirk Kentner von der Kriminalpolizei war gerade bei mir. Er hat mich nach Dorothee Lavalle gefragt. Ich habe ihm gesagt, dass ich sie über dich kennen gelernt habe. Nein, mehr habe ich nicht erzählt. Dass ich sie nur einmal gesehen und kein Verhältnis mit ihr hatte, sonst nichts. Du hilfst mir? Danke, du wirst es nicht bereuen." Zu was Geliebte doch manchmal gut waren. Kentner fuhr zum Revier zurück und veranlasste die Bewachung Fabian Lavalles. Sylvia war noch nicht zurück, und er beschloss auf sie zu warten. * Notalagy machte sich auf den Weg zur Arztpraxis, in Gedanken immer noch bei ihrem Exfreund. Deshalb fuhr sie auch versehentlich an dem Schild vorbei auf dem in vornehmen Buchstaben "Christoph Lesty" stand. "Mist" fluchte Sylvia und drehte. Heute war wirklich nicht ihr Tag. Nachdem sie einen Parkplatz gefunden hatte, stiefelte sie die Treppen zu der Praxis nach oben. Sie wollte die Haupttür öffnen, doch so sehr sie auch daran rüttelte und zog, die Tür ging nicht auf. Da erst sah sie den von Hand geschriebenen Zettel, dass die Praxis geschlossen war. Der gute Herr Lesty hatte wohl Urlaub. Sylvia entschloss sich die Privatadresse herauszusuchen und den Doktor dort zu besuchen. Eine Nachbarin der Arztpraxis konnte ihr die Adresse geben. Jetzt brauchte sie nur noch das Glück, dass Dr. Lesty zu Hause war. Bei ihrem Glück hatte sie da schon Zweifel. „Wer nichts wagt, der nichts gewinnt", sagte sie sich, stieg ins Auto und fuhr los. Bei den Lestys zuhause sah es so aus wie Sylvia es sich vorgestellt hatte. Ein großes Haus mit einem riesigen Vorgarten, den man durch ein Tor betreten konnte. Sylvia begab sich durch das Tor. Um so näher sie der eigentlichen Eingangstür kam, um so lauter wurde das Geschrei im Haus. Eine Frau und ein Mann schienen einen heftigen Streit zu haben. Sylvia klingelte trotzdem. Kurz bevor ihr die Tür geöffnet wurde, hörte sie noch ein motziges: "Ist doch mir egal". Dann schaute ein junges Mädchen, Sylvia schätzte es auf ungefähr 18 Jahre, durch die Tür. Der Stimme nach zu urteilen war das die Frau die in den heftigen Streit verwickelt war. Ihr gegenüber wirkte sie jedoch freundlich. "Ja, bitte? Wie kann ich Ihnen helfen?" "Mein Name ist Sylvia Notalagy, ich bin von der Kriminalpolizei. Ich würde gerne mit Dr. Christoph Lesty sprechen." "Kommen Sie doch herein. Das ist mein Vater, ich sage ihm Bescheid." "Danke." "Papa", rief das Mädchen während es in eines der Zimmer verschwand "da ist jemand von der Kripo." Kurz darauf trat ein älterer sehr gepflegter Herr aus dem Raum, in dem das Mädchen verschwunden war. "Christoph Lesty" stellte er sich, ihr die Hand schüttelnd, vor. "Sie sind von der Kriminalpolizei? Wie kann ich helfen?" Während er sprach deutete er mit Handbewegungen an ihm zu folgen. In seinem Arbeitszimmer nahmen sie Platz und er bestellte über das Telefon Kaffee. Dieses Zimmer sah aus wie ein typisches Arbeitszimmer. Ordner und Papier waren überall verstreut. In der Ecke stand eine Couch auf der ein paar Decken lagen. „Außergewöhnliches Muster", dachte Sylvia. Dann sagte sie: "Machen Sie sich keine Umstände. Ich habe nur ein paar Fragen."
Er lächelte. "Nicht der Rede wert. Mit einer so schönen Frau Kaffee trinken zu können, das kommt nicht alle Tage vor." "Es geht um eine ihrer Patientinnen, Dorothee Lavalle. Sie ist am Donnerstag tot aufgefunden worden." Dr. Lesty machte ein betroffenes Gesicht. "Oh, das tut mir wirklich leid. Die arme Frau." "Vielleicht könnten Sie mir etwas über sie bzw. ihre Krankheiten erzählen." "Da haben Sie wirklich Glück" meinte Dr. Lesty. "Ich habe diese Woche noch Urlaub und es wäre wirklich umständlich gewesen extra in die Praxis zu fahren um die Akte holen zu gehen. Aber ich habe alles in meinem Computer gespeichert." Christoph Lesty holte aus dem Schrank einen Laptop hervor und schaltete ihn ein. Währenddessen brachte die junge Frau welche die Tür geöffnet hatte den Kaffe und einige Plätzchen. Obwohl Christoph sich höflich bedankte war an dem Blick den sich beide zuwarfen zu erkennen, dass der Streit noch nicht ausgestanden war. Nachdem das Mädchen die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte meinte Christoph: "Das ist meine Tochter Bianca, sie ist jetzt 15 Jahre alt. Wirklich ein schlimmes Alter. Haben Sie Kinder?" Sylvia schüttelte den Kopf. "Sie glauben gar nicht wie schwer das manchmal ist. Eben habe ich mal wieder eine unserer Grundsatzdiskussionen mit ihr gehabt, aber irgendwie denkt sie immer ich wolle ihr etwas Schlechtes, wenn ich ihr etwas verbiete. Dabei meine ich es nur gut mit ihr." "Bei allen Familien ist das doch so. Ich glaube ich hatte in dem Alter auch ständig Krach mit meinen Eltern. In ein paar Jahren werden Sie beide darüber lachen." "Sie sind nicht gekommen um Seelentröster zu spielen", meinte er spitzbübisch lächelnd und hämmerte auf den Computertasten herum. "Lavalle Dorothee, da habe ich sie." Aufmerksam glitt sein Blick über den Bildschirm. Nach einigen Minuten genauen Studierens meinte er: "Frau Lavalle war eigentlich gesund, also sie hatte keine gravierenden Krankheiten. Diabetes hat sie gehabt. Deswegen und wegen der Kopfschmerzen und Schlafstörungen war sie bei mir in Behandlung. Woher die Kopfschmerzen kamen konnte ich nicht feststellen. Für den schlimmen Fall, dass sie ohne Tabletten nicht auskommt habe ich ihr Novacetol verschrieben. Das ist ein Schmerzmittel das eigentlich schon relativ stark wirkt. Sie sollte es nur holen wenn sie es wirklich nicht mehr aushält. Und wegen der Schlafstörungen habe ich ihr Mogadon, das sind Schlaftabletten, aufgeschrieben." „Vertragen sich diese Mittel mit den Medikamenten die sie für ihren Diabetes brauchte?" „Ja, das war kein Problem. Diabetes ist schon zu einer Allerweltskrankheit geworden. Es ist nicht schwer damit normal weiterzuleben. Frau Lavalle konnte sehr gut damit umgehen." "Können Sie mir noch irgendetwas persönliches über Dorothee Lavalle erzählen?" „Vor über 15 Jahren war ich mal mit ihr zusammen. Nur sehr kurze Zeit. Wir haben nicht zusammen gepasst und ich habe mich wegen meiner jetzigen Frau von ihr getrennt. Dorothee hat das nur sehr schwer verkraftet." „Sie wollte Sie zurückgewinnen?" „Ja, aber kurz darauf war meine Frau dann schon schwanger und Dorothee hat es aufgegeben mich zurück zu erobern." „Wie war das Verhältnis danach, 15 Jahre später, als sie ihre Patientin war?" „Wie das zwischen Arzt und Patient eben ist. Privat haben wir über nichts mehr wichtiges
gesprochen, höchstens noch über das Wetter. Des weiteren hatte ich beruflich mit ihr zu tun. Sie hat bei der Drogenberatung gearbeitet und ich habe einige Patienten die süchtig sind. Darüber habe ich mich öfter mit ihr unterhalten." „Was können Sie uns über den Charakter von Frau Lavalle sagen? Sie sagen, Sie haben nicht zu ihr gepasst, warum?" „Wir hatten ganz unterschiedliche Interessen. Aber das war nicht der Hauptgrund. Ich hatte ständig Streit mit ihr, weil wir beide sehr stark unsere eigene Meinung vertreten haben. Sie hat mich als ihr Eigentum angesehen. Damals war sie auch erst 15 und ich schon 30 Jahre alt. Oft habe ich gedacht es liegt am Alter und dass ich mir eine Frau meines Alters suchen muss. Was ich dann auch gemacht habe. Dorothee war sehr eifersüchtig. Ich sollte immer nur für sie da sein. Sofort nach der Arbeit zu ihr, in der Mittagspause, das ganze Wochenende, sie hat mich total eingeengt. Mit ihr darüber sprechen konnte ich nicht, sie hat es nicht verstanden. Und vom Charakter? Alles was sie wollte hat sie auch bekommen, egal mit welchen Mitteln. Deshalb hat sie es auch fast nicht akzeptieren können, als ich Tamara, meine jetzige Frau, kennen gelernt habe. Sie hat schlimmen Telefonterror ausgeübt, mich vor der Arbeit abgefangen, Tamara belästigt. Wir, Tamara und ich, haben das zusammen durchgestanden und als Tamara dann schwanger war hat Dorothee aufgegeben. Ich habe nichts mehr von ihr gehört, bis sie sich zu mir in Behandlung begab. Zu der Zeit waren wir beide erwachsener geworden, über damals haben wir nicht mehr gesprochen. Wie ich schon sagte, nur ganz belanglos." „Wo waren Sie eigentlich am Mittwoch zwischen 19.00 und 23.00 Uhr?" „Ich war mit einem Kollegen zusammen hier. Wir treffen uns einmal in der Woche und fachsimpeln ein bisschen. Dr. Kottler heißt er und er wohnt in Bergendo in der Hauptstraße. Ich hatte gar keinen Grund Dorothee umzubringen, auch wenn ich ihren Charakter damals nicht so toll fand. Zur jetzigen Zeit hatte ich fast nichts mehr mit ihr zu tun. Zumindest privat nicht." „Ich verdächtige Sie auch nicht, es ist eine reine Routinefrage. Jeder der privat mit Frau Lavalle zu tun hatte muss diese Frage über sich ergehen lassen." "Wissen Sie zufällig wer der Vater ihres Kindes war oder kennen Sie ihren Frauenarzt?" "Es tut mir wirklich leid, aber ich muss beides verneinen. Ich wusste nicht einmal, dass sie überhaupt ein Kind hat." "War sie schon so lange nicht mehr bei Ihnen in Behandlung?" "Ist vielleicht ein Jahr her, aber von einer Schwangerschaft habe ich nichts mitbekommen." "Da müsste sie im sechsten Monat gewesen sein, das sieht man doch, oder?" Christoph lachte. "Nicht immer. Dorothee Lavalle hatte eine sehr gute Figur und es gibt Leute die selbst in der Schwangerschaft nur sehr leicht zunehmen." "Dann bedanke ich mich vorerst mal bei Ihnen und verabschiede mich." "Nichts zu danken. Leider konnte ich Ihnen nicht viel weiterhelfen. Trotzdem wünsche ich Ihnen, dass sie den Übeltäter bald fassen." Mit dem Wissen nicht viel weitergekommen zu sein fuhr Sylvia, nachdem sie Dr. Lestys Alibi überprüft hatte, zum Revier zurück. Dort wartete Dirk schon mit weiteren Neuigkeiten auf sie. "Da bist Du ja endlich. Ich habe mit Thomas gesprochen und angeblich hat er Frau Lavalle durch diese Katharina Melgossi kennen gelernt." „Ist ja unglaublich, wie viele mir bekannte Personen Frau Lavalle gekannt haben. Unterhalten wir uns mit Katharina, oder?" Sie tranken noch schnell einen Kaffee, bevor sie sich in die Kälte wagten. Bei dem Getränk erzählte Kentner seiner Kollegin was bei der Befragung Thomas Jaabs herausgekommen war. Sylvia berichtete über die Befragung Dr. Lestys. Sein Alibi war hieb- und stichfest.
* Mit lauter Musik und viel Arbeit versuchte Katharina sich selbst abzulenken. Gerade zuvor hatte Thomas sie angerufen und sie mehr oder weniger darauf vorbereitet mit der Kriminalpolizei reden zu müssen. Jetzt ging es sogar soweit, dass sie für ihn lügen sollte. Warum sagte er den Leuten nicht die Wahrheit? Hatte er etwas zu verbergen? Was sie am meisten ärgerte war, dass er sie da mit herein zog. Sie dachte an den Abend, an dem sie mit seiner mittlerweile Ex-Freundin, Sylvia, gesprochen hatte. Gemeinsam war man stark, hieß es immer. Und an diesem Abend, bei dem Gespräch, als sie endlich mal erzählen konnte, wie weh ihr das alles tat und was alles passiert war, hatte sie sich stark gefühlt. Sie war sich sicher gewesen Thomas verlassen zu können. Nie mehr hatte sie etwas mit ihm zu tun haben wollen. Doch als er dann zwei Tage später wieder vor ihrer Tür stand und berichtete, dass Sylvia ihn verlassen hatte, war sie weich geworden. Eigentlich hatte er es sogar noch herumgedreht und behauptet er hätte Sylvia ihretwegen verlassen. Sie wusste es besser, dennoch war es ihr nicht gelungen genau so hart wie seine Exfreundin zu sein. Ob sie ihm doch hörig war? Ging diese Hörigkeit so weit, dass sie würde für ihn lügen können? Dabei sagte er ihr noch nicht mal warum. Sie wusste nicht annähernd woher Thomas diese Frau Lavalle kannte und was er mit ihr zu tun gehabt hatte. Sie beschloss, noch dieses eine Mal sein Spiel mit zu spielen, ihm zu helfen. Doch dann würde er ihr erzählen müssen, was wirklich Sache war, sonst würde sie nachträglich zur Polizei gehen, dass nahm sie sich vor. Und da war es schon, das Klingeln, welches die Kripobeamten ankündigte. Dirk berichtete, dass Frau Lavalle tot aufgefunden worden sei und sie nun in dieser Sache ermittelten. „Sie haben Frau Lavalle gekannt, oder?" Katharina nickte. „Wo haben Sie sie kennen gelernt? Und wo haben Sie Frau Lavalle mit Thomas Jaab bekannt gemacht?" „Im Fitnesscenter. Als ich sie kennen gelernt habe, also das erste Mal als ich Dorothee begegnet bin, habe ich sie alleine im Fitnesscenter getroffen, beim zweiten Mal war ich mit Thomas da und bin ihr da wieder begegnet." „Was? Im Fitnesscenter?", fragte Sylvia erstaunt und warf Dirk einen Blick zu. Dessen Blick besagte, dass auch ihm das unbegreiflich war. Katharina verstand die Überraschung nicht und schaute von einem Beamten zum anderen. „Haben Sie sie näher gekannt? Sich öfter mit ihr getroffen? Wie haben Sie sie kennen gelernt?" „Ich war gerade dabei mich bei dem Personal über Aerobicstunden zu informieren. So etwas wollte ich schon immer mal machen. An den Geräten trainiere ich schon länger, und nachdem ich die nötigen Informationen, also Termine und so weiter von dem Aerobictraining hatte, bin ich wieder auf die Geräte zugesteuert. Da ist Dorothee auf mich zugekommen und hat mich gefragt ob sie mich stören dürfe. Zuerst war ich erstaunt darüber, wusste nicht, was diese Frau von mir wollte und stand ihr auch misstrauisch gegenüber. Sie hat mir aber sehr schnell die Befangenheit genommen, mich zu einem Trink eingeladen und mir erzählt, dass es noch ein wesentlich effektiveres und besseres Fitnesstraining gebe. Kangoo Robic. Das ist Aerobic mit Kangoo Jumps, Springschuhen. Das könne man auch in diesem Fitnesscenter „Fit in" machen. Näher gekannt habe ich sie aber nicht, ich habe nur das eine Mal mit ihr gesprochen, und natürlich an dem Tag als ich sie mit Thomas wieder getroffen habe. Das war aber wirklich Zufall. Wir haben gerade zusammen an der Bar gesessen, Thomas und ich, als sie hereingekommen ist. Sie ist sofort auf mich zugekommen und hat mich gefragt ob ich denn schon Kangoo Robic ausprobiert habe. Wir haben uns darüber unterhalten. Ich hab ihr Thomas bei dieser Gelegenheit vorgestellt."
„Wo waren Sie eigentlich am Mittwoch zwischen 20.00 und 23.00 Uhr?" „Sie werden doch nicht mich verdächtigen?" Katharina bekam es sichtlich mit der Angst zu tun, man konnte ihr die Nervosität ansehen. „Ich war es nicht, ich, ich" Sie fing an zu stottern. „Wo war denn Thomas an diesem Abend? Bei Ihnen?" „Nein, ich war im Kino mit einer Freundin." Dirk sah Sylvia an. „Bei dir?" Doch auch sie musste verneinen. Wieder zu Katharina gewandt sagte Dirk: „Am besten sagen Sie uns den Namen Ihrer Freundin. Haben Sie zufällig die Kinokarte noch?" „Nein, die schmeiße ich immer sofort weg. Aber ich habe doch nichts zu verbergen, ich hätte doch gar keinen Grund gehabt, ich kenne die Frau kaum." * Nach der Befragung saßen Sylvia und Dirk in einem Eiscafe in dem sie einen Cappuccino tranken. Um ein Eis zu essen war es zu kalt. „Und was sagst du zu der Aussage deines früheren Lebensgefährten?" „Er hat gelogen, keine Frage. Wir müssen es ihm nur noch nachweisen. Ich halte zwar auch Fabian Lavalle für keinen Engel, und traue ihm durchaus eine Lüge zu, aber warum und wie hätte er Thomas erfinden sollen? Er hat uns doch seinen genauen Namen gegeben. Den hätte er gar nicht gewusst wenn seine Schwester ihn nicht gekannt hätte." „Er selber könnte ihn kennen und ärgern wollen. Aber du hast Recht, das ist weit her geholt. Ich glaube auch, das Thomas lügt." „Wir sollten uns aufteilen. Ich bringe in Erfahrung ob Katharinas Freundin zufällig noch die Kinokarte hat, was ich für sehr unwahrscheinlich halte, und du könntest mal nachforschen, ob Katharina Melgossi Kundin in dem Fitnesscenter ist." Gesagt, getan. Nach dem köstlich heißen Getränk machten sich die beiden auf die Fakten zu überprüfen. * Bianca Lesty saß mit ihrer Freundin Elke Bian auf den Steinmauern. „Ich verstehe nicht warum mein Vater mir immer alles versauen muss" motzte Bianca. „Er ist doch Arzt, könnte mir so gut helfen. Aber nein, er kommt mir mit so blöden Sprüchen wie ‚viel zu gefährlich' und ‚das hast du noch gar nicht nötig' an. Was kann ich denn nur tun? Ohne seine blöde Unterschrift finde ich nie im Leben einen Arzt der operiert. Oder ich muss noch 3 Jahre warten. Ich habe so einen Hass auf ihn." „Reg dich doch ab. Bei meinen Alten ist es nicht anders. Die können absolut nicht nachvollziehen wie wichtig so was für uns ist. Ich kriege noch nicht mal die Klamotten die ich will. Wenn ich die schönsten Minikleider und Oberteile aus dem Schrank hole kriegt meine Mutter immer bald einen Herzinfarkt. Dann schreit sie so lange herum bis Daddy angelaufen kommt und mir verbietet so raus zu gehen. ‚Ich wäre doch keine Nutte' meint er. Dass das einfach nur schick ist kriegt er nicht gereiht." „Wenn es nur um die Klamotten gehen würde. Ich habe mich schon so genau informiert. Am Anfang hat mein Vater selbst mir sogar erzählt wie das gemacht wird. Er hat mir im OP-Saal die Utensilien gezeigt und so. Aber mir hat das nicht gereicht, ich wollte das Ganze auch von jemandem hören der selbst auf dem Tisch gelegen hat. Ein Patient, der es schon hinter sich hat.
Ich bin reif genug auch die Risiken zu ertragen wenn was passiert, aber das versteht er nicht. Für ihn bin ich immer noch ‚seine Kleine'." „Würde mich auch mal interessieren, wie das genau abgeht." „Ich habe also mit einer Patientin von meinem Vater gesprochen, die es bei ihm machen gelassen hat. War total begeistert hinterher. Als er nicht aufgepasst hat, habe ich mich an seinen Computer geschwungen und „ambulante Liposuktion" eingetippt. Damit habe ich den Namen von der Patientin bekommen und wusste auch wann sie operiert wird, wann sie zur Nachuntersuchung kommt und so. Bei einer Nachuntersuchung habe ich sie draußen vor der Praxis abgefangen und sie gefragt ob sie mir ein paar Informationen geben könne. Wir haben uns dann in den Stadtpark verzogen und da hat sie dann mit Freuden erzählt. Sie war so begeistert, dass sie nicht mal gefragt hat woher ich weiß was sie hat machen lassen." „Und? Was hat sie denn erzählt?" „Zuerst ist sie einfach mal zur Beratung zu meinem Vater gekommen. Sie hat ihm gezeigt was für einen dicken Bauch sie hat und hat gefragt wie teuer so was wäre und wie das Ergebnis ist und so. Er hat sie dann über die Risiken aufgeklärt und gemeint, dass es bei ihrer Figur an für sich kein Problem wäre. Die Kosten liegen bei 5500 €. Der Preis ist unterschiedlich, je nachdem wie viel Fett abgesaugt werden muss. Das ganze passiert ambulant, man darf am gleichen Tag wieder nach Hause. Es läuft zwar dann noch Flüssigkeit überall raus und so, aber das soll ja so sein. Die Frau hat gemeint direkt danach, also zwei, drei Tage lang wäre es schon ein bisschen unangenehm. Man muss dann zu Hause bleiben und aufpassen dass man nicht alles mit dieser Flüssigkeit versaut. Dann muss man noch eine Zeit lang eine Miederhose tragen und das war es. Die Fettzellen sind dann weg für immer." „Und bei der Operation selber? Hat sie darüber etwas erzählt?" „Ja. Sie hat eine Vollnarkose bekommen. Du liegst dann auf einer Liege, kriegst die Vollnarkose und schläfst ein. Die sagen dann zu dir, dass dir gleich schwindelig werden wird. Die Frau hat erzählt als die das gesagt haben hat sie im ersten Moment gar nichts gemerkt, und dann, auf einmal, schwups war sie weg. Als sie wieder aufgewacht ist war alles vorbei. Ohne jede Nachwirkung. Nur dass sie ab dem Zeitpunkt, also nachdem dann auch die Schwellungen abgeklungen waren eine tolle Figur hatte. Eigentlich hat sie mir genau das gesagt, was mein Vater mir vorher schon erklärt hat." „Warum will dein Vater das bei dir nicht machen, wenn meistens alles so glatt geht?" „Er meint ich wäre zu jung. Ich solle lieber vernünftig essen." „Typisch Arzt. Fehlt nur noch dass er sagt ‚Geh viel an die frische Luft und mache Sport'." „Sagt er ja. Und dann meint er auch noch er würde mir damit was Gutes tun." „So sind Eltern halt. Vielleicht schaffst du es ja noch irgendwie ihn herumzukriegen." „Also in letzter Zeit habe ich nur noch Stress mit ihm. Aber weißt du was Cooles passiert ist?" Ohne dass Elke eine Möglichkeit zum Antworten hatte sprach Bianca weiter. „Die Kriminalpolizei war letztens bei uns. Gerade als mein Vater und ich uns so richtig angeschrieen haben. Da hat es geklingelt und so eine Frau stand vor der Tür. Sie wollte mit meinem Vater sprechen. Ich konnte es natürlich nicht lassen und habe an der Tür gelauscht. Leider habe ich nicht alles mitbekommen, er hat mich Kaffe kochen geschickt. Ich weiß nur, dass es um eine seiner Patientinnen geht." „Was passiert ist weißt du nicht?" „Leider keine Ahnung. Würde mich aber total interessieren. Wenn hier in dem Kaff schon mal was abgeht." „Meinst Du wir könnten es irgendwie herauskriegen?" „Glaube ich nicht. Meinen Vater kann ich nicht fragen, so wie der in letzter Zeit drauf ist. Wahrscheinlich erfahren wir erst wieder etwas, wenn die Sache schon vorbei ist. Aber in Bezug
auf die Operation habe ich eine Idee. Ich weiß wie ich ihn dazu bringen kann, dass er mich operiert. Ich werde ihn unter Druck setzen." Bianca grinste ein siegessicheres Lächeln. * „Hast du etwas über Frau Lossen heraus bekommen können?" „Ihr Lebensgefährte heißt Marc und sie hat eine Schwester namens Conni, die Zwillinge hat." „Dann reden wir doch zuerst mal mit ihrer Schwester." Wenige Minuten später waren sie bei Conni eingetroffen. Zwillinge spielten in einer Ecke mit Puppen und Kindergeschirr. Es sah aus wie in einer typischen Familienwohnung. Sehr bewohnt. Ein reges Durcheinander herrschte auf dem Fußboden, das eindeutig von den Zwillingen stammte, die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Auf dem Tisch standen noch die Teller vom Mittagessen. Conni wirkte gestresst. Man sah, dass sie sehr viel Arbeit hatte, und diese alleine kaum bewältigt bekam. Trotzdem schaffte sie es positiv zu denken und freundlich zu bleiben. „Tut mir leid, dass es hier so chaotisch ist, aber mit den zwei Kleinen." Sie wies auf die Zwillinge. „Ist doch verständlich." „Sie kommen wegen meiner Schwester, richtig? Sie hat mir von dem schrecklichen Vorfall erzählt. Das hat Monika wirklich mitgenommen, tut es immer noch. Seit dem das passiert ist liegt sie fast nur noch im Bett und denkt über das Kind nach." „Das Kind hat ihre Schwester scheinbar mehr geschockt als die tote Frau, oder?" Conni nickte. „Irgendwie schon. Aber das hängt mir ihrer persönlichen Situation zusammen. Monika beschäftigt sich seit dem Tag an dem sie erfahren hat, dass sie keine eigenen Kinder bekommen kann, nur noch mit dem Thema. Egal wo sie ein Kind sieht, es ist immer nur das Kind wichtig. Das ist auch alles wovon sie erzählt. Ich glaube, dass sie außer Kindern überhaupt nichts mehr wahrnimmt. Wenn ich ihr etwas über gemeinsame Freunde erzähle, die zum Beispiel schwer krank geworden sind oder die irgendein Schicksalsschlag getroffen hat, sie ignoriert es, hört es gar nicht." „Wie weit würde ihre Schwester gehen um an ein Kind zu kommen?" „Sie denkt darüber nach eines zu adoptieren. Natürlich ein Baby, wie es alle Frauen wollen, die eine Adoption ins Auge fassen. Etwas Illegales würde sie nicht tun, davon bin ich überzeugt. Das schlimme ist, dass in ihrem Leben fast nichts zu funktionieren scheint. Sie streitet sich mit ihrem Freund darüber ob sie ein Kind adoptieren sollen, bemitleidet sich selbst und kann nicht den Beruf lernen den sie möchte." „Warum hat sie denn dann noch kein Kind adoptiert?" „Ihr Freund ist dagegen, wegen den Genen. Ich glaube ja nicht an den Quatsch, aber Monika steigert sich zu sehr in ihren Wunsch. Ich habe ihr vorgeschlagen es erst mal mit einem älteren Kind zu versuchen, das würde beiden etwas bringen. Aber sie will nicht. Ich hoffe nur, dass sie bei dem Eignungstest gut abgeschnitten hat, wenn sie das schafft, bekommt sie wieder mehr Lebensmut. Dann wird das alles nicht mehr so schlimm. Ich denke, dass sie dann auch mit ihrem Kinderwunsch besser umgehen kann." „Bei welchem Unternehmen hat sie denn einen Eignungstest gemacht?" „Bei einer Schule für Logopädie. Es ist mir ihr größter Traum Logopädin zu werden. Wenn sie den verwirklichen kann, dann wäre uns wirklich allen geholfen." „Was können Sie uns denn noch so über ihre Schwester sagen?" „Ich weiß nicht was Sie hören wollen. Es gibt nichts wesentliches zu erzählen. Sie ist genauso
wie alle anderen Menschen, lieb, intelligent, manchmal etwas stur wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Bevor sie die Tote gefunden hat, hat sie mir öfter mit den Kindern geholfen, auch im Haushalt, kaufen gehen und so. Aber dieses Erlebnis hat alles noch sehr viel schlimmer gemacht. Sie ist davon überzeugt nichts wert zu sein. Versuchen Sie das mal jemandem auszureden." „Warum?" „Wegen des unerfüllten Kinderwunsches. Und auch wegen dem Beruf. Sie hat ja nichts zu tun. Ich wäre auch nicht damit zufrieden einfach nur zu Hause zu sitzen und ein bisschen Haushalt zu machen." „Tun Sie doch jetzt auch." „Weil es nicht anders geht. Ich habe schon so viel Arbeit mit den Zwillingen, wie sollte ich da noch arbeiten gehen?" Die Beamten gingen. Auch von Conni hatten sie nicht das erfahren können, was sie sich erhofft hatten. Aber was hatten sie erwartet? Dass die Schwester Monika für kriminell erklären würde? Die Geschwister schienen sich trotz der Reibereien, die es in jeder normalen Familie gab, gut zu verstehen. * Conni ließ sich auf den nächstgelegenen Stuhl sinken und dachte über die Vermutungen nach welche die Polizisten gegen ihre Schwester zu hegen schienen. „Wie weit würde Ihre Schwester gehen um ein Kind zu bekommen?", hatten sie gefragt. Eine gute Frage. Zur Zeit steckte Monika in einer tiefen Ausweglosigkeit aus der es kein Entrinnen zu geben schien. Oft wusste sie gar nicht mehr was sie tat, handelte einfach nach ihren Gefühlen. Conni konnte ihre Schwester einerseits verstehen, andererseits ging sie zu weit. Sie konnte doch nicht alles andere in ihrem Leben außer Acht lassen. Schließlich teilte sie das Schicksal der Kinderlosigkeit mit tausend anderen Frauen. Wie leicht war es doch in einem Moment zu verzweifeln in dem einem das Leben aus den Fugen geriet. Erst recht wenn jemand so labil wie Monika war. Früher war Monika glücklich gewesen. Conni erinnerte sich an die Zeiten in denen sie zusammen etwas unternommen hatten. Vor allen Dingen die Jugendzeiten, die ersten Erfahrungen mit den Jungen, die Enttäuschungen. Zu viert waren sie weggegangen. Monika mit Marc und sie selbst mir ihrem heutigen Mann. Sie hatten immer Spaß gehabt, beim Tischfußballspielen, beim Diskutieren über heiße oder politische Themen, beim gemeinsamen in Urlaub fahren. Wenn sie Streit hatten, dann nur oberflächlich, immer irgendetwas belangloses was sich schnell wieder klären ließ. Das Verhältnis zu Monika hatte sich erst erheblich verschlechtert als Conni schwanger geworden war und Monika festgestellt hatte, dass ihr selbst dieses Glück versagt blieb. Mark hatte in der ersten Zeit zu vermitteln versucht, aber Monika war so sehr in ihrem Schmerz gefangen, dass sie kein Interesse an einer Vermittlung hatte. Nach einer Weile hatte sie sich dazu überreden lassen Conni zu helfen, bei der Kinderpflege und auch so. Man hatte gemerkt, wie viel Spaß ihr das machte, und dass sie mit Sicherheit auch eine sehr gute Mutter abgegeben hätte. Aber Conni hatte ihr doch nicht mehr anbieten können. Monika durfte auf die Zwillinge aufpassen wann immer sie wollte. Conni seufzte. Sie wünschte wirklich, dass sie die Macht hätte Monika irgendwie zu helfen. * Obwohl es schon spät am Abend war, waren Dirk und Sylvia noch im Revier. Sie hatten heraus gefunden dass auch bei der Freundin keine Kinokarte mehr existierte. Die Freundin hatte die
Aussage Katharinas bestätigt. Sie wäre an dem Abend mit ihr im Kino gewesen. Aber wie auch ihre Freundin hatte sie sich des kleinen Zettelchens, welches den Beweis darstellte, entledigt. Katharina Melgossi war weder im Fit in, noch in einem anderen Fitnessstudio Mitglied. Somit war offensichtlich, dass Katharina gelogen haben musste. Daraufhin waren sie zu Thomas gefahren und hatten diesen mit Katharina zusammen angetroffen. Es hatte sich herausgestellt, dass Katharina alles was sie ihnen erzählt hatte erfunden hatte um Thomas zu decken. Sie war angeblich bei ihm gewesen um herauszufinden warum sie ihm überhaupt half. Thomas, der damit in der Klemme gesessen hatte, war gar nichts anderes übrig geblieben als zuzugeben, dass er gelogen hatte. Nun hatte er behauptet vor ewigen Jahren über längere Dauer mit Dorothee zusammen gewesen zu sein. Dies habe er nicht erzählen wollen weil er für sich dann keine Chance mehr sehen würde Sylvia zurückzugewinnen. Er hätte Angst diese würde ihm ein neueres Verhältnis mit Dorothee unterjubeln wollen. Oder noch schlimmer, wenn sie ihm hätten den Mord anhängen wollen. Für Kentner klang dies alles keineswegs logisch. Es war zwar nichts Gegenteiliges nachzuweisen, aber war dies wirklich ein Grund für eine Lüge gewesen? Da sie mit Spekulationen und Verdächtigungen nicht viel weiter kommen würden, versuchten sie erneut die Fakten zusammenzutragen. Nur die relevanten Fakten, die hundertprozentig feststanden. „Monika Lossen hat am Donnerstag, gegen viertel nach sechs, wie sie sagte, die tote Frau Lavalle mit einem 6 Monate alten Baby in einem Müllcontainer gefunden. Sie packt das Baby in ihre Jacke, rennt zu Buggy Olsen und dieser informiert von dort aus Polizei und Krankenwagen. Wir wissen nicht wer der Vater ist, und der einzige der ein Motiv hat ist der Bruder, der nicht nur ihr ganzes Geld sondern auch ihr Haus erbt. Die Nachbarin hat einen Haustürschlüssel, behauptet aber kein freundschaftliches Verhältnis mit der Toten gehabt zu haben. Dorothee Lavalle hat an dem Abend an dem sie starb, also am Mittwoch zwischen 20.00 und 23.00 Uhr eine Schlaftablette geschluckt, an der sie aber nicht gestorben sein kann. Die Ursache ihres Todes ist also unklar. Es stellt sich heraus, dass Thomas Jaab die Tote gekannt hat und früher ein länger dauerndes Verhältnis mit ihr hatte, weswegen er auch Fabian Lavalle kennt. Ob diese Aussage stimmt sei mal dahingestellt. Bleibt noch ihre beste Freundin, Regina Linde, die uns direkt ohnmächtig in die Arme fällt als sie die schreckliche Nachricht gehört hat. Also, was denkst du?" „Das wir im Moment nicht viel tun können. Wenn du meine Meinung wissen willst, ich würde gerne in mein Bett, und morgen früh sofort Frau Linde befragen. Dann würde ich mich mal bei dem Beamten informieren der Dorothees Bruder bewacht, was dieser in der Zwischenzeit gemacht hat. Und bei der Spurensicherung könnten wir uns erkundigen über Fingerabdrücke und so weiter. Sollten die immer noch nicht so weit sein müssen wir ihnen mal Dampf machen." „Einverstanden. Auf nach Hause." Sylvia genoss zu Hause ihren Feierabend. Viel blieb ihr zwar nicht mehr davon, aber die Zeit die sie hatte wollte sie sich entspannen. Mit einer aufgewärmten Dose Ravioli machte sie es sich vor dem Fernseher gemütlich und schaltete mit ihren Arbeitsgedanken ab. Nicht mehr nachdenken über den Fall, oder was für sie mindestens genauso schlimm war, über ihren Exfreund. Dirk fiel zu Hause sofort in sein Bett. Allerdings nicht ohne über die Erkenntnisse und Befragungen die er geführt hatte, nachzudenken. Alle Spekulationen hatten keinen Sinn, wenn sie keine Beweise finden würden. Jeder konnte in gewissem Maße schuldig sein. Würde er Monika Lossen als schuldig sehen, was hätte dann diese jetzt von dem Mord? Das Kind war mittlerweile bestimmt schon im Heim. Dirk beschloss, dass am nächsten Tag zu überprüfen. Monika Lossen würde so gut wie keine Chance haben die Kleine adoptieren zu können, und wenn, dann würde es Ewigkeiten dauern. Und wenn sie darauf spekuliert hatte, warum dann ausgerechnet dieses Mädchen? Nicht sehr wahrscheinlich. Realistisch wäre es nur dann, wenn Monika tatsächlich so naiv gewesen wäre zu glauben, dass sie das Kind gleich behalten dürfe, weil sie die Finderin war. So nach dem Motto: Wenn sich keiner meldet dem es gehört, dann behalte ich es eben. Aber auch
das war schwer vorstellbar. Hätte Monika Lossen tatsächlich nur das Kind gewollt, hätte es da nicht gereicht die Kleine einfach nur zu entführen? Über seine Gedanken hinweg schlief er ein. Er wälzte sich unruhig im Bett, und auch am nächsten Tag hatte er nicht ausgeschlafen. Er würde wohl gar nicht mehr ausschlafen bis der Fall geklärt war. * Sylvia und Dirk hatten sich im Krankenhaus verabredet. Vor der Rezeption trafen sie sich. „Sehr ausgeschlafen siehst du aber nicht aus", meinte Sylvia. „Bin ich auch nicht. Ich habe mir die ganze Nacht den Kopf über Monika Lossen zerbrochen." „Mit welchem Ergebnis?" „Kein erwähnenswertes und mit Sicherheit auch kein Vernünftiges." Sylvia fragte nicht weiter. Ohne nochmals mit dem Arzt Rücksprache zu halten steuerten sie auf Regina Lindes Zimmer zu. Durch einen Telefonanruf, in dem Sylvia behauptet hatte eine Bekannte von Regina zu sein, hatte sie die Zimmernummer erfahren. Dirk klopfte und trat ohne abzuwarten herein. Obwohl Regina die beiden Beamten kannte, und wusste was sie von ihr wollten, bekam sie diesmal keinen Schreck. Sie sah schon sichtlich erholter aus. Trotzdem erkundigte sich Dirk nach ihrem gesundheitlichen Zustand bevor er mit der Befragung begann. „Es geht mir schon wieder besser. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht früher helfen konnte. Aber sie war meine beste Freundin". Regina schluckte. „Das können wir sehr gut verstehen. Auch wenn wir gleich mit der Tür ins Haus fallen, wissen Sie wer der Vater des Kindes war?" „Michelle? Wer der Vater ist kann ich Ihnen nicht sagen, aber es interessiert Sie bestimmt, dass Dorothee auch nicht die Mutter war." Dirk fiel bald von dem Stuhl auf dem er sich niedergelassen hatte herunter. Auch Sylvias Gesicht sprach Bände. „Waaaas?" fragten sie wie aus einem Mund. „Aber wer ist dann die Mutter und warum war das Kind bei Dorothee? Hatte sie es adoptiert?" „Lydia Breuer ist die leibliche Mutter. Die beiden haben sich durch Zufall im Park kennen gelernt, soweit ich weiß. Lydia war schwanger, schon im neunten Monat und wusste absolut nichts mit einem Kind anzufangen. Da Dorothee sowieso ein Kind wollte, hat sie Lydia angeboten ihr ohne große Umstände das Kind sofort nach der Geburt abzunehmen, und so zu tun als ob es ihres wäre. Dann hätte Lydia absolut nichts mehr damit zu tun. Lydia war heilfroh und ist darauf eingegangen." „Hat Dorothee Ihnen das erzählt?" „Es blieb ihr nichts anderes übrig. Erstens wusste ich, dass sie nicht schwanger war, und zweitens wollte sie nicht in ihrem Haus bleiben, die erste Zeit mit dem Kind. Sie hat über ein halbes Jahr bei mir gewohnt." „Warum wollte sie denn nicht in ihrem Haus bleiben?" „Na, wegen Frau Maier, ihrer Nachbarin. Am Anfang haben sich die zwei ganz toll verstanden, Claudia war neben mir, eine der besten Freundinnen von Dorothee. Irgendwann hat Claudia dann abgeblockt, wollte nichts mehr mit Dorothee zu tun haben, die nicht wusste warum. Als Dorothee dann Lydia kennen gelernt hat, hat sie Claudia Maier erzählt sie sei im neunten Monat schwanger und verkrafte den Krach mit ihr nicht. Dorothee erzählte Claudia sie wolle in Urlaub fahren, dort entbinden und auch lange wegbleiben. In Wirklichkeit war sie die ganze Zeit bei mir. Mit dem Kind. Dafür hat sie mir dann auch Geld gegeben, für den Unterhalt, das Essen und so weiter. War ganz schön großzügig, dass war sie eigentlich immer mit Geld, zumindest mir gegenüber."
„So weit wohnen Claudia Maier und Sie doch gar nicht auseinander. Hatte Frau Lavalle keine Angst, dass Frau Maier sie mal durch Zufall sieht? Beim Einkaufen zum Beispiel?" Regina schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht ob sie Angst davor hatte, aber es ist nie passiert. Nach ungefähr einem halben Jahr ist sie mit Michelle wieder nach Hause zurück." „Und mit dem Kind, das ging wirklich alles so glatt über die Bühne?" „Ja, Lydia hat zu Hause entbunden, Gott sei Dank ohne Komplikationen. Dorothee hat sich Michelle dann geschnappt, ist mit ihr ins Krankenhaus und hat sie dort untersuchen lassen. Den Arzt hat sie mit Geld bestochen, damit er den Mund hält. Der hätte ja sofort gesehen, dass Dorothee nicht die Mutter sein konnte. Aber Dorothee wollte auch kein Risiko eingehen, sie wollte dass Michelle gesund ist. Dorothee hat Lydia eine ganze Menge Geld dafür gegeben." „Aber was ist mit dem Vater des Kindes? Hatte der kein Interesse an seiner Tochter?" „Lydia wusste nicht mal wer der Vater war. Sie hat einmal mit einem Mann geschlafen, ohne auch nur dessen Vornamen zu kennen, und ist gleich dabei schwanger geworden. Der Typ hat sich nicht mehr blicken lassen, er weiß wohl bis heute nicht, dass er überhaupt Nachwuchs hat." „Lydia wusste nicht mal den Namen von ihm?" „Sie müssten Lydia mal sehen. So wie Dorothee erzählt hat, ist sie nicht gerade eine Schönheit. Ziemlich dick, macht nichts aus sich. Wahrscheinlich weil ihr absolut die Selbstsicherheit fehlt. Dorothee meint, sie hätte sehr wohl was aus sich machen können, aber so wie sie Lydia kennen gelernt hat, sind ihr die Männer nicht gerade hinterher gelaufen." „Hat Dorothee sich öfter mit Lydia getroffen?" „Nein, wie schon gesagt, sie hat sie im Park kennen gelernt und dann noch einmal bei der Entbindung gesehen. Dann hat sie Lydia das Geld gegeben, hat sich das Kind geschnappt und ist ab." „Und Lydia hat sich nie für ihr Kind interessiert? Nachdem sie es auf die Welt gebracht hatte?" „Nein. Sie hat sich nicht die geringste Mühe gemacht ihr Kind zu suchen." „Wo können wir Lydia finden?" „Ich kann Ihnen nur die Adresse geben, wo sie früher gewohnt hat. Das ist schon ein halbes Jahr her. Ob Sie sie da noch finden weiß ich nicht. Danach hatte Dorothee ja nichts mehr mit Lydia zu tun." Regina diktierte Sylvia die Adresse. „Leider müssen wir Sie noch ein bisschen nerven. Sie haben uns zwar schon sehr weiter geholfen, aber sie kannten Dorothee so gut." „Kein Problem", meinte Regina. „Was können Sie uns über Dorothees Bruder erzählen?" „Fabian? Ein armer Schlucker. Mir tut er eigentlich leid, aber Dorothee hat das anders gesehen. Haben Sie ihn mal gesehen?" Als die Beamten nickten „Er ist als Kind total vernachlässigt worden. Seine Eltern wollten unbedingt ein Mädchen haben und als sie das bekommen haben, war es für sie auch das Wichtigste. Fabian war schon als Kind total sensibel, er ist es auch heute noch, auch wenn er es nicht zeigt, und hat versucht mit aller Gewalt die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das hat er zwar geschafft, aber im Grunde genommen hat er alles noch schlimmer gemacht. Als er klein war hat er immer irgendwelche Sachen kaputt gemacht, Vasen auf den Boden geschmissen, die Puppen von Dorothee zerstückelt, mit den Füßen an die Schränke getreten. Um so älter er wurde um so schlimmer wurde es dann. Da hat er Nachbarn beschimpft, Reifen zerstochen und so was. Seine Eltern hatten nur Probleme mit ihm. Allerdings haben sie nie begriffen warum er das tat, obwohl es doch so offensichtlich war. Klar, dass aus ihm nichts geworden ist. Er hatte nur Unsinn im Kopf, hat nicht mal den
Hauptschulabschluss gepackt. Dorothee dagegen hat Abitur gemacht und studiert. Ihre Eltern waren stolz auf sie und haben ihr deshalb alles vererbt, so viel Geld dass sie hätte nicht mehr arbeiten gehen brauchen, und trotzdem wie ein König gelebt hätte. Sie ist trotzdem arbeiten gegangen. Fabian ist im Laufe der Zeit immer weiter runter gekommen. Mittlerweile haust er in einer Gegend, in die ich nicht mal meine ärgsten Feinde schicken würde. Er hat wirklich überhaupt nichts. Er ist schon ziemlich früh spielsüchtig geworden, hat ständig Geld gebraucht. Am Anfang hat Dorothee ihm immer etwas gegeben. Sie wollte, dass er trotz allem etwas aus sich macht, dass er wieder rauskommt aus diesem beschissenen Leben. Doch er hat das schöne Geld immer nur verspielt. Klar, er war halt süchtig. Obwohl Dorothee ja mit Sucht umgehen kann, schließlich hat sie lange bei der Drogenberatung gearbeitet, wollte sie es bei ihrem eigenen Bruder nicht wahrhaben. Sie hat ihm immer nur Geld gegeben, anstatt ihn in Therapie zu schicken. Als er dann vor über einem Jahr wieder wegen Geld bei ihr war, hatten sie einen fürchterlichen Streit. Dorothee hat ihm nichts mehr gegeben, hat ihm aber auch sonst nicht geholfen." „Glauben Sie, dass Fabian Lavalle seine Schwester umgebracht haben könnte?" „Nein, eigentlich nicht. Ich kenne niemanden der einen Grund gehabt hätte. Und auch niemandem dem ich es zutrauen würde." „Können Sie uns etwas über die früheren Beziehungen von Frau Lavalle sagen?" „Sehr lange Beziehungen hatte sie mit keinem Mann. Ihr erster Freund war damals, da war sie gerade erst 15 Jahre alt, Dr. Christoph Lesty. Die beiden haben absolut nicht zusammen gepasst und es hat auch nicht lange gehalten. Dorothee wollte das zwar anfangs nicht einsehen, aber als Christophs Frau dann schwanger war, hat sie ihn in Ruhe gelassen. Einige Zeit später war sie über einen längeren Zeitraum mit Thomas Jaab zusammen. Was soll ich sagen? Das ging dann auch in die Brüche. Die anderen Beziehungen die sie hatte, waren alle nur von so kurzer Dauer, dass ich nicht einmal die Namen der Männer weiß. Ich glaube sie war beziehungsunfähig. Sie hätte sich einen Mann backen müssen." Regina lachte. „Dann bedanken wir uns erst einmal für Ihre Hilfe. Gute Besserung." „War doch selbstverständlich. Ich möchte ja auch, dass der Mörder gefasst wird. Sie können jederzeit wiederkommen wenn ich Ihnen noch mit etwas anderem helfen kann." Nach nochmaligem Bedanken verschwanden Dirk und Sylvia. * Regina Linde lag in ihrem Bett und dachte über ihre tote Freundin Dorothee nach, nachdem die Beamten verschwunden waren. Wer konnte einen Grund gehabt haben Dorothee umzubringen? Wenn einer darauf kommen müsste, dann doch sie. Sie hatte Dorothee am allerbesten gekannt, war ihre beste Freundin gewesen. Dorothee hatte ihr fast alles erzählt, so glaubte sie zumindest. Regina beschlich eine ungewisse Ahnung, aber konnte das sein? Es war dieselbe Ahnung die sie beschlichen hatte als die Kriminalpolizei das erste Mal bei ihr gewesen war und erzählt hatte, dass Dorothee tot war. Aber warum? Sie konnte der Polizei nicht erzählen was sie wusste. Niemals. Wenn es wirklich so war, dann war niemand ohne Schuld, nicht mal sie selbst. Und wo war das Motiv? Sollte Dorothee ihr doch etwas wichtiges verschwiegen haben? Weswegen sie nicht verstehen konnte, warum Dorothee umgebracht werden musste? Regina wollte das nicht glauben. Nein, nein, sie musste diesen Verdacht für sich behalten. Vielleicht täuschte sie sich ja. Aber das bezweifelte sie schon. *
Dirk und Sylvia entschlossen sich zu Lydias eventuell alter Wohnung zu fahren. Scheinbar wohnte auch Lydia in einem Miethaus. Die Haupthaustür war offen und Dirk und Sylvia klingelten an der erstbesten Wohnungstür. Ein junges Mädchen, so um die 20 Jahre alt, öffnete. „Sind Sie Lydia Breuer?" „Nein, tut mir leid, Lydia wohnt nicht mehr hier. Kann ich Ihnen weiterhelfen?" „Sind Sie eine Freundin von Frau Breuer?" „Ja, wir haben hier zusammen eine Wohngemeinschaft gehabt. Aber bitte, kommen Sie doch herein.", meinte die junge Dame nachdem Sylvia und Dirk sich ausgewiesen hatten. „Sie kommen doch nicht wegen dem Hundemörder, oder?" Dirk und Sylvia schauten sich verwundert an. „Hundemörder?" Das junge Mädchen, die sich als Patricia vorstellte, lachte. „Ja, haben Sie denn nichts von dem Fall gehört? Angeblich sind eine ganze Menge Hunde ganz unwillkürlich getötet worden. Oft bei alten Leuten, die dann ganz traurig waren. Die Hunde waren ja das einzige was sie noch hatten. Ihre treusten Gefährten sozusagen. Gestern sind in der näheren Umgebung wieder einige Hunde verschwunden. Ich dachte Sie sind deswegen hier." „Wo haben Sie denn diese Story aufgegabelt?" „Im Altenheim. Dort war ich meine Oma besuchen, und die Bettnachbarin hat es erzählt. Und die Nachbarn, wie gesagt, und einige aus der Stadt vermissen auch ihre Hunde." Interessant zu wissen, aber wegen solcher Geschichten sind wir nicht hier. Sondern wegen Frau Breuer. Wissen Sie zufällig wo sie sich aufhält?" „Nein, sie ist von einem auf den anderen Tag ausgezogen." „Ich denke sie ist ihre Freundin. Hat Sie Ihnen nichts gesagt?" „Früher war das so. Bevor sie Tom kennen gelernt hat. Zwei, drei Tage nach dem ersten Treffen mit Tom ist sie Knall auf Fall ausgezogen. Das ist jetzt ungefähr drei Monate her." „Wie heißt denn dieser Tom noch? Wissen Sie wo wir ihn finden können?" „Nein, sie hat mir nichts darüber erzählt. Nur, dass er ein ganz toller Kerl sei. Sie hat über ihn geschwärmt und als ich sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen wollte, hat sie abgeblockt. Da hat sie dann gar nicht mehr mit mir über ihn gesprochen." Sylvia entdeckte auf dem Kaminsims in der Ecke ein Foto von Patricia und noch einem anderen jungen Mädchen, das nach der Beschreibung von Regina Linde durchaus Lydia darstellen konnte. „Ist das Frau Breuer?", fragte sie und wies mit dem Finger auf das Bild. „Ja, das war sie, so wie sie früher ausgesehen hat. Heute würden Sie sie wahrscheinlich nicht mehr wieder erkennen." Selbst auf dem Bild geriet die Körperfülle Lydias in den Vordergrund. Eigentlich hatte sie ein hübsches Gesicht. Als Fremder konnte man sich vorstellen, dass weniger Gewicht und schickere Kleider Lydia zu einer begehrenswerten Frau gemacht hätten. „Inwiefern hat sie sich denn verändert?" „Sie sieht mittlerweile einfach klasse aus. Ich bin ihr vor einem Monat durch Zufall begegnet und wäre beinahe an ihr vorbeigegangen. Sie hatte eine wahnsinnig tolle Figur, ich weiß wirklich nicht wie sie es geschafft hat in dieser kurzen Zeit so viel abzunehmen. Und überhaupt, die Frisur war super, sie war toll geschminkt. Man muss den Unterschied sehen." „Wo haben Sie sie denn gesehen? Hat Sie mit Ihnen gesprochen?" „Nicht viel. Sie hatte keine Zeit. In einem kleinen Laden am Rande der Stadt habe ich sie getroffen, im Herotec. Kennen Sie das?" „So eine Geschenkboutique oder?" „Ja, ich habe dort etwas für meine Oma gesucht, die im Altenheim ist. Im Herotec findet man
manchmal die schönsten Geschenke." Die drei führten ihr Geplauder noch ein bisschen fort, ohne was weiter nennenswertes zu erfahren. * Patricia fragte sich warum die Polizei Lydia suchte. Ob sie wussten, dass diese mittlerweile als Prostituierte arbeitete? Hoffentlich nicht. Sie wollte ihre Freundin nicht verraten. Lydia hatte doch schon so viel durchgemacht. Zuerst von einem Mann sitzen gelassen, der sie geschwängert hatte und dann die illegale Abgabe ihres Kindes. Wenn das die Polizei herausfinden würde hätte Lydia bestimmt nichts mehr zu lachen. Ob sie Lydia vorwarnen sollte? Aber das letzte Mal, als sie Lydia vor dem Herotec getroffen hatte, hatte sie nicht mit ihr sprechen wollen. Mit Schaudern dachte Patricia daran zurück. Gerade hatte sie den ersten Fuß ins Herotec setzen wollen, als ihr Blick zum zweiten Mal auf die Prostituierte, einige Meter abseits des Geschäftes, gefallen war. Es war nichts Ungewöhnliches, dass die leichten Mädchen dort standen. Sie standen immer dort. Doch diesmal stand nicht irgendeine Prostituierte da, sondern Lydia. Sie hatte sich vom Äußerlichen her unglaublich verändert. Die Haare fielen ihr lockig über die Schulter, die Kleidung ließ die mittlerweile perfekte Figur erkennen. Das Gesicht war hübsch geschminkt, nur ihre Mimik verriet, dass sie mit dem was sie tat keineswegs glücklich war. „Mensch, Lydia. Was machst Du denn hier?" Was anderes zu fragen war ihr in dem Moment, in dem sie das für sie Unbegreifliche begreifen sollte, nicht in den Sinn gekommen. Lydia war richtig erschrocken und hatte sich ihr gegenüber mehr als abweisend verhalten. „Ich muss arbeiten, lass mich alleine", war alles was sie gesagt hatte. Patricia hatte was tun wollen, hatte ihrer damaligen Freundin helfen wollen. Doch wie? Sie war zu schockiert gewesen um weiter zu handeln. Wie ein weggeworfenes Stück Papier hatte sie vor Lydia gestanden und diese angestarrt. Doch die hatte nur noch einmal mit traurigem Blick geschaut und war verschwunden. Starr, als hätte sie Schnellkleber an den Füßen gehabt, war Patricia stehen geblieben und hatte ihr hinterher gesehen. Nicht in der Lage irgendetwas zu tun. ‚Ich muss sie finden und mit ihr sprechen. Ich muss ihr sagen, dass die Polizei sie sucht, warum auch immer’, dachte Patricia. ‚Mich verdächtigen die Beamten ja nicht, sie werden mich bestimmt nicht beschatten. Ich passe einfach auf.’ Sich selbst damit beruhigend schnappte Patricia sich ihre Handtasche und lief zur Bushaltestelle. Sie fuhr zum Hauptbahnhof, stieg in ein Taxi um und fuhr mit diesem zum Herotec. Und tatsächlich, dort in der Ecke stand Lydia. Patricia atmete zwei-, dreimal tief ein und aus und ging zu ihr. „Lauf nicht gleich weg, bitte. Es ist wichtig", begrüßte sie ihre damalige Wohnungsgenossin. „Versuche Dein Hilfesyndrom bei jemandem anderen auszuleben, Patricia. Ich liebe Tom, ich werde ihn nicht verlassen." „Auch nicht für das was er dir hiermit antut? Willst du mir erzählen, dass dir das gefällt? So wie du jetzt lebst? Du kannst so viel aus dir machen, wirst einen anderen Mann kennen lernen. Einen der dich wirklich liebt. Ich kann dir doch helfen." „Tom liebt mich." Nach einer kurzen Ruhepause „Du versaust mir mein Geschäft". Sie sagte es nüchtern, so als ob sie alles ganz kalt ließe. Nur an ihrem Gesicht war abzulesen, dass es nicht so war. Patricia wollte etwas darauf erwidern, nicht wieder aufgeben, wie beim
letzten Mal. Als sie in Lydias erschrockenes Gesicht blickte blieb sie jedoch still. Zum Wegrennen war es nun zu spät, Mist. Erst als Sylvia und Dirk vor ihnen standen, begriff auch Patricia was Lydia so erschreckt hatte. „Aber Sie wussten ja nicht, wo ihre beste Freundin sich aufhält, wie?" Lydia warf Patricia einen bösen Blick zu. „Dir habe ich das also zu verdanken." „Ich habe aufgepasst, ehrlich. Ich wollte dich warnen." Ein schuldbewusster Blick auf die Polizeibeamten. Doch die Freundin zu beruhigen und ihr klar zu machen, dass sie nur hatte helfen wollen, war jetzt wichtiger. „Es hat mich niemand verfolgt. Außerdem war ich mir doch selber nicht sicher wo ich dich finden würde." „Richtig, verfolgt haben wir Sie nicht. Wir haben nicht damit gerechnet, dass Sie uns in die Quere kommen, anstatt uns zu helfen. Aber da Sie uns verraten haben wo Sie Frau Breuer das letzte Mal begegnet sind, haben wir gedacht wir versuchen mal hier unser Glück. Das hat uns auch das Erkennen leichter gemacht." Zu Lydia gewandt: „Sie sehen wirklich nicht mehr so aus wie auf dem Foto welches bei Ihrer Freundin steht." Diese schaute verächtlich, man merkte, dass sie sich ärgerte. Eine Antwort gab sie nicht. „Vielleicht sollten wir uns an einem Ort unterhalten an dem es etwas ruhiger ist. Ich nehme nicht an, dass Sie das Revier vorziehen?" Jetzt schaute Lydia verwundert, denn sie hatte automatisch angenommen, dass sie jetzt verhaftet werden würde. „Sie wollen mich nicht...? Aber was wollen Sie denn dann von mir?" „Mit Ihnen reden. Was Sie hier tun ist uns im Moment ziemlich egal. Wenn Sie bereit sind uns zu helfen, werde ich Ihre hiesige Tätigkeit wieder vergessen, sobald ich hier weggehe." Lydia war erstaunt darüber. Warum tat er das? Und was wollte er überhaupt von ihr? Sie war sich nicht im Klaren darüber, ob es ein Fehler war jetzt mit den Beamten zu gehen. Aber eine richtige Wahl hatte sie auch nicht. Es gab nur einen Ausweg, mitgehen und hören was diese Leute von ihr wollten. Vielleicht waren sie ja ehrlich, würden sie danach wieder laufen lassen. Sie ging auf das Angebot ein und folgte den anderen zu einem Ort, an dem sie sich ungestört unterhalten konnten. Dieser befand sich zwei Straßen weiter. Wenn man die Hauptstraße verließ, durch einen kleinen Waldweg ging, kam man an zwei Parkbänke und einen Tisch. Es war ziemlich ruhig, da bei dieser Kälte niemand Lust hatte hier zu sitzen. Für die Beamten war das ideal, denn sie wollten ja Ruhe. „Dass Sie nicht erfrieren", leitete Dirk das Gespräch ein. „Ich bin daran gewöhnt." „Kennen Sie eine Frau Dorothee Lavalle?" Lydia schwieg. So hatte es keinen Zweck, er musste konkreter werden, wenn er von der Frau etwas erfahren wollte. Logisch, dass sie nicht darüber reden wollte, schließlich hatte sie etwas illegales getan. „Wie viel Geld hat Frau Lavalle Ihnen für das Kind gegeben?" „Sie wissen es schon? Oh, nein. Ich wollte doch nicht, ich war so durcheinander, illegal." „Frau Breuer, Sie sollen uns helfen. Wir werden Sie im Moment für nichts zur Verantwortung ziehen. Uns reicht es erst mal wenn Sie unsere Fragen beantworten. Also, wie viel Geld haben Sie bekommen?" „100.000 €." „Und was haben Sie mit dem Geld gemacht?" „Tom, ich habe es Tom gegeben."
„Du hast was? Das kann doch nicht wahr sein. Du hast wirklich das ganze Geld Tom gegeben?" Patricia konnte es nicht fassen. Zuerst hatte Lydia ihr Kind, unter anderem auch aus Geldmangel hergegeben, und nun hatte sie alles was sie dafür bekommen hatte, an so einen miesen Kerl weitergereicht. „Bitte, beruhigen Sie sich. Wenn Sie sich nicht beherrschen können, müssen Sie leider woanders hingehen. Sie dürfen ohnehin nur bei der Befragung dabei bleiben weil ich mir von Ihrer Anwesenheit eine Hilfe verspreche, damit Frau Breuer sich nicht so aufregt." Zu Lydia gewandt: „Warum haben Sie ihr Kind hergegeben? Hat Frau Lavalle Sie dazu gezwungen, oder sonst jemand?" „Nein, ich habe keinen Ausweg mehr gesehen. Keinen Vater, kein Geld und ich habe mich auch nicht reif genug gefühlt das Kind großzuziehen. Ich hatte Angst." „Hatten Sie ohnehin vor ihr Kind wegzugeben?" „Nein, ich wusste nicht was ich tun sollte. Dorothee war der Ausweg meiner Probleme." „Vielleicht erzählen Sie uns mal ein bisschen mehr. Wo haben Sie Frau Lavalle kennen gelernt? Wie ist es zu dem allen gekommen?" „Ich habe sie im Stadtpark kennen gelernt, als ich im neunten Monat schwanger war. Es war nicht mehr viel Zeit. Doch anstatt mir Gedanken darüber zu machen wie es weitergeht, habe ich mich in die Ecke gesetzt, mich selbst bedauert und geweint. Frau Lavalle ist auf mich zugekommen, hat gefragt ob sie mir helfen könne und hat mich getröstet. Sie hat mir das Angebot gemacht mir das Kind abzukaufen für 100.000 €. Sie würde es dann als ihr eigenes Baby ausgeben. Ich bin sofort darauf eingegangen, habe sie noch gefragt wie sie das denn machen wolle, wo doch die Leute wissen, dass sie nicht schwanger sei. Aber sie hat nur gesagt ich solle das mal ihre Sorge sein lassen, sie würde es schon regeln." „Und als Sie das Kind auf die Welt gebracht haben, wie ging es dann weiter?" „Ich habe Frau Lavalle meine Adresse gegeben und sie angerufen als ich glaubte, dass es so weit war. Sie hatte mir die Telefonnummer von einer Frau Linde gegeben, bei der sie zur Zeit wohnte. Ich habe mich mit dem Geburtstermin schon um einige Stunden verschätzt, aber ja, wir haben dann zusammen gewartet, in meiner Wohnung. Und dann habe ich das Kind auf die Welt gebracht. Frau Lavalle hat mir das Geld gegeben und ist mit dem Baby weg." „Was ist mit Ihnen? Waren Sie dabei als Frau Breuer das Kind geboren hat?" Patricia nickte. Wieder an Lydia gewandt: „Haben Sie denn in diesem Moment keine Muttergefühle entwickelt? Hatten Sie das Baby mal auf dem Arm?" „Nein, Frau Lavalle hat es gleich mitgenommen. Sie hat es mir gar nicht erst gezeigt, weil, sie hat gemeint, dass es besser wäre für mich. Und Muttergefühle? Nicht direkt. Während der Schwangerschaft sowieso nicht, und danach? Es hat schon weh getan, aber andererseits war ich froh. So hatte ich keine Probleme mehr, hatte alles hinter mir. Ich habe es eben auf die vernünftige Weise gesehen. Jede Frau, die ein Kind geboren hat entwickelt ein Gefühl, glaube ich. Ich habe es verdrängt, weil es für mich und mein Leben besser ist." „Bereuen Sie es?" „Manchmal. Meistens nicht. Ich wäre nicht fähig gewesen ein Kind großzuziehen. Warum fragen Sie mich das alles?" „Frau Lavalle ist tot." „Sie ist tot? Und mein Kind? Was passiert denn jetzt mit meinem Kind?" „Dafür haben Sie sich doch vorher auch nicht interessiert, oder? Für Geld haben Sie es weggegeben." „Aber doch nur weil ich wusste, dass mein Baby es bei der anderen Frau besser haben würde als
bei mir. Zumindest habe ich das gedacht." „Es wird in ein Heim kommen." Trotz der Muttergefühle, die sie angeblich nicht hatte, wirkte sie erschrocken. „Wollen Sie es wieder haben? Bereuen Sie es doch?" Ein Kopfschütteln war die Antwort. „Darf ich gehen? Bitte, ich habe Ihnen doch geholfen. So gut ich konnte." Kentner ließ Lydia laufen, obwohl sie mit Sicherheit nicht unschuldig war. Aber war sie auch in Bezug auf den Mord schuldig? Er wollte es ihr nicht unterstellen. Wenn er sie für eine neue Vernehmung brauchen würde, würde er sie finden, das wusste er. * Lydia war nicht mehr fähig, weiter zu arbeiten. Mit Tränen in den Augen lief sie durch die Gassen. Hoffentlich hatte Tom sie nicht gesehen, gesehen wie sie mit den Polizeibeamten weggegangen war. Hoffentlich sah er nicht, dass sie nicht arbeitete, sondern ziellos durch die Gassen irrte. Die Kälte spürte sie nicht mehr, nur die innere Kälte, die war da. Mehr als stark. Hatte sie wirklich so viel falsch gemacht? In dem Moment in dem sie vor den Entscheidungen ihres Lebens gestanden hatte, hatte sie immer gedacht das Richtige zu tun. Aber war es richtig sein eigenes Kind herzugeben? Nur weil man den Mann der es gezeugt hatte und sich selbst hasste? Konnte sie überhaupt einen Menschen hassen, den sie nicht mal kannte? So wie den Vater dieses Kindes? Sie war es doch selbst schuld, hatte in dem Moment des Zeugens nur an ihr Vergnügen gedacht. Aber das Kind? Was würde aus ihm werden? Es war unschuldig, war in eine Welt gedrängt worden, die es vielleicht nie zu schätzen lernen würde. Wie auch? Es würde in einem Heim aufwachsen müssen weil die eigene Mutter es nicht wollte. Nachdem sie Tom kennen gelernt hatte, hatte sie sich wohl gefühlt, geborgen. An das Baby hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht. Sie hatte wirklich geglaubt, dass er sie liebt, es ehrlich mit ihr meint. Nach ihrem ersten Treffen in der Pizzeria hatten sie sich jeden Tag gesehen. Alles ging sehr schnell. Wie auf rosa Wolken hatte sie geschwebt, wollte nichts Negatives hören. Schon in der ersten Woche war sie ausgezogen, ließ Patricia mit der Miete alleine. ‚Die kann für sich alleine sorgen’, hatte sie gedacht. ‚Aber Tom, der braucht mich’. So hatte er es ihr erzählt, es ihr ins Gehirn geprägt, und sie wollte es nur zu gerne glauben. Erst als es schon zu spät war, sie abhängig und ihm hörig war, hatte er sein wahres Gesicht gezeigt. Sie liebte ihn doch, was hätte sie tun sollen? Ihm das Geld nicht geben? Nicht für ihn anschaffen gehen, damit sie sich ein schönes Leben leisten konnten? Für all dies, gab er ihr die Liebe die sie schon so lange Zeit gesucht hatte. Es war nicht anders gegangen, sie hatte ihm das Geld geben müssen. Mit ihrer Arbeit auf dem Strich konnte sie ihm ihre Liebe beweisen. So hatte er es zu ihr gesagt: „Ich liebe dich und das weißt du. Aber bei dir, da merkt man nichts davon. Beweise es mir. Mach dich hübsch, nimm ein paar Kilo ab, schlafe mit den anderen Männern für Geld." Und sie? Sie hatte alles getan. Für ihn hatte sie es durchgehalten, die zähen Wochen in denen sie fast kein Essen mehr zu sich nahm. Hübsch war sie geworden, nicht mehr wieder zu erkennen. Aber das war alles nur äußerlich, das Innere zerbrach. Besonders als er von ihr verlangte auf die Straße zu gehen. Tom hatte ihr die Kleider mitgebracht, organisiert. Er hatte für sie Männer besorgt, Männer die alles von ihr wollten. Danach hatte er abkassiert. Sie tat es für ihn, tat es aus Liebe. Patricia hatte Recht, glücklich war sie nicht. Es war wie immer in ihrem Leben. Sie konnte nicht alleine sein, brauchte jemanden der ihr den Weg zeigte. Dieser jemand war nun Tom. Lydia wünschte sie hätte die Kraft ihn zu verlassen, aber gleichzeitig wusste sie, dass sie die Kraft nie haben würde.
* Mit einer beladenen Einkaufstasche auf jeder Seite ihrer Hand lief Claudia Maier nach Hause. Hoffentlich hatte sie nicht wieder die Hälfte vergessen. Mit zunehmendem Alter wurde es immer schlimmer. Schon vor Ewigkeiten hatte sie sich vorgenommen sich einen Einkaufszettel zu schreiben, aber meistens tat sie es dann doch nicht. Sie dachte über Dorothee nach. Mal wieder. Aber eigentlich war das auch verständlich, jetzt wo überall ermittelt wurde. Früher, als sie sich noch gut mit Dorothee verstanden hatte, waren sie mal zusammen auf die Straße gegangen um Drogensüchtigen zu helfen. Bei einem üblichen Kaffeeklatsch hatten sie über die Arbeit von Dorothee gesprochen. Sie waren ja beide sozial eingestellt gewesen und Claudia hatte sich wirklich dafür interessiert. Aber dann auf der Straße hatte sie erst gemerkt wie schwierig es war die Jugendlichen von einer Therapie zu überzeugen. Wenn man überhaupt schon von Jugendlichen sprechen konnte. Es waren mehr Kinder als Jugendliche. Dorothee hatte ihre Arbeit wirklich gut gemacht. Sie hatte an dem Tag gleich 3 Stück zu einer Therapie überredet. Sie selbst dagegen hatte es noch nicht einmal geschafft, dass die Jugendlichen mit ihr sprachen. Einen einzigen Jungen hatte sie zum Reden gebracht, aber überzeugt hatte sie ihn nicht. Er war höchstens 13 Jahre alt. „Wie heißt Du denn?" „Geht Dich das etwas an?" „Ich bin Claudia." Der Junge hatte nichts erwidert war aber auch nicht wie all die anderen weggelaufen. „Ich will dir helfen. Du bist doch jung, kannst noch so viel aus deinem Leben machen. Du brauchst nur mit mir in die Beratungsstelle zu kommen, dann besorgen wir dir einen Therapieplatz." „Hey, mir geht es auch so gut. Ich brauche niemanden. Und außerdem will ich nicht entziehen." „Du wirst sterben. Ist Dir das eigentlich klar?" „Na und, ich will sterben. Sage mir einen Grund warum ich leben soll? Ich lebe jetzt, genieße den Stoff, und irgendwann falle ich um und der ganze Mist ist überstanden. Ich brauche kein besseres Leben." Damit hatte er sich herumgedreht und war verschwunden. Dorothee, die das Gespräch mitbekommen hatte, hatte versucht ihr zu helfen. „Du kannst nicht jedes dieser Kinder und Teenies überzeugen. Es bedarf schon einer gewissen Übung. Aber mache dir nichts daraus, du glaubst gar nicht wie oft es mir schon so ergangen ist." Ab diesem Zeitpunkt hatte Claudia erst begriffen wie schwierig es tatsächlich war. Das Leben, die Qual, die Arbeit. Sich dies alles mit ansehen zu müssen. Sie seufzte während sie darüber nachdachte. In ihren Hosentaschen kramte sie nach dem Schlüssel. Wo war er nur schon wieder? Hinter sich hörte sie ein Geräusch. Sie drehte sich herum und sah die Polizeibeamten vor ihrer Nase stehen. ‚Nicht die schon wieder’, dachte sie. „Hallo, Frau Maier. Wir würden uns gerne noch einmal mit Ihnen unterhalten." „Es bleibt mir ja nichts anderes übrig." Nun hatte Frau Maier endlich den Schlüssel gefunden. Dirk half ihr die schweren Einkaufstaschen hineinzuschleppen. „Danke." „Gerne geschehen." Wie auch beim ersten Mal nahmen sie auf dem Sofa Platz. „Erzählen Sie uns doch bitte noch einmal wie ihr Verhältnis zu Frau Lavalle war." „Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen? Ein Nachbarschaftsverhältnis."
„Da haben wir aber etwas ganz anderes gehört." Claudia seufzte. Ob es dumm gewesen war nicht gleich zuzugeben, dass sie sich mit Dorothee mal besser verstanden hatte? Polizisten fanden doch wirklich alles heraus. „Früher war ich mal ganz gut mit ihr befreundet gewesen. Aber seit ungefähr 1 ½ Jahren, vielleicht auch ein bisschen länger, sind wir uns aus dem Weg gegangen." „Darf man fragen warum?" „Ich denke, dass ist meine Privatsache." „In einem Mordfall gibt es nichts privates mehr. Also, was war der Grund?" „Wir haben einfach nicht mehr zusammen gepasst. Sie war egoistisch, hatte andere Interessen als ich. Ich konnte mich nicht mehr auf sie einstellen, es ist einfach auseinandergebrochen. So etwas passiert doch mit vielen Freundschaften die früher mal gut waren. Kennen Sie das nicht?" „Es hat nicht zufällig etwas mit ihrem verstorbenen Mann zu tun?" „Nein, jetzt fangen Sie nicht wieder damit an. Ich hatte keinen Streit mit ihr, das wird Ihnen ihr Informant ja dann wohl auch gesagt haben. Wir haben uns nicht mehr verstanden, vielleicht weil wir mal zuviel zusammen waren. Ich kann Ihnen nicht erklären warum. War es das? Ich habe noch andere Sachen zu tun." „Woher wussten Sie eigentlich, dass Frau Lavalle nicht zu Hause war als wir das erste Mal hier waren?" „Sie haben Sturm bei ihr geklingelt und sie hat nicht geöffnet. Dorothee hat immer sofort die Tür aufgemacht wenn es geklingelt hat. Ich habe es einfach angenommen." „Na dann, belassen wir es vorerst mal dabei. Wir sehen uns bestimmt wieder." „Hoffentlich nicht", murmelte Claudia, aber das konnten die Beamten nicht mehr hören. * Aufdringlich klingelte in Dirks Jackentasche das Handy. „Kentner", meldete er sich. Sylvia konnte nur Bruchstücke des Gesprächs verstehen. „Michelle? Was? Kann doch nicht sein. Wir kümmern uns darum." „Was ist denn passiert?" „Das Baby ist aus dem Krankenhaus verschwunden. Sie haben es festgestellt, als die Leute kamen um sie ins Heim zu bringen. Niemand hat was gesehen und weiß wer es mitgenommen hat bzw. wann es überhaupt entführt wurde." „Frau Lossen", fiel Sylvia Notalagy als erstes ein. „Ja, oder Lydia." „Du meinst sie hat ihr eigenes Kind entführt? Das glaube ich nicht, sie hat es doch weggegeben, wollte es nicht." „Ja, aber mittlerweile denkt sie vielleicht anders. Sie war doch sehr erschrocken als sie hörte, dass ihr Kind ins Heim muss." „Soll ich schauen ob ich Frau Lossen finde? Du suchst nach Lydia. Sobald ich etwas erfahre, melde ich mich über das Handy." Dirk nickte und begann mit der Suche nach Lydia, während Sylvia zum Wagen lief und zu der Adresse von Monika Lossen fuhr. Dort wurde ihr von Marc die Tür geöffnet. Doch er konnte ihr nicht weiterhelfen, wusste nicht wo seine Freundin steckte. „Sie wollte heute morgen spazieren gehen, bis jetzt ist sie nicht wieder hier." „Und Ihnen fällt überhaupt kein Platz ein, wo sie sein könnte?" „Tut mir leid, sie hat mir nichts genaueres gesagt. Fragen Sie doch mal bei ihrer Schwester Conni."
Sylvia befolgte den Rat, konnte aber auch dort keine Auskünfte über den Aufenthaltsort Monika Lossens erfahren. Niemand schien zu wissen wo sie sich aufhielt. Auch Dirk hatte bei seiner Suche nach Lydia kein Glück. Somit war auch unklar, wer von den beiden das Kind bei sich hatte. Und war dieser jemand auch der Mörder? Des Kindes wegen? * Monika war glücklich. Sie brauchte keinen Mann, keinen Beruf. Nein, sie brauchte nur dieses kleine Mädchen um glücklich zu sein. „Michelle" hatte auf dem Bettchen gestanden, aus dem sie es herausgehoben und mitgenommen hatte. Es war so einfach gewesen. Keiner hatte auf sie geachtet. Sie hatte Michelle einfach in ihre Arme gehoben, sie liebevoll gehalten und war mit ihr heraus spaziert. Dann war sie hierher gefahren. Nun saß sie da, die kleine Michelle im Arm, und wollte glauben, dass es für immer so bleiben würde. Monika erschrak, als sie eine dunkle Gestalt vor sich sah. Mit dem Erkennen der Person atmete sie erleichtert auf. Klar, dass er sie gefunden hatte, sie hatte ihm immer alles anvertraut. „Ich komme nicht mit, mach dir keine Mühe. Sie ist mein Kind, mein und ich gebe sie nicht mehr her." „Du bist doch verrückt. Durch deinen Kinderwunsch völlig verrückt geworden. Es ist nicht dein Kind, sieh das ein. Sei vernünftig, komm mit mir heim." „Ich denke nicht dran, Marc. Von dir lasse ich mir überhaupt nichts befehlen." „Die Polizei war schon bei mir. Sie suchen dich überall. Wahrscheinlich denken Sie jetzt, dass du die Frau umgebracht hast. Sei doch nicht so verdammt dumm. Komm mit mir zurück und sage Ihnen dass es dir leid tut." Monika schüttelte den Kopf. „Selbst wenn ich mein Leben lang hier bleiben muss. Ich war noch nie so glücklich wie jetzt, in diesem Moment. Du versteht das nicht. Mir wäre es nicht passiert, dass ich das Kind finde, wenn es nicht so bestimmt gewesen wäre. Gott wollte dass Michelle mir zusteht." „Michelle?" „Ja, die kleine, sie heißt Michelle." „Willst du es unbedingt darauf anlegen verhaftet zu werden?" „Sie werden mich nicht finden. Ich haue einfach wieder ab, wenn es mir zu heiß wird." „Natürlich werden Sie dich früher oder später finden. Mensch, Monika, denk doch mal nach. Sei nur eine Minute lang mal realistisch. Auf der ganzen Welt werden sie dich suchen." „Es ist mein Kind, ich gehe nicht zurück und gebe es wieder her, niemals", sagte Monika stur. Marc wandte sich um, um zu gehen. „Ich hätte der Polizei gleich sagen sollen wo sie dich finden. Ich Dummkopf. Sei froh, wenn deine Schwester es nicht verrät." „Sie weiß es bestimmt nicht." „Für wie blöd hältst Du Conni? Weißt du was? Seit du ein Kind im Kopf hast bist du nicht mehr zu gebrauchen. Du bist selbst ein Kind geworden dadurch. Es ist überhaupt nichts mehr so wie früher. Ich würde zu gerne wissen ob du nicht vielleicht tatsächlich die Frau umgebracht hast um deine Michelle zu bekommen." Marc ging und wurde von Monikas Geschrei begleitet: Du bist ja nicht ganz dicht. Noch nie hast du mich verstanden. Such dir doch eine andere, eine die kein Kind will. Schließlich wolltest du doch nie eines. Bescheuerte Unterstellungen. Sag der Polizei doch was du willst, du elender Mistkerl. Michelle weinte, und dass letzte was ein Außenstehender erblickt hätte, hätte er sie so gesehen, wäre eine Mutter gewesen die ihr Kind beruhigt.
* Nachdem Kentner und Notalagy vergeblich nach der kleinen Michelle und deren Entführer gesucht hatten, machten sie sich auf den Rückweg zum Revier. Sie würden eine Großfahndung aufgeben müssen. „Glaubst du, dass eine der beiden die Mörderin ist? Lydia oder Monika?" „Ich weiß es nicht. Jetzt wo das Kind weg ist erscheint es mir wahrscheinlicher als vorher. Es sieht wirklich so aus als ob es um das Kind geht. Vielleicht sollten wir mal mit Dollting sprechen, was er dazu sagt." „Ach komm. Er überlässt uns ständig freie Hand. In manchen Dingen ist das ja nicht schlecht, aber Hilfe kannst du von ihm auch keine erwarten." „Was soll ich denn tun? Im Revier herumsitzen und warten? Darauf, dass sich der Fall von selbst klärt?" „Reg dich nicht schon wieder auf. Ich weiß ja auch nicht wie es jetzt weitergeht." Doch Dirk musste sich aufregen. Gerade jetzt, wo seine Frau in Kur war. Sie gab ihm normalerweise die nötige Kraft schwierige Fälle durchzustehen. Abends eine entspannende Massage, ein warmes Bad und einen heißen Kakao. Seine Frau sah darin die pure Erholung. Die Ruhe die sie ausstrahlte übertrug sich auf ihn. Am meisten liebte er an ihr, dass sie zuhören konnte. Es gab nur noch so wenige Menschen auf der Welt die einem wirklich zuhörten. Die meisten wollten immer nur von sich erzählen, und wenn sie mal ruhig waren, so waren sie doch nicht in der Lage auf dass aufmerksam zu sein was andere sagten. Doch seine Frau hatte dieses Talent. Dirk fehlt das, sie fehlte ihm. Wahrscheinlich reagierte er auch aus diesem Grund auf alles so gereizt. „Es tut mir leid", meinte er daher an Sylvia gewandt, bevor sie die Treppen zu ihrem Büro hochstiegen. Indem sie nickte, akzeptierte sie seine Entschuldigung. Ihr war ja auch bewusst, woran seine Gestresstheit lag. Auf dem Flur begegnete ihnen eine der Sekretärinnen. Sie war immer gut gelaunt, trotz ständiger Überstunden. „Sie haben Besuch", sagte sie. Überrascht sahen sich die beiden Beamten an und gingen mit einem noch flotteren Schritt in Richtung Büro. Was sie dort erblickten war zumindest eine kleine Erleichterung. Monika Lossen saß mit dem 6 Monate alten Säugling Michelle auf einem der Besucherstühle. Sie hatte Tränen in den Augen. „Es tut mir so leid." Mehr war nicht aus ihr heraus zu kriegen. Sie wirkte völlig neben sich, brachte keinen vernünftigen Satz zustande und konnte nicht erklären warum sie Michelle entführt hatte. Dirk beschloss sie zu einem Psychologen zu schicken der ein Persönlichkeitsprofil von ihr erstellen sollte. Vielleicht bekam dieser aus ihr heraus, ob sie zu dem Mord in der Lage gewesen sein könnte. Zumindest könnte der Psychologe es schaffen zu erfahren warum sie das Kind entführt hatte. * Regina war gerade dabei von ihrem Gang zur Toilette auf ihr Zimmer zurück zu gehen. Gegen eine Blasenentzündung war auch sie als Arzthelferin nicht gefeit. Eine unangenehme Sache, alle paar Minuten der Gang zur Toilette, und die Schmerzen waren auch nicht zu verachten. Heute würde sie das Krankenhaus verlassen dürfen, wurde auch Zeit. Sie solle sich schonen, nicht so viel aufregen, hatten die Ärzte gesagt. Die hatten leicht reden. Der Ärger mit ihrem Freund gab
immer Stoff für Stress und Sorgen. Obwohl es jetzt bestimmt besser werden würde, jetzt, wo Dorothee tot war. Es war gemein so zu denken. Regina fragte sich ob sie sich nicht schämen müsste, dafür, dass sie ihrer besten Freundin so lange etwas vorgemacht hatte. Sie hatte es geschafft ihr ganzes Leben ihren Freund zu verheimlichen. Gerade zu der Zeit als Dorothee bei ihr gewohnt hatte war es mehr als schwer gewesen. Wie würde es nun weitergehen? Jetzt, wo Dorothee tot war? Und wer war schuldig? Auch ihr Freund konnte schuldig sein und dies war eine der Tatsachen die ihr das Leben schwer machten. Sie wollte nicht glauben, dass ihr Freund es gewesen war, auch wenn er noch so viele Vorteile daraus zog. Andererseits war da auch diese Vorahnung, die ihr etwas ganz anderes sagte. Nur da fehlte dann wieder das Motiv. Regina wusste nicht was sie glauben sollte, ihr war nur klar, dass für sie selbst im Moment Schweigen die einzig richtige Lösung war. Während dieser Gedanken lief sie durch den Flur. Sie öffnete ihre Zimmertür und erschrak im ersten Moment als sie die dunkel angezogene Gestalt erblickte. Es war ihr Freund, Fabian Lavalle. „Was machst du denn hier? Bist du verrückt? Wenn jemand uns zusammen sieht." Er drehte sich herum. „Nette Begrüßung." „Du weißt genau wie dass gemeint ist. Willst Du dich dein Leben lang verstecken? Jetzt ist der Moment gekommen, Regina. Wir können endlich zusammen sein ohne ständig aufpassen zu müssen. Dorothee hier, Dorothee da, ich habe es satt." „Was meinst du was die Polizei sagt, wenn sie dich bei mir sieht? Sie halten dich doch so schon für verdächtig, und ehrlich gesagt, du hast auch guten Grund gehabt sie zu hassen. Dir bringt ihr Tod von vorne bis hinten nur Vorteile." „Uns beiden. Dir bringt er auch einen Vorteil." Regina fühlte sich im Zwiespalt ihrer Gefühle. Aber sie musste es hinter sich bringen, musste ehrlich sein wenn sie vermeiden wollte das Vertrauen zwischen ihnen zu zerstören. Mit dieser Frage würde sie ihn verletzen, würde ihr Misstrauen ihm gegenüber zeigen. Er musste sie verstehen, kein Weg führte daran vorbei es deutlich auszusprechen. „Hast du es getan? Hast du sie umgebracht, für uns?" Entgeistert starrte Fabian sie an. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Mensch Regina, ich dachte du kennst mich. Vertraust mir. So etwas traust du mir zu?" Er wirkte traurig, enttäuscht, konnte nicht verstehen, dass seine Freundin ihn eines solchen Verbrechens beschuldigte. „Es tut mir leid, es geht doch nicht gegen dich. Sie war meine beste Freundin, trotz allem. Trotz uns. Ich möchte dich doch nicht verdächtigen, aber..." Nach einer Pause „Du hattest Grund dazu." „Wenn du so von mir denkst, meinst du wir hätten dann noch eine Chance? Kannst du mit jemandem zusammen leben den du für einen Mörder hältst?" „Ich traue es dir ja nicht zu. Warum kannst du nicht auch mich verstehen?" Tiefes Schweigen war die Antwort auf die Vorwürfe und Gedanken die zwischen ihnen standen. „Ich liebe Dich doch", kam es leise von ihrer Seite. Zwischen all dem unaussprechlichen, den Dingen die passiert waren, fielen sie sich in die Arme. Genau in diesem Moment ging die Tür auf und das Paar sah sich Sylvia gegenüberstehen. Der Überraschungsmoment und das tiefe Erschüttern darüber entdeckt worden zu sein, ließ die beiden auseinander fahren. Doch Sylvia hatte gesehen was sie sehen musste. Sie war hierher gefahren, nachdem der in zivil gekleidete Beamte, der Fabian im Auge behalten hatte, ihnen Bericht erstattet hatte. Fabian Lavalle sei zwischenzeitlich in die Königstraße umgezogen, habe das Erbe
angetreten und sehe nun auch wie ein zivilisierter Mensch aus. Haare geschnitten, neue Kleider, sauber. Man sollte nicht meinen, dass er vorher ein ganz anderer Mensch gewesen war. Außerdem war er vorher bei einem Psychologen vorbei gegangen. Der in zivil gekleidete Beamte hatte bei diesem Psychologen nachgefragt und erfahren, dass Fabian Lavalle sich einen Termin genommen hatte. Weswegen hatten ihm die Arzthelferinnen nicht gesagt, das stehe unter der Schweigepflicht. Einige Zeit später hatte sich Fabian Lavalle dann auf den Weg ins Krankenhaus gemacht, wo er auch jetzt noch sein müsse, so der Bericht. Sylvia, die sich wunderte was Fabian im Krankenhaus zu suchen habe, hatte sich auf den Weg dorthin gemacht. Ihrer Vermutung nach konnte er sich nur bei Frau Linde aufhalten, weshalb sie dann auch geradewegs zu deren Zimmer gegangen war. Ohne zu klopfen, um wieder mal den berühmten Überraschungseffekt nutzen zu können, hatte sie die Tür geöffnet und selbst ihren Augen nicht getraut, als sie Fabian Lavalle und Regina Linde eng umschlungen am Bett sitzen sah. Aber nicht nur Sylvia war überrascht über die neue Wendung die sich damit in diesem Fall ergab, auch das Paar schaute mehr als verdutzt als sie in der Tür stand. „Kein Wunder, dass Sie ihn verteidigen und nicht für den Mörder halten. Vielleicht haben Sie das Ding ja zusammen geplant." "Sie wissen wirklich gar nichts. Okay, ich bin mit Fabian zusammen, na und? Trotzdem hätte ich keinen Grund gehabt meine beste Freundin umzubringen. Irgendwann hätten wir es ihr schon gesagt." "Wie wäre es mit dem Motiv Geld? Da sie beide nun zusammen in Frau Lavalles Haus wohnen können. Und sie können nun zusammen sein ohne das irgend jemand etwas dagegen hat. Frau Lavalle wäre wohl nicht sehr glücklich mit dem Gedanken gewesen, dass ihre beste Freundin mit ihrem Bruder zusammen ist." "Nicht abzustreiten. Aber glauben Sie wirklich, dass das alleine etwas ausmacht? Ich habe auch Dorothee geliebt, eben als meine beste Freundin. Ich würde niemals meine beste Freundin umbringen nur um dann mit ihrem Bruder glücklich sein zu können. Wir waren auch so zufrieden, mit dem Geheimnis." "Warum wohnte Fabian nicht bei Ihnen? Musste er Frau Lavalles wegen so leiden? Wenn Sie ihn wirklich lieben, warum haben Sie ihn dann in so einer Absteige hausen lassen? Warum haben Sie ihm nicht geholfen?" "Weil es nicht ging. Dorothee hat 6 Monate lang bei mir gewohnt und da konnte ich Fabian nicht einfach mal so verstecken. Das Geld das ich verdiene reicht gerade mal um meine Miete zu bezahlen und um um die Runden zu kommen jeden Monat. Dass meine Wohnung so toll eingerichtet ist habe ich Dorothee zu verdanken. Sie hat mir alles geschenkt, vom Sofa bis zum Wohnzimmertisch. Und sie wollte nicht, dass ich mit Fabian zusammen bin." "Hat sie etwas geahnt, oder woher wussten Sie das Frau Lavalle etwas gegen ihre Beziehung hatte?" "Als Fabian und ich zusammen gekommen sind haben wir es nicht verheimlicht. Dorothee hat mich vor die Wahl gestellt mit ihrem Bruder Schluss zu machen oder sie als Freundin zu verlieren." "Und Sie haben sich gegen ihren Freund entschieden?" "Nur Dorothee gegenüber, ja. Ich wollte sie als Freundin nicht verlieren, außer ihr habe ich keine anderen Freunde. Fabian wollte ich natürlich auch nicht verlieren. Wir haben dann beschlossen uns immer heimlich zu treffen. Bevor Dorothee bei mir eingezogen ist hat Fabian bei mir gewohnt. Er konnte sich schnell verstecken wenn sie mal unerwartet kam. Wir haben schon ganz schön aufgepasst damit sie uns nicht erwischt. Als sie mich dann darum bat, bei mir wohnen zu dürfen, hatte ich keinen Grund dies abzulehnen. Fabian musste weg. Er wusste nicht wohin und ich konnte ihn nicht unterstützen. Wie gesagt, mein Gehalt reicht mit Mühe und Not für mich."
"Ich denke Dorothee hat sie reichlich belohnt, dafür dass sie bei Ihnen leben durfte." "Ja, sie hat die Wohnung schöner eingerichtet und Geld für Dinge ausgegeben die ihr wichtig erschienen. Sie hat Kleider für mich gekauft und sich ihre eigenen Lebensmittel gekauft. Zudem hat sie die Hälfte der allgemeinen Kosten übernommen. Durch diese Finanzerleichterung konnte ich Fabian wenigstens mit Lebensmitteln versorgen." Reginas Worte klangen spöttisch. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Für mich klingt es immer mehr so als ob sie allen Grund hatten Frau Lavalle los zu werden." "Dorothee hatte wie jeder Mensch seine guten und schlechten Seiten gehabt. Ich mochte sie trotz ihrer schlechten Seiten. Sie hat es im Grunde genommen auch gut gemeint, sie hat nur nicht verstanden, dass sie mir mit Geld mehr geholfen hätte als wie mit super teuren Kleidern." "Was hatte sie gegen die Beziehung zwischen Fabian und Ihnen?" "Sie wollte einen besseren Freund für mich, hat gemeint ihr Bruder wäre nicht gut genug. Am liebsten wäre ihr wohl ein reicher Ölscheich gewesen. Manchmal hat sie sich mir gegenüber mehr wie eine Mutter als wie eine Freundin verhalten." "Und Sie wollten Frau Lavalle trotzdem irgendwann sagen, dass sie mit Fabian Lavalle gar nicht Schluss gemacht haben?" "Ja, wir wollten es darauf ankommen lassen. Unsere Liebe war uns wichtiger und wir hatten begriffen, dass es nur einen Weg gibt. Wir wollten ihr begreiflich machen, dass wir aus Liebe zusammen sind und nicht des Geldes wegen. Und erpressen lassen wollten wir uns auch nicht mehr. Also so wie sie es verlangte, nach dem Motto ich oder er." "Warum haben Sie es dann nicht getan?" "Ich wollte noch auf den richtigen Augenblick warten." "Haben Sie Frau Lavalle mal gesagt, dass ihnen Geld mehr helfen würde als schicke Kleider?" "Ja. Daraufhin hat sie mich gefragt wofür ich das Geld brauchen würde. Dass ich es für Fabian brauchte konnte ich ihr ja nicht sagen, also habe ich gesagt ich wollte einmal in meinem Leben den Kühlschrank richtig voll haben. Sie war einkaufen und mein Kühlschrank war randvoll. Heimlich habe ich dann Sachen zu Fabian gebracht und Dorothee hat sich gewundert, dass die Vorräte so schnell zu neige gingen." Sie zuckte mit den Achseln. Fabian, der bis dahin noch keinen Ton von sich gegeben hatte, räusperte sich. Sylvia wandte sich mit der nächsten Frage an ihn. "Wie war das eigentlich mit Ihrer Sucht, während der Zeit die Sie bei Frau Linde wohnten?" "Ich hatte nie Geld, also konnte ich auch nicht spielen. Regina hat für mich mit gesorgt, also mit Lebensmitteln, Friseur und so. Aber sie hat mir nie Geld gegeben. Ich habe immer nur dann gespielt wenn ich von Dorothee Geld bekommen habe." "Konnte Frau Linde nicht verhindern, dass sie das Geld verspielt haben?" "Sie hat es nicht gewusst. Dorothee hatte es ihr erst erzählt, dass sie mir etwas gegeben hatte, wenn ich schon alles verspielt hatte. Und sagen konnte sie ja nichts, dann hätte sie ja verraten, dass sie mit mir zusammen war. Wenn Dorothee sich dann über mich beschwert hatte hat Regina gesagt sie solle mir doch nichts mehr geben, aber Dorothee hat lange gebraucht bis sie darauf gehört hat." "Dann verstehe ich aber nicht warum sie Ihnen Geld gegeben hat und Frau Linde nicht, als diese ihr gesagt hat, dass sie lieber Geld hätte anstatt der Kleider." "Ich habe Ihnen bei ihrem ersten Besuch bei mir schon gesagt, dass meine Schwester ihre Ruhe haben wollte. Vermutlich habe ich sie mehr genervt als Regina und sie wollte mich schnell wieder los werden. Ich denke, dass sie auch keine Lust hatte sich mit mir zu streiten, aber das letzte Mal hat sie es darauf ankommen lassen." Mit einem Blick der die Liebe die er für Regina empfand widerspiegelte meinte er "Hast Du sie doch noch davon überzeugen können, dass sie mir nichts mehr gibt?"
Regina lachte. * "Warum haben Sie das Kind entführt? Ich weiß, dass Sie Frau Lavalle nicht umgebracht haben, und dass Sie ganz verrückt nach Michelle sind. Sie ist wirklich ein süßes Mädchen." "Ja, und jetzt ist sie im Heim", schluchzte Monika. Sie packte ein Taschentuch aus, rieb sich die Tränen aus den Augen und schnäuzte sich die Nase. "Jahrelang habe ich darauf gewartet. Zu Gott habe ich gebetet und mit einem schlimmen Schicksalsschlag hat er mein Gebet erhört. Es war so, als hätte er mir gesagt, dass es mein Kind sei und ich es mir nur holen müsse." "Warum haben Sie denn kein Kind adoptiert?" "Mein Freund, er wollte nicht. Ich habe einfach so viel Pech in meinem Leben. Der einzige, der mich mag ist mein Kater. Er versteht mich und schnurrt wenn ich ihm erzähle wie schön es wäre ein Baby zu wickeln, für das Kind da zu sein." "Es gibt noch so viel anderes auf der Welt." "Nein, nein, ohne Michelle ist mein Leben sinnlos." "Sie wollen nur noch dieses Kind?" "Es ist doch" Monika stockte. "Mein Kind" hatte sie sagen wollen, aber ganz tief in ihr drin wusste sie, dass es nicht so war. "Warum haben Sie die kleine zurück gebracht?" hörte sie die leise einfühlsame Stimme des Psychologen. "Wegen Marc, meinem Freund." Diesmal wischte sie sich mit der bloßen Hand über ihre feuchten Augen, bevor sie weiter sprach. "Ich habe mich auf einem alten Bauernhof versteckt. Früher waren wir oft dort, Marc und ich, haben im Heu gespielt, Feste gefeiert. Manchmal war auch Conni, meine Schwester mit ihrem heutigen Mann dabei. Ich bin also mit Michelle zu dem Bauernhof gefahren und Marc hat mich gefunden. Die Polizei hatte mich schon gesucht, sie haben wohl vermutet, dass Michelle bei mir ist. Ich wollte nicht mit Marc gehen, habe mich mit ihm gestritten und er ist dann alleine weg. Als er weg war habe ich über das was er zu mir gesagt hat nachgedacht und habe verstanden, dass es nicht mein Kind ist. Dass ich so nicht leben kann. Ich bin wieder zur Vernunft gekommen. Schlimm ist nur, ich glaube, ich bereue es. Was soll ich denn mit meinem Leben noch machen? Alles ist so schrecklich ohne Michelle." * Abends trafen sich Sylvia und Dirk noch im Revier und berichteten sich gegenseitig was sie erlebt hatten. "Der Psychologe meint, dass Frau Lossen ganz dringend eine Behandlung nötig hat. Scheint als wäre sie selbstmordgefährdet. Für ein paar Tage haben sie Frau Lossen in die Klinik eingewiesen." "Hat er heraus finden können warum Frau Lossen sich gestellt hat?" "Das haben wir ihrem Freund Marc zu verdanken. Er hat uns angelogen, er wusste natürlich wo sie sich aufhält. Mit ihm zurück wollte sie nicht und es muss einen ziemlichen Krach gegeben haben. Sie hat über die Worte Marcs nachgedacht und hat es daraufhin für vernünftig gehalten sich zu stellen." "Glaubt der Psychologe, dass Frau Lossen Frau Lavalle umgebracht haben könnte?" "Nach einer Sitzung könne er das noch nicht beurteilen hat er gesagt."
"Was sagst du zu Fabian Lavalle und Regina Linde?" Dirk zuckte mit den Achseln und gähnte, sich eine Hand vor den Mund haltend. "Entschuldige. Schon ein starkes Stück, dass die beiden ein Paar sind. Dieser Regina traue ich es ja nicht zu, aber Fabian? Ich weiß es nicht, wir brauchen Beweise." * Sylvia nahm ein Bad, eine Flasche Bier neben sich und einen Wurstweck in der Hand. ‚Wenn das meine Mutter wüsste’, dachte sie. Krümel im sauberen Badewasser, wirklich nichts für Pedanten. Als die Hände schon Risse vom Wasser bekamen entschloss sie sich schweren Herzens aus der Wanne zu steigen. Sie wickelte sich in ein kuschelweiches Handtuch und freute sich über ihr Singledasein. Wenn sie gewusst hätte, dass es so schön und sorgenlos war alleine zu sein, hätte sie Thomas schon viel früher verlassen. Auf dem Sofa liegend schmökerte sie in einem Liebesroman. Wie schön es in den Romanen doch immer zuging. So schön, dass ihr während des Lesens die Augen zufielen, und sie die Nacht auf dem Sofa verbrachte. Am nächsten Morgen beim Aufwachen kam ihr dann der Gedanke, dass die ursprünglichen Decken bei Buggy Olsen sein mussten. Hatten die beiden nicht erzählt, dass sie das Baby in andere Decken gewickelt hatten? Aber wo waren dann die Originaldecken? Hatte Dirk das schon geprüft und ihr nichts davon gesagt? Sie schwang sich ans Telefon und drückte wie wild auf den Tasten herum. Ein verschlafener Dirk meldete sich am anderen Ende der Leitung. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht," meinte er, nachdem Sylvia ihm den Sachverhalt erklärt hatte. „Warum haben die beiden uns nicht gleich die Sachen gegeben?" „Vielleicht mit Absicht." „Wir müssen sofort zu Buggy Olsen, bei ihm müssen die alten Decken sein." "Vielleicht haben wir jetzt unseren Täter gefunden", sagte Sylvia noch, bevor sie den Hörer zurück auf die Gabel legte. * Nachdem Regina Linde aus dem Krankenhaus entlassen worden war, war sie mit Fabian in ihr neues Heim in die Königsstraße gegangen. "Ich habe mich hier noch gar nicht so richtig umgeschaut" sagte Fabian. "So eine riesige Wohnung und jetzt ist sie uns." Regina und Fabian gingen in Richtung Gästeschlafzimmer, da sie sich damit die Treppen ersparten. Fabian, der vorgegangen war, traute seinen Augen nicht. Mit der Schuhspitze war er an etwas gestoßen und hatte automatisch nach unten geschaut. "Wie kommt denn das hier her?" Er bückte sich um die Spritze aufzuheben, die vor seinen Füßen lag. "Nicht, mach das nicht." Regina zitterte, die Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Fabian hielt in seiner Bewegung inne, starrte seine Freundin an. "Was ist? Weißt du was damit ist?" "Ich, ich, ich habe sie da hingelegt." "Spinnst du? Was hat das zu bedeuten? Bitte, Regina, was ist los?" Nervös schnippte Regina mit den Fingern. "Ich wollte sie verschwinden lassen, die Spritze. Sie muss mir aus der Tasche gefallen sein, ich
hatte doch keine Zeit mehr." Fabian ließ sich auf das Bett fallen, den Blick immer noch auf seine Freundin gerichtet. Regina? Er konnte, wollte es nicht glauben. Hatte sie Dorothee umgebracht? Er konnte nichts sagen, wartete darauf, dass sie weitersprach. Er fühlte sich wie gelähmt, spürte den Klos in seinem Hals. Mit der rechten Hand fuhr er sich durch das Gesicht. Sie sprach weiter, mit Tränen in den Augen. "An dem Mittwoch, ein Tag bevor Dorothee gefunden wurde, da war ich bei ihr abends. Sie hatte mich angerufen, weil sie so starke Kopfschmerzen hatte..." "Sag es der Polizei. Du hast die ganze Zeit den Mörder gedeckt, ich glaube das nicht. Dafür so viel Ärger. Geh zur Polizei." Regina brach in ihrer Ecke schluchzend zusammen. Ja, sie wusste wer der Mörder war. Morgen, gleich morgen früh würde sie die Beamten anrufen. * Buggy Olsen war erstaunt über den Besuch von Kentner und Notalagy. Er entschuldigte sich tausend Mal dafür, dass er vergessen hatte ihnen die Decken zu geben, in denen das Kind eingewickelt gewesen war. Er habe sie direkt nach dem Wechseln in den Wäschekorb getan und diesen seit dem nicht mehr geöffnet. Er habe auch gar nicht mehr daran gedacht. Sylvia und Dirk folgten Buggy ins Bad, wo er aus dem Wäschekörbchen tatsächlich die Decken zog. Sylvia sah die Decken, diese auffälligen Decken, die ihr irgendwie bekannt vorkamen. Ein eiskaltes Schaudern fuhr ihr über den Rücken. Mit einem Satz nach hinten ließ sie sich auf den Toilettendeckel fallen. "Das gibt es doch nicht", entfuhr es ihr. Auf dem Weg zu dem höchstwahrscheinlichen Mörder klingelte das Handy Kentners. Sylvia nahm das Gespräch an. "Das war Regina Linde. Du glaubst nicht was sie mir gerade erzählt hat." Nun blieb auch Dirk von einer Gänsehaut nicht verschont. Regina hatte am Telefon verkündet, dass sie auch sofort losfahren wolle, und als Zeugin fungieren würde. * Bei den Lestys herrschte mal wieder ein Streit zwischen Vater und Tochter. "Wenn du mich nicht operierst werde ich den Bullen alles erzählen", drohte Bianca. Von hinten die Stimme Dirks: „Dann fang schon mal an." Vier erschrockene Augenpaare sahen sich den beiden Polizeibeamten gegenüber. Keiner sprach etwas. Christoph versuchte seine letzte Chance wahrzunehmen. "Kann ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein in Bezug auf ihren Fall?" In dem Moment traf auch Regina Linde ein. "Machen Sie keine Scherze Dr. Lesty. Erzählen Sie uns lieber warum Sie Frau Lavalle los werden wollten und wie sie es geschafft haben." „Aber ich habe nicht. Ich war nur ihr Arzt." Dirk hielt die Decken hoch, die Sylvia ihm gebracht hatte. Bianca flippte aus. "Papa, Papa? Was hast du gemacht? Das sind doch unsere Decken." "Ich weiß nicht woher diese Decken" Das hysterische Geschrei der Tochter vermischte sich mit der Stimme aus dem Hintergrund, die von Christophs Frau Tamara kam. "Es ist zu spät um noch zu lügen. Auf der Decke werden sie meine Fingerabdrücke finden."
„Es ist nett, dass sie uns das sagen. Auf Decken ist es leider noch nicht möglich Fingerabdrücke zu holen. Aber jetzt wissen wir ja, dass sie die Decken angefasst haben." Bianca wurde es zu viel. Sie konnte die Schuldigkeit ihrer Eltern nicht ertragen, wollte nicht hören, was nun kam. Schreiend, heulend und fluchend rannte sie ins Haus. Draußen wurde es ruhiger, jeder lauschte gespannt, als Regina Linde zu sprechen anfing. "Am Mittwoch Abend hat mich Dorothee angerufen. Sie hatte so starke Migräne, sie meinte sie würde es nicht mehr aushalten und ich solle ihr helfen. Ich habe meinen Chef, Christoph Lesty, angerufen und ihn gefragt was ich ihr geben könne. Er hat gesagt ich solle bei ihm vorbei kommen, er hätte ein neues Mittel das ihr bestimmt helfen werde. Ich bin also hingefahren und er hat mir eine Tablette und eine Spritze gegeben und gesagt, dass dies das neue Mittel sei. Ich sollte ihr zuerst die Tablette geben und ungefähr eine Stunde warten. Danach solle ich ihr das neue Mittel spritzen. Das habe ich dann auch gemacht. Dorothee ist nach der Tablette ziemlich müde geworden, ich habe mir nichts dabei gedacht. Sie hat sich mit den Kleidern ins Gästebett gelegt. Ich habe ihr, so wie es Dr. Lesty gesagt hat, eine Stunde später die Spritze gesetzt. Dorothee hat irgendetwas gemurmelt. Ich dachte, es ist weil sie müde ist, aber irgendwie hatte ich auch Angst. Könnte ja sein, dass irgend ein Stoff in der Medizin war den sie nicht vertragen hätte. Also habe ich ihn angerufen und seine Frau ist ans Telefon gegangen. Sie hat mir gesagt dass Dr. Lesty im Moment nicht da sei, sie käme vorbei und würde sich um alles kümmern. Fünf Minuten später war Frau Lesty dann auch da. Sie hat mich heim geschickt und gesagt dass Dr. Lesty gleich kommen würde. Da bin ich gegangen." Christoph Lesty, der wusste, dass jetzt alles zu spät war, er verloren hatte, berichtete weiter. "Ich habe Dorothee umgebracht, ja. Es war genauso wie Regina erzählt hat, ich habe sie hin geschickt und sie hat die schmutzige Arbeit für mich erledigt." "Aber warum?" "Dorothee hat mich erpresst. Sie hat bei der Drogenberatung gearbeitet, und irgend so ein Junkie, der auf dem Weg der Besserung war, hat ihr gesagt, dass er seinen Stoff immer bei mir bekommen hat. Sie war nicht dumm, hat es überprüft und ich bin aufgeflogen. Sie hat mir einen jungen Kerl vorbei geschickt der angeblich Stoff wollte. Ich habe ihm etwas verkauft und er hat unser ganzes Gespräch aufgezeichnet. Sie wollte für ihr Schweigen ein Kind von mir und jeden Monat 4.000 €. Ich hätte mein ganzes Leben bezahlen sollen, dabei hatte sie genug Geld. Sie hat es nur getan um mich zu ärgern, zu ruinieren. Wahrscheinlich hat sie sich auch immer noch darüber geärgert, dass ich sie damals verschmäht habe. Ich hatte keine Wahl, ich musste sie los werden. Wenn sie das ausgeplaudert hätte, wäre mein guter Ruf als Arzt dahin gewesen." „Warum hatten Sie es denn nötig Drogen zu verkaufen?" „Natürlich hatte ich es nicht nötig. Als Jugendlicher habe ich selbst mal mit leichteren Sachen, wie Haschisch herumexperimentiert. Einige meiner Patienten wussten das und in den entsprechenden Kreisen hat es sich herum gesprochen. Ich wollte als Arzt einen sauberen Eindruck machen, die Menschen sollten ja zu mir kommen. Und wer geht schon zu einem Arzt der mal Drogen genommen hat, egal welcher Art. Würden Sie das tun?" Er wartete die Antwort nicht ab. „Ich bin ein guter Arzt, mache alles für meine Patienten. Ich kann doch nicht alles aufs Spiel setzen. Lieber habe ich heimlich Drogen verkauft, es hat mir doch nur Vorteile gebracht. Ich habe noch mehr Geld verdient und die Patienten die von mir etwas bekommen haben, die kamen natürlich nicht auf die Idee, mich zu verraten. Ich war ja eine gute Quelle. Ich hatte das Geld, die Patienten und einen perfekten Ruf. So sollte es bleiben. Aber das können Sie wahrscheinlich nicht verstehen." „Die Menschen, denen Sie die Drogen verkauft haben, hätten sterben können. Das konnten sie als Arzt verantworten?"
„Wenn sie die Drogen nicht bei mir bekommen hätten, hätten sie sich es woanders geholt." „Sie sind nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Dealer." „Was hätte ich denn tun sollen? Ich habe eine Familie die versorgt werden will. Irgendwoher musste das Geld doch kommen. Ich habe keinen anderen Ausweg gesehen. Entweder meinen Beruf verlieren, alles wofür ich jahrelang studiert und gelernt habe, worin ich gut bin, oder Frau Lavalle loswerden." „Haben Sie auch mal an das Kind gedacht? Es ist erst 6 Monate alt und hat jetzt keine Mutter mehr." „Irgend jemand wird sich schon um das Baby kümmern. Selbst im Heim ist es besser aufgehoben als wenn es bei Frau Lavalle geblieben wäre." "Wie haben Sie Frau Lavalle eigentlich umgebracht?" "Zuerst habe ich ihr die Schlaftablette verabreichen lassen. Sie musste hundemüde sein, sonst hätte das alles nicht funktioniert. Nach einer Stunde war sie das auch. In der Spritze war Glukose, bei einem Zuviel davon stirbt man. Man bekommt Hunger, aber dass sie nichts mehr essen konnte habe ich durch die Schlaftablette verhindert. Der Körper setzt die Glukose um, da diese auch im eigenen Körper produziert wird. Das heißt es wird nicht nachweisbar wodurch der Mensch umgekommen ist. Es ist wie ein natürlicher Tod. Dabei kam mir ihre Diabetes noch zugute. Ansonsten hätte ich mit dem Einstich schon verdächtig gewirkt." "Warum haben Sie Frau Lavalle denn dann in den Container gebracht? Vermutlich wäre es gar nicht aufgefallen, man hätte es für einen natürlichen Tod gehalten wenn Sie Frau Lavalle in dem Haus gelassen hätten." "Ich habe sie nicht in den Container gebracht." "Ich war es", hörten sie Tamara sagen. "Wegen dem Kind. Hätte ich sie in dem Haus gelassen wäre das Baby wahrscheinlich auch gestorben. Ich konnte das Kind nicht einfach behalten. Niemand hätte Frau Lavalle vermisst, zumindest nicht so schnell. Ich habe zuerst Frau Lavalle ins Auto geschleppt. Es war schon sehr spät und dunkel, ich habe gewartet. Ich musste sicher sein, dass alle Nachbarn schlafen. Dann bin ich nach Northigia gefahren und habe Frau Lavalle in den Container geschmissen. Das Baby habe ich bis zum nächsten Morgen behalten. Ich war in der Praxis, die ganze Nacht. Dann bin ich nach Hause gefahren, habe die Decken geholt, das kleine Mädchen eingewickelt und es zu der Mutter gelegt. Ich habe mich den ganzen Tag in der Nähe versteckt und aufgepasst, dass es dem Baby gut geht. Bis diese Frau die beiden gefunden hat. Da bin ich schnell weg. Ich musste meinem Mann doch helfen. Diese Frau hätte unser ganzes Leben zerstört." „Aber die Decken. Sie hätten doch wissen müssen, dass das früher oder später herauskommt." „Ich wollte doch nur helfen. In der Aufregung ist es einfach passiert. Ich habe nur an das Kind gedacht." Nach einer Pause sprach sie leise weiter. „Und das Gewissen. Ich hatte so ein schlechtes Gewissen. Mit was hätte ich besser gelebt? Mit einem Mann von dem ich wusste, dass er einen Menschen auf dem Gewissen hat, oder mit meinem schlechten Gewissen. Sogar seine Mitarbeiterin hat er da mit herein gezogen. Ich habe es einfach nicht verkraftet. Ich wollte ihm ja helfen, aber, Oh Gott." Sie brach zusammen, weinte. * Tage nachdem der Fall abgeschlossen war besuchte Sylvia Monika Lossen. Sie selbst hatte sich bei den Behörden dafür eingesetzt, dass Frau Lossen die Möglichkeit bekommen sollte, Michelle zu adoptieren. Auch der Psychologe, bei dem Monika trotz allem in Behandlung bleiben sollte,
war dafür. Jeder war der Meinung, dass diese Frau es verdiente das Kind großzuziehen. Natürlich hatte sie einige Fehler gemacht, aber die waren aus der Not und der Liebe heraus entstanden. Mit Marc hatte Monika sich nach dem riesigen Krach wieder versöhnt. Die beiden hatten sich ausgesprochen, und Marc hatte bekannt gegeben, dass auch er mit einer Adoption einverstanden sei. Monika Lossen war glücklich. Kein Zweifel, sie würde eine gute Mutter sein. * Bianca Lesty wurde ab dem Zeitpunkt der Verhaftung vom Jugendamt betreut. Sie hatte eine eigene kleine Wohnung gestellt bekommen. Jetzt konnte sie versuchen wie es ist auf eigenen Beinen zu stehen. An eine Operation verschwendete sie nun keinen Gedanken mehr. Sie lernte nun wie man mit Geld umzugehen hatte. Sie lernte, dass man Wünsche oft zurück stecken musste, um überleben zu können. So lebte jeder der Weihnachtszeit entgegen. Dirk und Sylvia waren immer noch relativ schockiert von dem Ausmaß welches der Fall angenommen hatte. Niemals hätte Sylvia den netten Dr. Lesty für schuldig gehalten. Und er war auch noch so hinterhältig und gemein gewesen Regina Linde zu benutzen. Die arme würde wahrscheinlich ihr ganzes Leben damit zu kämpfen haben, dass sie der Freundin die tödliche Dosis verabreicht hatte, ohne es zu wissen. So viele Menschen hatten darunter leiden müssen. Und das alles wegen einem unseriösen Arzt. Sylvia hoffte, dass ihr nächster Fall nicht so viele Menschenleben zerstören würde. Dass es nicht wieder so viele Opfer geben würde. Aber war es nicht immer das Schicksal der Menschen leiden zu müssen? Waren es nicht manchmal die Opfer selber schuld? ‚Keiner ist ohne Schuld’, dachte Sylvia und genoss den Rest des ruhigen Arbeitstages.