Atlan - Der Held von Arkon Nr. 224
System des Todes Sie handeln im Auftrag Orbanaschols - ihr Ziel ist Skärgoth, die U...
9 downloads
434 Views
326KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - Der Held von Arkon Nr. 224
System des Todes Sie handeln im Auftrag Orbanaschols - ihr Ziel ist Skärgoth, die Unwelt von Marianne Sydow Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol, den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hat Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Vaters, gegenwärtig eine neue Waffe gegen Orbanaschol, die bereits zweimal erfolgreich zum Einsatz gelangte. Aber auch der Imperator bleibt nicht untätig! Durch das Erscheinen seines für tot gehaltenen Amtsvorgängers zutiefst beunruhigt, entschließt er sich zu einem folgenschweren Schritt: Er will Klinsanthor wecken lassen, den sagenumwobenen Magnortöter, und er schickt Expeditionen aus ins SYSTEM DES TODES …
System des Todes
3
Die Hautpersonen des Romans: Orbanaschol III. - Der Usurpator will den Magnortöter wecken lassen. Konph El Trajn - Ein Archivar. Lenth Toschmol - Ein besessener Forscher und Wissenschaftler. Zenkoorten - Kommandant der PROTALKH. Varka, Swann und Vrenaja Zortain - Wichtige Besatzungsmitglieder der PROTALKH.
In den Grüften und Meeren der Unwelt, in älteren Fassungen auch Skärgoth genannt – Arkonidische Legende, träumt Klinsanthor, der Magnortöter. Weckt ihn und ruft ihn, aber achtet darauf, daß sein schrecklicher Schatten nicht auf euch fällt.
1. Orbanaschol III. starrte auf die große Bildwand und bemühte sich, die von Andeutungen und geheimnisvollen Umschreibungen gespickten Projektionen zu durchschauen. Es gelang ihm nicht, und er wandte sich ärgerlich ab. »Gibt es denn nicht wenigstens einen Bericht über Klinsanthor, der aus jüngerer Zeit stammt und verständlich ist?« keifte er mit seiner Fistelstimme, die zu dem massigen, aufgeschwemmten Körper des Imperators einen geradezu lächerlichen Kontrast bildete. Konph El Trajn hütete sich, seine wahren Gefühle zu zeigen. Es war lange her, seit sich zum letztenmal eine ähnlich hochgestellte Persönlichkeit in diesen Teil des Archivs verirrt hatte. »Verzeiht, Erhabener«, sagte er. »Klinsanthor ist eine Gestalt aus der Mythologie unseres Volkes. Vielleicht gibt es ihn gar nicht. Die Überlieferungen sind alt, und im Laufe der Zeit wurden sie immer ungenauer.« »Das merke ich auch!« zischte der Imperator wütend. Er bemühte sich um eine imponierende Körperhaltung, denn dieser uralte Mann, der die Mythologien des arkonidischen Volkes ständig um sich hatte, flößte ihm beinahe so etwas wie Angst ein.
»Darf ich jetzt einen anderen Text einblenden?« fragte Konph. Orbanaschol III. zuckte ein wenig zusammen, als ihm die Unverschämtheit des alten Mannes bewußt wurde. Niemand sonst wagte es, den Herrscher über das Große Imperium so respektlos anzusprechen. Aber Konph El Trajn besaß zum Leidwesen des Imperators eine gewisse Bedeutung – wenigstens vorläufig noch. Wenn alles vorbei war, würde er dafür sorgen, daß El Trajn die nötige Achtung vor seinem Imperator lernte! »Also gut«, fistelte er. »Schauen wir uns das nächste Ammenmärchen einmal an.« Der Alte hantierte geschickt an einem Schaltpult herum. »Das ist der einzige Bericht über das letzte Eingreifen Klinsanthors«, ließ er sich vernehmen und deutete auf die Bildwand. Der positronische Bibliothekar hatte das Original projiziert. Die altmodischen, verschlungenen Buchstaben ließen sich kaum mehr entziffern. Obwohl Orbanaschol nur einen Teil des Textes lesen konnte, erfaßte eine irrationale Angst den Imperator. Er hatte das unangenehme Gefühl, als strahle allein dieses. Schriftstück eine unfaßbare Drohung aus. Ohne auf einen direkten Befehl zu warten, begann Konph El Trajn, den alten Text zu übersetzen. »Und das Volk von Arkon erhob sich gegen die, die es in seiner Freiheit unterdrückten. So wie das wilde Xarph sich nach der Entwöhnung selbst gegen die Mutter stellt und kämpft, bäumte Arkon sich gegen Bevormundung und Unfreiheit auf. Aber der Krieg dauerte lange, und die Opfer waren schwer. Das junge Arkon bemühte sich, die Fesseln seiner Kindheit abzustreifen, aber die Ketten wurden immer schwerer. Als die Kraft der Arkoniden fast erlo-
4 schen war, bäumte das Volk sich ein letztes Mal auf und schrie nach Hilfe. Der Ruf fand Gehör. Ein gewaltiger Sturm erhob sich zwischen den Welten und zerbrach die Bande. Klinsanthor in seiner unfaßbaren, unschaubaren Gestalt warf seinen Schatten über die, die im Unrecht waren, und sie wichen angstvoll zurück. Die Vernichtung folgte ihnen und trieb sie vor sich her, und Klinsanthors Schlachtruf klang schauerlich zwischen den Sonnen. Als die Feinde, geschlagen und von Furcht erfüllt, in ein Versteck zurückwichen, aus dem es für sie kein Entkommen mehr geben würde, jubelte das Volk von Arkon laut. Von Freude und Dankbarkeit erfüllt, eilte es dem Magnortöter entgegen. Aber Klinsanthor wandte sein Gesicht von ihnen und eilte zurück in die Skärgoth, und ein Teil seines Schattens überzog die, die ihm danken wollten. Wen der Schatten berührt hatte, der welkte dahin wie eine Blume. Unzählige starben, und das Volk der Arkoniden erstarrte in Furcht und Trauer, bis der mächtige Klinsanthor in die Ruhe der Grüfte zurückgekehrt war. Dann erst verlor auch der Schatten seine Macht.« Der Bericht, den der Alte in leierndem Singsang vorgetragen hatte, versetzte Orbanaschol in eine seltsam befangene Stimmung. »Wann geschah das ungefähr?« fragte er. »Zur Zeit der Unabhängigkeitskriege. Die Arkoniden waren fast geschlagen, als eine rätselhafte Macht eingriff und die Schlacht beendete. Allerdings waren die Opfer auf der Seite unseres Volkes vermutlich genauso hoch wie bei den Gegnern.« »Es gibt Geschichtsforscher, die daran zweifeln, daß eben diese Auseinandersetzungen jemals stattgefunden haben«, wandte Orbanaschol unwillig ein. »Vielleicht haben sie sogar recht«, murmelte Konph El Trajn. »Es ist alles so lange her. Aber es ist nicht meine Aufgabe, dem nachzuforschen. Ich hüte diese Überlieferungen. Ein Urteil über den Wahrheitsgehalt der Mythologien steht mir nicht zu.« »Du zweifelst daran, daß Klinsanthor exi-
Marianne Sydow stiert?« fragte Orbanaschol drohend. »Ich weiß es nicht, Erhabener. Niemand hat ihn je gesehen. Wenn wirklich er es war, der den Arkoniden zur Freiheit verhalf, dann müßte er inzwischen längst gestorben sein. Es sei denn, es handelt sich bei dem Magnortöter um ein Wesen, auf das die Naturgesetze nicht zutreffen.« »Es heißt, daß nur der Imperator selbst Klinsanthor rufen kann. Wer weckte ihn damals?« »Der Name wurde nicht überliefert.« Orbanaschol starrte den Alten an. »Niemand hätte es gewagt, den Namen eines solchen Helden zu verschweigen«, stieß er endlich hervor. »Du lügst, Alter! Nenne mir den Namen dessen, der Klinsanthor rief!« »Ich bin ein sehr alter Mann, Erhabener«, seufzte Konph. »Ihr braucht mir nicht zu drohen. Mein Wissen steht jedem zur Verfügung, aber diesen Namen kenne ich nicht. Ich weiß, was das bedeutet. Man hat den Erwecker Klinsanthors absichtlich vergessen und ihm damit das Schlimmste angetan, was einem Arkoniden zustoßen kann.« »Aber warum?« »Viele aus unserem Volk mußten sterben, und die Schuld daran gab man offensichtlich dem, der den Unheimlichen rief. Auch ohne sein Eingreifen wäre die Entscheidung irgendwann gefallen. Die Opfer waren unnötig. Nur in der allerletzten Not, wenn alle anderen Mittel versagen und die Existenz des Imperiums einer übermächtigen Drohung ausgesetzt ist, sollte man Kräfte wie diese rufen. Sonst beschwört man Gefahren herauf, die sich mit Hilfe von Impulskanonen ganz gewiß nicht beseitigen lassen.« In den Augen des Imperators erschien ein gefährliches Glitzern. Er trat drohend auf den dürren, alten Arkoniden zu. »Ich brauche deinen Rat nicht!« fauchte er Konph an. »Klinsanthor wird kommen. Nur er kann mir helfen.« Fast hätte er dem Alten gesagt, worum es sich handelte, aber dann ließ sein Mißtrauen ihn doch schweigen. Natürlich ließ es sich
System des Todes auf die Dauer nicht geheimhalten, daß Gonozal wieder aufgetaucht war. Er und dieser Atlan bildeten eine so große Gefahr für Orbanaschol, daß er selbst die Geister der Toten um Hilfe gebeten hätte, wäre es ihm möglich gewesen. Orbanaschol III. war entschlossen, die Gefahr, die von dem jungen Kristallprinzen ausging, für alle Zeiten zu bannen. Er war bereit, die optimale Waffe der Imperatoren einzusetzen. »Ammenmärchen!« zischte er wütend und deutete auf die Bildwand. »Geschwätz, mit dem die Wahrheit vernebelt wurde. Klinsanthor ist ein Werkzeug, die absolute Macht zu erringen. Er wird sich nicht gegen den stellen, der ihn ruft. Er sollte dankbar sein, wenn er überhaupt geweckt wird?« Konph zuckte die Schultern. »Meine Zeit ist bald abgelaufen«, sagte er gelassen. »Ob ich durch den Schatten des Magnortöters sterbe oder nicht, das kann mir ziemlich gleichgültig sein. Aber es geht um Arkon, Imperator!« »Genug!« schrie Orbanaschol mit überschnappender Stimme. »Behalte deine Weisheiten für dich. Im übrigen ist die Entscheidung längst gefallen. Ich habe Kommandos ausgesandt, die die Unweit aufspüren und Klinsanthor benachrichtigen werden. Die Unterlagen sind zwar ungenau, aber es sollte doch wohl möglich sein, den richtigen Planeten zu finden. Mit Hilfe des Magnortöters werde ich in diesem Imperium aufräumen, wie man es noch nie zuvor gesehen hat, und ich versichere dir, daß man meinen Namen nicht vergessen wird!« Um das zu erreichen, dachte Konph El Trajn, hättest du aufgeblasener Kerl nicht erst die Mythologien zu bemühen brauchen. Du wirst ewig im Bewußtsein der Arkoniden bleiben – in Form von Flüchen und Verwünschungen. Aber er hütete sich selbstverständlich, diese Gedanken laut zu formulieren. Eine Bemerkung konnte er sich allerdings doch nicht verkneifen. »Wenn es so ist, dann kann ich nur hoffen, daß wirklich alles nur ein Märchen ist«,
5 sagte er. Orbanaschol III. schnappte nach Luft. Aus hervorquellenden Augen stierte er den zerbrechlichen Alten an. Dann drehte er sich jedoch nach wenigen Sekunden um und verließ ohne ein weiteres Wort das Archiv. Konph El Trajn sah ihm nach und lächelte spöttisch. Er wußte, daß Orbanaschol manche seiner Untertanen schon wegen weitaus harmloserer Bemerkungen hatte hinrichten lassen. Hätte es Zeugen bei diesem Gespräch gegeben, so wäre Konph jetzt bereits so gut wie tot. Aber der alte Mann kannte seinen Wert genau. Er hatte keine Angst. Nachdenklich ließ er die Angaben über die Skärgoth auf der Bildwand erscheinen. Die Unterlagen waren so vage, daß seine Hoffnungen berechtigt schienen. Nur ein unglaublicher Zufall vermochte ein Raumschiff zu diesem Ort zu führen – falls es ihn gab. Konph hoffte inbrünstig, daß das nicht der Fall war. Orbanaschol hatte ohnehin zu viel Macht. Der Alte lebte seit langem fast ausschließlich in den weitläufigen Anlagen des Archivs. Seit dem Tode Gonozals hatte er diese Unterwelt immer seltener verlassen. Dennoch wußte er, was auf Arkon I geschah, und es gefiel ihm gar nicht.
2. Die PROTALKH hing wie ein riesiger, silberner Ball zwischen den Sternen. Der größte Teil der Besatzung ruhte sich aus. Sie alle waren erprobte Raumfahrer, und sie wußten, daß die Zeit der Ruhe ein Geschenk war, das man nur zu schnell wieder verlor. Sie hatten es aufgegeben, die Transitionen zu zählen. Die Offiziere warfen ab und zu besorgte Blicke auf die Kursschreiber, aber sie brauchten den Männern und Frauen der PROTALKH nicht zu sagen, daß man sich durch ein Gebiet bewegte, über das kaum Berichte vorlagen. Natürlich kursierten alle möglichen Gerüchte über das Ziel dieser Reise. Es ging um irgendeinen Planeten, auf dem Zenkoorten und Lenth Toschmol etwas finden soll-
6 ten. Etwas, das sehr wertvoll, aber auch sehr gefährlich war. Zenkoorten war der Kommandant der PROTALKH, ein eisenharter Mann, der bedingungslose Disziplin forderte. Es, gab niemanden an Bord, der ihn als seinen Freund hätte bezeichnen können, aber er wurde allgemein geachtet und war in gewisser Weise sogar beliebt. Seine Gerechtigkeit war sprichwörtlich. Lenth Toschmol war fremd im Schiff und wurde schon deswegen mit Mißtrauen angesehen. Er war Wissenschaftler und beschäftigte sich mit Mythologien, und das ließ ihn als etwas unheimlich erscheinen. Fast alle Raumfahrer sind anfällig für Aberglauben. Die Besatzung der PROTALKH bildete da keine Ausnahme. Fast jeder war im Grund genommen davon überzeugt, daß ein Mann wie Toschmol dem Schiff nichts Gutes einbringen konnte. Toschmol selbst schien alles zu tun, um dieses Mißtrauen zu stärken. Daß er abgrundhäßlich war, hätte man ihm noch verziehen. Aber sein Benehmen, vor allem seine Arroganz, führte dazu, daß er auch den letzten Rest von Sympathie bei der Besatzung verlor. Zenkoorten kannte die Abneigung, die seine Untergebenen diesem Mann entgegenbrachten. Offiziell benahm er sich Toschmol gegenüber neutral – privat dagegen stimmte er seinen Leuten voll und ganz zu. »Wir müssen endlich zu einer Entscheidung gelangen«, seufzte er und legte in einer Geste, die Müdigkeit und unterdrückten Ärger ausdrückte, die Hände flach auf den Tisch. »Nichts leichter als das«, konterte Lenth Toschmol. Er sprach langsam, und Zenkoorten hatte sich daran noch immer nicht gewöhnt. Auch nicht an die Angewohnheit Toschmols, während des Sprechens mit seinen hageren Händen kreisende Bewegungen vor der Brust zu vollführen. Alles an diesem Mann machte Zenkoorten nervös. Selbst wenn man Toschmol gesagt hätte, daß seine Kabine ausbrannte, hätte dieser Kerl sein Sprechtempo vermutlich nicht erhöht.
Marianne Sydow »Wir setzen den Kurs auf diese dunkle Sonne«, erklärte Toschmol schleppend. Er streckte die Hand aus und deutete auf einen Punkt auf der Sternkarte. Zenkoorten zuckte unwillkürlich zurück, als er die Schmutzränder unter den Fingernägel erblickte. »Die Sonne existiert nicht«, sagte er schärfer als beabsichtigt. »Ich habe es Ihnen schon mindestens zehnmal gesagt. Die Karte taugt nichts.« »Das bezweifle ich«, versetzte Toschmol spöttisch. »Wenn Ihre Leute die Sonne nicht finden, dann liegt das wohl eher daran, daß sie gar nicht nicht richtig nach ihr suchen. Die Karte beweist, daß wir in der richtigen Gegend sind. Diesen gelb-roten Doppelstern haben Sie doch ausgemacht!« »Es gibt unzählige von seiner Sorte in der Galaxis!« »Aber bestimmt nicht viele, die von sechs roten Zwergsonnen in so geometrischer Anordnung umgeben sind.« »Es sind nur fünf«, korrigierte Zenkoorten ärgerlich. »Die sechste existiert nur in Ihrer Phantasie.« »Wir müssen nur etwas näher heran«, widersprach Toschmol, kratzte sich ungeniert den Kopf und gähnte ausgiebig. Zenkoorten beobachtete ihn in einer Mischung von Widerwillen und Faszination. Im hellen Licht der Kabinenlampe wirkte Toschmols langes, strähniges Haar noch unordentlicher als sonst. Hinzu kam die Farbe – rot! Was für eine Sorte Arkonide mochte der Wissenschaftler wohl sein? Und dann diese Nase! Sie ragte wie ein gebogener Haken aus dem langen Gesicht heraus und reichte bis über die Lippen. »Wenn wir den Doppelstern erreichen, sind wir in einer wesentlich besseren Position«, fuhr Toschmol gelassen fort. »Ich bin mir meiner Sache absolut sicher. Wir befinden uns in direkter Nähe der Unweit. Der Schlüssel ist die rote Sonne. Wir müssen sie finden, und wir werden sie auch entdecken. Schließlich kann sie sich nicht aufgelöst haben!« Zenkoorten seufzte. Er war diese Streite-
System des Todes reien leid. Toschmol war völlig der fixen Idee verfallen, er und kein anderer könne den Weg zu diesem geheimnisumwitterten Ort entdecken, an dem Klinsanthor angeblich zu finden war. Der Kommandant kannte sich im Umgang mit Wissenschaftlern aus und kam normalerweise gut mit ihnen zurecht. Aber bei Toschmol war es anders. Das lag zum großen Teil daran, daß dieser Mann weitreichende Vollmachten besaß. Zenkoorten war zwar der Kommandant, aber den Kurs der PROTALKH bestimmte Toschmol. »Bestehen berechtigte Bedenken in bezug auf die Sicherheit des Schiffes?« bohrte Toschmol unbarmherzig nach. »Haben Sie Beweise dafür, daß die Mission der PROTALKH gefährdet ist, wenn wir diesen Stern ansteuern?« »Nein«, gab Zenkoorten widerwillig zu. »Aber wir verlieren Zeit. Fünfzig Lichtjahre entfernt gibt es eine ähnliche Konstellation. Vielleicht finden wir dort eine Spur.« »Der Zeitverlust sollte Ihnen gleichgültig sein, Kommandant«, sagte Toschmol eisig. »Meine Berechnungen sagen mir, daß die Skärgoth hier zu finden ist – nicht fünfzig Lichtjahre weiter. Sollten Sie dennoch darauf bestehen, das andere System zuerst zu untersuchen, so müssen Sie die volle Verantwortung dafür übernehmen.« »Sie sind ein verdammt hartnäckiger Mann«, knurrte Zenkoorten. »Aber gut. Sie sollen Ihren Willen haben. Hoffentlich kommen Sie dabei nicht in Konflikte mit Ihrem Verantwortungsbewußtsein!« Toschmol lächelte spöttisch, während er dem Kommandanten folgte. Sie überquerten den Ringkorridor und betraten die Kommandozentrale. Die wenigen Leute, die dort zur Routineüberwachung während der Ruhezeit gebraucht wurden, sahen den beiden ungleichen Männern neugierig entgegen. Zenkoorten war groß und hielt sich sehr gerade. Seine Uniform saß perfekt. Das etwas kantige, ausdrucksvolle Gesicht war von halblangem, silberhellem Haar umrahmt, und die rötlichen Augen streiften mit einem kühlen, aufmerksamen Blick die Anwesenden. To-
7 schmol, etwas über mittelgroß, mager und leicht gebeugt, wirkte neben dem Kommandanten wie eine Vogelscheuche. »Pilot!« »Alle Systeme in Ordnung!« meldete Varka, ein noch junger Mann. »Ordnen Sie Startbereitschaft an!« befahl Zenkoorten. »Ich erwarte alle diensthabenden Offiziere zu einer Einsatzbesprechung im Kartenraum. Ausführung sofort!« Varka wandte sich kommentarlos seinen Instrumenten zu. Zenkoorten sah ihn auf Knöpfe drücken und dachte mit leichtem Mitleid an die über dreihundert Leute der Freiwache, die jetzt aus dem Schlaf gerissen wurden. Toschmol folgte ihm wie ein Schatten. »Ist eine Besprechung notwendig?« fragte er herausfordernd, als sie durch die durchsichtigen Wände des Kartenraums vor den neugierigen Ohren der Besatzung geschützt waren. »Jetzt passen Sie mal auf, Toschmol«, erwiderte Zenkoorten gereizt. »Zweifellos stellen Sie eine Kapazität auf Ihrem Gebiet dar, sonst hätten Sie nicht den Auftrag erhalten, an der Suche nach der Unweit teilzunehmen. Aber von der Raumfahrt haben Sie so wenig Ahnung, wie ich von den arkonidischen Mythologien. Hören Sie auf, mir in meine Arbeit hineinzureden, und konzentrieren Sie sich auf die Ihrige. Wir befinden uns in einem praktisch unerforschten Raumsektor. Wenn wir die Skärgoth finden, dabei aber selbst vernichtet werden, ist niemandem geholfen!« Toschmol zuckte zusammen. Zenkoorten sah, wie es in dem schmalen Gesicht des Wissenschaftlers arbeitete. Früher oder später würde die Gegnerschaft dieser beiden Männer zu Konflikten führen. Der Kommandant erkannte das sehr klar, aber er sah keine Möglichkeit, den kommenden Schwierigkeiten auszuweichen. Toschmol war ein Fanatiker – sein Ziel war ihm wichtiger als die Sicherheit der rund eintausendvierhundert Arkoniden an Bord der PROTALKH. Zenkoorten war durchaus bereit, bis zur
8
Marianne Sydow
Selbstaufopferung zu kämpfen, wenn es einen vernünftigen Grund dafür gab. Ihm lag auch viel an einem Erfolg der Mission. Aber das hieß noch lange nicht, daß er die Verantwortung für seine Besatzung in die Hände eines Fanatikers legte!
* Lenth Toschmol hatte eigentlich beabsichtigt, der Besprechung beizuwohnen. Aber die knappen, mit Fachausdrücken durchsetzten Kommentare der Offiziere waren für ihn beinahe unverständlich und langweilten ihn schon nach kurzer Zeit. So verließ er den Kartenraum und schlenderte müßig durch die Kommandozentrale. Natürlich besaß er Raumerfahrung, und er stand nicht zum erstenmal vor den riesigen Bildwänden und Schaltpulten eines Großraumschiffs. Aber es faszinierte ihn immer wieder, diese eigenartige Atmosphäre zu spüren. Varka, der junge Pilot, hatte im Augenblick wenig zu tun. Dennoch wirkte er wachsam und verfolgte das Farbenspiel der Kontrollampen mit flinken Blicken und murmelte Hinweise und Befehle in die Mikrophone. Die Ortungszentrale war voll besetzt. Unverständliche Lichtreflexe huschten über die Bildschirme. Eine junge Arkonidin, die wegen ihrer außergewöhnlichen Schönheit Toschmols Aufmerksamkeit erregte, diskutierte heftig mit dem Chef der Astronomischen Abteilung. Toschmol grinste versteckt. Wahrscheinlich drehte sich das Streitgespräch um die rote Sonne, die sich nicht ausfindig machen ließ. Er war völlig überrascht, als plötzlich eine Alarmpfeife loszuheulen begann. Seltsam unbeteiligt beobachtete er Varka, der in rasender Eile seine komplizierten Schalter und Hebel betätigte. Die Tür zum Kartenraum flog krachend auf. »Was ist los?« fragte Toschmol, als Zenkoorten an ihm vorübereilte. »Suchen Sie sich einen Platz und schnallen Sie sich an!« fauchte er den Wissenschaftler an und rannte weiter.
Suchend sah Toschmol sich um, entdeckte einen leeren Kontursessel und ließ sich in die Polster sinken. Die Gurte schlangen sich um seinen mageren Körper. Die Lärmpfeifen verstummten. In der plötzlichen Ruhe hörte Toschmol deutlich das Krachen und Knistern, das aus den Lautsprechern der Raumfunkanlage drang. »Kommandant an alle«, hallte im nächsten Moment Zenkoortens Stimme durch alle Räume der PROTALKH. »Alarmstufe eins. Alle Stationen besetzen. Die Freiwache übernimmt Reservepositionen.« »Hier, ziehen Sie das an!« grollte eine tiefe Stimme neben Toschmol. Der Wissenschaftler starrte fassungslos den Raumanzug an, den ein bärtiges Individuum ihm hinhielt. »Nun machen Sie schon!« Toschmol wollte den Mann wegen seines unfreundlichen Tonfalls mit einigen bissigen Bemerkungen bedenken, da bemerkte er, daß auch andere Besatzungsmitglieder bereits in den Schutzanzügen steckten. Schweigend mühte er sich mit dem ungefügen Kleidungsstück ab. Der Bärtige hatte sich unterdessen im Nachbarsessel niedergelassen. Toschmol folgte seinem Beispiel. »Ich könnte mir denken, daß es Sie interessiert, was eigentlich vorgeht«, bemerkte Toschmols Nachbar beiläufig. »Nun, da kommt ein mittelprächtiger Strahlensturm auf uns zu. Wenn wir Glück haben, erwischt uns das Biest nur mit einem Ausläufer, und wir werden kräftig durchgerüttelt. Aber ich fürchte, er hat es auf uns abgesehen.« »Wer?« »Der Sturm.« »Swann, wo stecken Sie?« Der Bärtige beugte sich leicht vor und zog das Mikrophon aus der Sessellehne. »Hinter Ihnen, Kommandant«, meldete er sich gelassen. »Wie sieht es aus?« Erst jetzt bemerkte Toschmol, daß neben dem Sessel des Bärtigen ein rollbares Pult im Boden verankert war. Er beugte sich gegen den Druck der Gurte nach vorn und sah
System des Todes ein paar Bildflächen. Auf einem konnte er die Sterne erkennen. Zwischen der PROTALKH und dem Doppelstern schwebte etwas, das wie ein rasend schnell rotierender Trichter aussah. Auf den Bildwänden der Normalsichtanlage war dagegen nichts zu erkennen. »Kommt direkt auf uns zu«, sagte Swann. »ich spiele Ihnen die Daten auf Ihren Schirm ein. Ziehen Sie den Kasten so schnell wie möglich zur Seite und leiten Sie eine Transition ein. Empfehlenswerte Entfernung: Nicht unter zehn Lichtjahre.« Inzwischen hatte sich das erste Durcheinander gelegt. Alle Angehörigen der Zentralebesatzung befanden sich auf ihren Plätzen. Jede Station war doppelt besetzt. Toschmol konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Zenkoorten und seine Leute es übertrieben. Die PROTALKH lag ruhig auf ihrem Kurs, und die großen Sichtschirme zeigten nichts als das gewohnte Bild der regungslosen Sonnen, die sich bei der augenblicklich noch geringen Geschwindigkeit des Schiffes kaum merklich vor dem Hintergrund verschoben. In dem Wissenschaftler keimte der Verdacht, Zenkoorten könnte die ganze Geschichte inszeniert haben, um dieses Doppel-System nicht anfliegen zu müssen. Ein leichter Ruck riß ihn aus diesen Überlegungen. Quer über einen der Bildschirme zog sich ein heller Blitz. Toschmol duckte sich unwillkürlich. Der Bärtige neben ihm lachte trocken. »Das war ein winziger Ableger von dem Burschen, der da draußen auf uns lauert«, kommentierte er. Toschmol warf erneut einen Blick auf das Spezialgerät neben Swann. Er erschrak. Der Trichter war größer geworden. Von seinem Rand griffen lange Arme in den Raum hinaus. »Sie reden von dieser Naturerscheinung, als wäre es ein lebendes Wesen!« sagte er, bemüht, die Furcht zu verbergen, die von ihm Besitz ergriff. »Warum nicht? Sieht er etwa nicht wie ein gefräßiges Ungeheuer aus?«
9 Toschmol kam nicht dazu, zu antworten. Erneut schüttelte sich das riesige Schiff. Ein Filigranmuster von Blitzen durchzog die energetische Schutzhülle. »Beschleunigung sinkt!« teilte jemand mit. »Warum springen wir nicht?« fragte Toschmol nervös. »Wir haben zu wenig Fahrt«, erklärte Swann nüchtern. »Wenn er uns noch ein paar Minuten Zeit läßt, gelingt es vielleicht.« Obwohl es in dem großen Raum vor Geschäftigkeit summte, hatte Toschmol den unbehaglichen Eindruck, einer sich ausbreitenden Lähmung. Alle Augen hingen an einem Schirm, auf dem Daten in schnell wechselnder Geschwindigkeit erschienen. »Die Zahlenreihe links kennzeichnet die Geschwindigkeit und die Position, die wir erreichen müssen, um eine Nottransition zu ermöglichen«, erklärte Swann ungefragt. »Rechts können Sie ablesen, was uns davon trennt.« Toschmol verstand zu wenig von der Raumfahrt, um die Bedeutung der Zahlen voll zu durchschauen. Aber eines erkannte er sehr deutlich: Die Werte näherten sich anfangs langsam einander, um sich dann abrupt wieder voneinander zu entfernen. »Oh, verdammt!« zischte Swann neben ihm. »Jetzt hat er uns! Kommandant!« »Nichts zu machen, Swann«, kam Zenkoortens Stimme zurück. »Die Felder sind zu stark. Wo ist das Zentrum?« Der Bärtige drückte ein paar Tasten auf seinem Gerät. »Es führt uns direkt in den Sektor hinter dem Doppelstern«, murmelte er. »Aber ich fürchte, wir können ihn nicht abreiten. Versuchen Sie wenigstens, an die Randzone dieses Armes heranzukommen.« Noch immer war Varka der Pilot. Zwei Männer und eine Frau assistierten ihm, während Zenkoorten wachsam alle Vorgänge verfolgte und am laufenden Band Befehle murmelte, die den verschiedenen Stationen der PROTALKH galten. Für den Wissen-
10 schaftler hatte die Situation etwas Unwirkliches. An verschiedenen Anzeichen erkannte er, daß alle Anwesenden unter starker Belastung standen. Dennoch herrschte völlige Ruhe. »Sektor rot drei«, sagte Swann neben ihm in das Mikrophon. »Energiezentrale!« klang wie als Antwort Zenkoortens Stimme auf. »Alles auf die Schirme!« Die helle Beleuchtung in dem riesigen Raum wich dem schwachen Licht der Notlampen. Bildschirme flackerten unruhig. Über sich sah Toschmol das grelle Aufflammen der Entladungen, mit denen die energetische Schutzhülle auf die draußen herrschenden Strahlenverhältnisse reagierte. »Ortung?« »Wir stechen mitten drin, Kommandant.« »Swann?« Der Bärtige tippte nacheinander auf zwei Tasten. Das Bild auf dem kleinen Schirm veränderte sich. »Der Arm hat sich verlagert«, gab er bekannt. »Er folgt uns. In zwei Minuten erreichen wir den Rand des eigentlichen Wirbels. Unsere Geschwindigkeit wird sich dann vorübergehend der Lichtgeschwindigkeit nähern.« »Koppeln Sie die Automatik an«, befahl Zenkoorten. »Wir springen, sobald die Geschwindigkeit reicht.« Die PROTALKH rüttelte heftig. Auf dem Bodenbelag rutschten Gegenstände hin und her, die von den Ablagen unter den Pulten gefallen waren. Niemand schenkte ihnen auch nur einen Blick. Die Schiffshülle begann zu dröhnen, während das Energiegewitter auf den Sichtschirmen so stark wurde, daß Toschmol nur noch eine flammende Hölle sah. Die Sterne waren verschwunden. Rund um die PROTALKH gab es nichts als ein von starken Turbulenzen durchzogenes Wabern. Dennoch war Toschmols anfängliche Furcht verschwunden. Ein eigenartiges Gefühl des Unbeteiligtseins breitete sich in ihm aus.
Marianne Sydow »Jetzt!« sagte Swann neben ihm. Obwohl der Mann leise sprach, klang es in Toschmols Ohren wie ein Schrei. Er zuckte zusammen. Im selben Augenblick begann die PROTALKH, sich in ruckhaften Sprüngen vorwärts zu bewegen. Er hörte ein infernalisches Kreischen und Krachen, dann traf irgend etwas Hartes seinen Schädel, und von da an erlosch seine Erinnerung.
3. Zenkoorten beneidete alle, die jetzt bewußtlos geworden waren. Sie erlebten diese Hölle nicht, und wenn sie starben, dann merkten sie wenigstens nichts davon. Die Transition war nicht geglückt. Im selben Augenblick, in dem die Triebwerke zu arbeiten begannen, riß die Schutzhülle an einer Stelle auf. Der Strahleneinbruch reichte aus, um die Schiffswandung zu durchdringen. Die starken Magnetfelder, die den Sturm begleiteten, zerbeulten die beiden obersten Decks der PROTALKH und verwandelten diese Räume in ein Gewirr von ineinander verkeilten Gegenständen. Die Sicherheitsschotte schlossen sich rechtzeitig genug, um ein Entweichen der Atemluft zu verhindern, aber Zenkoorten gab sich keinen Illusionen hin. Obwohl die Strahlung nur für den Bruchteil einer Sekunde hereingeflutet war, mußte es im oberen Teil des Schiffes zahlreiche Todesfälle gegeben haben – von den später auftretenden Auswirkungen ganz zu schweigen. Swann hatte seinen Platz in dem Augenblick verlassen, als klar wurde, daß man diesem Sturm nicht auf dem bequemen Weg der Transition entkommen konnte. Varka und der Bärtige bildeten ein eigenartiges Team, aber unter dem Druck der Gefahr arbeiteten sie hervorragend zusammen. Die energetischen Felder, in denen die PROTALKH gefangen war, hatten mit der achthundert Meter durchmessenden Riesenkugel keine Mühe. Sie warfen sich das Schiff gegenseitig zu, als spielten sie mit einem Ball. Noch immer steckten die Raum-
System des Todes fahrer in den unruhigen Außenzonen des Wirbels. Weiter drinnen herrschten einheitliche Richtungen vor. Dort konnte man das versuchen, was die Arkoniden als »Abreiten« bezeichneten: sich mit der Strömung bewegen, anstatt gegen sie anzukämpfen. Swann, dem der Schweiß über die Stirn lief, wandte für einen Moment den Kopf und sah Zenkoorten an. »Noch eine Minute, dann haben wir ihn!« knurrte er dem Kommandanten zu. Zenkoorten hatte keine Zeit, sich mit diesem Versprechen zu beschäftigen. Die Kontrolltafel vor ihm zeigte nicht einen einzigen Wert, den man als normal hätte ansehen können. Der Kommandant stellte fest, daß sein Schiff schon jetzt ein Wrack war. Zwar konnte es sich noch fortbewegen, aber es war in seiner Manövrierfähigkeit so beschränkt, daß selbst eine einfache Landung zu einem Sicherheitsrisiko wurde. Wenn die PROTALKH sich dennoch innerhalb der Strahlungsfelder bewegte, dann war das nicht auf die Wirkung der Triebwerke zurückzuführen, sondern auf die Geschicklichkeit, mit der Varka und Swann die äußeren Einflüsse nutzten. Längst war die Geräuschkulisse so laut geworden, daß Zenkoorten auf die Kopfhörer angewiesen war. Die Aufladung auch innerhalb der Schiffshülle war so stark, daß er auf kabelgebundene Verständigungseinrichtungen angewiesen war. Er hatte keine Kontrolle mehr darüber, welche Abteilung seiner PROTALKH inzwischen dem Wüten der Naturkräfte zum Opfer gefallen waren. Er hörte das Gewirr von Alarmmeldungen und Hilferufen, und er bemühte sich, koordinierend in das Geschehen einzugreifen. Ein urweltliches Brüllen ließ ihn kurz aufblicken. »Verdammt!« knirschte Swann erbittert. Die PROTALKH bockte wie ein verwundetes Tier, als sich erneut eine Lücke im Schutzschirm bildete. Ein Triebwerk begann selbständig zu arbeiten. Die Hülle, die den eigentlichen Schiffskörper von dem Inferno
11 abschloß, flackerte, als wertvolle Energie sinnlos verschleudert wurde. Wenn dieser Schirm zusammenbrach, war es endgültig aus. Schneller als alle anderen hatte Swann mit seinem untrüglichen Instinkt den Ursprung der Gefahr erfaßt. »Die Positronik dreht durch!« brüllte er in sein Mikrophon. »Alle Verbindungen zu den Triebwerken lahmlegen. Nun macht schon, sonst seid ihr in weniger als einer Minute zu Brei gequetscht!« Lampen flackerten, dann kam wieder Swanns Stimme. »Den Schirm so nahe heran wie möglich. Achtet auf die Neutralisatoren. Alle, die nichts zu tun haben, auf die Konturlager!« Swann beherrschte jetzt die Szene. Zenkoorten fand das nicht ungewöhnlich. Der Bärtige war Spezialist für magnetische Stürme. Er hatte mehr Katastrophen dieser Art erlebt als irgendein anderer arkonidischer Raumfahrer. Die PROTALKH überließ sich jetzt völlig den Strömungen, die sie mit sich fortrissen. Es war ein riskantes Spiel. Der Schutzschirm lag so eng um den Schiffkörper, daß es keinen Spielraum mehr gab. Durchdrang die Strahlung ihn, dann mußte die geballte Energie voll in die PROTALKH zurückschlagen. Gleichzeitig gab das Schiff jeder Bewegung nach, die ihm von außen aufgezwungen wurde. Der Raumer schlingerte, ruckte und hüpfte auf und ab, und ohne die Andruckneutralisatoren wären alle lebenden Wesen an Bord zerquetscht worden. Sie verloren jede Kontrolle über die Funktionen an Bord. Meßgeräte lieferten unter diesen Bedingungen Werte, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hatten. Selbst die Uhren wurden zu unzuverlässigen Instrumenten. Niemand wußte daher, wie lange die PROTALKH diesen Höllentanz mitmachte. Draußen, in den Kabinen und Kontrollständen, starrten von Todesangst erfüllte Arkoniden die Wände an. Ab und zu schlug ein Bruchteil, der Schwerkraft durch. Dann
12
Marianne Sydow
sackten ganze Hallen in sich zusammen, und das verwundete Schiff ächzte und stöhnte, als wäre es tatsächlich ein lebendes Wesen. Zenkoorten und alle anderen, die noch bei Bewußtsein waren, hörten diese Signale des Untergangs, aber sie waren unfähig, etwas zu unternehmen. Und plötzlich herrschte Ruhe.
* Lenth Toschmol hörte Stimmen um sich herum und bewegte sich unruhig. Er schwankte am Rande der Bewußtlosigkeit. Etwas Kaltes berührte seinen Oberarm, dann spürte er einen Stich, und von dem schmerzenden Punkt strahlte Wärme aus. Flüssiges Feuer ergoß sich in seinen Körper. Muskeln zuckten unkontrolliert, dann erreichte die Glut das Gehirn, und sein Mund öffnete sich zu einem lauten Stöhnen. Als wäre mit diesem Schmerzenslaut eine unsichtbare Tür aufgestoßen worden, wurden die Stimmen deutlicher, und die Wörter gewannen einen Sinn. »… steht fest, daß ein Weiterflug unmöglich ist«, sagte jemand. »Aber … Landung …« Der Rest versank in knisternden, knatternden Geräuschen, die Toschmol nicht zu identifizieren vermochte. Unendlich langsam zwang er die Lider auseinander. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ den letzten Rest von Benommenheit abfallen. »Zenkoorten!« rief er und richtete sich hastig auf. Wieder spürte er diesen kalten Widerstand an seinem linken Oberarm. Er wandte den Kopf und entdeckte einen Medorobot neben sich. Die Maschine bemühte sich, Toschmol sanft auf die weiche Unterlage zurückzudrücken. »Laß mich in Ruhe!« fauchte Toschmol und sprang auf die Beine. Die Zentrale sah aus, als hätte eine Schlacht darin stattgefunden. Zahlreiche Bildschirme waren geborsten. Einige kleine Brandherde schickten stinkenden Rauch in die ohnehin schlechte Luft. Löschautomaten
versprühten klebrigen Schaum, der das Chaos nur noch größer erscheinen ließ. Überall hingen verletzte und bewußtlose Arkoniden in den Gurten der Sessel. Der Medoroboter, der sich eben noch um Toschmol gekümmert hatte, eilte sofort weiter, als er feststellte, daß sein Patient sich auf seinen eigenen Füßen bewegen konnte. Auf der anderen Seite des Kommandoraums drängte sich ein gutes Dutzend Männer um einen noch funktionierenden Bildschirm. Toschmol schob zwei Raumfahrer zur Seite, die ihm den Weg versperrten, dann hatte er freie Sicht. Er hielt den Atem an. Sie befanden sich in einem Sonnensystem. Das Gestirn glimmte in einem drohenden, unheimlichen Rot. Die rote Sonne! Toschmol hatte von der rasenden Fahrt durch den Strahlensturm zu wenig mitbekommen, um zu erkennen, wie unsinnig seine Schlußfolgerung war. Das Schiff konnte überall und nirgends aus dem tödlichen Strudel geschleudert worden sein. Die Wahrscheinlichkeit, ausgerechnet den Rand des gesuchten Systems zu treffen, war ausgesprochen gering. Dennoch war er davon überzeugt, daß er sein Ziel fast erreicht hatte. So und nicht anders konnte seiner Meinung nach jene Sonne aussehen, unter der der unheimliche Klinsanthor weilte. »Wir haben es geschafft!« wandte Toschmol sich an Zenkoorten, der zwei Schritt neben ihm stand. Der Kommandant wirkte jetzt keineswegs mehr so ordentlich. Seine Uniform war stellenweise angesengt und zerfetzt. Der rechte Ärmel war vom Ellenbogen an aufgerissen und gab den Blick auf eine blutverkrustete Wunde frei. Auch Gesicht und Hände waren blutverschmiert. Zenkoorten starrte Toschmol an, als müsse er sich erst mühsam erinnern, was der Wissenschaftler andeuten wollte. Dann lachte er humorlos. »Sie ahnungsloser Narr!« sagte er leise. »Wir sind am Ende, und Sie werden bald merken, warum. Wir sitzen in einem fliegen-
System des Todes den Sarg, der jeden Moment endgültig auseinanderbrechen kann.« »Wir leben noch!« »Noch!« bestätigte Zenkoorten nachdrücklich. Dann wandte er sich abrupt um. »Was ist mit den Beibooten?« »Drei haben es überstanden«, erklärte ein junger Offizier. »Wir haben achthundert Überlebende«, sagte Zenkoorten. »Und hoffentlich kommen noch ein paar dazu, die sich bis jetzt nicht melden konnten, weil sie von der Verbindung abgeschnitten sind. Selbst wenn wir sie übereinanderschichten, passen sie nicht alle in drei Beiboote hinein.« »Kommandant«, machte ein anderer Offizier sich bemerkbar. »Was gibt es?« »Wir könnten wenigstens eines der Boote bemannen und ausschicken, damit es Hilfe herbeiholt!« »Das ist eine gute Idee, Grarogg«, entgegnete Zenkoorten seufzend. »Swann, sagen Sie es ihm.« »Wir sitzen in einer Falle«, erklärte der Bärtige. »Der Strahlensturm hat das System eingeschlossen.« »Dann sind wir verloren!« »Nicht so schnell!« Swann lächelte freundlich. »Hier im System ist alles ruhig. Wir haben zwei Planeten geortet. Wenn alle Stricke reißen, müssen wir die Überlebenden schubweise auf die Welt hinunterschaffen, die uns am geeignetsten erscheint. Irgendwann wird diese Strahlenhölle weiterwandern, und dann können wir um Hilfe funken.« »Reißt euch zusammen!« befahl Zenkoorten, als er in den Gesichtern der Männer die aufkommende Panik erkannte. »Wir haben das Schlimmste überstanden, was einem Raumschiff unter natürlichen Umständen begegnen kann. Wir werden auch den Rest schaffen. Denkt an die übrige Mannschaft. Wenn ihr die Nerven verliert, werden sie erst recht nicht ruhig bleiben.« »Ich übernehme das erste Kommando«, meldete Swann sich nach sekundenlangem
13 Schweigen. Zenkoorten nickte ihm zu. »Suchen Sie sich eine Besatzung zusammen«, sagte er. »Nehmen Sie sich zuerst diesen dunklen Körper vor, der uns am nächsten ist. Und gehen Sie kein unnötiges Risiko ein.« Swann stapfte schwerfällig davon, gefolgt von zwei Arkoniden, die sich stillschweigend dem Bärtigen anschlossen. Toschmol hielt den Zeitpunkt für gekommen, seine Ansprüche anzumelden. »Wir müssen sofort mit der Erforschung des Systems beginnen«, forderte er. »Die Skärgoth …« »Halten Sie den Mund!« fuhr Zenkoorten ihm dazwischen. »In etwa einer Stunde werde ich Zeit für Sie haben. Bis dahin sorgen Sie bitte dafür, daß Sie niemandem im Wege stehen!« Gedemütigt schlich der Wissenschaftler davon, aber in seinem Herzen brannte der Haß. Das Hauptschott schloß sich hinter ihm. Er sah sich im Ringkorridor um, und plötzlich hatte er eine Idee. Wenn Zenkoorten seine Fragen nicht beantworten wollte, so mußte er sich eben einen anderen Informanten suchen. Die Spuren der Zerstörung waren selbst hier, im innersten Kern der PROTALKH, unverkennbar. Ein Teil der Leuchtplatten war ausgefallen, andere kündigten durch unruhiges Flackern an, daß auch sie bald den Dienst aufgeben würden. Toschmol kam an einem Lüftungsgitter vorbei, aus dem anstelle von Frischluft erstickender Qualm drang. Ihm wurde klar, daß Zenkoorten nicht ganz im Unrecht war, wenn er momentan die Suche nach Klinsanthor hintenan stellte. Dennoch ging er weiter. »Was suchen Sie denn hier!« Er fuhr herum und erkannte verblüfft die junge Arkonidin, die ihm kurz vor Beginn der Katastrophe aufgefallen war. »Ist die Astronomische Abteilung besetzt?« fragte er, ohne auf ihre Frage einzugehen.
14 Sie zögerte, dann winkte sie. »Kommen Sie mit.« Er folgte ihr bis zu einem halboffenen Schott, hinter dem das Gemurmel zahlreicher Stimmen hervordrang. »Unser Gast möchte sich bei uns umsehen«, sagte sie spöttisch und gab Toschmol den Weg frei. Der Wissenschaftler streifte mit einem kurzen Blick die Männer und Frauen, die sich um eine Projektionsfläche versammelt hatten, dann schritt er vorwärts. »Was ist das?« fragte er, als er das Bild klar erkennen konnte. »Sieht man das nicht?« konterte seine junge Begleiterin spöttisch. »Ein planetengroßer Schlackehaufen. Sind Sie hierhergekommen, um zu erfahren, daß man einen solchen Himmelskörper in der hier gegebenen Größe noch nie zuvor gefunden hat?« Toschmol wandte sich um und betrachtete die junge Frau kühl. »Wer sind Sie?« fragte er. »Vrenaja Zortain«, stellte sie sich mit einer spöttischen Verbeugung vor. »Erster Astronom an Bord eines Schrotthaufens, der in den Registern des fernen Arkon unter dem Namen PROTALKH geführt wird.« »Handelt es sich bei diesem Schlackehaufen, wie Sie sich ausdrücken, um einen der beiden Planeten in diesem System?« Vrenaja Zortain lächelte verächtlich. »Natürlich. Was dachten Sie. Das ist der zweite Begleiter dieser herrlichen Sonne.« Toschmol starrte ausdruckslos auf die Projektion. Planet Zwei war der totale Kontrast zudem, was er vorher gesehen hatte. Eine wahrhaft paradiesische Welt – jedenfalls sah es aus der Entfernung so aus. Mehrere kleine Kontinente und zahlreiche Inseln lagen zwischen ausgedehnten Wasserflächen. Obwohl Wolken einen Teil der Oberfläche verhüllten, ließ sich eine abwechslungsreiche Landschaft erkennen. Weiß glitzernde Stellen wiesen auf verschneite Gebirgsketten hin, blaugrüne Flächen zeigten an, daß es eine reich entwickelte Pflanzenwelt gab.
Marianne Sydow »Bruder und Schwester«, sagte Vrenaja beinahe traurig. »Sie umkreisen ihre Sonne im gleichen Abstand, erhalten jeder dasselbe Quantum an Licht und Wärme. Der eine ist schwarz und verbrannt, der andere strahlendschön und voller Leben.« Ihre Worte hinterließen eine merkwürdige Wirkung auf Toschmol. Bruder und Schwester – das stimmte nicht ganz. Aber Gut und Böse … Hier hatten sich die beiden Faktoren, die sonst gemeinsam das Bild eines Planeten prägten, voneinander getrennt. Planet Zwei schien alles Häßliche auf seinen kosmischen Begleiter abgeschoben zu haben. Konnte eine solche Trennung zufällig auftreten? Oder hatte hier eine geheimnisvolle Kraft eingegriffen und einen Zustand geschaffen, der in der Natur unmöglich war? »Kommandant Zenkoorten ordnete an, es sollte ein Beiboot ausgeschickt werden, um die beiden Planeten zu erkunden«, sagte er noch langsamer als sonst. »Kennt er diese Aufnahmen?« »Ja, aber sie sagen nicht viel aus. Die Lufthülle dieses einladenden Planeten könnte giftige Beimischungen enthalten, deren Vorhandensein wir aus dieser Entfernung nicht festhalten können. Das Schiff ist in einem derart schlechten Zustand, daß wir uns keine Experimente leisten dürfen. Wenn es landet, wird es für immer sein.« Toschmol nickte, dann sah er die anderen Astronomen an. Der alte Mann fehlte. »Baskor ist tot«, beantwortete Vrenaja seine stumme Frage. Wenn sie erwartet hatte, daß Toschmol in irgendeiner Weise reagierte, so sah sie sich getäuscht. »Der verbrannte Planet ist bestimmt ein interessantes Forschungsobjekt«, murmelte er. »Wollen Sie ihn nicht untersuchen?« »Wir würden ihn uns sehr gerne aus der Nähe ansehen«, stimmte die junge Frau zu. »Aber das ist in dieser Situation leider nicht möglich. Später, wenn feststeht, daß wir auf Hilfe hoffen dürfen, ist immer noch Zeit dazu vorhanden.« Toschmol war enttäuscht.
System des Todes »Es gibt doch noch mehr Beiboote«, versuchte er, die Arkonidin in seinem Sinne umzustimmen. Diese grausig entstellte Welt faszinierte ihn. Ein sicheres Gefühl sagte ihm, daß er ganz dicht vor dem Ziel stand. War die PROTALKH erst auf der anderen schönen Welt gelandet, so würde er es schwer haben, jemanden für einen Abstecher zu dem schwarzen Planeten zu gewinnen. Zenkoorten würde sich selbstverständlich weigern, auf dem Schlackehaufen zu landen – selbst wenn sich herausstellen sollte, daß der Rest der Besatzung auch dort überleben konnte. Aber wenn Toschmol die Astronomen für seinen Plan gewann, hatte er vielleicht eine Chance. Vrenaja Zortain machte diese Hoffnung zunichte. »Wir werden keines dieser Boote einer Gefahr aussetzen«, wies sie den Wissenschaftler zurück. »Sie stellen vielleicht unsere letzte Rettung dar. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte – wir haben noch viel Arbeit vor uns.« Als Lenth Toschmol wieder in Richtung Zentrale ging, überkam ihn zum erstenmal seit langer Zeit wieder jenes Gefühl, von dem er glaubte, es für immer überwunden zu haben. Er war einsam. Selbst wenn er sich in Gesellschaft vieler anderer Arkoniden aufhielt, blieb er allein. Es war, als stünde eine Schranke zwischen ihm und den anderen, und diese unsichtbare Trennwand ließ sich durch nichts überwinden. Auch hier, auf der PROTALKH, umgab ihn, diese Einsamkeit. Es gab nur ein Mittel, sie zu vergessen: Er mußte erfolgreicher, mächtiger und tüchtiger sein als die anderen. Dann waren sie gezwungen, zu ihm aufzusehen. Noch galt er an Bord wenig. Zenkoorten hielt ihn für einen verbohrten Fanatiker, und die anderen verachteten ihn mehr oder weniger. Sie zeigten es nicht offen, weil sie Angst hatten, aber jetzt, da es für sie feststand, daß die Mission der PROTALKH gescheitert war, verloren sie auch die Furcht
15 vor dem Rest der Macht, die Toschmol noch besaß. Sie würden bald umlernen. Auch Toschmol kannte ein paar psychologische Tricks …
* Das Schiff bewegte sich im freien Fall und mit geringer Geschwindigkeit durch das seltsame System. Alle Kräfte an Bord konzentrierten sich darauf, die gröbsten Schäden wenigstens so weit zu beheben, daß eine Landung durchgeführt werden konnte. Der einzige, der sich an den Arbeiten nicht beteiligte, war Toschmol. Wie ein unruhiger Geist strich er durch das Schiff. Er versuchte, mit den Leuten von der Besatzung ins Gespräch zu kommen, und wurde – da er meistens nur im Wege stand und störte – mit enttäuschender Regelmäßigkeit abgewiesen. Er wußte, wann Swann von seinem Erkundungsflug zurückerwartet wurde und begab sich rechtzeitig in die Kommandozentrale. Zenkoorten sah ihn kommen und wunderte sich darüber, daß Toschmol keine Anstalten machte, den Kommandanten mit seinen Hirngespinsten zu belästigen. Zenkoorten war froh darüber, denn er hatte alle Hände voll zu tun. Mehrere Triebwerke waren beschäftigt, und die Antigravprojektoren, die bei der zu erwartenden Notlandung die wichtigste Rolle spielten, arbeiteten unregelmäßig. Hinzu kam die allgemeine Situation. Aufräumungskommandos mußten ausgeschickt werden, Bergungstrupps, die die Toten aus den zerstörten Schiffsteilen holten, und vor allen Dingen galt es, einen Überblick zu bekommen, was von den Vorräten an Atemluft und Nahrung noch vorhanden war. Alles, was später zum Überleben wichtig war, mußte besonders gegen die Zerstörung abgesichert werden. Endlich meldete sich Swann zurück. Zenkoorten atmete auf. Während das Beiboot unterwegs war, hatte es keine Funkverbindung zu dem Kommando gegeben. Die Ver-
16 hältnisse in diesem System waren verwirrend und rätselhaft genug, und als aus den Empfängern nur ein unverständliches Krächzen und Krachen kam, hatte Zenkoorten bereits das Schlimmste befürchtet. Auch die Ortungsgeräte versagten. Zwar lieferte die Astronomische Abteilung gute Aufnahmen der beiden Planeten, aber niemand konnte feststellen, wie weit diese Himmelskörper entfernt waren, denn die Instrumente gaben immer wieder verschiedene Ergebnisse an. Das Beiboot schließlich hatte sich überhaupt nicht erfassen lassen. Der Kommandant überließ seinen Platz einem anderen Arkoniden. Er rief die wichtigsten Offiziere zusammen und bat Swann in den Kartenraum. »Darf ich an dieser Besprechung teilnehmen?« fragte Toschmol mit einer Bescheidenheit, die Zenkoorten mißtrauisch machte. Aber er hatte keinen Vorwand, der es ihm erlaubte, den Wissenschaftler zurückzuweisen. »Der Planet weist außerordentlich günstige Verhältnisse auf«, kam der Bärtige ohne Umschweife zum Thema. »Die mittlere Temperatur ist etwas niedriger, als wir es von Arkon her gewöhnt sind, aber wenn wir in Äquatornähe landen, werden wir immer noch Grund zum Schwitzen haben. Die Luft ist atembar, gefährliche Gase oder Kleinstlebewesen ließen sich nicht feststellen. Die Gravitation liegt etwas unter dem Normalwert, so daß Reparaturarbeiten erleichtert werden. Die von den Sonden eingebrachten Boden-, Wasser- und Pflanzenproben befinden sich noch im Labor, aber eine Voruntersuchung ergab, daß wir trinkbares Wasser und mit großer Wahrscheinlichkeit auch genießbare Pflanzen vorfinden werden. Es gibt zahlreiche Plätze, die für eine Landung geeignet sind.« »Wir werden uns die Karte gemeinsam ansehen«, nickte Zenkoorten. »Haben Sie Beobachtungen gemacht, die auf eine Besiedlung hindeuten?« Swann kratzte sich nachdenklich am Kinn.
Marianne Sydow »Nicht direkt«, murmelte er. »Aber zweifellos wurde der Planet von Intelligenzen besucht. Es gibt an vielen Stellen metallische Pfeiler. Diese Bauwerke, oder was immer es sein mag, sind durchschnittlich hundert Meter dick und nahezu zwei Kilometer hoch. Welchem Zweck sie dienen, ließ sich nicht feststellen.« »Wir werden es herausfinden«, versprach Zenkoorten. »Auf jeden Fall müssen wir beim Anflug darauf achten, daß wir nicht mit einem dieser Dinger zusammenstoßen.« »Haben Sie auch den dunklen Planeten umflogen?« fragte Toschmol. Swann sah ihn erstaunt an, dann nickte er. »Es gibt dort nichts, was Beachtung verdient«, erklärte er. »Da bin ich anderer Meinung!« behauptete Toschmol. Zenkoorten sah ihn unwillig an und machte eine Handbewegung, als wolle er den Wissenschaftler daran hindern, weiterzureden. Aber Toschmol kümmerte sich nicht darum. »Was haben Sie gesehen?« »Nicht mehr als daß, was auch auf den Aufnahmen zu erkennen ist«, antwortete Swann unwillig. »Der Planet ist völlig steril. Die gesamte Oberfläche sieht aus, als wäre sie verbrannt und zerschmolzen.« »Haben Sie Impulse aufgefangen? Funkzeichen oder Ähnliches?« »Nein. Wir sind auch nicht nahe genug herangeflogen. Aber wer sollte wohl auf diesem toten Klumpen Materie herumlaufen?« »Der Mann, den wir suchen, läuft nicht herum!« sagte Toschmol ärgerlich. »Er schläft. Und ich bin sicher, daß er sich auf diesem dunklen Planeten befindet.« Zenkoorten kniff die Augen zusammen. »Sie hören richtig, meine Herren!« fuhr Toschmol unbeeindruckt fort. »Wir haben die Skärgoth gefunden. Die Gruft Klinsanthors befindet sich auf dem dunklen Planeten. Wir können unseren Auftrag erfüllen.« »Sie sind verrückt!« stieß Zenkoorten hervor, als er sich von seiner Überraschung erholt hatte.
System des Todes »Schicken Sie ein Beiboot aus«, empfahl Toschmol hochmütig. »Dann werden Sie sehen, daß ich recht habe.« »Wir können uns auf solche Spiele jetzt nicht einlassen!« entgegnete der Kommandant. »Haben Sie immer noch nicht begriffen, wie es um uns steht? Wir haben keine Chance, dieses System mit der PROTALKH zu verlassen. Das Schiff ist zu stark beschädigt, als daß wir im Raum auf Hilfe warten könnten. Es gibt nur eine Möglichkeit: Wir müssen landen und abwarten, bis der Strahlensturm weitergewandert ist. Dann können wir ein Beiboot ausschicken und um Hilfe funken. Es ist durchaus denkbar, daß ein oder zwei von den kleinen Schiffen verlorengehen. Das Risiko, uns durch eine Expedition zu diesem toten Planeten in eine noch schwierigere Lage zu bringen, ist zu hoch.« Toschmol spielte seinen letzten Trumpf aus. »Wenn wir Klinsanthor gefunden haben, sind wir gerettet!« behauptete er selbstsicher. »Dieses Wesen wird uns helfen. Ihm wird es keine Mühe bereiten, den Strahlensturm zu durchdringen.« Zenkoorten betrachtete den Wissenschaftler, als hätte er ein gefährliches Insekt vor sich. »Wegen einer fixen Idee wollen Sie uns alle in Gefahr bringen! Warum sollte Klinsanthor uns helfen? Wie kommen Sie überhaupt zu der Annahme, er müsse sich in dieses System aufhalten?« Toschmol setzte zu einer Antwort an, aber Zenkoorten kam ihm zuvor. »Ich werde mit Ihnen über diesen Punkt jetzt nicht weiterdiskutieren. Später, wenn wir in der Lage sind, uns über unseren Auftrag Gedanken zu machen, können wir uns darüber unterhalten.« »Ich werde dem Imperator berichten, wie ernst Sie eine von ihm selbst gestellte Aufgabe nehmen!« stieß Toschmol haßerfüllt hervor. »Das steht Ihnen frei«, nickte Zenkoorten spöttisch. »Aber um diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen, müssen Sie am Leben blei-
17 ben. Und es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen.« Später, als der Kommandant und Swann über den Aufnahmen von der Planetenoberfläche brüteten, sagte der Bärtige plötzlich: »Vielleicht hat er doch recht.« Zenkoorten wußte im ersten Moment gar nicht, wer gemeint war. »Toschmol!« erklärte Swann. »Fangen Sie jetzt auch schon damit an?« »Irgend etwas stimmt hier nicht«, murmelte Swann besorgt. »Das heißt, eigentlich hat es schon früher begonnen. Dieser Strahlensturm … Wir haben ihn erst geortet, als wir schon beinahe mitten drin waren. Für ein Ausweichmanöver blieb keine Zeit.« »Und was leiten Sie daraus ab?« fragte Zenkoorten ärgerlich. »Haben Sie schon einmal einen solchen Sturm erlebt?« fragte Swann zurück. »Das Biest taucht aus dem Nichts auf, ohne Vorwarnung. Strahlenausbrüche dieser Art müssen sich entwickeln, und in dieser Zeit lassen sie sich aufspüren. Aber wir haben nichts angemessen. Und dann, als er uns in der Zange hat, läßt er uns plötzlich fallen. Mir kommt es beinahe so vor, als hätte eine fremde Kraft uns hierher transportieren wollen.« »Reden Sie keinen Unsinn!« sagte Zenkoorten energisch. »So etwas gibt es nicht. Helfen Sie mir lieber, einen guten Landeplatz auszusuchen.« Swann kam auf dieses Thema vorerst nicht mehr zurück. Aber auch wenn er über seinen Verdacht nicht sprach, so ging ihm der beunruhigende Gedanke doch nicht aus dem Kopf. Er war fast sicher, daß er recht hatte: Jemand – oder etwas – hatte sie mit Absicht in genau dieses System befördert.
4. Sie brauchten zwei Tage, um den bewohnbaren Planeten zu erreichen. Um Energie zu sparen und die Triebwerke für das entscheidende Manöver zu schonen, hatte Zenkoorten das Schiff so lange wie möglich
18 im freien Fall gelassen. Sie hatten sich auf diese Weise dem Planeten soweit genähert, daß er selbst auf den Normalsichtschirmen als deutliche Scheibe zu erkennen war. Sie war während des Fluges nicht untätig geblieben. Bis auf Toschmol, der sich seit seiner letzten Niederlage in seiner Kabine eingeschlossen hatte, hatte jeder an Bord sein letztes gegeben, um die angeschlagene PROTALKH wenigstens für diese letzte Landung herzurichten. Beunruhigend für Zenkoorten und alle anderen, die im Kommandoraum beschäftigt waren, wirkte die Tatsache, daß auch jetzt die Entfernung des Planeten nicht konkret zu messen war. Alles, was den Piloten zur Verfügung stand, waren Berechnungen. Man kannte den ungefähren Umfang des Trabanten von den Filmen her, die Swann mitgebracht hatte. Daraus und aus astronomischen Beobachtungen ließ sich ableiten, wie groß der Planet aus welcher Entfernung erscheinen mußte. Früher einmal, als die Raumfahrt noch in den Kinderschuhen steckte, hatten sich alle Schiffe nach solch vagen Angaben richten müssen. Für die Arkoniden, die sich auf die technischen Möglichkeiten ihrer leistungsfähigen Raumer verließen, war es zumindest etwas Ungewohntes, sozusagen auf Sicht fliegen zu müssen – und zwar nicht mit einem kleinen Flugkörper, sondern mit dieser nur zum Teil funktionstüchtigen Riesenkugel. Unendlich vorsichtig tastete die PROTALKH sich an den Planeten heran. Man mußte danach trachten, schon im Orbit möglichst genau über den vorgesehenen Landeplatz heranzukommen. Innerhalb der Atmosphäre würde das Schiff nahezu manövrierunfähig sein. Als es endlich soweit war, herrschte gespannte Stille im Schiff. Alle Arkoniden, die für die bevorstehenden Manöver nicht unmittelbar gebraucht wurden, hatten sich angeschnallt. Die Triebwerke begannen zu arbeiten und brachten die PROTALKH aus der Umlaufbahn heraus auf ihren eigentlichen Kurs. Und dann geschah das, was viele
Marianne Sydow insgeheim gefürchtet, niemals aber laut ausgesprochen hatten: Der Planet wehrte sich. Es wurden keine Schüsse auf das Schiff abgegeben, und es gab auch keine Zugstrahlen, die es aus seiner Bahn warfen. Es schien, als stemmte der ganze Planet sich gegen die eindringende PROTALKH. Schon die ersten Ausläufer der Atmosphäre verwandelten das Schiff in ein wild bockendes Ungetüm, das sich um die Bemühungen der Piloten nicht mehr kümmerte. Wechselnde Schwerefelder ließen den Raumer durchsacken, als gäbe es die Triebwerke gar nicht. Wenig später brach der Schutzschirm zusammen. Die notdürftig ausgebesserte Schiffshülle bot der heranfauchenden Luft zahlreiche Ansatzstellen. Ganze Platten der Zellenverkleidung wurden davongewirbelt. An anderen Stellen glühte das widerstandsfähige Material. Einbrechende Luftmassen stürzten sich als verheerende Stürme durch die Lecks und verwandelten große Abschnitte des Schiffskörpers in Trümmerfelder. Und als der metallene Torso endlich den festen Boden erreichte, brachen drei Landestützen durch und ließen die PROTALKH in eine gefährliche Schräglage kippen. Die Folge davon war, daß eines der Impulstriebwerke sich schräg gegen den Boden richtete. Anstatt dort seine verheerende Wirkung auszuüben, schlug der Energiestrom zurück. Ehe man in der Zentrale reagiert hatte, waren zwei der verbliebenen Beiboote vernichtet worden. Mit versteinertem Gesicht überblickte schließlich Zenkoorten die Schar derer, die – fast alle mehr oder weniger schwer verletzt – aus dem an mehreren Stellen brennenden Wrack gekrochen waren. Von ursprünglich eintausendvierhundert. Besatzungsmitgliedern waren noch dreihunderteinundvierzig am Leben.
* »Wir hatten Glück«, behauptete Varka. Zenkoorten warf ihm einen bitteren Blick zu.
System des Todes »Glück«, murmelte er. »Na schön, so kann man es auch sehen. Wir sind in der Nähe eines Flußlaufs gelandet, es gibt eine Quelle, die genug Wasser für uns alle liefert, der erste Jagdausflug brachte ein gutes Dutzend erlegter Tiere zurück, von denen bis auf eines alle eßbar sind, und die Landschaft um uns herum wäre paradiesisch, wenn nicht die PROTALKH das Bild stören würde.« Sie saßen in einer aus geborgenen Kunststoffplatten schnell erstellten Hütte. An der Decke hing eine Lampe, die im hereinstreichenden Nachtwind schwankte und ein wechselndes Licht auf die Gesichter der versammelten Männer und Frauen warf. Alle Offiziere, Wissenschaftler und sonstigen wichtigen Leute, die das Inferno überlebt hatten, waren versammelt – knapp fünfzig Personen, die sich bemühten, Bilanz zu ziehen und einen optimalen Plan für die nächsten Tage zu erstellen. Auch Toschmol gehörte zu denen, die Glück gehabt hatten. »Morgen früh, sobald die Sonne aufgegangen ist, beschäftigen wir uns mit dem Wrack«, sagte Zenkoorten und ließ seine Blicke über seine Untergebenen wandern. Er sah viele Verbände, zum Teil schon wieder verschmutzt und zerrissen, und er seufzte. Ausgerechnet in der Medizinischen Station hatte es starke Zerstörungen gegeben. »Wir müssen alles bergen, was für unseren Aufenthalt auf diesem Planeten von Wert sein kann«, fuhr er fort. »In erster Linie also Lebensmittel, Medikamente, Werkzeuge. Kentoil, wie sieht es mit der Funkanlage aus?« »Da ist bis auf ein paar Einzelteile nichts heil geblieben«, antwortete ein älterer, etwas korpulenter Arkonide. »Ich schlage vor, die Geräte auszuschlachten, denn eine Reparatur wäre sinnlos. Die Anlagen in der VALKARON sind in bestem Zustand, und vielleicht gelingt es uns, die Reichweite des Senders mit den Zusatzteilen zu vergrößern.« »Wieviel Leute aus Ihrer Abteilung haben es überstanden?« »Vier – mich eingerechnet.«
19 »Gut, Kentoil. Dann machen Sie sich morgen mit Ihrer Gruppe an die Arbeit. Konzentrieren Sie sich besonders auf Teile, die sich in der VALKARON einbauen lassen. Swann?« »Meine Geräte existieren nur noch in der Form von unbrauchbaren Trümmerstücken, Kommandant. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, ob der Strahlensturm inzwischen weitergezogen ist. Vielleicht kann die Astronomische Abteilung mir helfen?« »Bei uns sieht es zwar böse aus«, meinte Vrenaja Zortain, »aber Ihre Arbeit ist wichtiger als unsere. Ich stelle Ihnen alles zur Verfügung, was wir bieten können. Vielleicht treiben Sie in der Ortungszentrale auch noch einiges auf, was sich verwerten läßt.« »Sie haben recht«, nickte Zenkoorten der jungen Frau mit einem leichten Lächeln zu. »Ehe wir nicht wissen, ob wir ungefährdet das System verlassen können, ist es sinnlos, die VALKARON loszuschicken. Swann, Ihre Arbeit hat Vorrang. Wenn jemand Ihnen Schwierigkeiten machen sollte, wenden Sie sich an mich. Aber auch Sie, Vrenaja Zortain, müssen uns helfen. Wir brauchen die üblichen Daten für diesen Planeten, und darüber hinaus wäre es gut, wenn wir unseren Standort herausfinden könnten.« »Ohne die Positronik wird das kaum möglich sein.« »Sie haben freien Zugang«, winkte Zenkoorten ab. Nacheinander wurden alle Punkte durchgegangen. Schließlich einigte man sich darauf, den nächsten Tagvoll dem Wrack zu widmen. Nur eine zehnköpfige Gruppe von Raumfahrern, die über keine speziellen Kenntnisse verfügten, dafür jedoch mit den Überlebenstechniken besonders gut vertraut waren, sollte eine kurze Exkursion in die Umgebung unternehmen. Zenkoorten wußte, daß der Erschließung einheimischer Nahrungsquellen eine wichtige Bedeutung zukam. Zwar konnten sie sich von den erhalten gebliebenen Vorräten noch etliche Monate hindurch am Leben erhalten, aber der psy-
20 chologische Wert eines Lagerfeuers mit darüber bratenden Fleischstücken war nicht zu verachten. So galt es daher in erster Linie, weitere Arten von jagdbarem Wild und eßbaren Pflanzen herbeizuschaffen. Zu Zenkoortens Überraschung bat Toschmol, an diesem Ausflug teilnehmen zu dürfen. »Ich habe keine speziellen Aufgaben, was die Bergungsarbeiten betrifft«, begründete der Wissenschaftler seinen Entschluß. »Ich verstehe auch zu wenig von der Technik, um einer der aufgestellten Gruppen eine Hilfe sein zu können.« »Es wird kein Spaziergang werden«, warnte Zenkoorten. »Ich werde niemanden behindern«, gab Toschmol hochmütig zurück. »Sie sollten nicht vergessen, daß ich einige Expeditionen zu historisch interessanten Welten mitgemacht habe. Mit einer Waffe kann ich jedenfalls umgehen, falls es das ist, was Ihnen Sorge macht.« Zenkoorten hatte das Gefühl, einen schwerwiegenden Fehler zu begehen, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als nachzugeben. Ihm wäre es lieber gewesen, den Wissenschaftler im Auge behalten zu können. Toschmol hatte seine Idee, Klinsanthor zu finden und auf die PROTALKH aufmerksam zu machen, nicht aufgegeben. Der Kommandant versuchte, sich aber selbst zu beruhigen, indem er sich klarmachte, daß Lenth Toschmol draußen in der Wildnis weitaus weniger anstellen konnte, als wenn er ihn in der Nähe des Schiffes herumschnüffeln ließ. Als die Versammlung sich endlich auflöste, war es in dem hastig zusammengestellten Lager bereits ruhig geworden. Die Überlebenden aus dem großen Kugelschiff schliefen, erschöpft von den Strapazen der vergangenen Tage. Nur am Rand der durch Energieprojektoren begrenzten Fläche gingen die Wachen langsam auf und ab, die schweren Impulsstrahler schußbereit in der Armbeuge. Zenkoorten und zehn andere Arkoniden,
Marianne Sydow darunter auch Varka und Kentoil, der Funker, blieben in der Baracke zurück. Sie richteten ihre Lager her und wollten sich eben zur Ruhe legen, als sie von draußen einen lauten Ruf hörten. Zenkoorten griff nach seiner Waffe und stieß die Tür auf. Im selben Moment hörte er das leise Zischen eines Paralysators. Es kam von der entgegengesetzten Seite des Lagers. Er rannte los, und als er die Hälfte der Entfernung zurückgelegt hatte, kamen ihm zwei Männer entgegen, die einen dritten mit sich schleppten. »Was ist los?« fragte Zenkoorten scharf. Varka, der ihm gefolgt war, ließ eine Lampe aufblitzen. Der Mann, der paralysiert im sicheren Griff der Wachen hing, war dem Kommandanten nicht persönlich bekannt. »Er muß den Verstand verloren haben«, sagte einer der Wächter. »Er kam aus dem Lager und marschierte genau auf die Energiegrenze los. Ich rief ihn an, aber er reagierte nicht. Wenn ich ihn nicht gelähmt hätte, wäre er jetzt tot.« Der Lärm hatte auch andere geweckt, und binnen Sekunden bildete sich ein dichter Kreis von Arkoniden um die kleine Gruppe. Zenkoorten sah die blassen Gesichter in der halben Dunkelheit. »Ihr beide!« sagte er und wies auf zwei nur halb bekleidete Männer, die in der vordersten Reihe standen. »Bringt diesen Mann zu Shegosh. Alle Wachen kehren an ihren Posten zurück. Weitere Vorfälle dieser Art sind mir unverzüglich zu melden.« »Warum mag er das getan haben?« murmelte Varga vor sich hin, als sie in ihre Behausung zurückkehrten. »Er wird es uns mitteilen, wenn er die Lähmung überwunden hat«, antwortete Zenkoorten. »Er heißt Vanit«, sagte der junge Pilot nachdenklich. »Ich kenne ihn. Er ist ein guter Techniker und ein besonnener Mann. Ich kann mir nicht vorstellen, warum gerade er durchdrehen sollte!« Zenkoorten antwortete nicht, sondern zog sich in den Verschlag zurück, in dem sich
System des Todes
21
sein Lager befand. Varka streckte sich seufzend aus. Er konnte sich vorstellen, was den Kommandanten jetzt beschäftigte. Das letzte, was er gebrauchen konnte, waren weitere geheimnisvolle Vorfälle. In einer Gruppe von Schiffbrüchigen die notwendige Disziplin aufrechtzuerhalten, war auch ohne Geschehnisse dieser Art schwierig genug. Der Rest der Nacht verging ohne weitere Störungen. Kurz vor dem allgemeinen Weckruf kam jedoch Shegosh in die Baracke gestürzt. Varka war sofort wach. »Wo ist der Kommandant?« fragte der Mediziner atemlos. Varka deutete schweigend auf den Vorhang, der Zenkoortens Lager umgab. Er hörte, wie der Kommandant einen unwilligen Laut ausstieß, als er so plötzlich aus dem Schlummer gerissen wurde, dann flüsterte Shegosh ein paar Worte, und die beiden Männer kamen zum Vorschein. Varka folgte ihnen, ohne auf einen diesbezüglichen Befehl zu warten. Shegosh stieß die Tür zu der Hütte auf, in der das Häuflein von Medizinern sowie ein gutes Dutzend Schwerverletzte untergebracht waren. Er eilte einen Gang entlang und zog einen Vorhang zur Seite. Vanit war tot. Er mußte sich unmittelbar nach seinem Erwachen aus der Lähmung die Kehle durchgeschnitten haben. »Dreihundertvierzig«, murmelte Varka, als der Schock zurückwich. Zenkoorten wirbelte zu ihm herum. Er hatte die Bedeutung der Zahl sofort erfaßt. »Halten Sie den Mund!« befahl er leise und wandte sich dann an den Mediziner. »Dieser Mann war geisteskrank. Er hat den Belastungen nicht standgehalten. Ist das klar?« Shegosh nickte langsam.
5. Der große, schwere Transporter schwankte leicht. Kopfgroße Steine füllten das ausgetrocknete Bachbett aus, durch das das Gefährt sich dem höchsten Punkt des Hügels
entgegenarbeitete. Toschmol saß zwischen den anderen Männern eingekeilt auf der Plattform. Über ihnen wölbte sich die durchsichtige Hülle, die ihnen einen freien Blick auf die Umgebung erlaubte. Es gab nicht viel zu sehen. Nur Steine, hartes Gras und kleinlaubige Büsche mit zähen Zweigen. Alles erhielt durch das düster rote Licht eine fremdartige Färbung. Selbst der Schnee auf den Gipfeln der hohen Berge im Süden glänzte in trübem Rot. Sie waren seit drei Stunden unterwegs. In beinahe gerader Linie zwischen ihnen und dem Fluß lag das Lager. Im Augenblick versperrten mattbraune Felsen den Blick auf die kleinen Kunststoffhütten, aber der obere Teil der PROTALKH zeichnete sich wie ein metallener Berg vor dem grünlichen Himmel ab. Kleine, zerfaserte Wolken zogen wie braunrote Federn darüber hin. Es war heiß in der Beobachtungskuppel! Seitdem die fruchtbare Ebene mit ihrer parkähnlichen Landschaft hinter ihnen zurückgeblieben war, wurden sie von Staubwolken begleitet. Toschmol kannte den Plan, den die Gruppe verfolgte, aber er hielt das ganze Unternehmen für glatte Zeitverschwendung, und das versetzte ihn in eine gereizte Stimmung. Sie erreichten endlich die letzten Felsklippen. Die Reste des Bachbetts endeten abrupt an einer Mauer aus ineinander gefaltetem Gestein. »Endstation!« knurrte Kolkor, der Anführer der Gruppe. »Wir steigen da hinauf.« Schweigend machten die anderen sich bereit. Sie trugen Flugaggregate, die es ihnen leichtmachen würden, das letzte Hindernis, das ihnen die Sicht versperrte, zu überwinden. Auch Toschmol verließ das Fahrzeug. Als er neben Kolkor auf den Felsen landete, hielt er unwillkürlich den Atem an. Keine zehn Zentimeter von seinen Stiefelspitzen entfernt fiel ein kleiner Stein in den gähnenden Abgrund einer ungeheuren Schlucht. Er sah, wie der Stein auf kleinen Vorsprüngen aufprallte, Geröll mit sich riß
22 und immer weiter hinabfiel – wenigstens eintausend Meter tief. Etwas weiter rechts brach mitten aus der Felswand ein Wasserstrahl hervor, wurde im hohen Bogen, durch die Luft geschleudert und fiel erst einige hundert Meter weiter auf die Felsen. Dampf stieg auf, und ein zischendes Pfeifen war zu hören. Weit unten glitzerten Wasserflächen. Dazwischen dehnten sich dunkle Wälder aus. Ein Fluß bahnte sich seinen Weg, und er mußte gigantische Ausmaße besitzen. Etwa fünfzig Kilometer entfernt ragte die gegenüberliegende Wand der Schlucht auf. Toschmol verfolgte den Verlauf der Felsen mit den Augen und schüttelte verwundert den Kopf: Der erste Eindruck trog. Es war keine gewöhnliche Schlucht, sondern ein riesiges, in etwa kreisförmiges Loch. »Da unten gibt es gefährliche Mengen radioaktiver Strahlung«, bemerkte einer der Männer, der ein Meßgerät aus dem Transporter heraufgebracht hatte. »Sieht beinahe so aus, als hätte dort eine Explosion stattgefunden.« »Schon möglich«, entgegnete Kolkor uninteressiert. »Darf ich mal sehen?« wandte Toschmol sich an den Mann mit dem Gerät. Er las die Anzeichen ab und kniff die Augen zusammen. »Der Stärke der vorhandenen Strahlung nach hätte die Explosion vor längstens fünfzig Arkonjahren stattgefunden«, murmelte er. »Na und?« Toschmol starrte Kolkor ärgerlich an. Die Dummheit seiner Artgenossen ging ihm manchmal auf die Nerven. Sie waren einfach nicht imstande, die Realitäten logisch einzuordnen. »In diesem Tal gibt es Pflanzenwuchs, der mit einiger Wahrscheinlichkeit älter als fünfzig Arkonjahre ist«, erklärte er. Kolkor verstand immer noch nicht, und Toschmol sah sich zu weiteren Erläuterungen gezwungen. »Nach einer Explosion, die groß genug ist, um ein solches Loch in den Boden zu
Marianne Sydow sprengen, vergehen unter natürlichen Bedingungen Jahrhunderte, ehe sich eine zusammenhängende Vegetationsdecke gebildet hat. Schlußfolgerung: Entweder ist die Pflanzenwelt dieses Planeten fremdartiger als wir angenommen haben, oder das, was da unten auseinandergeflogen ist, entstammte einer grundsätzlich fremden Technologie. Keinesfalls kann es sich um – nun, sagen wir, ein arkonidisches Raumschiff gehandelt haben.« »Wir werden das in unserem Bericht vermerken«, erwiderte Kolkor gelassen. »Wichtig ist, daß dieses Tal ein risikoreiches Gebiet ist. Die Tiere und Pflanzen dürften mutiert sein, sind mit Sicherheit strahlenverseucht und somit für uns nicht brauchbar. Wir fahren weiter.« Toschmol hielt ihn am Ärmel zurück, ehe er sich vom Antigrav nach unten tragen lassen konnte. »Sollten wir nicht wenigstens versuchen, herauszubekommen, was dort unten tatsächlich geschehen ist?« »Dazu ist später noch Zeit«, entgegnete Kolkor ärgerlich. Toschmol seufzte. Es hatte keinen Sinn. Dabei wäre es seiner Meinung nach wirklich sehr wichtig gewesen, diesen Kessel zu untersuchen. Hatten fremde Raumschiffe diesen Planeten gefunden? Wenn ja, was hatte für ihre Vernichtung gesorgt? Warum gab es keine Überlebenden und keine Spuren anderer Schiffbrüchiger? Bedrohte Gefahr, die möglicherweise ein anderes Raumschiff vernichtet hatte, auch die PROTALKH? Die Gruppe fuhr weiter. Der Transporter fand einen relativ bequemen Weg, der an der Hügelflanke entlangführte. Dennoch kamen sie langsam voran, denn immer wieder mußten Proben eingesammelt werden. Toschmol verstand nicht, warum Zenkoorten eine so wenig spezialisierte Gruppe ausgeschickt hatte. Diese Männer waren zäh und durchtrainiert, wissenschaftlich aber kaum geschult. Dadurch verloren sie unnötig Zeit, denn viele der Proben würden nutzlos sein. Endlich blieb der Staub zurück. Sie fuh-
System des Todes ren über grasbewachsenes, sanft gewelltes Gelände. Den Instrumenten nach zu urteilen, befanden sie sich genau auf dem vorgesehenen Kurs, der sie in einem weiten Kreis um das Lager herumführen sollte. Gegen Mittag trafen sie auf eine Herde antilopenähnlicher Tiere. Kolkor hob kurz die Hand, dann bellte ein Schuß, und eines der Tiere krümmte sich mitten im Sprung, fiel mit schlagenden Läufen in das hohe Gras und blieb regungslos liegen. Seine Artgenossen reagierten äußerst seltsam. Sie kehrten um, untersuchten das tote Tier sorgfältig, indem sie es beschnupperten, versuchten es mit Hilfe ihrer langen Hörner aufzurichten und standen dann minutenlang ratlos herum. Wie auf einen Befehl ließen sie endlich von dem toten Herdenmitglied ab und liefen weiter. Um den Transporter kümmerten sie sich nicht. »Sie kennen keine Waffen«, bemerkte Kolkor zufrieden, während zwei Männer in das Gras hinabsprangen und die Beute holten. »Es wird eine Weile dauern, bis sie die Gefahr erkannt haben, die von uns ausgeht. Solange das nicht der Fall ist, wird die Jagd ein Kinderspiel sein.« »Jagd?« fragte Toschmol spöttisch. »Wir müssen überleben!« gab Kolkor brutal zurück. »Oder sind Sie Vegetarier?« Der Wissenschaftler beobachtete die beiden Arkoniden, die das tote Tier herbeischleppten, und er machte sich seine eigenen Gedanken. Ihm war im Grunde egal, daß diese Tiere sich einfach abschlachten ließen, damit die Leute aus der PROTALKH überlebten. Aber irgend etwas an der Situation war falsch. »Die Tiere sind kein bißchen neugierig!« murmelte er. »Hm«, machte Kolkor nachdenklich. »Da haben Sie recht. Ein bißchen merkwürdig ist es schon. Wenn sie uns schon nicht für gefährlich halten, hätte sie uns doch wenigstens bemerken müssen.« »Sie haben zu uns hinübergesehen«, mischte ein anderer sich ein. »Es war nur ganz kurz, dann wandten sie sich wieder ab. Mir kam es beinahe so vor, als wollten sie
23 uns nicht beachten.« »Rede keinen Unsinn, Bergh«, knurrte Kolkor. Er wollte noch weitersprechen, aber in diesem Augenblick schrie einer der beiden Arkoniden, die sich dem Transporter bereits wieder bis auf wenige Meter genähert hatten, gellend auf. Kolkor ruckte hoch, und Toschmol beugte sich hastig vor. Der Mann draußen im Gras sank in sich zusammen. »Zurück!« brüllte Kolkor zwei seiner Leute an, die dem Mann zu Hilfe eilen wollten. »Bergh, du kommst mit!« Toschmol beobachtete aus zusammengekniffenen Augen, wie Kolkor draußen mit Bergh und dem anderen Arkoniden diskutierte. Sie beugten sich über den reglosen Mann im Gras und richteten sich nach wenigen Sekunden auf. In ihren Gesichtern spiegelten sich Ratlosigkeit und Entsetzen. Es war sehr still im Transporter, als die drei den Toten in den Frachtraum legten. Kolkor und die anderen kehrten mit steinernen Mienen in die Kuppel zurück. »Keine Spekulationen!« warnte der Anführer, ehe jemand eine Frage stellen konnte. »Er ist allem Anschein nach völlig unverletzt. Wahrscheinlich gibt es kleine Tiere in diesem hohen Gras, deren Biß sofort tödlich wirkt. Ebensogut kann es sich aber auch um mörderische Pflanzen handeln. Von jetzt an benutzen wir nur die Flugaggregate, wenn wir in dieser Gegend nach draußen müssen. Ist das klar?« Sie nickten beklommen, und Toschmol fragte sich, ob einem von ihnen der bedeutsame Umstand aufgefallen war: Bei dem Toten handelte es sich um den Mann, der den Schuß abgegeben hatte. Etwa zwei Stunden später gelangten sie an den Fluß. Sie hatten ein halbes Dutzend weitere Tiere erlegt, darunter auch zwei von den Antilopen, ohne daß es zu einem neuen Zwischenfall gekommen wäre. Eine Überquerung des breiten Wasserlaufs war für heute nicht geplant. Sie fuhren am Ufer entlang, wobei sie sich auf dem breiten Geröllstreifen hielten, den das Wasser zusammen gespült hatte. Der Fluß war ungewöhnlich
24 klar, und selbst mit bloßem Auge ließ sich erkennen, daß es in ihm von Tieren wimmelte. Toschmol spürte die Spannung in der Kabine. Der Auftrag der Gruppe war eindeutig, und dennoch scheuten die Männer instinktiv davor zurück, auch einige der Wasserbewohner zu erlegen. Es dauerte mehrere Minuten, bis Kolkor sich zu einem Entschluß durchrang. »Wir halten hier an«, befahl er. »Kentoil, du nimmst das Netz. Paß auf, daß du mir nicht in die Schußbahn gerätst.« Toschmol begann sich überflüssig zu fühlen. Die Männer, die Zenkoorten ausgeschickt hatte, waren großartig aufeinander eingespielt. Der Mann namens Kentoil ergriff ein unförmiges Paket und verließ damit den Transporter. Er schaltete sofort das Fluggerät ein und ließ sich schräg nach oben treiben. Kolkor folgte ihm, schlug jedoch eine etwas andere Richtung ein. Er spähte aufmerksam in das klare Wasser hinab. Ein kurzer Wink genügte, dann schoß Kentoil nach unten. Das Paket entfaltete sich zu einem großen Netz aus glitzernden Fäden, dessen Seil am Gürtel des Arkoniden befestigt war. Das Netz tauchte ins Wasser, und im selben Augenblick schoß Kolkor. Es gab einen Wirbel von Blasen, eine dünne Dampfwolke stieg auf, dann zog Kentoil das Netz hoch. Zwischen den Maschen hing ein mannsgroßes, torpedoförmiges Tier. Das Manöver wurde mehrmals wiederholt, dann nickte Kolkor seinem Gefährten zu. Die Beute verschwand im Frachtraum, und die beiden Männer kehrten in die Kabine zurück. »Jetzt haben wir es fast geschafft«, sagte Kolkor lächelnd. »Du kannst weiterfahren, Ghoss!« Als der Fahrer nicht reagierte, beugte der Anführer der Gruppe sich vor. »He, bist du eingeschlafen?« fragte er und schlug dem Arkoniden auf die Schulter. Ghoss sank vornüber, und als sein Körper die Armaturen berührte, schoß der Transporter in einem wilden Ruck nach vorne. Kolkor verlor das Gleichgewicht. Schreie und
Marianne Sydow Flüche erfüllten die Kabine, während das Fahrzeug führerlos über die Steine rumpelte. Toschmol war im ersten Moment so fassungslos, daß er wie betäubt sitzen blieb, die Hände um die Sitzlehne gekrallt. Dann sah er den riesigen Baumstamm, gegen den der Wagen unweigerlich prallen mußte. Er warf sich nach vorne. Irgendwie gelang es ihm, den schlaffen Körper des Fahrers zur Seite zu schieben. Er riß den Steuerhebel herum. Die Gleisketten schleuderten Steine und Schwemmholz hoch, und sekundenlang schien es, als würde das schwere Fahrzeug sich überschlagen, aber dann war die Gefahr vorbei. Mit zitternden Fingern brachte Toschmol die Schalter in Nullstellung. Neben ihm rappelte Kolkor sich fluchend auf. Er blutete aus einer Platzwunde an der Stirn. Er zog Toschmol zur Seite und beugte sich über Ghoss. In der Kabine machte sich Totenstille breit. »Er lebt«, sagte Kolkor schließlich. Dann schlug er Toschmol derb auf die Schulter. »Danke!« brummte der Anführer der Gruppe. »Ohne Sie hätte es bestimmt ein paar Tote gegeben. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie so gut reagieren können,« Toschmol legte sich keine Rechenschaft darüber ab, ob dieses Lob daran schuld war oder ob es einfach an der gemeinsam überstandenen Gefahr lag. Jedenfalls fühlte er plötzlich, daß er dazugehörte. Diese Männer waren rauh und ungeschliffen – aber wenn er ehrlich war, dann störte ihn das am allerwenigsten. Mit ihnen konnte man reden, ohne jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Und auch die Gruppe änderte ihr Verhalten ihm gegenüber. Bis zu diesem Moment war er nichts anderes gewesen, als ein unerwünschter Passagier. Jetzt tauten die Männer auf. Der Transporter hatte Mühe, sich aus dem lockeren Geröll freizuarbeiten, in das Toschmol ihn gesteuert hatte. Kaum berührten die Gleisketten wieder freien Boden, da kam Ghoss zu sich. »Was ist passiert?« fragte er.
System des Todes Sie erklärten es ihm, und er schüttelte verwundert den Kopf. »Verstehe ich nicht!« knurrte er wütend und rieb sich die Stirn. »Ich habe zugesehen, wie ihr die Fische gefangen habt, und auf einmal – ja, ich muß wohl eingenickt sein.« »Du warst bewußtlos«, korrigierte Kolkor ernst. Er sah Toschmol an. »Sie sind Wissenschaftler. Ich weiß, daß Sie sich mit Mythologien beschäftigen, und vielleicht hat das jetzt keine Bedeutung. Trotzdem würde es mich interessieren, welche Meinung Sie vertreten. Was ist auf LOIPOS los? Dieser Planet ist unheimlich.« »LOIPOS? Das bedeutet soviel wie ›Blinder Spiegel‹. Woher kommt dieser Name?« »Wir haben ihn so genannt«, murmelte Kolkor verlegen. »Wir waren gestern schon draußen, und es gab ein paar seltsame Dinge, die uns auffielen. Irgend jemand kam auf diesen Namen.« Toschmol musterte die Männer aufmerksam. Es gab kein Anzeichen dafür, daß jemand ihn verspotten wollte. Er überlegte, was er ihnen sagen sollte. Die Wahrheit? Aber er war ja selbst auf Vermutungen angewiesen. »Sie alle kennen den Auftrag, den der Imperator uns und anderen gegeben hat«, begann er vorsichtig. »Wir sollen ein Fabelwesen suchen«, nickte Kolkor. »Ehrlich gesagt, bis jetzt habe ich das nicht ernstgenommen. Gibt es dieses Geschöpf nun wirklich?« »Die Aufzeichnungen, die uns zur Verfügung stehen, sind sehr alt und ungenau. Viele von meinen Kollegen bezweifeln tatsächlich, daß Klinsanthor jemals existiert hat. Aber ich habe lange genug geforscht, um zu wissen, daß sie sich irren. Klinsanthor lebt, aber er schläft. Er hat sich an einen geheimnisumwitterten Ort zurückgezogen. Nach allem, was wir wissen, muß sein Schlaf bereits Jahrtausende, dauern, wenn nicht noch länger.« Die Männer sahen ihn verblüfft an. »Das ist nicht so unwahrscheinlich, wie
25 Sie jetzt denken«, lächelte Toschmol. »Vor kurzem wurde der Flottenstützpunkt Trantagossa von den Maahks angegriffen und beinahe zerstört. Unter denen, die das Inferno überlebt haben, waren ein paar Leute, die folgende Geschichte erzählten: Ein Forschungsschiff brachte zwölf Leichen nach Enorketron. Man hatte die Körper in einer längst verlassenen Station gefunden, deren Erbauer bisher unbekannt sind. Die Leichen lagen in Anlagen, durch die sie offensichtlich total konserviert wurden. Auf Enorketron stellte man mittels wissenschaftlicher Methoden fest, daß diese Körper gelebt haben mußten, als das arkonidische Volk als solches noch gar nicht existierte. Und nun stellen Sie sich vor, wie überrascht man war, als einer von diesen unzweifelhaft toten Fremden plötzlich zum Leben erwachte.« »Das gibt es nicht!« »Doch, Kolkor! Eine Kamera hat es sogar aufgezeichnet. Diese Leiche stand auf und lief davon. Sie verhielt sich dabei so geschickt, daß man sie selbst mit den raffiniertesten Methoden nicht einfangen konnte.« »Und wo ist dieser Fremde geblieben?« »Niemand weiß es«, murmelte Toschmol achselzuckend. »Wahrscheinlich wurde er bei dem Angriff der Maahks getötet. Aber dieser Vorfall beweist immerhin, daß unsere Lebenserhaltungssysteme nicht so vollkommen sind. Wir können einen Körper zwar auch vor dem Zerfall bewahren, aber nach einer bestimmten Zeitspanne stirbt das Gehirn so weitgehend ab, daß wir nach einem Wiedererweckungsversuch vor einem medizinischen Idioten stehen. Klinsanthor mag Geräte zur Verfügung haben, die denen der Fremden ähnlich sind. Damit kann er sich über lange Zeiträume hinweg am Leben erhalten. Es ist also gar nichts Mystisches daran.« »Und Sie meinen, wir sind zufällig genau auf sein Versteck gestoßen«, vermutete Kolkor. Toschmol war überrascht. »Das wäre eine Erklärung dafür, daß LOIPOS ein so merkwürdiger Planet ist«, fuhr
26 Kolkor nachdenklich fort. »Aber wo steckt dieses Wesen? Wie findet man es?« »Indem man die Spuren deutet«, erklärte Toschmol. »Klinsanthor befindet sich nicht auf diesem Planeten, sondern auf der Schlackewelt. Dieser tote Trabant der roten Sonne ist die Unweit oder Skärgoth, wie sie in den alten Überlieferungen genannt wird.« »Das verstehe ich nicht«, mischte Bergh sich ein. »Warum soll der Fremde sich einen so ungastlichen Planeten ausgesucht haben?« »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, eine gute Erklärung gefunden zu haben. Sehen Sie sich um! LOIPOS ist ein Planet, der von Leben nur so wimmelt. Der andere Planet ist das genaue Gegenteil. Einen logischen Grund dafür gibt es nicht, denn die Schlackewelt befindet sich in der idealen Lebenszone des Systems. Außerdem ist es äußerst unwahrscheinlich, daß eine derartige Konstellation durch die Natur erschaffen wird: zwei Planeten gleicher Größe, die ihre Sonne im gleichen Abstand umkreisen.« »Arkon besteht aus drei Planeten, die diese Bedingungen erfüllen!« wandte Ghoss ein. »Ja, und sie wurden künstlich in diese Bahn gebracht. Ein solcher Vorgang muß auch hier stattgefunden haben. Der andere Planet wirkt, als wäre seine Oberfläche verbrannt. Ich glaube, daß man ihn absichtlich von allem Leben gereinigt hat.« »Aber warum?« »Klinsanthor überdauert die Zeiten in einem Schlaf, der dem Tod näher ist als dem Leben. Vielleicht haben alle Lebewesen eine Ausstrahlung, die den Tod anzieht. Eine Art inneren Magneten. Leben entsteht durch Zerfall und Zerstörung. Es kann sich selbst nur erhalten, indem es pausenlos zerstört und tötete. Ein solcher Einfluß könnte auf ein Wesen wie Klinsanthor verheerend wirken. Er braucht eine Umgebung, die von dieser Art Leben abgeschlossen ist. Weil es um ihn herum den Tod nicht gibt, kann er sich gegen ihn abschirmen. Aber er braucht auch den anderen Pol. Gefilterte, speziell auf
Marianne Sydow ihn abgestimmte Impulse des Lebens. Impulse, aus denen der Tod herausgefiltert wurde. Diese Impulse kommen von LOIPOS. Sie geben ihm die Kraft, den langen Schlaf zu überdauern.« Die Männer in der Kabine schwiegen. Toschmol beobachtete sie, und plötzlich wußte er, daß er den ersten Erfolg verbuchen konnte. Raumfahrer waren schon immer abergläubisch gewesen. Er hatte es gewußt, aber nicht folgerichtig verwertet. Seine Ausführungen klangen logisch, aber die Logik stand auf einem wackeligen Podest von Vermutungen. Gerade dadurch wurden diese Leute beeindruckt. »Es gibt metallene Pfeiler auf diesem Planeten«, fuhr Toschmol siegessicher fort. »Wenn wir einen von ihnen untersuchen, werden wir der Lösung des Rätsels näherkommen.« »Zenkoorten hat befohlen, daß niemand sich diesen Bauwerken nähert«, wandte Kolkor ein. »Zenkoorten ist ein Narr!« behauptete Toschmol. »Er weigert sich, die Wirklichkeit anzuerkennen. Von Anfang an habe ich darauf gedrungen, zuerst den Schlackeplaneten anzufliegen, aber er mußte seinen Willen durchsetzen. Wir hätten uns viel ersparen können, wenn er nicht so stur gewesen wäre. Unser Auftrag wäre jetzt schon erfüllt und Klinsanthor geweckt. Bei der Macht, über die dieses Wesen verfügt, wäre es ihm leichtgefallen, uns zu helfen.« »Sie meinen, Klinsanthor könnte dafür sorgen, daß wir wieder in bekannte Regionen der Galaxis zurückfinden?« fragte Kolkor überrascht. »Er kann es nicht nur, sondern er würde es auch mit Sicherheit tun. Wir sind gekommen, um ihn im Auftrag des Imperators zu wecken. Einem solchen Aufruf muß er folgen, das geht aus den Überlieferungen hervor. Aber wer sollte ihn nach Arkon bringen? Ist er erst mal wach, dann braucht er uns.« Kolkor sah seine Kameraden nacheinander an. Sie nickten zögernd.
System des Todes
27
»Also gut«, murmelte er. »Wenn Sie recht haben, dann brauchen wir nur die Schlackewelt aufzusuchen, und wir sind gerettet. Die PROTALKH ist hinüber. Die VALKARON hat als einziges Beiboot die Zerstörung überstanden. Wir werden Zenkoorten zwingen, uns das kleine Schiff zu überlassen.« Toschmol hatte Mühe, seinen Triumph zu verbergen.
6. Am späten Nachmittag erreichten sie das Lager. Sie luden die Beute aus und legten den Toten neben den Transporter. Dann warteten sie. Es dauerte nicht lange, bis Zenkoorten kam. Neben ihm ging Varka. Die Männer warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu, als sie feststellten, daß der Pilot die rechte Hand auf dem Kolben seiner Waffe zu liegen hatte. »Einer von uns ist leider nicht mehr fähig, sich zurückzumelden, Kommandant«, sagte Kolkor schleppend. »Und es hat nicht viel gefehlt, dann wäre keiner aus unserer Gruppe wieder ins Lager gekommen.« »Was ist geschehen?« fragte Zenkoorten. »Ich erwarte, daß Sie eine ordnungsgemäße Meldung abgeben.« Kolkor nahm mit ausdruckslosem Gesicht Haltung an und schnarrte einen kurzen Bericht herunter. Zenkoorten hörte zu und nickte schließlich. »Sie haben Ruhe verdient«, erklärte er. »Gehen Sie in Ihre Unterkunft und ruhen Sie sich aus. Ich werde dafür sorgen, daß der Tote bestattet wird. Die wissenschaftliche Abteilung wird sich um die von Ihnen gesammelten Proben kümmern.« »Kommandant!« Zenkoorten, der sich bereits zum Gehen gewandt hatte, drehte sich langsam um. »Was gibt es noch?« »Wir sind zu der Ansicht gelangt, daß dieser Planet uns gegenüber feindlich eingestellt ist. Er wird uns alle töten, wenn Sie nichts unternehmen.«
»So«, sagte Zenkoorten spöttisch. »Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun?« »Lassen Sie die VALKARON den Schlackeplaneten ansteuern!« forderte Kolkor. »Wir müssen unseren Auftrag erfüllen, sonst wird keiner von uns mit dem Leben davonkommen!« Zenkoorten lächelte, und Varka hielt den Impulsstrahler in der Hand. »Sie sind also auf die verrückten Ideen unseres Gastes hereingefallen«, stellte der Kommandant fest. »Aber glauben Sie mir: Ich weiß genau, was ich tun muß, um die restlichen Überlebenden vor weiteren Gefahren. Wir werden den toten Planeten nicht anfliegen, weil es dort nichts gibt, was uns weiterhelfen könnte. Die VALKARON ist unsere einzige Garantie dafür, daß wir in absehbarer Zeit Hilfe herbeirufen können. Ich werde das Boot wie meinen Augapfel hüten. Sie alle stehen unter Arrest, bis ich sicher bin, daß Sie keinen Unfug mehr anstiften können. Varka, du sorgst dafür, daß diese Männer entsprechend untergebracht werden. Toschmol, Sie begleiten mich!« »Sie sind ein verbohrter Narr, Kommandant!« knurrte Kolkor, ehe er den Waffengurt löste und ihn zu Boden fallen ließ. Sie mußten sich den Anordnungen fügen. Toschmol beobachtete verbittert, wie die Männer entwaffnet und in eine Baracke geführt wurden. Zwei Posten erschienen, die diese Hütte bewachen sollten. »Warum hören Sie sich nicht wenigstens an, was wir herausgefunden haben?« fragte Toschmol wütend. »Weil ich Ihre hübsche Geschichte bereits Wort für Wort kenne«, entgegnete Zenkoorten. »Jedes Gespräch, das in dem Transporter geführt wurde, habe ich gehört. Dachten Sie wirklich, ich würde Sie ohne Überwachung mit diesen Männern allein lassen? Ich dachte mir schon, daß Sie einen Versuch unternehmen würden, einen Keil in die Mannschaft zu treiben. Aber das wird Ihnen nicht gelingen, Toschmol. Auch diese Männer werden einsehen, daß sie sich haben täuschen lassen. Zugegeben, das Märchen, das
28
Marianne Sydow
Sie sich zusammengereimt haben, klingt gut – zu gut, um wahr zu sein. Ich werde es Ihnen beweisen.« »Das wird kaum möglich sein.« »O doch. Ihrer Theorie nach müßte es Impulse geben, die von den Pfeilern in Richtung Schlackewelt abgestrahlt werden. Das ist der entscheidende Punkt, auf dem Sie Ihr Gedankengebäude errichtet haben. Ich werde einen der Pfeiler untersuchen lassen. Sie werden sehen, daß es sich dabei um ein völlig totes Bauwerk handelt, das früher einen Sinn erfüllt haben mag, inzwischen aber nichts weiter als ein skurriler Bestandteil der Landschaft geworden ist.« »Vielleicht erleben Sie eine Überraschung«, murmelte Toschmol. »Immerhin wird es gut sein, zu erfahren, was diese Bauwerke wirklich sind. Darf ich dabeisein, wenn der Pfeiler untersucht wird?« »Sie müssen sogar! Nur so kann ich Sie möglicherweise zur Vernunft bringen. Sollten Sie allerdings weiterhin versuchen, die Leute aufzuwiegeln, dann muß ich andere Mittel wählen, um Sie unschädlich zu machen.« Lenth Toschmol überhörte die Drohung. Er warf einen Blick auf die rote Sonne, die noch ein gutes Stück über dem Horizont stand. »Wann soll der Versuch stattfinden?« »Sofort!« sagte Zenkoorten.
* Nur einer der schnellen, wendigen Gleiter war erhalten geblieben. Zenkoorten maß dem Unternehmen genug Bedeutung bei, um das wertvolle Fahrzeug einzusetzen. Toschmol saß zwischen Zenkoorten und Varka eingezwängt in der Mitte der Kabine. Vor ihm hockte Swann neben dem Fahrer, und hinter ihm saßen insgesamt sechs Bewaffnete. Toschmol fragte sich, warum ausgerechnet Swann diesen Flug mitmachen sollte, aber er sagte nichts. Zenkoorten hüllte sich in Schweigen, und auch die anderen Mitglieder der kleinen Expedition waren
nicht gesprächig. Sie überflogen den Fluß und rasten über eine weite, grasbedeckte Ebene hinweg. Toschmol sah riesige Herden von Tieren, die in gleichmäßigem Trott einem unbekannten Ziel entgegenwanderten. Vor dem Gleiter zeichneten sich niedrige Hügel ab. Dahinter lag eine weitere Grasebene, und in deren Mitte erhob sich das Bauwerk, das sie untersuchen wollten. Selbst aus dieser Entfernung wirkte es beeindruckend. Seine Spitze war nicht zu erkennen, der höchste Punkt des Pfeilers verschwamm im rot-braunen Abendhimmel. Als sie näher kamen, wuchs der schlanke Turm zu einem unheimlichen, drohenden Schatten auf. Toschmol hatte das Gefühl, sich einer entsetzlichen Gefahr auszuliefern. Der Turm schien vor seinen Augen zu schwanken, als wolle er umkippen und das winzige Gefährt zerquetschen. Vom Lager aus sah man in der Ferne die Silhouetten von insgesamt vier Pfeilern. Auf der Erkundungsfahrt hatte Toschmol weitere sechs dieser Bauwerke entdeckt. Sie wirkten wie die senkrechten Stäbe eines Gitters, das den ganzen Planeten in kleine Zellen zerteilte. Die Daten, die über die Pfeiler bisher vorlagen, waren ihm bekannt. Aber er hatte nicht gedacht, daß sie so gigantisch wirken würden. »Setzen Sie den Gleiter neben dem kleinen Gebüsch dort vorne auf«, durchbrach Zenkoorten das unbehagliche Schweigen. Als das Fahrzeug hielt, wandte der Kommandant sich an die sechs Männer im hinteren Teil der Kabine. »Sie kennen Ihre Aufgabe. Beeilen Sie sich, damit wir noch vor Einbruch der Dunkelheit ins Lager zurückkehren können.« »Meinen Sie wirklich, daß man diesem Ungetüm innerhalb einer knappen Stunde alle Geheimnisse entreißen kann?« fragte Toschmol spöttisch, als die Wissenschaftler, mit ihren Meßgeräten beladen, den Gleiter verlassen hatten. »Was soll in diesem Turm schon zu finden sein«, knurrte Zenkoorten verächtlich.
System des Todes Der Pfeiler war aus einem mattgrauen Metall. Die Oberfläche war spiegelblank, als hätten die Wesen, die diese Bauwerke errichtet hatten, ihre Arbeit eben erst beendet. Es gab kein Anzeichen von Verfall und Verwitterung. Rings um den Turm war der Boden etwa fünfzig Meter weit graubraun. Dort wuchs nichts. Die Wissenschaftler erreichten den Rand dieses Gebiets, blieben stehen und diskutierten miteinander. Meßgeräte wurden zum Boden gerichtet, Proben von Staub und Erde wanderten in kleine Behälter. »Rufen Sie die Leute zurück!« sagte Toschmol beunruhigt. »Warum?« fragte Zenkoorten verwundert. »Fürchten Sie, daß Ihre Theorie durch das Ergebnis einer Untersuchung als unsinnig entlarvt werden könnte?« »Warum sind sie so stur!« rief der Wissenschaftler wütend. »Diese Männer werden sterben, wenn sie sich dem Turm noch weiter nähern! Wollen Sie sechs Arkoniden in den sicheren Tod schicken, nur weil sie in Ihrer Verbohrtheit nicht zugeben wollen, daß Sie sich geirrt haben? Sie sind auf dem falschen Planeten gelandet, Zenkoorten! Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen? Sie sind schuld am Tod der ganzen Besatzung der PROTALKH, wenn Sie nicht endlich nachgeben!« »Jetzt reicht es mir aber!« knurrte Zenkoorten wild. »Halten Sie den Mund, oder ich lasse sie paralysieren!« Toschmol blickte in die Mündung der Waffe, die Varka auf ihn gerichtet hätte. Mutlos sank er in die Polster zurück. Die Wissenschaftler hatten ihre erste Untersuchung der Staubschicht, die die Basis des Pfeilers umgab, beendet und schritten weiter. Sie näherten sich der grauen Wand, die unendlich hoch vor ihnen aufragte. Jetzt hatten sie ihr Ziel erreicht. Wieder wurden die Meßgeräte befragt, dann streckte einer der Männer die Hand aus und berührte den Pfeiler. Lenth Toschmol stöhnte leise auf. Jetzt mußte es geschehen!
29 »Nichts!« sagte Zenkoorten neben ihm verächtlich. »Sehen Sie selbst! Dieser Pfeiler ist genauso harmlos wie die Felsen …« »Kommandant!« Swann deutete zitternd nach oben. Der Pfeiler begann zu glühen. Ein seltsames Licht ging von ihm aus. Es erfaßte den oberen Teil des Turmes, wanderte tiefer und wurde immer intensiver. Die Wissenschaftler hatten es allem Anschein nach noch nicht bemerkt. Zenkoorten riß das Mikrophon zu sich heran. »Kommen Sie sofort zurück!« befahl er scharf. Die Männer rührten sich nicht. »Verdammt!« brüllte der Kommandant der PROTALKH. »Hören Sie mich nicht? Kommen Sie zum Gleiter zurück …« Das Glühen hatte die Männer am Turm erreicht, und Zenkoorten schwieg entsetzt. Das Licht erfaßte die Arkoniden, und die Körper der Männer wurden durchscheinend. Erst jetzt reagierten sie auf die Gefahr. Sie versuchten zu fliehen, aber es war längst zu spät. Sie selbst wurden zu Quellen des Lichtes. Sie glühten von innen heraus, und gleichzeitig dehnten sie sich aus. Wie leuchtende Riesen tappten sie mit unsicheren Schritten über den verbrannten Boden, kamen auf den Gleiter zu und ragten vor dem kleinen Fahrzeug auf. Gigantische Fäuste aus glühender Materie hoben sich zeitlupenhaft langsam. Als sie sich dem Gleiter bedrohlich näherten, hatte der Fahrer endlich den Bann des Entsetzens überwunden. Der Gleiter schoß rückwärts von dem Pfeiler und den grauenhaft verwandelten Arkoniden weg. Deutlich sahen die Überlebenden der unheilvollen Expedition, wie die leuchtenden Gestalten ihrer Kameraden in sich zusammensanken, bis nur noch winzige, glimmende Klumpen von ihnen übrig waren. Ein leichter Wind kam auf. Feine Asche stäubte auf und wurde in die Grasebene hinausgetragen. »Das war ein sinnloses Opfer«, sagte Toschmol leise, als er sich wieder gefangen
30
Marianne Sydow
hatte. »Schweigen Sie!« befahl Zenkoorten hart. »Wir kehren zum Lager zurück. Dieser Vorfall ist bedauerlich, aber er beweist nichts weiter, als daß ich die Pfeiler falsch eingeschätzt habe. Wir werden diesen Dingern in Zukunft aus dem Wege gehen. Ich werde Ihnen noch mitteilen, was der offizielle Bericht über die Untersuchung des Pfeilers enthalten soll. Bis dahin sind Sie alle zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Ein Verstoß gegen diesen Befehl ist Meuterei! Haben Sie mich verstanden?« »Sie sprechen laut genug, Kommandant«, sagte Toschmol spöttisch. »Aber Sie übersehen eine wichtige Tatsache. Ob Sie uns zum Schweigen bringen oder nicht – die anderen werden selbst sehen können, welche Folgen Ihre unbedachte Tat hat.« Er deutete in die Dämmerung hinaus. Erst jetzt bemerkte auch Zenkoorten, daß nicht nur einer der vielen Pfeiler, die von der Oberfläche des Planeten aufragten, zu gespenstischem Leben erwacht war. Wie glimmende Fäden zeichneten die Türme sich vor dem braunen Himmel ab. Jeder einzelne von ihnen glühte, und diese Zeichen würde man auch im Lager sehen können.
* »Es besteht kein Grund, sich wegen dieser Erscheinung Sorgen zu machen!« behauptete Zenkoorten den versammelten Arkoniden gegenüber. »Gut, die Pfeiler glühen, das kann man deutlich sehen. Wir wissen jetzt auch, daß es gefährlich ist, einem solchen Bauwerk zu nahe zu kommen, und wir werden uns danach richten. Sonst ändert sich nichts.« »Das steht noch nicht fest, Kommandant!« wurde er von Swann unterbrochen. Zenkoorten warf dem Bärtigen einen wütenden Blick zu, aber der Arkonide ließ sich davon nicht beeindrucken. »Ich messe eine Strahlung an, die von den Pfeilern ausgeht«, fuhr er fort. »Es handelt sich um Impulse, deren Bedeutung ich nicht
kenne. Es ist etwas völlig Fremdartiges, und wir wissen nicht, welche Wirkung diese Strahlung auf die einheimischen Tiere und Pflanzen ausüben wird. Ich fürchte, wir müssen uns auf unangenehme Überraschungen gefaßt machen.« »Wir werden wachsam sein«, winkte der Kommandant ab. »Wichtig ist lediglich, daß wir ruhig und besonnen bleiben. Wir haben genug Waffen gerettet, um uns wirksam gegen einheimische Lebensformen verteidigen zu können.« »Wäre es nicht besser, den Ursprung der Gefahr zu suchen und vielleicht zu beseitigen?« fragte Swann. »Was wollen Sie damit andeuten?« knurrte Zenkoorten. »Die Impulse werden nicht von den Pfeilern selbst erzeugt«, sagte der Bärtige. »Diese Türme scheinen sie nur zu verstärken. Die eigentliche Strahlungsquelle befindet sich nicht auf diesem Planeten.« »Wo sonst?« »Jenseits der roten Sonne. Auf der Schlackewelt.« »Wenn es wirklich so wäre, könnten Sie es von hier aus nicht feststellen. Die Impulse müßten das Gestirn durchdringen, und das ist ziemlich unwahrscheinlich. Wenn Sie eine Strahlungsquelle angemessen haben, kann es sich dabei ebensogut um die Sonne selbst handeln.« Swann sah zu Vrenaja Zortain hinüber. Die junge Arkonidin lächelte schwach. »In diesem Fall hätte die Sonne sich in irgendeiner Weise verändern müssen, als die Türme zu glühen begannen«, sagte sie. »Das ist nicht geschehen.« »Dann zeigen die Geräte eben etwas Falsches an«, wehrte Zenkoorten ab. »Die glühenden Türme werden schuld daran sein.« »Wir sollten die VALKARON bemannen und zu der Schlackewelt fliegen«, forderte Swann. »Dann können wir an Ort und Stelle nachprüfen, ob die Messungen wirklich falsch sind.« »Das Beiboot wird nicht starten!« sagte
System des Todes Zenkoorten scharf. »Und wenn, dann mit Sicherheit nicht zu der toten Welt, sondern in den freien Raum, von wo aus wir Verbindung mit einem arkonidischen Raumschiff aufnehmen werden. Es hat genug Tote gegeben. Ich verlange von Ihnen allen, daß Sie Disziplin bewahren und meine Befehle befolgen.« »Er ist stur wie ein Panzer«, beschwerte Vrenaja Zortain sich bei Swann, als die Versammlung sich aufgelöst hatte. »Er wird umlernen müssen«, murmelte der Bärtige. »Hoffentlich dauert es nicht zu lange, bis er begreift, daß er mit seinen Methoden auf diesem Planeten nichts erreicht.« »Was ist eigentlich mit Toschmol geschehen? Er war doch dabei, als der Pfeiler untersucht werden sollte. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.« »Zenkoorten hat ihn eingesperrt«, erklärte Swann trocken. »Er hält ihn für verrückt.« »Ist er es?« Der Bärtige zuckte die Schultern. »Er ist ohne Zweifel ein Fanatiker. Aber ich fürchte, in einigen Punkten hat er recht. LOIPOS ist eine tödliche Falle. Wir sollten sehen, daß wir schleunigst von hier wegkommen.« »Die VALKARON«, murmelte die Arkonidin leise und sah zu dem Wrack der PROTALKH hinüber, das sich dunkel gegen den von glimmenden, senkrechten Linien durchzogenen Himmel abhob. Das Beiboot stand in der geöffneten Schleuse. Sie hatten es nicht nach draußen gebracht, weil sie seinen derzeitigen Standplatz für sicherer hielten. Auch Swann sah zu dem metallenen Gebirge auf. Er überlegte, wen er für seinen Plan gewinnen konnte. Diese Astronomin würde vielleicht mitmachen. Natürlich war es ein riskantes Unternehmen. Außerdem konnten sie in dem sechzig Meter durchmessenden Beiboot nicht alle Überlebenden unterbringen. Aber wenn es noch mehr Unfälle gab … »Woran denken Sie?« fragte Vrenaja. »Daran, daß wir alle umkommen werden,
31 wenn wir uns nach Zenkoorten richten«, erwiderte er vorsichtig. »Meuterei?« »Man kann es auch anders betrachten. Wir haben den Auftrag, die Unweit zu suchen und Klinsanthor zu wecken. Haben Sie den Eindruck, daß der Kommandant sich augenblicklich danach richtet?« Sie pfiff leise durch die Zähne. »So ginge es«, murmelte sie. »Niemand könnte uns etwas anhaben. Aber Zenkoorten wird um die VALKARON kämpfen. Und es gibt bestimmt Leute genug, die ihn unterstützen.« »Varka, Kentoil, Zamok und ein paar andere Offiziere«, nickte Swann bedächtig. »Ein Teil der anderen wird sich ihnen unterordnen, besonders jene Leute, denen man im Laufe der Ausbildung das Denken abgewöhnt hat. Aber ich denke, wir haben trotzdem gute Chancen. Wir müssen nur dafür sorgen, daß Zenkoorten uns nicht zuvorkommt.« »Sie können auf mich rechnen«, sagte die Arkonidin leise. »Ich habe keine Lust, mein Leben auf diesem Geisterplaneten zu beenden.« »Das ist gut«, nickte Swann zufrieden. »Eine Astronomin werden wir brauchen können …« Er unterbrach sich und deutete auf die PROTALKH. »Was ist das?« Im oberen Teil des Wracks erschien ein Lichtpunkt, der sich erstaunlich schnell vergrößerte. »Die Schleuse, hinter der die VALKARON steht«, stieß Vrenaja Zortain hervor. »Zenkoorten muß Verdacht geschöpft haben. Er bringt das Boot in Sicherheit.« Sie sahen, wie das kleine Raumschiff sich durch die Luft schwang und jenseits des Lagers aufsetzte. Im selben Moment, in dem es mit federnden Landestützen den Boden berührte, heulte eine Alarmsirene auf. Swann wirbelte herum. Jetzt gab es mehrere Lichtpunkte im Wrack. Neben ihm stöhnte die Arkonidin leise auf. Männer hasteten an ih-
32 nen vorbei, auf die Überreste des Sternenschiffs zu, in denen ein Brand ausgebrochen war. Aus den Löchern, die die ehemals blanke Schiffshülle unterbrachen, quollen rot angehauchte Rauchwolken. Dahinter glühten die Brandherde in grellem Blau. »Zurück!« herrschte Swann die Astronomin an, die sich automatisch ebenfalls in Bewegung setzte, um zu retten, was noch zu retten war. »Die Geräte!« protestierte sie wütend und versuchte, sich aus seinem harten Griff zu befreien. »Es ist noch so vieles an Bord …« »Finden Sie sich damit ab, daß all das verloren ist!« empfahl Swann hart. »Dieses Glühen kenne ich. Kommen Sie, wir müssen uns beeilen.« Verwirrt stolperte sie neben ihm her. Das ganze Lager war in Aufruhr geraten. Niemand achtete auf sie, als sie keuchend vor der Tür einer kleinen Baracke stehenblieben. Swann zertrümmerte mit dem Kolben seiner Waffe das primitive Schloß. »Kommen Sie heraus!« zischte er. Vrenaja erkannte die Männer, die sich schweigend aus der Dunkelheit der Behausung drängten. Kolkor mit seiner Gruppe. Auch Toschmol erschien. »Wir brauchen Waffen«, erklärte Swann leise. Kolkor nickte ihm zu und verschwand lautlos in der Finsternis zwischen zwei Kunststoffgebäuden, die als Lager dienten. Lenth Toschmol öffnete den Mund, aber der Bärtige winkte hastig ab. »Später können Sie Fragen stellen«, sagte er. »Jetzt haben wir zu wenig Zeit.« Kolkor kam mit einem Arm voller Strahler zurück. »Die Wachen sind weg«, bemerkte er. »Was ist denn mit dem Wrack los?« »Brennt lichterloh«, sagte Swann lakonisch und verteilte die Waffen. Niemand stellte mehr eine Frage, als sie hinter ihm durch das Lager eilten. Sie schienen die letzten zu sein, die sich noch zwischen den Hütten aufhielten. Swann hoffte inbrünstig, daß die Leute, die versuchen wollten, den Brand
Marianne Sydow zu löschen, früh genug begriffen, was mit der PROTALKH geschah. Als die VALKARON vor ihnen auftauchte, hob Swann den rechten Arm. Sie warfen sich auf den Boden und beobachteten das Beiboot. Die untere Schleuse war geöffnet, die Rampe ausgefahren. Niemand ließ sich sehen. »Das riecht nach einer Falle«, flüsterte Kolkor neben dem Bärtigen. »Es ist auch eine«, nickte Swann grimmig. »Ich fürchte, wir sind zu spät gekommen. Sie bleiben hier und sorgen dafür, daß niemand mir folgt. Ich werde versuchen, mit Zenkoorten zu reden. Vielleicht ist er inzwischen vernünftig geworden.« »Ich komme mit!« sagte Toschmol energisch. Swann war nicht in der Stimmung, eine Diskussion mit dem Wissenschaftler zu führen. Er schob die hagere Gestalt zur Seite, als Toschmol ihm den Weg verstellen wollte. Kolkor hielt den Wissenschaftler am Arm fest. Toschmol protestierte wütend, aber dann sah er ein, daß es besser so war. Niemand wußte, in welcher Verfassung Zenkoorten sich befand. Wenn er die Nerven verlor, verloren sie wenigstens nur einen Mann. Swann ging mit erhobenen Armen hinüber. »Das ist nahe genug«, sagte eine hallende Stimme, als er noch zehn Schritte von der Rampe entfernt war. »Was wollen Sie, Swann?« »Mit Ihnen reden, Kommandant«, erwiderte der Bärtige ruhig. »Sie geben auf?« »Nein, aber ich hoffe, daß wir einen vernünftigen Kompromiß finden. Sie haben gesehen, was mit der PROTALKH geschah. Wollen Sie warten, bis es dem Beiboot ebenso ergeht? Warum bestehen Sie darauf, daß wir auf LOIPOS bleiben? Die Gefahren, die draußen im Raum auf uns warten, können kaum schlimmer sein als das, was der Planet zu bieten hat.« »Ist das alles, was Sie zu sagen haben?« Swann schüttelte verzweifelt den Kopf.
System des Todes »Zenkoorten! Denken Sie doch auch einmal an den Rest Ihrer Leute!« »Ich denke an sie. Eben darum werde ich es verhindern, daß die VALKARON jetzt schon startet. Wir haben Meßgeräte an Bord, und auch ohne Ihre Hilfe können wir feststellen, daß es noch immer gefährlicher ist, den Planeten zu verlassen. Das Beiboot ist unsere letzte Rückversicherung. Ich werde es nicht sinnlos opfern, weil Sie und ein paar Narren die Nerven verlieren. Gehen Sie zurück, Swann, und teilen Sie den anderen das mit. Wer sich dem Boot nähert, wird paralysiert!« »Er muß den Verstand verloren haben!« knurrte Toschmol, als sie langsam ins Lager zurückgingen. Noch immer glühten die Reste des riesigen Raumschiffs, das sie hierher gebracht hatte. Ein zuckender, bläulicher Lichtschein lag über den primitiven Kunststoffhütten. Es war gespenstisch still. Sie sahen nichts von den anderen Überlebenden, und Swann befürchtete schon, sie wären als einzige verschont geblieben, bis sie endlich neben einer Baracke eine Arkonidin entdeckten. »Garila!« rief die Astronomin erstaunt. Die junge Frau, die drüben auf dem Boden kauerte, hob langsam den Kopf. Verständnislos starrte sie die Raumfahrer an. Sie war unverletzt, stand jedoch offensichtlich unter starker Schockeinwirkung. Sie brachten sie in die Hütte, gaben ihr etwas zu trinken und warteten ungeduldig darauf, daß sie sich erholte. »Sie war in der PROTALKH«, erklärte Vrenaja Zortain inzwischen. »Sie wollte noch ein Gerät holen, daß wir für unsere Untersuchungen während der Nacht brauchten. Sie muß gesehen haben, wie es zu der Katastrophe kam.« »Das heißt, daß es Überlebende gibt«, stellte Swann fest. »Wir werden nach ihnen suchen«, nickte Kolkor und gab seinen Leuten einen Wink. »Gehen Sie nicht zu nahe an das Wrack heran!« warnte Swann, ehe die Pioniere die Hütte verließen. »Das ist kein normaler
33 Brand. Das Glühen ähnelt der Erscheinung, die wir bei dem Pfeiler beobachten konnten. Ich fürchte, daß jeder Arkonide stirbt, der in den Einflußbereich dieser Strahlung gerät.« Toschmol, Vrenaja und der Bärtige blieben zurück. Sie hockten auf den Feldbetten und hingen ihren Gedanken nach. Der Wissenschaftler war der erste, der das Schweigen brach. »Wie mag Zenkoorten es so schnell geschafft haben, die VALKARON in seine Gewalt zu bringen?« »Er muß sich vorbereitet haben«, meinte Swann nachdenklich. »Es war vorauszusehen, daß unter den gegebenen Umständen Meinungen geäußert wurden, mit denen er sich nicht einverstanden erklären konnte. Also hat er von vornherein dafür gesorgt, daß die VALKARON von seinen Anhängern aus dem Hangar geholt wurde. Er muß den Befehl schon vor der Besprechung gegeben haben, sonst wäre es nicht so schnell gegangen. Als dann genau das eintrat, was er befürchtete, begab er sich auf dem schnellsten Weg in das Beiboot. Es wird schwer sein, ihn und seine Leute zu überrumpeln. Solange sie im Schiff bleiben, sind sie für uns unangreifbar.« »Wenn er nur nicht so stur wäre!« seufzte Vrenaja verzweifelt. »Ich verstehe es einfach nicht.« Swann zuckte die Achseln. Er hatte es aufgegeben, sich mit der Psyche des Kommandanten zu beschäftigen. Er kannte Zenkoorten als einen Mann, der selbst in den aussichtslosesten Situationen einen klaren Kopf behielt, dessen Gedankenwelt jedoch restlos von den Anforderungen der militärischen Disziplin geprägt war. Zenkoorten handelte logisch – nur ließ sich seine Logik mit den hier auftretenden Phänomenen nicht vereinbaren. Er hörte ein leises Rascheln und richtete sich auf. Draußen bewegte sich etwas. Er lauschte angestrengt, aber er wurde aus diesen Geräuschen nicht recht klug. Er gab den anderen einen Wink, sich ruhig zu verhalten, und schlich zur Tür. Den Impulsstrahler
34
Marianne Sydow
hielt er griffbereit in der Hand. Er lauschte abermals. Jetzt waren die Geräusche deutlicher. In das Rascheln, das er sich nicht erklären konnte, mischte sich das Tappen schwerfälliger Schritte. Dann kam ein röchelndes Stöhnen. Swann griff nach links und ließ die Lampe erlöschen. Gleichzeitig stieß er die Tür auf, die nur angelehnt gewesen war. Er sah zweierlei. Die lautlose Zerstörung der PROTALKH war weiter fortgeschritten. Die glühende Masse jenseits des Lagers strahlte intensiv blau, war aber deutlich kleiner geworden. Und ihm gegenüber, in der Lücke zwischen zwei Gebäuden, stand ein Arkonide. Der Mann schien am Ende seiner Kräfte zu sein. Er hielt sich nur mühsam auf den Beinen. Erleichtert ließ Swann die Waffe sinken und eilte auf den anderen zu. Der Fremde schien ihn bemerkt zu haben, denn er blieb stehen und hob mühsam den rechten Arm, taumelte dann scheinbar unkontrolliert nach vorne und fiel gegen den Bärtigen. Swann hielt dem unerwarteten Anprall nicht stand und stürzte. Im selben Augenblick schlossen sich die Hände des anderen um seinen Hals. Der Gegner besaß Kräfte, die Swann in dem schwankenden Individuum nicht erwartet hätte. Er wehrte sich verzweifelt, aber der Druck auf seine Kehle wurde immer stärker. Rote Schleier wallten vor seinen. Augen auf, dann kam die Dunkelheit.
7. »Wir müssen starten!« sagte Varka eindringlich. »Draußen ist es zu unsicher«, erwiderte Zenkoorten stur. »Abgesehen davon, daß wir einen Teil unserer Leute auf diesem Planeten zurücklassen müßten.« »Sie wissen, daß Sie unrecht haben«, knurrte Varka wütend. Zenkoortens Anblick alleine reichte, um eine irrationale Wut in ihm wachzurufen. »Die paar Leute, die noch am Leben sind, können wir unterbringen. Und Ihre Ausrede von den Gefahren, die im
Raum lauern, kann mich nicht mehr beeindrucken. Es geht ums Überleben! Wir müssen wenigstens in eine Umlaufbahn kommen. Bei den Dämonen der Finsternis, Sie haben doch selbst gesehen, wie sich die Leute auflösten, die dem Wrack zu nahe kamen. Die Strahlung wird sich ausdehnen. Sie wird auch die VALKARON erfassen und sie auslöschen. Sie wird sich immer weiter über den Planeten fressen und alles vernichten!« »Reden Sie keinen Unsinn!« sagte Zenkoorten scharf. »Es wird nichts geschehen. Das Glühen wird zurückgehen, sobald nicht mehr genug von der PROTALKH übrig ist, um den Brand in Gang zu halten. Das Lager steht noch, und dort gibt es Vorräte. Alle, die noch draußen sind, können überleben, wenn sie sich vernünftig verhalten. An Bord dieses Schiffes gibt es weder genug Platz noch genug Vorräte, um uns alle über eine längere Zeitspanne hinweg am Leben zu erhalten. Eine Wartezeit in der Umlaufbahn kommt deshalb nicht in Frage. Wenn wir starten, dann müssen wir auch eine gewisse Sicherheit haben, daß man uns binnen weniger Tage auffischt.« »Das sagen Sie!« Varka erhob sich drohend. »Ich glaube Ihnen nicht mehr. Sie sind übergeschnappt, Zenkoorten. Sie haben uns hierhergebracht, um uns alle verrecken zu lassen. Wir sollen sterben, damit niemand in Arkon von Ihrem Verbrechen erfährt!« »Wovon reden Sie eigentlich?« »Das wissen Sie ganz genau. Sie wollen Ihren Auftrag nicht erfüllen. Sie haben von Anfang an geplant, uns zu erledigen, damit Sie die Suche abbrechen können …« Varka brach zusammen. Zenkoorten betrachtete den Piloten bedauernd, dann steckte er den Paralysator in den Gürtel zurück. Er überlegte, was dieser Zwischenfall bedeuten mochte. Seit zwei Arkonjahren arbeitete er mit Varka zusammen, und in dieser Zeit hatte er den jungen Arkoniden als absolut zuverlässigen Mann schätzen gelernt. Wie kam Varka nur auf diese unsinnigen Ideen? Seine Anschuldigungen waren doch absurd!
System des Todes Er hörte einen Schrei und zuckte zusammen. Hastig lief er aus der Kabine. Am Ende des Korridors sah er einen Schatten, und er rannte darauf zu. Als er den Seitengang erreichte, war niemand mehr zu sehen. Ratlos blieb er stehen. Ein leises Scharren warnte ihn, und er warf sich zur Seite. An der Stelle, an der er sich eben noch befunden hatte, kochte der Plastikboden. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er eine Bewegung. Er schoß, und sein Gegner brach zusammen. Zenkoorten robbte hastig in die Deckung einer Nische und beobachtete mißtrauisch seine Umgebung. Aber wieder war alles still. Vorsichtig schob er sich vorwärts und eilte lautlos zu dem Mann hinüber, den er paralysiert hatte. Er drehte den noch schlaffen Körper am. Es war Kentoil. Verwundert schüttelte er den Kopf. Also noch einer, der den Verstand verloren hatte. Nach kurzem Überlegen schleppte er den Funker in seine Kabine. Er suchte zwischen seinen Sachen herum und fand ein paar Seilstücke. Er fesselte Varka und den Funker, dann überzeugte er sich davon, daß das Magazin in seiner Waffe aufgeladen war. Bevor er sich auf den Weg zur Zentrale machte, schaltete er die Bildsprechanlage auf Empfang, aber zu seiner Überraschung war die Leitung tot. Nachdenklich starrte er den leeren Schirm an. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihm bewußt wurde, daß er sich in Gefahr befand. Er hätte zumindest irgendein Bild empfangen müssen. Daß das nicht der Fall war, konnte nur eines bedeuten: Man hatte ihn absichtlich von der internen Verbindung abgeschlossen. Das war Meuterei! »Na wartet!« murmelte er vor sich hin. Seine Schritte hallten provozierend laut durch das Schiff, als er der Zentrale entgegenging. Nur dort konnten sie auf ihn warten. Wer in diesem Raum saß, kontrollierte die ganze VALKARON. Das Schott wich lautlos vor ihm zurück. Er spähte vorsichtig um die Ecke, bereit, sich notfalls gegen die gesamte Besatzung zur Wehr zu setzen. Was er jedoch sah, ent-
35 lockte ihm ein dumpfes Stöhnen. Seine Hand öffnete sich, und der Paralysator polterte auf den Boden. Langsam ging er in den Raum hinein. Er zählte die Männer, die dort lagen, und stellte fest, daß außer Varka, Kentoil und ihm niemand mehr am Leben war. Denn die anderen hatten sich vollzählig in der Zentrale versammelt. Und sie waren gestorben. Die Todesursachen waren vielfältig, und sie hatten nur eines gemeinsam: Alle achtundzwanzig Männer waren umgebracht worden. Es dauerte eine ganze Weile, bis er fähig war, einen klaren Gedanken zu fassen. Er brachte die Leichen in den angrenzenden Räumen unter, holte Varka und Kentoil aus seiner Kabine und legte sie auf den Boden. Als er sie vor sich sah, starr und wehrlos, überkam ihn der irrsinnige Gedanke, sie könnten an allem Schuld sein. Seine Hände öffneten und schlossen sich unkontrolliert. Das Verlangen, zu töten, wurde übermächtig. Er verlor die Beherrschung über sich selbst. Als er wieder zu sich kam, stand er über die beiden Leichen gebeugt. Das Messer in seiner rechten Hand war rot von Blut. Er starrte es an und ließ es in jähem Erschrecken fallen. Was hatte er getan? Gehetzt sah er sich um, dann begriff er, daß niemand ihn beobachtet haben konnte. Das war gut. Es gab ihm eine Chance. Die Leichen mußten verschwinden. Und dann mußte er dafür sorgen, daß die anderen, die draußen herumliefen, keinen Verdacht schöpften. Sie durften nicht erfahren, daß ein Mörder die VALKARON beherrschte. Hastig machte Zenkoorten sich an die Arbeit. Er suchte die Aufzeichnungen zusammen, die er mitgebracht hatte. Die Tonspulen stapelte er vor sich auf einen kleinen Tisch. Er legte die erste ein und setzte die Außenlautsprecher in Betrieb. Dann eilte er nach unten. Die Schleuse stand offen, und er erschrak bei dem Gedanken, daß Swann oder ein anderer inzwischen an Bord gekommen sein könnte. Dann beruhigte er sich damit, daß er kein Alarmsignal gehört hatte. Er
36
Marianne Sydow
horchte auf die hallenden Stimmen, die aus den Lautsprechern drangen, legte sich auf den Boden und zielte mit dem Impulsstrahler nach draußen. Er würde dafür sorgen, daß niemand ihn als Mörder entlarvte!
* Vrenaja Zortain hörte lautes Stöhnen und sprang auf. »Bleiben Sie hier!« zischte Toschmol, aber die Arkonidin kümmerte sich nicht darum. Sie trat vor die Hütte, und sekundenlang hatte sie Mühe, in der blauen Dämmerung überhaupt etwas zu erkennen. Dann entdeckte sie das dunkle Knäuel, das die beiden am Boden liegenden Männer bildeten. Sie ließ die Lampe aufblitzen, erkannte, was dort vorging und stürzte sich mit einem wütenden Schrei auf den fremden Arkoniden. Sie schlug ihm die Waffe über den Schädel, aber die Hände des Irren blieben selbst in der Bewußtlosigkeit um Swanns Hals liegen. Sie mußte die Finger einzeln mit Gewalt auseinanderbiegen. Endlich gelang es ihr, den schlaffen Körper des Fremden zur Seite zu wälzen. Sie beugte sich über Swann, rüttelte ihn an den Schultern, aber er reagierte nicht. Erst nach bangen Sekunden hörte sie das Röcheln, mit denen die Luft in die Lungen des Bärtigen drang. »Toschmol!« rief sie leise in die Dunkelheit der Hütte. »Helfen Sie mir. Wir müssen Swann nach drinnen schaffen!« Gemeinsam schleppten sie den Bärtigen bis zu einem Lager. »Ich möchte wissen, warum dieser Irre ihn angegriffen hat«, überlegte Vrenaja halblaut. »Weil er ein Irrer ist«, sagte Toschmol lakonisch. Swann war bewußtlos und atmete mühsam, aber er würde es überstehen. Garila lag noch immer regungslos auf ihrem Feldbett und starrte aus weit aufgerissenen Augen zur Decke hinauf. Toschmol überlegte, ob er um dieser Leute willen sein Leben riskieren
sollte. Zweierlei war ihm klargeworden: Erstens hatte die unbekannte Strahlung nicht nur die PROTALKH vernichtet, sondern auch bei einem Teil der Überlebenden eine unheimliche Wandlung herbeigeführt. Zweitens würden die, die das Chaos schließlich überstanden, keinen anderen Wunsch hegen als den, dieses System schleunigst zu verlassen. Er konnte nicht hoffen, daß jemand ihn freiwillig zur Schlackewelt begleitete. So gesehen, war jeder einzelne ein Gegner Toschmols, der ihn daran hindern wollte, sein Ziel zu erreichen. Aber andererseits brauchte er Leute. Allein konnte er die VALKARON nicht zum toten Planeten bringen. »Wir benötigen Medikamente und Ausrüstung«, sagte er. »Sie haben den Paralysator und den Impulsstrahler, können sich also gut verteidigen. Ich gehe jetzt los und versuche, daß ich einiges aus den Lagern hierherschaffen kann. Lassen Sie niemanden an sich heran, wenn Sie keine einwandfreien Beweise dafür haben, daß der Betreffende normal reagiert. Bleiben Sie auch dann wachsam.« »Wäre es nicht besser, wenn wir uns gleich in einem der Lager verbarrikadieren würden?« »Auf die Idee bin ich auch schon gekommen. Aber erstens müßten wir unsere beiden Schützlinge transportieren, und das schaffen wir nicht. Ihre Kollegin ist völlig weggetreten, und Swann wird eine Weile brauchen, um sich zu erholen. Zweitens werden auch andere Überlebende auf diesen Gedanken kommen. Die Lagerbaracken werden Brennpunkte im Kampf um das nackte Leben darstellen. Ich sitze nicht gerne vor einer Zielscheibe.« Er verließ die Hütte, schloß die Tür hinter sich und lauschte. Er hörte, wie die Astronomin von innen den Riegel einrasten ließ, und nickte zufrieden. Dann sah er den Mann, den Vrenaja niedergeschlagen hatte. Etwas bewegte sich raschelnd über den Körper des Bewußtlosen. Mißtrauisch ging er näher heran. Ei schaltete die Lampe ein, entdeckte jedoch nichts
System des Todes Verdächtiges. Der Arkonide war ihm unbekannt. Das schmale Gesicht des Fremden war gräßlich verzerrt, und aus den Mundwinkeln floß schaumiger Speichel. Die mattgraue Kombination war schmutzig und zerfetzt. Pflanzenteile hatten sich an seinen Armen und Beinen verfangen. Wahrscheinlich war der Mann ziellos durch das Gebüsch am Nordrand des Lagers gestolpert. Nein! Toschmol sah noch einmal hin, und dann erkannte er, was er im ersten Moment übersehen hatte. Die Pflanzenteile waren frisch. Aber es war heiß, und ein trockener Wind, der jeden Hauch von Feuchtigkeit an sich riß, strich zwischen den Hütten hindurch. Ein entsetzlicher Verdacht keimte in dem Wissenschaftler auf. Er verfolgte den Lauf einzelner Ranken mit den Augen und stellte fest, daß die Pflanzen an vielen Stellen den Stoff durchdrangen. Er zwang sich dazu, ein Hosenbein zu packen. Mit einem Ruck wollte er es nach oben streifen. Es ging nicht. Er zog das Messer aus der Gürtelschlaufe, das zur normalen Ausrüstung jedes Raumfahrers gehörte. Als er den festen Stoff zerschnitt, zogen sich die dünnen Fäden aus der Haut des Bewußtlosen zurück – hastig, aber nicht schnell genug, als daß er es hätte übersehen können. Langsam richtete er sich auf. Wieder leuchtete er das Gesicht an. Eine dünne Faser tastete über den Mund des Raumfahrers. Toschmol zog vorsichtig das linke Augenlid des Bewußtlosen hoch. Eine Masse feiner Fäden bewegte sich dahinter. Das Auge des bedauernswerten Opfers war dem unheimlichen Parasiten bereits zum Opfer gefallen. Toschmol erkannte, daß es in diesem Fall keine Rettung mehr gab. Sein Magen revoltierte, aber er zielte sorgfältig, und seine Hände blieben ruhig. Der grelle Energiestrahl tötete den Mann sofort. Toschmol nahm den Finger erst vom Abzug, als der Körper völlig verbrannt war. Gewissenhaft trat Toschmol die aufzüngelnden Flammen aus. »Toschmol, sind Sie das?« fragte Vrenaja
37 ängstlich hinter der Tür der Hütte. »Ja«, antwortete er rauh. »Machen Sie sich keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.« Vorsichtig glitt er in der blauen Dämmerung vorwärts. Er sah einen Arkoniden, der über den provisorisch geglätteten Platz in der Mitte des Lagers stolperte. Der Mann beachtete den Wissenschaftler nicht, und Toschmol blieb vorsichtig im Schatten, bis der andere verschwunden war. Dann huschte er weiter und erreichte endlich die langgestreckte Baracke, in der ein Teil der geretteten Vorräte lagerte. Im ganzen Lager hatte sich eine Ruhe ausgebreitet, die unnatürlich war. Nichts regte sich zwischen den kunstlosen Hütten, es gab keine raschelnden Blätter, keine zirpenden Nachttiere, keine Stimmen oder Schritte. Das Wrack der PROTALKH verging in lautlosem Glühen. Toschmol schüttelte das Gefühl der Beklemmung ab, das ihn in dieser Lautlosigkeit befiel. Er untersuchte die Tür. Sie war nur durch einen einfachen Riegel gesichert – von außen! Er, lächelte schwach. Diesmal hatte er allem Anschein nach Glück. Trotzdem hielt er den Paralysator schußbereit. Die Tür knarrte leise. Toschmol war nicht so töricht, vor der Öffnung stehenzubleiben. Er wartete, eng an die Wand gepreßt, bis er meinte, daß etwaige Gegner sich inzwischen hätten verraten müssen. Dann erst schob er sich an die Öffnung heran. Noch immer rührte sich nichts. Er huschte in den dunklen Raum – und erhielt einen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn augenblicklich zu Boden gehen ließ. Als er wieder sehen konnte, war die Tür geschlossen. Eine grelle Lampe, die genau auf sein Gesicht gerichtet war, blendete ihn. Er blinzelte verwirrt und setzte sich stöhnend auf. »Schon gut«, sagte eine vertraute Stimme. »Es ist Toschmol. Er ist in Ordnung.« Der Lichtkegel der Lampe wanderte ein Stück zur Seite, und der Wissenschaftler sah Kolkor, der eben die Waffe in den Gurt zu-
38 rücksteckte. Drei Männer aus der ursprünglichen Gruppe fehlten – acht andere und eine Frau waren dafür hinzugekommen. »Ich nehme an, wir beide hatten die gleiche Idee«, lächelte Kolkor verlegen. »Tut mir leid, aber wir wußten nicht, daß Sie es waren.« Toschmol winkte ab. »Vrenaja Zortain ist alleine«, murmelte er und stand ächzend auf. »Wir sollten uns beeilen.« »Wir haben schon alles zusammengesucht und wollten eben aufbrechen«, nickte Kolkor und gab den anderen ein Zeichen. »Was ist mit Swann?« Toschmol berichtete kurz von dem, was vorgefallen war. Nach einigem Zögern erwähnte er auch den Grund, der ihn veranlaßt hatte, den Mann zu verbrennen. »Die Pflanzen fangen also auch schon an«, murmelte Kolkor besorgt. Toschmol sah ihn fragend an. »Zwei von meinen Leuten wurden von Insekten getötet«, erklärte Kolkor und zog unbehaglich die Schultern hoch. »Es ging so schnell, daß wir nichts mehr tun konnten. Diese Biester stürzten sich wie von Sinnen auf ihre Opfer. Ein anderer drehte übrigens durch. Fing einfach an, um sich zu schießen. Verstehen Sie das?« »Es ist Wahnsinn«, sagte Toschmol leise. »Der ganze Planet kommt mir wie eine Verkörperung des Irrsinns vor. Sind das alle Überlebenden, die Sie gefunden haben?« »Wir haben die Suche abgebrochen«, erklärte Kolkor. Sie beluden sich mit den bereitgelegten Paketen. Als sie die Baracke verließen, flammten plötzlich an der Stelle, an der sie die VALKARON wußten, starke Scheinwerfer auf. Gleich darauf hörten sie die weithin hallenden Stimmen einiger Offiziere aus den Lautsprechern. Verblüfft blieben sie stehen. »Und noch zwei drauf, Jark!« »Ha, das wirst du bereuen. Wenn du so weitermachst, verlierst du dein letztes Hemd. Da schau mal, grün noch mal grün, und jetzt braun. Na, wie ist es nun um dei-
Marianne Sydow nen Mut bestellt?« »Du bist ein Halsabschneider, Varka! Ich glaube fast, du steuerst das verdammte Ding. Das ist doch kein Zufall mehr!« »Wenn du Lust hast, kannst du die Drähte einzeln durchprüfen. Mach dir nichts draus. Komm, trink noch einen Schluck. Es ist ja egal, wieviel du verlierst. Hier kommen wir lebend doch nicht mehr heraus!« »Was soll der Unsinn?« fragte Toschmol beunruhigt. »Sie spielen Farbensetzen«, erklärte Kolkor trocken. »Eine einfache Sache. Zwei Farbscheiben rotieren entgegengesetzt vor einer Lichtquelle. Wenn sie gestoppt werden, erscheint eine bestimmte Farbe auf einer Projektionsfläche. Man kann auf reine Farben setzen, oder auf bestimmte Farbtöne. Ein Spiel mit dem Zufall. Vor allem braucht man keine besonderen Geräte dazu.« »Das ist mir klar«, entgegnete Toschmol ärgerlich. »Aber weshalb lassen sie diesen Unsinn über die Außenlautsprecher laufen?« »Vielleicht sind sie auch verrückt geworden. Aber das ist nicht sehr wahrscheinlich, denn dann würden sie nicht mit solcher Seelenruhe ein solch idiotisches Glücksspiel betreiben. Ich nehme eher an, daß sie uns zermürben wollen. Wir sollen hören, wie gut es ihnen geht.« »Das ist doch sinnlos. Zenkoorten weiß schließlich, was hier draußen los ist. Auch wenn er sich stur an irgendwelche Vorschriften hält, dürfte er niemals erlauben, daß wir auf diese Weise zusätzlichen Belastungen ausgesetzt werden!« »Was weiß ich«, brummte Kolkor, rückte seine Last zurecht und stapfte voran. In der rechten Hand hielt er die schußbereite Waffe. Die anderen folgten ihm schweigend. Aus den Lautsprechern hallte dröhnendes Gelächter über die niedrigen Hütten.
* »Das ist ja nicht zum Aushalten«, knurrte Swann wild. Sie hatten sich provisorisch in der Ba-
System des Todes racke eingerichtet. Der Bärtige hatte zwar noch arge Schluckbeschwerden, war aber sonst wieder wohlauf. Die Arkonidin, die den Beginn der Katastrophe auf der PROTALKH miterlebt hatte, schlief. Sie hatten ihr ein starkes Medikament eingeflößt. Toschmol hoffte, daß sie wieder normal reagieren würde, wenn sie aus der Betäubung erwachte. Er mußte unbedingt erfahren, wie es zu diesem rätselhaften Brand gekommen war. Nach den bisher bekannten Daten konnten sie sich ausrechnen, daß bis zur Morgendämmerung noch etwa zwei Standardstunden vergehen würden. Sie waren alle erschöpft und wünschten sich wenigstens eine kurze Pause. Kolkor und einer der Männer, die er mitgebracht hatte, erklärten sich bereit, die erste Wache zu übernehmen. Und nun war es unmöglich, ein Auge zuzutun, weil die Lautsprecher der VALKARON das Lager mit unerträglichem Lärm überschütteten. Hatte vorher die absolute Stille an ihren Nerven gezerrt, so brachten die Stimmen der Offiziere sie an den Rand des Wahnsinns. Da wurden Witze erzählt, die so alt waren, daß sie selbst unter weitaus günstigeren Umständen nicht einmal mehr darüber hätten lächeln können. Es fiel kein Wort über die Situation der Schiffbrüchigen, keines der zahlreichen Probleme wurde angeschnitten. Nur banale Unterhaltungen waren zu hören, mit denen gelangweilte Männer Phasen der Untätigkeit zu überbrücken versuchten. »Ich gehe jetzt los und sorge dafür, daß dieser Lärm aufhört!« sagte Swann resolut und schwang sich von seinem Feldbett. »Lassen Sie doch«, murmelte Kolkor müde. »Glauben Sie, Zenkoorten läßt Sie ins Schiff? Von draußen können Sie sich nicht bemerkbar machen. Bei dem Getöse werden Sie halb taub, wenn Sie in die Nähe der VALKARON kommen!« »Das ist mir egal«, knurrte Swann und zog den Waffengurt fest. »Ist außer mir noch jemand der Meinung, daß man Zenkoorten einiges klarmachen sollte?«
39 »Ich gehe mit«, erklärte ein Arkonide namens Borgh. »Passen Sie auf sich auf«, mahnte Kolkor, ehe er die Tür öffnete. »Und vergessen Sie unsere Parole nicht. Sonst geht es Ihnen bei Ihrer Rückkehr wie unserem armen Wissenschaftler.« Swann grinste zu Toschmol hinüber, der eifrig damit beschäftigt war, die Beule auf seinem Schädel zu kühlen. »LOIPOS ist das Tor zur Hölle«, sagte er und steckte die Lärmschutzpfropfen in seine Ohren. »Und wir sitzen mitten drin«, murmelte Kolkor zurück, aber das hörte Swann bereits nicht mehr. Er fühlte sich ziemlich unbehaglich, als er mit Borgh in der blauen Dämmerung stand. Die PROTALKH glühte immer noch, aber es schien, als wäre die Masse bereits so gering geworden, daß das merkwürdige Feuer bald erlöschen müßte. Die Scheinwerfer der VALKARON warfen scharfe Schatten über die schmalen, zertrampelten Wege zwischen den Baracken. Durch die Pfropfen in ihren Ohren hörten sie das Getöse aus den Lautsprechern nur noch gedämpft. Dafür würden sie aber auch die Annäherung einer Gefahr vielleicht zu spät bemerken. Die Energieprojektoren, die die Lagerbewohner vor Eindringenden Tieren schützen sollten, waren zum Teil ausgefallen. Sie hatten wenig Mühe, eine Lücke in der Sperre zu finden. Die VALKARON stand etwa hundert Meter entfernt. Die Scheinwerfer im unteren Teil des Beiboots zeichneten einen scharf begrenzten Kreis greller Helligkeit auf den mit kurzem Gras bewachsenen Boden. Die beiden Arkoniden blieben vor dieser Grenze stehen. Sie kniffen die Augen zusammen und versuchten, in der blendenden Lichtfülle Einzelheiten auszumachen. »Die Bodenschleuse ist immer noch offen!« sagte Swann schließlich. Dann fiel ihm ein, daß Borgh ihn gar nicht hören konnte. Er stieß ihn an und gab ihm mit Zeichen zu verstehen, daß er an dieser Stelle
40 bleiben und dem Bärtigen Feuerschutz geben sollte. Borgh nickte, und Swann wandte sich ab. Aber ehe er den ersten Schritt tun konnte, hielt eine Hand ihn am Arm fest. Borgh zeigte auf eine Stelle weiter rechts. Jetzt bemerkte auch Swann, daß sich dort etwas bewegte: ein Arkonide in zerfetzter Uniform. Er taumelte, fiel zu Boden, kroch auf allen vieren weiter. Sein Ziel war unverkennbar die VALKARON. Die beiden Männer sahen sich an, dann rannten sie geduckt los, immer am Rand der grellen Lichtzone entlang. Swann fluchte erbittert vor sich hin – hören konnte es ohnehin niemand. Sie hatten den Raumfahrer fast erreicht, da kam der Fremde in einer unsicheren Bewegung auf die Beine. Für einen Augenblick sah Swann das Gesicht des anderen. »Shegosh!« brüllte er. »Bleiben Sie stehen!« Der Mediziner hörte ihn nicht. Er litt offensichtlich unter Gleichgewichtsstörungen. Er schien ständig zu fallen, konnte sich dagegen nur wehren, indem er hastig ein Bein nach vorne setzte und geriet auf diese Weise in unfreiwillig schnellem Lauf immer weiter auf die lichtüberstrahlte Fläche hinaus. Swann wollte ihm nacheilen, aber Borgh hielt ihn fest. Der Bärtige gab schließlich nach. Und im selben Augenblick brach Shegosh zusammen. Sie hatten das Zischen der Waffe nicht gehört, im grellen Licht auch die leuchtende Bahn ionisierter Gase nicht gesehen, aber sie erkannten überdeutlich die Wirkung des Schusses. Shegosh wurde ein Stück zurückgeschleudert. Er war bereits tot, als er den Boden berührte. Sein Oberkörper war nur noch eine verbrannte, stinkende Masse. Entsetzt starrten sie auf die Leiche, dann zogen sie sich vorsichtig zurück. Die Fronten waren endgültig geklärt. Zenkoorten und seine Leute würden auf jeden schießen, der sich dem Boot näherte. Warum – das blieb ungeklärt. »Sie haben ihn getötet, obwohl sie doch sehen mußten, daß er am Ende war«, mur-
Marianne Sydow melte Swann bedrückt, als sie wieder bei den anderen in der Hütte waren. »Sie sind eben übergeschnappt«, meinte Kolkor. »Genau wie viele von denen, die draußen geblieben sind.« »Aber das paßt doch nicht zusammen!« sagte Swann verzweifelt. »Sie unterhalten sich völlig normal.« »Dann sind es eben nur ein paar Verrückte«, warf Toschmol ein. »Sie haben sich in der Schleuse niedergelassen und schießen auf alles, was sich bewegt. Die anderen, deren Stimmen wir hören, wissen vielleicht gar nicht, was um sie herum vorgeht.« »Nein. Aus den Unterhaltungen geht hervor, daß diese Männer sich in der Zentrale aufhalten. Von dort haben sie die volle Kontrolle über das ganze Boot. Sie wissen, daß die Bodenschleuse geöffnet ist, und sie müssen auch den Schuß bemerkt haben. Sie haben die Schalter für die Außenlautsprecher vor sich. Verstehen Sie jetzt, was ich meine? Kein normaler Mensch würde seine Privatgespräche in dieser Lautstärke hinausposaunen, geschweige denn zulassen, daß jemand auf Kranke und Verwundete schießt. Aber kein Wahnsinniger wäre imstande, derart nichtssagende Gespräche zu führen, wie wir sie die ganze Zeit notgedrungen mit anhören müssen. Ich bin sicher, daß sich hinter dieser Diskrepanz eine Lösung verbirgt. Ich komme nur nicht darauf, welche das ist.« »Wir werden uns morgen den Kopf darüber zerbrechen«, entschied Toschmol. »Die Sache ist wichtig, denn wir müssen einen Weg finden, die VALKARON in unsere Gewalt zu bringen. Mit Zenkoortens Hilfe dürfen wir nicht mehr rechnen. Sobald es hell ist, machen wir uns an die Arbeit. Wir müssen nach weiteren Überlebenden suchen, sofern sie sich nicht von selbst im Lager einfinden. Nach dem, was wir bis jetzt erfahren haben, wird die Natur uns Schwierigkeiten bereiten. Also gilt es, einen abgesicherten Bezirk zu schaffen, der optimal zu verteidigen ist. Wir müssen auch damit rechnen, daß wir gezwungen sind, längere Zeit von unseren Vorräten zu leben. Das bedeutet, daß wir
System des Todes
41
Fleisch brauchen, denn das, was noch brauchbar ist, wird nicht lange reichen. Es gibt genug zu tun. Darum würde ich vorschlagen, daß wir uns noch etwas ausruhen – auch wenn wir bei diesem Lärm nicht besonders gut schlafen werden!«
* Der Himmel hatte die Farbe geschmolzenen Kupfers, und eine erdrückende Hitze ging von ihm aus. Der leichte Wind hatte sich gelegt. Jeder Schritt wirbelte Wolken von feinem Staub auf, der sich auf die Arkoniden niedersenkte, die Augen verklebte und juckende Hautreizungen hervorrief. Das Gras zwischen den Hütten war verschwunden. Irgendwann in der grauenvollen Nacht des Untergangs hatte es sich zu einem grauen Pulver aufgelöst. Nach und nach tauchten weitere Überlebende im Lager auf. Gegen Mittag umfaßte die Gruppe knapp sechzig Personen, und dabei blieb es vorerst. Sie fanden einige Tote und begruben sie, aber der größte Teil der Schiffbrüchigen blieb spurlos verschwunden. Entweder waren sie in der Strahlung umgekommen, oder sie waren, von Panik erfüllt, in die Wildnis geflüchtet. Sie sammelten die noch funktionsfähigen Energieprojektoren ein und errichteten eine neue Sperre. Drei Baracken wurden ausgewählt. Sie lagen am Rand des Lagers, waren nicht weit von der VALKARON entfernt und boten genug Platz für die Überlebenden und deren bescheidenen Besitz. Swann richtete einen Beobachtungsposten auf dem Dach jeder der drei Hütten ein. Von der VALKARON kam noch immer das Dröhnen der Lautsprecher, sonst rührte sich dort nichts. Dafür meldeten die Posten, daß überall in der Grasebene Tierherden auftauchten. »Wir sollten die Gelegenheit nutzen«, meinte Kolkor. »Wir haben kein Frischfleisch mehr. Wenn die Tiere sich jetzt sammeln, dann kann das bedeuten, daß sie auf die Wanderung gehen. Wer weiß, wie lange es dauert, bis wir sie wieder zu Gesicht be-
kommen.« »Ich habe ein ungutes Gefühl dabei«, murmelte Toschmol, ließ in altgewohnter Weise die Hand vor der Brust kreisen und zupfte mit Daumen und Zeigefinger an seiner langen Nase herum. »Hier geschieht etwas, was ich nicht durchschauen kann. Schauen Sie sich mal die Pflanzen an. Sie sterben ab. Es ist, als ob sie sich vor uns zurückziehen. Gestern war da drüben alles dicht bewachsen, dafür ließ sich kein Tier blicken. Heute ist es umgekehrt.« »Sie haben zweifellos recht«, gab Kolkor zu. »Aber Gefühle kann man nicht essen. Keine Angst, wir werden kein Risiko eingehen. Wir werden die vorsichtigsten Jäger sein, die Sie jemals gesehen haben. Zum Glück haben wir genügend Waffen gefunden, um selbst mit den wildesten Bestien fertig zu werden.« Toschmol stand neben Swann auf dem Dach der ersten Baracke, als der Transporter der am nächsten stehenden Herde entgegenfuhr. Wie Bestien sahen die Tiere, die dort warteten, eigentlich nicht aus. Sie wirkten sehr friedlich, und obwohl die verschiedensten Arten auf engem Raum versammelt waren, gab es keinen Streit. Auch Kolkor sah es. Er gab Borgh, der am Steuer saß, einen Wink. Der Transporter stoppte, etwa dreißig Meter vom Rand der Herde entfernt. Der Pionier hob das Fernglas und überlegte, welches der Tiere als Beute am ehesten in Frage kam. Die riesigen, schuppigen Echsen, die es sich im Staub bequem gemacht hatten, schloß er von vornherein aus. Die Echsen schienen das zu wissen. Sie blinzelten dem Fahrzeug gelassen entgegen, rissen ab und zu gelangweilt die riesigen Mäuler auf und zeigten dabei ihre langen, leicht gebogenen Zähne. Zwischen ihnen hüpften grellfarbige Pelzbündel herum. Die kleinen Kerle, allem Anschein nach affenähnliche Primaten, kannten keine Angst. Sie sprangen auf den Rücken der Echsen herum, rauften miteinander und turnten sogar zwischen den ungeheuren Gebissen herum.
42 Direkt neben den Echsen hatten sich Hunderte von Antilopen auf engem Raum versammelt. Viele von ihnen ruhten, andere wanderten träge umher, entfernten sich dabei aber niemals aus dem inneren Kreis der Herde. Das Fleisch dieser Tiere war delikat. Kolkor hätte unter normalen Bedingungen gerade diese Antilopen ohne Bedenken abgeschossen, um die Überlebenden für die nächsten Tage mit Fleisch zu versorgen. Aber als er die Jagdwaffe hob, zitterten seine Hände unkontrolliert. Er brachte es nicht fertig, das Feuer auf die wehrlosen Tiere zu eröffnen. Verwirrt ließ er die Waffe sinken. Er sah sich nach seinen Gefährten um. Sechs Männer hatten ihn begleitet, und auf allen Gesichtern sah er dieselbe Mischung von Unglauben und Furcht. Die anderen waren fast erleichtert, als Kolkor die Waffe sinken ließ und wieder nach dem Fernglas griff. Einige riesenhafte, zottige Wesen erregten seine Aufmerksamkeit. Es waren Sechsbeiner, die lange, stachelbewehrte Schwänze hinter sich herzogen. Die Entfernung sagte ihm, daß er eine ideale Beute vor sich hatte. Wenn es ihnen gelang, ein einziges dieser Tiere zu erlegen, hatten sie einen Fleischvorrat für mehrere Tage. Er fühlte Erleichterung bei dem Gedanken, kein Blutbad unter den wehrlosen Herden anrichten zu müssen. Wieder hob er die Waffe, nachdem er seinen Begleitern ein Zeichen gegeben hatte. Sie wußten nun, welches Tier er sich als Beute gewählt hatte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, daß sie ihre Waffen griffbereit hielten. Falls er daneben schoß, würden die anderen eingreifen. Und wieder spürte er inneren Widerstand, als er versuchte, den Schuß abzugeben. Er biß die Zähne zusammen und zwang sich mit aller Gewalt, den Finger zu krümmen. Dicke Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. Das Bild des zottigen Giganten in der Zieloptik verzerrte sich und floß auseinander. Er merkte, wie seine Hände zu zucken begannen, und eine unkontrollierte Bewegung ließ den Lauf der Waffe zur Seite schwenken. Der grelle Strahl ionisierter Ga-
Marianne Sydow se huschte über die staubtrockene Ebene und ließ eine lange Reihe von Flammen hochschlagen. Im selben Augenblick erlosch der unheimliche Einfluß, und Kolkor fühlte sich frei. Sekundenlang war er auch dann noch starr vor Entsetzen. Er hatte mit dem Schuß eine Brandspur gelegt, die genau auf das etwas über einen halben Kilometer entfernte Lager wies. Der Staub, zu dem die Pflanzen zerfallen war, brannte wie Zunder. Binnen kürzester Frist loderte eine Wand von Flammen auf. Sie hatten sich in einem Bogen der Herde genähert. Die Tiere sollten die herannahenden Jäger nicht wittern. Jetzt hatten sie den Wind anscheinend doch falsch berechnet. Die Flammen trieben genau auf das Lager zu. »Alarm!« schrie Kolkor mit überschnappender Stimme in das Mikrophon, das ihn mit den Zurückgebliebenen verband. »Ein Brand nähert sich dem Lager!« »Sie haben es längst bemerkt«, versicherte Borgh. Die Herde war in Bewegung geraten. Die Echsen schlugen mit den langen Schwänzen um sich. Die winzigen Pelztiere rotteten sich zu seltsam disziplinierten Gruppen zusammen. Die ruhenden Antilopen hatten sich erhoben und starrten das Fahrzeug an. »Verdammt, das Lager meldet sich nicht!« stieß Kolkor hervor. »Borgh, wir müssen zurück. Sofort! Fahr, als wäre der Teufel hinter dir her!« Der Transporter ruckte an, schleuderte mit durchdrehenden Gleisketten über einen staubbedeckten Hügel und rutschte auf der anderen Seite ab. Der Boden unter ihnen hob sich, der Hügel wuchs. Zuerst glaubten sie, es handele sich um eine Sinnestäuschung, dann aber begriffen sie, daß tatsächlich etwas Seltsames vorging. Der Hügel bäumte sich auf, wurde zu einer Wand und neigte sich im oberen Teil über. Wie eine riesige Weile stand er hinter dem Transporter, dessen Gleisketten leer durchliefen, weil er sich in einer Staub-
System des Todes schicht verfangen hatte, dessen Tiefe ungeheuer sein mußte. Angstvoll starrten die Männer durch das Kuppeldach nach oben, darauf gefaßt, daß dieser Brecher aus Felsen und Staub sie unter sich begrub. Kolkor stieß in wilder Panik Borgh zur Seite. Er riß das Seitenfenster neben dem Fahrersitz auf und richtete den Impulsstrahler auf den Staub. Einige Male zog er durch. Das feine, pulverige Material fing sofort Feuer. Rauch drang durch das geöffnete Fenster herein. Kolkor krümmte sich in einem Hustenanfall, dann riß er sich zusammen. Wieder gab er einen Schuß ab. Diesmal traf er den überhängenden Teil des Hügels. Steine und Erdmassen lösten sich und polterten in die Flammen. Ruckweise sank der Transporter tiefer. Unter den Gleisketten loderten Flammen hervor. Mit einem Griff ließ Kolkor die Klimaanlage anlaufen. Gleichzeitig schloß sich der Transporter von der Umwelt hermetisch ab. Die Schutzhülle würde zwar auf die Dauer den schnell ansteigenden Temperaturen nicht trotzen, aber der Arkonide hoffte, daß es reichen würde. Er war fast blind. Seine Augen tränten. Nur allmählich wurde der eingedrungene Rauch aus der Kabine gesaugt und durch die Filter festgehalten. Aber auch als die Luft innerhalb des kleinen Raumes klar wurde, sah der Arkonide fast nichts. Er hatte keine Zeit, sich um sie zu kümmern. Vor ihm, jenseits der extrem widerstandsfähigen Sichtscheibe, mischten sich Rauch und Flammen. Er konnte keine zwei Schritt weit sehen, aber er ließ sich nicht beirren. Behutsam berührte er den Fahrtschalter. Er schrie triumphierend auf, als die Gleisketten faßten und das Fahrzeug mit einem leichten Ruck nach vorne zogen. Seine Rechnung war aufgegangen. Der Staub war verbrannt, und darunter lag fester Boden. Er steuerte den Transporter von dem gefährlichen Hügel weg. Dabei war er auf seinen Orientierungssinn angewiesen. Eine zusätzliche Richtschnur bildeten die Steine, die immer wieder auf das durchsichtige Kuppel-
43 dach herabprasselten. Sie wurden allmählich weniger zahlreich, dann blieben sie aus. Den Einflußbereich der steinernen Welle hatten sie also verlassen. Aber wo lag der Rand des Feuers? Die Gleisketten rumpelten lautstark. Panikerfüllte Schreie erklangen hinter ihm. Er schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit, obwohl es ihn wunderte, daß diese erfahrenen Männer auf eine Gefahrensituation so unbeherrscht reagierten. Dann allerdings wurde er mißtrauisch. Er wandte die Augen von den Kontrollen und drehte sich um. Winzige, krabbelnde Dinger huschten durch den hinteren Teil der Kabine. Sie glitzerten in allen Farben und waren halb durchscheinend, wie Edelsteine sahen sie aus. Aber es waren tödliche Juwelen. Sie senkten ihre scharfen Stacheln in die Haut der ungeschützten Körperpartien und klammerten sich fest. Die Schmerzen, die diese Stiche hervorriefen, mußten entsetzlich sein. Fünf der Männer, die Kolkor begleitet hatten, wanden sich schreiend am Boden. Vergeblich tasteten sie nach den glitzernden Ungeheuern. Die Biester saßen fest und waren widerstandsfähig genug, um sich auch durch Schläge nicht beeindrucken zu lassen. Kolkor begriff, daß er für diese Leute im Augenblick nichts tun konnte. Er hoffte, daß es sich bei den insektenähnlichen Tieren um Blutsauger handelte, die ihre Opfer nach der Sättigung in Ruhe ließen. Klar, daß die Glitzerdinger nur eine von vielen Gefahren darstellten. Sie mußten aus diesem Gebiet heraus! Noch waren die kleinen Ungeheuer hinten beschäftigt. Wahrscheinlich waren sie in dem Augenblick durch eine geöffnete Luke eingedrungen, als Kolkor auf das Zotteltier zielte. Er mußte verhindern, daß sie bis zu ihm vordrangen. Er und Borgh waren die einzigen, die noch fähig waren, den Transporter zu steuern. »Das dürfen Sie nicht!« schrie Borgh entsetzt auf, als Kolkor einen roten Schalter herunterschlug. »Sie verurteilen sie damit zum Tode.«
44 »Wir werden bald alle sterben, wenn wir noch länger hierbleiben!« knurrte Kolkor wild, während sich hinter ihm die Trennwand bildete, die den Steuerstand von der restlichen Kabine hermetisch abschloß. Die kurze Pause, in der der Transporter auf dem Fleck stehengeblieben war, hatte ausgereicht, um die Temperaturen in der Fahrzeughülle und in der Kabine hochzujagen. Die Kontrollen faßten sich bereits gefährlich heiß an. Eine Wand aus Flammen hatte sie eingeschlossen. Kolkor wußte nicht mehr genau, welche Richtung sie nehmen mußten. Sie mußten aber weiter, selbst auf die Gefahr hin, im Kreis zu fahren und letztlich doch mit der steinernen Welle zu kollidieren. Brummend setzte das schwere Fahrzeug sich wieder in Bewegung. Es durchstieß die Flammen, gelangte auf ein schwelendes, von dichten Rauchwolken überwogtes Gebiet aus braunschwarzer Erde. Ein Felsblock tauchte aus den Schwaden auf. Kolkor konnte sich nicht daran erinnern, ihn auf der Hinfahrt gesehen zu haben. Er umfuhr das Hindernis. Dahinter war der Boden glatt, teilweise glasig, als wäre die Erde unter hohen Temperaturen geschmolzen. Er begriff, daß in dieser Umgebung nichts mehr normal war. Alles änderte sich und konnte sich blitzschnell in eine tödliche Falle verwandeln. Endlich rissen die Schleier aus Staub und Rauch auf. Borgh stöhnte unterdrückt, als er sah, daß sie mit hoher Geschwindigkeit genau in die Herde hineinfuhren. Die Tiere blickten dem Fahrzeug mit gesenkten Köpfen entgegen. Warum waren sie überhaupt noch da? Hatten sie keine Angst vor dem Feuer? Kolkor hantierte wie besessen an den Kontrollen. Die Gleisketten rutschten und schleuderten, aber der Transporter wurde immer schneller und hielt seine Fahrtrichtung ein. »Das Steuer ist blockiert!« sagte er hastig. »Wir müssen hinaus!« Borgh warf einen Blick auf die Trenn-
Marianne Sydow scheibe. Dahinter war es still geworden. Starre Augen blickten ihn aus blutleeren Gesichtern an. Schaudernd wandte er sich ab. Er tastete nach dem kleinen Hebel, der die Fahrerkabine absprengte und hochschleuderte. Kolkor schloß die letzten Gurte um seinen Körper, dann nickte er seinem Gefährten zu. Der Ruck der plötzlichen Beschleunigung preßte die beiden Männer tief in die weichen Polster zurück. Sie schossen in steilem Winkel in den rostroten Himmel hinauf. Stotternd setzte das kleine Separattriebwerk ein, das die Kapsel begrenzt manövrierfähig machte. Unter ihnen raste der Transporter weiter. Während Kolkor die Steuerung übernahm, starrte Borgh fassungslos nach unten. Die Tiere wichen nicht einen Zentimeter von der Stelle. Regungslos warteten sie, bis das schwere Fahrzeug heran war. Es riß eine breite Bresche in die Reihen bepelzter, geschuppter und gefiederter Wesen. Eine breite Spur aus zermalmten Tierkörpern blieb zurück. Als der Transporter den entgegengesetzten Rand der Herde erreicht hatte, schloß sich diese Gasse. Die Tiere drängten sich wieder aneinander. Von dem stählernen Ungetüm, das mit heulenden Motoren davonraste, nahmen sie keine Notiz. »Verdammt!« knurrte Kolkor. Borgh zuckte zusammen und konzentrierte sich auf das, was vor ihnen lag. Hinter dicken Qualmwolken fast verborgen entdeckte er die VALKARON. Sie flogen ziemlich genau auf das Beiboot zu. Und unten raste der wildgewordene Transporter in genau dieselbe Richtung. Wenn das Fahrzeug gegen eine der Landestützen prallte, konnte es das kleine Schiff beschädigen. »Wir müssen es anhalten«, stieß Borgh entsetzt hervor. Kolkor lachte humorlos. »Wie?« In der hinteren Kabine gab es eine Notsteueranlage. Damit konnte man zwar das Fahrzeug nicht zu schwierigen Manövern zwingen, aber wenigstens ließ es sich anhal-
System des Todes ten. Das Problem war nur, daß die Männer, die noch in dem Transporter waren, offensichtlich von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machten. Wahrscheinlich hatten die kleinen fliegenden Dinger sie alle getötet. »Schaffst du es, auf dem Dach zu landen?« fragte Borgh. »Ich kenne mich mit diesem Miniaturgleiter ganz gut aus, aber was du da verlangst, wäre etwas für einen Kunstpiloten.« »Wenn wir es nicht schaffen, zerstört der Kasten das letzte Fluchtmittel, das wir noch haben!« Kolkor ging schweigend tiefer. Noch hatten sie ein wenig Zeit. Er machte sich jedoch keine Illusionen. Was Borgh vorhatte, konnte einfach nicht gelingen. Bei dem Tempo, mit dem der Transporter über den unebenen Boden rumpelte, konnte kein Arkonide auf der Außenhülle herumturnen, geschweige denn die Seitenwand erreichen, von der aus der Türkontakt zu betätigen war. Er versuchte es trotzdem. Denn auch ihm war klar, daß sie das Fahrzeug aufhalten mußten. Selbst wenn, sie dabei ihr Leben ließen. Die VALKARON bot die einzige Garantie dafür, daß wenigstens die letzten Überlebenden dieser unheilvollen Expedition den teuflischen Planeten jemals verlassen konnten. Mühsam brachte er die unbeholfen reagierende Kapsel über das Fahrzeug. Er konnte die Geschwindigkeit ausgleichen, aber das Schlingern des Transporters ließ sich mit dem Notfluggerät nicht ausgleichen. Neben ihm machte sich Borgh zum Absprung fertig. Er trug einen flugfähigen Anzug, und mit dessen Hilfe konnte er es vielleicht schaffen … »Wenn es schiefgeht, mußt du das Fahrzeug zerschießen«, sagte Borgh, ehe er aus der geöffneten Luke sprang. Die Kapsel reagierte auf die Gewichtsveränderung mit einem wilden Bocken. Kolkor hatte alle Hände voll zu tun, um den Flug wieder etwas ruhiger zu gestalten. Als er den nächsten Blick nach unten riskieren konnte, stellte er fest, daß Borgh den ersten Teil des
45 Vorhabens hinter sich gebracht hatte. Der Arkonide klebte wie eine Fliege auf dem durchsichtigen Kuppeldach. Dort gab es nichts, woran er sich festhalten konnte. Dennoch schob er sich mit erstaunlich geschickten Bewegungen langsam nach vorne. Dort, wo die Fahrerkabine verankert gewesen war, hatte sich eine kleine Plattform gebildet. Aus dem Dunst tauchte eine Landestütze auf. Die VALKARON war jetzt sehr nahe. Kolkor stellte beinahe unbeteiligt fest, daß die Zeit nicht mehr reichte. Die Lautsprecher des Beiboots sandten dröhnende Musik zu ihm herüber. Ein schrilles Lachen folgte. Er beugte sich vor und schrie Borgh eine Warnung zu. Der Arkonide hörte ihn nicht, aber zufällig sah auch er das Hindernis, auf das der Transporter zuraste. Er gab seinen Plan auf und stieß sich ab. Während er schräg nach oben flog, zog Kolkor den Impulsstrahler. Aber er kam nicht zum Schuß. Von der VALKARON zuckte ein sonnenheißer Strahl herüber. Weder Kolkor noch Borgh kamen dazu, den nahenden Tod verstandesmäßig zu erfassen. Sie starben in demselben Augenblick, in dem der Transporter sich in eine glühende Masse verwandelte, die, von ihrer ursprünglichen Geschwindigkeit getrieben, haarscharf an der Landestütze vorbeischleuderte, wenige Meter von der Bodenschleuse entfernt zum Stillstand kam und von dort aus erstickende Schwaden von stinkendem Rauch dem einsamen Schützen entgegensandte, der noch immer die stummen Zeugen seiner Wahnsinnstag bewachte. Zenkoorten hustete krampfhaft. Für lange Minuten war er blind vom Rauch und von den Tränen, die ihm in die Augen schossen, während seine Lungen sich zusammenkrampften. In seinem letzten lichten Moment sah er die Flammen, die unter dem Boot hochzüngelten. Er drückte auf einen Schalter, dann sank er erschöpft zu Boden. Die Löschautomatik nahm ihre Arbeit auf und erstickte den Brand unter einer dicken Schicht klebrigem Schaum.
46
Marianne Sydow
8. Vom Dach der Baracke aus beobachteten Toschmol und einige andere Arkoniden den Transporter, der sich in einem leichten Bogen den Tieren näherte. »Wenn das nur gutgeht!« murmelte Swann vor sich hin. »Sie sind ein hoffnungsloser Schwarzseher«, kommentierte Vrenaja Zortain, die sich ebenfalls mit einem Fernglas bewaffnet hatte. »Sie rechnen doch auch damit, daß etwas Unerwartetes geschieht«, konterte der Bärtige. »Sonst wären Sie wohl kaum hier heraufgekommen.« Sie schwieg und starrte zu dem Fahrzeug hinüber. Von hier aus sah es beinahe zerbrechlich aus. Jetzt hielt es an. Es dauerte endlos lange, bis die Jäger zu einer Entscheidung gelangten. Dann endlich schob sich der Lauf einer schweren Waffe aus dem Sichtfenster. Aber der Schütze schien immer noch zu zögern. Die Waffe schwenkte weiter. »Ich verstehe Kolkor nicht«, brummte Toschmol. »Es ist doch wahrhaftig nicht schwierig, da ein Ziel zu finden …« Der Schuß löste sich. Vrenaja Zortain schrie erschrocken auf. Eine lange Bahn aus Flammen stand plötzlich zwischen dem Lager und dem Fahrzeug. Sekundenlang standen sie wie erstarrt da, dann begannen sie zu rennen. Jedem war klar, daß sie schnell und gezielt handeln mußten. Als sie die Treppe hinuntergepoltert waren, hatten die, die sich unten aufhielten, bereits die ersten Maßnahmen getroffen. Aus schweren Behältern zischten Schaumstrahlen hervor und legten einen Ring um die drei Hütten, den das Feuer nicht durchdringen konnte. Aber es würde vielleicht darüber hinwegspringen! »Drei Gruppen zu je zehn Mann übernehmen die Gebäude!« befahl Toschmol, der trotz der heranrasenden Feuerwand erstaunlich ruhig blieb. »Alle anderen an den Ring.
Er muß noch breiter werden.« Sie verteilten sich schnell, aber ohne Panik. Toschmols Ruhe strahlte auf sie aus und verhinderte, daß sie sich der Furcht hingaben. Aber auch der Wissenschaftler wußte, daß diese Ruhe schnell zerbrechen konnte. Während er neben einem verschwitzten, mit einer halbzerfetzten Uniform bekleideten Arkoniden an der Erweiterung des Feuerdamms arbeitete, dachte er bereits an das, was noch folgen mochte. Wenn das Feuer sich mit dieser Geschwindigkeit weiter ausbreitete, würde es die VALKARON erreichen. Und die Schleuse stand offen! Ein paar Meter entfernt entdeckte er Swann. Der Bärtige ließ den Schaumkanister im Stich, als Toschmol ihn zu sich heranwinkte. Schweigend liefen die beiden Männer in eine der Baracken hinein. »Wir müssen zum Boot«, erklärte Toschmol keuchend. Swann verstand sofort. Er riß zwei flugfähige Anzüge von ihren Haken und warf dem Wissenschaftler einen davon zu. Ein Fahrzeug besaßen sie nicht. Der Transporter, in dem Kolkor zur Jagd aufgebrochen war, hatte das Chaos als einziger überstanden. Sie flogen durch die herantreibenden Rauchwolken. Die Sicht wurde so schlecht, daß sie sich bei den Händen hielten, um sich nicht zu verlieren. Zum Glück konnten sie sich an den unter ihnen liegenden Hütten orientieren. »Der Brand reicht noch nicht so weit«, stellte Swann erleichtert fest, als sie die Mitte des Lagers überquerten. Links von ihnen stand die VALKARON. Der Qualm war wie eine Mauer zwischen ihr und dem Punkt, an dem die Herde und der Transporte! sich befinden mußten. Außerhalb der direkten Gefahrenzone war die Luft erstaunlich klar. Deutlich sahen sie das silbrig schimmernde Kugelschiff. Weit entfernt glänzten die rötlichen Schneegipfel des Gebirges. Dazwischen ragten glühende Säulen in den Himmel – die Pfeiler schienen ihre Aktivität noch zu verstärken. »Was ist das?« fragte Toschmol verwun-
System des Todes dert. Er hielt in der Luft an und schwebte auf der Stelle. Von einem der Türme löste sich eine Rauchwolke. Sie schraubte sich als dünne, helle Spirale höher und höher hinauf, nahm dann unverkennbar Pfeilform an und strebte scheinbar genau auf sie zu. »Auf jeden Fall keine angenehme Überraschung«, vermutete Swann. »Wir müssen weiter!« Er warf einen Blick auf die Wand aus Rauch und Flammen, die den Blick zur anderen Seite versperrte, und stutzte. »Ich muß übergeschnappt sein!« flüsterte er fassungslos. »Oder sehen Sie es auch?« Wenige Meter von den äußersten Flammen entfernt, schossen smaragdgrüne Schläuche aus dem mit grauem Staub bedeckten Boden. Winzige Blätter bewiesen, daß es sich um Pflanzen handelte. Sie wuchsen mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit. Das Feuer kam zum Stillstand. Selbst der Rauch breitete sich nicht über die Sperre aus Pflanzenschläuchen hinweg aus. Die grünen Dinger wurden immer zahlreicher. Sie wanden sich wie Schlangen über den heißen Boden und strebten genau auf die Flammen zu. Das Feuer erlosch! Unaufhaltsam wurde der Brand zurückgedrängt. Aus den grünen Schläuchen schossen dünne Strahlen von wasserheller Flüssigkeit. Sie verwandelten den Boden hinter der lebenden Feuersperre in zähen Schlamm, während vor den Pflanzen die Flammen in sich zusammensanken. Die beiden ungleichen Männer waren so in das Geschehen vertieft, daß sie erst nach Minuten das metallene Ungetüm entdeckten, das an einer anderen Stelle, in gefährlicher Nähe der VALKARON, aus dem Rauch hervorraste. »Der Transporter!« schrie Swann entsetzt. »Verdammt, warum weichen die Kerle denn nicht aus?« Sie vergaßen das Rätsel der feuerlöschenden Pflanzen und schalteten wie rasend die Flugaggregate hoch. Aber sie wußten, daß
47 sie zu spät kommen mußten. Die Entfernung war noch zu groß, und das schwere Fahrzeug rumpelte mit Höchstgeschwindigkeit auf eine Landestütze zu. Sie sahen deutlich, daß die Fahrerkanzel abgesprengt worden war, und sie begriffen nicht, warum das führerlose Fahrzeug nicht anhielt. Swann hielt den Impulsstrahler in der Hand und hoffte verzweifelt, daß er das Fahrzeug zerstören konnte, ehe es das Beiboot erreichte. Dann entdeckte er die kleine, schwankende Kapsel, die dicht über dem deformierten Transporter schwebte. Er war beinahe auf Schußweite heran, als die Leute, die die VALKARON besetzt hielten, die Gefahr erkannten. Sekunden später war es vorbei. Swann schwebte neben dem Wissenschaftler, als die Löschautomatik ihre Arbeit aufnahm und den Boden unter dem Bootskörper mit einer dicken Schaumschicht bedeckte. Die Flammen erstickten sofort. Von dem Fahrzeug blieb nur ein zerschmolzener Klumpen übrig, der sich dunkel unter der Löschmasse abzeichnete. Die kleine Flugkapsel war verschwunden. »Jetzt haben wir kein Fahrzeug mehr«, bemerkte Toschmol. »Und wir wissen mit Sicherheit, daß in der VALKARON immer noch jemand ist, der das Boot bewacht.« »Von den Männern, die in dem Transporter waren, reden Sie nicht, wie?« erkundigte Swann sich bitter. »Sie sind tot«, erwiderte Toschmol. »Das kann ich nicht ändern. Die Gefahr ist auch für uns noch lange nicht vorbei. Ehe wir nicht die Schlackewelt erreicht und Klinsanthor gefunden haben, wird es keinen sicheren Ort für uns geben, weder auf LOIPOS noch in der VALKARON.« »Falls es uns gelingt, das Beiboot zu erobern und in den Raum zu starten, werden Sie niemanden finden, der sich zu einem solchen Unternehmen bereit erklärt. Dieses System ist verflucht. Wenn wirklich Klinsanthor hinter all dem steckt, dann ist er entweder ein böser Geist oder ein Wahnsinniger. Ich lege nicht den geringsten Wert darauf,
48 ihn kennenzulernen.« »Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben«, bemerkte Toschmol spöttisch. »Wie meinen Sie das?« fragte Swann scharf. »Was wissen Sie Toschmol?« »Nichts. Ich vermute nur einiges.« Swann starrte den Wissenschaftler lange an, dann nickte er grimmig. »In einem Punkt hatte Zenkoorten recht«, murmelte er. »Sie sind ein Fanatiker. Aber warten wir ab, wie die Entscheidung ausfällt. Sie werden auch noch ein paar Überraschungen erleben!« Toschmol verzichtete auf eine Antwort. Sie schwebten in die Richtung zurück, in der die letzten Überlebenden sich gegen das Feuer zur Wehr setzten. Schon von weitem sahen sie, daß auch dort die merkwürdigen Pflanzen eingegriffen hatten. Es schien, als würden die Gewächse auch dem Rauch gewachsen sein, denn die Sicht wurde schnell besser. Als sie tiefer gingen und nur noch etwa hundert Meter von den Baracken entfernt waren, hörten sie das Rauschen. Es übertönte das Knistern und Prasseln der Flammen und die immer noch herüberhallenden Geräusche aus den Lautsprechern des Raumschiffs. Es wuchs zu einem hohlen Brausen, als nahe ein Sturm von ungeheurer Stärke. Aber gleichzeitig erlosch sogar der leichte Windhauch, der bisher die Hitze ein wenig gemildert hatte. Unten im Lager hörte man es auch. Wie gelähmt starrten die Männer und Frauen in den Himmel des fremden Planeten hinauf. Swann und Toschmol wandten die Köpfe. Die Wolke! Sie hatten sie über den anderen Ereignissen vergessen. Inzwischen war sie in schnellem Flug näher gekommen. Noch immer sah sie wie ein gigantischer Pfeil aus, aber jetzt war deutlich auszumachen, daß sich dieses unheimliche Gebilde aus unzähligen kleinen Körpern zusammensetzte. Die Wolke veränderte sich. Die Spitze teilte sich in sechs Äste auf, die wie die Finger einer gigantischen Hand ausstrahlten und sich nach unten krümmten. Einer dieser
Marianne Sydow Finger zielte auf den Rand des Barackenlagers. Die Rauchwolken zogen sich zu einem dunklen Ball zusammen und krochen in die Ebene hinaus. Swann beobachtete, starr vor Entsetzen, daß dort draußen, auf einer Fläche, die wie durch ein Wunder von dem Feuer verschont geblieben war, die Tiere standen. Sie hatten die Köpfe gehoben und blickten der Wolke entgegen. Die Hügel im Hintergrund krümmten sich und bäumten sich wie die Wellen eines Meeres auf. Die Sonne durchbrach den Schleier aus Rauch und Staub. Unheimliches, blutfarbenes Licht ergoß sich über die Kutten, die VALKARON und die zum Leben erwachende Oberfläche des Planeten. Als die ersten winzigen, glitzernden Punkte sich aus der Wolke lösten, riß Swann den Schalter seines Fluggeräts herum. Er packte Toschmol am Arm und riß ihn mit sich, nach unten, den schützenden Baracken entgegen. In panischer Angst strebten auch die anderen in die Hütten. »Sehen Sie doch!« stieß Toschmol hervor. »Die Tiere!« Ein Regen aus bunten Dingern ging über der Herde nieder. Es war, als würden die Tiere von Juwelen überflutet. Aber wo immer die glitzernden Bestandteile der Wolke auf lebende Körper trafen, ging eine Wandlung mit ihnen vor. Die Tiere brachen unter der Last zusammen, schrumpften und wurden selbst zu kristallinen Klumpen, die mit dumpfem Knacken zerbarsten und neue Glitzerdinger hochschleuderten … »Bleiben Sie hier, Sie Narr!« schrie Swann den Wissenschaftler an, der sich zögernd in Bewegung setzte und der Stätte der Verwandlung entgegenstrebte. Toschmol schien ihn nicht zu hören. Der Bärtige packte ihn an der Schulter, aber er wurde zur Seite geschleudert. Verblüfft richtete er sich auf. Toschmol hatte den Gürtel der Schlauchpflanzen, fast erreicht. Swann zog den Paralysator und schoß. Er sah, wie Toschmol zusammenbrach, dann hörte er Schritte und drehte sich um. Sie kamen aus den Baracken heraus, und
System des Todes in ihren Gesichtern war ein Ausdruck, den Swann nicht kannte. Der Wahnsinn leuchtete aus unzähligen Augen. Glitzernde Juwelen kreisten durch die Luft, senkten sich herab und hefteten sich wie Schmuckstücke auf die zerschlissenen Kombinationen. Er schoß. Verzweifelt warf er sich den Männern und Frauen entgegen, die mit offenen Augen in den Tod zu rennen gedachten. Er feuerte auf alles, was sich bewegte. Die lähmenden Strahlen trafen auch die fliegenden Kristalle, konnten ihnen jedoch nichts anhaben. Aber er stellte fest, daß die Arkoniden, die gelähmt zu Boden sanken, von den unheimlichen Flugobjekten verschont blieben. Die Steine lösten sich von den starren Körpern, kurvten verwirrt herum und strebten dann der Hauptwolke entgegen. Zehn, zwanzig Gestalten lagen regungslos am Boden. Von rechts hörte er das Zischen einer anderen Waffe. Er hatte keine Zeit, sich umzusehen, aber er hörte die helle Stimme der Astronomin. Warum unterlag sie dem unheimlichen Bann nicht? Warum wurde er davon verschont? Wieder brach einer der Schiffbrüchigen zusammen. Aber dieser Mann war den Schlauchpflanzen bereits zu nahe gekommen. Von Grauen geschüttelt, sah Swann, wie der zähe Schlamm aufkochte. Dünne Strahlen von Flüssigkeiten ergossen sich über den Körper und lösten ihn auf. Hinter ihm war ein Geräusch. Er wirbelte herum und sah einen schneeweißen Kopf, der neben der Barackenwand erschien. Große, dunkle Augen starrten Swann an, dann schoß mit rasender Geschwindigkeit ein schlanker, mit weißem Fell bedeckter Körper an ihm vorbei. Er warf sich zur Seite, aber einer der harten Hufe erwischte ihn noch in der Hüfte. Er krümmte sich vor Schmerzen. Durch die roten Schleier, die vor seinen Augen wallten, sah er das Tier. Es übersprang die Schlauchpflanzen in einem unglaublich weiten Satz. Die Hufe trommelten über den verbrannten Boden, wirbelten Staub und Erde hoch. Von oben lösten sich ganze Scharen der glitzernden
49 Kristalle aus der Wolke. Das weiße Tier warf den Kopf hoch und stieß einen lauten Schrei aus. Dann warf es sich auf den Hinterbeinen herum und hetzte am Rand des Lagers entlang. Es kam nicht weit. Schon nach wenigen Sprüngen knickten die sehnigen Läufe ein. Der weiße Körper krachte schwer auf den Boden. Eine Wand aus bunten, durcheinander quirlenden Dingern schob sich zwischen Swann und das Tier. Swann zog sich stöhnend an der Wand hoch, stützte sich schwer mit den Händen ab und wankte der dunklen Türöffnung entgegen. Jemand packte ihn an der Schulter und zog ihn in das Innere der Baracke. Er fiel auf ein Bündel Decken und blieb halb bewußtlos liegen. »Trinken Sie!« Die Stimme hallte unnatürlich laut in seinen Augen. Er zwang die Lider auseinander und sah Vrenaja Zortain, die sich über ihn beugte und ihm einen Becher mit sauer riechender Flüssigkeit an die Lippen hielt. Er öffnete den Mund. Das Zeug brannte wie Feuer in seiner Kehle und schickte eine Glutwelle durch seinen Körper. Hilflos ließ er sich zurücksinken. Allmählich klärten sich seine Gedanken. Er mußte ohnmächtig geworden sein. Aber wie lange? Was war inzwischen geschehen? Das Medikament wirkte schnell. Die Schmerzen verflogen, und seine Kräfte kehrten zurück. Vorsichtig richtete er sich auf. Er sah die junge Frau, die keuchend an einem starren Körper zerrte. Wortlos griff er zu und half ihr, den Gelähmten in die Baracke zu schaffen. Sie lief sofort wieder hinaus, und er folgte ihr. Es war fast dunkel. Die Scheinwerfer erhellten die unmittelbare Umgebung der Baracke. Dahinter begann eine formlose Dunkelheit. Nur manchmal tauchten schemenhafte, weiße Körper an der Grenze zwischen Licht und Finsternis auf. Aber er hörte das Rauschen der tödlichen Wolke und das Trommeln unzähliger Hufe. Dort war die Hölle los. Sechsundzwanzig Körper lagen regungslos innerhalb der Lichtzone.
50
Marianne Sydow
»Das schaffen wir nicht!« keuchte Swann, während sie gemeinsam einen Paralysierten in die Baracke trugen. Die Arkonidin sah ihn über den starren Körper hinweg an. »Wir müssen es tun!« sagte sie hart. »Es ist doch sinnlos!« rief Swann wild. »Wir haben keine Chance mehr. Dieser Planet ist verrückt geworden!« »Die Lautsprecher sind verstummt!« Er hätte fast den Gelähmten fallen lassen, als er den Sinn dieser Bemerkung begriff. Die VALKARON! Dann kam die Ernüchterung. Wenn die Lautsprecher schwiegen, war das noch lange keine Garantie dafür, daß die Gefahr nun vorbei war. Und selbst wenn – sie konnten die Männer und Frauen, die den Angriff der Kristalle überstanden hatten, nicht bis zum Beiboot tragen. Es würde Stunden dauern, bis sie aus der Starre erwachten. So lange waren sie völlig hilflos. Er sah außer Vrenaja niemanden, der bei Bewußtsein war. Ihm war absolut klar, daß sie verlieren mußten. Nur ein Wunder konnte sie retten. Dennoch machte er weiter. Sie schufteten wie die Besessenen, dann hatten sie alle Überlebenden in der Baracke untergebracht. Sie setzten sich neben die halbgeöffnete Tür, hielten die Waffen in der Hand und warteten schweigend darauf, daß draußen etwas geschah. Irgend etwas, das es ihnen ermöglichte, diese Hütte zu verlassen und in das Beiboot zu fliehen.
* Zehn Stunden starrten sie auf die veränderte Ebene hinaus. Die Wolke war verschwunden. Mit den Kristallen waren auch die Tiere verschwunden, die Pflanzen, alles, was gelebt hatte. Nur Steine, Sand und Felsen blieben zurück. Die Hügel schoben sich ineinander und hoben und senkten sich langsam, als atmeten sie. Merkwürdigerweise blieb das Lager von diesen Vorgängen verschont. Es war ein merkwürdiges Gefühl, diese rollenden Berge zu sehen und dabei
selbst festen, sicheren Boden unter den Füßen zu spüren. »Die Türme glühen immer stärker«, sagte Toschmol leise. Er war inzwischen aus der Starre erwacht, und seltsamerweise erinnerte er sich an nichts mehr. Er konnte nicht sagen, warum er versucht hatte, zu der Herde der wartenden Tiere zu kommen. »Es wird Zeit«, nickte Swann. Dreißig Männer und sechs Frauen hatten außer ihm das Chaos überlebt. Sie drängten sich in der Baracke zusammen, aber sie wußten genau, daß sie die Sicherheit dieses Gebäudes nicht länger in Anspruch nehmen durften. Sie beluden sich mit den wenigen Ausrüstungsgegenständen, die noch brauchbar waren. Die beiden anderen Hütten waren von den Tieren überrannt worden. Swann schüttelte sich, als er sich erneut an die Flut von Lebewesen erinnerte, die – wie von einer alles beherrschenden Macht getrieben – zusammengeströmt waren, um den Kristallen zum Opfer zu fallen. Der Morgen brach an, als sie sich auf den Weg machten. Ein dunkelroter Schimmer überzog den Himmel. Dort, wo der Fluß war, stiegen Dampfwolken auf. Eine kleine Wolke trieb über die langsam ruhiger werdenden Hügel und ließ einen Schauer heißer Wassertropfen auf die Arkoniden herabprasseln. Die Überlebenden von der PROTALKH stapften wie Automaten durch den Schlamm. Neben ihnen zerbröckelten die Kunststoff wände der Hütten, brachen mit einem leisen Rascheln zusammen und erfüllten die Luft mit ätzendem Staub. Der Weg war nicht weit, aber sie brauchten Stunden, um endlich die VALKARON zu erreichen. Erschöpft blieben sie stehen und starrten das Beiboot stumpfsinnig an. Sie waren zu müde, um sich noch freuen zu können. Toschmol riß sich mühsam zusammen. Er war jetzt der Leiter dieser kleinen Gruppe. Seine Vollmachten gaben ihm das Recht, Befehle zu erteilen. Er wußte, daß er auf einem sehr wackeligen Posten stand. Diese Leute waren nicht mehr bereit, sich willen-
System des Todes los jeder Autorität zu beugen. »Sie beide geben mir Feuerschutz!« wandte er sich an die beiden Arkoniden, die neben ihm standen. »Aber geben Sie acht, daß Sie das Boot nicht beschädigen!« Sie nickten schweigend und hoben die Waffen. Er schritt langsam auf die VALKARON zu. Die Lautsprecher waren stumm geblieben, aber das konnte alles mögliche bedeuten. Als er die kritische Distanz erreichte, zögerte er kurz, aber dann dachte er an die anderen, die ihn beobachteten. Wenn er sich eine Blöße gab, war sein Spiel aus. Sie würden sich von ihm abwenden, wenn er versagte. Die VALKARON ragte wie ein silbernes Ungeheuer vor ihm auf. Die vier Landestützen kamen ihm wie die Beine einer lauernden Spinne vor. Noch ein Schritt, dann war er unter dem Boot. Jetzt konnte er in die Schleuse hineinsehen. Die Kammer schien leer zu sein. Er atmete auf. Der Schaum, den die Löschanlage versprüht hatte, war zu einer zähen, gummiartigen Masse getrocknet, die das Geräusch seiner Schritte dämpfte. Lautlos näherte er sich der Rampe. Er erreichte sie, blieb stehen und zielte nach oben. »Zenkoorten!« schrie er hinauf. »Werfen Sie die Waffe weg und kommen Sie heraus!« Niemand kam. Er wartete eine Weile, ohne auch nur das geringste Geräusch zu hören. Dann glitt er nach oben, warf sich neben die schmale Konsole, deren Kontrollampen ihn zornig anzublinzeln schienen. Er zuckte zusammen, als er den Kommandanten entdeckte. Zenkoorten lag vor dem inneren Schott. Seine rechte Hand hatte sich um einen Impulsstrahler verkrampft. Toschmol schlich sich heran und drehte den Mann mit einem Ruck auf den Rücken. Er fuhr zurück. Die weit aufgerissenen Augen und die verzerrten Gesichtszüge des Toten spiegelten grenzenloses Entsetzen wider. Der Wissenschaftler wandte sich hastig ab, eilte zu der Konsole
51 zurück und schaltete die Sprechanlage an. Seine Stimme hallte dumpf durch das ganze Beiboot. Aber niemand meldete sich. Er eilte nach unten und gab den anderen, die noch immer am Rand des ehemaligen Lagers auf ihn warteten, ein Zeichen.
9. In den Kabinen rings um die Zentrale fanden sie die anderen, die Zenkoorten begleitet hatten. Einige Leichen waren grauenhaft verstümmelt, andere beinahe unversehrt. Eines hatten sie alle gemeinsam: diesen entsetzlichen Ausdruck des Grauens auf den Gesichtern. Sie trugen sie nach draußen, um sie zu begraben. Sie fanden auch andere Spuren, die Tonspulen in der Zentrale, die Schaltung, die das Wiedergabegerät mit den Außenlautsprechern verband, aber es reichte nicht aus, um sich ein Bild davon zu machen, was wirklich in dem Beiboot geschehen war. Sie hatten auch keine Lust, sich mit diesem Rätsel gründlich zu befassen. Der Planet selbst machte ihnen klar, daß sie verschwinden sollten. Die Pfeiler verwandelten sich in Strahlungsquellen, deren Licht so grell war, daß es die Augen blendete. Die Hütten sanken mit zunehmender Geschwindigkeit in sich zusammen. Bald würde nichts mehr darauf hinweisen, daß an diesem Ort Schiffbrüchige eine Unterkunft gebaut hatten. Das letzte Grab war geschaufelt. Sie legten den Toten hinein und vollendeten in verbissenem Schweigen ihre traurige Arbeit. Inzwischen war es Mittag geworden. Der Himmel umschloß die erstarrte Landschaft wie eine glühende Glocke. Die Sonne verbarg sich hinter dem roten Dunst, der die Hitze geradezu sichtbar machte. Die acht Männer, die die Aufgabe übernommen hatten, die Leichen zu bestatten, richteten sich schwer atmend auf, strichen sich den Schweiß von der Stirn und nickten sich zu. »Endlich«, murmelte der eine erleichtert. Sie nahmen ihre Schaufeln und gingen zur
52
Marianne Sydow
VALKARON hinüber, die wie ein seltsamer Fremdkörper zwischen einigen kleinen Hügeln stand, die sich erst in der letzten Nacht an dieser Stelle gebildet hatten. Sie hatten es eilig, in das Schiff zu kommen, denn die Hitze wurde unerträglich. Ein lautes Poltern schreckte sie auf. Sie entdeckten die kleinen Steine, die von den Hügeln herabrollten, und begannen automatisch zu rennen. Auf diesem Planeten hatten sie sich mittlerweile daran gewöhnt, selbst auf scheinbar harmlose Ereignisse mit sofortiger Flucht zu reagieren. Eine Sekunde später dröhnten die Außenlautsprecher los. »Kommen Sie sofort an Bord! Alarmstart erfolgt in einer halben Minute!«
* Jeder befand sich an seinem Platz, und trotz der Tatsache, daß von der ursprünglichen Führungsgruppe der Expedition kaum noch jemand am Leben war, konnten sie die wichtigsten Positionen besetzen. Es war ein glücklicher Umstand, daß viele der Überlebenden umfassend ausgebildet waren. Während das dafür abgestellte Kommando draußen die Toten bestattete, nahm man drinnen eine schelle Überprüfung des Bootes vor. Es stellte sich heraus, daß genügend Vorräte in den Lagern vorhanden waren, um die Besatzung für die nächsten zwei Monate am Leben zu erhalten, wobei diese Frist durch strenge Rationierung noch erweitert werden konnte. Zu ihrer Erleichterung fanden sie in dem kleinen Hangar sogar ein einsatzfähiges Bodenfahrzeug – es erschien unverständlich, warum Zenkoorten es nicht freigegeben hatte. Gegen Mittag fanden sich die Leiter der schnell aufgestellten Aktionsgruppen in der Kommandozentrale zusammen, um über die nächsten Schritte zu beraten. Dabei stand von vornherein fest, daß man sobald wie möglich starten würde. »Wir könnten noch ein paar Tage Ruhe gebrauchen«, sagte Toschmol vorsichtig.
»Auf keinen Fall sollten wir übereilt handeln.« »Einverstanden«, knurrte Swann zu Toschmols Überraschung. »Allerdings schlage ich vor, daß wir uns diese Rast erst dann gönnen, wenn wir dieses System hinter uns gelassen haben. Es wird uns auch gar nichts anderes übrigbleiben, als eine lange Wartezeit in Kauf zu nehmen. Die Triebwerke sind noch für drei Transitionen gut, höchstens vier, aber dann treten bereits Unsicherheiten auf, die wir vermeiden sollten.« Lenth Toschmol lächelte spöttisch. In der beruhigenden Umgebung des Raumschiffs hatte er zu seiner alten Arroganz zurückgefunden. Er fühlte genau, daß auch die anderen sich verändert hatten. Solange sie den Einflüssen von LOIPOS ausgesetzt waren, herrschte Ausnahmezustand – jetzt gewannen die Gesetze Arkons wieder an Bedeutung. »Die Transitionstriebwerke werden wir vorerst nicht brauchen«, erklärte er in seiner schleppenden Sprechweise. »Erst wenn wir den Schlackeplaneten untersucht haben, werden wir diesen Sektor verlassen.« »Sie verlangen doch wohl nicht im Ernst von uns …« »Ich verlange nichts weiter, als daß jeder seine Pflicht tut!« unterbrach Lenth Toschmol den Bärtigen scharf. »Wir haben immer noch einen Auftrag zu erfüllen. Ich persönlich bin dem Imperator Rechenschaft darüber schuldig, ob alles getan wurde, um Klinsanthor zu erreichen. Die vorangegangenen Ereignisse lassen darauf schließen, daß wir den Magnortöter mit großer Wahrscheinlichkeit auf der verbrannten Welt finden werden. Erst wenn wir dort die Gruft nicht entdecken, können wir mit gutem Gewissen nach Arkon zurückkehren.« Swann starrte den Wissenschaftler wütend an, und Toschmol stellte fest, daß auch andere sich seinen Befehlen widersetzen würden. Aber sie schwankten noch. Er hoffte, daß sie rechtzeitig zur Vernunft kommen würden. Im Grunde ging es ihm nicht so sehr darum, Orbanaschols Auftrag zu erfül-
System des Todes len. Die Neugierde hatte ihn gepackt. Er mußte wissen, was es mit dem toten Planeten auf sich hatte! War er wirklich mit der Skärgoth identisch? Er würde es niemals erfahren, wenn er sich nicht durchsetzte. Und er konnte diese Leute nur an einem Punkt fassen: Sie wußten zu genau, daß sie sich in Gefahr begaben, wenn sie sich weigerten, ihm zu folgen. Falls die VALKARON nach Arkon zurückkehrte, reichte ein Wort des Wissenschaftlers, um alle restlichen Überlebenden zu vernichten. Meuterei wurde schwer bestraft – und wer sich einem direkten Befehl des Imperators widersetzte, konnte auf Gnade nicht hoffen. »Wir könnten abstimmen«, bemerkte Swann. Seine Stimme klang heiser vor unterdrückter Wut. Ehe jemand antworten konnte, heulte eine Sirene los. Ein Blick auf die Bildschirme genügte, um ihnen klarzumachen, daß dies nicht die richtige Zeit für eine Diskussion war. Der Planet hatte eine Pause eingelegt. Nun holte er zum nächsten Schlag gegen die Eindringlinge aus. Während Swann über die Lautsprecher die Männer zurückrief, die sich noch draußen befanden, schaltete der Pilot der VALKARON bereits die Notautomatik ein. In fieberhafter Eile trafen die letzten Überlebenden von der PROTALKH die Vorbereitungen zu einem überhasteten Start. Toschmol war der einzige, der nichts zu tun hatte. Gebannt starrte er auf das Bild, das sich ihm bot. Die Hügel, die sich um das kleine Schiff gebildet hatten, wölbten sich auf. Ihre Flanken zerbrachen. Steine rollten bis in die Nähe der Landebeine herunter, dann schoß eine unübersehbare Menge von grauen Leibern auf die VALKARON zu, kaum daß das Bestattungskommando in der Schleuse war. Die Tiere kamen direkt aus der Erde, und sie waren anfangs nicht größer als eine Männerhand. Aber während sie sich dem Raum-
53 schiff näherten, wuchsen sie unaufhaltsam. Die Triebwerke heulten auf. Zitternd stieg das Boot um einige Meter. Es schwankte und schüttelte sich, während unten die grauen Kreaturen lange Arme bildeten, mit denen sie nach den noch nicht eingezogenen Landestützen tasteten. Die glutheißen Strahlenbündel der Triebwerke konnten ihnen nichts anhaben, im Gegenteil – sie sogen die Energie in sich auf und wuchsen noch schneller. Der Pilot, ein kleiner, zumeist wortkarger Mann, der sich selbst jetzt nicht aus der Ruhe bringen ließ, drückte systematisch eine Serie von Schaltern herunter. Auf einem Bildschirm war zu erkennen, daß direkt unter der VALKARON ein klaffendes Loch im Boden entstanden war. Auch aus ihm quollen Tiere heraus. Zwei dieser alptraumhaften Wesen hatten mit ihren dehnbaren Armen einen Landeteller umschlungen. Fasziniert beobachtete Toschmol, wie die Leiber der Tiere langsam angehoben wurden. Dann gab es einen heftigen Ruck, und das Schiff schoß steil nach oben. Die ausgerissenen Arme der Tiere fielen von dem Landeteller ab und stürzten in die quirlende Masse hinunter. Als hätte LOIPOS nur darauf gewartet, daß der Fremdkörper endlich verschwand, trat Ruhe ein. Die grauen Tiere schrumpften zusammen. Die automatisch gesteuerte Aufnahmeoptik zeigte, wie die Hügel sich schlossen, dann in sich zusammensanken, als wären es nur luftgefüllte Blasen gewesen. Sekunden später bedeckten zahlreiche olivbraune Büsche den Platz, an dem das Beiboot gestanden hatte. Sie durchstießen die Atmosphäre und warfen dann aus sicherer Entfernung einen letzten Blick auf den tückischen Planeten. Sie glaubten zu träumen. Rosig angehauchte Wolkenfelder trieben über eine Landschaft von idyllischer Schönheit. Weite Ebenen dehnten sich aus, und die Bildschirme zeigten Baumgruppen, Herden friedlich grasender Tiere, dunkle, geheimnisvolle Wälder. Sie erkannten den Fluß und die schneebedeckten Berge. Dazwischen lag
54
Marianne Sydow
der Ort, an dem die PROTALKH verglüht war und das Feuer sich über den ausgedörrten Boden gefressen hatte – aber keine Spur war geblieben. Nichts wies auf die Katastrophe hin. Es war, als hätten sie den Planeten nie zuvor betreten. Nur eine Tatsache bewies, daß sich doch etwas verändert hatte: Die Pfeiler glühten noch immer. Als sie die Nachtseite überflogen und die strahlend blauen Türme erblickten, die wie Nadeln zu ihnen hinaufstachen, schauderten sie zusammen. Dann entfernte sich die VALKARON mit zunehmender Geschwindigkeit von dieser seltsamen Welt. »Errechnen Sie einen günstigen Kurs, der
uns möglichst schnell und ohne Risiko in die Nähe der Schlackewelt bringt!« befahl Toschmol. Niemand widersprach ihm. Er nickte zufrieden und zog sich in seine Kabine zurück. Während er über den alten Unterlagen brütete, dachte er daran, daß er bald dem geheimnisvollen Klinsanthor gegenüberstehen würde, wenn seine Berechnungen stimmten.
ENDE
ENDE