Nr. 377
Korridor der Dimensionen In der Gewalt der Krolocs von Hans Kneifel
Nach der Zwischenlandung auf Loors, dem P...
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Nr. 377
Korridor der Dimensionen In der Gewalt der Krolocs von Hans Kneifel
Nach der Zwischenlandung auf Loors, dem Planeten der Brangeln, ist der Kontinent Pthor-Atlantis längst wieder zu einem neuen Flug durch die Dimensionen des Kosmos gestartet. Leider ist es Atlan trotz allergrößtem persönlichen Einsatz nicht gelungen, die Steuerung Pthors in seinem Sinn zu beeinflussen. Der Kurs des Kontinents wird somit von den mysteriösen Beherrschern der Schwarzen Galaxis bestimmt – und nach allem, was man von ihnen weiß, liegt es auf der Hand, daß die Unbekannten mit Pthor und seinen Bewohnern nichts Gutes im Sinn haben. Die Zukunft sieht also nicht gerade rosig aus für Atlan und seine Mitstreiter. Alles, was sie gegenwärtig tun können, ist, die Lage auf Pthor zu stabilisieren und eine gewisse Einigkeit unter den verschiedenartigen Clans, Stämmen und Völkern herbeizuführen. Erste Erfolge in dieser Richtung beginnen sich abzuzeichnen, als Atlan sich den Abgesandten aus allen Teilen des Landes als neuer König vorstellt. Doch dabei kommt es zu einem Zwischenfall im KORRIDOR DER DIMENSIONEN …
Korridor der Dimensionen
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der neue König von Pthor wird gefeiert. Razamon, Balduur und Fenrir - Zwei Krieger und ein Wolf starten zu einem Erkundungsflug. Heyzer Cor - Kommandant der Krolocs. Pona - Eine Eripäerin. Actic - Ein Schlangenwesen.
1. Eine Stunde lang oder etwas länger mußte Atlan vergessen, daß Pthor nichts anderes war als ein Brocken fliegenden Verderbens auf dem Weg ins Chaos. Ohne Vibrationen und Erschütterungen raste Pthor weiter; das Ziel war die Schwarze Galaxis. Atlan war gezwungen, diese Situation vorübergehend zu verdrängen, denn in kurzer Zeit würde man ihn zum König von Atlantis machen. Der Park war voller Bewohner Pthors. Die Stimmung unter den etwa eineinhalbtausend verschiedenen Wesen war keineswegs feierlich oder euphorisch. Sie waren aus allen Teilen von Atlantis gekommen. Eine kleine Delegation von Beobachtern aus Wolterhaven. Glitzernde, kalt wirkende Robotkörper mit stählernen Armen und Gelenken. Ihre Sehzellen blinkten unbeteiligt und prüfend. Eine Gruppe phantastisch bewaffneter Pygmäen aus dem Blutdschungel. Rund um die Krieger, die nach Fäulnis und rohem Fleisch stanken, standen Dellos mit flachen Gesichtern und unbeteiligten Mienen. Eine Gruppe aus Aghmonth wartete neben Bewohnern von Donkmoon und sah unbewegt hinüber zum großen Portal der Pyramide. Alle waren sie in die FESTUNG gekommen; Atlans Boten waren tagelang unterwegs gewesen und hatten sie zusammengerufen. Eine Gruppe Piraten von den Ufern des Regenflusses hatte sich ebenfalls hierher gewagt. Die Männer schienen überrascht zu sein, daß sie nicht angegriffen wurden. Atlan stand auf der obersten Stufe. Hinter ihm befand sich die glatte, aufwärtsstrebende Fläche der größten Pyramide. Eine unangenehme und peinliche Sache,
Arkonide? sagte sarkastisch der Logiksektor. So war es. »Du mußt mehr fröhliche Überzeugungskraft zeigen. Du bist kurz davor, in höhere Würden aufzusteigen, Atlan«, murmelte Razamon dicht neben Atlan. »Und in höhere Verantwortlichkeit.« »Danke. Deine Worte sind ein rechter Trost«, gab der Arkonide zurück. Er ließ seine Augen zwischen den Wänden der kleineren Pyramiden, die in Wirklichkeit Beiboote eines riesigen Raumschiffs waren, hin und her gehen. Die Masse der »Feiernden« starrte mit wenig Begeisterung zurück. »Außerdem ist dieser Augenblick für Pthor und unsere Absichten von entscheidender Wichtigkeit«, erklärte Thalia von der anderen Seite. Dellos gingen durch die Reihen der Wartenden, verteilten Getränke und Essen. »Das ist allerdings richtig«, sagte Atlan ruhig und dachte an den Energieschirm um die Seele von Atlantis und an das falsche Schaltelement. »Und darüber hinaus«, sagte Razamon drängend, »ist es bei der ungewöhnlichen Mentalität deiner vielen neuen Untertanen von entscheidender Wichtigkeit, mit Macht und Nachdruck aufzutreten.« Sie befanden sich alle in einer Art Vorhof der FESTUNG. Die Erwartung unter den Delegationen stieg; sie ahnten nicht, was der neue Herrscher ihnen zu sagen hatte. Es gab Hunderte verschiedener Gerüchte, die von einer neuen Tyrannenherrschaft bis hin zum anderen Extrem, einer milden Verwaltung, über das gesamte Spektrum der Möglichkeiten reichten. Razamon fluchte lautlos; wieder einmal jagte der Zeitklumpen ihm einen kurzen und heftigen Schmerz durch das Bein. Dann sag-
4 te der Atlanter: »Bereit, Atlan? Die Magier machen bereits bedenkliche Gesichter.« Atlan nickte. »Keine Sorge, ich werde nicht stottern!« Razamon lachte rauh. Er gab einen Wink nach hinten. Aus dem Innern der Pyramide marschierten zwei Reihen festlich gekleideter Dellos. Sie waren martialisch aufgemacht mit blitzenden Halbpanzern, breiten Gürteln und runden Helmen. In ihren Händen trugen sie lange Fackeln. Es gab kaum Wind, daher bildeten die silberfarbenen Rauchfahnen eine Art Wall oder Gitter entlang der Treppenstufen. Über die Stufen lag ein weißer Teppich aus unbekanntem Material. Atlan ging fünf Schritte geradeaus und blieb stehen. Auf einen zweiten Wink begann aus unsichtbaren Lautsprechern eine Musik, deren Charakter er kannte. Er hatte ähnlich barbarische Rhythmen ebenso auf Arkon wie auch auf Terra und anderen Welten gehört. Fanfaren und Posaunen schrien auf, donnernde Trommelschläge skandierten, klirrende Beckenschläge ließen die Wartenden zusammenzucken. Atlan wandte sich halb um, schenkte Razamon ein kaltes Grinsen und sagte durch den Lärm: »Beeindruckend, Freund Razamon. Die Noten stammen von den Berserkern?« »Nicht alle. Ich habe auch Kulturgut der Erde mit einbauen lassen«, erwiderte der Atlanter schlagfertig. Atlan winkte ab. Es mußte wohl sein. Jedenfalls bemerkte er in den Gesichtern vieler Besucher so etwas wie Erwartung oder Spannung. Die eingeladenen Abordnungen kamen etwas näher. Es waren fast alle wichtigen Bevölkerungsgruppen dieses erstaunlichen Landes vertreten. Sie würden jedes Wort der Rede bis in den letzten Winkel von Pthor verbreiten, das war sicher. Die Musik und die starr dastehenden Dellos, von deren Fackeln Rauchsäulen hochstiegen, bildeten einen Teil von Razamons Vorbereitungen. Er verstand eine Menge von Massenregie. Nach drei oder vier Minu-
Hans Kneifel ten änderte die Musik ihren Charakter und wurde weicher. Sie schien gleichermaßen Härte und Milde des neuen Herrschers zu versinnbildlichen. Als sie endete, zuckten zwischen den Spitzen der verschiedenen Pyramiden Blitze hin und her. Als totale Stille eingetreten war, nickte Thalia ihrem Freund zu. »Viele von euch kennen mich schon«, sagte Atlan. Er merkte sofort, daß sich der Auffangstrahl eines unsichtbaren Mikrophons auf ihn richtete, denn seine Worte wurden hundertfach verstärkt. »Die meisten haben von mir erfahren. Ich bin Atlan. Odin, der Mächtige, hat mich nach dem Sieg über die furchtbaren Herren der FESTUNG dazu bestimmt, über Pthor zu herrschen. Das werde ich tun, zusammen mit den klügsten Ratgebern, die ich finden konnte. Ganz Pthor ist vor kurzer Zeit aus dem VONTHARA-Schlaf erwacht, aber das Erwachen erfolgte in eine schlimme Zeit hinein. Nach allem, was wir wissen, ist Pthor auf dem Weg zurück in die Schwarze Galaxis.« Atlans Worte hallten durch den Park und über den Vorplatz der FESTUNG. Er beobachtete seine Zuhörer mit brennender Aufmerksamkeit; er mußte sich ihrer Hilfe versichern, denn sonst würden alle Anstrengungen vergeblich bleiben. Pthor und Atlan würden jeden einzelnen Kämpfer und alle Anstrengungen brauchen, um gegen die Herren der Schwarzen Galaxis zu bestehen. Atlan wählte auch die nächsten Sätze mit Bedacht. »Im Augenblick sieht es schlimm aus für uns alle«, rief er aus. »Pthor wird von der Seele aus gesteuert, und die Seele bringt uns direkt in die Schwarze Galaxis. Der Grundgedanke meiner Herrschaft ist es, allen Geschöpfen zu helfen, in deren Kulturen Pthor seine bösen Spuren hinterlassen hat. Dazu müssen wir die Herrschaft über Steuermann, Seele von Pthor und La'Mghor wieder zurückbekommen. Ihr wißt, daß aus der Dimensionsschleppe ein falsches Hauptschalt-
Korridor der Dimensionen element mitgebracht und eingebaut worden ist.« Er überging geflissentlich, daß er es gewesen war, der mit dem falschen Schaltelement getäuscht worden war. »Der Steuermann in den Pyramiden ist dank der unermüdlichen Pflege der schönen Thalia wieder zu sich gekommen und erholt sich zusehends. Ich denke, daß wir auf seine Unterstützung bauen können, meine Freunde.« »Ausgezeichnet!« schrie jemand aus der Menge. Es schien einer der Magier aus der Barriere von Oth gewesen zu sein. »Danke!« gab der Arkonide trocken zurück. In die tiefgestaffelten Reihen der Gäste kam leichte Bewegung. Sie drängten sich näher an den freien Platz vor der untersten Stufe heran. »Es wird allerdings noch einige Zeit dauern, bis der Steuermann in die Steuerung von Pthor machtvoll eingreifen kann«, rief Atlan. »Aus diesem Grund haben wir alle uns ausgedacht, daß diese Feierlichkeit nicht zu einer Orgie der Trunkenheit und des Jubels wird. Aber sie wird euch allen zeigen, daß eine neue Zeit für Pthor angebrochen ist.« Die Dellos, die mit Gläsern, Bechern und gefüllten Krügen zwischen den Gruppen umhergingen, schenkten lautlos ihre Getränke aus. Copasallior, der Weltenmagier, bewegte seine sechs Arme wie eine ungeduldige Spinne, schob sich näher an Atlan heran und rief laut: »Um deine Herrschaft zu festigen, Atlan, und um dir zu zeigen, daß wir dich verstehen und in deinem Sinn kämpfen werden, haben die Magier dir ein Geschenk gebracht!« Atlan blickte den Magier mit den basaltfarbenen Augen an. Die wallenden Gewänder, in die sich Copasallior kleidete, blähten sich auf, als der Magier an der Seite von Koratzo herankam und dicht vor der untersten Stufe stehenblieb. Atlan ging ihnen entgegen; er wußte nur, daß die Magier mit einem schweren Wagen gekommen waren.
5 »Was immer es ist, ich danke euch«, sagte Atlan und fragte sich, welches Geschenk ihm ausgerechnet der Weltenmagier und der Stimmenmagier machen würden. Koratzo drehte sich um und sagte etwas zu einem Helfer. Der Wagen wurde nach vorn geschoben. Jemand riß die Plane zur Seite. Das vage Licht fiel auf eine große Menge von Parraxynth-Bruchstücken. Graues Metall, voller Runen und Zeichen, in allen Formen und Größen, lag in der Höhlung der Ladefläche auf einem dunklen Stück Stoff. Atlan sah in die blauen Augen des Stimmenmagiers. »Ich bin überrascht und dankbar«, sagte Atlan. Die herandrängende Menge sah, worum es sich handelte. Ein lautes Murmeln der Verwunderung breitete sich aus. Atlan griff in den Wagen hinein und hob ein mittelgroßes Bruchstück heraus. Er packte das Stück, ging einige Stufen hinauf und stemmte es hoch. »Seht alle her!« rief der Arkonide. Tausende Augen starrten ihn und das stumpfgraue Stück Metall an. »Das ist nur ein kleiner Teil des Geschenks aus der Großen Barriere von Oth«, rief Atlan wieder. »Sie brachten einen ganzen Wagen voll davon.« »Wenn du noch mehr davon bekommst und einige Wochen lang Puzzlespiele betreibst«, flüsterte Razamon in Atlans Ohr, »dann wirst du Pthors Geheimnis fast gelöst haben.« »Fast«, gab Atlan mit unbewegtem Gesicht zurück. »Es fehlen mir noch einige Hunderttausend kleinere und größere Brocken dazu. Wie witzig.« Die Bewohner von Pthor schrien mit mäßiger Begeisterung, aber es war erkennbar, daß sie dieses Zeichen richtig deuteten. Jemand, der eine solch große Menge Parraxynth-Stücke besaß, war schon allein aus diesem Grund der Mächtigste. Atlan hob das Bruchstück noch ein wenig höher über seinen Kopf hinauf und rief, so laut er konnte: »Ich danke den Magiern für dieses hoch-
6 herzige Geschenk. Ich werde jedes Bruchstück aufbewahren und versuchen, es mit anderen zu einem mächtigen Ganzen zusammenzusetzen. Aber, meine Freunde aus allen Teilen von Pthor – eines sage ich euch: Ich will euch nicht anlügen. Pthor ist auf dem Weg in die Schwarze Galaxis. Harte Zeiten brechen für uns an. Die Herrscher dort werden uns zu strafen versuchen. Unsere Aufgabe wird höllisch schwer sein. Jeder von uns wird sein Bestes geben müssen. Übertriebene Angst ist unsinnig, aber Vorsicht ist angebracht. Ich danke euch, daß ihr gekommen seid. Sagt allen, die ihr treffen werdet, was wir hier besprochen haben. Und nun …« Razamons Regie war bestechend. Als Atlan sich anschickte, die letzten Worte seiner Ansprache an das immerhin gedämpft begeisterte Publikum zu richten, ertönte wieder eine Taktfolge jener dröhnenden, krachenden und heulenden Musik. Fast gleichzeitig rissen die Rauchschwaden aus den Fackeln ab; meterhohe Flammen kalten Lichts schlugen in den verhangenen Himmel hinauf. Die Musik schwieg plötzlich. Atlan holte Luft. »Und nun versucht, trotz allem mit Heiterkeit zu feiern. Eßt und trinkt, sprecht miteinander, versucht alle, in den Räumen und den Parks der FESTUNG euch wohl zu fühlen. Denn die FESTUNG ist nicht mehr länger das Zentrum der bösen Macht oder der Sitz des Verderbens. Ich danke euch, meine Freunde.« Als Atlan die Arme senkte, auf den Wagen zuging und das Parraxynth-Stück vorsichtig zu den anderen zurücklegte, beendete ein letzter Tusch die offiziellen Feierlichkeiten. Aus den Fackeln der aufgereihten Dellos kamen wieder Rauchwolken. Atlan ging langsam, flankiert von Thalia und Razamon, die Treppenstufen wieder aufwärts. »Es war ehrlich und überzeugend«, sagte Thalia leise und legte ihre Hand auf Atlans Arm. »Ich habe es immerhin versucht«, gab der Arkonide zurück. »Hoffentlich habe ich den
Hans Kneifel einen oder anderen überzeugt.« Die beiden Magier folgten Razamon, Thalia und Atlan die Stufen hinauf und ins Innere des pyramidenförmigen Raumschiffs. Der Weltenmagier blickte den Arkoniden lange aus seinen Basaltaugen an. Dann sagte er nachdrücklich: »Wenn alles wahr ist, was du sagtest, Atlan, dann werden wir wohl viel von den angesprochenen Plänen verwirklichen können.« »Ich habe versucht, so ehrlich wie möglich zu sein«, murmelte Atlan. »Wenn die stille Heiterkeit ein wenig mehr um sich gegriffen hat, dank des Alkohols«, schaltete sich Thalia ein und dachte daran, daß eigentlich auch ihre Brüder bei dieser Feier hätten anwesend sein müssen, »dann werden wir uns unter die Gäste mischen.« »Mit Vergnügen«, sagte Atlan. Aus völlig unerklärlichen Gründen fühlte er sich unsicher; er ahnte kommendes Unheil. Er wußte nicht, warum ihn diese Stimmung gerade jetzt überfiel – es gab keinen Grund dafür. Trotzdem fühlte er den Stachel der Angst und des starken inneren Zweifels. Er dachte kurz an den Mann in der Porquetor-Rüstung, der angeblich seinen Originalkörper suchte. Noch ein weiteres Rätsel, das sich irgendwann würde lösen lassen. Als die Gruppe der fünf Personen die oberste Plattform erreicht hatte, glaubte Atlan, unter seinen Sohlen eine kurze Erschütterung zu spüren. Er blieb stehen und fragte alarmiert: »Habt ihr es auch gemerkt?« »Was sollen wir gemerkt …?« murmelte Razamon und unterbrach sich jäh, als ein zweiter, harter Stoß sie alle traf. Hinter ihnen klangen Schreie und Flüche auf. Ein dritter, langanhaltender Rammstoß ließ die Treppenstufen wanken und schüttelte die Stämme und Äste der Bäume. Einige Pthorer wurden zu Boden geschleudert, andere sprangen erschreckt in die Höhe und rannten wild durcheinander. Atlan klammerte sich am Rahmen der Schleusentür fest und fluchte unterdrückt.
Korridor der Dimensionen Als er den Kopf hob, sah er voller Schrecken, daß sich der Himmel zu verdunkeln begann. Die Schwankungen und Stöße blieben, änderten aber ihren Rhythmus. Sie glichen den Erschütterungen, die einen großen, schnellen Raumkörper trafen, wenn er nacheinander mit kleineren Hindernissen kollidierte. »Es ist nicht die Seele von Pthor! Wir rasen durch einen Dimensionskorridor«, schrie Razamon zurück. »Wir stoßen auf ein Hindernis oder so ähnlich.« Im Park war das Chaos ausgebrochen. Bewohner von Pthor rannten in panischer Flucht umher. Die Dellos wurden zur Seite gestoßen, ihre Krüge und Gläser zerbrachen. Die Fackeln schwankten und fielen zu Boden. Es wurde immer dunkler; ein riesiger Schatten legte sich drohend über das Land. Die Vibrationen hielten an und versetzten selbst die riesige Pyramide in Schwingungen. Atlan hoffte, daß die Mikrophone noch funktionierten und schrie: »Achtung, Freunde! Lauft auseinander. Pthor wird nicht zerbrechen. Wir sind abermals auf ein Hindernis gestoßen!« Seine Schreie hallten durch den Park, aber sie vermochten die Panik nicht aufzuhalten. Ihn selbst traf abermals ein wuchtiger Stoß und schleuderte ihn zu Boden. Im Innern der Pyramide erklangen schauerliche Geräusche, als ob Metall auseinandergerissen würde. Schwere Gegenstände krachten zu Boden. Die Bäume und Büsche schüttelten sich. Stoß nach Stoß traf den Weltenkörper, die Dunkelheit verwischte die Konturen aller Gegenstände. Thalia wurde ebenfalls zu Boden geworfen. Sie rollte über den Belag und stieß mit Atlan und dem verzweifelt um Halt kämpfenden Razamon zusammen. Atlan blieb liegen, breitete die Beine aus und versuchte, auch Thalia festzuhalten. Razamons Fluchen ging in dem allgemeinen Lärm unter. Die Erschütterungen, die Pthor trafen, waren ungeheuer hart. Sie würden bis hinein in die rätselhaften Tiefen Verwüstungen auslösen.
7 Höchste Gefahr für dich und Atlantis! rief drängend der Logiksektor. Wieder schlug die unsichtbare Kraft zu. Es war, als würden kleine Monde einmal an dieser Ecke, dann wieder an einer anderen Stelle gegen Pthor stoßen. Atlan und Thalia spürten, als sie hilflos über den Boden geschleudert wurden, daß die Fluggeschwindigkeit des Weltenbrockens innerhalb des Dimensionstunnels offensichtlich abgebremst wurde. Draußen herrschte jetzt tiefe Nacht. Nur das Rumpeln und Poltern der Kollisionen war zu hören. Die Entsetzensschreie hatten aufgehört. Schließlich, nach einer kleinen Ewigkeit, schalteten sich Lampen und Scheinwerfer einer Notanlage ein. Razamon rief abgehackt: »Es war kein einziges Hindernis. Viele kleine Zusammenstöße, Atlan. Sonst wäre Pthor in tausend Fragmente zersplittert.« Abermals ging ein knirschender Ruck durch die Pyramide. Atlantis schien jede Fahrt verloren zu haben. Etwas Unbekanntes, Mächtiges hatte Pthor aufgehalten und zum Stillstand gebracht. Mühsam stand Atlan auf und half Thalia in die Höhe. »Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?« fragte er und schüttelte sich. Ein schwacher Stoß traf Pthor und löste eine Reihe langwelliger Erschütterungen aus. Dann kam das Weltenfragment wieder zur Ruhe. »Vielleicht sind wir in Staubmassen hineingeraten und in einen Schwarm von Gesteinstrümmern. Das würde auch die Dunkelheit und die Bremswirkung erklären«, meinte Thalia und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. »Jedenfalls ist dein Krönungsfest ruiniert!« stellte Razamon fest. »Nachhaltig«, bestätigte Atlan. »Aber bei dem Zusammenstoß hast du keine Regie geführt. Wir sollten schnell handeln, um herauszubekommen, was wirklich geschehen ist.« Ihnen war nichts geschehen. Erst später würde sich das wahre Ausmaß der Schäden
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zeigen. Wenn es noch eines Anstoßes bedürft hätte, den Bewohnern von Atlantis zu zeigen, wie nötig Zusammenhalt und Gemeinsamkeit waren, dann war dieser schreckliche Zwischenfall genau das geeignete Mittel gewesen. Atlan war froh, daß die seltsamen Krönungsfeierlichkeiten vorbei waren. Er ging in die Richtung zur Treppe und spähte hinunter. Aus der Dunkelheit schälten sich die Gestalten der beiden Magier. Sie kamen auf ihn zu.
2. Der Weltenmagier sagte mit ernstem Gesicht: »Ein neues Unheil, Atlan. Aber Pthor scheint der Zerstörung entgangen zu sein. Wie können wir dir die Aufgabe erleichtern?« Inzwischen hatten sich die Dellos wieder gesammelt und durchstreiften den Park auf der Suche nach Verletzten. Diesmal trugen sie statt der Fackeln Scheinwerfer. Atlan schüttelte eine der sechs Hände Copasalliors und entgegnete ratlos: »Indem du mir sagst, was in Wirklichkeit geschehen ist. Falls Pthor tatsächlich mit einem Hindernis zusammengestoßen ist und festsitzt, dann dauert der Flug in die Schwarze Galaxis länger. Wir haben vielleicht einen Handlungsaufschub erreicht.« »Vielleicht«, murmelte Thalia niedergeschlagen. »Ich beginne zu ahnen, daß der Ratschlag einer meiner Brüder von Nutzen sein könnte.« »Was sollten sie uns sagen? Ich glaube, daß es sich um Trümmer oder um Wolken von sehr dickem Staub handelt. Ich glaube ferner«, erklärte Razamon nach längerem Nachdenken, »daß die Dunkelheit und alles andere früher oder später den Untergang von Pthor bedeuten können.« »Du bist tatsächlich dieser Meinung?« fragte erschrocken der Stimmenmagier Koratzo. In den letzten Minuten waren keinerlei Stöße oder Erschütterungen mehr aufge-
treten. Aber jeder von ihnen war überzeugt, daß sich Pthor in dem Dimensionskorridor nicht mehr bewegte. »Ja. Ich meine es wirklich so.« Atlan wußte nicht, wie er reagieren sollte. Einerseits war er tatsächlich froh darüber, daß Pthor nicht mehr länger auf die Schwarze Galaxis zuraste. Wie weit die Strecke war, wie lange der Flug dauern sollte, wußte niemand. Auch nicht, wie lange dieser Aufenthalt dauerte, falls er nicht tatsächlich die Zerstörung Pthors zur Folge hatte. Seit dem ersten Stoß waren keine fünf Minuten vergangen. Atlan wandte sich an Razamon und fragte: »Ich will mich nicht von diesem Schicksalsschlag blockieren lassen. Ist es möglich, durch den Schirm zu fliegen und nachzusehen, was uns aufgehalten hat?« Thalia deutete auf die Schleuse und sagte hastig: »Der Steuermann hat sich einigermaßen erholt. Ich bin sicher, daß er ein Beiboot freigibt.« »In diesem Fall«, erklärte Razamon fast begeistert, »werde ich an der Expedition teilnehmen.« »Meinst du, Thalia, daß es uns gelingt, eine der kleinen Pyramiden starten zu können?« fragte Atlan aufgeregt. »Ganz sicher. Wir müssen feststellen, wo wir sind, und was geschehen ist. Ich werde mit dem Steuermann verhandeln.« »Fabelhaft. Danke!« sagte Atlan. Thalia verließ die kleine Gruppe und eilte davon. Zu Razamon sagte Atlan: »Ich fliege mit dir.« Der Atlanter schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage. Du mußt hier bleiben und versuchen, die tausend kleinen Streitigkeiten zwischen den Städten und Gruppen zu beenden. Ich sehe nach, was dort draußen sich Pthor in den Weg geworfen hat!« Razamon wirkte entschlossen und einsatzbereit wie immer. Die eine oder andere der achtzehn Meter hohen Beiboot-Pyramiden würde sich wohl starten lassen; sie waren
Korridor der Dimensionen dank Thalias Bemerkung sicher. Atlan fiel ihr Vorschlag ein, etwas von der Verantwortung an einen Odinssohn zurückzugeben. Es mochte nicht die schlechteste Idee sein. Er wandte sich an seinen Freund. »Du also und … beispielsweise Balduur?« Razamon war augenblicklich damit einverstanden. Er zuckte die Schultern. »Balduur ist ein großer Kämpfer. Und dazu noch unser heulender Freund Fenrir.« Atlan winkte einen Dello herbei und befahl ihm: »Lasse dir einen Zugor geben und fliege, so schnell es geht, die Straße der Mächtigen in Richtung Wolterhaven. Lande bei Balduur und berichte ihm, daß wir beschlossen haben, den Wölbmantel zu durchfliegen und nachzusehen, warum Pthor in der Dunkelheit steckengeblieben ist. Ich wünsche es. Er soll mit Razamon zusammen starten. Er soll so schnell wie möglich hierher kommen. Verstanden?« »Jawohl, Herr!« stieß der Dello hervor und stob davon. »Ausgezeichnete Idee«, sagte Razamon zufrieden. »Wird ein gutes Gespann. Ich gehe zu Thalia und sehe nach, ob der Steuermann richtig reagiert.« »Gut.« Mehr und mehr Lichter und Scheinwerfer schalteten sich ein. Die kristallenen Wege des großen Parks begannen wieder zu leuchten und zu schimmern. Aus der Dunkelheit kamen die erschrockenen Gäste wieder hervor und bildeten kleine Gruppen, in denen das Ereignis aufgeregt diskutiert wurde. Jedermann war völlig ratlos, denn es gab keine Erklärung. Auch Atlan blieb gewissermaßen ratlos, aber dann entschied der Logiksektor: Ihr müßt nachsehen! Niemand kennt den Grund dieser Kollision. Du hast einfach keine andere Wahl, Atlan. Atlan und die beiden Magier verließen die riesige Raumschiff-Pyramide und unternahmen einen Rundgang durch den Park. Sie wurden ununterbrochen angesprochen und versuchten, die aufgeregten Bewohner von
9 Pthor zu beruhigen. Schließlich sahen sie in einer der Beiboot-Pyramiden Licht und trafen auf Razamon und Thalia, die den Eingang verließen. »Wie steht es?« fragte Atlan. »Ich habe mit dem Steuermann Kontakt aufgenommen«, erklärte Thalia mit einem zufriedenen Lächeln. »Er hat zugesichert, eines der Beiboote zur Verfügung zu stellen. Wir erhalten Bescheid.« »Bis Balduur und Fenrir eintreffen, haben wir noch genügend Zeit«, stimmte Razamon zu und legte seinen Arm um Atlans Schultern. »Kopf hoch. Sowohl Pthor als auch jeder von uns haben ganz andere Abenteuer überstanden. Auch diese Gefahr ist zu besiegen.« Atlan wunderte sich selbst über sein Zögern. Er entgegnete leise: »Du hast völlig recht. Trotzdem bleibt das Gefühl, mitten in der größten und tödlichsten Gefahr zu stecken.« Erneut stellte sich heraus, daß Razamon die Krönungsfeierlichkeiten hervorragend organisiert hatte. Eine Stunde nach dem ersten Erdstoß sorgten leise Musik und wohlschmeckende Getränke dafür, daß fast alle eingeladenen Delegationen sich wieder einfanden. In einem anderen Teil des Parks, umgeben von Büschen mit duftenden Blüten und plätschernden Brunnen, waren lange Tische und Bänke aufgestellt worden. Überall wurde jetzt die Dunkelheit zurückgedrängt; mehr und mehr Lichter aller Arten wurden von den Dellos angebracht und eingeschaltet. Essen wurde aufgetischt. Langsam fing das Fest wieder an. Unermüdliche Helfer beseitigten Scherben und räumten die Folgen der Zerstörungen weg. Atlan blieb am Rand der Lichtung stehen und warf einen langen Blick auf das Treiben. »Allerdings habe ich mir den Antritt meiner Herrschaft ganz anders vorgestellt«, sagte er und lachte kurz. »Widrige Umstände machen den Reiz eines interessanten Lebens aus«, meinte Koratzo.
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»Vielleicht solltest du einen Schluck Alkohol versuchen. Er entspannt«, schlug Razamon vor, winkte einem Dello und reichte Atlan einen Becher. Er selbst nahm auch einen und prostete dem Arkoniden zu. »Du hast recht«, bekannte Atlan und trank. Thalia schmiegte sich an ihn, als wolle sie ihn niemals mehr loslassen. »Leider kann ich dir nicht sagen, was sich außerhalb des Wölbmantels befindet«, meinte der Weltenmagier. »Dazu reichen meine Fähigkeiten im Augenblick nicht aus. Ich bin ausgesprochen indisponiert.« »Verständlich«, sagte Atlan. »Während wir auf Balduur warten, werden wir uns unter die Gäste mischen und versuchen, gute Beziehungen zu allen und zu jedem anzuknüpfen.« »Ein Vorhaben, das größte Unterstützung verdient«, schloß Koratzo. Atlan entspannte sich ein wenig, während die kleine Gruppe sich unter die Feiernden mischte. Die Probleme wurden zwar nicht gelöst, sondern nur für kurze Zeit verdrängt.
* Atlan fuhr aus tiefem Schlaf auf; etwa acht Stunden waren seit dem Beben vergangen. Thalia beugte sich über ihn und flüsterte eindringlich: »Du mußt aufwachen. Ich hätte dich gern schlafen lassen – aber der Dello hat sich gemeldet. Er steuert die FESTUNG an.« Atlan richtete sich auf. Er streifte die Erinnerungen an eine Reihe wirrer Traumszenen ab, rieb sich schlaftrunken die Augen und gähnte. »Wer steuert?« »Der Dello kommt mit Balduur und Fenrir. Ich gehe zum Steuermann und bereite den Start vor.« Atlan holte tief Luft. Sein Verstand klärte sich. Dann nickte er und brummte: »Ich verstehe. Ich scheine zu tief in den Becher gestarrt zu haben. Ich bin gleich an Ort und Stelle, um deinen lieben Bruder gebührend zu begrüßen.«
»Das solltest du tatsächlich tun«, pflichtete sie bei. »Jeder von ihnen ist auf dich eifersüchtig.« »Ich weiß. Sie können gern alle meine Probleme haben«, sagte er und schwang sich unter den Decken hervor. Kurze Zeit später war er angezogen und eilte hinunter zum Eingang. Gerade setzte der Zugor zur letzten Kurve an. Fenrir, der seinen schmalen Schädel über den Rand der Flugscheibe hob, begann schauerlich zur Begrüßung zu heulen. Atlan erkannte den auffälligen Helmschmuck des Odinssohns und winkte mit beiden Armen. Der Zugor landete neben der Rampe, Atlan eilte darauf zu und rief: »Ich grüße dich, Balduur!« Fenrir warf ihn beinahe um, als er auf seine Weise den ehemaligen Kampfgefährten begrüßte. Im Licht einiger Tiefstrahler leuchteten die gelben, gekrümmten Hörner der Helmzier Balduurs auf. Mit tiefer Stimme sagte er knapp: »Du hast mich rufen lassen, König von Atlantis?« Ein milder Spott war nicht zu überhören. Atlan wartete, bis Balduur aus dem Zugor geklettert war und seinen Schild zu Boden gestellt hatte. Dann tauschten die Männer einen kurzen Händedruck aus. »Ich habe dich hierher bitten lassen«, sagte Atlan, »weil ich mir vorstellte, daß dein Leben ein wenig eintönig verläuft. Du hast die Erschütterungen gespürt und gesehen, wie Dunkelheit über Pthor fiel.« »Natürlich. Der Dello sagte mir, daß Razamon nachsehen will, was draußen vor dem Wölbschild vor sich geht.« »So ist es. Wirst du uns helfen?« »Indem ich euch helfe, helfe ich Pthor«, versicherte Balduur ein wenig pathetisch. »Wer kämpft noch an unserer Seite?« »Nur ihr drei. Razamon, du und Fenrir«, sagte Atlan. Balduur schlang seinen hellroten Umhang um die Schultern und schlug auf den Schwertgriff. »Du hast recht daran getan, mich rufen zu lassen. Habe ich die Reste eines Festes gese-
Korridor der Dimensionen hen, als der Zugor über den Park flog?« Atlan nickte und lachte. »Es war kein heiteres Fest. Aber es ging wohl einigermaßen gut vorbei. Es ist schwer, sie alle zu überzeugen, daß nach dem Sturz der FESTUNGs-Herren sich die Zeiten ändern. Sie glauben mir nicht, daß ich Pthor richtig verwalte oder beherrsche.« Mit diesem Geständnis schien er Balduur einigermaßen versöhnt zu haben. Razamon kam aus der nächststehenden kleinen Pyramide, winkte heftig und rief: »Hierher, Freunde! Mit diesem Beiboot werden wir starten.« Als sich Atlan umsah, bemerkte er, daß es tatsächlich noch Feiernde, Lärmende und Betrunkene gab. Dellos bewegten sich hin und her und versuchten aufzuräumen. Fenrir wiederholte seine Begrüßung bei Razamon, der ihn schließlich zur Seite schob und auf die Schleuse deutete. »Wir können sofort starten«, sagte er halblaut. »Ich grüße dich, Sohn Odins!« Balduur schien tatsächlich seinen Groll vergessen zu haben. Oder vielleicht überwogen nur die Freude an diesem Einsatz oder seine Kampfeslüsternheit. Jedenfalls ließ er keinerlei Zeichen von Ärger erkennen. Er begrüßte Razamon wie einen Freund. »Wißt ihr mehr als ich?« fragte er dröhnend. Seine Stimme war noch tiefer, als sie Atlan in Erinnerung hatte. »Nicht viel mehr. Razamon hat einige Theorien, die mir richtig erscheinen«, antwortete Atlan. Während sich Fenrir ein großes Stück Fleisch von einem Tisch schnappte und gierig herunterschlang, gingen sie auf die bezeichnete kleine Pyramide zu. Sie stand, wie die fünf anderen auch, rund zweihundert Meter von dem Zentrumsgebäude entfernt und bildete einen gedachten Endpunkt eines Sechsecks. Zwischen dem Beiboot und der großen Pyramide befanden sich andere, kleinere Gebäude. Razamon sagte befriedigt: »Ich sehe, daß der Steuermann uns tatsächlich wohlgesinnt ist. Um deine Frage zu beantworten, Balduur: Wir meinen, daß
11 Pthor auf viele kleine Hindernisse gestoßen ist, dadurch bis zum Stillstand abgebremst wurde und sich jetzt vermutlich in einer riesigen Staubwolke befindet und dort feststeckt.« »Das ist gut möglich, nach allem, was ich weiß.« Das Beiboot hatte sich vom Boden gelöst und schwebte einige Handbreit darüber. Da seit unendlich langer Zeit der Park auch an den Kanten der Pyramide hochgewachsen war, sah man abgerissene Wurzeln, aufgerissenes Erdreich und die Reste des Bewuchses an den Beibootflanken. Hervorragende Technik! Nach so langer Zeit! sagte der Logiksektor in Atlans Erstaunen hinein. Jetzt standen sie vor der offenen Schleuse. Der Steuermann, oder besser das Fragment dieses rätselhaften, pflanzenartigen Wesens, war wirklich wieder leistungsfähig. Vor den Augen der drei Männer öffnete und schloß er das Schott, das sich jahrzehntelang nicht bewegt hatte. Knirschende und scharrende Geräusche hallten durch den Park. Sie wurden leiser, je öfter sich die Anlage bewegte. »Es sind Nahrungsmittel, Waffen und Raumanzüge an Bord. Ich habe mich vergewissert beziehungsweise entsprechende Antworten bekommen«, warf Razamon ein. »Was hält uns noch zurück?« erkundigte sich Balduur. »Und du, König? Drängt es dich nicht, mitzufliegen?« »Eigentlich schon. Aber ich habe hier schwerere Aufgaben. Noch etwas – Balduur und Razamon! Kommt bitte sofort zurück, wenn ihr wißt, was dort draußen vorgeht.« »Versprochen. Wenn es eine größere Gefahr ist, sind wir ohnehin ohnmächtig, etwas zu tun«, erklärte Razamon zutreffend. »Wir sind vermutlich früher zurück, als wir alle denken.« Fenrir zögerte eine Sekunde lang, dann setzte er mit einem weiten Sprung hinter Balduur her. Razamon schwang sich in die Schleuse des Beiboots. Einige Gordys aus Donkmoon, die schweigend herüberstarrten,
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leere Becher in den Händen, wichen erschrocken unter die tiefhängenden Zweige der Baumriesen zurück. »Viel Glück!« rief Atlan. »Wir werden es brauchen«, gab Razamon zurück. Die äußere Schleusentür rollte fast geräuschlos vor Atlan zu. Langsam trat er zurück und lehnte sich gegen eine steinerne Brunneneinfassung. Die kleine Pyramide startete lautlos. Atlan vermeinte, ein hochfrequentes Summen zu hören, jenseits der normalen Hörgrenze. Aber das Geräusch hörte sofort auf, als er sich darauf konzentrierte. Das Beiboot glitt aus dem Bereich der Scheinwerfer hinaus. Es schwebte fast absolut senkrecht zum verdunkelten Himmel hinauf, durchstieß ohne die geringsten Leuchterscheinungen den Wölbmantel und verließ das Einflußgebiet von Pthor-Atlantis. Atlan starrte dem kleinen Raumschiff schweigend nach und ging dann zurück zur großen Pyramide, um nach Thalia zu suchen.
3. Razamon hatte nicht erst in den wenigen Stunden zwischen der ersten Erschütterung und der Ankunft Balduurs versucht, das Innere des Beiboots zu enträtseln. Seit sich der Steuermann zu erholen begann, sah er immer wieder in die einst versiegelten Räume hinein und trachtete danach, die technischen Einrichtungen zu verstehen. Aber es war keinerlei Energie vorhanden; nichts funktionierte. Jetzt aber war er überrascht. Sie befanden sich im Steuerraum. Vor ihnen hatten sich große Bildschirme eingeschaltet, die den Eindruck hervorriefen, man könne durch sie wie durch Fenster hinausblicken. »Eine erstaunliche Maschine«, brummte Balduur und nahm seinen wuchtigen Helm ab. Aufmerksam blickte Fenrir, der zwischen ihnen lag, von einem Bildschirm zum anderen und starrte die bunten Anzeigen und Uhren an. »Können wir sie steuern wie einen Zugor?«
»Das weiß ich noch nicht«, erklärte Razamon. »Aber die Einrichtungen dafür sind vorhanden.« Türen, Einbauschränke aus Metall, Schotte und Luken hatten sich geöffnet und erstaunliche Dinge zum Vorschein kommen lassen. Ein kühler Luftstrom strich durch die Räume. Noch war auf den Schirmen nichts anderes als vollkommene Dunkelheit zu sehen. Razamon bewegte den Sessel und brachte ihn in eine bequeme Stellung. Dann sagte er: »Deine Schwester hat sich liebevoll um den Steuermann gekümmert. Du weißt, daß er in den kleinen Booten und im Raumschiff wächst. Aber er ist noch lange nicht in der Lage, ganz Pthor richtig zu steuern. Es ist auch nur ein Teil von ihm in diesem Beiboot. Für den Steuermann ist es eine Frage der Leistungsfähigkeit.« »Ich glaube, ich verstehe, was du meinst«, sagte Balduur und versuchte, sich in der fremden Technik zurechtzufinden. Sein Schwert hing über die Armlehne des Sessels herab, der wuchtige Schild an einem Handgriff unterhalb der Armaturen. Razamon merkte, daß sich leise summend eine Tür aufschob. Er stand auf und ging ein Stück in den breiten Korridor hinein. Ein Wandschrank hatte sich geöffnet. Mehrere Schutzanzüge hingen dort in wuchtigen Klammern und auf dicken Haltern. Vorsichtig holte er einen davon heraus und hob ihn hoch. »He! Sogar Raumanzüge hatten die Herren der FESTUNG einst dabei!« rief er. »Hier, Balduur!« »Was? Raumanzüge?« Der Anzug, den Razamon mit ausgebreiteten Armen hochhielt, war dunkelbraun und elastisch. Zwischen dem Halsring und der Bauchgegend verlief ein breiter Streifen mit magnetischen oder selbsthaftenden Säumen. Der Helm war durchsichtig und lag wie eine dicke Krause um den Hals, er war im Nacken dick zusammengerollt. In der Mitte des Rückenteils befand sich eine halbkugelförmige Erhebung, die vermutlich die auto-
Korridor der Dimensionen matisch funktionierenden Versorgungsaggregate enthielt. Soweit Razamon erkennen konnte, verfügten die Anzüge weder über schützende Schirmfeldanlagen, noch waren sie flugfähig. Es handelte sich um einfache, aber robuste Raumanzüge. Balduur lachte gutmütig, als Razamon mit der weichen Folie in die Steuerkabine zurückkam. »Hast du für Fenrir auch einen solchen Anzug?« fragte er und packte das Tier kameradschaftlich am Hals. »Nein. Er muß an Bord bleiben, falls wir nicht gerade eine Sauerstoffwelt erreichen. Aber eine Landung ist ja nicht unser Ziel.« »Es ist noch immer pechschwarz«, murmelte Balduur und untersuchte flüchtig den Raumanzug. Er hatte weder einen Gürtel noch andere Ausrüstungsgegenstände, schon gar nicht eine integrierte Bewaffnung. »Ich ziehe das Ding am besten teilweise über meine Rüstung«, meinte er und warf den Schutzanzug über die Rückenlehne. »Wir werden nicht lange zu warten haben«, sagte Razamon und setzte sich wieder. Das Innere des Beiboots war sauber und schien hervorragend zu funktionieren. Razamon hatte keinen Grund zu der Annahme, daß sie außerhalb des Wölbmantels scheitern würden. Trotzdem versuchte er weiterhin, das Beiboot unter Kontrolle zu bringen. »Sind wir noch innerhalb des Wölbmantels?« fragte Balduur. Er wirkte nervös und unsicher; er fürchtete sich wohl vor dem Augenblick, an dem das Beiboot sich im freien Weltraum befand. Im gleichen Augenblick tauchten Bilder auf den Schirmen auf. Razamon zuckte zusammen. Er flüsterte: »Die Korsallophur-Katastrophe!« »Welche Katastrophe?« murmelte Balduur und versuchte, Einzelheiten zu erkennen. Im Weltraum vor ihnen herrschte ein diffuses Licht. Es war unregelmäßig verteilt. An dieser Stelle war es hellgrau, dort, hinter einem gigantischen Felsbrocken schaute milchigweißes Strahlen hervor. Beide Männer wußten nicht, wohin sie zuerst sehen sollten.
13 Das Beiboot verringerte seine Geschwindigkeit und glitt geräuschlos auf einen kondensierenden, spiralig geformten Dunkelnebel zu. »Es sind sehr viele Felsen und Gesteinstrümmer!« stieß Balduur hervor. »Ich habe es so nicht erwartet«, antwortete Razamon. Hunderte von Planeten mußten durch den Dimensionskorridor geflogen, miteinander kollidiert und zerbrochen sein. Dies war vor langer Zeit geschehen. »Du hast es anders erwartet? Was hast du von der Katastrophe gesagt?« »Eine alte Legende«, murmelte Razamon und stellte fest, daß das Fragment des Steuermannes das Beiboot behutsam durch die langsam driftenden Trümmer und entlang der dünneren Gaskonzentrationen steuerte. »Ich erinnere mich jetzt wieder daran. Die anderen Berserker sprachen darüber. Sie nannten die zerbrechenden Planeten und Monde des Schwarmes den Stau oder die Korsallophur-Katastrophe.« »Das hier war einmal ein Schwarm von Planeten und Monden?« fragte Balduur ungläubig. »Sie sagen es. Übrigens … ich möchte dieses stolze Raumschiff, wenn du nichts dagegen hast, gern BERSERKER taufen.« »Als Erinnerung an dein altes Volk?« »Richtig. Als Erinnerung. Vielleicht haben wir etwas Erfolg, wenn der Steuermann endlich das Boot aus seinem Griff entläßt.« »Er macht es aber sehr gut.« Sie schwiegen und blickten auf die Bildschirme, die im Halbrund an den Wänden der Kabine eingebaut waren. Rund um das Boot und vor ihm breitete sich ein erstaunliches Panorama aus. Hunderte von verschiedenen Lichtinseln ließen riesige Wolken aus lichtschluckendem Staub erkennen. Gesteinstrümmer in allen Größen und Formen trieben im Raum. Es waren weder Grenzen noch ein Ende abzusehen. So weit die Instrumente reichten, drifteten die Überreste einer gigantischen kosmischen Katastrophe durch das rätselhafte Zwielicht. Es war keine einzige direkte Lichtquelle zu erkennen.
14 »Niemand kann sich vorstellen«, flüsterte Razamon gebannt, »welche Ausmaße die Katastrophe gehabt hat. Ich bin sicher, daß es der Korsallophur-Stau ist. Hier sitzt Pthor fest.« »Du hast mir noch immer keine zufriedenstellende Antwort gegeben«, erinnerte ihn der Sohn Odins. »Den Sagen zufolge«, murmelte Razamon und blickte von einem Schirm zum anderen, »die mein altes Volk kennt, durchziehen riesige Schwärme das Universum. Sie bestehen aus Sonnen, Planeten und Monden. Sie sollen den verschiedenen Teilen des Weltraums die Intelligenz bringen. Ein solcher Schwarm muß in den Korridor geraten sein – das Ergebnis sehen wir.« Wieder schwiegen sie. Zwischen ihnen lag Fenrir und knurrte von Zeit zu Zeit, wenn sich das Boot wieder einem Brocken näherte oder scharfzackige Trümmer auf die BERSERKER zusegelten. Es waren fesselnde Bilder, voll von schweigender Gefahr. Schließlich brach Balduur das Schweigen und sagte dumpf: »Du hast recht, Razamon. Pthor steckt im Korsallophur-Stau fest. Und der Staub frißt das Licht.« »Was ändert der Umstand, daß ich recht habe, an der Tatsache?« »Nichts. Aber Atlan sagt stets, daß mehr Informationen mehr Handlungsfreiheit ergeben.« »Womit er recht hat. Aber noch immer steuert uns der Steuermann. Es ist besser, denke ich, wenn wir die Raumanzüge anlegen.« »In Ordnung.« Razamon versuchte, die Konsequenzen zu erkennen, die sich für Pthor ergaben. Auch in diesem Fall hatte Atlan recht: Pthor lag still innerhalb des Dimensionskorridors, und es würde schwer, wenn nicht unmöglich sein, durch diese Unmenge von kosmischen Trümmern zu steuern. Also gab es eine Art Gnadenfrist vor dem Erreichen der Schwarzen Galaxis. Trotzdem wußten sie noch immer nicht, wie sie sich würden befreien kön-
Hans Kneifel nen. Er löste den Haltegurt und stand auf. Zusammen mit Balduur legte er den Raumanzug an und half dann dem Sohn Odins, den Anzug anzulegen. Odin zog Teile der Rüstung aus und befestigte sie dann wieder über dem eng anliegenden Gewebe des braunen Anzugs. »Nun können wir kaum mehr überrascht werden«, sagte der Atlanter. »Jedenfalls werden wir überleben«, antwortete Balduur und schnallte den Gürtel mit dem Schwert über den Anzug. Die Abstände zwischen den kleinen und großen Trümmern waren schätzungsweise zwischen fünfhundert Metern und dreißig Kilometern groß. Die größten Brocken bewegten sich auf einigermaßen stabilen Bahnen, aber je kleiner die Trümmer wurden, desto unkontrollierbarer wurden die Bahnen. Die kleinsten Bruchstücke schienen dem Beiboot nichts auszumachen; offensichtlich existierte so etwas wie ein unsichtbarer Schutzschirm. Aber jedem größeren Stück wich die BERSERKER aus, während sie sich unaufhaltsam tiefer und tiefer in den Kern der Trümmeransammlung schob. Die Pyramide flog mit der Spitze vorwärts. Der Steuermann nahm den Pthorern das Überlegen und Handeln völlig ab. Sie sahen keine Möglichkeit, selbst die Herrschaft über das Beiboot zu bekommen. Minute um Minute verging, und nach ungefähr einer Stunde befanden sie sich zwar weitaus tiefer in diesem chaotischen Gewimmel – aber grundsätzlich hatte sich nichts geändert. »Was tun wir?« knurrte der Odinssohn und blickte Razamon fragend an. »Das weiß ich ebenso wenig wie du«, lautete die Antwort. »Aber … dort vorn, vor der leuchtenden Wolke. Was ist das?« Balduur rief wütend: »Woher soll ich das wissen? Es sieht aus wie ein riesiger Zugor!« Razamon war im Lauf der letzten Stunde nicht untätig geblieben. Er hatte jeden Hebel und jeden Schalter einer genauen Überprüfung unterzogen. Viele ließen sich nicht be-
Korridor der Dimensionen wegen, andere bewegten sich und riefen keinerlei erkennbare Veränderungen hervor, und die dritte Kategorie war wohl vom Steuermann freigegeben worden. Jene Schalter betätigten Schotte und Türen, schalteten die Schirme ein und aus und ließen Vergrößerungen zu, veränderten die Temperatur innerhalb der Kanzel. Also unwichtige Systeme der untersten Kategorie. Jetzt zog Razamon einen Regler und erzeugte eine Vergrößerung auf demjenigen Bildschirm, der den angeblichen Zugor gezeigt hatte. »Eine Art Raumschiff oder Beiboot, Balduur!« rief Razamon in heller Aufregung. »In diesem chaotischen Durcheinander von Planetentrümmern scheint es tatsächlich Leben zu geben!« »Warum nicht? Es gibt auch Leben auf Pthor.« Razamon war sich seiner Gefühle gegenüber Balduur – oder der anderen zwei Brüder – keineswegs sicher. Einerseits waren sie gewaltige Kämpfer, die mitgeholfen hatten, die Vernichtung der verhaßten FESTUNGs-Herren herbeizuführen. Ihr »Ragnarök« war die große Wende auf Pthor gewesen. Andererseits waren sie unfähig gewesen, Pthor zu regieren und hatten einen Großteil ihrer Energie in psychologisch interessanten, aber nutzlosen Aktionen gegen Thalia verschwendet. Gegenüber ihm und Atlan verhielt sich zumindest Balduur indifferent, aber keineswegs ablehnend. Es waren wohl, recht pauschal ausgedrückt, starke Männer mit einem Verstand, der für ihr normales Leben ausreichte, aber unfähig war, größere Zusammenhänge zu überblicken. Aber jeder, der einen Kämpfer, Saufkumpan, einen Freund mit einer pathetischen Auffassung von Mannesmut und der schlimmen Kunst des Kampfes suchte, war mit Balduur oder seinen Brüdern bestens bedient. Also war auch er, Razamon, in guten Händen. Inzwischen war das Bild auf dem Schirm deutlicher geworden. Die herankommende Scheibe schwebte aus dünnem Staub heraus und kam in den Bereich eines vagen, indirekten Lichts.
15 »Es ist eine Scheibe, auf der offensichtlich die Korsallophur-Raumfahrer kauern. Eine merkwürdige Methode der Raumfahrt«, bemerkte Razamon schließlich. »Ich hätte gute Lust, hinauszugehen und sie zum Kampf zu fordern!« rief Balduur und fuhr mit der Hand an den Schwertgriff. »Das wäre eine ausgesprochen dümmliche Idee«, sagte Razamon hart. »Außerdem kann ich nicht nur einen flachen Zugor, sondern etwa ein Dutzend davon erkennen.« »Du hast abermals recht!« Die scheibenförmigen Flugobjekte waren eindeutig von unterschiedlichem Durchmesser. Sie schienen aus irgendeinem dunklen Metall oder einer Verbindung mehrerer Materialien derselben Farbe zu bestehen. Sie waren völlig flach. Es gab weder blitzende Antennen noch aufleuchtende Scheinwerfer oder glühende Positionslichter. Auf der Oberseite der Scheiben kauerten dick vermummte Wesen. Man erkannte keine Einzelheiten. Razamon, mit den Gesetzen der Schwerelosigkeit gut vertraut, stutzte. Er und Balduur saßen so, daß die Bewegung des Beiboots auf einer unsichtbaren Ebene verlief. Oben und unten, relative Begriffe im schwerelosen Raum, entsprachen der Sitzposition. Seltsamerweise kauerten die Fremden aus dem Stau der Korsallophur-Katastrophe ebenfalls auf der Seite oder derjenigen Ebene, die Razamon und Balduur als »oben« definieren mußten. Ein Zufall? Oder mehr? Jedenfalls näherten sich die zwölf Scheiben der BERSERKER. »Das Beiboot ist«, murmelte Razamon, »über alle Schaltinstrumente und Kontrollgeräte nach wie vor mit dem Steuermannfragment verbunden!« »Vorteil oder Nachteil?« wollte der Odinssohn wissen. »Vermutlich beides!« brummte Razamon und erkannte, daß sich die Situation zu ändern begann. Er sah ganz genau hin und glaubte zu wissen, was dort draußen vor sich ging. Die zwölf Scheiben pflügten durch Staub
16 und Felstrümmer wie Eisbrecher. Sie schienen einen sehr wirksamen Schirm zu besitzen. Sie waren schneller und wendiger als die BERSERKER. Sie hatten ein Prallfeld vor sich oder um sich herum, das ihnen gestattete, außerordentlich kühn zu manövrieren. Ganz ohne Zweifel war die weiße Pyramide ihr Ziel. Balduur streckte den Arm aus und deutete auf das gefährliche Bild. »Sie sind schneller als wir. Und sie sind hier zu Hause. Ich werde mit ihnen kämpfen und sie in die Flucht jagen!« »Den Teufel wirst du tun. Natürlich sind sie hier zu Hause. Aber wir sind harmlos. Sie werden uns letzten Endes helfen können, Pthor aus dem Stau herauszumanövrieren. Warte ab, Balduur, was sie tun.« Gebannt sahen sie zu, wie die Scheiben näherkamen. Auf der größten Scheibe kauerten ungefähr fünfzehn Wesen. Sie waren in schwarze Raumanzüge gehüllt, die den Eindruck machten, als wären sie viel zu groß und dienten als Schutz gegen die Kälte. Zwar ging von diesen Scheiben und ihren Besatzungen eine undeutliche Bedrohung aus, aber beide Pthorer definierten sie nicht als unmittelbare Gefahr. Bevor er die Pyramide erreichte, teilte sich der Pulk in fünf Zweige und leitete ein schnelles Umkreisungsmanöver ein. »Früher oder später werden wir erfahren, wer sie sind«, sagte Razamon und konnte seinen Blick nicht von dem bizarren Bild lösen. »Früher oder später werden wir von ihnen gefangengenommen werden, wenn ich sie nicht mit dem blanken Schwert in die Flucht treibe!« erklärte Balduur aufgebracht. Die Scheiben wichen aus und drehten ab. Sie vermieden einen Zusammenstoß mit der BERSERKER und verteilten sich. Es war völlig unklar, was die Raumfahrer dieses Teils des Kosmos vorhatten. Jedenfalls konnten sich weder Razamon noch Balduur mit ihnen verständigen oder herausfinden, was sie wirklich wollten.
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4. Sinclair Marout Kennon hatte die Schrecken der Kollisionen überwunden. Natürlich half ihm der Besitz des neuen Körpers dabei; oder vielmehr das Bewußtsein der neuen Stärke. Diese Stärke beschränkte sich nicht allein auf die physischen Ausdrucksmittel. Sie erfüllte auch das gesamte Denken und Fühlen Kennons. Er sah wieder hinauf zum Himmel über Pthor. Seit er die FESTUNG in seinem GrizzardKörper verlassen hatte, lebte er hier im Norden in einer Felshöhle. Es war ein hervorragender Platz, um allein zu sein und wichtigen Gedanken nachzuhängen. Die Höhle hatte Kennon durch Zufall gefunden. Eine frische Quelle war in der Nähe, ein Wald mit Bäumen voller Früchte und Beeren. Kennon überblickte aus dem Höhleneingang ein ziemlich großes, abwechslungsreiches Gelände. Jetzt stellte er fest, daß sich der Himmel wieder zu verändern begann. Die Schwärze löste sich auf. Von Osten kroch eine vage Helligkeit heran. Schleier und breite Schlieren wanderten langsam über den Himmel und glitten ineinander über. Schließlich war der gesamte Himmel von einer Färbung. Ein Halbdunkel breitete sich aus, eine schattenlose Dämmerung, ein seltsames Licht zwischen Tag und Nacht. Diese Beleuchtung schuf eine melancholische, düstere Stimmung, die auch auf Kennon übergriff. »Soll ich zu Atlan zurückgehen und ihm erklären, wer ich in Wirklichkeit bin, und was alles geschehen ist, seit wir uns zuletzt gesehen haben?« fragte er laut. Er lehnte mit dem Rücken gegen ein ausgewaschenes Stück Fels. Jetzt stand Kennons neuer Körper auf und reckte seine Muskeln. Zufällig blickte er über die beiden verkrüppelten Bäume und den grotesk schiefen Felsen nach Osten. »Nein! Das ist neu!« stieß er hervor. Ein winziger schwarzer Punkt erschien
Korridor der Dimensionen hoch am Himmel. Er war durch den Wölbmantel gekommen, was Kennon außerordentlich verblüffte. Angeblich dürfte nichts, das von außerhalb Pthors kam und nicht zu Pthor gehörte, diesen Schutzschirm durchstoßen. Aber Kennon war sicher, richtig gesehen zu haben. Der Punkt kam näher und wurde größer. Er würde, wenn er seine Flugbahn beibehielt, südlich von Kennons Höhle vorbeifliegen. »Eine Scheibe!« brummte Kennon, nahm den ausgehöhlten Kürbis, der ihm als Wassereimer diente, und ging langsam zur Quelle. Sein Weg führte ihn über ein breites Felsband, über eine Sandfläche und ein Stück verwildertes Grasland mit Beerenranken und Büschen, deren Blüten intensiv rochen. Wieder blieb Kennon-Grizzard stehen und schaute nach oben. Es war tatsächlich eine Scheibe. Sie näherte sich in derselben Art Flug wie eine diskusförmige terranische Space-Jet. Kennon bewegte sich nicht und wartete. Das seltsame Flugobjekt schien ihn gesehen zu haben oder steuerte zumindest genau auf seine Höhle zu. Er schätzte den Durchmesser der flachen Scheibe auf etwa zwanzig Meter. Als sich das Fluggerät lautlos nach unten senkte, kippte es ein wenig nach vorn. Die Scheibe war verhältnismäßig dünn. Genau in der Mitte kauerte ein unförmiger schwarzer Klumpen. Der Gegenstand, womöglich ein Besatzungsmitglied, wirkte wie ein Bündel Lumpen oder eine teigige Masse, in der sich Löcher und Vorsprünge gebildet hatten. Kennon konnte mit Grizzards scharfen Augen keinerlei Bewegung wahrnehmen, obwohl die Scheibe eindeutig ihn ansteuerte. Trotzdem blieb er stehen. Er machte keine einzige Bewegung, die als Angriff oder als Geste der Verteidigung gewertet werden konnte. Die Scheibe wurde langsamer, neigte sich noch mehr, und dann begann sie zu leuchten. Die Unterseite war in kaltes, zuckendes Feuer von verschiedenen phosphoreszierenden Farben getaucht. Das Feuer begann in-
17 tensiver zu strahlen und näherte sich zungenförmig dem Boden. Als sich die Scheibe direkt über Kennon befand, keine fünfzehn Meter über Grund, hielt sie an. Noch immer hörte er kein einziges Geräusch. Das kalte, flackernde Licht hüllte Kennon vollständig ein. Er empfand, außer einer leichten Unruhe, absolut nichts dabei. Nicht einmal Wärmestrahlung oder einen fremden Geruch. Einige Sekunden vergingen. Kennon hatte das deutliche Gefühl, daß er untersucht oder beobachtet würde. Der seltsame Insasse der fliegenden Scheibe schien ihn genau zu mustern; vielleicht las er irgendwelche Meßwerte von Instrumenten ab, von denen das Licht ausging. Als der Stumme diesen Gedanken beendete und sich bewegen wollte, stieg die Scheibe senkrecht in die Höhe. Das Licht flammte noch einmal kurz auf und erlosch dann. Das Objekt ruckte an, wurde innerhalb einer kurzen Zeitspanne beschleunigt und raste in geringer Höhe über das Land unter der Dämmerung davon. Es flog in nordwestlicher Richtung davon, näherte sich also der Senke der verlorenen Seelen. Fassungslos, aber nicht erschrocken oder verängstigt blickte Kennon dem seltsamen Fremden nach, bis der Punkt zu klein wurde und mit dem dunklen Horizont verschmolz. »Keine Frage«, murmelte Kennon-Grizzard. »Jemand von außerhalb des Wölbmantels hat mich sehr genau beobachtet. Ich denke, ich werde diese Geschichte Atlan berichten müssen.« Wie fast immer, bereitete er sich sorgfältig vor. Er sammelte genügend Früchte und Beeren, aß und trank sich satt, holte seinen hölzernen Speer und füllte den Kürbis mit frischem Quellwasser. Dann machte er sich auf den Weg zurück zur FESTUNG. Auf dem einsamen Weg hierher war er kaum einmal in ernsthafte Gefahr geraten. Sicher erreichte er die FESTUNG, ohne angegriffen oder überfallen zu werden.
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Das seltsame Gefühl, etwas Fremdem, aber nicht unbedingt Gefährlichem begegnet zu sein, blieb, bis er die Spitze der großen Pyramide sah.
* Ein Dello, den er am Eingang des riesigen FESTUNGs-Parks aufhielt, führte ihn zu Atlan und Thalia. Der Park trug zwar nicht mehr die Spuren der Kämpfe, aber unverkennbar waren die Überbleibsel des Festes. Die Gäste schienen weitestgehend gegangen zu sein. Der Stumme in Grizzards Körper sah Roboter und Dellos, die schweigend und schnell aufräumten. Eine Unzahl direkter und indirekter Beleuchtungskörper verwandelte den Park in eine Zone trügerischer Helligkeit. Der Dello blieb stehen und deutete auf den Eingang der großen Zentralpyramide. »Dort findest du Atlan, Stummer!« »Danke.« Atlan stand mit Thalia auf einer der untersten Stufen. Sie redeten leise miteinander. Sie bemerkten den Stummen nicht, der langsam auf sie zuging und schließlich hinter ihnen stehenblieb. Endlich sah Thalia hoch und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. »Du bist zurückgekommen, Stummer?« fragte sie neugierig. »Ich bin gekommen, weil ich euch eine interessante Geschichte zu erzählen habe«, sagte Kennon-Grizzard. Noch immer war er versucht, sich Atlan zu offenbaren. Aber er unterdrückte diesen Impuls aus Gründen, die er selbst nicht begriff. »Geschichte? Oder ein Erlebnis.« »Ein seltsames Vorkommnis. Eine Scheibe von zwanzig Metern Durchmesser kam durch den Wölbmantel und …« Er berichtete sein Abenteuer und schaute aufmerksam in die Gesichter der hübschen jungen Frau und des Arkoniden. Es war nicht so, daß sie ihm nicht glaubten oder seine Geschichte für reine Phantasie hielten. Aber sie blieben skeptisch. Er beteuerte, daß alles die reine Wahrheit sei, keine überhitzte
Schilderung eines Alptraums. Sie schwiegen höflich und hörten ihm zu. Schließlich sagte der Arkonide nachdenklich: »Selbst wenn alles stimmt, wüßte ich nicht, was ich dagegen unternehmen sollte. Wir warten auf Razamon und Balduur, die nachsehen werden, warum und womit wir kollidiert sind, und was diese Änderungen im Tageslicht herbeigeführt hat. Willst du in der FESTUNG bleiben, Stummer?« Grizzards Körper hob beide Schultern. Kennon ließ ihn antworten: »Ich weiß es noch nicht. Vielleicht werde ich wieder Stille und Einsamkeit aufsuchen, um meine schweren Gedanken zu klären.« »Beide Wege stehen dir offen, Stummer«, schloß der Arkonide zurückhaltend und nahm Thalia an der Hand. Es war deutlich, daß er das Gespräch als beendet ansah.
5. Balduur und Razamon konnten nur auf den Bildschirmen verfolgen, was außerhalb des Beiboots geschah. Aber von Sekunde zu Sekunde steigerte sich ihre Unruhe. Die fünf Gruppen der Scheiben verteilten sich abermals. Sie flogen schnelle, exakte Manöver. Die einzelnen Scheiben und ihre unkenntlichen Mannschaften wirkten wie Teile eines übergeordneten Organismus. Sie kreisten die BERSERKER binnen kurzer Zeit ein und blieben von den vier Flanken und der Basis bestenfalls zehn Meter entfernt. Nicht ein einzigesmal berührte eine Scheibe die Pyramide. »Ich bin sicher, daß sie uns eskortieren. Sie wissen, woher wir kommen und wer wir sind«, grollte Balduur. »Sie empfangen uns mit allen Ehren!« Razamon stieß ein sarkastisches Lachen aus. »Sie schleppen uns ohne alle Ehren ab, um genau zu sein, Freund Balduur. Wenn du einen Blick auf das Armaturenbrett wirfst …« Der Steuermann-Teil in der Pyramide hat-
Korridor der Dimensionen te die Steuerung des Schiffes abgegeben. Deutlich zeigten dies einige aufleuchtende Schriftbänder in technischem Pthora. Aber noch funktionierte der Antrieb. »Bist du sicher?« schrie Balduur. Fenrir stimmte ein schauerliches Geheul an, sein Nackenhaar sträubte sich drohend. »So gut wie sicher. Aber dort, wohin sie uns bringen, werden wir Informationen einholen können.« Abermals wurden die zwei Atlanter Zeugen einer verwirrenden Aktion. Die Scheiben dirigierten die BERSERKER schnell und in eleganten Flugbahnen durch die Felstrümmer und die Staubwolken. Jede Raumscheibe und das Beiboot bewegten sich dabei völlig synchron. Dichte und weniger dichte Zonen von Staubansammlungen wurden schnell durchflogen. Kleinere Brocken störten die Flugbahn auch jetzt nicht, und die Ausweichmanöver gegenüber größeren Trümmern waren gekonnt und präzise. Falls es sich um lebende Piloten handelte, dachte Razamon, wäre er nicht überrascht, wenn es alle Telepathen waren – jeder schien zu ahnen, was der andere gerade vorhatte. Es lag eine kalte Perfektion in diesen Manövern. Waren es Roboter, die da auf den Scheiben kauerten? Im Hintergrund tauchte, vage von deutlich hellerem Licht angestrahlt, ein Planet oder der Überrest eines Planeten auf. Es war eine Felsmasse, die einige hundert Kilometer groß war und unregelmäßig oval geformt war. Razamon deutete auf den zentralen Schirm. »Dieser Riese scheint das Ziel unseres Empfangskomitees zu sein.« »Ein Planet, so groß wie Pthor?« »Eher größer, weil er eine größere Oberfläche hat. Warten wir ab.« »Wir haben keine andere Wahl. Aber wenn ich erst einmal draußen bin, werde ich es ihnen zeigen!« »Vermutlich zeigen sie's uns, mein Freund!« Der planetenartige Körper schob sich seit-
19 lich aus einem Vorhang aus Staub und kleineren Trümmern hervor. Er wurde von vielen Scheiben umschwirrt wie der Eingang eines Honigkorbs von den Bienen. Hin und wieder erkannten die Männer riesige Raumscheiben, auf denen Dutzende dieser unförmig vermummten Gestalten kauerten. Jetzt sahen sie zugleich mit der zerklüfteten Oberfläche des riesigen Asteroiden auch so etwas wie Eingänge. Verschieden große Höhlen und Grotten, die aussahen, als wären sie natürlich entstanden wie Gasblasen im erkaltenden Magma, waren hell erleuchtet. Sie wirkten erstens deutlich abgesetzt von dem diffusen Außenlicht, zweitens zogen sie den Blick durch den Helligkeitsunterschied magisch an. »Wir steuern auf eine Höhle zu«, knurrte Balduur. »Sie scheinen im Innern des Mondes zu hausen.« »Es bietet sich an«, erklärte Razamon und versuchte, auf einer sehr nahe vorbeischwebenden Scheibe mehr Einzelheiten über den Piloten oder sein Aussehen zu erkennen. Er glaubte, viele tentakelähnliche Arme oder Beine zu erkennen, die von einem Anzug umgeben waren, der an zerknitterten schwarzen Stoff erinnerte. Er war stumpfschwarz. Hellere Linien oder die Nähte von Taschen oder Säumen schufen den Eindruck, als ob es in diesen Anzügen Löcher und auseinanderklaffende Risse und Vorsprünge gäbe. Dann raste die Scheibe vorbei und ins Halbdunkel zurück. »Was bietet sich an?« fragte Balduur, der erstaunt mitansah, wie die BERSERKER direkt auf eine Höhlung zugesteuert wurde. »Die Überlegung, daß die Bewohner des Korsallophur-Staus im Innern dieses oder anderer Planetenreste hausen, bietet sich förmlich an. Die BERSERKER wird sicherlich in eine Luftschleuse gebracht.« »Wahrscheinlich!« Sie waren zur Passivität verurteilt. Bei seinem ersten Rundgang durch das Beiboot hatte Razamon vergeblich nach Waffen gesucht. Auch das Boot schien keinerlei integrierte Waffensysteme zu besitzen. Zwar
20 wollten sie keineswegs einen Kampf mit diesem Wesen, aber er selbst würde sich bewaffnet ein wenig sicherer fühlen. Balduur würde mit seinem Schwert auch nur mäßige Kampferfolge erzielen. Die Öffnung der grell ausgeleuchteten Höhle war groß genug, um das Beiboot samt den abschleppenden Flugscheiben mühelos hindurchzulassen. Vor dem scharfen Bug des Bootes glitten riesige Torflügel auseinander und gaben den Blick frei in einen ebenfalls hellen Hangar. Die BERSERKER schwebte plötzlich allein weiter, wurde von unsichtbaren Strahlen oder Feldern weitergezerrt und um neunzig Grad gedreht. Dann setzte das pyramidenförmige Boot, wie auf Pthor, auf der Grundplatte auf. Die Torflügel schlossen sich. »Da sind die Wesen, die wir niemals richtig erkannt haben«, stieß Balduur erregt hervor und deutete auf den Bildschirm. »Ich bin bereits dabei, sie genauer zu studieren«, schränkte Razamon ein und vergrößerte eine Gruppe der Fremden. Es waren eindeutig spinnenartige Wesen. Sie hatten eine Länge von etwa eineinhalb Metern und waren einen Meter groß. Alle trugen die Raumanzüge, die sich locker und faltenreich um vier Gliedmaßen legten, auf denen die Fremden gingen. Ihre Bewegungen erinnerten auch sehr deutlich an Spinnen. Razamon schloß, daß der Druckausgleich mit Atemluft noch nicht beendet war. Der Steuermann schaltete selbständig die Außenmikrophone und die Kabinenlautsprecher ein und erhellte im Pult ein Schaltfeld für diese Geräte. Razamon begriff, was es zu bedeuten hatte, denn plötzlich hörten sie das unverkennbare zischende Geräusch hereinströmender Luft. Als das Zischen aufhörte, öffneten die meisten Wesen in der Hangarhalle ihre Anzüge. »Ekelhaft sind sie«, flüsterte Balduur. »Gedrungene, grauhäutige Kreaturen, die aus der Nacht kommen und in der Dunkelheit leben.« »Keine Überheblichkeit mein Freund«, mahnte Razamon. »Immerhin sind sie viel
Hans Kneifel bessere Raumfahrer als du und ich. Warte ab, vermutlich haben sie eine schöne Seele.« »Du bist sarkastisch«, stellte Balduur grimmig fest. »Richtig. Mitunter hilft diese Betrachtungsweise weiter als wütende Tiraden.« Der Hauptkörper der Spinnenwesen war grau und mit schwarzen Tupfen übersät, die individuelle Muster bildeten. Ein zweiter Körper oder Kopf an der Vorderseite des Körpers hinter einer überaus starken Einschnürung trug ebenfalls zwei dünne, schwarze und stark behaarte Beine. Sie schienen allerdings als Hände oder Greifer benutzt zu werden. Razamon sah dreifingrige Klauen an diesen Vorderbeinen. Im gleichen Augenblick, als ihn auf dem vergrößernden Schirm eines der Wesen direkt ansah, zuckte wieder der Schmerz des Zeitklumpens durch sein Bein. Seine Hand fuhr hinunter und massierte die Stelle. Der Schmerz klang nicht ab, sondern änderte sich – er wurde dumpfer und schien die Nerven verbrennen zu wollen. Razamon fluchte unterdrückt, aber er nahm den Blick nicht von dem Bild des Spinnenkopfes. »Was du sagst, ist richtig«, brummte Balduur verdrossen. »Aber schön sind sie wirklich nicht.« »Zugegeben, Balduur. Aber vermutlich tüchtig.« Aus dem Hangar, verstärkt durch Hall und Echos, ertönten die Stimmen der Korsallophur-Wesen. Schrille, pfeifende und trillernde Laute gingen hin und her und erzeugten eine nervöse Stimmung. Der Kopf der Fremden war bemerkenswert: Auf einem kugelförmigen Schädel von gelbweißer Färbung saßen unsymmetrisch verteilt acht starr blickende schwarze Augen. Auf der Unterseite, umsäumt von gelben, kleinen Warzen, befand sich eine Art Rachen mit einer schaufelartig ausgeprägten Unterlippe. Sie bewegte sich leicht, und der Rachen stand stets offen. Vermutlich waren dort auch die Sprechorgane verborgen. Wie ein Kranz saßen büschelartige Auswüchse um die Einschnürung zwischen Kör-
Korridor der Dimensionen per und Kopf. Es waren sechs dunkelbraune, flaumige Bündel von Sensoren. Viele der Spinnenwesen hatten ihre Anzüge ausgezogen und behutsam an den Wänden an Gestellen befestigt. Andere trugen die Anzüge nur noch am Körper und den vier Laufbeinen. Es gab eine dritte Gruppe, die »unbekleidet« war, aber in den hochgereckten Armen etwa zwei Meter lange, sehr dünne Waffen trugen. Es waren unverkennbar Waffen, denn die Spitzen strahlten ein dunkles Glühen aus, und an den anderen Enden sahen Balduur und Razamon griffartige Verdickungen. In der Hangarhalle befanden sich schätzungsweise hundertzwanzig dieser Wesen! Razamon stieß ein Stöhnen aus und sagte: »Sie werden uns früher oder später zwingen, das Beiboot zu verlassen. Vermutlich früher. Andererseits – was sollen wir hier warten? Hier erfahren wir absolut nichts.« Balduur sprang auf und fing an, wütend und unschlüssig in der Kabine hin und herzugehen. Endlich brachte er hervor: »Mir gefällt das alles nicht. Wir haben noch nicht einmal mit ihnen gesprochen, und schon sind wir ihre Gefangenen.« Razamon ahnte, daß die Bewohner dieser ungewöhnlichen kosmischen Gegend ein starkes Interesse haben würden, die Güter einer normalen Welt kennenzulernen. Vielleicht stand Pthor eine Invasion bevor? Nein. Unwahrscheinlich. Die Fremden hatten einen Eindringling geortet und wollten sich mit ihm unterhalten. »Wir sind vermutlich keine Gefangenen. Aber sie sehen keine Möglichkeiten, mit uns draußen im freien Raum zu sprechen. Sie wollen dasselbe wie wir.« »Und das wäre?« »Möglichst viele Informationen. Denke daran, falls wir mit ihnen sprechen. So wenig wie möglich sagen. Keine Prahlerei, keine phantastischen Angaben.« »Schon gut.« Auch Razamon stand auf und hinkte unter starken Schmerzen im Bein an ein anderes Pult. Dort konnte er genau ablesen, daß
21 draußen in der Halle eine mit Pthors Luft identische Atemluft vorhanden war. Die Temperatur war ein wenig geringer, aber keineswegs kalt. Sie konnten also samt Fenrir das Beiboot verlassen, ohne die Raumanzüge schließen zu müssen. »Diese Spinnen haben das alles geschaffen? Diese Welt ist vermutlich hohl, voller Gänge und Stollen, so wie die Welt unter der Oberfläche von Pthor?« rief Balduur. Auch Fenrir stand auf, riß seinen furchtbaren Rachen auf und schüttelte sich unwillig. Er spürte die Unruhe, die beide Männer erfaßt hatte. »Wahrscheinlich hast du recht. Vergiß nicht, daß sie wahrscheinlich unendlich lange Zeit an dieser Stelle im KorsallophurStau leben. Wenn sie überleben wollten, dann mußten sie sich einen neuen Lebensraum herstellen.« »Begreiflich, aber keineswegs beruhigend.« Viele der Fremden verließen den Hangar durch kleinere Schleusentüren. Vor dem Ausstieg der BERSERKER versammelten sich mehr und mehr bewaffnete Spinnenwesen und richteten die glühenden Spitzen ihrer Stabwaffen auf die Schleusenaußentür. Wieder verstärkte sich das Gefühl, daß die Pthorer es mit Spinnen zu tun hatten: Es bildeten sich unter vielen schrillen Kommandos zwei Blöcke von Belagerern, die zwischen sich einen breiten Gang freiließen. Genau dort würde sich der Ausstieg herausklappen. Balduur packte seinen Schild und setzte sich den Helm mit entschlossenen Bewegungen auf. »Du willst hinaus?« fragte Razamon und suchte die entsprechenden Hebel. »Es ist sinnvoller, dem Feind ins Auge zu blicken als unwürdig zu warten, bis er das Feuer eröffnet.« »In acht Augen, jeweils«, korrigierte Razamon und fand schließlich die Beschriftungen und die entsprechenden Schalter. Er tauschte einen Blick des Einverständnisses mit Balduur und drückte den Schalter. Die
22 äußere Schleusentür glitt auf. »In Ordnung. Gehen wir«, sagte er und ging hinter Balduur her, der mit wuchtigen Schritten abwärts stampfte. Vor der inneren Schleusentür blieben sie kurz stehen. Razamon hatte sich entschlossen, eine weitere Vorsichtsmaßnahme zu ergreifen und stellte einige Zahlen auf einer Wählapparatur ein. »Was tust du da?« »Ich blockiere einige Systeme. Die Fremden sollen so wenig wie möglich von uns und von der Technik erfahren. Der Steuermann kann die Blockierung, wenn nötig, beseitigen.« »Sehr gut.« »Gesundes Mißtrauen ist meist eine gute Überlebenshilfe«, murmelte Razamon und betätigte schließlich den Öffnungsmechanismus. Sie gingen in die Schleuse hinein und über das kurze Stück der ausgefahrenen Rampe hinunter in den Hangar. Die Spinnenwesen empfingen sie mit einer Flut pfeifender Laute. Die zwei Blöcke aus jeweils rund zwanzig meterhohen Fremden lösten sich auf und bildeten eine neue Formation. Zwei einzelne Krieger rannten herbei und fuchtelten mit ihren Energielanzen vor Balduur und Razamon durch die Luft. Razamon hielt sich am Hals Fenrirs fest und redete beruhigend auf den riesigen Wolf ein. »Sie wollen uns sagen«, dröhnte Balduur, »daß wir der Vorhut der Krieger folgen sollen. Deine Meinung?« »Sie entspricht deiner Auffassung«, entgegnete Razamon. Er versuchte, jeden neuen Eindruck richtig einzugliedern und womöglich auch richtig zu verarbeiten. Der erste Eindruck hier war, daß es sich bei den Spinnenwesen um hervorragend disziplinierte Asteroidenbewohner handelte. Sie marschierten zwar nicht im Gleichschritt, was bei vier Beinen nicht einfach gewesen wäre, aber sie bewegten sich ebenso exakt und perfekt wie die Piloten der Flugscheiben. Sie eskortierten mit senkrecht gestellten Strahlwaffen die Besucher oder Gefangenen auf einen großen, aber niedrigen Ausgang zu.
Hans Kneifel »Sie haben die Anlagen gebaut, zweifellos«, sagte Balduur nach fünfzig Schritten. Die Wände waren sauber verarbeiteter Fels. Leitungen und Verbindungen lagen exakt an der Oberfläche und waren mathematisch genau verlegt und befestigt. »Woran siehst du das?« Das Trillern und Pfeifen hatte fast aufgehört. Nur drei oder vier Spinnenwesen unterhielten sich aufgeregt. »Weil der Ausgang niedrig ist. Etwa zwei Meter, also doppelt so hoch wie die Kleinen hier. Wir hätten höher gebaut.« »Richtige Schlußfolgerung, Balduur. Warte, bis wir mehr sehen.« Instinktiv bückten sie sich unter dem dicken Rahmen der Schleuse. In dem Hangarbauwerk war es kühl, die Luft roch gut und war frei von scharfen Ausdünstungen, wie es die Instrumente ausgesagt hatten. Hinter den letzten Fremden schloß sich die Schiebetür. Ein breiter, ebenfalls nur zwei Meter hoher Korridor nahm die Kolonne auf. Nach dreißig Schritten blieb Razamon verblüfft stehen und massierte wieder sein Bein. »Sie haben einen sehr stark ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung«, erklärte er. Auf dem Weg bis hierher waren ihm mindestens zehn verschiedene Friese und Reliefs aufgefallen. Sie waren in die Wände des Korridors eingearbeitet und zeigten jene Spinnenwesen in allen nur denkbaren Beschäftigungen. Hier, und das war der Grund, weswegen er stehengeblieben war, stand eine ausdrucksstarke Plastik. Sie wirkte wie aus Metall gegossen. Er registrierte, daß die Wächter offensichtlich nicht das geringste dagegen hatten, wenn sie stehenblieben und sich umsahen. »Hast du die Friese und Reliefs genau angesehen?« fragte Razamon laut. »Ziemlich. Sie zeigen die Kleinen hier in allen denkbaren Posen, in Krieg und Frieden. Worauf willst du hinaus?« Die Abbildungen waren außerordentlich kunstvoll, sehr naturalistisch und äußerst fein herausgearbeitet. Jedes Bild zeigte eine
Korridor der Dimensionen andere, phantastische und exotische Landschaft. »Alle Abbildungen zeigen Planetenoberflächen, Balduur!« »Richtig. Das bedeutet …« »Daß sie nicht immer in Höhlen, Stollen und Korridoren lebten, sondern daß ihre Rasse auf sonnenbeschienenen Planeten aufgewachsen ist. Jedenfalls entnehme ich dies den Darstellungen.« Einige der Fremden unterhielten sich wieder. Die grellen Laute unterbrachen die Diskussion der Pthorer. Die Skulptur des großen, noch wuchtiger gebauten Fremden warf das einstrahlende Licht in funkelnden Reflexen zurück. Sie wirkte drohend; es schien ein Herrscher gewesen zu sein. Auf Razamon machte die Gestalt den Eindruck eines Emporkömmlings. Er konnte nicht sagen, aus welchem Grund er diese Empfindung hatte, aber so war es. »Wir werden noch mehr davon sehen«, sagte er schließlich und ging weiter. Fenrir und Balduur folgten schweigend. Tatsächlich war der Korridor, der weit in den Asteroiden hineinführte, fast an jeder Stelle verziert. Friese und Malereien, Reliefs und Basreliefs lösten einander ab. Es gab riesige verglaste Schaukästen, die in die Wände eingearbeitet waren. Ab und zu zweigten breite Türen nach rechts und links. Der Korridor neigte sich ein wenig, und die Spinnen marschierten weiter. Eigentlich, sagte sich Razamon und wurde von den ununterbrochen an ihm vorbeigleitenden Bildern förmlich überflutet, hätten sie Strukturen wie Spinnennetze erwarten müssen. Er wäre nicht überrascht gewesen, wenn der Asteroid als Ganzes ausgehöhlt und mit Fäden aus Metall oder Kunststoff, vielleicht auch aus verschieden dicken Rohren und Kugeln, in Form eines weiterentwickelten Spinnennetzes ausgefüllt gewesen wäre. Aber diese Anlage, der sich anbietende Versuch, im Innern eines Felsens zu leben, glich bisher mehr den Gängen von Termiten oder Ameisen. Der Korridor endete in einem würfelför-
23 migen Hohlraum. Auch hier war der Hang zur Selbstdarstellung deutlich. An den Wänden, den Rampen und rund um die Eingänge in andere Stollen hatten sich unbekannte Künstler in sämtlichen zweidimensionalen und dreidimensionalen Darstellungsarten förmlich ausgetobt. Skulpturen wuchsen aus gemalten oder in Emailletechnik gestalteten Flächen hervor. Reliefs zogen sich als breite Bänder zwischen den farbigen Teilen hin. Überall rissen Flutlichter die Bildnisse aus dem Dunkel und schufen durch das Miteinander von beleuchteten Flächen und Schatten verwirrende Eindrücke. Die Fremden marschierten raschelnd und tappend auf einer spiralig gekrümmten Rampe aufwärts. Langsam folgten die drei Wesen von Pthor. »Kolossal!« murmelte Razamon. Er war nicht nur beeindruckt, sondern überwältigt. »Und ich sage, daß sie uns wirklich ins Gefängnis bringen!« ächzte Balduur. »Jedenfalls«, grinste Razamon, »wird es mehr ein Museum als eine Zelle sein. Verlaß dich drauf.« Schweigend und hingerissen ging er durch dieses Inferno gestalteter Vergangenheit. Wenn die surrealistischen und phantastischen Landschaften und Ansichten einer irgendwann vorhandenen Wirklichkeit entsprachen und nicht nur den Träumen jener troglodytenhaft existierenden Wesen, dann hatten die Fremden einige der schönsten Planeten des Universums ihr eigen nennen können.
6. Razamon versuchte, sich den Weg von der Hangarschleuse bis hierher genau zu merken. Im Augenblick konnte er sich wieder ohne den Schmerz des Zeitklumpens bewegen, aber er rechnete fest mit weiteren Schmerzen. Er war voller Unruhe, aber er fürchtete sich nicht. Die Fremden zeigten keine Spur von Aggression. Dazu kam, daß man sich miteinander nur durch einfache Gesten verständigen konnte.
24 Die »Gesandtschaft« von Pthor verfügte noch über einen Vorteil, der ihre Sicherheit betraf: In der BERSERKER lebte noch ein Wesen, das den Flug hierher mitgemacht hatte und so gut wie unsichtbar war. Das Steuermann-Fragment bildete sozusagen einen Teil der Einrichtung. Ebensowenig wie Razamon in den Schiffen der Fremden oder in ihrem Asteroiden einen solchen Fremdkörper würde identifizieren können, konnten die Fremden damit etwas anfangen. Dieser Umstand besserte die Laune des Atlanters. »He«, wandte er sich an einen Strahllanzenträger neben ihm. »Wohin bringt ihr uns?« Von der pfeifenden und schrillen Antwort verstand er natürlich nichts. Aber der Spinnenartige deutete nach vorn. »Ich verstehe.« Ein kleiner Saal öffnete sich vor ihnen. In den Wänden erkannte man technische Anlagen aller Art. Zwischen ihnen befanden sich ebenfalls Friese und Reliefs. Hinter zahlreichen runden Ausgängen leuchtete verschiedenfarbiges Licht. Der glatte Felsboden war von kleinen Schaltpulten übersät; sie entsprachen der geringeren Körpergröße der Fremden. Balduur hielt Fenrir fest, der davonrennen wollte. »Hiergeblieben. Du wirst uns vielleicht zurückbringen müssen, Fenrir!« Der Wolf heulte leise. Man brachte sie in einen kurzen Korridor, der blau ausgeleuchtet war. Eine breite Tür glitt auf. Die Spinnenwesen bedeuteten den drei Wesen, durch die Tür zu gehen. Als sie sich in einem runden Raum befanden, von dem viele offene Türen ausgingen, schloß sich die schwere Tür wieder. »Also doch ein Gefängnis!« sagte Balduur grimmig. »Ich habe immer recht mit solchen Ahnungen.« Fenrir heulte schaurig auf und sprang, sich losreißend, durch eine offene Tür in eine der Zellen hinein. Mit drei Riesenschritten holte Balduur ihn ein. »Bist du wahnsinnig, du Untier?« schrie
Hans Kneifel er. Razamon spähte in jeden der Räume hinein. Sie waren bis auf einen leer und schienen tatsächlich Gefängniszellen zu sein. Allerdings war die spärliche Einrichtung höchst fremdartig und machte stellenweise einen skurrilen Eindruck. In einer der mittleren Zellen befanden sich drei Wesen: Balduur, Fenrir und ein augenscheinlich weibliches Geschöpf. Die kleine, zierliche und zarte Person war angstvoll bis an die Wand zurückgewichen und schien sich vor Fenrir zu fürchten. »Wer ist denn das?« wunderte sich Razamon. Das Wesen vor ihm war nicht größer als eineinhalb Meter und starrte sie aus großen, hellen Augen an. Mit einer schroffen Handbewegung scheuchte Balduur Fenrir aus dem Raum; der Wolf gehorchte augenblicklich. »Keine Ahnung. Sie war schon hier und ist tödlich erschrocken. Dabei wollte Fenrir ihr nur die Hände ablecken, als Zeichen seiner Sympathie.« Mit einer verblüffend festen und rauhen Stimme sagte die Kleine, mit einem Finger auf ihre Brust deutend: »Pona!« »Das ist wohl ihr Name. Pona? Ich bin Razamon«, sagte halblaut der Atlanter. Pona machte Zeichen, die schwer zu verstehen waren. Schließlich brummte der Mann mit dem furchterregenden Helm: »Und ich bin Balduur, der Sohn Odins. Wir kommen von Pthor und sind auch wohl nichts anderes als Gefangene.« Razamon lächelte Pona zu. »Sie meint mit ihren Zeichen, wir sollten uns unterhalten. Dann würde sie unsere Sprache schneller verstehen.« »Bist ein kluger Kerl, Razamon.« »Sie sagen es allerorten«, murmelte Razamon, setzte sich auf etwas, das wie ein steinerner Sitz in Form eines modifizierten Ameisenkopfs aussah und betrachtete in aller Ruhe das Mädchen. Die Haut war fast transparent; man sah die Adern und die Muskeln in ungewöhnli-
Korridor der Dimensionen cher Deutlichkeit. Das Geschöpf machte einen außerordentlich zerbrechlichen Eindruck und trug fremdartig geschnittene, wallende Kleider. Der Schädel war schmal und durchaus menschlich, aber völlig haarlos. Auch unter der Kopfhaut sah man die pulsierenden Blutgefäße. Die Finger bewegten sich ununterbrochen und schienen die beiden Pthorer aufzufordern, nicht mit dem Reden aufzuhören. »Offensichtlich ist Pona auch eine Gefangene wie wir«, sagte Razamon. »Da sie uns auffordert, miteinander zu reden, werden wir dies tun. Vielleicht erfahren wir von ihr, wo wir uns befinden, und sicher auch, wie sie hierher gekommen ist.« »Das ist auch wahrscheinlich. Worüber sprechen wir?« »Über alles, was uns einfällt. Mir fällt im Augenblick ein, daß alle diese schönen und künstlerisch wertvollen Einrichtungsgegenstände unserer Gefängniszellen für winzige Gefangene gebaut wurden. Ich und vor allem du werden gewisse Schwierigkeiten bekommen, wenn wir uns länger aufhalten sollten.« »Das dachte ich auch schon …« Sie hatten begriffen, daß Pona nur dann ihre Sprache relativ schnell lernen konnte, wenn sie langsam und deutlich sprachen und ihren mehr oder weniger sinnvollen Dialog mit entsprechenden Gesten begleiteten. Während sie sich darüber unterhielten, wo sie waren, und welche Chancen sie hatten, welche Gefahren Pthor von den Ameisenwesen oder Spinnenähnlichen drohen konnten, was wohl dieses merkwürdig zarte Mädchen hier sollte und ob sie auch eine Gefangene war – kam Fenrir wieder herein und legte sich still neben Razamon zu Boden und blickte Pona aufmerksam an. »Ich Pona Gefangene von Krolocs«, sagte plötzlich mit ihrer charakteristischen Stimme das Mädchen und deutete zur Decke. »Fabelhaft!« sagte Razamon. Das Pthora war verblüffend gut. »Gefangene!« stöhnte Balduur auf. »Die Krolocs sind kleine Kämpfer. Wie
25 Ameisen oder Spinnen. Krolocs herrschen über Korsallophur-Stau. Ich bin geraubt aus Lichtung.« Razamon versuchte zu begreifen. Korsallophur-Stau! »Du hast gesagt, diese verrückte kosmische Gegend hier nennt sich KorsallophurStau?« fragte Balduur aufgeregt. »Razamon! Deine alten Sagen scheinen richtig gewesen zu sein!« »Halt!« sagte Razamon. »Eines nach dem anderen. Wenn ich die Fragen stelle, Pona, hilft es dir weiter?« »Ich lerne schnell. Frage tausendmal.« »Nicht ganz so häufig. Also … das Gebiet voller Trümmer und Staubansammlungen nennt sich Korsallophur-Stau?« »Es sind die Überreste der KorsallophurKatastrophe. Niemand weiß, wann sie stattgefunden hat. Sehr lange Zeit zurück.« »Was ist oder bedeutet die ›Lichtung‹?« »Die Lichtung ist hell. Eine kleine Sonne steht dort. Der Strahlungsdruck hat den Staub weggeblasen. Dort gibt es viele freie Planeten. Das ist die Lichtung. Die Krolocs haben mich … weggeraubt.« »Krolocs, das sind die kleinen, spinnenbeinigen Raumfahrer auf den schwarzen Scheiben und mit den glühenden Strahlenlanzen?« »Das sind die Krolocs. Ich wissen, sie waren vor der Katastrophe unbedeutende – ich weiß nicht das Wort. So wie Schädlinge, nicht so schlimm …« »Parasiten paßt, glaube ich.« »Du sagst richtig. Ein Volk von Parasiten. Lebten im Untergrund der Städte. Nach der Katastrophe wurden sie zu grausamen, harten Herrschern. Sie leben in den Felsentrümmern. Sie fliegen hin und her, rauben und versklaven.« »Sie haben dich aus der Lichtung geraubt?« »Die Krolocs kamen mit Scheiben, drangen in die Randzone ein und überfielen ein Schiff. Ich bin Gefangene. Ich bin gut mit der Sprache, mit allen Sprachen. Ich muß ihnen helfen, andere Gefangene zu verhören.
26 Ich lerne sehr schnell.« »Das haben wir festgestellt. Was sagst du zu dieser Geschichte, Balduur?« erkundigte sich Razamon trocken. »Die schlimmsten Ahnungen des Odinssohns hatten sich also bewahrheitet.« »Was soll ich sagen? Ich wußte es. Wir müssen hier heraus und Atlan warnen. Sie werden Pthor entdecken und auch dort eine Invasion versuchen.« »Das ist durchaus möglich«, knurrte Razamon. Wieder fuhr der Schmerz des verdammten Zeitklumpens durch seinen Oberschenkel, bis weit hinauf in den Rücken und in die Schulter. Der Stich war derart scharf, daß er aufstöhnte. »Darf ich fragen?« erkundigte sich Pona jetzt. »Bitte«, ächzte Razamon. Sie waren in der Falle und mußten sehen, wie die Gefahr einzuschränken war. An Flucht war im Augenblick nicht zu denken, denn sie waren nicht nur unbewaffnet, sondern auch desorientiert. »Woher kommt ihr?« Razamon deutete auf Balduur. Der Atlanter erklärte Pona, was Pthor war, daß das Weltenfragment von den Trümmern abgebremst und sein Firmament vom Staub verfinstert worden war. Balduur hielt sich an Razamons Vorhaltungen; er sprach nur von den wichtigsten und unverfänglichen Einzelheiten. Pona hörte mit deutlicher Konzentration zu und stellte, wenn sie den einen oder anderen Ausdruck nicht verstand, ausgesprochen intelligente Zwischenfragen. Sie schien eine kluge und erfahrene Frau zu sein. Ihre Stimme entsprach wohl ihrem wahren Charakter; mit dem hilflosen und zerbrechlichen Eindruck gelang es ihr wahrscheinlich, die Krolocs erfolgreich zu täuschen. Razamon mußte grinsen. Pona gefiel ihm irgendwie. Außerdem hörte der Schmerz langsam auf. Er würde wiederkommen – die Zeit, in der Razamon ohne Beschwernisse gelebt hatte, schien wieder einmal vorbei zu sein. »Jetzt weißt du alles«, beendete Balduur
Hans Kneifel seinen Bericht. »Du kannst die Sprache der Krolocs verstehen?« »Ja. Ich verstehe sie gut. Aber ich habe Schwierigkeiten, sie richtig zu gebrauchen. Dieses Pfeifen und Trillern …« Sie versuchte, etwas auf krolocisch zu sagen, aber sie schaffte es deutlich unvollkommen. »Danke. Uns genügt es, wenn wir einige wichtige Begriffe verstehen können«, sagte Razamon. »Die Krolocs ernähren sich also sozusagen von Raubzügen!« »Nicht ganz. Aber sie können alles brauchen, was sie finden. Sie sind nicht eigentlich grausam, sondern gefühlskalt und wie … wie einfache, staatenbildende Tiere.« »Alles klar«, sagte Balduur entschlossen. »Kaum einige Stunden hier, schon wissen wir eine ganze Menge. Wie groß schätzt du die Gefahr ein, Freund Razamon?« »Ziemlich groß. Wir werden weitersehen. Sie haben mit Sicherheit auch ihre schwachen Stellen. Wir müssen sie herausfinden. Was weißt du, Pona, über diese geradezu erstaunliche Sucht zur Selbstdarstellung?« »Sie sind stolz darauf, keine Herren zu haben. Sie sind ihre eigenen Herrscher. Deshalb haben sie ihren Weg aus der Gosse verherrlicht. Alles Lüge. Alles Erfindung. Oder fast alles. Sie sind ungeheuer fleißig und arbeitsam.« Balduur und Razamon nickten gleichzeitig. »Genau diesen Eindruck hatten wir auch«, erklärte der Odinssohn. »Und was tun wir jetzt?« »Warten!« empfahl die sprachengewandte junge Frau. »Sie werden bald kommen und euch verhören. Ich kann absichtlich etwas mißverstehen, aber sie werden mir nicht alle Fehler glauben.« Razamon ergriff ihre schmale, kindliche Hand und sagte leise: »Wir werden uns schon gut zurechtfinden, Schwester. Mit kämpferischen Emporkömmlingen haben wir sehr viele Erfahrungen, nicht wahr, Sohn Odins?« »Wahr gesprochen! Ein starkes Wort!«
Korridor der Dimensionen schloß Balduur. »Wir warten. Vielleicht erklärt uns Pona noch etwas von der Technik, über die unsere spinnenartigen Freunde verfügen.« »Ich weiß nicht viel. Aber was ich weiß, sage ich euch gern.« »Wir bitten darum«, sagte Razamon. Fenrir riß gähnend seinen Rachen auf und entblößte seine schauerlichen Fangzähne.
* Nach einer Weile sagte Balduur übergangslos: »Ich fürchte wirklich, daß die Krolocs Pthor erobern werden. Oder es wenigstens versuchen werden.« Balduur hatte sich auf den Boden gesetzt und gegen die Wand gelehnt. Das Schwert in der Scheide lag quer über seinen Schenkeln. In dem Raumanzug, über dem er seinen auffallenden Schultermantel trug, bot er einen phantastischen Anblick. »Sie werden es sicher versuchen«, sagte Razamon. Pona warf ein: »Die Kroloc-Scouts sind innerhalb des Staus bekannt. Sie schwärmen ständig umher. Hyrconia ist nicht die einzige Station.« »Hyrconia?« »Wir sind in Hyrconia. So nennen sie den ausgehöhlten Asteroiden. Es gibt rund fünfzig kleinere und größere Monde, Planetenfragmente oder Asteroiden innerhalb des Korsallophur-Staus.« »Weißt du, wie zahlreich die Krolocs sind?« Nach längerem Vergleichen und Rechnen stellten sie fest, daß es rund zwanzig Millionen der Spinnenwesen sein mußten. Diese Anzahl erschütterte Balduur und Razamon – Pthor würde einer Invasion nichts entgegenzusetzen haben. Mit dem schwachen Versuch, sich selbst zu beruhigen, sagte er: »Pthor hat einen schützenden Wölbmantel. Nichts, das nicht aus Pthor selbst ist, kann von außerhalb durchdringen und auf Pthor landen, Pona.«
27 Pona von der Lichtung bewegte verneinend ihre schlanken Finger und entgegnete: »Du irrst, Razamon. Die Krolocs besitzen hervorragende Durchdringungsenergien. Damit manövrieren sie in den Materiewolken des Staus. Sie werden auch ohne Schwierigkeiten den Wölbmantel damit durchstoßen. Pthor ist für sie die richtige Beute – falls die Scouts eure Heimat bereits entdeckt haben.« Razamon beobachtete sie nachdenklich. Schließlich erkundigte er sich zögernd: »Habe ich recht mit der Vermutung, daß es dir gesundheitlich nicht besonders gut geht? Du machst auf mich einen erschöpften und niedergeschlagenen Eindruck. Allerdings kenne ich dich nicht, ich weiß nicht, wie du sonst bist. Aber dieser Eindruck drängt sich mir auf. Nicht wahr, Balduur?« Der andere Mann nickte ernst. »Ich bin vom Stamm der Eripäer. Die Eripäer wohnen in der sonnendurchfluteten Lichtung. Hier, in diesen lichtlosen Räumen, in Gefangenschaft und mit dem schlechten und unverträglichen Essen der Krolocs werde ich sterben müssen. Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern.« Balduur sprang auf, riß das Schwert aus der Scheide und rammte es krachend bis zum Heft zurück. Er stieß schwer mit dem Fuß auf und stoppte Fenrir, der leise grollend aufgestanden war. »Wir werden dich befreien, und zwar bald. Wir kämpfen uns einen Weg frei in unsere BERSERKER!« schrie er. »Du hoffnungsloser Optimist«, murmelte Razamon. »Warte ab, bis die Krolocs kommen. Du wirst doch nicht gegen Kunstwerke und den massiven Fels kämpfen? Ich bin sicher, daß sie uns in kurzer Zeit verhören werden.« »Sie werden euch nicht lange warten lassen«, versprach Pona. »Ihr müßt wissen, sie hassen uns.« »Uns? Wer ist ›uns?‹«, fragte Balduur erstaunt. Er war wütend; trotz seiner Ahnungslosigkeit war er tatsächlich bereit, sein kämpferisches Geschick und notfalls sein
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Hans Kneifel
Leben für die schmächtige Gefangene einzusetzen. »Ich kann es euch sagen, weil ihr auch gefangen seid. Aber verratet mich nicht an die Krolocs. Bisher habe ich es geheimhalten können: Ich bin die Enkelin des Lichtfürsten Nurcrahn von der Lichtung.« Razamon lehnte sich gegen die kühle Wand und sagte: »Du hast Angst, daß die Krolocs versuchen, durch dich die Bewohner der Lichtung zu erpressen?« »Du hast es erraten.« Sie waren ratlos und hungrig. Seit dem Start aus der FESTUNG waren bestenfalls vier Stunden vergangen. Sie hatten hier in der künstlerisch ausgestalteten Gefängniszelle kaum etwas anderes zu tun, als gegenseitig Informationen auszutauschen. Genau das taten sie, und es gelang den Pthorern, einige wesentliche Kraftausdrücke und Kommandos der Krolocs zu lernen.
7. Der Raum war etwa vier Meter hoch und ziemlich groß. Er sah in einigen Teilen wie ein Museum aus, wie eine Glypthothek. Auf Sockeln, die aus dem Felsboden kantenlos und in bizarren Mustern herausgearbeitet waren, standen geduckt und aufrecht, mit gedrehten und verrenkten Körpern, mit allen möglichen Werkzeugen und Waffen die eisernen Körper von Krolocs. An der Stirnseite, vor einem steinernen Fries, stand ein niedriger Tisch, eine Felsplatte auf zwei Stahlblöcken aus Meteoriteneisen. Dahinter ruhte ein Kroloc, der etwas größer war und anders aussah als seine Geschlechtsgenossen. Sein Körper war von silbernen Linien gezeichnet, der Kopf mit den acht großen, starren Augen hob sich hoch über die Felsplatte, die mit unbekannten, phantastisch aussehenden Gegenständen übersät war. Ein silberner Reifen umspannte den Kopf in Höhe der zwei Armgelenke. Razamon und Balduur, der noch immer sein Schwert und seinen Schild besaß, stan-
den vor dem Tisch. Rechts neben ihnen, sich auf Fenrir stützend, stand Pona von der Lichtung. Ein doppelter Halbkreis von bewaffneten Krolocs umgab den Tisch und die Gefangenen. Die scharfen Spitzen der Energielanzen glühten drohend. Sämtliche Lanzen deuteten auf Fenrir und die Rücken der drei Gefangenen. Der Kroloc, durch die silbernen Linien und den Reifen als Vorgesetzter gekennzeichnet, richtete das Wort an Pona von der Lichtung. Der Raum widerhallte von den grellen, pfeifenden Lauten. Tatsächlich kamen die zwitschernden und trillernden Geräusche aus der Höhlung vor dem herunterhängenden Kiefer. Der Kopf mit allen acht Augen zeigte nicht den geringsten Ausdruck; selbst mit viel Phantasie konnten sich weder Razamon noch Balduur vorstellen, ob der Kroloc böse, gelassen oder gar heiter war. Es war eine gespenstische Form der Kommunikation. »Woher kommen diese drei verschiedenartigen Krieger?« Pona reagierte ausgesprochen raffiniert. Sie hatte in den wenigen Stunden sehr gut Pthora gelernt. Leise und schnell übersetzte sie die wichtigsten Fragen aus dem Krolocischen in die Sprache der Atlanter. Zwischendurch übersetzte sie die Antworten zögernd und stockend, und auf diese Weise erfuhren die Männer, daß auch Fenrir als »Krieger« betrachtet wurde. Darüber hinaus stellten sie fest, daß es möglich war, nur das Wichtigste auszusagen. Was war Pthor? Wie groß war der Kontinent? Welche Wesen wohnten darauf? Wie zahlreich war die Bevölkerung? Bewegte sich Pthor aus eigener Kraft durch den Kosmos? Wieviel Raumschiffe gab es auf Pthor? Heyzer Cor wollte später die Gefangenen sehen und sie selbst befragen. Mit welchen Bedingungen rechneten die Gefangenen, falls sie mit den Krolocs zusammenarbeiteten?
Korridor der Dimensionen Pona hielt ihr Wort. Sie übersetzte genau das, was Razamon und Balduur als Antwort gaben. Der silbergestreifte Kroloc und seine schweigenden Krieger wußten nach etwa eineinhalb Stunden wirklich nur das Unumgänglichste über Pthor. Allerdings hatten sie ganz andere Angaben über die Anzahl und Schlagkraft der Raumschiffe gemacht, und die unbarmherzige Kampfeslust der Bodentruppen war mehrmals ins Gespräch gebracht worden. Hin und wieder fragte Pona die beiden Männer direkt und übersetzte dann stockend. Als alle Fragen gestellt waren und beantwortet zu sein schienen, brummte Balduur zornig: »Das war ein Verhör. Aber sie wissen nicht viel von Pthor!« Unbewegten Gesichts sagte Razamon, der noch immer nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau hielt: »Genau das haben wir beabsichtigt. Unsere Freundin weiß überdies genau, daß wir ihre einzige Rettungsmöglichkeit sind.« »Allerdings keine sonderlich schlagkräftige Truppe, fürchte ich!« »Leider nicht. Aber es gibt immer böse und gute Momente.« Balduur fluchte leise und schloß: »Das jedenfalls ist ein schlechter Moment.« Ein heller Pfeifton schrillte vom Eingang der Halle her. Der linke Kopffühler oder Arm des Anführers fuhr auf den Tisch nieder und betätigte mit der Klaue einen Schalter. Razamon drehte sich herum und sah, daß zwei Krolocs hereintappten. Nur ihre Köpfe und die zitternden Arme waren außerhalb der zerknitterten Hüllen der Raumanzüge. Pona sagte leise: »Scouts.« Die Pthorer warteten schweigend. In dem Halbkreis der Wachen öffnete sich ein Durchgang. Die Scouts kamen in höchster Eile heran, huschten zwischen Razamon und Balduur hindurch und streckten ihre Energielanzen senkrecht in die Höhe, als sie die vordere Tischkante erreicht hatten. Dann pfiffen und kreischten sie abwechselnd eine
29 längere Meldung in die Richtung des Vorgesetzten. Pona flüsterte drängend: »Es geht um mich. Meine Identität ist bekannt geworden. Sie sind wieder in den Rand der Lichtung vorgestoßen. Sie wissen, wer ich bin.« Es war schwierig, ihre hastig hervorgestoßenen Worte zwischen dem kreischenden Gespräch verstehen zu können. Aber Balduur und Razamon wußten, worum es ging. Pona sprach weiter. Sie wirkte gehetzt und noch niedergeschlagener. »Sie werden Nurcrahn erpressen. Sie haben Spione eingesetzt. Nicht nur ich, auch die Bewohner der Lichtung … gefährdet. Wir müssen fliehen!« Balduur erwiderte: »Keine Angst, mein Kleines. Wir werden es ihnen zeigen. Warte nur ein paar Stunden, dann machen wir die Ameisenknechte reihenweise nieder.« »Du Prahlhans«, brummte Razamon. »Trotzdem hast du recht. Wir müssen flüchten. Aber – wohin und vor allem: wie?« Die Scouts hatten ihre Meldungen abgegeben. Der Anführer stand von dem Hocker auf, er hatte mit dem Bauch oder Unterkörper darauf gelegen. Seine zitternden Kopfarme deuteten auf die Gefangenen. Er gab einen schrillen Befehl, lauter und erregter als sonst. »Zurück ins Gefängnis«, murmelte Balduur. »Das sagte er eben«, erklärte Pona. Sie befand sich in heller Aufregung. Sie gehörte zu jenen Wesen, mit denen man besonders leicht und schnell Mitleid bekommt, dachte Razamon. Darüber hinaus wußte er, daß sie sich tatsächlich etwas einfallen lassen mußten. Daß die Scouts auch inzwischen Pthor recht genau ansteuerten und wahrscheinlich durch den Wölbmantel hindurchstießen, das war ihm inzwischen klargeworden. Man brachte sie auf demselben Weg zurück in die Zellen, auf dem sie hierher eskortiert worden waren.
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Hans Kneifel
* Einige Sekunden, nachdem die schwere Metalltür sich wieder mit einem endgültigen Geräusch zugeschoben hatte, begann Razamon systematisch mit der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Er untersuchte schnell, aber mit der Gründlichkeit langer Erfahrung, die einzelnen Zellen. Es gab keine Fenster, das hatte er auch nicht erwartet; nur Bildschirme, die von einem anderen Raum geschaltet wurden. Die Klimaanlagen waren hinter massiven Metallblenden versteckt. Mit Balduurs Schwert stemmte er eine Verkleidung mit beträchtlicher Mühe auf. Enttäuscht ließ er die Waffe sinken – der Schacht war viel zu klein, um als Fluchtweg dienen zu können. Die Umgebung der massiven Haupttür, schon fast ein Druckschott, war ebenfalls unergiebig. Der granitähnliche Fels war bis an die Kanten herausgemeißelt oder herausgebrannt worden. Es gab weder einen Ansatzpunkt noch einen Schalter oder irgendwelche Scharniere oder Angeln. Mit hängendem Kopf kam Razamon in die Mittelzelle zurück und sagte leise: »Mit unseren Mitteln kommen wir hier nicht heraus. Hoffnungslos. Was ist los, Fenrir?« Der Wolf war aufgesprungen und stellte seine Ohren nach vorn. Über der Schnauze bildeten sich scharfeingeschnittene Falten. Ein Zeichen, daß das kluge Tier auf irgend etwas aufmerksam geworden war. Aus dem aufgerissenen Rachen kam ein dumpfes Grollen. Langsam und steifbeinig stelzte Fenrir an den Männern und an der zitternden Pona vorbei und ging zum Haupteingang. »Jemand kommt. Wir werden wohl zu Heyzer Cor gebracht«, sagte Pona und verflocht ihre Finger miteinander. »Er meldete sich nicht, als die Krolocs kamen«, sagte Pona. Balduur und Razamon liefen hinaus. Jenseits der schweren Tür waren undeutliche Geräusche zu hören. Ein scharfes Zischen
ertönte. Razamons Verdacht bewahrheitete sich, als er auf der rechten Seite der Platte die Hand auf das Metall legte. Es war stark erwärmt, fast heiß. Er drehte sich grinsend um und sagte: »Wir scheinen die Aufmerksamkeit einer Widerstandsgruppe erregt zu haben. Es ist unüblich, eine Gefängnistür mit Energie aufzuschweißen, anstatt normal zu öffnen. Zurück, Freunde!« »Tatsächlich!« Sie hatten schätzungsweise zwanzig Minuten hier verbracht. Knirschende Geräusche bewiesen, daß sich jemand an der Mechanik der Tür zu schaffen machte. Balduur zog langsam sein Schwert und hob den Schild vor Brust und Hals. Zwischen dem Fels, der jetzt zu rauchen und zu knistern begann, und der aufglühenden Metalltür zischten lange Funken hindurch. Ab und zu peitschte ein Strahlschuß durch das sich ständig vergrößernde Loch. Pona schrie begeistert in neuer Hoffnung: »Jemand befreit uns!« »So sieht es aus«, gab Balduur zurück. »Wenn es aber die Krolocs sind …« Er hob drohend sein Schwert. Fenrir blieb unruhig und lief vor ihnen hin und her, aber er heulte oder jaulte nicht. Irgendwelche Mechanismen klackten und knirschten in der Tür oder im Felsen. Dann rollte die Tür leise in einigen Schüben zurück und wurde angehalten, als ein etwa zwei Meter breiter Spalt entstanden war. Draußen erkannten die Gefangenen vier merkwürdige Gestalten. Ihre Körper waren stumpfschwarz, und die Gelenke blitzten chromfarben. »Ich werde verrückt!« sagte Razamon ehrlich erschüttert. »Es sind Roboter.« »Krolocische Roboter«, korrigierte Pona ebenso verblüfft. Ein Roboter schob sich durch den Spalt und wurde voll sichtbar. Er ging auf sechs Beinen. Die Beine hatten ein Gelenk mehr und trugen am untersten Ende kleine, elastische Kugeln. Aber damit waren die Ähnlichkeiten mit den Krolocs auch schon fast erschöpft. Jeder Robot trug zwei Energielan-
Korridor der Dimensionen zen. Mit pfeifender Stimme sagte der erste Robot: »Ich bin vom Steuermann manipuliert worden. Ich bin ein krolocischer Robot. Ich und drei andere Robots sind von Organfragmenten in Besitz genommen worden. Wir sind programmiert, euch zu helfen. Folgt uns. Wir haben Waffen für euch.« Ein eckiger Kopf voller deutlich abgesetzter Sinnesorgane befand sich nicht an der Kante des Spinnenkörpers, sondern auf dem Rückenteil und fast in der Mitte. Der gesamte Apparat war schwarz lackiert und ungemein beweglich. Der erste Robot gab Balduur eine Strahlenlanze und sagte: »Der Auslöser ist hier. Die Bündelung wird hier eingestellt. Folgt uns.« Er drehte sich schnell auf der Stelle und tappte wieder hinaus. Eine zweite Maschine, ebenfalls eine Karikatur ihrer Erbauer, kam herein, übergab Razamon eine Waffe und richtete einen Satz verschieden großer Linsen mit unterschiedlichem Durchmesser auf Pona. »Schnell! Ich, der Steuermann, habe die Informationen dieser vier Maschinen verwertet. Sie werden euch in die richtigen Fluchtanlagen führen.« Razamon und Balduur folgten entlang der schwelenden Teile aus dem Zellentrakt hinaus. Der dritte Robot gab Pona die Waffe und sagte: »Roboter versuchten, die BERSERKER zu untersuchen und kamen in meinen Einflußbereich. Ich programmierte sie um. Die Organfragmente zog ich zurück. Nach Beendigung der Operation werden sich die Robots selbst zerstören. Folgt mir.« Der vierte Robot wartete draußen. Er hatte nichts zu erklären. Balduur stieß ein geradezu herausfordernd fröhliches Lachen aus und stürmte hinter dem Robot mit dem fragmentartig konstruierten Schädel her. Dieses Exemplar hatte drei verschieden lange, mit verschiedenen Werkzeugen besetzte Arme, mit denen es auf merkwürdige Weise herumfuchtelte. Die Robots bildeten eine Kette und rannten so schnell, daß weder Balduur noch Raz-
31 amon Schritt halten konnten. Pona blieb nach zwanzig Schritten zurück; Razamon machte kehrt und nahm sie bei der Hand. Den Schluß bildete eine Maschine mit einem Scheinwerfer auf dem oberen Teil ihres aus Kopf und Armen zusammengesetzten Oberkörpers. Dieser Robot drehte seinen Halbkörper und richtete die Mündung der Strahlwaffe nach hinten. Der Korridor war leer; die Flüchtenden rannten in eine Richtung, die ihnen neu war. Der Gang wurde nach etwa hundert Metern, die sie in rasendem Tempo zurücklegten, schmaler und krümmte sich stark nach links. Sie waren außer Sicht eines Wächters, der vor dem Gefängnis stehen würde. Razamon rief seinem Robot zu: »Wohin bringt ihr uns?« Es war irritierend, diese schrille Stimme Pthora sprechen zu hören. »Nach Gossanya-Tal, eine Zone stärkster Verseuchung.« »Welcher Art ist die Verseuchung?« wollte Razamon wissen. »Unbekannt. Es steht nicht fest, ob sie wirklich existiert. Aber in meinen Speichern ist Gossanya-Tal als verseucht klassifiziert.« »Besser ungewiß verseucht als mit Gewißheit gefangen«, dröhnte Balduur. »Wie weit ist es?« »Vier Ebenen und sieben Verbindungskorridore. Gossanya-Tal liegt dicht unter der Kruste von Hyrconia.« Sie stolperten eine spiralig gewendelte Rampe abwärts. Die letzten zweihundert Meter waren die Wände und die Räume zwischen den Türen und Durchgängen noch unverändert mit den verschiedenen Darstellungen der Krolocs geschmückt gewesen. Hier schienen sich die Künstler gefürchtet zu haben; die Beleuchtung wurde spärlicher, und viele angefangene und nicht vollendete Skulpturen und Friese unterbrachen die Felswände. Auch der Fels schien nur flüchtig bearbeitet worden zu sein. Ausgerechnet der Steuermann! Er hatte völlig richtig reagiert. Razamon und auch
32 Thalia hatten die Tätigkeit dieses seltsamen Pthor-Wesens eindeutig unterschätzt. Die Umprogrammierung von vier Kroloc-Robotern war ein Beweis dafür, daß sich dieses Geschöpf regeneriert hatte und nicht mehr an Flucht von Pthor dachte. Darüber hinaus half der Steuermann den Pthorern. Es war verblüffend. »Wir kommen tatsächlich in fremdes und leeres Gebiet!« rief Razamon. Als neben ihm Pona stolperte, griff er nach ihr, hob im Laufen den leichten Körper hoch und versuchte, Pona so wenig rauh wie möglich auf seine Schulter zu stemmen. Sie half mit und hielt sich an seinem Hals fest. »Danke. Ich bin nicht stark«, flüsterte sie keuchend. Wieder, ging es nach einem Zickzacklauf durch verschiedene Gänge und eine lange Rampe abwärts. »Warum eigentlich abwärts? Vom Zentrum müßten alle Gänge geradeaus, radial zum Außenbereich führen!« rief Balduur unterdrückt. Die elastischen Laufflächen der Roboterbeine erzeugten ein dumpfes, schnelles Trommeln. »Keine Ahnung.« Einer der Roboter kreischte mit überkippender Stimme: »Gossynya-Tal ist ein uralter Teil von Hyrconia. Es gelten andere Maßstäbe. Schneller!« Sie folgten dem metallenen Anführer, der unbeirrbar durch die leeren und dunklen Gänge rannte. Hin und wieder blendete der Scheinwerfer des hintersten Robots auf und beleuchtete für die vier Wesen den Weg. Plötzlich bewies Fenrir wieder seine Intelligenz. Er blieb stehen, stellte sich vor Razamon auf und machte merkwürdige Bewegungen. Der Atlanter fragte keuchend und schweißüberströmt: »Soll das heißen, daß du Pona tragen willst?« Fenrir kauerte sich zu Boden, und Razamon setzte seine Last auf die Schultern des Wolfes. Pona fürchtete sich, aber schließlich, als Fenrir sehr vorsichtig aufstand, krallte sie sich in die Nackenhaare und ver-
Hans Kneifel suchte ein schüchternes Lächeln. Die seltsame Karawane rannte weiter und kam schließlich in einen kurzen, geraden Stollen. Er war wie eine Röhre geformt und bestand aus roh bearbeitetem Felsen. »Wir sind unmittelbar vor dem Labyrinth von Gossanya-Tal«, erklärte pfeifend ein Robot. Als der Korridor endete, sahen sie, daß die Maschine eine exakte Auskunft gegeben hatte. Vor ihnen erstreckte sich eine rätselhafte, surrealistische Felsformation voller Löcher, vorspringender Kanzeln und schmaler Stege. Nur ein einziger schmaler Felssteg führte vom Ende des Stollens etwa dreißig Meter weit auf eine terrassenähnliche Fläche. Zwischen dem Stollenende und der riesigen, durchlöcherten Felswand gähnte ein dunkler Abgrund. Der erste Robot lief geschickt über den viel zu schmalen Steg und blieb am gegenüberliegenden Ende stehen. Er schrie laut: »Wir sind entsprechend programmiert worden. Unsere Aufgabe ist beendet!« »Halt!« schrie Balduur. Seine Stimme erzeugte zwar ein lautes Echo, bewirkte aber nichts. Der Robot sprang mit einer einzigen Bewegung vom Steg und explodierte fast lautlos in der Luft. Nach mehr als sechs Sekunden ertönte das Geräusch des ersten Anpralls der Trümmer gegen die Felsen. Balduur, der hinter dem Robot hergerannt war, blieb mitten auf dem Steg stehen und sah sich verwirrt um. »Verrücktes Ding«, rief er. »Der Steuermann ist übervorsichtig.« Der zweite Robot legte seine eigene Waffe auf den Steg, schnellte sich nach links und löste sich ebenfalls in einer Serie von Detonationen auf. Razamon und Balduur spähten nach unten und sahen in dem flackernden, weißen Licht, wie tief dieser rund dreißig Meter breite Abgrund wirklich war. Der Steuermann hatte tatsächlich hervorragend programmiert. Zwei Robots hatten sich schnell und präzise desintegriert. Die
Korridor der Dimensionen Spuren, die eventuell auf den schweigenden Gast im fremden Raumschiff deuten konnten, waren nachhaltig ausgelöscht worden. Razamon zweifelte nicht daran, daß auch die beiden anderen Maschinen denselben Weg gehen würden. Der Wolf mit Pona auf den Schultern lief genau in der Mitte des Felsbandes auf die gegenüberliegende Öffnung zu. Nur Razamon stand noch im Bereich des Tunnels und nahm die Strahlenlanze des dritten Robots entgegen. Die Maschine rannte geradeaus, warf sich in den Abgrund und löste sich auf. Razamon sprang zur Seite, als der letzte Robot an ihm vorbeirannte und ebenfalls die letzten Bytes seiner Programmierung verarbeitete, um sich zu desintegrieren. Das letzte Krachen erscholl aus der Tiefe. Razamon, mit zwei Strahlenlanzen bewaffnet, ging einige Schritte auf den Steg hinaus und blieb stehen. In dem schwachen Licht, das aus vielen jener unregelmäßigen Öffnungen schien, betrachtete er die Fläche vor ihm. Sie war größer als hundertsiebzig zu hundertsiebzig Meter und wirkte entfernt wie die Fassade eines Hauses. Viele kleinere und größere Terrassen sprangen wie Zungen aus der Linie des Felsens hervor. Dahinter waren Öffnungen wie Fenster oder Türen, auf merkwürdige Weise aus den zerklüfteten Steinmassen herausgesprengt. Niemand war zu sehen, es gab auch keine erkennbaren Spuren von Verseuchung. Keine Terrasse und keine Öffnung war der anderen gleich. »Los! Komm mit uns!« rief Balduur. Er befand sich bereits innerhalb der Wand und winkte herüber. »Sofort!« Dies also war der einzige halbwegs sichere Zufluchtsort für alle in Hyrconia, die von den Krolocs verfolgt wurden. Aus welchem Grund ausgerechnet diese Mauer als Labyrinth bezeichnet wurde, war Razamon nicht klar. Er begriff es auch nicht, als er vorsichtig über den Steg ging und schließlich neben seinen Freunden stehenblieb. »Wir müssen tiefer hinein. Hier sind wir
33 für jeden zu sehen.« »Meinetwegen.« Langsam bewegten sie sich geradeaus weiter. Vor ihnen wurde es heller, aber das Licht änderte seine Farbe. Links oben gab es eine blauweiße Insel der Helligkeit, schräg rechts von ihnen brannte ein düsteres Rot. Es gab alle denkbaren Farben, größere oder kleinere Nester und Ballungen in allen Teilen des dunklen Raumes. Nur zögernd gewöhnten sich ihre Augen an das ungewöhnliche Bild. Razamon sagte, vorsichtig weitergehend: »Wir sind wirklich in einem Labyrinth, Freunde!« An die durchlöcherte Wand schloß sich ein riesenhafter Bezirk an. Er war ausgefüllt von waagrechten und senkrechten Platten. Sie ergaben von hier aus gesehen tatsächlich das Bild eines ineinandergeschachtelten Systems von offenen Kästen aller Größen. Ein wahnsinniges Gehirn mußte diesen Bauplan gezeichnet haben. Auf den waagrechten Flächen schienen sich Gestalten zu bewegen. Die vielen Terrassen oder Balkone waren miteinander durch haarsträubend kühne Rampen, Treppen und Stege verbunden. Es war ein eigenartiger Höhlenkosmos, düster und seltsam riechend. »Was sollen wir hier eigentlich«, sagte Balduur und feuerte einen kurzen Schuß aus der Lanze ab. Der Strahl zuckte röhrend nach oben und zerplatzte am Fels. Ein Funkenregen erhellte kurz die Umgebung. »Wir sind erst einmal den Krolocs entkommen. Du denkst, daß eine Flucht immer nur eine Stunde dauert?« fragte Razamon sarkastisch zurück. »Das nicht. Aber ich ahne schon, daß wir hier niemanden finden, der uns schnell zum Erfolg weiterhilft. Sonst wären sie vermutlich selbst geflüchtet.« »Daran ist etwas Wahres«, stimmte Razamon zu. »Sehen wir weiter.« Auch jetzt waren Fels und glatter Stein unter ihren Sohlen. Balduur führte, die anderen folgten. Je tiefer sie in diesen Wirrwarr eindrangen, desto stechender wurde der Ge-
34 ruch. Die Lichtinseln zeigten ihnen schattenhafte Gestalten, die sich langsam bewegten. Sie standen da und starrten die Neuankömmlinge schweigend an. Die riesige Höhlung breitete sich in alle Richtungen aus. Mindestens zweihundert verschiedene Flächen, jeweils auf andere Art und durch eine andere Lichtfarbe genau abgegrenzt, schwebten überall. Es gab keine sichtbaren Wände, nur unendlich viele Flächen. Man würde tagelang auf den Rampen hinauf, hin und her und abwärts steigen müssen, um jede Plattform zu sehen. Razamon schauerte, als ihn wieder ein Luftstrom traf, der entsetzliche Gerüche mit sich schleppte. Er kam von oben und wehte Staub auf. »Vermutlich sind die Insassen dieses stinkenden Asyls ebenfalls Gefangene wie wir. Sie werden uns Tips geben können«, sagte Balduur und drehte suchend den Kopf. »Wenn sie wollen und uns verstehen«, meinte Pona. Sie hatte sich erholt, aber sie saß noch immer auf Fenrirs Rücken. Die Umgebung machte sie alle unsicher, sie wußten nicht, was sie davon zu halten hatten. Sie blickten hierhin, dorthin, und schließlich, wie auf Kommando, blieben sie stehen und starrten sich gegenseitig an. »Wir sind bewaffnet. Die Krolocs und ihre Roboter werden uns jetzt schon suchen. Sie sind überdies in der Mehrzahl. Vermutlich werden wir hier bleiben müssen«, sagte Razamon nachdenklich. »Mir fällt nichts dazu ein.« »Mir auch nicht. Die Roboter sind verglüht, und wir haben noch das Problem mit der Verseuchung. Wir sollten uns direkt an Heyzer Cor wenden.« »Du bist verrückt«, entfuhr es Pona von der Lichtung. »Ausgerechnet an den Kommandanten von Hyrconia! Meinst du, er schenkt uns eine seiner Flugscheiben?« »Schwerlich«, murmelte Razamon. »Trotzdem ist das die einzige Idee, die ich habe.« Pona schüttelte verzweifelt den Kopf. Von rechts ertönte ein langanhaltendes Ge-
Hans Kneifel räusch, das wie ein zischendes Gelächter klang. Sie fuhren herum, Fenrir hätte beinahe Pona von seinem Rücken geschleudert. Von einer Plattform schräg über ihnen, rund fünfzehn Meter entfernt, hoben sich ein langer Schlangenkopf und ein noch längerer Hals. Das Wesen stützte sich mit zwei Reptilienpranken auf und bewegte Kopf und Hals wie suchend hin und her. Wieder stieß dieses Wesen ein Zischen aus und gurgelte laut. »Ihr wollt zu Cor?« Das Wesen sprach ein keuchendes Krolocisch. Pona übersetzte und fragte zurück: »Wer bist du?« »Ich bin Actic. Seit viel zu vielen Jahren hier gefangen. Von den Krolocs irgendwo erbeutet. Ich kenne Gossanya-Tal sehr gut.« Wieder übersetzte Pona. Je länger sie sprach, desto größere Pausen machte sie zwischen den Worten. Sie fragte: »Und die anderen hier?« Es war eine längere Antwort. Das schlangenähnliche Wesen sprang von der Plattform und federte neben ihnen zu Boden. Es ringelte seinen Körper zusammen, benützte einen langen Reptilienschwanz wie eine Spiralfeder und stemmte sich wieder hoch. Auf der Terrasse, von der er heruntergesprungen war, bauten sich ein Dutzend seiner Artgenossen auf. Sie schrien im Chor: »Wir sind seine Freunde. Wir sind Raumfahrer! Wir wollen auch fliehen!« »Es wird immer dramatischer«, knurrte Razamon. Balduurs Arm lag auf dem Nacken des Fenriswolfs. Er betrachtete die seltsame Gruppe mit äußerstem Mißtrauen. »Du kennst also Gossanya-Tal sehr gut?« »Richtig.« »Warum ist dieses Gebiet verseucht?« »Ich kenne nur die Sagen. Gossanya-Tal ist dicht unter der Kruste des Asteroiden. Es führen Gänge und Schächte hinaus, natürlich verschlossen. Vor undenkbarer Zeit hat man hier mit Kernenergie die Räume geschaffen. Mag sein, daß man sich in der Halbwertzeit geirrt hat. Jedenfalls haben die Krolocs Angst, hier aufzutauchen. Sie schicken im-
Korridor der Dimensionen mer ihre Roboter, aber die Maschinen sind zu dumm für diesen Irrgarten. Und es gibt auch geheime Stollen, die bis zum Bezirk Heyzer Cors führen.« Stockend übersetzte Pona. Es war deutlich zu merken, daß sie über dieses Thema höchst ungern sprach. Der Versuch, den Kroloc-Anführer als Geisel zu nehmen und zu fliehen, erschien ihr als geplanter Selbstmord. Razamon wartete, bis alles übersetzt war, und hörte dann den Chor der Schlangenwesen schreien: »Wir helfen euch. Ihr habt Initiative und seid mutig. Wir zeigen euch alles. Wir helfen auch gegen die neidischen Satalas dort oben. Die rote Plattform. Es sind lauter dumme Gefangene.« Razamon hob die Arme und sagte mit Entschiedenheit: »Schon allein deshalb, weil wir dieses Irrenhaus hier verlassen können, sollten wir den Versuch wagen. Allerdings ohne Pona.« »Ihr seid wirklich verrückt!« rief Pona mit rauher Stimme aus. »Die anderen Gefangenen haben solche verzweifelten Aktionen sicher auch schon geplant.« Actic fauchte und gurgelte: »Geplant, aber niemals ausgeführt. Nur wir sind schlau. Die anderen sind alle blöde.« »Es scheint wenig Liebe oder Gemeinsamkeit hier zu herrschen«, sagte Balduur schroff. »Komm, Partner«, erwiderte Razamon. »Gehen wir, um die Dinge in Bewegung zu setzen. Vielleicht kämpfen die anderen mit, wenn wir Erfolg haben.« »Wahnsinnige!« rief Pona. »Wir werden alle sterben.« Actic stimmte sein grausiges Gelächter an und sprang vor den vier Gefangenen in seltsamen Sprüngen auf und nieder. Er schien voller Begeisterung über den unverhofften Besuch zu sein. Und über die bevorstehende Unterbrechung des eintönigen Einerlei der langen Jahre.
8.
35 Irgendwie schienen Actic und seine Artgenossen Kollektivwesen zu sein. Actic hob seinen Körper in die Höhe und lief auf vier Beinen. Der lange Schwanz, der mit schillernden Schuppen besetzt war, war eine Art Gleichgewichts- und Balanceorgan. Actic hatte vier Beinpaare; er nahm sich eine Energielanze von Pona und sagte in seiner eigenartigen Sprechweise: »Wir, das tollkühne Dutzend, werden Schwanz an Schwanz mit euch kämpfen. Wir leiten euch sicher durch die Fährnisse des Irrgartens.« Nacheinander sprangen die elf anderen Schlangenwesen von der Plattform. Razamon, den Text der pathetischen Rede übersetzt im Ohr, sah fassungslos und zwischen Verzweiflung und Gelächter schwankend zu und zählte. Jedes Wesen federte sich vom Boden hoch, entblößte einen Krokodilrachen und nannte seinen Namen. »Ectic!« »Nactic!« »Zactic!« Und so weiter. Auch ihre Bewegungen waren ziemlich synchron. Sie schienen alle ein mißgünstiges, aber gesprächiges, irgendwie laszives Völkchen zu sein. Aber im Hinblick auf eine geglückte Flucht hätten sich Balduur und Razamon auch mit Fledermäusen, Stinktieren oder bissigen Katzen verbündet. Die Nectics und Vectics formierten sich zu zwei Reihen und tänzelten neben den Fremden von Pthor dahin und Actic hinterher. Er schien genau zu wissen, wohin es ging, denn er führte sie in beträchtlicher Geschwindigkeit einen Mittelgang entlang, mehrere Rampen aufwärts und dann auf einem Steg quer hinüber zur anderen Seite. Mit höflichem Gurgeln sagte er zu Pona von der Lichtung: »Schönste Freundin! Wir werden dich bei den sanftmütigen und mit Nahrung reich versehenen Haarelfen lassen. Sie sorgen für dich, bis die kühnen Kämpfer narbenbedeckt, aber erfolgreich wieder zurückkehren und dich vor der Wut der Krolocs schützen
36 können.« Razamon wartete, bis Pona übersetzt hatte, und antwortete dann: »Wenn unser Vorhaben so glatt geht wie dir der Text von den Lippen, dann müssen wir Erfolg haben, Actic!« »Was sagte ich anderes?« Die sanftmütigen Haarelfen kauerten, miteinander verschlungen, auf einer Plattform voller kissenähnlicher Gegenstände. Einige Leuchtkörper, tief im Felsen versenkt, verbreiteten grünes Licht. Die Haarelfen waren winzige Geschöpfe mit silbrig schimmerndem Pelz. Sie sahen schutzbedürftig und krank aus, aber der Eindruck täuschte wohl. Actic baute sich vor ihnen auf, stieß sein zischendes Gelächter aus und bat sie, auf Pona achtzugeben und sie zu füttern. Das Kommandounternehmen, sagte er, würde in Kürze wieder zurück sein. Eine der Elfen, nicht größer als ein Meter, sagte mit kindlicher Stimme: »Wir haben gehört, daß in Gossanya-Tal ein Fluchtfahrzeug vorhanden ist. Aber es kann auch ein Gerücht sein.« Pona versprach: »Wir werden versuchen, dem Gerücht nachzugehen. Ihr wollt tatsächlich zu Heyzer Cor vordringen?« Razamon erwiderte nachdenklich: »Wir sind keine Selbstmörder. Aber wir rechnen uns gute Chancen aus, mit Cor als Geisel fliehen zu können, um Pthor vor einer Invasion zu retten. Das ist unser Ziel. Richtig, Balduur?« »Ich bin deiner Meinung. Los, Actic, gehen wir.« Die Schlangenwesen begleiteten sie bis ins tiefste, unterste Innere des Irrgartens. Sie sahen auf diesem Weg erstaunliche Bilder. Viele verschiedene Wesen waren von den Krolocs geraubt oder gefangengenommen worden. Sie hatten es alle, einzeln oder in Gruppen, geschafft, sich nach Gossanya-Tal durchzukämpfen. Hier warteten sie in qualvoller Dunkelheit. Wie sie es schafften, Nahrung und Flüssigkeit zu finden, war Razamon schleierhaft. Aber je tiefer sie hin-
Hans Kneifel eingerieten, desto mehr Reste technischer Anlagen waren zu sehen. Zweifellos hatten die Krolocs dieses Gebiet innerhalb ihres Stützpunkts aufgegeben. Aber – aus welchem Grund? Razamons linkes Bein begann wieder zu schmerzen. Er versuchte, diese Belastung so gut wie möglich zu ignorieren; mit Balduur, der es ohnehin nicht verstanden und als Schwäche aufgenommen hätte, sprach er nicht darüber. Tropfende Rohre, dicke Energiekabel, technisch aussehende Beleuchtungskörper und Unmengen von festgetretenem und festgebackenem Unrat kennzeichneten diesen Bereich. Balduur rief von vorn: »Vielleicht war Gossanya-Tal ein erster Versuch, das Innere eines Asteroiden als Wohnbezirk zu gestalten. Diese Anordnung entspricht der Auffassung von Ameisen oder Termiten.« »Du magst recht haben«, sagte Razamon. »Und in einem Ameisenbau gibt es Hunderte von Gängen, Notstollen und ähnliche Einrichtungen.« Nach einem langen Irrweg abseits des belebten Gebiets kamen Fenrir, Actic, Razamon und Balduur, bewaffnet mit insgesamt fünf Strahlenlanzen, an ein rostiges Schott. Der schmale Gang endete blind vor diesem Verschluß. Wortlos machten sich Razamon und Balduur an der wuchtigen Verriegelung zu schaffen. Sie vermochten die Riegel erst dann zu lösen, als sie das Metall mit Energiestrahlen stark erhitzt hatten. Mehrere wuchtige Hiebe von Balduurs Schwert bewegten die Handgriffe. Mißtönend kreischend schwang das Schott auf, als Balduurs gewaltige Kräfte an der Metallplatte rissen. Der Tunnel ins Unbekannte war offen. Der Vorstoß ins Hauptquartier konnte stattfinden.
* Schweigend tappten sie durch die stinkenden, lichtlosen Gänge, Treppen und Stollen. Meistens waren die glimmenden Spitzen der Energielanzen die einzigen Lichtquellen.
Korridor der Dimensionen Razamon hinkte an letzter Stelle, vor ihm lief Fenrir. Razamon überlegte, wieviele hundert Kilometer er im Lauf seines Lebens schon durch derartige Gänge zurückgelegt hatte. Es ergab sicherlich eine ungeheure Strecke. Er grinste kurz und sah weit vor sich undeutliche Helligkeit. Als sie das Ende des Ganges erreicht hatten, blieb Actic stehen und sagte langsam in dem Versuch, genau verstanden zu werden: »Ich hier warten. Alles vorbereiten. Ihr immer geradeaus. Nectic und Haptic auch helfen. Versteht?« »Verstanden«, sagten Balduur und Razamon gleichzeitig. »Wir werden es schon schaffen.« Weiter, schneller, immer wieder über Rampen und durch enge Durchlässe hindurch, vorbei an uralten technischen Installationen und durch offenstehende Schotte. Sie merkten sich den Weg. Sie konnten sicher sein, daß auch Fenrir mit seinem unglaublichen Spürsinn sie auf den richtigen Weg zurückbringen würde. Jetzt änderte sich das Aussehen der Gänge wieder. Angefangene Plastiken, mehr Beleuchtungskörper, sorgfältiger bearbeitete Wände und ein glatter Boden ohne Abfallspuren ließen darauf schließen, daß man sich der bewohnten Zone schnell näherte. »Hör zu«, flüsterte Balduur eindringlich in die nervös zuckenden Ohren des Wolfes, »du mußt uns auf dem schnellsten und kürzesten Weg dorthin führen, wo wir verhört wurden. Zu Heyzer Cor. Wir müssen ihn finden.« Fenrir jaulte leise und stieß ein heiseres Knurren aus. »Versuche, den wichtigsten Punkt zu finden, Fenrir!« murmelte Balduur. »Wir verlassen uns auf dich. Wir brauchen dich!« Wieder knurrte der Wolf. Nach einigen Schritten gelangten sie an ein System von Kammern und Türen aus Stahl. Die Anlage war gepflegt und voller Darstellungen der Krolocs. Die Beleuchtungskörper in den Decken strahlten mildes Licht ab. Balduur senkte seine beiden Lanzen, die er in seiner
37 rechten Hand hielt. »Riskieren wir es?« »Meinetwegen.« Das letzte Schott schwang auf und wurde sofort wieder geschlossen. Ein blitzschneller Rundblick zeigte, daß die anschließenden Hohlräume leer waren. Aber von irgendwoher kamen Lärm und Geräusche, die möglicherweise Musik bedeuteten. Fenrir zeigte, daß er begriffen hatte. Er spurtete geräuschlos davon. Die Atlanter folgten und sicherten während des Rennens nach allen Seiten. Wieder begleiteten die bekannten Darstellungen ihren Weg: Friese, Statuen, Figuren und Reliefs aller Art. Hier allerdings schienen sie nicht aus Stein, sondern aus Metall zu sein. Die Pthorer kümmerten sich nicht darum, sondern rannten weiter. Sie konnten nicht mehr zurück und wollten es auch nicht. Die Erregung darüber, daß sie vermutlich kurz vor der geglückten Flucht standen, hatte sie ergriffen. Aus einem Korridor heraus gelangten sie, während Musik und Lärmen lauter und eindringlicher wurden, auf eine Rampe. Die Rampe führte hinaus auf einen Wendelgang, der nur einer von vielen war. Die terrassenförmig ansteigenden Balustraden umschlossen eine tiefgelegene Plattform; die Anordnung wirkte wie ein Amphitheater. Auf den verschiedenen Ebenen unter den Pthorern wimmelte es von Krolocs. Sie waren nicht bewaffnet, aber sie schienen irgendwelche Szenen vorzuführen. Die Balustrade vor den Eindringlingen war leer, und im Laufen warfen sie ab und zu einen Blick nach unten. Eindeutig fanden Feierlichkeiten statt. Ein unsichtbares Orchester spielte Musik, deren Klänge in den Ohren schmerzten und deren wilde Rhythmen die Männer stolpern ließen. Die Krolocs trugen seltsame Masken und Dinge, die an Feldzeichen erinnerten. Sie bildeten Reihen und Muster, sie schienen zu der Musik zu tanzen. »Vermutlich«, keuchte Razamon, der mit schmerzendem Bein hinter Fenrir einherhinkte, so schnell er konnte, »sind es Darstellungen aus vorkrolocischer Zeit. Der lan-
38 ge Weg der Parasiten zur Macht.« »Wir sind an einem Feiertag hier eingedrungen«, brummte Balduur und stürmte weiter. Der Riesenwolf rannte bis an das Ende der Balustrade und blieb rutschend vor einer Metallplatte stehen. Sie war mit der gleichen Art von silbernen Linien verziert wie der Körper jenes Vorgesetzten, der sie verhört hatte. »Hinein. Du gibst mir Feuerschutz, Razamon!« stieß Balduur hervor und griff mit der linken Hand nach dem tief unten angebrachten Knauf. Den Schild hatte er auf den linken Oberarm hinaufgeschoben. »Los!« Die Tür schwang auf und krachte gegen die Wand. Fenrir sprang hinein und hetzte mit riesigen Sätzen auf den Tisch im Hintergrund des niedrigen Raumes zu. Razamon feuerte einen kurzen Strahlschuß quer durch den Raum und dicht über den hochgerissenen Armen des Kommandanten in die Rückwand. Dann wirbelte er herum und schlug die Tür zu. Balduur rannte geradeaus und zielte mit der Doppellanze auf den einzelnen Kroloc. Der Kroloc griff nach einer reich verzierten Energielanze, die quer über seinem Tisch lag. Balduur ließ seine Waffen fallen, riß das Schwert heraus und schlug mit der Breitseite einmal wuchtig zu. Die beiden Kopfarme des Wesens wurden zur Seite geschleudert, und der Kroloc begann schrill zu pfeifen. Razamon feuerte vor ihm auf die Tischplatte und setzte unbekannte Gegenstände in Flammen. Fenrir stand neben dem Kommandanten und hielt einen Kopfarm im Rachen, aber er biß nicht zu. »Du Gefangener. Mitkommen. Schnell. Sonst tot«, sagte Razamon in gebrochenem Krolocisch. Langsam stemmte sich der Kommandant hoch. Sein Körper war ebenfalls von vielen silbernen Linien verziert, aber im Gegensatz zu dem anderen Anführer glänzten an den Kreuzungspunkten große Klumpen, die an schlecht geschliffene Edelsteine erinnerten.
Hans Kneifel Der Kommandant kam, halb von Fenrir gezogen, hinter dem Tisch hervor. Balduur hob die Waffen auf und berührte mit den Spitzen den Körper des Kommandanten. Heyzer Cor machte einen weiten, erschreckten Satz. Er schrie die drei Fremden an. Nur einzelne Worte wurden verstanden. »… verrückt … schnell … Rache … unmöglich … Verfolgung …« »Schon gut«, sagte Razamon. »Die Zeit drängt. Mitkommen!« Sie zerrten Heyzer Cor mit sich. Immer, wenn er sich loszureißen versuchte, biß Fenrir zu, und Balduur rammte ihm die Waffe in den Körper. Die Umgebung sah aus, als wäre sie nicht die administrative, sondern die private Sphäre des Kommandanten. Razamon öffnete die Tür und spähte hinaus. Der geschwungene Korridor war noch immer leer; er verlief dicht unter der künstlerisch gestalteten Decke des Theaters oder Versammlungsraums. »Es geht. Schnell, Balduur!« rief er unterdrückt und riß die Tür weit auf. Diesmal führte er an. Fenrir warf seinen Körper herum, renkte dem Kommandanten fast einen Kopfarm aus, und Balduur bildete die Nachhut. Sie rannten, so schnell sie konnten, den Weg zurück. Noch immer tobte unten die Musik, noch immer versuchten die Krolocs, ihr Schauspiel zu gestalten. Aber es war klar, daß eine gewisse Unordnung in die Szenen gekommen war. »Weiter. Nicht aufhalten!« Sie hatten etwa zwei Drittel der frei einsehbaren Strecke hinter sich gebracht. Heyzer Cor schien begriffen zu haben, daß sie es ernst meinten. Er verhielt sich schweigend und versuchte nicht mehr, sich loszureißen. Plötzlich hörte die Musik auf. Ein gewaltiges, schrilles Lärmen erhob sich. Dann, einige Sekunden später, schwiegen die Hunderte, oder Tausende Krolocs. Eine scharfe, grelle Stimme ertönte und rief Befehle. Wieder begann das Lärmen von vielen Stimmen. Die Krolocs schienen ihre Masken und zeremoniellen Ausrüstungsgegenstände wegzuwerfen und aufzubrechen.
Korridor der Dimensionen »Sie sind hinter uns her«, sagte Razamon scharf. »Gleich sind wir in unserem Geheimsystem.« Er prallte förmlich auf das Schott und riß es mit bebenden Fingern auf. Sie stießen Heyzer Cor durch die Öffnung, und als er sich gegen den Rahmen stemmte, biß Fenrir zu. Balduur riß die Schleusentür zu und feuerte aus sicherem Abstand auf die Riegel. Er schmolz sie zusammen – es würde ihnen jedenfalls einen gewissen Zeitaufschub geben. Am Ausgang der Kammern und Schleusen stießen sie auf Actic und Nectic. Die Schlangenwesen hielten die restlichen Strahlenlanzen in ihren Klauen und zielten auf die Decke. »Wir helfen. Aha. Kommandant. Heyzer Cor … schön.« Er deutete mit den Krallen ins Innere der Gänge. Als Razamon vorbei war, feuerten die Schlangenwesen in die Decke und versuchten, die schweren Platten auseinanderzutrennen. In den Ecken und den Haltepunkten schmolz knirschend und rauchend das Gestein. Einige Brocken lösten sich und polterten krachend herunter. Schritt um Schritt zogen sich die beiden Wesen zurück. Eine Platte löste sich und zerschellte in den Trümmern. Hinter der Verzierung brach eine gewaltige Menge loses Gestein hervor, hüllte alles in eine ätzende Staubwolke und riß die Leitungen ab. Grelle Blitze hämmerten durch den Staub. Wieder sackte ein anderer Teil herunter, löste sich auf und kippte ins Innere der Kammer. Die Schlangenwesen verschlossen das nächste Schott, verschweißten die Riegel und wiederholten ihr Zerstörungswerk in der nächsten Schleuse. Es würde schwer sein, durch die Geröllmassen durchzustoßen. Dann hasteten Actic und Nectic den anderen nach.
* Etwa nach einem Drittel der Strecke hielt Actic an und hob die Energielanze. Er wandte sich an seinen Artgenossen und fragte
39 Skeptisch: »Du meinst, daß die Krolocs diesen Schlag hinnehmen?« Über ihnen hing ein riesiger Felsblock aus der Wand. Der Stollen führte darunter vorbei, einige lose Leitungen hingen bündelweise herunter. »Keinesfalls. Aber der Kommandant als Faustpfand kann uns allen nützen. Die Fremden haben die Dinge in Bewegung gebracht.« »Zugestimmt. Wir unterstützen sie also weiter?« »Selbstverständlich, Actic.« Actic rannte weiter, hob die Lanze und feuerte in die Basis des Felsbrockens. Kurz darauf brannte sich der zweite Strahl zischend ins Gestein. Wieder hallte das schauerliche Knirschen der Felsmassen durch die Gänge. In einer Wolke aus Rauch, glühenden Spritzern und Gesteinstrümmern brach der gewaltige Brocken zu Boden und verkeilte sich zwischen den Wänden. »Ein Hindernis mehr. Auf diesem Weg werden sie Gossanya-Tal nicht betreten.« »Wenn sie sich tatsächlich in diese Zone hereinwagen. Glaubst du daran, daß bei uns ein Fluchtfahrzeug versteckt ist?« »Es ist durchaus möglich. Keiner in Gossanya kennt die anderen Gruppen wirklich.« Sie hasteten weiter und kamen schließlich an die Stelle, an der die Geheimgänge in das Wirrwarr des Irrgartens überleiteten. Actic und Nectic waren verwundert, als ihnen ein ungeheurer Lärm entgegenschlug. Gossanya-Tal war im Aufruhr. Schreie ertönten, die vielen Lichter flackerten, Schüsse aus Strahlwaffen peitschten durch das gewaltige Gewölbe. Aufgeregt eilten Actic und Nectic weiter und trafen auf einem der breiteren Korridore die anderen Mitglieder ihrer Gruppe. »Was ist los?« »Die Krolocs greifen an. Sie kämpfen sich über den Steg und scheinen zu wissen, wo die Gegner sind.« »Wo sind sie?« »In der Nähe des Eingangs. Die fremden
40 Krieger kämpfen bereits gegen sie.« Plötzlich drängte sich ein merkwürdiges Wesen zwischen sie. Es war ein Satala, einer aus einer Gruppe von schätzungsweise vierzig Individuen. Er sagte in einigermaßen verständlichen Krolocisch: »Ist es richtig, daß Pona die Enkelin des Lichtfürsten Nurcrahn von der Lichtung ist?« Actic, der die Satalas keineswegs schätzte, bezwang sich und erwiderte langsam: »Es mag sein. Ich habe keine entsprechende Information. Pona ist bei den Haarelfen gut aufgehoben.« Der Satala wirkte wie ein Würfel. Eine Unzahl von kleinen Beinen unterhalb des kantigen Körpers bewegte das Wesen, das durch die Gänge huschte wie ein schwebendes Fahrzeug. Der Körper war in schreienden Farben wild gemustert. Um die Mitte lief ein schwarzes Band, das von Sinnesorganen in willkürlicher und völlig asymmetrischer Anordnung unterbrochen war. Auf der obersten Fläche wuchs ein dickes Büschel drahtartiger Haare oder Federn hervor, das dem Satala ein irreführendes heiteres Aussehen verlieh. Die Haare spreizten sich und fielen nach allen Seiten. An jeder Kante des Würfels, der etwa eineinhalb Meter hoch war, gab es einen Arm, dessen Endglieder in einer anderen Form ausgeprägt waren. Auch diese unvernünftige Asymmetrie ärgerte die Schlangenwesen und verhinderte bisher einen Dialog mit den Satalas. Aber jetzt waren andere Dinge wichtig; für kleinlichen Streit war keine Zeit. »Die Haarelfen gaben diese Information weiter. Wir haben ein Fluchtfahrzeug gefunden!« »Wie?« »Ein Zufall. Ein Erzeugnis der Krolocs. Aber nur ein einziges Wesen kann darin Platz finden. Wir wissen zudem nicht, ob das Ding funktioniert. Es sieht aus wie ein Torpedo.« Nectic rief laut: »Wir befragen Pona von der Lichtung. Wenn sie wirklich mit dem Lichtfürsten ver-
Hans Kneifel wandt ist, wird sie uns helfen, wenn sie frei ist. Außerdem sollte sie schleunigst hier verschwinden, denn die Krolocs werden sie brutal benutzen. Kümmert ihr euch darum, Satala?« »Nicht euretwegen, sondern wegen der gemeinsamen Sache«, versprach das Würfelwesen. Sie alle oder fast alle waren Raumfahrer, aus diesem Grund waren sie an bestimmte Verhaltensregeln gewöhnt. »Gut. Wir vertrauen euch kurzfristig. Wir kämpfen an der Seite der drei Fremden gegen die Krolocs!« »Viel Glück. Schlagt sie zurück.« Actic und seine Artgenossen stürmten weiter, rasten die Rampen hinunter und hinauf und sahen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Überall rannten die geflüchteten Gefangenen umher. Aber überraschend viele von ihnen brachten seltsam aussehende Waffen zum Vorschein und rannten instinktiv hinter Actic und seinen Leuten her. Der Kampf erreichte gerade dort, wo der Steg in das Labyrinth mündete, seinen ersten Höhepunkt. Fenrir und eine Anzahl anderer Gefangener hielten den Kommandanten fest. Sie fesselten ihn mit Stricken oder Bändern, die sie fanden. Razamon kauerte in einer ausgezeichneten Deckung und schoß mit der Strahlenlanze auf die Gegner. Es gab eine unübersehbar große Menge davon. Eine Roboterarmee der Krolocs, alle stumpfschwarz und mit blitzenden Gelenken, viele davon mit integrierten Waffen, rückte aus den Korridoren und Gängen gegen Gossanya-Tal vor. Nur der Steg, der höchstens zwei von ihnen gleichzeitig gestattete, vorzudringen, verhinderte im Moment eine Katastrophe.
* Neun der »dummen« Satalas, jeder von ihnen mit einer hell strahlenden Lampe, rasten die Rampe hoch, überquerten einen schmalen Verbindungssteg und näherten
Korridor der Dimensionen sich der Plattform der Haarelfen. Ihre Bewegungen waren seltsam; sie schienen zwei oder drei Handbreit über dem Boden zu schweben. Die Lampen bildeten helle Punkte in dem Chaos der aufgeregten Flüchtlinge. Ihr Versteck war entdeckt worden, die Gefahr kam direkt auf sie zu. Auf der Plattform der Elfen hielten die Satalas an. »Du bist Pona von der Lichtung?« Pona richtete sich auf und sagte müde: »Ja. Das trifft zu.« »Dein Onkel ist der Lichtfürst Nurcrahn?« Sie richtete vorwurfsvolle Blicke auf die Elfen, die sich umeinander ringelten und einen einzigen Knäuel bildeten. »Ihr habt es verraten – ja, auch das stimmt.« »Dann kommst du sofort mit uns. Wir können dich retten.« »Das ist unmöglich! Sie werden gleich hier sein und uns alle töten.« Aus der Mitte des Würfels, aus einer weißen Membran, knarrte die Stimme des Satala: »Es ist ein Geschäft. Wir retten dich oder sorgen dafür, daß du flüchten kannst. Du hilfst uns, wenn es dir gelingt. Ein fairer Vorschlag?« Pona begann zu zittern, aber sie erwiderte trotzdem: »Fair. Das ist die Wahrheit?« »Ja. Aber das Vehikel ist alt. Wir sind Raumfahrer. Fünf von uns kümmern sich bereits darum. Die Zeit drängt. Los!« »Ich komme«, sagte sie und ließ sich von den Würfelwesen mitziehen. Sie eilten auf den Rampen und Stegen in irgendeinen Winkel, der weit oberhalb lag, hinter zahllosen Ebenen und Wänden verborgen. Dort, abermals nur im Licht der Handlampen, blieben sie vor einem seltsamen Gefährt stehen. Es sah aus wie ein Fisch mit vielen dreieckigen Flossen und glänzte an einigen Stellen, an den meisten anderen war der Flugkörper stark verrostet und von Öl- und Schmutzspuren bedeckt. Ein Satala rief:
41 »Ich habe die Tunnelsysteme reparieren können. Sie haben damals funktioniert. Sie sind in Ordnung, meine ich.« Der Flugkörper, etwa zehn Meter lang, steckte mit der spitzen Schnauze in einem runden Schacht. Einfache Gleitlager berührten rostige Führungsschienen, die im Schacht verschwanden. Die Öffnung stand offen, und gerade zwängte sich ein Satala daraus hervor. Er knarrte: »Sieht ganz gut aus. Wir brauchen nur das Ziel richtig zu programmieren.« Ein anderer wandte sich an Pona. »Du mußt in die Flugkapsel. Sie wird robotisch gesteuert. Aber wir brauchen das genaue Ziel. Sonst kommst du nicht weit, Pona.« »Ich verrate den Standort der Lichtung nicht.« »Du weißt, daß die Krolocs die Lichtung kennen«, sagte derjenige, der sich in dem Flugkörper aufgehalten hatte. »Außerdem sind sie in Kürze hier. Entscheide dich, Pona. Und das möglichst schnell.« »Ich habe mich bereits entschieden. Ich danke euch. Wie kann ich dieses Gerät programmieren?« »Kennst du die Koordinaten?« »Ja.« »Sage sie mir. Und wenn dich die Flugscheiben festhalten, mußt du das Programm löschen. Ich zeige dir, wie man das macht.« Sie brauchten etwa eine halbe Stunde. Dann schlüpfte Pona in den staubigen, stickigen Liegesessel und ließ sich anschnallen. Vor ihrem Kopf befand sich ein winziger Bildschirm. Der Eingang schloß sich und wurde von außen verriegelt; Pona drückte einige Sicherungshebel herunter. Sie wußte nicht, was sie erwartete. Trotzdem hoffte sie, daß dieses uralte Gefährt funktionieren möge. Die Flugkapsel bewegte sich. Sie wurde in den Schacht hineingeschoben. Ein Klirren war zu hören, sehr gedämpft und außerhalb der Kapsel. Dann traf ein harter Stoß das Fluggerät. Es schoß mit ständig zunehmender Geschwindigkeit durch den Tunnel. Die uralten Führungsaggregate heulten
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und kreischten, dann durchbrach die Nase des robotischen Geräts eine Folie und raste in den Weltraum hinaus. Ohne daß Pona etwas tun konnte, baute sich ein kleines Durchdringungsfeld auf. Der Flugkörper wurde schneller und schneller und zog eine scharfe Bahn durch die Staubmassen, jagte die kleineren Gerölltrümmer vor sich auseinander und wich schnell und ohne großen energetischen Aufwand den großen Bruchstücken aus. Pona und alle anderen in Gossanya-Tal hofften, daß dies ein Start in die Freiheit gewesen war. Aber der Weg bis zur Lichtung war weit und gefahrvoll. Der Korsallophur-Stau wimmelte von Flugscheiben der Krolocs. In der Tat war völlig offen, ob Pona Hilfe herbeirufen konnte, und wann, falls überhaupt, diese in Hyrconia eintreffen würde.
9. Es war eine Schlacht, die immer mehr ausartete. Die Verteidiger von Gossanya-Tal kämpften mit allem, was sich als Waffe verwenden ließ. Zwei Schlangenwesen, Balduur und Razamon und ein Satala kauerten in der Nähe des Haupteingangs und versuchten, das weitere Vordringen der Roboter zu verhindern. Wieder rannten gleichzeitig nebeneinander zwei Roboter auf den Steg hinaus. Hinter ihnen lauerten unübersehbare Mengen dieser flinken Kreaturen. Die Robots feuerten teils gezielt, teilweise versuchten sie, ihr Vordringen durch eine Feuersperre zu erleichtern. Balduur und Razamon blickten sich kurz an, nickten und feuerten. Die Strahlen zischten durch die Öffnung hinaus und trafen die Köpfe der Maschinen. Ein Robot blieb stehen, aber seine Waffe spuckte ununterbrochen Feuer. Der Strahl heulte durch eine der vielen Öffnungen und schmolz eine riesige Felsplatte zusammen. Eine dritte Maschine kam herangetappt und wurde von einem geschleuderten Felsbrocken getroffen.
Von der gegenüberliegenden Seite des Steges eröffneten ein halbes Dutzend Maschinen das Feuer. Ihre Schüsse trafen niemanden, aber die Wirkung war dennoch verheerend. Im Hintergrund des Irrgartens wurden Rampen und Stege getroffen und brachen rauchend auseinander. Ein ständiger Hagel von Gesteinstrümmern ging auf die Gefangenen nieder. Die verschiedenartigen Flüchtlinge rannten aufwärts zu den anderen Ausgängen und wehrten sich. Felsen sausten herunter und zerschmetterten Robots. Die bewegungsunfähigen Maschinen blieben an allen Stellen des Stegs liegen. Andere kletterten darüber oder versuchten es. Wenn einer den Eingang erreichte, wurde er von den Energiewaffen vernichtet. Bald häuften sich die zerfetzten Teile der Maschinen. Sie bildeten eine Barriere vor dem Eingang und genau darin. Und sie lagen von vorn bis hinten auf dem Steg. Es war im Moment unmöglich für die Maschinen, das Labyrinth zu erobern. Aber das war nur der Anfang. Razamon hob seine heiße, an der Spitze glühende Waffe und rief: »Aufhören! Spart eure Kräfte für den nächsten Angriff!« »Richtig. Sie werden mit verstärkten Kräften wiederkommen«, donnerte Balduur. »Was wißt ihr von Pona?« Aus dem Hintergrund schrie eine knarrende Stimme: »Sie ist weg. Mit einem Fluggerät. Vielleicht kommt sie mit Verstärkung wieder. Wir haben ihr geholfen.« »Ausgezeichnet!« Der Kommandant lag bewegungslos gefesselt auf einer Plattform. Auf die letzten Worte des Satala hatte sich ein vielstimmiger, lauter Jubel erhoben. Die Wesen in dem Versteck des Asteroiden hatten etwas, worauf sie hoffen konnten. Aber sofort änderte sich wieder das Geschehen. Die Krolocs reagierten so, wie es zu er-
Korridor der Dimensionen warten gewesen war. Die Roboter wichen vom Anfang des Stegs zurück. Eine Maschine schob sich nach vorn; ein kleiner Projektor war an ihr befestigt und erzeugte ein starkes Abwehrfeld. Das Summen deutete darauf hin, daß die Kraft des Geräts ungewöhnlich groß war. Die Maschine schwebte auf den Steg hinaus und schob die Wracks zuerst vor sich her, dann, als sich der Schrott staute und übereinanderschob, kippten die zerstörten Roboter rechts und links in den Abgrund. »Der nächste Angriff!« schrie Razamon. »Geht sparsam mit der Energie um!« Einige Verteidiger schleuderten Steinbrocken. Andere schossen aus einfachen ballistischen Waffen, wieder andere hatten kleine Energiewaffen oder solche, die Projektile verschossen. Ein Hagel von Strahlen und Objekten ergoß sich auf die Maschine und den Strom der folgenden Roboter. Aber der Abwehrschirm hielt fast allen Angriffen stand. Immer wieder knirschten die Metallteile und kippten langsam nach rechts und links. Der Steg wurde meterweise abgeräumt. Aus dem Abgrund ertönte ununterbrochen Krachen, Klirren und Scheppern. Balduur rief zu Razamon: »Jetzt zeigen sie's uns. Wir werden es verdammt hart haben, Partner!« »Jedenfalls ist Pona in Sicherheit.« Vermutlich hatte Heyzer Cor verstanden, daß seine wertvolle Gefangene geflohen war. Möglicherweise war diese Information aber auch im Wirrwarr des Kampfes verlorengegangen. Razamon zielte scharf am Rand des Abwehrschirms vorbei und traf einen Roboter mitten in die Kopfkonstruktion. Der Robot blieb stehen und wurde von seinem Nebenmann und dem darauffolgenden vom Steg gestürzt. Die Maschine hatte inzwischen die Öffnung im Irrgarten erreicht und berührte mit dem Schirm den Wall der aufgetürmten Maschinenwracks. »Wir schaffen es nicht!« rief Actic und versuchte, mit Dauerfeuer den Schirm zu durchschlagen und den Projektor zu treffen. Aber die Energie aus seiner Waffe floß nach
43 allen Seiten ab und waberte in breiten Farbbahnen und in Funkenströmen über den halbkugeligen Schirm. »Nur Mut. Wir überleben es.« »Da bin ich nicht sicher«, gab Actic zurück. »Redet nicht! Kämpft!« donnerte Balduur und schoß aus zwei Energielanzen auf das summende Monstrum, das sich Meter um Meter ins Innere vorkämpfte und die Masse der Wracks nach zwei Seiten auseinanderschob. Zwar führten die Wesen im Versteck einen erbitterten Kampf gegen die unaufhörlich nachdrückenden Roboter, aber sie richteten nicht sehr viel aus. Für jeden zerstörten oder vernichteten Robot kamen zwei oder drei andere und drangen mit unveränderter Kraft vor. Auch die Versuche, das schwebende Angriffsgerät von anderen Punkten aus zu zerstören, schlugen fehl. Razamon, Actic und Balduur beschränkten sich darauf, die nachquellenden Roboter unter Feuer zu nehmen. Die Schüsse saßen hervorragend und zerstörten jedesmal einen Robot. Aber drei Schützen waren zu wenig, um die Übermacht aufzuhalten. Die Roboter, jeweils zwei nebeneinander, verteilten sich. Die Schützen zogen sich, verfolgt von den Feuerstrahlen der Maschinen, in vorsichtigen Sprüngen zurück. Sie wurden verfolgt, warfen sich nieder und schossen zurück. Die Maschinen wurden zahlreicher, und sie waren auf Vernichtung programmiert. Jeder Kroloc-Robot, der nicht unmittelbar angegriffen wurde und sich wehren mußte, benutzte seine Kampfstrahlen dazu, das Labyrinth zu zerstören. Rampen wurden gesprengt, Plattformen sackten ab, viele Wesen starben oder wurden verletzt. Wieder flüchteten die Schützen mit den erbeuteten Kroloc-Waffen hinter noch unversehrte Wände. »Der Sieg dieser verdammten Maschinen ist nicht aufzuhalten«, rief Balduur und warf eine leergeschossene Lanze nach einem Robot. Die Maschine erfaßte das Ziel noch in der Luft und zerstörte das Gerät, bevor es
44 auftraf. »Aufzuhalten schon, aber nicht zu verhindern. Wir tun unser Bestes.« Die Rammaschine blieb stehen. Hinter ihr quollen jetzt, fast ungehindert, die Roboterkommandos über den Steg und ins Labyrinth hinein. Die Gegenwehr erstarb stückweise, die Flüchtlinge versuchten, in den hinteren oder tiefsten Teil des Irrgartens zu entkommen. Das Lärmen und Dröhnen von Hunderten gleichzeitig abgegebenen Schüssen und von den Projektoren erfüllte den riesigen Raum. Dazwischen waren die Schreie der Verwundeten und der flüchtenden Wesen zu hören. Immer wieder donnerten Felsplatten herunter. Wände brachen zusammen, Quadern stürzten herunter und erschlugen die Flüchtenden. Es war ein unvorstellbares Chaos voller Rauch, Flammen und Lärm. Dieses Chaos wurde durchzuckt von den gleißenden Energiestrahlen. Razamon, Balduur und Fenrir blieben zusammen und hetzten auf halbzerstörten Pfaden schräg nach unten. Die erste Gruppe der Roboter erreichte jetzt die Plattform, auf der zwischen rauchenden Trümmern und losgerissenen Brocken der Kommandant Heyzer Cor in unwürdig verrenkter Haltung lag, durch dicke Bündel von Fesseln bewegungsunfähig gemacht. Eine Serie schriller Befehle tobte den Maschinen entgegen. Einige von ihnen machten sich blitzschnell daran, die Fesseln aufzuschneiden. Heyzer Cor kam auf die Füße. Sein Kopf hob sich, sein Unterkiefer zitterte in höchster Erregung. Die Schmuckmineralien auf seinem Körper leuchteten und flackerten, als er schrie: »Ich will die drei Fremden lebend. Sie sind dort hinten. Verfolgt und stellt sie, aber krümmt ihnen keinen Tentakel!« Eine zweite Gruppe Maschinen rannte heran. Sie bildete einen Schutzgürtel um den Anführer. Er war als oberster Kommandant von Hyrconia eindeutig identifizierbar und wurde sofort als Befehlshaber akzeptiert.
Hans Kneifel Ein dritter Strom von Maschinen, leicht modifiziert ausgestattet, schaltete mächtige Scheinwerfer an, die das Dunkel durchschnitten und sich einen Weg zwischen Staubwolken und Rauch suchten. Das Licht erfaßte viele dahinrasende Flüchtende, aber keiner der drei Gesuchten tauchte auf. Ein Teil des falschen Gewölbes krachte herunter, verfehlte Heyzer Cor um einen Meter und zerschmetterte fünf Roboter, die von den Trümmern begraben wurden. Die übrigen Maschinen hoben Heyzer Cor hoch und rannten, Orientierungsschreie ausstoßend, zwischen den eindringenden Kommandos geradeaus auf den Eingang zu. Der Kommandant schenkte dem Wirrwarr und dem gewaltigen Durcheinander, das er passierte, keinen Blick. Er mußte zurück in sein Büro und die nächsten Schritte organisieren. Kurz bevor er entführt worden war, hatten sich eine Reihe von selbständig operierenden Scouts angesagt. Sie brachten neue Nachrichten; ihr Fund schien nichts weniger als sensationell für den Fortbestand der Millionen Krolocs und für die mögliche Ausweitung ihres Reiches zu sein.
* Heyzer Cor war Traditionalist. Er kannte aus Tausenden von geschichtlichen Quellen den Weg seines Volkes aus der unbedeutenden Situation von Sklaven bis hinauf zu den Beherrschern der Asteroiden. Er war weder bösartig noch machtlüstern. Er war pragmatisch, wenn es darum ging, das Volk der Krolocs in jeder Hinsicht zu fördern. Da er sich für die Krolocs verantwortlich fühlte und die Macht über Hyrconia fast uneingeschränkt besaß, hatte er sich auch um jede neue Chance zu kümmern. Der seltsame Körper, der sein Erscheinen durch Stoßwellen angekündigt hatte, war eine solche Chance. Er würde sie voll wahrnehmen. Die Fremden forderten sein Interesse heraus; sie waren ebenso entschlossen und schnell wie er und seine besten Leute. Vermutlich
Korridor der Dimensionen waren sie nicht gewillt, zu kooperieren. Es gab also Schwierigkeiten. Dank der Übersetzerin, die sie in ihre Gewalt gebracht hatten, war es auch möglich, mit diesen Fremden zu sprechen. Deshalb brauchte er sie lebend und möglichst unverletzt.
* Razamon stützte sich schwer auf Fenrirs Schultern und keuchte. Dann hustete er. Die Luft war voll von stinkendem Staub und ätzendem Rauch. »Wir können uns nicht einmal mehr wehren«, sagte er stockend. »Und die Maschinen kommen immer näher.« Fenrir stand mit gesträubtem Fell und entblößten Zähnen da und suchte ein Opfer. Aber auch das Tier war erschöpft. »Aber sie schießen weniger, Razamon.« Sie waren gehetzt worden, hatten sich aber selbst in eine aussichtslose Lage gebracht. Ihre Flucht, zuletzt ohne Actic, hatte sie kreuz und quer durch den Irrgarten geführt. Jetzt standen sie verschmutzt und waffenlos vor einer aufragenden Wand, die an beiden Seiten von hochstrebenden Seitenwänden begrenzt wurde. Ein Ausweichen war außerdem durch rauchende Barrieren von Gestein unmöglich gemacht. »Sie haben keine Ziele mehr«, sagte Razamon und versuchte, zur Ruhe zu kommen. »Worauf sollten sie feuern?« Scheinwerferstrahlen bewegten sich suchend durch den Rauch. Die Roboter waren leise und schnell. Ihre weichen Klauen fanden hervorragenden Halt auf den Trümmern. Nur hin und wieder, wenn Maschinen oder ihre metallenen Glieder aneinanderstießen, gab es harte Geräusche. Hin und wieder gellten Schmerzensschreie durch die halb zerstörte Höhle. Der Rauch wurde langsam nach oben abgesogen, und ebenso langsam klärte sich die Sicht. Dann erfaßte ein greller Lichtkegel die drei von Pthor. »Schluß!« sagte Balduur und senkte den Schildarm. »Ich habe selbst mit dem
45 Schwert keine Chance mehr. Ich wünschte, dies wäre ein Kampf auf Pthor gewesen.« »Ich wünschte, es wäre gar keiner gewesen. Und wir waren schon so erfolgreich«, murmelte Razamon niedergeschlagen. Der Scheinwerfer ließ sie nicht mehr los. Von drei Seiten strömten die spinnenähnlichen Roboter mit ihren leuchtenden technischen Sinnesorganen auf sie zu. Fenrir röchelte heiser vor Wut. Razamon versuchte, das Tier zu beruhigen und brummte beschwichtigende Worte in die Wolfsohren. Aus der Masse der Roboter löste sich ein einzelnes Exemplar und schrillte: »Nicht töten. Kommen. Leben. Heyzer Cor sprechen. Nicht kämpfen.« Offensichtlich, dachte Razamon, hatten die Krolocs mit den Kenntnissen der letzten Unterhaltungen Übersetzungsmaschinen gefüttert. Diese standen mit den Robotern oder wenigstens mit diesem Exemplar in Verbindung. Er hörte sich sagen: »Wir kommen.« »Tragen. Schneller.« Balduur verstand und hob die Hand. Sofort richteten sich mit leisem Knacken mindestens zwanzig Waffenläufe und spindelförmige Projektoren auf die Flüchtenden. »Unsinn. Ich sage, daß dieser Kämpfer, der unsere Sprache versteht, aber nicht spricht, nicht getragen wird. Er ist unser lebender Roboter.« »Verstehen«, pfiff die Maschine nach zwei Sekunden. »Kommen.« Die Männer wurden aufgehoben. Mühelos schleppte jeweils ein Robot einen Pthorer, der hinter dem Kopf auf dem Rücken saß und von den Kopfarmen nachdrücklich, aber nicht schmerzhaft gehalten wurde. Binnen kurzer Zeit rannten die Maschinen mit ihnen durch Gossanya-Tals Ruinen, auf den leeren Steg hinaus und in die Richtung auf Heyzer Cors Quartier. In gemächlichem Trab folgte Fenrir. Er griff keine Maschine an; er hatte eingesehen, daß es keine lebenden Gegner waren. Vor der bekannten Tür setzten die Robots ihre Gefangenen ab. Die Tür rollte auf, der Robot sagte:
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»Gehen. Heyzer Cor sprechen.« Razamon nickte und ging mit hängenden Schultern auf den Tisch zu. Hinter der Platte saß der Kommandant. Das Funkeln seiner Schmucksteine hatte nachgelassen. Auch jetzt wieder konnten die Pthorer keinerlei Gemütsbewegung feststellen. Aber inzwischen hingen von der Decke vor ihnen Mikrophone und Lautsprecher herunter. Die Lautsprecher gaben ein schwaches Zischen von sich. Übergangslos sprach Heyzer Cor in ein Mikrophon an seinem Tisch. »Ich suche Pona von der Lichtung! Wo ist sie?« Langsam übersetzten die Geräte, und das Pthora, das sie wiedergaben, war fast ebenso hilflos wie das des Robots. Dieser Umstand erhärtete Razamons Verdacht. »Vermutlich ist sie von deinen Robotern getötet worden«, sagte Balduur. »Ihr Schicksal war schlimmer als deines, denn wir hätten dich töten können.« Aus den Translatoren kamen schrille Laute. Als die Übersetzung fertig war, sprang der Kommandant erregt hoch. Seine Beine streckten sich und wurden steif. Er schrie: »Ich werde euch töten lassen. Meine Scouts haben den Asteroiden besucht, auf dem ihr lebt. Warum lebt ihr nicht darin?« »Weil wir es so wollen. Wir ziehen das Tageslicht allen anderen Lichtquellen vor. Und wenn die Krolocs versuchen, Pthor zu erobern, dann werden sich ihnen Millionen von Kämpfern wie wir entgegenwerfen. Wir waren ohne Waffen und haben Unmengen Robots vernichtet. Vermagst du dir vorzustellen, was geschieht, wenn wir unsere Waffen tragen? Wir sind nicht als Eroberer
in deinen Asteroiden gekommen, sondern als Besucher. Und du hast uns herausgefordert.« Eine Weile lang schwieg der Kommandant, nachdem er die Antwort verstanden hatte. Er schien ein wenig nachdenklicher, als er antwortete: »Ich werde über euch beschließen, wenn ich weiß, was meine Scouts von dem furchtbaren Asteroiden der tödlichen Kämpfer gesehen haben. Sie sind schon unterwegs.« Balduur rief grollend: »Du wirst zittern, wenn du erfährst, was sie gesehen haben. Du wirst dir wünschen, daß das Volk der Krolocs niemals auf uns gestoßen wäre.« Mit einer gewissen Überlegenheit entgegnete Heyzer Cor: »Das bezweifle ich. Immerhin lebt ihr noch. Wo Leben ist, ist Hoffnung. So hält es unsere Rasse.« »Ein weiser Spruch«, sagte Razamon, »und bei uns sagt man: Wo kein Kampf ist, ist kein Leben.« Er wußte, daß Worte wenig ausrichten konnten. Wenn die Scouts einigermaßen klug und scharfäugig waren, würden sie ohne große Schwierigkeiten die Verletzbarkeit Pthors in dieser Phase feststellen können. Und seit langer Zeit war Pthor sehr leicht zu verletzen; das gerade war das Kernproblem. Sie waren einmal wieder am Anfang angelangt und mußten versuchen, das Beste aus dieser hoffnungslosen Lage zu machen.
ENDE
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