Evolutionäre Psychologie
Dieses Buch ist Charles Darwin Francis Galton Gregor Mendel R. A. Fisher W. D. Hamilton George C. Williams John Maynard Smith Robert Trivers E. O. Wilson Richard Dawkins Donald Symons Martin Daly Margo Wilson Leda Cosmides John Tooby und allen Studenten der Evolutionären Psychologie aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gewidmet
David M. Buss
Evolutionäre Psychologie 2., aktualisierte Auflage
Fachliche Betreuung der deutschen Übersetzung durch Ulrich Hoffrage
ein Imprint von Pearson Education München • Boston • San Francisco • Harlow, England Don Mills, Ontario • Sydney • Mexico City Madrid • Amsterdam
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10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 07 06 05 04
ISBN 3-8273-7094-9 © 2004 by Pearson Studium ein Imprint der Pearson Education Deutschland GmbH, Martin-Kollar-Straße 10-12, D-81829 München/Germany Alle Rechte vorbehalten www.pearson-studium.de Lektorat: Christian Schneider,
[email protected] Korrektorat: Brigitta Keul, München Fachlektorat: PD Dr. Ulrich Hoffrage, MPI für Bildungsforschung Berlin Einbandgestaltung: adesso 21, Thomas Arlt, München Titelbild: Getty Images Herstellung: Claudia Bäurle,
[email protected] Satz: mediaService, Siegen (www.media-service.tv) Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell (www.KoeselBuch.de) Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis Danksagung
13
Vorwort
17
Zur deutschen Ausgabe
19
Teil 1 Grundlagen der evolutionären Psychologie Kapitel 1 1.1
Die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Weg zur evolutionären Psychologie
Meilensteine bei der Entstehung des modernen Menschen Meilensteine auf dem Gebiet der Psychologie Freuds Theorie der Psychoanalyse William James und die Psychologie der Instinkte Der Aufstieg des Behaviorismus Die erstaunlichen Entdeckungen kultureller Vielfalt Der Garcia-Effekt, „vorprogrammierte“ Furcht und der Niedergang des radikalen Behaviorismus Ein kurzer Blick in die Black Box: Die kognitive Revolution
Kapitel 2 2.1
24 26 28 30 33 34 36 39 41 42
Weit verbreitete Missverständnisse über die Evolutionstheorie 43 Missverständnis 1: Menschliches Verhalten wird von den Genen bestimmt Missverständnis 2: Das ist evolutionsbedingt – wir können nichts daran ändern Missverständnis 3: Gegenwärtige Mechanismen sind optimal ausgebildet
1.3 1.4
23
Meilensteine in der Geschichte der evolutionären Psychologie 24 Die Evolution vor Darwin Darwins Theorie der natürlichen Auslese Darwins Theorie der sexuellen Auslese Die Rolle der natürlichen und der sexuellen Selektion in der Evolutionstheorie Die moderne Synthese: Gene und partikuläre Vererbung Die Verhaltensforschung Die Gesamtfitness-Revolution Klärung von Adaptation und natürlicher Auslese Trivers’ bahnbrechende Theorien Die Kontroverse um die Soziobiologie
1.2
21
43 44 44
46 54 54 55 56 57 58 59
Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
67
Der Ursprung der menschlichen Natur
68
Drei Theorien über die Ursprünge komplexer Adaptationsmechanismen
68
Inhaltsverzeichnis
6
Die drei Produkte der Evolution Ebenen der Analyse in der evolutionären Psychologie
2.2
2.3
Der Kern der menschlichen Natur: Grundlagen evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen
82
Methoden zur Untersuchung von evolutionären Hypothesen
92
Datenquellen zur Untersuchung von evolutionären Hypothesen Archäologische Aufzeichnungen Daten von Jäger-Sammler-Gesellschaften Beobachtungen Selbstbeobachtungen Lebensdaten und öffentliche Aufzeichnungen Menschliche Erzeugnisse Überschreitung der Beschränkungen von Datenquellen
2.5
Die Identifizierung von adaptiven Problemen Anleitungen aus der modernen Evolutionstheorie Anleitungen aus dem Wissen universeller menschlicher Strukturen Anleitungen aus traditionellen Gesellschaften Anleitungen aus der Paläoarchäologie und der Paläoanthropologie Anleitungen aus gegenwärtigen Mechanismen Anleitungen aus Aufgabenanalysen Organisation von adaptiven Problemen
Teil 2 Überlebensprobleme Kapitel 3 3.1
82
Alle Arten haben eine Natur Definition eines evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus Wichtige Eigenschaften evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen Vergleich unterschiedlicher Arten Vergleich von Männern und Frauen Vergleich von Individuen innerhalb einer Art Vergleich derselben Individuen in verschiedenen Zusammenhängen
2.4
70 74
Kampf gegen die feindlichen Kräfte der Natur – Menschliche Überlebensprobleme1 Beschaffung und Auswahl von Nahrung Nahrungsauswahl bei Ratten Nahrungsauswahl beim Menschen Warum Menschen Gewürze mögen: Die antimikrobielle Hypothese Warum Menschen gerne Alkohol trinken: ein evolutionärer Kater? Übelkeit bei schwangeren Frauen: Die EmbryonenschutzHypothese
83 86 93 94 95 95
97 97 97 97 98 99 99 100
100 101 101 102 102 102 103 103
107 09 110 111 112 114 115 116
Inhaltsverzeichnis
7
Die Jagd-Hypothese Die Sammler-Hypothese Vergleich der Jagd- und Sammler-Hypothese Die Aasfresser-Hypothese Adaptationen zum Sammeln und Jagen: Geschlechtsunterschiede in spezifischen räumlichen Fähigkeiten
3.2
118 123 124 126 128
Einen Platz zum Leben finden: Lager- und Landschaftsvorlieben
130
Die Savannen-Hypothese
3.3
130
Kampf gegen Raubtiere und andere Umweltgefahren: Ängste, Phobien und „evolutionäres Gedächtnis“
133
Die häufigsten menschlichen Ängste Die Raubtier-Vermeidungs-Adaptation von Kindern Krankheitsbekämpfung
3.4
134 137 140
Sind Menschen programmiert zu sterben?
141
Die Theorie der Seneszenz (des Alterungsprozesses) Das Rätsel des Suizids
Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl Kapitel 4 4.1
141 143
149
Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
151
Theoretischer Hintergrund der Evolution von Partnerpräferenzen
152
Asexuelle und sexuelle Fortpflanzung 152 Elterliche Investitionen und sexuelle Selektion 154 Partner-Vorlieben als psychologische Mechanismen der Evolution 155
4.2
4.3
Inhalte der Partner-Präferenzen der Frau
157
Präferenz für wirtschaftliche Ressourcen Präferenz für gute finanzielle Aussichten Präferenz für einen hohen gesellschaftlichen Status Präferenz für ältere Männer Präferenz für Ehrgeiz und Fleiß Präferenz für Zuverlässigkeit und Stabilität Präferenz für athletische Fähigkeiten Präferenz für gute Gesundheit und gutes Aussehen Liebe und Bindungswille Präferenz für die Bereitschaft, in Kinder zu investieren
158 159 163 165 167 168 169 171 174 176
Kontexteffekte auf die Partnerpräferenzen der Frau
178
Die Auswirkungen der eigenen Ressourcen der Frau auf ihre Partnerwahl Die Auswirkungen der zeitlichen Dimension auf die Partnerpräferenzen der Frau Die Auswirkungen des Menstruationszyklus auf die Partnerpräferenzen Die Auswirkungen des Partnerwerts der Frau auf ihre Partnerwahl
179 180 181 182
Inhaltsverzeichnis
8
4.4
Wie die Partnerpräferenzen der Frau die tatsächliche Partnerwahl beeinflussen184 Reaktionen von Frauen auf Kontaktanzeigen von Männern 184 Eheschließungen von Frauen mit beruflich gut situierten Männern 185 Eheschließungen von Frauen mit älteren Männern 186
Kapitel 5 5.1
Langfristige Partnerwahl-Strategien des Mannes
191
Theoretischer Hintergrund der Evolution von Partnerpräferenzen von Männern
191
Warum Männer von Bindung und Heirat profitieren Das Problem, die Fruchtbarkeit oder den reproduktiven Wert einer Frau einzuschätzen
5.2
Inhalte der Partnerpräferenzen von Männern Präferenz für Jugend Physischer Schönheitsstandard Präferenzen für Körperfett und das kritische Verhältnis der Taille zur Hüfte Geschlechtsunterschiede in der Bedeutung des physischen Erscheinungsbildes Haben Männer eine Präferenz für ovulierende Frauen? Lösungen für das Problem der Ungewissheit der Vaterschaft
5.3
Kontexteffekte auf männliches Partnerverhalten Männer in Machtpositionen Kontexteffekte durch Betrachten attraktiver Models
5.4
Auswirkungen der Präferenzen von Männern auf das tatsächliche Partnerverhalten Die Antworten von Männern auf die Bekanntschaftsanzeigen von Frauen Alterspräferenzen und Eheschließungen Auswirkungen der Partnerpräferenzen von Männern auf die Anziehungstaktiken der Frauen
Kapitel 6 6.1
6.3
193
194 195 199 202 206 207 209
212 214 215
217 217 217 218
Kurzfristige sexuelle Strategien
223
Theorien der kurzfristigen sexuellen Beziehungen des Mannes
223
Adaptive Vorteile kurzfristiger Beziehungen für den Mann Potentielle Kosten kurzfristiger Beziehungen für den Mann Adaptive Probleme, die Männer bei einer kurzfristigen Partnerstrategie lösen müssen
6.2
191
224 224 226
Belege für eine durch Evolution entstandene kurzfristige Partnerwahlpsychologie
228
Physiologische Belege für kurzfristige Beziehungen Psychologische Belege für kurzfristige Beziehungen Verhaltensbezogene Belege für kurzfristige Beziehungen
229 231 237
Kurzfristige Partnerwahl der Frau Belege für die kurzfristige Partnerwahl der Frau Hypothesen über die adaptiven Vorteile kurzfristiger Beziehungen für die Frau
239 239 240
Inhaltsverzeichnis
Kosten der kurzfristigen Partnerwahl für die Frau Empirische Untersuchungen über die hypothetischen Vorteile für die Frau
6.4
Kontexteffekte der kurzfristigen Partnerwahl Individuelle Unterschiede bei kurzfristigen Affären Andere Kontexte, die verstärkt zur Wahl eines kurzfristigen Partners führen können
Teil 4 Herausforderungen der Elternschaft und Verwandtschaft Kapitel 7 7.1
7.2
8.1 8.2
244
247 247 248
255 257
Warum kümmern sich Mütter mehr als Väter um den Nachwuchs?
259
Die Hypothese über die Ungewissheit der Vaterschaft Die Hypothese des Verlassen-Könnens Die Hypothese der Opportunitätskosten – der Kosten durch verpasste Paarungsmöglichkeiten
260 261
Eine evolutionäre Perspektive der elterlichen Fürsorge
263
Die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts Mutter-Kind-Konflikt im Uterus Der Ödipus-Komplex
Kapitel 8
243
Probleme im Kontext von Elternschaft
Genetische Verwandtschaft der Nachkommen Die Fähigkeit der Nachkommen, die elterliche Fürsorge in reproduktiven Erfolg umzuwandeln Alternative Verwendung der Ressourcen, die für Investitionen in Kinder vorhanden wären
7.3
9
262 264 272 277
284 285 287
Probleme im Kontext von Verwandtschaft
293
Theorie und Auswirkungen der Gesamtfitness
294
Hamilton-Regel Theoretische Auswirkungen der Hamilton-Regel
294 296
Empirische Ergebnisse, die die Implikationen der Gesamtfitness-Theorie belegen
301
Warnrufe der Erdhörnchen Hilfeleistungen im Leben amerikanischer Frauen Menschliche Hilfe auf Leben und Tod Genetische Verwandtschaft und emotionale Nähe: Ist Blut dicker als Wasser? Verwandtschaft und Überleben Vererbungsmuster – Wer hinterlässt wem sein Vermögen? Investitionen durch die Großeltern Geschlechtsbezogene Unterschiede bezüglich der Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungen Ein umfassenderer Blick auf die Evolution der Familie Die Schattenseite der Familie
301 303 304 307 307 308 312 319 320 325
Inhaltsverzeichnis
10
Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften Kapitel 9 9.1
Kooperative Allianzen
335
Die Evolution von Kooperation
335
Das Problem des Altruismus Die Theorie des reziproken Altruismus Tit For Tat – Wie du mir, so ich dir
9.2
Beispiele für Kooperation in der Natur Teilen der Nahrung bei Vampirfledermäusen Reziprozität unter Primaten Politik unter Schimpansen Theorie des sozialen Vertrags Die Entdeckung künftiger Altruisten Die Psychologie der Freundschaft Kosten und Nutzen von Freundschaften Kooperative Koalitionen
Kapitel 10 10.1
341 341 342 343 344 350 352 358 362
367
Aggression als Lösung adaptiver Probleme
368
Warum sind Männer physisch aggressiver als Frauen? Empirische Belege für bestimmte adaptive Aggressionsmuster Belege für geschlechtsbezogene Unterschiede bei gleichgeschlechtlicher Aggression Kontexte, die bei Männern Aggressionen gegen Männer auslösen Kontexte, die bei Frauen Aggressionen gegen Frauen auslösen Kontexte, die bei Männern Aggressionen gegen Frauen auslösen Kontexte, die bei Frauen Aggressionen gegen Männer auslösen Kriegsführung Haben Menschen evolutionsbedingte Tötungsmechanismen?
Kapitel 11
336 336 337
Aggression und Kriegsführung Vereinnahmung der Ressourcen anderer Verteidigung gegen einen Angriff Kosten für intrasexuelle Rivalen Verhandlung über Status und Macht-Hierarchien Abschreckung zukünftiger Aggression durch Rivalen Verhinderung sexueller Untreue durch langfristige Partner Die Kontext-Spezifität der Aggression
10.2 10.3
333
369 370 370 371 371 372 372
374 377 377 384 386 387 389 389 400
Konflikte zwischen den Geschlechtern
407
11.1 11.2
Theorie der interferierenden Strategien Konflikte über das Ob und Wann von Sex
407 409
11.3
Eifersucht
Konflikte über sexuellen Zugang Geschlechtsunterschiede bei der Eifersucht
410
423 424
Inhaltsverzeichnis
11.4
Von der Wachsamkeit zur Gewalt: Taktiken der Partnerbindung Geschlechtsunterschiede in der Anwendung von Taktiken der Partnerbindung Kontexte, die die Intensität der Taktiken der Partnerbindung beeinflussen Gewalt gegen Partner
11.5
Konflikte über Zugang zu Ressourcen
11
429 429 432 435
438
Gründe der Ungleichheit von Ressourcen: Die Partnerpräferenzen der Frauen und die kompetitiven Taktiken der Männer 439
Kapitel 12 12.1 12.2 12.3
Status, Prestige und soziale Dominanz
447
Die Bildung von Dominanz-Hierarchien Dominanz und Status im Tierreich Evolutionstheorien zu Dominanz und Status
448 449 451
Eine Evolutionstheorie über die geschlechtsbezogenen Unterschiede beim Streben nach Ansehen Dominanz-Theorie Die Theorie der sozialen Aufmerksamkeitserhaltung Determinanten der Dominanz Der Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl und Status Strategien der Unterordnung
Teil 6 Eine integrierte psychologische Wissenschaft Kapitel 13 13.1
481
In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
483
Evolutionäre kognitive Psychologie
484
Problemlösungen: Heuristiken, Neigungen und Urteile unter Unsicherheit Die Evolution der Sprache
13.2
452 459 462 465 471 474
Evolutionäre Sozialpsychologie
487 493
497
Kapital schlagen aus Evolutionstheorien über soziale Phänomene 498 Die Evolution moralischer Emotionen 499 Die Rückkehr der Gruppenselektion als mehrschichtige Selektionstheorie 502
13.3
Evolutionäre Entwicklungspsychologie Mechanismen für die Theorie des Geistes (theory of mind) Bindung und lebensgeschichtliche Strategien
13.4
Evolutionäre Persönlichkeitspsychologie Alternative Nischenwahl oder strategische Spezialisierung Adaptive Beurteilung vererbbarer Eigenschaften Häufigkeitsabhängige adaptive Strategien
13.5
Evolutionäre klinische Psychologie Ursachen für Fehler in den Mechanismen Evolutionäre Einblicke in fälschlicherweise als Fehlfunktionen bezeichnete Probleme
503 504 506
509 511 512 513
515 516 517
Inhaltsverzeichnis
12
13.6
Evolutionäre Kulturpsychologie Evozierte Kultur Übertragene Kultur Die Evolution von Kunst, Fiktion, Film und Musik
13.7
521 522 524 525
Auf dem Weg zu einer geeinten Psychologie
529
Abbildungsverzeichnis
531
Literaturverzeichnis
533
Namens- und Sachregister
585
Danksagung Die Danksagungen für dieses Buch richten sich nicht nur an Kollegen, die den Inhalt direkt kommentiert haben, sondern auch an diejenigen, die meine persönliche evolutionäre Odyssee beeinflusst haben, die sich nun schon über mehr als 20 Jahre erstreckt. Mein Interesse für die Evolution wurde Mitte der 70er Jahre in einem Geologiekurs geweckt, den ich in einem der ersten Semester an der Universität besuchte. Damals erkannte ich, dass es Theorien gab, die speziell darauf ausgerichtet waren, den Ursprung der Dinge zu erklären. Meine ersten evolutionären Versuche machte ich mit einem Referat im Jahr 1975, in dem ich Spekulationen aufstellte, die sich auf heute lächerliche Primaten-Vergleiche stützten und darauf hinausliefen, dass der Hauptgrund, aus dem der Mensch Statusbestrebungen entwickelt hat, darin besteht, dass dieser höhere Status gleichzeitig mehr sexuelle Möglichkeiten bedeutete. Mein Interesse an menschlichem Verhalten und an Evolution wuchs, als ich mein Studium an der Universität von Kalifornien in Berkeley fortsetzte, doch den fruchtbarsten Boden für das Gebiet der Evolution fand ich an der Harvard-Universität vor, die mir 1981 eine Stellung als Assistenzprofessor der Psychologie anbot. Dort begann ich in einem Kurs über die menschliche Motivation zu unterrichten, wobei ich mich auf die Prinzipien der Evolution stützte, auch wenn das Wort Evolution im Lehrbuch kaum erwähnt wurde. Meine Vorlesungen basierten auf den Arbeiten von Charles Darwin, W. D. Hamilton, Robert Trivers und Don Symons. Ich nahm eine Korrespondenz mit Don Symons auf, dessen Buch aus dem Jahr 1979 viele als die erste moderne Abhandlung über die menschliche evolutionäre Psychologie betrachten. Don schulde ich besonderen Dank. Seine Freundschaft und seine einsichtigen Kommentare begleiteten so gut wie alles, was ich über die evolutionäre Psychologie geschrieben habe. Beeinflusst von seinen Ideen entwarf ich 1982 mein erstes evolutionäres Forschungsprojekt über das menschliche Partnerverhalten, das sich schließlich zu einer kulturübergreifenden Studie mit 10.047 Teilnehmern aus 37 Kulturen auf der ganzen Welt ausweitete. Als mein Interesse an der Evolution allmählich bekannt wurde, klopfte eines Tages eine brillante junge Harvard-Studentin namens Leda Cosmides an meine Bürotür und stellte sich vor. Wir führten eine erste Diskussion (oder vielmehr Auseinandersetzung) über Evolution und menschliches Verhalten, der noch viele folgen sollten. Leda stellte mich ihrem ebenso brillanten Ehemann und Kollegen John Tooby vor und zusammen versuchten sie, einige der gravierendsten Fehler in meiner Denkweise zu korrigieren – etwas, das sie bis heute tun. Durch Leda und John lernte ich Irv DeVore kennen, einen bekannten Anthropologen von Harvard, der in seinem Haus in Cambridge „Affenseminare“ abhielt. Außerdem lernte ich durch sie Martin Daly und Margo Wilson kennen, die in Harvard ihren Forschungsurlaub verbrachten. Zu diesem Zeitpunkt, Anfang bis Mitte der 80er Jahre, hatten Leda und John noch nichts über evolutionäre Psychologie veröffentlicht und die Bezeichnung des evolutionären Psychologen existierte noch gar nicht. Das nächste wichtige Ereignis in meinem evolutionären Streben trat ein, als ich zu einem Mitglied des Forschungsteams am Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences in Palo Alto gewählt wurde. Dank der Ermutigung des Direktors Gardner Lindzey schlug
14
Danksagung
ich ein spezielles Projekt für das Zentrum mit dem Titel „Grundlagen einer evolutionären Psychologie“ vor. Nachdem der Vorschlag angenommen wurde, verbrachten Leda Cosmides, John Tooby, Martin Daly, Margo Wilson und ich die Jahre 1989 und 1990 am Zentrum und arbeiteten an den Grundlagen einer evolutionären Psychologie. Dabei ließen wir uns auch nicht von dem Erdbeben stören, das damals die Küste erschütterte. Die größte intellektuelle Hilfe beim Schreiben dieses Buches erhielt ich von Leda Cosmides, John Tooby, Don Symons, Martin Daly und Margo Wilson, allesamt Pioniere und Begründer der aufstrebenden Wissenschaft der evolutionären Psychologie. An beiden Küsten, in Harvard und am Center of Advanced Study gab es sehr viele neue Vertreter der evolutionären Psychologie, doch muss ich auch zwei anderen Institutionen und ihren Mitarbeitern danken. Zum einen unterstützte die Universität von Michigan zwischen 1986 und 1994 die Gruppe Evolution und menschliches Verhalten. Besonderer Dank gebührt Al Cain, Richard Nisbett, Richard Alexander, Robert Axelrod, Barb Smuts, Randolph Nesse, Richard Wrangham, Bobbi Low, Kim Hill, Warren Holmes, Laura Betzig, Paul Turke, Eugene Burnstein und John Mitani für ihren Einsatz in Michigan. Zum anderen danke ich der psychologischen Fakultät an der Universität Texas in Austin, die das Vorwissen besaß, um eines der ersten Studienprogramme der evolutionären Psychologie weltweit zusammenzustellen mit der Bezeichnung Individuelle Unterschiede und evolutionäre Psychologie. Besonders danken möchte ich Joe Horn, Dev Singh, Del Thiessen, Lee Willerman, Peter MacNeilage, David Cohen und den Fakultätsleitern Randy Diehl und Mike Domjan für ihren Einsatz an der Universität von Texas. Ganz besonderer Dank gebührt Freunden und Kollegen, die an den Ideen zu diesem Buch in der einen oder anderen Weise mitgearbeitet haben: Dick Alexander, Rob Axelrod, Robin Baker, Jerry Barkow, Jay Belsky, Laura Betzig, George Bittner, Don Brown, Eugene Burnstein, Arnold Buss, Bram Buunk, Liz Cashden, Nap Chagnon, Jim Chisholm, Helena Cronin, Michael Cunningham, Richard Dawkins, Irv DeVore, Frans de Waal, Mike Domjan, Paul Ekman, Steve Emlen, Mark Flinn, Robin Fox, Robert Frank, Steve Gangestad, Karl Grammer, W. D. Hamilton, Kim Hill, Warren Holmes, Sarah Hrdy, Bill Jankowiak, Doug Jones, Doug Kenrick, Lee Kirkpatrick, Judy Langlois, Bobbi Low, Kevin MacDonald, Neil Malamuth, Janet Mann, Linda Mealey, Geoffrey Miller, Randolph Nesse, Dick Nisbett, Steve Pinker, David Rowe, Paul Rozin, Joanna Scheib, Paul Sherman, Irwin Silverman, Jeff Simpson, Dev Singh, Barb Smuts, Michael Studd, Frank Sulloway, Del Thiessen, Nancy Thornhill, Randy Thornhill, Lionel Tiger, Bill Tooke, John Townsend, Robert Trivers, Jerry Wakefield, Lee Willerman, George Williams, D. S. Wilson, E. O. Wilson und Richard Wrangham. Ich möchte folgenden Rezensenten für ihr Feedback zur ersten Ausgabe danken: Clifford R. Mynatt, Bowling Green State-Universität; Richard C. Keefe, Scottsdale College; Paul M. Bronstein, Universität von Michigan-Flint; Margo Wilson, McMaster.Universität; W. Jake Jacobs, Universität von Arizona; und A. J. Figueredo, Universität von Arizona; sowie den Rezensenten dieser Ausgabe John A. Johnson, Penn-State, Dubois; Kevin MacDonald, California State-Universität, Long Beach; und Todd K. Shackelford, Florida Atlantic-Universität.
Danksagung
Der Text der zweiten Ausgabe profitierte von den außerordentlich durchdachten Kommentaren und Vorschlägen von und den Diskussionen mit einigen Freunden und Kollegen: Petr Bakalar, Clark Barrett, Leda Cosmides, Martin Daly, Richard Dawkins, Todd DeKay, Josh Duntley, Mark Flinn, Barry Friedman, Steve Gangestad, Joonghwan Jeon, Doug Kenrick, Martie Haselton, Bill von Hipple, Rob Kurzban, Peter MacNeilage, Geoffrey Miller, Steve Pinker, David Rakison, Kern Reeve, Paul Sherman, Valerie Stone, John Tooby, Larry Sugiyama, Candace Taylor, Glenn Weisfeld und Margo Wilson. Josh Duntley muss ich nochmals besonders dafür danken, dass er sein enzyklopädisches Wissen und seine klugen Ansichten mit mir teilte. Auch möchte ich Carolyn Merrill von Allyn & Bacon für ihre Beratung, Hartnäckigkeit und ihr vorausschauendes Wissen danken. Vielen Dank auch meinen jetzigen und ehemaligen Studenten, die viel zum Bereich der evolutionären Psychologie beitragen: April Bleske, Mike Botwin, Sean Conlan, Todd DeKay, Josh Duntley, Bruce Ellis, Barry Friedman, Heidi Greiling, Arlette Greer, Martie Haselton, Sarah Hill, Russell Jackson, Joonghwan Jeon, Liisa Kyl-Heku, Anne McGuire, David Schmitt und Todd Shackelford. Besonderer Dank geht auch an Kevin Daly, Todd DeKay, Josh Duntley, A. J. Figueredo, Barry Friedman, Martie Haselton, Rebecca Sage, Todd Shackelford und W. Jake Jacobs dafür, dass sie mir detaillierte Kommentare zu diesem Buch lieferten; und an Cindy.
15
Vorwort Es ist besonders spannend, zu dieser Zeit innerhalb der Wissenschaftsgeschichte ein evolutionärer Psychologe zu sein. Die meisten Wissenschaftler arbeiten innerhalb lange bestehender Paradigmen. Die evolutionäre Psychologie ist dagegen eine radikal neue Wissenschaft, eine wahre Synthese der modernen Prinzipien der Psychologie und der Evolutionsbiologie. Dieses Buch präsentiert den neuesten Stand und ich hoffe, dass es dadurch seinen ganz bescheidenen Beitrag zur Vollendung der wissenschaftlichen Revolution leisten wird, die die Grundlage für die Psychologie des neuen Jahrtausends bildet. Seit der Veröffentlichung der ersten Ausgabe von Evolutionary Psychology: The New Science of the Mind im Jahr 1999 gab es eine Unmenge neuer Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet. Neue Fachblätter für evolutionäre Psychologie wurden aufgelegt und die Anzahl evolutionärer Publikationen in Fachzeitschriften der Psychologie ist ständig angewachsen. An Universitäten und Colleges weltweit werden neue Kurse in evolutionärer Psychologie eingerichtet. Es bleiben noch immer viele Lücken bei den wissenschaftlichen Erkenntnissen und jede neue Entdeckung wirft mehr Fragen auf und verweist auf neue Bereiche, die erforscht werden müssen. Die Wissenschaft der evolutionären Psychologie ist lebendig, aufregend und steckt voller empirischer Entdeckungen und theoretischer Innovationen. Der Harvard-Professor Steven Pinker stellt sogar fest: „Beim Studium des Menschen gibt es mehrere Hauptebenen menschlicher Erfahrung – Schönheit, Mutterschaft, Familie, Moralität, Kooperation, Sexualität, Gewalt – für die die evolutionäre Psychologie die einzige kohärente Theorie anbietet.“ (Pinker, 2002, S. 135) Charles Darwin muss als der erste evolutionäre Psychologe angesehen werden, denn er beendete seine klassische Abhandlung Vom Ursprung der Arten (1859) mit dieser prophetischen Äußerung: „In ferner Zukunft sehe ich viel Raum für weitere wichtige Forschungsarbeiten. Die Psychologie wird eine neue Grundlage erhalten.“ Über 140 Jahre später, nach vielen Fehlstarts und Verzögerungen, tritt die Wissenschaft der evolutionären Psychologie endlich auf den Plan. Dieses Buch möchte die Grundlagen dieser neuen Wissenschaft und die faszinierenden Entdeckungen ihrer Vertreter präsentieren. Als ich 1981 als junger Assistenzprofessor an der Harvard-Universität meine ersten Forschungsarbeiten im Bereich der evolutionären Psychologie durchführte, kursierten zahlreiche Spekulationen über die Evolution des Menschen, doch es gab praktisch noch keine empirischen Daten, die diese stützten. Ein Teil des Problems bestand darin, dass die Wissenschaftler, die sich für Fragen der Evolution interessierten, die Kluft zwischen den großen evolutionären Theorien und den tatsächlichen wissenschaftlichen Studien des menschlichen Verhaltens nicht überbrücken konnten. Heute hat sich diese Kluft weitgehend geschlossen, da es sowohl konzeptionelle Durchbrüche als auch eine Flut hart erarbeiteter empirischer Erkenntnisse gibt. Viele spannende Fragen verlangen immer noch nach empirischer Aufklärung, doch die bestehende Grundlage an Erkenntnissen ist gegenwärtig so umfangreich, dass das Problem, dem ich mich gegenüber sah, eher darin bestand, wie ich das Buch in einem vernünftigen Umfang halten und gleichzeitig der faszinierenden Auswahl theoretischer und empirischer Erkenntnisse voll gerecht werden konnte. Zwar waren beim Schreiben hauptsächlich Studenten der ersten Semester meine Zielgruppe, doch möchte ich trotzdem auch ein breiteres Publikum von Laien, Studenten
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Vorwort
höherer Semester und auch Fachleuten ansprechen, die nach einem aktuellen Überblick über die evolutionäre Psychologie suchen. Ich schrieb die erste Ausgabe dieses Buches noch aus einem anderen – ehrlich gesagt revolutionären – Grund. Ich wollte damit die zahllosen Professoren an Universitäten auf der ganzen Welt, die über die Evolution des menschlichen Verhaltens nachdenken und schreiben, motivieren, formale Kurse in evolutionärer Psychologie zu unterrichten und diese Kurse als Pflichtbestandteil des Psychologiestudiums zu verankern. Schon heute zieht die evolutionäre Psychologie die besten und klügsten jungen Köpfe an. Ich hoffe, dass dieses Buch zur Beschleunigung dieser Entwicklung und irgendwie auch zur Erfüllung von Darwins Prophezeiung beiträgt. Bei der Überarbeitung des Buches für die zweite Auflage verfolgte ich zwei Ziele. Zunächst wollte ich alle neuen Entdeckungen integrieren. Deshalb wurden über 200 neue Referenzen eingefügt. Zum zweiten wollte ich wichtige Auslassungen der ersten Ausgabe nachreichen. Themen der kognitiven Psychologie werden nun beispielsweise viel ausführlicher behandelt. Auch wurden neue Abschnitte über Meilensteine der menschlichen evolutionären Geschichte und über konkurrierende Theorien der menschlichen Ursprünge (Out-of-Africa-Theorie gegenüber multiregionaler Hypothese) hinzugefügt. Der grundlegende Aufbau des Buches bleibt jedoch bestehen – eine Organisation um Ansammlungen adaptiver Probleme herum, darunter Überleben, Partnerwahl, Elternschaft, Verwandtschaft und Gruppenleben. Von Lehrern und Studenten habe ich viele inspirierende Briefe und E-Mails erhalten, die die erste Ausgabe meines Buches gelesen haben, und ich hoffe, dass die Leser auch in Zukunft ihre Begeisterung mit mir teilen werden. Die Suche nach dem Verständnis des menschlichen Geistes ist ein hehres Unterfangen. Nun da das Feld der evolutionären Psychologie reift, erhalten wir allmählich Antworten auf die Geheimnisse, die die Menschen vermutlich seit hundertausenden von Jahren beschäftigen: Woher kommen wir? Welche Verbindungen gibt es zwischen uns und anderen Lebensformen und welche geistigen Mechanismen bestimmen, was es bedeutet, Mensch zu sein?
Zur deutschen Ausgabe „Licht wird auch fallen auf den Menschen und seine Geschichte.“ Diese gleichsam lapidare wie vorsichtige Aussage findet sich in der Schlussbemerkung von Charles Darwins (1859) Hauptwerk Über die Entstehung der Arten. Es ist der einzige Satz in diesem Buch, mit dem er explizit die Anwendbarkeit seiner Theorie auf den Menschen anspricht – möglicherweise aus Rücksichtnahme auf seine sehr religiöse Frau Emma. Viel weniger Hemmungen hatte da der große deutsche Zoologe Ernst Haeckel, der leidenschaftlich für die Darwin’sche Lehre eintrat und wesentlich zu ihrer Verbreitung beitrug: In seiner Anthropogenie reihte Haeckel den Menschen in eine Ahnenreihe ein, die bis zum einfachen Einzeller zurückreichte. Die Auseinandersetzung mit der Kirche, die den Menschen als Geschöpf Gottes ansah, war vorprogrammiert, folgte auch auf dem Fuße und ist seither nicht abgerissen. Die Frontlinie verläuft entlang der Frage, ob die Anwendung der Evolutionstheorie auf menschliches Verhalten, Kognition und Kultur konsequent und statthaft, oder ob sie Teufelswerk sei. Ähnliche Konflikte gibt es auch zwischen naturwissenschaftlichen Lagern auf der einen und kultur-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Lagern auf der anderen Seite. So löste Wilsons (1975) Sociobiology: The new synthesis einen Aufruhr aus, der fast mit jenem konkurrieren konnte, den Darwins Ideen seinerzeit provoziert hatten. Bezeichnenderweise war nur ein einziges Kapitel dafür verantwortlich: das letzte, in welchem Wilson die soziobiologische Betrachtungsweise auf den Menschen übertrug und die Wurzeln für dessen Sozialverhalten in seiner Biologie suchte. Auch in der Psychologie hat die Frage nach dem Stellenwert der Biologie des Menschen schon viele Kontroversen ausgelöst – man denke hier nur an die Psychoanalyse oder den Behaviorismus. Umso erstaunlicher ist es, dass es die evolutionäre Psychologie als Strömung innerhalb der Psychologie noch nicht allzu lange gibt. Orientiert man sich an der Verwendungshäufigkeit des Begriffs in der Literatur, so nahm sie ihren Ausgang etwa Mitte der 1980er Jahre. Diese Strömung ist nicht nur jung, sie ist auch radikal, das heißt, sie geht an die Wurzel (lat. radix). Sie verwahrt sich dagegen, neben andere Disziplinen oder Theorien eingereiht zu werden. Vielmehr erhebt sie den Anspruch, für die meisten – wenn nicht für alle – Disziplinen und Theorien innerhalb der Psychologie eine unentbehrliche Grundlage abzugeben. So ist die evolutionäre Psychologie angetreten, viele Kapitel der Psychologie, wie wir sie heute kennen, neu zu schreiben oder zumindest gründlich zu überarbeiten. Angesichts dieses Anspruchs, sowie der Resonanz, die dieses Thema in einer breiten Öffentlichkeit findet, ist es nicht erstaunlich, wenn zahlreiche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hier einen Beitrag leisten möchten. So kam es im Jahre 1988 zur Gründung der Human Behavior and Evolution Society, die mittlerweile über 600 Mitglieder zählt, deren jährlich stattfindende Tagungen auf großes Interesse stoßen, und die auf ihrer Internetseite (www.hbes.com) zahlreiche Informationen, Materialien und nützliche Links bereitstellt. In Deutschland gibt es die seit 1999 bestehende Initiative Menschliches Verhalten in Evolutionärer Perspektive, die ebenfalls jährliche Treffen veranstaltet. Auch hier ist ein Besuch der Webseite (www.mve-liste.de) lohnenswert.
Zur deutschen Ausgabe
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Dem Trend der Zeit folgend hat sich der Verlag Pearson Education entschieden, das hier vorliegende und jetzt schon als Standardwerk einzustufende Buch von David Buss nunmehr auch in deutscher Übersetzung herauszugeben. Bei dieser Übersetzung wurden – wenn irgend möglich – für englische Fachtermini deutsche Entsprechungen gesucht (wenn es sinnvoll schien mit Nennung des englischen Originalausdrucks in Klammern). Bei einigen Begriffen wurde auf eine Übersetzung verzichtet (z.B. Fitness). Das englische „mind“, welches im Deutschen keine rechte Entsprechung hat, wurde überwiegend mit „Geist“, an einigen Stellen aber auch mit „Verstand“ übersetzt. Weiterhin wurde von der Verwendung des Wortes „Evolutionspsychologie“ abgesehen. Grammatisch gesehen ist dies ein Genitiv (die Psychologie der Evolution), aber da die Evolution im Sinne der Darwinschen Theorie nichts als ein blinder Mechanismus ohne Intention oder gar Psyche ist, kann es auch keine Psychologie derselben geben. Am Ende eines jeden Kapitels hat David Buss eine Liste von jeweils fünf Literaturempfehlungen angefügt. Insofern deutsche Übersetzungen der empfohlenen Werke vorliegen, wurden die entsprechenden Angaben ergänzt. Ferner wurde in der vorliegenden Ausgabe die von Buss zusammengestellte Liste jeweils um einige deutschsprachige Werke ergänzt (ggf. mit anschließender Nennung des englischen Originals). Abschließend sei noch all jenen gedankt, die die vorliegende Ausgabe ermöglicht haben. Dies sind Christian Schneider, der als Produktmanager alles überwachte, Anke Kruppa und Jutta König, die die Übersetzungen besorgten, Julie Holzhausen und Brigitta Keul, die die Texte Korrektur gelesen und editiert haben sowie Claudia Bäurle, die für die Produktion und die Koordination von Satz und Druck verantwortlich zeichnet. Ich wünsche diesem Buch eine weite Verbreitung sowie einen nachhaltigen Beitrag zur der Diskussion und kritischen Auseinandersetzung mit diesem überaus spannenden und für viele provozierenden Thema.
Berlin, Juni 2004
Ulrich Hoffrage
Teil 1 Grundlagen der evolutionären Psychologie Zwei Kapitel führen in die Grundlagen der evolutionären Psychologie ein. Kapitel 1 zeichnet die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Weg zur evolutionären Psychologie nach. Zunächst werden die Meilensteine in der Geschichte der Evolutionstheorie beschrieben, angefangen bei den vor Charles Darwin entwickelten Theorien der Evolution bis hin zu den modernen Formulierungen der Evolutionstheorie, die heute innerhalb der biologischen Wissenschaften weithin akzeptiert sind. Danach werden drei häufige Missverständnisse im Zusammenhang mit der Evolutionstheorie genauer untersucht. Schließlich betrachten wir die Meilensteine auf dem Gebiet der Psychologie: vom Einfluss Darwins auf die psychoanalytischen Theorien Sigmund Freuds bis hin zu den modernen Lehrsätzen der kognitiven Psychologie. Kapitel 2 liefert die konzeptionellen Grundlagen der modernen evolutionären Psychologie und stellt das wissenschaftliche Handwerkszeug zur Überprüfung evolutionspsychologischer Hypothesen vor. Im ersten Abschnitt werden Theorien über die Ursprünge der menschlichen Natur untersucht. Dann wenden wir uns der Definition des Kernbegriffs eines durch die Evolution geprägten psychologischen Mechanismus zu und skizzieren die Eigenschaften solcher Mechanismen. Im Mittelteil des zweiten Kapitels werden die wichtigsten Methoden zur Überprüfung evolutionspsychologischer Hypothesen sowie die Beobachtungsquellen beschrieben, auf die sich diese Prüfungsmethoden stützen. Da sich der übrige Teil des Buches an adaptiven Problemen des Menschen orientiert, konzentrieren wir uns am Ende des zweiten Kapitels auf evolutionspsychologische Methoden zur Identifizierung dieser Probleme, angefangen beim Problem des Überlebens bis hin zum Leben in der Gruppe.
Kapitel
1
Die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Weg zur evolutionären Psychologie
In ferner Zukunft sehe ich viel Raum für weitere wichtige Forschungsarbeiten. Die Psychologie wird eine neue Grundlage erhalten, nämlich die notwendige und graduelle Erlangung jeder mentalen Kraft und Fähigkeit. – Charles Darwin, 1859 Als die Archäologin das Skelett von Staub und Schutt befreite, bemerkte sie etwas Sonderbares. Der Schädel wies auf der linken Seite eine große Einkerbung auf, die offensichtlich von einem heftigen Schlag stammte, und im Brustkorb steckte – ebenfalls links – eine Speerspitze fest. Bei der anschließenden Laboruntersuchung stellten Wissenschaftler fest, dass dies das Skelett eines männlichen Neandertalers war, der vor ca. 50.000 Jahren gestorben und somit das älteste bekannte menschliche Mordopfer war. Aufgrund der Verletzungen an Schädel und Brustkorb konnte man davon ausgehen, dass der Mörder die tödliche Waffe mit der rechten Hand geführt hatte. Fossilienfunde von Knochenverletzungen zeigen zwei auffallend ähnliche Schemata (Trinkaus & Zimmerman, 1982; Walker, 1995). Zum einen weisen männliche Skelette weitaus mehr Brüche und sonstige Verletzungen auf als weibliche. Zum zweiten befinden sich diese Verletzungen zumeist an der linken Vorderseite von Schädel und Skelett, was darauf hindeutet, dass die Angreifer Rechtshänder waren. Solche Knochenfunde alleine reichen zwar nicht aus, um nachzuweisen, dass der Kampf zwischen Männern ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Lebens unserer Vorfahren war. Ebenso wenig können wir aufgrund dieser Funde mit Sicherheit sagen, dass sich der Mann zum physisch aggressiveren Geschlecht entwickelt hat. Dennoch liefern sie wichtige Bausteine zur Lösung des Rätsels, woher wir kommen, welche Kräfte uns geformt haben und welcher Natur unser Geist ist. Das riesige menschliche Gehirn, etwa 1.350 Kubikzentimeter groß, ist die komplexeste organische Struktur, die der Wissenschaft bis heute bekannt ist. Die neue wissenschaftliche Disziplin der evolutionären Psychologie zielt auf das Verständnis der Mechanismen des menschlichen Gehirns/Geistes ab. Die evolutionäre Psychologie beschäftigt sich in der Hauptsache mit vier Kernfragen: (1) Warum ist unser Geist so und nicht anders beschaffen – d.h. welche kausalen Prozesse schufen und beeinflussten das menschliche Bewusstsein und gaben ihm seine heutige Form? (2) Wie ist der menschliche Geist beschaffen – welche Mechanismen und Bestandteile weist er auf und wie sind sie organi-
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siert? (3) Welche Funktionen haben die Bestandteile und ihre Organisationsstruktur – d.h. was soll der Geist bewirken und erreichen? (4) Wie interagiert der Input aus der heutigen Umwelt, insbesondere der sozialen, mit der Beschaffenheit des menschlichen Geistes bei der Entstehung beobachtbaren Verhaltens? Überlegungen über die Geheimnisse des menschlichen Geistes sind nichts Neues. Schon die alten Griechen wie etwa Aristoteles und Plato haben zu diesem Thema Manifeste verfasst. Heute buhlen andere Theorien des menschlichen Bewusstseins wie etwa die Freudsche Theorie der Psychoanalyse, die Skinnersche Theorie der Verstärkung und der Konnektionismus um die Aufmerksamkeit der Psychologen. Erst im Laufe der letzten Jahrzehnte ist es uns gelungen, die konzeptionellen Werkzeuge zu entwickeln, um unserem Verständnis des menschlichen Geistes einen alles umfassenden Rahmen zu geben – die evolutionäre Psychologie. Sie zieht Erkenntnisse aus allen Disziplinen des Geistes heran, u.a. aus bildgebenden Verfahren (brain imaging); aus Lernen und Gedächtnis; Aufmerksamkeit, Emotion und Leidenschaft; Attraktion, Eifersucht und Sexualität; Selbstwertgefühl, Status und Aufopferung; aus Elternschaft, Überzeugung und Wahrnehmung; aus Verwandtschaft, Kriegsführung und Aggression; Kooperation, Altruismus und Hilfsbereitschaft; Ethik, Moral und Medizin; aus Verpflichtung, Kultur und Bewusstsein. Dieses Buch führt den Leser in die evolutionäre Psychologie ein und gibt einen Überblick über diese neue Wissenschaft des Geistes. Zu Beginn dieses Kapitels wollen wir die wichtigsten Entwicklungen in der Geschichte der Evolutionsbiologie nachzeichnen, die wesentlich zur Entstehung der evolutionären Psychologie beigetragen haben. Dann wenden wir uns der Geschichte der Psychologie zu und zeigen die Entwicklungen auf, die es notwendig machten, die Evolutionstheorie und die moderne Psychologie zu integrieren.
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Meilensteine in der Geschichte der evolutionären Psychologie
Wir beginnen unsere Darstellungen der Geschichte evolutionären Gedankenguts weit vor den Beiträgen Charles Darwins und werden dann einige maßgebliche Entwicklungen innerhalb dieser Wissenschaft bis zum Ende des 20. Jahrhunderts betrachten.
Die Evolution vor Darwin Evolution bezeichnet die sich im Laufe der Zeit vollziehenden Veränderungen organischer (lebender) Strukturen. Schon lange bevor Darwin 1859 seinen Klassiker Über den Ursprung der Arten (siehe Glass, Temekin & Strauss, 1959; und Harris, 1992 für eine geschichtliche Abhandlung) veröffentlichte, hatten Wissenschaftler bereits Theorien über auftretende Veränderungen bei Lebensformen formuliert. Jean Pierre Antoine de Monet de Lamarck (1744-1829) verwendete als einer der ersten Wissenschaftler den Begriff Biologie und erkannte so die Erforschung des Lebens als
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eigenständige Wissenschaft. Lamarck glaubte, dass es für die Veränderung der Arten zwei Hauptursachen gab: zum einen eine natürliche Neigung jeder Art, sich zu einer höheren Form zu entwickeln, und zum anderen die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften. Nach Lamarcks Ansicht mussten die Tiere ums Überleben kämpfen, wobei ihre Nervenzellen aufgrund dieses Kampfes ein Sekret absonderten, das die vom Kampf betroffenen Organe vergrößerte. So glaubte er, dass Giraffen etwa durch ihre Bemühungen, immer höher wachsende Blätter zu fressen, einen so langen Hals entwickelt hatten (neuere Studien belegen, dass lange Hälse auch beim Wettbewerb um einen Fortpflanzungspartner eine Rolle spielen könnten). Lamarck glaubte weiter, dass die Veränderungen des Halses, die von diesen Bemühungen herrührten, an die nachfolgenden Giraffengenerationen weitergegeben wurden, daher die Formulierung „die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften.“ Eine weitere Theorie zur Veränderung von Lebensformen wurde von Baron Georges Léopold Chrétien Frédérick Dagobert Cuvier (1769-1832) entwickelt. Cuvier formulierte die Theorie des so genannten Katastrophismus, der zufolge bestimmte Arten in regelmäßigen Abständen durch plötzliche Katastrophen, z.B. Meteoriten, ausgelöscht und durch andere Arten ersetzt werden. Schon vor Darwin erkannten Biologen die verwirrende Vielfalt der Arten, von denen einige erstaunliche strukturelle Parallelen aufzuweisen schienen. Menschen, Schimpansen und Orang-Utans beispielsweise haben alle genau fünf Finger und Zehen an Händen und Füßen. Vogelflügel haben große Ähnlichkeit mit Seehundflossen, was bedeuten könnte, dass das eine sich aus dem anderen entwickelt hat (Daly & Wilson, 1983). Vergleiche zwischen diesen Arten ließen die Vermutung zu, das Leben sei nicht statisch, wie einige Wissenschaftler und Theologen behauptet hatten. Knochenfunde lieferten weitere Belege für eine im Laufe der Zeit stattfindende Veränderung. Knochen aus älteren geologischen Schichten stimmten nicht mit solchen aus jüngeren überein. Es wurde argumentiert, dass es keine solchen Unterschiede bei den Knochenfunden geben würde, wenn sich nicht auch die organische Struktur im Laufe der Zeit verändert hätte. Eine weitere Beweisquelle waren Vergleiche der embryologischen Entwicklung verschiedener Arten (Mayr, 1982). Biologen stellten fest, dass diese Entwicklung bei einigen Arten erstaunlich ähnlich verlief, die sich ansonsten scheinbar sehr voneinander unterschieden. Die Embryos von Säugetieren, Fischen und Fröschen haben eine ungewöhnliche, schlaufenartige Anordnung der Arterien nahe der Bronchialschlitze gemeinsam. Dies könnte darauf hindeuten, dass diese Arten vor vielen Jahren die gleichen Vorfahren gehabt haben könnten. All diese Hinweise, die bereits vor 1859 bekannt waren, legten nahe, dass das Leben keineswegs starr und unveränderlich war. Biologen, die glaubten, dass sich organische Strukturen im Laufe der Zeit veränderten, nannten sich selbst Evolutionisten. Verschiedene Evolutionisten vor Darwin machen noch eine weitere wichtige Beobachtung. Viele Arten besitzen Eigenschaften, die scheinbar einem bestimmten Zweck dienen. Die Stacheln des Stachelschweins dienen der Abwehr von Feinden. Der Panzer der Schildkröte dient zum Schutz ihrer empfindlichen Organe gegen die rohen Naturgewalten. Die Schnäbel vieler Vögel sind so beschaffen, dass sie damit Nüsse knacken können. Diese offensichtliche Funktionalität, die uns in der Natur in scheinbar unerschöpflicher Form begegnet, verlangte ebenfalls nach einer Erklärung.
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Was den Evolutionisten vor Darwin jedoch noch fehlte, war eine Theorie, die erklärte, wie sich eine Veränderung über einen bestimmten Zeitraum hinweg vollziehen konnte und wie sich solche offensichtlich zweckmäßigen Strukturen wie der lange Hals der Giraffe und die spitzen Stacheln des Stachelschweins entwickelt haben konnten. Was fehlte, war ein kausaler Mechanismus oder Prozess, der diese biologischen Phänomene erklärte. Charles Darwin lieferte die passende Theorie für eben diesen Mechanismus.
Darwins Theorie der natürlichen Auslese Darwins Aufgabe war schwieriger, als sie auf den ersten Blick erscheint. Er wollte nicht nur erklären, warum sich Lebensformen im Laufe der Zeit verändern, sondern auch wie diese Veränderungen im Einzelnen zustande kommen. Er wollte ergründen, wie neue Arten entstehen (daher der Titel seines Buches Über den Ursprung der Arten), und ebenso, wie andere verschwinden. Darwin wollte erklären, warum bestimmte Körperteile von Tieren – der lange Hals der Giraffen, die Flügel der Vögel, der Rüssel der Elefanten – genau in dieser Form existieren. Und er wollte eine Erklärung für die Zweckmäßigkeit dieser Formen liefern, d.h. er wollte zeigen, warum sie durch ihre Funktion die Organismen bei der Erledigung ihrer Aufgaben zu unterstützen schienen.
Mit seiner Theorie der natürlichen Auslese löste Charles Darwin eine wissenschaftliche Revolution in der Biologie aus. Sein Buch, Über den Ursprung der Arten (1859), enthält eine Fülle theoretischer Argumente und empirischer Daten, die er im Laufe von 25 Jahren vor der Veröffentlichung des Buches zusammentrug.
Antworten auf diese Fragen fand Darwin auf einer Reise, die er nach Abschluss seines Studiums an der Cambridge University unternahm. Fünf Jahre lang, von 1831 bis 1836, bereiste der Naturalist auf dem Schiff Beagle die Welt. Auf dieser Reise sammelte er Dutzende von Proben von Vögeln und anderen Tieren auf den Galapagos-Inseln im Pazifischen Ozean. Nach seiner Rückkehr entdeckte er, dass die Galapagosfinken, von denen er ursprünglich angenommen hatte, sie gehörten alle der gleichen Art an, sich so sehr voneinander unterschieden, dass sie verschiedene Arten bildeten. Tatsächlich wies jede Insel der Galapagos-Gruppe ihre eigene Finkenart auf. Darwin fand heraus, dass diese verschiedenen Finkenarten zwar gemeinsame Vorfahren gehabt hatten, sich dann aber aufgrund der unterschiedlichen lokalen ökologischen Bedingungen jeder Insel unterschied-
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lich entwickelt hatten. Diese geografisch bedingten Unterschiede spielten für Darwins Schlussfolgerung, dass biologische Arten keineswegs unwandelbar sind, sondern sich vielmehr im Laufe der Zeit verändern können, eine zentrale Rolle. Woran aber könnte es liegen, dass sich Arten verändern? Das war die nächste Herausforderung. Darwin beschäftigte sich eingehend mit mehreren unterschiedlichen Theorien über die Ursachen von Veränderung, verwarf diese aber schließlich wieder, denn sie alle ließen einen kritischen Faktor außer Acht: die Existenz von Adaptationen. Natürlich wollte Darwin Veränderungen erklären, was ihm aber vielleicht noch wichtiger war, war eine Erklärung dafür zu finden, warum Organismen scheinbar so perfekt an ihre jeweilige Umgebung angepasst waren. Es war … offensichtlich, dass [diese anderen Theorien] [k]eine Erklärung für die unzähligen Fälle liefern konnten, in denen sich Organismen jeder Art wunderbar an ihren Lebensraum angepasst haben – wie etwa ein Specht oder Baumfrosch, der an Bäumen hinaufklettert, oder ein Samen, der mittels Haken und Härchen für seine Verbreitung sorgt. Mich hatten solche Adaptationen schon immer sehr beeindruckt, und bevor diese nicht erklärt werden konnten, erschien es mir beinahe nutzlos, auf indirekte Weise den Beweis anzutreten, dass sich die Arten verändert haben. (Darwin, aus seiner Autobiografie, zitiert in Ridley, 1996, S. 9) Darwin fand einen wichtigen Hinweis über das Rätsel der Adaptationen in Thomas Malthus’ Werk An Essay on the Principles of Population (erschienen 1798), wo er zum ersten Mal mit der Idee konfrontiert wurde, dass von jedem Organismus eine viel zu große Anzahl existierte, als dass alle überleben und sich fortpflanzen könnten. Folglich ergibt sich ein „Existenzkampf“, bei welchem sich vorteilhafte Varianten eher durchsetzen, während unvorteilhafte eher aussterben. Wenn dieser Prozess von Generation zu Generation von neuem stattfindet, entsteht am Ende eine neue Art. Allgemeiner ausgedrückt war Darwins Antwort auf all diese Rätsel des Lebens seine Theorie der natürlichen Auslese und ihrer drei wesentlichen Bestandteile: Variation, Vererbung und Selektion.1 Zum ersten gibt es zahlreiche Unterschiede zwischen den einzelnen Organismen, z.B. bei der Länge der Flügel oder des Rüssels, bei der Knochenmasse, der Zellstruktur, der Fähigkeit zu kämpfen und sich zu verteidigen sowie beim Sozialverhalten. Die Variation ist eine entscheidende Voraussetzung für einen funktionierenden Evolutionsprozess – sie stellt den „Rohstoff“ für die Evolution dar. Zum zweiten werden nur einige dieser Variationen auch vererbt – d.h. direkt und zuverlässig durch die Eltern an ihre Nachkommen weitergegeben, die sie dann wiederum an ihre Nachkommen und weiter an viele nachfolgende Generationen weitergeben. Andere Variationen, wie etwa ein aufgrund eines Unfalls deformierter Flügel, werden nicht an den Nachwuchs weitervererbt. Nur die tatsächlich ererbten Variationen spielen im Evolutionsprozess eine Rolle.
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Unabhängig von Darwin entdeckte auch Alfred Russel Wallace (1858) die Theorie der natürlichen Auslese und beide präsentierten die Theorie gemeinsam bei einem Treffen der Linnaen Society.
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Der dritte wichtige Bestandteil von Darwins Theorie ist die Selektion. Organismen, die bestimmte vererbbare Varianten aufweisen, hinterlassen auch mehr Nachkommen, weil ihnen diese Eigenschaften für Überleben oder Fortpflanzung einen Vorteil verschaffen. In einer Umgebung, wo etwa Nussbäume oder -sträucher die Hauptnahrungsquelle darstellen, können einige Finken, deren Schnäbel beispielsweise eine besondere Form haben, besser Nüsse knacken und an das Fruchtfleisch gelangen als Finken mit anders geformten Schnäbeln. Es überleben mehr Finken, deren Schnäbel zum Nüsse knacken besser geeignet sind, und diese tragen somit auch verstärkt zur nächsten Generation bei. Ein Organismus kann aber auch viele Jahre lang überleben, ohne seine vererbbaren Eigenschaften an zukünftige Generationen weiterzugeben. Damit diese Weitergabe an zukünftige Generationen geschieht, muss er sich fortpflanzen. Bei der Evolution durch natürliche Auslese kommt es also letztendlich auf den unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg aufgrund vorhandener Erbgutvariationen an, die die Überlebens- und Fortpflanzungschancen eines Individuums senken oder erhöhen. Unterschiedlicher Fortpflanzungserfolg oder -misserfolg definiert sich über den Reproduktionserfolg im Vergleich zu anderen. Die Eigenschaften von Organismen, die sich häufiger als andere fortpflanzen, werden also auch relativ gesehen häufiger an zukünftige Generationen weitergegeben. Da das Überleben normalerweise zur Fortpflanzung notwendig ist, spielt es in Darwins Theorie der natürlichen Auslese eine entscheidende Rolle.
Darwins Theorie der sexuellen Auslese Darwin hatte die wunderbare wissenschaftliche Angewohnheit, Tatsachen festzustellen, die mit seinen Theorien nicht übereinzustimmen schienen. So identifizierte er einige Tatbestände, die seiner Theorie der natürlichen Auslese, auch „Überlebensselektion“ genannt, scheinbar widersprachen. Zunächst erkannte er merkwürdige Strukturen, die absolut keine Rolle fürs Überleben zu spielen schienen. Das prächtige Federkleid des Pfaus ist ein passendes Beispiel dafür. Wie konnte sich diese sonderbare farbenprächtige Struktur überhaupt entwickeln? Offensichtlich ist das Gefieder eine große Belastung für den Stoffwechsel des Pfaus. Außerdem wirkt es scheinbar wie eine regelrechte Einladung an Räuber, die auf schnelle Beute aus sind. Darwin steigerte sich in diese offensichtliche Anomalie so sehr hinein, dass er einmal selbst bemerkte: „Der Anblick einer Straußenfeder macht mich jedes Mal ganz krank!“ (zitiert bei Cronin, 1991, S. 113). Darwin beobachtete auch, dass es bei einigen Arten erhebliche Größen- und Strukturunterschiede zwischen den Geschlechtern gab. Und er fragte sich, warum es diese Unterschiede gab, wo doch beide Geschlechter die gleichen Überlebensprobleme zu meistern hatten, wie etwa fressen, Räuber abwehren und Krankheiten bekämpfen? Darwins Antwort auf diese offensichtlichen Schwachstellen seiner Theorie der natürlichen Auslese war die Formulierung einer, wie er glaubte, zweiten Evolutionstheorie, der Theorie der sexuellen Auslese. Im Gegensatz zur Theorie der natürlichen Auslese, die sich auf Adaptationen als Folge des erfolgreichen Überlebens konzentriert, zielt die Theorie der sexuellen Selektion auf Adaptationen ab, die aufgrund erfolgreicher Paarung entstanden sind. Darwin ging von zwei Hauptfunktionsweisen der sexuellen Auslese aus:
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Da ist zunächst der intrasexuelle Wettbewerb – die Konkurrenz zwischen Vertretern des gleichen Geschlechts – dessen Ausgang sich auf den Zugang zu Paarungsmöglichkeiten mit dem anderen Geschlecht auswirkt. Der Prototyp der intrasexuellen Konkurrenz sind zwei Hirsche, die im Kampf ihre Geweihe ineinander verkeilen. Der Sieger kann sich dem Weibchen sexuell nähern – dies geschieht entweder direkt oder durch die Herrschaft über Gebiete oder Ressourcen, die dem Weibchen attraktiv erscheinen. Für den Verlierer kommt es normalerweise nicht zur Paarung. Alle Eigenschaften, die in diesem gleichgeschlechtlichen Wettbewerb zum Erfolg führen, z.B. Körpergröße, Stärke, athletische Fähigkeiten, werden durch den Paarungserfolg des Siegers an die nächste Generation weitergegeben. Eigenschaften, die nicht zum Erfolg führen, werden auch nicht weitergegeben. Also kann sich Evolution – langsame, allmähliche Veränderung – schon als Folge des reinen intrasexuellen Wettbewerbs vollziehen.
Der Anblick eines Pfaus machte Darwin ganz krank, denn zunächst schien das schillernde Federkleid keinen offensichtlichen Überlebenswert zu haben und ließ sich daher auch nicht mittels seiner ursprünglichen Theorie der natürlichen Auslese erklären. Schließlich entwickelte er die Theorie der sexuellen Auslese, die sehr wohl eine Erklärung für die Schwanzfedern des Pfaus lieferte und somit wohl auch sein ungutes Gefühl beim Anblick desselben besiegte.
Die zweite Möglichkeit der sexuellen Auslese ist die intersexuelle Selektion, d.h. die bevorzugte Partnerwahl. Sind sich Geschlechtsgenossen weitgehend einig über die gewünschten Eigenschaften beim anderen Geschlecht, so werden Vertreter des anderen Geschlechts, die eben diese Eigenschaften aufweisen, bevorzugt als Partner ausgewählt. Diejenigen, die diese Eigenschaften nicht haben, gehen bei der Partnerwahl leer aus. In diesem Fall vollzieht sich der evolutionäre Wandel nur deshalb, weil die erwünschten Eigenschaften eines Partners in jeder nachfolgenden Generation häufiger auftreten. Wenn Weibchen beispielsweise die Paarung mit Männchen vorziehen, die ihnen Hochzeitsgeschenke machen, dann wird es im Laufe der Zeit immer mehr Männchen geben, die Eigenschaften haben, die ihnen helfen, erfolgreich Geschenke zu machen. Darwin nannte den Prozess der intersexuellen Selektion weibliche Auswahl, weil er in der Tierwelt beobachtet hatte, dass bei vielen Arten die Weibchen diejenigen sind, die bei der Partnerwahl wählerisch sind. In Kapitel 4 und 5 werden wir jedoch sehen, dass ganz offensichtlich beide Geschlechter eine bevorzugte Partnerwahl treffen und dass beide Geschlechter mit ihren Geschlechtsgenossen um den Zugang zu den bevorzugten Vertretern des anderen Geschlechts in Wettbewerb treten.
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Hirsche, die im Kampf ihre Geweihe ineinander verkeilen, praktizieren den intrasexuellen Wettbewerb, eine Form der sexuellen Auslese. Die Eigenschaften, die bei diesen gleichgeschlechtlichen Auseinandersetzungen zum Erfolg führen, werden häufiger an nachfolgende Generationen weitergegeben, da der Sieger häufiger die Möglichkeit zur Paarung mit dem anderen Geschlecht bekommt.
Darwins Theorie der sexuellen Selektion lieferte die gewünschten Erklärungen für die Anomalien, die ihm Alpträume verursacht hatten. Der Schweif des Pfaus beispielsweise entwickelte sich aufgrund des Prozesses der intersexuellen Selektion. Weibliche Pfaue paaren sich bevorzugt mit Männchen, die das schillerndste und prächtigste Federkleid tragen. Bei Arten, bei denen die Männchen körperlich um Paarungsmöglichkeiten mit den Weibchen kämpfen müssen, sind diese oft größer als die Weibchen – ein Prozess der intrasexuellen Selektion. Zwar glaubte Darwin, die natürliche und die sexuelle Selektion seien zwei getrennte Prozesse, heute steht jedoch fest, dass sie sich aus einem grundlegenden Prozess entwickelt haben: dem unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg aufgrund vererbbarer Unterschiede in den genetischen Entwürfen. Dennoch halten es einige Biologen für sinnvoll, zwischen der natürlichen und der sexuellen Selektion zu unterscheiden. Diese Unterscheidung macht die Bedeutung von zwei Adaptationsklassen besonders deutlich: Adaptationen, die sich aufgrund eines den betroffenen Organismen entstandenen Überlebensvorteils entwickelt haben (die Vorliebe für Zucker und Fett beispielsweise lässt uns verstärkt Nahrung wählen, die unser Überleben sichert; die Angst vor Schlangen bewahrt uns vor giftigen Schlangenbissen), und Adaptationen, die sich aufgrund eines für die betroffenen Organismen entstandenen Paarungsvorteils entwickelt haben (z.B. bessere kämpferische Fähigkeiten beim konkurrierenden Geschlecht). In Kapitel 4, 5 und 6 werden wir sehen, dass die Theorie der sexuellen Selektion die Grundlage für das Verständnis der Evolution menschlicher Paarungsstrategien darstellt.
Die Rolle der natürlichen und der sexuellen Selektion in der Evolutionstheorie Darwins Theorien der natürlichen und der sexuellen Auslese lassen sich relativ leicht beschreiben, sorgen aber bis zum heutigen Tag immer noch für viel Verwirrung. Dieser Abschnitt klärt einige wichtige Gesichtspunkte zum Thema Selektion und ihrer Rolle beim Verständnis der Evolution. Erstens sind natürliche und sexuelle Selektion nicht die einzigen Ursachen für evolutionären Wandel. Manche Veränderungen treten auch aufgrund der so genannten geneti-
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schen Drift auf, die als zufällige Veränderung im Genpool einer Population definiert ist. Solche zufälligen Veränderungen ergeben sich als Auswirkungen verschiedener Prozesse wie Mutation (eine zufällige Veränderung des DNA-Erbguts), Gründereffekte und genetischer Flaschenhals. Zufällige Veränderungen können sich durch den Gründereffekt ergeben, der eintritt, wenn ein kleiner Teil einer Population eine neue Kolonie bildet und die Gründer dieser neuen Kolonie die ursprüngliche Bevölkerung genetisch nicht in vollem Umfang repräsentieren. Stellen wir uns beispielsweise vor, dass sich 200 Koloniegründer, die auf eine neue Insel abwandern, zufällig verändern, so dass ungewöhnlich viele von ihnen rothaarig sind. Ist die Population auf der Insel einmal auf z.B. 2.000 angestiegen, enthält sie einen größeren Anteil rothaariger Menschen als die Ursprungspopulation, aus der die Koloniegründer hervorgingen. Gründereffekte können also evolutionäre Veränderungen auslösen – in diesem Fall eine Vermehrung der Gene, die zu Rothaarigkeit führen. Ähnliche zufällige Veränderungen können durch einen genetischen Flaschenhals zustande kommen. Dies geschieht, wenn eine Population schrumpft, etwa durch eine zufällig eingetretene Katastrophe wie z.B. ein Erdbeben. Die Überlebenden dieser Katastrophe tragen nur eine Teilmenge der Gene der Ursprungspopulation in sich. Auch wenn also zusammenfassend die natürliche Auslese der Hauptgrund für den evolutionären Wandel und die einzige bekannte Ursache für Adaptationen ist, ist sie dennoch nicht der einzige Grund für evolutionäre Veränderungen. Genetische Drift – durch Mutationen, Gründereffekte und genetische Flaschenhälse – kann also ebenfalls zu Veränderungen im Genpool einer Population führen. Zweitens ist die Evolution durch natürliche Auslese nicht vorausschauend oder „zielgerichtet“. Die Giraffe entdeckt nicht zuerst die saftigen Blätter hoch oben im Baum und „entwickelt“ daraufhin einen längeren Hals. Es ist vielmehr so, dass die Giraffen, die aufgrund einer vererbten Variante zufällig einen längeren Hals haben, ihren Artgenossen gegenüber bei der Nahrungsaufnahme im Vorteil sind. Also haben sie auch eine größere Überlebenschance und dadurch mehr Möglichkeiten, ihre etwas längeren Hälse an ihre Nachkommen weiterzugeben (neuere Studien legen nahe, dass der lange Hals der Giraffe auch andere Funktionen haben könnte, etwa beim erfolgreichen Wettbewerb mit Geschlechtsgenossen). Natürliche Selektion wirkt sich nur auf Varianten aus, die zufällig existieren. Evolution ist nicht zielgerichtet, sie kann nicht in die Zukunft sehen und spätere Bedürfnisse im Voraus erkennen. Ein weiteres wichtiges Evolutionsmerkmal ist die allmähliche Entwicklung, zumindest in Bezug auf die Dauer eines Menschenlebens. Die kurzhalsigen Vorfahren der Giraffen entwickelten ihre langen Hälse nicht über Nacht oder auch nur im Laufe einiger weniger Generationen. Dutzende, hunderte, tausende, in manchen Fällen sogar Millionen Generationen waren nötig, damit der Selektionsprozess allmählich unsere heute bekannten organischen Mechanismen formen konnte. Natürlich entwickeln sich manche Veränderungen extrem langsam, andere dagegen schneller. Auch kann es lange Perioden ohne Veränderung geben, gefolgt von relativ plötzlichem Wandel, ein Phänomen, das als „punktuiertes Gleichgewicht“ bezeichnet wird (Gould & Eldredge, 1977). Doch selbst diese „schnellen“ Veränderungen vollziehen sich in winzigen Teilschritten von Generation zu Generation und sind erst nach hunderten oder tausenden von Generationen erkennbar.
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Darwins Theorie der natürlichen Selektion lieferte eine einleuchtende Erklärung für viele verblüffende Aspekte des Lebens und auch für die Entstehung neuer Arten (obwohl Darwin die Bedeutung der geografischen Isolation als Vorläufer der natürlichen Auslese bei der Bildung neuer Arten nicht in ihrem vollen Ausmaß erkannte; siehe Cronin, 1991). Seine Theorie erklärte, warum sich organische Strukturen im Laufe der Zeit verändern und bot ebenso eine Erklärung für die offensichtliche Zweckmäßigkeit der einzelnen Bestandteile dieser Strukturen, d.h. man konnte ableiten, dass bestimmte Körperteile scheinbar ganz darauf ausgelegt waren, bestimmte Funktionen im Zusammenhang mit Überleben und Fortpflanzung zu erfüllen. Für manche vielleicht am erstaunlichsten (für andere am schockierendsten) war in diesem Zusammenhang der große Geniestreich im Jahre 1859, mithilfe der natürlichen Selektion alle Arten in einem riesigen Stammbaum zu vereinigen. Zum ersten Mal überhaupt erkannte man an, dass jede existierende Art durch gemeinsame Vorfahren mit allen anderen Arten verbunden ist. So stimmen bei Menschen und Schimpansen z.B. über 98% der DNA überein und beide Arten hatten vor etwa sechs Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren (Wrangham & Peterson, 1996). Noch verblüffender ist die relativ neue wissenschaftliche Erkenntnis, dass sich für viele menschliche Gene ausgerechnet in dem durchsichtigen Wurm Caenorhabditis elegans genaue genetische Gegenstücke finden. Die chemische Struktur dieser Gene ist in beiden Fällen sehr ähnlich, was darauf schließen lässt, dass Menschen und Würmer sich aus einem sehr frühen gemeinsamen Vorfahren entwickelt haben (Wade, 1997). Kurz gesagt konnte man mithilfe von Darwins Theorie den Menschen im großen Baum des Lebens genau positionieren, seinen Platz in der Natur aufzeigen und seine Verbindung zu allen anderen Lebewesen bestimmen. Darwins Theorie der natürlichen Auslese löste einen Sturm der Entrüstung aus. Als Lady Ashley, eine Zeitgenossin Darwins, von der Theorie erfuhr, der Mensch stamme angeblich vom Affen ab, bemerkte sie: „Hoffen wir, dass es nicht stimmt. Und wenn es doch stimmt, dann hoffen wir, dass es sich nicht herumspricht.“ In einer berühmt gewordenen Diskussion an der Oxford University fragte Bischof Wilberforce seinen Rivalen Thomas Huxley bissig, ob der „Affe“, von dem er abstamme, wohl großmütterlicher- oder großväterlicherseits zu finden sei. Selbst Biologen standen Darwins Theorie zur damaligen Zeit äußerst skeptisch gegenüber. Zunächst wandten Kritiker ein, es gebe in der Darwinschen Evolution keine schlüssige Vererbungstheorie. Darwin selbst bevorzugte eine Vererbungstheorie der „Vermischung“, die besagt, dass die Nachkommen eine Mischung ihrer Eltern sind, ebenso wie die Farbe rosa eine Mischung aus roter und weißer Farbe ist. Diese Theorie gilt heute als falsch, wie wir später in der Diskussion der Arbeiten Gregor Mendels sehen werden. Die frühen Kritiker hatten also zu Recht beanstandet, dass der Theorie der natürlichen Auslese eine fundierte Vererbungstheorie fehlte. Ein weiterer Kritikpunkt bestand darin, dass einige Biologen sich nicht vorstellen konnten, in welcher Form die frühen Evolutionsphasen einer Adaptation einem Organismus von Nutzen sein konnten. Wie kann ein teilweise ausgebildeter Flügel einem Vogel nützlich sein, wenn er damit nicht fliegen kann? Wie kann ein teilweise ausgebildetes Auge einem Reptil nützlich sein, wenn es damit nicht sehen kann? Darwins Theorie der natürli-
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chen Auslese sieht vor, dass jeder einzelne Schritt der graduellen Evolution einer Adaptation für die Fortpflanzung vorteilhaft ist. Also müssen auch Teilflügel und -augen einen adaptiven Vorteil bringen, noch bevor sie sich zu voll ausgebildeten Flügeln und Augen weiterentwickeln. Im Augenblick genügt es uns festzuhalten, dass teilweise ausgebildete Formen tatsächlich adaptive Vorteile bieten können. So können Teilflügel – auch wenn sie nicht zum Fliegen verhelfen – z.B. den Vogel warm halten und ihm für Beutefang und Flucht mehr Beweglichkeit verleihen. Diese Kritik an Darwins Theorie lässt sich also entkräften (Dawkins, 1986). Weiterhin muss darauf hingewiesen werden, dass nur weil einige Biologen oder andere Wissenschaftler Probleme damit haben, sich bestimmte Evolutionsformen vorzustellen, z.B. Teilflügel und deren Nutzen, dies noch lange kein aussagekräftiges Argument gegen die tatsächliche Entwicklung dieser Formen darstellt. Diese „Argumentation aufgrund von Unwissenheit“ oder wie Dawkins (1982) es nannte, die „Argumentation aufgrund persönlicher Ungläubigkeit“, hat nichts mit Wissenschaft zu tun, gleichgültig wie intuitiv überzeugend sie zunächst klingen mag. Ein dritter Einwand kam von religiösen Anhängern der biblischen Schöpfungsgeschichte, denn viele von ihnen sahen alle Arten als unveränderlich an und waren überzeugt, dass sie keineswegs durch einen allmählichen Evolutionsprozess der Selektion entstanden, sondern vielmehr von einer Gottheit erschaffen worden waren. Darüber hinaus legte Darwins Theorie nahe, dass die Entstehung des Menschen und anderer Arten „blind“ geschehen und lediglich aus einem langsamen, ungeplanten, kumulativen Selektionsprozess hervorgegangen war. Das deckte sich nicht mit dem Menschenverständnis der Schöpfungsanhänger. Sie sahen den Menschen (und andere Arten) als einen Teil von Gottes großem und beabsichtigtem Plan an. Darwin hatte diese Reaktion vorhergesehen und zögerte die Veröffentlichung seiner Theorie offensichtlich auch aus Rücksicht auf seine Frau Emma hinaus, die tief religiös war. Die Diskussionen reißen bis heute nicht ab. Obwohl Darwins Evolutionstheorie, mit einigen wichtigen Modifikationen innerhalb der biologischen Wissenschaften die einende und nahezu allgemein akzeptierte Theorie ist, stößt ihre Anwendung auf den Menschen, die Darwin klar vor Augen hatte, immer noch auf heftigen Widerstand. Doch all unseren Widerständen zum Trotz, die es nicht zulassen, dass wir uns durch die gleiche wissenschaftliche Linse betrachten und analysieren lassen wie andere Arten, ist der Mensch keineswegs vom Evolutionsprozess ausgeschlossen. Jetzt endlich steht uns das konzeptionelle Werkzeug zur Verfügung, um Darwins Revolution zu Ende zu führen und eine evolutionäre Psychologie für die menschliche Spezies zu schaffen. Die evolutionäre Psychologie kann sich wichtige theoretische Erkenntnisse und wissenschaftliche Entdeckungen zunutze machen, die zu Darwins Zeit noch nicht bekannt waren. Zunächst ist da die physikalische Basis der Vererbung – das Gen.
Die moderne Synthese: Gene und partikuläre Vererbung Als Darwin Über den Ursprung der Arten veröffentlichte, wusste er nicht, durch welche Mechanismen sich „Vererbung“ vollzog. Wie oben erwähnt war man damals im Allgemeinen der Meinung, Vererbung fände durch eine Art „Mischung“ beider Eltern statt,
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wobei die Nachkommen genau zwischen beiden Eltern anzusiedeln seien. Dieser Mischungstheorie zufolge wären die Kinder eines groß gewachsenen Vaters und einer kleinen Mutter also von mittlerer Größe. Heute weiß man, dass diese Theorie falsch ist. Der österreichische Mönch Gregor Mendel wies nach, warum diese Theorie nicht funktionierte. Er argumentierte, Vererbung sei „partikulär“ und keineswegs ein Mischprozess. Das bedeutet, dass die elterlichen Eigenschaften nicht miteinander vermischt werden, sondern intakt in separaten Paketen, den Genen, weitervererbt werden. Außerdem müssen Eltern ihre vererbbaren Gene von Geburt an besitzen, sie können sie sich nicht durch Erfahrung aneignen. Zum großen Pech für den wissenschaftlichen Fortschritt blieb Mendels Entdeckung der partikulären Vererbung, die er durch Kreuzungen verschiedener Erbsensorten demonstrierte, der wissenschaftlichen Welt etwa dreißig Jahre lang weitgehend verborgen. Zwar hatte Mendel Kopien seiner Arbeiten an Darwin geschickt, diese wurden aber entweder nicht gelesen oder aber ihre Bedeutung blieb unerkannt. Ein Gen ist definiert als kleinste abgeschlossene Einheit, die intakt, ohne geteilt oder vermischt zu werden, an die Nachkommen vererbt wird – so Mendels entscheidende Entdeckung. Genotypen dagegen bezeichnen die Gesamtheit aller Gene eines Individuums. Genotypen werden anders als Gene nicht intakt an die Nachkommen vererbt. Vielmehr werden bei Arten, die sich sexuell fortpflanzen wie wir, die Genotypen in jeder Generation geteilt. Also erhält jeder von uns eine zufällige Hälfte der Gene aus dem Genotyp der Mutter und eine zufällige Hälfte aus dem Genotyp des Vaters. Die Genhälfte, die wir von jedem Elternteil vererbt bekommen, ist jedoch identisch mit der Hälfte des Genotyps dieses Elternteils, denn sie wird als abgeschlossenes Paket ohne Modifikation weitergegeben. Die Zusammenführung von Darwins Evolutionstheorie durch natürliche Auslese mit der Entdeckung der partikulären Genvererbung gipfelte in einer Bewegung in den 30er und 40er Jahren, der so genannten „Modernen Synthese“ (Dobzhansky, 1937; Huxley, 1942; Mayr, 1942; Simpson, 1944). Die Moderne Synthese verwarf eine Reihe von Irrtümern der Biologie, darunter Lamarcks Theorie der Vererbung erworbener Eigenschaften und der Mischungstheorie der Vererbung. Eindeutig bestätigt wurde Darwins Theorie der natürlichen Auslese, der zudem noch durch eine wohl formulierte Erklärung der Vererbung eine festere Grundlage verliehen wurde.
Die Verhaltensforschung Manche können sich Evolution am besten vorstellen, wenn sie auf physische Strukturen angewendet wird. Es ist offensichtlich für uns, dass der Panzer einer Schildkröte eine Adaptation zum Schutz und die Flügel eines Vogels eine Adaptation zum Fliegen sind. Wir erkennen Ähnlichkeiten zwischen uns und den Schimpansen und deshalb fällt es den meisten von uns leicht zu glauben, dass wir gemeinsame Vorfahren haben. Paläontologische Schädelfunde liefern, auch wenn sie unvollständig sind, genug Belege für die physische Evolution, so dass die meisten zugestehen, dass sich im Laufe der Zeit ein Wandel vollzogen haben muss. Die Evolution des Verhaltens jedoch ist für Wissenschaftler und Laien von je her historisch schwerer vorstellbar. Schließlich lässt sich Verhalten nicht durch Fossilienfunde belegen.
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Darwin hatte klar vor Augen, dass seine Theorie der natürlichen Auslese nicht nur auf physische Strukturen anwendbar sei, sondern auch auf Verhalten und damit auch auf das Sozialverhalten. Es gibt verschiedene Belege für diese Ansicht. Erstens erfordert Verhalten immer die entsprechenden zugrunde liegenden physischen Strukturen. Der aufrechte Gang z.B. ist ein Verhalten und erfordert als physische Struktur zwei Beine sowie eine Vielzahl von Muskeln, die den Körper in seiner aufrechten Haltung stützen. Zweitens kann man Arten mithilfe des Selektionsprinzips bestimmte Verhaltensmerkmale anzüchten. Hunden z.B. kann man Aggressivität oder Passivität anzüchten (künstliche Selektion). Diese Beobachtungen deuten alle darauf hin, dass auch das Verhalten der formenden Hand der Evolution unterworfen ist. Die erste wichtige Disziplin, die es bei der Verhaltensforschung aus evolutionärer Sicht zu betrachten galt, war die Verhaltensforschung (Ethologie) und eines der ersten auf diesem Gebiet dokumentierten Phänomene war die Prägung.
Konrad Lorenz war einer der Begründer der Verhaltensforschung. Berühmt wurde er durch seine Entdeckung des Phänomens der Prägung, die zum Beispiel bewirkt, dass Entenküken eine Bindung zu dem ersten sich bewegenden Objekt eingehen, das sie in ihrem Leben sehen, und diesem folgen. In den meisten Fällen sind Entenküken aber auf ihre Mütter und nicht auf die Beine eines Wissenschaftlers geprägt.
Entenküken sind auf das erste sich bewegende Objekt, das sie in ihrem Leben sehen, geprägt – sie bilden in einer kritischen Entwicklungsphase eine Assoziation. Dieses Objekt ist im Normalfall die Entenmutter. Nach der Prägung folgen die kleinen Enten ihrem Prägungsobjekt auf Schritt und Tritt. Die Prägung ist ganz klar eine Form des Lernens – es entsteht eine Assoziation zwischen Entenküken und Mutter, die vor der Erfahrung ihrer Bewegung noch nicht vorhanden war. Diese Form des Lernens ist jedoch „vorprogrammiert“ und sicherlich Teil der durch Evolution entstandenen biologischen Strukturen des Entenkükens. Zwar haben wir schon oft Bilder von einer ganzen Reihe Entenküken gesehen, die ihrer Mutter hinterherlaufen; wenn aber das erste Objekt, das eine Ente sieht, ein menschliches Bein ist, wird sie stattdessen diesem Menschen folgen. Konrad Lorenz hat als Erster das Phänomen der Prägung deutlich gemacht, indem er zeigte, dass Vogelküken, die in der kritischen Phase kurz nach der Geburt als Erstes sein Bein gesehen hatten, auch tagelang ihm – und nicht ihrer Mutter – nachliefen. Lorenz (1965) begründete einen neuen Bereich innerhalb der Evolutionsbiologie, die so genannte Ethologie oder Verhaltensforschung, und die Prägung bei Vögeln war ein erstaunliches Phänomen, das dieser Disziplin zum Start verhalf. Ethologie ist definiert als „die Lehre der unmittelbaren Mechanismen und des adaptiven Werts tierischen Verhaltens“ (Alcock, 1989, S. 548). Die Verhaltensforschung war zum Teil auch eine Reaktion auf die extremen Environmentalisten in der amerikanischen Psychologie. Verhaltensforscher interessierten sich für vier Hauptfragen, die als die vier „Warum-Fragen“ des Verhaltens bekannt und von einem der Begründer der Ethologie, Niko Tinbergen (1951), formuliert wurden: (1) die unmittel-
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baren Einflüsse auf das Verhalten (z.B. die Bewegungen der Mutter); (2) die entwicklungsbezogenen Einflüsse auf das Verhalten (z.B. die Ereignisse, die im Laufe des Lebens einer Ente zu Veränderungen führen); (3) die Funktion des Verhaltens oder der „adaptive Zweck“, den es zu erfüllen scheint (z.B. die ständige Nähe des Entenkükens zur Mutter, die sein Überleben sichert); (4) die evolutionären oder phylogenetischen Ursprünge des Verhaltens (z.B. welche Folge evolutionärer Ereignisse verursachte die Entwicklung eines Prägungsmechanismus bei Enten). Verhaltensforscher entwickelten eine Vielzahl von Begriffen, um zu beschreiben, was sie zu den angeborenen Eigenschaften von Tieren zählten. Feste Handlungsmuster sind beispielsweise die stereotypen Verhaltensabläufe von Tieren, ausgelöst durch einen genau definierten Reiz (Tinbergen, 1951). Ist ein festes Handlungsmuster einmal angestoßen, so führt es das Tier immer bis zum Ende aus. Zeigt man bestimmten Erpeln z.B. die hölzerne Nachbildung einer weiblichen Ente, so löst das eine starre Abfolge von Balzhandlungen aus. Mithilfe von Begriffen wie feste Handlungsmuster konnten Ethologen die durchgehende Abfolge von Verhaltensformen in abgeschlossene Analyseeinheiten unterteilen. Die Ethologie brachte die Biologie einen großen Schritt voran und half den Biologen, die große Bedeutung von Adaptationen zu erkennen. Man kann sogar die ersten Ansätze der evolutionären Psychologie aus Konrad Lorenz’ frühen Arbeiten herauslesen, denn er schrieb: „Unsere kognitiven und wahrnehmungsbezogenen Kategorien, die wir noch vor jeder individuellen Erfahrung erhalten, sind unserer Umwelt angepasst, ebenso wie der Huf eines Pferdes für die Ebene geeignet ist, noch bevor es geboren wird und die Flosse eines Fisches dem Leben im Wasser angepasst ist, noch bevor er aus dem Ei schlüpft.“ (Lorenz, 1941, S. 99). Die Ethologie sah sich jedoch drei Problemen gegenüber. Erstens fungierten viele Begriffe lediglich als „Etiketten“ für bestimmte Verhaltensmuster und trugen nicht viel zu deren Erklärung bei. Zum zweiten konzentrierten sich Ethologen meist auf beobachtbares Verhalten – ähnlich wie in Amerika die Behavioristen – und blickten daher nicht „in die Köpfe“ der Tiere hinein, um die zugrunde liegenden Mechanismen zu identifizieren, die für die Entstehung dieses Verhaltens verantwortlich waren; und drittens, obwohl sich die Ethologie mit Adaptation befasste (einem der entscheidenden Themen, die Tinbergen aufgezählt hatte), entwickelten sie keine genauen Kriterien für die Erkennung derselben. Dennoch machten Ethologen viele wertvolle Entdeckungen; so dokumentierten sie z.B. die Prägung, die bei einer Reihe von Vogelarten vorkommt oder stereotype feste Verhaltensmuster, die durch bestimmte Reize ausgelöst werden. Die Ethologie zwang die Psychologen außerdem dazu, die Rolle der Biologie in der menschlichen Verhaltenslehre neu zu überdenken. Dies brachte eine bedeutende wissenschaftliche Revolution in Gang, die dank einer grundlegenden Neuformulierung von Darwins Theorie der natürlichen Auslese entstand – diese Neuformulierung ist die so genannte Gesamtfitness-Theorie.
Die Gesamtfitness-Revolution Anfang der 60er Jahre des 20. Jhds. arbeitete ein junger Student, William D. Hamilton, an seiner Doktorarbeit am University College in London. Hamilton trat für eine radikale Neuordnung der Evolutionstheorie ein, die er „Gesamtfitness-Theorie“ (inclusive fitness
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theory) nannte. Es heißt, dass seine Professoren die Dissertation weder verstanden noch ihre Bedeutung erkannten (vielleicht weil sie extrem mathematisch war), weshalb seine Arbeit zuerst abgelehnt wurde. Als sie schließlich angenommen und 1964 im Journal of Theoretical Biology veröffentlicht wurde, lösten Hamiltons Theorien jedoch eine Revolution aus, die die gesamte biologische Wissenschaft von Grund auf verändern sollte.
William D. Hamilton revolutionierte die Evolutionsbiologie mit seiner Theorie der Gesamtfitness, die 1964 veröffentlicht wurde. Bis heute liefert er fundierte theoretische Beiträge zu Themen, die von der Entwicklung der Gehässigkeit bis hin zu den Ursprüngen der sexuellen Fortpflanzung reichen.
Hamilton führte aus, dass die klassische Fitness – eine Maßeinheit, die den direkten Reproduktionserfolg eines Individuums mittels Weitergabe von Genen durch die Zeugung von Nachkommen bestimme – zu eng gewählt sei, um den Evolutionsprozess durch Selektion angemessen zu beschreiben. Laut seiner Theorie werden bei der natürlichen Auslese diejenigen Eigenschaften bevorzugt, die dafür sorgen, dass die Gene eines Organismus weitergegeben werden, gleichgültig ob dieser Organismus direkt Nachkommen produziert oder nicht. Die Fürsorge der Eltern – die Investition in die eigenen Kinder – wurde als bloßer Sonderfall der Fürsorge für Artgenossen, die Kopien der eigenen Gene im Körper tragen, neu interpretiert. Ein Organismus kann die Reproduktion seiner Gene auch fördern, indem er Brüder, Schwestern, Nichten und Neffen dabei unterstützt, ihr Überleben zu sichern und sich fortzupflanzen. Denn all diese Verwandten tragen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit Kopien der Gene dieses Organismus in sich. Hamiltons große neue Erkenntnis bestand darin, dass die Definition der klassischen Fitness zu eng gehalten sei und daher auf die Gesamtfitness erweitert werden müsse. Technisch gesehen ist die Gesamtfitness nicht die Eigenschaft eines Individuums oder eines Organismus, sondern vielmehr ein Resultat seiner Handlungen oder Wirkungen. Also kann man die Gesamtfitness als Summe aus dem Fortpflanzungserfolg eines Individuums (klassische Fitness) zuzüglich der Auswirkungen seiner Handlungen auf den Fortpflanzungserfolg seiner genetischen Verwandten ansehen. Bei dieser zweiten Komponente müssen die Auswirkungen auf Verwandte mit dem entsprechenden Verwandtheitsgrad zum Zielorganismus gewichtet werden – etwa 0,50 für Brüder und Schwestern (da sie genetisch zu 50% mit dem Zielorganismus verwandt sind), 0,25 für Großeltern und Enkel (25-prozentige genetische Verwandtschaft), 0,125 für Cousins und Cousinen ersten Grades (12,5% genetische Verwandtschaft) etc. (siehe Abbildung 1.1).
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Abbildung 1.1: Genetischer Verwandtheitsgrad zwischen verschiedenen Verwandten Die Gesamtfitness-Theorie impliziert u.a., dass man selbstlose Taten eher näher verwandten Individuen als entfernten Verwandten zugute kommen lässt. Aus Hamilton (1964).
Die Gesamtfitness-Revolution läutete eine neue Ära ein, die man als „Gen-Blickwinkel“ bezeichnen könnte. Was würde mein Überleben und meine Reproduktion erleichtern, wenn ich ein Gen wäre? Zunächst könnte ich sicherstellen, dass es meinem „Träger“, dem Körper, in dem ich mich befinde, gut geht (Überleben). Weiter könnte ich versuchen, mich selbst so oft wie möglich zu vervielfältigen (direkte Reproduktion). Und drittens könnte ich das Überleben und die Reproduktion von Trägern unterstützen, die Kopien von mir enthalten (Gesamtfitness). Natürlich können Gene nicht denken und all dies geschieht weder bewusst noch beabsichtigt. Worauf es ankommt ist, dass das Gen die kleinste Einheit der Vererbung ist, eine Einheit, die durch Reproduktion intakt weitergegeben wird. Adaptationen ergeben sich durch den Prozess der Gesamtfitness. Gene, deren Wirkung ihren Reproduktionserfolg erhöhen, werden andere Gene verdrängen, so dass es im Laufe der Zeit zur Evolution kommt. Aus der Perspektive des Gens über die Selektion nachzudenken, bot den Evolutionsbiologen zahlreiche neue Einblicke. Die Gesamtfitness-Theorie hat tief greifende Auswirkungen auf unser Verständnis von Familienpsychologie, Altruismus, Helfen, Gruppenbildung und sogar Aggression – Themen, die wir in späteren Kapiteln behandeln werden. Wurde Hamiltons Theorie in den 60ern lediglich drei- bis viermal pro Jahr wissenschaftlich zitiert, waren es in den 70ern und danach schon tausende von Zitierungen. Zu Recht wird sie als die alles umfassende Theorie der Evolutionsbiologie verstanden. W. D. Hamilton selbst bekam nach einer kurzen Zeit an der Universität von Michigan ein Angebot von der Oxford Universität, das er nicht ablehnen konnte. Leider starb Hamilton schon 2000 an einer Krankheit, die er sich im Dschungel von Kongo eingefangen hatte, wo er auf langen Reisen Material für eine neue Theorie über den Ursprung des AIDS auslösenden Virus gesammelt hatte.
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Klärung von Adaptation und natürlicher Auslese Die Gesamtfitness-Revolution, die sich in der Evolutionsbiologie innerhalb kürzester Zeit vollzogen hat, ist zum Teil George C. Williams zu verdanken, der 1966 den heutigen Klassiker Adaptation und Natürliche Auslese veröffentlichte. Dieses erfolgreiche Buch trug dazu bei, dass sich die Sichtweisen innerhalb dieses Gebiets in mindestens dreierlei Hinsicht veränderten. Zum einen stellte Williams (1966) die vorherrschende Annahme der Gruppenselektion in Frage, der zufolge sich Adaptationen zum Nutzen der ganzen Gruppe durch den unterschiedlichen Überlebens- und Reproduktionserfolg der Gruppen entwickeln (WynneEdwards, 1962), im Gegensatz zum Nutzen für das Gen, der durch den unterschiedlichen Reproduktionserfolg von Genen gegeben ist. Nach der Theorie der Gruppenselektion könnte ein Tier also die eigene Fortpflanzung gering halten, um die Population niedrig zu halten und so eine Zerstörung der Nahrungsgrundlagen der Population zu verhindern. Die Theorie der Gruppenselektion besagt, dass nur Arten mit Eigenschaften, die ihrer Gruppe nützlich sind, überleben. Arten, die zu egoistisch handeln, sterben aus, da die wichtigsten Nahrungsquellen der Art zu stark ausgebeutet werden. William argumentierte nun überzeugend, dass die Gruppenselektion zwar theoretisch möglich sei, sie jedoch bei der Evolution eine verschwindend geringe Rolle spiele – und dies aus folgendem Grund. Stellen wir uns eine Vogelart mit zwei unterschiedlichen Vogeltypen vor. Der eine bringt sich selbstlos um, damit die wichtigen Nahrungsressourcen nicht zur Neige gehen; der andere frisst einfach egoistisch weiter, obwohl die Vorräte fast erschöpft sind. Welcher Typus wird höchstwahrscheinlich in der nächsten Generation Nachkommen haben? Die Vögel, die sich selbst umbrachten, werden höchstwahrscheinlich ausgestorben sein und auch keine Nachkommen produziert haben, während diejenigen, die dieses Opfer für die Gruppe verweigerten, überleben und auch Nachkommen haben. Wirkt Selektion bei einzelnen Unterschieden innerhalb einer Art, schwächt dies also den Einfluss der Selektion auf der Gruppenebene ab. Bereits fünf Jahre nach Veröffentlichung des Buches hatten die meisten Biologen der Gruppenselektion abgeschworen. Seit kurzem ist jedoch das Interesse an der möglichen Wirksamkeit der Gruppenselektion von neuem erwacht (Sober & Wilson, 1998; Wilson & Sober, 1994).
George C. Williams war einer der wichtigsten Biologen des 20. Jahrhunderts. Sein Buch Adaptation und Natürliche Auslese wurde vor allem berühmt, weil es die Theorie der Gruppenselektion widerlegte, den zentralen Evolutionsbegriff der Adaptation klärte und ein neues Denken auf Basis der genetischen Selektion einläutete.
Williams’ zweiter wichtiger Beitrag war die Übersetzung von Hamiltons hoch mathematischer Theorie der Gesamtfitness in einen für jeden klar verständlichen Text. Sobald das Ver-
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ständnis für die Gesamtfitness gegeben war, begannen Biologen verstärkt damit, deren Auswirkungen zu untersuchen. Als bekanntes Beispiel sei erwähnt, dass die Theorie der Gesamtfitness das „Altruismus-Problem“ teilweise löste: Wie konnte Altruismus entstehen – Reproduktionskosten auf sich zu nehmen, um die Reproduktion anderer zu fördern –, wenn die Evolution doch solche Gene bevorzugt, die eine Selbstvermehrung bewirken? Die Gesamtfitness-Theorie löste dieses Problem (zumindest teilweise), denn der Altruismus konnte sich dann entwickeln, wenn der Nutznießer der eigenen Unterstützung ein genetisch Verwandter war. So opfern etwa Eltern das eigene Leben, um das Leben ihrer Kinder zu retten, die Kopien der elterlichen Gene in sich tragen. Der gleichen Logik folgen auch selbstlose Taten für andere genetisch Verwandte wie Schwestern oder Cousins. Der Nutzen für die Verwandten muss in Fitness-Einheiten ausgedrückt größer sein als die dem Altruisten entstehenden Kosten. Ist diese Bedingung erfüllt, so kann sich Altruismus gegenüber Verwandten entwickeln. In späteren Kapiteln werden wir aufzeigen, dass der genetische Verwandtheitsgrad tatsächlich ein wichtiger Faktor der Hilfsbereitschaft unter Menschen ist. Der dritte Beitrag, den Adaptation und Natürliche Auslese leistete, war Williams’ eingehende Analyse der Adaptation, die er als „schwierigen Begriff“ bezeichnete. Adaptationen könnte man definieren als im Laufe der Zeit entstandene Lösungen für bestimmte Probleme, die direkt oder indirekt zur erfolgreichen Fortpflanzung beitragen. Schweißdrüsen können z.B. Adaptationen sein, die das überlebenswichtige Problem der Wärmeregulierung lösen. Geschmackliche Vorlieben können Adaptationen sein, die zum erfolgreichen Konsum nahrhafter Lebensmittel führen. Paarungsvorlieben können Adaptationen darstellen, die die erfolgreiche Auswahl eines Partners bestimmen. Das Problem besteht darin festzulegen, welche Merkmale eines Organismus Adaptationen sind. Williams stellte einige Bestimmungskriterien für Adaptationen auf und glaubte, dass eine Adaptation nur dann als eine solche bezeichnet werden sollte, wenn sie zur Erklärung des vorliegenden Phänomens notwendig sei. Wenn ein fliegender Fisch beispielsweise aus einer Welle hochspringt und dann ins Wasser zurückfällt, bedarf es keiner Adaptation, damit er „zurück ins Wasser gelangt“. Dieses Verhalten beruht einfach auf dem physikalischen Gesetz der Schwerkraft, das erklärt, warum alles, das hoch steigt, auch wieder herunterkommt. William stellte aber nicht nur Bedingungen auf, unter denen wir den Begriff der Adaptation nicht bemühen sollten, sondern er bot auch Bestimmungskriterien an, bei deren Vorliegen wir von einer Adaptation sprechen können: Zuverlässigkeit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Entwickelt sich der Mechanismus regelmäßig bei allen Vertretern einer Art in jeder „normalen“ Umwelt und funktioniert er wie ursprünglich vorgesehen (Zuverlässigkeit)? Bietet der Mechanismus eine gute Lösung für ein bestimmtes adaptives Problem (Effizienz)? Löst der Mechanismus das adaptive Problem, ohne dem Organismus extreme Kosten zu verursachen (Wirtschaftlichkeit)? Der Begriff Adaptation wird also nicht nur herangezogen, um die Nützlichkeit eines biologischen Mechanismus zu erklären, sondern auch, um die unwahrscheinliche Nützlichkeit zu erklären (Pinker, 1997). Hypothesen über Adaptationen sind im Grunde Wahrscheinlichkeitsaussagen darüber, warum eine zuverlässige, effiziente und wirtschaftliche Reihe von Entwurfsmerkmalen nicht nur rein durch Zufall entstanden sein kann (Tooby & Cosmides, 1992; Williams 1966). Im nächsten Kapitel untersuchen wir den Kernbegriff der Adaptation noch genauer. Im Moment wollen wir nur festhalten, dass Williams’ Buch die wissenschaftliche Welt der
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Darwinschen Evolutionstheorie einen großen Schritt näher brachte. Es widerlegte die Gruppenselektion als bevorzugte und vorherrschende Erklärung, es erläuterte Hamiltons Theorie der Gesamtfitness und gab dem Begriff der Adaptation eine fundierte wissenschaftliche Grundlage.
Trivers’ bahnbrechende Theorien
Berühmt machten Robert Trivers seine Theorien, die die Grundlage für einige Kapitel dieses Buches darstellen – die Theorie der elterlichen Investitionen (Kapitel 4), die Theorie des reziproken Altruismus (Kapitel 9) und die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts (Kapitel 7).
Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre studierte der Harvard-Student Robert Trivers Williams’ Buch über Adaptationen aus dem Jahr 1966. Die revolutionären Auswirkungen, die eine Verlagerung der Denkweise auf die Sicht der Gene für die begriffliche Erfassung ganzer Domänen hatte, verblüfften ihn sehr. Ein Satz oder kurzer Abschnitt aus Williams’ Buch oder Hamiltons Artikeln könnte den Keim einer Idee enthalten, die bei angemessener Pflege zu einer vollständigen Theorie aufblühen könnte. Trivers verfasste drei erfolgreiche Arbeiten, die alle Anfang der 70er Jahre veröffentlicht wurden. Die erste enthielt die Theorie des reziproken Altruismus unter Nicht-Verwandten – die Bedingungen, unter denen sich für beide Seiten vorteilhafte Austausch-Beziehungen oder Transaktionen entwickeln können (Trivers, 1971). Die zweite Arbeit behandelte die Theorie elterlicher Investitionen und lieferte eine fundierte Aufstellung der Bedingungen, unter denen sich sexuelle Selektion bei jedem Geschlecht vollzieht (1972). Die dritte befasste sich mit der Theorie des Eltern-Kind-Konfliktes, die besagt, dass selbst Eltern und ihre Nachkommen in vorhersagbare Konflikte geraten werden, weil sie nur 50% ihrer Gene gemeinsam haben (1974). Vielleicht möchten Eltern ihre Kinder entwöhnen, bevor diese entwöhnt werden wollen, um so Ressourcen für die Investition in weitere Kinder zur Verfügung zu haben. Allgemein ausgedrückt kann das, was für ein Kind optimal ist (z.B. einen größeren Teil der elterlichen Ressourcen für sich zu sichern), für die Eltern eben nicht optimal sein (z.B. alle Ressourcen gleichmäßiger auf alle Kinder zu verteilen). In Kapitel 4 (Theorie der elterlichen Investitionen), Kapitel 7 (Theorie des Eltern-KindKonflikts) und Kapitel 9 (Theorie des reziproken Altruismus) werden wir diese Theorien im Detail behandeln, denn sie haben tatsächlich tausende von empirischen Forschungsprojekten beeinflusst, viele davon über den Menschen.
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Die Kontroverse um die Soziobiologie Elf Jahre nach Hamiltons bahnbrechender Arbeit zum Thema Gesamtfitness löste der Biologe und Harvard-Absolvent Edward O. Wilson in Öffentlichkeit und Wissenschaft einen Eklat aus, der beinahe dem Charles Darwins aus dem Jahr 1859 gleichkam. Wilsons Buch Soziobiologie: die neue Synthese aus dem Jahr 1975 war mit fast 700 doppelspaltigen Seiten sowohl im Umfang als auch in der Bedeutung monumental. Es enthielt eine Synthese von Zellbiologie, integrativer Neurophysiologie, Ethologie, vergleichender Psychologie, Populationsbiologie und Verhaltensökologie. Außerdem wurden viele Arten von der Ameise bis zum Menschen untersucht und ermittelt, dass die gleichen erklärenden Grundprinzipien auf alle Arten angewendet werden können. Im Allgemeinen geht man nicht davon aus, dass die Soziobiologie einen grundlegend neuen Beitrag zur Evolutionstheorie leisten kann. Der Großteil ihrer theoretischen Werkzeuge – z.B. die Gesamtfitness-Theorie, die Theorie elterlicher Investitionen, die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts und die Theorie des reziproken Altruismus – waren schon zuvor von anderen entwickelt worden (Hamilton, 1964; Trivers, 1972, 1974). Was sie jedoch leistete, war die Zusammenfügung einer ungeheuren Vielfalt an wissenschaftlichen Bemühungen und die eindeutige Benennung dieses neu entstehenden Bereichs. Das Kapitel über den Menschen, das letzte Kapitel des Buches und nur 29 Seiten lang, löste die hitzigsten Diskussionen aus. Bei öffentlichen Auftritten wurde er von Zuhörern niedergeschrieen und einmal bekam er sogar einen Eimer Wasser über den Kopf. Seine Arbeit wurde von Marxisten, Radikalisten, Kreationisten, anderen Wissenschaftlern und sogar von Mitgliedern seiner eigenen Fakultät in Harvard heftig kritisiert. Zum Teil wurden die Kontroversen durch Wilsons Art der Formulierung ausgelöst. So behauptete er, dass die Soziobiologie die „Psychologie kannibalisiere,“ was bei den meisten Psychologen natürlich keine große Begeisterung auslöste. Weiter spekulierte er, dass sich viele lieb gewonnenen menschlichen Phänomene wie z.B. Kultur, Religion, Ethik und selbst Ästhetik letztendlich durch diese neue Synthese erklären ließen. Diese Behauptungen standen im scharfen Widerspruch zu den vorherrschenden Theorien der Sozialwissenschaften, jener wissenschaftlichen Disziplin, die sich fast ausschließlich mit der menschlichen Art befasst. Die meisten Sozialwissenschaftler waren überzeugt, dass nicht die Evolutionsbiologie, sondern Kultur, Lernvermögen, Sozialisierung, Vernunft und Bewusstsein die Einzigartigkeit des Menschen erklärten. Trotz Wilsons hoch gegriffenem Anspruch, eine neue Synthese zu schaffen, die die menschliche Natur erklären würde, hatte er zur Stützung seiner Behauptungen kaum empirische Belege über den Menschen selbst. Der Großteil seines Beweismaterials stammte von Tieren, die oft auch phylogenetisch vom Menschen weit entfernt waren. Die meisten Sozialwissenschaftler wollten nicht erkennen, was Ameisen oder Fruchtfliegen mit den Menschen gemeinsam haben sollten. Zwar stoßen wissenschaftliche Revolutionen immer auf Widerstand, der allzu oft besonders aus den eigenen Reihen der etablierten Wissenschaft kommt (Sulloway, 1996); doch dass Wilson keine relevanten wissenschaftlichen Daten über den Menschen vorlegen konnte, war seinem Anliegen sicherlich nicht gerade dienlich.
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Darüber hinaus basierte der enorme Widerstand gegen Wilsons Versuch, auch den Menschen in den Bereich der Evolutionstheorie miteinzubeziehen, auf etlichen verbreiteten Missverständnissen über diese Theorie und ihre Anwendung auf den Menschen. Deshalb möchten wir uns nun einigen davon zuwenden, bevor wir dann Parallelbewegungen innerhalb der Psychologie betrachten, die den Grundstein für die evolutionäre Psychologie legten.
1.2
Weit verbreitete Missverständnisse über die Evolutionstheorie
Die Theorie der Evolution durch Selektion ist zwar unübertroffen elegant in ihrer Einfachheit, lässt aber auch einige verbreitete Missverständnisse nach wie vor bestehen. Vielleicht gerade weil sie so einfach ist, glauben viele Menschen, sie könnten sie nach nur kurzem Studium vollends verstehen – z.B. nachdem sie ein oder zwei Artikel in der populärwissenschaftlichen Presse darüber gelesen haben. Selbst Professoren und Forscher, die auf diesem Gebiet tätig sind, tappen manchmal in die Falle dieser Missverständnisse.
Missverständnis 1: Menschliches Verhalten wird von den Genen bestimmt Die Doktrin der genetischen Determinierung besagt, dass das Verhalten ausschließlich von den Genen gesteuert wird und dass Umwelteinflüsse wenig bis gar keine Rolle spielen. Der Widerstand gegen die Anwendung der Evolutionstheorie auf das Verständnis menschlichen Verhaltens rührt von der fälschlichen Annahme, dass sie gleichzeitig auch genetische Determinierung bedeutet. Anders als in diesem Missverständnis geht die Evolutionstheorie hier von einer Interaktion aus: Menschliches Verhalten entsteht nur, wenn zwei Bestandteile gegeben sind: (1) im Laufe der Zeit entstandene Adaptationen und (2) Input aus der Umwelt, die die Entwicklung und Aktivierung dieser Adaptationen auslöst. Betrachten wir zum Beispiel Schwielen. Sie können nur entstehen, wenn zum einen eine Adaptation vorliegt, die die Bildung von Schwielen fördert, und wenn es zum anderen Einflüsse aus der Umwelt gibt, die eine wiederholte Reibung auf der Haut bewirken. Um also die Evolutionstheorie als Erklärung für Schwielen heranzuziehen, würden wir niemals sagen: „Schwielen sind genetisch bedingt und treten immer auf, gleichgültig, ob es entsprechende Umwelteinflüsse gibt.“ Schwielen sind statt dessen das Ergebnis einer speziellen Form der Interaktion zwischen einem Umwelteinfluss von außen (wiederholte Reibung auf der Haut) und einer Adaptation, die sensibel auf wiederholte Reibung reagiert und in einem solchen Falle mit der Bildung zusätzlicher Hautzellen reagiert. Der eigentliche Grund, warum sich Adaptationen entwickeln, ist, dass sie den Organismen Möglichkeiten gewähren, mit den Problemen, die sich in ihrer Umwelt stellen, besser umzugehen. Die Vorstellung einer genetischen Determinierung – wonach sich Verhaltensweisen ohne Input und Einfluss durch die Umwelt entwickeln – ist also schlichtweg falsch. Die Evolutionstheorie beinhaltet solche Vorstellungen in keiner Weise.
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Missverständnis 2: Das ist evolutionsbedingt – wir können nichts daran ändern Einem zweiten Missverständnis zufolge geht die Evolutionstheorie davon aus, dass das menschliche Verhalten keinerlei Veränderungen zulässt. Betrachten wir nochmals das einfache Beispiel der Schwielen. Der Mensch schafft sich eine physikalische Umwelt, in dem es relativ wenig Reibung gibt. Damit haben wir unsere Umwelt verändert – und diese Veränderung wiederum verhindert die Aktivierung des Mechanismus, der Schwielen bildet. Die Kenntnis dieser Mechanismen und der Umwelteinflüsse, die zu ihrer Aktivierung führen, befähigen uns also dazu, unser Verhalten zu ändern und dadurch die Schwielenbildung zu reduzieren. Ebenso befähigt uns das Wissen um unsere im Laufe der Zeit entstandenen sozialpsychologischen Adaptationen zusammen mit dem Wissen um die sozialen Einflüsse, die deren Aktivierung bewirken, dazu, unser Sozialverhalten zu ändern, wenn dies das angestrebte Ziel ist. Betrachten wir ein Beispiel: Forschungen zeigen, dass Männer früher sexuelle Intentionen unterstellen als Frauen. Wenn eine Frau einen Mann anlächelt, interpretieren männliche Beobachter dies sehr viel häufiger als sexuelles Interesse der Frau als weibliche Beobachter (Abbey, 1982). Dies ist höchst wahrscheinlich Teil eines allmählich entstandenen Evolutionsmechanismus des Mannes, der ihn dazu bringt, sich zufällig bietende sexuelle Möglichkeiten wahrzunehmen (Buss, 2003). Kennt man diesen Mechanismus, hat man jedoch auch die Möglichkeit, ihn zu verändern. So kann man zum Beispiel Männer darüber aufklären, dass sie nur allzu schnell eine sexuelle Intention vermuten, wenn eine Frau sie anlächelt. Dieses Wissen können die Männer dann prinzipiell nutzen, um weniger häufig gemäß derartiger Fehleinschätzungen zu handeln und so die Anzahl der unerwünschten sexuellen Annäherungsversuche gegenüber Frauen zu reduzieren. Das Wissen um unsere im Laufe der Zeit entstandenen psychologischen Adaptationen gepaart mit den sozialen Inputs, auf die sie reagieren sollen, verurteilt uns keineswegs zu einem unabwendbaren Schicksal, sondern kann die befreiende Wirkung haben, dass wir in den gewünschten Bereichen tatsächlich Änderungen vornehmen. Das heißt nicht, dass die Veränderung einer Verhaltensweise einfach ist. Aber wenn wir mehr über unsere Psychologie und deren Evolution wissen, haben wir auch mehr Macht, unser Verhalten zu verändern.
Missverständnis 3: Gegenwärtige Mechanismen sind optimal ausgebildet Der Begriff der Adaptation, die Vorstellung, dass Mechanismen bestimmte Funktionen besitzen, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, hat über das letzte Jahrhundert hinweg zu einer Reihe herausragender Entdeckungen geführt (Dawkins, 1982). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Summe aller aktuellen Mechanismen, die einen Menschen ausmachen, in irgendeiner Weise „optimal ausgebildet“ ist. Ein Ingenieur würde wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen angesichts der Struktur einiger unserer Mecha-
Kapitel 1 Die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Weg zur evolutionären Psychologie
nismen; manche scheinen höchst willkürlich zusammengestellt. Tatsächlich sorgen viele Faktoren dafür, dass der Entwurf unserer heutigen Adaptationen alles andere als optimal ist. Betrachten wir zwei Beispiele (siehe Dawkins, 1982, Kapitel 3): Ein Hinderungsgrund für die optimale Gestaltung sind evolutionäre Zeitverzögerungen. Erinnern wir uns, dass Evolution Veränderung über einen Zeitraum hinweg bedeutet. Jede Veränderung der Umwelt bringt einen neue Selektionsdruck mit sich. Da sich der evolutionäre Wandel langsam vollzieht und eines sich ständig erneuernden Selektionsdrucks über tausende von Generationen bedarf, ist der Entwurf der jetzt lebenden Menschen notwendigerweise auf die damalige Umwelt ausgerichtet, dessen Produkt sie sind. Anders ausgedrückt laufen wir mit einem Steinzeit-Gehirn in unserer modernen Umwelt herum. Ein starkes Verlangen nach Fetten, eine Anpassung an eine früher existierende Umwelt mit knappen Nahrungsressourcen, verursacht heute verstopfte Arterien und Herzinfarkte. Die Zeitverzögerung zwischen der Umwelt, die unsere Mechanismen formte (die Jägerund-Sammler-Vergangenheit, die unsere selektive Umwelt verstärkt prägte) und unserer heutigen Umwelt führt dazu, dass unsere gegenwärtigen evolutionären Mechanismen nicht optimal auf unsere aktuelle Umwelt abgestimmt sind. Ein zweiter Faktor, der einen optimalen Entwurf verhindert, bezieht sich auf die Kosten von Adaptationen. Betrachten wir als Analogie das Risiko, beim Autofahren einen tödlichen Unfall zu erleiden. Prinzipiell könnten wir dieses Risiko nahezu eliminieren, indem wir eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 km/h einführten und jedem Autofahrer vorschrieben, in gepanzerten Lastwagen mit extremer Innenpolsterung herumzufahren (Symons, 1993). Die Kosten dieser Lösung erscheinen uns jedoch lächerlich hoch. Ähnlich können wir ein hypothetisches Beispiel konstruieren, bei dem der Mensch aufgrund natürlicher Auslese eine derart extreme Angst vor Schlangen entwickelt hat, dass er niemals nach draußen geht. Dies würde die Zahl von Schlangenbissen natürlich reduzieren, es ergäben sich aber auch unermesslich hohe Kosten. Außerdem würden die Menschen daran gehindert, andere überlebenswichtige adaptive Probleme zu lösen wie z.B. das Sammeln von Früchten, Pflanzen und anderen Nahrungsvorräten. Kurz gesagt ist die Angst des Menschen vor Schlangen kein optimal ausgebildeter Mechanismus – schließlich werden jedes Jahre tausende von Menschen von Schlangen gebissen und einige sterben auch daran. Durchschnittlich gesehen, funktioniert er aber recht gut. Alle Adaptationen sind mit Kosten verbunden. Die Selektion bevorzugt einen Mechanismus, dessen Kosten-Nutzen-Verhältnis günstiger ist als dasjenige anderer Entwürfe. Also verfügen wir über eine Anzahl durch Evolution entstandener Mechanismen, mit denen wir unsere adaptiven Probleme relativ gut und effizient lösen können, die jedoch keineswegs so optimal ausgebildet sind, wie sie es sein könnten, gäbe es keine Beschränkung durch die Kosten. Die evolutionäre Zeitverzögerung und die Kosten von Adaptationen sind nur zwei der vielen Gründe, warum diese nicht optimal ausgebildet sind (Williams, 1992). Zusammenfassend können wir sagen, dass der Widerstand gegen die Anwendung der Evolutionstheorie auf den Menschen teilweise auf verschiedenen weit verbreiteten Missverständnissen beruht. Anders als in diesen Fehlauffassungen geht die Evolutionstheorie nicht von einer genetischen Determinierung aus. Sie besagt auch nicht, dass wir nicht die Macht haben, Dinge zu verändern, oder dass unsere gegenwärtigen Adaptationen optimal ausgebildet sind. Nun, da diese verbreiteten Missverständnisse über die Evolutionstheorie
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Teil 1 Grundlagen der evolutionären Psychologie
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aus dem Weg geräumt sind, können wir uns der Entstehung des modernen Menschen und dem Bereich der Psychologie zuwenden und die wesentlichen Beiträge, die zur Entstehung der evolutionären Psychologie führten, etwas näher betrachten.
1.3
Meilensteine bei der Entstehung des modernen Menschen
Eine der faszinierendsten Aufgaben der Menschen, die sich darum bemühen, den modernen menschlichen Geist zu verstehen, ist die Erforschung der wesentlichen historischen Ereignisse, die uns letztendlich zu dem gemacht haben, was wir heute sind. Tabelle 1.1 zeigt einige dieser Meilensteine. Was zunächst auffällt, ist der enorm große Zeitrahmen. Es dauerte etwa 3,7 Milliarden Jahre, bis aus den Ursprüngen des ersten Lebens auf der Erde der moderne Mensch des 20. Jahrhunderts entstanden war. Menschen sind Säugetiere, die vor über 200 Millionen Jahren entstanden. Säugetiere sind Warmblüter, d.h. sie haben Mechanismen entwickelt, die trotz äußerer Temperaturschwankungen ihre innere Körpertemperatur konstant halten. Dadurch haben sie den Vorteil, dass alle Stoffwechselfunktionen bei konstanter Temperatur ablaufen. Säugetiere tragen normalerweise einen Pelz, wobei einige Meeressäuger wie z.B. Wale eine Ausnahme bilden. Der Pelz ist eine Adaptation, die dazu beiträgt, die Körpertemperatur konstant zu halten. Säugetiere zeichnen sich auch durch eine einzigartige Fütterungsmethode ihrer Jungen aus: das Säugen durch Absonderungen ihrer Brustdrüsen. Daher auch der Name Säugetiere. Zwar haben sowohl männliche als auch weibliche Säuger Brustdrüsen, ihre Funktion erfüllen sie aber nur bei den Weibchen. Die menschliche Brust ist also nur eine moderne Form einer Adaptation, deren Ursprung über 200 Millionen Jahre zurückverfolgt werden kann. Ein weiterer großer Schritt war die Entwicklung des Plazentaliers vor etwa 114 Millionen Jahren im Gegensatz zum Eier legenden Nicht-Plazentalier. Beim Plazentalier nistet sich der Fötus durch die Plazenta im Uterus der Mutter ein, wodurch die direkte Übertragung der Nahrung gegeben ist. Der Fötus bleibt bis zur Lebendgeburt mit der Plazenta der Mutter verbunden. Bei den Eier legenden Vorgängern dagegen war die Entwicklung vor der Geburt durch die Nahrungsmenge begrenzt, die in einem Ei enthalten war. Die ursprünglich kleinwüchsigen, warmblütigen, behaarten Säugetiere standen am Anfang einer Linie, aus der schließlich der moderne Mensch hervorging. Vor etwa 85 Millionen Jahren entwickelte sich eine neue Säugetierlinie, die Primaten. Frühe Primaten waren sehr klein, sie hatten etwa die Größe von Eichhörnchen. Sie entwickelten Hände und Füße mit Nägeln anstelle von Krallen und bewegliche Finger an Händen (und manchmal auch Füßen), die es ihnen ermöglichten, Dinge zu greifen und zu bearbeiten. Primaten haben ein hoch entwickeltes stereoskopisches Sehvermögen, ihre Augen sind nach vorne gerichtet, wodurch sie bei Sprüngen von Ast zu Ast einen Vorteil haben. Ihr Gehirn ist im Vergleich zu ihrem Körper sehr groß (verglichen mit den NichtPrimaten unter den Säugetieren) und sie haben lediglich zwei Brustdrüsen (anstelle von mehreren Paaren).
Kapitel 1 Die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Weg zur evolutionären Psychologie
Zeit
Ereignis
Vor 15 Milliarden (Mrd.) Jahren
Der Urknall – Ursprung des Universums
Vor 4,7 Mrd. Jahren
Die Erde entsteht.
Vor 3,7 Mrd. Jahren
Das erste Leben entsteht.
Vor 1,2 Mrd. Jahren
Die sexuelle Fortpflanzung entwickelt sich.
Vor 500-450 Millionen (Mio.) Jahren
Die ersten Wirbeltiere
Vor 365 Mio. Jahren
Fische entwickeln Lungen und bewegen sich an Land.
Vor 248-208 Mio. Jahren
Die ersten kleinen Säugetiere und Dinosaurier entstehen.
Vor 208-65 Mio. Jahren
Blütezeit der großen Dinosaurier
Vor 114 Mio. Jahren
Plazentalier entwickeln sich.
Vor 85 Mio. Jahren
Die ersten Primaten entwickeln sich.
Vor 65 Mio. Jahren
Dinosaurier sterben aus, Säuger nehmen an Anzahl und Vielfalt zu.
Vor 35 Mio. Jahren
Die ersten Affen entwickeln sich.
Vor 6-8 Mio. Jahren
Gemeinsamer Vorfahre von Mensch und afrikanischem Affen
Vor 4,4 Mio. Jahren
Erster Primat mit aufrechtem Gang
Vor 3,0 Mio. Jahren
Die Australopitecinen entwickeln sich in der Steppe Afrikas.
Vor 2,5 Mio. Jahren
Die ersten Steinwerkzeuge – Oldowanisch (gefunden in Äthiopien, Kenia, Afrika); sie wurden benutzt, um das Fleisch von Tierkadavern zu zerteilen und das Mark aus den Knochen zu lösen; Zusammenhang mit Homo habilis
Vor 1,8 Mio. Jahren
Hominiden (Homo erectus) breiten sich über Afrika und Asien hinaus aus – erste große Migration
Vor 1,6 Mio. Jahren
Nachweis von Feuer, wahrscheinlich Feuerstellen; Zusammenhang mit dem afrikanischen Homo erectus
Vor 1,5 Mio. Jahren
Erfindung der Acheuléen-Handaxt; Zusammenhang mit Homo ergaster – große Statur, lange Gliedmaßen
Vor 1,2 Mio. Jahren
Beginn der Erweiterung des Gehirns in der Homo-Linie
Tabelle 1.1: Meilensteine der menschlichen Evolutionsgeschichte
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Teil 1 Grundlagen der evolutionären Psychologie
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Zeit
Ereignis
Vor 1,0 Mio. Jahren
Hominiden wandern bis nach Europa.
Vor 800.000 Jahren
Grobe Steinwerkzeuge – gefunden in Spanien; Zusammenhang mit Homo antecessor
Vor 600.000-400.000 Jahren
Lange gehauene Holzspeere und frühe Feuerstellen; Zusammenhang mit Homo heidelbergensis in Deutschland gefunden
Vor 500.000-100.000 Jahren
Periode der schnellsten Gehirnerweiterung in der Homo-Linie
Vor 200.000-30.000 Jahren
Blütezeit der Neandertaler in Europa und im westlichen Asien
Vor 150.000-120.000 Jahren
Gemeinsamer Vorfahre aller modernen Menschen (Afrika)
Vor 100.000-50.000 Jahren
Auszug aus Afrika – zweite große Migration („Out of Africa“)
Vor 50.000-35.000 Jahren
Entstehung zahlreicher Stein-, Knochen-, und Metallwerkzeuge, hoch entwickelte Feuerstellen, aufwändige Kunstwerke; Funde nur bei Homo sapiens, nicht bei Neandertalern
Vor 40.000-35.000 Jahren
Homo sapiens (Cro-Magnon) erreicht Europa.
Vor 30.000 Jahren
Neandertaler sterben aus.
Vor 27.000 Jahren bis heute
Homo sapiens besiedelt die gesamte Erde; alle anderen Hominidenarten sind heute ausgestorben.
Tabelle 1.1: Meilensteine der menschlichen Evolutionsgeschichte (Forts.) Hinweis: Diese Daten basieren zum Teil auf Informationen aus einer Reihe von Quellen, darunter Johanson & Edgar (1996), Klein (2000), Lewin (1993), Tattersall (2000), Wrangham et al. (1999) sowie den hier enthaltenen Verweisen.
Einer der wichtigsten Entwicklungsschritte der Primaten-Linie, die der Entstehung des modernen Menschen vorausging, vollzog sich vor etwa 4,4 Millionen Jahren: der aufrechte Gang, d.h. die Fähigkeit, auf zwei – und nicht auf vier – Beinen zu gehen, zu laufen und zu rennen. Zwar kennt man den genauen evolutionären Auslöser nicht, der zum aufrechten Gang führte, doch bot er in der afrikanischen Steppe, wo er sich zunächst entwickelte, zweifellos eine ganze Reihe von Vorteilen. Durch ihn konnte man schnell und energetisch effizient weite Strecken zurücklegen, er gewährte ein größeres Gesichtsfeld zur Entdeckung von Feinden und Beute, durch ihn verringerte sich die Körperoberfläche, die den schädlichen Sonnenstrahlen direkt ausgesetzt war und – vielleicht am wichtigsten – durch ihn wurden die Hände frei. Da unser früher Vorfahre die Hände nun nicht mehr zum Laufen benutzen musste, konnte er nicht nur Nahrung von einem Ort zum anderen tragen, sondern es eröffnete sich ihm auch die Möglichkeit des späteren Werkzeugbaus und -gebrauchs. In diesen aufrecht gehenden Primaten können wir zum ersten Mal den frühen Mensch ansatzweise erkennen (siehe Abbildung 1.2). Viele Wissenschaftler glau-
Kapitel 1 Die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Weg zur evolutionären Psychologie
ben, dass die Entwicklung des aufrechten Gangs für viele spätere Schritte der menschlichen Evolution bahnbrechend war, so etwa für den Bau von Werkzeugen, das Jagen großer Beutetiere und die schnelle Vergrößerung des Gehirns. Es bedurfte jedoch noch weiterer zwei Millionen Jahre evolutionärer Entwicklung, bis vor etwa 2,5 Millionen Jahren die ersten durch paläontologische Funde belegten groben Werkzeuge auftauchten. Dies waren oldowanische Steinwerkzeuge, an denen durch Abschlagen von Steinschichten eine scharfe Kante erzeugt wurde (siehe Abbildung 1.2). Solche Werkzeuge nutzte man, um das Fleisch von Tierkadavern abzutrennen und aus den größeren Knochen das nahrhafte Mark herauszulösen. Obwohl die oldowanischen Werkzeuge aus heutiger Sicht einfach und grob wirken, bedurfte ihre Herstellung doch eines gewissen Grades an technischem Wissen und Fertigkeit, den selbst ein gut trainierter Schimpanse nicht erreicht (Klein, 2000). Die oldowanischen Steinwerkzeuge wiesen eine so erfolgreiche Technik auf, dass sie über eine Million Jahre in fast unveränderter Form genutzt wurden. Sie standen im Zusammenhang mit der ersten Gruppe der HomoLinie, dem Homo habilis, also dem „Handwerker“, der vor ca. 2 Millionen Jahren existierte. vor Mio. Jahren 0
Homo neanderthalensis
Homo sapiens
Homo erectus
vor Mio. Jahren 0
vor Mio. Jahren 0.05 0.25
Jüngere Steinzeit und frühes Paläozen Mittlere Steinzeit und mittleres Paläozen
Homo heidelbergensis Paranthropus boisei
1
acheuléenische Periode
Homo habilis
1.65
Homo ergaster
Paranthropus robustus Australopithecus garhi ?
Paranthropus aethiopicus
3
3 Australopithecus africanus
Australopithecus afarensis
?
4 Ardipithecus ramidus
5
2
?
Australopithecus anamensis
4
5
Aufrechter Gang Gehirnerweiterung Rückbildung der Eckzähne Konsum großer Tiere
Homo rudolfensis 2
1
oldowanische Periode 2.5
(Steinwerkzeuge unbekannt)
5
Abbildung 1.2: Links: Ein unverbindlicher Stammbaum der menschlichen Familie (oder UnterFamilie, wenn man davon ausgeht, dass die afrikanischen Großaffen und die Menschen derselben Familie zuzuordnen sind) (Abgewandelt nach Strait et. al. 1997, S. 55). Rechts: Zeitachse mit wichtigen anatomischen und Verhaltensmerkmalen und paläolithischen kultur-stratigrafischen Einheiten in Afrika und im westlichen Eurasien. Der am wenigsten umstrittene Aspekt des Stammbaums ist höchstwahrscheinlich die Teilung der Linien, die im Paranthropus (den „robusten“ Australopithecinen) und im Homo gipfelte. Diese Teilung fand vor 2,5 bis 3 Millionen Jahren statt. Wie viele menschliche Arten zu einer bestimmten Zeit existierten, ist heftig umstritten und der hier dargestellte Stammbaum zeigt eine gemäßigte Position zu dieser Frage.
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Vor etwa 1,8 Millionen Jahren entwickelten sich die Primaten, die aufrecht gehen und Werkzeuge herstellen konnten, zu der sehr erfolgreichen Gruppe des Homo erectus und begannen von Afrika aus nach Asien abzuwandern. In Java und China wurden etwa 1,8 Millionen Jahre alte Fossilien gefunden (Tatersall, 2000). Die Begriffe „Wanderung“ und „Migration“ könnten eventuell irreführend sein, da man darunter das gezielte Streben nach Besiedelung ferner Länder verstehen kann. Wahrscheinlicher ist, dass sich die „Migration“ durch eine allmähliche Ausdehnung der Bevölkerung in Landstrichen mit üppigen Ressourcen vollzog. Es ist unklar, ob diese wachsende Gruppe des Homo erectus mit Feuer umgehen konnte. Zwar fand man Belege, dass es die ersten Spuren von kontrolliertem Feuer vor 1,6 Millionen Jahren in Afrika gegeben hatte, in Europa taucht der eindeutige Beweis für Feuer jedoch erst eine Million Jahre später auf. Die Nachkommen dieser ersten großen Migration aus Afrika heraus besiedelten schließlich große Teile Asiens und dann auch Europas und entwickelten sich später zu den Neandertalern. Der nächste große technische Fortschritt war die Acheuléen-Handaxt vor 1,5 Millionen Jahren. Diese Äxte unterschieden sich erheblich in Größe und Form voneinander und über ihre genaue Nutzung ist wenig bekannt. Gemeinsam hatten alle, dass sie auf beiden Seiten abgesplittert wurden, so dass rund um das Werkzeug eine scharfe Kante entstand. Die Herstellung dieser Äxte erforderte erheblich bessere Fähigkeiten als die der groben oldowanischen Steinwerkzeuge und oft weisen sie in Entwurf und Produktion eine Symmetrie und Standardisierung auf, die es bei den frühen Steinwerkzeugen noch nicht gegeben hatte. Vor etwa 1,2 Millionen Jahren begann sich das Gehirn der Vertreter der Homo-Linie schnell auszudehnen. Heute erreicht es mit 1.350 Kubikzentimetern in etwa die doppelte Größe wie damals. Die Periode der schnellsten Gehirnerweiterung vollzog sich vor etwa 500.000 bis 100.000 Jahren. Es gibt zahlreiche Spekulationen über die Ursachen für diese schnelle Gehirnvergrößerung, wie etwa verstärkte Werkzeugherstellung und deren Gebrauch, komplexere Kommunikation, gemeinsame Jagd großer Beutetiere und kompliziertere soziale Beziehungen. Möglicherweise spielten all diese Faktoren eine Rolle dabei. Leider versteinern Gehirne selbst nicht. Vielleicht werden wir nie herausfinden, was genau diese Entwicklung angestoßen hat, es ist jedoch wahrscheinlich, dass eine bestimmte Funktion oder mehrere Funktionen, die durch dieses große Gehirn gefördert wurden, dazu führten, dass alle anderen Arten der Homo-Linie ausstarben. Vor etwa 200.000 Jahren beherrschten die Neandertaler weite Teile Europas und des westlichen Asiens. Der Neandertaler hatte ein schwach ausgeprägtes Kinn, eine fliehende Stirn, doch seine dicken Schädelknochen schlossen ein großes Gehirn von 1.450 Kubikzentimetern ein. Er war an ein hartes Leben und kaltes Klima angepasst, stämmig mit kurzen Gliedmaßen. Der kompakte Körper enthielt eine starke Skelettstruktur, die für Muskeln ausgelegt war, die viel kräftiger waren als die moderner Menschen. Neandertaler verfügten über ausgereifte Werkzeuge und ausgezeichnete Jagdfähigkeiten. Ihre Zähne zeigten starke Verschleißerscheinungen, woraus man schließen kann, dass sie oft harte Nahrung kauten oder ihre Zähne zum Erweichen von Leder für Kleidungsstücke benutzten. Es gibt Belege dafür, dass die Neandertaler ihre Toten beerdigten. Sie überlebten Eis und Schnee und bevölkerten ganz Europa und den Mittleren Osten. Und sie waren so menschlich wie wir es sind. Vor 30.000 Jahren geschah dann etwas Dramatisches. Plötzlich starben die Neandertaler aus, nachdem sie über 170.000 Jahre lang Eiszeiten und
Kapitel 1 Die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Weg zur evolutionären Psychologie
plötzliche Veränderungen der Ressourcenversorgung überlebt hatten. Ihr Verschwinden fällt merkwürdigerweise zusammen mit einem weiteren wichtigen Ereignis: dem plötzlichen Auftauchen des anatomisch modernen Homo sapiens, genannt Homo sapiens sapiens. Warum? (Siehe Kasten 1.1)
1.1 Aus Afrika rund um die Welt oder Entstehung an mehreren Orten: Die Ursprünge des modernen Menschen Vor hunderttausend Jahren bevölkerten drei verschiedene Hominidengruppen die Erde: der Homo neanderthalensis in Europa, der Homo erectus in Asien und der Homo sapiens in Afrika (Johanson, 2001). Vor 30.000 Jahren hatte sich diese Vielfalt drastisch reduziert. Alle menschlichen Fossilien von vor 30.000 Jahren haben die gleiche moderne anatomische Form: eine ausgeprägte Schädelform, ein großes Gehirn (1.350 Kubikzentimeter), ein Kinn und ein leicht gebautes Skelett. Die wissenschaftliche Diskussion darüber, was genau diese radikale Transformation hin zu einer einzigen menschlichen Lebensform verursacht hat, ist bis heute nicht verstummt. Es gibt zwei konkurrierende Theorien: die Multiregionale Hypothese (MRC von engl. Multiregional continuity) und die Out-of-Africa-Theorie (OOA). Nach der MRC-Theorie entwickelten sich nach der ersten Migration aus Afrika vor 1,8 Millionen Jahren die einzelnen Menschengruppen parallel zueinander in den verschiedenen Teilen der Erde und wurden so alle allmählich zu modernen Menschen (Wolpoff & Caspari, 1996; Wolpoff, Hawks, Frayer, & Huntley, 2001). Dieser Theorie zufolge vollzog sich die Entstehung des modernen Menschen nicht in einem einzelnen Gebiet, sondern vielmehr in all jenen Regionen der Erde, wo Menschen lebten (daher die Bezeichnung multiregional). Die multiregionale Evolution der verschiedenen Gruppen hin zum anatomisch modernen Menschen geschah, nach MRC, als Folge des Austauschs von Genen zwischen den einzelnen Gruppen, die sich oft genug paarten, um eine Auseinanderentwicklung in verschiedene Arten zu verhindern. Im Gegensatz dazu geht die OOA-Theorie davon aus, dass sich der moderne Mensch erst vor relativ kurzer Zeit in einer einzelnen Region – in Afrika – entwickelte, von dort nach Europa und Asien wanderte und dort die ursprünglichen Populationen, darunter die Neandertaler, verdrängte (Stringer & McKie, 1996). Die OOA besagt also, dass der moderne Mensch an einem Ort und nicht in mehreren Regionen gleichzeitig entstand und dass er alle anderen Menschen, auch diejenigen, die bereits vorher in Asien und Europa gelebt hatten, verdrängte. Der OOA-Theorie zufolge hatten sich die verschiedenen existierenden Gruppen, wie etwa die Neandertaler und der Homo sapiens, zu grundlegend verschiedenen Arten entwickelt, so dass eine Paarung untereinander unwahrscheinlich oder höchst selten war. Die OOA-Theorie besagt also, dass der moderne Mensch erst vor relativ kurzer Zeit, während der letzten 100.000 Jahre, an einem Ort entstanden ist, während die MRC-Theorie behauptet, die menschlichen Ursprünge lägen an vielen Orten.
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Teil 1 Grundlagen der evolutionären Psychologie
Wissenschaftler zogen drei wesentliche Arten von Befunden heran, um zu sehen, welche Theorie nun der Wahrheit entsprach. Sie prüften anatomisches, archäologisches und genetische Befunde. Die anatomischen Befunde legen nahe, dass Neandertaler und Homo sapiens sich sehr stark voneinander unterschieden. Der Neandertaler hatte einen starken Schädelknochen, ausgeprägte Überaugenwülste, massive Gesichtsknochen, große abgenutzte Schneidezähne, einen vorstehenden mittleren Gesichtsbereich, kein Kinn, er war kleinwüchsig und besaß einen grobknochigen, stämmigen Körperbau. Der frühe Homo sapiens dagegen hatte bereits die Erscheinung eines modernen Menschen: sein Schädel besaß eine vertikale (keine gekrümmte) Stirn, die Gesichtsknochen waren reduziert, die vorstehende Gesichtsmitte fehlte, der Kiefer saß tiefer und er besaß ein ausgeprägtes Kinn, die Knochen waren leichter und weniger widerstandsfähig. Diese großen anatomischen Unterschiede lassen darauf schließen, dass die Neandertaler und die ersten modernen Menschen isoliert voneinander lebten und dass keine Paarungen zwischen beiden Gruppen stattfanden, so dass sie sich möglicherweise zu zwei verschiedenen Arten entwickelten – Ergebnisse, die die OOA-Theorie stützen. Die archäologischen Befunde – Werkzeug- und andere Gegenstandsfunde – zeigen, dass sich Neandertaler und Homo sapiens vor 100.000 Jahren ziemlich ähnlich waren. Beide besaßen Steinwerkzeuge, dagegen hatten sie kaum Werkzeuge aus Knochen, Elfenbein oder Geweihen; es wurden nur weniger gefährliche Tiere gejagt. Die Bevölkerungsdichte war in beiden Fällen gering; Feuerstellen waren sehr einfach; und Kunst und Zierwerk waren bei beiden Populationen nicht zu finden. Dann vollzog sich allerdings vor etwa 40.000 bis 50.000 Jahren eine radikale Wende, die manchmal als „kreative Explosion“ bezeichnet wird (Johanson, 2001; Klein, 2000; Tattersall, 2000). Es entstanden verschiedenartige Werkzeuge, die auf bestimmte Funktionen zugeschnitten waren und nun auch aus Geweihen, Knochen und Elfenbein hergestellt wurden. Es fanden Begräbniszeremonien statt, wobei man den Toten Beigaben mit ins Grab legte. Jäger verlegten sich allmählich auf größere, gefährlichere Tiere. Die Bevölkerungszahlen stiegen explosionsartig an. Kunst und Zierwerk erlebten eine Blütezeit. Bis heute weiß man nicht genau, warum sich dieser radikale kulturelle Wandel vollzog. Vielleicht war es eine neue Gehirnadaptation, die Kunst und Technik aufblühen ließ. Aber eines weiß man fast sicher: Die Neandertaler nahmen an dieser Umwälzung nicht teil. Die „kreative Explosion“ beschränkte sich fast ausschließlich auf den Homo sapiens. Die archäologischen Befunde stützen also ebenfalls die OOA-Theorie. Dank der neuen Gentechnologie gibt es heute Tests, die noch vor zehn Jahren nicht möglich gewesen wären. So können wir heute z.B. tatsächlich die DNA eines Neandertaler- und eines Homo sapiens-Skeletts untersuchen oder auch die Muster genetischer Abweichung zwischen verschiedenen modernen Populationen vergleichen. Der älteste Neandertaler, von dem DNA gewonnen werden konnte, lebte vor 42.000 Jahren in einem Ort im heutigen Kroatien – natürlich war er sich der zukünftigen wissenschaftlichen Nutzung seiner Knochen nicht im geringsten bewusst. Erstens zeigen die
Kapitel 1 Die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Weg zur evolutionären Psychologie
DNA-Funde, dass sich die DNA eines Neandertalers wesentlich von der anderer moderner Menschen unterscheidet, was darauf schließen lässt, dass sich beide Linien vor etwa 400.000 Jahren oder sogar noch früher auseinanderentwickelt haben. Die Funde belegen auch, dass häufige Paarungen zwischen beiden Gruppen unwahrscheinlich waren. Zweitens, wenn die DNA des modernen Menschen außerdem Teile der DNA eines Neandertalers enthielte, würden wir die größten Ähnlichkeiten wohl bei den heutigen Europäern vermuten, die ja im früheren Siedlungsgebiet der Neandertaler leben. Die DNA des Neandertalers weist jedoch weder zur DNA eines Europäers noch zu der eines in einem anderen Teil der Welt lebenden Menschen große Ähnlichkeiten auf. Drittens sind moderne Bevölkerungsgruppen durch eine äußerst geringe genetische Abweichung gekennzeichnet, was darauf schließen lässt, dass wir alle von einer relativ kleinen, genetisch homogenen Population abstammen. Viertens ist die genetische Abweichung bei modernen afrikanischen Völkern größer als bei Bevölkerungsgruppen irgendwo sonst auf der Welt. Dies deckt sich mit der Annahme, der moderne Homo sapiens sei ursprünglich in Afrika entstanden, wo er über einen längeren Zeitraum hinweg genetische Vielfalt entwickeln konnte und von wo schließlich eine Teilgruppe abwanderte, um neue Regionen zu besiedeln. Also sprechen auch die genetischen Beweise zum großen Teil für die OOA-Theorie. Man kann sagen, dass heute die Mehrzahl aller Wissenschaftler die Out-of-AfricaTheorie in der einen oder anderen Abwandlung bevorzugt vertreten. Alle modernen Menschen scheinen ihren Ursprung vor etwa 120.000 bis 220.000 Jahren in Afrika zu haben. Um mit den Worten eines bedeutenden OOA-Verfechters zu sprechen, „tief drin sind wir alle Afrikaner“ (Stringer, 2002). Die Diskussion um die Ursprünge modernen Lebens dauern jedoch bis heute an. So stellen Anhänger der MRC-Theorie etwa die Interpretation der genetischen Befunde in Frage; auch gibt es genug Anomalien, wie etwa bei australischen Fossilienfunden, um die OOA-Theorie ernsthaft in Frage zu stellen (Hawks & Wolpoff, 2001; Wolpoff et al., 2001). Einige Wissenschaftler geben an, die genetischen Befunde sprächen sowohl für die MRC- als auch für die OOA-Theorie (z.B. Relethford, 1998). Auch könnten die neuesten genetischen Befunde wieder verstärkt die MRC-Theorie unterstützen (Marth et al., 2003). Beide Theorien lassen viele Fragen unbeantwortet. So weiß z.B. niemand genau, warum die Neandertaler so plötzlich verschwanden. Haben wir ihnen mit unserer überlegenen Technik den Zugang zu überlebenswichtigen Ressourcen verwehrt? Entwickelten wir eine komplexere Sprache und dadurch bessere organisatorische Fähigkeiten, die uns halfen, vorhandene Ressourcen effizienter zu nutzen? Konnten wir vorteilhaftere Kleidung und Behausungen entwickeln, die uns besser vor klimatischen Schwankungen schützten? Kam es zu Paarungen zwischen Homo sapiens und Neandertaler? Haben wir die Neandertaler aus den ertragreichen Regionen in kargere Randgebiete vertrieben oder haben wir sie etwa mit ausgefeilten Waffen getötet, gegen die sie trotz ihres robusteren Körperbaus machtlos waren? Vielleicht gewährt uns der wissenschaftliche Fortschritt eines Tages eine Antwort auf die Frage, warum wir und nicht die Neandertaler diejenigen sind, die heute noch die Erde bevölkern und über unsere Vergangenheit nachdenken.
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Teil 1 Grundlagen der evolutionären Psychologie
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1.4
Meilensteine auf dem Gebiet der Psychologie
Während sich in der Evolutionsbiologie seit Darwins Buch aus dem Jahr 1859 einige Veränderungen vollzogen haben, nahm die Psychologie einen ganz anderen Weg. Sigmund Freud, der seine Arbeiten einige Jahrzehnte nach Darwin veröffentlichte, wurde von dessen Evolutionstheorie der natürlichen Auslese nachhaltig beeinflusst. Das Gleiche galt für William James. In den 1920er Jahren entfernte sich die Psychologie jedoch weit von der Evolutionstheorie und wandte sich einem radikalen Behaviorismus zu, der diesen Bereich ein halbes Jahrhundert lang bestimmte. Wichtige empirische Entdeckungen machten diesen radikalen Behaviorismus schließlich unhaltbar und erzwangen eine Rückbesinnung auf die Evolutionstheorie. In diesem Abschnitt wollen wir den historischen – und den fehlenden - Einfluss der Evolutionstheorie auf das Gebiet der Psychologie kurz nachzeichnen.
Freuds Theorie der Psychoanalyse Ende des 19. Jahrhunderts schockierte Sigmund Freud die wissenschaftliche Welt mit der Vorlage einer psychologischen Theorie, die ihre Grundlage in der Sexualität hatte. Für die viktorianische Gesellschaft war Freuds Theorie schlicht haarsträubend. Freud postulierte nicht nur, dass die Sexualität das Denken und Handeln Erwachsener bestimme, er behauptete sogar, sie sei die treibende Kraft des menschlichen Verhaltens unabhängig vom Alter, vom kleinsten Neugeborenen bis zum ältesten Senior. Alle unsere psychologischen Strukturen dienen laut Freud lediglich der Kanalisierung unserer Sexualität. Der Kern von Freuds ursprünglicher Theorie der Psychoanalyse war seine Definition des Instinktsystems, das zwei Hauptarten von Instinkten enthielt. Zunächst gab es die lebenserhaltenden Instinkte wie z.B. das Bedürfnis nach Luft, Nahrung, Wasser und Schutz sowie die Angst vor Schlangen, Höhen und gefährlichen Menschen. Diese Instinkte sind aufs Überleben ausgerichtet. Die zweite Art von Instinkten, die menschliches Handeln motivieren, sind Freud zufolge die sexuellen Instinkte. Freuds begriffliche Deutung von Sexualität war außergewöhnlich breit angelegt. Sex war für ihn nicht nur der Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen. Sexualität bedeutete auch das Saugen an der Mutterbrust (die orale Phase) sowie Niesen, Spucken und Defäkation (die anale Phase). Die „reife Sexualität“ gipfelte Freud zufolge in der letzten Phase der menschlichen Entwicklung zum Erwachsenen – der genitalen Phase, die direkt zur Reproduktion führte, dem Hauptmerkmal der Freudschen reifen Sexualität. Dem aufmerksamen Leser mag das merkwürdig bekannt vorkommen. Freuds hauptsächliche Instinktarten entsprechen fast völlig den beiden Haupttheorien zur Evolution von Darwin. Die Freudschen lebenserhaltenden Instinkte entsprechen Darwins Theorie der natürlichen Auslese, die viele als „Überlebensselektion“ bezeichnen und seine Theorie der sexuellen Instinkte kommt Darwins Theorie der sexuellen Selektion sehr nahe.
Kapitel 1 Die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Weg zur evolutionären Psychologie
Freud wandelte seine Theorie schließlich ab und fasste die lebenserhaltenden und die sexuellen Instinkte zu einer Gruppe der „Lebensinstinkte“ zusammen. Dem fügte er einen zweiten Instinkt, den so genannten „Todesinstinkt“ hinzu. Er strebte danach, die Psychologie als eigenständige Disziplin zu etablieren und sein Denken entfernte sich immer weiter von seiner anfänglichen darwinistischen Grundlage.
William James und die Psychologie der Instinkte William James veröffentlichte seine bekannte Abhandlung Prinzipien der Psychologie im Jahre 1890, genau in der Zeit, als auch Freud eine Reihe von Arbeiten über die Psychoanalyse veröffentlichte. Auch James’ Theorie basierte auf einem System von „Instinkten“, das aber in vielerlei Hinsicht weit ausgereifter war als die Freudsche Theorie. James definierte die Instinkte als die „Fähigkeit, durch sein Handeln bestimmte Ziele zu erreichen, ohne diese Ziele vorher zu kennen und ohne im Handeln vorher ausgebildet worden zu sein“ (James, 1890/1962, S. 392). Instinkte waren nicht immer blind und mussten auch nicht zwangsläufig zum Ausdruck kommen. Sie konnten durch Erfahrung verändert oder durch andere Instinkte überlagert werden. Tatsächlich, so James, besitzen wir viele widersprüchliche Instinkte, die also nicht immer ausgedrückt werden können. So haben wir z.B. sexuelle Bedürfnisse, können aber gleichzeitig schüchtern sein, wir sind neugierig und ängstlich zugleich, können aggressiv aber auch kooperativ sein. Der zweifellos umstrittenste Teil von James’ Theorie war seine Aufzählung der Instinkte. Die meisten Psychologen der damaligen Zeit glaubten wie Freud, dass es nur wenige Instinkte gebe. Einer von James’ Zeitgenossen argumentierte beispielsweise, dass „der Mensch nur wenige instinktive Handlungen zeigt, die mit Ausnahme der sexuellen Leidenschaft nach der frühen Jugend schwer auszumachen sind“ (zitiert in James, 1890/1962, S. 405). Im Gegensatz zu dieser Auffassung behauptete James, dass es zahlreiche menschliche Instinkte gibt. James’ Liste der Instinkte beginnt mit der Geburt: „der erste Schrei nach der Geburt, Niesen, Schniefen, Schnarchen, Husten, Seufzen, Weinen, Würgen, Erbrechen, Schluckauf, Starren, Bewegung von Gliedmaßen nach Berührung, Saugen …, später Beißen, Ergreifen und zum Mund Führen von Gegenständen, aufrecht Sitzen, Stehen, Krabbeln und Laufen“ (S. 406). Im Alter von zwei Jahren hat jedes Kind bereits eine wahre Flut von Instinkten gezeigt. Und es geht weiter. Wird das Kind älter, entwickeln sich Instinkte wie Imitation, Vokalisation, Nacheifern, Streitsucht, die Angst vor bestimmten Objekten, Schüchternheit, Geselligkeit, Spieltrieb, Neugier und Wissensdurst. Später zeigen Erwachsene Instinkte wie Jagdlust, Bescheidenheit, Liebe und Elternschaft. Jeder dieser Instinkte fasst eine Reihe von spezifischen Besonderheiten unseres angeborenen psychologischen Wesens zusammen. So beinhaltet der Furchtinstinkt etwa speziell die Furcht vor fremden Menschen, exotischen Tieren, Geräuschen, Spinnen, Schlangen, Einsamkeit, dunklen Orten wie Löchern oder Höhlen und großen Höhen wie z.B. Klippen. Am wichtigsten ist bei all diesen Instinkten, dass sie sich aufgrund der natürlichen Auslese als Adaptationen entwickelten, die spezielle adaptive Probleme lösen sollten.
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Im Gegensatz zur allgemein vorherrschenden Meinung glaubte James, dass der Mensch sehr viel mehr Instinkte habe als ein Tier. „Bei keinem anderen Säugetier, nicht einmal beim Affen, ist die Liste so lang.“ (S. 406). Und genau diese Länge der Liste war auch ein Grund für ihr Scheitern. Viele Psychologen hielten es für absurd, dass der Mensch so viele angeborene instinktive Anlagen haben solle. Im Jahr 1920 hatten diese Kritiker dann eine Theorie entwickelt, die erklären sollte, warum der Mensch nur sehr wenige und allgemein gehaltene Instinkte besaß: die behavioristische Theorie des Lernens.
Der Aufstieg des Behaviorismus Während William James glaubte, dass menschliches Verhalten zum großen Teil durch eine Vielzahl von Instinkten bestimmt wurde, war James B. Watson vom genauen Gegenteil überzeugt. Watson vertrat die Existenz eines einzigen vielseitig einsetzbaren Lernmechanismus, der so genannten klassischen Konditionierung – eine Lernform, bei der zwei zunächst nicht zusammenhängende Ereignisse miteinander in Zusammenhang gebracht werden (Pavlov,1927; Watson, 1924). Ein ursprünglich neutraler Reiz wie etwa das Klingeln einer Glocke kann so mit einem zweiten Reiz, z.B. Nahrung, kombiniert werden. Wird diese Kombination oft wiederholt, kann das bloße Klingeln einer Glocke bei Hunden und anderen Tieren den Speichelfluss anregen (Pavlov, 1927). Ein Jahrzehnt nach Watsons Hauptwerk führte der junge Harvard-Absolvent B. F. Skinner eine neue Form des Environmentalismus ein, den so genannten radikalen Behaviorismus, sowie ein Prinzip der operanten Konditionierung. Nach diesem Prinzip waren die verstärkenden Auswirkungen eines Verhaltens die Hauptursache für daran anschließendes Verhalten. Verhalten, das eine Verstärkung zur Folge hatte, würde in der Zukunft wiederholt werden. Verhalten, das keine Verstärkung (oder sogar eine Bestrafung) auslöste, würde nicht wiederholt werden. Jedes Verhalten, mit Ausnahme des zufälligen Verhaltens, konnte durch die „Kontingenzen“ der Verstärkung erklärt werden. Skinners Behaviorismus stützte sich auf grundlegende Annahmen über die menschliche Natur. Die Behavioristen glaubten – im Gegensatz zu den Instinkt-Anhängern wie William James – dass der Mensch nur wenige angeborene Eigenschaften besitzt. Die einzige angeborene Eigenschaft war ihnen zufolge eine auf der Verstärkung von Konsequenzen basierende generelle Lernfähigkeit. Jede Kombination von Verstärkung und einem beliebigen Verhalten hatte in jedem Fall einen Lernprozess zur Folge. So könnte man jedes Verhalten lediglich durch eine Manipulation der Verstärkungskontingenzen beliebig verändern und formen. Obwohl nicht alle Behavioristen all diese Prinzipien vertraten, dominierten die wichtigsten Annahmen – wenige angeborene Eigenschaften, allgemeine Lernfähigkeit und die Macht der Verstärkungskontingenzen aus der Umwelt – über ein halbes Jahrhundert lang die Disziplin der Psychologie (Herrnstein, 1977). Die Natur der menschlichen Natur bestehe darin, so argumentierte man, dass der Mensch keine Natur habe.
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Die erstaunlichen Entdeckungen kultureller Vielfalt Wenn die Menschen also nur allgemeine Lernmaschinen ohne angeborene Eigenschaften oder Neigungen sind, so muss der gesamte „Inhalt“ des menschlichen Verhaltens – Gefühle, Leidenschaften, Träume, Wünsche, Glaube, Meinungen und Investitionen – im Laufe eines Lebens „hinzugefügt“ werden. Wenn die Lerntheorie also die Möglichkeit bot, die Prozesse, durch die der Mensch geformt wird, zu bestimmen, so boten Kulturanthropologen die entsprechenden Inhalte an (bestimmte Gedanken, Verhaltensweisen und Rituale), mittels welcher diese Prozesse funktionieren konnten (Tooby & Cosmides, 1992). Die meisten Menschen interessieren sich sehr für Geschichten aus anderen Kulturen und je eigentümlicher und je weiter sie von unserer eigenen entfernt sind, umso interessanter sind diese Geschichten. Wir tragen Ringe an Ohren und Fingern, während sich manche afrikanischen Völker Knochen durch die Nase stecken und die Lippen tätowieren. In China wird auf Jungfräulichkeit großer Wert gelegt, während die Schweden eine Jungfrau eher für etwas komisch halten (Buss, 1989a). Im Iran verhüllen viele Frauen Gesicht und Hände mit einem Schleier; in Amerika (besonders in Kalifornien) sind String-Bikinis oft das einzige, was den Körper einer Frau „verhüllt“. Auch Anthropologen haben nach Durchführung ihrer Feldstudien immer wieder die kulturelle Vielfalt gerühmt, die sie vorfanden. Den größten Einfluss könnte hier Margaret Mead gehabt haben, die verkündete, sie habe Kulturen entdeckt, in denen die „Rollenverteilung der Geschlechter“ komplett vertauscht sei und es keinerlei sexuelle Eifersucht gebe. Mead schilderte Inselparadiese mit friedliebenden Bewohnern, die gemeinsam Sexualität und freie Liebe auslebten, nicht miteinander konkurrierten, kämpften, vergewaltigten oder töteten. Je stärker sich diese neu entdeckten fremden Kulturen von unserer westlichen Kultur unterschieden, um so mehr Beachtung fanden sie. Sie wurden in Lehrbüchern häufig wiederholt und über die Medien publik gemacht. Wenn andere Kulturen in tropischen Paradiesen leben konnten, dann waren vielleicht unsere eigenen Probleme mit Eifersucht, Konflikten und Konkurrenz einfach auf unsere westliche Kultur und Wertvorstellung oder sogar auf den Kapitalismus zurückzuführen. Der menschliche Geist besaß eine gewisse „Kultur-Fähigkeit“, doch es war die spezifische Kultur, die bestimmte, zu welchen Formen die Ausübung dieser allgemeinen Fähigkeit im Einzelnen führte. Bei genauerer Betrachtung konnte man allerdings auch im tropischen Paradies Schlangen entdecken. Spätere Forschungen ergaben, dass viele der ursprünglichen Berichte aus diesen tropischen Kulturen schlichtweg falsch gewesen waren. So fand Derek Freeman (1983) heraus, dass die Bewohner der Insel Samoa, die Mead in so schillernden Farben beschrieben hatte, in Wahrheit heftig konkurrierten und höhere Mord- und Vergewaltigungsraten zu verzeichnen hatten als die USA! Außerdem zeigten die Männer extreme sexuelle Eifersucht, was Meads Beschreibung von der „freien Liebe“ unter Samoanern aufs Deutlichste widersprach. Freeman löste mit seiner Widerlegung von Margaret Meads Entdeckungen einen Sturm der Entrüstung aus und sah sich scharfer Kritik aus den Reihen der sozialwissenschaftlichen Welt ausgesetzt, die sich die von Mead und anderen Kulturanthropologen propagier-
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ten Thesen, die nun scheinbar als Mythos entlarvt waren, zueigen gemacht hatten. Spätere Forschungen bestätigten jedoch Freemans Ergebnisse und, wichtiger noch, die Existenz zahlreicher menschlicher Universaleigenschaften (Brown 1991). Zum Beispiel die sexuelle Eifersucht des Mannes, die in vielen bisher untersuchten Kulturen zum Ehegattenmord führt, hat sich als solch eine Universaleigenschaft herausgestellt (Daly & Wilson, 1988). Gefühlsregungen wie Furcht, Zorn und Freude wurden auch bei Menschen aus Kulturen ausgemacht, die zu Fernsehen oder Kino keinen Zugang hatten (Ekman, 1973). Sogar Gefühle wie Liebe, von der man glaubte, sie sei erst vor einigen hundert Jahren von weißen Europäern erfunden worden, wiesen Universalität auf (Jankowiak, 1995). Dennoch hängen noch immer viele dem Mythos unendlicher kultureller Vielfalt an. Melvin Konner drückte es so aus: „Wir wollen die Vorstellung noch nicht aufgeben, dass es irgendwo Menschen gibt, die mit sich und der Natur in vollkommener Harmonie leben, und dass wir dasselbe tun könnten, wenn es nicht die korrumpierenden Einflüsse unserer westlichen Kultur gebe“ (1990). Die wachsende Zahl der Belege machte es den Sozialwissenschaftlern immer schwerer, bei ihrer ursprünglichen Haltung zu bleiben. Darüber hinaus gab es neue Bewegungen in anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die die Sichtweise des Menschen als Träger einer bloßen „Kultur-Fähigkeit“, die nur durch die soziale Umwelt völlig ausgefüllt wurde, massiv in Frage stellte.
Der Garcia-Effekt, „vorprogrammierte“ Furcht und der Niedergang des radikalen Behaviorismus Neue Erkenntnisse kamen z.B. von Harry Harlow (1971), der eine Gruppe Affen isoliert von anderen Affen in einem Labor aufzog, in dem es zwei künstliche „Mütter“ gab. Beide „Mütter“ bestanden aus Maschendraht, wobei der Draht der zweiten zusätzlich mit weichem Frotteestoff überzogen war. Nahrung erhielten die Äffchen nur von der Draht-Mutter und nicht von der Frottee-Mutter. Da die Affen nach dem Prinzip der operanten Konditionierung ihre primäre Verstärkung, die Nahrung, von der Draht-Mutter erhielten, hätten sie auch im Verhalten eine größere Bindung zu dieser und nicht zur Frottee-Mutter zeigen sollen und sich zum Beispiel an ihr festklammern sollen, wenn sie Angst hatten. Doch genau das Gegenteil geschah. Die Äffchen kletterten auf die Draht-Mutter, um Nahrung zu erhalten, verbrachten aber die übrige Zeit lieber bei der Frottee-Mutter. Wenn sie Angst hatten, rannten sie nicht zu der durch Nahrung verstärkenden Mutter, sondern zu der, die ihnen durch Berührung Trost gab. Es geschah ganz offensichtlich etwas in den Affen, das mit der Reaktion auf die primäre Verstärkung Nahrung nichts zu tun hatte. Auch John Garcia von der Universität von Kalifornien in Berkley schreckte die wissenschaftliche Welt auf. In einer Forschungsreihe gab er Ratten zunächst Futter und setzte sie einige Stunden später einer Strahlendosis aus, die Übelkeit auslöste (Garcia, Ervin & Koelling, 1966). Obwohl die Übelkeit erst mehrere Stunden nach der Nahrungsaufnahme auftrat, lernten die Ratten innerhalb nur einer Versuchsreihe, auf dieses Futter, das ja
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anscheinend für ihren Zustand verantwortlich war, zu verzichten. Koppelte Garcia die Übelkeit dagegen mit Summern oder Lichtblitzen, konnte er den Ratten nicht beibringen, diese zu umgehen. Ratten scheinen also bereits bei der Geburt auf das Lernen bestimmter Dinge „vorprogrammiert“ zu sein, so etwa auf die Vermeidung von Nahrung, die Übelkeit auslöst, während es ihnen außerordentlich schwer fällt, andere Dinge zu lernen.
Harry Harlows Experimente trugen maßgeblich zu der Erkenntnis bei, dass die so genannte „primäre Verstärkung“, die Verstärkung durch Nahrung, nicht der wichtigste Bestimmungsfaktor für das Verhalten ist. Dieses Beispiel zeigt, dass sich das Äffchen an die Frottee-Mutter klammert, obwohl es seine Milch von der DrahtMutter bekommt. Dies steht im Gegensatz zu den Vorhersagen des Behaviorismus.
Der Ansatz, dass Organismen durch die Evolution darauf „vorbereitet“ werden, bestimmte Dinge zu lernen und andere nicht, wurde von Martin Seligman erneut aufgegriffen. Seligman und seine Kollegen behaupteten, es sei tatsächlich sehr einfach, Menschen darauf zu „konditionieren“, bestimmte Arten von Furcht zu entwickeln – z.B. die Furcht vor Schlangen – während es dagegen extrem schwierig sei, sie auf die Entwicklung anderer, weniger natürlicher Arten von Furcht zu konditionieren – z.B. Angst vor Steckdosen oder Autos (Seligman & Hager, 1972). Zusammenfassend wurden also zwei grundlegende Annahmen des Behaviorismus widerlegt, was zwei wichtige Schlüsse zuließ: Erstens schienen Ratten, Affen und sogar Menschen darauf „programmiert“ zu sein, einige Dinge leicht, andere dagegen gar nicht zu lernen. Zweitens ist die äußere Umwelt nicht der einzige bestimmende Faktor des Verhaltens. In den Organismen spielt sich etwas ab, das beim Betrachten des Verhaltens miteinbezogen werden muss. Diese Schlussfolgerungen führten zusammen mit anderen wissenschaftlichen Kräften zum Niedergang des radikalen Behaviorismus und zum Aufstieg eines neuen Modells des menschlichen Geistes.
Ein kurzer Blick in die Black Box: Die kognitive Revolution Eine Reihe von Kräften kamen in der Psychologie zusammen, die einen erneuten Blick ins Gehirn legitimierten, um die dem Verhalten zugrunde liegende Psychologie zu erforschen. Eine dieser Kräfte rührte von den immer häufiger werdenden Verletzungen der grundlegenden „Lerngesetze“ her. Dazu kam Noam Chomskys überzeugende Sprachstudie, in der er die Existenz eines universellen „Sprachorgans“ propagierte, dessen zugrunde liegende Struktur bei allen Sprachen gleich war (Chomsky, 1957; Pinker, 1994).
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Eine dritte Kraft war der Aufstieg der Computer und die „Metapher der Informationsverarbeitung“. All diese Kräfte bildeten zusammen die so genannte kognitive Revolution. Die kognitive Revolution gab der Psychologie die Verantwortung zurück, „in die Köpfe“ der Menschen „hineinzusehen“ anstatt nur die äußerlichen Kontingenzen der Verstärkung zu betrachten. Diese Revolution war auch deshalb notwendig, weil äußerliche Kontingenzen nicht ausreichten, um beobachtetes Verhalten schlüssig zu erklären. Schließlich half auch der aufkommende Computer den Psychologen dabei, die von ihnen postulierten exakten kausalen Prozesse klarer auszudrücken. Die kognitive Revolution wird heute fast immer mit der Informationsverarbeitung gleichgesetzt. Eine kognitive Beschreibung spezifiziert, welche Arten von Informationen der Mechanismus als Input verwendet, mithilfe welcher Prozesse er diese Information umwandelt, auf welche Datenstrukturen (Repräsentationen) sich diese Prozesse auswirken und welche Arten von Repräsentationen oder Verhaltensweisen daraufhin als Output entstehen (Tooby & Cosmides, 1992, S. 64). Damit ein Organismus bestimmte Aufgaben erfüllen kann, muss er eine Reihe von Problemen der Informationsverarbeitung lösen. Um beispielsweise erfolgreich sehen, hören, aufrecht gehen und beurteilen zu können, braucht er ein groß angelegtes System zur Informationsverarbeitung. Obwohl den meisten von uns das Sehen mit unseren Augen mühelos und natürlich erscheint – wir öffnen einfach die Augen und sehen – sind in Wahrheit doch tausende spezialisierter Mechanismen notwendig, z.B. eine Linse, eine Netzhaut, eine Hornhaut, eine Pupille, spezielle seitliche Detektoren, Stäbchen, Zapfen, bestimmte Bewegungsmelder, ein spezialisierter Sehnerv etc. Psychologen begriffen allmählich, dass sie das Informationsverarbeitungssystem in unserem Gehirn verstehen mussten, um die kausalen Zusammenhänge menschlicher Leistung zu begreifen. Mechanismen zur Informationsverarbeitung – die kognitiven Mechanismen – erfordern die „Hardware“, in die sie eingebettet sind, die Neurobiologie des Gehirns. Doch die Beschreibung eines Informationsverarbeitungsmechanismus wie etwa des Auges ist nicht die gleiche wie die der zugrunde liegenden Neurobiologie. Betrachten wir analog dazu die Textverarbeitungssoftware eines Computers, die ein Programm enthält, mit dem man Sätze löschen, Abschnitte verschieben und Zeichen kursiv setzen kann. Das Programm läuft auf einem IBM, einem Macintosh oder jedem anderen gleichartigen Computer. Obwohl die zugrunde liegende Hardware der Maschinen verschieden ist, ist die Beschreibung, wie das Programm die Information verarbeitet, die gleiche. Analog könnte man einen Roboter bauen, der ähnlich wie ein Mensch „sehen“ könnte, dessen Hardware jedoch völlig verschieden von der Neurobiologie des Menschen wäre. Folglich ist die Beschreibung auf kognitiver Ebene (d.h. Input, Repräsentationen, Entscheidungsregeln, Output) nützlich und notwendig, gleichgültig, ob die Hardware verstanden wird oder nicht. Mit dem Niedergang bestimmter Annahmen des Behaviorismus und dem Einsetzen der kognitiven Revolution wurde es legitim, „in den Kopf“ des Menschen „hineinzusehen“. Es wurde nicht länger als „unwissenschaftlich“ angesehen, innere geistige Zustände und Prozesse zu betrachten. Man sah es im Gegenteil als absolut notwendig an.
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Allerdings übernahmen die meisten kognitiven Psychologen unglücklicherweise eine Annahme aus dem Behaviorismus: die Equipotenz-Annahme der Bereichs-Allgemeinheit (Tooby & Cosmides, 1992). Die von den Behavioristen propagierten bereichs-übergreifenden Lernprozesse wurden einfach durch bereichs-übergreifende Mechanismen ersetzt. Es fehlte der Gedanke, dass es eventuell privilegierte Informationsklassen geben könnte, auf deren Verarbeitung die kognitiven Mechanismen speziell ausgerichtet waren. Man stellte sich das menschliche kognitive System als einen großen Computer vor, der jede eingehende Information verarbeiten konnte. Man konnte Computer darauf programmieren, Schach zu spielen, Rechenaufgaben durchzuführen, das Wetter vorherzusagen, Symbole zu manipulieren oder Raketen zu steuern. In diesem Sinne ist der Computer eine bereichs-übergreifende Informationsverarbeitungsmaschine. Um aber ein spezielles Problem lösen zu können, muss er auch speziell „programmiert“ werden. Um einen Computer aufs Schachspielen zu programmieren, sind Millionen von „wenn … dann“-Programmier-Befehlen nötig. Eines der Hauptprobleme der bereichs-übergreifenden Annahme über den informationsverarbeitenden Geist ist die kombinatorische Explosion. Bei einem bereichs-übergreifenden Programm, dem spezielle Verarbeitungsregeln fehlen, ist die Anzahl der in jeder Situation zur Verfügung stehenden Alternativen unendlich. Die Evolutionspsychologen John Tooby und Leda Cosmides (1992) führen folgendes Beispiel an: Nehmen wir an, dass wir innerhalb der nächsten Minute eine von 100 möglichen Aktionen durchführen können – den nächsten Abschnitt in diesem Buch lesen, einen Apfel essen, mit den Augen zwinkern, von morgen träumen etc. In der nächsten Minute können wir wieder irgendeine dieser Aktionen ausführen. Nach nur zwei Minuten ergäbe das zehntausend mögliche Verhaltenskombinationen (100 x 100). Nach drei Minuten wären es eine Million mögliche Kombinationen (100 x 100 x 100) und so weiter. Dies ist die kombinatorische Explosion – das rasche Anwachsen möglicher Reaktionsvarianten aufgrund der Kombination von zwei oder mehr nachfolgenden Alternativen. Um einen Computer oder einen Menschen dazu zu bringen, eine spezielle Aufgabe zu erfüllen, müssen diese unendlichen Möglichkeiten durch eine spezielle Programmierung rigoros eingegrenzt werden. Die kombinatorische Explosion macht es also einem Computer oder einem Menschen völlig unmöglich, selbst die simpelste Aufgabe ohne vorherige Programmierung zu lösen. Einen Computer kann man natürlich auf eine wahre Vielfalt von Aufgaben programmieren, die nur durch die Fantasie und das Können des Programmierers begrenzt sind. Wie steht es aber mit den Menschen? Wie werden wir programmiert? Auf welche speziellen Informationsverarbeitungsprobleme sind unsere 1.400 Kubikzentimeter großen Gehirne ausgelegt? Die Vorstellung, dass es einige Probleme der Informationsverarbeitung geben könnte, auf deren Verarbeitung das menschliche Gehirn speziell ausgerichtet ist, existierte nicht in der kognitiven Revolution der Psychologie. Der Mensch wurde vom unbeschriebenen Blatt, das erst durch Verstärkungskontingenzen gefüllt wurde (Lerntheorie) zum allgemein einsetzbaren Computer, für den die Kultur die Software schreibt (kognitive Theorie). Diese Kluft ebnete zusammen mit immer neuen empirischen Forschungsergebnissen aus verschiedenen empirischen Wissenschaften schließlich den Weg für die neue Diszi-
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plin der evolutionären Psychologie. Diese lieferte die fehlenden Puzzleteile, indem sie eine breit angelegte Spezifikation der Art der Informationsverarbeitungsprobleme definierte, auf deren Lösung das menschliche Gehirn ausgelegt war – Probleme des Überlebens und der Reproduktion.
Zusammenfassung Die evolutionäre Psychologie hat eine lange historische Entwicklung durchgemacht. Lange bevor Charles Darwin die Bühne betrat, vermutete man bereits, dass es Evolution – Veränderungen von Organismen im Laufe der Zeit – gab. Vor ihm fehlte es jedoch an einer Theorie über einen kausalen Prozess, die erklären konnte, wie sich organischer Wandel vollzog. Seine Theorie der natürlichen Auslese war Darwins herausragender Beitrag zur Evolutionsbiologie. Sie besteht aus drei wichtigen Bestandteilen: Variation, Vererbung und Selektion. Es kommt zur natürlichen Auslese, wenn bestimmte vererbte Variationen zu größerem Fortpflanzungserfolg führen als andere. Kurz gesagt, ist die natürliche Auslese definiert als im Laufe der Zeit stattfindende Veränderung aufgrund eines unterschiedlichen Fortpflanzungserfolgs vererbter Variationen. Die natürliche Auslese bot eine alles umfassende Theorie für die biologischen Wissenschaften und löste mehrere große Rätsel. Erstens war mit der natürlichen Auslese ein kausaler Prozess gegeben, durch welchen sich im Laufe der Zeit Veränderung, das heißt die Modifikation organischer Strukturen, vollzieht. Zweitens lieferte sie eine Theorie, die den Ursprung neuer Arten erklärte, und drittens brachte sie alle lebenden Kreaturen in einem großen Stammbaum zusammen und machte damit den Platz des Menschen im großen Zusammenspiel des Lebens offenkundig. Die Tatsache, dass diese Theorie nun fast 150 Jahre überlebt hat, in denen man sie ständig auf den Prüfstand stellte und mehrmals zu kippen versuchte, zeigt, dass sie eine wirklich große wissenschaftliche Theorie ist (Alexander, 1979). Zusätzlich zur natürlichen Auslese, die manchmal als „Überlebensselektion“ bezeichnet wird, stellte Darwin noch eine zweite Evolutionstheorie auf, die Theorie der sexuellen Selektion. Der Gegenstandsbereich dieser Theorie ist die Evolution von Eigenschaften, bedingt durch Erfolge bei der Partnerwahl (im Gegensatz zu Erfolgen beim Kampf ums Überleben). Die sexuelle Selektion vollzieht sich durch zwei Prozesse: intrasexueller Wettbewerb und intersexuelle Selektion. Bei der intrasexuellen Konkurrenz haben die Gewinner eines Kampfes unter Geschlechtsgenossen bessere Paarungsaussichten und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit zur Fortpflanzung. Bei der intersexuellen Selektion haben Individuen mit Eigenschaften, die vom anderen Geschlecht bevorzugt werden, bessere Chancen, sich fortzupflanzen. Beide Prozesse sexueller Selektion haben eine Evolution zur Folge – eine im Laufe der Zeit stattfindende Veränderung aufgrund unterschiedlicher Paarungserfolge.
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Für viele Biologen war es ein großes Problem, dass es in Darwins Theorie keine funktionierende Vererbungstheorie gab. Diese Theorie wurde erst formuliert, als man die Arbeiten von Gregor Mendel anerkannte und sie mit der Darwinschen Theorie der natürlichen Auslese in einer Bewegung, der so genannten modernen Synthese zusammenführte. Nach dieser Theorie ist die Vererbung keineswegs eine Mischung beider Eltern, sondern vielmehr partikulär: die Gene, die Grundlagen der Vererbung, sind in abgeschlossenen Paketen vorhanden, die nicht vermischt werden, sondern als intakte Einheiten von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden. Die partikuläre Vererbungstheorie lieferte das fehlende Glied in Darwins Theorie der natürlichen Auslese. Nach der modernen Synthese brachten zwei europäische Biologen, Konrad Lorenz und Niko Tinbergen eine neue Bewegung auf, die Verhaltensforschung (Ethologie), die darauf bedacht war, tierisches Verhalten in einen evolutionären Zusammenhang zu bringen, indem sie sich sowohl auf die Ursprünge als auch auf die Funktionen des Verhaltens konzentrierte. 1964 wurde die Theorie der natürlichen Auslese in zwei wegweisenden Artikeln von William D. Hamilton neu formuliert. Der Evolutionsprozess beinhaltet Hamilton zufolge nicht nur die klassische Fitness (die direkte Produktion von Nachkommen), sondern auch die Gesamtfitness, die die Auswirkungen der Handlungen eines Individuums auf den Fortpflanzungserfolg genetisch Verwandter, gewichtet nach dem jeweiligen genetischen Verwandtschaftsgrad mit einschließt. Diese Umformulierung unter Einbeziehung der Gesamtfitness machte die Theorie der natürlichen Auslese noch präziser, indem die Selektion aus dem „Blickwinkel des Gens“ betrachtet wurde. 1966 veröffentlichte George Williams den heutigen Klassiker Adaptation und natürliche Auslese und bewirkte damit dreierlei. Erstens führte dieses Buch zum Niedergang der Gruppenselektion, zweitens unterstützte es die Hamiltonsche Revolution. Zum dritten bot es strenge Identifikationskriterien für Adaptationen an, nämlich Zuverlässigkeit, Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Präzision. In den 70er Jahren knüpfte Robert Trivers an die Arbeiten von Hamilton und Williams an und veröffentlichte drei bahnbrechende Theorien, die bis heute Bedeutung haben: reziproker Altruismus, elterliche Investitionen und die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts. 1975 veröffentlichte Edward O. Wilson sein Buch Soziobiologie: eine neue Synthese, in dem er die wichtigsten Entwicklungsschritte der Evolutionsbiologie zusammenfassen wollte. Wilsons Buch stieß auf sehr viel Kritik, die hauptsächlich wegen des letzten Kapitels über den Menschen laut wurde, das zwar eine Reihe von Hypothesen, jedoch kaum empirische Daten enthielt. Der Hauptwiderstand gegen Wilsons Buch sowie gegen die Anwendung der Evolutionstheorie zur Erklärung menschlichen Verhaltens rührt wohl von einigen weit verbreiteten Missverständnissen her. Entgegen dieser Missverständnisse behauptet die Evolutionstheorie keineswegs, dass das menschliche Verhalten genetisch vorbestimmt oder unveränderbar ist und sie setzt auch keinen optimalen (genetischen) Entwurf voraus.
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Belege aus verschiedenen Disziplinen geben uns einen Einblick in die wichtigsten Entwicklungsschritte des Evolutionsprozesses, der zur Entwicklung des modernen Menschen führte. Menschen sind Säugetiere; sie sind Teil einer Gruppe von Lebewesen, die vor über 200 Millionen Jahren entstanden sind. Wir gehören einer PrimatenLinie an, die sich vor 85 Millionen Jahren entwickelte. Unsere Vorfahren begannen vor 4,4 Millionen Jahren aufrecht zu gehen, sie entwickelten vor 2,5 Millionen Jahren grobe Steinwerkzeuge und könnten vor 1,6 Millionen Jahren mit der Nutzung von Feuer begonnen haben. Das Gehirn unserer Vorfahren wuchs und so konnten wir ausgefeiltere Werkzeuge und Techniken entwickeln und nach und nach viele Teile der Erde besiedeln. Es gibt zwei konkurrierende Theorien über die Ursprünge der modernen Menschen: die multiregionale Hypothese und die Out-of-Africa-Theorie. Manche behaupten, dass anatomisches, archäologisches und genetisches Beweismaterial die Out-of-Africa-Theorie stützen, die besagt, dass sich der moderne Mensch höchstwahrscheinlich in Afrika entwickelt habe, von wo er nach Asien und Europa wanderte und dabei alle anderen Hominiden, darunter die Neandertaler, verdrängte. Andere Theoretiker gehen davon aus, dass die genetischen Beweise beide Theorien gleichermaßen stützen, wobei die allerneuesten genetischen Beweise sogar wiederum stärker für die multiregionale Hypothese sprechen. Obwohl die Neandertaler über 170.000 Jahre lang Europa beherrschten, starben sie vor 30.000 Jahren aus, ein Ereignis, das mit dem Auftauchen des anatomisch modernen Menschen zusammenfiel. Das plötzliche Verschwinden der Neandertaler bleibt bis heute ein wissenschaftliches Rätsel. Während die Evolutionsbiologie von Veränderungen geprägt war, nahm die Psychologie einen anderen Kurs, der für ihre spätere Zusammenführung mit der Evolutionstheorie eine wichtige Rolle spielte. Sigmund Freud lenkte das Interesse auf die Bedeutung von Überleben und Sexualität indem er eine Theorie vorlegte, die lebenserhaltende und sexuelle Instinkte vorsah. Sie entsprach Darwins Unterscheidung zwischen natürlicher und sexueller Auslese. 1890 veröffentlichte William James die Prinzipien der Psychologie, denen zufolge der Mensch eine Reihe spezifischer Instinkte habe. In den 1920er Jahren wandte sich die Psychologie in Amerika jedoch vom Evolutionsgedanken ab und machte sich eine Version des radikalen Behaviorismus zu eigen. Dabei ging man davon aus, dass eine Reihe sehr allgemeiner Lernprinzipien die Komplexität menschlichen Verhaltens erklären konnte. In den 1960er Jahren häuften sich jedoch empirische Daten, die nachhaltige Verletzungen der allgemeinen Lerngesetze nahe legten. Harry Harlow zeigte, dass Affen nicht die „Draht-Mütter“ bevorzugten, obwohl sie von diesen die primäre Verstärkung der Nahrung erhielten. John Garcia wies nach, dass Organismen einige Dinge schnell und gut lernen konnten. Im Gehirn spielte sich etwas ab, das durch die externen Kontingenzen der Verstärkung allein nicht erklärt werden konnte.
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Die Anhäufung derartiger Befunde führte zur kognitiven Revolution, die das „Hineinschauen in die Köpfe“ der Leute als ein wichtiges und respektables Unterfangen betrachtete. Die kognitive Revolution basierte auf der Metapher der Informationsverarbeitung – Beschreibungen im Kopf angesiedelter Mechanismen nehmen bestimmte Informationen als Input auf, wandeln sie aufgrund von Entscheidungsregeln um und erzeugen Verhalten als Output. Die Vorstellung, dass der Mensch dazu ausgerüstet oder angelegt sein könnte, einige Informationsarten zu verarbeiten und andere nicht, schuf die Grundvoraussetzungen für die Entwicklung der evolutionären Psychologie, die eine echte Synthese aus moderner Psychologie und moderner Evolutionsbiologie darstellt.
Weiterführende Literatur Darwin, C. (1859). On the Origin of species. London: Murray (dt.: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1988). Dawkins, R. (1989). The selfish gene (new edition). New York: Oxford University Press (dt.: Das egoistische Gen. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag, 1994). Eibl-Eibesfeldt, I. (1995). Die Biologie des menschlichen Verhaltens. Grundriß der Humanethologie. 3.Aufl. München: Piper. Klein, R.G. (2000). Archeology and the evolution of human behavior. Evolutionary Anthropology, 9, 17-36. Mayr, E. (2003). Das ist Evolution. München: Bertelsmann (Orig.: What evolution is. New York: Basic Books, 2001). Tattersall, I. (2000). Paleoanthropology: The last half-century. Evolutionary Anthropology, 9, 2-16. Voland, E. (2000). Grundriss der Soziobiologie. 2. Aufl. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Williams, G.C. (1966). Adaptation and natural selection. Princeton, NJ: Princeton University Press.
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Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Die evolutionäre Psychologie stellt eine der bedeutendsten neuen Entwicklungen der Verhaltensforschung in den letzten 20 Jahren dar. – Boyer & Heckhausen, 2000, S. 917 Der evolutionäre Psychologe Karl Grammer untersuchte mit einem Forscherteam Sexualsignale, wie sie im semi-artifiziellen Umfeld von Single-Bars vorkommen (Grammer, 1996). Er postierte Beobachter in den Bars und hielt auf Beobachtungsbögen fest, wie oft Frauen von Männern an der Bar berührt wurden. Ein anderer Teil des Forscherteams trat an jede Frau heran, die die Bar verließ und fragte, ob sie mit einer Teilnahme an der Studie einverstanden wäre. Die weiblichen Teilnehmer wurden fotografiert und füllten einen kurzen Fragebogen aus, in dem sie nach der von ihnen verwendeten Verhütungsmethode und ihrem Menstruationszyklus (Beginn der letzten Periode) gefragt wurden. Grammer digitalisierte die Fotografien und kalkulierte mithilfe eines Computerprogramms, wie viel Haut jede der Frauen zeigte. Von den Frauen, die keine oralen Verhütungsmittel nahmen, berührten die Männer in den Single-Bars am häufigsten diejenigen, die sich im fruchtbarsten Teil ihres Zyklus, der Ovulation befanden. Frauen, die nicht ovulierten, wurden seltener berührt. Im Gegensatz zu der herkömmlichen Überzeugung könnten Männer daher in der Lage sein, subtile Zeichen der weiblichen Ovulation zu erkennen. Aber es gibt auch eine andere Interpretation. Ovulierende Frauen senden mehr sexuelle Signale aus: sie tragen engere, mehr Haut zeigende Blusen und kürzere Röcke und zeigen generell mehr Haut. Es muss also nicht zutreffen, dass Männer scharfsinnig erkennen, wann Frauen ovulieren. Vielmehr könnten auch ovulierende Frauen aktiv sexuelle Signale aussenden – eine Interpretation, die durch eine andere Studie unterstützt wird, in der festgestellt wurde, dass ovulierende Frauen häufiger sexuelle Begegnungen initiieren als in anderen Phasen ihres Zyklus (Gangestad, Simpson, Cousins, Garver & Christensen, 2004). Diese neuen Forschungsrichtungen markieren mehrere Besonderheiten der spannenden Wissenschaft der evolutionären Psychologie. Eine bezieht sich auf die Entdeckung bisher nicht vermuteter Verbindungen zwischen Merkmalen menschlicher Reproduktionsbiologie, in diesem Fall der Ovulation von Frauen und manifestem Verhalten. Zum zweiten ist die evolutionäre Psychologie ein dynamischer Bereich, in dem laufend faszinierende neue Entdeckungen gemacht werden. Zum dritten liefert das Nachdenken über adaptive Funktionen, d.h. ob Männer über Adaptationen verfügen, um herauszufinden, ob Frauen ovulieren oder ob Frauen über Adaptationen verfügen, um auf ihre Ovulation zu reagieren – Impulse für spannende neue Forschungen.
Teil 1 Grundlagen der evolutionären Psychologie
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Dieses Kapitel konzentriert sich auf Logik und Methoden der evolutionären Psychologie, einer neuen wissenschaftlichen Synthese moderner Evolutionsbiologie und moderner Psychologie. Dabei werden die neuesten theoretischen Fortschritte der Evolutionsbiologie wie die Gesamtfitness-Theorie (inklusive Fitness-Theorie), die Theorie der elterlichen Investitionen und der sexuellen Selektion und die Entwicklung strikterer Standards für die Einschätzung der An- oder Abwesenheit von Adaptationen angewandt. Die evolutionäre Psychologie integriert auch die neuesten begrifflichen und empirischen Fortschritte in der Psychologie; dazu gehören Informationsverarbeitung, die Erkenntnisse künstlicher Intelligenz und Entdeckungen wie der universale emotionale Ausdruck (Ekman, 1973); Universalien, dass Menschen alle Arten in Pflanzen und Tiere einteilen (Atran, 1990; Berlin, Breedlove & Raven, 1973) und Universalien darüber, wie Menschen andere Menschen kategorisieren (White, 1980). Das Ziel dieses Kapitels ist eine Einführung in die konzeptionellen Grundlagen dieser neuen Synthese, auf denen die nachfolgenden Kapitel aufbauen. Beginnen wir, indem wir fragen, warum Psychologie in die Evolutionsbiologie integriert werden sollte.
2.1
Der Ursprung der menschlichen Natur
Drei Theorien über die Ursprünge komplexer Adaptationsmechanismen Läuft man ein paar Wochen barfuß, entwickeln sich Schwielen an den Fußsohlen. Dieser Schwielen produzierende Mechanismus, d.h. die Bildung zahlreicher neuer Hautzellen als Reaktion auf wiederholte Reibung, dient dazu, die anatomischen und physiologischen Strukturen der Füße vor Verletzungen zu schützen. Fährt man einige Wochen im Auto, werden die Autoreifen jedoch nicht dicker. Warum nicht? Füße und Autoreifen unterliegen den Gesetzen der Physik. Reibung tendiert dazu, physische Objekte abzunutzen, nicht sie aufzubauen. Aber Füße, im Gegensatz zu Reifen, unterliegen außerdem den Gesetzen der organischen natürlichen Selektion. Aufgrund der natürlichen Selektion verfügen Füße über Schwielen produzierende Mechanismen. Evolution durch Selektion ist ein kreativer Prozess, bei dem die Schwielen produzierenden Mechanismen die Adaptationsprodukte dieses kreativen Prozesses darstellen. Sie existieren, weil in der Vergangenheit diejenigen, die Gene mit der Veranlagung hatten, dickere Haut als Reaktion auf Reibung zu entwickeln, mit diesem zusätzlichen Element ihre Überlebenschancen vergrößern und daher mehr Nachkommen zeugen konnten als diejenigen, die diese Veranlagung nicht hatten. Als Nachkommen dieser erfolgreichen Vorfahren tragen auch wir diese, sich als erfolgreich erwiesenen Adaptationsmechanismen in uns. Im vergangenen Jahrhundert wurden drei Theorien vorgeschlagen, die den Ursprung von Adaptationen wie den Schwielen produzierenden Mechanismus erklären (Daly & Wilson, 1988). Eine Theorie ist der Kreationismus, die Idee, dass eine höhere Gottheit alle Pflanzen und Tiere schuf, vom größten Wal zum kleinsten Plankton im Ozean, von den einfachen einzelligen Amöben bis zum komplexen menschlichen Gehirn. Der Kreationismus wird aus
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
drei Gründen nicht als „wissenschaftliche Theorie“ angesehen. Erstens kann sie nicht nachgeprüft werden, weil keine spezifischen empirischen Vorhersagen aus ihrer wichtigsten Voraussetzung gezogen werden können, dass alles aus dem einfachen Grund existiert, weil ein höheres Wesen es geschaffen hat. Zum zweiten hat der Kreationismus die Forscher zu keinen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen geführt. Zum dritten konnte er keine wissenschaftlichen Erklärungen für schon entdeckte organische Mechanismen liefern. Der Kreationismus wird daher als eine Frage von Religion und Glauben und nicht als Wissenschaft angesehen. Es kann zwar nicht bewiesen werden, dass diese Theorie falsch ist, aber als vorhersagende oder erklärende Theorie hat sie sich als nicht zweckmäßig erwiesen. Eine zweite Theorie ist die Samentheorie. Nach den Samentheoretikern entstand das Leben nicht auf der Erde. Nach einer Version dieser Theorie kamen die Samen des Lebens durch einen Meteoriten auf die Erde. Nach einer zweiten Version kamen außerirdische intelligente Wesen von anderen Planeten oder Galaxien zur Erde und pflanzten die Samen des Lebens ein. Unabhängig vom Ursprung der Samen setzte sich jedoch vermutlich die Evolution mit natürlicher Selektion durch und die Samen entwickelten sich zu Menschen und anderen existierenden Lebensformen. Die Samentheorie ist im Prinzip nachprüfbar. Man kann Meteoriten nach Lebenszeichen untersuchen, die der Theorie Plausibilität verleihen würden, dass das Leben seinen Ursprung woanders hat. Man kann die Erde nach Zeichen außerirdischer Landungen absuchen. Man kann nach Belegen von Lebensformen suchen, die nicht auf der Erde entstanden sein können. Man kann das Universum nach intelligentem Leben außerhalb unseres Sonnensystems absuchen. Die Samentheorie weist jedoch drei Probleme auf. Zum einen gibt es momentan keine fundierten wissenschaftlichen Belege, dass solche „Aussaaten“ stattgefunden haben. Zum zweiten hat die Samentheorie zu keinen neuen wissenschaftlichen Entdeckungen geführt und sie hat auch keines der existierenden wissenschaftlichen Rätsel gelöst. Der wichtigste Punkt ist jedoch, dass die Samentheorie ein grundlegendes Problem aufwirft, indem sie die kausale Erklärung nach dem Ursprung des Lebens zeitlich zurückverlagert. Wenn die Samen tatsächlich von außerirdischen Wesen auf die Erde gebracht wurden, welche kausalen Prozesse führten dann zum Ursprung dieser intelligenten Wesen? Welcher kausale Prozess ist verantwortlich für die Entwicklung der Samen in die Lebensformen, die wir heute auf der Erde sehen? Dies führt zur dritten Option: Evolution durch natürliche Selektion. Obwohl Evolution durch natürliche Selektion eine Theorie genannt wird, wurden ihre grundlegenden Prinzipien so oft bestätigt, dass sie von den meisten Biologen als Tatsache angesehen wird (Alcock, 1993; Mayr, 1982). Die Komponenten ihrer Wirkungsweise – unterschiedliche Reproduktion aufgrund vererbter Unterschiede in den genetischen Entwürfen– wurden sowohl im Labor als auch in der Wildnis nachgewiesen. Die unterschiedliche Schnabelgröße von Finken auf verschiedenen Galapagosinseln beispielsweise entwickelte sich entsprechend der Größe der Samen auf den jeweiligen Inseln (Grant, 1991). Für größere Samen werden größere Schnäbel benötigt, während es bei kleineren Samen vorteilhafter ist, wenn die Schnäbel klein sind. Die Theorie der natürlichen Selektion weist viele Vorteile auf, die Wissenschaftler in einer profunden wissenschaftlichen Theorie suchen: (1) bekannte Fakten werden geordnet; (2) sie führt zu neuen Vorhersagen und (3) sie liefert Richtlinien zu wichtigen Bereichen wissenschaftlicher Untersuchungen.
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Somit besteht zwischen den drei Theorien – Kreationismus, Samentheorie und natürlicher Selektion – nicht wirklich ein Wettbewerb. Evolution durch natürliche Selektion ist die einzig bekannte wissenschaftliche Theorie, die die erstaunliche Vielfalt des Lebens, wie wir es heute um uns sehen, erklären kann. Auch wenn es immer möglich ist, dass es in Zukunft eine bessere Theorie geben könnte, ist momentan die natürliche Selektion die einzige, die alles Lebendige, Pflanzen, Tiere, Insekten und Vögel, von den kleinsten einzelligen Organismen im Meer bis hin zu den komplexesten Säugetieren an Land, in einem großen Stammbaum vereinigen kann. Es ist die einzige bekannte wissenschaftliche Theorie, die die Ursprünge und Strukturen komplexer Adaptationsmechanismen, aus denen die menschliche Natur besteht, erklären kann – von Schwielen produzierenden Mechanismen bis hin zu übergroßen Gehirnen.
Die drei Produkte der Evolution Es gibt drei Produkte des evolutionären Prozesses: Adaptationen, Nebenprodukte (by-products) (oder Begleiterscheinungen) der Adaptationen und Zufallsrauschen (noise), wie in Tabelle 2.1 aufgeführt (Buss, Haselton, Shackelford, Bleske & Wakefield, 1998; Tooby & Cosmides, 1990). Fangen wir bei den Adaptationen an, den wichtigsten und grundlegenden Produkten des evolutionären Prozesses. Produkt
Kurze Beschreibung
Adaptationen
Vererbbare und sich zuverlässig entwickelnde Merkmale, die durch die natürliche Selektion entstanden, da mit ihrer Hilfe Überlebens- oder Reproduktionsprobleme besser gelöst werden konnten als durch alternative Modelle, die während ihrer Evolutionsperiode in der Population existierten. Beispiel: Nabelschnur
Nebenprodukte
Merkmale, die keine adaptiven Probleme lösen und kein funktionelles Design aufweisen; sie sind „Anhängsel“ von Merkmalen mit funktionellem Design, da sie an diese Adaptationen angekoppelt sind. Beispiel: Bauchnabel
Zufallsrauschen
Zufallsprodukte, die durch zufällige Mutationen, plötzliche und einmalige Veränderungen der Umwelt oder Zufälle während der Entwicklung entstehen. Beispiel: besondere Form des Bauchnabels einer bestimmten Person
Tabelle 2.1:
Die drei Produkte des evolutionären Prozesses
Eine Adaptation wird als vererbbares und sich zuverlässig entwickelndes Merkmal definiert, das sich durch die natürliche Selektion herausgebildet hat, weil mit ihr ein Überlebens- oder Reproduktionsproblem zum Zeitpunkt seiner Evolution gelöst werden konnte (nach Tooby & Cosmides, 1992, S. 61-62; siehe auch Thornhill, 1997). Gliedern wir diese Definition in ihre Kernelemente auf: Eine Adaptation weist Gene „für“ diese Adaptation auf. Diese Gene sind für den Übergang der Adaptation von den Eltern
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
zum Kind erforderlich; Adaptationen haben also eine genetische Basis. Die meisten Adaptationen können nicht zu einzelnen Genen zurückverfolgt werden, sondern sind das Produkt vieler Gene. Das menschliche Auge beispielsweise entsteht mithilfe von hunderten von Genen. Die Tatsache, dass Adaptationen auf Genen basieren, bedeutet jedoch nicht, dass das menschliche Verhalten „genetisch festgelegt“ ist (siehe Missverständnis 1 in Kapitel 1). Die Gene, die wir heute in uns tragen, wurden in der Vergangenheit selektiert; die Umgebungen während der Lebenszeit eines Menschen sind für die Entwicklung von Adaptationen verantwortlich und gegenwärtige Umwelten sind für die Aktivierung dieser so entstandenen Adaptationen verantwortlich. Eine Adaptation muss sich zuverlässig bei Angehörigen einer Art in allen „normalen“ Umwelten entwickeln. Das heißt um sich als Adaptation zu qualifizieren, muss sie sich zur angemessenen Zeit im Leben eines Organismus in intakter Form entwickeln und charakteristisch für die meisten oder alle Angehörigen einer Art sein. Hierbei gibt es wichtige Ausnahmen wie Mechanismen, die nur bei einem Geschlecht oder bei einer spezifischen Unterart einer Population existieren. Diese werden später behandelt, aber hier ist es wichtig zu betonen, dass die meisten Adaptationen artentypisch sind. Das Merkmal der zuverlässigen Entwicklung einer Adaptation bedeutet nicht, dass sie schon bei der Geburt entwickelt sein muss. Viele Adaptationen entwickeln sich erst lange nach der Geburt. Gehen ist eine sich zuverlässig entwickelnde Eigenschaft des Menschen, aber die meisten Menschen lernen erst ein Jahr nach der Geburt zu laufen. Brüste gehören zu sich zuverlässig entwickelnden Merkmalen von Frauen, entwickeln sich aber erst in der Pubertät. Merkmale, die kurzlebig oder vorübergehend sind, leicht durch die Umwelt gestört werden oder sich nur bei einigen Angehörigen einer Art entwickeln, entsprechen daher nicht der Definition von Adaptationen. Adaptationen entstehen durch den Selektionsprozess. Die Selektion handelt in jeder Generation als Sieb, in dem die Merkmale, die nicht der Fortpflanzung dienen, herausgefiltert, und die der Reproduktion dienen, durchgelassen werden (Dawkins, 1996). Diese Auslese wiederholt sich in jeder Generation, so dass sich jede neue Generation etwas von ihrer Elterngeneration unterscheidet. Dieser Prozess der natürlichen Selektion ist notwendig, damit sich Adaptationen entwickeln können. Die Merkmale, die die Auslese überstehen, verdanken dies der Tatsache, dass sie sich besser zur Lösung eines Überlebens- oder Reproduktionsproblems eignen als alternative (konkurrierende) Modelle in der Population. Die Funktion einer Adaptation bezieht sich auf das adaptive Problem, für das sie entwickelt wurde, d.h. wie es zum Überleben oder der Reproduktion beiträgt. Die Funktion einer Adaptation wird normalerweise durch den Nachweis eines „speziellen Entwurfs“ identifiziert und bestätigt, wobei die Komponenten oder „Entwurfsmerkmale“ auf präzise Art zur Lösung eines bestimmten adaptiven Problems beitragen. Wie in Kapitel 1 aufgeführt, umfassen die Maßstäbe für die Auswertung einer hypothetischen Funktion einer Adaptation normalerweise Effizienz (leistungsfähige Problemlösung), Wirtschaftlichkeit (Problemlösung auf kostengünstige Art), Präzision (alle Komponenten sind spezialisiert, ein bestimmtes Ziel zu erreichen) und Zuverlässigkeit (zuverlässige Leistung in den Zusammenhängen, für die sie entwickelt wurde) (siehe Buss, Haselton, Shackelford, Bleske & Wakefield, 1998; Tooby & Cosmides, 1992; Williams, 1996).
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Jede Adaptation hat ihre eigene Evolutionsperiode. Zuerst erscheint in einem einzigen Individuum eine Mutation, eine spontane Strukturänderung eines Teils der DNA. Man nimmt an, dass Mutationen aus Fehlern bei der Replikation der DNA entstehen. Obwohl die meisten Mutationen das Überleben oder die Reproduktion verhindern, unterstützen einige wenige zufälligerweise das Überleben und die Reproduktion des Organismus. Wenn die Mutation hilfreich ist und dem Organismus einen Reproduktionsvorteil gegenüber anderen Angehörigen der Population verleiht, wird er in größer Anzahl an die nächste Generation weitergegeben. In der nächsten Generation besitzen daher mehr Individuen das Merkmal, das am Anfang eine Mutation bei einer einzigen Person war. Sollte es erfolgreich bleiben, verbreitet es sich in den folgenden Generationen in der gesamten Population, bis es jeder Angehörige der Spezies besitzt. Das Environment of Evolutionary Adaptedness oder EEA bezieht sich auf die statistische Zusammensetzung des Selektionsdrucks, der während der Evolutionsperiode einer Adaptation vorherrschend war (Tooby & Cosmides, 1992). Anders ausgedrückt bezieht sich das EEA jeder Adaptation auf den Selektionsdruck oder die adaptiven Probleme, die während ihrer Evolution für ihre Form verantwortlich waren. Das EEA für das Auge beispielsweise bezieht sich auf den spezifischen Selektionsdruck, der jede der Komponenten des Sehsystems über hunderte von Millionen Jahren gestaltete. Das EEA für die bipedale Fortbewegung betrifft den Selektionsdruck, der etwa 4,4 Millionen Jahre zurückreicht. Der springende Punkt ist, dass das EEA sich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt oder Ort bezieht, sondern auf den Selektionsdruck, der für die Adaptationen verantwortlich ist. Daher hat jede Adaptation ihr eigenes EEA. Die Evolutionsperiode einer Adaptation bezieht sich auf den Zeitraum, in dem sie sich nach und nach entwickelte, bis sie zu einem universellen Entwurf der Art wurde. Auch wenn Adaptationen die Hauptprodukte der Evolution sind, sind sie nicht die einzigen. Der evolutionäre Prozess produziert auch Nebenprodukte der Adaptationen. Nebenprodukte sind Merkmale, die weder adaptive Probleme lösen noch einen funktionellen Entwurf aufweisen. Sie sind „Anhängsel“ von Merkmalen mit funktionellem Entwurf, da sie an diese Adaptationen angekoppelt sind, z.B. die Hitze einer Glühbirne wird als Nebenprodukt des Lichts angesehen.
Bauchnabel gelten nicht als Adaptationen – man kann mit ihnen weder Beute jagen noch Raubtiere abschrecken. Sie sind das Nebenprodukt von Adaptationen – in diesem Fall der Nabelschnur, durch die ein Fötus Nährstoffe von der Mutter aufnimmt.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Denken Sie an den Bauchnabel. Es gibt keinen Beleg dafür, dass der Bauchnabel per se dem Menschen beim Überleben oder bei der Reproduktion von Nutzen ist. Mit dem Bauchnabel kann man weder Nahrung finden noch Raubtiere aufspüren, Schlangen meiden, gute Lebensräume finden oder Partner auswählen. Er trägt weder direkt noch indirekt zur Lösung eines adaptiven Problems bei. Der Bauchnabel ist daher als Nebenprodukt einer Adaptation anzusehen, nämlich der Nabelschnur, die den wachsenden Fötus mit Nährstoffen versorgte. Die Hypothese, dass etwas als Nebenprodukt einer Adaptation anzusehen ist, bedeutet daher, dass man die zugrunde liegende Adaptation identifizieren muss und den Grund, warum seine Existenz mit dieser Adaptation assoziiert wird (Tooby & Cosmides, 1992). Die Hypothese darüber, was als Nebenprodukt, ebenso wie die Hypothese, was als Adaptation gilt, ist daher strengen Maßstäben der wissenschaftlichen Bestätigung unterworfen. Das heißt, dass von jeder Nebenprodukt-Hypothese spezifische empirische Vorhersagen abgeleitet und diese mit empirischen Methoden überprüft werden müssen. Das dritte und letzte Produkt des evolutionären Prozesses sind Zufallsrauschen oder Zufallsprodukte. Zufallsprodukte können durch Mutationen (von denen die meisten zufällig sind), plötzliche und beispiellose Veränderungen der Umwelt oder Unfälle während der Entwicklung entstehen. Einige dieser Zufallsauswirkungen beschädigen die Funktion eines Organismus; wie wenn man beispielsweise einen Schraubenschlüssel in eine Maschine wirft oder heißen Kaffee über das Festplattenlaufwerk des Computers schüttet, wodurch seine zweckmäßige Funktion zerstört wird. Andere Zufallsauswirkungen sind neutral – sie haben weder positive noch negative Auswirkungen und einige sind einem Organismus auch nützlich. Die Glasummantelung einer Glühbirne beispielsweise ist aufgrund von Materialfehlern oder des Herstellungsprozesses oftmals nicht ganz glatt, was aber die Funktion der Glühbirne selbst nicht beeinträchtigt. Zufallsrauschen unterscheidet sich von zufälligen Nebenprodukten dadurch, dass sie nicht mit den adaptiven Aspekten der Merkmale verbunden, sondern von diesen unabhängig sind. Zufallsrauschen ist nicht artentypisch. Zusammengefasst kann man sagen, dass durch den evolutionären Prozess drei Produkte entstanden sind: Adaptationen, Nebenprodukte von Adaptationen und Zufallsrauschen. Im Prinzip kann man die Bestandteile einer Art analysieren und Studien durchführen um festzustellen, was Adaptationen, was Nebenprodukte und was Zufallsprodukte sind. Evolutionswissenschaftler unterscheiden sich in ihren Einschätzungen über die relative Größe dieser drei Kategorien. Einige sind der Ansicht, dass selbst einzigartige menschliche Qualitäten wie Sprache lediglich zufällige Nebenprodukte unseres Großhirns sind (Gould, 1991). Andere sehen überwältigende Belege dafür, dass die menschliche Sprache eine Adaptation par excellence ist und alle oben beschriebenen Merkmale einer Adaptation aufweist (Pinker, 1994). Glücklicherweise muss man sich nicht nur auf die Erfindungen der Wissenschaftler verlassen, da ihre Ideen direkt überprüft werden können. Trotz wissenschaftlicher Haarspaltereien über die relative Größe der drei Kategorien stimmen alle Evolutionswissenschaftler in einem grundlegenden Punkt überein: Adaptationen sind das Primärprodukt der Evolution durch Selektion (Dawkins, 1982; Dennett, 1995; Gould, 1997; Trivers, 1985; Williams, 1992). Selbst Kritiker der evolutionären Psychologie wie Stephen Jay Gould „verneinen weder die Existenz und zentrale Bedeu-
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tung der Adaptationen noch die Entwicklung von Adaptationen durch die natürliche Selektion. ... Ich kenne keinen anderen wissenschaftlichen Mechanismus außer dem der natürlichen Selektion, der nachweisbar geeignet wäre, Strukturen für ein solch ausgesprochen praktisches Design zu schaffen.“ (Gould, 1997, S. 53-58). Diese Merkmale, die seit Hunderten, Tausenden und Millionen von Jahren Generation für Generation durch das Selektionssieb gefiltert wurden, sind diejenigen, die dazu beigetragen haben, die Überlebens- und Reproduktionsprobleme zu lösen. Daher besteht der Kern aller tierischen Naturen, zu denen auch der Mensch gehört, aus einer großen Sammlung von Adaptationen. Einige dieser Adaptationen sind die Sinnesorgane – Augen, Ohren, Nase und Geschmacksnerven, die Fenster zu relevanten Informationen unserer Umwelt darstellen. Einige dieser Adaptationen helfen uns dabei, uns durch unsere Umwelt zu bewegen, wie der aufrechte Gang, Beinknochen und unsere großen Zehen. Evolutionäre Psychologen tendieren dazu, sich auf eine spezielle Unterklasse der Adaptationen zu konzentrieren; die psychologischen Adaptationen und die Nebenprodukte dieser Adaptationen. Bevor wir uns mit diesen beschäftigen, betrachten wir jedoch ein entscheidendes Konzept, um über Menschen zu theoretisieren: die Analyse-Ebenen der evolutionären Psychologie.
Ebenen der Analyse in der evolutionären Psychologie Die Formulierung von Hypothesen stellt eines der wesentlichen Kennzeichen einer Wissenschaft dar. Im Fall der evolutionären Psychologie konzentrieren sich diese auf adaptive Probleme und ihre Lösungen. Genauer gesagt konzentrieren sie sich auf die adaptiven Probleme unserer Vorfahren und deren psychologische Lösungen. Um zu verstehen, wie evolutionäre Psychologen diese Hypothesen formulieren, wird eine Hierarchie von Analyse-Ebenen aufgestellt, wie in Abbildung 2.1 auf Seite 43 beschrieben. Allgemeine Evolutionstheorie. Die erste Analyse-Ebene ist die allgemeine Evolutionstheorie. In ihrer modernen Form wird die allgemeine Evolutionstheorie, wie in Kapitel 1 beschrieben, als inklusive Fitness-Theorie verstanden. Adaptationen werden selektiert und entwickeln sich in dem Ausmaß, in dem sie die inklusive Fitness fördern (Hamilton, 1964). Inklusive Fitness wird als die Summe der direkten Fitness eines Einzelnen in der Produktion von Nachkommen und den Auswirkungen auf die Fitness der Familie definiert, die Kopien der Gene des Einzelnen trägt.
Auf dieser allgemeinen Ebene wird, obwohl wir von „Evolutionstheorie“ sprechen, diese von Biologen als Tatsache angesehen. Ein Großteil der Forschung in der evolutionären Psychologie basiert auf der Annahme, dass die Evolutionstheorie korrekt ist, aber die Forschung prüft diese Annahme nicht direkt nach. Die Prozesse, die der Evolution durch Selektion zugrunde liegen, wurden in Labor- und Feldstudien wiederholt festgestellt und wurde in keiner Studie und durch keinen einzelnen Befund widerlegt.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Abbildung 2.1: Ebenen einer evolutionären Analyse Die Tabelle zeigt eine Version der Hierarchie-Ebenen in der evolutionären Psychologie. Die allgemeine Evolutionstheorie, wie sie im Kontext der modernen inklusiven Fitness-Theorie verstanden wird, bildet die oberste Ebene der Hierarchie. Von jeder Theorie der mittleren Ebene werden spezifische evolutionäre Hypothesen über evolutionsbedingte psychologische Mechanismen oder Verhaltensmuster abgeleitet. Aus jeder spezifischen evolutionären Hypothese kann eine Reihe überprüfbarer Vorhersagen abgeleitet werden. Unterstützung für jede Hypothese und jede Theorie wird durch das kumulative Gewicht empirischer Belege eingeschätzt.
Die Prinzipien der Evolution durch Selektion wurden erfolgreich genutzt, um beispielsweise aggressive oder passive Hunde zu züchten und Ratten, die sich im Irrgarten zurecht finden, und solche, die sich nicht zurecht finden (Plomin, DeFries & McClearn, 1997). Neue Hunde- und Pflanzenarten, die sich in ihrer Reproduktion von anderen Arten unterscheiden, wurden zu experimentellen Zwecken auf Basis der Prinzipien der Selektion gezüchtet (Ridley, 1996). Folgende Beobachtungen könnten die allgemeine Evolutionstheorie im Prinzip widerlegen: Die Theorie würde sich als falsch nachweisen lassen, wenn Wissenschaftler komplexe Lebensformen entdecken würden, die sich in für die natürliche Selektion zu kurzen Zeiträumen entwickelt hätten (z.B. in sieben Tagen), oder wenn Wissenschaftler Adaptationen entdecken würden, die zum Vorteil anderer Arten funktionierten, oder Adaptationen, die zum Vorteil gleichgeschlechtlicher Konkurrenten funktionierten (Darwin, 1859; Mayr, 1982; Williams, 1966). Solche Phänomene wurden jedoch noch nie dokumentiert. Die allgemeine Evolutionstheorie ist das leitende Paradigma für die gesamte Biologie sowie für die evolutionäre Psychologie. Wenn also ein evolutionärer Psychologe eine evolutionäre Hypothese testet, so testet er nicht die „allgemeine Evolutionstheorie“, die in ihren allgemeinen Grundzügen als wahr angenommen wird. Da im vergangenen Jahrhun-
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dert keine zwingenden Alternativen vorgeschlagen wurden und es überwältigende Belege gibt, die die allgemeine Evolutionstheorie unterstützen, sind diese Annahmen als berechtigt anzusehen. Evolutionstheorien der mittleren Ebene. Eine Ebene darunter (siehe Abbildung 2.1) finden sich die Theorien der mittleren Ebene, wie Trivers’ Theorie der elterlichen Investitionen und die Theorie der sexuellen Selektion. Die Theorien der mittleren Ebene sind noch immer recht umfassend und behandeln ganze Funktionsbereiche. Sie sind Freiwild für wissenschaftliche Tests und können möglicherweise widerlegt werden. Lassen Sie uns eine Theorie untersuchen, um diesen Punkt zu veranschaulichen, nämlich Trivers’ Theorie der elterlichen Investitionen als treibende Kraft hinter der sexuellen Selektion. Diese Theorie, eine Ausarbeitung von Darwins eigener Theorie der sexuellen Selektion (1871), lieferte einen Schlüsselbestandteil zur Vorhersage der Funktionsweise der Partnerwahl und der intrasexuellen Konkurrenz (Konkurrenz zwischen Angehörigen des gleichen Geschlechts). Ohne hier auf die Einzelheiten einzugehen (siehe Kapitel 4), argumentierte Trivers, dass sich das Geschlecht, das mehr Ressourcen in seine Nachkommen investiert (oftmals, aber nicht immer das weibliche Geschlecht), wählerischer und anspruchsvoller bei der Partnerwahl verhält. Das Geschlecht, das weniger in seine Nachkommen investiert, ist im Gegensatz dazu weniger wählerisch und dafür mehr von Konkurrenzdenken gegenüber Angehörigen des eigenen Geschlechts geprägt, um Zugang zum wertvollen, viel investierenden anderen Geschlecht zu erhalten. Mit anderen Worten, je mehr ein Organismus in die Reproduktion investiert, desto mehr kann er durch eine schlechte Partnerwahl verlieren.
Die grundlegenden Lehrsätze von Trivers’ Theorie wurden durch empirische Belege bei einer Vielzahl von Arten unterstützt (Trivers, 1985). Bei Arten, bei denen die Weibchen mehr in die Nachkommen investieren als die Männchen, zu der auch unsere Art gehört, sind die Weibchen in der Tat meist wählerischer und anspruchsvoller (Buss, 1994; Kenrick, Sadallan, Groth & Trost, 1990; Symons, 1979). Es gibt jedoch auch Arten, bei denen die Männchen mehr als die Weibchen in die Nachkommen investieren. Bei einigen Arten nistet das Weibchen ihre Eier in das Männchen ein und dieses trägt die Nachkommen bis zur Geburt aus. Bei Arten wie der Mormonengrille, dem Pfeilgiftfrosch und den Seenadeln beispielsweise investieren die Männchen mehr in die Nachkommen als die Weibchen (Trivers, 1985).
Anders als bei den meisten anderen Arten sind bei den Mormonengrillen die Weibchen größer, stärker und aggressiver als die Männchen. Dies wird durch die Theorie der elterlichen Investitionen vorhergesagt. Bei dieser Art investiert das Männchen mehr in die Nachkommen und deshalb werden die Weibchen nach ihrer Größe und anderen Qualitäten ausgesucht, die zu Erfolg im Wettbewerb mit anderen Weibchen führen.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Die männliche Seenadel empfängt die Eier vom Weibchen und trägt sie in einer beutelartigen Brusttasche aus (Trivers, 1985). Die Weibchen konkurrieren untereinander aggressiv um die „besten“ Männchen und diese sind wiederum wählerisch, mit wem sie sich paaren. Die „umgekehrte Geschlechterrolle“ dieser Art unterstützt Trivers’ Theorie, indem sie aufzeigt, dass nicht „Männlichkeit“ oder „Weiblichkeit“ der Grund für die sexuelle Unterscheidung des wählerischen Verhaltens ist, sondern das Verhältnis der elterlichen Investitionen der beiden Geschlechter. So unterstützt das kumulative Gewicht der Belege Trivers’ Theorie der mittleren Ebene über elterliche Investitionen als ausschlaggebenden Faktor für das wählerische Verhalten und den Wettbewerb um Partner. Werfen Sie nochmals einen Blick auf die Abbildung 2.1. Man erkennt, dass Trivers’ Theorie der mittleren Ebene mit der allgemeinen Evolutionstheorie vereinbar ist. Er schlägt nichts vor, was nicht durch den evolutionären Prozess so hätte kommen können. Gleichzeitig ist die Theorie der elterlichen Investitionen nicht logisch von der allgemeinen Evolutionstheorie ableitbar. In der inklusiven Fitness-Theorie gibt es keine Hinweise auf elterliche Investitionen. Daher müssen die Theorien der mittleren Ebene mit der allgemeinen Evolutionstheorie vereinbar, aber auch in sich schlüssig sein. Spezifische evolutionäre Hypothesen. Lassen Sie uns in der Abbildung 2.1 die spezifi-
schen evolutionäre Hypothesen der nächsten Ebene untersuchen. Eine für die Menschen weiterentwickelte Hypothese ist beispielsweise die, dass Frauen spezifische Vorlieben für Männer entwickelt haben, die Ressourcen bieten (Buss, 1989a; Symons, 1979). Die Logik dahinter ist folgende. Erstens sind Frauen, da sie stark in Kinder investieren, wählerisch bei der Auswahl ihrer Partner (Standard-Vorhersage der Theorie über elterliche Investitionen). Zum zweiten spiegelt der Inhalt der Wahl der Frauen das wider, was das Überleben und die Reproduktion ihrer Kinder historisch gesehen verbessert hat. Daher wird für Frauen die Hypothese aufgestellt, dass sie Präferenzen für Männer entwickelt haben, die sowohl fähig als auch bereit sind, Ressourcen für sie und ihre Kinder zur Verfügung zu stellen. Dies ist eine evolutionspsychologische Hypothese, da sie die Existenz eines spezifischen psychologischen Mechanismus, eines Wunsches, zugrunde legt, der entwickelt wurde um ein spezifisch menschliches adaptives Problem zu lösen – nämlich einen Mann zu finden, der fähig ist, in Kinder zu investieren. Diese spezifische evolutionspsychologische Hypothese kann empirisch getestet werden. Wissenschaftler können Frauen aus einer Vielfalt von Kulturen befragen und feststellen, ob sie tatsächlich Männer bevorzugen, die fähig und bereit sind, ihnen und ihren Kindern Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Um diese Hypothese zu überprüfen, muss festgestellt werden, welche spezifischen Vorhersagen gemacht werden, was uns zur untersten Stufe in der Abbildung 2.1 führt. Auf der Basis der Hypothese, dass Frauen Männer bevorzugen, die viele Ressourcen bieten, könnten die folgenden Vorhersagen getroffen werden: (1) Frauen schätzen an Männern spezifische Qualitäten, von denen bekannt ist, dass sie mit dem Erreichen von Ressourcen wie sozialem Status, Intelligenz und auch einem höheren Alter verbunden sind; (2) in einer Single-Bar wird die Aufmerksamkeit von Frauen, gemessen durch Blickkontakt, mehr von Männern angezogen, die Ressourcen zu besitzen scheinen, als von Männern, die diese nicht haben und (3) Frauen, deren Ehemänner daran scheitern, wirtschaftliche Ressourcen bereitzustellen, sind eher bereit, sich von diesen scheiden zu lassen als von Ehemännern, die diese Ressourcen zur Verfügung stellen.
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All diese Vorhersagen werden abgeleitet aus der evolutionspsychologischen Hypothese, dass Frauen eine Vorliebe für Männer mit Ressourcen entwickelt haben. Der Wert dieser Hypothese basiert auf den wissenschaftlichen Tests von Vorhersagen, die aus dieser abgeleitet werden. Sollten die Vorhersagen fehlschlagen und Frauen keinen Wert auf Persönlichkeits-Charakteristika legen, die mit dem Erwerb von Ressourcen zusammenhängen, Männern mit Ressourcen in Single-Bars nicht mehr Blicke zuwerfen und sich von Ehemännern, denen es nicht gelingt, Ressourcen zur Verfügung zu stellen, seltener scheiden lassen, wird die Hypothese nicht unterstützt. Treffen die Vorhersagen ein, wird die Hypothese zumindest momentan unterstützt. Dies ist natürlich stark vereinfacht und oftmals sind mehrere zusätzliche Analyse-Ebenen involviert. Man könnte eine detaillierte Analyse über die informationsverarbeitenden Mechanismen durchführen, die erforderlich sind, um das adaptive Problem zu lösen, sich die Investitionen eines Mannes zu sichern, und als Richtlinie eine Analyse der relevanten Hinweise nutzen, die unseren Vorfahren zur Verfügung standen. Da wir wissen, dass die Menschen 99 Prozent ihrer Evolutionsgeschichte als Jäger und Sammler verbrachten (Tooby & DeVore, 1987), könnten wir beispielsweise vorhersagen, dass ein Teil der bei Frauen entwickelten Präferenzen die spezifischen Qualitäten eines erfolgreichen Jägers, wie etwa athletische Fähigkeiten, gute Hand-Augen-Koordination und die für lange Jagden erforderliche physische Ausdauer, beinhalten. Alle Voraussetzungen der allgemeinen Wissenschaft halten diesen Vorhersagen bei Untersuchungen stand. Sollten die Vorhersagen einem empirischen Test nicht standhalten, werden die Hypothesen, auf denen sie basieren, in Frage gestellt. Werden Schlüsselhypothesen durch mehrere nicht eintreffende Vorhersagen in Frage gestellt, so ist die Gültigkeit oder der Wert der Theorie der mittleren Ebene, in deren Rahmen diese Hypothese aufgestellt wurde, fraglich. Theorien, die ständig bestätigt werden, werden als bedeutende Theorien der mittleren Ebene bestätigt; insbesondere wenn sie wegweisend für interessante und fruchtbare Forschungsfelder sind. Theorien, die keine derartigen Forschungen stimulieren oder die eine Serie nicht eintreffender Vorhersagen liefern, werden aufgegeben oder durch bessere ersetzt. Diese Stufenhierarchie der Analyse eignet sich zur Beantwortung von Fragen wie: Welche Belege können evolutionäre Formulierungen verfälschen? Eine Hypothese über einen psychologischen Mechanismus kann falsch sein, selbst wenn die Theorie eine Ebene darüber, die zu der Hypothese geführt hat, korrekt ist. Trivers’ Theorie der mittleren Ebene über die elterlichen Investitionen beispielsweise kann richtig sein, selbst wenn sich herausstellen würde, dass Frauen bei der Partnerwahl keine spezifischen Vorlieben für Männer mit Ressourcen entwickelt haben. Vielleicht ergaben sich die relevanten Mutationen für diese Präferenzen nicht oder vielleicht waren Frauen in ihrer Partnerwahl früher eingeschränkt. Selbst wenn die spezifische evolutionspsychologische Hypothese richtig ist, nach der Frauen spezifische Präferenzen für Männer mit Ressourcen entwickelt haben, ist dies keine Garantie dafür, dass jede daraus abgeleitete Vorhersage korrekt ist. Es kann beispielsweise der Fall sein, dass Frauen bei Männern Qualitäten, die mit Ressourcen verbunden sind, wünschen, aber nicht, dass sie sich von Männern scheiden lassen, die diese nicht bereitstellen. Vielleicht müssen Frauen bei Männern bleiben, weil Gesetze eine
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Scheidung nicht vorsehen, oder vielleicht ist eine Frau der Meinung, dass sie es selbst nicht besser machen könnte und bleibt deshalb bei ihrem Mann. Vielleicht denkt sie, ihre Kinder seien mit ihrem Vater besser dran, selbst wenn dieser nicht die erforderlichen wirtschaftlichen Ressourcen aufbringt. Jeder dieser Faktoren könnte unsere spezifische Vorhersage als falsch widerlegen. Der springende Punkt ist, dass die Einschätzung von evolutionären Formulierungen mit dem gesamten Gewicht dieser Belege steht oder fällt und nicht notwendigerweise mit einer einzigen Vorhersage. Präzise formulierte evolutionäre Hypothesen sind überprüfbar und eindeutig widerlegbar, wenn die Belege nicht ausreichen, um von ihnen abgeleitete Vorhersagen zu unterstützen (siehe Ketelaar & Ellis, 2000 für eine ausgezeichnete Diskussion über die Widerlegbarkeit). Zwei Strategien, wie evolutionäre Hypothesen entwickelt und überprüft werden. Die Hierarchie-Ebenen in Abbildung 2.1 zeigen eine wissenschaftliche Strategie für die Entwicklung von evolutionären Hypothesen und Vorhersagen auf. Diese Strategie wird „von oben nach unten“ (top-down) oder „theoriegeleiteter Ansatz einer Hypothesengenerierung“ genannt. Man kann oben mit der allgemeinen Evolutionstheorie beginnen und Hypothesen ableiten. Man könnte beispielsweise, basierend auf der Formulierung der inklusiven Fitness-Theorie vorhersagen, dass Menschen genetisch nahe stehenden Verwandten eher helfen als genetisch entfernteren Verwandten. Man könnte eine Hypothese entwickeln, die auf Trivers’ Theorie der mittleren Ebene über elterliche Investitionen basiert. Bei beiden Ausgangspunkten fließen die Ableitungen im Diagramm von oben nach unten, vom Allgemeinem zum Spezifischen.
Die top-down-Strategie illustriert, inwiefern Theorien außerordentlich wertvoll sein können. Theorien liefern sowohl Arbeitsgrundlagen, von denen spezifische Hypothesen abgeleitet werden können, sowie ein Grundgerüst, um Wissenschaftler zu wichtigen Fragestellungen zu führen, wie die der Investitionen in Verwandtschaft oder Kinder. Daneben gibt es eine zweite Strategie zur Entwicklung evolutionspsychologischer Hypothesen (siehe Tabelle 2.2). Statt mit einer Theorie beginnt man mit einer Beobachtung. Sobald die Beobachtung über die Existenz eines Phänomens gemacht wurde, kann man von unten nach oben (bottom-up) vorgehen und eine Hypothese über deren Funktion aufstellen. Da Menschen mit Begeisterung andere Menschen beobachten, erkennen sie im Allgemeinen vieles selbst ohne eine formale Theorie. Beispielsweise benötigt man keine Theorie um festzustellen, dass Menschen durch gesprochene Sprache miteinander kommunizieren, aufrecht auf zwei Beinen gehen und von Zeit zu Zeit mit anderen Gruppen Krieg führen. Es gibt nichts in der allgemeinen Evolutionstheorie, das die Hypothese aufgestellt hätte, dass sich Sprache, bipedale Fortbewegung oder Kriegsführung entwickeln würden. Die Tatsache, dass wir vieles über uns selbst und andere Arten beobachten, das nicht durch die Evolutionstheorie vorhergesagt wurde, untergräbt diese Theorie nicht. Aber sie wirft ein Problem auf: Wie können wir diese Phänomene erklären? Können evolutionäre Denkmuster helfen, sie zu verstehen? Befinden sich diese nicht vorhergesagten Phänomene innerhalb des großen Gebäudes der evolutionären Psychologie oder sind sie außerhalb angesiedelt?
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Strategie 1: Theoriegeleitet oder top-down-Strategie
Strategie 2: Erfahrungsgeleitet oder bottom-up-Strategie
Schritt 1: Ableitung einer Hypothese aus einer existierenden Theorie
Schritt 1: Entwicklung einer Hypothese über eine adaptive Funktion, die auf einer bekannten Beobachtung basiert
Beispiel: Von der Theorie der elterlichen Investitionen kann die Hypothese abgeleitet werden, dass Frauen, da sie eine größere obligatorische Investition in ihre Nachkommen stecken als Männer, bei der Auswahl eines Partners wählerischer und anspruchsvoller sind.
Beispiel: A. Eine Beobachtung: Männer scheinen der physischen Erscheinung bei der Partnerwahl eine größere Bedeutung zukommen zu lassen als Frauen. B. Hypothese: Das physische Erscheinungsbild von Frauen gab unseren männlichen Vorfahren Hinweise auf ihre Fruchtbarkeit.
Schritt 2: Die auf der Hypothese basierenden Vorhersagen überprüfen
Schritt 2: Die auf der Hypothese basierenden Vorhersagen überprüfen
Beispiel: Durchführung einer Studie, um die Vorhersage zu überprüfen, dass eine Frau länger wartet und strengere Maßstäbe anlegt, um die Qualitäten und die Bereitschaft eines Mannes, eine Verbindung einzugehen zu überprüfen, bevor sie Sex zustimmt.
Beispiel: Durchführung von Studien, um herauszufinden, ob die Maßstäbe von Männern hinsichtlich der Attraktivität auf Hinweisen über die Fruchtbarkeit von Frauen basieren.
Schritt 3: Auswertung, ob die empirischen Ergebnisse die Vorhersagen bestätigen
Schritt 3: Auswertung, ob die empirischen Ergebnisse die Vorhersagen bestätigen
Beispiel: Frauen warten länger und legen strengere Maßstäbe als Männer an, bevor sie Sex zustimmen (Buss & Schmitt, 1993; Kenrick et al., 1990).
Beispiel: Männer finden ein niedriges Verhältnis der Taille zur Hüfte, einen bekannten Zusammenhang zur Fruchtbarkeit, attraktiv (Singh, 1993).
Tabelle 2.2: werden
Zwei Strategien, wie evolutionäre Hypothesen entwickelt und überprüft
Denken wir an eine Beobachtung, die durch wissenschaftliche Forschung dokumentiert wurde: Das physische Erscheinungsbild einer Frau spielt eine bedeutende Rolle dafür, wie begehrenswert sie für Männer ist. Dies ist etwas, das viele Menschen auch ohne die Hilfe einer wissenschaftlichen Theorie beobachten. Selbst Ihre Großmutter hätte Ihnen sagen können, dass die meisten Männer attraktive Frauen bevorzugen. Eine evolutionäre Perspektive geht jedoch tiefer und fragt nach dem Warum. Die am häufigsten verfochtene evolutionäre Hypothese ist die, dass das Erscheinungsbild einer Frau viele Hinweise über ihre Fruchtbarkeit gibt. Nach dieser Hypothese finden Männer spezifische, mit der Fruchtbarkeit in Zusammenhang stehende physische Merkmale attraktiv. Im Lauf der Evolution wurden Männer von Frauen angezogen, die diese Hinweise auf ihre Fruchtbarkeit aufwiesen, und jene Männer verdrängten im Laufe der Evolution Männer, die von Frauen angezogen wurden, die diese Hinweise nicht aufwiesen oder die dem physischen Erscheinungsbild von Frauen gleichgültig gegenüberstanden.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Die Psychologin Devendra Singh hat ein solches Merkmal herausgefunden: das Verhältnis der Taille zur Hüfte oder WHR (waist-to-hip-ratio) (Singh, 1993). Ein niedriger WHR, d.h. die Taille weist einen kleineren Umfang als die Hüfte auf, wird aus zwei Gründen mit Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Zum einen werden Frauen mit niedrigem WHR in Fruchtbarkeitskliniken schneller schwanger als Frauen mit einem höheren WHR. Zum anderen leiden Frauen mit höherem WHR verstärkt an Herzerkrankungen und endokrinologischen Problemen, welche mit einer geringeren Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht werden. Singh brachte daher vor, dass Männer Frauen mit niedrigem WHR bevorzugen und dass sich bei ihnen die Tendenz entwickelte, diesen physischen Hinweis auf Fruchtbarkeit zu berücksichtigen. In verschiedenen Studien unterschiedlicher Kulturkreise legte Singh Männern Zeichnungen von Frauen mit unterschiedlichen WHRs vor. Einige wiesen einen WHR von .70 (Taille 7/10 der Hüftgröße) auf, andere einen WHR von .80 und wieder andere einen WHR von .90. Die Männer sollten die Zeichnung ankreuzen, die sie am attraktivsten fanden. In jedem Kulturkreis, von Afrika über Brasilien bis zu den Vereinigten Staaten, fanden Männer unterschiedlichen Alters die Frauen mit dem WHR von .70 am attraktivsten. Obwohl die Annahme, dass Männer das physikalische Erscheinungsbild einer Frau schätzen, eine allgemeine Beobachtung ist, können daraus spezifische evolutionäre Hypothesen entwickelt werden und es kann überprüft werden, warum dieses Phänomen existiert. Zwei allgemeine Schlussfolgerungen können aus dieser „bottom-up“-Strategie der Entwicklung und Überprüfung einer Hypothese gezogen werden. Zum einen ist es für Wissenschaftler legitim, Phänomene zu beobachten und daraus Hypothesen über deren Ursprung und Funktion zu formulieren. In der Astronomie beispielsweise wurde zuerst das Ergebnis eines sich expandierenden Universums beobachtet und dann wurden Theorien aufgestellt, die versuchten, diese zu erklären. Die „bottom-up“-Strategie, d.h. Phänomene zu entdecken und dann Hypothesen über deren Funktion aufzustellen, ist eine gute Ergänzung zu den „top-down“, d.h. theoriegeleitet gefundenen Hypothesen über Phänomene, die möglich sein könnten, aber noch nicht dokumentiert wurden. Zum zweiten hängt der Wert einer evolutionären Hypothese von ihrer Genauigkeit ab. Je genauer eine Hypothese ist, desto leichter können daraus spezifische Vorhersagen abgeleitet werden. Diese Vorhersagen basieren oftmals auf der Analyse der „Entwurfsmerkmale“, die die angenommene Adaptation haben sollte, wenn sich die Hypothese als korrekt herausstellen soll. Schritt für Schritt, Vorhersage für Vorhersage, werden Hypothesen, die empirisch nicht bestätigt werden, verworfen und solche, die durchweg empirisch bestätigte Vorhersagen hervorbringen, beibehalten. So zeigt sich eine kumulative Qualität, während sich die Wissenschaft mehr und mehr der Existenz, Komplexität und Funktionalität evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen nähert.
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2.2
Der Kern der menschlichen Natur: Grundlagen evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit dem Kern der menschlichen Natur aus einer evolutionären psychologischen Sichtweise. Zum einen haben alle Arten, auch die Menschen, eine Natur, die beschrieben und erklärt werden kann. Zweitens wird eine Definition der evolutionsbedingten psychologischen Mechanismen vermittelt – den Kerneinheiten, aus denen die menschliche Natur besteht. Schließlich werden wichtige Eigenschaften dieser psychologischen Mechanismen untersucht.
Alle Arten haben eine Natur Es ist Teil der Natur des Löwen, auf vier Beinen zu gehen, eine große buschige Mähne zu haben und andere Tiere zu jagen. Es ist Teil der Natur des Schmetterlings, sich zu verpuppen, in einen Kokon zu hüllen und sich dann auf der Suche nach Nahrung und Partner elegant in die Lüfte zu erheben. Es ist Teil der Natur des Stachelschweins, sich mithilfe seiner Stacheln zu verteidigen; des Stinktiers, sich mithilfe eines Sekrets zu verteidigen; des Hirsches, sich mithilfe seines Geweihs zu verteidigen und der Schildkröte, sich mithilfe ihres Panzers zu verteidigen. Alle Arten haben eine Natur und diese ist für alle unterschiedlich, denn jede Art war während ihrer Evolutionsgeschichte einem einzigartigen Selektionsdruck und damit einzigartigen adaptiven Problemen ausgesetzt. Menschen haben ebenfalls eine Natur – Qualitäten, die uns als einzigartige Art ausweisen – und alle psychologischen Theorien deuten auf ihre Existenz hin. Für Sigmund Freud bestand die menschliche Natur aus vorwiegend sexuellen und aggressiven Triebimpulsen. Für William James bestand sie aus Dutzenden oder hunderten von Instinkten. Selbst die leidenschaftlichsten Umwelttheorien, wie zum Beispiel B. F. Skinners Theorie des radikalen Behaviorismus, setzen voraus, dass Menschen eine Natur haben – die in diesem Fall aus wenigen, äußerst allgemeinen Lernmechanismen besteht. Alle psychologischen Theorien erfordern als Grundlage grundsätzliche Prämissen über die menschliche Natur. Da Evolution durch Selektion der einzig bekannte kausale Prozess ist, durch den die grundlegenden Bestandteile dieser menschlichen Natur entstehen konnten, sind alle psychologischen Theorien stillschweigend oder ausdrücklich evolutionär. Obwohl viele Psychologen daran scheitern, ihre Annahmen über die Evolution der menschlichen Natur klar zu formulieren, wurde bisher keine psychologische Theorie vorgeschlagen, die einen anderen kausalen Prozess für die Entstehung der menschlichen Natur verantwortlich macht. Wenn Menschen eine Natur haben und Evolution durch Selektion als der kausale Prozess angesehen werden kann, durch den diese Natur entstand, lautet die nächste Frage: Welche Einblicke in die menschliche Natur können durch die Untersuchung unserer evolutionären Ursprünge gewonnen werden? Kann die Untersuchung des evolutionären Prozesses irgend etwas über die Produkte dieses Prozesses in Bezug auf den Menschen sagen? Antworten zu diesen Schlüsselfragen bilden den Kern dieses Buches.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Während sich das breitere Feld der Evolutionsbiologie mit evolutionären Analysen integrierter Aspekte eines Organismus befasst, konzentriert sich die evolutionäre Psychologie mehr auf die psychologischen Teile – die Analyse des menschlichen Verstandes als eine Ansammlung evolutionsbedingter Mechanismen, die Zusammenhänge, die diese Mechanismen aktivieren und das Verhalten, das durch solche Mechanismen ausgelöst wird. So wenden wir uns nun direkt der Unterklasse der Adaptationen zu, aus denen der menschliche Verstand besteht: evolutionsbedingte psychologische Mechanismen.
Jede Art verfügt über eine einzigartige Natur – einzigartige Adaptationen, die sie von anderen Arten unterscheidet. Das Stachelschwein, das Stinktier und die Schildkröte verteidigen sich auf unterschiedliche Weise gegen Raubtiere.
Definition eines evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus Als evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus bezeichnet man eine Reihe von Prozessen innerhalb eines Organismus, der über folgende Eigenschaften verfügt: 1. Ein evolutionsbedingter psychologischer Mechanismus wurde entwickelt, weil er ein bestimmtes, häufig wiederkehrendes, spezifisches Überlebens- oder Reproduktionsproblem während der Evolutionsgeschichte lösen konnte. Dies bedeutet, dass die
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Form des Mechanismus, seine Entwurfsmerkmale, wie ein Schlüssel ist, der in ein bestimmtes Schloss passt (Tooby & Cosmides, 1992). So wie die Form des Schlüssels den Merkmalen des Schlosses angepasst werden muss, wird die Form der Entwurfmerkmale eines psychologischen Mechanismus den Merkmalen angepasst, die erforderlich sind, ein adaptives Problem des Überlebens oder der Reproduktion zu lösen. Gelingt es nicht, das adaptive Problem zu lösen, fällt der Mechanismus durch das selektive Raster der Evolution. 2. Ein evolutionsbedingter psychologischer Mechanismus berücksichtigt nur ein schmales Informations-Segment. Denken Sie an das menschliche Auge. Obwohl wir meinen, dass wir fast alles sehen, wenn wir unsere Augen öffnen, empfangen unsere Augen nur eine schmale Bandbreite von Eindrücken im breiten Spektrum elektromagnetischer Wellen. Unsere Augen verarbeiten nur Eindrücke aus einem sehr schmalen Bereich der Wellen – solchen innerhalb des visuellen Spektrums. Wir sehen auch keine Radiowellen, die länger als die des visuellen Spektrums sind. Selbst innerhalb des visuellen Spektrums verarbeiten unsere Augen nur schmale Informations-Teilmengen (Marr, 1982). Menschliche Augen verfügen über spezifische Randdetektoren, die kontrastierende Reflektionen von Objekten wahrnehmen und Bewegung wahrnehmende Bewegungsdetektoren. Sie verfügen auch über spezifische Netzhautzapfen, die entwickelt wurden, um bestimmte Informationen über die Farbe von Objekten aufzufangen. Das Auge ist somit keine universelle Sehvorrichtung. Es kann nur schmale Teilmengen eines unendlich großen Bereichs potentieller Informationen verarbeiten – Wellen in einer bestimmten Bandbreite von Frequenzen, Ränder, Bewegung und so weiter. Ebenso beanspruchen psychologische Mechanismen wie die Veranlagung zur Angst vor Schlangen nur eine schmales Informations-Segment – gleitende Bewegungen eines länglichen Gegenstands mit Selbstantrieb. Unsere evolutionsbedingten Vorlieben für Nahrung, Landschaften und Partner nehmen alle nur eine limitierte Teilmenge von Informationen aus der unendlichen Ansammlung potentieller Eingaben wahr. Die limitierten Hinweise, die jeden Mechanismus aktivieren, sind diejenigen, die sich während des EEA (Environment of Evolutionary Adaptedness) wiederholten, oder diejenigen in der modernen Umwelt, die in etwa den Hinweisen unserer Vorfahren ähneln. 3. Der Input eines evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus informiert den Organismus über das adaptive Problem, mit dem er konfrontiert ist. Der Input, eine gleitende Schlange zu sehen, sagt einem, dass man mit einem bestimmten Überlebensproblem konfrontiert ist und zwar körperlicher Verletzung und vielleicht Tod, sollte man gebissen werden. Der unterschiedliche Geruch potentiell essbarer Dinge – ranzig und verdorben versus süß und duftend, sagt einem, dass man mit einem adaptiven Überlebensproblem der Nahrungswahl konfrontiert ist. Kurz gesagt, informiert der Input den Organismus darüber, mit welchem adaptiven Problem er zu tun hat. Dies geschieht unbewusst. Menschen riechen nicht den Duft einer frisch gebackenen Pizza und denken, „Aha, ich stehe vor einem adaptiven Problem der Nahrungswahl!“ Stattdessen löst der Duft unbewusst Mechanismen für die Auswahl von Nahrung aus und ein bewusstes Wahrnehmen des adaptiven Problems ist nicht erforderlich.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
4. Der Input eines evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus wird durch Entscheidungsregeln in einen Output umgewandelt. Sieht man eine Schlange, kann man entscheiden sie anzugreifen, wegzulaufen oder zu erstarren. Riecht man eine Pizza, die frisch aus dem Ofen kommt, kann man sie entweder essen oder es bleiben lassen (vielleicht weil man auf Diät ist). Die Entscheidungsregeln bestehen aus einer Reihe von Vorschriften – „wenn, dann“-Aussagen – um den Organismus auf den einen oder anderen Weg zu lenken. 5. Der Output eines evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus kann sich in körperlicher Aktivität äußern, in Informationen an andere psychologische Mechanismen oder manifestem Verhalten. Sieht man eine Schlange, wird man körperlich erregt oder verängstigt (physiologischer Output); diese Information kann genutzt werden, um Verhaltensoptionen wie Erstarren oder Fliehen abzuwägen (Informationen zu anderen psychologischen Mechanismen) und die Konsequenz dieser Abwägungen ist eine Aktion wie das Weglaufen (Verhaltens-Output). Ein anderes Beispiel ist die sexuelle Eifersucht. Sagen wir, Sie sind mit Ihrem Partner/ Ihrer Partnerin auf einer Party und verlassen den Raum, um ein Getränk zu holen. Als Sie zurückkommen, sehen Sie, wie er/sie angeregt mit einer anderen Person plaudert. Sie stehen sehr nahe beieinander, schauen sich tief in die Augen und sie bemerken, dass sie sich gegenseitig leicht berühren. Diese Hinweise können sexuelle Eifersucht auslösen. Die Hinweise agieren als Input an den Mechanismus und signalisieren Ihnen ein adaptives Problem – die Gefahr, den Partner zu verlieren. Dieser Input wird nun nach Entscheidungsregeln beurteilt. Eine Möglichkeit wäre, die Zwei zu ignorieren und Gleichgültigkeit zu heucheln. Eine andere Option wäre, den Rivalen zu bedrohen. Eine dritte Option wäre, wütend zu werden und den Partner zu schlagen. Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Beziehung zu überdenken. Der Output eines psychologischen Mechanismus kann also physiologisch (Erregung), im Verhalten (konfrontieren, bedrohen, schlagen) oder Input in andere psychologische Mechanismen (den Status der Partnerschaft überdenken) sein. 6. Der Output eines evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus richtet sich auf die Lösung eines spezifischen adaptiven Problems. So wie die Hinweise auf die mögliche Untreue des Partners die Existenz eines adaptiven Problems signalisieren, ist der Output des sexuellen Eifersuchtsmechanismus darauf ausgerichtet, dieses Problem zu lösen. Der bedrohte Rivale verlässt die Szene, der Partner kann davon abgehalten werden, mit anderen zu flirten oder das Überdenken der Partnerschaft könnte Sie dazu bringen, diese zu beenden und weiterzuziehen. Jede dieser Möglichkeiten kann bei der Lösung des adaptiven Problems hilfreich sein. Die Feststellung, dass der Output eines psychologischen Mechanismus zur Lösung spezifischer adaptiver Probleme führt, bedeutet nicht, dass die Lösungen immer optimal oder erfolgreich sind. Der Rivale fühlt sich durch die Bedrohung vielleicht nicht abgeschreckt. Ihr Partner hat trotz Ihrer Eifersucht eine Affäre mit dem Rivalen. Der Hauptpunkt ist nicht, dass der Output eines psychologischen Mechanismus immer zu einer erfolgreichen Lösung führt, sondern dass der Output des Mechanismus im Durchschnitt dazu führt, dass das adaptive Problem dadurch besser gelöst wird als durch konkurrierende Strategien in der Umwelt, in der es sich entwickelte.
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Ein wichtiger Punkt, den man bedenken sollte, ist, dass ein Mechanismus, der in der evolutionären Vergangenheit zu einer erfolgreichen Lösung führte, heute nicht unbedingt auch dazu führt. Unsere Geschmacksvorliebe für Fett beispielsweise war früher eine sinnvolle Adaptation, da Fett wertvoll und eine seltene Kalorienquelle war. Heute jedoch, mit Dönerbuden und Pizzerias an jeder Straßenecke, ist Fett nicht länger eine knappe Ressource. Daher verursacht unsere Vorliebe für Fette, dass wir zu viele von ihnen konsumieren, was zu verstopften Arterien und Herzinfarkt führen kann und so unser Überleben gefährdet. Der zentrale Punkt ist, dass die Mechanismen existieren, weil sie im Durchschnitt während der Periode, in der sie sich entwickelten, zum Erfolg führten. Ob sie heute noch adaptiv sind, d.h. ob sie zum besseren Überleben und einer besseren Reproduktion führen, ist eine empirische Frage, die von Fall zu Fall festgestellt werden muss. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es sich bei einem evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus um eine Reihe von Vorgängen innerhalb des Organismus handelt, die entwickelt wurden, um bestimmte Informationsmengen aufzunehmen und diese über Entscheidungsregeln in Output zu verwandeln, welcher, historisch gesehen, bei der Lösung von adaptiven Problemen hilfreich war. Der psychologische Mechanismus existiert in gegenwärtigen Organismen, weil er die Vorfahren des Organismus im Durchschnitt zur erfolgreichen Lösung spezifischer adaptiver Probleme führte.
Wichtige Eigenschaften evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen Dieser Abschnitt untersucht verschiedene Eigenschaften evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen. Sie liefern nicht-arbiträre Kriterien, um den Verstand an seinen Schnittstellen zu formen („carving the mind at its natural joints“) und tendieren dazu, problemspezifisch, zahlreich und komplex zu sein. Diese Merkmale verbinden sich zu einer unglaublichen Flexibilität des Verhaltens, die den modernen Menschen kennzeichnet. Evolutionsbedingte psychologische Mechanismen liefern nicht-arbiträre Kriterien, um den „Dreh- und Angelpunkt des Verstandes“ zu fassen zu bekommen. Eine Haupt-
prämisse der evolutionären Psycholgie ist es, dass die primäre, nicht-arbiträre Art, psychologische Mechanismen zu identifizieren, zu beschreiben und zu verstehen, darin liegt, ihre Funktion darzulegen – die spezifischen adaptiven Probleme, zu deren Lösung diese Mechanismen im Lauf der Evolution entwickelt wurden. Denken wir an den menschlichen Körper. Im Prinzip könnte der Mechanismus des Körpers auf unendlich viele Arten beschrieben werden. Warum identifizieren Anatome die Leber, das Herz, die Hand, die Nase und die Augen als gesonderte Mechanismen? Was macht diese Einteilung nicht-arbiträr, verglichen mit alternativen Möglichkeiten zur Aufteilung des menschlichen Körpers? Die Antwort lautet: ihre Funktion. Die Leber erfüllt andere Funktionen als das Herz oder die Hand. Die Augen und die Nase, obwohl nahe beieinander gelegen, erfüllen völlig unterschiedliche Funktionen und reagieren auf unterschiedliche Reize (elektromagnetische Wellen im visuellen Spektrum gegenüber Gerüchen). Sollte ein Anatom die Augen und die Nase in eine Kategorie werfen, würde dies haarsträubend erscheinen. Um die Bestandteile des Körpers zu verstehen, muss man die
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Funktionen identifizieren, da dies eine vernünftige, nicht-arbiträre Möglichkeit darstellt, die Bestandteile zu verstehen. Evolutionäre Psychologen sind der Meinung, dass ähnliche Prinzipen zum Verständnis der Mechanismen des menschlichen Geistes angewandt werden sollten. Obwohl der Geist auf unendlich viele Arten unterteilt werden könnte, wären die meisten arbiträr. Eine nicht-arbiträre Analyse des menschlichen Geistes basiert auf Funktion. Wenn zwei Bestandteile des Geistes unterschiedliche Funktionen ausführen, werden sie als getrennte Mechanismen betrachtet (auch wenn sie miteinander interagieren). Evolutionsbedingte psychologische Mechanismen tendieren dazu, problemspezifisch zu sein. Stellen Sie sich vor, Sie geben jemandem Hinweise, wie er von New York City
zu einer Adresse in San Francisco kommen soll. Mit allgemeinen Richtungsangaben wie „halten Sie sich westlich“, könnte die Person im Süden von Texas oder im Norden von Alaska enden. Die allgemeine Richtungsangabe würde die Person nicht zuverlässig auf den richtigen Weg lotsen. Nehmen wir nun an, dass die Person den richtigen Staat gefunden hat. Die Angabe „nach Westen“ wäre praktisch nutzlos, weil sich westlich von Kalifornien der Ozean erstreckt. Die allgemeine Richtungsangabe würde keinerlei Hilfe sein, um zur richtigen Stadt oder gar zur richtigen Anschrift zu finden. Um die Person in den richtigen Staat, die richtige Stadt und zu der Anschrift zu lotsen, müssten Sie genauere Richtungsanweisungen geben. Zudem gibt es viele Möglichkeiten, zu einer bestimmten Adresse zu gelangen; einige Wege sind effizienter und zeitsparender als andere. Die Suche nach einer bestimmten Adresse auf der anderen Seite des Landes ist eine gute Analogie dafür, was erforderlich ist, um eine spezifische adaptive Lösung zu finden. Adaptive Probleme wie das Auffinden von Adressen sind spezifisch – wie auch, sich nicht von Schlangen beißen zu lassen, einen Lebensraum mit fließendem Wasser und Verstecken zu wählen, keine Nahrung zu sich zu nehmen, die giftig ist, einen fruchtbaren Partner auszuwählen und so weiter. Es gibt keine „allgemeinen adaptiven Probleme“ (Symons, 1992). Alle Probleme sind inhaltsspezifisch. Da adaptive Probleme spezifisch sind, tendieren auch ihre Lösungen dazu, spezifisch zu sein. Genauso wie allgemeine Richtungshinweise darin fehlschlagen, zur richtigen Adresse zu führen, schlagen auch allgemeine Lösungen fehl, zur richtigen adaptiven Lösung zu führen. Ziehen wir die folgenden zwei adaptiven Probleme in Erwägung: Auswahl der richtigen Nahrungsmittel (Überlebensproblem) und Auswahl des richtigen Partners, mit dem man Kinder haben möchte (Reproduktionsproblem). Was als „erfolgreiche Lösung“ zählt, ist für die zwei Probleme recht unterschiedlich. Erfolgreiche Nahrungsmittelauswahl erfordert das Erkennen von Nahrungsmitteln, die Kalorien und bestimmte Vitamine und Mineralien aufweisen und keine giftigen Substanzen enthalten. Die erfolgreiche Partnerwahl beinhaltet unter anderem, einen Partner zu erkennen, der fruchtbar ist und der ein guter Elternteil sein wird. Wie könnte eine allgemeine Lösung zu diesen zwei Problemen der Selektion aussehen und wie erfolgreich wäre sie? Eine allgemeine Lösung wäre „Auswahl des ersten Dinges, auf das man trifft“. Dies könnte katastrophal sein, denn es könnte dazu führen, dass man giftige Pflanzen isst oder einen unfruchtbaren Partner heiratet. Hätte jemand eine solch allgemeine Lösung zu diesen adaptiven Problemen der menschlichen Evolutionsgeschichte entwickelt, er wäre niemals einer unserer Vorfahren geworden.
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Um diese Probleme auf vernünftige Art und Weise zu lösen, benötigt man eine genauere Orientierung hinsichtlich der wichtigen Eigenschaften von Nahrungsmitteln und Partnern. Früchte, die frisch und reif aussehen, signalisieren bessere Nährstoffe als verfaulte. Menschen, die jung und gesund aussehen, sind im Durchschnitt fruchtbarer als Menschen, die alt und krank aussehen. Wir benötigen spezifische Selektionskriterien um diese Probleme erfolgreich zu lösen – Qualitäten, die Teil unseres Selektionsmechanismuses sind. Darüber hinaus wird die Spezifizierung der Mechanismen durch Fehler illustriert. Wenn man einen Fehler bei der Auswahl von Nahrung macht, gibt es verschiedene Mechanismen, die helfen, diesen Fehler zu korrigieren. Beißt man in ein Stück ungenießbarer Nahrung, kann sie schrecklich schmecken und in diesem Fall wird man sie sofort ausspucken. Man würgt, wenn die Geschmacksnerven erreicht sind und wenn sie schon im Magen ist, übergibt man sich – ein spezifischer Mechanismus, der entwickelt wurde, um giftige oder schädliche Substanzen loszuwerden. Wenn man aber einen Fehler in der Partnerwahl macht, spuckt man nicht aus, würgt oder übergibt sich (zumindest normalerweise nicht). Man korrigiert seinen Fehler auf andere Art und Weise: indem man ihn verlässt, indem man einen anderen Partner wählt oder indem man der Person sagt, dass man sie nicht mehr sehen will. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Problemspezifizierung von Adaptationsmechanismen gegenüber Allgemeingültigem vorgezogen wird, weil (1) allgemeine Lösungen den Organismus nicht zu den richtigen adaptiven Lösungen führen, (2) selbst wenn sie funktionieren, führen allgemeine Lösungen zu vielen Fehlern und sind daher für den Organismus zu aufwändig und (3) was eine „erfolgreiche Lösung“ ausmacht, unterscheidet sich von Problem zu Problem (die Kriterien für erfolgreiche Nahrungsauswahl unterscheiden sich von den Kriterien für die erfolgreiche Partnerwahl). Kurz gesagt verfügen die adaptiven Lösungen über dezidierte Vorgehensweisen und inhaltsbezogene Elemente, um adaptive Probleme erfolgreich zu lösen. Menschen verfügen über viele evolutionsbedingte psychologische Mechanismen.
Wie die meisten Organismen sehen sich auch Menschen einer großen Anzahl von adaptiven Problemen gegenüber. Allein die Überlebensprobleme gehen in die Dutzende oder hunderte – Probleme der thermischen Regulierung (zu heiß oder zu kalt), Raubtiere und Parasiten zu meiden, nahrhafte Nahrung zu sich zu nehmen und so weiter. Dann gibt es noch die Partnerprobleme, einen guten Partner auszuwählen, anzuziehen und zu halten und einen schlechten Partner loszuwerden. Zudem gibt es Probleme der Elternschaft wie Stillen, Abstillen, Sozialisierung, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden und so weiter; dann soziale Aufgaben wie die Investition in die Verwandtschaft (Brüder, Schwestern, Nichten und Neffen), mit sozialen Konflikten umzugehen, sich gegen aggressive Gruppen zu wehren und Probleme der sozialen Hierarchie. Da spezifische Probleme spezifische Lösungen erfordern, erfordern zahlreiche spezifische Probleme zahlreiche spezifische Lösungen. Genauso wie unser Körper Tausende spezifischer Mechanismen enthält, ein Herz, um Blut zu pumpen, Lungen, um Sauerstoff aufzunehmen, eine Leber, um Giftstoffe auszufiltern, enthält auch der Geist, entsprechend dieser Analyse, hunderte oder tausende spezifischer Mechanismen. Da die große Anzahl unterschiedlicher adaptiver Probleme nicht mit einigen wenigen Mechanismen gelöst werden können, besteht der menschliche Geist aus einer großen Anzahl psychologischer Mechanismen.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Cerebraler Aquaeduct
Hypophyse
So wie der Körper viele spezialisierte und komplexe physiologische und anatomische Mechanismen enthält, glauben viele evolutionäre Psychologen, dass der Geist, der sich auf Hirnfunktionen stützt, viele spezielle und komplexe Mechanismen enthält.
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Die Spezifität, Komplexität und große Anzahl evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen verleiht dem Menschen Flexibilität. Die Definition eines psychologi-
schen Mechanismus, der die Schlüsselbestandteile Input, Entscheidungsregeln und Output enthält, hebt hervor, warum Adaptationen keine rigiden „Instinkte“ sind, die ständig im Verhalten auftauchen. Erinnern Sie sich an das Beispiel des Schwielen produzierenden Mechanismus, der sich entwickelte, um die Strukturen der Haut zu schützen. Man kann seine Umwelt so gestalten, dass man keiner wiederholten Reibung ausgesetzt ist und in diesem Fall wird dieser Mechanismus nicht aktiviert. Die Aktivierung eines Mechanismus hängt vom kontextuellen Input der Umgebung ab. Auf gleiche Weise erfordern alle psychologischen Mechanismen Input, um aktiviert zu werden. Psychologische Mechanismen sind aus einem weiteren wichtigen Grund nicht wie rigide Instinkte: wegen der Entscheidungsregeln. Entscheidungsregeln sind „wenn, dann“-Aussagen, z.B. „wenn die Schlange zischt, dann renne um dein Leben“ oder „wenn die Person, die du attraktiv findest, Interesse zeigt, dann lächle und verringere den Abstand“. Für die meisten Mechanismen bieten diese Entscheidungsregeln zumindest mehrere mögliche Optionen der Erwiderung. Selbst in dem einfachen Fall, dass man einer Schlange begegnet, hat man die Optionen, sie mit einem Stock anzugreifen, zu erstarren und zu hoffen, dass sie sich entfernt, oder wegzulaufen. Im Allgemeinen kann man sagen, je komplexer der Mechanismus, desto mehr Optionen stehen zur Verfügung auf einen Input zu reagieren. Denken wir an den Werkzeugkoffer eines Zimmermanns. Der Zimmermann gewinnt Flexibilität, indem er nicht nur ein allgemeines Werkzeug hat, mit dem er schneiden, bohren, sägen, schrauben, drehen, hobeln und hämmern kann und das gleichzeitig als Schraubenschlüssel dient. Stattdessen gewinnt er an Flexibilität, wenn er eine große Anzahl an Spezialwerkzeugen in seinem Werkzeugkoffer hat. Diese Spezialwerkzeuge können dann in vielen Kombinationen verwendet werden, was mit einem einzigen, flexiblen Werkzeug nicht möglich ist. In der Tat fällt es schwer sich vorzustellen, wie ein „allgemeines“ Werkzeug aussehen kann, da es für Zimmerleute auch keine „allgemeinen Probleme“ gibt. Auf ähnliche Weise gewinnen auch Menschen aufgrund einer großen Anzahl von komplexen, spezifischen, funktionellen und psychologischen Mechanismen an Flexibilität. Mit jedem neuen Mechanismus kann der Organismus eine neue Aufgabe ausführen. Ein Vogel hat Beine, die ihm ermöglichen zu gehen; durch zusätzliche Flügel kann er fliegen. Fügt man einen Schnabel hinzu, kann er die Schale von Samen und Nüssen aufbrechen und an ihren essbaren Kern gelangen. Mit jedem neuen spezifischen Mechanismus, der hinzugefügt wird, kann der Vogel neue Aufgaben ausführen, zu denen er vorher nicht in der Lage war. Indem er sowohl Beine als auch Flügel hat, ist er flexibel zu gehen und zu fliegen. Dies führt zu einer Schlussfolgerung, die im Gegensatz zur menschlichen Intuition steht, da die meisten von uns annehmen, dass durch viele angeborene Mechanismen das Verhalten unflexibel wird. Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall. Je mehr Mechanismen wir haben, desto größer ist die Bandbreite unseres Verhaltens und somit auch die Flexibilität unseres Verhaltens.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Jenseits bereichspezifischer psychologischer Mechanismen. Alle Argumente, die auf den vorherigen Seiten präsentiert wurden, gehen davon aus, dass Menschen über eine große Anzahl spezialisierter psychologischer Mechanismen verfügen, von denen ein jeder spezifische adaptive Probleme lösen soll. Diese Schlussfolgerung ist innerhalb der evolutionären Psychologie weithin akzeptiert und liegt den evolutionären Ansätzen für alle Arten zugrunde (Alcock, 2001). Wie es ein evolutionärer Psychologe ausdrückte „Die Idee, dass eine einzige genetische Substanz ohne einen gewissen Grad an Spezialisierung die Hände kontrollieren kann, einen Partner anziehen kann, Kinder erziehen kann, Raubtieren ausweichen, Beutetiere austricksen kann und so weiter, ist nicht glaubwürdig. Zu sagen, dass das Gehirn diese Probleme aufgrund seiner „Formbarkeit“ lösen kann, ist nicht viel besser als zu sagen, dass es sie durch Magie löst.“ (Pinker, 2002, S. 75). Einige evolutionäre Psychologen haben jedoch kürzlich argumentiert, dass zusätzlich zu diesen spezifischen Mechanismen Menschen auch mehrere bereichsübergreifende Mechanismen entwickelt haben (z.B. Chiappe & MacDonalds, im Druck; Geary & Huffmann, 2002; Livingstone, 1998; Mithen, 1996). Zu diesen Mechanismen gehören die allgemeine Intelligenz, die Begriffsfindung, analoges Denken, das Erinnerungsvermögen und die klassische Konditionierung (siehe Kapitel 1).
Die Befürworter bereichsübergreifender Mechanismen gestehen einerseits zwar zu, dass wiederkehrende Merkmale von adaptiven Problemen spezialisierte Adaptationen selektieren, die nicht mit ausreichender Regelmäßigkeit wiederkehren, behaupten andererseits aber, dass Menschen mit vielen neuen Problemen konfrontiert werden. Zudem weiß man, dass Menschen viele alte adaptive Probleme auf neue Arten lösen, da man beispielsweise Nahrungsmittel aus Automaten erhalten, Partner über das Internet finden und Werkzeuge im Baumarkt erwerben kann. Zudem leben die Menschen in einer Umwelt, die sich von der, in der wir entstanden, stark unterscheidet, „eine sich dauernd ändernde Umwelt, die sich weit von der des Pleistozäns entfernt hat“ (Chiappe & MacDonald, im Druck, S. 6). Chiappe und MacDonald (im Druck) sind der Meinung, dass bereichsübergreifende Mechanismen wie die allgemeine Intelligenz „für die Lösung nicht wiederkehrender Probleme zur Erreichung evolutionärer Ziele“ (S. 3) entwickelt wurden oder um neue Lösungen zu alten Problemen zu finden. Ihr Hauptargument lautet, dass in der Evolutionsgeschichte Menschen gezwungen waren, sich schnell ändernden Umwelten anzupassen – unberechenbare Klimaveränderungen, Fluktuationen zwischen Eiszeiten und warmem Klima, Vulkansausbrüche, Erdbeben etc. Ähnlich behaupten Geary und Huffmann (2002), dass viele Informationsmuster im Lauf der menschlichen Evolutionsgeschichte äußerst variabel waren, was die Entwicklung allgemeinerer psychologischer Mechanismen, die offen für Erfahrungen sind, gefördert hat. Diese Theorien schlagen vor, dass bereichsübergreifende Mechanismen für Neuheiten, Unberechenbarkeiten und Variabilitäten notwendig sind. Einige evolutionäre Psychologen bleiben skeptisch, ob sich bereichsübergreifende Mechanismen entwickeln konnten (z.B. Cosmides & Tooby, 2002). Nur weil wir neue Aufgaben ausführen wie im Internet surfen oder Auto fahren, bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass die Adaptationen, die uns ermöglichen, diese Aufgaben auszuführen, selbst bereichsübergreifend sind. Nur weil man einem Grizzly Fahrradfahren beibringen kann oder einem Delphin, sich zu Musik zu bewegen, heißt das nicht, dass die Adaptationen, die diese neu-
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artigen Verhaltensweisen ermöglichen, bereichsübergreifend sind. An diesem Punkt in der Wissenschaft der evolutionären Psychologie ist es noch zu früh, um Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, ob Menschen zusätzlich zu den spezifischen Adaptationen bereichsübergreifende Mechanismen besitzen. Klar ist jedoch Folgendes: Basierend auf der Annahme der Bereichsspezifität wurden einige spektakuläre Erfolge in Bezug auf die Entdeckung wichtiger Mechanismen des menschlichen Geistes gemacht. Die folgenden Kapitel dieses Buches dokumentieren die zahlreichen wissenschaftlichen Erfolge. Ob vergleichbare Entdeckungen durch Forschungsprogramme gemacht werden, die auf der Grundlage bereichsübergreifender Mechanismen basieren, bleibt eine offene Frage. Es ist jedoch offensichtlich, dass der menschliche Geistes nicht nur aus getrennt voneinander funktionieren Mechanismen bestehen kann. Die Selektion bevorzugt funktionelle, spezialisierte Mechanismen, die in unterschiedlichen Kombinationen und Permutationen zusammenwirken. Adaptationen „sprechen“ sozusagen „miteinander“. Aus Mechanismen gewonnene Daten vermitteln Informationen an andere Mechanismen, beispielsweise Informationen über Aussehen, Geruch und Hungergefühl, sie sind der Input zu Entscheidungsregeln über die Genießbarkeit von Nahrungsmitteln. Daher tendieren evolutionäre Psychologen dazu, keine „Informationsverkapselung“ vorzunehmen – ein festlegendes Merkmal entwickelter psychologischer Mechanismen, die teilweise benutzt werden, wenn das „Baukastenprinzip“ ins Feld geführt wird (Fodor, 1983). Die genaue Art und Weise, wie Information zwischen verschiedenen psychologischen Mechanismen geteilt wird, bleibt ein faszinierender Bereich für künftige Forschung. Zudem ist es wahrscheinlich, dass Menschen über übergeordnete Mechanismen verfügen, die andere Mechanismen regulieren. Stellen Sie sich vor, Sie gehen durch den Wald und treffen plötzlich auf einen hungrigen Löwen, einen Strauch mit reifen Beeren und einen attraktiven Partner. Was tun Sie? Sie versuchen, zuerst dem Löwen auszuweichen, auch wenn Sie dadurch auf die reifen Beeren und den potentiellen Partner verzichten müssen. Wenn Sie am Verhungern sind, könnten Sie auch versuchen, zuerst ein paar Beeren zu pflücken, bevor Sie vor dem Löwen fliehen. Evolutionsbedingte psychologische Mechanismen interagieren auf komplexe Art und Weise miteinander. Sie werden an- und ausgeschaltet sowie in unterschiedlichen Sequenzen aktiviert, die noch nicht vollständig verstanden werden. Die Möglichkeit, dass Menschen evolutionsbedingte übergeordnete Regulationsmechanismen besitzen, ist viel versprechend und wartet auf weitere Erforschung.
2.3
Methoden zur Untersuchung von evolutionären Hypothesen
Sobald klar formulierte Hypothesen über evolutionsbedingte psychologische Mechanismen und damit zusammenhängende Vorhersagen spezifiziert sind, ist der nächste Schritt, sie empirisch zu überprüfen. Evolutionäre Psychologen verfügen dazu über eine große Bandbreite wissenschaftlicher Methoden. Wie wir sehen werden, basieren die wissenschaftlichen Grundlagen der evolutionären Psychologie nicht auf einer einzigen Methode, sondern auf konvergierenden Belegen aus einer Vielfalt von Methoden und Datenquellen (siehe Tabelle 2.3).
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Vergleich unterschiedlicher Arten Der Vergleich von Arten, die sich in bestimmten Dimensionen unterscheiden, liefert eine Belegquelle, um funktionelle Hypothesen zu testen. Die vergleichende Methode umfasst die „Überprüfung von Vorhersagen über das Auftreten der Eigenschaft in anderen Arten als des Tieres, dessen Verhalten der Wissenschaftler zu verstehen versucht“ (Alcock, 1993, S. 221). Als Beispiel dient die folgende Hypothese über Sperma-Wettbewerb: Die Funktion, große Spermamengen zu produzieren, dient dazu, das Sperma konkurrierender Männchen zu verdrängen und so die Chancen zu vergrößern, das Ei des Weibchens zu befruchten. Diese Hypothese kann überprüft werden, indem man Arten vergleicht, die sich im Vorkommen des Sperma-Wettbewerbs unterscheiden. In monogamen Arten kommt der Sperma-Wettbewerb selten oder nicht vor. Bei bestimmten Vogelarten (z.B. Ringeltauben) und Säugetieren (z.B. Gibbons), bilden Männchen und Weibchen Paare, um Junge zu bekommen, und haben nur selten Sex außerhalb ihrer Paarbeziehung. Bei anderen Arten wie den Bonobo-Schimpansen kopulieren die Weibchen mit mehreren Männchen (Small, 1992). Bei diesen Arten existiert Sperma-Wettbewerb. Wir wissen also, dass dieser bei promiskuitiven Arten hoch und bei monogamen Arten niedrig ausgeprägt ist. Nun folgt die Untersuchung: Man kann die Arten nach der Häufigkeit ordnen, in der der Sperma-Wettbewerb vorherrschend ist. Unter Primaten tendieren z.B. die Gorillas dazu, am wenigsten promiskuitiv zu sein, gefolgt von den Orang-Utans, Menschen und Schimpansen, die am promiskuitivsten sind. Als Nächstes können wir vergleichende Daten über das Spermavolumen durch das mit der Körpergröße korrigierte Hodengewicht bei jeder dieser Arten erarbeiten. Die Vorhersage der Hypothese über Sperma-Wettbewerb lautet, dass Männchen der Arten, in denen Sperma-Wettbewerb vorkommt, ein höheres Hodengewicht haben (das auf ein höheres Spermienvolumen hinweist) als Arten, in denen er nicht so häufig auftritt. Methoden zur Überprüfung von evolutionären Hypothesen
Datenquellen zur Überprüfung von evolutionären Hypothesen
1. Vergleich verschiedener Arten 2. Vergleich von Männern und Frauen 3. Vergleich von Individuen innerhalb einer Art 4. Vergleich derselben Individuen in verschiedenen Zusammenhängen 5. Experimentelle Methoden
1. Archäologische Aufzeichnungen 2. Daten von Jäger-Sammler-Gesellschaften 3. Beobachtungen 4. Eigene Aufzeichnungen 5. Lebensdaten und öffentliche Aufzeichnungen 6. Menschliche Erzeugnisse
Tabelle 2.3: Methoden und Datenquellen zur Überprüfung von evolutionären Hypothesen
Der vergleichende Beleg führt zu folgendem Ergebnis. Die Hoden männlicher Gorillas machen 0,02% des Körpergewichts aus; die männlicher Orang-Utans 0,05%; die von Männern 0,08% und die der hoch promiskuitiven Schimpansen 0,27% des Körper-
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gewichts (Short, 1979; Smith 1984). Zusammengenommen weisen Männchen der Arten mit dem intensivsten Sperma-Wettbewerb ein größeres testikulares Volumen auf als Männchen in Arten mit geringem Wettbewerb. Die vergleichende Methode unterstützt somit die Hypothese des Sperma-Wettbewerbs. Die Methode, verschiedene Arten zu vergleichen, ist natürlich nicht auf den SpermaWettbewerb oder das Hodenvolumen begrenzt. Man kann auch Arten vergleichen, bei denen die eine einem bestimmten adaptiven Problem ausgesetzt ist, das die andere nicht kennt. Man kann auf Klippen lebende Ziegen mit anderen Ziegen vergleichen, um die Hypothese zu testen, dass Ziegen, die auf Klippen grasen, spezielle Adaptationen aufweisen, um nicht zu fallen, wie beispielsweise ein besseres räumliches Orientierungsvermögen. Man kann Arten mit bekannten Feinden mit solchen vergleichen, die diese Feinde nicht haben, um die Hypothese zu testen, dass es spezifische Adaptationen gibt, diese Feinde zu bekämpfen (z.B. spezifische Alarmrufe, die ertönen, wenn man auf einen solchen Feind trifft). Der Vergleich unterschiedlicher Arten ist somit eine wertvolle Methode, um Hypothesen über adaptive Funktionen zu untersuchen.
Vergleich von Männern und Frauen Bei sexuell reproduzierenden Arten gibt es normalerweise zwei Geschlechter: Männchen und Weibchen. Ein Vergleich der Geschlechter ist eine weitere Methode, Hypothesen über Adaptationen zu untersuchen. Eine vergleichende Strategie beinhaltet die Analyse der unterschiedlichen adaptiven Probleme, denen Männchen und Weibchen ausgesetzt sind. Bei Arten mit innerer Befruchtung beispielsweise sehen sich Männchen dem Problem der „Ungewissheit der Vaterschaft“ ausgeliefert. Sie können niemals mit Sicherheit „wissen“, ob sie der genetische Vater der Nachkommen ihres Partners sind. Die Weibchen kennen dieses adaptive Problem nicht. Sie „wissen“, dass es ihre eigenen Eier und nicht die einer Rivalin sind, da sie in ihnen selbst wachsen. Auf der Basis dieser Analyse können wir Männer und Frauen vergleichen, um zu sehen, ob Männer spezifische Adaptationen entwickelt haben, die ihre Chancen der Vaterschaft erhöhen. Wir werden diese Adaptationen in Kapitel 5 im Detail untersuchen, aber ein Beispiel soll den Punkt hier unterstreichen: die männliche sexuelle Eifersucht. Obwohl beide Geschlechter insgesamt gleich eifersüchtig sind, haben Studien gezeigt, dass die Eifersucht der Männer weit mehr als die der Frauen speziell durch Anzeichen sexueller Untreue aktiviert wird, was eine Lösung des Problems der Ungewissheit der Vaterschaft nahe legt (Buss, Larsen, Westen & Semmelroth, 1992). Einmal aktiviert motiviert die männliche Eifersucht ein Verhalten, das einen Rivalen abwehren oder den Partner von der Untreue abhalten soll. Die Tatsache, dass die männliche Eifersucht insbesondere durch Anzeichen sexueller Untreue ausgelöst wird (eher als durch emotionale Untreue), deutet auf einen Aspekt der männlichen Psychologie hin, der mit dem adaptiven Problem der Ungewissheit der Vaterschaft verbunden ist. Solche Adaptationen sind bei Frauen unbekannt, da sie nie vor dem Problem standen, „wissen’“ zu müssen, ob ihre Nachkommen die ihren sind. Der Vergleich der Geschlechter innerhalb einer Art kann somit eine wertvolle Methode zur Untersuchung von evolutionären Hypothesen sein.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Vergleich von Individuen innerhalb einer Art Eine dritte Methode vergleicht verschiedene Individuen innerhalb einer Art. Denken wir an junge und ältere Frauen. Teenager haben viele Jahre potentieller Reproduktion vor sich, während Frauen in ihren späten Dreißigern nur noch wenige fruchtbare Jahre vor sich haben. Anhand dieser Unterschiede können Hypothesen über Adaptationen aufgestellt und untersucht werden. Man kann beispielsweise die Hypothese aufstellen, dass jüngere Frauen einen Fötus eher abtreiben als ältere Frauen, sollte kein unterstützender Mann bei der Kindererziehung helfen. Die evolutionären Gründe sind folgende: Da sie noch viele reproduktive Jahre vor sich haben, können es sich jüngere Frauen eher erlauben, die Chance zu verpassen, ein Kind zu bekommen und auf eine bessere Gelegenheit zur Reproduktion zu warten. Die ältere Frau hat vielleicht keine weitere Chance mehr. Ein Vergleich der Abtreibungsraten, Frühgeburten und Kindstötungen der beiden Gruppen stellt eine Methode dar, diese Hypothese zu untersuchen. Der Vergleich von Individuen innerhalb einer Art ist natürlich nicht auf das Alter beschränkt. Man kann arme Menschen mit reichen vergleichen, um die Hypothese zu untersuchen, dass sich Ärmere auf riskantere Strategien einlassen, um Ressourcen zu erwerben, während die Reichen eher konservativ sind und ihren Reichtum schützen. Man kann Frauen, die viele starke, beschützende Brüder haben, mit Einzelkindern vergleichen, um zu sehen, ob Frauen der zweiten Gruppe anfälliger für Misshandlungen durch Männer sind. Man kann Individuen vergleichen, die sich in ihrer Attraktivität unterscheiden, oder Individuen, die unterschiedlich große Familien haben. Kurz gesagt ist der Vergleich innerhalb einer Art eine aussagekräftige Methode, um evolutionäre Hypothesen über Adaptationen zu untersuchen.
Vergleich derselben Individuen in verschiedenen Zusammenhängen Ein weiterer Ansatz besteht darin, dieselben Individuen in verschiedenen Situationen zu vergleichen. Ein Mann der Siriono, eines Stammes im Osten Boliviens, der ein besonders erfolgloser Jäger war, hatte mehrere Frauen an Männer verloren, die bessere Jäger waren. Aufgrund seiner schlechten Eigenschaften als Jäger und seines Verlustes der Frauen an andere Männer litt er unter seinem Statusverlust innerhalb der Gruppe. Der Anthropologe A. R. Holmberg fing an, mit diesem Mann zu jagen und gab dem Jäger Wild, von dem er den anderen sagte, der Mann hätte es erbeutet, und lehrte ihn, mit dem Gewehr zu jagen. Als Folge der erhöhten Jagderfolge stieg der soziale Status des Mannes wieder; er zog mehrere Frauen an und begann, andere zu beleidigen und nicht länger das Opfer von Beleidigungen zu sein (Holmberg, 1950). Die gleichen Individuen in unterschiedlichen Situation zu vergleichen ist eine erfolgreiche Methode zur Erkennung evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen. Hypothesen können über die adaptiven Probleme in zwei verschiedenen Situationen formuliert
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werden und darüber, welcher psychologische Mechanismus jeweils aktiviert wird. Im Fall des Siriono-Mannes, der dank der Veränderung seiner Jagdfähigkeiten seinen Sozialstatus wieder erhöhen konnte, verursachte der veränderte Status, dass er auch selbstbewusster wurde. Aber auch die psychologischen Mechanismen der anderen Siriono-Männer veränderten sich, da sie ihn nicht mehr beleidigten, sondern respektvoll behandelten. Leider ist es für Forscher manchmal schwierig zu warten, bis sich eine Person von einem Zusammenhang zum nächsten bewegt. Menschen finden oft eine Nische und bleiben dort. Verändern Menschen Situationen, verändern sich zudem viele Dinge auf einmal, was es für Forscher schwierig macht, den spezifischen kausalen Faktor, der für die Veränderung verantwortlich war, herauszufinden. Im Fall des Siriono-Mannes beispielsweise trat die Änderung des Verhaltens der anderen Männer ihm gegenüber ein, weil er Fleisch mitbrachte, weil er Frauen anzog oder weil er ein Gewehr trug? Aufgrund der Probleme, die spezifischen kausalen Faktoren zu trennen, versuchen Wissenschaftler daher, die Situation in psychologischen Experimenten zu „kontrollieren“.
Experimentelle Methoden In Experimenten wird eine Gruppe einer „Manipulation“ ausgesetzt und eine zweite Gruppe dient als „Kontrollgruppe“. Sagen wir, wir stellen z.B. eine Hypothese über die Auswirkung von Bedrohungen auf den Zusammenhalt einer Gruppe auf. Die Hypothese geht davon aus, dass Menschen einen spezifischen psychologischen Mechanismus entwickelt haben, der adaptiv auf Bedrohungen von außen reagiert, z.B. auf einen Angriff durch eine feindliche Gruppe. Unter bedrohlichen Bedingungen sollte sich der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe verstärken. Dies zeigt sich durch Tendenzen wie der Vetternwirtschaft unter Gruppenmitgliedern und erhöhten Vorurteilen gegenüber Außenstehenden. Im Labor wählten Experimentatoren wahllos eine Gruppe aus und sagten ihnen, sie sollten in einen kleineren Raum gehen, da eine andere Gruppe Vorrang auf den Raum habe, in dem sie sich befänden. Bevor sie den Raum verlassen, händigen ihnen die Experimentatoren $100 als Entlohnung für die Teilnahme an der Studie aus mit der Anweisung, das Geld unter den Teilnehmern der beiden Gruppen nach ihrem Gutdünken zu verteilen. Die Kontrollgruppe wird ebenfalls aufgefordert, das Geld zwischen ihrer und der anderen Gruppe zu verteilen; allerdings wird ihnen nicht gesagt, dass die andere Gruppe Anspruch auf ihren Raum erhebt. Man kann nun beobachten, wie die Kontrollgruppe und die Versuchsgruppe entscheiden, das Geld zu verteilen. Gibt es zwischen der Kontroll- und der Versuchsgruppe keinen Unterschied, kann daraus gefolgert werden, dass die Vorhersage fehlgeschlagen ist. Sollte die Versuchsgruppe dagegen der eigenen Gruppe mehr und der Kontrollgruppe weniger Geld zuteilen, während die Kontrollgruppe das Geld gleichmäßig verteilte, wären unsere Vorhersagen bestätigt, dass durch Bedrohungen von außen die Vetternwirtschaft in Gruppen erhöht wird. Mit der experimentellen Methode, verschiedene Gruppen verschiedenen Bedingungen auszusetzen (manchmal auch Manipulation genannt), können Hypothesen über Adaptationen untersucht werden.
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2.4
Datenquellen zur Untersuchung von evolutionären Hypothesen
Evolutionäre Psychologen verfügen über einen großen Quellenreichtum, aus dem sie Daten zur Untersuchung von Hypothesen erhalten können. Dieser Abschnitt stellt einige davon vor.
Archäologische Aufzeichnungen Knochenfragmente, die auf der ganzen Welt sichergestellt wurden, geben paläontologische Aufzeichnungen von interessanten Artefakten preis. Mithilfe der Radiokarbonmethode kann man Schätzungen über das Alter von Schädeln und Skeletten erhalten und die Evolution der Gehirngröße durch die Jahrtausende verfolgen. Knochen großer Beutetiere, die an den Lagerplätzen unserer Vorfahren gefunden wurden, können aufzeigen, wie diese das adaptive Problem der Nahrungssicherung lösten. Versteinerte Ausscheidungen können Informationen über weitere Merkmale der Ernährungsweise unserer Vorfahren liefern. Analysen der Knochenfragmente können etwas über Verletzungen, Krankheiten und Todesursachen aussagen. Die archäologischen Aufzeichnungen liefern Hinweise darüber, wie unsere Vorfahren lebten und sich entwickelten und über die Natur ihrer adaptiven Probleme.
Daten von Jäger-Sammler-Gesellschaften Studien traditioneller Stämme, besonders solcher, die von der westlichen Zivilisation relativ isoliert sind, liefern ebenfalls eine reiche Datenquelle zur Untersuchung von evolutionären Hypothesen. Studien der Anthropologen Kim Hill und Hillard Kaplan (1988) zeigen beispielsweise, dass Jäger nicht direkt von ihren Jagderfolgen profitieren, da das erbeutete Fleisch von der Gruppe geteilt wird, sie aber auf andere reproduktiv relevante Art profitieren. Die Kinder erfolgreicher Jäger erhalten von der Gruppe mehr Aufmerksamkeit, was sich in besserer Gesundheit bemerkbar macht. Erfolgreiche Jäger sind auch für Frauen sexuell attraktiver und tendieren dazu, mehr Geliebte und begehrenswertere Frauen zu haben. Die Befunde zeitgenössischer Jäger und Sammler erlauben natürlich keine letztgültigen Aussagen. Es gibt viele Unterschiede zwischen den verschiedenen Stammesgesellschaften. Aber diese Befunde liefern einen Eindruck, der es ermöglicht, in Verbindung mit anderen Datenquellen Hypothesen über die menschliche evolutionäre Psychologie zu formulieren und zu überprüfen.
Beobachtungen Systematische Beobachtungen dienen als dritte Methode der Überprüfung von evolutionären Hypothesen. Der Anthropologe Mark Flinn entwickelte eine Verhaltensbeobachtungstechnik, um systematisch Beobachtungen in Trinidad zu sammeln (Flinn, 1988a). Er ging jeden Tag in ein bestimmtes Dorf, besuchte jeden Haushalt und hielt jede Beobachtung auf einem Bewertungsbogen fest. Auf diese Weise konnte er beispielsweise die Hypothese bestätigen, dass Männer fruchtbarer Frauen diese mehr bewachen als Männer,
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deren Frauen weniger fruchtbar waren (die z.B. schwanger oder alt waren). Dies wurde anhand von Verhaltensbeobachtungen ermittelt, die zeigen, dass sich Männer mehr in Kämpfe mit anderen Männern verwickelten, wenn ihre Frauen fruchtbar waren, und weniger in Kämpfe verwickelten, wenn ihre Frauen nicht fruchtbar waren. Beobachtungsdaten können aus einer Vielzahl von Quellen gesammelt werden – ausgebildeten Beobachtern wie Flinn, Ehemännern oder den Frauen der Zielgruppe, Freunden und Verwandten und sogar Bekannten. Daten aus Beobachtungen wie aus allen Datenquellen können potentielle Fehler und Tendenzen enthalten. Ein Beobachter kann eine vorgefasste Meinung darüber haben, was er zu beobachten erwartet, was die Beobachtungen beeinflussen kann. Beobachter können in wichtige Verhaltensbereiche wie das Sexualverhalten nicht eingeweiht sein, da Menschen es vorziehen, ihr Privatleben zu schützen. Forscher müssen diese einseitigen Quellen daher mit Vorsicht genießen und ihre Beobachtungen durch andere Datenquellen ergänzen.
Selbstbeobachtungen Aufzeichnungen der Testpersonen selbst liefern eine ausgezeichnete Datenquelle. Selbstbeobachtungen können durch Interviews oder Fragebögen gewonnen werden. Es gibt psychologische Phänomene, die nur durch Selbstbeobachtung untersucht werden können. Denken wir an sexuelle Fantasien. Sie sind private Erfahrungen, die keine Versteinerungen hinterlassen und durch Außenstehende nicht beobachtet werden können. In einer Studie untersuchten die evolutionären Psychologen Bruce Ellis und Donald Symons Hypothesen über geschlechtliche Unterschiede bei sexuellen Fantasien (Ellis & Symons, 1990). Sie fanden heraus, dass die sexuellen Fantasien von Männern mehrere Sexualpartner und Partnerwechsel beinhalteten und mehr visuell orientiert waren. Die sexuellen Fantasien von Frauen tendierten zu Geheimnissen, Romantik, emotionalen Äußerungen und dem Kontext. Ohne Selbstbeobachtung könnte diese Art der Untersuchung nicht durchgeführt werden. Auf der Grundlage von Selbstbeobachtungen wurde eine Vielzahl evolutionspsychologischer Hypothesen getestet: über Partnerpräferenzen (Buss, 1989a), Gewalt gegen Ehefrauen (Daly & Wilson, 1988), Taktiken der Täuschung (Tooke & Camire, 1991), Taktiken über den Aufstieg in sozialen Hierarchien (Kyl-Heku & Buss, 1996) und Muster der Kooperation und Hilfe (McGuire, 1994). Wie alle Datenquellen sind auch Selbstbeobachtungen einseitig und nur eingeschränkt verwendbar. Menschen könnten abgeneigt sein, Verhalten oder Gedanken preiszugeben, von denen sie befürchten, sie könnten als unerwünscht angesehen werden, z.B. außereheliche Affären oder ungewöhnliche sexuelle Fantasien. Menschen könnten einen anlügen oder wenn sie nicht lügen, könnte ihnen nicht bewusst sein, welche Informationen relevant sind. Menschen können Dinge sagen, um demjenigen, der die Studie durchführt, zu gefallen oder um die Studie zu untergraben. Aus diesen Gründen versuchen evolutionäre Psychologen, sich nicht ausschließlich auf Selbstbeobachtungen zu verlassen. Schlussfolgerungen, die aus mehreren Datenquellen abgeleitet werden, sind immer überzeugender.
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Lebensdaten und öffentliche Aufzeichnungen Menschen hinterlassen Spuren ihres Lebens in öffentlichen Dokumenten. Eheschließungen und Scheidungen, Geburten und Todesfälle, Verbrechen und Vergehen sind Teil der öffentlichen Aufzeichnungen. Für eine Serie von Studien konnte die Evolutionsbiologin Bobbi Low Daten über Eheschließungen, Scheidungen und Wiederverheiratungen aus verschiedenen Gemeinden in Schweden sicherstellen, die vor vielen Jahrhunderten aufgezeichnet wurden. Die Priester der Gemeinden führten gewissenhaft und detailliert Buch über diese öffentlichen Ereignisse. Indem man die Eheschließungs- und Scheidungsraten von vor vierhundert Jahren untersucht, kann man sehen, ob die Muster, die heute auftauchen, schon lange bestehen und wiederkehrend oder Produkte unserer modernen Zeit sind. Low konnte mithilfe dieser öffentlichen Aufzeichnungen mehrere evolutionäre Hypothesen untersuchen. Sie bestätigte beispielsweise, dass reichere Männer dazu tendierten, jüngere (und somit fruchtbarere) Frauen zu ehelichen als unvermögende Männer (Low, 1991). Je älter der Mann, desto größer der Altersunterschied zwischen ihm und seiner Braut – ein Ergebnis, das wir auch heute kulturübergreifend beobachten können (Kenrick & Keefe, 1992). Öffentliche Aufzeichnungen stellen eine ausgezeichnete Datenquelle dar, um evolutionäre Hypothesen zu überprüfen. Aber auch sie unterliegen vielen Beschränkungen. Beispielsweise können die Statistiken, die daraus abgeleitet werden, inkorrekt oder einseitig sein und selten enthalten öffentliche Aufzeichnungen alle Informationen, die Forscher suchen, um potentielle alternative Erklärungen auszuschließen. Trotzdem können öffentliche Aufzeichnungen, vor allem wenn sie zusammen mit anderen Datenquellen genutzt werden, für Wissenschaftler wahre Schatztruhen sein.
Menschliche Erzeugnisse Von Menschen hergestellte Gegenstände stellen Produkte ihres entwickelten Verstandes dar. Moderne Fast-Food-Restaurants beispielsweise sind das Ergebnis unserer geschmacklichen Vorlieben. Hamburger, Pommes Frites, Milchshakes und Pizza enthalten viel Fett, Zucker, Salz und Protein. Sie verkaufen sich deshalb gut, weil sie den entwickelten Vorlieben für diese Substanzen entsprechen und diese ausnutzen. Somit geben die von Menschen geschaffenen Nahrungsmittel Hinweise auf im Lauf der Evolution entstandene Geschmacksvorlieben. Andere Erzeugnisse sagen etwas über unseren Verstand aus. Pornografie und Liebesromane sind Erzeugnisse unserer Fantasie. Die Tatsache, dass pornografische Hefte vor allem von Männern und Liebesromane vor allem von Frauen gelesen werden, verraten etwas über die sexuelle Natur von Männern und Frauen (Ellis & Symons, 1990; Symons, 1979). Die Themen, die in Theaterstücken, Gemälden, Filmen, in Musik, Opern, Romanen, Seifenopern und Liedern angesprochen werden, sagen etwas über unsere Psyche aus (Carroll, 1995). Menschliche Erzeugnisse können daher als zusätzliche Datenquelle zur Überprüfung von evolutionären Hypothesen dienen.
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Wir leben in einer modernen Umwelt, die sich sehr von der unterscheidet, in der sich unsere Ernährungsadaptationen entwickelten. Fett und Zucker, einst seltene Ressourcen, sind heute in großen Mengen erhältlich. Diese veränderte Umwelt kann zu einem Verhalten führen, das unser Überleben gefährden kann.
Überschreitung der Beschränkungen von Datenquellen Alle Datenquellen sind Einschränkungen unterworfen. Aus Fossilien gewonnene Daten sind fragmentarisch und weisen große Lücken auf. Bei zeitgenössischen Jägern und Sammlern wissen wir nicht, zu welchem Grad sie durch moderne Einflüsse wie das Fernsehen beeinflusst sind. Bei Selbstbeobachtungen können Menschen lügen oder sie kennen die Wahrheit nicht. Bei Beobachtungen bleiben viele Verhaltensbereiche dem neugierigen Auge verborgen und andere können durch Tendenzen des Beobachters verzerrt werden. Laborversuche sind oftmals gestellt und artifiziell, wodurch ihre Verallgemeinerung auf reale Zusammenhänge fraglich ist. Objektiv erscheinende Daten aus öffentlichen Aufzeichnungen können ebenfalls einseitig sein. Selbst menschliche Erzeugnisse werden durch eine Kette von Schlussfolgerungen interpretiert, die gültig sein können oder auch nicht. Die Lösung dieser Probleme liegt darin, multiple Datenquellen zur Überprüfung von evolutionären Hypothesen zu verwenden. Ergebnisse, die konsequent aus übergreifenden Datenquellen gezogen werden, die keinen methodischen Einschränkungen unterliegen, sind besonders aussagekräftig. Bei der Verwendung multipler Datenquellen können Forscher die Beschränkungen einzelner Datenquellen überschreiten und zu einer genaueren empirischen Grundlage der evolutionären Psychologie gelangen.
2.5
Die Identifizierung von adaptiven Problemen
Im Lauf der menschlichen Evolution standen Menschen wie viele andere Arten einer außergewöhnlichen Anzahl von adaptiven Problemen gegenüber, die die Entwicklung vieler komplexer Adaptationsmechanismen auslösten. Die nächste entscheidende Frage lautet: Wie wissen wir, welcher Art diese adaptiven Probleme sind? Um diese Frage zu erörtern, ist eine wichtige Qualifizierung erforderlich. Keine Begriffsbestimmung enthält eine komplette Liste aller adaptiven Probleme, denen die Menschheit ausgesetzt war. Diese Unbestimmtheit basiert auf mehreren Faktoren. Zum einen können wir die Uhr nicht zurückdrehen und wissen somit nicht, womit unsere Vorfahren in der
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Vergangenheit konfrontiert waren. Zum zweiten führt jede neue Adaptation zu neuen Problemen, wie beispielsweise mit anderen Adaptationsmechanismen koordiniert zu werden. Alle menschlichen Probleme zu identifizieren ist eine Aufgabe, die Wissenschaftler viele weitere Jahrhunderte beschäftigen wird. Nichtsdestotrotz geben uns verschiedene Richtlinien einen Ausgangspunkt.
Anleitungen aus der modernen Evolutionstheorie Eine Richtlinie ist die Struktur der modernen Evolutionstheorie selbst, die uns lehrt, dass die unterschiedlichen Arten der Reproduktion der Genkodierungen den Motor des evolutionären Prozesses darstellen - entweder durch die Produktion von Nachkommen oder indem genetischen Verwandten geholfen wird, Nachkommen zu produzieren. Das heißt alle adaptiven Probleme beziehen sich, wenn auch indirekt, auf die Reproduktion oder sind dieser dienlich. Um zu beginnen, denken wir an die folgenden Klassifikationen von adaptiven Problemen: 1. Probleme des Überlebens und des Wachstums: den Organismus an den Punkt zu bekommen, an dem er zur Reproduktion fähig ist 2. Probleme der Paarung: Auswahl, Anziehung und Bindung eines Partners und Vollzug des sexuellen Verhaltens, das für eine erfolgreiche Reproduktion erforderlich ist 3. Probleme der Kindererziehung: den Nachkommen zu überleben und zu wachsen helfen, bis sie selbst zur Reproduktion fähig sind 4. Probleme der Hilfeleistung für genetische Verwandte: Aufgaben, die mit der Hilfe bei der Reproduktion von Verwandten verbunden sind, die Kopien der eigenen Gene in sich tragen Diese vier Problemklassifikationen bieten einen angemessenen Ausgangspunkt und ein Set von Richtlinien für die Suche. Alleine für sich genommen sind diese Klassifikationen jedoch recht allgemein und sagen uns nicht, welchen adaptiven Problemen Menschen, im Gegensatz zu anderen sexuell reproduzierenden Organismen, gegenüberstanden.
Anleitungen aus dem Wissen universeller menschlicher Strukturen Eine zweite Quelle zur Identifizierung von adaptiven Problemen ergibt sich aus dem akkumulierten Wissen der universellen menschlichen Strukturen. Alle Menschen, abgesehen von gelegentlichen Einsiedlern, leben in Gruppen. Das Wissen um diese Tatsache schlägt eine Anzahl potentieller adaptiver Probleme vor, zu denen Menschen Lösungen entwickelt haben. Ein offensichtliches Problem ist beispielsweise, sicherzustellen, dass man in die Gruppe eingegliedert und nicht geächtet oder ausgeschlossen ist (Baumeister & Leary, 1995). Ein weiteres Problem entsteht daraus, dass Gruppenleben bedeutet, dass Angehörige der eigenen Art enger und somit in direkterem Wettbewerb um Zugang zu den für Überleben und Reproduktion notwendigen Ressourcen miteinander leben. Alle bekannten Gruppen weisen soziale Hierarchien auf – ein weiteres strukturelles Kennzeichen unserer Art. Die Tatsache, dass Hierarchien universell sind, legt eine wei-
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tere Klassifikation von adaptiven Problemen nahe (siehe Kapitel 12). Diese beinhalten die Probleme des sozialen Aufstiegs (da Ressourcenmengen zunehmen, wenn man in der Hierarchie aufsteigt); das Problem, einen gesellschaftlichen Abstieg zu vermeiden; das Problem auftauchender Konkurrenten im Kampf um die eigene Position; das Problem, jemandes Zorn auf sich zu ziehen, der höher steht und der sich durch den eigenen Aufstieg bedroht sieht. Zusammengefasst liefert die Identifizierung universeller Kennzeichen der menschlichen sozialen Interaktion, wie etwa das Leben in Gruppen und soziale Hierarchien, eine Anleitung zur Identifizierung menschlicher adaptiver Probleme.
Anleitungen aus traditionellen Gesellschaften Eine dritte Quelle zur Identifizierung adaptiver Probleme kommt aus traditionellen JägerSammler-Gesellschaften. Belege deuten darauf hin, dass diese Gesellschaften die Bedingungen, unter denen wir uns entwickelten, eher widerspiegeln als moderne Gesellschaften und dass die Menschheit 99 Prozent der Menschheitsgeschichte aus Jägern und Sammlern bestand, was ungefähr den letzten Millionen Jahren vor dem Beginn der Landwirtschaft vor 10.000 Jahren entspricht (Tooby & De Vore, 1987). Zudem war Großwild das Ziel der Jagdaktivitäten. Untersuchungen von Jäger-Sammler-Gesellschaften liefern daher Hinweise über die adaptiven Probleme, denen unsere Vorfahren gegenüberstanden. Es ist praktisch unmöglich, Großwild alleine zu jagen, zumindest nicht mit den Werkzeugen, die vor der Erfindung von Gewehren und anderen Waffen zur Verfügung standen. In Jäger-Sammler-Gesellschaften finden Jagden auf Großwild ausnahmslos in Gruppen und Koalitionen statt. Um erfolgreich zu sein, müssen die Koalitionen eine Reihe von adaptiven Problemen lösen, beispielsweise wie die Arbeit aufzuteilen ist und wie die Anstrengungen der Gruppe koordiniert werden, was beides einer klaren Kommunikation bedarf.
Anleitungen aus der Paläoarchäologie und der Paläoanthropologie Eine vierte Quelle zur Identifizierung adaptiver Probleme sind Steine und Knochen. Die Analyse der Zähne unserer Vorfahren liefert Informationen über ihre Ernährungsweise. Analysen von Knochenbrüchen liefern Informationen darüber, wie sie gestorben sind. Knochen können sogar Hinweise darüber geben, welche Krankheiten unsere Vorfahren heimsuchten und sie können damit auf weitere adaptive Probleme hinweisen.
Anleitungen aus gegenwärtigen Mechanismen Eine fünfte und sehr reichhaltige Informationsquelle stammt aus den gegenwärtigen psychologischen Charakteristika der Menschheit. Die Tatsache, dass die meisten geläufigen Phobien kulturübergreifend die vor Schlangen, Spinnen, Höhe, Dunkelheit und dunklen Gestalten und nicht die vor Autos oder elektrischen Steckdosen sind, verrät viel über die Überlebensprobleme unserer Vorfahren. Sie sagen uns, dass wir dazu neigen, die Gefahren unserer Vorfahren zu fürchten, aber nicht die unseres modernen Zeitalters. Die Universalität der sexuellen Eifersucht sagt uns, dass unsere Vorfahren nicht unbedingt treu gegenüber
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ihren Partnern waren. Wären sie immer treu gewesen, hätten Männer nicht den psychologischen Mechanismus der sexuellen Eifersucht entwickelt, von dem bekannt ist, dass er die Hauptursache für die Misshandlung und die Tötung von Ehefrauen ist (Daly & Wilson, 1988). Kurz gesagt liefern unsere gegenwärtigen psychologischen Mechanismen Fenster, um die Natur der adaptiven Probleme zu erkennen, denen sich unsere Vorfahren stellen mussten.
Anleitungen aus Aufgabenanalysen Ein eher formelles Verfahren zur Identifizierung von adaptiven Problemen (und Unterproblemen) ist die „task analysis“ (Aufgabenanalyse) (Marr, 1982). Eine Aufgabenanalyse beginnt mit einer Beobachtung über eine Struktur der Menschheit (z.B. Menschen leben in Gruppen mit Statushierarchien) oder einem gut dokumentierten Phänomen (z.B. Menschen bevorzugen ihre genetischen Verwandten). Die Aufgabenanalyse stellt die folgende Frage: Welche kognitiven Aufgaben oder Verhaltensaufgaben müssen gelöst werden, damit eine bestimmte Struktur oder ein Phänomen auftaucht? Denken wir an die Beobachtung, dass Menschen dazu tendieren, ihren genetischen Verwandten mehr als Nicht-Verwandten zu helfen. Ist man ein Student, sind die Chancen hoch, dass einem die Eltern finanziell unter die Arme greifen und Schulgeld, Miete, Kleidung oder die öffentlichen Verkehrsmittel bezahlen. Allerdings unterstützen sie nicht die Kinder ihrer Nachbarn, selbst wenn sie diese sehr gern mögen. Die elterliche Hilfe ist nur ein Beispiel aus der weit verbreiteten Tendenz der Menschen, denen zu helfen, die Kopien ihrer eigenen Gene tragen. Menschen tendieren auch dazu, in Situationen auf Leben und Tod engen genetischen Verwandten mehr zu helfen als entfernteren genetischen Verwandten (Burnstein, Crandall & Kitayama, 1994). Eine Aufgabenanalyse beinhaltet die Analyse dieses Phänomens, indem die kognitiven Aufgaben identifiziert werden, die gelöst müssen, damit das Phänomen auftritt. Für die Analyse werden nur Informationen verwendet, die in der Umwelt unserer Vorfahren vorhanden waren. Beispielsweise müssen Menschen diejenigen identifizieren können, die Kopien ihrer Gene tragen – das Problem der Familienerkennung. Dieses Problem wurde unter Verwendung der zu der Zeit vorhandenen Informationen wie der Kennzeichen des physischen Erscheinungsbildes gelöst. Zudem müssen Menschen abschätzen können, wie eng ihre genetischen Verwandten mit ihnen verwandt sind – das Problem der Nähe der Familie. Man denkt über diese Dinge meist nicht bewusst nach; sie passieren automatisch. Eine Aufgabenanalyse ermöglicht uns daher, das adaptive Problem zu identifizieren, das gelöst werden muss, damit das beobachtete Phänomen auftritt.
Organisation von adaptiven Problemen Dieses Buch handelt von menschlichen adaptiven Problemen und psychologischen Lösungen, die entwickelt wurden, um diese zu lösen. Wir beginnen mit Überlebensproblemen, da es ohne Überleben keine Reproduktion gibt. Dann beschäftigen wir uns mit dem Problem der Partnersuche, wozu auch die Auswahl, die Anziehung und die Bindung eines begehrenswerten Partners gehören. Dann wenden wir uns den Problemen der Elternschaft zu. Kinder können ohne elterliche Hilfe nicht überleben und heranwachsen
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und so widmet sich dieser Abschnitt des Buches der elterlichen Investitionen. All dies geschieht innerhalb einer größeren Verwandtschaftsgruppe: der DNA, die Menschen mit ihren genetischen Verwandten teilen. Das Buch wendet sich dann den sozialen Gemeinschaften zu, in denen wir leben. Die Kapitel über Kooperation, Aggression, die Konflikte zwischen den Geschlechtern und den sozialen Status bilden den Kern dieses Abschnitts. Das letzte Kapitel konzentriert sich auf die Umformulierung der wichtigsten Zweige der Psychologie aus einer evolutionären Perspektive und betrachtet Themen wie logisches Denken (kognitive Psychologie), Dominanz (Persönlichkeitspsychologie), Psychopathologie (klinische Psychologie) und soziale Beziehungen (Sozialpsychologie).
Zusammenfassung Dieses Kapitel behandelte vier Themen: (1) die Logik der Aufstellung von Hypothesen über evolutionsbedingte psychologische Mechanismen, (2) die Produkte des evolutionären Prozesses, (3) die Natur evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen und (4) die wissenschaftlichen Verfahren, mit denen diese Hypothesen überprüft werden können. Die Logik evolutionärer Hypothesen beginnt mit der Untersuchung der vier AnalyseEbenen, von der allgemeinen bis zur spezifischen – allgemeine Evolutionstheorie, Evolutionstheorien der mittleren Ebene, spezifische evolutionäre Hypothesen und spezifische Vorhersagen über empirische Phänomene, die von diesen Hypothesen abgeleitet werden. Eine Methode der Hypothesen-Bildung ist es, auf der höchsten Ebene zu beginnen und sich nach unten zu arbeiten. Eine Theorie der mittleren Ebene kann mehrere Hypothesen liefern, von denen wiederum eine jede mehrere nachprüfbare Vorhersagen hervorbringt. Dies wird als „top-down“-Strategie der Formulierung von Hypothesen und Vorhersagen beschrieben. Eine zweite Methode besteht darin, mit einem Phänomen zu beginnen, das bekannt ist oder beobachtet wurde, wie die Bedeutung, die Männer dem Erscheinungsbild von Frauen zuschreiben. Von diesem Phänomen kann man Hypothesen über die möglichen Funktionen, für die sie entwickelt wurden, ableiten. Diese „bottom-up“Methode wird „reverse engineering“ genannt und ist eine hilfreiche Ergänzung zu dieser Methode, da wir, oft lange bevor wir wissenschaftliche Erklärungen dafür haben, von der Existenz menschlicher Phänomene wissen. Der evolutionäre Prozess liefert drei Produkte: Adaptationen, Nebenprodukte der Adaptationen und Zufallsrauschen. Obwohl alle drei Produkte wichtig und Evolutionswissenschaftler in der Einschätzung ihrer Häufigkeit unterschiedlicher Meinung sind, tendieren evolutionäre Psychologen dazu, sich auf die Adaptationen zu konzentrieren. Genauer gesagt konzentrieren sie sich auf eine spezielle Unterklasse der Adaptationen, die die menschliche Art ausmachen: psychologische Mechanismen.
Kapitel 2 Die neue Wissenschaft der evolutionären Psychologie
Psychologische Mechanismen sind informationsverarbeitende Instrumente, die existieren, da sie halfen, spezifische Probleme des Überlebens oder der Reproduktion, die im Lauf der menschlichen Evolutionsgeschichte häufig vorkamen, zu lösen. Sie verarbeiten nur ein schmales Segment von Informationen, transformieren diese Informationen durch Entscheidungsregeln und Output in Form physischer Aktivität, Informationen zu anderen psychologischen Mechanismen oder manifestem Verhalten. Der Output evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen ist auf die Lösung eines spezifischen adaptiven Problems gerichtet. Evolutionsbedingte psychologische Mechanismen liefern nicht-arbiträre Kriterien, um „den Geist an seinen Schnittstellen zu formen“, tendieren dazu, problemspezifisch zu sein und sind zahlreich und funktionell in ihrer Natur. Sobald eine Hypothese über einen evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus formuliert ist, ist die nächste Stufe wissenschaftlichen Bestrebens, sie zu überprüfen. Die Überprüfung von evolutionären Hypothesen ist auf Vergleiche angewiesen. So wird beispielsweise untersucht, ob auf Gruppen, von denen vorhergesagt wird, dass sie sich auf eine bestimmte Weise unterscheiden, dies auch wirklich zutrifft. Diese Methode kann genutzt werden, um durch den Vergleich verschiedener Arten, den Vergleich von Männchen und Weibchen innerhalb einer Art, den Vergleich von Individuen des gleichen Geschlechts und den Vergleich der gleichen Individuen in verschiedenen Zusammenhängen, Hypothesen zu bilden. Nachdem man sich für ein bestimmtes vergleichendes Forschungsmodell entschieden hat, ist der nächste Schritt zu entscheiden, welche Datenquellen genutzt werden sollen. Evolutionäre Psychologen können potentiell auf viele Quellen zurückgreifen, zu denen archäologische Aufzeichnungen gehören sowie Daten moderner Jäger-Sammler-Gesellschaften, Selbstbeobachtungen, Beobachtungen, Daten aus Laborversuchen, Daten der Lebensgeschichte aus öffentlichen Aufzeichnungen und menschliche Erzeugnisse. Jede Datenquelle weist ihre Stärken und Einschränkungen auf. Jede liefert Informationen, die in gleicher Form aus anderen Datenquellen nicht gewonnen werden können. Jede hat ihre Fehler und Schwächen. Als Faustregel gilt daher, dass Studien, die evolutionäre Hypothesen unter Verwendung von zwei oder mehr Datenquellen untersuchen und so eine solide empirische Grundlage bilden, besser sind als Studien, die von einer einzigen Quelle abhängen. Der letzte Abschnitt dieses Kapitels umriss wichtige Klassifikationen der adaptiven Probleme. Aus der modernen Evolutionstheorie lassen sich vier Klassifikationen ableiten: Probleme des Überlebens und des Heranwachsens, der Partnersuche, der Kindererziehung und der genetischen Verwandtschaft. Zusätzliche Einblicke in die Identifizierung von adaptiven Problemen kommen aus dem Wissen der universellen menschlichen Strukturen, von traditionellen Stämmen, aus der Paläoarchäologie, der Aufgabenanalyse und von psychologischen Mechanismen. Gegenwärtige Mechanismen wie Angst vor Höhe, eine Vorliebe für fetthaltige Nahrungsmittel und für savannenähnliche Landschaften liefern Einblicke, um die Natur vergangener adaptiver Probleme zu erkennen.
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Teil 1 Grundlagen der evolutionären Psychologie
Weiterführende Literatur Buss, D. M., Haselton, M. G., Shackelford, T. K., Bleske, A. & Wakefield, J. C. (1998). Adaptations, exaptations and spandrels. American Psychologist, 53, 533-548. Hoffrage, U. & Vitouch, O. (2002). Evolutionspsychologie des Denkens und Problemlösens. In J. Müsseler & W. Prinz (Hrsg.), Allgemeine Psychologie, Kapitel 5c, 734–794. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Kennair, L. E. O. (2002). Evolutionary psychology: An ermerging integrative perspective within the science and practice of psychology. Human Natur Review, 2, 17-61. Ketelaar, T. & Ellis, B. J. (2000). Are evolutionary explanations unfalsifiable? Evolutionary psychology and the Lakatosian philosophy of science. Psychological Inquiry, 11, 1-21. Pinker, S. (1997). How the mind works. New York: Norton (dt.: Wie das Denken im Kopf entsteht. München: Kindler, 1999). McFarland, D. (1999). Biologie des Verhaltens: Evolution, Physiologie, Psychobiologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag (Orig.: Animal Behaviour: Psychobiology, Ethology and Evolution. Upper Saddle River, NJ: Prentice Hall, 3rd Ed., 1998). Tooby, J. & Cosmides, L. (1992). Psychological foundations of culture. In J. Barkow, L. Cosmides & J. Tooby (Eds.), The adapted mind, 19-136. New York: Oxford University Press.
Teil 2 Überlebensprobleme Dieser Teil besteht aus einem einzigen Kapitel und ist den Adaptationen zur Lösung überlebensrelevanter Probleme gewidmet. Darwin prägte den Ausdruck „die feindlichen Kräfte der Natur“, um die das Überleben erschwerenden Kräfte zu beschreiben. Die modernen Menschen sind die Nachkommen der Vorfahren, die im Kampf gegen diese feindlichen Kräfte erfolgreich waren. Der Anfang von Kapitel 3 widmet sich dem Problem der Beschaffung und Auswahl von Nahrungsmitteln und untersucht Hypothesen darüber, wie unsere Vorfahren für Nahrung sorgten – die Jagd-Hypothese, die SammlerHypothese und die Aasfresser-Hypothese. Als Nächstes werden Adaptationen hinsichtlich der Auswahl des Lebensraumes untersucht d.h. unsere Vorlieben bezüglich der Frage, wo wir leben wollen. Dann geht es um Ängste, Phobien, Sorgen und andere Adaptationen, die sich herausgebildet haben, um auf verschiedene Gefahren der Umwelt, von Schlangen bis Krankheiten, zu reagieren. Schließlich wird die faszinierende Frage angesprochen, ob Menschen zu sterben programmiert sind. Das Kapitel endet mit der provokativen Analyse eines ernsthaften evolutionären Rätsels: Warum begehen manche Menschen Selbstmord?
Kapitel
3
Kampf gegen die feindlichen Kräfte der Natur – Menschliche Überlebensprobleme
... Organismen, die überleben wollen, müssen nicht nur entscheiden, was sie fressen, sondern auch vermeiden, selbst gefressen zu werden. – Todd, 2000, S. 951 Es gibt nichts im Körper, das immer funktioniert. – Randolph Nesse und George Williams, 1994, S. 19 Im Endeffekt geht es beim Evolutionsprozess, dem Motor, der die natürliche Selektion am Laufen hält, um die differentielle Reproduktion. Um reproduzieren zu können, müssen Organismen, zumindest eine Zeitlang, überleben. Charles Darwin fasste es folgendermaßen zusammen: „Da mehr Individuen produziert werden als überleben können, gibt es in jedem Fall einen Existenzkampf, entweder ein Individuum gegen ein anderes der gleichen Spezies oder gegen Individuen unterschiedlicher Arten oder gegen die physischen Lebensbedingungen.“ (1959, S. 53) Daher ist eine Untersuchung der adaptiven Überlebensprobleme ein logischer Ausgangspunkt der evolutionären Psychologie des Menschen. Zu leben ist mit einem Problem verbunden – oder besser gesagt einer Reihe von Problemen. Auch wenn uns unser gegenwärtiger Lebensstil zu einem großen Teil keinen großen Gefahren aussetzt, ist jeder von uns irgendwann in Situationen geraten, in denen das Überleben bedroht war. Darwin prägte den Begriff der „feindlichen Kräfte der Natur“ und zu ihnen gehören Klima, Wetter, Nahrungsknappheit, Giftstoffe, Krankheiten, Parasiten, Raubtiere und feindliche Artgenossen. Jede dieser feindlichen Kräfte hat den Menschen vor adaptive Probleme gestellt – Probleme, die über einen langen Zeitraum der Evolutionsgeschichte in jeder Generation immer wieder aufgetreten sind. Diese adaptiven Probleme waren für die Herausbildung erfolgreicher Lösungen wichtig. Sie bildeten einen Filter, durch den diejenigen ausgesiebt wurden, die Krankheiten, Parasiten, Raubtieren, harten Wintern und langen, trockenen Sommern nicht standhielten. Darwin schrieb: „im großen Lebenskampf ... ist die Struktur jedes organischen Wesens auf essentielle, jedoch oft versteckte Weise mit der aller anderer organischer Wesen verbunden, mit denen es im Wettbewerb um Nahrung und Lebensraum steht oder vor dem es versucht zu fliehen oder welches seine Beute darstellt.“ (1859, S. 61). Dies suggeriert, dass die Menschen mit der biologischen Welt schon immer auf hoch spezialisierte Art und Weise interagiert haben. Wir müssen wissen, was wir essen können, was uns vergiften würde, was wir fangen können und was uns erbeuten kann. Die wissenschaftlichen Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Menschen über
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eine recht differenzierte „Volksbiologie“ verfügen (Atran, 1998; Berlin, 1992; Keil, 1995). Der Kern dieser Volksbiologie ist die Intuition, dass Lebewesen in abgeschlossenen Einheiten existieren, die verschiedenen Arten entsprechen. Jede Art verfügt über eine innere „Essenz“, die Wachstum, Körperfunktionen, äußere Form und spezielle Fähigkeiten bestimmt. Brennnesseln verfügen über eine innere Essenz, die sie mit Brennhaaren ausstattet. Löwen verfügen über eine innere Essenz, die sie mit tödlichen Eckzähnen und Pranken rüstet. Diese Volksbiologie taucht schon früh im Leben auf und ist kulturübergreifend. Weltweit werden alle Arten spontan in Pflanzen und Tiere aufgeteilt (Atran, 1998). Kinder im Vorschulalter haben recht hoch entwickelte Ansichten über die innere Essenz der Arten. Sie glauben beispielsweise, dass ein Hund, dem sein Inneres entfernt wird, sein „Wesen“ verliert und nicht länger ein Hund ist, da er nicht mehr bellen oder beißen kann. Entfernt man aber Äußerlichkeiten oder verändert man sein äußeres Erscheinungsbild, so dass er nicht länger wie in Hund aussieht, glauben Kinder immer noch, dass er seine „Hundheit“ beibehält. Sie sind der Meinung, dass ein Ferkel, das von Kühen aufgezogen wird, trotzdem quieken und nicht muhen wird. Die Volksbiologie von Kindern scheint sogar eine Art Funktion zu enthalten. Kinder im Alter von nur drei Jahren glauben beispielsweise, dass Dornen der Rose auf irgendeine Art helfen, nehmen andererseits aber nicht an, dass die Stacheln dem Stacheldraht helfen. Es ist wahrscheinlich, dass die universelle Volksbiologie mit ihrer Kernannahme, dass verschiedene Angehörige der gleichen Art versteckte kausale Essenzen teilen, eine kognitive Adaptation darstellt (Atran, 1998). Sie ist bereits in frühen Lebensabschnitten ohne ersichtliche Instruktionen der Eltern feststellbar (Gelman, Coley & Gottfried, 1994) und sie scheint kulturübergreifend auf der ganzen Welt zu existieren (Atran, 1998). Sie ist zur Lösung vieler Überlebensprobleme wichtig, die in diesem Kapitel diskutiert werden: die Fähigkeit, zwischen Dingen, die nahrhaft sind und solchen, die giftig sind, zwischen Tieren, die wir jagen und solchen, die uns jagen, zu unterscheiden. Betrachten wir nun also die faszinierende Sammlung von Adaptationen, aus denen die menschliche Überlebensmaschine zusammengesetzt ist – die Mechanismen von Körper und Verstand, die entwickelt wurden, um die feindlichen Kräfte der Natur zu bekämpfen. Das erste Problem stellt die Suche nach Nahrung dar.
3.1
Beschaffung und Auswahl von Nahrung
Ohne Nahrung und Wasser würden wir alle sterben: „Die Ernährung ist der primäre Faktor, der das übrige Adaptationssystem einer Art zulässt oder beschränkt“ (Tooby & DeVore, 1987, S. 234). Tatsächlich verbringen die meisten Tiere mehr ihrer aktiven Zeit mit der Suche, dem Fangen und der Aufnahme von Nahrung als mit anderen Aktivitäten (Rozin, 1996). Für das Überleben ist das Finden von Nahrung genauso wichtig wie für die Reproduktion das Finden eines Partners. In der modernen Welt gehen wir einfach in den Supermarkt oder in ein Restaurant. Unsere Vorfahren aber, die über die grasigen Ebenen der Savannen zogen, hatten es nicht so leicht. Zwischen dem hungrigen Aufwachen
Kapitel 3 Kampf gegen die feindlichen Kräfte der Natur
am Morgen und dem Einschlafen am Abend mit einem vollen Bauch mussten sie viele Hindernisse überwinden. Das dringendste Problem in der Nahrungsauswahl besteht darin, wie man ausreichende Mengen an Kalorien und spezifische Nährstoffe wie Natrium, Kalzium und Zink aufnehmen kann, ohne gleichzeitig gefährliche Giftstoffe zu konsumieren, die schnell zum Tod führen können (Rozin & Schull, 1988). Dies bedeutet Nahrung zu suchen, zu erkennen, zu fangen, zu verarbeiten, zu verzehren und zu verdauen, um die Nährstoffe aufzunehmen. Diese Aktivitäten müssen mit dem inneren metabolischen Zustand koordiniert werden, zum Beispiel einem möglichen Leiden einer negativen Energiebalance (Verbrennung von mehr Kalorien als aufgenommen werden) oder an einer spezifischen, ernährungsbedingten Mangelerscheinung (Rozin & Schull, 1988). Insbesondere für Allesfresser – Arten wie beispielsweise Ratten und Menschen, die regelmäßig sowohl Pflanzen als auch Tiere konsumieren – ist die Nahrungsauswahl äußerst wichtig. Durch den Verzehr einer großen Nahrungspalette, z. B. Pflanzen, Nüsse, Samen, Früchte und Fleisch, steigt die Vergiftungsgefahr, da Giftstoffe in der Pflanzenwelt weit verbreitet sind. Nach einem profunden evolutionären Verständnis stellen die Pflanzengifte eine Adaptation dar, die die Pflanze davor schützen, gegessen zu werden. Giftstoffe helfen Pflanzen also, sich vor Feinden zu schützen, aber sie schaden auch Menschen und anderen Tieren, die Pflanzen für ihr Überleben benötigen. So gesehen gab es zwischen unseren Vorfahren und den Pflanzen einen echten Konflikt.
Nahrungsauswahl bei Ratten Ratten, eine der am häufigsten untersuchten Spezies der Allesfresser, geben ein lehrreiches Beispiel zur Erläuterung der Adaptationsprobleme bezüglich der Auswahl von Nahrung und Flüssigkeit. Bei neugeborenen Ratten wird das Problem der Nahrungssuche und -aufnahme dadurch gelöst, dass alle Kalorien durch die Muttermilch aufgenommen werden. So wird verhindert, dass das Rattenbaby tödliche Giftstoffe konsumiert, bis es selbst anfängt, nach Nahrung zu suchen. Ratten haben eine Vorliebe für süße, kalorienreiche Nahrungsmittel entwickelt und meiden bittere Stoffe, die eher Toxine enthalten. Sie passen ihr Fressverhalten mindestens an drei Zustände an: Wasser-, Kalorien- und Salzmangel (Rozin & Schull, 1988). In Experimenten wurde gezeigt, dass Ratten sofort Salz allen anderen Nahrungsmitteln vorziehen, wenn sie zum ersten Mal an Salzmangel leiden. Ebenso erhöhen sie die Aufnahme von Süßigkeiten und Wasser, wenn ihr Energie- und Wasserhaushalt erschöpft ist. Diese speziell entwickelten Mechanismen sind auf das Adaptationsproblem der Nahrungsauswahl abgestimmt und koordinieren das Verzehrverhalten der Ratte mit ihren physischen Bedürfnissen (Rozin, 1976). Das ist jedoch noch nicht alles. Ratten zeigen eine überraschende Neophobie oder starke Abneigung gegenüber neuen Nahrungsmitteln. Sie probieren neue und unbekannte Nahrung normalerweise nur in sehr kleinen Mengen und fressen die neuen Nahrungsmittel separat und niemals zusammen. Indem sie diese Kostproben klein und separat halten,
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können sie lernen, was sie krank macht und so eine potentiell tödliche Dosis von Giftstoffen vermeiden. Frisst eine Ratte sowohl bekannte wie auch neue Nahrung und wird daraufhin krank, so meidet sie später nur die neue Nahrung. Sie scheint „anzunehmen“, dass die bekannte Nahrung sicher ist und die unbekannte die Krankheit verursacht hat. Ratten verfügen also über komplizierte Mechanismen, um die Adaptationsprobleme der Nahrungsauswahl zu lösen. Die adaptiven Lösungen eines anderen Allesfressers, des Menschen, sind nicht weniger umfangreich.
Nahrungsauswahl beim Menschen Weltweit geben die Menschen mehr Geld für Essen aus als für alles andere. Menschen in westlichen Ländern wie Deutschland und den Vereinigten Staaten geben 21 Prozent ihres Einkommens für Essen aus, was nur von Ausgaben für Freizeitbeschäftigungen übertroffen wird (Rozin, 1996). In weniger reichen Ländern wie Indien und China werden 50 Prozent des Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben. Weltweit nimmt das Essen den Mittelpunkt in Eltern-Säugling-Interaktionen ein und nichts mag für das Überleben wichtiger sein als zu wissen, was man essen bzw. was man vermeiden sollte (Rozin, 1996). Das Teilen von Speisen ist für Menschen eine wichtige soziale Aktivität. In einigen Gesellschaften wie den Kwakiutl an der Nordwestküste Nordamerikas veranstalten reiche Männer einen „Potlatch“ für die Gruppe, bei dem sich alle stundenlang an Speisen und Getränken laben und der Status eines Mannes über die Großzügigkeit des Festessens beurteilt wird (Piddocke, 1965; Vayda, 1961). Andere Kulturen wie die !Kung San aus Botswana haben spezielle Wörter für verschiedene Arten von Hunger wie „hungrig nach Fleisch“ (Shostak, 1981). Das Teilen von Nahrung ist auch eine Strategie der Brautwerbung, ein Zeichen der Innigkeit von Partnerschaften und eine Möglichkeit, sich nach einem Streit wieder zu versöhnen (Buss, 1994). In Amerika gehören zu Familienfeiertagen wie Erntedank normalerweise üppige Festmahle, bei denen Truthahn, Füllung, Preiselbeeren und Kürbiskuchen von allen geteilt werden. Fischer erzählen Geschichten über die von ihnen gefangenen Fische, Bauern über den Wuchs ihres Gemüses, Jäger über ihre Fähigkeiten, Großwild zu erlegen. Ein Mann, der daran scheitert, für Nahrung zu sorgen, kann seinen Status in der Gruppe verlieren (Hill & Hurtado, 1996; Holmberg, 1950). Zudem ist es in Kulturen wie den Ganda- und ThongaStämmen in Zentralafrika und bei den Ashanti der Küstenregion in Nigeria nicht ungewöhnlich, dass Frauen sich von Männern, die daran scheitern für Nahrung zu sorgen, scheiden lassen (Betzig, 1989). Selbst Mythen und Religionen sind voll von Geschichten über Essen und Trinken: Adam und Eva, die den Apfel essen; Jesus, der Wasser in Wein verwandelt und drei kleine Fische und zwei Gerstenbrotlaibe vervielfacht, um die Massen zu speisen sowie das Verbot, Schweinefleisch zu essen. Essen und alles, was damit zusammenhängt, findet sich in häufig verwendeten Metaphern wieder. Wir finden Geschichten „schwer zu schlucken“, Prosa „schwierig zu verdauen“, einen Glücksfall „süß“, ein gutes Buch „pikant“ und Enttäuschungen „bitter“ (Lakoff & Johnson, 1980). Kurz gesagt spielt Essen täglich in zentrale psychologische Bereiche wie verbalen Diskurs, soziale Interaktion und unsere religiösen Ansichten hinein.
Kapitel 3 Kampf gegen die feindlichen Kräfte der Natur
Nahrungsknappheit gehört für viele Arten zu den wichtigsten „feindlichen Kräften der Natur“. Beim Menschen hat das Teilen der Nahrung neben dem Zuführen von Nährstoffen auch Funktionen wie Brautwerbung und Festigung sozialer Bindungen.
Menschen haben Mechanismen entwickelt, um natürliche Giftstoffe zu bekämpfen. Es ist nicht zufällig, wenn etwas schrecklich oder bitter schmeckt. Würgen, Spucken und Übergeben sind Reaktionen, die uns davon abhalten, gefährliche Dinge zu essen, oder die uns dazu bringen, solche wieder auszuspucken, die es über unsere Geschmacks- und Geruchsbarrieren geschafft haben. Die Tatsache, dass viele Kinder Gemüse wie Brokkoli und Rosenkohl nicht mögen, ist nicht zufällig. Diese Gemüse enthalten die Chemikalie Allylisothiocyanat, die vor allem bei Kindern giftig sein kann (Nesse & Williams, 1994). In einer kulturübergreifenden Studie wurden Amerikaner und Japaner gebeten, die Dinge schriftlich aufzulisten, die sie als am widerlichsten empfanden. Fäkalien und andere Körperausscheidungen kommen mit 25 Prozent am häufigsten in den gegebenen Antworten vor (Rozin, 1996). Es ist bekannt, dass Fäkalien gefährlich für Menschen sind, da sie eine Brutstätte für schädliche Parasiten und Giftstoffe sind. Schließlich sind Fäkalien das, was der Körper ausscheidet. Andere Antworten waren: schlechte Hygiene (mögliche Krankheitsübertragung), äußere Verletzungen wie offene Wunden, körperliche Gewalt gegen Frauen und der Tod. Rozin (1996) interpretierte diese kulturübergreifenden Daten als eine universale menschliche Abscheu davor, daran erinnert zu werden, dass Menschen Gemeinsamkeiten mit Tieren haben. Es scheint plausibel, dass Menschen eine Neigung entwickelt haben, von bestimmten Dingen, die ihr Überleben gefährden, angewidert zu sein. Danach dient die Ekelreaktion als Schutz des Körpers vor Kontaktaufnahme oder Verzehr von Stoffen, die schädlich für seine Gesundheit und sein Überleben sind. Wir können hierbei nicht beurteilen, ob Rozins (1996) Erklärung oder die Erklärung der Adaptationisten (oder eine andere Erklärung) geeignet ist, um die Natur von Ekelreaktionen aufzuklären, da Ekel bisher kaum erforscht wurde. Rozin (1996) weist darauf hin, dass unter den acht führenden Lehrbüchern zur Einführung in die Psychologie mit einem durchschnittlichen Umfang von jeweils 668 Seiten, der durchschnittliche Seitenumfang zum Thema, was und warum Menschen essen, weniger als eine halbe Seite beträgt. Wir freuen uns daher auf weitere Forschungen, um die Natur der menschlichen Adaptationen in Bezug auf Nahrungsauswahl und -Ablehnung zu klären.
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Warum Menschen Gewürze mögen: Die antimikrobielle Hypothese Menschen müssen essen, aber ironischerweise kann Essen lebensgefährlich sein. Wenn Dinge dem Körper von außerhalb zugeführt und verdaut werden, können gefährliche Mikroorganismen und krank machende oder tödliche Giftstoffe aufgenommen werden. Diese Gefahren lauern in allem, was wir essen, und die meisten von uns kennen ihre Auswirkungen, wie „Bauchweh haben“ oder sich wegen einer „Lebensmittelvergiftung“ übergeben. In unserer zivilisierten Umwelt können wir viele dieser Gefahren auf ein Minimum reduzieren. Aber stellen wir uns die Zeit unserer Vorfahren vor, ohne Kühlschränke und künstliche Konservierungsstoffe, als Nahrung knapp und Hygiene unbekannt war. Eine Möglichkeit, vielen dieser Gefahren zu begegnen, ist das Kochen, da dadurch die meisten Mikroorganismen abgetötet werden. Tatsächlich ist Kochen, das die kontrollierte Verwendung von Feuer voraussetzt, seit mindestens 300.000 Jahren und möglicherweise seit 1,6 Millionen Jahren bekannt (Wrangham et al., 1999). Eine weitere Möglichkeit, die vor kurzem von Paul Sherman und seinen Kollegen vorgetragen wurde, ist die Verwendung von Gewürzen (Billing & Sherman, 1998; Sherman & Flaxman, 2001). Gewürze können aus Blumen, Wurzeln, Samen, Sträuchern und Früchten gewonnen werden. Sie verströmen einzigartige Gerüche und haben dank ihrer chemischen „Sekundärverbindungen“ einen spezifischen Geschmack. Diese Verbindungen dienen den Pflanzen normalerweise als Abwehrmechanismen gegen Makroorganismen (Pflanzenfresser) und Mikroorganismen (Krankheitserreger). Die Verwendung von Gewürzpflanzen blickt auf eine lange schriftlich dokumentierte Geschichte, die tausende von Jahren zurückreicht. Entdecker wie Marco Polo und Christoph Columbus gingen auf ihrer Suche nach edlen Gewürzvorkommen in fremden Ländern große Risiken ein. In modernen Kochbüchern findet man kaum Rezepte ohne Gewürze. Warum sind Menschen so sehr an Gewürzen und ihrer Verwendung in Speisen interessiert? Nach der antimikrobiellen Hypothese töten oder hemmen Gewürze das Wachstum von Mikroorganismen, verhindern die Bildung von Giftstoffen in der Nahrung und helfen den Menschen so bei der Lösung eines wichtigen Überlebensproblems, nämlich Erkrankungen oder Vergiftungen durch Nahrungsverzehr (Sherman & Flaxman, 2001). Diese Hypothese wird durch mehrere Belege gestützt. Zum ersten töteten alle der dreißig Gewürze, über die fundierte Daten vorliegen, viele der sich in Nahrungsmitteln entwickelnden Bakterien, auf die sie getestet wurden. Wollen Sie einmal wissen, welche Gewürze am besten Bakterien abtöten? Es sind Zwiebeln, Knoblauch, Piment und Oregano. Jedes dieser vier Gewürze tötete jede Bakterienart ab, auf die es im Labor untersucht wurde. Zweitens werden in heißeren Klimazonen, in denen ungekühlte Speisen schneller verderben und somit die rasche Vermehrung gefährlicher Mikroorganismen gefördert wird, mehr und stärkere Gewürze verwendet. In Indien werden beispielsweise viele Fleischgerichte mit neun Gewürzen zubereitet, während im kühleren Klima Norwegens im Durchschnitt weniger als zwei Gewürze in Fleischgerichten verwendet werden. Drittens werden in Fleischgerichten normalerweise mehr Gewürze verwendet als im Gemüse (Sherman &
Kapitel 3 Kampf gegen die feindlichen Kräfte der Natur
Hash, 2001). Dies liegt vermutlich daran, dass gefährliche Mikroorganismen sich auf ungekühltem Fleisch vermehren; hingegen verfügen Pflanzen über eigene physikalische und chemische Verteidigungsmechanismen und sind so besser gegen Bakterien geschützt. Lebensmittelvergiftung bakteriellen Ursprungs tritt häufiger in Japan auf (29 von 100.000), einem Land, in dem wenig Gewürze verwendet werden, als in Korea (3 von 100.000), wo viele und mehr antimikrobielle Gewürze verwendet werden. Die traditionellen japanischen Rezepte stammen wahrscheinlich aus einer Zeit, als frische Meeresfrüchte aus dem Meer zur Verfügung standen; heute werden diese importiert und die Bakterien haben mehr Zeit sich zu vermehren. Die Verwendung von Gewürzen ist eine Möglichkeit, uns gegen die in der Nahrung enthaltenen Gefahren zu wehren. Die Vertreter der antimikrobiellen Hypothese nehmen nicht an, dass Menschen über eine speziell entwickelte Adaptation für die Verwendung von Gewürzen verfügen, auch wenn sie diese Möglichkeit nicht ganz ausschließen. Es ist eher wahrscheinlich, dass die Verwendung von Gewürzen zufällig entdeckt wurde. Menschen stellten fest, dass sie seltener krank wurden, wenn sie mit aromatischen Gewürzen kochten. Die Verwendung antimikrobieller Gewürze verbreitete sich durch kulturelle Übertragung wie Nachahmung oder verbale Unterweisung. Die kulturelle Verbreitung der gesunden Verwendung von Gewürzen könnte „horizontal“, durch die Kommunikation mit Freunden und Nachbarn, oder „vertikal“, durch die Kommunikation mit den gesünderen Kindern derjenigen, die Gewürze verwendeten, stattgefunden haben.
Warum Menschen gerne Alkohol trinken: ein evolutionärer Kater? Primaten ernähren sich seit mindestens 24 Millionen Jahren von Früchten. Tatsächlich sind die meisten Primaten, zu denen Schimpansen, Orang-Utans und Gibbons gehören, Frugivoren, d.h. Früchte stellen den Hauptbestandteil ihrer Ernährung dar. Die bevorzugten reifen Früchte enthalten hohe Zucker- und Äthanolmengen. Die durch die Früchte verströmten „Äthanolaromen“ können Hinweise auf deren Reifegrad geben. Primaten und auch Menschen haben so seit Millionen von Jahren geringe Äthanolmengen durch reife Früchte konsumiert. Die Menschen leben heute jedoch in einer Welt, die weit von diesem niedrigen Wert des Äthanolkonsums entfernt ist. Die Äthanolwerte in Früchten betragen normalerweise nur 0,6 Prozent (Dudley, 2002). Basierend auf einer Reihe von plausiblen Annahmen könnte der Verzehr von Früchten zu einem Blutäthanolgehalt von 0,01 Prozent geführt haben. Dieser Wert liegt weit unter der legalen Definition von Trunkenheit, bei der der Wert bei 0,08% liegt. Unsere Vorfahren hatten keine Bierfässer, Weinflaschen oder Flachmänner mit Whiskey, die hoch konzentrierte Alkoholmengen enthalten. Nach der FrugivorenNebenprodukts-Hypothese ist die Vorliebe für Alkohol keine Adaptation, sondern eher ein Nebenprodukt der Vorliebe für reife Früchte (Dudley, 2002). Das heißt, alle Menschen haben Appetitmechanismen entwickelt, die den Verzehr reifer Früchte bevorzugen, und diese können in der modernen Welt künstlicher Getränke mit hohem Alkoholgehalt leicht außer Kontrolle geraten. Alkoholismus könnte daher ein gestörtes adaptives Nebenprodukt
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des übermäßigen Genusses von Früchten sein. Wenn Sie also das nächste Mal nach einem alkoholischen Getränk greifen, denken Sie an Ihre Primaten-Vorfahren und deren Version einer Party – unter einem Baum zu sitzen und reife, leckere Früchte zu essen.
Übelkeit bei schwangeren Frauen: Die Embryonenschutz-Hypothese In den ersten drei Monaten der Schwangerschaft entwickeln manche Frauen eine erhöhte Sensibilität und Übelkeit verursachende Reaktionen auf bestimmte Nahrungsmittel, die gemeinhin als Morgenübelkeit bekannt ist. Der Prozentsatz der Frauen, die von solchen Reaktionen berichten, reicht von 75 Prozent (Brandes, 1967) bis 89 Prozent (Tierson, Olsen & Hook, 1986). 55 Prozent der Frauen berichten von Erbrechen. Profet (1992) argumentiert, dass diese Zahlen die Häufigkeit von Schwangerschaftsübelkeit aus zwei Gründen unterschätzen. Erstens wurden die Interviews mit den Frauen nach dem Höhepunkt der Morgenübelkeit durchgeführt und erfassen daher nur Beispiele, die aus den letzten Wochen oder Monaten noch im Gedächtnis sind. Zweitens definieren die Studien Schwangerschaftsübelkeit als das Auftreten von Übelkeit oder Erbrechen und versäumen Aversionen gegen bestimmte Nahrungsmittel mit einzubeziehen. Nach Ansicht von Profet würden fast 100 Prozent der Frauen während der ersten drei Schwangerschaftsmonate von Übelkeit berichten, wenn Aversionen gegen Nahrungsmittel dazuzählen würden. Frauen, die unter Morgenübelkeit leiden, suchen oft Heilmittel zur Linderung der Beschwerden – von Hausmitteln bis zur Verschreibung von Medikamenten durch den Hausarzt. Obwohl die Bezeichnung „Krankheit“ impliziert, dass die Gesundheit nicht in Ordnung ist, deuten neue Befunde auf das Gegenteil hin. Nach Hook (1976) hat auch Profet Schwangerschaftsübelkeit als eine Adaptation propagiert, die Mütter daran hindert, Teratogene, Giftstoffe, die dem Embryo schaden könnten, aufzunehmen und zu absorbieren. Wie oben beschrieben, produzieren viele Pflanzen zu ihrem Schutz Giftstoffe. Diese Giftstoffe treten in verschiedensten Pflanzen auf, darunter viele, die wir regelmäßig verzehren, wie Äpfel, Bananen, Kartoffeln, Orangen und Stangensellerie. Schwarzer Pfeffer, mit dem wir unser Essen würzen, enthält Sarole, die sowohl karzinogen (krebserzeugend) als auch mutagen (Mutationen auslösend) sind. Menschen und insbesondere Schwangere sind mit dem Problem konfrontiert, wie wertvolle Nährstoffe von Pflanzen aufgenommen werden können, ohne gleichzeitig deren Giftstoffe aufzunehmen. Pflanzen und die Tiere, die diese Pflanzen konsumieren, scheinen sich gemeinsam entwickelt zu haben (Profet, 1992). Pflanzen zeigen ihre Giftigkeit durch Chemikalien an. Gemüse wie Kohl, Blumenkohl, Brokkoli und Rosenkohl erhalten ihren Geschmack durch Allylisothiocyanat. Rhabarberblätter enthalten Oxalate (Nesse & Williams, 1994). Menschen empfinden diese Chemikalien als bitter und unangenehm, eine Adaptation, die ihnen hilft diese Giftstoffe zu vermeiden. Gleichzeitig helfen die Chemikalien der Pflanze, indem Tiere abgehalten werden, sie zu fressen. Zu den spezifischen Nahrungsmitteln, die schwangere Frauen als unangenehm empfinden, gehören Kaffee (129 Frauen aus einer Stichprobe von 400), Fleisch (124), Alkohol
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(79) und Gemüse (44). Im Gegensatz dazu berichteten nur drei Frauen von Aversionen gegen Brot und keine gegen Getreide (Tierson et al., 1985). Eine weitere Studie mit einhundert Frauen, die ihre erste Schwangerschaft erlebten, kam zu ähnlichen Ergebnissen (Dickens & Threthowan, 1971). Von diesen beschrieben 32 Probanden Abneigungen gegen Kaffee, Tee und Kakao; 18 gegen Gemüse und 16 nannten Fleisch und Eier. Vielen wurde vom Geruch frittierter oder gegrillter, Karzinogene enthaltender Speisen übel und einige wurden vom Geruch verdorbenen Fleisches fast ohnmächtig. Schwangere Frauen die diese Nahrungsmittel konsumieren, gegen die sie Abneigungen verspüren, erbrechen häufiger. Erbrechen hindert die Giftstoffe daran, in den Blutkreislauf der Mutter und so über die Plazenta zum Fötus zu gelangen (Profet, 1992). Verschiedene Belege stützen Profets Hypothese, dass Schwangerschaftsübelkeit eine Adaptation ist, um die Aufnahme von Teratogenen zu vermeiden. Erstens korrespondieren die Nahrungsmittel, die Frauen Ekel erregend finden, mit denen, die die höchsten Giftmengen enthalten. Fleisch beispielsweise enthält aufgrund des Zersetzungsprozesses oft Pilze und Bakterien und schwangere Frauen scheinen im ersten Trimester der Schwangerschaft einen speziellen Fleischvermeidungsmechanismus entwickelt zu haben (Fessler, 2002). Gemüse wie Kohl, Blumenkohl und Rosenkohl enthält karzinogene Allylisothiocyanate (Buttery, Guadagni, Ling, Seifert & Lipton, 1976). Zweitens findet die Schwangerschaftsübelkeit genau zu der Zeit statt, in der der Fötus am anfälligsten für Giftstoffe ist, nämlich etwa zwei bis vier Wochen nach der Empfängnis, eine Zeit, in der sich viele Organe ausbilden. Drittens nimmt die Schwangerschaftsübelkeit um die achte Woche wieder ab und verschwindet normalerweise bis zur vierzehnten Woche, was mit dem Ende der Zeitspanne zusammenfällt, in der sich die Organe entwickeln. Vielleicht das aussagekräftigste Argument ist der Erfolg der Schwangerschaft selbst. Frauen, die während des ersten Trimesters nicht unter Übelkeit leiden, haben etwa dreimal so häufig eine plötzliche Fehlgeburt wie Frauen, die an Übelkeit leiden (Profet, 1992). In einer Studie, an der 3.853 schwangere Frauen teilnahmen, hatten nur 3,8 Prozent der Frauen, die an Übelkeit litten, eine plötzliche Fehlgeburt, während 10,4 Prozent der Frauen, die nicht an Übelkeit litten, eine plötzliche Fehlgeburt hatten (Yerushalmy & Milkovich, 1965). Frauen, die an Übelkeit leiden, scheinen eher erfolgreiche Schwangerschaften zu haben und bis zum Ende auszutragen. Somit scheint es eine Adaptation zu sein, die Frauen davon abhält Nahrung zu sich zu nehmen, die den Fötus schädigen könnte. Von Adaptationen wird erwartet, dass sie universal sind, daher sind kulturübergreifende Daten entscheidend. Auch wenn die Schwangerschaftsübelkeit in anderen Kulturen noch nicht untersucht wurde, finden sich in ethnografischen Aufzeichnungen Belege ihrer Existenz bei den !Kung in Botswana, den Efe-Pygmäen in Zaire und den australischen Aboriginies. Die Mutter einer !Kung-Frau, Nisa, berichtete, warum sie annehme, dass Nisa schwanger sei: „Wenn du dich so übergibst, bedeutet das, dass du etwas Kleines in deinem Bauch trägst.“ (Shostak, 1981, S. 187). In einer neueren Studie, die 27 traditionelle Gesellschaften umfasste, wurde Übelkeit während der Schwangerschaft in 20 Gesellschaften beobachtet und in sieben nicht beobachtet. In den 20 Gesellschaften, in denen Morgenübelkeit beobachtet wurde, wurde mehr Fleisch oder andere Tierprodukte konsumiert, die normalerweise einen höheren Anteil an Krankheitserregern und Parasiten
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als Pflanzen enthalten (Fessler, 2002; Flaxman & Sherman, 2000). Um die Embryonenschutz-Hypothese zu testen, ist es notwendig, umfangreichere kulturübergreifende Forschungen durchzuführen (siehe Pike, 2000, der diese Hypothese bei einer Stichprobe an 68 schwangeren Turkana-Frauen in Kenia nicht stützen konnte). Profets Analyse über Übelkeit in der Schwangerschaft hebt einen der Vorteile der Forschung über Adaptationen hervor. Ein Phänomen, das bisher als Krankheit gesehen und in der eine Funktionsstörung gesehen wurde, die es zu vermieden galt, scheint ein Mechanismus zu sein, der entwickelt wurde, um die feindlichen Kräfte der Natur zu bekämpfen – in diesem Fall solche, die das Überleben des noch ungeborenen Kindes gefährden.
Die Jagd-Hypothese Nicht nur, dass es an sich aufschlussreich ist, die Geschmacksvorlieben des Menschen zu kennen – ein weiterer Grund, weshalb die Nahrungsmittelbeschaffung aus evolutionärer Sicht wichtig ist, besteht darin, dass die Methoden, die unsere Vorfahren dafür verwendeten, mit dem schnellen Auftauchen des modernen Menschen in Verbindung gebracht werden. Die Bedeutung der Jagd in der menschlichen Evolution ist eine der Hauptkontroversen in der Anthropologie und der Evolutionspsychologie. Eine weit verbreitete Ansicht ist das Modell vom „Mann als Jäger“ (Tooby & DeVore, 1987). Danach lieferte der Übergang vom Suchen nach Nahrung zur Jagd auf Großwild einen wichtigen Impuls für die menschliche Evolution, der mit weit reichenden Konsequenzen verbunden war. Dazu gehören die Verbreitung der Herstellung von Werkzeugen, ihre Verwendung, die Entwicklung eines großen Gehirns und komplexer Sprachfertigkeit, die für die Kommunikation auf gemeinsamen Jagden notwendig war. Alle bekannten menschlichen Gruppen konsumieren weit mehr Fleisch als andere Primatenarten. Bei Schimpansen beispielsweise macht Fleisch nur vier Prozent ihrer Nahrung aus. Beim Menschen beläuft sich der Anteil von Fleisch in der Ernährung auf 20 bis 40 Prozent und steigt in der kalten Jahreszeit und während der Jagdsaison auf bis zu 90 Prozent. Selbst die niedrigsten Einschätzungen der Fleischmenge in der menschlichen Ernährung sind bei weitem höher als die höchste Schätzung für eine der 247 Primatenarten. Zudem ist es für Menschen außerordentlich schwierig, alle notwendigen Nährstoffe wie Cyanocobalamin (Vitamin B12) aus einer rein vegetarischen Diät zu erhalten (Tooby & DeVore, 1987). Daher wird angenommen, dass Fleisch seit tausenden von Generationen ein Hauptbestandteil der menschlichen Ernährung ist. In Stammesgesellschaften unserer Zeit stellt die Jagd oftmals die wichtigste Art der Nahrungsbeschaffung dar. Die Aka-Pygmäen beispielsweise, die in den tropischen Regenwäldern der Zentralafrikanischen Republik beheimatet sind, verbringen etwa 56 Prozent ihres Lebens mit der Jagd, 27 Prozent mit Sammeln und 17 Prozent mit der Zubereitung von Nahrung (siehe Hewlett, 1991). Die !Kung in Botswana sind ausgezeichnete Jäger und widmen der Jagd und Gesprächen über die Jagd viel Zeit. Im Durchschnitt deckt die Jagd 40 Prozent der Kalorien der !Kung, aber dieser Anteil kann in einer schlechten Saison auf unter 20 Prozent fallen und während einer erfolgreichen Jagdsaison auf über 90 Prozent steigen (Lee, 1979).
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Die Großwildjagd erfordert Kooperation und Kommunikation zwischen mehreren Jägern. Nach der Jagd-Hypothese war die Großwildjagd die treibende Kraft für die menschliche Evolution mit Auswirkungen auf die Herstellung und Verwendung von Werkzeugen, die Sprache und die Vergrößerung des Gehirns.
Die Männer der !Kung sind unterschiedlich stark in ihren Jagdfähigkeiten, aber Prahlerei ist verpönt. Sie verfügen über eine interessante Strategie, um das Teilen und die Kooperation zu fördern: Sie sagen, „der Besitzer des Pfeils ist der Besitzer des Fleisches“ (Lee, 1979, S. 247), selbst wenn der Besitzer des Pfeils nicht derjenige ist, der das Tier geschossen hat. Die Pfeile werden oft untereinander ausgetauscht, was die Kooperation verstärkt und die Verantwortung für die Beute verteilt. Der Besitzer des Pfeils ist für die Aufteilung des Fleisches verantwortlich, das gemeinsam – oft mit der Familie und Freunden des Mannes – geteilt wird. Geiz bei der Verteilung der Beute führt zu einem schnellen Abstieg in Prestige und Status. Unsere Körper sind Archive, in denen die lange Geschichte des Fleischverzehrs gespeichert ist (Milton, 1999). Vergleichen wir den Darm eines Affen mit dem eines Menschen. Der Darm eines Affen besteht hauptsächlich aus dem Dickdarm, einer großen, sich windenden Röhre, die sich zur Verdauung einer vegetarischen, von groben Fasern durchsetzten Diät eignet. Der menschliche Darm dagegen wird durch den Dünndarm dominiert, der uns von anderen Primaten unterscheidet. In diesem werden Proteine aufgebrochen und Nährstoffe absorbiert, was nahe legt, dass Menschen auf eine lange Evolutionsgeschichte zurückblicken, in der sie proteinreiche Nahrung wie Fleisch zu sich genommen haben. Die fossilen Funde der Zähne unserer Vorfahren liefern einen weiteren Hinweis auf deren Ernährungsgewohnheiten. Die dünne Zahnschmelzschicht auf den Fossilien zeigt nicht
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die Abnutzungserscheinungen, die bei einer hauptsächlich aus faserigen Pflanzen bestehenden Ernährung vorkommen. Hinweise auf Vitamine liefern einen dritten Hinweis. Der menschliche Körper kann kein Vitamin A und B12 produzieren, obwohl diese für das Überleben absolut notwendig sind. Genau diese zwei Vitamine sind in Fleisch vorhanden. Ein vierter Hinweis liegt in Knochen, die von Richard Potts, Pat Shipman und Henry Bunn im Sommer 1979 unabhängig voneinander in der Olduvai-Schlucht in Tansania, Afrika, gefunden wurden (Leaky & Lewin, 1992). Viele der schätzungsweise fast zwei Millionen Jahre alten Knochen wiesen Schnittmarkierungen auf, Belege dafür, dass unsere Vorfahren Metzger waren. All diese Hinweise deuten auf eine lange evolutionäre Geschichte hin, in der Fleisch einen wichtigen Bestandteil in den Ernährungsgewohnheiten unserer Vorfahren bildete. Die Versorgungs-Hypothese. Befürworter der Jagd-Hypothese argumentieren, dass sie viele ungewöhnliche Eigenheiten der menschlichen Evolution erklären kann (Tobby & DeVore, 1987). Am wichtigsten ist vielleicht, dass sie die Tatsache erklären kann, dass im Vergleich zu anderen Primaten beim Menschen die Männer außergewöhnlich viel in ihre Kinder investieren. Dies wurde als die Versorgungs-Hypothese bezeichnet. Da Fleisch ein effzientes und konzentriertes Nahrungsmittel ist, kann es einfach nach Hause transportiert werden, um dort die Nachkommen zu versorgen. Dagegen ist es weniger effizient, kalorienarme Nahrung über lange Entfernungen zu transportieren. Die Jagd liefert daher eine plausible Erklärung für das Aufkommen der starken Investition und Versorgung, die Männer ihren Kindern zukommen lassen. Tatsächlich kommt die starke männliche Investition bei nicht fleischfressenden Säugetieren sehr selten vor (Tooby & DeVore, 1987).
Obwohl die Versorgung oft als adaptive Erklärung für die Entwicklung der Jagd genannt wird, kann die Jagd-Hypothese auch andere Aspekte erklären, die den Menschen charakterisieren. Eine ist das Auftreten starker männlicher Koalitionen, die weltweit zu beobachten sind (Tooby & DeVore, 1987). Die Tatsache, dass Männer Koalitionen bilden, die durch langfristige Kooperationen charakterisiert sind, ist erklärungsbedürftig, und Jagen liefert eine mögliche Erklärung (Schimpansen bilden ebenfalls männliche Koalitionen, aber diese tendieren dazu eher kurzlebig und opportunistisch zu sein; siehe de Waal, 1982). Die Großwildjagd erfordert die koordinierte Zusammenarbeit von Individuen. Einzelne Individuen sind selten erfolgreich darin, ein großes Tier zu erlegen. Die plausibelsten Alternativen zur Jagd als Hypothese für das Auftreten männlicher Koalitionen sind Aggression und Verteidigung gegenüber anderen Gruppen sowie politische Allianzen innerhalb der Gruppe – Aktivitäten, die ebenfalls starker Koalitionen bedürfen (Tooby & DeVore, 1987). Die Jagd erklärt auch das Entstehen starker reziproker Altruismen und des sozialen Austausches. Menschen scheinen unter den Primaten die einzigen zu sein, die reziproke Partnerschaften eingehen, die viele Jahre, Jahrzehnte oder gar ein Leben lang anhalten (Tooby & DeVore, 1987). Ein großes Beutetier liefert normalerweise mehr Fleisch als ein einziger Jäger verzehren kann. Zudem ist der Jagderfolg sehr unterschiedlich. Ein Jäger, der in einer Woche erfolgreich ist, kann in der nächsten Woche erfolglos sein (Hill & Hurtado, 1996). Dies fördert das Teilen der Beute. Der Jäger zahlt einen niedrigen Preis dafür, das
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Fleisch, das er nicht sofort essen kann, anderen zu geben, da er nicht alles selbst konsumieren kann und die Reste schon bald verderben. Die Vorteile dagegen können sehr groß sein, wenn die Empfänger des Fleisches diese Gunst zu einem späteren Zeitpunkt erwidern. Auf diese Weise können Jäger das überschüssige Fleisch in den Körpern ihrer Freunde und Nachbarn „lagern“ (Pinker, 1997). Die Jagd kann daher helfen, den sozialen Austausch, der den modernen Menschen auszeichnet, zu erklären. Jagen liefert auch eine schlüssige Erklärung für die sexuelle Arbeitsteilung. Durch die Größe, die Stärke ihrer Oberkörper und die Fähigkeit, Projektile zielgerichtet über lange Entfernungen zu werfen sind Männer gut zum Jagen geeignet (Watson, 2001). Unsere weiblichen Vorfahren, die meist mit Schwangerschaft und Kindern beschäftigt waren, eigneten sich für die Jagd weit weniger. Bei den modernen Jägern und Sammlern ist die Arbeitsteilung streng geregelt: Die Männer jagen und die Frauen sammeln und nehmen dabei oft ihre Kinder mit. Die Geschlechter können die Nahrung untereinander austauschen: Fleisch, das die Männer von der Jagd mitbringen, und Pflanzen, die von Frauen gesammelt wurden. Somit liefert die Jagd auch eine plausible Erklärung für die den modernen Menschen charakterisierende Arbeitsteilung (Tooby & DeVore, 1987). Schließlich liefert die Jagd auch eine Erklärung für das Auftauchen von Steinwerkzeugen. Diese werden regelmäßig an den gleichen Orten gefunden wie die Knochen großer Tiere – an Fundstätten, die bis zu zwei Millionen Jahre zurückdatiert werden können (Klein, 2000). Die Hauptfunktion von Steinwerkzeugen war wohl das Töten der Beute und das Trennen des wertvollen Fleisches von den Knochen und Knorpeln. Das Jagen liefert somit eine Erklärung für das Auftauchen und die Verbesserung der Steinwerkzeuge, die unsere Vorfahren charakterisieren. Während oft angenommen wird, dass die Versorgung von Frauen und Kindern die wichtigste Erklärung für die Ursprünge der Jagd sei, kann die Jagd-Hypothese viele weitere Phänomene erklären. Zusätzlich zur starken männlichen Investition in die Kinder kann sie zumindest ansatzweise das Auftauchen starker Koalitionen unter Männern, wechselseitige Allianzen und sozialen Austausch unter Freunden, die sexuelle Arbeitsteilung und die Entwicklung von Steinwerkzeugen erklären. Die „Showoff-Hypothese“: Der Statuswettstreit unter Männern. Jagen liefert Res-
sourcen, die auf zwei Arten einzigartig sind. Erstens kommt das Fleisch in großen Mengen vor, manchmal mehr als der Jäger und seine Familie konsumieren können. Zweitens sind diese Mengen nicht vorhersehbar. Der erfolgreichen Erbeutung von zwei Tieren in einer Woche kann eine lange Zeit erfolglosen Jagens folgen (Hawkes, O’Connell & Blurton Jones, 2001 a, b). Aus diesen Gründen war es sinnvoll, die Beute über die eigene Familie hinaus zu verteilen und diese periodischen „Festessen“ waren jedem in der Gemeinschaft bekannt (Hawkes, 1991). Diese Überlegungen führten die Anthropologin Kristen Hawkes zur Showoff-Hypothese (Hawkes, 1991). Hawkes argumentiert, dass Frauen Nachbarn bevorzugten, die gerne protzten – Männer, die auf seltene, aber wertvolle Fleischbeute aus waren – da sie ebenfalls davon profitierten und einen Teil abbekamen. Wenn Frauen, besonders in Zeiten der Knappheit, von diesen Geschenken profitierten, war es zu ihrem Vorteil, die Männer zu belohnen, die die Showoff-Strategie verfolgten. Sie könnten diesen Jägern eine bevor-
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zugte Behandlung zukommen lassen, z.B. sich bei Streitigkeiten auf ihre Seite schlagen, Gesundheitsfürsorge für deren Kinder übernehmen und, vielleicht am wichtigsten, ihnen sexuelle Gefälligkeiten anbieten. Männer, die die riskante Jagdstrategie verfolgten, würden daher auf unterschiedliche Weise profitieren. Indem sie einen erhöhten sexuellen Zugang zu Frauen erhielten, vergrößerten sich ihre Chancen, mehr Kinder zu zeugen. Die bevorzugte Behandlung ihrer Kinder durch Nachbarn verbesserte deren Überlebenschancen und deren reproduktive Möglichkeiten. Somit wären die Nachteile für Männer, die diese Strategie verfolgten, nicht sehr hoch. Obwohl die Großwildjagd Risiken beinhaltet, die nicht zu vernachlässigen sind, ist die Beute größer, als der Jäger und seine Familie konsumieren können und somit leiden sie nicht, wenn sie das Fleisch großzügig mit anderen teilen. Die Showoff-Hypothese wird durch verschiedene Belege unterstützt, die vor allem von Studien über die Ache, einer eingeborenen Bevölkerung im Osten Paraguays, stammen (Hill & Hurtado, 1996; Hill & Kaplan, 1988). Historisch gesehen sind die Ache Nomaden und haben zur Sicherstellung von Nahrung sowohl gejagt als auch gesammelt. Die Anthropologen Kim Hill und Hillard Kaplan lebten mehrere Jahre lang mit den Ache und verwendeten Daten, die zwischen 1980 und 1985 bei der Nahrungssuche im Wald erhoben wurden. Auf der Suche nach Nahrung bewegen sich die Ache in kleinen Gruppen und ziehen fast täglich zu einem neuen Lagerplatz. An einem typischen Tag verlassen die Ache den Lagerplatz früh am Morgen in Reih und Glied, schwärmen aber schon bald systematisch aus. Die Männer jagen Wild oder suchen Honig. Bei der Jagd lassen sie einen Abstand zwischen sich, so dass sie sich nicht gegenseitig in den Weg kommen, bleiben aber nahe genug zusammen, damit sie sich rufen können, wenn sie Hilfe benötigen. Während die gesammelte Nahrung bei den Ache vor allem durch den Sammler und seine eigene Familie konsumiert wird, wird die Jagdbeute innerhalb der Gruppe verteilt. Der Jäger selbst erhält dabei manchmal weniger Fleisch als andere außerhalb der Kernfamilie (Kaplan, Hill & Hurtado, 1984). Hawkes (1991) fand heraus, dass 84 Prozent der Ressourcen, die von Männern herbeigeschafft wurden, außerhalb der Familie aufgeteilt wurden. Im Gegensatz dazu wurden nur 58 Prozent der von den Frauen gesammelten Nahrung außerhalb der eigenen Familie aufgeteilt. Dies bezieht sich auch auf die angesammelte Nahrung. Im Vergleich zu den Frauen suchen die Männer der Ache eher nach in großen Mengen vorkommender Nahrung wie Honig, die aufgeteilt werden kann, als nach Palmstärke oder Virella (Hawkes, 1991). Neuere Belege zugunsten der Showoff-Hypothese kommen von den Hazda, die in der Savanne Tansanias in Afrika leben (Hawkes et al., 2001a, 2001b). Bei den Hazda ist die Jagd Aufgabe der Männer und sie verbringen jeden Tag etwa vier Stunden auf der Jagd nach Wild. Wie bei den Ache wird die Beute verteilt. Weder die Jäger noch ihre Familien erhalten mehr Fleisch als andere in der Gruppe. Das ist ein Ergebnis, das die reine Form der Versorgungs-Hypothese in Frage stellt. Erfolgreiche Jäger der Hazda gewinnen jedoch an sozialem Status – Prestige, das sich in starken sozialen Allianzen niederschlägt – sowie dem Respekt anderer Männer und einem größeren Erfolg bei der Paarung. Die Showoff-Hypothese kann zumindest in ihrer reinen Form als Konkurrenz zur Versorgungs-Hypothese angesehen werden. Hawkes argumentiert, dass Männer nicht zur Jagd
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gingen um für ihre Familien zu sorgen, sondern eher um Statusvorteile zu erhalten, wenn sie die Beute mit ihren Nachbarn teilten. Die Tatsache, dass erfolgreiche Jäger der Ache durch erhöhten sexuellen Zugang und bessere Überlebenschancen ihrer Kinder belohnt wurden, unterstützt die Showoff-Hypothese. Kristen Hawkes fasst es folgendermaßen zusammen: „Männer wählen riskante Bemühungen nicht trotz, sondern weil das Glücksspiel ihnen die Möglichkeit gibt, durch ihr Aufschneiden Gefälligkeiten zu erhalten.“ (1991, S. 51). Nichtsdestoweniger sind die beiden Hypothesen nicht unvereinbar. Männer gingen zur Jagd, um für ihre Familien zu sorgen und um von Status, Sex und Allianzen außerhalb ihrer Familien zu profitieren. Neue Erkenntnisse von den Kung-Buschmännern in Botswana und Namibia unterstützen die Vermutung, dass für erfolgreiche Jäger all diese Vorteile zusammenkommen (Weissner, 2002). Zusammenfasssend liefert die Jagd-Hypothese eine Erklärung für eine große Bandbreite von Phänomenen, die den Menschen, nicht aber die anderen Primaten kennzeichnen. Sie liefert eine plausible Erklärung für die starke väterliche Investition, die Bildung männlicher Koalitionen, das ausgedehnte Niveau der Reziprozität und des sozialen Austausches, die sexuelle Arbeitsteilung unter den Geschlechtern und die Verwendung von Steinwerkzeugen. Trotz dieser Argumente wurde die Jagd-Hypothese aus verschiedenen Gründen angegriffen. Es stellte sich beispielsweise heraus, dass selbst in Jäger-und-SammlerGesellschaften die meisten Kalorien durch Sammeln zusammenkommen. In diesen Gesellschaften stellen die durch die Jagd erhaltenen Kalorien nur 20 bis 40 Prozent (Lee, 1979; Tooby & DeVore 1987). Dies führt zu der alternativen Erkenntnis, dass in der menschlichen Evolution das Sammeln am wichtigsten und das Jagen belanglos war.
Die Sammler-Hypothese Im Gegensatz zu der Ansicht, dass Männer durch die Jagd den evolutionären Impuls für die Entstehung des modernen Menschen gegeben haben, existiert die andere Meinung, dass Frauen durch Sammeln diesen Impuls geliefert haben (Tanner, 1983; Tanner & Zihlmann, 1976; Zihlmann, 1981). Nach dieser Hypothese wurden Steinwerkzeuge nicht für die Jagd entwickelt und benutzt, sondern um verschiedene Pflanzen auszugraben und zu sammeln. Die Sammler-Hypothese würde den Übergang von Wäldern zu Savannen, von Waldland zu Grasland erklären, da die Verwendung von Werkzeugen die Sicherung der gesammelten Nahrung möglich und wirtschaftlicher machte (Tanner, 1983). Nach der Erfindung von Steinwerkzeugen, die dem Sammeln dienten, kam die Erfindung von Behältnissen, um die Nahrung aufzunehmen, und die Verbesserung der Werkzeuge für die Jagd, das Abhäuten und das Schlachten von Tieren. Nach der Sammler-Hypothese war es die Sicherung der Pflanzennahrung durch die Verwendung von Steinwerkzeugen, die den evolutionären Impuls für die Entwicklung des modernen Menschen gab. Nach dieser Ansicht kam die Jagd viel später auf und spielte bei der Entwicklung des modernen Menschen keine Rolle. Die Sammler-Hypothese liefert ein nützliches Korrektiv zu der ausschließlichen Konzentration auf die männliche Jagd in der Evolution des Menschen und erklärt, warum sich die Nahrung unserer Primaten-Verwandten und somit unserer prähominiden Vorfahren haupt-
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sächlich aus Pflanzen zusammensetzte. Sie würde auch erklären, warum etwa 50 bis 80 Prozent der Nahrung moderner Jäger-und-Sammler-Gesellschaften aus gesammelten Pflanzen besteht. Schließlich wirft sie ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass alle Mitglieder einer Population – Männer wie Frauen – ihren Beitrag zur Evolution leisten und die Frauen als wichtige Akteure in der Evolution oft übersehen wurden (Hrdy, 1999). Weltweit verbringen Frauen viel Zeit damit, sich um die Zubereitung des Essens und die Kinder zu kümmern (z.B. Hrdy, 1999; Hurtado, Hill, Kaplan & Hurtado, 1992; Shjostak, 1981). Diese zwei Aktivitäten stehen oftmals im Konflikt miteinander. Das Sammeln in subtropischen Wäldern beispielsweise stellt für Kinder und Säuglinge oft ein Risiko dar. Die Kinder der Ache riskieren, von Ameisen, Bienen, Wespen, Schlangen, Spinnen, giftigen Käfern, Stechfliegen und Zecken gebissen und gestochen zu werden (Hurtado et al., 1992). Die Kinder werden von Dornen und Brennnesseln verletzt, während die Mütter durch die Sträucher streifen. Es ist daher nicht überraschend, dass Mütter mit kleineren und mit vielen Kindern weniger Zeit mit dem Sammeln verbringen als Frauen mit älteren Kindern oder Frauen, die nicht mehr im gebärfähigen Alter sind (Hurtado et al., 1992; Lee, 1979). Indem sie weniger sammeln, verzichten Frauen mit kleinen Kindern für die bessere Versorgung ihrer Kinder auf einige Kalorien. Wie viel Zeit eine Frau mit der Nahrungssuche verbringt, ist davon abhängig, wie groß der Jagderfolg ihres Mannes ist. Frauen mit Männern, die sie gut versorgen, verbringen weniger Zeit auf der Suche nach Nahrung als Frauen, die weniger gut versorgt werden (Hurtado et al., 1992). Frauen scheinen ihr Verhalten den sich ändernden Bedingungen anzupassen und sammeln mehr, um den durch einen schlechten Versorger hervorgerufenen Mangel auszugleichen, und weniger, um zu vermeiden, dass ihre Kinder den Gefahren der Umwelt ausgesetzt werden.
Vergleich der Jagd- und Sammler-Hypothese Trotz der Wichtigkeit des Sammelns wird die Sammler-Hypothese von jenen kritisiert, die der Meinung sind, dass sie den eigenen Weg der Menschen in der Abstammung von den Primaten nicht erfolgreich erklären kann (siehe Tooby & DeVore, 1987). Weltweit gehen Männer auf die Jagd. Wenn Sammeln die einzige oder produktivste Art der Nahrungsbeschaffung wäre, warum würden Männer dann nicht einfach sammeln gehen und aufhören, ihre Zeit beim Jagen zu verschwenden? Die Sammler-Hypothese erklärt auch nicht die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die bei einer Vielzahl von Kulturen beobachtet wird, und in der Männer jagen und Frauen sammeln. Im Gegensatz dazu kann die Jagd-Hypothese die Arbeitsteilung erklären. Sie erklärt, warum Frauen nicht regelmäßig auf die Jagd gehen, da sie mit Schwangerschaften und abhängigen Kindern beschäftigt sind, was die Jagd zu einem beschwerlichen, riskanten und weniger erfolgreichen Unternehmen machte. Somit ist die Jagd für Männer effektiver als für Frauen. Zudem erlaubt die Arbeitsteilung, dass beide Ressourcen – Tiere und Pflanzen – genutzt werden.
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In fast jeder traditionellen Gesellschaft stellt der Anteil der durch Sammeln gesicherten Nahrungsmittel den Großteil der Kalorien, die von allen Mitgliedern der Gruppe verzehrt werden. Nach der Sammler-Hypothese ist das Sammeln der Ursprung für die Herstellung und Verwendung von Steinwerkzeugen und somit die treibende Kraft für die Evolution des modernen Menschen.
Ein weiteres Problem der Sammler-Hypothese besteht darin, dass das Sammeln von Pflanzen auch bei den großen Affen bekannt ist. Werkzeuge würden das Sammeln natürlich effektiver machen, aber die Steigerung scheint nicht stark genug zu sein, um die massiven Veränderungen zu erklären, die sich beim Übergang zum modernen Menschen ereigneten. Ebenso wenig kann die Sammler-Hypothese die starke väterliche Investition erklären. Sie erklärt auch nicht das Entstehen starker Männerkoalitionen und sie erläutert nicht, warum Menschen Landstriche besiedelten, die keine Pflanzenressourcen aufwiesen. Die Eskimos leben fast ausschließlich von Tierfleisch und Fett. Die Sammler-Hypothese kann auch nicht erklären, warum die menschliche Struktur des Darmes mit seinem großen Dünndarm im Gegensatz zu dem der Pflanzen fressenden Primaten auf die Verdauung von Fleisch spezialisiert zu sein scheint (Milton, 1999). Die Sammler-Hypothese kann auch nicht erklären, warum Menschen starke, ausgedehnte, wechselseitige Allianzen eingehen, die Jahrzehnte andauern können. Sie hat weiter Schwierigkeiten zu erklären, warum Frauen ihre Nahrung mit Männern teilen sollten, die Schmarotzer wären und von der Arbeit der Frauen leben würden, es sei denn, sie würden ihnen ihrerseits etwas geben wie beispielsweise Fleisch (siehe Wrangham et al., 1999, die argumentieren, dass die Männer die von den Frauen gesammelte Nahrung stahlen). Ein Austausch der gesammelten Früchte und Wurzeln gegen Fleisch wiederum würde erklären, warum Frauen bereit waren, mit den Männern das von ihnen gesammelte und verarbeitete Essen zu teilen.
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass über viele Millionen Jahre in der Geschichte der Primaten und der Menschen die Frauen Pflanzen gesammelt haben. Steinwerkzeuge machten das Sammeln ohne Frage effizienter und das Sammeln spielte im gegenseitigen Wechselspiel der Geschlechter fraglos eine Schlüsselrolle. Aber die Sammler-Hypothese ist nicht in der Lage verschiedene Tatsachen zu erklären: die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, das Auftauchen der väterlichen Investition und die Unterschiede zwischen Menschen und Affen. Fleisch war für die menschliche Evolution sicher von Bedeutung. Aber vielleicht haben wir nicht immer gejagt. Vielleicht haben wir die Beute anderer Raubtiere genutzt. Dies ist die Basis einer dritten Hypothese, wie Nahrung beschafft wurde: die Aasfresser-Hypothese.
Die Aasfresser-Hypothese Die Aasfresser-Hypothese argumentiert, dass zumindest ein Teil des Fleisches, das unsere Vorfahren verzehrten, von Kadavern stammte, die von anderen Tieren getötet wurden (Isaac, 1978; Shipman,1985). Vielleicht waren die Steinwerkzeuge, die man bei Tierknochen fand, dazu bestimmt, die Überreste der Kadaver zu bearbeiten und nicht frisch erlegte Beute. Untersuchen wir, was für diese Hypothese spricht. Zusätzlich zu den Schnittmarkierungen zeigten viele der Knochen, die im „Knochenlager“ der Olduvai-Schlucht in Afrika gefunden wurden, Nage- und Bissmarkierungen, die nahe legen, dass andere Tiere sich an den Knochen (und dem daran hängenden Fleisch) gütlich taten. Stammten die Knochen also von Tieren, die von unseren Vorfahren erlegt wurden oder lebten unsere Vorfahren von den Beuteresten anderer Raubtiere? Leider sind die Befunde nicht eindeutig. Manchmal fanden sich die Bissstellen über den Schnittstellen, was vermuten lässt, dass Menschen das Tier erlegten und die Überreste anderen Tieren überließen. Aber manchmal befanden sich die Schnitte auch über den Nagemarkierungen, woraus geschlossen werden kann, dass unsere Vorfahren aus der Beute anderer Fleischfresser Kapital schlugen. Von allen Knochen, die beide Arten von Markierungen aufwiesen, hatten etwa die Hälfte die Schnittmarkierungen über den Nagemarkierungen, die andere Hälfte die Nagemarkierungen über den Schnitten (Leakey & Lewin, 1992). Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Menschen sowohl Aasfresser als auch Jäger waren. Tatsächlich finden wir in der Natur nur wenige reine Raubtiere (Geparden sind eine Ausnahme) und wenige reine Aasfresser (Geier sind eine Ausnahme). Die meisten Fleisch fressenden Tiere sind sowohl Aasfresser als auch Jäger. Vielleicht waren auch unsere Vorfahren beides. Nichtsdestotrotz lässt auch die Aasfresser-Hypothese viele Fragen offen, zumindest in ihrer Annahme, dass Aas für unsere Vorfahren die wichtigste Fleischquelle darstellte (Tooby & DeVore, 1987). Zum ersten sind Erbeutungen innerhalb geografischer Reichweiten durch große Raubtiere selten. Die Menschen hätten große Entfernungen zurücklegen müssen, um genug Aas für sich und ihre Familien zu finden. Zum zweiten hing das
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Ergattern von Aas davon ab, was das tötende Raubtier übrig ließ. Dies hätte bedeutet, dass unsere Vorfahren noch größere Strecken zurücklegen mussten, um genug Fleisch zu finden. Ein drittes Problem ist die Tatsache, dass die Menschen mit Dutzenden anderer Lebewesen um die wenigen Überreste kämpfen mussten: Insekten, Geiern, Mikroorganismen, anderen Fleisch fressenden Säugetieren und vielleicht sogar dem zur Beute zurückkehrenden Raubtier (Tooby & DeVore, 1987, S. 221). Die meisten Aas fressenden Säugetiere sind auch Raubtiere und somit hätten unsere Vorfahren auch mit ihnen konkurrieren müssen. Dieser Wettbewerb um die Überreste hätte die Erbeutung von Kadavern für unsere Vorfahren recht gefährlich gemacht. Viertens verdirbt Fleisch sehr schnell, Mikroorganismen und Maden vermehren sich schnell und machen das Fleisch für den menschlichen Verzehr gefährlich. Primaten fressen nur selten Kadaver, die sie nicht selbst erlegt haben (DeVore & Hall, 1965; Strum, 1981). Zudem leben auch moderne Stammesgesellschaften nur selten von Aas, obwohl viele der Parasiten durch Kochen neutralisiert werden können (Tooby & DeVore, 1987). Kurz gesagt weist die Aasfresser-Hypothese schwer wiegende Ungereimtheiten auf. Gelegentlich haben unsere Vorfahren sich sicher von Aas ernährt, aber diese Ernährungsform reicht nicht an die Bedeutung der Jagd als wichtigste Art der Nahrungsbeschaffung heran. Die Kontroverse geht weiter und eine Argumentationslinie führt dahin, dass es bei unseren Vorfahren kein einzelnes Muster der Nahrungsbeschaffung gab. Vielmehr läuft die Vielfalt der Möglichkeiten, Nahrung zu beschaffen - wie Sammeln, der Verzehr von Aas, Jagen und Fischen - jeder singulären Darstellung unserer Vorfahren zuwider. Diese Debatten werden oft von Ideologien geprägt und ideologisch gefärbte Anschuldigungen richten sich oft gegen alle konkurrierenden Theorien. Einige argumentieren, die Ansicht vom „Mann als Jäger“ glorifiziere den Mann zu sehr und erfüllt diese von Männern dominierte Aktivität mit mehr Bedeutung als das von Frauen dominierte Sammeln – und würde somit das Patriarchat unterstützen oder die Ansicht der männlichen Dominanz und Überlegenheit untermauern. Andere argumentieren, dass diejenigen, die für die Sammler-Hypothese eintreten, ebenfalls voreingenommen sind und versuchen, den Beitrag der Frauen in Bezug auf die für das Überleben notwendige Nahrung zu glorifizieren. Man muss die Ideologie aus vielen der Aussagen aussieben, um ein vernünftiges Gespür für die Bedeutung, die Jagen und Sammeln (und gelegentlicher Verzehr von Aas) in der Evolutionsgeschichte der Menschen hatte, zu bekommen. Auch wenn die Kontroverse fortgeführt wird, lässt sich zusammenfassend sagen, dass eine Einigung darüber besteht, dass unsere Vorfahren Allesfresser waren und sowohl Fleisch als auch Pflanzen wichtige Bestandteile ihrer Ernährung waren. Das Vorherrschen von männlichen Jägern und weiblichen Sammlern in traditionellen Gesellschaften liefert, auch wenn es keine definitiven Beweise gibt, einen weiteren Hinweis dafür, dass beide Arten der Nahrungsbeschaffung für den Menschen typisch sind.
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Adaptationen zum Sammeln und Jagen: Geschlechtsunterschiede in spezifischen räumlichen Fähigkeiten Wenn Frauen sich auf das Sammeln und Männer auf das Jagen spezialisiert haben, könnte man erwarten, dass beide kognitive Fähigkeiten aufweisen, die diese Aktivitäten unterstützen. Irwin Silverman und seine Kollegen haben eine Jäger-Sammler-Theorie über räumliche Fähigkeiten entwickelt, die zu bemerkenswerten empirischen Ergebnissen führte (Silverman, Choi, Mackewn, Fisher, Moro & Olshanky, 2000; Silverman & Eals, 1992). Nach dieser Theorie weisen Männer überlegene Fähigkeiten bei räumlichen Aufgaben auf, die eine erfolgreiche Jagd vereinfacht haben könnten: Das Aufspüren und Erlegen von Tieren ist mit anderen räumlichen Aufgaben verbunden als das Suchen nach essbaren Pflanzen. Adaptationen haben daher im Lauf der Evolutionsgeschichte unterschiedliche räumliche Fähigkeiten bei den Geschlechtern begünstigt ... die Fähigkeit, sich in Bezug auf Gegenstände und Orte, in Sichtweite oder über große Entfernungen zu orientieren und mentale Transformationen durchzuführen, die erforderlich sind, um eine genaue Orientierung während des Durchstreifens von Territorien beizubehalten. Dies ermöglicht die Verfolgung von Beutetieren über unbekanntes Gelände sowie die akkurate Platzierung von Projektilen, um die Beute zu töten oder zu betäuben (Silverman & Eals, 1992, S. 514-515). Da die Jagd die Männer oftmals weit von der Heimatbasis wegführte, wurden durch die Selektion Jäger bevorzugt, die den Rückweg fanden, ohne sich zu verirren. Das Finden und Sammeln essbarer Nüsse, Beeren, Früchte und Knollen erforderte laut Silverman andere räumliche Fähigkeiten, nämlich: ... das Erkennen und Erinnern räumlicher Konfigurationen von Gegenständen; d.h. die Kapazität die Anordnungen und räumlichen Beziehungen der Objekte zueinander schnell zu lernen und sich daran zu erinnern. Der Erfolg bei der Suche nach Nahrung würde auch durch periphere Wahrnehmungen und die zufällige Erinnerung an Gegenstände und ihre Lage verbessert werden (Silverman & Eals, 1992, S. 489). Zusammenfassend sagt die Theorie aus, dass Frauen über ein besseres „Gedächtnis für Standorte von Objekten“ als eine Adaptation an das Sammeln verfügen, Männer hingegen über bessere Navigationsfähigkeiten wie Karten lesen und die Art mentaler Rotationen, derer es bedarf, um ein Tier mit einem Speer zu erlegen. Die Ergebnisse vieler Studien bestätigten mittlerweile diese Geschlechtsunterschiede in räumlichen Aufgaben. Frauen übertreffen Männer bei räumlichen Aufgaben, in denen es um ein Gedächtnis für Standorte und Anordnung von Objekten wie denen in Abbildung 3.1 geht (Silverman & Philips, 1998). Männer dagegen übertreffen Frauen in räumlichen Aufgaben, die die mentale Rotation von Gegenständen und die Navigation durch unbekanntes Gelände erfordern. In einer Studie wurden die Teilnehmer auf einer sich schlängelnden Strecke durch ein bewaldetes Gelände geführt und gebeten, an verschiedenen
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Orten anzuhalten und auf den Ausgangspunkt zu deuten. Sie wurden dann gebeten, den Untersuchungsleiter auf dem schnellsten Weg zurückzuführen. Männer schnitten bei dieser Aufgabe besser ab als Frauen. Männer übertrafen Frauen auch in Aufgaben zu mentaler Rotation, beispielsweise sich vorzustellen, wie ein Gegenstand aus einem anderen Blickwinkel aussehen würde. Schließlich tendieren Frauen dazu, sich bei Richtungsangaben mehr auf markante Punkte wie Bäume und spezifische Gegenstände zu beziehen, während Männer abstraktere und euklidische Richtungsangaben wie „Norden“ und „Süden“ verwenden (Dabbs, Chang, Strong & Milun, 1998). Zusammengenommen unterstützen all diese Befunde die Schlussfolgerung, dass Männer und Frauen unterschiedliche räumliche Spezialisierungen entwickelt haben: eine, die das effektive Sammeln vereinfacht, und eine, die effektives Jagen begünstigt. Die Ergebnisse legen auch die Schlussfolgerung nahe, dass das kognitive System eine Anzahl spezialisierter informationsverarbeitender Mechanismen enthält, die zur Lösung verschiedener Adaptationsprobleme entwickelt wurden.
Abbildung 3.1: Die Stimulus-Anordnung für Tests des Gedächtnisses bezüglich Objekten und Standorten Frauen tendieren dazu, in Tests zum Gedächtnis von Standorten besser abzuschneiden als Männer – ein Geschlechtsunterschied, von dem angenommen wird, dass er eine Adaptation an das Sammeln darstellt. Quelle: The Adapted Mind: Evolutionary Psychology and the Generation of Culture, herausgegeben von Jerome H. Barkow, Lea Cosmides, and John Tooby. Copyright ¤ 1992 by Oxford University Press, Inc.
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Einen Platz zum Leben finden: Lager- und Landschaftsvorlieben
Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Zelt unterwegs (Orians & Heerwagen, 1992). Sie wachen morgens mit leerem Magen auf und müssen Wasser lassen. Während Sie Ihrem Bedürfnis nachgehen, brennt Ihnen die Sonne auf den Kopf, Durst trocknet Ihre Kehle aus und Sie wissen den nahe gelegenen Bach mit seinem klaren, kalten Wasser zu schätzen. Es ist jedoch an der Zeit, sich auf den Weg zu machen. Sie packen Ihre Sachen zusammen und sehen sich um. In welche Richtung möchten Sie aufbrechen? Einige schöne Aussichtspunkte sind zu erwarten, vielleicht ein Bach mit Trinkwasser, an dem man fischen kann, üppige Vegetation und ein sicherer Platz, um ein Lager aufzuschlagen. Aber es lauern auch Gefahren wie wilde Tiere, steile Klippen und die vom Himmel brennende Sonne. Stellen Sie sich nun vor, der Campingtrip dauert nicht ein paar Tage oder Wochen, sondern Ihr ganzes Leben lang! So erging es unseren Vorfahren, die durch die Savannen Afrikas zogen und nach Lagerplätzen Ausschau hielten. Der Preis, den man für einen schlechten Platz zum Leben zahlen muss, wie beispielsweise geringe Nahrungsressourcen und Verletzbarkeit durch feindliche Kräfte, ist hoch. Umgekehrt sind viele Vorteile mit der Wahl eines guten Platzes verbunden. So kann man sich leicht vorstellen, dass die Selektion in uns Adaptationen entwickelte, die uns halfen, gute Entscheidungen bezüglich der Frage, wo man sein Lager aufschlagen sollte, zu treffen. Diese Hypothese wurde von Evolutionspsychologen untersucht (Kaplan, 1992; Orians & Heerwagen, 1992).
Die Savannen-Hypothese Der Biologe Orians (1980, 1986) ist ein Verfechter der Savannen-Hypothese. Nach dieser Hypothese hat uns die Selektion bei der Entdeckung und Besiedelung von Landstrichen mit Vorlieben, Motivationen und Entscheidungsregeln ausgestattet, nach denen solche bevorzugt werden, die reich an Ressourcen sind, und solche gemieden werden, denen es an Ressourcen mangelt und die Risiken darstellen. Die Savanne Afrikas, von der allgemein angenommen wird, dass hier der Ursprung der Menschen liegt, erfüllt all diese Erfordernisse. Die Savanne beherbergt große Tiere, zu denen auch viele Primaten wie die Paviane und Schimpansen gehören. Sie bietet mehr Wild als tropische Wälder, mehr Vegetation für Weideland und weite Ausblicke, die dem nomadischen Lebensstil dienlich sind (Orians & Heerwagen, 1992). Bäume schützen die sensible Haut der Menschen vor der starken Sonne und bieten Schutz bei Gefahr. Untersuchungen über Landschaftsvorlieben unterstützen die Savannen-Hypothese. In einer Studie werteten Teilnehmer aus Australien, Argentinien und den Vereinigten Staaten Fotografien von Bäumen in Kenia aus, die von dem Biologen Gordon Orians aufgenommen wurden. Jede Fotografie konzentrierte sich auf einen einzigen Baum und die Bilder wurden unter gleichen Bedingungen wie ähnlichem Tageslicht und gleichen
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Wetterbedingungen aufgenommen. Die für die Studie ausgewählten Bäume unterschieden sich auf vier Arten: nach der Form und der Dichte der Baumkrone, der Höhe des Baumstammes und dem Verzweigungsmuster. Die Teilnehmer aus den drei Kulturen waren alle ähnlicher Meinung. Sie zeigten eine starke Vorliebe für in der Savanne vorkommende Bäume, die eine einigermaßen dichte Baumkrone aufweisen und deren Stämme sich nahe am Boden in Äste teilen. Die Teilnehmer tendierten dazu, kärgliche und dichte Baumkronen abzulehnen (Orians & Heerwagen, 1992). Eine ganze Reihe von Befunden unterstützt die Schlussfolgerung, dass natürliche Lebensräume den von Menschen geschaffenen durchweg vorgezogen werden (Kaplan & Kaplan, 1982). Eine Studie (Kaplan, 1992) fasst die Ergebnisse von 30 unterschiedlichen Studien zusammen, in denen die Teilnehmer Farbfotografien oder Dias auf einer 5-Punkte-Skala bewerteten. Die Studien unterschieden sich stark und behandelten Landschaften aus Westaustralien, Ägypten, Korea, British Columbia und den Vereinigten Staaten. Zu den Teilnehmern gehörten Studenten und Teenager aus Korea und Australien. Auf Basis dieser Studien wird klar, dass natürliche Lebensräume den von Menschen geschaffenen durchweg vorgezogen werden und wenn die letzteren Bäume und andere Vegetation aufwiesen, wurden sie positiver bewertet als ähnliche Landschaften ohne Bäume oder Vegetation (Ulrich, 1983). Menschen, die einer stressvollen Situation ausgesetzt sind, zeigen weniger physiologische Qual, wenn sie Dias mit Landschaften betrachten (Ulrich, 1986). Diese Ergebnisse mögen nicht überraschend sein, aber sie unterstützen die Ansicht, dass Menschen Vorlieben entwickelt haben, die zumindest bei mehreren Kulturen übereinstimmen, und dass unterschiedliche Landschaften tief gehende Auswirkungen auf unsere psychischen und physiologischen Zustände haben können. In einer weiter ausgearbeiteten Version der Savannen-Hypothese schlagen Orians und Heerwagen drei Phasen bei der Auswahl des Lebensraumes vor. Phase 1 ist die Selektion. Wenn man das erste Mal auf einen neuen Lebensraum oder eine Landschaft trifft, muss man sich entscheiden, ob man diese erkunden oder verlassen will. Diese anfänglichen Reaktionen sind äußerst affektiv oder emotional. Offene Gegenden, die keinerlei Schutz bieten, werden wieder verlassen. Geschlossene Kronendächer in Wäldern, die die Sicht und Bewegung einschränken, werden ebenfalls verlassen. Ist die anfängliche Reaktion in der Selektionsphase positiv, beginnt Phase 2, in der Informationen gesammelt werden. In dieser Phase wird die Umgebung auf Ressourcen und mögliche Gefahren hin erkundet. In einer Studie wurde festgestellt, dass Menschen in dieser Phase eine Vorliebe für Geheimnisse haben (Kaplan, 1992). Sie tendieren dazu, eine Vorliebe für Wege zu entwickeln, die sich um eine Kurve winden, bis sie außer Sicht sind, oder Hügel, die verbergen, was hinter ihnen liegt. Die nähere Prüfung beinhaltet auch eine Beurteilung der Gefahren. Das Vielversprechende hinter der Wegbiegung könnte sich genauso gut als Schlange oder Löwe herausstellen. Daher enthält das Erkunden des Raumes zu diesem Zeitpunkt auch die Suche nach Plätzen zum Verstecken, nach Zufluchtsorten für sich selbst und seine Familie. Mehrere Verstecke bieten eine freie Sicht aus verschiedenen Perspektiven und mehrere Fluchtwege, sollte dies notwendig werden.
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Phase 3 ist die Nutzung und beinhaltet die Entscheidung, ob man lange genug in einem Lebensraum bleibt, um von den Ressourcen profitieren zu können. Diese Entscheidung erfordert Abwägungen – ein Standort, der Nahrung bietet, kann von Raubtieren bevölkert sein (Orians & Heerwagen, 1992). Eine steile Klippe, die gute Möglichkeiten der Beobachtung bietet, kann das Risiko beinhalten, tief zu fallen. Daher erfordert die endgültige Entscheidung, ob man lange genug bleiben kann, um die Vorteile des Lebensraumes zu nutzen, komplexe kognitive Überlegungen.
Die Menschen ziehen savannenähnliche Um-gebungen vor, die Aussichten (Ressourcen) und Schutz (Verstecke) bieten.
Eine weitere Überlegung betrifft den Zeitrahmen der Entscheidungen (Orians & Heerwagen, 1992). Diese zeitliche Dimension bedeutet sofortige, vorübergehende Zustände so einzuschätzen, dass sie zur Vorhersage von Ereignissen über mehrere Jahre führen. Wettervoraussagen sind dafür entscheidend. Donner und Blitz signalisieren die Notwendigkeit sofort Schutz zu suchen. Menschen haben ein schlechtes Sehvermögen bei Nacht und müssen daher bei Einbruch der Dunkelheit Schutz finden. Die länger werdenden Schatten und die sich rot färbende Sonne, die sich dem Horizont nähert, können zur Wahl eines kurzfristigen Lagerplatzes führen. Der Wechsel der Jahreszeiten vom Winter zum Frühjahr oder vom Herbst zum Winter betrifft längere Zeiträume. Jahreszeitlich bedingte Veränderungen bringen neue Informationen mit sich, die neu eingeschätzt werden müssen. Das Frühjahr bringt knospende Vegetation und verspricht reife Früchte. Der Herbst färbt die Vegetation braun und signalisiert den bevorstehenden Winter. Nach der Savannen-Hypothese zeigen Menschen starke Präferenzen für Anzeichen der Ernte, das Grün des Grases, die knospenden Bäume, das Reifen von Früchten auf Sträuchern. Kahle Äste und braunes Gras sind weniger angenehm. Orians und Heerwagen bemerkten „Es mag für viele von uns, die wir das ganze Jahr eine große Auswahl an Früchten und Gemüse in unseren Supermärkten vorfinden, unvorstellbar sein, die Bedeutung zu verstehen, die die ersten Salatblätter der Saison für die Menschen im Verlauf der Menschheitsgeschichte hatten.“ (1992, S. 569). Obwohl Blumen normalerweise nicht gegessen werden, werden sie universell geliebt. Sie signalisieren das Wachsen von Grüngemüse und Früchten, die es während des Winters nicht gab. Das Mitbringen von Blumen bei Krankenbesuchen hat eine Funktion: Studien zeigen, dass die bloße Anwesenheit von Blumen in einem Krankenzimmer die Genesung verbessert und die Kranken in einen positiveren psychischen Zustand versetzt (Watson & Burlingame, 1960).
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Obwohl die Untersuchungen der Savannen-Hypothese erst begonnen haben und viele der Kernaussagen und Vorhersagen noch empirisch überprüft werden müssen, sind die bisherigen Ergebnisse recht viel versprechend. Bedenkt man die große Bedeutung für das Überleben, die mit der Auswahl eines Ortes verbunden ist – von provisorischen Lagerplätzen bis zu dauerhaften Häusern – wäre es erstaunlich, wenn die Evolution unsere umgebungsbedingten Vorlieben unberührt gelassen hätte. Die Selektion hat unsere Vorlieben für bestimmte Landschaften geprägt. Obwohl wir in einer modernen Welt leben, weit entfernt von der Ebene der Savanne, verändern wir unsere Umgebungen, so dass sie dem Lebensraum unserer Vorfahren entsprechen. Menschen entwerfen Baustile, die das Leben unter einer Baumkrone imitieren. Wir lieben Aussichten und hassen es, im Keller zu leben. Wir erholen uns schneller von Krankenhausaufenthalten, wenn wir außerhalb des Fensters Bäume sehen können (Ulrich, 1984). Wir malen Bilder und schießen Fotos, die den freien Blick und die Geheimnisse der Savanne, in der wir einst lebten, wiederherstellen (Appleton, 1975).
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Kampf gegen Raubtiere und andere Umweltgefahren: Ängste, Phobien und „evolutionäres Gedächtnis“
Alle Menschen erleben Ängste, die Gefahr signalisieren. Die adaptiven Gründe für menschliche Ängste scheinen offensichtlich zu sein: Sie veranlassen uns zu der Auseinandersetzung mit dem Ursprung der Angst und besitzen somit eine Überlebensfunktion. Dies ist allgemein anerkannt und wurde in einem kürzlich erschienen Buch erörtert: „The Gift of Fear: Survival Signals that Protect Us from Violence“ (Das Geschenk der Angst: Überlebenssignale, die uns vor Gewalt schützen), das sich wochenlang auf der New York Times-Bestseller-Liste hielt (De Becker, 1997). Die wichtigste Botschaft des Buches ist eine Ermahnung an die Leser, auf die intuitive Natur der Gefahr zu hören, da sie der wichtigste Anhaltspunkt ist, um Gefahren zu vermeiden. Der Psychologe Isaac Marks (1987) drückte die evolutionäre Funktion von Angst wie folgt aus: Angst ist ein lebenswichtiges evolutionäres Vermächtnis, das einen Organismus leitet, Bedrohung zu vermeiden. Sie hat offensichtlichen Überlebenswert und ist eine Emotion, die bei der Wahrnehmung gegenwärtiger oder drohender Gefahr auftritt und in angemessenen Situationen normal ist. Ohne Angst würden unter natürlichen Bedingungen nur wenige lange überleben. Angst bereitet unsere Muskulatur im Angesicht der Gefahr auf schnelle Aktionen vor und befähigt uns, in Stresssituationen angemessen zu handeln. Sie hilft uns, Feinde zu bekämpfen, vorsichtig zu fahren, sicher mit dem Fallschirm zu springen, Prüfungen zu schreiben, gut vor einer kritischen Zuhörerschaft zu sprechen, beim Klettern einen sicheren Stand zu halten (S. 3).
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Angst kann als „unangenehmes Gefühl, das als normale Reaktion auf reale Gefahr entsteht“ definiert werden (Marks, 1987, S. 5). Ängste unterscheiden sich von Phobien, die in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Gefahr stehen, die außerhalb der willkürlichen Kontrolle sind und die zur Vermeidung der gefürchteten Situation führen. Vor kurzem haben Evolutionspsychologen begonnen, ausführliche Theorien über die Evolution von Ängsten und Phobien zu entwickeln. Marks (1987) skizziert vier Reaktionen, die durch Angst ausgelöst werden und Schutz bieten können: 1. Erstarren oder unbeweglich werden: Diese Reaktion hilft bei der wachsamen Einschätzung einer Situation, sich vor einem Raubtier zu verbergen und verhindert manchmal einen aggressiven Angriff. Wenn man nicht sicher ist, ob man schon gesehen wurde, oder nicht feststellen kann, wo das Raubtier lauert, kann Erstarren besser sein als wild um sich zu schlagen oder wegzulaufen. 2. Flucht oder Vermeidung: Diese Reaktion distanziert den Organismus von bestimmten Gefahren. Wenn man beispielsweise auf eine Schlange trifft, kann Weglaufen die leichteste und sicherste Art sein, einen Biss zu vermeiden. 3. Aggressive Verteidigung: Einen bedrohlichen Feind anzugreifen oder zu schlagen, kann die Gefahr neutralisieren und den Feind vernichten oder in die Flucht schlagen. Diese Art des Schutzes erfordert eine Einschätzung, ob der Angreifer erfolgreich bezwungen oder abgewehrt werden kann. Eine Spinne kann leichter zerquetscht werden als ein hungriger Bär. 4. Unterwerfung oder Beschwichtigung: Diese Reaktion funktioniert vor allem, wenn die Gefahr von einem Mitglied der eigenen Art ausgeht. Unter Schimpansen verhindert die unterwürfige Begrüßung des Alpha-Männchens einen physischen Angriff. Das Gleiche kann auch für Menschen zutreffen. Zusätzlich zu diesen Verhaltensmustern verursacht Angst auch eine vorhersagbare Reihe evolutionsbedingter physiologischer Reaktionen (Marks & Nesse, 1994). Durch Angst wird beispielsweise Adrenalin freigesetzt, das auf bestimmte Rezeptoren im Blut wirkt, die die Blutgerinnung unterstützen, sollte man sich eine Wunde zuziehen. Adrenalin bewirkt eine Glukosefreisetzung in der Leber, um Energie in den Muskeln für den Kampf oder die Flucht freizusetzen. Die Herzfrequenz erhöht sich, wodurch der Blutfluss und die Blutzirkulation erhöht werden. Der Fluss des Blutes wird vom Magen zu den Muskeln umgeleitet. Wenn Sie einem hungrigen Löwen gegenüberstehen kann die Verdauung warten! Man beginnt schneller zu atmen, gar zu hyperventilieren, was wiederum die Sauerstoffversorgung der Muskeln erhöht und das Ausatmen von Kohlendioxid beschleunigt.
Die häufigsten menschlichen Ängste Tabelle 3.1 zeigt eine Liste der häufigsten Untergruppen von Ängsten sowie die Adaptationsprobleme für die sie entwickelt worden sein könnten (Nesse, 1990, S. 271). Charles Darwin sagte treffend eine wichtige Strömung in der Psychologie vorher, die mehr als ein
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Jahrhundert später auch tatsächlich auftauchte, als er erklärte: „Können wir nicht annehmen, dass die ... Ängste von Kindern, die noch recht unabhängig von Erfahrungen sind, die vererbten Auswirkungen tatsächlicher Gefahren ... während der wilden Zeit unserer Vorfahren sind?“ (Darwin, 1877, S. 285-294). Eine große Reihe von Befunden deutet darauf hin, dass es für Menschen wahrscheinlicher ist, Ängste vor Gefahren zu entwickeln, die in den Lebensräumen unserer Vorfahren gegenwärtig waren, es aber weniger wahrscheinlich ist, Ängste vor Gefahren unseres gegenwärtigen Lebens zu entwickeln. Schlangen beispielsweise stellen in Großstädten kaum ein Problem dar, wohl aber Fahrzeuge. Ängste vor Autos, Steckdosen und Zigaretten sind praktisch unbekannt, da dies neuartige Gefahren sind und die Selektion für diese noch keine Ängste entwickeln konnte. Die Tatsache, dass mehr Stadtbewohner Psychiater wegen Angst vor Schlangen und Fremden aufsuchen als aufgrund von Ängsten vor Autos und Steckdosen, gewährt einen Einblick in die Gefahren, denen unsere Vorfahren ausgesetzt waren. Untergruppe der Angst
Adaptationsproblem
Angst vor Schlangen
Gebissen werden
Angst vor Spinnen
Gebissen werden
Angst vor Höhen
Schaden durch Sturz von Klippen oder Bäumen
Panik
Bevorstehender Angriff durch Raubtier oder Mensch
Agoraphobie
Überfüllte Plätze, von denen man nicht fliehen kann
Phobien vor Kleintieren
Gefährliche kleine Tiere
Hypochondrie
Krankheit
Trennungsängste
Trennung vom Schutz der Eltern
Angst vor Fremden
Verletzung durch fremde Menschen, insbesondere Männer
Angst vor Blut durch Verletzung
Gefährliches Raubtier oder Menschen
Tabelle 3.1: Untergruppen der Angst und entsprechende Adaptationsprobleme Quelle: Neu abgedruckt mit Genehmigung von R. M. Nesse, Evolutionary explanations of emotions in Human Nature 1:3 (1990); Evolutionäre Erklärungen von Emotionen, (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1990, Walter de Gruyter, Inc.
Die spezifischen Ängste der Menschen tauchen in der Entwicklung genau zu dem Zeitpunkt auf, da diese real werden könnten (Marks, 1987). Angst vor Höhe und Fremden beispielsweise taucht bei Säuglingen im Alter von etwa sechs Monaten auf, was mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, zu dem sie anfangen, von ihren Müttern wegzukrabbeln (Scarr & Salapatek, 1970). In einer Studie vermieden 80 Prozent der Säuglinge, die seit mehr als 41 Tagen krabbelten, über eine „visuelle Klippe“ (ein offensichtlicher Höhenunterschied, der aber mit Glas abgedeckt war) zu krabbeln, um zu ihren Müttern zu gelangen (Berenthal, Campos & Caplovitz, 1983). Krabbeln erhöht das Risiko gefährlicher Stürze und das Risiko von Begegnungen mit Fremden ohne die schützende Mutter in der Nähe und so fällt
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das Auftauchen der Angst vor Höhe und vor Fremden mit dem Auftauchen der entsprechenden adaptiven Probleme zusammen. Die Angst von Säuglingen vor Fremden wurde in vielen unterschiedlichen Kulturen dokumentiert, u.a. bei Guatemalteken, Sambiern, !Kung-Buschmännern und Hopi-Indianern (Smith, 1979). Tatsächlich scheint das Risiko eines Säuglings, durch Fremde getötet zu werden, bei nicht menschlichen Primaten (Hrdy, 1977; Wrangham & Peterson, 1996) sowie bei Menschen eine häufige „feindliche Kraft der Natur“ zu sein (Daly & Wilson, 1988). Interessanterweise haben Kinder vor fremden Männern mehr Angst als vor fremden Frauen – was berechtigt ist, da fremde Männer historisch gesehen gefährlicher waren als fremde Frauen (Heerwagen & Orians, 2002). Trennungsangst ist eine weitere Angst, für die kulturübergreifende Dokumentationen vorliegen und die bei einem Alter zwischen dem neunten und dem dreizehnten Monat ihren Höhepunkt erreicht (Kagan, Kearsley & Zelazo, 1978). In einer kulturübergreifenden Studie protokollierten Wissenschaftler den Prozentsatz von Säuglingen, die zu schreien anfingen, nachdem ihre Mütter den Raum verlassen hatten. Auf dem Höhepunkt der Trennungsangst zeigten 62 Prozent der Indios von Guatemala, 60 Prozent der Israeli, 82 Prozent der Guatemalteken von Antigua und 100 Prozent der Säuglinge aus dem afrikanischen Busch diese offen gezeigte Trennungsangst. Ängste vor Tieren tauchen etwa im Alter von zwei Jahren auf, wenn Kinder beginnen, ihre Umgebung zu erforschen. Agoraphobie, die Angst vor öffentlichen Plätzen oder Orten, die keine Fluchtmöglichkeiten bieten, taucht erst später auf, wenn die Heimatbasis verlassen wird (Marks & Nesse, 1994). Die Entwicklungszeit von Ängsten scheint genau dem Beginn des Adaptationsproblems, in diesem Fall einer Bedrohung, zu entsprechen. Dies veranschaulicht, dass psychische Mechanismen nicht „bei der Geburt“ auftauchen müssen um sich als Adaptation zu qualifizieren. Der Beginn bestimmter Ängste ist, ebenso wie der Beginn der Pubertät, ein entwicklungsgesteuertes psychologisches Auftreten. Die evolutionäre psychologische Basis spezifischer Ängste betrifft nicht nur emotionale Reaktionen, sondern erstreckt sich auch darauf, wie viel Aufmerksamkeit wir der Welt um uns herum schenken und wie wir sie wahrnehmen. In einer Reihe faszinierender Studien wurden Teilnehmer gebeten, zwischen Bildern mit keine Angst auslösenden Stimuli wie Blumen und Pilzen solche Bilder mit Spinnen, Schlangen u.Ä. zu suchen (Öhmann, Flykt & Esteves, 2001). In einer anderen Bedingung wurde das Vorgehen umgekehrt und die Teilnehmer wurden gebeten, unter den Angst auslösenden Stimuli nach keine Angst auslösenden Stimuli zu suchen. Die Schlangen und Spinnen wurden bedeutend schneller gefunden als die harmlosen Objekte. Die Angst auslösenden Bilder wurden, unabhängig davon, wie durcheinander die Bilder angeordnet und wie viele Ablenkungen vorhanden waren, stets schneller gefunden. Es war, als ob die Schlangen und Spinnen aus der Reihe der Bilder „herausspringen“ würden und automatisch wahrgenommen würden. Wenn wir über ein offenes Feld schauen, führt uns unser informationsverarbeitender Mechanismus dazu, die Schlange im Gras zu entdecken.
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Menschen entwickeln sich tendenziell dazu, mehr Ängste vor Schlangen (Gefahren der Umwelt, in der wir uns entwickelten) als vor Fahrzeugen, Gewehren oder Steckdosen (Dinge, die in unserer modernen Umwelt eine weit größere Gefahr darstellen) zu haben.
Die menschliche Aufmerksamkeit in Bezug auf Dinge, die für unsere Vorfahren gefährlich waren, kommt auch in einem anderen faszinierenden Phänomen vor: unserer Wahrnehmung von Geräuschen. Der Evolutionspsychologe John Neuhoff hat „eine adaptive Tendenz bei der Wahrnehmung sich auditiv ankündigender Bewegungen“ dokumentiert (Neuhoff, 2001). Er fand heraus, dass es eine auffallende Asymmetrie in der Wahrnehmung „näher kommender“ gegenüber sich „entfernender“ Geräusche gibt. Veränderungen bei näher kommender Geräuschen wurden stärker als entsprechende Veränderungen bei sich entfernenden Geräuschen wahrgenommen. Zusätzlich wurden näher kommende Geräusche als näher bei uns beginnend und näher bei uns anhaltend wahrgenommen als die sich entfernenden Geräusche. Diese „auditive Tendenz“, so Neuhoff, ist eine Wahrnehmungsadaptation, die dazu dient, uns einen Sicherheitsspielraum zur Vermeidung sich nähernder Gefahren wie z.B. Feinden zu verleihen. Was wir hören, ist adaptiv darauf ausgerichtet, Gefahren in unserer Umwelt zu vermeiden. Unsere Überlebensadaptationen, z. B. unsere schnelle visuelle Wahrnehmung von Gefahren und die auditive Wahrnehmungstendenz, beeinflussen was wir sehen und wie wir die Welt um uns herum hören (Siehe Kasten 3.1 für weitere Ausführungen über Ängste).
Die Raubtier-Vermeidungs-Adaptation von Kindern Es ist wahrscheinlich, dass Raubtiere im Lauf der menschlichen Evolutionsgeschichte eine immer wieder auftretende Gefahr für das Überleben darstellten. Gefährliche Fleischfresser sind u.a. Löwen, Tiger, Leoparden und Hyänen sowie verschiedene Reptilien wie Krokodile und Pythonschlangen (z.B. Brantingham, 1998). Schätzungen, wie schwer und häufig diese Begegnungen mit Raubtieren waren, sind spekulativ, aber Verletzungen an Knochen, wie Einstiche in hominiden Schädeln, die genau den Eckzähnen von Leoparden entsprechen, suggerieren, dass Menschen von Raubtieren angegriffen wurden. Eine Studie der Todesursachen unter den Ache in Paraguay ermittelte, dass sechs Prozent von Jaguaren gefressen wurden und zwölf Prozent an Schlangenbissen starben (Hill & Hurtado, 1996). Mit diesen das Überleben bedrohenden Gefahren wäre es überraschend, wenn die natürliche Selektion beim Menschen keine Raubtier-Vermeidungs-Adaptation entwickelt hätte.
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Obwohl die im vorangegangenen Abschnitt diskutierte Angst bei Kindern vor Tieren wahrscheinlich ein Teil des Verteidigungssystems ist, haben sich neuere Forschungen auf den informationsverarbeitenden Mechanismus konzentriert, der zur Vermeidung von Raubtier-Angriffen notwendig ist (Barrett, 2002). Barrett und seine Kollegen argumentieren, dass Kinder zumindest drei kognitive Fähigkeiten benötigen: (1) eine Kategorie von „Raubtier“ oder „gefährlichem Tier“, das den Baustein einer Raubtier-VermeidungsAdaptation darstellt; (2) die Schlussfolgerung, dass Raubtiere die Motivation oder den „Wunsch“ haben, Beute zu fressen, was zu Voraussagen über das Verhalten des Raubtieres führt (z.B. wenn das Raubtier hungrig ist und Beute sieht, wird es diese jagen und zu töten versuchen); und (3) das Verständnis, dass der Tod ein mögliches Resultat der Interaktion mit einem Raubtier sein kann. Das Verständnis von Tod ist verbunden mit dem Wissen, dass die tote Beute die Fähigkeit zu handeln verliert und dass der Verlust dieser Fähigkeit dauerhaft und irreversibel ist. In einer faszinierenden Studie demonstrierte Barrett (1999), dass Kinder bereits im Alter von drei Jahren über ein voll entwickeltes kognitives Wissen über die Raubtier-BeuteBegegnung verfügen. Sowohl Kinder aus einer industrialisierten Kultur als auch einer traditionellen Jäger-Gärtner-Kultur waren in der Lage, spontan den genauen Ablauf einer Raubtier-Beute-Begegnung auf ökologisch akkurate Weise mit nur sehr wenigen „fantastischen“ oder „märchenhaften“ Ausschmückungen zu beschreiben. Zudem verstanden sie, dass, wenn ein Löwe seine Beute tötet, diese nicht mehr lebendig ist, nicht mehr fressen und nicht mehr laufen kann und dass dieser Zustand dauerhaft ist. Interessanterweise scheint dieses anspruchsvolle Verständnis über den Tod in Bezug auf Begegnungen mit Raubtieren bereits im Alter von drei bis vier Jahren entwickelt zu sein.
3.1 Die adaptive Konservatismus-Hypothese über Angst Ein häufig anzutreffendes Charakteristikum bei Angststörungen ist die Tendenz, diese zu verallgemeinern, d.h. Angst vor einer größeren Bandbreite von Objekten oder Situationen zu empfinden, als tatsächlich eine Gefahr darstellen (Marks, 1987; Mineka, 1992). Diese Verallgemeinerung entwickelt sich wahrscheinlich im Lauf der Zeit. Eine Person mit Agoraphobie beispielsweise hat z.B. anfangs Angst vor großen Gruppen. Mit der Zeit verschlimmert sich die Phobie jedoch, so dass sie Angst hat, in einem Lebensmittelgeschäft zu sein. Schließlich kann die Agoraphobie den unter ihr Leidenden soweit bringen, nicht mehr außer Haus zu gehen. Die adaptive Konservatismus-Hypothese wurde entwickelt, um dieses Verallgemeinerungsphänomen zu erklären (Hendersen, 1985; Tomarken, Mineka & Cook, 1989). Stellen Sie sich zwei Szenarien vor, um diese Hypothese zu verstehen: In Szenario 1 nimmt eine Person an, etwas sei nicht gefährlich, aber dann beißt es sie und sie stirbt. In Szenario 2 nimmt die Person an, etwas sei gefährlich, obwohl es nicht gefährlich ist. Nach der adaptiven Konservatismus-Hypothese ist der Preis, fälschlicherweise anzunehmen, dass etwas sicher ist, obwohl es tatsächlich gefährlich ist, für das Überleben höher als der Preis, auf der sicheren Seite fehlgeleitet zu werden und anzunehmen,
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dass Objekte gefährlich sind, auch wenn sie es nicht sind. Somit kann Verallgemeinerung adaptiv sein, selbst wenn sie dazu führt, Dinge zu meiden, die in Wirklichkeit harmlos sind. Mehrere Studien unterstützen die adaptive Konservatismus-Hypothese. In einer Studie wurden Frauen Dias von Dingen gezeigt, vor denen sie Angst hatten (wie Schlangen oder Spinnen) und Dias mit neutralen Objekten wie einer Blume oder einem Pilz (Tomarken, Mineka & Cook, 1989). Nach jedem Dia erhielten die Teilnehmerinnen entweder einen Schmerzen verursachenden Elektroschock, hörten einen Ton oder es passierte nichts. Diese Ereignisse traten zufällig auf, so dass die Wahrscheinlichkeit eines Elektroschocks, nachdem man eine Schlange sah, einen Ton hörte oder nichts passierte, jeweils ein Drittel betrug. Als die Frauen hinterher gefragt wurden, wie oft sie einen Elektroschock erhalten hatten, nachdem sie eine Schlange gesehen hatten, überschätzten die Frauen diese bedingte Wahrscheinlichkeit durchweg. Genau genommen schätzten sie, dass in 42 bis 52 Prozent der Darbietungen einer Schlange auch ein Elektroschock folgte, während es tatsächlich nur 33 Prozent waren. Diese Voreingenommenheit war besonders bei den Frauen stark ausgeprägt, die von Anfang an eine große Angst vor Schlangen zeigten. Als das Experiment mit einer evolutionär neuen Gefahr, nämlich beschädigten Steckdosen, durchgeführt wurde, trat diese Überschätzung nicht auf. Die Teilnehmer nahmen bei 34 Prozent wahr, dass dem Bild einer beschädigten Steckdose ein Elektroschock folgte, was den tatsächlichen 33 Prozent erstaunlich nahe kommt. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Angst mit systematischen Voreingenommenheiten verbunden ist, die Menschen dazu bringen, die Häufigkeit, mit der das gefürchtete Objekt eine negative Konsequenz nach sich zieht, zu überschätzen. Obwohl weitere Forschung notwendig ist, bestätigen die bisherigen Ergebnisse die adaptive Konservatismus-Hypothese. Die Menschen scheinen darauf gepolt zu sein, negative Auswirkungen solcher Objekte zu verallgemeinern, die sich in historischem Ausmaß als gefährlich erwiesen haben, nicht jedoch die von evolutionär „neuen“ gefährlichen Objekten. Ängste scheinen die Informationsverarbeitung auf eine Weise zu beeinflussen, die die Angst vor dem gefürchteten Objekt bestätigt, wodurch diese erhalten oder erhöht wird. Diese Verallgemeinerung bringt Menschen dazu, sich adaptiv konservativ zu verhalten und sich zu irren, um Objekte, die unseren Vorfahren gefährlich waren, zu vermeiden – selbst um den Preis, dabei Fehler zu begehen.
Zusammenfassend suggeriert diese Forschung in Bezug auf das Verständnis, das Kinder vom Tod haben, verbunden mit der Angstforschung, der selektiven visuellen Aufmerksamkeit gegenüber Schlangen und Spinnen und den Tendenzen bei der Lokation sich bewegender Geräusche, dass Menschen eine Reihe von Adaptationen entwickelt haben, um mit den vielen Problemen zurechtzukommen, die das Leben unserer Vorfahren gefährdeten.
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Krankheitsbekämpfung Im Laufe ihres Lebens stecken sich Menschen oftmals mit Krankheiten an. Sie haben Adaptationen entwickelt, um diese Krankheiten zu bekämpfen, aber nicht alle davon sind intuitiv offensichtlich. Das Aufkommen der darwinistischen Medizin als Wissenschaft kippt die herkömmliche Überzeugung, wie wir auf bekannte Dinge wie Fieber reagieren, das uns schwitzen lässt und den Eisengehalt des Blutes reduziert, was beides als Reaktion auf eine Infektionskrankheit auftritt (William & Nesse, 1991). Fieber. Wenn man wegen Fieber zum Hausarzt geht, bekommt man die abgedroschene
Empfehlung, zwei Aspirin zu nehmen und am nächsten Morgen nochmal vorbeizukommen. Millionen von Amerikanern nehmen jedes Jahr zur Fiebersenkung Aspirin und andere Medikamente ein. Neuere Forschungen zeigen jedoch, dass Fieber senkende Medikamente Krankheiten verlängern können. Fieber kann eine natürliche und nützliche Abwehr gegen Krankheiten sein. Wenn kaltblütige Echsen erkranken, suchen sie einen heißen Stein, auf dem sie sich sonnen können. Dadurch wird ihre Körpertemperatur erhöht und die Krankheit bekämpft. Echsen, die keinen warmen Platz finden, auf dem sie sich niederlassen können, sterben häufiger. Eine ähnliche Beziehung zwischen Körpertemperatur und Krankheit wurde auch bei Kaninchen beobachtet. Erkrankte Kaninchen, die ein Fieber senkendes Medikament erhalten, sterben häufiger (Kluger, 1990). Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts beobachtete der Arzt Julian Wagner-Jauregg, dass Syphilis an Orten, an denen Malaria häufig auftrat, nur selten vorkam. Zu dieser Zeit starben 99 Prozent der an Syphilis Erkrankten. Wagner-Jauregg infizierte daraufhin Syphilispatienten absichtlich mit Malaria, die ein Fieber auslöst, und er fand heraus, dass 30 Prozent dieser Patienten überlebten – eine beachtliche Überlebenssteigerung gegenüber den Patienten, die nicht mit Malaria infiziert waren. Das Fieber der Malaria half offensichtlich, die tödlichen Auswirkungen der Syphilis zu heilen. Eine neuere Studie ergab, dass an Windpocken erkrankte Kinder, deren Fieber mit Acetaminophen (Paracetamol) gesenkt wird, fast einen Tag länger benötigen, um zu genesen, als Kinder, deren Fieber nicht gesenkt wurde (Doran et al., 1989). Ein anderer Wissenschaftler infizierte die Teilnehmer an der Studie zunächst mit einem Erkältungsvirus. Anschließend gab er einer Hälfte der Probanden ein Fieber senkendes Medikament und der anderen Hälfte ein Plazebo (eine Pille, die keine aktiven Substanzen enthält). Diejenigen, die das Fieber senkende Medikament einnahmen, litten stärker unter nasaler Verstopfung, einer schlechteren Antikörperreaktion und bei ihnen hielt die Erkältung auch etwas länger an (Graham et al., 1990). Eisenmangel im Blut. Eisen ist Nahrung für Bakterien, die sich mit ihm prächtig entwickeln. Menschen haben eine Methode entwickelt, die Bakterien auszuhungern. Erkrankt eine Person an einer Infektion, so produziert der Körper eine Chemikalie (Leukozyten endogener Mediatoren), die den Eisenwert im Blut reduziert. Gleichzeitig wird der Appetit auf eisenhaltige Nahrungsmittel wie Schinken und Eier reduziert und der Körper verringert somit die Aufnahme des Eisens (Nesse & Williams, 1994). Diese natürlichen
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Körperreaktionen hungern die Bakterien aus und ebnen so den Weg zur Bekämpfung der Infektion und für eine schnelle Genesung. Obwohl diese Informationen seit den 1970er Jahren bekannt sind, wissen anscheinend nur wenige Ärzte und Apotheker davon (Kluger, 1991). Sie empfehlen weiterhin zusätzlich Eisen, das unsere entwickelten Methoden, die feindlichen Kräfte der Infektionen zu bekämpfen, beeinträchtigt. Unter den Massai litten weniger als zehn Prozent an durch Amöben ausgelösten Infektionen. Als eine Untergruppe ergänzend Eisen zu sich nahm, entwickelten 88 Prozent von ihnen Infektionen (Weinberg, 1984). Die Ernährungsgewohnheiten somalischer Nomaden weisen von Natur aus niedrige Eisenwerte auf. Als Forscher versuchten, dies durch ergänzende Eisengaben zu korrigieren, resultierte dies in einem sprunghaften Anstieg der Infektionen um 30 Prozent innerhalb eines Monats (Weinberg, 1984). Alte Menschen und Frauen in Amerika erhalten routinemäßig ergänzende Eisengaben, um „eisenarmes Blut“ zu bekämpfen, was paradoxerweise ihre Infektionsrate erhöht. Zusammenfassend gesagt, haben Menschen natürliche Abwehrmechanismen wie Fieber und Eisenmangel entwickelt, die bei der Bekämpfung von Krankheiten helfen. Sich in diese Adaptationen einzumischen, indem man Fieber künstlich senkt oder den Eisengehalt im Blut erhöht, scheint eher zu schaden als zu heilen.
3.4
Sind Menschen programmiert zu sterben?
Da das Überleben so wichtig für die Reproduktion ist und wir über viele Adaptationen verfügen, die uns am Leben erhalten, stellt sich die Frage, warum wir überhaupt sterben müssen. Warum konnte die Evolution keine Mechanismen entwickeln, die uns erlauben, ewig oder zumindest ein paar hundert Jahre zu leben? Warum begehen Menschen Selbstmord; eine Tat die im Gegensatz zu allem steht, was die Evolution begünstigt? Der letzte Abschnitt behandelt diese rätselhaften Fragen.
Die Theorie der Seneszenz (des Alterungsprozesses) Die Antwort auf diese Geheimnisse wurde teilweise durch die Theorie der Seneszenz gegeben (Williams, 1957). Seneszenz ist keine Krankheit, sondern der Verfall aller körperlicher Mechanismen, während der Organismus älter wird. Die Seneszenz-Theorie geht von einer interessanten Beobachtung aus: Die Kraft der natürlichen Selektion nimmt mit zunehmendem Alter ab. Um zu verstehen, warum dies geschieht, vergleichen wir eine zwanzigjährige und eine fünfzigjährige Frau. Die Selektion wirkt sich intensiver auf die jüngere Frau aus, da alles was passiert, Auswirkungen auf ihre künftigen reproduktiven Jahre haben könnte. Ein Gen, das im Alter von 20 Jahren aktiviert wird und das Immunsystem der Frau schwächt, könnte beispielsweise ihre Reproduktionsmöglichkeiten beschädigen. Würde das gleiche Gen in der fünfzigjährigen Frau aktiviert, hätte es prak-
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tisch keine Auswirkungen auf ihre Reproduktionskapazität. Die Selektion wirkt sich bei der älteren Frau nur schwach aus, da die Zeit ihrer Reproduktion schon vorüber ist (Nesse & Williams, 1994). Williams (1957) nahm diese Beobachtung als Ausgangspunkt und entwickelte die pleiotrope Theorie der Seneszenz. Pleiotropie ist ein Phänomen, nach dem ein Gen zwei oder mehr unterschiedliche Ausprägungen haben kann. Sagen wir, es gibt ein Gen, das Testosteron in Männern verstärkt und dazu führt, dass sie früh im Leben, z.B. in ihren Zwanzigern und Dreißigern erfolgreicher mit anderen Männern um ihren Status konkurrieren können. Aber der erhöhte Testosteronwert hat später im Leben auch negative Auswirkungen, da er das Risiko von Prostatakrebs erhöht. Mittels dieses pleiotropen Prozesses haben wir eine Anzahl von Genen entwickelt, die uns zu Beginn unseres Lebens helfen, aber später im Leben pleiotrope Auswirkungen haben, wenn die Selektion schwach oder abwesend ist. Die pleiotrope Theorie der Seneszenz erklärt nicht nur, warum unsere Organe alle etwa zur gleichen Zeit im Leben erschöpft sind, sondern auch, warum Männer durchschnittlich sieben Jahre früher als Frauen sterben (Williams & Nesse, 1991). Die Selektion wirkt sich auf Männer stärker aus als auf Frauen, da der Reproduktionsunterschied von Männern höher als der von Frauen ist. Anders ausgedrückt, die meisten fruchtbaren Frauen pflanzen sich fort und die maximale Anzahl an Kindern, die sie haben können, ist aus praktischen Gründen auf etwa zwölf beschränkt. Männer dagegen können Dutzende von Kindern zeugen oder ganz aus der Reproduktion ausgeschlossen werden. Da Männer über eine größere Variabilität in der Reproduktion verfügen, wirkt die Selektion auf Männer stärker als auf Frauen. Sie bevorzugt Gene, die es einem Mann ermöglichen, früh im Leben erfolgreich um Partnerinnen zu konkurrieren, um einer der wenigen zu sein, die sich fortpflanzen, bzw. um zu vermeiden, dass man von der Fortpflanzung ausgeschlossen wird. Die Selektion bevorzugt diesen Erfolg von Männern bei der Partnerwahl selbst dann, wenn dies bedeutet, dass diese Gene später im Leben schädliche Auswirkungen auf das Überleben haben. Obwohl Männer sich über einen längeren Zeitraum im Leben fortpflanzen können und dies manchmal auch tun, erklärt die Theorie der Seneszenz, warum diese späteren reproduktiven Ereignisse einen geringeren Einfluss haben als Ereignisse, die früher stattfanden. Diese starke Selektion für einen frühen Vorteil produziert einen höheren Anteil an pleiotropen Genen, die einen frühen Tod verursachen. Ein Forscher bemerkte, „es erscheint wahrscheinlich, dass Männer eine höhere Mortalität als Frauen aufweisen, weil sie in der Vergangenheit einen größeren potentiellen Reproduktionserfolg genossen, und dies führte zu Eigenschaften, die zwar mit einem höheren Reproduktionserfolg assoziiert werden können, aber zum Preis eines verringerten Überlebens“ (Trivers, 1985, S. 314). Kurz gesagt, sind Männer programmiert, früher zu sterben als Frauen. Die Theorie der Seneszenz liefert einen Beitrag zu der Erklärung, weshalb dies so ist. Allgemein betrachtet wirkt die Selektion zu Beginn des Lebens am stärksten, da jedes frühe Ereignis im Leben die gesamte Zeitspanne der reproduktiven Jahre einer Person beeinflussen kann. Während man älter wird, lässt die Kraft der Selektion jedoch nach. Im extremen Fall bedeutet das: Was einem im Alter passiert, kurz bevor man stirbt, hat keine
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Auswirkungen auf die Reproduktionskapazität. Dies bedeutet, dass die Selektion Adaptationen bevorzugt, die früh im Leben günstige Auswirkungen haben, selbst wenn sie später mit einem hohen Preis verbunden sind. Diese Nachteile häufen sich im Alter und resultieren in der Verschlechterung des Zustands aller Teile des Körpers zur etwa gleichen Zeit. In diesem Sinne kann man sagen, dass Organismen zu sterben programmiert sind.
Das Rätsel des Suizids Die Seneszenz von Organismen, d.h. auf lange Sicht im Tod zu enden, mag unausweichbar sein, aber es ergibt sich ein tieferes Rätsel in der Evolutionspsychologie: Warum sollte sich jemand absichtlich das Leben nehmen? Die Evolutionstheorie lehrt uns, dass Reproduktion der Motor des Evolutionsprozesses und das Überleben für die Reproduktion eine Notwendigkeit ist. Was könnte daher den Suizid erklären? Der Evolutionspsychologe Denys de Catanzaro (1991, 1995) hat sich diesem Problem gewidmet, eine evolutionäre Theorie über den Suizid aufgestellt und getestet. Untersuchen wir die Logik seiner Theorie. De Catanzaros Hauptargument lautet, dass Suizid am häufigsten dann auftritt, wenn ein Individuum eine dramatisch verringerte Fähigkeit aufweist zu seiner inklusiven Fitness beizutragen. Anzeichen dieser dramatisch reduzierten Kapazität zur Fitness beinhalten Aussichten auf schwache zukünftige Gesundheit, chronische Gebrechlichkeit, Schande oder Misserfolg, schlechte Chancen in Bezug auf erfolgreiche heterosexuelle Partnerschaften und die Annahme, eine Belastung für die eigene genetische Familie zu sein. Unter diesen Bedingungen erscheint es zumindest plausibel, dass die Weitergabe der Gene eines Individuums ohne das Individuum selbst eine bessere Chance hätte. Wenn jemand eine Last für seine Familie darstellt, so leidet die Reproduktion der Familie und daher auch die Fitness der Person als Ergebnis ihres Überlebens. Um diese evolutionäre Theorie der Suizids zu evaluieren, suchte de Catanzaro nach suizidalen Vorstellungen: ob jemand jemals Suizid in Betracht gezogen hat, ob jemand vor kurzem Suizid in Betracht gezogen hat, ob er die Absicht hatte, sich innerhalb des nächsten Jahres umzubringen oder früher suizidales Verhalten gezeigt hatte. Die abhängige Variable war die Summe der Ja-Antworten zu diesen Fragen. Suizidale Vorstellungen bedeuten nicht, tatsächlich Suizid zu begehen. Viele Menschen denken an Suizid, ohne sich das Leben zu nehmen. Da Suizid jedoch normalerweise eine vorsätzlich geplante Tat ist, werden einem tatsächlichen Suizid unweigerlich viele Vorstellungen über Suizid vorangehen. Somit ist suizidale Ideenbildung ein angemessener Index, der im Rahmen einer Untersuchung als Stellvertreter für tatsächlichen Suizid genommen werden kann. In einem anderen Fragebogen stellte de Catanzaro den Teilnehmern eine Reihe von Fragen über die von ihnen wahrgenommene Belastung für ihre Familie, die empfundene Bedeutung ihres Beitrags zu Familie und Gesellschaft, die Frequenz sexueller Aktivität, den Erfolg bei Angehörigen des anderen Geschlechts, über Homosexualität, Anzahl der Freunde, Behandlung durch Andere, finanzielles Wohlergehen und körperliche Gesundheit. Die Teilnehmergruppen antworteten auf jede Frage mit einer sieben Punkte umfassenden Skala, die von –3 bis +3 reichte. Die Teilnehmer variierten: eine große öffentliche Stichprobe, eine Stichprobe älterer Menschen, eine Stichprobe aus einer psychiatrischen
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Klinik, eine Stichprobe von Insassen eines Hochsicherheitstraktes, in dem Menschen einsaßen, die Verbrechen an der Gesellschaft begangen hatten, und zwei Stichproben von Homosexuellen. Das Ergebnis unterstützte de Catanzaros evolutionäre Theorie über den Suizid. Wenn die abhängige Variable, also das Vorhandensein suizidaler Vorstellungen mit den anderen Punkten auf dem Fragebogen korreliert wurde, ergab dies die folgenden Ergebnisse: Quer durch alle Stichproben korrelierten suizidale Vorstellungen am stärksten mit der Belastung für die Familie und bei Männern mit mangelndem Erfolg in heterosexuellen Aktivitäten. Bei Männern in der öffentlichen Stichprobe im Alter zwischen 18 und 30 ergaben sich die folgenden Korrelationen: Belastung für die Familie (+.56), Sex im letzten Monat (-.67), Erfolg in heterosexuellen Beziehungen (-.59), Sex jemals (-.45), Stabilität heterosexueller Beziehungen (-.45), Sex im letzten Jahr (-.40), Anzahl der Kinder (-.36). Bei jüngeren Frauen in den öffentlichen Stichproben zwischen 18 und 30 stieß man auf ähnliche Ergebnisse, auch wenn diese nicht so auffällig waren: Belastung für die Familie (+.44), Sex jemals (-.37) und Beitrag zur Familie (-.36). Bei den Stichproben älterer Teilnehmer nahm die gesundheitliche Belastung einen höheren Stellenwert ein und zeigte eine starke Korrelation mit suizidalen Vorstellungen. Bei den öffentlichen Stichproben von Männern über 50 wurden beispielsweise die folgenden Korrelationen gefunden: Gesundheit (-.48), künftige finanzielle Probleme (+.46), Belastung für die Familie (+.38), Homosexualität (+.38) und Anzahl von Freunden (-.36). Frauen über fünfzig in den öffentlichen Stichproben wiesen ähnliche Ergebnisse auf: Einsamkeit (+.62), Belastung für die Familie (+.47), künftige finanzielle Probleme (+.45) und Gesundheit (-.42). Ähnliche Ergebnisse wurden bei allen anderen Stichproben gefunden. Ergebnisse wie diese wurden inzwischen auch von anderen Forschern berichtet. In einer Studie, die 175 amerikanische Studenten umfasste, testeten Michael Brown und seine Kollegen de Catanzaros Theorie des Suizids mithilfe eines 164 Punkte umfassenden Fragebogens (Brown, Dahlen, Mills, Rick & Biblarz, 1999). Sie fanden heraus, dass Individuen mit einem niedrigen Reproduktionspotential (die beispielsweise annehmen, dass sie für Angehörige des anderen Geschlechts nicht attraktiv sind) und einer hohen Belastung für ihre Familie, über mehr suizidale Vorstellungen sowie über mehr Depressionen und Hoffnungslosigkeit berichteten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass verschiedene Forscher unabhängig voneinander Unterstützung für de Catanzaros Evolutionstheorie über den Suizid geliefert haben. Zusätzliche Untersuchungen sind notwendig, so könnte der nächste Schritt eine Studie über Menschen sein, die tatsächlich Selbstmord verübten. Bis dahin ist festzuhalten, dass es - theoretisch - Voraussetzungen geben könnte die zu psychologischen Mechanismen führen, die eine Person dazu bringen würden Selbstmord zu begehen. Diese Voraussetzungen konzentrieren sich auf ein Scheitern in der heterosexuellen Gemeinschaft und darauf, eine Belastung für enge Angehörige zu sein. Selbstmordgedanken tauchen am ehesten dann auf, wenn Menschen mit diesen ihre Fitness bedrohenden sozialen Zusammenhängen konfrontiert werden.
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Zusammenfassung Nahrungsknappheit, Giftstoffe, Raubtiere, Parasiten, Krankheiten und Klimaextreme sind feindliche Kräfte der Natur, die unsere Vorfahren immer wieder heimsuchten. Menschen haben viele Adaptationsmechanismen entwickelt, um diese Hindernisse zu bekämpfen. Eines der wichtigsten Überlebensprobleme ist die Nahrungsbeschaffung. Nahrungsbeschaffung und -verzehr stellen schwierige und komplexe Probleme dar. Zusätzlich zu der Nahrungsknappheit stehen Organismen vor der Notwendigkeit, zu selektieren, welche Nahrungsmittel sie konsumieren können und diese Nahrungsmittel dann auch zu beschaffen (z.B. solche, die reich an Kalorien und Nährstoffen sind), und welche sie vermeiden sollen (z.B. solche, die Giftstoffe enthalten). Die Menschen entwickelten sich zum Allesfresser und verzehren eine breite Palette an Pflanzen und Tieren. Unter den offensichtlichen Adaptationen des Menschen sind bestimmte Vorlieben für kalorienreiche Nahrung; bestimmte Mechanismen giftige Nahrung zu vermeiden, z.B. Ekel vor Fäkalien und Giftstoffe loszuwerden, z.B. durch Würgen, Spucken, Erbrechen, Husten, Schnupfen, Durchfall und Schwangerschaftsübelkeit. Menschen nutzen auch Gewürze, um die in Lebensmitteln enthaltenen Bakterien abzutöten – eine Praxis, die sich wahrscheinlich kulturell ausdehnte und die antimikrobielle Hypothese unterstützt. Unsere Vorliebe für Alkohol entstand vermutlich durch das Essen reifer Früchte, die niedrige Äthanolwerte enthalten. Eine der kontroversesten Themen der menschlichen Evolution ist die Frage, wie unsere menschlichen Vorfahren ihre Nahrungsmittel beschafften. Drei Hypothesen wurden vorgetragen: die Jagd-Hypothese, die Sammler-Hypothese und die Aasfresser-Hypothese. Alle vorhandenen Befunde weisen auf ein Muster, das durch Jagen seitens der Männer, Sammeln seitens der Frauen und eventuellen gelegentlichen Verzehr von Aas gekennzeichnet ist. Die Unterschiede im räumlichen Vorstellungsvermögen der Geschlechter reflektieren deren Adaptationen für das Jagen und Sammeln. Durchschnittlich sind Frauen bei Aufgaben wie der Standortbestimmung von Objekten besser als Männer; eine Adaptation, die das erfolgreiche Sammeln von Nüssen, Früchten und Wurzeln vereinfacht. Männer dagegen übertreffen Frauen bei räumlichen Aufgaben, die die mentale Rotation von Objekten beinhalten, bei der Navigation und beim Karten lesen; dies sind Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche Jagd erforderlich sind. Ein weiteres überlebensrelevantes adaptives Problem betrifft das Finden eines Lebensraumes. Menschen haben Vorlieben für Landschaften entwickelt, die reich an Ressourcen sind, und für Plätze, an denen man sieht, ohne gesehen zu werden, und die der Savanne, in der unsere Vorfahren lebten, gleichen.
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In allen Lebensräumen, selbst solchen mit vielen Ressourcen und Fluchtmöglichkeiten, gibt es auch feindliche Kräfte, die das Überleben bedrohen. Die Menschen haben bestimmte Ängste entwickelt, um diese Gefahren zu vermeiden. Die Angst vor Schlangen, Spinnen, vor Höhe und Fremden beispielsweise, scheint in einer Vielzahl von Kulturen präsent zu sein und tritt zu bestimmten Zeiten in der Entwicklung auf, was nahe legt, darin eine Adaptation zu sehen. Die Angst vor Höhe und Fremden beispielsweise taucht auf, wenn Säuglinge zu krabbeln beginnen und dadurch verstärkt den Gefahren von Höhe und Fremden ausgesetzt sind. Zusätzlich zu den Ängsten scheinen Menschen Tendenzen in ihrer Aufmerksamkeit entwickelt zu haben und finden schnell Schlangen und Spinnen aus einem Stapel ungefährlicher Bilder heraus. Wir verfügen auch über eine auditive Wahrnehmungstendenz, die uns einen zusätzlichen Sicherheitsabstand auferlegt, wenn wir näher kommende gefährliche Geräusche hören. Zudem verfügen Kinder schon im Alter von drei Jahren über ein recht differenziertes Verständnis vom Tod als Ergebnis einer Interaktion mit einem Raubtier. Krankheiten und Parasiten sind insbesondere für langlebige Organismen allgegenwärtige feindliche Kräfte der Natur. Im Gegensatz zur herkömmlichen medizinischen Lehre ist der Mechanismus, der die Körpertemperatur erhöht und ein Fieber auslöst, eine natürliche Körperfunktion, um Infektionskrankheiten zu bekämpfen. Die Einnahme von Aspirin oder anderen Medikamenten zur Bekämpfung von Fieber hat den paradoxen Effekt, die Krankheit zu verlängern. Im Hinblick auf die Bedeutung des Überlebens in der Evolution stellt sich die interessante Frage, warum Menschen sterben (oder nicht länger leben). Dies wird durch die Theorie der Seneszenz erklärt. Grundsätzlich ist die Selektion in jungen Jahren am stärksten, da Ereignisse, die früh im Leben geschehen, die gesamte Bandbreite der reproduktiven Jahre eines Menschen beeinflussen können. Wenn Menschen älter werden, nimmt die Kraft der Selektion ab und ein Ereignis, das kurz vor dem Tod eintritt, hat keine oder nur geringe Auswirkungen mehr auf die Reproduktion. Dies bedeutet, dass die Selektion Adaptationen bevorzugt, die früh im Leben vorteilhaft sind, auch wenn sie im Alter mit Nachteilen verbunden sind. Die Testosteronproduktion bei Männern beispielsweise bringt im jungen Erwachsenenalter Erfolge bei der Partnerwahl, hat aber später nachteilige Auswirkungen in Form von Prostatakrebs. Vielleicht noch rätselhafter als die Tatsache, dass Menschen anscheinend zu sterben programmiert sind, ist das Phänomen des Suizids – wenn ein Mensch absichtlich sein Leben beendet. Könnten sich möglicherweise psychologische Mechanismen für Suizid entwickelt haben? Einem bestimmten Evolutionspsychologen zufolge lautet die Antwort Ja. Suizidale Vorstellungen kommen am häufigsten bei Menschen mit schlechten reproduktiven Aussichten vor, die das Scheitern einer heterosexuellen Partnerschaft erlebt haben, die in einem schlechten Gesundheitszustand sind, schlechte finanzielle Aussichten für die Zukunft haben und von sich selbst annehmen, sie seien eine Belastung für ihre Familie. Obwohl weitere Forschungen in diesem Bereich notwendig sind,
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weisen gegenwärtige Befunde auf die Möglichkeit hin, dass Menschen kontextsensitive psychische Mechanismen entwickelt haben, um ihr künftiges Reproduktionspotential und ihren Nettoaufwand für die genetische Verwandtschaft einzuschätzen. All diese entwickelten Mechanismen helfen Menschen dabei, lange genug zu überleben, um das Erwachsenenalter zu erreichen. Haben sie dieses erreicht, treffen sie noch immer auf feindliche Kräfte, die das Überleben gefährden. Aber sie stehen auch neuen Herausforderungen gegenüber, wie der Partnerwahl, der wir uns nun widmen werden.
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl Da die Unterschiede beim Fortpflanzungserfolg die Triebkraft des Evolutionsprozesses sind, sollten die psychologischen Mechanismen rund um die Fortpflanzung im besonderen Maße der Selektion unterworfen sein. Wenn die Selektion die psychologischen Mechanismen nicht so geformt hätte, dass sie die adaptiven Probleme lösen können, die sich aufgrund von Sexualität und Paarung ergeben, dann wäre die evolutionäre Psychologie schon von vornherein „arbeitslos“. In diesem Teil betrachten wir die Probleme der Partnerwahl und untersuchen die breite empirische Grundlage, die die evolutionäre Psychologie in diesem Bereich geschaffen hat. Teil 3 ist in drei Kapitel aufgeteilt. Kapitel 4 beschreibt, wie Frauen ihre Partner auswählen. Es legt Material aus groß angelegten kulturübergreifenden Studien vor, die die evolutionspsychologischen Hypothesen überprüfen sollten. Die Präferenzen der Frauen bei der Partnerwahl sind komplex und differenziert, da sie im Laufe der langen Evolutionsgeschichte eine Reihe komplexer Adaptationsprobleme zu lösen hatten. Am Ende des Kapitels wird untersucht, wie die Wünsche der Frauen ihr tatsächliches Verhalten bei der Partnerwahl beeinflussen. Kapitel 5 beschäftigt sich mit der Partnerwahl des Mannes und zeigt, wie er die für ihn ganz anders gelagerten adaptiven Probleme löst. Nach der Metatheorie der evolutionären Psychologie werden sich Männer und Frauen nur in solchen Bereichen voneinander unterscheiden, in denen sie im Laufe der Evolutionsgeschichte wiederholt auf unterschiedliche Probleme der Adaptation gestoßen sind. In allen anderen Bereichen werden sich die Geschlechter ähneln. Dieses Kapitel hebt die Bereiche hervor, in denen der Mann auf bestimmte Adaptationsprobleme trifft – wie die Wahl einer fruchtbaren Partnerin und die Sicherstellung der Vaterschaft bei einer Investition in eine langfristige Partnerschaft. Kapitel 6 beschäftigt sich mit einer eher versteckten Seite der menschlichen Partnerwahl – kurzfristige sexuelle Strategien. Es befasst sich mit neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen über Sperma-Konkurrenz und den weiblichen Orgasmus – physiologische Hinweise, die auf eine lange Geschichte nicht monogamer Vorfahren hindeuten. Da Menschen sowohl langfristige als auch kurzfristige sexuelle Beziehungen führen, zeigen sie eine Flexibilität, die man bei anderen Arten kaum beobachtet. Die Strategie eines Einzelnen hängt dabei oft vom Kontext ab. Das Kapitel endet mit einem Überblick über alle wichtigen begrifflichen Variablen, die bestimmen, ob eine kurzfristige oder eine langfristige Beziehungsstrategie verfolgt wird, wie etwa dem individuellen Partnerwert und dem Verhältnis von Männern zu Frauen insgesamt.
Kapitel
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Langfristige PartnerwahlStrategien der Frau
… die Vorlieben des investierenden Geschlechts – der Weibchen – bestimmen in außerordentlichem Maße die Richtung, in die sich eine Art entwickeln wird. Denn es ist das Weibchen, das letztendlich bestimmt, wann, wie oft und mit wem es sich paart. – Sarah Blaffer Hrdy, 1981 Niemals begehren Menschen alle Vertreter des anderen Geschlechts gleichermaßen. Immer werden einige potentielle Partner vorgezogen, andere dagegen gemieden. Stellen wir uns vor, wie unsere Vorfahren vor langer Zeit gelebt haben – sie bemühten sich, sich am Feuer warm zu halten, jagten Beute für die Familie, sammelten Nüsse, Beeren und Kräuter und gingen gefährlichen Tieren und feindlich gesinnten Menschen aus dem Weg. Wenn sie sich nun Partner ausgesucht hätten, die die versprochenen Ressourcen nicht einbringen konnten, die fremd gingen, faul waren, nicht gut jagen konnten oder sie sogar physisch missbrauchten, wäre ihr Überleben und ihre Reproduktion stark gefährdet gewesen. Partner, die dagegen Ressourcen im Überfluss nach Hause brachten, die ihre Familien beschützten und ihnen Zeit, Energie und Aufmerksamkeit widmeten, wären äußerst wertvoll. Aufgrund der ungeheueren Überlebens- und Reproduktionsvorteile, die diejenigen unserer Vorfahren genießen konnten, die eine kluge Partnerwahl trafen, haben sich viele spezifische Wünsche und Vorlieben entwickelt. Als Nachkommen dieser Gewinner der Evolutionslotterie haben moderne Menschen eine ganze Reihe spezifischer Vorlieben bei der Partnerwahl mit auf den Weg bekommen. Auch bei vielen anderen Arten konnten Wissenschaftler durch Evolution entstandene Partner-Vorlieben nachweisen. Der afrikanische Webervogel ist dafür ein gutes Beispiel (Collias & Collias, 1970). Wenn ein Webervogel-Weibchen in die Nähe eines Männchens kommt, stellt das Männchen sein neu gebautes Nest zur Schau, indem es sich kopfüber daran hängt und heftig mit den Flügeln schlägt. Kann es das Weibchen beeindrucken, so nähert dieses sich dem Nest, fliegt hinein und untersucht das Nestbaumaterial, wobei es bis zu zehn Minuten lang daran herumzupft. Während dieser Nestprüfung bleibt das Männchen in der Nähe und singt für die Umworbene. Im Laufe seiner Inspektion kann sich das Weibchen jederzeit entscheiden, dass das Nest nicht seinen Vorstellungen entspricht, davonfliegen und das Nest eines anderen Männchens unter die Lupe nehmen. Ein Männchen, dessen Nest von mehreren Weibchen abgelehnt wurde, zerstört es oft und beginnt, ein völlig neues zu bauen. Indem das Webervogel-Weibchen eindeutig diejenigen Männchen vorzieht, die in der Lage sind, gute Nester zu bauen, sorgt es im Voraus dafür, dass seine Jungen bestmöglich geschützt und versorgt werden. Diese Vorlieben haben sich entwickelt, weil sie gegenüber anderen Webervögeln einen Wettbewerbsvorteil darstellen, die keine Vorlieben zeigten oder sich mit jedem beliebigen Männchen paarten.
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Wie die Webervögel ziehen auch Frauen diejenigen Männer vor, die verschiedene „Nester“ gebaut haben. Betrachten wir ein Problem, dem sich Frauen innerhalb der Evolutionsgeschichte stellen mussten: die Auswahl eines Mannes, der zu einer langfristigen Beziehung bereit war. Wenn sich eine Frau in unserer evolutionären Vergangenheit für einen Mann entschied, der unbeständig, impulsiv, untreu und beziehungsunfähig war, sah sie sich oft gezwungen, ihre Kinder allein und ohne die Ressourcen, die Unterstützung und den Schutz aufzuziehen, die ein zuverlässigerer Mann ihr geboten hätte. Eine Frau, die einen verlässlichen Partner vorzog, der ihr treu war und sie unterstützte, konnte Kinder zur Welt bringen, die überlebten, aufblühten und sich wiederum fortpflanzten. Im Laufe tausender Generationen entwickelte sich bei Frauen eine Vorliebe für Männer, die zeigten, dass sie treu und beständig waren, ebenso wie sich bei den Webervögeln eine Vorliebe für Männchen herausbildete, die gute Nester bauen konnten. Diese Vorlieben lösten wichtige Probleme der Fortpflanzung, genau wie Vorlieben bei der Ernährung wichtige Überlebensprobleme lösten.
4.1
Theoretischer Hintergrund der Evolution von Partnerpräferenzen
Dieser Abschnitt behandelt drei wichtige theoretische Punkte, die für das Verständnis der Evolution von Partner-Vorlieben ausschlaggebend sind. Der erste bezieht sich auf eines der größten Rätsel der Evolutionsbiologie: Warum hat sich die sexuelle Fortpflanzung entwickelt? Das zweite Thema beschäftigt sich mit den beiden Geschlechtern, die es bei sich sexuell fortpflanzenden Arten gibt – männliche und weibliche Vertreter – und der damit verbundenen Frage, welchen Einfluss die elterlichen Investitionen auf die Partnerwahl haben. Drittens beschäftigen wir uns mit den Partner-Vorlieben als durch die Evolution entstandene psychologische Mechanismen.
Asexuelle und sexuelle Fortpflanzung Die sexuelle Fortpflanzung stellt nur eine mögliche Art der Reproduktion dar. Dessen sind wir uns jedoch nicht immer bewusst, vielleicht weil wir Menschen uns eben so fortpflanzen. Viele Arten pflanzen sich jedoch asexuell fort, darunter z.B. bestimmte Arten von Milben, Wasserflöhen und Rädertierchen. Bei diesen Arten gibt es nur ein Geschlecht. Die Nachkommen sind identische Kopien der Eltern mit Ausnahme aller eventuell auftretenden Mutationen. Die asexuelle Fortpflanzung hat viele Vorteile (Williams, 1975). Erstens bleiben diese Organismen vom Problem der Partnersuche und -auswahl völlig unberührt. Zweitens werden dem Nachwuchs in der Regel alle Gene ohne Verlust weitergegeben. Die Vorteile der asexuellen Fortpflanzung sind gleichzeitig die Nachteile der sexuellen Fortpflanzung. Sich sexuell fortpflanzende Arten müssen sich dem Problem der Partnerwahl und der Werbung stellen, was sehr viel Zeit und wichtige Ressourcen kosten kann. Weiterhin wird hier nur die Hälfte der eigenen Gene an den Nachwuchs weitergegeben – das entspricht 50% Verlust im Vergleich zur asexuellen Fortpflanzung.
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
Warum hat sich angesichts dieses großen Aufwands die sexuelle Fortpflanzung also überhaupt entwickelt? Dies war und ist eines der größten Rätsel in der Evolutionsbiologie, über das schon zahlreiche Theorien veröffentlicht wurden. Einfach ausgedrückt lautet die Frage, welche Reproduktionsvorteile die sexuelle Fortpflanzung bieten kann, die so enorm sind, dass sie den entstehenden Aufwand überwiegen. Eine der bekanntesten und wichtigsten Konsequenzen der sexuellen Fortpflanzung ist die Erzeugung genetisch verschiedenartiger Nachkommen. Verglichen mit asexuellen Arten, bei denen alle Nachkommen mit den Eltern identisch sind (außer Mutationen), unterscheidet sich der Nachwuchs von sich sexuell fortpflanzenden Eltern genetisch von den Eltern. Die Nachkommen unterscheiden sich genetisch auch voneinander. So sind Geschwister nur zu durchschnittlich 50% genetisch verwandt. Die meisten Theorien über den Ursprung der Sexualität beschäftigen sich mit den möglichen Vorteilen, genetisch verschiedenartige Nachkommen zu haben. Eine Theorie besagt, dass sich mit solchen Nachkommen die Anzahl der Nischen erhöht, die gleichzeitig besetzt werden können. Dabei kommt es darauf an, dass genetisch identische Individuen die exakt gleichen Bedürfnisse bezüglich Nahrung, Schutz etc. haben. Bei genetisch unterschiedlichen Individuen unterscheiden sich dagegen auch die Überlebensbedürfnisse, so dass diese eine größere Bandbreite verschiedener Nischen bevölkern können (Trivers, 1985; Williams, 1975). Das bedeutet auch, dass Geschwister bei der Suche nach eigenen Nischen weniger oft die Mühen direkter Konkurrenz in Kauf nehmen müssen. Die führende Theorie – die Parasiten-Theorie des Ursprungs der Sexualität – ist nicht intuitiv eingängig (Hamilton, 1980; Tooby, 1982). Die meisten Menschen glauben, dass Geschlechtsverkehr zu Parasiten in Form sexuell übertragbarer Krankheiten führen kann. Doch wie es aussieht, könnten Parasiten sogar für die Entstehung der Sexualität verantwortlich sein! Parasiten stellen für viele langlebige Organismen ein großes Adaptationsproblem dar. Denn sie können im Laufe eines einzigen Lebens eines solchen Organismus hunderte, tausende oder sogar Millionen von Generationen hervorbringen und sich ungehindert auf andere Wirtstiere übertragen, vor allem wenn diese in etwa die gleichen Lebensbedingungen bieten. Da sich die verschiedenen Gruppen asexueller Organismen alle gleichen, können sich Parasiten leicht vermehren, denn sie können ohne Probleme alle Wirtstiere befallen. Das ist für das Wirtstier jedoch alles andere als gut, denn die Parasiten können sich so stark vermehren, dass sie irgendwann die Abwehrmechanismen ihres Wirtes überwinden und es töten können. Hier liegt nach der Parasiten-Theorie der entscheidende Vorteil der sexuellen Fortpflanzung. Denn sie schafft durch die Produktion genetisch unterschiedlicher Nachkommen eine große Zahl an unterschiedlichen Wirtstieren für die Parasiten. Diese werden nun gebremst, denn sie müssen sich an die neue Umgebung anpassen. Das nächste Wirtstier ist dann wiederum genetisch verschieden, so dass der Anpassungsprozess von neuem beginnen muss. Im ständigen Evolutionskampf zwischen Parasiten und Wirten kam es zu einem Wettrüsten – einer Folge wechselseitiger Gegenadaptationen – das sich im Laufe der Zeit fortsetzt (Dawkins, 1982). Die sexuelle Fortpflanzung könnte hier eine entscheidende Adaptation der Wirtstiere darstellen, mithilfe derer sie sich und ihre Nachkommen vor
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Parasiten schützen können. Dadurch könnte der Nutzen der sexuellen Fortpflanzung so hoch sein, dass er jeden Aufwand überwiegt. Jede Adaptation bringt neue Herausforderungen mit sich. Eine der schwierigsten adaptiven Herausforderungen der sexuellen Fortpflanzung ist die Suche nach dem richtigen Partner.
Elterliche Investitionen und sexuelle Selektion Es ist erstaunlich, dass das biologische Geschlecht lediglich von der Größe der Geschlechtszellen abhängt. Reife Fortpflanzungszellen nennt man Gameten. Jeder Gamet kann potentiell mit einem Gameten des anderen Geschlechts verschmelzen, wodurch eine Zygote entsteht, die als befruchteter Gamet definiert ist. Männliche Lebewesen sind definiert als Geschlecht der kleinen Gameten, während weibliche Lebewesen per Definition große Gameten besitzen. Die weiblichen Gameten bewegen sich relativ wenig und sind mit einem reichen Vorrat an Nährstoffen ausgestattet. Die männlichen Gameten sind dagegen sehr viel mobiler. Neben der Größe und der Beweglichkeit unterscheidet sich auch die Anzahl der Geschlechtszellen. Männer produzieren Millionen von Spermien, pro Stunde kann die Produktionsrate bei bis zu zwölf Millionen liegen. Frauen produzieren dagegen einen festen und nicht erneuerbaren lebenslangen Vorrat von etwa 400 Eizellen. Die anfäglich größere Investition der Frauen in die Gameten endet nicht mit den Eizellen. Sie sind auch für Befruchtung und Schwangerschaft zuständig, wichtige Bestandteile der menschlichen elterlichen Investitionen. Ein Geschlechtsakt, der nur eine minimale Investition des Mannes erfordert, kann unter Umständen eine zwangsläufige und energieaufwändige neun Monate dauernde Investition der Frau zur Folge haben, die für sie weitere Paarungsmöglichkeiten unmöglich macht. Darüber hinaus obliegt auch das Stillen, das in manchen Kulturen bis zu vier Jahre dauern kann, allein den Müttern (Shostak, 1981). In der Tierwelt gibt es keine biologischen Gesetze, die den weiblichen Tieren vorschreiben, mehr zu investieren als die Männchen. Bei manchen Arten investiert sogar das Männchen mehr, so bei der Mormonengrille, bei der Seenadel und beim Panameischen Giftpfeilfrosch (Trivers, 1985). Die männliche Mormonengrille produziert ein großes, mit reichlich Nährstoffen versehenes Samenpaket. In Regionen, in denen Nahrungsknappheit herrscht, werden solche großen Samenpakete extrem wertvoll für die Weibchen, aber gleichzeitig auch sehr schwer herstellbar für die Männchen, denn diese brauchen dazu sehr viel Nahrung. Die Weibchen konkurrieren miteinander um die Männchen, die durch hohe Investition die größten Samenpakete gebildet haben. Bei Arten, bei denen die „Geschlechterrollen“ vertauscht sind, sind die Männchen bei der Partnerwahl wählerischer als die Weibchen. So haben die Weibchen, die von den Männchen zur Befruchtung ihrer Samenpakete ausgewählt werden, etwa 60% mehr Eier als zurückgewiesene Weibchen (Trivers, 1985). Bei allen 4.000 Säugetier- und den über 200 Primatenarten sind es jedoch die Weibchen, die befruchtet werden und den Nachwuchs austragen. Die große anfängliche elterliche Investition der Weibchen macht sie zur wichtigen Fortpflanzungsressource (Trivers, 1972). Schwangerschaft, Geburt, Stillen, Versorgung, Schutz und Ernährung eines Kindes sind außergewöhnlich wertvolle Fortpflanzungsressourcen, die nicht willkürlich zugeteilt werden können. In jedem Ökonomie-Grundkurs
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
lernen wir, dass niemand, der wertvolle Ressourcen besitzt, diese nach dem Zufallsprinzip verteilt. Da die Frauen in unserer evolutionären Vergangenheit eine extrem hohe Investition als Folge eines Geschlechtsaktes riskierten, begünstigte die Evolution die Frauen, die ihre Partner sehr sorgfältig auswählten. Unsere weiblichen Vorfahren mussten extrem hohe Kosten tragen, wenn sie nicht wählerisch genug waren: Sie hatten geringeren Fortpflanzungserfolg und nur wenige ihrer Kinder überlebten lange genug, um sich selbst fortzupflanzen. Ein Mann konnte sich in der Evolutionsgeschichte nach einem flüchtigen Fortpflanzungsakt einfach abwenden, denn er hatte ja nur einige Stunden oder gar Minuten verloren. Sein Fortpflanzungserfolg war dadurch nicht ernsthaft beeinträchtigt. Eine Frau in der Evolutionsgeschichte riskierte dagegen eine Schwangerschaft und die damit verbundenen Risiken und jahrelangen Kosten. Die modernen Methoden der Geburtenkontrolle haben dies verändert. In den heutigen Industrieländern können Frauen kurzfristige sexuelle Beziehungen eingehen, ohne eine Schwangerschaft fürchten zu müssen. Die menschliche Psychologie der Sexualität hat sich jedoch über Millionen Jahre hinweg dazu entwickelt, mit den Adaptationsproblemen der Vorfahren umgehen zu können, bevor es die modernen Verhütungsmethoden gab. Also besitzen die Menschen immer noch diese grundlegende Sexualpsychologie, obwohl sich die moderne Umwelt verändert hat. Zusammenfassend trifft Trivers’ (1972) Theorie der elterlichen Investitionen und der sexuellen Selektion zwei grundlegende Vorhersagen: (1) das Geschlecht, das mehr in den Nachwuchs investiert (in der Regel, doch nicht immer das weibliche Geschlecht), wird bei der Partnerwahl wählerischer sein; und (2) das Geschlecht, das weniger in den Nachwuchs investiert, wird um das andere Geschlecht stärker konkurrieren. Beim Menschen bringt offensichtlich die Frau die größere obligatorische elterliche Investition ein. Um ein einziges Kind auf die Welt zu bringen, muss die Frau eine neunmonatige Schwangerschaft auf sich nehmen, während der Mann dieses Kind mit einer Investition von nur wenigen Minuten zeugen kann. Wenn es zur langfristigen Partnerwahl oder zur Heirat kommt, ist auch klar, dass sowohl Frauen als auch Männer verstärkt in die Kinder investieren, weshalb die Theorie der elterlichen Investitionen besagt, dass beide Geschlechter bei der Partnerwahl sehr wählerisch sein sollten.
Partner-Vorlieben als psychologische Mechanismen der Evolution Betrachten wir eine unserer weiblichen Vorfahren, die sich zwischen zwei Männern entscheiden musste, von denen sich einer ihr gegenüber sehr großzügig gezeigt hatte, während der andere eher kleinlich war. Ceteris paribus ist der großzügige Mann für sie wertvoller als der kleinlichere, denn er wird seine Zeit, Energie und Ressourcen zum Nutzen der Kinder opfern und damit zum Fortpflanzungserfolg der Frau beitragen. So gesehen hat der großzügige Mann als Partner einen höheren Wert als der geizige. Wenn im Laufe der Evolution großzügige Männer wiederholt diesen gesteigerten Nutzen brachten und die Hinweise auf diese Großzügigkeit bei Männern sichtbar und zuverlässig waren, so wird die Evolution eine Präferenz für großzügige Partner hervorgebracht haben.
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Dies hätte natürlich bei Männern den Selektionsdruck erzeugt, Großzügigkeit zu entwickeln; es gibt jedoch mindestens zwei Faktoren, die zur Erhaltung individueller Unterschiede auf der Ebene zwischen Geiz und Großzügigkeit führen könnten. Zum einen könnte die Großzügigkeit mit der vorhandenen Ressourcenmenge korrelieren. Für einen Millionär ist es leichter, viele Gäste einzuladen, als für einen armen Mann. Da Männer unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung haben, könnte unterschiedliche Großzügigkeit darauf zurückzuführen sein. Zum anderen können Männer sehr wählerisch darin sein, welcher Frau sie ihre Ressourcen zuteil werden lassen. So kann ein Mann seine Ressourcen einer Frau vorenthalten und sie gleichzeitig einer anderen zugute kommen lassen. Alle Männer können unter bestimmten Bedingungen großzügig oder eben geizig sein. Deshalb achten Frauen vielleicht besonders darauf, ob sich ein Mann ihnen persönlich gegenüber als großzügig erweist. Betrachten wir nun eine kompliziertere aber auch realistischere Situation, in der sich die Männer nicht nur in ihrer Großzügigkeit unterscheiden, sondern auch auf verwirrend viele andere Arten, die bei der Partnerwahl eine Rolle spielen. Männer unterscheiden sich in ihrer körperlichen Stärke, ihren athletischen Fähigkeiten, ihrem Ehrgeiz und Fleiß, ihrer Freundlichkeit und ihrem Einfühlungsvermögen, ihrer emotionalen Ausgeglichenheit, ihrer Intelligenz, ihren sozialen Fähigkeiten, ihrem Sinn für Humor, ihrem Familiensinn und ihrer Position in der gesellschaftlichen Hierarchie. Männer bringen auch unterschiedliche „Altlasten“ mit in eine Beziehung: einige haben Kinder, Schulden, sind oft übellaunig, egoistisch oder wechseln häufig die Partnerin. Außerdem unterscheiden sich Männer noch auf hunderte andere Arten und Weisen, die aber für Frauen irrelevant sind. Die Selektion hat über hunderttausende von Jahren hinweg die Frauen dazu gebracht, ihre Vorlieben punktgenau auf die männlichen Eigenschaften auszurichten, die den größten Adaptationsvorteil bringen. Frauen, die diese besonderen adaptiven Vorlieben nicht entwickelt haben, sind nicht in unserer Ahnenreihe zu finden, denn ihre Gene wurden vonden Genen der Frauen verdrängt, die besser gewählt hatten. Welche Eigenschaften der Mensch bevorzugt, ist jedoch keine statische Angelegenheit. Da sich die Menschen im Laufe der Zeit verändern, müssen sie bei der Partnerwahl das zukünftige Potential möglicher Partner genau abwägen. Vielleicht fehlen einem Mann heute noch die notwendigen Ressourcen, als Medizinstudent hat er aber sehr gute Zukunftsaussichten; oder ein Mann ist zwar sehr ehrgeizig, hat aber seinen beruflichen Höhepunkt bereits erreicht. Vielleicht hat er auch Kinder mit einer anderen Frau, die aber schon aus dem elterlichen Haus ausziehen und ihn so nicht mehr finanziell belasten. Um den Wert eines Mannes als Partner genau zu beurteilen, muss die Frau über seine gegenwärtige Situation hinaus auch sein zukünftiges Potential mit einbeziehen. Kurz gesagt haben sich in der Evolution diejenigen Frauen durchgesetzt, die Männer bevorzugen, deren Eigenschaften ihnen Vorteile bringen, und Männer ablehnen, die ihnen Kosten verursachen. Jede einzelne Eigenschaft stellt ein Kriterium bei der Bestimmung des Wertes des Mannes als Partner der Frau dar. Jede ihrer Vorlieben zielt auf eines dieser Kriterien ab.
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
Präferenzen, die bestimmten Kriterien Priorität einräumen, lösen jedoch das Problem der Partnerwahl nicht voll und ganz. Hierbei muss eine Frau sich damit auseinandersetzen, die Hinweise, ob ein Mann tatsächlich bestimmte Ressourcen besitzt, zu entdecken und richtig zu bewerten. Dieses Beurteilungsproblem wird dort besonders akut, wo Männer die Frauen erfolgreich täuschen können, indem sie z.B. vorgeben, einen höheren Status zu haben, oder ein größeres Engagement vortäuschen, als sie tatsächlich einzugehen bereit sind. Schließlich müssen Frauen es schaffen, all ihr Wissen über einen möglichen Partner zu bündeln. Nehmen wir an, ein Mann ist zwar großzügig aber emotional instabil. Ein anderer ist zwar stabil, aber auch geizig. Welchen Mann soll die Frau wählen? Für die Partnerwahl sind psychologische Mechanismen notwendig, die es der Frau ermöglichen, alle Eigenschaften aufzusummieren und jede angemessen zu gewichten. Dabei sind einige Eigenschaften natürlich für die endgültige Entscheidung, ob ein Mann ausgewählt oder abgelehnt wird, wichtiger als andere. Eine dieser Eigenschaften, die ein starkes Gewicht haben, ist der Erwerb von Ressourcen.
4.2
Inhalte der Partner-Präferenzen der Frau
Mit diesem theoretischen Hintergrund wenden wir uns nun den eigentlichen Inhalten der weiblichen Partner-Vorlieben zu (zusammengefasst in Tabelle 4.1). Wie bereits dargelegt, ist die Partnerwahl eine komplizierte Angelegenheit, von daher erwarten wir auch gar keine einfachen Antworten auf die Frage: Was wollen die Frauen? Es gibt wohl kein Thema, über das in der evolutionären Psychologie mehr geforscht wurde und deshalb gibt es auch einige zuverlässige Antworten auf diese uralte Frage. Adaptationsproblem
Durch Evolution entstandene Partner-Vorliebe
Auswahl eines Partners, der investieren kann
Gute finanzielle Aussichten Gesellschaftlicher Status Höheres Alter Ehrgeiz/Fleiß Größe, Stärke, athletische Fähigkeiten
Auswahl eines Partners, der investieren möchte
Zuverlässigkeit und Stabilität Anzeichen von Liebe und Bindungswillen Positiver Umgang mit Kindern
Auswahl eines Partners, der Frau und Kinder körperlich beschützen kann
Körpergröße Stärke Mut Athletische Fähigkeiten
Tabelle 4.1: Adaptationsprobleme bei der langfristigen Partnerwahl und hypothetische Lösungen
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Adaptationsproblem
Durch Evolution entstandene Partner-Vorliebe
Auswahl eines Partners, der ein guter Vater sein wird
Zuverlässigkeit Emotionale Stabilität Freundlichkeit Positiver Umgang mit Kindern
Auswahl eines kompatiblen Partners
Ähnliche Werte Ähnliches Alter Ähnliche Persönlichkeit
Auswahl eines gesunden Partners
Physische Attraktivität Symmetrie Gesundheit
Tabelle 4.1: Adaptationsprobleme bei der langfristigen Partnerwahl und hypothetische Lösungen (Forts.)
Präferenz für wirtschaftliche Ressourcen Die Evolution der weiblichen Vorliebe für Männchen, die Ressourcen anbieten, ist vielleicht das älteste und beherrschende Fundament weiblicher Auswahl im Tierreich. Betrachten wir den Grauen Würger, einen Vogel aus der Negev-Wüste in Israel (Yosef, 1991). Kurz vor der Brutzeit beginnt der männliche Würger damit, einen großen Vorrat an essbarer Beute, z.B. Schnecken, und an nützlichen Gegenständen, z.B. Federn und Stofffetzen, anzulegen. Davon sammelt er zwischen 90 und 120 Stück. Diese Dinge spießt er auf Dornen und andere spitze Gegenstände innerhalb seines Reviers auf. Die Weibchen prüfen alle Männchen und entscheiden sich dann für das Männchen mit den größten Vorräten. Als Yosef willkürlich einigen Männchen einen Teil ihrer Beute wegnahm und anderen gab, entschieden sich die Weibchen immer noch für die Männchen mit den größten Ressourcen. Männchen ohne Ressourcen wurden völlig gemieden und so zum Junggesellendasein gezwungen. Wenn Weibchen bestimmte Vorlieben bei der Partnerwahl zeigen, sind die Ressourcen der Männchen dafür oft das ausschlaggebende Kriterium. Bei den Menschen müssen drei Bedingungen erfüllt sein, damit sich eine weibliche Präferenz für Männer mit Ressourcen entwickelt. Erstens muss es Männern im Laufe der Evolutionsgeschichte möglich gewesen sein, Ressourcen anzuhäufen, zu verteidigen und zu kontrollieren. Zweitens müssen sich Männer darin unterscheiden, wie viele Ressourcen sie besitzen und wie sehr sie dazu bereit sind, diese in eine Frau und deren Kinder zu investieren, denn wenn alle Männer die gleichen Ressourcen besäßen und auch im gleichen Maße bereit wären, sie zu investieren, hätten die Frauen es nie nötig gehabt, eine solche Präferenz zu entwickeln. Drittens müsste der Nutzen daraus, mit einem einzigen Mann zusammen zu sein, die Vorteile, mit mehreren Männern zusammen zu sein, überwiegen. Diese Bedingungen sind beim Menschen leicht zu erfüllen. Territorien und Werkzeuge, um nur zwei Ressourcen zu nennen, werden weltweit von Männern beschafft, verteidigt, mono-
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polisiert und kontrolliert. Es gibt große Unterschiede, wie viele Ressourcen jeder Mann – vom Obdachlosen bis zum Jetsetter – zur Verfügung hat. Männer unterscheiden sich auch sehr stark in ihrer Bereitschaft, ihre Zeit und ihre Ressourcen in langfristige Partnerschaften zu investieren. Einige Männer ziehen es vor, viele verschiedene Partnerinnen zu haben und so nur wenig in jede einzelne zu investieren. Andere Männer lassen ihre Ressourcen nur einer Frau und deren Kindern zugute kommen (Belsky, Steinberg & Draper, 1991). Im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte konnten Frauen oft mit einem einzigen Ehepartner sehr viel mehr Ressourcen für ihre Kinder sichern als mit mehreren vorübergehenden Beziehungspartnern. Männer investieren in ihre Ehefrauen und Kinder und versorgen diese in einem Maße, das es bisher bei Primaten nicht gab. Bei allen anderen Primaten müssen sich die Weibchen ausschließlich auf ihre eigenen Anstrengungen zur Nahrungsbeschaffung verlassen, denn die männlichen Vertreter teilen ihre Beute niemals mit ihren Partnerinnen (Smuts, 1995). Die Männer der Menschen dagegen ernähren und beschützen ihre Kinder und verteidigen ihr Territorium. Sie trainieren ihre Kinder im Sport, bringen ihnen Jagen, Kämpfen und Hierarchieverhandlungen bei und zeigen ihnen, was Freundschaft und soziales Verhalten bedeutet. Sie übertragen ihren Status auf die Kinder und unterstützen sie so darin, später im Leben wechselseitig nützliche Beziehungen aufzubauen. Eine Frau, die einen vorübergehenden Sexualpartner wählt, kann diese Vorteile wohl kaum für ihre Kinder in Anspruch nehmen. Zwar können nicht alle potentiellen Ehemänner alle diese Vorteile bieten, doch war es für Frauen zu allen Zeiten nützlich, sich für Partner zu entscheiden, die ihnen einige dieser Vorteile bieten konnten. Dies schuf die evolutionäre Voraussetzung der Präferenz der Frauen für Männer mit Ressourcen. Sie brauchten jedoch Hinweise, die ihnen zeigen konnten, ob ein Mann Ressourcen besaß. Diese Hinweise können indirekter Natur sein wie etwa bestimmte Charakterzüge, die eine Mobilität nach oben andeuten; sie können physischer Natur sein wie etwa die körperliche Fitness und Gesundheit eines Mannes. Sie können auch seinen Ruf mit einbeziehen und wie sehr ihn seine Umwelt schätzt. Der tatsächliche Besitz wirtschaftlicher Ressourcen ist jedoch immer noch der deutlichste Hinweis.
Präferenz für gute finanzielle Aussichten Aktuelle Präferenzen bei der Partnerwahl gewähren uns einen Einblick, wie sich diese in der Vergangenheit vollzog – ebenso wie unsere Angst vor Schlangen und großen Höhen uns die Gefahren der Vergangenheit verdeutlicht. Dutzende von Studien belegen, dass die moderne Frau der westlichen Welt die wirtschaftlichen Ressourcen ihres Partners tatsächlich weit höher bewertet als dies beim Mann der Fall ist. In einer Studie aus dem Jahr 1939 bewerteten US-Amerikaner und -Amerikanerinnen 18 Eigenschaften gemäß ihrer relativen Bedeutung in Bezug auf einen Ehepartner von irrelevant bis unerlässlich. Zwar sahen die Frauen gute finanzielle Aussichten nicht als absolut unerlässlich an, sie stuften diese aber dennoch als wichtig ein, während Männer sie lediglich als wünschenswert, aber nicht sehr wichtig, einschätzten. In der Studie von 1939 bewerteten die Frauen gute finanzielle Aussichten ihres Partners etwa doppelt so hoch wie die Männer, ein Ergebnis, das sich 1956 und auch 1967 replizieren ließ (Hill, 1945; Hudson & Henze, 1969; McGinnis, 1958).
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Auch die sexuelle Revolution der späten 1960er und frühen 1970er Jahre änderte an diesen Unterschieden zwischen den Geschlechtern nichts. Mitte der 1980er Jahre wollte man diese früheren Studienergebnisse nochmals auffrischen und befragte 1.491 Amerikanerinnen und Amerikaner nach dem gleichen Schema (Buss, 1989a). Männer und Frauen aus Massachusetts, Michigan, Texas und Kalifornien beurteilten 18 Eigenschaften gemäß ihres Werts bei einem Ehepartner. Wie in früheren Jahrzehnten schätzten Frauen gute finanzielle Aussichten ihres Partners als etwa doppelt so wichtig ein wie dies bei Männern der Fall war. 1939 bewerteten die Frauen „gute finanzielle Aussichten“ mit 1,80 auf einer Skala von 0 (irrelevant) bis 3 (unerlässlich); Männer dagegen bewerteten „gute finanzielle Aussichten“ 1939 lediglich mit 0,90. 1985 bewerteten Frauen diese Eigenschaft mit 1,90, während Männer ihr einen Wert von 1,02 gaben – die Bewertung der Frauen lag also immer noch etwa doppelt so hoch wie die der Männer (Buss, Shackelford, Kirkpatrick, & Larsen, 2001). Die Tatsache, dass Frauen hauptsächlich auf wirtschaftliche Ressourcen achten, zeigt sich in einer Reihe verschiedener Zusammenhänge. Douglas Kenrick und seine Kollegen entwickelten eine aufschlussreiche Methode um festzustellen, wie wichtig die Personen verschiedene Eigenschaften eines Ehepartners einschätzen. Sie baten darum, jede Eigenschaft, die als akzeptabel angesehen wurde, mit „Mindestperzentil“ zu versehen (Kenrick, Sadalla, Groth, & Trost, 1990). Der Perzentil-Begriff wurde folgendermaßen erklärt: „Eine Person im 50. Perzentil läge bei der Verdienstfähigkeit über 50% der anderen Personen und unter 49% der Personen in dieser Dimension.“ (S. 103) Amerikanische College-Studentinnen gaben an, dass bei der Verdienstfähigkeit das Mindestperzentil eines Mannes das 70. Perzentil oder oberhalb 70% aller anderen Männer sei. Bei Männern ist das akzeptable Mindestperzentil ihrer Ehefrau, wenn es um ihre Verdienstfähigkeit geht, lediglich das vierzigste. Auch bei Partnern für eine sexuelle Beziehung oder eine feste Beziehung bewerten Frauen die wirtschaftlichen Fähigkeiten der Männer höher, wie Abbildung 4.1 zeigt. Kontaktanzeigen in Zeitungen und Zeitschriften belegen, dass Frauen, die tatsächlich auf der Suche nach einem Lebenspartner sind, finanzielle Ressourcen als sehr wichtig einschätzen. Eine Studie, die 1.111 Kontaktanzeigen untersuchte, ergab, dass Frauen im Vergleich zu Männern elfmal häufiger nach finanziellen Ressourcen suchen (Wiederman, 1993). Kurz gesagt gibt es nicht nur bei Studenten geschlechtsbezogene Unterschiede, was die Präferenz für finanzielle Ressourcen angeht. Auch scheuen sich Frauen nicht davor, direkt danach zu fragen. Diese weiblichen Präferenzen sind im Übrigen keineswegs auf Amerika, die westliche Welt oder die kapitalistischen Länder beschränkt. Eine groß angelegte, kulturübergreifende Studie untersuchte 37 Kulturen auf sechs Kontinenten und fünf Inseln, darunter australische Küstenbewohner, brasilianische Großstadtbewohner und Zulus aus den Slums Südafrikas (Buss, Abbott, Angleitner, et al., 1990). Einige Teilnehmer kamen aus Nationen, die Polygamie praktizieren (ein Mann hat mehrere Partnerinnen oder Ehefrauen), wie etwa Nigeria oder Sambia. Andere Teilnehmer kamen aus Nationen, die monogam leben (ein Mann hat nur eine Partnerin), etwa Kanada oder Spanien. In manchen Ländern ist das Zusammenleben von Mann und Frau ohne Trauschein gang und gäbe, z.B. in Schweden oder Finnland, während es in anderen Ländern gesellschaftlich nicht akzeptiert wird, z.B. in Bulgarien oder Griechenland. Die Studie untersuchte insgesamt 10.047 Einzelpersonen aus 37 Kulturen, wie in Abbildung 4.2 dargestellt (Buss, 1989a).
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Gerade noch akzeptierte Verdienstfähigkeit (in Perzentilen ausgedrückt)
70
Männer Frauen
60
50 Abbildung 4.1: Akzeptable Mindestverdienstfähigkeit auf verschiedenen Ebenen einer Beziehung Was die Verdienstfähigkeit ihrer Partner betrifft, gehen Frauen von wesentlich höheren Mindeststandards aus, die bei einer langfristigen Beziehung (Ehe) ihren Höhepunkt erreichen. Quelle: Evolution, traits, and the stages of human courtship: Qualifying the parental investment model by D. T. Kenrick, E. K. Sadalla, G. Groth, & M. R. Trost, Journal of Personality, 58, 1990, 97-116.
40
30
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20
Männliche und weibliche Studienteilnehmer bewerteten 18 Eigenschaften eines potentiellen Partners oder Ehepartners auf einer Skala von unbedeutend bis unerlässlich. Auf allen Kontinenten, in allen politischen Systemen (darunter Sozialismus und Kommunismus), durch alle Volkszugehörigkeiten und Religionen, in allen Partnerschaftssystemen (von intensiver Polygynie bis zur treuen Monogamie) legten die Frauen mehr Wert auf gute finanzielle Zukunftsaussichten als Männer dies taten. Insgesamt gesehen bewerteten Frauen finanzielle Ressourcen ca. 100% höher als Männer, sie maßen diesen also doppelt so viel Bedeutung bei (siehe Abbildung 4.3). Es gibt einige kulturbedingte Abweichungen. Frauen aus Nigeria, Sambia, Indien, Indonesien, dem Iran, Japan, Taiwan, Kolumbien und Venezuela halten gute finanzielle Aussichten für etwas wichtiger als Frauen aus Südafrika (Zulus), den Niederlanden und Finnland. In Japan bewerteten Frauen gute finanzielle Aussichten etwa 150% höher als Männer, während niederländische Frauen sie nur um 36% wichtiger erachteten und sie damit geringer einschätzten als Frauen von irgendwo sonst. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern blieb jedoch immer bestehen: Weltweit schätzen Frauen die Bedeutung finanzieller Ressourcen in einer Ehe wichtiger ein als Männer.
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Abbildung 4.2: Lage von 37 teilnehmenden Kulturen einer internationalen Partnerwahl-Studie Der Autor der internationalen Studie über männliche und weibliche Partnerpräferenzen untersuchte 37 Kulturen, die wie oben angegeben verteilt sind. Zusammen mit seinen Kollegen ermittelte er die Partnerwünsche von 10.047 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus sechs Kontinenten und von fünf Inseln. Die Ergebnisse stellen die größte Datenbank menschlicher Partnerwahl-Präferenzen dar, die je zusammengetragen wurden. Quelle: Buss, D. M. (1994a). The strategies of human mating. American Scientist, 82, 238-249.
Unerlässlich 3.0
Männer Frauen
2.5 2.0 1.5 1.0 .5 Unwichtig
0
Japan N = 259 p < .0001
Sambia Jugoslawien Australien N = 119 p < .0001
N = 140 p < .002
USA
N = 280 N = 1,491 p < .0001 p < .0001
Abbildung 4.3: Präferenz für gute finanzielle Aussichten eines Ehepartners Teilnehmer aus allen Kulturen bewerteten diese Variable im Zusammenhang mit 18 weiteren Variablen bei der Auswahl eines möglichen langfristigen Partners oder Ehepartners. Die Bewertung erfolgte auf einer Vier-Punkte-Skala von 0 (unwichtig) bis 3 (unerlässlich). N = Anzahl der Testpersonen P-Werte unter 0,05 zeigen an, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern statistisch signifikant ist. Quelle: Buss, D. M. & Schmidt, D. P. (1993). Sexual strategies theory: An evolutionary perspective on human mating. Psychological Review, 100, 204-232. Copyright © 1993 by the American Psychological Association.
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Die Studienergebnisse lieferten zum ersten Mal ausführliches, kulturübergreifendes Material, das die evolutionäre Basis der Psychologie menschlicher Partnerwahl stützte. Da unsere weiblichen Vorfahren sich der großen Belastung innerlicher Befruchtung, neunmonatiger Schwangerschaft und anschließender Stillzeit ausgesetzt sahen, profitierten sie enorm davon, wenn sie sich einen Partner suchten, der Ressourcen besaß. Diese kulturübergreifenden Daten stützen die Hypothese, dass die heute lebenden Frauen Nachkommen einer langen Linie von Frauen sind, die diese Vorlieben in Bezug auf einen Partner hatten – Vorlieben, die ihren Vorfahren halfen, die Adaptationsprobleme des Überlebens und der Fortpflanzung zu lösen.
Präferenz für einen hohen gesellschaftlichen Status Traditionelle Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, die uns noch am ehesten erahnen lassen, wie unsere Vorfahren lebten, lassen darauf schließen, dass es bei ihnen unter den Männern klar definierte Status-Hierarchien gab, wobei die Spitzen der Hierarchie ungehinderten Zugriff auf alle Ressourcen hatten und dieser Besitzstand ungern nach unten freigegeben wurde (Betzig, 1986; Brown & Chia-Yun, nicht datiert). Kulturübergreifend gibt es bei Gruppen wie den Melanesiern, den frühen Ägyptern, den Sumerern, den Japanern und den Indonesiern Menschen, die als „Hauptmänner“ oder „große Männer“ bezeichnet wurden, große Macht besaßen und bei der Ressourcenverteilung einen privilegierten Status genossen. In vielen südasiatischen Sprachen findet sich der Begriff „großer Mann“, z.B. in Sanskrit, Hindi und mehreren drawidischen Sprachen. So bedeutet etwa bara asami auf Hindi „großer Mann, Person mit hoher Position oder hohem Rang“ (Platts, 1960, S. 151-152). In Nordamerika, nördlich von Mexiko findet man „großer Mann“ und ähnliche Begriffe bei den Wappo, Dakota, Miwok, Natick, Choctaw, Kiowa und den Osage. In Mexiko und Südamerika gibt es die Bezeichnung „großer Mann“ und verwandte Begriffe bei den Cayapa, Chatino, Mazahua, Mixe, Mixteco, Quiche, Terraba, Tzeltal, Totonaco, Tarahumara, Quechua und den Hahuatl. Sprachlich gesehen scheinen also viele Kulturen eine Notwendigkeit gesehen zu haben, Wörter oder Sätze zu erfinden, die Männer mit hohem Rang beschreiben. Eine linguistische Analyse ergibt, dass diese Begriffe Männer beschreiben, die wichtig, einflussreich und mächtig sind (Brown & Chia-yun, nicht datiert). Sie beziehen sich auf Männer, die sich (fast) an der Spitze ihrer gesellschaftlichen Hierarchien befinden und ihrem Status und Prestige nach zur Elite ihrer jeweiligen Gruppe gehören. Der gesellschaftliche Status, wie ihn diese linguistischen Ausdrücke definieren, ist normalerweise ein wichtiger Hinweis darauf, wie viele Ressourcen ein Mann besitzt. Frauen scheinen Männer zu bevorzugen, die in der Gesellschaft eine hohe Stellung innehaben, denn der gesellschaftliche Status ist ein universeller Hinweis auf die Kontrolle von Ressourcen. Ein höherer Status führt zu besserer Nahrung, mehr Landbesitz und besserer gesundheitlicher Versorgung. Kinder von höherem gesellschaftlichen Rang haben Chancen und Möglichkeiten, die Kindern verwehrt bleiben, deren Väter einer niedrigeren sozialen Schicht angehören. Weltweit haben männliche Kinder aus gesellschaftlich höher gestellten Familien mehr Möglichkeiten und Gelegenheiten, sich eine gute Partnerin aus-
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zusuchen. Eine Studie, in der 186 Gesellschaften von den Mbuti-Pygmäen in Afrika bis zu den Aleuten-Eskimos untersucht wurden, ergab, dass Männer von höherem gesellschaftlichen Stand immer wohlhabender waren, mehr Ehefrauen hatten und ihre Kinder besser versorgten (Betzig, 1986). Eine weitere Studie untersuchte die kurzfristige und die langfristige Partnerwahl, um festzustellen, welche Eigenschaften die Menschen an potentiellen Ehepartnern und im Vergleich dazu an vorübergehenden Sexualpartnern schätzen (Buss & Schmitt, 1993). Die Teilnehmer waren männliche und weibliche Studenten der Universität Michigan, eine Gruppe, bei der die Partnerwahl sowohl als kurzfristige Entscheidung als auch als Entscheidung für einen potentiellen Ehepartner eine Rolle spielte (Little, 1989). Einige hundert Einzelpersonen bewerteten 67 Eigenschaften, indem sie angaben, wie erwünscht oder unerwünscht diese bei kurzfristigen oder langfristigen Beziehungen seien, auf einer Skala von –3 (extrem unerwünscht) bis +3 (extrem erwünscht). Frauen schätzten die Erfolgswahrscheinlichkeit im Beruf und eine viel versprechende Karriere ihres potentiellen Ehepartners als sehr wünschenswert ein und bewerteten diese Merkmale mit jeweils +2,60 und +2,70. Auffällig ist, dass Frauen diese Hinweise auf den zukünftigen sozialen Status des Ehepartners als wünschenswerter einstuften als bei flüchtigen Sexualpartnern, die bei diesen Eigenschaften eine Bewertung von lediglich +1,10 bzw. +0,40 erhielten. Amerikanische Frauen legen auch großen Wert auf Bildung und Berufsabschlüsse ihrer Partner – Eigenschaften, die in engem Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Status stehen. Männer
Unerlässlich 3.0
Frauen 2.5 2.0 1.5 1.0 .5 Unwichtig
0 Brasilien
WestEstland deutschland
N = 630 N = 1,083 p < .0001 p < .0001
N = 303 NS
Taiwan
USA
N = 566 N = 1,491 p < .0001 p < .0001
Abbildung 4.4: Präferenz für gesellschaftlichen Status bei einem Ehepartner Teilnehmer aus 37 Kulturen bewerteten diese Variable im Zusammenhang mit 18 weiteren Variablen, die bei der Auswahl eines potentiellen langfristigen Partners oder Ehepartners eine Rolle spielten. Die Bewertung erfolgte auf einer Vier-Punkte-Skala zwischen 0 (irrelevant oder unwichtig) bis 3 (unerlässlich). Daten von Buss, D. M., Abbot, M., Angleitner, A., Asherian, A. Biaggio, A. und anderen Co-Autoren (1990). N = Anzahl der Testpersonen P-Werte unter 0,05 zeigen an, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern statistisch signifikant ist. NS gibt an, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht signifikant sind.
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
Nicht nur in Amerika oder in kapitalistischen Ländern legen Frauen großen Wert auf den gesellschaftlichen Status ihrer Partner. In den allermeisten der 37 Kulturen, die die internationale Studie über die Partnerwahl untersuchte, bewerteten Frauen den sozialen Status eines potentiellen Partners höher als Männer. Dies galt gleichermaßen für kommunistische wie für sozialistische Länder, für Afrikaner und Asiaten, Katholiken und Juden, in den südlichen Tropen und in nördlichen Breitengraden (Buss, 1989a). In Taiwan bewerteten Frauen sozialen Status 63% höher als Männer, in Sambia lag der Wert bei Frauen um 30% höher, in Westdeutschland waren es 38% und in Brasilien 40% (siehe Abbildung 4.4). Hierarchien kommen in allen menschlichen Gemeinschaften vor und diejenigen, die in der Hierarchie aufsteigen, neigen dazu, mehr Ressourcen anzuhäufen. Historisch gesehen scheinen Frauen das Adaptationsproblem der Ressourcenbeschaffung teilweise dadurch gelöst zu haben, dass sie Männer mit höherem Status bevorzugen. Die heute lebenden Frauen stammen von diesen erfolgreichen Vorfahren ab und haben diese Partner-Präferenz geerbt.
Präferenz für ältere Männer Auch das Alter eines Mannes ist ein deutlicher Hinweis auf seine Möglichkeiten, Ressourcen anzuhäufen. Ebenso wie junge Paviane erst mit höherem Alter in die höheren Ränge der Pavian-Gruppenhierarchie aufsteigen können, so verfügen auch Jugendliche und junge Männer selten über den Respekt, den Status oder die Position älterer Männer. Besonders extrem ist dies bei den Tiwi, einem Aborigines-Stamm, der auf zwei Inseln vor der Küste Nordaustraliens lebt (Hart & Pilling, 1960). Die Tiwi leben in einer Gerontokratie, in der die alten Männer über den größten Einfluss und die größte Macht verfügen und über ihr komplexes Netzwerk an Allianzen und Verbindungen das Partnerwahl-System beherrschen. Auch in Amerika steigen mit zunehmendem Alter Status und Wohlstand eher an. In allen 37 Kulturen, die in der internationalen Studie über die Partnerwahl untersucht wurden, zogen Frauen ältere Männer vor (siehe Abbildung 4.5). Im Gesamtdurchschnitt bevorzugen Frauen Männer, die etwa dreieinhalb Jahre älter sind als sie selbst. Der bevorzugte Altersunterschied ist zu beobachten vom französischen Teil Kanadas, wo die Männer nur knapp zwei Jahre älter als die Frauen sein sollen, bis hin zum Iran, wo die Frauen es vorziehen, wenn ihre Männer über fünf Jahre älter sind als sie. Weltweit liegt der durchschnittliche Altersunterschied zwischen Ehepartnern bei drei Jahren, was darauf schließen lässt, dass Frauen ihre Entscheidung für einen Ehepartner oft aufgrund ihrer Partner-Präferenzen treffen.
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
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+6 Männer
+5 Älter als man selbst
Frauen
+4 +3 +2 +1 0 –1 –2
Jünger als man selbst
–3 –4 –5 –6 –7 –8 Sambia
Kolumbien
Polen
Italien
USA
N = 119
N = 139
N = 240
N = 101
N = 1,491
Abbildung 4.5: Bevorzugte Altersunterschiede zwischen den Ehepartnern Die Teilnehmer gaben an, welchen Altersunterschied zu ihrem potentiellen Ehepartner sie bevorzugen würden und ob es überhaut einen solchen geben sollte. Die Skala zeigt Jahre, wobei positive Zahlen eine Präferenz für ältere Ehepartner und negative Werte eine Präferenz für jüngere Ehepartner darstellen. N = Anzahl der Testpersonen Quelle: Buss, D. M. & Schmitt, D. P. (1993). Sexual strategies theory: An evolutionary perspective on human mating. Psychological Review, 100, 204-232. Copyright © 1993 by the American Psychological Association.
Um zu verstehen, warum Frauen ältere Partner vorziehen, müssen wir bedenken, welche Dinge sich mit zunehmendem Alter verändern. Eine der zuverlässigsten Veränderungen bezieht sich auf den Zugang zu Ressourcen. In unserer heutigen westlichen Gesellschaft steigt das Einkommen normalerweise mit dem Alter an (Jencks, 1979). Doch diese Statustrends sind nicht nur in der westlichen Welt zu beobachten. Bei den Tiwi, einem polygynen Stamm, haben die meisten Männer erst mit etwa 30 Jahren einen ausreichend hohen sozialen Status erreicht, um ihre erste Frau heiraten zu können (Hart & Pilling, 1960). Selten hat ein Tiwi-Mann unter 40 einen so hohen sozialen Status erreicht, dass er sich mehr als eine Frau „leisten“ kann. Über alle Kulturen hinweg hängt das Alter stark mit Ressourcen und Status zusammen. In traditionellen Gesellschaften beruht dieser Zusammenhang zum Teil auf körperlicher Kraft und Jagdgeschick. Je älter ein junger Mann wird, desto mehr wächst seine körperliche Kraft, wobei diese mit Ende 20 bzw. Anfang 30 ihren Höhepunkt erreicht. Zwar gibt es noch keine systematischen Studien über den Zusammenhang zwischen Alter und Jagdgeschick, Anthropologen glauben jedoch, dass dieses bei einem Mann im Alter von etwa 35 Jahren seinen Höhepunkt erreicht, denn dann wird seine leicht abfallende körperliche Kraft durch sein gesteigertes Wissen, seine größere Geduld, Weisheit und seine ausgereiften Fähigkeiten mehr als kompensiert (Kim Hill, persönliches Gespräch, 1991). Also
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
könnte die weibliche Vorliebe für ältere Männer auf unsere Vorfahren, die Jäger und Sammler, zurückgehen, für die ihre durch Jagen erworbenen Ressourcen überlebenswichtig waren. In allen 37 untersuchten Kulturen zogen Frauen im Alter von 20 Jahren in der Regel Männer als Ehepartner vor, die nur wenige Jahre älter waren als sie selbst, obwohl Männer den Höhepunkt ihrer finanziellen Ressourcen erst mit über 40 oder 50 erreichen. Ein Grund warum junge Frauen sich nicht bevorzugt sehr viel älteren Männer zuwenden, könnte darin liegen, dass diese einem höheren Sterberisiko ausgesetzt sind und somit eventuell nicht mehr zur Verfügung stehen, um für ihre Kinder zu sorgen und sie zu beschützen. Außerdem könnte ein zu großer Altersunterschied zu Diskrepanzen und Streitigkeiten führen und so die Gefahr einer Scheidung erhöhen. Aus diesen Gründen könnten junge Frauen eher Männer bevorzugen, die nur wenige Jahre älter sind und eine viel versprechende Zukunft haben, als wesentlich ältere Männer zu wählen, die zwar schon einen höheren Status erreicht haben, deren Zukunft aber erheblich unsicherer ist. All diese Hinweise – wirtschaftliche Ressourcen, gesellschaftlicher Status und Alter – zielen auf ein und dasselbe ab: die Fähigkeit eines Mannes, Ressourcen anzuhäufen und zu kontrollieren, die die Frauen unserer Vorfahren für sich und ihre Kinder nutzen konnten. Der Besitz von Ressourcen allein reicht aber nicht aus. Frauen brauchen auch Männer, deren Charaktereigenschaften sie dazu bringen, im Laufe der Zeit erhebliche Ressourcen anzuhäufen. Der Ehrgeiz eines Mannes ist eine dieser Eigenschaften.
Präferenz für Ehrgeiz und Fleiß Wie kommen Menschen im täglichen Leben voran? Von allen vorhandenen Methoden erweist sich einfache harte Arbeit als einer der besten Indikatoren für erworbenes und zu erwartendes Einkommen und anstehende Beförderungen. Männer, deren Frauen wie auch sie selbst bestätigen, dass sie hart arbeiten, erreichen einen höheren Bildungsgrad und höhere Jahreseinkünfte und erwarten auch höhere Gehälter und Beförderungen als diejenigen, die nicht hart arbeiten. Fleißige und ehrgeizige Männer sichern sich einen höheren beruflichen Status als faule, unmotivierte Männer (Jencks, 1979; Kyl-Hedu & Buss, 1996). Amerikanische Frauen scheinen sich dieses Zusammenhangs bewusst zu sein, denn sie zeigen eine Präferenz für Männer, deren Eigenschaften diese voranbringen. So wurden etwa in den 1950er Jahren 5.000 amerikanische Studenten gebeten, alle Eigenschaften aufzulisten, die sie bei einem Partner als wichtig empfanden. Dabei gaben weit mehr Frauen als Männer an, sie wollten einen Partner, dem seine Arbeit Spaß mache, der karriereorientiert, fleißig und ehrgeizig sei (Langhorne & Secord, 1955). Die 852 allein stehenden und die 100 verheirateten Amerikanerinnen der internationalen Studie zur Partnerwahl stuften Ehrgeiz und Fleiß einstimmig als wichtig oder unerlässlich ein (Buss, 1989a). In der Studie über die lang- und kurzfristige Partnerwahl stufen Frauen Männer, die zu wenig Ehrgeiz zeigen, als extrem unattraktiv ein, während Männer einem solchen fehlenden Ehrgeiz bei Frauen völlig neutral gegenüberstehen (Buss & Schmitt, 1993). Frauen werden eine Beziehung zu einem Mann höchstwahrscheinlich beenden, wenn er seinen Job verliert, keine Karriereziele hat oder eher faul ist (Betzig, 1989).
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Doch nicht nur in den Vereinigten Staaten oder der westlichen Welt zeigen Frauen Vorlieben für ehrgeizige und fleißige Männer. In fast allen Kulturen schätzen Frauen im Vergleich zu Männern den Wert von Ehrgeiz und Fleiß höher ein und bewerten ihn normalerweise als wichtig oder unerlässlich. In Taiwan beispielsweise bewerten Frauen Fleiß und Ehrgeiz um 26% höher als Männer, in Bulgarien sind es 29% und in Brasilien gar 30%. Dieses kulturübergreifende und geschichtlich überlieferte Material stützt die wichtige evolutionstheoretisch motivierte These, dass Frauen eine Vorliebe für Männer entwickelt haben, die alle Voraussetzungen aufweisen, um Ressourcen anzuhäufen, und dass sie Männer meiden, denen der Ehrgeiz fehlt, der zur Ressourcenanhäufung oftmals notwendig ist. Aufgrund dieser Vorliebe konnten die Frauen unserer Vorfahren das entscheidende Adaptationsproblem der Ressourcensicherung lösen und außerdem die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ressourcen einschätzen, wenn es keine direkten und offensichtlichen Anzeichen für diese gab. Selbst wenn Ressourcen direkt und offensichtlich vorhanden waren, so war der Fleiß und der Ehrgeiz eines Mannes ebenfalls ein guter Indikator dafür, ob die Ressourcen in diesem Maße weiterhin zur Verfügung stehen würden. Die Befunde weisen darauf hin, dass die heutigen Frauen von den Frauen abstammen, die gemäß eben dieser Vorliebe handelten.
Präferenz für Zuverlässigkeit und Stabilität Unter den 18 Eigenschaften, die in der internationalen Studie über die Partnerwahl bewertet wurden, sind – nach der Liebe – die am zweit- und dritthöchsten bewerteten Merkmale ein zuverlässiger Charakter und emotionale Stabilität oder Reife. In 21 von 37 Kulturen zeigten Männer und Frauen die gleiche Präferenz für die Zuverlässigkeit eines Partners (Buss, et al., 1990). In den übrigen 16 Kulturen schätzten Frauen den Wert der Zuverlässigkeit höher ein als Männer dies taten. Betrachtet man den Durchschnitt aller 37 Kulturen, so bewerteten die Frauen einen verlässlichen Charakter mit 2,69, wobei die 3 für unerlässlich steht; Männer bewerten ihn mit durchschnittlich 2,50 als fast genauso wichtig. Bei der emotionalen Stabilität oder Reife gibt es größere Unterschiede zwischen den Geschlechtern. In 23 Kulturen bewerten Frauen diese Eigenschaft höher als Männer dies taten; in den restlichen 14 Kulturen bewerten sie beide gleich hoch. Betrachtet man den Durchschnitt aller Kulturen, geben Frauen dieser Eigenschaft eine 2,68, während Männer sie mit 2,47 bewerten. Tatsächlich messen Frauen aller Kulturen diesen Eigenschaften einen sehr hohen Wert bei und schätzen sie bei einem potentiellen Ehepartner als wichtig bis unerlässlich ein. Es gibt zwei mögliche Gründe, warum diese Merkmale für Frauen weltweit einen so hohen Stellenwert haben. Erstens sind es sichere Anzeichen dafür, dass über einen langen Zeitraum hinweg Ressourcen beständig zur Verfügung stehen werden. Zum zweiten sind Männer, denen Zuverlässigkeit und emotionale Stabilität fehlen, unberechenbar in ihrer Versorgung und verursachen ihren Partnern hohen emotionalen und anderen Aufwand (Buss, 1991). Sie neigen zu Egoismus und monopolisieren gemeinsame Ressourcen. Außerdem sind sie oft besitzergreifend und beanspruchen ihre Frauen die meiste Zeit für sich. Sie zeigen überdurchschnittlich hohe sexuelle Eifersucht und geraten schon in Wut,
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
wenn ihre Ehefrauen nur mit einem anderen Mann sprechen. Sie sind unselbständig und bestehen darauf, sich all ihre Bedürfnisse von ihren Frauen erfüllen zu lassen. Sie neigen zu verbalem und körperlichem Missbrauch. Sie lassen es an Aufmerksamkeit fehlen, sind unpünktlich und auch launiger als ihre beständigeren Geschlechtsgenossen. Oft werden sie ohne erkennbaren Grund laut. Sie haben überdurchschnittlich viele Affären, d.h. ihre Zeit und Ressourcen werden noch zusätzlich in andere Kanäle gelenkt (Buss & Shackelford, 1997). All dies zeigt, dass diese Männer die Zeit und Ressourcen ihrer Partner aufbrauchen, ihre eigene Zeit und Ressourcen anderweitig einsetzen und eine beständige Einteilung derselben vermissen lassen werden. Zuverlässigkeit und Stabilität sind persönliche Eigenschaften, die darauf schließen lassen, dass die von der Frau benötigten Ressourcen nicht vollends durch den Mann aufgebraucht werden. Die Unberechenbarkeit emotional instabiler Männer ist aufwandsintensiv, denn sie blockiert Lösungen für entscheidende Adaptationsprobleme. Eine unzuverlässige Versorgung mit Ressourcen kann die Erreichung der notwendigen Ziele für Überleben und Reproduktion ernsthaft gefährden. Gibt es plötzlich kein Fleisch, weil ein unberechenbarer, sprunghafter oder unbeständiger Mann sich in letzter Minute dazu entschließt, ein Nickerchen zu machen, anstatt auf die Jagd zu gehen, bedeutet das für die Frau, dass Nahrung, auf die sie sich verlassen hatte, nicht zur Verfügung steht. Dadurch entstehen Probleme. Ressourcen erweisen sich als am wertvollsten, wenn sie vorhersagbar sind. Unregelmäßig zur Verfügung gestellte Ressourcen können verderben, wenn die Bedürfnisse, für die sie bestimmt waren, bereits durch andere, kostspieligere Mittel gedeckt werden mussten. Regelmäßig und vorhersagbar gelieferte Ressourcen können effektiver eingeteilt und eingesetzt werden, um die vielen adaptiven Hürden zu meistern, die im täglichen Leben auftauchen. Frauen legen besonders großen Wert auf Zuverlässigkeit und emotionale Stabilität, damit sie die Vorteile, die ihnen ein Partner bietet, langfristig und dauerhaft nutzen können. Zur Zeit unserer Vorfahren hatten Frauen, die sich für stabile, zuverlässige Partner entschieden, größere Chancen, von diesem Partner dauerhaft brauchbare Ressourcen zu erhalten, die sie für sich und ihre Kinder einsetzen konnten. Frauen, die diese kluge Entscheidung trafen, vermieden einen Großteil des zusätzlichen Aufwandes, der von unzuverlässigen und instabilen Männern verursacht wurde.
Präferenz für athletische Fähigkeiten Im gesamten Tierreich zeigt sich, dass körperliche Eigenschaften bei der Partnerwahl der Weibchen eine große Rolle spielen. So sind z.B. männliche Gladiatorenfrösche dafür zuständig, Nester zu bauen und die Eier zu verteidigen. Wirbt ein GladiatorenfroschMännchen um ein Weibchen, sitzt es ganz still und lässt sich von ihm Stöße versetzen. Sie schlägt ihn mit all ihrer Kraft, so dass er manchmal rückwärts das Gleichgewicht verliert oder sogar Reißaus nimmt. Bewegt sich das Männchen zu sehr oder sucht es sogar das Weite, so sucht sich das Weibchen rasch einen anderen potentiellen Partner. Es kommt höchst selten vor, dass sie ein Männchen ablehnt, das ihren Schlägen standhält. Diese
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Schläge helfen dem Weibchen, zu beurteilen, wie erfolgreich das Männchen ihre Brut verteidigen wird. Der Schlagtest offenbart die körperliche Fähigkeit des Männchens zur Verteidigung. Frauen sehen sich oft der körperlichen Überlegenheit größerer, stärkerer Männer ausgesetzt, was zu Verletzungen und sexueller Dominanz führen kann. Auch zur Zeit unserer Vorfahren sind solche Konstellationen mit gewisser Regelmäßigkeit aufgetreten. Einige Studien über nicht menschliche Primatengruppen zeigen sogar, dass die körperliche und sexuelle Dominanz der männlichen über die weiblichen Gruppenmitglieder bei unseren Vorfahren immer wieder auftauchte. Die Primatologin Barbara Smuts lebte eine Zeit lang bei den Pavianen der afrikanischen Savanne und untersuchte dabei auch ihr Paarungsverhalten (Smuts, 1985). Sie fand heraus, dass viele Weibchen dauerhafte „spezielle Freundschaften“ zu Männchen aufbauten, die sie und ihre Kinder beschützten. Dafür gewährten die Weibchen ihren „Freunden“ während ihrer Paarungsbereitschaft bevorzugten sexuellen Zugang. Im Grunde tauschten die Weibchen also Sex gegen Schutz. Analog dazu ist der körperliche Schutz einer der Vorteile, den eine Frau aus einer langfristigen Partnerschaft mit einem Mann ziehen kann. Die Größe, Stärke, körperliche Beschaffenheit und athletische Fähigkeit eines Mannes sind Hinweise auf seine Fähigkeiten, die Partnerin und die Kinder zu beschützen. Es zeigt sich, dass die weiblichen Präferenzen bei der Partnerwahl eben diese Hinweise widerspiegeln. In der Studie über vorübergehende und langfristige Partnerschaften bewerteten amerikanische Frauen eine Reihe körperlicher Eigenschaften. So waren kleine Männer für sie weder lang- noch kurzfristig wünschenswerte Partner (Buss & Schmitt, 1993). Im Gegensatz dazu war es den Frauen sehr wichtig, dass ein potentieller Ehepartner groß, körperlich stark und athletisch war. Auf einer Bewertungsskala von –3 (extrem unerwünscht) bis +3 (extrem erwünscht) bewerteten sie die Eigenschaft „körperlich stark“ mit 1,50 (zwischen „ziemlich erwünscht“ und „sehr erwünscht“), Männer dagegen bewerteten diese Eigenschaft nur mit 0,87 – ein deutlicher Unterschied. Eine andere Gruppe amerikanischer Frauen zeigte eine beständige Präferenz für Männer von durchschnittlicher bis überdurchschnittlicher Größe, etwa 1,80 m, als ideale Ehepartner. Große Männer werden in der Regel kleinen und durchschnittlich großen Männern vorgezogen – sowohl als kurzfristige wie auch als langfristige Partner (Ellis, 1992). Die zwei bereits erwähnten Studien über Kontaktanzeigen zeigten außerdem, dass sich 80% der Frauen, die die Körpergröße in ihren Anzeigen erwähnt hatten, einen Partner wünschten, der mindestens 1,80 m groß sein sollte (Cameron, Oskamp & Sparks, 1978). Noch aufschlussreicher ist hier die Erkenntnis, dass die Anzeigen, die von großen Männern geschaltet wurden, mehr Beachtung fanden, als Anzeigen von kleineren Männern (Lynn & Shurgot, 1984). Große Männer gehen häufiger aus als kleinere Männer und haben somit auch eine größere „Auswahl“ möglicher Partnerinnen. Frauen lösen das Problem, sich vor aggressiven Männern schützen zu müssen, zumindest teilweise dadurch, dass sie einen Partner vorziehen, der sie aufgrund seiner Größe, Stärke und körperlichen Fähigkeiten beschützen kann.
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
Diese Vorlieben finden sich nicht nur in westlichen Kulturen. Der Anthropologe Thomas Gregor (1985) fand heraus, dass beim Stamm der Mehinaku im brasilianischen Amazonasgebiet die kämpferischen Fähigkeiten der Männer ein ausschlaggebendes Kriterium sind: Ein muskulöser, gut gebauter Mann wird wahrscheinlich viele Freundinnen haben, während es für einen kleinen Mann, der abwertend peristsi genannt wird, in dieser Hinsicht schlecht aussieht. Allein die Körpergröße stellt schon einen messbaren Vorteil dar. … Ein mächtiger Kämpfer, so die Dorfbewohner, ist furchterregend. … Er flößt Angst und Respekt ein. Für die Frauen ist er als Liebhaber und Ehemann „wunderschön“ (awitsiri). Der beste Kämpfer triumphiert sowohl in der Politik als auch in der Liebe und verkörpert die besten Eigenschaften der Männlichkeit. Den Besiegten ergeht es dagegen schlecht. Verliert ein Mann mehrmals hintereinander einen Kampf, betrachtet man ihn als Dummkopf, gleichgültig welche anderen Tugenden er besitzen mag. Wenn er kämpft, rufen ihm die anderen Männer spöttisch Ratschläge zu. … Die Frauen sind weniger zu hören, denn sie beobachten die Kämpfe von ihrer Türschwelle aus. Doch auch sie tauschen sarkastische Bemerkungen aus. Keine ist stolz darauf, einen Verlierer zum Ehemann oder Geliebten zu haben (S. 35, 96). Barbara Smuts glaubt, dass im Laufe der evolutionären Geschichte der körperliche Schutz zu den wichtigsten Dingen gehört hat, die ein Mann einer Frau bieten konnte. Aggressive Männer, die die Frauen körperlich beherrschen und ihnen ihre sexuelle Entscheidungsfreiheit nehmen wollten, werden zur Zeit unserer Vorfahren einen starken Selektionsdruck auf die Frauen ausgeübt haben. Angesichts der alarmierenden Häufigkeit von sexueller Nötigung und Vergewaltigung in manchen Kulturen könnte die Schutzfunktion des Partners auch in der modernen Umwelt noch eine bestimmende evolutionäre Kraft bleiben. Viele Frauen fühlen sich alleine auf der Straße nicht sicher und ein großer, starker, athletisch gebauter Partner schreckt andere sexuell aggressive Männer ab. Der Evolutionspsychologe Nigal Barber fasst die Hinweise auf die weiblichen Präferenzen wie folgt zusammen: „Merkmale des männlichen Körperbaus wie etwa Körpergröße, breite Schultern und ein muskulöser Oberkörper wirken auf Frauen sexuell anziehend und auf andere Männer einschüchternd.“ (Barber, 1995, S. 406).
Präferenz für gute Gesundheit und gutes Aussehen Unsere Vorfahren hätten sich durch die Wahl eines nicht gesunden Partners einer Reihe von Risiken bezüglich der erfolgreichen Lösung adaptiver Probleme ausgesetzt. Ist ein Partner nicht gesund, so ist zunächst einmal das Risiko größer, dass er schwächer wird und somit seine adaptiven Vorteile, z.B. Nahrungsbeschaffung, Schutz, Gesundheitsvorsorge und Investition in die Kinderfürsorge, nicht mehr leisten kann. Zum zweiten besteht die Gefahr, dass ein kranker Partner stirbt, so dass die Ressourcenversorgung vorzeitig abbricht und der andere Partner gezwungen wird, den Aufwand einer erneuten Partnerwahl auf sich zu nehmen. Drittens könnte ein kranker Partner ansteckende Krankheiten oder Viren auf den gesunden Partner übertragen, so dass Überleben und Reproduktion
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gefährdet wären. Viertens könnte ein kranker Partner gemeinsame Kinder anstecken, und so ihre Chancen auf Überleben und Reproduktion mindern. Wenn Gesundheit fünftens teilweise vererbbar ist, kann eine Person, die sich einen nicht gesunden Partner aussucht, Gefahr laufen, dass bestimmte Gene, die die Gesundheit beeinträchtigen, an ihre Kinder weitergegeben werden. Aus all diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, dass sowohl Frauen als auch Männer die Gesundheit eines potentiellen Partners als extrem wichtig einschätzen. In der Studie der 37 Kulturen schätzten Frauen und Männer gleichermaßen einen „guten Gesundheitszustand“ als sehr wichtig ein. Auf der Skala von 0 (irrelevant) bis +3 (unerlässlich) gaben Frauen diesem Kriterium durchschnittlich eine 2,28 und Männer eine 2,31 (Buss et al., 1990). Im Rahmen weiterer Auswertungen wurden die Teilnehmer gebeten, 13 Eigenschaften von der wichtigsten (1) bis zur unwichtigsten (13) zu bewerten. Dabei setzten Männer und Frauen „gesund“ durchschnittlich auf den vierten Rang. Diese Eigenschaft wurde nur noch von „freundlich und verständnisvoll“ (1), „intelligent“ (2) und „interessante Persönlichkeit“ (3) übertroffen. Auch in der Tierwelt wird sehr viel Wert auf eine gute Gesundheit gelegt. Manche Arten stellen große, laute und auffällige Verhaltensweisen zur Schau, die zwar kraftraubend sind, aber gleichzeitig Gesundheit und Vitalität signalisieren. Betrachten wir das schillernd bunte Federkleid des Pfaus. Man ist heute nahe daran, das Geheimnis des Pfauenschwanzes, der eigentlich das Überleben zu behindern scheint, zu lösen. Einige Forscher meinen, dass die bunten Federn von Pfauen und anderen Vögeln darauf hindeuten, dass ihr Parasitenbefall gering ist (Hamilton & Zuk, 1982). In der Tat zeigt es sich, dass Pfaue mit blasseren Schwanzfedern tatsächlich stärker von Parasiten befallen sind. Weibliche Pfaue scheinen also ein leuchtenderes Federkleid zu bevorzugen, da es ein zuverlässiger Hinweis auf einen gesunden Partner ist. Randy Thornhill, Steve Gangestad, Karl Grammer, Todd Shackelford, Randy Larsen und andere Wissenschaftler haben einen wichtigen körperlichen Hinweis auf stabile Gesundheit entdeckt: die Symmetrie des Gesichts und des Körpers (Gangestad & Thornhill, 1997; Grammer & Thornhill, 1994; Shackelford & Larsen, 1997; Thornhill & Moeller, 1997). Ihrer evolutionären Argumentation gemäß verursachten verschiedene äußerliche Einflüsse und genetische Stressfaktoren Abweichungen in der bilateralen Symmetrie, so dass ungleichmäßige Gesichter und Körper entstanden. Einige Individuen halten diesen Einflüssen und Stressfaktoren besser stand als andere – sie zeigen also Entwicklungsstabilität. Sind Gesicht und Körper also symmetrisch, so ist dies ein wichtiger Hinweis auf die Gesundheit eines Menschen, denn dies reflektiert seine Fähigkeit, äußeren Einflüssen und genetischen Stressfaktoren standzuhalten. Dieser Hypothese zufolge entwickelten Frauen deshalb eine Vorliebe für Männer, die körperliche Symmetrie aufweisen. Eine solche Symmetrie würde zum einen die Chancen erhöhen, dass der Mann dauerhaft zur Verfügung stünde und investierte und außerdem keine Krankheiten an seine Kinder weitergäbe. Zum andern könnte sie auch direkte positive Auswirkungen genetischer Natur haben. Indem sie sich einen Mann mit symmetrischem Körperbau aussucht, könnte die Frau höherwertiges Genmaterial wählen, das dann an ihre Kinder weitergegeben wird.
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
Es gibt umfangreiches Befundmaterial, dass diese Symmetrie-Hypothese tatsächlich einen Hinweis auf die Gesundheit liefert, und dass Frauen diese Qualität bei Männern besonders schätzen (Gangetad & Thornhill, 1997; Thornhill & Moeller, 1997). Erstens schneiden Menschen mit symmetrischen Gesichtszügen bei Tests über die physische, psychische und emotionale Gesundheit besser ab (Shackelford & Larsen, 1997). Zweitens gibt es bei beiden Geschlechtern ein positives Verhältnis zwischen symmetrischen Gesichtszügen und der Beurteilung physischer Attraktivität. Drittens werden Männer mit symmetrischen Gesichtszügen von Frauen als sexuell attraktiver beurteilt als ihre Geschlechtsgenossen mit ungleichmäßigeren Zügen. Sie haben im Laufe ihres Lebens mehr sexuelle Partner, haben häufiger Geschlechtsverkehr außerhalb ihrer Beziehung und werden früher sexuell aktiv. Neuere unabhängige Studien finden immer wieder Hinweise, die den Zusammenhang zwischen symmetrischen Gesichtszügen und der Beurteilung der Gesundheit bestätigen (Jones, Little, Penton-Voak, Tiddeman, Burt & Perrett, 2001).
Die meisten Frauen finden Männer mit symmetrischen Gesichtszügen wie die des Schauspielers Denzel Washington (links) attraktiver als Männer mit asymmetrischen Gesichtern wie das des Musikers und Schauspielers Lyle Lovett (rechts). Einer Hypothese zufolge ist Symmetrie ein Hinweis auf geringen Parasitenbefall, genetische Resistenz gegen diese oder auf relativ geringe äußere Einflüsse während der Entwicklung.
Ein weiterer Hinweis auf gute Gesundheit könnte in den männlichen Gesichtszügen liegen. Durchschnittsgesichter von erwachsenen Männern und Frauen unterscheiden sich in einigen grundlegenden Punkten voneinander. Männer haben meist einen längeren, kräftigeren Unterkiefer, stärker geschwungene Augenbrauen und ausgeprägtere Wangenknochen, was in der Hauptsache auf männliche Hormone wie etwa Testosteron zurückzuführen ist. Victor Johnston entwickelte mit seinen Kollegen ein ausgefeiltes experimentelles Instrument, mit dem er diese Merkmale in einem QuickTime-Film bestehend aus 1.200 Einzelbildern manipulieren konnte (Johnston, Hagel, Franklin, Fink & Grammer, 2001). Mithilfe dieses Computerprogramms ist es möglich, einen multidimensionalen Raum mit hunderten von Gesichtern zu durchsuchen, die sich in ihrer Männlichkeit, Weiblichkeit oder in anderen Merkmalen unterscheiden. Die Teilnehmer bewegen sich mit Schieberegler und Knöpfen durch die 1.200 Bilder des Films auf der Suche nach dem Bild, das der gewünschten Zielvorgabe entspricht, z.B. „attraktivstes Gesicht für einen langfristigen Partner“. Untersucht wurden 42 Frauen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren, die keine
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oralen Verhütungsmittel nahmen – wobei die Forscher auch erhoben, an welchem Zeitpunkt in ihrem Menstruationszyklus sich die Frauen befanden. Johnston und seine Kollegen machten eine wichtige Entdeckung: Alle Frauen, gleichgültig an welchem Punkt ihres Menstruationszyklus sie sich befanden, bevorzugten sehr männlich wirkende gegenüber eher durchschnittlichen Gesichtern. Warum aber wirken maskulin aussehende Männer auf Frauen so attraktiv? Johnston argumentiert, dass männliche Gesichtszüge ein Zeichen für gute Gesundheit sind. Es ist bekannt, dass eine hohe Testosteronproduktion das menschliche Immunsystem belastet. Johnston zufolge können sich nur gesunde Männer solch hohe Testosteronwerte während ihrer Entwicklung „leisten“. Weniger gesunde Männer müssen die Testosteronproduktion unterdrücken, wenn sie ihr bereits geschwächtes Immunsystem nicht zusätzlich gefährden wollen. Folglich produzieren gesunde Männer mehr Testosteron, was sie markiger und männlicher aussehen lässt. Trifft Johnstons Hypothese zu, so ist die weibliche Präferenz für maskuline Gesichter nichts anderes als eine Präferenz für gesunde Männer. Einen Beleg für diese Aussage fand Johnston selbst, als er den QuickTime-Film nochmals ablaufen ließ und die Frauen bat, dieses Mal das Gesicht herauszusuchen, das ihnen am „gesündesten“ erschien. Die Gesichter, die sie aussuchten, waren nicht von denen zu unterscheiden, die sie zuvor bei der Wahl des „attraktivsten Gesichts“ angaben. Dies spricht dafür, dass Frauen deshalb eine maskuline Erscheinung vorziehen, weil diese Gesundheit signalisiert. Zusammenfassend gibt es mehrere Hinweise, die belegen, wie wichtig die Gesundheit bei der Partnerwahl der Frau ist. In allen 37 Kulturen drückten die Frauen ihren Wunsch nach einem gesunden langfristigen Partner aus; Frauen empfinden bei Männern symmetrische Gesichtszüge, die erwiesenermaßen auf Gesundheit hindeuten, als attraktiv; Frauen bevorzugen Männer mit maskulinen Gesichtszügen, welche ebenfalls als gesund empfunden werden. Gesundheit ist zweifellos deshalb ein so wichtiger Faktor, weil er bei der Partnerwahl sowohl auf die Umwelt bezogen als auch genetisch gesehen viele Vorteile bringt: längeres Leben, zuverlässigere Versorgung, geringere Wahrscheinlichkeit ansteckender Krankheiten und bessere Gene, die an die Kinder weitergegeben werden können.
Liebe und Bindungswille Frauen sehen sich seit langer Zeit dem Adaptationsproblem ausgesetzt, einen Mann wählen zu müssen, der nicht nur über die notwendigen Ressourcen verfügt, sondern auch die Bereitschaft zeigt, diese Ressourcen für Frau und Kinder einzusetzen. Dies könnte problematischer sein, als es auf den ersten Blick scheint. Ob genügend Ressourcen vorhanden sind, kann man direkt sehen – beim Bindungswillen ist dies aber nicht der Fall. Möchte man also den Bindungswillen korrekt einschätzen, muss man nach Hinweisen suchen, die signalisieren, ob der Mann auch in Zukunft treu bleiben und seine Ressourcen nicht irgendwann anderweitig einsetzen wird. Die Liebe ist dabei vielleicht der wichtigste Hinweis auf den tatsächlichen Bindungswillen.
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
In den Sozialwissenschaften gilt „Liebe“ im Allgemeinen als relativ neue Erfindung, die erst vor einigen hundert Jahren von romantischen Europäern eingeführt wurde (Jankoviak, 1995). Das bedeutet, dass die Liebe ein lokal entstandenes Produkt der westlichen Kultur ist und in anderen Kulturen weit weg vom europäischen Einfluss nicht zu finden sein wird. Neuere Studien belegen allerdings, dass diese konventionelle Sichtweise grundlegend falsch ist. Forschungsergebnisse belegen, dass Menschen aller Kulturen weltweit Gedanken, Gefühle und Taten der Liebe erfahren – von den Zulu an der Südspitze Afrikas bis zu den Eskimos in der Eiswüste Alaskas. In einer Studie über 168 unterschiedliche Kulturen rund um die Welt untersuchten die Anthropologen William Jankowiak und Edward Fisher vier Quellen für die Existenz von Liebe: das Singen von Liebesliedern, Liebende, die gegen den Willen ihrer Eltern durchbrennen, kulturelle Informationsträger, die von persönlichem Schmerz und der Sehnsucht nach einem geliebten Menschen berichten und volkskundliche Hinweise auf romantische Verbindungen. Anhand dieser Phänomene konnten die Wissenschaftler die Existenz von Liebe in 88,5% der untersuchten Kulturen nachweisen (Jankowiak, 1995; Jankowiak & Fischer, 1992). Die Soziologin Sue Sprecher befragte zusammen mit ihren Kollegen 1.667 Männer und Frauen aus Russland, Japan und den USA und ermittelte, dass zu diesem Zeitpunkt 61% der russischen Männer und 73% der russischen Frauen verliebt waren (Sprecher, Aron, Hatfield, Cortese, Potapova & Levitskya, 1994). Bei den Japanern lagen die Vergleichszahlen bei 41% der Männer und 63% der Frauen. In dem USA gaben 53% der Männer und 63% der Frauen an, zurzeit verliebt zu sein. Das Phänomen der Liebe gibt es also offensichtlich nicht nur in Amerika oder der westlichen Welt. Um genau zu bestimmen, was Liebe ist und wie sie mit der Bindungsbereitschaft zusammenhängt, untersuchte eine Studie bestimmte Liebeshandlungen (Buss, 1988a). Handlungen, die einen Bindungswillen ausdrücken, stehen sowohl bei Männern als auch bei Frauen ganz oben auf der Liste der Dinge, die Liebe ausmachen. Beispiele für solche Handlungen sind das Aufgeben romantischer Beziehungen zu anderen, Gespräche über Heirat und der ausdrückliche Wunsch, mit dem Partner Kinder zu haben. Macht ein Mann all diese Dinge, so zeigt das seine Bereitschaft, seine Ressourcen einer Frau und ihren zukünftigen Kindern zukommen zu lassen. Der Wille, eine feste Bindung einzugehen, hat allerdings viele Facetten, die darauf hindeuten, dass Ressourcen auf unterschiedliche Weise geteilt werden können. Ein wichtiger Gesichtspunkt einer langfristigen Bindung ist die Treue, die darin besteht, dass man einem Partner auch dann treu bleibt, wenn man nicht physisch mit ihm zusammen ist. Treue signalisiert die exklusive Bindung aller sexuellen Ressourcen an einen einzigen Partner. Ein weiterer Aspekt des Bindungswillens ist die Aufwendung von Ressourcen für den geliebten Partner, z.B. in Form eines teuren Geschenks. Handlungen wie diese signalisieren die ernsthafte Absicht, sich langfristig an einen Partner zu binden. Emotionale Unterstützung ist ein weiterer Gesichtspunkt, der für den Bindungswillen entscheidend ist. Sie zeigt sich, wenn man seinem Partner in schwierigen Zeiten zur Seite steht und seine Probleme mit ihm teilt. Hier bedeutet Bindung, dass man den Bedürfnissen des Partners Zeit, Energie und Anstrengungen widmet, die man folglich für die Verfolgung eigener Ziele nicht mehr zur Verfügung hat. Reproduktionshandlungen stellen ebenfalls ein direktes Engagement für die Reproduktion des Partners dar. All diese Aktivitäten, die
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
als grundlegende Bestandteile der Liebe angesehen werden, signalisieren die Bindung sexueller, wirtschaftlicher, emotionaler und genetischer Ressourcen an einen Partner. Da Liebe ein weltweites Phänomen ist und eine Hauptfunktion von Liebeshandlungen darin besteht, Bindungsbereitschaft zu signalisieren, ist zu erwarten, dass Frauen bei der langfristigen Partnerwahl sehr großen Wert auf die Liebe legen. Um herauszufinden, ob dies auch zutrifft, befragten Sue Sprecher und ihre Kollegen amerikanische, russische und japanische Studenten, ob sie jemanden heiraten würden, der alle Qualitäten besaß, die sie sich bei einem Partner wünschten, auch wenn sie in diese Person nicht verliebt wären (Sprecher et al., 1994). Ganze 89% der Amerikanerinnen und 82% der Japanerinnen gaben an, dass eine Ehe ohne Liebe für sie nicht möglich sei, auch wenn alle anderen Kriterien erfüllt seien. In Russland würden 59% aller Frauen einen Mann, den sie nicht lieben, nicht heiraten, gleichgültig ob er allen anderen Wunschvorstellungen entspräche. Also ist für die Mehrzahl aller Frauen in diesen drei Kulturen die Liebe eine unerlässliche Voraussetzung für eine Heiratsentscheidung. Die internationale Studie über die Partnerwahl bestätigte die zentrale Bedeutung der Liebe in allen Kulturen. Es stellte sich heraus, dass von 18 Eigenschaften gegenseitige Anziehung oder Liebe bei einem potentiellen Partner von beiden Geschlechtern als am wichtigsten eingestuft wurde, wobei Frauen dieses Kriterium mit 2,87 und Männer mit 2,81 bewerteten (Buss et al., 1990). Fast alle Frauen und Männer, von den abgeschieden lebenden Stämmen Südafrikas bis hin zu den lebendigsten Städten Brasiliens, gaben der Liebe die höchste Wertung, was zeigt, dass sie ein unerlässlicher Bestandteil der Ehe ist. Da die Frau wesentlich mehr in das Gebären und Aufziehen von Kindern investiert, hat sie bei unüberlegtem Geschlechtsverkehr auch mehr zu verlieren. Indem sie bei einer Beziehung die Liebe unbedingt voraussetzt, sichert sie sich auch eine langfristige Ressourcenversorgung, die dem Wert der von der Frau investierten Ressourcen entspricht.
Präferenz für die Bereitschaft, in Kinder zu investieren Ein weiteres adaptives Problem der Frauen bei der langfristigen Partnerwahl ist die Schwierigkeit, einzuschätzen, inwieweit ein Mann bereit ist, in Kinder zu investieren. Dieses Problem ist aus zwei Gründen von Bedeutung: (1) Manchmal suchen Männer sexuelle Abwechslung und könnten deshalb ihre Energie auf andere Frauen richten (Einsatz für einen Partner), anstatt sie in Kinder zu investieren (elterlicher Einsatz) (siehe Kapitel 6). (2) Männer wägen ab, wie wahrscheinlich es ist, dass sie tatsächlich der leibliche Vater eines Kindes sind, und neigen dazu, dem Kind Ressourcen zu entziehen, wenn sie wissen oder vermuten, dass es sich nicht um ihr eigenes Kind handelt (La Cerra, 1994). Diese zwei Faktoren weisen darauf hin, dass sich Männer in ihrer Bereitschaft, in ein bestimmtes Kind zu investieren, stark unterscheiden können. Diese Abweichungen sind entscheidend für die Entwicklung weiblicher Präferenzen für diejenigen Männer, die signalisieren, dass sie bereit sind, in ihre Kinder zu investieren. Um die Hypothese zu testen, der zufolge Frauen eine Vorliebe für Männer entwickelt haben, die bereit sind, in Kinder zu investieren, stellte die Psychologin Peggy La Cerra
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
Bilder zusammen, die Männer in verschiedenen Situationen zeigten: (1) ein Mann, der alleine steht; (2) ein Mann, der sich mit einem 18 Monate alten Kind befasst, es anlächelt, ansieht und es berührt; (3) ein Mann, der das weinende Kind ignoriert; (4) ein Mann und ein Kind blicken geradeaus (neutrale Situation); und (5) ein Mann, der im Wohnzimmer Staub saugt. In allen Situationen waren dieselben Personen zu sehen. 240 Frauen betrachteten diese Bilder und gaben anschließend an, als wie attraktiv sie den Mann auf jedem Bild als potentiellen Begleiter für eine Verabredung, als Sexualpartner, als Ehepartner, als Freund und als Nachbarn empfanden. Die Bewertungsskala reichte von –5 (sehr unattraktiv) bis +5 (sehr attraktiv). Die Bewertung der Männer als potentielle Partner lieferte einige überraschende Ergebnisse. Zum einen empfanden die Frauen den Mann, der sich mit dem Kind beschäftigte, als eindeutig attraktiver als Ehepartner (Durchschnittsbewertung 2,75) als den Mann, der allein auf dem Bild zu sehen ist (2,0) oder neutral neben dem Kind steht (2,0). Zum zweiten empfanden die Frauen den Mann, der das weinende Kind ignorierte, eher unattraktiv als Ehepartner (1,25), gaben ihm sogar die schlechteste Bewertung überhaupt. Zum dritten löste das Bild des Mannes, der eine Vorliebe für Hausarbeit zeigte, nicht die gleichen positiven Empfindungen aus wie das Bild des Mannes, der sich positiv mit dem Kind beschäftigte. Die Frauen fanden den Staub saugenden Mann z.B. weniger attraktiv (1,3) als den Mann, der einfach nur alleine dastand und nichts tat (2,0). La Cerra schloss aus dieser Studie, dass „die weibliche Bewertung der Attraktivität eines Mannes als potentiellem Partner durch Hinweise auf Zuneigung zu Kindern gesteigert und durch Hinweise auf Gleichgültigkeit gegenüber leidenden Kindern verringert wird“ (La Cerra, 1994, S. 67).
La Cerra fand heraus, dass Frauen einen Mann als sehr viel attraktiver empfanden, der sich auf positive Weise mit einem Kind befasste, wodurch sie ihre Präferenz für Männer zeigten, die bereit sind, in Kinder zu investieren. Vergleichbare Fotos, die Frauen zeigten, die ein Baby entweder ignorierten oder sich positiv mit ihm befassten, beeinflussten die Bewertungen der Männer bezüglich der Attraktivität der Frauen dagegen nicht.
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Diese Studie legt nahe, dass sich Frauen bevorzugt für Ehepartner entscheiden, die bereit sind, in Kinder zu investieren. Zeigen aber nun alle Menschen generell eine Vorliebe für Ehepartner, die ihre Bereitschaft signalisieren, in Kinder zu investieren, oder haben nur Frauen diese Präferenz? La Cerra befasste sich mit diesem Thema in einer weiteren Studie, indem sie nun Fotos von Frauen zeigte, die von Männern bewertet werden sollten. Diesmal wurden Frauen in ähnlichen Situationen gezeigt wie zuvor die Männer – alleine, in einer positiven Interaktion mit einem Kind, ein weinendes Kind ignorierend, neutral und Staub saugend. Parallel zur ersten Studie bewerteten nun 240 männliche Studenten die Attraktivität einer jeden Frau als Ehepartnerin, Sexualpartnerin, als Partnerin für eine Verabredung etc. Die Bewertungen der Männer unterschieden sich grundlegend von den Bewertungen der Frauen. Männer empfanden die alleine stehende Frau als ebenso attraktiv (Durchschnittsbewertung 2,70) wie die Frau, die sich positiv mit dem Kind beschäftigte (2,70). Tatsächlich führten die unterschiedlichen Situationen nicht zu unterschiedlichen Bewertungen der Attraktivität der Frauen als potentielle Partnerinnen. Es spielte keine Rolle, ob die Frauen das Kind ignorierten, neben ihm standen, den Teppich saugten oder sich positiv mit dem Kind auseinandersetzten. In allen Situationen beurteilten die Männer die Frauen als gleich attraktiv. Kurz gesagt scheinen Frauen eine spezielle Präferenz für Männer zu besitzen, die die Bereitschaft zeigen, in Kinder zu investieren, was aber umgekehrt so nicht zutrifft. Persönlich machte La Cerra die Beobachtung, dass ein Katalysator ihrer Forschungsarbeit die Reaktion auf ein Poster eines attraktiven Mannes war, der ein Baby im Arm hielt – dieses Poster weckte ihr Interesse und erwies sich auch als erfolgreiche Marketingstrategie für weibliche Zielgruppen (La Cerra, 1994, S. 87). Zur Zeit unserer Vorfahren waren Frauen, die sich nicht an der Bereitschaft eines Mannes orientierten, in Kinder zu investieren, den Frauen gegenüber im Nachteil, die entsprechende Hinweise bemerkten und danach handelten.
4.3
Kontexteffekte auf die Partnerpräferenzen der Frau
Aus evolutionärer Sicht entwickeln sich Präferenzen nicht blind oder völlig unabhängig von der jeweiligen Situation oder einem bestimmten Zusammenhang. Ebenso wie der Wunsch eines Menschen nach bestimmten Nahrungsmitteln (z.B. reifem Obst) von der jeweiligen Situation abhängt (z.B. ob man hungrig oder satt ist), so sollten auch die Präferenzen der Frau vom jeweils relevanten Kontext abhängig sein. Bisher wurden vier solcher Kontexteffekte untersucht: die Ressourcenmenge, die eine Frau bereits vor ihrer Suche nach einem Partner besitzt; die zeitliche Dimension der Partnerwahl (langfristig oder flüchtig); der Menstruationszyklus; und der Partnerwert (mate value) der Frau.
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Die Auswirkungen der eigenen Ressourcen der Frau auf ihre Partnerwahl Neben der Theorie der evolutionären Psychologie gibt es eine alternative Erklärung für die weibliche Präferenz für Männer mit Ressourcen – die Hypothese der strukturellen Machtlosigkeit (Buss & Barnes, 1986; Eagly & Wood, 1999). Da Frauen dieser Theorie zufolge normalerweise keine Macht über und keinen Zugang zu Ressourcen haben, wählen sie Männer, die Macht, Status und die Fähigkeit besitzen, Ressourcen anzuhäufen. Frauen versuchen, gesellschaftlich und wirtschaftlich besser gestellte Männer zu heiraten, denn diese stellen ihren wichtigsten Zugang zu Ressourcen dar. Männer schätzen den Wert wirtschaftlicher Ressourcen bei einem Partner nicht so hoch ein wie Frauen, da sie die Ressourcen ja selbst kontrollieren und da Frauen in der Regel ohnehin weniger Ressourcen besitzen. Die Gemeinschaft der Bakweri aus Kamerun in Westafrika lässt Zweifel an dieser Theorie aufkommen, denn hier zeigt sich, was passiert, wenn die Frauen die wahre Macht besitzen (Ardener, Ardener & Warmington, 1960). Bei den Bakweri verfügen die Frauen wirtschaftlich und persönlich über mehr Macht, denn sie verfügen über mehr Ressourcen und sind außerdem weniger zahlreich als die Männer. Die Frauen verschaffen sich Ressourcen, indem sie selbst in den Plantagen arbeiten oder über gelegentliche sexuelle Gefälligkeiten, was eine sehr lukrative Einkommensquelle darstellt. Auf 100 Frauen kommen etwa 236 Männer, ein Ungleichgewicht, das auf den beständigen Zustrom von Männern aus anderen Landesteilen zurückzuführen ist, die hierher kommen, um auf den Plantagen zu arbeiten. Aufgrund dieses extremen Ungleichgewichts haben die Frauen bei der Entscheidung für einen Partner eine übermäßig große Auswahl. Die Frauen haben also mehr Geld und verfügen außerdem über eine größere Auswahl an potentiellen Partnern. Trotzdem ziehen auch Bakweri-Frauen Männer mit Ressourcen vor. Viele Ehefrauen beklagen sich darüber, dass sie von ihren Ehemännern nur unzureichend unterstützt werden. Tatsächlich ist eine unzureichende wirtschaftliche Versorgung der von Frauen am häufigsten angegebene Scheidungsgrund. Bakweri-Frauen wechseln einfach den Ehemann, wenn sie einen Partner finden, der ihnen mehr Geld und einen höheren „BrautPreis“ bieten kann. Befinden sich Frauen also in einer Situation, in der sie ihren durch Evolution entstandenen Präferenzen für einen Mann mit Ressourcen nachgehen können, tun sie dies auch. Diese Partnerpräferenz seitens der Frauen verschwindet auch dann nicht, wenn sie selbst die wirtschaftlichen Ressourcen kontrollieren. Auch beruflich und wirtschaftlich erfolgreiche Amerikanerinnen schätzen Männer mit Ressourcen. In einer Studie über verheiratete Paare wurden zunächst Frauen identifiziert, die gemessen an ihrem Gehalt und ihrem Einkommen finanziell erfolgreich waren. Deren Partnerpräferenzen wurden dann den Präferenzen von Frauen gegenübergestellt, die über ein geringeres Gehalt und Einkommen verfügten (Buss, 1989a). Viele der finanziell erfolgreichen Frauen verfügten über ein Jahreseinkommen von $50.000, manche verdienten sogar $100.000 jährlich. Diese Frauen verfügten über eine gute Ausbildung, hatten meist Universitätsabschlüsse und besaßen großes Selbstvertrauen. Die Studie zeigte, dass erfolgreiche Frauen im Vergleich zu weniger erfolgreichen sogar noch größeren Wert darauf legen, einen Partner zu haben, der einen angesehenen Beruf und hohen gesellschaft-
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lichen Status hat, intelligent, groß, unabhängig und selbstbewusst ist. Das eigene Einkommen der Frauen wies eine positive Korrelation mit dem Einkommen eines für sie idealen Partners (+.31), mit dem Wunsch nach einem Partner mit Universitätsabschluss (+.29) und mit dem Wunsch nach einem Partner mit einem angesehenem Beruf (+.35) auf, wobei alle Ergebnisse statistisch signifikant waren. Im Gegensatz zur Hypothese der struktureller Machtlosigkeit zeigten diese Frauen sogar eine noch stärkere Präferenz für gut verdienende Männer als Frauen, die finanziell weniger erfolgreich waren. Die Psychologen Michael Wiederman und Elizabeth Allgeier ermittelten in einer weiteren Studie, dass Hochschulstudentinnen, die davon ausgehen, nach dem Studium sehr viel zu verdienen, größeren Wert auf eine viel versprechende finanzielle Zukunft eines möglichen Ehemannes legen als Frauen, die damit rechnen, weniger zu verdienen. Frauen, die karriereorientierte Berufe wählen, z.B. Medizin- oder Jurastudentinnen, legen auch größten Wert auf die Fähigkeit ihres Partners, ein hohes Einkommen zu erzielen (Wiederman & Allgeier, 1992). Außerdem schätzen Männer, die über geringe finanzielle Ressourcen und geringen Status verfügen, die wirtschaftlichen Ressourcen eines Partners nicht höher ein als finanziell erfolgreiche Männer (Townsend, 1989). All diese Ergebnisse zusammengenommen liefern nicht nur kaum Belege für die Hypothese der strukturellen Machtlosigkeit, sie widerlegen sie geradezu.
Die Auswirkungen der zeitlichen Dimension auf die Partnerpräferenzen der Frau Eine Paarbeziehung kann ein Leben lang halten, oft sind Partnerschaften aber von kürzerer Dauer. In Kapitel 6 werden wir uns genauer mit der Wahl eines kurzfristigen Partners befassen, schon an dieser Stelle wollen wir jedoch auf Ergebnisse hinweisen, die zeigen, dass sich die Präferenzen der Frauen je nach der zeitlichen Dimension einer Beziehung verschieben. In einer Studie baten Buss und Schmitt (1993) Studentinnen darum, 67 Eigenschaften je nach ihrer Bedeutung bei kurzfristigen und langfristigen Partnern zu bewerten. Die Bewertungsskala reichte von –3 (extrem unerwünscht) bis +3 (extrem erwünscht). Folgende Eigenschaften waren nach Einschätzung der Frauen bei einem langfristigen Partner wichtiger als bei einem kurzfristigen: „ehrgeizig und karriere-orientiert“ (Durchschnittsbewertung langfristig: 2,45, kurzfristig: 1,04). „Universitätsabsolvent“ (2,38 gegenüber 1,05), „kreativ“ (1,90 gegenüber 1,29), „ihr ergeben“ (2,80 gegenüber 0,90), „kinderlieb“ (2,93 gegenüber 1,21), „freundlich“ (2,88 gegenüber 2,50), „verständnisvoll“ (2,93 gegenüber 2,10), „verantwortungsbewusst (2,75 gegenüber 1,75) und „kooperativ“ (2,41 gegenüber 1,47). Diese Ergebnisse zeigen, dass die zeitliche Dimension für Frauen ausschlaggebend ist, denn ihre Präferenzen verschieben sich erheblich, je nachdem ob sie einen Ehepartner oder einen kurzfristigen Sexualpartner suchen (Schmitt & Buss, 1996). In einer weiteren Studie stellte die Psychologin Joanna Scheib (1997) Reize in Form von Fotos und die dazu gehörigen Beschreibungen der persönlichen Eigenschaften des jeweils abgebildeten Mannes zusammen. Die schriftliche Beschreibung hob Merkmale wie Zuverlässigkeit, Loyalität, Freundlichkeit, Reife, Geduld etc. hervor. Die Fotos mit den
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
jeweiligen Beschreibungen wurden paarweise 160 heterosexuellen Frauen zwischen 18 und 40 Jahren vorgelegt (das Durchschnittsalter betrug 26). Sechzig dieser Frauen waren verheiratet, geschieden oder lebten in einer eheähnlichen Beziehung. Man zeigte den Teilnehmerinnen fünf Foto-Paare mit den passenden Beschreibungen und bat sie, aus jedem Paar einen Mann auszusuchen. Die Hälfte der Frauen wurde gebeten, einen Mann auszusuchen, den sie als Ehemann bevorzugen würden, die andere Hälfte sollte den Mann wählen, den sie für eine kurze sexuelle Affäre vorziehen würden. Die Präferenzen der Frauen unterschieden sich entsprechend der Entscheidung für eine kurz- oder langfristige Beziehung. Die meisten Frauen wählten den Mann mit Charakterzügen wie Zuverlässigkeit, Freundlichkeit und Reife, wenn es darum ging, einen potentiellen Ehemann auszusuchen. Bei der Wahl eines kurzfristigen Partners legten sie auf diese Eigenschaften weniger großen Wert. Genauer gesagt entschieden sich die meisten Frauen bei vier von fünf Foto-Paaren für den Mann mit den besseren Charaktereigenschaften und nicht für den besser aussehenden Mann. Bei einer experimentellen Manipulation, die die Frauen zwang, sich zwischen gutem Aussehen und gutem Charakter zu entscheiden, zeigten sich also kontextsensitive Präferenzen. Ging es um die Wahl eines langfristigen Ehepartners, so entschieden sich die Frauen meist für den Charakter und nicht für das gute Aussehen.
Die Auswirkungen des Menstruationszyklus auf die Partnerpräferenzen Neuere wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass es noch eine weitere Kontextsituation gibt, die die Partnerpräferenzen der Frau maßgeblich beeinflussen könnte: der 28-tägige Ovulationszyklus. Der Ovulationszyklus ist theoretisch wichtig, da die Chancen der Frau, schwanger zu werden, im Laufe des Zyklus sehr variieren. Am größten ist die Chance in der späten Follikelphase kurz vor dem Eisprung und am geringsten in der Lutealphase nach dem Eisprung. Forscher stellten also die Hypothese auf, dass Präferenzen, die in der späten Follikelphase auftreten, auf die Wahl eines Partners mit „guten Genen“ hindeuten. Die deutlichsten Auswirkungen zeigten sich beim Einsatz des bereits erwähnten QuickTime-Films mit 1.200 Einzelbildern (Johnston et al., 1990). Frauen fühlen sich im Allgemeinen zu maskulin aussehenden Gesichtern hingezogen. Bei Frauen, die sich in der fruchtbaren Phase ihres Menstruationszyklus befanden, war diese Vorliebe noch ausgeprägter. Außerdem zeigte sich bei Frauen, die bei einem psychologischen Test über ihre Maskulinität eher geringe Werte erzielten, eine besonders starke Verschiebung im Laufe ihres Zyklus: sie bevorzugten Gesichter, die noch männlicher aussahen. Die Vorliebe für maskuline Gesichter bei Frauen, die sich in der fruchtbaren Follikelphase ihres Zyklus befinden, scheint ein stabiler Befund zu sein. Eine weitere Forschergruppe kam bei der Untersuchung von 139 Frauen in Großbritannien, von denen keine die Pille nahm, zu ähnlichen Ergebnissen (Penton-Voak & Perrett, 2000). Frauen, die sich in der fruchtbaren Follikelphase befanden, bevorzugten maskuliner wirkende Gesichter als die Frauen in der weniger fruchtbaren Lutealphase.
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Beide Forscherteams werten diese Effekte als eine Untermauerung der Hypothese der „guten Gene“. Wenn bei einer Frau die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass sie schwanger wird, fühlt sie sich besonders zu Männern hingezogen, deren Gesichter vom Testosteron „gezeichnet“ sind, denn dies kann auf ein gesundes Immunsystem hindeuten. Eine weitere Verlagerung im Laufe des weiblichen Zyklus bezieht sich auf den Geruchssinn der Frau. Frauen können nicht nur generell besser riechen als Männer, ihr Geruchssinn ist kurz vor oder während des Eisprungs am schärfsten. Könnte dahinter eine evolutionsbedingte Funktion stecken? Steve Gangestad und Randy Thornhill baten Männer, die unterschiedlich symmetrische Gesichtszüge aufwiesen, dasselbe T-Shirt zwei Nächte lang zu tragen, ohne sich zu duschen oder Deodorant zu benutzen (Thornhill & Gangestad, 1999). Sie wiesen die Männer außerdem an, keine scharfen Speisen – z.B. Peperoni, Knoblauch, Zwiebeln etc. – zu essen. Zwei Tage später holten sie die T-Shirts ab und legten sie im Labor Frauen vor, die daran riechen sollten. Diese bewerteten jedes T-Shirt nach seinem Geruch. Die Frauen kannten weder den Zweck der Studie, noch die Männer, die die T-Shirts getragen hatten. Das faszinierende Ergebnis war, dass die Frauen den Geruch der T-Shirts von Männern mit symmetrischen Gesichtszügen als angenehmer (oder für manche weniger unangenehm!) empfanden. Dies war jedoch nur der Fall, wenn die Frauen sich gerade in der Eisprung-Phase ihres Zyklus befanden. Für empfängnisbereite Frauen riechen also Männer mit symmetrischen Gesichtszügen sexy – zumindest eher als diejenigen Männer mit weniger symmetrischen Gesichtern. Diese Ergebnisse werden unabhängig voneinander von Forschern anderer Kulturen bestätigt (Rikowski & Grammer, 1999). Zukünftige Forschungsprojekte werden wohl weitere wichtige Funktionen des Körpergeruchs in Bezug auf die menschliche Partnerwahl aufdecken, auch wenn diese Auswirkungen in unserer modernen Gesellschaft sehr abgeschwächt auftreten, wo man täglich badet und den eigenen Körpergeruch mit Deodorants überdeckt. Zusammenfassend konnte man also zwei wichtige Kontexteffekte im Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus der Frau feststellen. Sind Frauen empfängnisbereit, verlagert sich ihre Präferenz auf maskuliner aussehende Gesichter und sie empfinden den Geruch von Männern attraktiver, die symmetrische Gesichtszüge aufweisen. Beide Verschiebungen könnten auf Adaptationen hinweisen, die bewirken sollen, dass Frauen von gesünderen Männern geschwängert werden.
Die Auswirkungen des Partnerwerts der Frau auf ihre Partnerwahl Die körperliche Attraktivität und die Jugend einer Frau sind zwei Indikatoren ihres Partnerwerts, d.h. ihrer gesamten Attraktivität für Männer (siehe Kapitel 5). Also haben Frauen, die jünger und äußerlich attraktiver sind, eine größere Auswahl an potentiellen Partnern und können deshalb wählerischer sein. Beeinflusst aber der Partnerwert einer Frau wiederum ihre Partnerpräferenzen? Um dies herauszufinden, baten der Evolutionspsychologe Anthony Little und seine Kollegen 72 Frauen, sich selbst gemäß der Wahrnehmung ihrer eigenen körperlichen Attraktivität zu bewerten. Anschließend zeigten sie ihnen Fotos von Männern, die unterschiedlich maskulin oder feminin aussahen (Little,
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
Penton-Voak, Burt & Perrett, 2002). Die eigene Bewertung ihrer Attraktivität hing eng mit der Vorliebe für maskuline Gesichter zusammen: Beide Variablen wiesen eine Korrelation von +0,32 auf. In einer separaten Studie, bei der 900 Frauen untersucht wurden, fanden dieselben Forscher heraus, dass Frauen, die sich selbst als attraktiv empfanden, gleichzeitig eine ausgeprägte Vorliebe für symmetrische männliche Gesichter zeigten. Bei einer wichtigen Gegenprobe konnten die Forscher eine solche Verbindung zwischen der selbst empfundenen Attraktivität und einer Vorliebe für symmetrische weibliche Gesichter nicht feststellen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Präferenzverlagerung in Bezug auf männliche Gesichter nicht auf die Bewertung der Attraktivität allgemein zurückgeführt werden kann, sie scheint nur für die Partnerwahl spezifisch zu sein. Kürzlich durchgeführte Untersuchungen von Kontaktanzeigen in Kanada, Amerika und Polen zeigten, dass Frauen, die einen höheren Partnerwert hatten – die also jung und körperlich attraktiv waren – auch eine längere Liste von Charakterzügen angaben, die sie bei einem potentiellen Partner bevorzugten oder erwarteten. Bei Frauen mit geringerem Partnerwert war auch diese Liste kürzer (Pawlowski & Dunbar, 1999a; Waynforth & Dunbar, 1995). Zu fast identischen Ergebnissen kam man in Brasilien (Campos, Otta & Siqueira, 2002) und Japan (Oda, 2001). Darüber hinaus zeigten mehrere Studien, bei denen Fragebögen zum Einsatz kamen, dass Frauen, die ihren eigenen Partnerwert höher einschätzten, auch bei ihren Erwartungen an einen langfristigen Partner höhere Mindeststandards ansetzten, insbesondere was bestimmte Eigenschaften wie gesellschaftlichen Status, Intelligenz und Familiensinn betraf (Regan, 1998). Betrachtet man all diese Studien zusammen, so laufen sie alle auf die gleiche Schlussfolgerung hinaus: Frauen mit höherem Partnerwert bevorzugen und suchen Männer, die ebenfalls einen höheren Partnerwert haben, welcher sich in ihrer Maskulinität, ihren symmetrischen Gesichtszügen sowie all den anderen Kriterien ausdrückt, die einen Mann attraktiv machen. Zusammenfassend wurden also vier spezielle Situationen untersucht, die sich auf die weiblichen Präferenzen auswirken. Dabei geht es zunächst um den Zugang der Frau zu monetären Ressourcen. Im Gegensatz zur Hypothese struktureller Machtlosigkeit scheinen Frauen, die selbst über mehr Ressourcen verfügen, hohes Einkommen und eine gute Ausbildung bei einem potentiellen Ehemann höher – nicht geringer – zu bewerten. Der zweite Kontext bezieht sich auf die zeitliche Dimension einer Beziehung. Mehrere Studien zeigen, dass Frauen bei der Wahl eines möglichen Ehemannes charakterliche Stärken höher bewerten als gutes Aussehen. Eigenschaften wie Loyalität, Zuverlässigkeit und Freundlichkeit sind ihnen wichtiger als Attraktivität. Der dritte Faktor, der die weiblichen Partnervorlieben beeinflusst, ist der Menstruationszyklus. Sind Frauen empfängnisbereit, so bevorzugen sie Bilder von maskuliner aussehenden Männern und Gerüche von Männern, die symmetrische Gesichtszüge haben – beides Hinweise auf eine gute Gesundheit. Ein vierter Faktor ist der Partnerwert der Frau selbst. Frauen mit einem höherem Partnerwert bevorzugen eher als andere Frauen maskulin und symmetrisch aussehende Männer und suchen in Kontaktanzeigen nach einer Vielzahl unterschiedlicher Charakterzüge bei einem potentiellen Partner.
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Ein fünfter Faktor, der kürzlich erforscht wurde, ist die geografische Position. Frauen, die in dicht besiedelten Städten leben oder in Städten mit hohen Lebenshaltungskosten, stellen in ihren Kontaktanzeigen höhere Ressourcen-Anforderungen an einen potentiellen Partner (McGraw, 2002). All diese situationsbedingten Auswirkungen zeigen, dass die Partnerpräferenzen der Frau von Adaptationen geprägt sind, denn sie zielen speziell darauf, die komplexen adaptiven Probleme bei der Partnerwahl zu lösen.
4.4
Wie die Partnerpräferenzen der Frau die tatsächliche Partnerwahl beeinflussen
Damit sich Präferenzen herausbilden können, müssen diese die tatsächliche Entscheidung für oder gegen einen Partner beeinflussen, denn eben diese Entscheidungen wirken sich auf die Reproduktion aus. Es gibt jedoch eine Reihe von Gründen, warum Präferenzen nicht vollkommen mit der tatsächlichen Partnerwahl übereinstimmen können. Der Mensch kann aus vielerlei Gründen nicht immer das bekommen, was er möchte. Zum einen gibt es nur eine begrenzte Anzahl sehr attraktiver potentieller Partner. Zum zweiten bestimmt der eigene Partnerwert den Zugang zu diesen attraktiven potentiellen Partnern. Allgemein kann man sagen, dass nur die attraktivsten Frauen in der Lage sind, auch die attraktivsten Männer an sich zu binden und umgekehrt. Drittens nehmen Eltern und andere Verwandte manchmal Einfluss auf die Partnerentscheidung – ohne Rücksicht auf die persönlichen Vorlieben der Betroffenen. All dieser Faktoren zum Trotz müssen die Partnerpräferenzen der Frau ihre Partnerwahl das eine oder andere Mal im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte tatsächlich entscheidend beeinflusst haben, denn sonst hätten sie sich nicht herausgebildet. Im Folgenden betrachten wir einige Befunde, die belegen, dass Präferenzen tatsächlich die Partnerwahl bestimmen.
Reaktionen von Frauen auf Kontaktanzeigen von Männern Eine aussagekräftige Informationsquelle sind die Reaktionen von Frauen auf Kontaktanzeigen, die von Männern aufgegeben wurden. Wenn die weiblichen Präferenzen tatsächlich ihre Partnerwahlentscheidung beeinflussen, müssen sie erwartungsgemäß häufiger Männern antworten, die angeben, sie seien finanziell gut situiert. Baize und Schroeder (1995) haben diese Annahme überprüft, indem sie eine Auswahl von 120 Kontaktanzeigen aus zwei verschiedenen Zeitungen, eine von der Westküste der USA, die andere aus dem mittleren Westen, heranzogen. Die Wissenschaftler schickten den Verfassern der Anzeigen einen Fragebogen, in dem sie über ihren persönlichen Status, die Anzahl der Zuschriften und eigene Charaktereigenschaften Auskunft geben sollten. Insgesamt schickten 92 Männer mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren den Fragebogen ausgefüllt zurück. Etwa die Hälfte von ihnen war nie verheiratet gewesen, die andere Hälfte lebte getrennt oder war geschieden (ein Teilnehmer gab an, er sei zur Zeit verheiratet).
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Einige Variablen sagten eindeutig vorher, wie groß die Resonanz auf die Kontaktanzeigen der Männer sein würde. Zunächst war das Alter ausschlaggebend, denn ältere Männer erhielten mehr Zuschriften als jüngere (r=+.43). Wichtige Faktoren waren auch das Einkommen und die Ausbildung; hier erhielten diejenigen Männer mehr Antworten, die angegeben hatten, ein höheres Einkommen (r=+.30) und eine längere Ausbildung (r=+.37) gehabt zu haben. Baize und Schroeder schlossen ihren Artikel mit Humor, denn ihre letzte Frage übernahmen sie von Tim Hardin und seinem berühmten Lied: „If I were a carpenter and you were a lady, would you marry me anyway, would you have my baby?“ Betrachtet man die kumulierten Auswertungsergebnisse der Studie, muss man leider antworten: wahrscheinlich nicht. Zu ähnlichen Ergebnissen kam kürzlich ein Forscherteam aus Polen, das die Resonanz auf die Kontaktanzeigen von 551 Männern untersuchte (Pawlowski & Koziel, 2002). Immer waren es Männer mit besserer Ausbildung und mehr Ressourcen, ältere und größere Männer, die von den Frauen häufiger Antwort bekamen als diejenigen Männer, die all diese Eigenschaften nicht besaßen.
Eheschließungen von Frauen mit beruflich gut situierten Männern Weitere Ergebnisse kommen von Frauen, die sich in einer Position befinden, in der sie bekommen können, was sie wollen – Frauen also, die die Qualitäten besitzen, die sich ein Mann wünscht, wie etwa körperliche Attraktivität (siehe Kapitel 5). Wie treffen diese Frauen ihre Partnerwahl? In drei separaten soziologischen Studien entdeckten Forscher, dass äußerlich attraktive Frauen tatsächlich gesellschaftlich und finanziell höher gestellte Männer heiraten als diejenigen Frauen, die weniger attraktiv sind (Elder, 1969; Taylor & Glenn, 1976; Udry & Ekland, 1984). Eine Studie untersuchte die körperliche Attraktivität der Frauen in Verbindung mit dem beruflichen Ansehen ihrer Ehemänner (Taylor & Glenn, 1976). In den verschiedenen Gruppen ergaben sich stets positive Korrelationen zwischen +.23 und +.37. Das Institute of Human Development in Berkeley, Kalifornien führte folgende Langzeitstudie durch (Elder, 1969). Unverheiratete, damals jugendliche, Frauen wurden von Mitarbeitern je nach ihrer Attraktivität bewertet. Dazu wurden zwei Personen zur Befragung eingesetzt, deren Urteile eine positive Korrelation von +.90 aufwiesen. Die Frauen wurden dann über einen langen Zeitraum beobachtet, bis sie erwachsen und verheiratet waren, wobei der berufliche Status ihrer Ehemänner untersucht wurde. Die Ergebnisse wurden für Frauen aus der Arbeiterschicht und Frauen aus der Mittelschicht getrennt ermittelt. Die Korrelationen zwischen der Attraktivität einer Frau in ihrer Jugend und dem beruflichen Status ihres Mannes etwa zehn Jahre später betrug bei Frauen aus Arbeiterkreisen +.46, bei Frauen aus der Mittelschicht +.35. In beiden Fällen waren diese Korrelationen statistisch signifikant. Betrachtet man alle Frauen insgesamt, so ergab sich eine höhere Korrelation des gesellschaftlichen Status des Mannes mit der physischen Attraktivität seiner Frau (+.43) als mit anderen Variablen der Frau wie etwa
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ihre ursprüngliche gesellschaftliche Herkunft (+.27) oder ihr IQ (+.14). Insgesamt betrachtet ist also physische Attraktivität für Frauen eine wichtige Voraussetzung, um sich gesellschaftlich aufwärts zu bewegen. Diejenigen Frauen, die am ehesten genau das bekommen können, was sie wollen, scheinen sich auch oft für Männer zu entscheiden, die Qualitäten besitzen, die sich alle Frauen wünschen – Status und Ressourcen.
Eheschließungen von Frauen mit älteren Männern Eine dritte Datenquelle, die etwas über die tatsächliche Partnerwahl der Frauen aussagt, sind demografische Statistiken über den Altersunterschied zwischen Braut und Bräutigam bei der Eheschließung. Erinnern wir uns, dass sich Frauen Ehemänner wünschen, die etwas älter sind als sie selbst. In der internationalen Studie über 37 Kulturen zogen Frauen die Männer vor, die durchschnittlich 3,42 Jahre älter waren als sie (Buss, 1989a). Von 27 dieser Länder gibt es demografische Daten über den tatsächlichen Altersunterschied. In dieser Stichprobe beträgt der tatsächliche Altersunterschied zwischen Braut und Bräutigam 2,99 Jahre. Überall waren die Männer im Durchschnitt älter als ihre Ehefrauen – die Bandbreite reichte von Irland mit 2,17 Jahren bis Griechenland mit 4,92. Die weiblichen Präferenzen für ältere Männer lassen sich also tatsächlich an ihren Heiratsentscheidungen ablesen. Natürlich spielen dabei auch die Präferenzen des Mannes eine Rolle – da diese jüngere Frauen vorziehen (siehe Kapitel 5), können wir davon ausgehen, dass diese Vorliebe ebenso den Altersunterschied zwischen Ehemännern und Ehefrauen beeinflusst. Abschließend lässt sich jedoch feststellen, dass die Partnerwahlentscheidungen der Frauen ihren geäußerten Präferenzen ziemlich genau entsprechen.
4.1 Wie steht es mit der sexuellen Orientierung lesbischer Frauen? Zwar gibt es einige Studien, die eine Erklärung für die homosexuellen Neigungen von Männern suchen (siehe Kapitel 5), das Rätsel der primär oder ausschließlich lesbischen Orientierung, wie sie bei 1 bis 2% aller Frauen auftritt, war jedoch noch nie Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen (Bailey et al., 1997). Viele Wissenschaftler wie etwa Mike Bailey, Frank Muscarella und James Dabbs haben bereits darauf hingewiesen, dass Homosexualität keinesfalls ein einziges, immer gleiches Phänomen ist. So scheint die Homosexualität von Männern und Frauen große Unterschiede aufzuweisen. Bei Männern tritt die sexuelle Orientierung in einer frühen Entwicklungsphase in Erscheinung, während bei Frauen die Sexualität im Laufe ihres Lebens sehr viel flexibler zu sein scheint (Baumeister, 2000). Zukünftige Theorien könnten sich auch mit den großen individuellen Unterschieden der gegenwärtig als „lesbisch“ oder „schwul“ bezeichneten Menschen befassen. So liegen die Partnerpräferenzen von lesbischen Frauen, die sich eher als maskulin sehen, ganz anders als bei
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
denjenigen, die sich selbst eher als feminin bezeichnen (Bailey, Kim, Hills & Linsenmeier, 1997; Bassett, Pearcey, Dabbs, 2001). Maskuline lesbische Frauen sind in der Regel dominanter und selbstsicherer, während feminine lesbische Frauen eher sensibel und fröhlich sind. Diese Unterschiede sind nicht nur psychologischer Natur: Lesbische Frauen, die maskuliner sind, haben einen höheren Testosteronspiegel, ein männlicheres Taille-Hüfte-Verhältnis, stehen flüchtigen Sexualkontakten offener gegenüber und haben seltener den Wunsch nach Kindern (Singh, Vidaurri, Zambarano & Dabbs, 1999). Für lesbische Frauen, die femininer sind, sind finanzielle Ressourcen bei einer potentiellen Partnerin wichtiger, sie sind auf Rivalinnen, die attraktiver sind, oft sexuell eifersüchtig. Maskuline lesbische Frauen messen finanziellen Ressourcen der Partnerin einen geringeren Wert bei, sie sind aber häufiger eifersüchtig auf Mitbewerberinnen, die finanziell erfolgreicher sind als sie. Die psychologischen, morphologischen und hormonellen Korrelationen legen nahe, dass hier „maskulin“ und „feminin“ keine bloßen willkürlichen Bezeichnungen sind, sondern echte Unterschiede beinhalten. Obwohl man sich in jüngster Zeit theoretisch und empirisch verstärkt mit dem Verständnis und einer möglichen Erklärung homosexueller Neigungen und gleichgeschlechtlichen Verhaltens auseinandergesetzt hat, bleiben die Ursprünge wissenschaftlich im Dunkeln. Vielleicht bringt die Erkenntnis einen größeren Fortschritt, dass es möglicherweise nicht nur eine einzige Theorie gibt, die sowohl männliche als auch weibliche Homosexualität erklären könnte. Genauso wenig gibt es eine einzige Theorie, die die weit reichenden individuellen Unterschiede zwischen den Menschen erklären kann, deren sexuelle Orientierung sich auf das eigene Geschlecht richtet.
Zusammenfassung Nun sind wir der Lösung des Rätsels um die langfristigen Partnerpräferenzen der Frau ein ganzes Stück näher gekommen. Die moderne Frau hat von ihren erfolgreichen Vorfahren die Weisheit und die Umsicht geerbt, mit der sie einen Mann für eine Partnerschaft aussucht. Zur Zeit unserer Vorfahren liefen Frauen, die sich wahllos auf eine Männerpartnerschaft einließen, eher Gefahr, geringere Reproduktionserfolge zu erzielen als diejenigen, die klug auswählten. Langfristige Partner besitzen meist eine ganze Schatztruhe voller Vorteile und positiver Eigenschaften. Sich aber für den Mann zu entscheiden, der als langfristiger Partner genau die richtigen Eigenschaften mitbringt, ist ganz klar eine außerordentlich schwierige Aufgabe. Dazu bedarf es einer Reihe klar umrissener Präferenzen, die alle auf eine Ressource abzielen, mithilfe derer die Frauen entscheidende adaptive Probleme lösen können.
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
Es scheint offensichtlich, dass sich Frauen einen Ehepartner aussuchen, der über Ressourcen verfügt. Da diese Ressourcen nicht immer direkt auszumachen sind, richten sich die Partnerpräferenzen der Frau auf andere Eigenschaften, die auf den Besitz oder den zukünftigen Erwerb von Ressourcen hinweisen. Wahrscheinlich lassen sich Frauen sogar weniger vom Geld als vielmehr von den Eigenschaften beeinflussen, die künftige Ressourcen versprechen wie etwa Ehrgeiz, Intelligenz und ein höheres Alter. Frauen untersuchen diese persönlichen Eigenschaften sehr genau, denn sie geben Auskunft über das Potential des Mannes. Potential allein reicht jedoch nicht aus. Da viele Männer mit einem großen Ressourcenpotential selbst sehr wählerisch sind und zuweilen flüchtige sexuelle Beziehungen vorziehen, sehen sich Frauen mit dem Problem des Bindungswillens seitens der Männer konfrontiert. Die Suche nach Liebe ist eine Lösung für dieses Problem. Handelt ein Mann aus Liebe, so zeigt das seinen Bindungswillen mit der betreffenden Frau. Für die Frauen unserer Vorfahren wäre es allerdings problematisch gewesen, wenn sie einen Mann gehabt hätten, der sie zwar liebte und ihnen treu war, sich anderen Männern aber körperlich schnell geschlagen geben musste. Frauen, die sich mit kleinen, schwachen Männern einließen, denen Mut und Kraft fehlten, wären das Risiko eingegangen, von anderen Männern geschädigt zu werden und ihre gemeinsamen Ressourcen zu verlieren. Große, starke, athletische Männer dagegen konnten die Frauen beschützen. So konnte ihre persönliche Sicherheit und die Sicherheit ihrer Kinder vor Übergriffen geschützt werden. Die modernen Frauen sind die Nachfahren dieser damals erfolgreichen Frauen, die ihre Männer zum Teil auch nach Stärke und Körperbau auswählten. Dennoch sind Ressourcen, Bindungswille und Schutz für die Frau völlig nutzlos, wenn ihr Ehemann krank wird oder stirbt oder wenn das Paar zu verschieden ist, um als Elternpaar und gutes Team zu funktionieren. Daher legen Frauen auch großen Wert auf die Gesundheit eines Ehemanns, denn dadurch wird er in der Lage sein, all diese Vorteile auch auf lange Sicht zu gewähren. Außerdem legen sie großen Wert auf ähnliche gemeinsame Interessen und Eigenschaften, denn das fördert Stabilität und Treue. Diese unterschiedlichen Facetten der aktuellen weiblichen Partnerpräferenzen stimmen also voll und ganz mit den vielen adaptiven Problemen überein, denen sich unsere weiblichen Vorfahren vor tausenden von Jahren gegenüber sahen. Die weiblichen Präferenzen sind aber weder unumstößlich noch unveränderbar; im Gegenteil gibt es mindestens fünf verschiedene Faktoren, die dafür sorgen, dass sie sich auf wichtige und adaptive Weise verändern: der eigene Zugang zu Ressourcen, die zeitliche Dimension, der Menstruationszyklus, der persönliche Partnerwert sowie die Ressourcenanforderungen der Stadt, in der sie leben. Die Präferenzen können sich auch in Abhängigkeit von der sexuellen Orientierung verschieben (siehe Box 4.1).
Kapitel 4 Langfristige Partnerwahl-Strategien der Frau
Der Hypothese der strukturellen Machtlosigkeit zufolge schätzen Frauen, die selbst viele Ressourcen zur Verfügung haben, den Wert eines Mannes mit Ressourcen weniger hoch ein als Frauen, die selbst keine Ressourcen besitzen. Diese Hypothese kann durch empirische Daten jedoch nicht gestützt werden. Tatsächlich sind für Frauen mit einem hohen Einkommen dieses und die Ausbildung eines potentiellen Partners sehr viel wichtiger als für Frauen mit geringerem Einkommen. Frauen zeigen auch unterschiedliche Präferenzen, je nachdem ob es sich um eine kurzfristige oder eine langfristige Beziehung handelt. Handelt es sich um eine langfristige Beziehung, so bevorzugen Frauen Eigenschaften, die darauf hindeuten, dass der Mann ein guter Versorger und ein guter Vater sein wird. Geht es um einen kurzfristigen Partner, sind den Frauen diese Kriterien weniger wichtig. Auch der Menstruationszyklus der Frau beeinflusst ihre Partnerpräferenzen. Ist bei einer Frau die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden am höchsten, bevorzugt sie Männer, die maskuliner sind und symmetrischere Gesichtszüge haben als jene, die sie in Zeiten bevorzugt, in denen sie nicht empfängnisbereit ist. Schließlich haben Frauen, die selbst einen höheren Partnerwert haben, auch eine größere Vorliebe für maskuline Männer mit symmetrischen Gesichtszügen und sind in ihren Kontaktanzeigen anspruchsvoller, was die gewünschten Eigenschaften des langfristigen Partners betrifft. Damit sich Präferenzen entwickeln konnten, mussten sich diese wiederholt auf die tatsächlichen Partnerentscheidungen ausgewirkt haben. Aus verschiedenen Gründen können wir nicht davon ausgehen, dass sich die Präferenzen der Frau vollkommen mit den Partnerentscheidungen decken. Niemand bekommt immer genau das, was er will. Dennoch weisen mehrere Forschungsergebnisse darauf hin, dass die weiblichen Präferenzen die Partnerwahl tatsächlich beeinflussen. Frauen reagieren verstärkt auf Kontaktanzeigen, in denen die Männer angeben, sie seien finanziell gut situiert. Frauen, die das verkörpern, was sich Männer wünschen (die z.B. äußerlich attraktiv sind), haben die größten Chancen, das zu bekommen, was sie sich wünschen; deshalb sind auch ihre Partnerentscheidungen aufschlussreich. Einige Studien zeigen, dass physisch attraktive Frauen tatsächlich häufiger Männer heiraten, die über ein hohes Einkommen und einen hohen beruflichen Status verfügen. Demografische Studien ergaben außerdem, dass Frauen weltweit eher dazu neigen, ältere Männer zu heiraten, was also den von ihnen angegebenen Präferenzen für ältere Männer direkt entspricht. Geht man von diesen kumulierten Studienergebnissen aus, kann man mit Recht schließen, dass die Partnerpräferenzen der Frau einen entscheidenden Einfluss auf ihre tatsächlichen Partnerentscheidungen haben.
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Weiterführende Literatur Buss, D. M. (2003). The evolution of desire: Strategies of human mating (revised edition). New York: Free Press (dt.: Die Evolution des Begehrens: Geheimnisse der Partnerwahl. München: Goldmann, 1994). Fisher, H. (1993). Anatomie der Liebe: Warum sich Paare finden, sich binden und auseinandergehen. München: Droemer Knaur Verlag. Hassebrauck, M. & Küpper, B. (2002). Warum wir aufeinander fliegen: Die Gesetze der Partnerwahl. Reinbeck: Rowohlt TB. Johnston, V. S., Hagel, R., Franklin, M., Fink, B. & Grammer, K. (2001). Male facial attractiveness: Evidence for hormone-mediated adaptive design. Evolution and Human Behavior, 22, 251-267. Miller, G. (2001). The mating mind. New York: Anchor Books (dt.: Die sexuelle Evolution: Partnerwahl und die Entstehung des Geistes. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag, 2001). Regan, P. C. (1998). Minimum mate selection standards as a function of perceived mate value, relationship context, and gender. Journal of Psychology and Human Sexuality, 10, 53-73. Trivers, R. L. (1972). Parental investment and sexual selection. In B. Campbell (Ed.), Sexual selection and the descent of man: 1871-1917 (136-179). Chicago: Aldine.
Kapitel
5
Langfristige PartnerwahlStrategien des Mannes
Warum stellt ein hübsches Mädchen unseren Verstand so auf den Kopf? – William James (1890) Warum hat die Selektion bei Männern psychologische Mechanismen entwickelt, die sie veranlassen zu heiraten und sich Jahre oder Jahrzehnte an eine Frau zu binden? Es ist nahe liegend, dass zumindest unter gewissen Umständen adaptive Vorteile für eine langfristige Partnerwahl sprachen. Dieses Kapitel untersucht Logik und Befunde bezüglich langfristiger Strategien der Partnerwahl bei Männern. Wir beginnen mit dem theoretischen Hintergrund der Evolution von Partnerpräferenzen bei Männern. Als Nächstes beschäftigen wir uns mit dem Inhalt dieser Vorlieben. Der letzte Abschnitt erkundet die Kontexteffekte der langfristigen Strategien der Partnerwahl.
5.1
Theoretischer Hintergrund der Evolution von Partnerpräferenzen von Männern
Dieser Abschnitt behandelt den theoretischen Hintergrund von zwei Themen. Beim ersten geht es um die Frage, warum Männer überhaupt heiraten sollten und welche potentiellen adaptiven Vorteile unsere männlichen Vorfahren aus einer Heirat gewinnen konnten. Das zweite Thema behandelt die Komplexität der Wünsche und wie die Selektion bestimmte Partnerpräferenzen bei Männern gestaltet haben könnte.
Warum Männer von Bindung und Heirat profitieren Eine Antwort auf das Rätsel, warum Männer heiraten, ergibt sich aus den von Frauen aufgestellten Grundregeln. Da unsere weiblichen Vorfahren verlässliche Zeichen männlicher Bindung forderten, bevor sie einwilligten Sex zu haben, hätten Männer, die an dem Eingehen von Bindungen scheiterten, auf dem Heiratsmarkt schlechte Chancen gehabt. Männer, die kein Interesse an Bindungen zeigten, hätten unter Umständen überhaupt keine Frauen angezogen. Die von Frauen gestellten Bedingungen, bevor sie einwilligten Sex zu haben, hätten es für Männer sehr aufwändig gemacht, nur eine kurzfristige Partnerstrategie zu verfolgen. In der Ökonomie der Reproduktionsbemühungen konnten die meisten Männer es sich nicht leisten, keine dauerhafte Partnerin zu suchen.
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Ein weiterer Vorteil der Heirat liegt in der Qualität der Frauen begründet, die ein Mann anziehen konnte. Wie wir in Kapitel 4 gesehen haben, suchen Frauen solche Männer, die bereit sind, langfristige Ressourcen, Schutz und Investitionen in Kinder zu versprechen. Daher haben Männer, die bereit sind, sich langfristig zu binden, eine größere Auswahl. Diese Männer ziehen begehrenswerte Frauen an, da diese, wie wir gerade festgestellt haben, langfristige Beziehungen wünschen. Äußerst begehrenswerte Frauen sind in der besten Position, das zu bekommen, was sie wollen. Ein dritter potentieller Vorteil ist eine Erhöhung der Chancen, dass der Mann der Vater der Kinder ist, die die Frau zur Welt bringt. Durch Heirat erhält ein Mann wiederholten und im Regelfall exklusiven sexuellen Zugang. Ohne diesen wäre seine Gewissheit der Vaterschaft gefährdet. Daher haben Männer, die heiraten, einen reproduktiven Vorteil in Bezug auf die Gewissheit der Vaterschaft. Ein vierter Vorteil liegt in der Steigerung der Überlebenschancen seiner Kinder. In der Umwelt unserer Vorfahren hatten Säuglinge und Kleinkinder, die ohne die Fürsorge zweier Elternteile oder Verwandter auskommen mussten, eine geringere Überlebenschance (Hill & Hurtado, 1996). Unter den Ache-Indianern in Paraguay ist es noch heute Brauch, dass die Dorfbewohner nach dem Tode eines Mannes in einer gemeinsamen Entscheidung beschließen, unter Umständen einige seiner Kinder zu töten, selbst wenn deren Mutter noch lebt. Angehörige der Ache bestehen darauf, da viele der Kinder sonst nicht ausreichend versorgt würden. Sie sagen, ein Kind ohne Vater „würde ständig um Nahrung betteln“ (Hill & Hurtado, 1996, S. 68) und somit die Ressourcen der Gruppe auslaugen. Insgesamt zeigten Kinder der Ache, deren Väter starben, eine zehn Prozent höhere Sterblichkeitsrate als Kinder mit noch lebenden Vätern. Die Ache sind nur eine Gruppe und man darf von einer solchen keine Verallgemeinerungen ableiten. Der springende Punkt ist, dass eine Steigerung der Überlebenschancen für die Kinder eines Mannes ein adaptiver Vorteil für unsere männlichen Vorfahren gewesen sein könnte, der aus einer langfristigen ehelichen Beziehung resultierte. Im Lauf der menschlichen Evolutionsgeschichte litten Kinder, die ohne Vater aufwuchsen, unter dem Fehlen seiner Ratschläge und seinen politischen Allianzen, da diese später im Leben hilfreich sein konnten. In vielen vergangenen und gegenwärtigen Kulturen haben Väter ein starkes Interesse daran, für ihre Töchter und Söhne vorteilhafte Heiraten zu arrangieren. Das Fehlen dieser Vorteile kann sich für vaterlose Kinder nachteilig auswirken. Diese Evolutionszwänge, die seit tausenden von Generationen bestehen, hätten verheirateten Männern einen Vorteil verschafft. Zusammengenommen gibt es fünf potentiell überzeugende adaptive Vorteile für Männer, eine Ehe einzugehen: (1) bessere Chancen, eine Partnerin anzuziehen, (2) erhöhte Möglichkeit, eine begehrenswerte Partnerin anzuziehen, (3) erhöhte Gewissheit der Vaterschaft, (4) erhöhte Überlebenschancen seiner Kinder und (5) erhöhter reproduktiver Erfolg der Kinder aufgrund der elterlichen Investitionen. Vorausgesetzt, dass es überzeugende Vorteile für Männer gab, eine Bindung einzugehen, lautet die nächste Frage: Welche Qualitäten suchen sie in einer Frau?
Kapitel 5 Langfristige Partnerwahl-Strategien des Mannes
Das Problem, die Fruchtbarkeit oder den reproduktiven Wert einer Frau einzuschätzen Um reproduktiv erfolgreich zu sein, mussten unsere Vorfahren Frauen heiraten, die fähig waren, Kinder zu gebären. Eine Frau, die viele Kinder gebären kann, ist reproduktiv von größerem Vorteil als eine Frau, die nur wenige oder keine Kinder gebären kann. Männer können den reproduktiven Wert einer Frau nicht direkt einschätzen und daher konnte die Selektion bei Männern nur Präferenzen für Qualitäten entwickeln, die mit dem reproduktiven Wert in Beziehung stehen. Vergleicht man den Menschen mit dem ihm am nächsten stehenden Primaten, dem Schimpansen, so entdeckt man eine überraschende Diskontinuität in der Zurschaustellung des Reproduktionsstatus. Wenn die Schimpansin ihren Eisprung hat, ist sie in der so genannten Östrus-Phase. Die Empfänglichkeit während der Östrus-Phase wird durch hellrot geschwollene Genitalien und auf männliche Schimpansen anziehend wirkende Gerüche angezeigt. Der Großteil, wenn auch nicht die gesamte sexuelle Aktivität der Schimpansen findet während der Östrus-Phase statt, in der es am wahrscheinlichsten ist, dass das Weibchen befruchtet wird. Menschen haben eine wesentlich andere Art der Paarung. Zum ersten findet die Ovulation der Frau verborgen oder verschlüsselt statt. Anders als bei Schimpansen wird die Ovulation nicht von einer ausgeprägten Schwellung der Genitalien begleitet. Zweitens findet die sexuelle Aktivität während des gesamten Zyklus der Frau statt und ist, anders als bei Schimpansen, nicht auf die Phase konzentriert, in der es am wahrscheinlichsten ist, dass die Frau befruchtet wird. Der Übergang vom offen angezeigten Östrus zur verborgenen Ovulation stellte für unsere Vorfahren ein adaptives Problem dar. Schimpansen haben es leicht, da sie nur nach den offensichtlichen Signalen des Östrus suchen müssen. Wird die Ovulation jedoch nicht offen angezeigt, wie können Männer dann den reproduktiven Status einer Frau erkennen? Die verborgene Ovulation verlagerte das Problem dahingehend, dass die Fruchtbarkeit oder der reproduktive Status einer Frau bestimmt werden musste. Der reproduktive Wert bezieht sich auf die Anzahl der Kinder, die eine Person bestimmten Alters und Geschlechts in Zukunft haben könnte. Eine 15-jährige Frau verfügt über einen höheren reproduktiven Wert als eine 30 jährige, da die jüngere Frau in Zukunft durchschnittlich mehr Kinder gebären kann als die ältere. Einzelne Frauen können diese Durchschnittswerte natürlich widerlegen. Die 15-jährige Frau könnte sich entscheiden, niemals Kinder zu bekommen, und die 30-jährige könnte sechs Kinder bekommen. Der Schlüssel liegt darin, dass der reproduktive Wert sich auf die durchschnittliche zu erwartende Reproduktion einer Person bestimmten Alters und Geschlechts bezieht. Abbildung 5.1 stellt eine Kurve des reproduktiven Wertes von Frauen dar. Der reproduktive Wert unterscheidet sich von der Fruchtbarkeit, die als tatsächliche Reproduktionsleistung definiert wird und an der Anzahl lebensfähiger Nachkommen gemessen wird. In menschlichen Populationen gebären Frauen Mitte Zwanzig die meis-
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
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ten lebensfähigen Kinder und somit erreicht die Fruchtbarkeit bei Frauen ihren Höhepunkt auch Mitte Zwanzig. Der Unterschied zwischen Fruchtbarkeit und reproduktivem Wert kann durch den Vergleich von zwei Frauen im Alter von 15 und 25 illustriert werden. Die jüngere Frau hat einen höheren reproduktiven Wert, da ihre künftige Reproduktion als höher angesehen wird. Die ältere Frau dagegen wäre fruchtbarer, da Frauen Mitte Zwanzig im Durchschnitt mehr Kinder gebären als Teenager. Die Fruchtbarkeit oder den reproduktiven Wert einer Frau festzustellen, ist jedoch schwieriger als es auf den ersten Blick erscheint. Es steht einer Frau nicht auf die Stirn geschrieben, wie viele Kinder sie im Lauf ihres Lebens gebären wird. Es ist auch nicht ihrem gesellschaftlichen Ruf zu entnehmen. Sogar die Frauen selbst kennen ihren reproduktiven Wert nicht. Unsere Vorfahren könnten jedoch Mechanismen entwickelt haben, um zu erkennen, welche beobachtbaren Qualitäten einer Frau auf ihren reproduktiven Wert hinweisen. Zwei dieser potentiell beobachtbaren Hinweise sind Jugend und Gesundheit (Symons, 1979; Williams, 1975). Alte oder kranke Frauen sind offensichtlich nicht so reproduktiv wie junge, gesunde Frauen. Aber welche beobachtbaren Qualitäten einer Frau signalisieren Jugend und Gesundheit? Wie stark konzentrieren sich die Wünsche des Mannes bei einer Partnerin auf ihre reproduktive Kapazität?
Abbildung 5.1: Kurve des reproduktiven Wertes von Frauen Die Abbildung zeigt die Anzahl der Kinder, die eine Frau bestimmten Alters im Laufe ihres Lebens im Schnitt wahrscheinlich haben wird. Daten von Symons (1979); Williams (1975).
5.2
Inhalte der Partnerpräferenzen von Männern
Auf gewisse Weise gleichen die Partnerpräferenzen von Männern denen der Frauen. Wie Frauen wünschen sich Männer Partner, die intelligent, liebenswürdig, verständnisvoll und gesund sind (Buss, 2003). Wie Frauen suchen Männer nach Partnern, die ihre Werte teilen und ähnliche Einstellungen, Persönlichkeiten und religiöse Ansichten haben. Aber da unsere männlichen Vorfahren einem anderen Schema adaptiver Partnerprobleme gegen-
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überstanden als unsere weiblichen Vorfahren, verfügen auch die modernen Männer – ihre Nachkommen – über ein unterschiedliches Schema von Partnerpräferenzen. Diese beginnen mit einem der wichtigsten Hinweise auf den reproduktiven Status einer Frau – ihr Alter.
Präferenz für Jugend Jugend ist ein kritisches Stichwort, da, wie bereits erwähnt, der reproduktive Wert einer Frau ab 20 konstant abnimmt. Im Alter von 40 ist die reproduktive Kapazität einer Frau niedrig und mit 50 im Grund genommen bei Null. Die Möglichkeiten der Fortpflanzung sind somit auf einen Bruchteil ihres Lebens beschränkt. Die Präferenzen der Männer schlagen daraus Kapital. In den Vereinigten Staaten haben Männer überwiegend den Wunsch nach einer jüngeren Partnerin. Die männliche Vorliebe für jugendliche Partnerinnen beschränkt sich jedoch nicht auf westliche Kulturen. Als der Anthropologe Napoleon Chagnon gefragt wurde, welche Frauen die Männer der Yanomamö-Indianer im Amazanos-Gebiet sexuell am attraktivsten finden, erwiderte er ohne zu zögern, „Frauen, die moko dude sind“ (Symons, 1989, S. 34-35). Das Wort moko bedeutet, dass eine Frucht geerntet werden kann, und in Bezug auf eine Frau, dass die Frau fruchtbar ist. Moko dude bedeutet daher, dass eine Frucht im perfekten Reifestadium ist, und bezogen auf eine Frau, dass sie postpubertär ist, aber noch kein Kind geboren hat. Vergleichbare Informationen über andere Stämme bestätigen, dass die Yanomamö-Männer nicht atypisch sind. Nigerianische, indonesische, iranische und indische Männer drücken ähnliche Präferenzen aus. Ohne Ausnahme bevorzugten Männer in jeder der 37 in einer Studie über Partnerwahl untersuchten Gesellschaften jüngere Frauen. Nigerianische Männer im Alter von 23 Jahren drückten beispielsweise eine Präferenz für Frauen aus, die sechseinhalb Jahre jünger oder noch nicht ganz 17 waren (Buss, 1989a). Jugoslawen im Alter von 21 wünschten sich Frauen im Alter von etwa 19 Jahren. Chinesen, Kanadier und Kolumbianer teilen mit ihren nigerianischen und jugoslawischen Brüdern den Wunsch nach jungen Frauen. Im Durchschnitt wünschten sich die Männer Frauen, die etwa zweieinhalb Jahre jünger als sie selbst waren (siehe Abbildung 4.5). Obwohl Männer im Allgemeinen jüngere Frauen als Ehefrauen bevorzugen, variiert diese Vorliebe von Kultur zu Kultur. In den skandinavischen Ländern wie Finnland, Schweden und Norwegen bevorzugen Männer Partnerinnen, die nur ein bis zwei Jahre jünger sind. Männer in Nigeria und Sambia dagegen wünschen sich Frauen, die sechseinhalb bzw. siebeneinhalb Jahre jünger sind. In Nigeria und Sambia, in denen Polygamie praktiziert wird, ist es Männern, die es sich leisten können, gesetzlich erlaubt, mehr als eine Frau zu heiraten. Da Männer in polygamen Systemen normalerweise älter sind, wenn sie über ausreichende Ressourcen verfügen, um Frauen anzuziehen, kann der von Nigerianern und Sambiern bevorzugte größere Altersunterschied auch ihr fortgeschrittenes Alter reflektieren, in dem sie auf Brautschau gehen. Ein Vergleich der Statistiken von Bekanntschaftsanzeigen in Zeitungen zeigt, dass das Alter eines Mannes starke Auswirkung auf seine Präferenzen hat. Mit zunehmendem
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Alter bevorzugen Männer zunehmend jüngere Partnerinnen. Männer in ihren Deißigern bevorzugen Frauen, die etwa fünf Jahre jünger sind, während Männer in ihren Fünfzigern Frauen bevorzugen, die zehn bis zwanzig Jahre jünger sind (Kenrick & Keefe, 1992) (siehe Abbildung 5.2). Ein Evolutionsmodell sagt voraus, dass Männer nicht Jugend per se wünschen, sondern Merkmale, die mit dem reproduktiven Wert oder der Fruchtbarkeit verbunden sind. Dies führt zu einer nicht eingängigen Vorhersage über die Alterspräferenzen Heranwachsender: männliche Teenager bevorzugen Frauen, die im Gegensatz zu dem üblicherweise beobachteten Muster etwas älter sind, da diese eine höhere Fruchtbarkeit aufweisen als Frauen in ihrem Alter oder Frauen, die jünger sind (Kenrick, Keefe, Gabrielidis & Cornelius, 1996). Um diese Vorhersage zu überprüfen, wurden in einer Studie (Kenrick et al., 1996) 103 männliche und 106 weibliche Teenager im Alter zwischen zwölf und neunzehn befragt. Die Teilnehmer erhielten folgende Anweisung: „Ich möchte, dass du dir kurz überlegst, wen du attraktiv findest. Stell dir vor, du hast eine Verabredung. Nimm an, die Person ist an dir interessiert und ihr verabredet euch. Die Erlaubnis der Eltern und Geld spielen keine Rolle.“ (Kenrick et al., 1996, S. 1505).
Unterschied zum Alter der Zielperson
bevorzugtes Mindestalter bevorzugtes Höchstalter 20
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–20 20s
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Alter des Mannes
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Alter der Frau
Abbildung 5.2: Die Alterspräferenzen von Männern mit zunehmendem Alter Mit zunehmendem Alter bevorzugen Männer wesentlich jüngere Partnerinnen (links). Die Alterspräferenzen von Frauen zeigen dieses Muster nicht (rechts). Quelle: Kenrick, D. T. & Keefe, R. C. (1992). Age preferences in mates reflect sex differences in reproductive strategies. Behavioral and Brain Sciences, 15, 75-133.
Jeder Teilnehmer wurde dann zu seinen Altersbeschränkungen befragt. Der Untersuchungsleiter begann mit der Frage: „Würdest du dich mit jemandem verabreden, der [das Alter des
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Befragten] ist“? gefolgt von „Und mit jemandem, der [das Alter des Befragten minus eins] ist“. Bei bejahenden Antworten wurde die Befragung solange fortgesetzt, bis der Teilnehmer ein bestimmtes Alter zu jung fand. Die Teilnehmer wurden anschließend gefragt, welches maximale Alter eines Partners sie noch akzeptieren würden. Der Leiter fragte dann nach dem idealen Alter und schließlich „der attraktivsten Person, die du dir vorstellen kannst“ (S. 1505). Die Ergebnisse brachten drei Variablen hervor: das ideale Alter, das Mindestalter und das maximale Alter des gewünschten Partners. Die Ergebnisse sind in Abbildung 5.3 abgebildet. Obwohl die männlichen Teenager bereit waren, Verabredungen mit Frauen zu treffen, die etwas jünger als sie selbst waren, waren sie eher an Verabredungen mit Frauen interessiert, die älter als sie selbst waren. Das „interessanteste“ Alter spiegelt das Ergebnis wieder, in dem männliche Jugendliche aussagten, eine Verabredung mit einer Frau zu wünschen, die im Durchschnitt mehrere Jahre älter war. Interessanterweise kommen diese Ergebnisse zustande, obwohl die älteren Frauen nur wenig Interesse daran zeigen, sich mit jüngeren Männern zu verabreden (zweite Grafik in Abbildung 5.3).
Unterschied zum Alter der Zielperson
am attraktivsten (abzüglich eigenes Alter) bevorzugter maximaler Altersunterschied bevorzugter Mindestaltersunterschied 20
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Alter der Fau
Abbildung 5.3: Alterspräferenzen bei Teenagern Beachten Sie, dass männliche Teenager im Gegensatz zu älteren Männern Frauen bevorzugen, die etwas älter sind als sie selbst (links). Quelle: Kenrick, D. T., Keefe, R. C., Gabrielidis, C. & Cornelius, J. S. (1996). Adolescent’s age preferences for dating partners: Support for an evolutionary model of life-history strategies. Child Development, 67, 1499-1511.
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Um einen Überblick über das Muster der Alterspräferenzen von Männern zu erhalten, wurden die Daten aller Altersgruppen in einer Grafik zusammengefasst (Abbildung 5.4). Diese zeigt deutlich, dass die jüngsten Teenager Frauen bevorzugen, die einige Jahre älter sind als sie selbst. Aber mit zunehmendem Alter bevorzugen Männer deutlich jüngere Frauen. Diese die Teenager betreffenden Daten sind wichtig, da sie alternative Erklärungen weniger plausibel erscheinen lassen. Eine Erklärung für den Wunsch der Männer nach jungen Frauen ist beispielsweise, dass junge Frauen leichter kontrolliert werden können und weniger dominant sind und dass Männer sich Frauen wünschen, die sie kontrollieren können (Wolf, 1992). Wenn dies jedoch der einzige Grund für die Präferenz junger Frauen wäre, müssten auch Teenager jüngere Frauen bevorzugen, aber dies ist nicht der Fall. Nur wenn Teenager annahmen, dass ältere Frauen einfacher zu dominieren sind, könnte die „Kontroll“-Erklärung funktionieren! Eine weitere Erklärung für die Präferenz jüngerer Frauen basiert auf der klassischen Lerntheorie. Da Frauen Männer bevorzugen, die etwas älter sind, könnten Männer durch die Verabredung mit jüngeren Frauen mehr Bestätigung erhalten haben. Diese „Verstärkungs”- Erklärung berücksichtigt jedoch nicht die Präferenzen männlicher Teenager, die ältere Frauen bevorzugen, obwohl dieses Interesse nur selten gegenseitig ist.
Alter der Zielperson
Bekanntschaftsanzeigen von Erwachsenen
bevorzugtes Höchstalter bevorzugtes Mindestalter
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0
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–10
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Alter des Mannes
60s
–20
10s
20s 30s 40s
Teenager
50s
60s
Alter der Frau
Abbildung 5.4: Vergleich der Präferenzen von Teenagern mit denen, die in Bekanntschaftsanzeigen von Erwachsenen ausgedrückt werden. Die Grafik zeigt, dass Teenager Partner bevorzugen, die etwa im gleichen Alter sind. Mit zunehmendem Alter bevorzugen Männer immer jüngere Partnerinnen, während Frauen konstant Männer bevorzugen, die einige Jahre älter sind. Quelle: Kenrick, D. T., Keefe, R. C., Gabrielidis, C. & Cornelius, J. S. (1996). Adolescent’s age preferences for dating partners: Support for an eovlutionary model of life-history strategies. Child Development, 67, 1499-1511.
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Zusammen mit den kulturübergreifenden Daten unterstützen diese Ergebnisse eine evolutionspsychologische Erklärung: Männer bevorzugen jüngere Frauen, da im Lauf der Evolution Jugend mit Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht wurde. Diese Erklärung berücksichtigt zwei Faktoren, die alle anderen Theorien nur schwer erklären können: erstens, dass Männer mit zunehmendem Alter deutlich jüngere Frauen bevorzugen, und zweitens, dass Teenager Frauen bevorzugen, die einige Jahre älter als sie sind, obwohl diese Frauen sie selten für dieses Interesse belohnen.
Physischer Schönheitsstandard Jugend ist die offensichtlichste männliche Präferenz, die mit der reproduktiven Kapazität von Frauen verbunden ist. So wie unsere Maßstäbe attraktiver Landschaften Hinweise auf Wasser, Wild und Schutz enthalten und den Lebensraum der Savanne nachahmen (Orians & Heerwagen, 1992), so enthalten die Maßstäbe weiblicher Schönheit Hinweise auf ihren reproduktiven Wert. Nach herkömmlicher Überzeugung liegt die Schönheit im Auge des Betrachters, aber diese Augen und der Verstand dahinter wurden durch Jahrmillionen menschlicher Evolution geprägt. Was als schön gilt, bestimmen die Adaptationen des Betrachters (Symons, 1995). Unsere Vorfahren kannten zwei beobachtbare Hinweise auf den reproduktiven Wert von Frauen: (1) Merkmale des physischen Erscheinungsbildes wie volle Lippen, glatte, straffe Haut, klare Augen, glänzendes Haar, guter Muskeltonus und günstige Körperfettverteilung und (2) Merkmale des Verhaltens wie federnder, jugendlicher Gang, bewegter Gesichtsausdruck und ein hohes Energieniveau. Von diesen Hinweisen auf Jugend und Gesundheit - und somit auf die Fruchtbarkeit und den reproduktiven Wert - wird angenommen, dass sie einige der Hauptbestandteile des männlichen Maßstabs weiblicher Schönheit darstellen (Symons, 1979, 1995). Körperliche und verhaltensbezogene Hinweise auf den reproduktiven Wert einer Frau sind leicht erkennbar. Daher haben unsere Vorfahren eine Präferenz für Frauen entwickelt, die diese zur Schau stellten. Männer, die diese Qualitäten, die Fruchtbarkeit und einen hohen reproduktiven Wert signalisierten, nicht bevorzugten und grauhaarige Frauen mit rauher Haut und schlechtem Muskeltonus heirateten, hätten weniger Nachkommen und ihre Linie würde irgendwann aussterben. Die Psychologen Clelland Ford und Frank Beach fanden mehrere universelle Hinweise, die mit der evolutionären Schönheitstheorie übereinstimmen (1951). Anzeichen für Jugend wie glatte, straffe Haut und Anzeichen für Gesundheit wie das Fehlen von wunden Stellen und Verletzungen werden universell als attraktiv angesehen. Hinweise auf schlechte Gesundheit oder Alter gelten als wenig attraktiv. Schlechte Haut wird als sexuell unattraktiv angesehen. Flechte, Entstellungen im Gesicht und ein ungepflegtes Äußeres gelten weltweit als unerwünscht, Sauberkeit und Gesundheit als attraktiv. Von den Bewohnern der Trobriand-Inseln im Nordwesten von Melanesien berichtet der Anthropologe Bronislaw Malinowski, dass „wunde Stellen, Geschwüre und Hautausschläge vom Blickwinkel des erotischen Kontaktes aus betrachtet als besonders abstoßend angesehen werden” (Malinowski, 1929, S. 244). „Wesentliche Voraussetzungen“ für
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Schönheit sind dagegen „Gesundheit, starkes Haarwachstum, gesunde Zähne und weiche Haut.“ Merkmale wie strahlende, glänzende Augen und volle, wohlgeformte statt schmaler oder zusammengekniffener Lippen sind für die Inselbewohner besonders wichtig. Hinweise auf Jugend haben auch ästhetische Priorität. Bei Männern und Frauen, die Fotografien von Frauen verschiedenen Alters beurteilen sollten, nahm die Attraktivität des Gesichts mit zunehmendem Alter der Frau ab (Henss, 1992; Jackson, 1992). Die Abnahme der Bewertung erfolgte dabei unabhängig von Alter und Geschlecht der Probanden. Mit zunehmendem Alter der Frau auf den Fotografien nahm der Wert, den Männer dem Gesicht der Frau zuordneten, schneller ab als der Wert, den Frauen dem Gesicht gaben, was die Bedeutung des Alters als Hinweis auf die reproduktive Kapazität für die Männer unterstreicht. Andere potentielle Hinweise auf Jugend und Gesundheit geben Länge und Qualität der Haare. In einer Studie wurden 230 Frauen an öffentlichen Plätzen über ihr Alter, subjektiven Gesundheitszustand, Beziehungen und andere Variablen interviewt. Beobachter bewerteten ihre Haarlänge und deren Qualität (Hinsz, Matz & Patience, 2001). Man fand heraus, dass Haarlänge und -qualität starke Hinweise auf Jugend sind: Jüngere Frauen hatten längeres Haar, das höher bewertetet wurde als das älterer Frauen. Zudem stimmten die Beurteilungen der Beobachter in Bezug auf die Haarqualität mit den subjektiven Beurteilungen der Frauen bezüglich ihres Gesundheitszustandes überein. Künftige Forschungen werden zweifellos weitere physische Zeichen für Jugend und Gesundheit und somit für den Partnerwert von Frauen entdecken. Schönheitsmaßstäbe entwickeln sich schon früh im Leben. Die meisten psychologi-
schen Theorien über die Anziehungskraft gehen davon aus, dass diese nach und nach durch kulturelle Übermittlungen erlernt wird und erst im Alter von drei oder vier Jahren oder sogar noch später deutlich auftritt (Berscheid & Walster, 1974; Langlois, Roggman, Casey, Ritter, Rieser-Danner & Jenkins, 1987). Die Psychologin Judith Langlois und ihre Kollegen haben diese herkömmliche Überzeugung jedoch widerlegt, als sie die Reaktionen von Säuglingen auf Gesichter untersuchten (Langlois, Roggman, & Reiser-Danner, 1990). Erwachsene bewerteten Farbdias weißer und schwarzer Frauengesichter hinsichtlich ihrer Attraktivität. Diese wurden zwei bis drei Monate alten und sechs Monate alten Säuglingen gezeigt. Sowohl die jüngeren als auch die älteren Säuglinge betrachteten die attraktiveren Gesichter über einen längeren Zeitraum, was darauf hinweist, dass Schönheitsmaßstäbe schon früh im Leben auftauchen. In einer zweiten Studie wurde herausgefunden, dass einjährige Kinder bedeutend länger mit Puppen spielten, die ein attraktives Gesicht hatten, als mit unattraktiven Puppen. Diese Ergebnisse widerlegen die herkömmliche Ansicht, dass Attraktivitätsmaßstäbe nach und nach aufgrund gegenwärtiger kultureller Modelle erlernt werden. Diese Maßstäbe scheinen ohne jedes Lernen aufzutauchen. Schönheitsmaßstäbe sind kulturübergreifend. Schönheit ist weder arbiträr noch kultur-
gebunden. Als der Psychologe Michael Cunningham Menschen verschiedener Rassen bat, die Attraktivität von asiatischen, hispanischen, schwarzen und weißen Frauengesichtern auf Fotografien zu beurteilen, gab es eine starke Übereinstimmung darüber, wer als gut aussehend gilt (Cunningham, Roberts, Wu, Barbee & Druen, 1995). Die durchschnitt-
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liche Korrelation zwischen den Rassen in ihren Bewertungen über die Attraktivität der Fotografien betrug +.93. In einer zweiten Studie derselben Forscher stimmten Taiwanesen mit den anderen Gruppen in den Bewertungen der Attraktivität überein (r = +.91). Die westlichen Medien beeinflussten die Bewertungen der Attraktivität in keiner der Studien. In einer dritten Studie bestand zwischen Schwarzen und Weißen eine starke Übereinstimmung darüber, welche Gesichter am attraktivsten und am wenigsten attraktiv waren (r = +.94). Übereinstimmung bestand auch zwischen Südafrikanern und Nordamerikanern, zwischen schwarzen und weißen Amerikanern und zwischen Russen, Ache-Indianern und Amerikanern (Cross & Cross, 1971; Jackson, 1992; Jones, 1996; Morse, Gruzen, & Reis, 1976; Thakerar & Iwawaki, 1979). „Durchschnittliche“ und symmetrische Gesichter sind attraktiver. Um herauszufinden,
was ein Gesicht attraktiv macht, generierten Wissenschaftler am Computer Fotomontagen von Gesichtern (Langlois & Roggman, 1990). Diese Gesichter wurden dann aufeinandergelegt und so neue Gesichter entworfen. Diese neuen Gesichter unterschieden sich in der Anzahl der individuellen Gesichter, aus denen sie zusammengesetzt waren, nämlich aus vier, acht, 16 oder 32 Gesichtern. Die Probanden wurden dann gebeten, die Attraktivität jeder Fotomontage sowie die Attraktivität der realen Gesichter, aus denen die Fotomontagen zusammengesetzt waren, zu beurteilen. Das Ergebnis war sensationell: Die Fotomontagen wurden einheitlich als physisch attraktiver als jedes der wirklichen Gesichter beurteilt. Die Fotomontage aus 16 Gesichtern wurde als attraktiver als die Fotomontagen aus vier oder acht Gesichtern und die aus 32 Gesichtern als attraktivste bewertet. Durch das Übereinanderlegen der individuellen Gesichter werden Unregelmäßigkeiten eliminiert, weshalb sie symmetrischer erschienen. Das durchschnittliche oder symmetrische Gesicht scheint attraktiver zu sein als von der Norm abweichende Gesichter. Ein Forschungsgebiet zeigte, dass symmetrische Gesichter als attraktiver angesehen werden und vielleicht entstehen durch den Prozess der am Computer generierten Gesichter symmetrischere Fotomontagen. Eine Studie untersuchte die Beziehung zwischen Asymmetrien des Gesichts und des Körpers und Bewertungen der Attraktivität (Gangestad, Thornhill & Yeo, 1994) und stellte fest, dass eine Anzahl von umweltbedingten Einflüsse Asymmetrien während der Entwicklung verursachen. Zu diesen gehören nicht nur Verletzungen und andere physische Einflüsse, die Hinweise auf einen schlechten Gesundheitszustand geben können, sondern auch das Vorhandensein von Parasiten im Körper. Da physische Asymmetrien durch Parasiten verursacht werden können, kann das Ausmaß derselben Hinweise auf den Gesundheitszustand eines Individuums geben und dient somit als Index, in welchem Ausmaß die Entwicklung eines Individuums durch verschiedene Stressfaktoren beeinflusst wurde. Bei den Skorpionfliegen und Schwalben beispielsweise paaren sich Männchen bevorzugt mit Weibchen, die die gleiche Schwingenlänge aufweisen und vermeiden solche, deren Schwingen nicht gleichlang sind. Als Gangestad und seine Kollegen die tatsächliche Asymmetrie in Fuß- und Handbreite, Ohrlänge und Ohrbreite maßen und die Personen nach ihrer Attraktivität bewerten ließ, fanden sie heraus, dass die weniger symmetrischen Personen als unattraktiver eingestuft wurden. Zudem sind die Gesichter älterer asymmetrischer als die junger Menschen und somit liefert Symmetrie einen weiteren Hinweis auf Jugend. In einem weiteren Forschungsprojekt wurde festgestellt, dass die Symmetrie des Gesichts mit psychologischen
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und physiologischen Gesundheitsindikatoren in Beziehung steht (Shackelford & Larsen, 1997). Dieser Befund liefert eine weitere Bestätigung für die Theorie, dass unsere Attraktivitätsmaßstäbe Hinweise auf Gesundheit und Jugend enthalten, die bemerkenswert früh im Leben auftauchen und kulturübergreifend allgemein gültig sind. In Kasten 5.1 wird näher auf einige Ergebnisse zur Attraktivität von Gesichtern eingegangen. Schönheit und Verstand. Evolutionäre Psychologen wenden auch neurowissenschaft-
liche Technologien an, um die Verbindungen zwischen psychologischen Mechanismen und spezifischen Schaltkreisen im Gehirn zu identifizieren. Die Wissenschaftler Itzhak Aharon, Nancy Etcoff und ihre Kollegen versuchten mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI) den „Belohnungswert“ verschiedener Bilder zu identifizieren (Aharon, Etcoff, Ariely, Chabris, O’Connor & Breiter, 2001). Sie legten heterosexuellen männlichen Teilnehmern vier Sets von Gesichtern unterschiedlicher Attraktivität vor: attraktive Frauen, durchschnittliche Frauen, attraktive Männer und durchschnittliche Männer. Während die Teilnehmer die Bilder betrachteten, wurden ihre Gehirne in sechs Regionen gerastert und in neurologische Bilder umgesetzt. Die Ergebnisse waren eindrucksvoll. Wenn Männer attraktive Frauengesichter sahen, wurde der nucleus accumbens im Gehirn aktiviert. Der nucleus accumbens ist ein Belohnungsschaltkreis, d.h. er ist ein gut dokumentiertes Vergnügungszentrum des Gehirns. Dieser Belohnungsschaltkreis wird nicht aktiviert, wenn Männer durchschnittliche Frauengesichter oder Männergesichter betrachten. Schöne Frauengesichter sind somit für Männer psychologisch und neurologisch besonders lohnend. Dieses wichtige Ergebnis bringt uns der Identifizierung spezifischer neurologischer Grundlagen der Partneradaptationen einen Schritt näher, die aus psychologischer und Verhaltenssicht bereits umfassend dokumentiert sind.
Präferenzen für Körperfett und das kritische Verhältnis der Taille zur Hüfte Die Schönheit des Gesichts ist jedoch nur ein Teil des Gesamtbildes. Merkmale des Körpers können ebenfalls Hinweise auf die reproduktive Kapazität einer Frau geben. Maßstäbe für die körperliche Attraktivität von Frauen variieren von Kultur zu Kultur und reichen von molligem bis zu schlankem Körperbau oder heller versus dunkler Haut. Zwischen den Kulturen variiert auch die Betonung physischer Merkmale wie Augen, Ohren oder Genitalien. Der kulturell variabelste Schönheitsmaßstab scheint die Vorliebe für einen schlanken versus einen molligen Körperbau zu sein und ist mit dem sozialen Status verbunden, den dieser Körperbau vermittelt. In Kulturen, in denen Nahrung knapp ist wie unter den Aborigines in Australien signalisiert Molligkeit Reichtum, Gesundheit und ausreichende Versorgung mit Nahrung (Rosenblatt, 1974). In Kulturen, in denen Nahrung reichlich vorhanden ist wie in den Vereinigten Staaten und vielen westeuropäischen Ländern, ist die Beziehung zwischen Molligkeit und Status umgekehrt und die Reichen unterscheiden sich, indem sie schlank sind (Symons, 1979).
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5.1 Computer-generierte Evolution von Gesichtern Victor Johnston und Melissa Franklin (1993) entwickelten eine raffinierte Methode, um Schönheitsmaßstäbe mithilfe vom Computer erzeugter Grafiken zu untersuchen. Zwanzig männliche und 20 weibliche Teilnehmer konnten auf dem Computerbildschirm Bilder von Frauengesichtern entwerfen, bis die Gesichter die idealen Schönheitsstandards der Teilnehmer widerspiegelten. Die Wissenschaftler erstellten dann aus diesen 40 Gesichtern die „schöne Fotomontage“. Als Nächstes erstellten sie eine analoge Fotomontage der 20 Teilnehmerinnen, die im Durchschnitt 20 Jahre alt waren, die „Teilnehmer-Fotomontage“. Als die schöne Fotomontage (links) und die Fotomontage der Teilnehmerinnen verglichen wurden, unterschieden sie sich bis auf zwei Ausnahmen kaum: zum einen hatte die schöne Fotomontage eine relativ kurze untere Gesichtshälfte, in dem die Lippen und das Kinn nahe beieinander lagen. Zum anderen wies sie in der vertikalen Dimension einen etwas kleineren Mund und vollere Lippen auf als die Fotomontage der Teilnehmer. All diese Merkmale sind mit Jugend verbunden. In westlichen Gesellschaften beispielsweise sind Lippen im Alter von vierzehn am vollsten (Farkas, 1981). Ähnliche Ergebnisse wurden auch von anderen beobachtet (Perrett, May & Yoshikawa, 1994). Mit Hilfe japanischer und englischer Teilnehmer fanden sie heraus, dass die attraktivsten Fotomontagen in Relation zur Gesichtsgröße größere Augen, schmale Kieferknochen und einen kürzeren Abstand zwischen Mund und Kinn aufwiesen. Der Evolutionsanthropologe Doug Jones (1996) dokumentierte ähnliche Ergebnisse in einer kulturübergreifenden Studie, die Brasilianer, Amerikaner, Russen, die Ache in Paraguay und die Hiwi (ein Indianer-Stamm von Jägern und Sammlern in Venezuela) umfasste. Jones fotografierte Gesichter aus jeder dieser Populationen. Er präsentierte diese Fotos dann verschiedenen Gruppen aus jedem Land und bat sie, die Attraktivität, das geschätzte Alter und andere Qualitäten zu bewerten. Er maß die Gesichtsproportionen und korrelierte sie mit dem Alter. Jones entdeckte, dass Frauen mit Gesichtsproportionen wie einem schmalen Kiefer und relativ großen Augen, die ein jüngeres Alter zeigten als sie tatsächlich hatten, von männlichen Teilnehmern aus allen fünf Kulturen als attraktiver wahrgenommen wurden als die Frauen, deren Gesichtsproportionen mit ihrem Alter übereinstimmte, oder die älter wirkten. Diese Ergebnisse liefern einen weiteren empirischen Beleg dafür, dass Erkennungsmerkmale der Jugend mit Bewertungen der Attraktivität verbunden sind.
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Die am attraktivsten bewertete Fotomontage (links) und eine Fotomontage mit den gleichen Merkmalen, aber den Proportionen eines durchschnittlichen Gesichts in der Bevölkerung (rechts). Freundlicherweise von Victor Johnston zur Verfügung gestellt.
Eine Studie brachte einen beunruhigenden Aspekt über die Wahrnehmung molliger und schlanker Körper bei amerikanischen Männern und Frauen zum Vorschein (Rozin & Fallon, 1988). Amerikanische Männer und Frauen betrachteten neun weibliche Figuren, die von sehr schlank bis sehr dick reichten. Die Frauen sollten die Idealfigur für sich selbst und ihre Wahrnehmung über die Idealfigur der Männer angeben. In beiden Fällen wählten die Frauen eine Figur, die schlanker als der Durchschnitt war. Als die Männer befragt wurden, welche Figur sie bevorzugen, wählten sie die Figur mit den durchschnittlichen Körpermaßen. Amerikanische Frauen sind somit der Ansicht, dass die Männer schlankere Frauen bevorzugen als dies tatsächlich der Fall ist. Da die Präferenzen für eine bestimmte Körpergröße zwischen den Kulturen variieren, hat die Psychologin Devendra Singh eine Präferenz gesucht und gefunden, die universell zu sein scheint: die Präferenz für ein bestimmtes Verhältnis zwischen Taille und Hüfte einer Frau (Singh, 1993; Singh & Young, 1995) Vor der Pubertät zeigen Jungen und Mädchen ähnliche Fettverteilungen. Mit der Pubertät setzt jedoch eine auffallende Veränderung ein. Männer verlieren Fett am Gesäß und an ihren Oberschenkeln, während durch die Freisetzung von Östrogenen bei pubertierenden Mädchen Fett am unteren Rumpf und vor allem auf Hüften und Oberschenkeln abgelagert wird. Tatsächlich ist das Volumen an Körperfett in diesem Bereich bei Frauen 40 Prozent höher als bei Männern. Das Verhältnis der Taille zur Hüfte (waist-to-hip ratio, WHR) ist vor der Pubertät mit einer Bandbreite von 0.85 bis 0.95 für beide Geschlechter gleich. Nach der Pubertät jedoch, verursacht durch die Fettablagerungen auf der Hüfte ist der WHR von Frauen wesentlich niedriger als der von Männern. Gesunde, fortpflanzungsfähige Frauen weisen
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einen WHR zwischen 0.67 und 0.80 auf während gesunde Männer einen WHR zwischen 0.85 und 0.95 haben. Befunde deuten darauf hin, dass der WHR ein genaues Anzeichen des reproduktiven Status von Frauen ist. Frauen mit einem niedrigen WHR zeigen eine frühe pubertäre endokrine Aktivität. Verheiratete Frauen mit einem höheren WHR haben mehr Schwierigkeiten schwanger zu werden, und diejenigen, die schwanger werden, werden später schwanger als Frauen mit einem niedrigen WHR. Der WHR ist auch ein Indikator langfristiger Gesundheit. Krankheiten wie Diabetes, Hyptertonie, Herzinfarkt, Schlaganfall und Funktionsstörungen der Gallenblase stehen mit der Verteilung von Fett, wie durch den WHR reflektiert, in Verbindung und nicht mit dem totalen Körperfett per se. Die Verbindung des WHR zur Gesundheit sowie zum reproduktiven Status machen ihn zu einem verlässlichen Hinweis auf die Partnerpräferenzen unserer männlichen Vorfahren. Singh entdeckte, dass der WHR einen wichtigen Anteil an der Attraktivität von Frauen einnimmt. In einem Dutzend Studien bewerteten Männer die Attraktivität weiblicher Figuren, deren WHR und Körperfett variierten. Sie fanden die durchschnittliche Figur attraktiver als die schlanke oder sehr dicke Figur. Unabhängig vom Körperfett finden Männer Frauen mit einem niedrigen WHR am attraktivsten. Frauen mit einem WHR von 0.70 werden als attraktiver angesehen als Frauen mit einem WHR von 0.80, die wiederum als attraktiver angesehen werden als Frauen mit einem WHR von 0.90. Studien mit Zeichnungen und Fotomontagen führten zu den gleichen Ergebnissen. Singhs Analyse von weiblichen Aktmodellen, deren Fotos auf den Mittelseiten des Playboys abgedruckt waren, und von amerikanischen Schönheitsköniginnen der letzten dreißig Jahre bestätigten diese Konstante. Obwohl die Aktmodelle wie auch die Schönheitsköniginnen im Lauf der Jahre etwas schlanker wurden, blieb ihr WHR mit 0.70 ungefähr gleich. Gibt es Hinweise darauf, dass ein niedriger WHR in verschiedenen ethnischen Gruppen bevorzugt wird? In Studien präsentierten Singh und Luis (1995) jungen Indonesiern und Schwarzen Zeichnungen von Frauen mit unterschiedlichen WHR und verschiedenen Körpergrößen und baten sie, deren Attraktivität zu beurteilen. Die Ergebnisse waren mit den ursprünglichen Studien fast identisch. Männer fanden Frauen mit normalem Körpergewicht und einem niedrigen WHR (0.70) am attraktivsten. Eine Vorliebe für einen relativ niedrigen WHR wurde auch in Großbritannien, Australien, Deutschland, Indien und Guinea-Bissau (Afrika) und den Azoren nachgewiesen (Connolly, Mealey & Slaughter, 2000; Furnham, Tan & McManus, 1997; Singh 2000). Zwei Studien konnten diese Ergebnisse jedoch nicht wiederholen; eine in Peru (Yu & Shepard, 1998) und eine unter den Hadza in Tansania (Marlow & Wetsman, 2001). Die Männer der Hazda bevorzugten etwas schwerere Frauen mit höherem WHR. Die Autoren der Hazda-Studie sind der Ansicht, dass die WHR-Präferenz ökologisch kontingent ist, d.h. dass sie entsprechend der Umweltbedingungen variiert. Unter Wildbeutern, bei denen die energetischen Beanspruchungen von Frauen hoch sind, finden Männer dickere Frauen mit höherem WHR attraktiver, während in Gesellschaften mit üppigem Nahrungsangebot, in denen eine derartige Inanspruchnahme von Frauen geringer ist, Männer schlankere Frauen mit einem niedrigen WHR bevorzugen (Marlow & Wetsman, 2001). Diese Hypothese muss durch systematische Untersuchungen und kulturübergreifende Studien weiterverfolgt werden.
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Geschlechtsunterschiede in der Bedeutung des physischen Erscheinungsbildes Weil es eine Fülle von Hinweisen im physischen Erscheinungsbild der Frau gibt und weil die männlichen Schönheits-Standards sich dementsprechend entwickelt haben, bewerten Männer das physische Erscheinungsbild und die Attraktivität in ihren Partnerpräferenzen sehr hoch. Eine generationsübergreifende Studie in den Vereinigten Staaten, die einen Zeitraum von 57 Jahren, von 1939 bis 1996 umspannte, beurteilte die Wertigkeit verschiedener Charakteristika bei Männern und Frauen (Buss, Shackelford, Kirkpatrick & Larsen, 2001). Achtzehn Charakteristika wurden in Abständen von etwa einem Jahrzehnt bewertet, um festzustellen, wie sich die Partnerpräferenzen im Lauf der Zeit verändern. In allen Fällen bewerteten Männer physische Attraktivität und gutes Aussehen als wichtiger und wünschenswerter als dies bei Frauen der Fall war. Männer tendieren dazu, die Attraktivität als wichtig anzusehen, während Frauen sie als wünschenswert aber nicht entscheidend sehen. Die Geschlechtsunterschiede, die der Attraktivität beigemessen wurden, blieben über die Generationen gleich und veränderten sich in den 50 Jahren nicht. Dies bedeutet nicht, dass die Bedeutung, die der Attraktivität beigemessen wird, unveränderlich ist. Das Gegenteil ist der Fall, denn sie hat in den Vereinigten Staaten allein in diesem Jahrzehnt drastisch zugenommen (Buss et al., 2001). In fast jedem Jahrzehnt seit 1930 hat die Bedeutung des physischen Erscheinungsbildes für Männer und Frauen in etwa gleichem Umfang zugenommen und entspricht dem Ausmaß der Darbietung attraktiver Models in Fernsehen, Modezeitschriften, Werbung und anderen Abbildungen in den Medien. So stieg die Bedeutung, die dem Aussehen eines Lebenspartners beigemessen wird, zwischen 1939 und 1996 auf einer Skala von 0 bis 3 für Männer von 1.50 auf 2.11 und für Frauen von 0.94 auf 1.67, was zeigt, dass sich Partnerpräferenzen ändern können. Diese Veränderungen deuten auf die Bedeutung der kulturellen Evolution und auf Auswirkungen in der sozialen Umwelt hin. Der Geschlechtsunterschied bleibt bisher jedoch unveränderlich. Die Kluft zwischen Männern und Frauen ist weder größer noch kleiner geworden seit 1939. Diese Geschlechtsunterschiede beschränken sich nicht auf die Vereinigten Staaten oder westliche Kulturen. Unabhängig von Standort, Lebensraum, Ehesystem oder kulturellen Lebensgewohnheiten bewerteten Männer aus 37 Kulturen, von Australiern bis Sambiern, die an der Studie über Partnerwahl teilnahmen, das physische Erscheinungsbild einer Partnerin als wichtiger als dies bei Frauen der Fall war (siehe Abbildung 5.5). Chinas Ergebnisse der Bedeutsamkeit der Schönheit stellen durchschnittliche Werte dar, bei Männern mit 2.06 und bei Frauen mit 1.59. Diese international übereinstimmenden Geschlechtsunterschiede bestehen trotz Variationen in Rasse, Ethnizität, Religion, Hemisphäre, politischem System oder System der Partnerwahl. Die Vorliebe von Männern für physisch attraktive Partnerinnen scheint das Produkt eines psychologischen Mechanismus zu sein, der kulturelle Unterschiede überbrückt.
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Abbildung 5.5: Wunsch nach physischer Attraktivität eines langfristigen Partners. Teilnehmer aus 37 Kulturen bewerteten diese Variable im Kontext von 18 anderen Variablen darauf, wie wünschenswert sie bei einem potentiellen, langfristigen Partner unter Verwendung einer vier Punkte umfassenden Skala von 0 (irrelevant oder unwichtig) bis 3 (unentbehrlich) ist. N = Stichprobengröße P-Wert kleiner als 0.5 signalisiert, dass der Geschlechtsunterschied statistisch signifikant ist. Quelle: Buss, D. M. & Schmitt, D. P. (1993). Sexual strategies theory: An evolutionary perspective on human mating. Psychological Review, 100, 204-232. Copyright 1993 der American Psychological Association.
Haben Männer eine Präferenz für ovulierende Frauen? Vielleicht eine der offensichtlichsten Vorhersagen, die man über die Wünsche von Männern machen kann, ist diejenige, dass sie eine starke Präferenz für Frauen haben sollten, die ovulieren. Unsere männlichen Vorfahren hätten mehrere reproduktive Vorteile gehabt, hätten sie feststellen können, ob Frauen ovulierten oder nicht. Zum einen konnten sie ihre Brautwerbung, ihre Verführungskunst und ihr sexuelles Verhalten auf diejenigen Frauen konzentrieren, die ovulierten und so die Chance auf eine erfolgreiche Befruchtung erhöhen. Zweitens konnten sie sich diese Anstrengungen bei Frauen sparen, die nicht ovulierten. Drittens konnte ein verheirateter Mann die Bewachung seiner Partnerin auf den Zeitraum beschränken, in dem sie ovulierte. Die meisten anderen Primaten können tatsächlich feststellen, wann die Weibchen ovulieren. Die Weibchen machen auch kein Geheimnis aus ihrer Ovulation. Weibliche Schimpansen beispielsweise geben im Östrus visuelle und olfaktorische (den Riechnerv betreffende) Hinweise, die männliche Schimpansen in eine sexuelle Raserei treiben. Weibliche Schimpansen, die nicht ovulieren, werden von männlichen Schimpansen weitgehend ignoriert.
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Bei den Menschen ist die Ovulation jedoch „verborgen“ oder „verschlüsselt“ und die herkömmliche wissenschaftliche Überzeugung geht davon aus, dass Männer nicht feststellen können, wann Frauen ovulieren (Symons, 1992, S. 144). Trotz der enormen reproduktiven Vorteile scheint die Selektion bei Männern keine diesbezüglichen Adaptationen entwickelt zu haben. Aber vielleicht ist diese Schlussfolgerung zu vorschnell. Es liegen verschiedene Befunde vor, die nahe legen, dass Männer sehr wohl feststellen können, wann Frauen ovulieren (Symons, 1995). Erstens ist während des Eisprungs die Haut einer Frau vaskulär, d.h. sie wird besser durchblutet. Dies entspricht dem „Glühen“, einer gesunden Rötung der Wangen. Zum zweiten wird die Haut einer Frau während der Ovulation etwas heller als zu anderen Zeiten des Menstruationszyklus – eine Erscheinung, die universell als anziehend bewertet wird (van den Berghe & Frost, 1986). Eine kulturübergreifende Umfrage fand heraus, dass „von den 51 Gesellschaften, in denen Präferenzen über die Hautfarbe erwähnt werden ... 47 eine Vorliebe für das hellere Ende des örtlich repräsentativen Spektrums aufweisen, wenn auch nicht notwendigerweise für die hellste mögliche Hautfarbe” (van den Berghe & Frost, 1986, S. 92). Zum dritten steigt während der Ovulation der Östrogengehalt an, was zu einer entsprechenden Abnahme des WHR führt (Profet, Persönliche Kommunikation, zitiert in Symons, 1995, S. 93). Ein niedriger WHR wirkt auf Männer sexuell anziehend (Singh, 1993). Viertens wurden ovulierende Frauen, wie in Kapitel 2 beschrieben, in Single-Bars häufiger berührt (Grammer, 1996). Somit liegen uns vier Indizien vor, die auf die Möglichkeit hinweisen, dass Männer feststellen können, wann Frauen ovulieren: Vaskularisation der Haut, heller werdende Haut, Verminderung des WHR und vermehrte Berührung in Single-Bars. Da ovulierende Frauen jedoch auch mehr sexuelle Signale an Männer aussenden, könnte es auch sein, dass Männer nicht feststellen können, wann Frauen ovulieren, sondern auf das von den Frauen ausgedrückte sexuelle Interesse reagieren. Eine andere Studie unterstützt die Hypothese des von Frauen initiierten Kontakts. Forscher beobachteten verheiratete Frauen über einen Zeitraum von 24 Monaten (Stanislaw & Rice, 1988). Die Ovulation wurde bestimmt, indem die Basaltemperatur gemessen wurde, die kurz vor der Ovulation ansteigt. In den 24 Monaten markierten die Frauen die Tage mit einem X, an denen sie sexuelles Verlangen verspürten. Wie aus Abbildung 5.6 ersichtlich ist, nahm das sexuelle Verlangen der Frauen kurz vor der Ovulation zu, hatte mit oder kurz nach der Ovulation ihren Höhepunkt und nahm dann wieder konstant ab. Somit kann die Tatsache, dass ovulierende Frauen in Single-Bars häufiger berührt werden, auch auf ihr erhöhtes sexuelles Verlangen, ihre vermehrte Zurschaustellung nackter Haut und andere sexuelle Signale, die die Forscher nicht untersuchten, zurückgeführt werden. Erkenntnisse über die Frage, ob Männer die Ovulation bei Frauen bemerken, müssen erst noch gewonnen werden. Das vorliegende Material reicht für die These aus, dass es während der Ovulation potentiell sichtbare physische Veränderungen der Haut und des Körpers gibt und dass diese Veränderungen auf Männer sexuell anziehend wirken. In den folgenden Jahren wird man feststellen können, ob die herkömmliche Überzeugung, dass Männer nicht feststellen können, wann Frauen ovulieren, falsch oder richtig ist.
Kapitel 5 Langfristige Partnerwahl-Strategien des Mannes
Lösungen für das Problem der Ungewissheit der Vaterschaft Frauen gehören zu den wenigen weiblichen Primaten mit der ungewöhnlichen Adaptation der verborgenen oder verschlüsselten Ovulation (obwohl diese, wie bereits beschrieben, vielleicht weniger verborgen ist als wir denken). Eine solche verschlüsselte Ovulation verschleiert den aktuellen reproduktiven Status einer Frau und verändert die Grundregeln des menschlichen Paarungsverhaltens. Frauen sind für Männer nicht nur während ihrer Ovulation, sondern während ihres gesamten Zyklus attraktiv. Die verborgene Ovulation stellte für die Männer ein adaptives Problem dar, indem es die Gewissheit ihrer Vaterschaft reduzierte. Denken wir an ein Primatenmännchen, das die anderen Männchen daran hindert, sich mit einem Weibchen zu paaren, während es im Östrus ist. Im Gegensatz zu den Menschen kann er seiner Vaterschaft ziemlich sicher sein. Der Zeitraum, in dem er sein Weibchen abkapselt und sich mit ihm paart, ist stark eingeschränkt. Vor und nach ihrem Östrus kann er seinen anderen Geschäften nachgehen, ohne das Risiko einzugehen, dass seine Partnerin von einem anderen Männchen befruchtet wird.
Abbildung 5.6: Das sexuelle Verlangen von Frauen während ihres Zyklus Das sexuelle Verlangen von Frauen erreicht rund um die Ovulation seinen Höhepunkt, was durch Veränderungen der Basaltemperatur festgestellt wurde. Quelle: Stanislaw, H. & Rice, F. J. (1988). Correlation between sexual desire and menstrual cycle characteristics. Archives of Sexual Behaviour, 17, 1988 (New York: Plenum Publishing), 499-508.
Unsere Vorfahren verfügten nicht über diesen Luxus. Da Paarung nicht die einzige Aktivität ist, derer es bedarf, um zu überleben und sich fortzupflanzen, konnten die Frauen nicht rund um die Uhr bewacht werden. Je mehr Zeit ein Mann damit verbrachte, eine Frau zu bewachen, desto weniger Zeit hatte er, sich um entscheidende adaptive Probleme
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zu kümmern. Unsere männlichen Vorfahren waren daher mit einem einzigartigen Vaterschaftsproblem konfrontiert, dem sich andere männliche Primaten nicht ausgesetzt sahen: wie konnte man seiner Vaterschaft sicher sein, wenn die Ovulation verborgen war? Heirat stellte eine potentielle Lösung dar (Alexander & Noonan, 1979; Strassman, 1981). Verheiratete Männer profitierten im Vergleich zu anderen Männern von der erhöhten Sicherheit ihrer Vaterschaft. Wiederholter sexueller Kontakt während des Zyklus erhöhte die Chancen, dass eine Frau das Kind eines bestimmten Mannes zur Welt brachte. Die sozialen Traditionen der Heirat dienen als öffentliche Verbindung des Paares und geben ein klares Signal darüber, wer mit wem zusammen ist und reduzieren somit potentielle Konflikte innerhalb männlicher Koalitionen. Durch Heirat hat der Mann auch die Möglichkeit, etwas über die Persönlichkeit der Partnerin zu lernen, wodurch es schwierig für sie wird, Zeichen der Untreue zu verheimlichen. So hätten die Vorteile der Heirat die der vorübergehenden sexuellen Möglichkeiten, die einem Junggesellen unter unseren Vorfahren zumindest unter gewissen Umständen zur Verfügung standen, überwogen. Damit unsere männlichen Vorfahren die reproduktiven Vorteile einer Ehe genießen konnten, mussten sie sicher sein, dass die Frau sexuell treu sein würde. Wenn Männer die Hinweise auf Untreue nicht erkannten, so erlitten sie reproduktive Nachteile, da sie Zeit und Ressourcen verloren, die für die Suche, das Werben und den Wettbewerb bestimmt waren. Erkannte ein Mann diese Hinweise nicht, riskierte er, die Vorteile der elterlichen Investitionen in seine Kinder zu verlieren, die stattdessen auf die Kinder eines anderen Mannes gelenkt wurden. Außerdem bedeutete sexuelle Untreue, dass er selbst seine Bemühungen auf die Nachkommen eines anderen Mannes kanalisieren würde. Unsere männlichen Vorfahren könnten dieses adaptive Problem dadurch gelöst haben, dass sie Qualitäten in einem Partner suchten, welche die Chancen der Gewissheit ihrer Vaterschaft erhöhten. Zumindest zwei Präferenzen konnten das Problem lösen: (1) der Wunsch nach vorehelicher Keuschheit und (2) das Streben nach ehelicher sexueller Treue. Vor der Verwendung moderner Verhütungsmittel war Keuschheit ein Hinweis auf die künftige Gewissheit der Vaterschaft. In der Annahme, dass die Vorliebe keuschen Verhaltens stabil bleiben würde, signalisierte voreheliche Keuschheit die wahrscheinliche künftige Treue einer Frau. Ein Mann, der keine keusche Partnerin wählte, riskierte, sich mit einer Frau einzulassen, die in betrügen würde. Heutzutage scheinen Männer mehr Wert auf jungfräuliche Frauen als Frauen auf jungfräuliche Männer zu legen. Dies trifft laut einer generationsübergreifenden Studie zumindest für die Vereinigten Staaten zu. Aber insgesamt nahm der Wert, den Männer der Jungfräulichkeit beimessen, in den letzten 50 Jahren ab, was sich mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln deckt (Buss et al., 2001). Noch in den 1930er Jahren betrachteten Männer Keuschheit als unentbehrlich, in den letzten zwanzig Jahren wurde sie lediglich noch als wünschenswert bewertet, aber nicht als entscheidend. Von den 18 in der Studie bewerteten Charakteristika fiel die Keuschheit vom 10. Platz im Jahr 1939 auf den 17. Platz in den 1990er Jahren. Zudem bewerten nicht alle amerikanischen Männer Keuschheit gleich. College-Studenten in Texas beispielsweise bevorzugen eher einen keuschen Partner als solche in Kalifornien und bewerten sie auf einer Skala bis 3.0 mit 1.13 verglichen mit 0.73. Trotz eines Rückgangs der Bedeutung der Keuschheit im
Kapitel 5 Langfristige Partnerwahl-Strategien des Mannes
20. Jahrhundert und trotz regionaler Unterschiede bleibt ein bedeutender Geschlechtsunterschied, da Männer mehr Wert auf Keuschheit legen als Frauen. Der Trend zu mehr Keuschheit bei Männern im Gegensatz zu Frauen hält sich weltweit, variiert aber sehr zwischen den Kulturen. Menschen in China, Indien, Indonesien, Iran, Taiwan und den palästinensischen Gebieten legen einen hohen Wert auf Keuschheit bei einem potentiellen Partner, während Menschen in Schweden, Norwegen, Finnland, den Niederlanden, Deutschland und Frankreich der Ansicht sind, dass Jungfräulichkeit bei einem potentiellen Partner nebensächlich oder unwichtig ist (Buss, 1989a) (siehe Abbildung 5.7). Im Gegensatz zu der weltweiten Übereinstimmung bei den unterschiedlichen Präferenzen der Geschlechter für Jugend und physische Attraktivität, legten nur 62 Prozent der Kulturen in der internationalen Studie über Partnerwahl einen je nach Geschlecht wesentlich unterschiedlichen Wert auf Keuschheit in einer festen Verbindung. Wo Geschlechtsunterschiede in der Bewertung von Jungfräulichkeit vorkommen, legen Männer grundsätzlich einen höheren Wert darauf als Frauen. Es gab keinen Fall, in dem Frauen Keuschheit höher bewerteten als Männer. Die kulturelle Variabilität in den Präferenzen der Geschlechter für Keuschheit liegt an verschiedenen Faktoren: der Häufigkeit von vorehelichem Sex, dem Maß, in dem Keuschheit von einem Partner verlangt werden kann, der ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen oder der Zuverlässigkeit, mit der sie beurteilt werden kann. Keuschheit unterscheidet sich von anderen Attributen wie der physischen Attraktivität einer Frau dadurch, dass sie nicht sichtbar ist. Selbst physische Tests der Jungfräulichkeit sind aufgrund der Variationen in der Struktur des Jungfernhäutchens, seinem Zerreißen aufgrund nicht sexueller Ursachen oder einer absichtlichen Verletzung unzuverlässig (Dickemann, 1981). Variationen in der Bewertung der Keuschheit können teilweise auf eine Veränderung der ökonomischen Unabhängigkeit und der selbst bestimmten Sexualität von Frauen zurückgeführt werden. In Schweden wird von vorehelichem Geschlechtsverkehr nicht abgeraten und kaum jemand ist bei der Heirat noch Jungfrau (Posner, 1992). Ein Grund mag sein, dass Frauen in Schweden ökonomisch weniger von Männern abhängig sind als in den meisten anderen Kulturen. Der Jurist Richard Posner berichtet, dass Heirat den schwedischen Frauen, verglichen mit Frauen in den meisten anderen Kulturen, wenig Vorteile bringt (Posner, 1992). Das schwedische Wohlfahrtssystem sorgt für Kinderkrippen, bezahlten Mutterschaftsurlaub und viele andere materielle Vorteile. Die schwedischen Steuerzahler kommen für das auf, wofür früher Ehemänner sorgten und befreien Frauen von ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von Männern. Diese Unabhängigkeit ermöglicht einer Frau ein freies und aktives Sexualleben vor der Ehe oder als Alternative zur Ehe. Daher ist kaum eine Schwedin bei ihrer Hochzeit noch Jungfrau und somit reduziert sich auch die Bedeutung, die Männer Keuschheit beimessen auf einer Skala von 0 bis 3 auf ein weltweites Tief von 0.25 (Buss, 1989a). Ein wichtigerer Faktor für die Gewissheit der Vaterschaft als Jungfräulichkeit ist aus der männlichen Perspektive daher ein verlässliches Signal künftiger Treue. Wenn Männer von Frauen auch nicht verlangen können, dass sie jungfräulich sind, so legen sie großen Wert auf sexuelle Loyalität. Eine Studie über die kurz- und langfristigen Partnerwünsche fand heraus, dass amerikanische Männer einen Mangel an sexueller Erfahrung als wün-
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schenswert erachten (Buss & Schmitt, 1993). Zudem sehen Männer Promiskuität bei einem Partner als absolut unerwünscht an und bewerten diese mit –2.07 auf einer Skala von –3 bis +3. Die tatsächliche bisherige sexuelle Aktivität eines potentiellen Partners hätte unseren männlichen Vorfahren einen Hinweis zur Problemlösung der Ungewissheit der Vaterschaft geben können. In Studien wurde festgestellt, dass das sicherste Anzeichen für außerehelichen Sex die voreheliche Freizügigkeit ist – Menschen, die vor ihrer Heirat viele Sexualpartner hatten, sind häufiger untreu als die, die vor ihrer Hochzeit nur wenige Sexualkontakte hatten (Thompson, 1983; Weiss & Slosnerick, 1981). Moderne Männer legen großen Wert auf Treue. Als amerikanische Männer nach 67 wünschenswerten möglichen Charakteristika in einer festen Partnerschaft befragt wurden, wurden Treue und sexuelle Loyalität als die wichtigsten Eigenschaften genannt (Buss & Schmitt, 1993). Fast alle Männer gaben diesen Eigenschaften mit durchschnittlich +2.85 die höchsten Bewertungen auf einer Skala von –3 bis +3. Kulturübergreifende Untersuchungen diesbezüglich stehen noch aus. Männer betrachten Untreue als die am wenigsten wünschenswerte Eigenschaft einer Frau und bewerten sie mit –2,93, was den hohen Wert, den Männer auf Treue legen, reflektiert. Untreue ist für Männer das Schlimmste – ein Ergebnis, für das ausgezeichnete kulturübergreifende Befunde vorliegen (Betzig, 1989; Buss, 1989b; Daly & Wilson, 1988). Frauen werden durch einen untreuen Partner ebenfalls sehr verletzt, aber verschiedene andere Faktoren wie sexuelle Aggression wiegen schwerer. Somit kennen wir nun die Umrisse einiger der Qualitäten, die Männer in einer langfristigen Partnerschaft wünschen (siehe Kasten 5.2 für ein Rätsel der Partnersuche von Männern). Zusätzlich zu den Persönlichkeitscharakteristika wie Freundlichkeit, Zuverlässigkeit und Verträglichkeit legen Männer großen Wert auf physische Attraktivität. Attraktivitätsmaßstäbe korrelieren in hohem Maß mit der Fruchtbarkeit von Frauen. Im Wesentlichen löst der Wunsch nach physischer Attraktivität das Problem der Suche nach Frauen, die fortpflanzungsfähig sind. Reproduktionskapazität ist jedoch nicht alles. Die weibliche Befruchtung stellte ein zweites adaptives Problem für Männer dar, so dass sexuelle Treue in einer langfristigen Partnerschaft als Teil der Problemlösung der Ungewissheit der Vaterschaft bewertet wird.
5.3
Kontexteffekte auf männliches Partnerverhalten
In diesem Abschnitt betrachten wir die Auswirkungen von zwei Kontextfaktoren auf das Verhalten von Männern: zuerst die Tatsache, dass Wünsche nur selten eine Eins-zu-EinsÜbereinstimmung mit dem tatsächlichen Partnerverhalten aufweisen. Wie wir in Kapitel 4, wo die Wünsche der Frauen diskutiert wurden, gesehen haben, haben Männer mit einem hohen „Partnerwert“ bessere Chancen, das zu bekommen, was sie von einem Partner erwarten. Männer, die für Frauen durch ihren Status und ihre Ressourcen begehrenswert sind, sollten somit in der besten Position sein, ihre Wünsche in ihr Partnerverhalten zu übertragen.
Kapitel 5 Langfristige Partnerwahl-Strategien des Mannes
Zweitens gibt es eine auffällige Diskrepanz zwischen der modernen Welt und der Umwelt unserer Vorfahren. Im Lauf der Evolutionsgeschichte haben sich Menschen wahrscheinlich meist in kleinen Gruppen von vielleicht fünfzig bis hundert Individuen entwickelt (Dunbar, 1993). In diesen kleinen Gruppen wäre ein Mann auf höchstens ein bis zwei Dutzend attraktive Frauen getroffen. In der modernen Welt aber werden wir mit Tausenden von Bildern attraktiver Models auf Reklametafeln, in Zeitschriften, im Fernsehen und in Filmen bombardiert. Dieser Abschnitt behandelt die möglichen Auswirkungen der modernen Welt auf die Partnermechanismen.
5.2 Männliche Homosexualität Die heterosexuelle Orientierung ist ein wesentliches Beispiel einer psychologischen Adaptation. Etwa 96 bis 98 Prozent der Männer und 98 bis 99 Prozent der Frauen sind primär heterosexuell. Jede Orientierung, die die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Reproduktion verringerte, wurde rücksichtslos selektiert. Das überdauernde Bestehen eines kleinen Prozentsatzes von im Wesentlichen oder ausschließlichen lesbischen Frauen und schwulen Männern stellt ein evolutionäres Rätsel dar. Empirische Studien zeigen, dass die sexuelle Orientierung eine kleine bis moderate erbliche Komponente aufweist (Bailey et al., 1999) und dass homosexuelle Männer niedrigere Reproduktionsraten als heterosexuelle Männer aufweisen (Bobrow & Bailey, 2001; McKnight, 1997; Muscarella, 2000). Eine frühe evolutionäre Erklärung der männlichen Homosexualität ist die kin altruism theory (Familien-Altruismus-Theorie) (Wilson, 1975). Nach dieser Theorie könnten sich Gene für eine homosexuelle Orientierung entwickelt haben, wenn sie Homosexuelle dazu geführt hätte, stark in ihre genetischen Verwandten zu investieren, um die Kosten der nicht erbrachten direkten Fortpflanzung auszugleichen. Diese Theorie konnte jedoch in einer Studie schwuler und heterosexueller Männer nicht bestätigt werden. Schwule Männer unterschieden sich von heterosexuellen nicht darin, ihren Familien Ressourcen zukommen zu lassen. Schwule Männer berichten eher, von ihren genetischen Verwandten entfremdet zu sein, was im Widerspruch zu dieser Theorie steht. Eine neuere Theorie ist der Meinung, dass man sich mehr auf die Funktion homoerotischen Verhaltens per se als auf die sexuelle Orientierung konzentrieren sollte (Muscarella, 2000). Der evolutionäre Psychologe Frank Muscarella schlägt eine spezifische Funktion homoerotischen Verhaltens vor: die Bildung von Allianzen. Nach dieser Theorie dient das homoerotische Verhalten junger mit älteren Männern der Erhaltung von Allianzen, in denen junge Männer in der Statushierarchie aufstiegen und größeren sexuellen Zugang zu Frauen erhielten. Die Theorie der Bildung von Allianzen hat verschiedene Vorteile wie die Konzentration auf die Funktion homosexuellen Verhaltens und legt einen Schwerpunkt auf ein Arten übergreifendes Rahmenwerk (gleichgeschlechtlicher sexueller Kontakt wurde auch bei anderen Primatenarten dokumentiert). Nichtsdestotrotz weist die Theorie verschiedene empirische Schwierigkeiten auf. Auch wenn sie Praktiken in einigen wenigen Kulturen wie im
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alten Griechenland oder bei bestimmten Stämmen in Neuguinea erklären kann, liegen keine Belege vor, dass die Mehrheit junger Männer homoerotisches Verhalten zur Bildung von Allianzen anwendet. Tatsächlich sind nicht sexuelle, gleichgeschlechtliche Allianzen die Norm und diese können eingegangen werden ohne die potenziellen Kosten der sexuellen Aktivität nach sich zu ziehen. Zudem gibt es keine Belege dafür, dass Männer, die sich auf homoerotisches Verhalten einlassen, erfolgreicher bei der Bildung von Allianzen sind als solche, die dies nicht tun. Weitere Forschung ist hier noch erforderlich. Trotz der gegenwärtigen theoretischen und empirischen Aufmerksamkeit, die homosexuelle Orientierung und gleichgeschlechtliches sexuelles Verhalten genießen, bleiben ihre Ursprünge wissenschaftliche Mysterien. Mit der Realisierung der Möglichkeit, dass es vielleicht nicht nur eine Theorie gibt, die sowohl Schwule als auch Lesben erklären kann und auch dass mehr als eine Erklärung erforderlich ist, um die profunden individuellen Unterschiede von Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung zu erklären, wären wir vielleicht schon einen Schritt weiter.
Männer in Machtpositionen Auch wenn viele Männer einen hohen Stellenwert auf Jugend und Schönheit bei einer Partnerin legen, können nicht alle Männer ihre Wunschvorstellungen erfolgreich realisieren. Männer, denen es an Status und Ressourcen mangelt, haben oftmals Schwierigkeiten, solche Frauen anzuziehen und müssen sich vielleicht mit weniger als ihrem Ideal begnügen. Belege dafür liefern Männer, die historisch in herausragenden Positionen waren, wie z.B. Könige und andere Männer mit ungewöhnlich hohem Status. Im 18. und 19. Jahrhundert heirateten die reicheren Männer der Krummerhörn-Population in Deutschland jüngere Frauen im Gegensatz zu Männern, denen es an Reichtum mangelte (Voland & Engel, 1990). Ebenso heirateten zwischen 1700 bis 1900 norwegische Farmer mit hohem Ansehen und die Kipsigis im zeitgenössischen Kenia jüngere Frauen als ihre Pendants mit niedrigerem Status (Borgerhoff Mulder, 1988; Røskaft, Wara & Viken, 1992). Könige und Despoten füllten ihren Harem regelmäßig mit jungen, attraktiven Frauen auf und hatten regelmäßig Sex mit ihnen (Betzig, 1992). Der marokkanische Kaiser Moulay Ismail der Blutrünstige beispielsweise gab an, 888 Kinder gezeugt zu haben. Sein Harem umfasste fünfhundert Frauen. Aber sobald eine Frau dreißig war, wurde sie aus dem Harem verbannt, in den eines untergeordneten Führers gesandt und durch eine jüngere Frau ersetzt. Römische, babylonische, ägyptische, inkaische, indische und chinesische Kaiser teilten den Geschmack von Kaiser Ismail und beauftragten ihre Vertrauten, das Land auf der Suche nach jungen hübschen Frauen zu durchkämmen. Ehen im heutigen Amerika bestätigen die Tatsache, dass Männer mit Ressourcen am ehesten ihre Präferenzen umsetzen können. Die Frauen älterer Männer mit hohem Status wie den Rockstars Rod Stewart und Mick Jagger sowie der Filmschauspieler Warren
Kapitel 5 Langfristige Partnerwahl-Strategien des Mannes
Beatty und Jack Nickolson sind oft zwei oder drei Jahrzehnte jünger als sie selbst. Mehrere soziologische Studien haben den Einfluss des beruflichen Status des Mannes auf die physische Attraktivität der Ehefrau untersucht (Elder, 1969; Taylor & Glenn, 1976; Udry & Eckland, 1984). Verglichen mit Männern mit niedrigem beruflichen Status heiraten Männer mit hohem beruflichen Status oft äußerst begehrenswerte Frauen. Tatsächlich scheint der berufliche Status eines Mannes der beste Prädikator für die Attraktivität der Frau zu sein. Männer, die in der Position sind, jüngere attraktive Frauen zu heiraten, tun dies auch oftmals. Männer mit hohem Ansehen und Einkommen sind sich offensichtlich ihrer Möglichkeiten bewusst, begehrenswerte Frauen anzuziehen. In der Studie einer Internet-Partneragentur, die 1.048 deutsche Männer und 1.590 Frauen umfasste, fand der Verhaltensforscher Karl Grammer heraus, dass Männer mit höherem Einkommen jüngere Frauen suchen (Grammer, 1992). Männer, die beispielsweise über ein Einkommen von über 10.000 DM verfügten, suchten Frauen, die zwischen fünf und fünfzehn Jahre jünger waren, während Männer, die weniger als 10.000 DM verdienten, Partner suchten, die gleich alt oder bis zu fünf Jahre jünger waren. Jede Einkommenssteigerung wurde von einer Reduzierung des gewünschten Alters der Frau begleitet. Nicht alle Männer verfügen jedoch über den Status, die Position oder die Ressourcen, um attraktive jüngere Frauen anzuziehen, und einige gehen daher eine Beziehung mit älteren Frauen ein. Die Partnervorlieben können nicht direkt in die tatsächlichen Partnerentscheidungen aller Menschen zu allen Zeiten übertragen werden, so wenig wie die Nahrungsvorlieben nicht direkt in die tatsächlichen Entscheidungen über das tägliche Essen übertragen werden können. Aber Männer, die in einer mächtigen Position sind, heiraten oft junge, attraktive Frauen. Unsere männlichen Vorfahren, die diese Präferenzen verwirklichten, genossen einen größeren reproduktiven Erfolg als diejenigen, die dies nicht taten. Moderne Männer tragen die Gene der Männer in sich, die reproduktiv erfolgreich waren.
Kontexteffekte durch Betrachten attraktiver Models Die Werbung nutzt die universelle Anziehungskraft schöner, jugendlicher Frauen. Madison Avenue wird manchmal vorgeworfen, einen einzigen willkürlichen Schönheitsmaßstab zu fördern, dem jeder nacheifern sollte (Wolf, 1992). Dieser Vorwurf ist zumindest teilweise falsch, denn Schönheitsmaßstäbe sind, wie wir gesehen haben, nicht willkürlich, sondern enthalten verlässliche Hinweise auf Fruchtbarkeit und reproduktiven Wert. Werbung die die existierenden Präferenzen von Männern nutzt, ist erfolgreicher als eine, die dies nicht tut. Zudem ist es unwahrscheinlich, dass Agenturen ein besonderes Interesse daran haben, einen bestimmten Schönheitsmaßstab zu verbreiten. Sie wollen Gewinne erzielen und nutzen, was sich gut verkauft. Sie setzen eine hellhäutige junge Frau mit regelmäßigen Gesichtszügen auf den Kühler des neuesten Automodells, weil dies die psychologischen Mechanismen der Männer anspricht und so den Verkauf fördert und nicht weil sie einen bestimmten Schönheitsmaßstab fördern wollen. Die Bilder in den Medien, mit denen wir täglich bombardiert werden, haben jedoch eine potentiell negative Auswirkung. In einer Studie wurden Männer gebeten, nachdem sie
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Fotografien von entweder sehr attraktiven Frauen oder von durchschnittlich attraktiven Frauen gesehen hatten, ihre Bindung zu ihren derzeitigen Partnern zu bewerten (Kenrick, Neuberg, Zierk & Krones, 1994). Die Männer, die Fotografien von attraktiven Frauen gesehen hatten, bewerteten ihre tatsächlichen Partnerinnen als weniger attraktiv als die Männer, die Fotos von durchschnittlich attraktiven Frauen gesehen hatten. Zudem bewerteten die Männer, die Fotografien attraktiver Frauen gesehen hatten, sich selbst als weniger gebunden, weniger zufrieden, weniger ernsthaft und weniger eng mit ihren tatsächlichen Partnerinnen verbunden. Vergleichbare Ergebnisse wurden in einer anderen Studie erzielt, in der Männer physisch attraktive Aktmodelle betrachtet hatten. Auch sie bewerteten sich als weniger von ihren Partnerinnen angezogen (Kenrick, Gutierres & Goldberg, 1989). Die Gründe für diese Veränderungen liegen in der unrealistischen Natur der Bilder und in den psychologischen Mechanismen der Männer begründet. Die wenigen attraktiven Frauen, die für die Werbung ausgesucht werden, werden aus tausenden ausgewählt. Vom Playboy sagt man, dass für jedes monatlich erscheinende Magazin etwa 6.000 Fotografien gemacht werden. Von diesen tausenden von Fotografien werden nur einige wenige zur Veröffentlichung ausgewählt. Was Männer sehen, sind daher die attraktivsten Frauen in den attraktivsten Posen vor dem attraktivsten Hintergrund in einer Airbrush-Fotografie. Vergleichen wir diese Fotografien mit dem, was Männer, die vor 100.000 Jahren in kleinen Gruppen mit wenigen Individuen lebten, gesehen haben. Es ist unwahrscheinlich, dass die Männer damals auch nur ein Dutzend attraktive Frauen gesehen haben, die den heutigen Maßstäben entsprachen. Die Präsenz eines relativ großen Angebots attraktiver Frauen kann einen Mann jedoch veranlassen, über einen Partnerwechsel nachzudenken und seine Bindung zu seiner Partnerin zu lockern. Wir leben in einer modernen Welt, aber in uns tragen wir die gleichen Mechanismen, die zur Zeit unserer Vorfahren entwickelt wurden. Heute werden diese Mechanismen jedoch künstlich durch die vielen attraktiven Frauen ausgelöst, die wir täglich in unserer mit Werbung gesättigten Welt in Zeitschriften, auf Reklametafeln, im Fernsehen und in Filmen sehen. Diese Bilder repräsentieren jedoch keine realen Frauen in unserer sozialen Umwelt, sondern nutzen genau jene Mechanismen, die für eine andere Umwelt entwickelt wurden. Als Folge werden Männer unzufrieden mit ihren Partnerinnen und fühlen sich weniger gebunden. Der potentielle Schaden, der durch diese Bilder ausgelöst wird, betrifft auch Frauen, da sie einen sich ständig verstärkenden und ungesunden Wettbewerb mit anderen Frauen auslösen. Frauen sehen sich in Konkurrenz mit anderen Frauen, um die Bilder zu verkörpern, die sie täglich sehen – Bilder, von denen sie annehmen, dass sie den Wunschvorstellungen der Männer entsprechen. Die noch nie dagewesenen Raten von Anorexia nervosa und Schönheitsoperationen mögen ihre Ursachen teilweise in diesen Bildern haben. Die Bilder beuten die existierenden Schönheitsmaßstäbe der Männer und die konkurrierenden Partnermechanismen der Frauen in einem noch nie dagewesenen und ungesunden Maße aus.
Kapitel 5 Langfristige Partnerwahl-Strategien des Mannes
5.4
Auswirkungen der Präferenzen von Männern auf das tatsächliche Partnerverhalten
In diesem Abschnitt untersuchen wir den Einfluss der langfristigen Partnerpräferenzen der Männer auf das Verhalten. Zuerst betrachten wir eine Studie über Bekanntschaftsanzeigen, um zu sehen, ob Männer vermehrt auf Anzeigen von Frauen antworten, die Qualitäten erkennen lassen, die sich Männer wünschen. Zum zweiten untersuchen wir Alterspräferenzen und tatsächliche Partnerwahlentscheidungen. Schließlich betrachten wir die Auswirkungen der Präferenzen von Männern auf die Partnerstrategien der Frauen und untersuchen, ob Frauen, die Männer anzuziehen versuchen, danach streben, die von Männern gewünschten Präferenzen zu verkörpern.
Die Antworten von Männern auf die Bekanntschaftsanzeigen von Frauen Wenn Männer nach ihren Präferenzen für Frauen, die jung und physisch attraktiv sind, handeln, dann sollten sie eher auf die Frauen reagieren, die diese Qualitäten besitzen. In einem Feldexperiment untersuchten zwei Psychologen die Antworten von Männern auf Bekanntschaftsanzeigen, die in zwei Zeitungen veröffentlicht wurden; eine im Mittleren Westen und eine an der Westküste der USA (Baize & Schroeder, 1995; siehe Kapitel 4). Das Durchschnittsalter derjenigen, die antworteten, lag bei 37 und reichte von 26 bis 58. Als die Antworten auf die von Männern und Frauen platzierten Anzeigen verglichen wurden, tauchten mehrere auffallende Unterschiede auf. Erstens antworten Männer mehr auf Anzeigen von Frauen als Frauen auf Anzeigen von Männern. Männer erhielten nur 68 Prozent der Anzahl der Briefe, die Frauen erhielten. Zum zweiten erhielten jüngere Frauen mehr Antworten von Männern als ältere. Drittens verhalf das Erwähnen physischer Attraktivität beiden Geschlechtern zu mehr Antworten, wobei auch hier deutlich mehr Antworten von Männern als von Frauen gezählt wurden. Zusammengenommen kann gesagt werden, dass die Antworten von Männern auf Bekanntschaftsanzeigen von Frauen eine natürlich Quelle von Befunden darstellt, die darauf hinweisen, dass Männer entsprechend ihren Präferenzen handeln.
Alterspräferenzen und Eheschließungen Eheschließungen bestätigen die Präferenz von Männern für zunehmend jüngere Frauen. Amerikanische Männer waren bei ihrer ersten Eheschließung etwa drei Jahre älter als ihre Frauen; bei der zweiten Eheschließung fünf Jahre älter und bei der dritten acht Jahre älter (Guttentag & Secord, 1983). Die Präferenz für jüngere Frauen lässt sich auf Eheschließungen weltweit übertragen. Kirchendokumente aus dem 19. Jahrhundert aus Schweden
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belegen beispielsweise, dass die Frauen von Männern, die nach einer Scheidung nochmals heirateten, durchschnittlich 10,6 Jahre jünger als diese waren (Low, 1991). In allen Ländern, in denen Informationen über das Alter von Eheleuten erhältlich sind, sind Männer im Durchschnitt älter als ihre Frauen, wie in Kapitel 4 dokumentiert (Buss, 1989a). Der Altersunterschied zwischen Ehepartnern wird in Abbildung 5.8 gezeigt. Diese Abbildung zeigt den Altersunterschied am Beispiel der Insel Poro über einen Zeitraum von 25 Jahren (Kenrick & Keefe, 1992). Männer in ihren Zwanzigern tendierten dazu, Frauen zu heiraten, die ein oder zwei Jahre jünger als sie selbst waren. Männer in ihren Dreißigern heirateten Frauen, die drei oder vier Jahre jünger als sie selbst waren. Die Frauen von Männern, die in ihren Vierzigern heirateten, waren jedoch dreizehn oder vierzehn Jahre jünger. Diese Daten, auch wenn sie auf einen bestimmten Zeitraum und Ort beschränkt sind, sind repräsentativ für den allgemeinen Trend, dass Männer Frauen heiraten, die zunehmend jünger sind, je älter sie selbst sind (Kenrick & Keefe, 1992). Fast identische Beobachtungen wurden in Brasilien gemacht, als 3.000 Ankündigungen von Eheschließungen in Zeitungen analysiert wurden (Otta et al., 1999). Die kulturübergreifenden Daten bestätigen die Altersunterschiede bei aktuellen Eheschließungen. Diese reichen von zwei Jahren in Polen bis zu fünf Jahren in Griechenland. Im Durchschnitt aller Länder, für die demografische Daten vorliegen, sind Männer drei Jahre älter als ihre Frauen und dies entspricht etwa dem Altersunterschied, der von Männern weltweit gewünscht wird (Buss, 1989a). In polygamen Kulturen ist der Altersunterschied sogar noch größer. Unter den Tiwi in Nordaustralien beispielsweise heiraten Männer mit hohem Ansehen oft zwei oder drei Jahrzehnte jüngere Frauen (Hart & Pilling, 1960).
Auswirkungen der Partnerpräferenzen von Männern auf die Anziehungstaktiken der Frauen Ausgehend von der Theorie der sexuellen Selektion beeinflussen die Präferenzen des einen Geschlechts das Konkurrenzverhalten des anderen (Buss, 1994). Sollten die Präferenzen der Männer einen Einfluss auf das Partnerverhalten ausüben, könnte man prognostizieren, dass Frauen miteinander konkurrieren werden, um zu erfüllen oder zu verkörpern, was Männer wollen. Diese Vorhersage kann anhand von drei Datenquellen untersucht werden: Untersuchung der Taktiken, mit denen Frauen Männer anziehen; Untersuchung der Taktiken, die Frauen anwenden, um Konkurrentinnen zu beeinträchtigen; Untersuchung der Selbstbeschreibung von Frauen in Bekanntschaftsanzeigen. In einer Studie untersuchte Buss (1988c) die Anwendung und Effektivität von 101 Taktiken, wie man einen Partner anziehen kann. Ganz oben stand die Verbesserung des Aussehens. Auffallend mehr Frauen als Männer berichteten, die folgenden Taktiken anzuwenden: „Ich schminkte mich“, „Ich machte eine Diät, um meine Figur zu verbessern“, „Ich lernte Make-up aufzutragen“, „Ich legte Wert auf ein gepflegtes Äußeres“, „Ich trug Make-up auf, um mein Aussehen hervorzuheben“ und „Ich legte mir einen neuen und modischen Haarschnitt zu“. Die Bewertungen der wahrgenommenen Effektivität stimm-
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ten mit den berichteten Taktiken überein. Jede Bemühung um Verbesserung des Aussehens wirkte sich in der Anziehung von Frauen auf Männer stärker aus als umgekehrt. In einer Serie zusammenhängender Studien untersuchten William Tooke und Lori Camire (1991) die Anwendung und Effektivität von Taktiken der intersexuellen Täuschung oder wie Männer Frauen und Frauen Männer bei der Partnersuche täuschen. Sie baten männliche und weibliche Studenten, über ihre Täuschungstaktiken zu berichten und deren Effektivität zu bewerten. Frauen benutzten Täuschungstaktiken, die ihr physisches Aussehen betrafen, häufiger als Männer: „Ich zog meinen Bauch ein“, „Ich trug ein Haarteil“, „Ich trug farbige Kontaktlinsen, um meine Augenfarbe zu ändern“, „Ich färbte meine Haare“, „Ich trug falsche Fingernägel“, „Ich kleidete mich in dunklen Farben, um schlanker zu wirken“, „Ich trug Schulterpolster“. Die von Frauen angewandten Taktiken wurden als effektiver bewertet als die Taktiken der Männer. Eine weitere Studie stellte fest, dass Frauen mit zunehmendem Alter bei der Platzierung von Bekanntschaftsanzeigen Informationen über ihr Alter verschweigen (Pawlowski & Dunbar, 1999b). Die Autoren interpretieren dies als eine mögliche Täuschungstaktik, mit dem Ziel eine Tatsache zu verschleiern, die für Männer einen hohen Stellenwert hat. Zusammengenommen kann man sagen, dass das Verhalten von Frauen auf die von Männern ausgedrückten Präferenzen einzugehen scheint, wenn es gilt, Männer anzuziehen. Frauen scheinen auch in ihrer Interaktion mit Rivalen sensibel für die Partnerpräferenz der Männer zu sein (Buss & Dedden, 1990). Eine Taktik beinhaltete, das Erscheinungsbild des Rivalen zu beeinträchtigen, indem man „über sein/ihr Erscheinungsbild Witze machte“, „anderen sagte, dass die Rivalin/der Rivale fett und hässlich sei“, und „über die Figur desselben/derselben Witze machte“. Die Beeinträchtigung des physischen Erscheinungsbildes wurde als effektiver bewertet, wenn Frauen diese Taktik anwandten als wenn Männer dies taten. Ein noch größerer Geschlechtsunterschied betraf die Schmälerung der sexuellen Treue des Rivalen. Erinnern wir uns, dass Männer der sexuellen Treue eines langfristigen Partners einen hohen Stellenwert zuschreiben. Die Taktik, „die Rivalin promiskuitiv zu nennen“, verletzt den Wunsch des Mannes nach einer treuen Frau. Ebenso Aussagen wie „die Rivalin ein Flittchen nennen“, „anderen sagen, dass die Rivalin mit vielen Männern geschlafen hat“, „anderen sagen, dass die Rivalin einen lockeren Lebenswandel hat und mit fast jedem schlafen würde“. Eine Rivalin pomiskuitiv zu nennen, wurde von Frauen als effektiver bewertet als von Männern. Auf der Grundlage dieser Studie kann man feststellen, dass die Abwertungstaktiken der Frauen in Bezug auf die langfristigen Partnerpräferenzen der Männer sehr sensibel zu sein scheinen; insbesondere was die Dimension des physischen Erscheinungsbildes und den Wunsch nach Treue betrifft. Zusammengefasst unterstützten drei Quellen die Ansicht, dass die Präferenzen der Männer das Verhalten in der Partnerarena beeinflussen. Zum ersten antworten Männer mehr auf Bekanntschaftsanzeigen, die Qualitäten anpreisen, die auf die Präferenzen der Männer zielen, wie den Wunsch nach physisch attraktiven und jungen Frauen. Zum zweiten heiraten Männer jüngere Frauen und zwar mit einem Altersunterschied, der mit jeder weiteren Heirat zunimmt. Drittens sind die Taktiken der Frau, einen Partner anzuziehen, und die Abwertung von Rivalen auf die Dimensionen zugeschnitten, die sich Männer bei
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einem langfristigen Partner wünschen. Frauen verwenden ihr Erscheinungsbild als eine Taktik, um Männer anzuziehen, und werten ihre Rivalinnen in Bezug auf Erscheinungsbild und Promiskuität ab. Aus all diesen empirischen Belegen kann festgestellt werden, dass die Präferenzen der Männer nicht nur ihr eigenes Partnerverhalten, sondern auch das der Frauen in ihren Konkurrenztaktiken beeinflussen.
Zusammenfassung Für unsere männlichen Vorfahren gab es viele Vorteile einer Heirat. Sie erhöhten ihre Chancen, eine Partnerin und insbesondere eine begehrenswerte Partnerin anzuziehen. Durch die Heirat verbesserten sie ihre Gewissheit der Vaterschaft, da sie kontinuierlichen, exklusiven oder überwiegenden sexuellen Zugang zu der Frau gewannen. In Bezug auf Fitness hätten Männer ebenfalls durch die verbesserten Überlebenschancen ihrer Kinder und deren reproduktiven Erfolg durch den elterlichen Schutz und die elterlichen Investitionen profitiert. Zwei adaptive Probleme sind bei der Entscheidung für einen langfristigen Partner von großer Bedeutung. Das erste ist, Frauen von hoher Fruchtbarkeit oder reproduktivem Wert zu identifizieren, die fähig sind, Kinder zu gebären. Es wurde beobachtet, dass Männer Attraktivitätsmaßstäbe entwickelt haben, die Hinweise auf die reproduktive Kapazität einer Frau enthalten. Hinweise auf Jugend und Gesundheit sind hierbei zentral: glatte Haut, volle Lippen, schmale Kieferknochen, symmetrische Gesichtszüge, weiße Zähne, die Abwesenheit von Wunden und Verletzungen sowie ein geringes Taille-Hüfte-Verhältnis. Die große Bedeutung, die Männer auf das physische Erscheinungsbild einer Frau legen, ist kein unveränderliches biologisches Gesetz der Tierwelt. Tatsächlich ist es bei vielen Arten wie dem Pfau das Weibchen, das größeren Wert auf das Erscheinungsbild legt. Auch die Präferenz für Jugend ist in der Tierwelt kein biologisches Universalgesetz. Einige Primaten, wie Orang-Utans, Schimpansen und japanische Makaken ziehen ältere Weibchen vor, die ihre reproduktiven Fähigkeiten schon bewiesen haben, indem sie Junge zur Welt brachten, und zeigen nur wenig sexuelles Interesse an heranwachsenden Weibchen, da diese eine geringe Fruchtbarkeit aufweisen (Symons,1987). Männer sahen sich einzigartigen adaptiven Problemen ausgesetzt und haben daher ein entsprechendes Erleben und Verhalten im sexuellen Bereich entwickelt. Sie ziehen Jugend wegen der zentralen Bedeutung der Ehe im Partnerverhalten der Menschen vor. Ihre Wünsche zielen auf das künftige reproduktive Potential und nicht nur auf das unmittelbare reproduktive Potenzial. Sie legen einen hohen Wert auf das physische Erscheinungsbild, da es viele Hinweise auf die reproduktive Kapazität einer potentiellen Partnerin enthält.
Kapitel 5 Langfristige Partnerwahl-Strategien des Mannes
Das zweite große adaptive Problem ist die Ungewissheit der Vaterschaft. Im Lauf der menschlichen Evolutionsgeschichte riskierten Männer, die diesem Problem gleichgültig gegenüberstanden, die Kinder eines anderen Mannes aufzuziehen, was für ihren Reproduktionserfolg äußerst nachteilig gewesen wäre. Männer in vielen Ländern ziehen deshalb jungfräuliche Frauen vor, aber dies ist nicht überall der Fall. Eine bessere allgemein verbreitete Lösung scheint zu sein, Hinweise auf die künftige Treue einzuschätzen und sicher zu sein, dass die Frau nur mit ihrem Ehemann Geschlechtsverkehr haben wird. Männer wollen physisch attraktive, junge, sexuell loyale Frauen, die ihnen treu bleiben. Diese Präferenzen können weder der westlichen Kultur, dem Kapitalismus, weißer angelsächsischer Bigotterie, den Medien, noch der unaufhörlichen Gehirnwäsche durch Werbung zugeschrieben werden, denn sie scheinen universell zu sein. Nicht eine einzige kulturelle Ausnahme von diesem Trend wurde je dokumentiert. Die Partnerpräferenzen der Männer scheinen tief verwurzelte, psychologische Mechanismen zu sein, die die Partnerwahl beeinflussen wie auch unsere Geschmacksvorlieben unsere Entscheidungen über den Konsum von Nahrung bestimmen. Vier Quellen bestätigen die Hypothese, dass die Partnerpräferenzen das tatsächliche Partnerverhalten der Männer beeinflussen. Zum einen antworten Männer häufiger auf Bekanntschaftsanzeigen, in denen Frauen behaupten, sie seien jung und attraktiv. Zum zweiten heiraten Männer weltweit Frauen, die etwa drei Jahre jünger als sie selbst sind. Männer, die sich scheiden lassen und wieder heiraten, heiraten beim zweiten Mal Frauen, die fünf Jahre jünger sind und beim dritten Mal solche, die acht Jahre jünger sind. Drittens widmen Frauen der Verschönerung ihres Erscheinungsbildes im Zusammenhang mit der Anziehung von Männern viel Mühe, was zeigt, dass Frauen auf die von Männern ausgedrückten Präferenzen reagieren. Viertens tendieren Frauen dazu, ihre Rivalinnen abzuwerten, indem sie ihr physisches Erscheinungsbild herabsetzen und sie promiskuitiv nennen. Das sind Taktiken, die effektiv sind, da sie Rivalinnen für Männer weniger attraktiv machen, indem sie die Präferenzen der Männer verletzen.
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
Weiterführende Literatur Hejj, A. (1996). Traumpartner: Evolutionspsychologische Aspekte der Partnerwahl. Berlin: Springer. Kenrick, D. T. & Keefe, R. C. (1992). Age preferences in mates reflect sex differences in reproductive strategies. Behavioral and Brain sciences, 15, 75-133. Kümmerling, A. & Hassebrauck, M. (2001). Schöner Mann, reiche Frau? Die Gesetze der Partnerwahl im gesellschaftlichen Wandel. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 32, 81-94. Singh, D. (2000). Waist-to-hip ratio: An indicator of female mate value. International Research Center for Japanese Studies, International Symposium 16, 79-99. Symons, D. (1979). The evolution of human sexuality. New York: Oxford University Press. Tooke, W. & Camire, L. (1991). Patterns of deception in intersexual and intrasexual mating strategies. Ethology and Sociobiology, 12, 345-364. Williams, G. C. (1975). Sex and evolution. Princeton, NJ: Princeton University Press.
Kapitel
6
Kurzfristige sexuelle Strategien
[Frauen] brennen nicht selten mit einem auserwählten Liebhaber durch …Wir sehen also … Frauen befinden sich nicht in einer so elenden Lage, was ihr Verhältnis zur Heirat betriff, wie oftmals angenommen wurde. Sie sind in der Lage den Mann zu verführen, den sie auserkoren haben und manchmal können sie jene, die sie gering schätzen, zurückweisen – sei es vor oder nach der Eheschließung. – Charles Darwin, 1871 Die biologische Ironie dieses Paradoxes ist, dass Männer sich nicht zur Promiskuität hin entwickelt haben könnten, wenn ihnen im Lauf der Geschichte Frauen immer die Gelegenheit verweigert hätten, diesen Wesenszug auszuleben. – Robert Smith, 1984 Stellen Sie sich vor, eine attraktive Person des anderen Geschlechts kommt auf dem Universitätscampus eines Tages auf Sie zu und sagt: „Hallo, Du bist mir schon letztens in der Stadt aufgefallen und ich finde Dich sehr attraktiv. Willst Du mit mir schlafen?“ Wie würden Sie reagieren? Wenn Sie zu den 100% der in einer Studie befragten Frauen gehören würden, wäre Ihre Antwort ein klares Nein. Diese Frage würde Sie beleidigen, verärgern oder einfach nur verwirren. Wenn Sie aber einer der Männer wären, die in der Studie befragt wurden, stünden die Chancen, dass Sie Ja sagen würden, nicht schlecht – denn 75% dieser Männer sagten tatsächlich Ja (Clarke & Hatfield, 1989). Als Mann würden Sie sich von diesem Angebot wahrscheinlich geschmeichelt fühlen. Viele der übrigen 25% der Männer, die das Angebot ausschlugen, entschuldigten sich sogar und gaben an, bereits etwas anderes vorzuhaben oder gebunden zu sein. Der Gedanke, dass Männer und Frauen unterschiedlich reagieren, wenn es um flüchtigen Sex geht, mag vielleicht nicht überraschen. Die Theorien der evolutionären Psychologie schaffen jedoch eine prinzipiengestützte Basis, aufgrund derer man diese Unterschiede vorhersagen und das Ausmaß der Abweichung erklären kann.
6.1
Theorien der kurzfristigen sexuellen Beziehungen des Mannes
Wenden wir uns zunächst den Theorien über die Wahl einer kurzfristige Partnerin zu. Zunächst betrachten wir die adaptive Logik der Wahl einer kurzfristigen Partnerin bei Männern und sehen uns an, warum diese im psychologischen Repertoire der Männer
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
einen größeren Platz einnimmt als bei den Frauen. Zum zweiten untersuchen wir den möglichen Preis, den ein Mann in einer kurzfristigen Beziehung zahlen muss. Drittens wenden wir uns den speziellen adaptiven Problemen zu, die Männer zu lösen haben, wenn sie sich erfolgreich auf kurzfristige sexuelle Beziehungen einlassen wollen.
Adaptive Vorteile kurzfristiger Beziehungen für den Mann Trivers’ (1972) Theorien der elterlichen Investitionen und der sexuellen Selektion, die wir in Kapitel 4 behandelten, liefern uns eine starke reproduktive Basis für zu erwartende Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wenn es um kurzfristige Beziehungen geht: Männer haben erwartungsgemäß einen stärkeren Wunsch nach flüchtigem Sex entwickelt als Frauen. Derselbe Geschlechtsakt, der die Frau dazu zwingt, neun Monate lang ein Kind auszutragen, verpflichtet den Mann dagegen zu so gut wie keiner Investition. Im Laufe eines Jahres könnte ein Mann zur Zeit unserer Vorfahren vielleicht mit Dutzenden von fruchtbaren Frauen Geschlechtsverkehr gehabt und damit viele Schwangerschaften verursacht haben. Eine Frau dagegen, die in der gleichen Zeitspanne entsprechend mit Dutzenden von Männern geschlafen hatte, könnte nur ein einziges Kind zur Welt bringen (außer wenn sie Zwillinge oder Drillinge ausgetragen hätte). Siehe Kasten 6.1 für Funktionen und Vorteile kurzfristiger Beziehungen. Die Reproduktionsvorteile für diejenigen Männer, die erfolgreich eine Strategie der kurzfristigen sexuellen Beziehungen verfolgen, liegen auf der Hand: mehr eigene Nachkommen. Ein verheirateter Mann mit zwei Kindern könnte seinen Reproduktionserfolg beispielsweise um ganze 50% steigern, indem er eine kurzfristige Beziehung führt, die zu Schwangerschaft und zur Geburt eines Kindes führt. Dieser Vorteil ergibt sich natürlich nur, wenn das Kind, das aus dieser kurzen Affäre entstanden ist, auch überlebt, was zur Zeit unserer Vorfahren davon abhing, ob die Mutter sich auf andere Weise ausreichend Ressourcen sichern konnte (z.B. aus eigener Kraft, durch die Familie oder durch andere Männer). Historisch betrachtet erreichten die Männer einen gesteigerten Reproduktionserfolg hauptsächlich durch eine gesteigerte Anzahl von Sexualpartnerinnen und nicht durch eine größere Anzahl von Kindern mit der gleichen Partnerin (Betzig, 1986; Dawkins, 1986). Dieses Kapitel wird Belege für diese Theorie vorstellen und sich auf die durch Evolution entstandene Psychologie des männlichen Wunsches nach einer Vielzahl von Partnerinnen konzentrieren.
Potentielle Kosten kurzfristiger Beziehungen für den Mann Kurzfristige sexuelle Strategien bringen für Männer jedoch auch potentielle Kosten mit sich. Im Laufe der Evolutionsgeschichte liefen die Männer Gefahr, (1) sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken, ein Risiko, das mit der Anzahl der Sexualpartnerinnen stieg; (2) sich einen Ruf als „Frauenheld“ einzuhandeln, was ihre Chancen, eine langfristige Partnerin zu finden, mindern konnte, (3) die Überlebenschancen ihrer Kinder zu verringern, da ausreichende väterliche Investitionen und Schutz fehlten, (4) das Opfer
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
von Gewalt durch eifersüchtige Ehemänner oder Partner zu werden, wenn die Frauen, mit denen sie ihre Strategie vollzogen, verheiratet waren oder eine andere Beziehung führten, (5) das Opfer von Gewalt durch Väter oder Brüder der Frauen zu werden und (6) dass sich auch ihre Frauen auf Affären einließen und dass dadurch die hohen Kosten einer Scheidung auf sie zukamen (Buss & Schmitt, 1993; Daly & Wilson, 1988; Freeman, 1983). Angesichts der großen potentiellen adaptiven Vorteile einer kurzfristigen Partnerstrategie für Männer könnte die Selektion die Verfolgung einer solchen Strategie begünstigt haben, obwohl diese mit hohen Kosten verbunden ist. Wäre dies der Fall gewesen, so könnten wir erwarten, dass die Selektion bei Männern psychologische Mechanismen begünstigte, die auf diese Kosten empfindlich reagierten und sie wenn möglich zu reduzieren suchten oder noch besser eine kurzfristige Partnerstrategie nur dann verfolgten, wenn dieser Aufwand gering war oder vermieden werden konnte. Bei der Verfolgung einer kurzfristigen Partnerstrategie sind also eine Reihe spezifischer adaptiver Probleme zu lösen, denen wir uns nun zuwenden wollen.
6.1 Funktionen und Vorteile einer kurzfristigen Partnerstrategie Kurzfristige Beziehungen können Vorteile haben, die von der ursprünglichen Funktion abweichen. Sich als Schauspieler oder Schauspielerin eine Rolle in einem Kinofilm zu sichern, kann ein solcher Vorteil einer kurzfristigen Beziehung (z.B. zu einem Produzenten) sein, ist aber wohl kaum eine der ursprünglichen Funktionen einer solchen Partnerwahl. Kinofilme sind eine moderne Erfindung und gehören nicht zu der selektiven Umwelt, in der sich der Mensch entwickelte. Das heißt jedoch nicht, dass es den Tausch „Sex gegen eine bestimmte Position oder ein Privileg“ als abstraktere Funktion der Wahl einer kurzfristigen Partnerin nicht schon immer gegeben hat. Einige Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Vorteil auch gleichzeitig eine Funktion der Wahl einer kurzfristigen Partnerin ist: (1) es muss in der menschlichen Evolutionsgeschichte ein ständig wiederkehrender Selektionsdruck bestanden haben, so dass (2) diejenigen wiederholt belohnt wurden, die unter bestimmten Bedingungen eine kurzfristige Partnerstrategie verfolgten; (3) in Fitness-Währung ausgedrückt musste der Aufwand dieser kurzfristigen Strategie geringer sein als der Nutzen innerhalb des jeweiligen Kontexts und (4) die Evolution musste die Entwicklung mindestens eines psychologischen Mechanismus begünstigt haben, der speziell darauf ausgerichtet war, die Wahl eines kurzfristigen Partners unter bestimmten Umständen zu fördern.
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
Da wir nicht in die Vergangenheit reisen können, müssen wir verschiedene Kriterien heranziehen, um die Evolution solcher psychologischer Mechanismen, die speziell auf die Förderung der Wahl einer kurzfristigen Partnerin ausgerichtet waren, nachzuvollziehen. Diese Kriterien sind unter anderem: (1) Verfolgen Menschen in vielen oder sogar allen Kulturen unter bestimmten Umständen eine kurzfristige Partnerstrategie, wenn sie nicht physisch daran gehindert werden? (2) Gibt es bestimmte Situationen, in denen Männer und Frauen verstärkt eine kurzfristige Partnerstrategie verfolgen, so dass man auf die Existenz psychologischer Mechanismen, die auf eben diese Situationen ansprechen, schließen könnte? (3) Ist es auf der Basis unserer Kenntnisse über das Umfeld unserer Vorfahren nachvollziehbar, wenn wir ableiten, dass diese spezifischen Situationen auch Frauen wiederholt Gelegenheit geboten haben, sich auf kurzfristige Beziehungen einzulassen? (4) Konnten sich Männer und Frauen, die sich innerhalb dieser Situationen auf kurzfristige Beziehungen konzentrierten, möglicherweise einen Vorteil verschaffen? (5) War dieser Vorteil groß genug, um die potentiellen Kosten dieser Beziehungen aufzuwiegen? (6) Sind die Situationen, in denen sich Männer und Frauen heute auf kurzfristige Beziehungen einlassen analog zu den Situationen zur Zeit unserer Vorfahren, wo der Aufwand meist minimiert, die Vorteile aber maximiert werden konnten? Die bisher durchgeführten empirischen Studien können nicht auf alle diese Fragen eine Antwort geben und können auch nicht eindeutig entscheiden, was nun tatsächliche Funktionen und was lediglich Nebeneffekte einer kurzfristigen Partnerstrategie sind. Aber dennoch bieten die vorhandenen empirischen Belege einige Anhaltspunkte, welche Vorteile nun keine oder weniger gute Kandidaten für die tatsächlichen Funktionen sind. Angesichts der Tatsache, dass kurzfristige Partnerstrategien in allen bekannten Kulturen existieren - darunter auch die Ache (Hill Hurtado, 1996), die Tiwi (Hart & Pilling, 1960), die !Kung (Shostak, 1981), die Hiwi (Hill & Hurtado, 1989) und die Yanomamö (Chagnon, 1983)-, dass so viele, auch Jahrhunderte alte, Romane und Bühnenstücke von Untreue handeln, angesichts des Nachweises menschlicher Spermien-Konkurrenz (Baker & Bellis, 1995) und angesichts des Wunsches nach sexueller Vielfalt, ist es durchaus nachvollziehbar, dass Männer und Frauen zur Zeit unserer Vorfahren wiederholt die Möglichkeit hatten, in manchen Fällen von kurzfristigen Beziehungen zu profitieren.
Adaptive Probleme, die Männer bei einer kurzfristigen Partnerstrategie lösen müssen Unsere männlichen Vorfahren, die eine kurzfristige Partnerstrategie verfolgten, sahen sich einer Reihe spezifischer adaptiver Probleme ausgesetzt – der Anzahl und Vielfalt der Partner, der sexuellen Zugänglichkeit, der Fruchtbarkeit der Frauen und der Vermeidung von Bindungen.
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
Das Problem der Partneranzahl und -vielfalt. Eine erfolgreiche kurzfristige Partnerstrategie erfordert eine Adaptation, die motivierenden Charakter hat und die Männer nach einer Vielzahl sexueller Partner streben lässt. Eine unmittelbare Lösung des Problems der Partneranzahl könnte in der Ausbildung eines entsprechenden Begehrens seitens des Mannes liegen. Männer könnten im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte ein starkes Verlangen nach sexuellem Zugang zu einer Vielzahl von Frauen entwickelt haben (Symons, 1979). Eine zweite spezifische Adaptation, die man aufgrund theoretischer Überlegungen vermuten könnte, wäre eine Lockerung der Ansprüche, die Männer an eine kurzfristige Sexualpartnerin stellen. Hohe Ansprüche schließen naturgemäß von vornherein viele Frauen aus. Diese Lockerung der Maßstäbe sollte sich auf viele verschiedene Eigenschaften der Partnerin beziehen, darunter Alter, Intelligenz, persönliche Eigenschaften und Umstände wie z.B. die Frage, ob die Frau im Moment einen Partner hat oder nicht. Eine dritte zu erwartende Adaptation ist die Auferlegung minimaler zeitlicher Beschränkungen – d.h. vor dem eigentlichen Geschlechtsverkehr soll so wenig Zeit wie möglich vergehen. Je weniger Zeit der Mann verstreichen lässt, um so größer ist die Zahl seiner potentiellen Sexualpartnerinnen. Lange zeitliche Verzögerungen beeinträchtigen ebenso wie hohe Ansprüche eine Lösung des adaptiven Problems der Partneranzahl. Das Problem der sexuellen Zugänglichkeit. Da Männer weniger in eine Partnerschaft investieren, sind sie bei der Wahl einer kurzfristigen Partnerin auch erwartungsgemäß weniger wählerisch als Frauen. Trotzdem ergäben sich für einen Mann eindeutig mehr Reproduktionsvorteile, wenn er sich bei der Partnersuche direkt auf Frauen konzentrieren würde, die sexuell zugänglich sind. Verwendet er viel Zeit, Energie und Werbungsressourcen an eine Frau, die dem Geschlechtsverkehr höchst wahrscheinlich nicht zustimmen wird, so ist das für den Mann keine erfolgreiche kurzfristige Partnerstrategie.
Spezialisierte Adaptationen zur Lösung des Problems sexueller Zugänglichkeit zeigen sich erwartungsgemäß in den Partnerpräferenzen des Mannes. Es sollten also Frauen, die prüde, sexuell unerfahren oder konservativ sind oder kein großes sexuelles Verlangen haben, gemieden werden. Signalisieren Kleidung und Verhalten einer Frau sexuelle Offenheit und Bereitwilligkeit, so könnte das zwar bei der langfristigen Partnerwahl unerwünscht sein, für die Wahl einer kurzfristigen Partnerin aber genau den Wünschen der Männer entsprechen, denn dies deutet auf sexuelle Zugänglichkeit hin. Das Problem herauszufinden, welche Frauen fruchtbar sind. Man kann die klare evolu-
tionäre Vorhersage treffen, dass Männer, die eine kurzfristige Partnerin suchen, Frauen bevorzugen, die Hinweise auf Fruchtbarkeit aussenden. Denn bei besonders fruchtbaren Frauen ist die Wahrscheinlichkeit, bei einem einzigen Sexualakt schwanger zu werden, am größten. Männer, die langfristige Partnerinnen suchen, werden dagegen eher jüngere Frauen mit hohem reproduktiven Wert bevorzugen, denn bei diesen ist die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Reproduktion größer (siehe Kapitel 5 für die Unterscheidung zwischen Fruchtbarkeit und reproduktivem Wert). Dieser Unterschied zwischen reproduktivem Wert und Fruchtbarkeit garantiert aber nicht, dass die Selektion zwei verschiedene Attraktivitätsstandards für Männer herausgebildet hat, je nachdem, ob sie eine kurzfristige Sexualpartnerin oder eine langfristige Ehepartnerin suchen. Am wichtigsten dabei ist, dass diese Unterscheidung herangezogen werden
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
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kann, um eine Hypothese über die Verschiebung der Alterspräferenzen aufzustellen, die wir auch testen können. Männer, die auf der Suche nach kurzfristigen Partnerinnen sind, bevorzugen höchst wahrscheinlich fruchtbare Frauen. Das Problem der Vermeidung von Bindungen. Männer, die eine kurzfristige Partnerin suchen, werden erwartungsgemäß Frauen meiden, die eine ernsthafte Bindung oder Investition verlangen, bevor sie dem Geschlechtsverkehr zustimmen. Je größer die Investition in eine bestimmte Frau ist, desto geringer ist die Zahl der Sexualpartnerinnen, die ein Mann für sich gewinnen kann. Frauen, die hohe Investitionen fordern, zwingen den Mann, eine langfristige Partnerstrategie zu verfolgen, was ganz offensichtlich mit dem Streben nach kurzfristigen, opportunistischen sexuellen Beziehungen im Konflikt steht. Also werden Männer, die kurzfristige Beziehungen anstreben, Frauen meiden, die sich eine langfristige Bindungsbereitschaft und aufwändige Investitionen wünschen, und die dem Geschlechtsverkehr nur zustimmen, wenn bei einem Mann diese Bedingungen erfüllt sind.
Zusammenfassend hätte das Streben des Mannes nach einer kurzfristigen Partnerstrategie theoretisch einigen Aufwand sowie mehrere zu lösende adaptive Probleme mit sich gebracht. Wenn Männer im Laufe der Evolutionsgeschichte dennoch solche kurzfristigen Strategien verfolgt haben, können wir davon ausgehen, dass sie Lösungen für diese entwickelt haben. So sollten Männer, die nur auf flüchtigen Sex aus sind, besonders Frauen bevorzugen, die signalisieren, dass sie selbst unmittelbar sexuell verfügbar und fruchtbar sind und außerdem keinen langfristigen Bindungswillen voraussetzen. Wenden wir uns nun empirischen Belegen für die zugrunde liegende Psychologie kurzfristiger Partnerstrategien zu.
6.2
Belege für eine durch Evolution entstandene kurzfristige Partnerwahlpsychologie
Einer flüchtigen sexuellen Beziehung müssen grundsätzlich beide Beteiligten zustimmen. Unsere männlichen Vorfahren konnten sich nicht ausschließlich auf kurzfristige Affären einlassen. Es muss zumindest einige weibliche Vorfahren gegeben haben, die dieses Verhalten vorübergehend ebenfalls gezeigt haben, denn hätten all unsere weiblichen Vorfahren historisch gesehen ausschließlich monogam gelebt, ohne jemals vorehelichen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, so hätte kein Mann Gelegenheit zu einer flüchtigen sexuellen Beziehung mit einer Frau gehabt, die diese auch wollte (Smith, 1984). Eine Ausnahme bildet dabei natürlich erzwungener Geschlechtsverkehr – ein Thema, das wir in Kapitel 11 behandeln werden. Kurzfristige Beziehungen in Form von Affären, One-Night-Stands und wechselnden Beziehungen gibt es in allen Kulturen und sie sind auch kein neues Phänomen. Tatsächlich bietet unsere heutige Physiologie und Psychologie viele Hinweise, die auf eine lange
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
Geschichte flüchtiger sexueller Beziehungen hindeuten, die bis zu unseren evolutionären Wurzeln zurückreicht. Betrachten wir nun die physiologischen Belege.
Physiologische Belege für kurzfristige Beziehungen Bestehende Adaptationen in unserer Psychologie, Anatomie, Physiologie und in unserem Verhalten weisen darauf hin, dass es einen früheren Selektionsdruck gegeben haben muss. Ebenso wie die Furcht moderner Menschen vor Schlangen auf eine früher bestehende Gefahr hindeutet, so enthüllt auch unsere sexuelle Anatomie und Physiologie eine sehr lange Geschichte kurzfristiger sexueller Beziehungen. Diese Geschichte ist erst vor kurzer Zeit aufgrund sorgfältiger Studien über die Hodengröße und das Ejakulationsvolumen des Mannes ans Licht gekommen. Hodengröße. Es gibt eine Reihe physiologischer Hinweise auf eine Historie mehrerer
Sexualpartner. Einer dieser Hinweise bezieht sich auf die Hodengröße des Mannes. Große Hoden entwickeln sich normalerweise aufgrund einer intensiven Spermien-Konkurrenz – d.h. die Spermien von zwei oder mehr männlichen Vertretern besetzen gleichzeitig den reproduktiven Pfad eines Weibchens, da es sich mit zwei oder mehr Männchen gepaart hat (Short, 1979; Smith, 1984). Spermien-Konkurrenz übt auf die Männchen einen Selektionsdruck aus, große Ejakulate mit vielen Spermien zu produzieren. Denn im Rennen um das wertvolle Ei besitzt ein großes Ejakulat mit vielen Spermien einen Vorteil und kann auf dem weiblichen Reproduktionspfad die Ejakulate anderer Männer hinter sich lassen. Die Hoden eines Mannes sind im Verhältnis zu seinem Körpergewicht weitaus größer als die Hoden von Gorillas oder Orang-Utans. Beim Gorilla machen die Hoden 0,018% des Körpergewichts, beim Orang-Utan 0,048% aus (Short, 1979; Smith, 1984). Beim Menschen dagegen macht das Gewicht der Hoden 0,079% des Körpergewichts aus – 60% mehr als beim Orang-Utan und über viermal so viel wie beim Gorilla, bezogen auf die jeweilige Körpergröße. Die vergleichsweise großen Hoden des Mannes sind ein eindeutiger Beleg dafür, dass Frauen im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte manchmal innerhalb weniger Tage Geschlechtsverkehr mit mehr als einem Mann hatten. Denn es wäre wahrscheinlich nicht zur Entwicklung dieser Hodengröße gekommen, wenn es keine Spermien-Konkurrenz gegeben hätte. Dies deutet darauf hin, dass beide Geschlechter zeitweise kurzfristige Partnerstrategien verfolgten. Menschen sind jedoch nicht die Primaten mit den größten Hoden. Das Hodenvolumen des Mannes ist weitaus kleiner als das des Schimpansen, der sehr häufig den Sexualpartner wechselt. Beim Schimpansen machen die Hoden 0,269% des Körpergewichts aus, über dreimal so viel wie beim Menschen. Diese Ergebnisse belegen, dass unsere menschlichen Vorfahren nicht in so extremem Maße wie die Schimpansen häufig und wahllos ihre Partner wechselten. Um die Unterschiede in der Sexualität von Menschen und Schimpansen konkret aufzuzeigen, sammelte Wrangham (1993) Daten aus einer Reihe von Studien über die geschätzte Anzahl männlicher Sexualpartner, die eine weibliche Vertreterin verschiedener Primatenspezies im Laufe ihres Lebens hatte. Die äußerst monogam lebenden Gorilla-Weibchen hatten durchschnittlich nur einen männlichen Sexualpartner. Bei den Frauen lag die geschätzte Zahl der Sexualpartner bei 1,1 männlichen Sexualpartnern, d.h. fast 10% mehr
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
als bei Gorillas. Pavian-Weibchen hatten dagegen durchschnittlich acht Sexualpartner in ihrem Leben, bei Bonobo-Schimpansen-Weibchen waren es neun männliche Partner und bei gewöhnlichen Schimpansen-Weibchen (Pan troglodytes) waren es sogar 13 männliche Sexualpartner. Das Verhalten, das zu Spermien-Konkurrenz führt – wenn Weibchen mit mehreren Männchen Sexualverkehr haben – scheint sich mit den Daten über das Spermien-Volumen zu decken. Menschen zeigen eine größere Spermien-Konkurrenz als die monogamen Gorillas, andererseits jedoch eine weitaus geringere als Schimpansen und Bonobos, die häufig die Partner wechseln. Abweichungen bei der Spermien-Insemination. Ein weiterer Hinweis auf die evolutionäre Existenz kurzfristiger Sexualbeziehungen ergibt sich aus bestehenden Abweichungen bei der Produktion und Insemination von Spermien (Baker & Bellis, 1995). In einer Studie über die Auswirkungen der Trennung zweier Partner auf die Spermien-Produktion erklärten sich 35 Paare bereit, nach dem Geschlechtsverkehr Ejakulate aus Kondomen oder durch Rückfluss, d.h. Samenflüssigkeit, die eine Frau nach dem Verkehr nicht aufnimmt, zur Verfügung zu stellen. Die Paare wurden dabei jeweils für verschiedene Zeitspannen getrennt.
Je länger die Trennung nach dem letzten Geschlechtsverkehr gedauert hatte, um so stärker stieg die Spermienzahl des Mannes an. Je mehr Zeit ein Paar getrennt verbracht hatte, desto größer war die Spermienzahl des Mannes beim nächsten Geschlechtsverkehr. Verbrachte ein Paar 100% seiner Zeit zusammen, so gab der Mann durchschnittlich 389 Millionen Spermien pro Ejakulat ab. Verbrachte das Paar aber nur 5% seiner Zeit gemeinsam, so stieg die Spermienzahl auf durchschnittlich 712 Millionen, verdoppelte sich also fast. Die Spermienanzahl steigt, wenn die Gefahr besteht, dass sich zur selben Zeit das Sperma eines anderen Mannes im Reproduktionspfad der Frau befinden könnte, da diese aufgrund der Trennung Gelegenheit zu außerehelichem Sex haben könnte. Eben diesen Anstieg der Spermien-Insemination kann man erwarten, wenn es in der menschlichen Evolutionsgeschichte flüchtige Sexualbeziehungen und Untreue gab. Wichtig ist auch der Hinweis, dass die gesteigerte Spermien-Insemination unabhängig davon auftrat, wann der Mann seine letzte Ejakulation gehabt hatte. Selbst wenn der Mann durch Masturbation einen Orgasmus gehabt hatte, während er von seiner Frau getrennt war, produzierte er beim ersten gemeinsamen Geschlechtsverkehr dennoch eine höhere Spermienzahl, wenn die Trennung lange gedauert hatte. Die gesteigerte Spermien-Insemination nach langer Trennung stellt sicher, dass das Sperma des Ehemannes beim Wettrennen um das Ei größere Chancen hat, mögliche konkurrierende Spermien auszustechen. Männer scheinen genauso viel Sperma abzugeben, um die Spermien, die seit ihrem letzten sexuellen Kontakt zu dieser Frau abgestorben sind, zu ersetzen, und so die Anzahl der eigenen lebenden Spermien in der Frau möglichst konstant zu halten. Dieser physiologische Mechanismus der Männer, der bewirkt, dass die Spermien-Produktion steigt, sobald die Frau Gelegenheit zur Untreue hatte, kann als Hinweis gewertet werden, dass die Menschen im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte zumindest manchmal außereheliche Affären hatten.
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
Psychologische Belege für kurzfristige Beziehungen In diesem Abschnitt betrachten wir psychologische Belege für die Existenz kurzfristiger Affären – den Wunsch nach sexueller Abwechslung, den verstrichenen Zeitraum vor der sexuellen Kontaktsuche, die geringeren Ansprüche an einen flüchtigen Sexualpartner, Häufigkeit und Inhalt sexueller Phantasien und das Phänomen „Sperrstunde.“ Wunsch nach Abwechslung bei den Sexualpartnern. Der wichtigste reproduktive Vorteil einer flüchtigen Affäre bestand für unsere männlichen Vorfahren wohl in einer direkten Steigerung der Zahl der Nachkommen. Männer sahen sich also dem zentralen adaptiven Problem gegenüber, sexuellen Zugang zu einer Vielzahl von Frauen zu erlangen. Zur Lösung dieses Problems haben Männer eine Reihe psychologischer Mechanismen entwickelt, die sie dazu gebracht haben, nach mehreren Sexualpartnern zu trachten (Symons, 1979).
Eine psychologische Lösung für das Problem des sexuellen Zugangs zu einer Reihe von Partnern ist die gute alte Lust: Männer haben einen starken Wunsch nach Sex entwickelt. Zwar geben sie diesem Wunsch nicht immer nach, er ist jedoch eine starke Motivation: „Selbst wenn man nur einem von tausend Impulsen nachgibt, so hat die Lust dennoch die Funktion, Geschlechtsverkehr herbeizuführen.“ (Symons, 1979, S. 207). Um herauszufinden, wie viele Sexualpartner der Mensch sich tatsächlich wünscht, befragten Wissenschaftler unverheiratete amerikanische Studenten darüber, wie viele Sexualpartner sie sich idealerweise innerhalb verschiedener Zeiträume – vom nächsten Monat bis zum ganzen Leben wünschen würden (Buss & Schmitt, 1993). Die Ergebnisse sind in Abbildung 6.1 dargestellt und belegen, dass sich Männer für alle angegebenen Zeiträume mehr Sexualpartner wünschen als Frauen. So gaben beispielsweise die Männer an, dass sie im Laufe des nächsten Jahres im Idealfall gerne mehr als sechs Sexualpartnerinnen hätten, bei Frauen dagegen lag diese Zahl bei einem Partner. Im Laufe der nächsten zwei Jahre wünschten sich Männer zehn Partnerinnen, Frauen aber nur zwei Partner. Diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen wuchsen mit der Länge der Zeitintervalle an. Im Laufe ihres Lebens wünschten sich Männer durchschnittlich 18 Sexualpartnerinnen, Frauen dagegen wünschten sich nur vier bis fünf. Eine weitere Studie untersuchte 48 „geheime Wünsche“, darunter „Ich möchte nach meinem Tod bei Gott sein“ oder „Ich möchte durch kreative Arbeit einen dauerhaften Beitrag leisten“ (Ehrlichman und Eichenstein, 1992). Die weitaus größte Abweichung zwischen den Geschlechtern zeigte sich bei einem Wunsch: „Ich möchte mit einer Person meiner Wahl Sex haben.“ In einer groß angelegten, kulturübergreifenden Studie, in der 13.551 Menschen aus zehn großen Weltregionen, von sechs Kontinenten, 13 Inseln, 52 Nationen mit 27 verschiedenen Sprachen untersucht wurden, hatten in jedem einzelnen Fall die Männer den Wunsch nach mehr Sexualpartnern als die Frauen (Schmitt, 2001). Überall, von der kleinsten Insel der Fidschi-Gruppe bis zur großen Insel Taiwan, vom äußersten Norden Skandinaviens bis zur Südspitze Afrikas, auf jeder Insel, auf jedem Kontinent äußerten die Männer einen stärkeren Wunsch nach einer Vielzahl verschiedener Sexualpartner als die Frauen.
231
Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
232
Männer Frauen
20
Anzahl der Partner
15
10
5
0 1 Mo 6 Mo
1J
2J
3J
4J
5J
10 J
20 J
30 J Leben
Zeit
Abbildung 6.1: Anzahl der gewünschten Sexualpartner Die Teilnehmer gaben jeweils die Zahl der Sexualpartner an, die sie sich für einen bestimmten Zeitraum wünschten. Quelle: Buss, D. M., & Schmitt, D. P. (1993). Sexual strategies theory: An evolutionary perspective on human mating. Psychological Review, 100, 204-232. Copyright © 1993 by the American Psychological Association.
Zeitspanne vor dem sexuellen Kontakt. Eine weitere psychologische Lösung für das Problem des sexuellen Zugangs zu vielen verschiedenen Partnern ist es, möglichst wenig Zeit zwischen dem Kennenlernen der Frau und dem ersten sexuellen Kontakt mit ihr verstreichen zu lassen. Je weniger Zeit ein Mann verstreichen lässt, desto größer ist die Zahl der Frauen, mit denen er erfolgreiche sexuelle Kontakte haben kann. Ein großer Zeitaufwand bedeutet für den Mann eine große Investition in eine Partnerin und beeinträchtigt somit die Lösung des Problems, viele verschiedene Sexualpartner zu haben.
Weibliche und männliche Studenten gaben an, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie einem sexuellen Kontakt mit einer Person zustimmen würden, die sie als attraktiv empfanden, wenn sie diese Person eine Stunde, einen Tag, eine Woche, einen Monat, sechs Monate, ein Jahr, zwei Jahre oder fünf Jahre kannten (siehe Abbildung 6.2). Bei allen kürzeren Zeiträumen lag bei Männern die Wahrscheinlichkeit eines sexuellen Kontakts höher als bei Frauen. Wenn sie eine potentielle Partnerin etwa eine Woche kennen, stehen die Männer möglichem Geschlechtsverkehr mit ihr im Durchschnitt positiv gegenüber. Bei Frauen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach einer Woche mit einem Partner Geschlechtsverkehr haben, sehr gering. Kennen die Männer eine mögliche Partnerin erst eine Stunde, lehnen die meisten sexuellen Kontakt eher ab, wobei die Ablehnung nicht sehr stark ist. Für die meisten Frauen dagegen ist Sex nach nur einer Stunde Bekanntschaft so gut wie unmöglich.
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
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Ebenso wie ihre Wünsche stellt auch die Neigung der Männer, möglichst wenig Zeit bis zum ersten sexuellen Kontakt verstreichen zu lassen, eine Teillösung des adaptiven Problems des sexuellen Zugangs zu einer Reihe von Partnerinnen dar. Die Tatsache, dass Männer eher bereit sind, nach nur kurzer Zeit einem sexuellen Kontakt zuzustimmen, wurde in mehreren Studien mit Testpersonen verschiedenen Alters und aus verschiedenen Regionen der USA ausführlich belegt (Schmitt, Shackelford & Buss, 2001). Wahrscheinlichkeit des Geschlechtsverkehrs
3
Männer Frauen
2
1
0
–1
–2
–3 5J
2J
1J
6 Mo
3 Mo
1 Mo
1 Wo
1 Tag
1 Abd
1 Std
Zeitspanne der Bekanntschaft Abbildung 6.2: Wahrscheinlichkeit der Zustimmung zu sexuellem Kontakt Die Teilnehmer bewerteten die Wahrscheinlichkeit einer Zustimmung zu sexuellem Kontakt, nachdem sie einen attraktiven Vertreter des anderen Geschlechts jeweils über die angegebene Zeitspanne kannten. Quelle: Buss, D. M. & Schmitt, D. P. (1993). Sexual strategies theory: An evolutionary perspective on human mating. Psychological Review, 100, 204-232. Copyright © 1993 by the American Psychological Association.
Die Evolutionspsychologinnen Michele Surbey und Colette Conohan erhielten ähnliche Ergebnisse, als sie die „Bereitschaft zu flüchtigen Sexualbeziehungen“ unter einer Reihe von Bedingungen untersuchten, darunter die physische Attraktivität des potentiellen Partners, seine Persönlichkeit und seine Charakterzüge (Surbey & Conohan, 2000). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass „Männer erwartungsgemäß unter allen angegebenen Bedingungen eine größere Bereitschaft zu flüchtigen Sexualbeziehungen zeigten als Frauen“ (S. 367). Dies lässt erneut darauf schließen, dass Männer ihre Ansprüche bei flüchtigem Sex reduzieren. Außerdem wurden in fünf Laborexperimenten Testpersonen, die „leichte sexuelle Zugänglichkeit“ signalisierten, von Männern als viel attraktiver beurteilt als von Frauen – dies galt jedoch nur für die Wahl eines kurzfristigen Partners (Schmitt, Couden & Baker, 2001). Geringere Ansprüche an einen kurzfristigen Partner. Eine weitere psychologische Mög-
lichkeit, sich eine Vielzahl flüchtiger Sexualpartner zu sichern, besteht für Männer darin, ihre Anforderungen an eine akzeptable Partnerin zu senken. Hohe Ansprüche, was Alter,
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
Intelligenz, Persönlichkeit und Familienstand betrifft, bewirken einen Ausschluss der meisten potentiellen Partnerinnen. Geringere Erwartungen bedeuten auch eine größere Auswahl. College-Studenten machten Angaben über das von ihnen akzeptierte Mindest- und Höchstalter eines Partners für eine kurzfristige oder dauerhafte sexuelle Beziehung (Buss & Schmitt, 1993). Dabei war für eine kurzfristige Beziehung die von den Männern akzeptierte Alersspanne um etwa vier Jahre größer als die der Frauen. Männer im Studentenalter sind bereit, sich mit einer Partnerin auf eine kurzfristige Beziehung einzulassen, die zwischen 16 und 28 Jahren alt ist, während Frauen Männer bevorzugen, die mindestens 18, aber auch nicht älter als 26 sein sollten. Geht es um eine dauerhafte Beziehung, setzen Männer jedoch engere Altersbeschränkungen an, denn in diesem Fall sollten die Frauen zwischen 17 und 25 Jahren alt sein. Auch in Bezug auf viele andere Eigenschaften setzen Männer geringere Maßstäbe an. In der Studie gaben Männer für 41 der 67 Charaktereigenschaften, die als potentiell wünschenswert bei einem vorübergehenden Partner gelten, deutlich geringere Anforderungen als Frauen an. Folgende Eigenschaften sind für Männer nicht so wichtig, wenn es um eine kurzfristige Beziehung geht: Charme, Sportlichkeit, Bildung, Großzügigkeit, Ehrlichkeit, Unabhängigkeit, Freundlichkeit, Intelligenz, Loyalität, Sinn für Humor, Geselligkeit, Reichtum, Verantwortungsgefühl, Spontaneität, Teamgeist und emotionale Stabilität. Männer senken also ihre Ansprüche, was den Zugang zu einer Vielzahl von Sexualpartnern deutlich erleichtert. Dass Männer ihre Ansprüche senken, bedeutet jedoch nicht, dass sie überhaupt keine mehr haben. Im Gegenteil offenbaren die Anforderungen, die Männer an eine kurzfristige sexuelle Affäre stellen, eine ausgefeilte Strategie, um sich Zugang zu verschiedenen Partnerinnen zu verschaffen. Anders als bei langfristigen Beziehungen lehnen Männer Frauen als flüchtige sexuelle Affären ab, die prüde und konservativ sind und wenig Verlangen nach Sexualität haben. Auch schätzen sie bei einer potentiellen kurzfristigen Partnerin – anders als bei einer langfristigen – Erfahrung auf dem Gebiet der Sexualität – das zeigt ihre Überzeugung, dass sexuell erfahrene Frauen auch leichter sexuell zugänglich sind als unerfahrene. Eine Frau, die bereits viele Sexualpartner hatte, einen starken Drang nach Sexualität und viel Erfahrung hat, signalisiert dem Mann, dass die Wahrscheinlichkeit, eine kurzfristige Beziehung mit ihr eingehen zu können, sehr hoch ist. Ist eine Frau prüde und hat keine Lust auf Sex, signalisiert sie, dass sie kaum sexuell zugänglich ist, was der kurzfristigen Sexualstrategie des Mannes nicht entgegenkommt. Das entscheidende Kriterium bei der Reduzierung der Ansprüche bei einer kurzfristigen Sexualpartnerin ist für Männer das Bedürfnis nach Bindung. Einerseits legen sie bei einer langfristigen Partnerin überaus großen Wert auf ihren Bindungswillen, bewerten ihn sogar mit +2,17, andererseits lehnen sie auf der Suche nach einer kurzfristigen Affäre Frauen, die sich eine starke Bindung wünschen regelrecht ab – hier liegt ihre Bewertung bei –1,40 (Buss & Schmitt, 1993). Diese Ergebnisse bestätigen, dass Männer ihre Wunschvorstellungen ändern, um ihre Investitionen in eine flüchtige Bekanntschaft zu minimieren.
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
Minimale Bindung nach dem Sex. Der Evolutionspsychologe Martie Haselton erbrachte vor kurzem den Beleg für eine mögliche Adaptation beim Mann, die den Erfolg einer kurzfristigen Partnerstrategie begünstigt: eine emotionale Verlagerung unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr (Haselton & Buss, 2001). Männer, die mehrere Sexualpartnerinnen hatten, empfanden diese unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr als sehr viel weniger sexuell attraktiv. Weder Frauen noch sexuell weniger erfahrene Männer machten ähnliche Erfahrungen. Wenn weitere Studien diesen Effekt der verringerten Attraktivität bestätigen, könnte dies die Hypothese stützen, dass Männer eine weitere psychologische Adaptation entwickelt haben, die den Erfolg einer kurzfristigen Sexualstrategie begünstigt. Diese Adaptation führt dazu, dass sie eine Beziehung nach dem Geschlechtsverkehr hastig abbrechen, um ihre Investition in eine beliebige Frau zu minimieren, oder dass sie auch innerhalb einer bestehenden langfristigen Beziehung einen Blick auf andere attraktive Frauen riskieren. Das Phänomen Sperrstunde. Ein verwandter psychologischer Hinweis auf die männli-
che Strategie der kurzfristigen Sexualbeziehungen lässt sich von Studien ableiten, die untersuchten, wie sich die Beurteilung der Attraktivität im Laufe eines Abends in einer Singlebar verändert (Gladue & Delaney, 1990; Nida & Koon, 1983; Pennebaker, Dyer, Caulkins, Litowixz, Ackerman & Anderson, 1979). In einer Studie befragte man 137 Männer und 80 Frauen in einer Bar um 21 Uhr, um 22:30 Uhr und um Mitternacht und bat sie, jeweils die Attraktivität der Vertreter des anderen Geschlechts auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten (Gladue & Delaney, 1990). Je näher die „Sperrstunde“ rückte, um so attraktiver empfanden die Männer die anwesenden Frauen. Lag die durchschnittliche Bewertung um 21 Uhr noch bei 5,5, stieg sie bis Mitternacht auf 6,5. Zwar empfanden auch die Frauen die anwesenden Männer mit der Zeit immer als attraktiver, insgesamt bewerteten die Frauen die männlichen Barbesucher aber als weniger attraktiv als umgekehrt die Männer die Frauen. Frauen bewerteten die männlichen Barbesucher um 21 Uhr knapp unterhalb des Durchschnittswerts von 5,0, zur „Sperrstunde“ um Mitternacht lag der Wert immerhin bei 5,5 (siehe Abbildung 6.3). Die Verlagerung des Attraktivitätsempfindens zur Sperrstunde bei Männern hängt nicht davon ab, wie viel Alkohol sie getrunken haben. Bei der Bewertung spielte es keine Rolle, ob ein Mann ein alkoholisches Getränk oder sechs zu sich genommen hatte. Das oft zitierte Phänomen der „Bierseligkeit“, das besagt, dass Männer Frauen als immer attraktiver empfinden, je betrunkener sie werden, könnte sich vielmehr auf einen psychologischen Mechanismus beziehen, der auf im Laufe des Abends schwindende Gelegenheiten zu flüchtigem Sexualverkehr reagiert. Hat ein Mann zu später Stunde immer noch nicht erfolgreich Kontakt zu einer Frau aufgenommen, empfindet er die übrigen Frauen in der Bar als immer attraktiver und aufgrund dieser veränderten Betrachtungsweise wird er wahrscheinlich verstärkt versuchen, mit einer dieser Frauen Sex zu haben. Das Phänomen Sperrstunde scheint eine psychologische Lösung für das Problem zu sein, sexuellen Zugang zu bekommen – eine kontextspezifische Minderung der Ansprüche als Reaktion auf eine allmählich sinkende Wahrscheinlichkeit sexueller Zugänglichkeit.
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
Weibliche Barbesucher Männliche Barbesucher
7
Attraktivität
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6
5
4 21:00 Uhr
22:30 Uhr
Mitternacht
Zeitspannen Abbildung 6.3: Das Phänomen „Sperrstunde“ Rückt die Sperrstunde näher, empfinden beide Geschlechter, jedoch besonders Männer, die Vertreter des anderen Geschlechts als attraktiver. Dieser Effekt stellt sich unabhängig von der Anzahl der konsumierten alkoholischen Getränke ein. Weibliche Barbesucher wurden von Männern, männliche Bargäste dagegen von Frauen bewertet. Quelle: Gladue, B. A. & Delaney, J. J. (1990). Gender differences in perception of attractiveness of men and women in bars, Personality and Social Psychology Bulletin, 16, 378-391. Copyright © 1990 by Sage Publications, Inc.
Unterschiede bei sexuellen Fantasien. Sexuelle Fantasien sind ein weiterer psychologischer Hinweis darauf, dass die Evolutionsgeschichte von der männlichen Neigung zu kurzfristigen sexuellen Kontakten geprägt war. Fantasien sind natürlich keine tatsächlichen Handlungen, sie sagen aber etwas über die Wünsche aus, die das Verhalten von Männern und Frauen motivieren. Studien dokumentieren große Unterschiede zwischen den sexuellen Fantasien von Männern und Frauen. Forschungen in Japan, Großbritannien und den USA ergaben, dass Männer etwa doppelt so viele sexuelle Fantasien haben wie Frauen (Ellis & Symons, 1990; Wilson, 1987). Auch haben Männer häufiger sexuelle Träume als Frauen. Sexuelle Fantasien von Männern drehen sich häufiger um fremde Personen, mehrere oder anonyme Sexualpartner. Die meisten Männer geben beispielsweise an, dass sie während eines sexuellen Fantasie-Erlebnisses manchmal die Sexualpartner wechseln, während Frauen meist angeben, den Partner nur selten zu wechseln. 43% der Frauen, jedoch nur 12% der Männer geben an, den Sexualpartner während einer sexuellen Fantasie nie zu wechseln; 32% der Männer, aber nur 8% der Frauen sagen, dass sie sich im Laufe ihres Lebens sexuelle Kontakte bereits mit mehr als 1.000 verschiedenen Partnern vorgestellt hatten. Eine beispielhafte sexuelle Fantasie eines Mannes könnte darin bestehen, der „Bürgermeister einer Kleinstadt voller nackter Mädchen zwischen 20 und 24 Jahren zu sein. Ich gehe gerne spazieren und suche mir die hübscheste aus, die dann mit mir schläft. Alle Frauen schlafen mit mir, wenn ich will.“ (Barclay, 1973, S. 209). Anzahl und Abwechslung spielen in den Fantasien der Männer eine große Rolle.
Männer konzentrieren sich auf Körperteile und sexuelle Stellungen ohne jeden emotionalen Kontext. Männliche Sexualfantasien sind sehr visuell und hauptsächlich auf weiche Haut und sich bewegende Körperteile ausgerichtet. Während einer sexuellen Fantasie konzentrieren sich 81% der Männer, aber nur 43% der Frauen auf visuelle Bilder anstelle
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
von Gefühlen. Attraktive Frauen, die viel nackte Haut zeigen und so leichte Zugänglichkeit und keine erforderliche Bindung signalisieren, spielen in männlichen Fantasien oft die Hauptrolle. Wie die Evolutionspsychologen Bruce Ellis und Donald Symons beobachteten, ist „das auffallendste Merkmal [männlicher Fantasien], dass der Sex reine Lust und körperliche Befriedigung ist ohne belastende Beziehungen, emotionale Arbeit, komplizierte Handlungsstränge, Flirts, Werbung oder ausgedehntes Vorspiel“ (Ellis & Symons, 1990, S. 544). Diese Fantasien zeigen, dass Männer psychologisch darauf programmiert sind, sich Zugang zu einer Vielzahl von Frauen zu verschaffen. Die Sexualfantasien der Frauen handeln dagegen oft von ihnen vertrauten Partnern. 59% der amerikanischen Frauen, aber nur 28% der Männer geben an, dass ihre sexuellen Fantasien sich normalerweise um eine Person drehen, mit der sie bereits eine romantische oder sexuelle Beziehung führen. Emotionen und Persönlichkeit sind für Frauen ausschlaggebend. 41% der Frauen, doch nur 16% der Männer sagen, sie konzentrierten sich am meisten auf die persönlichen und emotionalen Eigenschaften des Fantasiepartners und 57% der Frauen, doch nur 19% der Männer geben an, dass sie sich auf Gefühle und nicht auf visuelle Bilder konzentrieren. Eine Frau gab an: „Meistens denke ich an meinen Freund. Manchmal merke ich, dass meine Gefühle mich überwältigen, über mir zusammenschlagen und mich mitreißen.“ (Barclay, 1973, S. 211). Frauen legen in ihren Sexualfantasien Wert auf Zärtlichkeit, Romantik und eine persönliche Beziehung. Sie achten eher darauf, wie ihr Partner auf sie reagiert als auf visuelle Bilder ihres Partners (Ellis & Symons, 1990).
Verhaltensbezogene Belege für kurzfristige Beziehungen Physiologische und psychologische Belege gleichermaßen weisen verstärkt auf eine lange Evolutionsgeschichte hin, in der Männer kurzfristige sexuelle Beziehungen zu einer Vielzahl von Frauen suchten. In diesem Abschnitt vervollständigen wir das Bild, indem wir verhaltensbezogene Belege dafür aufzeigen, dass Männer aller Kulturen tatsächlich häufiger kurzfristige Beziehungen suchen als Frauen. Außereheliche Affären. In den meisten Kulturen lassen sich Männer häufiger auf außerehelichen Geschlechtsverkehr ein als ihre Ehefrauen. So schätzte die Kinsey-Studie, dass 50% der Männer, aber nur 26% der Frauen außereheliche Affären hatten (Kinsey et al., 1948, 1953). Andere Studien zeigen, dass sich die Kluft allmählich schließt. Eine Studie, die 8.000 verheiratete Männer und Frauen untersuchte, ergab, dass 40% der Männer und 36% der Frauen mindestens eine außereheliche Affäre gehabt hatten (Athanasiou, Shaver & Tavris, 1970). Der Hite-Bericht über die Sexualität erbrachte Werte von sogar 75% bei Männern und 70% bei Frauen, obwohl diese Angaben als nicht repräsentativ gelten (Hite, 1987). Repräsentativere Stichproben wie etwa Hunts Befragung von 982 Männern und 1.044 Frauen ergab Werte von 41% bei den Männern und 18% bei den Frauen (Hunt, 1974). Trotz dieser unterschiedlichen Schätzungen und einer möglichen Annäherung beider Geschlechter zeigten jedoch alle Studien, dass es bei Auftreten und Häufigkeit außerehelicher Affären Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, wobei mehr Männer häufiger Affären mit einer größeren Anzahl an Partnerinnen haben als Frauen.
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
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Der Anthropologe Thomas Gregor beschrieb die sexuellen Gefühle des Mehinaku-Stammes im Amazonas so: „Die sexuelle Attraktivität der Frau reicht von ,neutral’ (mana) bis zu ,köstlich’ (awirintya) …“ (1985, S. 84). Außerdem stellt Gregor fest, dass „leider Sex mit dem Ehepartner als mana gilt, während Sex mit einem/einer Geliebten fast immer awirintya ist“ (Gregor, 1985, S. 72). Kinsey brachte es am treffendsten auf den Punkt: „Es scheint außer Frage zu stehen, dass der Mann im Laufe seines Lebens häufig seine Sexualpartnerinnen wechseln würde, wenn es keine gesellschaftlichen Schranken gäbe. … Die Frau interessiert sich weit weniger für eine Vielzahl an Partnern.“ (Kinsey, Pomeroy & Martin, 1948, S. 589). Prostitution. Der relativ wahllose Austausch sexueller Dienste gegen wirtschaftlichen Gewinn zeigt ebenso das größere Verlangen der Männer nach flüchtigem Sex (Symons, 1979). Prostitution gibt es in allen erforschten Kulturen, von den Azande in Afrika bis zu den Zuni in Nordamerika (Burley & Symanski, 1981). In den USA gibt es Schätzungen zufolge zwischen 100.000 und 500.000 aktive Prostituierte. Tokio hat über 130.000, Polen etwa 230.000 und Addis Abeba in Äthiopien 80.000 Prostituierte. In Deutschland gibt es 50.000 offiziell registrierte und dreimal so viele illegal arbeitende Prostituierte. In allen Kulturen sind fast nur Männer ihre Kunden. Kinsey fand heraus, dass 69% der amerikanischen Männer bereits einmal eine Prostituierte aufgesucht hatten, für 15% war ein solcher Besuch ein regelmäßiges Vergnügen. Bei den Frauen waren die entsprechenden Werte so gering, dass sie noch nicht einmal berichtet wurden (Kinsey, et al., 1948, 1953).
Die weite Verbreitung der Prostitution bedeutet nicht, dass sie eine Adaptation ist, also ein Ziel evolutionärer Selektion war. Man kann sie vielmehr als Konsequenz zweier gleichzeitig operierender Faktoren sehen: das Verlangen der Männer nach flüchtigem Sex und die freiwillige oder unfreiwillige Entscheidung der Frauen, sexuelle Dienste aus wirtschaftlicher Not heraus gegen materielle Gegenleistung anzubieten. Physiologische, psychologische und verhaltensbezogene Belege weisen allesamt auf eine lange evolutionäre Geschichte hin, die durch kurzfristige Beziehungen als Teil des menschlichen strategischen Repertoires geprägt war und ist (siehe Tabelle 6.1). Verhaltensbezogene Hinweise Außereheliche Affären in allen bekannten Kulturen Prostitution Physiologische Hinweise
Spermien-Volumen Variationen der Spermien-Insemination
Psychologische Hinweise
Sexuelle Eifersucht bei Männern Wunsch nach sexueller Vielfalt Phänomen „Sperrstunde“
Tabelle 6.1:
Hinweise auf nicht monogames Verhalten unserer Vorfahren
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
6.3
Kurzfristige Partnerwahl der Frau
Wenden wir uns nun den Frauen zu. Zunächst wollen wir Quellen dafür betrachten, dass sich auch Frauen auf kurzfristige Partnerschaften einlassen und dies wahrscheinlich schon im Laufe der gesamten menschlichen Evolutionsgeschichte tun. Weiter werden wir Hypothesen über mögliche adaptive Vorteile unserer weiblichen Vorfahren aufgrund kurzfristiger Beziehungen untersuchen. Dann werden wir uns den Kosten für die Wahl kurzfristiger Partner durch die Frau zuwenden. Schließlich gehen wir noch auf die empirischen Hinweise für die verschiedenen Hypothesen ein, die als Erklärungen für die kurzfristige Partnerwahl bei Frauen herangezogen wurden.
Belege für die kurzfristige Partnerwahl der Frau Wie wir gesehen haben, haben Evolutionstheorien über menschliches Paarungsverhalten stets die erheblichen reproduktiven Vorteile hervorgehoben, die kurzfristige Beziehungen für Männer haben (z.B. Kenrick, et al., 1990; Symons, 1979; Trivers, 1972). Denn im Laufe der Evolutionsgeschichte waren diese Vorteile kurzfristiger Beziehungen für Männer offensichtlich groß und direkt in Form zusätzlicher Kinder gegeben. Vielleicht lag es an der Eleganz der Theorie elterlicher Investitionen und den vielen empirischen Belegen dafür, dass Forscher einen entscheidenden Aspekt der kurzfristigen Partnerwahl übersahen: Rein mathematisch gesehen muss die Anzahl kurzfristiger Affären für Männer und Frauen im Durchschnitt die gleiche sein. Jedes Mal, wenn ein Mann sexuellen Kontakt mit einer Frau hat, die er nie zuvor gesehen hat, so gilt für die Frau das Gleiche. Hätten sich unsere weiblichen Vorfahren niemals auf kurze sexuelle Beziehungen eingelassen, könnte sich bei den Männern kein so starker Wunsch nach sexueller Abwechslung entwickelt haben (Smith, 1984). Wenn die Frauen mit diesen Beziehungen einverstanden waren und nicht dazu gezwungen wurden, so setzte die Existenz dieses Wunsches voraus, dass es manchmal einige Frauen gegeben haben muss, die dazu bereit waren. Wenn sich auch unsere weiblichen Vorfahren freiwillig und wiederholt für kurze sexuelle Beziehungen entschieden, spräche es gegen jede evolutionäre Logik, wenn nicht auch die Frauen dadurch Vorteile erlangt hätten. Es gibt tatsächlich Hinweise, angefangen bei der Physiologie des weiblichen Orgasmus, dass sich auch unsere weiblichen Vorfahren für kurzfristige Beziehungen entschieden hatten. Der weibliche Orgasmus. Die Physiologie des weiblichen Orgasmus liefert einen Hinweis auf die Evolutionsgeschichte kurzfristiger Affären. Ursprünglich glaubte man, dass ein Orgasmus eine Frau schläfrig machen und dafür sorgen würde, dass sie zurückgelehnt bliebe, um so die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass Sperma wieder ausfließen könnte, um so die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft zu erhöhen. Bestünde aber die Funktion des Orgasmus darin, die zurückgelehnte Stellung der Frau zu halten, um den Ausfluss zu verzögern, so würde dadurch mehr Sperma zurückbehalten. Dies ist aber nicht der Fall. Es gibt im Gegenteil keinerlei Verbindung zwischen dem Zeitpunkt des Rückflusses und der Anzahl der zurückbehaltenen Spermien (Baker & Bellis, 1995).
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
Betrachtet man alle Geschlechtsakte im Durchschnitt, so geben Frauen in den ersten 30 Minuten nach der Insemination etwa 35% der Spermien wieder ab. Hat die Frau jedoch einen Orgasmus, so hält sie 70% des Spermas zurück und gibt nur 30% wieder ab. Dieser fünfprozentige Unterschied ist zwar nicht groß, würde er sich aber bei allen Frauen über Generationen hinweg ständig wiederholen, könnte daraus im Laufe der Evolution ein gewaltiger Selektionsdruck entstehen. Bleibt ein Orgasmus aus, so wird mehr Sperma ausgestoßen. Diese Daten stimmen mit der Theorie überein, dass der Orgasmus einer Frau die Funktion hat, das Sperma aus der Vagina in den Gebärmutterhals und schließlich in die Gebärmutter zu befördern, um so eine mögliche Empfängnis zu begünstigen. Wie viele Spermien eine Frau zurückhält, ist auch abhängig davon, ob sie eine Affäre hat. Frauen wählen den Zeitpunkt ihrer außerehelichen Affären so, dass sie für den Reproduktionserfolg ihrer Ehemänner nachteilig sind. In einer nationalen Studie über Sex, in der 3.679 britische Frauen befragt wurden, machten alle genaue Aufzeichnungen über ihren Menstruationszyklus, über den Zeitpunkt sexueller Beziehungen zu ihren Ehemännern und, falls vorhanden, zu ihren Geliebten. Es ergab sich, dass Frauen, die außereheliche Beziehungen führten, höchst wahrscheinlich unbewusst die sexuellen Kontakte zu ihren Geliebten so planten, dass sie mit der Phase ihres Menstruationszyklus zusammenfielen, in der der Eisprung und damit die Empfängnis am wahrscheinlichsten waren (Baker & Bellis, 1995). Außerdem haben Frauen mit Affären bei ihren Liebhabern häufiger Orgasmen als bei ihren regulären Partnern (siehe Buss, 2003). Verhaltensbezogene Belege für außereheliche Affären. Auch Belege in Bezug auf das
Verhalten ergeben, dass Frauen in fast allen Kulturen manchmal außereheliche Beziehungen eingehen. Ausnahmen bilden hier nur extrem restriktive Gemeinschaften. In den Vereinigten Staaten ergaben Studien, dass 20-50% aller verheirateten Frauen außereheliche Affären haben (Athanasiou et al., 1970; Buss, 1994; Glass & Wright, 1992; Hunt, 1974; Kinsey et al., 1948, 1953). Auch in Dutzenden von Stammesgemeinschaften sind trotz des Siegels der Verschwiegenheit, das sie umgibt, Affären bekannt, darunter bei den Ache in Paraguay (Hill & Hurtado, 1996), den Yanomamö in Venezuela (Chagnon, 1983), den Tiwi in Australien (Hart & Pilling, 1960), den !Kung in Botswana (Shostak, 1981) und den Mehinaku im Amazonas-Gebiet (Gregor, 1985). Beobachtungen aus modernen Kulturen und Stämmen zeigen also, dass Frauen nicht zwangsläufig und zu jeder Zeit eine monogame langfristige Partnerstrategie verfolgen. Zusammenfassend muss gesagt werden, dass es eine Reihe von Hinweisen auf eine evolutionäre Vorgeschichte gibt, in der einige Frauen manchmal von ihrer monogamen Strategie abwichen.
Hypothesen über die adaptiven Vorteile kurzfristiger Beziehungen für die Frau Damit sich bei Frauen eine Bereitschaft für kurzfristige sexuelle Affären entwickeln konnte, musste ihnen diese unter bestimmten Umständen Vorteile verschafft haben. Worin könnten diese Vorteile gelegen haben? Bisher sind fünf mögliche Vorteile bekannt:
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
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Ressourcen, Gene, Partnertausch, Erlangung partnerschaftlicher Fähigkeiten und Partnermanipulation (Greiling & Buss, 2000) (Tabelle 6.2). Untersuchen wir diese hypothetischen Vorteile und die empirischen Belege dafür. Die Ressourcen-Hypothese. Ein Vorteil kurzfristiger Beziehungen ist die Anhäufung von
Ressourcen (Symons, 1979). Frauen konnten sich im Austausch gegen Fleisch, andere Güter und Dienstleistungen auf eine kurzfristige Beziehung einlassen. Außerdem hatte eine Frau zur Zeit unserer Vorfahren die Möglichkeit, durch viele kurzfristige Beziehungen zu verschleiern, wer der tatsächliche Vater ihrer Kinder war und konnte so Ressourcen von zwei oder mehr Männern für sich beanspruchen (Hrdy, 1981). Gemäß dieser Theorie einer Verschleierung der Vaterschaft könnte jeder Mann bereit gewesen sein, ein Stück weit in die Kinder einer Frau zu investieren, wenn die Möglichkeit bestand, dass diese Kinder seine eigenen waren. Eine weitere mögliche Ressource ist Schutz (Smith, 1984; Smuts, 1985). Typischerweise beschützen Männer ihre Partnerinnen und Kinder und verteidigen sie gegen Feinde und aggressive Männer. Da ein einziger Partner nicht immer zum Schutz und zur Verteidigung zur Verfügung stehen kann, könnte die Frau zusätzlichen Schutz erlangen, indem sie sich mit einem zweiten Partner zusammentut. Schließlich stellte Smith (1984) noch die Hypothese einer Statussteigerung durch kurzfristige Beziehungen auf. Eine Frau könnte die Möglichkeit haben, ihre gesellschaftliche Stellung zu verbessern oder in höhere soziale Kreise aufzusteigen, indem sie sich auf eine kurze Verbindung mit einem höher gestellten Mann einlässt. Frauen können durch eine kurzfristige Partnerstrategie offensichtlich eine Reihe materieller wie immaterieller Ressourcen erlangen. Hypothese
Autor
Ressourcen Investition durch Verschleierung der Vaterschaft Unmittelbare wirtschaftliche Ressourcen Schutz durch „spezielle Freundschaften“ Statussteigerung
Hrdy (1981) Symons (1979) Smuts (1985) Smith (1984)
Genetik Bessere oder „sexy son“-Gene Verschiedene Gene
Fisher (1958) Smith (1984)
Partnertausch Partnervertreibung Partnerersatz Partnerversicherung [Backup]
Greiling & Buss (2000) Symons (1979) Smith (1984)
Tabelle 6.2: Hypothetische Vorteile für Frauen: Kurzfristige Partnerstrategie
Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
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Erwerb partnerschaftlicher Fähigkeiten Verbesserung der attraktiven Fähigkeiten Klärung von Partnerpräferenzen
Miller (1991) Greiling & Buss (2000)
Partnermanipulation Steigerung des Bindungswillens des langfristigen Partners Rache als Abschreckung
Greiling (1993) Symons (1979)
Tabelle 6.2:
Hypothetische Vorteile für Frauen: Kurzfristige Partnerstrategie (Forts.)
Die Hypothese des genetischen Vorteils. Auch genetisch können sich mehrere Vorteile
ergeben. Der erste Vorteil ist offensichtlich – gesteigerte Fruchtbarkeit. Ist der reguläre Partner einer Frau unfruchtbar oder impotent, so kann ein kurzfristiger fruchtbarer Partner ihr zur Empfängnis verhelfen. Zweitens kann ein temporärer Partner im Vergleich zum regulären Partner bessere Gene anzubieten haben, besonders wenn die Frau eine Affäre mit einem gesellschaftlich höher gestellten Mann hat. Mit diesen Genen könnten ihre Kinder bessere Chancen haben, zu überleben und sich fortzupflanzen. Eine bekannte Version dieser Theorie ist die „sexy son hypothesis“, die Hypothese des sexy Sohnes (Fisher, 1958). Geht eine Frau mit einem besonders attraktiven Mann eine Beziehung ein, so stehen die Chancen gut, dass sie einen attraktiven Sohn zur Welt bringt, der auf Frauen der nächsten Generation besonders anziehend wirkt. Ihr Sohn hat also verstärkten sexuellen Zugang, zeugt mehr Kinder und schenkt seiner Mutter so mehr Enkelkinder. Drittens könnte ein kurzfristiger Partner einer Frau andere Gene liefern als ihr regelmäßiger Partner und so die genetische Vielfalt ihrer Kinder erhöhen – dies wiederum könnte einen Schutz gegen eine sich verändernde Umwelt bieten (Smith, 1984). Von allen hypothetischen Vorteilen kurzfristiger Beziehungen für Frauen sind die genetischen Hypothesen am schwierigsten zu testen. Die Partnertausch-Hypothese. Weitere Vorteile bringt ein Partnertausch. Manchmal hört ein Mann plötzlich auf, seine Familie mit Ressourcen zu versorgen, beginnt Frau und Kinder zu missbrauchen oder verliert auf andere Weise an Wert für seine Partnerin (Betzig, 1989; Fisher, 1992; Smith, 1984). Unsere weiblichen Vorfahren könnten durch kurzfristige Beziehungen nach einer Lösung für dieses adaptive Problem gesucht haben.
Diese Hypothese weist verschiedene Varianten auf. Nach der Partnervertreibungs-Hypothese würde eine kurzfristige Affäre der Frau helfen, ihren langfristigen Partner loszuwerden. Da sich in vielen Kulturen die Männer von ihren Frauen scheiden lassen, wenn diese eine Affäre haben (Betzig, 1989), wäre dies ein wirkungsvolles Mittel für die Frau, um ein Ende der Partnerschaft herbeizuführen. Eine weitere Variante dieser Hypothese geht davon aus, dass eine Frau einfach einen Mann finden könnte, der viel besser ist als ihr Ehemann, und deshalb eine kurzfristige
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
Affäre anstrebt, um einen Partnertausch einzuleiten. Helen Fisher schreibt dazu: „Durch seltenen Kontakt zum anderen Geschlecht könnte eine Frau wenig Gelegenheit gehabt haben, bei ihrer ersten Partnerwahl einen guten Partner zu bekommen, [so dass sie in der Lage ist], … sich beim zweiten Versuch ,zu verbessern’. …. Der reproduktive Wert [ihres] ersten Partners könnte sich aufgrund einer Verletzung drastisch verringern; also hätte ihr zweiter Partner … einen höheren reproduktiven Wert als ihr erster.“ (Fisher, 1992, S. 337). Die Hypothese über die Erlangung partnerschaftlicher Fähigkeiten. Weitere Vorteile
könnten sich für eine Frau dadurch ergeben, dass sie für Partnerschaften relevante Fähigkeiten erlangt (Greiling & Buss, 2000). Indem sie kurzfristige Beziehungen wählt, könnte eine Frau ihre Fähigkeiten in Bezug auf Attraktivität und Verführung verbessern. Sie könnte auch genauer klären, welche Eigenschaften sie sich bei einem langfristigen Partner wünscht. Die Hypothese der Partnermanipulation. Auch durch die Manipulation ihres Partners
ergeben sich für eine Frau Vorteile. Indem sie sich auf eine Affäre einlässt, könnte die Frau an ihrem Ehemann Rache für seine Untreue nehmen und ihn so von eventuellen zukünftigen Affären abhalten (Symons, 1979). Alternativ könnte eine Frau den Bindungswillen ihres regulären Partners steigern, wenn sie ihm überzeugende Hinweise darauf liefert, dass andere Männer ernsthaft an ihr interessiert sind (Greiling & Buss, 2000).
Kosten der kurzfristigen Partnerwahl für die Frau Für Frauen ist die kurzfristige Partnerstrategie manchmal mit höheren Kosten verbunden als für Männer. Sie riskieren eine Schmälerung ihres Werts als langfristige Partnerin, wenn sie in den Ruf geraten, sexuell freizügig und promiskuitiv zu sein, denn Treue ist einem Mann bei seiner potentiellen Ehefrau besonders wichtig. Da Männer vor Frauen als langfristigen Partnerinnen zurückschrecken, die bereits häufig den Partner gewechselt haben, können flüchtige Beziehungen den Ruf einer Frau schnell schädigen. Selbst in Kulturen, in denen Partnerwechsel teilweise akzeptiert wird, wie etwa in Schweden und bei den Ache-Indianern, haben Frauen, die als zu freizügig gelten, schnell einen schlechten Ruf. Eine Frau, die auf den Schutz eines langfristigen Partners verzichtet und stattdessen eine ausschließlich kurzfristige sexuelle Strategie verfolgt, trägt ein größeres Risiko, Opfer von physischer oder sexueller Gewalt zu werden. Es können jedoch auch Ehefrauen unter der Gewalt ihrer Ehemänner leiden oder sogar von ihnen vergewaltigt werden. Eine alarmierende Statistik zeigt, dass 15% aller Frauen, die kurzfristige Beziehungen haben, von ihren Partnern vergewaltigt werden. Dies bestätigt die These, dass Frauen ohne feste Beziehung ein erheblich größeres Risiko eingehen (Muehlenhard & Linton, 1987). Die Tatsache, dass die Teilnehmerinnen an der Studie über lang- und kurzfristige Partner vor Liebhabern zurückschrecken, die physische und mentale Gewalt anwenden, legt nahe, dass sich Frauen dieses erhöhten Risikos, missbraucht zu werden durchaus bewusst sind (Buss & Schmitt, 1993). Werden Partnerpräferenzen umsichtig eingesetzt, um potentiell gefährliche Männer zu meiden, kann dieses Risiko minimiert werden.
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Teil 3 Herausforderungen von Sexualität und Partnerwahl
Ist eine Frau unverheiratet und geht kurzfristige Beziehungen ein, so riskiert sie eine Schwangerschaft ohne die Vorteile eines investierenden Mannes. Zur Zeit unserer Vorfahren wären Kinder aus solchen Beziehungen sehr viel häufiger den Gefahren von Krankheit, Verletzung und Tod ausgesetzt gewesen. Einige Frauen begehen ohne einen investierenden Mann an ihrer Seite sogar einen Kindsmord. So wurden in Kanada nur 12% aller zwischen 1977 und 1983 geborenen Kinder von allein stehenden Frauen zur Welt gebracht, diese begingen aber über 50% der 64 angezeigten, durch die Mutter verübten Kindsmorde (Daly & Wilson, 1988). Der Trend höherer Kindsmordraten bei allein stehenden Frauen zeigt sich in vielen Kulturen, so auch bei den Baganda in Afrika. Doch selbst ein Kindsmord kann den erheblichen Aufwand einer neunmonatigen Schwangerschaft, einer Rufschädigung und vieler verlorener Partnerwahlmöglichkeiten nicht ungeschehen machen. Eine untreue Ehefrau riskiert außerdem, dass ihr Mann seine Ressourcen entzieht. Aus reproduktiver Sicht könnte sie in einer außerehelichen Beziehung nur kostbare Zeit verschwenden. Außerdem riskiert sie eine mögliche höhere Geschwister-Rivalität unter ihren Kindern, die keine enge Bindung zueinander hätten, da sie von verschiedenen Vätern gezeugt wurden. Schließlich laufen die Frauen auch Gefahr, sich bei kurzfristigen Partnern mit sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken – ein Risiko, dem Frauen bei jedem Geschlechtsakt stärker ausgesetzt sind als Männer (Symons, 1993). Eine kurzfristige Partnerstrategie birgt also für beide Geschlechter Risiken. Da sie jedoch auch erhebliche Vorteile bringen kann, könnten Männer und Frauen psychologische Mechanismen entwickelt haben, um Situationen und Bedingungen zu ermöglichen, unter denen die Kosten minimiert und die Vorteile maximiert werden.
Empirische Untersuchungen über die hypothetischen Vorteile für die Frau Obwohl eine Frau zahlreiche hypothetische Vorteile von kurzfristigen Beziehungen hat, sind diese Hypothesen relativ selten empirisch geprüft worden. Einige Forscher haben herausgefunden, dass Frauen, die eine kurzfristige sexuelle Strategie verfolgen, gesteigerten Wert auf die physische Attraktivität der Männer legen; ein Ergebnis, das sich mit den Hypothesen der guten Gene und des „sexy Sohnes“ deckt (Buss & Schmitt, 1993; Gangestad & Simpson, 1990; Kenrick et al., 1990). In einem kurzfristigen Partnerwahlkontext ist für Frauen außerdem ein unmittelbarer Zugang zu Ressourcen besonders wichtig (Buss & Schmitt, 1993). Frauen geben an, dass sie sich einen kurzfristigen Partner wünschen, der ein extravagantes Leben führt, von Anfang an viel Geld für sie ausgibt und ihnen Geschenke macht. Diese Ergebnisse bestätigen die Hypothese über die Anhäufung von Ressourcen. Andere Studien haben überdies ergeben, dass Frauen, die sich auf Affären einlassen, mit ihren gegenwärtigen Partnern aus emotionaler und sexueller Sicht weitaus unglücklicher sind als Frauen ohne Affären (Glass & Wright, 1985; Kinsey et al., 1953). Dies könnte als Beleg für die Partnertausch-Hypothese gewertet werden.
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
Glass und Wright (1992) untersuchten 17 potentielle „Rechtfertigungen“ für außereheliche Affären, von „nur zum Spaß“ bis „um meine Karriere voranzubringen“. Frauen sahen Liebe (z.B. sich in den anderen Mann zu verlieben) und emotionale Intimität (z.B. jemanden zu haben, der die eigenen Gefühle und Probleme versteht) als überzeugendste Rechtfertigungen einer Affäre an. Zudem waren 77% der Frauen, jedoch nur 43% der Männer, der Meinung, Liebe sei eine überzeugende Rechtfertigung. Auch diese Ergebnisse können als Unterstützung für die Partnertausch-Hypothese angesehen werden. Eine Studie (Greiling & Buss, 2000) befasste sich damit, welche Vorteile eine Frau von einer Affäre erwartete, wie vorteilhaft sich diese wirklich auswirken würden, und mit den Situationen, in denen sich Frauen nach eigener Aussage auf eine Affäre einlassen würden. Die Forscher befragten Frauen, die aktiv eine kurzfristige Partnerstrategie verfolgten, nach den daraus entstehenden Vorteilen. Der folgende Abschnitt fasst die Ergebnisse zusammen, jedoch müssen einige wesentliche Einschränkungen berücksichtigt werden. Die Einschätzungen der Frauen in Bezug auf die Vorteile kurzfristiger Beziehungen machen diese nicht zwangsläufig zu einem Teil des Selektionsdrucks, der zur Evolution der kurzfristigen Partnerpsychologie der Frau geführt hat. Die tatsächlichen adaptiven Vorteile, die diese Evolution begünstigt haben, sind den Frauen vielleicht gar nicht bewusst und tauchen deshalb in dieser Studie eventuell gar nicht auf. Außerdem können die Vorteile, die eine Frau heute in ihrem modernen Kontext aufgrund einer kurzfristigen Beziehung erlangt, ganz andere sein als die unserer weiblichen Vorfahren. Diese Einschränkungen müssen wir bedenken, wenn wir uns den Studienergebnissen zuwenden. Bestätigte Hypothesen: Partnertausch, Partnervertreibung und Ressourcen. Zwei Hypothesen konnten in allen Studien bestätigt werden: die Hypothese über Partnervertreibung und die über Partnertausch. Studie 1 (Greiling & Buss, 2000) untersuchte, wie groß Frauen aus eigener Sicht die Wahrscheinlichkeit einschätzten, 28 spezifische Vorteile durch eine außereheliche Beziehung zu erlangen. Frauen gaben an, dass eine Affäre es einer Frau leichter machte, sich von ihrem gegenwärtigen Partner zu trennen (dieser Vorteil nahm bei der Wahrscheinlichkeitsbeurteilung den sechsten Rang ein), und außerdem ihre Chancen erhöhte, einen Partner zu finden, den sie für geeigneter hielten als ihren gegenwärtigen (dieser Vorteil nahm den vierten Platz ein). Der als am wahrscheinlichsten eingestufte Vorteil – sexuelle Befriedigung – spielte bei keiner der Hypothesen im Verlauf der Studie eine zentrale Rolle.
Eine weitere Studie untersuchte, in welchem Kontext sich eine Frau auf eine Affäre einlassen würde. Greiling und Buss (2000) fanden heraus, dass Frauen dann am ehesten eine außereheliche Beziehung beginnen, wenn sie entdecken, dass auch ihr Partner eine Affäre hat, wenn ihr Partner nicht bereit ist, mit ihnen Geschlechtsverkehr zu haben und wenn ihr Partner sie missbraucht – all diese Umstände könnten eine Trennung bewirken. Weitere Anlässe für eine Affäre waren laut der Studie das Gefühl, einen Partner finden zu können, der besser zu ihnen passt, der viel Zeit mit ihnen verbringen wollte, der bessere finanzielle Aussichten hatte und erfolgreicher war als der bisherige Partner. Diese Ergebnisse beider Studien stützen die These, dass ein Partnertausch die Schlüsselfunktion einer kurzfristigen Affäre der Frau sein könnte.
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Auch zwei der Ressourcen-Hypothesen konnten durch die Ergebnisse von mindestens zwei Studien gestützt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen im Austausch gegen Sex Ressourcen erlangen könnten, z.B. Einladungen zum Abendessen, Geld, Schmuck oder Kleidung, wurde sehr hoch eingeschätzt (zehnter Platz von 28 möglichen). Diese Vorteile wurden allerdings im Vergleich zu anderen potentiellen Vorteilen aufgrund kurzfristiger Beziehungen als nur mäßig wichtig eingeschätzt. Zu den Umständen, die nach Einschätzung der Frauen zur Aufnahme einer außerehelichen Affäre führen, gehören unter anderem, dass der gegenwärtige Partner seinen Job nicht halten konnte und dass der andere Mann bessere finanzielle Aussichten hatte. Diese Umstände legen nahe, dass der Zugang zu Ressourcen, oder eben der fehlende Zugang, bei der Entscheidung der Frau für oder gegen eine außereheliche Affäre eine große Rolle spielen könnte, und sie zeigen, dass eine Frau langfristig eher an einem Partner mit Ressourcen interessiert ist als an einem Austausch von Sex gegen unmittelbar zugängliche Ressourcen. Viel versprechende Hypothesen: Gute Gene und „sexy Sohn-Gene“. Die Gesetze des
Partnerschaftsmarkts lassen es zu, dass sich eine Frau prinzipiell durch eine kurzfristige Affäre die Gene eines besseren Partners sichern kann als die ihres eigenen Partners. Ein begehrter Mann geht oft bereitwillig eine kurze Beziehung mit einer weniger begehrenswerten Frau ein, solange sie ihm keine langfristige Bindung aufzwingt. Die Hypothese der guten Gene wurde auf die Probe gestellt (Gangestad & Thornhill, 1997). Die Forscher bewerteten die genetische Qualität mithilfe des Indikators physischer Symmetrie, wobei sie einen Tastzirkel einsetzten. Erinnern wir uns aus Kapitel 4, dass symmetrische Gesichtszüge vererbbare Hinweise auf Gesundheit und Fitness sein sollen, die signalisieren, dass die vorhandenen Gene gegen Krankheiten und andere negative Umwelteinflüsse stärker resistent sind. Die Forscher ermittelten, dass bei Männern mit symmetrischen Gesichtszügen – im Vergleich zu ihren ungleichmäßiger aussehenden Geschlechtsgenossen – die Wahrscheinlichkeit größer war, dass sie sich auf eine Beziehung mit Frauen einließen, die bereits gebunden waren. Frauen suchen sich also Männer mit symmetrischen Gesichtszügen als Partner für ihre Affären aus, was als Beleg dafür gewertet werden kann, dass sie bei kurzfristigen Beziehungen nach guten Genen suchen. Außerdem legen Frauen bei einer kurzen Affäre großen Wert auf die physische Attraktivität und die „Anziehungskraft auf andere Frauen“ (Buss & Schmitt, 1993; Gangestad & Thornhill, 1997). Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass Frauen möglicherweise auf Gene aus sind, die den sexuellen Erfolg ihrer Kinder steigern können. Obwohl diese Studien noch nicht völlig ausgewertet sind, stützen sie doch alle die Hypothese der guten Gene als eine mögliche Erklärung dafür, warum sich Frauen auf kurzfristige, außereheliche Affären einlassen. Nicht oder kaum bestätigte Hypothesen: Statussteigerung und Steigerung des Bindungswillens des Partners. Eine Hypothese, die diese Studien nicht bestätigen konnten,
war die Hypothese der Statussteigerung. Studie 1 (angenommene Wahrscheinlichkeit zu erlangender Vorteile; Greiling & Buss, 2000) ergab, dass eine Frau durch eine kurze Affäre ihren Status eher nicht erhöhen und auch nicht in eine höhere gesellschaftliche Schicht aufsteigen würde. Studie 2 (angenommenes Ausmaß der Vorteile; Greiling & Buss, 2000) ergab, dass, selbst wenn sich eine Frau diese Vorteile sichern könnte, diese für sie nicht besonders ins Gewicht fallen würden. Diese Ergebnisse schließen jedoch die
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
Möglichkeit nicht aus, dass manche Frauen unter bestimmten Umständen nicht dennoch erhebliche soziale Vorteile aus einer kurzfristigen Affäre mit einem hoch gestellten Partner erlangen können. Sie besagen jedoch, dass diese Vorteile eher selten und deshalb nicht stark und ausgeprägt genug sind, um als evolutionsbedingte Funktion der kurzfristigen Partnerwahl zu gelten. Eine zweite Hypothese, die kaum bestätigt werden konnte, war die Argumentation, dass der Bindungswille eines langfristigen Partners durch eine außereheliche Affäre gesteigert werden könnte. Obwohl dieser Effekt, wenn er tatsächlich eintreten sollte, positiv bewertet wurde, schätzten ihn die Teilnehmer der Studie 1 als höchst unwahrscheinlich ein. Angesichts der Tatsache, dass sexuelle Untreue seitens der Frau in vielen Kulturen einer der Hauptgründe für eine Scheidung ist (Betzig, 1989), scheint es wahrscheinlicher, dass eine Affäre sich genau gegenteilig auswirken und den Bindungswillen des regulären Partners noch verringern könnte. Auch wenn im Einzelfall eine Affäre tatsächlich den allgemeinen Trend widerlegen und sich positiv auf die Bindungsbereitschaft des Partners auswirken sollte, so legen doch aktuelle Befunde nahe, dass dieser Effekt als evolutionsbedingter Antrieb für die Suche der Frau nach kurzfristigen Partnern nicht ausgereicht hat.
6.4
Kontexteffekte der kurzfristigen Partnerwahl
Individuelle Unterschiede bei kurzfristigen Affären Ein Gesichtspunkt für kurzfristige Affären ergibt sich, wenn man die subjektive Einschätzung der Kosten und des Nutzens durch die Frauen, die kurzfristige Beziehungen aktiv suchen, der Einschätzung durch die Frauen gegenüber stellt, die dies nicht tun. Greiling und Buss (2000) baten eine bestimmte Anzahl von Frauen, sich an einer Befragung über die soziosexuelle Orientierung (Sociosexuality Orientation Inventory, SOI) zu beteiligen (Gangestad & Simpson, 1990), die individuelle Unterschiede auslotete, je nachdem, ob Menschen kurzfristige Partner suchen oder nicht. Die SOI-Ergebnisse der Frauen wurden dann mit ihrer Einschätzung der Vorteile, die sie wahrscheinlich aus einer kurzen Affäre ziehen könnten, und mit ihrer Einschätzung des Ausmaßes dieser Vorteile in Korrelation gebracht. Frauen, die sich auf Affären einlassen, schätzen die daraus entstehenden Vorteile ganz anders ein, als Frauen, die dies nicht tun. Frauen, die kurze Affären bevorzugen, sehen drei Vorteile als am wichtigsten an. Ein Bereich bezieht sich auf sexuelle Ressourcen. Frauen, die kurzfristige Partner wählen, sehen es als sehr vorteilhaft an, einen Sexualpartner zu haben, der sich bereitwillig auf sexuelle Experimente einlässt (r = +.51). Sie sehen einen großen Vorteil darin, mit ihrem Partner Orgasmen zu erleben (r = +.47) und große sexuelle Befriedigung zu erlangen, weil er physisch attraktiv ist (r = +.39). Diese Frauen sehen auch größere Vorteile darin, ihre Attraktivität in ihrer Wirkung auf Männer zu steigern (r = +.50), was die Hypothese über den Erwerb partnerschaftlicher
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Fähigkeiten stützt. Sie schätzen auch die Ressourcen aus einer kurzfristigen Beziehung als vorteilhafter ein, darunter teure Designerkleidung (r = +.45), Karriereförderung (r = +.40), Schmuck (r = +.37) und die Benutzung des Autos des Partners (r = +.35). Frauen, die kurzfristige Beziehungen führen, schätzen auch die Umstände, die ein solches Verhalten begünstigen, ganz anders ein. Einen langfristigen Partner zu haben, der entlassen wird (r = +.29), der eine Gehaltskürzung hinnehmen muss (r = +.25) oder unheilbar krank wird (r = +.23), ist in den Augen dieser Frauen ein Grund, sich auf kurzfristige Beziehungen zu konzentrieren. Diese Ergebnisse bestätigen die Partnertausch-Hypothese – bei Frauen, die ihren Angaben zufolge kurzfristige Partner gesucht haben, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie Probleme mit dem festen Partner als Begründung für eine Affäre nennen. Nach Einschätzung dieser Frauen führt es eher zu einer außerehelichen Affäre, wenn sie jemanden kennen lernen, der besser aussieht als ihr regulärer Partner (r = +.25). Eine weitere Studie, die anhand des SOI individuelle Unterschiede untersuchte, konzentrierte sich dabei auf Verschiebungen des „Wunsches nach einem langfristigen Bindungswillen“ des Partners (Townsend & Wasserman, 1998). Dieser Wunsch wurde mithilfe von Aussagen gemessen wie: „Ich wüsste gerne, ob er/sie auch für eine festere Bindung zu haben wäre (ob er/sie momentan keine andere feste Beziehung führt)“ (S. 183). Frauen, die bevorzugt kurzfristige Beziehungen führen, waren im Vergleich zu ihren längerfristig orientierten Geschlechtsgenossinnen sehr viel eher bereit, sich auch ohne Anzeichen eines Bindungswillens auf sexuelle Kontakte mit einem Mann einzulassen. Außerdem legten sie erheblich mehr Wert auf die Popularität und die physische Attraktivität des Mannes – was als Unterstützung für die Hypothese des „sexy Sohnes“ gewertet werden kann (siehe auch Townsend, 1998). Frauen mit vornehmlich kurzfristigen Affären sehen zwei Kategorien der zu tragenden Kosten als eher unwahrscheinlich an. Dies ist zunächst die Schädigung ihres Rufs. Diese Frauen sehen die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Ruf bei Freunden, möglichen Partnern und innerhalb gesellschaftlich höher gestellter Kreise geschädigt wird, als wesentlich geringer an als diejenigen Frauen, die sich nicht aktiv auf kurzfristige Beziehungen konzentrieren (r = -.47). Vielleicht wählen diese Frauen auch Kontexte aus, in welchen diese Kosten einfach seltener anfallen, z.B. in großen Städten oder dann, wenn der reguläre Partner verreist ist. Insgesamt gesehen bestätigen diese Ergebnisse mehrere der hypothetischen Vorteile der Strategie, kurzfristige Partner zu suchen, besonders die Ressourcen- und Partnertausch-Hypothesen.
Andere Kontexte, die verstärkt zur Wahl eines kurzfristigen Partners führen können Jeder von uns kennt Männer, die Frauenhelden sind, und andere, die niemals fremdgehen würden. Wir kennen auch so manche Frauen, die sich gerne auf eine flüchtige sexuelle Beziehung einlassen, und andere, für die Sex ohne Liebe undenkbar wäre. Es gibt große Unterschiede, was Partnerwahl und Beziehungsdauer betrifft. Außerdem verändern wir
Kapitel 6 Kurzfristige sexuelle Strategien
unsere Vorlieben und Entscheidungen auch je nach Zeit und Kontext. Diese Variationen der sexuellen Strategie hängen von einer Vielzahl von sozialen, kulturellen und ökologischen Bedingungen ab. Abwesenheit des Vaters – Präsenz des Stiefvaters. Man konnte eindeutig nachweisen,
dass Kinder, die ohne Vater aufwachsen, im Erwachsenenalter eher zu kurzfristigen Beziehungen neigen. Bei den Mayan in Belize und den Ache in Paraguay beispielsweise besteht eine Korrelation zwischen der Abwesenheit des Vaters und entsprechenden Angaben der Männer, dass sie nicht bereit seien, notwendige Zeit, Energie und Ressourcen zu investieren, um eine langfristige Partnerschaft aufrechtzuerhalten (Waynforth, Hurtado & Hill, 1998). Andere Studien, die sowohl Männer als auch Frauen ins Visier nahmen, ergaben, dass Kinder, die ohne Vater aufwachsen, meist früher in die Pubertät kommen, früher sexuell aktiv werden und sich eher auf kurzfristige Beziehungen konzentrieren (z.B. Ellis, McFadyen-Ketchum, Dodge, Pettis & Bates, 1999; Surbey, 1998). Besonders interessant war hierbei ein Studienergebnis, demzufolge die Präsenz eines Stiefvaters mehr noch als die Abwesenheit des biologischen Vaters dazu führte, dass Mädchen frühzeitig sexuell aktiv werden – eine Tatsache, die meist einer kurzfristigen Partnerstrategie vorausgeht (Ellis & Garber, 2000). Umgekehrt „überwachen“ leibliche Väter ihre Töchter vielleicht in höherem Maße und verhindern so, dass sie früh sexuell aktiv werden (Surbey, 1998). Schließlich konnte nachgewiesen werden, dass Frauen, die keinen engen Elternkontakt hatten, eher pornografische Magazine lesen und ebenso wie Männer, die dieselben Erfahrungen machten, eher zu kurzfristigen Affären neigen (Walsh, 1995, 1999). Phasen des Lebens. Flüchtige sexuelle Beziehungen hängen auch mit den jeweiligen Entwicklungsphasen eines Menschen zusammen. In vielen Kulturen kommt es bei Jugendlichen häufiger zu kurzfristigen Beziehungen, die dadurch ihren Wert auf dem Partnerschaftsmarkt einschätzen, verschiedene Strategien ausprobieren, ihre attraktiven Fähigkeiten üben und ihre eigenen Präferenzen klären wollen (Frayser, 1985). Ist diese Phase vorüber, sind sie eher bereit für die Ehe. Die Tatsache, dass sexuelle Erfahrungen vor der Ehe in einigen Kulturen toleriert oder sogar befürwortet werden, wie etwa bei den Mehinaku im Amazonas-Gebiet (Gregor, 1985), zeigt, dass die Partnerwahlstrategie auch von der jeweiligen Lebensphase abhängt.
Die Übergangsphase zwischen verschiedenen festen Beziehungen bietet weitere Möglichkeiten für flüchtige Affären. So ist es nach einer Scheidung besonders wichtig, den eigenen Wert auf dem Partnerschaftsmarkt neu zu bestimmen. Gibt es Kinder aus der vergangenen Ehe, so senkt das den Wert des/der Geschiedenen, verglichen mit ihrem/seinem hypothetischen Wert ohne Kinder. Der höhere Status, der mit einer fortgeschrittenen Karriere einhergeht, könnte dagegen den Wert als Partner steigern, verglichen mit dem Wert, den diese Person hatte, als sie das letzte Mal auf dem Partnerschaftsmarkt war. Verhältnis der Geschlechter. Ein weiterer wichtiger Kontext, der die kurzfristige Partnerwahl bestimmt, ist das Verhältnis der Anzahl der in Frage kommenden Männer und Frauen. Viele Faktoren beeinflussen dieses Geschlechterverhältnis, etwa Kriege, in denen immer mehr Männer als Frauen sterben, risikoreiche Aktivitäten wie Kämpfe, an denen sich häufiger Männer beteiligen, Selbstmorde, die etwa siebenmal häufiger von Männern als von Frauen begangen werden, und unterschiedliche Wiederverheiratungsraten je nach
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Alter, wobei Frauen mit zunehmendem Alter weniger häufig wieder heiraten als Männer. Viele Männer verlegen sich auf kurze Beziehungen, wenn zahlreiche Frauen zur Verfügung stehen, denn dann steht das Geschlechterverhältnis für sie günstig, weshalb sie ihr Bedürfnis nach Vielfalt leichter erfüllen können (Pedersen, 1991). Bei den Ache zum Beispiel scheinen sich die Männer sehr häufig neue Partnerinnen zu suchen, denn es gibt etwa 50% mehr Frauen als Männer (Hill & Hurtado, 1996). Gibt es jedoch mehr Männer, so scheinen sich beide Geschlechter eher einer langfristigen Partnerstrategie zuzuwenden, in der es stabile Ehen und wenige Scheidungen gibt (Pedersen, 1991). Auswirkungen des selbst empfundenen Wertes als Partner und des Selbstbewusstseins auf die kurzfristige Partnerstrategie. Ein letzter Kontext, der die kurzfristige Partnerstra-
tegie höchstwahrscheinlich beeinflusst, ist der Partnerwert, der aussagt, wie attraktiv und wünschenswert man für Vertreter des anderen Geschlechts ist. Die selbst empfundene Partner-Erfolgs-Skala (Lalumiere, Seto & Quinsey, 1995; Landoldt, Lalumiere & Quinsey, 1995) bestimmt diesen Wert. Beispielhafte Punkte auf der Skala sind: „Vertreter des anderen Geschlechts bemerken mich,“ „Vertreter des anderen Geschlechts machen mir viele Komplimente,“ „Vertreter des anderen Geschlechts finden mich attraktiv,“ „im Vergleich mit meiner Peer Group kann ich mich leicht und oft verabreden“. Die Bewertungen auf der Partnerwert-Skala wurden mit der angegebenen sexuellen Vorgeschichte der Teilnehmer (Männer und Frauen) in Korrelation gebracht. Die Resultate beider Geschlechter wichen dabei sehr stark voneinander ab. Männer mit höherem selbst empfundenen Partnerwert neigten im Vergleich zu Männern mit geringerem Partnerwert dazu, früher sexuell aktiv zu sein, sie hatten in der Regel seit der Pubertät wie auch im vergangenen Jahr mehr Sexualpartner gehabt. Sie hatten im Laufe der letzten drei Jahre mehr sexuelle Angebote bekommen, häufiger Geschlechtsverkehr gehabt und sahen auch meist keine Notwendigkeit, mit der Frau, mit der sie Geschlechtsverkehr hatten, vorher eine intensive Beziehung einzugehen. Außerdem erreichten Männer mit hohem Partnerwert bei der SOI-Befragung meist höhere Werte, was darauf hindeutet, dass sie eher eine kurzfristige Partnerstrategie verfolgen. Im Gegensatz dazu konnte bei Frauen keinerlei Verbindung zwischen dem selbst empfundenen Wert als Partner und der Wahl einer kurzfristigen Partnerstrategie festgestellt werden – ein Ergebnis, zu dem auch andere Forscher kamen (Mikach & Bailey, 1999). Es zeigte sich jedoch, dass für Frauen das Selbstbewusstsein eng mit der Entscheidung für oder gegen eine kurzfristige Partnerstrategie zusammenhing. Frauen mit geringem Selbstwertgefühl hatten seit der Pubertät und auch im vergangenen Jahr verglichen mit ihren selbstbewussteren Geschlechtsgenossinnen meist mehr Sexualpartner gehabt. Sie hatten auch häufiger One-Night-Stands und bevorzugten kurze sexuelle Beziehungen. Ihre Werte bei der SOI-Befragung ergaben eine Neigung zu kurzfristiger Partnerstrategie. Insgesamt scheinen sich individuelle Unterschiede beim selbst empfundenen Partnerwert sowie beim Selbstwertgefühl stark auf eine Entscheidung für oder gegen eine Wahl kurzfristiger Partner auszuwirken. Doch diese persönlichen Faktoren zeigen bei Männern und Frauen unterschiedliche Wirkung. Männer mit hohem Partnerwert scheinen kurzfristige Beziehungen vorzuziehen, während sich der Partnerwert bei Frauen nicht auf ihre Partner-Wahl auswirkt. Andererseits scheinen sich Frauen mit geringem Selbstbewusstsein
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verstärkt auf kurzfristige Beziehungen einzulassen, während sich das Selbstwertgefühl bei Männern nicht in dieser Beziehung auswirkt. Da sich die Mehrzahl der Männer – anders als die Mehrzahl der Frauen – eine Vielzahl an Sexualpartnern wünscht, besagt eine Interpretation dieser Ergebnisse, dass Männer, wenn sie dazu in der Lage sind, es auch tatsächlich tun – d.h. Männer, die auf Frauen anziehend wirken, verleihen ihrem Wunsch nach flüchtigen sexuellen Beziehungen einfach dadurch Ausdruck, dass sie mit vielen Partnerinnen sexuell aktiv sind. Bei Frauen ist die Sache komplizierter. Der selbst empfundene Wert als Partner hat auf die Strategie keinerlei Einfluss, fehlendes Selbstwertgefühl dagegen um so mehr. Selbstbewusste Frauen bevorzugen eher langfristige Partnerschaften, während Frauen ohne Selbstwertgefühl sich eher auf kurze Beziehungen einlassen. Warum genau das Selbstbewusstsein sich so stark auf das Partnerverhalten der Frauen auswirkt, ist ein Thema für zukünftige Forschungsprojekte.
Zusammenfassung Wissenschaftliche Studien über die Partnerwahl im Laufe des 20. Jahrhunderts haben sich fast ausschließlich mit der Ehe befasst. Die menschliche Anatomie, Physiologie und Psychologie lässt jedoch eindeutig darauf schließen, dass unsere Vorfahren viele Affären hatten. Die offensichtlichen reproduktiven Vorteile, die solche Affären für den Mann haben, könnten den Blick der Wissenschaftler dafür getrübt haben, dass auch Frauen durchaus von kurzfristigen Beziehungen profitieren können. Eine Frau muss einer kurzen Affäre zustimmen und damit sie dies tut, muss sie daraus Vorteile ziehen können. In diesem Kapitel befassten wir uns zunächst mit der kurzfristigen Partnerstrategie des Mannes. Nach Trivers’ Theorien der elterlichen Investitionen und der sexuellen Selektion ist der reproduktive Vorteil aufgrund kurzfristiger Beziehungen für unsere männlichen Vorfahren direkt ersichtlich – eine gesteigerte Anzahl an Nachkommen in Abhängigkeit von der Anzahl der erfolgreich inseminierten Frauen. Es gibt überzeugende empirische Belege dafür, dass Männer ein größeres Bedürfnis nach kurzfristigen sexuellen Beziehungen haben als Frauen. Im Vergleich zu Frauen äußern Männer einen stärkeren Wunsch nach einer Vielzahl von Sexualpartnern, sie lassen weniger Zeit verstreichen, bis sie Geschlechtsverkehr haben, sie senken ihre Anforderungen an kurzfristige Partnerinnen drastisch, haben häufiger sexuelle Fantasien, in denen es meist um eine Vielzahl von Sexualpartnern geht, sie haben mehr außereheliche Affären und suchen häufiger Prostituierte auf. Auch wenn eine kleine Minderheit von Psychologen diese grundsätzlichen geschlechtlichen Unterschiede weiterhin leugnet (z.B. Miller & Fishkin, 1997), ist dennoch der Unterschied zwischen Männern und Frauen, was den Wunsch nach sexueller Abwechslung betrifft, einer der größten und auch kulturübergreifend sichtbarsten psychologischen geschlechtsbezogenen Unterschiede, die je dokumentiert wurden (Schmitt, 2001; Schmitt et al., 2001).
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Rechnerisch gesehen erfordert eine kurze Affäre jedoch immer noch zwei Partner. Der Wunsch des Mannes nach flüchtigem Sex könnte sich nicht entwickelt haben, wenn es nicht auch Frauen gegeben hätte, die dazu bereit waren – eine Ausnahme ist dabei der erzwungene Geschlechtsverkehr. Wir betrachteten Fälle, in denen sich auch Frauen von Zeit zu Zeit im Laufe der Evolutionsgeschichte auf kurzfristige Beziehungen eingelassen haben. Die Existenz physiologischer Hinweise beim Mann wie etwa die Größe der Hoden und Variationen bei der Spermien-Insemination deuten auf eine lange Evolutionsgeschichte der Spermien-Konkurrenz hin – die sich dadurch ergab, dass die Spermien von zwei verschiedenen Männer gleichzeitig den Reproduktionspfad einer Frau besetzten. Aus evolutionärer Sicht ist es unwahrscheinlich, dass Frauen sich wiederholt auf kurzfristige Beziehungen eingelassen hätten, wenn sie nicht selbst dadurch adaptive Vorteile erlangt hätten. Für Frauen gibt es fünf Bereiche potentieller adaptiver Vorteile: wirtschaftliche bzw. materielle Ressourcen, genetische Vorteile, Vorteile durch Partnertausch, Vorteile durch den Erwerb partnerschaftlicher Fähigkeiten und Vorteile durch Partnermanipulation. Basierend auf den wenigen durchgeführten Studien stellen sich die Vorteile aufgrund von Partnertausch und Ressourcenerwerb als besonders wichtig und die Vorteile aufgrund eines verbesserten Status und der Partnermanipulation als wissenschaftlich nicht nachweisbar heraus. Weitere Forschungsarbeit ist nötig, um die adaptiven Vorteile, die sich für Frauen aus kurzfristigen Affären ergeben, zu überprüfen und diese klar von den nicht adaptiven Auswirkungen derartiger Beziehungen zu trennen. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels befassten wir uns mit verschiedenen Kontexteffekten, die sich auf die kurzfristige Partnerwahl auswirken. Das Geschlechterverhältnis ist einer dieser Kontexte – ein Frauenüberhang führt bei beiden Geschlechtern verstärkt zu einer kurzfristigen Partnerstrategie. Ein weiterer wichtiger Kontext ist der Partnerwert, der besagt, wie attraktiv man für das andere Geschlecht ist. Männer, die einen hohen selbst empfundenen Wert als Partner haben, bevorzugen eher kurze Beziehungen, dies zeigt sich unter anderem daran, dass sie bereits in jungen Jahren sexuell aktiv sind und mehr Sexualpartner haben. Der selbst empfundene Partnerwert der Frauen hat auf ihre Partnerstrategie jedoch keinen Einfluss. Frauen mit geringem Selbstbewusstsein scheinen aber eher eine kurzfristige Strategie zu verfolgen als selbstbewusste Frauen, was sich an der Anzahl der Sexualpartner und einer ausdrücklichen Präferenz für Sex mit Partnern ohne jeden Bindungswillen zeigt.
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Weiterführende Literatur Ellis, B. J. & Symons, D (1990). Sex differences in fantasy: An evolutionary psychological approach. Journal of Sex Research, 27, 527-556. Gangestad, S. W. & Thornhill, R. (1997). Human sexual selection and development stability. In J. A. Simpson & D. T. Kenrick (Eds.), Evolutionary social psychology (169-195). Mahwah, NJ: Erlbaum. Grammer, K. (2000). Signale der Liebe. München: dtv. Greiling, H. & Buss, D. M. (2000). Women’s sexual strategies: The hidden dimension of extra-pair mating. Personality and Individual Differences, 28, 929-963. Ridley, M. (1995). Eros und Evolution: Die Naturgeschichte der Sexualität. München: Droemer Knaur Verlag (Orig.: The red queen: Sex and the evolution of human nature. London: Penguin Books, 1993). Schmitt, D. P., Couden, A. & Baker, M. (2001). The effects of sex and temporal context on feelings of romantic desire: An experimental evaluation of sexual strategies theory. Personality and Social Psychology Bulletin, 27, 833-847. Surbey, M. K., & Conohan, C. D. (2000). Willingness to engage in casual sex: The role of parental qualities and perceived risk of aggression. Human Nature, 11, 367-386.
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Teil 4 Herausforderungen der Elternschaft und Verwandtschaft Dieser Teil enthält zwei Kapitel, von denen sich eines den Problemen im Kontext der Elternschaft und das andere den Problemen im Kontext der Verwandtschaft widmet. Hat ein Organismus erfolgreich die ersten Überlebensbarrieren überwunden und die Probleme der Partnersuche und der Reproduktion gelöst, stellt sich die nächste Herausforderung in Form der Reproduktion. Die Kinder dienen dabei als „Mittler“ für die Gene der Eltern (Kapitel 7). Dieses Kapitel beginnt mit der Frage, warum Mütter ihren Kindern in der Regel mehr elterliche Fürsorge zukommen lassen als Väter. Dies trifft für fast alle Arten zu, die überhaupt elterliche Fürsorge betreiben. Es geht weiter mit den Mustern der elterlichen Fürsorge und drei entscheidenden Themen: dem Grad der genetischen Verwandtschaft des Kindes zu den Eltern, der Fähigkeit des Kindes, die elterliche Fürsorge in Fitness umzuwandeln und den Abwägungen der Eltern, in ihre Kinder zu investieren oder ihre Ressourcen für die Lösung anderer adaptiver Probleme zukommen zu lassen. Der letzte Abschnitt liefert eine evolutionäre Erklärung für ein Phänomen, das jeder schon erlebt hat: Konflikte zwischen Eltern und Kindern. Kapitel 8 weitet die Analyse um Verwandte wie Großeltern, Enkel, Nichten, Neffen, Tanten und Onkel aus. Die Theorie der inklusiven Fitness liefert eine Reihe von Implikationen, um Beziehungen zwischen genetischen Verwandten zu verstehen. Dazu gehören Phänomene wie genetischen Verwandten in Situationen auf Leben und Tod zu helfen, im Testament Ressourcen für genetische Verwandte zu hinterlassen, Investitionen von Großeltern in ihre Enkel und Geschlechtsunterschiede in der Bedeutung der Verwandtschaftsverhältnisse. Das Kapitel endet mit einer Perspektive der Evolution ausgedehnter Familien.
Kapitel
7
Probleme im Kontext von Elternschaft
Meine Mutter sagt, dass er mein Vater sei. Aber ich selbst weiß es nicht. Denn kein Mensch weiß, wer ihn gezeugt hat. – Telemachus, Sohn des Odysseus, aus Homers Odyssee. Stellen Sie sich eine Gesellschaft vor, in der alle Männer und Frauen das gleiche Einkommen erhalten. Jeder kräftige Erwachsene wird arbeiten. Alle Entscheidungen werden gemeinsam getroffen und alle Kinder kollektiv durch die Gruppe aufgezogen. Wie reagieren Menschen, wenn sie tatsächlich mit diesem sozialen Arrangement konfrontiert werden? Ein solches Experiment wurde in einem Kibbutz in Israel durchgeführt. Zwei Anthropologen, Joseph Shepher und Lionel Tiger, studierten dort insgesamt 34.040 Menschen über drei Generationen. In ihrem Klassiker von 1975 „Women in the Kibbuz“ berichten Shepher und Tiger, dass die Arbeitsteilung der Geschlechter im Kibbuz größer war als im übrigen Israel (Tiger, 1996). Am auffälligsten waren jedoch die starken Präferenzen der Frauen. Mit der Zeit bestanden sie darauf, dass ihre eigenen Kinder bei ihnen leben sollten, statt kollektiv von anderen Frauen aufgezogen zu werden. Die Männer versuchten, ein Veto einzulegen. Sie betrachteten dies als Schritt rückwärts, als ein Nachgeben vor bürgerlichen Werten zum Preis des ursprünglichen, utopischen Traumes. Die Mütter und deren Mütter aber blieben standhaft und überstimmten die Männer der Gemeinschaft. So kehrte das utopische Experiment der gemeinschaftlichen Elternschaft zur bekannten Mutter-Kind-Beziehung zurück, wie sie in jeder Gemeinschaft existiert. Aus der evolutionären Perspektive stellen Nachkommen eine Art Mittler für ihre Eltern dar. Durch sie werden die Gene der Eltern an nachfolgende Generationen weitergegeben. Ohne Kinder würden die Gene eines Individuums aussterben. Angesichts der Bedeutung der Nachkommen als genetische Mittler ist daher anzunehmen, dass die natürliche Selektion Mechanismen in Eltern begünstigt, die das Überleben und den reproduktiven Erfolg ihrer Kinder sicherstellen. Abgesehen von der Partnerwahl gibt es kaum adaptive Probleme von so hoher Priorität wie das Überleben und die Entwicklung der Nachkommen. Denn ohne den Erfolg der Nachkommen wären alle Bemühungen, die ein Organismus in die Paarung investiert, im reproduktiven Sinne sinnlos. Die Evolution sollte daher ein reichhaltiges Repertoire elterlicher Mechanismen hervorbringen, die darauf ausgerichtet sind, sich um den Nachwuchs zu sorgen. Berücksichtigt man die Bedeutung von Nachkommenschaft, so ist es überraschend, dass elterliche Fürsorge bei vielen Arten unbekannt ist (Alcock, 1993). Austern beispielsweise entlassen ihre Samenfäden und Eier in den Ozean und lassen ihre Nachkommen ohne jegliche elterliche Fürsorge dahintreiben. Für jede Auster, die unter diesen Bedingungen
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überlebt, sterben tausend andere. Ein Grund für die mangelnde universelle elterliche Fürsorge ist der hohe Preis, den die Eltern zahlen. Durch Investition in ihre Nachkommen ziehen Eltern in Bezug auf Ressourcen, die sie für sich selbst nutzen könnten, den Kürzeren. Mit diesen Ressourcen könnten ein größeres Territorium gesichert, zusätzliche Partner gefunden oder der reproduktive Output vergrößert werden. Eltern, die ihre Jungen beschützen, setzen ihr eigenes Überleben aufs Spiel. Einige werden verletzt oder sterben bei der Abwehr von Raubtieren, die ihre Nachkommen bedrohen. Berücksichtigt man den Aufwand elterlicher Fürsorge, kann man davon ausgehen, dass wann immer elterliche Fürsorge in der Natur beobachtet werden kann, die reproduktiven Vorteile die Nachteile überwiegen. Die Evolution elterlicher Fürsorge wurde bei vielen Tierarten untersucht (Clutton-Brock, 1991). Mexikanische Fledermäuse liefern ein faszinierendes Beispiel dafür. Die Fledermäuse leben in großen Kolonien, die hunderttausende und manchmal Millionen Tiere in dunklen Höhlen umfassen. Nachdem ein Weibchen ein Junges zur Welt gebracht hat, verlässt es die Sicherheit der Kolonie, um nach Nahrung zu suchen. Bei der Rückkehr steht es vor dem Problem, ihr Jungtier unter den vielen anderen in der Höhle wiederzufinden. Auf einem Quadratmeter der Höhle leben oft mehrere tausend Junge, so dass das Problem nicht gerade klein ist. Würde die Selektion für „das Wohl der Art“ operieren, so wäre es egal, welches Jungtier die Fledermaus fütterte und es gäbe auch keinen Selektionsdruck, ihr eigenes zu erkennen und zu füttern. Aber so verhalten sich die Fledermäuse nicht. 83 Prozent der Mütter finden und füttern ihren eigenen Nachwuchs und geben ihnen jeden Tag 16 Prozent ihres Körpergewichts in Milch (McCracken, 1984). Die weiblichen Fledermäuse haben offensichtlich Mechanismen entwickelt, mit denen sie ihre Nachkommen herausfinden. Sie nehmen große Opfer auf sich, um sie zu füttern und so deren Überleben zu sichern. Die elterlichen Mechanismen wurden entwickelt, um ihrem eigenen genetischen Nachwuchs und nicht den Nachkommen der anderen Fledermäuse zu helfen. Ein weiteres Beispiel der Adaptationen elterlicher Fürsorge geben nistende Vögel. Tinbergen (1963) untersuchte das Rätsel, warum nistende Vögel die Eierschalen ihrer frisch geschlüpften Küken entfernen und sie Stück für Stück vom Nest wegbringen. Er stellte drei Hypothesen auf: (1) Die Entfernung der Eierschalen dient einer sanitären Funktion, da so das Nest frei von Bakterien und Krankheiten gehalten werden kann, die die Eierschalen als Brutstätte nutzen könnten; (2) die Entfernung der Eierschalen schützt die frisch geschlüpften Küken vor den scharfen Kanten der Eierschalen und (3) macht das Nest für Raubtiere, die die Küken angreifen könnten, weniger interessant. Anhand mehrerer Experimente fand Tinbergen heraus, dass nur die Hypothese des Schutzes vor Raubtieren unterstützt wurde. Der Aufwand der elterlichen Fürsorge werden durch die Vorteile der besseren Überlebenschancen der Küken kompensiert. Trotz der Bedeutung der elterlichen Fürsorge aus evolutionärer Perspektive war diese in der Psychologie bisher ein vernachlässigtes Thema. Als die evolutionäre Psychologen Martin Daly und Margo Wilson 1987 für das „Nebraska Symposium on Motivation“ ein Kapitel über dieses Thema vorbereiteten, suchten sie in den vorhergehenden 34 Bänden der Reihe nach psychologischen Forschungsberichten und Theorien elterlicher Motivation. Nicht einer der Bände enthielt auch nur einen Abschnitt über elterliche Motivation (Daly & Wilson, 1995). Trotz des weit verbreiteten Wissens, dass Mütter ihre Kinder lieben, schien das
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Phänomen der elterlichen Liebe Psychologen auf der theoretischen Ebene vor ein Rätsel gestellt zu haben. Ein bekannter Psychologe, der mehrere Bücher über die Liebe geschrieben hat, schrieb: „Das Bedürfnis, das viele von uns dazu bringt, unsere Kinder bedingungslos zu lieben, scheint auffallend beharrlich zu sein, auch wenn die Gründe hierfür momentan noch nicht vollständig geklärt sind.“ (Sternberg, 1986, S. 133). Aus einer evolutionären Perspektive sind die Gründe für tiefe elterliche Liebe jedoch klar oder zumindest verständlich. Die Selektion hat psychologische Mechanismen wie elterliche Mechanismen der Motivation entwickelt, um das Überleben und den reproduktiven Erfolg der Mittler sicherzustellen, die die Gene eines Individuums an die nächste Generation weitergeben. Wie wir weiter unten sehen werden, ist die Liebe der Eltern allerdings alles andere als bedingungslos. Vor diesem Hintergrund wenden wir uns nun dem faszinierenden Thema der elterlichen Fürsorge zu und stellen eine Frage, die uns zwingt, neben den Menschen auch die Tierwelt zu berücksichtigen: Warum kümmern sich bei so vielen Arten, unter anderem bei den Menschen, die Mütter so viel mehr um den Nachwuchs als dies bei Vätern der Fall ist?
7.1
Warum kümmern sich Mütter mehr als Väter um den Nachwuchs?
Der Evolutionsbiologe John Alcock (1993) beschrieb einen faszinierenden Film über Jagdhunde in Afrika, in dem das Leben eines Hundes namens Solo dokumentiert wurde. Solo war der einzig überlebende Welpe einer Hündin, die in ihrem Rudel eine untergeordnete Rolle einnahm. Aufgrund ihres Ranges waren sie und ihre Nachkommen Schikanen ausgesetzt. Ein anderes Weibchen im Rudel, eine Kontrahentin von Solos Mutter, tötete nacheinander alle anderen Welpen in Solos Wurf. Solos Mutter versuchte umsonst ihre Welpen vor der mörderischen Rivalin zu retten. Überraschenderweise stand der Vater passiv daneben und tat nichts, um die Welpen zu beschützen, während Solos Mutter ihr Leben im Kampf um die Welpen riskierte. Auch wenn diese Geschichte recht extrem erscheint, so illustriert sie doch eine profunde Wahrheit der Evolution des Lebens: Überall im Tierreich kümmern sich die Weibchen häufiger um die Nachkommen als die Männchen. Die Menschen bilden dabei keine Ausnahme. In einer amüsanten und aufschlussreichen Danksagung schrieb der Autor des Buches The Evolution of Parental Care. „Ich stehe in der Schuld meiner Frau, die sich um unsere Kinder kümmerte, während ich über die elterliche Fürsorge schrieb.“ (CluttonBrock, 1991). Eine überwältigende Anzahl kulturübergreifender Daten zeigt, dass sich Frauen tatsächlich mehr um ihre Kinder kümmern als Männer dies tun (Bjorklund & Pelligrini, 2002; Geary, 2000). Dieser Unterschied hat sich auf mehreren Dimensionen gezeigt, z.B.: wie viel Zeit wurde in der Nähe des Kindes verbracht, wurde das Kind berührt, wurde dem Kind etwas beigebracht etc. Die faszinierende Frage lautet, warum dies so ist. Eine Vielfalt von Hypothesen wurde aufgestellt, um die überwiegend mütterliche Fürsorge zu erklären. Wir berücksichtigen die drei Hypothesen, die für den Menschen am wichtigsten sind: (1) die Hypothese über die Ungewissheit der Vaterschaft, (2) die Hypothese des Verlassen-Könnens und (3) die Hypothese der Opportunitätskosten durch verpasste Paarungsmöglichkeiten.
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Obwohl wir Mutterliebe als selbstverständlich betrachten, wurden verschiedene Hypothesen aufgestellt, um zu erklären, warum bei den meisten Arten Mütter mehr in ihren Nachwuchs investieren als Väter.
Die Hypothese über die Ungewissheit der Vaterschaft Mütter sind sich zu 100 Prozent über ihren genetischen Beitrag zu ihren Nachkommen „sicher“. Das Wort „sicher“ ist in Anführungszeichen zu setzen, da keine bewusste Anerkennung ihrer Gewissheit der Elternschaft notwendig ist. Wenn ein Weibchen Nachkommen zur Welt bringt oder befruchtete Eier legt, gibt es keinen Zweifel, dass die Nachkommen 50 Prozent ihrer Gene in sich tragen. Männchen dagegen können niemals „sicher“ sein. Das Problem der Ungewissheit der Vaterschaft bedeutet, dass es aus der männlichen Perspektive immer die Möglichkeit gibt, dass ein anderes Männchen die Eier des Weibchens befruchtet hat. Die Ungewissheit der Vaterschaft betrifft vor allem die Arten, bei denen die weibliche Befruchtung innerhalb des Körpers stattfindet. Zu diesen gehören viele Insekten, Menschen, alle Primaten und alle Säugetiere. Ein Weibchen kann sich schon mit einem anderen Männchen gepaart haben und ihre Eier können schon befruchtet sein, wenn ein Männchen auf der Bühne erscheint; oder sie paart sich vielleicht heimlich mit einem anderen Männchen. Das Problem der Ungewissheit der Vaterschaft führt bei den Menschen zu weit reichenden Konsequenzen, zu denen auch die männliche Eifersucht gehört. Für Männchen ist es mit hohem Aufwand verbunden, wenn sie mit ihren Ressourcen die Nachkommen eines anderen Männchens aufziehen. Ressourcen, die den Abkömmlingen eines Rivalen gewidmet werden, fehlen ihnen selbst. Aufgrund der Kosten, die durch derart fehlgeleitete Bemühungen entstehen, bedeutet daher die Ungewissheit der Vaterschaft, dass es für Männchen wenig vorteilhaft ist, ihre Ressourcen in elterliche Fürsorge zu investieren. Somit bietet die Ungewissheit der Vaterschaft eine Erklärung für die weit verbreitete, wenn auch nicht universelle Ausprägung, dass Weibchen mehr als Männchen in die elterliche Fürsorge investieren. Die Ungewissheit der Vaterschaft allein reicht nicht aus, um die Evolution väterlicher Fürsorge zu verhindern. Aber sie macht es für Väter weniger profitabel als für Mütter, in ihre Nachkommen zu investieren. Unter den Voraussetzungen der Ungewissheit der Vaterschaft lohnt sich für Mütter jede Einheit elterlicher Fürsorge mehr als für Väter, da
Kapitel 7 Probleme im Kontext von Elternschaft
ein Teil der väterlichen Investitionen an Nachkommen verschwendet wird, die nicht die eigenen sind. Dagegen gehen 100 Prozent der mütterlichen Investitionen direkt an ihre Nachkommen. Obwohl die Ungewissheit der Vaterschaft die Evolution der väterlichen Fürsorge nicht verhindern kann, dient sie als brauchbare Begründung der weit verbreiteten Tendenz, dass Weibchen mehr in ihre Nachkommen investieren als Männchen.
Die Hypothese des Verlassen-Könnens Eine zweite Hypothese, die die weit verbreitete mütterliche Fürsorge zu erklären versucht, führt als entscheidenden Faktor die Reihenfolge an, in der Eier und Samen freigesetzt werden. Ist die elterliche Fürsorge von Vorteil für die Nachkommen, so verlässt der Elternteil, der sie verlassen kann, die Nachkommen und lässt den Partner zurück. Der verlassene Partner kann entweder in die Nachkommen investieren und von den Investitionen der Aufzucht profitieren oder die Nachkommen ebenfalls verlassen. Profitieren die Nachkommen von elterlicher Fürsorge, so wird die Selektion begünstigen, dass ein Partner bei den Nachkommen bleibt, selbst wenn er von seinem Partner verlassen wurde. Kurz gesagt, der erste, der die Nachkommen verlassen kann, tut dies und der zurückgelassene ist „gezwungen“, für die Nachkommen zu sorgen, damit sie nicht sterben (Alcock, 1993). Nach der Hypothese des Verlassen-Könnens ist die weibliche Befruchtung mit starker mütterlicher Fürsorge verbunden, da das Männchen, nachdem es seinen Samen beigetragen hat, frei ist zu gehen und das Weibchen mit der Entscheidung konfrontiert ist, ob es in die Nachkommen investieren soll. Findet die Befruchtung außerhalb des Weibchens statt – beispielsweise wenn es seine Eier ablegt, bevor das Männchen seinen Samen dazu beiträgt – könnte das Weibchen die Nachkommen verlassen und das Männchen gebunden zurücklassen. Daher sollte nach der Hypothese des Verlassen-Könnens bei Arten mit innerer Befruchtung die mütterliche Fürsorge, bei Arten mit externer Befruchtung die väterliche Fürsorge vorherrschend sein (Alcock, 1993). Es liegen Daten vor, die diese Hypothese zu unterstützen scheinen. In einer Studie, die verschiedene Fisch- und Amphibienarten untersuchte, übernahmen bei 86 Prozent der Arten mit innerer Befruchtung hauptsächlich die Weibchen die elterliche Fürsorge (Gross & Shine, 1981). Im Gegensatz dazu übernahmen bei den Arten mit externer Befruchtung nur 30 Prozent der Weibchen mehr elterliche Fürsorge als die Männchen. Bei den restlichen 70 Prozent übernahmen die Männchen mehr elterliche Fürsorge als die Weibchen. Diese Hypothese ist mit zwei Problemen behaftet. Zum einen ist die Ungewissheit der Vaterschaft bei Arten mit innerer Befruchtung höher als bei Arten mit externer Befruchtung, da die Männchen weniger Möglichkeiten haben, festzustellen, welche Samen die Eier des Weibchens tatsächlich befruchtet haben. Findet die Befruchtung extern statt, hat das Männchen mehrere Hinweise auf seine Vaterschaft. Zum einen kann es sicher sein, dass seine Samen die Eier des Weibchens bedecken oder die Samen eines anderen Männchens auf den Eiern entdecken. Somit könnte der Grund dafür, dass bei Arten mit interner Befruchtung die Weibchen einen Großteil der elterlichen Fürsorge übernehmen, in der Ungewissheit der Vaterschaft liegen und nicht in der Leichtigkeit, diese zu verlassen. Zum zweiten gibt es viele Arten, bei denen die Geschlechter ihre Keimzellen zur gleichen
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Zeit entlassen. Sollte die Hypothese des Verlassen-Könnens zutreffen, gäbe es für jedes Geschlecht eine Chance von 50:50, elterliche Fürsorge zu entwickeln. In einer Studie über 46 Arten, die ihre Keimzellen zur gleichen Zeit freigeben, zeigten 78 Prozent (36 von 46 Arten) väterliche Fürsorge (Alcock, 1993). Dies ist substantiell mehr als die 50 Prozent, die durch die Hypothese des Verlassen-Könnens vorhergesagt werden. Aus zwei Gründen – dem Zusammenhang mit der Ungewissheit der Vaterschaft und dem empirisch festzustellenden Scheitern bei Arten mit simultaner Keimzellenfreigabe – kann die Hypothese des Verlassen-Könnens für sich allein genommen nicht die weit verbreitete Tendenz erklären, dass Weibchen mehr elterliche Fürsorge zeigen als Männchen.
Die Hypothese der Opportunitätskosten – der Kosten durch verpasste Paarungsmöglichkeiten Eine dritte Hypothese setzt bei in den Paarungsmöglichkeiten der Geschlechter an. Gegenstand dieser Hypothese sind Opportunitätskosten, in diesem Fall verpasste zusätzliche Paarungsmöglichkeiten als direkte Folge der auf die Nachkommen gerichteten Bemühungen. Diese Kosten entstehen sowohl für Frauen als auch für Männer. Während die Mutter schwanger ist oder ein Kind stillt oder der Vater Raubtiere vertreibt, haben beide nicht das Potential, zusätzliche Partner zu bekommen. Die Opportunitätskosten dieser verpassten Paarungsmöglichkeiten sind für Männer jedoch höher als für Frauen. Den Grund hierfür haben wir in Kapitel 6 erfahren: Der reproduktive Erfolg der Männer wird durch die Anzahl empfänglicher Frauen begrenzt, die sie erfolgreich befruchten können. Männer können mehr Kinder zeugen, indem sie sich mit einer Vielzahl von Frauen paaren, aber Frauen können nicht unbedingt mehr Kinder bekommen, indem sie sich mit vielen Männern paaren. Da die Opportunitätskosten, die durch verpasste Paarungsmöglichkeiten entstehen, aufgrund elterlicher Fürsorge für Männer im Allgemeinen höher sind als für Frauen, ist es für Männer weniger wahrscheinlich, die elterliche Fürsorge zu übernehmen. Nach dieser Hypothese ist die väterliche Fürsorge selten, wenn die Opportunitätskosten hoch sind (Alcock, 1993). Sind diese jedoch niedrig, sind die Chancen für eine erfolgreiche Evolution elterlicher Fürsorge besser. Genau dies ist bei Fischarten der Fall, bei denen die Männchen ein bestimmtes Territorium abstecken und verteidigen (Gross & Sargent, 1985). Weibchen erkunden die Territorien verschiedener Männchen und legen in einem ihre Eier ab. Die Männchen bewachen und füttern die Eier, während sie gleichzeitig ihr Territorium bewachen. In diesem Fall muss das Männchen wegen der elterlichen Investitionen nicht auf weitere Paarungsmöglichkeiten verzichten. Im Gegenteil, die Anwesenheit von Eiern eines anderen Weibchens in einem bestimmten Territorium scheint diese Männchen für die Weibchen attraktiv zu machen und sie legen ihre Eier ebenfalls in diesem Territorium ab. Vielleicht zeigt die Anwesenheit von Eiern den Weibchen an, dass das Territorium sicher vor Raubtieren ist oder dass ein anderes Weibchen dieses Männchen akzeptabel gefunden hat. Haben Männchen also nicht die Opportunitätskosten als Konsequenz der Investition in Nachkommen zu tragen, sind die Voraussetzungen für die Evolution väterlicher Fürsorge gegeben.
Kapitel 7 Probleme im Kontext von Elternschaft
Die Hypothese der verpassten Paarungsmöglichkeiten kann teilweise individuelle Unterschiede der Elternschaft beim Menschen erklären. Gibt es einen Männerüberschuss, ist es für Männer schwierig, eine kurzfristige Partnerstrategie zu verfolgen. Gibt es jedoch einen Frauenüberschuss, so entstehen dadurch für Männer auch mehr Paarungsmöglichkeiten (siehe Kapitel 6; siehe auch Guttentag & Secord, 1983; Pedersen, 1991). Daher kann man sagen, dass es eine höhere Wahrscheinlichkeit für Männer gibt, in Kinder zu investieren, wenn es einen Männerüberschuss gibt; sie werden diese Investitionen aber bei Frauenüberschuss wieder reduzieren. Empirische Untersuchungen belegen diese Annahme (Pedersen, 1991). Zusammengefasst gibt es drei Hypothesen, die die weit verbreitete mütterliche Fürsorge erklärt: Ungewissheit der Vaterschaft, das Verlassen-Können und Opportunitätskosten. Diese Hypothesen stehen nicht im Widerspruch zueinander und es ist möglich, dass sie alle einen Teil der Geschlechtsunterschiede in der elterlichen Fürsorge erklären. So sind die Hypothese über die Ungewissheit der Vaterschaft und die Hypothese über die Opportunitätskosten für die Praxis am besten geeignet.
7.2
Eine evolutionäre Perspektive der elterlichen Fürsorge
Zu Beginn dieses Kapitels bemerkten wir, dass Nachkommen die Mittler sind, mittels derer die Gene der Eltern in künftige Generationen gelangen, aber nicht alle Nachkommen diese Gene dann auch weitergeben. Einige sind überlebensfähiger oder haben bessere Paarungsaussichten und sind daher besser geeignet, die Gene der Eltern erfolgreich weiterzuleiten. Ein Teil der Nachkommen zieht mehr Vorteile aus der elterlichen Fürsorge. Allgemein kann man sagen, dass die Selektion Mechanismen der elterlichen Fürsorge bevorzugt, die die Fitness der Eltern verbessern: die bevorzugte Zuwendung von Investitionen an einen oder mehrere Nachkommen auf Kosten anderer Investitionen. Aus dieser Definition folgt, dass Mechanismen der elterlichen Fürsorge einige Nachkommen zum Nachteil anderer bevorzugen, was eine elterliche Bevorzugung ist. Anders ausgedrückt begünstigt die Selektion die Evolution von elterlichen Mechanismen, Nachkommen zu bevorzugen, die voraussichtlich einen höheren reproduktiven Erfolg erzielen werden (Daly & Wilson, 1995). Väter und auch Mütter sollten sich dessen bewusst sein, da Vater-Kind-Bindungen, wenn auch oft schwächer als Mutter-Kind-Bindungen, universell in allen Kulturen existieren (Mackey & Daly, 1995). Auf der allgemeinsten theoretischen Ebene kann man festhalten, dass Mechanismen der elterlichen Fürsorge sensitiv gegenüber folgende Faktoren sind (Alexander, 1979): 1. Genetische Verwandtschaft der Nachkommen: Sind die Kinder wirklich von mir? 2. Fähigkeit der Nachkommen, die elterliche Fürsorge in Fitness umzuwandeln: Macht eine Einheit meiner Investition einen Unterschied für das Überleben und die Reproduktion meiner Kinder aus? 3. Alternative Verwendung der Ressourcen, die in Nachkommen investiert werden können: Sollten meine Investitionen am besten in Kinder oder in andere Aktivitäten wie in die Kinder meiner Schwester oder in zusätzliche Paarungsmöglichkeiten investiert werden?
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Lassen Sie uns die drei Faktoren detaillierter betrachten und untersuchen wir die empirischen Belege dafür, dass sich elterliche Mechanismen entwickelt haben, die sensitiv gegenüber diese Faktoren sind.
Genetische Verwandtschaft der Nachkommen In Pittsburgh, Pennsylvania, stellte der Busfahrer G. nach sechs Jahren fest, dass seine Tochter, die ihn ihr ganzes Leben „Daddy“ genannt hatte, nicht seine biologische Tochter war („Man Ordered“, 1995). Der erste Hinweis darauf war Gerede, als er hörte, ein anderer Mann in der Stadt prahle damit, der Vater des Kindes zu sein. Ein Bluttest bestätigte dies. Herr G. stellte die monatlichen Unterhaltszahlungen ein, lehnte es ab, das Kind zu umarmen oder zu küssen und nahm es auch nicht länger auf Ausflüge mit, wenn er seinen Sohn abholte (der sein biologisches Kind war). Herr G. versuchte, alle Verbindungen zu dem Mädchen zu unterbinden. Das Gericht verurteilte Herrn G. zur Fortsetzung seiner Unterhaltszahlungen, aber er legte Einspruch ein. Obwohl er sechs Jahre lang in engem Kontakt zu dem Mädchen stand, verursachte die Enthüllung, dass er nicht ihr Vater war, eine abrupte Umkehr seiner Gefühle. Daly und Wilson (1988) beschreiben die Auswirkungen genetischer Verwandtschaft auf elterliche Motivation wie folgt: Die vielleicht offensichtlichste Vorhersage der Darwinschen Sicht auf elterliche Motive ist diese: Ersatzeltern sorgen sich normalerweise weniger um Kinder als deren natürlichen Eltern, mit dem Ergebnis, dass Kinder, die von anderen Menschen als ihren Eltern aufgezogen werden, häufiger ausgenutzt werden und Risiken ausgesetzt sind. Elterliche Investition ist eine wertvolle Ressource und die Selektion bevorzugt daher die elterlichen Psychen, die sie nicht an Nicht-Verwandte verschwenden (S. 83). Studien über elterliche Gefühle unterstützen diese Vorhersage. In einer Studie über Stiefeltern in Cleveland, Ohio, erklärten nur 53 Prozent der Stiefväter und 25 Prozent der Stiefmütter „elterliche Gefühle“ gegenüber ihren Stiefkindern zu haben (Duberman, 1975). Der Darwinsche Anthropologe Mark Flinn kam in einem Dorf auf Trinidad zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Interaktionen von Stiefvätern mit ihren Stiefkindern fanden weniger regelmäßig statt und waren aggressiver als solche zwischen genetischen Vätern und ihren Kindern (Flinn, 1988b). Zudem empfanden die Stiefkinder diese aggressiven Interaktionen als belastend und sie verließen das Elternhaus früher als genetische Kinder. Diese Ergebnisse bedeuten nicht, dass die intensiven Gefühle elterlicher Liebe durch kein anderes Kind als das eigene aktiviert werden könnten. Stiefeltern lenken oftmals Liebe, Aufmerksamkeit und Ressourcen auf ihre Stiefkinder. Der springende Punkt ist, dass elterliche Liebe und Ressourcen weniger wahrscheinlich von Stiefeltern als von den genetischen Eltern auf ihre Kinder gerichtet werden. Dieser Punkt wird selbst im Websters Wörterbuch bei der Definition von „Stiefmutter“ anerkannt, die zwei Komponenten umfasst: (1) die Frau des Vaters aus einer späteren Heirat und (2), die es nicht vermag, einem Sorgfalt und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen (Gova, 1986).
Kapitel 7 Probleme im Kontext von Elternschaft
Von dem Interessenskonflikt, der den Stiefbeziehungen innewohnt, wird kulturübergreifend in vielen Märchen und Sagen berichtet. Eine umfangreiche, kulturübergreifende Zusammenfassung von Volksmärchen fasst diese wie folgt zusammen: „Teuflische Stiefmutter befiehlt, dass die Stieftochter getötet wird“ und „Teuflische Stiefmutter lässt die Stieftochter in Abwesenheit des Vaters sich zu Tode arbeiten“ (Thompson, 1955; zitiert in Daly & Wilson, 1988, S. 85). Das Thema des teuflischen Stiefvaters ist ebenso verbreitet und enthält die beiden Untergruppen des „lüsternen Stiefvaters“ (Stiefväter, die dazu neigen, ihre Stieftöchter sexuell zu missbrauchen) und „gemeine Stiefväter“ (die dazu neigen, ihre Stiefkinder körperlich oder emotional zu misshandeln). Stiefeltern werden in Volksmärchen in Irland, Indien, auf den Aleuten und Indonesien als Übeltäter beschrieben. Interessanterweise wurden die Probleme der Stiefeltern-Stiefkind-Beziehung von den wenigen Sozialwissenschaftlern, die diese Beziehungen beobachtet oder studiert haben, normalerweise den „Mythen der gemeinen Stiefeltern“ zugeschrieben oder den „irrationalen Ängsten von Kindern“ (Daly & Wilson, 1988). Aber wenn die Ängste irrational und die Grausamkeiten tatsächlich ein Mythos sind, ist es berechtigt zu fragen, warum diese Ansichten bei so vielen Kulturen auftauchen. Ebenso kann man fragen, ob Mythen, Ansichten und Folklore in der Realität der Eltern-Kind-Beziehungen Gewicht haben. Wir untersuchen dies weiter unten bei den Themen Kindesmisshandlungen und Kindstötung. Bei Arten mit innerer Befruchtung wie der unseren ist die Mutterschaft zu 100 Prozent sicher, die Vaterschaft hingegen manchmal zweifelhaft. Wie schätzen Männer die Gewissheit der Vaterschaft ein? Ein Mann hat Zugriff auf mindestens zwei Informationsquellen, um herauszufinden, ob er der genetische Vater eines Kindes ist: (1) Informationen über die Treue seiner Partnerin während der Zeit, in der sie das Kind empfing und (2) Beobachtung über die Ähnlichkeit des Kindes mit ihm (Daly & Wilson, 1988). Es ist anzunehmen, dass Männer psychologische Mechanismen entwickelt haben, die auf beide Informationsquellen sensibel reagieren. Es ist auch zu erwarten, dass eine Mutter versuchen wird, die Wahrnehmungen eines Mannes in diesen Punkten zu beeinflussen, indem sie ihn zu überzeugen versucht, dass sie ihm sexuell treu war oder dass das neugeborene Baby sein Ebenbild ist. Wem sehen neugeborene Babys ähnlich? Daly und Wilson (1982) meinen, dass Mütter motiviert sein sollten, den mutmaßlichen Vater von der Gewissheit der Vaterschaft durch Bemerkungen über die Ähnlichkeiten des neugeborenen Babys mit ihm zu überzeugen. Der Erfolg, ihn von seiner Vaterschaft zu überzeugen, sollte seine Bereitschaft, in das Kind zu investieren, erhöhen. Um diese Anstrengungen der Mütter zu untersuchen, sammelten Daly und Wilson Videoaufnahmen von 111 Geburten in Amerika, die zwischen fünf und fünfundvierzig Minuten lang waren. Die verbalen Äußerungen wurden aufgenommen und später ausgewertet. Von den 111 Videoaufnahmen enthielten 68 ausdrückliche Referenzen zum Erscheinungsbild der Babys (in einigen Fällen standen die Mütter unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln und in anderen Aufnahmen war die Tonqualität zu schlecht, um den Inhalt der Äußerungen zu verstehen; daher unterschätzt diese Zahl wahrscheinlich die tatsächliche Anzahl der gemachten Äußerungen).
Man könnte erwarten, dass Säuglinge zu 50 Prozent der Mutter und zu 50 Prozent dem Vater ähnlich sehen. In Fällen, in denen das Baby beiden Elternteilen ähnlich sah, äußerte sich die Mutter über die Ähnlichkeit des Babys zum Vater etwa viermal so häufig (80 Pro-
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zent) wie über die Ähnlichkeit des Babys zu ihr selbst (20 Prozent). Zu Bemerkungen der Mütter gehörte: „Er/sie sieht aus wie du“ (eine Frau sagte dies dreimal zu ihrem Ehemann), „fühlt sich an wie du“, „genau wie Daddy“, „er sieht aus wie du, hat einen Haarschopf wie du“ und „er sieht aus wie du, ehrlich, genau wie du“ (Daly & Wilson, 1982, S. 70). In einer zweiten Studie versandten Daly und Wilson (1982) 526 Fragebögen an Eltern, deren Namen Geburtsanzeigen kanadischer Zeitungen entnommen wurden. Etwa 25 Prozent der Eltern beantworteten die Fragebögen, in denen sie gebeten wurden, ihre Verwandten zu animieren, ebenfalls an der Studie teilzunehmen. Zu den Fragen gehörte: „Wem sieht das Baby ihrer Meinung nach am ähnlichsten?“ Die Ergebnisse dieser zweiten Studie bestätigten und präzisierten die der erste Studie. Von den Müttern, die die Ähnlichkeit des Babys zu einem Elternteil kommentierten, wiesen 81 Prozent darauf hin, dass das Baby dem Vater ähnlicher sehe, während nur 19 Prozent eine größere Ähnlichkeit zu ihnen selbst zum Ausdruck brachten. Auch die Verwandten der Mutter zeigten diese einseitige Ausrichtung. Von denen, die auf eine Ähnlichkeit zu einem der Elternteile hinwiesen, wiesen 66 Prozent darauf hin, dass das Baby dem Vater am ähnlichsten sehe, während nur 34 Prozent Ähnlichkeiten zur Mutter bemerkten. Das grundlegende Muster – d.h., dass die Mutter mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Ähnlichkeit zum mutmaßlichen Vater insistiert – wurde durch eine Studie bei Mexikanern in Yucatan repliziert (Regalski & Gaulin, 1993). In dieser Studie wurden 198 Interviews mit den Verwandten von 49 mexikanischen Säuglingen durchgeführt. Wie in der kanadischen Studie behaupteten die Verwandten, dass der Säugling dem mutmaßlichen Vater stärker ähneln würde als der Mutter. Die Mutter und ihre Verwandten gaben häufiger als der Vater und seine Verwandten Feststellungen über die Ähnlichkeit zum Vater ab. Behauptungen der Ähnlichkeit zum Vater gab es vor allem bei erstgeborenen Kindern und wenn die Eltern erst kurze Zeit zusammen waren. Diese kulturübergreifende Wiederholung stimmt mit der Hypothese überein, dass Mütter und ihre Verwandten den mutmaßlichen Vater hinsichtlich seiner Vaterschaft beeinflussen, um väterliche Investitionen in das Kind zu unterstützen.
Vater und Säugling: Gibt es eine Ähnlichkeit? Studien zeigen, dass die Mutter, ihre Verwandten und die Verwandten des Vaters darauf hinweisen, dass der Säugling mehr dem Vater als der Mutter ähnlich sieht. Ist dies eine Strategie, um die Gewissheit der Vaterschaft des Mannes zu unterstützen und so seine Investitionen in das Kind sicherzustellen?
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Eine neuere Studie replizierte diese Ergebnisse und ging der Frage nach, ob Neugeborene tatsächlich ihrem Vater ähnlicher sehen (McLain, Setters, Mouton & Pratt, 2000). Mütter wiesen häufiger auf mutmaßliche Ähnlichkeiten zwischen den Neugeborenen und ihren Vätern hin als auf Ähnlichkeiten zu ihnen selbst. Außerdem wiesen sie auf diese Ähnlichkeiten häufiger hin, wenn der Vater im Raum war. Als Begutachter gefragt wurden, welche Fotografien von Neugeborenen mit welchen Müttern und Vätern zusammenpassen, fanden sich mehr Übereinstimmungen mit den Müttern. Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die Präferenz der Mütter, eine Ähnlichkeit zum Vater hervorzuheben, nicht wirklich auf Ähnlichkeiten beruht. Bisherige systematische Studien belegen, dass im Gegensatz zu ersten Indikationen (Christenfeld & Hill, 1995) Kinder im Alter von einem, drei und fünf Jahren ihren Vätern nicht ähnlicher sehen als ihren Müttern (Bredart & French, 1999). Eine faszinierende neue Studie behauptet, dass Wahrnehmungen der Ähnlichkeit die Investitionen in das Kind beeinflussen. Unter Verwendung einer computerisierten „morphing“-Methode entwickelten die Experimentatoren Fotografien von Kindern, in die entweder die Gesichter der Eltern oder die anderer Menschen montiert wurden (Plateck, Burch, Anyavin, Wasserman & Gallup, 2002). Nachdem sie alle Fotografien gesehen hatten, wurden die Teilnehmer gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, in dem sie gefragt wurden, wie viel sie hypothetisch in jedes der Kinder investieren würden. Männer fanden die Gesichter, in die ihr eigenes Foto montiert war, am attraktivsten und wiesen darauf hin, dass sie mit diesem Kind mehr Zeit verbringen würden, mehr Geld in das Kind investieren würden und am wenigsten verärgert wären, wenn sie für dieses Kind Unterhaltszahlungen leisten müssten. Im Gegensatz dazu waren die Antworten von Frauen auf diese Fragen viel weniger von der Ähnlichkeiten des Kindes zu ihnen beeinflusst. Die Wahrnehmung der Männer hinsichtlich der Ähnlichkeit der Kinder zu ihnen könnte auch Phänomene wie Gewalt in Familien beeinflussen. In einer Studie schätzten 55 Männer, die an einem Programm über häusliche Gewalt teilnahmen, wie sehr ihre Kinder ihnen ähnlich sahen (Burch & Gallup, 2000). Männer, die der Meinung waren, dass ihre Kinder ihnen ähnlich sahen, berichteten über positivere Beziehungen zu ihnen. Aber das überraschendste Ergebnis war die Korrelation zwischen Wahrnehmungen der Ähnlichkeit und der Schwere der Misshandlungen, die sie ihren Ehefrauen zufügten. Männer, die der Meinung waren, dass ihre Kinder ihnen nicht ähnlich sahen, fügten ihren Partnerinnen häufiger schwere körperliche Verletzungen zu. Die Wahrnehmung der Ähnlichkeit des Kindes zum Vater könnte somit ein entscheidender Hinweis auf den Grad der Investition in die Kinder sowie auf die Misshandlungen sein, die der Ehefrau zufügt werden. Viele Fragen bleiben jedoch unbeantwortet: Sind die Versuche der Mütter, das Vertrauen der Väter hinsichtlich der Vaterschaft zu beeinflussen, universell? Ist es Müttern bewusst, dass sie die Wahrnehmung ihres Partner in Bezug auf seine Vaterschaft zu beeinflussen versuchen oder funktionieren diese Tricks unbewusst? Haben Männer bestimmte Mechanismen entwickelt um Informationen über die Ähnlichkeit des Babys unberücksichtigt zu lassen und um sich gegen die Gefahr zu schützen, in die Kinder anderer Männer zu investieren? Antworten auf diese Fragen müssen noch gefunden werden. Investitionen der Eltern in Kinder. Wir leben in einer Welt, die sich in vielerlei Hinsicht von der unserer Vorfahren unterscheidet. Zum einen leben wir in monetären Wirtschaftssystemen, die im Pleistozän unbekannt waren. Aus der Perspektive der Forschung liegt
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ein Vorteil dieser Wirtschaftssysteme darin, dass sie konkrete, quantitativ messbare Zahlen liefern. Drei evolutionäre Anthropologen nutzten diese Möglichkeit, um die Auswirkungen der Ungewissheit der Vaterschaft von Männern hinsichtlich ihrer Investitionen in die Ausbildung ihrer Kinder zu erforschen (Anderson, Kapplan & Lancaster, 1999). Die Anthropologen formulierten drei Vorhersagen: (1) Männer stellen ihren genetischen Kindern mehr Ressourcen zur Verfügung als ihren Stiefkindern; (2) Männer, die sich unsicher sind, ob die Kinder genetisch ihre eigenen sind, investieren weniger als Männer, die sich ihrer Vaterschaft gewiss sind und (3) Männer investieren mehr in Kinder, deren Mutter ihre gegenwärtige Partnerin ist, als in Kinder aus früheren Partnerschaften. Diese dritte Vorhersage gilt sowohl für genetische Kinder als auch für Stiefkinder. Die Vorhersagen 1 und 2 resultieren direkt aus der evolutionären Theorie der elterlichen Fürsorge und vor allem aus den Bedingungen für genetische Verwandtschaft. Die dritte Vorhersage basiert auf der Hypothese, dass Männer die elterliche Fürsorge als eine Form der Bemühungen um ihre Partnerin ansehen. Das heißt mit der Investition eigener Ressourcen in die Kinder kann die Partnerin möglicherweise angezogen und gehalten werden. Die Daten für das Testen dieser Vorhersagen stammen aus einer Studie mit 615 Männern in Albuquerque, New Mexico. Diese Männer waren Väter von 1.246 Kindern, von denen 1.158 genetische Nachkommen und 88 Stiefkinder waren. Die Forscher sammelten Daten über drei voneinander abhängige Variablen: (1) ob das Kind für die College-Erziehung Geld vom Befragten erhielt (69 Prozent erhielten Geld); (2) die Gesamtsumme, die jedes Kind vom Befragten für das College erhielt, vereinheitlicht auf 1.990 Dollar (im Durchschnitt erhielt jedes Kind $ 13.180) und (3) den Prozentsatz der Kosten, die vom Befragten übernommen wurden (im Durchschnitt wurden 44 Prozent der Kosten übernommen). Die Ergebnisse entsprachen damit allen drei Vorhersagen. Der Grad der genetischen Verwandtschaft bewirkte große Unterschiede in der Behandlung der Kinder. Verglichen mit Stiefkindern erhielten genetische Kinder 5,5-mal häufiger Geld für das College. Im Durchschnitt erhielten sie $15.500 mehr für ihre College-Ausbildung und es wurden 65 Prozent ihrer Kosten für das College übernommen. Die erste Vorhersage, dass Männer mehr in ihre genetischen Kinder als in ihre Stiefkinder investieren würden, wurde somit unterstützt. Die zweite Vorhersage betraf die Frage, welche Auswirkungen es hat, ob ein Mann sich seiner Vaterschaft sicher ist. In der Umfrage führten die Männer jede Schwangerschaft auf, für die sie glaubten verantwortlich zu sein. Anschließend wurden sie gefragt, ob sie ihrer Vaterschaft sicher waren. Ein Mann, der angab er sei sicher, dass er nicht der Vater sei, oder er sei sich nicht sicher, ob er der Vater sei, wurde als Vater mit wenig Vertrauen in die Vaterschaft eingestuft. Die Gewissheit der Vaterschaft wies einen statistisch signifikanten Zusammenhang bei zwei von drei Variablen auf. Für Kinder von Vätern mit einer niedrigen Gewissheit der Vaterschaft betrug die Chance, überhaupt Geld für das College zu erhalten nur 13 Prozent von der Chance, die Kinder von Vätern mit einer hohen Sicherheit hatten. Ferner erhielten diese Kinder $28.400 weniger als Kinder, deren Väter ihrer Vaterschaft gewiss waren. Die Vorhersage 2 scheint somit bestätigt zu sein. Die dritte Vorhersage, dass Männer mehr in Kinder ihrer gegenwärtigen Partnerin investieren als in die Kinder früherer Partnerinnen – und zwar unabhängig davon, wer die genetischen Eltern sind – wurde ebenfalls bestätigt. Wenn seine genetischen Eltern zusammen waren, hatte es eine etwa dreimal so große Chance, Geld vom Befragten zu erhalten, wenn
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die Mutter des Kindes zu der Zeit, in der das Kind in das College eintrat, die Partnerin des Befragten war. Ceteris paribus erhielten Kinder $ 14.900 mehr, wenn ihre genetischen Eltern noch zusammen waren; weitere 53 Prozent der Kosten fürs College wurden übernommen, wenn die Mütter noch mit den Befragten zusammen waren. Die Tatsache, dass Männer mehr in Kinder investieren, selbst wenn die Kinder Stiefkinder sind, unterstützt die Hypothese, dass die elterlichen Investitionen des Mannes eher als eine „Bemühung um die Partnerin“ denn als „elterlicher Aufwand“ angesehen werden können. Ähnliche Effekte wurden bei Studenten der Xhosa High School in Kapstadt, Südafrika festgestellt (Anderson, Kaplan, Lam & Lancaster, 1999). Männer investierten mehr Geld, kauften mehr Kleidung, verbrachten mehr Zeit und halfen mehr bei den Hausaufgaben, wenn der Student ihr genetische Kind war als wenn es sich um ein Stiefkind handelte. XhosaMänner investierten auch in ihre Stiefkinder, was von den Forschern aber eher als Bemühung um die Partnerschaft interpretiert wurde. Der Evolutionsanthropologe Frank Marlow (1999) stellte fest, dass bei den Hazda in Tansania Stiefväter weniger als genetische Väter in ihre Kinder investieren. Marlow fand auch heraus, dass kein einziger Stiefvater aus seiner Studie mit seinem Stiefkind spielte. Über ihre Gefühle befragt, gaben sie zu, dass ihre positiven Gefühle für ihre Stiefkinder viel schwächer wären als für ihre genetischen Kinder. Die genetische Verwandtschaft zu einem Kind stellt somit eine wichtige Voraussetzung für finanzielle Investitionen eines Mannes dar. Männer investieren mehr in genetische Kinder als in Stiefkinder. Sie investieren auch mehr, wenn sie sicher sind, der genetische Vater zu sein. Kindesmisshandlungen und andere Risiken, wenn Kinder nicht mit beiden Eltern leben. Elterliche Fürsorge kann als Kontinuum angesehen werden. An einem Ende steht
die extreme Selbstaufopferung, bei der die Eltern alle Ressourcen in das Kind investieren und unter Umständen sogar Leib und Leben opfern, um das Leben des Kindes zu retten. Am anderen Ende finden sich Extreme wie Kindesmisshandlungen. Im äußersten Extremfall kann dies der Kindsmord sein; die Tötung eines Säuglings, die als das Gegenteil elterlicher Fürsorge angesehen werden kann. Die inklusive Fitness-Theorie lehrt uns, dass die genetische Verwandtschaft zum Kind ein Indiz für die Wahrscheinlichkeit von Kindsmord ist: je weniger der Erwachsene genetisch mit dem Kind verwandt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit des Kindsmords. Diese Vorhersage wurde untersucht (Daly & Wilson, 1988, 1995, 1996). In der umfangreichsten Studie ihrer Art untersuchten Daly und Wilson 841 Haushalte mit Kindern im Alter von 17 oder jünger und 99 misshandelte Kinder einer Hilfsorganisation für Kinder in Hamilton, Ontario, Kanada (Daly & Wilson, 1985). Die meisten kleinen Kinder leben bei beiden genetischen Eltern. Daher müssen die Kindesmisshandlungsraten durch Stiefeltern und genetische Eltern auf Basis dieser Proportionen korrigiert werden, so dass sich ein gemeinsamer Index wie „Opfer pro 1.000 Kinder in der Population“ ergibt. Die Ergebnisse werden in Abbildung 7.1 zusammengefasst. Diese Daten zeigen, dass es für Kinder, die mit einem genetischen Elternteil und einem Stiefelternteil leben, etwa vierzigmal so wahrscheinlich ist, körperlich misshandelt zu werden als dies bei Kindern der Fall ist, die bei den genetischen Eltern leben. Diese höheren Raten lassen sich auch dann feststellen, wenn andere Faktoren wie Armut oder sozioökonomischer Status berücksichtigt werden. In Familien mit niedrigem Einkommen gibt es zwar
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eine höhere Rate von Kindesmisshandlungen, aber es stellte sich heraus, dass der Anteil von Stieffamilien auf den verschiedenen Ebenen des sozioökonomischen Status gleich bleibend ist. Daly und Wilson kamen zu dem Schluss, dass „Stiefelternschaft“ per se den wichtigsten Risikofaktor für Kindesmisshandlungen darstellt, der bisher identifiziert wurde (Daly & Wilson, 1988, S. 87-88). Man kann natürlich behaupten, dass diese Ergebnisse für jeden „offensichtlich“ sind oder „dass jeder sie hätte voraussehen können“. Aber Tatsache ist, dass hunderte vorangegangener Studien über Kindesmisshandlungen daran scheiterten, Stiefeltern als Risikofaktor zu identifizieren, bis Daly und Wilson sich mit dieser Frage befassten.
Abbildung 7.1: Pro-Kopf-Verhältnis von Fällen des Kindesmissbrauchs, die Hilfsorganisationen bekannt und behördlich registriert sind Hamilton, Ontario, Kanada 1983. Quelle: Martin Daly und Margo Wilson. Homicide, S. 87. (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1988 by Aldine de Gruyter.
Kindsmord als Funktion der genetischen Verwandtschaft zu Nachkommen.
Am 20. Februar 1992 starb der zweijährige Scott M. in einem Krankenhaus in Montreal infolge massiver innerer Verletzungen, die durch einen oder mehrere Schläge in den Unterleib verursacht worden waren. Im Prozess wegen Totschlag gegen den 24-jährigen Freund der Mutter, der bei dieser wohnte, bestätigten Ärzte, dass der Körper von Scott vor allem „aufgrund von Blutergüssen verschiedenen Alters alle Symptome eines misshandelten Kindes“ aufwies. Der Beschuldigte, der sich als derjenige darstellte, der sich am meisten um Scott gekümmert hatte, gab zu, gegen die Mutter und andere Erwachsene tätlich geworden zu sein, behauptete aber: „Ich schlage keine Kinder.“ Einem Bekannten gegenüber hatte der Beschuldigte aber zugegeben, das Kind mit seinem Ellbogen geschlagen zu haben, da Scott ihn beim Fernsehen „störte“. Der Beschuldigte wurde verurteilt (Daly & Wilson, 1996, S. 77).
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Über Ereignisse wie dieses wird jeden Tag in den Zeitungen der Vereinigten Staaten und Kanadas berichtet. Leider wurde bisher das erhöhte Risiko, dem Kinder durch Stiefeltern ausgesetzt sind, durch die Art verschleiert, wie das U.S. Census Bureau und das Federal Bureau of Investigation (FBI) Daten sammeln. In den Datenbanken beider Institutionen gibt es keinen Unterschied zwischen genetischen Eltern und Stiefeltern (Daly & Wilson, 1996). Auch wenn existierende umfangreiche nationale Erfassungen die Verbindung zwischen genetischer Verwandtschaft und Kindstötung nicht belegen können, haben Daly und Wilson diese Verbindung in mehreren Studien in anderen Populationen untersucht. In einer Studie untersuchten sie 408 kanadische Kinder, die über einen Zeitraum von zehn Jahren von ihren genetischen Eltern oder Stiefeltern getötet wurden. Sie berechneten dann die Anzahl der Totschlagsopfer pro Million zusammenlebender Eltern-Kind-Dyaden pro Jahr. Die Ergebnisse finden sich in Abbildung 7.2.
Abbildung 7.2: Das Risiko, von einem Stiefelternteil getötet zu werden versus von einem natürlichen Elternteil, aufgeschlüsselt nach Alter des Kindes Kanada 1974-1983. Quelle: Nachdruck mit Genehmigung von: Martin Daly und Margo Wilson. Homicide, S. 90. (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1988 by Aldine de Gruyter.
Die Raten der Kindstötung durch Stiefeltern sind bei weitem höher als die durch leibliche Eltern. Das Risiko ist für sehr kleine Kinder im Alter von zwei Jahren oder jünger am höchsten. Indem sie verschiedene Daten dieser Art untersuchten, fanden Daly und Wilson (1988) heraus, dass das Risiko von Kindern, im Vorschulalter getötet zu werden, für Stiefkinder zwischen vierzig- und einhundertmal höher ist als für Kinder, die bei ihren genetischen Eltern leben.
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Leider sind kulturübergreifende Daten über Kindesmisshandlungen und Kindsmord in Bezug auf Stiefeltern sehr selten. Daly und Wilson (1988) zitieren Belege aus ethnografischen Aufzeichnungen der Human Relations Area Files (HRAF), allerdings sollten diese Belege mit Vorsicht beurteilt werden, da sie nicht systematisch sind und die Ethnografien ohne spezifisches Augenmerk auf Kindesmisshandlung, Kindstötung oder Stiefeltern zusammengetragen wurden. Trotz der Defizite der ethnografischen Aufzeichnungen lohnt es sich darauf hinzuweisen, dass Ehebruch, der zur Ungewissheit der Vaterschaft führte, in 15 von 39 Gesellschaften als Grund für das Töten eines Kindes angegeben wurde. In drei Stammesgesellschaften bestehen Männer darauf, dass ein Kind getötet wird, das physische Merkmale aufweist, die Grund zur Annahme geben, dass das Kind nicht das genetische Kind des Mannes ist. Unter den Tikopia in Ozeanien und den Yanomamö in Venezuela verlangten Männer, die Frauen heirateten, die bereits Kinder von anderen Männern hatten, dass diese als Vorbedingung zur Heirat getötet werden. Die genetische Verwandtschaft ist ein wichtiger Indikator für elterliche Investitionen und die Misshandlung von Kindern. Männer investieren mehr in die Erziehung ihrer genetischen Kinder als in die ihrer Stiefkinder und weniger in Kinder, bei denen eine Ungewissheit besteht, dass sie der Vater sind. Kinder werden häufiger misshandelt und getötet, wenn sie bei Stiefeltern leben und nicht bei ihren leiblichen Eltern. Für Kinder im Vorschulalter ist das Risiko, körperlich misshandelt zu werden, mindestens vierzigmal höher, wenn sie bei Stiefeltern leben als wenn sie bei ihren genetischen Eltern leben. Tatsächlich stellen Stiefeltern den höchsten Risikofaktor in Bezug auf Kindesmisshandlung und Kindstötung dar. Obwohl kulturübergreifende Daten erforderlich sind, unterstützen die vorhandenen Belege die evolutionspsychologische Vorhersage, dass genetische Verwandtschaft ein wichtiges Anzeichen für die Verteilung elterlicher Vorteile oder die Zufügung von Misshandlungen darstellt. Elterliche Fürsorge ist aufwändig und Menschen haben psychologische Mechanismen entwickelt, die ihre Fürsorge vorzugsweise auf ihre genetischen Nachkommen richten.
Die Fähigkeit der Nachkommen, die elterliche Fürsorge in reproduktiven Erfolg umzuwandeln Nachdem wir die genetische Verwandtschaft eines Kindes (oder deren Abwesenheit) zu den mutmaßlichen Eltern betrachtet haben, ist der nächste entscheidende Faktor elterlicher Fürsorge die Fähigkeit des Kindes, diese Fürsorge zu nutzen. Die Evolution hat Mechanismen begünstigt, die Eltern dazu veranlassten, stark in Kinder zu investieren, wenn dies am meisten gebracht hat, d.h. wenn die Kinder die elterliche Fürsorge positiv nutzen konnten, indem sie entweder ihre eigenen Überlebenschancen oder ihre Reproduktion erhöhten. Diese evolutionäre Logik impliziert nicht, dass Eltern nur für Kinder Sorge tragen, die robust und gesund sind. Unter bestimmten Bedingungen investieren sie mehr in kranke als in gesunde Kinder, da die gleiche Einheit der Investition ersteren mehr von Vorteil ist als letzteren. Der springende Punkt ist nicht, ob ein Kind krank oder gesund ist, sondern die Fähigkeit des Kindes, ein bestimmtes Ausmaß der elterlichen Fürsorge in Fitness umzuwandeln. Eltern denken weder bewusst noch unbewusst in diesen Kategorien. Kein Elternteil denkt jemals: „Ich werde in Sally mehr investieren als in Mary, weil Sally
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meine Investition in mehr Genkopien umwandeln kann.“ Es ist eher so, dass der Selektionsdruck psychologische Mechanismen entstehen lässt, die Form und Umfang der Investition verändern. Die entwickelten Mechanismen und gegenwärtige umweltbedingte Ereignisse lösen deren Aktivierung aus und „verursachen“ moderne Muster der elterlichen Investitionen. Der evolutionäre Psychologe David Geary hat Material über den substantiellen Unterschied zusammengetragen, der durch elterliche (und väterliche) Investitionen in Kinder in Bezug auf das körperliche und soziale Wohlergehen der Kinder entsteht (Geary, 2000). Unter den Ache in Paraguay ist die Abwesenheit des Vaters vor der Vollendung des 15. Lebensjahres des Kindes mit einer Sterblichkeitsrate von 45 Prozent verbunden, verglichen mit der beträchtlich niedrigeren Sterblichkeitsrate von 20 Prozent bei Kindern, deren Väter durchgehend bei ihnen leben (Hill & Hurtado, 1996). Indonesische Kinder, deren Eltern geschieden sind, weisen eine 12 Prozent höhere Sterblichkeitsrate auf als Kinder, die bei beiden Elternteilen leben. Ähnliche Ergebnisse wurden in Schweden, Deutschland und den Vereinigten Staaten dokumentiert (Geary, 2000). Je mehr Ressourcen die Eltern durch ihren sozioökonomischen Status haben, desto niedriger ist die Sterblichkeitsrate ihrer Kinder. Elterliche Investitionen beeinflussen das gesellschaftliche Wohlergehen, auch wenn es schwierig ist, die kausalen Verbindungen eindeutig festzustellen (Geary, 2000). Höhere Ebenen elterlicher Investitionen, angezeigt durch das Einkommen der Eltern und dadurch, ob oft mit dem Kind gespielt wird, sind positiv mit akademischen und sozialen Fähigkeiten und dem daraus folgenden sozioökonomischen Status verbunden. Die Investitionen des Vaters scheinen einen besonders starken Effekt zu haben und zählen viermal so viel wie die Investitionen der Mutter (dies könnte auch daran liegen, dass die Investition des Vaters unbeständiger ist, während die der Mutter durchwegs hoch ist). Das Verhalten der Eltern macht somit einen Unterschied bezüglich des Überlebens und des sozialen Wohlergehens ihrer Kinder. Die nächste Frage lautet: In welche Kinder sollten Eltern am meisten investieren? Wir können keine Zeitreise in die Vergangenheit unternehmen, um mit Gewissheit herauszufinden, welche Faktoren ein Kind befähigten, die elterliche Fürsorge bestmöglich zu nutzen. Nichtsdestoweniger haben Daly und Wilson (1988, 1995) zwei mögliche Faktoren identifiziert: (1) ob das Kind mit Abnormitäten geboren wurde und (2) das Alter des Kindes. Behinderte Kinder sind reproduktiv weniger erfolgreich als gesunde Kinder. Jüngere Kinder haben einen niedrigeren reproduktiven Wert als ältere Kinder. Erinnern wir uns, dass der reproduktive Wert sich auf die künftige Wahrscheinlichkeit bezieht, Nachkommen zu zeugen. Betrachten wir dazu die empirischen Daten. Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern mit kongenialen Abnormitäten durch die Eltern. Kinder mit angeborenen Krankheiten wie Wirbelsäulenspalte (Spina
bifida), Zystofibrose, Gaumenspalte oder Down-Syndrom weisen einen niedrigeren reproduktiven Wert auf als gesunde Kinder. Gibt es Hinweise darauf, dass Eltern diese Kinder anders behandeln? Ein Index ist, ob die Kinder ganz oder teilweise verlassen werden. Studien zeigen, dass ein großer Teil dieser schwer kranken Kinder in Anstalten untergebracht sind. In einer Erhebung in den Vereinigten Staaten aus dem Jahr 1976 stellte sich heraus, dass von den in Anstalten untergebrachten Kinder mehr als 16.000 Kinder niemals besucht wurden (etwa 12 Prozent aller in Anstalten untergebrachten Kinder). Etwa 30.000
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(ungefähr 22 Prozent) wurden nur einmal im Jahr oder seltener besucht (U.S. Bureau of the Census, 1978). Auch wenn diese Ergebnisse in engem Zusammenhang mit ihren Ursachen stehen und keine Kausalität begründen können, so stimmen sie doch mit der Hypothese überein, dass Eltern weniger in Kinder mit Abnormitäten investieren. Was ist mit Kindern mit Abnormitäten, die weder in einer Anstalt untergebracht noch zur Adoption freigegeben wurden? Die Raten körperlicher Kindesmisshandlungen und Vernachlässigung in der Population der Vereinigten Staaten werden auf etwa 1,5 Prozent geschätzt (Daly & Wilson, 1981). Diese Rate stellt die Basis dar, anhand derer die Misshandlung von Kindern mit verschiedenen Charakteristika verglichen werden kann. Daly und Wilson (1981) fassten verschiedene Studien zusammen, die alle suggerieren, dass Kinder mit Abnormitäten beträchtlich häufiger Opfer von Misshandlungen sind. Der Prozentsatz von Kindern mit angeborenen körperlichen Abnormitäten, die misshandelt werden, reicht von 7,5 bis 60 Prozent. Das ist ein Vielfaches der Grundrate in der allgemeinen Bevölkerung. In einigen Fällen könnte die Behinderung eines Kindes auch eine Folge der Misshandlungen sein und nicht der Grund für diese, aber dies wird bei Kindern ausgeschlossen, bei denen die Behinderung angeboren ist, wie Kinder mit Wirbelsäulenspalte, Zystofibrose, Klumpfuß, Gaumenspalte oder Down-Syndrom. Mütterliche Fürsorge basiert auf der Gesundheit des Kindes. Ein direkter Test der
Hypothese, dass Eltern eine Präferenz aufweisen, in Kinder gemäß ihres reproduktiven Werts zu investieren, wird durch eine Studie über Zwillinge ermöglicht, von denen bei jedem Paar einer gesünder war. Die evolutionäre Psychologin Janet Mann führte eine Studie mit 14 Säuglingen durch: sieben Zwillingspaare, die alle vorzeitig geboren wurden. Als die Säuglinge vier Monate alt waren, führte die Psychologin detaillierte Verhaltensbeobachtungen über die Interaktionen zwischen den Müttern und ihren Säuglingen durch (Mann, 1992). Die Interaktionen wurden beobachtet, wenn der Vater nicht anwesend war und beide Zwillinge wach waren. Die Beobachter wurden in über hundert Stunden in Verhaltensbeobachtungen unterrichtet, zu denen Übungen mit Mutter-Säugling-Dyaden gehörten. Zu den Verhaltensaufzeichnungen gehörten Einschätzungen des positiven mütterlichen Verhaltens, zu dem Küssen, Halten, Beruhigen, Sprechen, Spielen und das Anschauen des Säuglings gehörte. Unabhängig davon wurde der Gesundheitsstatus eines jeden Säuglings bei der Geburt, bei der Entlassung aus dem Krankenhaus, im Alter von vier Monaten und im Alter von acht Monaten untersucht. Dies umfasste medizinische, neurologische, physische und kognitive Untersuchungen und Beurteilungen über dessen Entwicklung. Janet Mann untersuchte dann die Gesunde-Baby-Hypothese, nach welcher der Gesundheitsstatus des Kindes den Grad des positiven mütterlichen Verhaltens beeinflusst. Als die Säuglinge vier Monate alt waren, richtete etwa die Hälfte der Mütter mehr positives mütterliches Verhalten auf den gesunden Säugling; die andere Hälfte zeigte keine Präferenzen. Als die Säuglinge acht Monate alt waren, richteten jedoch alle Mütter mehr positives mütterliches Verhalten auf den gesünderen Säugling. Das Ergebnis dieser Zwillings-Studie unterstützt somit die Gesunde-Baby-Hypothese und legt nahe, dass die Mütter mehr Investitionen auf Säuglinge mit höherem reproduktiven Wert richten. Es bedarf weiterer ausführlicher Tests in größerem Umfang, um diese Hypothese zu unterstützen.
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Alter des Kindes. Der reproduktive Wert, d.h. die erwartete Wahrscheinlichkeit künftiger Reproduktion, nimmt von der Geburt zur Pubertät zu. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass ein bestimmter Prozentsatz der Kinder, vor allem Säuglinge, sterben, und so der durchschnittliche reproduktive Wert dieser Altersklasse nach unten gezogen wird. Ein Vierzehnjähriger hat einen höheren reproduktiven Wert als ein Säugling, da einige Säuglinge sterben, bevor sie Vierzehn werden. Das Erreichen der Pubertät war früher, als die Säuglingssterblichkeit höher war, durchaus nicht so selbstverständlich wie heutzutage. Auf dieser Basis kamen Daly und Wilson zu folgender Vorhersage: je jünger das Kind, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Eltern es töten. Dieses altersabhängige Muster der Kindstötung sollte jedoch bei Nicht-Verwandten nicht vorkommen, da diese nicht das gleiche Interesse am reproduktiven Wert des Kindes haben.
Wie bei den meisten Themen liegen auch hier nur wenige kulturübergreifende Daten vor. In den HRAF-Akten berichten elf Ethnografien verschiedener Kulturen, dass ein Kind getötet wird, wenn das Geburtsintervall zu kurz oder die Familie zu groß ist (Daly & Wilson, 1988, S. 75). In jedem dieser elf Fälle werden die Neugeborenen getötet und in keinem Fall das ältere Kind.
Abbildung 7.3: Das Risiko des Totschlags durch natürliche Eltern in Abhängigkeit vom Alter des Kindes Kanada 1974-1983. Quelle: Martin Daly und Margo Wilson. Homicide, S. 76. (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1988 by Aldine de Gruyter.
Eine gründlichere Überprüfung der Vorhersage über das Risiko eines Kindes, abhängig vom Alter von seinen genetischen Eltern getötet zu werden, wurde mit kanadischen Daten durchgeführt. Die Ergebnisse (Abbildung 7.3) zeigen, dass Säuglinge einem sehr viel höheren Risiko ausgesetzt sind, durch ihre genetischen Eltern getötet zu werden, als jede andere Altersgruppe. Danach nehmen die Raten der Kindstötung progressiv ab, bis sie im Alter von 17 bei Null liegen.
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Eine mögliche Erklärung für diese Abnahme liegt darin begründet, dass Kinder sich mit zunehmendem Alter besser verteidigen können. Aber dies erklärt nicht die Daten, denn das Risiko eines Kindes, durch Nicht-Verwandte getötet zu werden, zeigt ein deutlich anderes Muster (siehe Abbildung 7.4). Im Gegensatz zu genetischen Eltern ist es für Nicht-Verwandte wahrscheinlicher, einjährige Kinder zu töten als Säuglinge. Im Gegensatz zu genetischen Eltern, die fast niemals ihre Kinder im Teenager-Alter töten, töten Nicht-Verwandte Teenager mehr als Kinder anderer Alterskategorien. Somit scheint nicht die größere körperliche Stärke, sondern der zunehmende reproduktive Wert älterer Kinder der Grund dafür zu sein, dass genetische Eltern diese seltener töten.
Abbildung 7.4: Risiko, dass ein Kind durch einen Nicht-Verwandten getötet wird Kanada 1974-1983. Quelle: Martin Daly und Margo Wilson. Homicide. (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1988 by Aldine de Gruyter.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zwei negative Indikatoren der Fähigkeit eines Kindes, den reproduktiven Erfolg der Eltern zu fördern – nämlich Geburtsfehler und Jugend – Totschlag durch die genetischen Eltern vorhersagen. Daly und Wilson (1988) weisen darauf hin, dass sie nicht annehmen, dass „Kindesmisshandlung“ oder „Kindstötung“ per se Adaptationen sind; sie betrachten Kindstötungen als extremes Ergebnis einer Prüfung bzw. eines Tests der elterlichen Gefühle. Sie vertreten die Meinung, dass Eltern die Kinder bevorzugen, die am besten geeignet sind, die elterlichen Investitionen in reproduktiven Erfolg umzuwandeln und weniger wohlwollend Kindern gegenüber sind, die diese Fähigkeiten nicht haben. Sie erfassen diese Form elterlicher Gefühle mit der Phrase diskriminierende elterliche Besorgtheit. Nach Daly und Wilson repräsentiert Kindstötung eine extreme und relativ ungewöhnliche Manifestation negativer elterlicher Gefühle und nicht eine Form der Adaptation. Auf der anderen Seite gibt es Belege, dass Eltern mehr in gesunde als in kranke Kinder investieren, was nahe legt, dass die Selektion psychologische Mechanismen in Eltern auf den reproduktiven Wert ihrer Kinder hin orientiert hat.
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Investition in Söhne versus Töchter: Die Trivers-Willard-Hypothese. Eine weitere Variable, die einen Einfluss darauf hat, inwieweit es einem Kind gelingt, die elterliche Fürsorge in reproduktiven Erfolg umzusetzen, ist sein Geschlecht. Geht man von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis in der Population aus, sollten Söhne und Töchter natürlich den gleichen reproduktiven Erfolg haben. Aber es sind die Verhältnisse, die es dem Sohn oder der Tochter gestatten, dass der eine oder die andere größeren Nutzen aus der elterlichen Fürsorge zieht. Die Kernaussage der Trivers-Willard-Hypothese ist folgende: Eltern zeugen mehr Söhne und investieren mehr in diese, wenn sie in guten Verhältnissen leben und daher die Chance haben, einen Sohn zu bekommen, der im Paarungsverhalten erfolgreich ist (Trivers & Willard, 1973). Leben Eltern hingegen in schlechten Verhältnissen oder verfügen sie über weniger Ressourcen, sollten sie nach der Trivers-Willard-Hypothese mehr in Töchter investieren. Mit anderen Worten: Insofern das Leben in guten Verhältnissen für den reproduktiven Erfolg männlicher Nachkommen wichtiger ist, als dies für den Erfolg weiblicher Nachkommen der Fall ist, was man in einem polygynen Partnersystem erwarten würde. Somit sollten Eltern ihre Investitionen von ihren Lebensumständen abhängig machen. Leben sie in guten Verhältnissen, sollten sie stärker in Söhne investieren, leben sie in weniger guten, sollten sie stärker in Töchter investieren.
Leider haben Überprüfungen der Trivers-Willard-Hypothese bisher zu keiner Eindeutigkeit geführt (Keller, Nesse & Hofferth, 2001). Einige Studien finden einen Trivers-WillardEffekt. Nach einer Studie beispielsweise werden weibliche Säuglinge in höheren Schichten häufiger durch ihre Eltern getötet als männliche Säuglinge (Dickemann, 1979) wie durch die Hypothese vorhergesagt (unter der Annahme, dass Kindstötung ein entgegengesetzter Indikator elterlicher Investition ist). Auch bei den Kipsigis in Kenia investierten ärmere Familien mehr in die Erziehung ihrer Töchter als in die ihrer Söhne, während bei den reicheren Familien das Gegenteil zu beobachten war (Borgerhoff Mulder, 1998). Umgekehrt fanden Forscher bei 3.200 amerikanischen Kindern weder Belege dafür, dass Eltern mit höherem Status mehr in Söhne als in Töchter investieren, noch Belege dafür, dass ärmere Eltern mehr in Töchter als in Söhne investieren (Keller et al., 2001). Weitere Studien sind erforderlich, um festzustellen, ob die Trivers-Willard-Effekte bei verschiedenen Populationen beobachtet werden können und um die Bedingungen zu identifizieren, unter denen ein Sohn oder eine Tochter die elterlichen Investitionen besser nutzen kann.
Alternative Verwendung der Ressourcen, die für Investitionen in Kinder vorhanden wären Energie und Anstrengungen sind begrenzt. Anstrengungen, die auf eine Aktivität gerichtet werden, müssen notwendigerweise von anderen abgezogen werden. Auf die Elternschaft bezogen bedeutet das Prinzip der begrenzt möglichen Anstrengungen, dass die in die Fürsorge eines Kindes investierten Ressourcen nicht zur Lösung anderer adaptiver Probleme wie das persönliche Überleben, die Anziehung zusätzlicher Partner oder Investitionen in die Verwandtschaft zur Verfügung stehen. Auf einer allgemeinen Ebene wird erwartet, dass die Selektion beim Menschen Entscheidungsregeln dafür entwickelt hat, wann in Kinder investiert wird und wann man seine Energie auf andere adaptive Pro-
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bleme lenken sollte. Aus der weiblichen Perspektive beeinflussen Alter und Familienstand diese Entscheidung. Aus der männlichen Perspektive ist ein wichtiger Faktor in Bezug auf elterliche Bemühungen der sexuelle Erfolg bei Frauen. Männer mit hohem potentiellen Zugang zu Frauen könnten ihre Bemühungen mehr auf die Paarung als auf die Elternschaft konzentrieren. Wir werden auf diese Zusammenhänge näher eingehen. Das Alter von Frauen und Kindsmord. Junge Frauen haben viele Jahre vor sich, in denen
sie Kinder gebären und in sie investieren können und so sind die Kosten gering, eine Chance zu verpassen. Auf der anderen Seite könnten Frauen, die sich dem Ende ihrer reproduktiven Kapazität nähern und eine Möglichkeit, ein Kind zu bekommen, verpassen, keine weitere Chance erhalten. Da die Aussichten auf Reproduktion abnehmen, steigen die reproduktiven Kosten, die Geburt von Kindern aufzuschieben. Aus dieser Perspektive gesehen könnte man erwarten, dass die Selektion eine Entscheidungsregel favorisieren würde, die ältere Frauen dazu bringt, in Kinder zu investieren, statt dies weiter aufzuschieben. Daly und Wilson (1988) untersuchten diese Hypothese, indem sie Kindstötung zur Überprüfung der mütterlichen Investition (oder Mangel derselben) verwendeten. Aus den oben ausgeführten Überlegungen folgt eine bestimmte Vorhersage: Jüngere Frauen neigen eher zur Kindstötung als ältere Frauen. Diese Hypothese erhält starke Unterstützung von Statistiken der Ayoreo-Indios (Burgos & McCarthy, 1984). Der zu Kindstötungen führende Anteil der Geburten ist unter den jungen Frauen (zwischen 15 und 19) am höchsten und unter den ältesten Frauen (über 39) am niedrigsten. Allerdings weisen die Ayoreo-Indios eine ungewöhnlich hohe Kindstötungsrate auf, nämlich 38 Prozent aller Geburten, so dass dies ein atypisches Beispiel ist. Gibt es in anderen Kulturen Belege, dass das Alter der Mütter Kindstötungen beeinflusst? Daly und Wilson (1998) sammelten Daten über Kindstötungen in Kanada zwischen 1974 bis 1983 (siehe Abbildung 7.5). Wie bei den Ayoreo-Indios verüben auch junge kanadische Mütter häufiger Kindstötungen als ältere. Teenager weisen die höchste Rate auf, nämlich dreimal so viel wie jede andere Altersgruppe. Frauen in ihren Zwanzigern zeigen die nächst höhere Rate, gefolgt von Frauen in ihren Dreißigern. Abbildung 7.5 zeigt einen leichten Zugang bei Kindstötungen unter den ältesten Frauen, was der Hypothese zu widersprechen scheint, dass ältere Frauen ihre Kinder seltener töten. Daly und Wilson merken jedoch an, dass dies kein zuverlässiges Ergebnis ist, da diese Gruppe nur aus drei Frauen bestand: einer Frau im Alter von 38 und zweien im Alter von 41. Somit wird die Vorhersage, dass Kindstötungen unter jüngeren Frauen, die die meisten Möglichkeiten für zukünftige Reproduktion aufweisen, am höchsten, und bei älteren Frauen, die geringere Möglichkeiten künftiger Reproduktion haben, am niedrigsten ist, von Daten aus zwei Kulturen unterstützt. Jüngere Frauen können ihre Ressourcen auch für andere Zwecke wie die Ansammlung persönlicher Ressourcen verwenden oder für Bemühungen, einen Partner anzuziehen. Die Entscheidungsregeln älterer Frauen dagegen tendieren zur Investition in Kinder, selbst wenn sie die Möglichkeit haben, in die Lösung anderer adaptiver Probleme zu investieren. Ein weiterer Kontext, der die Entscheidung beeinflusst, in Kinder zu investieren, ist der Familienstand der Frauen.
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Kindstötungen pro eine Million Geburten
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Alter der Mutter Abbildung 7.5: Das Risiko von Kindstötungen (Totschlag durch die leibliche Mutter innerhalb des ersten Lebensjahres) in Abhängigkeit vom Alter der Mutter Kanada 1974-1983. Quelle: Martin Daly und Margo Wilson. Homicide, S. 63. (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1988 durch Aldine de Gruyter.
Der Familienstand von Frauen und Kindstötungen. Eine ledige Mutter, die ein Kind bekommt, hat drei Möglichkeiten: Sie kann versuchen, das Kind ohne die Hilfe eines investierenden Vaters aufzuziehen, sie kann das Kind verlassen oder es zur Adoption freigeben oder sie kann das Kind töten und ihre Ressourcen dazu verwenden, einen Ehemann an sich zu binden und mit ihm Kinder haben. Daly und Wilson (1988) meinen, dass der Familienstand einer Frau Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit hat, dass sie ihr Kind tötet.
Sie untersuchten diese Vorhersage anhand von zwei Datenquellen. In der ersten untersuchten sie HRAF-Akten – die umfangreichste aller derzeit existierenden ethnografischen Datenbanken. Es gab sechs Kulturen, in denen Säuglinge getötet wurden, wenn kein Mann zugab, der Vater zu sein oder sich verpflichtete, bei der Aufzucht des Kindes zu helfen. In weiteren 14 Kulturen war der unverheiratete Familienstand der Frau ein zwingender Grund, das Kind zu töten. Diese Daten sind aufschlussreich, aber weitere quantitative Daten sind erforderlich. Zwischen 1977 und 1983 wurde eine Studie unter ausgewählten kanadischen Frauen durchgeführt. In diesem Zeitraum wurden zwei Millionen Kinder geboren (Daly & Wilson, 1988). Nur zwölf Prozent der Mütter waren ledig. Trotz des relativ niedrigen Prozentsatzes unverheirateter Frauen waren diese für mehr als die Hälfte der 64 Kindstötungen verantwortlich, die der Polizei gemeldet oder durch diese aufgedeckt wurden. Dem aufmerksamen Leser fällt sofort ein Problem bei diesem Ergebnis auf: vielleicht
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sind unverheiratete Mütter im Durchschnitt jünger als verheiratete Mütter und so könnten die Kindstötungen eher auf das Alter als auf den Familienstand der Frauen zurückzuführen sein. Daly und Wilson (1988) untersuchten deshalb die getrennten Effekte von Alter und Familienstand der Frauen (Abbildung 7.6). Die Ergebnisse sind klar: Sowohl Alter als auch Familienstand haben einen Einfluss auf die Häufigkeit von Kindstötungen. In jeder Altersgruppe außer der ältesten war die Wahrscheinlichkeit der Kindstötung für unverheiratete Mütter höher als für verheiratete Frauen. Wertet man alle Untersuchungen aus, scheinen beträchtliche Hinweise dafür vorzuliegen, dass die Variable Alter und die Variable Familienstand die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, dass eine Frau ihr Kind tötet. Vermutlich reflektieren die hier festzustellenden Trends im Laufe der Evolution entstandene Entscheidungsregeln bei Frauen hinsichtlich der Art und Weise, wie sie ihre Ressourcen verwenden. Ältere, verheiratete Frauen, deren reproduktive Jahre nachlassen, behalten das Kind eher und investieren in es. Jüngere und unverheiratete Frauen begehen häufiger Kindstötungen, um ihre Anstrengungen auf andere adaptive Probleme wie das Überleben oder auf die Anziehung investierender Männer zu richten. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Daly und Wilson nicht behaupten, dass Kindstötung per se eine Adaptation ist. Sie betrachten Kindstötung eher als Kehrseite der elterlichen Fürsorge – der sprichwörtlichen Spitze des Eisbergs, der die eigentlichen psychologischen Entscheidungsregeln über elterliche Investitionen aufdeckt. Elterliche Bemühungen versus Partner-Bemühungen. Bemühungen, die auf die Elternschaft gerichtet sind, können nicht zur Gewinnung zusätzlicher Partner verwendet werden. Erinnern wir uns, dass es zwei evolutionäre Gründe für die Vorhersage gibt, dass Männer und Frauen unterschiedliche Entscheidungsregeln hinsichtlich der Abwägungen zwischen Elternschaft und Partnersuche entwickelt haben. Erstens profitieren Männer mehr als Frauen von sexuellem Zugang zu zusätzlichen Partnerinnen. Männer können durch erhöhten sexuellen Zugang mehr Kinder zeugen, was Frauen nicht möglich ist. Zum zweiten ist die Vaterschaft normalerweise weniger als 100 Prozent sicher. Deshalb wird die Investition seitens eines Mannes in ein Kind seinen reproduktiven Erfolg, durchschnittlich gesehen, nicht in dem gleichen Maße erhöhen, wie dies bei einer Frau der Fall ist. Diese zwei Überlegungen führen zu folgender Vorhersage: Frauen werden wahrscheinlich eher als Männer ihre Energie und alle Anstrengungen auf die Elternschaft konzentrieren als auf die Gewinnung zusätzlicher Partner.
Diese Vorhersage wird durch Belege in einer Vielfalt von Kulturen gestützt. Bei den Ye’Kwana im Regenwald Venezuelas beispielsweise gibt es einen statistisch signifikanten Geschlechtsunterschied, wie lange Säuglinge im Arm gehalten werden. Mütter halten ihre Säuglinge im Durchschnitt 78 Prozent der Zeit, während Väter sie nur 1.4 Prozent der Zeit halten (Hames, 1988). Die übrige Zeit halten andere Verwandte, vor allem Frauen wie Schwestern, Tanten und Großmütter die Kinder im Arm. Die Aka-Pygmäen in Zentralafrika sind ein weiteres Beispiel (Hewlett, 1991). Die Aka sind bekannt für ihr ungewöhnlich hohes Niveau elterlicher Investitionen. Die Eltern schlafen im gleichen Bett wie ihre Säuglinge. Wenn das Kind nicht durch die Mutter gestillt wird, kümmert sich normalerweise der Vater um das Kind und singt oder tanzt mit ihm. Der Vater entfernt den Nasenschleim, reinigt das Kind und entlaust es und wenn die Mutter nicht da ist, bietet er ihm sogar die Brust, an der es nuckeln kann.
Kindestötungen pro eine Million Geburten
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150
verheiratet ledig
120
90
60
30
0 < _19
20–24
25–29
30–34
>35 _
Alter der Mutter Abbildung 7.6: Das Risiko einer Kindstötung in Abhängigkeit vom Alter der Mutter und ihrem Familienstand Kanada 1974-1984. Quelle: Martin Daly und Margo Wilson. Homicide, S. 65. (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1988 Aldine de Gruyter.
An einem durchschnittlichen Tag halten die Väter der Aka ihre Säuglinge mehr als Väter in jeder anderen bekannten Kultur, nämlich durchschnittlich 57 Minuten, im Arm. Dieses ungewöhnlich hohe Niveau elterlicher Investition verblasst jedoch im Vergleich zu den Aka-Müttern, die ihre Säuglinge an einem durchschnittlichen Tag 490 Minuten im Arm halten. Selbst bei den Aka, einer Kultur, die als Gesellschaft „mütterlicher Männer“ beschrieben wird, sind es die Frauen, die den Löwenanteil an der Fürsorge für den Nachwuchs übernehmen. Eine andere kulturübergreifende Studie untersuchte verschiedene ländliche und nicht technologische Gesellschaften in Mexiko, Java, Yuechua, Nepal und den Philippinen (berichtet bei Barash & Lipton, 1997). Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern war bei den verschiedenen Völkern nahezu identisch. Väter kümmerten sich zwischen 5 und 18 Prozent ihrer Wachzeit um die Kinder, wobei der häufigste Wert acht Prozent betrug. Mütter dagegen verbrachten zwischen 39 und 88 Prozent ihrer Wachzeit damit, sich um ihre Kinder zu kümmern, wobei als häufigster Wert 85 Prozent genannt wurde. Frauen verbrachten somit etwa zehnmal so viel Zeit mit ihren Kindern wie Männer. Der Geschlechtsunterschied wird noch größer, wenn passive Formen der Fürsorge in die Analyse aufgenommen werden wie die Beaufsichtigung spielender Kinder. Werden diese Daten hinzugefügt, so kümmern sich Frauen 15-mal so viel um Kinder wie die Männer. Ähnliche Unterschiede sind aus Amerika bekannt, wo sich Väter durch Erfindungen wie die Babyflasche und künstliche Muttermilch von Anfang an genauso um ihre Kinder kümmern könnten. Aber selbst hier verbringen Frauen mehr als viermal so viel Zeit mit ihren Kinder als Väter (Barah & Lipton, 1997). Die Statistik Alleinerziehender spricht für sich: Etwa 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Trotz Ideologien über Gleichberechtigung sind Männer entweder unwillig, eine große Rolle in der Kinderziehung zu
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übernehmen, oder Frauen bevorzugen, diese zu übernehmen. Wahrscheinlich spiegelt das Ergebnis die Entscheidungsregeln beider Geschlechter wider, in denen Männer dazu neigen, ihre Investitionen in die Gewinnung von Partnern zu stecken, während Frauen der Elternschaft Priorität geben. Eine Vielzahl von Studien legt nahe, dass die Evolution in Müttern bestimmte elterliche Mechanismen entwickelt hat, die bei Männern fehlen oder nur schwach ausgebildet sind. Eine Serie von Studien untersuchte die Pupillenreaktionen von Männern und Frauen auf verschiedene Bilder (Hess, 1975). Wenn wir etwas sehen, das uns anzieht, weiten sich unsere Pupillen mehr, als wegen der Lichtverhältnisse der Umgebung notwendig wäre. Daher kann die Erweiterung der Pupillen als Maßstab für Interesse und Attraktivität genutzt werden – eine subtile Maßeinheit, die immun gegen selbst-berichtete Voreingenommenheiten ist, die Fragebögen beeinträchtigen könnten. In diesen Studien erweiterten sich die Pupillen von Frauen um mehr als 17 Prozent, wenn sie Dias von Babys sahen – die Pupillen von Männern hingegen erweiterten sich nicht. Als den Frauen Dias von Müttern gezeigt wurden, die ein Kind im Arm halten, erweiterten sich ihre Pupillen um etwa 24 Prozent, während sich die Pupillen der Männer nur um fünf Prozent erweiterten (aber selbst dieser geringe Prozentsatz kann wahrscheinlich eher auf die Attraktivität der Mütter zurückgeführt werden).
Bei der Betrachtung eines Säuglings erweitern sich die Pupillen der Frau mehr als die der Männer, ein Hinweis darauf, dass sie das Baby mögen.
Andere Studien zeigen ähnliche Geschlechtsunterschiede. Frauen können ihre neugeborenen Kinder innerhalb von sechs Stunden nach der Geburt am Geruch erkennen, während Väter diese Fähigkeiten nicht haben (Barah & Lipton, 1997). Frauen verfügen auch über eine größere Fähigkeit, die Gesichtszüge von Säuglingen zu erkennen, wenn Fotos kurz über einen Bildschirm flimmern. Frauen entdecken Emotionen wie Überraschung, Ekel, Angst und Verzweiflung schneller und genauer als Männer (Barash & Lipton, 1997). Interessanterweise war die Genauigkeit der Frauen in keiner Weise durch vorhergegangene Erfahrung mit Säuglingen und Kindern beeinflusst. Frauen scheinen über elterliche Mechanismen zu verfügen, die in Männern nur schwach ausgebildet oder nicht vorhanden sind. In allen Ländern, über die Daten existieren, verbringen Frauen mehr Zeit mit Kindern als Männer. Frauen finden Bilder von Säuglingen interessanter als Männer, was durch die Erweiterung der Pupillen nachgewiesen wurde. Frauen können ihr Kind wenige Stunden nach der Geburt am Geruch erkennen. Zudem
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können Frauen die Gesichtszüge von Säuglingen schneller und genauer erkennen als Männer. All diese Ergebnisse führen zu einem Schluss: Frauen scheinen Entscheidungsregeln entwickelt zu haben, die sie dazu veranlassen, mehr Zeit in die Elternschaft zu investieren. Sie verfügen über Mechanismen des emotionellen Gedankenlesens, die die Elternschaft effektiver machen. Wahrscheinlich nutzen Männer Ressourcen, die nicht der Elternschaft gewidmet sind, für andere adaptive Aufgaben wie der Paarung. Es gibt direkte Belege für diese Aussage, aber sie sind sehr schwach. Ein Befund kommt von den Aka-Pygmäen in Zentralafrika. Obwohl die Aka, verglichen mit anderen Kulturen, starke elterliche Investitionen aufweisen, gibt es große Unterschiede am Anteil der Elternschaft. Väter mit hohem Ansehen im Stamm (kombeti) halten ihre Säuglinge weniger als halb so oft im Arm wie Männer mit niedrigem Ansehen (Hewlett, 1991). Männer mit hohem Ansehen sind normalerweise polygam und haben zwei oder mehr Frauen. Im Gegensatz dazu sind Männer mit niedrigem Ansehen froh, überhaupt eine Frau zu finden. Männer mit niedrigem Ansehen scheinen dies durch Anstrengungen in der Elternschaft zu kompensieren, während Männer mit hohem Ansehen ihre Ressourcen auf die Anziehung zusätzlicher Partnerinnen verwenden (Hewlett, 1991; Smuts & Gubernick, 1992). Selbst wenn Männer sich der Elternschaft widmen, kann dies eher als Taktik zur Sicherung der Partnerin interpretiert werden, denn als Hilfe in Bezug auf die Lebensfähigkeit des Kindes. Diese Hypothese wurde von den Primatologen Barbara Smuts und David Gubernick (1992) aufgestellt. Mark Flinn (1992) untersuchte väterliche Investitionen in einem Dorf auf Trinidad. Er fand heraus, dass sich Männer mehr um die Kinder einer allein erziehenden Frau bemühen, bevor sie mit ihr verheiratet sind als danach. Dies lässt vermuten, dass Männer die Bemühungen um Kinder als Teil der Strategien zur Anziehung der Frau ansehen. Zusammenfassung. Wir haben drei Faktoren untersucht, die die Evolution der Elternschaft beeinflussen: genetische Verwandtschaft, die Fähigkeit des Kindes, die elterliche Fürsorge in Überleben und reproduktiven Erfolg umzuwandeln und alternative Möglichkeiten, wie Eltern Ressourcen nutzen könnten, die sie auf ihre Kinder konzentrieren. Die Befunde legen nahe, dass alle drei Faktoren wichtig sind. Eltern investieren mehr in genetische Kinder als in Stiefkinder; Väter, die sich ihrer Vaterschaft ungewiss sind, investieren weniger in Kinder als Mütter, die ihrer genetischen Verwandtschaft zu 100 Prozent sicher sind. Gesunde Kinder mit einem hohen reproduktiven Wert erhalten mehr positive elterliche Aufmerksamkeit als Kinder, die krank sind oder Behinderungen aufweisen und somit einen niedrigeren reproduktiven Wert haben. Männer, die mehr Möglichkeiten als Frauen haben, um Partner anzuziehen, tendieren dazu, weniger Anstrengungen in die elterliche Fürsorge zu investieren. Unter den Männern der Aka bündeln Männer mit hohem Ansehen ihre Anstrengungen auf die Attraktion neuer Frauen und verbringen daher weniger Zeit mit der elterlichen Fürsorge. Männer der Aka mit niedrigem Ansehen dagegen verstärken ihre Investitionen in Kinder, wenn auch nicht auf dem Niveau, wie dies die Frauen der Aka tun.
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7.3
Die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts
Nach der evolutionäre Theorie sind Kinder die wichtigsten Mittler für den reproduktiven Erfolg der Eltern. Angesichts der Tatsache, dass Kinder für ihre Eltern eine so große Bedeutung haben, mag man sich wundern, warum man sich dann mit seinen Eltern streitet, und es mag überraschen, dass Konflikte zwischen Eltern und Kindern evolutionär begründet sind (Trivers, 1974). Bei sexuell reproduzierenden Arten wie dem Menschen sind Eltern und ihre Nachkommen zu 50 Prozent genetisch miteinander verwandt. Die genetische Verwandtschaft zwischen Eltern und Kind übt, wie oben aufgeführt, einen Selektionsdruck intensiver elterlicher Fürsorge aus. Aber es bedeutet auch, dass sich Eltern und Kinder genetisch zu 50 Prozent unterscheiden. Was für den einen das beste wäre, ist somit selten das beste für den anderen (Trivers, 1974). Eltern und Kinder unterscheiden sich auch hinsichtlich der Zuwendung elterlicher Ressourcen voneinander mit dem Ergebnis, dass die Kinder mehr haben wollen, als die Eltern zu geben bereit sind. Lassen Sie uns die Logik dieser Konflikte zwischen Eltern und Kindern untersuchen. Daly und Wilson (1988) illustrieren diese Logik anhand eines numerischen Beispiels. Nehmen wir an, Sie haben ein Geschwister mit dem gleichen reproduktiven Wert. Ihre Mutter kommt vom Nahrung sammeln nach Hause und hat zwei Dinge, die sie Ihnen zum Essen geben kann. Wie bei vielen Ressourcen nimmt der Nutzen, der mit einem weiteren Konsum verbunden ist, zunehmend ab, d.h. der Wert der ersten Nahrungseinheit ist höher als der Wert der zweiten. Die erste Nahrungseinheit verhindert beispielsweise das Verhungern, während einen die zweite Einheit etwas voller und fetter macht. Sagen wir, das erste Stück würde den reproduktiven Erfolg um vier Einheiten erhöhen und das zweite Stück um weitere drei Einheiten. Der Verzehr dieser Nahrungsmittel durch Ihr Geschwister hätte das gleiche Ergebnis mit verringerten Gewinnen für jedes zusätzliche Nahrungsmittel. Nun kommt der Konflikt: Aus der Perspektive Ihrer Mutter wäre die ideale Verteilung, jedem von Ihnen ein Stück zu geben. Dadurch würden die für Sie zur Verfügung stehenden acht Einheiten für jeden von Ihnen vier ergeben. Würden Sie oder Ihr Geschwister die Nahrung alleine konsumieren, wäre der Gewinn jedoch nur sieben (vier für das erste Stück und drei für das zweite Stück). Aus der Perspektive Ihrer Mutter würde somit eine gleiche Verteilung zum besten Ergebnis führen. Aus Ihrer Perspektive jedoch sind Sie zweimal so wertvoll wie Ihr Geschwister. Sie besitzen 100 Prozent ihrer Gene, während Ihr Geschwister nur 50 Prozent Ihrer Gene hat. Daher würden Sie bei der idealen Zuteilung Ihrer Mutter durch die vier Einheiten profitieren, die Sie erhalten plus zwei der Einheiten, die Ihr Geschwister erhält (da Sie zu 50 Prozent von dem profitieren, was Ihr Geschwister erhält) und somit insgesamt einen Nutzen von sechs Einheiten erhalten. Würden Sie jedoch alles erhalten, so würden Sie von sieben Einheiten profitieren (vier für das erste Stück und drei für das zweite Stück). Aus Ihrer Perspektive wäre somit die ideale Verteilung, dass Sie alles bekommen und Ihr Geschwister nichts. Dies steht allerdings im Konflikt mit der idealen Verteilung durch Ihre Mutter, die die Nahrung gleichmäßig verteilen möchte. Die allgemeine Schlussfolgerung ist die folgende: Die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts sagt vorher, dass jedes Kind normaler-
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weise einen größeren Anteil der Ressourcen der Eltern will, als die Eltern zu geben bereit sind. Auch wenn das obige Beispiel sehr vereinfacht dargestellt ist, trifft die allgemeine Schlussfolgerung auch dann zu, wenn sich Geschwister in ihrer Bedeutung für die Eltern unterscheiden oder wenn diese nur ein Kind haben. Wenn die Eltern der idealen Verteilung der Ressourcen wie vom Kind gewünscht nachgäben, würde dies dazu führen, dass das Kind andere Kanäle anzapft, durch die die Eltern reproduktiv erfolgreich sein könnten. Interessanterweise ist der Eltern-Kind-Konflikt über die Ressourcen der Eltern nicht nur zu bestimmten Zeiten wie der Jugend, sondern zu jeder Zeit im Leben präsent (Daly & Wilson, 1988). Zusammengefasst identifiziert Trivers’ Theorie einen wichtigen Bereich des genetischen Interessenskonflikts zwischen Eltern und Kindern – das Schlachtfeld für die optimale Verteilung der Ressourcen (Gofray, 1999). Im Lauf der Zeit wird daraus ein Wettrüsten zwischen den Genen der Eltern und der Kinder. Die Selektion hat daher Adaptationen in Kindern entwickelt, um die Eltern hinsichtlich der für das einzelne Kind optimalen Zuteilung der Ressourcen zu manipulieren, sowie entsprechende Gegenadaptationen in den Eltern, um Ressourcen zu deren eigenem Vorteil zu verwenden. Wir werden sehen, wie dieser Konflikt gelöst wird. Die Theorie des Eltern-Nachkommen-Konflikts führt zu einer Anzahl von Vorhersagen, die untersucht werden können: (1) Eltern und Kinder geraten etwa zu der Zeit in Konflikt, in der das Kind abgestillt werden soll. Die Eltern wollen das Kind normalerweise früher abstillen, während das Kind die Ressourcen weiterhin erhalten möchte, (2) Eltern unterstützen Kinder, ihre Geschwister mehr wertzuschätzen als sie es normalerweise würden und (3) Eltern bestrafen Konflikte zwischen Geschwistern und belohnen Kooperation.
Mutter-Kind-Konflikt im Uterus Von wenigen Beziehungen wird angenommen, dass sie so harmonisch sind wie die zwischen Mutter und Kind. Die Mutter ist ihres genetischen Beitrags zu 100 Prozent sicher und so sollten die genetischen Interessen von Mutter und Kind übereinstimmen. In einer Reihe von Veröffentlichungen dehnte der Biologe David Haig die Theorie des ElternKind-Konflikts soweit aus, dass er Konflikte zwischen Mutter und Kind im Uterus mit einbezog (Haig, 1993). Die Logik des Mutter-Fötus-Konflikts folgt direkt aus der Theorie des Eltern-Kind-Konflikts. Eine Mutter gibt 50 Prozent ihrer Gene weiter, aber der Fötus erhält auch 50 Prozent der Gene vom Vater. Mütter kanalisieren Ressourcen auf das Kind, das den größten reproduktiven Nutzen aufweist. Dieses Kind hat jedoch stärkeres Interesse an sich selbst als an ein künftiges Kind derselben Mutter. Daher verfügt der Fötus über Mechanismen, um die Mutter dahingehend zu manipulieren, mehr Nahrung zur Verfügung zu stellen, als es in deren Interesse ist. Der Konflikt beginnt, wenn ein spontaner Abort eintritt. Fast 78 Prozent aller befruchteten Eier nisten sich entweder nicht ein oder werden zu Beginn der Schwangerschaft spontan abgestoßen (Nesse & Williams, 1994). Die meisten dieser Aborte haben ihre Ursache
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in Abnormitäten der Chromosomen. Mütter scheinen eine Adaptation entwickelt zu haben, die solche Abnormitäten entdeckt und den Fötus dann abstößt. Dieser Mechanismus ist äußerst zweckmäßig, da er die Mutter davor bewahrt, in ein Baby zu investieren, das wahrscheinlich schon früh sterben würde. Für die Mutter ist es in einem solchen Fall von Vorteil, den Fötus zu verlieren, damit sie ihre Investitionen auf künftige Kinder richten kann. Die Mehrheit der Fehlgeburten geschieht vor der zwölften Schwangerschaftswoche und in vielen Fällen sogar bevor die erste Periode der Frau ausfällt und sie somit gar nicht wusste, dass sie schwanger war (Haig, 1993). Aus seiner Perspektive jedoch muss der Fötus sich unbedingt einnisten und einen spontanen Abort vermeiden. Eine Adaptation, die der Fötus für diese Funktion entwickelt zu haben scheint, ist die Produktion von humanem Choriongonadotropin (HCG), einem Hormon, das der Fötus in den Blutkreislauf der Mutter absondert. Dieses Hormon hat den Effekt, die Mutter an der Menstruation zu hindern und dem Fötus zu erlauben, sich einzunisten. Die Produktion von HCG scheint daher eine Adaptation des Fötus zu sein, die Versuche der Mutter, ihn spontan abzutreiben, zu unterminieren. Der weibliche Körper interpretiert hohe HCG-Werte als Hinweis darauf, dass der Fötus gesund und lebensfähig ist und treibt ihn nicht ab. Nach der erfolgreichen Einnistung entwickelt sich der nächste Konflikt über die Nahrungszufuhr im Blut der Mutter. Eine häufige Nebenwirkung der Schwangerschaft ist hoher Blutdruck. Steigt der Blutdruck so hoch, dass er die Nieren der Mutter schädigt, wird dies Präeklampsie genannt. Im frühen Stadium der Schwangerschaft zerstören die plazentalen Zellen die arteriolären Muskeln der Mutter, die dafür verantwortlich sind, den Blutfluss zum Fötus zu regulieren. Alles was die anderen Arterien der Mutter verengt, führt somit zu einem Anstieg ihres Blutdrucks mit dem Ergebnis, dass mehr Blut zum Fötus fließt. Fordert der Fötus mehr Nahrung von der Mutter, sondert er Substanzen in den Blutkreislauf der Mutter ab, die dazu führen, dass sich ihre Arterien verengen. Dadurch steigt ihr Blutdruck an und es fließt mehr Blut (und somit Nährstoffe) zum Fötus, was aber, wie bei der Präeklampsie, das Gewebe der Mutter schädigen kann. Der Mechanismus hat sich zum Vorteil des Fötus entwickelt, selbst wenn dadurch der Mutter Schaden zugefügt wird. Zwei Befunde unterstützen diese Hypothese. Daten aus Tausenden von Schwangerschaften zeigen, dass Mütter, deren Blutdruck während der Schwangerschaft ansteigt, weniger spontane Aborte haben (Haig, 1993). Zudem tritt Präeklampsie häufiger bei schwangeren Frauen auf, deren Blutversorgung zum Fötus eingeschränkt ist, woraus zu schließen ist, dass ein Fötus mehr HCG absondert, wenn die Blutversorgung niedrig ist, was wiederum den hohen Blutdruck der Mutter verursacht. Diese neuen Theorien des Mutter-Fötus-Konflikts scheinen einem wie bizarre ScienceFiction vorzukommen. Aber sie folgen direkt aus Trivers’ (1974) Theorie des ElternKind-Konflikts. Konflikte sind absehbar, da Föten wie Kinder mehr von den Ressourcen der Mutter nehmen möchten, als diese zu geben bereit ist. Wenden wir uns nun aber den Implikationen der Eltern-Kind-Theorie zu, nachdem das Kind geboren ist.
Kapitel 7 Probleme im Kontext von Elternschaft
Der Ödipus-Komplex Die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts wurde im Verhältnis zu Freuds (1900/1953) Theorie des Ödipus-Komplexes untersucht. Nach Freud stellt dieser eine zentrale Quelle des Konflikts zwischen Kindern und ihrem gleichgeschlechtlichen Elternteil dar. Er besteht aus zwei zentralen Komponenten. Es wird angenommen, dass der Sohn im Alter zwischen zwei und fünf Jahren eine sexuelle Anziehung zur Mutter entwickelt. Da der Vater tatsächlichen sexuellen Zugang zur Mutter hat, befindet sich der Sohn mit ihm in Konflikt. Dies führt zur zweiten Komponente des Ödipus-Komplexes, zum unterbewussten Wunsch des Sohnes, den Vater zu töten. Sohn und Vater werden somit sexuelle Konkurrenten um die Mutter. Daraus folgt eine klare Vorhersage: Sollte die Theorie zutreffen, gäbe es, besonders in der ödipalen Phase, d.h. im Alter zwischen zwei und fünf Jahren, mehr gleichgeschlechtliche als gegengeschlechtliche Konflikte und Antagonismen zwischen Eltern und Kind. Die Theorie des Ödipus-Komplexes steht im Widerspruch zu Trivers’ (1974) Theorie des Eltern-Kind-Konflikts. Nach dieser Theorie haben die Interessenskonflikte zwischen Eltern und Kindern zumindest in den Vorschuljahren nichts oder nur wenig mit dem Geschlecht des Kindes zu tun. Konflikte entstehen eher bei Unstimmigkeiten über die Zuteilung elterlicher Investitionen. Söhne und Töchter wünschen mehr elterliche Investitionen, als die Eltern ihnen geben wollen. Die Gründe hierfür wurden weiter oben bei der Untersuchung des Eltern-Kind-Konflikts aufgeführt. Beide Theorien sagen die Existenz eines Eltern-Kind-Konflikts vorher, aber sie unterscheiden sich in zwei wichtigen Punkten. Zum einen unterscheiden sie sich in der Ursache des Konflikts zwischen Eltern und Kindern. In Freuds Theorie ist der Konflikt der sexuelle Zugang zur Mutter, während es in Trivers’ Theorie das Ausmaß der elterlichen Investitionen ist. Zweitens unterscheiden sich die Theorien in der Bedeutung des gleichgeschlechtlichen Konflikts. Nach Freud sind gleichgeschlechtliche Konflikte zwischen Eltern und Kind (z.B. Vater und Sohn) geläufiger als Konflikte mit dem anderen Geschlecht (z.B. Mutter und Sohn), während nach Trivers’ Theorie gleichgeschlechtliche Konflikte nicht überwiegen (Daly & Wilson, 1990). Es gibt jedoch eine wichtige Einschränkung: wenn der Sohn alt genug ist, um ein sexueller Konkurrent des Vaters zu sein. Die Darwinsche Theorie der sexuellen Selektion (siehe Kapitel 4) vorhersagt, dass Angehörige des gleichen Geschlechts zu Rivalen über den sexuellen Zugang zu Angehörigen des anderen Geschlechts werden. Nichts an dieser Theorie deutet jedoch darauf hin, dass die Mutter das Ziel der sexuellen Rivalität sein könnte. Auf der Basis dessen, was wir über die Partnerpräferenzen der Männer für jüngere Frauen wissen (siehe Kapitel 5), würde man annehmen, dass Söhne nur selten sexuelles Interesse an ihren Müttern haben. Die zusätzlichen Komplikationen der Inzucht, nach der Kinder, die das Produkt von Verbindungen genetischer Verwandter sind, einen niedrigen Intelligenzquotienten und mehr genetische Krankheiten aufweisen, lassen vermuten, dass die Selektion stark gegen jegliche sexuelle Attraktion operieren würde, die ein Sohn für seine Mutter empfinden könnte. Väter und Söhne könnten sexuelle Rivalen sein, aber der Fokus ihrer Rivalität wäre der Zugang zu anderen Frauen und nicht der zur Frau bzw. Mutter.
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Zusammengefasst brachte aus evolutionärer Sichtweise Freuds Theorie des Öpidus-Komlexes zwei voneinander getrennte Ursachen des Konflikts durcheinander. Zum einen könnte es tatsächlich nicht-sexuelle Konflikte zwischen Vätern und Söhnen geben, aber bei diesen würde es sich nicht um sexuellen Zugang, sondern um elterliche Investitionen handeln. Zum zweiten kann es sexuelle Konflikte zwischen Vätern und Söhnen geben, aber bei diesen würde es sich nicht um den sexuellen Zugang zur Mutter, sondern um den Zugang zu anderen Frauen handeln. Freud scheint diese unterschiedlichen Konflikte in seiner Theorie des Ödipus-Komplexes miteinander kombiniert zu haben. Gibt es Daten, die zur Überprüfung der entgegengesetzten Vorhersagen dieser beiden Theorien herangezogen werden können? Daly und Wilson (1990) haben solche Daten, die allerdings indirekter Art sind, zusammengetragen. Sie untersuchten Kindstötungen von Eltern an ihren Nachkommen, um die Freudsche Vorhersage zu untersuchen, dass es eine spezielle Häufung gleichgeschlechtlicher Kindstötungen während der ödipalen Jahre (zwei bis fünf) gibt. Sie verwendeten Daten über Kindstötungen zur Feststellung der Schwere des Konflikts oder der Feindseligkeiten in der Beziehung. Damit wird die Annahme gestützt, die wir in einem früheren Muster für Kindstötungen gefunden haben (z.B. mehr Kindstötungen in Stieffamilien). In zwei unabhängigen Stichproben von Morden innerhalb der Familie - zum einen aus einem kanadischen Datensatz, zum anderen aus einem Datensatz aus Chicago - konnten Daly und Wilson keine Belege für eine gleichgeschlechtliche Konzentration von Kindstötungen während der ödipalen Phase feststellen. In der kanadischen Stichprobe wurden 21 Jungen von ihren Vätern getötet und 21 von ihren Müttern. Somit gibt es, zumindest in der ödipalen Phase, keine Belege dafür, dass Väter vermehrt dazu neigen, ihre Söhne zu töten, oder dass Mütter vermehrt dazu neigen, ihre Töchter zu töten. Als die Kinder jedoch die Pubertät und das Erwachsenenalter erreichten, tauchte ein deutlich gleichgeschlechtliches Muster auf. Im Erwachsenenalter wurden 60 Prozent der familiären Morde von Männern begangen und andere Männer (entweder der Vater oder der Sohn) waren die Opfer. In weiteren 27 Prozent der Fälle war ein Mann der Täter und eine Frau das Opfer. Familiäre Morde, in denen eine Frau die Täterin war, sind selten. Nur fünf Prozent betrafen weibliche Täter mit männlichen Opfern und nur neun Prozent weibliche Täter mit weiblichen Opfern (Daly & Wilson, 1990, S. 178). Im Erwachsenenalter gibt es tatsächlich eine gleichgeschlechtliche Kontingenz bei familiären Morden, die meist auf Väter und Söhne konzentriert sind. Dies ist allerdings mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende des Ödipus-Komplexes. Diese Daten unterstützen daher Trivers’ Theorie des Eltern-Kind-Konflikts mehr als die Freudsche Theorie des Ödipus-Komplexes. Im nächsten Kapitel, in dem es um Verwandtschaft geht, werden wir sehen, wie Trivers’ Theorie des Eltern-Kind-Konflikts zu einer allgemeinen Theorie von Konflikten innerhalb der Familie entwickelt und erweitert wurde (siehe Kasten 7.1 für ein Beispiel und weitere Untersuchungen familiärer Morde).
Kapitel 7 Probleme im Kontext von Elternschaft
7.1 Der Mord an Eltern und die Asymmetrie der Wertschätzung von Eltern und Kindern Das Opfer (männlich, 46 Jahre) wurde am Sonntag Nachmittag, den 2. Januar in seiner Wohnung durch einen Schuss aus nächster Nähe getötet. Der Mörder (männlich, 15 Jahre) ist der Sohn des Opfers und die Umstände waren der ermittelnden Polizei bekannt. .... Die Wohnung war Schauplatz wiederkehrender häuslicher Gewalt, im Laufe derer das Opfer seine Frau und seine Söhne angegriffen und sie mit der Waffe bedroht hatte, durch die er nun starb. Er hatte in der Vergangenheit auch auf seine Frau geschossen. An dem fatalen Sonntag war das Opfer betrunken, beschimpfte seine Frau als „Schlampe“ und „Hure“ und schlug sie, als sein Sohn beschloss, der langen Misshandlungsgeschichte ein Ende zu setzen (Daly & Wilson, 1988, S. 98). Unter der Annahme der Gewissheit der Vaterschaft sind Eltern und Kinder genetisch mit einer r von 0.50 verwandt. Aber aus evolutionärer Perspektive heißt das nicht, dass sie sich im gleichen Maße wertschätzen müssen. Kinder sind die Mittler der Gene der Eltern, aber mit zunehmendem Alter werden diese zunehmend wertloser für ihre Kinder, während die Kinder für ihre Eltern immer wertvoller werden (da sich z.B. die anderen Möglichkeiten der Reproduktion verringern). Somit sind im Erwachsenenalter Kinder wertvoller für ihre Eltern als Eltern für ihre Kinder (Daly & Wilson, 1988). Aus dieser Logik folgert diese Vorhersage: Die weniger Wertvollen sind einem größeren Risiko ausgesetzt, getötet zu werden und daher töten im Erwachsenenalter die Kinder häufiger ihre Eltern als vice versa. Es gibt, zumindest bezogen auf Väter, beschränkte empirische Daten für diese Aussage. In einer in Detroit durchgeführten Studie wurden von insgesamt elf Morden zwischen Eltern und Kindern neun Eltern durch ihre erwachsenen Kinder getötet, während nur zwei erwachsene Kinder von ihren Eltern getötet wurden (Daly & Wilson, 1988). In einer größeren Studie kanadischer Daten wurden 91 Väter von ihren erwachsenen Söhnen getötet (82 Prozent der Vater-Sohn-Morde), während nur 20 erwachsene Söhne von ihren Vätern getötet wurden (18 Prozent). Es sollte beachtet werden, dass diese Stichproben Morde, an denen Stiefväter beteiligt waren, ausschließen, da diese Beziehungen, wie wir weiter vorne in diesem Kapitel sahen, besonders konfliktbeladen sind. Diese Statistiken sind nur vorläufig und spiegeln nicht viel von der zugrunde liegenden Psychologie des Eltern-Kind-Konfliktes als Konsequenz der vorhergesagten Asymmetrie der Wertschätzung wider. Sie suggerieren jedoch, dass es riskant ist, die weniger wertgeschätzte Partei in der Eltern-Kind-Beziehung zu sein. Künftige Forschungen werden zweifelsohne viele Informationen über die widersprüchliche Natur dieser speziellen und engen genetischen Beziehung herausfinden.
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Teil 4 Herausforderungen der Elternschaft und Verwandtschaft
Zusammenfassung Aus einer evolutionären Perspektive sind die Nachkommen Mittler für die Gene der Eltern und daher favorisiert die Selektion elterliche Mechanismen, die das Überleben und die Reproduktion der Nachkommen sicherstellen. Mechanismen elterlicher Fürsorge wurden bei vielen Tierarten dokumentiert. Eines der interessantesten Rätsel ist, warum Mütter mehr in elterliche Fürsorge investieren als Väter. Drei Hypothesen wurden entwickelt, um dies zu erklären: (1) die Hypothese der Ungewissheit der Vaterschaft. Männchen investieren weniger als Weibchen, da es eine geringere Wahrscheinlichkeit gibt, dass sie Gene für ihre mutmaßlichen Nachkommen beigetragen haben (die Gewissheit der Mutterschaft beträgt 100 Prozent, während die Gewissheit der Vaterschaft weniger als 100 Prozent beträgt); (2) die Hypothese des Verlassen-Könnens. Der erste, der den Nachwuchs verlassen kann, tut dies, und da die Befruchtung bei vielen Arten im Körper stattfindet, sind die Männchen diejenigen, die gehen und (3) die Hypothese der Opportunitätskosten durch verpasste Paarungsmöglichkeiten. Die Opportunitätskosten der Männchen für eine Investition in die elterliche Fürsorge sind höher als die der Weibchen, da eine solche Investition Männchen an zusätzlichen Paarungsmöglichkeiten hindert. Obwohl alle drei Faktoren zum Unterschied der Geschlechter in der elterlichen Fürsorge beitragen, unterstützen die neuesten Erkenntnisse die Ungewissheit der Vaterschaft und die Hypothese der Opportunitätskosten. Im Lauf der Evolution entstandene Mechanismen elterlicher Fürsorge sollten sensitiv sein gegenüber zumindest diesen drei Faktoren: (1) den genetischen Verwandtschaftsgrad der Nachkommen, (2) der Fähigkeit der Nachkommen, die elterliche Fürsorge in Fitness umzuwandeln und (3) potentiellen Alternativen für die Verwendung der verfügbaren Ressourcen. Empirische Befunde unterstützen die Hypothese, dass der genetische Verwandtschaftsgrad mit den Nachkommen das Ausmaß der elterlichen Fürsorge beeinflusst. Studien zeigen, dass Stiefeltern weniger positive elterliche Gefühle haben als genetische Eltern. Interaktionen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern tendieren dazu, konfliktbeladener zu sein als die zwischen genetischen Eltern und Kindern. Über Neugeborenen wird gesagt, dass sie ihren Vätern ähnlicher sehen als ihren Müttern, was auf Mechanismen hindeutet, die Väter zur Investition in die Kinder zu bewegen. Investitionen in den College-Besuch sind für genetische Kinder höher als für Stiefkinder und noch höher, wenn die Gewissheit der Vaterschaft hoch eingeschätzt wird. Kinder, die bei einem genetischen Elternteil und einem Stiefelternteil leben, erleiden 40-mal so oft körperliche Misshandlungen und werden 40- bis 100-mal so häufig getötet wie Kinder, die bei ihren genetischen Eltern leben. Die genetische Verwandtschaft der Eltern zum Kind scheint ein ausschlaggebender Faktor in der Qualität elterlicher Fürsorge zu sein. Die Mechanismen der Eltern sind auch sensitiv hinsichtlich der Fähigkeiten der Nachkommen, die elterliche Fürsorge in reproduktiven Erfolg umzuwandeln. Drei Forschungsrichtungen unterstützen diese theoretische Erwartung. Erstens werden
Kapitel 7 Probleme im Kontext von Elternschaft
Kinder mit angeborenen Problemen wie Wirbelsäulenspalte oder Down-Syndrom häufig in Anstalten untergebracht oder zur Adoption freigegeben. Werden sie versorgt und nicht zur Adoption freigegeben, werden sie von ihren Eltern häufig misshandelt. Zweitens fand man bei einer kleinen Studie mit Zwillingen heraus, dass Mütter dazu tendieren, mehr in den gesunden als in den schwächeren Zwilling zu investieren. Drittens sind Säuglinge einem größeren Risiko ausgesetzt, Opfer von Misshandlungen und Kindstötung zu werden als ältere Kinder. Der dritte Faktor, der die Qualität der elterlichen Fürsorge vorhersagt, ist die Verfügbarkeit alternativer Verwendungsmöglichkeiten der Ressourcen, die in ein Kind investiert werden könnten. Kraftaufwand und Energie sind begrenzt und Anstrengungen, die einer Aktivität zugeteilt werden, müssen von anderen Aktivitäten abgezogen werden. Verschiedene Studien haben Muster der Kindstötung daraufhin untersucht, ob solche Tötungen die Kehrseite elterlicher Fürsorge sind d.h., dass sie das genaue Gegenteil der elterlichen Fürsorge beinhalten. Studien zeigen, dass junge Mütter häufiger Kindstötungen begehen als ältere. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass jüngere Mütter viele Jahre vor sich haben, in denen sie Kinder bekommen und in diese investieren können, während ältere Frauen weniger Möglichkeiten haben. Unverheiratete Frauen begehen eher Kindsmord als verheiratete. Diese Trends reflektieren wahrscheinlich Entscheidungsregeln der Frauen, wie sie ihre Ressourcen verwenden und schließlich tendieren Männer, die mehr Möglichkeiten zur Paarung haben, dazu, weniger in die direkte elterliche Fürsorge zu investieren als Frauen. Unter den Aka investieren Männer mit hohem Ansehen weniger in die direkte Fürsorge der Kinder als Männer mit niedrigem Ansehen. Wahrscheinlich bündeln die Männer der Aka mit hohem Status ihre Ressourcen auf die Gewinnung neuer Frauen. Die Verfügbarkeit alternativer Verwendungsmöglichkeiten für die Ressourcen ist eine wichtige Eingangsgröße für Entscheidungsregeln, die bestimmen, wann die Ressourcen in die elterliche Fürsorge fließen. Die evolutionäre Theorie des Eltern-Kind-Konflikts legt nahe, dass die Interessen von Eltern und Kindern nicht ganz übereinstimmen, da sie genetisch nur zu 50 Prozent verwandt sind. Die Theorie sagt voraus, dass jedes Kind einen größeren Anteil der elterlichen Ressourcen wünscht, als die Eltern zu geben bereit sind. Diese Theorie führt zu überraschenden Vorhersagen wie: (1) Der Mutter-Kind-Konflikt findet manchmal schon im Uterus statt, z.B. darüber, ob der Fötus spontan abgetrieben werden soll. (2) Eltern tendieren dazu, ihre Kinder mehr wertzuschätzen als Kinder ihre älter werdenden Eltern. Empirische Erkenntnisse über Präeklampsie unterstützen die erste Vorhersage. Es scheint, dass ein Fötus große Mengen humanen Choriongonadotropin (HCG) in den Blutkreislauf der Mutter absondert, der die Mutter an der Menstruation hindert und somit das Einnisten des Fötus erleichtert. So werden die Versuche des mütterlichen Organismus untergraben, ihn spontan abzustoßen. Belege aus Totschlagsstatistiken unterstützen die zweite Vorhersage. Eltern, die mit zunehmendem Alter weniger wertvoll sind, werden häufiger durch ihre älteren Kinder getötet als umgekehrt. Erwachsene Kinder töten ihre Eltern häufiger als umgekehrt. Aufgrund dieser Tatsache wird angenommen, dass diejenigen Familienmitglieder, die
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Teil 4 Herausforderungen der Elternschaft und Verwandtschaft
einen geringeren reproduktiven Wert haben, einem höheren Tötungsrisiko ausgesetzt sind. Die bisher gewonnenen Daten lassen vermuten, dass der Eltern-Kind-Konflikt einen wichtigen Bereich künftiger empirischer Studien der evolutionäre Psychologie darstellt.
Weiterführende Literatur Bjorklund, D. F. & Pellegrini, A. D. (2002), The origins of human nature: Evolutionary developmental psychology. Washington, DC: American Psychological Association. Chasiotis, A. (1996). Natürliche Selektion und Individualentwicklung. In H. Keller (Hrsg.), Lehrbuch Entwicklungspsychologie, 171-206. Bern: Huber Verlag. Daly, M. & Wilson, M. (1988) Homicide. Hawthorne, NY: Aldine. Geary, D. C. (2000). Evolution and proximate expression of human paternal investment. Psychological Bulletin, 126, 55-77. Keller, H. (Hrsg.) (1998). Lehrbuch Entwicklungspsychologie. Bern: Huber Verlag. Marlow, F. (1999). Showoffs or providers? The parenting effort of Hadza men. Evolution and Human Behaviour, 20, 391-404. Paul, A. & Voland, E. (2003). Eltern/Kind-Beziehungen aus soziobiologischer Sicht. In H. Keller (Hrsg.), Handbuch der Kleinkindforschung, 149-182, 3. Aufl. Bern: Huber Verlag. Trivers, R. (1974). Parent-offspring conflict. American Zoologist, 14, 249-264. Voland, E. (2000). Kalkül der Elternliebe: Ein soziobiologischer Musterfall. In Spektrum der Wissenschaft (Hrsg.), Digest: Gene und Verhalten, 74-82. Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft.
Kapitel
8
Probleme im Kontext von Verwandtschaft
Wo immer wir ihnen begegnen, legen die Menschen ein fast krankhaftes Interesse an Sex und Verwandtschaft an den Tag. – Edmund Leach, 1966 Stellen wir uns eine Welt vor, in der jeder jeden gleichermaßen liebt. Es gäbe keine Bevorzugung. Wir würden einem zufällig vorbeikommenden Fremden ebenso bereitwillig zu Essen geben wie unseren Kindern. Unsere Eltern würden genauso bereitwillig für die Ausbildung eines Nachbarn bezahlen wie für unsere eigene. Wenn das Schicksal uns zwingen würde, das Leben eines einzigen Menschen zu retten, wenn zwei im Begriff sind zu ertrinken, würden wir genauso bereitwillig einen Wildfremden retten wie unseren eigenen Bruder oder unsere Schwester. Es ist schwierig, sich eine solche Welt vorzustellen. Die evolutionäre Theorie der Gesamtfitness erklärt uns, warum das so ist. Aus Sicht der Gesamtfitness-Theorie unterscheiden sich die Menschen in Bezug auf ihren genetischen Verwandtheits-Grad voneinander. Grundsätzlich sind wir zu 50% mit unseren Eltern, Kindern und Geschwistern verwandt. Zu 25% sind wir mit Großeltern, Enkeln, Halbgeschwistern, Onkeln, Tanten, Nichten und Neffen verwandt. Genetisch gesehen sind wir zu 12,5% mit Cousins und Cousinen ersten Grades und zu halb so viel mit Cousins und Cousinen zweiten Grades verwandt. Mit Fremden sind wir normalerweise genetisch nicht verwandt. Aus der Perspektive der Gesamtfitness-Theorie sind die Verwandten eines Einzelnen allesamt Fitness-Träger, die aber in ihrem Wert variieren. In Kapitel 7 sahen wir, dass Kinder für ihre Eltern einen unterschiedlichen Wert haben können. In diesem Kapitel untersuchen wir nun die Theorie und die dazugehörigen Belege, nach denen unsere Verwandten für uns unterschiedlichen Wert haben. Die Selektion wird theoretisch – ceteris paribus – Adaptationen zur Unterstützung unserer Familienmitglieder je nach ihrem Verwandtheits-Grad fördern. Die Selektion wird Mechanismen, die uns selbst nützen, doppelt so stark begünstigen wie Mechanismen, mit denen wir beispielsweise unserem Bruder helfen werden. Ein Bruder ist aber wiederum doppelt so nah mit uns verwandt wie etwa ein Neffe und würde deshalb auch doppelt so viel Hilfe bekommen wie dieser. Natürlich ist im wahren Leben so manches anders. Hält man den genetischen Verwandtheits-Grad konstant, so würde etwa ein Bruder, der versucht, als Liedermacher groß herauszukommen, doppelt so sehr von unserer Hilfe profitieren als ein anderer Bruder, der zufällig wohlhabend ist. Außerdem kann sich Altruismus auch unter gering Verwandten oder sogar unter gar nicht Verwandten entwickeln, wie wir in Kapitel 9 sehen werden. Eine unmittelbare Aussage lässt sich jedoch in jedem Fall von der Gesamtfitness-Theorie ableiten: Die Selektion wird häufig die Evolution von Mechanismen begünstigen, die darauf ausgelegt sind, nahe Verwandte stärker zu unterstützen als entfernte Verwandte und entfernte Verwandte mehr als Fremde.
Teil 4 Herausforderungen der Elternschaft und Verwandtschaft
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Dieses Kapitel befasst sich mit der evolutionären Psychologie der Verwandtschaft. Es weicht insofern von den vorherigen Kapiteln ab, als es sehr viele theoretische Informationen, jedoch wenig empirische Daten enthält und dafür gibt es einen Grund. Obwohl der Verwandtschaftsaspekt aus evolutionärer Sicht so immens wichtig ist, haben sich Psychologen damit bisher kaum befasst (Daly, Salmon & Wilson, 1997). Ein Grund liegt darin, dass es sehr viel schwieriger ist, Verwandte zu untersuchen als völlig Fremde, die schon in den einführenden Psychologiekursen zahlreich zur Verfügung stehen. Zweitens leben wir in unserer modernen städtischen Umgebung oft sehr weit entfernt von unserer weitläufigen Verwandtschaft. Oft wachsen wir in relativ isolierten Kernfamilien auf und ziehen dann zum Studium und darüber hinaus in eine andere Stadt, wo wir oft auch keine näheren Verwandten haben. Zum dritten könnte die Bevorzugung von Familienmitgliedern ein so offensichtliches und weit verbreitetes Phänomen sein, dass kein Wissenschaftler darin ein Potential für bahnbrechend neue Entdeckungen sieht. Denn kein Wissenschaftler könnte sich mit einer Veröffentlichung einen Namen machen, die wissenschaftlich belegt, dass wir unseren Familienmitgliedern eher helfen als Fremden. Ein vierter und eher spekulativer Grund könnte darin bestehen, dass die Menschen in modernen westlichen Kulturen Nepotismus (die Bevorzugung von Verwandten) als peinlich empfinden (Hamilton, 1987), da er scheinbar den Idealen von Demokratie und Egalitarismus widerspricht. Vielleicht sind all diese Gründe dafür verantwortlich, dass die Erforschung psychologischer Mechanismen im Zusammenhang mit Verwandtschaft von relativ wenig empirischen Daten gestützt wird. Die vorhandenen Belege jedoch bieten interessante Einblicke und deuten auf viel versprechende Forschungsmöglichkeiten für die Zukunft hin.
8.1
Theorie und Auswirkungen der Gesamtfitness
In diesem Abschnitt stellen wir zunächst die Hamilton-Regel vor – die wissenschaftliche Formulierung der Gesamtfitness-Theorie. Aus dieser Perspektive werden wir feststellen, dass die Bevorzugung, die Eltern ihren eigenen Kindern zuteil werden lassen, als Spezialfall der Bevorzugung für „Träger“ ihrer eigenen Gene angesehen werden kann. Dann werden wir die tief greifenden Konsequenzen dieser Formulierung für Themen wie Kooperation, Konflikt, Risikobereitschaft und Trauer untersuchen.
Hamilton-Regel Erinnern wir uns an den Fachbegriff der Gesamtfitness aus Kapitel 1: Die Gesamtfitness ist nicht eine Eigenschaft eines Organismus selbst, sondern eine Eigenschaft seiner Handlungen oder Wirkungen. Die Gesamtfitness errechnet sich aus der Summe des eigenen Fortpflanzungserfolgs eines Individuums plus den Effekten, die dieses Individuum auf den Fortpflanzungserfolg seiner Verwandten hat, und zwar jeweils gewichtet mit dem passenden Verwandtschafts-Koeffizienten (Dawkins, 1982, S. 186).
Kapitel 8 Probleme im Kontext von Verwandtschaft
Zum besseren Verständnis dieser Formulierung der Gesamtfitness stellen wir uns ein Gen vor, das dafür sorgt, dass sich ein Individuum einem anderen Menschen gegenüber altruistisch benimmt. Der Begriff Altruismus, wie er hier verwendet wird, definiert sich aufgrund zweier Bedingungen: (1) dem Individuum entstehen Kosten, wodurch (2) einem anderen ein Vorteil entsteht. Hamilton stellte sich nun folgende Frage: „Unter welchen Bedingungen könnte sich ein solches Altruismus-Gen entwickeln und innerhalb einer Bevölkerung ausbreiten? Wir können davon ausgehen, dass sich unter den meisten Bedingungen kein Altruismus entwickeln wird. Entstehen einem Individuum Kosten, so beeinträchtigt dies die eigene Reproduktion, deshalb wirkt die Evolution normalerweise deren Entstehung zum Vorteil anderer Menschen entgegen, denn viele dieser anderen Menschen sind ja Konkurrenten. Hamilton erkannte jedoch, dass sich ein solcher Altruismus tatsächlich entwickeln könnte, wenn die Kosten geringer wären als der Nutzen für Empfänger der altruistischen Handlung multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, dass der Empfänger eine Kopie des Altruismus-Gens in sich trug. Allgemeiner ausgedrückt besagt die Hamiltonsche Regel also, dass die natürliche Selektion Altruismus-Mechanismen begünstigt, wenn c < rb In dieser Formel steht c für die Kosten (costs) des Handelnden, r für den genetischen Verwandtheits-Grad (relatedness) zwischen Handelndem und Empfänger (genetische Verwandtschaft kann definiert werden als Wahrscheinlichkeit, mit der man ein besonderes, wichtiges Gen über seine durchschnittliche Häufigkeit innerhalb der Population mit einem anderen Individuum gemeinsam hat; siehe Dawkins, 1982, und Grafen, 1991, für nähere Informationen). Weiter steht b für den Nutzen (benefit) des Empfängers. Sowohl Kosten als auch Nutzen werden in reproduktiver Währung gemessen. Diese Formel sagt aus, dass die Selektion ein Individuum, dem Kosten entstehen (indem es „altruistisch“ handelt), dann fördern wird, wenn der Nutzen für einen 50%igen Verwandten mehr als doppelt so hoch ist wie die Kosten für den Handelnden; wenn weiter der Nutzen für einen 25%igen Verwandten mehr als viermal so hoch ist wie die Kosten für den Handelnden; und wenn schließlich der Nutzen für einen 12,5%igen Verwandten mehr als achtmal so hoch ist wie die Kosten für den Handelnden. Ein Beispiel kann diese Aussage verdeutlichen: Stellen wir uns vor, wir kommen an einen Fluss und einige unserer genetischen Verwandten drohen in einem wilden Strudel zu ertrinken. Wir können ins Wasser springen, um sie zu retten, werden dafür aber mit unserem eigenen Leben bezahlen. Nach der Hamilton-Regel begünstigt die Selektion Entscheidungsregeln, nach denen wir durchschnittlich nur dann ins Wasser springen, wenn wir drei Geschwister retten können, nicht aber nur eines. Demzufolge würden wir unser Leben nicht opfern, um nur einen Bruder zu retten, denn das verstößt gegen die Hamilton-Regel. Wendet man die Hamiltonsche Logik an, so sollten uns evolutionsbedingte Entscheidungsregeln dazu bringen, unser Leben für fünf Nichten oder Neffen zu riskieren; ebenso müssten wir aber bereits neun Cousins oder Cousinen retten können, um dafür unser eigenes Leben zu opfern. Der wichtigste Punkt ist dabei nicht, dass menschliches Verhalten zwangsläufig immer der Logik der Gesamtfitness folgen wird. Vielmehr kommt es darauf au, zu erkennen, dass Hamiltons Regel die Bedingungen definiert, unter denen sich Gene entwickeln können, die bewirken, dass wir unseren Verwandten helfen. Die Regel definiert den Selek-
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tionsdruck, dem Altruismus-Gene – ja eigentlich alle Gene – ausgesetzt sind. Charakterzüge, die durch Mutation in einer Population auftreten und die die Hamilton-Regel verletzen, werden durch Selektion radikal ausgesiebt. Nur Gene, die für eine Einhaltung der Hamilton-Regel sorgen, können sich innerhalb einer Population ausbreiten und durch Evolution zu einem Bestandteil des spezies-typischen Repertoires werden. Dies wird manchmal als Entwicklungseinschränkung bezeichnet, denn es können sich nur solche Gene entwickeln, die die Hamilton-Regel erfüllen. Hamiltons Theorie der Gesamtfitness ist die mit Abstand wichtigste theoretische Revision der Darwinschen Theorie der natürlichen Auslese im 20. Jahrhundert. Vor dieser Theorie waren altruistische Handlungen aus evolutionärer Sicht höchst verwirrend, da sie scheinbar die persönliche Fitness des Handelnden beeinträchtigen. Warum schlägt ein Erdhörnchen Alarm, wenn es einen Feind bemerkt und setzt sich so selbst der Gefahr aus, von diesem entdeckt zu werden? Warum spendet eine Frau ihrem Bruder eine Niere, damit dieser weiterleben kann? Hamiltons Formulierung der Gesamtfitness löst all diese Rätsel auf einen Streich und zeigt, wie sich altruistisches Handeln losgelöst von der eigenen Reproduktion leicht entwickeln konnte.
Theoretische Auswirkungen der Hamilton-Regel Das Sozialverhalten einer Spezies entwickelt sich so, dass in jeder einzelnen Situation, die nach einer Handlung verlangt, das Individuum gemäß der auf diese Situation zutreffenden Verwandtschafts-Koeffizienten die Fitness des Nachbarn gegen seine eigene abwägen wird (Hamilton, 1964, S. 23). Ganz allgemein ausgedrückt besteht die wichtigste Auswirkung der Hamiltonschen Theorie der Gesamtfitness darin, dass sich erwartungsgemäß für jede einzelne Art der verwandtschaftlichen Beziehungen spezielle psychologische Adaptationen entwickelt haben. Nichts deutet bei Hamiltons Theorie darauf hin, dass sich solche Verwandtschaftsmechanismen zwangsläufig entwickeln; schließlich leben bei bestimmten Spezies die Mitglieder einer Familie noch nicht einmal zusammen, weshalb die Selektion hier keine entsprechenden Mechanismen hätte formen können. Die Theorie lässt aber Vorhersagen über die allgemeine Form solcher Verwandtschafts-Mechanismen zu, wenn sie sich tatsächlich entwickeln. Im vorherigen Kapitel sahen wir, dass es viele spezifische „Elternschafts-Probleme“ gibt und betrachteten Belege für die Entwicklung elterlicher Mechanismen, darunter die unterschiedliche Bevorzugung von Kindern je nach deren Eigenschaften, z.B. die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft und der reproduktive Wert des Kindes. Gemäß der Gesamtfitness-Theorie ist Elternschaft ein Sonderfall von Verwandtschaft – wenn auch ein besonders wichtiger Sonderfall –, denn sie ist nur eine Möglichkeit, in „Träger“ zu investieren, die Kopien der eigenen Gene in sich tragen. Andere besondere Verwandtschafts-Beziehungen, die im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte immer wieder vorkamen, sind Beziehungen zwischen Geschwistern, Halbgeschwistern, Großeltern, Enkeln etc. Betrachten wir eine Auswahl dieser Beziehungen, um einschätzen zu können, welche adaptiven Probleme sie mit sich brachten.
Kapitel 8 Probleme im Kontext von Verwandtschaft
Geschwisterbeziehungen. Die Beziehung zwischen Geschwistern birgt und barg auch im Laufe der gesamten menschlichen Evolutionsgeschichte einzigartige adaptive Probleme. Zunächst kann ein Geschwister ein wichtiger sozialer Verbündeter sein – schließlich sind alle Geschwister zu 50% miteinander verwandt. Jedoch sind Geschwister auch und vielleicht mehr als alle anderen Verwandten Konkurrenten um die Ressourcen der Eltern. Wie wir in Kapitel 7 sahen, ziehen Eltern evolutionsbedingt manche ihrer Kinder den anderen vor. Die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts legt nahe, dass das, was im besten Interesse der Eltern liegt, nicht automatisch auch im besten Interesse eines bestimmten Kindes liegt. Daraus folgt, dass Kinder sich historisch gesehen dem immer wiederkehrenden adaptiven Problem der gegenseitigen Konkurrenz um elterliche Ressourcen ausgesetzt sahen. Angesichts dieses Konflikts ist es nicht verwunderlich, dass Geschwisterbeziehungen oft sehr ambivalent sind (Daly, Salmon & Wilson, 1997, S. 275).
Eine aufschlussreiche Analyse (Sulloway, 1996) ergab, dass die adaptiven Probleme, die den Kindern von ihren Eltern auferlegt werden, je nach ihrer Geburtsreihenfolge, zur Bildung verschiedener „Nischen“ für die Kinder führt. Da Eltern oft das erstgeborene Kind vorziehen, ist dieses meist im Vergleich zu seinen Geschwistern konservativer und hält eher am Status quo fest. Zweitgeborene Kinder haben wenig Vorteile, wenn sie an der bestehenden Struktur festhalten, jedoch alle Vorteile, wenn sie dagegen rebellieren. Nach Sulloway entwickeln später geborene und besonders mittlere Kinder eine rebellischere Persönlichkeit, da sie am wenigsten Vorteile haben, wenn sie sich in die bestehende Ordnung einfügen. Das jüngste Kind könnte dagegen wiederum mehr elterliche Investitionen erhalten als mittlere Kinder, da die Eltern bei ihrem letzten direkten reproduktiven Träger oft keine Investitionsbeschränkungen mehr vornehmen. Die Evolutionspsychologen Catherine Salmon und Martin Daly (1998) fanden ebenfalls unterstützendes Material für diese Thesen. Sie entdeckten, dass mittlere Kinder weniger Familiensolidarität und -identität empfinden als Erst- und Letztgeborene. So ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass mittlere Kinder auf die Frage, wem sie sich am stärksten verbunden fühlen, eine genetisch verwandte Person angeben. Auch ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass diese Kinder Nachforschungen über den Familienstammbaum anstellen. Diese und andere Belege (Salmon, 1999) können als Bestätigung für Sulloways Theorie gewertet werden, dass die Geburtsreihenfolge bestimmt, welche Nische eine Person besetzt; Erstgeborene empfinden eine größere Solidarität mit den Eltern und schätzen sie als zuverlässig ein, während mittlere Kinder scheinbar eher in Verbindungen außerhalb der Familie investieren. Interessant ist auch, dass mittlere Kinder dann weniger Investitionen von ihren Eltern bekommen können, wenn diese alle ihre Kinder gleich behandeln (Hertwig, Davis & Sulloway, 2002). Dies ist darauf zurückzuführen, dass Erstgeborene zu Beginn ihres Lebens die gesamten Investitionen der Eltern bekommen, bevor andere Kinder geboren werden und Letztgeborene die gesamten elterlichen Investitionen bekommen, wenn alle anderen Kinder bereits das Elternhaus verlassen haben. Mittlere Kinder dagegen müssen die Investitionen der Eltern immer teilen, denn für sie gibt es nie einen Zeitraum ohne andere Geschwister. Selbst wenn die Eltern sich also bemühen, in alle Kinder gleichermaßen zu investieren, so sind mittlere Kinder dennoch benachteiligt – und daran liegt es vielleicht auch, dass sich diese weniger stark mit ihren Familien identifizie-
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ren (Hertwig, Davis & Sulloway, 2002). Es ist klar, dass über die interessanten Auswirkungen der Geburtsreihenfolge auf die Psychologie der verwandtschaftlichen Solidarität noch mehr geforscht werden muss. Geschwister und Halbgeschwister. Ein weiterer potentiell wichtiger Aspekt verwandtschaftlicher Beziehungen stellt die Frage, ob es sich um wirkliche oder um Halbgeschwister handelt. Dabei kommt es darauf an, ob alle Kinder einer Mutter auch denselben Vater haben oder nicht. Diese Entscheidung ist theoretisch wichtig, da tatsächliche Geschwister zu durchschnittlich 50% miteinander verwandt sind, während zwischen Halbgeschwistern nur eine genetische Verwandtschaft von durchschnittlich 25% besteht. In einer faszinierenden Studie über Erdhörnchen entdeckten Warren Holmes und Paul Sherman (1982), dass bei vollwertigen Geschwistern die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei der Verteidigung der Jungen zusammenarbeiteten, weitaus höher war als bei Halbgeschwistern.
Machen auch Menschen solche Unterschiede? Wir wissen es nicht, denn bisher hat sich noch niemand mit dieser Frage befasst. Es gibt jedoch gute Gründe zu glauben, dass die Unterscheidung zwischen Geschwistern und Halbgeschwistern im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte ein ständig wiederkehrender Selektionsdruck war. Studien zeitgenössischer Stammesgemeinschaften weisen darauf hin, dass Frauen häufig Kinder von verschiedenen Männern haben – manchmal aufgrund außerehelicher Affären und manchmal aufgrund mehrerer Ehen (Hill & Hurtado, 1996). Daly, Salmon und Wilson (1997) vermuten, „dass es in der menschlichen Urgeschichte durchaus eine Rolle gespielt haben kann, ob aufeinander folgende Kinder der gleichen Mutter Geschwister oder Halbgeschwister waren, wobei die Unterscheidung zwischen r = .5 und r = .25 keineswegs zu vernachlässigen ist, wenn es um die Frage Kooperation oder Konkurrenz geht“ (Daly, Salmon & Wilson, 1997. S. 277). Die Konflikte, die in Stieffamilien auftreten, in denen Geschwister mit unterschiedlichem genetischen Verwandtheits-Grad zusammenleben, böten ideale Rahmenbedingungen, um diese Hypothesen zu verifizieren. Großeltern und Enkel. Großeltern sind mit ihren Enkeln zu r = .25 verwandt. Die Tatsache, dass die meisten modernen Frauen ihre Menopause heute weit überleben, führte zu der Hypothese, dass sich die Menopause selbst entwickelt hat, um eine direkte Reproduktion zu unterbinden und um in die Kinder und dann in die Enkelkinder zu investieren – deshalb kennt man diese Hypothese heute auch als die „Großmutter-Hypothese“ (Hill & Hurtado, 1991). In vielen Kulturen tragen Frauen jenseits der Menopause sehr viel zum Wohlergehen ihrer Enkelkinder bei (Lancester & King, 1985). Deshalb kann man davon ausgehen, dass die Fürsorge durch die Großeltern in der menschlichen Evolutionsgeschichte ein durchgehend präsentes Phänomen war, weshalb sich spezifische psychologische Mechanismen zur Allokation großelterlicher Investitionen entwickelt haben könnten. Wie wir später in diesem Kapitel sehen werden, gibt es für diese Hypothese eindeutige Belege. Hypothesen über universale Aspekte der Verwandtschaft. Daly, Salmon und Wilson (1997) stellen eine Reihe von Hypothesen über die universalen Aspekte der Psychologie der Verwandtschaft auf. Zum einen gehen sie davon aus, dass eine ich-bezogene Verwandtschafts-Terminologie universal ist. Das bedeutet, dass in allen Kulturen Verwandte
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in Bezug auf ein zentrales Individuum gesehen und bezeichnet werden. Meine Eltern sind nicht die gleichen Menschen wie Ihre Eltern. Meine Brüder sind andere Menschen als Ihre Brüder. Alle Verwandtschafts-Bezeichnungen gehen also von einem ich-bezogenen zentralen Individuum aus. Zum zweiten gibt es in allen Verwandtschafts-Systemen bedeutende Unterschiede zwischen Geschlechtern und Generationen. Die Mütter werden von den Vätern und die Brüder von den Schwestern unterschieden. Zu dieser geschlechtlichen Unterscheidung kommt es wohl, weil mit dem Geschlecht eines verwandten Menschen eine ganze Reihe reproduktiver Implikationen einhergehen. So haben Mütter etwa eine 100%ige Sicherheit, was die genetische Übereinstimmung mit ihren Kindern betrifft, Väter dagegen nicht. Söhne könnten durch viele Partnerschaften große Reproduktionserfolge erzielen, Töchter dagegen nicht. Das Geschlecht eines Familienmitglieds ist also ausschlaggebend dafür, welchen adaptiven Problemen es sich stellen muss, deshalb wird es in allen Familiensystemen Unterscheidungen je nach Geschlecht geben. Drittens ist auch die Generation entscheidend. Wie wir in Kapitel 7 sahen, ist die Beziehung zwischen Eltern und Kindern oft asymmetrisch. Mit zunehmendem Alter gewinnen die Kinder beispielsweise für ihre Eltern immer mehr an Wert, während die Eltern umgekehrt für die Kinder immer weniger wertvoll werden. Deshalb können wir davon ausgehen, dass in allen Verwandtschafts-Systemen Unterscheidungen zwischen den Generationen gemacht werden. Viertens werden Verwandtschafts-Verhältnisse universal nach dem Aspekt der „Nähe“ zueinander betrachtet, wobei diese Nähe eng mit der genetischen Überlappung zusammenhängt. Kurz gesagt werden die emotionale (sich jemandem nahe fühlen) und die kulturelle Dimension der „Nähe“ mit der genetischen Nähe übereinstimmen. Natürlich müssen sich die Menschen dabei nicht zwangsläufig ihrer Gene, Reproduktion und genetischen Verwandtheit bewusst sein. Wie eng Verwandte zusammenarbeiten und wie solidarisch sie sich zeigen, ist fünftens abhängig von ihrem genetischen Verwandtheits-Grad. So werden sich nahe Verwandte sehr viel schneller und bereitwilliger im Notfall gegenseitig zu Hilfe eilen als entfernte Verwandte. Auch wird man Ungleichgewichte bei der Reziprozität – wenn wir einem anderen zum Beispiel Nahrung oder Geschenke bringen, ohne dafür eine Gegenleistung erwarten – zwischen nahen Verwandten noch bereitwillig akzeptieren, doch die Akzeptanz schwindet mit abnehmendem Verwandtheits-Grad, wobei sie zwischen Nicht-Verwandten, z.B. Freunden, am geringsten ist. Zusammenfassend sollte man also Kooperationen und Konflikte am Verwandtheits-Grad zwischen Familienmitgliedern ablesen können; wenn es wirklich darauf ankommt, wenden wir uns erwartungsgemäß eher an nahe als an entfernte Verwandte; auch werden bestehende Interessenskonflikte zwischen nahen Verwandten eher abgemildert als zwischen entfernten Verwandten. Eine sechste Implikation der Gesamtfitness-Theorie besteht darin, dass die älteren Mitglieder einer weitläufigen Familie jüngere Mitglieder dazu ermutigen oder auch dazu drängen werden, sich kollateralen Verwandten, (d.h. Verwandten, die keine direkten Nachkommen sind, z.B. Brüder, Schwestern, Cousins, Cousinen, Nichten und Neffen) gegenüber altruistischer und kooperativer zu zeigen als es ihre natürliche Neigung wäre.
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Stellen wir uns einen alten Mann vor, der einen Sohn, eine Schwester und den Sohn der Schwester als Verwandte hat. Aus seiner Perspektive ist der Sohn seiner Schwester (sein Neffe) mit ihm zu 25% genetisch verwandt und so für ihn ein wichtiger Fitness-Träger. Aus der Perspektive des Sohnes ist diese Person jedoch nur ein Cousin mit einem Verwandtheits-Grad von 12,5%. Aus seiner Sicht müsste also jedes Opfer, das er für seinen Cousin bringt, nach der Hamilton-Regel (c < rb) einen achtmal höheren Nutzen für ihn haben. Also wäre jede altruistische Handlung des Sohnes des alten Mannes zugunsten seines Cousins für die Fitness des alten Mannes nutzbringender als für die Fitness seines Sohnes. Insgesamt liegt eine wichtige und interessante Implikation der GesamtfitnessTheorie darin, dass ältere Familienmitglieder jüngere Mitglieder dazu bringen möchten, ihren Cousinen und Cousins und anderen Verwandten mehr zu helfen, als sie dies aus eigener natürlicher Neigung und im eigenen besten Interesse tun würden. Dies ist ein Beispiel für einen Interessenskonflikt, der als klassischer „Generationenkonflikt“ bezeichnet werden kann. Eine siebte Auswirkung der Gesamtfitness-Theorie ist, dass die eigene Position innerhalb des ausgedehnten Familien-Netzwerks – die eigenen genealogischen Verbindungen – das eigene Selbstbild wesentlich beeinflusst. Unsere Vorstellungen, „wer wir sind“ leiten sich auch von verwandtschaftlichen Beziehungen ab, z.B. „Sohn von X“, „Tochter von Y“, „Mutter von Z“. Dies ist eine direkt überprüfbare Aussage, die tief greifende psychologische Auswirkungen auf das Selbstbild hat (Salmon & Daly, 1996). Obwohl es im Kulturenvergleich Unterschiede bei den genauen VerwandtschaftsBezeichnungen und deren mutmaßlicher Bedeutung gibt, wissen doch die Menschen überall auf der Welt genau, wer ihre „wahren“ Verwandten sind. Dies ist die achte Implikation der Gesamtfitness-Theorie. Betrachten wir die Yanomamö-Indianer Venezuelas. Sie verwenden die Bezeichnung abawa sowohl für Cousins als auch für Brüder. Im Deutschen haben wir dagegen zwei unterschiedliche Begriffe, Cousin und Bruder. Verschleiert diese begriffliche Zusammenfassung die wahren Verwandtschafts-Verhältnisse der Yanomamö? Der Anthropologe Napoleon Chagnon ging dieser Frage nach, indem er Yanomamö befragte und ihnen Fotos von Menschen zeigte, die wir im Deutschen als ihre Cousins und ihre Brüder bezeichnen würden. Obwohl die Yanomamö beim Anblick beider Fotos „abawa“ sagten, deutete doch auf die Frage „Welcher ist dein wahrer abawa?“ jeder unweigerlich auf seinen leiblichen Bruder und nicht auf seinen Cousin (Chagnon, 1981; Chagnon & Bugos, 1979). Außerdem kommt ein „wahrer abawa“ einem Yanomamö Dorfbewohner sehr viel eher in einem sozialen Konflikt zu Hilfe. Obwohl sich Verwandtschafts-Bezeichnungen kurz gesagt in verschiedenen Kulturen unterscheiden und manchmal sogar vermischt oder zusammengefasst werden, legt die GesamtfitnessTheorie doch nahe, dass die Menschen überall auf der Welt genau wissen, wer ihre wahren Verwandten sind. Eine letzte Implikation der Gesamtfitness-Theorie besteht darin, dass wir Verwandtschafts-Bezeichnungen nutzen, um andere Menschen zu überzeugen und zu beeinflussen, auch dann wenn keine Verwandtschaft besteht. Ein gutes Beispiel ist die Frage des Bettlers: „He Bruder, hast Du ein bisschen Kleingeld übrig?“ Warum formuliert er seine Frage genau so? Eine Hypothese lautet, dass er den Begriff „Bruder“ verwendet, um die Psychologie der Verwandtschaft in seiner Zielperson zu aktivieren. Da wir einem Bruder
Kapitel 8 Probleme im Kontext von Verwandtschaft
bereitwilliger helfen als einem Wildfremden, könnte der Begriff „Bruder“ leicht Einstellungen und Verhaltensmuster gegenüber Verwandten aktivieren und so die Chancen steigern, dass wir dem Bettler tatsächlich Geld geben. Ähnliche Verwendung finden Verwandtschafts-Bezeichnungen in Studentenverbindungen, in denen sich die Mitglieder oft mit „Bruder“ oder „Schwester“ ansprechen. Auch feministische Slogans, die die „Schwesternschaft“ betonen, könnten eine ähnliche Intention verfolgen und das Solidaritätsgefühl der angesprochenen Frauen stärken wollen, obwohl diese genetisch nicht verwandt sind. Diese sprachliche Bezugnahme auf Verwandtschafts-Beziehungen ist also eine strategische Implikation der Gesamtfitness-Theorie – eine Hypothese die sich leicht durch empirische Daten belegen lässt.
8.2
Empirische Ergebnisse, die die Implikationen der GesamtfitnessTheorie belegen
Die Psychologie verwandtschaftlicher Beziehungen wurde in wissenschaftlichen Studien bisher weitgehend ignoriert. Trotz der bedeutenden theoretischen Auswirkungen der Gesamtfitness-Theorie existieren nur wenige erwähnenswerte Forschungsarbeiten. Dennoch gibt es einige viel versprechende Forschungsansätze bei Menschen und Tieren, die darauf hindeuten, dass sich hier ein großes Potential evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen verbirgt. In diesem Abschnitt stellen wir die wichtigsten empirischen Untersuchungen zu diesem Thema vor.
Warnrufe der Erdhörnchen Wenn die Belding-Erdhörnchen am Boden einen Feind entdecken, z.B. einen Kojoten oder einen Dachs, stoßen sie manchmal hohe abgehackte Pfeiftöne aus, die andere Erdhörnchen in der unmittelbaren Umgebung vor der Gefahr warnen sollen. Diese können sich dann schnell vor dem Feind in Sicherheit bringen. Die gewarnten Erdhörnchen profitieren ganz klar von diesem Ruf, denn er erhöht ihre Überlebenschancen, der Rufer selbst aber ist im Nachteil. Durch seine Pfeiftöne kann ihn der Feind leichter entdecken und so wird er eher zu seinem Opfer. Wie lässt sich diese verwirrende Entdeckung erklären, die dem Überleben des Einzelnen so gar nicht zu nützen scheint? Es wurden mehrere Hypothesen aufgestellt, um diese offensichtlich altruistische Handlung zu erklären (Alcock, 1993): 1. Die Feindverwirrungs-Hypothese: Der Warnruf könnte eingesetzt werden, um den Feind durch den wilden Aufruhr der Erdhörnchen, zu verwirren, die alle aufgescheucht herumrennen, um sich in Sicherheit zu bringen. Ist der Feind verwirrt, können alle – auch der Rufer – leichter entfliehen.
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2. Die Feindabschreckungs-Hypothese: Auch wenn es nahe liegend ist zu glauben, dass die Warnrufe die Aufmerksamkeit des Feindes auf den Rufer lenken – vielleicht wirken sie ja im Gegenteil abschreckend. Sind sie einmal entdeckt, geben die Feinde vielleicht ihre Jagd auf, weil sie wissen, dass sie größere Beutechancen haben, wenn sie unentdeckt zuschlagen. Nach dieser Hypothese erhöht der Warnruf auch die Überlebenschancen des Rufers. 3. Die Hypothese des reziproken Altruismus: Vielleicht bringt der Rufer sich durch seine Warnung in Gefahr, doch könnte er zu einem späteren Zeitpunkt selbst davon profitieren, wenn Freunde aus der Gruppe ihrerseits die Rolle des Rufers übernehmen. Diese Hypothese setzt voraus, dass die Beziehungen in der Gruppe relativ stabil sind und dass sich die Erdhörnchen erinnern können, wer ihnen in der Vergangenheit geholfen hat und wer nicht, so dass ihre Hilfe immer auf Gegenseitigkeit beruht. 4. Die Hypothese der elterlichen Investition: Zwar setzt sich der Rufer selbst einem größeren Risiko aus, doch vielleicht erhöht er dadurch die Chancen, dass seine Kinder den Angriff überleben. So gesehen könnte der Warnruf eine Form der elterlichen Investition sein. 5. Die Gesamtfitness-Hypothese: Auch wenn der Rufer selbst durch seinen Signalruf in Gefahr gerät, können seine Tanten, Onkel, Brüder, Schwestern, Cousins und Cousinen sowie seine Eltern von seinem Ruf profitieren. Nach dieser Hypothese schreckt der Signalruf die „Träger“ auf, die Kopien der Gene des Erdhörnchens in sich tragen, so dass sich ein Nutzen für die Gesamtfitness ergibt. Um diese Hypothesen zu testen, verbrachte der Biologe Paul Sherman viele Sommer in den Wäldern Kaliforniens, wo er eine ganze Kolonie von Belding-Erdhörnchen genauestens markierte, verfolgte und studierte (Sherman, 1977, 1981). Seine Ergebnisse sind faszinierend. Sherman konnte die beiden ersten Hypothesen relativ schnell ausschließen. Der Alarmgeber ist tatsächlich einem erheblich höheren Risiko ausgesetzt, denn Beobachtungen zufolge verfolgten und töteten die Feinde (darunter Wiesel, Dachse und Kojoten) diese Tiere tatsächlich sehr viel häufiger als andere Erdhörnchen, die in der Nähe waren, aber nicht gerufen hatten. Also lassen sich die Feinde durch den Ruf nicht verwirren (Hypothese 1). Ganz im Gegenteil konzentrieren sie sich direkt auf den Rufer. Außerdem werden Feinde durch die Rufe nicht von der Jagd abgehalten (Hypothese 2). Shermans zweite Entdeckung war, dass die Alarmrufe mit der Stabilität der Beziehungen zwischen zusammenlebenden Erdhörnchen oder mit der Vertrautheit untereinander nichts zu tun haben. Dies scheint also die dritte Hypothese auszuschließen, die besagt, dass reziproker Altruismus die wichtigste Funktion der Signalrufe ist. Damit sich diese Form der gegenseitigen Unterstützung entwickelt, sind in der Regel stabile, langfristige Allianzen nötig (Axelrod, 1984; Axelrod & Hamilton, 1981). Uns bleiben also noch zwei Hypothesen: die der elterlichen Investition und die der Gesamtfitness. Ist ein männliches Belding-Erdhörnchen ausgewachsen, verlässt es die Familie und schließt sich einer fremden Gruppe an. Weibchen bleiben dagegen in der ursprünglichen Gruppe und leben also mit Tanten, Nichten, Schwestern, Töchtern und anderen weiblichen Verwandten zusammen. Es stellte sich heraus, dass weibliche Tiere
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sehr viel häufiger die Rolle des Rufers übernehmen als männliche – etwa 21% häufiger. Für sich genommen bestätigt dieses Forschungsergebnis sowohl die Hypothese der elterlichen Investition als auch die Hypothese der Gesamtfitness, da sowohl die Töchter als auch andere Verwandte des Rufers von seinem Signal profitieren. Entscheidend ist das Verhalten der weiblichen Erdhörnchen, die keine Töchter oder anderen Nachkommen, wohl aber andere Verwandte in der Gruppe haben. Stoßen auch sie die Warnrufe aus, wenn sie einen Feind entdecken? Die Antwort lautet Ja. Auch Weibchen ohne eigene Kinder schlagen Alarm, solange sie Schwestern, Nichten und Tanten in der Nähe haben. Zwar ist zusammengefasst die Hypothese der elterlichen Investition höchstwahrscheinlich eine Funktion des Warnrufs, doch auch die Hypothese der Gesamtfitness lässt sich bestätigen, denn die Weibchen stoßen selbst dann ihre Warnrufe aus, wenn sie keine Nachkommen haben. Sherman fand auch eine weitere Bestätigung für die Gesamtfitness-Theorie, denn er entdeckte, dass weibliche Erdhörnchen ihren genetischen Verwandten – Schwestern ebenso wie Töchtern – zu Hilfe eilen, um sie bei Revierkonflikten mit Eindringlingen zu unterstützen. Nicht Verwandten halfen die Tiere dagegen nicht (Holmes & Sherman, 1982). Zusammen genommen stützen diese Ergebnisse die These, dass sich Altruismus aufgrund der Gesamtfitness entwickeln kann. Erdhörnchen sind eine Spezies – Menschen eine ganz andere. Können wir annehmen, dass die Gesamtfitness auch beim Menschen zu altruistischen Handlungen führt?
Hilfeleistungen im Leben amerikanischer Frauen In einer frühen Überprüfung der auf Menschen angewandten Gesamtfitness-Theorie untersuchten zwei Forscher ausgiebig eine Stichprobe von 300 Frauen aus Los Angeles im Alter zwischen 35 und 45 Jahren. Die Frauen gaben folgende Situationen an, in denen sie Hilfe erfahren hatten: Als ich Geld brauchte, um in die Gewerkschaft einzutreten; als ich mir das Schlüsselbein gebrochen hatte und er den Haushalt übernahm; Gespräch mit einer Freundin über Eheprobleme; während ihrer Krankheit jeden Tag die Kinder einer Freundin abholen; als mein Sohn Ärger mit der Polizei hatte; sie nahm die Kinder, als mein drittes Kind zur Welt kam; als ihr Ehemann sie verließ; als ihr ein Bein amputiert wurde; sie liehen uns Geld für eine Anzahlung auf das neue Haus (Essock-Vitale & McGuire, 1985, S. 141). Die Frauen beschrieben 2.520 Situationen, in denen sie Hilfe erfahren und 2.651 Situationen, in denen sie selbst geholfen hatten. Von allen Thesen, die innerhalb dieser Studie aufgestellt wurden, sind hier zwei von besonderer Bedeutung: (1) unter Verwandten steigt die Hilfsbereitschaft mit dem genetischen Verwandtheits-Grad; und (2) unter Verwandten steigt die Hilfsbereitschaft mit dem reproduktiven Wert des Empfängers. Abbildung 8.1 zeigt den Prozentsatz an Hilfeleistungen innerhalb von drei Verwandtschaftsgraden: 50% genetische Überlappung; 25% genetische Überlappung und weniger als 25% genetische Überlappung (z.B. ein Cousin ersten Grades). Erwartungsgemäß kam es unter nahen Verwandten häufiger zu gegenseitigen Hilfeleistungen als unter entfernten
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Verwandten, was eine Hauptthese der Gesamtfitness-Theorie bestätigt. Wir wollen jedoch darauf hinweisen, dass sich nur etwa 30% aller Hilfeleistungen an Verwandte richteten. Viele Hilfeleistungen kamen von und richteten sich an enge Freunde – ein Thema, das wir in Kapitel 9 behandeln werden.
Abbildung 8.1: Prozentsatz wichtiger Hilfeleistungen je nach Verwandtheits-Grad r = Verwandtschafts-Koeffizient (z.B. r = ½ bei Eltern, Geschwistern, Kindern); r = ¼ bei Halbgeschwistern, Großeltern, Tanten, Onkeln, Enkeln, Nichten, Neffen; r größer Null aber kleiner ¼ bei Cousins, Cousinen, Kinder von Halbgeschwistern etc.). Es werden mehr Hilfeleistungen an nahe als an entfernte genetisch Verwandte gerichtet. Quelle: Ethology and Sociobiology, 6, S. M. Essock-Vitale & M. T. McGuire, Women’s lives viewed from an evolutionary perspective. II. Patterns of helping, 143, copyright © 1985 by Elsevier Science.
Die zweite These besagte, dass Hilfeleistungen unter Verwandten bevorzugt an Familienmitglieder mit hohem reproduktiven Potential gerichtet werden, eine These, die ebenfalls bestätigt werden konnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen ihren Kindern, Nichten und Neffen halfen, war sehr viel höher als umgekehrt. Hilfeleistungen kommen meistens von der älteren Generation und richten sich an die jüngere Generation, wodurch vielleicht das größere zukünftige reproduktive Potential der jungen Empfänger reflektiert wird. Diese Studienergebnisse sind auf vielerlei Weisen eingeschränkt. Sie beschränken sich nur auf ein Geschlecht (Frauen), auf eine Stadt (Los Angeles) und auf eine Art der Informationsfindung (Fragebögen). Wir werden jedoch sehen, dass Verwandtschaft sich auch sehr stark auf die Gewährung von Hilfeleistungen auswirkt, wenn wir Männer, andere Populationen und andere Methoden in unserer Überprüfung berücksichtigen.
Menschliche Hilfe auf Leben und Tod Die evolutionäre Denkweise geht davon aus, dass Hilfeleistungen und altruistische Handlungen nicht zufällig gewährt werden und dass der genetische Verwandtheits-Grad einer der wichtigsten Faktoren ist, die bestimmen, wem wir helfen. Genetisch Verwandte sind die Träger unserer Fitness und je näher verwandt ein Familienmitglied ist, umso zuträglicher ist eine Hilfeleistung für unsere Fitness. Natürlich denken wir über diese Dinge nicht nach, wenn wir anderen helfen. Dieser Sachverhalt beschreibt vielmehr den Selektionsdruck im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte, der wahrscheinlich zur Formung psychologischer Mechanismen oder Entscheidungsregeln geführt hat, die uns dazu bringen, nahen Verwandten bereitwilliger zu helfen als entfernten.
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Eine Studie untersuchte eine Reihe von Hypothesen zur Bestimmung dieser Entscheidungsregeln, die sich aus der Gesamtfitness-Theorie ableiten (Burnstein, Crandall & Kitayama, 1994). Genauer gesagt stellten die Forscher die Hypothese auf, dass eine Hilfeleistung für andere eine direkte Funktion der Fähigkeit des Empfängers ist, die Gesamtfitness des Helfenden zu steigern. Die Häufigkeit von Hilfeleistungen sollte linear mit abnehmendem Verwandtheits-Grad zwischen Empfänger und Helfendem ebenfalls sinken, so argumentierten die Forscher. Also kommt es erwartungsgemäß zwischen Geschwistern (die genetisch zu durchschnittlich 50% verwandt sind) häufiger zu Hilfeleistungen als zwischen einer Person und den Kindern ihrer Geschwister (die durchschnittlich nur zu 25% genetisch verwandt sind). Noch seltener sind dementsprechend Hilfeleistungen zwischen Individuen, die nur zu 12,5% genetisch verwandt sind, also z.B. zwischen Cousins und Cousinen ersten Grades. Keine andere Theorie in der Psychologie trifft solche genauen Vorhersagen über die Bedeutung und den Umfang der Hilfeleistungen oder über spezifische Verwandtheits-Grade als ein grundlegendes Prinzip zur Verteilung von altruistischen Handlungen. Der genetische Verwandtheits-Grad ist zwar wichtig, er ist aber nicht der einzige theoretische Aspekt, der altruistische Entscheidungsregeln maßgeblich beeinflusst. Hilfeleistungen sollten ebenso mit zunehmendem Alter des Empfängers abnehmen, ceteris paribus, da diese sich weniger stark auf die eigene Fitness auswirken werden wie Hilfeleistungen für jüngere Verwandte, denn bei letzteren ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie Nachkommen haben werden, die einige der Gene des Helfenden tragen. Daneben sollten auch genetisch Verwandte, die einen höheren reproduktiven Wert haben, und diejenigen, bei denen sich eine Investition am ehesten „auszahlt“, mehr unterstützt werden als andere mit geringerem reproduktiven Wert und einem geringeren „Ertrag“. Auch hier trifft keine andere psychologische Theorie derart präzise Vorhersagen. In einer Reihe von Studien (Burnstein et al., 1994) zur Überprüfung dieser Hypothesen wurde eine wichtige Unterscheidung zwischen zwei Arten der Hilfeleistung getroffen: (1) alles entscheidende Hilfeleistungen, die beeinflussen, ob der Empfänger lebt oder stirbt; und (2) vergleichsweise unwesentliche Hilfeleistungen, wie etwas Kleingeld für einen Obdachlosen. Laut Vorhersage müssten die Unterschiede im Ausmaß altruistischer Handlungen, die sich auf unterschiedliche Verwandtschafts-Grade zu den Begünstigten zurückführen lassen, in der ersten Kategorie stärker, in der zweiten Kategorie dagegen schwächer ausgeprägt sein. Zur Überprüfung dieser Hypothesen untersuchten Burnstein und seine Kollegen zwei verschiedene Kulturen: Amerika und Japan. Teilnehmer wurden darüber befragt, was sie tun würden, wenn etwa ein Haus schnell abbrennen würde und sie nur noch genug Zeit hätten, um einen von drei Hausbewohnern zu retten. Die Forscher wiesen ausdrücklich darauf hin, dass nur die gerettete Person auch überleben, die beiden anderen dagegen sterben würden. Bei den weniger bedeutenden alltäglichen Situationen der Hilfsbereitschaft mussten die Testpersonen angeben, welcher Person sie helfen würden, indem sie für diese einige Dinge einkauften. Wie in der oben beschriebenen Situation konnten die Teilnehmer auch hier nur einer Person helfen. Die möglichen Hilfe-Empfänger unterschieden sich durch ihren genetischen Verwandtheits-Grad zum Helfenden. In diesen hypothetischen Situationen sank die Hilfsbereitschaft stetig mit abnehmendem genetischen Verwandtheits-Grad ab. Geschwister (zu 50% verwandt) profitierten häufiger
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von Hilfeleistungen als zu 25% Verwandte und diesen wurde wiederum häufiger geholfen als Verwandten mit nur 12,5% Verwandtheits-Grad. Diese Ergebnisse waren besonders deutlich in der Situation, in der es um Leben und Tod ging. Die Hilfeleistungen in der Situation auf Leben und Tod sanken auch mit zunehmendem Alter des potentiellen Hilfe-Empfängers stetig ab. Einjährigen wurde häufiger geholfen als Zehnjährigen, die wiederum eher Hilfe erfuhren als 18-Jährige. Am seltensten wurden die 75-Jährigen gerettet. Interessant ist, dass dieser Alterseffekt in der Leben-und-TodSituation am stärksten ausgeprägt war, im Szenario der unwesentlicheren Hilfeleistungen sich aber sogar umkehrte. Bei den alltäglichen Hilfeleistungen wie etwa Besorgungen erfuhren die 75-Jährigen häufiger Hilfe als die 45-Jährigen (siehe Abbildung 8.2). Diese Ergebnisse wurden bei Amerikanern und Japanern gleichermaßen ermittelt, was darauf schließen lässt, dass diese Effekte nicht nur in westlichen Kulturen auftreten. Zusammenfassend dokumentierten Burnstein und seine Kollegen, dass Hilfeleistungen, auf die es wirklich ankommt, mit ansteigendem genetischen Verwandtheits-Grad zwischen Empfänger und Helfendem sowie mit ansteigendem reproduktiven Wert des Verwandten, gemessen an seiner Jugend, ebenfalls zunehmen. Das einzige Ergebnis, das damit nicht übereinstimmt, besteht darin, dass Einjährige häufiger gerettet wurden als Zehnjährige, obwohl der reproduktive Wert der älteren Kinder höher ist. Um dieses verwirrende Ergebnis zu klären, ist weitere Forschungsarbeit nötig. Insgesamt weisen diese Forschungsergebnisse darauf hin, dass der Selektionsdruck aufgrund der Gesamtfitness zur Herausbildung menschlicher psychologischer Mechanismen geführt hat, die jeder von uns in sich trägt und die darauf ausgerichtet sind, eigene Opfer zum Wohl derer zu erbringen, die Kopien unserer Gene in sich tragen. 2.6 Alltägliche Situation Situation auf Leben und Tod 2.4
Tendenz zur Hilfeleistung
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2.2 2.0 1.8 1.6 1.4 > 1 Jahr 10 Jahre 18 Jahre 45 Jahre 75 Jahre Alter der Zielperson
Abbildung 8.2: Tendenz zur Hilfeleistung abhängig vom Alter des Empfängers und der Wichtigkeit der Hilfesituationen auf Leben und Tod versus alltäglicher Situationen Quelle: Some neo-Darwinian decision rules for altruism: Weighing cues for inclusive fitness as a function of the biological importance of the decision by E. Burnstein, C. Crandall, & S. Kitayama, Journal of Personality and Social Psychology, 67 (1994), 779, Copyright © 1994 by the American Psychological Association.
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Genetische Verwandtschaft und emotionale Nähe: Ist Blut dicker als Wasser? Die Burnstein-Studien weisen klar darauf hin, dass der genetische Verwandtheits-Grad die Gewährung von Hilfeleistungen stark beeinflusst, besonders in Situationen auf Leben und Tod. Die zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen, die diese Hilfeleistungen motivieren, sind bisher jedoch noch unerforscht. In zwei neueren Studien wurde versucht, diese Lücke zu schließen – sie führten den psychologischen Faktor der „emotionalen Nähe“ als Moderatorvariable ein. In einer Studie gaben die Teilnehmer auf einer Skala von 1 (gar nicht verbunden) bis 7 (extrem verbunden) an, wie emotional verbunden sie sich jedem Familienmitglied fühlten (Korchmaros & Kenny, 2001). Anschließend bewerteten sie hypothetische Situationen, die den Burnsteinschen Hilfsszenarien ähnlich waren. Ebenso wie bei den Burnstein-Studien ergab auch diese Studie, dass eine genetische Verwandtschaft mit einer größeren Bereitschaft einhergeht, altruistisch zu handeln. Die wichtigste neue Erkenntnis bezog sich aber auf die emotionale Nähe. Zum einen war die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Testpersonen sich denjenigen Familienmitgliedern emotional am nächsten fühlten, die auch am nächsten verwandt waren; zum anderen führte die emotionale Nähe auch statistisch gesehen zu der Tendenz, sich Familienmitgliedern gegenüber altruistisch zu verhalten. Eine umfangreiche Studie, die mit 1.365 Personen in Deutschland durchgeführt wurde, lieferte ähnliche Ergebnisse (Neyer & Lang, 2003). Der genetische Verwandtheits-Grad erwies sich als ausschlaggebender Faktor bei der subjektiven Nähe; die Korrelation beider Variablen betrug ganze +.50. Diese Effekte waren sehr robust und zeigten sich auch dann noch, wenn mittels statistischer Verfahren der Einfluss von Variablen wie räumliche Nähe der Wohnorte, Häufigkeit von Kontakten etc. eliminiert wurde. Wir fühlen uns subjektiv also meist denjenigen Menschen eng verbunden, die eng mit uns verwandt sind, selbst wenn sie weit weg wohnen und wir sie nur selten sehen. Zusammenfassend könnte die emotionale Nähe ein psychologischer Mechanismus sein, der uns dazu bringt, unseren genetischen Verwandten gegenüber altruistisch zu handeln. Zweifellos wird zukünftige Forschungsarbeit aber noch weitere solcher Mechanismen aufdecken. Also können wir dem alten Sprichwort glauben: Blut ist wohl tatsächlich dicker als Wasser.
Verwandtschaft und Überleben Emotionale Nähe und Reaktionen auf hypothetische „Auf-Leben-und-Tod“-Szenarien sind eine Sache. Das tatsächliche Überleben ist eine ganz andere. Gibt es irgendwelche Belege dafür, dass sich die räumliche Nähe von Familienmitgliedern in realen Situationen, in denen es wirklich um Leben und Tod geht, auf die Überlebensrate auswirkt? Zwei Studien beschäftigten sich mit dieser faszinierenden Frage. Eine dieser Studien befasste sich mit den Überlebenden der Mayflower-Pioniere in der Plymouth-Kolonie während der ersten Jahre der Neubesiedlung Amerikas (McCullough & Barton, 1990). Während des ersten Winters 1620/21 war das Essen knapp und Krankheiten breiteten sich schnell
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aus. Ganze 51% der ersten 103 Pioniere starben. Ein wesentlicher Faktor, der darüber entschied, wer am Leben blieb und wer nicht, war einfach die Anzahl der genetisch Verwandten innerhalb der Kolonie. Am geringsten waren die Überlebenschancen für diejenigen mit den wenigsten Verwandten. Diejenigen mit den größten Überlebenschancen hatten dagegen innerhalb der Kolonie und auch unter den Überlebenden Eltern und andere Verwandte. In weiteren Situationen auf Leben und Tod konnten ähnliche Ergebnisse dokumentiert werden, z.B. bei der Katastrophe der Donner Party im Jahr 1846, bei der 40 von 87 Menschen in einem bitterkalten Winter starben (Grayson, 1993). Kommt es zu evolutionären Engpässen, in denen das Leben jedes Einzelnen auf dem Spiel steht, erhöhen genetisch Verwandte die Überlebenschancen ganz erheblich.
Vererbungsmuster – Wer hinterlässt wem sein Vermögen? Die Theorie der Gesamtfitness lässt sich noch in einem weiteren Bereich überprüfen: bei der Vererbung von Vermögen. Wenn eine Person in einem Testament festschreibt, wer nach ihrem Tod ihr Vermögen erben soll, kann man dann aufgrund der Theorie der Gesamtfitness das Vererbungsmuster vorhersagen? Hinterlassen die Menschen ihren nahen Verwandten mehr Geld als ihren entfernten Verwandten? Vor dem Hintergrund der Theorie der Gesamtfitness überprüften die Psychologen Martin Smith, Bradley Kish und Charles Crawford (1987) drei Vorhersagen über Vererbungsmuster basierend auf den Hypothesen über die evolutionsbedingten psychologischen Mechanismen, die der Verteilung von Ressourcen zugrunde liegen. (1) Die Menschen werden genetisch Verwandten und Ehepartnern größere Teile ihres Vermögens hinterlassen als nicht Verwandten. Ehepartner werden nicht aufgrund genetischer Verwandtheit in die Analyse mit einbezogen, sondern vielmehr weil diese vermutlich die Ressourcen an gemeinsame Kinder oder Enkelkinder weitergeben werden. (2) Die Menschen werden nahen Verwandten größere Teile ihres Vermögens hinterlassen als entfernten Verwandten. (3) Die Menschen werden eigenen Kindern größere Teile ihres Vermögens überlassen als Geschwistern, obwohl der genetische Verwandtheits-Grad in beiden Fällen durchschnittlich gleich hoch ist. Die Begründung dieser Vorhersage liegt darin, dass die eigenen Kinder in der Regel jünger sind als die eigenen Geschwister und somit einen durchschnittlich höheren reproduktiven Wert haben. In der Lebensphase, in der Testamente normalerweise verfasst werden oder in Kraft treten, bekommen die eigenen Geschwister meist keine eigenen Kinder mehr, während bei Kindern die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass sie die Ressourcen in zukünftige Nachkommen investieren werden. Um diese Hypothesen zu überprüfen, untersuchten Wissenschaftler die Nachlässe von 1.000 zufällig ausgewählten Verstorbenen aus Vancouver, British Columbia, Kanada, darunter 552 Männer und 448 Frauen. Es wurden nur diejenigen berücksichtigt, die ein Testament verfasst hatten. (Manche Menschen sterben, ohne ein Testament zu hinterlassen.) Die Wissenschaftler erfassten die Gesamthöhe jedes Vermögens sowie den Prozentsatz, der laut Testament an jeden Begünstigten ging. Die Begünstigten wurden je nach ihrem Verwandtheits-Grad zum Erblasser eingeteilt, z.B. als Sohn, Tochter, Bruder, Schwester, Enkel, Nichte oder Cousin. Die beiden Kategorien für nicht genetisch Verwandte waren Ehepartner und keine Familienmitglieder. Letztere Kategorie schloss auch Organisationen mit ein.
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Das Durchschnittsvermögen betrug bei Männern $ 54.000, bei Frauen $ 51.200. Interessanterweise neigten Frauen dazu, ihr Vermögen einer größeren Anzahl Begünstigter zu hinterlassen (2,8) als Männer (2,0). Tabelle 8.1 zeigt den durchschnittlichen Vermögensanteil, der den unterschiedlichen Begünstigten bzw. ihrer Kategorie hinterlassen wurde.1 Begünstigter
Hinterlassener prozentualer Anteil (x)
Ehepartner
36,9
Verwandte (ohne Ehepartner)
55,3
r = 50 Prozent Verwandtschaft
46,5
Kinder
38,6
Söhne
19,2
Töchter
19,4
Geschwister
7,9
Brüder
3,2
Schwestern
4,8
r = 25 Prozent Verwandtschaft
8,3
Nichten und Neffen
5,1
Neffen
2,3
Nichten
2,8
Enkel
3,2
Enkel (männlich)
1,8
Enkelinnen
1,4
r = 12,5 Prozent Verwandtschaft
0,6
Cousins/Cousinen
0,6
Cousins
0,3
Cousinen
0,3
Keine Familienmitglieder Gesamt
7,7 1001
Tabelle 8.1: Den Begünstigten hinterlassene Vermögensanteile Quelle: Ethology and Sociobiology, 8, M. S. Smith, B. J. Kish & C. B. Crawford, Inheritance of wealth as human kin investment, 175, copyright © 1987 by Elsevier Science.
1
Rundungsfehler erklären die Diskrepanzen zwischen den angegebenen Einzelwerten und dem Gesamtwert.
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Die erste Hypothese konnte eindeutig bestätigt werden. Die Verstorbenen hinterließen nicht Verwandten nur durchschnittlich 7,7% ihres Vermögens, 92,3% dagegen Ehepartnern und Familienmitgliedern. Auch die zweite Hypothese wurde bestätigt. Die Verstorbenen vererbten größere Teile ihres Vermögens an nahe Verwandte als an entferntere Verwandte. Betrachten wir nur den Anteil, der Verwandten hinterlassen wurde (ohne die Kategorien Ehepartner und keine Familienmitglieder), so wurden 46% des Vermögens an Verwandte vererbt, die zu 50% verwandt waren, 8% an solche, die zu 25% verwandt waren und weniger als 1% an Familienmitglieder, die zu 12,5% verwandt waren. Diese Daten stützen die Hypothese, dass die Gesamtfitness im Laufe der Evolution psychologische Mechanismen zur Verteilung von Ressourcen hervorgebracht hat, die darauf ausgerichtet sind, Individuen je nach ihrem Verwandtheits-Grad zu bevorzugen. Die dritte Hypothese – dass die Verstorbenen ihren Kindern mehr hinterlassen würden als ihren Geschwistern – wurde ebenfalls bestätigt. Tatsächlich erhielten die Kinder über viermal so viel (38,6% des Gesamtvermögens) wie die Geschwister (7,9% des Gesamtvermögens). In einer neueren Testamentsanalyse fand Debra Judge (1995) eine erneute Bestätigung für die Aussage, dass Frauen ihr Vermögen eher einer größeren Anzahl Begünstigter hinterlassen. Genauer gesagt hinterließen die meisten Männer ihr gesamtes Vermögen ihren Ehefrauen oft in dem ausdrücklichen Vertrauen, dass diese die Ressourcen an die gemeinsamen Kinder weitergeben würden. Hier einige beispielhafte Gründe der Männer für ihre Entscheidung, ihre gesamten Ressourcen ihren Ehefrauen zu hinterlassen: „… ich weiß, dass ich ihr [Ehefrau] vertrauen kann und dass sie sich um meine Jungs kümmern wird … ihre Erziehung und einen guten Start ins Leben.“ „… keine Vorsorge für meine Kinder …, denn ich glaube, sie [Ehefrau] wird für sie angemessene Vorsorge treffen.“ „… [Ehefrau] kann das Vermögen besser verwalten, wenn sie es im Ganzen erbt und … [ich habe] Vertrauen, dass sie sich um ihre oben erwähnten Kinder so gut kümmern wird, wie ich es getan hätte.“ (Judge, 1995, S. 306) Ganz im Gegensatz zu Ehemännern, die meist großes Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Ehefrauen ausdrückten, dass diese ihre Ressourcen gut verwalten würden, brachten die Ehefrauen bei ihrem Tod ihren Männern nicht das gleiche Vertrauen entgegen. Wurde ein Ehemann überhaupt erwähnt, war daran meist eine Bedingung geknüpft. So schlossen beispielsweise sechs Ehefrauen ihre Männer ausdrücklich aus ihrem Testament aus, weil sie von diesen verlassen worden waren, „aus Gründen, die für mich ausreichen [oder mir am besten bekannt sind]“ oder aufgrund von Aussagen über das „Fehlverhalten“ des Ehemanns. In einem Fall hinterließ eine Frau ihr gesamtes Vermögen ihrem Mann „unter der Bedingung, dass er unverheiratet bleibt“ (Judge, 1995, S. 307). Zwar ist es schwierig, aus diesen Ergebnissen und Zitaten direkt Rückschlüsse zu ziehen, doch eine Spekulation ist sicher angebracht. Es ist bekannt, dass ältere Männer sehr viel häufiger wieder heiraten als ältere Frauen (Buss, 1994b). Deshalb könnte ein Witwer die Ressourcen ihrer früheren Ehefrau dazu benutzen, um eine neue Partnerin zu gewinnen und vielleicht sogar nochmals eine Familie zu gründen. Wäre dies der Fall, so würden die
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Ressourcen nicht mehr den Kindern und Verwandten der ersten Frau zugute kommen. Da umgekehrt die meisten älteren Frauen wahrscheinlich nicht mehr heiraten und mit großer Sicherheit auch keine weiteren Kinder mehr bekommen werden (viele befinden sich bereits nach der Menopause), können die Ehemänner eher darauf vertrauen, dass die Witwe die hinterlassenen Ressourcen den gemeinsamen Kindern zukommen lassen wird. Ist diese Spekulation zutreffend, so kann man daraus ersehen, dass die Psychologie der menschlichen Partnerwahl einen weitreichenden Einfluss auf das menschliche Verhalten ausübt, so dass sogar ein geschlechtsbezogener Unterschied in Bezug auf das „Vertrauen“ in den hinterbliebenen Ehepartner entsteht, der die Frauen dazu bringt, ihren Ehemännern weniger Ressourcen zu hinterlassen als umgekehrt. Neuere in Deutschland durchgeführte Studien bestätigen diese Interpretation (Bossong, 2001). Männer und Frauen unterschiedlichen Alters wurden gebeten, sich vorzustellen, ihr Arzt hätte ihnen mitgeteilt, sie seien unheilbar krank, so dass sie nun ein Testament schreiben müssten, um ihr Vermögen Ehepartnern und Kindern zu hinterlassen. Wie in früheren Studien hinterließen auch hier die Frauen ihr Vermögen häufiger direkt ihren Kindern. Die Männer dagegen hinterließen die Ressourcen eher der hinterbliebenen Ehefrau. Dabei war jedoch das Alter der Ehefrau für die Männer ein ausschlaggebender Punkt. War die Ehefrau älter und war abzusehen, dass sie keine weiteren Kinder bekommen würde, hinterließ ihr der Ehemann den Löwenanteil des Vermögens, vermutlich weil sie es dann seinen Kindern weitergeben würde. War die überlebende Ehefrau dagegen jung und bestand die Möglichkeit, dass sie wieder heiraten und weitere Kinder mit einem anderen Mann haben würde, so hinterließ der Ehemann sein Vermögen seltener seiner Frau, sondern vererbte es meist direkt seinen Kindern. Insgesamt konnten alle drei Hypothesen empirisch gestützt werden. Genetisch Verwandte erben mehr als nicht Verwandte. Nahe Verwandte erhalten mehr als entfernte Verwandte. Direkte Nachkommen, vor allem Kinder, werden häufiger bedacht als gleichgeordnete Verwandte wie Schwestern oder Brüder. Wie aber können wir diese Ergebnisse interpretieren angesichts der Tatsache, dass offizielle Testamente eine relativ neue Erfindung sind? Es handelt sich sicher nicht um einen speziellen „Testaments-Mechanismus“, denn Testamente sind wohl zu neu, um ein wiederkehrendes Merkmal innerhalb unserer Umwelt der evolutionären Anpassung zu sein. Die vernünftigste Erklärung lautet, dass Menschen psychologische Mechanismen zur Verteilung von Ressourcen entwickelt haben, dass der genetische Verwandtheits-Grad ein kritischer Faktor bei der Entscheidungsregel für die Verteilung von Ressourcen ist und dass diese evolutionsbedingten Mechanismen auf relativ neu erworbene Ressourcen wirken, die nämlich, die man als materielle Vermögenswerte, die in einem Testament hinterlassen werden können, im Laufe seines Lebens angehäuft hat. Allgemeiner ausgedrückt stützen diese Ergebnisse empirisch die Theorie, dass die Gesamtfitness einen Selektionsdruck verursacht, der zur Herausbildung psychologischer Mechanismen führt.
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Investitionen durch die Großeltern Im letzten Jahrhundert verschwand das Phänomen Großfamilie mehr und mehr, denn durch die wachsende Mobilität zerstreuen sich einzelne Familienmitglieder in verschiedene Städte und Länder. Obwohl wir uns damit vom Kontext der Großfamilie wegbewegen, in dem sich die Menschheit ursprünglich entwickelte, kommt der Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln doch nach wie vor ein wichtiger Platz zu (Euler & Weitzel, 1996). Da die westlichen Medien in der heutigen Zeit so übergroßen Wert auf Jugend legen, könnte man glauben, dass es uns mit großer Trauer erfüllen müsste, Großeltern zu werden, denn das signalisiert unser fortgeschrittenes Alter und erinnert uns an den Tod. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die Ankunft von Enkelkindern bringt eine Zeit des Stolzes, der Freude und der tiefen Erfüllung mit sich (Fisher, 1983). Wir alle kennen es, wenn Großeltern stolz Fotos von und Andenken an ihre Enkelkinder zeigen oder stundenlang von deren Erlebnissen und Leistungen schwärmen. Es gibt jedoch erhebliche Unterschiede, wie nah sich Enkel und Großeltern im Einzelfall sind. Bei manchen drückt sich die emotionale Bindung durch herzliche Gefühle, häufigen Kontakt und hohe Investitionen aus. Bei anderen sind die Gefühle eher entfremdet und Kontakte sowie Investitionen selten. Erst vor kurzem haben sich Evolutionspsychologen diesem Thema zugewandt, um eine Erklärung für diese Abweichungen bei den großelterlichen Investitionen zu finden. Diese sind ein wichtiger Ansatzpunkt für evolutionsbedingte psychologische Mechanismen, denn die Enkel sind ja die wichtigsten Träger, durch die die großelterlichen Gene in die Zukunft transportiert werden.
Bei den Menschen investieren Großeltern oft in ihre Enkelkinder und ihre Beziehung zueinander ist durch Wärme, häufige Kontakte und Liebe gekennzeichnet. Bestimmte großelterliche Investitionsmuster lassen sich von Theorien über die Unsicherheit der Vaterschaft ableiten, die von DeKay (1995) sowie von Euler und Weitzel (1996) entwickelt wurden.
Theoretisch sind Großeltern mit jedem Enkel zu 25% genetisch verwandt. Worauf könnten sich also Theorien über unterschiedliche großelterliche Investitionen stützen? Erinnern wir uns an die grundlegenden geschlechtsbezogenen Unterschiede, die uns immer wieder begegnen: Männer sehen sich dem adaptiven Problem der unsicheren Vaterschaft gegenüber, während Frauen sich ihrer Mutterschaft zu 100% sicher sind. Dies gilt für Großeltern ebenso wie für Eltern, wobei es in ihrem Fall noch etwas komplizierter wird. Hier haben wir es nämlich mit zwei Generationen an Nachkommen zu tun, also gibt es aus Sicht des Großvaters zwei Möglichkeiten, die eine genetische Verwandtschaft unmöglich machen könnten (DeKay, 1995). Zum einen kann es sein, dass er nicht der leibliche Vater seines Sohnes oder seiner Tochter ist. Zum zweiten ist es möglich, dass sein Sohn nicht der leibliche Vater seines mutmaßlichen Enkelkindes ist. Aufgrund dieser
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doppelten Unsicherheit ist die leibliche Verwandtschaft zwischen einem Großvater und den Kindern seines Sohnes die genetisch unsicherste von allen anderen großelterlichen Verwandtschafts-Beziehungen. Am anderen Ende der Sicherheitsskala stehen die Frauen, deren Töchter selbst Kinder haben. In diesem Fall ist die Großmutter zu 100% sicher, dass ihre Enkelkinder auch ihre Gene in sich tragen (bedenken wir immer, dass diese Denkprozesse meist nicht bewusst ablaufen). Sie ist zweifellos die Mutter ihrer Tochter und die Tochter ist sich ihres genetischen Beitrags an die eigenen Kinder sicher. Die theoretische Vorhersage aufgrund der Gesamtfitness-Theorie ist also klar: Ceteris paribus sollte aus Sicht des Enkels die Mutter der Mutter (MuMu) am meisten investieren, während der Vater des Vaters (VaVa) am wenigsten investieren sollte. Wie steht es mit den beiden anderen Großeltern, dem Vater der Mutter (VaMu) und der Mutter des Vaters (MuVa)? In beiden Fällen gibt es eine Möglichkeit, die eine leibliche Verwandtschaft ausschließt. Ein Mann, dessen Tochter ein Kind hat, könnte nicht ihr leiblicher Vater sein. Eine Mutter, die einen Sohn hat, könnte mit den Kindern des Sohnes nicht verwandt sein, wenn er nicht deren leiblicher Vater ist. Die Investition dieser beiden Großeltern liegt also erwartungsgemäß etwa in der Mitte zwischen der stärksten (MuMu) und der geringsten (VaVa) Sicherheit einer genetischen Verwandtschaft. Eine Investition in Enkelkinder kann auf verschiedenste Art stattfinden und sowohl verhaltenstechnischer als auch psychologischer Natur sein. Was das Verhalten betrifft, so könnte man Kontakthäufigkeit, tatsächliche Investition von Ressourcen, Bereitschaft zur Adoption oder Vererbung von Vermögen untersuchen. Psychologisch könnte man die ausdrücklichen Gefühle der Nähe, das Ausmaß der Trauer beim Tod eines Enkelkindes sowie die Bereitschaft, Opfer zu bringen, als Maßstäbe betrachten. Die Hypothese der „unterschiedlichen großelterlichen Investition“ sagt voraus, dass verhaltenstechnische und psychologische Indikatoren der Investition sich je nach dem Sicherheitsgrad der großelterlichen Verwandtschafts-Beziehung unterscheiden sollten. Am stärksten sollten diese Indikatoren bei MuMu, am schwächsten bei VaVa und bei VaMu und MuVa irgendwo dazwischen sein. Zwei separate Studien aus zwei verschiedenen Kulturen überprüften die Hypothese der unterschiedlichen großelterlichen Besorgtheit. In einer Studie, die in den USA durchgeführt wurde, untersuchte der Evolutionspsychologe Todd DeKay (1995) eine Stichprobe von 120 Studenten. Jeder Student füllte einen Fragebogen zu seinem biologischen Hintergrund aus und bewertete dann seine vier Großeltern jeweils nach folgenden Kriterien: großelterliche physische Ähnlichkeit mit dem Enkel, Ähnlichkeiten in der Persönlichkeit mit dem Enkel, mit den Großeltern verbrachte Zeit in der Kindheit, von den Großeltern übernommenes Wissen, Geschenke der Großeltern und emotionale Nähe zu ihnen. Abbildung 8.3 fasst die Ergebnisse dieser Studie zusammen. Die Balkengruppe ganz links zeigt die Einteilung der Großeltern je nach empfundener emotionaler Nähe der Testperson. Die Teilnehmer gaben an, zur Mutter ihrer Mutter die größte emotionale Nähe und zum Vater des Vaters die geringste emotionale Nähe zu verspüren. Ein ähnliches Muster ergab sich für die Variablen der bei den Großeltern verbrachten Zeit und der von ihnen erhaltenen Ressourcen (Geschenke). Die einzige Abwei-
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Teil 4 Herausforderungen der Elternschaft und Verwandtschaft
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chung von diesem ansonsten vollständig vorhersehbaren Ergebnis stellte die Kategorie des Wissens dar, das die Testpersonen von den Großeltern übernommen hatten. Zwar kam das geringste Wissen erwartungsgemäß vom Vater des Vaters, am meisten Wissen kam jedoch von der Mutter und vom Vater der Mutter gleichermaßen. Vater des Vaters Mutter des Vaters Vater der Mutter Mutter der Mutter
2.5
2.0
1.5
1.0
0.5
0 Nähe
Zeit
Wissen
Ressourcen
Abbildung 8.3: Großelterliche Investitionen in die Enkelkinder Die Ergebnisse zeigen, dass die Mutter der Mutter den Enkelkindern emotional am nächsten ist, mit ihnen am meisten Zeit verbringt und am meisten Ressourcen in sie investiert, während der Vater des Vaters in diesen Kategorien am schlechtesten abschneidet. Diese Ergebnisse spiegeln wohl die evolutionsbedingten psychologischen Mechanismen wider, die sich nach der Sicherheit der genetischen Verwandtschaft richten. Quelle: Grandparental investment and the uncertainty of kinship, by W. T. DeKay, July, 1995, paper presented to Seventh Annual Meeting of the Human Behavior and Evolution Society, Santa Barbara.
Ein weiteres interessantes Muster ergab sich für die beiden Großeltern, die in Bezug auf die verwandtschaftliche Sicherheit in der Mitte liegen. Bei allen vier Variablen wurde in jedem Fall der Vater der Mutter höher eingestuft als die Mutter des Vaters. Wie erklärt sich dieses Muster, wo es doch in jedem Fall die Wahrscheinlichkeit der Durchtrennung der genetischen Verbindung gibt? DeKay (1995) hatte dieses Ergebnis sogar vorhergesehen, indem er darauf hinwies, dass Untreue in der jüngeren Generation häufiger vorkam als in der älteren – eine Aussage, die sich durchaus empirisch belegen lässt (Lauman, Gagnon, Michael & Michaels, 1994). Also wäre die verwandtschaftliche Unsicherheit für die Mutter des Vaters größer, da der Vater der jüngeren Generation angehört. Beim Vater der Mutter ist die Unsicherheit dagegen geringer. Wird diese Hypothese durch weitere empirische Daten belegt, so kann dies darauf hinweisen, dass Großeltern entweder auf die vorherrschende Untreuerate reagieren oder auf persönliche Umstände, die Zweifel an einer genetischen Verbindung zwischen ihnen, ihren Kindern und ihren Enkelkindern aufkommen lassen könnten.
Kapitel 8 Probleme im Kontext von Verwandtschaft
Eine alternative Hypothese wurde von Professor Bill von Hipple (personal communication, 10. Oktober 2002) vorgebracht. Er argumentierte, dass sich eine weitere mögliche Erklärung auf die (fehlende) Präsenz andere Möglichkeiten der Investition von Ressourcen beziehen könnte. Genauer gesagt sind Großmütter väterlicherseits mit hoher Wahrscheinlichkeit gleichzeitig Großmütter mütterlicherseits, da sie sehr wahrscheinlich auch mindestens eine Tochter haben, die ebenfalls Kinder hat. Dadurch haben sie eine sehr sichere Alternative für ihre Investitionen – in die Kinder ihrer Tochter nämlich – und investieren deshalb weniger in die Kinder ihres Sohnes. Großväter mütterlicherseits dagegen haben keine bessere Alternative als in die Kinder ihrer Töchter zu investieren und lassen diesen daher mehr Ressourcen zukommen als Großmütter väterlicherseits. Großväter mütterlicherseits haben also in den Kindern ihrer Töchter ein zuverlässiges Investitionsziel, während Großmütter väterlicherseits ihre Investitionen in die Kinder ihrer Söhne zurücknehmen könnten, da sie ja die Kinder ihrer Töchter als sichereres Ziel haben. Der große Vorteil dieser Hypothese ist, dass man sie leicht überprüfen kann. Großmütter väterlicherseits sollten demnach ihren Enkeln nur dann weniger Ressourcen zukommen lassen als Großväter mütterlicherseits, wenn die Großmütter väterlicherseits auch Töchter haben. Haben sie dagegen nur Söhne, sollten sie etwa vergleichbar viele Ressourcen an ihre Enkelkinder geben. Das Wesentliche dieser Überlegungen ist, dass eine umfassende Theorie über großelterliche Investitionen auch die individuellen Unterschiede innerhalb jeder Großeltern-Kategorie berücksichtigen muss, wobei es dabei besonders auf die „Träger“ des Erbguts ankommt, die jedem Großvater oder jeder Großmutter zur Investition zur Verfügung stehen. Eine weitere Studie über die Hypothese der großelterlichen Investitionen wurde von Harald Euler und Barbara Weitzel durchgeführt, die eine Stichprobe von 1.857 Teilnehmern aus Deutschland untersuchten (Euler & Weitzel, 1996). Aus allen Teilnehmern wurden anhand der Vorgabe, dass alle vier Großeltern mindestens bis zum siebten Lebensjahr der Testperson lebten, 607 Testpersonen ausgewählt. Diese wurden befragt, wie ausgeprägt sich jeder Großvater (jede Großmutter) um die Testperson gekümmert hatte, wobei damit sowohl die praktische Fürsorge und Versorgung als auch die emotionale Zuwendung und Sorge gemeint waren (Euler & Weitzel, 1996, S.55). Die Ergebnisse der Studie sind in Tabelle 8.2 abzulesen. Die Aussagen der deutschen Testpersonen stimmten genau mit DeKays Studie über amerikanische Enkelkinder überein. Die Großmutter mütterlicherseits – für die es keine verwandtschaftliche Unsicherheit gibt – hatte sich nach dem Empfinden der Testpersonen am meisten um sie gekümmert. Der Großvater väterlicherseits – für den die genetische Unsicherheit am größten ist – bot ihnen dagegen die geringste Fürsorge. Wie in der USStudie zeigten auch hier die VaMus höhere Investitionen als die MuVas.
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Großelternteil
Sicherheit der Elternschaft
Fürsorge
Räumliche Distanz der Wohnorte
Mittelwert
SA
Mittelwert
SA
Großmutter mütterlicherseits
+/+
5,16
1,84
3,75
2,26
Großvater mütterlicherseits
-/+
4,52
1,98
3,74
2,28
Großmutter väterlicherseits
+/-
4,09
2,00
3,83
2,27
Großvater väterlicherseits
-/-
3,70
2,02
3,85
2,32
Tabelle 8.2: Großelterliche Fürsorge. Die Ergebnisse stützen die Hypothese, dass sich Großmütter mütterlicherseits (sicherste genetische Verwandtschaft) mehr um ihre Enkelkinder kümmern als Großväter väterlicherseits (unsicherste genetische Verwandtschaft). Dies wiederum spricht für die Aussage, dass die Unsicherheit der Vaterschaft, die sich im Laufe mehrerer Generationen noch verstärkt, die Psychologie der Investitionen durchaus beeinflusst. + = mehr Fürsorge; - = weniger Fürsorge; SA = Standardabweichung Vorhersagen aufgrund reproduktiver Strategien und Sicherheit der Elternschaft und von Ergebnissen (N = 603); räumliche Distanz zu den Großeltern in logarithmischen Kilometern (N = 207). Quelle: H. A. Euler & B. Weitzel, Discriminative grandparental solicitude as reproductive strategy in Human Nature 7:1 (1996) (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1996 Walter de Gruyter, Inc.
Das zuletzt erwähnte Ergebnis ist besonders interessant, denn es schließt eine mögliche alternative Erklärung aus, dass nämlich Frauen im Allgemeinen mehr investieren als Männer, ein geschlechtsbezogener Unterschied, der sich eventuell auch auf Großeltern und Enkel übertragen lässt. Doch die Ergebnisse beider Studien widersprechen dieser Alternative. In beiden Fällen investierten die Großväter mütterlicherseits mehr als die Großmütter väterlicherseits. Die allgemeine Erwartung eines geschlechtsbezogenen Unterschieds bei der Investition kann also die Tatsache nicht erklären, dass Großväter in bestimmten Fällen mehr investieren als Großmütter. Die gleichen Muster großelterlicher Fürsorge wurden auch in Griechenland, Frankreich und Deutschland bestätigt (Euler, Hoier & Rohde, 2001; Pashos, 2000). Ähnliche Ergebnisse brachten Auswertungen, wie eng die Beziehung zwischen Enkeln und jedem ihrer Großeltern in der Kindheit war. In der Regel war das Verhältnis zur Großmutter mütterlicherseits am besten und zum Großvater väterlicherseits am schlechtesten (Euler et al., 2001). Eine zweite mögliche alternative Erklärung liegt darin, dass diese Ergebnisse auf die räumliche Distanz zu den Großeltern zurückzuführen sind. Um dies zu untersuchen, bewerteten Euler und Weitzel die durchschnittliche räumliche Distanz für jede der vier verschiedenen großelterlichen Beziehungen in Kilometern. Wie die Tabelle 8.2 zeigt, ist die durchschnittliche räumliche Distanz in allen vier Fällen praktisch gleich. Diese Variable kann also die unterschiedlichen großelterlichen Investitionen ebenfalls nicht erklären. Dennoch lassen diese Studien noch viele Fragen offen. Wie wirken sich die in jeder Generation vorherrschenden Untreueraten auf die Psychologie großelterlicher Investitionen aus? Überwachen Großeltern, ob ihr Sohn möglicherweise von seiner Ehefrau um eine Vaterschaft betrogen wird, und verlagern sie ihre Investitionen entsprechend?
Kapitel 8 Probleme im Kontext von Verwandtschaft
Suchen Großeltern gezielt nach Ähnlichkeiten zwischen sich und ihren Enkelkindern und machen sie davon teilweise ihre Investitionsentscheidungen abhängig? Diese Fragen über die evolutionäre Psychologie großelterlicher Investitionen werden wahrscheinlich im Laufe der nächsten zehn Jahre beantwortet werden können. Momentan können wir den Schluss ziehen, dass Ergebnisse aus verschiedenen Kulturkreisen die Hypothese bestätigen, dass großelterliche Investitionen davon abhängen, wie groß die Wahrscheinlichkeit einer Unterbrechung der genetischen Verbindung von Generation zu Generation ist. (Siehe in Kasten 8.1 eine Abhandlung über die Investitionen von Tanten und Onkeln.)
8.1 Investitionen von Onkeln und Tanten Die Gesamtfitness-Theorie besagt, dass die Selektion Mechanismen begünstigen wird, die eine Investition in Verwandte abhängig vom genetischen VerwandtheitsGrad bewirken. Der erwartete Verwandtheitsgrad ist abhängig von zwei Faktoren: (1) genealogische Verbindung (z.B. sind Schwestern enger verwandt als Onkel und Neffen) und (2) unsichere Elternschaft aufgrund außerehelicher Beziehungen. In diesem Kapitel haben wir Belege betrachtet, die nahe legen, dass die Investition in Enkelkinder mit zunehmender Unsicherheit der Vaterschaft in der väterlichen Linie zurückgeht. Liegt dieser Effekt nur bei der großelterlichen Investition vor oder lässt er sich auch auf andere Verwandte, etwa auf Onkel und Tanten übertragen? Dieser Logik entsprechend sollten Tanten mütterlicherseits (Schwestern der Mutter) mehr investieren als Tanten väterlicherseits (Schwestern des Vaters). Ähnlich sollten Onkel mütterlicherseits (Brüder der Mutter) mehr investieren als Onkel väterlicherseits (Brüder des Vaters). Die Sicherheit der Elternschaft und somit der genetischen Verwandtheit sollte in der mütterlichen Linie durchschnittlich am höchsten sein. Andererseits sollte die Sicherheit genetischer Verwandtschaft innerhalb der väterlichen Linie am geringsten sein. Um diesen Fragen nachzugehen, untersuchte ein Forscherteam 285 amerikanische Studenten, die alle angegeben hatten, dass ihre beiden leiblichen Eltern am Leben waren (Gaulin, McBurney & Brakeman-Wartell, 1997). Jeder Teilnehmer wurde gebeten, eine Reihe von Fragen auf einer Skala von 1 bis 7 zu bewerten. (1) „Wie sehr sorgt sich die Tante (der Onkel) mütterlicherseits (väterlicherseits) um Ihr Wohlergehen?“; (2) „Wenn Sie sowohl einen Onkel (eine Tante) mütterlicherseits als auch väterlicherseits haben, welche(r) sorgt sich mehr um Ihr Wohlergehen?“ (S. 142) Die Forscher wählten die Formulierung „Sorge um das Wohlergehen“, damit die Teilnehmer alle möglichen Vorteile, die sie erhalten könnten, in ihre Überlegungen mit einbezogen. Die Ergebnisse sind in der unten stehenden Tabelle aufgeführt.
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Teil 4 Herausforderungen der Elternschaft und Verwandtschaft
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Geschlecht des/der Verwandten
Tante
Onkel
Lateralität Matrilateral
Patrilateral
Mittelwert
4,75 (4,71)
3,96 (3,97)
SA
1,84
1,87
Mittelwert
3,65 (3,65)
3,28 (3,31)
SA
1,93
1,71
Tabelle 8.3: Bewertung der Fürsorge (in Klammern: bereinigte Bewertung der Fürsorge) in Abhängigkeit von der Lateralität und vom Geschlecht des Verwandten. Die Ergebnisse stützen die Hypothese, dass Tanten mütterlicherseits mehr investieren als Tanten väterlicherseits und dass Onkel mütterlicherseits mehr investieren als Onkel väterlicherseits (die Sicherheit der Elternschaft und damit der genetischen Verwandtschaft ist innerhalb der mütterlichen Linie durchschnittlich am höchsten und innerhalb der väterlichen Linie durchschnittlich am geringsten). Quelle: S. J. C. Gaulin, H. D. McBurney & S. L. Brademan-Wartell, Matrilateral biases in the investment of aunts and uncles in Human Nature 8:2 (1997) (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1997 Walter de Gruyter, Inc.
Zwei Haupteffekte sind erwähnenswert. Zum einen gibt es einen wesentlichen geschlechtsbezogenen Unterschied: Tanten investieren in der Regel mehr als Onkel, gleichgültig ob sie Tanten mütterlicher- oder väterlicherseits sind. Zum zweiten investieren Onkel und Tanten mütterlicherseits mehr als Onkel und Tanten väterlicherseits – dies ist der erwartete Lateralitätseffekt. Nach Einschätzung der Forscher haben diese beiden Effekte wahrscheinlich unterschiedliche Ursachen. Sie gehen davon aus, dass der geschlechtsbezogene Effekt (Tanten investieren mehr als Onkel) darauf zurückzuführen ist, dass Männer überschüssige Ressourcen eher in neue Partnerschaften investieren, was Frauen nicht tun. Wie wir in den vorhergehenden Kapiteln zur Partnerwahl sahen, profitierten Männer in Gesamtfitness-Währung ausgedrückt historisch gesehen mehr von zusätzlichen Partnerschaften als Frauen. Deshalb werden Männer heute von psychologischen Mechanismen geleitet, die sie dazu bringen, überschüssige Ressourcen in Partnerschaften zu investieren – zumindest stärker als das bei Frauen der Fall ist. Der Lateralitätseffekt dagegen lässt sich anders erklären, denn er basiert auf unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten einer unsicheren Elternschaft, die innerhalb der väterlichen Linie auftritt. Die Unsicherheit der Vaterschaft und somit der genetischen Verwandtschaft ist die beste Erklärung für die Entwicklung psychologischer Mechanismen, die die Investitionsentscheidungen von Tanten und Onkeln beeinflussen. Ist die Sicherheit der Elternschaft garantiert, sind Sie also z.B. ein Bruder oder eine Schwester der Mutter Ihrer Nichte oder Ihres Neffen, werden Sie viel investieren. Ist die Elternschaft unsicher, sind Sie also z.B. Bruder oder Schwester des Vaters Ihrer Nichte oder Ihres Neffen, werden Sie wahrscheinlich wenig investieren.
Kapitel 8 Probleme im Kontext von Verwandtschaft
Zusammenfassend scheint der genetische Verwandtheits-Grad, wie in der Gesamtfitness-Theorie vorausgesagt, die Investitionen in Verwandte maßgeblich zu beeinflussen. Ist die genetische Verwandtschaft durch eine unsichere Vaterschaft in Frage gestellt, so gehen die Investitionen zurück. Dieser Effekt zieht sich in vergleichbarer Weise durch viele verwandtschaftliche Beziehungen und gilt z.B. für Tanten, Onkel, Großmütter und Großväter.
Geschlechtsbezogene Unterschiede bezüglich der Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungen Wie wichtig ist uns das Verhältnis zu unseren Verwandten? Frauen legen in der Regel größeren Wert darauf als Männer. So lautet zumindest das Ergebnis zweier neuerer Studien, die von zwei Evolutionspsychologen durchgeführt wurden (Salmon & Daly, 1996). In einer Studie wurden 24 erwachsene Zwillingspaare (jeweils Bruder und Schwester) gebeten, mithilfe einer Computer-Software ihren Familienstammbaum so vollständig wie möglich zu rekonstruieren. Schwestern konnten dabei konstant mehr Verwandte benennen (durchschnittlich 32) als ihre Brüder (durchschnittlich 27,5) – ein statistisch signifikanter Unterschied. Innerhalb dieser Studie konnten 20 Frauen aber nur zwei Männer mehr Verwandte aufzählen als ihre Geschwister (in zwei Fällen nannten Bruder und Schwester genau gleich viele Personen). Dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern zog sich durch viele Verwandtschafts-Verhältnisse, gleichgültig ob sie zwei Generationen umfassten (z.B. Großeltern und Urgroßeltern) oder ob es sich um Verwandte der gleichen Generation handelte, die nicht in direkter Linie verwandt waren, z.B. Brüder und Cousins, unabhängig davon, ob es Verwandte mütterlicher- oder väterlicherseits waren. Kennen Sie die Mädchennamen Ihrer weiblichen Verwandten der vorherigen Generation? Wenn Sie eine Frau sind, lautet die Antwort wahrscheinlich Ja. Während 58% der weiblichen Testpersonen sich an mehr Mädchennamen aus ihrer Verwandtschaft erinnern konnten als ihre Brüder, konnte sich im Gegenzug kein einziger Bruder an mehr Mädchennamen erinnern als seine Schwester (die übrigen Geschwisterpaare lagen gleich auf). Insgesamt gesehen scheinen sich also Frauen besser an ihre Verwandten erinnern zu können als Männer. Dies kann jedoch nicht einem bereichsübergreifenden geschlechtsbezogenen Unterschied in Bezug auf das Gedächtnis zugeschrieben werden, denn insgesamt unterscheiden sich beide Geschlechter in ihrer Merkfähigkeit nicht (Salmon & Daly, 1996). In der zweiten von Salmon und Daly (1996) durchgeführten Studie füllten 300 Teilnehmer (150 Frauen und 150 Männer), die alle eine kanadische Universität besuchten, einen Fragebogen zum Thema „Wer sind Sie?“ aus: „Bitte schreiben Sie auf die zehn unten stehenden Leerzeilen 10 Aussagen, die alle beschreiben, wer Sie sind. Schreiben Sie Ihre Antworten in der Reihenfolge auf, in der sie Ihnen einfallen. Überlegen Sie nicht zu lange.“ (Salmon & Daly, 1996, S. 292).
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Obwohl sich Männer und Frauen gleich häufig auf ihre Stellung innerhalb der Familie und der Verwandtschaft bezogen (53% der Frauen und 51% der Männer), unterschieden sich die Geschlechter erheblich darin, welche Verwandtschafts-Beziehungen sie angaben. Frauen benutzten weitaus häufiger Rollen innerhalb der Familie, besonders solche, die eine spezielle Verwandtschafts-Bezeichnung trugen. 44% aller Frauen, die eine solche benutzten, beschrieben sich selbst als „Tochter“, während nur 12,5% aller Männer sich als „Sohn“ beschrieben. Interessant war, dass sowohl Männer als auch Frauen auf die Frage, welchem Familienmitglied sie sich am nächsten fühlten, eher eine Schwester als einen Bruder nannten. Wie können wir diese geschlechtsbezogenen Unterschiede beim Erinnerungsvermögen und in der Beschreibung der eigenen Person interpretieren? Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass Frauen im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte durch Investitionen in (und erhaltene Investitionen von) Familienmitglieder(n) eher einen reproduktiven Erfolg erzielten, während Männer eher reproduktiv erfolgreich waren durch gesteigerten Zugang zu potentiellen Partnerinnen. Ist diese Interpretation richtig, so können wir erwarten, dass sich ein größerer Teil der kognitiven Aktivität der Frau darauf richtet, an ihre Familienmitglieder zu denken, sich an sie zu erinnern und mit ihnen Kontakt zu halten. Gemäß dieser Interpretation soll sich dieser geschlechtsbezogene Unterschied universal in allen Kulturen zeigen. Alternativ könnten diese geschlechtsbezogenen Unterschiede sich auch nur speziell auf eine Kultur beziehen und z.B. die adaptiven Probleme der modernen kanadischen Gesellschaft oder vielleicht der westlichen Kultur widerspiegeln. In diesen Kulturen können Frauen stärker von der Familie abhängig sein, während Männer sich mehr auf reziproke Beziehungen zu nicht Verwandten, z.B. auf Freundschaften verlassen (Salmon & Daly, 1996). So fand Chagnon (1988) heraus, dass bei den Yanomamö-Indianern in Venezuela die Männer bei der Benennung von Verwandten besser abschnitten als die Frauen. Die Rekonstruktion verwandtschaftlicher Beziehungen ist besonders für die Männer des Yanomamö-Volkes wichtig, denn daraus leiten sich wichtige Regeln ab, die besagen, wen sie heiraten dürfen. Zukünftige Studien werden zeigen, ob die geschlechtsbezogenen Unterschiede, die Salmon und Daly (1996) entdeckten, universal oder kulturabhängig sind. Bestehende Studien legen jedoch nahe, dass beide Geschlechter durchaus eine unterschiedliche Verwandtschafts-Psychologie entwickelt haben könnten, die eventuell die unterschiedlichen adaptiven Probleme widerspiegelt, denen sich Männer und Frauen in ihrer langen Evolutionsgeschichte, in der die Verwandtschaft mit Sicherheit eine wichtige selektive Kraft war, stellen mussten.
Ein umfassenderer Blick auf die Evolution der Familie Was ist eine Familie? Verschiedene Disziplinen definieren diese Einheit unterschiedlich und auch die Sozialwissenschaftler haben noch keinen Konsens darüber gefunden, was eigentlich eine Familie ausmacht (Emlen, 1995). Soziologen heben oft die Funktion der Elternschaft und -fürsorge hervor und definieren die Familie als eine Gruppe Erwachse-
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ner, die zusammen lebt und für die Zeugung, Erziehung und Versorgung von Kindern verantwortlich ist. Für die Anthropologen dagegen steht eher die Verwandtschaft im Vordergrund; für sie sind Familien Gruppen von Eltern, unverheirateten Kindern und manchmal weitläufigeren Verwandten, mithilfe derer man die Abstammung über mehrere Generationen verfolgen kann. Der Evolutionsbiologe Stephen Emlen definiert Familien als „Fälle, in denen die Nachkommen auch im Erwachsenenalter noch regelmäßig mit ihren Eltern Kontakt haben“ (Emlen, 1995, S. 8092). Er unterscheidet zwei Arten von Familien: (1) einfache Familien, bestehend aus einem allein erziehenden Elternteil oder einem Ehepaar, bei dem nur die Frau Kinder hat (z.B. eine Mutter mit ihren kleineren Kindern), und (2) weitläufige Familien, d.h. Gruppen, in denen zwei oder mehr Verwandte gleichen Geschlechts Nachkommen haben. Wichtig ist, dass die Präsenz eines reproduzierenden Mannes nicht ausschlaggebend für die Definition einer Familie ist. Gibt es jedoch einen Vater, so nennt man diese Familie biparental, denn hier teilen sich Vater und Mutter die Verantwortung der Elternschaft. Gibt es keinen Vater, nennt man die Familie matrilineal, da nur die Frau (oder die Frau und ihre weiblichen Verwandten) die Verantwortung der Elternschaft übernehmen. Ein bestimmendes Merkmal jeder Familie ist, dass die Nachkommen auch über das Alter hinaus, ab dem sie in der Lage sind, selbst Nachkommen zu zeugen, bei ihren Eltern leben. Die Familie ist ein so alltäglicher Bestandteil des menschlichen Lebens, dass wir ihre Existenz als selbstverständlich hinnehmen. Erstaunlich ist jedoch, dass nur 3% aller Vögel und Säugetiere Familienverbände bilden (Emlen, 1995). Warum kommen bei ihnen Familien so selten vor? Warum verlassen in der Tierwelt die meisten Jungen das Nest, sobald sie – evolutionsbedingt – biologisch dazu in der Lage sind, und warum bleiben so wenige Nachkommen auch nach der Geschlechtsreife bei den Eltern? Die am meisten einleuchtende Begründung lautet, dass es enorme reproduktive Kosten verursachen würde, länger im elterlichen Nest zu bleiben (oder die Selbstständigkeit hinauszuzögern). In einfachen Familien pflanzen sich die Nachkommen nicht fort, solange sie zu Hause leben. In weitläufigen Familien dagegen verhindern die Eltern oft aktiv die Reproduktion ihrer Nachkommen (z.B. indem sie deren Paarungsversuche stören). In beiden Fällen opfern die Nachkommen eigene Fortpflanzungsmöglichkeiten, wenn sie den Auszug aus der Familie hinauszögern. Familien verursachen den Nachkommen also im Wesentlichen zweierlei Kosten: (1) die Reproduktion wird verzögert und manchmal sogar direkt unterdrückt (dies ist vielleicht der am schwersten wiegende Preis) und (2) die Konkurrenz um Ressourcen wie Nahrung wird verstärkt und nicht etwa entschärft, so dass das Leben für Eltern und Nachkommen gleichermaßen schwieriger wird. Familien können sich nur dann entwickeln und in seltenen Fällen kommt es auch dazu, wenn für die Nachkommen der reproduktive Nutzen des Verbleibens innerhalb der Familie so groß ist, dass er die hohen Kosten verpasster früher Reproduktionschancen aufwiegt. Zwei Theorien wurden aufgestellt, um die Evolution von Familien zu erklären. Zum einen gibt es das Modell ökologischer Zwänge. Gemäß dieser Theorie entwickeln sich Familien dann, wenn den geschlechtsreifen Nachkommen nur wenig reproduktive Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Unter diesen Umständen sind sowohl die Kosten eines Verbleibens
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innerhalb der Familie als auch der Nutzen der Selbstständigkeit gering. Die hohen Kosten des Verbleibens in der Familie – verzögerte Reproduktion – entfallen, da eine frühe Fortpflanzung ohnehin nicht möglich ist, denn es fehlen ja entsprechende reproduktive Möglichkeiten (d.h. Ressourcen-Nischen, die eine Reproduktion ermöglichen). Zum zweiten gibt es das Modell des familiären Nutzens. Gemäß dieser Theorie bilden sich Familienverbände aufgrund der vielfältigen Vorteile, die sie für die Nachkommen bieten. Diese Vorteile sind u.a. (1) höhere Überlebenschancen durch die Hilfe und den Schutz der Familienmitglieder, (2) höhere Wettbewerbschancen durch den Erwerb besserer Fähigkeiten, durch gesteigerte Größe und Reife aufgrund des Verbleibens in der Familie, (3) die Chance, durch ein Verbleiben im Familienverbund das Familienrevier sowie Ressourcen zu erben oder zu teilen und (4) Vorteile für die Gesamtfitness, da man innerhalb der Familie die Möglichkeit hat, anderen genetisch Verwandten zu helfen und von ihnen Hilfe zu empfangen. Emlen (1995) bringt diese beiden Theorien in einer vereinenden Theorie der Ursprünge von Familien zusammen. Seine Theorie der Familienbildung hat drei Prämissen. Erstens bilden sich Familien dann, wenn die Anzahl der Nachkommen die Anzahl der freien Reproduktionsnischen übersteigt. Diese Prämisse leitet sich aus dem Modell der ökologischen Zwänge ab. Zum zweiten bilden sich Familien dann, wenn die Nachkommen auf freie Reproduktionsnischen solange warten müssen, bis sie eine gute Ausgangsposition erreicht haben, um darum zu konkurrieren. Zum dritten entstehen Familien dann, wenn der Nutzen eines Verbleibens in der Familie hoch ist – in Form von höheren Überlebenschancen, besseren Möglichkeiten Wettbewerbsfähigkeiten zu entwickeln, besserem Zugang zu familiären Ressourcen und gesteigertem Nutzen für die Gesamtfitness. Emlens Familientheorie ist also eine Synthese aus den Modellen der ökologischen Zwänge und des familiären Nutzens. Aus Emlens Theorie lassen sich mehrere Vorhersagen ableiten. Dabei geht es zunächst um die Familiendynamik der Verwandtschaft und die Kooperation. Vorhersage 1: Familien bilden sich, wenn freie Reproduktionsnischen knapp sind, lösen sich aber wieder auf, wenn es genügend freie Nischen gibt. Familien sind also instabil; je nach den gegebenen Umständen bilden sie sich und lösen sich wieder auf. Diese Vorhersage wurde bei verschiedenen Vogelarten überprüft (Emlen, 1995). Wenn neue Paarungsmöglichkeiten entstanden, wo es vorher keine gegeben hatte, lösten sich die geschlechtsreifen Nachkommen aus dem Familienverbund, um diese neuen reproduktiven Nischen zu besetzen, so dass eine intakte Familie aufgelöst wurde. Diese Vorhersage legt nahe, dass geschlechtsreife Kinder, die noch nicht in der Lage sind, erfolgreich um eine Partnerin/einen Partner zu konkurrieren oder noch nicht genug Ressourcen für ein eigenes Heim haben, in der Regel in der Familie bleiben werden. Vorhersage 2: Familien, die viele Ressourcen besitzen, sind stabiler und langlebiger als Familien mit wenigen Ressourcen. Bei den Menschen könnte man davon ausgehen, dass wohlhabende Familien stabiler sind als arme, besonders wenn die Kinder die Chance haben, die elterlichen Ressourcen oder Liegenschaften zu erben. Erwartungsgemäß sind Kinder aus wohlhabenden Familien besonders wählerisch, wenn es darum geht, wann und unter welchen Bedingungen sie ihr Elternhaus verlassen. Wenn sie zuhause bleiben, könn-
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ten sie irgendwann das elterliche Vermögen erben, deshalb sollten reiche Familien auf Dauer stabiler sein als arme Familien. Bei vielen Säugetier- und Vogelarten, die Familien bilden, erben die Nachkommen in der Tat manchmal die Reproduktionsposition der Eltern. Davis und Daly (1997) konnten diese Vorhersage auch empirisch belegen, denn sie fanden heraus, dass Familien mit hohem Einkommen in der Regel tatsächlich häufiger Kontakt zu ihrer weitläufigen Verwandtschaft halten als Familien mit geringem Einkommen. Vorhersage 3: Familien werden sich bei der Aufzucht von Nachkommen eher gegenseitig helfen als andere Gruppen, deren Mitglieder nicht miteinander verwandt sind. So könnte z.B. eine Schwester oder ein Bruder bei der Versorgung eines jüngeren Geschwisters helfen und so durch sein Verbleiben in der Familie einen wichtigen Vorteil für die Gesamtfitness liefern. Diese Vorhersage lässt sich bei den Menschen leicht überprüfen. Vorhersage 4: In Familien kommt es seltener zu sexueller Aggression als in Gruppen, deren Mitglieder nicht verwandt sind, da Verwandte evolutionsbedingt die mit Inzucht verbundenen Risiken vermeiden. Geschwister fühlen sich selten sexuell zueinander hingezogen, ebenso kommt es zwischen Vater uns Sohn nur selten zu einer Konkurrenzsituation um den sexuellen Zugang zur Mutter. Aufgrund des geringeren sexuellen Wettbewerbs innerhalb der Familie kann jedes einzelne Familienmitglied die Mühen der Partnerüberwachung umgehen. Obwohl Familienmitglieder häufig die Möglichkeit zu sexuellen Kontakten haben, sind inzestuöse Paarungen bei Vögeln und Säugetieren extrem selten. Bei 18 der 19 untersuchten Vogelarten waren fast alle Paarungen exogam – d.h. es paarten sich nur Vögel, die nicht der gleichen Familie angehörten (Emlen, 1995). Auch bei Menschen kommt es nur selten zu inzestuösen Beziehungen zwischen genetisch Verwandten, zwischen Stiefvätern und Stieftöchtern jedoch sind solche Beziehungen sehr viel häufiger (Thornhill, 1992). Weitere Vorhersagen beziehen sich auf Veränderungen der Familiendynamik aufgrund des Verlustes oder der Loslösung eines reproduktiven Familienmitglieds. Vorhersage 5: Verliert die Familie durch Tod oder Loslösung ein reproduzierendes Mitglied, so entsteht unter den verbleibenden Familienmitgliedern ein Konflikt, wer die entstandene Lücke ausfüllen soll. Eine zentrale Prämisse von Emlens Theorie lautet, dass die Familie eine evolutionsbedingte Lösung des adaptiven Problems knapper Fortpflanzungsmöglichkeiten ist. Deshalb hinterlässt der Verlust eines Elternteils eine neu zu besetzende Lücke und schafft für die Nachkommen eine ideale Gelegenheit, die elterlichen Ressourcen zu erben. Je qualitativ hochwertiger diese Lücke ist, desto größer sollte auch der Konflikt und der Wettbewerb darum sein. Bei den Rotschopfspechten übernahm beispielsweise in allen 23 Fällen, in denen ein Vater starb, einer der Söhne die reproduktive Rolle und zwang die Mutter so, die Familie zu verlassen. Bei Menschen könnte es zu einer ähnlichen Situation kommen, wenn ein Vater nach seinem Tod eine große Erbschaft hinterlässt. Konflikte über die Erbansprüche von Kindern und anderen nicht Verwandten (z.B. einer Geliebten, der der Vater einen Teil seiner Ressourcen hinterlassen hat) müssen in diesem Fall oft gerichtlich geklärt werden, wobei derartige Ansprüche häufig angefochten werden (Smith, Kish & Crawford, 1987). Vorhersage 6: Der Verlust eines reproduktiven Familienmitglieds und der Ersatz durch ein reproduktives Mitglied, das mit den übrigen Familienmitgliedern genetisch nicht verwandt
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ist, führt zu erhöhter sexueller Aggression. Ist eine Mutter geschieden, verwitwet oder wurde sie von ihrem Ehemann verlassen und verbindet sie sich mit einem neuen nicht verwandten Partner, so wird die strikte Ablehnung von Inzest abgemildert. So könnten sich Stiefväter sexuell zu ihren Stieftöchtern hingezogen fühlen, wodurch zwischen Müttern und Töchtern eine Art intrasexuelle Rivalität entstehen könnte. Bei einer Reihe von Vogelarten kommt es zwischen Stiefvätern und Söhnen recht häufig zu Aggressionen, da diese nicht verwandten Männchen nun sexuelle Konkurrenten sind (Emlen, 1995). Bei Menschen könnte die Vorhersage von sexuellen Konflikten und Aggressionen leicht durch einen Vergleich von Stieffamilien und biologisch intakten Familien überprüft werden. Emlens Theorie liefert zusammengefasst mehrere überprüfbare Vorhersagen. Viele dieser Vorhersagen konnten durch Studien von Vogel-, Säugetier- und Primatenarten untermauert werden, andere dagegen müssen noch untersucht werden. Besonders faszinierend ist die Anwendbarkeit auf menschliche Familien. Emlens Theorie zufolge können wir nicht davon ausgehen, dass es innerhalb der Familie immer harmonisch und friedlich zugeht. Aufgrund der unterschiedlichen „Interessen“ der einzelnen Familienmitglieder kommt es zwischen ihnen vielmehr auch zu Konflikten, zu Konkurrenz und sogar zu offener Aggression. Kritik an Emlens Familientheorie. Die Evolutionspsychologen Jennifer Davis und Martin Daly kritisierten Emlens Theorie und boten einige nützliche Modifikationen sowie empirische Tests zu einigen seiner Vorhersagen an (Davis & Daly, 1997). Auf allgemeiner Ebene stellen Davis und Daly drei Überlegungen an, die die Untersuchung menschlicher Familien in einen einzigartigen Kontext bringen: (1) Familien könnten zusammenbleiben, um mit anderen Gruppen konkurrieren zu können, da eine große auf Verwandtschaft basierende Koalition innerhalb eines solchen Gruppen-Wettbewerbs vorteilhaft sein könnte; (2) Menschen gehen mit nicht Verwandten umfangreiche soziale Beziehungen basierend auf einem reziproken Altruismus ein; und (3) für nicht reproduktive Helfer, wie etwa Frauen, die sich nach ihrer Menopause befinden, ist der Anreiz gering, ihre Nachkommen zum Auszug und zur Selbstständigkeit zu bewegen, was zur Stabilisierung der Familie beitragen könnte.
Diese drei Überlegungen könnten sich auf die Logik von Emlens Vorhersagen auswirken. Betrachten wir Vorhersage 1, die besagt, dass sich Familien auflösen werden, wenn es an anderer Stelle akzeptable neue Paarungsmöglichkeiten gibt. Hat eine Frau die Menopause bereits hinter sich, ist also nicht mehr in der Lage, weitere Nachkommen zu haben, wäre es für sie ganz klar ein Nachteil, ihre Familie zu verlassen und ihre Helferposition aufzugeben, für den Fall, dass sich eine reproduktive Nische ergeben würde. Da sie die Menopause hinter sich hat, ist sie selbst nicht in der Lage, eine neue reproduktive Nische zu besetzen. Es wäre also für sie vorteilhafter, in ihrer Familie zu bleiben und weiterhin ihre Hilfe anzubieten. Die relativ früh einsetzende Menopause bei der Frau könnte also ein einzigartiger Faktor sein, der die Evolution menschlicher Familien entscheidend beeinflusst hat. Eine weitere Modifikation bezieht sich auf die Tatsache, dass Menschen ausgeprägte soziale Kontakte pflegen. Bedenken wir dazu Vorhersage 3: Familien werden sich bei der Aufzucht ihrer Nachkommen eher gegenseitig helfen als vergleichbare Gruppen, deren Mitglieder nicht miteinander verwandt sind. Frauen gehen oft Freundschaften mit nicht Verwandten ein, in denen sie sich bei der Erziehung und Versorgung ihrer Kinder gegen-
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seitig unterstützen (Davis & Daly, 1997). Vorhersage 3 könnte also so abgewandelt werden, dass nicht reziproke Hilfe bei der Aufzucht der Nachkommen bei Familien häufiger vorkommt als bei vergleichbaren Gruppen, deren Mitglieder nicht miteinander verwandt sind. Zusammenfassend könnten also einige von Emlens Vorhersagen modifiziert werden, wenn man verschiedene Faktoren mit einbezieht, die nur für den Menschen gelten, z. B. seine umfangreichen Muster reziproker Allianzen (siehe Kapitel 9) sowie die verhältnismäßig lange Zeit, die eine Frau nach ihrer Menopause noch lebt. Aus einer spezies-übergreifenden, vergleichenden Analyse geht klar hervor, dass Familien extrem selten sind und sich nur unter bestimmten Bedingungen entwickeln, besonders dann, wenn es zu wenig reproduktive Nischen gibt. Angesichts des gegenwärtigen gesellschaftlichen Interesses an „Familienwerten“ hat die evolutionäre Psychologie einiges anzubieten, denn sie kann erklären, unter welchen Bedingungen Familien stabil bleiben oder auseinanderbrechen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre werden Wissenschaftler zweifellos diese Vorhersagen sowie die von Davis und Daly angeregten Modifikationen überprüfen und dabei eine Vielfalt evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen entdecken, bei denen es sowohl um Kooperation als auch um Konflikte gehen wird, und die auf die Lösung der verschiedenen adaptiven Probleme ausgelegt sind, die durch Familien entstehen (siehe Geary & Flinn, 2001).
Die Schattenseite der Familie Oft stellen wir uns Familien als harmonische kleine Enklaven vor, in welchen Ressourcen, Schutz, Informationen und Status zum Wohle aller ausgetauscht und weitergegeben werden. Selbst in der Evolutionsbiologie zeigt das „klassische“ Bild der Familie eine harmonische Einheit kooperierender Individuen, die aufgrund von Selektion ausgewählt wurde, um die Anzahl überlebender Nachkommen zu maximieren (Parker, Royle & Hartley, 2002). Dennoch haben weiterführende evolutionäre Theorien im Laufe der letzten drei Jahrzehnte dieses harmonische Bild intensiv korrigiert und auf eine existierende Schattenseite der Familie hingewiesen. Dabei geht es meist um ständige Konflikte wegen Ressourcen, hauptsächlich um elterliche Ressourcen. In Kapitel 7 haben wir uns ausgehend von Trivers’ Eltern-Kind-Konflikt kurz mit zwei Konfliktquellen befasst. Abbildung 8.4 gewährt einen umfassenderen Einblick in mögliche Konflikte innerhalb von Familien (modifiziert nach Parker et al., 2002). Abbildung 8.4 zeigt, dass es drei grundlegende Konfliktquellen innerhalb der Familie gibt, zunächst den Geschwisterkonflikt. Innerhalb derselben Familie konkurrieren Geschwister miteinander um den Zugang zu den elterlichen Ressourcen. Bei bestimmten Vogelarten raufen die Jungen regelrecht um den besten Platz im Nest, um von den Eltern gefüttert zu werden, wenn diese zum Nest zurückkehren. Sie betteln immer lauter, um sich dadurch mehr als nur ihren gerechten Anteil an Ressourcen zu sichern. Gelegentlich wird sogar ein „Geschwistermord“ begangen und ein Junges aus dem Nest gedrängt. Bei einigen Säugetieren konkurrieren die Jungen manchmal dadurch, dass sie immer stärker saugen, um so den Löwenanteil der Muttermilch für sich zu beanspruchen, damit ihre Geschwister das Nachsehen haben. Dies sind alles Formen des direkten, aktiven Wett-
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bewerbs und wir haben allen Grund zu glauben, dass sich ähnliche Phänomene auch in menschlichen Familien abspielen. Tatsächlich finden sich schon sehr früh in der menschlichen Geschichte Zeugnisse von Geschwisterkonflikten, wie dieses Bibelzitat aus dem Buch Genesis zeigt: „Israel liebte Josef unter allen seinen Söhnen am meisten, weil er ihm noch im hohen Alter geboren worden war. Er ließ ihm einen Ärmelrock machen. Als seine Brüder sahen, dass ihr Vater ihn mehr liebte, als alle seine Brüder, hassten sie ihn und konnten mit ihm kein gutes Wort mehr reden.“
Abbildung 8.4: Drei Hauptkonfliktarten innerhalb der Familie Diese Abbildung zeigt drei wesentliche Konfliktarten innerhalb der Familie: den Konflikt zwischen Geschwistern um elterliche Ressourcen, den Eltern-Kind-Konflikt und den Konflikt zwischen Mutter und Vater. Quelle: Modifiziert nach Parker, G. A., Royle, N. J. & Hartley I. R. (2002). Intrafamilial conflict and parental investment: A synthesis. Philosophical Transactions of the Royal Society of London B, 357, 295-307.
Der zweite häufige Konflikt ist der Eltern-Kind-Konflikt, den wir in Kapitel 7 behandelten. Aus Sicht der Eltern würde eine optimale Verteilung der Ressourcen beispielsweise vorsehen, jedem Kind die gleiche Menge zukommen zu lassen, obwohl andere Faktoren wie Bedürftigkeit und die Fähigkeit, die Ressourcen zu nutzen, mit Sicherheit Abweichungen von dieser gleichmäßigen Verteilung verursachten. Aus Sicht des Kindes bedeutet eine optimale Verteilung in der Regel, auf Kosten von Geschwistern und Eltern mehr für sich selbst zu bekommen. In Amerika gibt es einen alten Witz, der dies verdeutlicht. Ein Sohn geht aufs College und schreibt nach drei Monaten einen Brief nach Hause, in dem er um Geld bittet: „Dear Dad: No mon, no fun, your son.“ („Lieber Vater: kein Geld, kein Spaß, Dein Sohn.“) Sein Vater schreibt ihm zurück: „Dear Son: Too bad, so sad, your Dad.“ („Lieber Sohn: Zu dumm, bin untröstlich, Dein Vater.“)
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Man kann davon ausgehen, dass die Selektion bei Kindern Adaptationen gefördert hat, mithilfe derer sie ihre Eltern manipulieren und sich größere Ressourcenanteile sichern konnten. Ebenso gibt es bei den Eltern Gegenadaptationen, die sie dazu bringen, nicht nur den Wünschen eines einzelnen Kindes nachzugeben. Der dritte grundlegende Familienkonflikt, der in Abbildung 8.4 gezeigt wird, ist der Konflikt zwischen Mutter und Vater über die Aufteilung von Ressourcen, der so genannte elterliche Konflikt. Bei diesem Konflikt geht es hauptsächlich darum, wie viel Investitionen jedes Elternteil den Nachkommen zukommen lässt. Beispielsweise kann es manchmal von Vorteil sein, wenn ein Elternteil seine Ressourcen für andere Reproduktionsmöglichkeiten aufspart. Jedes Elternteil könnte einige Ressourcen der eigenen Verwandtschaft zugute kommen lassen und profitierte also davon, wenn sein Partner selbst mehr in die eigenen Kinder investierte. Außerdem könnte jedes Elternteil seine Ressourcen dazu nutzen, außereheliche Partnerschaften und in der Folge auch Kinder zu unterstützen, die mit dem ursprünglichen Partner genetisch nicht verwandt sind. Auch das führt zu Konflikten zwischen Eltern. Es wäre verwunderlich, wenn der Mensch keine Adaptationen entwickelt hätte, die genau auf die Lösung solcher Konflikte ausgerichtet sind. Zum Beispiel wird empfindlich registriert, ob der Partner Ressourcen abzweigt oder versucht, psychologische Manipulationen wie etwa Schuldgefühle einzusetzen, um dem Partner zusätzliche Ressourcen zu entlocken. Oft wachsen wir in dem Glauben auf, dass Familien harmonische Einheiten sind, in denen man durch gemeinsames Teilen den größten Nutzen für alle Beteiligten erreicht. Wenn wir folglich doch Uneinigkeit, Streitereien und Konfrontationen mit Eltern, Geschwistern oder Kindern erleben, haben wir das Gefühl, dass etwas Wesentliches aus den Fugen geraten ist. Es gibt ganze Berufsgruppen wie etwa bestimmte Psychologen, die sich darauf spezialisiert haben, den psychologischen Aufruhr aufzuarbeiten, der durch familiäre Konflikte entsteht. Aus evolutionärer Sicht ergeben sich drei Hauptquellen von Konflikten, die immer wieder auftauchen – Konflikte zwischen Geschwistern, zwischen Eltern und Kindern und zwischen Müttern und Vätern. Dies ist vielleicht keine große Hilfe für die Tochter, die mit ihrer Mutter nicht zurechtkommt, für Eltern, die sich um die Verteilung der Ressourcen streiten oder für den Bruder, der seine Schwester nicht ausstehen kann. Wenn wir aber die evolutionäre Logik von Familienkonflikten verstehen, erlangen wir eine ganz andere Perspektive und erkennen, dass wir mit unseren Erfahrungen nicht allein sind. Wir können davon ausgehen, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre viel empirische Arbeit geleistet wird, um einige dieser faszinierenden Vorhersagen zu untersuchen, die sich aus den evolutionären Modellen der Familienkonflikte ergeben.
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Zusammenfassung Wir begannen dieses Kapitel mit einer genaueren Betrachtung von Hamiltons (1964) Theorie der Gesamtfitness, die er durch die Hamilton-Regel c < rb mathematisch formuliert hat. Damit sich Altruismus entwickeln kann, müssen beispielsweise die Kosten des Handelnden geringer sein als die Vorteile, die er gewährt, multipliziert mit dem genetischen Verwandtheits-Grad von Handelndem und Empfänger. Diese Theorie konnte endlich die Frage beantworten, warum sich Altruismus entwickelt hat. Außerdem wurde Darwins Definition der klassischen Fitness (persönlicher reproduktiver Erfolg) zur inklusiven Fitness erweitert (persönlicher reproduktiver Erfolg plus die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Fitness der genetisch Verwandten, gewichtet nach dem genetischen Verwandtheits-Grad). Als nächstes betrachteten wir die tief greifenden theoretischen Implikationen der Gesamtfitness-Theorie für den Menschen. Diese Implikationen sind u.a.: (1) es gibt eine spezielle evolutionsbedingte Verwandtschafts-Psychologie, die von Mechanismen geprägt ist, welche auf die Lösung verschiedener adaptiver Probleme ausgerichtet sind, die zwischen Geschwistern, Halbgeschwistern, Großeltern, Enkeln, Tanten und Onkeln auftreten. (2) Geschlecht und Generation sind wichtige Kriterien zur Abgrenzung von Verwandten, denn daraus leiten sich entscheidende persönliche Eigenschaften der eigenen Fitness-Trägerschaft ab (so können männliche Verwandte länger reproduktiv sein als weibliche; jüngere Verwandte haben einen höheren reproduktiven Wert als ältere). (3) Verwandtschaftliche Beziehungen haben eine Bandbreite von sehr eng bis distanziert, wobei sich die Bindung in erster Linie nach dem Verwandtheits-Grad richtet. (4) Verwandtschaftliche Kooperation und Solidarität ist abhängig vom genetischen Verwandtheits-Grad. (5) Ältere Familienmitglieder werden jüngere Mitglieder dazu ermutigen, sich genetisch Verwandten, z.B. jüngeren Geschwistern gegenüber, altruistischer zu verhalten, als diese dies aufgrund ihrer natürlichen Veranlagung tun würden. (6) Die eigene Position innerhalb der Familie bestimmt die eigene Identität. (7) Menschen nutzen Verwandtschafts-Bezeichnungen aus, um andere in nicht verwandtschaftsbezogenen Situationen zu manipulieren (z.B. „Bruder, hast Du etwas Kleingeld übrig?“). Eine Vielzahl empirischer Studien hat die Bedeutung der Verwandtschaft in Bezug auf helfendes Verhalten bestätigt. Eine Studie belegte, dass die Warnrufe der Erdhörnchen – eine möglicherweise sehr gefährliche Aktion für den Rufer, denn sie erregt die Aufmerksamkeit des Feindes – dann ausgestoßen werden, wenn sich nahe Verwandte in der Nähe befinden. Eine Studie an 300 amerikanischen Frauen zeigte, dass die Hilfsbereitschaft vom genetischen Verwandtheits-Grad zum Hilfe-Empfänger abhängig war. Eine weitere Studie belegte, dass auch in hypothetischen Szenarien, in denen es um Leben und Tod ging – wie etwa sein eigenes Leben zu riskieren, um einen anderen Menschen aus einem brennenden Gebäude zu retten –, die potentielle Hilfeleistung stark vom genetischen Verwandtheits-Grad zwischen Helfer und
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Empfänger abhing. Untersucht man Erbschaften, so ergibt sich, dass die meisten Menschen ihren genetisch Verwandten (und ihren Ehepartnern, die die Ressourcen dann wahrscheinlich an die Nachkommen weitergeben werden) mehr vererben als nicht Verwandten. Andere Studien dokumentieren, dass das Ausmaß an Trauer und Schmerz, das Individuen durchleben, in direktem Zusammenhang mit dem genetischen Verwandtheits-Grad steht (siehe Segal, Wilson, Bouchard & Gitlini, 1995, für empirische Belege; und Archer, 1998, für einen ausführlichen Überblick über die Psychologie der Trauer). All diese empirischen Studien heben die bedeutende Rolle der Verwandtschaft bei der Vergabe von Hilfeleistungen hervor. Die großelterlichen Investitionen eignen sich besonders gut, um nicht-intuitive Vorhersagen, die sich aus der Gesamtfitness-Theorie ableiten lassen, zu überprüfen. Hier kommt insbesondere die Unsicherheit der Vaterschaft ins Spiel. Für einen Großvater ist das Risiko, dass eine genetische Vaterschaft nicht vorliegt, doppelt hoch. Zunächst könnte er nicht der Vater seiner Kinder sein und weiter könnte auch sein Sohn nicht der leibliche Vater seiner Kinder sein. Großmütter dagegen sind zu 100% sicher, dass sie mit den Kindern ihrer Töchter genetisch verwandt sind. Basierend auf dieser Logik können wir davon ausgehen, dass die Mütter der Mütter durchschnittlich am stärksten in ihre Enkelkinder investieren und die Väter der Väter durchschnittlich am wenigsten. Die anderen beiden Großeltern – die Mütter der Väter und die Väter der Mütter – werden sich mit ihren Investitionen meist zwischen den anderen beiden Extremen bewegen, da es in beiden Fällen einmal die Möglichkeit gibt, dass die genetische Verwandtschaft nicht besteht. Empirische Belege aus Deutschland, den USA, Griechenland und Frankreich stützen diese Vorhersagen. Auch andere Studien verschiedener Forscher bestätigen, dass sich Enkelkinder ihrer Großmutter mütterlicherseits am nächsten fühlten und zu ihrem Großvater väterlicherseits am wenigsten Nähe verspürten. Auch berichteten Enkelkinder, dass sie die meisten Ressourcen von ihrer Großmutter mütterlicherseits, die wenigsten aber von ihrem Großvater väterlicherseits erhielten. Obwohl die anderen beiden Großeltern auch hier im Mittelfeld lagen, ist es interessant festzustellen, dass in beiden Fällen der Großvater mütterlicherseits mehr investierte als die Großmutter väterlicherseits. Dieses Ergebnis schließt die Vorstellung aus, dass Frauen generell mehr in ihre Verwandten investieren als Männer. Eine ähnliche Logik lässt sich auch auf die Investitionen von Onkeln und Tanten anwenden. Die Geschwister einer Schwester sind sich sicher, dass diese Schwester tatsächlich die Mutter ihres Kindes ist, so dass sie sicher sein können, dass auch sie mit ihren Nichten und Neffen genetisch verwandt sind. Die Geschwister eines Bruders dagegen sind sich nicht sicher, denn ihr Bruder kann auch von seiner Partnerin um die Vaterschaft betrogen worden sein. Dies führt zur Vorhersage unterschiedlicher Investitionen durch Onkel und Tanten, je nachdem ob es sich um die Kinder von deren Bruder oder deren Schwester handelt. So kann man davon ausgehen, dass Tanten mütterlicherseits mehr investieren als Tanten väterlicherseits.
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In einer Studie über die Investitionen von Onkeln und Tanten konnten zwei wesentliche Prädiktoren für Investitionen festgestellt werden. Erstens investierten Tanten in der Regel mehr als Onkel, und zwar unabhängig davon, ob ihre Nichten und Neffen die Kinder eines Bruders oder einer Schwester waren – dies ist ein geschlechtsbezogener Effekt. Zum zweiten investierten die Tanten und Onkel mütterlicherseits mehr als diejenigen väterlicherseits, was die Hauptvorhersage bestätigt. Mehreren Studien zufolge sind nordamerikanische Frauen meist mehr mit ihren Verwandten verbunden und an ihnen interessiert als dies bei Männern der Fall ist. Frauen erinnern sich eher an die Namen ihrer Verwandten, sie definieren sich selbst eher über ihre Position innerhalb eines Familienverbandes (z.B. „ich bin die Tochter von X“) und sie halten auch eher Kontakt zu ihrer weitläufigen Verwandtschaft. Der letzte Abschnitt dieses Kapitels befasst sich mit einer breit angelegten Sicht der Familienevolution. Angesichts der Tatsache, dass es in der Tierwelt nur sehr selten zur Bildung von Familien kommt – nur etwa drei Prozent aller Säugetiere leben in Familien – verlangt schon die bloße Existenz der Familie nach einer Erklärung. Nach Stephen Emlen bilden sich Familien, bei denen geschlechtsreife Nachkommen weiterhin zu Hause wohnen, unter zwei Bedingungen: (1) wenn es anderswo zu wenig reproduktive Nischen gibt oder (2) wenn das Zuhausebleiben bestimmte Vorteile bietet, z.B. bessere Überlebenschancen, ausgeprägtere Wettbewerbsfähigkeiten und Hilfeleistung für (und von) genetisch Verwandte(n). Diese Theorie lässt eine Vielzahl von Vorhersagen zu. So sagt sie voraus, dass die Familienstabilität höher sein wird, wenn die Familie wohlhabend ist und so auch mehr Möglichkeiten gegeben sind, von ihr zu profitieren und eventuell sogar das Familienvermögen zu erben. Sie sagt voraus, dass der plötzliche Tod eines reproduzierenden Familienmitglieds einen Konflikt über dessen Nachfolge auslösen wird (z.B. über den Zugang zu den elterlichen Ressourcen). Sie sagt auch voraus, dass Stiefväter und -mütter weniger in ihre Familien investieren werden als leibliche Eltern und dass Stieffamilien wesentlich instabiler und konfliktanfälliger sind als genetisch intakte Familien. Viele dieser Voraussagen wurden bei Tieren getestet, für die meisten steht eine Überprüfung beim menschlichen Verhalten jedoch noch aus. Es gibt mehrere Kritikpunkte an Emlens Theorie, darunter: (1) Sie berücksichtigt nicht, dass Frauen nach der Menopause weiterhin ihren Familien helfen, nicht aber neue reproduktive Nischen besetzen können. (2) Viele Menschen pflegen intensive reziproke Beziehungen zu nicht Verwandten. Diese Faktoren können zur weiteren Bearbeitung von Emlens Theorie herangezogen werden, so dass diese auch auf den Sonderfall Mensch angewandt werden kann. Obwohl frühe Evolutionsmodelle die harmonische Kooperation zwischen den Mitgliedern einer Familie hervorhoben, weisen neuere Modelle dennoch auf drei wesentliche Konfliktarten hin: Geschwisterkonflikt, Eltern-Kind-Konflikt und Konflikt zwischen Mutter und Vater. Auch wenn die Gesamtfitness-Theorie sagt, dass der genetische Verwandtheits-Grad ein wichtiger Faktor für Altruismus ist, haben Familien-
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mitglieder so gut wie nie identische genetische Interessen. Folglich kommt es häufig zu familiären Konflikten. In den nächsten zehn Jahren sollten weitere evolutionspsychologische Studien Adaptationen aufzeigen, die die Menschen zur Lösung all dieser familiären Konflikte entwickelten. Die genetische Verwandtschaft ist ein wichtiger bestimmender Faktor von Investitionen. Je näher die Verwandtschaft, desto größer ist die Investition. Ist die genetische Verwandtschaft sicher, ist die Investition am höchsten, ceteris paribus. Ist die genetische Verwandtschaft aufgrund unsicherer Vaterschaft oder eines Stiefvaters (einer Stiefmutter) in Frage gestellt, geht auch die Investition zurück. Die Theorie der Gesamtfitness wirkt sich in entscheidender Weise auf das Verständnis der Verwandtschafts-Psychologie und der Familie aus, die die Wissenschaft erst ganz allmählich entdeckt.
Weiterführende Literatur Burnstein, E., Crandall, C. & Kitayama, S. (1994). Some neo-Darwinian decision rules for altruism: Weighing cures for inclusive fitness as a function of the biological importance of the decision. Journal of Personality and Social Psychology, 67, 773-789. Daly, M., Salmon, C. & Wilson, M. (1997). Kinship: The conceptual hole in psychological studies of social cognition and close relationships. In J. A. Simpson & D. T. Kenrick (Eds.), Evolutionary social psychology (265-296). Mahwah, NJ: Erlbaum. Davis, J. N. & Daly, M. (1997). Evolutionary theory and the human family. The Quarterly Review of Biology, 72, 407-435. DeKay, W. T. & Shackelford, T. K. (2000). Toward an evolutionary approach to social cognition. Evolution and Cognition, 6, 185-195. Hamilton, W. D. (1964). The genetical evolution of social behavior. I and II. Journal of Theoretical Biology, 7, 1-52. Hassenstein, B. (2001). Verhaltensbiologie des Kindes, 5. Aufl. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Sulloway, F. J. (1997). Der Rebell der Familie: Geschwisterrivalität, kreatives Denken und Geschichte. Berlin: Siedler (Orig.: Born to rebel, New York: Pantheon Books, 1996).
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Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften Das Leben in sozialen Gemeinschaften stellt einen entscheidenden Teil der menschlichen Adaptationen dar und die evolutionäre Psychologie legt nahe, dass der menschliche Geist (mind) viele spezielle Mechanismen dafür entwickelt hat. Dieser Teil besteht aus vier Kapiteln, von denen jedes einer anderen Untergruppe gewidmet ist. Kapitel 9 konzentriert sich auf die Entwicklung kooperativer Allianzen. Es führt in die Theorie des reziproken Altruismus ein, die eine theoretische Lösung zur Entwicklung von Kooperationen anbietet. Als Nächstes werden Kooperationen in der Natur angeführt wie das Teilen von Nahrung bei Vampirfledermäusen und reziproke Allianzen unter Schimpansen und anderen Primaten. Der Rest von Kapitel 9 geht auf Forschungen über die Entwicklung kooperativer Allianzen beim Menschen ein und endet mit einer Perspektive über Kosten und Nutzen von Freundschaften, zu der die Psychologie „wahrer Freunde“ gehört, die stark an unserem Wohlergehen interessiert sind. Kapitel 10 behandelt Aggression und Krieg und kommt zu der beunruhigenden Schlussfolgerung, dass wir viele adaptive Vorteile angesammelt haben, indem wir anderen Gewalt zugefügt haben. Das Kapitel geht auf die evolutionäre Logik ein, dass Männer aggressiver sind als Frauen und liefert empirische Belege für bestimmte Aggressionsmuster, die vom Geschlecht des Täters und vom Geschlecht des Opfers abhängen. Das Kapitel endet mit der Untersuchung der Entwicklung von Krieg und der kontroversen Frage, ob Menschen über spezifische Adaptationen verfügen, um andere Menschen zu töten. Kapitel 11 konzentriert sich auf Konflikte zwischen Mann und Frau. Es beginnt mit der Einführung der Theorie der interferierenden Strategien, die einen allumfassenden Rahmen zum Verständnis der Konflikte zwischen den Geschlechtern bietet. Der größte Teil des Kapitels fasst empirische Belege für bestimmte Formen dieser Konflikte wie sexuellen Zugang, Eifersucht, Abtrünnigkeit in Beziehungen und Zugang zu Ressourcen zusammen. Kapitel 12 handelt von einem universellen Merkmal menschlicher Gemeinschaften: der Existenz von Status und Dominanz-Hierarchien. Es liefert eine evolutionäre Erklärung für die Entstehung von Hierarchien und konzentriert sich auf spezifische Aspekte von Dominanz und Status bei Tieren und Menschen. Die Belege beinhalten eine Diskussion der Geschlechtsunterschiede im Streben nach Status und Verhaltensmanifestationen von Dominanz und enden mit einer Diskussion über die Strategien der Unterwürfigkeit.
Kapitel
9
Kooperative Allianzen
Willst du einen Freund finden, so erprobe zuerst seine Treue, und vertrau ihm nicht allzu rasch. Denn mancher ist ein Freund, solange es ihm gefällt; aber in der Not hält er nicht stand. Und mancher Freund wird bald zum Feind und macht dir zur Schmach einen Streit bekannt. Und mancher Freund ist nicht mehr als dein Kostgänger und hält in der Not nicht stand. Solange dir’s gut geht, tritt er auf wie du selbst und lebt in deinem Haus, als wäre er der Hausherr; geht dir’s aber schlecht, so stellt er sich gegen dich und läßt sich nirgends mehr finden. Halte dich fern von deinen Feinden, aber sei auch vor den Freunden auf der Hut. Ein treuer Freund ist ein starker Schutz. Ein treuer Freund ist nicht mit Geld oder Gut zu bezahlen, und sein Wert ist nicht hoch genug zu schätzen. – Buch Jesus Sirach, 6, 7-15, nach der Übersetzung Martin Luthers Eine Geschichte erzählt von zwei Freunden, von denen einer eines Raubes angeklagt war, den er nicht begangen hatte. Obwohl er unschuldig war, wurde er zu vier Jahren Haft verurteilt. Während der Freund im Gefängnis war, schlief sein Freund, der durch die Verurteilung sehr bekümmert war, jede Nacht auf dem Boden. Er wollte nicht die Bequemlichkeit eines weichen Bettes genießen, während sein Freund auf einer modrigen Matratze schlafen musste. Als sein Freund schließlich aus der Haft entlassen wurde, blieben die beiden Freunde fürs Leben. Wie kann ein solch rätselhaftes Verhalten erklärt werden? Was bewegt Menschen dazu, Freundschaften und langfristige kooperative Allianzen einzugehen?
9.1
Die Evolution von Kooperation
Persönliche Opfer für den anderen kommen unter Freunden häufig vor. Jeden Tag helfen Menschen ihren Freunden auf vielfältige Art und Weise, indem sie Ratschläge geben und Zeit opfern, um einem Freund in einer Krise beizustehen. Dieses Verhalten stellt ein tief gehendes Rätsel dar, denn die natürliche Selektion ist von Konkurrenzdenken geprägt. Sie ist egoistisch und stellt einen Feedback-Prozess dar, in dem die Merkmale eines Organismus die anderer Individuen in einer Population verdrängt. Opfer sind aufwändig für die, die sie auf sich nehmen, aber vorteilhaft für die, die sie erhalten. Wie konnten sich diese Muster von Freundschaft und Altruismus entwickeln?
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Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften
Das Problem des Altruismus In Kapitel 8 sahen wir, wie sich eine Form des Altruismus entwickeln kann, wenn die Empfänger der Hilfe genetisch Verwandte sind. Diese Art des Altruismus wird durch die inklusive Fitness-Theorie vorhergesagt. Freunde sind jedoch normalerweise keine genetischen Verwandten. Alles was man für einen Freund tut, resultiert in einem Verlust für einen selbst und einen Gewinn für den Freund. Die Frage lautet: Wie konnte Altruismus bei Nicht-Verwandten unter Berücksichtigung des egoistischen Designs der natürlichen Selektion entstehen? Evolutionäre Biologen nennen dies das Altruismusproblem. Ein „altruistisches“ Merkmal hilft der Reproduktion anderer Individuen, obwohl der Altruist selbst (der dieses Merkmal aufweist) dadurch weniger reproduziert (Cosmides & Tooby, 1992). Das Rätsel wird noch komplizierter, denn das Phänomen des Altruismus ist weder neu noch ungewöhnlich. Zum einen liegen Belege vor, dass sozialer Austausch, eine Form der Kooperation, in allen Kulturen vorkommt und regelmäßig auch in Jäger-Sammler-Gesellschaften, von denen angenommen wird, dass sie unter ähnlichen Bedingungen wie unsere Vorfahren leben (Cashdan, 1989; Cosmides & Tooby, 1992; Lee & DeVore, 1968; Weissner, 1982). Zum zweiten weisen auch andere Arten, wie Vampirfledermäuse Formen sozialen Austausches auf (Wilkinson, 1984). Drittens pflegen neben den Menschen auch andere Primaten wie Schimpansen, Paviane und Makkaken reziproken Austausch (De Waal, 1982). Zusammen genommen weisen diese Belege auf eine lange Evolutionsgeschichte des Altruismus, die Millionen Jahre zurückreicht.
Die Theorie des reziproken Altruismus Eine Lösung des Problems des Altruismus wurde durch die im Laufe der Zeit immer besser ausgeklügelte und durchdachte Theorie des reziproken Altruismus entwickelt (Axelrod, 1984; Axelrod & Hamilton, 1981; Cosmides & Tooby, 1992; Trivers, 1971; Williams 1996). Die Theorie des reziproken Altruismus besagt, dass sich psychologische Mechanismen, die Nicht-Verwandten einen Vorteil verschaffen, dann entwickeln können, wenn die Begünstigten die ihnen gewährten Vorteile zu einem späteren Zeitpunkt erwidern. Das Schöne am reziproken Altruismus ist, dass beide Parteien davon profitieren. Nehmen wir folgendes Beispiel: Zwei Jäger sind Freunde. Ihr Jagderfolg ist jedoch recht wechselhaft. In einer Woche ist der eine erfolgreich, in der folgenden Woche der andere. Teilt der erste Jäger das erbeutete Fleisch mit seinem Freund, so erleidet er Verlust, da er Fleisch verliert. Dieser Verlust ist jedoch relativ gering, da er mehr Fleisch hat, als er und seine Familie konsumieren können, bevor es verdirbt. Der Gewinn für seinen Freund jedoch ist sehr groß, da er sonst nichts zu essen hätte. In der nächsten Woche ist die Situation umgekehrt. Jeder der beiden Jäger erleidet somit einen geringen Verlust, indem er Fleisch abgibt, das aber für seinen Freund von großem Nutzen ist. Beide Freunde ziehen aus dem reziproken Altruismus größeren Nutzen, als wenn sie beide das Fleisch der Beute egoistisch für sich selbst behalten würden. Ökonomen nennen dies „Gewinn durch Handel“, da jede Partei mehr zurückerhält als der gewährte Vorteil an Wert hat (Cosmides & Tooby, 1992).
Kapitel 9 Kooperative Allianzen
Diese Gewinne begründen die Entwicklung des reziproken Altruismus. Diejenigen, die an ihm teilnehmen, stehen besser da, als die egoistisch Handelnden, wodurch die psychologischen Mechanismen für reziproken Altruismus an nachfolgende Generationen weitergegeben wurden. Reziproker Altruismus kann als „Kooperation zwischen zwei oder mehr Individuen zum gegenseitigen Nutzen“ definiert werden (Cosmides & Tooby, 1992, S. 169). Synonyme für reziproken Altruismus sind Kooperation, Erwiderung und sozialer Austausch. Zu den wichtigsten adaptiven Problemen des reziproken Altruisten gehört es, sicherzustellen, dass die gewährten Vorteile in Zukunft erwidert werden. Jemand könnte vorgeben, ein reziproker Altruist zu sein und die Vorteile zwar in Anspruch nehmen, sie aber später nicht erwidern. Dies ist das problem of cheating, das Problem des Betrogenwerdens. Später in diesem Kapitel untersuchen wir empirische Belege dafür, dass Menschen spezifische psychologische Mechanismen entwickelt haben, um die adaptiven Probleme dieses betrügerischen Verhaltens zu lösen. Zuerst untersuchen wir jedoch eine faszinierende Computersimulation, mit der die Entwicklung des reziproken Altruismus demonstriert wird. Verschiedene Tierarten liefern ebenfalls Beispiele für die Entwicklung von Kooperationen.
Tit For Tat – Wie du mir, so ich dir Das Problem des reziproken Altruismus gleicht einem Spiel, das als das „Gefangenendilemma“ bekannt ist. Beim Gefangenendilemma handelt es sich um eine hypothetische Situation, in der zwei Menschen wegen einer Tat ins Gefängnis kommen, die sie zusammen begangen haben und deren sie schuldig sind. Die Gefangenen werden in getrennten Zellen untergebracht, so dass sie nicht miteinander reden können. Die Polizei verhört beide Gefangenen und versucht, sie dazu zu bringen, sich gegenseitig zu verpfeifen. Wenn keiner den anderen verrät, muss die Polizei beide aus Mangel an Beweisen frei lassen. Dies ist die kooperative Strategie und aus Sicht der Gefangenen wäre es die Strategie, mit der beide am besten fahren würden. In einem Versuch, jeden der Gefangenen dazu zu bringen, den anderen zu verpfeifen (oder abtrünnig zu werden) sagt die Polizei jedem, dass er freikommen wird und eine kleine Belohnung erhält, wenn er gesteht. Falls beide Gefangenen gestehen, werden beide zu Haftstrafen verurteilt. Gesteht einer und der andere nicht, so erhält der nicht gestehende Partner eine härtere Strafe, als wenn beide gestanden hätten. Das Gefangenendilemma wird in Abbildung 9.1 illustriert. In diesem Schema steht B für die Belohnung der gegenseitigen Kooperation, d.h. wenn keiner den anderen verrät. S steht für die Strafe, die jeder Gefangene erhält, wenn beide gestehen und beide bestraft werden. V steht für die Versuchung, abtrünnig zu werden, d.h. für die Belohnung, die derjenige erhält, der geständig ist (sofern er der einzige ist, der geständig ist). T steht für das „Ergebnis des Trottels“, die Strafe, die derjenige erhält, der dicht gehalten hat, aber das Pech hatte, dass der Partner gestanden hat. Dies wird das Gefangenendilemma genannt, denn das rationale Verhalten beider Gefangenen wäre, die Tat zuzugeben, aber dies würde für beide zu einem schlechteren Ergebnis führen als wenn beide entscheiden würden, einander zu vertrauen (daher das Dilemma). Betrachten wir das Problem von Spieler A.
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Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften
Abbildung 9.1: Das Gefangenendilemma Dies ist die in dem Turnier von Robert Axelrod verwendete Gewinnmatrix. Ein Spiel besteht aus 200 Runden und zwei Strategien. Das Spiel wird durch V>B>S>T und B>(V+T)/2 definiert. Quelle: Axelrod, R. & Hamilton, W. D. (1981). The evolution of cooperation. Science, 211, 1390-96. Copyright 1981 American Association for the Advancement of Science.
Gesteht sein Partner nicht, würde A, falls er ihn verraten würde, einen Vorteil erhalten, denn er würde frei kommen und eine kleine Belohnung dafür erhalten, dass er seinen Partner verraten hat. Sollte sein Partner jedoch abtrünnig werden, würde Spieler A besser dastehen, wenn er selbst auch abtrünnig wird, da er sonst die härteste Strafe erhielte. Die logische Handlungsweise wäre somit, unabhängig davon, was der andere tut, diesen zu verpfeifen, obwohl eine Kooperation für beide das beste Ergebnis darstellen würde. Dieses hypothetische Dilemma gleicht dem Problem des reziproken Altruismus. Jeder kann durch Kooperation gewinnen (B), aber jeder ist versucht, Vorteile aus dem altruistischen Verhalten des Partners zu ziehen, ohne es zu erwidern (V). Das schlimmste Szenario besteht darin, mit einem Partner zu kooperieren, der abtrünnig wird (T). Wird das Spiel nur einmal gespielt, stellt die Abtrünnigkeit die beste Lösung dar. Robert Axelrod und W. D. Hamilton (1981) zeigten, dass der Schlüssel zur Kooperation darin liegt, das Spiel zu wiederholen, so dass keiner der Spieler weiß, wann das Spiel endet, wie es so oft im Leben der Fall ist. Die Gewinnstrategie in Spielen wie dem „wiederholten Gefangenendilemma“ wird Tit For Tat genannt – „Wie du mir, so ich dir“. Axelrod und Hamilton entdeckten diese Strategie, als sie ein Computerturnier durchführten. Ökonomen, Mathematiker, Wissenschaftler und Computergenies aus der ganzen Welt wurden gebeten, Strategien zu entwickeln, um 200 Runden des Gefangenendilemmas zu spielen. Punkte wurden in Übereinstimmung mit der Gewinnmatrix in Abbildung 9.1 verteilt. Gewinner war derjenige, der die höchste Punktzahl erreichte. Die Strategien beruhten auf Entscheidungsregeln hinsichtlich der Interaktion mit anderen Spielern. Vierzehn Strategien wurden unterbreitet und in dem Computerturnier, in dem jeder gegen jeden spielte, zufällig kombiniert. Einige Strategien waren sehr komplex und enthielten kontingente Regeln, die Strategien des anderen als Muster zu benutzen und plötzlich die Strategie zu wechseln. Die komplexeste Strategie bestand aus 77 Programmzeilen in der Computersprache FORTRAN. Der Gewinner des Turniers benutzte die einfachste Strategie von allen: „Tit For Tat – Wie du mir, so ich dir“, die sich als vierzeiliges FORTRAN-Programm beschreiben lässt. Die zwei einfachen Regeln lauten: (1) Kooperiere im ersten Durchgang und (2) erwidere in jedem folgenden Zug. In anderen Worten: beginne
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durch Kooperation und kooperiere weiter, wenn der andere auch kooperiert. Wird der andere jedoch abtrünnig, dann werde ebenfalls abtrünnig. Trivers (1985) bezeichnete dies zutreffenderweise als „kontingente Reziprozität“. In einer zweiten Runde des Turniers warb Axelrod einen größeren Teilnehmerkreis an und erhielt 62 Meldungen, zu denen Ärzte, Biologen und Computerwissenschaftler aus sechs Ländern gehörten. Dieses Turnier beinhaltete statt der festgelegten 200 Runden eine unbestimmte Interaktionsdauer der Begegnungen. Tit For Tat wurde von seinem Autor nochmals eingereicht und gewann wieder. Als das Turnier durchgeführt wurde, um den Prozess der natürlichen Selektion zu simulieren, in dem die erfolgreichen Strategien die weniger erfolgreichen Strategien in nachfolgenden Generationen ersetzten, gewann Tit For Tat erneut. Axelrod (1984) identifizierte vier Merkmale dieser Strategie, die den Schlüssel zu ihrem Erfolg darstellen: (1) Sei niemals der erste, der nicht kooperiert. Beginne immer mit Kooperation und kooperiere solange, wie dies der andere Spieler tut; (2) übe nur Vergeltung, nachdem der andere nicht mehr kooperiert und kooperiere dann auch nicht mehr; und (3) sei nicht nachtragend: wenn ein erst nicht kooperierender Spieler zu kooperieren beginnt, dann erwidere die Kooperation und beginne einen für beide Seiten vorteilhaften Zyklus. Zusammenfassend: „Verhalte dich anderen gegenüber, wie du dir wünscht, dass sie sich dir gegenüber verhalten. Aber verhalte dich dann ihnen gegenüber so, wie sie sich dir gegenüber verhalten.“ (Trivers, 1985, S. 392). Strategien zur Förderung der Kooperation, die in der Folge dann auch zum Erfolg von Tit For Tat führen, werden in Kasten 9.1 diskutiert. Die Tit For Tat-Strategie im Kontext des wiederholten Gefangenendilemmas ist ein Beispiel für eine evolutionär-stabile Strategie (ESS – evolutionary stable strategy) (Maynard Smith & Price, 1973). Die ESS wird „als Strategie beschrieben, die, wenn die meisten Angehörigen einer Population sie annehmen, durch keine alternative Strategie geschlagen werden kann“ (Dawkins, 1989, S. 69). Das Konzept der ESS stammt aus der Spieltheorie, einem Zweig der Mathematik, in dem der Erfolg verschiedener Strategien, die gegeneinander gespielt werden, formell modelliert wird (Maynard Smith, 1982). Tit For Tat ist eine ESS, da sie sich gegen eine Vielzahl anderer Strategien durchsetzt, Populationen dominiert und wenn sie in einer Population etabliert ist, nicht durch alternative Strategien verdrängt werden kann. Tit For Tat funktioniert besonders in Populationen mit vielen anderen Spielern, die ebenfalls gemäß Tit For Tat entscheiden.
9.1 Strategien zur Förderung der Kooperation Aus Axelrods (1984) Analyse des Tit For Tat als erfolgreiche Strategie ergeben sich für die Förderung der Kooperation mehrere praktische Konsequenzen. Man verweise erstens darauf, dass die Zukunft ihre Schatten vorauswirft. Wenn der andere der Meinung ist, dass man in Zukunft regelmäßig interagieren wird, so hat er ein größeres Interesse an einer Kooperation. Wenn man weiß, wann der „letzte Zug“ gemacht wird und dass die Beziehung bald endet, gibt es einen größeren Anreiz, abtrünnig zu werden und nicht länger zu kooperieren. Diese Erwartungshaltung kann dadurch erreicht werden, dass man häufiger interagiert oder indem man eine Bindung eingeht wie das Eheversprechen.
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Vielleicht ist eine der Ursachen, dass Scheidungen oft so hässlich sind und durch gegenseitige Verunglimpfungen getrübt werden, darin zu finden, dass beide Parteien den „letzten Zug“ und das abrupte Wegfallen einer Perspektive wahrnehmen. Eine zweite Strategie, die Axelrod empfiehlt, ist Reziprozität lehren. Indem die Reziprozität gefördert wird, hilft man nicht nur sich selbst, indem andere kooperativer sind, sondern macht es ausnutzenden Strategien schwierig, sich auszubreiten. Je größer die Anzahl derer ist, die eine Tit For Tat-Strategie verfolgen, desto weniger erfolgreich ist jemand, der andere ausnutzt. Diejenigen, die kooperieren, gedeihen durch ihre gegenseitigen Interaktionen, und die Ausbeuter leiden, da es immer weniger gibt, die sie ausnutzen können. Eine dritte Strategie zur Förderung der Kooperation besteht darin, auf nicht mehr als auf Fairness zu bestehen. Gier ist der Sturz vieler, vielleicht am besten veranschaulicht durch den Mythos von König Midas, dessen Gier nach Gold sich gegen ihn wandte, als alles, was er berührte, sich in Gold verwandelte – selbst die Speisen, die er essen wollte. Das Schöne an Tit For Tat ist, dass es nicht darauf besteht, mehr von anderen zu erhalten als es gibt. Durch die Förderung von Fairness ruft Tit For Tat die Kooperation der anderen hervor. Eine vierte Strategie, Kooperation zu fördern, besteht darin, auf Provokationen schnell zu antworten. Wird der Partner abtrünnig, sollte man sofort Vergeltung üben. Dies sendet ein starkes Signal aus, dass man es nicht toleriert, ausgenutzt zu werden, und veranlasst künftige Kooperation. Eine letzte Strategie zur Förderung der Kooperation besteht darin, einen persönlichen Ruf als Reziprokator zu fördern. Wir leben in einer sozialen Umgebung, in der Ansichten, die andere über uns haben (unser Ruf), darüber entscheiden, ob sie sich mit uns befreunden oder uns meiden. Der Ruf wird durch das Verhalten und die Taten eines Menschen bestimmt. Hat man einen Ruf als Reziprokator, werden andere auf einen zukommen. Ein Ruf als jemand, der andere ausnutzt, führt zur sozialen Isolation. Der kombinierte Effekt dieser Strategien führt zu einem erfolgreichen Muster der Kooperation, bei dem diejenigen, die früher Ausbeuter waren, dazu gezwungen sind, sich zu rehabilitieren und ihren schlechten Ruf aufzubessern, indem sie kooperatives Verhalten zeigen. Auf diese Weise wird die Kooperation innerhalb der Gemeinschaft gefördert. Diese Fälle liefern interessante Vergleichspunkte für die Evolution der Kooperation beim Menschen. Die Ergebnisse dieser Computerturniere belegen, dass sich Kooperation in der Natur leicht entwickeln kann, dass man aber eine entscheidende Einschränkung im Auge behalten muss. Das Spiel nimmt an, dass die Spieler die gleiche Macht haben, um zu belohnen und zu bestrafen. Im wahren Leben ist die Macht jedoch häufig asymmetrisch verteilt. Es ist nicht klar, wie es Tit For Tat unter Bedingungen, bei denen die Macht asymmetrisch verteilt ist, ergehen würde. Trotz dieser Einschränkungen demonstrieren die Ergebnisse, dass sich kontingente Kooperation mithilfe recht einfacher Entscheidungsregeln entwickeln kann und in der Natur weit verbreitet ist.
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9.2
Beispiele für Kooperation in der Natur
Jede Spezies steht im Lauf ihrer Evolution vielen einzigartigen adaptiven Problemen gegenüber, aber verschiedene Arten können zur gleichen Antwort auf häufig auftretende adaptive Probleme gelangen. Es ist daher aufschlussreich, Tierarten zu untersuchen, um zu sehen, ob sie Kooperationen entwickelt haben. Wir werden mit dem faszinierenden Beispiel der Vampirfledermäuse beginnen und dann einen Blick auf Schimpansen und Paviane werfen, die den Menschen phylogenetisch näher stehen.
Teilen der Nahrung bei Vampirfledermäusen Vampirfledermäuse tragen ihren Namen, weil ihr Überleben vom Blut anderer Tiere abhängt. Sie leben in Gruppen von bis zu einem Dutzend erwachsener Weibchen und ihrer Nachkommen. Die Männchen verlassen die Kolonie, sobald sie unabhängig sind. Vampirfledermäuse verstecken sich während des Tages und saugen nachts das Blut von Rindern und Pferden. Ihre Opfer sind allerdings keine willigen Spender. Die Pferde und Rinder scheuchen sie oft weg, um sie am Blutsaugen zu hindern. Die Fähigkeit des erfolgreichen Blutsaugens der Fledermäuse nimmt mit Alter und Erfahrung zu. Eine Studie stellte fest, dass 33 Prozent der jüngeren Fledermäuse (unter zwei Jahren) daran scheiterte, an einem bestimmen Abend Blut zu saugen, während nur sieben Prozent der Fledermäuse, die älter als zwei Jahre waren, kein Jagdglück hatten (Wilkinson, 1984). Wie überleben die Fledermäuse, die keine Nahrung finden? Sie können nur drei Tage ohne Nahrung (Blut) überleben. Wie die Statistiken zeigen, kommt es jedoch häufig vor, dass sie kein Jagdglück haben. Daher stellt das Risiko des Todes durch Verhungern eine konstante Gefahr dar. Wilkinson (1984) entdeckte, dass die Fledermäuse regelmäßig eine Portion des Blutes, das sie gesaugt haben, wieder von sich geben und anderen in der Kolonie spenden. Dies geschieht jedoch nicht willkürlich, sondern sie spenden dieses Blut ihren Freunden, von denen sie in der Vergangenheit ebenfalls Blut erhalten haben. Je enger die Verbindung zwischen den Fledermäusen war, d.h. je öfter sie miteinander gesehen wurden, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich gegenseitig Blut spendeten. Nur Fledermäuse, die mindestens 60 Prozent der Zeit in unmittelbarer Nähe voneinander gesehen wurden, spendeten sich gegenseitig Blut. Nicht eine Fledermaus spendete einer anderen Blut, mit der sie eine geringere Zeitspanne verbunden war. In einem anderen Teil der Studie untersuchte Wilkinson (1984) bei einer in Gefangenschaft gehaltenen Kolonie von Vampirfledermäusen weitere Aspekte des reziproken Altruismus. Er enthielt individuellen Fledermäusen Nahrung vor und variierte die Zeitdauer des Entzugs. Wilkinson fand heraus, dass „Freunde“ öfter Blutspenden gaben, wenn ihre Freunde in Not und dem Hungertod nahe waren (z.B. 13 Stunden vor dem Tod), als wenn sie nur wenig in Not waren (zwei Tage vor dem Tod). Er kam zu dem Schluss, dass die Fledermäuse, die von ihren Freunden Blutspenden erhielten, diese auch häufig erwiderten. Vampirfledermäuse zeigen somit alle Anzeichen dafür, dass sie Adaptationen des reziproken Altruismus entwickelt haben. Individuen stehen über einen langen Zeitraum in häufigem Kontakt zueinander. Die Häufigkeit von Begegnungen sagt den Grad des altruisti-
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schen Verhaltens voraus. Die Vorteile des Gebens sind höher als die Kosten des Gebenden. Die Umstände kehren sich häufig ins Gegenteil um, so dass der Geber am nächsten Tag der Nehmende ist. Einzelne Fledermäuse zeigen eine Präferenz, denen Blut zu spenden, die ihnen vor kurzem geholfen haben. Betrachtet man diese Bedingungen und die Bedrohung, der sie durch Verhungern ausgesetzt sind, fällt es schwer sich vorzustellen, wie sie ohne reziproken Altruismus überleben könnten.
Reziprozität unter Primaten Paviane sind äußerst sozial. Sie leben in Gruppen und interagieren regelmäßig. Konflikte brechen vor allem über Zugang zu limitierten Ressourcen wie Nahrung oder Sexualpartner auf. Der Anthropologe Craig Packer beobachtete einen Stamm Paviane und konnte 140 offensichtliche Bitten um Hilfe im Verlauf sozialer Konflikte aufzeichnen (Packer, 1977). Während eines Konflikts stellt ein Pavian Augenkontakt zu dem Tier her, das er um Hilfe bittet, und wechselt dann schnell den Augenkontakt zwischen dem Helfer und dem Kontrahenten. In zwanzig Fällen betraf die Bitte um Hilfe einen Konflikt zwischen zwei Männchen über sexuellen Zugang zu einem Weibchen im Östrus. Die Bitte um Hilfe von einem dritten Männchen in solchen Konflikten führte häufiger als in anderen Zusammenhängen zur gewünschten Hilfeleistung. Die Bitte um Hilfe führte in 16 von 20 Fällen zum Erfolg und das Weibchen hatte dann Sex mit dem Männchen, das ursprünglich um Hilfe gebeten hatte. In diesem Fall erhielt der Helfende niemals einen direkten Vorteil durch seine Hilfestellung, da er niemals direkten sexuellen Zugang als Ergebnis seiner Hilfe erhielt. Aber Packer wies nach, dass in späteren Konflikten, wenn die Rollen umgekehrt waren, das Männchen, das vorher Hilfe geleistet hatte, auch eher Hilfe erhielt. Dieses Muster reziproken Altruismus bei den Pavianen ist so stark, dass Männchen, die keine Freundschaften eingehen, nur selten sexuellen Zugang zu Weibchen erhalten. In einer weiteren Studie führten die Forscher Feldexperimente durch, in denen sie die Auswirkungen des Entlausens bei grünen Meerkatzen untersuchten. Zuerst nahmen sie auf einem Tonband das verbale Flehen von Weibchen um Hilfe auf. Sie spielten diese Aufnahme dann anderen Weibchen vor. Es stellte sich heraus, dass die Weibchen, die kürzlich von der um Hilfe Suchenden entlaust worden waren, häufiger um sich schauten, wenn das Tonband abgespielt wurde. Die nicht entlausten Weibchen ignorierten die Bitte. Interessanterweise fand dieser Effekt nicht statt, wenn es sich bei der Entlausenden um ein Familienmitglied handelte. Wie in Abbildung 9.2 dargestellt, gibt es eine starke Tendenz, das Flehen um Hilfe aufmerksamer zu beantworten, wenn die Hilfesuchende kein Familienmitglied ist und sie diejenige, die den Hilferuf hört, kürzlich entlaust hatte. Aber das Entlausen beeinflusste nicht die Erwiderung, wenn es sich um ein Familienmitglied handelte. Hilfe scheint daher reziproker Altruismus zwischen nicht miteinander verwandten Affen zu sein und nicht ein Fall von Verwandtschaftshilfe (Seyfahrth & Cheney, 1984). Aus diesen Studien können mehrere Schlussfolgerungen gezogen werden. Erstens, diejenigen Paviane und grünen Meerkatzen, die Hilfe geben, erhalten auch häufig Hilfe. Zweitens bilden Paviane und grüne Meerkatzen oft stabile Allianzen, d.h. ein Freund, der um Hilfe bittet, bietet häufig auch selbst Hilfe an, wenn er um diese gebeten wird. Drittens sind diese Hilfeleistungen eher auf reziproken Altruismus als auf Verwandtschaftsverhältnisse zurückzuführen.
Kapitel 9 Kooperative Allianzen
Dauer der Reaktion (in Sekunden)
nach Entlausen 6
ohne vorheriges Entlausen
4 2 0 Verwandte
NichtVerwandte
Abbildung 9.2: Der Effekt des vorherigen Entlausens bei grünen Meerkatzen auf die Tendenz, einer Bitte nach Hilfe zu antworten Die Dauer der Zuwendung von Aufmerksamkeit (in Sekunden) eines Affen auf die Tonbandaufnahme mit dem Hilferuf eines Verwandten oder Nicht-Verwandten, nachdem dieser vorher vom Hilfesuchenden entlaust worden war oder nicht. Aufmerksame Antwort = Blickrichtung auf den Hilfesuchenden. Die Dauer des Blicks wurde anhand eines Filmes über die Interaktion errechnet. Der Unterschied bei Nicht-Verwandten – nach Entlausen oder ohne vorherige Entlausung – ist statistisch signifikant. Andere Vergleiche sind dies nicht. Quelle: Nature (Seyfahrth, R. M. & Cheney, D. L. (1984). Grooming, alliances and reciprocal altruism in vervet monkeys, 308, 541-543) Copyright © (1984) Macmillan Magazines Limited.
Politik unter Schimpansen In einer Schimpansenkolonie im Zoo von Arnheim, Niederlande, war ein Schimpanse namens Yeroen das dominierende Männchen (de Waal, 1982). Aufgrund seines Imponiergehabes wirkte er größer als er war. Nur gelegentlich demonstrierte er seine Dominanz, stellte sein Haar auf und rannte in voller Geschwindigkeit auf die anderen Affen zu, die in alle Richtungen davonsprangen. Seine Dominanz umfasste auch die sexuelle Aktivität. Obwohl in der Kolonie vier männliche Affen lebten, war Yeroen für fast 75 Prozent der Paarungen verantwortlich, wenn die Weibchen im Östrus waren. Als Yeroen jedoch älter wurde, änderte sich die Situation. Ein jüngeres Männchen, Luit, machte einen plötzlichen Wachstumsschub durch und forderte Yeroen heraus. Nach und nach hörte Luit auf, Yeroen unterwürfig zu grüßen und zeigte dreist seine Furchtlosigkeit. Einmal schlug Luit Yeroen hart. Ein anderes Mal saugte er mit seinen potentiell tödlichen Eckzähnen Blut. Meist jedoch waren die Kämpfe symbolischer Art mit Drohgebärden statt Blutvergießen. Am Anfang blieben alle Weibchen auf Yeroens Seite und ermöglichten ihm so, seinen Status zu verteidigen. Reziproke Allianzen sind zur Erhaltung der Stellung wichtig, denn die Männchen verteidigen die Weibchen gegen Angriffe anderer Männchen und handeln bei Streitigkeiten als Schlichter. Dafür unterstützen die Weibchen die Männchen bei der Erhaltung ihres Ranges. Nach und nach, als seine zunehmende Dominanz erkennbar wurde, begannen die Weibchen jedoch, sich auf die Seite von Luit zu schlagen. Nach zwei Monaten war der Übergang komplett. Yeroen war entthront und begann, Luit unterwürfig zu grüßen. Das Paarungsverhalten folgte dem Beispiel. Während sich Luit während der Dominanz von Yeroen nur mit 25 Prozent der Weibchen gepaart hatte, erhöhte sich seine Kopulation nach Übernahme der Macht auf über 50 Prozent. Yeroens sexueller Zugang dagegen fiel auf Null.
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Obwohl er von der Macht verdrängt worden war und keinen sexuellen Zugang mehr hatte, war Yeroen noch nicht bereit, sich zur Ruhe zu setzen. Nach und nach ging er mit einem Männchen namens Nikkie eine enge Allianz ein. Weder Yeroen noch Nikkie wagten es, Luit alleine herauszufordern, aber zusammen bildeten sie eine beeindruckende Allianz. Über mehrere Wochen wurde die Allianz in ihren Angriffen auf Luit immer kühner. Schließlich brach ein Kampf aus. Obwohl alle Schimpansen Verletzungen davontrugen, triumphierte die Allianz zwischen Nikkie und Yeroen. Nach dem Sieg sicherte sich Nikkie 50 Prozent der Paarungen und aufgrund seiner Allianz mit Nikkie erhielt auch Yeroen einen Anteil von 25 Prozent. Obwohl Yeroen niemals seinen dominierenden Status wieder einnahm, war die Allianz mit Nikkie von entscheidender Bedeutung, um nicht ganz von der Paarung ausgeschlossen zu werden. Nikkies Allianz mit Yeroen war von entscheidender Bedeutung für die Dominanz über Luit. Allianzen stellen zentrale Merkmale im sozialen Leben von Schimpansen dar. Männchen werben regelmäßig um Allianzen mit Weibchen, indem sie sie entlausen und mit ihren Säuglingen spielen. Ohne die Allianzen der Weibchen könnten sie Männchen ihre dominierende Stellung nicht beibehalten. Als Teil des Versuchs, den Alpha-Status zu erreichen, beißt ein Männchen ein Weibchen oder jagt es, wenn es herausfindet, dass das Weibchen sich einem Gegner anschließt. In extremen Fällen stürzt sich das Männchen auf das Weibchen und springt ihm auf den Rücken, während es schreit. Eine Stunde später ist das Männchen extrem freundlich zu dem Weibchen und wirbt um es und seine Säuglinge. Dies stellt eine der Schlüsselstrategien in der Bildung von Allianzen bei Schimpansen dar: Versuche, einen Keil zwischen deinen Gegner und seine Alliierten zu treiben und umwerbe die letzteren. Durch de Waals faszinierende Studien können wir einen Blick auf die Komplexität der Entwicklung des reziproken Altruismus werfen. Es bilden sich Allianzen nicht nur zwischen Männchen, sondern auch zwischen den Geschlechtern. Vor diesem Hintergrund wenden wir uns nun der Evolution von Kooperationen beim Menschen zu.
Theorie des sozialen Vertrags Die Theorie des reziproken Altruismus sagt vorher, dass ein Organismus Vorteile durch kooperativen Austausch erhält. Es stellt sich jedoch ein Problem: Oftmals findet ein wechselseitiger Austausch nicht simultan statt. Wenn ich dir heute einen Gefallen erweise, muss ich darauf vertrauen, dass du mir diesen Gefallen irgendwann in der Zukunft erwiderst. Helfe ich dir in Zeiten der Not, muss ich darauf vertrauen, dass du mir später, wenn ich Hilfe brauche, ebenfalls hilfst. Erwidert der andere die Hilfe nicht, erleidet man unter dem Strich einen Verlust. Kurz gesagt sind Beziehungen auf Gegenseitigkeit anfällig für Betrug, wenn Menschen Vorteile in Anspruch nehmen, ohne diese später zu erwidern (Cosmides & Tooby, 1992). In der Natur kommt es gelegentlich zu simultanem Austausch. Ich kann dir eine Frucht im Austausch für ein von dir erbeutetes Stück Fleisch geben. Aber in vielen Zusammenhängen ist ein gleichzeitiger Austausch nicht möglich. Wenn du von einem Wolf angegriffen wirst und ich dir zur Hilfe eile, kannst du mich nicht gleichzeitig für meine Kosten bzw. die von mir eingegangenen Risiken entlohnen. Einmal geleistete Hilfe kann nicht zurückgenommen werden.
Kapitel 9 Kooperative Allianzen
Die Bedürfnisse und Fähigkeiten der interagierenden Individuen sind nur selten aufeinander abgestimmt. Deshalb ist gleichzeitiger Austausch normalerweise nicht möglich. Wenn ich Hunger leide und du der einzige bist, der über Nahrung verfügt, kann ich dich nicht sofort dafür entschädigen, dass du mich vor dem Verhungern rettest. Du musst mir vertrauen, dass ich dir helfen werde, wenn du in Not bist. Findet der Austausch nicht gleichzeitig statt, besteht immer die Möglichkeit der Abtrünnigkeit, d.h. dass man den Vorteil annimmt, ihn aber nicht erwidert. Die evolutionären Psychologen Leda Cosmides und John Tooby haben die Theorie des sozialen Vertrages (social contract theory) entworfen, die die Evolution kooperativen Austausches bei Menschen erklärt und besonderes Augenmerk darauf legt, wie Menschen das Problem des betrügerischen Verhaltens gelöst haben. Die Möglichkeit des Betrugs stellt eine Gefahr für die Entwicklung der Kooperation dar. Dies liegt daran, dass Betrüger zumindest unter bestimmten Voraussetzungen – wenn das betrügerische Verhalten nicht entdeckt oder bestraft wird – einen Vorteil gegenüber jenen haben, die kooperieren. Wenn ich die Vorteile annehme, die du mir bietest, diese aber später nicht erwidere, gewinne ich zweifach, indem ich Vorteile erhalten habe, die reziproken Kosten jedoch vermeide. Aus diesem Grund werden sich die Betrüger im Lauf der Zeit mehr reproduzieren als die Kooperierenden, bis die ganze Population aus nicht kooperierenden Individuen besteht. Reziproker Altruismus kann sich daher nur entwickeln, wenn der Organismus über Mechanismen verfügt, die Betrüger zu erkennen und zu meiden. Wenn kooperierende Individuen Betrüger erkennen können und nur mit Gleichgesinnten interagieren, kann der reziproke Altruismus Fuß fassen und sich im Lauf der Zeit entwickeln. Die Betrüger sind im Nachteil, da sie durch ihr Verhalten keine Vorteile erlangen können. Welche spezifischen Probleme müssen gelöst werden, damit sich Mechanismen entwickeln, die dazu motivieren, soziale Verträge einzugehen und Betrüger zu meiden? Cosmides und Tooby (1992) umrissen fünf kognitive Kapazitäten: Kapazität 1: Die Fähigkeit, viele verschiedene Individuen zu erkennen. Wenn du mir einen Vorteil gewährst und ich in einem „Meer anonymer Individuen“ verloren gehe (Axelrod & Hamilton, 1981), kannst du leicht betrogen werden. Du musst mich identifizieren und mich von anderen unterscheiden können. Die Fähigkeit, viele Individuen zu erkennen, mag uns als Selbstverständlichkeit erscheinen – aber nur deshalb, weil wir so gut darin sind. In einer Studie wurde herausgefunden, dass man Menschen, die man bis zu 35 Jahren nicht gesehen hat, mit einer Erkennungsrate von über 90 Prozent identifizieren kann (Bahrick, Bahrick & Wittlinger, 1975). Es gibt neurologische Befunde, dass diese Fähigkeit in einem bestimmten Bereich der rechten Gehirnhälfte angesiedelt ist. Menschen mit einer Läsion der rechten Gehirnhälfte entwickeln ein spezifisches Defizit - Prosopagnosie, die Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen (Gardner, 1974). Menschen können andere auch an ihrem Gang erkennen (Cutting, Profitt & Kozlowski, 1978). Es existieren ausreichende wissenschaftliche Belege, dass Menschen über Fähigkeiten verfügen, andere Individuen zu erkennen. Kapazität 2: Die Fähigkeit, sich an Aspekte der Interaktion mit verschiedenen Individuen zu erinnern. Diese Kapazität teilt sich in verschiedene Fähigkeiten auf. Zum einen muss man sich erinnern können, ob die Person, mit der man interagiert hat, kooperierte oder ein
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Betrüger war. Zweitens muss man im Auge behalten, wer wem was schuldig ist. Man benötigt eine Art Buchhaltung, um auf dem Laufenden zu bleiben, welche Kosten man hatte und welche Vorteile man erhielt. Scheitert man daran, sich an diese Interaktionen zu erinnern, kann man leicht betrogen werden. Vergisst man, sich zu erinnern, wer einen in der Vergangenheit betrogen hat, so kann man in der Zukunft leicht ausgenutzt werden. Wenn man nicht mehr weiß, wie viel man jemandem gegeben hat, so weiß man nicht, ob der Vorteil, mit dem er später reagiert, den damals entstandenen Kosten entspricht. Bisher wurde diese Kapazität noch nicht wissenschaftlich untersucht. Kapazität 3: Die Fähigkeit, anderen die eigenen Werte zu vermitteln. Wenn dein Freund nicht versteht, was du willst, wie kann er dir dann die Vorteile geben, die du brauchst? Wenn man daran scheitert, einem Betrüger seine Verärgerung mitzuteilen, wird man für künftige Betrugsabsichten verletzlich. Betrachten wir ein Beispiel aus de Waals (1982) Schimpansen-Studie. Sie betraf Puist und Luit, die eine langjährige Beziehung gegenseitiger Hilfe verband. Puist hatte Luit bei einem Kampf gegen Nikkie unterstützt. Als Nikkie später ein (aggressives) Imponiergehabe gegenüber Puist an den Tag legte, wandte sie sich Luit zu und streckte ihre Hand in der Bitte um Unterstützung nach ihm aus. Luit tat jedoch nichts, um sie gegen Nikkies Angriff zu schützen. Puist wandte sich daraufhin sofort Luit zu, bellte ihn wütend an, scheuchte ihn durch das Gehege und schlug ihn (S. 207). Puist schien Luit ihre Unzufriedenheit darüber, dass er ihr nicht beigestanden hatte, mitzuteilen. Die Kommunikation von Schimpansen ist nonverbal. Unter Menschen dient die Sprache dazu, emotionale Äußerungen und anderes nonverbales Verhalten als Medium der Kommunikation von Wünschen, Ansprüchen und Verärgerung über nicht erfüllte Verpflichtungen zu äußern. Die Sätze „Du schuldest mir“, „Ich brauche“, „Ich habe ein Recht auf“ und „Ich möchte“ repräsentieren Möglichkeiten, wie Menschen anderen ihre Werte mitteilen. Kapazität 4: Die Fähigkeit, die Werte der anderen zu verstehen. Die andere Seite der Medaille ist die Fähigkeit, die Werte der anderen zu verstehen. Wenn man entdecken kann, wann jemand in Not ist und was er benötigt, kann man die Hilfe dementsprechend leisten. Wenn ich dir ein Stück Fleisch gebe und nicht erkenne, dass du nicht hungrig bist und über einen ausreichenden Vorrat verfügst, bedeutet meine Hilfe nicht viel. Indem man die Wünsche und Bedürfnisse der anderen erkennt, kann man seine Hilfe maximieren, was dazu führt, dass der Empfänger noch mehr in der Schuld steht, diese zu erwidern. Dies legt nahe, dass Menschen „Marktforschung“ betreiben, um die Präferenzen, Bedürfnisse und Motivationen derjenigen zu erkennen, mit denen sie interagieren. Das ist eine Ansicht, die noch empirischer Untersuchungen bedarf. Kapazität 5: Die Fähigkeit, Kosten und Nutzen unabhängig von der tatsächlichen Leistung zu repräsentieren. Cosmides und Tooby (1989) argumentieren, dass bei Tieren der Austausch auf Dinge wie Nahrung oder Sex beschränkt ist. Menschen dagegen können sehr viel mehr austauschen: Messer und andere Werkzeuge, Fleisch, Beeren, Nüsse, Fisch, Schutz, Status, Steinäxte, Unterstützung bei Kämpfen, sexuellen Zugang, Geld, Blasrohre, Informationen über Feinde, Hilfe bei Semesterarbeiten und Computerprogramme, um nur einige zu nennen. Aus diesem Grunde, so Cosmides und Tooby, können die Mechanismen
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des sozialen Austausches nicht mit spezifischen Gegenständen verknüpft sein. Wir müssen die Kosten und den Nutzen einer großen Bandbreite von Dingen verstehen und kognitiv darstellen können. Bei Menschen entwickelte sich daher eine allgemeine Fähigkeit, Kosten und Nutzen zu repräsentieren, die nicht an bestimmte Dinge gebunden ist. Zusammengefasst schlägt die Theorie des sozialen Vertrags die Entwicklung von fünf kognitiven Kapazitäten vor, um das Problem des betrügerischen Verhaltens zu lösen und uns am erfolgreichen sozialen Austausch zu beteiligen. Wir müssen andere Individuen erkennen können, unsere Geschichte der Interaktionen mit ihnen kennen, anderen unsere Werte, Wünsche und Bedürfnisse mitteilen, diese in anderen erkennen und Kosten und Nutzen einer Vielzahl von Dingen, die man austauschen kann, repräsentieren können. Um die Theorie des sozialen Vertrags zu testen, führten Cosmides und Tooby mehr als ein Dutzend empirischer Studien über die Reaktionen auf logische Probleme durch. Logik bezieht sich auf die Schlussfolgerungen, die man über die Wahrheit einer Feststellung machen kann, und zwar basierend auf Annahmen über die Wahrheit anderer Feststellungen, unabhängig von deren Inhalt. Wenn ich behaupte, dass Q aus P folgt, dann ist die logische Schlussfolgerung, dass Q auch richtig sein muss, sobald man herausgefunden hat, dass P richtig ist. Dies trifft auf alle Feststellungen zu wie „Wenn ich zum Supermarkt gehe, bedeutet das, dass ich hungrig bin“ oder „wenn du untreu bist, werde ich dich verlassen“. Leider schneiden Menschen bei der Lösung logischer Probleme nicht sehr gut ab. Stellen Sie sich vor, dass sich in einem Raum Archäologen, Biologen und Schachspieler befinden (Pinker, 1997, S. 334). Keiner der Archäologen ist ein Biologe, aber alle Biologen sind Schachspieler. Was folgt aus diesem Wissen? Mehr als 50 Prozent der College-Studenten, die an der Studie teilnahmen, schließen daraus, dass keiner der Archäologen Schachspieler ist, was eine ungültige Inferenz ist, denn die Feststellung, dass alle Biologen Schachspieler sind, bedeutet nicht, dass keiner der Archäologen Schach spielt. Keiner der Teilnehmer kam zu dem Ergebnis, dass einige der Schachspieler in dem Zimmer nicht Archäologen sind, was aus den Prämissen logisch ableitbar ist. Etwa 20 Prozent der Teilnehmer behaupteten, dass aus der obigen Prämisse keine logische Schlussfolgerung gezogen werden kann, was ebenfalls ganz klar falsch ist. Betrachten wir folgendes logische Problem (Wason, 1966): Stellen Sie sich vor, auf dem Tisch liegen vier Karten. Jede Karte hat auf der Vorderseite eine Zahl und auf der Rückseite einen Buchstaben, aber Sie sehen nur eine Seite. Welche Karten müssten Sie umdrehen, um folgende Regel zu testen: „Eine Karte mit einem Vokal auf der Vorderseite hat eine gerade Zahl auf der Rückseite.“ Drehen Sie nur die Karten um, die umgedreht werden müssen, um zu sehen, ob die Regel stimmt:
a
b
2
3
Entscheiden Sie wie die Mehrheit der Studienteilnehmer, werden Sie die Karte mit dem „a“ oder die Karten mit dem „a“ und der „2“ umdrehen. Die Karte mit dem „a“ ist auf jeden Fall richtig. Da sie einen Vokal hat, würde eine ungerade Zahl auf der Rückseite
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Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften
bedeuten, dass die Regel falsch ist. Die Karte mit der „2“ enthält jedoch keine Information, die zur Überprüfung der Regel relevant wäre. Da die Regel nicht besagt, dass alle Karten mit einer geraden Nummer auf einer Seite einen Vokal auf der anderen Seite haben, ist es egal, ob sich auf der Rückseite der Karte mit der „2“ ein Vokal oder ein Konsonant befindet. Dreht man jedoch die Karte mit der „3“ um, könnte man die Regel überprüfen. Steht auf der Rückseite der Karte mit der „3“ ein Vokal, so ist die Regel definitiv falsch. Die logisch korrekte Antwort, welche Karten umzudrehen sind, lautet daher „a“ und „3“ (die Karte mit der „b“ liefert ebenfalls keinerlei Informationen, da die Regel keine Feststellungen darüber enthält, was die Rückseite einer Karte mit einem Konsonanten enthalten soll). Warum fällt es Menschen, von denen einige einen College-Kurs über Logik absolvierten, so schwer, eine derartige Aufgabe richtig zu lösen? Nach Cosmides und Tooby (1992) fällt es Menschen schwer, abstrakte logische Fragen zu lösen. Sie können diese Fragen jedoch lösen, wenn sie in Form eines sozialen Austausches strukturiert sind, d.h. wenn sie in Termini wie Kosten und Nutzen präsentiert werden. Betrachten wir folgende Aufgabenstellung: Sie arbeiten in einer Bar und zu Ihrem Job gehört es sicherzustellen, dass Minderjährige keinen Alkohol trinken. Sie sollen die folgende Regel durchsetzen: „Wer Alkohol trinkt, muss 21 oder älter sein.“. Welche der folgenden vier Personen müssen Sie überprüfen: diejenige, die Bier trinkt, die Soda trinkt, eine 25-jährige Frau oder einen 16-jährigen Jugendlichen? Im Gegensatz zur abstrakten Fragestellung weiter oben wählt die große Mehrheit hier zutreffend den Biertrinker und den 16-Jährigen aus. Die Logik ist identisch mit der abstrakten Wahlaufgabe mit den Vokalen und geraden Zahlen. Warum fällt es Menschen also leicht, diese Aufgabe zu lösen, nicht aber die abstrakte Version weiter oben? Nach Cosmides und Tooby denken Menschen logisch korrekt, wenn die Aufgabe wie ein sozialer Vertrag strukturiert ist. Trinkt man Bier, ist aber nicht über 21, hat man einen Vorteil erhalten, ohne die Voraussetzungen (Kosten) zu erfüllen, das heißt das erforderliche Mindestalters erreicht zu haben. In anderen Worten fällt es Menschen leicht, nach „Betrügern Ausschau“ zu halten, die sich einen Vorteil verschafft haben, ohne den Preis dafür zu zahlen.
Wen würden Sie nach seinem Ausweis fragen, wenn es Ihre Aufgabe wäre, das Alter einer Person zu überprüfen, um die Regel durchzusetzen: „Wer Alkohol trinkt, muss mindestens 21 Jahre alt sein“?
Um eine Aufgabe erfolgreich zu lösen, muss sie so strukturiert sein, dass man sie in Nutzennehmen und Kosten-zahlen zerlegen kann. Cosmides und Tooby konnten eine Reihe alternativer Hypothesen ausschließen. Der Effekt hängt nicht davon ab, ob man mit der Aufgaben-
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stellung vertraut ist oder nicht. Wenn seltsame und unvertraute Regeln angewandt wurden wie „wenn man heiratet, muss man sich eine Tätowierung an der Stirn anbringen lassen“ oder „wenn man Mongongo-Nüsse isst, muss man über 1,80 m groß sein“, antworteten noch immer etwa 75 Prozent der Studienteilnehmer richtig (im Gegensatz zu den weniger als zehn Prozent, die die abstrakte Version richtig beantworteten). Nach diesen Studien hat der menschliche Verstand (mind) psychologische Mechanismen entwickelt, um Betrüger zu entdecken. Diese Ergebnisse wurden in anderen Kulturen wie den Shiwiar, einem Stamm der Wildbeuter in Ecuador (Sugiyma, Tooby & Cosmides, 2002) repliziert. Der Prozentsatz der richtigen Antworten betrug 86 Prozent, was mit dem Ergebnis der Harvard-Studenten von 75-92 Prozent fast identisch ist. Dieses kulturübergreifende Ergebnis deutet auf eine mögliche universelle Adaptation zur Entdeckung von Betrügern im sozialen Austausch hin. Zusätzliche Belege für eine spezifische Adaptation zur Aufdeckung von Betrügern stammen aus Arbeiten mit hirngeschädigten Patienten durch die evolutionären Psychologen Valerie Stone und ihre Kollegen (Stone, Cosmides, Tooby, Kroll & Knight, 2002). Ein Patient, R. M., wies anhaltende Schäden an zwei Gehirnregionen, dem orbitofrontalen Kortex und der Amygdala auf. Bei einigen Problemen war R. M. in der Lage, die logisch korrekte Lösung zu finden. Zum Beispiel könnte er Aufgaben, die in Form von Vorsichtsmaßnahmen formuliert waren – „wenn man eine riskante Arbeit wie X macht, muss man entsprechende Vorsichtsmaßnahmen wie Y treffen“ – genauso gut lösen wie Menschen ohne Hirnschädigung. Dagegen konnte er Probleme in Bezug auf soziale Verträge – z.B. „wenn man den Vorteil X erhält, muss man den Preis Y bezahlen“ – kaum lösen. Die Dissonanz zwischen diesen beiden Aufgaben legt nahe, dass die Logik des sozialen Austausches ein getrennter und spezialisierter Bereich der kognitiven Maschinerie ist. Interessanterweise sind Menschen mit einer Hirnschädigung wie der von R. M. anfällig für Betrügereien, ausnützende Beziehungen und ungünstige Geschäftsabschlüsse (Stone et al., 2002). Der Mechanismus zur Entdeckung von Betrügern scheint auch vom eigenen Standpunkt abzuhängen (Gigerenzer & Hug, 1992). Betrachten Sie folgende Regel: „Wenn ein Angestellter eine Pension erhält, hat er zehn Jahre lang gearbeitet.“ Was würde eine Verletzung dieses sozialen Vertrages darstellen? Es hängt davon ab, wen man fragt. Teilnehmer, die gebeten wurden, sich vorzustellen, sie seien Arbeitnehmer, suchten Arbeitnehmer heraus, die mehr als zehn Jahre gearbeitet, aber keine Pension erhalten hatten. Dies würde eine Verletzung des sozialen Vertrags durch den Arbeitgeber darstellen, der die Pension nicht gewährte, obwohl sie den Arbeitnehmern zustand. Wurden die Teilnehmer jedoch gebeten, sich vorzustellen, sie seien Arbeitgeber, suchten sie Arbeitnehmer heraus, die weniger als zehn Jahre gearbeitet und trotzdem die Pension in Anspruch genommen hatten. Dies würde eine Verletzung des sozialen Vertrages durch die Arbeitnehmer darstellen, die die Pension in Anspruch nahmen, ohne die erforderlichen zehn Jahre gearbeitet zu haben. Die Perspektive bestimmt, nach welchen Betrügern man Ausschau hält. Ist man Arbeitnehmer, achtet man darauf, von seinem Arbeitgeber nicht betrogen zu werden; als Arbeitgeber achtet man darauf, nicht von seinen Arbeitnehmern betrogen zu werden.
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Weitere Forschungen sind notwendig, um die Theorie des sozialen Vertrags im Allgemeinen und den Mechanismus zur Aufdeckung von Betrügern im Besonderen zu untersuchen. Erinnern Sie sich an die Definition psychologischer Mechanismen zu denen „Input, Entscheidungsregeln und Output“ gehören. Wir wissen nur wenig darüber, wie Menschen auf verschiedene Inputs reagieren. Verfügen Männer und Frauen über Empfindlichkeiten, um auf verschiedene Arten betrügerischen Verhaltens wie beispielsweise sexuelle Untreue in der Ehe zu reagieren? Es ist offensichtlich, dass Menschen wütend werden und es anderen erzählen, dass der Partner untreu war, und sie werden in Zukunft den Kontakt meiden. Aber wir wissen wenig über die Output-Seite: Was tut man, wenn man einen Betrüger entdeckt und wie unterscheiden sich die Handlungen in Bezug auf Statusunterschiede und genetische Verwandtschaft? Nichtsdestotrotz zeigt diese bahnbrechende Forschung, dass wir über psychologische Mechanismen verfügen, um Betrüger zu entlarven. Diese Mechanismen werden dann aktiviert, wenn ein Austausch in Form von Nutzen und Aufwand strukturiert ist. Wie Cosmides und Tooby abschließend bemerken: „Die Ergebnisse zeigen, dass wir nicht über eine universelle Fähigkeit verfügen, Verletzungen konditionierter Regeln zu erkennen. Aber das menschliche Urteilsvermögen kann Verletzungen konditionierter Regeln erkennen, wenn diese als Betrug eines sozialen Vertrages interpretiert werden können.“ (Cosmides & Tooby, 1992, S. 205).
Die Entdeckung künftiger Altruisten Sobald eine Adaptation zur Entdeckung von Betrügern beim Menschen entwickelt wurde, wird die Selektion gleichzeitig die Evolution von Adaptationen begünstigen, die die Entlarvung als Betrüger verhindern. Adaptationen zur Entdeckung von Betrügern rufen subtilere Formen von Betrug auf den Plan. Diese Betrügereien werfen Probleme für diejenigen auf, die kooperative Allianzen eingehen wollen. Nach dem evolutionären Psychologen William Michael Brown haben Menschen eine weitere Adaptation entwickelt, um dieses Problem zu lösen: die Fähigkeit, die Aufrichtigkeit altruistischer Handlungen zu erkennen (Brown & Moore, 2000). Denken Sie an zwei Männer, die einem Obdachlosen einen Dollar geben. In einem Fall erkennt man, dass der Mann aufrichtige Sympathie für die Not des Obdachlosen empfindet und dass diese Sympathie seinen Wunsch motiviert, ihm zu helfen. Im anderen Fall hat der Mann kein Mitgefühl für den Obdachlosen, sondern gibt ihm den Dollar, um sein Gegenüber zu beeindrucken. Welchen dieser Männer würden Sie für eine kooperative Unternehmung auswählen? Brown und Moore (2000) entwickelten eine Version der Wahlaufgabe von Wason um zu testen, ob Menschen nach der Existenz aufrichtiger Gefühle suchen, die einer altruistischen Handlung zugrunde liegen. Die Aufgabe hatte folgende Regel: „Wenn X hilft, dann sucht X nach Anerkennung.“ Teilnehmer der Studie sagten dann, welche Karte sie umdrehen würden.
(1) X hilft
(2) X hilft nicht
(3)
(4)
X sucht nicht nach Anerkennung
X sucht nach Anerkennung
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Die Logik dieser Aufgabe besteht darin, dass Menschen, die anderen nur helfen, um externe Anerkennung zu erhalten, keine geeignete Kandidaten sind, um einem in Zukunft zu helfen und daher schlechte Kooperationspartner abgeben. Diejenigen, die anderen helfen, ohne nach externer Anerkennung zu suchen, zeigen aufrichtige altruistische Tendenzen und eignen sich als Verbündete. Die richtige Antwort aus der Perspektive altruistischer Aufdeckung wäre daher, die Karten „X hilft“ und „X sucht nicht nach Anerkennung“ auszuwählen. Brown und Moore (2000) fanden durch zwei Experimente heraus, dass die Mehrheit der Teilnehmer das Kartenmuster auswählte, anhand dessen sie die Altruisten herausfinden konnten. In der Tat war die Leistung der Versuchspersonen bei der Altruisten-Aufgabe fast so gut wie bei der Betrüger-Aufgabe, und bei beiden Aufgaben war die Leistung weit besser als bei abstrakten Aufgaben. Die Fähigkeit, aufrichtige Altruisten zu erkennen, würde die Evolution der Kooperation stark favorisieren - unter der Voraussetzung, dass die Aufrichtigkeit einer altruistischen Handlung ein Anzeichen künftiger altruistischer Handlungen ist. Obwohl noch weitere Untersuchungen notwendig sind, um spezifische Merkmale zu identifizieren, deuten die gegenwärtigen Belege auf die Existenz von zwei Adaptationen hin, die die Evolution der Kooperation begünstigen: (1) Betrüger zu erkennen (diejenigen, die Vorteile annehmen, ohne dafür zu bezahlen) und (2) Altruisten zu erkennen (deren Motivation aufrichtig ist). Diese zwei Kandidaten für Adaptationen im Kontext von sozialem Austausch sind bei weitem nicht alles. Ein weiterer Kandidat ist die social-exchange heuristic (Heuristik für sozialen Austausch), die eine kognitive Adaptation darstellt und uns motiviert, einen kooperierenden Partner nicht auszubeuten (Kiyonari, Tanida & Yamagishi, 2000). Diese Fähigkeit würde die Entwicklung wechselseitiger Kooperation begünstigen. Eine weitere potentielle Adaptation ist costly signaling (kostspieliges Signalisieren) (Gintis, Smith & Bowles, 2001; Grafen, 1990; Zahavi, 1977; siehe auch McAndrew, 2002). Individuen zeigen altruistische Handlungen, wie beträchtliche Geschenke, Spenden an Wohlfahrtsorganisationen, Einladungen zu üppigen Abendessen etc., um anzudeuten, dass sie sich als Verbündete eignen. Nur diejenigen, die sich diese altruistischen Handlungen leisten können, tun dies; denn diejenigen, die nicht über die Ressourcen verfügen, können sich diese kostspieligen Signale nicht leisten. Üppige Festmahle und Parties mit Speisen und Getränken in Hülle und Fülle, könnten Manifestationen kostspieligen Signalisierens sein. Altruistische Handlungen, die mit Kosten verbunden sind, geben anderen ein Signal über die Qualitäten des Gebers als Verbündeter. Zusammengenommen kann man sagen, dass, obwohl die Entdeckung von Betrügern für die Evolution der Kooperation von entscheidender Bedeutung ist, sich wahrscheinlich auch andere Adaptationen entwickelt haben, die Kooperationen begünstigen. Zu den wichtigsten gehören diejenigen, die bei der Wahl der Kooperationspartner involviert sind (d.h. diejenigen zu identifizieren, die aufrichtige altruistische Motivationen haben), die das Verhalten innerhalb einer kooperativen Allianz regeln (z.B. heuristischer sozialer Austausch) und diejenigen, die kostspielige aber ehrliche Signale potentieller Verbündeter erkennen. Neuere Befunde, dass Menschen aufrichtigen altruistischen Handlungen Beachtung schenken sowie die Kostspieligkeit altruistischer Handlungen legen das Vorhandensein ausgeklügelter kognitiver Mechanismen zur Bildung kooperativer Allianzen nahe.
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Die Psychologie der Freundschaft Bisher haben wir die zwei wichtigsten Wege zur Entwicklung von Kooperation und Altruismus betrachtet. In Kapitel 8 untersuchten wir Hamiltons Regel, die vorhersagt, dass sich Adaptationen für altruistisches Verhalten dann entwickeln können, wenn die Kosten für einen selbst niedriger sind als der Nutzen, den andere davon haben, multipliziert mit dem Grad genetischer Verwandtschaft (gemittelt über eine aus Sicht der Evolution hinreichend lange Zeitspanne). Mit anderen Worten, ein Weg zur Entstehung des Altruismus verläuft durch die Selektion der Verwandtschaft. Der zweite Weg zur Entstehung des Altruismus wurde oben beschrieben: die Theorie des reziproken Altruismus. Nach dieser Theorie kann sich Altruismus durch Reziprozität entwickeln, wenn die anderen Personen gewährten Vorteile von diesen zu einem späteren Zeitpunkt erwidert werden. Kooperation findet statt, wenn eine Person Kosten hat, die durch einen späteren Vorteil ausgeglichen werden. Aber erschöpfen diese Wege zur Kooperation die theoretischen Möglichkeiten? Tooby und Cosmides (1996) schlagen einen dritten möglichen Weg für die Entwicklung von Kooperation und Altruismus im Kontext von Freundschaft vor. Betrachten wir menschliche Intuitionen: viele Menschen werden wütend, wenn sie die evolutionäre Erklärung hören, dass ihre Freundschaften auf Reziprozität basieren. Sie erklären, dass sie sich freuen, wenn sie anderen helfen können und keine Entlohnung erwarten oder fordern. Im Gegenteil, wenn jemand darauf besteht, uns einen Gefallen sofort zu erwidern, interpretieren wir dies als Mangel an Freundschaft (Shackelford & Buss, 1996). Wir möchten unseren Freunden helfen, weil sie unsere Freunde sind und nicht, weil wir später dafür belohnt werden. In einer Ehe, die als eine weitere kooperative Beziehung angesehen werden kann, wird eine Ausrichtung auf sofortigen reziproken Austausch als Unzufriedenheit gewertet und mit der Erwartung in Verbindung gebracht, dass die Ehe scheitern könnte (Hatfield & Rapson, 1993; Shackelford & Buss, 1996). Machen wir uns selbst etwas vor? Wollen wir gegenseitige Belohnungen, aber machen uns selbst vor, dass wir unseren Freunden aus reiner Herzensgüte helfen? Tooby und Cosmides (1996) argumentieren, dass man den Intuitionen der Menschen Aufmerksamkeit schenken sollte, da sie darauf hinweisen könnten, dass Freundschaften in der Tat nicht auf reziprokem Austausch basieren. Sollte Altruismus auf Basis der verursachten Kosten definiert werden? Nach den zwei bedeutendsten evolutionären Theorien über die Entwicklung von Altruismus ist dieser zu beobachten, wenn dem Altruisten selbst Kosten entstehen. Im Kontext von Verwandtschaft werden die Kosten, die einem Individuum entstehen, durch einen Vorteil für genetische Verwandte ausgeglichen. Im Fall des reziproken Altruismus entstehen einem Individuum Kosten, die später ausgeglichen werden, wenn der Freund den Gefallen erwidert. Kurz gesagt wird Altruismus durch die dem Altruisten entstehenden Kosten definiert.
Was geschieht, wenn wir die Definition umdrehen? Statt uns auf die Kosten zu konzentrieren, konzentrieren wir uns auf die Entwicklung von Mechanismen, anderen Vorteile zu gewähren. Tatsächlich wollen wir damit beginnen, existierende Mechanismen zu erklären, die im Lauf der Evolution entstanden sind und uns veranlassen, anderen Vorteile zu gewähren – unabhängig davon, ob sie sich für den Altruisten als kostspielig erweisen. Betrachten wir ein einfaches Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie wollen zum Supermarkt
Kapitel 9 Kooperative Allianzen
fahren, um Ihre Wochenendeinkäufe zu machen und ein Freund fragt, ob Sie ihn mitnehmen können. Indem Sie Ihren Freund im Auto mitnehmen, haben Sie keine zusätzlichen Kosten, da Sie ohnehin zum Supermarkt gefahren wären. Nach den zwei klassischen Theorien der Evolution des Altruismus würde diese Handlung nicht als Altruismus definiert werden, da keine Kosten verursacht werden. Der gesunde Menschenverstand sagt uns allerdings, dass man seinem Freund auf jeden Fall einen Gefallen tut, unabhängig davon, ob die Hilfe für den Freund für einen selbst vorteilhaft ist, kostenneutral oder kostspielig ist. Tooby und Cosmides (1996) meinen, dass wir die Evolution von Mechanismen verstehen müssen, die entwickelt wurden, um anderen einen Gefallen zu tun, unabhängig davon, ob sie für die Person, die den Vorteil gewährt, mit Kosten verbunden ist. Aus einer evolutionären Perspektive betrachtet gilt: je höher die Kosten für denjenigen sind, der anderen einen Gefallen tut, desto seltener sind solche Vorteile. Je weniger damit verbunden ist, anderen einen Gefallen zu tun, desto weiter verbreitet werden sie sein. Sobald sich einmal Adaptationen herausgebildet haben, anderen einen Gefallen zu erweisen, werden im Lauf der Evolution diese so verändert, dass die Kosten minimiert werden - bis dahin, dass derartiges Verhalten sogar vorteilhaft sein kann für den, der den Gefallen erweist. Diese Argumentation besagt, dass viele altruistische Mechanismen noch unerforscht sind - Mechanismen, die entwickelt wurden, anderen einen Gefallen zu gewähren, wenn diese Handlungen eher mit Vorteilen als mit Nachteilen für den Handelnden verbunden sind. Dies führt uns aus dem Bereich der Verwandtschaft und dem reziproken Altruismus und bringt uns zum „Paradoxon der Banken“. Das Paradoxon der Banken. Banken stehen bei der Gewährung von Krediten vor einem Dilemma: Die Anzahl der Menschen, die einen Kredit wünschen, übersteigt den Betrag, den Banken ausgeben können. Banken stehen daher vor schweren Entscheidungen, wem sie Kredite gewähren sollen. Einige Menschen stellen ein geringes Kreditrisiko dar und zahlen mit hoher Wahrscheinlichkeit das Geld zurück. Andere stellen ein großes Kreditrisiko dar und können den Kredit vielleicht nicht zurückbezahlen. Unter dem „Paradoxon der Banken“ (Tooby & Cosmides, 1996) versteht man folgendes: Diejenigen, die das Geld am dringendsten benötigen, sind diejenigen mit dem größten Kreditrisiko, während diejenigen, die das Geld weniger dringend benötigen, ein geringes Kreditrisiko darstellen. Daher gewähren die Banken denjenigen Kredite, die sie am wenigsten benötigen und verweigern sie denjenigen, die sie am dringendsten brauchen.
Dieses Dilemma gleicht einem profunden adaptiven Problem unserer Vorfahren. Jeder verfügt nur über einen bestimmten Umfang an Hilfe, die er anderen gewähren kann. Benötigt jemand dringend Hilfe, ist dies jedoch genau zu der Zeit, in der er ein „großes Kreditrisiko“ darstellt und es am wenigsten wahrscheinlich ist, dass er diese erwidern kann. War einer unserer Vorfahren verletzt oder krank und stark hilfsbedürftig, so bedeutete das nicht, dass eine Hilfeleistung immer vorteilhaft war. Unsere Vorfahren standen daher vor einem Dilemma, das mit dem der Banken verglichen werden kann: Sie mussten Entscheidungen darüber treffen, an wen „Kredite vergeben werden sollten“ und wann Kredite an andere Individuen vergeben werden sollten. So wie einige Kreditnehmer ein geringes Kreditrisiko für Banken darstellen, sind einige Individuen auch geeignetere Objekte unserer begrenzten Zeit und Kräfte zur Hilfeleistung.
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Welche Adaptationen regeln diese Entscheidungen? Erstens sollte man einschätzen können, ob eine Person, der man Kredit gewährt, bereit ist, diesen später zurückzuzahlen. Handelt es sich um jemanden, der andere regelmäßig ausbeutet, oder ist es jemand, der die angebotene Hilfe zu schätzen weiß und versucht, auch anderen Voreile zu gewähren? Zweitens sollte man einschätzen können, ob die Person in der Lage ist, den Vorteil später zu erwidern. Wird sich ihr Glück in Zukunft zum Guten wenden oder werden die gegenwärtigen schlechten Umstände andauern? Drittens sollte man sich fragen, ob es in Anbetracht von Dritten, die vielleicht kreditwürdiger sind, eine gute Idee ist, dieser Person Hilfe zu gewähren? Stirbt der Empfänger der Hilfe, erleidet er einen permanenten Statusverlust innerhalb der Gruppe oder verschlechtert sich sein Zustand, könnte die getätigte Investition verloren sein. Befindet sich ein Mensch in einer ernsthaften Notlage, so bedeutet eine Hilfeleistung zu seinen Gunsten eine weniger attraktive Investition als eine solche zugunsten eines Individuums, dessen Umstände besser sind. Dies kann zu Adaptationen führen, die eine Person veranlassen, einen Freund herzlos zu verlassen, wenn er dringend Hilfe benötigt. Auf der anderen Seite, wenn die Schwierigkeiten der Person nur vorübergehend sind wie eine glücklose Jagd, kann sich diese Person als besonders attraktiv bezüglich zu leistender Hilfe erweisen. Jemandem zu helfen, der vorübergehend in Not ist, kann viel versprechend sein, da diese Hilfe durch denjenigen, der in Not ist, sehr geschätzt wird. Die Selektion sollte daher Adaptationen bevorzugen, die Entscheidungen dahingehend motivieren, wann und an wen man seine Hilfe richten soll. Aber das Problem bleibt bestehen: Die Evolution sollte psychologische Mechanismen bevorzugen, die Menschen motivieren, einen dann zu verlassen, wenn man dringend Hilfe benötigt. Wie kann uns die Selektion aus dieser Zwangslage befreien? Wie können wir andere dazu bewegen, uns zu helfen, wenn wir ihre Hilfe benötigen? Unersetzlich werden. Als Lösung für dieses adaptive Problem schlagen Tooby und Cosmides (1996) vor, man solle sich unersetzlich oder unentbehrlich für andere machen. Betrachten wir folgendes hypothetische Beispiel: Zwei Menschen bedürfen Ihrer Hilfe, aber Sie können nur einem helfen. Beide sind Ihre Freunde und beide gewähren Ihnen gleichwertige Vorteile (z.B. hilft Ihnen einer bei Ihren Mathematik-Hausaufgaben und der andere gibt Ihnen die Unterlagen der Unterrichtsfächer, die Sie verpassen). Beide werden gleichzeitig krank, aber Sie können nur einen pflegen. Wem helfen Sie? Ein Faktor, der diese Entscheidung beeinflussen kann, ist Unentbehrlichkeit. Wenn Sie mehrere Leute kennen, die Ihnen die Unterlagen der Fächer mitbringen, die Sie verpassen, aber niemanden sonst kennen, der Ihnen bei Ihren Mathematikaufgaben hilft, ist Ihr MathematikFreund schwieriger zu ersetzen. Wer ersetzbar ist, kann daher leichter verlassen werden als ein nicht zu Ersetzender, selbst wenn die gewährten Vorteile den gleichen Wert haben. Die Loyalität Ihrer Freundschaft sollte daher teilweise darauf basieren, wie unersetzlich der Freund ist.
Wie kann man die Chancen erhöhen, dass man unersetzlich und attraktiv für die Investitionen anderer wird? Tooby und Cosmides (1996) schlagen mehrere Strategien vor. Man kann 1. ein Ansehen fördern, indem man einmalige oder außergewöhnliche Attribute hervorhebt; 2. motiviert sein, persönliche Attribute zu erkennen, die andere schätzen, aber nur schwer von anderen erhalten;
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3. spezialisierte Fähigkeiten kultivieren, die die Unentbehrlichkeit erhöhen; 4. vorzugsweise solche Menschen oder Gruppen aussuchen, die das, was man anbieten kann, schätzen und andere in der Gruppe nicht haben, d.h. sich Gruppen oder Menschen suchen, in denen die eigenen Vorteile am meisten geschätzt werden; 5. soziale Gruppen vermeiden, in denen die eigenen Attribute nicht geschätzt werden oder in denen sie leicht durch andere zur Verfügung gestellt werden können; 6. Rivalen abwehren, die anderen die Vorteile zu gewähren drohen, die man früher alleine gewährte. Bisher liegen keine empirischen Studien vor, die die Effektivität dieser Strategien untersuchten, die als Lösung zum Paradoxon der Banken darauf basieren, unersetzlich zu werden. Diese Strategien scheinen jedoch viele Aspekte von dem zu erfassen, was Menschen tatsächlich tun. Menschen wählen bevorzugt Berufe, in die sie ihre Talente einbringen können; seien es ihre athletischen Fähigkeiten, manuelles Geschick, räumliche Fähigkeiten, Sprachbegabung oder musisches Talent. Wir spezialisieren uns in kleineren lokalen Gruppen: Kirchen spalten sich in verschiedene Konfessionen und Sekten auf, Psychologen in verschiedene Denkrichtungen. Wir fühlen uns bedroht, wenn „the new kid in town“ ähnliche Talente wie man selbst besitzt. Zusammengenommen kultivieren viele Menschen eine Individualität und Einmaligkeit, die es vereinfacht, unersetzbar zu werden. Das sind Methoden, die andere veranlassen, Vorteile durch dick und dünn zu gewähren. Freunde, tief gehende Bindungen und das Dilemma des modernen Lebens. Es ist einfach jemandes Freund zu sein, wenn die Zeiten einfach sind. In Zeiten der Not findet man jedoch heraus, wer wahre Freunde sind. Jeder kennt Freunde, die nur solange für einen da sind, wie es einem gut geht. Aber einen „wahren Freund“ zu finden, auf den man sich verlassen kann, wenn es hart auf hart kommt, stellt eine Herausforderung dar.
Ein profundes adaptives Problem stellt die Unterscheidung zwischen „echten Freunden“, die sich um unser Wohlergehen sorgen, und „Bekannten“ dar.
Solange es einem gut geht, gleichen sich Bekannte und echte Freunde. Bekannte können wie echte Freunde erscheinen und das adaptive Problem liegt darin, zu unterscheiden, wer ein guter Freund ist und am eigenen Wohlergehen interessiert ist und wer in Stunden
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der Not verschwindet (Tooby & Cosmides, 1996). Die Selektion hat bei Menschen Mechanismen entwickelt, mit denen wir derartige Unterscheidungen treffen können. Der beste Test, der zuverlässigste Beleg der Freundschaft, ist die Hilfe, die man in Zeiten großer Not erhält. Hilfe in dieser Zeit ist ein zuverlässigerer Lackmustest als Hilfe aus anderen Zeiten. Gefühlsmäßig scheinen wir ein spezielles Erinnerungsvermögen dafür zu haben. Wir geben uns große Mühe unseren Dank auszudrücken und kommunizieren, dass wir die Person, die uns in unserer Not geholfen hat, niemals vergessen. Das moderne Leben stellt uns jedoch vor ein Paradoxon (Tooby & Cosmides, 1996). Die meisten von uns vermeiden Episoden gefährlicher und persönlicher Schwierigkeiten und viele der „feindlichen Kräfte der Natur“, die unsere Vorfahren erlebten, werden von uns beherrscht. Wir verfügen über Gesetze, um Überfälle, Aggressionen und Mord zu bekämpfen. Polizisten führen viele der Funktionen aus, für die früher Freunde zuständig waren. Wir verfügen über medizinisches Wissen, das viele Krankheiten eliminiert oder reduziert hat. Wir leben in einer Umwelt, die um einiges sicherer und stabiler ist als die unserer Vorfahren. Paradoxerweise können wir deshalb kaum einschätzen, wer von unseren Freunden und Bekannten wirklich an unserem Wohlergehen interessiert ist und wer lediglich während einer Schönwetter-Phase mit uns zusammen sein möchte. Es ist möglich, dass die Einsamkeit und das Gefühl der Entfremdung, das viele von uns kennen - ein Mangel an tiefer sozialer Verbundenheit, den wir trotz der vielen, scheinbar warmen und freundlichen Interaktionen empfinden - seinen Ursprung in fehlenden Herausforderungen hat, die uns in z.B. Zeiten der Not zeigen, wer wirklich an unserem Wohlergehen interessiert ist (Tooby & Cosmides, 1996). Begrenzte Nischen für Freundschaften. Nach der Theorie von Tooby und Cosmides
über die Evolution der Freundschaft verfügt jeder über eine begrenzte Menge an Zeit, Energie und Kraft. So wie man nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann, ist die Entscheidung, sich mit einer Person zu befreunden, gleichzeitig die Entscheidung, sich mit einer anderen nicht zu befreunden. Nach dieser Theorie hat jede Person nur wenige Nischen für Freundschaften und das adaptive Problem besteht darin, zu entscheiden, wer diese füllen sollte. Die Implikationen dieser Theorie unterscheiden sich von den Implikationen der Theorie des reziproken Altruismus, bei der man Vorteile in der Erwartung gewährt, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt erwidert werden. Tooby und Cosmides (1996) meinen, dass die Wahl von Freunden durch andere Faktoren beeinflusst wird. 1. Wie viele der Nischen für Freundschaften sind schon besetzt? Wie viele Freunde haben Sie und sind dies echte Freunde oder Bekannte? Sollten Sie nur wenige Freunde haben, sollten psychologische Mechanismen Aktionen motivieren wie die Rekrutierung neuer Freunde, die Festigung und Vertiefung bereits bestehender Freundschaften oder Bestrebungen, sich selbst für potentielle künftige Freunde attraktiv zu machen. 2. Einschätzen, wer uns durch positive Externalitäten nutzen kann. Sagen wir, jemand ist körperlich Achtung gebietend, sieht vielleicht aus wie Arnold Schwarzenegger und lebt in Ihrer Nachbarschaft. Seine bloße Existenz schreckt Räuber und andere Kriminelle ab, so dass Sie einen Vorteil dadurch erhalten, dass aufgrund der Präsenz dieser Person Sie oder Ihre Familie weniger durch Kriminelle bedroht werden. Einige Men-
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schen gewähren Vorteile, die als Nebeneffekte ihrer Existenz oder ihrer Handlungen angesehen werden und die nicht als absichtliche altruistische Handlungen gelten. Ihr Nachbar wurde nicht deshalb so muskulös, um Ihnen Vorteile zu gewähren. Stattdessen gewährt er durch seine Statur Vorteile, die als Nebeneffekte oder zufällige Konsequenzen angesehen werden. Ökonomen nennen diese vorteilhaften Nebeneffekte positive Externalitäten. Menschen, die über bestimmte Talente oder Fähigkeiten verfügen wie das Sprechen anderer Dialekte, oder die besser darin sind, Beeren, Beute oder Wasser zu finden, können denen Vorteile gewähren, mit dem sie zusammen sind, unabhängig davon, ob sie ihnen absichtlich helfen. Diejenigen, die mehr dieser positiven Fähigkeiten ausstrahlen, sind dabei als potentielle Freunde attraktiver als diejenigen, die über weniger Fähigkeiten verfügen, unabhängig von absichtlichen Vorteilen, die diese Personen gewähren. Man würde daher erwarten, dass die Selektion Mechanismen entwickelt hat, die bei der Identifizierung solcher Individuen helfen und die uns motivieren, unsere Nischen mit ihnen zu füllen. 3. Wählen Sie Freunde, die Ihre Gedanken lesen können. Man kann leichter jemandem helfen, wenn man seine Gedanken erraten und seine Bedürfnisse vorhersagen kann. Ein Freund, der Ihre Gedanken lesen kann und Ihre Wünsche, Ansichten und Werte versteht, kann Ihnen hilfreich sein, und gleichzeitig ist es weniger aufwändig für ihn, Ihnen einen Gefallen zu erweisen. Jemand, der nicht erkennt, was man benötigt, könnte eine Möglichkeit verpassen, Ihnen zu helfen. Wir kennen alle mindestens einen Menschen, der intuitiv wusste, was man dachte und oftmals bevor man selbst daran dachte. Diese Menschen sind gute Freunde. 4. Wählen Sie Freunde, die Sie als unersetzbar betrachten. Ein Freund, der Sie als unersetzlich betrachtet, hat mehr Interesse an Ihrem Wohlergehen als jemand, der Sie als entbehrlich betrachtet. Füllt man sein Leben mit Freunden, die einen für unersetzlich ansehen, erhält man, ceteris paribus, größere Vorteile. 5. Wählen Sie Freunde, die die gleichen Ziele und Werte haben. Wenn Sie Ihre Zeit mit Freunden verbringen, die die gleichen Werte haben, führt dies für beide Seiten zu einer Bereicherung: indem Ihre Freunde ihre Umwelt so gestalten, dass Sie ihren Wünschen entspricht, ändern sie sozusagen gleichzeitig auch Ihre Umwelt. Nehmen wir ein triviales Beispiel: Sie lieben wilde Parties und haben einen Freund, der dies ebenso tut. Ihr Freund macht solche Parties ausfindig, wird zu ihnen eingeladen und besucht diese auch regelmäßig. Weil Sie mit ihm befreundet sind, können Sie sich ihm ab und zu anschließen. Zu geringen oder keinen Kosten gewährt Ihnen Ihr Freund Vorteile, weil sie die gleichen Ziele haben. In der gleichen Weise gewähren Sie Ihrem Freund Vorteile, denn Sie arrangieren Ihre Umwelt nach Ihren Vorlieben. Da Ihr Freund diese Vorlieben teilt, erhält er Vorteile aus diesen Arrangements. Indem man Freunde auswählt, die die gleichen Werte haben, schafft man sich gegenseitig Vorteile. Da wir alle über eine begrenzte Anzahl von Nischen für Freundschaften verfügen, sollte die Selektion psychologische Mechanismen bevorzugen, mit denen wir die von diesen Freunden gewährten Freundschaftsdienste überwachen können – nicht auf solche begrenzt, die der Freund absichtlich gewährt, sondern die als Ergebnis geteilter Werte und
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positiver Äußerlichkeiten fließen, – und den Grad, zu dem diese Vorteile unersetzlich sind. Nach Tooby und Cosmides (1996) ist das wesentliche Risiko nicht, dass man von Freunden betrogen wird, wie es der Fall wäre, wenn Freundschaften nur auf reziprokem Austausch basieren würden. Vielmehr besteht das Risiko in diesem Kontext eher darin, keine Freundschaften zu bilden, die durch gegenseitiges Engagement charakterisiert sind, oder von Bekannten umgeben zu sein, statt von echten Freunden. Die psychologischen Mechanismen, mit denen wir Freundschaften bewerten, sollten daher anzeigen können, wenn die Zuneigung eines Freundes abnimmt, wenn andere Personen besser geeignet sind, unsere wertvollen und begrenzten Nischen für die Freundschaft zu füllen, und Signale darüber, inwieweit wir von unseren Freunden als unersetzlich angesehen werden. Tief gehendes Engagement versus reziproker Austausch. Die moderne Welt ist mit sozialen Interaktionen gefüllt, zu denen reziproker Austausch gehört. Jedes Mal wenn wir etwas einkaufen, tauschen wir Geld gegen Waren. Jedes Mal, wenn man jemanden zum Mittagessen einlädt und diese Person sich revanchiert und einen das nächste Mal einlädt, liegt ein reziproker Austausch vor. Aber diese Art des Austausches charakterisiert nicht wahre Freundschaft. Die Erwartung, dass jemand jeden Gefallen in Form eines ähnlichen Gefallens erwidert, charakterisiert schwache Freundschaften, denen aufrichtiges Vertrauen fehlt (Tooby & Cosmides, 1996).
Was wahre Freunde charakterisiert, ist eine völlig andere Konstellation von Emotionen und Erwartungen. Wir fühlen uns in der Gesellschaft unserer Freunde wohl und empfinden Freude und nicht Neid, wenn sie erfolgreich sind. Wir gewinnen tiefe Zufriedenheit aus geteilten Werten und gemeinsamen Ansichten. Wir helfen unseren Freunden, wenn sie unserer Hilfe bedürfen ohne zu erwarten, dass unsere Bemühungen sofort erwidert werden. Das weit verbreitete Gefühl der sozialen Entfremdung hat, so Tooby und Cosmides (1996), seine Ursache darin, dass die moderne Welt mit eindeutig abhängigem Austausch auf einer noch nie dagewesenen Ebene gefüllt ist, verbunden mit der Abwesenheit von tief gehender Bindung, die wahre Freundschaft charakterisiert. Künftige Forschungen der evolutionären Psychologie werden zweifellos die komplexen Konstellationen psychologischer Mechanismen dokumentieren, die der Bildung tief gehender Bindungen gewidmet sind.
Kosten und Nutzen von Freundschaften Freundschaften bieten eine Fülle von Vorteilen, die direkt oder indirekt mit der Reproduktion verbunden sein können. Freunde bieten uns Nahrung und Schutz, sorgen für uns, wenn wir krank sind und helfen uns somit bei adaptiven Überlebensproblemen. Freunde können uns potentiellen Partnern vorstellen und uns so helfen, das Problem der Reproduktion zu lösen. Trotz der potentiellen Vorteile können Freunde aber auch zu Konkurrenten oder Rivalen werden. Sie können uns Schaden zufügen, indem sie Informationen über unsere Stärken und Schwächen an unsere Gegner weitergeben, indem sie um Zugang zu denselben wertvollen Ressourcen mit uns konkurrieren oder sogar um den gleichen Partner. Nur wenig ist über die genauen Vorteile und Nachteile von Freundschaften bekannt. Freundschaften variieren auf einer Vielzahl von Dimensionen. Eine davon ist das Geschlecht. Freundschaften können gleichgeschlechtlich sein oder mit dem anderen
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Geschlecht eingegangen werden. Die potentiellen Vor- und Nachteile sind sehr unterschiedlich. Eine gleichgeschlechtliche Freundschaft beispielsweise enthält das Potential intrasexueller Rivalität, eine Freundschaft mit dem anderen Geschlecht jedoch nicht. Sie bietet jedoch einen Vorteil, den eine gleichgeschlechtliche Freundschaft normalerweise nicht bieten kann, nämlich einen potentiellen Partner. Bleske und Buss (2001) untersuchten einige Hypothesen über die Vorteile und Nachteile von Freundschaften, indem sie zwei Informationsquellen der Teilnehmer sammelten: (1) Wahrnehmungen darüber, wie vorteilhaft (oder nachteilig) verschiedene Dinge sind, wenn man sie von einem Freund erhält und (2) Berichte darüber, wie oft sie diese Vorteile (oder Nachteile) von ihren Freunden erhielten. Die erste Hypothese besagt, dass für Männer mehr als für Frauen kurzfristiger sexueller Zugang eine Funktion der Freundschaft zum anderen Geschlecht darstellt. Diese Hypothese folgert aus der Logik der Theorie der elterlichen Investitionen (Trivers, 1972). Im Verlauf der menschlichen Evolutionsgeschichte waren Männer das weniger investierende Geschlecht, da ihr relativer reproduktiver Erfolg hauptsächlich durch die Anzahl der Frauen eingeschränkt wird, mit denen sie Geschlechtsverkehr haben. Daher haben Männer einen starken Wunsch nach sexuellem Zugang zu einer großen Anzahl von Frauen, zu denen auch ihre Freundinnen gehören.
Beurteilung der Vorteile
Wie vorhergesagt, schätzten Männer das Potential für sexuellen Zugang zu ihren Freunden des anderen Geschlechts bedeutend vorteilhafter ein als Frauen, wie in Abbildung 9.3 dargestellt wird. Männer berichteten auch häufiger als Frauen über nicht erwiderte Anziehung zu Freunden des anderen Geschlechts. Frauen berichteten häufiger als Männer über eine Freundschaft mit dem anderen Geschlecht, in der der Freund sich romantisch von ihnen angezogen fühlte, dies aber nicht auf Gegenseitigkeit beruhte (Abbildung 9.4). Zudem wurde Männer häufiger sexueller Zugang zu Freunden des anderen Geschlechts verweigert, als dies bei Frauen der Fall war. Die Belege unterstützen somit die Hypothese, dass Männer häufiger als Frauen sexuellen Zugang als Vorteil der Freundschaft zum anderen Geschlecht sehen. 2.0 1.5
Männer Frauen
1.0 0.5 0 GGF
AGF
Freundschaft Abbildung 9.3: Vorteile von Freundschaften: Potential für sexuellen Zugang Die Ergebnisse zeigen, dass Männer das Potential für sexuellen Zugang als bedeutend vorteilhafter einschätzten als Frauen. GGF = gleichgeschlechtliche Freundschaft; AGF = Freundschaft mit dem anderen Geschlecht Quelle: Bleske, A. & Buss, D. M. (Juni 1997). The evolutionary psychology of special „friendships“. Präsentiert beim neunten jährlichen Treffen der Human Behavior and Evolution Society, University of Arizona, Tuscon.
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2.0
Häufigkeit
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1.5
Männer Frauen
1.0 0.5 0 GGF AGF Freundschaft
Abbildung 9.4: Romantische Anziehung in Freundschaften Frauen berichteten häufiger als Männer über Freundschaften zum anderen Geschlecht, in denen ihr Freund sich romantisch von ihnen angezogen fühlte, sie diese Gefühle aber nicht erwiderten. GGF = gleichgeschlechtliche Freundschaft; AGF = Freundschaft mit dem anderen Geschlecht Quelle: Bleske, A. & Buss, D. M. (Juni 1997). The evolutionary psychology of special „friendships“. Präsentiert beim neunten jährlichen Treffen der Human Behavior and Evolution Society, University of Arizona, Tuscon.
Die zweite Hypothese über die Funktionen von Freundschaften zum anderen Geschlecht betrifft die Gewährung von Schutz. Dies trifft mehr für Frauen als für Männer zu. Im Verlauf der Evolutionsgeschichte waren Frauen, die sich Ressourcen (z.B. Nahrung und materielle Güter) und Schutz von Männern sichern konnten, reproduktiv erfolgreicher als Frauen, die keine Ressourcen und Schutz für sich und ihren Nachwuchs sichern konnten. Bleske und Buss (2001) stellten die Hypothese auf, dass Frauen eine Präferenz für Männer haben, die fähig und bereit sind, ihnen Ressourcen und Schutz zu bieten oder die die Aussichten haben, künftig solche Vorteile zu bieten. In Unterstützung dieser Hypothese berichten Frauen, dass ihre Freunde des anderen Geschlechts ihnen Schutz gewährten. Auf einer Skala von 0 bis 6 ergab der von Frauen berichtete Schutz durch Freunde einen Durchschnittswert von 3,6 Punkten, während der von Männern berichtete entsprechende Wert im Schnitt bei 1,68 lag, ein statistisch signifikanter Unterschied. Eine dritte Hypothese besagt, dass Freundschaften zum anderen Geschlecht dazu dienen, Informationen über dieses zu erhalten. Angesichts der Tatsache, dass Freunde des anderen Geschlechts über Informationen über ihr eigenes Geschlecht verfügen sollten, nehmen Männer und Frauen solche Informationen als Vorteil der Freundschaften zum anderen Geschlecht mehr wahr als bei Freundschaften zum gleichen Geschlecht. Indem man lernt, was das andere Geschlecht an kurzfristigen oder langfristigen Partnern bevorzugt und dies Männern und Frauen bei der Lösung von Problemen der Partnersuche hilft, nehmen beide den Zugang zu derartigen Informationen als vorteilhaft wahr. In Unterstützung dieser Hypothese berichteten Männer und Frauen, Informationen über das andere Geschlecht häufiger von Freunden des anderen Geschlechts (M = 2.84) erhalten zu haben als von gleichgeschlechtlichen Freunden (M = 1.86). In gleichgeschlechtlichen Freundschaften erhielten Frauen (M = 2.15) häufiger Informationen über das andere Geschlecht als Männer (M = 1.48). Dieser Austausch von Informationen scheint eher ein Vorteil für Frauen als für Männer in gleichgeschlechtlichen Freundschaften zu sein. Männer und Frauen berichteten zudem, dass Informationen über das andere Geschlecht, die sie von Freunden des anderen Geschlechts (M = 4.15) erhalten hatten, vorteilhafter waren als Informationen von
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einem gleichgeschlechtlichen Freund (M = 1.32). Zusammengenommen unterstützen die empirischen Untersuchungen, die als Teil dieser Studie durchgeführt wurden, die Behauptung, dass Freundschaften Informationen über Angehörige des anderen Geschlechts liefern. Eine vierte Hypothese besagt, dass Männer und Frauen intrasexuelle Rivalität als potentiellen Preis für gleichgeschlechtliche Freundschaften in Kauf nehmen. Da gleichgeschlechtliche Freunde häufiger ähnliche Interessen, Persönlichkeiten und Attraktivität aufweisen als zwei gleichgeschlechtliche Individuen, die per Zufall ausgewählt werden, könnten gleichgeschlechtliche Freunde in Konkurrenz um einen langfristigen Partner geraten. Wie vorhergesagt, berichteten Männer und Frauen in gleichgeschlechtlichen Freundschaften über intrasexuelle Rivalität (M = 1,03). Die berichtete Rate ist relativ niedrig, aber bedeutend höher als Raten sexueller Rivalität bei Freundschaften zum anderen Geschlecht (M = 0,14). Zudem bewerteten Männer und Frauen das Potential sexueller Rivalität in einer gleichgeschlechtlichen Freundschaft (M = 2,12) als kostspieliger als in einer Freundschaft zum anderen Geschlecht (M = 0,71). Diese Daten suggerieren, dass sexuelle Rivalität nicht nur bei Interaktionen zwischen gleichgeschlechtlichen Fremden und Feinden vorkommt. Interessanterweise berichteten Männer (M = 1,35) häufiger über intrasexuelle Rivalität in gleichgeschlechtlichen Freundschaften als Frauen (M = 0,79). Es ist anzunehmen, dass diese sexuelle Rivalität ihren Ursprung in dem größeren Wunsch der Männer nach kurzfristigem Gelegenheitssex hat, eine Interpretation, die durch das Ergebnis unterstützt wird, dass Männer kurzfristigen sexuellen Zugang als wichtigen Vorteil von Freundschaften zum anderen Geschlecht sehen. Die Ergebnisse legen somit nahe, dass sexuelle Rivalität, vor allem bei Männern, in gleichgeschlechtlichen Freundschaften vorkommt und dass diese als Preis der Freundschaft in Kauf genommen wird. Unterscheiden zwischen Vorteilen und Funktionen der Freundschaft. Eine evolutionäre Perspektive erfordert eine konzeptionelle Unterscheidung zwischen vorteilhaften Wirkungen und Funktionen. Ein Vorteil der Stellung des Daumens zu den anderen Fingern beispielsweise ist die Fähigkeit, Scheren benutzen oder den Joystick eines Computerspiels bedienen zu können, aber diese Vorteile werden nicht als die Funktionen des Daumens angesehen, den adaptiven Problemen, für die er entwickelt wurde (es sei denn, man möchte eine mehr abstrakte Funktion wie beispielsweise die Verwendung von Werkzeugen in Erwägung ziehen). Ähnlich können Freundschaften viele Vorteile bieten wie die Hilfe bei Hausaufgaben oder Unterstützung bei der Computerprogrammierung, die aber nicht als wahre Funktionen der Freundschaft angesehen werden. Die Hypothese, dass etwas als wahre Funktion der Freundschaft angesehen wird, basiert auf der Annahme, dass sich Freundschaft zum Teil deshalb entwickelte, weil sie im Verlauf der Evolutionsgeschichte wiederkehrend zur Lösung eines bestimmten adaptiven Problems beigetragen hat.
Die Studien von Bleske und Buss unterscheiden nicht eindeutig zwischen vorteilhaften Auswirkungen und entwickelten Funktionen der Freundschaft. Die Hypothese, dass eine Funktion von Freundschaft für Frauen der physische Schutz ist, würde idealerweise die folgenden Belege erfordern: (1) Wünschen Frauen Freunde, die diesen Vorteil bieten können? (2) Suchen Sie Freunde speziell nach diesem Kriterium aus? (3) Brechen Frauen Freundschaften ab, die diesen Vorteil nicht gewähren, wenn sie bedroht werden? (4) Sehen Frauen diesen Schutz als wichtigen Vorteil dieser Freundschaft? (5) Unterscheiden
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sich die Geschlechter in ihrer Wahrnehmung der Bedeutung dieses Vorteils? (6) Sind diese Merkmale kulturübergreifend? Diese Studien stellen einen Bezug zu einigen dieser Standards dar, wie die Wahrnehmungen von Vorteilen, die Häufigkeit Vorteile zu erhalten und Geschlechtsunterschiede in der Wahrnehmung und der berichteten Häufigkeit. Obwohl die gegenwärtigen Studien nicht eindeutig zwischen Vorteilen und Funktion von Freundschaften unterscheiden können, identifizieren sie Vorteile, die für künftige Untersuchungen der möglichen Funktionen von Freundschaft interessant sind.
Kooperative Koalitionen Menschen bilden auch kooperative Koalitionen – Allianzen, die aus mehr als zwei Individuen bestehen mit dem Zweck, durch gemeinsame Handlungen ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Unter den Jäger-Sammler-Gesellschaften dienten diese Koalitionen normalerweise Zielen wie der Großwildjagd, dem Teilen der Nahrung, dem Angriff auf eine Gruppe, der Verteidigung gegen Angriffe anderer Gruppen und zum Bau von Unterständen. Es ist anzunehmen, dass Menschen spezialisierte psychologische Mechanismen zur Förderung kooperativer Allianzen entwickelt haben. Koalitionen stehen jedoch großen Problemen gegenüber, die ihre Entstehung unterminieren können: Abtrünnigkeit und free-riding (Trittbrettfahren). Ein Beispiel der Abtrünnigkeit findet man bei den Yanomamö in Venezuela (Chagnon, 1983). Wenn eine Gruppe von Yanomamö eine benachbarte Gruppe anzugreifen beginnt, behaupten ein oder mehrere Männer der Gruppe, sie hätten einen scharfen Dorn im Fuß oder Bauchschmerzen und müssten deshalb nach Hause zurückkehren. Dieses Verhalten gefährdet den Erfolg der Koalition, und Männer, die diese Entschuldigungen zu oft verwenden, werden als Feiglinge gebrandmarkt. Aber Tatsache ist, dass Individuen manchmal von ihren Koalitionen abfallen und so ihren Erfolg gefährden. Ein ebenso ernsthaftes Problem stellt das Trittbrettfahren dar: am Erfolg einer Koalition teilzuhaben, aber nicht ihren Anteil zum Erfolg einer Koalition einzubringen, obwohl man dies durchaus könnte. Ein Beispiel sind Menschen, die immer dann kein Bargeld dabei haben, wenn es ans Bezahlen der Rechnung im Restaurant geht und die so Vorteile der Gruppe in Anspruch nehmen, ohne ihren Anteil zu übernehmen. Die Probleme der Abtrünnigkeit und des Trittbrettfahrens sind so schwer wiegend, dass viele Analysen der Spieltheorie in Biologie und Wirtschaft zeigen, dass kooperative Koalitionen dadurch zusammenbrechen. Abtrünnigkeit wird oft zur evolutionarily stable strategy (evolutionär stabilen Strategie) die von einer anderen Strategie weder übervorteilt noch abgelöst werden kann, sobald sie in einer Gesellschaft praktiziert wird (Maynard Smith & Price, 1973). Damit kooperative Koalitionen entstehen können, müssen daher die Probleme des Trittbrettfahrens und von potentieller Abtrünnigkeit gelöst werden. Evolutionswissenschaftler haben daher ihre Aufmerksamkeit auf die Bestrafung der Trittbrettfahrer gerichtet (Boyd & Richardson, 1992; Gintis, 2000; Henrich & Boyd, 2001). Kooperative Koalitionen sind solange erfolgreich, wie Trittbrettfahren sanktioniert wird. Experimente haben gezeigt, dass höhere Ebenen der Kooperation stattfinden, wenn Tritt-
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brettfahrer bestraft werden, d.h. denjenigen Strafen auferlegt werden, die ihren Anteil nicht beitragen. Aber die Bestrafung von Trittbrettfahrern führt zum nächsten Problem: Wer trägt die Kosten der Bestrafung? Angehörige der Koalition, die Trittbrettfahrer bestrafen, leisten ein Engagement, das zu den Verweigerern dieser Bestrafung in Bezug steht. Somit muss es eine Möglichkeit geben, die Verweigerer der Bestrafung von Trittbrettfahrern zu bestrafen. Obwohl die Forschung bisher noch nicht zu einem Konsens darüber gekommen ist, wie dieses Problem gelöst werden kann, gibt es zunehmende Belege dafür, dass wir über Adaptationen verfügen, um Trittbrettfahrer im Kontext kooperativer Koalitionen zu bestrafen (Price, Cosmides & Tooby, 2002). Wenn es Bestrafungen für die gibt, die sich weigern, ihren Anteil einzubringen, entstehen Kooperationen auf hoher Ebene (Fehr, Fischbaher & Gachter, 2002; Kurzban et al., 2001). Eine Hypothese besagt, dass sich in der Evolution kooperativer Koalitionen eine Strafbereitschaft (punitive sentiment) (strafendes Gefühl/Ansicht) als Lösung des Problems des Trittbrettfahrens entwickelte; diese äußert sich in dem Wunsch, „Bummelanten“ in der Gruppe Schaden zuzufügen (Price et al., 2002). Diese Strafbereitschaft könnte auf mindestens zwei Arten operieren: zum einen das Individuum motivieren, Trittbrettfahrer zu bestrafen und zum anderen Gruppenmitglieder ermutigen, Trittbrettfahrer ebenfalls zu bestrafen. Im Prinzip könnte eine derartige Strafbereitschaft zwei unterschiedliche Funktionen haben: (1) die Chance zu erhöhen, dass ein widerwilliges Mitglied der Gruppe seinen Anteil beiträgt und (2) die Fitness des Trittbrettfahrers verglichen mit denen, die zur kooperativen Koalition beitragen, zu beeinträchtigen, d.h. „nachteilige Fitness-Unterschiede zu eliminieren“ (Price et al., S. 210). In einer faszinierenden empirischen Studie untersuchten Price et al. (2002), wodurch das Ausmaß der Strafbereitschaft in einer hypothetischen Koalition am besten vorhergesagt werden konnte. Es ging dabei um die Bereitschaft, zur Armee zu gehen, wenn die Vereinigten Staaten in den Krieg ziehen. Der beste Prädikator für Strafbereitschaft war dabei der Grad der eigenen Beteiligung an der kooperativen Koalition. Je bereitwilliger eine Person sich beteiligte (z.B. zur Armee eingezogen zu werden), desto mehr wollte die Person diejenigen bestrafen, die sich beteiligen hätten können, dies aber nicht taten (z.B. die den Dienst in der Armee verweigerten). Diese Studie legt also den Schluss nahe, dass die Evolution eine Bereitschaft hervorgebracht hat, die Fitness-Vorteile, die sich Trittbrettfahrer erschleichen möchten, wieder zu eliminieren – auch wenn die Hypothese, dass die Funktion einer derartigen Strafbereitschaft auch darin liegen könnte, die Chancen auf eine Teilnahme an der Koalition zu erhöhen, nicht ausgeschlossen werden kann. Wenn Sie also das nächste Mal Bummelanten bestrafen wollen, die ihren Anteil zur Gruppe nicht beitragen wollen, wissen Sie warum: Dieses Bedürfnis ist wahrscheinlich eine Manifestationen eines „punitive sentiment“, das im Laufe der Evolution entwickelt wurde, um das in kooperativen Koalitionen auftretende Problem des Trittbrettfahrens zu lösen. Die Studien zu kooperativen Koalitionen befinden sich noch im Anfangsstadium. Da wir wissen, dass Menschen kooperative Gruppen bilden, ist es wahrscheinlich, dass sie spezielle psychologische Mechanismen entwickelt haben, adaptive Probleme zu lösen, die bei der Bildung dieser Koalitionen entstanden, zu denen auch die Verringerung der durch Trittbrettfahren verursachten Kosten gehört.
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Zusammenfassung Wir begannen dieses Kapitel mit dem Problem des Altruismus: Merkmale, die der Reproduktion anderer Individuen von Nutzen sind, obwohl dem Altruisten dadurch, dass er diese Merkmale hat, selbst Kosten entstehen. Der Altruismus verstößt gegen Hamiltons Regel; es ist also unklar, wie er entstehen konnte. Eine Lösung ist die Theorie des reziproken Altruismus, nach der sich psychologische Mechanismen zur Gewährung von Vorteilen an Nicht-Verwandte dann entwickeln können, wenn die Gewährung dieser Vorteile den Empfänger veranlasst, diese zu einem späteren Zeitpunkt zu erwidern. Das größte Problem des reziproken Altruisten stellen Betrüger dar, die Vorteile in Anspruch nehmen, ohne sie später zu erwidern. Eine Lösung dieses Problems kommt von einem Computerturnier, das Robert Axelrod durchführte. Er entdeckte, dass Tit For Tat – eine Strategie, nach der ein Individuum beim ersten Schritt kooperiert, aber jeden weiteren Zug erwidert – sehr erfolgreich ist. Sie scheint die Kooperation zu fördern, trägt aber auch dazu bei, ein Problem des Altruisten - nämlich durch unkooperatives Verhalten seitens anderer ausgeblendet zu werden - zu lösen, indem sie derartiges Verhalten sofort bestraft. Beispiele reziproken Altruismus sind in der Tierwelt reichlich vorhanden. Vampirfledermäuse teilen ihr Blut mit „Freunden“, die kein Jagdglück hatten. Später erwidern die Freunde die Blutspende und spenden ihre Nahrung vorzugsweise denen, die ihnen vor kurzem geholfen hatten. Paviane, grüne Meerkatzen und Schimpansen bilden ebenfalls reziproke Allianzen. Die Paviane und grünen Meerkatzen, die Hilfe gewähren, erhalten auch häufig Hilfe. Paviane und grüne Meerkatzen tendieren dazu, stabile Allianzen zu bilden, so dass der Freund, der um Hilfe bittet, diese zu einem späteren Zeitpunkt meist erwidert. Diese Hilfsdienste sind wahrscheinlich eher das Ergebnis reziproken Altruismus als verwandtschaftlicher Verhältnisse. Unter Schimpansen bilden sich reziproke Allianzen zwischen Männchen, zwischen Weibchen sowie zwischen Männchen und Weibchen. Die Theorie des sozialen Vertrags postuliert die Evolution von fünf kognitiven Kapazitäten beim Menschen, die das Problem der Betrüger lösen und eine erfolgreiche Beteiligung am sozialen Austausch erlauben. Menschen müssen andere Individuen erkennen; ihre gemeinsame Geschichte der Interaktionen erinnern; anderen die eigenen Werte, Wünsche und Bedürfnisse mitteilen; die Werte, Wünsche und Bedürfnisse anderer registrieren und die Kosten und den Nutzen einer großen Anzahl von Dingen unabhängig von deren Inhalt repräsentieren. Forscher haben gezeigt, dass Menschen Mechanismen zur Aufdeckung von Betrügern entwickelt haben - diese Mechanismen wurden entdeckt, als die Fähigkeit logischen Denkens anhand von Problemen in Form sozialer Verträge untersucht wurde. Menschen scheinen besonders aufmerksam zu sein, wenn es darum geht, diejenigen zu finden, die Vorteile angenommen haben, ohne dafür gezahlt zu haben. Zusätzlich zu Adaptationen zur Entlarvung von Betrügern deuten neuere Belege auf eine spezielle Fähigkeit hin, diejenigen mit aufrichtigen altruistischen Ansichten zu erkennen. Diejenigen als Verbündete zu wählen, die motiviert sind zu kooperieren, ist eine wichtige Strategie, um nicht Betrügern aufzusitzen.
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Die Evolution von Freundschaften wirft ein besonderes Problem auf, das durch das Paradoxon der Banken erfasst wird: Obwohl Banken Kredite denjenigen gewähren, die Geld benötigen, stellen die, welche am dringendsten Geld benötigen, das größte Kreditrisiko dar. Daher gewähren die Banken denjenigen Kredite, die das Geld am wenigsten benötigen, und verweigern es denen, die es am dringendsten benötigen. Ähnlich geht es auch uns, denn wenn wir dringend Hilfe von unseren Freunden benötigen, stellen wir meist ebenfalls ein großes Kreditrisiko dar und können die Vorteile, die uns gewährt werden, nicht erwidern. Eine Lösung zu diesem Paradoxon besteht darin, unersetzlich zu werden: wenn wir Vorteile gewähren, die sonst keiner gewähren kann, haben unsere Freunde einen großen Anteil an unserem Wohlergehen und werden uns helfen, wenn wir ihre Hilfe benötigen. Eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen Bekannten und echten Freunden. Wenn wir Hilfe am meisten benötigen, erkennen wir am Verhalten, wer ein echter Freund ist. Es ist möglich, dass das Gefühl der Entfremdung, das viele Menschen haben, seinen Ursprung in der Tatsache hat, dass Menschen so viele „feindliche Kräfte der Natur“ gezähmt haben und es daher weniger wahrscheinlich ist, dass sie lebensbedrohlichen Ereignissen ausgesetzt sind. Diese ermöglichen ihnen herauszufinden, wer ihre wahren Freunde sind, die an ihrem Wohlergehen interessiert sind. Obwohl Menschen viele Freundschaften eingehen, haben viele das Gefühl, dass andere nicht sehr in ihr Leben involviert sind. Es wurde viel Arbeit in die Funktionen der Freundschaft durch Erforschung der erhaltenen Vorteile (und Nachteile) von Freundschaften gesteckt. Männer und Frauen bilden gleichgeschlechtliche Freundschaften sowie Freundschaften mit dem anderen Geschlecht. Die Belege deuten auf Geschlechtsunterschiede in den Funktionen der Freundschaften hin. Männer nehmen - mehr als dies bei Frauen der Fall ist - kurzfristigen sexuellen Zugang als Vorteil von Freundschaften zum anderen Geschlecht wahr. Frauen nehmen, mehr als dies bei Männern der Fall ist, Schutz als Vorteil von Freundschaften zum anderen Geschlecht wahr. Beide Geschlechter sehen das Erhalten von Informationen über das andere Geschlecht als einen wichtigen Vorteil dieser Freundschaften. Ein Kostenfaktor gleichgeschlechtlicher Freundschaften ist das Potential sexueller Rivalität. Sexuelle Rivalität scheint häufiger zwischen männlichen als zwischen weiblichen Freunden aufzutauchen, vielleicht weil Männer einen stärkeren Wunsch nach kurzfristigen sexuellen Kontakten haben, was dann dazu führt, dass sie häufiger in Konflikt miteinander geraten. Zusätzlich zu dyadischen Allianzen bilden Menschen auch kooperative Koalitionen, das sind Gruppen, die durch gemeinsame Aktionen ein gemeinsames Ziel erreichen wollen. Adaptationen um diese kooperativen Koalitionen zu bilden, entwickeln sich nur, wenn das Problem des Trittbrettfahrens gelöst werden kann. Empirische Belege legen nahe, dass Strafbereitschaft ein Teil der Lösung sein könnte. Der Ärger, den Menschen gegen Gruppenmitglieder fühlen, die ihren Anteil in der Gruppe nicht erbringen, motiviert Sanktionen, die zur Bestrafung von Trittbrettfahrern führen. Forschungen im kommenden Jahrzehnt werden andere psychologische Mechanismen offen legen, die in kooperativen Koalitionen eingesetzt werden.
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Weiterführende Literatur Archer, J. (2001). Evolutionäre Sozialpsychologie. In W. Stroebe, K. Jonas & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie: Eine Einführung, 25-53, 4. Aufl. Berlin: Springer. Axelrod, R. (1984). The evolution of cooperation. New York: Basic Books. (dt.: Die Evolution der Kooperation. Oldenbourg, München, 2000). Cosmides, L. & Tooby, J. (1992). Cognitive adaptations for social exchange. In J. Barkow, L. Cosmides & J. Tooby (Eds.), The adapted mind (163-228). New York: Oxford University Press. Maynard Smith J. (1982): Evolution and the theory of games. Cambridge, England: Cambridge University Press. Price, M. E., Cosmides, L. & Tooby, J. (2002). Punitive sentiment as an anti-free rider psychological device. Evolution and Human Behavior, 23, 203-231. Ridley, M. (1999). Die Biologie der Tugend: Warum es sich lohnt, gut zu sein. Berlin: Ullstein Tb (Orig.: The origins of virtue: Human instincts and the evolution of cooperation. New York: Penguin Books, 1996). Tivers. R. L. (1971). The evolution of reciprocal altruism. Quarterly Review of Biology, 46, 35-57. De Waal, F. (2000). Der gute Affe: Der Ursprung von Recht und Unrecht bei Menschen und anderen Tieren. München: dtv (Orig.: Good natured. The origins of right and wrong in humans and other animals. Harvard University Press, 1996). Wuketits, F. M. (1997). Soziobiologie: Die Macht der Gene und die Evolution sozialen Verhaltens. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
Kapitel
10
Aggression und Kriegsführung
Aus evolutionärer Sicht ist die Hauptursache für Gewalt die Männlichkeit. – Robert Wright, 1995 Eines Nachmittags im Januar 1974 bildete eine Gruppe von acht Schimpansen aus dem Gombe-National-Park in Tansania einen Schlägertrupp und bewegte sich nach Süden (Wrangham & Peterson, 1996). Auf ihrem Weg in Richtung der Grenze ihres heimatlichen Territoriums bemühten sie sich sichtlich, leise zu sein und ungesehen vorwärts zu kommen. Sie überquerten die Grenze, wobei sie von Hillali Matama, einem Mitglied von Jane Goodalls Gombe-Team verfolgt wurden. In nächster Nähe befand sich Godi, ein junges Männchen von ca. 21 Jahren, das sich friedlich an den reifen Früchten eines Baumes labte. Normalerweise machte sich Godi zusammen mit seinen Kameraden, den sechs anderen Männchen der Kahama-Schimpansen-Gruppe, auf Nahrungssuche, heute aber war er allein unterwegs. Godi bemerkte die acht Eindringlinge erst, als sie seinen Baum bereits erreicht hatten. Mit einem verzweifelten Satz versuchte Godi ihnen zu entkommen, sie holten ihn jedoch sofort ein und brachten ihn zu Fall, indem sie seine Beine festhielten. Humphrey, einer der Anführer des Schlägertrupps hielt Godis Arme und Beine fest, so dass dieser sich nicht mehr bewegen konnte, während die anderen sich um die beiden gruppierten. Während Godis Gesicht weiterhin in den Staub gedrückt wurde, griffen die anderen Männchen an. Wild schreiend, kratzend, beißend und um sich schlagend fielen die Angreifer über Godi her wie eine Horde menschlicher Teenager über ein einzelnes Opfer, das zu seinem Pech zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war. Nach zehn Minuten ließen die Angreifer von Godi ab und er sah zu, wie sie wieder in ihr heimatliches Revier zurückkehrten. Godi blutete aus über einem Dutzend Wunden und war von Schrammen übersäht. Die Forscher sahen ihn nicht wieder. Zwar starb er nicht direkt bei diesem Angriff, sie waren sich jedoch fast sicher, dass er einige Tage oder eine Woche später seinen Verletzungen erlag. Das Bemerkenswerte an diesem Angriff war nicht seine Brutalität oder das große Maß an Koordination, womit die Eindringlinge ihr Opfer überwältigten. Bemerkenswert war, dass hier zum ersten Mal ein Mensch beobachten konnte, wie Schimpansen in ein benachbartes Revier eindrangen, um einen Feind anzugreifen, der in der Folge starb. Außerdem brachte der Angriff die Wissenschaftler dazu, ihre lang gehegte Vermutung in Frage zu stellen, dass andere Primaten friedliebend und harmonisch sind und dass nur Menschen ihre eigenen Artgenossen umbringen. Auch hinterfragten sie dadurch die lang gehegte Vermutung, dass Schimpansen eine „arkadische Existenz ursprünglicher
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Unschuld“ verkörperten oder sogar das friedliche „Paradies, das dem Menschen irgendwie verloren gegangen war“ (Ardry, 1996, S. 222). Führende Wissenschaftler gingen sogar soweit, aus diesem Zwischenfall den Schluss zu ziehen, dass „die männliche Gewalt, die Schimpansengemeinschaften umgibt und bedroht, so extrem ist, dass es den Tod bedeutet, wenn ein Mitglied der falschen Gruppe zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort ist“ (Wrangham & Peterson, 1996, S. 21). Natürlich sind Schimpansen keine Menschen und wir sollten uns vor oberflächlichen Vergleichen zwischen Menschen und anderen Arten in Acht nehmen. Belege über die extremen Aggressionen zwischen Schimpansen sagen für sich genommen noch nichts aus über die Aggressionen zwischen Menschen. Wrangham und Peterson (1996) machten jedoch eine bemerkenswerte Beobachtung. Nur zwei der über zehn Millionen existierenden Tierarten, darunter viertausend Säugetiere, zeigen wissenschaftlichen Belegen zufolge intensive, vom Männchen ausgehende territoriale Aggressionen, die sich zum Beispiel in der Bildung von Gruppen äußern, welche in benachbarte Reviere eindringen und tödliche Angriffe auf Vertreter ihrer eigenen Art verüben. Diese beiden Arten sind Schimpansen und Menschen. Wie bei den Schimpansen, so tun sich auch bei den Menschen Männer zu aggressiven Gruppen zusammen, in denen sich alle Mitglieder gegenseitig in dem gemeinsamen Ziel unterstützen, gegen andere aggressiv zu sein. Die Geschichte der Menschheit steckt voller Beispiele für solche Rivalitäten: die Spartaner und die Athener, die Kreuzzüge, die Hatfields und die McCoys, die Palästinenser und die Israelis, die Tutsis und die Hutus. In allen Kulturen haben sich meist Männer zusammengeschlossen, um andere Gruppen anzugreifen oder ihre eigene Gruppe zu verteidigen. Es gibt keine andere bekannte Spezies, die dieses einzigartige Aggressionsmuster mit den Menschen und den Schimpansen gemeinsam hat (Wrangham & Peterson, 1996). Aufgrund dieser Beobachtungen können wir uns nun fragen: Woher kommt die menschliche Aggression? Wie sehen die Hauptaggressionsmuster aus – wer wird aggressiv und unter welchen Umständen? Warum existiert sie in dieser Form? Dies sind die Fragen, mit denen wir uns in diesem Kapitel auseinandersetzen werden.
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Aggression als Lösung adaptiver Probleme
Aus evolutionspsychologischer Sicht gibt es keine einzelne Hypothese über den Ursprung der Aggression anderer Verhaltensweisen. Vielmehr bringt diese Disziplin zuweilen mehrere Hypothesen hervor, die dann wissenschaftlich miteinander konkurrieren. Im Folgenden werden wir einige mögliche adaptive Probleme näher erläutern, deren evolutionsbedingte Lösung die Aggression sein könnte.
Kapitel 10 Aggression und Kriegsführung
Vereinnahmung der Ressourcen anderer Vielleicht mehr als alle anderen Arten horten die Menschen Ressourcen, die historisch gesehen für Überleben und Reproduktion wertvoll sind. Zu diesen Ressourcen gehören fruchtbares Land und der Zugang zu Trinkwasser, Nahrung, Werkzeuge und Waffen. Es gibt viele Wege, sich Zugang zu wertvollen Ressourcen zu verschaffen, die anderen gehören – z.B. kann man einen sozialen Austausch anstreben, man kann stehlen oder betrügen. Aggression ist ein weiterer Weg, sich die Ressourcen anderer anzueignen. Bei der Vereinnahmung von Ressourcen kann es zwischen Individuen und zwischen ganzen Gruppen zu Aggressionen kommen. Individuen können physische Gewalt anwenden, um die Ressourcen anderer für sich zu gewinnen. Moderne Formen der Aggression zeigen sich in der Schule, wo Schüler anderen Kindern Essensgeld, Bücher, Lederjacken oder Designerturnschuhe wegnehmen (Olweus, 1978). Bei kindlicher Aggression geht es meist um Ressourcen wie Spielzeug oder „Reviere“ (Campbell, 1993). Unter Erwachsenen kann es zu Überfällen und Schlägereien kommen, die darauf abzielen, anderen Geld oder andere Güter abzunehmen. Eine Androhung aggressiver Handlungen kann bereits ausreichen, um Ressourcen anderer zu gewinnen, z.B. wenn ein Kind sein Essensgeld freiwillig herausgibt, um nicht geschlagen zu werden, oder wenn der Besitzer eines kleinen Ladens Schutzgeld bezahlt, um zu verhindern, dass sein Geschäft ruiniert wird.
Bei den Menschen greifen vor allem Männer auf physische Gewalt zurück, um die Ressourcen anderer für sich zu gewinnen. Dieser Geschlechtsunterschied bei der Anwendung physischer Gewalt zeigt sich schon ab einem Alter von drei Jahren.
Oft bilden Menschen, besonders Männer, Koalitionen mit dem Ziel, anderen gewaltsam Ressourcen abzunehmen. Bei den Yanomamö beispielsweise überfallen solche Männergruppen Nachbarstämme und zwingen diese, ihnen Nahrungsmittel und Frauen im gebärfähigen Alter zu überlassen (Chagnon, 1983). Im Laufe der gesamten menschlichen Geschichte kam es immer wieder zu Kriegen, in denen die Sieger gegnerische Länder
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eroberten und reiche Beute machten. So besagt eine evolutionstheoretisch motivierte Hypothese über den Ursprung der Aggression, dass diese als Mittel eingesetzt wird, um sich Ressourcen, die für die Reproduktion relevant sind, anzueignen. Die Selektion könnte aggressive Strategien begünstigt haben, wenn die Vorteile der aggressiven Handlungen – ausgedrückt in Fitness-Währung – die Kosten überstiegen.
Verteidigung gegen einen Angriff Das Auftreten aggressiver Energien stellt für mögliche Opfer ein ernstes adaptives Problem dar: sie laufen Gefahr, ihre eigenen wertvollen Ressourcen an die Angreifer zu verlieren. Außerdem können die Opfer verletzt werden, was sowohl ihr Überleben als auch ihre Reproduktion beeinträchtigen würde, oder sogar sterben. Auch können die Opfer an Ansehen verlieren und ihren guten Ruf einbüßen. Der Gesichtsverlust oder der Verlust der Ehre, der mit der ungeahndeten Opferrolle einhergeht, kann zu weiteren Übergriffen führen, denn viele suchen sich ihre Opfer danach aus, wie leicht sie auszubeuten sind oder wie gering ihr Widerstand ist. Die Aggression kann deshalb auch als Verteidigung gegen Angriffe eingesetzt werden. Sie kann sogar eine wirkungsvolle Lösung dieses adaptiven Problems darstellen, denn dadurch wird der gewaltsame Verlust der eigenen Ressourcen verhindert. Aggression kann eingesetzt werden, um einen bestimmten Ruf zu erlangen, der mögliche Angreifer abschreckt. Aggression kann eingesetzt werden, um den Verlust von Ansehen und Ehre zu verhindern, zu dem es für die Opfer ungeahndeter Gewalt ansonsten kommen würde. Die Verteidigung gegen Angriffe ist also zusammengefasst eine zweite evolutionstheoretisch motivierte Hypothese, die den Ursprung menschlicher Aggression erklären kann.
Kosten für intrasexuelle Rivalen Ein drittes adaptives Problem stellt sich gleichgeschlechtlichen Rivalen, die um dieselben Ressourcen konkurrieren. Eine solche Ressource ist der Zugang zu einem wertvollen Mitglied des anderen Geschlechts. Das Bild des Rüpels, der dem Schwächeren am Strand Sand ins Gesicht schleudert und dann mit dessen Freundin davonschlendert, ist eine stereotype Vorstellung intrasexueller Konkurrenz. Dennoch ist die zugrunde liegende Idee sehr gewichtig. Aggression, um Rivalen Kosten zu verursachen, kann von verbalen Angriffen bis hin zu Schlägen und Tötung reichen. Männer und Frauen äußern sich meist abschätzig über ihre gleichgeschlechtlichen Konkurrenten, sie machen ihren Status und ihren Ruf schlecht, um sie für Vertreter des anderen Geschlechts weniger begehrenswert zu machen (Buss & Dedden, 1990). Am anderen Ende der Skala kann es vorkommen, dass Männer ihre Rivalen in Duellen töten. Streitereien in Bars und Restaurants, die als harmlose Auseinandersetzungen begonnen haben, können eskalieren und sogar tödlich sein (Daly & Wilson, 1988). Manchmal kann es vorkommen, dass ein Mann einen anderen Mann umbringt,
Kapitel 10 Aggression und Kriegsführung
weil er herausgefunden hat, dass dieser mit seiner Freundin oder Ehefrau eine Affäre hatte (Daly & Wilson, 1988). Da die Evolution sich auf Unterschiede in genetischen Entwürfen auswirkt, können dem Gegner verursachte Nachteile gleichzeitig Vorteile für den Angreifer sein. Gemäß dieser dritten evolutionstheoretisch motivierten Hypothese besteht eine wichtige Funktion verbaler und physischer Aggression darin, gleichgeschlechtlichen Rivalen Kosten zu verursachen.
Verhandlung über Status und Macht-Hierarchien Einer vierten evolutionären Hypothese zufolge besteht eine Funktion der Aggression darin, den eigenen Status und die eigene Macht innerhalb bestehender gesellschaftlicher Hierarchien zu steigern. Bei den Ache in Paraguay und den Yanomamö in Venezuela kommt es unter den Männern beispielsweise zu rituellen Zweikämpfen. Diejenigen, die viele solcher Kämpfe überlebt haben, werden bewundert und gefürchtet und genießen hohes Ansehen und große Macht (Chagnon, 1983; Hill & Hurtado, 1996). In unserer heutigen Gesellschaft wurden Aggressionen z.B. in Form von Kastenkämpfen ritualisiert. Nach einem Kampf steigt das Ansehen des Gewinners und der Verlierer büßt Status ein. Männer, die sich im Krieg Gefahren aussetzen, um Feinde zu töten, gelten als mutig und tapfer und daher steigt ihr Ansehen in der Gruppe (Chagnon, 1983; Hill & Hurtado, 1996). Mitglieder von Straßengangs, die besonders heftig zuschlagen können, genießen ebenfalls höheres Ansehen (Campbell, 1993). Die Hypothese, dass Aggression manchmal zur Lösung des adaptiven Problems, wie der eigene Status gesteigert werden kann, eingesetzt wird, besagt nicht automatisch, dass diese Strategie bei allen Gruppen funktioniert. In vielen Gruppen kann Aggression auch zu einem Statusverlust führen. Versetzt ein Professor einem Kollegen während einer Fakultätssitzung oder in einem voll besetzten Hörsaal einen Fausthieb, so verliert er mit Sicherheit an Ansehen. Entscheidend bei der Hypothese der Statussteigerung ist es, die evolutionsbedingten psychologischen Mechanismen zu spezifizieren, die auf die sozialen Kontexte reagieren, in denen man sich durch Aggression einen Vorteil verschaffen kann.
Abschreckung zukünftiger Aggression durch Rivalen Den Ruf zu pflegen, aggressiv zu sein, könnte andere abschrecken, ihrerseits aggressiv zu werden oder Kosten zu verursachen. Die meisten Menschen würden es sich sehr genau überlegen, einen Mafioso zu bestehlen oder sich mit dem Boxer Mike Tyson anzulegen. Viele würden zögern, mit der Freundin eines Mitglieds der Hell’s Angels Motorradgang zu flirten. Aggression und der Ruf, aggressiv zu sein, können also abschreckend wirken und so zur Lösung des adaptiven Problems beitragen, das entsteht, wenn andere versuchen, sich die eigenen Ressourcen und Partner anzueignen.
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Verhinderung sexueller Untreue durch langfristige Partner Eine sechste Hypothese lautet, dass Aggression und angedrohte Aggression langfristige Partner davor zurückschrecken lassen, sexuell untreu zu werden. Eine ganze Reihe empirischer Untersuchungen deuten darauf hin, dass die sexuelle Eifersucht des Mannes der Hauptgrund oder das wichtigste auslösende Moment für Gewalt in der Ehe ist (Daly, Wilson & Weghorst, 1992). In Frauenhäusern durchgeführte Studien zeigen, dass die Frauen in den meisten Fällen die extreme Eifersucht ihres Mannes oder Freundes als Grund für dessen Schläge angeben (Dobash & Dobash, 1984). So abstoßend das auch klingen mag – einige Männer schlagen ihre Ehefrauen oder Freundinnen tatsächlich, um sie davon abzuhalten, sich mit einem anderen Mann einzulassen.
Die Kontext-Spezifität der Aggression Diese Aufzählung der sechs wichtigsten adaptiven Probleme, die durch Aggressivität gelöst werden könnten, deutet verstärkt darauf hin, dass Aggression keine einheitliche, monolithische kontext-unabhängige Strategie ist. Ganz im Gegenteil kommt es bei Aggression offensichtlich sehr stark auf den jeweiligen Kontext an, wobei Gewalt nur in solchen Situationen ausgelöst wird, die denen ähneln, in denen unsere Vorfahren sich bestimmten adaptiven Problemen gegenüber sahen und durch Aggression besondere Vorteile erlangten. Betrachten wir die Gewalt in der Ehe, mit der ein Partner verhindern will, dass der andere eventuell untreu wird. Dieses adaptive Problem stellt sich verstärkt Männern, die im Vergleich zu ihren Partnerinnen einen geringeren Partnerwert haben oder die z.B. durch Jobverlust für Frauen wertvolle Ressourcen verloren haben (Buss, 2003). Unter diesen Umständen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass eine Frau untreu wird oder die Beziehung insgesamt aufgibt, so dass das adaptive Problem aggressiver angegangen werden muss. Männer in einer solchen Situation sind erwartungsgemäß aggressiver als Männer, deren Frauen eher nicht fremdgehen oder die Beziehung beenden wollen. Adaptive Vorteile müssen auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten beurteilt werden. Definitionsgemäß verursacht Aggression anderen Kosten, bzw. Nachteile und wir können nicht davon ausgehen, dass diese anderen dies einfach passiv oder gleichgültig hinnehmen. „Tödliche Vergeltung ist ein uraltes kulturübergreifendes, universales Mittel von Gewaltopfern.“ (Daly & Wilson, 1988, S. 226). Eines der zuverlässigsten Ergebnisse der Aggressionsforschung besagt, dass Aggression in der Regel vergeltende Gegenaggression hervorruft (Berkowitz, 1993; Buss, 1961). Dies kann manchmal einen Teufelskreis aus Aggression und Gegenaggression auslösen wie etwa in der berühmten Familienfehde zwischen den Hatfields und den McCoys (Waller, 1993). Eine wichtige Art von Kosten stellen die Konsequenzen dar, die aggressives Handeln für die Reputation hat. Kulturen und Subkulturen unterscheiden sich darin, ob Aggression dem Ruf schadet oder ihm nützt. Bei „Kulturen der Ehre (cultures of honor)“ kann es beispielsweise zu einem Statusverlust führen, wenn sich ein Angegriffener nicht ebenso
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aggressiv zur Wehr setzt (Nisbett, 1993). Eine Tochter, die Schande über den Familiennamen gebracht hat, weil sie vor der Ehe Geschlechtsverkehr hatte, könnte umgebracht werden, denn dies könnte als „ehrbare“ Lösung gelten, um den Ruf der Familie wiederherzustellen (Daly & Wilson, 1988). Bleibt die Tochter am Leben, so könnte das in diesen Kulturen einen Statusverlust für die gesamte übrige Familie zur Folge haben. Eine weitere Art von Kosten ergibt sich aus der Fähigkeit und Bereitschaft des Opfers, Rache zu nehmen. In der Schule suchen sich die aggressiven Kinder meist schwächere Gegner oder Außenseiter aus, die sich nicht wehren können oder wollen (Olweus, 1978). Ähnlich wird ein Ehemann, dessen Frau vier starke Brüder und einen mächtigen Vater in der Nähe wohnen hat, es sich zweimal überlegen, sie zu schlagen, wenn sie mit einem anderen Mann geflirtet hat. Die Gegenwart weiterer Familienmitglieder ist also ein Aufwand-Kontext, der Gewaltanwendung in der Ehe abmildern wird. Neuere empirische Ergebnisse bestätigen diese Vorhersage. Eine Studie über häusliche Gewalt in Madrid ergab, dass Frauen, die mehr leibliche Verwandte in und um Madrid hatten, weniger oft häusliche Gewalt erlebten (Figueredo, 1995). Gab es direkt in Madrid mehr leibliche Verwandte, so bewirkte das einen noch größeren Schutz vor Gewalt, was die Bedeutung räumlicher Nähe zu den Verwandten bestätigt. In einigen Situationen wird sich Gewaltanwendung negativ auf die Reputation des Angreifers auswirken. In akademischen Kreisen beispielsweise ist Gewaltanwendung verpönt und wer dennoch aggressiv handelt, wird ausgegrenzt. Bei den Mitgliedern einiger Straßengangs hingegen führt es zu einem unwiederbringlichem Statusverlust, wenn sich ein Angegriffener nicht aggressiv wehrt (Campbell, 1993). Der wesentliche Punkt ist, dass die evolutionspsychologische Perspektive vorhersagt, dass die evolutionsbedingten Mechanismen darauf ausgerichtet sind, auf Kontexte und nicht auf das starre, immer gleiche Auftreten von Aggression zu reagieren, wie dies in früheren Instinktstudien dargestellt wurde. Deshalb widerlegen Erkenntnisse über die Variabilität von Aggression je nach Kultur, Kontext und Individuum einzelne evolutionäre Hypothesen keineswegs. Eben genau anhand dieser unterschiedlichen Reaktionen auf bestimmte Kontexte kann man diese Hypothesen überprüfen (Dekay & Buss, 1992). Frühere Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet kamen zu dem Ergebnis, dass die Variabilität gleichzeitig die „biologischen“ Theorien widerlegte und die „Lerntheorien“ bestätigte. Die evolutionäre Psychologie wirft diese falsche Trennung über Bord, indem sie ein spezielles Modell der Interaktion vorstellt: durch bestimmte adaptive Probleme hervorgerufene Aggression trifft auf bestimmte Kosten-Nutzen-Kontexte. Prinzipiell können die Aggression auslösenden Mechanismen das ganze Leben eines Individuums verborgen bleiben, wenn es nicht den jeweiligen Kontexten begegnet. So gesehen basiert Aggression zwar auf evolutionsbedingten psychologischen Mechanismen, sie ist aber nicht starr oder immer gleich und bricht auch nicht unabhängig von den jeweiligen Umständen aus.
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10.2
Warum sind Männer physisch aggressiver als Frauen?
86% aller Morde, die zwischen 1965 und 1980 in Chicago verübt wurden, wurden von Männern begangen (Daly & Wilson, 1988). 80% der Opfer waren ebenfalls männlich. Auch wenn die genauen Prozentsätze von Kultur zu Kultur verschieden sind, so zeigen kulturübergreifende Mord-Statistiken doch erstaunlich ähnliche Ergebnisse. In allen bisher erforschten Kulturen werden Morde sehr viel häufiger von Männern begangen und in den meisten Fällen sind die Opfer auch Männer. Jede umfassende Aggressionstheorie muss eine Erklärung für beide Tatsachen liefern können: Warum sind Männer so viel häufiger physisch aggressiv als Frauen und warum sind Männer wiederum auch meist die Opfer von Gewalt? Ein evolutionäres Modell intrasexueller Konkurrenz bildet die Grundlage einer solchen Erklärung. Es beginnt bei den Theorien der elterlichen Investitionen und der sexuellen Selektion (siehe Kapitel 4). Bei Arten, bei denen die weiblichen Vertreter stärker in den Nachwuchs investieren als die männlichen, sind die Frauen eine wertvolle beschränkende Ressource der Männer für die Reproduktion. Die männlichen Vertreter sind in ihrer Reproduktion nicht so sehr durch ihre Fähigkeit zu Überleben eingeschränkt, als vielmehr durch ihre Fähigkeit, sexuellen Zugang zu den durch hohe Investitionen gekennzeichneten weiblichen Vertretern zu erlangen. Der geschlechtsbezogene Unterschied bei den minimal erforderlichen elterlichen Investitionen (so tragen Säugetierweibchen beispielsweise die Last der Befruchtung und Schwangerschaft) hat zur Folge, dass Männchen mehr Nachwuchs zeugen können als Weibchen (siehe Kapitel 4). Anders ausgedrückt setzen für Männchen die Reproduktionsbeschränkungen sehr viel später ein als für Weibchen. Aufgrund dieser Unterschiede kommt es auch bei den Abweichungen in der Reproduktion zu Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Die Unterschiede zwischen Haben und nicht Haben sind daher bezüglich ihrer Konsequenzen für Männchen gravierender als für Weibchen. Je größer die Abweichung bei der Reproduktion, desto mehr begünstigt die Selektion risikoreiche Strategien (z.B. intrasexuellen Wettbewerb) innerhalb des Geschlechts, das die größeren Abweichungen aufweist. In extremen Fällen wie etwa bei den Elefantenrobben vor der Küste Nordkaliforniens zeugen 5% der Männchen 85% aller in einer Saison gezeugten Nachkommen (Le Boeuf & Reiter, 1988). Arten, bei denen ein Geschlecht eine höhere Abweichung bei der Reproduktion aufweist als das andere, sind in der Regel in Bezug auf die Geschlechter hochgradig dimorph (d.h. in Größe und Form verschieden). Dies gilt auch für eine ganze Reihe physischer Eigenschaften. Je ausgeprägter die effektive Polygynie, desto mehr unterscheiden sich die Geschlechter in Größe und Form (Trivers, 1985). Elefantenrobben beispielsweise unterscheiden sich stark in ihrem Gewicht – die Männchen wiegen etwa viermal so viel wie die Weibchen (Le Boeuf & Reiter, 1988). Bei Schimpansen sind die Unterschiede nicht so groß, denn die Männchen wiegen nur etwa doppelt so viel wie die Weibchen. Auch Menschen sind geringfügig dimorph, was das Gewicht betrifft, Männer sind um etwa 12% schwerer als Frauen. Bei den Primaten kann man sagen, je stärker ausgeprägt die effektive Polygynie ist, desto stärker ist auch
Kapitel 10 Aggression und Kriegsführung
der Dimorphismus der Geschlechter und gleichzeitig auch die geschlechtsbezogene Abweichung bei der Reproduktion ausgeprägt (Alexander, Hoodland, Howard, Noonan & Sherman, 1979). Effektive Polygynie bedeutet, dass manche Männchen mehr als nur ihren „gerechten Anteil“ an Paarungen erhalten, während andere Männchen sich überhaupt nicht paaren und somit auch nichts zur Vererbung an spätere Generationen beitragen können. Ein solches System führt zu einem heftigeren Konkurrenzkampf innerhalb des Geschlechts mit der hohen Abweichung. Kurz gesagt selektiert Polygynie risikoreiche Strategien, z.B. auch solche, die zu gewaltsamen Rivalenkämpfen führen oder solche, bei denen höhere Risiken in Kauf genommen werden, um an die Ressourcen zu gelangen, die nötig sind, um das investierende Geschlecht erfolgreich zu umwerben. Die Vertreter des eigenen Geschlechts sind dabei primär Konkurrenten um die wertvollen Vertreter des anderen Geschlechts. Zu Gewalt kann es sowohl auf unterster als auch auf höchster Hierarchie-Ebene kommen. Ist das Verhältnis von Männern zu Frauen gleich, so ist für jeden Mann, der zwei Frauen für sich beansprucht, ein anderer Mann zum Junggesellendasein verdammt (Daly & Wilson, 1996b). Für diejenigen, die Gefahr laufen, aus reproduktiver Sicht in Vergessenheit zu geraten, ist vielleicht eine risikoreiche, aggressive Strategie der letzte Ausweg. Daten über verübte Morde zeigen, dass bei armen, unverheirateten Männern die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemanden umbrachten, höher ist als bei ihren wohlhabenden, verheirateten Geschlechtsgenossen (Wilson & Daly, 1985). Der Einsatz von Aggression im kompetitiven Kontext hat also zwei Seiten, die von einem bestimmten Grad an Polygynie gekennzeichnet sind: (1) die Aggression eines männlichen Vertreters, um „abzuräumen“, und damit Zugang zu mehreren Partnerinnen zu erlangen und (2) die Aggression, um das totale reproduktive Scheitern zu verhindern, das eintritt, wenn man überhaupt keinen Zugang zu Partnerinnen hat. Um zu verstehen, warum Männer in diesem Kontext potentieller Partnerschaften so hohe Risiken eingehen, betrachten wir analog die Futtersuche. Betrachten wir ein Tier, dem es gelingt, sich ein Revier zu sichern, das ihm gerade genug Nahrung liefert, dass es am Leben bleibt, jedoch nicht genug, um sich fortzupflanzen. Außerhalb seines Reviers gibt es Risiken, z.B. Feinde, denen unser Tier zum Opfer fallen kann, wenn es sein Revier verlässt. In dieser Situation können sich nur diejenigen Männchen erfolgreich fortpflanzen, die bereit sind, das Risiko auf sich zu nehmen und sich außerhalb ihres sicheren Reviers auf Nahrungssuche zu begeben. Natürlich werden einige von Feinden getötet werden, deshalb stellt ja auch der Weg nach draußen ein Risiko dar. Andere werden jedoch den Feinden entkommen können, sich zusätzliche Nahrung sichern und sich dadurch erfolgreich fortpflanzen können. Diejenigen, die das Risiko scheuen, werden sich von vornherein nicht fortpflanzen können. In dieser Situation fördert die Selektion risikofreudige Strategien, die eine Fortpflanzung ermöglichen. Sie wirkt also hier wie ein Sieb, das diejenigen herausfiltert, die keine Risiken eingehen wollen. Wie Daly und Wilson feststellten, sind „geschlechtsbezogene Dimorphismen und gewaltsame Rivalitäten zwischen Männern uralte und dauerhafte Bestandteile unserer menschlichen evolutionären Geschichte“ (1988, S.143). Das heutige Ausmaß geschlechtsbezoge-
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ner Dimorphismen beim Menschen entspricht in etwa dem unserer Vorfahren, die vor 50.000 Jahren lebten. Zweikämpfe zwischen Männern wie auch zwischen anderen Säugetieren, die geschlechtsbezogene Dimorphismen aufweisen, sind ein Hauptgrund für Verletzungen und Todesfälle bei den männlichen Vertretern der Art. Der moderne Mensch hat die psychologischen Mechanismen geerbt, die unsere Vorfahren zum Erfolg führten. Das bedeutet nicht, dass Männer bewusst oder unbewusst den Wunsch haben, ihren reproduktiven Erfolg zu steigern. Es bedeutet auch nicht, dass Männer einen „Aggressionsinstinkt“ haben, im Sinne einer gewissen angestauten Energie, die sich äußern muss. Vielmehr haben Männer von ihren Vorfahren psychologische Mechanismen geerbt, die auf Kontexte sensitiv reagieren, in denen Aggression mit hoher Wahrscheinlichkeit zur erfolgreichen Lösung eines bestimmten adaptiven Problems führt. Daraus ergibt sich eine effektive Erklärung für beide Tatsachen, die aus kulturübergreifenden Mord-Statistiken abzulesen sind. Männer sind häufiger gewalttätig, da sie das Produkt einer langen Geschichte zwar schwacher aber doch ständig präsenter effektiver Polygynie sind, die durch die riskanten Strategien des intrasexuellen Wettbewerbs um den Zugang zum investierenden Geschlecht geprägt ist. Die Tatsache, dass Männer durchschnittlich sieben Jahre früher sterben als Frauen, ist nur eine Auswirkung dieser aggressiven intrasexuellen Strategie (Trivers, 1985). Männer sind sehr viel häufiger Opfer von aggressiven Handlungen als Frauen, da sie meist mit anderen Männern im Wettbewerb stehen. Es sind Männer, die ihnen bei der Verfolgung ihrer Strategie am ehesten in die Quere kommen, und Männer versperren ihnen auch den Zugang zu den Ressourcen, die sie brauchen, um erfolgreich um Frauen werben zu können. Außerdem sind es Männer, die ihnen auch den Zugang zu anderen Frauen nehmen wollen. Nur der Sieger macht die Beute. Die Verlierer bekommen keine Partnerin, sie werden sogar verletzt oder sterben vorzeitig. Auch Frauen werden aggressiv und ihre Opfer sind meist ebenfalls Vertreter ihres eigenen Geschlechts. In Studien über verbale Aggression in Form von Angriffen auf Rivalinnen zeigte sich, dass Frauen diese dadurch angreifen, dass sie ihre äußere Erscheinung und damit auch ihren reproduktiven Wert schlecht machen (Buss & Dedden, 1990; Campbell, 1993, 1999). Von Frauen angewendete Formen der Aggression sind aber in der Regel weniger heftig und gewalttätig und damit auch risikoärmer als männliche Aggressionsformen – Tatsachen die durch die Theorien der elterlichen Investitionen und der sexuellen Selektion (siehe Campbell, 1995) erklärt werden können. Die Selektion kann sich sogar auf diejenigen Frauen negativ auswirken, die in Bezug auf Aggressionsäußerungen ein großes physisches Risiko eingehen. Die evolutionäre Psychologin Anne Campbell argumentiert, dass Frauen mehr Wert auf ihr eigenes Leben legen müssen als Männer, denn Neugeborene und Kleinkinder sind stärker auf die mütterliche als auf die väterliche Fürsorge angewiesen (Campbell, 1999). Die evolutionsbedingte Psychologie der Frau sollte also von einer größeren Furcht vor Situationen gekennzeichnet sein, die eine physische Bedrohung oder Verletzung mit sich bringen können – eine Vorhersage, die durch empirische Ergebnisse eindeutig bestätigt wird (Campbell, 1999).
Kapitel 10 Aggression und Kriegsführung
10.3
Empirische Belege für bestimmte adaptive Aggressionsmuster
Vor diesem theoretischen Hintergrund wenden wir uns nun empirischen Belegen für menschliche Aggressionen zu. Zunächst betrachten wir Belege für die klarste Vorhersage einer evolutionären Theorie der Aggression: Männer wenden in der Regel häufiger Gewalt und Aggression an als Frauen. Anschließend werfen wir einen genaueren Blick auf die vier möglichen Paarungen der Geschlechter des Angreifers und des Angegriffenen, angefangen mit männlicher Aggression gegen andere Männer.
Belege für geschlechtsbezogene Unterschiede bei gleichgeschlechtlicher Aggression In diesem Abschnitt wenden wir uns Belegen für geschlechtsbezogene Unterschiede bei Aggressionsäußerungen zu. Hier stehen uns einige Datenquellen zur Verfügung: MetaAnalysen geschlechtsbezogener Unterschiede bei Aggressionsäußerungen, Mord-Statistiken, Studien über Gewalt in der Schule und ethnografische Daten von EingeborenenGemeinschaften. Eine Meta-Analyse geschlechtsbezogener Unterschiede bei Aggressionsäußerungen.
Die Psychologin Janet Hyde führte eine Meta-Analyse von Studien über die Effektstärken geschlechtsbezogener Unterschiede in Bezug auf verschiedene Aggressionsformen durch (Hyde, 1986). In diesem Zusammenhang bezieht sich die Stärke des Effekts auf das Ausmaß des geschlechtlichen Unterschieds. Eine Effektstärke von 0,80 kann als hoch, 0,50 als mittel und 0,20 als gering bezeichnet werden. Im Folgenden finden Sie die Effektstärken für verschiedene Aggressionsformen, wobei es sich um Durchschnittswerte aus Dutzenden von Studien handelt: Aggressive Fantasien (0,84), physische Aggression (0,60), initiative Aggression (0,49) und die Bereitschaft, anderen in einer experimentell herbeigeführten Situation einen Schock zu verabreichen (0,39). Bei allen Punkten zeigen die Männer höhere Aggressionswerte. Interessanterweise konnte Hyde keine geschlechtsbezogenen Unterschiede beim Thema Feindseligkeit (0,02) feststellen. Zusammengefasst stützen die Ergebnisse dieser Meta-Analyse eine wesentliche Vorhersage der oben genannten evolutionären Analyse der Aggression: Männer setzen Aggression in verschiedenster Form häufiger ein als Frauen, wobei die Effektstärke sich meist zwischen mittel und hoch bewegen. Neuere Studien belegen dieses Muster. Eine Studie mit 1.452 Schülern und Schülerinnen ergab, dass Gewalt von Jungen gegen Jungen ausgeübt weitaus häufiger vorkam als zwischen jeder anderen Kombination. Dabei wurden sowohl die Berichte von Tätern als auch von Opfern berücksichtigt (Hilton, Harris & Rice, 2000). Gleichgeschlechtliche Morde. Statistisch gesehen sind Morde selten, doch sie eignen
sich zur Überprüfung bestimmter Aggressionsmuster. Daly und Wilson (1988) sammelten Daten über gleichgeschlechtliche Tötungen aus 35 verschiedenen Studien, die einen weiträumigen Kulturbereich von Detroit bis BaSoga in Uruguay umspannten. Obwohl die Tötungsraten von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich sind, erreicht man doch den sinn-
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vollsten Vergleich beider Geschlechter, wenn man den Anteil der durch Männer verübten gleichgeschlechtlichen Tötungen errechnet (d.h. den Prozentsatz der Tötungen, die von Männern an Männern begangen wurden). Ausgewählte Daten hierzu finden sich in Tabelle 10.1. Die in Tabelle 10.1 aufgelisteten Daten weisen eine überwältigende Konsistenz auf. In allen Kulturen, aus denen Daten zur Verfügung standen, wurden sehr viel mehr Morde von Männern an Männern verübt als von Frauen an Frauen. Dennoch weisen verschiedene Vorkommnisse, über die auch in der Presse berichtet wird, darauf hin, dass Frauen immer häufiger gewalttätig agieren und Verbrechen begehen (Daly & Wilson, 1988). Einige zeigen, dass dies die „dunkle Seite“ der weiblichen Emanzipation sei, im Zuge derer die Frauen den Männern immer ähnlicher werden. Ort Kanada, 1974-1998
Männlich
Weiblich
Anteil Männlich
2.965
175
0,94
Miami, 1925-1926
111
5
0,96
Detroit, 1972
345
16
0,96
Pittsburgh, 1966-1974
382
16
0,96
Tzeltal Mayans, Mexiko, 1938-1965
37
0
1,00
Belo Horizonte, Brasilien, 1961-1965
228
6
0,97
Neusüdwales, Australien, 1968-1981
675
46
0,94
Oxford, England, 1296-1398
105
1
0,99
Schottland, 1953-1974
172
12
0,93
Island, 1946-1970
10
0
1,00
Dänemark, 1933-1961
87
15
0,85
Bison-Horn Maria, Indien, 1920-1941
69
2
0,97
!Kung San, Botswana, 1920-1955
19
0
1,00
156
4
0,97
Tiv, Nigeria, 1931-1949
96
3
0,97
BaSoga, Uruguay, 1952-1954
46
1
0,98
BaLuyia, Kenia, 1949-1954
88
5
0,95
JoLuo, Kenia
31
2
0,94
Kongo, 1948-1957
Tabelle 10.1: Gleichgeschlechtliche Morde in verschiedenen Studien Quelle: Daly, Martin & Wilson. Margo. Homicide. (New York: Aldine de Gruyter) Copyright © 1988 by Aldine de Gruyter.
Kapitel 10 Aggression und Kriegsführung
Die höhere Anzahl verübter Verbrechen ist tatsächlich ausschließlich auf die gestiegene Anzahl weiblicher Festnahmen aufgrund geringfügiger Diebstähle zurückzuführen. Es gibt keine Belege dafür, dass Frauen auch mehr Gewaltverbrechen, z.B. Morde, begehen. Daly und Wilson (1988) schlossen daraus, dass es „tatsächlich keine Belege dafür gibt, dass Frauen in irgendeiner Kultur jemals in dem Maße in gewaltsame Konflikte verwickelt waren wie Männer der gleichen Kultur“ (S. 149, Hervorhebung auch im Original). Gleichgeschlechtliche Gewalt in der Schule. Mord ist die extremste Form der Aggres-
sion, doch auch bei schwächeren Aggressionsformen zeigen sich ähnliche geschlechtsbezogene Unterschiede, so etwa bei Gewaltausübung in der Schule. In einer Studie untersuchten Forscher (Ahmad & Smith, 1994) 226 Grundschüler (8- bis 11-jährig) und 1.207 Schüler weiterführender Schulen (11- bis 16-jährig). Anhand eines anonymen Fragebogens befragten sie jeden Schüler, wie oft er bereits das Opfer von Aggression durch andere Mitschüler gewesen war, wie oft er sich bereits einer Gruppe von Schülern angeschlossen hatte, die anderen gegenüber aggressiv war, und wie genau diese Aggressionen aussahen. Die Wissenschaftler fanden in allen Bereichen große Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So gaben beispielsweise 54% der Grundschüler an, sich schon einmal an aggressiven Handlungen gegen andere Schüler beteiligt zu haben, bei den Grundschülerinnen lag dieser Prozentsatz dagegen nur bei 34%. In den weiterführenden Schulen beantworteten 43% der Jungen und nur 30% der Mädchen diese Frage mit Ja. Diese Geschlechtsunterschiede unterschätzen jedoch die tatsächliche Häufigkeit gewaltsamer Aggression. Untersucht man die Formen der Aggression genauer, so findet sich ein noch größerer Unterschied. In den weiterführenden Schulen gaben 36% der Jungen, aber nur 9% der Mädchen an, körperlich verletzt z.B. geschlagen oder getreten worden zu sein. Außerdem gaben 10% der Jungen und nur 6% der Mädchen an, dass man ihnen ihre Sachen weggenommen habe – ein Ergebnis, das die Hypothese unterstützt, dass eine Funktion der Aggression darauf abzielt, die Ressourcen anderer für sich zu gewinnen. Bei zwei Aggressionsformen waren Mädchen jedoch häufiger betroffen als Jungen. Ganze 74% der Mädchen gaben an, man habe ihnen Schimpfworte nachgerufen, während der entsprechende Prozentsatz bei den Jungen nur bei 57% lag. Noch deutlicher war das Ergebnis bei dem Punkt „Man hat Gerüchte über mich verbreitet“. Hier waren 30% der Mädchen, aber nur 17% der Jungen betroffen. Der Inhalt der verbalen Aggressionsäußerungen ist sehr aufschlussreich. Die am häufigsten gebrauchten Schimpfworte und Gerüchte, die von Mädchen über andere Mädchen in Umlauf gebracht wurden, waren „Miststück“, „Schlampe“, „Flittchen“ und „Hure“. Solche Formen verbaler Aggression traten unter Schülerinnen der weiterführenden Schulen häufig auf, waren aber bei Grundschülern praktisch nicht vorhanden. Dies lässt auf einen Anstieg des intrasexuellen Wettbewerbs um Partner schließen, in dem die Betroffenen allmählich auf die adaptiven Probleme der Partnerwahl stoßen. Ähnliche geschlechtsbezogene Unterschiede konnte man auch in anderen Kulturen beobachten. In einer in Turku, Finnland, durchgeführten Studie wurden 127 15-jährige Schüler sowohl durch Aussagen ihrer Mitschüler als auch aufgrund von Selbsteinschätzung beurteilt (Bjorkqvist, Lagerspetz, & Kaukiainen, 1992). Jungen zeigten dabei mehr als dreimal so häufig physisch aggressives Verhalten wie Mädchen. Diese direkte physische
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Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften
Aggression zeigte sich, indem sie anderen ein Bein stellten, ihnen Dinge wegnahmen, traten und schlugen, in Spielen Rache suchten und andere schubsten und stießen. Indirekte Aggression wurde anhand von Aktionen gemessen, wie über andere zu lästern, sie zu beleidigen, aus Rache böse Gerüchte über sie zu verbreiten, den Kontakt zu bestimmten Personen abzubrechen und sich aus Rache mit anderen anzufreunden. Bei den 15-jährigen Mädchen lag der Anteil indirekter Aggressionen um etwa 25% höher als bei den Jungen gleichen Alters. Zusammengefasst bestätigen auch Studien über Aggressionen in der Schule die Vorhersage eines geschlechtsbezogenen Unterschieds beim Einsatz von Gewalt und risikoreichen Aggressionsformen. Männer wenden diese Formen häufiger an als Frauen. Dieser Unterschied zeigt sich bei Umfragen in Universitäten (Gladue, 1991) wie auch bei aggressiven Autofahrern: Männer fahren schneller als Frauen, sie drängeln häufiger und schneiden auch beim Spurwechsel häufiger andere Autos (Atzwanger, 1995). Wenn Frauen aggressiv sind – und auch das kommt vor – so setzen sie eher weniger gewaltsame Methoden ein, etwa verbale Beschimpfungen ihrer Konkurrentinnen. Aggression in einer australischen Aborigines-Gemeinschaft. Die Anthropologin Victoria Burbank verbrachte mehrere Monate mit der Erforschung einer Gemeinschaft, die sie Mangroven nannte, eine Gemeinschaft von etwa 600 australischen Aborigines aus dem südöstlich gelegenen Arnhem-Gebiet. Sie wandte eine ungewöhnliche Methode an, die aber wahrscheinlich genauso valide ist wie jede andere Methode anderer Sozialwissenschaftler. Burbank erfasste 793 Fälle aggressiven Verhaltens. Viele wurden ihr durch die Bewohner, meist Frauen, mündlich zugetragen, In etwa einem Drittel der Fälle gaben zwei oder mehr „Informanten“ ihr Wissen über denselben aggressiven Vorfall weiter. In 51 Fällen schilderte Burbank ihre eigenen Beobachtungen aggressiver Handlungen. Hier beispielhaft einer von Burbanks (1992) Berichten:
In der Nähe befand sich [ein Mann] mit zwei seiner Frauen, als ein „Bruder“ versuchte, sie voneinander wegzuziehen. „Du kannst sie nicht haben,“ sagte er. „Wir werden im Camp kämpfen.“ Da stach der Ehemann dem jungen Mann in die Seite, so dass seine Eingeweide heraustraten. Kaum hatte er das getan, als einige Männer den jungen Mann ergriffen, den Ehemann aber nicht. Dann gab er ihm einen Speer und sagte: „Hier [und bot ihm die Brust], töte mich, dann sterben wir zusammen.“ Doch alle riefen: „Nicht in den Bauch,“ und so stach der sterbende Mann [den Ehemann] in die Schulter. Dann starb er. (S. 254-255) Burbank teilte die 793 aggressiven Vorfälle in Kategorien ein und untersuchte geschlechtsbezogene Unterschiede bei der Häufigkeit in jeder Kategorie. Männer wurden weitaus häufiger gefährlich aggressiv als Frauen. In insgesamt 93 Fällen wurden gefährliche Waffen eingesetzt: zwölfmal wurde eine Pistole abgefeuert, 64-mal handelte es sich um einen Speerstoß, und 14-mal wurde ein Messer benutzt. All diese Taten wurden von Männern begangen. Dagegen griffen Frauen nur insgesamt zweimal zum Messer und einmal zum Speer. Im Ganzen wurden also 90 Taten, in denen eine gefährliche Waffe benutzt wurde, von Männer begangen und nur drei von Frauen. Männer waren also für 97% aller aggressiven Vorfälle verantwortlich, bei denen eine gefährliche Waffe eingesetzt wurde.
Kapitel 10 Aggression und Kriegsführung
Diese Männer des Aborigines-Stammes stellten auch häufiger als die Frauen aggressives Verhalten zur Schau – d.h. sie zeigten dramatische und potentiell gefährliche Verhaltensweisen, bei denen kein anderer zu Schaden kam, die aber vielleicht ihre Reputation verbesserten. Dabei nahmen 90 Männer eine gefährliche Waffe auf, setzten sie aber nicht ein, 14 fuhren mit einem Fahrzeug mit Höchstgeschwindigkeit durch das Dorf, 35 griffen ein Objekt an und fünf drohten mit Angriffen. Männer stellten also in 144 Fällen aggressive Verhaltensweisen zur Schau, während Frauen Ähnliches nur in 57 Fällen taten. Es gab nur einige wenige Kategorien, in denen Frauen mehr Aggression zeigten als Männer. Die erste bezog sich auf den Gebrauch von Stöcken – 63 Frauen, aber nur 25 Männer benutzten sie. Stöcke fügten den Opfern wesentlich weniger Schaden zu als gefährliche Waffen wie Messer, Speere oder Pistolen. Die Vorliebe der Frauen für Stöcke ist um so verwunderlicher, da sie durch das Kochen und andere häusliche Aktivitäten freien Zugriff auf diverse Messer und andere Waffen hatten. Wir können daraus ableiten, dass Frauen weniger körperlichen Schaden zufügen wollen als Männer, was teilweise ihre Waffenauswahl bestimmt. Die zweite Kategorie, in der sich Frauen aggressiver zeigten als Männer, betraf die verbale Aggression. Insgesamt 221-mal waren Frauen verbal aggressiv, Männer dagegen nur 141-mal. Zusammengefasst sind diese geschlechtsbezogenen Unterschiede den Unterschieden erstaunlich ähnlich, die in den oben genannten Studien über schulische Gewalt in England und Finnland ermittelt wurden. Auf Basis der verfügbaren Daten können wir daraus schließen, dass es große und durchgehend sichtbare geschlechtsbezogene Unterschiede beim Einsatz von Gewalt gibt, wobei sich Männer durch alle Studien hindurch als physisch aggressiver erweisen als Frauen. In einem klassischen Werk über geschlechtsspezifische Unterschiede heißt es: „Wir können fetstellen, dass die größere Aggressivität des Mannes einer der feststehendsten und durchgängigsten aller psychologischer geschlechtsbezogenen Unterschiede ist.“ (Maccoby & Jacklin, 1974, S. 368). Diese Schlussfolgerung bezieht verbale Aggression jedoch nicht mit ein. Das Syndrom junger Männer. Die evolutionäre Logik gleichgeschlechtlicher Aggression sagt voraus, dass Männer eher dazu bereit sein werden als Frauen, risikoreiche und gewaltsame Strategien zu verfolgen. Jedoch wenden nicht alle Männer eine solche Taktik an, so dass auch diese gleichgeschlechtliche Abweichung nach einer Erklärung verlangt. Besonders junge Männer scheinen anfällig für risikoreiche Aggressionsformen zu sein – Aggressionen, die sie dem Risiko von Verletzung und Tod aussetzen. Wilson und Daly (1985) nennen dies das „Syndrom junger Männer“ (young male syndrom).
Eine empirische Verdeutlichung dieses Syndroms zeigen wir in Abbildung 10.1. Hier sind Tötungsraten je nach Alter und Geschlecht des Opfers angegeben. Die Ergebnisse stammen aus einer umfassenden Datenauswahl in den USA aus dem Jahr 1975 (die Ergebnisse anderer Jahre weisen eine ähnliche Form und Verteilung auf). Bis zum Alter von zehn Jahren ist für Mädchen und Jungen die Wahrscheinlichkeit, einem Verbrechen zum Opfer zu fallen, gleich hoch. Im Teenageralter nehmen jedoch Tötungen von Männern schlagartig zu, wobei die Zahlen bei einem Alter von etwa Mitte 20 ihren Höhepunkt erreichen. In diesem Alter ist für Männer die Wahrscheinlichkeit, gewaltsam getötet zu werden, sechsmal höher als für Frauen. Ab Mitte 20 fallen die Tötungsraten bei Männern
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wieder stark ab, was darauf hinweist, dass Männer dieses Alters eher auf physisch risikobehaftete Strategien verzichten. Beim Alter von 75 Jahren haben sich beide Geschlechter wieder einander angenähert und die Unterschiede bei den Tötungsraten sind nur noch gering. Insgesamt gesehen kommt es bei jungen Männern tatsächlich zu überproportional vielen Tötungen – das Syndrom junger Männer. Warum sind junge Männer, die sich auf dem Höhepunkt ihrer körperlichen Kraft befinden und in einem Alter sind, da die Gefahr, an einer Krankheit zu sterben, am geringsten ist, so besonders anfällig dafür, ihr Leben durch gewaltsame Handlungen aufs Spiel zu setzen? Daly und Wilson liefern eine Erklärung für dieses Rätsel basierend auf einer evolutionären Analyse des Partnerwettbewerbs in einer urzeitlichen Umwelt, das durch einen gewissen Grad an Polygynie gekennzeichnet war: „Junge Männer sind gleichzeitig besonders bedrohlich und auch besonders risiko-anfällig, denn sie bilden die demografische Gruppe, auf die zur Zeit unserer Vorfahren der größte Selektionsdruck für Durchsetzungsvermögen und kompetitive Fähigkeiten wirkte.“ (Daly & Wilson, 1994, S. 227). Genauer gesagt argumentieren sie, dass im Laufe der menschlichen evolutionären Geschichte ein Mann, der eine Ehefrau gewinnen wollte, auf der Jagd, bei Stammeskämpfen, bei der Verteidigung seines Stammes und bei der Verteidigung seiner eigenen Interessen enorme körperliche Kraft demonstrieren musste. Diese Demonstration war darauf ausgelegt, nicht nur Frauen, sondern auch andere Männer zu beeindrucken, um so potentielle Rivalen abzuschrecken, die dem Mann in die Quere kommen konnten.
Todesfälle pro Millionen
350
Männer Frauen
300 250 200 150 100 50 0
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Alter des Opfers in Jahren Abbildung 10.1: Tötungsopferraten je nach Alter und Geschlecht in den USA im Jahr 1975 Die Abbildung zeigt einen Beleg für das Syndrom junger MännerSyndrom junger Männer, das besagt, dass junge Männer, die in den Konkurrenzkampf um eine Partnerin eintreten, am häufigsten risikoreiche und gewaltsame Strategien verfolgen. Daten vom U. S.-Gesundheitsministerium, dem Bildungsministerium und dem Sozialministerium (1979) sowie des U. S. Bureau of the Census (1977). Quelle: Ethology and Sociobiology, 6, M. Wilson & M. Daly, Competitiveness, risk-taking and violence: The young male syndrome, 59-73, Copyright © 1985 by Elsevier Science.
Kapitel 10 Aggression und Kriegsführung
Dieses Argument kann für sich genommen auf viele Säugetierarten angewendet werden. Nach Daly und Wilson besteht die Besonderheit beim Menschen darin, dass er sich unbedingt eine Reputation aufbauen muss, die lang anhaltende Wirkung haben kann. Ein früher Wettbewerbserfolg oder -misserfolg im Leben könnte sich stark auf diese Reputation auswirken und so den Überlebens- und Reproduktionserfolg eines Mannes sein ganzes Leben lang beeinflussen. Zeigt sich ein Mann im Angesicht der Gefahr mutig, so kann dies beispielsweise seine Reputation sein ganzes Leben lang bestimmen. Die erwiesene Tatsache, dass Männer sich fast immer nur dann aggressiv verhalten, wenn sie dabei Publikum haben, legt nahe, dass sie nicht nur darauf ausgerichtet sind, einen Rivalen zu besiegen, denn das könnten sie ja auch mitten in der Nacht, an einer einsamen Wegbiegung oder im Schutz eines Verstecks tun. Die Gegenwart von Publikum weist darauf hin, dass risikoreiche Gewaltdemonstrationen auch darauf ausgerichtet sind, andere zu beeindrucken und sich eine furchteinflößende gesellschaftliche Reputation aufzubauen. Diese Argumentation erklärt auch, warum wir den Personen Status und Prestige verleihen, die Risiken auf sich nehmen und dennoch erfolgreich sind (Zahavi & Zahavi, 1996). Wenn man von Erfolgen in der Vergangenheit auf zukünftige Erfolge und umgekehrt von vergangenen Niederlagen auf zukünftige schließen kann, so ist es für uns besonders wichtig, die Ergebnisse risikoreicher Unternehmungen mitzuverfolgen – dies sind Informationen, die kodiert und in Form der Reputation eines Menschen an andere weitergegeben werden müssen. In Kapitel 12 werden wir uns nochmals genauer mit diesem Thema befassen, denn dort betrachten wir die evolutionäre Psychologie von Prestige, Status und Reputation. Die Erklärung, die das Syndrom junger Männer liefert, lässt sich auch auf die faszinierenden Ergebnisse einer groß angelegten Studie anwenden, bei der gewaltsame Vorfälle kollektiver Aggression (z.B. Aufstände, Kämpfe zwischen Gangs) mit Todesfolge untersucht wurden (Mesquida & Wiener, 1996). Die Studien kamen in einer Reihe von Staaten und Ländern zu folgendem Ergebnis: Je höher der Männeranteil in der Altersgruppe der 15bis 29-Jährigen war, verglichen mit dem Männeranteil in der Altersgruppe der ab 30-Jährigen, desto häufiger kam es zu Fällen kollektiver Aggression. Diese Verbindung ist so ausgeprägt, dass der Anteil junger Männer in einer Population als bestes oder zumindest als eines der besten Anzeichen für gewaltsame Aggression angesehen werden kann. Zusammengefasst kann man die Logik des „Syndroms männlicher Jugend“ auf eine ganze Reihe empirischer Ergebnisse anwenden, darunter die Abweichungen bei der kollektiven Aggression, die plötzliche Zunahme der Muskelkraft bei Männern von der Pubertät angefangen bis Mitte 20, die Zunahme von Stärke und Ausdauer bei Jugendlichen und jungen Männern bis Mitte 20 und besonders der Anstieg kurzer, heftiger Energieschübe, die für risikoreiche Aggressionsformen nötig sein könnten (Daly & Wilson, 1994). All diese Veränderungen scheinen mit dem Auftreten physisch riskanter, kompetitiver Strategien zusammenzuhängen.
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Kontexte, die bei Männern Aggressionen gegen Männer auslösen Ein Mord ist die extremste Form der Aggression und Statistiken weltweit zeigen, dass die Mehrzahl der Morde von Männern begangen werden; ebenso sind die meisten Opfer Männer. Es gibt bestimmte Kontexte, die bei Tötungen von Männern durch Männer immer wieder auftauchen. Ehestand und beruflicher Status. Zunächst weisen Opfer und Täter oft die gleichen Eigenschaften auf; sie sind z.B. häufig arbeitslos und auch – vielleicht dadurch begründet – unverheiratet. Eine Studie über die im Jahr 1982 in Detroit begangenen Tötungen ergab beispielsweise, dass zwar nur 11% der männlichen Bevölkerung von Detroit arbeitslos waren, aber 43% der Opfer und 41% der Täter arbeitslos waren (Wilson & Daly, 1985). Dieselbe Studie zeigte, dass 73% der männlichen Täter und 69% der männlichen Opfer unverheiratet waren – das Gleiche galt aber nur für 43% der gesamten männlichen Bevölkerung im Raum Detroit. Fehlende Ressourcen und das Unvermögen, eine langfristige Partnerin zu gewinnen, sind anscheinend soziale Kontexte, die mit Tötungen von Männern durch Männer in Verbindung gebracht werden können. Dies gilt besonders für junge Männer, die sich im hochgradig kompetitiven Wettbewerb um Status und Partnerwahl noch nicht etablieren konnten. Droht ein Mann bei der Reproduktion leer auszugehen, so erscheinen große und gefährliche Risiken oft lohnenswert. Status und Reputation. Eines der wichtigsten Motive für einen Mord ist für Männer die Verteidigung von Status, Ruf und Ehre gegenüber Gleichrangigen. Über seine früheren Kämpfe innerhalb seiner Gang, bei denen es sowohl um Reputation als auch um Abschreckung ging, sagte ein Mann folgendes: „Wer am kräftigsten austeilte, hatte den besten Ruf und andere dachten lieber noch mal darüber nach, bevor sie einem zu nahe kamen.“ (Boyle, 1977, S. 67). In polizeilichen Aufzeichnungen werden solche Vorfälle oft naiv als „harmlose Auseinandersetzungen“ aufgeführt. Ein typisches Beispiel ist die verbale Auseinandersetzung in einer Bar, die allmählich außer Kontrolle gerät. Die Kontrahenten, die manchmal nicht mehr nachgeben können aus Angst, vor den Augen ihrer Freunde als gedemütigt dazustehen, zerbrechen eine Flasche, ziehen ein Messer oder eröffnen das Feuer. Diese scheinbar harmlosen Auseinandersetzungen verwirren zuweilen die Polizei. Ein Beamter der Mordkommission Dallas gibt an: „Aus kleinen Streitereien, bei denen es um rein gar nichts geht, werden plötzlich Morde. Die Emotionen kochen hoch. Plötzlich beginnt ein Kampf und jemand wird erstochen oder erschossen. Ich habe schon Fälle bearbeitet, bei denen sich die Beteiligten um ein zehn Cent teures Lied aus der Jukebox oder um Spielschulden in Höhe von einem Dollar beim Würfeln gestritten haben.“ (Mulvihill, Tumin & Curtis, 1969, S. 230). Status, Reputation und Ehre sind jedoch keineswegs unwichtig. Da die Menschen sich innerhalb kleiner Gruppen entwickelten (z.B. Alexander, 1987; Tooby & DeVore, 1987), war ein Statusverlust in Hinblick auf die Konsequenzen für Überleben und Reproduktion möglicherweise katastrophal. Wir tragen uralte psychologische Aggressionsmechanismen in uns, die auf eine Zeit und eine Umwelt ausgerichtet sind, die lange vorbei aber noch nicht vergessen sind. Diese Mechanismen operieren nun in unserem modernen Kontext
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und werden durch Anzeichen eines Statusverlusts ausgelöst. Sie können heute eine Fehladaptation sein, ebenso wie unsere Vorliebe für Fett in der heutigen Umwelt, wo es an jeder Ecke ein Fast-Food-Restaurant gibt, eine Fehladaptation ist. Dennoch funktionieren die Mechanismen aus der Steinzeit auch in unserem heutigen Informationszeitalter und werden von Ereignissen ausgelöst, die sie auch schon zur Zeit unserer Vorfahren auslösten. Ein letzter Hinweis auf die Verbindung zwischen Aggression und Status stammt von einer Studie zweier Stämme im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Sie wurde durchgeführt von dem evolutionären Anthropologen John Patton (1997, 2000). Patton fotografierte jeden Mann in einem jeden der Stämme. Es wurden 47 Informanten eingesetzt, 26 aus der Achuar-Gruppierung und 21 aus der Quichua-Gruppierung. Jeder Informant beurteilte jeden der 33 verheirateten Männer in Hinblick auf dessen Status. Patton legte den Informanten drei Bilder gleichzeitig vor und sie mussten angeben, wer davon das höchste Ansehen, wer das zweithöchste und wer das geringste Ansehen genoss. Die Bewertungen aller Teilnehmer wurden dann aufsummiert. In einer zweiten Befragung sollten die Informanten angeben, welcher der Männer sich am besten als „Krieger“ eignen würde: „Wenn es heute Krieg gäbe, welcher dieser Männer wäre der beste Krieger?“ (Patton, 1997, S. 12-13) Auch diese Bewertungen wurden insgesamt addiert. Die Ergebnisse sind in Abbildung 10.2 dargestellt. Status und Krieger-Eignung weisen eine hohe Korrelation auf. Bei den Quichua-Männern ergibt sich eine Korrelation von +.90. Bei den Achuar Männern liegt die Korrelation bei +.77. Ein wilder Krieger scheint also meist gleichzeitig innerhalb seiner Gruppe auch hohes Ansehen zu genießen. 250
Status
200 150 100 50 0
20
40
60
80
100
120
Eignung zum Krieger Abbildung 10.2: Status und Eignung zum Krieger Die Abbildung zeigt, dass Männer, die als die besten Krieger gelten, meist auch hohes soziales Ansehen genießen. Quelle: Are Warriors Altruistic? Reciprocal Altruism and War in the Ecuadorian Amazon by J. Q. Patton, June 4-8, 1997. Paper presented at the Human Behaviour and Evolution Society Meeting, University of Arizona, Tucson.
Sexuelle Eifersucht und intrasexuelle Rivalität. Sexuelle Eifersucht scheint ein weiterer
wichtiger Kontext zu sein, der gleichgeschlechtliche Aggressionen und Tötungen auslöst. Meist sind es Männer, die andere töten, und in der Regel sind ihre Opfer auch männlich. Eine Zusammenfassung von acht Studien, die sich mit gleichgeschlechtlichen Tötungen
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befassten, wobei unter anderem auch Dreiecksbeziehungen untersucht wurden, konnte nachweisen, dass 92% aller Tötungen von Männern an Männern und nur 8% von Frauen an Frauen verübt worden waren (Daly & Wilson, 1988, S.185). Rivalität und Konkurrenz um eine Frau können auch nicht tödliche Formen von Aggression auslösen. In einer Studie über die Partnerüberwachung (Taktiken, die helfen sollen, den eigenen Partner zu behalten und Rivalen fernzuhalten) ließen sich mehr Männer als Frauen auf einen Zweikampf mit dem Rivalen ein, der Interesse an ihrer Partnerin gezeigt hatte, und drohten an, ihn zu schlagen (Buss, 1988c). Die männliche Aggression gegenüber Rivalen zeigt sich also in einem ganz bestimmten Kontext – wenn es um das adaptive Problem der Partnersicherung geht. In einer Studie über Angriffe gegen einen Rivalen war die Wahrscheinlichkeit, dass Männer ihre Gegner dominierten und sie für das andere Geschlecht weniger begehrenswert machten, sehr viel höher als bei Frauen (Buss & Dedden, 1990). Außerdem ging man davon aus, dass solche aggressiven Handlungen mit dem Ziel, das Opfer in den Augen des anderen Geschlechts schlechter aussehen zu lassen, von Männern effektiver eingesetzt werden konnten als von Frauen. Am anderen Ende der Skala findet sich die Kriegsführung – verbündete männliche Truppen, die gegeneinander aggressiv sind. In der gesamten Menschheitsgeschichte findet sich nicht ein Hinweis darauf, dass Frauen eine kriegerische Truppe gegründet hätten, um ein benachbartes Dorf zu überfallen. Bei männlichen verbündeten Gruppen sind Stammeskriege dagegen an der Tagesordnung (z.B. Chagnon, 1983). Später in diesem Kapitel werden wir uns solchen Stammeskriegen zuwenden, doch zunächst möchten wir die Kontexte untersuchen, die Aggressionen von Frauen gegen Frauen hervorrufen.
Kontexte, die bei Frauen Aggressionen gegen Frauen auslösen Die physische, gleichgeschlechtliche Aggression, die Frauen gegeneinander ausüben, ist verglichen mit der Aggression der Männer weniger häufig, weniger gewalttätig und auch weniger auf Darstellung bedacht (Campbell, 1995). Von 47 in Detroit aufgrund sexueller Eifersucht begangenen Tötungen im Jahr 1972 wurden nur drei von Frauen gegen eine weibliche Rivalin verübt (Daly & Wilson, 1988, S. 184). Das geringe Ausmaß an riskanter physischer Aggression bedeutet jedoch nicht, dass es überhaupt keine Aggressionen gibt. Definiert man Aggression als die Verursachung von Kosten für andere, kann weibliche Aggression ziemlich schwer wiegend sein. In einer Studie über Beschimpfungen von Rivalen waren Frauen ebenso häufig verbal gegen ihre Konkurrentinnen aggressiv wie Männer (Buss & Dedden, 1990). Der Inhalt der verbalen Angriffe war jedoch ein anderer. Frauen übertrafen die Männer z.B. darin, ihre Rivalinnen aufgrund ihrer physischen Erscheinung und ihrer sexuellen Verfügbarkeit schlecht zu machen. Frauen nannten ihre Rivalinnen häufiger fett und hässlich, sie äußerten häufiger, die andere habe zu dicke Oberschenkel, sie machten sich häufiger über die Körperform und -größe der Rivalin lustig und nannten sie körperlich unattraktiv (Buss & Dedden, 1990). Frauen scheinen sehr
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genau auf die kleinen körperlichen Unzulänglichkeiten anderer Frauen zu achten und vergessen niemals, diese im Fall eines intrasexuellen Wettbewerbs auch öffentlich zu erwähnen, wobei sie die Aufmerksamkeit anderer darauf lenken und deren Bedeutung in den Augen der Männer aufbauschen. Ging es um sexuelles Verhalten, so gaben Frauen häufiger als Männer an, ihre Rivalinnen könnten keinen langfristigen Partner halten, hätten schon viele Beziehungen gehabt, seien sexuell zu freizügig und würden mit jedem beliebigen Mann ins Bett gehen (Buss & Dedden, 1990). Diese Taktik der verbalen Beschimpfungen war außerdem kontext-abhängig. Suchte ein Mann eine kurzfristige Partnerin, so war es ganz und gar nicht hilfreich, eine Rivalin durch Hinweise auf ihre angebliche Freizügigkeit schlecht zu machen, denn ein Mann steht dieser Charaktereigenschaft bei einer kurzfristigen Partnerin relativ gleichgültig gegenüber, könnte diese sogar als wertvoll einschätzen, da sie eine höhere Wahrscheinlichkeit des Geschlechtsverkehrs signalisieren kann (Schmitt & Buss, 1996). War ein Mann dagegen auf der Suche nach einer langfristigen Partnerin, war es in höchstem Maß effektiv, eine Konkurrentin schlecht zu machen, indem man auf ihre Freizügigkeit hinwies, denn ein Mann legt bei einer langfristigen Partnerin extrem viel Wert auf Treue (Buss & Schmitt, 1993). Neuere Studien weiblicher Aggression gegen Frauen haben bestätigt, dass die Funktionen weiblicher Aggression vornehmlich darin bestehen, intrasexuellen Rivalinnen Kosten zu verursachen. Eine Studie an Schülerinnen im Teenageralter ergab beispielweise, dass die Motivation für weibliche Aggression meist Eifersucht auf Rivalinnen, Konkurrenz um Jungen, und der Wunsch war, Mitglied in der Gruppe der „beliebten“ Mädchen zu sein (Owens, Shute & Slee, 2000; siehe auch Campbell, 2000 für eine ausführlichere Behandlung von Wettbewerbssituationen zwischen Frauen). Zusammengefasst greifen im Kontext der Partnerkonkurrenz Frauen andere Frauen ebenso häufig an wie Männer ihre Geschlechtsgenossen. Dies ist nicht auf einen unveränderlichen Aggressionsinstinkt zurückzuführen, ebenso wenig gibt es einen völlig kontextunabhängigen „Ausbruch“ an Aggression. Frauen scheinen sich vielmehr dessen bewusst zu sein, was sich Männer in langfristigen und kurzfristigen Partnerwahlsituationen wünschen und verlagern ihre Angriffstaktik entsprechend.
Kontexte, die bei Männern Aggressionen gegen Frauen auslösen Ein Großteil männlicher nicht sexueller Gewalt gegen Frauen richtet sich gegen Ehefrauen, Partnerinnen oder Freundinnen, wobei sexuelle Eifersucht die Hauptursache zu sein scheint. In einer Studie über Tötungen in der Ehe, die in Baltimore durchgeführt wurde, konnten 25 von 36 Fällen auf Eifersucht zurückgeführt werden, wobei in 24 dieser Fälle die Ehefrauen die Opfer waren (Guttmacher, 1955). In einer Studie über geschlagene Frauen, die in verschiedenen Frauenhäusern durchgeführt wurde, gaben zwei Drittel der Frauen an, ihre Ehemänner seien extrem eifersüchtig (Gayford, 1975). In einer weiteren Studie gaben 57 von 60 geschlagenen Frauen an, ihre Ehemänner seinen sehr eifersüchtig
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und besitzergreifend (Hilberman & Munson, 1978) und in einer dritten Studie, bei der 100 Fälle häuslicher Gewalt gegen Ehepartner untersucht wurden, gaben die Ehemänner in den allermeisten Fällen an, sie seien frustriert, weil sie ihre Ehefrauen nicht kontrollieren konnten und beschuldigten sie meist gleichzeitig der Untreue (Whitehurst, 1971). Sexuelle Eifersucht ist ebenso ein wichtiger Kontext für Tötungen in der Ehe und offenbar gleichzeitig kulturübergreifend der Hauptgrund dafür (Daly & Wilson, 1988). Männer, die ihre Ehefrauen oder Freundinnen umbringen, tun dies meist, wenn eine von zwei wesentlichen Voraussetzungen gegeben ist: wenn sie ihre Partnerin sexuelle Untreue nachweisen können oder diese vermuten oder wenn die Frau die Beziehung beendet. Im ersten Fall wird der Mann betrogen und läuft Gefahr, seine begrenzten Ressourcen in Nachkommen zu investieren, mit denen er genetisch nicht verwandt ist. Im zweiten Fall verliert er eine reproduktiv wertvolle Partnerin an einen Rivalen – dies ist in Fitness-Währung ausgedrückt auch ein direkter Verlust. Diese adaptive Logik vollzieht sich natürlich nicht direkt in den Köpfen der Männer. Sie tragen jedoch die psychologischen Mechanismen in sich, die ihre Vorfahren zum Erfolg führten, und ein Bereich dieser Mechanismen treibt sexuelle Eifersucht und Besitzanspruch der Partnerin an – und beide Faktoren können zu Aggressionen führen. Eine Eigenschaft weiblicher Opfer zeigt sich immer wieder überdeutlich: ihr Alter. Für junge Ehefrauen und Freundinnen ist die Wahrscheinlichkeit, getötet zu werden, um einiges höher als für ältere (Daly & Wilson, 1988; Shackelford, Buss & Weeks-Shackelford, 2003). Da ihre Jugend ein wichtiger Hinweis auf den reproduktiven Wert der Frau ist, richtet sich folglich die sexuelle Eifersucht der Männer verstärkt auf junge Partnerinnen. Auch ist es wahrscheinlich, dass junge Frauen häufiger von anderen Männern begehrt werden, so dass die sexuelle Eifersucht durch die Gegenwart von Rivalen ausgelöst werden kann, die versuchen, die Frau für sich zu gewinnen. Um die Hypothese noch direkter zu testen, dass Männer gegen Frauen Gewalt anwenden, um ihre sexuelle Aktivität zu kontrollieren, wurden in einer Studie (Wilson, Johnson & Daly, 1995) 8.385 Frauen untersucht, von denen 277 im Laufe des letzten Jahres durch ihre Männer angegriffen worden waren. Es wurden zwei Formen der Gewalt unterschieden: „nicht schwer wiegende“ und „schwer wiegende“ Gewalt. Unter die Bewertung nicht schwer wiegender Gewalt fielen Fragen wie: „Hat Ihr Ehemann/Partner jemals damit gedroht, Sie mit der Faust oder etwas anderem zu schlagen, das Sie verletzen könnte?“; „Hat er jemals etwas nach Ihnen geworfen, das Sie verletzen könnte?“; „Hat er Sie jemals geschubst, gestoßen oder grob gepackt?“; „Hat er Sie jemals geschlagen?“; „Hat er Sie jemals getreten, gebissen oder mit der Faust geschlagen?“; „Hat er Sie jemals mit etwas geschlagen, das Sie verletzen könnte?“ Als schwer wiegende Gewalt wurden Fragen bewertet wie „Hat er Sie jemals zusammengeschlagen?“; „Hat er Sie jemals gewürgt?“; „Hat er jemals gedroht, Sie mit einem Messer oder einer Pistole zu verletzen, oder hat er dies jemals getan?“ Zu einem anderen Zeitpunkt während der Befragung wurden die Frauen über die Eifersucht und das Kontrollverhalten ihrer Ehemänner anhand folgender Punkte befragt: „Er ist eifersüchtig und möchte nicht, dass Sie mit anderen Männern sprechen“; „Er versucht, Ihren Kontakt zu Ihrer Familie und zu Freunden einzuschränken“; „Er besteht darauf,
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immer zu wissen, wo Sie sind und wer bei Ihnen ist“; „Er beschimpft Sie, so dass Sie sich minderwertig fühlen“; „Er verhindert, dass Sie über das Haushaltseinkommen Bescheid wissen oder darauf zugreifen, selbst wenn Sie darum bitten.“ Die Punkte, die mit einer „Einschränkung der Selbstständigkeit“ einhergingen, konnten direkt mit durch den Ehemann verübter Gewalt gegen die Ehefrau in Zusammenhang gebracht werden. Meist zeigen Männer, die gegen ihre Frauen gewalttätig sind, auch ein überaus hohes Maß an Eifersucht und Kontrollbedürfnis. Schwerer wiegende Formen der Gewalt hängen direkt mit starker Eifersucht und einem die Selbstständigkeit einschränkenden Verhalten zusammen. Die Ergebnisse stützen die Hypothese, dass Männer Gewalt gegen ihre Frauen als Strategie einsetzen, um diese zu kontrollieren, mit dem Ziel, den sexuellen Zugang anderer Männer zu unterbinden und einen Abbruch der Beziehung zu verhindern. Das Wesentliche ist nicht, dass Gewalt gegen Frauen auf einen unveränderbaren Instinkt zurückgeführt werden kann. Vielmehr hängen die auftretenden Gewaltmuster – die Kontexte, in denen es zu Gewaltausübung kommt, und die Eigenschaften der Opfer – sehr stark von den jeweils vorliegenden adaptiven Problemen ab.
Kontexte, die bei Frauen Aggressionen gegen Männer auslösen Man könnte vermuten, dass Frauen nur sehr selten Gewalt gegen Männer ausüben. In Berichten über Angriffe gegen den Ehepartner, z.B. durch Schlagen, Spucken, Schubsen und durch verbale Beleidigungen liegen die Zahlen der weiblichen und der männlichen Opfer jedoch in etwa gleich hoch (z.B. Buss, 1989b; Dobash, Dobash, Wilson & Daly, 1992). Verteidigung gegen Angriffe. Extreme Aggressionshandlungen wie etwa Tötungen in der Ehe werden seltener von Frauen begangen – dennoch kann es auch dazu kommen. Die relevanten Kontexte stehen in den meisten Fällen mit einem von zwei Faktoren in Zusammenhang: die Frau verteidigt sich gegen ihren Ehemann, der über ihre tatsächliche oder vermutete Untreue aufgebracht ist; oder die Frau sieht nach einer langen Geschichte des körperlichen Missbrauchs keinen anderen Ausweg aus dem Zwangsgriff ihres Mannes (Daly & Wilson, 1988; Dobash et al., 1992). Männliche sexuelle Eifersucht scheint also die Ursache dafür zu sein, wenn Frauen ihre Ehemänner umbringen; wie sie auch die Ursache für den häufigeren Fall ist, dass Ehemänner ihre Ehefrauen umbringen.
Kriegsführung Die Menschheitsgeschichte, darunter hunderte von Ethnografien über Stammeskulturen rund um die Welt, zeigt, dass es überall auf der Erde immer wieder zur Bildung männlicher Koalitionen zum Zweck der Kriegsführung kommt (z.B. Chagnon, 1988; Keeley, 1996; Tooby & Cosmides, 1988). Kriege werden also ausschließlich von Männern
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geführt. Die beabsichtigten Opfer sind ebenso meist Männer, obwohl oft auch Frauen darunter leiden müssen. Obwohl es nur in wenigen Kriegen ursprünglich rein darum geht, Frauen zu rauben, wird ein vermehrter Zugang zu Geschlechtsverkehr fast immer als sehr erwünschter Vorteil einer erfolgreichen Feinderoberung angesehen. Kasten 10.1 enthält die Beschreibung eines konkreten Stammeskriegs.
Nur bei zwei der über 4.000 Säugetierarten konnte man bisher Koalitionsbildung und Tötung von Artgenossen beobachten, nämlich bei Schimpansen und Menschen. Beim Menschen ist die Kriegsführung eine ausschließlich männliche Tätigkeit. Theoretische Analysen legen nahe, dass Kriegsführung grundlegende adaptive Vorteile bringen kann, die unter bestimmten Umständen das Risiko, dabei zu sterben, aufwiegen können.
10.1 Kriegsführung bei den Yanomamö Der evolutionäre Anthropologe Napoleon Chagnon lieferte eine anschauliche Beschreibung eines Krieges, den ein Yanomamö-Stamm gegen einen anderen führte. Der Konflikt begann mit Damowa, einem Stammesführer der Monou-teri, einem der Yanomamö-Dörfer. Damowa hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, die Ehefrauen anderer Männer zu verführen, was zu häufigen Kämpfen innerhalb des Dorfes führte. Als ein benachbarter Stamm, die Patanowa-teri, die Monou-teri überfielen, konnten sie fünf Frauen gefangen nehmen. Damowa war sehr aufgebracht und überredete seinen Stamm, den Patanowa-teri den Krieg zu erklären. Während ihres ersten Angriffs überraschten die Monou-teri einen ihrer Feinde, einen Mann namens Bosibrei, der gerade einen Baum erklomm, um Früchte zu pflücken. Seine Silhouette hob sich scharf gegen den azurblauen Himmel ab, so dass er ein gutes Ziel darstellte. Damowa und seine Truppe beschossen Bosibrei mit ihren Pfeilen, töteten ihn, zogen sich sofort zurück und kehrten nach Hause zurück. Aggression erzeugt oft vergeltende Gegenaggression und auch die Patanowa-teri sannen sofort auf Rache. Es gelang ihnen, Damowa gefangen zu nehmen, während er außerhalb seines Gartens Honig sammelte. Er hatte zwei Ehefrauen bei sich. Fünf Pfeile trafen Damowa in den Bauch. Er war noch am Leben, verfluchte seine Feinde und konnte noch einen letzten Pfeil abschließen. Doch ein letzter Pfeil traf seinen Hals und tötete ihn. Dieses Mal versuchten die Angreifer nicht, noch mehr Frauen zu entführen, da sie Damowas Kameraden fürchteten. Sie zogen sich also in die Sicherheit
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ihres Dorfes zurück, während Damowas Frauen nach Hause zurückrannten und die anderen alarmierten. Die Mörder entkamen und die Monou-teri selbst flohen in den Schutz des Dschungels, denn sie fürchteten, die Angreifer könnten zurückkommen. Nun da ihr Anführer tot war, waren die Monou-teri demoralisiert. Doch bald trat ein neuer Anführer, Kaobawa, auf den Plan und brachte den Stamm dazu, Rache für Damowas Tod zu nehmen. Verzichtet man auf Vergeltung, so kann das zu einer Rufschädigung führen: andere sehen die besiegte Gruppe als leichtes Opfer an, das man leicht ausbeuten kann. Deshalb glaubten die Monou-teri aktiv werden zu müssen, um zukünftigen Angriffen vorzubeugen. Am Abend vor dem Angriff heizte Kaobawa seine Männer gehörig an. Er begann zu singen: „Ich habe Hunger auf Fleisch! Ich habe Hunger auf Fleisch!“ (Chagnon, 1983, S. 182). Die anderen Angreifer stimmten mit ein und ihr Gesang endete mit einem hohen Schrei, der Chagnon eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Die Schreie wurden immer wütender und wilder und die Angreifer – heiß auf Rache – versetzten sich selbst in einen Zustand nahe der Raserei. Im Morgengrauen des nächsten Tages gaben die Frauen ihren Kriegern einen großen Vorrat an Pisang für ihren Kriegszug mit. Die Männer malten sich Gesicht und Körper schwarz an. Die Mütter und Schwestern der Angreifer gaben diesen gute Ratschläge mit: „Lass Dich nicht erschießen!“ und „Sei bloß vorsichtig!“ (S. 183). Dann weinten die Frauen, denn sie hatten Angst um ihre Männer. Fünf Stunden waren seit dem Aufbruch der Männer bereits vergangen, als einer wieder im Dorf erschien; er klagte über einen wund gelaufenen Fuß, der ihn daran hinderte, mit den anderen Schritt zu halten. Er hatte das Fest und die Zeremonie des vergangenen Abends zwar genossen, was die Frauen beeindruckte. Doch wie viele Yanomamö, die in den Krieg ziehen, hatte auch er Angst. Einige Tage Fußmarsch waren zurückzulegen, bis die Feinde erreicht waren. Nachts zündeten die Yanomamö Feuer an, um sich zu wärmen, in der letzten Nacht mussten sie jedoch auf diesen Luxus verzichten, denn die Gefahr, den Feind auf sich aufmerksam zu machen, war zu groß. Am Abend vor dem Angriff klagten plötzlich einige weitere Männer über wunde Füße und Bauchschmerzen und machten sich wieder auf den Heimweg. Die verbliebenen Krieger besprachen nochmals ihren Angriffsplan. Sie beschlossen, kleinere Gruppen zu je vier bis sechs Mann zu bilden. Diese Gruppierungen konnten sich geschützt zurückziehen, denn zwei Männer aus jeder Gruppe würden sich auf die Lauer legen und mögliche Verfolger aus dem Hinterhalt überfallen. Einer der Angreifer war der zwölfjährige Sohn von Damowa, den man mitgenommen hatte, damit er seinen Vater rächen konnte. Dies war sein erster Angriff, also behielten ihn die anderen Männer in ihrer Mitte und schirmten ihn so vor Gefahren so gut wie möglich ab.
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Währenddessen wurden zu Hause im Dorf die Monou-teri-Frauen allmählich nervös. Denn schutzlose Frauen sind leichte Beute für benachbarte Stämme – auch Verbündeten kann man nicht immer voll vertrauen. Ihre Nervosität machte sie reizbar und so kam es zu Streitereien im Dorf. Eine Frau schlug eine andere mit einem Stock bewusstlos. Die meiste Zeit verbrachten die Frauen allerdings mit Warten. Es gelang den Angreifern, einen Feind zu töten, bevor sie die Flucht ergriffen. Sie hatten zwar Rache genommen, befanden sich jedoch nun selbst in großer Gefahr. Die Patanowa-teri verfolgten die Monou-teri, konnten sie sogar überholen und auf ihrer Flucht aus dem Hinterhalt angreifen. Ein Monou-teri wurde durch einen Pfeil mit einer Bambusspitze verwundet, die seine Brust durchbohrte. Am nächsten Morgen erreichten die Monou-teri ihr Dorf, sie trugen ihren verwundeten Kameraden. Zwar war er schwer verletzt, überlebte aber und zog später wieder in den Krieg. Als Napoleon Chagnon ein Jahr später zu den Yanomamö zurückkehrte, tobte der Krieg zwischen den Patanowa-teri und den Monou-teri noch immer, immer wieder gab es Angriffe und Gegenangriffe. Den Monou-teri war es gelungen, zwei Patanowa-teri zu töten und zwei ihrer Frauen zu entführen. Die Patanowa-teri hatten einen Monouteri getötet. Zu diesem Zeitpunkt lagen also die Monou-teri vorne. Die Patanowa-teri werden aber solange immer wieder angreifen, bis sie den Tod ihrer Kameraden und den Verlust ihrer Frauen gerächt haben. Wenn das geschehen ist, sind wiederum die Monou-teri gezwungen, Vergeltung zu üben. Die Kriegsführung der Yanomamö stellt einige wesentliche Aspekte der Evolution menschlicher Aggression heraus. Kriege werden meist von Männern geführt; sexueller Zugang zu Frauen ist oft eine wichtige Ressource, die den Siegern zukommt; Vergeltung und Rache sind notwendig, um selbst glaubhaft zu bleiben und Männer und Frauen haben oft wirklich Angst vor den tödlichen Folgen eines gewaltsamen Stammeskampfes.
Die evolutionäre Psychologie des Krieges. In einer brillanten Analyse über die Logik der Kriegsführung machten Tooby und Cosmides (1988) auf eine Tatsache aufmerksam, die oft übersehen wird: Krieg ist ein überaus kooperatives Unterfangen. Es könnte keine Kriege geben, wenn sich nicht auf beiden Seiten Männer verbünden würden. Sie müssen sich zusammenschließen und als eine kooperative Einheit auftreten. Diese Voraussetzung ist so zwingend erforderlich, dass es nur zwei Säugetierarten gibt, die man jemals dabei beobachten konnte, wie sie aggressive Bündnisse gegen Mitglieder ihrer eigenen Spezies bildeten: Schimpansen und Menschen.
Die Evolution der Kriegsführung muss ein weiteres großes Hindernis überwinden: Die Vorteile müssen – in Fitness-Währung ausgedrückt – groß genug sein, um das vernichtende Verletzungs- und Todesrisiko derer auszugleichen, die am Krieg teilnehmen. Für jeden Beteiligten birgt ein Krieg extrem hohe Kosten. Tooby und Cosmides drückten es so aus: „Es ist schwer zu begreifen, warum ein vernünftiger Organismus, den die Selektion auf Überleben und Reproduktion programmiert hat, aktiv danach streben sollte,
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Bedingungen zu schaffen, die so immens hohe persönliche Kosten und Risiken mit sich bringen.“ (1988, S. 2). Wie konnte die Selektion also psychologische Mechanismen begünstigen, die Männer dazu bringen, solche Risiken auf sich zu nehmen? Wie lässt sich erklären, dass im Laufe der menschlichen evolutionären Geschichte immer wieder Kriege angezettelt wurden, deren Kriegshelden von den Mitgliedern ihrer Truppen ausgezeichnet und glorifiziert wurden? Die von Tooby und Cosmides (1988) aufgestellte evolutionäre Theorie der Kriegsführung nennt vier grundlegende Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit sich Adaptationen entwickeln, die gemeinschaftliche Aggressionen zum Ausbruch bringen. 1. Der durchschnittliche langfristige Gewinn an reproduktiven Ressourcen muss hoch genug sein, um die reproduktiven Kosten der Kriegsführung im Laufe der Evolutionsgeschichte auszugleichen. Welche reproduktiven Ressourcen könnten dafür wichtig genug sein? Es ist sehr wahrscheinlich, dass es dabei um mehr Geschlechtsverkehr mit Frauen geht – der Ressource, die die männliche Fortpflanzung am stärksten beschränkt. Für Frauen ist der sexuelle Zugang dagegen nicht im selben Maße einschränkend, wie in der Diskussion den Theorien der elterlichen Investitionen und der sexuellen Selektion deutlich wurde. Frauen sind deshalb eine so wertvolle und doch begrenzte Ressource für Männer, weil sie zwangsläufig so viel in ihre Nachkommen investieren müssen. Diese Asymmetrie zwischen den Geschlechtern bedeutet, dass Frauen wenig gewinnen können, wenn sie in den Krieg ziehen, um verstärkten sexuellen Zugang zu Männern zu erlangen. Sperma ist billig zu haben und es gab noch nie zu wenig Männer, die bereit gewesen wären, ihr Sperma in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen, damit es für die Frau zur Befruchtung kam. Zusammenfassend können Männer also durch Kriegsführung sehr viel gewinnen, wenn daraus ein verstärkter sexueller Zugang zu Frauen folgt. Dies ist die knappe reproduktive Ressource, für die sich das Risiko lohnen könnte. 2. Koalitionsmitglieder müssen glauben, dass ihre Gruppe erfolgreich sein wird. Damit ist nicht nur der Glaube daran gemeint, dass die eigene Gruppe die Schlacht gewinnen wird, sondern auch der Glaube, dass die kollektiven Ressourcen der eigenen Koalition nach der aggressiven Begegnung größer sein werden als vorher. 3. Das Risiko, das jedes Mitglied auf sich nimmt, und die Bedeutung, die der Beitrag jedes Einzelnen für den Erfolg hat, muss auch einen entsprechenden Anteil an den erlangten Vorteilen mit sich bringen. Dies ist eine Form des Betrüger-EntdeckungsKriteriums für die Evolution der Kooperation, die wir in Kapitel 9 behandelten. Männer, die sich nicht auf das Risiko eines Kampfes einlassen, dürfen auch nicht in den Genuss der Siegesbeute kommen. Männer, die größere Gefahren auf sich nehmen – wie etwa Anführer, die ihre Männer in die Schlacht führen – bekommen einen verhältnismäßig größeren Teil der Kriegsbeute. Ähnlich bekommen Männer, die zum Erfolg der Schlacht mehr beigetragen haben, auch einen verhältnismäßig größeren Teil der sich daraus ergebenden reproduktiven Ressourcen. 4. Männer, die in den Krieg ziehen, müssen in einen „Schleier des Unwissens“ gehüllt sein, d.h. sie dürfen nicht wissen, wer leben und wer sterben wird. Die Wahrscheinlichkeit des Todes muss anders ausgedrückt zufällig auf die Mitglieder der Koalition
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verteilt sein. Wer bereits vor der Schlacht weiß, dass er mit Sicherheit sterben wird, kann dadurch nichts gewinnen. Die Selektion würde also jeder psychologischen Neigung stark entgegenwirken, die einen Mann veranlasst, in die Schlacht zu ziehen, wenn dieser sich seines Todes sicher ist. Die „Schlachtfeldpanik“, die einige Männer dazu bringt, abtrünnig zu werden, könnte die Wirkung des psychologischen Mechanismus widerspiegeln, der einen Mann aus der Gefahrenzone drängt, wenn die Wahrscheinlichkeit des Todes allmählich an Sicherheit grenzt. Wird das Risiko aber mit anderen geteilt und weiß keiner, wer am Leben bleibt oder stirbt, dann kann die Selektion durchschnittlich gesehen eine psychologische Neigung zur gemeinschaftlichen Kriegsführung fördern. Diese Bedingungen, die Tooby und Cosmides (1988) den „Risikovertrag des Krieges“ nennen, lassen einige überraschende Voraussagen zu. Bei der wichtigsten Voraussage geht es um die Auswirkungen eines gewissen Maßes an Moralität auf den evolutionären Selektionsdruck für psychologische Mechanismen, die darauf ausgelegt sind, Männer in den Krieg zu führen. Erinnern wir uns, dass die natürliche Selektion auf Gene wirkt, so dass diese bestimmte Merkmale entwickeln, basierend auf ihren durchschnittlichen reproduktiven Konsequenzen über die gesamte evolutionäre Zeit gesehen. In Kapitel 3 untersuchten wir die Evolution der männlichen Neigung, Risiken einzugehen, die zu einem durchschnittlich gesehen größeren Reproduktionserfolg führen, aber gleichzeitig eine kürzere Lebensdauer mit sich bringen. Wenden wir diese Logik auf die Kriegsführung an. Nehmen wir an, zehn Männer bilden eine Koalition, um einen benachbarten Stamm anzugreifen. Während des Überfalls werden fünf fruchtbare Frauen gefangen genommen. Wenn alle Männer überleben, beträgt der durchschnittliche Gewinn an sexuellem Zugang 50% einer fruchtbaren Frau pro Mann (fünf Frauen geteilt durch zehn Männer ergibt einen Durchschnitt von 0,50 pro Mann). Nehmen wir nun an, dass fünf Männer im Kampf umkommen und wieder fünf fruchtbare Frauen gefangen genommen werden. Nun beträgt der Gewinn für jeden überlebenden Mann sexuellen Zugang zu 1,0 fruchtbarer Frau (fünf Frauen geteilt durch fünf Männer ergibt 1,0). Der Durchschnittsgewinn eines jeden Mannes, der in den Krieg gezogen ist, beträgt unverändert 0,50 (fünf Frauen geteilt durch zehn Männer, die in den Krieg zogen, ist und bleibt 0,50). Der durchschnittliche reproduktive Gewinn aufgrund der Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, ist in beiden Situationen identisch, obwohl in einem Fall kein Mann starb, während im anderen Fall fünf starben. Für diejenigen, die sterben, bedeutet der Kampf natürlich den totalen Verlust. Doch die Ressourcen, die diese Männer gewonnen hätten, werden einfach denjenigen Verbündeten neu zugeteilt, die überlebt haben. Das bedeutet, dass der reproduktive Durchschnittsgewinn identisch geblieben ist, auch wenn die Hälfte der Männer stirbt. Die Selektion kann also, da sie sich auf durchschnittliche reproduktive Effekte bei Individuen im Laufe der evolutionäre Geschichte auswirkt, psychologische Mechanismen fördern, die Männer in den Krieg führen, selbst wenn diese sie einem gewissen Todesrisiko aussetzen. Diese evolutionäre Theorie des Krieges führt uns zu einigen spezifischen Voraussagen: (1) Nur Männer haben diese auf gemeinschaftliche Kriegsführung ausgerichteten psychologischen Mechanismen entwickelt – Frauen nicht. (2) Sexueller Zugang ist der wich-
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tigste Vorteil, den Männer durch den Beitritt zu einer Kriegspartei erlangen können. (3) Männer sollten psychologische Mechanismen entwickelt haben, die sie dazu bringen, in Panik zu geraten und zu desertieren, sobald der Tod eine unmittelbare Bedrohung darstellt. (4) Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer in den Krieg ziehen, sollte höher sein, wenn ihre Siegeschancen gut sind, z.B. wenn ihre Truppen weitaus größer sind als die gegnerischen. (5) Männer sollten psychologische Mechanismen entwickelt haben, die darauf ausgerichtet sind, den Risikovertrag zu erfüllen – d.h. Betrüger, Deserteure und Verräter zu entlarven. (6) Männer sollten psychologische Mechanismen entwickelt haben, die darauf ausgerichtet sind, Männer zu entdecken, vorzuziehen und zu rekrutieren, die bereit und in der Lage sind, zum Erfolg der Truppe beizutragen. Angesichts der Tatsache, dass diese evolutionäre Theorie des Krieges erst vor kurzem aufgestellt wurde, gibt es noch relativ wenig empirische Daten zu diesen Vorhersagen. Dennoch gibt es einige Belege, die diese stützen (Brown, 2001). Männer betreiben Kriegsführung. Die Tatsache, dass Männer Koalitionen bilden mit dem Zweck, andere Männer in gegnerischen Koalitionen zu töten, lässt sich in so gut wie allen Kulturen beobachten (Alexander, 1979; Chagnon, 1988; Otterbein, 1979; Wrangham & Peterson, 1996). In einigen Kulturen wie etwa bei den Yanomamö scheinen die Stämme sich sogar ständig im Kriegszustand zu befinden. In keiner Kultur konnte bisher beobachtet werden, dass sich Frauen mit dem Zweck zusammenschließen, andere Menschen umzubringen. Diese Tatsachen erscheinen vielleicht offensichtlich und waren lange vor der von Tooby und Cosmides (1988) aufgestellten evolutionären Theorie des Krieges allgemein bekannt. Sie bestätigen die Theorie jedoch und stellen andere Theorien in Frage, z.B. dass Kriege willkürliche soziale Konstruktionen sind (van der Dennen, 1995). Männer messen eher spontan ihre kämpferischen Fähigkeiten. Wenn Männer sich im
Laufe der Evolutionsgeschichte immer wieder auf gewaltsame Aggressionen eingelassen haben – mehr als Frauen dies taten – sollte man erwarten, dass sie auch ganz bestimmte psychologische Mechanismen entwickelt haben, die sie dazu bringen, genau abzuwägen, ob die jeweils gegebenen Bedingungen dafür sprechen, sich auf einen Kampf einzulassen oder nicht. Einer dieser Mechanismen ist die Selbsteinschätzung der eigenen kämpferischen Fähigkeiten im Vergleich zu anderen Männern. Der evolutionäre Psychologe Adam Fox (1997) sagte voraus, dass Männer Mechanismen zur Einschätzung ihrer kämpferischen Fähigkeiten entwickelt haben – dass sie genauer gesagt ihre kämpferischen Fähigkeiten häufiger selbst messen würden als Frauen. Um diese Vorhersagen zu überprüfen, befrage Fox eine Auswahl von Studenten, wie oft sie sich den möglichen Ausgang von Kämpfen zwischen ihnen und anderen ausmalten. Abbildung 10.3 zeigt die Ergebnisse. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist geradezu dramatisch. Die Mehrheit der Männer gab an, sich solche Kämpfe und deren Ausgang mindestens einmal im Monat vorzustellen, am häufigsten kam die Antwort: „einmal pro Woche“. Die Mehrzahl der Frauen gab dagegen an, sich solche Kämpfe nur gelegentlich vorzustellen. Die meisten Frauen antworteten sogar: „nie“. Diese Ergebnisse stützen die Vorhersage, dass Männer die eigenen kämpferischen Fähigkeiten häufiger messen als Frauen – ein möglicher evolutionsbedingter psychologischer Mechanismus, der darauf ausgerichtet ist, richtig einschätzen zu können, ob es sich lohnt, in den Krieg zu ziehen.
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Männer (N = 133) Frauen (N = 169)
35
Prozent der Testpersonen
30 25 20 15 10 5 0 Nie
Einmal jährlich
Mehr als Einmal Einmal Alle sechs Einmal Monate monatlich wöchentlich täglich einmal täglich
Häufigkeit vorgenommener Einschätzungen Abbildung 10.3: Bewertung der kämpferischen Fähigkeiten Die Abbildung zeigt, dass Männer eher dazu neigen, ihre kämpferischen Fähigkeiten spontan zu messen als Frauen, was auf eine mögliche psychologische Adaptation zur Kriegsführung hindeutet. Quelle: The Assessment of Fighting Ability in Humans by A. Fox, 1997. Paper presented to the Ninth Annual Meeting of the Human Behavior and Evolution Society.
Männer verfügen über Adaptationen, die eine erfolgreiche Kriegsführung erleichtern.
Es gibt viele bekannte geschlechtsbezogene Unterschiede, die wohl auf männliche Adaptationen zur Kriegsführung zurückzuführen sind (Brown, 2001). Männer haben kräftigere Oberkörper als Frauen: Die Brust-, Schulter- und Armmuskulatur eines Mannes ist durchschnittlich doppelt so kräftig wie die einer Frau. Männer können weiter und gezielter werfen, was den Kampf mit Steinen und Speeren erleichtert. Männer können sich besser in unbekanntem Gebiet zurechtfinden (siehe Kapitel 3). Männer haben eine starke Neigung, gleichgeschlechtliche Bündnisse zu schließen, aus denen Frauen ausdrücklich ausgeschlossen sind. So verbannen die Männer oft in der Nacht vor einem Angriff alle Frauen aus der Gruppe, um eventuell bestehende sexuelle Konflikte zwischen den Männern zu minimieren. Eine der größten Ängste aller Männer, die in den Kampf ziehen, besteht darin, dass sie sich eventuell feige verhalten und so die Achtung ihrer Kriegskameraden verlieren könnten (Brown, 2001). Andererseits scheinen Männer im Angesicht des Krieges große Aufregung, Aussicht auf Ruhm und ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl zu verspüren, ein Phänomen, von dem Krieger oft berichteten (Brown, 2001). Auch in der Literatur findet man es wieder, wie die vor dem Kampf gehaltene Rede aus Shakespeares Heinrich V zeigt: Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder: Denn welcher heut sein Blut mit mir vergießt, Der wird mein Bruder; sei er noch so niedrig, Der heut’ge Tag wird adeln seinen Stand.
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Und Edelleut’ in England, jetzt im Bett’, Verfluchen einst, dass sie nicht hier gewesen, Und werden kleinlaut, wenn nur jemand spricht, Der mit uns focht am Sankt Crispinus-Tag. (aus Shakespeare, Heinrich V, Vierter Aufzug, Dritte Szene) Sexueller Zugang als immer wiederkehrende Ressource, die den Gewinnern zufließt.
Zwei evolutionäre Psychologen, Craig Palmer und Christopher Tilley, überprüften die Behauptung, sexueller Zugang zu Frauen sei die wichtigste Motivation für Männer, sich Banden oder Gangs anzuschließen (Palmer & Tilley, 1995). Eine Gang lässt sich definieren als ein „selbst gebildetes Bündnis Gleichaltriger, die sich aufgrund gemeinsamer Interessen um einen erkennbaren Anführer zusammengeschlossen haben mit selbst gewählten Autoritäts-Richtlinien. …. Sie handeln gemeinsam, um einen bestimmten Zweck oder bestimmte Zwecke zu erreichen“ (Miller, 1980, S. 121). In ganz Amerika kommt es immer wieder zu Bandenkriegen, besonders in den Großstädten wie Los Angeles. Oft gibt es Tote. Warum schließen sich Männer zu solchen Banden zusammen, wo sie den Tod riskieren? Ein Bandenmitglied erklärte es so: „Die Gang schien das zu haben, was ich wollte. In der Grundschule war ich ein Außenseiter. Ich lernte viel und beteiligte mich nicht an den Aktivitäten der Gang. Dann bemerkte ich, dass die auch die Mädchen hatten.“ (Padilla, 1992, S. 68). Palmer und Tilley interessierten sich dafür, die Vorhersagen mithilfe empirischer Daten, nicht nur einzelner Aussagen und Anekdoten, zu überprüfen. Sie untersuchten eine Auswahl von 57 Gangmitgliedern in Colorado Springs, Colorado, und verglichen sie mit 63 gleichaltrigen männlichen Jugendlichen aus demselben Ort, die mit Gangs nichts zu tun hatten. Es wurden Daten gesammelt über die Anzahl der Geschlechtspartner im Laufe der letzten 30 Tage. Das Ergebnis: die Gangmitglieder gaben an, im letzten Monat wesentlich mehr Geschlechtspartner gehabt zu haben (durchschnittlich 1,67) als Nicht-Mitglieder (1,22). Die beiden Testpersonen, die ihren Angaben zufolge die meisten Sexualpartnerinnen gehabt hatten, waren jeweils Anführer von Gangs. Sie hatten angegeben, innerhalb der letzten 90 Tage elf bzw. zehn Sexualpartnerinnen gehabt zu haben. Nicht ein einziger Jugendlicher, der keiner Gang angehörte, gab in der Studie an, innerhalb desselben dreimonatigen Zeitraums mehr als fünf Partnerinnen gehabt zu haben. Palmer und Tilley (1995) stellen fest, dass Daten von einer zufällig gewählten Auswahl aus der Bevölkerung ergaben, dass 55% aller Männer vergleichbaren Alters im Laufe des vergangenen Jahres nur eine oder weniger Sexualpartnerinnen gehabt hatten; nur 14% gaben an, innerhalb dieses Zeitraums mehr als vier Partnerinnen gehabt zu haben (Laumann et al., 1994). Vergleichen wir beide Ergebnisse, können wir daraus schließen, dass viele Bandenmitglieder im Laufe eines einzigen Monats mehr Sexualpartnerinnen haben als ein durchschnittlicher Mann in einem ganzen Jahr. Es müssen jedoch noch weitere Belege erbracht werden, denn es ist möglich, dass die Bandenmitglieder bei den Angaben über ihre Sexualpartnerinnen eher übertreiben als Nicht-Mitglieder.
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Zusätzliche empirische Belege dafür, dass Bandenanführer in der Regel mehr Sexualpartnerinnen haben, liefert Chagnons (1988) Studie der Yanomamö. Bei den Yanomamö ist die am häufigsten genannte Begründung für einen Krieg mit einem anderen Stamm die Rache einer vorher erfolgten Tötung; und der häufigste Grund für den ursprünglichen Beginn der Kämpfe sind „Frauen“. Die Yanomamö treffen eine gesellschaftliche Unterscheidung zwischen unokais (die getötet haben) und non-unokais (die nicht getötet haben). Diese Unterscheidung wirkt sich entscheidend auf den Ruf eines Mannes aus und es ist offensichtlich dem ganzen Dorf wohl bekannt, wer ein unokai ist. Die Opfer der unokais sind meist andere Männer, die bei Überfällen auf Gegner getötet wurden, obwohl auch einige Männer aufgrund sexueller Eifersucht von Mitgliedern der eigenen Gruppe getötet wurden. Zur Zeit der Studie lebten in dem Stamm 137 unokais. Die meisten unokais haben nur einmal getötet, die wenigen aber, die mehrmals getötet hatten (der lokale Rekord stand bei 16 Tötungen), entwickelten einen speziellen Ruf und galten als waiteri oder wild. Beim Vergleich der unokais mit den non-unokais gleichen Alters ergab sich insbesondere ein statistischer Unterschied: Die unokais hatten mehr Ehefrauen. Im Alter von nur 20-24 Jahren hatte ein unokai durchschnittlich 0,80 Frauen, über viermal so viele wie ein nonunokai, der im Durchschnitt nur 0,13 Ehefrauen hatte. Bei den über 41-jährigen Männern hatten unokais durchschnittlich 2,09 und non-unokais nur 1,17 Frauen. Die unokais haben also ganz klar mehr Sexualpartnerinnen, denn sie heiraten mehr Frauen. Anekdotische Belege weisen außerdem darauf hin, dass unokais auch häufiger außereheliche Affären haben (Chagnon, 1983). Wenn es als wichtiger Beitrag zur erfolgreichen gemeinschaftlichen Kriegsführung gilt, einen Mann getötet zu haben, so stützen diese Belege die Hypothese, dass sexueller Zugang zu Frauen eine wichtige reproduktive Ressource ist, die man durch gemeinschaftliche Aggressionsäußerung erlangen kann. Welche Eigenschaften schätzen Männer und Frauen an ihren Verbündeten? Drei Forscher befassten sich mit dieser Frage und baten 60 Männer und 53 Frauen zu beurteilen, als wie wünschenswert sie 148 mögliche Eigenschaften bei einem Bündnispartner einschätzten. Ein „Bündnis“ war definiert als „eine Gruppe von Menschen, mit denen Sie sich identifizieren, weil sie ein gemeinsames Ziel verfolgen“ (DeKay, Buss & Stone, unveröffentlicht, S. 13). Jede Eigenschaft wurde auf einer Skala von –4 (extrem unerwünscht bei einem Bündnispartner) bis +4 (extrem erwünscht bei einem Bündnispartner) bewertet. Die Liste der 148 Eigenschaften leitete sich aus drei Quellen ab: (1) Nennung von Taten und Ereignissen, die Status und Reputation einer Person steigern können, (2) Anzeichen der hauptsächlichen Charaktereigenschaften wie Dominanz, Umgänglichkeit, Unsicherheit, emotionale Stabilität, Offenheit, (3) aus evolutionären Vorhersagen über die Funktion von Bündnissen abgeleitete theoretische Eigenschaften. So wurde etwa der Punkt „Tapferkeit im Angesicht der Gefahr“ herangezogen, um die Hypothese zu testen, dass eine Funktion männlicher Bündnisse (und damit die Grundlage, nach der Männer ihre Bündnispartner auswählen) die Aggression gegen andere Bündnisse oder die Verteidigung der eigenen Gruppe ist. Sowohl Männer als auch Frauen bewerteten die folgenden Charaktereigenschaften als sehr erwünscht bei einem Bündnispartner: Fleiß, Intelligenz, Freundlichkeit, Offenheit, die Fähigkeit, andere zu motivieren, großes Allgemeinwissen, Sinn für Humor, Verläss-
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lichkeit. Es gab aber auch wesentliche geschlechtsbezogene Unterschiede, die auf die speziellen Funktionen männlicher Bündnisse hinweisen: Verglichen mit Frauen schätzten Männer die folgenden Eigenschaften als wichtiger ein: Tapferkeit im Angesicht der Gefahr (2,40 bei Männern gegenüber 1,66 bei Frauen), körperliche Kraft (1,07 gegenüber 0,43), gute Kämpfer (1,30 gegenüber 0,42), die Fähigkeit, andere vor körperlichem Schaden zu bewahren (1,37 gegenüber 0,89), die Fähigkeit, physische Schmerzen zu ertragen (0,75 gegenüber 0,36), die Fähigkeit, sich selbst gegen körperliche Angriffe verteidigen zu können (1,90 gegenüber 1,43) und die körperliche Fähigkeit, andere zu bezwingen (0,35 gegenüber -0,42). Ebenso hielten Männer folgende Eigenschaften für unerwünschter bei einem Bündnispartner als dies bei Frauen der Fall war: geringe sportliche Aktivität (-0,68 gegenüber -0,23) und körperliche Schwäche (-1,08 gegenüber -0,55). Dies ist nur eine einzelne Studie, bei der eine begrenzte Auswahl amerikanischer Studenten befragt wurde, weshalb man keine weit reichenden Schlüsse ziehen kann. Mit Sicherheit wäre es sinnvoll, diese Studie auch in anderen Kulturkreisen durchzuführen. Dennoch ist es interessant festzuhalten, dass selbst in der modernen Umwelt amerikanischer Universitäten, die doch scheinbar so weit entfernt ist von den Stammeskriegen unserer evolutionären Vergangenheit, Männer ihre Bündnispartner zum Teil anhand von Eigenschaften auswählen, die die Gruppe bei Aggressionsäußerungen gegen andere Gruppen und körperlicher Verteidigung zum Erfolg führen würden. Zusammenfassung zur Kriegsführung. Die von Tooby und Cosmides (1988) entwickelte Theorie der Kriegsführung stellt eine oft übersehene Schlussfolgerung in den Vordergrund: Kriegsführung erfordert wohl durchdachte Kooperation innerhalb der Mitglieder einer Gruppe, um die eigenen Aggressionshandlungen gegen andere Gruppen zu koordinieren. Die Theorie sagt auch aus, dass der sexuelle Zugang zu Frauen die wichtigste reproduktive Ressource ist, aufgrund derer die Selektion Männer dazu gebracht hat, eine Psychologie der Kriegsführung zu entwickeln. Die Theorie führt uns zu einigen überraschenden Vorhersagen – z.B., dass die Sterberate die durchschnittlichen reproduktiven Vorteile einer Kriegsstrategie nicht beeinflussen wird, solange es einen „Schleier der Unkenntnis“ gibt, der verhüllt, wer getötet werden wird.
Eine Vielzahl von Quellen empirischer Belege stützt einige der wesentlichen Voraussagen dieser Kriegsführungstheorie. Zum einen haben Männer innerhalb der gesamten Menschheitsgeschichte immer wieder Kriege geführt, während es keinen einzigen dokumentierten Fall gibt, bei dem Frauen gleichgeschlechtliche Bündnisse zum Zweck der Kriegsführung gebildet hätten. Zum zweiten messen Männer ihre kämpferischen Fähigkeiten spontan häufiger als Frauen, was auf die Existenz evolutionsbedingter Mechanismen hindeutet, die bewerten, ob sich eine aggressive Konfrontation lohnt oder nicht. Drittens weisen sowohl Studien über Gangs als auch ethnografische Belege über Kriegsführung darauf hin, dass Kriege verstärkten sexuellen Zugang zu Frauen mit sich bringen. Schließlich bevorzugen Männer auch Verbündete, die im Angesicht der Gewalt tapfer sind, die stark sind und gut kämpfen können und die andere beschützen können – Eigenschaften, die einen guten Kriegskameraden ausmachen. Auch wenn noch weitere Forschungsarbeit zu diesem faszinierenden Thema nötig ist, so stützen doch die vorhandenen empirischen Daten die Theorie, dass Männer spezielle psychologische Mechanismen entwickelt haben, die sie in den Krieg führen.
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Haben Menschen evolutionsbedingte Tötungsmechanismen? Dann sagte sie, dass sie, seit sie im April zurückgekommen war, mit diesem anderen Mann etwa zehnmal Sex gehabt habe. Ich fragte sie, wie sie von Liebe und Heirat sprechen könne, während sie gleichzeitig mit diesem anderen Mann schlafe. Ich war wirklich wütend. Ich ging in die Küche und holte das Messer. Dann ging ich in unser Zimmer zurück und fragte sie, ob sie alles, was sie mir vorher erzählt hatte, ernst gemeint habe. Sie sagte Ja. Wir kämpften auf dem Bett miteinander. Ich stach auf sie ein und ihr Großvater kam nach oben und versuchte, mir das Messer wegzunehmen. Ich bat ihn, die Polizei zu rufen. Ich weiß nicht, warum ich die Frau umgebracht habe, ich habe sie geliebt (Carlson, 1984, S. 9). FBI-Verbrechensstatistiken zufolge werden in den USA jedes Jahr über 18.000 Morde begangen (Kenrick & Sheets, 1993). Davon werden über 80% von Männern verübt (Daly & Wilson, 1988). Normalerweise erklären Sozialwissenschaftler diesen geschlechtsbezogenen Unterschied bei den Mordraten immer durch „kultur-spezifische GeschlechterNormen“ (z.B. Goldstein, 1986). Diese Theorie stößt aber auf ein empirisches Problem: Dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern lässt sich in jeder Kultur rund um den Erdball nachweisen, in der es Statistiken über Mordraten gibt (Daly & Wilson, 1988). Theorien, die sich rein auf kulturelle Normen berufen, können universale menschliche Verhaltensmuster nicht in ausreichender Weise erklären. Tatsächliche Morde oder Tötungen sind statistisch gesehen selten und deshalb schwer zu untersuchen. Für jeden Mord, der tatsächlich begangen wurde, kann es jedoch Dutzende oder hunderte von Gedanken oder Fantasien Einzelner geben, die sich damit beschäftigen, einen anderen Menschen umzubringen. Betrachten wir diese Mordfantasie eines amerikanischen Studenten: „Ich wollte meine Exfreundin umbringen. Sie lebt in (einer anderen Stadt) und ich fragte mich nur noch, wie ich meine Tat vertuschen könnte. Ich dachte über den Preis für den Flug nach und darüber, wie ich mir ein Alibi verschaffen konnte. Ich dachte auch darüber nach, wie ich sie umbringen könnte, um es wie einen Überfall aussehen zu lassen. Darüber dachte ich sogar etwa eine Woche lang nach, fand aber keine gute Lösung.“ (Kenrick & Sheets, 1994, S.15) Dieser Mann hat seine Freundin nicht umgebracht. Doch die Tatsache, dass wir uns immer wieder darüber Gedanken machen, andere zu töten, eröffnet eine Möglichkeit, die Psychologie des Tötens zu untersuchen. Die evolutionären Psychologen Doug Kenrick und Virgil Sheets haben diese Möglichkeit ausgenutzt und zwei Studien mit insgesamt 760 Teilnehmern durchgeführt. Ihre Methoden waren einfach: Sie baten die Teilnehmer, demografische Angaben, z.B. zu Alter und Geschlecht, zu machen und dann zu beschreiben, wann sie zuletzt darüber fantasiert hatten, jemanden umzubringen. Sie fragten, welche Umstände diese gewalttätigen Gedanken ausgelöst hatten und wie sie genau aussahen. „Wen wollten Sie umbringen, wie stellten Sie es sich genau vor“ etc. (Kenrick & Sheets, 1993, S. 6). Sie befragten die Teilnehmer auch, wie oft sie solche Fantasien hatten, in welchem Verhältnis sie zu ihrem ausgewähl-
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ten „Opfer“ standen und ob die Fantasien durch einen körperlichen Angriff, eine öffentliche Demütigung oder eine andere Provokation ausgelöst worden waren. Beide Studien brachten ähnliche Ergebnisse, weshalb wir uns nur auf die zweite Studie konzentrieren werden, die größer und detaillierter war. Erstens gaben mehr Männer (79%) als Frauen (58%) an, bereits mindestens eine Mordfantasie gehabt zu haben (siehe Abbildung 10.4). Zweitens sagten 38% der Männer, aber nur 18% der Frauen, sie hätten schon mehrere Mordfantasien gehabt. Drittens hielten die Mordfantasien der Männer meist länger an als die der Frauen. Die meisten Frauen (61%) gaben an, ihre Fantasien dauerten nur wenige Sekunden. Die Männer gaben dagegen meist an, ihre Fantasien hielten einige Minuten an, 18% gaben sogar an, ihre Fantasien würden sie einige Stunden oder länger beschäftigen. Diese Ergebnisse untermauern die Hypothese, dass Männer psychologisch eher zu Mord und Tötung neigen als Frauen – ein Ergebnis, das auch die tatsächliche Mordstatistik bestätigt. Bei den Auslösern von Mordfantasien wurden auch geschlechtsbezogene Unterschiede sichtbar. Bei Männern war es wahrscheinlicher als bei Frauen, dass sie nach einer persönlichen Drohung (71% gegenüber 52%), einem Diebstahl (57% gegenüber 42%), durch den Wunsch, zu sehen wie es ist, jemanden zu töten (32% gegenüber 8%), nach einem Streit um Geld (27% gegenüber 10%), und nach einer öffentlichen Demütigung (59% gegenüber 45%) Mordgedanken hegten. Die weiblichen und männlichen Mordfantasien richteten sich auch auf unterschiedliche Opfer. Männer fantasierten eher darüber, einen Fremden (53% gegenüber 33%), eine nationale Führungspersönlichkeit (34% gegenüber 17%), einen Chef (35% gegenüber 21%) oder einen Mitbewohner (34% gegenüber 23%) umzubringen. Nie Gelegentlich (Wenige Male im Leben) Häufig (Mehrere Male im Leben) Geschlecht Männer
Frauen 0
10
20
30
40
50
60
70
80
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Prozent der Stichprobe Abbildung 10.4: Die Abbildung zeigt, dass prozentual mehr Männer als Frauen Mordfantasien haben und dass Männer solche Fantasien auch häufiger haben als Frauen. Quelle: Ethology and Sociobiology, 14, D. T. Kenrick & B. Sheets, Homicidal fantasies, 231-246, Copyright © 1993 by Elsevier Science.
Die evolutionäre Logik der Gesamtfitness-Theorie sagt voraus, dass es zwischen Kindern und ihren Stiefeltern mehr Konflikte gibt als zwischen Kindern und ihren leiblichen Eltern, was auch die Belege über die Mordfantasien zeigen. 44% aller Kinder, die bei
Persönliches Exemplar von Herr Hans Wurst vom 27.04.2011, Lesen & Drucken
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Stiefeltern lebten, gaben an, sie hätten Fantasien, diese umzubringen. 59% aller Kinder, die länger als sechs Jahre bei Stiefeltern lebten – ein noch größerer Prozentsatz – sagten, sie hätten diese Mordfantasien. Mordfantasien, die sich gegen einen leiblichen Vater oder eine leibliche Mutter richteten, waren dagegen seltener: jeweils 25 und 31%. Wie lassen sich diese Ergebnisse aus evolutionärer Sicht erklären? Es gibt zwei verschiedene Möglichkeiten: Die von Kenrick und Sheets (1993) und Daly und Wilson (1988) vertretene Hypothese könnte man die „Fehltritt-Hypothese“ nennen. Gemäß dieser Hypothese haben Männer eine psychologische Neigung zur Gewalttätigkeit entwickelt, um dadurch Zwang und Kontrolle ausüben zu können und um Konfliktquellen zu beseitigen. Diese Neigung äußert sich normalerweise in Form von Gewaltandrohung und nicht tödlicher Gewalt. Gelegentlich passiert jedoch ein „Fehltritt“ und die Gewalt schäumt über und endet tödlich. „Jede Auseinandersetzung kann ein Spiel mit dem Feuer sein und ein Mord durch einen Ehepartner kann als Fehltritt in diesem gefährlichen Spiel angesehen werden.“ (Daly & Wilson, 1988). Ebensolche Fehltritte kann es bei anderen Mordformen geben, z.B. wenn ein Mann einen anderen Mann umbringt. Eine Alternative ist ein „evolutionsbedingter Tötungsmechanismus“ (Buss & Duntley, 1998; Duntley & Buss, 1998). Nach dieser Hypothese haben die Menschen, insbesondere Männer, spezielle psychologische Mechanismen entwickelt, die sie dazu bringen, unter bestimmten, vorhersehbaren Umständen, z.B. Kriege, intrasexuelle Rivalität, Untreue des Ehepartners oder Desertierung, ihre Artgenossen umzubringen. Die menschlichen Mordfantasien können als ein Teil dieser evolutionsbedingten Mordmechanismen angesehen werden, denn damit kann der Mensch das Mordszenario geistig aufbauen und durchspielen, Aufwand und Nutzen verschiedener Handlungsmöglichkeiten abwägen und sich für einen Mord entscheiden, wenn die Vorteile größer sind als die Kosten. In vielen Fällen sind letztere zu hoch: In jeder Gesellschaft riskiert der Täter, sich die Wut der Angehörigen zuzuziehen und von anderen betroffenen Mitgliedern der Gruppe bestraft zu werden (Daly & Wilson, 1988). Diese Kosten müssen gewichtet werden und lassen viele vor einem Mord zurückschrecken. Die Theorie besagt nicht, dass Männer einen „Tötungsinstinkt“ haben, der sie dazu anstiftet, unabhängig von den Umständen immer zu töten. Sie meint vielmehr, dass Morde und Tötungen einen Teil der Verhaltensweisen darstellen, zu denen es aufgrund evolutionsbedingter Mordmechanismen kommt, die durch bestimmte Inputformen aktiviert werden, woraufhin Kosten und Nutzen gegeneinander abgewogen werden. Diese konkurrierenden evolutionären Hypothesen – die Fehltritt-Hypothese und die Theorie evolutionsbedingter Tötungsmechanismen – konnten bisher in empirischen Tests noch nicht verglichen werden. Die Häufigkeit von Mordfantasien, die Vorhersagbarkeit der Umstände, die diese auslösen, die Belege für geschlechtsbezogene Unterschiede und die Tatsache, dass so viele Morde durchdacht und geplant wurden, sprechen jedoch eher gegen die Fehltritt-Hypothese. Forschungsarbeiten zur Überprüfung dieser Hypothesen werden folgen. Im Laufe der nächsten zehn Jahre können wir also mit einer Antwort auf die Frage rechnen, ob die Menschen spezielle Tötungsmechanismen entwickelt haben.
Kapitel 10 Aggression und Kriegsführung
Zusammenfassung Aus Sicht der evolutionären Psychologie ist Aggressivität kein einzelnes oder isoliertes Phänomen. Sie stellt vielmehr eine Vielzahl von Strategien dar, die sich unter ganz besonderen kontextspezifischen Bedingungen auswirken. Diese der Aggressivität zugrunde liegenden Mechanismen haben sich aus dieser Sicht als – zugegebenermaßen abstoßende – Lösungen für eine ganze Reihe unterschiedlicher adaptiver Probleme entwickelt, z.B. Ressourcenbeschaffung, intrasexueller Wettbewerb, HierarchieVerhandlungen und Bindung des Partners. Aus dieser Perspektive kommt es erwartungsgemäß zu Abweichungen bei aggressiven Handlungen – zwischen den Geschlechtern, unter Individuen, im Laufe des Lebens und über Kulturen hinweg. Dies verdeutlicht die Tatsache, dass Abweichungen nicht automatisch bedeuten, die Biologie sei irrelevant. Eine evolutionspsychologische Perspektive bezieht viele Disziplinen und Handlungen mit ein: Sie definiert eine Reihe kausaler Bedingungen, die dazu führen, dass bestimmte Merkmale des Täters, des Opfers, des sozialen Zusammenhangs und des adaptiven Problems Aggressivität als strategische Lösung hervorbringen können. Eine evolutionäre Perspektive legt mindestens sechs verschiedene Vorteile nahe, die unsere Vorfahren erlangen konnten, wenn sie eine aggressive Strategie verfolgten: Vereinnahmung der Ressourcen anderer, Verteidigung der Familie gegen Angriffe, zusätzliche Kosten für intrasexuelle Rivalen, Aufstieg in der Hierarchie von Macht und Status, Abschreckung von Rivalen von zukünftigen Aggressionen und Abschreckung langfristiger Partner von Untreue oder Verlassen. Fundierte evolutionäre Argumente weisen darauf hin, dass es zwischen Männern häufiger zu Aggressionsausbrüchen kommt, wobei sowohl Täter als auch Opfer meist Männer sind. Herrscht in einem Partnersystem ein gewisses Maß an Polygynie, so wird die Selektion risikoreiche Taktiken der Männer begünstigen, um sexuellen Zugang zu mehr Frauen zu bekommen, als ihnen eigentlich zustehen, und um zu verhindern, ganz von der Partnerwahl ausgeschlossen zu sein. Empirische Belege deuten darauf hin, dass aggressive Handlungen meist von Männern begangen werden und dass auch die Opfer in der Regel Männer sind. Diese Belege beziehen auch gleichgeschlechtliche Morde in vielen Kulturen, die Häufigkeit von Gewalt in der Schule und ethnografische Daten über physische Gewalt in australischen Aborigines-Gemeinschaften mit ein. Eine Reihe von Kontexten kann mit Aggressivität in Verbindung gebracht werden, die innerhalb jeder Geschlechterkombination von Angreifer und Angegriffenem auftreten. Kontexte, die männliche Aggressionen gegen andere Männer auslösen, sind unter anderem, unverheiratet und arbeitslos zu sein – dies sind Kontexte, die bedeuten können, dass sich der Mann auf dem Weg in die partnerschaftliche Isolation befindet, was
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Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften
eine risikoreiche Aggressionsstrategie auslösen kann. Männer werden auch gegen andere Männer aggressiv, wenn ihr Status und ihre Reputation bedroht sind und wenn sie beobachten oder vermuten, dass sich ein Rivale an ihre Partnerin „heranmacht“. Frauen werden gegen andere Frauen zumeist innerhalb des Kontextes intrasexueller Konkurrenz aggressiv. Es ist jedoch sehr viel unwahrscheinlicher, dass Frauen physische Gewalt anwenden, sie ziehen es dagegen vor, ihre Rivalinnen verbal schlecht zu machen. Dabei wenden sie verstärkt zwei Taktiken an: sie nennen ihre Konkurrentinnen freizügig und ziehen über deren äußeres Erscheinungsbild her. Beide Taktiken sind erfolgreich, denn sie widersprechen den Wünschen, die ein Mann an eine langfristige Partnerin hat. Männer werden gegen Frauen am ehesten aggressiv, um deren Sexualität zu kontrollieren. Sexuelle Eifersucht ist ein wichtiger Kontext, der männliche Aggressionen gegen Partnerinnen auslöst. Es wird vermutet, dass solche Aggressionen historisch gesehen die Funktion hatten, eine Partnerin vor weiterer Untreue oder vor einer Beendung der Beziehung zurückschrecken zu lassen. Jüngere Frauen, die auch einen höheren reproduktiven Wert haben, sind häufiger das Ziel männlicher Aggressionen, wohl weil für unsere männlichen Vorfahren der Anreiz größer war, sich den exklusiven sexuellen Zugang zu begehrenswerteren reproduktiven Frauen zu sichern. Frauen bringen selten Männer um, wenn sie es aber tun, ist die Ursache meist Selbstverteidigung. Meist verteidigt sich eine Frau in einem solchen Fall gegen ihren Partner, der über ihre tatsächliche oder vermutete Untreue aufgebracht ist. Kriegsführung, die als Aggression einer kooperativen Koalition gegen eine andere definiert werden kann, ist im Tierreich extrem selten. Nur zwei Säugetierarten konnten bisher bei der Kriegsführung beobachtet werden: Schimpansen und Menschen. Eine evolutionäre Sichtweise führt zu der Vorhersage, dass in der Regel nur Männer Kriege führen, wobei ihr wichtigster reproduktiver Vorteil daraus der erhöhte sexuelle Zugang zu Frauen ist. Empirische Belege stützen diese Theorie: Männer haben im Laufe der gesamten evolutionäre Geschichte immer wieder Kriege geführt; sexueller Zugang zu Frauen scheint ein immer wiederkehrender Vorteil zu sein, der dem Sieger zugute kommt; Männer bewerten ihre kämpferischen Fähigkeiten im Vergleich zu anderen spontan häufiger als Frauen; Männer schätzen Verbündete, die stark und tapfer sind und gut kämpfen können, mehr als Frauen. Obwohl noch weitere Forschungsarbeit vonnöten ist, stützen die vorhandenen Belege doch die evolutionäre Theorie der Kriegsführung und legen nahe, dass der Mann spezielle psychologische Mechanismen entwickelt hat, die ihn in den Krieg führen.
Kapitel 10 Aggression und Kriegsführung
Der letzte Abschnitt des Kapitels untersuchte zwei gegensätzliche Hypothesen, die darauf abzielten, die Evolution der Tötung anderer Menschen zu erklären. Die erste Hypothese geht davon aus, dass Tötungen „Fehltritte“ sind, zu denen es aufgrund von Gewaltanwendung und -androhung zum Zweck der gewaltsamen Kontrolle anderer kommt. Die zweite Hypothese geht dagegen davon aus, dass die Menschen – besonders die Männer – spezielle „Tötungsmechanismen“ entwickelt haben, die sie dazu bringen, andere Menschen unter bestimmten Umständen zu töten, wenn der Nutzen größer ist als der Aufwand. Die Häufigkeit von Mordfantasien, die Vorhersagbarkeit der Umstände, die diese auslösen, der Nachweis geschlechtlicher Unterschiede und die Tatsache, dass so viele Morde genau im Voraus geplant werden – all dies legt nahe, dass die Theorie der evolutionsbedingten Tötungsmechanismen zutrifft, obwohl noch weitere Forschungsarbeit nötig ist, um beide Theorien und deren Voraussagen genau zu vergleichen. Die evolutionspsychologische Sichtweise menschlicher Aggressivität ist in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Sie kann beispielsweise heute noch nicht erklären, warum drei Männer, die mit der Untreue ihrer Frauen konfrontiert werden, ganz unterschiedlich reagieren können: einer schlägt zu, der andere mordet, der dritte betrinkt sich. Sie kann auch noch nicht erklären, warum in einigen Kulturen, z.B. bei den Yanomamö, der Einsatz männlicher Gewalt nötig ist, um Status und Ansehen zu erreichen, während in anderen Kulturen aggressives Handeln zu irreparablem Reputationsverlust führt. Die gegenwärtige evolutionspsychologische Betrachtung der Aggressivität ist in dieser und in vielerlei anderer Hinsicht begrenzt. Doch selbst in dieser fast vorläufigen Phase der Untersuchung liefert die evolutionspsychologische Sichtweise der Aggressivität eine Hinführung zu bestimmten Untersuchungen, die bisher in anderen Disziplinen noch nicht durchgeführt wurden. Sie kann eine ganze Reihe Ergebnisse zumindest ansatzweise erklären, die bisher als unerklärbar galten, z.B. dass Männer universal gesehen immer mehr Gewalt gegen andere Männer ausübten, dass die allgegenwärtige sexuelle Eifersucht der Männer ein Grund für Gewalt und Mord in der Ehe ist und dass Stiefkinder in ihren Familien einem größeren Aggressionsrisiko ausgesetzt sind als leibliche Kinder. So gesehen bringt uns die evolutionspsychologische Perspektive einen Schritt näher an eine komplexe, vielschichtige Theorie menschlicher Aggressivität heran.
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Weiterführende Literatur Buss, D. M. & Shackelford, T. K. (1997). Human aggression in evolutionary psychological perspective. Clinical Psychology Review, 17, 605-619. Campbell, A. (1999). Staying alive: Evolution, culture, and women’s intrasexual aggression. Behavioral and Brain Sciences, 22, 203-252. Chagnon, N. (1988). Life histories, blood revenge, and warfare in a tribal population. Science, 239, 985-992. Daly, M. & Wilson, M. (1994). Evolutionary psychology of male violence. In J. Archer (Ed.), Male violence (253-288). London: Routledge. Daly, M. & Wilson, M. (2002). Tödliche interpersonelle Gewalt aus Sicht der Evolutionspsychologie. In W. Heitmeyer & J. Hagan (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, 709-734. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Eibl-Eibesfeldt, I. (1984). Liebe und Hass: Zur Naturgeschichte elementarer Verhaltensweisen, 11. Aufl. München: Piper. Euler, H. A. (2004). Die Beitragsfähigkeit der evolutionären Psychologe zur Erklärung von Gewalt. In W. Heitmeyer & H.-G. Soeffner (Hrsg.), Gewalt: Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme, 411-435. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Meyer, P. (1983). Macht und Gewalt im Evolutionsprozeß. Eine biosoziologische Perspektive. In H. Flohr & W. Tönnesmann (Hrsg.), Politik und Biologie: Beiträge zur Life-Sciences-Orientierung der Sozialwissenschaften, 60-68. Berlin: Parey. Wilson, M. & Daly, M. (1985). Competitiveness, risk-taking, and violence: The young male syndrome. Ethology and Sociobiology, 6, 59-73.
Kapitel
11
Konflikte zwischen den Geschlechtern
Es wird immer einen Kampf zwischen den Geschlechtern geben, denn Männer und Frauen wollen unterschiedliche Dinge. Männer wollen Frauen und Frauen wollen Männer. – George Burns In jedem Zeitalter ist der Kampf der Geschlechter vor allem ein Kampf um Sex. – Donald Symons, 1979 In einer Studie unter Highschool-Studenten berichteten 36 Prozent der Mädchen über körperliche Gewalt in Beziehungen (DeGroat, 1997). Die gleiche Studie stellte fest, dass 44 Prozent derjenigen, die gemäßigte Formen der Gewalt wie Treten, Kneifen, Kratzen, Schlagen und Ziehen erlebten, in der Opferbeziehung verblieben. 36 Prozent derjenigen, denen schwere Formen der Gewalt widerfuhren, die gewürgt wurden, geschlagen oder mit einer Waffe bedroht wurden, blieben ebenfalls in der Beziehung. Diese Studie bildet nur die Spitze eines Eisbergs über Konflikte zwischen den Geschlechtern. Dieses Kapitel erforscht die evolutionäre Basis der Konflikte zwischen den Geschlechtern und die diese umgebenden empirischen Forschungen. Als evolutionäre Psychologen begannen, Konflikte zwischen den Geschlechtern zu untersuchen, war dieses Thema kaum erforscht. Ein evolutionärer Psychologe bat Männer und Frauen, alles aufzulisten, was sie verletzte, ärgerte oder irritierte (Buss, 1989b). Die Teilnehmer listeten 147 Konfliktquellen auf, die von Herablassung, Beleidigung und körperlicher Misshandlung bis zu sexueller Aggression, sexueller Verweigerung, Sexismus und sexueller Untreue reichten. Anhand der Liste wurde eine Reihe evolutionspsychologischer Hypothesen untersucht, die auf der Theorie der interferierenden Strategien (strategic interference theory) basierten.
11.1
Theorie der interferierenden Strategien
Ein Konflikt stellt ein universelles Merkmal sozialer Interaktionen dar und tritt in unterschiedlichen Formen auf. In Kapitel 10 untersuchten wir die Manifestationen gleichgeschlechtlicher Konflikte, zu denen die Abwertung von Konkurrenten, körperliche Gewalt und Krieg gehören. Diese Konflikte waren aus evolutionärer Sicht vorhersehbar. Angehörige des gleichen Geschlechts stehen oft wegen der gleichen Ressourcen in Konkurrenz zueinander: wegen Angehöriger des anderen Geschlechts und wegen der Ressourcen, die benötigt werden um sie anziehen.
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Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften
Evolutionäre Psychologen haben Konflikte zwischen den Geschlechtern vorhergesagt, aber nicht, weil Männer und Frauen um die gleichen reproduktiven Ressourcen konkurrieren. Viele Konfliktquellen können vielmehr auf unterschiedliche sexuelle Strategien zurückgeführt werden. Wie wir in den Kapiteln 4, 5 und 6 sahen, haben beide Geschlechter kurzfristige und langfristige Partnerstrategien entwickelt. Die Natur dieser Strategien unterscheidet sich jedoch zwischen den Geschlechtern. Einer der wichtigsten Unterschiede betrifft kurzfristige Partnerstrategien. Männer, mehr als Frauen, haben einen Wunsch nach sexueller Abwechslung entwickelt. Dieser Wunsch manifestiert sich auf mehrere Arten, zu denen u.a. gehört, dass sie früher, hartnäckiger und aggressiver sexuellen Zugang suchen als Frauen dies normalerweise wünschen. Umgekehrt sind Frauen bei kurzfristigen Partnerstrategien anspruchsvoller und zögern den Geschlechtsverkehr länger hinaus als Männer dies wollen. Die Geschlechter können diese widersprüchlichen sexuellen Wünsche natürlich nicht gleichzeitig erfüllen. Das ist ein Beispiel für Interferenz durch verschiedene Strategien (strategic interference). Strategien interferieren dann miteinander, das heißt sie kommen sich dann ins Gehege, wenn eine Person eine bestimmte Strategie verfolgt, um ein Ziel zu erreichen, und eine andere Person das erfolgreiche Wirken dieser Strategie oder die Erfüllung dieses Wunsches blockiert oder behindert. Verfolgt eine Frau die Strategie, den Geschlechtsverkehr solange hinauszuzögern, bis sie emotionale Bindung und Engagement bei einem Mann verspürt, während der Mann auf seinen sexuellen Annäherungsversuchen beharrt, selbst nachdem die Frau ihren Wunsch zu warten angezeigt hat, stellt dies eine Interferenz in die sexuelle Strategie der Frau dar. Gleichzeitig durchkreuzt die Verzögerungsstrategie der Frau aber auch die kurzfristige Partnerstrategie des Mannes und seinen Wunsch nach Sex. Männer und Frauen geraten somit nicht in Konflikt miteinander, weil sie um die gleichen Ressourcen konkurrieren, wie dies bei gleichgeschlechtlichen interferierenden Strategien der Fall ist, sondern weil die Strategie des einen Geschlechts der des anderen zuwiderläuft. Die Theorie der interferierenden Strategien bezieht sich nicht nur auf Konflikte hinsichtlich des Zeitpunkts des Geschlechtsverkehrs. Konflikte gibt es in allen Beziehungen der Geschlechter vom Kontakt am Arbeitsplatz bis zu Verabredungen und Ehestreitigkeiten. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stellt eine Form der Interferenz auch verschiedene Strategien dar. Täuschungen bei Verabredungen sind eine andere Form. Ein Mann, der eine Frau über seinen Familienstand täuscht und eine Frau, die einen Mann über ihr Alter täuscht, verletzen die Wünsche des anderen Geschlechts, was ebenfalls eine Form interferierender Strategien darstellt. Innerhalb der Ehe stellt die sexuelle Untreue eine weitere Form dar, da sie die Wünsche des Ehepartners verletzt. Zwanghafte Kontrolle, Drohungen, Gewalt, Beleidigungen und Versuche, die Selbstachtung des Partners zu verringern, stellen andere Formen interferierender Strategien in langfristigen Beziehungen dar. Der springende Punkt ist, dass die interferierenden Strategien - die Blockierung von Strategien und die Verletzung der Wünsche des anderen - die Interaktionen zwischen den Geschlechtern, vom Fremden bis zum intimen Partnern durchdringen. Die zweite Komponente interferierender Strategien postuliert, dass „negative“ Emotionen wie Wut, Verzweiflung und Verstimmungen psychologische Lösungen darstellen, die entwickelt wurden, um die adaptiven Probleme zu beheben, die durch interferierende Strate-
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
gien ausgelöst werden. Das Wort negativ ist mit Anführungszeichen versehen, da, obwohl diese Emotionen normalerweise schmerzhaft sind, angenommen wird, dass sie zur Lösung von adaptiven Problemen zweckmäßig sind, die durch interferierende Strategien ausgelöst werden. Zum einen machen sie auf problematische Ereignisse aufmerksam, konzentrieren unsere Aufmerksamkeit auf diese und schirmen einen Moment lang weniger wichtige Ereignisse ab. Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource, mit der man umsichtig umgehen sollte. Wenn jemand Wut oder Verzweiflung erlebt, leiten die Emotionen ihn zur Quelle der Verzweiflung. Zum zweiten werden diese Ereignisse in der Erinnerung gespeichert und können leicht wieder aufgerufen werden. Zum dritten werden durch Emotionen Handlungen ausgelöst und es wird versucht, die Ursachen der interferierenden Strategien zu beseitigen. Zusammengefasst besteht die Theorie der interferierenden Strategien aus zwei Postulaten. Erstens gibt es immer dann Interferenz zwischen Strategien, wenn Angehörige des einen Geschlechts die Wünsche der Angehörigen des anderen Geschlechts verletzen; historisch gesehen hinderten solche Interferenzen unsere Vorfahren daran, ihre sexuellen Strategien zu verfolgen und beeinträchtigten somit ihren reproduktiven Erfolg. Zweitens stellen „negative“ Emotionen wie Wut, Zorn und Verzweiflung entwickelte Lösungen zu den Problemen dar, die durch interferierende Strategien entstehen, indem man auf die Quellen der Interferenz aufmerksam wird und Handlungen ausgelöst werden, diesen entgegenzuwirken. Bevor wir mit den empirischen Studien fortfahren, die diese Theorie untersuchen, sollten wir zwei qualifizierende Merkmale betrachten. Erstens dienen Konflikte per se keinen adaptiven Zwecken. Es ist für Individuen nicht adaptiv, mit dem anderen Geschlecht in Konflikt zu geraten. Konflikte sind ein unerwünschtes Nebenprodukt der Tatsache, dass sich die sexuellen Strategien von Männern und Frauen grundlegend unterscheiden. Eine zweite Qualifikation besteht darin, dass die Metapher „Kampf der Geschlechter“ irreführend ist. Der Satz deutet an, dass Männer in ihren Interessen genauso wie die Frauen als eine Gruppe vereint sind und dass die zwei Gruppen gegeneinander Krieg führen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Eine evolutionäre Sichtweise hilft uns zu verstehen, warum. Männer können aus dem einfachen Grund nicht mit allen anderen Männer vereint sein, da Männer vor allem mit Angehörigen ihres eigenen Geschlechts in ständiger Konkurrenz stehen. Das Gleiche gilt für Frauen. Natürlich können Männer bzw. Frauen Allianzen mit Angehörigen ihres eigenen Geschlechts eingehen, aber dies widerspricht nicht dem grundlegenden Prinzip, dass Individuen vor allem in Konkurrenz zu Angehörigen ihres eigenen Geschlechts stehen. Mit diesen Qualifikationen im Hinterkopf wenden wir uns nun den empirischen Belegen über die Konflikte zwischen den Geschlechtern zu.
11.2
Konflikte über das Ob und Wann von Sex
Unstimmigkeiten über das Ob und Wann von Sex gehören zu den häufigsten Konfliktquellen zwischen Männern und Frauen. In einer Studie führten 121 College-Studenten über einen Zeitraum von vier Wochen ein Tagebuch über ihre Verabredungen. 47 Prozent der Teilnehmer berichteten über eine oder mehrere Meinungsverschiedenheiten hinsicht-
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lich der gewünschten sexuellen Intimität (Byers & Lewis, 1988). Diese Meinungsverschiedenheiten wiesen einen beträchtlichen Geschlechtsunterschied auf. In einer Studie australischer Studenten berichteten 53 Prozent der 217 Studienteilnehmerinnen, dass mindestens ein Mann den „Grad der gewünschten Intimität überschätzt“ hatte, während 45 Prozent der 72 männlichen Teilnehmer berichteten, dass mindestens eine Frau „den Grad der gewünschten Intimität unterschätzt“ hatte (Paton & Mannison, 1995, S. 447). Manchmal erhoffen sich Männer sexuellen Zugang mit einem Minimum an Investitionen. Häufig bewachen sie ihre Ressourcen und sind außerordentlich wählerisch, in wen sie diese investieren. Sie sind mit ihren Ressourcen zurückhaltend und bewahren sie für langfristige Partnerinnen auf. Da Frauen oftmals eine langfristige Partnerstrategie verfolgen, halten sie Ausschau nach Investitionen oder nach Signalen, die auf Investitionen hindeuten, bevor sie Sex zustimmen. Aber die von Frauen so begehrten Investitionen sind genau das, was Männer so energisch zurückhalten. Der sexuelle Zugang, den Männer suchen, ist wiederum genau die Ressource, bei deren Gewährung die Frauen so zurückhaltend sind.
Konflikte über sexuellen Zugang Inferenzen über sexuelle Absichten. Eine wichtige psychologische Quelle dieser Konflikte ist die Tatsache, dass Männer Frauen manchmal sexuelle Absichten unterstellen, die nicht existieren. Studien haben dieses Phänomen dokumentiert (Abbey, 1982; Saal, Johnson & Weber, 1989). Im Rahmen einer Studie sahen 98 männliche und 102 weibliche College-Studenten ein zehnminütiges Videoband einer Unterhaltung, in der eine Studentin ihren Professor um mehr Zeit zur Fertigstellung einer Semesterarbeit bittet. Die Darsteller waren eine Schauspielschülerin und ein Professor der Theaterwissenschaften. Weder die Studentin noch der Professor flirteten oder verhielten sich offensichtlich sexuell, sondern gingen freundlich miteinander um. Die Betrachter des Videos beurteilten dann die Absichten der Frau auf einer 7-Punkte-Skala. Frauen bewerteten die Interaktion als vorwiegend freundlich mit einer Bewertung von 6.45 und nicht als sexy (2.00) oder verführerisch (1.89). Männer bewerteten die Freundlichkeit mit 6.09, nahmen aber auch verführerische (3.38) und sexuelle (3.84) Absichten wahr. Zu ähnlichen Ergebnissen kam man, als 246 Universitätsstudenten gebeten wurden, die Absichten der Frauen auf Fotografien, die Paare beim gemeinsamen Lernen zeigten, zu bewerten (Abbey & Melby, 1986). Männer sahen eine Absicht, sexy (4.87) und verführerisch (4.08) zu sein, während die Frauen weniger sexuelle Absicht (3.11) und weniger Verführungsabsichten (2.61) unterstellten. Männer interpretieren Freundlichkeit und Lächeln einer Frau eher als Indikatoren sexuellen Interesses als Frauen, die die gleichen Ereignisse sehen.
Bisher liegt nur eine kulturübergreifende Studie dieser Geschlechtsunterschiede in der Wahrnehmung sexueller Absicht vor. Eine Stichprobe von 196 brasilianischen CollegeStudenten (98 Frauen und 98 Männer) bewertete vier hypothetische Szenarien, die auf Portugiesisch präsentiert wurden (DeSouza, Pierce, Zanelli & Hutz, 1992). Eine parallele Stichprobe von 204 amerikanischen College-Studenten bewertete die Szenarien auf Englisch. In jedem Szenario verbrachten ein Mann und eine Frau auf einer Party Zeit miteinander. Die Szenarien unterschieden sich darin, ob der Mann und die Frau Alkohol
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
getrunken hatten und ob die Frau damit einverstanden war, mit dem Mann in seinen Schlafraum zu gehen. Nachdem sie jedes Szenario gesehen hatten, bewerteten die Teilnehmer vier Fragen auf einer 7-Punkte-Skala und schätzten den Grad ein, in dem ein jeder der Akteure entweder eine Bereitschaft oder eine Erwartung ausgedrückt hatte, Sex zu haben. Die Antworten auf die vier Fragen ergaben zusammengefasst einen zusammengesetzten Index der wahrgenommenen sexuellen Absichten. Die Ergebnisse sind in Abbildung 11.1 dargestellt. Die brasilianischen Studenten nahmen mit Durchschnittswerten von 18.77 bzw. 14.27 einheitlich mehr Sexualität im Verhalten der Akteure wahr als die amerikanischen Studenten. Die Geschlechtsunterschiede waren ebenfalls hoch signifikant. Brasilianische und amerikanische Männer nahmen mit Durchschnittswerten von 17.53 bzw. 15.50 eine deutlichere sexuelle Absicht im Verhalten der Akteure wahr als die Frauen. Getrennte Analysen in jeder Kultur zeigten, dass die Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der sexuellen Absichten besonders für die Szenarien stabil blieben, in denen die Akteure Alkohol konsumiert hatten. Im Zweifelsfall schließen Männer auf sexuelles Interesse. Sie handeln gemäß ihrer Inferenzen und eröffnen sich so gelegentlich sexuelle Möglichkeiten. Hätte im Lauf der Evolutionsgeschichte auch nur ein geringer Teil dieser Inferenzen zu Sex geführt, hätten Männer niedrigere Schwellen entwickelt, um auf das sexuelle Interesse von Frauen zu schließen. Es ist unmöglich eindeutig festzustellen, ob Männer das sexuelle Interesse von Frauen tatsächlich falsch beurteilen, da es unmöglich ist, mit Gewissheit die Interessen und Absichten einer Person zu bestimmen. Aber wir können mit Sicherheit sagen, dass Männer bei der Wahrnehmung sexuellen Interesses niedrigere Schwellen haben als Frauen. Männer Frauen
Sexuelle Absichten
22 20 18 16 14 12 S1
S2
S3
S4
Abbildung 11.1: Durchschnittliche Einschätzung der sexuellen Absicht in Brasilien und den Vereinigten Staaten Die Abbildung zeigt, dass Männer beim Anblick desselben Szenarios mehr auf eine sexuelle Absicht schließen, als Frauen dies tun. Quelle: Perceived sexual intent in the United States and Brazil as a function of nature of encounter, subjects’ nationality, and gender by E. R. DeSouza, T. Pierce, J. C. Zanelli & C. Hutz, Journal of Sex Research 29, (1992), 251-260.
Dieser männliche Mechanismus ist anfällig für Manipulationen. Frauen wenden Sexualität manchmal bewusst als Taktik an. In einer Studie von 200 Universitätsstudenten berichteten deutlich mehr Frauen als Männer, dass sie Taktiken wie Lächeln und Flirten einsetzten,
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Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften
um eine besondere Behandlung durch Angehörige des anderen Geschlechts zu erhalten, obwohl sie kein Interesse hatten, mit diesen Männern Sex zu haben (Buss, 2003). Die Tatsache, dass Männer häufig annehmen, Frauen seien sexuell an ihnen interessiert, auch wenn dies nicht der Fall ist, kombiniert mit dem absichtlichen Einsatz dieses psychologischen Mechanismus durch die Frauen, führt zu einer potentiell brisanten Mischung. Die unterschiedlichen sexuellen Strategien der Männer und Frauen führen zu Konflikten über das Ausmaß gewünschter Intimität, da Männer das Gefühl haben, dass Frauen sie anmachen und Frauen das Gefühl haben, dass Männer sie zu sehr zum Sex drängen. Täuschung über Bindung. Eine weitere Manifestation des Konflikts über sexuellen Zugang stammt aus Forschungen über Täuschungen zwischen den Geschlechtern. Männer berichteten, Frauen absichtlich über ihre emotionale Bindung (commitment) zu täuschen. Als 112 männliche College-Studenten gefragt wurden, ob sie jemals die Tiefe ihrer Gefühle übertrieben hätten, damit eine Frau Sex mit ihnen zustimmte, bekannten sich 71 Prozent, diese Strategie schon angewandt zu haben, während es bei den Frauen nur 39 Prozent waren (Buss, 1994). Frauen wurden ebenfalls gefragt, ob Männer sie jemals getäuscht hätten, indem sie die Tiefe ihrer Gefühle übertrieben haben, um Sex mit ihnen zu haben. 97 Prozent der Frauen gaben an, diese Taktik schon erlebt zu haben, während es bei den Männern nur 59 Prozent waren.
Bei dem Werben um den Partner zahlen den Preis, über die Ressourcen und den Bindungswillen des potentiellen Partners getäuscht zu werden, hauptsächlich die Frauen. Wenn einer unserer männlichen Vorfahren eine schlechte Wahl hinsichtlich eines Sexualpartners traf, verlor er nur einen kleinen Teil seiner Zeit, seiner Energie und Ressourcen, auch wenn er die Wut eines eifersüchtigen Ehemannes oder eines beschützenden Vaters heraufbeschwor. Lies sich eine unserer weiblichen Vorfahren über die langfristigen Absichten oder die Bereitschaft, Ressourcen zur Verfügung zu stellen, täuschen, so hatte sie eine schlechte Wahl getroffen. Sie riskierte, schwanger zu werden und das Kind ohne Hilfe des Vaters aufziehen zu müssen. Da die Getäuschte schwerwiegende Verluste erleiden kann, muss es einen großen Selektionsdruck für die Entwicklung psychologischer Wachsamkeit gegeben haben, um Hinweise auf Täuschung zu entdecken und diese zu vermeiden. Die heutige Generation erlebt lediglich einen weiteren Zyklus im ewigen Kreislauf des evolutionären Wettrüstens zwischen einem Geschlecht, das den Betrug erkennt, und dem anderen Geschlecht, dem eine Täuschung gelingt. Während die Täuschungstaktiken subtiler und raffinierter werden, wird die Fähigkeit zur Erkennung derselben notwendiger. Frauen haben Strategien entwickelt, um sich gegen Täuschung zu schützen. Für Frauen, die eine feste Beziehung suchen, ist die erste Verteidigungslinie die Auferlegung von Kosten, indem sie Zeit, Energie und Bindungswillen fordern, bevor sie Sex zustimmen. Mehr Zeit bringt den Vorteil einer besseren Einschätzung. Frauen können somit besser einschätzen, wie sehr ein Mann an ihnen interessiert und ob er durch frühere Beziehungen zu anderen Frauen und Kindern belastet ist. Männer, die Frauen über ihre Absichten zu täuschen versuchen, werden durch die Notwendigkeit des lange anhaltenden Umwerbens abgeschreckt. Sie suchen nach anderen Sexualpartnern, die leichter zugänglich sind.
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
Um sich gegen Täuschung zu schützen, verbringen Frauen viele Stunden damit, mit ihren Freundinnen die Einzelheiten von Interaktionen, die sie mit ihrem Partner oder einem möglichen Partner hatten, zu analysieren. Gespräche werden wiedergegeben und genau untersucht. Die meisten Frauen geben zu, dass sie mit ihren Freundinnen reden, um die wahren Absichten eines Mannes herauszufinden, mit dem sie ausgehen. Männer dagegen widmen der Einschätzung einer begehrten Frau bedeutend weniger Zeit (Buss, 2003). Kognitive Tendenzen im Erkennen sexueller Intentionen. Menschen leben in einer unbeständigen Welt der Partnersuche. Wir müssen ständig Inferenzen über die Absichten und den emotionalen Zustand anderer ziehen. Wie sehr ist er von ihr angezogen? Wie eng ist sie mit ihm verbunden? Signalisiert dieses Lächeln sexuelles Interesse oder einfach nur Freundlichkeit? Manchmal werden psychologische Zustände, wie schwelende Leidenschaften für andere Menschen, absichtlich verheimlicht, was die Zweifel noch größer werden lässt und die Inferenzen aus diesem Verhalten noch schwieriger macht. Wir sind gezwungen, Inferenzen über Absichten und verheimlichte Handlungen zu ziehen, indem wir eine Reihe von Hinweisen benutzen, die nur probabilistisch mit der tatsächlichen Handlung zusammenhängen. Ein fremder Geruch am festen Partner beispielsweise könnte sexuelle Untreue bedeuten oder ein harmloser Duft sein, der in einem normalen Gespräch angenommen wurde.
Versucht man die Gedanken anderer zu lesen, kann man auf zwei Arten falsch liegen. Man kann auf einen psychologischen Zustand schließen, der nicht existiert, wie beispielsweise anzunehmen, dass sexuelles Interesse besteht, wenn dieses abwesend ist; oder die tatsächlich vorhandenen romantischen Sehnsüchte des anderen werden übersehen. Nach einem neuen Ansatz, der so genannten Fehlermanagement-Theorie (error management theory), ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Kosten-Nutzen-Folgen der beiden Arten identisch auftreten. (Haselton, 2003; Haselton & Buss, 2000; Haselton & Buss, 2003; siehe auch Buss, 2001). Wir verstehen dies intuitiv im Zusammenhang mit Feuermeldern, die normalerweise hypersensibel auf Rauch eingestellt sind. Die Folgekosten eines gelegentlichen Fehlalarms sind unbedeutend im Vergleich zu den enormen Kosten, die entstehen würden, wenn ein Feuer nicht entdeckt würde. Die Fehlermanagement-Theorie dehnt diese Logik auf die Kosten-Nutzen-Folgen der evolutionären Fitness aus und insbesondere darauf, die Gedanken des anderen Geschlechts zu lesen. Nach der Fehlermanagement-Theorie führen Asymmetrien in den Kosten-Nutzen-Folgen der Inferenzen des Erkennens von Intentionen, wenn sie im Lauf der Evolution wiederkehren, zu einem Selektionsdruck, der vorhersagbare kognitive Tendenzen entwickelt. So wie Feuermelder „dazu tendieren“, mehr Fehlalarme als Feueralarme auszulösen, so sagt die Fehlermanagement-Theorie voraus, dass Mechanismen des Erkennens von Intentionen dazu tendieren, eher zur einen Art von Inferenzfehler zu führen, als zur anderen. Zwei potentielle Tendenzen des Erkennens von Intentionen wurden erforscht. Die erste ist die Tendenz der übersteigerten Wahrnehmung sexueller Interessen seitens der Frau (sexual overperception bias), nach der Männer beim Erkennen von Intentionen dazu neigen, die Kosten verpasster sexueller Möglichkeiten zu minimieren. Die Fehlermanagement-Theorie liefert so eine stichhaltige Erklärung für das oben diskutierte Beispiel, dass Männer fälschlicherweise annehmen, eine Frau sei sexuell an ihnen interessiert, wenn sie sie anlächelt, ihren Arm berührt oder auf einen Drink in der Kneipe vorbeikommt.
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Die zweite ist die Tendenz der Frauen, Bindungen skeptisch einzuschätzen (commitment skepticism bias) (Haselton & Buss, 2000). Nach dieser Hypothese haben Frauen eine Tendenz entwickelt, den tatsächlichen Grad der romantischen Bindung eines Mannes zu Beginn des Umwerbens zu unterschätzen. Diese Tendenz hat die Funktion, die Kosten zu minimieren, von Männern getäuscht zu werden, die Bindungswillen heucheln, um eine Strategie für Gelegenheitssex zu verfolgen. Wenn Männer den umworbenen Frauen Blumen überreichen oder Geschenke machen, tendieren die Empfänger dazu, das Ausmaß, in dem diese Geschenke Bindung signalisieren, im Vergleich zu „objektiven“ Beobachtern zu unterschätzen. Natürlich gibt es gute Gründe für Frauen, am Bindungswillen des Mannes zu zweifeln. Männer, die Gelegenheitssex suchen, versuchen Frauen regelmäßig über ihren Bindungswillen, ihren sozialen Status und sogar ihre Zuneigung zu Kindern zu täuschen. Diese Bereiche der Täuschung sind den Frauen wohl bekannt (Keenan, Gallup, Goulet & Kulkarni, 1997). Die Fehlermanagement-Theorie bietet eine neue Sichtweise auf die Schwierigkeiten bei der Partnersuche. Sie legt nahe, dass bestimmte Fehler eher funktionelle Adaptationen als Mängel der psychologischen Maschinerie reflektieren. Sie gibt neue Einblicke, warum Männer und Frauen in Konflikt geraten, z.B. die Tendenz der Männer zur übersteigerten Wahrnehmung sexueller Interessen der Frau, die zu unerwünschter sexueller Anmache führt. Die Kenntnis dieser Tendenzen und die evolutionäre Logik ihrer Entstehung könnte Männern und Frauen helfen, die Gedanken und Absichten ihres Gegenübers besser zu deuten. Sexuelle Belästigung. Diskrepanzen über sexuellen Zugang gibt es nicht nur im Zusammenhang mit Verabredungen und ehelichen Beziehungen, sondern auch am Arbeitsplatz, wo Menschen häufig kurzfristige und langfristige Partner suchen. Sexuelle Belästigung wird als „unerwünschte und unerbetene sexuelle Aufmerksamkeit von anderen Individuen am Arbeitsplatz“ definiert (Terpstra & Cook, 1985). Sie reicht von unerwünschtem Anstarren und sexuellen Kommentaren bis zu körperlichen Übergriffen wie das Berühren der Brüste, des Gesäßes oder der Genitalien. Sexuelle Belästigung führt zu offensichtlichen Konflikten zwischen den Geschlechtern und ist ein Ergebnis der entwicklungsbedingten psychologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen (Brown, 2002).
Sexuelle Belästigung wird normalerweise durch die Möglichkeit motiviert, dass sie zu einer kurzfristigen sexuellen Begegnung führen kann, auch wenn nicht ausgeschlossen wird, dass sie durch den Wunsch motiviert wird, Macht zu zeigen oder durch die Suche nach einer langfristigen romantischen Beziehung. Die Ansicht, dass sexuelle Belästigung durch die unterschiedlichen sexuellen Strategien von Mann und Frau erzeugt wird, wird durch die Profile der typischen Opfer gestützt, wozu Faktoren wie Geschlecht, Alter, Familienstand und Attraktivität gehören, sowie die Reaktionen auf unerwünschte sexuelle Anmache und die Umstände, unter denen die Belästigungen stattfanden. Die Opfer sexueller Belästigung sind nicht zufällig überwiegend beim weiblichen Geschlecht zu finden. In einer Studie von Beschwerden, die beim Illinois Department of Human Rights über einen Zeitraum von zwei Jahren registriert wurden, reichten Frauen 76 Beschwerden ein, während Männer nur fünf Beschwerden einreichten. In einer weiterer Studie, die 10.644 Angestellte der Bundesregierung erfasste, gaben 42 Prozent der Frauen, aber nur 15 Prozent der Männer an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein (Gutek, 1985). Von den Beschwerden über sexuelle Belästigung, die bei den Behörden
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einer kanadischen Provinz eingingen, stammten 93 von Frauen und nur zwei von Männern. In den beiden Fällen, in denen Männer Opfer sexueller Belästigung waren, wurden diese von Männern belästigt. Somit sind Frauen im Allgemeinen die Opfer sexueller Belästigung und Männer im Allgemeinen die Täter. Angesichts der Tendenz, dass Frauen mehr unter sexueller Aufdringlichkeit oder Aggressivität leiden, reagieren sie bestürzter auf die gleichen Akte sexueller Belästigung als Männer (Buss, 2003; Rotundo, Nguyen & Sackett, 2001). Daher reichen Frauen wahrscheinlich eher offizielle Beschwerden ein, wenn sie belästigt werden. Obwohl jede Frau das Ziel sexueller Belästigung sein kann, sind vor allem junge, attraktive und allein stehende Frauen betroffen. Frauen über 45 werden seltener Opfer vielseitiger Formen sexueller Belästigung als jüngere Frauen (Studd & Gattiker, 1991). Eine Studie stellte fest, dass 72 Prozent der Beschwerden von Frauen im Alter zwischen 20 und 35 eingereicht wurden, obwohl sie nur 43 Prozent der Belegschaft darstellten. Frauen über 45, die 28 Prozent der Belegschaft ausmachten, reichten dagegen nur fünf Prozent der Beschwerden ein. In keiner der vielen Studien über sexuelle Belästigung waren ältere Frauen dem gleichen oder einem höheren Risiko an Belästigungen ausgesetzt als junge Frauen. Die Opfer sexueller Belästigung sind relativ jung, was mit den allgemeinen Manifestationen männlichen sexuellen Interesses übereinstimmt. Reaktionen auf sexuelle Belästigungen tendieren dazu, der Logik zu folgen, die durch die evolutionäre Psychologie vorhergesagt wird. Als Männer und Frauen gefragt wurden, wie sie sich fühlen würden, wenn ein Kollege des anderen Geschlechts sie fragen würde, ob sie mit ihm Sex haben wollten, antworteten 63 Prozent der Frauen, sie wären beleidigt, während eine Minderheit, nämlich 17 Prozent der Frauen antwortete, sie würden sich geschmeichelt fühlen. Die Reaktionen der Männer waren genau gegenteilig. Nur 15 Prozent der Männer sagten, sie wären beleidigt, während 67 Prozent sich geschmeichelt fühlten. Diese Reaktionen stimmen mit der evolutionären Logik des Partnerverhaltens überein, mit der Männer auf die Aussicht auf Gelegenheitssex positiv reagieren, während Frauen sich als Sexobjekte herabgesetzt fühlen. Diese Ergebnisse unterstützen die Theorie der interferierenden Strategien. Der Grad der Empörung über sexuelle Annäherungsversuche hängt jedoch teilweise auch vom Status des Belästigers ab. In einer Studie bewerteten 109 College-Studentinnen, wie verärgert sie wären, wenn sie ein ihnen unbekannter Mann, dessen beruflicher Status von niedrig bis hoch variierte, beharrlich fragen würde, ob sie mit ihm ausgehen würden, obwohl sie dies schon mehrmals abgelehnt hatten (Buss, 2003). Auf einer 7-Punkte-Skala waren die Frauen am meisten über beharrliche Annäherungsversuche von Bauarbeitern (4.04), Müllmännern (4.32), Reinigungspersonal (4.19) und Mitarbeitern an der Tankstelle (4.13) verärgert und am wenigsten über beharrliche Annährungsversuche von Medizinstudenten (2.65), anderen Studenten (2.80) oder erfolgreichen Rockstars (2.71). Als 104 andere Frauen befragt wurden, wie geschmeichelt sie sich durch ein direktes sexuelles Angebot von Männern verschiedener Berufe fühlen würden, fielen die Antworten ähnlich aus. Es scheint, als ob die Emotionen der Belästigten, die interferierende Strategien in Bezug auf die belästigende Person signalisieren, sensibel auf den Status des Belästigers reagieren würden.
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Die Befunde zu den Profilen der Opfer sexueller Belästigungen, die Geschlechtsunterschiede emotionaler Reaktionen auf sexuelle Belästigung und die Bedeutung des Status des Belästigers folgen der evolutionären Logik sexueller Strategien und der Theorie der interferierenden Strategien. Männer entwickelten niedrigere Schwellen, um Gelegenheitssex ohne Bindung zu verwirklichen und um sexuelle Absichten bei anderen wahrzunehmen. Diese im Laufe der Evolution entstandenen sexuellen Mechanismen wirken im Arbeitsumfeld nicht anders als in anderen sozialen Zusammenhängen. Frauen haben psychologische Muster von Wut und Verärgerung in Reaktion auf sexuelle Belästigung entwickelt – Emotionen, die vermutlich die interferierenden Strategien neutralisieren oder die Wahrscheinlichkeit ihres künftigen Auftretens verringern. Sexuelle Aggressivität. Sexuelle Aggressivität, die nachhaltige Verfolgung sexuellen Zugangs
trotz der Abneigung oder des Widerstands einer Frau, kann außer der sexuellen Belästigung auch viele andere Formen annehmen. Die Strategie der sexuellen Aggressivität wird von Männern angewandt, um die Kosten des sexuellen Zugang zu minimieren, obwohl sie wiederum mit Kosten wie Vergeltungsmaßnahmen und einer Schädigung des eigenen Ansehens verbunden ist. Sexuelle Aggression tritt exemplarisch auf in der Forderung oder Erzwingung sexueller Intimitäten, wenn keine Zustimmung zum Sex erhalten wurde und die Berührung des Körpers einer Frau gegen deren Willen erfolgte. In einer Studie wurden Studentinnen gebeten, auf einer Skala von 1 (überhaupt nicht verletzend) bis 7 (extrem verletzend) 147 potentiell verletzende Handlungen zu bewerten, die Männer ihnen antun könnten (Buss, 1989b). Frauen bewerteten sexuelle Aggressivität mit durchschnittlich 6.5. Keine anderen Handlungen der Männer, zu denen verbale Beschimpfung und nicht sexuelle körperliche Misshandlung gehörten, wurden von Frauen als so verletzend bewertet wie sexuelle Aggression. Im Gegensatz zur Meinung einiger Männer lehnen Frauen erzwungenen Sex strikt ab. Ganz anders dazu scheinen Männer sich weit weniger belästigt zu fühlen, wenn eine Frau sexuell aggressiv ist. Sie bewerteten dies als relativ harmlos, verglichen mit anderen Quellen des Unbehagens. Auf derselben 7-Punkte-Skala bewerteten Männer die Gruppe sexuell aggressiver Handlungen mit 3,02 oder leicht verletzend, wenn diese von einer Frau begangen wurden. Einige Männer schrieben spontan an den Rand des Fragebogens, dass sie es sexuell erregen würde, wenn sich eine Frau sexuell aggressiv verhält. Andere Verletzungen wie Untreue, sowie verbale Beschimpfungen und körperlicher Missbrauch wurden mit 6.04 und 5.55 Punkten als sehr viel verletzender empfunden als sexuelle Aggression durch Frauen. Ein beunruhigender Unterschied zwischen Männer und Frauen ist die Tatsache, dass Männer durchweg unterschätzen, wie unakzeptabel sexuelle Aggression für Frauen ist. Männer, die gebeten wurden, die negativen Auswirkungen sexueller Aggressionen auf Frauen zu bewerten, bewerteten sie auf einer 7-Punkte-Skala mit 5.8 Punkten, während Frauen sie mit 6.5 Punkten bewerteten. Dies stellt eine alarmierende Konfliktquelle zwischen den Geschlechtern dar, da sie impliziert, dass einige Männer dazu neigen, sexuell aggressive Handlungen zu begehen, weil sie nicht erkennen, wie verletzend diese auf Frauen wirken. Neben den Konflikten zwischen Individuen bei ihrem heterosexuellen Interagieren könnte es einen weiteren Mechanismus dafür geben, dass Männer wenig Einfühlungsvermögen in Vergewaltigungsopfer haben: sie scheitern dabei, den psychischen Schmerz von Frauen als Folge sexueller Misshandlung nachzuempfinden (Thornhill, 1996).
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
Haben Männer Vergewaltigungs-Adaptationen entwickelt? Vergewaltigung wird definiert als die Anwendung von Gewalt oder die Androhung von Gewalt zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs. Eine der kontroversesten Fragen der evolutionären Psychologie lautet, ob Männer spezielle Vergewaltigungs-Adaptationen entwickelt haben oder ob Vergewaltigung ein Nebenprodukt anderer Mechanismen darstellt. Bei den Skorpionfliegen gibt es Belege, dass Männchen über eine spezielle anatomische Klemme verfügen, die nur im Zusammenhang mit der Vergewaltigung eines Weibchens funktioniert (Thornhill, 1980). Sie wird nicht in anderen Zusammenhängen der Werbung angewandt, in denen das Männchen ein eheliches Geschenk als Anreiz für das Weibchen anbietet. Es gibt auch Belege für eine spezielle Vergewaltigungsstrategie bei Orang-Utans, obwohl dies bei den Primaten eine Ausnahme darstellt, da bei Pavianen und Schimpansen eine solche unbekannt ist (Maggioncalda & Sapolsky, 2002). Die Theorie der Vergewaltigung als Adaptation schlägt vor, dass die Selektion Vorfahren begünstigt hat, die unter bestimmten Umständen vergewaltigten. Befürworter dieser Theorie bringen vor, dass sich im männlichen Geist (mind) mindestens sechs spezielle Adaptationen entwickelt haben könnten (Thornhill & Palmer, 2000): T Einschätzung der Schutzlosigkeit potentieller Vergewaltigungsopfer (z.B. im Krieg oder anderen Zusammenhängen, in denen eine Frau keinen Schutz durch ihren Ehemann oder Verwandte hat) T Ein kontextsensitiver „Schalter“, der Vergewaltigung bei Männern motiviert, denen es an sexuellem Zugang zu zustimmenden Partnerinnen fehlt (z.B. Männer, die auf normalem Weg keinen Partner finden) T Eine Präferenz für fruchtbare Vergewaltigungsopfer im Gegensatz zu einer Präferenz in ehelichen Zusammenhängen für reproduktiv wertvolle, aber vielleicht weniger fruchtbare Partner (siehe Kapitel 5) T Eine Zunahme der Samenzahl im Ejakulat bei einer Vergewaltigung im Vergleich zur Samenzahl bei einvernehmlichem Sex T Sexuelle Erregung beim Mann als Folge der Gewaltanwendung und der Verweigerung der Frau zu einvernehmlichem Sex T Kontextspezifische Vergewaltigung in der Ehe in Umständen, in denen Sperma-Wettbewerb existiert (z.B. wenn der Verdacht oder Beweise weiblicher Untreue vorliegen)
Im Gegensatz dazu schlägt die Theorie der Vergewaltigung als Nebenprodukt vor, dass Vergewaltigung ein Nebenprodukt anderer entwickelter Mechanismen ist wie der männliche Wunsch nach sexueller Abwechslung, der Wunsch nach Sex ohne Investitionen, eine psychologische Sensibilität für sexuelle Gelegenheiten und der allgemeinen Kapazität, körperliche Aggression als Mittel einzusetzen, um verschiedene Ziele zu erreichen. Leider liegen keine eindeutigen Belege vor, die diese konkurrierenden Theorien trennen könnten. Vergewaltigung ist eine häufige Begebenheit im Krieg, aber Diebstahl, Plünderung, Beschädigung von Eigentum und Grausamkeiten gegenüber den Verlierern sind ebenfalls weit verbreitet. Existieren spezielle Adaptationen für jede dieser Verhaltensweisen oder sind sie Nebenprodukte anderer Mechanismen? Abschließende Studien wurden noch nicht durchgeführt. Vor allem junge Frauen im reproduktiven Alter sind Opfer von Vergewaltigungen. 70 Prozent aller Vergewaltigungsopfer sind zwischen 16 und 35 Jahre alt (Thornhill & Thornhill, 1983). Die Tatsache, dass Vergewaltiger junge, fruchtbare Frauen zum Sex zwingen, ist
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jedoch kein entscheidender Beleg für oder gegen die konkurrierenden Vergewaltigungstheorien. Dieses Ergebnis könnte auf die Präferenzen der Männer für fruchtbare Frauen in regulären Zusammenhängen der Partnersuche zurückzuführen sein (siehe Kapitel 5) und daher sind Vergewaltigungs-Adaptationen nicht erforderlich, um dieses Ergebnis zu erklären. Bei Labortests, in denen Männer visuelle Darstellungen von Vergewaltigungen betrachteten, wurde festgestellt, dass Männer sexuell erregt wurden, genau so wie bei der Betrachtung einvernehmlicher sexueller Begegnungen (Thornhill & Thornhill, 1992). Männer werden in jedem Fall sexuell erregt. Nichtsdestotrotz können auch diese Ergebnisse nicht zwischen der Theorie der Vergewaltigung als Adaptation und der Theorie der Vergewaltigung als Nebenprodukt unterscheiden, da sexuelle Erregung durch beide vorhergesagt wird. Zudem kann körperliche Gewalt gegen Frauen oder eine Ekelreaktion der Frau die sexuelle Erregung bei den meisten Männern hemmen, was der Hypothese der Vergewaltigung als Adaptation scheinbar entgegensteht. Offensichtlich unterscheiden sich Männer in ihrem Hang zu Vergewaltigungen. In einer Studie wurden Männer gebeten sich vorzustellen, dass sie Sex mit einer Frau gegen deren Willen haben könnten und dass dies niemals entdeckt werden würde. In der Studie gaben 35 Prozent eine Wahrscheinlichkeit größer Null an für eine Vergewaltigung unter diesen Umständen, auch wenn in den meisten Fällen die Wahrscheinlichkeit gering war (Malamuth, 1981; siehe auch Young & Thiessen, 1992, für ein ähnliches Ergebnis). Obwohl diese Werte alarmierend hoch sind, bieten sie keine klare Unterstützung für die Theorie der Vergewaltigung als Adaptation. Werden die Ergebnisse für bare Münze genommen, so zeigen sie, dass die meisten Männer keine potentiellen Vergewaltiger sind. Vor mehr als zwei Jahrzehnten folgerte Donald Symons: „Ich glaube nicht, dass die vorhandenen Daten ausreichend sind, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass Vergewaltigung eine fakultative Adaptation im Mann darstellt.“ (Symons, 1979, S. 284). Die heute vorliegenden Belege legen nahe, dass diese Schlussfolgerung noch immer zutreffend ist. Nichtsdestotrotz, die Abwesenheit von Belegen ist kein Beleg der tatsächlichen Abwesenheit. Die Tatsache, dass Untersuchungen der Gründe von Vergewaltigungen ideologisch aufgeladen sind, erzeugt ungewollt den Effekt, Forschungsbemühungen zu vereiteln, die die wahren Gründe für dieses abscheuliche Phänomen identifizieren könnten (siehe Jones, 1999, für eine ausgewogene Diskussion über Vergewaltigungstheorien und relevante empirische Belege). Haben Frauen Adaptationen entwickelt, die gegen Vergewaltigung gerichtet sind?
Obwohl sich die Kontroverse über die Erklärungen von Vergewaltigung auf die Motivationen der Männer konzentriert, ist es auch wichtig, die Vergewaltigungsopfer zu untersuchen. In einem Punkt der Opferpsychologie sind sich alle theoretischen Lager einig: Vergewaltigung ist abscheulich und fügt dem Opfer schwere Schäden zu. Man benötigt keine formale Theorie für dieses Verständnis, aber es ist wichtig zu untersuchen, warum Vergewaltigung von den Opfern als außerordentlich traumatisch erlebt wird. Aus der evolutionären Perspektive beginnt der Schaden durch die Vergewaltigung mit der Einmischung in die Partnerwahl der Frau, einem wichtigen Teil ihrer sexuellen Strategien (siehe Kapitel 4). Eine vergewaltigte Frau riskiert eine ungewollte und ungeplante Schwangerschaft von einem Mann, den sie nicht ausgewählt hat. Zudem werden Vergewaltigungsopfer oft
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
beschuldigt oder gar bestraft, was zu einer Beschädigung ihres Ansehens und einer Verringerung ihres zukünftigen Partnerwerts führt. Lebt die vergewaltigte Frau in einer Partnerschaft, besteht das Risiko, dass sie verlassen wird. Vergewaltigte Frauen leiden auch unter psychologischen Nachwirkungen wie Erniedrigung, Sorgen, Angst, Wut und Depressionen. In Anbetracht dieser Schäden wäre es daher überraschend, wenn die Selektion bei Frauen nicht entsprechende Verteidigungsmechanismen entwickelt hätte. Wir möchten darauf hinweisen, dass diese Frage nichts damit zu tun hat, ob Männer eine Vergewaltigungs-Adaptation entwickelt haben oder nicht. Im Prinzip hätten Frauen selbst dann Mechanismen gegen Vergewaltigungen entwickeln können, wenn Vergewaltigung ein Nebenprodukt anderer Mechanismen in Männern wäre. Auch wenn wir keine Zeitreise in die Vergangenheit unternehmen können, legen historische Aufzeichnungen und anthropologische Ethnografien nahe, dass Vergewaltigung kulturübergreifend schon immer vorgekommen ist (Buss, 2003). Von den Semai in Malaysia bis zu den !Kung San in Botswana gibt es viele Aufzeichnungen über Vergewaltigungen. Die von Thomas Gregor studierten Gruppen am Amazonas haben sogar eigene Worte für Vergewaltigung (antapai) und Gruppenvergewaltigung (aintyawakakinapai) (Gregor, 1985). Die evolutionäre Anthropologin Barbara Smuts fasst diese Belege wie folgt zusammen: „Obwohl das Vorherrschen männlicher Gewalt gegen Frauen kulturell variiert, deuten Belege darauf hin, dass Gesellschaften, in denen Männer Frauen selten angreifen oder vergewaltigen, die Ausnahme und nicht die Norm darstellen.“ (Smuts, 1992, S. 1). Wenn Vergewaltigung eine wiederkehrende Gefahr für Frauen darstellte, stellt sich die Frage, welche Verteidigungsmaßnahmen entwickelt wurden, um sie zu verhindern? Solche Maßnahmen könnten sein: T Die Bildung von Allianzen mit anderen Männern als „spezielle Freunde“, um Schutz zu erhalten (Smuts, 1992) T Partnerwahl basierend auf Qualitäten der Männer wie körperliche Größe und soziale Dominanz, die andere Männer von sexueller Aggression abschrecken – die „Bodyguard-Hypothese“ (Wilson & Mesnick, 1997) T Die Kultivierung weiblicher Koalitionen zum Schutz (Smuts, 1992) T Die Entwicklung spezieller Ängste, die Frauen motivieren, bestimmte Situationen zu meiden, in denen sie Gefahr laufen könnten, vergewaltigt zu werden (Chavanne & Gallup, 1998) T Die Vermeidung riskanter Aktivitäten während der Ovulation, um die Risiken sexueller Angriffe zu vermindern (Chavanne & Gallup, 1998) T Psychische Schmerzen infolge einer Vergewaltigung, die Frauen motivieren, Vergewaltigung in Zukunft zu vermeiden (Thornhill & Palmer, 2000) Obwohl Forschungen über diese vermuteten Schutzmaßnahmen erst begonnen haben, scheinen sie viel versprechend zu sein. Frauen, die keine oralen Verhütungsmittel einnehmen, tendieren dazu, während ihrer Ovulation mehr als zu anderen Zeiten ihres Zyklus riskante Aktivitäten zu vermeiden wie alleine in eine Bar oder durch eine schwach beleuchtete Gegend zu gehen (Chavanne & Gallup, 1998). Größere Angst vor Vergewaltigung korreliert positiv mit einer Zunahme von Vorsichtsmaßnahmen, beispielsweise zu
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vermeiden, dass man mit Männern, die man nicht kennt, oder Männern, die einen sexuell anmachen, allein ist. Dies weist auf eine Emotion hin, die ein Verhalten auslöst, das ein Vergewaltigungsrisiko reduziert. Junge Frauen haben eine größere Angst vor Vergewaltigung als ältere Frauen, die sich mehr davor fürchten, ausgeraubt oder überfallen zu werden, was zeigt, dass Angst vor Vergewaltigung mit dem statistischen Risiko einhergeht (Pawson & Blanks, 1993). Direkte Tests der „Bodyguard-Hypothese“ wurden noch nicht durchgeführt, auch wenn verheiratete Frauen über geringere Vergewaltigungsraten berichten als allein stehende Frauen (Wilson & Mesnick, 1997). Zusammengefasst verspricht die bisher durchgeführte empirische Arbeit die Entdeckung von Mechanismen gegen Vergewaltigungen bei Frauen. Angesichts der alarmierenden Vergewaltigungsraten in unserer Gesellschaft ist es dringend erforderlich, Forschungen über Anti-Vergewaltigungs-Strategien und ihre relative Effektivität durchzuführen, unabhängig davon ob sie Adaptationen oder Nebenprodukte kognitiver und emotionaler Mechanismen sind. Individuelle Unterschiede in der sexuellen Aggression: Die Partner-Deprivations-Hypothese. Nicht alle Männer verhalten sich Frauen gegenüber sexuell aggressiv. Evolutio-
näre Psychologen wie Neil Malamuth führten Studien durch, um die Merkmale von sexuell aggressiven Männern zu identifizieren (Malamuth, 1996; Malamuth, Sockloskie, Koss & Tanaka, 1991). Die Forscher haben zwei Wege zur sexuellen Aggression identifiziert. Der erste ist der unpersönliche Sexpfad (impersonal sex path). Dieser wird von Männern verfolgt, die sexuelle Eroberung als wichtig für ihren Status in Gruppen und ihre Selbstachtung ansehen. Nicht alle Männer, die diese Strategie verfolgen, wenden sexuelle Aggression an, aber sie ist statistisch gesehen häufig mit sexueller Aggression verbunden. Der zweite Weg wird Pfad der feindlichen Männlichkeit (hostile masculinity path) genannt. Dieser kombiniert zwei miteinander in Beziehung stehende Komponenten: (1) unsichere, defensive, hypersensible, feindliche und misstrauische Orientierung insbesondere in Bezug auf Frauen und (2) Freude an der Dominanz und Kontrolle über Frauen. Männer, die in Bezug auf feindliche Männlichkeit hoch punkten, haben oftmals Ablehnung durch Frauen erfahren. Sie stimmen Aussagen zu wie „Ich wurde durch viele Frauen in meinem Leben zurückgewiesen“ und „Ich bin sicher, dass ich bei Frauen schlecht ankomme“ (Malamuth, 1996). Diese Männer haben das Gefühl, dass sie von Frauen verletzt, getäuscht, verraten und manipuliert wurden. Malamuth erklärt, dass diese Strategie es Männern erleichtert, Sympathie oder Anteilnahme für das Opfer zu vermeiden, was ansonsten die Anwendung sexueller Aggression hemmen würde. Das wichtigste Ergebnis dieser Forschung liegt darin, dass die Kombination der Pfade ein Vorzeichen für sexuelle Aggression ist. Männer, die sowohl eine unpersönliche Orientierung als auch feindliche Männlichkeit an den Tag legen, sind stärker gefährdet, sich Frauen gegenüber sexuell aggressiv zu verhalten. Die Forschung hat zu einer spezifischen evolutionspsychologischen Vorhersage geführt: Für Männer, die einen Mangel an sexuellem Zugang zu Frauen erlebt haben, ist es wahrscheinlicher, Taktiken der sexuellen Aggression anzuwenden (Lalumiere, Chalmers, Quinsey & Seto, 1996). Dies wurde als PartnerDeprivations-Hypothese bezeichnet (siehe Lalumiere & Quinsey, 1996; Quinsey & Lalumiere, 1995; Thornhill & Thornhill, 1983, 1992). Nach dieser Hypothese haben Männer eine Partnerstrategie unter Vorbehalten entwickelt; wenn sie Partner nicht durch Attraktion für sich gewinnen können, erleben sie Deprivation. Diese löst vermehrt Taktiken der sexu-
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ellen Aggression aus, um zu vermeiden, dass sie völlig leer ausgehen. Im Extremfall kann dies zu Vergewaltigung führen. „Vergewaltigung wird von Männern angewandt, die im Wettbewerb um Ressourcen und Status, die zur Anziehung begehrenswerter Partner notwendig sind, relativ erfolglos sind.“ (Thornhill, Thornhill, & Dizinno, 1986, S 103). Diese Hypothese wurde an einer Stichprobe von 156 heterosexuellen Männern mit einem Durchschnittsalter von 20 getestet (Lalumiere et al., 1996). Die Maße sexueller Nötigung umfassten sowohl nicht-körperliche Nötigung (z.B. „Hatten Sie jemals Geschlechtsverkehr mit einer Frau, obwohl sie eigentlich nicht zustimmte, sich aber durch ihre andauernden Diskussionen unter Druck fühlte?“) und körperliche Nötigung (z.B. „Hatten Sie jemals Geschlechtsverkehr mit einer Frau gegen deren Willen, weil sie körperliche Gewalt anwandten?“). Die Maße des Erfolgs bei der Partnersuche wurden, anhand einer „Self-Perceived Mating Success Scale“ (Skala des selbst wahrgenommenen Partnererfolges) eingeschätzt, die Punkte enthielt wie „Angehörige des anderen Geschlechts, die ich mag, mögen mich auch“; „Mir werden viele Komplimente von Angehörigen des anderen Geschlechts gemacht“ und „Angehörige des anderen Geschlechts fühlen sich von mir angezogen“. Auch der sozioökonomische Status und das künftige potentielle Einkommen wurden erhoben. Die Ergebnisse widersprachen den Vorhersagen, die die Autoren von der Partner-Deprivations-Hypothese über sexuelle Aggression abgleitet hatten. Männer, die im selbst wahrgenommenen Partnererfolg hohe Punkte erzielt hatten, tendierten dazu, auch bei den Maßen der sexuellen Aggression hoch zu punkten, wie in Abbildung 11.2 dargestellt. Zudem tendierten Männer, die ihr künftiges Einkommenspotential als hoch einschätzten, mehr dazu, körperliche Nötigung anzuwenden als Männer, die ihr künftiges Einkommen als niedrig einschätzten. Somit wird die Partner-Deprivations-Hypothese nicht unterstützt, was zeigt, dass sich evolutionspsychologische Hypothesen als falsch herausstellen können.
0.3 –0.1 –0.5
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Abbildung 11.2: Selbst wahrgenommener Erfolg bei Partnern und sexuelle Aggression Die Abbildung zeigt, dass Männer, die in Bezug auf den von ihnen wahrgenommenen Erfolg beim Partner hoch punkten, dazu tendieren, auch bei sexueller Nötigung hoch zu punkten, was im Widerspruch zur Partner-Deprivations-Hypothese steht. Quelle: Ethology and Sociobiology, 17, M. L. Lalumiere, L. J. Chalmers, V. L. Quinsey & M. C. Seto. A test of the mate deprivation hypothesis of sexual coercion, 299-318, copyright © 1996 by Elsevier Science.
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Männer, die dazu tendierten, sexuell aggressiv zu sein, verfolgen eine kurzfristige sexuelle Strategie. Sie drückten eine größere Präferenz für wechselnde Partner und Gelegenheitssex aus, was das Ergebnis von Malamuth (1996) unterstützt, dass unpersönlicher Sex einen Pfad zu sexueller Aggression darstellt. Tatsächlich berichteten sexuell aggressive Männer in dieser Stichprobe über mehr Paarungsmöglichkeiten, regelmäßigen Geschlechtsverkehr und einen ausgedehnteren sexuellen Hintergrund als Männer, die keine Taktiken der sexuellen Aggression anwandten. Die Autoren schlagen eine Möglichkeit vor, wie die Partner-Deprivations-Hypothese doch noch zu retten wäre. Sie empfehlen eine „Mikro-Partner-Deprivations-Hypothese“, nach der Männer, die eine kurzfristige Partnerstrategie anwenden, periodisch unter Schwierigkeiten leiden, sexuellen Zugang sicherzustellen und deshalb auf aggressive Taktiken zurückgreifen. Künftige Forschungen müssen daher das Verhältnis zwischen dem Geschlechtsverkehr unter Zwang und dem ohne Zwang feststellen, um diese Modifikation der Partner-Deprivations-Hypothese zu testen. Sexuelle Verweigerung. Sexuelle Verweigerung stellt die Umkehrung der sexuellen Aggression dar. Männer beschweren sich häufig über die sexuelle Verweigerung der Frauen, die durch Handlungen wie verführerisches Verhalten, Ablehnung des Geschlechtsverkehrs und sexuelle Anmache mit anschließend abruptem Beenden derselben definiert wird. Auf einer 7-Punkte-Skala bewerteten Männer die sexuelle Verweigerung mit 5,03 und Frauen mit 4,29 Punkten (Buss, 1989b). Beide Geschlechter sind über sexuelle Verweigerung verärgert, Männer jedoch deutlich mehr als Frauen.
Für Frauen erfüllt ihre sexuelle Verweigerung mehrere Funktionen. Eine ist die Wahrung ihrer Interessen, Männer auszuwählen, die bereit sind, sich emotional einzulassen und materiell zu investieren. Frauen verweigern sich bestimmten Männern und haben Sex mit anderen ihrer Wahl. Zudem erhöhen Frauen durch die Verweigerung ihren sexuellen Wert. Sie verwenden Sex als seltene Ressource. Knappheit erhöht den Preis, den Männer zu zahlen bereit sind. Wenn Männer nur durch Investitionen sexuellen Zugang erreichen können, so werden sie diese Investitionen aufbringen. Unter Bedingungen sexueller Knappheit erhalten Männer, die nicht zu investieren bereit sind, keinen sexuellen Zugang. Dadurch entsteht ein weiterer Konflikt zwischen Mann und Frau: Ihre Verweigerung beeinträchtigt seine Strategie, früher und mit weniger emotionalen Bedingungen sexuellen Zugang zu erhalten. Eine weitere Funktion der sexuellen Verweigerung ist die Manipulation des Partnerwerts einer Frau. Da äußerst begehrenswerte Frauen für den durchschnittlichen Mann sexuell unerreichbar sind, nutzen Frauen die Wahrnehmung der Männer über ihre Attraktivität aus und verweigern den sexuellen Zugang (Buss, 2003). Eine letzte mögliche Funktion der sexuellen Verweigerung, zumindest zu Beginn einer Beziehung, ist den Mann zu ermutigen, eine Frau als permanente und nicht nur als vorübergehende Partnerin zu sehen. Wenn sexueller Zugang schon früh gewährt wird, sehen Männer Frauen als flüchtige Partnerinnen. Sie nehmen sie als promiskuitiv und leicht zu erobern wahr. Das sind Merkmale, die Männer bei einer langfristigen Partnerin ablehnen.
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
Zusammengenommen liegen solide empirische Belege vor, dass interferierende Strategien rund um das Thema des sexuellen Zugangs vorkommen. Männer wünschen sich sexuellen Zugang früher, beharrlicher und aggressiver als Frauen und gehen davon aus, dass Frauen mehr daran interessiert sind, mit ihnen Sex zu haben als dies tatsächlich der Fall ist. Frauen reagieren verärgert und empört auf diese Formen sexueller Beharrlichkeit, was eine psychologische Lösung zum adaptiven Problem der strategischen sexuellen Interferenz der Männer darstellen könnte. Männer dagegen nehmen interferierende Strategien als Ergebnis der sexuellen Verweigerung wahr, die sie wütend und unglücklich macht.
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Eifersucht
In Kapitel 5 beschäftigten wir uns mit den Präferenzen der Männer bezüglich langfristiger Partner, von denen eine der Wunsch nach einem sexuell treuen Partner war. Diese Präferenz ist dazu bestimmt, das Problem der Unsicherheit der Vaterschaft, zumindest teilweise, zu lösen. Dies gibt einen Hinweis darauf, dass Männer sehr um mögliche sexuelle Kontakte ihrer Partnerin mit anderen Männern besorgt sind. Wie wir in Kapitel 6 gesehen haben, können Frauen aus außerehelichen Affären potentielle Vorteile wie Ressourcen, gute Gene und eventuell einen besseren Partner gewinnen. Diese Überlegungen deuten auf eine tief gehende Quelle des Konflikts zwischen den Geschlechtern hin: den Wunsch des Mannes nach exklusivem sexuellen Zugang zu seiner Frau und dem Wunsch der Frau nach potentiellem sexuellen Kontakt mit anderen Männern. Kurz gesagt gibt es Konfliktpotential zwischen den Geschlechtern hinsichtlich sexueller Untreue. Das Potential der Untreue stellt für den Mann ein ernsthaftes adaptives Problem dar, das beim Menschen noch aufgrund der Investitionen vergrößert wird, die ein Mann auf seine Kinder verwendet. Wurde der Mann betrogen, muss er die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er seine Ressourcen in die Kinder eines anderen Mannes investiert. Aber das Problem ist weitaus ernster. Der Mann verliert nicht nur seine Investitionen, sondern auch die seiner Partnerin, die sich nun um die Kinder eines anderen Mannes kümmert. Zusätzlich verliert der betrogene Ehemann all die Energie und Anstrengung, die er in die Auswahl, die Anziehung und das Werben um seine Partnerin gesteckt hat. Unsere Vorfahren, die daran scheiterten, dieses adaptive Problem zu lösen, riskierten nicht nur direkte reproduktive Verluste, sondern auch ihren Status und ihren Ruf, was ihre Fähigkeit beeinträchtigen konnte, auf andere Partner anziehend zu wirken. In der griechischen Kultur wurde die Situation des gehörnten Ehemannes wie folgt beschrieben: Die Untreue der Frau .... bringt Schande über den Ehemann, der als Keratas bezeichnet wird, – die schlimmste Beleidigung für einen Griechen – ein schändlicher Schimpfname, der mit Assoziationen der Schwäche und Unzulänglichkeiten verbunden ist... Während es für die Frau sozial akzeptabel ist, ihren untreuen Ehemann zu tolerieren, ist es für einen Mann sozial nicht akzeptabel, seine untreue Frau zu tolerieren und wenn er dies tut, so macht man sich über sein unmännliches Verhalten lustig (Safilios-Rothschild, 1969, S. 78-79).
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Evolutionäre Psychologen haben die Hypothese aufgestellt, dass sexuelle Eifersucht ein psychologischer Mechanismus ist, der bei Männern entwickelt wurde, um den vielfältigen potentiellen Kosten der Untreue entgegenzuwirken (Daly, Wilson & Weghorst, 1982; Symons, 1979). Männliche Eifersucht kann dieses adaptive Problem auf mehrere Arten lösen. Zum einen kann sie den Mann für Umstände sensibilisieren, in denen seine Partnerin untreu sein könnte und so seine Wachsamkeit verstärken. Zum zweiten kann sie Handlungen auslösen, die dazu dienen, Kontakte der Partnerin mit anderen Männern einzuschränken. Drittens kann sie dazu führen, dass er seine Bemühungen verstärkt, die Erwartungen seiner Partnerin zu erfüllen, so dass sie weniger Grund hat fremdzugehen. Viertens könnte die Eifersucht Männer dazu bringen, Rivalen, die sexuelles Interesse an ihrer Partnerin zeigen, zu bedrohen oder anderweitig abzuwehren. Eine klare Vorhersage, die aus dieser Argumentation folgt, ist, dass die Eifersucht des Mannes sich auf potentiellen sexuellen Kontakt konzentrieren sollte, den seine Frau mit anderen Männern haben könnte. Die Hypothese geht davon aus, dass sich sexuelle Eifersucht als Reaktion auf die hohen Kosten gebildet hat, die ein Hahnrei tragen muss. Auch Frauen stehen einem ernsthaften adaptiven Problem gegenüber, wenn ihr Partner fremdgeht. Aber dieses betrifft nicht die Gewissheit ihrer Mutterschaft, da diese immer 100 Prozent beträgt. Gehen wir zurück zu unseren Vorfahren: Wäre der Partner eines unserer weiblichen Vorfahren fremdgegangen, könnte dies ein ernsthaftes adaptives Problem dargestellt haben, denn Männer tendieren dazu, Investitionen und Ressourcen auf Frauen zu lenken, mit denen sie Sex haben, und ein Ehemann könnte daher Zeit, Aufmerksamkeit, Energie und Mühen auf eine andere Frau und deren Kinder statt auf die Ehefrau und Kinder richten. Aus diesen Gründen haben evolutionäre Psychologen vorhergesagt, dass die Eifersucht der Frauen sich wahrscheinlich mehr auf die langfristige Umlenkung der Bindungen des Mannes konzentrieren würden, d.h. auf seine emotionale Bindung zu einer anderen Frau (Buss, Larsen, Westen & Semmelroth, 1992).
Geschlechtsunterschiede bei der Eifersucht Bereits vor den Studien der evolutionären Psychologen beschäftigten sich Dutzende empirischer Studien mit der Psychologie der Eifersucht. Sämtliche Studien sagen aus, dass sich Männer und Frauen weder in der Häufigkeit noch im Ausmaß der erlebten Eifersucht unterscheiden. In einer Studie bewerteten 300 Teilnehmer bzw. 150 Paare, wie eifersüchtig sie im Allgemeinen waren, wie eifersüchtig sie auf Beziehungen ihres Partners zu Angehörigen des anderen Geschlechts waren und das Ausmaß, in dem Eifersucht ein Problem in ihrer Beziehung darstellte. Männer und Frauen berichteten im gleichen Umfang über Eifersucht und bestätigten damit, dass beide Geschlechter Eifersucht mit der gleichen Intensität wahrnehmen (White, 1981). Dieses Fehlen eines Geschlechtsunterschieds bei der Eifersucht wurde in einer Stichprobe von über 2.000 Personen aus Ungarn, Irland, Mexiko, den Niederlanden, Russland, dem früheren Jugoslawien und den Vereinigten Staaten repliziert (Buunk & Hupka, 1987).
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
Nach einer evolutionspsychologischen Analyse hatten all diese Studien, obwohl sie informativ bezüglich der Gleichheit der Geschlechter waren, die Frage zu global gestellt. Eine evolutionäre Analyse führt zu der Vorhersage, dass, obwohl beide Geschlechter Eifersucht erleben, sie sich darin unterscheiden, welches Gewicht sie Hinweisen geben, die Eifersucht auslösen. Männer legen demnach mehr Gewicht auf Hinweise sexueller Untreue, während Frauen mehr Gewicht auf Hinweise legen, die auf eine langfristige Umlenkung der Investitionen wie eine emotionale Beziehung zu einer anderen Person hindeuten (Buss et al., 1992). In einem systematischen Test dieser angenommenen Geschlechtsunterschiede wurden 511 College-Studenten gebeten, zwei besorgniserregende Ereignisse zu vergleichen: (a) dass ihr Partner mit jemand anderem Geschlechtsverkehr hat oder (b) dass ihr Partner sich emotional auf einen anderen einlässt (Buss et al., 1992). Während 83 Prozent der Frauen die emotionale Untreue bei weitem besorgniserregender fanden, waren es bei den Männern nur 40 Prozent. Dagegen bewerteten 60 Prozent der Männer die sexuelle Untreue als besorgniserregender, während es bei den Frauen nur 17 Prozent waren. Dies stellt eine Differenz von 43 Prozent zwischen den Geschlechtern dar, eine Differenz, die nach jedem sozialwissenschaftlichen Maßstab riesig ist. Durch eine genauere Fragestellung – nicht ob jedes Geschlecht „Eifersucht“ erlebt, sondern welche Auslöser der Eifersucht besorgniserregender sind – konnte die evolutionspsychologische Hypothese die Forscher auf einen Geschlechtsunterschied hinweisen, der bisher unbemerkt geblieben war. Verbale Berichte sind wichtige Datenquellen, aber idealerweise sind konvergierende Belege aus anderen Datenquellen wissenschaftlich überzeugender. Um die Allgemeingültigkeit der oben aufgeführten Ergebnisse durch verschiedene wissenschaftliche Methoden zu untersuchen, wurden 30 Männer und 30 Frauen in ein psychophysiologisches Labor gebeten (Buss et al., 1992). Um die physiologischen Auswirkungen der zwei Arten der Untreue zu testen, platzierten Forscher Elektroden am musculus corrugator (Stirnrunzler, „Sorgenmuskel“) auf der Stirn, der sich zusammenzieht, wenn man die Stirn runzelt; weitere Elektroden platzierten sie am ersten und dritten Finger der rechten Hand, um die elektrodermale Reaktion oder das Schwitzen zu messen sowie am Daumen, um den Puls oder Herzschlag aufzuzeichnen. Die Teilnehmer wurden gebeten, sich entweder sexuelle Untreue („stellen Sie sich vor, Ihr Partner hat mit jemand anderem Sex .... werden Sie sich der Bilder und Gefühle bewusst“) vorzustellen oder emotionale Untreue („stellen Sie sich vor, Ihr Partner verliebt sich in eine/n andere/n .... werden Sie sich der Bilder und Gefühle bewusst“). Die Teilnehmer drückten einen Knopf, wenn sie sich die Situation und die Gefühle bewusst machen konnten, woraufhin die physiologischen Aufzeichnungen für zwanzig Sekunden aktiviert wurden. Die Männer waren physiologisch durch sexuelle Untreue stärker beunruhigt. Ihr Herzschlag beschleunigte sich um fast fünf Schläge die Minute, was etwa dem Trinken drei Tassen starken Kaffees entspricht. Die Reaktionen der Haut nahmen beim Gedanken an sexuelle Untreue um 1,5 Einheiten zu, zeigten aber fast keinen Unterschied beim Gedanken an emotionale Untreue. Das Stirnrunzeln nahm ebenfalls zu und zeigte 7,75 Mikrovolt-Einheiten der Kontraktion in Reaktion auf sexuelle Untreue verglichen mit nur 1,16 Einheiten in Reaktion auf emotionale Untreue.
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Frauen zeigten ein gegensätzliches Muster. Sie zeigten eine stärkere physiologische Reaktion beim Gedanken an emotionale Untreue. Ihr Stirnrunzeln erhöhte sich auf 8,12 Mikrovolt-Einheiten in Reaktion auf vorgestellte emotionale Untreue im Vergleich zu nur 3,03 Einheiten in Reaktion auf vorgestellte sexuelle Untreue. Die Konvergenz psychologischer Reaktionen mit physiologischen Mustern bei Männern und Frauen unterstützt die Hypothese, dass Menschen Mechanismen entwickelt haben, die spezifisch auf die adaptiven Probleme der Geschlechter zugeschnitten sind, mit denen diese im Verlauf der Evolution konfrontiert waren. Diese Geschlechtsunterschiede wurden in Deutschland, den Niederlanden, Korea und Japan repliziert (Buunk, Angleitner, Oubaid & Buss, 1996). Abbildung 11.3 zeigt Reaktionen von Menschen aus diesen Kulturen und welche Form der Eifersucht für sie Besorgnis erregend ist - die sexuelle oder die emotionale Untreue. Zusammengenommen scheint die Eifersucht der Männer sensibler auf Hinweise sexueller Untreue zu reagieren und die der Frauen verstärkt auf Hinweise emotionaler Untreue. Das sind Ergebnisse, die universell und kulturübergreifend sind und durch den Einsatz von psychologischen wie physiologischen Methoden bestätigt werden. Die evolutionäre Interpretation dieser Geschlechtsunterschiede in Bezug auf Eifersucht wurde in Frage gestellt (DeSteno & Salovey, 1996). Diese Psychologen schlugen vor, dass sexuelle und emotionale Eifersucht häufig in Korrelation zueinander stehen. Menschen tendieren dazu, sich emotional mit Personen einzulassen, mit denen sie Sex haben, und mit Personen Sex zu haben, mit denen sie emotional eng verbunden sind. Aber Männer und Frauen könnten sich darin unterscheiden, wie sie diese Korrelation beurteile. Vielleicht werden Frauen mehr durch das emotionale Engagement verletzt, da sie annehmen, dass dies bedeutet, dass ihr Partner ihnen auch sexuell untreu wird. Frauen könnten annehmen, ihr Partner könne Sex haben, ohne sich emotional einzulassen, weshalb die sexuelle Untreue des Partners weniger verletzend ist. Die Ansichten der Männer könnten sich davon unterscheiden. Vielleicht sind Männer verletzter über das sexuelle Engagement des Partners, weil sie annehmen, dass die Partnerin nur dann Sex hat, wenn sie auch emotional involviert ist, während sie annehmen, dass eine Frau sich auch emotional auf einen Mann einlassen kann, ohne Sex mit ihm zu haben. Da Männer und Frauen verschiedene Ansichten über die Verbindungen zwischen sexueller und emotionaler Untreue haben, antworten sie unterschiedlich darauf, was für sie verletzender ist, wenn sie zur Auswahl gezwungen werden. In drei verschiedenen Kulturen wurden vier empirische Studien durchgeführt, um die Vorhersagen dieser konkurrierenden Hypothesen zu untersuchen (Buss et al., 1999). Die erste Studie umfasste 1.122 Studenten an einer geisteswissenschaftlichen Universität im Südosten der Vereinigten Staaten. Die ursprünglichen Untreue-Szenarien (Buss et al., 1992) wurden angepasst, so dass die zwei Arten der Untreue sich gegenseitig ausschlossen. Die Teilnehmer berichteten über ihre Verletzung in Reaktion auf die sexuelle Untreue des Partners ohne emotionales Engagement und emotionales Engagement ohne sexuelle Untreue. Wie in Abbildung 11.4 zu sehen ist, zeigte sich ein bemerkenswerter Geschlechtsunterschied, wie er auch durch das evolutionäre Modell vorhergesagt worden war. Würde die Hypothese zutreffen, dass Männer und Frauen die Korrelation von sexuel-
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
ler und emotionaler Verbundenheit unterschiedlich bewerteten, hätte es diesen Geschlechtsunterschied nicht geben dürfen. Es gab ihn aber. Prozentsatz derer, die über größere Besorgnis bei sexueller Untreue berichten
60
Männer Frauen
50
40
30
20
10
0
USA
Deutschland
Niederlande
Korea
N = 224
N = 200
N = 207
N = 200
Abbildung 11.3: Kulturübergreifende Unterschiede der Eifersucht Männer berichten kulturübergreifend über größere Besorgnis bei sexueller Untreue als Frauen, während diese kulturübergreifend berichten, verletzter durch emotionale Untreue zu sein als Männer. N = Größe der Stichprobe Quelle: Buunk, B. P., Angleitner, A., Oubaid, V. & Buss, D. M. (1996). Sex differences in jealousy in evoultionary and cultural perspective: Test from the Netherlands, Germany, and the United States. Psychological Science, 7, 359-363.
Eine zweite Studie mit amerikanischen Studenten wandte vier zusätzliche Tests der Vorhersagen aus den zwei Modellen an und benutzte dazu drei Strategien. Eine Strategie gab es in drei verschiedenen Versionen, die die zwei Arten der Untreue gegenseitig ausschlossen. Eine zweite Strategie beinhaltete die Annahme, dass beide Arten der Untreue praktiziert wurden und ließ die Teilnehmer angeben, welchen Aspekt sie verletzender fanden. Eine dritte Strategie verwendete ein statistisches Verfahren, um den unabhängig vorhergesagten Wert von Sex und Einstellungen darüber, welche Form der Untreue verletzender ist, zu berechnen. Die Ergebnisse waren in sich schlüssig: genau wie durch das evolutionäre Modell vorhergesagt, wurden große Geschlechtsunterschiede entdeckt (siehe Abbildung 11.4). Unabhängig von der Fragestellung, unabhängig von den angewandten methodischen Strategien und unabhängig davon, wie streng die bedingten Wahrscheinlichkeiten überprüft wurden, blieben die Geschlechtsunterschiede bestehen. Eine dritte Studie replizierte die sechs Untreue-Dilemmata in Korea. Die ursprünglichen Geschlechtsunterschiede wurden repliziert (Buss et al., 1992) und es wurde gezeigt, dass Frauen emotionale Untreue mehr verletzte als Männer, während Männer sexuelle Untreue verletzender wahrnahmen als Frauen. Mit zwei Strategien zur Kontrolle der bedingten Wahrscheinlichkeiten blieben die Geschlechtsunterschiede erneut bestehen. Die evolutionäre Hypothese bestand diese empirische Überprüfung. Eine vierte Studie testete die Vorhersagen über Eifersucht und über die Natur der Überzeugungen in einer japanischen
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Stichprobe. Die Ergebnisse lieferten wiederum Unterstützung für die evolutionäre Hypothese (Buss et al., 1999).
Prozentsatz derer, die über größere Besorgnis bei sexueller Untreue berichten
70 60
Männer Frauen
50 40 30 20 10 0
Welcher Aspekt Sexuell aber Ex-Liebhaber: One-night-stand der Involvierung nicht emotional noch sexuell versus emotionale des Partners ist versus emotional interessiert versus Involvierung Besorgnis erregender aber nicht noch emotional aber kein Sex sexuell interessiert
Abbildung 11.4: Vier kritische Tests der konkurrierenden Hypothesen Die Abbildung zeigt, dass die Geschlechtsunterschiede in Reaktion auf sexuelle versus emotionale Untreue auch dann groß sind, wenn die Studienteilnehmer angeben sollen, welcher Aspekt der Untreue Besorgnis erregender war, vorausgesetzt, dass beide stattgefunden hatten und wenn die Arten der Untreue gegenseitig ausgeschlossen wurden. Quelle: Buss, D. M., Shackelford, T. K., Kirkpatrick, L. A., Choe, J., Hasegawa, M., Hasegawa, T. & Bennett, K. (1999). Jealousy and the nature of beliefs about infidelity: Tests of competing hypotheses about sex differences in the United States, Korea and Japan. Personal Relationships.
Trotz der Tatsache, dass Geschlechtsunterschiede in der Gewichtung der auslösenden Momente für Eifersucht umfangreich dokumentiert wurden, werden diese Ergebnisse immer wieder in Frage gestellt (z.B. Harris, 2000). Nachdem jedoch die Theorie, dass Männer und Frauen unterschiedliche Einstellungen zur Korrelation von sexueller und emotionaler Verbundenheit haben, wiederholt widerlegt wurde, wurde sie von ihren Autoren aufgegeben. Der Gold-Standard in der Wissenschaft sind unabhängige Replikationen und anhand dieses Kriteriums hat die evolutionäre Erklärung für die Geschlechtsunterschiede gut abgeschnitten. Nach jeder Herausforderung konnten weitere Forschungen voneinander unabhängiger Wissenschaftler die These der Existenz von Geschlechtsunterschieden in Bezug auf Eifersucht und ihre evolutionären Erklärungen unterstützen (z.B. Cann, Mangum & Wells, 2001; Dijkstra & Buunk, 2001; Fenigstein & Peltz, 2002; Geary et al., 2001; Pietrzak, Laird, Stevens & Thompson, 2002; Sagarin et al., 2003; Shackelford, Buss & Bennett, 2002). Die Geschlechtsunterschiede werden auch bei Anwendung physiologischer Methoden (Pietrzak et al., 2002), kontinuierlichen Messungen von Eifersucht (z.B. Sagarin et al., 2003) und spontanen Berichten über erlebte Episoden der Eifer-
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sucht (Buss, 2000a) sowie der ursprünglichen Messmethode der erzwungenen Auswahl (z.B. Geary et al., 2001) bestätigt. Die evolutionäre Hypothese über die Psychologie der Eifersucht hat mehreren Versuchen der Widerlegung und armseligen Berechnungen in einer Zusammenfassung empirischer Belege widerstanden. Sie erklärt die ursprünglichen Ergebnisse der Geschlechtsunterschiede bei Untreue (Buss et al., 1992) und kann auch die Geschlechtsunterschiede bei Eifersucht erklären, nachdem für die bedingten Wahrscheinlichkeiten kontrolliert wurde. Sie erklärt die Geschlechtsunterschiede, die auftreten, wenn beide Aspekte der Untreue stattgefunden haben und einer davon als verletzender empfunden wird. Sie dient als Erklärung für die kulturübergreifende Robustheit dieser Geschlechtsunterschiede, die in westlichen Kulturen wie den Niederlanden und Deutschland und in asiatischen Kulturen wie Korea und Japan dokumentiert wurden.
11.4
Von der Wachsamkeit zur Gewalt: Taktiken der Partnerbindung
Belege, dass Männer wirkungsvolle psychologische Mechanismen entwickelt haben, die Gefühle der Eifersucht auslösen, helfen uns zu verstehen, wie das adaptive Problem des totalen oder teilweisen Verlusts eines Partners gelöst werden kann. Psychologische Mechanismen können sich jedoch nur entwickeln, wenn sie zu einem Verhalten führen, das das adaptive Problem auch löst. Im Fall der Eifersucht müsste das Verhalten dazu führen, (1) den Partner von der sexuellen Untreue abzuhalten oder (2) die Chancen des Verlustes eines Partners zu verringern. Zwei Studien (Buss, 1988c; Buss & Shackelford, 1997c) untersuchten das Eifersuchtsverhalten in Form von Taktiken der Partnerbindung, die von Wachsamkeit bis Gewalt reichten. Als erster Schritt in diesem Forschungsprogramm wurde eine Liste mit Handlungen aufgestellt, die das adaptive Problem der Untreue und der Auflösung der Partnerschaft lösen sollten. Die Tabelle 11.1 enthält einige dieser Handlungen. Als diese Liste feststand, wurden Studien mit befreundeten und verheirateten Paaren durchgeführt, um mehrere evolutionspsychologische Hypothesen über die kontextspezifischen Determinanten der Partnerbindung zu testen.
Geschlechtsunterschiede in der Anwendung von Taktiken der Partnerbindung Die Ergebnisse dieser Studien ergaben, dass Männer, wie vorhergesagt, häufiger als Frauen Taktiken der Partnerbindung anwandten. Für einen Mann war es wahrscheinlicher, seine Partnerin abzuschirmen, indem er sie nicht auf eine Party mitnahm, bei der andere Männer anwesend waren oder indem er darauf bestand, dass sie ihre freie Zeit mit ihm verbrachte. Männer wandten auch häufiger Gewalt und Drohungen an, insbesondere gegen Rivalen, indem sie drohten, einen Mann, der die Partnerin anmachte, zu schlagen oder eine Schlägerei mit einem Mann provozierten, der an der Partnerin interessiert war. Männer griffen auch häufig auf die Zurschaustellung von Ressourcen zurück und kauften
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ihrer Partnerin Schmuck, machten ihr Geschenke und führten sie in teure Restaurants aus. Interessant und nicht vorhergesagt war das Ergebnis, dass sowohl Männer, die mit einer Frau ausgingen, als auch verheiratete Männer mehr zu Unterwürfigkeit und Selbsterniedrigung tendierten als Frauen. Mehr Männer als Frauen berichteten von Kriecherei und sagten, sie würden alles tun, damit der Partner in der Partnerschaft bleibt. Frauen wandten teilweise andere Strategien der Partnerbindung an. Wie vorhergesagt, tendierten Frauen dazu, ihr Erscheinungsbild zu verbessern, indem sie ihr Gesicht schminkten, Wert auf ein modisches Äußeres legten und sich für ihre Partner „besonders attraktiv“ machten. Frauen tendierten auch dazu, bei ihrem Partner Eifersucht auszulösen, indem sie vor seinen Augen mit anderen Männern flirteten, Interesse an anderen Männern zeigten, um ihn wütend zu machen, und mit anderen Männern redeten, um ihn eifersüchtig zu machen. Eine Studie fand einen Kontext, in dem Frauen absichtlich Eifersucht auslösen. In der Studie wurden Diskrepanzen zwischen der zugegebenen Bindung eines Mannes bzw. einer Frau in einer Beziehung untersucht. Diese Diskrepanzen, wie involviert jeder Partner in die Beziehung ist, signalisieren Unterschiede in der Attraktivität des Partners; die weniger involvierte Person ist normalerweise begehrenswerter (Buss, 2000). Obwohl Frauen zugeben, Eifersucht häufiger als Männer bewusst herbeizuführen, wenden nicht alle Frauen diese Taktik an. Während 50 Prozent der Frauen, die sich selbst als involvierter in die Beziehung als ihre Partner bezeichneten, absichtlich Eifersucht provozierten, griffen nur 26 Prozent der Frauen, die gleich oder weniger involviert waren, auf diese Taktik zurück (White, 1980). Wachsamkeit
Liebe und Fürsorge
Er rief sie zu unerwarteten Zeiten an, um zu sehen, mit wem sie zusammen war. Er rief sie an, um zu kontrollieren, wo sie sich aufhielt.
Er sagte ihr, dass er sie liebe. Er war hilfsbereit, wenn sie die Hilfe benötigte.
Abschirmung des Partners
Unterwürfigkeit und Selbsterniedrigung
Er nahm sie nicht zu einer Party mit, bei der andere Männer anwesend waren. Er ließ sie nicht mit anderen Männern reden.
Er sagte, er würde sich für sie ändern. Er wurde ihr „Sklave“.
Monopolisierung der Zeit des Partners
Physische Signale der Kontrolle
Er bestand drauf, dass sie all ihre freie Zeit mit ihm verbrachte. Er ließ sie nicht ohne ihn ausgehen.
Er umarmte sie enger, wenn ein anderer Mann vorbeiging. Er legte seinen Arm in Gegenwart anderer um sie.
Tabelle 11.1: Stichproben der Taktiken und Handlungen der Partnerbindung. Taktiken der Partnerbindung reichen von Wachsamkeit bis Gewalt. Sie werden angewandt, um einen Partner zu halten und intrasexuelle Rivalen abzuwehren. Von Buss, D. M. (1996, June). Mate retention in married couples. Paper presented to the Annual Meeting of the Human Behavior and Evolution Society. Evanston, IL.
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
Auflösung von Eifersucht
Intrasexuelle Drohungen
Er sprach auf einer Party mit anderen Frauen, um sie eifersüchtig zu machen. Er zeigte Interesse an anderen Frauen, um sie eifersüchtig zu machen.
Er warf dem Mann, der sie ansah, einen eisigen Blick zu. Er drohte, den Mann, der sie anmachte, zu schlagen.
Emotionale Manipulation
Gewalt gegen Partner
Er drohte damit, sich etwas anzutun, wenn sie ihn verlassen würde. Er erreichte, dass sie sich schuldig fühlte, wenn sie mit anderen Männern sprach.
Er schrie sie an, wenn sie Interesse an einem anderen Mann zeigte. Er schlug sie, wenn er sie erwischte, wie sie mit einem anderen flirtete.
Abwertung von Konkurrenten
Gewalt gegen Rivalen
Er sagte ihr, der andere Kerl sei dumm. Er wertete die Stärke des anderen ab.
Er schlug den Mann, der ihr gegenüber einen Annäherungsversuch machte. Er brachte seine Freunde dazu, den Mann zu verprügeln, der ihr gegenüber einen Annäherungsversuch gemacht hatte.
Zurschaustellung von Ressourcen Er investierte viel Geld in sie. Er kaufte ihr ein teures Geschenk. Tabelle 11.1: Stichproben der Taktiken und Handlungen der Partnerbindung. Taktiken der Partnerbindung reichen von Wachsamkeit bis Gewalt. Sie werden angewandt, um einen Partner zu halten und intrasexuelle Rivalen abzuwehren. (Forts.) Von Buss, D. M. (1996, June). Mate retention in married couples. Paper presented to the Annual Meeting of the Human Behavior and Evolution Society. Evanston, IL.
Frauen geben zu, dass sie motiviert sind, Eifersucht auszulösen, um die Enge der Beziehung zu erhöhen und die Stärke der Beziehung zu testen. Dabei wollen sie herausfinden, ob ihr Partner sich um sie bemüht, und sie wollen den Partner animieren, besitzergreifender zu sein. Diskrepanzen der Partner in ihrem Partnerwert – gekennzeichnet dadurch, wie unterschiedlich sie in ihre Beziehung involviert sind – bringen Frauen dazu, Eifersucht als Taktik anzuwenden, um Informationen über die Stärke der Bindung des Partners zu erhalten und diese zu erhöhen. Die absichtliche Auslösung der Eifersucht durch beide Geschlechter dient auch der Bestätigung der Bindung und der langfristigen Stabilität der Beziehung (Sheets, Fredendall & Claypool, 1997). Insgesamt schirmen Männer ihre Partnerin häufiger ab als Frauen ihre Partner, machen ihnen Geschenke, unterwerfen sich ihrer Partnerin und wenden Gewalt gegen Rivalen an, um ihre Partnerinnen davon abzuhalten, sich mit anderen Männern einzulassen. Frauen dagegen verbessern ihr äußeres Erscheinungsbild und entsprechen damit einer entwickelten männlichen Vorliebe für physisch attraktive Partnerinnen. Frauen lösen auch häufiger bewusst Eifersucht bei ihren Partnern aus – vielleicht als Strategie, um anzuzeigen, dass sie auch andere Partnermöglichkeiten haben. Sie kommunizieren so Informationen über ihre Attraktivität.
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Kontexte, die die Intensität der Taktiken der Partnerbindung beeinflussen Es wird angenommen, dass Eifersucht und das daraus resultierende Verhalten in Form der Partnerbindung sehr sensibel in Bezug auf bestimmte Ausprägungen der Beziehung sind. Buss und Shackelford (1997c) testeten an frisch verheirateten Paaren eine Reihe von kontextspezifischen Hypothesen. Diese Hypothesen sagten Folgendes aus: (1) Die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit der Untreue des Partners führt zu einer Zunahme der Taktiken der Partnerbindung, (2) Jugend und Attraktivität der Frau sind positiv mit Taktiken der Partnerbindung von Männern verbunden, (3) hohes Einkommen und Status des Ehemanns sind mit Strategien der Partnerbindung durch die Frauen verbunden und (4) je größer die wahrgenommene Diskrepanz des Partnerwertes von Mann und Frau, desto intensiver sind die Bemühungen der Partnerbindung. Wahrgenommene Wahrscheinlichkeit der Untreue. Einer der wichtigsten Hinweise auf
das adaptive Problem des Scheiterns einer Partnerbindung ist die Wahrnehmung oder Vermutung der Untreue des Ehepartners. Aus der Perspektive eines Mannes gefährdet die Untreue seine Gewissheit der Vaterschaft und er könnte somit riskieren, alle Investitionen, die er in die Auswahl, das Werben und die Anziehung seiner Partnerin gesteckt hat, zu verlieren. Er riskiert zudem, in Nachkommen zu investieren, die von einem anderen Mann gezeugt wurden und hat weitere Kosten zu tragen, indem er auf andere Paarungsmöglichkeiten verzichtet. Männer, die annehmen, dass ihr Partner untreu ist, richten daher mehr Anstrengungen auf die Partnerbindung als Männer, die dies nicht annehmen. Um diese Hypothese zu überprüfen, berichteten 107 frisch verheiratete Paare über die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit der Untreue ihrer Partner. Die Teilnehmer schätzten auf einer Skala von 0 bis 100 Prozent die Wahrscheinlichkeit ein, dass ihr/e Partner/in innerhalb des nächsten Jahres mit Angehörigen des anderen Geschlechts flirten würde sowie innerhalb des nächsten Jahres jemanden leidenschaftlich küssen würde, zu einer Verabredung gehen würde, einen One-Night-Stand, eine kurze Affäre oder eine ernsthafte Affäre haben würde. In einer weiteren Sitzung füllten die Teilnehmer einen Bericht aus, in dem sie angaben, wie oft sie selbst jede von 104 Taktiken der Partnerbindung innerhalb des letzten Jahres angewandt hatten. Die Skala reichte von „niemals“ bis „oft“. Statistische Analysen zeigten, dass die Partnerbindungsbemühungen der Männer, aber nicht die der Frauen, positiv mit der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit der Untreue innerhalb des nächsten Jahres in Verbindung standen. Männer, die Untreue als wahrscheinlich annahmen, neigten mehr dazu, ihre Partnerin abzuschirmen, Gewalt gegen Rivalen anzuwenden und diese abzuwerten. Selbst nach statistischer Kontrolle des Alters des Ehemannes, der Ehefrau und der Dauer der Beziehung bleiben diese Beziehungen statistisch signifikant. Die Partnerbindungsbemühungen der Männer, nicht aber die der Frauen, scheinen sensibel auf die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit der Untreue zu reagieren. Reproduktiver Wert der Ehefrau: Auswirkungen von Alter und physischer Attraktivität.
Wie bereits in Kapitel 5 diskutiert wurde, liefern Jugend und physische Schönheit Hinweise auf den reproduktiven Wert und die Fruchtbarkeit einer Frau – Qualitäten, die von Männern in allen Kulturen als äußerst wünschenswert angesehen werden (Buss, 1989a;
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
Kenrick & Keefe, 1992). Von Männern, die mit Frauen von hohem reproduktiven Wert verheiratet sind, d.h. die jünger und physisch attraktiv sind, wird angenommen, dass sie mehr Bemühungen auf die Bewachung ihrer Frau verwenden als Männer, die mit Frauen verheiratet sind, die einen niedrigeren reproduktiven Wert haben. Um diese Hypothese zu testen, wurden die Bemühungen der Partnerbindung der Männer mit dem Alter und der physischen Attraktivität ihrer Frauen korreliert. Ein Teil der Ergebnisse ist in Abbildung 11.5 dargestellt. –0.5
Männer Frauen
Korrelation
–0.4 –0.3 –0.2 –0.1 –0 A
B
Abbildung 11.5: Partnerbindung in Abhängigkeit vom Alter des Ehepartners Die Abbildung zeigt, dass Männer, die mit jüngeren Frauen verheiratet sind, mehr Bemühungen auf die Partnerbindung verwenden als Männer, die mit älteren Frauen verheiratet sind (selbst nach statistischer Kontrolle des Alters des Mannes und der Dauer der Beziehung). (A) zeigt die Korrelation zwischen der Intensität der Partnerbindung und dem Alter des Ehepartners. (B) zeigt die Korrelation zwischen der Intensität der Partnerbindung nach statistischer Kontrolle von Alter und Länge der Beziehung. Daten von Buss & Shackelford (1997c).
Männer, die mit jüngeren Frauen verheiratet waren, berichteten, größere Anstrengungen in das adaptive Problem zu investieren, ihre Partner zu verbergen. Außerdem berichteten sie, ihre Partner häufiger emotional zu manipulieren, verbal ihren Besitz zu signalisieren (z.B. indem sie darauf hinwiesen, dass sie „meine Ehefrau“ ist), besitzergreifende Ausschmückung zu fordern (z.B. darauf zu bestehen, dass sie seinen Ring trägt), intrasexuelle Drohungen und Gewalt gegen Rivalen anzuwenden, als das Männer, die mit älteren Frauen verheiratet waren, taten. Diese Ergebnisse hatten auch noch nach der statistischen Kontrolle anderer Variablen wie der Länge der Beziehung und dem Alter des Ehemanns Bestand. Die Taktiken der Partnerbindung der Männer waren auch mit ihrer Wahrnehmung der physischen Attraktivität ihrer Partnerinnen verknüpft. Männer, die mit Frauen verheiratet waren, die als physisch attraktiv wahrgenommen wurden, berichteten über vermehrte Zurschaustellung der Ressourcen, ein verbessertes Erscheinungsbild, verbale Besitzsignale und intrasexuelle Drohungen als Männer, deren Frauen physisch als weniger attraktiv wahrgenommen wurden. Interessanterweise wurde diese Gemeinsamkeit erzielt, wenn die physische Attraktivität der Frauen von Studienteilnehmern bewertet wurde. Die Bemühungen der Partnerbindung von Männern scheinen eher von ihrer subjektiven Wahrnehmung über die Attraktivität ihrer Partnerin abzuhängen, als von den unabhängigen Bewertungen der Studienteilnehmer.
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Einkommen und Statusbestrebungen des Ehemannes. Von den Taktiken der Partnerbindung der Frauen wurde nicht angenommen, dass sie vom Alter oder der physischen Attraktivität des Ehemannes abhängen, was auch zutraf. Die Bemühungen der Frauen in Bezug auf die Partnerbindung waren vielmehr mit dem Wert ihrer Partner in den Dimensionen Einkommen und Statusbestrebungen verbunden, dem Grad, in dem der Ehemann versucht, in der Hierarchie von Status und Beruf Karriere zu machen (Buss & Shackelford, 1997). Diese geschlechtsspezifischen Werte schätzen Frauen kulturübergreifend an langfristigen Partnern (siehe Kapitel 4).
Um diese Hypothese zu testen, korrelierten Buss und Shackelford (1997) Taktiken der Partnerbindung mit dem Einkommen des Partners und vier Maßen von Statusbestrebungen. Diese Maße beinhalteten den Grad, in dem eine Person Betrug oder Manipulation anwendet, um auf der Karriereleiter nach oben zu steigen, Fleiß und harte Arbeit, soziale Netzwerke und Einschmeicheln bei Vorgesetzten. Sechs der neunzehn Taktiken der Partnerbindung, die von Frauen angewandt werden, standen in positiv signifikanter Korrelation zum Einkommen des Mannes. Frauen, die mit Männern mit hohem Einkommen verheiratet waren, berichteten von größerer Wachsamkeit, Gewalt von Seiten des Mannes gegen sich, Verbesserung des Erscheinungsbildes, besitzergreifender Ausschmückung, Unterwerfung und Selbsterniedrigung. Frauen, die mit Männern verheiratet waren, die mehr in Statusbestrebungen investierten, berichteten signifikant mehr über emotionale Manipulation, Zurschaustellung der Ressourcen, Verbesserung des Erscheinungsbildes, verbale Besitzanzeige und besitzergreifende Ausschmückung als Frauen, die mit Männern verheiratet waren, deren Statusbestrebungen gering waren. Diese Korrelationen blieben auch nach der statistischen Kontrolle anderer Faktoren wie das Alter der Ehefrauen und die Dauer der Beziehung signifikant. Eine Auswahl der Ergebnisse ist in Abbildung 11.6 dargestellt. Die Forschung hat mehrere evolutionspsychologische Hypothesen über die Kontexte bestätigt, in denen Männer und Frauen verstärkt Bemühungen auf das adaptive Problem der Partnerbindung richten. Männer strengen sich bei der Bindung einer Partnerin mehr an, wenn sie annehmen, dass ihre Partnerinnen innerhalb des nächsten Jahres untreu sein könnten und wenn sie jung und physisch attraktiv sind, zwei wichtige Hinweise auf den reproduktiven Wert einer Frau. Frauen bemühen sich verstärkt um die Partnerbindung, wenn ihre Ehemänner über ein hohes Einkommen verfügen und ihre Anstrengungen auf ihre Karriere richten. Diese Überprüfungen sind besonders wichtig, um den heuristischen Wert der evolutionären Psychologie zu demonstrieren – das Aufstellen von Hypothesen und Vorhersagen, die durch vorherrschende psychologische Theorien bisher nicht aufgestellt wurden. Vor der Arbeit der evolutionären Psychologen hatte tatsächlich noch niemand untersucht, wie sehr sich die Menschen um das Problem der Partnerbindung kümmern.
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
.35 Männer Frauen
.3
Korrelation
.25 .2 .15 .1 .05
0 direkte Überwachung
Wachsamkeit
emotionale Manipulation
Verbesserung des Erscheinungsbildes
Abbildung 11.6: Partnerbindung und Statusbestrebungen des Partners Die Abbildung zeigt, dass Frauen, die mit Männern mit hohen Statusbestrebungen verheiratet sind, mehr in die Partnerbindung investieren als Frauen, deren Ehemänner geringe Statusbestrebungen aufweisen. Die Auswirkungen der Statusbestrebungen von Frauen auf die Anstrengungen der Partnerbindung der Männer sind geringer und statistisch nicht signifikant. Daten von Buss & Shackelford (1997c).
Gewalt gegen Partner Die Partnerbindung hat auch eine extrem zerstörerische Seite: die Anwendung von Gewalt. Der folgende Ausschnitt ist eine erschreckende Beschreibung solcher Gewalt bei den Yanomamö: Mir wurde von einem jungen Mann in Monou-teri berichtet, der seine Frau in einem Anfall sexueller Eifersucht erschoss und während eines meiner Aufenthalte in den Dörfern schoss ein Mann seiner Frau einen mit Widerhaken versehenen Pfeil in den Bauch. ... Ein anderer Mann hackte seiner Frau mit einer Machete auf den Arm; einige Sehnen ihrer Finger wurden durchtrennt. ... Kurz vor Ende meines ersten Besuchs kam es in einem der Dörfer zu einem Kampf mit Knüppeln. Der Liebhaber der Frau wurde getötet und der wütende Ehemann schnitt seiner Ehefrau beide Ohren ab (Chagnon, 1992, S. 147). Warum würde jemand seinem Partner Gewalt antun? Wilson and Daly (1996) stellten folgende Hypothese auf: Männer wenden Gewalt und Drohungen als Strategie an, um die Autonomie eines Partners einzuschränken und so die Chancen zu verringern, dass der Partner untreu wird oder die Beziehung beendet. Frauen, die ihre Ehemänner verlassen, werden in der Folge tatsächlich regelmäßig verfolgt, bedroht und angegriffen. Wie in Abbildung 11.7 aufgezeigt wird, unterliegen Frauen, die ihre Ehemänner verlassen haben, einem erheblich höheren Risiko, von ihren Ehemännern umgebracht zu werden als Frauen, die bei ihrem Mann bleiben. Dieser eheliche Totschlag folgt oft auf Drohungen, die Frauen zu verfolgen und zu töten, sollten sie sie jemals verlassen, und die Mörder erklären ihr gewalttätiges Verhalten als „Reaktion auf die unerträgliche Tatsache, von der Ehefrau verlassen worden zu sein“ (Wilson & Daly, 1996, S. 5).
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getötete Frauen pro Millionen pro Jahr
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70 60 50
zusammenlebend getrennt lebend
40 30 20 10 0 NSW
Kanada
Chicago
Abbildung 11.7: Raten der von Ehemännern verübten ehelichen Morde bei zusammenlebenden versus getrennt lebenden Ehepaaren in New South Wales (NSW), Australien (1968-1986); Kanada (1974-1990) und Chicago (1965-1989) Quelle: Male sexual proprietariness and violence against wives by M. Wilson & M. Daly, Current Directions in Psychological Science, 5, 1996.
Intuitiv scheint das Töten des Partners bizarr und unangepasst. Das Töten der Frau erlegt dem Täter wie dem Opfer Kosten auf, da der Ehemann damit jeden Zugang zu einer reproduktiv wertvollen Ware zerstört hat. Aus einer evolutionären Perspektive betrachtet, erscheint das Töten der Ehefrau daher rätselhaft. Wilson und Daly (1996) erklären dieses Rätsel, indem sie vorschlagen, dass Gewalt als Mittel der Abschreckung dient: Eine Drohung ist ein wirksames und normalerweise billiges soziales Werkzeug, aber sie verliert ihre Wirksamkeit, wenn die drohende Partei nur zu bluffen scheint, d.h. wenn sie nicht bereit ist, die gelegentlich anfallenden Kosten zu übernehmen, falls die Drohung ignoriert oder missachtet wird. Solch rachsüchtiges Verhalten scheint kontraproduktiv zu sein – eine riskante oder kostspielige Vorgehensweise, die zu spät kommt, um erfolgreich zu sein. Aber wirksame Drohungen dürfen keine Anzeichen erkennen lassen, dass sie nur ein Bluff sind und müssen daher ernsthaft vorgebracht werden. Obwohl die Tötung einer getrennt lebenden Frau nutzlos zu sein scheint, kann die Bedrohung der Frau, die einen sonst vielleicht verlassen würde, im eigenen Interesse sein wie auch ihre Verfolgung mit weiteren Drohungen, Zurschaustellung von Wut und angebliche Außerachtlassung der Kosten (S. 2-7). Kurz gesagt, repräsentiert nach dieser Hypothese die Bereitschaft, auf extreme Gewalt zurückzugreifen, eine riskante Strategie in dem Versuch, eine Frau davon abzuhalten, den Mann zu verlassen und sexuelle Rivalen abzuschrecken, eine Strategie, die manchmal auch umgesetzt werden muss, um wirksam zu sein. Junge und attraktive Frauen scheinen anfälliger dafür zu sein, der Gewalt durch ihre Partner ausgesetzt zu sein. Wilson und Daly (1993) bemerkten: „Junge Frauen beenden häufiger als ältere Frauen eine Ehe, die nicht ihren Erwartungen entspricht, werden häufig durch sexuelle Rivalen des Ehemannes angesprochen und gehen häufiger neue sexuelle Beziehungen ein. Daher wird angenommen, dass Männer insbesondere gegenüber jüngeren Frauen zwanghaft eifersüchtig und besitzergreifend sind.“ (Wilson & Daly, 1993, S. 285).
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
Diese Hypothese wird durch Daten zu Morden an Ehepartnern bestätigt. Die Frauen, die dem höchsten Risiko ausgesetzt sind, von ihren Männern getötet zu werden, sind im Teenager-Alter; das niedrigste Risiko tragen Frauen nach der Menopause (Daly & Wilson, 1988). Ein Teil dieser Ergebnisse mag darauf zurückzuführen sein, dass junge Frauen oft mit jungen Männern verheiratet sind, von denen bekannt ist, dass sie häufiger auf Gewalt zurückgreifen als ältere. Das Alter des Mannes allein kann die Ergebnisse jedoch nicht erklären, da junge Frauen, die mit älteren Männern verheiratet sind, einem größeren Risiko ausgesetzt sind als junge Frauen, die mit jungen Männern verheiratet sind (Shackelford, Buss & Peters, 2000; Wilson & Daly, 1993).
Männer wenden manchmal Gewalt oder Drohungen als Strategie der Partnerbindung und zur Verhinderung der Untreue an. Forschung lässt vermuten, dass diese Taktiken des Zwanges verstärkt von Männern angewandt werden, die mit jungen und physisch attraktiven Frauen verheiratet sind.
Ein weiterer Kontext der Anwendung von Gewalt ist dann gegeben, wenn es Männern an Ressourcen mangelt, um positive Anreize dafür zu schaffen, dass eine Frau in der Partnerschaft verbleibt. Wie wir in Kapitel 6 gesehen haben, geben Frauen, deren Ehemänner arbeitslos sind oder aus anderen Gründen keine wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung haben, häufiger an, dass sie eine Affäre haben. Dies führt zu folgender Vorhersage: Männer, die unter einem Mangel an wirtschaftlichen Ressourcen leiden, wenden häufiger Gewalt als Taktik der Partnerbindung an als Männer, die über wirtschaftliche Ressourcen verfügen und damit ihre Partner durch positive Anreize halten können (Wilson & Daly, 1993). Die empirischen Ergebnisse scheinen diese Hypothese zu unterstützen. Eine Studie untersuchte 1.156 Frauen im Alter von 16 Jahren oder älter, die über einen Zeitraum von fünf Jahren (1990-1994) in New York City getötet wurden (Belluck, 1997). Fast die Hälfte wurde durch ihre gegenwärtigen oder ehemaligen Ehemänner oder Freunde umgebracht. Etwa 67 Prozent starben in den ärmsten Bezirken von New York, der Bronx und Brooklyn. Diese Ergebnisse zeigen höhere Raten des ehelichen Mordes unter Männern, die arm und arbeitslos sind; das sind Umstände, die Männer daran hindern, positive Anreize wie die Bereitstellung von Ressourcen anzuwenden, um den Partner zu halten. Mehrere Bedingungen können eine Frau vor der Gewalt ihres Partners schützen. Einer davon ist die Anwesenheit ihrer Verwandtschaft, die einen Partner abhalten kann, Gewalt gegen sie anzuwenden. Dies ist das Ergebnis von Studien des evolutionären Psychologen A. J. Figueredo über häusliche Gewalt in Spanien und Mexiko (Figueredo, 1995; Figueredo et al., 2001). Er fand eine Methode zur Messung häuslicher Gewalt, die verbale Beschimpfung, physische Misshandlung, eskalierende lebensbedrohliche Gewalt und sexuelle Gewalt umfasste und führte telefonische Umfragen mit misshandelten und nicht misshandelten
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Frauen durch. Die wichtigste Hypothese war, dass die Verwandtschaft einer Frau sie gegen eheliche Misshandlung schützen kann. Die Ergebnisse bestätigten diese Hypothese: Je höher die Dichte der genetischen Verwandtschaft in und außerhalb Madrids, desto niedriger waren die Raten häuslicher Gewalt gegen Frauen. Die Verwandtschaftsdichte innerhalb von Madrid hatte einen besonders starken Einfluss, während entfernt lebende Verwandte einen geringen Einfluss auf die Reduzierung der ehelichen Misshandlungen hatten. Zu ähnlichen Ergebnissen kam man auch in Mexiko (Figueredo et al., 2001). Zusammengefasst scheint männliche sexuelle Eifersucht einer der zentralen Gründe von Gewalt gegen Frauen in Beziehungen zu sein. Nach einer Hypothese wird Gewalt als Taktik des Zwangs angewandt, um zu erreichen, dass der Partner treu bleibt und um künftige Untreue und Abtrünnigkeit in der Beziehung zu verhindern. Nicht alle Männer wenden für diese Ziele Gewalt an und nicht alle Frauen sind gleich verletzlich. Männer, denen es an wirtschaftlichen Ressourcen mangelt, die eine Frau normalerweise in der Beziehung halten würden, neigen eher zu Gewalt. Frauen, die jung sind und daher einen hohen reproduktiven Wert aufweisen und attraktiv auf andere Männer wirken, scheinen besonders anfällig für Gewalt des Partners zu sein. Zwei Faktoren scheinen das Risiko der Frau zu reduzieren: die Wahl eines Mannes mit wirtschaftlichen Ressourcen und Verwandtschaft, die in ihrer Nähe lebt.
11.5
Konflikte über Zugang zu Ressourcen
Seit Jahren versuchen Wissenschaftler eine Kultur zu entdecken, in der Frauen in den Bereichen politischer Macht und materieller Ressourcen nicht von Männern dominiert werden. Obwohl viele gerüchteweise von Kulturen hörten, in denen Frauen über Männer dominieren, wurde in der Literatur eine solche bisher nicht dokumentiert. Feministische Anthropologen, die bei dieser Suche die Speerspitze hielten, kamen zu dem Schluss, dass eine solche Kultur nicht existiert (Ortner, 1974). Gesellschaften unterscheiden sich jedoch im Maß der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit der Geschlechter. Die Verallgemeinerung, dass Männer dazu tendieren, Macht auszuüben und Ressourcen zu kontrollieren, sollte jedoch nicht die Tatsache verschleiern, dass in fast jeder Kultur Frauen beträchtlich zur Ansammlung wirtschaftlicher Ressourcen beitragen. In JägerSammler-Gesellschaften beispielsweise tragen Frauen durch das Sammeln essbarer Pflanzen manchmal zu 60 bis 80 Prozent der Kalorien bei (Tooby & DeVore, 1987). Zudem üben Frauen oft beträchtliche Macht aus: dazu gehört die bevorzugte Partnerwahl sowie, sich von Männern unter bestimmten Bedingungen scheiden zu lassen, die Kontrolle oder Regulierung des sexuellen Zugangs des Mannes und die Beeinflussung ihrer Söhne, Liebhaber, Väter, Ehemänner, Schwestern, Mütter und Enkel (Buss, 1994). Es kann nicht bestritten werden, dass viele Männer Frauen mittels ihrer Ressourcen kontrollieren oder beeinflussen. Verfügen sie über Ressourcen, die Frauen benötigen, so können Männer diese Ressourcen dazu verwenden Frauen zu kontrollieren. Wie wir in Kapitel 4 gesehen haben, ziehen Männer mit ihren Ressourcen Frauen an. Zudem fühlen sich viele Frauen, die über keine Ressourcen verfügen, ihrem Partner ausgeliefert, wenn sie eine Partnerschaft eingegangen sind, da sie befürchten, diese Ressourcen zu verlieren
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
(Wilson & Daly, 1992). Diese Punkte, die Kontrolle von Ressourcen durch Männer und das Einsetzen dieser Ressourcen zur Kontrolle von Frauen scheinen Themen der Übereinstimmung zwischen Feministinnen und evolutionären Psychologen zu sein (Buss, 1996a). Feministinnen verfolgen die Wurzeln der Unterdrückung von Frauen durch Männer oftmals bis zum Patriarchat zurück, einem Terminus, der sich auf die Dominanz von Männern über Frauen in der Familie und in der Gesellschaft bezieht (Smuts, 1995). Eine wissenschaftliche Frage betrifft die Ursprünge der Phänomene, die unter diesem Terminus zusammengefasst sind. Obwohl einige Feministinnen Spekulationen über den Ursprung der männlichen Kontrolle und Dominanz angeboten haben wie die Zurückverfolgung auf die Tatsache, dass Männer größer und stärker als Frauen sind, wurde bisher keine Einigkeit erzielt (Faludi, 1991; Hooks, 1984; Jagger, 1994; Smuts, 1995). Die meisten Feministinnen nehmen die männliche Dominanz und Kontrolle als Ausgangspunkt oder als gegeben hin (Smuts, 1995).
Gründe der Ungleichheit von Ressourcen: Die Partnerpräferenzen der Frauen und die kompetitiven Taktiken der Männer Eine evolutionäre Perspektive bietet Einblicke in die Ursprünge und die Geschichte der Versuche von Männern, Frauen zu kontrollieren (Buss, 1996a; Smuts, 1995). Zum einen wird angenommen, dass die Präferenzen der Frauen für Männer mit Ressourcen, wie in Kapitel 4 dokumentiert, eine entscheidende Bedeutung in der Evolution des Menschen spielen. Diese Präferenzen, die sich über tausende von Generationen wiederholten, haben dazu geführt, dass Frauen solche Männer als Partner bevorzugen, die über Status und Ressourcen verfügen und Männer ablehnen, die nicht über diese Werte verfügen. Im Lauf der Evolutionsgeschichte scheiterten Männer, die über keine Ressourcen verfügten, häufiger daran, Frauen als Partnerinnen zu gewinnen. Nach dieser Ansicht haben die Präferenzen der Frauen wichtige grundsätzliche Regeln für Männer und für deren Konkurrenz untereinander etabliert. Auf Grundlage der Theorie der sexuellen Selektion etablieren die Wünsche des einen Geschlechts die entscheidenden Dimensionen, in denen die Angehörigen des anderen Geschlechts miteinander konkurrieren. Da unsere männlichen Vorfahren großen Wert auf das physische Erscheinungsbild der Frauen legten, entwickelte sich Attraktivität als wichtige Dimension, in der Frauen miteinander konkurrieren. Die 53 Milliarden Dollar an Kosmetika, die in den USA vor allem von Frauen konsumiert werden, geben ein beeindruckendes Zeugnis für das Ausmaß dieser Form intrasexueller Konkurrenz unter Frauen ab. Den Präferenzen der Frauen für Männer mit Ressourcen entsprechend entstand die Ansammlung von Ressourcen als wichtige Dimension der Konkurrenz von Männern untereinander. Moderne Männer haben von ihren Vorfahren psychologische Mechanismen geerbt, die nicht nur den Ressourcen und dem Status Vorrang einräumen, sondern auch dazu tendieren, dass Männer Risiken eingehen, um Ressourcen und Status zu erlangen (siehe Kapitel 10). Männer, die daran scheiterten, den Zielen von Status und Ressourcen hohe Priorität einzuräumen und daran, kalkulierbare Risiken einzugehen, um andere
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Männer physisch zu bekämpfen, scheiterten ebenfalls daran, Partnerinnen anzuziehen. Diese Art der Konkurrenz bringt den Männern Gewalt und Totschlag sowie eine geringerer Lebenserwartung als Frauen. Die Präferenzen der Frauen und die Strategien intrasexueller Konkurrenz unter Männern entwickelten sich gemeinsam, wie auch die Präferenzen der Männer und die intrasexuelle Konkurrenz unter Frauen. Männer könnten angefangen haben, Ressourcen zu kontrollieren, um Frauen anzuziehen und die Präferenzen der Frauen folgten daraus. Alternativ hätten die Präferenzen der Frauen für erfolgreiche, ehrgeizige und über Ressourcen verfügende Männer in Männern kompetitive Strategien zum Eingehen von Risiken, Statusbestrebungen und Abwertung von Rivalen in Bezug auf Status und Ressourcen selektieren können. Die Präferenzen der Frauen könnten auf Männer einen Selektionsdruck ausgeübt haben, um Koalitionen zur Gewinnung von Ressourcen zu bilden und um individuelle Anstrengungen zu unternehmen, mit denen Männer besiegt und die von Frauen gewünschten Ressourcen erworben werden können. Wahrscheinlich haben sich jedoch die kompetitiven Strategien der Männer und die Partnerpräferenzen der Frauen gleichzeitig entwickelt. Die Verknüpfung dieser gleichzeitig entwickelten Mechanismen führte zu den Bedingungen, unter denen Männer im Bereich der Ressourcen dominieren. Die Analyse der Ungleichheit der Ressourcen leugnet nicht die Existenz anderer Gründe wie die sexistische Unsitte, Männern und Frauen nicht den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit zu bezahlen. Auch impliziert diese Analyse nicht, dass die Kontrolle der Männer über die Ressourcen zwangsläufig ist (siehe Smuts, 1995). Sie meint, dass die evolutionäre Psychologie entscheidend zur Identifizierung der Gründe der Ungleichheit der Ressourcen beiträgt. Für eine tiefer gehende Diskussion über Konflikte und Kooperationen zwischen den Geschlechtern siehe Kasten 11.1.
11.1 Sind alle Männer vereint, um Frauen zu kontrollieren? Feministinnen stellen manchmal alle Männer als vereint in dem gemeinsamen Ziel der Unterdrückung aller Frauen dar (Dworkin, 1987; Faludi, 1991). Evolutionspsychologische Analysen sagen aus, dass dies nicht der Fall ist, da Männer und Frauen vor allem mit Angehörigen ihres eigenen Geschlechts konkurrieren. Männer wollen Ressourcen auf Kosten und unter Ausschluss anderer Männer kontrollieren. Männer berauben andere Männer ihrer Ressourcen, schließen andere Männer von Positionen der Macht aus und werten andere Männer ab, um sie für Frauen weniger attraktiv zu machen. Die Tatsache, dass etwa 70 Prozent aller Morde Männer betreffen, die andere Männer töten, stellt dabei nur die Spitze des Eisbergs der Kosten dar, die Männer als Ergebnis ihrer intrasexuellen Konkurrenz zahlen (Daly & Wilson, 1988).
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
Frauen tragen ebenfalls den Schaden, der ihnen durch Angehörige ihres eigenen Geschlechts zugefügt wird. Sie konkurrieren miteinander um den Zugang zu Männern mit hohem Status, haben Sex mit den Ehemännern anderer Frauen und locken Männer von ihren Ehefrauen weg. Frauen verleumden und verunglimpfen ihre Rivalinnen, vor allem diejenigen, die kurzfristige Partnerstrategien verfolgen (siehe Kapitel 10). Frauen wie Männer sind Opfer der sexuellen Strategien ihres Geschlechts und so kann man nicht behaupten, sie seien mit allen Angehörigen ihres Geschlechts für ein gemeinsames Ziel wie der Unterdrückung des anderen Geschlechts vereint. Eine Ausnahme ist dann gegeben, wenn Männer Koalitionen in Form von Untergruppen bilden, wie wir in Kapitel 10 sahen. Diese Koalitionen werden manchmal gebildet, um sexuellen Zugang zu Frauen zu erhalten wie in brutalen Gruppenvergewaltigungen oder einem Überfall auf ein Nachbardorf, um Frauen zu rauben (Smuts, 1992). Zudem dienen die Koalitionen der Männer manchmal dazu, Frauen von der Macht auszuschließen, beispielsweise Vereinigungen, in denen Handel getrieben wird und in denen Frauen explizit von der Mitgliedschaft ausgeschlossen sind. Die gleichen Koalitionen richten sich jedoch auch gegen andere Männer und deren Koalitionen. Im Geschäftsleben, in der Politik und im Krieg bilden Männer Koalitionen zu ihrem eigenen Vorteil und zum Nachteil von Koalitionen anderer Männern. Es sollte aber auch darauf hingewiesen werden, dass Männer und Frauen von den Strategien des anderen Geschlechts profitieren. Männer stellen ihren Ehefrauen, Geliebten, Schwestern, Töchtern und Müttern Ressourcen zur Verfügung. Der Vater, die Brüder und die Söhne können von der Partnerwahl einer Frau profitieren. Im Gegensatz zur Ansicht, dass Männer und Frauen mit allen Angehörigen ihres Geschlechts zum Zweck der Unterdrückung des anderen Geschlechts vereint sind, deutet die evolutionäre Psychologie auf eine andere Schlussfolgerung hin: Jedes Individuum ist mit einigen Angehörigen beider Geschlechter vereint und befindet sich mit einigen Angehörigen beider Geschlechter im Konflikt. Simple Vorstellungen gleichgeschlechtlicher Verschwörungen durch ein Geschlecht widersprechen der evolutionären Logik. Diese evolutionäre Analyse deutet auf zwei wichtige Auswirkungen des Konflikts zwischen den Geschlechtern hin: der Verbindung zwischen gleichgeschlechtlicher Konkurrenz und Konflikten zwischen den Geschlechtern und die Ausbeutung der Wünsche des einen Geschlechts durch das andere.
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Zusammenfassung Konflikte zwischen Männern und Frauen durchziehen das soziale Leben, von Unstimmigkeiten bei Verabredungen bis hin zu emotionaler Verzweiflung in Ehen. Die evolutionäre Psychologie bietet mehrere Einsichten, warum es solche Konflikte gibt und beschreibt die besonderen Formen, die sie annehmen. Den ersten Einblick stellt die Theorie der interferierenden Strategien dar, nach der angenommen wird, dass Konflikte daraus resultieren, dass eine Person die erfolgreiche Ausführung einer Strategie blockiert oder behindert. Verfolgt eine Frau eine langfristige Partnerstrategie und ein Mann eine kurzfristige, so beeinträchtigen sie sich gegenseitig bei der erfolgreichen Erreichung ihrer Ziele. Von negativen Emotionen wie Wut, Verzweiflung und Eifersucht wird angenommen, dass sie Lösungen darstellen, um Individuen auf diese interferierenden Strategien hinzuweisen. Konflikte über sexuellen Zugang stellen den größten Bereich der Konflikte zwischen den Geschlechtern dar und nehmen viele Formen an. Erstens dokumentieren diverse Studien, dass Männer grundsätzlich auf eine größere sexuelle Absicht schließen als Frauen, vor allem als Reaktion auf vieldeutige Signale wie ein Lächeln. Zweitens täuschen Männer Frauen manchmal über ihr emotionales Engagement und über langfristige Absichten, um kurzfristigen sexuellen Zugang zu erlangen. Einige dieser Konflikte gehen auf entwickelte kognitive Tendenzen zurück, wie sie durch die Logik der Fehlermanagement-Theorie vorhergesagt werden. Nach dieser Theorie unterscheiden sich die reproduktiven Kosten des einen Fehlers (z.B. auf sexuelles Interesse zu schließen, wenn dies nicht vorhanden ist) vom anderen Fehler (z.B. sexuelles Interesse nicht wahrzunehmen, wenn es vorhanden ist). Wenn diese asymmetrischen Kosten im Laufe der Evolution immer wieder erscheinen, so werden in sozialen Interferenzen bestimmte Tendenzen durch die Selektion bevorzugt. Daher wird die Vorhersage gemacht, dass Männer zu einer Sichtweise neigen, die sie glauben macht, dass eine Frau in Reaktion auf vieldeutige Hinweise, z.B. ein Lächeln oder alleine in eine Bar zu gehen, sexuell an ihnen interessiert ist; diese Tendenz wurde entwickelt, um das Verpassen sexueller Gelegenheiten zu verhindern. Frauen haben die Neigung, skeptisch zu sein, was sie dazu anhält, misstrauisch auf männliche Hinweise auf eine gewünschte Bindung zu reagieren, so dass sie nicht von Männern getäuscht werden, die emotionale Hingabe nur vorgeben. Eine dritte Manifestation des Konflikts des sexuellen Zugangs findet in Form sexueller Belästigungen am Arbeitsplatz statt. Die überwältigende Mehrheit der Täter sind hier Männer, die überwältigende Mehrheit der Opfer Frauen. Die Opfer weisen überwiegend ein bestimmtes Profil auf: sie sind jung, allein stehend und physisch attraktiv. Frauen reagieren verletzter auf sexuelle Belästigung als Männer, woraus geschlossen werden kann, dass diese negative Emotion als Signal für interferierende Strategien dient. Die Bestürzung der Frauen als Reaktion auf sexuelle Belästigung ist größer, wenn der Täter einen niedrigen Status wie Müllmann oder Bauarbeiter hat und geringer, wenn der Täter einen hohen Status hat.
Kapitel 11 Konflikte zwischen den Geschlechtern
Sexuelle Aggressivität findet nicht nur am Arbeitsplatz statt. Wie bei sexueller Belästigung reagieren Frauen auch hier verärgerter als Männer auf Handlungen wie die Berührung ihres Körpers ohne ihre Erlaubnis und beharrliche sexuelle Anmache trotz Ablehnung. Studien zeigen, dass Männer unterschätzen, wie sehr Frauen durch sexuelle Aggressionen verletzt werden. Ein kontroverses Thema, das zu den Konflikten zwischen den Geschlechtern gehört, ist, ob Männer bestimmte Vergewaltigungs-Adaptationen entwickelt haben oder ob Vergewaltigung ein Nebenprodukt anderer Mechanismen, wie der Wunsch nach schnellem Sex, kombiniert mit einer allgemeinen Neigung zur Gewaltanwendung, um eine Vielzahl von Zielen zu erreichen, ist. Die bekannten empirischen Befunde aus Studien über Vergewaltigung unterstützen weder die eine noch die andere Hypothese. Die Tatsache, dass Vergewaltigungsopfer meist jung (und somit fruchtbar) sind, deutet nicht auf die Existenz einer Vergewaltigungs-Adapation, denn es ist bekannt, dass Männer Partnerpräferenzen für junge Frauen entwickelt haben. Nichtsdestotrotz sind weitere Forschungen über die Ursachen notwendig, um das Auftreten dieses abscheulichen Phänomens zu reduzieren. Seit kurzem hat sich die Aufmerksamkeit auf Schutzmaßnahmen gegen Vergewaltigungen konzentriert, die Auswahl „spezieller Freunde“ zum Schutz, die Auswahl von großen und dominanten Partnern, das Vermeiden von Situationen, in denen Frauen vergewaltigt zu werden riskieren und die Erfahrung psychischer Schmerzen nach sexueller Gewalt. Vorläufige Überprüfungen der Hypothesen über Schutzmaßnahmen der Frauen gegen Vergewaltigungen sind viel versprechend. Ausführlichere Prüfungen sind erforderlich, um die Strategien zu identifizieren, mit denen sie sich gegen sexuelle Gewalt wehren. Männer unterscheiden sich darin, ob sie sexuell aggressive Taktiken anwenden oder nicht und evolutionäre Psychologen haben vorherzusagen versucht, welche Männer diese Taktiken anwenden. Sie schlagen die Partner-Deprivations-Hypothese vor, die nahe legt, dass Männer, die daran scheitern, Frauen auf anderem Weg anzuziehen, sexuelle Aggression anwenden. Die vorliegenden Belege deuten jedoch auf eine gegenteilige Schlussfolgerung hin: Männer, die sexuelle Aggression anwenden, tendieren dazu, sich selbst als sehr attraktiv einzuschätzen und weisen auf eine erfolgreichere Geschichte in Bezug auf sexuellen Zugang zu Frauen hin als Männer, die keine Taktiken der sexuellen Aggression anwenden. Obwohl wir zurzeit noch nicht wissen, warum einige Männer Taktiken der sexuellen Aggression anwenden und andere nicht, können zwei übereinstimmende Ergebnisse wichtige Hinweise liefern: Männer, die sexuelle Aggression anwenden, neigen zu (1) einer Orientierung auf schnellen, unpersönlichen Sex und (2) einer Psychologie feindlicher Männlichkeit. Eifersucht beschreibt eine weitere Kategorie von Konflikten der Geschlechter. Evolutionäre Psychologen vermuteten, dass Eifersucht eine Lösung des Problems des Verlassenwerdens darstellt. Sie nehmen an, dass sich die männliche Eifersucht stark auf die sexuelle Untreue eines Partners konzentriert, da dadurch die Gewissheit der Vaterschaft gefährdet ist.
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Im Gegensatz dazu konzentriert sich die Eifersucht der Frauen mehr auf die langfristige Umlenkung der Investitionen und auf die Bindung des Partners. Umfangreiche empirische Belege unterstützen diese Annahmen: Männer tendieren dazu, eifersüchtiger auf sexuelle Untreue zu reagieren, und Frauen sind eifersüchtig bei emotionaler Untreue. Diese Geschlechtsunterschiede sind groß, zeigen sich in psychologischen und physiologischen Daten und wurden in einem halben Dutzend Kulturen repliziert. Wenn Männer und Frauen sich vorstellen sollen, dass ihr Partner sowohl sexuell als auch emotional untreu war, so sind Männer verärgerter über den sexuellen Aspekt der Untreue und Frauen verärgerter über den emotionalen Aspekt. Die Psychologie der Eifersucht führt zu einem Verhalten, das einen Partner davon abhalten soll, den anderen zu verlassen oder untreu zu werden und das von Wachsamkeit bis zur Gewalt reicht. Männer tendieren dazu, viel in die Partnerbindung zu investieren, wenn sie mit jungen, physisch attraktiven Frauen verheiratet sind, zwei bekannten Hinweisen auf den reproduktiven Wert einer Frau. Frauen tendieren dazu, sich intensiv in Bereichen der Partnerbindung zu engagieren, wenn sie mit Männern verheiratet sind, die ein hohes Einkommen haben und viel in Statusbestrebungen investieren. Gewalt gegen Partner ist eine extreme und zerstörerische Taktik der Partnerbindung. Sie wird mehr von Männern als von Frauen angewandt und vor allem von Männern, denen die wirtschaftlichen Mittel fehlen, um eine Frau durch positive Anreize zu halten. Männer und Frauen stehen auch über den Zugang zu Ressourcen im Konflikt miteinander. Die evolutionäre Psychologie wirft Licht auf die Tatsache, dass Männer weltweit dazu tendieren, die wirtschaftlichen Ressourcen zu kontrollieren, auch wenn es hier individuelle und kulturelle Unterschiede gibt. Dies ist ein Aspekt des so genannten Patriarchats. Der Geschlechtsunterschied kann zurückverfolgt werden bis zur gleichzeitigen Entwicklung der Präferenzen der Frauen und der kompetitiven Partnerstrategie der Männer. Im Lauf der Evolutionsgeschichte haben Frauen schon immer vorzugsweise Männer ausgewählt, die über Ressourcen verfügten, und Männer standen im gegenseitigen Wettbewerb, um sich Ressourcen anzueignen und so Frauen anzuziehen. Eine evolutionäre Analyse legt auch nahe, dass Männer nicht mit allen anderen Männern vereint sein können, um Frauen davon abzuhalten, Zugang zu diesen Ressourcen zu gewinnen. Männer stehen vor allem zu anderen Männern und nicht zu Frauen in Konkurrenz. Zudem verbünden sich Männer in ihren Interessen mit vielen Frauen wie ihren Freundinnen, Schwestern, Frauen, Geliebten, Nichten und Müttern.
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Weiterführende Literatur Bischof-Köhler, D. (2002). Von Natur aus anders. Die Psychologie der Geschlechtsunterschiede. Stuttgart: Kohlhammer. Buss, D. M. (2000). The dangerous passion: Why jealousy is as necessary as love and sex. New York: Free Press (dt.: Wo warst Du? Der Sinn der Eifersucht. Reinbeck: Rowohlt Tb, 2003). Haselton, M. G. & Buss, D. M. (2000). Error Management Theory: A new perspective on biases in cross-sex mind reading. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 81-91. Keenan, J. P., Gallup, G. G., Jr., Goulet, N. & Kulkarni, M. (1997). Attributions of deception in human mating strategies. Journal of Social Behaviour and Personality, 12, 45-52. Malamuth, N. M. (1996). The confluence model of sexual aggression: Feminist and evolutionary perspectives. In D. M. Buss & N. M. Malamuth (Eds.), Sex, power, conflict: Evolutionary and feminist perspectives (S. 269-295). New York: Oxford University Press. Thornhill, R. & Palmer, C. (2000). A natural history of rape: Biological bases of sexual coercion. Cambridge, MA: MIT Press. Wessel, K. F. & Bosinski, H. A. G. (Hrsg.) (1992). Interdisziplinäre Aspekte der Geschlechterverhältnisse in einer sich wandelnden Zeit. Bielefeld: Kleine Verlag.
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Kapitel
12
Status, Prestige und soziale Dominanz
Alle Tiere sind gleich. Aber einige sind gleicher als andere. – George Orwell Wir kamen auf die Welt, ausgerüstet mit einem Nervensystem, das sich mit unserer sozialen Stellung beschäftigt. – Robert Frank, 1985 Im Jahr 1996 wurde Admiral Jeremy Boorda, Einsatzleiter der United States Navy, zu seinem Kriegsorden „V“ für „valor“ (engl. Tapferkeit) interviewt, den er stolz an die Brust geheftet trug (Feinsilber, 1997). Tatsächlich war Admiral Boorda dieser Orden niemals verliehen worden. Um der Schmach einer Aufdeckung dieses Betrugs zu entgehen, beging er Selbstmord. Ein Jahr später wurde bekannt, dass der U. S.-Bundesrichter James Ware aus San Jose, Kalifornien, fälschlicherweise behauptet hatte, der ältere Bruder von Virgil Ware zu sein, einem Jungen, der 1963 in Birmingham, Alabama, bei einem rassistischen Überfall von weißen Jugendlichen getötet worden war. Am gleichen Tag starben vier Mädchen bei einem Bombenanschlag auf die Kirche einer schwarzen Gemeinde. Ware hatte diese Behauptung oft eingesetzt, um zu begründen, warum er von einem „Hunger nach Gerechtigkeit“ angetrieben werde und seine wachsende Berühmtheit als Richter wurde nicht selten mit dieser falschen Behauptung in Zusammenhang gebracht, die ihm einen hohen sozialen Status verlieh. Als die Täuschung aufflog, musste er seine Ansprüche auf die Kandidatur für ein Amt in einem hohen Berufungsgericht wohl oder übel aufgeben. Dies sind nur zwei von hunderten solcher Vorkommnisse, die im Laufe der letzten zehn Jahre ans Licht kamen. Warum fälschen Menschen ihre Referenzen und riskieren so, als Betrüger entlarvt zu werden, nur um ihren Status und ihre gesellschaftliche Position zu verbessern? Status, Prestige, Ansehen, Ehre, Respekt und Rang werden in allen bekannten Gruppen auf verschiedene Weise verliehen. Die Menschen verwenden ungeheure Anstrengungen darauf, nicht in Verruf zu geraten oder in Ungnade zu fallen und Scham, Erniedrigung, Ehrlosigkeit und Gesichtsverlust zu vermeiden. Empirische Untersuchungen bestätigen, dass sich Statusund Dominanz-Hierarchien sehr schnell bilden. In einer Studie wurden 59 Gruppen von jeweils drei Personen untersucht, die sich vorher nicht gekannt hatten. In 50% der Fälle bildete sich eine Hierarchie innerhalb nur einer Minute. Bei den übrigen 50% dauerte es fünf Minuten, bis sich eine klare Hierarchie ergab (Fisek & Ofshe, 1970). Noch erstaunlicher war, dass die Gruppenmitglieder ihren eigenen zukünftigen Status innerhalb der neuen Gruppe genau einschätzen konnten, sobald sie die neuen Mitglieder nur gesehen hatten und noch bevor irgend jemand ein Wort gesprochen hatte (Kalma, 1991). Sollte es einen vernünftigen Anwärter für ein universales menschliches Motiv geben, so stünde das Streben nach Status ganz oben auf der Liste (Barkow, 1989; Frank, 1985; Maslow, 1937; Symons, 1979).
Teil 5 Probleme sozialer Gemeinschaften
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12.1
Die Bildung von Dominanz-Hierarchien
Grillen können sich an ihre zurückliegenden Erfolge und Misserfolge in Kämpfen mit anderen Grillen erinnern (Dawkins, 1989). Wenn eine Grille viele Kämpfe gewinnt, wird sie in weiteren Kämpfen immer aggressiver. Verliert sie jedoch oft, so benimmt sie sich eher unterwürfig und vermeidet zukünftige Konfrontationen. Dieses Phänomen hat der Evolutionsbiologe Richard Alexander (1961) exemplarisch dokumentiert. Er führte eine „Modell-Grille“ ein, die andere Grillen überwältigte. Nachdem diese von dem Modell überwältigt wurde, war die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie auch andere Kämpfe gegen echte Grillen verloren. Man kann vermuten, dass jede Grille sich ein Bild über die eigenen kämpferischen Fähigkeiten im Vergleich zu anderen macht und sich dementsprechend verhält. Im Laufe der Zeit bildete sich eine Dominanz-Hierarchie heraus, in der jeder Grille eine Rangposition zufiel, wobei die niedriger gestellten Grillen sich den höher gestellten meist ergaben. Interessant ist, dass männliche Grillen, die in jüngster Vergangenheit siegreich waren, eher auf sexuelle Gefälligkeiten weiblicher Grillen aus sind. Dawkins (1989) gibt an, dies könne als der „Herzog-von-Marlborough-Effekt“ bezeichnet werden, in Anlehnung an das Verhalten dieses Mannes, wie es im Tagebuch der Herzogin von Marlborough beschrieben ist: „Seine Hoheit kam heute aus dem Krieg nach Hause und beglückte mich zweimal in seinen Reiterstiefeln.“ (Dawkins, 1989, S. 286). Auch Studien an Menschen brachten einzelne Belege für diesen Effekt. Eine Studie von Tennisspielern ergab, dass sich ihre Testosteron-Werte am Tag vor einem wichtigen Spiel verdoppelten. Nach dem Spiel fielen die Werte des Verlierers drastisch ab, während die des Gewinners erhöht blieben (Mazur & Booth, 1998). Ähnliche Phänomene gibt es auch im Tierreich. Der Ausdruck „Hackordnung“ leitet sich vom Verhalten von Hennen ab. Wenn Hennen sich zum ersten Mal begegnen, kommt es häufig zu Kämpfen. Im Laufe der Zeit aber werden die Kämpfe weniger, denn jede Henne lernt, dass sie manchen überlegen, anderen wiederum unterlegen ist. Diese Hackordnung ist meist dauerhaft und stabil und hat für jede Henne Vorteile. Dominante Hennen gewinnen, denn sie müssen sich nicht ständig auf kostspielige Kämpfe einlassen, um ihren Rang zu verteidigen. Untergeordnete Hennen gewinnen ebenfalls, denn sie vermeiden Verletzungen, die sie erleiden würden, wenn sie dominante Hennen angreifen würden. Dabei muss man immer bedenken, dass diese Hackordnung oder Dominanz-Hierarchie selbst keine Funktion hat. Die Hierarchie ist eine Eigenschaft der Gruppe, nicht des Einzelnen. Vielmehr haben die Strategien jedes einzelnen Tieres eine Funktion und diese ergeben insgesamt eine stabile Hierarchie. Das heißt, dass wir betrachten müssen, welche Funktion es hat, unterwürfig oder dominant zu sein. Wenn man in jedem Kampf mit einem anderen Individuum bis an die eigenen Grenzen der Belastbarkeit geht, ist das eine unsinnige Strategie. Der Verlierer riskiert, verletzt oder getötet zu werden und hätte also besser daran getan, von vornherein aufzugeben – und somit sein Gebiet, seine Nahrung oder seinen Partner einzubüßen. Auch für den Gewinner hat ein Kampf seinen Preis. Zusätzlich zu dem Risiko einer Verletzung durch den Kampf wenden die Gewinner auch kostbare Energieressourcen und Zeit für den Kampf auf – Zeit, die für andere Tätigkeiten verloren ist. Also wäre es für beide Seiten besser,
Kapitel 12 Status, Prestige und soziale Dominanz
wenn sie im Voraus einvernehmlich festlegen könnten, wer der Gewinner sein wird, und sich auf diese Weise die Nachteile, die ein Kampf mit sich bringt, ersparen könnten. Wenn der Verlierer sich unterwirft, kommt er lebend und ohne Verletzung davon. Auch wenn er momentan eine Ressource aufgegeben hat, kann er an anderer Stelle sein Glück versuchen, wo die Chancen für ihn besser stehen; oder der Verlierer kann sich zurückhalten und auf eine bessere Gelegenheit zum Angriff warten (Pinker, 1997). Zusammengefasst wird die Selektion die Fähigkeit der Beurteilung fördern – psychologische Mechanismen also, die die Bewertung der eigenen kämpferischen Fähigkeiten gegenüber anderen mit einschließen. Beim Menschen sind diese Beurteilungsmechanismen wahrscheinlich komplex, gehen über die rein körperlichen Fähigkeiten hinaus und beziehen auch die Fähigkeit mit ein, mächtige Freunde und Verbündete für sich zu gewinnen, sich ein Netzwerk aus sozialen Verbindungen zu schaffen und die ausgedehnte Familie hinter sich zu versammeln. Nach diesen Beurteilungen kann sowohl eine dominante als auch eine unterwürfige Strategie ihre Funktionen haben. Die wichtigste Funktion einer jeden Strategie ist es, kostspielige Konfrontationen zu vermeiden, wenn der Ausgang eines Konfliktes im Voraus bestimmt werden kann. Natürlich liegt dieser Ausgang oft im Dunkeln. Die verschiedenen Formen des Bluffens, Brüllens und Drohens können darauf ausgerichtet sein, die Stärke des Kämpfers aufzubauschen, um den Gegner dazu zu bringen, vorzeitig aufzugeben. Die Selektion würde aber auch ein Durchschauen dieser Bluffs begünstigen, da Tiere, die sich aufgrund solcher Bluffs vorzeitig geschlagen geben, den Zugang zu wertvollen Ressourcen verlören. Der wesentliche Punkt ist, dass sowohl unterwürfige als auch dominante Strategien bestimmte Funktionen für den Einzelnen haben. In ihrem Zusammenspiel führen sie zu einer Dominanz-Hierarchie. Funktional gesehen bezieht sich eine Dominanz-Hierarchie auf die Tatsache, dass bestimmte Individuen innerhalb einer Gruppe zuverlässig besseren Zugang zu wichtigen Ressourcen haben als andere – diese Ressourcen tragen zum Überleben und zur Reproduktion bei (Cummins, 1998). Diejenigen, die in der Hierarchie weiter oben stehen, sichern sich besseren Zugang zu diesen Ressourcen; diejenigen dagegen, die weiter unten stehen, haben nur eingeschränkten Zugang. In ihrer einfachsten Form sind DominanzHierarchien transitiv, d.h. wenn A über B und B über C dominiert, wird A auch über C dominieren. Dominanz-Hierarchien wurden bei einer Vielzahl von Tierarten nachgewiesen, vom Flusskrebs bis zum Schimpansen.
12.2
Dominanz und Status im Tierreich
Gibt es in einem Revier mehr als einen männlichen Flusskrebs, so muss festgelegt werden, wer der Boss ist (Barinaga, 1996). Die Flusskrebse umkreisen einander vorsichtig und beäugen sich gegenseitig. Dann stürzen sie sich in einen wilden Kampf und versuchen, sich gegenseitig zu zerreißen. Der siegreiche Flusskrebs ist der Überlegene und stolziert daraufhin durch „sein“ Revier. Der Verlierer stiehlt sich davon in die Peripherie und vermeidet jeden weiteren Kontakt mit dem Sieger. Die darauf folgenden Verhaltensweisen der Gewinner und Verlierer sind so verschieden, dass Forscher schon vermuteten, ihr Nervensystem müsse sich verändert haben. Der Wis-
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senschaftler Donald Edwards und seine Kollegen entdeckten ein bestimmtes Neuron in den Flusskrebsen, das je nach dem Status des Tieres unterschiedlich auf den Neurotransmitter Serotonin reagiert. Beim dominanten Flusskrebs wird das Neuron durch das Serotonin eher aktiviert, während es beim Verlierer eher gehemmt wird. Dies ist „das erste Mal, dass man in der Lage war, ein soziales Phänomen mit einer Veränderung einer bestimmten, identifizierten Synapse in Zusammenhang zu bringen“ (Barinaga, 1996, S. 290). Ein einziger Kampf verurteilt ein Tier jedoch nur sehr selten dazu, auf Dauer in der Position des Gewinners oder Verlierers zu bleiben. Als zwei unterlegene Flusskrebse von den Forschern in demselben Territorium ausgesetzt wurden, entwickelte sich einer der beiden zwangsläufig zum Überlegenen. Bei einer Überprüfung der Neuronen zwei Wochen später fanden die Forscher heraus, dass bei dem dominanten Tier das ausschlaggebende Neuron durch das Serotonin angeregt und nicht mehr gehemmt wurde. Also können unterlegene Krebse schnell eine dominante Stellung einnehmen, wenn sich die Gegebenheiten verändern. Für einen dominanten Krebs gilt dies jedoch nicht. Setzten die Forscher zwei vormals dominante Flusskrebse in einem Revier aus, wurde einer automatisch gezwungen, in die Rolle des Unterlegenen zu wechseln. Doch der Verlierer, der vorher ebenfalls dominant gewesen war, zeigte sich weiterhin aggressiv und forderte den dominanten Flusskrebs immer wieder zu Kämpfen heraus, die soweit gingen, dass er sogar getötet wurde. Es schien, als „weigerten sich die Tiere, von einer dominanten in eine unterlegene Position zu begeben“ (Barinaga, 1996, S. 290). Auch Schimpansen kämpfen um eine Vormachtstellung (de Waal, 1982). Dominante männliche Schimpansen stolzieren umher und versuchen, möglichst groß und schwer auszusehen. Das zuverlässigste Zeichen von Dominanz ist die Anzahl der unterwürfigen Begrüßungen, die ein Tier von anderen erhält. Diese Begrüßungen sind eine kurze Abfolge keuchender Grunzlaute, die mit einer Beugung des Oberkörpers einhergehen, so dass das untergebene Tier regelrecht zu dem dominanten Artgenossen aufschaut. Diese Beugung des Oberkörpers wird oft durch eine Reihe schneller, tiefer Verbeugungen erreicht. Manchmal bringt der Untergebene dem Dominanten auch Begrüßungsgaben mit, z.B. ein Blatt oder einen Stock, den er übergibt, während er ihm Füße, Hals oder Brust küsst. Das dominante Männchen reagiert darauf, indem es sich zu seiner vollen Größe aufrichtet und auch seine Haare aufstellt, damit es noch größer wirkt. Ein Beobachter könnte daraus schließen, dass beide Schimpansen unterschiedlich groß sind, obwohl sie tatsächlich die gleiche Größe haben. Ein Schimpanse kriecht am Boden, während der andere umherstolziert und manchmal sogar über den Untergebenen hinwegspringt. Die Weibchen dagegen zeigen den dominanten Männchen meist ihre Hinterteile zur Inspektion. Versäumt es ein Männchen oder ein Weibchen gelegentlich, diese unterwürfigen Gesten zu zeigen, ist das ein direkter Angriff auf den Status des dominanten Tieres, der einen aggressiven Vergeltungsschlag zur Folge haben kann. Die dominante Position bei männlichen Schimpansen bringt einen wesentlichen Vorteil mit sich: vermehrter sexueller Zugang zu Weibchen (de Waal, 1982). Dominante Männchen innerhalb einer Kolonie beanspruchen mindestens 50% – manchmal sogar bis zu 75% – aller Paarungsakte für sich, selbst wenn noch ein halbes Dutzend anderer Männchen in der Kolonie leben. Eine Analyse aus 700 Studien ergab, dass Männchen von mitt-
Kapitel 12 Status, Prestige und soziale Dominanz
lerem bis hohem Rang in der Regel einen reproduktiven Vorteil gegenüber niedriger gestellten Männchen haben (Ellis, 1995). Allerdings kommt es bei manchen Arten, z.B. den Rhesusmakakken vor, dass sich die Weibchen heimlich mit untergeordneten Männchen paaren (Manson, 1992). Die dominanten männlichen Schimpansen scheinen besonders dann einen gesteigerten sexuellen Zugang zu den Weibchen zu haben, wenn diese sich in der fruchtbaren Phase befinden (Ellis, 1995). Drei der vier Studien, die diesen Zusammenhang untersuchten, ergaben, dass dominante Männchen dann mehr sexuellen Zugang zu Weibchen erlangten, wenn diese sich in ihrer fruchtbaren Phase befanden und eine Befruchtung daher wahrscheinlicher war. Dies legt nahe, dass Unterlegene womöglich dann sexuellen Zugang zu den Weibchen haben, wenn eine Befruchtung weniger wahrscheinlich ist. Eine Studie, die DNA-Merkmale untersuchte, bestätigte diese Schlussfolgerung. Sie ergab, dass hochrangige Männchen tatsächlich eine unverhältnismäßig große Anzahl an Nachkommen gezeugt hatten (im Vergleich zu rangniedrigeren Männchen). Bei Orang-Utans und Pavianen konnte man ähnliche Zusammenhänge zwischen Dominanz, sexuellem Zugang und reproduktiven Ergebnissen nachweisen (Ellis, 1995). Zwei weitere wichtige Merkmale von Dominanz-Hierarchien bei Primaten sind bekannt (Cummins, 1998). Zum einen sind diese Hierarchien nicht statisch. Die Individuen stehen in ständigem Wettbewerb um eine höhere Position und verdrängen manchmal das dominante Männchen. Verdrängten Männchen gelingt es manchmal, ein gewisses Maß ihrer früheren Dominanz zurückzugewinnen. Tod oder Verletzung eines dominanten Tieres kann einen Zeitraum der Instabilität nach sich ziehen, in welchem die anderen nachdrängen, um das Vakuum an der Spitze der Hierarchie zu füllen. Einzelne versuchen ständig, sich innerhalb der Hierarchie eine gute Position zu sichern und machen sie so zu einer dynamischen Form einer sozialen Organisation. Zum zweiten bestimmt nicht nur die körperliche Größe des Primaten seinen Rang. Ein Aufstieg innerhalb einer PrimatenHierarchie hängt dagegen verstärkt von den sozialen Fähigkeiten ab, insbesondere davon, Verbündete zu gewinnen, auf deren Unterstützung man sich im Wettkampf mit anderen Individuen verlassen kann. So gab es einen dokumentierten Fall, bei dem ein untergeordnetes Männchen sein Bündnis mit dem Anführer beendete, weil dieser sich weigerte, ihn in einem Kampf gegen ein anderes Männchen zu unterstützen, bei dem es um den sexuellen Zugang zu einem bestimmten Weibchen ging (de Waal, 1992). Mehr sexuelle Möglichkeiten mit Weibchen sind ein wichtiger adaptiver Beweggrund für die Entwicklung von Dominanzhierarchien. Dies lässt auch eine evolutionäre Basis der Geschlechtsunterschiede im Dominanz-Motiv vermuten.
12.3
Evolutionstheorien zu Dominanz und Status
Eine Evolutionstheorie zu Dominanz und Status muss genau definieren, welche adaptiven Probleme durch einen Aufstieg sowie durch Positionskämpfe innerhalb einer Status-Hierarchie gelöst werden. Idealerweise sollte eine Theorie vorhersagen können, welche Taktik
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angewendet werden muss, um in der Hierarchie aufzusteigen. Akademiker konkurrieren z.B. auf andere Weise um Hierarchie-Positionen als die Gangs der Großstadt. „Es wäre wohl der falsche Ansatz, in einer wissenschaftlichen Konferenz mit einem Messer herumzufuchteln - doch gibt es ja noch die bohrende Frage, die vernichtende Antwort, die moralische Empörung, die üble Schmähung, die entrüstete Zurückweisung und das Sprachrohr wissenschaftlicher Schriften und großer Diskussionsforen.“ (Pinker, 1997, S. 498). Eine gute Theorie muss auch erklären können, warum Männer so viel mehr nach Status streben als Frauen. Am besten sollte eine solche Theorie auch das Verhalten derjenigen begründen können, die sich mit einer untergeordneten Position zufrieden geben müssen. Es gibt beispielsweise überzeugende Belege aus traditionellen Gesellschaften, dass die Menschen durch Spott, Ächtung oder sogar durch Mord versuchen, Einzelne abzuschrecken, deren Ehrgeiz sie danach streben lässt, über andere in der Gruppe zu dominieren (Boehm, 1999). Eine gute, umfassende Dominanz-Theorie sollte eine Erklärung dafür liefern, warum die Menschen oft nach Gleichheit innerhalb ihrer Gruppe streben (Boehm, 1999; Knauft, 1991). Idealerweise sollte eine Theorie auch genau unterscheiden zwischen Dominanz-Hierarchien, die über die Ressourcen-Verteilung entscheiden, und Produktions-Hierarchien, bei denen es um Arbeitskoordination und Arbeitsteilung zum Zweck der Erreichung der gemeinsamen Ziele geht (Rubin, 2000). Bisher gibt es keine umfassenden Theorien über menschliche Status-Hierarchien, die all diese entscheidenden Fragen beantworten können. Dennoch sind wichtige Ansätze bereits vorhanden. Beginnen wir mit der Betrachtung einer evolutionären Erklärung der geschlechtsbezogenen Unterschiede in Bezug auf das Motiv des Strebens nach Ansehen.
Eine Evolutionstheorie über die geschlechtsbezogenen Unterschiede beim Streben nach Ansehen Wie wir bereits in früheren Kapiteln sahen, unterscheiden sich Männer und Frauen drastisch, wenn es darum geht, wie stark ihre reproduktive „Leistung“ schwankt. Da Sperma in relativ großen Mengen vorhanden ist und Männer nicht gezwungen sind, sehr viel in ihre Nachkommen zu investieren, liegt die Grenze männlicher Reproduktion weit höher als die der weiblichen Reproduktion. Anders ausgedrückt ist der reproduktive Erfolg der Männer meist variabler als der der Frauen. Fast allen fruchtbaren Frauen gelingt es, sich fortzupflanzen, unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status, was jedoch nicht für alle fruchtbaren Männer gilt. Für jeden Mann, der reproduktiven Zugang zu unverhältnismäßig vielen Frauen hat, sind andere Männer zum Junggesellendasein und zur reproduktiven Enthaltsamkeit verurteilt. Daraus folgt, je polygyner ein Partnersystem ist – d.h. je mehr Varianz es in Bezug auf den männlichen sexuellen Zugang zu Frauen gibt – desto stärker wirkt der Selektionsdruck auf die Männer, einer der wenigen zu sein, die in der Reproduktion erfolgreich sind. Außerdem wird die Selektion Strategien fördern, die ein Individuum nicht völlig von der Reproduktion ausschließen.
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Ein höherer Status und stärkere Dominanz gewähren Männern auf zweierlei Weise mehr sexuellen Zugang zu Frauen. Zum ersten können Frauen dominante Männer als Partner bevorzugen (Kenrick et al., 1990). Männer, die hohes Ansehen genießen, können Frauen mehr Schutz und mehr Ressourcen bieten, die diese für sich und ihre Kinder einsetzen können. Außerdem können diese Männer vielleicht sogar eine bessere Gesundheitsversorgung bieten (Buss, 1994; Hill & Hurtado, 1996). In polygynen Gesellschaften ziehen es Frauen oft vor, die umfangreichen Ressourcen eines hoch gestellten Mannes mit anderen Mitfrauen zu teilen, anstatt die wenigen Ressourcen eines rangniedrigeren Mannes für sich alleine zu haben (Betzig, 1986). Also könnte ein potentieller Vorteil eines ranghohen Mannes darin bestehen, von Frauen bevorzugt als Partner ausgewählt zu werden. Zu dieser Bevorzugung kann es sowohl bei der kurzfristigen als auch bei der langfristigen Partnerwahl kommen, da Frauen in vielen Kulturen auch für kurze Affären eher Männer mit hohem Status auswählen (Baker & Bellis, 1995; Buss, 1994; Hill & Hurtado, 1996). Ein zweiter Weg, durch den dominante Männer mehr Zugang zu Frauen gewinnen können, bezieht sich auf die intrasexuelle Dominanz. Dominante Männer können einfach die Partnerinnen untergeordneter Männer für sich beanspruchen, ohne dass niedriger gestellte Männer sie daran hindern können. Daly und Wilson stellten fest: „Männer gelten in ihrer Umgebung entweder als ‚diejenigen, die man herumschubsen kann’, oder als ‚diejenigen, die sich nichts gefallen lassen’, als Männer, die nach ihrem Wort handeln, oder als Männer, deren Worte nur heiße Luft sind, als Männer, denen man ungestraft die Freundin ausspannen kann, oder als Männer, mit denen man sich besser nicht anlegt.“ (1988, S.128). Napoleon Chagnon berichtete das folgende Beispiel einer Interaktion zwischen zwei Yanomamö-Brüdern. Der höher gestellte Bruder (Rerebawa) hatte eine Affäre mit der Ehefrau seines niedriger gestellten Bruders. Als der betrogene Bruder davon erfuhr, griff er Rerebawa an, wurde aber mit der stumpfen Seite einer Axt heftig verprügelt. Als Rerebawa Chagnon durch sein Dorf führte, stellte er ihm auch seinen Bruder vor, indem er ihn am Handgelenk packte, ihn zu Boden zwang und verkündete: „Das ist der Bruder, mit dessen Frau ich geschlafen habe, als er nicht da war“ (Chagnon, 1983, S. 29). Das war eine tödliche Beleidigung, die normalerweise einen blutigen Zweikampf ausgelöst hätte, wenn beide Brüder gleichrangig gewesen wären. Doch der untergeordnete Bruder stahl sich nur voll Scham davon, froh darüber, dass ihm ein Kampf mit seinem Bruder erspart blieb. Status und sexuelle Möglichkeiten. Gibt es Belege dafür, dass ein Mann höheren Ranges tatsächlich auch mehr sexuelle Möglichkeiten bei Frauen hat? Im Laufe der gesamten Weltgeschichte haben Könige, Kaiser und Despoten Frauen in Harems um sich versammelt und dabei immer junge, fruchtbare und attraktive Frauen ausgewählt. Der marokkanische Kaiser Moulay Ismail der Blutrünstige hatte beispielsweise 500 Frauen in seinem Harem, mit denen er 888 Kinder zeugte. Die Evolutionsanthropologin Laura Betzig sammelte systematische Daten der ältesten sechs Zivilisationen: Mesopotamien, Ägypten, das Aztekenreich, Mexiko, das Inkareich in Peru sowie die Kaiserreiche Indien und China (Betzig, 1993). Diese Zivilisationen umspannten vier Kontinente und etwa viertausend Jahre, wobei der Anfang etwa im Jahr 4000 vor Christus liegt.
In allen sechs Zivilisationen zeigt sich ein bemerkenswert einheitliches Muster. In Indien besaß Bhupinder Singh einen Harem mit 332 Frauen. Darunter befanden sich zehn hochrangige Maharanis, 50 Ranis mittleren Rangs und weitere Mätressen und Dienerinnen
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ohne Rang. „Alle Frauen standen dem Maharaja jederzeit zur Verfügung. Er konnte seine Lust mit jeder von ihnen zu jeder Tages- oder Nachtzeit befriedigen.“ (Dass, 1970, S. 78). Dieses extravagante Sexualleben war nur den Männern mit Ansehen und Macht vorbehalten. Viele Männer konnten sich nur eine einzige Frau leisten, und für manche war selbst das schon zu teuer. Reiche Adelige dagegen konnten leicht einen Harem unterhalten, was viele in Indien bis vor kurzer Zeit auch noch taten (Betzig, 1993). Im Kaiserreich China zeigte sich ein ähnliches Bild. Am Ende der Chou-Dynastie im Jahr 771 v. Chr. hatte jeder König „eine Königin (hou), drei Gefährtinnen (fu-jen), neun Ehefrauen zweiten Ranges (pin), 27 Ehefrauen dritten Ranges (shih-fu) und 81 Konkubinen (yu-chi)“ (van Gulik, 1974, S.17). Es gab bestimmte Bedienstete des Palastes, deren Aufgabe es war, das Land nach jungen, hübschen und gut situierten Frauen zu durchkämmen, die dann zum Palast gebracht wurden. Die Frauen, die am wenigsten attraktiv waren, mussten niedere Arbeiten im Palast verrichten, die hübschesten wurden jedoch für den königlichen Harem ausgewählt. Die Anzahl der Frauen entsprach in etwa dem Rang des Mannes. Der Kaiser Huang-ti hatte angeblich mit 1.200 Frauen Geschlechtsverkehr. Der entthronte Kaiser Fei-ti besaß sechs Paläste, in denen über 10.000 Frauen wohnten. Großprinzen durften nur einige hundert Frauen haben, Großgeneräle etwa dreißig, Männer in gehobener Stellung hatten sechs bis zwölf Frauen und solche von mittlerem Stand nur drei oder vier (Betzig, 1993). Auf der anderen Seite der Welt, im Inkareich in Peru, gab es „Jungfrauenhäuser“, in denen etwa 1.500 Frauen oder mehr lebten – es gab keine Beschränkung nach oben. In diesen Häusern warteten die Frauen, bis sie vom König gerufen wurden. Dann wurden sie dorthin gebracht, wo der König sich gerade befand. Wie in China hing auch hier die Anzahl der Ehefrauen vom Ansehen und Rang des Mannes ab. Die Kaiser hatten die meisten Frauen, oft in den Tausenden. Inkafürsten hatten mindestens 700 Frauen „für Dienste im Haus und für ihr Vergnügen“ (Cieza de Leon, 1959, S. 41). Nach dem Gesetz und Brauch der Inka erhielten „Prinzipale“ 50 junge Frauen, Vasallenführer hatten 30; Herrscher über Provinzen mit mehr als 100.000 Einwohnern erhielten 20 Frauen, Herren von 100 Menschen erhielten acht Frauen, kleine Häuptlinge sieben, kleinere Häuptlinge fünf und so weiter. Frauen wurden streng nach Status und Rang des Mannes zugeteilt. Auch in Ägypten ergibt sich das gleiche Bild, wie aus historischen Quellen aus den Jahren 1416 bis 1377 v. Chr. hervorgeht. „Der König verlangte von den Herrschern über seine Provinzen ständig neue hübsche Dienerinnen.“ (Redford, 1984, S. 36). Zwar ist keine genaue Anzahl überliefert, es ist jedoch klar, dass die mesopotamischen Könige aus Sumer, Assyrien und Babylon zahlreiche Kinder mit vielen Frauen, Konkubinen und Sklavinnen zeugten – manchmal mit tausenden von Frauen (Betzig, 1993). Durch Ansehen und einen hohen Rang konnten sich Männer, wie es scheint, in allen der sechs ältesten menschlichen Zivilisationen erhöhten sexuellen Zugang zu Frauen sichern. Dieser Zusammenhang scheint auch in unserer modernen Zeit noch zu gelten – allerdings zweifellos nicht in dem beschriebenen Ausmaß. Die per Gesetz festgeschriebene Monogamie, die in den westlichen Kulturen herrscht, schränkt die Anzahl der Frauen, die ein Mann heiraten kann, ganz erheblich ein. Mit der Absetzung von Königen und Despoten verschwanden auch die Harems. Dennoch ergab eine neuere Studie, dass hochrangige
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Männer auch heute noch verstärkt sexuellen Zugang zu Frauen erhalten (Perusse, 1993). Da dieser Zugang im Rahmen der gesetzlich festgeschriebenen Monogamie stattfindet, handelt es sich hier ausschließlich um kurzfristige und außereheliche Affären. Außerdem können Männer von hohem Rang eher äußerlich attraktivere Frauen heiraten als Männer von niedrigerem Rang (Elder, 1969; Taylor & Glenn, 1976; Udry & Eckland, 1984). Männer von hohem Status suchen sich zudem jüngere und dadurch fruchtbarere Frauen aus (Grammer, 1992). Auch wenn sich die Struktur moderner Zivilisationen im Vergleich zu den Merkmalen der frühesten Kulturen stark verändert hat, blieb doch die Verbindung zwischen dem Status eines Mannes und seinem sexuellen Zugang zu jungen, attraktiven Frauen mehr oder weniger bestehen. Zusammengefasst bestätigen empirische Belege die evolutionäre Logik, die einen geschlechtsbezogenen Unterschied in Bezug darauf vorhersagt, wie stark die Motivation für ein Streben nach einem hohen Rang ist. Alle verfügbaren Belege bestätigen, dass ein hoher Rang einem Mann direkt sexuellen Zugang zu einer größeren Anzahl von Frauen beschert. Doch auch für Frauen kann ein höherer Rang viele reproduktive Vorteile haben. Der direkte verstärkte sexuelle Zugang, den Männer mit höherem Ansehen genießen, legt jedoch nahe, dass der selektive Mechanismus für ein Streben nach hohem Status beim Mann ausgeprägter ist.
Alex Joseph und seine neun Ehefrauen, mit denen er in einer Kleinstadt in Arizona lebt. Im Kulturenvergleich und historisch betrachtet werden Männer von hohem Rang oft tatsächlich polygyn, haben also sexuellen Zugang zu mehreren Frauen, die für sie Ehefrauen, Geliebte oder Konkubinen sein können.
Streben Männer eher nach sozialem Status? Gibt es irgendwelche direkten Belge dafür, dass Männer stärker nach Dominanz oder einem hohen Rang streben als Frauen? Überraschend wenige Studien beschäftigen sich mit dieser Frage, doch es gibt einige Hinweise. In einer Studie über sechs Kulturen fanden Whiting und Edwards (1988) heraus, dass sich Jungen eher auf Raufereien, Angriffe und andere aggressive Handlungen einließen als Mädchen – all diese Handlungen zeigen „egoistische“ Dominanz und wollen Aufmerksamkeit erregen. In allen sechs Kulturen ließen sich Jungen eher auf Dominanz bezogene Mutproben mit Gleichaltrigen ein als Mädchen. Mädchen dagegen zeigten eher Verhaltensweisen des Umsorgens und der sozialen Verträglichkeit als Jungen.
Die Psychologin Elenor Maccoby (1990) hat sich vielleicht mehr als alle ihrer Kollegen mit Belegen für geschlechtsspezifische Unterschiede bei Kindern in tausenden von Studien befasst. Sie beschrieb zwei der auffälligsten geschlechtsbezogenen Unterschiede im Vorschulalter:
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Der erste bezieht sich auf die Rauflust der Jungen und ihre starke Orientierung auf Konkurrenz und Dominanz. … Ein zweiter wichtiger Faktor ist, dass es Mädchen als schwierig empfinden, Jungen zu beeinflussen. … Jungen setzen ihre Sprache oft aus egoistischen Beweggründen und zur Eroberung und zum Schutz des eigenen Territoriums ein. Bei Mädchen ist die Konversation eher ein Prozess, um soziale Bindungen zu festigen (S. 516). Ein geschlechtsbezogener Unterschied bei der Motivation zur Dominanz zeigt sich also schon in einem sehr jungen Alter. Eine weitere Quelle von Belegen für geschlechtsspezifische Unterschiede ist ein umfassendes Forschungsprogramm der Psychologen Felicia Pratto und Jim Sidanius über die von ihnen so genannte soziale Dominanzorientierung (Social Dominance Orientation, SDO) (Pratto, Sidanius, & Stallworth, 1993). Sie entwickelten eine Messskala für SDO, die sie als Präferenz für soziale Hierarchien bezeichneten. Diejenigen, bei denen diese Orientierung stark ausgeprägt ist, verfolgen eine Ideologie, bei der es um die Legitimation der Dominanz einer Gruppe über eine andere geht, darum, ob es eine Gruppe verdient, von einer anderen diskriminiert und unterworfen zu werden, und darum, dass einer Gruppe mehr Vergünstigungen zugute kommen als einer anderen. Einige der Punkte auf der SDO-Skala lauten: „Um im Leben voranzukommen, muss man manchmal anderen schaden“, „Reiche Menschen haben ihr Geld, weil sie einfach besser sind“, „Manche Menschen sind anderen einfach unterlegen“, „Manche Gruppen sind einander nicht ebenbürtig“, „Nur die Besten [z.B. die Klügsten, Reichsten, Gebildetsten etc.] sollten in dieser Welt etwas erreichen“, „Es ist wichtiger zu gewinnen, als die Spielregeln zu befolgen“, „[Es ist in Ordnung], mit fast allen erforderlichen Mitteln im Leben voranzukommen“ (Pratto, 1996, S. 187). Diese Psychologen vertraten die Meinung, dass Männer höhere SDO-Werte haben sollten als Frauen, da eine solche Orientierung unseren männlichen Vorfahren einen verstärkten Zugang zu Frauen ermöglicht hatte. Außerdem meinen sie, dass die Selektion Frauen begünstigte, die Männer mit hohen SDO-Werten auswählten, da dies ihnen und ihren Kindern mehr Vorteile brachte. Zusammengenommen stellen beide Argumentationsketten eine evolutionäre Basis für die These dar, dass es bei den SDO-Werten geschlechtsbezogene Unterschiede gibt. Tatsächlich sind bei Männern diese Werte auch durchgehend höher als bei Frauen. In einer Studie mit 1.000 Erwachsenen aus Los Angeles erzielten die Männer höhere SDO-Werte – ein geschlechtsspezifischer Unterschied, der sich unabhängig von Herkunft, Einkommen, Ausbildung, politischer Einstellung und anderen Variablen immer abzeichnete (Pratto, 1996). Dieser geschlechtsspezifische Unterschied bei der sozialen Dominanz-Orientierung konnte auch in anderen Kulturen nachgewiesen werden, darunter auch Schweden, einer der gleichberechtigsten Kulturen der Welt (Buss, 1994). Männer scheinen also insgesamt gesehen eher Ansichten zu vertreten, die sich darum drehen, im Leben voranzukommen, darunter auch Ansichten, die rechtfertigen, dass ein Mann eine höhere Stellung innehat als ein anderer und dass eine Gruppe eine andere dominiert. Diese Ergebnisse bestätigen die Evolutionstheorie eines geschlechtsbezogenen Unterschieds bezüglich der Motivation, Dominanz oder Ansehen zu erlangen. Jedoch ist auch hier weitere Forschungsarbeit nötig.
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Männer und Frauen drücken ihre Dominanz durch unterschiedliche Handlungen aus.
Eine weitere Quelle von Belegen für geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Dominanz ergibt sich aus den Handlungen, durch welche Männer und Frauen ihre Dominanz ausdrücken. In einer Studie wurden 100 zuvor als dominant bezeichnete Handlungen aufgelistet (Buss, 1981). Beispiele lauteten: „Ich hatte die Situation nach dem Unfall im Griff“, „Ich habe bei dem Meeting viel geredet“, „Ich forderte eine Gegenleistung“, „Ich entschied, welche Fernsehsendung sich die Gruppe ansehen sollte“, „Ich legte im Gespräch mit meinem/r Geliebten einfach auf“. In der ersten Studie sollten die männlichen und weiblichen Teilnehmer diese Handlungen danach bewerten, wie sozial erwünscht oder wie wertvoll sie in ihren Augen waren. Dabei ergaben sich erhebliche geschlechtsbezogene Unterschiede. Frauen neigten eher als Männer dazu, Handlungen prosozialer Dominanz als sozial erwünscht einzustufen, z.B. „in der Ausschusssitzung die Verantwortung übernehmen“, „zu einem wichtigen Thema seine Meinung sagen, ohne abzuwarten, was die anderen denken“, „finanzielle Mittel für eine wichtige Sache sammeln“ und „sich an vielen Aktivitäten der Gemeinde oder der Universität beteiligen“. Männer dagegen stuften egoistisch dominante Handlungen als sozial erwünschter ein als Frauen, darunter „seinen eigenen Willen durchsetzen“, „anderen schmeicheln, um seinen Willen durchzusetzen“, „sich darüber beschweren, anderen einen Gefallen tun zu müssen“, „andere beschuldigen, wenn etwas schief geht“. Männer scheinen egoistische Dominanz-Handlungen als erwünschter oder weniger verurteilenswert einzuschätzen als Frauen. Zeigen sich diese geschlechtsbezogenen Unterschiede auch tatsächlich im Verhalten von Männern und Frauen? Um dies zu überprüfen, übergab man 43 Frauen und 40 Männern die „California Psychological Inventory Dominance“-Skala (Gough, 1964) und die „Personality Research Form Dominance“-Skala (Jackson, 1967). Eine Woche später mussten die Teilnehmer angeben, wie oft sie jede der 100 auf der Skala angegebenen DominanzHandlungen ausgeführt hatten (Buss, 1981). Die Dominanz-Werte auf der Persönlichkeitsskala wurden dann mit den Dominanz-Handlungen korreliert, und zwar getrennt nach Geschlechtern. Dominante Männer und Frauen neigten beide dazu, auch viele dominante Handlungen auszuführen, z.B. „Ich beteiligte mich intensiv an einer politischen Kampagne“, „Ich versuchte als Erster, eine lahme Party wieder in Gang zu bringen“, „Ich sprach bei einer öffentlichen Veranstaltung“, „Ich habe zur Unterhaltung anderer eine lange Geschichte erzählt“, „Ich nahm nach dem Unfall die Sache in die Hand“. Trotz dieser Ähnlichkeiten unterscheiden sich die Dominanz-Handlungen von Männern und Frauen doch erheblich voneinander. Dominante Männer – jedoch nicht dominante Frauen – gaben an, folgende Handlungen ausgeführt zu haben: „Ich wies andere an, niedere Aufgaben zu erledigen, damit ich das nicht selbst machen musste“, „Ich habe meinen Willen durchgesetzt“, „Ich sagte ihm, welche der beiden Stellen er annehmen sollte“, „Ich schaffte es, das Ergebnis des Meetings zu beeinflussen, ohne dass die anderen etwas merkten“, „Ich forderte, dass jemand anderes die Aufgabe übernahm“. Anders ausgedrückt handeln dominante Männer oft egoistisch dominant und beeinflussen andere direkt, um für sich einen Vorteil zu erlangen.
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Dominante Frauen dagegen neigen eher dazu, prosoziale dominante Handlungen auszuführen, z.B. „Ich schlichtete einen Streit zwischen den Gruppenmitgliedern“, „Ich habe die Organisation des Projektes geleitet“, „Ich habe bei dem Meeting den Redner vorgestellt“. Dominante Frauen scheinen ihre Dominanz vorrangig durch Handlungen auszudrücken, die zum Wohlergehen der ganzen Gruppe beitragen. Dieser geschlechtsspezifische Unterschied in der Ausdrucksform der Dominanz zeigte sich auch in einem raffinierten psychologischen Experiment des Persönlichkeitspsychologen Edwin Megargee (1969). Megargee wollte eine Testsituation im Labor schaffen, in der er die Auswirkungen von Dominanz auf Führungspositionen untersuchen konnte. Zunächst übergab er die „California Psychological Inventory Dominance“-Skala an eine große Anzahl Männer und Frauen, die potentielle Untersuchungsteilnehmer waren. Dann wählte er unter diesen nur diejenigen Frauen und Männer aus, die auf der Skala entweder hohe oder niedrige Werte erzielt hatten. Nach diesem Auswahlverfahren führte Megargee (1969) die Versuchspersonen paarweise in das Labor, wobei er immer eine sehr dominante Versuchsperson mit einer Person mit geringer Dominanz zusammenbrachte. Er bildete vier Kombinationen: (1) ein sehr dominanter Mann mit einem wenig dominanten Mann, (2) eine sehr dominante Frau mit einer wenig dominanten Frau, (3) ein sehr dominanter Mann mit einer wenig dominanten Frau und (4) eine sehr dominante Frau mit einem wenig dominanten Mann. Megargee gab jedem Paar eine große Schachtel mit vielen roten, gelben und grünen Muttern, Schrauben und Brechstangen. Den Teilnehmern wurde gesagt, der Zweck der Studie sei es, den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Führungsqualitäten unter Stress zu untersuchen. Jedes Paar sollte als Team versuchen, die Schachtel so schnell wie möglich zu reparieren, wobei Schrauben und Muttern einer bestimmten Farbe entfernt werden und durch andere Farben ersetzt werden mussten. Doch musste es in jedem Team einen Anführer geben, der dem Partner Anweisungen zu geben hatte. Die zweite Person war der Untergebene und hatte lediglich die Aufgabe, die Anweisungen des Anführers zu befolgen. Die Forscher sagten den Testpersonen, es sei ihnen überlassen, die Rollen zu bestimmen. Für Megargee war die wichtige Frage, wer der Anführer und wer der Untergebene sein würde. Er hielt lediglich den Prozentsatz der sehr dominanten Testpersonen fest, die auch gleichzeitig Anführer wurden. Er fand heraus, dass bei den gleichgeschlechtlichen Paarungen 75% der dominanten Männer und 70% der dominanten Frauen auch die Rolle des Anführers übernahmen. Bei der Paarung der sehr dominanten Männer mit den wenig dominanten Frauen übernahmen jedoch in 90% der Fälle die Männer die Führungsrolle. Das überraschendste Ergebnis zeigte sich bei der Paarung der dominanten Frauen mit den weniger dominanten Männern. Hier übernahmen nur 20% der Frauen die Führungsrolle. Für sich genommen könnte man aus diesen Laborergebnissen ablesen, dass die Frauen unter diesen Bedingungen ihre Dominanz unterdrückten oder dass sich die Männer trotz ihrer wenig dominanten Haltung genötigt sahen, eine typische Geschlechterrolle und damit die Verantwortung zu übernehmen. Wie sich jedoch herausstellte, trifft keine dieser Vermutungen zu. Megargee hatte die Gespräche eines jeden Paares aufgezeichnet, während sie entschieden, wer die Führungsrolle übernehmen sollte. Bei der Analyse der Tonbänder kam er zu einem überraschenden Ergebnis: Die dominanten Frauen bestimmten,
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dass ihre wenig dominanten Partner die Anführer sein sollten. Tatsächlich waren es in 91% der Fälle die dominanten Frauen, die bei der Entscheidung das letzte Wort hatten! Dieses Ergebnis zeigt, dass Frauen in der Situation gemischter Geschlechter ihre Dominanz ganz anders ausdrücken als Männer. Auch nachfolgende Studien ergaben diese geschlechtsbezogenen Unterschiede beim Ausdruck von Dominanz (z.B. Carbonell, 1984; Davis & Gilbert, 1989; Nyquist & Spence, 1986). Megargees Studie weist auf einen wichtigen geschlechtsspezifischen Unterschied hin: Männer neigen dazu, ihre Dominanz durch Handlungen auszudrücken, die sie selbst voranbringen und ihnen Status und Macht einbringen. Frauen orientieren sich eher weniger daran, selbst nach mehr Ansehen und Dominanz über andere zu streben; sie entscheiden sich eher dafür, ihre Dominanz für die Ziele der gesamten Gruppe einzusetzen. All diese Studien stützen zusammengenommen die Hypothese, dass es beim Streben nach Status geschlechtsbezogene Unterschiede gibt. Zusammenfassend bestätigen eine Reihe von Befunden die evolutionäre Logik eines geschlechtsspezifischen Unterschieds bei der Dominanz. Männer, die einflussreiche Machtpositionen erreichen, nutzen diese eher, um verstärkten sexuellen Zugang zu Frauen zu erlangen. Männer erzielen auf Skalen der sozialen Dominanz-Orientierung höhere Werte und vertreten eher Ansichten, die ihre eigene Überlegenheit gegenüber Einzelnen und anderen Gruppen rechtfertigen. Männer neigen dazu, ihre Dominanz durch egoistische Handlungen auszudrücken, die ihnen selbst Vorteile bringen und andere unterordnen. Frauen dagegen drücken ihre Dominanz verstärkt durch prosoziale Handlungen aus, die sie selbst nicht notwendigerweise über andere erheben. Diese geschlechtsbezogenen Unterschiede zeigen sich in vielen Bereichen. Männer schreiben in ihren persönlichen Tagebüchern beispielsweise häufiger über gleichgeschlechtliche Konkurrenz (Cashdan, 1998). Am Arbeitsplatz nehmen Männer durchschnittlich gesehen größere Risiken auf sich, sie äußern stärker den Wunsch nach Ansehen und sind eher bereit, andere Lebensqualitäten, z.B. flexible Arbeitszeit, zu opfern, um beruflich aufzusteigen (Brown, 1998, 2002).
Dominanz-Theorie Die Evolutionspsychologin Denise Cummins (1998) legte vor kurzem eine DominanzTheorie als Rahmenwerk zur Erklärung vieler kognitiver Fähigkeiten des Menschen vor, die bisher für Verwirrung gesorgt hatten. Sie begann mit der Aussage, dass der Überlebenskampf bei Menschen (und Schimpansen) oft durch Konflikte zwischen den dominanten Vertretern und denjenigen geprägt war, die versuchten, die Dominanten zu überlisten: „Vor diesem Hintergrund stellt sich die Evolution des Geistes (minds) als strategisches Wettrüsten dar, bei dem die Waffen die ständig wachsenden geistigen Fähigkeiten sind, die dazu genutzt werden, die internalen Repräsentationen anderer nachzuvollziehen und zu manipulieren.“ (Cummins, 1998, S. 37). Die Selektion fördert Strategien, die einem Individuum zu einer dominanten Stellung über andere verhelfen; sie wird aber auch die Entwicklung untergeordneter Strategien fördern, um den Zugang dominanter Individuen zu wichtigen Ressourcen zu unterbinden. Zu diesen Strategien zählen Täuschung, List, falsche Unterordnung, Freundschaft und Manipulation, um
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Zugang zu Ressourcen zu erlangen, die für Überleben und Fortpflanzung wichtig sind. Untergeordnete männliche Schimpansen versuchen beispielsweise, ihre Erektion zu verstecken, wenn ihre „unstandesgemäßen“ sexuellen Kontakte mit einem Weibchen von einem dominanten Männchen entdeckt werden. Dies legt nahe, dass ein untergebenes Männchen einen dominanten Rivalen durchschauen und täuschen kann (de Waal, 1988). Cummins (1998) argumentiert, dass sich diese kognitiven Fähigkeiten, andere durchschauen zu können, bei Primaten, darunter auch beim Menschen, entwickelt haben, um zu verhindern, dass die dominanten Artgenossen exklusiven Zugang zu allen Ressourcen erlangen. Die Dominanz-Theorie basiert auf zwei Hauptthesen (Cummins, 1998). Zum einen sagt sie aus, dass der Mensch bereichsspezifische Strategien entwickelt hat, um soziale Normen wie etwa Dominanz-Hierarchien zu begreifen. Darunter fällt das Verständnis bestimmter Aspekte wie etwa Erlaubnisse (z.B. wer darf sich mit wem paaren), Verpflichtungen (z.B. wer muss wen gesellschaftlich unterstützen) und Verbote (z.B. wem ist es verboten, sich mit wem zu paaren). Zum zweiten geht die Dominanz-Theorie davon aus, dass sich diese kognitiven Strategien vor und unabhängig von anderen Denkstrategien entwickelt haben. Cummins (1998) führt mehrere Belege an, um die Dominanz-Theorie zu untermauern. Der erste bezieht sich darauf, dass Kinder schon sehr früh über Rechte und Pflichten nachdenken, sich also das so genannte deontische Denken aneignen. Deontisches Denken bezieht sich darauf, was eine Person darf, wozu sie verpflichtet ist und was ihr verboten ist (z.B. bin ich alt genug, um Alkohol zu trinken?). Diese Denkweise steht dem so genannten indikativen Denken gegenüber, das sich damit befasst, was wahr und was falsch ist (z.B. versteckt sich da wirklich ein Tiger hinter dem Baum?). Eine Reihe von Studien ergaben, dass Menschen, die über deontische Regeln nachdenken, spontan eine Strategie verfolgen, die darauf ausgerichtet ist, Individuen zu identifizieren, die diese Regeln brechen. Betrachten wir z.B. die deontische Regel „wer Alkohol trinkt, muss 16 Jahre oder älter sein“, suchen wir ganz automatisch nach anderen um uns herum, die Alkohol trinken und jünger als 16 aussehen. Wenn wir dagegen indikative Regeln betrachten, suchen wir spontan nach Beispielen, die diese Regeln belegen. Bei der Beurteilung der indikativen Regel „alle Eisbären haben weißes Fell“ suchen wir spontan nach Beispielen, die Eisbären mit weißem Fell zeigen und nicht nach Beispielen, die Eisbären zeigen, die vielleicht kein weißes Fell haben. Kurz gesagt wendet der Mensch also zwei verschiedene Denkstrategien an, je nachdem, ob er eine deontische oder eine indikative Regel überprüft. Bei deontischen Regeln sucht er nach Regelverstößen, bei indikativen Regeln sucht er nach Beispielen, die die Regel bestätigen. Diese unterschiedlichen Denkweisen wurden schon bei erst dreijährigen Kindern nachgewiesen, was bedeutet, dass sie sich sehr früh im Leben ausbilden (Cummins, 1998). Es ist vielleicht kein Zufall, dass Kinder ab dem dritten Lebensjahr auch transitive Dominanz-Hierarchien bilden (Hierarchien also, bei denen, wenn A über B und B über C dann auch gleichzeitig A über C dominiert). Außerdem können kleine Kinder früher in ihrem Leben über transitive Dominanz-Hierarchien logisch nachdenken als über Transitivitätsrelationen bei anderen Objekten (Cummins, 1998). Die Dominanz-Theorie sagt vorher, dass das menschliche Denken sehr stark durch den gesellschaftlichen Rang beeinflusst wird, und es gibt auch einige empirische Belege, die dies bestätigen. Die Evolutionspsychologin Linda Mealey zeigte Studienteilnehmern Fotos von Männern und auch einige biografische Informationen, die etwas über den gesellschaftlichen Status des jeweiligen Mannes (hoch oder niedrig) sowie seinen Cha-
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rakter (Vorgeschichte mit vielen Betrügereien, unwichtige Information oder ehrliche Vorgeschichte) aussagten (Mealey, Daood & Krage, 1996). Eine Woche später wurden die Testpersonen erneut ins Labor gebeten und befragt, an welche der Fotos aus der vergangenen Woche sie sich noch erinnern konnten. Dies brachte einige wichtige Ergebnisse. Erstens erinnerten sich die Teilnehmer sehr viel häufiger an die „Betrüger“ als an die Ehrlichen. Zweitens galt das besonders für die Betrüger, die gesellschaftlich keinen hohen Status genossen, während das Erinnerungsvermögen bei Betrügern von hohem sozialen Ansehen nachließ. Drittens waren bei Männern diese Unterschiede hinsichtlich des Erinnerungsvermögens stärker ausgeprägt als dies bei Frauen der Fall war. Diese Ergebnisse stützen die These, dass die Menschen Mechanismen zur selektiven Wahrnehmung und Gedächtnisspeicherung entwickelt haben, die auf die Verarbeitung wichtiger sozialer Informationen ausgerichtet sind – Mechanismen, die besonders stark darauf reagieren, wer ein Betrüger ist und welchen sozialen Status dieser Betrüger hat. Diese Ergebnisse bestätigen auch Cummins’ (1998) Dominanz-Theorie, die davon ausgeht, dass das menschliche soziale Denken stark durch den gesellschaftlichen Rang beeinflusst ist. Andere Studien liefern weitere, einer situationsbezogene Belege für diese Theorie. Sind die Menschen verärgert oder frustriert, steigt ihr Blutdruck. Gibt man ihnen Gelegenheit, ihrem Ärger denen gegenüber Luft zu machen, die ihn verursacht haben, sinkt ihr Blutdruck wieder auf einen normalen Wert, doch nur, wenn die „Zielperson“ ihrer Aggression einen gesellschaftlich niedrigeren Rang hat als sie selbst. Ist die Zielperson höher gestellt, bleibt der Blutdruck erhöht (Hokanson, 1961). In der unmittelbaren Überprüfung der Auswirkungen des sozialen Status auf das menschliche Denken ließ Cummins die Testpersonen die Regel testen: „Wenn jemand bestimmt wurde, eine Studiensitzung zu leiten, musste diese Person die Sitzung auf Kassettenrekorder aufnehmen.“ (Cummins, 1998, S. 41). Die Aufgabe der Testpersonen war es, zu überprüfen, ob die Regel eingehalten wurde, indem sie auswählten, welche Aufnahmen der Sitzungen sie überprüfen wollten. Die entscheidende Manipulation bestand darin, dass die Hälfte der Teilnehmer gebeten wurde, die Rolle der hochrangigen Einzelperson, in diesem Fall die eines Studienassistenten, zu übernehmen und sich um die Studenten in ihrer Obhut zu kümmern. Die andere Hälfte wurde gebeten, die Rolle eines Studenten (niedriger Rang) zu übernehmen und nach möglichen Regelverletzungen durch den Studienassistenten zu suchen. Die Ergebnisse offenbarten einen überzeugenden Zusammenhang zwischen Status und sozialem Denken: Wenn die Testpersonen Personen überprüfen sollten, die rangniedriger als sie selbst waren, suchten 65 % nach möglichen Regelverletzungen, sollten sie jedoch Ranghöhere oder Gleichgestellte nach potentiellen Regelverstößen überprüfen, so suchten nur 20 % nach möglichen Regelverletzungen. Diese Studien stützen allesamt die Dominanz-Theorie (siehe Cummins, 1999). Deontische Denkstrategien entwickeln sich in einer frühen Lebensphase. Die Menschen reagieren besonders empfindlich auf soziale Informationen darüber, was erlaubt, vorgeschrieben oder verboten ist. Die Menschen prüfen spontan, ob potentielle Regelverstöße gegen deontische Regeln vorliegen, wobei diese Überprüfung verstärkt bei Personen durchgeführt wird, die einen niedrigeren Rang einnehmen als sie selbst. Cummins schlussfolgert: „Wenn wir raten müssten, mit welchen Problemen sich das logische Denken entwickelt hat, könnten wir schwerlich bessere Kandidaten finden als die Probleme, die sich im Kontext von Dominanz ergeben.“ (Cummins, 1998, S. 46).
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Die Theorie der sozialen Aufmerksamkeitserhaltung Während Cummins die Strategien der Informationsverarbeitung besonders hervorhebt, die sich aus den immer wieder auftauchenden adaptiven Problemen aufgrund von DominanzHierarchien ergeben haben könnten, betont eine zweite Theorie des Evolutionspsychologen Paul Gilbert (1990, 2000a) die emotionale Komponente der Dominanz. Gilbert stützt seine Theorie zum Teil auf den Begriff des Potentials zur Erhaltung von Ressourcen (resourceholding potential, RHP), der aus der Forschungsarbeit mit Tieren stammt (Archer, 1988; Parker, 1974; Price & Sloman, 1987). Das RHP bezieht sich auf eine Beurteilung, bei der Tiere ihre eigenen Stärken und Schwächen mit denen anderer Tiere vergleichen. Wer einen Kampf verliert oder schon vorher zeigt, dass er unterlegen ist, hat geringe RHP-Werte. Die Gewinner eines Kampfes oder solche, die sich vorher schon siegessicher zeigen, haben höhere RHP-Werte. Die Verhaltensweisen, die sich aus dieser vergleichenden Selbsteinschätzung ergeben, lassen Dominanz-Hierarchien entstehen. Nach der Einschätzung der RHP-Werte ergeben sich drei mögliche Verhaltensweisen. Erstens könnte ein Tier das andere angreifen, besonders dann, wenn es die eigenen RHPWerte höher einschätzt. Zweitens könnte das Tier fliehen, besonders dann, wenn es geringe RHP-Werte hat. Drittens könnte sich das Tier unterwerfen – und damit wichtige Ressourcen an diejenigen verlieren, die höhere RHP-Werte haben. In dieser Analyse ist die Dominanz nicht eine Eigenschaft eines einzelnen Individuums, sondern vielmehr eine Beschreibung der Beziehung zwischen zwei oder mehr Individuen. Fasst man diese Beziehungen über mehrere Ebenen zusammen, ergibt sich daraus eine Dominanz-Hierarchie. Nach Ansicht von Gilbert (1990) wenden die Menschen RHP auf eine andere Art und Weise an: für sie gilt das Potential sozialer Aufmerksamkeitserhaltung (social attentionholding potential, SAHP). Das SAHP bezieht sich auf die Quantität und die Qualität der Aufmerksamkeit, die andere einer bestimmten Person widmen. Nach dieser Theorie konkurrieren die Menschen miteinander um die Aufmerksamkeit und Wertschätzung anderer Gruppenmitglieder. Wenn Gruppenmitglieder einem Einzelnen viel ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen lassen, so steigt das Ansehen dieses Individuums. Einzelpersonen, die oft ignoriert werden, sind zu einem niedrigeren Status verurteilt. Unterschiede im Rang rühren also nach dieser Theorie nicht von unterschiedlichen Drohungen oder Zwangsausübungen her, sondern von Unterschieden bei der Gewährung von Aufmerksamkeit. Warum sollte man einer Person Status verleihen und eine andere übergehen? Dies ist eine entscheidende Frage und Gilbert bietet einige Anregungen an, die weiter erforscht werden müssen. Er nimmt an, dass Menschen denjenigen Aufmerksamkeit widmen, die eine Funktion ausüben, die von ihnen geschätzt wird. Ein Arzt, der einen Kranken heilt, erhält beispielsweise sehr viel Aufmerksamkeit von dem Kranken. So gesehen wetteifern die Menschen darum, anderen Vorteile zu verschaffen, um höhere SAHP-Werte zu erreichen. Wer anderen nicht nützt, wird gemieden, ihm werden weder Aufmerksamkeit noch Ressourcen zuteil. Der neueste theoretische Beitrag zu Gilberts (1990, 2000b) Theorie besteht aus einigen Hypothesen über die Rolle von Stimmungen und Gefühlen infolge einer Änderung des Rangs. Steigt man in der Hierarchie, ergeben sich zwei hypothetische Konsequenzen – ein Hochgefühl stellt sich ein und man erhöht seine Hilfeleistungen. Gewinnt man kompetitive Auseinandersetzungen, so ergibt sich daraus eine Hochstimmung, die man als „Hochgefühl des Gewin-
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ners“ bezeichnen könnte. Wer sich die Gesichter der Gewinner und der Verlierer in einem sportlichen Wettkampf genau ansieht, kann dieses Hochgefühl deutlich ablesen. Man geht davon aus, dass eine positive Stimmung uns eher dazu bringt, weitere Herausforderungen zu suchen und unsere Gewinnchancen gleichzeitig höher einzuschätzen. Die zweite, damit zusammenhängende Veränderung bezieht sich auf die zunehmende Hilfeleistung. Psychologen konnten dokumentieren, dass diejenigen, die selbst in der Statushierarchie aufsteigen, sich eher freundlich und hilfsbereit anderen gegenüber verhalten (Eisenberg, 1986). Interessant ist, dass es manche Menschen vermeiden, andere um Hilfe zu bitten, denn sie glauben, das könnte ihr Ansehen in den Augen der anderen mindern (Fisher, Nadler & Whitcher-Alagna, 1982). Außerdem ist belegt, dass Personen mit hohem gesellschaftlichen Ansehen häufiger in Notaufnahmen von Krankenhäusern aushelfen als solche mit geringerem Ansehen (Brewin, 1988). Zusammenfassend scheint ein Aufstieg in der Rangordnung mit einem verstärkten Hochgefühl und einem hilfsbereiteren Verhalten in Zusammenhang zu stehen.
Wenn man gewinnt, so besagt eine Theorie, genießt man ein Hochgefühl, ist eher bereit anderen zu helfen und schätzt auch die eigenen Gewinnchancen in zukünftigen Wettbewerben höher ein (oben). Eine Niederlage dagegen kann Depressionen, soziale Ängste und Neid auslösen (unten).
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Nach der SAHP-Theorie hat es für Stimmung und Gefühle ganz andere Auswirkungen, wenn man in der gesellschaftlichen Hierarchie abstürzt – dies löst soziale Ängste, Scham, Wut, Neid und Depression aus. Die soziale Angst eines öffentlichen Redners ist um so größer, je weitreichender die potentiellen Auswirkungen auf seinen gesellschaftlichen Status sind. Ein Vortrag vor Studenten im Grundstudium macht einem Professor in der Regel weniger Angst als ein Referat bei einer internationalen Expertenkonferenz. Soziale Ängste können also vermutlich als Motivatoren angesehen werden, um einen Statusverlust zu vermeiden. Scham ist ein verwandtes Gefühl. Scham kommt meist dann auf, wenn man nach einer öffentlichen negativen Beurteilung Verachtung und Schmähungen erfährt und so an Ansehen verliert. Wer sich schämt, fühlt sich klein, unterlegen und verachtenswert. Auch die Körpersprache spiegelt diese Gefühle wider; der Betroffene vermeidet Blickkontakte mit anderen, senkt das Kinn und geht gebückt (Wicker, Payne & Morgan, 1983). Vermutlich motiviert die Scham einen Menschen zu versuchen, gegenwärtig und zukünftig nicht das Opfer von Verachtung zu werden. Wut ist eine weitere hypothetische Reaktion auf einen Statusverlust. Sie kann den Betroffenen dazu motivieren, an demjenigen, der für den Statusverlust verantwortlich ist, Rache zu üben. Die oft zitierte Bemerkung „Keiner, der mir dies antut, kommt ungestraft davon“ könnte ein Beispiel dafür sein, wie Wut und Rache infolge eines Statusverlustes eingesetzt werden, um Vergeltungsschläge zu rechtfertigen (Gilbert, 1990). Neid ist eines der am wenigsten erforschten Gefühle in der Psychologie, in der SAHPTheorie könnte er jedoch besonders wichtig sein. Der Neid hängt insofern mit dem Rang zusammen, als Menschen diejenigen beneiden, die über Ressourcen, Häuser, Partner oder Prestige verfügen, die sie selbst auch haben möchten aber nicht besitzen. Neid könnte uns dazu motivieren, diejenigen zu imitieren, die das haben, was wir auch möchten. Heldenverehrungen und die Idealisierung anderer kann eine positive Manifestation dieses Neidgefühls sein. Auf der negativen Seite kann der Neid Handlungen bewirken, die anderen, die mehr haben als wir, schaden sollen, z.B. eine Schmähung ihrer Erfolge oder die Verbreitung böser Gerüchte über sie. Neid kann einen Ehemann dazu bringen, die Erfolge seiner Frau herunterzuspielen, um seinen höheren Rang in der Ehe zu erhalten (Horung, McCullough & Sugimoto, 1981). In Organisationen kann sich Neid besonders zerstörerisch auswirken, z.B. wenn ein Vorgesetzter die Bemühungen seiner Mitarbeiter untergräbt, um zu verhindern, dass sie ihn ausstechen (Gilbert, 1990). Depression ist die letzte hypothetische emotionale Reaktion auf einen Statusverlust, obwohl sie auch viele andere Ursachen haben kann, z.B. den Verlust enger Bindungen (Gilbert, 1990). Depressionen aufgrund eines Statusverlustes können sich einstellen, wenn man sein Gesicht verliert, gefeuert wird, sich selbst als Belastung für andere empfindet oder sonst bei irgendeiner gesellschaftlich wichtigen Aufgabe versagt. Es ist empirisch belegt, dass Depression unterwürfiges Verhalten auslöst, das darauf abzielt, andere zu besänftigen und weitere aggressive Übergriffe zu verhindern (Forrest & Hokanson, 1975). Der Mensch findet aus der Depression heraus, wenn er wieder Arbeit hat oder irgendeinen anderen Weg findet, um für andere wertvoll zu sein und so ihr Potential sozialer Aufmerksamkeitserhaltung zu steigern (Gilbert, 1990).
Kapitel 12 Status, Prestige und soziale Dominanz
Zusammengefasst geht die SAHP-Theorie davon aus, dass viele Aspekte des menschlichen Gefühlslebens, von der Hochstimmung bis zur Depression, evolutionsbedingte Merkmale psychologischer Mechanismen sind, die darauf ausgerichtet sind, die adaptiven Probleme von Status-Hierarchien zu lösen. Es gibt nicht viele Forschungsarbeiten zur Überprüfung dieser verschiedenen Hypothesen über die speziellen Funktionen von Gefühlen, doch wirkt die Theorie rein intuitiv plausibel und ist sehr viel versprechend.
Determinanten der Dominanz Eine ganze Reihe verbaler und nonverbaler Eigenschaften signalisieren Dominanz und Status. Diese reichen von beanspruchter Redezeit bis hin zum Testosteronspiegel. Der folgende Abschnitt fasst die wichtigsten Faktoren, die mit Dominanz und Status einhergehen, zusammen. In vielen Fällen erlauben die Korrelationsdaten keinen Schluss auf kausale Beziehungen. Wenn es eine Korrelation zwischen Testosteron und Dominanz gibt, heißt das, dass hohe Testosteron-Werte zu starker Dominanz führen? Oder führt starke Dominanz zu hohen Testosteron-Werten? Oder beides? Wenn hochrangige Personen meist aufrechter stehen als Personen geringeren Rangs, bedeutet das, dass eine aufrechte Körperhaltung Status bedingt oder umgekehrt? Oder beides? In den meisten Fällen lassen sich diese kausalen Zusammenhänge nicht aufklären. Dennoch liefern mit Dominanz und Status korrelierende Merkmale ein faszinierendes Bild all dessen, was mit dem (hohen oder niedrigen) gesellschaftlichen Rang einhergeht. Verbale und nonverbale Dominanz-Indikatoren. In seiner Zusammenfassung der Literatur zu diesem Thema schloss Argyle (1994), dass dominante Individuen meist eine aufrechtere Körperhaltung haben, die Gruppe oft direkt ansehen, die Hände in die Hüften stemmen und sich in die Brust werfen; sie halten häufig Blickkontakt, sehen anderen in die Augen, wenn sie mit ihnen sprechen; sie lächeln selten; berühren andere häufig; sie sprechen mit lauter, gleichmäßiger Stimme und deuten in ihren Gesten oft auf andere. Individuen von geringerem sozialen Ansehen, die eher unterwürfig sind, verhalten sich in der Regel genau gegensätzlich: Häufig stehen sie nicht gerade, sondern sind leicht nach vorne gebeugt; sie lächeln viel; sprechen leise, warten ab, wenn andere sprechen; sie nicken oft zustimmend; sie sprechen seltener als ranghöhere Personen und unterbrechen andere nicht, während sie sprechen und sie richten das Wort meist an die hochrangigen Mitglieder einer Gruppe und nicht an die gesamte Gruppe.
Wie steht es mit der aufrechten Körperhaltung, dem schnellen Gang? Schmitt und Atzwanger (1995) stellten die Hypothese auf, dass es bei Männern eine Verbindung zwischen Gehtempo und Status gäbe, die bei Frauen nicht zu finden sei. Ihre Begründung: Männer mussten im Laufe der gesamten menschlichen Evolutionsgeschichte um die Frauen konkurrieren, indem sie sie durch ihre Jagdfähigkeiten, z.B. durch ihre Schnelligkeit und ihr Durchhaltevermögen beeindruckten. In einer belebten Straße in Wien, Österreich, maß ein Beobachter das Gehtempo der Fußgänger. Später befragte ein zweiter Beobachter jeden Einzelnen zu seinem Alter, der Körpergröße und dem gesellschaftlichwirtschaftlichen Status. Die Ergebnisse zeigt Abbildung 12.1.
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Bei den Männern ergab sich eine signifikante positive Korrelation zwischen der Gehgeschwindigkeit und dem Status. Bei den Frauen dagegen war keine signifikante positive Korrelation abzulesen. Die Ergebnisse stützen die Hypothese des Autors, dass das Gehtempo ein geschlechtsbezogenes Statusmerkmal der Männer ist.
Gehgeschwindigkeit (m/s)
1.80 1.70 1.60 1.50 1.40 1.30 N
1 1 3
0 6
14 4
22 6 6
11 25
11 18
20 21
18 15
27 20
23 13
9 12 Sozio-ökonomischer Status
17 5
11 3
11 3 15
Abbildung 12.1: Zusammenhang zwischen Gehtempo und gesellschaftlich-wirtschaftlichem Status (GWS, hohe Werte bedeuten hohen GWS) bei Fußgängern Männer (N = 167) gehen schneller, je höher ihr GWS-Wert ist, während das Gehtempo der Frauen (N = 159) von ihrem GWS-Wert unabhängig ist. Quelle: Ethology and Sociobiology, 16, A. Schmitt & K. Atzwanger, Walking fast – ranking high: A sociobiological perspective on pace, 451-462, Copyright © 1995 by Elsevier Science
Größe und Dominanz. Angesichts der Komplexität menschlicher Status-Hierarchien und der vielen Wege, durch die man die Aufmerksamkeit anderer für sich gewinnen kann, ist es überraschend, dass schon die reine Körpergröße eine Rolle spielt.
Tatsächlich hat die Bezeichnung „großer Mann“ in den meisten Kulturen eine Doppelbedeutung, denn sie bezeichnet sowohl einen Mann von stattlicher Körpergröße als auch einen Mann, der Einfluss, Macht und Autorität besitzt (Brown & Chia-yun, nicht datiert). In manchen Kulturen bedeutet das Wort für „Führer“ wörtlich „großer Mann“. Viele StatusMetaphern spielen auf Körpergröße an, z.B. „ganz oben angekommen sein“, „unter jemandem leiden“, „mit hoch erhobenem Kopf gehen“ oder „niedergeschlagen sein“. Bei einer Überprüfung der ethnografischen Belege aus einer ganzen Reihe von Kulturen fanden Brown und Chia-yun tatsächlich heraus, dass „die Bezeichnung „großer Mann“ eine Widerspiegelung oder Anerkennung eines weit verbreiteten natürlichen Phänomens ist: der Tatsache nämlich, dass beim Menschen (und bei manchen Tieren) in der Regel eine Korrelation besteht zwischen dem gesellschaftlichen Rang und der Körpergröße“ (Brown & Chia-yun, nicht datiert, S. 10). Überall auf der Welt bevorzugen Menschen Anführer, die groß gewachsen sind – diese Vorliebe reicht von den Aka-Pygmäen Afrikas bis zu den Mehinaku in den brasilianischen Regenwäldern des Amazonas.
Kapitel 12 Status, Prestige und soziale Dominanz
Die Verbindung zwischen der physischen und der sozialen „Größe“ wurde auch experimentell untersucht (Wilson, 1968). In einer Studie wurde ein Mann verschiedenen Zuhörerschaften vorgestellt, wobei ihm dabei jedes Mal ein anderer gesellschaftlicher Rang zugesprochen wurde – so wurde er als Professor, als Student etc. vorgestellt. Dann bat man das Publikum, die Körpergröße des Mannes zu schätzen. Zuhörer, denen man den Mann als gesellschaftlich hochstehende Persönlichkeit vorgestellt hatte, schätzten ihn größer ein als Zuhörer, die ihn als Vertreter eines geringeren Standes kannten. Selbst bei Menschen, die wir persönlich kennen, übertreibt unsere geistige Vorstellung bei der Einschätzung der Körpergröße, wenn wir wissen, dass diese Menschen eine hohe gesellschaftliche Stellung einnehmen (Dannenmaier & Thumin, 1964). Studien in den USA ergaben, dass große Männer bevorzugt eingestellt und befördert werden, dass sie besser bezahlt und eher in ein Amt gewählt werden (Gillis, 1982). Große Männer verdienen mehr, wobei jeweils drei Zentimeter Körpergröße über dem Durchschnitt von etwa 1,73 m etwa $ 600 jährlich ausmachen. Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen des 20. Jahrhunderts gewann in 83% der Fälle der größere Kandidat. Auch wenn die Menschen wohl die kompliziertesten und raffiniertesten Prestige-Hierarchien besitzen, bleibt die reine Körpergröße doch weiterhin ein bestimmender Faktor. Testosteron und Dominanz. Testosteron ist ein Androgen – Androgene sind die vielleicht wichtigste Hormongruppe, die bei einer Reihe von Tieren zur Ausbildung und Erhaltung „männlicher“ Merkmale beiträgt (Mazur & Booth, 1998). Kastrierten Hähnen fehlt beispielsweise der rote Kamm sowie die Kehllappen, die ihre reproduktiven Fähigkeiten signalisieren. Sie krähen nicht, scharen keine Hühner um sich und vermeiden Konfrontationen mit Artgenossen. Bei den Menschen gibt es besonders auffällige geschlechtsbezogene Unterschiede bei den Testosteron-Werten. Männer haben durchschnittlich ein hunderttausendstel Gramm Testosteron in einem Liter Blut, ganze siebenmal so viel wie die Frauen (Mazur & Booth, 1998). Zwar wird Testosteron sowohl in der Nebenniere als auch in den Eierstöcken der Frau produziert, doch die Leydig-Zwischenzellen der männlichen Hoden produzieren sehr viel größere Mengen dieses Hormons, was den großen Unterschied zwischen beiden Geschlechtern bewirkt. Testosteron kann im Blut und im Speichel gemessen werden.
In der Pubertät wächst die Testosteronproduktion in den Hoden drastisch an, so dass die Testosteron-Werte um das Zehnfache ansteigen können. Dieser sprunghafte Anstieg sorgt für all die Veränderungen, die wir mit der Pubertät verbinden: der Penis wächst, die Stimme wird tiefer, die Muskelmasse vergrößert sich, Gesichts- und Körperbehaarung nimmt zu und das Interesse am Geschlechtsverkehr erwacht (siehe Kasten 12.1 für einen kurzen Überblick über die Auswirkungen eines dominanten Gesichts auf Status und Sexualität).
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12.1 Ein dominantes Gesicht Ein dominant wirkendes Gesicht kann ein weiterer Hinweis auf den Status sein. Ein dominantes Gesicht zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Kinn, betonte, geschwungene Augenbrauen und insgesamt muskulöse Gesichtszüge aus. Fehlende Dominanz zeigt sich dagegen in den genau gegensätzlichen Zügen: ein schwach ausgeprägtes Kinn, schwach vorhandene Augenbrauen und ein fleischiges Gesicht. Die Evolutionspsychologen Ulrich Mueller und Allan Mazur (1996) bewerteten die Dominanz der Gesichtszüge bei 434 West Point-Kadetten und verfolgten anschließend ihre militärische Karriere. Sie fanden heraus, dass die Anwärter, die dominante Gesichtszüge hatten, meist einen höheren Rang in der Militärakademie erwarben. Auch in der Mitte ihrer Karriere bestand ein klarer Zusammenhang zwischen dominanten Gesichtszügen und den erreichten Rängen. Das Gleiche galt für Beförderungen später in ihrer Karriere, über 20 Jahre nachdem die ersten Fotos gemacht worden waren. In einer weiteren Studie wurde die Dominanz der Gesichtszüge von 58 männlichen Schülern bewertet, ebenso wie ihre physische Attraktivität und ihre pubertäre Entwicklung (Mazur, Halpern & Udry, 1994). Anschließend füllten die Jungen Fragebögen aus, in denen sie über ihre sexuellen Erfahrungen Auskunft geben sollten. Alle drei Merkmale – dominante Gesichtszüge, physische Attraktivität und pubertäre Entwicklung – wiesen eine positive Korrelation mit vorhandener sexueller Erfahrung und der Anzahl der Sexualpartner auf. Auch nachdem der Einfluss von Attraktivität und pubertärer Entwicklung statistisch herauspartialisiert wurde, zeigte sich noch immer ein direkter Zusammenhang zwischen der Dominanz der Gesichtszüge und der sexuellen Erfahrung. Die Autoren schlossen daraus, dass dominante Gesichtszüge bei Männern auch vermehrten sexuellen Zugang zu Frauen bedeuten. Wissenschaftler vermuten schon lange, dass bei einer Reihe von Tierarten die Testosteron-Werte eng mit Dominanz und Status zusammenhängen. In einer Studie wurde beispielsweise rangniedrigen Kühen Testosteron verabreicht (Bouissou, 1978). Anschließend stiegen die behandelten Kühe in der Rangordnung der anderen Kühe auf. Als das Testosteron wieder abgesetzt wurde, fielen sie wieder auf ihren alten Rang zurück. Ein ähnlicher Effekt zeigte sich auch bei rangniedrigen Hähnen, denen man Testosteron spritzte: ihre Kämme wurden größer, sie stiegen in der Rangordnung – manchmal sogar bis ganz an die Spitze (Allee, Collias & Lutherman, 1939). Der kausale Zusammenhang zwischen Testosteron und einem Statuszuwachs ist beim Menschen schwieriger nachzuweisen. Das liegt zum Teil daran, dass ethische Überlegungen eine experimentelle Manipulation der menschlichen Testosteron-Werte erschweren. Bei Häftlingen sowie bei Nicht-Häftlingen besteht eine Korrelation zwischen hohen Testosteron-Werten und einer Vielzahl dominanter Verhaltensweisen. Hohe TestosteronWerte weisen ebenso, besonders bei jungen Männern, eine Korrelation mit verschiedensten rebellischen und antisozialen Handlungen auf (Mazur & Booth, 1998). Da diese Studien allesamt lediglich Korrelationen erhoben haben, kann man daraus nicht ableiten,
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dass hohe Testosteron-Werte dominantes Verhalten bewirken. Es gibt sogar Belege dafür, dass der Effekt in genau entgegengesetzter Richtung läuft. Einer der am umfassendsten dokumentierten Effekte beim Menschen ist die Tatsache, dass eine Statusveränderung eine Veränderung des Testosteronspiegels bewirkt (Mazur & Booth, 1998). Bei Sportlern steigt der Testosteron-Wert kurz vor dem Wettkampf an, vielleicht damit die Agierenden eher bereit sind, Risiken einzugehen. Vielleicht noch wichtiger ist, dass bei den Gewinnern des Wettkampfs der Testosteron-Wert bis zu zwei Stunden nach dem Spiel weiterhin hoch bleibt, während er bei den Verlierern wieder abfällt. Mit den Schwankungen der Testosteron-Werte gehen auch Stimmungsschwankungen einher; so erleben die Gewinner mit hohen Testosteron-Werten ein Hochgefühl, ganz im Gegensatz zu den Verlierern. Diese Auswirkungen sind besonders deutlich, wenn die Sportler den Wettkampf als wichtig erachten. Ähnliche Effekte konnten auch bei anderen Wettkämpfen außerhalb von Sportplätzen beobachtet werden, so etwa beim Schach (Mazur, Booth & Dabbs, 1992), bei „Wettbewerben“ in Labors, bei denen es um Reaktionszeit ging (Gladue, Boechler & McCaul, 1989) und bei symbolischen Herausforderungen etwa durch verbale Beleidigungen (Nisbett, 1993). Die Gewinner zeigen erhöhte Testosteron-Werte, bei den Verlierern sinken die Werte ab. Diese Auswirkungen von Sieg und Niederlage gehen sogar auf die Sportfans über, die sich gar nicht selbst am Wettkampf beteiligen. Als Brasilien bei der Fußball-Weltmeisterschaft von 1994 Italien besiegte, stieg bei den brasilianischen Fans, die das Spiel im Fernsehen verfolgten, der Testosteronspiegel, während er bei den italienischen Fans absank (Fielden, Lutter & Dabbs, 1994). Die evolutionäre Funktion dieser Testosteronschwankungen ist noch nicht bekannt, eine Vermutung lautet jedoch, dass die Gewinner sich wahrscheinlich sehr bald neuen Herausforderungen stellen müssen, so dass die hohen Testosteron-Werte sie also auf weitere Wettkämpfe vorbereiten können. Das Absinken der Testosteron-Werte bei Verlierern kann Verletzungen verhindern, indem es die Betroffenen vor weiteren Konfrontationen zurückschrecken lässt, bis sich eine bessere Gelegenheit bietet (Mazur & Booth, 1998). Alternativ können die hohen Testosteron-Werte der Gewinner auch zur Steigerung des Selbstbewusstseins dienen, sie dazu bringen, einen höheren Rang einzunehmen und vielleicht sogar einen verstärkten sexuellen Zugang zu Frauen bewirken. Diese funktionalen Spekulationen müssen in zukünftiger Forschungsarbeit noch überprüft werden. Ein eher indirekter Zusammenhang zwischen Testosteron und Dominanz zeigt sich beim Taille-Hüfte-Verhältnis (waist-to-hip-ratio, WHR) des Mannes. Der WHR ist ein sekundäres Geschlechtsmerkmal, das vom Testosteron-Wert abzuhängen scheint (Campbell, Simpson, Stewart & Manning, 2002). Männer mit einem hohen WHR haben nicht nur hohe Testosteron-Werte, sondern sind auch generell gesünder und haben weniger gesundheitliche Probleme wie Diabetes, Herzerkrankungen, Schlaganfälle und bestimmte Krebsarten (Singh, 2000). In zwei unabhängigen Experimenten schätzten sich Männer mit einem hohen WHR als selbstbewusster ein und wurden auch von anderen als dominante Führungspersönlichkeiten beurteilt (Campbell et al., 2002). Diese Ergebnisse könnten wiederum auf eine Verbindung zwischen Testosteron und Dominanz beim Mann hinweisen.
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Die Verbindung zwischen Testosteron und Dominanz bzw. Status bei Frauen ist bisher viel weniger erforscht. Die wenigen durchgeführten Studienarbeiten konnten jedoch nicht die gleichen Zusammenhänge nachweisen wie bei den Männern. Einige wenige Studien weisen eine positive Korrelation zwischen Testosteron-Werten der Frau und Anwendung nicht provozierter Gewalt bei weiblichen Gefangenen aus, andere Studien konnten diese Verbindung jedoch nicht bestätigen (Mazur & Booth, in Druck). In einer Studie fanden die Wissenschaftler heraus, dass der Status, gemessen an der Beurteilung durch die Umwelt bei Frauen mit hohem Testosteronspiegel geringer war, was darauf hindeutet, dass hier ein gegenteiliger Effekt wie bei den Männern vorliegt (Cashden, 1995). Interessanterweise neigten Frauen mit hohen Testosteron-Werten dazu, ihren eigenen Status zu überschätzen. Also bestand ein Zusammenhang zwischen einem hohen Testosteronspiegel und einer hohen Selbsteinschätzung des eigenen Ansehens – dafür aber einer geringen Bewertung des Status seitens der Umwelt. Weitere Forschungen sind nötig, um die Verbindung zwischen Testosteron und Status bei Frauen zu klären. Die übergeordneten Schlussfolgerungen aus diesen Forschungsarbeiten müssen also auf den Mann beschränkt werden und weisen auf einen reziproken Kausalzusammenhang hin (Dabbs & Ruback, 1988; Mazur & Booth, 1997). Ein hoher Testosteronspiegel des Mannes kann dominante Verhaltensweisen auslösen, die in einigen Subkulturen zu einem erhöhten Status führen. Umgekehrt scheint aber auch ein Aufstieg in der Hierarchie den Testosteronspiegel zu erhöhen (Bernhardt, 1997). Man kann davon ausgehen, dass zukünftige Forschungen die evolutionären Funktionen dieser Kausalzusammenhänge noch klarer herausarbeiten werden. Serotonin und Dominanz. In jüngster Zeit wurde der Neurotransmitter Serotonin im Zusammenhang mit Dominanz erforscht (Cowley & Underwood, 1997). Prozac, ein Medikament, das in den USA häufig zur Behandlung von Depression und Angstzuständen eingesetzt wird, wirkt durch eine Erhöhung des Serotoninspiegels im Gehirn.
Die Evolutionswissenschaftler Michael McGuire und Michael Raleigh führten Experimente an grünen Meerkatzen durch, die ergaben, dass Männchen von hohem sozialen Rang fast doppelt so viel Serotonin im Blut hatten wie rangniedrige Männchen (McGuire & Troisi, 1998). Wie beim Testosteron kann man auch hier die Kausalkette in zwei Richtungen bilden. Wurden ranghohe Männchen überwältigt, so sank ihr Serotonin-Wert. Stieg ein rangniedriges Männchen in der Rangordnung auf, stieg sein Serotonin-Wert stark an. In einer faszinierenden Studie entdeckten McGuire und Raleigh, dass sie den Serotonin-Wert eines Alpha-Männchens drastisch senken konnten, indem sie ihn einfach vor einen Einwegspiegel setzten, so dass die anderen Affen ihn nicht sehen konnten und daher auch kein unterwürfiges Verhalten zeigten. Anscheinend interpretierten die AlphaMännchen die fehlenden unterwürfigen Gesten als Statusverlust, weshalb ihr SerotoninWert absank. In einer weiteren Studie untersuchten McGuire und Raleigh 48 Studenten einer Studentenverbindung, darunter ranghohe und einfache Mitglieder. Sie fanden heraus, dass die Serotonin-Werte bei den ranghohen Mitgliedern um 25% höher waren als bei normalen Mitgliedern. In einem amüsanten Test an einer kleineren Auswahl von Testpersonen analysierten die Forscher daraufhin ihre eigenen Serotonin-Werte und entdeckten, dass
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McGuire (der Laborleiter) um 50% höhere Serotonin-Werte aufwies als Raleigh (der Forschungsassistent). Zusammenfassend ist der Neurotransmitter Serotonin ebenso wie das Testosteron eine im Gehirn wirkende Chemikalie, die etwas über die eigene Position innerhalb der Status-Hierarchie aussagt. Gesucht: Eine Theorie über die Determinanten der Dominanz. Die oben aufgeführte
kurze Abhandlung deckt nur einige Merkmale ab, die mit Dominanz und gesellschaftlichem Status korrelieren. Weitere Eigenschaften, die kulturübergreifend eine solche Korrelation aufweisen sind Sportlichkeit, Intelligenz, physische Attraktivität, Humor und ein gepflegtes Äußeres (Weisfeld, 1997). Es fehlt eine umfassende Theorie, die genau erklären könnte, was wir an anderen wertschätzen, warum wir es wertschätzen und warum wir manche Menschen so sehr bewundern, während wir andere ignorieren oder erniedrigen. Sind die Eigenschaften, die einen hohen Status mit sich bringen, für Männer und Frauen gleich? Sind sie bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gleich? Warum ist in manchen Subkulturen körperliche Stärke und Härte rangentscheidend, während in anderen Kulturen Menschen, die diese Eigenschaften aufweisen, als Schläger verachtet werden? Wie kulturabhängig sind Kriterien für Prestige? Welche psychologischen Mechanismen haben sich entwickelt, um ein Vorankommen zu erreichen? Gibt es universale Kriterien für Prestige und können sie im Voraus durch eine evolutionspsychologische Analyse benannt werden? Diese und andere wichtige Fragen kann eine kulturübergreifende Erforschung von Prestige, Status und Ansehen beantworten (Buss, 1995b).
Der Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl und Status Immer mehr Evolutionspsychologen interessieren sich für die emotionalen und selbst bewertenden psychologischen Mechanismen, die mit adaptiv signifikanten Dimensionen sozialer Zusammenhänge einhergehen (z.B. Barkow, 1998; Frank, 1988; Kirkpatrick & Ellis, 2001; Tooby & Cosmides, 1990). Barkow (1989) argumentiert beispielsweise, dass das Selbstwertgefühl mit Dimensionen von Prestige, Macht und Status innerhalb der eigenen Bezugsgruppe einhergeht: „Die Bewertung, aus welcher das Selbstwertgefühl resultiert, ist der Natur nach symbolisch und bezieht die Anwendung von Kriterien für die Allokation von Prestige mit ein.“ (Barkow, 1989, S. 190). Der Psychologe Mark Leary und seine Kollegen (Leary et al., 1998; Baumeister & Leary, 1995) haben diese Idee in der Soziometer-Theorie (sociometer theory) offiziell formalisiert. Die Grundprämisse dieser Theorie besagt, dass das Selbstwertgefühl die Funktion eines subjektiven Indikators für die Einschätzungen anderer Menschen hat. Steigt das Selbstwertgefühl, so signalisiert dies gleichzeitig ein höheres Maß an sozialer Integration und Akzeptanz durch andere. Geht Selbstwertgefühl verloren, so liegt das an einer sinkenden Akzeptanz und Integration. Leary stützt seine Argumentationskette für die Soziometer-Theorie auf die evolutionäre Logik. Menschen entwickelten sich in Gruppen und waren auf andere angewiesen, um zu überleben und sich fortzupflanzen. Daraus entwicklete sich die Evolution der Motivation,
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die Gesellschaft anderer zu suchen, soziale Bindungen einzugehen und sich bei anderen Gruppenmitgliedern einzuschmeicheln. Wurde man nicht wenigstens von einigen Gruppenmitgliedern akzeptiert, waren Isolation und vielleicht sogar ein frühzeitiger Tod die Folge, wenn man gezwungen war, ohne den Schutz der Gruppe zu leben. Angesichts der Tatsache, dass soziale Akzeptanz für das Überleben dringend notwendig war, könnte die Selektion einen Mechanismus gefördert haben, der ein Individuum dazu befähigt, mitzuverfolgen, in welchem Maß es von anderen akzeptiert wird. Dieser Mechanismus ist nach der Soziometer-Theorie das Selbstwertgefühl. Ein hohes Selbstwertgefühl würde ein Individuum vermutlich dazu motivieren, andere Gruppenmitglieder um einen Gefallen zu bitten, bestehende soziale Beziehungen zu verbessern und neue zu knüpfen. Das Selbstwertgefühl folgt gemäß der Soziometer-Theorie dem wichtigsten adaptiven Problem – wie sehr fühle ich mich in eine Gruppe mit einbezogen oder ausgeschlossen. Eine Reihe empirischer Studien stützen die Soziometer-Theorie. In einer Studie beschrieben die Testpersonen beispielsweise eine vorangegangene gesellschaftliche Begegnung und bewerteten sie auf zweierlei Weise: (1) wie sehr sie sich von den anderen mit einbezogen oder ausgeschlossen fühlten und (2) wie viel Selbstwertgefühl sie in diesem Moment empfanden (Leary & Downs, 1995). Die Ergebnisse bestätigten die Vorhersagen der Soziometer-Theorie. Fühlte man sich durch andere mit einbezogen, war auch gleichzeitig das Selbstwertgefühl höher. Fühlte man sich eher ausgeschlossen, war auch das Selbstwertgefühl geringer. Man muss nur einen kleinen Schritt machen, um diese Theorie dahingehend auszuweiten, dass das Selbstwertgefühl auch in direktem Zusammenhang steht mit Prestige, Status und Reputation, wie Barkow (1989) dies vorschlägt. Danach funktioniert das Selbstwertgefühl als psychologischer Mechanismus, der in direktem Zusammenhang steht mit der Wertschätzung und dem Respekt, die andere uns entgegenbringen. Steigt das Ansehen in den Augen anderer, so sollte gleichzeitig auch das Selbstwertgefühl steigen. Sinkt das Ansehen in den Augen anderer, so sollte damit auch das Selbstwertgefühl sinken. Gemäß dieser erweiterten Version der Soziometer-Theorie übernimmt das Selbstwertgefühl mehrere evolutionäre Funktionen. Zunächst könnte sie als Motivationsmechanismus wirken, der aber nicht nur dazu da ist, Beziehungen zu anderen zu verbessern, wenn deren Respekt schwindet. Sie könnte den Einzelnen auch dazu motivieren, häufiger oder mehr Handlungen vorzunehmen, die ihm verstärkt den Respekt anderer einbringt. So gesehen kann eine genau Verfolgung dessen, wie die anderen uns selbst sehen und welche Ereignisse uns mehr Respekt verschaffen, uns dazu motivieren, unseren tatsächlichen Status und unser Ansehen zu verbessern oder zu halten. Eine zweite Funktion des Selbstwertgefühls besteht darin, uns in der Entscheidung anzuleiten, wen wir herausfordern und wem wir uns unterordnen sollten. Wenn man weiß, wo man sich in der Hackordnung befindet, sind das wichtige Informationen darüber, wen man ungestraft ausnutzen kann und mit wem man sich besser nicht anlegen sollte. Fehleinschätzungen des eigenen Selbstwerts hätten zu Verletzungen, Verbannung oder zum Tod geführt. Die Beurteilung des Selbstwertgefühls ermöglicht eine genaue Bestimmung der eigenen Position in der sozialen Hierarchie und erleichtert so die Entscheidung, andere herauszufordern oder sich ihnen unterzuordnen.
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Eine dritte mögliche Funktion des Selbstwertgefühls bezieht sich darauf, dass man damit auch den eigenen Wert auf dem Partnerschaftsmarkt und somit auch den relativen Partnerwert derer, um die man sich als Partner bemüht, einschätzen kann (Kirkpatrick & Ellis, 2001). In einer Studie zur Überprüfung dieser hypothetischen Funktion zeigte man den männlichen und weiblichen Testpersonen eine Reihe von Fotos. Die abgebildeten Menschen unterschieden sich auf zweierlei Weise: sie waren entweder attraktiv oder unattraktiv und sie waren entweder dominant oder nicht dominant (Gutierres, Kenrick & Partch, 1994). Man zeigte den Teilnehmern Fotos und dazugehörige persönliche Informationen von gleichgeschlechtlichen Menschen und gab vor, sie sollten den Wissenschaftlern helfen, mögliche Formate für einen Partnervermittlungsdienst zu bewerten. Die persönlichen Informationen wiesen die abgebildeten Personen als entweder dominant oder nicht dominant aus und die beigefügten Fotos zeigten entweder attraktive oder unattraktive Personen. Anschließend bewerteten die Teilnehmer sich selbst in einer Reihe von Bereichen, darunter ihren Wert auf dem Partnerschaftsmarkt. Die Ergebnisse waren verblüffend. Frauen, denen man Fotos von physisch attraktiven Frauen vorgelegt hatte, schätzten ihren eigenen Partnerwert geringer ein als Frauen, denen man Fotos von weniger attraktiven Frauen gezeigt hatte. Ob die abgebildete Frau dominant oder weniger dominant war, hatte keinerlei Einfluss auf die Selbsteinschätzung. Bei den Männern zeigten sich genau gegensätzliche Ergebnisse. Männer, denen man Fotos von anderen Männern zeigte, die als sehr dominant beschrieben wurden, bewerteten ihren eigenen Partnerwert geringer als Männer, die Fotos von Männern betrachteten, die als wenig dominant beschrieben wurden. Die physische Attraktivität der gezeigten Männer spielte bei der Selbsteinschätzung keine Rolle. Diese Studie stützt die Hypothese, dass die Selbsteinschätzung auch teilweise mit dem selbst wahrgenommenen Partnerwert zusammenhängt. Außerdem liefert sie zusätzliche Belege für geschlechtsbezogene Unterschiede in wichtigen Bereichen des Partnerwerts. Ein interessanter Weg, den man in zukünftigen Forschungsarbeiten zur Überprüfung der Funktionen des Selbstwertgefühls beschreiten könnte, bezieht sich auf Versuche, die Wahrnehmung anderer zu beeinflussen. Um eine Person, die sich selbstbewusst gibt und vermittelt, dass sie in der Lage ist, einen Rivalen physisch zu besiegen, wird manchmal ein großer Bogen gemacht, selbst wenn es keine offensichtlichen physischen Belege für diese Haltung gibt. Tiere nehmen sich also sozusagen beim Wort (Tiger & Fox, 1971). Wir neigen zu der Annahme, dass in der Darstellung des eigenen Status und des Selbstwertgefühls zumindest ein Stück Wahrheit steckt. Das ist jedoch nicht immer der Fall. Arrogant, eingebildet, hochnäsig, eitel, affektiert, anmaßend, überspannt, überheblich – all diese Adjektive beschreiben Selbstdarstellungen, die die Umwelt für falsch und übersteigert hält. Man kann diese Aussagen natürlich auch einsetzen, um Rivalen schlecht zu machen und einem potentiellen Partner zu vermitteln, dass ein Rivale die Ressourcen, die er zu besitzen vorgibt, gar nicht hat, oder dass er sich selbst und seinen Status falsch darstellt. In weiteren Forschungsarbeiten könnten die vielen hypothetischen Funktionen des Selbstwertgefühls weiter untersucht werden. So könnte geklärt werden, wie sich das Selbstwertgefühl von einem Augenblick zum anderen verändern kann und wie der Einzelne versucht, den Eindruck, den andere von seinem Selbstwertgefühl haben, zu beeinflussen und zu manipulieren (Kirkpatrick & Ellis, 2001).
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Strategien der Unterordnung In diesem Kapitel beschäftigten wir uns bisher meist mit den positiven Seiten von Dominanz und Status: den Statusanzeichen, dem sexuellen Zugang, den hochrangige Männer erlangen, und mit der Tatsache, dass hochrangige Menschen schnell und aufrecht gehen. Vielleicht wenden wir unsere Aufmerksamkeit ganz automatisch denen zu, die über Status und Ansehen verfügen. Tatsächlich haben wir ja eine Theorie untersucht, die besagt, dass soziale Aufmerksamkeit einen hohen Status mit definiert. Wir müssen uns jedoch auch der Kehrseite zuwenden, den adaptativen Problemen, die mit einem geringen Status einhergehen. Dieser Abschnitt ist spekulativ, denn die negative Seite von Status und Prestige wurde bisher nur wenig wissenschaftlich erforscht. Vortäuschung eines geringeren Status. Der Evolutionsbiologe John Hartung bittet uns,
Menschen zu betrachten, die in einer Position festsitzen, die sie unter normalen Umständen als unfair oder unter ihrer Würde ansehen würden (Hartung, 1987). Nehmen wir einen Mann, der genau weiß, dass die Arbeit, der er nachgeht, seine Talente nicht voll und ganz fordert, oder eine Frau, die genau weiß, dass sie intelligenter ist als ihr Mann. Wenn beide zeigen, dass die Arbeitsstelle oder der Ehemann ihrer nicht angemessen ist, kann das die Arbeit und die Ehe gefährden. Der Chef könnte seinen Angestellten wegen mangelnder Unterordnung entlassen und der Ehemann könnte sich eine Partnerin suchen, bei der er sich wohler und von der er sich weniger bedroht fühlt. Die adaptive Lösung, die Hartung vorschlägt, heißt deceiving down und bedeutet die Vortäuschung eines geringeren eigenen Status. Damit ist nicht gemeint, dass man sich „dumm stellt“ oder vorgibt, weniger zu sein als man ist. Vielmehr bedeutet es die tatsächliche Senkung des Selbstwertgefühls, um sich leichter unterordnen zu können. Die evolutionäre Logik hierzu besteht darin, dass es häufig Situationen gab und gibt, in denen es adaptiv war und ist, sich selbst als untergeordnet und somit nicht bedrohlich darzustellen. Wer eine wirkliche Bedrohung darstellt, riskiert den Zorn eines dominanten Artgenossen, der danach streben könnte, jeden, den er als Rivalen empfindet, zu vernichten. Indem man sich effektiv unterordnet, vermeidet man dieses Risiko und behält einen Platz in der Gruppe. Auch gewinnt man dadurch Zeit und kann auf einen günstigen Zeitpunkt warten, um eventuell eine dominante Position einzunehmen. Ob diese Theorie auch einer empirischen Prüfung standhält, ob also Menschen, die gezwungen sind, Positionen einzunehmen, die sie unterfordern, tatsächlich ihr Selbstwertgefühl senken, um sich überzeugend unterordnen zu können, muss zukünftige Forschungsarbeit klären. Der Niedergang der „Tall Poppies.“ Das Oxford English Dictionary beschreibt tall poppy als eine „besonders gut bezahlte, privilegierte und gut situierte Person“ (Simpson & Weiner, 1989). Laut dem Australian National Dictionary ist ein tall poppy eine „Person, die bemerkenswert erfolgreich“ ist, und „deren Leistungen, Rang oder Vermögen Neid und Feindseligkeit entstehen lassen“ (Ramson, 1988). Der Psychologe Norman Feather (1994) hat untersucht, wie Menschen auf den gesellschaftlichen Niedergang von tall poppies reagieren. Wie er herausfand, hängt das von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Doch eine Reaktion, die er immer wieder beobachten konnte, ist Schadenfreude.
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Nimmt man eine untergeordnete Position ein, so ist das mit Kosten verbunden. Da hochrangige Individuen bekanntermaßen bevorzugten Zugang zu wichtigen Ressourcen haben, die Überleben und Reproduktion erleichtern, müssen sich die Untergebenen oft mit den kargen Resten zufrieden geben. Eine Studie über untergeordnetes Verhalten verdeutlicht die möglichen Strategien untergebener Individuen (Salovey und Rodin, 1984). Die Forscher legten den Teilnehmern ein Feedback vor, welches zeigte, dass sie bei einer Bewertung entscheidender Eigenschaften schlechter abschnitten als ein erfolgreicher gleichrangiger Artgenosse. Nachdem sie dieses Feedback erhalten hatten, zeigte sich, dass sie ihre erfolgreicheren Konkurrenten verbal beschimpften, dass sie weniger häufig deren Freundschaft suchten und angaben, sie seien im Umgang mit den erfolgreichen Artgenossen ängstlicher und deprimierter. Einen erfolgreichen Konkurrenten herabzusetzen, kann dazu führen, dass man sich besser fühlt, doch sich lediglich besser fühlen reicht für die Qualifikation als evolutionäre Funktion von Neid nicht aus. Macht man einen Konkurrenten verbal nieder, kann dies aber auch noch andere Konsequenzen haben und z.B. dem Ruf des anderen schaden oder dazu führen, dass man die eigenen Bemühungen auf einen anderen Bereich verlagert. Diese beiden Konsequenzen reichen für die Qualifikation als evolutionäre Funktion voll aus. Feather (1994) führte eine Reihe von Studien durch, bei denen er den Teilnehmern Situationen vorlegte, in denen tall poppies gesellschaftlich scheiterten. Ein akademischer Superstar versagt z.B. bei einer wichtigen Abschlussprüfung. Feather variierte seine Situationen in Bezug darauf, ob der vorherige Erfolg gerechtfertigt war oder nicht, ob die Niederlage gering oder verheerend war und ob der tall poppy seinen Niedergang durch einen eigenen Fehler selbst verschuldet hatte oder nicht. Außerdem untersuchte er Testpersonen in Australien und Japan, um zu sehen, ob die Reaktionen auf ein Scheitern eines tall poppy kulturübergreifend gleich ausfielen. Einer der entscheidenden Maßstäbe war dabei die Tall Poppy-Skala, die Aussagen enthielt wie „Es tut gut zu sehen, dass auch erfolgreiche Menschen manchmal scheitern“, „Sehr erfolgreichen Menschen steigt ihr Erfolg oft zu Kopf“, „Sehr erfolgreichen Menschen, die von ganz oben abstürzen, geschieht es recht, in Ungnade zu fallen“, „Die Erfolgreichen sollten von ihrem hohen Ross heruntersteigen und so sein wie normale Menschen“, „die tall poppies sollte man auf ihre normale Größe zurechtstutzen“, „Man muss den Erfolgreichen manchmal einen Dämpfer verpassen, auch wenn sie nichts falsch gemacht haben“ (Feather, 1994, S. 41). In einer ganzen Reihe von Studien entdeckte Feather einige wichtige Bedingungen, unter denen es Menschen Vergnügen bereitet, einen tall poppy scheitern zu sehen. Zum einen stieß bei tall poppies, deren hoher Status besonders hervorstach, ihr Niedergang bei den Testpersonen auf mehr positive Reaktionen. Zum zweiten empfanden die Testpersonen den Erfolg eines tall poppy als unverdient, bereitete ihnen deren Misserfolg ebenfalls größeres Vergnügen. Drittens war Neid das am häufigsten empfundene Gefühl, das die Teilnehmer dem tall poppy entgegenbrachten, besonders wenn dieser in einem Bereich erfolgreich war, der für den Teilnehmer von großer Bedeutung war, z.B. akademische Leistungen für Studenten. Viertens reagierten japanische Teilnehmer positiver auf den Misserfolg der tall popppies als australische Testpersonen, was auf einige kulturelle Unterschiede im Empfinden von Schadenfreude hindeutet. Fünftens freuten sich Menschen mit geringem Selbstwertgefühl mehr über das Scheitern der tall poppies als Menschen, die über mehr Selbstwertgefühl verfügten.
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Obwohl auch hier noch weitere Studien durchgeführt werden müssen, lassen doch die vorhandenen Belege darauf schließen, dass eine untergeordnete Strategie darin besteht, den Niedergang anderer, die einen höheren Status genießen, zu erleichtern und sich über deren Misserfolge zu freuen. Die Freude, die man angesichts des Misserfolgs des Gegners empfindet, könnte als motivierender Mechanismus zur Förderung solcher Misserfolge funktionieren. Da die Evolution aufgrund von Selektion immer auf einer relativen Basis stattfindet – der eigene Erfolg im Vergleich zum Erfolg anderer – können wir von zwei allgemeinen Strategien ausgehen, die einen Aufstieg in der Dominanz- und Status-Hierarchie bewirken sollen. Die erste ist die eigene Verbesserung, die darauf abzielt, besser zu sein als die Konkurrenz. Die zweite besteht darin, den Niedergang anderer voranzutreiben. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Menschen beide Strategien anwenden. Es bedarf sehr viel mehr zusätzlicher Forschungsarbeit, um die untergeordneten Strategien und ihre unterschiedlichen Funktionen zu ergründen (Sloman & Gilbert, 2000). Die Evolutionspsychologin Lynn O’Connor und ihre Kollegen haben beispielsweise herausgefunden, dass es mindestens zwei unterschiedliche Gefühlszustände gibt, die untergeordnetes Verhalten bewirken: die Angst, selbst zu Schaden zu kommen, und die Angst, dass ein anderer Schaden nimmt (auf Schuldgefühlen basierendes unterwürfiges Verhalten) (O’Connor, Berry, Weiss, Schweitzer & Sevier, 2000). Um beurteilen zu können, ob man sich unterordnen sollte, scheint ein sozialer Vergleich besonders wichtig zu sein, damit untergeordnete Strategien aktiviert werden können (Buunk & Brenninkmeyer, 2000). Außerdem verfügen die Menschen über eine erstaunliche Auswahl an untergegeordneten Strategien, darunter die Schaffung einer größeren Distanz zum dominanten Artgenossen, Verstecken, Flucht, passive Reaktion, Signalisierung von Unterwerfung, Hilfsgesuche bei anderen und die Signalisierung freundlichen und kooperativen Verhaltens (Fournier, Moskowitz & Zuroff, 2002; Gilbert, 2000a, 2000b). Da es zu einem drastischen Prestigeverlust und dadurch auch zu einem Verlust der entsprechenden Ressourcen führen kann, innerhalb einer Gruppe stigmatisiert oder ausgegrenzt zu werden, können wir davon ausgehen, dass durch die Selektion Adaptationen herausgebildet worden sind, die eine Ausgrenzung und Stigmatisierung vermeiden sollen, z.B. ein größeres Maß an Anpassung (Kurzban & Leary, 2001; Williams, Cheung & Choi, 2000).
Kapitel 12 Status, Prestige und soziale Dominanz
Zusammenfassung Dieses Kapitel untersucht die evolutionäre Psychologie von Status und sozialer Dominanz, Phänomene, die in weiten Bereichen der Tierwelt vom Flusskrebs bis hin zum Menschen zu beobachten sind. Eine Dominanz-Hierarchie bezieht sich auf die Tatsache, dass einige Individuen innerhalb einer Gruppe dauerhaft mehr Zugang zu wichtigen Ressourcen – die Überleben und Reproduktion ermöglichen – erhalten als andere. Die Existenz solcher Hierarchien gibt eine Reihe von adaptiven Problemen auf, für die Tiere evolutionsbedingte Lösungen entwickelt haben, darunter die Motivation, voran zu kommen, sowie Strategien, um mit einer Unterordnung zurecht zu kommen. Die Körpergröße ist bei manchen Spezies ein wichtiger bestimmender Faktor von Dominanz, bei anderen Arten, z.B. bei Schimpansen und Menschen spielt die soziale Fähigkeit, Freunde auf seine Seite zu ziehen, eine zentrale Rolle, um einen hohen Rang zu erreichen. Hochrangige Tiere erhalten manchmal – wenn auch nicht immer – bevorzugten Zugang zu wichtigen Ressourcen, die für Überleben und Reproduktion entscheidend sind. Es spricht sehr viel dafür, dass die Selektion beim Mann das Entstehen einer Motivation für Statusbestrebungen stärker gefördert hat als bei der Frau. Je polygyner das Partnersystem ist, um so mehr hat es sich für den Reproduktionserfolg der Männer ausgezahlt, Risiken einzugehen, um in der Hierarchie aufzusteigen, was für Frauen nicht in diesem Maß gilt. Ein Aufstieg innerhalb dieser Systeme bedeutet historisch gesehen mehr Ehefrauen, bzw. aus moderner Sicht mehr Sexualpartner. Empirische Belege stützen diese evolutionäre Hypothese. Kulturübergreifend und über die gesamte menschliche Geschichte, sogar schon 4000 v. Chr., hatten hochrangige Männer vermehrten sexuellen Zugang zu Ehefrauen, Geliebten und Konkubinen. Kulturübergreifend bilden Männer schon ab dem Alter von drei Jahren Hierarchien. Empirische Daten belegen die Hypothese, dass Männer sich stärker an sozialer Dominanz orientieren – also eher davon überzeugt sind, dass es gerechtfertigt ist, manchen Menschen überlegen zu sein. Frauen sind in der Regel eher egalitär, Männer dagegen hierarchisch eingestellt. Männer und Frauen unterscheiden sich auch darin, durch welche Handlungen sie ihre Dominanz zeigen. Während Frauen ihrer Dominanz durch prosoziale Handlungen Ausdruck geben (z.B. Auseinandersetzung zwischen Gruppenmitgliedern schlichten), zeigen sich Männer häufiger dominant, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen und aufzusteigen (sie bringen z.B. andere dazu, niedere Arbeiten zu verrichten, um diese nicht selbst tun zu müssen). Vor die Wahl gestellt, ernennen dominante Frauen häufig die Männer zu Anführern, während dominante Männer meist die Führungsrolle für sich selbst beanspruchen. Denise Cummins stellte die Dominanz-Theorie vor, um die kognitiven Mechanismen zu erklären, die sich entwickelt haben könnten, um sich in Dominanz-Hierarchien erfolgreich zu bewegen. Die Theorie basiert auf zwei wichtigen Aussagen. Erstens haben Menschen bereichsspezifische Strategien entwickelt, um über soziale Normen logisch nachdenken zu können.
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Darunter fällt das Verständnis für Aspekte wie etwa Erlaubnis (z.B. wer darf wen als Partner haben), Verpflichtung (z.B. wer muss wen in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung unterstützen), und Verbot (z.B. wer darf an dem rituellen Kriegstanz nicht teilnehmen). Zweitens geht die Theorie davon aus, dass sich diese kognitiven Strategien vor und unabhängig von anderen Denkstrategien entwickeln. Es gibt folgende empirischen Belege, die diese Theorie stützen: (1) Kinder scheinen schon ab einem Alter von drei Jahren logisch über Dominanz-Hierarchien und deren transitive Eigenschaften nachzudenken. (2) Die Menschen erinnern sich eher an die Gesichter von Betrügern, wenn diese einen geringen gesellschaftlichen Status haben. (3) Die Menschen neigen dazu, bei rangniedrigen Individuen nach Regelverstößen zu suchen, wenn sie die Perspektive eines ranghöheren Individuums einnehmen sollen. Während die Dominanz-Theorie die Denkmechanismen betont, die der Dominanz zugrunde liegen, sieht die Theorie über das Potential sozialer Aufmerksamkeitserhaltung (SAHP) eine Reihe emotionaler Mechanismen vor, die darauf ausgerichtet sind, die adaptiven Probleme zu lösen, die sich aus einem Leben in einer sozialen Hierarchie ergeben. Dazu zählen das Hochgefühl nach einem Statusgewinn, soziale Ängste, in Situationen, in denen Status erreicht oder verloren werden kann, Scham und Wut infolge eines Statusverlusts, Neid als Motivation, das zu erreichen, was andere haben, und Depression, um ein untergeordnetes Verhalten zu erleichtern und weitere Angriffe von überlegenen Gruppenmitgliedern zu vermeiden. Dominanz wird durch verschiedene Faktoren bestimmt und angezeigt, darunter eine aufrechte Haltung, eine gleichmäßige Stimme, direkter Blickkontakt, ein schneller Gang, bestimmte Gesichtszüge wie etwa ein ausgeprägter Kiefer und körperliche Größe. Das Hormon Testosteron und der Neurotransmitter Serotonin konnten beide mit Dominanz in Verbindung gebracht werden, auch wenn der kausale Zusammenhang in beiden Fällen unklar ist. Es gibt Belege dafür, dass der Testosteronspiegel nach einem Sieg steigt, nach einer Niederlage jedoch abfällt. Bei Schimpansen sinkt der Serotoninspiegel nach einem Statusverlust rapide ab, wenn z.B. Artgenossen ihre unterwürfigen Begrüßungsgesten unterlassen. Die genaue evolutionäre Funktion von Testosteron und Serotonin muss noch geklärt werden, doch ein Anstieg beider Stoffe könnte für die Dominanzerhaltung eine Rolle spielen und ein Absinken beider Werte könnte Tiere dazu bringen, gefährliche Herausforderungen zu meiden. Mehrere Theorien haben nahe gelegt, dass das Selbstwertgefühl teilweise in direktem Zusammenhang mit dem eigenen Status steht. Unser Selbstwertgefühl könnte mindestens drei Funktionen haben: (1) Es könnte uns dazu motivieren, uns einzuschmeicheln oder uns um unsere sozialen Beziehungen zu kümmern, wenn der Respekt anderer schwindet. (2) Es könnte uns anleiten, richtig zu beurteilen und zu entscheiden, wen wir angreifen und wem wir uns unterordnen. (3) Es könnte uns helfen, unseren eigenen Wert auf dem Partnerschaftsmarkt zu bestimmen. Man kann davon ausgehen, dass zukünftige Forschungsarbeiten die möglichen Funktionen des Selbstwertgefühls genauer bestimmen werden.
Kapitel 12 Status, Prestige und soziale Dominanz
Obwohl sich der Großteil dieses Kapitels mit den positiven Seiten der Dominanz befasst, müssen wir uns auch den negativen Seiten zuwenden. Unsere Vorfahren sahen sich immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen sie sich unterordnen mussten; also wäre es sehr überraschend, wenn die Selektion nicht die Evolution bestimmter Mechanismen gefördert hätte, die auf den Umgang mit adaptiven Problemen aufgrund von Unterordnung ausgerichtet sind. Obwohl dieses Thema noch wenig erforscht wurde, kann man sagen, dass es zwei hypothetische Strategien der Unterordnung gibt, nämlich zum einen die deceiving down-Strategie (eine Verminderung des eigenen Selbstwerts, um Konfrontationen zu vermeiden und leichter in die Rolle des Untergebenen schlüpfen zu können, ohne sich den Zorn eines dominanten Artgenossen zuzuziehen) und die Abwertung von tall poppies. Es bedarf kulturübergreifender Studien, um diese Hypothesen und Vermutungen zu überprüfen und eine stabilere Basis für eine vollständigere Evolutionstheorie über Status, Prestige und soziale Dominanz zu schaffen.
Weiterführende Literatur Asendorpf, J. B. (2004). Psychologie der Persönlichkeit, 3. Aufl. Berlin: Springer. Barkow, J. (1989). Darwin, sex, and status: Biological approaches to mind and culture. Toronto: University of Toronto Press. Bischof, N. (1985). Das Rätsel Ödipus: Die biologischen Wurzeln des Urkonfliktes von Intimität und Autonomie. München: Piper. de Waal, F. (1982). Chimpanzee politics: Sex and power among apes. Baltimore, MD: The Johns Hopkins University Press. Frank, R. H. (1985). Choosing the right pond: Human behavior and the quest for status. New York: Oxford University Press. Meyer, W.-U., Schützwohl, A., & Reisenzein, R. (2003). Einführung in die Emotionspsychologie. Band 2: Evolutionspsychologische Emotionstheorien. Bern: Huber. Perusse, D. (1993). Cultural and reproductive success in industrial societies: Testing the relationship at proximate and ultimate levels. Behavioral and Brain Sciences, 16, 267-322. Schwab, F. (2004). Evolution und Emotion: Evolutionäre Perspektiven in der Emotionsforschung und der angewandten Psychologie. Stuttgart: Kohlhammer. Sloman, L. & Gilbert, P. (Hrsg.) (2000). Subordination and defeat: An evolutionary approach to mood disorders and their therapy. Mahwah, NJ: Erlbaum.
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Teil 6 Eine integrierte psychologische Wissenschaft In diesem abschließenden Kapitel wird das gesamte Gebiet der Psychologie aus einer evolutionären Perspektive betrachtet. In Kapitel 13 wird aufgezeigt, wie eine evolutionäre Sichtweise wichtige Einblicke in jedes Fachgebiet der Psychologie wie das der Kognitions-, Sozial-, Entwicklungs-, Persönlichkeits-, der klinischen und der Völkerpsychologie geben kann und kommt zu dem Schluss, dass die gegenwärtigen disziplinären Grenzen innerhalb der Psychologie künstlich anmuten. Eine evolutionäre Psychologie widerspricht diesen Abgrenzungen und schlägt vor, dass sich das Feld der Psychologie an den adaptiven Problemen ausrichten sollte, mit denen die Menschen im Verlauf ihrer Evolutionsgeschichte konfrontiert wurden.
Kapitel
13
In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
Der aufregendste Aspekt der evolutionären Psychologie ist, dass sie einen Rahmen bildet, in dem Belege und Erklärungen aus Biologie, Anthropologie, Psychologie und anderen Verhaltenswissenschaften zu einer vereinten Beschreibung menschlichen Verhaltens integriert werden. – Boyer & Heckhausen, 2000, S. 924 Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Marsmensch und kommen auf die Erde, um das am häufigsten anzutreffende große Säugetier, den Menschen, zu studieren. Sie entdecken, dass es eine wissenschaftliche Disziplin gibt, die sich dem Studium der Menschen widmet und Psychologie genannt wird. So besuchen Sie eine Universität, um Psychologen auszuspionieren und herauszufinden, welche Erkenntnisse sie gesammelt haben. Das erste, was Ihnen auffällt, ist, dass es viele unterschiedliche Psychologen mit unterschiedlichen Bezeichnungen gibt. Einige nennen sich „Kognitionspsychologen“ und erforschen, wie der Geist (mind) Informationen verarbeitet. Andere sind „Sozialpsychologen“ und studieren zwischenmenschliche Interaktionen und Beziehungen. Wiederum andere bezeichnen sich als „Entwicklungspsychologen“ und konzentrieren sich darauf, wie sich Menschen im Laufe ihres Lebens psychisch verändern. „Persönlichkeitspsychologen“ konzentrieren sich vor allem auf die Unterschiede zwischen Individuen, wenige untersuchen auch die menschliche Natur. Dann gibt es die „Kulturpsychologen“, die ein Schlaglicht auf einige erstaunliche Unterschiede zwischen individualistischen Kulturen wie den Vereinigten Staaten und Kollektivgesellschaften wie Japan werfen. Andere sind „klinische Psychologen“ und erforschen die Funktionsstörungen des Geistes. Als Marsmensch kommen Ihnen diese disziplinären Unterteilungen recht merkwürdig vor. Soziales Verhalten beispielsweise erfordert die Verarbeitung von Informationen, warum ist also die Sozialpsychologie von der kognitiven Psychologie getrennt? Individuelle Unterschiede entwickeln sich erst im Lauf der Zeit und viele der wichtigsten individuellen Unterschiede sind sozialer Natur; warum ist also die Persönlichkeitspsychologie von der Entwicklungs- und der Sozialpsychologie getrennt? Um Funktionsstörungen des Geistes zu verstehen, muss man wissen, wie der Geist funktionieren sollte; warum ist also die klinische Psychologie von den anderen Fachgebieten der Psychologie getrennt? Trotz dieser seltsam anmutenden Arbeitsteilung der Psychologen sind Sie sicher beeindruckt, wenn Sie sehen, was bisher entdeckt wurde. Kognitionspsychologen haben beispielsweise eine faszinierende Ansammlung kognitiver Neigungen und Heuristiken dokumentiert, die nahe legen, dass der menschliche Geist daran scheitert, nach formalen Regeln der Logik zu operieren (Tverksy & Kahneman, 1974). Sozialpsychologen haben eine Vielzahl faszinierender Phänomene entdeckt wie die Tatsache, dass Menschen gerne langsam arbeiten, wenn sie
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ihren Anteil zu einer größer werdenden Gemeinschaft beitragen sollen (Latané, 1981), dass sie zwar dazu tendieren, das Verdienst für Erfolge in Anspruch zu nehmen, aber anderen die Schuld zu geben, wenn etwas nicht klappt (Nisbett & Ross, 1980), und dass sie dazu tendieren, einer Autorität zu gehorchen, selbst wenn dies bedeutet, anderen schmerzhafte Elektroschocks zuzufügen (Milgram, 1974). Entwicklungspsychologen haben herausgefunden, dass Kinder bereits im Alter von drei Jahren ein Verständnis dafür entwickeln, dass andere Menschen Wünsche haben, dass sie erst im Alter von vier Jahren verstehen, dass Menschen Überzeugungen haben, und dass sie erst in der Pubertät verstehen, dass Menschen sexuelle Bedürfnisse haben. Persönlichkeitspsychologen haben faszinierende individuelle Unterschiede dokumentiert: einige Menschen sind machiavellistischer oder manipulativer als andere. Die klinische Psychologie deckte Funktionsstörungen und einige ihrer Eigenschaften auf: z.B., dass doppelt so viele Frauen wie Männer an Depressionen leiden, dass Schizophrenie vererbbar und kaum heilbar ist und dass häufige Phobien wie solche vor Höhe oder Schlangen durch systematische Desensibilisierung geheilt werden können. Sie möchten Ihren Kollegen auf dem Mars ein integriertes Verständnis dieser seltsamen Art, die Homo Sapiens genannt wird, vermitteln und all die wichtigen Einblicke, die die Psychologen gewonnen haben, mitteilen, nicht aber die disziplinären Unterteilungen, die Ihnen recht willkürlich vorkommen. Da Evolution durch Selektion der einzig bekannte Prozess ist, durch den komplexe organische Entwürfe wie der menschliche Geist entwickelt werden können, scheint die evolutionäre Psychologie die einzige Meta-Theorie zu sein, die machtvoll genug ist, um all diese Unterdisziplinen zu integrieren. Diese MetaTheorie versucht ein vereintes Verständnis der Mechanismen des Geists zu vermitteln, die diese seltsame Art bipedaler Primaten charakterisieren. Dieses Kapitel zieht sich von den Einzelheiten zurück und bemüht sich um die Darstellung eines größeren, makroskopischen Bildes der menschlichen Psychologie. Der erste Abschnitt untersucht die Teildisziplinen der Psychologie und illustriert Möglichkeiten, wie die evolutionäre Psychologie diese unterstützen kann. Im zweiten Abschnitt wird argumentiert, dass die Zukunft einer integrierten Psychologie auf der Auflösung traditioneller disziplinärer Grenzen beruht.
13.1
Evolutionäre kognitive Psychologie
Alle psychologischen Mechanismen sind per definitionem mit informationsverarbeitenden Instrumenten verbunden, die auf die Lösung adaptiver Probleme zugeschnitten sind. Da viele der adaptiven Probleme, denen die Menschen im Lauf der Evolution gegenüberstanden, sozialer Natur waren, befasst sich die kognitive Psychologie mit der Art und Weise, wie wir Informationen über andere Menschen verarbeiten. Aus einer evolutionspsychologischen Perspektive stellt das gesamte kognitive System eine komplexe Sammlung zusammenhängender informationsverarbeitender Instrumente dar, die funktionell auf die Lösung bestimmter adaptiver Probleme spezialisiert sind. Die traditionelle kognitive Psychologie ist in mehreren Kernannahmen verankert, die durch die evolutionäre Psychologie herausgefordert werden (Cosmides & Tooby, 1994a). Erstens tendieren die der Hauptrichtung angehörenden Psychologen dazu, anzunehmen,
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
dass die kognitive Architektur universell (general purpose) und inhaltsfrei (content-free) ist. Dies bedeutet, es wird angenommen, dass die informationsverarbeitenden Mechanismen, die für die Nahrungsauswahl zuständig sind, die gleichen wie die für die Partnerwahl und die Auswahl des Lebensraumes sind. Diese Universalmechanismen beinhalten die Fähigkeiten zu denken, zu lernen, zu imitieren, die Verhältnismäßigkeit der Mittel für ein zu erreichendes Ziel abzuschätzen, Ähnlichkeiten zu berechnen, Konzepte zu formulieren und sich an Dinge zu erinnern. Wie in diesem Buch dokumentiert wurde, sind evolutionäre Psychologen genau der gegenteiligen Ansicht, nämlich, dass der Geist aus einer großen Anzahl spezialisierter Mechanismen besteht, von denen jeder darauf zugeschnitten ist, ein anderes adaptives Problem zu lösen. Als Konsequenz der in der kognitiven Psychologie vorherrschenden Annahme eines universellen informationsverarbeitenden Mechanismus wurde nur wenig Aufmerksamkeit darauf gerichtet, welche Art von Stimuli in kognitiven Experimenten verwendet werden. Kognitive Psychologen tendieren dazu, Stimuli auf der Basis einfacher Präsentierbarkeit und experimenteller Manipulierbarkeit auszuwählen. Dies führt zu KategorisierungsStudien, die Dreiecke, Vierecke und Kreise statt „natürlicher“ Kategorien wie Verwandtschaft, Freunde, Feinde oder essbare Dinge verwenden. Tatsächlich haben viele kognitive Psychologen absichtlich künstliche Stimuli ausgewählt, da sie sich von dem verunreinigten „Inhalt“ lösen wollen, mit dem die Studienteilnehmer Erfahrung haben könnten. Hunderte von Experimenten wurden durchgeführt, in denen „sinnlose Silben“ verwendet wurden, um Erinnerungsprozesse zu untersuchen, da die Forscher der Meinung waren, dass inhaltsreiche Wörter die Ergebnisse „kontaminieren“ würden. Die Verwendung künstlicher, inhaltsfreier Stimuli ist sinnvoll, wenn der Geist tatsächlich ein universeller Informationsverarbeiter ist. Dies nützt aber wenig, wenn kognitive Mechanismen spezialisiert sind, Informationen bestimmter Aufgaben zu verarbeiten. Wie bereits in Kapitel 2 diskutiert, wirft die Annahme eines universellen Mechanismus mindestens zwei wesentliche Probleme auf: (1) Was eine erfolgreiche adaptive Lösung ausmacht, unterscheidet sich von Funktionsbereich zu Funktionsbereich – die Qualitäten, die für erfolgreiche Nahrungsauswahl benötigt werden, unterscheiden sich von denen, die man für eine erfolgreiche Partnerwahl benötigt und (2) die Anzahl der möglichen Verhaltensweisen, die durch allgemeine Mechanismen entstehen, ist nahezu grenzenlos und der Organismus hätte somit keine Möglichkeit, die erfolgreichen adaptiven Lösungen aus der Flut erfolgloser herauszufinden (das Problem der kombinatorischen Explosion wie in Kapitel 2 diskutiert). Eine zweite Hauptannahme der traditionellen kognitiven Psychologie ist der funktionelle Agnostizismus – die Ansicht, dass informationsverarbeitende Mechanismen ohne Wissen über die adaptiven Probleme untersucht werden können, für die sie entwickelt wurden. Im Gegensatz dazu betreibt die evolutionäre Psychologie das Studium der menschlichen Kognition mit funktioneller Analyse. So wie wir die Leber nicht verstehen können, wenn wir nicht wissen, worin ihre Aufgabe besteht (Giftstoffe auszufiltern), so können wir gemäß der Auffassung der evolutionären Psychologen nicht verstehen, wie Menschen kategorisieren, denken, Urteile fällen und Dinge im Gedächtnis speichern und wieder abrufen, ohne die Funktionen der kognitiven Mechanismen zu verstehen, auf denen diese Aktivitäten basieren.
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Zusammengefasst ersetzen evolutionäre Psychologen die Hauptannahmen der vorherrschenden kognitiven Psychologie – universelle und inhaltsfreie Mechanismen sowie funktionellen Agnostizismus – mit einem unterschiedlichen Satz von Annahmen, die eine Integration mit dem Rest der Wissenschaft des Lebens ermöglichen (Tooby & Cosmides, 1992): 1. Der menschliche Geist besteht aus evolutionsbedingten informationsverarbeitenden Mechanismen, die in das Nervensystem des Menschen eingebettet sind. 2. Diese Mechanismen und die Entwicklungsprogramme, die sie erzeugen, sind Adaptationen, die durch die natürliche Selektion im Verlauf der evolutionären Geschichte in der Umwelt unserer Vorfahren entwickelt wurden. 3. Viele dieser Mechanismen sind auf Verhaltensweisen zur Lösung bestimmter adaptiver Probleme wie die Partnerwahl und das Erlernen von Sprache und Kooperation spezialisiert. 4. Um funktionell spezialisiert zu sein, sind viele dieser Mechanismen auf inhaltsspezifische Art und Weise strukturiert. Auf Basis der Arbeit von David Marr (1982) argumentieren Cosmides und Tooby (1994a), dass kognitive Psychologie in computational theories verankert ist: „Eine computational theory spezifiziert, was das Problem ist und warum es ein Instrument zu seiner Lösung gibt. Sie spezifiziert die Funktion eines informationsverarbeitenden Instruments.“ (S. 44). Die computational theory basiert auf den folgenden Aussagen: 1. Informationsverarbeitende Instrumente werden entwickelt, um Probleme zu lösen. 2. Sie lösen Probleme aufgrund ihrer Struktur. 3. Um die Struktur eines Instruments zu erklären, muss man deshalb wissen: a. welches Problem damit gelöst werden soll, b. warum es entwickelt wurde, um dieses Problem zu lösen (S. 44). Die computational theory allein kann nicht erklären, wie ein Mechanismus ein adaptives Problem löst, da es für jedes adaptive Problem viele Lösungen gibt. Warmblüter müssen beispielsweise das adaptive Problem der thermischen Regulierung lösen. Während Hunde dieses Problem durch die Verdunstung über die heraushängende Zunge lösen, verfügen Menschen über hunderttausende von Schweißdrüsen in der Haut. Computational theories liefern kein Schnellverfahren zur Durchführung wissenschaftlicher Experimente, um Hypothesen darauf zu testen, wie Organismen ihre Probleme tatsächlich lösen. Sie schränken jedoch die Suche ein, indem sie beschreiben, was als erfolgreiche Lösung gilt. Computational theories können daher tausende von Möglichkeiten ausschließen, die zur Lösung eines adaptiven Problems ungeeignet sind. Eine solche Einschränkung beim Menschen ist beispielsweise, dass die relevante Information zur Lösung des adaptiven Problems ein wiederkehrendes Merkmal der Umwelt unserer Vorfahren gewesen sein muss. Einige Forschungs-Programme in den Kognitions-Wissenschaften basieren auf diesen neuen Annahmen über die Natur der menschlichen Kognition, die versprechen, ganze Bereiche kognitiver Funktionen zu revolutionieren. Im Folgenden stellen wir einige Beispiele vor.
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
Problemlösungen: Heuristiken, Neigungen und Urteile unter Unsicherheit Ein Großteil der „höheren Kognition“ betrifft Problemlösung und Urteile unter Unsicherheit. Nach Ansicht vieler Forscher neigen Menschen zu Fehlern, wenn sie Probleme lösen und Entscheidungen unter Unsicherheit treffen sollen (z.B. Nisbett & Ross, 1980; Tversky & Kahneman, 1974). In der kognitiven Psychologie hat sich eine Unterdisziplin entwickelt, um die verschiedenen Fehler und Neigungen zu dokumentieren, für die Menschen anfällig sind. Hier sind zwei Beispiele: 1. Basisraten-Täuschung (base-rate fallacy): Menschen neigen dazu, Informationen über Basisraten zu ignorieren, wenn ihnen spezielle Informationen über den vorliegenden Einzelfall präsentiert werden. Basisraten beziehen sich auf die Verhältnisse in einer Stichprobe oder einer Population. Betrachten wir folgendes Beispiel: Stellen Sie sich einen Raum voller Menschen vor, von denen 70 Prozent Rechtsanwälte und 30 Prozent Ingenieure sind. Einer von ihnen ist ein Mann namens George, der keine Romane mag, am Wochenende Tischlerarbeiten macht und seine Stifte in seiner Brusttasche in einer Schutzhülle aufbewahrt. Sein eigener Schreibstil ist monoton und recht mechanisch und er hat ein großes Bedürfnis nach Ordnung und Genauigkeit. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass George (A) ein Rechtsanwalt oder (B) ein Ingenieur ist? Die meisten ignorieren die Information der Basisrate, die nahe legt, dass es wahrscheinlicher ist, dass George Rechtsanwalt ist (da 70 Prozent der Anwesenden Rechtsanwälte sind). Stattdessen legen sie viel Wert auf die hervorstechenden individuellen Informationen und erklären, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass George ein Ingenieur ist. Dieser Fehler – der Basisraten-Täuschung genannt wird, da Menschen dazu neigen, die tatsächlichen mathematischen Proportionen (in diesem Fall der Rechtsanwälte) zu ignorieren – verletzt die mathematische Formel, mit der die Basisrate und individuelle Informationen kombiniert werden sollten. 2. Die Konjunktions-Täuschung (conjunction fallacy): Wenn ich Ihnen sage, dass Linda gefärbte Batikshirts und Anstecker mit dem Aufdruck „Männer sind Schleim“ trägt und regelmäßig versucht, die Frauen an ihrem Arbeitsplatz zu organisieren, ist es dann wahrscheinlicher, dass Linda (A) eine Bankkauffrau oder (B) eine feministische Bankkauffrau ist? Die Mehrheit nimmt an, dass (B) wahrscheinlicher ist, obwohl dies die Gesamtheit der für die Logik geltenden Regeln verletzt (siehe Abbildung 13.1): B (feministische Bankkauffrauen) ist eine Untergruppe von A (Bankkauffrauen); daher ist die Wahrscheinlichkeit von A größer als die von B. Anders ausgedrückt, die Wahrscheinlichkeit der Konjunktion von „feministisch“ und „Bankkauffrau“ ist geringer als die für „Bankkauffrau“ allein, da Konjunktionen niemals die Wahrscheinlichkeit der sie konstituierenden Elemente übersteigen können. Da die Beschreibung von Linda jedoch die einer Feministin ist, ignorieren die meisten Menschen die Logik und folgen dem, was ihnen offensichtlich erscheint. Die umfangreiche Literatur mit Beispielen, die aufzeigen, wie töricht die Menschen sind, bereitet natürlich viel Spaß. Aber ist das Bild des Geistes, das dadurch porträtiert wird, korrekt? Ist die menschliche Kognition von Fehlern und Neigungen durchsetzt, nur weil Menschen grobe und fehleranfällige Vereinfachungen benutzen, wenn sie Urteile unter Unsicherheit treffen? Eine evolutionäre Perspektive würde, nach kurzem Zögern, diese
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Schlussfolgerung akzeptieren, wenn auch nur aus dem Grund, dass unsere Vorfahren mit hunderten von adaptiven Überlebens- und Reproduktionsproblemen konfrontiert waren. Alle Bankkauffrauen
feministische Bankkauffrauen
Abbildung 13.1: Venn-Diagramm der Bankkauffrauen und der feministischen Bankkauffrauen Feministische Bankkauffrauen bilden eine Untergruppe aller Bankkauffrauen; daher kann die Wahrscheinlichkeit, dass jemand eine feministische Bankkauffrau ist, logisch nicht höher sein als die Wahrscheinlichkeit, eine Bankkauffrau zu sein. Die meisten Studienteilnehmer sind jedoch der Meinung, dass es wahrscheinlicher ist, dass Linda eine feministische Bankkauffrau ist.
Tooby und Cosmides (1998) argumentieren, dass eine evolutionäre Perspektive ein Paradoxon darstellt, verglichen mit der Ansicht, dass Menschen kognitive Neigungen besitzen. Menschen lösen routiniert komplexe natürliche Aufgaben, von denen viele nicht in künstlichen Modellen der Intelligenz konstruiert werden konnten. In Bezug auf das Sehvermögen, die Erkennung von Objekten, die Induktion der Grammatik und Sprachwahrnehmung übertreffen Menschen spielend die Leistung künstlicher Systeme, obwohl die Wissenschaftler mit allen Werkzeugen der modernen Logik und formalen statistischen Entscheidungstheorien ausgestattet sind (Tooby & Cosmides, 1998). Das Paradoxon ist dieses: Wenn Menschen derart fehleranfällige kognitive Mechanismen aufweisen, wie können sie dann komplexe Probleme lösen, an denen jedes künstliche System, das man entwickeln kann, scheitert? Tooby & Cosmides argumentieren, dass dieses Paradoxon mithilfe einer sorgfältigen evolutionspsychologischen Analyse erklärt werden kann: „So wie in der Antike die Griechen Nicht-Griechen als Barbaren bezeichneten, weil diese schlecht Griechisch sprachen (und ihre Aussprache sich für griechische Ohren wie „ba-ba-ba“ anhörte), so könnten wir nun die Leistungen des menschlichen Geistes verkennen, weil unsere Kriterien für die Erkennung anspruchsvoller Leistungen beschränkt sind.“ (Tooby & Cosmides, 1998, S. 4). Sie sprechen sich für eine evolutionäre Theorie kognitiver Mechanismen aus, die ecological rationality (ökologische Rationalität) genannt wird. Im Lauf der Evolution wies die menschliche Umwelt bestimmte statistische Regelmäßigkeiten auf: Dem Regen folgte oft Donner, wütende Schreie führten manchmal zu Gewalt, aus verlängertem Augenkontakt ergab sich manchmal Sex, kam man einer Schlange zu nahe, wurde man gebissen und so weiter. Diese statistischen Regelmäßigkeiten nennt man ökologische Struktur. Ökologische Rationalität besteht aus im Laufe der Zeit entstandenen Mechanismen, die ökologische Entwurfsmerkmale enthalten, welche diese ökologische Struktur nutzen, um adaptive Probleme leichter lösen zu können.
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
Anders gesagt: die Gestalt und Form kognitiver Mechanismen ist auf wiederkehrende statistische Regelmäßigkeiten in der Umwelt unserer Vorfahren abgestimmt. Wir haben z.B. Angst vor Schlangen und nicht vor Steckdosen entwickelt, weil es eine wiederkehrende statistische Regelmäßigkeit zwischen Schlangen und Nerven schädigenden oder tödlichen Konsequenzen gab. Steckdosen jedoch sind eine relativ neue Erfindung, die sich daher noch nicht nachhaltig verankern konnte. Problemlösungsstrategien könnten also, kurz gesagt, perfekt dazu geeignet sein, bestimmte adaptive Probleme zu lösen, die sich im Lauf der evolutionären Geschichte wiederholten, während sie völlig ungeeignet sein können, künstliche oder neue Probleme zu lösen. Wenn das vorliegende Problem und das Problem, für das der Mechanismus entwickelt wurde, nicht zusammenpassen, kann dies zu Fehlern führen. Tooby und Cosmides (1998) gehen noch einen Schritt weiter. Inhaltsunabhängige Theorien der formalen Logik, die die Menschen nach Ansicht der Wissenschaftler anwenden sollen, eignen sich nur unzureichend zur Lösung adaptiver Probleme. Die Welt ist voller logisch willkürlicher Beziehungen: Dung ist für Menschen potentiell gefährlich, dient aber den Mistkäfern als Heimstatt. Die Anwendung formaler Logik kann somit nicht das adaptive Problem der Menschen lösen, den Verzehr von Mist zu vermeiden. Das Problem kann nur durch einen inhaltsspezifischen Mechanismus gelöst werden, der im Lauf der Evolution aufgrund der wiederkehrenden statistischen Regelmäßigkeiten, mit denen unsere Vorfahren konfrontiert waren, entwickelt wurde. Die Beurteilung menschlicher Leistungen anhand der Ergebnisse, die durch formale mathematische und statistische Theorien gewonnen werden, so Tooby und Cosmides, kann damit verglichen werden, die Gewinner eines Turniers im Bogenschießen „nicht dadurch zu beurteilen, wer das Ziel am häufigsten getroffen hat, sondern wer nach Ansicht der Jury beim Zielen die beste Haltung einnahm.“ (1998, S. 14). Die Lösung adaptiver Probleme, bei der unsere Vorfahren recht erfolgreich gewesen sein müssen, da sie sonst nicht unsere Vorfahren geworden wären, hängt immer von drei Bestandteilen ab: (1) dem Ziel, das erreicht werden soll (das Problem, das gelöst werden muss), (2) den Materialien, die dafür vorhanden sind und (3) dem Kontext, in den das Problem eingebettet ist. Es ist unmöglich, eine einzige „rationale“ Methode zu finden, die alle Probleme lösen kann und inhaltsunabhängig ist. Das Kriterium, durch das die „Richtigkeit“ der Lösungen eingeschätzt wird, ist evolutionär bedingt: Die Entscheidungen, die durch den kognitiven Mechanismus getroffen wurden, führten normalerweise zu besserem Überleben und erhöhten die Reproduktion in der Umwelt unserer Vorfahren – verglichen mit alternativen Entwürfen, die zu der Zeit vorhanden waren. Was aus dem Blickwinkel der Selektion zählt, ist nicht Wahrheit, Validität oder logische Konsistenz, sondern reproduktiver Erfolg: „Die Umwelt unserer Vorfahren und deren Leben bildeten das Versuchsfeld, in dem die alternativen Entwürfe kognitiver Instrumente gegeneinander ausgetestet wurden.“ (Tooby & Cosmides, 1998, S. 29). Bevor wir zu dem Schluss kommen, dass die menschlichen kognitiven Mechanismen mit Neigungen und Beurteilungsfehlern durchsetzt sind, ist es notwendig zu fragen, welche adaptiven Probleme die durch die Evolution hervorgebrachten kognitiven Mechanismen lösen sollten und was aus einer evolutionären Perspektive eine „angemessene Beurteilung“ oder „erfolgreiche Schlussfolgerung“ ausmacht. Wenn Menschen Schwierigkeiten
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haben, nachts die Farbe ihrer Autos auf Parkplätzen, die mit Natriumdampflampen beleuchtet sind, zu erkennen, so kommen wir nicht zu dem Schluss, dass unser visuelles System fehlerhaft ist. Unsere Augen haben sich entwickelt, um die Farbe von Gegenständen unter natürlichem und nicht unter künstlichem Licht wahrzunehmen (Shepard, 1992). Viele der Forschungsprogramme, die „Neigungen“ diverser Urteile dokumentiert haben, setzten künstliche, evolutionär einmalige experimentelle Stimuli ein, die analog zu den erwähnten Natriumdampflampen sind. In vielen Studien werden die Teilnehmer beispielsweise aufgefordert, Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen zu treffen, die auf einem einzigen Ereignis basieren (Gigerenzer, 1991, 1998). „Verlässliche numerische Daten über die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses waren im Pleistozän selten oder unbekannt, eine Schlussfolgerung, die durch die relativ geringe Häufigkeit von Zahlenangaben in modernen Jäger-Sammler-Gesellschaften bestätigt wird“ (Tooby & Cosmides, 1998, S. 40). Eine Frau kann nicht zu 35 Prozent schwanger sein. Entweder ist sie schwanger oder sie ist es nicht. Wahrscheinlichkeiten machen daher kaum Sinn, wenn sie auf einen einzigen Fall angewandt werden. Der menschliche Geist ist jedoch hervorragend geeignet, die Häufigkeit von Ereignissen zu speichern: Ich ging achtmal in das Tal; wie oft fand ich Beeren? Wie oft wurde ich zurückgewiesen, als ich die letzten drei Male meinen Arm um einen potentiellen Partner gelegt habe? Wenn einige Mechanismen des menschlichen Geistes dazu entwickelt wurden, die Häufigkeit von Ereignissen zu speichern und nicht die Einzelfallwahrscheinlichkeit, dann präsentieren Experimente, die Studienteilnehmer dazu auffordern, Wahrscheinlichkeiten von Einzelfällen zu errechnen, künstliche und evolutionär neue Stimuli analog zur Untersuchung des Sehvermögens unter Natriumdampflampen. Lassen Sie uns nun zwei Forschungsprogramme untersuchen, die auf evolutionärer kognitiver Psychologie basieren. Häufigkeitsdarstellungen und Urteile unter Unsicherheit. Gibt es Belege dafür, dass
kognitive Mechanismen entworfen wurden, um die Häufigkeit von Ereignissen zu speichern? Cosmides und Tooby (1996) bringen die Häufigkeits-Hypothese (frequentist hypotheses) vor: Einige Mechanismen des logischen Denkens beim Menschen entstanden, um Informationen über die Häufigkeit als Input aufzunehmen und als Output Informationen über die Häufigkeit zu erzeugen. Einige Vorteile der Häufigkeitsdarstellung sind (1) dass sie einer Person erlauben, die Anzahl der Ereignisse zu speichern, auf denen die Beurteilung basierte (z.B. wie oft ging ich in den letzten zwei Monaten in das Tal, um nach Beeren zu suchen?), (2) eine Person ist in der Lage, ihre „Datenbank“ zu vergrößern, wenn neue Ereignisse und Informationen dazukommen (z.B. die Hinzufügung von Informationen über den dritten Monat, in dem in dem Tal nach Beeren gesucht wird) und (3) sie erlauben es einer Person, neue Referenzklassen zu bilden, nachdem die Ereignisse erlebt und gemerkt wurden, und ermöglichen damit, die „Datenbank“ je nach Bedarf zu reorganisieren (z.B. sich zu erinnern, dass die Häufigkeit des Findens von Beeren im Tal davon abhängig war, ob man im Frühling oder im Herbst dort war). Häufigkeitsdarstellungen können wichtigen Input für Problemlösungs- und Entscheidungsmechanismen liefern. Betrachten wir folgendes Beispiel – das so genannte medizinische Diagnose-Problem: „Wenn ein Test, durch den eine Krankheit erkannt werden kann, deren Prävalenz 1/1000 ist, eine Falsch-positiv-Rate von 5% aufweist [d.h. bei 5% derjenigen, die die Krankheit nicht
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
haben, zeigt der Test deren Vorliegen an], wie groß ist dann die Chance, dass eine Person mit einem positiven Testergebnis tatsächlich an der Krankheit leidet, wenn angenommen wird, dass nichts über die Symptome der Person bekannt ist? ______ %“ (Cosmides & Tooby, 1996, S. 21). Bei einer Stichprobe von Experten der Harvard Medical School beantworten nur 18 Prozent die Frage mit 2%, was nach den meisten Interpretationen dieses Problems die „richtige“ Antwort ist. Ein Großteil, nämlich 45 Prozent der Experten, antworteten mit 95%, was nahe legt, dass sie die Informationen über die Basisraten der Krankheit ignoriert haben. Aber wie sieht die Sache aus, wenn man das Problem auf Basis der Häufigkeitsinformation präsentiert? Das ist genau das, was Cosmides und Tooby (1996) taten: Einer von 1.000 Amerikanern leidet an der Krankheit X. Ein Test zur Erkennung der Krankheit X wurde entwickelt. Jedes Mal, wenn der Test an einer erkrankten Person durchgeführt wird, fällt der Test positiv aus (d.h. die „Richtig-positiv-Rate“ beträgt 100%). Aber manchmal zeigt der Test auch dann ein positives Ergebnis an, wenn er an einer völlig gesunden Person durchgeführt wird. Genauer gesagt, von 1.000 völlig gesunden Menschen erhalten 50 ein positives Testergebnis (d.h. die „Falsch-positiv-Rate“ beträgt 5%). Stellen Sie sich nun vor, man hat eine zufällige Stichprobe mit 1.000 Amerikanern zusammengestellt, die durch ein Zufallsverfahren ausgesucht wurden. Denjenigen, die die Zufallsstichprobe zusammenstellten, lagen keine Informationen über den Gesundheitszustand dieser Menschen vor. Auf der Basis der oben genannten Informationen: Wie viele der Menschen, die einen positiven Befund erhalten, leiden tatsächlich an dieser Krankheit? ___ von ___ (S. 24). Die richtige Antwort lautet: etwa 2%. Im Gegensatz zu dem ursprünglichen medizinischen Diagnose-Problem, gaben hier 76 Prozent der Studienteilnehmer (Studenten in Stanford) die richtige Antwort, während lediglich 12 Prozent auf die richtige Lösung kamen, wenn das Problem in der ursprünglichen Form präsentiert wurde. Wird die Information in einem Format präsentiert, das Häufigkeiten enthält, erhöht sich die Leistung dramatisch. Aber stellen 76% richtiger Antworten eine Art oberes Limit bei Fragestellungen dieser Art dar? Ein Grund für die Annahme, dass sich die Leistung noch steigern lässt, liegt in der Tatsache, dass die Information in Schriftform übermittelt wurde, die von Menschen erst seit etwa fünftausend Jahren verwendet wird. Wie sieht es aus, wenn die Studienteilnehmer die Information in visueller Form darstellen sollen? Um zu prüfen, ob sich die Leistung der Teilnehmer verbessern würde, wenn die Information visuell präsentiert wird, verwendeten Cosmides und Tooby (1996) eine Fragestellung, die fast identisch mit der oben genannten war, fügten aber einer zufälligen Stichprobe mit Menschen, die auf die Krankheit getestet wurden, visuelle Abbildungen hinzu sowie die folgende Instruktion, wie diese zu interpretieren waren: Die unten abgebildeten 100 Quadrate repräsentieren eine zufällige Stichprobe von 100 Amerikanern. Jedes Quadrat stellt eine Person dar. Unter Verwendung dieser Information bitten wir Sie, die weiter oben gegebenen Informationen darzustellen. Um anzuzeigen, dass eine Person an der Krankheit leidet,
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fordern wir Sie auf, einen Kreis um das entsprechende Quadrat zu zeichnen. Um anzuzeigen, dass eine Person positiv auf die Krankheit getestet wurde, sollen Sie das entsprechende Quadrat ausmalen. Gegeben die oben genannten Informationen: (1) Zeichnen Sie einen Kreis um die Anzahl der Menschen, die an der Krankheit leiden. (2) Füllen Sie die Quadrate aus, die Menschen darstellen, die positiv auf die Krankheit getestet wurden. (3) Wie viele der Menschen, die positiv auf die Krankheit getestet wurden, sind tatsächlich an der Krankheit erkrankt? _____ von _____ (S. 34). Die Ergebnisse dieser Studie sowie der vorherigen werden in Abbildung 13.2 gezeigt. Erstaunlicherweise kamen 92 Prozent der Teilnehmer auf die richtige Antwort, als die Information bildlich dargestellt werden sollte. Wird die Information verbal in Form von Häufigkeiten präsentiert, kommen drei Viertel der Teilnehmer auf die richtige Antwort; wird die Häufigkeitsdarstellung jedoch außerdem visuell veranschaulicht, kommen fast alle Teilnehmer auf die richtige Antwort. Diese Ergebnisse lassen sich wie folgt interpretieren; Menschen ignorieren bei Urteilen die Basisraten nicht, solange diese auf eine Art dargestellt werden, die der Art von Input entspricht, den unsere Vorfahren verarbeiten konnten. Cosmides und Tooby (1996) argumentieren nicht, dass alle kognitiven Mechanismen dazu entwickelt wurden, Informationen über die Häufigkeit von Ereignissen zu verarbeiten. Vielmehr behaupten sie, dass einige Arten der Entscheidungsfindung, die unter Bedingungen der Unsicherheit stattfinden, der Verarbeitung von Häufigkeitsinformationen bedürfen. Die Bereiche, die Informationen über die Häufigkeit von Ereignissen benötigen, sind diejenigen, in denen sich die Informationen im Laufe des Lebens einer Person oder über mehrere Generationen hinweg schnell verändern – Bereiche wie die Auffindung von Großwild, die Verteilung essbarer Pflanzen und die Ortung von Raubtieren. Ortsgebundene Stichproben aus Ereignissen im Lauf des Lebens einer Person sind notwendig, da ortsgebundene Häufigkeiten die beste Grundlage für Vorhersagen bieten. 100 Prozent richtiger Antworten
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Nicht-Frequentistisch Frequentistisch
92
80 76
70 60 50 40 30
Frequentistisch
20 10
Nicht-Frequentistisch
12
0 Original
Verbal
Aktiv Bildlich
Abbildung 13.2: Vergleich der richtigen Antworten in der ursprünglichen Nicht-Häufigkeits-Version mit den zwei Häufigkeits-Versionen Bei der aktiven visuellen Fragestellung, die den höchsten Prozentsatz richtiger Antworten erreichte, waren die Teilnehmer aufgefordert, die Häufigkeit darzustellen. Quelle: Cognition, 58, L. Cosmides & J. Tooby, Are humans good intuitive statisticians after all? Rethinking some conclusions from the literature on judgment under uncertainty. 1-73, Copyright © 1996 by Elsevier Science.
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
Insgesamt stellen diese Ergebnisse eine Herausforderung für die vorherrschenden kognitiven Ansichten dar, dass die Problemlösefähigkeit des Menschen mit Fehlern und Neigungen durchsetzt ist (Cummins & Allen, 1998). Evolutionspsychologische Analysen sind bei der Identifizierung adaptiver Probleme hilfreich, zu deren Lösung der menschliche Geist entwickelt wurde. Dies beinhaltet ein Verständnis der Informationsformate, die Menschen verarbeiten können. Die Durchführung von Experimenten, die Informationsformate verwenden, die Menschen auch fähig sind zu verarbeiten, liefern ein unterschiedliches Bild über die kognitiven Fähigkeiten der Menschen bei Urteilen unter Unsicherheiten (siehe auch Wang, 1996). Das Bild kognitiver Mechanismen, das durch diese Denkweise dargestellt wird, stellt einen Unterschied zu dem vorherrschenden Bild genereller Mechanismen und grober Heuristiken dar. Statt einer einzigen allgemeinen Intelligenz verfügen Menschen über mehrere Intelligenzformen. Statt einer allgemeinen Fähigkeit des logischen Denkens, verfügen Menschen über viele spezialisierte Fähigkeiten, abhängig von der Natur des adaptiven Problems, das durch die Selektion gelöst werden sollte. Statt einer allgemeinen Fähigkeit zu lernen, zu imitieren, Mittel-Zweck-Beziehungen zu kalkulieren, Ähnlichkeiten zu berechnen, Konzepte zu bilden, sich an Dinge zu erinnern und Repräsentativität zu berechnen, schlägt die evolutionäre Psychologie vor, dass der menschliche Geist mit komplexen und problemspezifischen kognitiven Mechanismen ausgefüllt ist, von denen jeder zur Lösung unterschiedlicher adaptiver Probleme entstand. Da viele der wichtigsten adaptiven Probleme, denen unsere Vorfahren gegenüberstanden, sozialer Natur waren, kann das Studium der menschlichen Kognition nicht vom Studium sozialer Interaktionen getrennt werden: „Die zugrunde liegenden Mechanismen, die auf der kognitiven Ebene beschreibbar sind, organisieren alle Gedanken und das Verhalten – nicht nur Wissenserwerb – und deshalb muss die kognitive Psychologie ihren Kompetenzbereich erweitern, um sie einzuschließen.“ (Cosmides & Tooby, 1994b, S. 105).
Die Evolution der Sprache Sprache ist eine Fähigkeit mit überraschenden Eigenschaften: „Indem wir mit unserem Mund Geräusche machen, können wir im Geist des anderen neue Ideen entstehen lassen.“ (Pinker, 1994, S. 15). Für einige scheint das Studium der Sprache der ehrenvollste Beruf der Welt, die Erforschung der Krone der menschlichen Schöpfung zu sein. Andere beschwören Bilder von verkniffenen Lehrern herauf, die Kinder tadeln, weil sie Grammatikregeln brechen. Wie auch immer die vorgefassten Meinungen sind, das Studium der Sprache ist voller Kontroversen. Professor Steven Pinker sagte einst zu einem Forscher in der ihm eigenen witzigen Art: „Sie sollten froh sein, dass Sie unverfängliche Themen wie Täuschung und sexuellen Betrug und keine wirklich kontroversen Themen wie unregelmäßige Verben studieren!“ Sprache ist ein komplexes Thema und ein kurzer Abschnitt innerhalb eines Kapitels wird ihr bei weitem nicht gerecht. In diesem Abschnitt konzentrieren wir uns auf zwei Themen, die für die evolutionäre Psychologie von großer Bedeutung sind: (1) Stellt Sprache eine Adaptation dar? (2) Zur Lösung welcher evolutionsbedingter adaptiver Probleme entwickelte sich die Sprache?
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Ist Sprache eine Adaptation oder ein Nebenprodukt? In dieser Debatte stehen sich zwei Seiten gegenüber. Die eine Seite wird von dem berühmten Linguisten Noam Chomsky und dem verstorbenen Paläontologen Stephen Jay Gould vertreten. Sie argumentierten, dass Sprache keine Adaptation, sondern ein Nebenprodukt oder ein Nebeneffekt des gewaltigen Wachstums des menschlichen Gehirns darstellt (Chomsky, 1991; Gould, 1987). Chomsky und Gould erkennen an, dass das Wachstum des Gehirns selbst aus der natürlichen Selektion resultiert. Ihr Argument lautet, dass Sprache spontan als einer der vielen Nebeneffekte entstand, nachdem das Gehirn seine gegenwärtige Größe und Komplexität erreicht hatte. Wenn man Milliarden von Neutronen in den kleinen Raum packt, der durch den Schädel begrenzt wird, materialisiert sich die Sprache ganz von alleine. Dies ist mit der Hitze vergleichbar, die durch eine Leselampe erzeugt wird. Man kann keine Lampe erfinden, die Licht gibt, ohne als Nebenprodukt Hitze zu erzeugen (siehe Kapitel 2). Sprache ist für das große menschliche Gehirn wie Hitze für die Leselampe – ein Produkt, das sich ergibt, aber für seine Funktion oder seinen Zweck nicht zentral ist. Wenn diese Erklärung auf Basis der Lampe klar, im Fall der Sprache aber etwas mysteriös erscheint, dann deswegen, weil die Gesetze der Physik bekannt sind, nach denen Hitze als Nebenprodukt entsteht, aber das Gesetz der Physik, nach dem Sprache aus eng zusammengepackten Neutronen entstehen soll, noch nicht formuliert wurde. Einige finden das Argument von Chomsky und Gould recht mysteriös. Trotz des Standpunktes, dass Sprache keine Adaptation ist, die durch die natürliche Selektion entstand, behauptet Chomsky, dass die der Sprache zugrunde liegende Grammatik angeboren und nicht erworben und universell in allen Menschen vorhanden ist.
Das andere Ende dieses konzeptionellen Spektrums wird von dem evolutionären Psychologen Steven Pinker angeführt. Er definiert Sprache als eine Adaptation par excellence – entstanden durch die natürliche Selektion für die Kommunikation von Informationen (Pinker & Bloom, 1990; Pinker, 1994). Pinker argumentiert, dass die Tiefenstruktur der Grammatik für die Funktion der Kommunikation zu gut entworfen ist, um nur ein zufälliges Nebenprodukt großer Gehirne zu sein. Sie enthält Elemente, die universell in allen Sprachen vorkommen: die wichtigsten lexikalischen Kategorien wie Substantive, Verben, Adjektive und Präpositionen und Regeln, die die Struktur von Sätzen bestimmen. Die Regeln der linearen Ordnung geben an, welche Wörter an welcher Stelle stehen müssen, um die richtige Aussage auszudrücken (z.B. „Hund beißt Mann“ unterscheidet sich von „Mann beißt Hund“). Alle Sprachen beinhalten Verb-Affixe, die die temporale Einordnung des Ereignisses signalisieren (in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft) und viele andere wichtige und universelle Komponenten. Pinker deutet darauf hin, dass Kinder schon früh im Leben, normalerweise im Alter von drei Jahren, ohne formellen Unterricht oder Instruktionen komplexe grammatikalische Sätze sprechen können. Sie befolgen dabei subtile Grammatikregeln, die in ihrer Umwelt nicht offensichtlich sind. Zudem ist Sprache mit bestimmten Gehirnregionen, dem Wernicke- und Broca-Zentrum verbunden und Schäden in diesen Regionen führen zu einer Beeinträchtigung der Sprache. Der vokale Bereich der Menschen, im Gegensatz zu dem anderer Primaten, scheint speziell dafür entwickelt zu sein, eine Vielzahl von Geräuschen zu erzeugen, die für Sprache erforderlich sind wie beispielsweise der Kehlkopf, der tief im Rachen lokalisiert ist. Schließlich zeigt die auditive Wahrnehmung – unsere Mecha-
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
nismen zum Hören von Geräuschen – präzise zusätzliche Spezialisierungen, die es uns ermöglichen, Sprachgeräusche anderer Menschen zu entschlüsseln. Zählt man all diese Punkte zusammen, so sagen sie nach Pinker aus, dass Sprache eine Adaptation darstellt, ähnlich wie die Echo-Ortung der Fledermäuse, die Fühler der Insekten oder die stereoskopische Sicht der Affen. Sprache zeigt universelle Komplexitäten des Entwurfs für die Kommunikation von Informationen und die einzig bekannte Erklärung für die Ursprünge komplexer organischer Strukturen ist die Evolution durch die natürliche Selektion (Pinker & Bloom, 1990). Pinker behauptet, dass Sprache einen „Instinkt“ in dem Sinne darstellt, dass „Menschen ihre Sprache nutzen können ebenso wie Spinnen Netze zu spinnen wissen. ... Sprache ist eine biologische Adaptation, um Informationen zu kommunizieren.“ (Pinker, 1994, S. 18-19). Wann genau Sprache entstand, werden wir wahrscheinlich niemals genau wissen. Einige datieren die Ursprünge auf etwa vierzig- oder fünfzigtausend Jahre zurück, was etwa mit der Entwicklung von Kunst, Werkzeugen, Technologie und Artefakten, wie in Kapitel 1 diskutiert, korrespondiert. Andere datieren den Ursprung der Sprache auf etwa eine halbe Million Jahre zurück. Andere wiederum schlagen vor, dass Sprache mit dem Homo erectus vor etwa zwei Millionen Jahren entstand. Unabhängig davon, wann sie entstand, was vielleicht niemals geklärt werden wird, lautet eine dringendere und möglicherweise beantwortbare Frage, warum sich Sprache entwickelte. Zur Lösung welcher adaptiver Probleme entwickelte sich die Sprache? Die vorherrschende Theorie über die Funktion der Sprache lautet, dass sie sich entwickelte, um die Kommunikation, den Austausch von Informationen zwischen Individuen, zu vereinfachen (Pinker, 1994). Informationsaustausch konnte bei unzähligen Aufgaben hilfreich sein: Freunde und Familie vor Gefahr zu warnen, Verbündete darüber zu informieren, wo sie reife Beeren finden können, die Koordination einer Koalition für die Jagd oder den Krieg, Anweisungen für den Bau von Unterkünften, Werkzeugen oder Waffen zu erteilen und vieles mehr. Innerhalb des letzten Jahrzehnts wurden drei konkurrierende Theorien über die Funktion der Sprache vorgeschlagen, die alle soziale Funktionen beinhalten.
Die erste ist die social gossip hypothesis (soziale Tratsch-Hypothese) (Dunbar, 1996). Nach dieser Hypothese entwickelte sich Sprache, um Bindungen in großen Gemeinschaften zu vereinfachen. Der Evolutionswissenschaftler Robin Dunbar argumentiert, dass sich Sprache entwickelte, um im exponentiell komplexen Netzwerk sozialer Beziehungen auf dem Laufenden zu bleiben: wer hat Sex mit wem, wer hat wen betrogen, wem kann man ein Geheimnis anvertrauen, wer ist ein guter Freund oder Koalitionspartner, welche Allianzen drohen zu zerbrechen und wer hat welchen Ruf. Dunbar argumentiert, dass Sprache eine Form des „sozialen Entlausens“ darstellt. Mit der zunehmenden Größe einer Gruppe war es unmöglich, die erforderliche Zeit aufzubringen, um seine Verbündeten zu entlausen, wie dies unter Schimpansen üblich ist. Sprache entwickelte sich, um den sozialen Zusammenhalt großer Gruppen durch Tratsch in seiner allgemeinsten Form zu fördern, durch einen Informationsaustausch darüber, wer was tut. Eine weitere Idee über den Ursprung und die Funktion von Sprache ist die social contract hypothesis (Hypothese des sozialen Vertrags) (Deacon, 1997). Nach dieser Hypothese nahmen die Partnerprobleme mit dem Aufkommen der Großwildjagd immer mehr zu.
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Männer mussten ihre Partnerinnen alleine lassen während sie auf der Jagd waren und riskierten damit Untreue und boten Angriffsfläche zur Ausnutzung. Nach dieser Idee entwickelte sich Sprache, um Eheverträge zu vereinfachen. Männer und Frauen konnten öffentlich ihre Partnerbindung bekannt machen und so einander und jedem in der Gruppe signalisieren, dass der Partner für andere tabu ist. Diese Hypothese weist viele Ungereimtheiten auf: Sie kann weder erklären, wie sich große geschlossene Gemeinschaften gebildet haben, noch, warum andere Arten Partnerprobleme lösen können ohne auf Sprache zurückzugreifen, und sie kann auch nicht erklären, warum Eheverträge so oft scheitern (Barrett, Dunbar & Lycett, 2002). Eine dritte Hypothese wurde nach der Hauptperson der „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“ die Scheherazade-Hypothese genannt (Miller, 2000). Um zu verhindern, dass sie getötet wird, ergötzte Scheherazade den König mit unterhaltsamen Geschichten, so dass er jeden Morgen entschied, sie doch nicht töten zu lassen. Das Argument lautet, dass das große menschliche Gehirn im Wesentlichen wie das Rad des Pfaus ist, ein sexuell selektiertes Organ, das sich entwickelte, um potentiellen Partnern herausragende Fitness zu signalisieren. Indem man potentielle Partner mit Humor, Geist, exotischen Geschichten und Wortmagie blendete, hatten diejenigen mit überlegenen Sprachfähigkeiten Vorteile gegenüber ihren nuschelnden, nach Worten suchenden Konkurrenten. Obwohl diese Hypothesen manchmal diskutiert werden, als ob sie in Konkurrenz zueinander stünden oder sich widersprechen würden, ist es auch möglich, dass sich die Sprache im Lauf der Zeit entwickelte, um mehrere adaptive Probleme zu lösen, was immer auch den auslösenden Impuls darstellte. Sprache wird zum Austausch von Informationen über die physische wie auch die soziale Welt angewandt (Cartwright, 2000) und so sollte die vorherrschende Theorie der Informationskommunikation nicht verworfen werden. Nachdem sich Sprache entwickelt hatte, gab es keinen Grund anzunehmen, dass die Selektion die Verwendung der Sprache auf ihre ursprüngliche Funktion begrenzt hätte. Die Sprache entwickelte sich weiter und wurde für soziale Bindungen, die Überwachung von Betrügern, das Umwerben von Partnern, die Bildung von Eheverträgen und die Vereinbarung von Friedensverträgen mit benachbarten Gruppen angewandt. Man kann mit Sprache andere beeinflussen und manipulieren, was „machiavellistische Intelligenz“ genannt wurde (Byrne & Whiten, 1988). Zudem wurde empirisch dokumentiert, dass Personen die Sprache regelmäßig zur Manipulation ihres Ansehens bei Partnern benutzen und die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen versuchen, indem sie diese abwerten (Buss & Dedden, 1990; Schmitt & Buss, 1996). Zusammenfassend kann man sagen, dass – obwohl anfängliche Formulierungen die Kommunikation oder den Informationsaustausch als die evolutionsbedingte Funktion der Sprache betont haben – es wahrscheinlich ist, dass sich die Sprache anschließend weiterentwickelte und eingesetzt wurde, um eine Vielzahl sozialer adaptiver Probleme zu lösen. Dies beschreibt ein Schlüsselthema dieses Kapitels: Obwohl Sprache, geschichtlich gesehen, als Unterdisziplin der kognitiven Psychologie angesehen wird, kann sie nicht von der Sozialpsychologie, der wir uns nun widmen, getrennt werden.
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
13.2
Evolutionäre Sozialpsychologie
Viele der wichtigsten adaptiven Probleme, denen die Menschen im Lauf der letzten Millionen Jahre gegenüberstanden, sind sozialer Natur: das Aushandeln sozialer Hierarchien, die Bildung langfristiger sozialer Beziehungen, Sprache als Mittel der Kommunikation und Beeinflussung anderer, die Bildung kurz- und langfristiger Partnerschaften, seinen sozialen Ruf in einer Umgebung sich verändernder Allianzen und Rivalitäten zu bewahren, sich um Familienangehörige unterschiedlichen und teilweise unbekannten Grades genetischer Verwandtschaft zu kümmern. Da viele adaptive Probleme sozialer Natur sind, sollte der menschliche Geist reich mit psychologischen Mechanismen ausgestattet sein, die sozialen Lösungen dienen. Ein Großteil der evolutionären Psychologie ist daher die evolutionäre Sozialpsychologie (Simpson & Kenrick, 1997). Die evolutionäre Sozialpsychologie bietet die Aussicht, einige der tief gehenden Fragen über den Menschen zu beantworten. Warum leben Menschen in Gemeinschaften? Warum gehen Menschen Beziehungen ein – Partnerschaften, Freundschaften, Koalitionen und Familienbande, die Jahre und Jahrzehnte überdauern? Warum suchen wir Partner und Freunde nach bestimmten Präferenzen aus und welche Selektionskriterien wenden wir dabei an? Warum kooperieren Menschen mit einigen und konkurrieren mit anderen? Warum sind soziale Beziehungen manchmal voller Konflikte und Zwietracht und dann wieder durch Liebe und Einverständnis charakterisiert? Ist Liebe, wie die Beatles vorschlagen, alles was wir brauchen? Da die meisten sozialen Interaktionen im Kontext von Beziehungen stattfinden, sollten Fragen über die Psychologie von Beziehungen die Grundlagen der Sozialpsychologie bilden. Diese Konzentration auf Beziehungen steht in scharfem Widerspruch zu den gegenwärtigen Auffassungen der vorherrschenden Sozialpsychologie, die dazu tendiert, „phänomenbezogen“ zu sein. Typischerweise werden einige interessante, kontra-intuitive oder anormale Beobachtungen notiert und empirisch dokumentiert. Beispiele sind (1) die Übereinstimmungs-Tendenz (correspondence bias), die Tendenz, das Verhalten eines Menschen dadurch zu erklären, dass überdauernde Positionen ins Feld geführt werden, selbst wenn nachgewiesen werden kann, dass situationsbezogene Gründe verantwortlich sind (Gilbert & Malone, 1995; Ross, 1981); (2) der soziale Bummelei-Effekt (social loafing effect), die Tendenz von Individuen, weniger Arbeit in eine Gruppe mit gemeinsamen Zielen einzubringen, wenn die Gruppe größer wird (Latané, 1981); die (3) Selbstbehinderung (self-handicapping), die Tendenz, in der Öffentlichkeit auf eine eigene Schwächen hinzudeuten, um eine Entschuldigung für den Fall vorbringen zu können, dass man an einer Aufgabe scheitert (Leary & Shepperd, 1986); (4) eigennützige Tendenzen (self-serving bias), die Tendenz, sich selbst mit Dingen zu rühmen, die einen in einer Gruppe besser aussehen lassen (Nisbett & Ross, 1980); (5) die Bestätigungs-Tendenz (confirmation bias), die Tendenz, selektiv Informationen auszuwählen, die eine bereits bestehende Hypothese bestätigen (statt zu widerlegen) (Hansen, 1980) und viele andere mehr. Die Sozialpsychologie hat so eine Anzahl interessanter Beschreibungen empirischer Phänomene von beträchtlicher Bedeutung angehäuft. Aber sie hat bisher noch keine Theorie entwickelt, die stark genug ist, um die Ursprünge dieser Phänomene zu erklären oder zu zeigen, wie sie sich innerhalb eines breiteren Verständnisses menschlicher Psychologie
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einfügen. Die evolutionäre Psychologie bildet den fehlenden Rahmen, um die empirischen Entdeckungen der Sozialpsychologie theoretisch zu verankern. Zwei bedeutende Wege zur Entwicklung der Sozialpsychologie sind: (1) Kapital schlagen aus evolutionären Theorien der sozialen Interaktionen und (2) die Anwendung evolutionärer Psychologie als Heuristik oder Leitfaden zur Entdeckung wichtiger sozialer Probleme.
Kapital schlagen aus Evolutionstheorien über soziale Phänomene Die meisten theoretischen Fortschritte in der Evolutionsbiologie betreffen soziale Phänomene, allerdings wurden diese wichtigen Theorien fast vollständig von den Hauptvertretern der Sozialpsychologie ignoriert. Die erste ist die inklusive Fitness-Theorie (Hamilton, 1964). Diese Theorie, die die klassische Fitness ausweitet um die Handlungen eines Organismus, die Fitness-Auswirkungen auf andere Organismen, die Kopien seiner Gene tragen, miteinzubeziehen, war die erste, die viele Themen rund um den sozialen Altruismus lösen konnte. Eine direkte Auswirkung besteht darin, dass altruistische Handlungen auf Organismen gerichtet sein sollten, die (1) Kopien der Gene des Helfenden in sich tragen und (2) die Fähigkeit aufweisen, diese Hilfestellungen in größere Überlebenschancen oder eine vermehrte Reproduktion umzuwandeln. Sozialpsychologen, die begonnen haben, die Auswirkungen dieser Theorie auf Menschen zu untersuchen, kamen zu neuen und aufregenden Ergebnissen. Die Wahrscheinlichkeit, sein eigenes Leben zu riskieren, um das eines anderen zu retten, ist beispielsweise eine direkte Funktion des Grades der genetischen Verwandtschaft mit dem in Not Geratenen (Burnstein et al., 1994). Die Theorie der inklusiven Fitness hat grundlegende Auswirkungen auf die Sozialpsychologie der Familie, Altruismus, Helfen, Koalitionen und sogar Aggression. Künftige Forschungen werden eine faszinierende Sammlung anderer psychologischer Mechanismen entdecken, die aus der inklusiven Fitness-Theorie folgen. Die zweite für die Sozialpsychologie wichtige Evolutionstheorie ist die sexuelle Selektion, die besagt, dass Evolution durch Paarungsvorteile stattfinden kann, die dadurch entstehen, (1) dass man intrasexuelle Konkurrenten aussticht und (2) bevorzugt von den Angehörigen des anderen Geschlechts als Partner ausgewählt wird (Darwin, 1871). Diese Theorie hat sich bereits als unschätzbar bei der Entdeckung psychologischer Schlüsselmechanismen bei gleichgeschlechtlichem Wettbewerb, Totschlag und anderen Formen der Gewalt, dem Eingehen von Risiken, Partnerwahl, Konflikten zwischen den Geschlechtern, Geschlechtsunterschieden bei Statusbestrebungen und sogar Geschlechtsunterschieden beim Sterberisiko erwiesen. Die Theorie der sexuellen Selektion stellt die interessanteste Theorie zur Integration vieler Geschlechtsunterschiede bei Menschen und anderen Primaten dar (Buss, 1996a). Die dritte wichtige Theorie ist die der elterlichen Investitionen, die eine theoretische Vorhersage der Funktionsweise der zwei Komponenten sexueller Selektion liefert (Trivers, 1972). Genauer gesagt, das Geschlecht, das mehr in die Nachkommen investiert, ist bei der Partnerwahl wählerischer. Das weniger investierende Geschlecht ist bei der Partnerwahl weniger wählerisch, verhält sich aber seinem eigenen Geschlecht gegenüber kompetitiver, um sexuellen Zugang zu dem viel investierenden Geschlecht zu erhalten. Diese
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
Theorie führte zu vielen wichtigen Entdeckungen über Strategien menschlichen Paarungsverhaltens (Buss, 1994; Ellis & Symons, 1990; Kenrick & Keefe, 1992) und verspricht viele weitere Entdeckungen. Die Theorie des reziproken Altruismus bietet der Sozialpsychologie einen vierten theoretischen Pfeiler (Axelrod & Hamilton, 1981; Trivers, 1971; Williams, 1966). Diese Theorie bietet eine evolutionäre Erklärung für viele bedeutende soziale Phänomene wie Freundschaft, Kooperation, Helfen, Altruismus und sozialen Austausch. Sie gewährt auch Einblicke in die Analyse enger Beziehungen, zu denen Freundschaften und kooperative Koalitionen gehören. Sozialer Austausch ist ein wiederkehrendes Thema innerhalb der vorherrschenden Sozialpsychologie. Evolutionstheorien über den reziproken Altruismus und verwandte Theorien bieten eine evolutionäre Erklärung für deren Bedeutung und machen Vorhersagen über ihre Form (z.B. Cosmides & Tooby, 1992). Fünftens bietet die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts einen weiteren konzeptionellen Anknüpfungspunkt für die Sozialpsychologie (Trivers, 1974). Diese Theorie liefert präzise Vorhersagen über die dynamischen Konstellationen von Familien. Während Konflikte innerhalb von Familien oft als Symptome von Funktionsstörungen angesehen werden, sagt die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts voraus, dass solche Konflikte in den meisten Familien vorkommen. Sie liefert auch eine Erklärung für die Rivalität unter Geschwistern. Sie erklärt das erhöhte Vorkommen von Kindesmisshandlungen in Stieffamilien. Sie sagt ebenso einen Konflikt zwischen Mutter und Kind über den Zeitpunkt des Abstillens hinaus voraus. „Die Theorie des Eltern-Kind-Konflikts trifft Vorhersagen über Konflikte zwischen Kindern und ihren Eltern über Aktivitäten wie außereheliche Verhältnisse, die vorteilhaft für das Elternteil aber kostspielig für das Kind sind.“ (Friedman & Duntley, 1998). Sie bietet ein Rahmenwerk für viele weitere Phänomene, die bisher von keiner innerhalb der Sozialpsychologie existierenden Theorie vorhergesagt wurden. Zusammengefasst bieten die theoretischen Fortschritte der Evolutionsbiologie für die Sozialpsychologie kraftvolle Werkzeuge zur Verankerung und Integration sozialer Phänomene. Sie liefern auch Anhaltspunkte für wichtige Bereiche der Forschung.
Die Evolution moralischer Emotionen Betrachten wir folgendes hypothetische Dilemma: Ein Gebäude steht in Flammen. Sie können durch die linke Tür laufen und einige Kinder retten, die nicht mit Ihnen verwandt sind oder Sie können durch die rechte Tür laufen und Ihr eigenes Kind retten (Pinker, 2002). Wenn Sie Eltern sind, wie viele Kinder müssten Sie retten, um die linke Tür zu wählen und Ihr eigenes Kind verbrennen zu lassen? Gibt es eine Anzahl, die Sie dazu veranlassen könnte, Ihr eigenes Kind in den Flammen sterben zu lassen? Die menschliche Intuition stimmt mit den Evolutionstheorien darin überein, dass unsere moralischen Maßstäbe zum Vorteil unserer genetischen Verwandten ausgerichtet sind. Aber sollte moralisches Verständnis uns nicht dazu bringen, uns über genetische Eigeninteressen zu erheben? Verdammt uns die Anerkennung der evolutionären Psychologie zu einer menschlichen Natur unmoralischer Egoisten? Dieser Abschnitt betrachtet die Evolution moralischer Emotionen und warum sie zu einigen überraschenden Einstellungen führt.
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Die meisten Menschen haben das Gefühl, dass Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung, Inzest und Kindesmisshandlung moralisch falsch sind. Aber was sind die Ursachen für diese moralischen Ansichten? Historische Ansätze zur Moral wurden von „rationalen“ Theorien dominiert, in denen Menschen durch moralisches Denken zu einer solchen Einschätzung kommen (Haidt, 2001). Es wird vermutet, dass wir mittels Logik und Rationalität richtig und falsch, Verletzung und Missetat, Gerechtigkeit und Fairness in die Waagschale werfen und so zur moralisch richtigen Antwort gelangen. Kürzlich forderte der Psychologe Jon Haidt diese Ansicht heraus und argumentierte stattdessen, dass Menschen moralische Emotionen entwickelt haben, die schnelle, automatische Einschätzungen erzeugen. Erst wenn wir gezwungen sind, unsere moralische Einstellung zu erklären oder zu rationalisieren, greifen wir nach dem Strohhalm des logischen Denkens, von dem wir hoffen, dass unsere Einschätzung unterstützt wird. Betrachten wir folgendes moralische Dilemma: Julie und Mark sind Geschwister. In den Sommerferien reisen sie zusammen durch Frankreich. Eines Abends übernachten sie in einer Hütte am Strand. Sie beschließen, dass es interessant sein und Spaß machen könnte, miteinander zu schlafen. Zumindest wäre es für sie beide eine neue Erfahrung. Julie nahm sowieso die Pille und Mark benutzte zusätzlich ein Kondom, um ganz sicher zu sein. Sie genossen es, miteinander zu schlafen, beschlossen jedoch, es nicht zu wiederholen. Sie bewahrten sich diese Nacht als ein besonderes Geheimnis, wodurch sie sich noch enger miteinander verbunden fühlten. War es für die beiden in Ordnung, Sex zu haben? (Haidt, 2001, S. 814) Die meisten Menschen sind der Ansicht, dass es für Julie und Mark falsch war, Inzest zu begehen. Aber wenn sie aufgefordert werden, dies moralisch zu begründen, haben sie Schwierigkeiten. Einige beschwören die genetischen Gefahren der Inzucht herauf, erinnern sich dann aber, dass verhütet wurde. Einige suchen nach psychologischen Schäden, obwohl klar ist, dass weder Julie noch Mark verletzt wurden. Wenn sie gedrängt werden, sagen die Teilnehmer schließlich meist Sätze wie „Ich weiß nicht, ich kann es nicht erklären, ich weiß einfach, dass es falsch ist“ (Haidt, 2001, S. 814). Haidt fand bei verschiedenen anderen Szenarien, die Menschen als unangenehm wahrnahmen, die aber kein klares Opfer aufweisen, ähnliche Reaktionen. Hier ein weiteres Beispiel: „Der Hund einer Familie wurde von einem Auto vor dem Haus der Familie überfahren. Die Familie hatte gehört, dass Hundefleisch eine Delikatesse sei und so schnitten sie den Körper des Hundes auf, kochten ihn und aßen ihn zum Abendessen.“ Wieder fanden die meisten Menschen diese Handlung moralisch abstoßend, obwohl sie Schwierigkeiten hatten, die zugrunde liegende Argumentationskette zu artikulieren. Eine plausible Erklärung dieses Phänomens ist, dass Menschen moralische Emotionen entwickelt haben. Nach dieser Ansicht entwickelte sich der Widerwille gegen Inzucht, um sie zu verhindern, und wird als Reaktion auf den Sex zwischen Julie und Mark heraufbeschworen (Lieberman, Tooby & Cosmides, 2003). Der Ekel, den Menschen empfinden, wenn sie daran denken, dass Menschen ihren Haushund essen, könnte eine evolutionsbedingte Emotion darstellen, die den Verzehr biologisch kontaminierter Dinge verhindert und als „Wächter des Mundes“ entwickelt wurde (Haidt, 2003). Verdorbenes Fleisch und Fäkalien lösen vergleichbare Ekelreaktionen aus.
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
Vergleichbare funktionelle Logik kann vielen anderen moralischen Emotionen zugeschrieben werden, auch wenn empirische Arbeiten erst begonnen haben. Wut gegenüber Betrügern entwickelte sich wahrscheinlich, um diejenigen zu bestrafen, die soziale Vereinbarungen verletzen. Wut auf Betrüger motiviert Rache, welche wiederum andere davon abhalten könnte, in Zukunft zu betrügen. Rache ist eine Emotion, die man auskostet. In einer interessanten Studienreihe bewerteten Teilnehmer eine Vielzahl unterschiedlicher Schlussszenen von Hollywood-Filmausschnitten, die schwer wiegende Ungerechtigkeiten zeigten (Haidt & Sabini, 2000). Die Teilnehmer waren verstimmt über Schlussszenen, in denen das Opfer der Ungerechtigkeit den Verlust akzeptierte, dem Missetäter verzieh und Wachstum und Erfüllung fand. Sie waren am zufriedensten, wenn der Täter als Vergeltung für seine Tat leiden musste und öffentliche Demütigung erfuhr. Kurz gesagt, die moralische Empörung, die Menschen durch Betrug und Verletzungen des sozialen Vertrags erfahren, entwickelte sich möglicherweise als Kontrollfunktion, um andere zu binden und zu verpflichten. Verlegenheit könnte sich entwickelt haben, um Besänftigung und Unterwerfung zu fördern. Sie wird am deutlichsten in der Gegenwart von Menschen mit höherem Status heraufbeschworen und kommt fast niemals vor, wenn die anderen einen niedrigeren Status haben (Haidt, 2003). Verlegenheit entsteht, wenn soziale Konventionen verletzt werden. Scham ist eine ähnliche moralische Emotion, die noch tiefer als Verlegenheit geht und die aktiviert wird, wenn ein Scheitern der moralischen Standards bekannt wird. Scham und Verlegenheit motivieren den Wunsch, sich zu verstecken und zurückzuziehen und reduzieren die soziale Präsenz einer Person. Die Zurschaustellung von Scham kann Angriffe und Bestrafung durch dominierende Personen minimieren und damit die Nachteile desjenigen reduzieren, der den Moralkodex verletzt hat. Schuld wird oft als prototypische Emotion angesehen. Während Scham mit hierarchischen Interaktionen verbunden ist, rühren Schuldgefühle von Verletzungen vertrauter Beziehungen her (Haidt, 2003). Sie wurden womöglich entwickelt, um der verletzten Partei zu signalisieren, dass man weiß, ihr einen Schaden zugefügt zu haben: Sie motiviert Geständnisse und Entschuldigungen. Sie signalisiert auch, dass man motiviert ist, den Schaden wieder gutzumachen. Indem Wiedergutmachung nach Verletzung eines Vertrauten gefördert und so der Verstoß ausgeglichen wird, verhindern Schuldgefühle die Auflösung wertvoller Beziehungen. Evolutionäre Hypothesen wurden auch für andere moralische Emotionen vorgebracht wie Verachtung (hervorgerufen durch moralische Verletzungen von Respekt, Pflicht oder Hierarchie), Sympathie (Menschen dazu bewegen, anderen zu helfen, die leiden), Dankbarkeit (Menschen motivieren, prosozial zu agieren) und viele andere. Moralische Emotionen können als „Bindungsinstrumente“ dienen, die prosoziale Handlungen fördern, die Wiedergutmachung von Verletzungen und die Bestrafung von Betrügern, während man anderen signalisiert, dass man ein guter Koalitionspartner ist, auf den man sich in Zukunft verlassen kann. Jede moralische Emotion scheint einem bestimmten Verhalten angepasst. Die adaptiven Probleme, die sie lösen, können in drei Hauptklassen eingeteilt werden: (1) Respekt vor Autorität – Unterdrückung seiner egoistischen Bedürfnisse, indem man sich Menschen in einer dominanten Position beugt und Gesetze, Regeln und Gebote höherer Autoritäten befolgt; (2) Durst nach Gerechtigkeit – der adaptive Wert von
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Kooperation und Reziprozität, zu dem die Bestrafung von Betrügern gehört, um den Zusammenbruch von vorteilhafter Gegenseitigkeit zu vermeiden und (3) die Evolution von Fürsorge – der adaptive Wert von Aufopferung, Sympathie, Großzügigkeit gegenüber Verbündeten, Freunden und Verwandten (Krebs, 1998). Forscher moralischer Emotionen sollten jedoch den möglicherweise existierenden grundlegenden Geschlechtsunterschieden bei moralischen Emotionen Beachtung schenken. Die evolutionäre Psychologin Shelly Taylor hat beispielsweise dokumentiert, dass Frauen auf Stress häufig mit tending (Fürsorge) und befriending (sich annehmen) reagieren – dem Schutz und der Pflege von Nachkommen und der Aufrechterhaltung eines integrierten Netzwerks enger zwischenmenschlicher Beziehungen (Taylor, Klein, Lewis, Gruenewald, Gurung & Updegraff, 2000). Für Männer dagegen ist es wahrscheinlicher, als Reaktion auf Stress zu kämpfen oder zu fliehen. Moralische Emotionen scheinen eher intuitiv zu erfolgen und eher automatische Motivatoren als gut durchdachte Entscheidungen zu sein. Wie der Philosoph David Hume notierte „Vernunft ist ... der Sklave der Leidenschaften“ (Hume, 1969/1739, S. 462). Obwohl Moral traditionell zur kognitiven Psychologie gehört, kann sie nicht von den sozialen adaptiven Problemen getrennt werden, für die sie entwickelt wurde. Wie Jon Haidt abschließt: „Moral erweist sich als würdevoll und erhebt sich, da sie uns alle mit etwas verbindet, das größer ist als wir selbst.“ (Haidt, 2003, S. 25)
Die Rückkehr der Gruppenselektion als mehrschichtige Selektionstheorie In Kapitel 1 diskutierten wir den Niedergang der Theorie der Gruppenselektion, die Idee, dass es Adaptationen auf Gruppenebene gibt, die sich durch unterschiedliche Reproduktion und das Aussterben von Gruppen entwickelten. Nach der Veröffentlichung von George Williams’ (1966) Kritik der Gruppenselektion, wandten sich fast alle Evolutionsbiologen von dieser Idee ab. Sie taten dies nicht, weil die Gruppenselektion theoretisch unmöglich war. Tatsächlich zeigte Williams, dass Gruppenselektion theoretisch möglich ist und bei Arten wie den Honigbienen stattgefunden hat. Die Schlussfolgerung war, dass die Bedingungen, die die Gruppenselektion wahrscheinlich machen – wie (a) ein hoher Anteil „geteilten Schicksals“ der Angehörigen der Gruppe, (b) geringer Reproduktionswettbewerb innerhalb der Gruppe und (c) wiederkehrende Muster unterschiedlicher Reproduktion und das Aussterben von Arten – in der Natur nur selten vorkommen und daher für die meisten Arten kaum von Bedeutung waren. Vor kurzem haben der Evolutionsbiologe David Wilson und der evolutionär orientierte Philosoph Elliot Sober argumentiert, dass Gruppenselektion funktionsfähiger ist, als die meisten Biologen annahmen (Sober & Wilson, 1998; Wilson & Sober, 1994). Ihre Argumentation konzentriert sich auf die Frage, ob Gruppen im gleichen Maße wie Individuen funktionelle Ordnungen aufweisen. So wie Individuen „Mittler“ der Selektion sein können, so können auch Gruppen „Mittler“ der Selektion sein. Diese Autoren weisen beispielsweise darauf hin, dass Menschen vieles tun, um reproduktive Unterschiede innerhalb von Gemeinschaften zu reduzieren, z.B. das Erlassen von Gesetzen, die Männer und Frauen auf einen Partner beschränken. Gruppen, deren Mitglieder miteinander kooperieren, könnten andere Gruppen
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verdrängt haben, die aus egoistischeren Individuen bestanden. Diese Wiederbelebung der Gruppenselektion wird manchmal auch mehrschichtige Selektionstheorie genannt, um anzuerkennen, dass die Selektion auf vielen Ebenen operieren kann, zu denen Individuen, Gruppen innerhalb von Arten und selbst größere Einheiten wie aus vielen Arten zusammengesetzte Ökosysteme gehören. Ist die mehrschichtige Selektionstheorie auch nur ansatzweise gültig, so würde dies grundlegende Auswirkungen auf die evolutionäre Sozialpsychologie haben, indem auf Adaptationen der Gruppenebene hingewiesen wird, die Forschern, die sich auf Adaptationen auf der Ebene des individuellen Organismus konzentriert haben, eventuell entgangen sind (z.B. altruistische Selbstaufopferung für die Gruppe, wenn es sich um Nicht-Verwandte handelt). Viele Biologen und evolutionäre Psychologen stehen dieser neuen Gruppenselektion skeptisch gegenüber (z.B. Cronk, 1994; Dawkins, 1994; Dennett, 1994). Sie argumentieren, dass die Bedingungen, die erforderlich sind, damit die Gruppenselektion Durchschlagskraft besitzt, insbesondere bei Menschen selten gegeben sind. Angesichts der Tatsache, dass Menschen innerhalb von Gruppen stark miteinander konkurrieren und dass Gruppen oft starke Veränderungen aufweisen, Mitglieder sich von Gruppen absetzen und neue Gruppen mit neuen Kombinationen bilden, erreichen Individuen nur selten die hohen Ebenen des „geteilten Schicksals“ innerhalb einer Gruppe, die die Gruppenselektion ermöglichen würde. Die Frage, ob Wilson und Sober oder ihre Kritiker Recht haben bezüglich der Macht und Bedeutung der Gruppenselektion, ist letzten Endes eine empirische Frage. Zumindest können die Fragen um die Gruppenselektion zu neuen Entdeckungen in der menschlichen Sozialpsychologie führen, selbst wenn sich langfristig gesehen, wie George Williams vorhersah, die Gruppenselektion als die „schwächere Kraft“ herausstellen sollte.
13.3
Evolutionäre Entwicklungspsychologie
Die Entwicklungspsychologie ist kein Zweig der Psychologie, die einen bestimmten Inhalt aufweist. Sie stellt eher eine Annäherung an psychologische Phänomene aller Art dar, die eine temporale, ein Leben lang andauernde oder ontogenetische Perspektive enthalten. Man kann persönliche, soziale, moralische, Wahrnehmungs-, kognitive Entwicklung oder Entwicklungs-Psychopathologie untersuchen. Die Entwicklungspsychologie zieht sich durch die anderen traditionellen Fachgebiete und wird eher durch eine temporale Perspektive als durch den psychologischen Inhalt definiert. Da wenige psychologische Mechanismen bei der Geburt vollständig entwickelt sind, stellt eine Entwicklungsperspektive einen wesentlichen Teil der Beschreibung und des Verständnisses fast jeden psychologischen Mechanismus dar (Bjorklund & Pellegrini, 2002). Aber kann die evolutionäre Psychologie Licht darauf werfen, wie diese Mechanismen sich im Laufe des Lebens eines Individuums entwickeln? Ein Schlüsselverständnis, das derzeit in der vorherrschenden Entwicklungspsychologie fehlt, ist folgendes: Menschen stehen im Laufe ihres Lebens unterschiedlichen adaptiven Problemen gegenüber. Säuglinge haben zwar mit dem Überlebensproblem zu tun, aber nicht mit dem Problem der Partnerwahl. Probleme der Partnerwahl kommen chronologisch vor dem Problem der Elternschaft. Probleme der Elternschaft vor dem Problem, Großeltern zu sein. Als allgemeine Regel sagt die
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evolutionspsychologische Meta-Theorie voraus, dass sich neue adaptive Mechanismen im Leben eines Individuums entwickeln oder aktiviert werden, wenn sich Hinweise eines neuen adaptiven Problems zeigen – Hinweise, die mit den adaptiven Problemen korrespondieren, denen unsere Vorfahren im Lauf ihrer Entwicklung gegenüberstanden. In dem Grad, in dem diese adaptiven Probleme eine die ganze Art umfassende temporale Sequenz oder Entwicklung aufweisen, sind evolutionäre Psychologen in der Lage, eine Entwicklungstheorie der menschlichen Natur zu formulieren. Zumindest besitzt eine evolutionäre Sichtweise heuristischen Wert, indem Fragen gestellt werden, die sonst nicht gestellt würden und Forscher auf Gebiete hingewiesen werden, die sie sonst nicht berücksichtigen würden. Auch werden Beobachtungen gemacht, die nicht gemacht worden wären, wenn menschliches Verhalten ohne die korrigierende Linse der evolutionären Psychologie untersucht würde (siehe Bjorklund & Pellegrini, 2002; MacDonald, 1988; Segal, Weisfeld & Weisfeld, 1997; Surbey, 1998 für eine umfassendere Behandlung).
Mechanismen für die Theorie des Geistes (theory of mind) Durch Arbeiten der Psychologen Allen Leslie (1991), Henry Wellman (1990) und anderer wurde dokumentiert, dass Kinder etwa im Alter von drei Jahren eine „Theorie des Geistes (theory of mind)“ entwickeln. Diese beinhaltet Schlussfolgerungen über die Überzeugungen und Wünsche anderer Individuen in der sozialen Welt eines Kindes. Die Kombination von Schlussfolgerungen bezüglich Überzeugungen und Wünschen befähigt ein Kind (und wahrscheinlich auch Erwachsene), das Verhalten anderer vorherzusagen. Wird ein Kind beispielsweise gefragt, warum James in die Schulkantine ging, beruft es sich auf die Annahme, dass James einen Wunsch (Hunger stillen) und eine Überzeugung (dass es in der Kantine Essen gibt) hatte. Vor dem Alter von drei (in einigen Studien zwei) Jahren ziehen Kinder nicht die Schlussfolgerung, dass andere Überzeugungen und Wünsche haben. Wahrscheinlich unterstützte die Fähigkeit, das Verhalten anderer durch Kenntnis ihrer Wünsche und Überzeugungen vorherzusagen, die ersten Menschen bei der Lösung adaptiver Probleme wie der Vorausahnung feindlicher Angriffe, der Erlangung von Hilfe durch diejenigen, die dazu neigen, diese zu gewähren, Versöhnung streitender Eltern, Drohungen glaubwürdiger erscheinen zu lassen, die Bildung von Koalitionen etc. Die auf Schlussfolgerungen beruhenden Prozeduren, durch die die Mechanismen der Theorie des Geistes funktionieren, unterscheiden sich von denen, durch die Schlussfolgerungen über physikalische Einheiten funktioneren. Studien unterstützen die Annahme, dass die Theorie des Geistes in verschiedenen Kulturen im etwa gleichen Alter auftaucht (Avis & Harris, 1991). Belege der kognitiven Neurowissenschaften legen eine Lokalisation dieses Mechanismus nahe, angezeigt durch die Tatsache, dass er selektiv beschädigt werden kann. Viele Merkmale des Autismus beispielsweise scheinen durch die lokalisierte Beeinträchtigung dieses Mechanismus verursacht zu werden (Baron-Cohen, Leslie & Frith, 1985). Kurz gesagt konvergieren Belege aus einer Vielzahl von Quellen und deuten auf die Entwicklung kognitiver Mechanismen bei Kindern hin, die darauf spezialisiert sind, Schlussfolgerungen über den Geist anderer zu ziehen. Diese Mechanismen, die entwickelt wurden, um die adaptiven Probleme der Vorhersage und Erklärung des Verhaltens anderer zu
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
lösen, funktionieren durch Prinzipien, die sich von Mechanismen unterscheiden, die mit physikalischen Einheiten zu tun haben. Es liegen Belege vor, dass diese Mechanismen kulturübergreifend etwa im gleichen Alter auftreten. Selektive Beeinträchtigungen bestimmter Gehirnregionen liefern neurologische Hinweise, die ebenfalls darauf hindeuten, dass es sich hier um einen spezifischen Mechanismus handelt. Die Entwicklungsgeschichte der Mechanismen der Theorie des Geistes könnte sich jedoch als weitaus komplexer herausstellen. Es wurde spekuliert, dass die Mechanismen der Theorie des Geistes umfangreicher sind als bisher vorgeschlagen oder erforscht wurde (Buss, 1996b). Diese Spekulation basiert auf der Annahme, dass Theorien des Geistes verschiedene Arten sozialer adaptiver Probleme lösen müssen. Frauen beispielsweise entwickelten eine „Theorie über den Geist von Männern“, der sich von ihrer „Theorie des Geistes von Frauen“ unterscheidet, da die adaptiven Probleme der Frauen davon abhängen, ob sie mit einem Mann oder einer Frau interagieren (z.B. Schlussfolgerungen über die sexuellen Wünsche des anderen) (Haselton & Buss, 2000). In der Pubertät gewinnen Frauen Ideen über die spezifischen Wünsche und Überzeugungen von Männern, z.B., dass einige Männer im Bereich der Sexualität und Partnerschaft „nur das eine wollen“. Ein Teil der postpubertären Theorien der Frauen über den Geist der Männer, die auf dieser Hypothese basieren, beinhaltet auch den Wunsch der Männer nach Gelegenheitssex ohne Verpflichtung. Die Theorie des Geistes von Männern in diesem spekulativen Beispiel ist nicht Teil der Theorien der Frauen über den Geist von Männern, solange die Frauen noch nicht in der Pubertät sind, ist nicht Teil der Theorie von Frauen über den Geist anderer Frauen und ist nicht Teil der Theorien der Männer über den Geist von Frauen. Eine Vorhersage, die auf dieser Hypothese basiert, lautet, dass diese inhaltsspezifischen Merkmale der Theorien des Geistes von Frauen – nämlich spezifisches entwicklungsbedingtes Auftauchen und eine spezifische Gruppe von Menschen, für die sie zutrifft – sich so entwickelt hat, da sie unseren weiblichen Vorfahren bei der Lösung eines spezifischen sozialen adaptiven Problems geholfen hat: der Wachsamkeit vor einem vorzeitigen sexuellen Verhältnis, welches in der Umwelt unserer Vorfahren zu einer ungewollten oder unpassenden Schwangerschaft ohne einen Mann, der zu den elterlichen Investitionen beiträgt, führen konnte. Die soziale Welt enthält eine unendliche Anzahl von Ereignissen und Eigenschaften, denen man Aufmerksamkeit schenken könnte. Frauen könnten Theorien über den Geist von Männern in Bezug auf deren Vorliebe für Zucker, Fett, Salz und Protein oder ihre Präferenzen für Eichen gegenüber Ahornbäumen aufstellen. Eine evolutionspsychologische Analyse besagt jedoch, dass die Theorien der Frauen über den Geist von Männern die Tendenz aufweisen, eine bestimmte Klassifikation von Wünschen und Überzeugungen zu enthalten: die, die zur Lösung sozialer adaptiver Probleme relevant sind, wenn man mit Männern zu tun hat. Kurz gesagt, entscheiden die psychologischen Mechanismen von Frauen über die Merkmale ihrer sozialen Umwelt, denen sie Aufmerksamkeit schenken und über die sie Schlussfolgerungen ziehen und Theorien aufstellen. Das theoretische Grundprinzip für die Entwicklung von Theorien des Geistes liegt darin begründet, das Verhalten anderer vorhersagbar zu machen. Genaue Schlussfolgerungen über die Wünsche und Überzeugungen anderer ermöglichen einer Person deren Verhalten
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erfolgreicher vorherzusagen, als dies der Fall wäre, wenn sie solche Schlussfolgerungen nicht ziehen könnte. Da Männer und Frauen, zumindest im Bereich der Sexualität und der Partnersuche verschiedene Wünsche und Überzeugungen haben, wäre es überraschend, wenn unsere Theorien des Geistes auf diese Unterschiede keine Rücksicht nehmen würden. Da Männer und Frauen in Bezug auf das andere Geschlecht unterschiedlichen adaptiven Problemen gegenüberstehen, wäre es zudem erstaunlich, wenn sich deren Theorien über den Geist des anderen Geschlechts gleichen würden. Da postpubertäre Frauen im Vergleich zu vorpubertären Mädchen unterschiedlichen adaptiven Problemen gegenüberstehen, wenn sie mit Männern zu tun haben, wäre es ebenso erstaunlich, wenn die Theorien des Geistes diesen wichtigen Veränderungen in der Entwicklung nicht Rechnung tragen würden.
Bindung und lebensgeschichtliche Strategien Individuen, die eine gemeinsame evolutionsbedingte Psychologie besitzen, können unterschiedlichen äußeren Einflüssen ausgesetzt sein, die sie dazu bringen, verschiedene Strategien zu entwickeln. Gemäß dieser Annahme ist jeder Mensch mit einem Repertoire von zwei oder mehr potentiellen Strategien ausgestattet. Aus diesem artentypischen Angebot wird basierend auf frühen Erfahrungen mit der Umwelt eine Strategie ausgewählt. Diese frühen Erfahrungen legen einen Menschen also auf eine einzige Strategie fest – alle anderen, die hätten verfolgt werden können, hätte es einen anderen umweltbedingten Input gegeben, sind damit ausgeschlossen. Eine evolutionäre Theorie der Sozialisation. Die Psychologen Belsky, Steinberg und Draper (1991) gehen beispielsweise davon aus, dass die (fehlende) Gegenwart des Vaters in der ersten Lebensphase des Kindes beeinflussen kann, welche Sexualstrategie das Kind später im Leben verfolgen wird. Kinder, die während der ersten fünf bis sieben Jahre ihres Lebens ohne Vater aufwachsen, entwickeln laut dieser Theorie die Erwartung, dass die elterlichen Ressourcen nicht zuverlässig und vorhersehbar zur Verfügung stehen und dass Bindungen zwischen Erwachsenen nicht von Dauer sind. Dementsprechend verfolgen diese Menschen später eine sexuelle Strategie, die sich durch frühe sexuelle Reife und Kontakte und durch häufige Partnerwechsel auszeichnet – eine Strategie also, die auf die Produktion vieler Nachkommen ohne hohe Investitionsleistung ausgerichtet ist. Eine solche Strategie könnte mit extrovertierten und impulsiven Charakterzügen einhergehen. Andere Menschen werden als nicht vertrauenswürdig, Beziehungen als vorübergehend wahrgenommen. Ressourcen aus kurzen sexuellen Beziehungen werden opportunistisch beschafft und sofort herangezogen.
Menschen, die in den ersten fünf bis sieben Lebensjahren einen Vater erleben, der regelmäßig investiert, entwickeln nach dieser Theorie andere Erwartungen über das Wesen und die Vertrauenswürdigkeit anderer. Sie schätzen Menschen allgemein als zuverlässig und vertrauenswürdig und Beziehungen als langlebig ein. Diese frühen Erfahrungen ihrer Umwelt führen die Menschen zu einer langfristigen Partnerstrategie, die durch späte sexuelle Reife und Aktivität und die Suche nach sicheren langfristigen Beziehungen sowie hohen Investitionen in wenige Kinder geprägt ist.
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
Alle Theorien über Umwelteinflüsse – die eben genannte eingeschlossen – basieren letztendlich auf evolutionsbedingten psychologischen Mechanismen, gleichgültig, ob diese als solche anerkannt werden (Tooby & Cosmides, 1990). Im Gegensatz zu den Meinungen, die noch an falschen Dichotomien wie Natur versus Versorgung (nature versus nurture) oder Genetik versus Umwelt festhalten, gehen Theorien über Umwelteinflüsse notwendigerweise von der Evidenz evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen aus (Tooby & Cosmides, 1990). In diesem speziellen Fall sind die impliziten psychologischen Mechanismen besonders darauf ausgerichtet, Informationen über die Anwesenheit und die Zuverlässigkeit väterlicher Ressourcen als Input heranzuziehen, diesen Input mithilfe bestimmter evolutionsbedingter Entscheidungsregeln zu verarbeiten, ein oder zwei potentielle psychologische Modelle der sozialen Welt zu entwickeln und als Output dieses Mechanismus eine von zwei alternativen Partnerstrategien zu verfolgen. Zwei wichtige Schlüsse lassen sich aus dieser Entwicklungstheorie ziehen (Belsky et al., 1991). Zum einen liegen die Variationen zwischen den Individuen nicht in einzelnen Charakterzügen oder Dimensionen, sondern stellen eine kohärente Konstellation kovariierender Merkmale dar, darunter die reproduktive Physiologie (z.B. frühes Einsetzen der ersten Regelblutung), psychologische Modelle der sozialen Welt (z.B. Wahrnehmung anderer als nicht vertrauenswürdig) und freizügiges Verhalten (z.B. wechselnde sexuelle Beziehungen). Zum zweiten sind die individuellen Unterschiede, die sich aus der frühen Prägung durch Erfahrung ergeben, adaptiver Natur, d.h. sie sind das Ergebnis evolutionsbedingter Mechanismen, die die soziale Umwelt bewerten und aus dem vorhandenen Angebot eine Strategie auswählen. In einem Fall ergab sich der reproduktive Erfolg historisch gesehen aus einer hohen Reproduktionsrate, eventuell begleitet von einem gleichzeitigen Rückgang von Überleben und Reproduktion eines Nachkommen. In einem anderen Fall ergab sich der reproduktive Erfolg historisch gesehen aus einer geringeren Reproduktionsrate, geprägt durch hohe Investitionen in das Überleben und die Reproduktion weniger Nachkommen. Verschiedene Individuen sahen sich ganz verschiedenen Umwelten gegenüber, in denen sie ihre Nachkommen großzogen. Unterschiedliche äußere Bedingungen im Laufe der Evolutionsgeschichte des Menschen haben höchstwahrscheinlich dazu geführt, dass die Selektion die Entwicklung flexibler Mechanismen förderte, die als Input die Eigenschaften der Umwelt in Bezug auf die Aufzucht der Nachkommen als wichtigen Hinweis auf die zu erwartende Umwelt für den Erwachsenen heranzog. Siehe Hirsch (1996) für einen vollständigen Überblick über Sozialisation und Vaterschaft. Bindungstheorie und Theorie der Lebensgeschichte. Die evolutionären Psychologen James Chisholm (1996) und Jay Belsky (1997) sprechen sich beide für eine Integration der Theorie der Lebensgeschichte (Levins, 1968) und der Bindungstheorie (Bowlby, 1969) aus, die davon ausgeht, dass diese individuellen Unterschiede adaptiv geprägt sind und wahrscheinlich die große Variabilität der Umwelten bei der Aufzucht des Nachwuchses widerspiegeln. Chisholm beginnt seine Argumentation mit der Theorie der Lebensgeschichte, der Einsicht, dass Lebenszyklen evolutionsbedingte adaptive Strategien darstellen. Ein Kernprinzip dieser Theorie ist die Zuteilung von Bemühungen (Levins, 1968). Individuen haben nur begrenzte Zeit und Ressourcen, deshalb müssen sie sich entscheiden, wie sie diese auf die verschiedenen Fitness-Komponenten aufteilen. Die Komponenten des reproduktiven Erfolgs, z.B. Überleben, Wachstum, Paarung und Elternschaft ste-
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hen oft in Konflikt miteinander. Verwendet man große Anstrengungen auf eine Komponente, so schließt das meist Anstrengungen bezüglich einer anderen Komponente aus – „Tradeoffs‘‘ (Kompromisse) sind notwendig. Verwendet man große Anstrengung darauf, weitere Partner anzuwerben, so geschieht dies auf Kosten der Zeit und Energie, die man in die Aufzucht des Nachwuchses investieren könnte. Nach dieser Theorie hat die natürliche Selektion also Entscheidungsregeln hervorgebracht, die je nach spezifischem Kontext zu einer veränderten Verteilung von Ressourcen auf die verschiedenen Komponenten führen. Strategien sind also „Folgeerscheinungen funktional integrierter anatomischer, physiologischer, psychologischer und entwicklungsbezogener Mechanismen zur Optimierung des Tradeoff zwischen den Fitness-Komponenten im Laufe des Lebenszyklus.“ (Chisholm, 1996; siehe auch Charnov, 1993; Hill, 1993; Stearns, 1992). Einer der wichtigsten Tradeoffs besteht zwischen gegenwärtiger und zukünftiger Reproduktion. Eine vermehrte unmittelbare Reproduktion geht immer auf Kosten zukünftiger Reproduktion. Wenn Ressourcen nur begrenzt oder nicht planbar vorhanden sind, könnte es sich nach Chisholm unter bestimmten Umständen auszahlen, die Reproduktion zu erhöhen und die Investitionen in bestimmte Nachkommen zu verringern. Chisholm argumentiert weiter, dass die Psychologie der Bindung aus einer Reihe evolutionsbedingter Mechanismen besteht, die dazu dienen, diese Verteilungsentscheidungen zu treffen. Gemäß Chisholms Theorie war die vorgeschichtliche Umwelt, in der sich diese Mechanismen entwickelten, weder so rosig noch so sicher, wie viele Bindungstheoretiker dies behaupten. Risiken und Unsicherheiten hatten historisch gesehen viele Ursachen: unsichere Nahrungsversorgung, die Launen von Klima und Wetter, Krankheiten, Parasiten, Feinde und – vielleicht am wichtigsten – andere bestimmende Faktoren wie etwa die Eltern. Chisholm argumentiert, dass die sexuelle Strategie der Eltern, darunter Quantität und Qualität ihrer Investitionen in die Nachkommen, vielleicht die adaptiv gesehen signifikanteste Dimension der kindlichen Umwelt dargestellt haben könnte. Abweichungen von der sicheren Bindung stellen so gesehen also erfahrungsbedingte Prägungen aufgrund immer wiederkehrender Bedrohungen für Überleben und Wachstum des Kindes dar – eine Unfähigkeit oder die fehlende Bereitschaft der Eltern, ausreichend in ihren Nachwuchs zu investieren. Die vermeidende Bindung (das Kind zeigt sich den Eltern gegenüber gleichgültig) stellt eine Adaptation auf die fehlende Investitionsbereitschaft der Eltern dar, wenn z.B. die Eltern eine kurzfristige Partnerstrategie verfolgen und nur wenig in ihre Nachkommen investieren. Dagegen ist die ängstliche/ambivalente Bindung (bei der sich das Kind nervös, ängstlich und unsicher zeigt) eine Adaptation auf die Unfähigkeit der Eltern, zu investieren – wenn z.B. die Mutter selbst gereizt, ängstlich, überarbeitet, hungrig oder erschöpft ist. Nach Belsky (1997) führte die sichere Bindung zur Förderung einer Strategie stark investierender Elternschaft, die vermeidende Bindung führte zu einer Förderung eines opportunistischen Stils im Umgang mit anderen, der sich durch geringe elterliche Investitionen auszeichnete und die ängstliche/ambivalente Bindung entwickelte sich zur Förderung des Stils der „Helfer im Nest“, wobei größere Kinder zu Hause blieben, um bei der Erziehung ihrer Geschwister zu helfen. Da diese Theorien alle noch sehr jung sind, konnten die genauen Merkmale der zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen bisher noch nicht eindeutig festgelegt werden.
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Chisholm möchte mit seiner Theorie wohl nicht sagen, dass ein Kind tatsächlich Rückschlüsse auf die Absicht der Eltern (fehlende Investitionsbereitschaft) und deren Fähigkeiten (Investitionsvermögen) ziehen kann. Vielmehr erkennt das Kind Verhaltensweisen der Eltern, die sich diesen unterschiedlichen Einstellungen probabilistisch zuordnen lassen und die dann zur Aktivierung eines aus der Auswahl der drei Bindungsstile führen. Im nächsten Jahrzehnt sollte sich die Forschung stärker auf die genauen Eigenschaften der psychologischen Mechanismen konzentrieren, die diesen Bindungsarten zugrunde liegen. Stellen Bindungsstile frühe umweltbedingte Prägungen dar oder reflektieren sie vererbbare individuelle Unterschiede, wie durch einige Forschungsarbeiten belegt (Bailey, Kirk, Zhu Dunne & Martin, 2000; Goldsmith & Harmon, 1994)? Bleiben individuelle Bindungsunterschiede über das ganze Leben hin stabil? Lassen sich die zugrunde liegenden psychologischen Bindungsmechanismen mit den spezifischen Eigenschaften der adaptiven Probleme koordinieren, die sich aufgrund jeder alternativen Strategie stellen? Diese Fragen müssen in weiterer konzeptioneller und empirischer Arbeit geklärt werden. Dennoch zeigten neuere Studien, dass ein frühes Einsetzen der ersten Periode tatsächlich mit einer unglücklichen Ehe der Eltern und einer verstärkten Zurückweisung durch den Vater sowie mit einer früh einsetzenden sexuellen Aktivität in Verbindung gebracht werden kann. Dies weist stark auf die Gültigkeit der Theorie der frühen Bindung hin, die zur Ausbildung verschiedener sexueller Strategien im Erwachsenenalter führt (Kim, Smith & Palermiti, 1997), obwohl sich dies auch mit einer Interpretation reiner Vererbung vereinbaren ließe. Zusammengefasst stellen die Theorien des Geistes, elterliche Sozialisation und Bindungsstile eine kleine Auswahl der Wege dar, mittels derer die evolutionäre Entwicklungspsychologie zeitlich bedingte Veränderungen innerhalb des menschlichen Lebens zu erklären versucht. Andere Wege beziehen sich z.B. auf die verlängerte Unreife und den Spieltrieb in der menschlichen Entwicklung (Bjorklund, 1997), die Motivation von Kindern, sich mit Gleichaltrigen in Gruppen zusammenzutun (MacDonald, 1996), die Entwicklung hemmender Mechanismen wie etwa verzögerter Dank oder sexueller Rückzug (Bjorklund & Kiel, 1996), die evolutionären Aspekte der Adoleszenz, z.B. Partnerkonkurrenz und pubertäre Rituale (Surbey, 1998; Weisfeld, 1997; Weisfeld & Billings, 1988), sexuell bestimmte Sozialisationspraktiken (Low, 1989) und die Auswirkungen verschiedener Bindungsstile auf die romantischen Beziehungen Erwachsener (Kirkpatrick, 1998). Letztendlich muss eine umfassende evolutionäre Entwicklungspsychologie die artentypischen, geschlechtsspezifischen und individuell differenzierten Veränderungen innerhalb der Lebensdauer eines adaptiven Problems sowie die aktivierten psychologischen Mechanismen erklären können.
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Evolutionäre Persönlichkeitspsychologie
Die Persönlichkeitspsychologie ist vielleicht der umfassendste und komplexeste Bereich der Psychologie. Historisch gesehen basieren alle „großen“ Theorien über die Persönlichkeit im Kern auf Hypothesen über die Inhalte der menschlichen Natur, z.B. Motive für Sex und Aggression (Sigmund Freud), Selbsterkennung (self-actualization) (Abraham Maslow), Streben nach Überlegenheit (Adler) oder Streben nach Status und Intimität (David McClelland; Henry Murray; Jerry Wiggins). Hypothetische psychologische Merk-
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male der menschlichen Natur lieferten einen Großteil des „Kerns“, um den herum die großen Persönlichkeitstheorien konstruiert wurden. Andererseits geht es in der Persönlichkeitspsychologie auch darum, wie sich Menschen dauerhaft unterscheiden. Ein Großteil der aktuellen Persönlichkeitsforschung befasst sich mit Fragen wie: In welchen Hauptpunkten unterscheiden sich die Menschen voneinander? Woher stammen diese individuellen Unterschiede? Was sind die psychologischen und physiologischen Korrelate dieser Unterschiede? Welche Folgen haben bestimmte individuelle Unterschiede in Bezug auf soziale Interaktion, Psychopathologie, Wohlergehen und den Lebensverlauf? Meist konzentrieren sich Theorien und Forschungen der evolutionären Psychologie auf artentypische psychologische Mechanismen, wie sie bisher in diesem Buch behandelt wurden. Individuelle Unterschiede werden dagegen in der Regel vernachlässigt und stellen für evolutionäre Psychologen eine größere Herausforderung dar (Buss & Greiling, 1999; MacDonald, 1995; Tooby & Cosmides, 1990; Wilson, 1994). Auch Evolutionsbiologen befassten sich bisher meist mit artentypischen Adaptationen und vernachlässigten individuelle Unterschiede, außer in ihrer Funktion als Lieferanten der Rohmaterialien, auf die die natürliche Selektion wirken kann. Individuelle Unterschiede, besonders die vererbbaren, werden oft in die zweite Reihe zurückgedrängt, denn man geht davon aus, dass sie vornehmlich durch nicht selektive Kräfte wie zufällige Mutationen, entstanden sind (Tooby & Cosmides, 1990; Wilson, 1994). Genetische Unterschiede werden oft als „Zufallsrauschen“ oder „genetischer Abfall“ angesehen, zu dem es in einer Population genau deshalb kommt, weil man annimmt, dass diese Unterschiede nicht mit dem Kern des evolutionären Prozesses in Beziehung stehen: der Adaptation und der natürlichen Selektion (Thiessen, 1972). So gesehen sind vererbbare individuelle Unterschiede für artentypische Adaptationen das, was unterschiedliche Kabelfarben beim Motor eines Autos für seine funktionstragenden Komponenten sind: Man kann die Kabelfarben beliebig variieren, ohne dass dies die Funktionsweise des Motors beeinträchtigt (Tooby & Cosmides, 1990). Nimmt man sich die wissenschaftliche Einheit als vernünftiges Gesamtziel vor (Wilson, 1998), so sind diese verschiedenen Konzeptualisierungen schwer zu vereinbaren. Die natürliche Selektion neigt ja dazu, genetische Variabilität innerhalb einer Population zu verringern, indem einige Gene dauerhaft bevorzugt, andere dagegen verdrängt werden. Warum ergibt sich aus genetischen Verhaltensstudien immer wieder eine mäßige Vererbbarkeit persönlicher Veranlagungen (Plomin et al., 1997)? Wenn individuelle Unterschiede tatsächlich von Adaptationen und natürlicher Selektion unabhängig sind, warum lassen sich dann zuverlässig Verbindungen zu Aktivitäten feststellen, die eng mit dem reproduktiven Erfolg zusammenhängen, wie etwa Überleben und Sexualität? Individuelle Unterschiede im äußeren Erscheinungsbild stehen beispielsweise im Zusammenhang mit Unterschieden beim sexuellen Zugang zu Partnern (Eysenck, 1976). Pflichtbewusstsein hängt bekanntermaßen mit Erfolgen in Beruf und Status zusammen (Kyl-Heku & Buss, 1996). Impulsivität wird mit außerehelichen Affären (Buss & Shackelford, 1997a) und höheren Sterberaten (Friedman et al., 1995) in Verbindung gebracht. Wenn die individuellen Unterschiede, die Persönlichkeitspsychologen untersuchen, zuverlässig mit reproduktiv relevanten Phänomenen, z.B. Status, Sexualität und sogar Überleben in Verbindung gebracht werden können, spielen sie vielleicht in der evolutionären Psychologie des Menschen eine größere Rolle als bisher angenommen.
Kapitel 13 In Richtung einer geeinten evolutionären Psychologie
Die evolutionäre Psychologie bemüht sich jetzt um Wege, individuelle Unterschiede und artentypische psychologische Mechanismen in ein einheitliches konzeptionelles Rahmenwerk zu integrieren (z.B. Bailey, 1998; Buss & Greiling, 1999; Gangestad & Simpson, 1990; MacDonald, 1995; Wilson, 1994). Dabei gibt es mehrere viel versprechende Ansätze. Individuelle Unterschiede können eine ganze Reihe vererbbarer und nicht vererbbarer Ursachen haben. Belege aus genetischen Verhaltensstudien der Persönlichkeit weisen stark darauf hin, dass beide Ursachen wichtig sind. Persönlichkeitsmerkmale zeigen in der Regel eine moderate Vererbbarkeit, die meist zwischen 30 und 50% liegt (Plomin, DeFries & McClearn, 1990). Zugleich liefern diese Studien überzeugende Belege, dass Abweichungen zu 50 bis 70% umweltbedingte Ursachen haben. Im Folgenden sind einige Vorschläge zur Untersuchung adaptiv geformter individueller Unterschiede, basierend auf umweltbedingten und vererbten Ursachen sowie auf Interaktionen dieser beiden Ursachen aufgeführt (Bailey, 1998; Bouchard & Loehlin, 2001; Buss & Greiling, 1999).
Alternative Nischenwahl oder strategische Spezialisierung Aus evolutionärer Sicht ist der Wettbewerb dann am größten, wenn Individuen die gleiche Strategie verfolgen. Wird eine Nische von immer mehr Konkurrenten besetzt, so leidet der Erfolg eines jeden einzelnen Konkurrenten verglichen mit dem, der sich eine andere Nische sucht (Maynard Smith, 1982; Wilson, 1994). Die Selektion fördert Mechanismen, die einige Individuen dazu veranlassen, sich Nischen zu suchen, in denen ein weniger intensiver Wettbewerb herrscht und in denen so der durchschnittliche Ertrag höher sein könnte. In der Partnerwahl finden sich hierfür deutliche Beispiele. Wenn die meisten Frauen auf den Mann mit dem größten Ansehen und den meisten Ressourcen aus sind, so wären einige Frauen erfolgreicher, wenn sie Männer umwerben würden, die sich nicht innerhalb der Arena des härtesten Wettbewerbs befinden. In einem Partnersystem, in dem sowohl Polygamie als auch Monogamie möglich sind, wäre es für eine Frau vorteilhafter, sich alle Ressourcen eines monogamen Mannes mit geringerem Status zu sichern als sich, mit dem Bruchteil der Ressourcen eines polygynen Mannes von höherem Status begnügen zu müssen. Die Fähigkeit, eine Nische zu besetzen, hängt von den Ressourcen und den persönlichen Eigenschaften ab, die jeder Einzelne mitbringt. Betrachten wir die Geburtsreihenfolge. Es ist möglich, dass sich Erstgeborene und Letztgeborene im Laufe der Evolutionsgeschichte des Menschen im Durchschnitt immer wieder unterschiedlichen adaptiven Problemen stellen mussten. Der Wissenschaftshistoriker Frank Sulloway (1996) geht beispielsweise davon aus, dass Erstgeborene eine Nische besetzen, die durch eine starke Identifizierung mit den Eltern und anderen Autoritätspersonen gekennzeichnet ist. Später Geborene dagegen profitieren wenig dadurch, dass sie sich mit Autoritäten identifizieren; sie profitieren eher, wenn sie sich der bestehenden Ordnung widersetzen. Nach Sulloway beeinflusst die Geburtsreihenfolge die Nischenspezialisierung. Später Geborene entwickeln eine andere Persönlichkeit, die sich durch mehr Rebellion, weniger Pflichtbewusstsein und eine größere Offenheit für neue Erfahrungen auszeichnet (Sulloway, 1996). Bei Wissenschaftlern zeigen sich diese Unterschiede der Geburtsreihenfolge verstärkt: Später Geborene sind in der Regel überzeugte Verfechter wissenschaftlicher Revolutionen, während sich Erstgeborene diesen Neuerungen eher strikt widersetzen (Sulloway, 1996).
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Gleichgültig, ob Sulloways Argumentation nun bis ins kleinste Detail korrekt ist, das Beispiel illustriert in jedem Fall eine strategische Nischenspezialisierung. Individuelle Unterschiede sind adaptiv geformt, basieren aber nicht auf vererbbaren individuellen Unterschieden. Vielmehr gibt die Geburtsreihenfolge, ein nicht vererbbarer individueller Unterschied, den Input (vermutlich durch die Interaktion mit Familienmitgliedern) für einen artentypischen Mechanismus, der die strategische Nischenspezialisierung beeinflusst. Vererbbare individuelle Unterschiede können ebenfalls Input für solche artentypischen evolutionsbedingten psychologischen Mechanismen liefern. Sie können sich auch als Folge der strategischen Nischenspezialisierung entwickeln – Möglichkeiten, denen wir uns nunmehr zuwenden.
Adaptive Beurteilung vererbbarer Eigenschaften Nehmen wir an, dass alle Männer nach einer evolutionsbedingten Entscheidungsregel handeln: Verfolge eine aggressive Strategie, wenn Aggression zur Zielerreichung erfolgreich eingesetzt werden kann; verfolge aber eine kooperative Strategie, wenn Aggression nicht zum Erfolg führt (abgewandelt aus Tooby & Cosmides, 1990, S. 58). Natürlich sind evolutionsbedingte Entscheidungsregeln komplexer als diese. Betrachten wir aber diese vereinfachte Regel, so können diejenigen, die zufällig mesomorph (muskulös) gebaut sind, eine aggressive Strategie erfolgreicher verfolgen als diejenigen, die ektomorph (dünn) oder endomorph (rund) sind. Vererbbare individuelle Unterschiede im Körperbau stellen Input für eine Entscheidungsregel dar und sorgen so für stabile individuelle Unterschiede beim Einsatz von Aggression und Kooperation. In diesem Beispiel ist die aggressive Neigung nicht direkt vererbbar, sondern stellt sich eher als „reaktiv vererbbar“ dar, denn sie ist eine sekundäre Folgeerscheinung des vererbbaren Körperbaus, der den Input für die artentypischen Mechanismen der Selbsteinschätzung und der Entscheidungsfindung liefert. Tooby und Cosmides (1990) schufen den Begriff der „reaktiven Vererbbarkeit“, um evolutionsbedingte psychologische Mechanismen zu beschreiben, die darauf ausgerichtet waren, vererbbare Eigenschaften als Input heranzuziehen, um daraus strategische Lösungen abzuleiten. So gesehen wird die Selektion die Evolution von Beurteilungsmechanismen fördern, wenn diese Beurteilungen dem Einzelnen helfen können, eine kluge Strategie zu wählen. Evolutionsbedingte Mechanismen sind demnach nicht nur von immer wiederkehrenden Merkmalen der äußeren Welt geprägt wie etwa die Zuverlässigkeit der elterlichen Fürsorge, sondern können auch durch die Selbsteinschätzung geprägt sein. Die Beurteilung vererbbarer Merkmale kann auch bei der Wahl der richtigen Partnerstrategie helfen. Erinnern wir uns an die Studie aus Kapitel 12, in der die äußerliche Erscheinung männlicher Teenager auf zweierlei Weise untersucht wurde. Dabei ging es darum, ob ihre Gesichter dominant oder unterwürfig aussahen und wie physisch attraktiv sie von anderen eingeschätzt wurden (Mazur, Halpern & Udry, 1994). Zur Beurteilung dieser Merkmale wurden Fotos verwendet, wobei eine dominante Person als jemand definiert wurde, der „Anderen sagt, was sie tun sollen, der Respekt und Einfluss genießt und oft eine Führungsrolle innehat“ (S. 90). Es ergab sich, dass die Teenager, deren Gesichter als dominanter und physisch attraktiver bewertet wurden, auch mehr Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht hatten, darunter „Petting“ und Geschlechtsverkehr. Außerdem sagten dominante Gesichtszüge sexuelle Erfahrungen voraus, selbst nachdem die Attraktivität und Effekte von pubertärer Entwicklung statistisch herauspartialisiert wurden.
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Wenn man annimmt, dass Gesichtszüge, die uns dominant und attraktiv aussehen lassen, teilweise vererbbar sind, so kann man weiter spekulieren, dass Männer über einen evolutionsbedingten psychologischen Mechanismus verfügen, der darauf ausgerichtet ist, einzuschätzen, wie dominant und attraktiv man wirkt. „Wirkt man sehr dominant und attraktiv, sollte man eine kurzfristige sexuelle Strategie verfolgen, andernfalls eher eine langfristige.“ In diesem Beispiel lassen sich natürlich andere Variablen wie etwa Testosteron nicht ausschließen, die gleichzeitig das Gesicht dominanter wirken lassen und für einen stärkeren Sexualtrieb sorgen. Nach der Vorstellung der evolutionsbedingten Beurteilungsmechanismen zur Einschätzung der eigenen vererbbaren Eigenschaften sind stabile individuelle Unterschiede bei der Verfolgung einer kurzfristigen und einer langfristigen sexuellen Strategie also nicht direkt vererbbar. Sie stellen stattdessen adaptive individuelle Unterschiede auf der Basis der Beurteilung vererbbarer Informationen dar. Wir können davon ausgehen, dass weitere Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der evolutionären Persönlichkeitspsychologie die genauen Eigenschaften der evolutionsbedingten Beurteilungsmechanismen ans Licht bringen werden.
Häufigkeitsabhängige adaptive Strategien Allgemein gesehen verringert sich durch den Prozess der zielgerichteten Selektion allmählich die Variation der vererbten Unterschiede. Erfolgreichere vererbbare Variationen verdrängen nach und nach die weniger erfolgreichen, so dass sich artentypische Adaptationen ergeben, die wenig oder gar keine vererbbare Variation in ihren grundlegenden funktionalen Komponenten aufweisen (Williams, 1966; 1975). Es gibt jedoch eine wichtige Ausnahme dieses Trends, nämlich die häufigkeitsabhängige Selektion. In manchen Situationen können zwei oder mehr vererbbare Variationen gleichermaßen erhalten werden. Das offensichtlichste Beispiel ist das biologische Geschlecht. Bei Arten, die sich sexuell fortpflanzen, sind die beiden Geschlechter häufigkeitsabhängige Folgeerscheinungen kovariierender adaptiver Komplexe. Wenn es mehr Vertreter des einen Geschlechts als des anderen gibt, wird das seltenere Geschlecht erfolgreicher und die Selektion fördert somit Eltern, die Nachkommen des weniger häufigen Geschlechts haben. Typischerweise wird das Verhältnis der Geschlechter durch den Prozess der häufigkeitsabhängigen Selektion in etwa im Gleichgewicht gehalten. Die häufigkeitsabhängige Selektion basiert darauf, dass der Erfolg einer jeden Strategie abnimmt, je häufiger sie im Vergleich zu anderen Strategien innerhalb der Population auftritt (siehe Maynard Smith, 1982, und D. S. Wilson, 1998, für eine ausführliche Behandlung dieser Zusammenhänge im Kontext der Spieltheorie). Alternative adaptive Strategien können durch die häufigkeitsabhängige Selektion auch innerhalb der Geschlechter bestehen bleiben. Bei Blaukiemen-Sonnenbarschen lassen sich z.B. drei verschiedene Paarungsstrategien der Männchen beobachten: eine „elterliche“ Strategie der Nestverteidigung, eine „Schleicher“-Strategie, bei der die Männchen nur eine geringe Körpergröße entwickeln, und eine „Imitations-“Strategie, bei der die Männchen das Aussehen der Weibchen imitieren (Gross, 1982). Die Schleicher erlangen
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sexuellen Zugang zu den Eiern der Weibchen, weil sie aufgrund ihres kleinen Wuchses nicht entdeckt werden, und die Imitatoren erlangen Zugang, weil sie wie Weibchen aussehen und dadurch Aggressionen der elterlichen Männchen vermeiden. Doch je mehr Imitatoren es gibt, desto weniger erfolgreich sind sie, denn ihre Existenz hängt von den elterlichen Männchen ab, die Eindringlinge vom Nest fernhalten. Je mehr Imitatoren und Schleicher es gibt, desto weniger werden die elterlichen Typen, so dass diese parasitären Strategien immer schwieriger werden. Vererbbare alternative Strategien innerhalb der Geschlechter werden durch den Prozess der häufigkeitsabhängigen Selektion erhalten. Theoretisch können diese vererbbaren individuellen Unterschiede durch die häufigkeitsabhängige Selektion zeitlich unbegrenzt innerhalb einer Population bestehen bleiben, im Unterschied zum Prozess der zielgerichteten Selektion, die in der Regel vererbbare Variationen verdrängt. Die evolutionäre Psychologin Linda Mealey (1995) führte eine Theorie der Psychopathie ein, die auf der häufigkeitsabhängigen Selektion basiert. Psychopathie (manchmal auch Soziopathie oder antisoziale Persönlichkeitsstörung genannt) ist eine Reihe von Charaktereigenschaften, die durch unverantwortliches und unzuverlässiges Handeln, Egozentrik, Impulsivität und eine Unfähigkeit, dauerhafte Beziehungen zu führen, gekennzeichnet sind. Charakteristisch sind auch ein oberflächlicher sozialer Charme und ein Defizit an sozialen Emotionen wie Liebe, Schamgefühl, Schuld und Mitgefühl (Cleckley, 1982). Psychopathen verfolgen eine betrügerische oder „täuschende“ Strategie in ihren sozialen Interaktionen. Psychopathie kommt bei Männern häufiger vor als bei Frauen, erstere sind zu drei bis vier Prozent, letztere nur zu weniger als einem Prozent betroffen (Mealey, 1995). Psychopathen verfolgen eine soziale Strategie, die durch die Ausbeutung der Reziprozitätsmechanismen anderer gekennzeichnet ist. Nachdem sie zunächst ihre Kooperation vortäuschen, werden sie dann meist abtrünnig. Diese betrügerische Strategie könnte von Männern angewendet werden, die ihre Konkurrenten in einer traditionellen Statushierarchie nicht überflügeln können (Mealey, 1995). Nach dieser Theorie kann eine psychopathische Strategie durch die häufigkeitsabhängige Selektion aufrecht erhalten werden. Je größer die Zahl der Betrüger, wodurch auch der Schaden für die kooperativen Opfer zunimmt, um so stärker werden sich vermutlich psychologische Mechanismen entwickeln, die darauf abzielen, diese Betrüger zu entlarven und ihnen Kosten aufzuerlegen. Je mehr Psychopathen es also gibt, um so geringer ist der durchschnittliche Ertrag dieser Strategie. Solange es noch nicht zu viele Psychopathen gibt, können sich diese jedoch in einer Population halten, die vorwiegend aus kooperativen Mitgliedern besteht (Mealey, 1995). Es gibt – wenn auch indirekte – Belege, die mit Mealeys Theorie der Psychopathie im Einklang sind. Zum einen legen genetische Verhaltensstudien nahe, dass Psychopathie möglicherweise moderat vererbbar ist (Willerman, Loehlin & Horn, 1992). Zum zweiten scheinen manche Psychopathen eine ausbeutende, kurzfristige sexuelle Strategie zu verfolgen und dies könnte der wichtigste Weg sein, auf dem sich psychopathische Gene vermehren oder erhalten bleiben (Rowe, 1995). Psychopathische Männer neigen eher zu sexueller Frühreife, sie haben mit mehr Frauen Geschlechtsverkehr, haben mehr uneheliche Kinder und trennen sich auch häufiger von ihren Ehefrauen als nicht psychopathische
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Männer (Rowe, 1995). Man könnte davon ausgehen, dass diese kurzfristige, opportunistische, ausbeutende sexuelle Strategie in Populationen verstärkt vorkommt, die durch hohe Mobilität gekennzeichnet sind, denn hier wäre der Schaden durch eine schlechte Reputation, die durch das Verfolgen einer solchen Strategie entsteht, eher gering (Wilson, 1995). Diese Theorie bietet einige Angriffspunkte. So ist z.B. eine Frage, ob Psychopathie einen Typus oder ein Kontinuum darstellt (Baldwin, 1995), ob sie häufig genug auftritt, um von der häufigkeitsabhängigen Selektion erhalten zu werden, und ob sie ein relativ neu entwickeltes Phänomen moderner Populationen oder eine uralte evolutionsbedingte Strategie ist (Wilson, 1995). Trotz dieser Probleme verdeutlicht Mealeys Theorie der Psychopathie die Möglichkeit, dass vererbbare alternative Strategien durch die häufigkeitsabhängige Selektion erhalten werden können. Die häufigkeitsabhängige Selektion bietet eine mögliche Erklärung für die Integration der kumulativen Ergebnisse der genetischen Verhaltensstudien (z.B. Willerman, Loehlin & Horn, 1992) und der Erkenntnisse über die sexuellen Strategien, die offenbar von Psychopathen verfolgt werden (Rowe, 1995), mit einer evolutionären Analyse der individuellen adaptiven Unterschiede. Zusammengefasst bietet die evolutionäre Psychologie einen breiten Rahmen für die Betrachtung einer ganzen Reihe individueller Unterschiede. Diese Unterschiede können sich aufgrund früher Erfahrungen mit der Umwelt entwickeln, z.B. der (fehlenden) Präsenz des Vaters. Dadurch kann sich die Entwicklung eines Individuums zu bestimmten adaptiven Strategien verlagern. Unterschiede können sich auch durch verschiedene Umwelten im Erwachsenenalter ergeben, die immer wieder einen bestimmten Mechanismus aktivieren. Unterschiede entwickeln sich auch durch verschiedene Nischenauswahl. Außerdem können diese Unterschiede die Folge einer häufigkeitsabhängigen Selektion sein. Diese Ursachen für individuelle Unterschiede sind eine viel versprechende Grundlage für eine wahrlich integrative Persönlichkeitstheorie, die grundlegende Prämissen über die menschliche Natur sowie über die wesentlichen Unterschiede zwischen Individuen enthält.
13.5
Evolutionäre klinische Psychologie
Der Begriff der geistigen Störung spielt in der Disziplin der klinischen Psychologie eine zentrale Rolle. Klar formulierte begriffliche Kriterien zur Identifizierung geistiger Störungen sind für den Fortschritt der psychologischen Wissenschaft und ihre Anwendung sehr wichtig. Solche Kriterien bilden ein Rahmenwerk, innerhalb dessen festgelegt werden kann, wann Individuen gut oder schlecht funktionieren und was man bei Bedarf tun kann, um sie erfolgreich zu behandeln. Psychologen verwenden oft Begriffe wie angepasst oder nicht angepasst, adaptiv oder nicht adaptiv, normal oder abnormal, um mentale Störungen zu identifizieren. Diese Begriffe sind jedoch nicht klar definiert und werfen deshalb die Frage auf, warum sie auf eine Störung hinweisen. Viele Autoren folgen bei der Frage, was gut oder böse, wünschenswert oder nicht wünschenswert ist, stillschweigend ihrer Intuition – die sie gleich-
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zeitig auch ihren Lesern unterstellen. Das Diagnostische und Statistische Handbuch der Mentalen Störungen (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders; American Psychiatric Association, 1994) bietet auch tatsächlich ein solches Modell einer mentalen Störung in der Abhandlung der Begriffe, die zur Definition einer Störung verwendet werden, darunter mangelnde Kontrolle, Benachteiligung, Unflexibilität und Unvernunft. Wenn ausdrückliche Kriterien mentaler Störungen festgelegt werden, sind dies oft einfache heuristische Regeln, z.B. Anzeichen subjektiver Verzweiflung, Merkwürdigkeit, sozialer Schädlichkeit und Ineffizienz (z.B. American Psychiatric Association, 1994). Die evolutionäre Psychologie bietet die Möglichkeit, diesen intuitiven Ansätzen zu entfliehen, indem sie strengere und ausdrücklichere Prinzipien liefert, die über die Präsenz einer Störung entscheiden (siehe Buss et al., 1997; Wakefield, 1992). Wurde ein evolutionsbedingter psychologischer Mechanismus einmal beschrieben und seine Funktion einmal richtig zugeordnet, so existiert damit ein klares Kriterium zur Festlegung einer Fehlfunktion: Eine Fehlfunktion liegt vor, wenn der Mechanismus nicht so funktioniert, wie er in den Situationen sollte, in denen er laut seinem Entwurf wirken sollte. Eine Fehlfunktion evolutionsbedingter Mechanismen wäre z.B. angezeigt, wenn das Blut nach einer Verletzung nicht gerinnen würde, wenn man bei äußerlicher Hitzeeinwirkung nicht schwitzen würde oder wenn sich der Muskel im Kehlkopf beim Schlucken von Nahrung nicht schließen würde, um den Weg in die Lungen zu verschließen. Nach der gegenwärtigen Definition einer Fehlfunktion können evolutionsbedingte Mechanismen drei verschiedene Fehler aufweisen: (1) Der Mechanismus wird nicht aktiviert, wenn das jeweils relevante adaptive Problem auftritt (man sieht z.B. eine gefährliche Schlange, die anzugreifen droht, doch es setzt keine Angst oder Fluchtreaktion ein); (2) der Mechanismus wird in Situationen aktiviert, für die er entwurfsmäßig nicht ausgelegt war (man fühlt sich z.B. zu den falschen Personen sexuell hingezogen, etwa zu nahen genetischen Verwandten); (3) der Mechanismus lässt sich nicht wie entwurfsmäßig festgelegt mit anderen Mechanismen koordinieren (die Selbsteinschätzung des Partnerwerts führt uns nicht zu den Menschen hin, auf die wir unsere Partnerwahlbemühungen richten sollten).
Ursachen für Fehler in den Mechanismen Jeder der drei Mechanismusfehler – fehlende Aktivierung, falsche Situation und fehlende Koordination – kann sich aufgrund genetischer Faktoren (z.B. zufällige genetische Abweichung oder genetische Defekte), aufgrund einer Entwicklungsstörung (z.B. einer Gehirnverletzung) oder aufgrund einer Kombination dieser Ursachen ergeben. Bei Aphasikern, die an einer Gehirnverletzung leiden, sind diejenigen evolutionsbedingten Mechanismen gestört, die Sprachbildung und -verständnis bestimmen. Sie scheinen zwar andere zu verstehen, können aber selbst nicht flüssig sprechen. Das kann bedeuten, dass sprachlicher Input zwar empfangen und entsprechend verarbeitet wird, aber die Mechanismen, die der Sprachbildung zugrunde liegen, mit den Sprachverständnis-Mechanismen nicht richtig koordiniert sind. Alternativ können auch Fehler bei der Aktivierung und Weiterleitung der sprachbildenden Mechanismen selbst vorliegen (Pinker, 1994).
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Zufällige genetische Abweichungen können ebenso die Ursache für manche fehlerhaften Mechanismen sein. Obwohl die natürliche Selektion in der Regel artentypische evolutionsbedingte Mechanismen hervorbringt, könnten sich auch vererbbare Variationen innerhalb der oberflächlichen Merkmale dieser Mechanismen erhalten. Augen, Herz und Lungen funktionieren bei fast allen Menschen gleich, doch die strukturelle Form dieser Mechanismen unterliegt gewissen individuellen Unterschieden (so kann sich die Form der Lungen z.B. leicht unterscheiden). Eine solche Abweichung hat für die Selektion meist keine Bedeutung. In seltenen Fällen können solche genetischen Abweichungen jedoch gehäuft auftreten und dadurch Mechanismusfehler auslösen. Diese Abweichungen richten keinen Schaden an, wenn sie einzeln auftreten, in seltenen Kombinationen können sie jedoch Fehlfunktionen auslösen. Einige Forscher haben die Vermutung geäußert, dass seltene genetische Paarungen bestimmten Formen der Schizophrenie zugrunde liegen könnten (Gottesman, 1991). Eine weitere Ursache für Variationen liegt in den Mutationen. Obwohl Mutationen auch diejenigen Abweichungen bewirken, die notwendig sind, damit sich die natürliche Selektion vollziehen kann, sind isolierte Mutationen der Funktionalität doch selten zuträglich, sie können sogar schädlich sein und zu Mechanismusfehlern führen (Tooby & Cosmides, 1990; 1992). Dennoch könnte es geschehen, dass Forscher und klinische Psychologen fehlerhafte Mechanismen nicht als Fehlfunktionen erkennen. Sie müssen sich nicht in Form von seltsamem Verhalten, persönlicher Verzweiflung, der Unfähigkeit, sich um sich selbst zu kümmern, oder sozialer Schädigung manifestieren. In manchen Fällen können Fehlfunktionen das Leben angenehmer machen, so z.B., wenn der evolutionsbedingte Mechanismus, der Angst und Depression reguliert, nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert. In anderen Fällen führen fehlerhafte Mechanismen aber auch zu erheblichen persönlichen Schwierigkeiten und Schädigungen und werden daher von Forschern und klinischen Psychologen erkannt, behandelt und weiter beobachtet. Die Schlussfolgerung aus dieser Analyse soll jedoch nicht sein, dass nur die drei oben genannten Kategorien der Fehlfunktion von Psychologen behandelt werden sollten. Vielmehr sollen sie als Rahmenwerk für die klinische Forschung dienen und dazu beitragen, die lange herrschende Verwirrung darüber aufzuklären, was tatsächlich als Fehlfunktion zu bezeichnen ist und wie man diese angesichts ihrer Ursachen behandeln kann.
Evolutionäre Einblicke in fälschlicherweise als Fehlfunktionen bezeichnete Probleme Obwohl eine Reihe menschlicher Verhaltensweisen und Erfahrungen scheinbar gestört, nicht adaptiv, unangepasst, kostspielig oder subjektiv belastend sind, sind diese Verhaltensweisen keine Fehlfunktionen. Sie werden nicht dadurch ausgelöst, dass evolutionsbedingte Mechanismen nicht so funktionierten, wie es die Selektion ursprünglich vorsah. Diese offensichtlich gestörten Verhaltensweisen und Erfahrungen lassen sich in mehrere Hauptkategorien einteilen. Zunächst kann es zu Diskrepanzen zwischen der urzeitlichen und der modernen Umwelt kommen (Glantz & Pearce, 1989). Unsere moderne Umwelt weicht in vielen Dingen und oft sehr
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drastisch von der Umwelt ab, die einen Großteil der Evolutionsgeschichte des Menschen prägte. Ein evolutionsbedingter Mechanismus könnte genau so funktionieren, wie er planmäßig angelegt wurde, weil sich aber die Umwelt verändert hat, könnte das Ergebnis trotzdem nicht adaptiv erscheinen. Eine Diskrepanz zwischen der urzeitlichen und der modernen Umwelt könnte einige Eigenschaften von adaptiven Problemen verändern oder sie könnte dafür sorgen, dass ein adaptives Problem in unserer heutigen Umgebung irrelevant wird. Auf psychologischer Ebene könnten die Menschen Mechanismen entwickelt haben, die darauf ausgerichtet sind, ihren eigenen Partnerwert im Vergleich zu Individuen in ihrer Umwelt zu beurteilen. Wahrscheinlich gab es zur Zeit unserer Vorfahren nur relativ kleine Gruppen von etwa 50 bis 100 Menschen, die zusammenlebten (Tooby & DeVore, 1987). So ließ sich der relative Partnerwert ziemlich genau bestimmen. Eine Folge dieser genauen Bestimmung könnte gewesen sein, dass sich die Partnerbemühungen des Einzelnen verstärkt auf potentielle Kandidaten im Bereich des eigenen Partnerwerts konzentrierten. In unserer gegenwärtigen Umwelt sind die Bevölkerungszahlen dagegen weit höher und die Bilder, denen wir durch die Medien (besonders Fernsehen und Internet) ausgesetzt sind, könnten einen völlig neuen Vergleichsmaßstab darstellen. Fotomodelle und Schauspielerinnen sind z.B. meist sehr attraktiv. Zwar stellen besonders hübsche Frauen nur einen geringen Bruchteil der Gesamtbevölkerung, doch Bilder solcher Frauen begegnen uns in irreführender Häufigkeit. Dies kann dazu führen, dass Frauen ihren eigenen Partnerwert im Vergleich zu Konkurrentinnen innerhalb ihrer lokalen Umwelt künstlich als zu gering einschätzen. Dies wiederum kann den intrasexuellen Wettbewerb unter den Frauen verstärken oder sie dazu bringen, drastische Maßnahmen zu ergreifen, um ihre eigene Attraktivität zu steigern (Buss, 1996a). In Extremfällen können Frauen sogar ein gestörtes Körperbild oder Essstörungen wie etwa Bulimie, Magersucht oder Depressionen entwickeln. Insgesamt gesehen können Diskrepanzen zwischen urzeitlichen und modernen Kontexten psychologische Probleme hervorrufen. Diese sollte man aber nicht als Fehlfunktionen im evolutionären Sinne sehen, denn die evolutionsbedingten Mechanismen funktionieren ja noch immer in der Weise, in der sie ursprünglich ausgelegt wurden. Eine zweite Problemquelle ergibt sich möglicherweise aus den normalen Fehlern, die mit der „durchschnittlichen“ Funktionsweise der Mechanismen einhergehen. Alle Mechanismen funktionieren, weil innerhalb der beispielhaften Auswahl der Gegebenheiten der urzeitlichen Umwelt die Vorteile dieser Mechanismen durchschnittlich gesehen deren Nachteile überwogen, nicht weil sie in jeder Situation funktionieren. Da die evolutionsbedingten Mechanismen auf der Basis ihrer „durchschnittlichen“ Auswirkungen ausgewählt werden, kann ein voll funktionierender Mechanismus viele Fehler haben, die aber nicht zwangsläufig auf Fehlfunktionen hinweisen (Schlager, 1995). Ein gefährliches Tier hinter einem Baum zu vermuten, obwohl gar keines da ist, und sexuelle Absichten zu unterstellen, die gar nicht vorhanden sind – dies sind zwar Fehler, aber vielleicht keine Fehlfunktionen, weil durchschnittlich gesehen die Schwelle für die Wahrnehmung dieser Phänomene zu einer höheren inklusiven Fitness geführt hat als alternative Schwellen. Solche normalen Fehler müssen von echten Fehlfunktionen unterschieden werden. Dies kann man dadurch erreichen, dass man spezifische adaptive Probleme formuliert und die Kosten und Nutzen festlegt, die mit der Lösung dieser Probleme verbunden sind. Wenn unsere männlichen Vorfahren beispielsweise weibliches sexuelles Interesse unterstellten,
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könnten die Nachteile, die durch eine falsche positive Unterstellung entstanden sind (sexuelles Interesse wird unterstellt, obwohl es nicht vorhanden ist), möglicherweise geringer gewesen sein als die Nachteile, die durch eine falsche negative Unterstellung entstanden sind (sexuelles Interesse wird nicht unterstellt, obwohl es vorhanden ist). Dadurch sinkt die Schwelle der sexuellen Unterstellung verglichen mit der maximalen Treffsicherheit (Haselton & Buss, 2000). Insgesamt gesehen kann das, was zunächst wie eine Störung aussieht, einfach nur die normale Funktionsweise eines evolutionsbedingten Mechanismus sein, der Fehler produziert, weil er darauf ausgelegt ist, adaptive Probleme „durchschnittlich“ zu sehen und nicht in jedem Fall erfolgreich zu lösen. Eine dritte Ursache für Probleme, die man oft fälschlicherweise als Störungen interpretiert, bezieht sich auf das subjektive Leiden aufgrund der normalen Arbeitsweise funktionierender Mechanismen. Viele unserer evolutionsbedingten psychologischen Mechanismen führen zu Ergebnissen, die subjektiv Leid verursachen (Buss, 2000b). So sind schätzungsweise 10% aller jungen Amerikaner depressiv. Da die Depression so weit verbreitet und der Trauer so nahe ist, wird sie als zuverlässige Folgeerscheinung eines erlebten Verlustes (von Geld, eines Partners, von Ansehen) ausgelegt (Nesse, 2000; Nesse & Williams, 1994; Price & Sloman, 1987). Auch wenn eine Depression für die Betroffenen ein extrem frustrierendes Gefühl ist, so kann dieser emotionale Schmerz doch auch adaptive Funktionen haben. Erstens hilft uns die depressive Stimmung dabei, uns von einem gescheiterten Unternehmen zu lösen, das uns nur Verluste bereitet, so dass wir uns auf Neues konzentrieren können. Zweitens wird dadurch unserem „blinden“ menschlichen Optimismus ein Ende gesetzt und wir können unsere Ziele objektiver einschätzen (Nesse & Williams, 1994; Stevens & Price, 1996). Auch die Angst verursacht subjektives Leid, ist aber dennoch das Ergebnis der normalen Arbeitsweise eines funktionalen Mechanismus, der angesichts einer Bedrohung unser Denken, unser Verhalten und unsere Physiologie zu unserem Vorteil verändert (Nesse & Williams, 1994). Er macht uns vorsichtig und wachsam in Bezug auf mögliche physische oder soziale Gefahren. Eine Stressreaktion ist zwar nützlich, aber auch aufwändig (exzessiver Kalorienverbrauch, Gewebeschäden); deshalb muss es einen Grund dafür geben, dass es so häufig zu ängstlichen Reaktionen kommt. Aus evolutionärer Sicht liegt die Antwort auf der Hand: Bei 100 potentiell gefährlichen Situationen ist ein Todesfall kostspieliger als 99-mal falscher Alarm (Nesse & Williams, 1994). Panikattacken könnten einen funktionalen Bestandteil unseres Angstsystems darstellen, der uns vor speziellen Gefahren eines Angriffs schützen soll. Die Gegebenheiten, die bei uns Panik auslösen, sind bestens geeignet für die evolutionsbedingte Funktion, uns angesichts einer drohenden Gefahr zu schützen: Panik kann entstehen, wenn wir uns auf weiten, offenen Plätzen befinden, wenn wir alleine und weit von zu Hause entfernt sind und wenn wir uns an Orten befinden, wo wir schon einmal große Angst hatten. Panik ist eine Schutzreaktion gegen eine besondere Form der Bedrohung; eine fehlerhafte Regulierung der Panik führt zur Panikstörung (Nesse, 1990). Zusammengefasst hilft uns die evolutionäre Psychologie zu verstehen, warum wir negative Stimmungen erleben. Subjektives Leid stellt nicht immer zwangsläufig eine klinische Störung dar, sondern kann einfach ein Zeichen dafür sein, dass ein evolutionsbedingter psychologischer Mechanismus richtig funktioniert.
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Eine vierte Quelle für Probleme tut sich bei sozial unerwünschtem Verhalten aufgrund der normalen Arbeitsweise funktionaler Mechanismen auf. Einige evolutionsbedingte Mechanismen führen zu Verhaltensweisen, die gesellschaftlich nicht erwünscht sind. Die Psychopathie ist ein Beispiel. Zwar sind Psychopathen im medizinischen Sinn nicht behindert, sie gelten aber dennoch als krank, weil sie sich über soziale Normen hinwegsetzen, die das kooperative Miteinander regeln. Psychopathen könnten aber tatsächlich solche Verhaltensweisen zeigen, die durch die normale Funktionsweise eines Mechanismus zustande kommen, der darauf ausgerichtet ist, in speziellen urzeitlichen Kontexten betrügerisches Verhalten zu fördern. Wenn es z.B. keine dauerhaften sozialen Interaktionen geben sollte, so konnten erfolgreiche Betrüger die Vorteile einiger unfairer Interaktionen innerhalb einer bestimmten Gruppe für sich verbuchen, bevor sie dafür zahlen mussten (und z.B. zu einer anderen Gruppe übergehen mussten), weil ihr betrügerisches Verhalten entlarvt wurde (Harpending & Sobus, 1987). Psychopathen scheinen verschiedene Verhaltensweisen und Züge aufzuweisen, die die Auswirkungen eines entwickelten Betrügermechanismus sind. Diese Züge und Verhaltensweisen beinhalten plötzliche Änderungen in Planung, Charme, Mobilität, Promiskuität und dem Gebrauch von Pseudonymen (Harpending & Sobus, 1987; Lykken, 1995). Es überrascht nicht, dass uns die evolutionäre Psychologie zu verstehen hilft, warum psychopathisches Verhalten als sozial unerwünscht gilt: unsere eigenen reproduktiven Interessen sind dadurch in Gefahr. Durch die evolutionäre Psychologie können wir auch verstehen, warum wir potentiellen Betrügern gegenüber so misstrauisch sind: Wir besitzen evolutionsbedingte Mechanismen, die unsere eigenen Interessen schützen sollen. Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern, darunter auch Kindsmord, sind sozial zu verurteilende Verhaltensweisen, die durch die normale Arbeitsweise von Mechanismen ausgelöst werden könnten, die darauf ausgerichtet sind, die Investition von Ressourcen in Nicht-Verwandte zu reduzieren (Daly & Wilson, 1988). So ist Stiefelternschaft der beste alleinige Prädiktor für Kindesmisshandlung. In England berichtete Scott (1973), dass bei über der Hälfte von 20 Fällen, in denen Babys geschlagen wurden, ein Stiefvater beteiligt war, obwohl zu diesem Zeitpunkt nur 1% der Babys in der allgemeinen Bevölkerung bei einem Stiefvater aufwuchs. Mit anderen Worten ist für Kleinkinder und Kinder, die bei Stiefeltern leben, die Gefahren misshandelt zu werden, mehr als 40-mal höher als für Kinder, die bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen. Nach Daly und Wilson (1988) ist die Ambiguität der Situation der Stiefeltern nicht auf fehlendes Wissen über ihre Rolle zurückzuführen, sondern vielmehr auf einen echten Interessenskonflikt innerhalb der Stieffamilie, der unglücklicherweise zu einer Misshandlung oder Vernachlässigung eines nicht verwandten Kindes führen kann. Die Auswirkungen einer Zusammenführung der evolutionären und der klinischen Psychologie sind tief greifender Natur (Glantz & Pearce, 1989; McGuire & Troisi, 1998; Sloman & Gilbert, 2000; Stevens & Price, 1996). Versteht man den Entwurf von irgend etwas richtig, so hat man erheblich bessere Chancen, dieses wieder in Ordnung zu bringen, wenn es kaputt geht. Deshalb bringen wir unser Auto in die Werkstatt – wir wissen nur, wie man es fährt, der Mechaniker aber weiß mehr darüber, wie es genau aufgebaut ist und wie seine Mechanismen funktionieren sollten. Eine evolutionäre Perspektive leitet uns an und sagt uns, wann wir eingreifen sollen. In manchen Fällen behandeln wir vielleicht nur die Symptome wie Angst oder Depression und nicht die Ursache (Nesse, 1990, 1991; Nesse & Williams, 1994). Wenn wir diese Symptome beheben, können wir dadurch einen natürli-
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chen Heilungsprozess behindern. Dies ist vergleichbar mit der Behandlung von Fieber oder Husten: Das sind Mechanismen, die der Bekämpfung einer Infektion oder der Entfernung einer fremden Materie aus dem Atemwegssystem dienen. Wenn wir Fieber oder Husten behandeln, können wir damit unter Umständen das gesamte System beeinträchtigen. Ähnlich könnte auch eine medikamentöse Behandlung von Depression oder Angst (z.B. durch Prozac – in Deutschland Ritalin) an der grundlegenden Ursache dieser Phänomene vorbei gehen (Nesse & Williams, 1994). Zusammengefasst kann die evolutionäre Psychologie viel versprechende neue und tief greifende Einblicke in die klinische Psychologie bieten.
13.6
Evolutionäre Kulturpsychologie
Einige Psychologen halten immer noch an der falschen Dichotomie von „Kultur“ und „Biologie“ fest, als ob zwischen diesen beiden irgendein kausaler Wettstreit bestünde. Bemerkungen wie „Kultur setzt die Biologie außer Kraft“ und „Tiere haben Instinkte, Menschen haben Kultur“ spiegeln diesen falschen Dualismus wider. Die evolutionäre Psychologie nimmt eine wahrhaft interaktionistische Position ein, die aufzeigt, warum diese Dichotomien falsch sind. Wie wir in diesem Abschnitt sehen werden, kann „Kultur“ nicht als separate Ursache gesehen werden, da sie sich auf eine Basis evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen stützt. Sozialwissenschaftler, die sich mit der Kultur auseinander setzen, beginnen meist mit der Beobachtung, dass sich Menschengruppen an einem Ort in mancher Weise von Menschengruppen an anderen Orten unterscheiden. Die Yanomamö-Indianer Venezuelas zeigen stolz die Narben an ihrem Kopf, die sie aus Zweikämpfen davongetragen haben. In anderen Kulturen stecken sich Männer und Frauen Knochen durch die Nase, sie lassen sich die Lippen tätowieren, die Ohren durchstechen oder die Wange mit einer Sicherheitsnadel durchbohren. Psychologen registrieren diese Unterschiede und schreiben sie der „Kultur“ zu. Sie gehen davon aus, dass „Biologie“ all das meint, was alle Menschen unveränderbar gemeinsam haben, während sich „Kultur“ auf alles variable bezieht. Daraus folgt eindeutig, dass die „Kultur“ auch die Erklärung für die Variabilität darstellt (Tooby & Cosmides, 1992). Die evolutionäre Psychologie nimmt eine andere Perspektive ein. Zunächst sollten Muster lokaler Ähnlichkeiten innerhalb einer Gruppe und Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen am besten als Phänomene betrachtet werden, die einer Erklärung bedürfen. Wandelt man diese Unterschiede in eine autonome kausale Einheit namens „Kultur“ um, so verwechselt man das Phänomen, das erklärt werden muss, mit einer angemessenen Erklärung des Phänomens. Schreibt man diese Phänomene der Kultur zu, so ist diese Erklärung ebenso gut als würde man sie Gott, dem Bewusstsein, dem Lernen, der Sozialisation oder sogar der Evolution zuschreiben – es sei denn, die kausalen Prozesse, die unter diesen Bezeichnungen subsumiert werden, sind eindeutig und ausführlich beschrieben. Einem Phänomen nur einen Namen zu geben, reicht als echte kausale Erklärung nicht aus. Haben wir das Phänomen, für dessen Erklärung wir uns interessieren, erst einmal allgemein festgelegt – Vorstellungen, Praktiken, Rituale, Kunstwerke, Überzeugungen, Repräsentationen, Musik, und Kunst, die einige, aber nicht alle, Gruppen gemeinsam haben – so ist der nächste Schritt, potentielle kausale Erklärungen dafür darzulegen. Dabei besteht ein erster Ansatz darin, zwischen evozierter (äußerlich hervorgerufener) und übertragener Kultur zu unterscheiden (Tooby & Cosmides, 1992).
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Evozierte Kultur Alle evolutionsbedingten Mechanismen reagieren auf Umweltbedingungen: die Pupillen im Auge, die Schweißdrüsen, sexuelle Erregung und Eifersucht sind einige offensichtliche Beispiele für solche Mechanismen. Evozierte Kultur bezieht sich auf Phänomene, die in manchen Gruppen häufiger ausgelöst werden als in anderen, da die äußerlichen Bedingungen verschieden sind. Die Tatsache, dass Kalifornier meist stärker gebräunt sind als Menschen aus Oregon, scheint widerzuspiegeln, dass man in beiden Staaten unterschiedlich starker und häufiger Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist. Solche „kulturellen Unterschiede“ sind durch die Verbindung eines universellen evolutionären Mechanismus kombiniert mit je nach Gruppe ideal unterschiedlichem Input in den Mechanismus zu erklären. Ein konkretes potentielles Beispiel für eine evozierte Kultur findet sich in den Verhaltensmustern der kooperativen Nahrungsteilung zwischen verschiedenen Gruppen von Jägern und Sammlern (Cosmides & Tooby, 1992). Verschiedene Nahrungsmittelgruppen variieren unterschiedlich in ihrer Verteilung. Beim Stamm der Ache in Paraguay ist Fleisch zum Beispiel ein sehr variables Nahrungsmittel. An einem beliebigen Tag stehen die Chancen, dass ein Jäger mit einer Fleischbeute nach Hause kommt, nur bei 60%. An einem bestimmten Tag hat ein Jäger Erfolg, während ein anderer mit leeren Händen zurückkommt. Gesammelte Nahrung dagegen ist weniger variabel, denn hier hängt der Ertrag eher von den Bemühungen des Sammlers ab. Ein Aspekt, der die Menschen zum Teilen der Nahrung innerhalb der Gemeinschaft veranlasst, scheint die hohe Variabilität der Nahrungsressourcen zu sein (Cosmides & Tooby, 1992). Ist die Variabilität groß, bietet das Teilen enorme Vorteile. Heute teilen wir unser Fleisch mit einem Freund, der Pech bei der Jagd hatte, doch schon nächste Woche können wir die Nutznießer dieses reziproken Verhaltens sein, wenn wir nämlich bei der Jagd leer ausgegangen sind. Die Vorteile eines kooperativen Teilens von Nahrungsmitteln hoher Variabilität werden noch verstärkt durch die Tatsache, dass eine Person nur eine bestimmte Menge an Fleisch essen kann – würgt man trotzdem mehr hinunter, ist das kaum von Vorteil. Ist die Variabilität dagegen gering, so hat Teilen wenig Vorteile. Da die Menge der gesammelten Nahrung von den Anstrengungen des Einzelnen abhängt, so bedeutet Teilen nur, dass diejenigen, die hart gearbeitet haben, denen etwas abgeben, die faul waren. Die Ache teilen ihr Fleisch mit der Gemeinschaft. Die Jäger geben ihre Beute bei einem „Verteiler“ ab, der den einzelnen Familien dann verschiedene Stücke zuteilt, die sich meist nach der Größe der Familie richten. Im gleichen Stamm wird jedoch gesammelte Nahrung nicht mit anderen geteilt, die nicht zur Familie gehören. Am anderen Ende der Welt, in der Kalahariwüste fand die Evolutionsforscherin Elizabeth Cashdan (1989) heraus, dass einige San-Gruppen egalitärer sind als andere, und dass diese kulturellen Unterschiede eng mit der Variabilität des Nahrungsangebotes zusammenhängen. Das Angebot bei den !Kung San ist sehr variabel und sie teilen auch meist miteinander. Es gilt als eine der größten Beleidigungen, als stinge (Geizhals) bezeichnet zu werden, und wer seine Nahrung nicht teilt, nimmt eine empfindliche Schädigung seines Rufs in Kauf. Bei den Gana San ist dagegen die Nahrungsversorgung nicht variabel; sie neigen eher dazu, ihre Nahrung zu horten und teilen nur selten mit anderen außerhalb ihrer Familie. Diese Beispiele zeigen, dass externe Bedingungen, die von Ort zu Ort unterschiedlich sind, bei unterschiedlichen
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Gruppen die Aktivierung verschiedener psychologischer Mechanismen verursachen können. Kulturelle Unterschiede dieser Art sind Beispiele einer evozierten Kultur. Man kann sie erklären, indem man versteht, wie universal entwickelte Mechanismen in verschiedenen Gruppen in unterschiedlicher Art aktiviert werden – in diesem Fall sind Unterschiede in der Variabilität des Nahrungsangebotes der Auslöser. Ein weiteres Beispiel einer evozierten Kultur lässt sich aus der Analyse kultureller Unterschiede in der Bedeutung physischer Attraktivität erkennen. Der evolutionäre Psychologe Steve Gangestad ging davon aus, dass Menschen, die in ökologischen Systemen leben, in denen Parasiten stark verbreitet sind, größeren Wert auf die physische Attraktivität eines Partners legen sollten als Menschen, die in ökologischen Systemen leben, in denen es weniger Parasiten gibt, weil diese Parasiten bekanntermaßen die physische Attraktivität beeinträchtigen (Gangestad & Buss, 1993). Um diese Hypothese zu testen, wurde die Parasitenverbreitung in 29 Kulturen korreliert mit der Bedeutung, die die Menschen dort der physischen Attraktivität eines Ehepartners beimaßen. Die Ergebnisse bestätigten die Hypothese: Je höher die Parasitenverbreitung, desto größer war auch die Bedeutung physischer Attraktivität (siehe Abbildung 13.3). Obwohl diese Ergebnisse auf unterschiedliche Weise interpretiert werden können, stimmen sie zumindest mit den Vorstellungen der evozierten Kultur überein – kulturelle Unterschiede, die sich durch einen universalen psychologischen Mechanismus erklären lassen, der in verschiedenen Gruppen unterschiedlich aktiviert wird. Viele andere Beispiele, die momentan der Kultur zugeschrieben werden, könnten möglicherweise als Beispiele evozierter Kultur erklärt werden, z.B. kulturelle Unterschiede in der Reaktion auf Beleidigungen (Nisbett, 1993), kulturelle Unterschiede in Untreueraten (Buss, 2003) und kulturelle Unterschiede in der Vorliebe für schlanke oder gedrungene Körperformen (Symons, 1979).
Abbildung 13.3: Parasitenverbreitung und Bedeutung von Attraktivität Die Parasitenverbreitung in einem lokalen ökologischen System sagt deutlich voraus, wie bedeutend die Menschen in dieser Kultur die physische Attraktivität eines langfristigen Partners ansehen. Jeder Kreis in der Abbildung stellt eine Kultur dar. Diese Studie zeigt, dass die evolutionäre Psychologie prinzipiell die Variabilität zwischen Kulturen zusätzlich zu menschlichen Universalen erklären kann. Daten von Gangestad & Buss (1993).
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Übertragene Kultur Übertragene Kultur stellt ein weiteres Phänomen dar, das einer Erklärung bedarf. Übertragene Kultur bezieht sich auf Ideen und Vorstellungen, die ursprünglich in mindestens einem Gehirn existieren und durch Beobachtung oder Interaktion an andere weitergegeben werden (Tooby & Cosmides, 1992). Die Hula-Hoop-Welle, Stil- und Modeveränderungen, der Glaube an außerirdisches Leben sowie Witze, die von einem zum anderen weitergegeben werden, sind Beispiele für übertragene Kultur. Diese Phänomene erfordern die Existenz spezieller Inferenz-Mechanismen bei den „Empfängern“, die diese Repräsentationen in ihrem Denken wieder herstellen. Die Existenz spezieller Inferenz-Mechanismen ist aus evolutionspsychologischer Sicht für die Erklärung der übertragenen Kultur ausschlaggebend. Da „Informationen“ von anderen Individuen in unbegrenzter Menge in der eigenen gesellschaftlichen Gruppe weitergegeben werden, konkurriert eine potentiell unendlich große Auswahl von Ideen um die begrenzte Aufmerksamkeitsspanne des Menschen. Evolutionsbedingte psychologische Mechanismen des Empfängers müssen diese Ideenflut durchforsten und nur eine kleinere Auswahl zur psychologischen Rekonstruktion auswählen. Die Auswahl, die selektiv aufgenommen und internal rekonstruiert wird, hängt von der jeweils individuellen Basis der psychologischen Mechanismen ab. Die übertragene Kultur ruht also wie die evozierte Kultur auf einem Fundament evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen. Momentan wissen wir nicht, wie diese Mechanismen aussehen, wir kennen aber einige ihrer Eigenschaften. Sie müssen Verfahren beinhalten, die einigen Ideen selektive Aufmerksamkeit widmen, andere aber ignorieren; manche erhalten eine selektive Kodierung, andere werden vergessen; schließlich werden manche selektiv an andere übertragen, andere dagegen nicht. Diese Mechanismen enthalten vermutlich reichlich Inhalte, die über die Relevanz für die jeweilige Person entscheiden – die Relevanz der Ideen in Bezug auf Bereiche, die in einer urzeitlichen Umwelt die Fitness beeinflusst hätten. Betrachten wir die Tendenz der Menschen, den Kleidungsstil hoch angesehener Mitglieder ihrer lokalen sozialen Gruppen oder von Gruppen, zu denen sie gerne gehören würden, zu imitieren. Diese kulturellen Phänomene sind Beispiele für übertragene Kultur. Sie stützen sich aber auf ein Fundament evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen, die die Menschen dazu bringen, hoch Angesehenen mehr Aufmerksamkeit zu widmen als Menschen mit geringem Status, sich ihren Kleidungsstil einzuprägen und diese Erinnerung dann beim Kleiderkauf wieder abzurufen, etc. Eine vollständige Erklärung übertragener Kultur basiert letztendlich nicht nur auf den psychologischen Mechanismen von Menschen, die die „Empfänger“ kultureller Repräsentationen anderer sind. Sie basiert auch auf dem Verständnis der Mechanismen derer, die kulturelle Vorstellungen aktiv übertragen. Wie Allport und Postman schon vor langer Zeit anmerkten: „Es ist das starke persönliche Interesse der übertragenden Personen, das Gerüchte in Gang setzt und sie sich immer weiter verbreiten lässt.“ (1947, S. 314). Die absichtliche Verbreitung von Gerüchten ist ein ideales Beispiel für übertragene Kultur. Um ein Gerücht zu verstehen, muss man außerdem die Motivation und die Interessen derjenigen verstehen, die für die Verbreitung des Gerüchts verantwortlich sind (z.B. einen Rivalen schlecht machen um seinen/ihren empfundenen Partnerwert zu senken).
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Nicht alle Gerüchte prägen sich gleich gut ein und werden in gleichem Maß weitergetragen. Ein und dasselbe Gerücht wird auch nicht von allen in der gleichen Weise im Gedächtnis gespeichert, die es hören. Nehmen wir folgendes Gerücht: „John ist nur darauf aus, Frauen auszunutzen und würde mit fast jeder schlafen.“ Bei der Bewertung dieses Gerüchts sorgen unsere psychologischen Mechanismen zweifellos dafür, dass wir uns selektiv bestimmten Aspekten zuwenden. Kommt das Gerücht von einem von Johns Konkurrenten oder Feinden? Wenn ja wird man die Information vielleicht abtun und nicht weiter verbreiten. Stammt das Gerücht von dem Vater oder Bruder einer Frau, die John umwirbt, deren Ziel es ist, sie vor Männern zu schützen, die sie ausnutzen? Stammt es von einer Frau, die eigentlich selbst an John interessiert ist und das Gerücht verbreitet, um andere Frauen davon abzuhalten, sich mit ihm einzulassen? Die Interessen der Menschen, die Gerüchte in die Welt setzen, können bestimmend dafür sein, welche Gerüchte von wem weiterverbreitet werden. Die Interessen und Absichten der Quelle eines Gerüchts sind sehr wichtig, um zu bestimmen, wie viel Aufmerksamkeit man ihm schenkt, ob man es sich merkt und es – vielleicht mit vorhersagbaren Verzerrungen – an andere weitergibt. Diese Erklärung für kulturelle Phänomene ist natürlich unvollständig und vereinfacht. Sie reicht aber aus, um folgende Schlüsse zu ziehen: (1) „Kultur“ ist kein autonomer kausaler Träger, der mit der „Biologie“ um Erklärungsgewalt konkurriert; (2) kulturelle Unterschiede – lokale gruppen-interne Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Gruppen – sind Phänomene, die erklärt werden müssen; sie sind selbst keine Erklärung für kulturelle Phänomene; (3) kulturelle Phänomene können zweckmäßig in Arten wie etwa in evozierte und übertragene Kultur unterteilt werden; (4) Erklärungen für evozierte Kultur erfordern ein Fundament evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen, ohne das es keine unterschiedlich aktivierte kulturelle Vielfalt geben würde; (5) übertragene Kultur basiert ebenso auf evolutionsbedingten psychologischen Mechanismen, die beeinflussen, welchen Ideen wir Aufmerksamkeit widmen, welche wir im Gedächtnis speichern, wieder hervorholen und an andere weitergeben.
Die Evolution von Kunst, Fiktion, Film und Musik Warum beschäftigen sich die Menschen mit so vielen Aktivitäten, die mit Überleben und Reproduktion scheinbar gar nichts zu tun haben? Warum verbringen Menschen Stunden, Tage, Monate und Jahre damit, Kunst, Literatur, Musik und Sportereignisse zu schaffen und zu konsumieren? Dieses scheinbar „triviale Streben“ bestimmt das gesamte Leben mancher Menschen. Diese Verhaltensmuster müssen erklärt werden. Seien wir uns dabei jedoch bewusst, dass die vorgelegten evolutionären Erklärungen hoch spekulativ sind, auch wenn sie von einigen empirischen Daten gestützt werden. Evolutionäre Psychologen haben zwei grundlegende Ansätze gewählt, um diese Rätsel zu lösen. Den ersten Ansatz könnte man als Vorführungshypothese (display hypothesis) bezeichnen. Danach ist Kultur ein „aufkommendes Phänomen, das sich aus der Konkurrenz von sehr vielen Individuen ergibt, die alle unterschiedliche Partnerstrategien in verschiedenen Partnerarenen verfolgen“ (Miller, 1998, S. 118). Besonders Männer neigen dazu, Kunst und Musik als Werbungsstrategie für viele Frauen zu schaffen und zur Schau zu stellen. Der Autor der Studie, Geoffrey Miller, führte den Rock-Musiker Jimi Hendrix
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als Beispiel an, der mit hunderten von Fans Affären hatte und in vier verschiedenen Ländern Kinder zeugte, bevor er mit 27 an einer Überdosis Drogen starb. Er nannte auch die zahllosen sexuellen Affären von Pablo Picasso, Charlie Chaplin und Honoré de Balzac. Miller schließt: „Wie jeder Teenager weiß und wie die meisten Psychologen vergessen, erhöhen solche kulturellen Vorführungen den sexuellen Zugang.“ (Miller, 1998, S. 119). Die Vorführungshypothese kann viele bekannte Tatsachen über die Verhaltensmuster kultureller Zurschaustellungen erklären. Zunächst kann sie geschlechtsbezogene Unterschiede bei der Herstellung kultureller Produkte erklären. Historisch gesehen haben Männer in einer großen Vielfalt an Kulturen mehr Kunst, Musik und Literatur geschaffen als Frauen. Frauen hatten demnach durch kulturelle Zurschaustellung weniger Vorteile, einfach weil erhöhter kurzfristiger sexueller Zugang für sie nur selten ein angestrebtes Ziel war (siehe Kapitel 6). Frauen sind eher daran interessiert, „Werbung im kleinen Kreis“ zu betreiben, wie Miller es nennt, d.h. sie stellen ihre Leistungen einem oder wenigen Männern mit langfristigen Zielen vor und zielen nicht auf die große Masse und kurzfristige Beziehungen ab. Er führt hier die Scheherazade-Strategie auf, benannt nach der Frau, die erfolgreich ihre eigene Hinrichtung verhinderte und die Aufmerksamkeit und Investition des Königs jahrelang für sich einnahm, indem sie 1001 Nacht lang faszinierende Geschichten erzählte. Die Vorführungshypothese erklärt also geschlechtsbezogene Unterschiede in Bezug auf Art und Ausmaß der Bemühungen um kulturelle Zurschaustellung. Die Vorführungshypothese kann auch die Altersverteilung bei kulturellen Vorführungen erklären. Viele wichtige Kunstwerke und Musikstücke werden von Männern im jungen Erwachsenenalter geschaffen – dies ist genau die Zeit, in der Männer sich verstärkt mit intrasexuellem Partnerwettbewerb beschäftigen (siehe Abbildung 13.4). Je älter die Männer werden und je mehr sich ihre Anstrengungen auf die Rolle des Vaters und des Großvaters verlagern, um so weniger faszinierende kulturelle Werke schaffen sie. Die Vorführungshypothese liefert auch eine Erklärung dafür, warum Kunstwerke, Musikstücke oder literarische Werke mit sozialem Status und Ressourcen in Zusammenhang stehen. Wie der evolutionäre Psychologe Steven Pinker beobachtete: „Welchen besseren Beweis gibt es dafür, dass man genug Geld hat, als es für Zeitvertreib und Kunststücke auszugeben, die zwar nicht den Magen füllen oder den Regen abhalten, aber wertvolle Ressourcen, jahrelange Übung, die Beherrschung schwieriger Texte oder einen engen Umgang mit der Elite erfordern. … Menschen finden Würde in den Anzeichen einer ehrenhaften, sinnlosen Existenz, die allen niederen Arbeiten enthoben ist.“ (Pinker, 1997, S. 522-523). Kurz gesagt scheint die Vorführungshypothese die Alters- und GeschlechtsVerteilung kultureller Produktionen zu erklären. Die Vorführungshypothese kann allerdings einige andere Faktoren über Kunst, Musik und Literatur nicht erklären. Erstens kann sie den Inhalt dieser kulturellen Produkte nicht erklären. Warum finden Menschen einige Lieder bewegend, bleiben anderen gegenüber jedoch gleichgültig? Warum sind Shakespeares Stücke für manche faszinierend, während die Stücke so vieler anderer Autoren langweilig scheinen? Warum locken manche Filme Millionen von Besuchern in die Kinos, während andere kläglich floppen? Eine vollständige Kulturtheorie muss auch die Inhalte kultureller Produkte und nicht nur ihre Alters- und GeschlechtsVerteilung erklären können. Zweitens kann die Vorführungshypothese nicht erklären, warum
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einige Menschen so übermäßig viel Zeit damit verbringen, ganz alleine Kunst, Musik und Literatur zu genießen – in Situationen, in denen es nicht um Zurschaustellung geht.
Abbildung 13.4: Jazz-Musik: 1.892 Alben von 719 Musikern Diese Ergebnisse bestätigen Geoffrey Millers Vorführungshypothese, die davon ausgeht, dass Musik, Kunst und Literatur mehr von Männern als von Frauen geschaffen wird, da dies eine Zurschaustellungstaktik darstellt, um Partner für sich zu gewinnen. Zusätzlich zu dem großen geschlechtsbezogenen Unterschied entspricht auch die Alters-Verteilung in etwa den Altersklassen, in denen Männer die größten Anstrengungen bezüglich der Partnerwahl unternehmen. N bezeichnet die Stichprobengröße. Daten von Carr, I., Fairweather, D. & Priestly, B., The Essential Jazz Companion (1988) Quelle: “Sexual Selection for Cultural Displays” by G. F. Miller, in R. Dunbar, C. Knight & C. Power (Hrsg.), The Evolution of Culture, Edinburgh: University of Edinburgh Press.
In einem zweiten Ansatz zur Erklärung von Kultur legt Pinker eine allgemeine Antwort auf diese Fragen vor, auch wenn sie spekulativ ist. Er geht davon aus, dass die Antwort nicht in spezifischen Adaptationen für Kunst, Musik und Literatur liegt, sondern vielmehr in den evolutionsbedingten Mechanismen, die das Gehirn zu anderen Zwecken entwickelt hat, die „Menschen Gefallen finden lassen an Formen, Farben und Klängen und Witzen und Geschichten und Mythen.“ (1997, S. 523). Ein Mechanismus der Farberkennung, z.B., der darauf ausgelegt ist, reifes Obst zu erkennen, kann durch das Malen eines Bildes, das diese Muster imitiert, zum Vergnügen aktiviert werden. Psychologische Vorlieben für Hinweise auf fruchtbare Frauen können durch Zeichnungen, Fotos, Filme und freizügige Magazine ausgenutzt werden, die die Muster imitieren, welche den Mechanismus ursprünglich auslösten. Wie man künstliche Drogen schaffen kann, die unser Lustzentrum anregen sollen, so kann man auch Kunst, Musik und Literatur schaffen, um eine Reihe evolutionsbedingter psychologischer Mechanismen anzusprechen. Nach dieser Hypothese haben die Menschen keine speziellen Adaptationen entwickelt, um Kunst, Musik, Literatur und andere Kulturprodukte hervorzubringen. Sie haben vielmehr gelernt, bestehende Mechanismen künstlich zu aktivieren, indem sie kulturelle Produkte schaffen, die die anregende Wirkung, auf die die Mechanismen ursprünglich ausgelegt waren, kopieren. Solche kulturellen Aktivitäten sind also keine Adaptationen, sondern vielmehr nicht adaptive Nebenprodukte.
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Abstrakte Kunst besteht z.B. oft aus Punkten, parallelen Linien, Kreisen, Quadraten, Spiralen und Farbspritzern, die zufällig genau die anregenden Symbole imitieren, die Wahrnehmungsforscher als sehr wichtig für die Erkennung von Objekten und Oberflächen bezeichnen, mit denen Menschen umgehen müssen, so dass sie uns als angenehm erscheinen (Pinker, 1997). Bilder und Landschaften, die wir dagegen als eintönig empfinden, aktivieren Mechanismen in uns, die eine Umgebung als bar jeglicher Ressourcen erscheinen lassen. Faszinierende Kunstwerke imitieren also eine Umgebung mit reichlich Ressourcen, der man gerne seine Aufmerksamkeit widmet. Auch bei der Musik argumentiert Pinker ähnlich: „Ich gehe davon aus, Musik sei hörbarer Käsekuchen, eine köstliche Kreation, um die empfindlichen Punkte von mindestens sechs unserer geistigen Bereiche anzuregen.“ (1997, S. 534). Unter diese mentalen Dimensionen fallen Sprache (z.B. Liedertexte), hörbare Szenenanalyse (wir müssen z.B. Geräusche herausfiltern, die von unterschiedlichen Quellen stammen, z.B. den Ruf eines Tieres in einem lauten Wald), emotionale Rufe (z.B. werden Wimmern, Weinen, Stöhnen und Jubeln als Metaphern für musikalische Passagen eingesetzt), Selektion des Lebensraums (z.B. Donner, rauschendes Wasser, Knurren und andere Geräusche, die eine sichere oder unsichere Umwelt signalisieren) und motorische Kontrolle (z.B. Rhythmus, ein universaler Bestandteil von Musik, imitiert die motorische Beherrschung, die für eine Reihe von Aufgaben nötig ist, darunter Laufen und Springen, und signalisiert Merkmale wie Dringlichkeit, Faulheit und Vertrauen). Nach dieser Hypothese gefallen uns also solche Musikstücke, die natürliche Erreger imitieren, die unsere evolutionsbedingten Mechanismen verarbeiten können. Eine ähnliche Argumentation lässt sich auch auf Literatur und Filme anwenden. Worte, Handlungsstränge und Geschichten, die komisch oder tragisch sind, können angenehme Empfindungen auslösen, indem sie eine Reihe evolutionsbedingter Mechanismen ansprechen. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass die meisten erfolgreichen Romane und Filme, z.B. Titanic oder Vom Winde verweht, Muster von intrasexueller Konkurrenz, Partnerwahl, Romantik und lebensbedrohlichen feindlichen Naturgewalten enthalten. Pinker stellte fest: „Wenn wir in ein Buch oder einen Film versunken sind, dann sehen wir atemberaubende Landschaften, begegnen wichtigen Menschen, verlieben uns in wunderbare Männer oder Frauen, beschützen unsere Lieben, erreichen Unmögliches und besiegen hinterhältige Feinde. Nicht schlecht, was wir für sieben Dollar fünfzig bekommen!“ (Pinker, 1997, S. 539). Eine Analyse von 37 üblichen Handlungssträngen zeigte, dass sich die meisten durch eines von vier Themen definieren ließen: Liebe, Sex, persönliche Bedrohung oder Bedrohung für die Familie des Helden (Caroll, 1995). Beispiele sind „falsch verstandene Eifersucht“ (z.B. Shakespeares Othello) und „die Entdeckung, dass ein geliebter Mensch unehrlich (untreu) war“ (eines der häufigsten Themen in Romanen und Filmen). Sex und Gewalt sind durch die gesamte menschliche Geschichte hindurch die bestimmenden Themen in der Literatur. Nach dieser Hypothese erschaffen und konsumieren die Menschen Kulturprodukte wie Gemälde, Skulpturen, Romane und Filme nicht, weil diese kulturellen Aktivitäten selbst Adaptationen sind, sondern vielmehr weil ihre Formen und Inhalte künstlich Adaptationen aktivieren, die sich aus anderen Gründen entwickelt haben. In diesem Sinne leben wir also mit einem urzeitlichen Gehirn in einer modernen Welt voller evolutionär noch nie da gewesener Anregungen. Die Kulturmuster, die wir schaffen und konsumieren, könnten – auch
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wenn sie selbst keine Adaptationen sind – über die menschliche evolutionäre Psychologie ebenso viel oder mehr aussagen als die am besten geplanten psychologischen Experimente.
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Auf dem Weg zu einer geeinten Psychologie
In diesem Kapitel haben wir uns damit beschäftigt, wie die evolutionäre Psychologie an die wichtigsten Bereiche der Psychologie herangeht, darunter die kognitive, die Sozial-, die Entwicklungs-, die Persönlichkeits-, die klinische und die Kulturpsychologie. Die evolutionäre Psychologie hat sich auch für andere Bereiche der Psychologie als sehr bereichernd herausgestellt, darunter die Organisations- und die Arbeitspsychologie (Colarelli, 1998; Nicholson, 1997), die pädagogische Psychologie (Geary, 2002) und die Umweltpsychologie (Kaplan, 1992). Die evolutionäre Psychologie wird immer bedeutender und nimmt allmählich Einfluss auf andere Disziplinen. Darunter fallen etwa die evolutionäre Analyse des Gesetzes (Jones, 1999), der Religion (Kirkpatrick, 1999; Pinker, 1997), der Künste (Feist, 2001), der Ökonomie (Kurzban, et al., 2001; Saad & Gill, 2001; Wang, 2001), der Erforschung der mathematischen Logik (Brase, 2002), der Psychiatrie (McGuire & Troisi, 1998) und der Soziologie (Hopcroft, 2002; Kanazawa, 2001) sowie auch Misch-Disziplinen wie soziale Kognition (Andrews, 2001; DeKay & Shackelford, 2000) und kognitive Neurowissenschaft (Barkley, 2001; Gazzaniga, 1999). Man kann allerdings davon ausgehen, dass die evolutionäre Psychologie diese traditionellen Grenzen zwischen den Disziplinen letztlich auflösen wird. Die Menschen lassen sich nicht sauber in unterschiedliche Elemente zerlegen wie etwa Persönlichkeit, Sozialverhalten, Entwicklung und Kognition. Stabile individuelle Unterschiede wurden traditionell der jeweiligen Persönlichkeit zugeschrieben, sie haben aber häufig mit der sozialen Orientierung zu tun, ihnen gehen bestimmte Ereignisse in der Entwicklung voraus oder sie sind in gewissen kognitiven Mechanismen verankert. Der soziale Austausch und die Reziprozität wurden traditionell der Sozialpsychologie zugeordnet. Die hier zugrunde liegenden Mechanismen sind jedoch informationsverarbeitende Instrumente, die in der Entwicklung verankert sind. Der rasche Wandel, der sich in der Pubertät vollzieht, fällt traditionell in den Bereich Entwicklungspsychologie. Individuen unterscheiden sich allerdings darin, wann die Pubertät einsetzt, und viele der wichtigsten Veränderungen in der Pubertät sind sozialer Natur. Aus der Sicht der evolutionären Psychologie sind viele traditionelle Grenzlinien zwischen den Disziplinen nicht nur willkürlich, sondern sogar irreführend und schädlich für den wissenschaftlichen Fortschritt. Sie implizieren Grenzen, die die Mechanismen in unnatürlicher und willkürlicher Weise einschränken. Untersucht man die menschliche Psychologie über adaptive Probleme und deren Lösungen – das Organisationsprinzip dieses Buches – so ergeben sich natürlichere Möglichkeiten, um die Natur und ihre Bindeglieder zu entdecken und so gegenwärtige Grenzen zwischen Disziplinen zu verwischen. Eine wichtige Aufgabe dieser neuen psychologischen Wissenschaft wird die Identifikation der wichtigsten adaptiven Probleme sein, denen sich Menschen im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte immer wieder gegenübersahen. Evolutionäre Psychologen sind noch ganz am Anfang einer solchen Identifizierung – sie haben erst einige der offensichtlichsten und plau-
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sibelsten Probleme definiert, die mit Überleben und Reproduktion zusammenhängen. Die meisten adaptiven Probleme blieben bisher unerforscht, ein Großteil der psychologischen Lösungen unentdeckt. Wir können durchaus davon ausgehen, dass die ersten Wissenschaftler, die diese unbekannten Gebiete beschreiten, mit reicher Beute zurückkehren werden. Tatsächlich konzentrieren sich bedeutende Psychologen wie Daphne Bugental, Michael Gazzaniga, Stan Klein, Paul Rozin, und Shelly Taylor in ihrer Arbeit zunehmend auf die Prinzipien einer evolutionären Psychologie und machen dabei interessante neue Entdeckungen (z.B. Bugental, 2000; Klein et al., 2002; Rozin, 2000; Taylor et al., 2000). Die evolutionäre Psychologie bietet das konzeptionelle Rüstzeug an, um den fragmentarischen Zustand der gegenwärtigen psychologischen Wissenschaft hinter sich zu lassen, die Psychologie mit den übrigen Wissenschaften des Lebens zu verbinden und so eine groß angelegte wissenschaftliche Integration auf den Weg zu bringen. Die evolutionäre Psychologie liefert einige der wichtigsten Werkzeuge, um die Geheimnisse darüber zu lüften, wo die Menschen herkamen und wie sie zu dem wurden, was sie heute sind – und sie kann die geistigen Mechanismen erklären, die definieren, was es bedeutet, Mensch zu sein.
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Namens- und Sachregister A Aasfresser-Hypothese 126 Abwesenheit des Vaters und kurzfristige Affären 249 Adaptation zur Aufdeckung von Betrügern 349 Adaptation(en) artentypische 509 Begriff der 44 bei Kindern 137 evolutionärer Prozess und 68 Funktionen 67 Kosten der 45 natürliche Auslese und 39 Nebenprodukte von 70 psychologische 74 Theorien und Ursprünge 68 zur Krankheitsbekämpfung 140 Adaptationen 36 Adaptive Funktion 67 Adaptive Konservatismus Hypothese 138 Adaptive Probleme 100 des Überlebens 109 Entwicklung von 504 Klassifikationen 101 Organisation 103 Adrenalin 134 Aggression adaptive Muster der 377 als Adaptation 368 als Verteidigung gegen einen Angriff 370 Androhung von 369 auslösende Kontexte 384 Auswirkungen auf die Reputation 370– 371 bei Frauen 386, 389 bei Kindern 373 bei Männern 368–369, 371, 374, 384, 389, 396 bei Schimpansen 367, 390 geschlechtsbezogene Unterschiede 377
gleichgeschlechtliche 377 in der Schule 369, 379 intrasexuelle 370 Kontext-Spezifität der 372 Opfer von 370, 373, 382 sexuelle 323, 416, 420 um Rivalen Aufwendungen zu verursachen 370 um Status und Macht zu erhöhen 371 verbale 370, 376, 380 vererbbare 512 zur Abschreckung von Rivalen 371 zur Verhinderung sexueller Untreue 372 Agoraphobie 135–136 Aharon, Itzhak 202 Alcock, John 259 Alexander, Richard 448 Alkohol 115 Allesfresser 111 Allgeier, Elizabeth 180 Allport, G. W. 524 Alter die Macht der natürlichen Selektion und das siehe Jugend und Heiratsentscheidungen 195, 217 und Partner-Präferenzen 165, 185–186 und reproduktiver Wert 193 Vergleich von jüngeren und älteren Frauen 95 Altruismus 293 auf Leben und Tod 304 aufrichtiger 350 Aufwand durch 352 bei anderen Arten 301 elterliche Investition und 302 Entwicklung von 352 Gesamtfitness-Theorie und 293, 299– 300 Muster 303–304 Probleme des 336 reziproker 336 und Freundschaft 352
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Namens- und Sachregister
und genetischer Verwandtheits-Grad und 299, 304 und Status 462 Ängste adaptive Konservatismus-Hypothese 138 Angststörungen 138 bei Kindern 138 die häufigsten menschlichen 134 evolutionäre Basis von 136 evolutionäre Funktion von 133 intuitive Natur von 133 Schutz vor 134 soziale 464 Trennungsangst 136 Unterschiede zu Phobien 134 Verallgemeinerungsphänomen 138 vor Tieren 136 Ängstliche/ambivalente Bindung 508 Anorexia nervosa 216 Antimikrobielle Hypothese 114 Arbeitsteilung 121, 124, 257, 281 Archäologische Aufzeichnungen 97 Archäologisches Beweismaterial 52 Argyle, M. 465 Arten 109 Vergleich unterschiedlicher 93 Vergleich von Individuen innerhalb einer 95 Asexuelle Fortpflanzung 152 Athletische Fähigkeiten und weibliche Partner-Präferenzen 169 Atzwanger, K. 465 Auditive Wahrnehmungstendenz 137 Aufgabenanalysen 103 Aufrechter Gang 35, 48 Auge, menschliches 71 Außereheliche Affären Kontexte für Frauen in 251 Studien über 237 verhaltensbezogene Belege für 237 Australische Aborigines-Gemeinschaften, Aggressionen in 380 Autorität, Respekt vor 501 Axelrod, Robert 338–339, 364
B Bailey, Mike 186 Baize, H. R. 184 Bandenkriege 397 Barber, Nigal 171 Barkow, J. 471 Barrett, C. H. 138 Basisraten-Täuschung 487 Beach, Frank 199 Befriending 502 Behaviorismus Aufstieg des 56 radikaler 54, 56 Behinderte Kinder 273 Belsky, Jay 506, 508 Beobachtungen als Datenquellen 97 Bereichs-übergreifende Lernprozesse 61 Bereichsübergreifende Mechanismen 91 Beruflicher Status, männliche Aggression und 384 Beruflicher Status, Partner-Präferenzen und 185 Bessere Gene 242 Bestätigungs-Tendenz 497 Betrügerisches Verhalten Problem des 345 Wut auf 501 Betzig, Laura 453 Beziehungen als interferierende Strategien 408 Gewalt in 407 Bindung und lebensgeschichtliche Strategien 506 und lebensgeschichtliche Theorien 507 vermeidende 508 Bindungsstile 509 Bindungswille männliche Vermeidung von 228 nach dem Sex 235 Statussteigerung und 246 Täuschung über 412 Vorteile für den Mann 191 weibliche Partner-Präferenz und 174 Bleske, A. L. 359–361 Blumen 132 Bluthochdruck, in der Schwangerschaft 286
Namens- und Sachregister
Boorda, Jeremy 447 Brown, Michael 144 Brown, William Michael 350 Bugental, Daphne 530 Bunn, Henry 120 Burbank, Victoria 380 Burnstein, E. 305, 307 Buss, D. M. 359–361
C Caenorhabditis elegans 32 California Psychological Inventory Dominance-Skala 457 Camire, Lori 219 Campbell, Anne 376 Cashdan, Elizabeth 522 Chagnon, Napoleon 195, 300, 390, 392, 398, 453 Chiappe, D. 91 Chisholm, James 507–508 Chomsky, Noam 494 Commitment skepticism bias 414 Computational theories 486 Computer im Vergleich zum Gehirn 61 Conohan, Colette 233 Cosmides, Leda 345–348, 350, 352–354, 356, 358, 392, 394–395, 399, 486, 488, 490–491, 512 Costly Signaling 351 Crawford, Charles 308 Cummins, Denise 459, 461–462, 477 Cummins, Dense 460 Cunningham, Michael 200 Cuvier, Frédérick Dagobert 25
D Dabbs, James 186 Daly, Martin 258, 264–265, 269–271, 273, 276, 278, 280, 288, 319–320, 324–325, 375, 377, 381, 402, 435–436, 453, 520 Dankbarkeit 501 Darwin, Charles 23–24, 26, 28, 134, 223, 296, 328 Darwinistische Medizin 140
Datenquellen multiple 100 Überschretung der Beschränkungen 100 Datenquellen zur Überprüfung evolutionärer Hypothesen 97 Davis, Jennifer 324–325 Dawkins, R. 44, 448 de Waal, F. 344 DeCatanzaro, Denys 143 DeKay, Todd 312–313 Deontisches Denken 460 Depression 464, 484 Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders (DSM) 516 Diskriminierende elterliche Besorgtheit 276 DNA Belege vorzeitlicher Skelette 52 Reproduktion der 72 Dominanz Determinanten der 465 dominante Gesichter 468 Evolutionstheorien zu 451 geschlechtliche Unterschiede 451–452 gesellschaftlich-wirtschaftlicher Status und 465 Größe und 466 Serotonin und 470 Testosteron und 467 verbale und nonverbale Indikatoren 465 Dominanz-Hierarchien 448–449 Bildung von 448 im Tierreich 449 transitive 460 Dominanz-Theorie 459 Draper, P. 506 Dunbar, Robin 495
E Edwards, C.P. 455 Edwards, Donald 450 Ehe Liebe und 176 Männer auf der Suche nach 191 Männer mit Ressourcen und 214 mit älteren Männern 189 und Alterspräferenzen 217
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Namens- und Sachregister
Eheliche sexuelle Treue 210 Ehestand und Aggressionen bei Männern 384 Ehrgeiz und weibliche Partner-Präferenzen 167 Eigennützige Tendenz 497 Eisenmangel im Blut 140 Ellis, Bruce 236 Elterliche Bevorzugung 263 Elterliche Fürsorge 37 bei anderen Arten 257, 260–261 Bemühungen zur 280 evolutionäre Perspektive auf 257 genetische Verwandtschaft und 283 und die Gesundheit des Kindes 274 von Müttern und Vätern 259 Elterliche Investitionen 267, 297 Altruismus und 302 genetische Verwandtschaft und 269 in Söhne und Töchter 277 Theorie der 41, 154, 302, 498 und die Gesundheit des Kindes 274 und verfügbare Ressourcen 277 Elterliche Liebe 259 Elterliche Vernachlässigung 273 Eltern-Kind-Konflikt 325–326, 499 im Uterus 285 Ödipus-Komplex und 287 Theorie des 41, 284 Embryonenschutz-Hypothese 116 Emlen, Stephen 321–322 Emotionale Nähe und Altruismus 307 Emotionale Unterstützung, Partnerpräferenzen und 175 Entwicklungseinschränkung 296 Entwicklungsphasen und kurzfristge Beziehungen 249 Entwicklungspsychologie 503 Entwicklungsstabilität 172 Environment of Evolutionary Adaptedness (EEA) 72, 84 Erdhörnchen, Warnrufe der 301 Erkennen sexueller Intentionen, Kognitive Tendenzen im 413 Error management theory 413 Essay on the Principles of Population (Malthus) 27
Etcoff, Nancy 202 Evolution 62 drei Produkte der 70 vor Darwin 24 Evolution von Fürsorge 502 Evolutionäre Analyse 74 Hypothesen 74 Evolutionäre Hypothesen Datenquellen zur Überprüfung 97 experimentelle Methoden 96 Vergleich unterschiedlicher Arten 93 Vergleich von Individuen in verschiedenen Zusammenhängen 95 Vergleich von Individuen innerhalb einer Art 95 Vergleich von Männern und Frauen 94 Evolutionäre Psychologie 68, 483 Entwicklungspsychologie 503 Kern der menschlichen Natur 82 Kernfragen 23 klinische 515 kognitive 484 kulturelle 521 Persönlichkeitspsychologie 509 soziale 497 Evolutionäre Zeitverzögerungen 45 Evolutionär-stabile Strategie (ESS) 339 Evolutionsbedingte physiologische Reaktionen 134 Evolutionsbedingte psychologische Mechanismen 83, 86 beim Menschen 88 Definition 83 Eigenschaften 86 Flexiblität im Verhalten durch 90 jenseits bereichsspezifischer 91 problemspezifische 87 Evolutionsbedingte Tötungsmechanismen 400 Evolutionsbiologie Meilensteine in der Geschichte der 24 neue Theorien 68 neue Theorien in der 498 Evolutionstheorie allgemeine 74 Identifizierung adaptiver Probleme und 100 Missverständnisse in der 43
Persönliches Exemplar von Herr Hans Wurst vom 27.04.2011, Lesen & Drucken
Namens- und Sachregister
Evozierte Kultur 522 Experimentelle Methoden 96
F Fäkalien 113 Familie biparental 321 Emlen's Theorie der 321 evolutionäre Perspektive der 320 Konflikte innerhalb der 325 matrilineal 321 weitläufige und einfache 321 Familien-Altruismus-Theorie 213 Fehler 88 Fehlfunktionen 517 Feindliche Kräfte der Natur 356 Feste Handlungsmuster 36 Fiktion, Evolution von 525 Film Evolution von 525 Fisher, Edward 175 Fisher, Helen 243 Fleiß und weibliche Partner-Präferenzen 167 Flinn, Mark 97, 264, 283 Ford, Clelland 199 Fortpflanzung 28 Evolution der 152 geschlechtsbezogene Unterschiede 142 und sexuelle Selektion 154 Fortpflanzungserfolg 28, 507 Franklin, Melissa 203 Freeman, Derek 57 Fremde, Angst vor 135 Freud, Sigmund 54, 82, 287–288, 509 Freundschaften Aufwendungen und Vorteile bei 358 Auswahl von 357 begrenzte Nischen für 356 Geschlecht und 358 gleichgeschlechtliche 360 Psychologie der 352 unersetzbare Freunde 354 unter Frauen 324 Vorteile und Funktionen von 361 zum anderen Geschlecht 360
Fruchtbarkeit Einschätzung bei der Frau 193 gesteigerte 242 und physische Attraktivität 212 Früchte 115 Funktioneller Agnostizismus 485
G Gameten 261 Gangestad, Steve 172, 182, 201, 523 Garcia, John 58 Garcia-Effekt 58 Gazzaniga, Michael 530 Geary, D. C. 91 Geary, David 273 Geburtenkontrolle 155 Geburtsreihenfolge 297, 511 Gefahren Adaptationen bei 133 Gefangenendilemma 337 Gehirn, menschliches 24, 202 Vergrößerung des 49 Geist, menschlicher 87 Sprache und 493 Gene 33, 37, 70 bessere 242 verschiedene 242 Generationenkonflikt 300 Genetisch verschiedenartige Nachkommen 153 Genetische Determinierung 43 Genetische Drift 31 Genetische Nähe 299 Genetische Verwandtschaft 298, 295 und Altruismus 293, 295, 303, 328 und die Gesamtfitness-Theorie 293 und elterliche Fürsorge 263 und elterliche Investitionen 272 und emotionale Nähe 307 und Investitionen in Verwandte 317 und Kindsmord 270 Genetische Vielfalt 242 Genetischer Interessenskonflikt 285 Genotypen 34 Geografische Position und PartnerPräferenzen 184
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Namens- und Sachregister
Geräusche, Wahrnehmung von 137 Gerechtigkeit, Durst nach 501 Geruchssinn der Frau 182 Gesamtfitness Altruismus und 293–294, 300, 302–303, 305 Begriff der 293 evolutionäre Theorie der 293 Hamilton-Regel und 294 Theorie und Auswirkungen der 294 Gesamtfitness-Theorie 36, 68, 293, 301, 498 Geschlecht, biologisches 154, 513 Geschlechter, Vergleich von Adaptationsmechanismen 94 Geschlechterkonflikt das Ob und Wann von Sex und 409 evolutionäre Psychologie und 408 geschlechtliche Unterschiede und 440 gleichgeschlechtlicher 407 über sexuellen Zugang 410 Geschlechtliche Arbeitsteilung 257, 281 Geschlechtsverkehr minimale Bindung nach dem 235 ob und wann 408–409 Zeitspanne vor dem 232 Geschmackliche Vorlieben 99 Geschwister genetische Verwandtschaft von 153 Geschwisterbeziehungen 297 Konflikte unter 325 und Halbgeschwister 298 Gesicht, dominantes 468, 512 Gesichter älterer Menschen 201 Evolution von am Computer erzeugten 203 Reaktion von Säuglingen auf 200 Gesichtssymmetrie 172, 201 bei älteren Gesichtern 201 Gesteigerte Fruchtbarkeit 242 Gesunde-Baby-Hypothese 274 Gesundheit Hinweise auf 199 Symmetrie als Hinweis auf 172 Testosteron und 173 und elterliche Investitionen 272 und WHR 204 weibliche Präferenz für 171
Gewalt als Taktik der Partnerbindung 429 gegen Partner 435 Gewürze 114 Giftstoffe Pflanzengifte 111 Schwangerschaft und 116 Vermeidung von 111 Gilbert, Paul 462 Glass, S. P. 244 Gleichgeschlechtliches Verhalten 187, 214 Gould, Stephen Jay 494 Grammer, Karl 190, 215 Gregor, Thomas 171, 238, 419 Greiling, H. 241, 243 Grillen 76 Großelterliche Fürsorge 316 Großelterliche Investitionen 312, 314 in die Enkelkinder 314 und unsichere Vaterschaft 312 verhaltensbezogene und psychologische Formen der 314 Großzügigkeit und Selektionsdruck bei Männern 156 Gründereffekt 31 Grüne Meerkatzen Reziprozität unter 342 Serotonin-Werte bei 470 Gruppen adaptive Probleme in 101 warum leben Menschen in 497 Gruppenselektion 39 Theorie der 502 Gubernick, David 283
H Hackordnung 448 Haidt, Jon 500, 502 Haig, David 285 Hamilton, W. D. 338 Hamilton, William D. 295, 302, 328 Hamilton-Regel 294–295, 352 Handaxt 50 Harlow, Harry 58 Haselton, Martie 235 Häufigkeitsabhängige Selektion 513
Namens- und Sachregister
Häufigkeits-Hypothese 490 Hawkes, Kristen 121 Heerwagen, J. H. 130 Heuristischer sozialer Austausch 351 Hill, Kim 97, 120 Hite-Bericht 237 Hodengröße 229 Höhenangst 135 Holmberg, A. R. 95 Holmes, Warren 298 Homo erectus 50, 495 Homo habilis 49 Homo sapiens 51 Homoerotische Verhalten 213 Homosexualität 186, 213 Huffmann, K. J. 91 Human Relations Area Files (HRAF) 272 Humanes Choriongonadotropin (HCG) 286 Hume, David 502 Hunts Befragung 237 Hyde, Janet 377 Hypothese Datenquellen zur Überprüfung 97 der guten Gene 246 der Opportunitätskosten 262 der Partnermanipulation 243 der Statussteigerung 241, 246 des genetischen Vorteils 242 des sexy Sohnes 242, 246, 248 des Verlassen-Könnens 261 Formulierung 74 über die Erlangung partnerschaftlicher Fähigkeiten 243
I Indikatives Denken 460 Individuelle Unterschiede Entwicklung von 509 vererbbare 510 Vergleich bei verschiedenen Arten 95 Vergleich in verschiedenen Zusammenhängen 95 Infektionen 140 Informationsverarbeitung, vorherrschende kognitive Annahmen über 485 Instinkte, Psychologie der 55 Interferierende Strategien, Theorie der 407
Internet-Partneragenturen 215 Intersexuelle Selektion 29 Intrasexuelle Konkurrenz 374, 385 Intrasexueller Wettbewerb 29 Inzest 500 Inzucht, Widerwille gegen 500
J Jagd 52 Adaptationen zum 128 Vergleich zur Sammler-Hypothese 124 Jagd-Hypothese 118 Jäger und Sammler evozierte Kultur der 522 Jäger-Sammler-Gesellschaften adaptive Probleme bei 102 Daten aus 97 James, William 54, 82, 191 Jankoviak, William 175 Johnston, Victor 203 Jones, Doug 203 Judge, Debra 310 Jugend der Frau und Kindstötung 276, 279, 281 Hinweise auf 194 männliche Partner-Präferenzen für 195 Schönheitsmaßstäbe 199 Jugendliche Partner-Präferenzen bei 196–197 Jungfräulichkeit 210–211
K Kaplan, Hillard 97, 122 Katastrophismus 25 Kenrick, Douglas 160, 400 Kernspinresonanztomografie (MRI) 202 Kibbutz 257 Kinder Adaptationen bei 137 Aggression bei 373 Alter und reproduktiver Wert 275 behinderte 273 elterliche Investitionen in 258, 266 genetische Verwandtschaft und elterliche Fürsorge 264
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Namens- und Sachregister
Investitionsbereitschaft 176 Verständnis von Tod 138 Kindesmisshandlung 269 durch Stiefeltern 269, 271 Gesundheit des Kindes und 274 Risiko einer 276 Kindsmord 244, 270–271 Alter des Kindes und 275 Alter von Frauen und 278–279, 281 durch einen Stiefelternteil 271 Familienstand der Frau und 280–281 genetische Verwandtschaft und 269–270 Risiko der 275 Kinsey, A. C. 238 Kinsey-Studie 237 Kish, Bradley 308 Klassische Fitness 37 Klein, Stan 530 Kleinkinder Angst vor Fremden bei 136 elterliche Ähnlichkeit 265 geschlechtliche Unterschiede bei der Erkennung von 282 Reaktionen auf Gesichter 200 Klinische Psychologie 515 Kognitive Psychologie 484 Kognitive Revolution 59 Kognitive Tendenz 413 Kombinatorische Explosion 61 Konflikt Eifersucht 423 über den Zugang zu Ressourcen 438 Konjunktions-Täuschung 487 Konner, Melvin 58 Kontaktanzeigen männliche Reaktion auf 217 weibliche Reaktion auf 184 Kooperation Entwicklung von 335 Familiendynamik der 322 Freundschaft und 352 in der Natur 341 Problem des Altruismus 336 Strategien zur Förderung 339 Theorie des sozialen Vertrags 344 und Entdeckung von Betrügern 350 Kooperative Allianzen 335
Kooperative Koalitionen 362 Körper, menschlicher 86 Körperfett, Partner-Präferenzen für 202 Körperformen 204 Körpergröße, Partner-Präferenz für 171 Körperliche Symmetrie 158, 172 Körperlicher Schutz, Partner-Präferenz für 170 Kosten von Adaptationen 45 Krankheit Bekämpfung von 140 Fieber 140 Infektionen 140 Kreationismus 68 Kriegsführung 367, 389, 399 bei den Yanomamö 369, 390 Männer und 395 Sieger bei der 397 Theorie der 399 Kriegsführung, evolutionäre Psychologie der 392 Kultur 521 evozierte 522 übertragene 524 kulturelle Übertragung 115 Kulturelle Vielfalt 57 Kulturpsychologie 521 Kunst Evolution von 525 Kurzfristige Partnerschaften Funktionen und Vorteile 225 Individuelle Unterschiede bei 247 Kontexteffekte bei 247 physiologische Belege 229 psychologische Belege 231 verhaltensbezogene Belege für 237 Kurzfristige Partnerschaften der Frau 239 adaptive Vorteile 240–241 außereheliche Affären 240 Belege für 239 Kosten 243 Kurzfristige Partnerschaften des Mannes adaptive Probleme 226 adaptive Vorteile 224 potentielle Kosten 224 Theorien über 223
Namens- und Sachregister
L La Cerra, Peggy 176–177 Lagervorlieben 130 Lamarck, Jean Pierre Antoine de Monet de 24 Landschaftsvorlieben 130 Langlois, Judith 200 Larsen, Randy 160 Lebensdaten 99 Lebenserhaltende Instinkte 54 Lebensraum-Präferenzen 131 Lesbische Frauen 213 Partner-Präferenzen 186 Leslie, Allen 504 Liebe kulturübergreifende Studie der 175 und Bindungswille 174 und Ehe 176 weibliche Partner-Präferenzen und 174 Lorenz, Konrad 35 Low, Bobbi 99 Luis, S. 205
M Maccoby, Elenor 455 MacDonald, K. 91 Malamuth, Neil 420 Malinowski, Bronislaw 199 Malthus, Thomas 27 Mann, Janet 274 Männliche Jugend, Syndrom der 381 Marks, Isaac 133 Marlow, F. 205 Marlow, Frank 269 Marr, David 486 Maskuline Gesichter, Partner-Präferenzen für 181 Maskuline Züge, Partner-Präferenzen für 174 Maslow, Abraham 509 Mazur, Allan 468 McGuire, Michael 470 Mead, Margaret 57 Mealey, Linda 460, 514–515 Mechanismen-Fehler, Ursachen für 516
Medienbilder 215 Medizinisches Diagnose-Problem 490 Megargee, Edwin 458 Mehrschichtige Selektionstheorie 502 Mendel, Gregor 34 Menschen archäologische Belege für 52 Meilensteine in der Entstehung des modernen 46 multiregionale Ursprünge des 51 Menschliche Erzeugnisse, als Datenquellen 99 Menschliche Natur siehe Evolutionsbedingte psychologische Mechanismen 82 bei allen Arten 82 Theorien über die 68 Kern der 82 Menstruationszyklus und Partnerpräferenzen 181 und Vorlieben für Gesichter 174 Mentale Störungen 515 Metapher der Informationsverarbeitung 60 Mikroorganismen 114 Miller, Geoffrey 525 Missbrauch in der Ehe 389 Modell des familiären Nutzens 322 Modell ökologischer Zwänge 321 Moderne Synthese 33 Moko dude 195 Monogamie 160 Moore, C. 350 Moralische Emotionen 500 Moralisches Dilemma 499–500 Mord an Eltern 289 an Jugendlichen 288 durch Männer 374 geschlechtliche Unterschiede bei 374– 375, 400 gleichgeschlechtlicher 288, 374 in der Ehe 389, 435 Opfer von 382, 384 Risiko 275 Mueller, Ulrich 468 Multiregionale Hypothese (MRC) 51 Multiregionale Ursprünge 51 Muscarella, Frank 186
593
Namens- und Sachregister
594
Musik Evolution von 525 Mutationen 72, 517 Mütter elterliche Fürsorge durch 259 Liebe zu Kindern 258
N Nahrungsauswahl 110 Aasfresser-Hypothese 126 Adaptationen zum Sammeln und Jagen 128 Alkohol und Obst 115 antimikrobielle Hypothese 114 bei Ratten 111 bei schwangeren Frauen 116 beim Menschen 112 Jagd-Hypothese 118 kulturelle Unterschiede bei der 112, 117 Sammler-Hypothese 123 vegetarische Ernährung 118 Nahrungsknappheit 113 Natürliche Auslese, Theorie der 26 Adaptation und 39 Rolle der, in der Evolutionstheorie 30 Natürliche Selektion, Theorie der 69 Neandertaler 23, 48, 50 Nebenprodukte von Adaptationen 72 Neid 475 Neophobie 111 Neuhoff, John 137 Nischenauswahl 511, 515
O O’Connor, Lynn 476 Ödipus-Komplex 287 Öffentliche Aufzeichnungen 99 Ökologische Rationalität 488 Ökologische Struktur 488 Onkel, Investitionen durch 317 Operante Konditionierung 56 Opportunitätskosten, Hypothese der 262 Orgasmus 239 Östrus 193, 451 Out-of-Africa-Theorie (OOA) 51
Ovulation Festelung durch den Mann 208 Hautveränderung 208 Partner-Präferenz des Mannes für 207 und geringeres WHR 208 verborgene 208 weibliches sexuelles Interesse und 208
P Packer, Craig 342 Paläoanthropologie 102 Paläoarchäologie 102 Palmer, Craig 397 Panikattacken 519 Paradoxon der Banken 353 Parasiten-Theorie 153 Partnerbindung, Taktiken der 429 Einkommen und Statusstreben des Ehemanns 434 Geschlechtsunterschiede bei 429 Kontexte der Intensität der 432 Partner-Deprivations-Hypothese 420 Partnermanipulation Hypothese der 243 Partner-Präferenzen asexuelle und sexuelle Fortpflanzung und 152 bei nicht-menschlichen Arten 170 Partner-Präferenzen der Frau Auswirkungen auf das Partner-Verhalten 184 Evolution der 152 für ältere Männer 165 für athletische Fähigkeiten 169 für die Bereitschaft, in Kinder zu investieren 176 für Ehrgeiz und Fleiß 167 für gesellschaftlichen Status 163 für Gesundheit und gutes Aussehen 171 für körperlichen Schutz 170 für wirtschaftliche Ressourcen 158 Inhalte der 157 Kontexteffekte der 178 langfristig 151 Liebe und Bindungswille und 174 theoretischer Hintergrund der 152
Namens- und Sachregister
Partner-Präferenzen des Mannes Auswirkungen auf das Partner-Verhalten 217 Auswirkungen auf die Anziehungstaktiken der Frau 218 Evolution der 191 für Jugend 194–195 für Körperfett und WHR 202 für körperliche Attraktivtät 201 für ovulierende Frauen 207 Inhalte der 194 Jugendliche und 196 Kontexteffekte der 212 langfristge 191 mit wirtschaftlichen Ressourcen 212 theoretischer Hintergrund der 191 Vorteile einer Heirat und 191 Partnertausch-Hypothese 242 Partnerverhalten bei Frauen 184 Partnerwert Auswirkung auf weibliche PartnerPräferenzen 518 Auswirkungen auf die PartnerPräferenzen der Frau 182 selbst empfundener 250 Patton, John 385 Paviane, Reziprozität unter 342 Personality Research Form DominanceSkala 457 Persönlichkeitspsychologie 509 Peterson, D. 368 Pfad der feindlichen Männlichkeit 420 Pflanzenfresser 114 Phänomen Sperrstunde 235 Phobien 133 Unterschiede zu Ängsten 134 Physische Attraktivität Evolution von Maßstäben 199 Geschlechtsunterschiede bei der Bedeutung von 206 kulturelle Unterschiede bei 523 Partner-Präferenzen und 173, 177 und Kontaktanzeigen 217 und Partnerwert der Frau 182 und reproduktiver Wert 199 und WHR 205
Physischer Schutz, Partner-Präferenzen für 360 Pinker, Steven 493–494, 527–528 Playboy Magazin 205 Plazebo 140 Pleiotropie 142 Positives mütterliches Verhalten 274 Posner, Richard 211 Postman, L. 524 Potential sozialer Aufmerksamkeitserhaltung (social attention-holding potential, SAHP) 462 Potts, Richard 120 Präeklampsie 286 Prägung 35 Präsenz des Stiefvaters und kurzfristige Affären 249 Price, M. E. 363 Primäre Verstärkung 58 Primaten 46 Prinzipien der Psychologie (James) 55 Problemlösungen unter Unsicherheiten 487 Produktions-Hierarchien 452 Profet, M. 116, 118, 208 Prosoziale Dominanz, Handlungen für 457 Prostatakrebs 142 Prostitution 238 Psychoanalyse, Theorie der 54 Psychologie Meilensteine auf dem Gebiet der 54 Psychopathie 514–515 Pubertät 204, 467, 529
R Radikaler Behaviorismus 54, 56 Raleigh, Michael 470 Ratten Nahrungsauswahl bei 111 Raubtiere 133 Räumliche Fähigkeiten, Geschlechtsunterschiede bei 128 Reproduktiver Wert Alter des Kindes und 275 Alter und 193, 195, 432 der Frau 193 physische Attraktivität und 432
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Namens- und Sachregister
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Reputation 372, 384 Aggression und 384 Ressourcen elterliche Investitionen und 277 Horten von 369 Konflikte über den Zugang zu 438 Ungleichheit von 439 weibliche Präferenzen für Männer mit 439 Zurschaustellung von 429 Ressourcenallokation 284 bei Vererbungsmustern 308 familiäre Konflikte über 323, 327 Ressourcen-Hypothese 241 Reziproker Altruismus 120, 302 Entwicklung des 345 Problem des Betrogenwerdens und 337 Theorie des 41, 336 Reziproker Austausch versus tief gehendes Engagement 358 Rozin, Paul 110, 530
S Salmon, Catherine 319–320 Samentheorie 69 Sammeln siehe Jagen 123 Adaptationen zum 128 Vergleich zur Jagd-Hypothese 124 Säugetiere 25 Savannen-Hypothese 130 Scham 464, 501 Scheherazade-Strategie 526 Scheib, Joanna 180 Schimpansen Abstammung von Menschen und 32, 34 Aggression bei 367, 390 Dominanz unter 459, 477 Nahrungsauswahl bei 118 Östrus-Phase bei 193, 451 Schlangen, Angst vor 135 Schmitt, A. 465 Schmitt, D. P. 164 Schönheitsmaßstäbe Evolution von 199 früh im Leben 200 kulturübergreifende 200
und Jugend 203 und Verstand 202 untersucht mittels vom Computer erzeugter Gesichter 203 Schönheitsoperationen 216 Schroeder, J. E. 217 Schuld 501 Schwangerschaft Bluthochdruck in der 286 Nahrungsauswahl in der 116 Risiko bei kurzfristigen Affären 244 Scott, P.D. 520 Selbst wahrgenommener Erfolg bei Partnern 421 Selbstbehinderung 497 Selbstbeobachtungen, als Datenquellen 98 Selbstwertgefühl eingebildet 473 kurzfristige Partnerschaft und 250 Status und 471 Seligman, Martin 59 Seneszenz-Theorie 141 Serotonin, und Dominanz 470 Sexual overperception bias 413 Sexualität 54 Sexualpartner(innen), Anzahl und Vielfalt der 224, 231 Sexuell übertragbare Krankheiten 153 Sexuelle Absichten, Schlussfolgerungen über 410 Sexuelle Aggression in Familien 323 individuelle Unterschiede bei 420 Konflikte über 416 Sexuelle Arbeitsteilung 121 Sexuelle Belästigung 408, 414 Sexuelle Eifersucht 423 Aggression und 385 evolutionsbedingte psychologische Mechanismen und 85 geschlechtsbezogene Unterschiede 94, 424 Universalität der 102 Sexuelle Fantasien, geschlechtsbezogene Unterschiede 236 Sexuelle Instinkte 54 Sexuelle Orientierung
Namens- und Sachregister
und Partnerwahl 186 vererbbare Komponenten 213 Sexuelle Rivalität 361 Sexuelle Selektion, Theorie der 28, 54, 439 Rolle der, in der Evolutionstheorie 30 Sexuelle Untreue siehe Untreue Sexuelle Verweigerung 422 Sexueller Zugang für siegreiche Krieger 397 geschlechtliche Unterschiede 220, 359 Konflikte über 410 Status und 453 zu einer Vielzahl an Partnern 227 sexuelles Verlangen, Ovulation und 208 Shackelford, T. K. 160 Sheets, Virgil 400, 402 Shepher, Joseph 257 Sherman, Paul 298, 303 Shipman, Pat 120 Showoff-Hypothese 121 Sichere Bindung 508 Sidanius, Jim 456 Silverman, Irwin 128 Singh, Devendra 81 Skelette, geschlechtsbezogene Unterschiede bei 23 Skinner, B. F. 56, 82 Smith, Martin 308 Smith, R. L. 223 Smuts, Barbara 159, 170, 283, 419 Sober, Elliot 502 Soziale Ängste 464 Soziale Hierarchien 101 Sozialer Austausch 120, 336 Sozialer Bummelei-Effekt 497 Sozialer Status durch kurzfristige Affären 241 Sozialer Vertrag, Hypothese des 495 Sozialisierung, Evolutionstheorie der 507 Sozialpsychologie 497 Soziobiologie die neue Synthese (Wilson) 42 Kontroverse der 42 Soziometer-Theorie 471 Soziosexuelle Orientierung (SOI) 247, 250 Spermien-Insemination Abweichungen bei der 230 Spermien-Konkurrenz 226, 229, 252
Spezifische Selektionskriterien 88 Spieltheorie 339 Spinnen, Angst vor 136 Spontaner Abort 285 Sprache adaptive Funktion der 494 Entwicklung der 53 Evolution der 493 Geist und 496 menschliches Gehirn und 494 Stabilität, weibliche Partner-Präferenzen für 168 Starke männliche Koalitionen 120 Status 447 Aggression und 384 Altruismus und 462 Auswirkungen auf das soziale Denken 460 geschlechtliche Unterschiede im Streben nach 452 Selbsteinschätzung und 471 sexuelle Möglichkeiten und 453 Testosteron und 467 Verlust von 464 von Kriegern 385 Statuswettstreit unter Männern 121 Steinberg, L. 506 Stief-Familien elterliche Gefühle in 264 Kindesmissbrauch in 265, 270 Kindsmord in 271 Stieffamilien 298 Konflikte zwischen Kindern und 401 Strategische Nischenspezialisierung 511 Suizid 143 evolutionäre Theorie des 143 Suizidale Ideenbildung 143 Sulloway, Frank 297 Surbey, Michelle 233 Symons, Donald 98, 237, 418 Syndrom männlicher Jugend 381, 383 Syphilis 140
T Taktiken der Partnerbindung 429 Tall poppy 474 Tanten, Investitionen durch 317
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Taylor, Shelly 502, 530 Teilen der Nahrung 112, 120 Teratogene 116 Testosteron erhöhte Werte 142, 448, 465 Gesundheit und 173 und Dominanz 467 The Evolution of Parental Care (Clutton-Brock) 259 Theorie der Bildung von Allianzen 213 Theorie der interferierenden Strategien 407 Theorie des Geistes, Entwicklung der 509 Theorie des sozialen Vertrags 344 Thornhill, Randy 172, 182 Tilley, Christopher 397 Tinbergen, Niko 35, 258 Tit For Tat 337 Tod kindliches Verständnis vom 138 Suizid und 143 Theorie der Seneszenz 141 Tooby, John 40, 345–348, 350, 352–354, 356, 358, 392, 394–395, 399, 486, 488– 491, 512 Tooke, William 219 Traditionelle Gesellschaften, adaptive Probleme bei 102 Trennungsangst 136 Treue Bindungswille und 175 Hinweise auf 211 männliche Ansicht über 243 nach der Eheschließung 212 Wert der 212 Trittbrettfahren 362 Trivers, Robert 63, 154, 239, 251, 285–286 Trivers-Willard-Hypothese 277
U Über den Ursprung der Arten (Darwin) 24, 26, 33 Übereinstimmungs-Tendenz 497 Übergeordnete Mechanismen 92 Überleben 28 adaptive Probleme des 109 Theorie der Seneszenz und 141 Verwandtschaft und 307
Übertragene Kultur 524 Ungewissheit der Vaterschaft 209, 260 großelterliche Investitionen und 312 väterliche Fürsorge und 260 Ungleichheit von Ressourcen 439 Unpersönlicher Sexpfad 420 Unterordnungs-Strategien 474 Untreue 210, 423 als interferierende Strategien 408 emotionale 425 Geschlechtsunterschiede bei 424 kulturübergreifende 427 sexuelle und emotionale 94 Verhinderung von 372 wahrgenommene Wahrscheinlichkeit von 314 Unwahrscheinliche Nützlichkeit 40
V Variation, der Arten 27 Vaterschaft, Ehe und Sicherheit der 192 Vegetarische Ernährung 118 Verachtung 501 Vererbbare Eigenschaften adaptive Beurteilung von 512 Vererbbare individuelle Unterschiede 510 Vererbung 27 Gene und 34 Mendels Theorie der 34 Vererbungsmuster 308 Vergewaltigung 417 als Adaptation 417 als Nebenprodukt 417 durch den Partner 243 in der Ehe 417 Opfer von 416–417 Verhaltensforschung 34 Verhältnis der Geschlechter und kurzfristige Partnerwahl 249 Verlassen-Können, Hypothese des 261 Verlegenheit 501 Versorgungs-Hypothese 120 Verwandtschaft 293, 296 Evolutionstheorie der 294 Familiendynamik und 322
Namens- und Sachregister
geschlechtsbezogene Unterschiede bei der Bedeutung von 319 und Generation 299 und Überleben 307 universale Aspekte der 298 Volksbiologie 110 Voreheliche Keuschheit 210 Vorehelicher Geschlechtsverkehr 211 Vorführungshypothese 525–526
W Wagner-Jauregg, Julian 140 Waist-to-hip-ratio (WHR) 81, 204 des Mannes 469 und der reproduktive Status der Frau 205 und Gesundheit 205 Ware, James 447 Warnrufe der Erdhörnchen 328 Wason, Wahlaufgabe von 350 Watson, James B. 56 Wechsel der Jahreszeiten 132 Weibliche Auswahl 29 Weitläufige Familien 321 Weitzel, Barbara 315–316 Wellmann, Henry 504 Werbung, Auswirkung auf PartnerPräferenzen 215 Werkzeuge 42, 49, 118 Wetsman, A. 205 Wettbewerb 511 Wetterbedingungen und Lebensraum 131 Whiting, B. 455 Wie du mir, so ich dir 337
Wiederman, Michael 160 Wilkinson, G. W. 341 Williams, George 140 Williams, George C. 39, 502–503 Wilson, David 502 Wilson, Edward O. 42 Wilson, Margo 258, 264–265, 269–271, 273, 278, 280, 288, 298, 375, 377, 381, 383, 402, 453 Wirtschaftliche Ressourcen, Partnerpräferenzen für 158, 160, 167 Wissenschaftliche Entwicklungen 23 Wissenschaftliche Theorie 70 Wrangham, R. 229, 368 Wright, T. L. 245 Wut 464
Y Yosef, R. 158
Z Zufällige Veränderung 31 Zufallsprodukte 73 als Produkte des evolutionären Prozesses 70 Zufallsrauschen 73 Zurschaustellung von Ressourcen 429 Zuverlässigkeit, weibliche PartnerPräferenzen und 168 Zygote 154
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Psychologie 16., aktualisierte Auflage Philip G. Zimbardo, Richard J. Gerrig Zum Buch: Der »Zimbardo« gibt einen umfassenden Einstieg in die verschiedenen Bereiche der Psychologie. Dabei wird Psychologie als Wissenschaft verstanden, um hierauf aufbauend die Anwendungsbereiche für das tägliche Leben darzustellen. Schwerpunkte liegen auf der Sozial- und Kognitionspsychologie. Durch die verständliche und anschauliche Darstellungsweise bietet das Buch einen geeigneten Einstieg und dient als hervorragendes Nachschlagewerk für die Grundlagen der Psychologie.
Aus dem Inhalt: • Die Psychologie in Wissenschaft • und Anwendung • Forschungsmethoden • Wahrnehmung I + II • Lernen und Verhaltensanalyse • Gedächtnis • Kognitive Prozesse • Soziale Prozesse
• Intelligenz • Entwicklung • Motivation • Emotion, Stress, Gesundheit • Persönlichkeit • Psychische Störungen • Sozialpsychologie, Gesellschaft, Kultur
Über die Autoren: Richard J. Gerrig ist Professor für Psychologie an der State University of New York at Stony Brook. Philip G. Zimbardo ist Professor für Psychologie an der Stanford University. ISBN: 3-8273-7056-6 € 49,95 [D], sFr 83,50 ca. 900 Seiten ps
psychologie
Pearson-Studium-Produkte erhalten Sie im Buchhandel und Fachhandel Pearson Education Deutschland GmbH • Martin-Kollar-Str. 10 – 12 • D-81829 München Tel. (089) 46 00 3 - 222 • Fax (089) 46 00 3 - 100 • www.pearson-studium.de
Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion Markus Bühner
Zum Buch: Die Grundlagen der Testtheorie sowie der Methoden zur Fragebogenerstellung werden in diesem Buch einfach, also ohne aufwändige Abteilung von Formeln dargestellt. Anhand mit SPSS durchgerechneter Beispiele kann das Wissen angewandt und erprobt werden. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Vermittlung der klassischen Testtheorie, die probabilistische Testtheorie wird nur überblicksweise dargestellt. Diese Gewichtung ergibt sich aus der Tatsache, dass ca. 95 % der handelsüblichen Tests nach der klassischen Testtheorie konzipiert sind.
Aus dem Inhalt: – Testtheorestische Grundlagen – Testkonstruktion – Reliabilität – Exploratorische Faktorenanlayse
– Konfirmatorische Faktorenanalyse – Korrelationen – Grundlagen in SPSS (Version 7.0 bis 11.5)
Über den Autor: Markus Bühner ist wissenschaftlicher Assistent in der Arbeitsgruppe Differentielle und Diagnostische Psychologie an der Universität Marburg. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen im Bereich Evaluation, Testkonstruktion und Psychologische Diagnostik. ISBN: 3-8273-7083-3 € 24,95 [D], sFr 42,50 298 Seiten
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methoden/diagnostik
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Physiologische Psychologie Neil R. Carlson
Zum Buch: Die biologischen Grundlagen des menschlichen Verhaltens werden in diesem Buch anschaulich und leicht nachvollziehbar erklärt. Die aktuelle Auflage des weit verbreiteten Standardwerks von Carlson berücksichtigt die neuesten Forschungsergebnisse auf dem sich rasant entwickelnden Feld der Neurowissenschaft und der Physiologischen Psychologie. Die dynamische Interaktion zwischen Biologie und Verhalten wird hierbei klar und verständlich sichtbar gemacht.
Aus dem Inhalt: – Aufbau und Funktion der Zellen – des Nervensystems – Aufbau des Nervensystems – Psychopharmakologie – Methoden und Strategien der Forschung – Sehen, Hören, Bewegung – Schlaf und Biorhythmus – Reproduktives Verhalten Emotion
– Nahrungsaufnahme: Trinken – Nahrungsaufnahme: Essen – Lernen und Gedächtnis: Grundlegende – Mechanismen – Relationales Lernen und Amnesie – Menschliche Kommunikation – Schizophrenie und affektive Störungen – Angst, Autismus und Stress – Drogenmissbrauch
Über den Autor: Neil R. Carlson ist Professor für Psychologie an der University of Massachusetts, Amherst. Er hat zahlreiche didaktisch hervorragend konzipierte und weit verbreitete Einführungslehrbücher verfasst. ISBN: 3-8273-7087-6 € 59,95; sFr 99,50 ca. 850 Seiten
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biologische psychologie
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Persönlichkeitspsychologie und Differentielle Psychologie 2., aktualisierte Auflage Howard S. Friedman, Miriam W. Schustack
Zum Buch: Dieses international erfolgreiche Lehrbuch zur Persönlichkeitspsychologie bietet einen kompletten Überblick über die klassischen Persönlichkeitstheorien und integriert die aktuellsten Forschungsergebnisse. Die für das alltägliche Leben relevante empirische Evidenz der Theorien wird an allen Stellen des Buches deutlich herausgestellt. Die Theorien werden anhand der fundamentalen Aspekte der Persönlichkeit erklärt: psychoanalytisch, biologisch, behavioristisch, kognitiv, merkmalsbezogen, humanistisch-existenziell, situativ/interaktionistisch und bezüglich der Ich-Perspektive.
Aus dem Inhalt: – Wie wird Persönlichkeit gemessen – und bewertet? – Psychoanalytische Aspekte – Neo-analytische und Ich-Perspektive – Biologische Aspekte – Behavioristische Aspekte – Kognitive Aspekte – Merkmalsbezogene Aspekte
– Interaktionistische Perspektive – Humanistisch-existenzielle Perspektive – Unterschiede zwischen Männern und – Frauen – Stress, Anpassung und Auswirkungen – auf die Gesundheit
Über die Autoren: Howard S. Friedman ist Professor an der University of California, Riverside. Er ist bekannt durch seine zahlreichen Arbeiten zur Persönlichkeits- und Gesundheitspsychologie. Miriam W. Schustack war Assistant Professor in Harvard und in der Forschung für die U.S.-Regierung tätig, bevor sie als Professorin an die California State University, San Marcos kam.
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persönlichkeitspsychologie
ISBN: 3-8273-7105-8 € 49,95; sFr 83,50 ca. 700 Seiten
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