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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Fantasy Spezial
Zauberträume 7
'Zauberträume' ist eine kost...
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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Fantasy Spezial
Zauberträume 7
'Zauberträume' ist eine kostenlose Fantasy Anthologie von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern.
Zauberträume 7 Copyright 2003 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm Alle Texte und Bilder sind bereits jeweils einzeln bei www.WARP-online.de erschienen und zur Veröffentlichung durch WARP-online freigegeben. Die Magazin-Reihe ist eine Sammlung von Beiträgen, die zusätzlichen Kreis interessierter Leser anspricht und die Namen der Autoren und Künstler bekannter macht. Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
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Inhalt Cover von Freawyn Der Geist einer Waffe
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von Thomas Kohlschmidt Gabrielle will Xena dazu überreden, mit ihrem Chakram an einem Schau- Kampf teilzunehmen, um mit dem Preisgeld einem ausgeplünderten Dorf zu helfen. Aber die Kriegerprinzessin weigert sich. Sie fürchtet den Fluch, der auf dem Wurfreif liegt.
Niowinns Spiel
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von Christel Scheja Der junge Talin trifft am Strand die geheimnisvolle Niowinn, die ihn in ihren Bann schlägt. Was niemand weiß: Sie hütet ein dunkles und grausames Geheimnis...
Das Lied der Liebe und Befreiung
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von Christel Scheja Rimnee ist von der Finsternis besessen, seit das Böse in sie gefahren ist. Doch eines Tages trifft sie jemanden, der sie auf wundersame Weise erlösen kann.
Der Sturm
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von Waldläufer Er kam unvermutet über sie. Er brachte Tod und Verderben...
Das Chamäleon
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von Elisabeth Rieper Die Magierin Araleia begibt sich auf die Jagd nach dem Unbekannten, der immer wieder sein Unwesen treibt. Kann sie den Täuscher fassen?
Im Kreis des Universums
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von Matthäus Wimpissinger Der Text aus dem geheimen Buch öffnet Tore zu anderen Welten! Und lässt Dämonen herein...
Eine Bestellung von Antares
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von Thomas Wilde Dr. Audrey Malloy und der Krater in Arizona: Es kommt zu einer erstaunlichen Begegnung!
Der schwarze Turm
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von Jürgen Brandner Magieschüler Migon will den Waldelfen helfen. Und er stellt sich dem Kampf mit bösen Mächten!
Das Tor nach Maganien von Petra Gürtler Tim erhält eine seltsame Botschaft von seinem toten Großvater: Er muss ein Zauberland retten!
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Der Geist einer Waffe von Thomas Kohlschmidt
Gabrielle will Xena dazu überreden, mit ihrem Chakram an einem Schau- Kampf teilzunehmen, um mit dem Preisgeld einem ausgeplünderten Dorf zu helfen. Aber die Kriegerprinzessin weigert sich. Sie fürchtet den Fluch, der auf dem Wurfreif liegt.
"Das ist ja ekelhaft!" zischte Gabrielle und verzog das Gesicht. Die Bardin hatte ihren Kampfstab fest umklammert. Sie bedachte die vorbeistrebenden Menschen mit bösen Blicken, selbst die Ochsen und Pferde bekamen ihren Zorn zu spüren, wenn sie sich unwillig an ihnen vorbeidrängte und so schnell voranschritt, daß Xena Mühe hatte, Schritt zu halten. "Gabrielle", rief die Krieger-Prinzessin und strebte hinter der wütenden Freundin hinterher, die eine Schneise in die Menschenmenge zu ziehen schien. "Gabrielle, beruhige dich!" Die rotblonde Frau blieb daraufhin stehen, atmete mehrmals tief durch und drehte sich schließlich mit einem seltsamen Flackern in den Augen zu Xena um. Diese seufzte. "Ich weiß, das hier provoziert dich. Ich verstehe das." "Ach, wirklich?" Gabrielle stemmte ihre linke Hand in die Hüfte, mit der rechten rammte sie den Stab in den von tausend Füßen hartgetretenen Boden des Marktplatzes. "Xena, mir wird wirklich übel, wenn ich das alles hier sehen muß. Sieh doch nur!" Sie wies empört auf die Stände ringsumher. Die rohen Holzbohlen, aus denen die Händler ihre Tische gefertigt hatten und die quergelegten Bretter über den wuchtigen Fässern bogen sich unter dem Gewicht von Früchten in allen Formen und Farben. Rote Äpfel leuchteten saftig herüber, Trauben und Beeren zu Haufen getürmt, daneben lagen Tomaten, Gurken und Gemüse, Salate. An Leinen über den Tischen hingen Gewürzblätter und schaukelten im milden Abendwind. Irgendwoher roch es nach gebratenem Fleisch, ein Hauch von frischem Fisch wehte heran und auch etwas Süßes konnte Xena riechen. Gerade wuchtete ein Bäcker ein Blech vollbelegt mit dampfendem Brotlaiben aus einem Steinofen. Gleich würde er darangehen, die Brote zu zerschneiden, mit würzigem Schmalz zu bestreichen und die Scheiben in die Menge hinein zu verkaufen. Die ersten Interessenten drängten schon heran. "Ich finde es widerlich!" wiederholte Gabrielle und schüttelte den Kopf. "Du hast recht, mir schlägt das auch auf den Magen. Nach all dem, was wir heute morgen gesehen haben, ist das auch kein Wunder. Aber wir sollten uns ein wenig beherrschen. Die Leute von Palmodeia können doch nichts dafür. Die Bardin sah betreten zu Boden, und die schwarzhaarige Kriegerin ahnte, was in ihr vorging. Sie selbst, die schon viel Elend und Tod gesehen hatte, konnte die Bilder nicht für eine Sekunde verbannen, die vorhin auf sie eingestürmt waren: Nach einer feuchtkalten Nacht im Walde waren sie beide schon früh mit Argo aufgebrochen. Ihr Weg hatte sie eigentlich nach Castadion führen sollen, wo Gabrielle neues Papyrus für ihre Schriftrollen hatte erwerben wollen. Wie sie so den Pfad nach Süden entlanggegangen waren, hatten Xenas scharfe Augen plötzlich Rauch über den Baumwipfeln erfaßt. Die Kriegerin war unruhig geworden. Derlei schwarze Wolken hatte sie schon zu oft in ihrem Leben aufsteigen sehen, das hatte nur Ärger bedeuten können. Und so waren sie von der Hauptstraße in den Wald abgezweigt, hatten sich durch das Buschwerk vorsichtig vorrangeschoben und letztendlich, nach einer Unendlichkeit zwischen feuchten Blättern und reißenden Dornen, waren sie am Rand eines Tals aus dem Unterholz getreten. Argo hatte wütend geschnaubt, denn all die Zweige hatten sie gestochen und gekitzelt. Sie hatten minutenlang in das Tal gestarrt, auf all die ausgebrannten Hütten, die letzten schwelenden Feuer , die verkohlten Leichen und die umgestoßenen Karren, in denen Pfeile 4
gesteckt hatten, dicht an dicht. Schwerter hatten auf blutgetränktem Boden gelegen und tückisch gefunkelt, irgendwo war das Bellen eines Hundes zu hören gewesen. Und Weinen. Schweren Herzens hatten sie sich an den Abstieg ins Tal gemacht, seine Sohle schließlich erreicht und waren nach wenigen Minuten auf die ersten Überlebenden gestoßen. "Sie haben alle jungen Männer und Frauen erschlagen!" hatte eine alte Frau ihnen mit zittriger Stimme erzählt, "Nicht einen unserer Söhne und nicht eine unserer Töchter haben sie am Leben gelassen." "Und sie haben alles mitgenommen!" hatte ein kleines Mädchen gestammelt, es war blutig im Gesicht gewesen und hatte die kleinen Fäuste in ohnmächtiger Wut geballt gehabt. "Wir haben nichts mehr. Gar nichts!" Während Gabrielle darangegangen war, den Heilerinnen des ehemaligen Dorfes zur Hand zu gehen und die Verletzten mit allerlei Tinkturen und Blattverbänden zu versorgen, hatte sich Xena mit den Ältesten zusammengesetzt und die Lage beraten. "Es war eine Bande von mindestens vierzig Kriegern. Sie sind in der Nacht gekommen. Alles hat nur wenige Minuten gedauert. Ja, es hat nur... so kurz gedauert, dann waren alle unsere Söhne, alle unsere Töchter, die meisten waren selbst schon Mütter...tot. Wir wurden im Schlaf überrascht." Xenas Auge hatten kaltes Feuer gesprüht, und sie taten es jetzt wieder. All die prallen, süßen Früchte schienen sie zu verhöhnen, sie und die Elenden des namenlosen Dorfes, das nur einen halben Tagesmarsch von diesem Reichtum entfernt in Trümmern lag. "Wir werden alle verhungern!" hatte die Uralte mit tonloser Stimme und leerem Blick zu Xena gesagt. "Sie haben alle Vorräte mitgeschleppt und unsere Felder verwüstet! Aus purer Bosheit!" Und Gabrielle hatte Tränen der Wut in den Augen gehabt, so wie jetzt auch. Wie hatte jemand soetwas tun können? Xena wußte es. Zu oft hatte sie selbst solche Raubzüge angeführt. Irgendwo stach es jetzt in ihr, nagte mehr als sonst in ihrer Seele, aber sie versuchte das Gefühl von Schuld und Schwäche zu ignorieren. "Wir haben nicht mehr viel zu essen. Wovon sollen wir leben? Zeus hilf uns. Zeus...bitte...hilf uns!" Das Weinen und Klagen der alten Männer, alten Frauen und Kinder hallte jetzt noch in den Ohren der Kriegerin, als sie ihre aufgewühlte Freundin ernst ansah. "Hätten wir doch nur genug Dinare, um von dieser...dieser Fülle...etwas einzukaufen, Xena!" stieß Gabrielle hervor und schüttelte bekümmert den Kopf. Mein letztes Geld reicht höchstens für ein paar Tagesrationen." "Das ist besser als nichts", sagte Xena, "Wir müssen uns etwas einfallen lassen." Gerade schob sich ein Karren heran, auf dem sich Würste und Käsestücke türmten, so daß sie fast herunterfielen. "Vielleicht sollten wir die Leute um Spenden bitten!" dachte Gabrielle laut nach und legte ein grimmiges Lächeln auf ihr Gesicht. "Versuch' es ruhig", erwiderte die Kriegerin skeptisch, denn sie kannte die Menschen von Palmodeia. Es waren ehrliche Leute, hart arbeitende Männer, Frauen und Kinder, aber sie waren nicht eben freigiebig. "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied!" war ihr Lieblingsmotto und so sahen sie keinen Sinn in Hilfe gegenüber Schwächeren. Und während Gabrielle in ihrer unnachahmlichen Art anfing, mitten im Gedränge des Marktes ihre Stimme zu erheben und mit bardenhafter Dramaturgie vom Elend des namenlosen Dorfes zu berichten, schweiften die Gedanken der Kriegerprinzessin ab. Xena sah auf die Waren der Reichen und faßte ihr Chakram fester. "Früher, noch vor wenigen Monaten, hätte ich mir einfach genommen, was ich brauche. Keiner würde mich hier aufhalten können!"
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Im Geiste sah sie sich selbst, wie sie laut schreiend in die Herde der Schafe und Lämmer von Palmodeia stieß, ihr Schwert schwang und mit wenigen Streichen den Weg freigemacht hätte. Mehrere widerspenstige Händler würde sie mit dem Wurfreif erwischt haben. Zach, zack, zackzack. Warm und blutig würde es in ihre Hand zurückgekehrt sein, im Triumph würde sie mit einem vollgepackten Gespann davongebraust sein. Keiner hätte es auch nur gewagt, sie zu verfolgen. Xena starrte auf ihr Chakram und fühlte das kühle Metall an ihren Fingerkuppen entlangstreifen. Ein Schatten fiel über sie. Gabrielle stand vor ihr und lächelte unsicher. "Die Menschen hier sind nicht gerade leicht zu erweichen. Sieh, mehr habe ich nicht bekommen." Die Bardin hatte einen kleinen Sack mit schrumpligen Äpfeln und ein paar Fladen leicht angebrannten Brotes in den Händen. Xenas Finger spielten weiter mit der scharfen Klinge des Wurfreifes. "So sind sie eben, die Händlerseelen!" zischte die Kriegerin und ihr Augen wurden schmal. Gabrielles Gesicht aber hellte sich auf. "Aber dafür haben sie mir etwas anderes gegeben. Das hier!" "Was ist das?" "Eine Bekanntmachung!" Die Bardin zog ein großes Stück Papyrus glatt und Xena erkannte große Buchstaben darauf, die mit roter Tinte wie Feuer leuchteten. "Was steht da?" Gabrielle lächelte verschmitzt. "Da steht, daß übermorgen in Krossus ein Schau-Tunier stattfindet. Dort treffen sich Krieger und Waffenkundige aus allen Himmelsrichtungen, um ihre Kräfte und Fertigkeiten miteinander zu messen. Es gibt mehrere Disziplinen, und eine davon - jetzt paß auf, Xena - ist ein Wettkampf für Wurfwaffen. Dolche, Äxte, Wurfsterne... Da könntest du mit deinem Chakram antreten! Das Preisgeld beträgt 1000 Dinare! Dafür gibt es eine Menge Essen und Trinken einzukaufen!" Die Freundin rollte das Plakat ein und lachte Xena an. "Krossus ist nicht weit weg. Und du bist unschlagbar, Xena!" Die Kriegerprinzessin fuhr mit den Fingern noch immer über die Schneide des Chakrams, spürte ihre Schärfe. "Ein Wettkampf, sagst du? Ein Spiel?" "Ja, ein Spiel, bei dem wir nur gewinnen können! Die armen Leute sind gerettet! Ich bin so froh!" Xena machte jetzt ein düsteres Gesicht. Ihre Augen waren wieder kalt geworden, ihr Blick schien entrückt. Unablässig fingerte sie an ihrem Wurfreif, nestelte unruhig daran herum. Gabrielle sah sie irritiert an. "Was ist mit dir?" "Nichts, Gabrielle. Wir gehen nicht nach Krossus!" "Waaas?! Aber, Xena..!" "Ich werde an keinem Schau-Tunier teilnehmen!" Gabrielles Erstaunen schlug in Wut um. Sie atmete tief durch und ihr Haar flog im Abendwind, wie die goldene Mähne eines Löwen. Ehe sie etwas sagen konnte, wandte sich Xena von ihr ab. "Ich will nicht mehr darüber reden!" Mit schnellen Schritten entfernte sie sich von ihrer fassungslosen Freundin, und als sie um die Ecke in eine Straße abgebogen war bemerkte sie, daß sie sich am Chakram geschnitten hatte. Blut tropfte von ihren Fingern und fiel in den Staub der Straße. Xena fluchte.
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"Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen, Gabrielle!" sagte die schwarzhaarige Kämpferin mit leicht vorwurfsvollen Unterton, aber die Bardin blieb unbeeindruckt und ging lachend darüber hinweg. "Ach was, Xena! Jetzt sind wir hier, und nun nehmen wir auch am Wettkampf teil! Sieh nur, wie viele Kämpfer mitmachen!" Sie zeigte hinunter in die Ebene, in der ein großes Areal mit Lattenzäunen abgegrenzt war. Mehrere große Zelte, gespannt aus leuchtenden Stoffen und schimmernden Tuchen, erhoben sich links und rechts vom Eingang, der durch ein mächtiges Bohlentor gebildet wurde. Die beiden Frauen konnten Holztürme erkennen, mindestens 20 an der Zahl, die in unterschiedlichen Höhen errichtet waren. Manche waren durch Tauwerk miteinander verbunden, andere wiesen Brücken zueinander auf, und wieder andere standen für sich allein am Rande des Tunierplatzes, der in der Mittagssonne schattenlos lag. Xena sah eine Linie, gebildet aus Dutzenden von Schießscheiben, eine weitere aus Strohballen. Dort hinten schienen menschenförmige Holzattrappen auf ihren Einsatz zu warten, und da vorne war das Empfangszelt für Neuankömmlinge, in dem man seine Wettkampfwaffen taxieren und einstufen lassen mußte. Veranstalter des Wettkampfes war ein gewisser Hystaiphos. Xena kannte seinen Ruf. Früher einmal war er ein gefürchteter Kriegsherr gewesen, dann aber, mit zunehmendem Alter und erbeutetem Reichtum, hatte sich Hystaiphos von einer neu-denkerischen Disziplin einnehmen lassen, die in Athen seit Jahren sehr modern war: dem spielerischen Wettkampf ohne Todesopfer. Nicht länger sollten blutige Spiele das Volk unterhalten, nein, Kunstfertigkeit und die Reinheit wohlstudierter Bewegungsabläufe, die Schönheit der Aktion als reinste Körperkunst, das war es, was den ehemaligen Kriegslord nunmehr begeisterte. Also förderte er seit geraumer Zeit, zusammen mit einigen Philosophen und anderen ehemaligen Kämpfern und Gladiatoren die 'Schule des Olymp'. Dies hier war deren XXII. sten Sommerspiele. Xena starrte düster vor sich hin, und Gabrielle sah sie von der Seite her besorgt an. "Was hast du nur? Ich werde nicht schlau aus dir. Warum sträubst du dich so dagegen, ein wenig sicheres Geld abzuholen. Da unten kann dir keiner den Sieg wegnehmen und allen ist schon bald geholfen. Denk nur an die Freude, die im Dorf der armen Menschen herrschen wird, wenn wir mit reichen Gaben zurückkehren!" "Weisst du", sagte Xena leise, "es gibt einen Grund, warum ich davor zurückschrecke, das Chakram für Spiele einzusetzen. Ich habe dir nie davon erzählt, wie ich die Waffe bekommen habe und was damals geschah." Gabrielle kniff ihre Augen zusammen und rückte näher an ihre Freundin heran. "Nein, Xena, das hast du nicht. Aber ich würde gern davon hören." Xena nickte. "Ich habe dir schon oft von M' Lila erzählt..." "...der Sklavin, die dir die besondere Kampfkunst gezeigt hat und den Todesgriff!" "Und die mir das Leben gerettet hat, nachdem Julius Cäsar mich verraten und ans Kreuz gebunden hat. Ja." Xena starrte zu Boden. "Nachdem Cäsars Soldaten M' Lila getötet hatten und ich ihnen entkommen war, war ich nur noch von einem Gedanken besessen gewesen: Niemals wieder sollte mich jemand demütigen, niemals wieder wollte ich leiden, nein, die Welt sollte leiden! Ich war getrieben von Hass und Ekel gegenüber dem Leben. Bisher hatte ich das Land durchstreift und alle möglichen Dörfer angegriffen die meinem Heimatort gefährlich werden konnten. Doch nun begann ich wahllos zuzuschlagen. So als würde ich meinen Hass auf Cäsar an anderen ablassen, so fiel ich über zahllose Siedlungen 7
her. Meine Männer und ich brandschatzten, töteten, vernichteten und der Rausch des Todes beherrschte mich. Ich verbesserte meine Kampfkunst und meine Fertigkeit, das Schwert zu führen. Und so vergingen zwei Jahre, bis meine Wege die eines seltsamen Mannes kreuzten. Sein Name war Xien Tan. Er war ein Waffenmeister aus dem Königreich Chin." "Chin!" entfuhr es Gabrielle, "Daher kam doch auch M' Lila. Und du bist dort gewesen!" "Das war später, Gabrielle. Zuerst traf ich Xien Tan. Wir, meine Männer und ich, hatten ein Dorf überfallen, wie so oft zuvor, und während des Kampfes war mir dieser kleine Mann aufgefallen, der wie ein Tiger gekämpft hatte. Bis zuletzt hatte er das Dorf und seine Bewohner verteidigt, und dazu einen seltsamen Wurfreif benutzt. Soetwas hatte ich noch niemals zuvor gesehen." "Das Chakram!" "Richtig. Ich ließ den Mann am Leben, und er erzählte mir, er würde seine Dinare als Söldner verdienen. Er sei aus Chin geflohen, da er dort in Ungnade gefallen sei, und hätte sich zuletzt als Beschützer dieses Dorfes anheuern lassen. Nun, da alle seine Auftraggeber tot waren, ließ er sich gerne darauf ein, mit mir und meiner Bande zu ziehen. Erst ging es ihm nur um sein Leben, später wurde er ein guter Kamerad und mein Lehrmeister. In jeder freien Stunde übten wir mit dem Chakram. Und es dauerte nicht lange, da war ich von dieser Waffe wie verzaubert. Ich sehnte mich unablässig danach, das tödliche Metall kreisen zu lassen, es seinen blutigen Kurs fliegen zu lassen. Ich wurde besser und besser. Es schien so, als würde mein Hass das Chakram mit Energie aufladen, aber Xien Tan sagte mir, die Waffe würde nach meinem Geist greifen, wenn ich nicht aufpassen würde. Er ließ es nie zu, daß ich den Reif länger in meinem Besitz hatte. Stets nahm er es nach den Übungen wieder an sich und ich ließ ihn gewähren. Damals wußte ich nicht, warum. Heute ahne ich es..." "Was geschah dann?" Xena schloß kurz die Augen und atmete durch. "Bei einem Überfall im Süden der Flachländer erschien mitten im Kampfgetümmel auf der Seite unser Gegner ein Mann, der Xien Tan wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein schien. Dieser Mann besaß ebenfalls ein Chakram. Ehe ich irgend etwas unternehmen konnte, tötete er Xien Tan mit einem gezielten Wurf. Ich war wie von Sinnen. Der Hass überschwemmte mich ein weiteres Mal. In meiner maßlosen Wut wuchs ich über mich hinaus und tötete das halbe Dorf, ehe ich an den Mörder meines Kameraden herankam. Er kniete noch immer am Leichnam meines Lehrers, völlig unbeeindruckt von dem tosenden Kampf um ihn her. Als ich zitternd zu ihm trat, mein bluttropfendes Schwert in der Hand, sah er auf und seine Augen schienen mich zu durchbohren. Er hielt jetzt beide Chakrams in der Hand. Die Reifen leuchteten, glühten, pulsten und schien zueinander zu wollen. Sie zogen sich wie Magnete gegenseitig an. Der Fremde sagte : "Jetzt ist es vorbei. Der Geist der Waffe findet Ruhe in der Mitte, zwischen Hass und Unbedacht. Es ist vorbei! Nun wird es keine Unfälle mehr in meinem Leben geben" Da verschmolzen beide Ringe. "Mein Schicksal ist erfüllt." sagte er erleichtert. Im selben Moment habe ich ihn enthauptet!" "Oh, Xena!!" Gabrielle sah sie voller Entsetzen an. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie hatte sich verkrampft. Xena fuhr mit tonloser Stimme fort. "Ich nahm das Chakram vom Boden auf und fühlte wilden Triumph. Die herrliche Waffe gehörte nun mir allein. Und ich weihte sie auf meine Weise ein. Heute weiß ich nicht mehr, wieviel Blut an ihr klebt..." sagte die Kriegerin bitter. "Ich habe von ihr geträumt, Tag und Nacht, und ich verstand erst viel später, daß der Fremde, der Xien Tan getötet hatte, nur von seiner eigenen Erlösung gesprochen hatte. Ich aber hatte einen Fluch bekommen." 8
Xena sah Gabrielle unvermutet an. Die Augen der Kriegerin waren plötzlich feucht geworden und alle Kälte darin war gegangen. "Erst Herkules hat mir einen anderen Weg gezeigt, einen Weg aus dem unendlichen Hass heraus. Und dann traf ich dich, Gabrielle!" Xena faßte ihre Freundin am Arm. "Erst seit wir zusammen sind, träume ich nicht mehr jede Nacht vom Chakram. Es ruft nicht mehr nach mir." Gabrielle lächelte unsicher, faßte dann aber Xenas Hand und drückte sie. "Ich glaube, ich verstehe dich nun", sagte sie. "Der Hass herrscht nicht mehr über dich, aber nun hast du Angst vor der Unbedacht, der Leichtfertigkeit." "Eine Waffe, wie dieses Chakram ist gefährlich. Übermut und eitle Selbstsicherheit sind die andere Seite der Gefahr. Das Chakram soll mich nicht auch noch auf diese Weise bekommen. Ich muß es weiter unter Kontrolle behalten." "In der Mitte", nickte die Bardin. "In der Mitte, Gabrielle!" Die beiden Frauen saßen eine Weile schweigend im Licht der strahlenden Sonne und genossen deren Wärme. Unten in der Ebene trafen immer mehr Wettkämpfer ein. Einige schwenkten johlend ihre Schwerter und Lanzen. Offensichtlich waren sie betrunken. Siegessicher gröhlten sie wilde Gesänge und fielen beim Absteigen von ihren Pferden fast in ihre eigenen Spieße. Gabrielle sah einen Jüngling, der schon verbunden werden mußte. Xena lächelte jetzt wieder. Sie wog das Chakram in der Hand. Sein Metall glänzte in hellen Licht des Mittags und reflektierte die Sonne, die nun genau im Zenit über ihnen stand. Es gab nun fast keinen Schatten mehr. "Los, Gabrielle!" sagte Xena und stand auf, "Laß uns die Dinare holen!" Die junge Frau blinzelte zu ihrer Freundin hoch. "Bist du sicher, das du es wirklich tun willst?" "Ja, da bin ich sicher. Du wirst sehen, alles geht gut!"
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Niowinns Spiel von Christel Scheja
Der junge Talin trifft am Strand die geheimnisvolle Niowinn, die ihn in ihren Bann schlägt. Was niemand weiß: Sie hütet ein dunkles und grausames Geheimnis...
Viel könnte in den "Verborgenen Jahren" geschehen sein. Winnowill hatte viele Jahrhunderte und Jahrtausende Zeit, ihr Unwesen zu treiben, warum sollte sie nicht Nachkommen in die Welt gesetzt haben, die auf die eine oder andere Weise üble Spiele mit den Menschen trieben und so für die Legendenbildung sorgten, die den Elfen späterso viel Ärger bereiten sollte... Talin überquerte die letzte Düne. Aus gutem Grund war er schon in der Dämmerung aufgebrochen: Er hatte es eilig, und nun trennte ihn nur noch die Bucht von seinem Heimatdorf, und er würde endlich wieder so leben können wie früher. Der Dienst in der Armee des Danmul Djun lag hinter ihm, den Geistern sei Dank, und er war für den Rest seines Lebens frei von solchen Aufgaben. Mit einem Schaudern erinnerte er sich an die strenge Zucht, die dort geherrscht hatte, die grausamen Bestrafungen bei der geringsten Verfehlung, und war es auch nur eine achtlose Bemerkung gewesen. Wenigstens reichte die Aura des jungen Tyrannen nicht ganz an die Küste. Er atmete tief den würzigen Geruch des Meeres ein. Schon morgen würde er mit den anderen zur See fahren, und heute abend würde das Dorf seine Heimkehr feiern. Und er würde Khila in die Arme schließen können. Er begann fröhlich ein Lied zu pfeifen, doch plötzlich hielt er inne. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Vor ihm lief eine Frau über den Strand, doch sie hatte nur ein weißes Tuch, einen fast schon durchsichtigen Stoff um sich gewunden, der ihr ständig vom Körper rutschte. Als sie ihn entdeckte, kam sie auf ihn zu, und nun konnte auch er sie ausgiebig betrachten. Ihre Haut war hell, heller als die seine und hatte einen goldenen Ton, ihre Augen waren kleine schwarze Seen und die schwarze Mähne ihres Haares schimmerte im Licht der Sonne bläulich, kleine Funken versprühend. Sie lächelte ihn an und blieb dicht vor ihm stehen. "Was macht ihr hier, Fremder?" fragte sie neugierig und musterte ihn neugierig. Ihre Stimme besaß einen singenden Akzent. "Ich bin Niowinn." Er schluckte. "Talin. Ich, ich wollte nur den Sonnenaufgang genießen", stammelte er verlegen wie ein junger Bursche. Sie strömte einen solch betäubenden Duft aus, daß ihm schwindelig wurde, und er spürte, wie Wärme von seinen Lenden aufstieg. Verdammt, was sollte das denn? Er war nicht an diesen Strand gekommen, um sich gleich auf diese seltsame Schönheit zu stürzen ... Ärgerlich grub er seine Fingernägel in den Handballen. Etwas warnte ihn, sich länger bei der Fremden aufzuhalten. "Der Sonnenaufgang ist von den Felsen aus gut zu betrachten. Kommt doch mit mir, ich zeige euch den Ort, an dem ihr ihn noch besser genießen könnt!" wisperte sie mit lockender, samtener Stimme und streckte eine ihrer Hände aus. Das Tuch fiel zu Boden. "Nein ... ich, ich ... muß meinen Weg ...", wollte Talin ablehnen, aber er konnte es nicht. Aus irgendeinem Grund war er neugierig geworden: er wollte wissen, warum sie so schamlos entblößt am Strand herumlief und es geradezu herauszufordern schien, daß er nach ihr verlangte. Sie erinnerte ihn an Bekka, die Hure des Dorfes, die sich anders als die Frauen und Mädchen des Dorfes nicht in wenigstens knielange und weite Tuniken hüllte, sondern nur das Nötigste unter Stoff verbarg. Er blickte sich um. Es war niemand zu sehen, der dummes Gerede im Dorf verbreiten konnte, und so nickte er mit einem freundlichen Lächeln, und folgte ihr dichtauf.
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Er lag in einer weichen Sandkuhle, als er wieder zu sich kam. Zuerst wußte er nicht, was geschehen war, aber dann kehrte seine Erinnerung schlagartig zurück. Hier hatte er es nicht mehr ausgehalten und dem Brand in seinen Lenden nachgegeben. Er war an sie herangetreten und die Fremde hatte sich nicht gewehrt, als er sie sanft an sich herangezogen und sie hastig zu streicheln begonnen hatte. Nur einmal hatte er erstaunt innegehalten, als er die Form ihrer Ohren ertastete, doch schon hatte die Frau hin wieder abgelenkt, indem sich sich dichter an ihn gedrängt und ihre langen, feingliedrigen Hände über seine Haut gleiten ließ, um mit ihren Lippen kleine Küsse wie Bisse zu verteilen... Doch wohin war sie verschwunden? Talin sprang auf und sah sich hilflos um. "Niowinn!" Doch nur das Rauschen des Meeres antwortete ihm... 'Habe ich nur geträumt', fragte sich Talin, während ihm plötzlich kalt wurde, 'oder ist alles Wahrheit gewesen? Bei den Göttern, was ist nur los mit mir?' Er stand verwirrt auf und zupfte an seinen Kleidern, die er noch trug und die voller Sand waren, als er die Flecken bemerkte. Kalte Schauer rannen über seinen Rücken. Talin japste und sah sich gehetzt um. Er entsann sich voller Entsetzen der alten Legende, die ihm sein Großvater berichtet hatte von der seltsamen Frau, dem Meeresgeist, der immer wieder am Strand auftauchte und junge Fischer wie ihn verführte - von dem Meeresdämonen, der diesen stattlichen jungen Männern ihren Samen geraubt hatte, so daß sie daraufhin keine Kinder mehr zu zeugen vermochten, ja auch Frauen verabscheuten. Sie hatten ihr sinnenfreudiges Erlebnis mit einem hohen Preis bezahlt, das Verbotene mit dem Verlust ihrer Lebenskraft. So wie er jetzt! Der junge Mann war verzweifelt, als er an seine Liebste dachte, die ihm nach so vielen Jahren endlich anvermählt werden sollte, und Tränen schossen in seine Augen. 'Ich habe dich betrogen Khila!' dachte er. 'Vater, Mutter - ich habe euch enttäuscht. Meine Heimkehr wird keine Freude sein. Ich ...' Talin schüttelte den Kopf. Er durfte ihnen allen nichts davon erzählen, denn es würde nur Leid und Haß über sie bringen. Konnte er Hilfe finden? Aber wo? Bei dem stummen Gott, wo? Durfte er sich an die Priester wenden? Würden sie ihn nicht verfluchen und verdammen? Er zitterte, als er wieder an sein Erlebnis dachte und verfluchte sich, nicht standhaft geblieben zu sein. Jetzt war es zu spät für Reue. Und vielleicht hatte er nur noch einen Weg, um seine Schande reinzuwaschen - indem er sich in das Meer stürzte. Und daran war nur diese bösartige Dämonin schuld. Er hob die Hände zum Himmel und schrie seine Qual hinaus. 'Ja', schoß es ihm durch den Kopf. 'Ja, ich habe keine andere Wahl mehr. Es ist besser, daß sie glauben, ich sei getötet worden, als daß ich nach Hause zurückkehre und Schande über sie alle bringe.' Ehe er wieder zur Besinnung kommen konnte, stürzte sich Talin ins Meer und schwamm so weit er konnte, hinaus auf die ruhige See. Erst dann ließ er sich treiben. Der schlanke Körper einer nackten schwarzhaarigen Frau mit spitzen Ohren glitt durch die blau schillernden Tiefen des Meeres und schwamm zielstrebig an Schwärmen bunter Fische und zackigen Korallenriffen vorbei. Während sie sich schwerelos zwischen den Felsen hindurch bewegte, veränderte sie sich. Ihre Schultern wurden breiter, die Hügel ihrer Brüste schrumpften und wurden zu festen Muskeln. Die schrägen dunklen Augen wurden kleiner und menschenähnlicher, aber sie verloren nicht ihren Glanz. Schlängelnd und sich windend, zwängte sich der schwarzhaarige Mann mit dem blassen Gesicht und der Mähne langen schwarzen Haares durch Spalten und hielt erst über einer Sandbank inne, um kurz auf den dicht über den Boden treibenden Körper zu blicken. Er beugte sich hinunter und zog das bleiche Gesicht mit den geschlossenen Augen und dem weit aufgerissenen Mund zu sich heran.
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'Dich kenne ich doch!' stellte er fest und lächelte dann. 'Du hast mir das geschenkt, was ich in dieser Nacht brauche, mein junger Freund. Oh, Menschlein, du wirst niemals erfahren, warum ich das tat. Ja, ich bin der Dämon, für den mich deine Alten halten, aber ich behalte deine Lebensgabe nicht für mich. Ich gebe sie nur weiter, weil es mir Spaß macht. Mutter sagte mir einmal, daß es unmöglich sei, sich mit euch zu paaren und Kinder zu zeugen, aber ich habe einen Weg gefunden, dies zu umgehen! Wenn du mich sehen könntest, Winnowill! Mache ich dir nicht alle Ehre? Du hast mir die Fähigkeit vererbt, meinen Körper beliebig zu verändern, und so kann ich sein, was ich will. Ja, und es macht mir Spaß, mit den Sterblichen zu spielen wie du ...' Achtlos schob er die Leiche dann von sich und verharrte einen Moment im Wasser. ' ... es zu tun pflegtest. Ich benutze sie für mein Vergnügen. Und glaub mir, es ist genauso anregend, sich mit ihnen zu vereinen, wie mit Unseresgleichen! Viel erregender!‘ Der hochgewachsene Elf stieß sich vom Boden ab und schwamm weiter auf den Strand zu und hielt erst bei einem Felsen inne, auf dem er auf ein Mädchen aus dem Dorf warten würde. Vorsichtig zog er sich aus dem Wasser, nachdem er seine Kiemen hatte verschwinden lassen. Die kleine Perlenfischerin Adrica, hatte ihm besonders gefallen, und er wollte ihr nun das geben, von dem sie so lange schon geträumt hatte: Ein Kind, ein niedliches kleines Balg. Sie würde niemals erfahren, daß dafür ein anderer Mensch bitter hatte bezahlen müssen. Lächelnd tauchte er schließlich auf und stieg auf den feuchten Felsen, der in seiner Mitte eine sandige, vom Regen ausgewaschene und geglättete Kuhle besaß. Hatte er sich hier nicht schon vor einigen Menschenaltern mit Perlenfischerinnen getroffen? Kurz nachdem er sich von seiner Mutter getrennt hatte? Das war schon so lange her. Er erinnerte sich gar nicht mehr, ob er zuerst ein Mann oder eine Frau gewesen war. Er genoß beide Gestalten, vor allem in Momenten wie diesen. Nachdenklich blickte er zum Strand. Ah, da kam sie auch schon, stellte er bald darauf fest und ließ auch das letzte untrügliche Zeichen seiner Herkunft verschwinden. Die Hände und Füße bildeten ein letztes Glied aus, ein fünftes. Dann streckte er die Arme aus, um die dunkelhäutige Schönheit zu empfangen...
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Das Lied der Liebe und Befreiung von Christel Scheja
Rimnee ist von der Finsternis besessen, seit das Böse in sie gefahren ist. Doch eines Tages trifft sie jemanden, der sie auf wundersame Weise erlösen kann.
"Nein!" sagte Rimnee. "Jedes Wort verstrickt dich mehr in die Macht des Bösen. Geh fort! Lauf!" Das Finstere in ihr drängte danach, das Wesen vor ihr zu vernichten, wie so viele andere zuvor, wie es der Fluch verlangte, den die Schwarze Schlange einst über sie geworfen hatte. Sie ballte die Fäuste und versuchte gegen seine Macht anzukämpfen, selber zu fliehen, doch die Beine versagten ihr den Dienst und sie sank auf die Knie. Auf der Flucht vor dem spitzohrigen Fremden, der schön und seltsam zugleich war, mit Augen, die den Sternenhimmel wiederspiegelten und langen feinen Gliedmaßen, war sie nicht weit gekommen. Dieser Narr war so jung, so unerfahren - als sei er ein Neugeborener, und nun schob er die letzten Zweige beiseite und kauerte sich vor sie. Seine langen, seidengleichen Haare verhüllten seinen Leib wie ein Mantel. Von seinen Zügen las sie jede Regung ab, auch wenn diese fremd waren, so schmal, mit den großen Augen voller Lichtfunken. Und es war nur Neugier, Unschuld und Unwissen in ihm. Das geeignetste Opfer - ihr dürstete danach - nein, nicht ihr, sondern dem Bösen in ihr, dürstete danach, seinen Hunger zu stillen, diese Reinheit und Unbeflecktheit zu trinken, auszusaugen wie Blut. "Nähere dich nicht!" rief sie noch einmal schwach. "Verschwinde!" Und mit jedem Wort durchschoß sie ein Schmerz wie von tausend glühenden Nadeln. Sie warf sich auf die Erde und wimmerte, wand sich unter der glühenden Peitsche des Finsteren, der in ihrem Geist wütete. "Ich lasse es nicht zu!" * Berühre ihn! Ich will seine Kraft!* "Niemals!" kreischte sie. So wild der Kampf auch wurde, sie warf sich in ihn wie eine Kriegerin, obgleich ihre Vorfahren immer etwas anderes gewesen waren. Was der Fremde tat, spürte sie nicht, erst eine Berührung ließ sie aufschrecken und schreien, denn das Dunkle versuchte nicht mehr, sie zu zwingen, sondern mit eigener Kraft in den Körper des anderen zu dringen und ihm seine Lebenskraft zu entreißen. Ihr Verstand gewann wieder Macht über ihren Körper und ihre Kräfte. Sie spürte die Ablenkung der alten Feindin, die von der Unschuld des Fremden trunken war. Die Böse, das Finstere, das Dunkle - sie hatte viele Namen für den bösen Geist gefunden, den der seltsame spitzohrige Wanderer namens Rajek in seiner Seele getragen hatte, hatte ihr Volk mit seinen schrecklich deformierten Verbündeten überfallen und dem Erdboden gleichgemacht. Sie, die ASHYAN-YEL-ANDORIE, die "Erwählte des Volkes" aus einem Geschlecht von Magiern war ihm gefolgt und hatte ihn gestellt, um enigstens Rache zu nehmen - aber im Zweikampf hatte sie nur dem Körper schweren Schaden zugefügt. Der Schwarze Geist aber war in sie gefahren, und als Besessene hatte sie Dinge getan, für die sich sich verdammte. 'Ashyan yel andorie!' dachte sie. 'Erwählte, denke an die Lehren, die man dir mit auf den Weg gab. Denke an das, was du wirklich bist - keine Herrscherin, keine Magierin!' Und sie begann zu singen, denn das war ihre mächtigste Waffe! Nun wußte sie, daß sie ihre Kunst nicht beflecken konnte. Ihre Stimme klang lieblicher und sanfter als das Rauschen des Windes in den Wipfeln der Bäume und war leiser als das Singen der erwachenden Vögel aber für den, der diesen Zauber nur allzugut kannte, der in Furcht vor ihm gelebt hatte, klang sie schrecklicher als das Grollen des zürnenden Donners, entsetzlicher als die Kriegshörner barbarischer Horden und fürchterlicher als der Ruf der Sirenen. Ihre Worte und ihre Stimme, die Klänge und Laute banden den feindlichen Geist, der seine Umklammerung ihrer Seele 13
gelockert hatte im stampfenden Stakkato. Der vor zweihundert Jahren begonnene Kampf setzte sich fort - ein Beobachter erlebte staunend mit, wie in einer, von Nebeln und Lichern erfüllten Welt zwei Gestalten miteinander fochten: eine so hell und leuchtend wie das Tagesgestirn, die andere so düster und finster wie die Nacht. Blitze und Dunkelheit verbanden sich in einem vielfarbigen Gemisch, als das Schimmern in tausend Klängen brach, und Dissonanzen in den Ohren gellten. Erst dann, gewann das Licht, erhob sich wie die Morgensonne über den Horizont, und der Schatten entfloh mit einem solchen Schrei voller Haß und Wut, daß selbst die Bäume erzitterten und die Vögel einen Moment atemlos schwiegen. Sie sank zusammen, erschöpft, ausgelaugt, aber von dem Bösen befreit, und die Beklemmung wich langsam. sie war nicht mehr die Besessene. Sie war endlich wieder Rimnee! Rimnee die Bardin von den grünen Ebenen, die sich hatte verleugnen müssen, um nicht vereinnahmt zu werden. Sie mußte nicht länger die Ashyan-yel-Andorie sein. Der Titel war wie ihre Heimat vergessen. Rimnee blickte auf. sie spürte noch immer die Berührung des Wesens, dieses wunderbaren, schönen Wesens, das ihr durch seine Unschuld die Wärme und das Leben wiedergegeben hatte. Noch verband sie der Zauber, den sie mit ihrer Stimme gewoben hatte - und da war seine Neugier: Vorsichtig berührte er sie wieder, und die Hand mit den vier Fingern strich wie ein Windhauch über ihre Wangen, umschmeichelte die zarten Züge, aus denen langsam das Leid wich. Rimnee hob die Hand und ließ sie über seinen Arm gleiten, weiter hinauf. So weich, so warm - vom Licht der Sonne, die soben auf die kleine Lichtung fiel, erhitzt. Sie hob den Kopf und ließ die Strahlen des goldenen Lichtes ihre Haut liebkosen. Ein steter Wind trieb vereinzelte Wolken über den Himmel und Vögel erhoben sich zu ihren morgendlichen Flügen. durch das Blätterdach fiel tausendfach gebrochenes Licht, tauchte den Boden in wunderliche Farben. Rimnee spürte den Atem des Lebens und rief nach ihm, wollte ihn spüren, wie einst, als sie noch jung und unerfahren gewesen war. und jubelnd erhob sich ihre Stimme zu fröhlichem Gesang. Und mit ihm warf sie die Hüllen ab, die sie so lange getragen hatte, und in denen sie gefangen gewesen war, stimmte die Wirbel ihrer Laute und zupfte eine erste zaghafte Melodie. Sie spürte die würzig duftende Erde unter sich, den Schoß der großen Mutter, die Leben gab und wieder zu sich nahm. Das stetige Pochen der großen Trommel durchdrang sie. Rimnee durchpulste die Glut des Feuers, die Strahlen der Sonne hoben ihren Geist zu den Sternen und führten sie, auf den Winden reitend in die Freiheit. Und bei allem war sie nicht allein. Da war jemand neben ihr, bei ihr, in ihr, ein Wesen, daß so jung wie dieser Morgen war. sie kannte seinen Namen, und er schmeckte süß wie der Wein seiner Lippen. Er war so seidig wie das Schwarz seiner Haare und so kühl wie die Bleiche seiner Haut. Rimnee sah, und sah doch nicht wirklich. Wer er war, woher er kam, konnte sie erkennen, aber nicht begreifen. Er war schön wie die Sonne, erfrischend wie die Nacht und geheimnisvoll wie das Zwielicht der Dämmerung. Und doch... Rimnee stellte ihn auf eine letzte Probe. Sie ertastete seine Flöte und lauschte den Klängen die sie ihm entlockte - rein und klar wie die Luft tropften sie auf die Erde. Erst dann war sie zufrieden und lehrte ihn das Lautenspiel. Doch er erwies sich als Meister der Trommel. Immer mächtiger pulsierte es in ihr und vertrieb mit Lichtblitzen, in abgehackten Akkorden und wilden Wirbeln die letzten Spuren der Finsternis. Und in sie strömte schließlich die Flut des Lebens, leise wispernd und klingend wie der Wind, der mit Klangstäben spielte. Und diese ließ sie schließlich befreit zu Boden sinken, so wie sie die Götter geschaffen hatten und reicher glekleidet als zuvor. Das Haar, das einst matt geschimmert hatte, war nun flüssiges Feuer, ihre Augen leuchtende Sterne im Schatten ihres Haarschopfes. Sie hielt den 14
vertrauten Fremden geborgen wie ein Kind in ihren Armen, als sie aneinandergekuschelt in der vertiefung aus weicher Erde ruhten und den Puls des Lebens langsam bis in die letzten Fasern ihres Körpers strömen ließ. "Wer bist du Fremder, der du so schön und unberührt wie der junge Morgen bist?" fragte sie mit befreiter Stimme. "Ich mußte dich erst zurückstoßen, weil das Böse in mir nach dir verlangte. Durch dich konnte ich es aus mir reißen und vertreiben. ich danke dir!" "Ich bin Naroyd", antwortete er mit singender Stimme, und das schien das einzige zu sein, was er wirklich wußte. "Naroyd!" murmelte Rimnee und erspürte die Linien seines Körpers mit den Händen, wollte mehr. Sie hatte einst einer Harfe liebliche Klänge entlockt, aber nun spielte sie mit der Erfahrung ihres langen Lebens eine neue, aufregende und wunderliche Melodie auf dem Instrument seines Körpers, lockte ihn zu erneuten melodischen Jauchzern. Zuerst sanft und behutsam, um ihn zu verzaubern und zu bannen, dann jubilierend und triumphierend, als sie die Saiten fand, die nie zuvor vernommene Klänge hervorbrachte, Akkorde von solcher Kraft, daß sie selber unter ihnen erbebte. Und schließlich, als sein Bogen ihre Saiten strich und sie ihre eigene Melodie der Zärtlichkeit mit seiner eigenen verband, dann ein gemeinsames Lied der Wildheit des Lebens und der Freiheit anstimmte - erst dann spürte sie die Spannung des feinen Tons, der sie bis ins feinste Haar durchdrang, daran glaubend, daß sie im nächsten Augenblick zerspränge. Es war ein Gesang der Leidenschaft, den sie mit flinken und geschickten Fingern spielten und sangen. Rimnees Hände erzeugten die Melodien, ihre Körper den Rhythmus, in dem ihre Herzen pochten, Naroyd summte zu ihren stetigen Worten. Es war das ein Ballade des Beginns und der Geburt, mit Freude und Liebe verbunden, der Vereinigung zweier Völer, des Sterblichen mit dem Unsterblichen - der Beginn eines neuen Bündnisses! Ihre Stimmen vereinten sich zu einem triumphalen Finale von Fanfaren und verklangen leise, als sich die Sonne dem Horizont zuneigte. Rimnee fühlte sich müde und erschöpft, aber auf eine andere Weise als zuvor. Sie sank auf das weiche Bett zurück, das immer noch weich und warm war, und umarmte Naroyd, bevor sie einschlief. Er hatte ihr die Freiheit und ein neues Leben gegeben. Und so entdeckte die Nacht zwei Schlafende zwischen den Büschen. Und der Mond blinzelte einige Wolken beiseite, um ihre schimmernden Körper in Silber zu hüllen. Ein kühler Wind streichelte die glitzernden Perlen fort, die ihre Haut bedeckten, und von dem zeugten, was geschehen war.
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Der Sturm von Waldläufer
Er kam unvermutet über sie. Er brachte Tod und Verderben...
Der Barbar weinte. Trotz der festen, eisernen Mine seines Gesichts. Scheinbar war es eine unsagbare Trauer, die er nicht mehr zurückhalten konnte. Er stand vor einem brennenden Dorf, dessen loderndes Feuer zum Himmel hinauf schrie. Zu Asche verbrannt lagen duzende Körper auf der schwarzen Erde verteilt. Die letzten Tapferen – ebenso Hilflose – waren von dieser Welt geschieden. Schwerter und Lanzen ragten aus ihnen heraus. Riesige Blutlachen hatten sich gebildet. Immer wieder konnte man hilflose Schreie vernehmen, die sogleich verstummten, als das Leben aus dem Diesseits gerissen wurde. Eine kleine Hütte nach der anderen krachte in sich zusammen; das Feuer war begierig in seinem Verlangen. Der verweste Geruch, von verbranntem Holz und sinnlos geopferten Menschen, von denen alle zu seinen Freunden oder seiner Familie zählten, wurde vom Wind getragen. In der rechten Hand hielt er den Knauf seines mächtigen, gesenkten Breitschwertes, fest umschlossen. Seine Muskeln wirkten angespannt. Durch tiefes Atmen versuchte er sich scheinbar zu beruhigen. Wohingegen die Blicke seiner dunkel blauen Augen, auf das Geschehen vor ihm fixiert waren. Er befand sich etwas außerhalb auf einem kleinen Hügel. Der Wind ließ sein Haar durch die Luft wirbeln. Der lederne Umhang und das Bärenfell, das seinen Oberkörper bedeckte, waren zerrissen, von dem Blut seiner gefallenen Gefährten befleckt. Auf seinem Körper fanden sich entsetzlich viele Narben - die scheinbar alle aus dieser Schlacht stammten. Es waren lebenslange Zeugen, die ihn ständig an das Geschehene erinnern würden. Als sie kamen, wie ein Donner, aus dem Nichts erschienen, den Hinterhalt als Verbündeten mit sich ziehend, war es um sie geschehen. Tausende waren es gewesen, die plötzlich am Horizont zu erkennen waren. Die Erde bebte, als blanke Schwerter und Schilde im hellen Schein der Blitze erleuchteten. Es war eine Armee, die sich langsam, wie der schleichende Tod, auf sie zu bewegte. Auf dieses kleine, friedliche wirkende Dorf, das von einer Palisade umgeben war, um vor feindlichen Angriffen geschützt zu sein. Es gab immer wieder umherstreuende, kleine Gruppen von Orks oder Goblins, die sie heimsuchten. Sie waren leicht vertrieben. Aber diesmal war alles anders. Der Morgen erwachte mit einem strahlenden Sonnenschein, und dem blauen, wolkenlosen Himmel. Um das Dorf herum lag eine grüne Wiese, die eine freie Sicht in jede Richtung gewährte. Da war etwas zu erkennen. Eine schwarze Front - ein tosender Sturm - näherte sich, der das Land verwüstete. Er senkte solch unglaubliche Regenmassen nieder, dass es zu ertrinken drohte. Anfangs war es nur ein Grollen, in ganz leisem Ton. In einem furchterregenden Donnern fand es seinen Höhepunkt. Die Späher auf den hölzernen Wachtürmen, die sich direkt an der Palisade befanden, konnten mit Sicherheit nicht ahnen, dass es sich um eine finstere Armee handelte, die alles unterwarf, das sich ihr näherte. Man konnte sehr groß gewachsene Gestalten, von unglaublicher Zahl und mit blitzenden Waffen ausgerüstet, ausmachen. Sie marschierten, von scheinbar unergründlicher Gier nach Zerstörung erfüllt, auf sie zu. Es war dieses beruhigende Rauschen, das sie begleitete, und im krassen Gegensatz zu ihrer Absicht stand. Die Haut war aschgrau. Sie glichen Untoten, die aus dem Reich der Verdammnis zurückgekehrt waren. Hilflose Schreie waren zu vernehmen, als sie über die Palisade stürmten; sie mit aller Gewalt niederrissen. Lanzen der Verteidiger flogen durch die Luft - jede einzelne war auf ein Opfer fixiert. Nicht eine traf ihr Ziel. Die Barbaren wirkten überfordert. Jeder von ihnen stand mindestens drei von diesen Wesen gegenüber. Andere 16
wurden sogleich von einem Dutzend erdrückt oder durch die Luft gewirbelt. Klagende, gar flehende Rufe waren für einen langen Moment zu hören, bis auch sie für immer verstummten. Aus scheinbar reiner Freude an der Vernichtung warfen die Wütenden Fackeln in Form von Blitzen auf die hölzernen Hütten, deren Dächer sofort lichterloh entflammten. Der Sturm zog weiter. Nur ein Wagemutiger hatte überlebt. Er stand diesem Strom an schwarzer Energie mit all seiner körperlichen Macht entgegen. Und kämpfte verbissen, als grausame Schreie des Todes an sein Ohr drangen. Der dunkle Strom zog an ihm vorüber, scheinbar ohne seine Anwesenheit zu beachten. Er stand er da. Verlassen und von der Trauer überwältigt, während der Himmel aufhellte und ihm Trost zu spenden versuchte. Der Sturm war vorbeigezogen.
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Das Chamäleon von Elisabeth Rieper
Die Magierin Araleia begibt sich auf die Jagd nach dem Unbekannten, der immer wieder sein Unwesen treibt. Kann sie den Täuscher fassen?
„So kann es einfach nicht weitergehen!“ Pervo, das älteste Ratsmitglied, schlug mit der geballten Faust auf den Tisch, um seine Worte zu unterstreichen. „Es muss etwas geschehen, und zwar schnell. Wir können nicht zulassen, dass das Chamäleon weiter frei herumläuft.“ „Ich stimme euch zu, Pervo. Aber was können wir schon ausrichten?“, fragte Kiror, ein anderes Ratsmitglied. „Das Chamäleon ist ein Meister der Täuschung. Wir können noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, wie er aussieht! Und seinen Geburtsnamen kennen wir auch nicht! Wie sollen wir ihn finden?“ Für einen Moment lang lag eine stille Ratlosigkeit über dem Raum. Der Rat bestand aus den fünf weisesten Magier in ganz Aquetonien. Gemeinsam lenkten sie die Geschicke des Landes, obwohl das Wort ‚gemeinsam’ manchmal nicht so ernst genommen wurde. Zudem fehlten häufig Magier bei Besprechungen; waren nur zwei anwesend, konnte keine gültige Entscheidung getroffen werden. Am seltensten erschien wohl Feas, der sich jetzt zu Wort meldete. „Ich denke, uns bietet sich bald eine Chance. Wenn wir eines über das Chamäleon sicher wissen, dann ist es folgendes: Seine größte Stärke ist seine Verwandlungs- und Täuschungskunst. Aber wir kennen auch seine größte Schwäche: Seine Arroganz und sein Geltungsbedürfnis.“ Feas war erst 32 Jahre alt, sein schwarzes Haar passte ausgezeichnet zu der schwarzen Robe eines Ratsmitgliedes. „Feas, Ihr sagt uns nichts Neues. Wie soll uns das weiterhelfen?“ „Lasst mich bitte ausreden, Kiror. Nun, in drei Tagen findet das Buna-Fest statt.“ Das Buna-Fest stellte einen Höhepunkt im Leben der Magiergemeinde Aquetoniens dar, auf dem sich jedes Jahr viele Magier trafen, um sich auszutauschen und zu feiern. Leider war das Fest seit Jahren kein Geheimnis mehr, so dass auch Unbegabte, die sich für Magier oder Hexen hielten, dorthin kamen, um ihr vermeintliches Können unter Beweis zu stellen. „Glaubt jemand in diesem Raum, dass das Chamäleon sich die Möglichkeit entgehen lässt, den dort versammelten Zauberern einen Streich zu spielen? Einen Streich, der wieder einmal seine Überlegenheit unter Beweis stellt?“ Ein Raunen ging durch den Rat. „Spekulation!“, meinte Kiror. „Wir können unsere Kräfte nicht auf solch ein ungewisses Vorhaben richten. Ihr habt ja noch nicht einmal eine Vermutung, welche Art von ‚Streich’ er ausüben könnte.“ „Haltet Ihr es für angemessener, weiterhin Däumchen zu drehen? Im Übrigen ist es gleich, welchen Streich er spielen wird. Hauptsache ist, dass er während des Buna-Festes etwas tun wird. Dessen bin ich mir absolut sicher, aber ich höre mir gerne Eure Idee an, Rat Kiror“, antwortete Feas herausfordernd. Kiror murmelte sichtbar eingeschnappt etwas in seinen langen weißen Bart. Da niemand einen besseren Vorschlag unterbreitete, legte der Vorsitzende, der sich bisher in zurückhaltendes Schweigen gehüllt hatte, beide Hände ruhig auf den Tisch und sagte: „So sei es. Wir werden unsere besten Sucher zum Fest der Buna schicken.“ Die Sonne hing schon tief über dem Horizont. Bald müsste Araleia nach einem Platz zum Lagern Ausschau halten. Es war ein herrlich mildes sommerliches Wetter. Hätte sie nicht ein bestimmtes Vorhaben, würde sie sich einfach unter einen Baum legen und in den Tag träumen. Doch für die Dauer des Buna-Festes galt es sich zu konzentrieren. Araleia war gerade mal 25 Jahre alt. Nichtsdestotrotz war sie eine sehr talentierte Magierin. Es war nur 18
eine Frage der Zeit, bis Araleia zum ausgewählten Kreis der Sucher gehören würde. Und die Ergreifung des Chamäleons war ein sicherer Schritt in diese Richtung. Sie hatte zwar weder einen offiziellen Auftrag, noch eine Vorstellung, wie sie das Chamäleon finden wollte, aber ein Magier seines Formats würde ihr schon auffallen, dessen war sie sich sicher. Araleias Gesicht war oval, mit feinen Lippen, einer geraden Nase und ozeantiefe blaue Augen, die schon so manch einen Mann verzaubert hatten, auch ohne Magie. Ihr gutes Aussehen trug nicht gering zu ihrem Erfolg bei. Niemand vermutete hinter der attraktiven jungen Frau eine durchaus fähige Magierin. Und dieses Chamäleon würde sie sicherlich auch unterschätzen, war er doch für seine Überheblichkeit bekannt. Wenn nichts dazwischen käme, würde sie morgen Mittag auf dem Festhügel ankommen. Und dann konnte die Jagd auf das Chamäleon beginnen. Zwar hatte er bisher Nichts wirklich Kriminelles getan, aber durch seine ständigen Streiche untergrub er die Autorität des Rates. Araleia konnte sich gut an den letzten Sommer erinnern. Viele Magier benutzten ein spezielles Öl zur Pflege ihrer Haartracht. Die Gewinnung desselbigen aus der Vru-Wurzel war ein Geheimnis eines kleinen Handwerksbetriebs im Süden Aquetoniens. Irgendwie hatte das Chamäleon es unbemerkt geschafft, in die Ölflaschen einen besonderen Farbstoff zu geben. Araleias Haare sowie die der anderen Magier im Lande hatten noch Wochen danach in alles Regenbogenfarben gestrahlt. Oder als er die Fahne vom Dach des Ratshauses gestohlen hatte. Es waren alles lauter Kleinigkeiten, die eigentlich zum Schmunzeln waren... Araleia sah in einiger Entfernung einen jungen Mann, der am Rande des Weges im Schutze eines großen umgestürzten Baumes lagerte. Sein Rücken war ihr zugewandt, trotzdem vermochte sie zu erkennen, dass er ein Feuer anzuzünden versuchte. Dazu schwenkte er immer wieder einen langen, dünnen schwarzen Stock über das Holz. Araleia hatte davon gehört, dass Unbegabte glaubten, es würde so etwas wie Zauberstäbe geben, mit dem man Magie ausüben konnte. Ts, Dummheit ist eine Plage. So wird er niemals ein Feuer haben. Araleia musterte ihn aufmerksam, während sie mit jedem Schritt näher kam. Er hatte sie immer noch nicht bemerkt. Selbst in der Hocke war sein schmächtiger langgezogener Körperbau zu erkennen. Sein nachtschwarzes volles Haar war kurz geschnitten, seine Haut schimmerte blass. Er trug eine lange schwarze Tunika, wodurch er seinem schwarzen Stock seltsam ähnelte. Der junge Mann stellte für Araleia das Paradebeispiel eines MöchteGernMagiers dar. Viel Show, aber nichts dahinter. Kurzum, ein Volltrottel, der nie sein Feuer anbekäme. Es sei denn... Araleia konzentrierte sich auf den Holzstapel, und wie er brennen könnte. Sie fühlte das Holz, sein Muster, wie immer noch ein Teil von ihm lebte, sein Wunsch, der Sonne entgegenzuwachsen und die Ewigkeit zu überdauern. Araleia begann das Muster zu verändern, sie pflanzte Glut hinein, sie zeigte ihm die unglaubliche Hitze der Sonne, und dann, einen Augenblick später entlud sich die Spannung im Holz, woraufhin ein üppiges Feuer aufloderte, so dass der junge Mann erschrocken seine Hand wegzog, um sich nicht zu verbrennen. Einen Moment starrte er ungläubig auf das Feuer, im nächsten überzog ein Gefühl des tiefen Triumphes sein Gesicht. Araleia lächelte. Das könnte ein sehr amüsanter Abend werden. Inzwischen zog die Sonne immer längere Schatten. Als sie nur wenige Schritte von seinem Lager entfernt war, sprach sie den jungen Mann an. „Seid gegrüßt, Wanderer. Erlaubt ihr mir, mich an Eurem Feuer auszuruhen?“ Araleia war ausgesprochen höflich. Er schreckte hoch, denn er hatte ihr Nahen nicht gemerkt. Zuerst schien er verwundert, dann geschmeichelt. Mit einer einladenden Geste seiner Hand antwortete er: „Ein Magier verwehrt einer so hübschen Frau wie Euch keine Bitte.“ Wenn du wüsstest, was Magier so machen, Bürschchen! Araleia setzte sich auf den umgefallenen Baumstamm und fragte schüchtern: „Ihr seid wahrhaft ein Magier? Wie darf ich Euch ansprechen?“ Ein Lächeln huschte über 19
sein Gesicht. In einer eleganten Geste fuhr er mit seiner rechten Hand durch sein volles schwarzes Haar. „In meinen Kreisen ist es üblich, mich Meister Nuja zu nennen. Und wie heißt ihr, hübsche Frau?“ Nuja blieb stehen. „Araleia, Meister Nuja.“ Na, da habe ich aber ein ganz besonders aufgeblasenes Exemplar eines Unbegabten aufgetan. Araleia stellte ihren Reisebeutel neben den Baumstamm. „Ihr möchtet sicherlich auf das Buna-Fest gehen, Meister Nuja?“, vermutete Araleia. Nuja sah sie erstaunt an. „Woher habt Ihr von dem Buna-Fest gehört? Dort gehen doch nur Magier hin.“ Araleia biss sich auf die Lippen. Auch wenn er ein Unbegabter war, sollte sie doch etwas vorsichtiger sein, und ihm nicht mehr Informationen als unbedingt nötig offenbaren. „Ach, man hört so auf seinen Reisen einiges. Ich gehe zufällig in die gleiche Richtung.“ Fragend blickte sie auf das Feuer. Um von diesem Thema abzulenken, fragte sie: „Meister Nuja, dient das Feuer nur zur Wärme oder möchtet Ihr auch etwas garen?“ Nuja stemmte seine Hände in die Hüften. „Ja“, fing er zögernd an, „ich habe mir überlegt, ob nicht ein Kaninchen schmackhaft wäre, aber als Magier respektiere ich die Natur, und würde niemals töten, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.“ Schnell schob er hinterher: „Auch wenn es für mich natürlich kein Problem darstellt, ein Kaninchen oder jedes andere Tier binnen Minuten zu erlegen, versteht sich.“ „Selbstverständlich, Meister Nuja.“ Araleia konzentrierte sich auf seinen Geist, sein einfaches naives Muster, und fand schnell, was sie suchte. Eine Erinnerung, wie er tollpatschig einem grau-weiß-gecheckten Kaninchen hinterherlief, und sich dabei immer wieder mit den Händen am Boden abstützen musste, um nicht zu fallen. Passend dazu waren einige Erdflecke auf seiner schwarzen Tunika. Sie schaffte es gerade noch, ein überlegenes Lächeln zu unterdrücken. Im Aufschneiden ist er jedenfalls wahrhaft ein Meister. Araleia beugte sich vor und holte aus ihrer Reisetasche eine Flasche mit Wasser und ein in braunes Leder eingepacktes Paket heraus, in dem sie getrocknetes Fleisch aufbewahrte. Nuja beobachtete sie dabei. Araleia spürte, wie anziehend sie auf ihn wirkte und wie sehr er sie beeindrucken wollte. Es gefiel ihr durchaus, auch wenn sie sich niemals mit einem Unbegabten abgäbe. Als Araleia aufschaute und seinen Blick erwiderte, zuckte er plötzlich zusammen und stolperte unbeholfen zu seiner eigenen Reisetasche. Dabei vermied er es tunlichst, nochmals ihren Blick zu kreuzen. „Ihr habt recht, Araleia“, meinte er schließlich, „es ist Essenszeit.“, und griff in seine Tasche. Er schien lange zu suchen, bevor er schließlich einen einzigen Apfel herausholte. Um seine Verlegenheit zu überspielen fuhr er sich erneut durch sein Haar und sagte: „Wisst Ihr, Araleia, die Tasche eines Magiers hat es wirklich in sich. Bei all den magisch versteckten inneren Taschen des Beutels muss man immer lange suchen, bis man schließlich das Richtige gefunden hat. Mit solchen Problemen müssen sich die einfachen Menschen zum Glück nicht herumschlagen.“ Unbegabt hin oder her, Phantasie muss ich ihm lassen. Er setzte sich auf die gegenüberliegende Seite des Feuers und biss in den Apfel hinein. Araleia kaute ein Stück Dörrfleisch. Das Knistern des Feuers war deutlich zu hören. Um die peinliche Stille zwischen den beiden zu überbrücken fragte Araleia: „Seid Ihr sicher, Meister Nuja, dass es ungefährlich ist, so nahe an der Straße zu lagern? Hier wird man wohl am ehesten von Räubern gefunden.“ Nuja schluckte hastig ein Stück Apfel hinunter, das deutlich in seinem dünnen blassen Hals zu erkennen war. „Äh ... ja... . Im Prinzip habt Ihr recht, Araleia, aber wer würde es schon wagen, sich an einem Magier zu vergreifen?“ Wer würde dich schon als Magier ernst nehmen? Mit einem bewundernden Lächeln entgegnete sie: „Wie schön, so sicher und entspannt im Schutze eines Mächtigen ruhen zu dürfen.“ Araleia musste sich arg anstrengen, um ihre Stimme nicht ironisch klingen zu lassen. Was war das? Araleia schreckte auf. Für einen Bruchteil eines Augenblicks meinte sie einen magischen 20
Funken gespürt zu haben. War das Chamäleon in ihrer Nähe? Araleia konzentrierte sich auf den Funken, aber er war schon wieder verschwunden, als ob er nie da gewesen wäre. Es war wohl ein Echo ihrer eigenen Magie gewesen. Entspann dich, wenn das Chamäleon kommt, wirst du es schon bemerken. Araleia schluckte den Rest Fleisch hinunter und nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Flasche. Inzwischen war die Sonne ganz hinter dem Horizont verschwunden. Die Dunkelheit der Nacht brach herein. Auch das Feuer war langsam am Erlöschen. Araleia sah sich um, es lag auch kein weiteres Holz in Reichweite. Nuja bemerkte ihren suchenden Blick. „Na dann werde ich wohl noch ein wenig Holz im Wald suchen. Solch hübsche Frauen wie Ihr sollen nicht frieren.“ Er schenkte ihr Lächeln, das von einem anderen Mann vielleicht verführerisch gewirkt hätte. Ihm stand es einfach nur lächerlich zu Gesicht. Beinahe wäre er über seinen eigenen Beutel gestolpert, als er Richtung Wald ging. Schnell gewann er sein Gleichgewicht wieder und ging deutlich vorsichtiger weiter. Araleia blieb allein mit ihren Gedanken zurück. Für einen Unbegabten fand sie ihn erstaunlich sympathisch - wenn man mal von seinen arroganten Allüren absah. Ich sollte morgen mit ihm weiterreisen, dass wird meiner Tarnung vorzüglich dienen, und mich im Übrigen gut unterhalten. Araleia unterdrückte ein Gähnen. Warum war sie auf einmal so müde? So anstrengend war der Tag doch gar nicht gewesen. Das nächste Gähnen konnte sie nicht mehr zurück halten. Vielleicht sollte ich mich ein wenig hinlegen, dann werde ich schon wieder munter. Sie legte sich neben den Baumstamm und bettete ihren Kopf auf den Reisebeutel. Das letzte, woran sie denken konnte, war, wo Nuja denn bliebe. Danach war sie tief und fest eingeschlafen. Benommen blinzelte Araleia. Hell. Zu hell. Es war Tag. Kopfschmerzen. Wie lange hatte sie geschlafen? Sie wollte sich strecken, um die Müdigkeit aus ihren Gliedern zu vertreiben. Doch plötzlich ging ihr auf, dass sie sich kaum bewegen konnte. Sie spürte die raue Faser eines Seils um ihre Hand- und Fußgelenke. Wie hatte das nur geschehen können? Jemand hatte sie während sie schlief wie ein kleines Paket zusammengeschnürt. Wer...? NUJA! Auch er musste gefesselt sein. Sie schaffte es schließlich, ihre Augen ganz zu öffnen. Doch was sie erblickte, verwirrte sie um so mehr. Nuja saß ihr gegenüber und grinste von einem Ohr bis zum anderen. Aber er hatte sich verändert. Er sah nicht mehr so schmächtig aus, hatte breite Schultern, eine dunklere Hautfarbe. War das wirklich Nuja? „Gut geschlafen, meine wunderschöne Magierin?“ Seine Stimme war immer noch die gleiche wie gestern. Allerdings war sein Tonfall nicht mehr schüchtern, sondern voll von Triumph und Überlegenheit. „Wie...? Was...?“ Ihre Adern pochten an den Schläfen, als ob sie gleich platzten. „Verwirrt, kleine Araleia? Wo Ihr mich jetzt endlich gefunden habt?“ Er stand auf und ging zu ihr herüber. Mit einem Mal ging Araleia alles auf. „Ihr seid das Chamäleon!“ Die Erkenntnis verschlug ihr den Atem. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Nuja- das Chamäleon- kniete neben ihr nieder. Araleia wollte sich befreien, aber die Fesseln waren zu eng. Sie schloss ihre Augen wieder und konzentrierte sich darauf, das Chamäleon mit anderen Mitteln zu bekämpfen. Sofort schien ein ganzes Feuerwerk in ihrem Kopf zu explodieren. „Na, na, wer wird denn hier Magie ausüben wollen? Ich habe Euch zur Sicherheit auch magische Fesseln angelegt.“ Er fasste ihr Kinn mit seiner Hand und drehte ihren Kopf hin und her. Araleia konnte ihn lediglich böse anfauchen. „Wirklich wunderschön. Zu schade, dass ich jetzt weitergehen muss. Schließlich warten die richtigen Sucher darauf, von mir hereingelegt zu werden.“ Mit diesen Worten nahm er seine Tasche und ging ohne sich nochmals umzublicken in Richtung Festhügel. Araleia blieb mit ihrer Schmach zurück. Er musste alles genau geplant haben, angefangen damit, dass sie ihn auf ihrem Weg traf. Sie musste zugeben, das war ein Meisterstück gewesen. Aber ihre Stunde würde kommen. Sie schwor sich nächstes Mal besser 21
vorbereitet zu sein. Nächstes Mal, hallte es in ihrem Kopf, nächstes Mal wunderschöne Magierin. Die Ratsmitglieder wirkten allesamt verärgert. Feas hatte Recht gehabt, denn das Chamäleon hatte während des Buna-Festes wieder einmal einen Streich gespielt. Als am letzten Abend Magier und andere Mitmenschen sich zu Tanze begaben, sprangen aus allen Büschen kleine Kängurus hervor, die munter über die Tanzfläche hüpften. Es dauerte Stunden, bis alle Tiere eingefangen waren. „Verehrte Ratsmitglieder,“ fing Feas an, „ich möchte an dieser Stelle an den selbstlosen Einsatz einer jungen Magierin hinweisen. Sie bewies großen Mut, als sie sich ohne einen Gedanken an ihre eigene Sicherheit dem Chamäleon stellte. Daher möchte ich Araleia als eine Kandidatin für den nächsten freien Titel eines Suchers vorschlagen.“ Der Ratsvorsitzende nickte. „Wir haben euren Vorschlag zur Kenntnis genommen, Rat Feas. Gibt es weitere Anliegen?“ Die Ratsmitglieder schüttelten ihre Köpfe. „Gut, dann beende ich hiermit die Sitzung.“ Die Magier erhoben sich. Feas blieb noch einen Moment im Ratssaal sitzen. Mit einem zufriedenen Lächeln fuhr er sich durch seine Haare.
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Im Kreis des Universums von Matthäus Wimpissinger
Der Text aus dem geheimen Buch öffnet Tore zu anderen Welten! Und lässt Dämonen herein...
Er war sich sicher dass die Tür doppelt verschlossen war, aber die Gestalt die in seine Wohnung trat war es auch nicht gewohnt Türen zu öffnen oder zu schließen. Es wurde kalt in seinem Zimmer, Eis kalt. Die Schatten an der Wand wurden länger und länger, bis die völlige Dunkelheit eintrat und mit ihr etwas nicht von dieser Welt. Wayne wagte es nicht seine Augen zu öffnen, allein seine Gefühle und seine Sinne ließen ihn erahnen was erschienen war. Es hatte tatsächlich funktioniert!! Euphorisch frohlockte er über die Entdeckung solcher ungeahnten Macht und Möglichkeit. Der Text aus diesem Buch öffnete Tore zu einer anderen Welt. Mit diesem Schriftstück war Wayne der Herrscher über Tore in einen anderen Raum. Unvorstellbar welche Macht er nun hatte. Wayne verspürte eine große Erregung ihn sich aufwallen. Er begann zu schwitzen und seine Augen brannten von der salzigen Flüssigkeit die an seiner Stirn herunter floss. Er spürte die Kälte auf der Haut aber in seinem Innersten brodelte es wie in einem Vulkan. Es war als wurde er in zwei verschiedene Welten oder gar Dimensionen gerissen. Ein Schreck durchfuhr Waynes Körper, seine Ängste und Befürchtungen nahmen Gestalt an, der heraufbeschworene Dämon berührte ihn. Nein, es war noch viel Schlimmer, er versuchte in ihn einzudringen. Wayne riss seine Augen auf. Es war Dunkel, einfach nur stock finster. Er konnte nichts erkennen, er sah nicht einmal seine eigene Hand geschweige denn die vier weißen Wände die sein kleines Zimmer umgaben.
Professor Brighton hatte schon immer ein Auge für das Detail. Er betrat gerade sein Arbeitszimmer als es ihn schon in die Augen stach. Jemand hatte sich an seinem Schreibtisch zu schaffen gemacht, Unterlagen und Schreibutensilien waren verschoben und verlegt. Einzelne Bücher in den Regalen waren vorgeschoben und Kästen und Schubläden waren geöffnet und schlecht wieder geschossen worden. Jemand hatte eindeutig etwas gesucht. Hatte dieser Jemand das Gesuchte gefunden? Brightons Blick glitt hastig durch das altmodisch aber freundlich warm eingerichtete Zimmer. Stockend erkannte er das geöffnete Geheimfach im alten Kamin, der nur mehr als Dekoration diente. In dem Fach waren schwarz eingebunden Bücher, sorgfältig sortiert nach Reihe und Glied. Man konnte gut das Fehlen eines Buches erkennen. Ein Buch das Niemand und auf keinem Fall einem Unwissenden in die Finger kriegen durfte.
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Waynes Körper begann zu zittern, er schüttelte sich und rieb verzweifelt seine kalt gewordene Haut um sie zu erwärmen. Er verstand nicht was geschah, er verstand es schon aber er konnte und wollte es einfach nicht wahr haben. Der Schutzkreis, die Symbole, und die Kräuter, er hatte sich doch genau an die Anleitung aus dem Buch gehalten. Was war den falsch gelaufen oder was hatte er den übersehen? Kurze Hoffnung überkam ihn, vielleicht waren diese Sinneswahrnehmungen ganz normal und vielleicht fühlte sich eben genau so eine funktionierende Geisterbeschwörung an. Er hatte ja bisher noch keine Vergleichsmöglichkeiten, es war sein erster wirklicher Versuch ein Wesen nicht aus dieser Welt zu beschwören. Er musste über sich selber Lachen wie hysterisch er sich benahm. Aber Wayne war nicht alleine in diesem Raum. Er fühlte den Geist aber er konnte ihn nicht sehen, erst als er wieder seine Augen schloss.
Brighton ahnte Schlimmes. Er hatte schon die Neugier seines Sohnes bemerkt, aber nie wäre er darauf gekommen dass er in sein Arbeitszimmer einbrechen würde. Woher wusste Wayne von diesem Geheimfach und besonders diesen Büchern? In seinem Kopf überschlugen sich Ängste und Sorgen. Wayne konnte nicht ahnen was es mit diesen Büchern auf sich hatte. Sein Sohn wusste nichts von dem Vorleben dass sein Vater führte bevor er sich unsterblich in Waynes Mutter Mary verliebte. Alles hatte sich damals verändert, sein ganzes Leben. Die geheime Bruderschaft war von Anfang an gegen diese Liebe und Beziehung gewesen, besonders zu einer nicht eingeweihten Frau. Nicht einmal Brightons Ansehen und Macht die er damals besaß, konnten ihn und seine schwangere Frau vor der geheimen Loge schützen. Brighton schüttelte seinen Kopf, er wollte sich nicht mehr an das allzu Schmerzvolle erinnern. Seine Frau starb bei der Verfolgung, nur Wayne konnte er mit großer Mühe und Not retten. Es traf ihn wie einen Blitz. Sein Sohn Wayne.
Verständnislos starrte Wayne in das Nichts, seine wirren Gedanken verstummten und es wurde leise in Waynes kleinem Universum. Der Schmerz ließ nach, sein Körper verlor an Gewicht und es war ihm als würde er schweben. Warme Flüssigkeit rann aus seiner Nase, sie schmeckte noch salziger als sein Schweiß, es war Blut. Diese Wahrnehmung war die letzte die Wayne fühlte, ab diesem Zeitpunkt war sein Geist und Bewusstsein nicht mehr in dieser Welt. Der Dämon drang nun vollständig in seinen Körper ein und brannte ihn ohne jegliche Empfindung aus seiner Hülle heraus. Es war nun sein Köper.
Brighton hatte Wayne untersagt sich für Okkultismus zu interessieren. Aber Kinder etwas zu verbieten war ja bekanntlich wie Öl ins Feuer zu gießen. Er stürmte aus dem Zimmer in die große Halle, die Stiegen hinauf in Richtung der Schlafzimmer. 24
Er hielt inne und horchte in den Flur entlang der Zimmer. Es war alles Ruhig, aber seine Sinne verrieten ihm die Anwesendheit einer fremden aber doch vertrauten Macht. Wieso hatte er sie nicht schon vorher gespürt, wie er sein Haus betrat? Es musste gerade erst begonnen haben!!!!
Brightons Gesicht verzehrte sich aus Angst und Trauer. Wie hatte er jede Nacht gebetet und sich eingebildet dem ganzen endlich entflohen zu sein. Bitterlich erkannte er dass all die Macht über die er verfügte unweigerlich mit dem Universum verbunden war. Fliehen war zwecklos denn „Alles ist Eins“ und „Alles ist Überall“. Was damals begonnen hatte würde irgendwann ein Ende finden. War es heute, hier und Jetzt? Brightons Augen wurden dunkel und kalt, sein Herz welches vor kurzem wie ein frisierter Zweitakter pochte war nicht mehr wahr zunehmen. Um seinen Körper bildete sich ein dichter, goldener Schleier, der ihn vollständig umhüllte. Ohne sich auch nur einen Millimeter zu rühren öffnete er die Tür zu dem Zimmer seines Sohnes.
Waynes Zimmer war in Dunkelheit gehüllt. Brighton streckte seine Hand nach der Finsternis und spürte augenblicklich die Anwesendheit eines Wesens der Verdammnis. Aber wo war Wayne? Er musste hart schlucken und sich seiner Kontrolle über den Schutzschleier bewusst werden. Aus Brightons Hand entströmte ein Teil der goldenen Substanz die ihn umgab und verteilte sich in Waynes Zimmer. Die Dunkelheit wich und die Umrisse eines Schreibtisches, eines Bettes, Regale und Stühle erschienen. Der Goldstaub glitt durch das ganze Zimmer, über alle Möbel und heftete sich zum Schluss auf die Gestalt die in mitten des Raumes stand. Sie war nun hell erleuchtet und Brighton erkannte den entstellten und missbrauchten Körper seines Sohnes. Ein verzweifelter Schrei entkam Brightons Lippen.
Alles Weitere geschah als wäre Brighton wieder 25 und ein Schüler der Loge „Zur Vollkommenheit“. Sein Talent in Sachen Magie und okkulten Fähigkeiten brachten ihm schnell Respekt und eine hohe Rangordnung ein. Er war bekannt für die Fertigkeit das Licht der Macht durch seinen Körper zu kanalisieren und zu bündeln. Seine Lehrer versprachen Brighton eine großartige Karriere als Großmeister und einer der wenigen Erleuchteten der höchsten Ebene des Bewusstseins zu werden. Er war Jung gewesen und ungestüm was seinen Fähigkeiten anbetraf. Aber die Erleuchtung die er fand war nicht im Universum gewesen sondern in den wundeschönen Augen einer jungen liebevollen Frau.
Brightons kontrolliert, entfesselte Macht durchfuhr den Raum wie eine Dampflok einen 25
Tunnel. Sie traf Waynes Körper durchflutete ihn und katapultierte den Dämon mit blau erscheinenden Druckwellen aus ihm heraus. Waynes Körper, nun nicht mehr als eine leere Hülle sackte zu Boden. Tränen kamen in Brightons Augen als er erkannte dass es für Wayne keine Hilfe mehr gab. Selbst seine Kraft und sein Leben waren nicht einmal annähernd genug um seinen toten Sohn Leben zu spenden. Er konnte einfach nichts machen, nur mehr trauern. Sein toter Körper lag neben einem Buch in einem aus Kreide gezogenen Kreis am Boden. Der Dämon schwebte über dem Toten ohne jegliche Regung. Brighton stieß einen markerschütternden Schrei aus und beschwor alle Mächte der Zerstörung in einem Spruch. Aus Hass und Trauer wurden ein maßloser Wunsch zur Vernichtung, so wie er es sich schon einmal ein einer traurigen Stunde gewünscht hatte. Alls dies schleuderte er in einer Welle von Emotionen, Erinnerungen und Verzweiflung gegen den Dämon.
Er hatte früh gelernt das Universum für seine Zwecke zu nutzen. Es zu bündeln und seinen Feinden entgegen zu schleudern auf dass sie vernichtet werden. Niemand würde das dem, nach all der Zeit, ergrauten Professor Brighton zutrauen. Er hatte sich auch von all dem abgewendet. Seine Frau, sie war ein Engel, der ihn auf den Weg der Liebe führte. Die Verfolgung seines Ordens hatte Jahre gedauert, Er floh mit seiner Frau um die ganze Welt aber ohne Erfolg. Er wollte sich der Loge entgegen stellen, er wusste mit der Liebe seiner Frau und seinem Willen war er Mächtig genug um die ganze Gruppe zu zerschlagen. Aber sie, Mary war zu gut und sanftmütig, sie wollte den friedlichen Weg gehen. Dann war es auch schon zu Spät, die Loge machte ihrem Leben ein Ende. Seinen Sohn in Obhut genommen stellte sich Brighton dem Orden entgegen. Er öffnete Tore der Hölle um sich Helfer zur Vernichtung eines ganzen Ordens zu holen. Und als er sie rief kamen sie und verrichteten ihr Werk der Zerstörung ohne Gnade und Gewissen.
Ein grüner Strahl, Zeit und Raum teilend, traf fast in Zeitlupe das Wesen. Diese geballte Machtwelle letzter Verzweiflung gepaart mit Hass und Trauer lies es zuckend und beutelnd aufheulen. Seine Gestalt wurde verzerrt und in sich gedrückt als würde Brighton es aus dieser Welt und dem ganzen Universum pressen wollen, aber es bewegte sich keinen Millimeter zurück. Brighton hob verwundert seinen Augenbraun. Er war alt geworden und seine Kräfte waren sicher nicht mehr so stark wie damals aber normalerweise hätte es diese Ausgeburt der Hölle durch alle Wände dieses Hauses schleudern müssen. Der Dämon war stark angeschlagen und kauerte sich zusammen. Seine Gesichtszüge, die man nur wage erahnen konnte waren verstellt und abstoßend. Sein ganzer Körper war verschoben und ineinander gedrückt. Er streckte sich Brighton mühsam entgegen als wollte er ihm etwas deuten aber es schien als 26
ob er von jemand festgehalten wurde. Da erkannte Brighton was sich vor ihm abspielte. Der auf den Boden gemalte Schutzkreis hielt den Dämon in sich gefangen, er konnte sich nur darin bewegen und handeln. Die Erinnerung traf Brighton wie Pfeilspitzen in die Brust. Er erkannte den Dämon, hatte er ihn doch aus der Hölle befreit um ihn für sich dienen zu lasen und seine Verfolger zu töten. Wie hatte er dass alles nur vergessen könne, oder hatte er es vor Schmerz nur in seinem Innersten tief verborgen. Es war als Falle gedacht, der Dämon sollte dem Beschwörenden im Schutzkreis erscheinen und vernichten. Nach getaner Arbeit würde er kurz darauf wieder verschwinden und keine eindeutigen Spuren hinterlassen. So war es geplant und so geschah es auch mit dem „Obersten Meister des Ordens“. Es war ein grauenvolles Sterben, das er seinem Feind beschert hatte, aber nach dem Tod seiner Frau hatte er nichts anderes verdient. Aber um Gottes Willen, hatte sein Sohn gerade eben das gleiche durchleben müssen? Die Wahrheit war unausweichlich, nun hatte der Dämon den Brighton indirekt als Schutz für seine Familie erschaffen hatte, seinen einzigen Sohn getötet. So war die Magie und das Leben, “Was man gibt bekommt man zurück“. Brightons Leben rannte an ihm vorbei, in seinem Kopf begann es zu pochen und sein Körper verlor an Spannung. All die Jahre die er versuchte sein vergangenes Leben zu vergessen, erkannte er nicht das Talent und die Neugier welche seinen Sohn ergriffen hatte. Wieso hatte er nicht diese Bücher vernichtet oder warum hatte er seinen Sohn nicht eingeweiht. Er hätte es doch besser machen können als sein Vater es getan hatte. Die Macht der Magie war doch weder schlecht noch gut, sie war wie alles im Leben, das was man letztendlich aus ihr macht. Mit dieser frustrierenden Erkenntnis löste Brighton sein goldenen Umhang auf. Goldenen Funken schwebten durch den Raum und erloschen als sie den Boden berührten. Der Dämon hatte nicht mehr die Fähigkeit zu erkennen was geschah, er war nur geschaffen um zu Töten und zu Vernichten und nicht mehr. Brighton hoffte dass der Dämon dazu noch in der Lage war. Er schloss seine alt gewordenen Augen und betrat den Schutzkreis. So sollte sich der Kreis des Universums endlich schließen.
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Eine Bestellung von Antares von Thomas Wilde
Dr. Audrey Malloy und der Krater in Arizona: Es kommt zu einer erstaunlichen Begegnung!
Mittendrin. Sie stand jetzt zwischen all diesen kleinen und großen Felsbrocken, die wie aufgewühlt auf dem Plateau oberhalb der Baumgrenze herumlagen. Was hier aufgeschlagen war, konnte in der Tat kein Flugzeug gewesen sein, jedenfalls keines von der Erde. Vielleicht doch ein Satellit, überlegte Dr. Audrey Malloy eher widerwillig. Die irische Physikerin, die in dem unweit von hier gelegenen Mount Graham Observatorium in den Bergen Arizonas arbeitete, war Wissenschaftlerin genug, um herkömmliche Ursachen für diesen spektakulären Einschlag nicht auszuschließen. Jedoch gehörte sie zu der Gruppe von leidenschaftlichen Menschen, die selbstverständlich davon ausgehen, dass wir in diesem nahezu unendlichen Universum gar nicht alleine sein konnten. Die Aufschlagstelle wies einen ausgeprägten, aber eher kleinen Krater auf. Metallene Trümmer, zum Teil miteinander verschmolzen, glänzten nahe der Kratermitte in der Nachmittagssonne. Audrey erinnerte sich an ihre gestrige Beobachtung am Bildschirm, über den mit hoher Geschwindigkeit ein heller Punkt gerast und nach ihrer Einschätzung hier in den Bergen herunter gegangen war. Die Erscheinung war irgendwie anders als die vielen kosmischen Niederschläge, die sie schon recht häufig beobachten konnte. Nicht so geradlinig, sondern seltsam unregelmäßig und auch deutlich langsamer. So hatte sie sich heute freigenommen, um ihrer Ahnung nachzugehen und war aufs höchste gespannt, ob sich bewahrheiten würde, was seit ihrer Kindheit immer wieder in ihrem Kopf herum spukte: Es gibt da draußen Leben! Die Einzelteile, in die das unbekannte Ding zerplatzt war, offenbarten merkwürdige Formen und Farben. Einige waren abgerundet und besaßen auf der genoppten Oberfläche kleine Haken und Trichter, andere hatten Ähnlichkeit mit verbogenen Kranteilen. Allesamt schillerten sie fast perlmuttartig - mal grün, mal rosa. Für diesen Fall hatte sich Audrey schon vor Jahren akribisch vorbereitet. In ihrem Rucksack fanden sich neben einer Überlebensausrüstung eine Videokamera, ein Photoapparat, Meßwerkzeug und einiges mehr an unerläßlichen Dingen. Sie machte sich sofort daran, dieses rätselhafte Szenario zunächst in Daten und Bildern zu erfassen. Dabei überkamen sie immer wieder kribbelnde Schauer. Die Aufregung über den Gewinn des großen Jackpots in einer Lotterie mochte gegenüber dieser Entdeckung wohl eher gemäßigt erscheinen. Als sie auf dem im Schatten des Bergs gelegenen Trichterrand nach Motiven für Nahaufnahmen suchte, klammerten sich ihre Augen instinktiv an ein paar kreisrunde Löcher in einem der Bruchstücke. Das Adrenalin begann schlagartig, ihre Adern förmlich frei zu spülen. Das konnten nur - das mußten einfach . . . ein kurzer Film lief immer und immer wieder in ihrem Kopf ab. Austrittsöffnungen mußten das sein, ja Austrittsöffnungen, um etwas nach draußen zu schießen oder zu katapultieren! Der kleine Mechanismus gleich hinter den Öffnungen ließ keinen anderen Schluß zu. Sie sah in ihrer Vorstellung, wie dieser kleine Satellit auf die Erdoberfläche zuraste und kurz vor dem Aufprall die kleinen Luken aufsprengte. Kapseln von der Größe eines Tennisballs schossen nach allen Seiten davon, um sich in der Landschaft zu verteilen. Konnte das wirklich sein? Audrey war nicht sicher, ob sich ihre klare und einfache Analyse mit den Erinnerungen aus diversen Spielfilmen mischte. Und doch, sie glaubte an eine ebenso simple wie fantastische Erklärung. Aber wofür? Was konnte es mit diesen Kapseln auf sich haben? Und hielt die vermeintliche Sonde ewa noch weitere Geheimnisse verborgen? 28
In Gedanken versunken suchte sie sich einen Weg hinunter in den lichten Wald. Dort musste die geheimnisvolle Ladung niedergegangen sein. Unaufhörlich drängten ihre Überlegungen um diese spannende, aber doch irgendwie unwirkliche Hypothese hin und her. Wie sahen die Kapseln aus? Was mochte in ihnen stecken und eventuell schon auf die Erde gelangt sein? Handelte es sich um etwas gutartiges, oder gar um etwas . . . nein, bevor sie sich ihren Verstand mit solchen Auswüchsen vernebelte, musste sie Einzelheiten kennen. Mit aller gebotenen Umsicht bewegte sie sich nun fast katzengleich zwischen den einzeln stehenden Bäumen. Unterholz gab es hier kaum, so dass sie einen guten Überblick hatte. Jetzt erst bemerkte sie auch die seltsame Stille, die den Wald hier oben in Wachs tauchte. Sie verlieh Audrey eine wunderbare innere Ruhe, die ihre Sinne bemerkenswert schärfte. Es brauchte viel Glück, um einen dieser Minitransporter ausfindig zu machen, wenn es sie überhaupt gab. Sie musste sich auf ihre Intuition verlassen, da sie im Alleingang mit Systematik nicht viel ausrichten konnte. Sie versuchte, irgend etwas Auffälliges zu finden, etwas, das nicht hierher passte. Und sie hatte es, das große Glück! Eine knappe Armlänge vor ihr, zwischen den Wurzeln einer knorrigen Kiefer, lagen sie plötzlich! Vier Kugeln! Sie hatten das Aussehen von übergroßen, hölzernen Wacholderbeeren! Das konnten natürlich auch Früchte einer Pflanze sein, von einem der Bäume vielleicht. Oder Reste eines Camps. Gerade als ihre Spannung zu sinken drohte, passierte es: Die Beeren bewegten sich! Audrey stockte der Atem. Die Teile, die die Form der Restblüten eines Fruchtkörpers hatten, klappten zur Seite und erlaubten den Blick auf etwas, das wie ein Spinnennest aussah. An die 30 froschähnliche kleine Wesen wanden sich jetzt in rascher Folge mit einer nicht vermuteten Eleganz aus den mattschimmernden Hüllen, blickten sich kurz in dieser neuen Welt um und schlüpften, einer einsickernden Flüssigkeit gleich, in alles organische Material ringsum. Es war ein grandioses Schauspiel, und für die Bedeutung, die ein Mensch ihm beimessen musste, viel zu schnell vorüber. Kaum, dass diese Lebensformen hier waren, gingen sie ohne zu zögern an die Erledigung der ihnen augenscheinlich zugeteilten Aufgabe und verschwanden damit ohne sichtbare Spuren von der Bildfläche. Alles war wieder ruhig. Noch völlig benommen von diesem Erlebnis kniete Audrey vor den leeren Gehäusen. In ihrem Kopf sprudelte es. Sie wagte es nicht, irgendetwas auf diesem Fleckchen Erde zu berühren. Der Boden, die Bäume, das Moos – alles wirkte noch zerbrechlicher, war ihr plötzlich noch wichtiger als sonst, beinahe heilig. Kein großes Tier oder gar ein Mensch sollten hier etwas zerstören. Ein abgeknickter Zweig oder nur ein Schuhabdruck erschienen ihr wie eine Katastrophe, ganz egal, was diese honiggelben Tierchen der Erde überbringen würden. „Physicus Malloy!“ Eine durchdringende, tiefe Stimme ließ den Wald widerhallen. Vom Schreck zusammengestaucht, überwand sich Audrey, ganz langsam nach rechts zu sehen. Die Gestalt, die sich wenige Meter von ihr entfernt aus dem Nichts aufgebaut hatte, glich einem berühmten Mann aus längst vergangenen Zeiten. „Merlin“, hörte sie sich selbst sagen, aber der Kloß im Hals schluckte jeden Ton. ‘Es . . . es gibt ihn wirklich‘, gaben sich ihre Gedanken Mühe, endlich wieder eins zu werden. Unfaßbar genug, dass der Druide wirklich vor ihr stand, aber dass er sie mit ihrem Namen ansprach, war einfach erschlagend. „Ihr wirkt erstaunt, Malloy. Allerdings habt ihr auch allen Grund dazu. Denn was ihr hier miterlebt, ereignet sich recht selten.“ Der große Magier war die Ruhe selbst. „Nun ja, die Lieferung erfolgt wie immer äußerst pünktlich. Die Antaressianer sind da sehr gewissenhaft, in ihrer Welt gibt es das Phänomen der Ausrede nicht.“ Die Brust mit Stolz gefüllt, blickte sich Merlin um und genoß sichtlich zufrieden den erfolgreichen Abschluß dessen, was gerade geschehen war. „Haltet ein, Merlin“, entfuhr es Audrey in altertümlichem Ton, im nächsten Moment schon unsicher, ob diese Reaktion angemessen war, um mit einem etwa 1400 Jahre alten Mythos ins Gespräch zu kommen. Natürlich konnte sie ihre Verblüffung nach diesem Platzregen der 29
Ereignisse keinesfalls verbergen. Dennoch hatte sie ihre fünf Sinne jetzt wieder halbwegs im Einklang. „Ich wollte sagen, dass . . . um was handelt es sich denn bei dieser Lieferung? Ich meine, was ist denn hier geliefert worden?“ Woher der Zauberer ihren Namen kannte und seine fehlende Erklärung, wie er hier nach immerhin 14 Jahrhunderten erscheinen konnte, hielt Audrey zu erfragen irgendwie für überflüssig. „Oh meine Liebe! Das ist eine sehr lange Geschichte. Wie ihr natürlich wisst, unterliegt unser Gestirn sehr vielen Veränderungen, und keine davon kann sich ohne die anderen vollziehen. Nun geraten einige Dinge hin und wieder, ich möchte sagen, ins Straucheln. Unsere Zunft hat es sich vor vielen Jahrtausenden zur Aufgabe gemacht, die Erde in ihrer ständigen Wandlung zu unterstützen, sozusagen ihre Beschwerden zu lindern. Vor 80.000 Jahren bahnte sich wieder mal ein fulminanter Lavaauswurf an. Um diese Erscheinung – die Menschen bezeichnen sie unzutreffenderweise als Naturkatastrophe – abzumildern , haben wir bei unseren Freunden vom Stern Antares einige sehr wirksame Arzneien bestellt. Diese Mittel wenden wir seither alle einhundert Jahre an wohl gewählten Stellen wie dieser an.“ „Soll das heißen, Vulkane und Überschwemmungen, Erdbeben und Wirbelstürme würden ohne diese Hilfe aus einem anderen Sonnensystem noch viel zerstörischer sein?“ Audrey erinnerte sich an einen Bericht, in welchem frühere Vulkanausbrüche mit ihrer grenzenlosen Wucht die Sonne verdunkelten und gigantische Lavafelder entstehen ließen. Manche dieser zum Teil mehr als einhundert Meter mächtigen Basaltplateaus bedeckten Gebiete von der Größe ganzer Länder! Und eine dieser Eruptionen wird nach heutigen Erkenntnissen gemeinsam mit einem Meteoriteneinschlag für das Aussterben der Riesenechsen vor 65 Millionen Jahren verantwortlich gemacht. „Eure Gedanken verraten mir, dass ihr bereits einiges darüber wisst, Malloy.“ „Oh nein“, seufzte sie. „Sie, ich meine: Ihr könnt in meinem Kopf lesen?“ Merlin schaute Audrey bedauernd an. „Seid versichert, ich sehe nur Gutes in euch. Bisweilen hatte ich nicht oft Gelegenheit, einen solch verständigen Menschen zu treffen.“ Eine kurze Pause folgte. Auch Audreys Verstand erfasste nun entgültig die Einzigartigkeit dieser Begegnung. Es erschien ihr wie eine große Belohnung für ihr Engagement rund um den Schutz der Umwelt. Das bloße Zusammentreffen mit einer der sagenumwobensten Persönlichkeiten der Menschheit, vermehrt um die Gewißheit, dass dieser mächtige Mann sich für das Wohl ihrer Heimat einsetzte, bewirkte in ihr ein grenzenloses Gefühl der Zufriedenheit. Gleichwohl hatte auch ihre Neugierde alle Grenzen verlassen. War nicht jetzt die Möglichkeit so nahe, vieles über die großen Unbekannten in ihrer Wissenschaft zu erfahren? Würde Merlin vielleicht sogar ihr Lehrer sein können? Nur einen Tag, einen einzigen. Sie wäre eine Musterschülerin, das war klar. Audrey vereinte all ihren Mut auf diese Frage: „Hochverehrter Merlin, würdet ihr mir noch mehr über die Welt erzählen? Ich möchte gerne so vieles lernen, auch über die Antaressianer. Können wir Menschen vielleicht Kontakt mit ihnen aufnehmen und Freunde werden? Vielleicht erlaubt ihr mir, eure Assistentin zu sein, das wäre mein größter Wunsch.“ „Ich weiß, Audrey Malloy, ihr seid klug und gelehrig. Ihr habt großes Interesse am Wohlergehen eurer Mitgeschöpfe, und ich weiß, dass ihr in den kommenden Jahrzehnten wichtige und gute Dinge auf der Erde bewirken werdet. Leider kann ich euch nur selten zur Verfügung stehen. Ich habe einen sehr weitläufigen Arbeitsplatz, wißt ihr, und die Angelegenheiten meiner kleinen und großen Patienten dulden häufig keinen Aufschub. Aber seid nicht zu sehr enttäuscht. Ich werde euren Weg begleiten und unterstützen. Ich werde euch helfen, wenn ihr ohne Hilfe nicht weiterkommt. Und: ich werde euch schon bald wissen lassen, wie die anderen Bewohner des Universums über eine Freundschaft mit den Menschen denken. Wer weiß, vielleicht bekommt ihr eines Tages eine Einladung zum Picknick, hier oben am Landepunkt AUDREY.“ Über sein gutmütiges Gesicht huschte ein verschmitztes Lächeln. „Physicus Audrey Malloy, es ist an der Zeit! Ich muß mich meinem Opus magnum widmen. Lebt wohl und vergeßt nicht: Ihr habt eine große Verantwortung, aber ihr habt auch große Möglichkeiten!“ 30
Die Legende aus dem ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung, die plötzlich so real in ihrem Leben aufgetaucht war, ließ Audrey mit einer besonderen Glückseligkeit zurück. Auf so bodenständige Art und Weise bewerkstelligte der große Druide seine Aufgaben, dass sie die absolute Zuversicht hatte, es ihm nachtun zu können. Einen wunderschönen Augenblick lang genoß sie noch einmal die friedfertige Stille dieses „auserwählten Platzes“, dann bereitete sie ihren Abstieg hinunter ins Tal vor. Sie verstaute die Ausrüstung, schnürte ihre Schuhe noch einmal fest und – wo war denn die Auswertung über den Einschlag. Sie wollte doch ihre Position noch kurz skizzieren. Wo steckte sie denn, die Auswertung . . . wo . . . die Auswertung . . . „Dr. Malloy, Dr. Malloy, die Auswertung der Spektralanalyse ist fertig! Aufwachen, Dr. Malloy! Es ist tatsächlich ein Meteorit mit sehr hohem Iridium-Anteil. Der muß hier ganz in der Nähe liegen. Wenn das nicht unser Einschlag des Jahres ist, will ich von Däniken heißen!“ Audrey bedachte ihren wild grinsenden Assistenten mit einem Ausdruck, der ihn den unterbrochenen Schlaf, aber vor allem ihre Enttäuschung spüren ließ. „Ein Meteorit? Tatsächlich? Schon gut Guy, ich sehe sie mir morgen mal genauer an. Heute habe ich noch eine Verabredung.“ Physik-Doktorand Guy Rogers, stets mitgerissen von Audrey Malloys unbändigem Enthusiasmus, verstand nichts mehr.
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Der schwarze Turm von Jürgen Brandner
Magieschüler Migon will den Waldelfen helfen. Und er stellt sich dem Kampf mit bösen Mächten!
Ein leichter, zügiger Wind drang rauschend durch das dichte, saftig grüne Laubdach des Silbereichenwaldes. Sanft wankten die verwucherten, teils knorrig verwachsenen Äste der mächtigen Eichenbäume, so als tanzten sie in einem wilden, unrhythmischen Takt, zu der pfeifend, raschelnden Melodie des Waldes. In der Ferne schloss sich ein Specht, mit klopfendem Geräusch, dem Chor des Unterholzes an. Zwischen den Bäumen lag ein Wanderweg, der sich, gut zwei Meter breit, inmitten der mächtigen Stämme, durch den moosigen Waldboden zog. Es war ein bekannter und begehrter Wanderweg, den auch der junge Migon an diesem herrlichen Sommermorgen, pfeifend entlang kam. Der sechzehnjährige Jüngling war ein Schüler der Magierschule im Westen des Waldes. Er galt als ehrgeizig und talentiert, obwohl er oft seine Fähigkeiten überschätzte und etliche Versuche, einen Zaubertrank zu brauen, damit endeten, dass er das halbe Labor in die Luft jagte. Gekleidet war er in eine schwarze Seidenrobe, die durch einen, um den Bauch gebundenen Silbergürtel, von dem einige kleinere Beutel baumelten, zusammengehalten wurde. In der linken Hand trug er seinen Zauberstab, einen geschnitzten, mannshohen Holzstab der mit etlichen Runen und Verzierungen überzogen war, und an dessen oberen Ende ein roter, halbkugelförmiger Rubin eingesetzt war. Der Jungmagier blickte öfters und äußerst nervös in den Wald, wobei ihm gelegentlich der schwarzsilberne Spitzhut verrutschte. Etwas beunruhigte ihn nun schon seit er diesen Wald betreten hatte. Er kannte diesen Weg, da er ihn sehr oft nahm. Auch an diesem Tag hatte er beschlossen, diese Abkürzung durch den Wald zu nehmen, da dieser Morgen der Beginn der längeren Sommerferien war und er auf dem schnellsten, kürzesten Weg, zum Schloss seiner Eltern gelangen wollte. Dieser Wald galt als ausgesprochen sicher, denn es war ihm nichts bekannt, das Räuber oder gefährliche Kreaturen ihr Unwesen trieben. Doch etwas war nicht in Ordnung. Migon hatte so ein unangenehmes Gefühl, eine Vorahnung. Er glaubte, Blicke zu spüren, die ihn beobachten, zu verfolgen schienen. Bald würde er an eine kleine Lichtung gelangen. Dort wollte er dann einen Trank zu sich nehmen, den er einen Tag zuvor, als Abschlussübung für dieses Jahr gebraut hatte. Dieser sollte ihn unsichtbar machen, dann würde sich herausstellen, ob ihn jemand verfolgte. Migon beschleunigte seinen Schritt. Das Pfeifen hatte er eingestellt und konzentrierte sich nur noch auf die Umgebung. Seine linke Hand hatte den Griff des Stabes krampfhaft und angespannt umschlossen, jeden Augenblick damit rechnend, dass etwas fürchterliches, aus einem der dichteren Büsche, an denen er vorbeikam, stürzte. Der Weg führte noch ein Stück gerade aus, schlängelte sich anschließend durch eine Gruppe mächtiger Eichen und führte schließlich zu einer Lichtung, die vielen Wanderern als Rastplatz diente. Auf der kleinen, annähernd kreisförmigen Lichtung, deren breiteste Stelle kaum zehn Schritt maß, waren deutlich Feuerstellen zu erkennen, von Reisenden die hier ihr Lager aufgeschlagen hatten. Kaum hatte Migon die freie Fläche betreten, griff er mit nervösen, zittrigen Händen nach einem der kleinen, bräunlichen Lederbeutel, öffnete ihn und kramte eine winzige, daumenbreite Miniphiole, die eine bläuliche Flüssigkeit enthielt, hervor. Es war alles, was ihm von der Abschlussübung übrig geblieben war, nach dem, dank seines Forscherinstinktes, der ihm dazu geraten hatte, etwas mehr Mistelzweige in den Trank zu geben, der Kessel durch das Labor geflogen war, und der Inhalt wiederum das halbe Equipment und die 32
dazugehörigen Schüler Unsichtbar gemacht hatte. Schnell träufelte er sich die Tinktur auf die Zug, spülte sie mit etwas Wasser hinunter und wartete, bis sich sein Abbild in Nichts auflöste. Der Trank ließ alles, was den Körper berührte, für einige Minuten verschwinden. Migon blieb an der Stelle stehen, wo er verschwunden war, um abzuwarten, was geschah. Und sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, denn kaum war er verschwunden, betrat ein junges Elfenmädchen, das kaum älter sein konnte, als der junge Magier, die Lichtung. Sie hatte schwarzes, schulterlanges Haar und lange Spitze Ohren. Ihre smaragdgrünen Augen gehörten mehr einem Raubtier, als einem menschlichen Wesen. Das Gesicht war zart geformt und sie trug maßgeschneiderte Jagdbekleidung, ein weißes Seidenhemd und um die Schultern hing ein weißer Bogen. Verwirrt blickte sie sich um, so als suche sie nach etwas. Jetzt wusste der Zauberlehrling, wer ihn verfolgt hatte, gerade im richtigen Moment, den die Wirkung des Trankes ließ nach und Migon sah, wie die Elfe erschrocken zurück wich. Ängstlich zitternd, stolperte sie Schritt für Schritt in den Wald zurück. Doch nun war es für ihre Tarnung zu spät, den der Magier hatte sie entdeckt. „ Wer bist du, hab keine Angst vor mir“, rief ihr Migon freundlich und sichtlich erleichtert zu. Das Mädchen blickte ihn misstrauisch an. Der Junge dachte bereits, dass sie seine Sprache nicht verstand, doch dann antwortete sie ihm: „ Ich bin Miria, die Tochter des Waldelfenkönigs.“ Ihr Stimme klang angenehm weich und doch so fremd und traurig. Sie blieb stehen und musterte den Jungen mit einem prüfenden Blick. Migon war es irgendwie unangenehm, es ihm vor, als blicke sie direkt in seine Seele. „ Weshalb verfolgst du mich?“ Wollte der junge Magier nun endlich wissen. „ Ich brauche deine Hilfe, aber ich wusste nicht, ob du mir gut gesinnt bist“, meinte die Elfe und trat ein paar Schritte auf den Jungen zu. Er vernahm ihren angenehmen Duft nach Kräutern und Blüten. „ Ich brauche die Hilfe eines Zauberers. Meine Magie hat bei meinem Problem keine Wirkung.“ „ Worum geht’s?“ Neugierig stütze sich Migon auf seinen Stab, begierig auf die Chance, sein erstes Abenteuer zu erleben. Auch wenn er noch kein richtiger Magier war, traute er es seinen Fähigkeiten zu, ihr zu helfen und sie brauchte ja nichts davon zu erfahren, dass er noch ein Lehrling auf dem Gebiet der Magie war. „ Mein Bruder Alirion wurde von den Anhängern eines Hexers, der nicht weit von hier in einem schwarzen Turm lebt, gefangen genommen. Der Hexer hat böse Absichten. Er braucht das Herz meines Bruders, um daraus einen Trank zu brauen, der ihm Unsterblichkeit verleiht. Wir waren unachtsam, als wir im Wald gejagt haben“, in ihren Augen glitzerten die ersten Tränen der Verzweiflung. Flüchtig wischte sie sich über das Gesicht „ Ich kann dir nichts bieten, was für dich von Wert ist, aber ich werde dich, wie es Frau kann, belohnen. Ich hoffe du verstehst, was ich damit meine.“ Migon nickte nur flüchtig. Natürlich verstand er, obwohl er nicht sicher war, ob er diese Belohnung auch annahm. Er kannte das Mädchen doch nicht. Aber er beschloss, seine Fähigkeiten in diesem Abenteuer auf die Probe zu stellen, auch wenn ihm bei dem Gedanken, einem mächtigen Hexer gegenüber zu stehen, etwas mulmig wurde. Miria machte eine auffordernde Bewegung, ihr zu folgen und verschwand in den Büschen. Etwas überrascht von dem Tatendrang der Elfe beeilte sich Migon, um ihr nachzueilen. Es war das erste Mal, dass er den Wald betrat. Er kannte ihn nur vom Wanderweg aus und war überrascht, wie dicht er gewachsen war. Mächtige Stämme wechselten sich mit dichten Jungkulturen ab. Der moosigfeuchte Boden war ein guter Nähboden für unzählige Pilz und Kräuterarten, die weit verstreut, große Teile des freien Bodens überwucherten. Miria schlängelte sich geschickt, mit der Eleganz und der Schnelligkeit einer Artistin, wie sie Migon einst in einem Zirkus gesehen hatte, durch den Wald. Beinahe lautlos und ohne auch nur einen einzigen Baum, oder Blättchen zu berühren, legte die Elfe ein Tempo an den Tag, bei dem der junge Magierlehrling Probleme hatte, Schritt zu halten. Es geschah mehr als 33
einmal, dass das Mädchen kurz anhielt, um ihm die Möglichkeit gab, aufzuschließen. Aber der Junge konnte sie auch verstehen, den immerhin stand das Leben ihres Bruders auf dem Spiel und so gab sich Migon Mühe, tat alles was er konnte, um nicht wie ein Klotz an ihrem Bein zu sein. Bald wurde der Wald dichter und auf eigenartige, anfangs unscheinbare Weise, änderten sich die Bäume. Anfangs bemerkte man es nur an den Blättern, die teils Pechschwarz waren, doch je weiter sie in den Wald eindrangen, desto düsterer wurde er. Die mächtigen Stämme der Eichen waren plötzlich mit Dornen und dicken Krusten aus schwarzem Pech überwuchert, und der saftiggrüne Boden wurde durch einen schlammignassen, übelriechenden Untergrund abgelöst. Einmal kamen sie an einem kleinen Teich vorüber, doch das grünliche Wasser war brackig und an der Oberfläche trieben tote, großteils aufgeschwemmte und verweste Fische. Der Gestank trieb dem Magier die Tränen in Augen und er folgte mit zugekniffener Nase, dem Mädchen, das plötzlich ganz abrupt anhielt und ihm mit linken Hand andeutete, still zu sein. Migon ging in die Hocke, flüsterte was los sei, doch die Elfe zeigte nur mit ausgestreckter Hand auf ein schwarzes Bauwerk. Es war der Turm .....der schwarz Turm. Migon beobachtete erschüttert und mit großer Erfurcht die Behausung des Hexers, das inmitten dieses schrecklichen Waldes aus dem Boden wuchs. Niemand hatte jemals etwas von diesem Turm oder diesem Teil des Waldes erzählt, und plötzlich packte ihm eine Angst, zu versagen, sich überschätzt zu haben. „ Dort müssen wir rein“, meinte Miria und deutete auf die massive, eisenbeschlagenen Holztür am Fuße des Turmes, der sich annähernd zwanzig Meter in die Lüfte erhob. Migon atmete tief durch, er spürte wie sein Herz hämmerte, wie sich seine Nerven spannten und ein trockener, nervöser Geschmack sich in seinem Mund ausbreitete. Dann nahm er all seinen Mut zusammen, stand auf und marschierte schnurgerade auf den Eingang zu. „ Vorsicht da ist ein m.....“, waren die letzten Worte der Elfe, als ein dumpfer Klang ertönte und Migon schreiend in ihre Richtung geflogen kam und neben ihr, etwas unsanft aufschlug. Kopfschüttelnd und sichtlich benommen richtete er sich auf, der Hut war über sein Gesicht gerutscht und zudem sichtlich angesengt. „ Danke für die Warnung!“, meinte der Magier etwas Spitz. Die Elfe lächelte nur. „ Was nun?“ Sie sah ihn vorwurfsvoll an. „ Ich muss einen Bannzauber verwenden, um den Bann für kurze Zeit zu brechen!“, meinte der Junge, obwohl er bei Gott keine Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte. Nervös kramte er ein kleines ledernes Taschenbuch unter der Robbe hervor und stöberte darin. Schließlich fand er einen entsprechenden Zauber, richtete seine Stab auf die Barriere und lispelte einige Worte. Nur einen Augenblick später züngelte ein Blitz von Himmel und löste die Barriere sichtlich auf. Miria nickte überrascht und lief voraus. Migon folgte ihre geduckt und mit einem verwunderten Gesichtsausdruck. Eigentlich, so dachte er, hätte dieser Zauber ein magischen Schild herbeirufen sollen. Mit sanfter Gewalt zog ihn die Elfe hinter einen Haselnussstrauch, der direkt am Eingang des Turmes wuchs. „ Wie kommen wir da rein?“, flüsterte sie. Der Magier machte einen kurzen Wink mit dem Zeigefinger, diesen Spruch hatte er bereits am Anfang seiner schulischen Laufbahn gelernt, und griff sich fluchend an die Stirn, denn einen Augenblick später viel die massive, mehr als dreißig Zentimeter dicke Holztür, mit einem erschütternden Knall, der den Boden leicht zittern ließ, nach innen. Ein dicke, weiße Staubschicht quoll durch den entstandenen Durchgang. Migon wollte aufstehen, durch Miria hielt ihn krampfhaft zurück, und das zu recht. Noch im selben Moment stürzte eine Meute, bestehend aus vier riesigen Schwarzorks, die mit mächtigen Äxten bewaffnet waren, zum Tor heraus. Der Anführer sah sich kurz um, deutete schließlich auf den Wald und die Horde stürmte, die Äxte hoch erhoben, in die Richtung, aus der die beiden zuvor gekommen waren, doch....... die Barriere schien in diesem Moment wieder aktiv zu werden, den nur wenig Schritt vom Turm entfernt wurden die Orks von einem Energiestoß erfasst, und sie nicht das 34
Glück, das Migon zuvor wiederfahren war. Zwei donnerten gegen die Bäume fielen bewusstlos zu Boden, während der Rest von einem kräftigen Schlag gegen die Turmwand geschleudert wurde. „ Das ist die Chance!“ Miria sprang auf und rannte in den Turm. Migon folgte ihr. Sie fanden sich am Fuße, einer steil nach oben führenden Treppe wieder. Seufzend umgriff der junge Magier seinen Stab und beschloss voran zu gehen. Die Weg erwies sich als beschwerlich. Mit jeder Stufe schien die Treppe steiler und unbezwinglich zu werden. Spiralförmig wand sich der Weg nach oben und es war kein Ende zu erkennen. Miria ging schweigend hinter dem jungen Magier. Sie wirkte mit Stufe angespannter und der Druck, der auf ihre lastete, hätte jeden normalen Menschen in den Selbstmord getrieben, wobei diese Treppe äußerst nützlich gewesen wäre. Wie durch ein Wunder, gelangten die beiden, nach einiger Zeit an eine Tür. Ein kurzer Blick zu Miria und dann drückte Migon gegen die Tür. Leicht quietschend schwang sie auf. Dahinter wurde ein Raum erkennbar. Es musste eine Art Labor sein, denn durch den schmalen Spalt konnte sie Flaschen und Behälter erkennen, ein Bücherregal und einen Kessel. Vorsichtig, Millimeter für Millimeter öffnete der junge Magier die Tür, schaute öfters zu der Elfe, dann wieder durch die Tür und trat schließlich in den Raum dahinter und erkannte einen steinernen Opferstein in der Mitte, der kreisförmigen Turmkammer. Es war nur dieser einzige Raum zu erkennen und neben den unzähligen Gerätschaft, zwischen Büchern verborgen, sah Migon eine Eisenleiter, die noch ein Stück nach oben führte, zu einer Dachluke. „Alirion...?“ Rief Miria überrascht. Erst jetzt bemerkte der Junge, dass dort im Schatten, gefesselt auf den Opferstein, ein etwa zehn Jahre alter Elfenjunge lag. Die Elfe eilte zu ihrem Bruden, löste die Fesseln und nahm den benommenen und sichtlich verwirrten Elfenjungen in die Arme. Doch wo war der Hexer? Migon sah sich um. „ Lasst uns verschwinden, bevor der Bösewicht hier auftaucht!“ Meinte Migon und kam auf den Opferstein zu. „ Meint ihr etwa mich?“ Erklang eine schallend lachende Stimme, durch die Eingangstür. „ Glaubt ihr, euer Lärm blieb unbemerkt. Und du mein Scharlatan musst noch etwas mehr üben?“ Der Junge wich zurück, stellte sich schützend für Miria und ihrem Bruder, doch er ahnte, dass dies ein ungleiches Duell werden würde. Migon umfasste den Zauberstab, richtete die Spitze auf den Hexer und murmelte einige Worte... Nichts geschah... und dann sprühten bunte Farben aus der Spitze des Stabes. Lachend trat der Hexer durch die Tür in den Raum, schloss hinter sich ab. Ein grauer Umhang verhüllte Gesicht und Körper, so dass es dem Jungen verwärt blieb, sein Gegenüber zu erkennen. „ Möchtest du mich in ein Kaninchen verzaubern“, lästerte der Hexer und schleuderte brüllend eine Phiole in die Richtung des Jungen. Im letzten Moment gelang des Migon, das Gefäß mit einem mehr glücklichen Schlag, als Können, abzublocken. Klirrend zerschellte es unter Stichflammen an der Wand. Miria stütze ihren Bruder und stolperte einige Schritte vom Schwarzmagier weg, der nach einer weiter Phiole griff. Kurz abgelenkt konnte der junge Magierlehrling das Gefäß nicht blocken, dass kurz vor seinen Füssen aufschlug und eine stinkende Wolke freigab. Um Atem ringend stürzte Migon über den Opferstein , kroch auf allen vieren zu einem Regal, wo er sich aufzurichten versuchte, doch er hatte keine Macht mehr über seinen Körper. Er vernahm das boshafte Lachen des Hexers, der triumphierend auf die beiden Elfen zuging. Miria umschloss schützend ihren Bruder. Wobei sie allerdings eine Hand in Migons Richtung streckte und zu singen begann. Ein seltsames Schimmern umgab den Jungen. Migon spürte, wie ihm der Zauber der Elfe Kraft gab. Bestärkt richtete er sich auf, schüttelte sich kurz und stand schließlich wieder auf den Beinen. In der Verzweiflung griff er nach einer Flasche im 35
Regal und schleuderte, ohne lange zu überlegen, gegen den Hexer, dieser sichtlich überrascht, konnte dem Wurfgeschoss nicht mehr ausweichen, riss schützend die Arme hoch und... die Flasche zerschellte an der Brust des Gegners. Ein Blauer Rauch umgab den Hexer. Dieser sank hustend in die Knie, hatte sich aber gleich wieder unter Kontrolle. Für Miria reichte es allerdings, um ihren Bruder mit etwas Mühe, vom Schwarzmagier weg, in eine vorerst sichere Entfernung zu bringen. Erzürnt und mit donnernder Stimme ließ er ab von den Elfen und wendete sich wieder dem Jungen zu. Migon griff nach einer weiteren Flasche, doch dieses Mal war sein Gegenüber darauf gefasst. Das Gefäß traf den Opferstein und explodierte unter Stichflammen, und noch ehe das Feuer erloschen war, spürte Migon eine unsichtbare Kraft, die in, ohne das er es verhindern konnte, gegen das Regal schleudert. Die Fächer brachen in sich zu zusammen und es gab eine Reihe von Explosionen und farbigen Wolken. Der junge Magier lag blutend am Boden. Er hatte Platzwunde über dem linken Auge und sein linker Fuß fühlte sich taub an. Schnaubend ließ der Hexer ab, von seinem ungleichen Gegner und suchte nach den Elfen. Migon versuchte aufzustehen, doch alles um ihn herum war verschwommen und dann... Nervös kramte er, ohne das es der Schwarzmagier sehen konnte, sein Lederbuch hervor und schlug die letzte Seite auf. Dort stand ein geheimer Zauber geschrieben. Der Junge wusste nicht was er bewirkte, den er hatte ihn von seinem Lehrer abgeschrieben. Zornig brüllte er die Worte, die Wirkung war überraschend. Erschrocken fuhr der Schwarzmagier herum, riss die Hände vor das Gesicht und schrie vor Angst „ Nein...“ Migons Stab begann zu vibrieren, der Rubin zu leuchten und im nächsten Augenblick erstarrte der Hexer zu Stein. Doch der Junge merkte von all dem nichts mehr, den ihn überkam die Ohnmacht... Musik..., Gesang... Verwirrt öffnete der Junge die Augen. Sein Kopf schmerzte und in seiner Brust spürte er einen stechenden Schmerz. Er lag in einem Bett, in einer Baumhöhle. Von draußen hörte er Stimmen und als er sich aufrichtete, blickte er in das Gesicht der Elfe, die ihn lächelnd ansah. „ Möchtest du nun deinen Lohn einfordern?“ Miria blickte ihm tief in Augen und erwartete die Antwort des jungen Magiers. „ Ich möchte dich erst einmal näher kennen lernen“, stotterte Migon benommen, denn es sollte nicht nur ein Abenteuer daraus werden...
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Das Tor nach Maganien von Petra Gürtler
Tim erhält eine seltsame Botschaft von seinem toten Großvater: Er muss ein Zauberland retten!
Tiefer Winter herrschte über England, als Tim mit seinen Eltern in sein neues Heim, einige Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen von London einzog. Weihnachten hatten sie noch im warmen Kalifornien verbracht, doch die Jahreswende erlebte Tim nun schon in seiner neuen Heimat. Früher hatte dieses Haus seinem Großvater gehört, der vor einigen Wochen verstorben war, und den er leider nie kennen gelernt hatte. „Er und Daddy haben sich vor vielen Jahren das letzte Mal gesehen!“, hatte Tims Mutter erklärt, als dieser sehr überrascht auf die Nachricht vom Tod seines Opas reagiert hatte, und von dessen Existenz er noch nicht einmal gewusst hatte. Einige Tage später hatten seine Eltern ihm dann eröffnet, dass sie künftig in England leben wollten, wegen des schönen, alten Hauses und auch für Tim wäre es besser in der dortigen Umgebung aufzuwachsen. Sein Vater arbeitete als Schriftsteller, und konnte dies natürlich überall auf der Welt tun. Also stand dem Umzug nichts mehr im Wege, außer vielleicht, Tims Vorbehalte gegenüber dieser Veränderung. Alle Freunde weg, neues Schulsystem, man trug auch noch eine Uniform, und überhaupt war er Amerikaner, und das nun schon seit über neun Jahren. Er sah keinen Grund etwas daran zu ändern, aber wie immer hatte man als Neunjähriger eben nicht das Sagen in der Familie, wenn es um größere Entscheidungen ging. „ Ich möchte dir noch schnell gute Nacht sagen,“ sagte sein Vater, während er Tims Zimmer betrat, um sich anschließend bei ihm aufs Bett zu setzen. Tim wandte seinen Blick weg vom Fenster, durch das er schweigend in den winterlichen, parkähnlichen Garten gesehen hatte, bevor er seinem Vater eine Frage stellte: „ Bist du denn hier geboren, Daddy?“, wollte er wissen. Sein Vater lächelte ihn an und sprach: „ Ja, das bin ich. Ich habe sogar ein paar Erinnerungen aus frühen Kindheitstagen, aber nicht sehr viele. Den großen, offenen Kamin im Esszimmer z.B., den habe ich sehr geliebt. Und draußen im Garten steht ein kleiner Pavillon, dort habe ich im Sommer oft mit meiner Mutter gesessen. Auch an Ausflüge mit deinem Großvater an einen See hier in der Nähe, kann ich mich noch gut erinnern.“ „Und warum seid ihr damals von hier weggegangen?“, bohrte Tim weiter. Sein Vater überlegte kurz, bevor er meinte: „ Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich fünf war. Deine Oma ging mit mir dann in die Staaten, dort lebte ihre Familie. Leider starb sie, bevor du geboren warst. Meinen Vater habe ich in all den Jahren höchstens drei- oder viermal gesehen. Er besuchte mich drüben, wollte mich jedes Mal mit nach England zurück nehmen, aber meine Mutter erlaubte es nicht. Irgendwie hatte ich immer den Eindruck, als habe sie vor irgendetwas Angst, sobald wir auf England zu sprechen kamen.“ Tim verlangte nach mehr Auskünften: „ Aber warum hat sie deinen Vater denn überhaupt verlassen?“ „Keine Ahnung,“ erklärte sein Daddy, „Sie weigerte sich leider stets, darüber zu sprechen. Und mit den Jahren verliert dann so manches an Bedeutung, weißt du. Irgendwann habe ich aufgehört, über diese Fragen nachzudenken. Aber jetzt musst du schlafen!“ Tim legte sich zurück und ließ sich von seinem Vater zudecken. „Du wirst dich hier schon eingewöhnen,“ meinte der dabei, „Vielleicht wird aus dir ja der Engländer, den mein Vater gerne aus mir gemacht hätte.“ Er lächelte ihm nochmals zu, bevor er das Licht löschte und die Türe schloss. „Das glaube ich kaum,“ dachte Tim kurz vor dem Einschlafen. Die Anstrengungen der letzten Tage hatten ihn doch sehr ermüdet. 37
Am nächsten Tag verließ Tim nach dem Frühstück das Haus, um sich ein wenig im Garten umzusehen. Da traf er am Gartentor auf einen alten Mann. Dieser fragte ganz ohne jede Begrüßung :“Bist du Tim?“ Tim nickte nur und der Alte fuhr fort ohne Umschweife: “Das soll ich dir von deinem Großvater geben. Er hat es mir aufgetragen, kurz vor seinem Tod.“ „Aber er konnte doch gar nicht wissen, dass ich herkommen würde,“ wunderte sich Tim während er fragend zum alten Mann hinsah. Dieser zuckte die Schultern, wandte sich um und ging durch das Eingangstor davon. Tim blickte auf das Päckchen in seiner Hand und setzte seinen Weg fort zum Pavillon, den er sich ansehen wollte. Dort angekommen, nahm er auf einer verwitterten Holzbank Platz und machte voll Neugier das Päckchen auf. Was da zum Vorschein kam, verwunderte ihn nur noch mehr: Ein kleines Holztäfelchen hielt er in seiner Hand, und darauf stand in komisch, verschnörkselten Buchstaben, ein gar wunderlicher Spruch. „Holz zu Holz und dann auf Stein. Du mögest der Hüter des Tores sein.“ Was hatte das bloß zu bedeuten ? War es eine Botschaft seines Opas an ihn? Plötzlich fiel ihm die kleine Tafel aus der Hand, streifte kurz die Bank und blieb anschließend auf dem Steinfußboden des Pavillons liegen. Was dann geschah, übertraf die Vorstellungskraft des Jungen um vieles, und wahrscheinlich wäre auch jedem anderen die Luft weggeblieben. Wie von Zauberhand gemalt, erstrahlte aus der winzigen Holztafel ein heller Lichtschein, der sich allmählich zu einem mannshohen Tor entwickelte. Tim saß da und konnte sich vor Schreck nicht bewegen, sonst wäre er wohl weggelaufen. Im Inneren dieses Lichttores herrschte so große Helligkeit, das er kaum hinschauen konnte, als würde er direkt in die Sonne sehen. Und dann vernahm er eine Stimme, eher quiekend, wie von einem Kind, aber noch höher. Gleich darauf konnte Tim dann auch erkennen, von wem die Stimme kam. „Tim, bist du da? Gott sei Dank, natürlich bist du da, sonst käme ich ja nicht durchs Tor spaziert.“ Vor ihm stand eine lustige, etwa einen Meter große Gestalt, die man am besten wohl als Zwerg beschreiben konnte. „So bist du also doch noch rechtzeitig gekommen,“ der Winzling kam auf Tim zu und schüttelte ihm kräftig die Hand. Tim zog sie erschrocken zurück, so was erlebte man ja nicht alle Tage. Da sah ihn der Zwerg erstaunt an und flüsterte: „ Ja weißt du denn nicht über mich Bescheid ? Hat dir dein Großvater nichts erzählt?“ Tim schüttelte den Kopf und murmelte: „Konnte er auch gar nicht, ich habe ihn nie kennen gelernt, und jetzt ist er tot.“ „Ich dachte, er hätte dich vor seinem Tod noch informiert,“ meinte der Zwerg, „aber er hat es wohl nicht mehr geschafft.“ So saßen sie und schauten einander an, bis der Zwerg erneut das Wort ergriff: „Also dann im Schnelldurchgang. Ich komme aus Maganien, einem Land in dem wir alle von Zauberkraft leben. Das Land liegt hinter diesem Tor, und ich bin der Torhüter auf unserer Seite. Meine Familie heißt Zipplick und wir gehören zum Stamm der Zauberzwerge. Seit wir denken können wird die Aufgabe des Torhüters in unserer Familie weitervererbt. Genauso wie in euerer Familie, auf der anderen Seite des Tores. Dein Vater konnte das Erbe wohl nicht antreten, darum lag die einzige Hoffnung deines Großvaters auf dir. Jedes Jahr einmal, haben wir fünf Tage Zeit, um mit Hilfe deiner Schlüsseltafel das Tor zwischen unseren Welten zu öffnen. Wenn uns das einmal nicht gelänge, würden alle Bewohner von Maganien, und das sind sehr viele, sich wegen Zauberkraftverlust in Luft auflösen. Wir haben drüben eine Quelle, aus der die Zauberkraft sprudelt, aber nur, wenn wir einmal im Jahr einen Splitter eines Felsens, aus einem nahe gelegenen See hier in der Umgebung erhalten und ihn in die Quelle legen. Deine Aufgabe ist es, diesen Splitter zu besorgen und in mir zu übergeben. Verstanden?“ Tim verstand die Welt nicht mehr. Er glaubte zu träumen, aber so sehr er sich auch die Augen 38
rieb, der kleine Mann stand weiterhin an Ort und Stelle. „Mein Name ist übrigens Kurak, Kurak Zipplick,“ er machte eine Verbeugung, während er sich vorstellte. Allmählich kam Leben in Tim und er wollte nun alles genau wissen: „ Du kommst also aus einem Zwergenland ?“ „Oh nein,“ antwortete Kurak lächelnd, „Es ist ein Land der Magie, mit vielen verschiedenen magischen Wesen. Es gibt Hexen, Zauberer, Feen und Gnome. Und von allen wieder verschiedene Gattungen. Aber du musst dich jetzt an deine Aufgabe machen,“ drängte Kurak. „Leider hast du dich etwas verspätet, wir haben nur noch zwei Tage, um den Splitter zu besorgen. Lauf schnell zum See, und wenn du ihn hast, öffnest du bitte gleich das Tor und gibst ihn mir. Dann können wir uns noch in Ruhe unterhalten!“, sprachs und schickte sich an, durchs Tor zurück zu gehen. „ Halt,“ schrie Tim hinter ihm her, „ ich weiß gar nicht, wie das Tor aufgeht.“ Kurak drehte sich um und fragte: “Ja wie hast du es dann vorher aufbekommen?“ Tim überlegte, und erzählte ihm, was mit der Holztafel passiert war. Da lachte Kurak und meinte : “So ein Glück, dann haben wir unsere Rettung einem Zufall zu verdanken. Pass auf! „Holz zu Holz“, die Schlüsseltafel ist aus Holz, an Holz klopfen. Dir ist sie auf die Bank gefallen. „Und dann auf Stein“ – also danach auf Stein klopfen, bei dir ist sie auf dem Steinboden liegen geblieben. Weißt du nun Bescheid?“ Tim dachte nach und nickte. „Aber,“ fiel ihm noch ein, „wo finde ich denn den Felsen ?“ Kurak kratzte sich am Bart und murmelte: „Keine Ahnung ! Aber ich glaube dein Großvater hat einmal erwähnt, dass es nur einen einzigen gibt. Also, viel Glück.“ Damit verschwand er wieder durch das helle Licht in sein Zauberreich, und ließ Tim noch immer einigermaßen aufgewühlt, allein zurück. So wie das Tor gekommen war, verschwand es auf umgekehrtem Weg auch wieder, und was blieb, war die Schlüsseltafel auf dem Boden des Pavillons. Tim brauchte einige Minuten, um wieder in die Wirklichkeit zu finden, aber was war schon Wirklichkeit? Dann hob er das Täfelchen auf, und steckte es in die Tasche seiner Jacke, bevor er sich auf den Weg zurück ins Haus machte. Es war inzwischen Mittag geworden und seine Mutter erwartete ihn bereits zum Essen. Auch sein Vater saß schon im Esszimmer und fragte, wo er denn so lange gesteckt hatte. Tim murmelte etwas von ein wenig im Garten umgesehen, und machte sich über seine Mahlzeit her. Seine Eltern unterhielten sich gerade über die Neugestaltung des Hauses, als Tims Blick an einem Ölbild über der Anrichte, und sein Bissen ihm im Halse hängen blieb. „Wo ist das?“, platzte es aus ihm heraus. Mutter und Vater hielten im Gespräch inne, und folgten seinen Augen. „Das ist der See, gleich hinter dem kleinen Waldstück, wieso fragst du?“, sprach sein Vater. Tim starrte weiterhin gebannt auf das Gemälde, auf den See und ganz besonders auf einen eigentümlich aussehenden Felsen im See, der nicht weit entfernt vom Ufer, nahe der Geburtsstelle eines Baches zu sehen war...! Tims Mutter wunderte sich: „ Was ist denn so besonderes an diesem Bild? Ich kann eigentlich nichts ungewöhnliches entdecken.“ Tim widmete sich, bemüht um einen nichtssagenden Gesichtsausdruck, wieder seinem Essen. Sofort nach Tisch machte er sich auf die Suche nach dem See, und erreichte ihn auch problemlos nach etwa zwanzig Minuten Fußmarsch. Das Gewässer war auf Grund der Minusgrade zu großen Teilen zugefroren. So sehr Tim sich auch bemühte, aber weder in den Eisflächen noch an den offenen Wasserstellen konnte er irgendwo den Felsen ausfindig machen. „Das gibt es doch nicht,“ dachte er, „Genau hier an dieser Stelle müsste dieses Ding doch sein.“ 39
Irritiert bohrte sich sein Blick in die Wasserfläche. Nachdem er den See gänzlich umrundet hatte, ohne etwas zu finden, machte er sich niedergeschlagen auf den Rückweg. „Was soll denn jetzt werden?“, fragte er sich im Stillen. Zeitig nach dem Abendessen, wünschte er seinen erstaunten Eltern eine gute Nacht, und lief schnell nach oben in sein Zimmer. „Kurak muss helfen!“, war sein Gedanke. Er klopfte mit der Tafel an sein Bett und danach an den steinernen Fenstersims. Augenblicklich geschah das selbe wie am Vormittag, und nachdem das Tor entstanden war, trat Tim recht nahe, und rief: “Kurak! Kurak, hörst du mich? Komm bitte!“ Schon vernahm er dessen Stimme: “Bin gleich bei dir, einen Moment.“ Sogleich streckte der Zwerg den Kopf durchs Tor und stand auch schon ganz bei Tim im Raum. „Du musst mir helfen,“ sprudelte es aus dem Jungen heraus. „Der See ist zwar da, aber weit und breit kein Felsen. Kommst du morgen mit mir mit und siehst selbst nach?“ Kurak sah besorgt zu Boden und schüttelte dabei den Kopf. „Ich kann nicht in die Nähe dieses Zauberfelsens gehen. Die Strahlung , die von ihm ausgeht, ist tödlich für alle Bewohner von Maganien. Nur das kleine Stück für die Quelle vertragen und brauchen wir auch. Du musst dir was einfallen lassen. Aber mach schnell, die Zeit drängt.“ Mit diesen Worten schlich er traurig wieder durch das Tor, und es schloss sich augenblicklich. „Was soll ich mir denn einfallen lassen?“, schluchzte Tim, „ Wo kein Felsen ist, ist eben keiner.“ Irgendwann war er aber wohl doch eingeschlafen, denn als er erwachte war das Zimmer schon vom Tageslicht erhellt. Nach dem Frühstück setzte er sich natürlich wieder Richtung See in Bewegung. Aber auch heute war kein Felsen zu sehen. Mutlos setzte er sich auf einen Baumstumpf und beobachtete die Wasseroberfläche, als könnte der See ihm erzählen, wo das Gesuchte sich befand. „Hallo, Tim,“ erklang hinter ihm plötzlich die Stimme seines Vaters, „Was machst du denn hier so allein ?“ Sein Vater wollte wissen, wohin Tim jetzt dauernd verschwand, und warum er sich so seltsam verhielt. Deshalb war er ihm hierher gefolgt. Tim erwähnte das Bild im Esszimmer. „Weißt du noch Daddy, da war doch ein Felsen im Wasser zu sehen, aber in Wirklichkeit gibt es den hier nicht.“ Er bemühte sich, nicht ganz so hilflos zu klingen, wie ihm zumute war. Keinesfalls wollte er seinen Eltern von Maganien erzählen. Die würden es sowieso nicht glauben, soviel wusste er genau. Sein Vater kratzte sich nachdenklich am Kopf, bevor er antwortete: „Du hast Recht, da war ein Felsen. Und jetzt pass mal genau auf!“ Er ging am Ufer entlang, bis zu der Stelle, wo der Bach aus dem See entstand, während er seinem Sohn eine tolle Geschichte erzählte: „Ich habe dir doch gesagt, dass ich früher öfter hierher kam, mit deinem Großvater!“ Am Bach angekommen, begann er damit, bündelweise Gestrüpp und Reisigteile aus dem Wasser zu entfernen, direkt am Auslauf des Sees. „Als wir wieder einmal hier waren, tat dein Großvater das Gleiche wie ich jetzt. Es handelt sich hier um einen Staudamm, den Biber errichtet haben. Und jetzt pass einmal auf!“ Er hatte den Damm entfernt, und sofort rauschte viel mehr Wasser in den Bach als zuvor. „Ich verstehe nicht, was du meinst,“ wandte Tim verwundert über das Tun seines Vaters ein. Doch dieser zeigte auf die Stelle im See, an der gerade in diesem Moment die Spitze eines Felsens, des Felsens, sichtbar wurde, weil der Wasserspiegel sich senkte. Tim war sprachlos. „Genauso habe ich damals auch geguckt, als dein Großvater mir das zeigte,“ lächelte Tims Vater und strich ihm übers Haar. 40
„Hast du ihn nicht gefragt, warum er den Felsen gesucht hat?“, forschte Tim nach. „Doch, bestimmt,“ war die Antwort, „ aber ich war doch erst fünf, oder noch jünger, ich kann mich nicht an seine Antwort erinnern. Leider.“ Auf dem Heimweg stellte Tim seinem Vater einige weitere, für ihn wichtige Fragen: „Weißt du wirklich gar nichts von deinem Vater, und was zwischen deinen Eltern damals passiert ist?“ „Nur ganz wenig,“ bemerkte der, „ Einmal belauschte ich ein Gespräch meiner Mutter mit meiner Tante. Sie sprachen davon, dass mein Vater verrückt sei, und von irgendwelchem Zauberzeug Gebrauch gemacht hätte. Und man müsse mich deshalb von ihm fernhalten.“ „Oh!“, hauchte Tim da nur. Selbstverständlich lief Tim an diesem Tag nochmals zum See. Bewaffnet mit Hammer und Meisel, die er in einem Schuppen aufgetrieben hatte. Mit einem Sprung setzte er hinüber zum Felsen und hatte fluggs den begehrten Splitter aus dem Stein gelöst. Am Abend, als er wieder alleine in seinem Zimmer war, konnte er Freude strahlend Kurak dem Zauberzwerg seine Errungenschaft übergeben, und fühlte sich dabei schon ein bisschen wie ein Held. Schließlich rettet man nicht alle Tage ein ganzes Land, und noch dazu ein magisches. Kurak hatte Tränen der Dankbarkeit in den Augen, und versprach, allen Bewohnern vom neuen Torhüter der anderen Seite zu erzählen. „Und nächstes Jahr um die gleiche Zeit, nicht vergessen!“, rief er zum Abschied und verschwand durch das Tor. Tags darauf besuchte Tim das Grab seines Großvaters. „Alles erledigt Opa,“ sagte er, „ Du kannst dich auf mich verlassen.“ Während er zurück ging dachte er an das Zauberland, und wie es da wohl aussähe. „Also nächstes Jahr, möchte ich da mal einen Blick rein werfen!“, sagte er zu sich selbst, „ das ist doch wohl das Mindeste, oder?“
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