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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Fantasy Spezial
Zauberträume 6
'Zauberträume' ist eine kost...
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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Fantasy Spezial
Zauberträume 6
'Zauberträume' ist eine kostenlose Fantasy Anthologie von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern.
Zauberträume 6 Copyright 2003 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm Alle Texte und Bilder sind bereits jeweils einzeln bei www.WARP-online.de erschienen und zur Veröffentlichung durch WARP-online freigegeben. Die Magazin-Reihe ist eine Sammlung von Beiträgen, die zusätzlichen Kreis interessierter Leser anspricht und die Namen der Autoren und Künstler bekannter macht. Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
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Inhalt Cover von Freawyn KHURS der Suchende - DERGO
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von Andreas Fischer Der junge, angstbeladene Khurs sucht seinen Erlöser. Es ist die Wahrheit seiner selbst, die ihm solche Angst einjagt...
Ira De Profundis
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von Lord Vulthar Im erbitterten Krieg zwischen Menschen und den insektenhaften Hrulothies vollzieht Erzmagier Illwiß-Lumbato eine verderbenbringende Beschwörung. Auch die neutralen, flugfähigen Kyylb sind dadurch bedroht...
Ein Freund
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von Anthalerero Tief im Herzen eines uralten Waldes, wartet im Schein des Vollmondes ein geheimnisvolles Wesen auf seine Entdeckung... Ein Mythos, nur noch aus Legenden bekannt, nimmt Gestalt an...
Bestimmung
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von Waldläufer Er macht sich auf den langen Weg, um einen alten Bekannten zu treffen. Und um einen Kampf zu bestehen...
Eine Episode aus dem Leben des Fidelius Kannsgut
26
von Bettina Haug Ein alter Magier und sein Kater ziehen über Land. Ihre Zaubermedizin hat manchmal ungeahnte Wirkung...
Rubin
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von Yvonne Gees Untreue wird das Herz brechen! - Das Geheimnis eines Souvenirs...
Marmor
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von Yvonne Gees Ein Herz aus Stein kann Liebe nicht erzwingen. Es bringt den Tod...
Der kleine Sternenpflücker
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von Pascal Kegler Gibt es einen Stern, der schöner ist als alle anderen? Und kann man ihn erreichen?
Im Spiegel von Ingrid Kaliner Johannes soll den großen Saal der Trutzburg restaurieren. Aber dann verfällt er mehr und mehr einer seltsamen Erscheinung...
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KHURS der Suchende - DERGO von Andreas Fischer
Der junge, angstbeladene Khurs sucht seinen Erlöser. Es ist die Wahrheit seiner selbst, die ihm solche Angst einjagt...
1. Segment - Das Dorf Der Regen hatte die staubige Straße in ein Meer aus Schlamm verwandelt. Fluchend und schimpfend sucht der Pulk aus Händlern und Dörflern ihren Weg zum Marktplatz. Ich betrachte das geschäftliche Treiben, auf der Suche nach ihr, noch einen kleinen Moment und erhebe mich schließlich. "Dreh dich um!" herrscht mich eine kalte, rauhe Stimme an. Widerwillig folge ich seinem Befehl. Es ist ein Söldner des Dorfschulzen Cubin. Er mustert mein Gesicht eindringlich und vergleicht es mit seinem Pergament. "Troll DICH weiter! Cubin duldet keine Nichtsnutze!" Ich bleibe dem Söldner eine Antwort schuldig. Erst gestern habe ich miterlebt, wie ein anderer Söldner Cubins einen Händler zusammenschlug, weil er Widerworte gab. Mit raschen Schritten ziehe ich weiter. Meine nackten Füße versinken bis zum Knöchel im Schlamm und hinterlassen schmatzende Geräusche. "Du bist nicht von hier!" Ich schaue einer Frau ins geschminkte Gesicht. Sie gibt sich jünger als sie ist und versucht mir schöne Augen zu machen. "Hast du Geld?" Sie ist sehr direkt, vielleicht schon zu direkt. Ist sie ein Lockvogel für die hiesigen Straßenräuber? Ich nicke. "2 Silberstücke für ein Bett und mich!" Mein Weg zu diesem Dorf war beschwerlich gewesen, meine Glieder schmerzen und der Abend scheint auch zu dämmern. Wieder nicke ich. Langsam und bedächtig. "Du redest nicht viel!" bemerkt sie. Erneutes Nicken meinerseits. "Gehen wir!" meint sie knapp. Ich folge ihr durch den Schlamm zum Dorfrand. An einer brüchigen Lehmhütte, weit ab von der Straße bleiben wir stehen. "Ein Silberstück jetzt, das andere später!" Ich krame in meinem kleinen Münzbeutel und gebe ihr den Silberling. Die Ausstattung der Hütte ist spärlich. Ein Tisch, ein Stuhl, Feuerstelle und ein Strohlager. Gedämpftes Licht fällt auf ihr Gesicht und läßt es schön erscheinen, aber ich will nichts von ihr. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, gebe ich ihr den zweiten Silberling. "Geht!" meine ich knapp ohne den Mund zu öffnen. Sie schaut mich verdutzt an und zuckt mit den Schultern. "Morgen früh seid ihr aber weg!" murmelt sie noch und trollt sich davon. Ich verschließe die Tür mit einem großen Holzriegel, der in zwei Halterungen gesteckt wird. Die Fensteröffnungen verschließe ich mit breiten Holzscheiten. Durch ein Loch in der Decke fällt noch etwas Licht. Bald wird es dämmern. Ich ziehe meine Sachen aus. Ein schmutzgraues Flachshemd und eine kurze schmutzige Hose aus Leinen. Mehr besitze ich nicht. Den Geldbeutel lege ich unter das Stroh. Ein grober Leinensack liegt auf dem Stroh. Schwerfällig lasse ich mich auf das Nachtlager fallen, starre durch das Loch im Dach und warte auf die Nacht. Ein leiser Hahnenruf weckt mich am nächsten Morgen. Ich habe einen metallischen Geschmack im Mund. Sollte ich etwa... 5
Langsam öffne ich, in stiller Gewißheit, die Augen. Ich habe es gewußt, ... mein Körper ist mit getrocknetem Blut überzogen. Seitlich von mir liegen zwei Kadaver. Ihre Körper sind aufgerissen..., ich wende angeekelt meinen Blick ab, aber nur kurz. Zu groß ist die Neugier, wer die Leichen sind. Ich erkenne die Frau wieder und einen ungepflegt aussehenden Mann. Ich hadere mit mir, ob ich die Leichen fleddern soll oder nicht. Nach einer kurzen Pause des Sinnens, beginne ich mit meiner frevelhaften Handlung. Die Ausbeute ist nicht groß, eine Handvoll Silberlinge und einen langen Dolch. Wollten die beiden mich etwa... Mein Blick fällt auf die Tür, der Riegel steckt noch in den Halterungen. Das Fenster ist auch noch dicht. Sie mußten über das Dach gekommen sein... Ich betrachte die Stiefel des Mannes und ziehe sie ihm schließlich aus. Für meine Suche nach ihr brauche ich festes Schuhwerk, denn nur sie allein kann ihn von mir nehmen, meinen Fluch...
2. Segment - Einöde Kleine Staubwolken wirbeln jedesmal auf, wenn meine Stiefel auf den Boden aufsetzen. Der Boden ist staubig und trocken, aber es ist der einzige Weg nach Drego, dem Ort an dem SIE sein muß. Sie muß dort sein, sie muß es einfach. Obwohl es noch früh am Morgen ist, sticht die Sonne bereits und läßt mich Schweiß auf der Stirn bilden. Es ist merkwürdig, daß ich weder Hunger noch Durst verspüre. Ich habe schon seit zwei Tagen nichts mehr zu mir genommen und fühle mich in keiner Weise geschwächt oder ausgelaugt. Was in der Nacht mit mir geschieht, ist mir auch nicht klar, lediglich das meine Kleidung am nächsten Morgen zerfetzt ist. Mehr nicht... Auch ist mir nicht ganz klar, was die Menschen in meiner Umgebung tötet und warum. Ich nehme an, daß dies der Fluch sein muß, der auf mir lastet, den alleine sie aufheben kann. Der Vormittag vergeht, unermüdlich schreite ich auf dem ausgedörrten Boden weiter. Am Horizont bildet sich ein Gebirgszug ab. Das Yr-Tao Massiv. Immer noch kein Durstgefühl. Mein Körper scheint eine nie versiegende Quelle an Energie zu sein. Mittlerweile steht die Sonne hoch über mir, mein Hemd ist schweißnaß, trotzdem fühle ich mich wie neugeboren. Wieso überkommt mich dieses Glücksgefühl? Auf mir lastet doch ein Fluch, trotzdem fühle ich mich so gut, warum? Langsam senkt sich die Sonne wieder, mein Schatten wird länger und länger, das Gebirge scheint nicht mehr all zu weit entfernt zu sein. Bis zur Dämmerung wollte ich es erreicht haben... Die Sonne ist untergegangen, die Nacht wird bald hereinbrechen, ich stehe vor dem Gebirge und suche nach einem gangbaren Weg hinauf. Nicht weit von mir entfernt, entdecke ich einen kleinen Pfad. Ich entschließe mich dem Pfad zu folgen und eine Höhle zu suchen, in der ich die Nacht verbringen kann. Ohne eine Vorwarnung drückt sich ein spitzer Gegenstand in meinen Rücken, eine trockene Stimme meint, "Euer Geld oder ihr seid tot!“ Eine zweite Stimme ergänzt "Aber hurtig!" Ich wage es nicht mich umzudrehen, langsam löse ich meinen Geldbeutel von der Hose und lasse ihn zu Boden fallen. Die Spitze drückt sich noch fester in meinen Rücken. "Alles!" herrscht mich die erste Stimme an. "Das ist alles!" entgegne ich mit belegter Stimme. "Lügner!" brüllt die andere Stimme, dann dringt der kühle Stahl in meinen Rücken ein. Ein heißer, brennender Schmerz durchflutet meinen Körper. Mit geweiteten Augen drehe ich mich um und blicke in zwei rußgeschwärzte Gesichter. "Stirb endlich!" flucht der eine. "Warum..." kommt es mir noch über die Lippen, dann falle ich. Falle und falle. Ich spüre keinen Aufprall, mit rasender Geschwindigkeit falle ich in das undefinierbare Dunkel. Ich werde nicht langsamer, aber auch nicht schneller. Es ist eine gleichbleibende 6
Geschwindigkeit, mit der ich in einer unendlich scheinenden Dunkelheit falle. Irgendwann ebben meine Empfindungen und meine Gedanken ab. Stille. Ich werde wach. Ein vertrauter Geschmack nach Metall läßt mich hochschrecken. Ich reiße meine Augen auf und schließe sie gleich wieder. Für einen kurzen Moment habe ich ein Bild des Schreckens gesehen. Warum erwache ich immer nackt, inmitten eines Schlachtfeldes? Über dem getrockneten Blut des Vortages, hat sich eine weitere trockene Blutschicht gelegt. Widerwillig öffne ich meine Augen wieder, ich liege in einer Höhle. Heruntergebrannte Pechfackeln beleuchten das Szenario vage. In einiger Entfernung dringt helles Tageslicht in die Höhle. Der Höhlenboden ist nichts weiter als ein riesiger, klebriger Blutteppich. Neben mir liegen zwei Körper mit rußgeschwärzten Gesichtern. Der Brustkorb der beiden ist zerfetzt, letztendlich ist es nicht mehr als ein großes, dunkles Loch. Ich schlucke mehrmals schwer und beginne die Leichen zu fleddern. Ich finde einen langen Dolch, ein rostiges Kurzschwert und meinen Geldbeutel und nehme die Sachen an mich. Die Hemden der beiden sind nichts weiter als blutige Lumpen. trotzdem mache ich mich an einer Leiche zu schaffen und nehme ihr die schmutzige Hose und deren Stiefel ab. Mein Blick fällt wieder auf den Dolch, habe ich nicht auch etwas Spitzes in meinem Rücken. Vorsichtig betaste ich meinen Rücken. So sehr ich auch suche, ich finde weder den Einstich, noch die Waffe. Was ist nur mit mir los? Die Hose und die Stiefel passen einigermaßen. Die Höhle scheint doch größer zu sein, als ich angenommen hatte. Soll ich sie erkunden oder weiterziehen? Mein Drang weiterzuziehen ist größer, ich will den Fluch loswerden. Ich setze mich über meine Vernunft hinweg und wende mich dem Ausgang zu. Helles Morgenlicht begrüßt mich, unwillkürlich kneife ich meine Augen etwas zu. Für einen kleinen Moment genieße ich die Stille, die mich umgibt. Ich wende mich zum Gehen und halte dann doch inne, war da nicht ein Stöhnen gewesen? Ich blicke zur Höhle zurück. Stille! Oder doch nicht? Da, wieder ein leises, kaum vernehmbares Stöhnen. Kam es aus der Höhle? "Hallo?" rufe ich mit unsicherer Stimme in die Höhle. Ein unheimliches Echo meiner Stimme antwortet mir, dann herrscht wieder Stille. Angespannt horche ich in die Stille der Höhle. Da wieder, dieses kaum vernehmbare Stöhnen. Was soll ich jetzt machen? Weitergehen oder Nachschauen? Ich weiß es nicht...
3. Segment - Ranessa Noch immer stehe ich am Höhleneingang, unschlüssig mit mir selbst. Einerseits bin ich neugierig, andererseits zieht es mich weiter um SIE einholen zu können. Was soll ich nur tun? Ich atme nochmals tief durch und überlege. Ein Silberling soll meine Entscheidung fällen. Zeigt er den Kopf Cubins, gehe ich in die Höhle, sehe ich die Umrisse Cobona-Yr-Taos gehe ich weiter. Ich krame nach einem Silberling und schnipse ihn in die Luft. Die Münze steigt und steigt, die Morgensonne läßt ihn, während seines Fluges, freundlich aufblitzen. Ich schnappe die Münze wieder auf und lege sie verdeckt auf meinen Handrücken, dann decke ich sie auf. Cubins Profil strahlt mich an. Vorsichtig betrete ich die Höhle. Bedächtig setze ich einen Fuß vor den anderen und vermeide es, die beiden Bergbanditen nochmals anzuschauen. Die Höhle macht eine Biegung nach rechts, ohne Licht sollte ich nicht weitergehen. Ich greife mir eine der fast heruntergebrannten Fackeln und gehe weiter. Der Gang ist von weiteren flackernden Pechfackeln beleuchtet. Im Gang sind Felle, zwei Rucksäcke und eine kalte Feuerstelle zu sehen. Aha, das Lager der beiden. Wieder dringt das leise Wimmern in meinen Gehörgang. Rufen ist sinnlos, also gehe ich den Gang weiter. 7
Ist das Wimmern nicht lauter geworden? Ich schwenke die Fackel und suche den Boden und die Wände ab. Ein Strick, der an einer kleinen Felsnase befestigt ist, wird sichtbar. Ich schwenke die Fackel nach oben und erkenne über mir schmutzige, bare Füße. Jemand hängt in einem Meter Abstand über mir. Ohne viel nachzudenken, lege ich die Fackel beiseite und löse den Strick. Langsam lasse ich die menschliche Gestalt hinunter. Je näher sie in den Schein der Fackel kommt, um so mehr erkenne ich von ihr. Es ist eine Frau, aber es ist nicht SIE. Leider! Sie ist mit dicken Gurten verschnürt, an denen das Seil befestigt ist. Über ihrem Mund ist ein dicker schmutziger Leinenstreifen gebunden. Als sie sicher auf dem Boden steht, entferne ich ihren Knebel. Sie schaut mich dankbar und neugierig an. Ich kann ihrem Blick nicht standhalten und wende mich ab. "Ich danke dir, Fremder!" Ihre Stimme ist zwar trocken, fast heiser, doch schwingt in ihr eine Nuance Süße mit. Ich nicke stumm und mache mich an ihren Gurten zu schaffen. "Mein Name ist Ranessa", stellt sie sich vor. Wieder nicke ich nur. = "Ich war mit meinem Bruder Asgen nach Dergo unterwegs, dann wurden wir in diesem Gebirge überfallen. Asgen hat man in eine tiefe Schlucht gestoßen und mich hat man..." Ihre Stimme versagt und endet in einem tiefen Schluchzen, bis sie regelrecht weint. Ich weiß nicht so recht, was ich jetzt machen soll. Stehenlassen oder trösten. Behütend lege ich meine Arme um sie, kann aber keine tröstenden Worte aufbringen. Sie schlingt ihre Arme um meinen Oberkörper und weint sich an meiner Brust aus. Teilnahmslos lasse ich sie gewähren. Der Drang endlich weiterzugehen wächst zunehmend in mir. Vorsichtig löse ich ihre Arme von mir und schaue sie besorgt an, "Besser?" murmele ich. "Ja!" kommt es in einem unterdrückten, weinerlichen Tonfall. Ich wende mich von ihr ab und gehe zurück. Ein leises Patschen verrät mir, daß sie mir folgt. "Wo geht ihr hin?" ruft sie mir nach. "Dergo!" antworte ich knapp. "Laßt mich nicht alleine! Nehmt mich mit!" Sie rennt hinter mir her und hält mich am Arm fest. "Hier leben Monster! Ehrlich!" Ihre Stimme überschlägt fast vor Panik. Ich blicke sie an und hebe ungläubig die Augenbraue. "Ja, vergangene Nacht, kurz bevor es zu dämmern begann vernahm ich von meinem Platz aus, menschliche Schmerzensschrei und dann sah ich es, es war nicht groß, etwa so groß wie ihr, es war schrecklich anzusehen. Sein ganzer Körper war übersät mit glänzenden, dunklen Schuppen. Es hat mich nicht gesehen, da ich ja hier oben hing, aber hätte es mich gesehen, dann..." Ihre Stimme hat jeglichen Halt verloren, die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus. Noch ehe ich etwas erwidern kann, redet sie weiter. "Es hatte drei spitze Hörner auf dem Kopf und sein Kopf war der einer riesigen Echse. Das Gesicht einer Eidechse, aber riesengroß. Aus seinem Rachen hingen zwei Zungen. Seine Hände waren krallenbesetzte Pranken und seine Füße waren so muskulös und fest..." Ich wende mich von ihr ab, in der Gewißheit, daß sie mich in meiner verfluchten Gestalt gesehen hatte. "Lüge!" meine ich nur trocken und löse ihren Arm von mir. "NEIN!" schreit sie wie irre und versperrt mit den Weg. Ihre Augen quellen über vor blanker Angst. "Verschwindet!" zische ich mit gefährlicher Stimme und schiebe sie beiseite. "Biitte!" fleht sie mir hinterher aber ich kann sie nicht mitnehmen, ich würde sie in der nächsten Nacht töten und das will ich ihr ersparen. Ich wende mich einen letztes Mal ihr zu und weise ihr den Weg zum namenlosen Dorf. "Rennt!" befehle ich ihr. "Wie könnt ihr nur so roh und gefühlskalt sein? Ihr seht so nett aus, warum redet ihr nicht mit mir. Sprecht mit mir, bitte! BITTE!"
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Ich schaue sie schweigend an. Wie soll ich ihr mit ein bis drei Worten erklären, daß ich es nicht darf. Die Rückname meines Fluches wäre auf alle Zeit verloren, ich müßte bis in alle Ewigkeit als wandernde Gefahr durch die Lande ziehen, ständig auf der Suche nach einem Ort, wo ich niemanden etwas zu leide tun kann, einem Kerker! Ohne ein weiteres Wort verlasse ich die Höhle und schlage den Weg nach Dergo ein. Ich höre sie noch Schimpfworte und Worte des Flehen hinter mir her rufen. Mein Herz schmerzt, gerne hätte ich sie beschützt, nur wie. Wie hätte ich sie vor mir beschützen können. Der Weg durch die Berge erweist sich als relativ einfach. Diejenigen, die den Weg bereitet haben, waren echte Künstler. Ich merke die Ansteigung kaum und selbst Serpentinen bleiben aus. Trotzdem fühle ich mich nicht wohl! Ich meine, daß Ranessa mir folgt. Diese DUMME Frau! Ich beschleunige meinen Schritt, in der Hoffnung, daß sie mich nicht weiter verfolgt und umkehrt. Noch müßte sie genug Zeit haben... Der Abend bricht herein, ich suche mir eine geschützte Stelle und lege Hose sowie Stiefel ab. Nackt hocke ich mich in eine kleine Höhle und betrachte den Himmel, der sich immer dunkler färbt. Die ersten Sterne werden sichtbar, ich atme tief durch und bin traurig. Traurig darüber, daß ich zu einem Monster werde, dessen einziges Vergnügen scheint, zu töten und die Herzen der Opfer zu essen. Ich werde müde, langsam lege ich mich zurück und schließe die Augen, in der Hoffnung, am nächsten Morgen wieder an dieser Stelle zu erwachen. Warme Sonnenstrahlen streicheln mir sanft über das Gesicht. Für einen Augenblick genieße ich die morgendlichen Strahlen, bis mir der metallische Geschmack in meinem Mund bewußt wird. Ich möchte meine Augen nicht öffnen, ich will es nicht. Es wird das Opfer sein, dem ich versucht habe zur Flucht zu verhelfen. Ranessa. Mit gequälter Miene öffne ich meine Augen. Das Bild, das sich mir bietet ist schrecklich. Zu schrecklich für mich, ich kann meine Gefühle nicht länger unterdrücken und beginne zu schluchzen. Tränen rinnen mir die Backen herab. Warum? frage ich mich. Warum, Ranessa? Warum hast du dich neben mich zum Schlafen gelegt? Ich brauchte weder suchen, noch jagen. Ich konnte letzte Nacht ganz genüßlich dein Herz aus deiner Brust reißen. Ich stelle mir vor, wie erfreut ich über meine Vesper gewesen sein muß und breche weinend zusammen. Weinkrämpfe schütteln meinen Körper durch. Nur mit Mühe schaffe ich es, meine Fassung wiederzugewinnen. Ich muß Sie finden, bald, sehr bald! Auf diese Weise mag ich nicht mehr länger existieren...
4. Segment - Gedanken Mit großen Schritten eile ich nach Dergo weiter. Noch immer sehe ich Ranessas Gesicht vor meinem geistigen Auge. Ich muß letzte Nacht schnell gewesen sein, sehr schnell. Anders kann ich mir ihr zufriedenes Gesicht nicht erklären. Sie war nicht aufgewacht, als meine Klaue ihren Brustkorb durchdrang und ihr das pochende Herz entriß. Gelitten hat sie nicht, das Schuldgefühl läßt mich trotzdem nicht los, wie hätte ich sie nur hindern können mir zu folgen? Ich weiß es nicht! Ich erreiche das Plateau des Gebirges gegen Mittag und bleibe stehen. Wie friedlich alles von hier oben wirkt! Noch kann ich Dergo am Horizont nur erahnen, aber morgen, morgen werde ich endlich dort sein. Erst jetzt wird mir richtig bewußt, daß ich seit meiner Verfluchung nichts mehr zu mir genommen habe, zumindest nicht bewußt, um so ausschweifender waren wohl meine Vespern gewesen. Ein kalter Schauer durchfährt mich. Um nicht weiter darüber nachzudenken, gehe ich weiter. Weiter nach Dergo. Warum hat Sie mich nur verflucht? Ich versuche den Tag meiner Verfluchung noch einmal zu rekapitulieren... Es war vor vier Tagen gewesen, dem Tag meines 20. Wiegenfestes. Mein Vater tat sehr geheimnisvoll, als er mich weckte, auch meine Mutter wirkte anders als sonst, irgendwie traurig. Das heitere Geschwätz, während des Frühmahl, blieb auch aus, statt dessen herrschte dort eine gedrückte Stimmung. Geradeso, als ob meine Eltern wußten, daß etwas, irgend 9
etwas, heute geschehen würde. Den ganzen Vormittag hackte ich, mit unzufriedener Miene, Holz. Ich konnte die gedrückte Stimmung im Haus nicht ertragen und suchte einen Weg, meinem Verdruß Luft zu machen. Auf einmal stand SIE mir gegenüber, ich hatte ihr Kommen weder gehört noch gesehen. Sie stand nur da und beobachtete mein geschäftiges Treiben. "Du bist Khurs, nicht wahr?" Ihre Stimme klang weich und freundlich. "Ja, und wer seid Ihr?" erwiderte ich, ohne von meiner Arbeit abzulassen. "Die Leute nennen mich Zingara. Ich bin heute bei Dir, da Du Dein zwanzigstes Wiegenfest feierst. Ich will mit Dir reden!" "Und worüber?" "Stell erst einmal Deine Arbeit ein!" Ihre direkte Art gefiel mir nicht, mit einem genervten Kopfschütteln schlug ich die scharfe Axt in den Holzblock, "Gut!" befand sie, "Schau mich an!" Meine Augen trafen ihren Blick, sie war kleiner als ich. Sie hatte ein zartes Gesicht mit einer kleinen spitzen Nase und einem noch schmaleren Mund. Ihre Augen hingegen wirkten groß. In ihren Pupillen spiegelte sich mein Gesicht. Ihre Iris wechselte in einem pulsierenden Rhythmus die Farben. Mal waren sie rot, mal gelb. Solche Augen hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen. Gehüllt war sie in einer schlichten grünen Robe, die ihr gesamtes Antlitz verhüllte. "Präge Dir mein Gesicht ein, studiere meine Augen und konzentriere Dich, Khurs." Ihre Stimme war sehr ruhig und beruhigend. Für einen kleinen Moment verlor ich mich in dem pulsierenden Strom der wechselnden Irisfarben. "Ich verfluche Dich, Khurs!" schrie sie plötzlich laut auf und riß mich aus meiner Konzentration. Ich schaute sie verblüfft an. ="Warum?" Statt eine Antwort zu geben, griff sie blitzschnell nach meinem kleinen Schutzamulett, das ich seit meiner Geburt um den Hals trage. "Verfluchte haben kein Recht auf Schutz!" predigte sie mir mit lauter Stimme, "Kommt alle her! Seht den Verfluchten!" schallte ihre Stimme durch das ganze Dorf und binnen weniger Momente hatte sich ein kleiner Kreis Schaulustiger eingefunden, auch meine Eltern waren darunter. Alle standen sie mir schweigend gegenüber und starrten mich einfach nur an. "Verfluchter, ich werde Deinen Fluch wieder lösen, wenn Du mich jemals finden solltest! Erst dann wird es Dir wieder gestattet sein, in Dein Dorf zurückzukehren." Ich wußte nicht was ich sagen sollte, fast schien es mir, daß dies es war, was meine Eltern am heutigen Morgen so seltsam erscheinen ließ. "Nimm dies!" meinte meine Mutter nur und gab mit einen kleinen Münzbeutel. "Und nun gehe!" fügte mein Vater hinzu. Ich schaute die beiden abwechselnd an, nicht fähig auch nur ein Wort zu sagen. Hilfesuchend schaute ich nach Zingara, aber sie war weg, einfach gegangen. "Löse deinen Fluch und kehre wieder!" rief die Gruppe in Chor... Nun gehe ich in Richtung Dergo. Mein Gefühl sagt mir, daß ich sie in Dergo finden werde. Langsam senkt sich wieder die Sonne. Ich war den ganzen Tag gelaufen und bin niemandem begegnet, was mich froh stimmt, denn in dieser Nacht werde ich bestimmt niemandem sein Herz rauben. Als der Abend wieder das Land in einen sanften, dunklen Ton hüllt, entkleide ich mich. Ich lege mich etwas abseits des Weges in eine kleine Felsnische und beobachte den Himmel. Noch immer verstehe ich nicht, warum Zingara mich verflucht hat. Was hatte ich ihr nur getan, daß sie mir so etwas antut. Am Himmelszelt zeigen sich die ersten Sterne. Ich schließe meine Augen und bin mir gewiß, der nächste Morgen beginnt ohne dem metallischen Geschmack im Mund... 10
5. Segment - Opfer Dergo! Endlich bin ich da, aber ich bin nicht sonderlich glücklich darüber, zumal ich noch nicht einmal weiß, ob ich Zingara hier wirklich finde. Mir liegt das Ereignis vom heutigen Morgen noch zu schwer im Magen . Ich war mir so sicher gewesen, daß ich niemanden töten würde... an einem kleinen Gebirgsbach war ich aufgewacht, an dem auch eine vierköpfige Familie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatte. Nein, ich will mich an diese Bilder nicht wieder erinnern... Mein Blick fällt auf die hohe Stadtmauer, dann auf die Wachen am Stadttor, die mich argwöhnisch betrachten. Ich kann es ihnen nicht verübeln, auf meinem Oberkörper klebt ein Gemisch aus vielen getrockneten Blutschichten, vermischt mit dem Wegstaub. Überhaupt ist mein Erscheinungsbild alles andere als freundlich. "Geht weg, Elender!" grunzt mich die eine Wache an. "Nein!" entgegne ich bestimmt und lasse meinen Geldbeutel klimpern. Die beiden Wachen schauen sich kurz an. Schließlich meint die andere Wache, "Drei Silberlinge und zwei Silberlinge extra, weil ihr so verkommen ausseht!" Ich denke mir meinen Teil und zahle wortlos die geforderte Gebühr. Langsam und bedächtig öffnet sich mir das gewaltige Stadttor, hinter dem ein hektisches Treiben herrscht. Es ist Markttag, an allen Ecken und Enden stehen Stände mit allen erdenklichen Waren. Die Händler versuchen sich gegenseitig zu =überbrüllen. Die Straßen sind überflutet von geschäftigen Menschen. Wie soll ich in diesem Getümmel Zingara finden? Mit bedächtigen Schritten gehe ich weiter, ich werde geschubst und bedrängt, aber ich lasse mich von meinem Weg nicht abbringen, ich gehe einfach weiter, geradeaus weiter. Mein Blick schweift unentwegt über die Menschenmenge, ständig auf der Suche nach ihr. Sie muß hier sein, sie muß einfach. Es ist befremdliches Gefühl nach vier Tagen der Einsamkeit wieder unter Menschen zu sein. "Hallo Khurs!" begrüßt mich eine warme Stimme. Mein Kopf folgt der Stimme und mein Herz fängt an heftig zu klopfen. Ja, sie ist es. Zingara! "Du hast nur vier Tage gebraucht, Khurs! Das ist sehr schnell...", lobt sie mich. Ich komme mir vor, wie ein kleiner Junge, der von seiner Mutter für eine gute Leistung gelobt wird, aber ich habe keine gute Leistung erbracht, sondern nur Tod und Verderben für viele Menschen. Es sei mal dahingestellt, ob sie den Tod verdient hatten oder nicht. "Folge mir!" grinst sie mich mit fröhlicher Miene an und sucht sich ihren Weg durch die Menschenmasse. So gut es eben geht, folge ich ihr. Hin und wieder versperrt mir jemand den Weg, aber es gelingt mir, sie im Auge zu behalten. Vor einem kleinen Tempel aus grünen Marmor bleibt sie schließlich stehen. "Ich hoffe, du hast deine Opfergaben dabei!" "Opfergaben?" echoe ich ungläubig zurück. "Wir werden sehen!" meint sie mir freundlicher Stimme und betritt den Tempel. Ohne nachzudenken folge ich ihr in das kühle, gedämpfte Gebäude. Wir schreiten geradeaus weiter, bis wir vor einem großen, mit Flüssigkeit gefüllten, Opferbecken anhalten. "Zieh dich aus!" Die kurze Hose und die Stiefel fallen zu Boden. "Begebe dich in das Becken!" "Aber..." versuche ich einzuwenden, doch Zingara wiederholt ihren Befehl in einem scharfen Ton. Langsam schreite ich in das Naß. Es ist ungewöhnlich warm...das Wasser weicht den Schmutz und das Blut, das an mir klebt auf. Mein Körper sendet Schmutzschlieren aus, die sich kriechend im Becken ausbreiten. Hätte ich doch vorher noch im Gebirgsbach gebadet. 11
Ich verdränge wieder die Bilder vom Morgen und bleibe stehen. Das Wasser steht mir bis zum Hals, mein Blick sucht Zingara. Sie steht am Rande des Becken und betrachtet mich zufrieden. "Tauch unter!" Ich gehe in die Knie. Das Wasser umspült meinen Kopf, dabei bemerke ich, daß ich mich auf einmal richtig wohl fühle, so als ob eine Last von mir genommen wurde. Zingaras Stimme ist auf einmal in meinem Kopf. "Erhebe Dich, Geprüfter!" Ihre Stimme klingt hell und klar. Mein Kopf durchbricht die Wasseroberfläche und ich hole tief Luft. "Ich nehme deine Opfergaben an!" Jetzt ist ihre Stimme wieder außerhalb meines Körpers. Sie steht immer noch am Beckenrand und hat ihre Hände segnend ausgebreitet. "Khurs, ich nehme den Fluch von Dir. Ich befreie Dich von allen Auflagen, du bist jetzt wieder ein freier Mann und kannst gehen, wohin du willst!" Zögernd verlasse ich das Becken, ich bin erleichtert, aber auch verwirrt. Ich war doch nackt, welche Opfer hätte ich ihr bringen können. "Was schaust du mich so fragend an, Khurs?" "Ich... ich verstehe....", es kostet mich echte Mühe, mehr als drei Worte herauszubringen, "...das alles nicht! Warum habt ihr mich verflucht? Welche Opfer habe ich erbracht?" Zingara nickt. "Ich sehe, deine Eltern haben ihren Schwur gehalten. Nun gut, lege dir diese Robe der Befreiung an. Wie aus dem Nichts erschienen, liegt eine dunkelgrüne Robe vor mir. Hastig streife ich sie über meinen feuchten Körper. "Wir wollen in meinem Gemach reden!" meint sie nur und geht. Stumm folge ich ihr. Unser Weg führt an einigen grotesken Statuen vorbei, die ich in dem gedämpften Licht nicht richtig erkennen kann. Kurz danach stehen wir in einem kleinen, festlich geschmückten Raum. Er ist wesentlich heller und erstrahlt in verschiedenen Grüntönen. "Setz Dich auf das Kissen dort!" Nachdem ich mich niedergelassen habe, beginnt Zingara zu erzählen: "Khurs, ich besuche jeden jungen Menschen eures Dorfes, wenn er das 20. Lebensjahr erreicht hat. Ab diesem Tag entscheidet sich, ob der junge Mann stark genug ist zu überleben. Eine natürliche Selektion, du verstehst?" Ich nicke, obwohl ich es nicht verstehe. "Um die jungen Männer zu prüfen, erlege ich ihnen einen Fluch auf. Um den Fluch wieder zu lösen, müssen sie mich aufsuchen. Von zehn jungen Männern finden mich meistens sechs, manchmal sind es auch fünf oder sieben. Du bist in diesem Jahr der erste. Dein Instinkt hat dich in die richtige Richtung, nach Drego, geführt. Ich bin gespannt, wieviele der acht jungen Männer deines Dorfes letztendlich hier ankommen." "Und mein Fluch ist jetzt gebrochen?" frage ich ungläubig. "Ja!" antwortet Zingara knapp. "Ich werde mich nicht mehr des nachts in ein mordendes Monster verwandeln?" "Nein, das wirst du nicht mehr, Khurs." Sie macht eine kurze Pause. "Zukünftig kannst Du selbst entscheiden, wann Du in Deine zweite Hülle schlüpfen willst." Ich schaue sie ungläubig an und beginne zu verstehen... E N DE
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Ira De Profundis von Lord Vulthar
Im erbitterten Krieg zwischen Menschen und den insektenhaften Hrulothies vollzieht Erzmagier Illwiß-Lumbato eine verderbenbringende Beschwörung. Auch die neutralen, flugfähigen Kyylb sind dadurch bedroht...
Es begab sich am Abend des dreizehnten Tages des khostisch-hrulothischen Krieges, dass der Erzmagier Illwiß-Lumbato von Khost den verhängnisvollen Fehler beging, eine bis dato nie gewagte Beschwörung vorzunehmen. Seine Zunge wand sich wie eine Jadeviper, um nicht die in einer längst vergessenen, unheiligen Sprache verfasste Formel artikulieren zu müssen. Hätten nicht zahllose hrulothische Lanzenspitzen drunten in der Ebene im blau-orangenen Mondlicht verderbnisverheißend geglommen... Wären die Burgmauern nicht unter den Einschlägen weißglühender Geschosse erbebt... ...niemals hätte Illwiß-Lumbato jene Silben über seine blutenden Lippen gepreßt. Hätte sein Lord, Kilan-Khost, vor genau vierzehn Tagen beim Fest der Drei Rassen seine Sinne nicht im phosphorgrünen Tsanibh-Likör ertränkt und in zügelloser Rage den Hohen Jetab von Hrulotho, Carsst-Nigam, mehrmals geohrfeigt und ihn einen sechsbeinigen Bastard genannt, wäre nicht der Schatten des Unheils über Khost gefallen. Bereits am nächsten Morgen hatten die beleidigten Insektoiden die Kriegserklärung überreicht. Hätte Lord Kilan-Khost nicht in einer erbärmlichen Mischung aus Angst und Wut solange im Zeremoniensaal von Burg Lumbatogradh herumgeschrien und ihm am Ende gar mit Vierteilung gedroht, wäre der Zauberer niemals in seine Bibliothek gehetzt, um gerade jenes pech- und teerverkrustete Buch heraufzuschleppen, das noch nie benutzt worden war, seit Flethlah-Lumbato der Dunkle es vor fast siebentausend Jahren nahe eines heißen Schlammgeysirs entdeckt hatte. Doch die Todesangst ist ein ebenso machtvoller wie spaltzüngiger Ratgeber und so lockte sie, hämisch kichernd, auch den mächtigen Erzmagier ins Verderben. ef Die Sonne ging strahlend und zinnoberrot über der weiten Ebene unter Burg Lumbatogradh auf. Fluchend trieb Lord Kilan-Khost seine Reiterei nach vorne, mitten hinein in die unüberschaubaren Heerscharen der hrulothischen Sechsbeiner. Seine schimmernde Klinge fand den fahlblauen, kahlen Schädel des ersten Angreifers und fraß sich tief hinein in die weiche Haut des Wesens, dessen Augen brachen. Der Lord entsandte dem so widerlich menschenähnlichen Antlitz im Schlamm unter ihm einen gehässigen Fluch. Die Schlacht stand nicht zum Besten und des Erzmagiers Beschwörung war ihre einzige Hoffnung. Kilan-Khost gab seinem Streitroß die Sporen, um den nächsten Gegner anzugehen. Dieser war auf der Hut und wollte mit der Lanzenspitze nach dem Pferd stechen - da fuhr ihm ein Armbrustbolzen von Fürst Thloguh ins Auge. Lord Kilan-Khost wandte sich zu dem treuen Gefolgsmann um, um ihm zu danken. Die Worte kamen jedoch nie über seine Lippen, denn im nächsten Moment durchlief ein unbeschreiblich lautes Donnern die Ebene - als ob die größte Kriegstrommel aller Zeitalter geschlagen worden wäre.
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Das wüste Gemetzel hielt einen Atemzug lang inne, als sich Menschen und Insektoiden verwirrt anstarrten. Fast achtzigtausend Kämpfer schienen wie eingefroren - eine kurze, wertvolle Zeitspanne ließ der Tod seine bluttriefende Sense ruhen. Und gerade, als sich alle dessen bewußt wurden und bereits wieder die eine oder andere Waffe geschwungen wurde, erklang das Geräusch zum zweiten Mal - noch lauter, noch grauenerregender als zuvor. Der nasse Boden begann zu vibrieren, als ob man ihn erhitzte. Lord Khilan-Khost fluchte erneut und hob sein Visier, um besser sehen zu können. Die Fürsten Thloguh und Kemzamk ritten an seine Seite, ungehindert von den Hrulothies. „Mylord, was ...?“, hub Kemzamk an zu fragen, als der unheimliche Laut zum dritten Male erklang und Burg Lumbatogradhs massive Onyxmauern zersprangen, als bestünden sie aus dünnem, zerbrechlichem Glas. Einem riesigen, steinernen Feuerwerke gleich stiegen die Trümmer in den Himmel und abertausende Augen folgten ihrem Flug. Die meisten standen noch starrend da, als die Hure Schwerkraft die Oberhand über die dahintrudelnden Steinblöcke gewann und sie unbarmherzig zurückriss in ihre ewigwährende Umklammerung. Lord Kilan-Khost erschauerte unter dem aus unzähligen Kehlen ausgestoßenen Schrei, als der tödliche Regen alles zermalmend und zerfetzend in die engstehenden Massen lebender Wesen einschlug. Auf einen Schlag wurden fast sechzigtausend Leben ausgelöscht. ef Der Hohe Jetab Carsst-Nigam schrie triumphierend auf, als Burg Lumbatogradh, der Ahnsitz des verhaßten khostischen Magierclans, explodierte: „General Nrisst! Ohne ihren Zauberer sind die widerlichen Zweibeiner nur noch die Hälfte wert. Heute abend noch werdet ihr mir Kilan-Khosts Kopf auf einem Chitintablett servieren!“ General Nrisst starrte auf die unheilvollen Kometen, die bald auf seine Leute herniederkommen würden. Zum Weglaufen blieb keine Zeit. ef „Diese Narren! Sieh doch, wie sie sich gegenseitig die Schädel einschlagen.“, murmelte Quel-iah von den Kyylb angewidert. Ihre transparenten Rückenflügel vibrierten und verrieten ihre Nervosität. „Hätte Kilan-Khost unsere Ehrwürdige Alcla-Kyylb dermaßen beleidigt, flögen wir nun da draußen und zielten mit unseren Schleudern auf die Köpfe der Zweibeinigen - du bist eine Närrin, wenn du etwas anderes annimmst, kleine Quel-iah.“, rügte sie Wual-leh sanft. Ihre Smaragdaugen glommen gutmütig. Als die Burg in die Luft flog, kauerten sich die beiden Kyylb erschrocken aneinander auf der hohen Felsnadel, die ihnen als Aussichtspunkt diente. ef Lord Kilan-Khost ließ den kümmerlichen Rest seiner Kavallerie am Rande der Ebene zurück und galoppierte mit den überlebenden Fürsten hinauf zu der Stelle, wo sich noch vor kurzer Zeit Burg Lumbatogradh erhoben hatte. Sie erschauerten bis ins Mark, als sie in die riesige schwarze Wunde starrten, welche der Erdoberfläche geschlagen worden war - ein fast zweihundert Meter im Durchmesser betragender Krater hatte sich aufgetan - und dieser Krater hatte keinen Grund... Fürst Thloguhs Haar wurde in Sekundenschnelle schlohweiß, als er als erster den Kopf über den immer noch dampfenden Rand streckte und in die unermeßliche Tiefe starrte. 14
Hätte in diesem Augenblick nicht die Erde erneut zu zittern begonnen, wäre Thloguh wegen Feigheit einen Kopf kürzer gemacht worden. So aber sprengte Khost’s Adel voller Panik weg von der unheimlichen Öffnung. Etwas kam... Das, was Thloguh auf sich hatte zurasen sehen im grünlichen Dämmerlicht des Schachts, schoß über den Rand hinaus und kroch mit widerlicher Eile hinab in die Ebene - ein gigantischer, blaßroter Wurm, der die Herzen der Überlebenden zerspringen ließ mit seinem schrillen Heulen. Hrulothies und Menschen wurden zermalmt unter seinem zuckenden, gnadenlosen Dahingleiten, ihre Waffen drangen nutzlos in seine schwammige Gallerthaut. Das Wesen war bestimmt vierhundert Meter lang und fünfzig Meter hoch, schätzte Kemzamk, wie betäubt. Und es dezimierte die Lebewesen dort unten mit einer Lust, die einem die Seele schwärzte. Fürst Thloguh zitterte nur noch und starrte... und starb. ef Es geschah am folgenden Abend, dass sich unverabredet drei Gestalten am Rand der bodenlosen Grube begegneten. „Wer da?“, dröhnte Fürst Kemzamk gebieterisch. „Zursst von Hrulotho, Menschlein!“, zischte es höhnisch zurück. „Quel-iah von den Kyylb, Rüstungsträger.“, flüsterte die schwebende Gestalt zu seiner Rechten. „Und wer bist du?“ „Fürst Kemzamk von Khost!“, entgegnete der Adelige und wunderte sich, wie hohl sein Titel angesichts der lauernden schwarzen Öffnung klang. „Also habt auch ihr Zweibeiner das Wegrennen vor dem roten Kriecher satt?“, mutmaßte Zursst. „So ist es, Hrulothie - mein Auftrag ist’s, den Schlund zu erkunden und den wahren Gegner zu finden, während Khost in seinen Mauern bleibt.“ „Das ähnelt Carsst-Nigams Plan!“, beschied Zursst knapp. „Und ich fliege für Kyylb...“ „Wohlan denn - zu dritt mag der Abstieg in die Hölle wenigstens etwas angenehmer werden.“, brummte Kemzamk. „Dein Seil wird niemals reichen, Menschlein.“, kicherte Zursst und begann, fliegengleich die senkrecht abfallenden Wände hinunterzukrabbeln. Kemzamk verfluchte ihn, prüfte nochmals die Knoten des Seils und brachte sich dann über die gähnende Tiefe. Quel-iah flatterte, allen Mut zusammennehmend, in das gigantische Loch hinein. ef Der Abgrund glomm im pestartigen Grün fluoreszierender Moose. Zursst blickte über seine gepanzerte Schulter nach oben. Der Mensch war weit zurückgefallen. Sein hilfloses Gezappel am Seil war mitleidserregend. Die Kyylb glitt anmutig auf ihn zu. „Bleiben wir nicht besser näher zusammen?“ „Nein, Flügelwesen! Ich diene alleine Hrulothos Wohl und die Erkundung muß so schnell...“ „Schnell? - Sechsbeiner, deine Arroganz zeugt von übergroßer Dummheit!“, zischte die Kyylb erbost und stürzte sich blitzartig in die Tiefe. Wütend über die bittere Lektion krabbelte Zursst weiter, so rasch er nur konnte. ef Stunden über Stunden waren vergangen. 15
Kemzamk bestand nur noch aus Schmerz und das Seil war fast zuende. Bald mußte er ausprobieren, ob es sich wirklich aufgrund von Klerxa-Lumbato’s Zauberformel oben entknoten und hier in den Fels bohren würde - Illwiß’ Nachfolger war erst vierzehn und wenig vertrauenserweckend. Der Hrulothie kroch etwa hundert Meter unter ihm - deutlich langsamer als noch vor Stunden. Die Kyylb war nicht mehr zu sehen... Zursst pausierte und Kemzamk schloß zu ihm auf. „Was nun, Schnurmännchen? Dein Seil geht zur Neige.“ „Höhne nur, Fliegenbein, und erlebe die Wunder von Khost’s Magie.“ „Mir reicht es noch von gestern. Das...“, knurrte der Hrulothie, um dann innezuhalten. Der Odem kommender Gefahr stieg in seine Tracheen. Er starrte angespannt in die Tiefe. Kemzamk wollte gerade eine Beleidigung ausstoßen, als er unten eine Bewegung wahrnahm. Kam die hübsche Kyylb zurück? Wenn ja, dann war sie nicht allein... Quel-iah flog, so schnell sie nur konnte, auf die trügerische Sicherheit ihrer beiden Begleiter zu. Sie ignorierte das Gleiten der lederartigen Schwingen und den stinkenden Atem auf ihrem nackten Rücken, so gut es ging. „Geflügelte Dämonen aus der Hölle!“, rief Zursst und löste den ersten der vierzig Wurfspeere aus seiner Gürtelhalterung. Kemzamk arretierte das Seil in der Abstiegsöse und zog umständlich sein Schwert. Er konnte die Furcht kaum unterdrücken angesichts der fledermaushaften Wesen, die hinter Quel-iah herrasten und mit geiferbedeckten Fängen nach ihrem schlanken Körper schnappten. Er konnte die Bewunderung nicht verhindern, die er für das überlegte Dahingleiten der Kyylb empfand. Zursst’s Speer bohrte sich in die Stirn des ersten Nachtmahrgeschöpfes und sandte es trudelnd nach unten. Quel-iah lachte deswegen grimmig auf, als sie schon von einem zweiten Angreifer in die Seite gerammt wurde. Wie ein Schmetterling im Sturm taumelte sie auf die Felswand zu und konnte ihr nur haarscharf ausweichen - Zursst’s Wurfspeer fand derweil ein zweites Opfer. Noch zwei der unheimlichen Wesen waren übrig und die ließen nun größere Vorsicht walten. Wütend bellend zogen sie ihre verwirrenden Kreise und belauerten die so unerwartet wehrhafte Beute. Kemzamk fühlte unverdienten Stolz, als Quel-iah sich mit letzter Kraft an ihn klammerte wie ein schutzsuchendes Kind. Wie leicht ihr nackter Körper doch war... „Dank für mein Leben, Zursst von Hrulotho! Und dir, Kemzamk, bin ich dankbar für deinen starken Arm, der mir Erholung bietet. Nicht eine Minute länger hätte ich mehr fliegen können.“ Fürst Kemzamk fühlte Scham über seine Nutzlosigkeit in diesem Kampf und eine prickelnde Freude über ihr Lob. Zursst schleuderte zwei weitere Speere, doch die Wesen blieben außer Reichweite. Ihre ekelhaften Laute spotteten seiner. „Bastarde!“, zischte er gerade, als sich das hohe Gebelle der Dämonen in ein schrilles, ohrenbetäubendes Geschrei wandelte und ihre Rubinaugen sich verdüsterten. So schnell ihre Schwingen sie trugen, stiegen sie nach oben. Kemzamk wollte Erleichterung empfinden, doch es gelang ihm nicht. Etwas stimmte nicht... Er wußte es, noch bevor die Felswände des Abgrunds zu beben begannen. „Dort unten... kommt der Tod.“, knurrte Zursst und starrte in das giftgrüne Verderben, das auf sie zuraste in alles zermalmender Wut. Er war schneller heran, als sie denken konnten, der titanische, schimmelfarbene Wurm, der jeden Zentimeter Fels erzittern ließ in seinem gedankenlosen Dahindonnern und das Licht der 16
Pflanzen erlöschen ließ unter seinem zerquetschenden, stinkenden Leib. Gegen ihn war das rote Biest auf der Oberfläche ein Winzling - sein pilzgrüner Leib erfüllte gut zwei Drittel des Schlundes. Algenfarbiger Schleim traf die drei Helden, welche sich zitternd und jammernd an den kalten Stein drückten, und ätzte ihre Haut. Kemzamk drehte sich im letzten Moment so, dass er Quel-iah mit seinem gepanzerten Rücken vor dem schrecklichen Ausfluß des Wurmes schützen konnte. Zursst lachte wild und erduldete den Schmerz voller Grimm, wie es Hrulotho-Sitte ist. Es war ein Wunder, dass sie nicht unter den Zuckungen des irrsinnigen Molochs zermahlen wurden. Das Wesen glitt über sie hinweg in seinem blindwütigen Vorwärtsdrang, um der Welt dort oben unsägliches Leid zu bringen. Als Kemzamk den Kopf drehte und in eines der unzähligen Augen des Wurms starrte, lähmte ihn das Glitzern bösartigster Intelligenz. Er konnte sich nicht mehr rühren bis zu dem Moment, als eine Bewegung des Wesens spielerisch das Seil durchtrennte und ihn der Sog des Abgrunds nach unten riß. Erschrocken blitzten Quel-iahs Augen, als sie begriff. Zorn und Angst schwangen in Zursst’s Schrei, als er auf dem durch den Schleim des Wurms glitschig besudelten Fels keinen Halt mehr fand und in die unmeßbare Tiefe stürzte. Quel-iah’s Wimmern zerriß Kemzamk’s Herz - denn sie konnte nicht mehr fliegen mit ihren verklebten Schwingen. Und so waren sie verdammt, zu fallen bis in alle Ewigkeit... ef Stunden alles betäubenden Stürzens. Stunden des Wartens auf den zerschmetternden Aufschlag. Stunden wie in einem Traum. Und dann - eine Änderung im Klang des Fallwindes. Ein plötzlicher, mächtiger Sog - zur Seite hin. Licht. Wirbelndes Dahinstürzen. Sich vielfach überschlagend, glitten die drei Schicksalsgenossen in eine gigantische Öffnung, die an der Wand des Abgrunds gähnte. Von Panik geschüttelt, wurden sie von den wilden Luftströmungen in eine krankhaft gelbe See geschleudert, deren träge Wellen sich an einem öligen Strand totliefen. Kemzamk stellte verwundert fest, dass er noch lebte. Quel-iah lag wie tot in seinen Arm. Zursst ergriff die beiden anderen und zog sie zum Strand hin. Zum Strand, wo eine geschundene Gestalt sich an einem Onyxkreuz in wurmartigen Fesseln wand und stöhnte. „Illwiß-Lumbato - ihr lebt?“ Wahnsinn überzog das Antlitz des Gefesselten und er lachte gackernd. „LEBEN? Wenn man es so nennen will, Fürst eines bald vergessenen Khost.“ „Was hast du nur falsch gemacht, Zaubermännchen?“, schrie Zursst, aber es klang wie ein erbärmliches Winseln. „Sieh an!“, keuchte der weißhaarige Zauberer. „Hrulotho, Khost und Kyylb vereint, nur um gemeinsam unterzugehen.“ „Hrulothos Bau wird ewig bestehen, Narr!“ Illwiß-Lumbato kicherte. „Hätte ich erfolgreich die Steinbestien von Yortheg-Hayi beschworen, dann wäre dein Bau jetzt Asche. Aber bald wird dort oben alles Asche sein, denn Geschöpfe jenseits aller Vorstellungskraft, die DREI WÜRMER CH’ROGAH, haben 17
Yortheg-Hayi vor zweitausend Jahren erobert und alle Steinbestien ausgelöscht. Und ich habe sie unabsichtlich erweckt und auf unsere Welt losgelassen...“ „Aber - es muß doch einen Ausweg geben, Illwiß-Lumbato.“ Kemzamk verstummte, als die Fluten hinter ihnen - ganz langsam - etwas Gewaltiges gebaren, dessen bloßer Anblick jeglichen Gedanken an Widerstand, jede Hoffnung auf Flucht, zu einem flüchtigen Nichts verdampfte... ef
Die Quel-iah ist von der Niederschrift des Scheiterns ihrer erbärmlichen Expedition ermüdet. Großmütig gestatte ich ihr, mit den Eintragungen in die Eroberungschronik von CH’ROGAH vorerst aufzuhören. Ihre Topazaugen glimmen matt und krank. Ich bin nicht verwundert darüber, denn es schadet ihrem Zwitterkörper, sich mit dem Kemzamk zu paaren - aber sie empfinden das eigenartige Gefühl ‘Trost’, wenn sie ihre schwächlichen Körper aneinanderreiben. Der Zursst sitzt nur da und starrt ins Leere - in seiner Seele scheint etwas zerbrochen zu sein. Der Energiekundige, der uns den Weg in die neue Welt geöffnet hat, hängt seit einigen Stunden still - er ist wohl verendet. Doch genug von meinen neuen Schoßtierchen. Bilder von oben erreichen mich... ROTER BRUDER WOHREZONLTH zertrümmert gerade die Wehr von Schloß Kosthogradh. GRÜNER BRUDER YHRUGLANLTH tanzt anmutig auf den brennenden Resten von Hrulotho’s Bau. Nur Kyylbs Wolkennest ist außerhalb ihrer Reichweite - und deshalb ist es an der Zeit, dass ich, DER SCHWARZE KYNCHIRUNLTH, Größter der DREI WÜRMER, durch den bodenlosen Schlund nach oben zu ihrer Unterstützung eile. Die Erregung des bevorstehenden Kampfes brodelt in meinen Neuronen - die lange Zeit quälender Stasis ist beendet. Und später - nachdem ich die Welt dort oben in Schutt und Asche gelegt haben werde - werde ich hierher zurückkehren und mich an Quel-iah’s Tränen laben ich, der majestätische, unsägliche EROBERER WURM!
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Ein Freund von Anthalerero
Tief im Herzen eines uralten Waldes, wartet im Schein des Vollmondes ein geheimnisvolles Wesen auf seine Entdeckung... Ein Mythos, nur noch aus Legenden bekannt, nimmt Gestalt an...
Der Wald lag nächtlich-ruhig vor Anthalerero, und die Wipfel der uralten Bäume schimmerten silbern im Schein des vollen Mondes. Auf seinem nachtschwarzen Pferd und durch seine dunkle Kleidung, war er nur als Schatten zu erkennen, der sich gegen den Himmel abhob. Was hatte ihn nur hierher getrieben? Mit einer ärgerlichen Geste warf er die Haare zurück, die ihm der aufkeimende Nachtwind ins Gesicht trieb. Bevor sein Pferd unruhig werden konnte, lenkte er es von der leichten Anhöhe herunter, und auf den Wald zu. Er hatte in den harten Jahren seiner Gefangenschaft, und in der Zeit in der er verzweifelt um Anerkennung gekämpft hatte, gelernt auf seine Intuition zu hören. Aber spätestens seitdem ihm das wahre Geheimnis seiner Existenz gelüftet worden war, maß er seinen Gefühlen und Gedanken besondere Bedeutung zu. Und diese sagten ihm, dass dies eine besondere Nacht war. Sofort, als sein Pferd den Wald betrat, spürte er den tiefen Frieden der in diesem herrschte. Fast, als hätte er Angst die Ruhe des Waldes durch den Hufschlag seines Pferdes zu stören, stieg er ab, und ließ das Pferd, das sich sofort der Vegetation am Waldboden zuwandte, zwischen den Stämmen stehen. Es würde nicht weglaufen. Beinahe lautlos schlich Anthalerero durch den dichten Wald. Seine mit weichen Lederstiefeln bekleideten Füße verursachten kaum ein Geräusch auf dem weichen moosigen Waldboden, als er durch das Gewirr aus uralten mächtigen Bäumen schlich. Nach einiger Zeit ging der lichte Mischwald in einen Hain aus dicken jahrhundertealten Eichen über. Er befand sich nun fast im Zentrum des geheimnisvollen Waldreichs, an einem seiner drei heiligen Plätze. Mit verträumtem Lächeln lehnte er sich an einen der dicksten Eichenstämme, und legte seine Wange an die raue Rinde des Baumes. Das weiche Drachenleder der Maske die sein Antlitz verbarg, ließ ihn jede noch so kleine Unebenheit der Rinde fühlen, so als ob sie wahrhaft über seine Haut gleiten würde. Ein seltsames Gefühl der Heiterkeit und der Lebensfreude überkam ihn, als er das pulsierende Leben in dem mächtigen Stamm fühlte. Einige Zeit verharrte er so, versunken in die Stimmung des Augenblicks, und gab sich ganz der Freude hin, die ihn durchströmte als er seine behandschuhten Hände über die raue Rinde der Eiche gleiten ließ. Wehmut schlich sich in seine Gedanken, als er sich endlich von dem Stamm lösen konnte, und seinen Weg durch den Eichenhain fortsetzte. Er warf noch einen letzten Blick auf die majestätische, vom Mondlicht geheimnisvoll beschienene Eiche, dann senkte er den Blick und schlich weiter. Es war wunderschön gewesen... doch das war es nicht das ihn hierher gezogen hatte. Ein leises Knacken durchbrach die heilige Stille des Waldes, und Anthalerero fuhr herum. Sein Blick fiel auf eine große Waldlichtung, die gerade eben noch nicht da gewesen war, und blieb an dem Wesen hängen, das dort stand. Reflexartig zog er sich lautlos in den Schatten der dicken Stämme zurück, um das unglaublich schöne Tier, das da unweit von ihm stand, beobachten zu können. Mehr und mehr der im Mondlicht silbern schimmernden Wesen traten aus dem Schatten der Bäume auf die Lichtung hinaus, bis diese von großen silbrigweißen Leibern übersäht war. Die edlen Wesen sahen Pferden zum verwechseln ähnlich, doch die großen weiß befiederten Schwingen verrieten Anthalerero ihre wahre Herkunft. Vor ihm auf der Lichtung stand eine Herde Bocher, jener legendärer geflügelter Rösser, die vor Urzeiten auf Criban lebten, und 19
von deren Existenz nur noch in einigen wenigen, fast vergessenen Legenden berichtet wurde. Aber sie lebten, und sie standen vor ihm. Doch Anthalerero hatte keine Augen mehr für die märchenhaft schönen weißen Rösser, deren Fohlen unbeschwert über die Lichtung tollten. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem majestätischen Hengst, der mit den Anderen auf die Lichtung getreten war, und nun in deren Mitte mit stolz erhobenem Haupt und anmutig ausgebreiteten Schwingen stand. Der Hengst war schwarz wie die Nacht, und als sich sein edel geformter Kopf in Anthalereros Richtung wandte, da war es ihm als ob ihn die glänzenden Augen des wunderbaren Tieres zu sehen schienen. Ein glockenhelles Wiehern drang an seine Ohren, als der Hengst auf die Hinterläufe stieg, und sich majestätisch aufbäumte. Nie hatte er etwas Schöneres gesehen, selbst der Anblick eines schimmernden Drachen, der mit ruhigen Flügelschlägen durch die Lüfte segelte, musste neben der Eleganz und der Schönheit dieses Tieres verblassen. Die anderen Bocher auf der Lichtung waren respektvoll zurückgewichen, als der prächtige Hengst für einen Moment seine geschmeidigen Muskeln spielen ließ, und einige Male kräftig mit seinen großen Schwingen schlug. Dabei hatte er sich ein Stück weit in die Luft erhoben, und landete nun wieder elegant mit allen Vieren auf dem mit dichtem saftigen Gras bewachsenen Boden der Lichtung. Der Hengst schnaubte leise, und schüttelte seine dichte lange Mähne, sodass sie ordentlich über die rechte Seite seines Halses fiel. Als sich der Kopf des prachtvollen Tieres nun wieder in Anthalereros Richtung wandte, da hatte dieser das Gefühl, als ob ihn der Hengst tatsächlich sehen konnte. Unablässig ruhten die glänzenden Augen des Bochers auf ihm und schienen bis tief in seine Seele vorzudringen. Langsam trat er aus dem Schatten der Bäume heraus, und auf die Lichtung hinaus. Der Blick des majestätischen nachtschwarzen Bochers folgte ihm unablässig, so als ob er nicht so genau wüsste, was er von dem seltsamen, maskierten nächtlichen Besucher halten sollte. Einige der weißen Bocher wurden unruhig, als sie des schwarz gekleideten Fremden gewahr wurden, doch ein leises, beruhigend klingendes Wiehern des großen Hengstes ließ sie sich augenblicklich beruhigen und keine Notiz mehr von Anthalerero zu nehmen. Zögernd ging Anthalerero auf den prachtvollen schwarzen Bocher zu. Es schien als würde das Tier auf ihn warten. Langsam, sich Schritt für Schritt vorwärtstastend, bewegte er sich auf die Mitte der Lichtung zu. Er spürte den warmen Atem des mächtigen Hengstes durch seine Maske, als er endlich vor ihm stand. Mit langsamen Bewegungen, um den Bocher nicht zu ängstigen oder zu erschrecken, streifte er einen seiner Handschuhe ab, und näherte sich vorsichtig dem Kopf des Tieres. Er musste dieses wunderbare Wesen einfach berühren, koste es was es wolle! Schon um sich zu vergewissern das es wirklich kein Trugbild war. Unendlich langsam näherte sich seine fahle, narbenbedeckte Hand der Schnauze des Hengstes, und berührte sanft die samtweiche Stelle zwischen seinen Nüstern. Der Bocher scheute ein wenig zurück, als er die Berührung fühlte, und musterte Anthalerero misstrauisch. Dann plötzlich tat er einen erkennenden Schritt nach vor, rieb seine Schnauze an der Schulter Anthalereros, und schnaubte dabei leise. Überglücklich streichelte Anthalerero zärtlich über Kopf und Hals des herrlichen Tieres, und schloss für einen Moment die Augen. Der Bocher löste sich von ihm, und als Anthalerero die Augen wieder aufschlug, gewahrte er das ihn die dunklen glänzenden Augen wieder aufmerksam beobachteten. Als er sich kurz umsah, bemerkte er, dass die weißen Bocher einen Kreis um ihn und den schwarzen Hengst gebildet hatten, und ihn ebenfalls unverwandt mit ihren klaren geheimnisvollen Augen ansahen. „Willkommen im heiligen Wald der Bocher, Anthalerero“, hallte eine sanfte Stimme in Anthalereros Gedanken. „Willkommen... willkommen...“, wiederholten weitere glockenhelle Stimmen wie ein Echo. Anthalerero war vollkommen überwältigt von den sanften Stimmen, die wie ein lauer 20
Windhauch direkt in seine Gedanken wehten, sodass er sich ihnen für einige Momente vollkommen hingab. Er sah nur noch die kreisförmig um ihn stehenden Bocher, und lauschte ihrem verzaubernden Willkommensgruß. Die Legenden berichteten zwar, dass Bocher, ähnlich der Drachen, der gedanklichen Kommunikation mächtig waren, aber sie berichteten nicht über ihre wunderbaren Stimmen... „Wer... wer bist du?“ sandte Anthalerero schließlich einen scheuen Gedanken an den großen schwarzen Hengst vor ihm. „Ich bin Anarecan, der Hüter der Geheimnisse“, antwortete der Hengst und senkte seinen Kopf zu einer angedeuteten Verbeugung. „Ich wurde vor Urzeiten von den Dreizehn erwählt euch zu begleiten, auf lichten und düsteren Pfaden. So seid ihr also meinem Ruf gefolgt, und habt mich gefunden, Anthalerero, Geburt der Macht.“ „Ich...“, setzte Anthalerero an, verstummte aber wieder, als die Nüstern des Hengstes die Maske berührten, die sein Gesicht bedeckte. Mit leisem Seufzen ließ er seine Hand wieder über den edel geformten Kopf des Bochers gleiten und spielte mit seiner langen Mähne. „Das war es also...“, murmelte er zu sich selbst. „Das war es, das mich hierher gezogen hat.“ „Ein... ein Begleiter? Für mich?“ fragten seine Gedanken den nachtschwarzen Hengst vor ihm. „Ja, Herr des Feuers. Ich wurde erwählt euch als Freund und Diener zur Seite zu stehen“, antwortete die Gedanken des schwarzen Bochers. „Als Freund...“, murmelte Anthalerero abwesend. „Du bist so wunderschön... du passt nicht zu einem düsteren Wesen wie mir...“ In der Stimme Anthalereros schwang auf einmal Traurigkeit mit, und ein melancholisches Lächeln glitt über seine verborgenen Gesichtszüge. Seufzend wollte er sich von dem prachtvollen Tier abwenden, doch er stutzte. Die anderen, weißen Bocher waren verschwunden. Das saftige Gras der Lichtung hatte sich in hartes, wild wucherndes Sumpfgras verwandelt, und die Bäume rings herum waren keine Eichen mehr. Er stand auf einer Lichtung, inmitten des lichten Mischwaldes den er vor einiger, so unendlich fern scheinender Zeit, durchschritten hatte. Der Vollmond beschien noch immer die Gipfel der Bäume, und ließ sie silbrig glänzend erscheinen. Hatte er geträumt? Als er sich verstört umwandte, sah er den prächtigen schwarzen Bocher weiterhin an demselben Fleck verharren, als ob er auf etwas warten würde. Vollkommen verwirrt kniff er die Augen fest zusammen, doch als er sie öffnete stand der nachtschwarze Hengst noch immer vor ihm. Mit starr auf ihn gerichtetem Blick, kniff er sich so fest selbst in die Hand, das ihm das Blut nachrann. Einmal.. zweimal... dreimal... Doch der Bocher stand weiter vor ihm, und musterte ihn aufmerksam mit seinen geheimnisvollen Augen. „Steigt auf, Majestät!“ sprach die sanfte Gedankenstimme des Bochers zu Anthalerero. „Ich soll...“, lautete Anthalereros verblüffte Antwort. Anstatt einer Antwort, wandte der Bocher Anthalerero einladend seine Flanke zu, und senkte seine noch immer erhobenen Schwingen. Zögernd trat Anthalerero neben den Bocher und streifte seinen Handschuh wieder über, ehe er vorsichtig den Ansatz einer der mächtigen Schwingen berührte. Ein verschmitztes Lächeln glitt plötzlich über sein, von der schwarzen Maske bedecktes Gesicht. Nun nicht mehr zögernd klopfte er dem Bocher sanft auf die Flanke. „Ich steige nur dann auf, wenn du mich nicht mehr mit ‚Majestät’ anredest, Anarecan“, sandte er seine Gedanken an den Bocher. „Wie du wünschst, Anthalerero“, antwortete der schwarze Henst, und schnaubte leise. Daraufhin griff Anthalerero wieder nach dem Flügelansatz des Bochers, und zog sich geschmeidig auf dessen Rücken, um sich zwischen dem Paar mächtiger Schwingen niederzulassen. Er spürte die geschmeidigen Muskeln des Tieres unter sich, als der Bocher seine Schwingen wieder ausbreitete und sich mit wenigen kraftvollen Schlägen in die Lüfte erhob. 21
Der nachtschwarze Mantel der Gestalt auf dem prachtvollen Bocher klaffte auf, und im silbernen Schein des Mondes funkelten aufwändige Stickereien auf einem tiefvioletten samtenen Waffenrock. Ein goldener Adler mit ausgebreiteten Schwingen, umgeben von den dreizehn silbernen Sternen der Hüter. Das Wappen der Zukunft. Und sein Träger hatte den Freund gefunden, den er so lange gesucht hatte.
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Bestimmung von Waldläufer
Er macht sich auf den langen Weg, um einen alten Bekannten zu treffen. Und um einen Kampf zu bestehen...
Er griff nach seinem Wanderstab, um sich auf den Weg zu machen. Es war ein gutes Stück, das er zu Laufen hatte. Jemand verlangte nach ihm. Seine Robe schimmerte in einem aussergewöhnlichen Blau, als der Schein des Feuers auf sie traf. Es war ein kleines Zimmer, in dem er sich befand. Dort stand nichts ausser einem kleinen Tisch und einem Bett, umzingelt von unzähligen, gestapelten Büchern. Langsam zog er an seiner Pfeife und dachte laut nach: „Wo wirst du erscheinen, mein Freund?“ Dabei stieß er grüne Rauchwolken in den Raum hinaus, die sich zu kleinen Kugeln verformten. Ein starkes Unwetter war diese Nacht aufgezogen. Ständig klapperte der Ast eines Baumes gegen die Wand seiner Hütte. „Ich sollte mich jetzt auf den Weg machen. Ich erahne, wo ich dich finden werde“, sprach er leise. Nachdenklich blickte er dabei mit seinen grünen Augen in das lodernde Feuer des Kamins. Deutlich waren die Furchen des Alters in seinem Gesicht zu erkennen. Das schulterlange Haar hatte ebenso wie sein gestutzter Bart, scheinbar schon vor sehr langer Zeit die kraftvolle, bräunliche Farbe verloren – nun war es schneeweiss. Plötzlich wand er sich um. Er griff nach einem großen, ledernen Beutel, den er auf seinen Rücken band, und begab sich durch die Tür hinaus, ins Freie. „Was ist das nur wieder für ein Wetter? Dafür bist du bestimmt mitverantwortlich“, brummte er vor sich hin. Er zog mit einem braunen, wie eine Zipfelmütze geformten Hut auf dem Kopf und seinen Stab führend, durch den Regen, der platschend auf ihn herab fiel. Seine Hütte lag auf einer kleinen Lichtung, an der Grenze zu einem dichten Wald. Dahinter ragte ein imposanter Berg zum Himmel empor, dessen Umrisse man selbst jetzt noch erkennen konnte - in dieser feuchten Sommernacht. Der Regen durchtränkte sein blaues Gewand bis auf die Haut. Der Pfad führte durch dichtes Gehölz und wurde vom hellen Schein des Mondes geleitet; eine Lücke hatte sich unverhofft in der Wolkendecke aufgetan. Er dachte wieder laut nach: „Du weisst, dass ich dich finden werde. Es ist eine Bestimmung, die uns zueinander führt!“ Der Marsch war sehr lang und anstrengend, fand er. Aber kannte er so viele Abzweigungen, die ihn schneller voran brachten, dass er mit dem Aufgang der Sonne bereits am Fusse des Berges stand. Von ein paar Kräutern, die er unterwegs gesammelt hatte, erhoffte er sich Stärkung. „Dort oben? Ich kann es spüren. Warum tust du mir so etwas an? Du weisst doch um meine alten Knochen!“ rief er und blickte verärgert hinauf. Sein Stab half ihm das Gleichgewicht zu halten und nicht wieder hinab zu stürzen, als er die erste Anhöhe zu besteigen versuchte. Zum Glück fand er schon bald einen kleinen Weg, auf dem es ausreichend Möglichkeiten gab, sich festzuhalten. Auch wenn er sehr steil nach oben führte. Viele Stunden vergingen. Durch den blauen, mittlerweile wolkenlosen Himmel bedingt, knallte die Mittagssonne auf seine Kleidung - als er scheinbar sein Ziel erreichte. „Das werde ich in guter Erinnerung behalten. Und du weisst, dass ich das werde“, brummte er und blickte sich um. Vor ihm lag eine sandige, ebene Fläche, die von gewaltigen, steinernen Runen umgeben war. Er befand sich auf halber Höhe des Berges. „Hier bist du also! Zeig dich, oder willst du einen alten Freund nicht begrüßen?“ fragte er mit lauter Stimme, während er sich, nach etwas Atem ringend, auf seinen Stab stützte. „Zeig dich!“ rief er, und begab sich langsam in die Mitte des Runen-Kreises, während das Echo 23
seiner Stimme widerhallte. „Du weißt um meine Geduld, also komm schon hervor!“ Seinen Beutel nahm er vom Rücken und legte ihn direkt vor seine Füße. Er öffnete ihn leicht, um scheinbar etwas von dem Inhalt in die Tasche seiner Robe zu bringen. „Na gut, ich warte!“ flüsterte er und stützte sich wieder auf seinen Stab. „Ich kann warten.“ Plötzlich bebte die Erde. Er musste aufpassen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, so überraschend kam es auf - und legte sich wieder. „Sieh an, sieh an. Du hast also doch noch vor, im Laufe des Tages zu erscheinen?“ spottete er laut. Das Beben überraschte ihn mit noch stärkerer Intensität. Ohne Halt zu finden, fand er sich auf dem Hosenboden wieder. „Deine Spielchen gehen zu weit. Entschieden zu weit!“ brüllte er ärgerlich und schlug mit der blanken Faust auf den sandigen Boden. „Dann will ich dich nicht länger warten lassen!“ erklang, wie aus dem Nichts, eine tiefe Stimme, deren Ursprung man nicht ausmachen konnte. Sie hallte aus allen Richtungen. „So ist´s recht!“ sprach der Zauberer. Er rappelte sich wieder auf die Beine, als sich plötzlich Risse im Boden auftaten. „Dass du immer solche Spielereien treiben musst. Kannst du dir das nicht irgendwann einmal abgewöhnen?“ „Du kennst meinen Geschmack!“ antwortete die Stimme trocken. „Ja, leider. Und das auch schon seit ziemlich langer Zeit.“ „Genug davon. Lass uns beginnen!“ schallte es in tiefem Ton, als aus den Spalten am Boden, goldene Strahlen zum Himmel empor stiegen, bis sich eine gewaltige, leuchtende Kugel direkt vor dem Zauberer gebildet hatte. „Du beeindruckst mich damit nicht im geringsten, und das weißt du!“ sprach er in gelangweiltem Tonfall. „Vielleicht irgendwann einmal“, lachte es, als die leuchtende Kugel explodierte. Der Zauberer musste seinen Hut festhalten, damit er ihm nicht auf und davon flog, so stark war sie. „Fangen wir jetzt endlich an?“ fragte er. „So sei es!“ donnerte die Antwort eines Dämons, der sich nun einige Meter entfernt befand. Er war gut doppelt so groß. „Schön dich wieder zu sehen Tyro-Sog!“ sagte der Zauberer mit einem verschmitzten Lächeln. „Auch ich freue mich, dich wieder zu sehen, alter Freund. Nennen sie dich immer noch Dabonn?“ fragte er und stampfte mit seinen gewaltigen, muskulösen Beinen auf den Boden. Die Augen dieses Wesens glühten feurig rot, als sich ihre Blicke trafen. Es war eine unerträgliche wirkende Gier in ihm, die er scheinbar zu unterdrücken versuchte. „So ist es und so wird es auch bleiben. Denn ich werde hier in Ewigkeit verweilen, wohingegen du mit der Ebene der Verbannten Vorliebe nehmen musst. Lass uns nun zur Tat schreiten. Ich erkenne deine Ungeduld, so schnell wie möglich dorthin zurück zu gelangen, Tyro-Sog!“ „Es ist immer wieder ein Genuss gegen dich anzutreten, Dabonn. Der Sieg ist ein befriedigendes Gefühl! Dreitausend Jahre im Exil habe ich genutzt, um meine Fähigkeiten zu stärken. Dessen solltest du dir bewusst sein!“ fauchte er. „Du beliebst zu scherzen. Wollen doch einmal sehen, ob überhaupt noch etwas von deinen alten Fähigkeiten geblieben ist.“ „Genug! Fangen wir an!“ brüllte der Dämon mit brachialer, wie von Ungeduld erfüllter Stimme. Feuer schnaubend stürmte er auf den Zauberer zu. „Diesmal wirst du derjenige sein! Ein Diener der Verbannten. ‘Du‘ wirst es sein!“ prophezeite 24
er in entsetzlich klingendem Tonfall, dass der Boden erschüttert wurde. Staub wirbelte auf. Kochend vor Wut war er dem Zauberer schon gefährlich nahe, als dieser blitzschnell in die Tasche seiner Robe griff. Er warf plötzlich einen eigenartigen glänzenden Stein, direkt in die Laufrichtung des Angreifers. Dabei bewegte er seinen Stock mit der freien Hand in sonderbaren, jedoch schnellen Bewegungen durch die Luft und sprach dabei: „Ihr Verdammten, euer geduldiger Diener ruft nach euch! Er will zurückkommen!“ Unter einem kleinen, silbernen Blitzgewitter öffnete sich ein leuchtend rotes Tor vor dem Dämon, der seinen Lauf nicht mehr stoppen konnte. Er sah nur den Sieg vor Augen – seinen Gegner auf einfache Weise zu zerschmettern. „Neeiin!“ brüllte er so laut, dass die Runen, die den Platz umgaben, kleine Risse bekamen. Die Muskeln quellten bedrohlich auf. Er versuchte vergeblich zu entkommen, als sein Körper von dem erschienenen Tor verschluckt wurde. „Ich hätte ihm noch sagen sollen, das nächste Mal nicht schon wieder einen Berg als Austragungsort zu wählen. Aber darüber kann er ja noch nachdenken. Die Zeit hat er...ich möchte gar nicht an den Abstieg denken!“
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Eine Episode aus dem Leben des Fidelius Kannsgut von Bettina Haug
Ein alter Magier und sein Kater ziehen über Land. Ihre Zaubermedizin hat manchmal ungeahnte Wirkung...
Der Planwagen kam schaukelnd und mit einem unangenehmen Knirschen zum Stehen. Arthur tat einen Satz nach vorne, blickte Fidelius aus gelben Augen an und fauchte empört. „Schon gut, Arthur.“ Fidelius hob beschwichtigend die Hand und kraulte dem schwarzen Kater die Ohren. „Ich kann auch nichts für die Schlaglöcher auf diesem vermaledeiten Weg!“ Fidelius rappelte sich ächzend hoch, und kletterte vom Bock des Wagens auf die Straße, um sich den Schaden anzusehen. Oh, wenn er doch nur ein paar Jahre jünger wäre! Mühsam bückte er sich, um das Wagenrad zu begutachten. Seine Hände, die in fingerlosen, mit Löchern bestückten Handschuhen steckten, tasteten die Strebe ab. Arthur war ihm auf die Schulter gesprungen; auch er schien sich das Unglück ansehen zu wollen. „Arthur, was machen wir jetzt bloß?“ „Miau.“ „Meinst du, das ist eine gute Idee? Na gut, schlimmer kann’s ja nicht mehr kommen.“ Fidelius schüttelte Arthur von seiner Schulter, und miauend sprang der Kater auf die Straße. Der alte Mann klopfte sich in einer theatralischen Geste den Staub von seinem zerschlissenen grauen Mantel und den dünnen, mit Flicken übersäten Hosenbeinen, danach strich er sich glättend über die wallende graue Haarmähne. Breitbeinig positionierte er sich vor dem Wagenrad, hob die Arme und....senkte sie wieder. Nachdenklich streichelte er sich über seinen dichten, verfilzten Bart. „Wie war der Spruch noch gleich? Ah, jetzt hab ich’s. Ähem!“ Wieder hob der alte Kauz die Arme. „Witsch watsch wutsch, Rad ist nicht mehr futsch!“ Ein Blitz schoss aus den Händen des alternden Magiers und traf das Rad. Einen Moment lang sah es so aus, als ob sich das Rad tatsächlich wieder ohne Bruchstellen an die Nabe fügte, doch dann gab es einen lauten Knall, ein Zischen und... das Rad fing Feuer. „Nein, oh nein, oh nein, was habe ich nur wieder gemacht!“ Fidelius schüttelte verzweifelt den Kopf, Arthur saß mittlerweile auf dem Wagen und fauchte das brennende Rad an. Wieder hob der senile Magier die Hände. „Äh, Russ, riss, rass, alles ist jetzt naß!“ Diesmal blieb der Blitz aus, doch Sekunden später befand sich der Wagen mitsamt Arthur und Fidelius unter einer dicken schwarzen Regenwolke wieder, die wahre Sintfluten ausschüttete. Wütend fauchend schoss Arthur einige Meter vom Wagen weg, und schüttelte sich die Tropfen ab. Fidelius bedachte ihn mit einem entschuldigenden Blick, als er selbst auch aus dem Wolkenbereich heraustrat. Er war triefnass, alles an ihm glich einem nassen Lappen. „Du mußt zugeben, daß es funktioniert hat“, verteidigte sich der alte Magier. Jetzt ebbte der Regenguss ab, und die Wolke verschwand. Stunden später, Fidelius‘ Reparaturzauber waren endlich von Erfolg gekrönt, ratterte der Planwagen wieder die Straße entlang. Das besagte Rad war zwar jetzt leuchtend rot – aus welchen Gründen auch immer, vielleicht ein ‚wit wat wot‘ zuviel – aber es tat seinen Zweck. „Arthur, wenn wir das nächste Dorf erreichen, müssen wir eine gute Medizin zu verkaufen haben, damit wir wieder ein paar Wochen über die Runden kommen. Wir werden in dem Wäldchen dort drüben rasten und eine brauen.“ Fidelius stellte den Planwagen am Rand des Wäldchens ab. Er entfachte ein Lagerfeuer – auf 26
herkömmliche Weise, zaubern war ihm so nahe an so viel trockenem Holz dann doch zu riskant – und briet sich, auf einen Holzstecken gespickt, eins der Hühner, die er gestern auf dem Markt des letzten Städtchens, das sie besucht hatten, erworben hatte. Satt und schläfrig saß Fidelius, Arthur lag schnurrend auf Fidelius‘ dickem Bäuchlein, vor dem Feuer. Am anderen Morgen begann der alte Kauz damit, Kräuter für seine Medizin zu suchen. Mit allen erdenklichen Blütenranken und Kräuterwurzeln kehrte er einige Zeit später von seiner Suche aus dem Wald zurück. Er war sich noch nicht ganz schlüssig darüber, was er brauen wollte, so hatte er einfach von allem ein bisschen gesammelt. Im Planwagen befand sich sein ‚Labor‘. Auf einem festgenagelten Holzbrett auf einer Seite des Wagens türmten sich zahllose Tiegel und Flaschen. Fidelius warf die Pflanzen achtlos auf den Boden des Wagens und setzte sich auf den kleinen Schemel, der vor seiner Arbeitsplatte stand. Er nahm das dicke, braune Buch zur Hand, dessen vergilbte Seiten verdächtig bröselnd knisterten, als er sie umblätterte. ‚Kreuzschmerzen‘, las er da. ‚Gedächtnisausfälle‘ oder auch ‚Schwindelattacken‘. „Nein, nein, nein“, brummelte Fidelius in seinen Bart. „Ich möchte mal etwas Aufsehen erregendes machen. Ah, ja, das ist gut, das ist wunderbar!“ Fidelius tippte vergnügt auf die Stelle im Buch. ‚Unlust in der Liebe‘ – ja, die Worte schienen ihn sozusagen anzuflehen. „Miau.“ „Arthur, ich bitte dich, so einen kleinen Liebestrunk werde ich doch noch hinbekommen.“ Fidelius klopfte sich voller Vorfreude auf sein Bäuchlein und lachte. „Ich fange gleich an. Mal sehen...“ Er las die Zutatenliste. Hastig kramte er in den Kräutern und Blüten nach den benötigten Dingen. „Jetzt hab‘ ich alles außer Lavendelblüten.“ Fidelius strich sich wie immer, wenn er nachdachte, über den Bart. „Na ja, Rosenblüten tun’s bestimmt auch.“ In kleinen flachen Schälchen bröselte er sodann als Probe jeweils ein kleine Menge der Zutaten hinein. Jetzt nahm er eine etwas größere Schüssel und schüttete die Proben hinein. Er goß aus einem Kanister, der neben der Platte stand, einige Tropfen Wasser darauf. Die Schüssel stellte er auf ein eisernes Gestell, unter dem ein kleiner Kerzenstummel stand. Der alte Magier runzelte die Stirn, hob dann einen Finger, und flüsterte, wie um seinen Worten das Gewicht zu nehmen: „Zup zip zap, Feuer – aber knapp! Wabe wube wiebe, schön ist doch die Liebe!“ Eine Stichflamme schoss Richtung der Kerze, erwischte einen der Bartzipfel Fidelius‘ und schreiend sprang dieser hoch. Hektisch klopfte er mit seinem Mantel seinen Bart aus. Mit Schmollschnute begutachtete er den Schaden an seinem Bart. „Ich habe gesagt: Aber knapp! War das denn zuviel verlangt?“ Brummelnd setzte er sich wieder und beobachtete, wie das Gebräu in der Schüssel zu kochen begann. Es gab ein leises ‚Puff‘, bevor die Flüssigkeit aufhörte zu kochen, und still da lag. Die Kerze war von selbst erloschen. Fidelius wiegte den Kopf hin und her. „Hmmm, nichts passiert, und der Trunk sieht gut aus. Wunderbar! Ich bin doch gar nicht so schlecht.“ Sich die Rosenblüten und die anderen Zutaten schnappend, watschelte er nach draußen. An seiner Feuerstelle, das große Feuer entfachte er lieber wieder von Hand, hängte er einen großen Kupferkessel auf, den er mit Wasser aus einem nahe gelegenen Bach gefüllt hatte. Die Kräuter fanden ihren Weg in den Kessel. Nach einem letzten zögernden Blick auf die Rosenblüten warf er sie auch in den Topf. Die Zutaten lösten sich auf, der Inhalt begann zu blubbern und färbte sich von rot ins blau und wieder in gelb. Kleine, zischende Luftblasen schossen aus der Flüssigkeit, die jetzt die Farbe eines Amethysts besaß. Fidelius stellte sich vor den Topf, und blickte sicherheitshalber noch einmal in das Buch, das er mit hinausgenommen hatte. 27
„Wabe wube wiebe, schön ist doch die Liebe!“ Es gab einen monströsen Knall, der von einer lilafarbenen Gaswolke, die aus dem Kessel kam, begleitet wurde. Dann war alles still. Die Luft war wieder klar, die Flüssigkeit lag mit glatter Oberfläche in dem Topf. Fidelius klatschte in die Hände. „Es hat funktioniert!“, freute er sich. Schnell eilte er zum Planwagen, holte alle Tiegel, Flaschen und Dosen heraus, die er fand und füllte mit einem hölzernen Schöpflöffel die Flüssigkeit in die Behälter. Arthur saß miauend neben dem Geschehen. „Nun mal doch nicht immer so schwarz, Arthur“, schimpfte Fidelius mit dem Kater. „Es sieht doch gut aus, oder? Außerdem duftet es nach Rosen, allein das wirkt schon als Aphrodisiakum. Also, hör‘ auf, an meinen Zauberkünsten herumzumäkeln!“ Zwei Tage später erreichten Fidelius und Arthur den nächsten Ort. ‚Mirkaufetälles‘ stand auf einem Holzschild, das wohl die Grenze des Örtchens bildete. Fidelius, von seinem Liebestrunk überzeugt, lenkte den Wagen voller Verkaufsfreude Richtung Ortsmitte. Wie in den meisten Ortschaften, die er passierte, war auch hier ein kleiner zentraler Platz vorhanden, an dem die Leute Handel trieben. Stände mit Obst und Gemüse, Eiern und Brot waren in einem Kreis rund um den Platz aufgebaut. Auch Tuch Nähmaterial konnte man hier erwerben. Kreischend kamen ein paar Kinder näher, um den seltsamen Besucher mit der Flickenhose und dem langen Bart zu beäugen. Schwatzende und kichernde Marktfrauen scharten sich in Grüppchen zusammen, um den Händler erst einmal von weitem zu begutachten, auch ein paar Männer blieben stehen. An einem zentralen Brunnen standen vier oder fünf ältere Frauen, mit Krügen und Eimern beladen. Halb misstrauisch, halb begierig fixierten sie den alten Mann. Fidelius setzte sein tüchtigstes Lächeln auf, stellte sich auf den Bock des Wagens und rief: „Ich wünsche einen wunderschönen guten Tag, liebe Leute! Ich bin der fahrende Magier Fidelius Kannsgut, und bin hier, um euch eure geheimsten Wünsche zu erfüllen.“ Neugierig kichernd kamen einige der jungen Mädchen herbei. „Und was sind denn unsere geheimsten Wünsche?“, schnatterten sie und schubsten sich gegenseitig an. „Meine sehr verehrten Damen, ich habe etwas bei mir, das wird euren Liebsten dazu bringen, euch Tag und Nacht zu begehren“, behauptete Fidelius, den aufgeregten Mädchen mit verschwörerischem Blick zublinzelnd. „Und es kostet euch nur einen kleinen Vorrat an Nahrungsmitteln, damit ich wieder weiterreisen kann, ohne zu verhungern.“ Mit Hundeblick betrachtete er die Mädchen. Auch viele der anderen Leute waren jetzt näher getreten. „Ein Liebestrank also, ja?“, wollte ein Mann wissen. „Gut, ich gebe dir einen meiner Hähne hier. Aber wenn das Zeug nicht wirkt...“ Fidelius hob beschwichtigend die Hände. „Oh, mein sehr werter Herr, es wird funktionieren, glaubt mir. Hier...“ Der alte Magier holte eins der amethystfarben leuchtenden Tiegelchen hervor und drückte es dem Mann in die Hand. Dieser streckte ihm einen geköpften Hahn hin, und verschwand in einem der Häuser. „Wahrscheinlich will er gleich heute Abend ausprobieren, ob die alte Nora doch noch auf ihn anspricht“, kicherte eine der Frauen. „Gebt mir auch eines!“ „Und mir auch.“ „Ich will auch eins.“ Fidelius war sein ganzes Liebestrank-Arsenal innerhalb weniger Minuten los. Zufrieden, den Wagen mit Vorräten vollgestopft, beschloss er, noch in eins der Wirtshäuser zu gehen, um ein kühles Bier zu trinken. Zur gleichen Zeit saß Ines, eine der schon etwas älteren und frustrierteren Frauen, die den Trank von Fidelius erworben hatten, in ihrem Haus beglückt auf dem Schoß ihres Gatten, der 28
gerade damit begann, ihr begierige Küsse auf den Hals zu geben. Immer fordernder wurden sein Küsse und seine Hände suchten sich Wege, von denen Ines nicht mehr gewusst hatte, dass ihr Mann fähig war, sie zu finden... Voll feuriger Leidenschaft nahm er sie jetzt auf die Arme und trug sie nach oben in die Schlafkammer. Dort angekommen, zerrte Ines hastig an den Kleidern ihres Mannes, als dieser plötzlich... „Aaah“, schrie Ines. „Was ist das?“ In dem Gasthaus, in dem sich Fidelius inzwischen eingefunden hatte, war es voll und laut, die Leute redeten durcheinander, das Bier tat ein übriges dazu. Fidelius seufzte wohlig; so ein gutes Geschäft hatte er schon lange nicht mehr gemacht. Die Leute waren so begierig darauf gewesen, den Trank zu kaufen, als wären sie davon magisch angezogen worden. Na, ihm sollte es egal sein, Hauptsache, er konnte die nächsten Wochen ohne Sorgen leben. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und eine aufgebrachte Frau namens Ines kreischte: „Wo ist dieser Quacksalber?“ Fidelius duckte sich instinktiv, als er dieses Wort hörte. Aber die Frau hatte ihn schon gesehen. „Du!“ Sie baute sich vor Fidelius auf. „Was hast du mit meinem Mann gemacht? Erst rennt er wie wild gewordener Brunfthirsch hinter mir her, und bezirzt mich mit allen möglichen Reden, und was ist dahinter?“ Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, Fidelius zuckte zusammen. „Kein feuriger Liebhaber?“, wagte der alte Magier zu fragen. „Feuriger Liebhaber? Feuriger Liebhaber?“, schrie die Frau. „Wir waren in der Schlafkammer, ja, soweit wunderbar. Doch auf einmal zog er was weiß ich woher, Rosenblüten aus seinem Körper, sie schienen aus seiner Haut zu kommen! Auch aus dem..., na ja. Er warf die Rosenblüten um sich, und beachtete mich gar nicht mehr! Mit den Rosenblüten legte er sich ins Bett und küsste sie! Und zu mir sagte er: Frau, geh‘ raus, ich will jetzt mit meinen Rosen allein sein.“ Mit funkelnden Augen blickte die Frau Fidelius an. „Um gegen Rosenblüten ausgetauscht zu werden, habe ich den Tiegel nicht bei dir gekauft, du Scharlatan! Gib‘ mir sofort meine Brote zurück, die ich dir gegeben habe. Und mach, dass mein Mann wieder normal wird!“ Fidelius stand zitternd auf, und hob abwehrend die Arme. „Meine gute Frau, das ist sicher nur ein Missverständnis. Wahrscheinlich setzt die Wirkung erst später ein, vielleicht sollten sie mal nach ihm sehen, es könnte sein, dass er sie jetzt sehnsüchtig erwartet.“ Der alte Magier machte ein paar vorsichtige Schritte Richtung Tür. Er warf dem Wirt einige Münzen zu und meinte: „Ja dann wird es wohl Zeit für mich zu gehen.“ Die Frau jedoch rannte hinter ihm her. „Was ist mit meinem Mann?“ „Ich bin sicher, das dies nur eine vorübergehende, äh, Nebenwirkung des Trankes ist.“ Schnelleren Schrittes entfernte sich Fidelius nun in Richtung seines Planwagens. „Da ist er!“, hörte er da eine Stimme rufen. Dutzende Männer und Frauen mit aufgebrachten Stimmen rannten jetzt über den Marktplatz. „Überall nur diese Rosenblüten. Ich will meine Frau zurück.“ „Mein Mann rezitiert nur noch Gedichte über Rosen!“ „Rosen, Rosen. Ich bin allergisch auf Rosen!“ Fidelius, seine alten Knochen liefen zu Höchstleistung auf, stürzte sich auf seinen Wagen. Er hob die Arme und rief: „Minde mande munden, fix bin ich verschwunden!“ Der Planwagen ruckelte langsam und gemütlich über die holperige Straße. Arthur saß neben Fidelius auf dem Wagenbock. Die gelben Augen blickten ihn vorwurfsvoll an. „Schon gut, schon gut, die Rosenblüten waren keine gute Idee. Nächstes Mal halte ich mich genau an die 29
Rezeptur.“ „Miau.“ „Aber du musst zugeben, dass mein Verschwinde-Zauberspruch wie nix funktioniert hat. Den kann ich immer noch am besten.“ „Miau.“ „Immer musst du meckern, Arthur. Du bist schlimmer als eine Ehefrau. Mecker, mecker, mecker...“ Fidelius und Arthur verschwanden, in ihrem Planwagen sitzend, schaukelnd in Richtung der nächsten Ortschaft, die sie beglücken konnten...
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Rubin von Yvonne Gees
Untreue wird das Herz brechen! - Das Geheimnis eines Souvenirs...
Aus Richtung Meer kam der Wind mit ungestümer Wut und peitschte die Wellen wie ein jähzorniger Hirte seine Tiere. Zwischen Schal und Kapuze lugten einzig Selinas Augen hervor, den Blick Richtung Horizont gerichtet, der irgendwo im Grau zwischen Meer und Himmel verschwamm. Lang schon waren die Masten des Schiffes eins geworden mit dem trüben, bleifarbenen Ozean. Die linke Hand der jungen Frau umfaßte, tief in der Manteltasche vergraben, den kühlen, glatten Stein: „Halte unsere Liebe in Ehren, so wird das Herz keine Schaden nehmen“, das waren Maros Worte gewesen. „Untreue aber wird das Herz zerbrechen.“ Maro und seine Magie. Ein Lächeln spielte um Selinas blaue Augen. Wehmütig zwar, doch ihr Blick war klar und tränenlos. Wer wußte schon, ob sie sich jemals wiedersehen würden? Die Fahrt über das Meer barg unabsehbare Gefahren in sich. Das Tosen der Wellen und das Heulen des Windes waren die einzigen treuen Begleiter der Besatzung. Wer sich für das Meer entschied, traf häufig seine Entscheidung für den Tod. Ein Schaf aus Holz lag in der staubigen Dunkelheit. Die weiße Farbe löste sich an vielen Stellen ab, das Holz war verkratzt. Kinderhände hatten es im Spiel nicht eben zart angefaßt. Doch man hatte das Schaf geliebt, irgendwann einmal. In der Schublade bei dem Schaf lag ein kleines Herz aus rotem Stein. Zufällig war das Herz, als man es hineingeworfen hatte, auf einem schmutzigen, zerknitterten Taschentuch gelandet. Draußen im Raum, wo Licht herrschte, plapperte Selinas Stimme aufgeregt: „Eni, tausend schöne Dinge! Alles, was mein Herz sich wünschen kann! Er ist ein wirklicher Herr, das sage ich dir.“ Selinas Freundin Eni stieß zur Antwort ein helles Lachen aus. „Du wirst sehen, Eni,“, sagte Selina wiederum, „was für ein Herr er ist.“ Selinas Schritte auf dem Teppich. Dann bebten Herz und Schaf für einen Augenblick, als sie die benachbarte Schranktür öffnete. „Hier“, rief Selina triumphierend aus. „Das hat mir Elmor geschenkt.“ „Oh, Selina!“ erklang Enis überraschte Stimme. „Sind das echte Juwelen?“ „Elmor ist ein Herr“, stellte Selina zutiefst befriedigt fest. „Und sieh: Er hat sich tatsächlich in mich verliebt. In die kleine Selina.“ Warm war Elmors Kuß. Und kalt war das Gold auf ihrer Haut. Als das Herz im Schrank in zwei Hälften zersprang, regneten winzigkleine Rubinsplitter auf das Schaf herab. Ein Brief aus der Fremde. Von Maro. „Fast ein Jahr war ich nun fort, doch nun bin ich nahe dem Heimathafen. Ich kehre zurück zu dir“, sprach Selinas Stimme Maros Worte, den Brief in der zitternden Hand. Stille trat ein. Enis Augen blickten forschend. „So bald kehrt er also zurück“ murmelte Selina und ließ den Brief langsam sinken. „Er sagte, er geht für Jahre. Ob er wohl für immer bleiben will?“ „Willst du ihn zurück?“ fragte Eni. Selinas Antwort war ein Seufzen. 31
„Willst du ihn zurück – oder nicht?“ hakte Eni abermals nach. „Elmor hat Geld“, sagte Selina. „Und Ansehen. Und die besten Manieren. Doch Fantasie hat er nicht. Ich vermisse Maros Geschichten.“ „Nur seine Geschichten?“ wollte Eni wissen. „...seine Geschichten“, wiederholte Selina. „Und seine Wärme, vielleicht.“ „Du solltest es beenden, solange noch Zeit ist“, war Enis Rat. „Es gibt Dinge, die sind mehr wert, als Geld und Ansehen. Das weißt du selber.“ Die Schublade ging auf und Tageslicht fiel auf das Schaf, das glitzerte wie Sternenstaub. Doch Selina hatte kein Auge für das alte Kinderspielzeug. In ihre Hände nahm sie zitternd die zerbrochenen Hälften des Herzens. Sie hatte die Warnung für eines von Maros Märchen gehalten. Doch nun mußte sie erkennen, daß seine Magie lebte. „Ja, ein solches Herz kann ich neu fertigen“, sagte der alte Mann, während er noch durch die Lupe auf die zerbrochenen Hälften starrte. „Doch Sie sind sich bewußt, junge Dame,“, er hob den Blick, „daß es sich hier um einen teuren Rubin handelt?“ Selina stockte einen Moment lang der Atem: Kein Glas? Kein billiger Tand? Der Mann fragte: „Soll die Neuanfertigung nun auch aus Rubin bestehen?“ In seinen Augen stand die Frage geschrieben: Können Sie sich das überhaupt leisten? Doch Selina nickte nach nur kurzem Zögern. Ja, sie konnte. Der Schmuck, die Pelze: Elmors teure Gaben. Sie würden genug Geld bringen. Wenn das Herz ganz war, wenn Maro zurückkam, dann würde sie wieder seine zauberhafte Welt mit ihm teilen können. Vergangen und vergessen, murmelte die junge Frau, als die beiden roten Sterne ihre Flugbahn senkten und ins graue Meer eintauchten. Das zerbrochene Herz war nun für immer fort, vor Maros Augen verborgen. Selina hielt das neue Herz in ihrer Manteltasche fest umfaßt. Es würde ihr Glück bringen für einen neuen Anfang. Und am Horizont erblickte sie das Schiff, das Maro nach Hause trug. Zurück zu ihr. Maros Arme schlossen sich um Selinas Körper. Sonnenstrahlen funkelten in seinen warmen Augen, als er sie anblickte und lächelte: „Du hast mich hier erwartet, wirklich und wahrhaftig? Ich hätte kaum daran geglaubt, nachdem...“. „Alles ist gut, Maro“, lächelte Selina zurück. „Wenn du nur von nun an bei mir bleibst.“ Ihre Hand glitt in die Tasche und zauberte das rote Herz hervor: „Dies ist das Pfand meiner Liebe, Maro.“ „Das Herz...“, murmelte Maro, den Blick auf ihre Hand gesenkt. Und dann: „Ich muß nun gehen, Selina. Daheim erwartet man mich.“ Und fort war er. Selina spürte noch die Wärme seiner Wange auf ihrer. Doch ihn selber hatte der rege Betrieb am Hafen verschluckt. Aus Richtung Meer kam der Wind mit ungestümer Wut, als Maro an der Pier stand und in die Ferne schaute. Irgendwo am Ende der Welt, so schien es ihm, lag das Paradies im Sonnenschein. Warme, braune Haut und ein liebes, sanftes Lächeln. Doch die Frau, die er im Paradies zurückgelassen hatte, bot ihm keinen festen Halt. Eine aufregende Schönheit war sie gewesen, doch bei ihr gab es keine Treue. Und daheim, so hatte er geglaubt, wartete ein treues Herz, das vielleicht verzeihen konnte. Doch nun würde Maro wieder fortgehen, diesmal für immer. Das rote Herz in Selinas Hand hatte seinen Traum zerschlagen. Untreue aber wird das Herz zerbrechen.
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Marmor von Yvonne Gees
Ein Herz aus Stein kann Liebe nicht erzwingen. Es bringt den Tod...
Stille. Nur die eigenen Schritte auf dem festen Lehmboden. Er war der einzige Lebende inmitten der Toten: Janus, der große Meister der marmornen Bildwerke. Janus, der kaltem Stein eine Seele zu geben vermochte... Und hier war der freie Platz, zu dem seine Schritte ihn gelenkt hatten, ganz in silbriges Mondlicht getaucht. Der Ort, der für das größte seiner Werke bestimmt gewesen war, das Feld seiner kühnsten Träume: Große, freie Fläche im Mittelpunkt dieser dichtgedrängten, unzähligen dunklen Gräber und kunstvollen, kleinen Steinmonumente. Hier hätte es stehen sollen, das formvollendete machtvolle Lebenswerk eines großen Bildhauers: Der ganze Stolz eines kühnen, grenzenlos ehrgeizigen Künstlerherzens. Ein monumentales Grabmal für den äußerst finanzkräftigen Grafen, der sich seinerseits ein Stück steinerne Ewigkeit hatte sichern wollen. Doch das Schicksal hatte Janus einen Haken geschlagen. Seine eigene Tochter hatte sich gegen ihn gewandt - trotziges, kleines Geschöpf, das sie war. Kurzsichtige, vergängliche Gefühle hatten das Kind gegen den eigenen Vater getrieben – und gegen den Grafen, der wahrlich ein Verehrer echter Schönheit war. Kleine, dumme Elena. Ein echtes Kind war sie noch, mit der Anmut einer von der Natur reich beschenkten Frau. Der Graf hatte gar nicht mehr die Augen von ihr abwenden können, so bezaubert war er gewesen. Er hatte ihr tatsächlich den Hof gemacht – man stelle sich vor, der Graf persönlich! Und dieses dumme Kind war verstockt gewesen, wie ein störrischer Esel. Nein, sie wollte den Grafen nicht! – Bitten, Befehle und sogar Schläge hatten sie nicht umzustimmen vermocht. Und nun war es fort, das dumme Kind. Schlief vermutlich in der Gosse, statt sich im gräflichen Schloß in Samt und Seide zu hüllen... Und Janus‘ begonnenes Werk, der große Traum seines Lebens, lag hinter verriegelten Toren in der großen Halle, direkt beim Schloß. Nur eine einzige Figur fehlte noch zur Vollendung – und die würde des Bildhauers Hand niemals aus dem Stein zum Leben erwecken: „Der Marmor ist mein bezahltes Eigentum“, hatte der Graf dem Bildhauer mit harter Stimme erklärt. „Jeder Stein, ob bereits behauen oder nicht, gehört mir. Wenn es mir gefällt, kann ich jedes einzelne Stück davon ins Meer werfen lassen. – Finde Elena und bring sie zu mir zurück. Dann mag ich dir erlauben, dieses Werk zu vollenden“ Janus betrat den Platz, der für sein Kunstwerk vorgesehen war. Lehmige Erde unter seinen Schuhen. Die Welt drehte sich im Kreis, kaltes Licht spiegelte sich auf glänzendem Stein: „Verdammt seist du, meine Tochter!“ schrie er in die Stille der Nacht und konnte sich seiner Tränen nicht erwehren. Rastlos setzte er seinen Weg fort, das Herz voller Zorn und Schmerz. Er schritt achtlos über Gräber, die Welt um ihn hatte seinen Respekt nicht verdient. Der kleine Engel zog seinen Blick auf sich: Rundes, volles Gesicht. Riesige Unschuldsaugen. Pfeil und Bogen in der Hand, Marmorköcher auf dem Rücken. Die Haut war pechschwarz und glänzend, der Gesichtsausdruck nicht von dieser Welt. „Cupido“, sagte Janus mit für ihn selbst überraschend sanfter Stimme. „Kleiner Cupido... Geh doch und verschieße deine kleinen Pfeile, um Elenas Herz zu durchbohren...“. Er ließ sich vor dem Kinderengel auf die Knie fallen. Er erforschte das starre Gesicht des kleinen schwarzen Marmorknaben, der mit seinem Pfeil auf das Grab zu seinen Füßen zielte. „Nicht an die Toten sollst du dich verschwenden“, mahnte ihn Janus. „Die Lebenden sollen 33
deine Pfeile spüren.“ Die Stimme hinter seinem Rücken ließ ihn auf die Beine springen und herumfahren, denn er hatte sich als einziger nächtlicher Besucher des Friedhofs gewähnt: „Ihn kann nichts bewegen“, sagte die alte Frau und zog den schwarzen Witwenschal um ihren Kopf. „Er ist ganz aus kaltem Marmor - auch sein kleines, steiniges Herz.“ „Dann kann mich nichts mehr retten“, erwiderte Janus und warf keinen Blick zurück, als er mit schnellen Schritten seinen Weg fortsetzte.
Und wieder die eigene, kleine Werkstatt, die sich beengend um ihn schloß. Seinem grandiosen Streben war für immer enge Grenzen gesetzt: Die große Chance kommt nur ein einziges Mal im Leben, und danach steht allein noch der Tod... Die große Selbstverwirklichung würde nie wahr werden. Ein einziges, kleines Stück Marmor lag in der Werkstatt, in das Janus zornig den Meißel bohrte. - Wie lief die Aderung? Was wollte der Marmor dem Künstler sagen? – Zerbrich mich nicht! Ein dunkler, klaffender Riß öffnete sich mitten im makellosen Stein, der Meißel rutschte daran ab und brach den Marmor vollends entzwei. Weißer Steinstaub bedeckte Janus` Hände und Arme, wirbelte wie feiner Nebel in der Luft. Janus drehte den Meißel um, setzte ihn an sein Herz. Ein wahrer Künstlertod. Der Hammer lag schwer in der Hand. Das helle Lachen kam vom geöffneten Fenster. Ein schwarzes, pausbäckiges Gesicht, lugte durch den weißen Marmorstaub zu ihm herüber. Das Licht der in der Werkstatt entzündeten Öllampen spiegelte sich auf der glatten Steinhaut. Eine kleine, schwarze Hand streckte ihm einen steinernen Pfeil entgegen. „Cupido...“. Janus ließ das Werkzeug sinken, starrte durch den Raum auf seinen kleinen, marmornen Besucher: Wahrlich, Marmor hatte eine Seele... Vom Fenster begegnete ihm ein langer Blick aus weit geöffneten Augen, die nicht zwinkern konnten. Glockenhelles Kinderlachen lag in der Luft, doch der winzige, schwarz glänzende Mund zeigte kein wirkliches Lachen. Die Mimik war maskenhaft steinern, und doch auf ihre Art spirituell. Dunkle Marmorlocken kräuselten sich in ewig gleichbleibender Formvollendung auf den fleischigen Schultern. „Verschieß deine kleinen Pfeile, mein Cupido...“, raunte Janus dem Steinwesen zu. „Triff Elena direkt in ihr Herz, so daß ihr Trotz für immer vergeht. Nur durch sie kann ich mein Lebenswerk vollenden...“. Die winzigen, schwarzen Finger umschlossen den Pfeil sichtlich fester - ein langsamer, doch keinesfalls träger Griff an die Schulter, wo der Bogen hing. Dann ein letzter langer Blick aus leeren, ganz schwarzen Augen – und die kleinen Marmorflügel trugen den Engel lautlos fort in die Lüfte, wo er rasch in der Dunkelheit verschwand.
Die süße, helle Stimme erweckte Elena aus ihrem Schlaf. Um sie herum war Finsternis, als sie die Augen aufschlug: War da ein Kind bei ihr in der kargen Stube? „Elena“, rief das helle Stimmchen sie beim Namen. „Elena! Wach auf aus deinen Träumen...“. Einschmeichelnd zart, dieser weiche Ton. Wie die Stimme eines Engels... Elena entzündete die Lampe neben ihrem Bett. Das Licht war schwach und tanzte unstet. Es zauberte mehr Schatten, als Helligkeit. 34
Und das Wesen, das da neben ihrem Bett stand, war beinah selbst ein Schatten, so schwarz und unwirklich, als könne man es nicht greifen... Doch die winzige, kalte Hand, die sich auf Elenas Arm legte, war ohne Zweifel real. Der liebliche, runde Kopf mit der in dichten, unbewegten Wellen fallenden schwarzen Lockenpracht legte sich schief und die riesigen leeren Augen sahen sie unverwandt an: „Elena, komm mit mir“, bat die süße Stimme, doch der runde, kleine Mund des nackten Knaben bewegte sich dabei nicht. „Das Leben deines Vaters ist in Gefahr!“ Elena zögerte nicht lange. Seit sei von daheim fortgelaufen war, hatte sie sich große Sorgen um ihren Vater gemacht: Würde er trotz ihres Verschwindens sein Meisterwerk vollenden dürfen? – Sie wußte, die Kunst war sein Leben. Und wenn die Kunst ihm versagt wurde, dann blieb ihm nur noch der Tod... Schnell war die junge Frau bereit, dem kleinen Besucher zu folgen. Voller Staunen sah sie die schwarzen Flügel auf seinem Rücken... und den Köcher... und den kleinen Bogen... Wahrhaft ein Engel! In Gestalt eines Kindes. Und der Körper glänzte wie polierter Stein! Die kleine, kalte Hand zog sie sanft aus dem Zimmer.
Der Graf trieb sein Pferd den Hügel hinauf, zu der großen Halle, in dem das begonnene Werk des Bildhauers ruhte. Die Morgensonne stand freundlich über den Wäldern, die Luft war kühl und frisch. Im gestreckten Galopp jagte das Vollblut die Anhöhe hinauf, während der Graf sein Gesicht dem Wind entgegenstreckte. Am Tor der Halle stoppte er das Pferd. Der Schlüssel öffnete das schwere Eisenschloß und die Tür gab den Weg frei, hinein in die stillgelegte Werkstatt. Ein gewaltiges Steinmonument war hier im Entstehen begriffen, des Grafen eigenes Grabmal, das sein Andenken bis weit nach seinem Tod noch bewahren würde. Er liebte es, diese graziösen Skulpturen zu betrachten, wie sie sich aus dem rauhen Stein schälten. Der Boden war mit Staub bedeckt und durch die Fenster fielen schräg die goldenen Sonnenstrahlen. Die Allegorien der Tugenden, in schimmerndem weißen Marmor standen auf einer Brüstung und blickten auf die Welt der Sterblichen herab. Der Graf hielt inne. Sein Blick schweifte zu dem unbehauenen Marmorblock in der Mitte des Raumes, derjenige, der die vierte Tugend noch unkenntlich in sich trug. Der Marmor war unangetastet, die Werkzeuge in Reihe und Glied daneben abgelegt. Wieder blickte er hinauf zu den vier weißen Statuen: Dort, Prudentia, die Weisheit mit ihrem milden Blick und dem erhobenen Haupt... Daneben, in der Hand die fein gestimmten Waagschalen, Justitia, die Gerechtigkeit... Temperantia, Maß und Besonnenheit, ein nachdenkliches Geschöpf mit wallendem weißen Marmorhaar... und zuletzt Fortitudo, die vierte der starken Frauen, die Verkörperung der Standhaftigkeit... Doch Fortitudo hätte nicht da sein sollen, sie steckte noch in diesem weißen, jungfräulichen Block dort drüben. Der Künstler hatte sein Werkzeug seit Tagen nicht mehr in den Händen gehabt, und wäre er auch heimlich hier hereingeschlichen, so hätte die Zeit ihm niemals gereicht, eine so vollendete Statue zu schaffen. Doch – seine Augen täuschten den Grafen nicht – das Werk war vollständig, die neue Figur stand an ihrem Platz im Reigen der weltlichen Kardinaltugenden: Schmal war ihr Körper, grazil wie ein Engel. Die Arme ausgestreckt, in abwehrender Pose, das schöne Gesicht von Schmerz erfüllt. – Schmerz? Durfte das starke, tapfere Wesen Schmerz empfinden? Und diese Augen: Geweitet, als wären starrten sie voll bewußt dem eigenen Tod entgegen. Die Augen – sie waren wie die Augen Elenas. 35
Der Graf riß sich aus seiner Erstarrung, sonst wäre er womöglich selbst zu einer schreckerstarrten Marmorsäule geworden. Er lenkte seine zögernden Schritte der weißen Marmorfrau entgegen, von der seine Blicke sich nun nicht mehr abwenden konnten: Elenas Augen, ja. Elenas Nase, ihre Wangen, ihr runder Mund... Der weiße, glatte Hals, sogar die langen, zarten Finger: Ihre Finger! Und dort steckte ein kleiner Pfeil in ihrer Brust, durchbohrte ihr Herz: Der Pfeil war schwarz, ein kleines, kaltes Ding, wie der Pfeil aus dem Bogen eines spielenden Kindes... oder eines Zwerges... So wundersam fremd wirkte der kleine Pfeil: Die Figur war schneeweiß – und er war schwarz. Und über den Schützen wäre der Graf beinah gestolpert, denn er hatte nur Blicke für seine stumme, kalte Elena: Schwarzer, kleiner Engel, zu Füßen der vier weißen Frauen. Der Bogen noch erhoben, die Sehne aber schlaff. Starr stand er dort, direkt neben dem weißen, unbehauenen Block, und die gelben Lichtstrahlen spiegelten sich auf seiner Marmorhaut. Kalt und unbewegt war sein Blick, genau, wie der schwarze Stein, aus dem er bestand. Und die Frau dort oben sah ihren eigenen Tod – doch den Engel bewegte dies nicht, sein Herz war ja ganz aus Stein...
Janus konnte nicht weinen. Janus konnte nicht glauben. Dies war nicht sein Kind, hoch oben auf dem Grabmal, im Schein der Totenlampen. Das große Werk war vollendet, es stand an seinem Platz, wie gewünscht. Doch lachen konnte der Meister nicht. Und der kleine, schwarze Engel saß auf dem Grabstein nebenan und betrachtete Janus aus Kerzenlicht-glitzernden Augen: Ein neuer Auftrag für mich? „Cupido“, raunte Janus in die Stille Nacht. „Hol mir den Grafen. Seine Liebe ist ein Fluch gewesen. Nun geh – und sei ihm ein Fluch!“.
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Der kleine Sternenpflücker von Pascal Kegler
Gibt es einen Stern, der schöner ist als alle anderen? Und kann man ihn erreichen?
Es war einmal ein kleiner Sternenpflücker, der in seinem Leben schon sehr viele Sterne vom Himmel gepflückt hatte, so viele, dass er sie schon gar nicht mehr zählen konnte. Er dachte immer, er wäre glücklich mit seinen Sternen, doch eines Tages fiel ihm auf, dass all seine Sterne gleich aussahen. Also machte er sich gleich auf, den allerschönsten Stern zu suchen, den der Himmel zu bieten hatte. Jede Nacht blickte er mit suchenden Augen hinauf zum Himmel um einen ganz besonderen, den allerschönsten Stern am Himmel zu finden. Die Nächte verstrichen, und der kleine Sternenpflücker wollte schon fast aufgeben. Doch eines Nachts, er ließ wieder seine suchenden Augen am Himmelszelt entlang wandern, schien seine Suche beendet zu sein. In seinen traurigen Augen reflektierte sich das Funkeln des wunderschönsten Sterns, den er je zu sehen geglaubt hatte. Der kleine Sternenpflücker zögerte nicht eine Sekunde, und ohne nachzudenken pflückte er den Stern vom Himmel. Für einen kleinen Moment war der kleine Sternenpflücker der allerglücklichste Sternenpflücker auf der ganzen Welt. Jedoch als er sich seinen neuen Stern einmal genauer betrachtete, fiel ihm auf, dass dieses wunderschöne Funkeln, das er noch nie zuvor gesehen hatte, plötzlich verschwunden war. Er bildete sich ein, dass wenn er seinen Stern nur genug polieren würde, er auch sein wunderschönes, einzigartiges Funkeln zurück erlangen würde. Doch umso mehr Mühe er sich mit dem Polieren gab, desto mehr erinnerte sein neuer Stern den kleinen Sternenpflücker an die vielen Sterne, die er zuvor vom Himmel pflückte. Traurig ging der kleine Sternenpflücker in der folgenden Nacht zurück an die Stelle, an der er seinen scheinbar wunderschönen Stern das erste Mal Funkeln sah. Er legte sich auf den Rücken und blickte mit tränenverschwommenen Augen hinauf an die Stelle, wo sein Stern zuvor noch funkelte. Dann sah er plötzlich etwas, was er erst nicht glauben wollte. Im ersten Moment dachte er, es wäre so etwas wie eine optische Täuschung wegen den Tränen, die er in den Augen hatte. Doch dann richtete sich der kleine Sternenpflücker auf , wischte sich die Tränen aus den Augen und blickte erneut hinauf zum Himmel. Jetzt sah er es ganz deutlich: Er sah eine große dunkle Wolke genau neben der Stelle, an der er seinen Stern gefunden hatte. Er erinnerte sich, dass diese Wolke auch schon da war, als er dort seinen Stern pflückte. Aber ihm fiel erst jetzt auf, dass um diese Wolke herum ein Band aus dem wunderschönsten und hellsten Licht lag, das der kleine Sternenpflücker je sah. Als er so da lag und dieses wunderschöne Funkeln und Glänzen beobachtete, wurde es ihm klar: Dort hinter dieser Wolke musste sich ein einzigartiger Stern verbergen, ein Stern der zehnmal wundervoller sein musste als den, den er zuvor pflückte. Ihm wurde klar, dass der Stern, den er pflückte, nur das wunderschöne Licht, das einzigartige Funkeln des Sterns hinter der Wolke reflektierte und deshalb auch seinen Glanz verlor und alles Polieren nicht helfen konnte. Von nun an zog es den kleinen Sternepflücker jede Nacht an diese Stelle. Er lag jede Nacht wie hypnotisiert dort und bewunderte dieses einzigartige Funkeln. Insgeheim hatte der kleine Sternenpflücker die Hoffnung, dass diese Wolke irgendwann einmal weiter zieht, damit er den Stern, der sich dahinter verbergen musste, einmal in seiner vollen Pracht bewundern kann. Und tatsächlich, eines Nachts, als der kleine Sternenpflücker wieder hinauf zum Himmel sah, war die Wolke verschwunden, und was er dort sah brachte ihn zum weinen. Der kleine Sternenpflücker weinte vor Freude. Er hatte sich immer ausgemalt, wie schön der Stern 37
wohl sein müsste, der sich dort hinter der Wolke verbarg. Aber das, was er jetzt sah, übertraf all seine Erwartungen. Dieses Glänzen, dieses Funkeln: einfach Perfekt. Von dieser unglaublichen Schönheit berührt, wischt sich der kleine Sternepflücker die Tränen aus den Augen und macht sich mit einem Lächeln im Gesicht auf, den Stern zu pflücken. Doch je näher er dem wunderschönen Stern kam, desto mehr verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht. Als der kleine Sternenpflücker kurz davor war den Stern zu erreichen, floss ihm eine Träne über die Wange. Der kleine Sternenpflücker hielt kurz inne, mit traurigen Augen blickte er ein letztes Mal zu dem wunderschönsten, zu dem perfektesten Stern den je ein Sternenpflücker gesehen hatte. Dann drehte er sich langsam um und ging mit hängendem Kopf davon.
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Im Spiegel von Ingrid Kaliner
Johannes soll den großen Saal der Trutzburg restaurieren. Aber dann verfällt er mehr und mehr einer seltsamen Erscheinung...
Die Zeit hatte der Burg den Schrecken genommen, doch der Ort schien sich immer noch in ihren Schatten zu ducken. Legenden rankten um das alte Gemäuer und die Leute wussten so manche Geschichte zu erzählen. Richtete sich an sonnigen Tagen der Blick hinauf, sandten die Fenster des großen Saales bunte Blitze zurück. Die dicken Mauern dagegen warfen stets düstere Schatten in das Tal. Der Saal, so wird berichtet, diente dem geselligen Beisammensein der jeweiligen Bewohner. Hier sollte manch rauer Vorfahre seine groben, oftmals grausamen Späße getrieben haben. Doch das gehörte längst der Vergangenheit an und auch die letzten Eigentümer machten sich noch vor Beginn des ersten Weltkrieges auf und davon. Unter Obhut der öffentlichen Hand bröselte der Mörtel und im Winter krochen Schnee und Eis in die Fugen. Heftige Frühjahrsstürme lockerten die Ziegel und heiße Sommertage dörrten den Holzboden des Wehrganges aus. Das mächtige Tor senkte sich in den Angeln und die eisernen Beschläge rosteten. Das stolze Wappen hatte seine prächtigen Farben verloren. Johannes blickte sich interessiert um, als er zum ersten Mal in der alten Trutzburg stand. Ein Interessenverband, der eifrig Geldquellen erschloss, hatte ihn und weitere Handwerker auf den Berg geschickt. Die Restaurierung des großen Saales empfand er als persönliche Herausforderung. Trotz der rissigen Tapeten, des bröckelnden Stucks und der geschundenen Dielen vermochte er den einstigen Glanz zu erahnen. Mit einiger Fantasie brachte er Trompeten zum Erschallen und Hörner zum Klingen. Er vernahm das Klirren der Rüstungen; wilde Gesellen schaufelten Gebratenes und Gesottenes in sich hinein und vielleicht wurde zum Dessert auch ein Leibeigener geschunden oder eine Magd gequält. Schon feiner tönten die Geigen und eleganter glitten beringte Finger über die Tasten des Spinetts. Perückte Diener trugen erlesene Speisen auf, Kerzen glänzten im Silber. Heute fiel Tageslicht durch die hohen Fenster, deren kunstvoll gestalteten Scheiben die Zeit nicht spurlos überdauert hatten. Zwei Glaser waren damit beschäftigt, die Schäden zu beheben. Mehrere Rahmen lagen am Boden, so dass der Wind ungehindert durch die leeren Höhlen blies. Johannes schimpfte von seinem Podest herab, die beiden sollten doch wenigstens die Öffnungen verschließen. Er hatte Angst um sein Deckengemälde, das er seit Wochen mit großer Sorgfalt freilegte. Interessante Dinge kamen da zum Vorschein und es waren keineswegs die frommen Abbildungen, die den Glasern entzückte Pfiffe entlockten. Johannes freute sich immer wieder über die Leuchtkraft der Farben, denen hunderte von Jahren kaum Schaden zugefügt hatten. So manche Pause verbrachte er allein im Saal, um die Malereien zu studieren. Darüber vergaß er Essen und Trinken, denn viel lieber tauchte er in barocke Welten ein. Ein Spinner sei der Johannes, meinten die Kollegen unten in der Burgküche, vernarrt in altes Zeug. Zum Teil verhielt es sich tatsächlich so, doch etwas war noch hinzugekommen. Lag es an dem mittelalterlichen Bau oder speziell am Saal: in den letzten Tagen hatte ihn oft ein seltsames Gefühl beschlichen. Er spürte es nur, wenn er allein war. Plötzlich schien Leben in die stillen Mauern einzukehren, obwohl er nichts entdecken konnte. Immer wieder wandte er sich um, während er den Raum durchmaß, um den Fortschritt der Arbeiten zu begutachten. Einmal glaubte er sogar, Atem im Nacken zu spüren. Drang da nicht ein Wispern aus der Ecke? Verdutzt hörte er Schritte vor sich her trappeln. Es war wie verhext, als narrte ihn ein Schlossgespenst. Aber er glaubte nicht an Spukgeschichten. „Zeigt euch!“ Er stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte drohend umher. „Veranstaltet 39
gefälligst kein Versteckspielen mit mir!“ Ein leiser Hauch bewegte die Luft, doch niemand trat hervor. Johannes stampfte durch den Saal, dass die Dielen krachten. Er wollte sich nicht narren lassen, doch das Unbehagen hatte sich an seine Fersen geheftet. Er setzte den Rundgang fort und blieb vor einem venezianischen Spiegel stehen. „Welch ein Leichtsinn, dieses wunderbare Stück hier zu lassen!“ Der Klang seiner Stimme beruhigte ihn. Er berührte den goldenen, überreich mit Blumen und Früchten besetzten Rahmen und betrachtete seine schmutzige Fingerkuppe. Nach kurzem Überlegen zog er den Jackenärmel straff und fuhr mit ihm über das blinde Glas. „Ebenfalls ein renovierungsbedürftiges Gemälde!“ Er grinste sein Spiegelbild an. „Hm, rasieren müsste ich mich auch wieder einmal!“ In Wahrheit fand er den Dreitagebart recht kleidsam. Er strich sein etwas zu langes Haar zurück und befühlte den Ring im Ohrläppchen. Marthe gefiel er gut, der Mutter weniger. Anscheinend fürchtete sie, seine männliche Ausstrahlung könnte leiden. Selbstgefällig hob er die Mundwinkel. In diesem Moment entdeckte er im Spiegel ein mit Tuch verhängtes Bild. Verwundert starrte er es an und wandte sich um. Tatsächlich, einsam und vergessen behauptete es seinen Platz an der Wand, umgeben von dunklen Rechtecken. Er wollte gerade nachsehen, was sich unter dem Stoff befand, als ihn ein Geräusch aufschreckte. Es schien direkt aus dem Spiegel zu springen. Unbehaglich zog er den Kopf zwischen die Schultern. Da war irgend etwas! Eingebildet oder echt, er konnte es nicht herausfinden. Das Glas floss wie Wasser, zog sich zusammen, formte Umrisse und glätte sich wieder. Johannes rieb seine Augen. Brauchte er etwa eine Brille? Während er diese Möglichkeit noch mit Missmut überdachte, ertönte belustigtes Lachen. Er fuhr herum. Weshalb hatte er die Handwerker im Spiegel nicht gesehen? Sie standen doch direkt hinter ihm! "Glasarbeiten sind unsere Angelegenheit!“, maulten sie. „Oder willst du uns Konkurrenz machen?" "Nein, nein", wehrte er ab. "Ich meinte nur … dieser Spiegel …, fällt euch an dem nichts auf?“ "Was denn?" Die beiden blickten interessiert. „Ist ein sauberes Stück Arbeit“, stellte der eine fest. Der andere prüfte den Schliff. „Wenn man das Alter dabei bedenkt!“ Er nickte anerkennend. „Die Venezianer verstanden wirklich etwas davon.“ „Finde ich auch!“ Johannes fühlte sich wie ein Depp. Betont gleichmütig kletterte er auf sein Gerüst. „War das alles?“ Der Kleinere blickte ihm hinterher. „Klar! Ihr habt bisher ja noch niemals etwas über dieses Prachtstück gesagt. Außerdem“, fügte er hinzu, „hängt da auch noch ein Bild. Wir sollten Bescheid geben, dass beides weggeschlossen wird.“ „Na, dann mach das mal!“ Kreischend trennte das Schneidwerkzeug eine Scheibe entzwei. Das ersparte Johannes die Antwort. Konzentriert arbeitete er eine Stunde lang am Deckengemälde, dann begannen seine Arme zu schmerzen. Er streckte sie aus, massierte die Handgelenke und dachte an Marthe. Gestern erst hatte sie vom Zusammenziehen gesprochen und sogar Kinder erwähnt. Da erschien es ihm noch zu früh, doch plötzlich konnte er es sich vorstellen. Sein Beruf würde ihn weit herumführen und wenn er müde heimkehrte, empfing ihn eine glückliche Familie. Die pralle Schöne über ihm schien zustimmend zu blinzeln. Ihr fehlten noch die Beine und während er zum Pinsel griff, schweifte sein Blick zum Spiegel. Hatte er in ihm schon jemals das Gerüst erblickt? Seit Wochen arbeitete er nun hier oben, doch aufgefallen war es ihm nicht. Am Knie des Frauenbeines angelangt, legte er erneut eine Pause ein. Diesmal konnte er einen Laut der Überraschung nicht unterdrücken. Aus dem Spiegel blickte ihn ein Mädchen an. Es trug ein Kleid aus blauen Brokat, von der Taille an in dichte Falten gelegt. Das Oberteil schmiegte sich an den schmalen Leib, bauschige Spitzen umhüllten den Brustansatz und begrenzten die anliegenden Ärmel. Blondes Haar ringelte sich über der runden Stirn und fiel weit in den Rücken hinab. In der Hand hielt es eine rote Rose. Johannes kniff sich in den Arm, schloss die Augen und als er sie wieder öffnete, stand das Mädchen immer noch da. Da es sich nicht regte, nicht mit einer einzigen Wimper zuckte, beruhigte er sich. Das war doch bloß ein Bild! Tatsächlich hatte der Wind das Tuch von dem Gemälde geweht, das eben dieses Mädchen mit der Rose zeigte. Erleichtert atmete er auf. Die nächsten Stunden waren vom Schneiden, Klopfen und Hämmern der Handwerker erfüllt. Das Licht verlor an Durchsichtigkeit und aus den Ecken quollen Schatten. Johannes formte gerade den 40
letzten Zeh der Schönen, als die Glaser den Feierabend verkündeten. Er bleibe noch fünf Minuten, sagte er ohne aufzublicken. Eine Viertelstunde später wischte er die Pinsel sauber. Es war so ruhig geworden, dass er die Dielen knacken hörte und das Stöhnen der Balken unter ihrer Last. Plötzlich störte ein Laut die Stille. Jemand weinte. Johannes warf die Pinsel in den Topf. Eine verirrte Katze fehlte ihm gerade noch! Doch er ahnte bereits, dass es keine Tierlaute waren. Sein Nackenhaar sträubten sich und nur mühevoll konnte er den Kopf drehen. Das Mädchen auf dem Bild lächelte. Trotzdem wollte sich keine Erleichterung einstellen, denn jemand weinte immer noch. Es war das Mädchen im Spiegel, das schluchzte. Johannes sah einen wahren Tränenfluss über die bleichen Wangen rinnen. „Ich werde noch verrückt!“, stieß er hervor und kletterte vom Gerüst. Mit fliegenden Fingern kleidete er sich um. Auf das Waschen verzichtete er, ergriff seine Tasche und eilte davon. Bis zum Burgtor blieb er nicht ein einziges Mal stehen, schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr heim. Unterwegs fiel ihm ein, dass er die Burg nicht abgesperrt hatte, doch keine zehn Pferde hätten ihn jetzt zurückgebracht. Um Ärger zu vermeiden, musste er morgen der Erste sein. Am Abend konnte er nicht einschlafen. Je länger er nachdachte, desto fester baute er auf einen Streich der Glaser. Wer weiß, wie die Teufelskerle das angestellt hatten! Wahrscheinlich kannten sie Tricks, von denen er keine Ahnung besaß. Ärgerlich wälzte er sich von einer Seite auf die andere. Dieses Rätsel musste er lösen und zwar schnell! Am nächsten Morgen war er tatsächlich der Erste auf der Burg, die er merkwürdigerweise verschlossen fand. Mit angespannten Sinnen stieg er zum Saal hinauf. Sekundenlang zögerte er, die Klinke zu drücken. Drinnen war es still. Ein strahlender Tag blinzelte durch die neuen Saalfenster. Johannes erster Blick galt dem Spiegel und danach sofort dem Bild. Beides fand er vor, wie er es verlassen hatte. Das Porträt lächelte, der Spiegel weinte. Er wagte sich nicht näher. Dennoch konnte er sehen, wie das Mädchen kläglich den Mund verzog. Seine Augen sahen vorwurfsvoll herüber. „Weshalb hilfst du mir nicht?“, schienen sie zu sagen. „Siehst du denn nicht, wie ich leide?“ Er atmete tief durch. „Wer bist du?“ Seine Stimme klang belegt. „Natürlich, ein Bild kann ja nicht reden!“ Statt einer Antwort zerfloss das Spiegelglas und als es sich neu formte, stand ein großer, hagerer Geselle hinter dem Mädchen. Hochmütig blickte er auf Johannes nieder. Er wich zurück, bis sich der Türpfosten in seinen Rücken bohrte. Sollte er diese Gaukelei ernst nehmen? Instinktiv tat er es, denn seine Füße trugen ihn keinen Schritt vorwärts. Wenn dieser Kerl Macht besaß, kam man ihm besser nicht zu nahe. Schwarzes Haar bedeckte die niedrige Stirn, darunter sprang die Nase eines Habichts hervor. Ein gestutzter Backenbart, schmale Lippen und ein spitzes Kinn vollendeten das Konterfei des Mannes. Einen Augenblick lang starrte Johannes auf das ungleiche Paar. Dann lächelte er säuerlich. Die Glaser gaben sich ja wirklich große Mühe! Zu gern hätte er gewusst, wie die Kerle das inszenierten. Als hätten sie nur auf ihr Stichwort gewartet, stürmten die Witzbolde herein. „Schon wieder der Spiegel!“, riefen sie und tänzelten um ihn herum. Mit keiner Silbe erwähnten sie das seltsame Paar. Statt dessen schlugen sie auf seine Schultern und stupsten sein Gesicht gegen das Glas. Unzweifelhaft sei er der Schönste von ihnen, das müssten sie neidvoll anerkennen. Johannes taumelte zurück. „Es gibt nach“, stammelte er. „Das Glas gibt nach!“ Deutlich hatte er gespürt, wie Nase, Stirn und Wangen hindurch glitten. Die Gesichter wurden ernst. „Bist du etwa krank?“ Mitfühlend betasteten sie seinen Kopf. „Geh heim, wir regeln das schon!“ Johannes dachte nicht daran. Nach dem ersten Schrecken interessierte ihn, wie weit die Kollegen noch gehen würden. Vielleicht sollte er zeigen, dass er sie durchschaute. „Na ja“, begann er vorsichtig, „es ist gekonnt, das gebe ich zu. Aber alles sollte ein Ende haben, versteht ihr? Sonst könnte ich es euch noch übel nehmen.“ Die Glaser zuckten verständnislos die Achseln. Johannes stieg auf sein Podest und kümmerte sich fortan nur noch um die Arbeit. Die verhaltenen Stimmen der Kollegen drangen noch eine Weile zu ihm herüber und manchmal spürte er ihre Blicke. Plötzlich begann die Rose zu duften. Johannes Nasenflügel blähten sich. Vergeblich suchten seine Augen im Saal das lebende Exemplar. Es ärgerte ihn, wie unverfroren die Burschen ihren Plan verfolgten und gleichzeitig 41
verspürte er Hilflosigkeit. „So, so“, sagte er sich“, „ihr wollt nicht aufhören. Damit kriegt ihr mich aber nicht!“ Er vertiefte sich in einen neuen Deckenabschnitt. Aber der Spiegel gab ihn nicht frei. Immer sah er das blaue Kleid und die rote Rose, deren Duft inzwischen den ganzen Raum erfüllte. Dadurch, dass die Glaser ihn mit keinem Ton erwähnten, verrieten sie sich. Selbst der dickste Schnupfen konnte diese Süße nicht ersticken. Verstimmt arbeitete Johannes bis zum Feierabend durch und warf die Pinsel pünktlich in den Topf. Er wollte nicht allein im Saal bleiben, doch die Glaser waren schneller. Ehe er vom Gerüst herabgestiegen war, schlug die Tür hinter ihnen zu. Hastig zog er sich um, ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen. Es war schon schlimm genug, dem Rosenduft nicht entgehen zu können. Er hatte die Tür jedoch noch nicht erreicht, als eine Stimme ihn beim Namen nannte. Kam jetzt das Tonband dran? Dennoch spannte sich jeder Muskel, als er sich umwandte. Die Szene im Glas hatte sich erneut verändert. Anstelle des blauen Kleides umhüllte das Mädchen nun ein loses Nachtgewand. Sein Gesicht wirkte heiter, fast fröhlich. Wieder winkte die Rose zum Gruß. Er sah ganz deutlich, wie das Blut die Wangen rosig färbte. Plötzlich blickte ihn das Mädchen zwingend an und winkte. „Beachtlich!“ Johannes gab sich gelassen. „Du lebst also!“ Gern hätte er etwas Witziges hinzugefügt, doch die Worte blieben ihm Halse stecken. Er starrte in den Spiegel und je länger es dauerte, desto beklommener wurde ihm zu Mute. Obwohl ihn nur ein trügerisches Bild narrte, empfand er Marthe gegenüber ein schlechtes Gewissen. Einmal legte das Mädchen beide Hände an das Glas, so dass er die feinen Linien der Innenflächen erkennen konnte. Wie unter Zwang presste er seine Hände dagegen. Die Berührung setzte sein Herz in Brand. „Glaubst du an Hexen?“, fragte er Marthe abends leichthin. Belustigt entgegnete sie, sogar eine zu kennen. Es sei ihre Chefin, das wisse er doch. Johannes schämte sich, doch fortan forschte er nicht mehr danach, ob es sich nun um Taschenspielertricks oder Unerklärliches handelte. Jeden Tag wartete er mit Bangen auf die Erscheinung und fühlte sich dennoch erleichtert, wenn sie aus dem Nichts erwuchs. Nur Marthe erzählte er etwas von dem merkwürdigen Spiegel, dessen Glas die Wahrheit verzerre. Deutlicher mochte er nicht werden. So etwas gäbe es wohl, pflichtete sie ihm bei. Derartige Spiegel dienten früher dem Hofe zur Belustigung. Sein verändertes Wesen bereitete ihr Sorgen. Er wiederum hätte gern an ein solches Spiel geglaubt, doch dafür war es zu spät. An einem Freitag verblieben bis zum Feierabend noch zwei Stunden, als Johannes die Schicht über einem Engelsgesicht zu lösen begann. Die Schatten im Spiegel hatte er längst bemerkt, bisher jedoch standhaft ignoriert. Das Mädchen indessen gab nicht auf. "Johannes! Johannes", lockte seine süße Stimme. Er blickte weder zu ihm noch zu den Glasern hin, die ungerührt Scheiben einsetzten. "Johannes!" Er presste beide Hände an die Ohren. In das Rauschen seines Blutes drängte sich das Grollen des Mannes. Sein Herz raste, während er aus Lappenfetzen Stöpsel drehte und in die Ohren stopfte. Aber er konnte nicht vergessen, dass ganz in der Nähe das Mädchen dem finsteren Kerl ausgeliefert war. Er tauchte den Pinsel in das Lösungsmittel, wischte und malte, doch in den Gesichtern sah er nur das Spiegelkind. Mit jedem neuen Strich verrann der Vorsatz, sich nicht länger auf diesen Hokuspokus einzulassen, ein bisschen mehr. Am Ende wartete er nur noch darauf, mit dem Spiegel allein zu bleiben. Als die Glaser sich zum Heimgang rüsteten, blieb Johannes, wie so oft, auf dem Podest. Reglos wartete er, bis ihre Schritte in den Fluren verhallten. Dann stieg er herab. Stimmen schlugen ihm entgegen, wurden lauter, heftiger, höhnisches Lachen, hastige Rechtfertigungen, Schuldzuweisungen, Klagen. Etwas in ihm warnte weiterzugehen. „Johannes! Steh mir bei!" Es lag so viel Not in der Stimme, dass er nicht anders konnte. Mit einem Satz stand er am Spiegel, in dem das Mädchen die Hände nach ihm ausstreckte. Der letzte Widerstand zerbrach. Er hob die Arme vor das Gesicht und sprang hinein. Das Glas sog ihn auf und schloss sich wieder. Nur der kaum sichtbare Abdruck eines menschlichen Körpers blieb zurück. Der Saal ruhte, als wäre nichts geschehen. Die Sonne trieb träge an den Fensterscheiben vorüber, spritzte ein paar Farbtupfer auf die Dielen und einmal verirrte sich auch ein Strahl in das Spiegelglas. 42
*** Ein knappes Jahr darauf verließen die letzten Handwerker ihren Arbeitsplatz hoch oben auf dem Berg, wo sich die Burg in wieder erstandener Würde erhob. Ihre frisch gedeckten Zinnen und das leuchtende Wappen luden schon von weitem zur Besichtigung ein. Selbst Busse aus ferneren Städten brachten Interessenten zum frisch gepflasterten Parkplatz. Abends, wenn der letzte Besucher herabgestiegen war und Ruhe in die dicken Mauern einkehrte, ließ der Kastellan des öfteren eine junge Frau ein. Sie stieg zum Saal hinauf, wo sie lange vor dem venezianischen Spiegel stand. Eines Morgens entdeckte er auf ihm einen weiteren menschlichen Umriss. Ärgerlich stapfte er in das Gemeindebüro. Doch Marthe war nicht zur Arbeit erschienen.
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