Xorrons Totenheer
erster Teil von Jason Dark, erschienen am 04.12.1983, Titelbild: Vicente Ballestar Das Kreischen er...
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Xorrons Totenheer
erster Teil von Jason Dark, erschienen am 04.12.1983, Titelbild: Vicente Ballestar Das Kreischen erinnerte mich an das Schreien eines Kindes. Reifen hatten diesen schrillen Ton verursacht. Reifen, die über den Asphalt radierten. Dann hörte ich eine merkwürdige Geräuschkulisse, da kreiselte ich schon auf dem Absatz herum und schaute nach vorn. Der Lastwagen stand quer. Auf seiner Fläche hatte sich die Ladung verschoben. Sie drückte seitlich gegen die Plane, die jeden Augenblick reißen konnte. Zahlreiche Eindrücke stürmten auf mich ein, sie kamen von allen Seiten, ich sah zunächst nur diesen Wagen, dessen Fahrertür aufgewuchtet wurde, damit der Fahrer sein Gefährt verlassen konnte. Er hatte die Nerven verloren und schrie.
Andere Wagen standen ebenfalls. Menschen liefen zusammen, und in
meiner Brust zog sich etwas zusammen. Ich ahnte das Schreckliche,
aber ich wollte es nicht wahrhaben. Deshalb zögerte ich es hinaus. Die
Konfrontation war zu schlimm, und meine Schritte glichen dem
Schleichen einer Schnecke.
Dennoch kam ich näher.
Kalt rann es über meinen Rücken. Mein Mund hatte sich verzerrt. Der
Blickwinkel war geschmälert worden, schien aus einem Tunnel zu
bestehen, und der Blick war wirklich nur auf den Ausgang gerichtet, wo
sich das Zielobjekt befand.
Da lag jemand.
Die Räder des Lkw standen schräg. Sie verdeckten die Gestalt, so daß
ich vorläufig nur eine Hand sehen konnte.
Klein und schmal. . .
Ich ging weiter.
Jeder Schritt wurde zur Qual. Die Stimmen der Zeugen umgaben mich
wie ein durch Filter gedämpfter Sturmwind, der zu einem Säuseln ge worden war.
Die nächsten Schritte brachten mich so dicht an das Ziel, daß ich es
genau erkennen konnte.
Unter der Stoßstange lag eine Gestalt.
Eine Frau.
Shao!
*** Es hatte sie voll erwischt!
Und mich ebenfalls, denn ich glaubte, nicht mehr atmen zu können. Die
biochemischen Reaktionen in meinem Körper veränderten sich, sie liefen
langsamer ab, waren zurückgedrängt, und in meinem Kopf breitete sich
eine Blutleere aus.
War Shao tot?
Irgendwie mußten die Neugierigen gespürt haben, was in mir vorging.
Wahrscheinlich zeichneten sich diese Vorgänge auf meinem Gesicht ab
denn die Männer und Frauen schufen Platz, damit ich durchgehen und
Shao erreichen konnte.
Das Lamentieren des Fahrers hörte ich kaum. Es drang an meine Ohren
wie aus weiter Ferne.
Neben Shao blieb ich stehen. So dicht, daß meine Fußspitzen ihren
Körper berührten.
Er sah steif aus, wie der einer Leiche!
Ich kniete mich nieder. Es war eine abgezirkelte Bewegung, nicht einmal
vom Gehirn gesteuert, ich mußte ein fach diesen Gesetzen folgen und
mir Shao anschauen.
Es gab kein Blut, ich sah keine Verletzung. Sie lag vor mir wie ein
schöne, große Puppe. Nur der Ausdruck in den Augen, der bereitete mir
Angst.
Da stimmte etwas nicht. Die Augen waren so verdreht, wie ich sie nur
von Toten her kannte.
Ich kroch um Shao herum, bis ich ihren Kopf erreicht hatte, meine Hände
unter ihn und das schwarze, ausgebreitete Haar schob und den Kopf in
die Höhe drückte.
Ihr Gesicht kam dem meinen näher.
»Shao!« Ich flüsterte ihren Namen, obwohl ich wußte, daß ich keine Ant wort bekommen würde.
Sie schwieg.
Tote können nicht mehr reden! Dieser makabre Ausdruck fuhr mir durch
den Kopf, als ich vor der Leiche saß, denn für mich gab es keine andere
Möglichkeit mehr.
Shao war tot!
Über- oder angefahren worden. Kein Dämon schien mitgeholfen zu ha ben, es war alles normal gelaufen, ein Unglücksfall.
Auch ich hätte in diesen Augenblicken schreien können, aber ich brachte
es nicht fertig. So blieb ich hocken,
versunken in einer anderen Welt, und ich lauschte in meine Umgebung
hinein.
Den Fahrer hörte ich. »Ich konnte es nicht mehr verhindern!« schrie er.
»Sie war plötzlich da, und das Lenkrad in meiner Hand bekam ich nicht
mehr herum. Es hakte oder was weiß ich. Glaubt ihr mir nicht,
verdammt?«
Ich stand auf. Irgendwie war es falsch von mir, so etwas zu tun, aber ich
konnte nicht anders, denn die Worte des Mannes hatte ich genau ver standen, trotz der schrecklichen Lage, in der ich mich befand. Er hatte
von einer Kontrolle gesprochen, die ein anderer über das Lenkrad
gehabt hatte.
Konnte man den Unfall doch nicht auf eine natürliche Folge zurückfüh ren?
Mein Mißtrauen war da und ließ sich auch nicht mehr abschütteln.
Deshalb schritt ich direkt auf den lamentierenden Fahrer zu, der mich
sah und Angst bekam.
Er war ein breitschultriger Bursche, trug ein kariertes Hemd und eine
Mütze mit dunklem Plastikschirm auf dem Kopf. Er wankte zurück,
streckte die Arme vor und hielt mir seine zehn klobigen Finger entgegen.
»Ich konnte nichts dafür, verdammt! Wirklich nicht. So glauben Sie mir
doch, zum Teufel!«
»Sicher.« Ich versuchte zu lächeln und nickte gleichzeitig. »Sie konnten
nichts dafür.«
Das linke große Vorderrad hatte ihn aufgehalten. Er preßte seinen
Rücken dagegen, die Haut auf seinen Wangen zuckte, auf der Stirn sah
ich den Schweiß.
Dann schaute er auf meinen Ausweis, den ich hervorgeholt hatte. Ich
wußte nicht, ob er in seiner jetzigen Verfassung überhaupt lesen konnte,
was dort geschrieben stand, deshalb sagte ich es ihm.
»Scotland Yard. Mein Name ist John Sinclair.«
Er nickte. Seine Arme sanken allmählich nach unten. Selbst die Angst
aus seinem Gesicht verschwand. Aus der Zuschauermenge rief jemand
ein böses Wort.
»Killer!«
Auch ich zuckte zusammen, denn ich wußte, wie gefährlich dieses Wort
sein konnte, wirbelte herum, sah den Sprecher leider nicht, sondern nur
die kalten Gesichter der Gaffer. -
»Dieser Mann ist kein Mörder«, sagte ich mit rauher Stimme. »Das sollte
sich jeder hinter die Ohren schreiben.«
Niemand gab mir eine Antwort. Hinter der Menge sah ich eine Bewe gung. Polizisten bahnten sich einen Weg. Auch gellte der schrille Laut ei ner Trillerpfeife über unsere Köpfe.
»Glauben Sie mir doch!« rief der Fahrer.
»Okay, okay«, sagte ich. »Bleiben Sie um Himmels willen nur ruhig. Es
wird sich alles aufklären.«
Dann waren die Polizisten da. Zwei von ihnen kannten mich. Sie kamen
sofort zu mir, und ich erklärte mit knappen Worten, was ich wußte.
»Sollen wir hier weiter ermitteln, Sir?«
Ich schüttelte den Kopf und nickte zur gleichen Zeit. »Versuchen Sie,
Zeugen zu finden. Den Fahrer vernehme ich.«
»Geht in Ordnung, Sir!«
»Ich konnte wirklich nichts dafür«, sagte der Mann.
»Das glaube ich Ihnen sogar.«
»Wirklich, Sir?«
»Ja.« Ich lächelte.
Er atmete auf, zog ein großes Tuch aus der Hosentasche und wischte
den Schweiß aus seinem Gesicht.
Es war grauenhaft heiß. Die Hitze wollte einfach kein Ende nehmen. Sie
lastete jetzt schon seit Wochen wie eine dumpfe Glocke über der Millio nenstadt London. Soviel geschwitzt wie in diesem Sommer hatte ich ei gentlich noch nie.
Shao war tot!
Plötzlich mußte ich wieder daran denken. Das Blut stieg mir in den Kopf.
Für einen Moment wurde mir schwindlig. Ich dachte an Suko und daran,
was er sagen würde, wenn er seine Freundin sah. Er mußte bald er scheinen, denn er wollte in der Nähe nur zwei neue Gepäcktaschen für
seine Harley holen.
Mein Gott, wenn Suko Shao sah, war es aus . . .
»Sir, was ist mit Ihnen?« Der Fahrer mußte bemerkt haben, daß etwas
nicht stimmte. Ich aber schüttelte den Kopf und lächelte krampfhaft.
»Nichts, das Sie beunruhigen müßte. Wie heißen Sie eigentlich,
Mister?«
»Abe Griffith.«
»All right, Mr. Griffith. Jetzt möchte ich von Ihnen genau hören, wie die
Sache gelaufen ist. Versuchen Sie, sich an jede Einzelheit zu erinnern.
Alles kann wichtig sein, auch wenn es für Sie vielleicht unwichtig
erscheint.«
»Ja, Sir, ja . . .«
Ich wartete. Der Wunsch nach einer Zigarette stieg in mir hoch. Als ich
das Stäbchen aus der Schachtel zog, zitterten meine Hände, so nervös
war ich.
Über die Flamme des Feuerzeugs schaute ich den Mann an. Er
schluckte und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Als ich den
ersten Rauch ausblies, begann er zu sprechen.
»Ich fuhr völlig normal. Ich bin auch nicht eingeschlafen, denn ich mußte
mich auf den Verkehr konzentrieren, und dann kam sie auf einmal. Sir,
ich schwöre Ihnen, die Frau lief von eil Verkehrsinsel aus plötzlich los.
Es waren nur wenige Schritte bis zu meinem Wagen, vor dem sie
auftauchte. Ich bremste, legte alles rein, aber ich brachte den Wagen
nicht mehr recht zeitig genug zum Stehen. Die breite Stoßstange
schmetterte sie zu Boden. Dann war da noch das linke Vorderrad«, fügte
er leise hinzu.
»Es hat sie nicht erwischt«, beruhigte ich ihn.
»Aber das andere reichte aus.«
»In der Tat.«
»Dann ist sie tot?« Er formulierte die Frage stockend. Die Worte wollten
kaum über seine Lippen dringen.
»Leider.«
»Mein Gott, das ist. . .«
Ich legte eine Hand auf seine Schulter. Die Zigarette schmeckte mir nicht
mehr. Ich trat sie aus. »Man kann mich zwar nicht als unmittelbaren
Zeugen bezeichnen«, erklärte ich dem Mann »aber ich weiß, daß Sie
unschuldig sind.«
»Danke, Sir! Wenn ein Polizist das sagt, hat es ein ganz anderes
Gewicht als die Aussage eines normal Sterblichen.«
Ich lachte auf. »So ist es wohl nicht.«
»Doch, Sir, doch . . .«
»Ich möchte noch einiges von Ihnen wissen. Sie haben vorhin etwas
davon verlauten lassen, daß jemand in Ihr Lenkrad gegriffen hat.
Entspricht das den Tatsachen?«
Griffith wurde verlegen. »Das habe ich gesagt«, gab er zu. »Aber es ist mehr eine Vermutung.« »Erzählen Sie trotzdem.« »Das war ja so. Vielleicht hätte ich den Wagen noch herumbekommen, aber das Lenkrad blockierte.« Er drehte sich um und deutete mit beiden Händen in die Fahrerkabine. »Können Sie sich das vorstellen, Sir? Für einen Moment war die Technik ausgeschaltet. Ich wußte nicht mehr, was ich machen sollte. Erst wenig später reagierte es wieder. Aber da war es längst zu spät.« »Und das stimmt, was Sie da gesagt haben?« »Ja.« »Keine Einbildung?« »Nein, Sir. Es ist auch nicht meinen überreizten Nerven zuzuschreiben. Über zwanzig Jahre fahre ich Lastwagen. Sie sind gewissermaßen meine Bräute. Ich kenne wirklich alles an ihnen. Die Wagen können mir nichts vormachen . . .« »Ja, ja, ich glaube Ihnen.« Der Mann war verzweifelt. Er kam über die schreckliche Tatsache einfach nicht hinweg. »Aber was kann es gewesen sein?« rief er voller Panik. »Mein Wagen ist in Ordnung. Darauf lege ich großen Wert. Ich bin unfallfrei gefahren. So etwas kann ich mir nicht erklären. Bisher hat mir der Truck immer gehorcht. . .« »Wissen Sie«, erwiderte ich ihm. »Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht steuern kann. Sie bestehen aus keiner Technik, obwohl sie gewissen Gesetzen unterworfen sind . . .« »Wie meinen Sie das?« Ich winkte ab. »Lassen Sie es gut sein, Mr. Griffith. Dies alles zu erklä ren, ginge ein wenig zuweit.« »Ja, ja, ich verstehe.« Er räusperte sich. »Was soll ich denn jetzt machen?« »Halten Sie sich weiterhin den Beamten zur Verfügung, Mr. Griffith. Die werden ein Protokoll aufnehmen, und alles wird seinen gewöhnlichen Gang laufen.« »Aber die Schuld an dem Unfall. . .« »Keine Sorge, Mr. Griffith, ich werde für Sie sprechen.« »Danke, Sir!« Ich hob die Schultern. Mehr konnte ich dem Mann nicht sagen. Ich war davon überzeugt, daß er keine Schuld an dem tragischen Unfall trug. Hier hatten andere Kräfte ihre Hände im Spiel. Sie waren auf Shao fixiert, und das mußte seinen Grund haben, den ich leider nicht kannte, sondern nur vermuten konnte. Zwangsläufig dachte ich an Shimada, den Dämon mit den blauen Augen, den Ninja-Kämpfer, Xorrons Feind, und den Mann der tausend Masken. So jedenfalls wurde er genannt. Seine Spür hatte mich nach New York geführt, wo ich die Ankunft der ZombieGaleere erlebt hatte. Auf der Galeere war es zum ersten Kampf zwischen Shimada und Xorron gekommen. Einen Sieger hatte es nicht
gegeben, denn Pandora hatte eingegriffen und beide Gegner in eine mir
unbekannte Welt gerissen.*
Suko war nicht mit nach New York gefahren. Er wollte in London bleiben,
um auf Shao achtzugeben, denn sie konnte man in diesem Spiel als eine
unbekannte Größe bezeichnen. Shao, die Chinesin, stand mit der
Sonnengöttin Amaterasu in einem unmittelbaren Zusammenhang, sie
war gewissermaßen eine Nachkommin dieser japanischen Göttin.
Irgendwo in ferner Vergangenheit mußten sich Shaos Ahnen vermischt
haben. Es war zu einer Verbindung zwischen Japanern und Chinesen
gekommen.
All dies ging mir durch den Kopf, und ich dachte näher darüber nach, als
ich plötzlich einen gellenden Ruf vernahm.
»Shao!«
Mein Blut schien auf einmal mit Eisstücken gefüllt zu sein, denn ich
kannte die Stimme, die da geschrien hatte.
Sie gehörte Suko!
*** Der Inspektor war nicht zu stoppen. Er glich einem menschlichen Ramm bock, als er den Gürtel der Neugierigen durchbrach, sich freie Bahn ver schaffte, den Blick auf seine Freundin Shao bekam, für einen Moment anhielt, starr wurde, dann wieder weiterrannte und mit einem lauten Schrei neben Shao auf die Knie fiel. Ich blieb stehen, Zwar wollte ich zu ihm gehen, doch meine Beine gehorchten mir nicht. Shao, Suko und ich - wir bildeten eine Insel inmitten des Trubels, denn ich merkte von den übrigen Vorgängen nichts, sondern hatte nur Augen für die beiden. Suko war über Shao gefallen. Ich hatte ihn bisher als einen beherrschten Menschen gekannt, der sich nicht so leicht unterkriegen ließ, doch Shaos Tod hatte ihn aus der Bahn geworfen. Er kniete nicht mehr vor ihr, sondern hatte sich über sie geworfen. Aus seinem Mund drangen schreckliche Laute. Die Hände fuhren zuckend über den Körper der schwarzhaarigen Chinesin, berührten mal die Hüften, die Brust oder streichelten die bleichen Wangen. Es war grauenhaft! Die Szene schnitt in mein Innerstes hinein, als hätte mir jemand ein Mes ser ins Herz gestoßen.
* Siehe John Sinclair Band 282: »Zombis stürmen New York«
Erst jetzt, als ich die beiden so sah, kam mir richtig zum Bewußtsein, was dort geschehen war. Shao, eine der unsrigen, lebte nicht mehr. Sie war tot, von einem Lastwagen überfahren. Dämonische Gegner hatten sich einen guten Helfer ausgesucht, einen normalen Menschen, der nicht merkte, daß er zu einem Spielball in den Händen fremder Mächte geworden war. Und so hatte es Shao erwischt. Ausgerechnet sie. Das mußte einen Grund haben. Vielleicht den, weil sie das schwächste Glied in der Kette war. Zusammen mit Sheila Conolly oder Johnny? Nein, irgendwie wollte ich das nicht glauben. Immer wieder schob sich eine grausame Gestalt vor meine Augen. Shimada! Dieser Dämon war wie ein Blitz aufgetaucht und hatte in das Geschehen eingegriffen. Damit konnte einfach niemand von uns rechnen. Eine bisher unbekannte Größe hatte sich heraus kristallisiert und bereitete uns großen Ärger. Ging Shaos Tod auf sein Konto? Einen Grund hatte er. Schließlich war die Chinesin eine Nachfolgerin der Sonnengöttin Amaterasu und damit auch eine Feindin des Ninja-Dä mons Shimada. Ich bekam Angst, wenn ich naher darüber nachdachte. Himmel, in welch einen Kreislauf war ich da nur hineingeraten? Ich schaute wieder auf Suko Jetzt kniete er, den Rücken hatte er durch gedrückt, sein Kopf war gesenkt. Er blickte auf seine tote Freundin, die Schultern bewegten sich, ein /.eichen, daß er weinte, und seine Hände hatte er gegen die bleichen Wangen der Toten gepreßt. Suko, der harte Kämpfer, der Mann, der keiner Gefahr aus dem Wege ging, trauerte um seine geliebte Shao. Auch in meiner Kehle hatte sich ein dicker Kloß ausgebreitet. Mir war ebenfalls nach Heulen zumute, aber ich riß mich zusammen, denn ich durfte auf keinen Fall den Überblick oder die Nerven verlieren. Eine seltsame Stille umgab uns. Selbst die Zuschauer unterhielten sich nicht mehr. Sie schauten auf Suko und nahmen Anteil an der Trauer meines Freundes. Griffith, der Fahrer, stand wie ein Denkmal. Er zuckte nicht, er atmete kaum, seine Gesichtszüge hatten sich verändert und waren gleichzeitig erstarrt. Dann stand Suko auf. Wie er das tat, glich einem Ritual. Er zuckte, als schien er aus einem Traum zu erwachen, drückte seine Hände gegen den Boden und richtete sich auf. Er drehte sich noch nicht um. Etwa fünf Sekunden lang blieb er neben Shao stehen und schaute auf die Tote. Wie mußte es in seinem Innern
aussehen? Zu vergleichen mit einem Vulkan von Gefühlen, der in meinem Freund tobte und Lavaströme aus Angst, Verzweiflung und Depression in ihm hochdrückte. Es begann mit einem Zucken seiner Schultern. Erst jetzt schien er die anderen wahrzunehmen. Und er sah mich, als er sich nach links wandte. Ich hob die Hand. Suko nickte nicht einmal, er bewegte auch seine Augen nicht. Mein Freund gab überhaupt kein Zeichen, daß er mich gesehen oder verstanden hatte. Er schaute an mir vorbei. Sein Blick war auf ein neues Ziel fixiert, ein Ziel, das schräg neben und hinter mir stand. Abe Griffith, der Fahrer! Auch der schien zu ahnen, was in dem Chinesen vorging, denn ich hörte sein angstvolles Flüstern. »Mein Gott, der ist ja . . .« Was er war, bewies Suko in den nächsten Sekunden, denn er schritt auf Griff ith zu. Schnell, zügig, und in seinem Gesicht las ich ab, was er vorhatte. Er gab dem Fahrer die Schuld, und er wollte ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen. Aber das war Irrsinn! »Suko, nicht! Um Himmels willen . . .« Zum ersten Mal sprach ich den Inspektor an. Suko war in diesen Augenblicken kein Mensch mehr, sondern eine Ma schine. Ihn konnte keiner aufhalten, auch sein bester Freund nicht. Und er beschleunigte seine Schritte, wurde noch schneller. Ich kam überhaupt nicht dazu einzugreifen, denn Suko erreichte den Mann, der eine Hand zur Abwehr hob, die durch Sukos Schlag wie eine lästige Fliege zur Seite gewischt wurde. Dann packte er ihn. »Du!« knurrte er tief aus der Kehle. »Du hast sie getötet. Du hast sie mir genommen. Sie war das . . .« Ich konnte es nicht mehr mit ansehen. Suko würde durchdrehen. Er hatte einen Punkt erreicht, den auch ich an mir kannte, denn ich brauchte nur daran zu denken, wie es mir ergangen war, als ich vor der toten Nadine Berger gestanden hatte. Jetzt mußte ein Freund eingreifen. Und das war ich. Nur einen Arm hatte Suko erhoben. Mit der Hand des anderen hielt er seinen Gegner fest. Er wollte zuschlagen. Da war ich bei ihm. Von der Seite her schlug ich zu. Meine Hand bekam seinen Arm zu packen. Es war ein wuchtiger Hieb, der meinen Freund traf, ihn um die
eigene Achse drehte, so daß er. Griff ith loslassen mußte und selbst
gegen die Breitseite der Kühlerhaube gestoßen wurde.
Suko schüttelte sich. Ich sah in seine Augen. Noch nie hatte ich bei ihm
diesen Blick erlebt. Suko war ungemein gefährlich. »John, laß es!«
»Nein, Suko, reiß dich zusammen! Dieser Mann kann nichts dafür. Er hat
Shao nicht umgebracht! Es waren andere.«
»John, geh aus dem Weg!«
Ich bekam es mit der Angst zu tun. Mein Partner war unberechenbar.
Stoßweise ging mein Atem. Im Kampf war mir Suko überlegen, das
mußte ich ehrlich zugeben, aber ich hatte vielleicht die Überraschung auf
meiner Seite.
»John, weg da! Oder ich mache dich . . .«
»Was machst du?« unterbrach ich ihn.
»Er hat sie getötet!« Das Gesicht meines Freundes verzog sich auf
angsteinflößende Art und Weise.
Da schlug ich zu.
Mein rechter Arm fegte von unten nach oben. Die Faust traf das Kinn,
das Suko mir vorgestreckt hielt und vor allen Dingen völlig deckungslos
war.
Den Treffer spürte ich bis in mein Schultergelenk. Es war wie ein harter
Stromstoß.
Sein Gesicht verzerrte sich. Er schaute mich an und gleichzeitig auch
hindurch. Unglaube stand in seinem Blick, dann schüttelte er sich, aber
er ging nicht k.o., sondern hielt sich noch auf den Beinen, auch wenn er
sich festhalten mußte und jetzt Tränen aus seinen Augen liefen.
»Suko!« flüsterte ich.
»Verdammt, John, ich .. .« Mein Freund holte tief Atem. Irgendwie schien
er wieder zu sich zu kommen. Es glich einem Erwachen aus einem tiefen
Traum. Er hob den Arm und faßte dorthin, wo ihn mein Treffer erwischt
hatte.
Ich nickte. »Tut mir leid«, sagte ich gleichzeitig, »aber ich wußte nur kei nen Rat.«
»Schon gut. Ich war wohl weggetreten.« Er wischte über seine Wangen
und schaute Abe Griffith an, der noch neben uns stand und nichts mehr
begriff.
Die Zuschauer interessierten mich nicht. Sollten sie ruhig Zeugen sein,
hier ging es um mehr, um viel mehr.
Suko wechselte plötzlich das Thema. »Sie ist tot, nicht wahr, John?«
Ich schwieg.
»John, sag was!« Drei gequälte Worte drangen aus seinem Mund.
Fürchterliches mußte in Suko vorgehen, aber was sollte ich ihm antwor ten? In meinem Gehirn befand sich eine Sperre. Jedes Wort wäre in
diesem Fall vielleicht zuviel gewesen.
»Er war es, oder?« Suko deutete bei dieser Frage auf den Fahrer Abe Griffith. »Ja und nein«, erwiderte ich. »Wieso?« »Er hat Shao zwar überfahren, aber dafür konnte er nichts. Da gab es eine Kraft, die ihn gelenkt hat.« »Dämonen?« »Genau.« Suko drehte sich. Er stoppte, damit er Abe Griffith anschauen konnte, und dieser erschrak heftig. »Wie ist es passiert?« fuhr Suko den Mann an »Los, rede!« »Wirklich, Sir, ich konnte nichts dagegen machen. Ich habe die Frau gesehen, wollte das Steuerrad herumreißen, als mich etwas daran hinderte. Es blieb in der Richtung . . .« Suko winkte ab. »Schon gut«, flüsterte er. »Entschuldigen Sie, aber es war meine Partnerin, die Sie da überfahren haben. Deshalb die heftige Reaktion.« Der Chinese hob die Schultern. Ich sah, daß es in seinem Gesicht zuckte. So völlig hatte er sich mit den Tatsachen noch nicht abgefunden, das lag auf der Hand. Er traute sich kaum, auf Shao zuzugehen. Erst ich drängte ihn dazu, und gemeinsam knieten wir neben der Toten. Diesmal untersuchte ich sie mit. Und ich war objektiver als Suko. Vor uns lag eine Tote. Aus ihrem Mund drang kein Atemzug, wir spürten auch keinen Herzschlag, aber Shaos Körper wies auch keinerlei Verletzungen auf. Ich suchte nach Schürfwunden, während Suko mehr ihr Gesicht streichelte und mit sachten Fingern die Haarsträhnen zurücklegte. Für die Realitäten hatte er keinen Blick und auch keinen Sinn. Ich dafür um so mehr. Mir fiel nicht nur auf, daß Shaos Körper frei jeg licher Verletzungen war, sondern auch noch etwas anderes. Das Vorderrad des Lastwagens hatte sie überhaupt nicht berührt. Und doch lag sie hier! Das mußte etwas zu bedeuten haben. Ich wurde mit einemmal sehr mißtrauisch, schaute noch genauer hin und drückte sogar meinen Freund Suko zur Seite. »Was ist denn?« beschwerte er sich. »Nichts.« Ich antwortete bewußt unwahr, denn ich wollte Suko nicht auf regen. Eins allerdings stand jetzt bereits fest. Mit einem Leichenwagen und eingepackt in einen Sarg aus Zink oder Kunststoff wollte ich Shao nicht abtransportieren lassen. Es wurden zwar keine Toten mit einem Rettungswagen befördert, doch in diesem Fall sollte und mußte eine Ausnahme gemacht werden. Dafür wollte ich Sorge tragen. Meinen Freund Suko ließ ich allein und wandte mich an die zuständigen Beamten, die sich weiterhin in der Nähe aufhielten. »Lassen Sie einen Rettungswagen kommen!«
»Aber Sir.« Sofort erntete ich Widerspruch. »Die Frau ist tot. Wir müssen
sie mit einem Leichenwagen . . .«
»Einen Rettungswagen.« Ich bestand darauf. »Haben Sie nicht
verstanden?«
»Ja . . . Jawohl, Sir.«
Suko hatte meine Worte gehört, da ich ziemlich laut sprach. Jetzt hatte
er natürlich Fragen, die sich ungefähr denen glichen, die auch der
Polizist gestellt hatte.
»John, sie ist doch tot! Du kannst keine Leiche . . .«
Ich drängte meinen Freund ein wenig abseits und schaute ihm aus
kurzer Entfernung ins Gesicht. »Hast du bei Shao eine Verletzung
feststellen können?«
Er blickte mich an. Ich beobachtete das Mienenspiel auf seinem Gesicht.
Zunächst einmal legte er seine Stirn in Falten, dabei weiteten sich seine
Augen, dann erschienen rote Flecken auf seinen Wangen, und sein
schmaler Mund öffnete sich.
»John, sie ist tot. Ich habe kein Leben mehr gespürt. Es schlug kein
Herz, kein Atem drang aus ihrem Mund . . .«
»Aber sie hatte nicht die Verletzungen oder Abschürfungen, die sie ei gentlich hätte haben müssen!« hielt ich dagegen. »Überlege genau. Sie
ist angeblich von einem Lastwagen angefahren worden und hätte
Hautabschürfungen haben müssen.«
Suko schaute auf seine leblose Freundin. »Das stimmt. . .«
»Na bitte!«
»Glaubst du denn daran, daß sie nicht. . .?«
Ich winkte mit beiden Händen ab. »Das habe ich nicht gesagt. Aber ir gend etwas stimmt da nicht. Weshalb hat es gerade Shao erwischt? Da
muß es einen triftigen Grund geben.«
»Und welchen?«
»Frag mich was Leichteres«, antwortete ich meinem Freund, »aber ich
habe dich nicht umsonst in London zurückgelassen, als ich nach New
York ging, um die Zombie-Galeere zu erwarten.«
»Siehst du einen Zusammenhang?«
»Hat uns Shao nicht auf Shimadas Spur gebracht?«
»Ja, du hast recht.« Suko atmete tief ein. »Und dafür mußte sie
sterben«, knirschte er.
»So sieht es aus.«
Der Wagen kam. Es war ein so großes Fahrzeug, daß es erst 'drehen
mußte. Rückwärts fuhr es an den Ort des Geschehens heran. Die
Polizisten drängten die Neugierigen zurück. Als der Wagen stand,
sprangen zwei Sanitäter aus dem Führerhaus. Sie öffneten die hinteren
Klapptüren und holten eine Trage hervor. Mit ihr liefen sie zu Shao und
stutzten.
»Sie ist tot«, sagte einer.
»Nehmt sie trotzdem mit.«
»Das ist gegen die Vorschriften!«
Ich ließ die beiden Männer auf meinen Ausweis blicken. »Hiermit ordne
ich an, daß ihr sie mitnehmt und wir uns als Begleitung ebenfalls
anschließen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Ja, Sir, das haben Sie.«
»Dann bitte. Tun Sie Ihre Pflicht!«
Die beiden Männer sagten nichts mehr. Ihre Reaktion war verständlich.
Es widersprach tatsächlich den Vorschriften.
Jetzt hoben sie Shao vorsichtig an und betteten sie auf die Trage, wo sie
sogar noch festgeschnallt wurde, bevor die Männer die Trage in die
Schienen hoben und reinschoben. Bevor die Männer die Türen
schließen konnten, waren wir schon eingestiegen.
Im Wagen war es eng. Die medizinischen Geräte erleichterten unsere
Bewegungsfreiheit auch nicht. Ich mußte daran denken, daß ich schon
einmal in einer ähnlichen Situation mit einem solchen Wagen gefahren
war. Nur hatte da nicht Shao gelegen, sondern Jane Collins. Wenig
später war sie mir von Wikka entrissen worden.
Wir hörten das Schlagen der Türen. Der Anlasser drehte ein wenig
durch, dann sprang der Motor an, und wir fuhren los.
»Und jetzt?« fragte mich mein Freund Suko leise.
Ich erwiderte nichts, schaute in Shaos Gesicht und entdeckte das leichte
Zucken um ihre Mundwinkel.
Sie hatte sich bewegt!
Nicht tot?
In meinem Innern tobte plötzlich ein Vulkan. Unheimliche Gefühle stürm ten auf mich nieder. Ich konnte sie nicht in Worte fassen und Suko des halb auch kein Zeichen geben, aber er hatte es längst bemerkt.
»John!« ächzte er. »Verdammt, John, das stimmt tatsächlich. Sie . . . Sie
hat sich . . .« Er fuhr zu mir herum und steigerte seine Stimme. »John,
sie ist nicht tot!«
Mein Freund saß da, wie vom Blitz getroffen. Er wußte nicht mehr, was
er noch sagen sollte. Dabei bewegte er seine Lippen, doch kein Ton
drang aus seinem Mund.
Dafür klang eine andere Stimme auf. Es war nicht die von Shao, obwohl
sie gesprochen hatte.
»Nein, ich bin nicht tot, aber es mußte sein!«
Wir vernahmen die Worte sehr deutlich, aber wir wußten auch, daß nicht
Shao sie gesprochen hatte, sondern eine Fremde!
***
Sie hatten sich von den Ruderbänken der Galeere erhoben, um unter den Menschen ihre Opfer zu finden. Lebende Leichen, Zombies, die auf den Befehl eines Monstrums hörten. Auf Xorron! Er allein hatte es geschafft und das große Totenheer zusammengetrom melt. Unheimliche Bestien, gefühllose, seelenlose Mordgestalten, Zombies, Untote. Seine Streitmacht. Mit ihr hatte er die Galeere besetzt und war nach New York gefahren. Die Zombies wollten wie eine Invasion des Schreckens über die Riesenstadt am Hudson herfallen, wobei sie nur ein Ziel kannten - das Töten. Bei Xorrons Erweckung war es ihnen verwehrt gewesen, doch an diesem Tag hatte es passieren sollen. Es kam anders. Ein Feind erschien. Shimada, der Ninja-Dämon. War er allein schon un geheuer stark, so hatte.er es sich nicht nehmen lassen und vier seiner gefährlichsten Leibwächter mitgebracht. Die mörderischen NinjaSamurais, ebenfalls Untote, aber ausgerüstet mit Waffen, gegen die Xorrons Diener nicht ankamen. Reihenweise wurde das Totenheer dezimiert. Xorron hatte nur zusehen müssen, und schließlich stellte sich Shimada gegen ihn. Und dieser Ninja-Dämon zwang Xorron in die Knie. Er fügte dem Herrn der Zombies und Ghouls eine ungeheure Schmach zu, und Xorron war wehrlos. Nichts konnte er tun, sein Schicksal schien besiegelt. Da jedoch tauchte jemand auf, mit dessen Erscheinen er selbst nicht ge rechnet hatte. Eine geheimnisvolle, sagenumwobene Figur im unheimlichen Spiel der dämonischen Aktivitäten. Ein Wesen aus fernster Vergangenheit, aus der Sagenwelt der Antike. Pandora, die Unheilbringerin! Und sie rettete Xorron. Ihre Magie ermöglichte es, daß Xorron verschwinden konnte, bevor ihn der tödliche Streich von Shimada traf. Pandora hatte ihr Füllhorn ins Spiel gebracht und ihren »Freund« Xorron zurück in eine andere Dimension geschleudert, wo er sich nun befand und vorerst einmal in Sicherheit war. Er war nicht allein! Alle seine Diener waren mit in diese Dimension hineingerissen worden und sogar die Galeere. Eigentlich hatte sich nichts verändert, nur war die Umgebung eine andere geworden. Es gab keinen Hafen mehr, keinen Shimada, keine Ninja-Leibwächter und keinen John Sinclair, denn er hatte ebenfalls seinen Weg nach New York gefunden, um Xorrons Aktivitäten zu stoppen.
Xorron befand sich mit seinem Totenheer allein in der neuen Dimension. Die Galeere schwebte zwischen den Zeiten. Es war keine Welle da, die es trug und auf der es reiten konnte, sondern nur blasse Streifen, die an Nebelfetzen erinnerten und mit trägen Bewegungen an den Seiten der Galeere vorbeistreiften. Xorron kniete auf dem Deck. Er hatte noch immer die Haltung einge nommen, zu der ihn Shimada damals zwang. Und er wunderte sich darüber, daß er noch lebte. Nur mühsam fand er sich wieder zurecht. Zuerst hob er seinen Kopf, der nach unten gesunken war. Er schaute nach vorn, blickte über das Deck der alten Galeere und sah seine Diener. Das Totenheer wartete. Aber es war dezimiert worden. Shimadas Kämpfer hatten mörderisch gewütet. Mit ihren Waffen hatten sie die Zombies sogar in mehrere Stücke geschlagen. Schwerter, Dolche und Pfeile hatten den untoten Wesen den Garaus gemacht, aber es waren noch genügend übrig, und Xorron, das war sicher, würde sich auch wieder welche holen. Es lauerten noch genügend Zombies in den Tiefen der Erde, um zu ihrem Herrn und Meister stoßen zu können. Unwillig schüttelte er seinen Kopf, als er sich in die Höhe stemmte. Etwas wankend setzte er die ersten Schritte, schaute aus seinen schmalen Augenschlitzen an seinen Dienern vorbei, verfolgte die außen treibenden Nebelstreifen und hörte das Knirschen der Planken, als er über sie hinwegging. Die Galeere war sehr alt und einer starken Belastung kaum gewachsen. Dennoch hatte sie es geschafft, die weite Reise über den Atlantik bis nach New York zurückzulegen. Das lag weit zurück. Es zählte jetzt erst die neue Dimension, in die Pan dora Xorron hineingeschleudert hatte. Wo befanden sich seine Gegner? Das wollte der Herr der Untoten genau wissen und blieb neben dem alten Segelmast auf der Schiffsmitte stehen, um sich umzuschauen. Von Shimada sah er nichts. Im Nebel der Zeit, der Dimension, war er verschwunden. Voll getroffen von einer vielleicht noch stärkeren Magie, die Pandora, die Unheilbringe rin, eingesetzt hatte. Sie hatte Xorron gerettet, und das wußte er auch. Xorron, das Monstrum, das bisher immer nur Befehle hatte entgegennehmen müssen, war ge zwungen umzudenken. Er stand allein, konnte weder auf den Schutz eines Solo Morasso noch einer Lady X vertrauen. Er mußte selbst Entscheidungen treffen, und das hatte er getan.
Xorron wollte seine großen Pläne verwirklichen. Er hatte die Zombies um sich gesammelt, um gnadenlos ein^ zusteigen und die Menschen zu seinen Dienern zu machen. Es war ihm beim ersten Anlauf nicht gelungen. Der Grund hieß Shimada, und über ihn dachte Xorron nach. Es war kaum zu fassen, daß sich in diesem hirnlosen Wesen Gedanken bildeten, aber daran ging kein Weg vorbei. Xorron dachte, und er überlegte, weshalb Shimada ihn hatte töten wollen. Wer war dieser Dämon? Wenn er das herausfinden wollte, dann mußte er tief in seinem Gedächt nis kramen, was natürlich sehr schwer war, denn Shimada stammte aus einer Zeit, die noch vor Xorrons Verschwinden unter den Central Park lag. Also in fernster Vergangenheit. Tausende von Jahren waren ins Land gegangen. Sich an Einzelheiten zu erinnern, war so gut wie unmöglich, doch Xorron blieb keine andere Wahl. Zudem besaß er keinen, der ihm eventuell einen Hinweis gegeben hätte, denn Pandora ließ sich nicht blicken. Von ihr, so hoffte er, hätte er vielleicht Aufklärung erwarten können. Er schaute auf seine Diener! Nein, die würden ihm kaum weiterhelfen. Sein Totenheer setzte sich aus tumben, grausamen Gestalten zusammen, die nur den Mord kannten. Sie hockten nicht mehr auf den Ruderbänken, sondern wankten und schlichen über das Deck der Galeere. Ihre Bewegungen glichen denen von ferngelenkten Wesen. Da war nichts Zielstrebiges, sondern ein Schleichen, ein Schlurfen und das Bewegen der Arme, mit denen sie ihr Gleichgewicht hielten. Sie wären längst gefallen, doch das Schlenkern hielt sie in der Waagerechten. Manchmal prallten sie auch gegeneinander. Da drehten sich dann die Stärkeren um die eigene Achse, während die Schwächeren mit dumpfen Schlägen auf die Planken fielen. Nur über die Reling fiel keiner. Nicht, weil sie zu hoch gewesen wäre, aber die Zobies sahen die Reling als Grenze an. Wenn sie von dem einen oder anderen erreicht worden war, dann stoppten sie ihren Gang, wankten zurück oder wieder zur Seite und gingen in der entsprechenden Richtung weiter. Das alles sah Xorron. Er hatte es bisher auch als einen Vorteil empfun den, aber er merkte inzwischen, daß er mit seinen Zombies in dieser Welt nicht viel anfangen konnte. Wenn er sie erforschen wollte, dann mußte er dies selbst in die Hand nehmen. Das tat er auch. Unter den Untoten befanden sich Zombies beiderlei Geschlechts. Sie wurden von Xorron rücksichtslos zur Seite geräumt. Er schleuderte sie auf Deck, bahnte sich so seinen Weg, erreichte die Reling, stützte für
einen Moment seine Hände darauf und schaute nach vorn und gleichzeitig nach unten, wobei er an eine Tiefe dachte, die sich unauslotbar vor ihm ausbreitete. Diese Dimension oder Welt besaß keinen festen Boden oder Grund. Hier war alles anders. Xorron wagte es trotzdem. Er ließ einige Nebelfetzen vorbeiziehen und schwang sich dann über die Reling. Eigentlich hätte er fallen müssen, weil er keinen festen Grund sah. Das geschah nicht. Xorron stand. Er schwebte und stand dennoch. Der Boden, obwohl nicht sichtbar, war vorhanden. Ein Beobachter hätte leicht den Verstand verlieren können, zumindest seinen Glauben an die Naturgesetze. Nicht jedoch Xorron. Er nahm so etwas hin, denn fremde Dimensionen waren ihm nicht unbekannt. Das Monstrum entfernte sich von der Galeere. Sein Forscherdrang war geweckt worden. Er wollte jetzt endlich wissen, wo es langging, und nicht immer nur nachlaufen. Er ging, schwebte, verspürte an seinen Füßen keinen Widerstand und schaffte es dennoch. Weiter, immer weiter. Der Nebel umwallte ihn. Als er einen Blick zurückwarf, war die Galeere verschwunden. Im Dunst lag sie. Ihre Umrisse glichen bizarren Schatten, die immer stärker aufweichten, um irgendwo völlig verschluckt zu werden. Xorron war allein. Die fremde Dimension schloß ihn ein. Vorbei huschten die seltsam läng lichen Nebel. Nur mehr Fetzen, faserige Schleier, die auch über seine Haut glitten und er die Berührung sogar spürte. Ein Phänomen, denn normalerweise war Xorron oder seine Haut so gut wie gegen alles resistent. Was hatten seine Gegner nicht schon versucht! John Sinclair an erster Stelle. Das Kreuz hatte er gegen das Monstrum aktiviert, ohne einen Erfolg zu erzielen. Silberkugeln erreichten ebenfalls nichts, auch nicht die Dämonenpeitsche oder ein geweihter Dolch. Xorron war für Menschen und deren Waffen unbesiegbar. Er blieb stehen, denn er hatte das Gefühl, als würde sich die Ebene oder Welt vor ihm verändern. Für einen Moment regte er sich nicht, weil er starr nach vorn schaute. In der Tat wichen die Nebel. Sein Blick wurde freier, und er traf einen Gegenstand, den er wohl hier nie vermutet hätte. Es war eine halbrunde, spiegelnde, in seinen Ausdehnungen unendlich erscheinende Wand. Für Xorron war es schwer, die Entfernung zu ihr
abzuschätzen, dennoch ahnte er, daß sie ein Hindernis bildete, das er so
einfach nicht durchbrechen konnte.
Dies hatte etwas zu bedeuten.
Und Xorron sollte sich nicht getäuscht haben, denn aus der Wand er klang eine helle Stimme.
Pandora sprach zu ihm, und sie sagte einen folgenschweren Satz.
»Willkommen am Rande der Ewigkeit . . .«
*** Suko zuckte zurück.
Selten während unserer langen Freundschaft hatte ich den Chinesen so
überrascht gesehen. Er dachte auch nicht mehr an die Enge des
Wagens, knallte mit dem Kopf gegen die Decke und verzog das Gesicht,
doch seinen Blick hielt er auf die vor uns liegende Shao gerichtet.
Ich blieb sitzen. Vielleicht hatte ich eine ähnliche Reaktion im Unterbe wußtsein geahnt. Jedenfalls hatte sie mich nicht so überraschend
getroffen wie meinen Partner.
Nein, ich bin nicht tot, aber es mußte sein ...
So hatte Shao gesprochen. Worte, die wir zwar verstanden, aber nicht
begriffen.
Ich schaute auf Suko. Mein Freund wischte über seine Stirn. Dabei hob
er die Schultern, eine bezeichnende Geste, die auch mir hätte einfallen
können, und als Suko seinen Arm ausstreckte, wobei sich sein Gesicht
fragend verzog, da nickte ich.
»Ja, Suko, ich habe es auch gehört.«
»Dann hat sie geredet.«
»Sie?« Ich hob die Schultern. »War es wirklich Shao oder nicht doch
Amaterasu?«
»Vielleicht«, hauchte Suko, wollte jetzt Fragen stellen, aber Shao kam
ihm zuvor.
»Nicht reden«, sagte sie wieder mit ihrer fremden Stimme. »Ich bin Ama terasu. Es ist alles so unendlich kompliziert, aber es hat so sein müssen,
wenn man in den Lauf des Schicksals eingreifen will.«
»Was meinst du damit?« fragte Suko.
»Wir müssen kämpfen, achtgeben, denn wir nähern uns dem Rande der
Zeiten und der Ewigkeiten. Etwas Schreckliches ist erwacht. Wenn es
nicht gestoppt wird, ist die Erde verloren.«
»Shimada?«
Ich hatte gefragt und bekam auch eine Antwort. Das »Ja« war nur mehr
ein Hauch.
»Aber wie ist das möglich?« hakte ich nach.
»Junge Leute haben in ihrer Unwissenheit etwas Schlimmes getan. Oder
sind dabei, es zu tun.«
»Was?«
»Sie haben durch eine Beschwörung die Zeiten und deren Gesetze
unterbrochen.«
»Wer?« wollte ich wissen und steigerte meine Stimme, was Suko über haupt nicht gefiel.
»Schrei sie doch nicht so an!« sagte er zu mir.
Shaos Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Es ist schon gut, laß ihn!«
sagte sie mit Amaterasus Stimme. »Aber ihr müßt euch wirklich beeilen,
denn die Zeit drängt.«
»Was sollen wir machen?«
»Findet den Fächer!«
»Welchen Fächer?« fragte Suko, obwohl er an sich hätte wissen können,
um welch eine Waffe es sich dabei handelte. Darum hatte sich damals
viel gedreht, und deswegen war auch der goldene Samurai erschienen.
»Meinen Fächer«, stöhnte Shao.
»Hat ihn nicht der goldene Samurai?« fragte ich.
»Nein, nicht mehr. Den Unwissenden ist es gelungen, ihn an sich zu
nehmen. Sie werden ihn benutzen und bringen die Zeiten und alles, was
damit zusammenhängt, durcheinander. Sie begeben sich in eine
schreckliche Gefahr, von der sie nicht einmal etwas ahnen.«
»Wer sind die Leute?« fragte mein Freund.
»Freunde des Horrors. Sie haben einen Club gegründet und sich getrof fen.«
»Hier in London?«
»Ja, John. In London. Aber es sind keine Landsleute, sondern junge
Menschen aus Deutschland. Es ist ihnen gelungen, einen gefährlichen
Platz auszumachen. Dort konnten sie die Beschwörungen durchführen,
und wenn ihr nicht achtgebt und sie nicht findet, dann . . .« Shao sprach
nicht mehr weiter. Es mußte sie ungemein anstrengen. Sie warf sich auf
dem Lager hin und her. Ihr Gesicht glühte, der Atem ging keuchend, und
sie hatte Mühe, sich wieder zu beruhigen.
Suko und ich sagten nichts. Wir ließen sie in Ruhe. Was wir auch taten,
es hätte verkehrt sein können.
Shao beruhigte sich nur allmählich. Ich konnte mir ihren Zustand kaum
erklären. Sie sah zwar so aus, wie wir sie kannten, dennoch war sie eine
andere, denn in ihr steckte ein fremder Geist.
Amaterasus!
Wir wußten, daß diese Göttin gefangen war und nur durch den Fächer
hätte wieder freikommen können. Aber der Weg zu ihr in das Dunkle
Reich war versperrt. So war es nicht gelungen, ihr den Fächer zu
überreichen, so daß sie etwas hätte gegen ihre Feinde unternehmen
können.
Der Goldene stand auf ihrer Seite. Er wollte ihr den Fächer geben, aber er kam nicht hin. Zu dicht waren die Grenzen. Und nun besaß er den Fä cher, um den er so hart gekämpft hatte, nicht mehr. Kaum vorstellbar. Suko hatte ein Tuch aus der Tasche geholt. Er tupfte seiner Freundin den Schweiß von der Stirn. Es war verhext, denn Shao gehörte tatsächlich von der Abstammung her zu Amaterasu, der Sonnengöttin. Und sie bediente sich auch des Körpers der Chinesin, um uns etwas mit zuteilen. »Es tut mir leid, daß ich euch erschreckt habe«, erklärte Shao mit der fremden Stimme, »aber es hatte sein müssen. Anders konnte ich den Kontakt nicht aufnehmen. Wir müssen sehr vorsichtig sein, denn die Feinde lauern überall.« »Ist es Shimada?« wollte ich wissen. »Ja, auch er. Und Xorron. Durch den Fächer haben sich die Zeiten verschoben. Uralte Feindschaften sind wieder ausgegraben worden. Monstren, die längst verschollen waren, kehren zurück. Die Panik und die Angst werden ausbrechen wie wütende Vulkane. Chimada und Xorron werden kämpfen und töten. Deshalb bitte ich euch: Findet die jungen Menschen! Beeilt euch, die Zeit drängt. Noch herrscht Ruhe vor dem Sturm, doch die Zombie-Galeere war schon unterwegs . . .« Das waren die letzten Worte, die Shao mit der Stimme ihrer Ahnherrin sprach. Im nächsten Moment schnellte sie in die Höhe, schrie auf, das Gesicht verzerrte sich, es wurde bleich, und der Schweiß perlte aus den kaum sichtbaren Hautfältchen. Sie sackte zusammen. Ich hörte Sukos Schrei, denn mein Freund glaubte, daß jetzt alles vorbei war. Er warf sich auf seine Freundin, bekam sie an der Schulter zu fassen, und ich mußte mit ansehen, wie sie ihren Kopf hob. »Suko?« fragte Shao erstaunt. Der Inspektor blieb in seiner Haltung, als hätte man ihn eingefroren. Er schaute danach zu mir. Ich hielt seinem Blick stand, hob die Schultern und begann zu lächeln. »Du hast es gehört, John, nicht?« »In der Tat.« »Sag was, Shao, bitte! Sag etwas!« Mein Freund war ganz aus dem Häuschen, und beide hörten wir die verwunderte Frage der dunkelhaarigen Chinesin. »Wo bin ich?« Suko gab keine Antwort. Er lachte nur. Und es klang so ehrlich, so beru higend, als er schließlich auch seine Meinung abgab. »Sie redet mit ihrer Stimme. Meine Güte, sie ist wieder okay.« Mein Freund konnte nicht an ders. Er mußte seinen Gefühlen freien Lauf lassen und Shao in die Arme schließen.
Ich saß daneben und lächelte. Ich freute mich von ganzem Herzen, daß alles wieder normal wurde. Nur die Worte hatte ich nicht vergessen. Von einer ungeheuren Gefahr hatte Shao gesprochen, die wir stoppen mußten und von der wir verdammt wenig wußten.
Wir merkten kaum, daß der Wagen hielt. Erst als die beiden hinteren Türhälften aufschwangen, zuckten wir herum. Suko saß dabei und hielt Shao umklammert.
Die Sanis starrten uns an, als kämen wir vom Mond und sähen entspre chend aus.
»Ist was?« fragte ich.
Einer der Männer nickte. Sein zitternder Finger deutete auf Shao. »Sie ist doch tot. . .«
»Wirklich?«
»Ja, ich habe es gesehen.«
Ich stieg aus dem Wagen und gab erst dann eine Antwort. »Da sieht man wieder, wie man sich irren kann, mein Lieber. . .«
Als Shao und Suko schließlich ebenfalls den Wagen verließen, war alles zu spät. Die Sanitäter begriffen die Welt nicht mehr.
*** Es waren neun junge Leute, und sie kamen allesamt aus Deutschland. Sie wohnten in ebenso unterschiedlichen Städten und Orten, wie es auch ihre Berufe waren. Manche von ihnen befanden sich in der Ausbildung, einer Lehre, andere waren schon fertig und gingen ihren Berufen nach, und die übrigen drückten noch ihre Plätze auf der Schulbank. Eines jedoch hatten sie gemeinsam. Es war ein Hobby, dem sie mit einer wahren Leidenschaft frönten. Horror! Die Jungen liebten das Spiel mit der Mystik, dem Schrecken und der Spannung. Aus diesem Grund hatten sie auch Clubs gegründet, wobei die Clubs untereinander in Verbindung standen, einen, regen Briefwechsel führten, die Mitglieder sich hin und wieder auf sogenannten Cons trafen und dort neue Ideen oder Vorschläge anbrachten. So war auch die Idee entstanden, einmal nach England zu fahren. Al lerdings nur die Leiter der Clubs. Die wollten sich zusammentun und sich in den großen Ferien London anschauen. Die Idee stammte eigentlich von Hauke Heck. Er hatte die besten Be ziehungen nach London, denn in dieser Stadt wohnte ein Brieffreund von ihm, ein junger Japaner, der sich, ebenso wie Hauke, auch mit Mystik und Horror beschäftigte.
Koto, so hieß der Japaner, war bereits weitergegangen und hatte ge wisse Experimente durchgeführt, an denen er auch seine deutschen Freunde teilhaben lassen wollte. Als Hauke mit dem Vorschlag herausrückte, waren seine Freunde natür lich begeistert. Sie hatten einige Monate gespart, um sich die Reise leisten zu können. Nun befanden sie sich in London und an dem Ort, den Hauke vorgeschlagen hatte. Er paßte zu ihnen wie die berühmte Faust aufs Auge, denn sie hatten als Treffpunkt einen alten Friedhof ausgemacht, der am Rande der Millionenstadt lag. Hier wurde niemand mehr begraben. Die Stadt hatte das Gelände aufgegeben, so gab es auch keinen mehr, der es sauberhielt. Das Unkraut konnte ebenso wuchern wie Büsche und Hecken. Sie verdeckten die alten, schiefen Grabsteine, und die dünnen Zweige der Trauerweiden hingen so weit nach unten, daß sie mit ihren Spitzen über die grauen, moosbewachsenen Steine streiften, als wollten sie diese streicheln. Selbst bei Tageslicht machte der Friedhof einen unheimlichen Eindruck. Wer unter den Kronen der Trauerweiden saß, bekam nur wenig Licht ab, weil viel gefiltert wurde. Eine solche Trauerweide hatten sich die neun Freunde ausgesucht. Es war ein besonders prächtiges Exemplar, dicht gewachsen und mit Zweigen, die sich vor ihnen zu verneigen schienen und manchmal sogar den Boden berührten, auf dem sich unter diesem natürlichen Dach moosiges Gras ausgebreitet hatte. . Gräber gab es hier nicht. Dafür etwas anderes. Irgend jemand hatte an dieser Stelle eine Bank und einen Tisch aufgestellt. Die Größe des Ti sches reichte aus, um alle Freunde einen Platz finden zu lassen, und das faulig und weich wirkende Holz war immerhin so stark, daß es nicht brach, wenn sich die Jungen auf die Bänke setzten. Im Moment warteten sie auf Hauke Heck. Er war verschwunden, um sei nen Brieffreund zu treffen. Mit ihm wollte er zurückkehren, und angeblich sollte Koto ihnen dann etwas Geheimnisvolles vorführen. Was das war, darüber hatte sich Hauke nicht ausgelassen. Wahrschein lich wußte er es selbst nicht, aber seine Freunde wurden mittlerweile ungeduldig. Schließlich war Hauke fast zwei Stunden verschwunden, und so lange zu warten, ist nicht jedermanns Sache. Hinzu kam der seltsame Ort. Obwohl sich die Jungen mit Horror be schäftigten, war einigen von ihnen dieser Friedhof doch ein wenig unheimlich. Zuerst hatten sie sich ja gefreut und darüber gelacht, aber wenn keiner von ihnen etwas sagte und Ruhe eingekehrt war, da glaubten einige, eine seltsame Atmosphäre zu spüren, die über dem Friedhof lag und ihn regelrecht belastete.
England erlebte wie auch Deutschland und das übrige Europa eine ge waltige Hitzewelle. Davon blieb auch der Friedhof nicht verschont. Unter
den dichten Zweigen der uralten Trauerweide schien die Luft zu stehen,
und wenn die Menschen atmeten, hatten sie das Gefühl, die Luft oder
den Sauerstoff trinken zu können.
So schwül war es.
An einem Ende des Tisches saß Ullrich Latta. Er trug ein dünnes T-Shirt
und helle Jeans. Jetzt haute der blondhaarige Achtzehnjährige mit der
Faust auf die Holzplatte. »Verdammt, ich habe keine Lust mehr«,
beschwerte er sich nach dem Schlag. »Wenn er nicht bald kommt,
verschwinde ich von hier.«
»Hast du Angst?« fragte Andreas Schattmann grinsend. Er saß Ullrich
genau gegenüber.
»Ich?«
»Sicher.«
»Das wollen wir doch mal sehen.« Ullrich lachte. »Ich und Angst. Ich
würde sogar hier übernachten.«
»Die Idee ist gut«, meinte Marc Fürstner, »übernachten können wir hier.
Zwischen den alten Gräbern unseren Platz finden und darauf warten,
daß die Toten aus der feuchten Erde steigen.«
»Von denen wird wohl nicht mehr viel übriggeblieben sein«, meinte der
dunkelhaarige Rudi Tewes trocken. »Vielleicht ein bißchen Skelettstaub.
Und den kannst du wegpusten.«
Die anderen lachten, was Ullrich aber nicht daran hinderte, sich zu er heben.
»Wo willst du hin?« wurde er gefragt.
Ullrich deutete über seine Schulter. »Ich schaue mich mal ein wenig
um.« Er zog den Hosenstoff von seinen schweißfeuchten Oberschenkeln
und stieg über die Bank.
»Paß auf, daß dich kein Ghoul holt!« rief ihm Andreas nach.
»Du kannst ja mitkommen.«
»Keinen Bock.«
»Selbst schuld.« Ullrich hob die Schultern und verschwand. Er mußte die
herabhängenden Zweige der Trauerweide zur Seite biegen, um sich den
nötigen Platz zu schaffen.
Nach wenigen Schritten bereits fühlte er sich allein. Seine Freunde
waren hinter ihm zurückgeblieben, gedeckt durch die mit feinem
Blattwerk bewachsenen Baumzweige.
Der alte Friedhof flößte Ullrich zwar keine Angst ein, ein seltsames
Gefühl blieb aber schon zurück. Es war für ihn kaum zu erkennen, ob er
sich nun auf einem Weg befand oder bereits über die Flächen der
Gräber schritt. Dazu war dieser Flecken Erde einfach zu verwildert. Er
wandte sich nach rechts, denn diese Richtung hatte er sich gemerkt, weil
in sie auch Hauke verschwunden war. Und wenn dieser zurückkehrte, dann wieder von der gleichen Seite. So nahm Ullrich an. Er schrak heftig zusammen, als er das Krächzen eines Vogels vernahm, den Flügelschlag hörte und das Tier in den Himmel steigen sah. Es fand eine Lücke zwischen dem dichten Grün der Bäume und verschwand. Ullrich lächelte und schüttelte den Kopf. Jetzt hatte er sich von einer Krähe schon Verrückt machen lassen. Aber das war die Schuld der unheimlichen Umgebung. Irgendwie färbte sie auf jeden ab. Es ist auch nicht normal, sich auf einem Friedhof aufzuhalten. Allerdings mußte er zugeben, daß er selten so prächtige und große Grabsteine gesehen hatte. Manche Gräber besaßen schon fast die Ausmaße von kleinen Grundstücken, und sie waren auch nicht nur rechteckig angelegt worden, sondern als Rondell oder in einer ovalen Form. Noch etwas empfand er als seltsam. Es gab kein einziges Kreuz auf diesem Friedhof! Ullrich fiel dies erst jetzt auf, als er allein war und Zeit hatte, sich den al ten Totenacker genauer anzuschauen. Das wunderte ihn. Also mußte es sich hier um einen nichtchristlichen Friedhof handeln. Er bewegte sich nach links, weil ihm dort eine Grabstätte aufgefallen war, die besonders ins Auge stach. Auf dem Grab stand ein kleines Haus. Und dieses seltsame Haus besaß zwei Dächer. Ullrich blieb davor stehen, krauste die Stirn und dachte scharf nach. Ir gendwo hatte er ein ähnliches Bauwerk schon gesehen. Zwar nicht in natura, sondern auf Bildern. Nach einiger Zeit kam ihm der richtige Gedanke. Dieses Haus war eine Pagode! Jawohl, das genau mußte es sein. Er hatte es hier mit einer Pagode zu tun, und er erinnerte sich daran, daß es diese Pagoden im asiatischen Raum gab. In Thailand, China, Indonesien und auch in Japan. Bei dem Begriff Japan zog er sofort die richtigen Verbindungen. Schließlich war Koto, der Freund von Hauke, ebenfalls Japaner, und wahrscheinlich hatte er sich deshalb diesen Friedhof als Treffpunkt ausgesucht. Wirklich schlau gedacht, das mußte auch Ullrich zugeben. Er lächelte, als er weiterging und sich noch genauer umschaute. Der junge Mann entdeckte, verborgen hinter dicht wuchernden Büschen oder Gestrüpp, weitere Grabmäler. Einige wiesen auch die Form von Pagoden auf, andere wiederum erinnerten mehr an Schreine oder übergroße Särge. Eines hatten sie gemeinsam. Der Zahn der Zeit hatte an ihnen kräftig genagt. Das Gestein war längst nicht mehr so fest wie früher, sondern brüchig geworden und mit einer dicken Schicht aus Moos bedeckt.
Ullrich sah auch die Unebenheiten auf dem Gestein. Er schritt näher an ein Grabmal heran, holte ein Taschenmesser hervor und kratzte mit der Klinge über das Moos. Er mußte tief schaben, um die Schicht wegzubekommen und das Ver borgene freizulegen. Was er dann entdeckte, waren seltsame Figuren und Masken. Man konnte vor ihnen erschrecken, denn die Masken besaßen allesamt einen grauenhaften Gesichtsausdruck, für Ullrich ein Beweis, daß sie einem dämonischen Ursprung entstammten. Er schüttelte sich, starrte auf die Klinge und schabte ein weiteres Mal mit ihr über das Gestein. Dicht vor sich sah er die Nase einer dämonischen Fratze, drückte zu und zuckte zusammen, denn die Klinge drang in den Stein ein. Etwas quoll hervor. Hastig zog Ullrich das Messer zurück, starrte auf die Stelle und schüt telte den Kopf, als er die dunkle Flüssigkeit sah, die aus dem Innern ge strömt war. Blut. . . Tief atmete der junge Mann ein. Er schluckte hart, denn er konnte kaum glauben, was er da mit eigenen Augen zu sehen bekam. Ein Stein, der blutete, der seinen Lebenssaft abgab, obwohl er eigentlich nur ein Stück tote Materie war. Das konnte er nicht fassen. Ullrich starrte auf die Klinge, dann auf den Stein und glaubte zu erken nen, daß sich die breite Fratze verzog. Sie nahm einen Ausdruck an, der auf ein häßliches Grinsen hindeutete, und Ullrich merkte, wie sein Herzschlag sich verdoppelte. Er ging zwei Schritte zurück. Selbst das Rascheln des Grases machte ihn nervös, denn über dieses Phänomen kam er nicht so einfach hinweg. Eins jedoch war ihm längst klargeworden: Mit dem Friedhof stimmte einiges nicht. Dieser Blutstropfen schien der Anfang eines langen Fadens zu sein, den Ullrich in den Händen hielt. Bisher hatten er und seine Freunde dem Horror nur als Hobby gefrönt. Nun erlebte er ihn selbst, und es war ein erster Schauer der Angst, der über seinen Rücken rann. Was geschah da vor ihm? »He, Ulli, was machst du denn da?« Ullrich hörte die Stimme hinter sich und erschrak so sehr, daß sich ein Schrei aus seinem Mund löste und er wild herumfuhr. Der Schrecken zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Die Augen verdrehten sich für eine winzige Zeitspanne, und er ließ sogar sein Messer fallen. Hauke Heck grinste ihn an. »Mensch, bist du aber schreckhaft.«
Ullrich schüttelte den Kopf und bückte sich. Er hob das Taschenmesser
auf, drückte die Klinge in das Heft und steckte das Messer wieder weg.
»Mann, hast du mich erschreckt.«
»Wir sind normal gegangen.«
»Wir?« fragte Ullrich.
»Ja, Koto und ich.«
»Wo ist er denn?«
»Er wartet am Weg. Ich sah dich auch nur zufällig und wollte mal
schauen, was du da anstellst.«
»Das kannst du genau sehen, Hauke. Komm her!« Ullrich winkte und
deutete auf die seltsame Pagode, die aus der Erde wuchs. »Hier, das
habe ich mit meinem Messer vollbracht.«
Der etwas korpulente Hauke kam näher, schaute seinen Horror-Freund
dabei an und hob die Schultern. »Was denn?«
»Sieh auf den Stein!«
»Der scheint feucht zu sein.«
»Das ist er auch. Aber nicht vom Regen, sondern feucht von Blut. Und
das Blut ist aus dem Stein gequollen, als ich ihn mit meinem
Taschenmesser ritzte. So, jetzt bist du dran.«
Hauke schaute auf die dämonische Steinfratze. »Kann ich nicht glauben,
wirklich nicht.«
»Sieh hin, Mann!«
Das tat Hauke auch. Er entdeckte den feuchten Fleck ebenfalls, fuhr so gar mit der Fingerspitze darüber und hielt sie dicht vor seine Augen.
»Ist das nun Blut?« fragte Ullrich, weil er eine Bestätigung wollte.
»Kann ich nicht genau sagen. Wir sollten vielleicht mal Koto fragen. Der
wird uns sicherlich Auskunft geben können.«
Dagegen hatte Ullrich etwas. Er schüttelte den Kopf. »Nein, nicht Koto.«.
»Weshalb nicht?«
»Weil ich es nicht will. Der hat uns doch aus einem bestimmten Grund
auf den Friedhof hier geführt.«
»Klar, weil wir uns mit Horror beschäftigen. Und dies hier ist ein my thologischer Friedhof. Hier wurden nur Asiaten begraben, also Männer,
Frauen und Kinder, die keinem christlichen Glauben nachgingen. Ich will
dir auch verraten, was ich den anderen bisher noch nicht gesagt habe.
Der Friedhof steckt voller Rätsel, voller Magie. Hier tut sich etwas unter
der Erde, das ist genau richtig.«
Ullrich hatte staunend zugehört. »Glaubst du an das, was du da gerade
gesagt hast, Hauke?«
»Klar.«
»Das ist mir nicht geheuer, wirklich nicht.«
Hauke verzog den Mund. »Jetzt stell dich nicht- an, Mensch. Schließlich
wollten wir etwas erleben, und Koto hat versprochen, uns einiges zu
zeigen. Es ist alles vorbereitet.«
»Was denn?«
»Wirst du schon sehen.«
Ullrich atmete tief ein. »Ich weiß nicht so recht«, murmelte er. »Das alles
gefällt mir nicht.«
»Gib zu, daß du Angst hast.«
»Etwas.«
Hauke lachte. »Du bist gut, Mensch. Leitest einen Horror-Club, und jetzt
willst du kneifen.«
»Und wenn nun doch etwas daran ist?«
»Woran?«
»Ja, an der ganzen Sache mit der Mythologie. Daß es diese Dämonen
oder Gestalten wirklich gibt. Die blutenden Steine sind doch nichts
Normales, oder wie denkst du darüber?«
»Genauso.«
»Hauke?« Ein scharfer Ruf unterbrach den Dialog der beiden Freunde.
»Das war Koto«, sagte Hauke. »Komm mit, wir wollen ihn nicht länger
warten lassen.«
»Willst du ihm etwas von der Entdeckung erzählen?« fragte Ullrich, als
sie gingen.
»Auf keinen Fall. Er würde sauer werden.«
»Weshalb denn?«
»Du hast in deiner Neugierde und Unwissenheit etwas Schlimmes getan.
Der Friedhof ist entweiht worden.«
Ullrich tippte gegen seine Stirn. »Komm doch nicht mit so etwas an!«
»Das wirst du schon sehen, warte es ab. Und jetzt halte den Mund. Kein
Wort zu Koto . . .«
»Okay.«
Der junge Japaner wartete. Ullrich sah ihn zum ersten Mal. Koto war klei ner als die meisten von ihnen. Sein Haar glänzte tiefschwarz. Es war so
gekämmt worden, daß es mit den Spitzen auf den Ohren lag. In dem
Gesicht des jungen Mannes fielen besonders die dunklen Augen auf, die
Ullrich scharf musterten, so daß sich dieser unter dem Blick ziemlich
unwohl fühlte.
Koto trug eine schwarzweiß gestreifte dünne Jacke über dem Hemd.
Seine Beine steckten in schwarzen Jeans.
Hauke machte die beiden Jungen miteinander bekannt. »Das ist Ullrich
Latta.« Er mußte Englisch sprechen. Zum Glück verstanden Ullrich und
die
anderen jungen Horror-Fans diese Sprache ein wenig.
Koto lächelte und war sehr freundlich. »Hoffentlich gefällt es dir hier. Du
hast dir den Friedhof schon angesehen?«
»Einen Rundgang habe ich gemacht.« »Und?«
Ullrich hob die Schultern. »Na ja, ein wenig unheimlich ist es hier
schon.«
»Das kannst du wohl sagen. Dieser Friedhof ist etwas Besonderes. Und das-in London.« »Wieso denn?« . »Das erzähle ich, wenn wir bei den anderen sind.« »Und da gehen wir jetzt hin«, entschied Hauke. Er schlug Koto auf die Schulter. »Komm jetzt, wir wollen die Freunde nicht zu lange warten las sen!« Sie gingen den Weg zurück, den auch Ullrich gegangen war. Schon bald hörten sie die Stimmen der übrigen sieben Freunde. Lachen schallte ihnen entgegen. Jemand hatte einen Witz erzählt. Als sie die Zweige zur Seite schoben und endlich sichtbar wurden, kehrte Schweigen ein. Ein jeder drehte sich so, daß er die Ankömmlinge sehen konnte. Michael Pollmüller, ein junger dunkelhaariger Mann mit flaumigem Schnäuzer, übernahm als erster das Wort. »Ihr habt euch aber verdammt viel Zeit gelassen.« »Entschuldigt mich, ich habe mich verspätet«, sagte Koto. »Aber ich mußte noch etwas regeln.« Er hatte den Sinn des in Deutsch gesprochenen Vorwurfs verstanden und antwortete in Englisch. »Vergessen!« rief Andreas Schattmann. »Gut.« Hauke, der so etwas wie der Anführer dieser Gruppe war, hob beide Arme. »Wenn ich jetzt mal um Ruhe bitten dürfte«, sagte er. »Es geht rund.« »Das sagte auch der Wellensittich, bevor er in den Ventilator flog«, meinte Rudi und erntete Gelächter. »Halt doch mal dein Maul«, beschwerte sich Hauke. »Fang schon an«, rief Marc Fürstner, ein weiteres Mitglied. Es kehrte tatsächlich Ruhe ein, und Hauke konnte mit der Vorstellung beginnen. »Der Typ, den ihr hier an meiner Seite seht, ist mein Kumpel aus London, dem wir dies hier praktisch alles verdanken können. Er hat uns diesen schönen Platz zugewiesen, und wenn wir seinen Worten trauen können, soll es hier wirklich spuken.« Bei Haukes Worten nickte Koto mit ernstem Gesicht. »Dann zeig mal was!« rief Rudi. »Später«, antwortete Koto. »Ihr werdet genug zu sehen bekommen und staunen.« »Jetzt will ich dir erst einmal meine Freunde vorstellen«, erklärte Hauke Heck. »Ullrich kennst du ja schon. Wo er gesessen hat, hockt jetzt Andreas Pollmüller, daneben Sven Baumert, dann Marc Fürstner. Der mit der großen Klappe heißt Rudi Tewes, Andreas Schattmann ist auch noch da, und die beiden Ruhigen da in der Ecke heißen Frank Fischer und Thomas Beinke. Alles klar?« Koto nickte. »Wiederholen!« rief Andreas.
Alle lachten. Nur Koto schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, das kann ich
nicht.«
»Wäre auch zuviel verlangt«, meinte Hauke und scheuchte seine
Freunde ein wenig zur Seite. »Rückt mal, ihr lahmen Typen, wir
brauchen Platz.«
Das taten die Jungen. Koto fand seinen Sitzplatz an einer Ecke der
langen Bank. Ullrich hatte sich ihm gegenübergesetzt, während Hauke
neben ihm saß.
»Und was ist jetzt?« fragte Thomas.
Koto schob sich ein Stück vor und drehte den Kopf, so daß er an einigen
anderen vorbeischauen und Thomas ansehen konnte. »Ich werde euch
beweisen, daß es Dinge gibt, die ihr nicht für möglich gehalten habt. Auf
diesem Friedhof werdet ihr das Grauen erleben, da könnt ihr sicher
sein.«
»Dann mal los!« rief Frank.
»Moment.« Koto griff in seine Jakckentasche und holte etwas hervor.
Was es war, konnte niemand sehen, denn der junge Japaner hielt seine
Faust darumgeschlossen.
Er legte sie auf den Tisch und öffnete sie blitzschnell. Als er die Hand zur
Seite zog, stand eine kleine goldene Figur auf dem Tisch.
Die Besucher aus Deutschland staunten.
»Was ist das denn?« wollte Marc Fürstner wissen.
»Der goldene Samurai«, erwiderte Koto mit einer dumpf klingenden
Stimme.. .
*** Shaos Worte hatten uns beunruhigt. Sie hatte von einer Beschwörung gesprochen, die alles auf den Kopf stellen konnte. Zeiten sollten durcheinandergebracht werden, uralte Dämonen auftauchen, um Angst und Schrecken zu verbreiten - aber wo? Diese Frage stellten wir uns, und wir beide wußten keine Antwort. Mit ei nem Taxi ließen wir uns dorthin bringen, wo alles begonnen hatte, denn da stand auch der Bentley. Niemand hatte sich an ihm zu schaffen gemacht, und so konnten wir ein steigen und in Richtung Scotland Yard fahren. Ich schaltete das Blaulicht ein, denn der Verkehr hatte sich verdichtet, und die Abgaswolken trieben wie lange Nebelschleier über die Fahrbahnen und Dächer der Wagen. Viel schneller kamen wir auch nicht voran. Suko und Shao hatten auf dem Rücksitz ihren Platz gefunden. Ich hörte die beiden miteinander reden, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten. »Sprecht lauter«, forderte ich. »Oder turtelt ihr nur herum?«
»Würden wir gern machen«, bekam ich von Shao die Antwort. »Aber
dazu ist wohl nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Das stimmt.«
Suko meldete sich. »Ich habe Shao gefragt, ob sie vielleicht von sich aus
das Phänomen steuern kann.«
Ich begriff sofort. »Du meinst, daß sie selbst darüber bestimmt, wann
Amaterasus Geist in ihren Körper gelangt?«
»So ungefähr.«
»Das packe ich nicht«, meldete sich Shao. Im Innenspiegel sah ich, wie
sie den Kopf schüttelte. »Unmöglich, wirklich. Es wundert mich sowieso,
daß Amaterasu, die ja in einer Welt gefangen ist, es geschafft hat, mit
mir Verbindung aufzunehmen.«
»Körper und Seele sind zwei unterschiedliche Dinge«, hielt ich dagegen.
»Möglicherweise ist es Susanoo, ihrem dämonischen Bruder, nicht
gelungen, beides zu bannen.«
»Das wäre drin«, stand Suko mir bei.
»Meint ihr?«
»Fragen kannst du sie nicht - oder?«
»Nein, John. Wenn Amaterasus Geist in meinem Körper Platz gefunden
hat, ist mein eigenes Ich völlig ausgeschaltet. Ich lebe dann nicht mehr.
Ich kenne keine Gefühle, ich weiß überhaupt nichts. Es ist seltsam,
leider jedoch wahr.«
Das mußten wir der Chinesin abnehmen. Unsere Unterhaltung stockte,
denn wir näherten uns dem Ziel. Ich stellte das Blaulicht ab und fuhr auf
den Parkplatz des Yard Building.
Es war später Nachmittag geworden. Glenda Perkins hatte sicherlich
schon Feierabend gemacht, Sir James befand sich sogar im Urlaub,
etwas, das kaum einer von uns fassen konnte, aber er war mit Freunden
seines Clubs nach Brighton gefahren, um sich Seeluft um die Nase
wehen zu lassen. Natürlich blieb er für uns stets erreichbar, aber wir
wollten ihn auch nicht mehr stören, als unbedingt nötig war.
Unser gemeinsames Büro fanden wir ebenso leer vor wie das
Vorzimmer. Durch die Fenster schien die Sonne. Sie stand schon
ziemlich schräg und malte auf den Boden und den Schreibtisch einen
breiten, allmählich schwächer werdenden Streifen.
Alle drei nahmen wir Platz und fanden in Glendas Kühlschrank auch eine
angebrochene Flasche Orangensaft. Gläser gab es ebenfalls. Im ersten
Augenblick tat die kühle Flüssigkeit gut.
Beide schauten wir Shao an. »Kannst du dich noch an die Dinge er innern, die du uns nicht mitgeteilt hast?« fragte ich sie.
»Nein.«
»Auch nicht bei genauem Überlegen?«
»Wirklich nicht, John.«
»Es bleibt bei den Informationen«, meinte Suko und stellte das leere Glas auf den Schreibtisch.
»Ja, sieht ganz so aus.« Mir gefiel das überhaupt nicht. Also mußten wir uns darauf konzentrieren, was uns Shao mitgeteilt hatte. Der Fall war verlagert worden. Bisher waren wir davon ausgegangen, daß sich alles um Xorron und Shimada drehte, aber sie hatte von jungen Menschen aus Deutschland gesprochen, die eine Beschwörung durchführen wollten.
Wo und wer waren diese Menschen?
»Wer kann uns da behilflich sein?« fragte Suko leise.
»Der Zoll!« Meine Antwort kam spontan.
Suko schaute mich zuerst groß an, lächelte und nickte heftig. »Verflixt, John, das ist die Idee.«
»Sag' ich doch.«
»Werden alle registriert?« fragte Shao.
»Ich hoffe es. So genau bin ich da nicht informiert, aber ich werde mich mit dem Flughafen in Verbindung setzen. Da müßte man etwas wissen, und es müßte auch aufgefallen sein.«
»Ich bin gespannt«, meinte Suko.
Das war ich auch, als ich die Nummer heraussuchte. Endlich hatte ich sie gefunden, rief an und wurde ein paarmal verbunden. Der zuständige Mensch zeigte sich recht zugeknöpft und wollte mit keinerlei Auskünften herausrücken. Ich schlug ihm vor zurückzurufen, was er auch tat. Dadurch erhielt er die Gewißheit, es nicht mit einem Bluff er zu tun zu haben.
Als ich ihm mein Problem erklärt hatte, war er erst einmal schockiert. »Das wollen Sie wissen, Sir?«
»Ja.«
»Ich muß da erst nachchecken.«
»Wird ja nicht lange dauern. Sie führen schließlich Passagierlisten.«
»Natürlich, Sir. Kann ich Sie zurückrufen?«
»Ich bitte darum!«
»Schwierigkeiten?« fragte mich Suko, als ich den Hörer auf die Gabel gelegt hatte.
»Es geht. Der Knabe muß erst suchen.«
»Hoffentlich nicht zu lange.«
Diese Hoffnung erfüllte sich. Es dauerte wirklich nur kurze Zeit, bis der Rückruf kam. Und diesmal zeigte sich der Mann sehr entgegenkommend.
»Natürlich können Sie die Liste bekommen«, sagte er. »Haben Sie etwas zu schreiben da?« »Immer.«
»Hören Sie zu! Es waren neun Passagiere, die am gestrigen Tag aus Ger-many kommend hier eintrafen. Wenn Sie sich die Namen notieren wollen . . .«
Das tat ich. Ich schrieb sie untereinander auf den Zettel und versuchte
noch herauszufinden, wo sie sich aufhalten konnten.
»Das wissen wir leider nicht.«
»Sie haben also nicht über einen Reiseveranstalter gebucht?«
»Doch. Nur trennte man sich. Diese Passagiere beteiligten sich nicht an
den Besichtigungsprogrammen.«
Ich bedankte mich.
»Gern geschehen.«
Ich schob meinem Freund Suko den Zettel zu. »Viel weiter sind wir nicht
gekommen«, kommentierte ich.
»Wir haben jedenfalls die Namen.«
»Was nutzt es?«
»Es müßte doch herauszubekommen sein, wo die sich in London
aufhalten, zum Henker.«
»Willst du jedes Hotel anrufen?« fragte Shao dazwischen.
»Nein, das nicht«, sagte ich. »Aber die Idee ist nicht einmal schlecht. Ich
kenne den Namen der Reisegesellschaft. Durch sie könnten wir erfah ren, wo die Leute untergebracht sind.«
»Das ist gut.«
Die Dame von der Firma zeigte sich auskunftsfreudiger als der Knabe
vom Flughafen. Wir erfuhren, daß die jungen Leute in einem christlichen
Hospiz wohnten, das der CVJM-Gruppe im weitesten Sinne angehörte.
Die Adresse bekamen wir ebenfalls.
Ich bedankte mich mit artigen Worten bei der Frau und telefonierte direkt
weiter.
Diesmal hatte ich Pech.
»Tut mir leid«, hallte es durch den
Hörer. »Aber die Jugendgruppe, von der Sie sprechen, ist nicht
greifbar.«
»Alle neun?«
»So ist es, Sir.«
»Wo könnten sie denn hingegangen sein?« hakte ich nach.
»London ist groß, Sir.«
»Das weiß ich selbst. Ich wollte mich nur danach erkundigen, ob Sie
eventuell Bescheid wissen. Vielleicht haben sie sich abgemeldet und mit
jemandem über ihr Ziel gesprochen oder sich nach irgend etwas
erkundigt. Wäre schließlich möglich.«
»Ich werde mal nachhören, Mr. Sinclair. Bleiben Sie bitte am Apparat!«
»Gern.« Ich verdrehte die Augen. Allmählich ging mir die Herumtelefo niererei auf den Geist. Im Hintergrund sprachen zwei Personen. Dann
vernahm ich ein heftiges Schnauben, und eine Stimme, die sich ziemlich
alt anhörte, brummte ein knappes »Ja?« in die Muschel.
Abermals legte ich meinen Wunsch offen.
»Ach, die Deutschen, meinen Sie. Die sind verschwunden. Sie wollten
wahrscheinlich die Nacht über wegbleiben, das jedenfalls sagten sie.«
»Und wo?«
»Kann ich Ihnen nicht genau sagen, Sir«, bekam ich zur Antwort. »Aber
ungefähr.«
»Klar. Sie wollten einen Friedhof besuchen, der besonders schön gru selig ist.«
Ich schluckte. »Das haben sie gesagt?« fragte ich.
»So ähnlich.«
In meinem Magen begann sich ein Klumpen auszubreiten. Das gefiel mir
überhaupt nicht. Neun junge Leute wollten einen Friedhof besuchen. Ei gentlich eine harmlose, wenn auch gruselige Sache. Doch Menschen,
die einen Job ausführten, wie ich ihn hatte, sahen das^ anders.
Friedhöfe können zu Gefahrenpunkten werden, wobei sie auch
manchmal die Quellen Schwarzer Magie sind. Shao hatte mit der
Stimme der Sonnengöttin von Beschwörungen gesprochen, die von jun gen Leuten durchgeführt werden sollten. Welcher Platz eignete sich
dafür besser als ein Friedhof?
»Können Sie nähere Angaben machen?« fragte ich den Hausmeister
oder was immer er auch war.
»Nein, das heißt doch. Es muß ein Friedhof sein, der außerhalb von Lon don oder am Stadtrand liegt, denn sie sprachen davon, daß sie weit
fahren müßten.«
»Mit der U-Bahn?«
»Ja, Sir.«
»Und welche Richtung?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Er wußte auch nichts mehr. Ich konnte fragen und fragen, eine Antwort
bekam ich nicht. Mit einem etwas mutlosen Ausdruck auf dem Gesicht
legte ich den Hörer auf.
»Was ist los?«
Suko wollte dies wissen, und ich berichtete ihm in Stichworten von den
Informationen, die ich bekommen hatte.
»Da gibt es viele Friedhöfe in London.« Er schaute mich an. »Kennst du
eigentlich die genaue Zahl?«
»Nein. Aber wenn man die kleinen mitrechnet, werden es sicherlich über
100 sein.«
»Und die können wir absuchen.«
»Oder auch nicht«, meldete sich Shao von der Schreibtischkante her,
auf der sie Platz genommen hatte.
»Wieso?«
Shao setzte ein wissendes Lächeln -auf. »Denkt doch mal nach. Hier
geht es nicht um eine allgemeine Beschwörung, sondern um eine
spezielle. Eine japanische. Irgendwie muß ja eine Verbindung zu
Shimada oder Xorron geschaffen werden, und wo könnte diese wohl ihre
Basis finden? Das frage ich euch!«
»Auf einem japanischen Friedhof«, sagte Suko. »Richtig.«
»Gibt es den in London?« wandte sich mein Freund an mich.
Ich verzog das Gesicht, weil ich überfragt war. »Kann ich euch nicht
sagen, aber ich werde es herausfinden.«
»Und wann?«
»Sofort, Freunde. Wenn ich schon telefoniere, dann mache ich es richtig.
Vielleicht kann uns wieder die japanische Botschaft helfen. Ich glaube
einfach nicht, daß jeder Tote des Botschaftspersonals in sein Heimatland
überführt wird.«
»Dann mal ran«, sagte Suko und rieb sich die Hände . . .
*** Nach den Worten des jungen Japaners war es zunächst einmal still. Nie mand wußte etwas zu sagen, keiner konnte mit dem Begriff goldener Sa murai etwas anfangen. Die neun Deutschen saßen wie festgewachsen auf ihren Bänken und schauten Koto an. Der hatte seine Hände flach neben die kleine Figur gelegt und ließ den Blick in die Runde schweifen. Hauke fing sich als erster. »Der goldene Samurai, okay«, sagte er, »aber was soll das bedeuten?« »Ich will ihn beschwören!« Ullrich lachte heiser auf. »Diese Figur da?« »Genau.« »Und dann?« Koto legte seine glatte Stirn in Falten und senkte den Blick. Mit dumpfer Stimme antwortete er: »Wenn es mir gelingt, ihn zu beschwören, wird er hier erscheinen.« »Der richtige?« wollte Frank wissen. »So ist es. Denn dieser hier ist nur ein kleines Abbild, aber es steht mit dem richtigen in Verbindung. Zudem befinden wir uns hier auf einem Friedhof der Mythologien. Die Geister der Vergangenheit schweben unsichtbar über den Gräbern oder stecken in den Figuren. Was hier beschworen wird, das trägt seine Früchte.« Diesen Worten konnten die jungen Deutschen nichts entgegenhalten. Sie mußten sich auf Koto verlassen, der seine Lippen zu einem Lächeln verzogen hatte. »Ihr seid nach London gekommen, um den Horror zu erleben. Laßt uns damit beginnen.« Er holte tief Luft, schaute jeden einzelnen an, bevor er fragte: »Seid ihr einverstanden?« Koto bekam keine Antwort. Den Gesichtern allerdings entnahm er, daß einigen die Sache doch nicht so geheuer war, zudem wiegten sie
unschlüssig die Köpfe und wußten nicht so recht, wie sie überhaupt reagieren sollten. »Jeder muß sein Einverständnis geben!« forderte Koto. »Wir können keine Ausnahme machen.« , Da niemand etwas auf seine Worte erwiderte, fühlte sich Hauke genötigt einzugreifen. Er stand auf. »Was seid ihr denn? Memmen? Feiglinge? Los, stellt euch auf Kotos Seite! Macht mit! Tut, was er sagt! Weshalb sind wir denn nach London gekommen? Wir wollten doch etwas erleben. Diese Chance haben wir jetzt bekommen. Laßt uns die Beschwörung durchführen!« »Was ist es denn genau?« erkundigte sich Michael Pollmüller. Koto hob den Arm. Hauke verstand das Zeichen. Er nahm wieder Platz und überließ dem jungen Japaner die Erklärung. »Der goldene Samurai ist eine mystische Figur, die auf der Seite des Guten kämpft. Er hat einmal vor langer Zeit auf dieser Erde gelebt, und er diente der Sonnengöttin Amaterasu, deren magischen Fächer er in Verwahrung nahm, um ihn irgendwann der Sonnengöttin zu überreichen. Leider ist ihm das bisher nicht gelungen, denn die Sonnengöttin Amaterasu wurde verstoßen. Sie sitzt gefangen im Dunk len Reich. Ihr Körper kann es nicht verlassen, nur ihr Geist versucht es hin und wieder. Dann nimmt er mit den Goldenen Kontakt auf und schickt ihn aus einer anderen Dimension auf die Erde nieder, damit er hier in das Geschehen eingreift. Wenn Menschen ihn anrufen, kommt er nicht. Wir müssen ihn schon beschwören, und ich halte hier ein Abbild von ihm in den Händen. Seht ihn euch sehr genau an!« Damit ihn alle erkennen konnten, hielt Kotö die kleine Figur in die Höhe. Die Freunde rückten näher zusammen. Keiner wollte sich eine Einzelheit entgehen lassen. Sie sahen eine Figur, die einen goldenen Helm trug, mit einem goldenen Panzer geschützt war, einen aus Gold bestehenden Dolch im Gürtel stecken und ebenfalls noch einen mit Pfeilen bestückten Köcher und einen Bogen bei sich hatte. Schwerbewaffnet also . . . »Habt ihr ihn gesehen?« fragte Koto. Allgemeines Nicken. »Ihn will ich beschwören. Das heißt, er soll nicht nur als Figur bei uns sein, sondern in Lebensgröße. Als Dämon des Guten!« »Woher willst du wissen, daß er ein Dämon des Guten ist?« fragte Sven. »Weil ich seine Geschichte kenne.« Mit dieser lapidaren Antwort mußten sich die neun Horror-Fans zufrie dengeben. »Und wie willst du ihn beschwören?« fragte Ullrich.
Koto lachte. »Ich ihn beschwören? Nein, wir alle werden es tun. Ich allein bin zu schwach.« »Meinetwegen«, sagte Hauke. Er wandte sich an seine Freunde. »Was ist mit euch?« Keiner widersprach. »Dann laßt uns beginnen«, forderte Koto und erhob sich. Seinen Handbewegungen konnten die anderen entnehmen, daß sie das gleiche tun sollten. Sie standen auf. Koto stellte sich an die Stirnseite des Tisches. »Faßt euch an den Händen«, ordnete er an. Zunächst warfen sich die Horror-Fans verständnislose Blicke zu. Als Ullrich und Hauke den Anfang machten, da zögerten die anderen auch nicht länger, und ihre Hände fanden sich. Koto schaute genau nach, ob sie auch ineinander verschlungen waren. Er schritt einmal um den Tisch herum. Es war sehr still. Auch ihn hörte man kaum, während die Zweige der Trauerweide über sein Gesicht streiften und schmale Blätter auf seiner schweißfeuchten Haut festklebten. »Ja, so ist es gut«, flüsterte er und nickte zweimal. »Das wird dem golde nen Samurai gefallen.« »Wie lange müssen wir uns festhalten?« erkundigte sich Thomas. Er stand bei seinem Freund Frank. Thomas spürte Kotos Hand auf seiner Schulter. Er hatte das Gefühl, seine Haut würde kribbeln, und auf seinem Rücken bildete sich eine Gänsehaut. »So lange, bis ich den Befehl gebe, den Ring zu unterbrechen«, vernahm er die flüsternde Stimme des jungen Japaners. Koto lächelte schmal, als er zu seinem Platz zurückging, die Figur auf den Tisch stellte und die beiden Hände der Personen faßte, die rechts und links neben ihm standen. Es waren Hauke und Ullrich. Beide spürten den Griff des japanischen Jungen und wunderten sich dar über, wie hart Koto zupacken konnte. Zunächst geschah nichts. Koto, der die Beschwörung leitete, sorgte erst einmal dafür, daß er in die richtige seelische Verfassung geriet. Er atmete lange und tief durch. Seine Brust hob und senkte sich unter diesen schweren Atemzügen. Die neun deutschen Horror-Fans, die ihm dabei zuschauten, taten es ihm automatisch nach, und so richtete sich jeder für sich auf die Beschwörung des Goldenen ein. Nur das Atmen der jungen Menschen war zu vernehmen. Ansonsten herrschte Stille unter den sich neigenden Zweigen der Trauerweide, und auch auf dem übrigen Mythenfriedhof war es seltsamerweise ungewöhnlich ruhig. Selbst der Wind schien zu spüren, daß sich auf dem
Platz etwas Unheimliches anbahnte. Er war eingeschlafen, und nicht ein Blatt bewegte sich mehr. Das Wort Friedhofsruhe fand hier seine Bestätigung. Auch die Luft sah anders aus. Man konnte sie als dick bezeichnen. Sie war schwerer zu atmen, hatte sich verdichtet, als würde die doppelte Menge über den geheimnisvollen Gräbern und Grüften liegen. In ihrem Innern lauerten und lagen die Toten, aber über ihnen schwebte unsichtbar der Geist einer bösen, dämonischen Generation. Wer hier unter der Erde lag, der wurde vom Odem des Geheimnisvollen getragen. Als die Minuten vergangen waren, hatte jeder der Anwesenden die Atmosphäre in sich aufgenommen und schien eins geworden zu sein mit diesem seltsamen Friedhof. Das merkte auch Koto. Für einen Moment huschte ein zufriedenes Lä cheln über seine Lippen, bevor er die Stimme erhob und die ersten Laute seinen Mund verließen. Alle anderen zuckten zusammen, als sie mit diesen Tönen so plötzlich konfrontiert wurden. Damit hatte niemand gerechnet, denn Koto bediente sich seiner Heimatsprache. Hauke und seine Freunde verstanden kein Wort, sie lauschten nur den singenden, beschwörenden Worten, die auch sie in ihren Bann zogen, von dem sich keiner befreien konnte. Obwohl es ihnen keiner befohlen hatte, änderte sich der Gesichtsaus druck. Sie legten die Köpfe in den Nacken. Die Gesichter nahmen ent rückte Ausdrücke an, als würden sie selbst unter einem Zwang stehen. Koto sprach weiter. Aus seinem Mund drangen die Worte und Laute wie einstudiert. Nichts brachte ihn aus der Ruhe. Er klagte, rief und jam merte, hielt Zwiesprache mit Wesen, die niemand sah und von denen auch nur er wußte. Hoch über den grünen Bäumen und der stickigen Luft hatten sich Wolken zu großen, dunklen Haufen zusammengefunden. Sie verdichteten sich immer weiter. Die Schwüle auf der Erde nahm zu, und die Anzeichen eines Gewitters mehrten sich. Das alles kümmerte die Horror-Fans nicht. Sie wurden allein von den be schwörenden Worten gefangen genommen, und sie sahen jetzt, als sie ihre Blicke senkten, daß etwas mit der Figur geschah. Sie veränderte sich. Zunächst war es nur ein Zucken, das über ihre Formen glitt. Ein helles Blitzen, das manchmal am Kopf und einen Moment später am Körper auftrat, um anschließend denselben Weg in umgekehrter Richtung zu nehmen. Die Gestalt begann zu leben.
Über ihre Arme lief ein Zittern. Dabei neigte sie den Kopf, und in den
kleinen Augen begann es zu funkeln, als wären die Höhlen mit
unzähligen Diamantsplittern gefüllt.
Der goldene Samurai war erweckt worden!
Im selben Augenblick verstummte Kotos Stimme. Die neun jungen Hor ror-Fans aus Deutschland schienen ebenfalls aus einem tiefen Traum zu
erwachen. Sie schauten nach vorn, wobei sich ihre Augen ungläubig
weiteten, denn sie sahen erst jetzt, was mit der Figur des Goldenen
geschehen war.
Durch die Beschwörung war ihr Leben eingehaucht worden, und sie
drehte sich mit schnellen Bewegungen und funkelnden Augen in einem
furiosen Wirbel auf der Stelle.
»Laßt den Kreis geschlossen!« vernahmen sie die Stimme des
Japaners. »Unterbrecht den Kreis nicht, denn dies ist erst der Anfang!
Ich will, daß der Goldene erscheint. - Komm hervor aus deinem Reich.
Komm zu uns, zeige dich demjenigen, der dich ruft!«
Laut hallten die Worte aus dem Mund des jungen Mannes. Er sprach sie
gegen den allmählich grau werdenden Himmel, und sie verließen den
Schutz der Bäume, um in der Ferne zu verklingen.
War sein Ruf gehört worden?
Niemand wußte eine genaue Antwort zu geben. Sie würde auch nicht
von den Menschen kommen, sondern mußte einfach aus einer anderen
Dimension niederfallen.
Und sie kam!
Zuerst dachte jeder an einen normalen Blitz, der die Wolken aufriß und
sie zu flatternden Gebilden zerstörte. Das war es nicht, sondern eine
magische Entladung, die sich ein Ziel suchte und es auch fand. Und
zwar dort, wo der japanische Junge die Beschwörung durchgeführt hatte.
Der Blitz hackte in den Tisch.
Schreie gellten auf. Einige Horror-Fans wollten den Kreis unterbrechen,
doch die kreischende Stimme des Japaners hielt sie zurück.
»Laßt ihn zusammen, nicht lösen. Auf keinen Fall!«
So blieben die Finger ineinander verhakt und der Kreis geschlossen.
Freie Bahn für den goldenen Samurai.
Und er kam!
Der Blitz hatte die Figur getroffen, und sie wurde von einem blendenden
Schein umgeben, der sich ausbreitete und eine silberne Wolke bildete,
die eine ovale Form annahm,' bis sie so schnell zusammenfiel, wie sie
auch entstanden war.
Auf dem Tisch stand er - der goldene Samurai!
***
Diesmal war es der echte. Übergroß, bewaffnet, versehen mit einem goldenen Helm. Der Köcher war vollgepfropft mit ebenfalls goldenen Pfeilen und dem goldenen Dolch im Gürtel. So stand er da! Zehn Augenpaare starrten ihn an. Neun davon ungläubig, nicht begrei fend, doch ein Augenpaar zeigte Triumph. Es gehörte Koto! Ein Lachen, wie man es bei ihm noch nie vernommen hatte, drang aus seinem weit geöffneten Mund. Dabei streckte er beide Arme aus, als wollte er den Goldenen, der hoch vor ihm aufragte, umfassen, doch seine Hände waren zu kurz. »Ich habe dich gerufen!« drangen die Worte aus seinem Mund. »Und du hast mir gehorcht. Deshalb werde ich dir das nehmen, das für dich so wichtig ist!« Keiner widersprach. Auch der Goldene nicht, denn er stand weiterhin unter diesem unheimlichen Bann. Koto schüttelte sich, als hätte er Wasser mitbekommen. Hauke stellte eine Frage, doch er beantwortete sie nicht. Er wollte sie überhaupt nicht hören, sondern kletterte auf den Tisch, wobei er genau vor dem Goldenen stehenblieb. Er schaute ihn an. Starr war das Gesicht des Dämons. Es glänzte und schimmerte, als wäre die gelbe Schicht geputzt worden. Ebenso starr blickten auch die Augen. Kein Leben lauerte in ihnen. Sie erinnerten an gefühllose Plaketten, in die die am Tisch stehenden Personen ihre Blicke versenkten. Wieder sprach Koto einige Worte. »Du hast etwas mitgebracht«, flüsterte er. »Für mich mitgebracht, denn ich allein soll es bekommen. Dafür habe ich dich beschworen, und du befindest dich in meiner Gewalt, Goldener. Ich will den Fächer!« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als er den Arm ausstreckte und die Waffe der Sonnengöttin Amaterasu aus dem angewinkelten Arm des Samurais nahm. »Der Fächer!« rief er, wobei seine Augen glänzten. »Endlich habe ich ihn. Er wird mir den Weg zeigen, um die Zeiten zu verändern, denn ich brauche die Macht!« Wild schaute er sich um. Seine Freunde standen da und konnten nicht fassen, was geschehen war. Koto hatte sich auf eine Art und Weise verändert, die für sie unbegreiflich war. Er war nicht mehr der, den sie kannten, und als er seinen Arm bewegte und mit dem Fächer gegen den Goldenen schlug, da zischte die Gestalt förmlich auf und verschwand. »Zurück ins Nichts!« schrie und lachte Koto zur gleichen Zeit. »Ich brauche dich nicht mehr, denn nun habe ich die Macht. Der Fächer der
Sonnengöttin hat sie mir gegeben. Nicht wahr?« Er schaute seine deut schen Freunde an, die überhaupt nicht wußten, was geschehen war und sich verständnislos anschauten. Manche Blicke zeigten auch Furcht. Sie ahnten, daß sie sich in einem magischen Gefängnis befanden und daß die schrecklichen Vorgänge erst am Beginn standen. Es war Rudi Tewes, der seine Angst zuerst überwand und nach dem Fächer fragte: »Wozu brauchst du ihn?« rief er laut, damit auch die anderen alles verstanden. »Das kann ich dir sagen, mein Lieber. Dieser Fächer hat der Sonnengöt tin Amaterasu die große Macht gegeben, Wenn ich ihn zusammen gefaltet habe, so wie jetzt, kann ich seine Endplatten als Angriffs- und Abwehrwaffe benutzen. Auf beiden Seiten aber trägt er das kriegerische Zeichen der Sonnenscheibe. In einem blutigen Rot ist es abgebildet, und rot ist auch das Blut meiner Feinde. Ich mußte mir den Fächer holen, um den zu besiegen, auf den es mir ankommt.« Er ging nicht näher darauf ein, sondern befahl den anderen, sich die Endplatten des Fächers genau anzusehen. »Es sind die Tierkreiszeichen, die hier hervorstechen. Sie besitzen eine große magische Bedeutung. Ich kann sie verändern und damit auch dem Fächer eine andere Wirkung geben. So bestimme ich über die Gesetze der Natur. Ich will es Nacht werden lassen oder Tag. Ich bestimme, in welcher Zeit wir uns befinden, Ich kann in die Zukunft reisen und auch in die Vergangenheit, um mir dort; meine Gegner zu holen. Dieser Fächer macht es möglich. Durch die Beeinflussung und Verschiebung der Gestirne ist mir vieles möglich, was dem Menschen undurchführbar erscheint. Seht mich an!« rief er. »Habe ich die Macht, oder habe ich sie nicht?« »Du bist verrückt!« flüsterte Hauke. »Total ausgeflippt. Ehrlich, das kann nicht dein Ernst sein. Komm zu dir, Koto!« »Koto?!« kreischte der junge Japaner. »Was und wer heißt hier Koto?« »Bist du das nicht?« »Nein, ich bin ein anderer!« »Und wer?« flüsterte Michael so laut, daß der Japaner es verstand. »Ich bin Shimada, der Dämon der 1 000 Masken . . .!« *** Keiner konnte es fassen - niemand wollte es glauben. Dennoch mußten sich die neun mit den Tatsachen abfinden. Ein weiterer Name war aufgetaucht. Shimada! Und Koto war dieser Shimada, jedenfalls hatte er dies behauptet, denn Shimada war gleichzeitig der Dämon mit den 1 000 Masken. Er schaffte es, sich zu verwandeln, konnte täuschen, locken, Fallen stellen, in die
ahnungslose Menschen hineintappten, wie diese neun Jugendlichen es auch getan hatten. Sie reagierten unterschiedlich, nachdem sie ihren ersten Schock über wunden hatten. Einige schauten mit verständnislosen Blicken auf die Tischplatte, wo noch bis vor wenigen Sekunden der Goldene gestanden hatte. Er war verschwunden. Hinweggerissen, fortgeweht. Gekommen wie ein Spuk, war er auch ebenso rasch wieder untergetaucht. So etwas konnte man nur mit dem Wort unbegreiflich umschreiben. Oder den Begriff Schwarze Magie verwenden, aber daran dachten die neun jungen Leute aus Deutschland nicht, als sie auf ihren japanischen Kollegen schauten, der sich verwandelte und damit bewies, daß er tatsächlich ein anderer war als noch vor Minuten. Es begann mit einem wilden Kampfschrei, der sich von den Lippen des Jungen löste. Allein dieser Schrei bewies, daß ihn kein Kind ausgestoßen haben konnte, sondern ein Erwachsener. Vielleicht ein Monstrum, ein unheimliches Wesen, denn einen Augenblick später wurde die Gestalt des Kindes von einer schwarzen, ölig glänzenden Wolke umwallt. Sie entstand wie auch der Blitz. Aus dem Nichts. Die Zuschauer hörten ein puffendes Geräusch, sahen die kreisende Wolke, die in ihrem Innern einen rasenden Wirbel verursachte. Und etwas geschah mit ihr. Eine Figur entstand. Wieder der Schrei. Aus der schwarzen Wolke drang er, war grauenhaft anzuhören, ein Sym bol des Triumphs, und der Schrei hallte noch über den mystischen Friedhof, als Shimada erschien. Jetzt zeigte er sich in seiner wahren Gestalt! Die neun Freunde des Horrors hatten sich in ihrem Leben schon zahlrei che Gruselfilme angesehen. Sie lasen viel über Geister, Gespenster und Wesen aus anderen, magischen Welten. Sie kannten sich in der Literatur aus, aber was sie konsumierten, das waren Dinge, die es nicht in Wirklichkeit gab. Sie waren den Phantasien der Autoren entsprungen, doch diesmal wurden sie mit der Realität konfrontiert und stellten mit Schrecken fest, daß diese die Phantasie bei weitem übertraf. Shimada verbreitete die Angst! Er stand vor ihnen, wie er immer gewesen war. In seiner unheimlich wir kenden Kampfkleidung der schwarzen Ninjas. Die locker fallende schwarze Jacke, dazu die dunkle, weite Hose und die gebundenen Tücher vor der unteren Gesichtshälfte, so daß von ihm nur seine Augen und die Stirn zu sehen waren.
Besonders die Augen! Zwei kalte blaue Sterne, versehen mit einem Glanz, der eine tödliche Gefahr abstrahlte, und jeder, der von diesem Blick getroffen wurde, duckte sich zusammen, als würde er körperliche Schmerzen verspüren. Diesem Blick konnte niemand widerstehen, ohne irgendeine Reaktion zu zeigen. Er war gnadenlos, hart, schneidend und schien einen Menschen durchbohren zu wollen. Obwohl Shimada nichts sagte und die neun Jugendlichen nur ansah, wußte jeder von ihnen, daß mit diesem Dämon nicht zu scherzen war. Und sie spürten die Gefahr, die von Shimada ausging und allmählich in Wellen auslief, die auch sie erreichten. Das war nicht mehr der, mit dem sie sich getroffen hatten. Koto gab es nicht mehr, nur noch Shimada! Und er besaß den Fächer! Zusammengeklappt hielt er ihn in der linken Hand, während er die rechte allmählich hob, den Arm anwinkelte, über seine Schulter drückte und in den Nacken faßte. Eine oft geübte Bewegung, diesmal nur langsamer vorgeführt, und er holte das hervor, was ihn so gefährlich machte. Das Ninja-Schwert. Aus der Rückenscheide zog er die lange Waffe, schleuderte den Arm wieder nach vorn und drückte die Klinge nach unten, so daß der bläulich schimmernde geschliffene Stahl mit einer Seite in die Tischplatte hackte und dort steckenblieb. Zusammen mit dem Tisch bildete er eine Trennlinie zwischen den neuen Horror-Fans. Sie standen wie Denkmäler auf ihren Plätzen. Andreas, Frank und Tho mas sahen aus, als würden sie sich nicht einmal trauen, überhaupt zu at men. Nur die Augen verrieten bei ihnen, daß noch Leben in ihren Körpern steckte. Den anderen erging es ähnlich. Bis auf Hauke und Ullrich. Wahrschein lich fühlten sich die beiden auf irgendeine Art und Weise verantwortlich für das, was nun ablief, und sie wollten versuchen, diese Vorgänge in den Griff zu bekommen oder sie zumindest zurückzuschrauben. Hauke Heck faßte sich als erster. »Was willst du hier, Shimada?« Er hatte sich die einfachen Worte genau überlegt. Dennoch konnte er ein Zittern seiner Stimme nicht vermeiden. Shimada drehte kurz den Kopf. Hauke sah für einen Moment die Blicke auf sich gerichtet und schauderte zusammen. So grausam, so gefährlich war er noch nie angesehen worden, und sein halb erhobener Arm sank wieder nach unten. »Ihr habt mich gerufen!« erklärte Shimada. »Ihr wolltet mit dem Grauen und der Magie kokettieren. Nun, die Chance habt ihr bekommen. Ich bin da und werde euch in Dinge einweihen, die bisher noch keines
Menschen Auge gesehen hat. Ihr könnt dabeisein, wenn ich, Shimada, die Macht über die lebenden Toten übernehme und meinen Erzfeind Xorron zerstöre. Die Stunde der schwarzen Ninjas ist gekommen. Aber«, er hob wieder die Stimme, »ich bin nicht allein. Denn ich habe die mitgebracht, auf die ich mich verlassen kann. Meine vier tödlichen NinjaDiener die mir zur Seite stehen und auch den großen Kampf gegen Xorron aufnehmen werden.« »Woher kommt ihr?« rief Ullrich verzweifelt und schaute sich um, denn er ahnte, daß Schreckliches auf sie alle zukommen würde. Deshalb suchte er bereits nach einem Fluchtweg. »Woher wir kommen?« Shimada höhnte die Frage nach. »Ich will es euch sagen. Wir kommen aus der Vergangenheit in die Gegenwart und werden die Zukunft beeinflussen. Die Zeit der schwarzen Ninjas ist angebrochen. Ich lasse mich nicht mehr vertreiben. Shimadas Schwert und seine Mordaugen werden all die vernichten, die gegen ihn stehen. Ihr aber wolltet einen Dämon erleben, eine Beschwörung durchführen. Das alles habt ihr geschafft, denn nicht nur ein Dämon ist zu euch gekommen, sondern fünf. Schaut auf meine Diener.« Im nächsten Augenblick erlebten die neun jungen Leute aus Deutschland die Magie und die Kraft des Ninjas Shimada. Er drehte sich. Die Bewegung war mit den Augen kaum zu verfolgen, aber aus dieser Drehung stach sein Arm hervor, und die Jungen sahen das Blitzen der Schwertklinge, als sie dem Boden entgegenstach. Berührung! Wieder ein Blitz. Die Erde schien sich aufgetan zu haben. Rauch sprang förmlich hervor, ein Heulen ertönte, und im nächsten Augenblick stand dort, wo das Schwert den Boden getroffen hatte, eine schreckliche Gestalt, deren Anblick den Betrachtern den Atem raubte. Sie kamen überhaupt nicht dazu, sich auf diese Gestalt zu konzentrie ren, denn Shimada bewegte sich mit einer kaum meßbaren Geschwindigkeit weiter, stach wieder mit seinem Schwert zu, und ein weiteres Monstrum erschien. Die Begleitumstände seines Auftauchens glichen denen des vorherigen. Wenn jemand gedacht hatte, Shimada würde Ruhe geben, so hatte die ser sich getäuscht, denn Shimada blieb weiterhin in Aktion und sorgte dafür, daß ein drittes und viertes Monstrum dem Boden entstieg. Seine vier Diener waren da. Sie kreisten ihn ein. Er stand in deren Mitte, bewegte sein Schwert, und die vier wechselten die Plätze. Sie bauten sich so auf, daß sie von den neun jungen Leuten genau be trachtet werden konnten. Verbreitete Shimada selbst eine Aura der Angst und des Unwohlseins, so verstärkte sich das bei den vier Monstren noch. Die jungen
Menschen, die als Hobby ihren Horror hatten, dem Gruseligen frönten, die wurden nun mit Dingen konfrontiert, die sie so rasch nicht verarbeiten konnten. Der erste sah am schrecklichsten aus. Er besaß nur noch die Hälfte des Gesichts, trug ebenfalls dunkle Kleidung und war mit einem Schwert be waffnet, dessen überlange Klinge den Jungen Furcht einflößte. Wie auch die anderen drei, war er ebenfalls von einem türkisfarbenen Schimmer umgeben, der seine Gestalt genau nachzeichnete. Neben ihm stand der mit dem Buckel. Er besaß keine Haare mehr. Glatt schimmerte die Kopfhaut. Mit einem Schwert war dieses Monstrum nicht bewaffnet, sondern mit Dolchen, deren Griffe aus den Scheiden ragten, die in Schulterhöhe an seinem Rücken befestigt waren. Der dritte war hager. Feuerrot leuchtete sein Gesicht, und die kleinen Flammen schienen auch in seinem Schädel zu tanzen. Seine Hände waren lang, die Finger kräftig und irgendwie angeknickt, so daß sie mit den Beinen von Spinnen verglichen werden konnten. Eine Waffe sah man bei diesem Monstrum nicht. Blieb der vierte. Eine Gestalt ohne Kopf. Er mußte ihm vom Körper ge schlagen worden sein, aber diese widerliche Gestalt lebte, denn sie be wegte sich, und über ihrem Rücken hingen ein Bogen und ein mit Pfeilen bestückter Köcher. Das waren die vier grausamen, untoten Ninjas, die Diener des großen Chimada, und sie würden die Welt aus den Angeln heben, wenn man sie ließ. Wie ein Sturmwind waren sie gekommen, wie ein Sturmwind würden sie wüten und über ahnungslose Menschen herfallen. Was Hauke und seine acht Freunde dachten, stand auf ihren Gesichtern zu lesen. Vor allen Dingen aber waren es die Gefühle, die sich dort abzeichneten, und man konnte sie mit einem Wort zusammenfassen. Angst! Ja, sie hatten große Angst. Sie wollten den Schrecken herauf beschwören, etwas anderes erleben, doch nun waren sie in einen Kreislauf des Grauens hineingeraten, den sie aus eigener Kraft nicht mehr verlassen konnten. Dennoch versuchte es einer von ihnen. Es war Michael. Vielleicht hatte ihn der Anblick dieser Gestalten am mei sten getroffen. Jedenfalls begann er zu reagieren, und er schüttelte sich, als hätte jemand Wasser über ihn gegossen. Sein Gesicht verzerrte sich. Er schaute Marc und Sven nacheinander an. Die beiden reagierten nicht auf seine Blicke. »Ich tu-e es!« flüsterte er. »Verdammt, ich kann nicht mehr hier ste henbleiben. Ich . . .« »Nein, Michael!« Ullrich hatte die Worte vernommen. Er ahnte, daß es ein Fehler war, jetzt die Initiative zu ergreifen, aber Michael war nicht zu belehren.
Bevor seine Freunde ihn noch zurückhalten konnten, warf er sich nach hinten, drehte sich gleichzeitig und jagte weg von dem Ort des Grauens. Er wollte fliehen, dem Schrecken entkommen, doch Shimada, ganz Herr der Lage, hatte noch keinen Befehl gegeben.
Wer nicht für ihn war, der stand gegen ihn und hatte mit einer Strafe zu rechnen.
Shimada drehte den Kopf.
Aus dem Mund, unter dem Tuch verborgen, drang ein fauchender Laut, der genau den erreichte, für den er bestimmt war.
Es war das glatzköpfige Monstrum mit den Dolchen.
Zum ersten Mal erlebten die anderen acht dieses Wesen in Aktion. Und sie sahen, wie schnell die tödlichen Ninjas reagieren konnten. Die gefährlichen Dolche schienen diesem Wesen in die Hände zu springen. Es war kaum eine Bewegung bei ihm festzustellen, und dann schleuderte er die Waffen.
»Michael!« Ein gellender Warnruf drang aus Haukes Kehle. Er erreichte den Fliehenden auch, nur dachte der nicht daran, seinen Lauf zu stoppen.
Das besorgten andere.
Die Dolche!
Sie waren schnell und schienen in der Luft noch an Geschwindigkeit zu gewinnen, wobei sie mit tödlicher Sicherheit das Ziel fanden.
Den Körper des Jungen!
Sogar die Aufschläge waren von seinen Freunden zu vernehmen. Michael bäumte sich auf. Er hob ein wenig vom Boden ab, bevor er in den Knien einknickte, noch drei, vier torkelnde Schritte lief, bevor ihn die Kraft verlies und er zu Boden schlug.
Michael fiel auf den Bauch.
Er schlug sehr schwer auf und
prallte mit der Stirn noch gegen einen Baumstamm.
So blieb er liegen.
Als Toter . . .
Der Glatzkopf aber ging zu ihm. Der Buckel stach aus seinem Körper hervor. In seiner Gangart erinnerte er ein wenig an den Glöckner von Notre Dame, erreichte den Toten, zog die Waffen wieder hervor, reinigte sie und steckte sie weg.
Daß er einen jungen Menschen umgebracht hatte, machte ihm nichts aus. Als Untoter kannte er keine Gefühle.
Langsam kam er zurück.
Shimada hatte sich gedreht und richtete seine gnadenlosen Augen auf die acht jungen Menschen.
Gefühl leuchtete nicht in ihnen. Er schaute sie mit Eiseskälte an, und die Freunde aus Deutschland waren nicht in der Lage, überhaupt etwas zu
unternehmen. Sie konnten nicht einmal den Blicken dieses Monstrums standhalten, sondern senkten die Köpfe. Marc weinte lautlos. Aus seinen Augen liefen Tränen, die an den Wangen entlang in Richtung Kinn und Hals rannen. »Er hätte nicht weglaufen sollen«, erklärte Shimada. »Es war sein Fehler. Hier kann nur derjenige gehen, dem ich es erlaube. Ansonsten gehört ihr mir!« Klare Worte, die auch von den Jungen verstanden worden waren. Und jeder wußte, daß er ohne Shimadas Willen nichts mehr unternehmen konnte. Sie waren in die tödliche Mühle hineingeraten, einen Ausweg konnten sie aus eigener Kraft nicht mehr finden. In jedem von ihnen tobte eine Hölle aus Gefühlen. Vielleicht in Ullrich eine etwas stärkere, denn er faßte sich ein Herz, schaute Shimada an und schrie: »Warum? Aus welchem Grund hast du das getan, du verfluchter Dämon?« Es waren harte Worte, doch Ullrich war es in diesen Augenblicken egal, ob er sich in Lebensgefahr begab oder nicht. Er wollte eine Antwort haben und bekam sie auch. Shimada hob seine Hand. Aus dem Ärmel der Jacke schaute ein düster wirkender Finger, und die Spitze wies genau auf Ullrich. »Ich habe auf diesem Friedhof zu sagen, denn er ist für uns der Startplatz in andere Zeiten und Dimensionen. Ich bin mächtig, aber ich habe auch große Gegner, die es zu besiegen gilt. Fast wäre es mir gelungen, Xorron zu töten, doch eine andere griff ein und verhinderte dies. So etwas soll nicht mehr vorkommen. Deshalb habe ich eine noch stärkere Waffe geholt, den Fächer der Sonnengöttin Amaterasu. Und mit seiner Hilfe werde ich Xorron aus den anderen Dimensionen hervorlocken. Der Fächer gegen die Kraft der Pandora. Wer gewinnt, bekommt alles, denn er ist der große Sieger. So soll und so wird es laufen. Bevor ich ihn jedoch gegen ihn und sie einsetze, werde ich diesen Friedhof in ein Areal des Grauens verwandeln. Einen Friedhof der Zombies und Ghouls, denn sie werden anschließend auf mein Kommando hören und sich ebenfalls gegen Xorrons Totenheer stellen, das nach wie vor auf der Lauer liegt.« »Und was sollen wir?« schrie Hauke plötzlich. »Wir haben doch nichts getan . . .« Mit einer herrischen Bewegung schnitt Shimada dem jungen Mann das Wort ab. »Ihr wolltet den Horror. Jetzt habt ihr ihn. Es ist nicht erlaubt, mit Dingen zu spielen, die für Menschen besser unerreichbar geblieben wären. Durch eure Neugierde wurden sie geweckt, ihr tragt deshalb auch die Folgen . . .« Shimada brauchte keine weiteren Erklärungen mehr zu geben. Diese eine reichte aus, und die jungen Leute wußten, daß sie Gefangene dieses Dämons waren. Sie hatten sich praktisch in seine Hand begeben. Durch Koto.
Als Hauke an seinen Brieffreund dachte, wurde er noch blasser. War Koto auch tot?« Er wollte es genau wissen und stellte die diesbezügliche Frage an Shimada. Der Ninja-Dämon lachte. »Wer ist Koto?« rief er laut. »Ein Nichts, ein Niemand. Ich habe ihn vernichtet, denn ich brauchte seinen Körper. Nicht umsonst nennt man mich den Dämon mit den 1 000 Masken. Ich brauche eine Gestalt, nutze sie aus und erledige sie dann. Willst du sehen, was von ihm zurückgeblieben ist?« Shimada hatte die Frage zwar an Hauke gerichtet, doch damit auch alle anderen angesprochen. »Nein, nein!« Marc meldete sich. »Ich. . .« »Horror und Schrecken!« schrie Shimada dazwischen. »Ihr wolltet es ha ben, jetzt sollt ihr es bekommen. Ich zeige euch euren Koto. Schaut her!« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da bückte er sich, hob etwas vom Boden auf, brachte seine Hände in die Höhe und breitete sie aus. Zwischen seinen Fingern rieselte etwas nach unten. Grauer Staub! »Das war Koto«, erklärte er mit dumpfer Stimme. »Nun könnt ihr sehen, was von ihm geblieben ist. Staub, nur Staub . . .« Er schüttelte sich. »So ergeht es jedem, dessen Körper ich nicht mehr benötige. Ich werfe ihn weg, einfach fort. . .« Die Jungen waren fassungslos. Ihre Augen glichen starren Kugeln, ohne Regung, ohne Gefühl. Shimada aber kümmerte sich darum nicht. Für ihn waren andere Dinge wichtiger. Den Fächer hatte er, und er wollte ihn auch einsetzen. Deshalb streckte er seinen Arm aus und griff danach. Kaum hielt er ihn in der Hand, begannen seine Augen noch stärker zu strahlen. Ein blaues Leuchten ging von ihnen aus, und mit einer geschickten Bewegung klappte er den Fächer auseinander. Es lief wunderbar, ein Karten-Zauberer hätte dies nicht gewandter ge schafft. Shimada hielt das kostbare Stück so, daß jeder der Anwesenden auf den Fächer schauen konnte. Sie sahen die Sonne. Als blutigroter Ball war sie auf beide Seiten des Fächers gemalt worden. »Die Sonne ist die Kraft des Heils, des Lichts«, erklärte Shimada den atemlos Lauschenden, »aber in meiner Hand wird sie zu einer gefährlichen Waffe. Ihr Lauf im All ist vorgeschrieben. Die Gestirne drehen sich um sie. Ob Erde, Mond, Mars oder Jupiter. Sie alle ziehen ihre Bahnen um die Sonne. Doch seht euch den Fächer genau an. Er besitzt an den Rändern die Tierkreiszeichen der Gestirne. Vor unendlich langer Zeit wußte man schon Bescheid über diesen Kreislauf, und man
hat ihn dem Fächer mit eingegeben. Auf ihm ist dieses uralte Naturgesetz eingezeichnet. An den Regeln des Alls kann auch ich nichts ändern, aber dieser Fächer schafft es in Bereichen, die dem All gleichen. Ich kann die Zeiten verschwinden, ich kann die Toten zurückkehren lassen. All das ermöglicht dieser Fächer, der einst der Sonnengöttin gehörte, sich aber nun endlich in meiner Hand befindet. Und ihr werdet es erleben. Schaut genau zu, was ich mache, denn die auf diesem Fried hof liegenden Leichen sollen nicht länger in der feuchten Erde bleiben. Ghouls und Zombies gehorchten nicht nur Xorron, sie werden von nun an auch mir gehorchen. Aus diesem Grund habe ich den Fächer an mich genommen. Ihn stelle ich Xorrons wahnsinnigem Totenheer entgegen. Jetzt!« Das letzte Wort hatte seinen Mund kaum verlassen, als er mit zwei Fin gern dorthin griff, wo sich die Tierkreiszeichen befanden. Er veränderte sie, schob zwei von ihnen zusammen und ein drittes ein wenig zur Seite. Er schuf die Basis, und die Gesetze der Schwarzen Magie reagierten so, wie Shimada es wollte . . . *** Bei der japanischen Botschaft hatte es für uns keinerlei Schwierigkeiten gegeben. Inzwischen waren wir dort so bekannt wie bunte Hunde, und man wußte, mit welchen Fällen wir uns leider herumzuplagen hatten. Man bot uns Hilfe an, und wir versprachen, wenn wir sie nötig hatten, darauf zurückzukommen. Erst einmal wollten wir allein die Recherchen durchführen. Es gab in der Tat einen Friedhof am Stadtrand von London, den man in gewisser Hinsicht als exotisch bezeichnen konnte, denn dort lagen unter der kalten Erde zumeist Ausländer. Nicht, daß die englischen Behörden etwas gegen die Menschen gehabt hätten, aber der Wunsch, gerade auf diesem bestimmten Friedhof beigesetzt zu werden, entsprach dem jeweiligen Letzten Willen der Verstorbenen. Und so war eben diese Stätte eingerichtet worden. Nicht nur Japaner hatten dort ihr Grab gefunden, auch Chinesen und In donesier. Es war ein asiatischer Friedhof und mit einem europäischen nicht zu vergleichen, wie man uns in der Botschaft versichert hatte. Davon allerdings wollten wir uns selbst überzeugen. Deshalb befanden sich Suko und ich auf dem Weg zu ihm. Wenn mein Freund und ich einen Friedhof besuchten, blieb immer ein dumpfes Gefühl bei uns zurück. Diese Stätten, so völlig normal sie eigentlich waren, hatten uns oft genug Rätsel aufgegeben und waren
manchmal Ausgangspunkte für gefährliche Fälle gewesen. Aus diesem Grund hatten wir uns auch dementsprechend bewaffnet. Da Sicherheit über allem stand, hatte ich meinen Bumerang ebenfalls mitgenommen. Er lag nicht im Einsatzkoffer, sondern befand sich am Körper. Irgendwie kamen wir uns vor wie Einzelkämpfer. Wir verließen London, erreichten den Stadtrand und erlebten, wie der Verkehr spärlicher floß. Viele Wagen "bogen in die hübschen Wohngebiete ab. Menschen wollten den Feierabend und einen Sommerabend genießen, während wir uns auf der Fahrt zu einem Flecken Erde befanden, den man mit einer magischen Zeitbombe vergleichen konnte, die jeden Augenblick zu explodieren drohte. »Ich wußte überhaupt nicht, daß es hier so einen Friedhof gibt«, sagte Suko. »Und das bei deinen vielen Vettern.« »Eben.« Sukos Vettern waren zwar nicht verwandt mit ihm, aber irgendwie schie nen sich alle Chinesen in London zu kennen. Wenn Suko bestimmte Informationen benötigte, wandte er sich an seine Landsleute, und er bekam auch meist, was er brauchte. Der Himmel war jetzt bewölkt. Da die Luft stark drückte, deutete alles auf ein nahes Gewitter hin. Eine Abkühlung hätte wirklich gutgetan, denn London erstickte fast in der Schwüle und unter der gewaltigen Dunstglocke. Eine kleine Siedlung passierten wir. Die Menschen saßen entweder vor den roten Backsteinhäusern oder hielten sich in den schmalen Gärten auf. Viele Blicke waren zum Himmel gerichtet. Auch hier wartete man auf das erlösende Gewitter. Links von uns begann ein Waldgebiet. Davor standen verstreut einige Häuser. Und hinter dem Wald lag der Friedhof. So jedenfalls wußten wir es aus Erklärungen und von der Karte her. Die Straße umrundete den Wald, wurde enger, zweigte nach rechts ab, die Asphaltdecke wurde löchrig und wir konnten über den Weg direkt auf unser Ziel zufahren. Da lag der Friedhof. Ich stoppte den Bentley, stieg aus, und Suko tat es mir nach. Wir blieben neben dem Wagen stehen, um den Friedhof erst einmal auf uns einwirken zu lassen. Schon jetzt erkannten wir, daß die Bäume sehr dicht standen. Sie bildeten über dem Gelände ein gewaltiges grünes Dach. Eng verflochten. Wahrscheinlich hielt es sogar den größten Teil der einfallenden Sonnenstrahlen ab.
Eine Mauer oder einen Zaun entdeckten wir nicht, und es wies auch
nichts darauf hin, daß es mit diesem Friedhof eine besondere
Bewandtnis hatte. Alles war völlig normal.
Vielleicht waren wir doch rechtzeitig genug gekommen, um den Anfän gen zu wehren.
Es wurde düster.
Aus Richtung Westen schoben sich die dunklen Wolken heran. Eine
breite graue Front, aufgeladen mit Elektrizität; das Gewitter würde
kommen, daran gab es nichts zu rütteln.
Die Luft empfanden wir als seltsam dick, drückend, aber dennoch klar.
Wenn wir sprachen, trug der Schall unsere Stimmen weiter als normal.
Wir unterhielten uns nur im Flüsterton, als wir dem Ziel näher kamen.
Etwa die Hälfte der Strecke zwischen dem Bentley und dem Friedhof
hatten wir bereits zurückgelegt, als wir auch das Tor sahen.
Niemand schien den Friedhof zu pflegen. Deshalb war es den Pflanzen
und Büschen gelungen, sich an dem Tor und dem Gitter so
hochzuranken, daß sie es fast verdeckten und es erst bei genauerem
Hinsehen erkannt werden konnte.
Das Eisentor wurde rechts und links von zwei Säulen aus Stein gehalten.
Dann begann das Gitter. Eine völlig normale Umfriedung. Keine dämoni schen Zeichen oder Gestalten eingearbeitet. Nur Stangen, die von unten
nach oben liefen und Spitzen zeigten, wie wir sie von alten Kampflanzen
her kannten.
Am linken Steinpfosten des Tores entdeckten wir ein blasses Schild. Die
Inschrift war nur schwer zu entziffern. Sie sagte aus, daß es sich bei
diesem Friedhof um die letzte Ruhestätte einer ethnologischen Rasse
handelte, die nichts mit Europa und dessen Kultur zu tun hatte. Zudem
wurde darauf hingewiesen, daß Unbefugten der Zutritt zu diesem
Friedhof verboten war.
»Sehr blumenreich ausgedrückt«, bemerkte ich. »Deine Landsleute ha ben sich Mühe gegeben, Suko.«
»Hier ruhen meist Japaner. Keine Chinesen«, berichtigte er mich und
schaute am Tor hoch.
»Das werden wir wohl überklettern müssen«, sagte ich.
»Leider.«
»Was ist denn mit dir? Hast du deine Sportlichkeit verloren, Alter?«
»Immer in der Hitze.«
Ich machte es meinem Freund vor und kletterte an den Gitterstäben des
Tors in die Höhe. Als ich oben war, hörte ich Suko lachen. Zwischen
meinen Armen hindurch schaute ich nach unten und geriet in Bewegung,
denn Suko drückte das Tor auf.
»Erst denken, dann handeln«, meinte er grinsend, als ich abgesprungen
war.
»Das hättest du mir auch vorher sagen können.«
»Du warst ja so eifrig.« Zum Glück gab es Situationen wie diese. Sie lockerten unseren harten Job auf. Zum Scherzen blieb danach keine Zeit mehr, denn der Friedhof nahm uns auf. Düster war es. Düster und unheimlich. Schon jetzt fielen uns die zahlrei chen Trauerweiden auf, deren lange, dünne, mit schmalen Blättern besetzten Zweige an einigen Stellen bis zum Boden reichten. Wege sahen wir nicht. Sie hatte es vielleicht einmal gegeben. An den Stellen wuchsen wildes Gras und dickes Moos, das in einem dunklen, satten Grün schimmerte und Ähnlichkeit mit einem Teppich auswies. Als wir gingen, hörten wir nämlich von unseren Schritten kaum etwas. Über die Ausmaße des Friedhofs waren wir nicht informiert. Da noch Be erdigungen stattfanden, mußte es unserer Ansicht nach auch eine Traueroder Leichenhalle geben, und die wollten wir finden. Aus diesem Vorhaben wurde zunächst nichts, denn wir vernahmen Stimmen. Sofort verhielten wir unsere Schritte und schauten uns an. Diese dicke Luft, die über dem Friedhof lag und ihm fast ein Dschungelklima verlieh, machte uns nicht nur beim Atmen zu schaffen, es war auch so gut wie unmöglich festzustellen, aus welcher Richtung die Stimmen an unsere Ohren drangen. Worte konnten wir ebenfalls nicht verstehen, aber uns war klargeworden, daß sich hier etwas abspielte, das nicht zu den normalen Dingen des Lebens gehörte. Eine Beerdigung fand an diesem frühen Abend nicht statt, das wußten wir genau. Wer hielt sich dann auf dem Totenacker auf? Den Stimmen nach zu ur teilen, waren es mehrere Personen. Ein dumpf klingendes Organ übertönte die anderen. Dieses hielt einen Monolog. Suko kam der Gedanke an Shimada. Bei mir fiel er auf fruchtbaren Boden. Mit einem Nicken gab ich Suko recht. Mittlerweile hatten wir auch herausgefunden, aus welcher Richtung die Stimmen kamen. Wir brauchten uns eigentlich nur nach vorn zu bewegen, dann hatten wir irgendwann den Sprecher erreicht. Wenige Schritte später sahen wir die ersten Gräber. Kaum zu erkennen zwischen dem satten Grün der Büsche, da die Grab steine ebenfalls Moos angesetzt hatten und sogar von hochwachsenden Ranken überwuchert wurden. Viele Friedhöfe hatte ich in meinem Leben gesehen und auch besuchen müssen, so einen, wie den hier, kannte ich nicht. Es waren keine Grabsteine oder Kreuze, wie Europäer sie auf die Gräber stellten, sondern andere Figuren und Steine.
Vor uns hockte eine Figur, die mich im ersten Augenblick an einen
Buddha erinnerte. Sie war ebenfalls so dick und rund gebaut. Das jedoch
täuschte. Nicht ein Buddha glotzte uns an, sondern ein Wesen aus einer
fremden Mythologie, denn auf dem dicken runden Leib, der wie eine
Kugel aussah, saß ein fetter Krötenkopf mit hervorstechenden
Glotzaugen und einem breiten Maul, das halb geöffnet war.
»Kennst du den?« fragte ich Suko.
»Ein Krötendämon.«
»Aus eurer Mythologie?«
»Sowohl als auch. Japaner und Chinesen haben sich schon mit den
Kröten beschäftigt.«
Dieses Denkmal kam mir unheimlich vor. Ich fragte nach dem Grund,
daß man so etwas hier mitten in Europa hinsetzte.
Suko hob die Schultern. »Vielleicht hat der Tote in diesem Grab zu
seinen Lebzeiten an den .Krötendämon geglaubt und ihm gehuldigt.«
»Was hatte er davon?«
»Glück, Reichtum und . . .«
Ich winkte ab. »Geschenkt. Das übliche also.« Sie alle wollten schnell
reich werden und Macht erringen, wenn sie sich mit Dämonen einließen.
Nur wenigen gelang es, und diejenigen, die es doch geschafft hatten, be kamen schließlich irgendwann die Quittung. Dabei dachte ich an Logan
Costello, den Mafiaboß, der durch dämonische Hilfe so groß
herausgekommen war und dessen Stern allmählich sank.
Wir hatten es in diesem Fall nicht mit dämonischen Helfern zu tun, son dern mit den schwarzmagischen Wesen selbst, und die waren
wesentlich gefährlicher.
Ich wollte schon weitergehen, und meine Hand streifte dieses Kröten-
Denkmal, als mir etwas auffiel.
Der Stein war warm.
Im ersten Augenblick zuckte ich zusammen, dachte auch an eine Täu schung, faßte und fühlte noch einmal nach und bekam meine erste
Reaktion bestätigt. In der Tat strahlte der Stein eine gewisse Wärme ab.
»Suko!«
Mein Freund, der bereits einige Schritte vorgegangen und fast unter den
Zweigen einer Weide verschwunden war, blieb stehen, drehte sich und
sah mein Winken.
»Was ist denn?«
Zu einer Erklärung kam ich nicht mehr. Zudem lieferte der Stein sie
selbst. Aus seinen Poren quoll grauer Rauch, der bestialisch stank, und
im nächsten Moment explodierte das Unterteil...
***
Ich hatte das Gefühl, inmitten einer Zeitlupenszene zu stehen, denn die Explosion war weder von einem Zischen noch einem Knall oder Detona tionsdonner begleitet. Sie spielte sich lautlos ab. Aus dem Innern drangen die Kräfte hervor, die sich dort gebildet hatten, und sie rissen ein gewaltiges Loch in den fetten Bauch der unheimlichen Figur. Zum Glück hatte ich diese Reaktion rechtzeitig genug bemerkt und war, so rasch es ging, zurückgesprungen. Dennoch trafen mich einige Steine am Körper, zum Glück nicht im Gesicht. Ich warf mich zu Boden und rollte über das weiche Moos. Die restlichen Steine wischten vorbei. Mein Freund Suko stand günstiger. Er hatte nichts abbekommen. Dafür konnte er auch nicht sehen, daß der Krötenkopf zu einem Eigenleben er wachte und sein gewaltiges Maul so weit wie möglich aufriß, so daß eine breite, an einen Lappen erinnernde Zunge hervorschnellen konnte. Und noch etwas geschah. Die magische Explosion hatte ein Loch in die Figur gerissen. Zunächst war es nur eine dunkle Öffnung, bis sich dort etwas bewegte und ich bei genauerem Hinschauen zwei magere Arme mit langen Fingern erkannte. Dort wollte jemand das Grabmal verlassen. Ein Zombie! Im ersten Augenblick mußte ich schlucken, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Dennoch mußte ich mich mit den Tatsachen abfinden, denn ich stand zwei Gegnern gegenüber. Dem Zombie und dem Krötenkopf. Auf Suko konnte ich nicht zählen. Er war plötzlich verschwunden, ich hörte nur sein Fluchen. Wahrscheinlich schlug er sich mit einem anderen Monstrum herum. Der Krötenkopf an sich war nicht gefährlich, nur seine Zunge, denn sie konnte sich vergrößern, und sie schlug nach mir. Noch wich ich leicht aus, aber unter der Zunge hinweg kletterte der Zombie aus dem zerstörten Leib. Ein widerliches Wesen mit langen, dreckigen Haaren und einer Haut, die wie weißes Gelee wirkte. Die Lippen sah ich überhaupt nicht mehr, dafür näherten sich seine Hände meinem Hals. Ich trat ihn um. Er hatte den Boden kaum berührt und lag auf dem Rücken, als ich mei nen Dolch zog und ihn wuchtig nach unten schleuderte. Die schmale Waffe wirkte wie eine Lanze. Sie schlug in den widerlichen Körper und blieb stecken. Der Zombie zuckte noch einmal, dann verging er . ...
Aber die Kröte war noch da. Als die Zunge zuschlug, vernahm ich ein klatschendes Geräusch, als würde ein Vogel neben mir herfliegen, der seine Flügel auf- und niederschwang. Für einen winzigen Moment sah ich in die Augen des Tieres. Dort blitzte es zornig auf, dann schaffte ich mich mit einem Sprung aus der Gefahrenzone, tauchte zu Boden, rollte herum und zog den Dolch aus dem Körper des Zombies. Ich blieb in kniender Stellung. Als die Zunge abermals heranfuhr, gewal tig, lappig und widerlich, rammte ich beide Hände hoch, jagte von unten her die Klinge in diesen widerlichen grauen Lappen hinein, spürte, daß sie steckenblieb und mich beim Zurückschnellen noch mit auf das Maul zuzog. Mit aller Kraft hielt ich dagegen, und es gelang mir, die Zunge ein Stück einzuschneiden, bis das Messer mit einem Ruck wieder freikam, ich die heftige Bewegung nicht ausbalancieren konnte und nach vorn fiel. Zeit, um liegenzubleiben, hatte ich wahrlich nicht. Deshalb drehte ich mich und schaute von unten her gegen die Zunge. Sie hing aus dem Maul und auch dem Boden zu. Bewegungslos, tot, grau. Aus der Wunde fielen dicke Tropfen. Die schwarze Flüssigkeit klatschte neben mir auf das Moos. Gleichzeitig erlosch der zornige Blick der Krötenaugen. Sie nahmen eine ebenso stumpfe Farbe an wie die Zunge, und das Maul verschloß sich vom Oberkiefer her. Langsam klappte es zu, während die Zunge nicht zurückgezogen wurde. Schließlich berührte die obere Maulhälfte sie, und sie wirkte wie die Schneide eines Messer, denn sie kappte die Zunge. Ich hatte meine Stellung inzwischen gewechselt, sonst wäre das Stück noch auf mich gefallen. Zwei Schritte entfernt blieb es schließlich liegen. Masse, die aussah wie ein alter Schwamm, der durch das heiße Sonnenlicht ausgedörrt war und allmählich zerfiel. Diese Gefahr hatte ich überstanden. Aber wie war es Suko ergangen? Zuletzt hatte ich von ihm nur ein Fluchen gehört. Ich wußte auch die Richtung, in die er gelaufen war, setzte mich selbst in Bewegung und hielt nach weiteren Gräbern Ausschau. Vor mir tanzte ein Busch. Im ersten Augenblick erschien es so, denn seine Zweige wurden wild be wegt. Allerdings nicht vom Wind, den gab es hier nicht, sondern von einer Person, die sich hinter dem Busch befand. Es war Suko. Für einen Moment sah ich sein Gesicht. Es befand sich seltsam tief. Mich durchfuhr ein heißer Schreck. Ich beeilte mich noch mehr, schleuderte die Zweige zur Seite und sah meinen Partner in einer grauenhaften Lage. Er steckte in einem Grab fest.
Doch nicht in der Erde, sondern in einem Grab, das bis zum Rand mit gelben, handlangen Schlangen angefüllt war, und nur Sukos Kopf schaute noch daraus hervor . . . *** Bisher waren die Horror-Freunde aus Deutschland nur zu einem Stati sten-Dasein verbannt gewesen, das änderte sich auch in den folgenden
Minuten nicht, als die Magie von Shimada ihre Wirkung zeigte.
In der Nähe befanden sich einige Gräber. Zwei von ihnen konnten von
den jungen Menschen direkt ein- und angesehen werden, drei weitere
verschwammen im Dämmerlicht.
Bei allen fünf Gräbern tat sich etwas.
Es begann mit den Steinen. Bisher hatten sie stumm und bewegungslos
auf dem Boden gestanden, nun aber passierte in ihrem Innern etwas,
das rational nicht zu erklären war.
Aus den Poren der Steine drang ein beißender Qualm. Er fand überall
seine Ausgänge, erinnerte an tausend dünne Arme, die sich, wenn sie
ihr Gefängnis verlassen hatten, wieder fanden und sich zu Wolken
verdichteten.
Gleichzeitig brachen die Steine.
Das dabei entstehende Knirschen drang den Zuschauern unter die Haut.
Die Denkmäler auf den Gräbern verloren ihren Halt, wurden schief,
bröckelten ab, wobei die Reste auf die Erde fielen und als Fragmenter
liegenblieben.
Zuerst hörte sich der Laut menschlich an, der aus einem der Grabsteine
drang, dann ging er über in ein Röhren und Fauchen, und ein jeder sah,
daß sich der Grabstein bewegte.
Von innen wurde er gesprengt.
Im selben Augenblick verließ ein zottiges Tier mit glühenden Augen die
Stätte. Es besaß eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Bären, wirkte aber
noch schwerfälliger.
Dampf quoll aus einem Rachen.
Shimada lachte, als ihm die Wolke entgegenfuhr. »Say-Kurana!« schrie
er. »Sei willkommen auf diesem Friedhof! Lange genug hast du ihn
gehütet. Jetzt gehörst du mir!«
Und das Untier brüllte. Damit gab es seine Zustimmung, kreiselte herum,
entdeckte die vier waffenstarrenden
Diener des Ninja-Dämons und fixierte dann die Menschen.
Die glühenden Augen wirkten auf die acht jungen Freunde wie gefähr liche Dolche. Die Blicke brannten ihnen entgegen. Sie schienen in ihre
Körper dringen zu wollen, um ihre Seelen zu zerreißen.
Ullrich und Hauke, die sich bisher noch am besten gehalten hatten, be gannen ebenso zu zittern wie die anderen, während hoch über ihnen
immer mehr Wolken zusammengetrieben wurden und ein fast
undurchsichtiges graues Dach bildeten.
Say-Kurana, das Untier aus dem Grab, drehte sich und schüttelte un willig seinen Kopf. Irgend etwas schien diesen Tierdämon zu stören,
denn sein Fell sträubte sich, und plötzlich sprang es mit einem
gewaltigen Satz zur Seite und heulte laut.
Auch Shimada zeigte sich pikiert. Er stand da, starrte auf den Fächer
und wußte nicht, was er machen sollte.
Hoch über den Bäumen bildete sich eine Wand. Noch waren die Wolken
da, aber etwas anderes schob sich dazwischen, als würde ein zweites
Bild vor eine schon bedeckte Leinwand geschoben.
Etwas kam.
Eine andere Magie!
Auch Shimada spürte sie. Er lief geschmeidig zur Seite, hielt den Fächer
fest und schaute in die Höhe. " In diesem Moment fegte ein Windstoß
über den unheimlichen Friedhof, beutelte die Bäume, rüttelte an den
Zweigen und bog sie so zur Seite, daß die Blicke aller Anwesenden auf
den Himmel fallen konnten.
Dort hatte sich etwas verändert.
Zwar gab es nach wie vor die Wolkenwand, doch sie zeigte nur ein Bild.
Es schien auf Glas gemalt zu sein, und eine gewisse Unscharfe lagerte
darüber.
Dennoch war es' zu erkennen, denn im Zentrum der Wolken schwebte
eine Öffnung - gefüllt mit Zombies.
Xorrons Totenheer!
*** »Willkommen am Rande der Ewigkeit . . .«
Diese Worte, von Pandora gesprochen, hallten in Xorron nach. Aber er
war nicht in der Lage, näher darüber nachzudenken, er nahm sie einfach
hin, ebenso wie das Auftauchen der mystischen Figur Pandora.
Der Göttervater Zeus hatte bei ihrer Entstehung Pate gestanden, und er
hatte gewollt, daß diese Pandora so werden sollte, daß sie die
Menschen verführen konnte.
Dafür gab es ein Mittel.
Die Schönheit.
Schon vor sehr langer Zeit war man dich dessen bewußt gewesen.
Durch die Schönheit einer Frau waren schon mehr Männer in die Knie
gezwungen worden als durch die Klinge eines Schwertes.
Dieses Sprichwort traf bei Pandora voll zu. So schön sie äußerlich war,
so verdorben und teuflisch war ihr Inneres. Nur zeigte sie sich in der
äußerlichen Larve, und diese Schönheit konnte man bei ihr mit dem Wort
überirdisch umschreiben.
Das lange Haar fiel in Locken bis auf die Schultern. Es war weder als blond, silbrig oder golden zu bezeichnen, es besaß von allem etwas. Auffällig war nur der helle Schimmer, der über dem Kopf wie eine Aura schwebte. Das Gesicht glich dem eines Engels. Makellos war es. Der Mund erblühte in einer vollen Reife, und wie immer trug Pandora ein weißes Gewand, das von einem locker um die Hüfte geschlungenen Gürtel in der Taille gehalten wurde. Unter dem Hals fiel das Gewand in mehreren Falten übereinander und bildete so einen halbrunden Ausschnitt. Aber Pandora war gefährlich. Ihr Inneres glich einem bösen, alles zer fressenden Geschwür, das nur auf Ausrottung und Vernichtung pro grammiert war. Pandora war aufgetaucht wie ein Phönix aus der Asche, und sie besaß eine Waffe, die sie so gefährlich machte. Das Füllhorn! Der Göttervater Zeus hatte es ihr mit auf den Weg gegeben. Dieses Füll horn konnte das Grauen, die Angst, das Böse und Pest unter den Menschen verbreiten. Wenn Pandora es kippte und seinen Inhalt über die Menschen ausgoß, wurden Alpträume wahr, und Menschen gerieten in äußerste Lebensgefahr. Was Pandora mit Xorron verband, das wußte wohl nur sie selbst, aber sie hielt über ihn ihre schützende Hand. Deshalb war es Shimada auch nicht gelungen, Xorron zu töten, denn Pandora hatte ihn in ihre Welt hineingerettet. Xorron schaute auf die Wand, und er sah Pandora, die sich hinter dieser Fläche aufhielt. Die Wand, aus welchem Material sie auch immer beste hen mochte, zeigte eine leichte Krümmung, und sie ließ Pandora seltsam verschoben erscheinen. Die Figur war überall zu sehen, mal als Umriß, mal als Schatten, mal breit, mal eng . . . Hier liefen Dimensionen zusammen, wurden plastisch gezeigt, und der Begriff Rand der Ewigkeit konnte durch, diesen Anblick untermauert werden. Sie hielt ihr Füllhorn fest, als sie Xorron anstarrte und sich ihre Lippen bewegten. Schon hallte die Stimme dem Herrn der Zombies und Untoten entgegen, und sie sagte Xorron glashart ihre Meinung. »Du hast lange genug Zeit gehabt, dich auf diesen Kampf vorzubereiten. Du mußtest wissen, daß Shimada kommen würde, denn sein und dein Schicksal liegen in der tiefsten Vergangenheit dieser Welt begründet. Ich habe dich erlebt, ich habe deine Erniedrigung gesehen und sah Shimadas Triumph. Ich hätte dich sterben lassen können, denn Shimada kann es schaffen. Die uralten Ninja-Riten sind so mächtig, daß auch du ihnen nichts entgegenzusetzen hast, aber ich will nicht, daß er gewinnt,
sondern du sollst der große Sieger sein. Deshalb habe ich dich gerettet, und deshalb gebe ich dir noch eine Chance.« »Was soll ich tun?« sprach Xorron, wobei er wie ein Roboter redete. »Vernichte ihn.« »Er ist zu stark.« Da lachte Pandora. »Das weiß ich leider auch. Aber du brauchst ihn nicht auf der Erde zu vernichten, sondern locke ihn in eine andere Zeit hinein. In die Vergangenheit. Du mußt noch einmal deine Geburt und sein Werden erleben. Suche nach seinen Schwächen, dann kannst du es vielleicht schaffen, ihn zu töten. Zudem werde ich immer an deiner Seite stehen und ein Auge auf dich haben.« »Wo steckt er?« »Er befindet sich auf der Erde, denn er will seine Dienerschar vergrößern. Es gibt einen Friedhof, wo die begraben liegen, die ihm huldigen. Dort mußt du mit deinem Totenheer erscheinen und versuchen, ihn in die Zeit zu locken, die ich vorgesehen habe. In die Ära der dämonischen Geburten. Da kann die Entscheidung stattfinden. Schleudere ihn dahin und nimm dein Totenheer. Hole auch die Ghouls, denn sie werden sich an den Kadavern deiner Feinde laben.« Xorron nickte. Er hatte sich die Worte genau gemerkt. Aber er wollte noch mehr Informationen haben. »Wo genau finde ich ihn? Kann ich ihn sehen? Bitte, mache es möglich!« Pandoras Gelächter schallte ihm entgegen. Es klang hart, wenn auch sehr wissend. »Du verlangst viel von mir, mein Lieber. Aber du verlangst nichts Unmögliches. Ich werde dir zeigen, was er jetzt will und unter nimmt.« Sie drehte sich ein wenig zur Seite, so daß Xorron auf die Öffnung des Füllhorns schauen konnte. Er sah durch die Wand in das Nichts des Füllhorns hinein, und dennoch bewegte sich dort etwas, obwohl es ja leer war. Plötzlich veränderte es sich in seiner Größe. Es schwoll an, wurde erst doppelt, dann dreimal so groß und überragte schließlich als gewaltiger Kreis Pandora selbst und auch einen Teil der gekrümmten Spiegelfläche, die als Rand der Ewigkeit bezeichnet worden war. Ein Mensch hätte vielleicht die Öffnung des Füllhorns mit einer großen Seifenblase verglichen, die ebenfalls eine leichte Krümmung aufwies, auf der sich das Geschehen widerspiegelte, was in einer anderen Dimension, einer anderen Zeit und dennoch zum gleichen Zeitpunkt auf der Mutter Erde ablief. Shimadas Zauber! Xorron sah die Erweckung der Bestie Say-Kurana, er bekam mit, wie der unheimliche Friedhof anfing zu kochen und erlebte den Triumph des Ninja-Dämpns Shimada. »Da siehst du es!« hörte er Pandoras Stimme aus einer unendlich erscheinenden Ferne an sein Gehör klingen. »Sie werden von Minute zu
Minute stärker. Wenn du jetzt nicht etwas unternimmst, schaffst du es
nie. Hole sie in die Zeit, die ich dir genannt habe, denn Shimada ist es
gelungen, den Fächer der Sonnengöttin Amaterasu an sich zu nehmen.
Jag ihm diesen Fächer wieder ab, und nutze ihn für deine Zwecke. Jetzt,
in diesem Augenblick, sehen sie auch dich.«
»Was soll ich machen?« brüllte Xorron und riß seine bärenstarken Arme
in die Höhe.
»Du jetzt nichts, sondern ich. Gib acht!«
Von allen Seiten drang das unheimliche Fauchen auf den Herrn der
Zombies ein. Es waren schreckliche Geräusche, die Xorron regelrecht
durchschüttelten und an ihm zerrten. Die Kraft wurde stärker, je mehr
das Heulen zunahm, und Xorron spürte, wie ihn etwas in die Höhe riß.
Gegen diese Kraft kam selbst er nicht an.
Und er wurde auf die leicht gekrümmte Wand zugeschleudert, streckte
noch seine Arme aus, spürte keinen Widerstand, nur ein kurzes Ziehen
und jagte hindurch.
Doch nicht nur er.
Auch die Zombies auf der Galeere waren von dem ungeheuren Sturm wind gepackt worden und hatten ihm nichts mehr entgegenzusetzen. Es
riß sie von den Beinen.
Gewaltige Kräfte schleuderten sie in die Lüfte. Sie drehten sich, wirbel ten, stießen gegeneinander und wurden genau in die Richtung gepreßt,
die auch Xorron, ihr Herr, eingenommen hatte.
Sie jagten durch die Öffnung der Büchse, verschwanden in einem Di mensionstunnel und hörten noch das gellende Lachen der mystischen
Dämonin Pandorä . . .
*** Die Schlangen besaßen die gleiche Wirkung wie Beton!
Mein Freund schaute nur noch mit dem Kopf aus dem Gewimmel hervor
und konnte sich nicht mehr rühren. Ich sah weder Arme noch Beine. Nur
das in panischer Angst verzerrte Gesicht Sukos, denn er mußte
Höllenqualen erleiden.
, Seinen Mund hatte er geöffnet. »John!« ächzte er. »Verdammt, ich
konnte es nicht sehen . . .«
Läppische, billige Redewendungen fielen mir in diesen Momenten ein,
als ich sagte: »Okay, Junge, bleib ruhig. Verlier um Himmels willen nicht
die Nerven, das packen wir . . .«
»Beeil dich, John! Sie . . . Sie pressen mich einfach zusammen. Ich kann
kaum noch atmen . . .«
Das glaubte ich Suko aufs Wort. Obwohl die Zeit ungemein drängte,
wollte ich nichts überstürzen. Ich mußte vor allen Dingen das Richtige
tun, um Suko aus seiner lebensbedrohenden Lage zu befreien.
Bisher hatte ich mein Kreuz nicht eingesetzt, doch nun sah ich keine an dere Möglichkeit. Aber würde es reagieren? Schon einmal hatte ich gegen den Schlangenzauber angehen müssen und die heilige Silbe gerufen.* Damals konnte ich einen Erfolg gegen Wikka und Kali erringen, doch hier gab es andere Voraussetzungen. Bevor ich das Risiko einging, etwas Falsches zu tun, wollte ich direkt in die vollen steigen und das Kreuz aktivieren. Suko sackte tiefer! Er stieß in das Gewimmel hinein, als gäbe es eine unsichtbare Hand, die auf seinem Kopf lag und ihn wieder ein Stück in den Schlangenwirrwarr hineindrückte. »Tu was, John!« Ein Flehen lag in seiner Stimme - und bei Gott, ich tat etwas. »Terra pestem teneto - Salus hic ma-neto!« Der Spruch floß mir glatt und sicher über die Lippen. Er aktivierte gleichzeitig mein Kreuz, setzte Kräfte frei, die ich gegen die seltsamen und auch gefährlichen Schlangen einsetzte. In die Masse hinein drückte ich das Kreuz, das magisch aufgeladen war und diese Magie jetzt abgab. Ich vernahm ein helles Zischen, hörte auch das Knistern, als würde Papier zusammengedrückt, und erkannte, daß die Schlangen eine andere Farbe angenommen hatten. Schwarz . . . Extreme Gegensätze. Sie ringelten sich zusammen, wie brennende Pa pierstreifen, die allmählich zu Asche wurden, und mein Freund Suko kam wieder frei. Ich half ihm aus dem Grab. Er stand neben mir und schaute ebenfalls nach unten, wo die Schlangenmasse, von der Kraft des Kreuzes getroffen, zusammensackte. Meinen wertvollen Talismann hatte ich nicht aus der Hand gegeben. Das Kreuz glühte noch schwach nach, und ich war froh, die heilige Silbe Indiens nicht ausgesprochen zu haben. Wer weiß, was geschehen wäre. Suko nickte mir zu. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen. Ich wußte, was kam, und schüttelte den Kopf. »Laß es, Alter! Keinen Dank.« »Aber mir ging es verdammt dreckig.« »Ich weiß. Wobei ich gespannt bin, ob dieser Friedhof noch weitere Überraschungen für uns parat hält.« »Bestimmt.« »Wie bist du da überhaupt hineingerutscht?« »Kann ich dir auch nicht sagen. Jedenfalls sah diese Grabstätte völlig normal aus, bis ich mit dem Fuß auf sie trat. Da war dann alles zu spät, der Boden gab nach, ich rutschte weg, den Rest kennst du ja.« Er sprach nicht flüssig, unterbrach sich selbst immer wieder durch
keuchende Atemzüge und schüttelte den Kopf, als könnte er das alles
nicht fassen.
Auch mir war der Friedhof unheimlich. Hinter oder unter den dicht ste henden Bäumen konnten allerlei Gefahren lauern, und wenn wir weiter gingen, mußten wir sehr auf der Hut sein.
Wem gehörte dieser Totenacker? Wer regierte hier, hatte hier das Sa gen?
Das wollten wir herausfinden, und abermals sahen wir zwischen den Bü schen die Bewegungen.
Nicht sehr hastig, sondern langsam und schleichend. Irgendwo vor uns
knirschte etwas. Es hörte sich an, als würde Glas brechen.
Wahrscheinlich waren es Steine.
Kippten die Gräber? Brachen sie vielleicht?
Ich schluckte. Suko hatte sich wieder gefangen und auch einen kleinen
Weg entdeckt, den er gehen wollte. Der brachte ihn tiefer auf den
unheimlichen Friedhof.
Mein Freund hatte die Richtung eingeschlagen, die ich ebenfalls gehen
wollte. Denn auch mir war die Gestalt aufgefallen, die sich dicht am
Stamm eines Baumes hielt.
Wir konnten beide nicht genau erkennen, um wen es sich handelte, wa ren aber sehr vorsichtig und bekamen im nächsten Moment eine
Bestätigung.
Etwas wehte uns entgegen . ..
Widerlicher, bestialischer Gestank, vom Wind getragen und gegen
unsere Nasen gezielt.
Über meinen Rücken rann es kalt. Ich hatte den Geruch schon des
öfteren wahrgenommen und wußte genau, wer ihn abgab. Nur eine
dämonische Abart kam dafür in Frage.
Ghouls!
»Die Leichenfresser!« flüsterte Suko, der ebenfalls Bescheid wußte.
»Verdammt, die haben uns gerade noch gefehlt.«
Da hatte mein Freund recht. Ghouls konnten wir in unserer Sammlung
nicht gebrauchen.
Irgendwie schien der Dämon bemerkt zu haben, daß wir ihm nicht ge rade freundlich gesonnen waren, denn er wollte sich zurückziehen.
Dabei veränderte er seine Gestalt, drückte sich zusammen und breitete
sich gleichzeitig aus, so daß er Ähnlichkeit mit einer gallertartigen Masse
bekam.
Suko hatte etwas gutzumachen. Er jagte los, zog dabei seine Peitsche
und schlug einmal einen Kreis über den Boden. Die drei Riemen
rutschten hervor, und dann drosch Suko zu.
Er hatte achtgeben müssen, denn der Ghoul wollte sich in das Dickicht
hineinschieben, um durch die Zweige gedeckt zu werden.
Er schaffte es nicht ganz.
Ich hörte das Klatschen, als die drei Riemen in die Masse schnitten, und
sah einige Tropfen in die Höhe fliegen. Danach erklang ein Wimmern,
das in einem Heulen endete, und der Ghoul blieb schließlich stumm
liegen und trocknete aus.
Geschafft!
Suko winkte mir zu. Ich war schnell bei ihm, und mein Partner deutete
auf einen Pfad, der an zwei Grabstätten vorbeiführte, die eingefallen
waren.
Ich sah die aufgewühlte Erde, und mir war ebenso wie meinem Freund
klar, daß sich hier etwas getan hatte.
Tote hatten die Erde verlassen.
Wir behielten unsere unmittelbare Umgebung im Auge und suchten nach
Spuren. Es war wirklich schwer, welche zu finden. Die Erde war aufge wühlt. Was in ihr lag, hatte sie längst verlassen und war bestimmt irgend wohin gekrochen.
Ich zog schnuppernd die Luft ein und sah meinen Freund nicken.
»Ghouls«, meinte Suko.
»Und wie.«
»Gehören die nicht auch zu Xorron?«
Ich hob die Schultern. »Zu ihm ja. Fragt sich nur, ob sie auch zu
Shimada gehören.«
»Was ist daran so wichtig?«
Ich runzelte die Stirn und erwiderte: »Weißt du, Suko, ich kann mir kaum
vorstellen, daß Shimada sich mit Ghouls abgibt. Hier läuft irgendein
anderes Spiel. Wir werden uns beeilen müssen . . .«
»John, das glaube ich kaum!«
»Was?«
»Schau in die Höhe!«
Suko hatte von mir verlangt, meinen Blick nach oben zu richten.
Bestimmt nicht, um Vögel zu beobachten, er hatte etwas anderes
gesehen. Ich bekam meine Mühe, schaute zuerst auf den Astwirrwarr
und sah darüber das dunkle Grau des Himmels.
Suko zupfte an meinem Ärmel und zog mich ein Stück zur Seite. »Hier
kannst du es besser erkennen.«
Ich wollte schon danach fragen, als ich es selbst sah. Meine Augen wei teten sich, denn am Himmel sah ich die gewaltige Abbildung eines
Füllhorns.
»Pandora!« hauchte ich.
»Genau.«
Aber die hatte nichts mit Shimada zu tun. Wenigstens meines Wissens
nicht. Weshalb war sie dann also aufgetaucht?
Die Antwort bekamen Suko und ich sehr schnell. Nicht Pandora, die
Besitzerin des Füllhorns, gab sie uns, sondern Xorron, denn er tauchte
plötzlich in der Öffnung auf.
Und nicht nur er allein.
Auch sein Totenheer, das wie ein mörderischer Regen der Erde entge genkippte ...
*** Shimada und seine vier Ninja-Samurais waren ebenfalls überrascht worden. Sie starrten gegen den düsteren Himmel, wo sich die Öffnung des Füllhorns genau abzeichnete und einen Augenblick später seinen Schrecken entließ. Xorron und seine Diener kamen. Plötzlich waren die acht jungen Menschen für Shimada uninteressant geworden. Die wirkliche Gefahr fiel vom Himmel, wo sich das Füllhorn vergrößert hatte und den Schrecken entließ. Sie kamen wie Fallschirmspringer ohne Schirm. Sie trudelten allmählich nach unten. Dabei behielt Xorron die Führung. Seine Gestalt kristallisierte sich als er ste stärker hervor. Die Augen über dem Tuch des Nin-ja-Dämons glühten in einem kalten Blau. Es nahm an Intensität zu, und die Pupillen schienen zu blauen Planeten zu werden, die alles überstrahlten, was sich sonst an Licht in der Nähe befand. Ein wilder Kampfschrei drang aus Shimadas Mund. Mit einer glatten Be wegung zog er sein Schwert aus der Rückenscheide, stach die Spitze nach oben, als wollte er den aus dem Füllhorn fallenden Xorron damit aufspießen. Auch Say-Kurana spielte verrückt. Diese seltsame Bestie lief im Kreis. Aus ihrem Maul drang ein schauriges Fauchen, die Augen schienen in Flammen zu stehen, und Geifer sprühte vor den spitzen Fangzähnen. Die Bestie wollte töten. Und sie stach ihre Blicke auf die allmählich größer werdenden Gegner. Die vier untoten Ninjas hatten von Shimada die entsprechenden Befehle erhalten. Sie reagierten mit den ihnen so typischen Bewegungen. Ein wenig abgezirkelt wirkten sie, dennoch waren sie schnell und zeigten, daß man sie fürchten mußte. Sie zogen ihre Waffen. Der mit dem zerstörten Gesicht hielt das Schwert in seiner Klaue, der Bucklige seine Dolche mit den langen Klingen, und der Feuerkopf hatte seine Arme ausgestreckt und die Finger gespreizt, denn auch sie konnten zu tödlichen Waffen werden. Der Zombie ohne Kopf ließ über seinen Halsstumpf den Bogen rutschen, holte einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf die Sehne und spannte sie.
Jetzt konnte Xorrons Totenheer kommen. Es wurde erwartet.
Aber nicht nur Shimada und seine grausamen Vasallen hatten die vom
Himmel fallenden Zombies bemerkt, auch den acht jungen Leuten waren
sie aufgefallen.
Sie hatten Zeit gehabt, sich mit ihrer schrecklichen und ausweglosen
Lage auseinanderzusetzen. Noch war keinem etwas geschehen, sah
man einmal von Michael ab, der einen so schrecklichen Tod erlitten
hatte. Aber den Horror-Fans war auch klar, daß sie, wenn sie länger auf
diesem Friedhof blieben, in eine schreckliche Mühle hineingerieten, die
sie radikal vernichtete.
Die Gestalten, die früher zu einem Hobby von ihnen geworden waren,
waren nun ihre Todfeinde, denn sie würden auf Menschen keinerlei
Rücksicht nehmen und sie als willkommene Mordopfer ansehen.
Das war ihnen klar.
Nur Ullrich sprach es aus. »Verdammt, Freunde!« flüsterte er, »wir
müssen hier weg!«
»Wie denn?« zischte Rudi.
»Einfach laufen«, sagte Andreas und schaute sich vorsichtig um.
Daraufhin lachte Thomas auf und schlug mit der flachen Hand auf die
Tischplatte. »Glaubst du denn wirklich, daß du hier so einfach verschwin den kannst?«
Frank Fischer und Marc Fürstner schlossen sich durch ihr Nicken seiner
Ansicht an.
Sven Baumert, ein hochaufgeschossener schlaksiger Typ mit
fahlblonden Haaren, schüttelte den Kopf. »Wer nichts wagt, der nichts
gewinnt«, sagte er. »Ich bin dafür, daß wir verschwinden.«
Er wurde angeschaut, skeptisch, neugierig, auch ängstlich. Niemand
traute sich, den Anfang zu machen.
»Wenn die Monstren aus der Luft erst einmal gelandet sind, ist es zu
spät, Freunde.«
»Sven hat recht«, sagte Hauke, der sich bisher zurückgehalten hatte.
»Wir müssen etwas unternehmen und auch die Polizei alarmieren.«
»Die Bullen schaffen doch nichts«, sagte Rudi Tewes spöttisch.
»Hast du eine bessere Idee?«
»Nein.«
»Dann halt auch die Klappe.«
»Keinen Streit«, bat Marc und schielte zum Himmel, wo Xorron und sein
Totenheer sich immer stärker hervorkristallisierten. »Die Zeit drängt, und
wir sollten wirklich sehen, daß wir von hier wegkommen. Wer weiß, was
uns noch alles bevorsteht und welche Untiere auf diesem verfluchten
Friedhof lauern.«
»Ja, du hast recht!« stimmten ihm die anderen bei.
»Dann los!« sprach Hauke. Er drehte sich schon ab, um wegzugehen,
als er brutal gestoppt wurde.
Plötzlich spürte er an seinem linken Knöchel einen harten Griff. Eine
Zange schien dort zuzupacken, und Hauke, der nach hinten wegwollte,
schaffte es nicht mehr.
Die andere Kraft war stärker. Sie riß ihn von den Beinen.
Der junge Mann fiel nach hinten, schlug auf die Bank und schrie. Danach
ging alles so schnell, daß seine Freunde nicht dazu kamen, überhaupt
einzugreifen.
So sahen sie zu, wie Hauke plötzlich verschwand und von dem
Unsichtbaren unter dem Tisch in die Lücke zwischen der Bank und dem
Tisch hineingerissen wurde.
»Hauke!« brüllte Marc. Er wollte sich bücken, da hatten die anderen eine
bessere Idee. Ohne sich zuvor abgesprochen zu haben, hoben sie den
langen Tisch an seiner Kante hoch und kippten ihn um.
Einige Jungen mußten rasch zur Seite springen, sonst wären sie von
dem fallenden Tisch getroffen worden, aber sie bekamen einen freien
Blick und sahen, was mit Hauke geschehen war.
In den nächsten Sekunden vergaßen sie ihre Fluchtgedanken, denn das
schreckliche Geschehen lenkte sie zu sehr ab.
Hauke ging es sehr schlecht. Er lag auf der Seite, hatte ein Bein
angezogen und wurde von einem schrecklichen Wesen umklammert,
das im ersten Augenblick wie ein fetter Schleimklumpen aussah.
Aber Schleimklumpen besitzen keine Reißzähne.
Ein jeder der jungen Leute hatte sich mit Horror beschäftigt, jeder wußte
auch Bescheid, doch nur Frank sprach es mit schriller Stimme aus.
»Ein Ghoul!«
Dieses Wort wirkte auf die Versammelten wie eine Eisdusche. Was
hatten sie nicht alles über Ghouls gehört, über deren schreckliche Täten.
Sie töteten ihre Opfer, um sie anschließend . . .
Keiner wagte weiterzudenken.
Marc wandte sich ab. Sein grünes Gesicht zeigte, was in ihm vorging.
Aber die anderen wollten ihren Freund Hauke nicht aufgeben, der sich
verzweifelt gegen den Griff des schleimigen Monsters stemmte.
Beide lagen am Boden. Hauke hatte seinen Arm ausgestreckt, um den
Ghoul abwehren zu können. Dem jedoch war es gelungen, das Gelenk
des Jungen zu umklammern, und dieses untote Schreckenswesen
besaß mehr Kraft als der Mensch.
Der Ghoul zog sein Opfer zu sich heran.
Stück für Stück näherte sich Hauke dem Zentrum. In diesem Fall dem
Kopf mit dem Gebiß, das wie eine scharfe Säge wirken konnte.
Mit einem Satz waren Ullrich und Sven zur Seite gesprungen. Waffen
trugen sie nicht bei sich, die wollten sie sich erst besorgen, und sie
mußten sich mit Ästen zufriedengeben.
Krachend brachen sie einige ab, fuhren herum und schlugen auf den
Ghoul ein.
Die Astenden klatschten auf den schleimigen Körper, von dem Tropfen
in die Höhe spritzten.
Der Modergestank breitete sich aus, aber die Jungen kamen dem Ghoul
so nicht bei. Er zeigte sich gegen die Schläge resistent.
»Mein Kreuz!« schrie Frank.
Das war die Idee.
Auch Sven und Ullrich hatten die Worte verstanden. Sie schlugen nicht
weiter, sondern schauten zu, wie Frank das Kreuz von seinem Hals riß.
Er selbst traute sich nicht, den Ghoul anzugreifen, und ließ das Kreuz
nach unten fallen. Volltreffer.
Das Kreuz, nicht größer als ein normaler Finger, landete direkt auf der
schleimigen Masse. Es war nicht geweiht, aber auch als Symbol an sich
besaß es eine gewisse Kraft und Wirkung, denn es konnte einem
dämonischen Wesen Schmerzen zufügen.
Das merkte auch der Ghoul.
Zum ersten Mal hörten die Jungen einen Ghoul schreien. Er löste seinen
Griff von Hauke, der die Gelegenheit wahrnahm und hastig zur Seite
kroch.
Der Ghoul wälzte sich herum. An der Stelle, wo ihn das Kreuz getroffen
hatte, war er verletzt worden. Der kleine Gegenstand brannte sich in die
schleimige Körpermasse hinein und hinterließ eine tiefe, nach innen ste chende Spur.
Der Ghoul rollte sich herum. Furchterregende Laute drangen aus seinem
weit aufgerissenen Maul. Sein schleimiger Körperklumpen schlug gegen
den hochkant stehenden Tisch, und ein jeder sah, daß dort, wo den
Ghoul das Kreuz getroffen hatte, die Masse allmählich ausdörrte, trocken
und pulverig wurde.
Dann fiel ein Teil ab.
Es war ein Stück von der Ghoul-Schulter, das zu Boden platschte.
Er lebte trotzdem weiter und stemmte sich in die Höhe. Sein Körper
streckte sich, und die Fans konnten erkennen, wie groß dieser Ghoul tat sächlich war.
Zu vergleichen mit einem Menschen . . .
Hauke hatte sich längst aus dem Gefahrenbereich gebracht. Jetzt, wo
sich keiner von ihnen mehr in den Krallen des Monsters befand, konnten
sie eine Flucht riskieren.
»Los, wir hauen ab!«
Die Worte hörten nicht nur diejenigen, die sie angingen!
Auch Shimada bekam es mit.
Wild fuhr er herum. Seine blauen Augen begannen zu strahlen, und die
acht jungen Horror-Fans spürten zum ersten Mal richtig die Macht, die
von diesem Dämon ausging.
Shimada zwang ihnen seinen Willen auf.
Und er drückte sie nieder.
Wo sie standen, sanken sie zu Boden. Rudi und Marc wollten noch zur Seite laufen und sich gegen die Hypnose von Shimada anstemmen, aber das hatte Xorron schon vergeblich versucht, und so schafften es auch die beiden Jungen nicht. Zwei Schritte hinter der Sitzbank brachen sie in die Knie, und es erging ihnen nicht anders als ihren Freunden. Sie fielen, wo sie standen, blieben auf den Bäuchen liegen und wirkten wie Tote. Was Shimada einmal hatte, das gab er nicht wieder her, und er hatte endlich Zeit gefunden, sich seinen neuen Gegnern zuzuwenden. Noch immer schwebte Xorrons Totenheer in der Luft. Der Himmel über dem Friedhof war bedeckt von schrecklichen Zombiewesen, die ein Bild des Grauens boten. Obwohl der kopflose Ninja-Dämon keine Augen besaß, spürte er dennoch, wohin er zielen mußte. Er hatte sich ein wenig zur Seite gestellt. Noch immer lag sein erster Pfeil auf der Sehne, die er jetzt hart spannte und so weit zurückzog, bis es nicht mehr ging. Dann ließ er sie los. Der Pfeil zischte ab. Er war schnell, mit den Augen kaum zu verfolgen, und seine Kraft hätte bestimmt gleich zwei Zombies durchbohrt, doch er traf nicht. Zwar sah es so aus, als wäre einer der Untoten getroffen worden, nur wischte der Pfeil durch dessen Körper und verschwand irgendwo in der grauen Dämmerung. Das hatte auch Shimada gesehen. Plötzlich wurde ihm klar, daß Xorron und seine Helfer doch nicht so schutzlos auf die Erde zusegelten. Jemand hielt eine Hand über sie. Das konnte nur Pandora sein. Wahrscheinlich hatte sie einen für Shimada unsichtbaren Schutzschirm um ihren Schützling gelegt, der von den Waffen nicht aufgerissen werden konnte. Shimada versuchte es kraft seiner Mordaugen! Und die erlaubten es ihm, seine Gegner zu blauen Klumpen zusammenzuschmelzen, denn sie sonderten die Energie ab, die in dem Dämon steckte. Er ging leicht in die Knie, stützte sich mit einer Hand auf dem Griff seines Schwerts ab, dessen Spitze sich in den Boden gebohrt hatte. In seiner dunklen Kleidung und umgeben vom allmählich einfließenden Dämmerlicht bot er einen unheimlichen Anblick, der sich noch steigerte, als seine Energie die Augen verließ und gegen den Himmel stach. Auf Xorron war sie gerichtet! Schon einmal hatte er den Herrn der Untoten durch so einen Blick in die Knie zwingen können. Es gab keinen Grund, der es ihm nicht erlaubte, es ein zweites Mal zu versuchen.
Die Strahlen trafen Xorron und gleichzeitig auch nicht. Zum ersten Mal erlebte Shimada so etwas wie eine Niederlage, denn Pandoras Schutz schirm war so dicht, daß er nicht durchbrochen werden konnte. Der mörderische Ninja-Dämon taumelte zurück. Er spürte selbst, daß sich die Kraft gegen ihn richtete, und nahm die Strahlung seiner Augen zurück. Er und seine vier grauenhaften Diener waren verunsichert. Sie wußten nicht, was sie noch als nächstes unternehmen sollten, um Xorron und dessen Totenheer zu stoppen. Nichts machten sie. Und so landete die Invasion des Schreckens auf dem unheimlichen Friedhof, um ihn in Besitz zu nehmen . . . *** Auch wir schauten zu.
Eigentlich hätten wir gegen sie anschießen müssen, um zu versuchen,
sie mit geweihten Kugeln vom Himmel zu pflücken, aber es wäre
Munitionsverschwendung gewesen, denn wir hatten gesehen, daß auf
Xorron und seine Helfer geschossen worden war und dies keinen Erfolg
gezeigt hatte. Irgend etwas mußte diese Invasion des Schreckens
schützen. Suko und ich waren der Ansicht, daß es mit Pandora zu tun
hatte.
So schauten wir zu.
Die Gestalten waren unbeschreiblich. Ich kannte sie von der Galeere
her, nur für Suko waren sie neu.
Leiber, die im eigentlichen Sinne des Wortes keine mehr waren.
Widerliche Gestalten, aufgedunsen, zerlumpt, zerrissen, mit Armen und
Beinen schaukelnd. Gesichter, in denen das Grauen festgeschrieben
stand. Schlimm und fürchterlich.
Mir fielen all diese Begriffe ein, als ich die Zombies näher kommen sah.
Und an ihrer Spitze Xorron.
»Er hat verdammt gut überlebt«, sagte Suko, und da hatte er recht.
Xorron hatte Arme und Beine ausgebreitet, so daß er mir wie ein in der
Luft schwebendes X vorkam. Durch die helle, für mich bisher noch
unzerstörbare Haut sah ich die grünen Knochen schimmern, und ich
entdeckte sogar an seinem Hals einen dunkleren Kreis. Dort hatte ihn
auf der Galeere mein wuchtig geschleuderter Bumerang getroffen. Mit
dieser Waffe hatte ich gehofft, ihm den Kopf vom Rumpf zu sägen. Es
war leider nicht möglich gewesen. Xorron war zu stark.
»Was machen wir?«
Eine gute Frage, die Suko da gestellt hatte, aber eine konkrete Antwort
konnte ich ihm auch nicht geben.
Mein Freund sprach weiter. »Ich wäre dafür, daß wir ihn dort erwarten,
wo er landet.«
»Okay.« Noch einmal schauten wir in die Höhe, um uns die Richtung einzuprä gen, dann setzten wir uns in Bewegung. Auf diesem mythischen Friedhof kochte und brodelte es. Uralte Kräfte, die in den Tiefen der Erde gelauert hatten, waren wieder an die Oberflä che gestiegen und hatten die erweckt, die schon längst vergessen gewesen waren. Monstren und Mutanten. Ghouls und Zombies. Eine Sinfonie des Grau ens stand uns gegenüber, und Xorron führte den Taktstock. Oder Shimada! Bisher hatten wir ihn nicht zu Gesicht bekommen, hofften allerdings, daß sich dies bald ändern würde. Deshalb bewegten wir uns in einem Kreis bogen und fanden auch einen Weg, der zwar fast zugewachsen war, an seiner Breite jedoch erkennen ließ, daß er irgendwie zum Zentrum des Totenackers führte. Ihn gingen wir. Und zwar sehr vorsichtig. Wir standen wie unter Strom, suchten nach Gegnern und waren auch darauf gefaßt, von irgendwelchen Monstern hinterrücks angegriffen zu werden. Wir passierten eingefallene Grabstätten, wo die Erde zusammengesackt war und die Steine zerbrochen waren. Aber keine Feinde lauerten. Sie mußten sich an anderen Stellen konzentriert haben. Und die bekamen wir bald zu sehen. Unser Blickwinkel wurde etwas freier, und beide blieben wir, wie vom Blitz getroffen, stehen. Wo sich die dichten Büsche auflockerten und kein Filzwerk mehr bildeten, bekamen wir eine freie Durchsicht und entdeckten die jungen Leute. Ich zählte blitzschnell nach und kam auf die Zahl acht. Acht Tote! Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Ich schüttelte den Kopf, weil ich es kaum glauben wollte, aber es stimmte. Vor einem umgekippten Tisch lagen sie wie hingeschleudert. »Das darf doch nicht wahr sein«, hauchte Suko. »Shimada!« zischte ich und zeigte nach links, wo wir schattenhaft den gewaltigen Ninja-Dämon sahen und auch seine vier schrecklichen Diener, deren Bekanntschaft wir ja bereits gemacht hatten. Noch ein Untier hatte sich hinzugesellt. Mir kam es vor wie eine Mi schung zwischen Bär und Werwolf. Zottig und pechschwarz das Fell, ge fährlich anzusehen und die Augen rot leuchtend. Dieses Wesen war uns unbekannt, aber es gehörte zu Shimada, denn es hielt sich dicht in seiner Nähe auf. , Die Spannung verdichtete sich. Alles lief auf einen dämonischen Krieg zwischen Shimada und Xorron
hinaus. Aber war es wirklich so einfach? Ich wollte es nicht glauben, daß
auf diesem Friedhof in London die Sache schon bald gelaufen war.
Mein Gefühl sagte mir, daß mehr, viel mehr dahintersteckte und sich
noch gewaltige Dimensionen öffnen konnten.
»Sie atmen!« Sukos Stimme unterbrach meinen Gedankenstrom.
»Wie?«
»Die acht Jungen sind nicht tot«, wisperte mein Freund. »Ich sehe, daß
sie atmen. Anscheinend hat man sie nur betäubt.«
»Endlich mal eine gute Nachricht.«
»Wir können sie dort nicht liegenlassen«, sagte mein Freund.
»Willst du sie wegholen?«
»Ja.«
»Und wann?« »Jetzt.«
Suko hatte natürlich recht. Noch war Zeit, und vielleicht würde er es auch
schaffen. Wenn nicht, wollte er auf jeden Fall in ihrer Nähe sein, denn für
Zombies und Ghouls waren sie ideale Opfer. Das ging mir durch den
Kopf, als ich über Sukos Worte nachdachte.
Abermals wehte uns ein Pesthauch entgegen. Er kam von links, und wir
sahen einen Ghoul, der uns passierte und Kurs auf die Bewußtlosen
nahm.
Das war auch für Suko das Zeichen. »Bis gleich«, sagte er und startete.
Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Nur ahnte ich nicht, daß diese
beiden Worte so ziemlich die letzten gewesen waren, die ich von Suko
vorerst gehört hatte.
Ein Schrei!
Schrill, grauenhaft und markerschütternd. Ein Mensch konnte ihn nicht
ausgestoßen haben. Wer so schrie, mußte schon ein Monstrum sein.
Er war es auch.
Kein Geringerer als Xorron. Und das in dem Augenblick, als er gelandet
war.
Der »Spaß« konnte beginnen!
*** Die schrecklichen Zombies aus der Galeere verteilten sich. Keiner hatte
sie gezählt. Es war auch unwichtig, wichtig war ihre Vernichtung.
Und Xorrons!
Da die Trauerweiden sehr dicht auf dem einsamen Totenacker standen,
blieb es nicht aus, daß Xorron genau auf einen solchen Baum zufiel. Er
hatte an Geschwindigkeit gewonnen und rauschte in den nach unten
hängenden Wirrwarr der Zweige hinein, wobei er sie ab- und durchbrach
und gut bis zum Boden kam.
Er war also da!
Und Shimada würde ihn töten.
Aber er zögerte noch, denn er wußte nicht, ob Xorron weiterhin unter
Pandoras Schutz stand.
Deshalb schickte er das Monstrum los.
Say-Kurana, diese Mischung aus Bär und Werwolf, kannte keine Angst.
Vielleicht hatte es auch noch nie etwas von Xorron gehört. Jedenfalls
stürmte es vor, als es von Shimada den dement-sprechenden Befehl
bekam.
Raubtiere halten sich nicht an Wege, wenn sie in ihrem Revier jagen. Sie
brechen durch die Büsche, und das tat auch Say-Kurana. Wie ein
Berserker wühlte er sich voran. Mit seinen scharfen Tatzen schlug und
riß er regelrechte Schneisen. Er wühlte sich Stück für Stück weiter, nahm
auf nichts Rücksicht, knickte ihm im Wege stehende Äste einfach weg
und schaufelte sich seinen Weg frei.
Die Bestie kam aus der Deckung des Erdbodens, Xorron von oben.
Die Zweige der Trauerweide hatten sein Gewicht nicht abfangen können,
und der Herr der Untoten brach hindurch.
Er hatte seinen mächtigen Schädel gesenkt, den Blick nach unten
gerichtet, und er sah die Bestie, die geduckt dastand und auf ihn lauerte.
Breitbeinig hatte sich Say-Kurana aufgebaut, die mächtigen Arme ge spreizt, die Tatzen geöffnet, so daß die Krallen wie kleine helle Messer
hervorstachen.
Fast wäre ihm Xorron auf den Schädel gefallen. Im letzten Augenblick
drehte er sich zur Seite und landete etwa einen Schritt von Say-Kurana
entfernt.
Der griff sofort an!
Vielleicht war er es in seiner bisherigen Existenz gewohnt, die Gegner
beim ersten Angriff zu Boden zu schmettern. Das gelang ihm bei Xorron
nicht.
Der stand wie eine Wand!
Say-Kurana wuchtete sich gegen ihn und bekam die Gegenreaktion mit,
denn der Körper des Monstrums Xorron war sehr hart und trieb den An greifer zurück.
Die Bestie krachte auf den Rücken, drehte sich sofort und sprang wieder
auf, um Xorron erneut zu attackieren.
Ich hielt mich als Beobachter zurück, denn was ein anderer erledigte,
brauchte ich nicht mehr zu übernehmen.
Aber würde die Mischung aus Bär und Werwolf Xorron schaffen?
Diese Frage bekam ich in den nächsten Sekunden beantwortet. Say-Ku rana schaffte es nicht. Den zweiten Angriff blockte Xorron mit seinem lin ken Arm ab, während er den rechten vorschnellte und mit einem Griff
den Hals der Bestie umfaßte.
Er drückte zu.
Dabei drehte er sich so, daß er mir die Vorderseite zuwandte und ich demnach auch die in seinem Griff hängende Bestie genau beobachten konnte. Vielleicht leuchtete Panik in den Augen des Mutanten, denn sie glühten noch intensiver. Es konnte auch der Schmerz sein, der sie so schrecklich veränderte, denn Xorron machte es brutal. Er gab Say-Kurana nicht die Spur einer Chance. Ich hörte es knacken und brechen. Xorrons Arm war wie eine eiserne Würgeklammer, und Say-Kurana schaffte es nicht, diesem Griff noch ir gend etwas entgegenzusetzen. Seine Kraft verließ ihn. Die zotteligen Beine begannen zu zittern, in den Knien brach er ein, und dann schleuderte ihn Xorron voller Haß und Wut zur Seite. Krachend fiel Say-Kurana in ein Gebüsch, blieb auf der Seite liegen und wandte mir seinen verdrehten Schädel zu. Xorron hatte ihm das Genick gebrochen. Mich durchrieselte es kalt. Wieder einmal hatte mir dieses Monstrum de monstriert, wozu es fähig war. Der kurze Kampf dieser beiden Giganten hatte mich so mitgenommen, daß ich meine Umgebung vergaß. Dies rächte sich. Xorron hatte sein Totenheer mitgebracht, und es befand sich auf dem Vormarsch. Die Zombies wollten Opfer. Sie rochen die Menschen, auch mich, und hatten mich bereits umzingelt. Als ich mich im Kreis drehte, da sah ich die schrecklichen, fratzenhaften Gesichter ganz in meiner Nähe. Sie lugten zwischen den tief herabhängenden Zweigen der Trauerweiden hervor. Manche von ihnen unterschieden sich in der Farbe nicht von der der schmalen Blätter. Andere waren zerfetzt, verfilzt die Haare, leblos die Augen, bleich und aufgedunsen die Haut. So viele Kugeln hatte ich überhaupt nicht, um mich dieser Wesen zu erwehren, und zu allem Überfluß walzte auch Xorron noch auf mich zu, denn nun hatte er mich entdeckt. Seinen Todfeind! Für einen winzigen Moment öffnete er seinen Mund, so daß eine Lücke klaffte und ich die gefährlichen Reißzähne sehen konnte. Damit würde er mich umbringen oder mir ebenfalls das Genick brechen, wie er es mit dem Monster getan hatte. Die Beretta stoppte ihn nicht, das Kreuz ebenfalls nicht. Hinzu kamen seine Helfer. Meine Chancen standen schlecht. Und irgendwo über mir aus den Wolken ertönte eine mir bekannte Stimme. »So habe ich mir dein Ende auch vorgestellt, John Sinclair . . .«
Gesprochen hatte eine spezielle Freundin von mir.
Pandora!
Im gleichen Augenblick wischten die ersten Pfeile heran!
*** Sukos Sorge galt allein den jungen Menschen! Er sah sie zwar atmen, dennoch wußte er nicht, was genau mit ihnen geschehen war. Wenn Dämonen etwas in Szene setzten, konnte man nie sagen, zu welchen Mitteln sie griffen. Suko hatte einen günstigen Platz gehabt, denn Shimada und seine Schergen drehten ihm den Rücken zu. Die Zombies befanden sich noch in der Luft. Deshalb mußte er die Zeit bis zu ihrer Landung voll ausnutzen. Angegriffen wurde er auf seinem Weg zu den leblos Daliegenden nicht. Er sprang über die umgekippte Sitzbank hinweg, ging neben einem der jungen Leute in die Knie und fühlte nach Herz- und Pulsschlag. Normal schlugen sie zwar nicht, aber Suko konnte sie ertasten. Das war viel wert. Er konnte natürlich nicht jeden vom Friedhof wegschaffen, sondern mußte zusehen, daß er sie aus der unmittelbaren Gefahrenzone bekam. Weg von Shimada und auch von Xorron und dessen Totenheer. Über Shimada wunderte sich der Chinese. Für seinen Geschmack war dieser Dämon ziemlich inaktiv. Er kam ihm mehr wie ein Beobachter vor, der erst abwartete, um später einzugreifen. Für die Jungen hatte Shimada keinen Blick. Suko stemmte den ersten hoch. Der Inspektor besaß große Kräfte. Die waren auch nötig. Jenseits des umgekippten Tisches sah Suko einen dichten Gebüschgürtel, um den allerdings ein schmaler Weg führte. Den lief er, bis er stolperte. Suko verlor das Gleichgewicht. Zudem riß ihn das Gewicht des jungen Mannes nach vorn. Fangen konnte er sich nicht mehr, so daß Suko bäuchlings zu Boden fiel. Zwar wachte Hauke, es war der, den Suko wegschleppte, nicht auf, aber der Inspektor wollte wissen, über welch ein Hindernis er gestolpert war, stützte sich auf und drehte sich um. Aus dem Boden schaute ein Kopf! Im ersten Augenblick bekam Suko einen Schock. Er starrte in das Gesicht mit den weit aufgerissenen, glanzlosen Augen, dem halb geöffneten Mund und der gelben Flüssigkeit, die aus den Winkeln rann, wobei die abgefressenen Lippen noch zu einem Grinsen verzogen waren.
Ein Zombie glotzte den Chinesen an. Und dieses Wesen war dabei, aus der Erde zu klettern. Den Kopf hatte es zuerst durch den weichen Untergrund geschoben. Über ihn war Suko gestolpert. Das Gesicht des Inspektors verzog sich. Er nahm seine Peitsche, schlug den Kreis, ließ die drei Riemen aus der Öffnung rutschen und drosch wuchtig zu. Der Gesichtsausdruck des Untoten veränderte sich nicht, als er die drei Riemen auf sich zusausen sah. Der Treffer! Die Magie der Dämonenpeitsche riß den Schädel fast in drei Teile. Suko sah den Qualm aus den klaffenden Schlitzen dringen und übersprang den Kopf, um den nächsten jungen Mann zu holen. Während seiner letzten Aktion war ihm der Blick auf Shimada und dessen vier Schergen verwehrt gewesen. Schon nach wenigen Schritten sah er sie wieder, aber er kam nicht dazu, sich des zweiten jungen Menschen anzunehmen. Andere Ereignisse überrollten ihn förmlich. Xorron und sein Totenheer waren gelandet. Suko sah sie vom Himmel auf die Erde fallen. Überall hörte er die Aufschläge, wenn Zweige und Äste brachen oder Büsche zusammengedrückt wurden. Auch in unmittelbarer Nähe des Tisches landeten drei Zombies. Ihre schweren Gestalten sackten in den Knien ein, doch sie blieben nicht hocken, sondern stemmten sich wieder in die Höhe, um sich sofort den Opfern zuzuwenden. Suko kam über sie wie ein Teufel. Elegant bewegte er sich trotzdem. Das Schlagen mit der Dämonenpeitsche glich schon einem tänzerischen Akt, und die drei Riemen wickelten sich um die Körper dieser furchtbaren Gestalten, wobei diese zu Boden gerissen wurden und vergingen. Und die Frauenstimme klang auf. »So habe ich mir dein Ende auch vor gestellt, John Sinclair!« Suko blieb stehen. Er riß den Kopf in den Nacken, suchte den düsteren Himmel ab, aber er konnte nichts entdecken. Dennoch wußte er, daß Pan-dora gesprochen hatte. Der Chinese befand sich in einer Zwickmühle. Wem sollte er helfen? John Sinclair? Oder sollte er sich um die jungen Leute kümmern und sie weiterhin aus der Gefahrenzone schleppen? Die Entscheidung wurde ihm nicht leichtgemacht, denn nun hatte Shi mada endgültig die Nase voll und schickte seine Vasallen in den Kampf. Vier standen gegen Xorrons Totenheer! *** Ich hörte das Sirren der Pfeile und wußte, daß es für mich höchste Eisenbahn wurde.
Aus dem Stand ließ ich mich zu Boden fallen, rollte mich um die eigene Schulter, schaute in die Höhe und bekam mit, wie die ersten Zombies getroffen wurden. Nur einer der untoten Ninjas schoß mit Pfeil und Bogen. Er beherrschte die Waffen meisterhaft. Dieser uralte lebende Tote schoß so rasch hintereinander, daß ich das Gefühl hatte, es wären zwei oder mehr, die ihre Pfeile gegen die Zombies jagten. Und sie trafen. Mehr als einmal hörte ich die dumpfen Aufschläge, wenn sie in Hals, Kopf oder Brust drangen. Da ich weiterhin am Boden lag, kippten mir die Zombies entgegen. Leider kam ich nicht schnell genug weg, so daß zwei von ihnen über mich fielen, quer liegenblieben und ich überhaupt nichts dagegen machen konnte. Pandora hatte ihren Schutz aufgelöst. Es war schon ein widerliches Gefühl. Einer der Zombies lief aus, und eine schleimige Flüssigkeit rann über meinen Nacken. Ich wollte die Zombieleichen zur Seite stemmen, aber dann kam mir eine Idee. Die beiden Zombie-Körper gaben mir eine relativ gute Deckung gegen die heranfliegenden Pfeile. Ein wenig veränderte ich meine Lage und schob einen leblosen Arm zur Seite. Mein Blickfeld wurde besser. Vor mir fiel eine Zombie-Frau zu Boden. In ihrer Stirn steckte kein Pfeil, sondern ein Dolch, von dem nur noch der Griff hervorschaute. Dann hörte ich einen Schrei. So brüllte nur Xorron! Er war es tatsächlich, der diesen Schrei ausgestoßen hatte, und er stemmte sich den Waffen regelrecht entgegen. Die Pfeile, die gegen seinen Körper hieben, prallten ab, und als ihn der Ninja-Kämpfer mit dem halben Gesicht attackierte, da zeigte Xorron seine wahre Stärke. Als die Klinge des Ninja-Schwerts von oben nach unten raste, riß Xorron seine Arme hoch und legte die Hände zusammen. Er kantete sie blitzschnell zur Seite, so daß die Klinge genau dagegen hämmerte und dann abrutschte. Der Ninja war zwar schnell und katzengewandt, aber Xorron erwischte ihn trotzdem. Die Faust des Monstrums erwischte den Ninja, als er sich zur Seite werfen wollte, und sie verlängerte dessen Schwung sogar noch, so daß die Gestalt in die Luft geworfen wurde und schwer zu Boden fiel. Xorron walzte weiter. Abermals prallten zwei Pfeile von seinem Körper ab. Hinter ihm sammel ten sich die Zombies. Ich hatte inzwischen meine Beretta gezogen und visierte die drei neben einander herlaufenden Gestalten genau an.
Dann feuerte ich. Als der erste fiel, bekam der zweite bereits die Kugel mit, und den dritten erwischte das Geschoß in der Drehung. Noch hatte Pandora ihr Versprechen nicht einlösen können, aber sie griff wieder in den Kampf mit ein. Zwar nicht direkt, aber sie stand Xorron bei und stoppte Shimada. Der hatte erkannt, daß seine Diener gegen Xorron nicht ankamen, und wollte es selbst versuchen. Soweit kam er nicht. Ich erlebte Pandoras Eingreifen ebenfalls mit und hatte plötzlich das Gefühl, leicht angehoben zu werden. Die Welt um mich herum war zwar die gleiche geblieben, dennoch hatte sie sich verändert. Ich sah und hörte, doch ich glaubte, Watte in den Ohren stecken zu haben, so dumpf und dünn erklangen all die Geräusche. Irgend etwas war geschehen! Leider wußte ich nichts Genaues. Um es herauszufinden, konnte ich nicht auf der Stelle liegenbleiben, sondern mußte mir eine bessere Position suchen. Ich wuchtete die Leichen von mir, kam in die Höhe und fühlte den Schwindel, der mich erfaßte. Als ich nach rechts blickte, sah ich zwar Shimada, doch er erschien mir seltsam verzerrt, ein wenig verschoben in den Umrissen. Wenn man einen Gegenstand oder einen Menschen durch gekrümmtes Glas anblickt, erlebt man den gleichen Effekt, nur sah ich hier kein Glas. Trotzdem existierte ein Hindernis. Shimada, auf dem Weg zu Xorron, prallte dagegen. Dies war eine magische, unsichtbare Trennmauer, die ihn aufgehalten hatte. Auch er konnte sie nicht durchbrechen, sosehr er sich auch bemühte und anstrengte. Shimada hing fest. Meiner Ansicht nach kam nur eine Person für die Errichtung der Mauer in Frage. Pandora. Abermals schützte sie ihren Xorron, und ich vernahm auch wieder ihre Stimme. »Den Zeitpunkt des Kampfes bestimme ich allein. Denn ich will, daß Shimada untergeht, und ich suche die Zeiten und die Dimensionen aus, wo das geschehen soll. Xorron wird sich verstärken. Die Ghouls warten auf ihn. Doch Shimada werde ich dorthin schleudern, wo er hingehört. Da kann er sich austoben und all das Grauen erleben, das es in den unendlichen Dimensionen gibt. Der Saum der Ewigkeit wird dich und die anderen streifen und euch umklammern. Da!« Es passierte.
Und es war eine magische Entladung par excellence! Alle Lebewesen
außerhalb der Zone begannen zu zittern, vibrierten dann sehr stark und
waren einen Moment später verschwunden.
Auf dem Friedhof kehrte Ruhe ein. Wenigstens auf einem gewissen Teil.
Ich aber blieb zurück.
Wo war Xorron?
Diese Frage beschäftigte mich stark. Ich sah ihn nicht. Auch nicht die
Zom-bies. Pandoras Zauber, von ihrem Füllhorn ausgehend, hatte dies
ermöglicht.
Dennoch stellte ich etwas fest.
Mein Kreuz reagierte. Oder hatte reagiert. An den vier Enden glühten die
Buchstaben auf. So stark und weit, daß es ihnen gelungen war, einen
Schutzmantel um mich zu legen. Ich sah das grüne Flimmern dicht über
meiner Hand, starrte in das Zentrum des Kreuzes hinein und hatte das
Gefühl, die Welt um mich herum würde versinken.
Vor mir tat sich ein Schacht auf, obwohl keiner vorhanden war.
Der Seher!
Aus dem geheimnisvollen Dunkel der Zeiten hatte er sich durch das
Kreuz mit mir in Verbindung gesetzt, um mir Ratschläge zu geben.
Diesmal jedoch waren es Warnungen.
Sei auf der Hut, Geisterjäger! Du wirst Kämpfe erleben, wie du sie nie
mitgemacht hast. Man wirft dich hinein in eine Welt und eine Mythologie,
die dir fremd ist. Shimada wird immer mächtiger. Noch hat man ihn
stoppen können, aber er besitzt den Fächer der Sonnengöttin
Amaterasu, und er wird lernen, mit ihm umzugehen. Du brauchst Hilfe,
John. Viel Hilfe, deshalb wende dich an den Goldenen . . .
»Wie soll ich das . . .?« Es hatte keinen Sinn mehr, noch Worte
hinzuzufügen, denn die Verbindung war unterbrochen.
Nur allmählich fand ich mich wieder zurecht, wischte über meine Augen
und fühlte mich, als wäre ich aus einem tiefen Traum erwacht. Ich dachte
daran, daß Xorron sich um die Ghouls kümmern wollte. Die Zombies
hatte er, jetzt brauchte er noch die schlimmste Dämonenabart.
Konnte ich ihn stoppen?
Voller Furcht rannte ich los.
Der Platz, wo die jungen Leute gelegen hatten, war leer. Und auch von
Suko sah ich nichts.
Ich wußte Bescheid.
Pandoras Magie hatte nicht nur Shimada und dessen Diener in die ande ren Dimensionen geschleudert, sondern auch die acht Jugendlichen und
meinen Freund Suko.
Sie waren im Nirgendwo verschollen…
ENDE