KLEINE
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DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - UND K U L T U R K U N D L1C H E HEFTE
H.
Woltereck
RIVALE...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - UND K U L T U R K U N D L1C H E HEFTE
H.
Woltereck
RIVALEN IMTIERREICH RANGORDNUNGEN, REVIERE, KAMPFREGELN
VERLAG
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SEBASTIAN
LUX
MURNAU-MÜNCHEN-INNSBRUCK-
Oben und unten / \ u c h bei den Tieren gibt es wie in der menschlichen Gesellschaft ein „Oben" und „Unten". Die Rangordnung unter den Mitgliedern von Tiergruppen wird fast immer in Rivalenkämpfen festgelegt, und auch sie haben ihre Parallelen im menschlichen Bereich. Wir werden jedoch sehen, daß sich im Tierreich die Kämpfe um Machtstellungen und Posten durchweg nicht so unerbittlich und unvernünftig vollziehen, wie es im Machtstreit der Menschen so oft geschieht, und wir werden unseren Lesern die Nutzanwendung nicht vorenthalten. Von den Tieren können wir lernen . . . Die Rivalenkämpfe der Tiere verlaufen in vielerlei Formen, oft erscheinen sie wie gut einstudierte Schauszenen auf einer Bühne, manchmal wie ritterliche Turniere,- vereinzelt sogar wie Schönheitskonkurrenzen oder ein Sängerwettstreit, nur selten als wilde, blutigernste Duelle auf Leben und Tod. Die Sieger, die Leittiere, sind nicht immer auf Rosen gebettet. Auf den überlegenen Kampfpartner warten oft harte Aufgaben: auf den Wolf die Führung im Angriff, auf das Murmeltier das verantwortungsvolle Wächteramt, auf den Gefiederten die Verteidigung des scharf umgrenzten Reviers. Mag es sich um Affen, Antilopen, Büffel, Gemsen oder andere gesellig lebende und vom Feind bedrohte Tiere handeln — sie brauchen in jedem Fall einen verantwortlichen Leiter. Ohne ihn wären die Chancen solcher Verbände schlecht, und nicht zuletzt deshalb sind die Rivalenkämpfe notwendig. Als ihr Ergebnis wird im Regelfall ein besonders tüchtiges und geschicktes Tier an die Spitze kommen, und das verbessert für alle Mitglieder der Tiergemeinschaft die Aussichten im harten Kampf ums Dasein. 2
Kampf mit dem Todfeind Affen gelten als die klügsten Tiere, kein Wunder, daß bei ihnen die Beantwortung der Frage, wer „oben" und wer „unten" ist, eine große Rolle spielt. Vor allem trifft das auf die Paviane zu. Sie leben gesellig, und die Horde wird von einem besonders starken oder geschickten Tier geführt — meist hat es beide Eigenschaften: Kraft und Geschick. Ein solcher Herrscher über das Pavianvolk pflegt sich wie ein Tyrann zu verhalten —, aber die Horde ist darauf angewiesen, daß im Augenblick der Gefahr „klare Befehlsverhältnisse" gegeben sind. Sonst würden die Tiere durcheinanderlaufen und ihre Chancen auf Rettung vor der Bedrohung wären weit geringer als bei organisiertem Vorgehen. Irgendwo im Urwald richtet sich eine Pavianhorde gerade zum Schlafen ein, als die stets ausgestellten Wachen die Annäherung eines Todfeindes, des Leoparden, melden. Sofort übernimmt das Leittier die Führung. Mit charakteristischen Warnrufen sorgt es dafür, daß sich die erwachsenen Männchen zum Kampf gegen den Leoparden zusammenschließen. Während sich die Weibchen mit ihren Jungen fliehend in Sicherheit bringen, geht die männliche „Kampftruppe" zum Angriff über: Das Leittier setzt sich an die Spitze, springt ohne Rücksicht auf das eigene Leben den Leoparden an und schlägt ihm seine starken Zähne in den Leib. Dem Beispiel des Führungstieres folgen die anderen Männchen. Der Leopard sieht sich einer Übermacht gegenüber. Er wird vielleicht das zuerst angreifende Tier und noch einige andere Paviane töten oder verwunden, aber der Angriff wird abgeschlagen. Die Kampftaktik hat sich bewährt. Einheimische Jäger berichten, daß sie die Spuren solcher Schlachten schon öfter gefunden haben. Inmitten einer großen Anzahl toter Paviane lag meist tot der Leopard; er hatte den Überfall mit dem Leben büßen müssen.
Die große Affenschlacht Unter den natürlichen Lebensbedingungen der Wildnis besteht bei Affen eine ganz bestimmte bewährte Ordnung mit festgelegten Herrschaftsverhältnissen. Nimmt man den Tieren aber die Freiheit
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und verändert damit-ihre Lebenswelt von Grund auf, so kann es geschehen, daß ein unüberlegtes Eingreifen des Menschen in die Daseinsform dieser Tiere durchaus unerwartete Folgen hat. In einem mit Recht „berühmten" Fall dieser Art — er trug sich im Jahre 1927 zu —• brach das gesamte Ordnungssystem einer Paviangruppe mit einem Schlag zusammen. Die Geschichte begann mit einem schweren Fehler der Leitung des Londoner Zoos. In einem Freigehege befanden sich seit längerer Zeit etwa hundert männliche Paviane. Sie hatten einen „König", dem alle gehorchten, und eine Anzahl von Unterführern, denen sie sich fügten. Eines Tages aber faßte die Direktion des Zoos den verhängnisvollen Entschluß, nicht weniger als vierzig weibliche Paviane in das Affengehege zu bringen. Eine „Revolution" brach aus, die zur völligen Anarchie und einem Kampf aller gegen alle führte. Das wohlgeordnete „Gesellschaftssystem" der Affenherde war plötzlich dahin, es gab keinen Oberaffen und keine „Unteroffiziere" mehr. Unter den veränderten Verhältnissen wollten plötzlich zahlreiche Tiere — Männchen wie Weibchen — eine führende Rolle spielen, weil sie das bisherige Regime nicht mehr anerkannten. Rivalenkämpfe von unvorstellbarer Wildheit spielten sich ab — und kein Wärter konnte es wagen, in die Affenschlacht einzugreifen. Er wäre von den wütenden Tieren sofort umgebracht worden. Als das Affendrama nach der völligen Erschöpfung der Tiere zu Ende ging und die Wärter das Gehege wieder betreten konnten, ergab sich eine traurige Bilanz. Vierzig Männchen und dreiunddreißig Weibchen waren in den Rivalenkämpfen getötet worden! Auch unter ganz normalen Umständen kann es bei gesellig lebenden Tieren vorkommen, daß aus irgendwelchen Gründen das Leittier seinen Platz abgeben muß, aber dann geschieht es in der Weise, daß ein anderes Mitglied der Tiergesellschaft König wird und sofort für Ordnung sorgt. In der großen Affenschlacht aber war, verschuldet durch das unkluge Eingreifen des Menschen, jedes Tier zum „Feind" aller anderen geworden . . .
Der Mensch mit der Affenmaske Unter Affen vollzog sich auch das keineswegs ungefährliche Experiment, das der bekannte Tierbeobachter und Kameramann Gerhard 4
Bewährtes Murmeltier hat das Wächteramt übernommen.
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Gronefeld durchführte. Er ließ sich eine Affenmaske herstellen, ging damit in einen Schimpansenkäfig, legte die Maske nach einiger Zeit ab und suchte Kontakt mit den Insassen zu bekommen. Das gelang ihm zunächst recht gut, offensichtlich hielten ihn die Schimpansen für einen Artgenossen. Aber die Anwesenheit des neuen Mitglieds der Affengemeinschaft bedeutete zugleich, daß mit ihm ein Rivale aufgetaucht war, der möglicherweise Anspruch auf die Herrschaft im Affenkäfig stellen würde. Um diese Frage zu „klären", biß ihn ein starkes Schimpansenweibchen „probeweise" in den Arm; das Weibchen hatte die Herrschaft im Käfig an sich gerissen und wollte dem neuen Konkurrenten durch den Biß spürbar nahebringen, daß sie stärker sei als er und daß er sich vergeblich um die Führerstellung bemühe. Bei einer anderen Gelegenheit steckte ein Männchen dem „Neuen" seinen — bemerkenswert schmutzigen — Finger in den Mund. Auch das war eine „Geste" im Rivalenkampf; hätte Gronefeld zugebissen, so wäre damit sein Führungsanspruch angemeldet gewesen. Er biß natürlich den Affen nicht, aber trotzdem wurde die Lage schließlich unhaltbar. Die bloße Anwesenheit des „Neuen", sein für Affenbegriffe höchst ungewöhnliches Verhalten und sein Aussehen brachten die ganze Rangliste durcheinander. Schließlich sprang ihm ein Schimpanse, der bisher nur eine untergeordnete Rolle in der Schimpansengemeinschaft gespielt hatte, auf den Kopf, um von dieser überlegenen Warte aus kundzutun, daß er die Führungsrolle übernehmen wolle. Das aber war der übrigen Gesellschaft zu viel. Und nun begann der allgemeine „Kampf um die Macht". Es wurde höchste Zeit, daß die Wärter mit Gummiknüppeln eingriffen und den allzu kühnen Verhaltensforscher aus dem Käfig holten. Sonst wäre sein Experiment sehr böse für ihn ausgegangen . . .
Er wohnte bei den Gazellen Weniger „dramatische", aber trotzdem sehr aufschlußreiche Erkenntnisse brachte ein ähnliches Experiment mit Gazellen. Dr. F. Walther, Leiter des Georg-von-Opel-Freigeheges für Tierforschung, ging öfter für einige Stunden in den Gazellenstall und bemühte sich nach Kräften, den Tieren den Eindruck zu vermitteln, er sei kein 6
Mensch, sondern gehöre zu ihnen. Die Gazellen kannten ihn schon lange, für sie war es weiter nicht erstaunlich, daß er eines Abends auf allen vieren zu kriechen begann und hoppelnde Bewegungen ausführte. Die an sich recht primitive Nachahmung einer Gazelle war durchaus erfolgreich. Der Forscher blieb eine ganze Nacht im Gazellenstall, um seine Untersuchungen als „Tier unter Tieren" fortzusetzen. Die Ergebnisse waren günstiger als im Falle Gronefelds: Gazellen sind eben weit harmloser als Schimpansen. Sie nahmen den Forscher ohne weiteres in ihre Gemeinschaft auf, und abgesehen von einigen leichten Hornstößen geschah ihm nichts. Dr. Walther bekam die Stöße jedesmal, wenn er einen „Fehler" machte, sich also nicht gazellenmäßig verhielt. Aber bald lernte er, solche Fehler zu vermeiden und sich anzupassen. Mehr noch; bei kleinen Auseinandersetzungen mit Gazellenböcken erwies sich Walther als der Stärkere. (Die Dorkas-Gazellen, in deren Stall er experimentierte, sind kleine, zart gebaute Tiere.) So war in diesem Fall der Mensch den Tieren körperlich überlegen, für ihre Begriffe hatte er sich durchgesetzt — und galt als das Leittier, solange er sich bei ihnen aufhielt.
Machtkampf bei Elefanten Es kommt keineswegs selten vor, daß eine Elefantenfamilie — also Bulle, Weibchen und die Jungen — ganz für sich allein durch den Urwald zieht. Weit häufiger aber schließen sich mehrere Familien zu einer Herde zusammen. Dann muß entschieden werden, welches Tier die Führung übernimmt. Die Entscheidung vollzieht sich in zwei verschiedenen Formen. Wenn alles ruhig ist, also keine schwierige Situation vorliegt, übernimmt in den meisten Fällen eine ältere und daher erfahrene Elefantenkuh die Führung. Sowie es aber „kritisch" wird, wenn zum Beispiel eine Jagd auf die Tiere stattfindet, wird der eigentliche „Herrscher" an die Spitze gestellt. Er hat sich diese Rangstellung in mehr oder weniger heftigen Rivalenkämpfen erobert und wird so lange als „Herrscher" anerkannt, wie er sich kräftig genug für sein verantwortungsvolles Amt erweist. Da Elefanten sehr alt werden, kann es viele Jahre dauern, ehe ein anderes Tier nach Bestehen der üblichen Ausscheidungskämpfe die Nachfolge antritt.
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In der Gefangenschaft pflegen sich weibliche Elefanten in den meisten Fällen dem Wärter unterzuordnen. Bei den Bullen ist es anders. Wenn ein Bulle nicht im Zoo geboren ist und den Wärter nicht von frühester Jugend an kennt, bleibt er für den Elefanten immer ein „Rivale". Diese Tatsache führt leider immer wieder zu Unglücksfällen. Erst kürzlich wurde in einem Zoo der Bundesrepublik der Elefantenwärter von einem Bullen getötet, den der Wärter seit mehr als zehn Jahren fast kameradschaftlich versorgt hatte. Männliche Elefanten können in der Gefangenschaft jederzeit einen solchen „Machtkampf" mit dem Wärter beginnen und erfahrene Tierwärter richten sich entsprechend ein. Wahrscheinlich hatte der betreffende Wärter irgendeinen Fehler in der Behandlung des Tieres gemacht und sich eine Blöße gegeben. Vielleicht war er bei irgendeiner Gelegenheit vor ihm zurückgewichen, was im „Rivalenkampf" zwischen Mensch und Elefant einer schweren Niederlage gleichkommt: der Respekt war dahin. Ist ein in Freiheit lebender Elefant alt geworden, so daß er sich innerhalb der Herde nicht mehr durchsetzen kann, wird er in den meisten Fällen ausgestoßen. Dasselbe Schicksal erleidet auch ein jüngeres Tier, wenn es krank wird oder durch den Verlust eines Stoßzahnes nicht mehr kampffähig ist. Solche ausgestoßenen Alleingänger sind mit sich und der Welt zerfallen. Aus dieser Stimmung heraus greifen sie dann ganz plötzlich an und werden für die Eingeborenen im Urwald zur großen Gefahr.
„Dies ist mein Revier!" Viele freilebenden Tiere haben ein bestimmtes Wohngebiet, das sie für sich beanspruchen. Bei Löwen zum Beispiel umfaßt ihr „Territorium" etwa zwanzig Quadratkilometer, bei Brüllaffen sind es neun, bei Bambusbären nur zwei. Innerhalb des beanspruchten Lebensreviers gibt es bestimmte „Abteilungen", wie Schlafplätze, Vorratsplätze und Badestellen. Bären haben die Gewohnheit, „ihr" Revier genau zu bezeichnen, damit jeder etwaige Eindringling von vornherein Bescheid weiß. Der Bär überträgt zu diesem Zweck seinen Geruch auf eine ganze Reihe von Bäumen, die an der im übrigen unmerkbaren Grenze seines Wohngebietes stehen. Er erhebt sich während der Ge8
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ruchsmarkierung zu seiner vollen Höhe und reibt den Rücken einige Male an der Rinde auf und ab und hin und her. In die „Menschensprache" übersetzt lautet diese durch den Geruch festgelegte Warnung etwa so: „Vorsicht! Hier wohnt ein starker Bär!" Es kommt oft vor, daß Braunbären in der Gefangenschaft deshalb Schwierigkeiten machen, weil sie einen bestimmten Teil der für die Bären eingerichteten Anlagen als ihre Privatwohnung betrachten. So hatte man im Dresdener Zoo ein neugebautes Bärengehege zunächst von einem Braunbärenpaar bewohnen lassen, und alles war in bester Ordnung. Als aber einige Monate später zwei weitere Bären dazukamen, gingen die bisherigen „Mieter" gegen ihre als Rivalen angesehenen Artgenossen zum Angriff über. Sie gewannen den Kampf. Die Besiegten flüchteten in eine Ecke des Geheges, aus der sie sich einen vollen Monat lang nicht mehr herauswagten. Erst nach längerer Zeit wurden die Neuankömmlinge von den alteingesessenen Bären in die „Wohngemeinschaft" aufgenommen.
„Der Garten gehört mir" Daß auch Hunde ihr Revier haben und es bellend und wenn nötig beißend verteidigen, ist allbekannt. Ein besonders anschauliches Beispiel aus dem Leben soll hier erzählt werden: Ein aus der Schule heimkehrender Großstadtjunge trifft auf der Straße einen kleinen, niedlichen Hund, der ebenfalls auf dem Heimweg ist. Der Hund — nennen wir ihn Bello — ist sehr zutraulich, läßt sich streicheln und läuft einträchtig neben seinem neuen Freunde her. Aber dann kommt die Überraschung: Bello biegt plötzlich durch eine offenstehende Tür in einen Vorgarten ein, der zu einem recht hübschen Haus gehört. Der Junge will sich, wie es sich gehört, noch von seinem vierbeinigen Begleiter „verabschieden" und folgt ihm in das Grundstück. Aber schon nach den ersten Schritten fährt Bello unter lautem Gekläff auf seinen „Freund" los und versucht ihn zu beißen. Nun, das geschieht nicht aus einem plötzlichen Wandel im Charakter und aus jäher Bösartigkeit, sondern aus Pflichtgefühl. Die Straße ist nicht sein Revier, wohl aber der Garten und das Haus. Jeder, der sich hereinwagt, ist ein Rivale oder ein „Feind", und so erklärt sich das so unerwartet veränderte Benehmen des Tieres, das sich noch soeben so anschmiegsam und treuherzig gezeigt hat. 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.13 12:44:56 +01'00'
Der Schwächere gibt auf Hunde verhalten sich auch sonst oft ganz anders, wie wir es erwarten. Zwei Hunde begegnen einander auf der Straße, sie können sich offensichtlich nicht leiden. Vielleicht wegen einer Hündin, an der beide Tiere „Interesse" haben, vielleicht auch ohne jeden erkenntlichen Grund. Jedenfalls bleiben beide Hunde stehen, ihr Fell sträubt sich und ein drohendes Knurren grollt aus ihren Kehlen. Schon umkreisen sie sich unter lautem Gebell, fletschen die Zahne und stellen sich einander gegenüber. Jetzt müßte der Kampf beginnen: ein Kampf auf Biegen und Brechen, so scheint es. Aber der kleinere Hund ändert überraschend sein Verhalten. Eben noch schien er nichts anderes im Sinn zu haben, als sich auf den Gegner zu stürzen. Jetzt hat er wohl erkannt, daß seine Aussichten gering sind — mit einemmal ist er gar nicht mehr kriegerisch gestimmt. Die aufgestellten Ohren senken sich wieder und die Tonlage seines bisher so wütenden Knurrens wird milde und friedlich. Der Gegner wartet, noch einmal knurrt er tief und gefährlich. Doch sein „Feind" hat alles Interesse an der Auseinandersetzung verloren und gibt es nach Hundeweise durch sein gesamtes Verhalten zu erkennen. Nun geschieht etwas Merkwürdiges: Auch der viel stärkere Rivale verzichtet auf den Kampf, obwohl ihm nach Lage der Dinge ein Sieg sicher wäre. Er dreht sich um und läuft weiter, als sei der eben noch so grimmig angeknurrte Gegner Luft für ihn. Allein bleibt der andere auf dem Kampfplatz zurüde, der keiner war — weil sich das schwächere Tier nach den „Regeln" ergeben und der Stärkere diese Regeln anerkannt hat.
Der Stärkste setzt sich durch Von unerwartetem Hundebenehmen berichtet auch das folgende Kapitel: Auf einem Schiff, das die Teilnehmer einer Grönland-Expedition in den hohen Norden brachte, war eine größere Anzahl von Eskimohunden auf dem Vorschiff untergebracht. Unterwegs kam schlechtes Wetter auf, die Wellen schlugen über das Deck und die Hunde hatten 11
„Heran, wer den Mut hat, mit mir anzubinden."
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viel zu leiden. Vom menschlichen Standpunkt aus gesehen, hätte das zu einer gewissen Gemeinsamkeit der Tiere im Kampf mit den Unbilden des Wetters führen können. Aber das Gegenteil trat ein. Je schlechter es den Hunden ging, um so häufiger kämpften sie miteinander — um das Futter und um einen trockenen Platz. Die Matrosen wollten den Tieren helfen und bauten eine erhöhte Plattform aus Brettern, damit sich die Hunde abwechselnd im Trocknen aufhalten könnten. Aber das war allzu „menschlich" gedacht, von Abwechslung war keine Rede. Das stärkste Tier belegte sofort einen „Dauerplatz" auf der Plattform, die nächststärkeren Hunde folgten — allen anderen wurde der trockene Platz gewaltsam verwehrt. Als „Herrscher" dort oben warf sich ein ungewöhnlich dummer, aber sehr kräftiger Geselle auf. Er fraß stets zuerst und schikanierte zusammen mit einigen ebenfalls kräftigen Tieren rücksichtslos die übrigen Hunde. Auch später, während der Expedition, blieb die Rangordnung bestehen. Der stärkste Hund war der „Boß", der nächststärkere spielte die zweite Rolle und so ging es weiter bis zum letzten, dem schwächsten Hund, der gar nichts mehr zu bestellen hatte.
Die „Demutsgebärde" schützt Auch in jedem Wolfsrudel gibt es eine Rangordnung, die ein sehr genaues „Oben" und „Unten" kennt. Man kann oft genug in dramatischen Geschichten lesen, Wölfe trieben Kannibalismus, sie fräßen in Notzeiten einander auf. Das stimmt so wenig wie die Behauptung, bei den Rivalenkämpfen der Wölfe werde das schwächere Tier getötet. Tatsächlich kommt das fast nie vor. Der bekannte Verhaltensforscher Prof. Lorenz hat im großen Wolfsgehege von Whipsnade bei London einen typischen Rivalenkampf in allen Einzelheiten beobachtet. Zwei Wölfe umkreisten einander und suchten sich mit ihren furchtbaren Gebissen zu packen. Zunächst errang keiner der beiden einen Vorteil — aber dann gelang es dem stärkeren Tier, seinen Gegner an das Gitter zu drängen, wo er sich nicht mehr wehren konnte. Die Lage war aussichtslos für ihn. In diesem Augenblick erfolgte eine sehr kennzeichnende Reaktion: Der im Kampf unterlegene Wolf gab jeden weiteren Widerstand auf. 13
Er hielt sogar dem Sieger die verwundbarste Stelle an der Krümmung seines Halses hin. Dort verläuft eine große Ader dicht unter der Haut; ein Biß würde auf jeden Fall tödlich wirken. Aber der Sieger konnte seinen Vorteil nicht ausnützen, denn die gezeigte Unterwerfungsgebärde — „Demutsstellung" genannt — darf vom Artgenossen niemals mißachtet werden. Das verbietet der Instinkt in jedem Fall. So war der Kampf zu Ende. Grollend zwar, doch ohne den geringsten Versuch zum Beißen, sah der stärkere Wolf zu, wie das unterlegene Tier sich aufraffte und davonlief. Keiner der beiden Rivalen hatte eine Verletzung davongetragen. Bei allen Raubtieren, auch den Hunden, gibt es ein genau festgelegtes „Schema" für die Unterwerfung. Sein Zweck ist ganz klar: Die Erhaltung der Art muß gesichert werden. Der Bestand an Tigern und Löwen, Wölfen und allen anderen stark „bewaffneten" Tierarten wäre in höchstem Maße gefährdet, wenn die üblichen Auseinandersetzungen zum Tode des Unterlegenen führten. Daher gilt gerade bei Raubtieren das ungeschriebene Gesetz: Artgenossen, schont einander!
Ausdrucksbewegungen kennzeichnen den „Rang" In sehr vielen Fällen werden die Rivalenkämpfe im Wolfsrudel nur angedeutet — sogenannte „Rituale der Drohung" ersetzen sie. Wenn zwei Wölfe ihre Stellung innerhalb des Rudels noch nicht „festgelegt" haben, dann kommt es früher oder später zu einer tatsächlichen oder nur symbolischen Auseinandersetzung. Dr. Morris, Leiter der Säugetier-Abteilung im Londoner Zoo, hat in dieser Hinsicht interessante Beobachtungen gemacht und kürzlich darüber berichtet: Die beiden Rivalen zeigen die Zähne, knurren laut und nehmen eine drohende Haltung an; die nach oben gestellten Ohren sind ein Zeichen dafür, ebenso der angehobene Schwanz und tiefes Brummen. Würden die Ohren zurückgelegt und der Schweif gesenkt, so bewiese das Furcht, Winseln würde Unterwerfung bedeuten. Sind zwei Wölfe gleich stark und mutig, wollen aber nicht kämpfen, dann wedeln sie nach dem Durchexerzieren der verschiedenen Verhaltensweisen für „Drohen" beide mit dem Schwanz. Das bedeutet etwa: „Wir werden uns nichts tun." 14
Ein Jungtier, das bei irgendeiner Gelegenheit einem erwachsenen Wolf in die Quere kommt und von ihm bedroht wird, rettet sich durch eine besonders eigenartige Unterwerfungsgebärde: Der junge Wolf läßt sich mit schlaff angezogenen Pfoten auf die Seite fallen, während erwachsene Wölfe zu stolz wären für diese äußerste "Form des Nachgebens gegenüber dem Stärkeren. Erwachsene Hunde zeigen fast genau die gleichen Unterwerfungsgesten, wenn sie sich mißliebig gemacht haben und ihr Herr wütend auf sie schimpft. Der Wolf ist bekanntlich der Vorfahre des Hundes; man erkennt es deutlich genug daran, daß sich Wolf und Hund als Typen sehr ähnlich sind. Beide Tiere sind auch in wichtigen Reaktionen einander ähnlich: Der Hund verteidigt seinen Herrn bis zum Einsatz seines Lebens, der Wolf tut das gleiche, wenn Mitglieder seines Rudels von Feinden bedroht werden.
Turnier der Hirsche Der Herbst ist gekommen, in roten und gelben Farben prangt der Wald. Ein schöner Abend zieht herauf, Dämmerung liegt über den Wipfeln der Bäume und über der weiten Lichtung. Vorsichtig schiebt sich eine Hirschkuh aus dem Dunkel der Bäume, sichert eine Weile und betritt dann die freie Fläche. Hinter dem führenden Tier kommen die anderen Hirschkühe, und als letzter bricht der kapitale Hirsch in raschen Sprüngen vor. Er treibt seine Schar zu einem enggedrängten Haufen zusammen und schreitet dann langsam und majestätisch zu einer hügelartigen Bodenwelle. Dort stellt er sich auf, legt sein mächtiges Geweih weit zurück — und nun durchdringt sein Brunstruf die bisherige Stille. „Heran, wer den Mut hat, mit mir anzubinden!" — das will sein lautes Röhren besagen. Es dauert nicht lange; schon dröhnt die Antwort in den Ruf des Platzhirsches hinein. Ein paar Minuten vergehen, dann erscheint der Gegner. Tief senken die beiden Rivalen die Köpfe und stürmen gegeneinander los. Krachend prallen die Geweihe aufeinander, wieder und wieder. Keiner will nachgeben, denn es geht um die Hirschkühe, die wie die Edelfräulein im „Turniergarten" der mittelalterlichen Burg im Hintergrund des Duellplatzes dem Turnier zusehen. In 15
Stoß und Gegenstoß verstricken sich die Geweihe, die Kämpen schieben und zerren mit aller Kraft — endlich sind sie wieder frei. Schon folgt der nächste Waffengang, mit schräg abgestemmten Läufen sucht jeder der beiden Hirsche den anderen wegzuschieben. Die Entscheidung kommt ganz plötzlich. Der Platzhirsch hat seinen Gegner zurückgedrängt, der Zurückweichende wankt, versucht noch einmal den Angriff — und gibt auf. So rasch er gekommen ist, verschwindet er wieder vom Schauplatz. Der Sieger schickt ihm seinen stolzen Triumphruf nach, verfolgt den Besiegten aber nicht. Man kann öfter sensationelle Schilderungen von solchen Turnieren lesen, in denen der Eindruck erweckt wird, die Kämpfe der Hirsche hätten häufig schwere Verletzungen, ja den Tod eines der Hirsche zur Folge. Das ist stark übertrieben. Gewiß werden diese Ausscheidungskämpfe mit recht gefährlichen Waffen ausgetragen, aber der Kampf im Wald sieht meist schlimmer aus als er ist. Es kommt in der Hauptsache nur darauf an, den Konkurrenten aus dem Stand zu drücken. Da die Geweihe der Kämpfer meist ineinander verhakt sind, bleibt für wirklich gefährliche Stöße nicht allzuviel Gelegenheit. Eine Ausnahme bilden die „Schadhirsche". Sie setzen sich über die sonst genau innegehaltenen Regeln eines „fairen" Rivalenkampfes hinweg. Diese Schädlinge schießt der Jäger schleunigst ab, denn sie bilden eine Gefahr. Sonst aber ist das Duell der Hirsche mehr eine Sache der Krafterprobung als des Versuchs, den Gegner umzubringen. Auch hier sind Hemmungsmechanismen wirksam; so gilt im Regelfall das „Gesetz", beim Kampf die ungeschützte Flanke des Gegners nicht mit dem Geweih anzugreifen. Auch bei den Rivalenkämpfen der Damhirsche lassen die Gegner bei Beginn des Turniers ihre mächtigen Schaufeln zusammenkrachen — aber Stöße mit ihnen werden nicht ausgeführt.
Kampf mit scharfen Spitzen Nicht minder gefährlich sieht es aus, wenn sich zwei Oryx-Antilopen zum „Duell" aufstellen. Diese Antilopen leben in der afrikanischen Steppe, sie haben ein langes Gehörn mit nadelscharfen Spitzen: Ein einziger Stoß dieser Waffen könnte den Gegner töten. Aber fast niemals gibt es bei den Turnieren dieser Antilopen irgendwelche 16
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Verletzungen. Die Ursadie ist klar: Ihr Instinkt verbietet jeglichen Stoß mit dem Gehörn. Die Gegner umkreisen einander bei Beginn des Kampfes in genau „vorgeschriebener" Weise. Bei bestimmten Bewegungen berühren sich die Gehörne in ihrem oberen Teil, auch das gehört zu den alten Regeln dieses Wettkampfes. Dann stehen die beiden Männchen Kopf an Kopf einander gegenüber. Sie stemmen die Läufe fest in den Boden und versuchen einander wegzutreiben, ähnlich wie die kämpfenden Hirsche. Das Turnier der Oryx-Antilopen kann eine ganze Weile unentschieden bleiben, aber schließlich kann das schwächere Tier seine Position nicht mehr halten. Es wird zurückgedrängt, sonst geschieht ihm nichts. Aber das bedeutet nach dem überkommenen Gesetz dieser Antilopen die Niederlage. Das schwächere Männchen handelt dementsprechend: Es verläßt sofort den Kampfplatz — besiegt, aber unverletzt.
Wenn die Giraffen kämpfen Rivalenkämpfe gibt es selbst bei den langhalsigen, gesellig lebenden Giraffen. Sie bilden meist zwei Gruppen innerhalb der Herde: Die erwachsenen männlichen Giraffen halten sich etwas entfernt von der Gruppe der weiblichen Tiere, denen sich die jungen Giraffenbullen anschließen. Kämpfe bei Giraffen spielen sich nur unter den männlichen Erwachsenen ab, wie neuere Beobachtungen gezeigt haben. Wenn zwei dieser Bullen zeigen wollen, wer der Stärkere ist, dann nehmen sie zunächst ihre Imponierstellung ein. Sie recken den Kopf hoch und „drohen", indem sie mit den Vorderläufen auf den Boden stampfen; das sind die ersten Anzeichen der Herausforderung. Unmittelbar vor der Auseinandersetzung pflegen besonders aufgeregte Giraffen plötzlich den Gegner in gerader Linie anzulaufen. Während des Laufs stoßen sie grunzende Töne aus. Der eigentliche Kampf erfolgt nur höchst selten durch Schläge mit den Vorderbeinen — das wäre zu gefährlich. Vielmehr stellen sich die beiden Gegner einander gegenüber, die Beine in Spreizstellung, und führen Schläge mit Kopf und Hals aus. Nach kürzerer oder längerer 18
Zeit gibt das schwächere Tier auf. Wenn es den Kopf als Zeichen der Unterwerfung senkt und einige Schritte vorwärts macht, ohne weiterzukämpfen, wird auch der Gegner die „Kampfhandlungen" einstellen und als Sieger davonschreiten . . .
Der „Rattenkönig" Besonders interessante Aufschlüsse über Rivalenkämpfe erbrachten Versuche mit äußerst „bösartigen" Tieren, die von amerikanischen Forschern im Institut für Verhaltensforschung bei San Francisco angestellt wurden. Sie arbeiteten mit Ratten, die höchst kampflustig waren und deren Auseinandersetzungen mit großer Härte durchgeführt wurden. Doch auch bei den Kämpfen gelten ganz bestimmte „Regeln", aber immer nur dann, wenn beide Gegner dem gleichen Rattenverband angehören. Die Ratten fletschen die Zähne und geben ihren Kampfeseifer durch schrilltönende Schreie zu erkennen. Bald erheben sie sich auf die Hinterbeine, und der Wettstreit beginnt. Die Tiere führen eine Art Ringkampf aus und treten und stoßen sich so lange, bis einer der beiden Ringer das Gleichgewicht verliert und rücklings hinfällt. In diesem Augenblick ist der Kampf entschieden, das unterlegene Tier gibt auf, ohne verfolgt zu werden. Bei der nächsten Gelegenheit wird der Sieger mit einem anderen Rattenmännchen kämpfen. Setzt er sich wieder durch, dann kommt der nächste Rivale an die Reihe. Es finden unzählige Ausscheidungskämpfe dieser Art innerhalb der Gruppe statt, und schließlich hat sich das stärkste und im Kampf geschickteste Tier durchgesetzt. Es ist zum „Rattenkönig" geworden und führt nun ein geradezu diktatorisches Regime über die Angehörigen seines Reiches, das heißt seines Rattenverbandes.
Gegen das Gesetz Wir alle haben eine — bewußte oder unbewußte — Abneigung gegen die Ratten. Sie leben, wie gesagt, in Verbänden, unter ihren Angehörigen herrscht dauernder Zank und Streit: um die Weibchen und das Futter vor allem, aber auch sonst bei jeder Gelegenheit. Das gibt es in anderen Tierverbänden auch, aber die Streitlust der Ratten ist besonders groß; sie verstößt gegen das uns schon bekannte Gesetz, 19
daß Artgenossen einander schonen. Die Streitlust wird tödlich, wenn eine Ratte zufällig in den Bereich eines fremden Rattenverbandes kommt. Zwischen Rattensippen herrscht vernichtende Feindschaft! Sie bekämpfen einander mit größter Wut, und es kommt nicht selten vor, daß ein kleinerer — also schwächerer — Rattenverband von einem größeren überfallen und ausgerottet wird. Wahrscheinlich läßt sich diese Todfeindschaft so erklären, daß bei den Ratten sozusagen auf Kampfeslust „gezüchtet" wird. Nur die starken und „wilden" Männchen können sich durchsetzen; nur sie bekommen Weibchen und damit Nachkommen. Diese ständige, aber sehr einseitige Auslese hat biologisch keinen Sinn. Sie erzeugt nur blinde Konkurrenz — und oft genug Rivalenkämpfe bis zum Tode der schwächeren Tiere. Aber auch die Ratten haben instinktiv eine Methode gefunden, um allzu gefährliche Kämpfe „aller gegen alle" zu verhindern. In sehr vielen Fällen hat man festgestellt, daß die feindlichen Rattenverbände eine Berührung miteinander scheuen. Sie sorgen nach Möglichkeit dafür, daß ein „Niemandsland" zwischen die Wohngebiete verschiedener Rattenverbände und -sippen gelegt wird. Wir Menschen sollten über ein solches Verhalten nicht den Kopf schütteln. Schließlich ist unsere Geschichte erfüllt von Kriegen zwischen den Völkern — und schonungslose Überfälle auf den Nachbarn gab es nur allzu oft.
„Sanft wie die Tauben" Wie friedlich erscheinen uns dagegen die Tauben, die geradezu als Vorbilder der Eintracht und des guten Zusammenlebens gelten. Nun, der Mensch macht sich gern Illusionen, das gilt auch hier. Tauben verhalten sich zwar nicht so „kriegerisch" wie etwa die Hühner, aber friedfertig sind sie keineswegs. Auch im Taubenschlag gibt es eine Art Herrschaftsordnung: Das stärkste — oder kampflustigste — Tier spielt die Rolle eines Despoten, dessen Wünschen sich alle anderen Tauben zu unterwerfen haben. Er hat einen ganz bestimmten Platz im Taubenschlag inne, fast immer in der Nähe des Eingangs. Gibt es zwischen seinen Untertanen eine Auseinandersetzung, dann greift der „Regent" sofort ein und verhindert weitere Kämpfe. Im übrigen rangieren die „verheirateten" Tauben höher als die 20
Junggesellen, wahrend weibliche Tauben einen noch geringeren Rang haben. Im Gegensatz zu der üblichen Meinung sind auch die Ehesitten der Tauben durchaus nicht „vorbildlich". Wird die Täubin von einem Artgenossen angegriffen, so kümmert sich ihr Ehegemahl überhaupt nicht darum — Kavalierspflichten sind im Taubenschlag gänzlich unbekannt. Als „Herrscher" amtiert stets ein männliches Tier. Bei den Sperlingen dagegen kommt es häufig vor, daß ein besonders kräftiges Weibchen die Herrschaft an sich reißt und nun auch die Männchen tyrannisiert. Das ist lediglich eine Frage der körperlichen Stärke. Bei Hühnern, Truthühnern und Fasanen sind die Männchen kräftiger als die Weibchen und darum wird bei ihnen der eigentliche Herrscher stets vom männlichen Geschlecht gestellt. Aber auch das Alter spielt eine große Rolle. Ganz junge Vögel sind noch im Stadium des Paradieses, sie werden von keinem Artgenossen angegriffen und leben ihrerseits völlig friedlich miteinander. Aber Brüderlichkeit und Gleichheit hören bei den meisten Vögeln schon nach ein paar Wochen auf. Die Herrschsucht erwacht, es gibt die ersten Kämpfe — auch zwischen Brüdern und Schwestern aus dem gleichen Nest. Dann zeigt sich bald, worauf es ankommt, wenn ein Tier gegen seinesgleichen Erfolg haben will. Es braucht Kraft und Geschicklichkeit, Mut und „Härte im Nehmen" und nicht zuletzt die Fähigkeit, sich bei den Auseinandersetzungen wirksam in Szene zu setzen, also zu „imponieren". Stets geht es um die Erringung der Macht — und der Vorteile, die sie mit sich bringt.
Vögel auf dem Turnierplatz Moore und Sumpfgebiete sind die Heimat der Kampfläufer, die in der Balzzeit eigenartige Massenturniere veranstalten. Die Männchen versammeln sich auf einem bestimmten Platz, je zwei stellen sich einander gegenüber, und nun beginnt der Kampf. Sie hacken mit den Schnäbeln grimmig aufeinander los, die Federn stieben, und es sieht ziemlich gefährlich aus. Aber Mutter Natur sorgt auch in diesem Fall dafür, daß die Auseinandersetzungen keine ernsthaften Folgen haben: Sowie es einem der beiden Kämpfer zuviel wird, hört der Gegner mit dem Hacken auf. Die beiden Vögel bleiben friedlich 21
nebeneinander sitzen und überlassen es den zuschauenden Weibchen, die Wahl unter ihnen zu treffen. Auch die berühmte Birkhahnbalz ist mehr ein Schauspiel für die Weibchen als ein wirkliches Duell. Die Hähne erscheinen am frühen Morgen auf dem Balzplatz und beginnen zunächst einzeln mit einem merkwürdigen Tanz, der aus kleinen Schritten, aus Verbeugungen und Drehungen besteht. Aber bald findet sich ein „Konkurrent", dem die tänzerische Darbietung des anderen Männchens nicht paßt. Er greift es an, und nun beginnt eine seltsame Mischung von Kampf und Tanz. Die beiden Hähne springen sich an, führen ein paar Schnabelhiebe aus — und trennen sich wieder, um einzeln zu tanzen. Offensichtlich reizen sie sich gegenseitig zu immer größeren Leistungen an. Die Weibchen schauen zu, aber es kann keine Rede davon sein, daß sie von sich aus die Wahl zwischen den Kämpfern hätten. Beim Birkwild herrscht nämlich starker „Frauenüberschuß": Auf einen Hahn kommen etwa acht Hennen.
Sängerkrieg im Wald Bei vielen Singvögeln wird das Turnier sogar akustisch eröffnet. Da hüpft im Frühling ein Rotschwänzchen von Ast zu Ast und läßt immer wieder seinen Liebesgesang vernehmen. Das „stört" ein anderes Rotschwänzchen, das ebenfalls auf der Suche nach einem Weibchen ist. Also beginnt es den „Sängerkrieg", erst leise, dann immer lauter. Der Konkurrent singt natürlich mit nicht minder vollen Tönen, aber schließlich geht die akustische Auseinandersetzung in eine wirkliche über. Die beiden Männchen balgen sich, aber auch in diesem Fall dauert der Kampf nicht lange. Der schwächere Vogel gibt auf und fliegt davon, der Zurückbleibende stimmt einen Triumphgesang an. Und bald kommt ein Weibchen angeflogen, das dem' Kampf mit lebhafter Anteilnahme zugeschaut hat und gern dem Sieger folgt.
Wertkampf der Schönheit Wohl das herrlichste Turnier der gesamten Vogelwelt wird von den Paradiesvögeln vorgeführt, deren wundervolles Gefieder in allen Farben schimmert. In der Balzzeit versammeln sich die Männchen
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an einem günstig gelegenen Platz, zu dem auch die Weibchen kommen. Ihre Federbekleidung ist keineswegs prächtig, um so größer ist ihre Bewunderung für den Farbenschmuck der Männchen . .. Der Wettkampf verläuft ohne tätliche Angriffshandlungen, denn nicht auf Kraft und Geschicklichkeit kommt es hier an, sondern ausschließlich auf den Triumph der Schönheit. Als „Turniergerät" dient ein großer Baum; an seinem Fuß kommen die Konkurrenten zusammen, ganz in der Nähe sitzen die Weibchen und blicken erwartungsvoll auf die Darbietung. Jedes Männchen sucht sich einen passenden Ast und spreizt sein Gefieder so weit es nur geht. Die erstaunlichste Leistung auf diesem Gebiet vollbringt der Blaue Paradiesvogel. Er hält sich mit den Krallen an einem Ast fest und hängt mit dem Kopf nach unten, so daß das blaue Gefieder weit auseinandergespreizt und jede Feder sichtbar wird. Um die Vorführung noch wirksamer zu machen, läßt sich das Männchen am Ast hin und her schwingen und kehrt mit Hilfe besonderer Muskeln einzelne besonders farbschöne Schmuckfedern lokkend hervor. Die Sichelschnäbel, eine andere Art der Paradiesvögel, haben eine „Schau" spezieller Art zu bieten. Sie paradieren nicht nur mit ihren Federn, sondern öffnen auch den Schnabel, so weit es nur geht. Seine Innenseite ist nämlich leuchtend gelb gefärbt, und darum wird auch sie im Wettkampf der Schönheit den Weibchen werbend präsentiert.
Frei wie der Vogel in der Luft ? So sagen wir — aber dieser Satz ist falsch. Weitaus die meisten Vögel sind keineswegs so frei, daß sie sich an beliebigen Stellen aufhalten können. Nur die „Großen" unter den Gefiederten können den Umfang ihres Wohngebiets gewissermaßen selbst festlegen: Adler und Falken zum Beispiel. Die kleineren Vögel aber müssen mit wenig Platz vorliebnehmen, denn mehr können sie nicht in Anspruch nehmen. Selbst die vielbesungene Lerche hat ein bestimmtes Areal, dessen Grenzen sie nicht überfliegt, sie bleibt bei ihren Flügen stets über „ihrem" Wohngebiet. Wird sie einmal von starkem Wind über die Grenze getrieben, dann fliegt sie so rasch wie möglich wieder zurück. Sie hat „Angst", verbotenerweise in das Gebiet eines anderen Artgenossen zu geraten. 23
Amerikanische Ornuhologen haben entsprechende Versuche auch mit Meisen angestellt, die in einem großen Waldgebiet heimisch waren. Treiber verfolgten die einzelnen Meisen und jagten sie vor sich her. Aber alle beobachteten Meisen flüchteten nur eine Strecke weit geradeaus. War bei der „Verfolgung" die jeweilige Grenze des Wohngebietes erreicht, bogen die Vögel in allen Fällen in einer scharfen Kurve ab und flogen wieder zurück. In mühsamer Arbeit wurden auf diese Weise zweihundert Meisenareale festgestellt. Ihre Größen waren etwas verschieden: Offensichtlich konnten sich die schwächeren Vögel nur kleine, die stärkeren Vögel dagegen größere Wohngebiete sichern.
Das Nest jenseits der Grenze Eine geradezu rührende Geschichte ergab sich zufällig bei ähnlichen Vogelbeobachtungen. Ein Finkenpärchen hatte — wahrscheinlich versehentlich — außerhalb des Wohngebietes im Lebensbereich eines Nebenbuhlers gebrütet. Fast hätte es eine Vogeltragödie gegeben, denn das anscheinend recht ängstliche Männchen wagte sich nicht in das Revier des Rivalen, des rechtmäßigen „Grundbesitzers". Die Vogelmutter mußte allein brüten. Als die Jungen ausgeschlüpft waren, ergab sich das schwierige Problem der Fütterung; denn das Weibchen allein konnte nicht genug Nahrung für die vielen hungrigen Schnäbel der Nachkommenschaft herbeischaffen. Schließlich fanden die verstörten Vogeleltern einen Ausweg. Das Männchen brachte die von ihm erbeuteten Insekten an jene „imaginäre" Grenze, die zu überfliegen es sich nicht erkühnte, das Weibchen nahm ihm das Futter ab und trug es zu den Jungen. Erst als sie endlich flügge waren, konnte sich die Familie wieder vereinigen. Die Vogelmutter flog mit ihren Kindern ins „angestammte Revier" zurück — und damit war alles wieder in Ordnung.
Kämpfende Echsen Im Stillen Ozean hat der bekannte Verhaltensforscher Dr. EiblEibesfeld die Kämpfe zwischen Meerechsen im Gebiet der GalapagosInselwelt beobachtet. Diese urweltlich aussehenden Echsen bevölkern 24
Auch die gesellig lebenden Giraffen ermitteln in „Kampfhandlungen" den Stärksten. 25
die Lavaklippen jener Tnseln; in der Paarungszeit hat jedes männliche Tier ein bestimmtes Gebiet, das es mit seinem „Harem" bewohnt und gegen Konkurrenten verteidigt. Nähert sich ein anderes Männchen, so kommt es zum Kampf, der nach den uns schon bekannten „vorgeschriebenen" Regeln durchgeführt wird. Die beiden „Drachen" pressen ihre Köpfe gegeneinander, und jeder versucht, den Gegner mit aller Kraft zurückzutreiben. Der Kampf kann längere Zeit dauern. In den meisten Fällen endet er damit, daß eines der beiden Tiere aufgibt und die „Demutsstellung" einnimmt, indem es sich flach auf den Boden legt. Dann unterläßt der Sieger alle weiteren Kampfhandlungen und wartet, bis sich der unterlegene Gegner zurückgezogen hat. Das gilt allerdings nur, wenn die Unterwerfung genau in der vom Instinkt „vereinbarten" Weise erfolgt. Geschieht das nicht, so wird aus dem harmlosen Turnier bitterer Ernst, und der Sieger versetzt dem Besiegten heftige Bisse.
Die „falsche" Geste Aber solche Regelwidrigkeiten kommen zwischen artgleichen Tieren verhältnismäßig selten vor. Aufregend wird es erst, wenn Angehörige verschiedener Arten in „Auseinandersetzungen" geraten. Will bei einem solchen Kampf das schwächere Tier aufgeben, so erfolgt die Unterwerfung in der Weise, wie sie dem Tier angeboren ist. Aber der artfremde Gegner versteht sie nicht — er wird also weiterkämpfen, weil er die ihm unbekannte Unterwerfungs-Zeremonie nicht anerkennt. Prof. Portmann konnte auf einem Bauernhof den Streit zwischen einem Truthahn und einem Pfau miterleben. Da der Pfau sich als der stärkere erwies, wollte der unterlegene Gegner kapitulieren. Diese Absicht konnte er natürlich nur nach Truthahnsitte anzeigen: Er streckte sich flach auf dem Boden aus. Doch der Pfau kannte diese Geste nicht und hackte auf den freiwillig wehrlos gewordenen Gegner so lange ein, bis er ihn getötet hatte. Hier versagten jene Schutzmaßnahmen, die zur Erhaltung der Art vorgesehen sind. Für Artfremde „gelten" sie nicht. 26
Tanz der Klapperschlangen Wohl der unheimlichste Rivalenkampf findet zwischen den Männchen der Klapperschlangen statt. Bei solchen Duellen würde der Biß eines der Tiere genügen, um den Gegner zu töten — aber die Schlangen machen bei ihren Auseinandersetzungen niemals von ihren Giftzähnen Gebrauch. (Täten sie es, dann wären die Klapperschlangen vermutlich schon längst ausgestorben.) Dr. E. Shaw vom Zoologischen Garten in San Diego hatte kürzlich das Glück, einen Kampf dieser Schlangen von Anfang bis Ende mitansehen zu können. Zwei Männchen „bewarben" sich um ein Weibchen, also mußte der Kampf entscheiden. Sie umschlangen sich, hoben die Köpfe und führten einen „Tanz" auf, dessen Anblick ebenso schreckenerregend wie aufschlußreich war. Dann krochen sie eine Weile nebeneinander her, während sie sich genau beobachteten und die Vorderteile ihrer Körper emporreckten. Nach den Vorbereitungen begann der eigentliche Kampf. Beide Schlangen versuchten den Gegner so auf den Boden zu drücken, daß er sich nicht mehr bewegen konnte. Kopf gegen Kopf gepreßt, aber mit festgeschlossenen Kiefern ringelten sich die Tiere umeinander, lockerten die Ringe kurze Zeit und schlössen sie wieder in ständigem Wechsel von Angriff und Verteidigung. Schließlich gelang es der kräftigeren Schlange, den Gegner durch das eigene Gewicht so am Boden zu halten, daß er sich nicht mehr bewegen konnte. Das Tier unternahm verzweifelte Anstrengungen, sich aus der Presse zu befreien, aber es blieb vergeblich. So gab die unterlegene Schlange weitere Befreiungsversuche auf — sie war besiegt und der Kampf beendet. Der Sieger löste die Schlingen, mit denen er den Rivalen am Boden „festgenagelt" hatte. Der befreite Gegner unternahm nicht den geringsten Versuch, den Kampf noch einmal zu beginnen — auch den Schlangen verbieten das die vom Instinkt gebotenen Regeln dieses Kampfes. Schleunigst kroch er davon, ohne Weibchen, aber ohne jede Verletzung.
Rivalenkämpfe der Fische Rivalenkämpfe gibt es auch bei den Fischen, wie zahlreiche Beobachtungen beweisen. Von einem besonders lehrreichen Fall weiß Professor Lorenz zu berichten, der eine größere Anzahl von Stich27
lingen in einem Becken hielt. Bei den Stichlingen errichtet das Männchen das „Nest" für die Nachkommenschaft. In dem Aquarium bauten nun mehrere Männchen gleichzeitig — und jedes von ihnen betrachtete die unmittelbare Umgebung des Nestes als „sein" Territorium. Es wurde heftig „verteidigt", wenn ein anderes Männchen in die Nähe kam. Aber bei diesen Experimenten ergab sich, daß die Angriffslust des jeweiligen Rivalen um so geringer wird, je weiter er sich von seiner „Heimat" entfernt. Starke Männchen wurden von schwächeren in die Flucht geschlagen, wenn sie einen bestimmten Abstand vom eigenen Nest überschritten hatten. Bei einem zweiten Versuch wurde das Aquarium mit Hilfe einer undurchsichtigen Scheibe in zwei Hälften geteilt. In jedem Teil des halbierten Beckens lebte ein Stichlingsmännchen — aber das erste Männchen „wohnte" schon seit vierzehn Tagen im Bedien, das andere erst seit kurzem. Nun wurde die Glasscheibe wieder herausgenommen — was würden die Fische tun? Sie kämpften natürlich —• aber der schwächere Fisch vertrieb den stärkeren! Das war recht merkwürdig. Um der Sache auf den Grund zu gehen, setzte der Verhaltensforscher die Scheibe nochmals ein und nahm sie nach ein paar Tagen wieder heraus. Die Rivalenkämpfe wiederholten sich — aber diesmal waren die Chancen des kleineren Fisches weit geringer. Als er gar aus dem Nest des „Feindes" Baumaterial stehlen wollte, wehrte sich der Nestbesitzer energisch und vertrieb den Rivalen. Von da ab hatte der schwächere Fisch keine Chancen mehr und gab den Kampf auf. Warum war er zunächst so erfolgreich gewesen und dann nicht mehr? Man untersuchte den „Fall" genauer und fand die Lösung: Der kleinere Fisch, der schon länger in dem Aquarium lebte als der größere, hatte zunächst ein stärkeres „Heimatgefühl" entwickelt als der Neuankömmling. Darum war er zu Beginn der Kämpfe so kühn und trotz seiner körperlichen Unterlegenheit erfolgreich gewesen. Dann aber hatte sich der größere Fisch an die neue Umgebung gewöhnt und fühlte sich nunmehr als Beherrscher seines Wohnbereichs. Er war sicherer geworden und verteidigte sein „Besitztum" überlegen. Besonders streitlustig unter den Fischen sind die Männchen des 28
südamerikanischen Streifenbuntbarsches, und sie nutzen jede Gelegenheit aus, um aufeinander loszugehen. Bei ihren Rivalenkämpfen schwimmen die beiden Männchen genau aufeinander zu — so lange bis sich die Mäuler berühren. Dann suchen beide Fische durch heftige Flossenarbeit den Gegner zurückzuschieben. Schließlich erweist sich eines der beiden Tiere als das stärkere. Im gleichen Augenblick gibt der Unterlegene das Flossenduell auf — und schwimmt davon.
Sind Tiere besser als wir? Wir sehen also, daß Tiere bei ihren Auseinandersetzungen mit Artgenossen in weitaus den meisten Fällen nur Scheingefechte führen. Aber es wäre eine völlige Verkennung der Tatsachen, wenn wir nun sagen wollten, die Tiere seien besser als der Mensch. Sie verschonen die Artgenossen nicht auf Grund irgendwelcher Überlegung oder gar aus moralischen Gründen. Tiere können weder denken noch haben sie die Möglichkeit zu sittlichen Entscheidungen, sondern handeln rein instinktiv. Immerhin zeigt ihr Verhalten, daß es ein durchaus falscher Ausdruck ist, wenn wir etwa einen Massenmörder als „vertiert" bezeichnen. Das ist eine Beleidigung für die Tiere . . . Wir sind geneigt, unsere „Instinkte", das heißt die angeborenen, sehr oft unbewußt verlaufenden Aktions- und Reaktionsweisen zu unterschätzen. Sie sind ja beim Menschen im Gegensatz zum tierischen Instinktverhalten stark zurückgebildet und daher in den meisten Fällen nur bei genauem Hinsehen in ihrem eigentlichen Wesen erkennbar. Es ist das besondere Verdienst von Professor Lorenz, hier geradezu ein Neuland der Wissenschaft erschlossen zu haben. Er konnte zum Beispiel nachweisen, daß von den ursprünglich auch dem Menschen eigenen Instinktbewegungen bei Angriff und Verteidigung doch noch ein Rest geblieben ist. Nehmen wir an, auf dem Schulhof oder im Klassenzimmer geraten zwei Buben aus irgendwelchen Gründen in Streit. (Es können ebensogut zwei erwachsene Männer sein.) Erreicht die Auseinandersetzung eine gewisse Härte, dann werden sich die beiden Rivalen in die Brust werfen, tief einatmen und die Arme vornehmen. Gleichzeitig läuft beiden Raufbolden ein erregender Schauer über den Rücken . . . 29
Nun, diese Ausdrucksbewegungen sind bis in alle Einzelheiten in genau der gleichen Art zum Beispiel auch beim Schimpansenmännchen zu beobachten. Im Streitfall pflegt ein solches Tier vorzutreten, tief Luft zu holen und die Arme vorzustrecken. Der Schauer aber, von dem wir eben sprachen, ist nichts anderes als eine „Erinnerung" an die tierische Fähigkeit, im Zustand der Erregung die Rückenhaare aufzurichten. Es handelt sich also um ganz primitive, instinktmäßig verursachte Reaktionsweisen — auch beim Menschen von heute.
„Rivalenkämpfe" zwischen den Völkern Der Mensch hat in seinen Kriegen unvorstellbar viele Artgenossen getötet, weil es kein Schutzinstinkt wirksam verhinderte. Wir sind also besonders gefährdet. Gewiß — es gab und gibt gewisse Parallelen zu den Unterwerfungsgesten der Tiere auch beim Menschen. Früher fiel der in einer Schlacht um Gnade bittende Krieger vor dem Feind auf die Knie und beugte den Nacken. Durch diese Geste der Unterwerfung wurde zwar der tödliche Schwertschlag des Feindes erleichtert — aber sie bot dem Unterlegenen wenigstens die Chance, daß ein großmütiger Sieger den sich wehrlos hingebenden Gegner verschonen werde. Ebenso wie das später üblich gewordene Hochheben der waffenlosen Hände hatte indes die Unterwerfungsgebärde des Menschen längst nicht die gleichen Erfolge wie im Fall der Tiere. Sie sind weit besser vor Mord und Artgenossen geschützt als der viel klügere Mensch . .. Im Zeitalter der alles vernichtenden Atombombe sind die Menschen jedoch gezwungen, ihre mit kriegerischen Mitteln ausgetragenen „Rivalenkämpfe" zwischen den Völkern einzustellen. Sie müssen den ihnen fehlenden Instinkt für die Schonung des Artgenossen durch Anwendung der Vernunft ersetzen. Der schon genannte Schweizer Biologe Professor Portmann hat das Ergebnis der neuen Forschungen über das Verhalten der Tiere bei Kämpfen zwischen Artgenossen so zusammengefaßt: „Die Zeiten liegen noch nicht weit zurück, da der Krieg als ein besonders wichtiges Mittel zur Erhöhung der vitalen Kräfte eines Volkes gepriesen wurde. In dieses wirre und vage Gestrüpp von Vorstellungen über den ,DaseinskampP bricht eine sorgfältigste, unsentimentale, von der Vernunft geleitete Verhaltensfor30
schung mit einer Welt neuer Tatsachen ein. Ein großes Reinemachen im trüben Halbdunkel hat soeben begonnen. Das entscheidend Neue: Die Auseinandersetzung unter Artgenossen geschieht bei Tieren in unerhörtem Ausmaß ohne Blutvergießen, ohne Verlust am Leben . . ." Und der Mensch? Sollte er sich nicht das Verhalten der Tiere zum Vorbild nehmen?
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bilder: Bavaria-Bilderdienst L u x - L e s e b o g e n 4 0 6 (Tierkunde) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1,80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux.
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