F K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- U N D K U L T U R R U N D L I C H E H E F T E
H...
104 downloads
1328 Views
454KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
F K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- U N D K U L T U R R U N D L I C H E H E F T E
Hubert Neumann
Insel der Malteser-Ritter
VERLAG SEBASTIAN
LUX
M U R N A U • M U N C H E N • INNSBRUCK • BASEL
Endpunkt Europas Mich führte ein Zufall auf die Insel. Der Zufall und die Freundschaft mit John Pisani, einem kleinen, lebhaften Malteser, dessen Vorfahren aus Italien und Portugal kamen, auf der Insel Heimat fanden und eine weitverzweigte, geachtete Familie gründeten. In der flimmernden Mittagshitze eines Märztages klettere ich aus der dickbauchigen, silbernen Maschine, die nach Tripolis unterwegs ist und in Malta zwischenlandet. Wir haben von Rom bis zur Insel zwei Stunden gebraucht. Mit mir verlassen einige britische Soldaten, die ihren Urlaub in England verbracht haben, das Flugzeug, um zu ihren Einheiten zurückzukehren. Überwältigt bleibe ich stehen. Das Empfangsgebäude besteht zwar nur aus zwei flachen, einstöckigen Holzbaracken, aber darüber, in der Ferne, im Licht der grellen Sonne, die fast schmerzhaft die Augen blendet, zeigen sich die hochragenden Umrisse von Kuppeln, Türmen und zyklopischen Mauern. Das Wiederaufbrausen der Propeller reißt mich aus meinen Gedanken, ich gehe, Anschluß an die übrigen Reisenden suchend, auf die Zollbaracke zu. Mit theatralischem Schwung drückt der dunkeläugige, mit seinem schwarzen Schnurrbart respekteinflößende Polizeibeamte den Stempel auf das Einreisevisum in meinem Paß. „German?" fragt er. Als ich bejahend nicke, wünscht er mir lächelnd einen „Guten Tag". Mein Freund John, der mich nach Erledigung der Zollformalitäten in Empfang nimmt, entbietet mir den gleichen Gruß. In den ersten Minuten habe ich gar keine Zeit, mich darüber zu wundern. Später gewöhne ich midi daran. In Malta liebt man die deutsche Sprache. Der kleine Rundfunksender hat im Programm einen eigenen, sehr beliebten deutschen Sprachunterricht aufgezogen, und so kommt es, daß die Polizisten auf der Straße, die Kellner in den Gasthöfen, die Besitzer der Hotels und die Verkäufer in den zahllosen Ladengeschäften den Besucher aus Deutschland, der Schweiz, Österreich mit ein paar Freundlichkeiten in deutscher Sprache überraschen — wenn es auch nur ein herzliches „Guten Tag!", ein „Bitte!" oder „Danke schön!" ist. In schneller Fahrt steuert John seinen Wagen der Hauptstadt entgegen. Im Näherkommen kann ich mich überzeugen, daß das Bild, das sich mir als erstes am Flugplatz einprägte, keine Fata Morgana, sondern großartige Wirklichkeit ist: Eine der gewaltigen Seefestungen der Erde, La Valetta, Hauptstadt und Wahrzeichen Maltas mit dem riesigen doppelten Festungsgürtel aus hellgel leuchtendem Sandstein, nimmt uns auf. Ehrwürdige Paläste, uralt 2
Kirchen, Bastionen mit mächtigen gußeisernen Kanonen, die auf verwitterten eichenen Lafetten ruhen, wechseln im widerspruchsvollsten Neben- und Hintereinander mit modernen Geschäfts- und Kaffeehäusern, Bank- und Verwaltungsgebäuden und vielhundert lärmvollen Barbetrieben. Valetta ist Freihafen. In den Auslagen der Geschäfte werden die modernsten technischen Geräte aus aller Herren Ländern, vor allem Radio- und Fernsehapparate, Präzisionsinstrumente, Kühlschränke, Photo- und Filmapparate, daneben seidene Gewänder aus Indien und Japan und kostbare Spitzen aus der kleinen heimischen Industrie gezeigt und zum Kauf angeboten In den Bars trinkt man alten schottischen Whisky, französischen Schaumwein, italienischen Roten, scharfen Sliwowitz aus Jugoslavien, Wodka aus Rußland, Bier aus Dortmund und München. Eine Fülle bunter, unerwarteter Eindrücke überfällt den Fremden hier am insularen Endpunkt Europas, der noch südlicher liegt als das afrikanische Tunis. Als ich am Abend in der milden Luft des beginnenden subtropischen Sommers auf dem Dach des Hauses mit John beim roten würzigen Wein sitze, verwirrt von den tausendfältigen ersten Eindrücken des Tages, leuchten über uns hell die Sterne, und der salzfrische Geruch des nahen Meeres dringt zu uns herauf.
„Höhle der Finsternis" Alle Wege auf der Insel führen hin zum Meer. Und zum Meer sollte uns auch der erste Ausflug führen. Wir haben uns vorgenommen, auf den Spuren der Vorzeit einen Blick in die Urgeschichte Maltas zu tun. In knapp vierzig Minuten durchqueren wir mit dem Wagen den Südtei! der Insel. Steinig ist die flache Küste, um so eindrucksvoller bietet sich am Saum der kargen Ufer das Bild der in der Sonne blitzenden See. Auf der glatten Fläche der stillen Bucht ducken sich wie eine Schar Enten die Wasserflugzeuge. Beim Start und bei der Landung steigen schimmernde Wasserfontänen auf, die klatschend und zischend die Stille des Morgens unterbrechen. Hier, versteckt unter üppig wucherndem Knieholz, liegt Ghar Dalam, die rätselvolle „Höhle der Finsternis", eine der aufschlußreichsten Stätten der Mittelmeerkulturen. Köstlich ist der Duft von Orangen und Zitronen, der aus dem wildwuchernden Gehölz zu uns herüberweht. 3
Ein kaum dem Knabenalter entwachsener Malteser öffnet die Tür des kleinen Museums, in dem uns als erstes das Bildnis Professor Isseis, eines deutschen Gelehrten, begrüßt. Im Jahre 1865 entdeckte er die „Höhle der Finsternis" und brachte Fundstücke zutage, die noch heute durch ihre Fremdartigkeit in Verblüffung setzen. Wir gehen in die Höhle hinüber, ein bezauberndes Lichterspiel umfängt uns. Im Widerschein der elektrischen Glühbirnen glitzern von allen Seiten an den Kalkfelsen Tropfsteingebilde. Der jugendliche Führer beginnt mit seiner Erklärung. Seine Stimme dringt bis in den letzten Winkel der fast zweihundert Meter sich erstreckenden Höhlenwelt. Siebzehn Jahrtausende führt uns diese Stimme zurück, m eine Zeit, in der sich die heutigen maltesischen Inseln noch als Spitzen eines zwölfhundert Meter hohen Urgebirges über den Meeresspiegel erhoben. Sizilien war damals nordwärts in einem schmalen Landsteg mit der italischen Stiefelspitze verbunden, es erstreckte sieh westwärts und südwärts, in Richtung auf Tunesien und Tripolis zu, viel weiter ins Mittelmeer hinein als beute und schloß auch Malta in seine Landmasse mit ein.
Malta — Sperriegel zwischen östlichem und westlichem Mittelmeer
4
Als mit dem Ausgang der Eiszeit die Gletschermasseil im nördlichen Europa zu schmelzen begannen, stieg überall auf den Meeren der Wasserspiegel. Damals wurde Malta von Sizilien getrennt, wurde zur Insel. Im Verlauf der Jahrhunderte änderte sich auch das Klima, und die zurückgebliebenen Tiere paßten sich den klimatischen Verhältnissen an. Rassen starben ans, andere wurden kleiner im Körperbau. Professor Issel grub in Ghar Dalam die Skelette dreier verschiedener Zwergelefantenarten aus. Die kleinsten maltesischen Elefanten waren knapp einen Meter hoch. Unser Höhlenführer macht uns auf die Bodenschichtungen aufmerksam. Die oberste enthält menschliche und tierische Skelettteile, die von der Gegenwart bis in die phönikische Zeit zu verfolgen sind. Die zweite Schicht enthält Überbleibsel aus der Bronze- und Jungsteinzeit, darunter lagert eine eineinhalb Meter tiefe Schicht roter Erde, in der Knochen und Geweihe von Wild eingebettet sind. In dieser Tiefe glaubte Professor Issel auch Reste eines Neander5
talers entdeckt zu haben. Seine Annahme konnte indes nicht bestätigt werden. Aber das Lebensbuch der Ghar-Dalem-Höhle ist damit noch nicht ausgeschrieben. Denn unter der roten Erdschicht zieht sich, etwa einen Meter dick, eine Knoehenschicht aus unzähligen Fangzähnen und Knochen von Zwergelefanten und Flußpferden hin. Das Gebein hat sich Jahrtausende lang in der Isolierung der dunklen Höhle gut erhalten. Man sieht die Knochenreste fester und stärker verkittet, als wenn man sie in Zement gebettet hätte, im Boden liegen. Unter dieser Knochenschicht breitet sich nur unfruchtbarer gelblichblauer Ton. Die Wissenschaft hat das Geheimnis dieser Höhle, vor allem ihrer tierischen Bewohner, bis in unsere Tage nicht entschleiern können. Es gibt über die massigen Tierfunde manche Theorien. Die einen sagen, die Elefanten und Flußpferde hätten in der schattenspendenden Höhle Schutz vor einem furchtbaren Hitzeeinfall gesucht und seien hier verdurstet. Andere Gelehrte glauben, die Tiere seien während einer „großen Flut" in die Höhle gespült worden und dort umgekommen. Viele Anzeichen deuten aber daraufhin, daß Ghar Dalam vielleicht ein Schlupfwinkel für sterbende Elefanten war. Hier ist der einzige Punkt der Erde, wo man Elefantenskelette in so großer Zahl gefunden hat.
Die Tempelhöhle von Paula Für den anderen Tag haben wir uns das „Hypogäum", den Vorzeittempel in Paula, zum Ziel gesetzt. Paula liegt einige Kilometer von der Hauptstadt entfernt südlich des Hafens. Reges Marktleben herrscht in den Gassen. Die versengende Sonne steht hoch am Himmel und brennt unbarmherzig auf die Menschen. Dreimal hält John den Wagen an, um einen Vorübergehenden nach dem Weg zu fragen. An einer Straßenkreuzung haben wir Glück; ein Polizist gibt uns Auskunft. Ausgedörrt, vom gelben Sandstaub überdeckt, liegt die gesuchte Gasse, in der kein Haus von dem anderen zu unterscheiden ist. Wir haben uns die Sehenswürdigkeit als ein gewaltiges Bauwerk vorgestellt, aber statt dessen finden wir an einem steinernen Zugang irgendwo nur ein kleines Marmorschild mit der in Goldbuchstaben ausgemeißelten Aufschrift „Hypogäum". Die Tempelanlage, die Kunde von den jungsteinzeitlichen Bewohnern Maltas geben wird liegt tief in der Erde.
Auf Malta und Gozo liegen die rätselhaften, steinzeitlichen Tempel der unbekannten Urbevölkerung. Mauern, Portale und Gewölbe sind aus Großblöcken gefügt und zeigen mannigfaltige Ornamente. Neben dem unterirdischen Tempel von Paula, dem „Hypogäum", gibt es 15 oberirdische Tempel. Die Zeichnung zeigt die Vier-Tempelanlage von Tarxien in der Nähe des „Hypogäums" Ein uniformierter Museumsdiener öffnet uns die Tür und führt uns an hohen Schaukästen vorbei. Bevor wir in die drei Stock tiefe Anlage hinuntersteigen, blättern wir in der Eingangshalle im Tempel-Gästebuch, das die Besucher der letzten fünfzig Jahre verzeichnet. Wir lesen die Namen bekannter Archäologen und Vorgesehichtsforscher, die Namen von Kunstgelehrten und Religionswissenschaftlern, die Eintragungen von Regenten und Staatsmännern, selten jedoch den Namen eines Inselbewohners. Das Reich der Heidengötter ist für die meisten von ihnen ein Ort, den man meidet. Das Hypogäum gilt als „Königin der Tempel" rings um das Mittelmeer. Gewiß gibt es prächtigere, monumentalere Tempelanlagen, am Nil, im Zweistromland, in Syrien, Griechenland, Italien und in Nordafrika — aber keiner reicht an Ehrwürdigkeit und Einzigartigkeit an den unterirdischen Tempel von Paula heran. Die Kultstätte, ein mystischer Orakel-Platz, gehört noch immer zu den unerforschten Wundern der Steinzeitarchitektur. Es finden sich aus der gleichen Kulturepoche noch fünfzehn andere, ebenso rätselhafte Tempelbauten auf der Insel, das Hypogäum ist das größte
7
unter diesen Baudenkmälern. Niemand weiß, woher die Erbauer der Tempel kamen, welchem Volk sie angehörten, welche Gottheiten sie in den Heiligtümern verehrten. Unbekannt sind sie dahingegangen, aber ihre Bauten haben mit ihren Blockmauern aus roh zugehauenem oder poliertem Kalkstein, mit ihren Tierfiguren und Ornamenten die Stürme der Zeiten überdauert. Jahrtausende schlummerte das Hypogäum im Schoß der Erde. Maltesische Volkslieder und Sagen erzählten zwar von einer geheimnisvollen Orakelstätte, kündeten von unbekannten Gottheiten der Urbewohner und von Blutopfern, die ihnen dargebracht worden seien. Es gab auch Heimatforscher und Volkskundler, die hinter den Sinn der überlieferten Lieder und Sagentexte zu kommen suchten. Nirgends fand sich ein Anhaltspunkt, von dem man ausgehen konnte. Erst kurz nach der Jahrhundertwende gab die Erde die unerwartete Antwort. Aus allen Ländern eilten Gelehrte nach Malta, um teilzuhaben an einer grandiosen Entdeckung. Was sie fanden, übertraf die kühnsten Erwartungen. Bei der Ausweitung der Stadt Paula im Jahr 1902 geschah es, daß an einer Hausbaustelle ein Brunnengräber vor den entsetzten Augen der Arbeitskollegen plötzlich in der Tiefe verschwand. Ein schnell alarmierter Bergungstrupp förderte den Versunkenen wieder ans Tageslicht und enthüllte zugleich ein riesiges unterirdisches Labyrinth von Steinkammern. Man holte den Besitzer des Grundstücks herbei. Da er befürchten mußte, daß die Bauarbeiten ins Stocken gerieten, nahm er allen Beteiligten den Schwur ab, das Geheimnis zu hüten. Erst als das Haus und der Brunnen fertiggestellt waren, bot er das Anwesen mitsamt den unterirdischen Felshöhlen der Regierung zum Kauf an. Der Staat sicherte den Bau und gab ihn zur Erforschung und Besichtigung der Öffentlichkeit frei.
* Der Museumsdiener geht uns voraus. Mit jedem Schritt, den wir ihm über die steingehauene Wendeltreppe folgen, entschwindet mehr und mehr das lärmende 20. Jahrhundert. Vergessen sind die Erfolge künstlicher Erdtrabanten, vergessen Atomexplosionen und Höhenraketen. Uns nimmt der Zauber einer versunkenen Zeit gefangen. In den unterirdischen Kammern geht das Vergessen so weit, daß man selbst die künstliche Beleuchtung vergißt, die seit der Freilegung die Stätte erhellt. Wie alt sind die Kammern? Der
3
Nischen der Götterbilder im „Hypogäum", dem unterirdischen Felsentempel. Im Vordergrund links die verschließbaren Öffnungen zum Abfluß des Blutes der Tier-, vielleicht auch der Menschenopfer Beamte zuckt die Achseln. Fünf- oder sechstausend Jahre? Wer weiß es genau? Wir sind in der Höhe oder besser gesagt in der Tiefe des ersten Stockwerks. Hier endet die Wendeltreppe in einer großen Halle. Zahleiche Nischen öffnen sich nach den Seiten. Der Führer erklärt uns ihren vermutlichen Zweck. In diesen Nischen sollen die Götterverehrer übernachtet haben, um sich ihren Träumen hinzugeben und die Traumgeschehnisse am anderen Tag von der Gottheit, dem Orakel, deuten zu lassen. Kleine Statuetten, liegende Figuren, weisen auf diese Verwendung als Schlaf- und Traumnischen hin. Wir betreten den anschließenden Orakelraum. Hier saß, versteckt vor den neugierigen Blicken des Volkes, tief im Schutz der weiten Höhle, der Priester, ließ sich die Träume erzählen, deutete sie und verkündete mit einer Stimme, die in den Steingewölben zu mäch9
tigern Dröhnen anwuchs, den Fragenden und Bangenden Gutes oder Böses. In den düsteren Gängen der Weissagung umgibt uns tiefes Schweigen. Wer den Mut aufbringt und einige Sätze in das geheimnisvolle Orakelloch spricht, erschrickt vor der eigenen, gewaltig anschwellenden Stimme. Seltsam angerührt, verlassen wir den Ort der Schicksalssprüche. Ein gerader Weg führt zum „Allerheiligsten", dem wahrscheinlichen Verehrungs- und Opferplatz. Geheimnisse durchschweben die runde Halle. Hier nahte der Mensch in Lebensangst, trost- und hilfesuchend, getröstet oder verworfen, den Göttern. Wir blicken auch hier in sorgfältig ausgehöhlte Nischen, an jeder Seite drei, in ihnen standen, wie man glaubt, die Bilder der Gottheiten. In dem glattpolierten Steinfußboden, nahe den vermutlichen Götterfiguren, sieht man zwei sorgsam ausgehauene, kreisrunde Vertiefungen. Die halbrunden Steine, die sie einst bedeckt haben, liegen daneben. Vielleicht sammelten die Tempelpriester in diesen beiden kaum handflächengroßen Löchern das Blut der Tier- oder Menschenopfer. Gedämpft spricht der Führer seine Erklärungen, während wir aus der Halle des Heiligtums in das dritte und tiefste Stockwerk hinuntersteigen. Sieben schlüpfrige, enge, nur einem Menschen raumgebende Steintreppen führen in die Tiefe. Gespenstisch leuchtet die Taschenlampe des voranschreitenden Museumsdieners. Er warnt uns an einem der Treppenabsätze. Wäre vor tausend Jahren ein unberufener Eindringling diesen Weg gegangen,' so wäre er in ein dunkles Nichts, in eine tiefe Grube gestürzt und jämmerlich umgekommen. Die Tempelhüter haben an dieser Stelle geschickt eine Falle angelegt. Nur wer den Ort genau kannte, wandte sich in Höhe der siebten Stufe plötzlich ab und trat in eine dem Fremden unbekannte Höhlung. Der Tempelschänder aber verlor den Halt unter seinen Füßen und sank ins Bodenlose. Heute siehern neue Steintreppen, die nach der Erschließung der Tempel angelegt wurden, den Abstieg. Den Eingang in den tiefsten Bereich bildet ein wundervoll erhaltenes, mächtiges, steinernes Dreibalkentor von einmaliger Schönheit. Die dahinter liegenden Felskammern und Höhlen sind wahrscheinlich die Schatzkammern der Priester gewesen. Hier fand man die Überreste von mehr als siebentausend Skeletten und meterdicken Knochenstaub. Die Archäologen nehmen an, daß der Tempel von Paula späteren Generationen als letzter Begräbnisplatz gedient hat. Vielfach war es in der jüngeren Steinzeit Brauch, die Toten zuerst in die Erde zu betten und sie, sobald der Körper verfallen war, in geweihter Erde beizusetzen. 10
In der Eingangshalle, in die wir nach dem Aufstieg zurückkehren, liegen in Schaukästen die bei den Ausgrabungsarbeiten gefundenen Gegenstande ausgebreitet. Es sind schöngeglättete Amulette, Figuren, Töpfe und mannigfaches Steinhandwerkzeug, mit dem der Tempel vermutlich aus den Felsen gehauen, mit Steinwerk ausgestattet und instand gehalten wurde. Als wir nach einer Stunde wieder ans Licht des Tages treten, wissen wir, daß wir den Ort, seine geheimnisvolle Düsternis und seine imposante Schönheit niemals vergessen werden.
* Die frühesten Bewohner der Insel haben, auch wenn man nicht weiß, ob sie um 4000 v. Chr. aus Nordafrika oder über die EiszeitLandbrücke Sizilien-Italien herübergekommen sind, noch andere einzigartige Erinnerungszeichen hinterlassen. Schon bei der Fahrt nach Paula sind uns im felsigen Boden die Doppelspuren aufgefallen, die kreuz und quer wie Schienenrillen die Insel überziehen. Nirgendwo sonst auf der Erde gibt es das wieder. Wir sind diesen Rillenzügen weithin gefolgt, stiegen an ihnen entlang bergan und bergab. Oftmals verästelten sie sich wie Weichen auf einem Bahnhofsrangiergelände oder wie Ausweich- und Überholungsgleise einer Straßenbahn. Manchmal lief ein zweites „Gleis" neben dem ersten her. Dieses maltesische Schienennetz, wenn wir es einmal so nennen wollen, ist uralt und weist in die Zeit noch vor den Phönikern zurück, also vor 1500 v. Chr. Hier und dort sind nämlich phönikische Gräber, die der Altertumsforseher mit Hilfe der Grabbeigaben genau datieren kann, quer über den Rillen angelegt worden; sie müssen also älter sein als die Gräber — viel älter! Piloten haben die gleichen „Gleise" und „Doppelgleise" vom Flugzeug aus auch noch im Meer erkennen können; sie müssen demnach schon vorhanden gewesen sein, als große Teile der heutigen Meeresrandzone Maltas noch Festland waren. Dort wo die Gleisrillen noch nicht zusammengefallen oder vom Verkehr ausgeschliffen sind, messe ich einen halben Meter Tiefe und einen halben Meter obere Breite. Da die Vertiefungen unten konisch zulaufen, ist die Sohle nur etwa handbreit. Man sieht, daß die Rillen aus dem Fels herausgehauen sind. Um diese Schienenspuren Maltas haben sich die Archäologen lange Zeit die Köpfe zerbrochen. Daß es Spuren für Fuhrwerke sind, ergibt sielt aus der Entfernung der parallellaufenden Rillen, sie entspricht genau einer Wagenbreite. Aber nirgendwo sind Trittspuren 11
von Zugtieren im Boden zu erkennen. Die Fuhrwerke wurden von Menschenhand gezogen. Längst vergangene Bilder tauchen vor mir auf: Ein Trupp Sklaven hat sich mit ledernen Zuggurten vor eines der Fuhrwerke gespannt. Unten in Küstennahe liegen die Brunnen und Zisternen der Bauern, denen die Sklaven dienen. Tonkrüge mit dem auf der Insel so seltenen Regen- und spärlichen Grundwasser sind auf den Karren geladen. Es ist Gießwasser für die höher gelegenen Äcker, die von den unregelmäßigen und unberechenbaren Regenfällen der Wintermonate nicht genügend getränkt werden. In der Trockenperiode von April bis August muß das Wasser auf die Felder hinaufgeschafft werden. Die schweren hölzernen Räder gruben erste Spuren in den weichen Kalkboden. Später kamen dann die Bauern darauf, daß sich die Karren in diesen Radspuren viel leichter vorwärts- und aufwärts bewegten, und so wurden die Sklavenmassen angesetzt, die Spuren mit steinernen Äxten und Meißeln gleichmäßig zu vertiefen, Ausweichstellen zu schaffen und das Spurennetz auch auf die Hochfelder hinaufzuführen. So entstand ein erstaunliches technisches Werk, das höchstens noch mit den Stein-Schleifbahnen der Inkas in den Anden verglichen werden kann.
Insel des heiligen Paulus Um das Jahr 1500 v. Chr. werden die unbekannten Urbewohner Maltas aus ihrer vorzeitlichen Ruhe aufgeschreckt. Vor der maltesischen Küste erscheinen fremde Segler, Kriegs- und Handelsschiffe der semitischen Phoniker, die die Mittelmeerküste mit ihren Stützpunkten überziehen. Auf dem gegenüberliegenden nordafrikanischen Festland blühen bereits seit langem ihre Faktoreien. Sie treiben Handel bis nach England. Waren des Orients — die Gegend des Libanon ist phönikische Urheimat — tauschen sie im hohen Norden gegen britannisches Zinn und dänischen Bernstein. Die Seebefahrenen haben die günstige Lage Maltas und der Nachbarinsel inmitten des Mittelmeeres erkannt. Die Schiffe werfen die Steinanker aus, die Männer gehen an Land, setzen sich in den Buchten fest und errichten Postenstationen, wo die Kauffahrer bei Gefahr oder in Sturmzeiten Rückhalt und Zuflucht finden. Die Phoniker geben der Insel auch den Namen, mit dem wir sie heute benennen: Malette^Malta, das heißt Schutzinsel. Im sechsten Jahrhundert v. Chr. treten die Phoniker ihre Vormachtstellung im westlichen Mittelmeer — zwischen Sizilien und den 12
.•
.
•
Die Auberge de Castille — Herberge von Kastilien —, einst Sitz der kastilisch-spanischen Landsmannschaft („Zunge") der Malteser-Ritter „Säulen des Herkules", der Meerenge von Gibraltar — an die Karthager ab, die ihnen blutsmäßig verwandt sind. Karthager lösen um das Jahr 550 auch auf Malta die Herrschaft der phönikischen Händler ab und machen die Insel zu einem der Brennpunkte ihres Seereiches. Geduldig beugen sich die Malteser auch diesen Kolonialherren — mehr als dreihundert Jahre lang. Man lebt zunächst friedlich nebeneinander — Insulaner und karthagische Kaufleute und Grundbesitzer. Malta wird zum Sperriegel zwischen dem östlichen und dem westlichen Mittelmeer. Nur mit karthagischer Genehmigung dürfen nichtkarthagische Kauffahrer Handelswaren über Malta hinaus in den Westen des Binnenmeeres einführen oder von dort exportieren. Malteser finden Arbeit in den Handelshäusern und Häfen. Auf den Wachtschiffen fahren maltesische SchifHer als Matrosen und Steuerleute. Als Karthagos Übermut zur See wächst und auch die Malteser die wachsende Despotie zu spüren bekommen, beginnt der unter13
gründige Widerstand. In den Städten und Dörfern sammeln sich die Freiheitsliebenden um die Agenten Roms, das den Kampf gegen den übermächtigen Konkurrenten mit schnell erbauten Kriegsgeschwadern begonnen hat. Im Jahre 216 erfolgt der entscheidende Schlag der Inselbevölkerung gegen die karthagischen Garnisonen. Sie werden überwältigt und den heimlichen Verbündeten, den Römern, ausgeliefert. Die Bewohner Maltas werden als bevorrechtigte Bundesgenossen in das Römerreich einbezogen. Die Legionen übernehmen den Schutz der Insel. In der alten Hauptstadt Malita, dem heutigen Rabat, errichtet der Gouverneur seinen glanzvollen Palast, die „Villa Notabile". Mosaikgemälde schmücken die Innenräume. Im Schutze Roms leben die Inselbewohner wieder auf. In den Handwerkergassen betreiben sie die mannigfachsten Gewerbe. Der römische Kaufmann ist Abnehmer für die hauchfeinen Gewebe und Gewandungen, das selbstgesponnene Leinen, für die ziervollen Spitzenbänder und die „Malteser Kissen", die mit Rosenblättern gefüllt sind. An den Verkaufsständen auf dem römischen Forum stehen die Erzeugnisse der maltesischen Kunsthandwerker schon bald hoch im Kurs. Man schätzt die Zitrusfrüchte, die Weintrauben und den Wein, die von der Insel eingeführt werden. Audi die maltesischen Terrier finden in der Metropole des Weltreiches ihre Liebhaber, zumal ihnen schon der große Grieche Aristoteles heilkräftige Tugenden nachgesagt hat: „Diese Hunde, die wir die maltesischen nennen, erleichtern (durch ihre Körperwärme) die Magenschmerzen. Man braucht sich die Tiere nur wiederholt auf den kranken Leib zu legen." Malta wird zum Tagesgespräch in Rom, als die Bewohner im Jahre 71 v. Chr. Gajus Verres, dem Gouverneur von Malta und Sizilien, einen nicht zu überhörenden Skandal machen. Der große Rechtsanwalt und Redner Cicero nimmt sich ihrer Sache an, zerrt den Bestechlichen, Ausbeuter und Betrüger vor das Gericht der Großstadt und erhebt höhnend die Anklage: „Ich frage nicht, woher du diese vierhundert Krüge Honig oder die Mengen maltesischen Linnens hast, oder die fünfzig Kissen, oder ebensoviele Prunkleuchter — aber was tust du mit so vielen maltesischen Gewändern, wie wenn du die Frauen aller deiner Freunde damit einkleiden wolltest?" Cicero hat den Beschwerden der Malteser Genugtuung getan. Verres wartet das Urteil gar nicht ab und geht freiwillig in die Verbannung.
u
Im Jahre 60 n. Chr. verschlägt der Nordoststurm, der auch heute noch zu Winterbeginn die Meeresbreiten um die Insel überfällt und wegen seiner Herkunftsrichtung „Griechischer Wind" genannt wird, einen Schiffbrüchigen und Gefangenen an die maltesische Küste. Es ist einer der frühesten und erfolgreichsten Sendboten des jungen Christentums, der Völkerapostel Paulus. In seinem Gefolge dringen zum ersten Male die Lehren des Nazareners auf die Insel Malta. Paulus ist zwei Jahre lang in der Stadt Cäsarea Schutzhäftling des römischen Landpflegers gewesen. Da er römischer Bürger ist, hat er in seiner Streitsache mit jüdischen Eiferern Berufung an das kaiserliche Gericht in Rom eingelegt. Im Jahre 60 verbringt man den Untersuchungsgefangenen auf einen Großsegler, der Kurs nach Italien nimmt. Stürme bedrängen das Schiff — die Apostelgeschichte berichtet darüber — und treibt es gegen den maltesischen Strand. „So kam die vierzehnte Nacht, seit wir im Adriatischen Meere umhertrieben. Um Mitternacht glaubten die Schiffsleute, Land in der Nähe zu verspüren. Sie warfen das Senkblei und fanden zwanzig Klafter Tiefe. Aus Furcht, wir könnten auf Klippen geraten, warfen sie vom Schiffshinterteil vier Anker aus und warteten sehnsüchtig auf den Tagesanbruch. Bei der Morgendämmerung redete Paulus allen zu, Nahrung zu sich zu nehmen. Er selbst nahm Brot, dankte Gott vor aller Augen, brach es und begann zu essen. Da bekamen alle neuen Mut und nahmen gleichfalls Nahrung zu sich. Wir waren im ganzen 276 Personen im Schiffe. Bei Tagesanbruch erkannten sie das Land nicht, wohl aber bemerkten sie eine Bucht mit flacher Küste und beschlossen, das Schiff, wenn möglich, dort auf den Strand laufen zu lassen. Sie machten die Anker los und ließen sie ins Meer fallen. Zugleich banden sie die Riemen der Steuerruder auf, spannten das Bramsegel vor den Wind und hielten auf die Küste zu. Dabei gerieten sie auf eine Landzunge und ließen den Segler auflaufen. Das Vorderteil bohrte sich ein und blieb unbeweglich stecken, das Hinterteil ging durch die Gewalt der Wogen allmählich aus den Fugen. Die Soldaten waren willens, die Gefangenen zu töten, damit keiner fortschwimme und entrinne. Der Hauptmann aber, der Paulus retten wollte, ließ es nicht geschehen, sondern befahl, wer schwimmen könne, solle ins Meer springen und sich zuerst ans Land retten. Die übrigen ließ er teils auf Planken, teils auf sonstigen Schiffstrümmern ans Land bringen. So glückte es, daß alle sich retteten. Nach unserer Rettung erfuhren wir, daß die Insel Malta hieß. Die Eingeborenen erwiesen uns ungewöhnliche Freundlichkeit. Sie zündeten nämlich einen Holzstoß an und holten uns alle wegen des 15
strömenden Regens und der Kälte heran. Paulus raffte einen Haufen Reisig zusammen und warf ihn aufs Feuer. Infolge der Hitze kam eine Natter heraus und biß sich in seine Hand fest. Die Einwohner sahen das Tier an seiner Hand hangen und sagten zueinander: Dieser Mensch ist sicher ein Mörder, den die Rachegöttin trotz seiner Rettung aus dem Meere nicht leben lassen will. Doch er schleuderte das Tier ins Feuer, ohne den geringsten Schaden zu erleiden. Die Leute warteten darauf, daß er anschwelle und plötzlich tot hinfalle. Als sie nach langem Warten sahen, daß ihm nichts Schlimmes widerfuhr, änderten sie ihre Meinung und sagten, er sei ein Gott. In der Umgebung des Ortes besaß der vornehmste Mann der Insel, namens Publius, ein Landgut. Er nahm uns freundlich auf und bewirtete uns drei Tage. Der Vater des Publius war an fieberhafter Ruhr erkrankt. Paulus besuchte ihn, legte ihm unter Gebet die Hände auf und machte ihn gesund. Nun kamen auch die anderen Kranken der Insel herbei und wurden geheilt. Sie erwiesen uns deshalb viel Ehre und versahen uns bei der Abfahrt nach drei Monaten mit allem Notwendigen." Nach dem erzwungenen, den Häftlingen nicht unwillkommenen Aufenthalt setzt ein anderes Segelschiff die Fahrt nach Rom fort. Zwei Jahre lang steht Paulus unter Polizeiaufsicht, dann läßt man ihn wieder frei. Aber zum zweitenmal wird er gefangengesetzt und erleidet, wahrscheinlich in der Neronischen Verfolgung, in Rom das Martyrium durch das Schwert. Seit 60 n. Chr. ist Sankt Paulus Schutzpatron Maltas. Statuen, Kirchen und Kapellen zu seinen Ehren stehen überall im Lande.
Die Herberge auf dem Burgfelsen Zwischen englischen und indischen Matrosen, spanischen, französischen und deutschen Seeleuten, die sich in der Kabine eng zusammendrängen, fahre ich mit dem Aufzug von Grand Harbour, dem großen Hafen der Insel, zum höchsten Punkt der Festung La Valetta. Ein Palast von unvergleichlicher Schönheit beherrscht hier das Felsplateau. Das Gebäude stammt aus dem Jahre 1744 und trägt den Namen Auberge de Castille. Herberge der Kastilier! Die Gedanken schweifen um neun Jahrhunderte zurück zu einer schlichteren Herberge, einem Hospitalbau, den ein wohltätiger Mann, ein reicher Kaufherr aus der Nähe von Neapel, im Jahre 1070
16
in Jerusalem erbaut hat. Es ist die „Herberge zum Heiligen Grab". Der Kalif, der damals noch über das Heilige Land gebietet, hat zu ihrem Bau die Genehmigung gegeben. Ein Mönchskloster nach der Regel des heiligen Benedikt, zwei Krankenhäuser für männliche und weibliche Pilger und eine Kirche dürfen neben der Herberge errichtet werden. Die Mönche, Herbergsväter und Krankenpfleger, nennen sich nach dem heiligen Täufer Johannisbrüder oder Johanniter. Die Pilgerfahrten aus den Ländern Europas sind eine ungeheure Mühsal, viele Wallfahrer sind bei der Ankunft im Gelobten Land völlig erschöpft, viele sind krank; in den Hospitälern der Johanniter finden sie Pflege und erste Unterkunft. Von der Pilgerstatt auf der „Burg Sion" führt auf verschlungenen Wegen die Tradition bis zur Auberge de Castille hier auf dem maltesischen Burgfelsen; denn vom Jabre 1530 an ist die Geschichte Maltas aufs engste mit der Geschichte der Johanniter verknüpft. Als Jerusalem in die Hände der Kreuzfahrer gefallen ist, gibt der Papst den Mönchen des Johanniter-Hospitals und der Herberge von Jerusalem die Rechte eines Ordens, und die Ordensherren verpflichten sich seitdem durch Gelübde zum ständigen Dienst an den christlichen Pilgern. Söhne aus den glänzendsten Adelsgeschlechtern Europas melden sich an der Klosterpforte und treten der frommen Gemeinschaft bei. Vier Fünftel ihres Vermögens überschreiben sie bei ihrem Eintritt dem Orden, damit die Einkünfte für die großen Aufgaben der bald hinzukommenden neuen Hospitäler verwendet werden können. Unter denen, die sieh dem Hospitalsberuf verpflichten, sind manche, die sich auf der Hohen Medizinischen Schule von Salerno, der bekanntesten ärztlichen Ausbildungsstätte des Abendlandes, in den Heilkünsten unterweisen ließen. Die Krankenhäuser und Herbergen der Johanniter werden zum Vorbild in der Krankenpflege. Die Ordensregel besagt, daß jeder Patient in seinem eigenen Bett liegen müsse und daß die Wäsche der Kranken einmal in vierzehn Tagen zu wechseln sei. Die Instrumente müssen vor dem Eingriff in kochendes Wasser gelegt werden, weil man glaubt, daß die Hitze sie schärfer mache und den Patienten unnötige Qualen erspare. Jeder Ordensnovize, gleichgültig aus welch adeligem Geschlecht er stammt, muß in der Krankenstube den Dienst versehen. An jedem Freitag hat der Meister, der Ordensobere, die Krankenwache und die Sorge für die Hilfsbedürftigen, die an der Pforte Medizin oder einen Verband erbitten. Die Johanniter übernehmen angesichts der ständigen Bedrohung durch den Islam neben dem Schutz der Pilger bald auch den Kampf
1?
gegen die andrängenden Araber und werden zur kreuztragenden Ritterschaft, zu Kreuzrittern, zur „Garde des Heiligen Grabes". Als Ordenstracht tragen sie über den roten Oberkleidern den schwarzen wallenden Mantel mit dem weißen Leinenkreuz auf der Schulter. Das Kreuz wird Symbol des Ordens, die Kreuzbalken laufen in acht Spitzen aus, und man sagt, daß sie die in der Bergpredigt verkündeten acht sittlichen Tugenden versinnbildlichen. Zur Kriegführung werden nur die Ritter adeliger Abkunft zugelassen. Der Bewerber um die Ritterwürde muß, sofern er nicht der Sohn eines der regierenden Fürstenhäuser ist, die Ahnenprobe bestehen. In seinem Stammbaum müssen acht adelige Vorfahren verzeichnet •sein. Die wachsenden Aufgaben, die der Johanniterorden während der Kreuzzüge und in den folgenden Zeiten der ewigen Bedrohung durch die Araberstaaten und später durch die Türken übernimmt, erfordern eine Festlegung der Dienstleistungen der einzelnen Ordensmitglieder. Die Ritter widmen sich dem Wehrdienst, die Ordenspresbyter dem Kirchendienst und die dienenden Brüder der Pflege der Kranken und dem Schutzgeleit der Pilger. In der Gemeinschaft, der mit der Zeit Novizen aus fast allen Ländern zuströmen, vereinigen sich die Mitglieder der verschiedenen Nationen entsprechend ihrer Sprache zu „Zungen", Landsmannschaften, die untereinander festere Verbindung haben. Da gibt es die „Zungen" der Ritter aus der französischen Provence, aus der Auvergne, die italienische, die aragonische, kastilische, deutsche und englische Zunge. Jede nationale Gruppe hat eine eigene Herberge mit eigenen Krankenstuben. Sie wählen aus ihrer Mitte den Vorsteher, der das Recht hat, eines der hohen Ämter des Gesamtordens zu übernehmen. Die Ritter aus der Provence stellen den Schatzmeister, die aus der Auvergne den Befehlshaber der Fußtruppe. Aus der französischen Nation wird auch der Aufseher der Hospitäler und Pilgerheime gewählt, aus der italienischen „Zunge" der Admiral, der Befehlshaber der Seestreitkräfte. Die Ritter aus Aragonien ernennen aus ihren Reihen den Vorsteher der inneren Verwaltung, die Engländer sind Kommandanten der Reiterei, die Deutschen sind Inspekteure der Festungswerke. „Großkanzler", Beauftragter für die auswärtigen Angelegenheiten, ist ein Ritter aus Kastilien. Die hohen Würdenträger und die Vorsteher der ausländischen Niederlassungen erkennt man an dem größeren Mantelkreuz. Die Bezeichnung Großkreuz in der Rangstufe der Orden und Ehrenzeichen von heute erinnert noch an diesen Brauch der Johanniter. Aus der Mitte der GroßkreuzTräger erküren die Ordensbrüder den „Meister" oder „Großmei18
ster", den Höchststehenden innerhalb der Ordensgemeinschaft. Den einzelnen „Zungen" stehen Großprioren und Baliven, die Oberen der Baleien, der kleineren Verwaltungsbezirke, vor. Kommandanten leiten die Komtureien, die Vereinigungen mehrere Ordensburgen. In diesem Jahrhundert dringen oftmals die Hilferufe bedrängter Städte und Länder rings um das Mittelmeer in die Niederlassungen der Johanniter; die Ritter brechen auf, schließen sich den einheimischen Streitkräften an oder führen mit eigenen Kräften den Kampf. Unter Philipp August von Frankreich und Richard Löwenherz von England nehmen die Kreuzträger an der Belagerung der palästinensischen Stadt Akkon teil. Als im Jahre 1244 Jerusalem den Christen wiederum entrissen wird, stellen sie sich bei Ghaza dem islamitischen Heer entgegen, verlieren aber die Schlacht; die meisten von ihnen linden, bis zum letzten kämpfend, den Totl. Auch der Ordensmeister ist unter den Gefallenen. Das Heilige Land ist der Christenheit verloren. Der französische Ritter Jean de Villiers sammelt die wenigen Überlebenden und bringt sie auf den bereitliegenden Schiffen nach Zypern. Auf den Werften der Insel wächst schon bald eine Flotte, mit der die Johanniter erneut die Flankendeckung des Abendlandes übernehmen. Mit den schwerbewaffneten Galeeren entreißen sie den Arabern die Insel Rhodos, die ihnen vorübergehend zur Heimat wird. Als „Rhodiser Ritter" widerstehen sie von diesem Stützpunkt aus dem Ansturm der Türken, die das Schwerterbe der Araber übernommen haben und als Vorkämpfer des Islams von den Ländern Kleinasiens her gegen Osteuropa vorstoßen. Zweimal rennen sie gegen das befestigte Rhodos und gegen die Streitmacht der Ordensritter an. Den bedrohlichsten Angriff führt Sultan Mohammed IL, der mit hunderttausend Mann und einer gewaltigen Flotte vor der Insel aufkreuzt. Vergebens stürmt er gegen die Bastionen. Erst als Verrat im Spiele ist, gelingt es im Jahre 1522 Sultan Soliman, die Ritterschaft auf der Insel zu stellen. Hundertvierzigtausend Mann, die von viertausend Seglern herangebracht wurden, stehen den sechshundert rhodesischen Johannitern und den viereinhalbtausend Mann Fußtruppen gegenüber. In der Neujahrsnacht gelingt es einer kleinen unbesiegten Schar der Ordensritter unter Philipp Villiers, auf die Schiffe zu entkommen. Die Flüchtenden finden auf Kreta, in Messina und in anderen Küstenstädten des Mittelmeeres Aufnahme. Von überall aus Europa treffen Waffen, Gelder und Hilfstruppen ein, die Verluste wettzumachen. 19
Terrassenförmig baut sich Valetta vom Meer her hinter den Wehrmauern auf
Malta, Schutzschild der Christenheit In der königlichen Bücherei in Valetta zeigt man uns die Urkunde, in der Kaiser Karl V. den Johannitern die Insel Malta als künftigen Ordenssitz angewiesen hat, damit sie dort „in Frieden die Aufgabe ihrer Religion erfüllen zum Wohle der christlichen Gemeinschaft und ihre Kräfte und Waffen gegen die verräterischen Feinde des heiligen Glaubens verwenden." Mit dieser Urkunde vom Jahre 1530 wird der Johanniterorden zum Malteserorden. Am 26. Oktober 1530 nehmen die Ritter unter ihrem Großmeister Besitz von Malta, und eine der fruchtbarsten Epochen in der Geschichte der Insel beginnt. Die Bevölkerung wird aufgerufen, an der Befestigung Maltas mztzuwirken, als erster Wehrbau entsteht in der Nähe von Vittonosa das Fort Angelo. In allen Häfen werden Schiffe gebaut, da 20
ohne eine schlagkräftige Fotte den Raubzügen der Türken nicht mehr Einhalt geboten werden kann. Die Kriegsgaleeren der Malteser-Ritter beteiligen sieh am Krieg Kaiser Karls V. gegen die Piraten an der tunesischen und algerischen Küste. Der Admiral der Flotte, der deutsche Ritter Georg Schilling von Cannstatt aus Schwaben, wird durch kaiserlichen Erlaß in den Reichsfürstenstand erhoben. In den Ländern der Türkei aber beginnen die Vorbereitungen zum Angriff auf die das Mittelmeer sperrende Insel. Am 21. August 1557 ist der französische Adelige Jean de la Valette Großmeister geworden. Als immer bedrohlichere Kunde von den Rüstungen des Gegners Malta erreicht, baut er die Befestigungen weiter aus, verstärkt die Schlagkraft seiner Ritterschaft und bildet aus herbeigeeilten Spaniern und Italienern und aus Malteser Bürgern, Bauern und Schiffern eine gefürchtete Miliz. Valette verspricht fünfhundert Galeerensträflingen die Freiheit, sofern sie sich für die Verteidigung der Insel einsetzen. Mit Zuversicht erwartet er den Gegner. Am 18. Mai 1565 nahen vom ostlichen Horizont her die türkischen Geschwader, fächern herankommend zu breiter Front aus und rücken gegen die Küste vor. Da die ganze Küstenlinie nicht zu verteidigen ist, haben sich die Ordensritter mit ihren Hilfstruppen in ein befestigtes Lager hei Vittoriosa zurückgezogen. Mit dreißiglausend Mann Truppen und Hunderten von Geschützen gehen die Türken an Land. Ein Bombardement ohnegleichen bricht über das Christenlager herein. Riesige Kanonen werfen Marmorkugeln mit einem Gewicht von über hundert Pfund auf die Belagerten; zerberstend streuen die Steingeschosse Tod und Verderben aus. Von Nordafrika her eilt der berüclitigte Seeräuber Dragout, ein wilder Berber, zur Unterstützung des türkischen Oberbefehlshabers heran. Die vereinigten Streitkräfte schließen den Ring um das tapfer kämpfende Christenheer. Aber auch die Christen sind nicht ohne jede Hilfe von außen. Die maltesische Bevölkerung steht auf ihrer Seite und unternimmt überall im Lande Überfälle auf die türkischen Krieger. Selbst Frauen und Kinder greifen in die Kämpfe eiu. Man hört auch, daß drüben in Sizilien eiligst ein Hilfskorps zusammengestellt wird, das auf die Verschiffung wartet. Vier Monate eines erbitterten Krieges gehen über die Insel hin. Tag und Nacht sind die Geschütze auf die Stellungen der Eingeschlossenen gerichtet. Die steinernen Geschosse zertrümmern das Mauerwerk, die Unterkünfte, Zelte, zermalmen die Gräben und Verschaiizuiigen. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und herschwankend, widerstehen die Ritter, Bauern und Bürger den 21
türkischen Reitern, die täglich von neuem gegen das Lager vorbrechen. Dann dringen zunehmend Gerüchte in das Christenlager, zwischen den beiden türkischen Befehlshabern sei es zu Eifersüchteleien gekommen, in den Reihen der Belagerer gehe es auch sonst nicht mehr mit rechten Dingen zu, Zechgelage und Intrigen seien an der Tagesordnung, die Ermüdungserscheinungen seien nicht mehr zu vertuschen. Mehr und mehr wird es den Christen zudem zur Gewißheit, daß eine Entsatztruppe über das Meer heranrückt. Und diese Hoffnung im Herzen, halten sie aus, auch als fast alle Wehranlagen zerstört sind. Am 7. September erhebt sich aus dem Christenlager Triumphgeschrei. Ein Malteser hat sich durch die feindlichen Linien durchgeschlagen und überbringt die Kunde, daß in der Bucht von Millieha neuntausend Soldaten des Vizekönigs von Sizilien an Land geworfen wurden und in Eilmärschen nach Vittoriosa unterwegs sind. Die Türken sind völlig überrascht. Wer ihnen die falsche Nachricht überbracht hat, weiß niemand: Sie glauben, zwanzigtausend Sizilianer seien im Anmarsch. Gegen eine solche Macht reichen ihre Truppen nicht aus. Hals über Kopf lösen sie den Belagerungsring auf und ergreifen die Flucht. Während sich die türkischen Galeeren und Kriegssegler über das Meer davonmachen, kommen aus den Trümmern die halbverhungerten Verteidiger, in zerfetzten Kleidern, viele mit schrecklichen Verwundungen. Noch im Angesicht des Gegners werfen sie sich auf die blutgetränkte Erde und stimmen das Tedeum an. Erst am nächsten Morgen erfährt der türkische Pasdia auf hoher See, daß er einem Irrtum zum Opfer gefallen ist und daß das Entlastnngsheer von geringerer Stärke ist, als man ihm zugetragen. Erneut nimmt die Türkenflotte Kurs auf die Küste. Aber für die ausgeruhten Soldaten des Vizekönigs von Sizilien ist es ein leichtes, der Sarazener Herr zu werden. Als Geschlagene kehren die Sarazenen in ihre Heimat zurück. Zwanzigtausend Tote bedecken das Schlachtfeld. Die Kampf- und Siegestage, der 7. und 8. September, sind auch heute noch nationale Feiertage der Malteser Bevölkerung. In der königlichen Bibiliothek und im ehemaligen Palast des Großmeisters sehen wir die farbigen Kupferstiche, die dramatischen Gemälde, die sprechenden See- und Landkarten, auf denen der Triumph der Ritter im Bild festgehalten ist. Man zeigt uns auch die wundervollen Rüstungen und Stücke des Kriegsgerätes, mit denen der Sieg der Christen über die Türken erfochten wurde. Als monumentalstes Siegesdenkmal aber darf die Hauptstadt selber gelten. 22
Großmeister La Valette wählt für diese riesige Sandsteinfestung, deren zweifacher Steingürtel unüberwindlich scheint und nie überwunden worden ist, das Gelände des Schlachtfeldes. Er errichtet als erstes Gebäude eine Kirche zu Ehren der Madonna und zum Dank für den Sieg über die Feinde. Aber der Großmeister erlebt die Vollendung des Werkes nicht mehr. Erst sein Nachfolger gibt der Hauptstadt ihr heutiges Gesicht und verlegt auch die Ordensleitung; von Vittoriosa in die Festung. Der Malteserorden wird zum souveränen Staat innerhalb der Staatenfamilien Europas. Die Großmeister entsenden Gesandte an alle europäischen Fürsten- und Königshöfe, die Höfe unterhalten Gesandtschaften auf Malta. Im Mittelpunkt von Valetta wächst der Palast der Ordensmeister auf mit der Rüstkammer für fünfundzwanzigtausend Bewaffnete, heute Sitz von Regierungsämtern, des Historischen Museums, des Parlamentes und zugleich Gouverneurs-Palast. In der Nähe erhebt sich der wundervolle Dom des heiligen Johannes, die St.-Johns-Kathedrale. Der fünfunddreißigjährige Chefarchitekt des Ordens, Girolamo Cassar, stattet das Innere dieses Malteserdomes mit der ganzen Pracht der Renaissance aus. Die gewaltigen Gewölbe bedecken sieh mit Gemälden, die in ihrer ursprünglichen Farbenpracht die Jahrhunderte überdauert haben. Die Wände sind über und über mit Steinmetzarbeiten überzogen, die einst völlig vergoldet waren. An den hohen Festen des Ordens und der Kirche schmücken kostbare Bildteppiche aus den berühmten Gobelinwerkstätten Flanderns zu beiden Seiten das Hauptschiff. Unter den weißen, roten und schwarzen Steinfliesen des Fußbodens ruhen Admirale und Generale des Ordens, Bischöfe, Vorsteher von Baleien, Kommandeure, Großprioren und Prioren. Auf den Grabplatten entziffern wir die Namen der berühmtesten Fürsten- und Adelshäuser des Abendlandes. Die Großmeister ruhen in den Seitenkapellen und in der Krypta. Auch Großmeister de Valette, der heldenhafte Verteidiger der Insel und der Gründer der Stadt, hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden. Von der Macht und hohen Würde des Malteserordens zeugt auch das Oratorium, der Beetsaal der Ritter, der sich an die Kirche anschließt. Mittelpunkt des Domes war einst der kostbare Schrein, in dem die in Gold und Silber gefaßten Reliquien des heiligen Johannes aufbewahrt wurden. Wie von Rhodos, so übernehmen die Ordensritter auch von Malta aus den Wachdienst im Mittelmeer, in ständigem Einsatz stehen sie gegen die Türken, die in diesen Jahrhunderten immer wieder das Abendland bestürmen. An vielen Orten unterhalten die Maltescr-
23
Die Ritterfestung St. Michael auf der anderen Seite des großen Hafens von Valetta Ritter Kranken- und Waisenhäuser, sie sorgen sich um die aus dem Krieg heimkehrenden Gefangenen und um die Kriegsbeschädigten und Veteranen. Oftmals werfen die Ordensgaleeren die Taue los, wenn von Afrika her Piratenflottillen die Meeresstraßen bedrohen. Der Orden erwirbt an der mittelamerikanischen Küste durch Kauf die Inseln St. Christoph, Barthelemy, St. Martin und St. Croix, deren Handelsgüter reichen Ertrag einbringen. Die Gelder werden zum Ausbau der Hauptstadt und der Befestigungen verwendet. Überall entlang der Küste werden die Burgen und Wachttürme erneuert. Großmeister Alof de Vignacourt läßt nach dem Vorbild der römischen Aquädukte eine riesige Wasserleitung bauen, um den Wasserbedarf Valettas zu befriedigen. Der zunehmende Reichtum lockert die Zucht der Ritterschaft. Die amerikanischen Besitzungen können nicht mehr gehalten werden und gehen an die französische Westindien-Companie über. Um die Wende zum 17. Jahrhundert aber blüht der Orden wieder auf. 24
Die überholten Rudergaleeren werden durch stolze Segelfregatten ersetzt. Im ersten Gefecht der Segelflotte kapern sie das Flaggschiff der tunesischen Seeräuber, schleppen es nach Valetta und geben ihm den Namen Santa Croce, Heiliges Kreuz. In dieser Zeit dienen neben tausenden Milizsoldaten und Matrosen dreitausend europäische Adelige als Ritter dem Orden. Großmeister Emanuel Pinto, ein gelehrter Portugiese, stiftet die Universität und die große Bibliothek mit kostbaren Handschriften aus dem Mittelalter. Der Großmeister beginnt Verhandlungen, um die Insel Korsika zu erwerben, da an vielen Stellen Europas die Besitzungen der Malteser aufgegeben werden müssen und die Einnahmen zurückgehen. Aber die Zeit für die Verwirklichung eines so weitreichenden Planes, wie es die Einbeziehung Korsikas wäre, ist vorüber. Als General Bonaparte als Bannerträger der französischen Revolution über die Alpen nach Oberitalien vorstößt, verlieren die Ritter auch dort ihre Güter, die als geistlicher Besitz eingezogen werden. In dieser Zeit des großen politischen Umbruchs bekleidet zum ersten Male ein Deutscher das höchste Ordensamt, Großmeister Ferdinand Freiherr von Hompeseh. Hompesch gelingt es zwar, in Rußland als Ersatz neue Ländereien und Einkünfte zu erwerben, aber der Verfall des Ordens ist nicht mehr aufzuhalten. Die nationale Entzweiung, die im Gefolge der Französischen Revolution ganz Europa zerreißt, macht auch vor den Nationen, den „Zungen" der Ordensritterschaft, nicht halt. Von den sechshundert Rittern, die noch auf Malta Dienst tun, sind vierhundert Franzosen. Sie ergreifen die Partei Napoleons, als er am 9. Juli 1798 mit fünfzehn Linienschiffen, fünfzehn Fregatten, acht Korvetten, dreihundert Transportschiffen und vierundfünfzigtausend Mann auf dem Wege nach Ägypten vor dem großen Hafen von Valetta erscheint. Da er den Sturm auf die Festung vermeiden will, versucht er es mit einem listigen Schachzug: Er bittet um die Erlaubnis, im schützenden Hafen für seine Schiffe Wasser zu fassen. Seine eigentliche Absicht ist unverkennbar. In einem Brief an Außenminister Tailleyrand spricht er sich für die Eroberung der Insel aus: „Warum machen wir uns nicht selbst zu Herren der Insel Malta? Mit den Inseln Sardinien, Malta und Korfu werden wir die Beherrscher des MitteJmeeres sein." Großmeister Hompesch lehnt das Ansinnen Napoleons ab und läßt ihm mitteilen, nach dem Gesetz der Neutralität sei es ihm nicht erlaubt, mehr als vier fremden Kriegsschiffen zu gleicher Zeit im Hafen Schutz zu gewähren. Voller Wut befiehlt Napoleon, der sich durchschaut sieht, die Besetzung der Insel. Da seine Agenten 25
bereits vorgearbeitet haben, ist der Widerstand im Lande ringsum nur schwach. Gegen Mittag des 9. Juli hat der Oberbefehlshaber, General Vaubois, die Schlüssel der früheren Hauptstadt Rabat in Händen; um ein Uhr kapituliert die Nachbarinsel Gozo, bei Einbruch der Nacht ist das Schicksal fast der ganzen Insel besiegelt. Nur die Seefestung Valetta leistet noch Widerstand; aber das schnell zusammengerufene Ordenskapitel, in dem die französischen Ritter die Oberhand haben, zwingt Großmeister Hompesch zur Kapitulation. Napoleon diktiert die Bedingungen: Der Orden verzichtet zugunsten der französischen Republik auf alle seine Rechte. Der Großmeister wird seiner Würde entkleidet und muß die Insel verlassen. Ihm ist nur gestattet; einige Reliquien mitzunehmen. Napoleon meldet die Eroberung der Insel nach Paris: „Die Armee hielt sich fünf bis sechs Tage in Malta auf. Nachdem General Bonaparte die Verwaltung der Stadt geregelt und sie der französischen Republik unterworfen hatte, die Geschäfte und Speicher geleert, die Schätze gehoben und die Archive des Ordens mit sich genommen, ließ er eine Garnison von viertausend Mann unter General Vaubois in Malta und verließ am 18. Juli mit der Flotte das Gewässer in Richtung Ägypten." Hompesch sucht Zuflucht in Rußland und übergibt die Reliquien in die Obhut des Zaren, der als einziger europäischer Herrscher offen die französische Gewalttat mißbilligt hat. Ein Teil der Ordensritter folgt dem Großmeister, um unter Paul I. gegen Napoleon und die Revolution zu kämpfen. Aber auch die Franzosen können Malta nicht halten. Im Jahre 1800 besetzen britische Truppen die Insel, und die maltesische Bevölkerung begibt sich unter den Schutz des Königs von England. Ein neuer Abschnitt in der Geschichte Maltas beginnt. Die Leitung des Malteserordens findet vorübergehend Asyl auf der Nachbarinsel Sizilien, aber der Orden verliert im Laufe der Napoleonischen Kriege auch den Rest seiner Außenbesitzungen. Im Jahre 1834 wird Rom der neue Mittelpunkt. Statthalter übernehmen die Leitung, bis 1879 die Großmeisterwürde erneuert wird. Heute sind die Malteser-Ritter vornehmlich in der Krankenpflege und im Sanitätsdienst tätig. Die Zahl der Mitglieder beläuft sich auf sechstausend. Sie unterhalten auch in Deutschland zahlreiche Hospitäler. Diplomatische Beziehungen bestehen zu neunzehn Staaten. Ein evangelischer Zweig des Ordens, der seit 1852 besteht, verfolgt ähnliche Ziele. Er trägt im Unterschied zu dem katholischen Zweig, dem Malteser-Ritterorden, den alten Namen Johanniterorden. Ein dritter Zweig des Orden« besteht in England. 26
Unterwegs auf vielen Straßen Als ich vom Flugzeug aus den Inselbereich zu ergründen suchte, konnte ich keine Spur einer Eisenbahn entdecken. Später karti ich oft an einem kleinen Häuschen vorüber, das einstmals der Bahnhof war und kaum größer als ein Verkaufskiosk ist. Es steht in der Nähe von Rabat und erinnert noch an den Versuch, Malta mit Hilfe des Dampfrosses zugänglicher zu machen. Da das Bähnchen unrentabel war, wurde die zwölf Kilometer lange Strecke bis zur Hauptstadt bald wieder eingestellt. Das Kraftfahrzeug hat die Insel erobert. Selbst auf den steilsten Pfaden, in den verstecktesten Winkeln, wo heute noch die Öllampe oft die einzige Beleuehtungsquelle ist, stehen neben den kleinen Häusern überdachte Garagen und mannigfaltige Automodelle aus allen Teilen der Welt. Von den dreihundertzwanzigtausend Bewohnern Maltas sind zwanzigtausend Autobesitzer, ihre Zahl nimmt ständig zu. Wer aber keinen Wagen hat, dem hilft ein wohlorganisierter Omnibusbetrieb, mit dem jeder Teil der Insel erreicht werden kann, ans gewünschte Ziel. „Hauptbahnhof" ist der weite Platz vor dem Kings-Gate, dem Königstor der Inselfestung. Die Omnibusse Maltas bieten ein malerisches, farbiges Bild. Es ist nicht allein die Freude an der Buntheit, jede Farbe ist der beredte Hinweis auf eine bestimmte, feste Linie. Selbst Analphabeten finden so mit Hilfe der Omnibusfarbe immer sicher die richtige Fahrtstrecke. Eine Überlandreise mit einem dieser ostereierfarbenen Omnibusse ist fast immer eine vergnügliche Sache. Schnell ist man mit dem Nachbarn im Gespräch, eifrig und freundlich ist jedermann bemüht, den Fremden auf Besonderbeiten rechts und links der Straße hinzuweisen. Es stimmt zwar nicht immer mit dem überein, was der gedruckte Reiseführer aus historischer Sicht an Auskünften erteilt. Aber es wird alles mit so viel Stolz auf die Heimat vorgetragen, daß man gern zuhört. Alle einheimischen Fahrgäste, ob Gelehrte oder Kaufleute, Landarbeiter, Marktfrauen, Mütter oder Kinder, machen beim Anrollen der Räder das Zeichen des Kreuzes auf die Stirne. Mit Freund John oder anderen Bekannten, die ich während meines Aufenthaltes als Cicerone gewinnen konnte, bin ich oftmals ins Land hinausgefahren, und jede Linie hat mit besonders eindrucksvollen Landschaftsbildern und Volksszenen aufwarten können. Da sind die dunkelgrünen Busse. Man fährt mit ihnen über Msida zum neuen Sportstadion, auf das die Malteser besonders 27
gern hinweisen, und von dort weiter nach Sliema, dem gepflegtesten Badeort der Insel mit modernen Hotels, entzückenden Villen und überraschend vielen Kinderspielplätzen. Die Malteser sind stolz auf ihren Kinderreichtum. Sie nennen ihre Insel gern den „Kindergarten Gottes". An den schönsten, gesichertsten, schattigsten Plätzen legen sie dem jungen Völkchen kleine Spielparadiese an mit Rutschbahnen, Schaukeln, Sandkästen und, wo es geht, mit Planschhecken. Wer sich den hellgrünen Bussen anvertraut, erreicht die vorgeschichtliche Tempelanlage von Tarxien oder das Hypogäum von Paula oder die denkwürdigen Ordensfestimgen in Vittoriosa und Cospicua. Mit den glänzend roten Omnibussen geht es über Hamrun nach Birkirkara, einer alten, verwinkelten Stadt mit schmalen Gäßchen und einer ehrwürdigen doppeltürmigen Kirche, die der heiligen Helena, der Mutter des Kaisers Konstantin, geweiht ist. Tritt man in eines der Häuser am Wege, etwa um ein Glas Wasser zu erbitten, so freut man sich über die angenehme Kühle, die auch im Sommer im Innern herrscht. Die Malteser verstehen es wie alle Südländer, durch geschicktes Lüften oder Unter-Verschluß-Halten ihrer Wohnungen die nächtliche Abkühlung auch über Tag in den Mauern zu konservieren. Alle Häuser haben Steinfußböden. Im Winter, der kaum einmal Temperaturen unter zehn Grad bringt, legt die Hausfrau wärmende Teppiche aus. Man hilft sich auch mit kleinen elektrischen Öfen, sofern Strom vorhanden ist, oder neuerdings mit ölöfen. Viele Möbel wird der Besucher nicht vorfinden, Holz ist auf der Insel knapp; es muß aus dem Ausland eingeführt werden. Da es aber im ganzen Mittelmeerraum ein rarer Artikel ist, verzichtet man lieber auf viel hölzernes Möbelwerk. Die Tische sind aus Marmor, die Stühle aus Weidengeflecht hergestellt. Stolz ist jede maltesische Hausfrau auf ihren blitzblanken Haushalt und auch auf ihre Kochkunst. Sie versteht es, aus dem, was der Boden wachsen läßt, schmackhafte Gerichte zu bereiten. Wer zur alten Hauptstadt, nach Rabat, hinausfahren will, besteigt den dunkelblauen Omnibus. Er bringt die Fahrgäste bis zur breiten Zugbrücke, die in die sarazenische Zitadelle von Rabat führt; von dort kann man die ganze Insel wie eine ausgebreitete Landkarte überblicken. Im Städtchen streicht ständig ein angenehmer Meerwind durch die mittelalterlichen Gassen. Geht man zurück durch das Tor, so weisen Schilder auf die Katakomben der frühen Christenheit hin. Ähnlich wie in Rom haben sich auch auf Malta die ersten Christen zu ihren heimlichen Gottesdiensten unter der Erde versammelt. 28
Wer mit den gelben Omnibussen nach Quormi fährt, gerät in ein Stück arabischer Vergangenheit. Bei der Aufteilung des Römerreiches in ein West- und ein Ostreich im Jahre 395 n. Chr. fiel Malta dem Ostreich zu und wurde seitdem von Byzanz-Konstantinopel verwaltet. Im Jahre 870 eroberten die Araber die Insel und zwangen der Bevölkerung ihre Sprache auf, die heute noch in der maltesischen Inselsprache nachklingt. Christen und Mohammedaner lebten zweihundert Jahre friedlich nebeneinander. In Quormi erinnert noch manches Bauwerk an die arabische Zeit. Den Arabern folgten 1090 die Normannen, die nach dem ersten Kreuzzug in Sizilien und Unteritalien an Land gegangen waren und ein mächtiges Reich gegründet hatten. Das normannische Erbe traten die Hohenstaufen an. In der Folgezeit gehörte Malta zum „Königreich beider Sizilien" mit der Hauptstadt Neapel. Vom Jahre 1518 bis 1530, als die Johanniter nach Malta kamen, geboten die Habsburger über die Insel. Der orange-gelbe Omnibus fährt am Ylugpiatz von Luqua vorbei nach Zurrick, aber das ist nicht das Endziel. Den orangengelben Omnibus nimmt man, wenn man zur „Blauen Grotte" Maltas will, einer Miniaturausgabe der berühmten Grotte von Capri. In vielfachen Färbungen zeigt sieb im Höhleninnern die See, Der unangenehme Duft der „Frutti di mare", der ,Meerfrüchte', d. h. derFische, Krabben, Tintenfische und was sonst das Meer an Nahrung hergibt, vermischt sich mit der salzigen Luft des Wassers. Draußen vor dem Strand schaukeln kleine Boote mit den Verzierungen venezianischer Gondeln. Fischer bessern ihre Netze aus und schauen und grüßen freundlich herüber, wenn ein Fremder ihnen vom Ufer aus zuschaut. Die weiteste Strecke legen die hellblauen Omnibusse zurück. Sie starten, wie ihre farbigen Gefährten, ebenfalls vor dem Kings Gate. Ihr vorgeschriebener Weg führt über Birkhirhara, Mosta, an die St.-Pauls-Bucht und nach Mellieha. In Mosta steigt man aus, um eines der großartigsten Monumente Maltas zu besichtigen, die „Rotunda", eine Rundkirche von über vierzig Meter Durchmesser und einer Höbe von sechzig Metern. Die Rotunda ist dem berühmten Pantheon in Rom nachgebildet. Man bewundert die Fresken, Gemälde berühmter italienischer Meister. In der Sakristei zeigt man dem Fremden eine entschärfte Fliegerbombe, die während des zweiten Weltkrieges die hohe Kuppel durchschlug und in den Kirchenraum stürzte; ohne zu explodieren, blieb die Bombe vor dem Hauptaltar in der Mitte des Gotteshauses liegen. Die Bombe soll die Gemeinde an den Wahnsinn des Krieges und die glückliche Errettung der Kirche erinnern. 29
In der St. Pauls-Bucht glaubt man noch die Stelle zeigen zu können, an der im Jahre 60 n. Chr. der Apostelfürst an Land gegangen ist. An den Hangen haben die begüterten Malteser ihre Sommervillen; hier verbringen sie die heißen Monate am prächtigen Badestrand. In den Gasthöfen ist der frischgefangene Thunfisch ein begehrter Leckerbissen. In Mellieha holt man sich beim Küster den riesigen Schlüssel zu der kleinen Kirche. Hier soll der heilige Lukas ein Marienbild gemalt haben, das heute als Gnadenbild verehrt wird. Unter Glas sind die Reste einer sehr altertümlichen Malerei erhalten. Über dem Kirchlein erhebt sich jetzt die gewaltige Kathedrale „Unserer Frau vom Siege", die auf dem höchsten Punkt der Felsklippen über Land und Meer aufragt.
Insel der Kalypsö Gozo, die Insel der Kalypso, habe ich mir als leztes Ziel meiner Reise aufgespart. Als Trittsteine führen die Inseln Comino und Cominotto zu der zweitgrößten maltesischen Insel hinüber. Erinnerungen an Homer werden lebendig. Auf Gozo soll die Nymphe Kalypso den schiffbrüchigen Odysseus sieben Jahre lang festgehalten haben. Eine Höhle, die der in der Odysseus beschriebenen entsprechen könnte, wird in den Felsenklippen nahe der schönen, sandigen Bucht von Ramieh gezeigt. Homer nennt Gozo Ogygia, „die umflossene Insel in der Mitte des wogenden Meeres". Odysseus, so erzählt der Dichter, wandelte über die Insel. . . . bis er kam zur weiten Grotte der Nymphe Mit schönwallenden Locken und fand die Nymphe zu Hause. Vor ihr brannt' auf dem Herd' ein großes Feuer und fernhin Wallte der liebliche Duft vom brennenden Holze der Zeder Und des Zitronenbaums. Sie sang mit melodischer Stimme, Emsig, ein schönes Gewebe mit goldener Spule zu wirken. Rings um die Grotte wuchs ein Hain voll grünender Baume, Pappelweiden und Erlen und düftereicher Zypressen. Unter dem Laube wohnten die breitgefiederten Vögel, Eulen und Habichte und breitzüngichte Wasserkrähen, Welche die Küste des Meeres mit gierigem Blicke bestreiften. Um die gewölbte Grotte des Felsens breitet' ein Weinstock Seine schattende Ranken, behängt mit purpurnen Trauben. Und vier Quellen ergossen ihr silberblinkendes Wasser, Eine nahe der anderen, und schlängelten hierhin und dorthin. Wiesen grünten umher, mit Klee gewachsen und Eppich. 30
Selbst ein unsterblicher Gott verweilte, wann er vorbeiging." Homerische Fruchtbarkeit macht auch heute noch die Insel Gozo zur Kornkammer. Hier wächst auch der würzige rote und weiße Wein „in purpurnen Trauben" wie zur Zeit der Kalypso. Die milden Winter und der frühbeginnende Frühling lassen viele Baumund Feldfrüchte gedeihen. Gozos Bewohner leben vom Weinbau, vom Fischfang und von der Landwirtschaft. Jeder Meter des kargen Felsbodens ist ausgenutzt. Riesige Blumenkohlköpfe, schmackhafte Frühjahrskartoffeln, die zweimal im Jahr geerntet werden und auch bei uns als „frühe Malteser-Kartoffeln" auf den Markt kommen, sind wichtige Ausfuhrgüter. In uralten Holzformen werden die köstlichen Ziegenkäse gepreßt; man ißt sie frisch zum weißen oder roten Wein. Die Ziege ist hier das Nationaltier, sie liefert Milch und etwas Fleisch. Die Bewohner haben sich ihren lauteren Charakter erhalten. Freundlich winken sie zum Abschied, und sie entlassen, wenn man sich mit ihnen befreundet hat, den Gast mit dem alten biblischen doppelten Bruderkuß. Herzlichkeit, Schlichtheit und Aufrichtigkeit sind die drei Wesenszüge der einfachen Menschen von Gozo, der „kleinen grünen Schwester Maltas".
Wissenswertes über Malta Die Inselwelt: Malta mit den Nebeninseln Gozo, Comino und Cominotto ist 316 qkm groß (Gozo 67 qkm). Die Hauptinsel Malta ist 28 km lang und 248 qkm groß. Die Insel ist ein bis zu 258 Meter ansteigendes Plateau aus Kalkfels. Im Süden und Südwesten erheben sich unzugängliche Steilküsten, nach Nordosten senkt sich das Land zum Meer hin ab und umschließt sandige Buchten. Entfernung nach Sizilien: 100 km, nach Nordafrika: 325 km. Die Insel war seit 1800 einer der Hauptstützpunkte der britischen Macht auf dem Wege nach Indien und eine bedeutende Zwischenstation für den Seeverkehr kreuz und quer durch das Mittelmee»'. Das Klima ist subtropisch, ohne extreme Kälte oder Hitze, im Sommer fast wölken- und regenlos, da drei Viertel aller Niederschläge im Winter fallen. Landwirtschaft und Gewerbe: Wegen der Besonderheit des Kalkbodens humus- und wasserarme Erde, Bewässerung im Sommer aus Brunnen und Zisternen. Garten- und Ackererde wird durch Zerbrökelung des Gesteins gewonnen, früher oft auch durch eingeführte Bodenmassen. Hohe Steinmauern schützen die Kulturen. Haupterzeugnisse sind: Obst, Weizen, Gerste, Zuckerrohr, Wein, Zwiebeln, Olivenöl, Frühgemüse, Frühkartoffeln. Bäume sind selten, mit Ausnahme des Johannisbrotbaumes. Fangertrag der Fischerei: 800 Tonnen Fische, viele Korallen. Ausgeführt werden vor allem Kartoffeln, Handschuhe, Häute und Felle, Knöpfe, Spitzen, Goldflligranarbeiten. Mehr als die
31
Hälfte des Lebensunterhaltes der Bevölkerung muß eingeführt werden. Bevölkerung: 320 000 Einwohner (Zivilbevölkerung 1958), davon auf Malta 292 000, auf Gozo und Comlno 28 000. Mischvolk italienischer und arabischer Herkunft. Hauptstadt und Hafen Valetta weist etwa 20 000 Einwohner auf. In der Landwirtschaft und Fischerei sind etwa 11 000 Beschäftigte tätig, ebenso viele in der Verwaltung, im Gewerbe 30 600, in den Versorgungsbetrieben und britischen Militär-Dienststellen 21 000. Da die einheimische Wirtschaft nicht für alle ausreicht, wandern viele Malteser aus (1946 bis 1953: 38 000 Einwohner!), viele sind Händler in den Mittelmeerhäfen, viele tun Dienst als Seefahrer auf fremden Schiffen. Verfassung: Malta ist Außenbesitzung des Vereinigten Königreichs Großbritannien. Seit 1947 besteht für die innere Verwaltung eine eigene Regierung, der Vollzugsrat mit dem Ministerpräsidenten und sieben Ministern. Das Parlament als gesetzgebende Versammlung besteht aus vierzig gewählten Mitgliedern. Verteidigung und auswärtige Angelegenheiten sind dem britischen Gouverneur vorbehalten, dem ein Beirat aus Vertretern des Heeres, der Marine und Luftwaffe zur Seite steht. Britische Verwaltung und einheimische Regierung bilden den Staatsrat. Die Amtssprachen sind Englisch und Maltesisch. Zahlungsmittel sind die von der Regierung ausgebenen maltesischen Banknoten und britische Münzen. Seit Jahren erstrebt ein Teil der Bevölkerung völlige Eingliederung in das Vereinigte Königreich, um den gleichen Lebensstandard wie das Mutterland zu erreichen, ein anderer Teil sucht Lösung von England und Unabhängigkeit. Im Zusammenhang mit diesen Bestrebungen wurde 1958 die Verfassung von Malta vorübergehend außer Kraft gesetzt, die Inseln wurden in die englische Kolonialverwaltung einbezogen.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Ullstein-Bilderdienst und Hubert Neumann L u x - L e s e b o g e n 282 (Erdkunde) — H e f t p r e i s 2 5 P f Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München