2. Auflage
Walter Baumert
Schau auf die Erde Roman 664 Seiten • Ganzleinen 13,- M
Der wohlbehütete Fabrikantensohn F...
24 downloads
656 Views
563KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
2. Auflage
Walter Baumert
Schau auf die Erde Roman 664 Seiten • Ganzleinen 13,- M
Der wohlbehütete Fabrikantensohn Friedrich Engels, mit überdurchschnittlicher Intelligenz begabt und von großem Gerechtigkeitsempfinden erfüllt, wird zwischen der Zuneigung zu den Eltern, der Liebe zu Gott und der Armut und Ungerechtigkeit in der nächsten Umwelt hin und her gerissen. Seine Versuche, sich aufzulehnen, bringen ihn oft in Bedrängnis und führen zur harten Entscheidung des Vaters, daß er Kaufmann zu werden habe. Nebenbei bildet er sich, sucht er Gleichgesinnte, streitet Nächte hindurch und liebt - das Arbeitermädchen Agnes, die todkranke Pianistin Magdalena, die wenig ältere Susanne, die kapriziöse Jane, dann lernt er Mary Burns kennen. Engels kommt uns nahe als sympathische, lebensdurstige, kritische, suchende Persönlichkeit, die man sich durchaus als Freund vorstellen könnte. Junge Welt, Berlin
Über Engels zu schreiben bedeutet zugleich, über einen an revolutionären Ereignissen reichen Abschnitt der Geschichte, insbesondere der deutschen, zu berichten. Neues Deutschland, Berlin
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN 32706
Angela und Karlheinz Steinmüller
Korallen des Alls Wissenschaftlich-phantastische Erzählung
Verlag Neues Leben Berlin
Illustrationen: Günther Lück
© Verlag Neues Leben, Berlin 1984 Lizenz Nr. 303 (305/80/84) LSV 7503 Umschlag: Günther Lück Typografie: Walter Leipold Schrift: 9 p Times Gesamtherstellung (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 643 668 6 00025
„ACHTUNG! HORIZONTALE ABHEBEGESCHWINDIGKEIT IN ROTATIONSRICHTUNG: 3 METER/SEKUNDE!" warnte die Metalltafel am Ausgang der Schleuse. Yarbro Martell schlug die schwere stählerne Tür zu und trat hinaus unter das kalte Leuchten der Sterne. Langsain währt am längsten - der Wahlspruch, nach dem sich das Leben im Belt richtete, war ihm nur zu gut bekannt. Seine Ungeduld zügelnd, bewegte er sich behutsam die glattgeschmolzene Piste zum Raumhafen entlang. Dort wimmelte es von Fahrzeugen und Schiffen aller Größen und Klassen. Kleine Schlepper zogen ameisengleich riesige Container hinter sich her. Transportsatelliten hoben - in Rotationsrichtung - vom Boden ab und verschwanden hinter dem nahen Horizont des Asteroiden. Die gelben Skaphander des Bodenpersonals mischten sich mit den blauen der Flotte und den bunten, häufig flikkenbesetzten der Beltbewohner. Unwillkürlich suchte Yarbros Blick nach der gigantischen Metallspindel der „Stella Regia", des Schiffes, auf dem er bis vor Stunden als Servomechaniker gearbeitet hatte. Sollte er etwa ständig das triste Leben eines Raumfahrers im Liniendienst führen? Der nichts erlebte und nichts vom Planetensystem sah als Häfen und immer wieder Häfen? — Wenn sein Plan von Erfolg gekrönt würde, konnte er sich leisten, was er sich gerade wünschte: eine Luxuskabine auf der „Stella Regia", einen Skiurlaub in den Anden oder die Zeit, dicke Romane zu lesen, die frühen Kulturen der Erde kennenzulernen oder alte Raumflugkörper zu sammeln. Jemand im gelben Skaphander trippelte Yarbro entgegen. Von der Brustplatte leuchtete grün die Nummer des Sprechkanals. „Die Erde zum Gruß!" Yarbro wandte sich kurzentschlossen an ihn. „Können Sie mir zufällig sagen, wie ich am besten zu einem guten und billigen Beltboot komme?" Der Mann lachte kurz und barsch. „Korallen jagen? Schnell ein Vermögen in Händen halten? Wenden Sie sich an die Hafenaufsicht, an den Dispatcher." Er verzögerte nicht einmal seinen Schritt und unterbrach ohne weitere Auskunft die Verbindung. Korallen jagen! Yarbro schnaufte verächtlich. Er würde den Beltern ihren kärglichen Broterwerb nicht streitig machen. Und den Dispatcher hatte er bereits aufgesucht. Der hatte ihm drei Formulare in die Hand gedrückt und ein Zimmer im Hotel zugewiesen. Dort sollte Yarbro warten, bis sich ein Bootseigner meldete. Ehe er jedoch untätig herumsaß, wollte sich Yarbro allein eine Raumjolle besorgen. Selbst ist der Mann, das war seine Devise. Kapitän X, der „Sternenpilot", dessen TV-Abenteuer das gesamte Sonnensystem begeistert hatten, legte nie die Hände in den Schoß und wartete ab. Und hier, auf dem größten Raumhafen des Belts, befand er, Yarbro, sich mitten in der Welt des draufgängerischen Kapitäns. Sorgsam bemüht, den grün markierten Fußgängerstreifen nicht zu verlassen, näherte sich Yarbro einem Boot nach seinem Geschmack. Kraft 3
und Eleganz vereinten sich in der straffen, klaren Hüllenführung. „Mynnarum Sagitta", Pfeil der Mynnaren, strahlte in rotgoldener Leuchtschrift vom Bug herab. Zwei Leute in gelben Skaphandem schraubten gerade die Treibstoffleitung vom Schiffsrumpf los. Wie herbeigerufen, kletterte einer im Silberskaphander aus der Personenluke. „Die Erde zum Gruß! Ein schönes Schiff. Kann ich es chartern?" Der Silberskaphander blieb stehen und drehte spähend den Kopf, bis er in Yarbro den Sprecher erkannte. Dann nannte er seine Forderung. Der Preis schien Yarbro lächerlich übertrieben. Er ließ sich doch nicht von den Beltern Skaphander samt Unterbekleidung ausziehen! Erbot ein Viertel, und dies in zwei Raten — eine nach beendetem Flug. „Nur Meteoriten gibt's gratis, Erdung." Yarbro schlug verärgert die Hände zusammen. Demonstrativ wandte er sich ab und ging davon. Kein neuerliches Angebot wurde ihm nachgerufen. Kräftiger schritt er aus - schon schwebte er zwei, drei Meter über dem planierten Boden. Er hatte das lokale, richtungsabhängige Geschwindigkeitslimit im wahrsten Sinne des Wortes überschritten. Ein Lichtwerfer fingerte nach ihm. Sein Strahl stach Yarbro blendendhell in die Augen. Man beobachtete ihn, und irgendwo in der Hafenverwaltung berechnete ein Computer die Bahn und den günstigsten Punkt, das fliegende Verkehrshindernis zu beseitigen. Yarbro erwarteten Papierkrieg, eine Verwarnung und dazu eine Geldstrafe. 4
Langsam, aber stetig entfernte Yarbro sich vom schwarzgeschmolzenen Fels des Asteroiden. Sollte er wie ein Hampelmann im Orbit zappeln, bis man sich bequemte, ihn einzuholen — möglicherweise erst nach mehreren Umkreisungen? Wie würde Kapitän X in dieser Situation handeln? Der würde allein auf sich gestellt einen kühnen, überraschenden Ausweg finden! Entschlossen ergriff Yarbro den Tornister, der seine Habseligkeiten enthielt, hakte ihn vom Skaphander, befestigte die Sicherungsleine daran und schleuderte ihn den Sternen entgegen. Schlingernd und trudelnd zog der Metallzylinder die Leine hinter sich her. Yarbro selbst aber sank. Zufrieden vor sich hin lachend, flog er knapp über einen Schlepper hinweg und setzte dann jenseits des Startplatzes inmitten der überdimensionalen Bauklötzer eines Containerfeldes auf. Behende klammerte er sich an der erstbesten Haltetrosse fest und holte seinen Tornister aus dem Orbit. Vom Startfeld her blickte mancher Hafenangestellte aus reflexver-, schleierter Helmscheibe zu ihm herüber. Bewunderten sie ihn, oder mißbilligten sie seine Entschlußfreudigkeit? Angeblich schätzte man hier die Erdmenschen nicht sonderlich, hielt sie für raumgebrechliche, monströse Muskelberge. Es sollte ihm eigentlich gleich sein, was die Belter dachten. Er wünschte sich lediglich, daß sie ihm die Gelegenheit gaben, ein paar Wochen ungestört den Asteroidengürtel zu durchstöbern und nach dem zu suchen, wovon allein er wußte. Schon über eine Stunde streifte Yarbro erfolglos im Raumhafen umher, da ertönte im Helmfünk die Stimme des Dispatchers. „Yarbro Martell, auf Ihre Annonce hat sich ein Interessent gemeldet." Erfreut fragte Yarbro nach und erfuhr den Namen eines Bootes und dessen Position auf dem Startfeld. Es stehe abflugbereit. Nie hätte Yarbro die Raumjolle gefunden, wäre ihm nicht das winzige Boot der absurden Form wegen aufgefallen. Mühsam entzifferte er die breiten, halb abgeblätterten Lettern quer über dem gedrungenen zerbeulten Rumpf „Naomi". Er traute seinen Augen kaum. Dieses unmögliche Vehikel sollte ihm der. Dispatcher empfohlen haben? Ja, war das nicht zum Abwracken hier vertäut? Unförmige Anbauten und Zusatzaggregate ragten aus dem Bootsrumpf, dessen stumpfe Metallhaut von Langsammeteoriteneinschlägen pockennarbig zerfressen war. Jeder Quadratzentimeter der schartigen Oberfläche, jede erosionsfleckige Verstrebung erzählte von langen Jahren des Fluges in den dichtesten Zonen des Belts, und um die beiden Triebwerke schimmerte das Metall von langer Überhitzung bläulich. Aus der. Einstiegsluke, fünf Meter über dem Boden, hing anstelle der üblichen Klappleiter eine Sicherungsleine. Neben ihrem lose baumelnden Ende wartete ein Belter, der selbst im Skaphander schmächtig wirkte. „Yarbro Martell?" fragte eine kindlich hohe Stimme im kantigen Dialekt der Asteroidenwelten. 5
Yarbro bejahte und trat unentschlossen näher. Er erkundigte sich nach der Triebwerksleistung, der astronavigatorischen und telemetrischen Ausstattung. Sein Gegenüber klärte ihn knapp und kompetent auf und nannte die Konditionen des Bootseigners, seines Vaters. Yarbro überlegte, rechnete. Konnte er bei seinen geringen finanziellen Mitteln auf ein besseres Angebot in annehmbarer Frist hoffen? Zeit ist Geld, und jede Nacht im Hotel kostet einiges. Wenn das Gefährt überhaupt flugfähig war, würde es seinen Zweck erfüllen. Er deutete auf seinen Tornister. „Von mir aus kann's sofort losgehen." Augenblicklich hatte sich der Knabe an der Sicherungsleine emporgezogen und war in der Einstiegsluke verschwunden. Angetan von der prompten, nicht beltgemäß-behäbigen Reaktion hangelte Yarbro ihm nach, stets bedacht, die Leine ja nicht aus den Händen zu verlieren. Die Schleuse war eng und kümmerlich beleuchtet. Während Yarbro auf Druck- und Temperaturausgleich wartete, musterte er die Wände. Auch hier im Inneren wiesen sie Schrammen auf und verschweißte Löcher. Enttäuschung stieg in ihm auf. So begann das große Abenteuer, das sein Leben in neue Bahnen lenken würde: beengt, düster, fade. Kapitän X mußte nie den Kopf einziehen. Wenig später schraubte er die Verschlüsse .auf und setzte den Helm ab. Die Luft war schneidend kalt und roch durchdringend nach Süßzwiebel, wie man sie im Belt gern aß, und nach heißem Metall. Der Knabe zeigte sich von dem Geruch unbeeindruckt. Sein braunes, aufgewecktes Gesicht mit den schmalen, knochigen Wangen und den tiefliegenden Augen umrahmte kurzes, glattes Haar. Mit einer geübten Beiläufigkeit, die Yarbro bewunderte, legte er den Skaphander ab. Wie alle Beltbewohner wirkte er mädchenhaft zart, ja zerbrechlich, mit ungewohnt langen, schmächtigen Gliedmaßen - eine Folge der fehlenden Schwerkraft. Endlich hing auch Yarbros Skaphander in der Halterung. Yarbro nahm den eiskalten Tornister in die Hand und eilte dem Knaben nach, der mit einem exakt gezielten Sprung nach oben gehuscht war. Durch eine verwinkelte, düstere Röhre, die den Gang ersetzte, gelangten sie in einen Raum, der einem aufrecht stehenden Hohlzylinder glich. Hier und da gähnten rechteckige Aussparungen oder ovale Luken in den Wänden, und metallene Kisten — Möbelstücke - waren an ihnen befestigt. „Der Wohnraum", sagte der Knabe, federte empor und schwang sich in eine Nische. „Wo ist denn dein Vater?" Yarbro schaute noch immer von einer Ecke zur anderen. Er hatte andere Vorstellungen von behaglichem Wohnen. „Beschäftigt." „Und wo soll ich untergebracht werden?" „Dort." Der Knabe wies auf eine Öffnung. Yarbro blickte hoch, sie befand sich drei Meter über seinem Kopf. Er schätzte den nötigen Schwung ab - und sprang daran vorbei. Im Fallen 6
gelang es ihm, sich an der Unterkante festzuhalten und hineinzuziehen. Er geriet in einen Hohlraum: zwei Meter lang, gut einen breit und hoch. An die Wände waren Polster geschnallt, und ein an den beiden Längsseiten verschiebbar befestigter braunkarierter Stoffvorhang schirmte die Nische gegen Blicke aus dem Wohnzylinder ab. „Soll das etwa meine Kabine sein?" fragte Yarbro entsetzt. „Aber ja", antwortete der Knabe, und Yarbro hätte schwören mögen, daß der sich über ihn lustig machte. Yarbro entsann sich nun des äußeren Anblickes des Bootes. Hingen da nicht seltsame Kästen an der zerfressenen Außenwand? Diese Kojen etwa? Nur durch zwei, drei Handbreit altes, brüchiges Metall vom Vakuum getrennt? Eine Welle stecknadelkopfgroßer Höckerchen lief über seine Haut. Sechs Wochen in diesem engen löchrigen Stahlsarg zwischen Minimeteoriten und „fliegenden Fäustlingen" herummanövrieren! Und er hatte geglaubt, diese hintermarsianischen Beltbewohner wüßten sich besser einzurichten als die Flotte! Plastnippes hatte er hier erwartet, kitschige Protuberanzenbilder an den Wänden und preßluftgefüllte Zierkissen. Doch diese Kargheit! Da konnte er gleich in einer ausgedienten Wassertonne losfliegen! Aber schließlich durfte er für sein Geld keinen Luxusliner mit vierundzwanzigstündigem Bordservice verlangen. Alles ließ sich ertragen, wenn man nur das rechte Ziel vor Augen hatte! Ein Schurren aus einer der Röhren kündigte den Bootseigner an. Es war ein alter, weißhaariger Beltbewohner, einen Kopf kleiner als Yarbro und mit einem gestreiften Overall bekleidet, der auch als Behelfsskaphander dienen konnte. Als der Schein einer Lampe sein Gesicht streifte, bemerkte Yarbro, daß die Stirn und beide Wangen von Narben übersät waren — der Belter und das Boot -gehörten zusammen, unbedingt. Mit wenigen sparsamen Bewegungen stoppte der Belter an der gegenüberliegenden Seite des Wohnraumes. Seine dunklen, ruhelosen Augen fixierten Yarbro. „Aha, dein Passagier, Dais." Yarbro stutzte. Dais? Ein Mädchenname? Verstohlen musterte er sie. War er denn mit Blindheit geschlagen gewesen? Freilich, der Belt forderte seinen Tribut und ließ ihre Züge strenger erscheinen, als es auf der Erde der Fall gewesen wäre... Unvermittelt spürte er, wie ihn der Blick des Belters taxierend streifte. Er riß sich los, wollte sich vorstellen, doch der Belter kam ihm zuvor. „Hauptsache, er bereitet keine Schwierigkeiten", sagte er zu Dais. „Meinst du, Quinn?" „Bei Erdungen kann man nie sicher sein." Yarbro staunte mit offenem Mund. Sie redeten über ihn, als wäre er nicht zugegen. Entschlossen sprang er dem Belter vor die Füße. „Ich bin Yarbro Martell, Servomechaniker. Ich möchte eine kleine Kreuzfahrt unternehmen." „Hörst du?" Quinn wandte sich an Dais. Seine Stimme klang, als hätte er alle Pläne Yarbros längst durchschaut und mißbilligt. „Seit wann unternehmen Servomechaniker Kreuzfahrten?" 7
Vor Ärger errötete Yarbro. „Ich bin kein Durchschnittstourist", sagte er barsch, „aber einen kleinen Abstecher kann ich noch immer bezahlen." „Und wohin soll's gehen?" fragte der Belter lauernd. „Das teile ich Ihnen später mit." Der Belter schwieg kurz. Dann blitzten seine Augen auf. „Ohne Kursangabe kann das Boot nicht starten." Yarbro zögerte einen Moment, dann nannte er die Koordinaten der ersten Wegemarke, eines eigentümlich geformten Zwillingsfelsbrockens. Mehr wollte er dem Belter jetzt auf keinen Fall verraten. Der wiegte unzufrieden den Kopf, und Yarbro fühlte sich genötigt, beschwichtigend hinzuzusetzen: „Ich muß den weiteren Kurs erst errechnen." „Ich, ich, ich." Der Belter strich sich - verärgert oder belustigt, es war nicht zu erkennen - über den Overallärmel. Ihm fehlte der rechte Mittelfinger. Plötzlich straffte er sich. „Hauptsache, Sie halten sich an die Beltgesetze. Falls Sie mehr beabsichtigen sollten als einen Spazierflug — im Belt weiß man mit Fremden umzugehen." Die unverhohlene Drohung verschlug Yarbro den Atem. Leise, in halb entschuldigendem Ton, erklärte Dais, daß sie sich vor Korallenjägern schützen müßten. Yarbro kannte die Erzählungen, nach denen Belter unbotmäßige Fremde wochenlang in eine enge Kabine eingesperrt hatten. Er fuhr mit den Händen durch die Luft. „Ich begreife nicht", ereiferte er sich, an Quinn gerichtet, „was Sie gegen uns Erdmenschen haben. Ja, ja, ich weiß, wie sich manche Linerbesatzungen und manche Touristen benehmen, aber deshalb sind wir doch nicht alle schlechtere Menschen!" Er hielt inne. Wieso diskutierte er überhaupt mit dem verrückten Alten! „Unsere Beziehungen sind normale Geschäftsbeziehungen, da kann es keine Probleme geben", sagte er betont sachlich, „ich chartere Sie, und Sie fliegen mich dahin, wohin ich will. Das ist doch elementar." Quinn lachte dumpf und verschwand ins Dunkel einer Luke. Yarbro schaute ihm einen Moment lang nach, dann sprang er empor zu seiner Koje. Diesmal verfehlte er sie nicht. Er holte seinen Tornister hervor und öffnete ihn, um die vereinbarte Summe zu bezahlen. Dais beobachtete ihn mit unbewegter Miene. „Bei uns heißt es: Der Mensch ist ein winziges Steinchen im Meteoritenstrom." Sie zählte das Geld flüchtig, rollte es zusammen und steckte es in einen kleinen Metallzylinder. Yarbro lächelte nachsichtig. „Ich bin ein Mann der Tat. Kein Steinchen." „Eben. Es gibt Irrläufer. Nach einer Weile werden sie vom Strom zerrieben." Drohte nun auch Dais ihm? Sie glitt, als wäre ihr der Hintersinn ihrer Worte nicht bewußt, von der Koje und klappte mit ruhigen, sparsamen Bewegungen einen schmalen Balken von der Wand. Yarbro fühlte sich zunehmend unbehaglich. „Wenn ihr Geschäfte unbe8
dingt durch unangebrachtes Philosophieren erschweren müßt — ich kann mir ja ein anderes Boot suchen." „Nicht mehr." Dais' Zähne blitzten zwischen den dünnen Lippen. Yarbro betrachtete sie verwundert. „Wieso?" Ihr Lächeln wurde breiter. Die „Naomi" war längst gestartet. Wie alle Schatzsucher besaß Yarbro eine Landkarte, wie alle Schatzsucher hütete er sie eifersüchtig vor fremden Augen, und wie alle Schatzsucher war er durch einen Zufall in ihren Besitz gelangt. Yarbros Landkarte hatte die Gestalt eines alten, zerschlissenen Notizbuchs, das die Aufzeichnungen des einzigen Überlebenden der „Interplanetic" enthielt, und er hatte sie auf der vorletzten Reise einem Passagier der „Stella Regia" abgeluchst. Fast zu bereitwillig hatte der ihm das im Handumdrehen ausgedachte Märchen von der wiedergefundenen „Interplanetic" geglaubt. Allerdings - im Belt ist vieles möglich. Yarbro hatte den Vorhang zur Hälfte beiseite geschoben und kauerte mit angezogenen Beinen und den Rücken der Öffnung zugewandt in seiner Koje. Nur ein Widerschein des hellen Lichts aus dem Inneren des Wohnzylinders erreichte die abgegriffenen Seiten des Notizbuchs. Der Schiffbrüchige hatte mit der Akribie seines Berufsstandes - er war diplomierter Verwaltungsangestellter - Tagebuch über den wochenlangen Irr9
flug der Rettungskapsel geführt: über die Eisenmeteoritwolke, die anfänglich allen Funkkontakt unterbrach; über einen ungeheuer ausgedehnten Staubstrom; über den „Steinzirkus", der die Kapsel um ein Haar zermahlen hatte; und über den Zwillingsfelsbrocken am Ende seiner Odyssee; aber auch über die Erschöpfung der Akkumulatoren und Nahrungsreserven. Ein Schatten streifte das Notizbuch und verdunkelte die Koje. Yarbro schrak zusammen. Kaum zwei, drei Meter über ihm, dicht neben der Dekkenleuchte des Wohnzylinders, schwebte Dais. Rasch verbarg er das Buch unter einem Polster. Hatte der Belter sie vorgeschickt, um ihn auszukundschaften? Dais beachtete ihn überhaupt nicht. Sie schraubte eine Deckenplatte ab und werkelte an den verschlungenen Röhren dahinter. Eine Perlschnur gelblich schimmernder Tropfen löste sich, sie wischte sie mit einem Lappen aus der Luft. „Es heißt, auf dem alten Planeten wohnen die meisten Menschen im Wasser?" Dais schob die Platte zurecht und sank allmählich zu ihrer Koje hinab. Die Frage stand im Raum, erst nach Sekunden drang sie in Yarbros Bewußtsein. „Ja... nein. Ein Drittel der Menschheit vielleicht. Sie leben in schwimmenden Städten." „Also driften sie dahin wie unsere Wohnasteroiden." Yarbro lachte verhalten. Wie sie sich die Erde vorstellte. „Natürlich sind die schwimmenden Städte verankert. Und sie tragen tausendmal mehr Menschen als euer größter Wohnfelsen. - Ich stamme vom Festland." Mit einer verstohlenen Handbewegung vergewisserte er sich, daß das Notizbuch sicher verstaut war. Dais saß kopfunter in ihrer Koje, ihre dünnen Beine baumelten nach oben. Ob es nicht seltsam sei, auf dem Grund eines Luftozeans zu hausen? Keine Sterne zu sehen? Dafür einen völlig absurden blauen Himmel? Mit einer riesigen Sonne! Und bald Tag, bald Nacht zu erleben, sich mit den Beinen fortbewegen zu müssen! „Ist es nicht furchtbar, stets am Boden festzukleben?" Yarbro amüsierte sich köstlich. Dais spielte mit ihm verkehrte Welt! Sie behandelte ihn wie einen Exoten, dabei war doch sie die Ausnahmeerscheinung und, wenn man es recht bedachte, sehr zu bedauern, denn sie würde die Erde nie betreten können. Die Fahrt jedenfalls versprach, nachdem nun das anfängliche Eis gebrochen war, angenehm und abwechslungsreich zu werden. „Das ist alles für uns so selbstverständlich, daß wir es nicht bemerken", antwortete er Dais, „außerdem ist der Himmel meist grau." „Man kann lange darüber nachdenken, ob wir Belter euch bemitleiden oder beneiden sollten." Sie meinte es ernst, und Yarbro versprach gern, ihr noch viel von dem fremden Stern Erde zu erzählen. Da sie vorerst keine weiteren Fragen stellte, zog er das Notizbuch wie10
der hervor. Wie oft hatte er in den vergangenen Monaten darin gelesen! Wie viele Tage verstaubte Archive nach weiteren Informationen durchforstet! Wie viele Nächte gerechnet, um den Kurs der Rettungskapsel zu rekonstruieren und die Position der „Interplanetic" im Belt zu ermitteln! Zwei, drei Wochen noch, und er würde mit eigenen Augen den Kleinasteroiden sehen, in den der Luxusplanetenliner vor über hundert Jahren gerast war. Er würde durch die dunklen Gänge des Wracks schweben, die Safes voller Schmuck und Kunstgegenstände aufbrechen und sich den verdienten Lohn des Finders nehmen. Dais und Quinn würde er mit einem angemessenen Anteil bedenken, und dann, dann konnte er sich, wenn er wollte, ein eigenes Schiff leisten, ein hochmodernes, wendiges wie diese „Mynnarum Sagitta" mit geräumigen Kabinen und einer richtigen Bordbibliothek, oder ein Häuschen am Rande der neuen Marssiedlung, und vielleicht fand sich sogar eine Gefährtin für ihn... Ach, es gab so viele Möglichkeiten, so viele Wünsche. Jäh kribbelte es in Yarbros Nase. Er hob den Kopf, nieste und schlug gegen die Polsterung seiner Koje. Das Notizbuch wehte es von der Liegefläche, die Kissen flogen auf, ebenso sein Taschencomputer und der Tornister, und aus dem purzelte die Schachtel mit der Alarmstoffspritze. Hastig griff er nach den Aufzeichnungen. Die Bewegung geriet zu ruckhaft, er stieß wieder an, nieste ein zweites Mal und schwebte plötzlich selbst im knappen Raum der Koje inmitten des allgemeinen Drunter und Drüber. Er drehte sich, fand einen Halt und angelte nach den Sachen, die in alle Richtungen davonstoben. Bereits außerhalb seiner Reichweite trudelte das Notizbuch unablässig in den Wohnzylinder hinein. Hals über Kopf sprang er aus der Nische. Dais, die eben noch zu ruhen schien, kam ihm zuvor. Sie schnellte sich katzengleich ab und hatte mit einer einzigen flinken Bewegung den Ausreißer eingefangen. Schon klappte sie das Buch auf und begann, in ihm zu blättern. Vor Schreck unfähig zu überlegen, schoß Yarbro auf sie herab. Der Impuls schmetterte sie beide gegen die Wandung. Spielerisch prallte Dais zurück, das Buch aber hielt sie fest in der Hand. Yarbro wurde es für Sekundenbruchteile schwarz vor Augen, krampfhaft griff er zu. Nach kurzem Zögern gab sie die Aufzeichnungen frei. „Tut mir leid", entschuldigte er sich ungeschickt, „in der Schwerelosigkeit unterschätze ich mitunter meine Kräfte." Wie leicht hätte er das Mädchen verletzen können! Sie antwortete nicht. Ihre schwarzen Beitaugen fixierten ihn empört. Dann wandte sie sich betont gleichgültig von ihm ab. Hatte sie etwas bemerkt? Es genügte, daß ihr ein Wort ins Auge stach: „Interplanetic"! Nein, so schnell lasen die sprichwörtlich langsamen Belter nicht. Oder doch? Und würde sie Quinn informieren? Wie würde der reagieren? Als Kapitän war er der Herr an Bord. Yarbro steckte, sorgenvoll einatmend, das Notizbuch in die Brusttasche seiner Kombination und 11
zerrte den Reißverschluß zu. Mühsam unterdrückte er den neuerlichen Reiz in seiner Nase. Dais schwenkte währenddessen lautlos und behende zwei Balken parallel zueinander von der Wand ab. Aus einem größeren kastenartigen Möbelstück zog sie runde und flache Gegenstände, die nur durch die Aufschrift als Nahrung kenntlich waren. Sie setzte sich auf einen der Balken und begann ohne ein Wort an Yarbro zu essen. Ruhig und routiniert schälte sie das schwarze, hauchdünne Verpackungsmaterial ab. Unsicher, ob sie seine Anwesenheit wünschte oder nicht, näherte sich Yarbro. Sie konnte ihn schließlich nicht hungern lassen. Er nahm auf dem anderen Balken Platz und klammerte sich mit den Beinen fest. Dais reichte ihm wortlos eine grüne, eigroße Kugel: Beltgemüse. Unter der harten Schale verbargen sich feuchte, strähnige Fasern. Yarbro beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Er konnte ihr es nicht verdenken, wenn sie ihn nach dem Zusammenstoß ignorierte. Hoffentlich zog sie sich nicht auf Dauer in ihr Schneckenhaus zurück. Aber wie hätte er sich anders verhalten können? Aus lauter Rücksicht auf ein durch seinen Lebenskreis benachteiligtes Beltkind auf seinen Schatz verzichten? Er rief seine Gedanken zur Ordnung. Zuallererst mußte er aufs behutsamste ermitteln, wieviel sie ahnte. „Dieser Flug ist ein großes Abenteuer für mich", sagte er, um ein Gespräch anzuknüpfen. „Für mich nicht." Yarbro fühlte sich abgewiesen, und er fand keinen neuen Ansatzpunkt. Stumm kaute er auf den zähen Fasern herum. Was mochte hinter Dais' Stirn vor sich gehen? Sie wußte nun, daß er etwas zu verheimlichen trachtete. Hatte sie das entscheidende Wort gelesen und... ja was, und? Plötzlich kam sie ihm fremd, unverständlich und undurchschaubar vor, nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Wesen von einer anderen Welt. Das Gemüse schmeckte undefinierbar. Da sie nichts tranken, hielt der bittere Nachgeschmack noch an, als er zur Schleuse eilte, um eine seiner Rückstoßpistolen zu holen. Drei Tage flog Yarbro schon, ohne zu wissen, ob die „Naomi" dem Kurs noch folgte. „Alles wie vorgesehen." Längere Kommentare gab der Belter nicht ab, und Dais stand ganz unter seinem Einfluß. Es war höchste Zeit, selbst nach dem Rechten zu schauen. Jede Stunde mußte die „Naomi" den Zwillingsbrocken, die erste Bahnmarke, passieren. Yarbro verließ den Wohnzylinder und kroch in eine Röhre von gut einem Meter Durchmesser, die zum winzigen Navigationsraum führte. Sich abwechselnd mit der linken und mit der rechten Hand abstoßend, schwebte er vorwärts. Ein Deckel verschloß das andere Ende der Röhre. Yarbro begriff den einfachen Mechanismus, klappte den Deckel auf sich zu und steckte seinen Kopf hindurch. 12
Der Alte hockte seitlich in der Luft. Er sagte nichts, sondern schlief, wofür er sich sicherlich den idealen Ort ausgewählt hatte. Bedacht, kein Geräusch zu verursachen, hangelte sich Yarbro zu den Instrumenten hinüber, einfachen, mit unverständlichen Schriftzeichen skalierten Modellen. Ein Satz handtellergroßer Monitore zeigte Ausschnitte des Sternhimmels und die Radarreflexe naher Großmeteorite. Der Zwillingsfelsbrocken war i icht darunter. Das Glas der Bildschirme spiegelte das Gesicht des Alten: Er hatte die Augen geöffnet. „Entschuldigung, ich wollte nicht stören", murmelte Yarbro. Der Belter antwortete nicht. Yarbro hielt den Atem an. Die zusammengekauerte kleine Gestalt regte sich nicht, unter dem weißen Haar stierten die weit aufgerissenen Augen ins Leere. War er etwa tot? Vakuumkälte schien auf Yarbro einzudringen. Er klammerte sich an einer Metallverstrebung fest und starrte wie gebannt auf den alten Mann. Ein winziges Stäubchen tanzte im Schein der Instrumentenbeleuchtung vor dem Gesicht des Belters auf und ab: Er atmete. Erleichtert musterte ihn Yarbro. Quinn war nicht tot, er schlief auch nicht, sondern befand sich in „Haruni", einem tranceartigen Zustand höchster Konzentration, in dem er präzise wie ein Automat das Boot steuerte. Auf den großen Linern kursierten über den „Pilotenschlaf" die verwegensten Spekulationen und unzählige Witze. Die Belter, hieß es, würden wochen-, ja monatelang in Haruni ausharren können, ohne einen Bissen zu sich zu nehmen, und sie würden völlig eins werden mit ihrem Schiff, so völlig, daß sie danach ihren eigenen Namen vergessen hätten und man sie mit der Schiffsbezeichnung anreden müßte. Da Quinn sich nicht rührte, zog Yarbro sich vorsichtig zurück. Gerade legte er die Hand auf den Öffnungshebel der Luke, da sprang ihm ein Radarreflex auf einem der Monitore ins Auge. Ein irreguläres, hanteiförmiges Objekt schob sich ins Blickfeld: der Zwillingsbrocken. Yarbro stieß sich ab, flog hinüber zu den Instrumenten. Es gab keinen Zweifel. Die erste Station seiner Reise war erreicht. Jetzt mußte die „Naomi" auf neuen Kurs gebracht werden. „He, Quinn", sprach er den Belter an, „wir müssen ein Korrekturmanöver einleiten." Nach wie vor glotzte der reglos auf die Instrumente. „He", Yarbro hob die Stimme, „aufwachen! Kurs ändern!" Quinn reagierte nicht. Ungeduldig griff Yarbro mit der linken Hand nach dem Belter und rüttelte ihn aus Leibeskräften. Die Bewegung übertrug sich augenblicklich auf das gesamte Boot, es stampfte, schlingerte, stoßweise heulten die Raketenmotore auf. Zu Tode erschrocken ließ Yarbro los, im selben Moment beruhigte sich die „Naomi". Steif und mit glasigen Augen hockte der Belter vor den Instrumenten. Yarbro floh. Während er, sich mit allen vieren vorwärtsstoßend, durch die Röhre zu13
rückhetzte, wurde ihm schwindlig. Ohne Orientierung und ohne Halt schoß er in den Wohnzylinder hinein. Der Raum bog sich durch, alles rückte in unerreichbare Ferne. Seine Koje schwebte kilometerweit über ihm, er selbst hing haltlos in einem ungeheuer tiefen Schacht. Ein Schauer überlief ihn, er schüttelte den Kopf eine Bewegung, die die Welt ins Schwingen brachte. Es ist nichts, nur dein Gleichgewichtssinn spielt verrückt, dachte Yarbro und kniff die Augen fest zu. Doch was nützte ihm dieses Wissen, wenn er trudelnd und sich überschlagend durch die Leere taumelte. Schwer atmend erreichte er endlich seine Koje, wälzte sich hinein und zog den Vorhang zu. Dort lag er nun, festgestemmt mit Armen und Beinen, von Zeit zu Zeit durchlief ihn ein Zittern. Lautlos fluchte er auf die Schwerelosigkeit, auf seine Schwäche und die hinterlistige Wandelbarkeit der Geometrie. Als er ein wenig Kraft zurückgewonnen hatte, schnallte er sich an und schlief fast augenblicklich zu Tode erschöpft ein. Wenig später wachte er schweißgebadet auf. Heiße, feuchte, stinkende Luft wallte um ihn. An der Kojenpolsterung war Schweiß zu winzigen Tröpfchen kondensiert. Mit einem Ruck schob er den Vorhang zur Seite und steckte seinen hämmernden Kopf hinaus. Ein schöner Kapitän X war er! Beinahe an seinen eigenen Ausdünstungen zu ersticken! Beinahe eines vorgezogenen Vorhangs und eines nicht eingeschalteten Ventilators wegen kurz vor dem ersehnten Ziel draufzugehen! Aus der Tiefe des Wohnzylinders schaute ihn der Belter mit gleichgültigen Augen an. „Für Sie ist der Navigationsraum tabu!" sagte er kalt. Yarbro werkelte in seiner Koje. Durch den geschlossenen Vorhang drang kaum Licht herein. Doch der schwache Schein genügte ihm zum Zusammensetzen der Rückstoßpistole. In mühseliger, tagelanger Fummelei hatte er die Justierungen verstellt und die Fokussierung des Strahles reguliert. Haarscharf gebündelt wie Laserlicht, so hoffte er, würde das heiße Gas nun aus der Düse strömen. Das Fortbewegungsmittel verwandelte sich damit in ein Schweißgerät, dem kein Safe der „Interplanetic" widerstehen würde. Aus einer der Röhren, die zum Wohnzylinder führten, erklangen Geräusche. Langsam, doch stets geschäftig flickte der Belter an seinem Boot herum. Yarbro kam dieses Knirschen und Klicken zupaß, es übertönte die eigenen Hantierungen, und, solange er den Lärm wahrnahm, würde sich Quinn nicht anschleichen. Womöglich kontrollierte der ihn noch! Schlimm genug, daß Quinn ihn in seiner Bewegungsfreiheit beschränkte. Er, Yarbro, störe bei der Navigation! Gut, er hatte sich aus Unwissenheit ungeschickt benommen, aber ihn deshalb gleich aus dem Navigationsraum auszusperren! Yarbro schraubte die Verkleidung an die Pistole und verstaute bedächtig das Werkzeug. Wie und womit konnte er das Instrument testen? Er 14
stellt es auf kleinste Leistung und legte eines der prallen, mit bräunlichem Kunstleder bezogenen Kissen gegen die Wandung - natürlich nicht gegen die, hinter der er den freien Kosmos vermutete. Dann winkelte er die Beine an und preßte den Kopf gegen die Decke, um den Rückstoß abzufangen. Metallisch kühl schwebte die Pistole in seiner Hand. Er lauschte Quinn war noch bei der Arbeit - und drückte ab. Ein nadelfeiner Strahl schoß hervor und schlug in das Kissen. Es knallte ohrenbetäubend. Aus dem Kissen quoll gelblicher, übelriechender Dampf. In fiebernder Hast stopfte Yarbro die Rückstoßpistole unter seinen Tornister, drehte das Kissen um, griff dabei in Klebriges, Weiches, Warmes. Da riß auch schon der Belter den Vorhang zurück. Er hielt einen Feuerlöscher in der Hand, unter seinem Arm klemmte eine Tube Leckpaste. „Was ist los?" Yarbro stotterte. Nichts wäre, kein Meteorit, nein... Der Belter blickte ihn höhnisch an. Endlich kam Yarbro der rettende Einfall. „Mir ist eine Batterie explodiert." „Ach ja?" Unablässig suchten die Augen des Belters die Koje ab. „So eine Wasserstoff-Sauerstoff-Hybridzelle... Muß sie wohl überlastet haben... Einen Ausschuß stellen die her..." 15
„Haben Sie noch mehr Sprengstoff bei sich?" Die Verdächtigung traf Yarbro wie ein Schlag. Eilig dementierte er. Wieso Sprengstoff, und niemals würde er... Der Belter schnitt ihm das Wort ab. „Es gibt Leute auf der Erde, die glauben, der Große Belt sei ein Orbit der unbegrenzten Möglichkeiten. Man fliegt einmal kurz hin und kehrt als reicher Mann zurück. Die begehrten Korallen zögen dort dicht wie Meteoriten ihre Bahn, man braucht sie nur aufzulesen und in die Tasche zu stecken, und wenn gerade mal keine vorbeiströmen, dann knackt man einfach den nächstbesten Mikroasteroiden, sprengt ihn hoppla, hoppla ins Vakuum, irgendwas wird schon drin sein. An die Belter, die in diesen Orbits auch noch leben müssen, denken sie nicht. Daran, daß viele mit Korallenfang ihr Dasein fristen und daß jeder gesprengte Felsbrocken neue Meteoritenschwärme erzeugt, daß man mit dem Belt pfleglich umgehen muß... Aber wir wissen uns notfalls zu schützen!" „Ich bin kein Korallenjäger!" Yarbro richtete sich auf. Dabei prallte er mit dem Kopf gegen die Decke. „Und außerdem lasse ich mich von Ihnen nicht gefangenhalten. Ich verlange Zutritt zum Navigationsraum!" „Sie haben keine Forderungen zu stellen!" Zum erstenmal verlor der Belter seine Ruhe. „Sie sind eine Gefahr für mein Boot! Wir fliegen sofort zurück!" Yarbro erstarrte. War er zu weit gegangen? „Wir haben einen Vertrag abgeschlossen...", wandte er zaghaft ein. Der Belter zeigte sich unbeeindruckt. „Nur noch eine Woche, und dann..." „Und dann?" echote der Belter schmerzhaft scharf seine Worte. Mit einemmal straffte er sich. „Gut. Aber: ein dritter Vorfall, und ich setze Sie auf der Stelle aus." Er stieß sich ab und schwebte zu seiner Arbeit. Im Flug holte er eine Süßzwiebel aus der Tasche, steckte sie sich in den Mund und kaute hastig darauf herum. Das plötzliche Nachgeben des Belters verwunderte Yarbro. Er wollte nicht ständig das Schlimmste befürchten, aber... Mißmutig rieb er sich über den schmerzenden Hinterkopf. Erst jetzt bemerkte er, daß ihm eine violette Masse, die süßlich roch, an den Fingern klebte. Er wischte sie an dem aufgerissenen, versengten Kissen ab. Durch den Druck quollen kleine Beutelchen daraus hervor, auf denen in zarter Schrift „Notproviant" stand. Der aufgestaute Ärger brach sich in Yarbro Bahn. Er sprang hinaus aus der Koje, stürzte sich auf den in der Wand versenkten Muskeltrainer. Aus Leibeskräften zerrte er an dem Gestänge. Ihn für einen primitiven Korallenjäger zu halten! Heftig drückte er eine riesige Feder zusammen. Was bezweckte dieser Langsammensch eigentlich, wenn er ihm den Navigationsraum verbot! Ihn in dieser winzigen verbeulten Blechbüchse von Boot geradezu gefangensetzte! Erst mit dem Abbruch der Fahrt drohte, 16
dann wieder — scheinbar grundlos — einlenkte! Peng! Voller Wut boxte Yarbro auf ein Schlagpolster ein. Wetten, daß es mit irgendwelchen Fasern gefüllt war, die vor Gebrauch gepreßt werden mußten? Peng! Peng! Vielleicht ärgerten sie ihn nur, damit er ihre Arbeit hier verrichtete. Peng! Schneller und schneller trat er in die Pedale des Trainingsgerätes. Hinter seinem Rücken summte ein kleiner Generator, der über Federn und Seilzüge seine Muskelarbeit in elektrische Energie umsetzte. Der Schweiß verklebte die Haare auf der Stirn. Die Belter nutzten sogar seine Wut aus, jawohl! Betrieben ihr Boot von seinem Gestrampel, diese Ausbeuter! Großer Belt, in was für ein Tretraumschiff war er geraten! Starr und kalt leuchteten die Lichtpunkte der Sterne durch das Bullauge. Nichts deutete darauf hin, daß die Jolle sich bewegte. Kein Stäubchen verriet sich durch einen samtenen Schimmer, kein Meteorit durch Helligkeitsschwankungen. Der schwarze Himmel bot ein Bild trostloser Einsamkeit und Monotonie. Seit ihm der Belter den Zutritt zum Navigationsraum verwehrte, blieb Yarbro nur eine einzige bescheidene Möglichkeit, den Flugverlauf zu kontrollieren: das Bullauge im Laderaum. Kapitän X hätte in seiner Lage gewiß anhand der Lichtpünktchen von entfernten Asteroiden den Kurs bis auf die zehnte Dezimale genau ermittelt. Er aber konnte von Glück sprechen, daß er gerade aus dem Bullauge lugte, als die „Naomi" den „Steinzirkus" passiert hatte. Im Höchstfall gelang es ihm, dann und wann einen Asteroiden anzupeilen und die Bewegungsrichtung der „Naomi" abzuschätzen. Den Belter zu fragen war zwecklos, und auch Dais zeigte sich trotz all seiner Bemühungen weiterhin freundlich, aber verschlossen. Tag für Tag in der Koje zu liegen und die Polster anzustarren, Tag für Tag das gleiche Beltgemüse schweigend runterzuschlingen, wer sollte das auf Dauer ertragen? Einmal hatte er sich sogar dabei ertappt, daß er dutzendemal hintereinander durch denselben Rohrzug glitt: vom Wohnzylinder zum sacht brummenden Aggregat, von dort zu dem Leitungsgewirr der Wiederaufbereitungsanlage und zurück zum Wohnzylinder. Mit einemmal schreckte Yarbro hoch. Am äußersten Rand seines Blickfeldes blitzte es silbern. Gespannt preßte er die Wange gegen die kalte Wandung. Unmerklich driftete der Lichtpunkt heran. Zweifellos flog dort ein Schiff. Er atmete verhalten, damit die Scheibe nicht beschlug. Die Entfernung konnte täuschen, doch schien ihm das fremde Boot wesentlich größer als die „Naomi". Es rotierte langsam. Die Formen des silberglänzenden Schiffsleibes kamen ihm bekannt vor. Natürlich, dieses Schiff war ihm schon auf dem Startfeld aufgefallen, es war die „Mynnarum Sagitta". Allmählich durchquerte das Schiff Yarbros Gesichtsfeld. Auch die Sterne wanderten kaum merklich von links nach rechts - die „Naomi" drehte sich. Schließlich geriet die „Mynnarum Sagitta" an die rechte Einfassung der Fensterluke, bald war auch ihre letzte Flosse verschwunden. 17
Sekunden später verharrten die Sterne, das Steuermanöver der „Naomi" war beendet. Yarbro fluchte. Weshalb mußte der Belter unbedingt jetzt die „Naomi" neu ausrichten? Und was suchte das überaus flinke und funkelnagelneue Boot in der Nähe seiner Jolle? Yarbro biß die Zähne aufeinander und stieß sich vom Bullauge ab. Eilig klappte er die Luke hinter sich zu und hastete in den Wohnzylinder, um Dais zur Rede zu stellen. Schließlich hatte sie erst vor kurzem in Haruni Wache gehalten und mußte längst von dem Verfolger wissen. „Ich habe ein fremdes Schiff entdeckt!" rief er schon von weitem. Dais antwortete nicht. Sie saß, aus Yarbros Perspektive waagerecht, in ihrer Koje. Ein Buch schwebte jiber den Knien, die Blätter fächerartig entfaltet. „Terrestrische Psychologie" stand auf der halb herumgeklappten Titelseite. „Ich war im Laderaum, am Bullauge. Spiel mir nichts vor, ich habe es mit eigenen Augen gesehen - obwohl Quinn unsere Raumlage geschickterweise so geändert hat, daß ich es nicht mehr beobachten kann." Dais wandte sich ihm zu und betrachtete ihn mit müden Haruniaugen. „Kommt das oft vor?" fragte er aufgeregt. „Ich meine, daß man im Belt einem fremden Schiff begegnet." „Selten. Es ist kein fremdes Schiff, es ist die ,Mynnarum Sagitta'", antwortete sie mühsam. „Das habe ich auch erkannt. Was suchen die hier? Weshalb verfolgen die uns?" „Der Belt gehört all seinen Bewohnern." Sie lächelte, als hätte sie eine alles erklärende Zauberformel ausgesprochen. „Vielleicht fliegen sie zur Schule." „Ihr habt mit ihnen Kontakt aufgenommen, nicht wahr? Ich wünsche nicht, daß sie uns weiterhin folgen!" Dais zog wortlos den Vorhang zu. Keine Auskunft ist auch eine Auskunft, dachte Yarbro bitter. Bestimmt haben sie sich ausgetauscht — über mich und über meinen absurden Zickzackkurs. Es fehlte ihm gerade noch, daß sich die „Mynnarum Sagitta" an die Düsen der „Naomi" heftete. Sie besaß einen wesentlich stärkeren Antrieb und konnte mit Leichtigkeit als erste die „Interplanetic" erreichen. Und wenn er mit diesem Museumsstück angelangte, war der Schatz gehoben! Yarbro schwang sich in seine Nische, schloß ebenfalls den Vorhang und zog das Notizbuch hervor. Den Taschencomputer auf den Knien und den Kopf gegen die Deckenpolsterung gepreßt, errechnete er einen neuen Kurs, der die „Mynnarum Sagitta", wenn sie ihm nachspionierte, in die Irre führen mußte und ihn selbst dennoch näher an die „Interplanetic" brachte. Während er die neue Bahn festlegte, verstärkten sich seltsame Geräusche in der „Naomi". Ein feines Kratzen, bald fern, bald nah, ein unter18
schwelliges Brummen. Yarbro ließ den Rechner sinken und lauschte. Eine Weile stellte er sich vor, daß Mikrometeoriten an der Außenwand seiner Koje vorbeischnurrten, doch die Geräusche drangen von überallher, plagend und klagend. Schmerzhaft zäh klopfte ihm das Blut in den Schläfen. Eine Beltkrankheit? Yarbro verscheuchte die quälenden Gedanken. Er steckte Notizbuch und Computer weg. Bevor er befahl, den Kurs zu ändern - jeder Umweg kostete Zeit und Geld -, mußte er sich vergewissern, ob die „Mynnarum Sagitta" sich nicht längst entfernt hatte. Das war nur möglich, wenn er den Skaphander anzog und ausstieg. Dann mochte der Belter die „Naomi" drehen, wohin er wollte, das andere Schiff würde er nicht mehr verbergen können. Der Gedanke an den Ausstieg bereitete Yarbro kein Vergnügen. Er fühlte sich schlapp und zerschlagen. Auf dem Weg zur Schleuse erfüllte ein weiteres Mal das feine Kratzen klagend und plagend das Boot. Am liebsten hätte er sich die Ohren verstopft, wäre einfach in seine Koje gekrochen und eingeschlafen. Wie ungerecht spielte ihm der Belt doch mit: Kapitän X wurde nie krank. Yarbro kämpfte die Schwäche nieder. Vor ihm hing der Skaphander in der Halterung. Das Dämmerlicht der Röhre verwandelte ihn in einen faltigen Riesen. Yarbro hob ihn herab und stieg schwerfällig hinein, wobei er sich mit einer Hand an einem Wandgriff festhielt. Warum war es diesmal nur so anstrengend, in den steifen Anzug zu kriechen? Bevor er den Helm aufsetzte, ruhte er, an die Wandung gelehnt, aus. Er sicherte die Verschlüsse, dann tastete er nach dem Skaphandercomputer. Träge piepsend, führte dieser die Tests durch. Yarbro atmete schwer, wartete, daß das Lämpchen grün glomm. Danach hangelte er sich vorwärts zur inneren Schleusentür, leierte am großen Handrad und zog. Die Tür rührte sich nicht. Er hebelte am Rad, aber es hatte den Anschlag bereits erreicht. Er zerrte an der Tür, zerrte - sie hatten die Schleusentür blockiert! Er ballte die Hände zu Fäusten und knallte die Skaphanderhandschuhe aufeinander, daß ihm die Knöchel schmerzten. Er hatte sich so abgemüht! Zitternd vor Wut und Anstrengung begann er, den Skaphander abzulegen. Wie zufällig fiel seine Hand auf die Rückstoßpistole, die er längst wieder in den Gürtel gesteckt hatte. Sollte er ein, zwei kurze Strahlen auf den Schließmechanismus abfeuern? Nein, dazu war es noch zu früh. Im Augenblick genügte ihm zu wissen, daß die „Mynnarum Sagitta" ihm noch folgte. Wie anders sollte er die verschlossene Schleuse sonst deuten? Erschöpft befestigte er den Skaphander an der Wand. Er tappte, sich mit den Händen über dem Kopf abstützend, zurück zum Wohnzylinder. Keine Sekunde wollte er den Kontakt mit der Wand verlieren. Die Geräusche setzten ihm zu, und manchmal drehte sich die Röhre, verwandelte sich in einen tiefen, senkrechten Brunnenschacht, den er bald hinauf, bald hinab klomm. Endlich erreichte er das helle Oval, mit dem 19
die Röhre auf den Wohnzylinder stieß. Ein schwindelerregender Abgrund gähnte ihm entgegen. An seinem Grunde saß Dais auf einem Sitzbalken. „Wir müssen den Kurs ändern, sofort den Kurs ändern!" rief er, doch seine Stimme brachte nur ein heiseres Krächzen hervor. Dais blickte auf. „Was ist?" Sich nur nichts anmerken lassen, keine Schwäche zeigen! Yarbro holte tief Luft und schnellte sich mit geschlossenen Augen ab. „Was ist mit dir?" Er stürzte auf Dais zu, den Zettel, auf dem er den neuen Kurs notiert hatte, wie eine Waffe von sich streckend. „Kurs ändern, sofort!" Diesmal verstand sie. „Aber warum?" Yarbro erreichte den Sitzbalken, klammerte die Schenkel fest und fester darum — schmerzhaft, doch beruhigend. „Weil ich es so will." Dais nahm ihm den Zettel aus der Hand, warf einen Blick darauf. „Dort gibt es nichts Interessantes." Sie musterte ihn kritisch. „Wir fliegen, wohin ich will." Yarbro preßte die Lippen aufeinander. „Und zwar sofort." Durch das Boot schrillten plagend und klagend die unheimlichen Töne. Wenn sie noch lange zögerte oder er gezwungen war, öfter mit der „Naomi" Haken zu schlagen, wurde auch die Zeit knapp — er hatte das Boot nicht beliebig lange gechartert. Und Dais saß da, als wäre sie festgenietet. Langsam währt am längsten! „Sofort! Sofort!" flüsterte Yarbro. Er stieß sich ab und trudelte nach oben, verfehlte seine Koje, alles um ihn geriet ins Taumeln. Hilflos schnappte er nach Luft, die metallblauen Wände um ihn zerflossen zu einem Meer, in das er, von plagenden und klagenden Wellen überrollt, sank und sank... Wenige Stunden später war Yarbro hellwach. Undurchdringliches Dunkel herrschte in der Koje, sein Körper lag bewegungsunfähig, die Arme gehorchten seinem Willen nicht. Nur seine Sinne arbeiteten glasklar, überdeutlich, mit vibrierender Aufmerksamkeit. Jetzt bist du schwerekrank — wie teilnahmslose Billardkugeln rollten die Gedanken auf ihren logischen Bahnen -, kannst dich nicht wehren. Sie haben dich gefesselt, und als nächstes werden sie dir dein Geheimnis entreißen. Und dann fliegt ein Meteorit mehr im Belt, ein Steinchen, wie Dais gesagt hat. Prompt vernahm er Stimmen. Nicht aus dem Wohnzylinder. Von weither. Durch Röhren und geschlossene Lukendeckel. Aus dem Navigationsraum. „Jetzt schläft er." - Das war Dais' Stimme. „Gut so." - Ihr Vater. Sie schwiegen minutenlang. „Wir müssen sie bergen, solange er krank ist." - Wieder Quinn. „Er ist kein Korallenjäger." - Dais. Erneutes Schweigen. Selbst ihr Atmen war deutlich vernehmbar. Und das Geräusch, als ihre Hand über die Wandung strich. 20
„Nicht, wenn er schläft." Sie schwiegen, und die flachen, langsamen Atemzüge Quinns verrieten, daß er in Haruni fiel. Und Dais? Sie schien sich in Vakuum aufgelöst zu haben. Fieberhaft suchten Yarbros Sinne das Boot ab, verloren sich im leisen Summen des Generators. Nichts, nirgends. Ein winziges Knacken der Metallplatten. Sein eigenes Herz tönte, als wollte es das Boot zerschlagen, mit jedem Pulsschlag betäubender. Da, endlich - neben dem sonoren Atem Quinns ein feinerer, leiserer, verwehender Luftzug. Sie sind nun beide in Haruni, dachte es in Yarbro, sie haben mein Lauschen gespürt und sich dorthin zurückgezogen, wohin ihnen meine Sinne nicht folgen können. Und niemand weiß, worüber sie sich nun unterhalten. Der Erdung bleibt ausgeschlossen. Die seltsame Lähmung wich von ihm. Unbeteiligt wie im Traum eines Fremden, löste er die Schnallen und schwebte gefühllos inmitten der aus unbestimmter Entfernung auf ihn eindringenden plagenden und klagenden Geräusche zum Bullauge. Unwirklich klar und nah strahlten die Sterne, der feine Schleier eines Staubfeldes lag vor ihnen. Und in diesen gehüllt, flogen einzelne graugelbe Steine unendlich langsam dahin. Bald rot, bald grün, wie die Positionslichter zahlloser Schiffe blinkte es von ihnen herüber. Ein breiter, silberner Funken tauchte auf und löschte, begleitet von einem sachten, dünnen Zirpen, eins um das andere die Lichter. Die Faszination des Anblicks bannte Yarbro, bis auch das letzte Funkeln verging. Mit schlafwandlerischer Sicherheit kehrte er in seine Koje zurück. Die Töne, plagend und klagend, waren verstummt, doch noch immer stand ihm das rote, das grüne Leuchten vor Augen. Und während er so dahindämmerte, fingen seine überwachen Sinne noch einen Satz traumhaft unwirklich auf: „Bald sind wir bei der ,Interplanetic'." Leise schnurrte der Ventilator, kühle Luft strich über Yarbros Gesicht. Das Gefühl der Schwäche war geblieben und auch die Furcht vor dem Abgrund, den nur der dünne, bräunlich gemusterte Vorhang verdeckte. Beim bloßen Gedanken an freies Schweben klammerte er sich an den Kissen fest. Wie lange hatte er so gelegen, halb besinnungslos, halb schlafend? Mühsam senkte er seinen Blick von der Deckenpolsterung herab auf die Armbanduhr. Tage waren verstrichen. Ruckhaft, in einzelnen Bildern, stellte sich die Erinnerung ein: Würfel mit Konzentrat, die er sich in den Mund schob; das riesengroße besorgte Gesicht Dais', das vor der Öffnung seiner Koje auftauchte; rote und grüne Funken in einem weiten schimmernden Feld. Den Staubstrom, natürlich, er hatte den Staubstrom passiert, und Korallen hatten rot und grün gefunkelt. Vielleicht hatten sie bereits die Eisenmeteorite erreicht? Oder sogar hinter sich gelassen? Yarbro versuchte zu überschlagen, wie weit die „Naomi" geflogen sein mußte. Immer wieder verrechnete er sich. Endlich gelangte er zu einem Ergebnis: Keine Tage 21
mehr, nur noch zwei bis drei Stunden höchstens konnten ihn von der „Interplanetic" trennen. Die „Interplanetic"! Yarbro wollte rufen, nach der genauen Position fragen, doch bevor er dazu kam, nisteten sich in den Winkeln der Koje plagend und klagend die Geräusche ein. Noch hatte er die Schwerekrankheit nicht überwunden. Und dabei lag der Schatz ihm direkt vor der Nase! Was war mit dem fremden Schiff? „Mynnarum Sagitta", richtig, es hieß „Mynnarum Sagitta". Ob sie vorausflogen? Er mußte handeln, schnell handeln! Unter Anspannung aller Kräfte richtete sich Yarbro auf. Schwäche drohte, ihn zu übermannen. Da half nur eines: die Spritze. Er zerrte den Tornister hinter einem Polster hervor — hier und da klebte noch die süße, violette Masse daran -, öffnete ihn, kramte drin herum. „Supermann"Spritze wurde sie von den Flottenbesatzungen genannt. „Nur im Notfall!" stand auf ihrer orangefarbenen Umhüllung. Drinnen warnte ein Zettel vor Neben- und Nachwirkungen. Die Buchstaben, die langen lateinischen Wörter verschwammen vor Yarbros Augen. Plötzlich war die Spritze ganz weit entfernt, am anderen Ende des Universums, wie ein dünner Faden führte sein Arm zu ihr. Kranauslegern gleich bewegten sich seine Hände. Er setzte die Spritze gegen seine linke Armvene - ein kurzer Schmerz —, schob mit dem rechten Daumen die Sperre beiseite und drückte auf den roten Knopf. Die Preßlufttablette zischte auf. Etwas Heißes schoß in seinen Ellenbogen, zur Schulter hinauf zum Herzen, in die Lunge. Er stöhnte, seine Hand pendelte schlapp im Raum. Fauchend schwang die Spritze hin und her. Schwach und von Hitze durchflutet, hing Yarbro über den Kissen. Mit einem Ruck brachte er die Kraft auf, den Vorhang zur Seite zu schieben. Dabei streifte er die Spritze ab. Er riskierte einen Blick aus der Koje - noch zog ihn der hallend leere Abgrund an und stieß ihn zugleich zurück. Mit zusammengekniffenen Augen auf den Muskeltrainer starrend, wartete er auf das Einsetzen der Wirkung. „Schon überstanden?" Laut, viel zu laut tönte Dais' Stimme. Sie saß auf einem Balken, hatte eine Arbeitsplatte vor sich und reparierte ein Gerät. Yarbro war, als sähe er sie zum erstenmal. Jeder ihrer Gesichtszüge stach ihm ungeheuer lebendig in die Augen; der blaue Stoff ihrer einfachen Kombination, der sich, nur an wenigen Stellen Falten werfend, an ihren Körper schmiegte, schien zum Greifen nahe. Auf der Erde mochte Dais als mager gelten, doch jetzt erschien sie ihm als feingliedrig und von zerbrechlicher Schönheit. Sie war genau so, wie man im Belt sein mußte. Und jede ihrer sparsamen Bewegungen verriet, wie perfekt sie ihre unirdische Umwelt meisterte. Um sie schwebte ein Schwärm von kleinen Bauteilen. Sie atmete und regte sich so behutsam, daß er nicht in Unordnung geriet. Nur wenn sie redete, kam Unruhe in ihn. Dann und wann fing sie einen Ausreißer geschickt und ohne Hast ein. „Ihr Erdlinge schlaft sehr unruhig. Ihr schnauft und erzählt im Traum." 22
Matt schüttelte Yarbro den Kopf, die Hitze war ihm inzwischen in die Wangen gefahren. Er räusperte sich. „Was habe ich gesagt?" „Man achtet die Privatsphäre der anderen." Etwas Heißes drang in die Zehen, jeden Muskel spürte er, jeden Nerv. „Ach ja? Ihr klappt wohl die ,Ohrenlider' herunter?" Es klang schärfer, als er beabsichtigt hatte. Dais schwieg. Sie führte die rechte Hand an die Stirn und überlegte. „Viel Wirres, Unverständliches hast du geflüstert. Von Eisenmeteoriten. Und ,mein Schatz, mein Schatz!' gerufen." Das erhitzte Blut klopfte Yarbro gegen die Schädeldecke. In Fingern, Beinen, selbst in den Ohren pochte es. Doch sein Gehirn funktionierte wie ein gut gekühlter Computer. „Ja, ich habe auf jedem größeren Himmelskörper einen Schatz." Ihm war, als hätte ein Fremder aus ihm gesprochen. Ein Lächeln huschte über Dais' Antlitz, doch sie erwiderte nichts. Durchschaute sie ihn? Wieviel mochten sie und ihr Vater ahnen? Diese Stimmen: „Interplanetic" - war es Halluzination gewesen oder nicht? Jede Kleinigkeit im Wohnzylinder sah Yarbro mit übergroßer Deutlichkeit. Selbst den Schwärm der Bauelemente vor Dais überschaute er mit einem Blick. Bunt und plastisch zitterten sie mit dem feinsten Luftzug. Kraftvoll öffnete und schloß er die Fäuste, preßte die gespreizten Finger gegeneinander. Endlich, endlich verwandelte er sich in Kapitän X! 23
„Wo befinden wir uns augenblicklich?" Lächerlich ungenau und ausweichend antwortete Dais. Yarbro langte hinter sich, holte den Computer hervor. Der Zettel, der der Spritze beigelegt war, flatterte auf. Gestochen scharf standen die Worte vor seinen Augen: „Nur bei Raumunfällen zu benutzen... Hyperästhesie... Bewußtseinsveränderung". Er blies ihn zurück. „Die genauen Koordinaten will ich wissen!" Immer noch unzureichend. Yarbro sprach mit ihr wie zu einem Kind. „Du warst doch erst vor wenigen Stunden in Haruni. Wann exakt? Wie lauteten die letzten Koordinaten? Welcher Kurs? Hat Quinn inzwischen die Düsen gezündet?" Na bitte, sie konnte genaue Angaben machen, wenn sie sich anstrengte. Yarbro tippte die Daten in den Computer ein - ziemlich langsam rechnete der heute -, die „Naomi" stand unmittelbar vor dem vermuteten Ort der „Interplanetic". Yarbro schnellte sich ab, schoß durch den Wohnzylinder mitten hinein in die Röhre, die zum Laderaum führte. Erst an dessen Tür berührte er erneut die Wind, um sich hineinzuziehen. Schon griff er nach der Umrandung des Bullauges. Er blickte hinaus, musterte Lichtpunkt um Lichtpunkt: die Plejaden, wunderbar deutlich gezeichnet und nur durch die schlechte Qualität des Quarzglases verwaschen, den Andromedanebel und dicht daneben die schartige, scharfkantige, von Schlagschatten zerrissene Silhouette eines Kleinstasteroiden. Yarbro brauchte nicht im Notizbuch nachzuschlagen, der Himmelskörper entsprach genau der Beschreibung. In diesen winzigen kosmischen Felsbrocken war die „Interplanetic" vor über einhundert Jahren gerast. Und seit dieser Zeit wartete sie darauf, entdeckt und ausgeschlachtet zu werden. Schon wollte sich Yarbro vom Bullauge abstoßen, da bemerkte er einen weiteren Lichtpunkt. Ein mikroskopisches Fünkchen nur, kaum zu unterscheiden von einem Stern, und doch - vielleicht etwas langgestreckt. Ein Eisenmeteorit? Nein, zu bläulich leuchtete dieser Körper. Yarbro eilte zurück in den Wohnzylinder. Geschwind brachte Dais die Teile vor dem Luftstrom in Sicherheit. „Wir sind am Ziel. Sag Quinn, er soll das Schiff stoppen, und zwar in drei Minuten. Und die Schleuse entriegeln! Kein Aber!" Aufgeschreckt schob sie Werkzeug und Bauelemente in Plasttüten. Das dauerte und dauerte - inzwischen konnte man alle Safes der „Interplanetic" aufbrechen. „Stopp in hundertdreißig Sekunden", sagte Yarbro sachlich, als Dais sich endlich in Bewegung setzte. Er selbst flog zur Schleuse. Behende schlüpfte er in den Skaphander, jeder Griff saß, und als der Antrieb aufheulte, stützte er sich blitzschnell ab. Schwerelos oder nicht, solange das Teufelszeug heiß in seinen Adern brannte, war er Kapitän X - und nichts in der Welt konnte Kapitän X aufhalten! Das Kontrollämpchen flammte grün auf. Gleich darauf beendete der 24
Belter das Bremsmanöver. Dais kam den Gang heruntergeschwebt. Yarbro betätigte das Handrad der inneren Schleusentür — sie war immer noch blockiert! „Weshalb öffnet Quinn nicht?" „Er sagt: In dem Zustand ist man nicht fähig, das Schiff zu verlassen." Yarbro lachte, in dem Zustand, in dem er sich augenblicklich befand, war er zu allem fähig. Dais zuckte zusammen, versuchte Einwände zu machen, redete von Schwerekrankheit. „Ich habe keine Zeit." Er langte nach der frisierten Rückstoßpistole. Einen kurzen Augenblick bedauerte er es, sie erschrecken zu müssen, sie zwingen zu müssen, dann überspielte die in seinem Hirn brodelnde Chemie die Bedenken. Dais wich zurück. Ihre Augen waren weit aufgerissen. „Du hast dir Alarmstoffe gespritzt!" Sie glitt an die Wand neben der Schleusentür, entfernte eine Platte, ein leises Klicken erklang. Yarbro bedankte sich. Lautlos schwang die Schleusentür zurück. „Aber wenn die Wirkung nachläßt!" Besorgnis lag in ihrer Stimme. Yarbro verriegelte den Helm und zog die Tür hinter sich zu. Die Kleine hatte recht, er durfte nicht trödeln. Vor Anspannung zitternd, schaute er auf das Manometer an der Wand, das den langsam fallenden Schleusendruck anzeigte. Jetzt brauchte er sich nur noch den Belter vom Leib zu halten. Der Druck sank auf Null, die äußere Schleusentür gab nach. Klar lagen die Sterne vor ihm, und in ihrer Mitte prangte ein schartiger, gelbbrauner Himmelskörper — sein Asteroid. Yarbro hakte eine Seiltrommel von der Wand und klemmte sie in die Angel der äußeren Tür. Damit war Quinn der Weg abgeschnitten. Stolz auf seine Pfiffigkeit, stieß sich Yarbro vom Lukenrand ab und segelte auf den Asteroiden zu. Sollten die Spitzbuben von der „Mynnarum Sagitta" nur versuchen, ihm seinen Fund streitig zu machen! „Was beabsichtigen Sie, Yarbro Martell?" Verzerrt durch den Helmfunk klang die Stimme des Belters sehr beiläufig, desinteressiert. „Einen kleinen Spaziergang." „Die äußere Schleusentür ist defekt." Yarbro antwortete nicht. Lange ertönte nur Rauschen aus dem Hörer. „Sie muß repariert werden." „Wenn ich zurückkomme. - Ich werde nicht lange bleiben", fügte er nach einer Pause halb entschuldigend hinzu. Ohne ein weiteres Wort unterbrach der Belter die Verbindung. Von grellen Schatten zerrissen, lag der Asteroid unter ihm. Mit Hilfe der Rückstoßpistolen glich Yarbro seinen Flug an die Rotation des Himmelskörper an. Langsam driftete er über die schroffen Felszacken. Fieberhaft suchte er das gelbe Gestein ab. Er hatte kaum ein Viertel des As25
teroiden überflogen, da tauchte ein langgestreckter Metallstab auf. Ungläubig öffnete er den Mund. So stellte er sich kein Wrack vor. Kein einziger Riß lief durch die von, meteoritischer Erosion gezeichnete Oberfläche, die einen fast perfekten Halbzylinder bildete. An einer Seite, der Asteroidboden war hier ungewöhnlich eben, schimmerten verstreut kleinere blanke Metallteile. Wären da nicht die halb abgeblätterten hellgrünen Buchstaben „...TERPLA..." auf der Hülle gewesen, Yarbro hätte geglaubt, sich geirrt zu haben. Eher konnte man die „Naomi" für ein Wrack halten! Während er auf den Asteroiden zusank, machte er eine weitere alarmierende Entdeckung: Aus einigen nebeneinanderliegenden Fenstern der „Interplanetic" drang, im umgebenden Schatten deutlich sichtbar, heller Lichtschein. Sie waren ihm zuvorgekommen! Weich in den Knien federnd, setzte er auf. Staub stob um die Füße hoch. Yarbro nahm die frisierte Pistole zur Hand und sprang mit einem einzigen langsamen Riesensatz zur stumpfen Seite des Schiffsrumpfes. Jetzt, aus der Nähe, erkannte er, daß das Schiff genau an einer Schotteilung auseinandergebrochen war. Den Mittelgang schloß eine noch intakte Tür. Yarbro umklammerte fester die Waffe. Mit der Linken tastete er zur Handlampe. Vorsichtig pirschte er sich aus dem Schatten eines Felsvorsprungs heran. In diesem Moment überflutete ihn Licht. Aus der geöffneten Tür quollen Skaphander. Sie sprangen, schwebten, drifteten, flogen heraus, auf ihn zu, umkreisten ihn, ließen ab von ihm, hüpften und tollten über den zerrissenen Boden des Asteroiden: Kinder, Dutzende Kinder! Zutiefst verwirrt stand Yarbro da, blickte bald in den Schwann der Kleinen, bald auf das Wrack der „Interplanetic". Eine Sekunde war er sogar versucht, sich die Augen zu reiben. Die aufgeputschten Sinne drängten ihn, etwas zu tun — aber was? Weit entfernt trieb die „Naomi" und dort, knapp über dem Horizont, die „Mynnarum Sagitta". Schlagartig erinnerte er sich: „Vielleicht fliegen sie zur Schule." Lachen schüttelte Yarbro, ein unbändiges, krampfhaftes Lachen. Die schnell erfundene Lüge, mit der er dem Passagier das Notizbuch abgeluchst hatte, war Wahrheit geworden. Großer Belt, konnte er gut schwindeln! Mit so einer Fähigkeit mußte man ja geradezu vorsichtig umgehen! Als der Lachanfall verebbte, befand sich Yarbro ein gutes Dutzend Meter über dem Asteroiden, der sich allmählich unter ihm wegdrehte. Kühl war es im Skaphander, die Haut prickelte, und er mußte die Augen schließen, um sich zu konzentrieren. Die Wirkung der Spritze schwand überraschend schnell. In panischer Angst betätigte er beide Rückstoßpistolen. Es warf ihn herum, er trudelte und purzelte, drehte sich um die eigene Achse - er hatte links mit der Handlampe beschleunigen wollen. Yarbro ließ sie los, zog die zweite Pistole hervor. Brechreiz würgte ihn, dennoch gelang es ihm, die Lage des Skaphanders zu stabilisieren und auf die „Naomi" zuzuhalten. Wenn er nur vor der großen Schwäche, die auf die Verausgabung aller Kräfte folgte, die Schleuse erreichte! Er schaltete 26
27
mit dem Kinn den Helmfunk ein, leckte sich über die Lippen. Sie schmeckten nach Schweiß. „Ich komme jetzt." Er schloß die Augen, um das wirre Geflimmer, das Kreisen und Schwanken der Sterne nicht zu sehen. „Sagt mir, wie weit ich schon bin, ja? Bitte, ihr habt mich doch auf dem Radar." Lange schwiegen sich die beiden aus. Dann hörte er aufatmend Dais eine Zahl nennen. Ein Zittern erfaßte seine Oberarmmuskeln und breitete sich schlagartig aus. Wenn es ihm nur gelang, die Seilrolle zu entfernen! Sonst — er würde direkt vor der Schleuse ersticken! Krampfhaft hielten seine Hände die Pistolen, doch wagte er nicht mehr, den Schub auszulösen. Hilf mir, Dais, hilf mir doch, flehte er stumm. „Du wirst vorbeidriften, Yarbro." Er schlug die Augen auf, brauchte Minuten, ehe er sich orientiert hatte. Was für ein fernes Sternchen war die „Naomi" doch. Ein roter Funke stob hinter der Jolle auf. „Weshalb habt ihr mir nicht gesagt, daß die .Interplanetic' längst entdeckt ist?" Ihre Antwort verlor sich in plagenden und klagenden Geräuschen. Nie hätte er geglaubt, daß der Kosmos so laut sein konnte! Stoßweise ging sein Atem, Schweiß brannte in seinen geschlossenen Augen. Kopfüber, kopfunter - wo war er eigentlich? Millionen Ameisen fraßen ihn von innen her auf. Dann stieß er mit einem großen, rostigen Stern zusammen. Ja, erinnerte er sich, er war ja selbst nur ein Steinchen im Strom, das hatte Dais gesagt. „Du mußt die Schleusentür schließen, Yarbro, die äußere Schleusentür schließen." Wieso verlangte man nur so närrische Sachen von ihm. Er wollte um Ruhe bitten, aber der Mund war verklebt, und es war so heiß um ihn und so stickig. Und daran war nur diese lästige Seiltrommel schuld. Wenn er die erwischte, die würde herrlich als ein Steinchen unter Steinchen fliegen... Fünf Tage benötigte Yarbro, um sich von der Auszehrung durch die Alarmstoffe zu erholen. Dann erst nahm er wieder mit wachem Bewußtsein wahr, was um ihn herum geschah. Der Begleiter hatte seine Rückstoßpistolen konfisziert und auch den Raumanzug weggeschlossen. Was Yarbro noch vor einer Woche zur Weißglut getrieben hätte, amüsierte ihn nun. Die Schatzfahrt war vorbei, er brauchte niemandem mehr zu mißtrauen. Ihm war, als wäre er aus einem wirren Traum erwacht, einem Traum, in dem er um sich nur Gefahren und Konkurrenten sah und in dem er selbst wie ein Wahnwitziger einem Phantom nachgejagt war. Aus. Es gab keinen Schatz mehr. Erleichterung erfüllte ihn, aber auch Wehmut. Er hatte versucht, Kapitän X zu sein - es war unmöglich. Er würde auf die „Stella Regia" zurückkehren oder einen anderen Liner der Stella-Klasse... 28
In der Tiefe des Wohnzylinders saß Dais auf einem Balken. Ein hauchzart schimmernder Ballon, gut einen Meter im Durchmesser, schwebte vor ihr. In dem Ballon schwirrten Steinchen durcheinander, Wolken von irisierenden Krümeln und Staub. Der Ballon war mit einem metallisch glänzenden Faden am Sitzbalken befestigt und verfügte über handschuhartige Einstülpungen, in die Dais ihre Arme gesteckt hatte. Sie stocherte gerade mit einem sticheiförmigen Werkzeug an einem Stein herum. Zweifellos löste sie Korallen vom umliegenden Mineral. „Hallo", sagte Yarbro, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken, „ich möchte mich entschuldigen. Ich habe mich bestimmt wie der rüpelhafteste Tourist benommen, euch viel Ärger bereitet - und dann mußtest du mich auch noch pflegen." „Es ist bereits das vierte Mal, daß du mir dies erzählst." „Ich glaube, ich habe einiges wiedergutzumachen." Dais schwieg. Der gelbliche Brocken in ihren Händen brach auseinander; rot und grün funkelnd, lag ein fingerhutgroßer Kristall bloß. Yarbro kroch in seine Koje. Er schlug seinen Tornister auf und holte das Notizbuch hervor. Vorsichtig hangelte er sich in den Wohnzylinder hinaus, driftete behutsam hoch zu Dais und stupste dann mit dem Fuß gegen die Wand, um seinen Flug abzubremsen. „Ich habe etwas für dich, Dais." Sie blickte auf und zog die rechte Hand aus der Blase. „Ich habe gehört, ihr im Belt sammelt diese Art von Erinnerungsstükken." Er reichte ihr das Büchlein, sie betrachtete es eine Sekunde und steckte es in eine Tasche ihrer Kombination. „Das Heft des Schiffbrüchigen?" Yarbro nickte. Dais' schwache Reaktion enttäuschte ihn. Nun ja, er besaß eben nichts Gewichtigeres für sie... „Es ist gut, daß in den Belt zurückkehrt, was zum Belt gehört", meinte sie nach einer kurzen Pause. „In Sankars Fels bewahren wir Relikte der Pionierzeit auf. So vieles ist verlorengegangen." Yarbro klappte einen zweiten Balken von der Wand. Während er sich setzte, steckte er seine Füße in die Halteschlaufen, die die Belter fast nie benutzten. Er hatte viel Zeit, Tage, ja Wochen, ehe die „Naomi" den Raumhafen erreichte. Er würde in seiner Koje dösen, zum Bullauge hinausstarren und sich immer wieder mit Dais unterhalten... „Kann ich dir auf irgendeine Weise helfen?" Dais verneinte. „Später vielleicht." Sie schüttelte nie den Kopf, nickte nie - sprechen bedeutete weniger Bewegung. „Seit wann eigentlich habt ihr gewußt, daß ich nach dem Schatz der ,Interplanetic' suche?" „Gewußt?" Dais sprach so leise, daß ihre Stimme fast vom entfernten Summen der Aggregate übertönt wurde. „Geahnt habe ich etwas, nachdem du mir das Notizbuch so erschrocken entrissen hattest." Yarbro biß sich auf die Lippe. Eine Frage blieb noch offen. „Und weshalb habt ihr mir nicht angedeutet...?" 29
448
Claus Zander
Die Schrottkulis Als sich der Schweißer Elaki schwer verletzt, beschließen seine Kulis, den Unfall geheimzuhalten, denn er würde ihre Entlassung bedeuten. Doch gerade in diesem Augenblick kommt Mazkar, der von allen gefürchtete Oberaufseher. Und Begum, der Jüngste aus Elakis Truppe, hält plötzlich ein Messer in der Hand
„Der Komsomol ist reif an Jahren. Sein Geist aber bleibt immer jung." Leonid lljitsch Breshnew Der Leninsche Kommunistische Jugendverband der Sowjetunion legte einen langen und ruhmreichen Weg zurück. Auf allen Etappen des Aufbaus der neuen Gesellschaft war er stets eine aktive, revolutionäre und schöpferische Kraft. „Wie sich der Komsomol des Auftrages Lenins, für die Heimat zu lernen, zu arbeiten und zu kämpfen, in den nunmehr 65 Jahren seines Bestehens annahm, das schildert eindrucksvoll, mit vielen Fakten und zahlreichen Fotos, die erstmals in deutscher Sprache erschienene zweibändige
Geschichte des Leninschen Komsomol Gegliedert in 16 Zeitabschnitte, zeichnet das Autorenkollektiv den Weg eines Verbandes, der an seinem Gründungstag, am 29. Oktober 1918, über 20 000 Mitglieder hatte und heute nahezu 42 Millionen zählt." Junge Welt, Berlin Erster Band - Aus dem Russischen von Mathias Moll Mit 114 Fotos • 648 Seiten • Ganzleinen 12,50 M Zweiter Band - Aus dem Russischen von Nora Albert Mit 126 Fotos 696 Seiten • Ganzleinen 12,50 M
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN