FRED MERCKS
Invasion in Panama
MILITÄRVERLAG DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
Tatsachenbericht Fotos: ADN, ZB ...
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FRED MERCKS
Invasion in Panama
MILITÄRVERLAG DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
Tatsachenbericht Fotos: ADN, ZB (4), Archiv (2)
1. — 70. Tausend © Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (VEB) — Berlin, 1976 Cheflektorat Militärliteratur Lizenz-Nr. 5 LSV: 7002 Lektor: Joachim Warnatzsch Grafik: Georg Seyler Umschlag: Karl Fischer Vorauskorrektor: Gertraut Purfürst Korrektor: Hans-Joachim Peters Hersteller: Ingeburg Zoschke Prinled in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin DDR 0,50 M
Die Invasion der Giftschlangen Im Fadenkreuz des Zielfernrohrs taucht das Haus auf. Da — der Balkon. Eine Gestalt bewegt sich. Läuft hin und her — ein Kind, ein Mädchen. Acht Jahre mag es alt sein. Und es spielt mit Puppen. Das Haus liegt etwas vom eigentlichen Geschehen ab, doch im Schein der Morgensonne. Es ist still da drüben. Kein Mensch ist zu sehen. Nur das Kind... Der Scharfschütze kann durch die Zieloptik jede Bewegung genau verfolgen. Immer wieder nimmt er dieses kleine Wesen ins Visier, obwohl er doch auf die Straße achten soll. Aber es reizt ihn, dort drüben, über Gärten hinweg, dieses zappelige Ding! Es ist etwas anderes als die Studenten unter ihm, es ist weit weg, kaum noch zu treffen... Als das Mädchen auf eine kleine weiße Bank zugeht, zieht der Scharfschütze durch. In der Optik sieht er es stolpern, zu Boden sinken. Aus! Canfield, der Scharfschütze, ist beinahe ein wenig erstaunt darüber, daß sein Spiel schon zu Ende ist. „Getroffen!" murmelt er, ,»aus, weg, guter Schuß." Nun konzentriert er sich wieder auf. die Straßenkämpfe. Mit der Präzision des geübten Killers wählt er ohne großes Zögern seine Opfer aus; kurz anvisieren, abdrücken. Der Mariner Canfield ist ein sicherer Scharfschütze. Das hat er nicht nur bei vielen Trainingsstunden im Camp bewiesen,
sondern auch überall dort, wo er den Weg für die „Interessen der United States" freizuschießen hatte. Seine Abschüsse . hat er nie gezählt; das wäre zu aufwendig. Er versteht sein Handwerk exzellent, und so zählen auch seine Opfer des heutigen Tages nicht für ihn, weder das kleine Mädchen auf dem Balkon noch jene Panamesen, die in ihrem Blut auf der Straße liegen. Die amerikanische Armee hat einen Auftrag, und der wird auch von Canfield erfüllt. Der. Panamakanal ist unter amerikanischer Kontrolle, und wenn Rebellen sich dagegen auflehnen, muß man sie mit den Waffen bekämpfen; uralt das Spiel, denkt der Mariner. Doch die „Rebellen" scheinen sich vor Kugeln nicht zu fürchten, sie stürmen die Straße entlang und rufen im harten Rhythmus: „Gringo go home! Gringo go hörne! Gringo go home!" Die meisten Demonstranten haben anscheinend gar nicht bemerkt, daß einige von ihnen durch die Schüsse der US-Marineinfanterie und der Kanalpolizei tödlich getroffen oder schwer verletzt auf der Avenida Kennedy liegen, jener Hauptstraße, die direkt in die Kanalzone einmündet. Die Demonstranten haben den Zaun erreicht. Einige schlagen mit Stangen und Eisenrohren die Zaunfelder durch. Andere erklimmen das Hindernis.
Unmißverständliche Aufforderung während einer Kundgebung in der Panamakanalzone Ihr Ziel sind die Fahnenmasten, die vor einer amerikanischen Oberschule in der Kanalzone stehen. Dort wehen amerikanische Sternenbanner.
Schon haben Studenten die Mastspitzen erklettert. Sie reißen das Symbol der verhaßten amerikanischen Herrschaft in ihrem Lande herunter und hissen unter dem Jubel der Demonstranten die Nationalflagge Panamas. Die Studenten auf den Fahnenmasten sind für die Mariner ein hervorragendes Ziel. Kaum haben die Studenten die Panamaflaggen gehißt, fallen sie, von Kugeln getroffen, herunter. Unter dem Aufschrei der Masse werden die Opfer geborgen. Nun entlädt sich der ganze Zorn der meist jugendlichen Menschen. Sie schlagen auf alles ein, was amerikanisch aussieht. Einige Mariners und Kanalpolizisten brechen* unter den Attacken der aufgebrachten Menge zusammen. Aber schon kommt Verstärkung. Mit Pistolen, Tränengas und Gummiknüppeln werden die panamesischen Studenten vom Gebiet der Kanalzone gedrängt. Der 9. Januar 1964 bleibt als blutiger Tag im Gedächtnis dieses Volkes, als ein Tag des zornigen, unerbittlichen Kampfes gegen die Unterdrückung des Landes durch die USA - Kampftag der Panamesen um die Wasserstraße, den Panamakanal. Quer durch das Land zieht sich eine zu beiden Kanalufern etwa 16 Kilometer breite Zone, in der alles, was dort geschieht, die Gringos aus dem Norden entscheiden. Durch diese Zone ist Panama in zwei Teile gespalten, deren Bewohner gleichermaßen von
dem Geschehen an und um den Kanal betroffen sind. Seit mehreren Jahrzehnten leiden sie unter der Willkür der US-amerikanischen Fremdherrschaft. Als der Panamakanal zu Beginn unseres Jahrhunderts erbaut wird, sehen sich die Ingenieure äußerst schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen gegenüber. Hinzu kommt eine besondere Gefahr: Giftschlangen! Über 20 Arten leben im mittelamerikanischen Urwald. Doch die weit größere, lebenszerstörende Gefahr sind die nordamerikanischen Invasoren. Sie sind, wie Eduard Galeano in seinem Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas" schreibt, in die Lebensbahnen dieser Völker eingedrungen, haben sie bis zum letzten ausgesaugt und mit dem Gift des Kolonialismus und des Neokolonialismus durchsetzt. Galeano schreibt: „Alles: Die Schätze der Natur und die Fähigkeiten der Bevölkerung, die Produktionsmethoden und die Klassenstruktur jedes Ortes sind von auswärts durch seine Eingliederung in das weltumfassende Getriebe des Kapitalismus bestimmt worden, und zwar immer zugunsten der Entwicklung der jeweiligen ausländischen Metropole." Diese Aussagen könnten direkt der Realität Panamas entnommen sein. Die US-Besatzer haben aus der Kanalzone eine Kolonie gemacht, in der sie sich anmaßen, unumschränkt zu herrschen und das Volk von Panama niederzuhalten, wie an jenem 9. Januar. Den Anlaß dafür provozierten chauvinistische nordamerikanische
Studenten und Oberschüler, als sie die panamesischen Nationalflaggen von den Masten rissen und dafür ihre Fahnen hißten, und die Mordschützen waren sofort dabei, als es darum ging, die Macht des Weltgendarmen zu demonstrieren. Die Opfer dieser feigen Aktion: fünfundzwanzig ermordete junge Menschen und über zweihundert Schwerverletzte. Dazu kommt noch der Mord an dem Kind, ausgeführt von einem Sadisten. Doch die Auseinandersetzungen um diesen Kanal hatten weder an diesem Tag erst begonnen noch waren sie da beendet. Mit dem Panamakanal und seinem Hinterland verknüpfen sich die Schicksale Tausender Menschen. Die meisten Namen bleiben unbekannt, nur wenige sind überliefert. Auf jeden Fall aber widerspiegelt die Wasserstraße die Geschichte des Volkes auf der Landenge von Mittelamerika und steht damit für die Geschichte eines Kontinents, der sich seit einigen Jahrhunderten gegen seine Eroberer und Unterdrücker aufbäumt und sie abzuschütteln versucht. Reicht auch die neuere Geschichte des Panamakanals nur bis zum Beginn unseres Jahrhunderts zurück, so sind doch die ersten Gedanken und Pläne für einen derartigen Kanal schon einige hundert Jahre alt. Sie verknüpfen sich mit den abenteuerlichen Unternehmungen kühner
Zusammenstöße in Panama im Mai 195S. USamerikanische Truppen gehen gegen demonstrierende Studenten vor Seefahrer, die auszogen, ferne Länder und Meere zu erforschen. Sie sind aber auch mit dem frühkolonialen Vormachtstreben des spanischen Königreiches in Lateinamerika vom 16. bis zum 18. Jahrhundert verbunden. Den Spaniern folgt im 19.Jahrhundert die britische Expansion. Im 20. Jahrhundert weiten die USA ihre Vorherrschaft in Lateinamerika aus. Doch bevor es dazu kommt, werden die Tore zu
jenen Ländern aufgestoßen, in denen es Gold und Silber in Hülle und Fülle gibt... Spaniens Goldweg Als 1513 die schwerbewaffneten Krieger des spanischen Abenteurers Vasco Nunez de Baiboa nach monatelanger Seefahrt die Küsten der mittelamerikanischen Landenge erblicken, ahnen sie noch nicht, welche Schätze sie in jenem Land hinter dem schier undurchdringlichen Dschungel erwarten. Noch halten sie Ausschau nach einer Landestelle, wo sie Wasser, frisches Fleisch und Früchte für die Mannschaften der kleinen Flotte zu finden hoffen. Schwärme von Pelikanen erheben sich aus dem Gewirr von Palmen, Mangroven und anderen tropischen Gewächsen und gleiten fast geräuschlos über die Wasserfläche dahin. Kleine, wendige Boote indianischer Fischer kreuzen in der Bucht. Doch je näher die großen Schiffe Baiboas der Bucht kommen, desto weniger Boote sehen die bärtigen Männer aus Spanien. Nun stößt der erste Kiel der Flotte in die Bucht — da: Nicht ein einziges Indianerboot ist mehr zu sehen. Es dauert eine Weile, bis sich die Seefahrer mit den Indianern verständigen können. Man tauscht Flitterkram gegen Nahrungsmittel. Dabei erfahren Baiboas Leute von einem anderen Meer, das weit hinter den Bergen liegen soll.
Die Truppen des Spaniers überqueren die Landenge und erblicken auf ihrem Marsch nach Süden den Stillen Ozean. Am 25. September 1513 erreichen sie die Küste. Wieder treffen sie milden Bewohnern zusammen. Wie groß aber ist ihr Erstaunen, als sie Indianer erblicken, die goldene Brustplatten tragen, Schmuck aus Gold und Silber. Die Seefahrer werden an Orte geführt, wo große Mengen dieser Edelmetalle zu finden sind. Und mächtig wird ihr Wunsch, solche Schätze zu besitzen. In ihrer maßlosen Begierde geraten sie in Streit. Verächtlich sagt ihnen der Indianerhäuptling, dessen Gäste sie sind: „Seid ihr so gierig nach diesem Metall, so wißt, weiter südlich liegt ein Land, in dem die Menschen aus goldenen Gefäßen essen und trinken." Auf diese Weise hören die Spanier das erstemal von Peru. Unter Baiboas Leuten befindet sich auch jener Pizarro, der später Peru eroberte und das Inkareich zerstörte. 1519 gründet man an der Küste des Stillen Ozeans die Stadt Panama, die zum Zentrum des „Goldenen Kastilien" erklärt wird, wie die Spanier ihren erraubten Besitz im südlichen Teil Mittelamerikas seit dieser Zeit nennen. Baiboas Leute liefern den Beweis, daß Christoph Kolumbus einundzwanzig Jahre vorher nicht, wie er annahm, die Ostküste Asiens, sondern einen neuen Kontinent entdeckt hat. Doch weit wichtiger
als diese Erkenntnis ist für sie, daß sie die Reichtümer der Inkas und jenen Weg entdecken, der von der Westküste zu den Schätzen führt. In der unmittelbaren Nähe des heutigen Panamakanals verläuft über drei Jahrhunderte Spaniens legendärer Goldweg, ein geheimer, gut bewachter Pfad, auf dem allein die Landenge überquert werden kann. Unermeßliche Schätze werden über diesen Weg an die Küste und von dort aus nach Europa gebracht. Die Gier nach dem Edelmetall kennt keine Grenzen. Im Zeichen des Christentums und des spanischen Hofes werden die verbrecherischen Raubzüge gegen die Inka- und Aztekenreiche zu einem Aderlaß für die einheimischen Völker Mittelamerikas, der in dieser Art einmalig ist. In jener Zeit taucht erstmals die Idee auf, den recht beschwerlichen Weg durch eine künstliche Wasserstraße zu ersetzen, um Raum . und Ausbeute der Goldfunde intensiver betreiben zu können. Alvaro de Saavedra (gestorben um 1529), ein Vetter des spanischen Entdeckers und Eroberers von Mexiko, Hernán Cortez (1485—1547), schlägt dem spanischen König Karl V. (1500—1558) den Bau eines Kanals vor, nachdem er jahrelang vergeblich nach einer natürlichen Wasserverbindung zwischen den beiden Ozeanen geforscht hat. Der König läßt Untersuchungen anstellen. Doch sein Sohn Philipp II. (1527—1598), der zunächst ebenfalls Interesse zeigt, verbietet
später, unter Androhung der Todesstrafe, von einem Kanalbau überhaupt nur zu reden. Die Ursache dafür wird in der für diese Zeit wirksam werdenden Überlegenheit der britischen Seemacht über die bis dahin als unbesiegbar geltende spanische Armada gesehen. Erst 1780 widerruft die spanische Regierung das Verbot und entsendet eine Expedition, die günstigste Kanalroute zu erkunden. Doch wieder vergehen Jahrzehnte. Panama gehört seit 1740 zum Vizekönigreich Neugranada. Die Unabhängigkeitskämpfe Lateinamerikas führen dazu, daß sich Panama 1821 der Republik Großkolumbien anschließt, die jedoch später wieder auseinanderbricht. Der Freiheitsheld Simon Bolivar schlägt auf einer panamerikanischen Konferenz den selbständig gewordenen Völkern Lateinamerikas den Kanalbau vor. Doch ohne das Einverständnis der großen Kolonialmächte und deren Hilfe kann man ein derart riesiges Bauvorhaben nicht bewerkstelligen. Alexander von Humboldt stellte auf seinen Forschungsreisen durch Mittelamerika (1799—1804) fest, wie bedeutungsvoll eine künstliche Wasserstraße in Panama für die Weltschiffahrt sein würde. Als Geheimer Rat Seiner Majestät des Königs von Preußen ist er in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bei der preußischen Gesandtschaft in Paris akkreditiert, für zahlreiche am Kanalbau interessierte Franzosen gilt er als
anerkannter Lateinamerika-Experte, zugleich als Fachmann für mögliche Kanalvarianten (neben der heutigen Route Panama—Colon gab es insgesamt acht weitere Möglichkeiten, die als ernst zu nehmende Projekte in Erwägung gezogen worden waren). Alexander von Humboldt trifft auch mit Johann Wolfgang von Goethe zusammen, erörtert mit ihm die Kanalideen und ist fasziniert von der realen Vorstellungskraft des Dichters über ein solch gewaltiges Bauwerk in fernen Landen. Goethe hat sich nach diesem Treffen zum Panamakanalbau geäußert; der Aufmerksamkeit seines Gesprächspartners Eckermann verdanken wir es, daß wir die Gedanken des Dichters beim mittäglichen Disput vom 21. Februar 1827 heute nachlesen können. Eckermann schreibt, Goethe habe viel und mit Bewunderung über Alexander von Humboldt gesprochen und dessen Werk über Kuba und Kolumbien zu lesen angefangen. Seine Ansichten über das Projekt eines Durchstiches der Landenge Von Panama habe für ihn ein ganz besonderes Interesse gehabt. „Humboldt", sagte Goethe, „hat mit großer Sachkenntnis noch andere Punkte angegeben, wo man mit Benutzung einiger in den Mexikanischen Meerbusen fließender Ströme vielleicht noch vorteilhafter zum Ziele käme als bei Panama. Dies ist nun alles der Zukunft und einem großen Unternehmungsgeiste vorbehalten. So viel ist aber gewiß, gelänge ein Durchstich der Art, daß man mit Schiffen von jeder Ladung und jeder Größe durch solchen Kanal aus
dem Mexikanischen Meerbusen in den Stillen Ozean fahren könnte, so würden daraus für die zivilisierte und nicht zivilisierte Menschheit unberechenbare Resultate hervorgehen. Wundern sollte es mich aber, wenn die Vereinigten Staaten es sich sollten entgehen lassen, ein solches Werk in ihre Hände zu bekommen." Diese Voraussage sollte später eintreffen. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bemühten sich tatsächlich bereits verschiedene amerikanische Gesellschaften um Konzessionen für einen Kanal. Am 2. Dezember 1823 verkündet der amerikanische Präsident James Monroe in einer Botschaft an den amerikanischen Kongreß die nach ihm benannte Doktrin. Monroe erklärt, die USA wollen sich jeder Einmischung in Europa enthalten. Sie würden aber auch jede Intervention europäischer Staaten in Amerika „als gefährlich für den Frieden und die Sicherheit der Vereinigten Staaten betrachten". Der amerikanische Kontinent dürfe kein Objekt europäischer Kolonialpolitik sein. Der Inhalt der Erklärung richtet sich gegen die kolonialen Vormachtbestrebungen der europäischen Kolonialmächte, besonders Frankreichs und Großbritanniens. Mit dem wachsenden Expansionsdrang der USA in Lateinamerika um die Jahrhundertwende wird die Monroe-Doktrin immer stärker zur Rechtfertigung dieser Expansion benutzt.
Der Panamakanal — Objekt des Kampfes für die Unabhängigkeit des panamesischen Volkes. Unser Bild: US-Flugzeugträger „Ranger" kreuzt vor der Einfahrt in den Kanal Goldrausch von Sacramento Im Januar 1848 jagt eine Meldung aus dem kalifornischen Sacramento durch die Vereinigten Staaten von Amerika, die eine Welle von Abenteurern und Spekulanten in Bewegung setzt: die Entdeckung von Gold. Der amerikanische Westen wird zum Mekka all jener, die sich auf leichte Weise schnellen Reichtum versprechen. Aber der Weg nach Sacramento ist weit, dauert Monate, und das bedeutet eine beschwerliche Reise quer durch die Staaten. Die erste transkontinentale Eisenbahn wird erst einundzwanzig Jahre später fertig. Den
Goldsuchern bleibt nur der Ausweg über die See. Die Umschiffung von Kap Hoorn am Südzipfel Lateinamerikas dauert jedoch viele Monate, und so richtet sich ihr Augenmerk auf die Landenge Mittelamerikas. Reger Schiffsverkehr von New York nach Chagres am Atlantik und von Panama nach San Francisco auf der Pazifikseite entwickelt sich. Noch bevor der Kampf um Gold beginnt, setzt ein heilloser Wettlauf um die Plätze auf den Schiffen ein. Die Geldjobber sehen ihre große Stunde kommen. Sie mieten alte, seeuntüchtige Kähne, ausgediente Segler, Raddampferveteranen und Ozeandampfer, die schon auseinanderzufallen drohen. Der Weg über die Landenge wird mit Maultieren und Kanus bewältigt; auch um sie entbrennt der Kampf. Im Dschungel und an den Flüssen lauern Wegelagerer, Gangster und Piraten, die die Goldsucher ausrauben, bevor sie zu Reichtum gekommen sind. In Chagres und Panama sowie zwischen beiden Städten sind die Colts wichtigstes Verständigungsmittel. Die beiden kleinen, gottverlassenen Ortschaften werden fast über Nacht amerikanisiert. In Spielhöllen, Bordells und Opiumhöhlen warten die Goldsucher auf eine Chance zum Weiterreisen und die Abenteurer auf eine Möglichkeit, Leichtfertige
zu übertölpeln. Der Goldrausch von Sacramento hinterläßt seine Spuren. Immer dringender wird eine Eisenbahnverbindung über die Landenge gefordert, denn Wirtschaft und Verkehr entwickeln sich rasch, doch ein Kanalprojekt liegt noch in weiter Ferne. Eine amerikanische Aktiengesellschaft erwirbt die Konzession zum Bau einer Eisenbahn, und im Mai 1850 beginnen die ersten Bautrupps unter mörderischen Bedingungen mit der Arbeit an der Trasse. Durch einen schier undurchdringlichen Dschungel mit Schlinggewächsen, gekrümmten Mangrovenstämmen und Dornensträuchern, die selbst wilde Tiere meiden, wird eine Schneise für die Eisenbahnstrecke geschlagen. Milliarden Insekten überfallen die Arbeiter, und sogar die Gesichtsschleier werden von den Moskitos überwunden. Cholera, Typhus, Gelbfieber, Malaria raffen die Menschen zu Dutzenden hin. Ihre Leichen versinken im Morast beiderseits des Bahndammes. Die ,,Panama Railroad" wird zur teuersten Eisenbahn der Welt. Die knapp 80 Kilometer lange Strecke kostet 8 Millionen Dollar. Mindestens sechstausend Menschen sind umgekommen. Man sagt, unter jeder ihrer Schwellen liege ein Bahnarbeiter, und es wird dabei erwähnt, daß es fast ausschließlich chinesische Kulis gewesen seien. Doch die Reisenden der in Rekordbauzeit
von fünf Jahren fertiggestellten Eisenbahn sehen die toten Kulis nicht. Sie zahlen den Superfahrpreis von 25 Dollar, zuzüglich 5 Cent je Pfund Gepäck, und kommen damit in ein paar Stunden über die mittelamerikanische Landenge. Eine für lange Zeit sehr bedeutende Verkehrsverbindung ist geschaffen — vor allem aber für die USA. Die amerikanischen Kanalträume rücken in weite Ferne, als sechs Jahre nach Fertigstellung der Bahn im Jahre 1861 der amerikanische Bürgerkrieg ausbricht. Niemand in den Staaten kann in dieser Zeit an Kanalprojekte denken. Viel zu groß sind die Opfer, die dieser Krieg fordert. Zu dieser Zeit beschäftigt sich ein Mann mit Plänen zum Bau des Panamakanals. Dieser Mann ist auf dem Wege, ein Idol Frankreichs zu werden, weil er in der nordafrikanischen Wüste ein anderes Superbauwerk vorantreibt, das die Welt aufhorchen läßt. Illusionen des „Grand Francais" Es ist der Suezkanal, von 1859 bis 1869 von Ferdinand de Lesseps erbaut (siehe auch ;,Tatsachen" Nr. 166). Man nannte diesen Mann schon vor der Fertigstellung des Suezkanals den „Grand Francais", weil er Frankreich zu noch mehr Ruhm und noch größerer Ehre verhalf. Als der Suezkanal am 17. November 1869 mit
großem Pomp und unter Beteiligung aller europäischen Fürstenhäuser offiziell eröffnet wurde, erkannte man schlagartig die große strategische Bedeutung derartiger künstlicher Wasserwege am Schnittpunkt großer Kontinente. Der Kampf zwischen Frankreich und England um die Kontrolle des Suezkanals und seines strategischen Hinterlandes war dank Lesseps zunächst zugunsten Frankreichs entschieden worden. Ein solcher Held sollte auch Frankreichs Ruhm durch ein weiteres Superbauwerk in der Neuen Welt begründen und für lange Zeit sichern helfen. Die herrschenden Kreise Frankreichs ließen sich durch die amerikanischen Vorherrschaftsansprüche nicht von ihren Plänen in Mittelamerika abhalten; noch intensiver wurden die Ziele verfolgt. Es war nicht nur ein verhängnisvoller Irrtum von Lesseps, sondern auch von seinen Tausenden Anhängern zu glauben, wer zwischen Suez und Port Said Erfolg gehabt habe, müsse auch die Tücken der Landenge von Panama bewältigen können. Hier ging es nicht um einen schnurgeraden Niveaukanal durch die Wüste, sondern um einen komplizierten Schleusenkanal durch ein Gebirgsmassiv. Lesseps war geradezu beängstigend vom Ruhm besessen und schlug alle Ratschläge und Zweifel leichtfertig in den Wind. Er überschätzte die
eigenen Fähigkeiten und die technischen und finanziellen Möglichkeiten, die Aufgabe zu bewältigen. Das sollte schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Der Suezkanalbauer schlug selbst die Warnungen seines Sohnes in den Wind, der dem Vater riet, seinen Ruhm zu genießen. Sollten sich doch andere an dem neuen Kanal bewähren. Um noch Schlimmeres zu verhindern, stellte sich Lesseps' Sohn dann, als all seine Bedenken auf unfruchtbaren Boden gefallen waren, auf die Seite des Vaters. 1878 erteilte Kolumbien die Konzession zum Kanalbau. Nun konnte das Werk in Angriff genommen werden. Doch schon stieß man auf die ersten Schwierigkeiten — woher sollte das viele Geld genommen werden? Der erste Versuch, eine Panamagesellschaft in Frankreich zu gründen, scheitert; von den aufgelegten Aktien in Höhe von 400 Millionen Francs werden nur 30 Millionen gezeichnet. Ein Schock für den „Bezwinger von Suez"! Und: Die Schar der Zweifler in Frankreich wächst und wächst. Wie nun weiter? Zahlungskräftige Aktionäre im Ausland zu finden verspricht bei den Konkurrenzinteressen der kolonialen Großmächte kaum Erfolg.
Die Reise ins Paradies Das Auslaufen der „Lafayette", eines stolzen Überseeschiffes, gestaltet sich zu einem Ereignis besonderer Art. Viele Menschen sind zum Hafen von Boulogne-sur-Mer gekommen, Anhänger Lesseps' und Angehörige von Mitgliedern der Panamagesellschaft sowie viele Schaulustige. Sie winken dem davonziehenden Schiff lange nach. Eine Kapelle spielt. Begeisterung überall. Die Mitglieder der Panamagesellschaft stehen vollzählig an der Reeling des Schiffes und winken den Zurückbleibenden lange, unter ihnen auch die majestätische Gestalt des „Grand Francais": der inzwischen zum Grafen geadelte Ferdinand de Lesseps. Sein schlohweißes Haar ist noch von den im Hafen winkenden Menschen lange zu erkennen. Lesseps' Gemahlin und drei seiner Kinder sind mit an Bord. Diese Reise nach Übersee soll die Entscheidung bringen, ob und mit welchem finanziellen Aufwand der Kanalbau zu beginnen ist. Die Überfahrt nach Panama verläuft verhältnismäßig schnell und ohne bemerkenswerte Zwischenfälle. Am 12. Dezember 1879 treffen sie in der Hafenbucht von Colón ein. Das Land erstrahlt in paradiesischer Schönheit; Mitte Dezember zieht hier bereits der Frühling ein. Das Meer schimmert in seidigem Glanz. Der Himmel ist wie eine tiefbraue Kuppel, an der nicht
das geringste Wölkchen zu sehen ist. Das satte Grün der Wälder wetteifert mit der unvergleichbaren Farbenpracht Tausender tropischer Blüten. Dazwischen das Gewimmel der Kolibris, Papageien, Paradiesvögel, Pfefferfresser und anderer Vögel. Ein fast ohrenbetäubendes, dem Europäer äußerst ungewohntes Zwitscher-, Pfeif- und Kreischkonzert dringt aus dem Urwald. Das Paradies öffnet seine Pforten, und niemand auf dem Schiff ahnt etwas von der grünen Hölle bei diesem paradiesischen Anblick! „Und das soll die ungesündeste Gegend der Erde sein?" ruft Lesseps staunend aus. „Dies ist der Garten Eden!" . Wie irrt er! Einige auf dem Schiff werden bald am eigenen Körper erfahren, wie höllisch der „Garten Eden" sein kann. Doch noch zieht der strahlende Tropenfrühling alle in seinen zauberhaft schönen Bann. Die Mitglieder der Panamagesellschaft sind gleich Lesseps der vollen Überzeugung, daß ihr Plan gelingen wird. Am Neujahrstag 1880 wird mit einer feierlichen Zeremonie die Krönung der Reise erreicht. Fast einundzwanzig Jahre nach dem ersten Spatenstich zum Suezkanal wiederholt man nun in der Nähe von Colón jene symbolische Handlung. Die siebenjährige Tochter des Grafen Lesseps vollzieht sie. Alle Ehrengäste folgen ihrem Beispiel, und auch der alte Lesseps greift zum Spaten. Ein Musikkoprs spielt die Marseillaise.
Hochrufe auf Frankreich, Kolumbien und den Erbauer Lesseps erschallen. Die Reise wird ein voller Erfolg. Lesseps finanziert eine internationale Pressekampagne für den Panamakanal, hält Hunderte von Vorträgen in den Hauptstädten Europas und auch in Amerika und eröffnet die Zeitschrift „Der interozeanische Kanal". Am 20. Oktober 1880 wird in Paris die „Compagnie universelle du Canal interoceanique de Panama" unter der Präsidentschaft von Lesseps gegründet. Die geplanten Aktien in Höhe von 300 Millionen Francs werden weit überzeichnet. Frankreichs Kleinaktionäre, Rentner, kleine Beamte und Geschäftsleute bringen für ,,ihren Helden" und „ihr Kanalprojekt" über 600 Millionen Francs auf. Paris ist sprachlos. Befürworter und Gegner des Kanalprojekts zollen Lesseps Respekt und Beifall. Fast niemand in Frankreich hat während dieses Jahres die Rede beachtet, die der amerikanische. Präsident Hayes am 8. März 1880 vor dem USASenat hielt und in der er erklärte: „Die Politik der Vereinigten Staaten verlangt einen Kanal unter amerikanischer Kontrolle. Keine andere Nation würde unter ähnlichen Umständen versäumen, eine gesetzmäßige Kontrolle über ein Werk auszuüben, das so sehr, so wesentlich ihr Interesse und ihre Wohlfahrt berührt."
Dieser Anspruch war deutlich genug formuliert; in Amerika mußte man wohl schon zu dieser Zeit geahnt oder gar gewußt haben, daß das Panamaprojekt den greisen Lesseps, der nur das Paradies und nicht die Hölle von Panama erlebt hatte, weit überfordern würde. Die grüne Hölle Im Februar 1881 beginnt man mit dem Bauwerk. Die Eisenbahn Panamas muß zuvor noch von den Amerikanern für die gewaltige Summe von 25,5 Millionen Dollar abgekauft werden. Moderne Geräte werden ins Kanalgebiet gebracht: Bagger, Zugmaschinen, Pumpen, Schleppdampfer, Lastkähne. Tausende von Arbeitern wühlen das Erdreich auf, sprengen Felsen, transportieren gewältige Materialmassen. Das mörderische Klima, die unerträgliche Schwüle der Tropenwälder, die schier undurchdringlichen Sümpfe mit Giftschlangen, Milliarden von Moskitos und Gelbfieber übertragenden Mücken lassen die grüne Hölle am Rio Chagres für Europäer und Einheimische zu einer Marter werden, der viele nicht gewachsen sind. Typhus, Ruhr, Gelbfieber, Pest und Cholera raffen täglich bis zu 40 Arbeiter hin. Die meisten werden sofort in den von Baggern aufgeworfenen
Erdwällen verscharrt. Von fünfzehntausend am Kanalbau beschäftigten Franzosen werden innerhalb von nur vier Jahren etwa zwei Drittel Opfer des Klimas und der Seuchen. Über zwanzigtausend einheimische Arbeiter finden in dieser Zeit den Tod. Die Gesamtzahl der Toten während des Baues unter französischer Kontrolle wird auf über fünfzigtausend geschätzt. Unter ihnen auch jene unglücklichen Afrikaner, die von Häschern an der Westküste Afrikas gefangen und mit Schiffen des deutschen Handelshauses Woermann, in dessen Auftrag und zu dessen Nutzen, nach Panama verkauft worden sind. Wie die Arbeitsbedingungen, so unzulänglich sind auch die Lebensverhältnisse für jene, die nicht das Glück haben, von weißer Hautfarbe zu sein. In notdürftigen Behausungen vegetieren bis zu fünfzig Mann auf Pritschen, die man — um Raum zu gewinnen — hochklappen kann; dann erst können die Männer in der primitiven Baracke stehen, sitzen und sich „erholen". Doch da gibt es eine Gefahr, die überall in diesen Unterkünften lauert: Giftschlangen und lästige Insekten. Sie lassen die Kanalbauer nicht schlafen. Die Arbeiter mit schwarzer oder gelber Hautfarbe sind jeglicher Willkür, Rechtlosigkeit und Unterdrückung ausgeliefert. Mit Peitschen und Revolvern dirigieren die weißen Aufseher die Fronarbeit am Kanal. Weithin hallt ihr antreibendes
Gebrüll. Wer nicht gehorcht, der bekommt das Peitschenleder zu spüren. Zaghafte Proteste gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen oder gar erste Anzeichen von Aufruhr werden mit brutaler Gewalt unterdrückt. So mancher von diesen Unglücklichen, die ihre Stimme gegen den täglichen Terror erheben, wird kaltblütig erschossen. Kein ,,Kanalkuli" hat hier eine Chance, sein Leben zu verbessern. Sie sind alle nur zu dem einen Zweck hier, das Erdreich nach den Anordnungen der Ingenieure umzuwühlen. Wer schwach wird oder krank, ist bereits ein Mann des Todes. Die Schranke zwischen farbig und weiß hat auch an diesem Kanal wie überall im Zeitalter des Kolonialismus unerbittliche und unüberwindbare Grenzen gesetzt. Dies gilt auch für die mörderischen Lebensbedingungen. Die Nahrungsmittel reichen nicht aus, sie sind auch meist schon halb verdorben, bevor sie von den „Kanalkulis" empfangen werden. In den Arbeitslagern brechen Seuchen aus: Typhus, Pest, Cholera. Keine oder nur sehr mangelhafte medizinische Betreuung ist vorhanden. Spekulanten, die mit der Kleidung Verstorbener handeln, verbreiten die Krankheitserreger. Die Grabstätten wachsen. Jene Toten, deren Hinterlassenschaft es zuläßt, erhalten ein gußeisernes Kreuz mit einer Nummer auf ihr Grab.
Die Ärmsten der Armen werden in Massengräbern verscharrt. Doch man kann sich auch nicht nach den Nummern an den Eisenkreuzen richten, denn jedes Jahr beginnt man mit der Numerierung von vorn. Ein Beobachter des Baugeschehens hat die Arbeitsund Lebensbedingungen am Kanalbau treffend charakterisiert. „Die Szenerie der Arbeiten ist ein feuchter, tropischer Dschungel, fürchterlich heiß, wimmelnd von Moskitos, Schlangen, Alligatoren, Skorpionen, Tausendfüßlern; schon von Natur aus die Heimat des gelben Fiebers, der Ruhr, des Typhus — und nun noch viel tödlicher durch die Anhäufung von Menschen, die hier zusammengeströmt sind..." Hinzu kommen die tückischen Wasser des Rio Chagres und die wolkenbruchartigen Regenfälle. Zwischen Januar und Mai schwillt der Fluß innerhalb von wenigen Stunden zu einem gefährlichen Strom an und reißt alles mit sich: Dammanlagen, Waggons, Lokomotiven, Bagger. Mancher schon fertige Kanalabschnitt wird von den Fluten überschwemmt und zerstört. Über dreißig Erdrutsche registriert man während der gesamten Bauzeit am Kanal. Immer deutlicher zeigt sich nun die fatale Diskrepanz zwischen den technischen Erfordernissen, die ein so großes Bauwerk verlangt, und den ungenügenden Kenntnissen des alternden Lesseps. Dazu noch die Bedingungen des Dschungels!
Die grüne Hölle hat viele Gesichter, die sich jedoch auch für die Menschen mit farbiger oder weißer Haut unterschiedlich darstellen. Während am Kanalbett für die Arbeiter und die unmittelbar beteiligten Ingenieure jeden Tag der heimtückische Dschungeltod lauert, wächst mit jedem Meter Kanalvortrieb ein Verwaltungsapparat heran, der dem Schmarotzertum freien Lauf läßt. Da gibt es in Panama selbst residierende Generaldirektoren, die in maßlosem Luxus leben. Einer dieser Herren hat sich eine Villa für 500 000 Francs bauen lassen. Er bezieht 250000 Francs Jahresgehalt. Bei Dienstreisen durch die Kanalzone im SpezialTropen-Pullmanwagen (Herstellungskosten 210000 Francs) verrechnet er Tagegelder von jeweils 250 Francs. Dann stellt er fest, daß er noch einen Sommersitz benötigt. Die Gesellschaft baut ihm ein Schloß für 750000 Francs. Ein anderer läßt sich ein Taubenhaus für 75 000 Francs bauen, und ein dritter meint, eine moderne Badeeinrichtung für 75 000 Francs sei gerade seiner Position angemessen. Alles finanziert die Kanalgesellschaft. Sie bezahlt auch Bestechungsund Schweigegelder an Abgeordnete, Minister, Banken und an die Presse, um der Pariser Öffentlichkeit die wahren Zustände in der Panamagesellschaft und den sich zunehmend verzögernden Fortgang der Arbeiten zu verheimlichen. Die Kanalarbeiter dagegen erhalten wahre Hungerlöhne, die oft nicht einmal für den kärglichen Unterhalt reichen. Alle Arbeiter mit farbiger Haut
werden in Silbergeld ausbezahlt, die Weißen aber in Goldwährung. Mit dem Voranschreiten der Kanalarbeiten häufen sich auch die Schwierigkeiten. Am 1. Januar 1884 muß Lesseps erstmalig öffentlich zugeben, daß der Bau der Wasserstraße komplizierter ist als erwartet. Er ist nach wie vor von der Idee besessen, einen schleusenlosen Kanal zu bauen, und lehnt alle anderen Bauvarianten ab. Lesseps' Plan ist zwar einfacher, aber mit wesentlich umfangreicheren Erdarbeiten verbunden. Um die sehr großen Schleusenkammern herzustellen, sind dagegen aufwendige Betonarbeiten notwendig. Soll der Kanal das Culebragebirge" ohne Schleusen durchschneiden, muß die Kanalsohle sehr tief angesetzt werden; damit wird der erforderliche keilförmige Einschnitt in das Gebirgsmassiv immer größer. Fachleute haben errechnet, daß Lesseps' Variante wesentlich teurer sei, als einen Schleusenkanal zu bauen. Auf seinen Ruhm versessen, gibt Lesseps trotzdem nicht nach und verkündet, es sei erforderlich, die veranschlagten Baukosten in Höhe von 843 Millionen Francs auf 1200 Millionen zu erhöhen. Die Pariser Öffentlichkeit ist darüber empört; die Tausende Kleinaktionäre der Panamagesellschaft beginnen zu rebellieren. Eine Katastrophe scheint sich anzubahnen. Doch der in Geldmanipulationen erfahrene und gerissene Graf weiß erneut einen Ausweg: eine Lotterie, ja, eine Lotterie! Lose, die
Gewinn versprechen, kaufen die Leute! Auf diese Weise kommt man der Sache der Nation und dem menschlichen Spieltrieb entgegen, argumentiert Lesseps. Über seine Gewährsleute in der französischen Deputiertenkammer und in der Regierung läßt Lesseps die Idee von der Lotterie und einer darauf gegebenen Staatsanleihe verbreiten. 1885 befürwortet die Petitionskommission der Kammer die Lotterieanleihe. Wieder einmal hat sich Lesseps geschickt aus der Affäre gezogen. Doch er muß einen entscheidenden Kompromiß eingehen — endgültig wird ein Schleusenkanal gebaut! Am 15. November 1887 wird außer Lesseps ein zweiter Mann als Hauptverantwortlicher für den Kanalbau verpflichtet: Monsieur Alexandre Gustave Eiffel. Auch ihn kennt ganz Paris, ihn, den Konstrukteur des Eiffelturms. Zur Zeit beginnt er sein Bauwerk zu errichten. Man ist zufrieden: Als das große technische Genie scheint er für den Panamakanal der richtige Fachmann zu sein. Allerdings' hat er noch bis Anfang 1889 die Errichtung seines Monsters in Paris zu beaufsichtigen. Trotzdem verpflichtet er sich, den Kanal bis zum Juli 1890 fertigzustellen. Für diese Bereitschaft erhält er die sagenhafte Summe von 9 Millionen Francs. Doch schon ein reichliches Jahr nach seiner Verpflichtung stellt sich heraus, daß weder Eiffel noch
jemand anderes das Kanalprojekt zu retten imstande ist. Am 14. Dezember 1888 stellt die Panamagesellschaft ihre Zahlungen ein. Zunächst wird dieses skandalöse Ereignis nicht richtig wahrgenommen. Die französische Regierung unternimmt allerdings alles, um diese Sache vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten. Doch alles kommt einmal ans Tageslicht... Die Stadt an der Seine bereitet sich auf die Eröffnung der Weltausstellung Vor. Für diesen 6. Mai 1889 erwartet Paris die Abgesandten der Staaten Europas und Amerikas zur derzeit größten Schau über die Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Kultur. Rauschende Feste und Veranstaltungen auf dem Marsfeld, zu Füßen des zur Hauptattraktion deklarierten Eiffelturms, verschleiern das durch Korruption, Bestechung und undurchsichtige Manipulationen bestimmte gesellschaftliche Leben in Paris. Mit der offiziell verfügten Zahlungseinstellung der Panamagesellschaft beginnt der bis dahin größte Finanzskandal der Geschichte. Trotzdem bleiben Regierung und Justiz zunächst ruhig, obwohl schon seit Dezember 1888 Strafanzeigen gegen Lesseps, seinen Sohn, den Aufsichtsrat und die Generaldirektoren der Panamagesellschaft bei den Gerichten eingehen. Nachrichten über Zahlungsschwierigkeiten dringen in die Provinz, erreichen die Kleinsparer. Angst um den möglichen
Verlust der ersparten Gelder verbreitet sich. Die Geschädigten finden sich in hundertzweiundsiebzig Sonderausschüssen zusammen. In Paris bildet sich inzwischen ein Zentralausschuß, der eine eigene Zeitschrift „Die Zukunft des Panamakanals" herausgibt. Im Juni 1890 ermahnt schließlich die Deputiertenkammer die Regierung, ihrer Pflicht zur strafrechtlichen Verfolgung der Panama-Schwindler nachzukommen; wieder vergeht ein Jahr, in dem bereits die Verjährung der zu ahndenden Delikte einsetzt. Im Juni 1891 entschließt sich schließlich Frankreichs Generalstaatsanwalt Quesney de Beaurepaire, im Auftrag des Justizministers Fallieres die Voruntersuchung gegen Lesseps, seinen Sohn und die Generaldirektoren einzuleiten. Man benennt den Obergerichtsrat Henri Auguste Xavier Prinet zum Untersuchungsrichter und begeht damit bereits einen formaljuristischen Fehler, der den Angeklagten später zugute kommen soll: Nach einem französischen Gesetz aus dem Jahre 1810 darf ein Großoffizier der Ehrenlegion, wie es Lesseps ist, nur vor den Ersten Senat des Appellationsgerichtshofes geladen werden, und Voruntersuchungen sind in diesem Fall unstatthaft. Im Sommer 1891 läßt der Untersuchungsrichter nach fast dreijähriger Verzögerung die Akten und Archive der Panamagesellschaft beschlagnahmen, das heißt exakt: jene Überreste, die noch auffindbar
sind. Viel zuviel Zeit ist verstrichen, und die Spekulanten und Hasardeure haben eine Fülle von Beweismitteln vernichten oder unter ihre Kontrolle bringen können. Aber das Belastungsmaterial reicht aus; Untersuchungsrichter Prinet braucht vier Monate, dann kommt er zu der Überzeugung, daß „in diesem Abgrund, den Panama jetzt darstellt, die Ersparnisse des Arbeiters, die letzten Unterhaltsmittel manches Greises, die Existenz all der braven Leute, die ihr Vertrauen in Lesseps setzten, untergegangen sind, ohne daß Lesseps einen Augenblick Mitleid empfunden hätte. Als offenbar wurde, daß sein Wagemut an den Felsen der Kordillere scheitern mußte, ist er dennoch nicht davor zurückgeschreckt, immer wieder an die französischen Sparer zu appellieren. Er, der Sieger von Suez, würde auch in Panama siegen! So schreckt er auch vor der Lüge nicht zurück; weil er neue Gelder für seine Kasse braucht, erklärt er den Erfolg als sicher." Am 10. September 1892 beantragt der Untersuchungsrichter die Strafverfolgung gegen die Verantwortlichen. Aber Ministerpräsident Loubet und Präsident Garnot verhindern sie. Niemand weiß so recht, warum ein Skandal vermieden werden soll. Die Pariser Presse ergeht sich in Rätselraten und Vermutungen, die Auslandspresse glossiert mit bissiger Ironie. Es gibt keine englische, deutsche, russische, österreichische, italienische oder amerikanische Zeitung, die sich die schleierhaften
Umstände dieses Debakels in ihren Satirespalten entgehen läßt. In Paris jagt ein Gerücht das andere, häufen sich Verdächtigungen, Beschuldigungen. Einen Höhepunkt bilden die Auseinandersetzungen in der Deputiertenkammer am 20. Dezember 1892. In dieser Sitzung wird die Immunität von insgesamt fünf in den Skandal verwickelten Abgeordneten aufgehoben. Aber das ist noch nicht alles... Seit September erscheint in der Pariser Zeitung „Libre Parole" in regelmäßigen Abständen eine Artikelserie unter dem Titel „Die Hintergründe von Panama". Alle Panamabeteiligten bangen, wenn ein neuer Artikel des geheimnisvollen „Micros" erscheint, der immer mehr Einzelheiten enthüllt und weitere führende Persönlichkeiten Frankreichs in das so zweifelhafte Rampenlicht der Öffentlichkeit zieht. Erst viel später stellt sich heraus, daß „Micros" der Bankier Martin von einer kleinen Bank in Nyon ist, der ebenfalls Panamaaktien erworben hat. Die Motive seines Handelns sind rätselhaft, doch seine Enthüllungen sind so umfassend, daß sie die „Berliner Illustrierte Zeitung" zu der bemerkenswerten Feststellung veranlassen: „Es rast der See und will seine Opfer erhalten. Immer weitere Kreise zieht der riesigste Finanzskandal des Jahrhunderts und enthüllt einen tiefen Abgrund der Korruption in der großen Republik."
Am Morgen des 26. Dezember 1892 ereignet sich in der Nähe von Paris ein Zwischenfall.. Die Pistolen-Farce Der zweite Weihnachtstag zeigt sich mit Rauhreif und schneidender Kälte. Die Menschen von Paris verkriechen sich in ihre Wohnungen. Fast leer sind die Straßen. Jene allerdings, die von dem Duell erfahren haben, sind schon lange am Ort des Geschehens, einem ausgedehnten Waldstück außerhalb von Paris. Hier warten sie ungeduldig und frierend auf die Sensation des Jahres. Auch einige Presseleute sind da. Obwohl — wie es heißt — der Ort des Rencontres „sorgfältig" geheimgehalten worden ist, findet sich auf der Waldlichtung, dem vorgesehenen Kampfplatz, eine mehrhundertköpfige Zuschauermenge ein, die ein größeres Spalier bildet. Aus den zwei gegenüberliegenden Waldwegen kommen zwei Pferdedroschken und machen am Waldrand halt. Ihnen entsteigen Duellanten und Sekundanten. Der Arzt ist schon früher eingetroffen. Schnell einigt man sich auf die Bedingungen. Fünfundzwanzig Schritt Distanz mit Avancieren bis auf fünf Schritt und dreimaligem Kugel Wechsel. Während der eine Duellant von seinen Söhnen und Töchtern Abschied nimmt, sagt der
andere seinen Freunden, mit denen er die letzte Nacht im Moulin Rouge verbracht hat, theatralisch Lebewohl. Kommandos ertönen, die Schützen legen an und — schießen in die Luft. Sie laden und — schießen erneut in die Luft. Das wiederholt sich auch ein drittes Mal. Nach einer Viertelstunde ist alles vorüber. Die Menge klatscht. Die Duell-Farce ist beendet. Die Gegner schütteln sich lächelnd die Hände. Was war dem vorausgegangen? Die Antwort ist einfach. Die Duellanten — beide Mitglieder der Deputiertenkammer — hatten sich gegenseitig und nicht gerade höflich in der Panamasache der Bestechung beschuldigt. Der eine jedoch, der ehemalige Präsident der Patriotenliga, Devon Lede, nannte den anderen, den Führer der Radikalen, Clemenceau, einen „Agenten des Auslands"; und es fiel sogar das Wort Dreibund (zum Dreibund gehörten Deutschland, Österreich— Ungarn sowie Italien; es war eine der Mächtegruppierungen, die maßgeblich den ersten Weltkrieg vorbereiteten). Dies war um so mehr verdächtig, als von der Pariser Presse auch die Botschafter der Dreibundmächte mit in die Panamadiskussion gebracht worden waren. So schrieb eine Zeitung, daß ein Botschafter einer Großmacht mit dem Anfangsbuchstaben M. ebenfalls mehrere hunderttausend Francs Bestechungsgelder erhalten
habe. Für diese Beschuldigung kamen damit der deutsche Graf Münster und der frühere italienische Botschafter General Menabrea in Frage. Aber mit der Duell-Farce und den lapidaren Entschuldigungen gegenüber den diplomatischen Vertretungen der ausländischen Mächte wurde auch diese Sache wieder in Ordnung gebracht. Nach einem langen politischen und diplomatischen Tauziehen werden schließlich in verschiedenen Prozessen von Februar bis Juli 1893 die ersten Urteile gefällt. Gegen Lesseps und seinen Sohn werden Strafanträge gestellt. Eine Korruptionsaffäre ohnegleichen tritt zutage. Fünfhundertzehn Parlamentarier, vier Politiker und sogar fünf Minister sind darin verwickelt. Zeitungen, Banken und einflußreiche Privatpersonen haben sich am Panamaprojekt bereichert. In einer der vielen Lesseps-Biographien kann man lesen: „Ein System der Korruption wurde bloßgestellt, das beispiellos war, und der Name Panama, der die Bedeutung des Namens Suez noch überstrahlen, der eine Ehre und ein Stolz für Frankreich werden sollte, ist seither zum Schlagwort geworden für jede Fäulnis und Korruption, von der ganze Interessengruppen befallen worden sind." Der Panamaprozeß von 1893 in Paris befindet den achtundachtzigjährigen Lesseps und seinen Sohn
für schuldig. Die Revision erbringt aber Freispruch wegen Verjährung. Der alte Lesseps verfällt in geistige Umnachtung. Tausende Kleinaktionäre, die Ersparnisse, Altersund Lebensversorgung in Panamaaktien angelegt hatten, verloren alles, stürzten über Nacht in Not und Elend. Nun ist die Zeit gekommen, daß das amerikanische Finanzkapital die Konkursmasse für ein Butterbrot übernehmen kann; man erinnert sich jener Worte des USA-Präsidenten Hayes von 1880, als er von einem „Kanal unter amerikanischer Kontrolle" sprach. Die Konkursverwalter wollen für einige einflußreiche Aktionäre der Panamagesellschaft beim Verkauf des Kanalprojekts an die Amerikaner noch einmal das große Geschäft machen. Sie fordern 109 Millionen Dollar. Die USA weigern sich, diese Forderung zu akzeptieren, und drohen sogar damit, ihren bereits begonnenen, wesentlich teureren Kanal in Nikaragua weiterzubauen. Die Drohung bleibt nicht wirkungslos. Für nur 40 Millionen Dollar, einen nur geringen Teil des tatsächlichen Wertes, kauft die amerikanische Regierung die Pläne, Ländereien, Konzessionen sowie alle Maschinen, Anlagen und die bereits geleisteten Arbeiten am Kanalprojekt auf. Das Ziel des USA-Imperialismus scheint erreicht. Aber da gibt es noch ein Hindernis. Panama gehört nach wie vor zu Kolumbien, und die USA streben
danach, nicht nur den Kanal zu bauen, sondern überhaupt die Landenge zu beherrschen. Kolumbien will man dafür die lächerliche Summe von 10 Millionen Dollar und jährlich ganze 250000 Dollar als Pachtzins zahlen. Man handelt einen Vertrag aus, der den USA eine 16 Kilometer breite Kanalzone sichern soll. Aber das kolumbianische Parlament stimmt diesem Vertrag nicht zu. „Revolution" aus dem „Waldorf" Die mit dicken Teppichen ausgelegte Eingangshalle des Hotels ist zu fast jeder Tageszeit von Menschen belebt. Hier kreuzen sich die Wege der An- und Abreisenden, hier verabredet man sich mit Freunden und Geschäftspartnern, verweilt in den schweren Clubsesseln, die in der großen Hotelhalle zu verschiedenen Sitzgruppen geordnet sind. Zahlreiche tropische Gewächse wirken als raumteilende und zugleich verbindende Elemente sehr dekorativ. Wer im „Waldorf" Quartier bezieht, muß schon bekannt oder avisiert sein. Der Empfangschef vermag fast immer, die Gäste richtig einzuschätzen. Nach seinen Erkenntnissen trifft er dann seine Entscheidungen, läßt die Pikkolos durch einen kurzen Blick, eine flinke Geste flitzen oder bemüht sich selbst höflichst um die Hotelgäste. Zu Beginn unseres Jahrhunderts ist das „Waldorf" wohl das teuerste und eleganteste Hotel in der
New-Yorker City, und damit sind zwangsläufig die Hotelgäste auf jenen Kreis beschränkt, der auf seinen Konten mindestens sechsstellige Summen als Guthaben verbuchen kann. Es gibt auch Ausnahmen. Zu ihnen gehört ein schnurrbärtiger, blaßgesichtiger Mann mit kurz geschorenem Haar, der an einem Sommertag des Jahres 1903 das „Waldorf" betritt. Unsicher schaut sich dieser Mr. Bunau-Varilla um. Schon will sich der Empfangschef um den merkwürdigen Neuankömmling bemühen, da tritt aus dem Hintergrund ein Mann hervor, der hier gut bekannt ist: Mr. William Nelson Cromwell. Er ist Mitbegründer und Leiter des großen New-Yorker Anwaltsbüros Sullivan und Cromwell. Aus jener Institution geht übrigens wenige Jahre später ein Mann namens John Foster Dulles hervor, der während der fünfziger Jahre mit der sogenannten Politik am Rande des Krieges die Aggressionsstrategie des amerikanischen Weltgendarmen ausführlich konzipieren und praktizieren wird. Doch um 1903 vermittelt das Anwaltsbüro noch die „kleine Revolution" in Panama. An diesem Tag werden Ereignisse im „Waldorf" für das einige tausend Kilometer entfernte Panama programmiert, deren schwerwiegende Konsequenzen bis in unsere unmittelbare Gegenwart hineinwirken. Ihr Verlauf wird auf dem Zimmer 1162 besprochen. Don wohnt der ehemalige Chefingenieur der bank-
rotten französischen Panamagesellschaft, Mr. BunauVarilla, der Verbindungen zu Rebellen in Panama besitzt. Sein Partner wiederum, Mr. Cromwell, hat enge Beziehungen zu dem Mann, der das höchste Staatsamt der Vereinigten Staaten bekleidet, zum damaligen Präsidenten der USA, Theodore Roosevelt. Die „Erfahrungen" dieses Präsidenten im Umgang mit anderen Völkern wirken sich nun auch „nützlich" für die Lösung der „Panamafrage" aus. In den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich Roosevelt bei der Unterdrückung der revolutionären Bewegung in Kuba als säbelschwingender Kavallerieführer und schießwütiger Revolverheld zweifelhaften Ruhm erworben, der ihm zunächst den Vizepräsidentenstuhl einbringt. Seine Präsidentschaft verdankt er jedoch dem Zufall. Am 6. September 1901 wird der Vorgänger von Roosevelt, W. McKinley, durch zwei tödliche Kugeln des Anarchisten Leon Czolgosz aus dem Amt geschossen, und damit ist der Weg frei für die Präsidentenkarriere von Roosevelt und die nachfolgenden Panamaabenteurer. Über Cromwell und Bunau-Varilla sichert Roosevelt den „Aufständischen" 100000 Dollar Unterstützung zu; und während im „Waldorf" der Verlauf der „Revolution" in Panama besprochen wird, sitzt die Frau des ehemaligen Chefingenieurs im selben Zimmer und bestickt die erste Fahne der „neu zu schaffenden" Republik Panama.
In typischer Yankeemanier kauft man nun „Revolutionäre". Für 100000 Dollar hat man schnell eine Truppe zusammen, die am 3. November 1903 die „Revolution" nach USA-Muster praktiziert. Nordamerikanische Kriegsschiffe steuern auf die Landenge von Mittelamerika zu. Unter ihnen befindet sich der Kreuzer „Nashville", der den Befehl hat, „jedwede Truppenlandung im Umkreis von 80 Kilometern um Panama zu verhindern". Die amerikanische Seeblockade schafft die Voraussetzungen dafür, daß die Putschisten von den Truppen der Zentralregierung nicht zur Räson gebracht werden können. In 24 Stunden ist der Satellitenstaat perfekt. Am Abend des 3. November 1903 telegrafiert der amerikanische Konsul in Panama den „Erfolg" der Aktion nach Washington, die in der folgenden Nacht mit der „Unabhängigkeitserklärung" Panamas abgeschlossen wird. Genau eine Stunde und fünfzehn Minuten nach dieser Erklärung erkennen die USA den neuen „Staat" an. „Schutztruppen" marschieren unmittelbar nach der „Anerkennung" in die Kanalzone ein. Das Manöver Roosevelts ist gelungen. Triumphierend erklärt er wenig später: „Ich besetzte die Kanalzone und ließ den Kongreß debattieren." In dem am 18. November 1903 unterzeichneten „Vertrag" verzichtet das Marionettenregime in Panama auf alle Rechte und Vollmachten.
Die von Roosevelt ersonnene und nach ihm benannte „Politik des großen Knüppels" wird konsequent verwirklicht, und sie sollte für die künftigen Jahrzehnte zum Lehrbeispiel für imperialistische Großmachtpolitik der USA in ganz Lateinamerika werden. Im Schatten dieser „Knüppel"-Politik entsteht der US-amerikanische Panamakanal. Mit militärischer Organisation und Strenge wird der Bau erneut in Angriff genommen. Die inzwischen weiter fortgeschrittene Technik ermöglicht ein höheres Bautempo, bessere Schutzmaßnahmen gegen Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen. Der Panamakanal geht seiner Vollendung entgegen. Jeden Monat fliegen eine halbe Million Pfund Dynamit und mit ihnen die Felsen am Kanaldurchstich in die Luft. 150 Millionen Kubikmeter Erdreich müssen bewegt werden. An Baukosten werden 400 Millionen Dollar registriert. Nach zehnjähriger Bauzeit unter nordamerikanischer Regie wird schließlich im Sommer 1914 der Kanal fertiggestellt. In durchschnittlich acht Stunden gelangen nun die Schiffe vom Atlantik zum Stillen Ozean. Damit wird der Seeweg durch den Kanal zwischen beiden Küsten Nordamerikas erheblich verkürzt. Mittels mächtiger Schleusen werden die Schiffe jeweils angehoben oder gesenkt, um den Niveauunterschied zwischen den beiden Weltmeeren zu überwinden. An den engsten
Stellen des Kanals werden die Schiffe durch kleine, eigens dafür konstruierte Dieselloks, die am Kanalufer entlangfahren, gezogen. Die durchschnittliche Tiefe des 81,6 Kilometer langen Kanals beträgt 13 Meter. Eröffnung mit Geschützen Eine zur Einweihung vorgesehene Supershow wird vertagt, der Kanal ohne Festlichkeiten eröffnet: In Europa stehen die Armeen Gewehr bei Fuß. Im Spätsommer 1914 beginnt der erste Weltkrieg. Ungestört von diesen Ereignissen bauen die USA ihr Panamaimperium aus, errichten an den Kanalausgängen die Seefestungen Fort Amador und Fort Randolf, bauen Kasernen, Truppenübungsplätze, rich-
Bau der Schleusenanlagen von Gattin im Februar 1911
ten sich sozusagen auf die Ewigkeit ein. Rund 45 Millionen Dollar verdienen sie alljährlich an Kanalgebühren. Die Republik Panama erhält davon nur einen Bruchteil. Die USA haben eine wichtige strategische Position in den Auseinandersetzungen um imperialistische Einflüsse auf dem lateinamerikanischen Kontinent erlangt. Mit der „Festung Panama" verfügen sie über ein System von Militärstützpunkten, von denen aus sie ganz Lateinamerika militärisch und politisch kontrollieren können. Die Möglichkeit, ihre Flottenverbände schnell vom Atlantik in den Stillen Ozean und umgekehrt zu verlegen, sichert den USA ihre Vormachtstellung in diesem Raum. Ganz offensichtlich wird das nach dem ersten Weltkrieg, aus dem die europäischen Mächte insgesamt geschwächt hervorgehen. Nun ist dem steten Vormarsch der USA in Lateinamerika kein Paroli mehr zu bieten! Der amerikanische Imperialismus hat somit endgültig das Erbe früherer Kolonialmächte angetreten. Was nunmehr in irgendeiner Gegend Lateinamerikas passiert, kann nicht ohne die Billigung oder zumindest stille Duldung durch Washington geschehen. Obwohl die meisten Staaten des Subkontinents schon seit Jahrzehnten offiziell die politische Unabhängigkeit erreicht haben, sind sie praktisch alle mehr oder weniger von den USA abhängig, und diese Tendenz wird
mit der Fertigstellung des Panamakanals und des dazugehörenden Stützpunktsystems bedeutend verstärkt. Bodentruppen, Marineeinheiten und Fliegerkräfte der USA sind dort stationiert, und es gibt dort keine militärische und politische Macht, die ihnen auch nur annähernd gewachsen wäre. Die Möglichkeit, die mittelamerikanische Landenge schnell zu durchqueren, bietet überaus gute strategische Vorteile. Die US-Kriegsmarine kann faktisch über den Panamakanal die Länder Lateinamerikas vom Atlantik und dem Stillen Ozean aus in eiserner Umklammerung halten. Somit hat sich ihre Schlagkraft vervielfacht. Im Hintergrund dieser potentiellen militärischen Bedrohung vollzieht sich die uneingeschränkte ökonomische Expansion der amerikanischen Monopole über Lateinamerika und die Ausplünderung seiner Bodenschätze. Die Ölkriege der USA gegen Mexiko, von Rockefeiler inszeniert, zu Beginn des ersten Weltkrieges, der schon Jahrzehnte zuvor ständig praktizierte Landraub und die Interventionen in Kuba zwischen 1912 und 1922 sind nur einige wenige Beispiele dafür, wie der Yankee-Imperialismus seine Expansion mit immer größerer Raubgier vorantreibt. In dieser Zeit bewahrheitet sich die dunkle Vorahnung des lateinamerikanischen Freiheitshelden und Führers der Unabhängigkeitskriege, Simon
Bolivar (1783-1830): „Gott scheint die Vereinigten Staaten dazu ausersehen zu haben, Lateinamerika im Namen der Freiheit ins Elend zu stürzen." Dieses Elend und die allgemeinen Ausplünderungspraktiken der amerikanischen Monopole demonstrieren auf anschauliche Weise, wie eine imperialistische Macht, die sich stets damit gebrüstet hat, keine Kolonien zu besitzen, den Kolonialismus in scheinbar unabhängigen Staaten nicht weniger brutal als die sogenannten klassischen Kolonialmächte betrieben hat. So ist die Zeit nach der Fertigstellung des Panamakanals davon geprägt, daß Lateinamerika zu einer unangefochtenen Domäne des amerikanischen Imperialismus ausgebaut wird. Doch mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges werden neue Kräftekonstellationen wirksam, die sich nicht zuletzt auch auf die Positionen der USA im Panamaraum auswirken. Den deutschen Faschisten gelingt es, über viele Teile der Welt ein Netz von Spionage- und Diversionsverbindungen aufzubauen. Schon 1939 werden in den USA die faschistischen Agenten Schachow und Rührig wegen Spionage in der Panamakanalzone zu je zwei Jahren Haft verurteilt. Das Unternehmen „Pelikan" Der Agent Erich Gimpel, alias Captain Edward Grenn, hat die ersten. Wirren des zweiten Weltkrieges einigermaßen überstanden. Als
Agentenfunker des Oberkommandos der faschistischen Wehrmacht in Lima (Peru) wird er 1941 in den USA inhaftiert und später nach Deutschland ausgetauscht. Nun wartet Gimpel auf neue Einsatzbefehle. Doch der Spitzenagent Nr. 146 des Reichssicherheitshauptamtes muß sich bis zum Sommer 1943 gedulden. Beim Unternehmen „Pelikan" wird er wieder eingesetzt, da er umfassende Kenntnisse über Land und Leute Lateinamerikas besitzt. Bei diesem Unternehmen geht es um den Panamakanal, den Gimpel ziemlich gut kennt, und der durch geeignete militärische Maßnahmen unbenutzbar gemacht werden soll. Die Faschisten hoffen damit, die Handlungsfähigkeit der US-Flotte einzuschränken. Das Projekt erhält die höchste Geheimhaltungs- und Dringlichkeitsstufe. SS-Brigadeführer Schellenberg, Chef des Auslandsgeheimdienstes im Reichssicherheitshauptamt, erwirkt von Hitler Sondervollmachten für diese Aufgabe. Das ist auch erforderlich, denn der Erfolg dieser Aktion hängt von vielen Faktoren ab. Zwischen Deutschland und Panama ist eine Entfernung von etwa 10000 Kilometern zu überwinden. Faschistische Luftstützpunkte gibt es aber in Lateinamerika nicht, außerdem sind der Kanal und seine Umgebung mehrfach durch Angriffe von See her und aus der Luft abgesichert.
Der ehemalige leitende Techniker beim Bau des Panamakanals, Hubrich, den die Faschisten in Breslau ausfindig machen, hat eine Idee. Er kennt die Stärken und Schwächen des Kanalsystems bis ins letzte Detail, ja er besitzt sogar noch technische Zeichnungen und Originalberechnungen der Anlagen. Hubrich verwirft den Naziplan, die sechs Doppelschleusen zu bombardieren, und schlägt vor, das Überlaufwehr am Staudamm des Gatunsees, den die Schiffe bei der Kanalschleusung passieren müssen, zu zerstören. Die Wasser dieses Sees würden ins Karibische Meer stürzen, und der Panamakanal würde für mindestens zwei Jahre nicht benutzt werden können. Zwei der größten und schnellsten U-Boote werden bereitgestellt, auf denen zwei Ju 87 über den Atlantik transportiert werden sollen. Eine abgelegene Insel im Karibischen Meer soll als Stützpunkt und Startplatz für die Kampfflugzeuge dienen. Die Einsatzkommandos trainieren auf einem streng abgeschirmten Grundstück am Wannsee, wo an einem maßgetreuen Modell des Panamakanals die günstigsten Angriffsflugrichtungen und Sturzwinkel festgelegt werden. Wie sich Agent Gimpel nachträglich erinnert, hat man täglich etwa zehn- bis zwanzigmal die Zerstörungsaktion in allen Details durchgespielt.*) * Siehe: Dr. Julius Mader. Unternehmen „Pelikan" in: ..Wochenpost" Nr. 33/ 1974. S. 13
Der Einsatzbefehl wird erteilt. Die UBootbesatzungen befinden sich in den Booten. Plötzlich wird der Einsatz abgebrochen. Das Unternehmen „Pelikan" ist der amerikanischen Spionageabwehr bekannt geworden; ein Agent der Faschisten konnte noch rechtzeitig eine Warnung nach Berlin senden. Das Unternehmen ,,Pelikan" gehörte zu jenen Vorhaben der Faschisten, die ihren eigenen Untergang hinauszögern sollten. Als 1945 die Waffen schweigen, konzentrieren sich die USA noch stärker auf „ihren Hinterhof" Lateinamerika. Auch das panamesische Volk wird fester unter ihre Kontrolle gezwungen. Globalstrategien lassen die Truppen des Pentagon an allen wichtigen Punkten der Welt aufmarschieren. Es scheint so, als ob die USA ihre Herrschaft am Panamakanal und in Lateinamerika überhaupt unangefochten behaupten können. Zahllose Marionettenregimes in diesem Teilkontinent unterstützen die Positionen Nordamerikas. Für die Freiheit der lateinamerikanischen Völker scheint jeder Sonnenstrahl erloschen zu sein. Mit der Gründung der Organisation der amerikanischen Staaten (OAS) im Jahre 1948 wird von den USA eine Institution geschaffen, die zur Unterjochung aller lateinamerikanischen Völker gedacht ist. Als die kubanischen Patrioten unter Fidel Castro
1959 ihre siegreiche Revolution gegen die Batistadiktatur vollziehen, entfachen USA und OAS einen antikommunistischen Feldzug ohnegleichen. Doch der Freiheitswille der lateinamerikanischen Völker läßt sich auf die Dauer nicht niederhalten. Der Subkontinent beginnt sich immer mehr von. dem imperialistischen Moloch aus dem Norden freizukämpfen. Überall regen sich die Volksmassen, fordern Freiheit, Gleichheit, Unabhängigkeit, gehen auf die Straße oder kämpfen mit der Waffe in der Hand in den Bergen, im Dschungel. Auch die Panamesen fordern immer nachdrücklicher Freiheit und nationale Unabhängigkeit. Unter dem Eindruck der weltweiten Wirkung, die die Nationalisierung des Suezkanals im Jahre 1956 auf die antiimperialistischen Kräfte ausübt, kämpft das panamesische Volk um die Souveränität über seinen Kanal und das Territorium der Kanalzone. ,,El canal es nuestro!" — „Der Kanal ist unser!" lautet der Kampfruf der Menschen an der Landenge von Mittelamerika. Die panamesische Regierung verlangt in dieser Zeit von den USA die Anerkennung der Souveränität Panamas über die Kanalzone. Aber die USA weigern sich. Im Sommer 1960 entwickelt sich eine breite Volksbewegung gegen die USA-Vorherrschaft in Panama, deren Höhepunkt der Marsch der
Studenten in die Kanalzone ist. Gleichzeitig streiken etwa zehntausend Arbeiter auf den Plantagen der amerikanischen United Fruit Company, jenes amerikanischen Bananensupertrusts, der auch einen großen Teil der Wirtschaft Panamas unter seiner Kontrolle hält. Die Regierung Panamas ringt den USA weitere Zugeständnisse ab und erzwingt, daß an bestimmten Punkten der Kanalzone die Staatsflagge Panamas neben der der USA zu hissen ist. Chauvinistische Gruppen in der Kanalzone benutzen diese Regelung immer wieder zu Willküraktionen gegen das panamesische Volk, wie an jenem blutigen Januartag 1964. Panama bricht daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu den USA zeitweilig ab. Doch in der Kanalzone fühlen sich die Yankees wie in einer Provinz im Süden der USA; sie haben ihre eigenen Schulen, Krankenhäuser, Postämter, Polizeistationen und: Panama muß sogar den Alkohol steuerfrei in die Kanalzone liefern. Über fünfzigtausend US-Amerikaner machen sich da breit, darunter dreizehntausend Soldaten unter dem Befehl von zwölf Generalen. Damit noch nicht genug — die Kanalzone ist auch das größte Diversions- und Agentenzentrum Lateinamerikas. Hier bildet die CIA jene Agenten aus, die in anderen Staaten des Kontinents Regierungen zu bespitzeln haben, Parlamente, Parteien und
demokratische Bewegungen unterwandern oder progressive Politiker kaltblütig ermorden sollen. Die CIA holt sich ihre künftigen Agenten aus den Ländern, in denen sie später wieder eingesetzt werden sollen, um ihre Aktivitäten zu verschleiern. Zur gleichen Zeit trifft der USA-Imperialismus Maßnahmen, um die Streitkräfte der lateinamerikanischen Staaten zu infiltrieren. Auf den vierzehn US-Militärstützpunkten in der Kanalzone befinden sich dafür spezielle Trainingscamps, in denen die Insassen alles lernen, womit sie als gedungene Killer zu rechnen haben. Sie üben sich im offenen und heimtückischen Mord, in der Sabotage, in der Diversion, in der Vorbereitung und Durchführung von Umstürzen und Revolten. Ranger und Ledernacken unterweisen sie im Töten, wie sie im Vietnam- und Koreakrieg gemordet haben. Offiziere und Soldaten aus sechzehn lateinamerikanischen Staaten werden hier im Dschungelund Antiguerillakrieg ausgebildet. Diese Beispiele zeigen deutlich, daß sich die USA am Panamakanal auf unbegrenzte Herrschaftszeiten eingerichtet haben und ähnliche Pläne auch für ganz Lateinamerika verfolgen.
Die Panamakanalzone Kanalverkehr
I960
1967
1970
1972
1973
Anzahl der Schiffe: Fracht (Mill. t):
10795 59,3
13385 93
13658 118,9
15198 15109 111,1 127,5
Der General und die Sitzung Die Ironie der Geschichte will es, daß einer von denen, die einst für USA-Ziele ausgebildet worden sind, einen völlig anderen Weg beschreitet. Unter den patriotischen Kräften, die am 11. Oktober 1968 in Panama die Macht ergreifen, befindet sich der Oberstleutnant und Exekutivsekretär der Nationalgarde Omar Torrijos. Unter der Führung dieses Mannes profiliert sich später eine Militärregierung, die dem USA-Imperialismus und den herrschenden proamerikanischen Ausbeuterschichten in Panama Grenzen setzt. Die Regierung Torrijos kann sich 1972 nach einem eindrucksvollen Wahlsieg noch stärker auf eine breite Bevölkerungsmehrheit stützen, die die antiimperialistische Regierungspolitik befürwortet. Hauptthema aller politischen Aktivitäten aber bleibt der Kampf um die nationale Souveränität über die Kanalzone und den Kanal. Das Jahr 1973 bringt dabei ein bedeutendes Ereignis. Von den sozialistischen und den lateinamerikanischen Staaten gefordert, befaßt sich eine Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrates mit der Panamakanalfrage. Diese Sitzung findet unmittelbar am Ort des Geschehens statt: in Panama-City. Die Sicherheitsratsmitglieder beraten vom 15. bis 21. März im Parlamentsgebäude der Hauptstadt; von ihrem Beratungsraum können sie zur einen Seite direkt in die Kanalzone und zur anderen in
die Republik Panama blicken. Unmittelbar neben der Tagungsstätte befindet sich der Zaun, der Panama teilt. Jahrzehntelang war es eine drei Meter hohe Barriere, an der rücksichtslos Menschen erschossen wurden. Doch die Delegierten der Weltorganisation sehen nur ein kleines, fast unscheinbares weißgestrichenes Gatter, mehr eine Rasenverzierung denn eine trennende Barriere. Diese Verschönerung ist erst wenige Stunden vor der Sitzung fertiggestellt worden. Man will offensichtlich den Schein erwecken, daß an diesem Ort alles in Ordnung sei. Doch die Mär vom Segen der US-Kanalherrschaft für Panama findet keine Zustimmung an dieser Stätte. Eine Resolution des Sicherheitsrates über die Verurteilung imperialistischer Politik in Panama kann der amerikanische Delegierte nur durch sein Veto verhindern — und entlarvt damit die USA. Im Ergebnis der Sicherheitsratssitzung in PanamaCity muß selbst die Presse kapitalistischer Staaten zu aufschlußreichen Eingeständnissen kommen. Im Hamburger „Spiegel" ist zu lesen: „Am Kanal wird sichtbar, was die Lateinamerikaner dem großen Bruder aus dem Norden vorzuwerfen haben: wirtschaftliche Ausbeutung, militärische Einmischung, neokolonialistische Überheblichkeit." Diese Fragen hat die Regierung Torrijos im Blick, wenn sie sagt, daß die „Kanalfrage" mit allen Problemen, die die wirtschaftliche und politische
Regierungschef der Republik Panama, General Torrijos, nach dem Scheitern des Putschen vom 16. Dezember 1969
Entwicklung des Landes betreffen, in engem Zusammenhang stehe. Am 7. Februar 1974 müssen die USA ein Grundsatzabkommen unterzeichnen, wonach Panama das von den USA okkupierte Kanalgebiet unter seine Souveränität zurückerhalten soll. Noch ist dafür kein konkretes Datum genannt worden, aber die Anerkennung des Prinzips durch die USA ist bereits ein Erfolg für Panama; in der Kanalfrage geht es neben strategischen Gesichtspunkten auch um ökonomische Fragen. So haben die USA in der Zeit von 1915 bis 1970 insgesamt 2,036 Milliarden Dollar aus der Nutzung des Panamakanals erzielt. Allein im Jahre 1974 haben die Kanalgebühren für die USA einen Gewinn von 140 Millionen Dollar gebracht; Panama hat nur die geringe Summe von knapp zwei Millionen Dollar erhalten! Die Regierung Torrijos kämpft entschlossen gegen die US-Vorherrschaft am Kanal, denn die ausländische Macht hemmt die nationale Entwicklung des Landes. Das zeigt sich zum Beispiel in den Auseinandersetzungen mit den amerikanischen Bananenkonzernen, die Panama schon seit 1903 in ihrem ökonomischen Würgegriff halten. Früher war es die United Fruits Co., heute ist es deren Nachfolgerin, die United Brands Co., die über ihre Tochtergesellschaft Chiriqui Land Co. entscheidenden Einfluß auf die Wirtschaft Panamas ausübt: Über 86 Prozent der
Deviseneinnahmen Panamas gehen durch die Chiriqui-Kassen. Die Company besaß bis 1974 noch achtzehn Bananenplantagen auf einer Fläche von 35000 Hektar. Davon wurden im Dezember 1974 12 000 Hektar enteignet und an landlose oder landarme Bauern verteilt. Bis Ende 1977 sollen alle Ländereien dieses Trusts enteignet werden. Mit solchen Maßnahmen verwirklicht Panama schrittweise die Bodenreform, die Mittelpunkt des Programms der wirtschaftlichen Unabhängigkeit ist. Vor einigen Jahren begann es mit dem sogenannten Bananenkrieg: Der Bananentrust wurde gezwungen, einen Teil seines Profits an Panama zurückzugeben. Wie andere mittelamerikanische Staaten, die der Union Bananen exportierender Länder (UPEB) angehören, hat auch Panama den „Bananendollar" eingeführt, der für jeden 40-Pfund-Karton, der außer Landes geht, an Panama gezahlt werden muß. Die Konzerngewaltigen beantworteten diese Maßnahme mit dem Mordanschlag auf General Torrijos, der jedoch fehlschlug (Anfang 1976 erfolgte ein Putschversuch panamesischer Plantagenbesitzer, aber auch dieser Anschlag, gerichtet gegen die antiimperialistische Politik Torrijos', wurde vereitelt). Panama ließ sich nicht einschüchtern; die Chiriqui-Direktoren müssen zahlen, und den Nutzen haben die Panamesen. Wie Regierungschef Torrijos angekündigt hat, geht ein
Drittel der Einnahmen aus der Bananensteuer an den Staat, ein Drittel wird in landwirtschaftlichen und industriellen Projekten investiert, und der Rest wird an die Plantagenarbeiter ausgezahlt. In den Gebieten, wo Plantagenland an die Bauern und Arbeiter gegeben wurde, zeichnen sich bereits die Konturen des neuen Lebens ab. Asentiamientos (Niederlassungen) und Juntas Agrarias de Produktion (landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaften) sind für 6000 Bauernfamilien zu einem guten Begriff geworden: Es arbeitet sich besser ohne ausländische Plantagenbesitzer oder einheimische Latifundistas! Die einseitige Agrarstruktur wird schrittweise beseitigt, die eigene Bevölkerung mit Gemüse, Obst und anderen inländischen Nahrungsmitteln versorgt. Die Regierung hilft mit Krediten, Maschinen und Spezialisten und unterstützt die Entwicklung menschenwürdiger Verhältnisse auf dem Lande. Tausende Bauern hoffen auf ein weiteres Projekt: Im Urwaldgebiet des Rio Bayano sollen 35000 Hektar Neuland erschlossen werden, auf denen sich weitere Asentiamientos und Produktionsgemeinschaften bilden können. Perspektivpläne für die einzelnen Regionen sowie die Nationalisierung der Energieversorgung und des Fernmeldewesens zeugen davon, daß die Regierung Torrijos ernsthaft bestrebt ist, die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Bedingungen grundlegend zu
verändern. Dieser Kurs wird von den Volksmassen vorbehaltlos unterstützt! Die Gewerkschaften und die Partei des Volkes, die Landarbeiter- und Bauernorganisationen sind für das neue Panama und kämpfen gegen die einheimischen und ausländischen Kräfte, die den Weg der Unabhängigkeit behindern oder gefährden. Diese antiimperialistische Politik ist die Grundlage für die Zurückgewinnung des Panamakanals. Mit den US-Truppen in der Kanalzone verknüpfen sich nicht nur für Panama, sondern für alle anderen Völker Lateinamerikas Erinnerungen an die Putsch- und Interventionspolitik der Yankees in Guatemala, in der Dominikanischen Republik und in Chile. Stets haben die USA den Subkontinent als ihr gewinnträchtiges Kolonialgebiet betrachtet. Lateinamerikas Anteil an den Rohstoffen der kapitalistischen Welt wird auf 90 Prozent geschätzt; die USA beziehen 80 Prozent ihrer Rohstoffeinfuhren aus diesem Gebiet! Beim Anblick der amerikanischen Invasoren erinnern sich nicht nur die Panamesen an die Jahrzehnte dauernde Unterjochung, Ausbeutung und Demütigung der lateinamerikanischen Völker. Doch die Tage der US-Herrschaft sind auch in diesem Teil der Erde gezählt.