Purpurschatten Christel Scheja
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'Purpurschatten' von
Christel Scheja Ein kostenloser Fantasy Roman von www.WARP-onl...
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Purpurschatten Christel Scheja
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'Purpurschatten' von
Christel Scheja Ein kostenloser Fantasy Roman von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern.
Purpurschatten Copyright 2003 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm Alle Texte und Bilder sind bereits jeweils einzeln bei www.WARP-online.de erschienen und zur Veröffentlichung durch WARP-online freigegeben. Die Magazin-Reihe ist eine Sammlung von Beiträgen, die zusätzlichen Kreis interessierter Leser anspricht und die Namen der Autoren und Künstler bekannter macht. Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
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Prolog Borgon-Dyl. Der Name des Landes stammt aus alter Zeit und bedeutet "Land Borgons". Nach einer Legende zeugte der Gott des Krieges und der Erde, den sie noch heute verehren, die ersten Sterblichen in der "Mitte des Landes" (Organ-Dyl) mit einer einfachen Frau. Doch wohl weniger wegen dieser Legende, als der Tatsache, daß die Sonne heiß auf das Land hinunterbrennt ist die Haut der Borgon-Dun schwarz. Das Land erstreckt sich vom Schlund zur Inneren See im Ophis (Süden) bis zu den Grenzen von Ataris im Machairas (Norden). Grün und fruchtbar ist die Erde der drei Provinzen des Reiches, das von vielen Flüssen durchzogen und an einem Großteil der Grenzen von Meer umgeben ist. Einfachstes Landleben steht im Gegensatz zu der Hochkultur der Städte, die sich in Kunst, Wissenschaft und Handwerk beweist. Drei Götter verehren die Borgon Dun: Borgon, den Vater des Volkes und der Kriege. Über ihm steht noch Keiiris, die Schöpferin, die Hüterin des Lebensrades, die mehr ist als eine Fruchtbarkeitsgöttin oder Große Mutter Und schließlich Chnum, der Gott der weißen Einwanderer, der sich seinen Platz in den Herzen der Borgon Dun erkämpft hat, obwohl die Fehde zwischen Hell und Dunkelhäutigen noch immer besteht – betrachten die Borgon Dun sich doch als die Auserwählten, über den anderen Völkern stehenden... Genauso erstaunlich sind die Sitten der Borgon-Dun. Von alters her ist es bestimmt, daß der Mann hinauszöge und sich einen neuen Ort zum Leben und eine Gefährtin suche, um mit ihr Kinder zu haben und ihr Haus zu schützen. Als Erbteil steht ihm alle bewegliche Habe zur Verfügung, Landbesitz bleibt aber in den Händen seiner weiblichen Verwandten – noch ein Unterschied zu den vaterrechtlichen Völkern der umgebenden Länder... Jede Frau, die sich entschließt, dem Ruf Borgons zu folgen fällt damit in eine Männerrolle. So wie das Schwert als Symbol Borgons in die Hand des Borgon-Dun gegeben wurde, so hat die Frau die Aufgabe, das Leben, das sie hervorbringt und die erarbeiteten Güter zu bewahren und zu verwalten. Dies hat dazu geführt, daß auch die Verwaltung der Burgen und Städte zweigeteilt ist: ein militärischer Befehlshaber und eine zivile Verwalterin teilen sich die Macht. Nur die Herrscherin - Deye - ist immer weiblich, zum Gedenken an die erste Tochter Borgons.
b Nun wurde Reijinara n' Varthar im Jahre 407 die Nachfolgerin ihrer Tante Lyralenda, welche selber keine Kinder hatte. Das Volk sah eine junge, ziemlich jähzornige und ungerechte Herrscherin vor sich, die, obgleich sie von frühester Kindheit zu diesem Amt erzogen worden war (oder gerade deswegen), keinerlei Verantwortung gegenüber ihrem Volk zeigte. Reijinara haßte das übermächtige Vorbild ihrer Tante, die eine legendäre und ruhmreiche Herrscherin gewesen war, sie wollte ihren eigenen Weg gehen. Dies verleitete sie vielleicht auch dazu, schon nach einem halben Jahr, anderen das Reich zu überlassen, und sich selber in ein Abenteuer zu stürzen, das ihren Lebensweg verändern sollte – jedoch auf andere Art wie sie sich erhoffte.
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Der Weg in die Dunkelheit Das erste, was sie spürte, als sich der Nebel um ihren Geist klärte, war ein dumpfer Schmerz, der von ihrem Hinterkopf ausging und bis in die Zehenspitzen drang. Sie gab ein leises Stöhnen von sich und versuchte die Hände zu bewegen. Vergebens. Wie von einer unbekannten Magie wurden sie von ihrem Kopf ferngehalten und waren schwer wie Blei. Dann vermochte sie das hässliche Klirren einzuordnen: Metall schlug an Metall. Gleichzeitig kehrte auch ihre Erinnerung zurück. Was war sie doch für eine Närrin gewesen, gleich einer blinden Bettlerin in die Falle zu laufen, die man ihr gestellt hatte. Bei Borgons Hörnern! Sie hatte einmal zuviel ihr Glück versucht und nun wahrscheinlich alles verloren, was sie je errungen hatte. Sie konnte ihre Augen immer noch nicht öffnen. Selbst das gequälte Lächeln verursachte ihr Schmerzen. Wie einfach war es doch gewesen, sich als Abtrünnige auszugeben und unter die Piraten zu mischen. Aye, es gab viele, die mit der Deye, der Herrin von Borgon-Dyl nicht einverstanden gewesen waren und einen Weg wählten, der ihnen zu größerer Macht verhalf, ohne entdeckt zu werden. Sie hatte ihnen erzählt, sie habe mit der Herrscherin gebrochen und wolle nun ihre Kräfte den Freibeutern zur Verfügung stellen. Dabei kannte sie Deye gut, sie selber war Reijinara, die Königin von Borgon-Dyl. Sie hatte ihre Dienste als Schiffsbauerin angeboten und war in eine Werft gebracht worden, die auf einer Felseninsel, weit genug von der Küste entfernt gelegen hatte. In aller Ruhe vermochte sie verschiedene Pläne einzusehen, auch wenn man sie argwöhnisch beobachtete, aber es war weniger ihr Verhalten gewesen als der ehemalige Maat der Nectys - Doram. Die Gefangene stieß ihren Atem heftig aus. Doram war einmal einer ihrer Untergebenen gewesen, als sie noch ein Schiff der Flotte befehligt hatte. Doram war den Verlockungen des Goldes erlegen und hatte Verrat begangen. Er war geflohen, als Reijinara dies mehr zufällig als bewußt herausgefunden hatte. Und nun nutzte er sein Wissen, um sich unter seinen Kumpanen eine bessere Stellung zu verschaffen. In einem der Felsengänge hatten ihr acht Mann aufgelauert, die zunächst nicht mit dem Kampfeswillen einer in die Enge getriebenen Wölfin gerechnet hatten. Sie kämpfte, bis ihr einer das Schwert aus den blutverschmierten Händen gehebelt hatte. Selbst als sie bereits am Boden lag und vier Männer sie festhalten mußten, hatte sie versucht sich loszureißen um einen ehrenvollen Tod im Kampf zu finden. Erst ein heftiger Schlag gegen ihren Kopf hatte sie besinnungs- und wehrlos gemacht. Reijinara schaffte es endlich, ihre Augen zu öffnen. Sie konnte nicht viel mehr als die Ritzen in der Decke erkennen, durch die Sonnenlicht fiel. Unter sich spürte sie rauhes Segeltuch, das muffig roch. Die Umgebung schwankte leicht. Sie war also auf einem Schiff, befand die Frau, nachdem sie eine Weile ruhig dagelegen hatte, um sich zu versichern, daß das Schlingern nicht an ihrem Zustand lag. Doch warum hatte man sie am Leben gelassen und an diesen Ort gebracht? Sie bewegte sich vorsichtig. Schwere und recht kurze Ketten lagen um Hand- und Fußgelenke, so daß sie sich gerade einmal aufsetzen konnte. Man unterschätzte sie also nicht. Wußten diese räudigen Hunde vielleicht, wer sie war? Reijinara versuchte sich aufzurichten, aber bei der geringsten Bewegung ihres Oberkörpers wurde ihr schwindelig. Übelkeit folgte, und sie würgte heftig hustend bittere Galle hervor. Erst nach einer Weile beruhigte sie sich und schloß die Augen. So konnte sie nicht viel ausrichten. Ihre Gedanken schweiften in die Ferne - nach Burg Myrna,der Heimat ihrer Familie, wo sie während ihrer Rundreise durch Torgan-Dyl Halt gemacht hatte. 4
Medjiina, ihre Sklavin würde viel zu erklären haben, wenn die Illusionen, die über ihr lagen, verblassten. Damit Reijinara ungehindert das tun konnte, was sie wollte, hatte sie ihrer Leibsklavin, die sie seit ihrer Jugend "besaß", die Freiheit und auch die Erlaubnis, Jinhad ihren Geliebten zu heiraten gegeben, wenn sie in ihre Rolle schlüpfte. Denn es bedurfte nicht viel Zauberei, um sie zu verändern. Medjiina hatte Reijinara schon immer ähnlich gesehen, und der wandernde Magier, den sie bezahlt hatten, wenig Arbeit, sie äußerlich zu ihr zu machen. Die Dienerin kannte ihre Herrin genau, so daß sie sich auch sonst nicht allzuschnell durch ihr Verhalten verriet. Arme Medjiina. Sie würde verzweifelt auf Reijinara warten, und sich irgendwann verraten. Man würde sie foltern, um zu erfahren, wo die Deye war, und vielleicht sogar hinrichten, denn die ehemalige Sklavin wußte selber nicht, wo sich Reijinara aufhielt und man konnte sie so für verstockt halten. Vielleicht würde man noch nach der wahren Deye suchen und ein Schiff der Kriegsflotte brachte diesen Segler auf... 'Nein!' vertrieb Reijinara den Funken Hoffnung. Die Piraten waren zu gewitzt, um den Küstenschiffen Borgon-Dyls ins Netz zu gehen, hatte sie diese doch selber zwei Jahre lang gejagt. Bei Borgon! Sie war auf sich allein gestellt, und wenn sie zurückkehren wollte, mußte sie sich aus eigener Kraft befreien! Diese aber hatte sie jetzt nicht. Kopfschmerzen erschwerten ihr das Denken und steigerten ihre Wut. "Schlingerbrut!" keuchte Reijinara und schnaubte, als sie ihren Kopf so gut es ging abtastete, und eine große Beule fand. Dann ergab sie sich ihrem Schicksal und erinnerte sich längst vergessen geglaubter Fähigkeiten, die sie von Erlara und anderen Weisen Frauen der Keiiris als junges Mädchen erlernt hatte. Schritt um Schritt beruhigte sie sich und versetzte sich in tiefen, heilsamen Schlaf... ... aus dem sie abrupt erwachte, als sich die Tür zu ihrem Gefängnis laut knarrend öffnete, und Licht in die kleine Kammer fiel, die ihrer Form nach im Vorderschiff liegen mußte und eigentlich für andere Zwecke gedacht war. Reijinara blinzelte, weil das Licht der Öllampe in der Hand eines rauh aussehenden Mannes mit zottigen Haaren und einem ungepflegten Bart, sie blendete. Sie hatte sich instinktiv aufgerichtet und an die Planken gelehnt. Erneut kämpfte sie mit der Übelkeit, aber diesmal vermochte sie sie zurückzudrängen. Er stützte eine Hand gegen die Seitenbalken. "Nun, bist du wildes, schwarzes Kätzchen wieder munter geworden? Du wirst deine Nase niemals wieder in Dinge stecken können, die dich nichts angehen" sagte er hämisch. Reijinara blickte mit unbewegter Miene, wie sie hoffte, zu ihm auf, während er weitersprach. "Du zermarterst deinen Kopf sicherlich, warum wir dich haben leben lassen, nicht wahr? Ein qualvoller Tod wäre für dich eher eine Belohnung..." "Was versteht Möwenkot wie du schon vom Tod?" entgegnete Reijinara kalt, während sie sich bemühte ihren Jähzorn zu zügeln. "Sehr viel, wenn man sie herbeiführt. Meine Männer hätten sicherlich viel Spaß an einer Hure, aber ich brauche sie gesund. Selbst in gefesseltem Zustand würdest du ihnen noch die Kehlen zerbeißen und die Knochen brechen. Aye, du bist nicht die erste schwarze Kriegerin in unserer Gewalt.- Nun, deine Zukunft ist eine bessere, und sie bringt uns Profit. Als Sklavin wirst du sicherlich eine Zierde sein - und erfreulich für den Herren, der dich zähmt..." Reijinara schnappte hörbar nach Luft. Der Zorn schoß in ihren Kopf und sie riß an ihren Fesseln. Eine Sklavin sollte sie sein? Eine Unfreie? Noch nie zuvor war eine n' Varthar in Ketten gewesen. Niemals! "Du schweinegesichtiger Jauchenschlucker! Bastard einer läufigen Hure, die es mit allen trieb! Eine Sklavin? Versucht das nur, und ich werde euch alle töten! Bei Borgon, das 5
schwöre ich euch!" explodierte sie und zerrte noch heftiger an ihren Fesseln. Im gleichen Moment wußte sie, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Sie sank mit einem gequälten Stöhnen zurück als sich alles um sie drehte und schon verschorfte Wunden wieder brannten. Der Mann lachte schallend. "Wir werden das nicht übernehmen. Wir bringen dich nur an einen Ort, Tirband, den wir eh aufsuchen wollten, der für seine erlesenen Sklaven bekannt ist... bei den richtigen Leuten." Reijinara spuckte Galle. Sie ballte die Fäuste und zitterte noch immer vor Wut, während ihr Verstand sie eine Närrin schalt. Aber ihr Zorn löschte jede Vernunft aus. "Dann wird der, der mich kauft es zu spüren bekommen, wenn es soweit kommt!" "Soll er doch! Ich werde nur dafür sorgen, daß meine Ware nicht allzu beschädigt ist." Er senkte die Lampe ein wenig und nickte. "Ein paar Tage ohne Wasser und Nahrung werden dich schon ein bischen zahmer machen. Vielleicht bettelst du schon darum, wenn ich das nächste Mal zu dir komme." "Niemals! Ich werde nicht darum bitten...ich nicht!" Der Mann kannte sie besser. Reijinara hatte zwar geschworen, nichts aus seiner Hand anzunehmen, doch als die Tage verstrichen, die sie nicht mehr zu zählen vermochte, ließen sie Fieber und Durst so schwach werden, daß sie nicht einmal festgehalten werden mußte, als man ihr Wasser einflößte. 'Gift!' erkannte sie das erste Mal an dem bitteren Geschmack, aber ihr ausgedörrter Körper verlangte nach der lebensspendenden Flüssigkeit. Ebensosehr lähmte die hinzugesetzte Droge ihren Willen. >>> <<< Seit einigen Tagen ging es Reijinara wieder besser. Sie fühlte sich kräftiger und vermochte wieder klar zu denken, denn die Nebel, die ihren Geist gefangengehalten hatten, schwanden langsam. Das Wasser schmeckte längst nicht mehr so bitter. Wahrscheinlich hatten sie das Ziel ihrer Reise fast erreicht, wo auch immer es genau liegen mochte und glaubten sie nicht mehr betäuben zu müssen. Sie dachte wieder an Flucht. Es mußte doch möglich sein, aus den Ketten zu entkommen, und... Aber dann? Sie befand sich nicht in einem der alten Heldenepen, in denen es immer einen Ausweg gab. Dies war bittere Wirklichkeit. Sie wußte nicht, wie sie so schnell wie möglich nach Borgon-Dyl zurückkehren konnte, um zu beweisen, daß sie noch lebte. Borgon-Dyl! Reijinara ballte die Fäuste. Inzwischen mußte soviel Zeit vergangen sein, daß sie Shayol ihrer Base die Wolfskrone aufgesetzt hatten. Sie war die nächste weibliche Verwandte, solange Reijinara noch keine eigenen Kinder hatte. Bei Borgons Hörnern. Sie war die Deye kraft ihres Blutes, und sie lebte noch! Sollte sie eines Tages wie Varene um ihren Thron kämpfen müssen? Der Jähzorn brodelte wieder in ihr, aber sie vermochte ihn einzudämmen. War sie nicht selber schuld an ihrer Lage? Warum hatte sie so leichtsinnig gehandelt und ihr Leben durch eine dumme, sinnlose Idee in Gefahr gebracht, wenn ihr jetzt plötzlich der Thron so viel bedeutete? Ein halbes Jahr nur hatte sie nach dem Tode ihrer Tante Lyralenda regiert - aber wie? Reijinara spürte Verbitterung. Sie hatte immer gewußt, daß sie eines Tages die Wolfskrone tragen würde, und die Deye, wie auch ihr Vater hatten versucht sie daraufhin zu erziehen. Reijinara erinnerte sich, wie sehr sie dagegen rebelliert hatte, zu einem Ebenbild ihrer Tante geformt zu werden, und mit welchem Zorn sie gegen alles was man ihr nahebrachte aufbegehrt hatte. Wieviel hatte es ihr wirklich bedeutet, Deye zu sein? Über ein Land zu herrschen? Verantwortung zu tragen? 6
Und doch zählte das jetzt nichts. Ebensowenig verlangte es sie danach, eine Unfreie zu sein. Sie dachte an die kleine weißhäutige Sklavin, Auria, die sich auch nicht damit abgefunden hatte, und sie zu einem Kampf herausgefordert hatte. "Nur wer selbst einmal die Fesseln der Knechtschaft getragen hat, weiß, wie tief sie ins Fleisch schneiden können, und wie kostbar die Freiheit ist" murmelte Reijinara impulsiv und lächelte, obgleich ihre Lage genau das Gegenteil verlangte. Einen kurzen Augenblick spürte sie Schuld, als ihr Medjina in den Sinn kam. Wenn sie zurückkam würde die Freundin nicht mehr da sein - oder sie hassen... Dann blickte sie an sich herunter und seufzte. 'Eine schöne Deye bin ich' dachte sie. 'Ich stinke schlimmer als ein Krieger nach dem Höhepunkt der Schlacht.' Sie bot keinen angenehmen Anblick, so verdreckt, wie sie war. Immerhin hatten die Männer ihre Ketten verlängert, so daß sie ihre Notdurft in einen kleinen Eimer verrichten konnte, aber Schweiß, Blut und Staub bildeten eine gräulich-braune Schicht auf ihrer Haut und den paar Lumpen, die sie noch trug, ihre Haare standen wie die Borsten eines Stachelschweines ab. 'So würde mich nicht einmal meine Mutter erkennen.' Reijinara machte sich nicht die Mühe, den Schmutz abzukratzen. Sie sah keinen Nutzen darin, sondern kauerte sich wieder hin, um abzuwarten. Wieder öffnete sich die Tür mit einem Knarren. Doch es war nicht der magere Junge, der ihr Essen brachte und den Eimer austauschte, und nicht mit ihr sprach, sondern der bärtige Pirat. Er musterte sie einen Augenblick. Reijinara verzog das Gesicht und spuckte aus. "Wie ich sehe, geht es dir einigermaßen gut, aber ansonsten bist du kein angenehmer Anblick. Steh auf." "Warum sollte ich das?" spottete Reijinara. "Was willst du von mir? Noch spüre ich den Seegang!" "Steh auf!" befahl er wieder. Er ließ zwei Matrosen an sich vorbei, die ihre Fußfesseln lösten, nachdem sie die Ketten an den Handgelenken verkürzt und arretiert hatten, so daß ihre Schultergelenke fast ausgekugelt wurden. Dennoch versuchte Reijinara zu treten. "Wenn du dich noch länger weigerst, dann werden meine Männer dir Gehorsam einprügeln. Sie kennen sehr schmerzhafte Methoden, die keine Wunden zurücklassen..." Einer der Männer griff nach Reijinaras Arm und drückte mit seinen Fingern so fest zu, daß sie leise aufschrie. Der Schmerz ließ ihren Körper schlimmer als bei einem Peitschenschlag zusammenzucken. Auch wenn es gegen ihren Stolz sprach, Reijinara gehorchte nun und kam ohne weiteren Widerstand auf die Beine, als die beiden Seeleute ihr auch die Handfesseln lösten und sie hochzogen. Was hatten sie mit ihr vor? Noch hatte sie an Deck nicht die üblichen Geräusche einer Hafeneinfahrt vernommen, und die Bewegung der Wellen war zu stark, als das sie in eine Bucht eingefahren sein konnten. "Bringt diese schmutzige Gassenkatze rasch an Deck, bevor sie wieder ungehorsam wird." sagte der Mann und verließ die Tür, während die beiden anderen Reijinara mit sich zerrten. Sie hatten Lederschlingen um ihre Handgelenke festgezurrt. An Deck ließen sie Reijinara los, zogen ihre Arme aber soweit auseinander, daß sie keinen erreichen konnte, ohne sich eine Schulter auszukugeln. Die Frau jedoch genoß es, den frischen Seewind zu spüren - nie zuvor hatte er so würzig geschmeckt und blinzelte, bis ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Sie schnaubte, als sie in die Gesichter der wild aussehenden, hellhäutigen Mannschaft blickte und suchte dann den Horizont, an dem sich schwach eine Küstenlinie abzeichnete.
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"Das ist also die schwarze Spionin, Jehemal?" schreckte sie eine dunkle Stimme auf. Ein älterer, schwarzhaariger Mann war neben den Piraten getreten, der immer mit ihr gesprochen hatte. "Ja, Kapitän. Das ist die junge Hure, die ein bischen zu auffällig herumschnüffelte. Sermas hat sie am Leben gelassen." "Sie sieht nicht so aus, als würde sie einen hohen Preis auf dem Sklavenmarkt bringen." "Das täuscht. Unter der Kruste verbirgt sich eine fauchende Raubkatze mit geschmeidigen Gliedern und vollen Brüsten, einem Körper, den jeder Mann gerne besitzen möchte, bei Jani, der Verführerin und Lustvollen! Natürlich sieht sie nicht besonders aus, aber aus diesem Grund habe ich sie auch an Deck bringen lassen..." Der Kapitän nickte. "Tut was ihr wollt, Jehemal!" Dann wandte er sich wieder ab, während der Angesprochene Rejinara breit angrinste und der Mannschaft ein Zeichen gab. "Los Jungs, zieht die Tigerin aus!" Reijinara zitterte noch immer vor Wut und riß an den Riemen, die ihre Hände über dem Kopf zusammenbanden. Sie spürte das rauhe Holz des Mastes an ihrem Rücken. Jemand hatte auch ihre Füße zusammengeschnürt, so daß sie nicht austreten konnte. Wasser tropfte noch immer von ihren Haaren auf die Haut. Sie war wieder sauber, wenn auch noch ungepflegt. Durch die lange Gefangenschaft war sie etwas blasser geworden. Ihre Handgelenke brannten, weil sie leicht bluteten. Wenn einer der Männer ihr zu nahe kam und wie zufällig ihren Körper streifte, zischte sie ihm wüste Beschimpfungen entgegen, denn noch immer stand ihr die entwürdigende Behandlung deutlich vor Augen. Nachdem die Seeleute sie ausgezogen - um genau zu sein, die Lumpen von ihrem Körper gerissen hatten, war sie in einen großen Zuber mit Meerwasser geworfen worden, und mehrere Männer hatten sich bereitwillig um die Arbeit gestritten, sie zu waschen. Reijinara htte es ihnen nicht leicht gemacht, zugeschlagen, getreten, gestrampelt, und manch einer der Männer, die dann aufgegeben hatten, rieb einen noch immer schmerzenden Körperteil. Um sie ruhig zu stellen hatten zwei sie schließlich so lange untergetaucht, bis ihr die Lungen zu bersten drohten. Als sie nur noch japsen konnte, hatten sie sie abgeschrubbt und ausgiebig an ihr herumgefingert. Reijinara hatte ihnen Rache für diese Demütigung geschworen, als sie sie aus dem Zuber zogen und fesselten. "Sollen wir sie nicht auch noch ein bischen zureiten?" hatte einer der Männer Jehmal lüstern gefragt, doch dieser hatte ihn mit scharfen Worten zurechtgewiesen und sie dann an den Mast binden lassen. Nur ein Tuch, das im Nacken geknotet war und bis zur Mitte der Oberschenkel reichte, bildete nun Reijinaras Kleidung. Das störte sie wenig, denn auch Nacktheit hätte sie nicht erschreckt. Sie war weder Prüde noch jungfräulich, und ihre Augen betrachteten verlangend die Waffen, die sie an jedem der Piraten sah. Wenn sie doch nur an ein Messer oder ein Schwert kommen konnte... >>> <<< Der Sklavenmarkt war ein großer, mit teilweise überdachten Plattformen, Menschen, Tieren und der angeketteten Ware, angefüllter Platz. Sie stellte fest, daß sich hier nur wenige Dunkelhäutige befanden, fast alle Sklaven. Anbieter und Käufer waren von heller Hautfarbe, allenfalls von der Sonne gebräunt. Sie hatte kaum Zeit alles genau zu betrachten, denn ihre Bewacher zerrten sie weiter. Man hatte ihre Hände auf den Rücken zusammengebunden und einen Stock durchgeschoben, die Ellenbogen daran vrschnürt, so daß sie die Arme kaum 8
bewegen konnte. Zwischen ihren Füßen war eine kurze Kette befestigt, die ihr nur kleine Schritte erlaubte. Sie stolperte mehrere Male, fiel aber nicht zu Boden. Sie spürte deutlich, wie die Blicke der Zuschauer sich auf sie richteten, denn nicht nur ihre Hautfarbe, sondern auch die Narben, die sie in Kämpfen erworben hatte, zeichneten sich deutlich ab, und die blutbefleckten Lederfesseln boten einen noch deutlicheren Hinweis auf ihre Wildheit. Und nicht nur das... Vor Jahren hatte sie über die Berichte ihrer Freunde von Wenjalin gelacht, die von Barbaren berichteten, denen es ein besonderes Vergnügen bereitete, Kämpferinnen zu demütigen und damit zu brechen. Ein Weißhäutiger - muskelbepackt, schaffte es kurz, ihre Schulter zu betasten. Sie sah seinen Blick und den Glanz in den tückischen kleinen Augen, und hatte doch nur einen wütenden Blick und ein Schnauben zur Antwort. "Wieviel verlangt ihr für die da?" fragte er Jehemal. "Genug, um den Preis hochzutreiben, den ihr mit bieten würdet!" erklärte dieser freundlich aber kalt. "Kommt in einem Strich der Sonnenuhr zum Stand von Tamed dem Buckligen und ihr könnt mit den anderen Kunden bieten!" Der Zug an den Fesseln lockerte sich, weil auch ihre Bewacher abgelenkt waren. Reijinara blickte sich hastig um, machte einen Schritt nach vorne und sprang dann, so gut sie konnte zurück und entriß den Männern die Seile. Doch sie kam nicht weit. Ihre Hoffnung, wenigstens getötet zu werden, erlosch, als sie einen Stoß in den Rücken bekam und zu Boden fiel. Reijinara schossen die Tränen in die Augen und biß in eine Hand, die sich ihrem Gesicht näherte. Ein Fußtritt traf sie in der Seite. Sie konnte nur noch nach Luft ringen. Schon wurde sie wieder unsanft auf die Beine gerissen. Jehemal schlug sie ins Gesicht. "So hatten wir nicht gewettet, kleine Dirne! Deinem Schicksal wirst du nicht entgehen - und ihr passt besser auf!" schnauzte er die Männer an. Aber er lächelte zufrieden, hatte dieser kleine Zwischenfall weiteren potentielle Käufer auf sie aufmerksam gemacht, wie selbst Reijinara nun bemerken konnte. Eine Sänfte hatte angehalten und weiße, beringte Finger einen Vorhang beiseitegeschoben. Jehemal trat an die Sänfte heran und wechselte einige Worte, die sie nicht verstehen konnte. Ihre Bewacher hielten sie grob fest, als sie sich nach vorne beugte. Sie ließen sie nun nicht mehr aus den Augen. Jehemal kehrte nun zurück und betrachtete sie zufrieden. "Gut gemacht, Kätzchen. Du weißt dich wirklich auffällig anzubieten... schon wieder möchte dich einer erwerben..." Sein Lächeln wurde plötzlich grausam. "Aber versuch das nur noch einmal, und mein Mann wird dir Schmerzen zufügen, die du nicht vergessen wirst." Er nickte jemandem zu, und Reijinara schrie auf, als sich die sanfte Berührung in einen stechenden Schmerz wandelte. "Du schleimiges Aas! Ich werde keine..." Sie sank fast auf die Knie. Jehemal grinste breit. "Ich habe dir nicht zuviel versprochen" raunte er und winkte dann den Schaulustigen zu. "Man kan dunkle Raubkatzen auch zähmen, zumindest zeitweise",erklärte er, "Wenn ihr sie sehen wollt, dann kommt zum Mondtor." Tirband, die kleine Insel auf der sie war, lag vor der Küste von Ataris, wie sie aus Gesprächen erfahren hatte. Aber sie stand nicht unter der Oberhoheit dieses Reiches, ebensowenig war sie auf Seekarten verzeichnet. Tirband lebte nur vom Handel der Piraten untereinander. Man hatte Reijinara an ein Gestell gebunden, das ihre Arme und Beine gespreizt hielt, und es ihr unmöglich machte, sich zu bewegen. Die Lederschlingen schnitten in ihre wunden Handgelenke, und so hatte sie schließlich aufgegeben, sich aufzubäumen. Sie machte sich nur lächerlich, wenn sie weiter in dem Gestell zappelte und weckte die Neugier der Zuschauer nur noch mehr.
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'Denkt was ihr wollt!' dachte sie und ließ ihren Blick über den Markt schweifen, während sie den kühlen Wind auf ihrer Haut spürte, der das Tuch flattern ließ. Es zeigte immer noch Spuren von Staub. Sie blickte in die Gesichter anderer Ware - bemerkte Gelassenheit, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, aber auch Wut und Zorn. Nicht alle waren bereit, sich zu unterwerfen, aber die meisten gaben bereits auf. Auf den Sklavenmärkten von Organ-Dyl und Farathon war ihr dies nie sonderlich aufgefallen. 'Ich habe auch nicht darauf geachtet.' Die Rufe der Anbieter gellte in ihren Ohren. "Ein kräftiger Junge - noch klein genug, um erzogen zu werden, als Begleiter für einen reichen Herrn!" "Seht diese weiblichen Rundungen! Können sie euch nicht entzücken?" "Er sieht zwar nicht gut aus, aber seine Schultern sind so breit wie die eines Ochsen und können schwere Lasten tragen!" Die Schreie vermischten sich in ihren Gedanken zu einer wirren Ansammlung von Worten, als sie ihren Geist abdriften ließ. Doch eine Berührung ließ sie hochschrecken. "Jetzt geht es zur Sache, Tigerin!" zischte Jehemal und löste den Knoten des Tuches in ihrem Nacken. Der Stoff flatterte zu Boden. "ich hoffe du erbringst einen mehr als angemessenen Preis für unsere Mühen!" "Nichts!" giftete Reijinara zurück und starrte finster auf die Menge, die sich um die Plattform versammelte. Auch der Kräftige war darunter und fingerte an seiner Geldkatze. im Hintergrund erkannte sie die Sänfte wieder. Die Träger hatten sie abgestellt und kauerten nun erschöpft an den Seiten. Reijinara sah, daß die Männer angekettet waren. "Und nun zu einem Kleinod menschlicher Ware. Ja, kommt nur näher und betrachtet sie ruhig!" forderte der Händler seine Kunden auf und trat an sie heran. Er war ein kleiner, drahtiger und leicht gebeugter Mann, wieselflink und unruhig. Eifrig gestikulierend schwang er einen armlangen, fingerdicken Stock. "Betrachtet dieses Weib, das so dunkel erscheint wie Dämonenbrut! Aber sie ist so menschlich wie ihr! sie ist eine Barbarin aus einem Land, nicht fern von hier, Borgon-Dyl, das von einer zügellosen, grausamen Hure regiert wird, von einem Weib! Ja, und mehr als das!" Reijinara zuckte zusammen, als er den Stock über ihren Bauch gleiten ließ und eine Narbe nachfuhr um dann eine Brust zu umkreisen. "Sie ist eine ungezähmte, wilde Kämpferin! Ein Raubtier, das dressiert werden will. Betrachtet die bebenden Flanken, die festen Hügel, ihr flaumiges Tal..." er kitzelte sie weiter, während Reijinara um ihre Selbstbeherrschung kämpfte. Dann bog er den Stab und schob ihn unter ihr Kinn. "Aye, eine solche Frau zu besitzen ist eine Herausforderung. Ich hätte sie gerne genommen, aber das wäre euch gegenüber nicht statthaft gewesen. Seht das entschlossene Gesicht. Die funkelnden purpurfarbenen Augen, und ihr leuchtendes Haar! Man sagt, diese Farben zeugten bei den Wilden von höchstem Adel...und wer weiß, vielleicht ist sie sogar eine ihrer Barbarenfürstinnen... vielleicht sogar deren Königin..." Die Menge gröhlte vor Lachen, während Reijinara nur das Gesicht verzog. 'Wenn du wüßtest, daß du mit deiner Behauptung mehr als Recht hast!' Ein bitterer Geschmack war plötzlich in ihrem Mund, als sie an ihre Heimat dachte. Wieviel Zeit vergangen war, seit man die gefangen hatte, wußte sie nicht mehr, doch war das jetzt noch wichtig? Sie mußte diese erniedrigende Prozedur mit Würde über sich ergehen lassen, um später die Flucht zu versuchen. So entspannte sie sich, als der Händler von ihr abließ. "Ich Tamed fordere euch nun auf zu bieten, doch nennt einen guten Preis! 3000 sind das mindeste!" Ein Raunen ging durch die Menge, und Reijinara ahnte, daß dies sehr hoch war. 'Immerhin bin ich ein besonders wertvolles Stück Fleisch.' "Was ist? Höre ich keinen, der 3000 bietet? Keinen der dieses prächtige Weib erwerben will? Sie verspricht höchstes Vergnügen im Bett, und vielleicht noch an anderen Orten?"
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Der Anbieter verschränkte die Arme. "Verschenken werde ich sie nicht, daß wißt ihr wohl! Ist keiner von euch Memmen Mannes genug, diese Stute zu reiten und ihr Bocken in sanften Trab zu verwandeln?" "3000!" Einer schien über die Beleidigung erzürnt und begann zu bieten. Und als hätten andere auf diesen Mutigen gewartet, begannen sie zu steigern, angeheizt durch den Händler, der Reijinara immer wieder berührte.
Schließlich boten nur noch wenige, und die Summe blieb auf 7300 stehen. Rejinara hoffte nur, daß es nicht der Kräftige war, denn sie hatte ihn immer wieder beobachtet und gespürt, daß er grausam war und selbst sie ihn fürchtete. Aber als sie nun sah, wie er missmutig zurückwich, atmete sie auf. "Nun, bietet niemand mehr für diese Quelle heißer Leidenschaft?" versuchte der Händler die Menge noch einmal zu reizen. Aber die Männer schwiegen. "Nun gut!" grummelte Tamed der Bucklige nach einer Weile und zuckte mit den Schultern. "Dann ist sie an den Fürsten Telentrah verkauft!" Reijinara suchte ihren Käufer, aber sie bemerkte nur Unruhe an der auffallenden Sänfte. Ein junger Mann rannte durch die Menge und schwenkte einen Beutel mit Münzen, die der Händler gierig entgegennahm, Bewaffnete folgten ihm in einigem Abstand. Die Menschen zerstreuten sich, da es nun nicht mehr viel zu sehen gab, und die Borgon-Dun die letzte Ware gewesen war, die er anzubieten gehabt hatte. Tamed nickte ihnen zu, während er zu Jehemal trat. Die Männer umringten Reijinara. "Mach keinen Ärger!" drohte einer der Krieger. Sie schnaubte nur und achtete genau darauf, wie sie ihre Fesseln lösten, um sich gegen sie fallen zu lassen. Mit diesem Verhalten schienen sie aber gerechnet zu haben, zwei packten ihre Handgelenke, ehe sie dies verhindern konnte, ein dritter schlug ihr in den Nacken. Reijinara war zu betäubt um sich zu wehren, als man sie von dem Podest und auf die Sänfte zuschleifte. Das letzte, was sie hörte war ein spöttisches Lachen. >>> <<< Ein Lederband, das sich eng um ihren Hals schmiegte, ließ Reijinara würgen, als sie wieder zu sich kam. Noch ehe die die Augen öffnete, um ihre Umgebung zu erfassen, beugte sich jemand über sie und sagte: "Ganz ruhig... ich..." Eine Frau! Reijinara schnellte hoch und versuchte diese zu packen, doch sie erreichte nur, daß sie sich nur noch mehr würgte. Die Ketten um ihre Gelenke klirrten, wenn sie auch recht leicht waren. Jemand hatte ihre Wunden verbunden - offensichtlich die dürre weißhäutige und -haarige Sklavin, die ob ihres stürmischen Angriffs zurückgewichen und gestolpert war. Reijinara sah sich um. Wieder befand sie sich in einer Kabine - auf einem Schiff, doch diese war reichhaltig ausgestattet. Sie hatte auf seidenen Laken und weichen Kissen gelegen. Sie lockerte keuchend das Halsband und erkannte, daß die Ketten, die um ihre Hand und Fußgelenke lagen auf seltsame Weise mit dem Hals- und einem Tallienband verbunden waren und beliebig verkürzt werden konnten.Eine führte zu einem Ring in der Wand. "Verdammte Schlingerbrut!" entfuhr es ihr, als ihr gewahr wurde, daß man sie so völlig hilflos machen konnte, sie würde sich nur in die Besinnungslosigkeit würgen, wenn sie gegen die Fesseln ankämpfte. Reijinara sah an sich hinunter. Sie trug nur einige enganliegende Schleier am Leib, die sie eher hinderlich fand.
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"Was sitzt du am Boden und starrst mich die ganze Zeit an?" giftete Reijinara dann die Weißhaarige an, die nur einige Jahre älter als sie sein konnte. Sie war unscheinbar, aber ihre blauen Augen strahlten Klugheit aus. Sie stand auf und klopfte ihren formlosen Kittel ab. "Komm und nimm mir diese Ketten ab!" "Das kann ich nicht!" entgegnete die Frau. Ich dürfte es auch gar nicht. Der Herr befahl mir, mich um dich zu kümmern, und das tue ich hiermit. Willst du etwas Wasser?" Reijinara untersuchte indes die Ketten und riß daran. "Sie sind stark, obgleich sie zerbrechlich aussehen" bemerkte die Weißhaarige darauf. "Du kannst dich nicht daraus befreien!" "Misch dich nicht ein Sklavin! Ich in eine Kriegerin der Borgon-Dun und kein schwaches Mädchen wie jene, die sie sonst in diese Fesseln stecken." Sie fummelte an den Kettengliedern herum. "Ja,ja, ich sehe es. Du bist eine mächtige Kriegerin der Borgon-Dun und die Macht deines Gottes ist in dir. Du bist unbesiegbar, und unbeugbar, und vermagst dich aus allem zu befreien, wieviel es auch kosten mag!" spottete die andere. Reijinara fuhr herum und musterte sie scharf, erntete aber nur einen mitleidigen Blick. "Jene, die nach Lydon kamen, benahmen sich genau so. Ist das eure Art von Arroganz?" "Lydon? Du kommst aus Lydon?" Reijinara verstummte. Sie konnte jetzt nicht verraren, wer sie war. Sie schloß wieder den Mund und wandte sich den Ketten zu, wickelte eine davon um die linke Hand und riß daran. Sie hatte ein schwaches Glied entdeckt und konnte damit beginnen einen Teil der Fesseln abzustreifen. "Du bist wahnsinnig!" sagte die Lydonierin nur, aber sie tat nichts weiter. "Die Tür ist verschlossen, und wir sind ohnehin schon auf See. Was willst du also tun?" "ich... ich bin kein Spielzeug, keine Sklavin, mit der geschehen kann, was andere wollen. Ich lasse mich nicht länger binden..." schnaubte Reijinara und presste die Lippen zusammen. Sie starrte aus dem Fensterchen durch das gerade ein Kind hätte klettern können und trat dann zur Tür. Jemand kam herunter und machte sich am Riegel zu schaffen, schob ihn dann zurück. Sie wich ein Stück zurück und sprang dann auf den Eintretenden zu. Inzwischen war sie nur noch von den Fesseln nicht aber den Ketten behindert. Der Sklavenjunge brach mit einem Schrei zusammen, als sie ihn niederschlug. Sein Tablett polterte zu Boden. Der Wachtposten konnte nicht einmal mehr seinen Säbel ziehen, als Reijinara auf ihn losging. Sie bekam seinen Dolch zu fassen und rammte ihn dem Mann in den Bauch, und rannte an dem Zusammenbrechenden vorbei an Deck. Mädchen, die einen Tanz aufgeführt hatten, wichen kreischend zur Seite, als sie die "schreckliche ,schwarzhäutige Dämonin mit dem mordlüsternen Blick" auf sich zukommen sahen, und einige Krieger zogen ihre Säbel. "Daß ihr sie mir ja nicht ernsthaft verletzt!" erklang eine dunkle Stimme über das Deck. Zum ersten Mal konnte Reijinara einen Blick auf ihren Käufer werfen, der auf weichen Polstern ruhte, sich aber nun halb aufgerichtet hatte. Er mußte einmal ein kampf- und befehlsgewohnter Mann gewesen sein, den das Leben in Völlerei inzwischen verweichlicht hatte. Reijinara atmete tief ein und stellte sich den Bewaffneten. Wenn diese sie auch nicht töten sollten, so hatte sie keine Skrupel, einige mit sich zu nehmen. Sie waren weit draußen auf dem Meer, und Reijinara lächelte. Gab es Schöneres, als auf dem geliebten Element den Tod zu finden? Gedanken an eine Flucht hatte sie längst aufgegeben. "Borgon!" schrie sie und ging wie eine Rasende auf zwei Krieger los, bekam den Säbel des einen zu fassen und hieb damit den anderen nieder, obgleich sie eine blutige Schramme am Arm abbekam.
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Sie verwickelte ihren Gegner in einen heftigen Nahkampf und blickte immer wieder nach hinten. Die anderen vier kamen von allen Seiten - und obgleich sie all ihre Fähigkeiten ausspielte, war der Kampf schneller vorüber als sie gedacht hatte, und sie lebte noch. Zwei zerrten sie vor den Fürsten, der sie abschätzend musterte. "Der Händler hatte recht. Du bist eine wilde Pantherin, und das Geld war es wert. Nur möchte ich es nicht so schnell verlieren... schließlich..." "Du wirst keine Freunde an mir haben, das verspreche ich dir, du fette Kröte!" giftete Reijinara zurück, hoffend, daß er sie für diese Beleidigung umbrachte. "Stinkender Ziegenbock, der nicht einmal mehr aus eigener Kraft einen hoch..." Dann stöhnte sie auf, weil ihr einer gegen die Seite hieb. "Auch noch eine spitze Zunge, wie? Nun, vielleicht sollte ich sie dir herausreißen lassen, wenn du weiterhin so giftig bist. Aber..." Er winkte einen Bewaffneten zu sich und flüsterte ihm etwas zu. Dann richtete sich sein Blick wieder auf Reijinara. "Bis wir meine Insel erreichen bekommst du weder Wasser noch Nahrung. Vielleicht macht dich das etwas zahmer. Darul, sperr sie in die Kiste." Die Männer zerrten sie auf einen Wink zu einem länglichen Kasten, der im Vorderschiff lag. Nur einige winzige Löcher im Deckel ließen Luft in ihn kommen. Sie zwangen Reijinara hinein und verschlossen ihn dann wieder, um sie zurückzulassen. Schon bald bekam sie Schmerzen, denn der Kasten war für viel kleinere Menschen gemacht. Es stank nach Harz und menschlichen Exkrementen, aber auch nach Angst. Um sich herum hörte sie Stimmen, aber sie konnte nicht viel sehen. Ihr war zum Weinen zumute, aber sie verbot sich die Tränen. Telentrah durfte ihren Stolz nicht brechen! Irgendwann verlor sie das Gefühl für die verstreichende Zeit und dämmerte nur noch vor sich hin. Sie vermochte nicht einmal mehr die gelernten Texte zu rezitieren, so matt war sie, und bereit, aufzugeben... bis sie eine Stimme aus ihrem Zustand schreckte. Es mußte ein Mann sein, soviel stand fest, und er benutzte Borgon-Dun. Hasserfüllt klang sein leises Zischen: "Nun, wie ist es eingesperrt zu sein, gefesselt, unterworfen. Wie ist das für dich, Deye - gekröntes Haupt von Borgon-Dyl...Reijinara?" Sie gab ein leises Stöhnen von sich, als ein kalter Schauer über ihren Rücken rann. Bei Borgons Hörnern! Wer wußte, wer sie war? Und, würde er sie verraten?
Die Demut der Sklavin Würde der Unbekannte sie verraten? Diese Frage pulste durch Rejinaras Geist, wie auch der Schmerz durch ihren geschundenen Körper, als sie sie an Land schleppten und achtlos in eine Sänfte warfen. Viel hatte sie durch den Schleier, der ihre Augen vernebelte nicht sehen können, nur Mauern und blinkende Türme auf einem Hügel weiter landeinwärts. Der Schmerz war gekommen, als sie sie aus der Kiste gehoben hatten, in der sie unbestimmbare Zeit verkrümmt gelegen hatte. Sie wußte nicht wie viele, denn Reijinara war in einen Dämmerzustand gesunken, der sie nichts mehr spüren ließ, weder Hunger, noch Durst, noch die protestierenden Muskeln. Wieder erinnerte sie sich der Übung vergangener Tage und versuchte sich aufzurichten, doch eine knochige Hand drückte sie nieder. "Bleib liegen du störrisches Biest, oder ich ziehe dir eines über den Kopf!" knurrte eine dunkle Stimme. Reijinara tat es stöhnend, denn ihr Körper gehorchte ihr ohnehin kaum. 13
Sie mußte sich vorerst in ihr Schicksal ergeben. >>> <<< Viele Tage zogen ins Land. Das Wetter veränderte sich, wurde stürmischer und regnerischer. Der Winter hatte Einzug gehalten und eine erneute Bö ließ Olena Shandal frösteln. "Ich hasse sie! Sie ist boshaft, arrogant und hinterhältig! Es geschieht ihr recht, wenn sie wieder ausgepeitscht wird!" sagte die junge Sklavin neben ihr mit Befriedigung. "Sie ist nur eine von uns, aber trotzdem führt sie sich auf, als sei sie eine Herrin! Was ist das nur für ein Biest!" Sie lehnte an einer Säule und blickte vom Rundgang begierig auf den Innenhof. "Du hast es ihr diesmal heimgezahlt, nicht wahr Jikanda?" fragte Olena leise, um die Wächter in der Nähe nicht misstrauisch zu machen. "Ja, und ich finde, das hat sie verdient! Sie hat Maiave geschlagen und beleidigt dich in einem fort!" Das Mädchen deutete nach unten. "Da schau. Wenn sie doch nur einmal wimmern oder schreien würde..." "Sie wird es nicht. Sie ist eine Kriegerin der Borgon-Dun, und ausgebildet, Schmerzen zu ertragen. Es wäre für sie eine Schande, einen Laut von sich zu geben." "Das ist lächerlich!" gab Jikanda zurück. Olena Shandal lächelte. 'Nicht für die junge Frau dort unten, die auch noch dem Hochadel entstammt.' Sie seufzte. Selten band man aufsässige Sklavinnen an das Gestell. Meist war es den männlichen Unfreien vorbehalten, die stärker gegen die Bande aufbegehrten. Doch die dunkelhäutige Frau dort unten hatte es zum fünften Mal innerhalb kurzer Zeit geschafft, geschlagen zu werden. Die Auspeitscher schonten wohl ihre Haut, aber die Schmerzen mußten groß genug sein, um sie zu peinigen. Olena wechselte ihren Standort. Die Borgon-Dun ertrug viel zu viel. Sie gab immer noch keinen Laut von sich, was viele Frauen wie Jikanda ärgerte. Sie wollten sich über sie triumphieren sehen, und manch eine hätte die Wunden noch verschlimmert, wenn Olena nicht die Versorgung der Dunkelhäutigen übernommen hätte. Und das würde sie auch diesmal wieder tun. Olena wußte schon, daß sie wieder mit Beschimpfungen rechnen mußte. Aber sie ahnte, daß es nur die Art der Borgon-Dun war, ihren verletzten Stolz zu pflegen. Denn sie wußte, wer die Frau dort unten war, Reijinara, die Deye von Borgon-Dyl. Hier hatte man ihr den Namen Rilta gegeben. In irgendeiner Sprache bedeutete das "Pantherweibchen", und es charakterisierte sie genau. Reijinara war wie eine gefangene Raubkatze, die ihr Feuer und ihre Energie in Wut, Haß und Zorn vergeudete. Reijinara wütete vor sich hin, nachdem sie die weißhaarige Sklavin allein gelassen hatte. Sie stieß das Salbenkästchen zu Boden und wollte einen Vorhang hinunterreißen, als sie plötzlich innehielt. Tränen schossen in ihre Augen, weil die Haut des Rückens schmerzhaft spannte. Sie hatte das wieder diesen neidischen kleinen Weibchen zu verdanken, die kuschten und gehorchten, wenn ihr feister Herr oder einer seiner Unterführer nach ihnen verlangten. Aber nicht sie! Das hatte sich Reijinara geschworen, als sie wieder zu Kräften gekommen war. Sie wollte fort von hier. Jede Faser ihres Körpers schrie nach der Freiheit, die sie so leichtsinnig verloren hatte, und mit ihrer neuen Stellung als Sklavin konnte sie sich nicht abfinden. Dreimal hatte sie versucht zu entkommen, und gehofft, zumindest ehrenhaft zu sterben. Einmal hatten sie ein Netz über sie geworfen, das zweite Mal war sie über die Mauer gekommen, aber eine ganze Horde hatte sie überwältigt... wie auch beim dritten Mal. Drei Piraten lebten nicht mehr, und ein anderer würde kein Verlangen nach Frauen mehr empfinden. Für alle drei Versuche und zwei Verweigerungen war sie ausgepeitscht worden, und mit jedem Schlag hatte sie Rache geschworen.
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Doch allmählich verzweifelte sie. Ihr Jähzorn, geschürt vor der Angst, für immer hier gefangen zu sein, wurde immer unberechenbarer und ungezügelter und diese Spannung hatte sie oft genug an den Sklavinnen ausgelassen - eine sogar geschlagen, die zu den zarten und schwächeren Mädchen gehörte. Das nahmen ihr die Frauen übel und rächten sich mit boshaften Streichen an ihr. Inzwischen begriff Reijinara, daß sie nicht so weitermachen konnte und sich nur noch mehr Feinde schuf. Zorn und Widerstand brachten sie nicht weiter, doch wie sonst sollte sie sich wehren? Vielleicht war scheinbares Nachgeben eine erste Taktik. Wozu hatte sie Strategie erlernen müssen, und selber in ihren Zeiten als Kapitänin angewandt? Sie seufzte und ging zu ihrem Lager um sich bäuchlings darauf fallenzulassen. Sie barg den Kopf in den Händen und atmete ruhig ein und aus. Warum kamen ihr jetzt die Lehren Erlaras, ihrer engsten Vertrauten über viele Jahre in den Sinn? "Der Herr hat dich heute abend zu sich befohlen." sagte Jikanda mit einem schadenfrohen Grinsen, als sie ungefragt das Zimmer Reijinaras betrat. "Und ich soll dich für ihn vorbereiten, Rilta." "Dann tu es!" sagte die Dunkelhäutige gleichgültig und rührte sich nicht von dem Lager. Jikanda musterte sie misstrauisch. Hatte die letzte Prügel Rilta etwa zahm gemacht, oder führte sie etwas im Schilde? Sie hatte auch schon gehört, daß sich die Frau seit Tagen anders, freundlicher, benahm. Das konnte vieles bedeuten. Sie machte eine Geste. Rilta erhob sich und blieb im Raum stehen. "Ich hörte, du bist eine Kleiderkünstlerin. Dann zeige an mir deine Fähigkeiten!" Jikanda gehorchte grollend. Wenn sie auch nicht sonderlich achtsam war und die störrischen Haare so rücksichtslos kämmte, daß sie manchmal Riltas Kopf nach hinten riß, und die Spangen des Gewandes absichtlich in die Haut stieß, so ließ die Dunkelhäutige sie doch klaglos gewähren. Doch in ihren Augen blitzte es voller Wut. Jikanda lächelte. Sie wußte genau, daß die Borgon-Dun nicht gebrochen, nur vernünftiger geworden war. Dennoch würde sich erweisen, wie klug sie wirklich war, wenn Telentrah der Fette mit seinen Fingern Riltas Körper begrabschte und sie niederwarf... dann würde auch für Jikanda die Rache vollkommen sein. Sie verbarg ihr gehässiges Grinsen, als sie Olena begegnete, die zu aufrichtig war, um das zu verstehen. Olena bemerkte die starre Haltung der Borgon-Dun, als sie den Raum betrat. Nur kurz wandte diese den Blick vom Fenster. Jikanda hatte gute Arbeit an ihr geleistet, Rilta - Reijinara, verbesserte sich die Weißhaarige, wirkte in den fließenden Seidenstoffen sehr weiblich, und trotz des fehlenden Schmuckes schimmerte ihr Haar und die Haut. "Was willst du von mir?" fragte Reijinara tonlos. Von allen Sklavinnen war nur diese Olena freundlich zu ihr gewesen, obgleich die Lydonerin auch zu wissen schien, wer sie war. Doch nie waren solche Worte über ihre Lippen gekommen. Dies brachte Reijinara wieder dazu an den Unbekannten zu denken, der sie auf dem Schiff so bedrohlich verhöhnt hatte. Vielleicht war auch er ein Lydoner, und die Weißhaarige kannte ihn sogar. Reijinara seufzte. Sie sollte sich lieber Gedanken um das Kommende machen. 'Ich lasse mich nicht wie ein Lamm zur Schlachtbank führen, und schon gar nicht zu solch einem Metzger. Wenn er erwartet, daß ich mich ihm kampflos hingebe, so täuscht er sich, so weit habe ich meinen Stolz noch nicht verloren. Ich bin kein Besitz, der genommen wird...' Die Stimme Olenas schreckte sie auf."Was willst du? " fragte Reijinara nocheinmal. "Ich habe eben nicht zugehört." "Ich sagte nur, daß dich eine Gruppe von Wächtern holen wird. Was willst du dann tun?" 15
"Nichts Unbedachtes, aber auch nichts gegen meinen Willen!" Reijinara musterte Olena, die nur das schlichte Gewand einer Dienerin trug. Wo sie in diesem Palast lebte, wußte sie nicht, nur wurde ihr um so deutlich, daß sie selber eine noch bevorzugte Stellung einnahm. "Gegen deinen Willen. So." murmelte Olena. "Telentrah ist ein stolzer und gefährlicher Mann, auch wenn man das seinem Äußeren nicht mehr ansieht. Ich will dich vor ihm warnen. Er kann sehr grausam werden." "Das muß ich in Kauf nehmen" antwortete Reijinara bedächtig. "Danke für deine Worte. Warum tust du das alles?" "Weil ich dir nicht glaube, daß du so bist, wie du dich benimmst. Da schlummert etwas in dir... Re...Rilta, das ich spüre, aber nicht deuten kann. Noch nicht..." Ihre Worte wurden durch das Knallen von Stiefeln auf Steinboden unterbrochen. Sie wich aus, noch ehe ein breitschultriger Wächter die Tür aufstieß. Es waren sieben Mann aus Telentrahs persönlicher Garde. "Der Herr will dich sehen, Sklavin." Reijinara erhob sich willenlos. Der Prunk der Gemächer des Piratenfürsten erstaunte Reijinara nicht. Sie war ähnliches gewohnt, doch waren diese Besitztümer wahllos zusammengeplündert und aufgestellt worden. Der Raum, obgleich recht groß, war überladen. Gold glitzerte an den unmöglisten Stellen, und die Wandteppiche verschiedenster Völker hingen nebeneinander und stachen sich gegenseitig in ihrer Farbenpracht aus. Viel Platz nahm auch das mit Kissen bedeckte Bett ein. Der Piratenfürst stand davor und hielt einen rubingeschmückten Pokal in den Händen. Er trug ein lockeres Hausgewand aus feinster Seide, daß wohl für einen noch Fetteren gefertigt worden war. "Ihr könnt euch zurückziehen!" befahl er den Männern. "Aber wartet vor der Tür." Die Wächter gehorchten. Reijinara blickte ihnen nicht nach. Sie stützte die Hände in die Hüften und blickte sich weiter um. Telentrah trat an sie heran. Er war so groß wie sie und blies ihr seinen weingeschwängerten Atem ins Gesicht. "Was funkelst du mich mit deinen Amethystaugen so wild an, kleines Pantherweibchen? Hm, man berichtete mir von deinen Unartigkeiten. Abr du warst das Gold und den Ärger wert. Du bist wirklich ein rassiges Weib, und schon gar nicht unerfahren, habe ich recht? Ihr Wilden, so hörte ich, seid leidenschaftliche Liebhaberinnen und paart euch gerne...wen man euch einmal gezähmt hat. Zieh dich aus! Ich will deine Brüste sehen!" Reijinara blieb starr stehen. Sie achtete nicht auf den Befehl. Ihre Augen blickten starr geradeaus. "Stolz!" Der Piratenfürst nahm einen tiefen Schluck und stellte den Pokal dann beiseite. "Den haben sie dir wohl noch nicht aus deinem Leib geprügelt. Ich mag das - hin und wieder. Aber auch meine Geduld hat ein Ende. Ich sage es nicht noch einmal: Zieh dich aus!" Er überkreuzte die Arme vor der Brust. Reijinara tat es ihm gleich. Sie schnaubte nur verächtlich und beobachtete ihn. "Du willst mich verspotten, wie?" Telentrah trat an sie heran. Eine Ader auf seiner Stirn schien anzuschwellen, ein Ausdruck seines Zorns. Die Augen funkelten in dem teigigen Gesicht und er hob seine Hand. "Ich sage dir noch einmal, zieh dich aus!" keuchte er wütend. Dann holte er aus.Reijinara fing seine Hand instinktiv ab und schlug selber zu. Der Zorn und Ekel, der in ihr aufgestiegen war, brach in dem Hieb aus ihr heraus, der den Piratenfürsten zu Boden schleuderte. Noch ehe Reijinara ihn packen und als Geisel nehmen konte, brüllte er nach seinen Wachen. Die fünf Männer stürmten herein und stürzten sich auf sie, rissen Reijinara, die sich in ihrem Gewand verhedderte, brutal zurück. Reijinara keuchte vor Schmerz, als sie ihr die Arme fast 16
brachen und wehrte sich, aber die Übermacht drückte sie auf den Boden und hielt sie dort fest. Einer packte ihr ins Haar und riß den Kopf zurück, so daß sie den Piratenfürsten ansehen mußte. Grausam lächelnd blickte er auf sie hinunter, Reijinara spürte, daß sie ihn in seinem Stolz verletzt hatte, und Telentrah nicht ertragen konnte, daß eine Frau ihm nicht gehorchte. "Sie soll lernen, wo ihr Platz ist", stieß er mit heiserer Stimme hervor. "Nehmt sie, so oft ihr wollt, aber beschädigt die Dirne nicht allzusehr. Vielleicht bricht das ihren Stolz." Reijinara wußte, was das bedeutete. Sie bäumte sich auf, aber die fünf Männer waren in der besseren Position. Sie drehten sie um und hielten ihre Arme und Beine fest. Der fünfte beugte sich über sie. Telentrah lachte höhnisch und verließ seinen Raum. Der Mann riß den dünnen Stoff von ihren Schultern und ihrem Oberkörper. Reijinara bäumte sich noch einmal auf, obgleich sie genau wußte, daß es diese Kerle noch mehr anstacheln würde. "Mir gefällt es, wenn du dich so wehrst! Mach nur weiter!" keuchte der Mann über ihr und knetete grob ihr Fleisch um weiteren Widerstand zu erzwingen. "Ich mag es, wenn meine Weiber wild sind und kämpfen wollen!" Die anderen lachten höhnisch. "Nun beeil dich, ich will auch noch drankommen!" rief einer und fluchte, als Reijinara beinahe ihr Bein befreit hätte. Sie biß sich auf die Lippen und gab ihren Widerstand auf, obgleich sie bei dieser Demütigung zitterte und innerlich brannte. Doch sie war machtlos gegen die fünf Wächter, die sie brutal missbrauchten und nicht nur einmal vergewaltigten. Als der letzte schließlich von ihr abließ und sich keuchend von ihr hinunterrollte, war Reijinaras Körper ein einziges Schmerzendmeer. Sie wollte schreien und weinen, aber sie verbot es sich. Sie konnte und wollte ihnen diesen Triumph nicht gönnen. Sie wollte ihnen nicht zeigen, wie nahe sie dem Abgrund war. Auch als zwei der Männer sie nun anhoben und mit sich schleiften, um sie in ihr Zimmer zu bringen und sie dort auf das Bett zu werfen, verbot sich Reijinara, einen Laut zu äußern. Sie blieb mit ihrem Schmerz allein. Eine Weile regte sie sich nicht, dann hob sie langsam den Kopf und drehte sich. Ihre Hände tasteten zögernd über den blutigen, zerschrammten Leib, und die ersten Tränen schossen in ihre Augen. Sie rollte sich zusammen und begann zu zittern und ihre Verzweiflung herauszuschreien. Telentrah hatte es geschafft, hatte sie mit dieser Tat gebrochen. Reijinara hatte früher nie daran geglaubt, daß ihr eine Schändung so viel ausmachen würde, sie hatte nur über die Warnungen gelacht. Jetzt wußte sie, daß sie wie die anderen fühlte und am liebsten sterben würde. Sie blickte zum Fenster, und dann gab sie einen erleichterten, wenn auch noch klagenden Laut von sich, rappelte sich mühsam auf und taumelte zu ihm hin. Keijad! Warum waren ihr die Blumen, die ein Gärtner zur Zierde ihres Raumes ausersehen hatte, nicht früher aufgefallen? Oder hatte er sie erst jetzt eingepflanzt? Die violetten Blüten leuchteten ihr tröstend entgegen, ihr Duft erinnerte sie an ihre Heimat, und an einen Ausweg. Unbehandelt war der Blütensaft der Keijiad ein starkes, schnell wirkendes Gift, das den Tod bringen konnte. Es war, als hätten sie ihre Götter erhört. Olena eilte, nachdem sie den Befehl von einem Wächter erhalten hatte umgehend in den Raum der Borgon Dun. Sie war voller Sorge, denn der Mann hatte mit seiner Eroberung geprahlt, und sie kannte die Grausamkeit des Piratenfürsten. Dabei hatte sie Re...Rilta gewarnt, ihn nicht zu reizen. Und nun hatte sie dafür bezahlt. Wie weit ertrug eine BorgonDun wie sie eine Schändung? Die Antwort fand sie in deren Gemächern. Sie sah als erstes die dunkelhäutige Gestalt die verkrümmt in der Nähe des Fensters lag. Eine Tonschale mit violetten Blüten war heruntergerissen worden. Einen Teil davon umklammerte die Bewußtlose noch. Olena 17
erkannte die Blüten wieder. Sie war zuvor eine Gelehrte, keine Dienerin gewesen und wußte, was sie vor sich hatte. "Keijad?" murmelte sie und entsann sich der Wirkung, die man der heiligen Pflanze der Keiiris, der alten Göttin der Borgon-Dun nachsagte: Heilend wenn in Maßen genutzt, ein tödliches Gift, wenn unbehandelt und in großen Mengen genossen. Sie wandte sich um und rannte durch die Gänge. Sie wußte, daß sich Andraytor, der Priester des Norytton irgendwo in diesem Flügel des Palastes aufhielt. Telentrah glaubte zwar nicht an Götter, aber er hatte trotzdem für seine Untergebenen ein kleines Heiligtum errichtet, in dem verschleppte Geweihte ihrem Gott dienten. Andraytor war der Älteste und Mächtigste von ihnen. Nur er besaß Kräfte, die jetzt noch helfen konnten. Der weißhaarige Mann verließ gerade die Kammer einer Sklavin, die ein Kind zur Welt gebracht hatte, als Olena auf ihn traf und ihn am Ärmel seines Gewandes festhielt. "Andraytor! Die Borgon-Dun braucht eure Hilfe! Sie hat Gift genommen!" Erst jetzt kam es Olena zu Bewußtsein, daß es für Rilta vielleicht besser gewesen wäre, zu sterben, aber es war schon zu spät. Der alte Mann fragte: "Wo! Und was?" "Was auch immer sie empfangen haben könnte, wenn der Samen Frucht gezeugt hätte, sie hat es verloren. Aber sie wird leben, Fürst Telentrah", klang eine fremde, aber warme Stimme in den Nebel ihrer Benommenheit. Reijinara öffnete die Augen und schloß sie mit einem Stöhnen wieder, als sich alles um sie drehte. "Sie hat offensichtlich eine überdurchschnittliche Konstitution", erklärte der Fremde. Reijinara öffnete wieder die Augen. Fürst Telentrah beugte sich über sie und musterte sie nachdenklich. "Tatsächlich..." Er klang amüsiert und grimmig zugleich. "Der Stolz glitzert immer noch aus deinen Juwelenaugen, Pantherweibchen. Vielleicht lernst du in der Arena Demut!" Dann wandte er sich ab und sagte etwas zu dem Fremden mit der warmen Stimme. Reijinara aber frohlockte, denn damit gab er ihr eine Waffe in die Hand, die sie nutzen konnte. Von allen Sklaven waren die Gladiatoren die Unbeugsamsten, das hatte sie selber erlebt. Sie schreckte aus ihren Gedanken auf, als der Fremde in ihr Sichtfeld trat und ihren Kopf stützte, um einem Becher an ihre Lippen zu setzen. "Trink das, es wird lich in Schlaf versetzten und die letzten Reste des Giftes aus deinem Körper vertreiben. Bei Norytton, du wirst leben." "Ich werde leben..." murmelte sie schwach und schloß wieder die Augen, um sich in die angenehme Dunkelheit gleiten zu lassen. "Leben!" >>> <<< In dem kleinen, stickigen Gang hallte der Kampflärm aus der Arena wieder. Reijinara konnte die Angst förmlich riechen, die Kampfeslust, die manche beseelte, aber sie fühlte sich dabei nicht so wohl. Sie erreichte den Ausgang und blieb an der Schwelle stehen. Der Wächter stieß sie an. "Weiter, du faules Biest! Der Arenenmeister will dich begutachten!" Mit einem geringschätzigen Blick auf ihn gehorchte Reijinara. Sie war zwar wieder recht schnell auf die Beine gekommen, aber das Gift hatte ihr viel von ihrer Kraft und Schnelligkeit geraubt. Noch immer gehorchten ihr manche Muskeln nicht. Sie blickte sich um. Sie sah nur zwei andere Frauen, die aber ausgebildete Arenenkämpferinnen sein mußten und von einer zu herben Schönheit waren, um in einem Harem zu leben. Alle Kämpfer übten verbissen, scharf bewacht von einigen Bogenschützen auf den Rängen und Aufsehern, die mit der Peitsche schnell zur Hand waren. Der Wächter schob sie nach links, als Reijinara wieder zögerte. Einen Augenblick glaubte sie einen hassterfüllten Blick gesehen zu haben, doch ehe sie sich dessen versichern konnte, stieß ihr jemand das stumpfe Ende eines Stabes vor die Brust. "Du bist also die Neue, wie?" 18
Der kahlköpfige und zernarbte Mann in der ledernen Tunika betrachtete sie prüfend von oben bis unten, und schob dann einen der Träger ihres knappen Oberteiles von den Schultern. "Dich hat also der Fürst aus dem Harem geschickt, weil du zu aufsässig warst - wie? Und nun sollen wir dir Gehorsam beibringen?" Blitzschnell holte er mit seinem Stock aus, um sie zu schlagen. Reijinara fing ihn mit den Händen ab. "Gut!" lachte der Arenenmeister. "Wie ich sehe, bist du eine Kämpferin!" Er tippte mit einem Ende gegen ihren Oberarm, um die Reflexe zu prüfen und nickte zufrieden. "Du scheinst nur außer Übung zu sein. Es gibt noch Hoffung...Hm, wir beginnen mit dem Stabkampf..." Er winkte einen der Gladiatoren herbei. "He, Lyron, zeig der Raubkatze, was ein richtiger Kampf ist!" Der Arenenmeister warf Reijinara seinen Stock zu. Sie fing ihn auf und betrachtete ihren Gegner. Der Mann war etwa in ihrem Alter, hochgewachsen und athletisch. Sein blondes Haar war kurzgeschoren, sein Gesicht scharf geschnitten. Alles in allem war er stattlich, nur der hasserfüllte Gesichtsausdruck und das bösartige Funkeln in seinen Augen ließen sie stutzen. Sie wurde wachsam. "Beginnt! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!" rief der Arenenmeister. "Du hast ihn gehört!" entgegnete Lyron, während sich ihre Augen weiteten. Die Stimme war ihr vertraut, sie hatte sich in aller Deutlichkeit in ihre Erinnerung eingebrannt! Der Mann auf dem Schiff! Bei Borgon! Er hieß ebensowenig Lyron, wie sie Rilta! Meschanisch ging sie in Angriffsstellung, um zu gehorchen und tauschte einige Schläge mit ihrem Gegner aus. "Nun ja, das war noch nicht überzeugend" meldete sich der Arenenmeister. "Lyron, du bist besser!" Der Blonde stützte sich auf den Stab auf. "Nun gut, dann höre ich auf zu spielen!" sagte er kalt und griff im nächsten Augenblick an. Reijinara konnte gerade noch ausweichen und den nächsten, von unten geführten Schlag abwehren. Dann prasselten seine Stockhiebe auf sie ein.Sie wurde in die Defensive gedrängt. Der Schweiß lief in kleinen Rinnsalen von ihrem Körper und ihre Muskeln schmerzten. Sie stieß wütende Flüche aus, doch ihr Gengner lachte nur spöttisch und benutzte einen hinterhältigen Schlag, um ihre Deckung zu durchbrechen und mit einem erneuten Hieb den Arm zu paralysieren. Einhändig konnte sie den Stab nicht mehr führen und so galt der nächste Hieb dem anderen Handgelenk. Reijinara versuchte ihn anzuspringen. Sie sah es längst nicht mehr als Spiel. Lyron setzte sie jedoch mit Hieben in die Kniekehlen außer Gefecht und lachte laut, als sie in den Sand fiel und Mühe hatte, sich aufzurappeln. "Genug!" griff der Arenenmeister schließlich ein und blockierte den letzten Schlag, der ihrem Nacken gegolten hatte. "Aufhören Lyron, oder willst du lebendig gehäutet werden? Dieses Püppchen hat am Leben zu bleiben!" Lyron trat keuchend zurück, während Reijinara sich stöhnend aufrappelte und ihm einen vernichtenden Blick zuwarf, als ihr auch noch einer der anderen Kämpfer helfen mußte. 'Was du auch immer gegen mich hast, das werde ich dir heimzahlen!' dachte sie, während der Arenenmeister sie am Arm packte. "Es kann nur besser werden", bemerkte der Kahlköpfige. "Bringt sie in ihre Zelle und schickt den Quacksalber zu ihr, damit er sie untersucht!" Die Flucht aus der Arena erwies sich als unmöglich. Überall waren Wächter zu finden, Männer, die schnell und geschickt handelten, weil sie selber aus der Arena stammten und neben der Freilassung noch einen hohen Lohn erhielten. Darlynx, einer der älteren Gladiatoren hatte sie schon früh auf die Achtsamkeit der Söldner hingewiesen, so daß Reijinara sich ruhig verhielt.
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Aber sie fühlte sich dennoch freier als in den Frauengemächern. Sie übte in den nun folgenden Tagen und Wochen so verbissen, daß ihre Muskeln immer wieder protestierten, aber sie gewann mit der Zeit ihre Gewandheit und Ausdauer zurück. Sie war mit sich zufrieden, wenn sie einmal von der Wut auf Telentrah und Lyron absah. Ersterer hielt sich nicht auf der Insel auf, er wieder erst in Monden wieder zurückkehren. Sie hatte die Demütigung der mehrfachen Vergewaltigung nicht vergessen - so aber konnte sie wenigstens auf einen Racheplan sinnen. Zumal sie jetzt nicht mehr durch das Nichtstun und die Gefangenschaft geschwächt war. Der blonde Kämpfer verfolgte sie immer wieder mit seinen Blicken. Wenn der Arenenmeister sie auch nicht mehr miteinander kämpfen ließ, so spürte sie doch, daß er auf eine Gelegenheit wartete, sie wieder anzugreifen. Reijinara vermutete, daß er sie kannte, doch sie erinnerte sich nicht, sein Gesicht jemals gesehen zu haben. Nichts an ihm deutete auf eine Herkunft hin, er hätte ebensogut ein Galeerensklave oder Pirat, wie auch ein Adliger aus Lydon sein können. Nur, daß er einen Grund hatte, sie zu hassen war deutlich zu erkennen. Sie begann dieses Leben zu lieben, wenn auch nicht so sehr wie den Wunsch nach Freiheit, der in ihrem Herzen war. "Morgen sind wieder Spiele zu Ehren irgendeines Kapitänes oder Bastardes von Telentrah, der genug Geld bezahlt hat", murmelte Darlynx, einer der wenigen Gladiatoren, mit denen sich Reijinara angefreundet hatte, zu ihr. Sie sah zu dem alten, erfahrenen Kämpfer hin, mit dem sie oft geübt hatte, und so besser kannte, als jeden anderen. Leider verstanden die Frauen sie nicht. Sie kamen aus einem Land, das nicht einmal der Grauhaarige kannte, der früher einmal ein Handelsfahrer gewesen war. Nun saßen sie auf den Steinstufen und aßen den nahrhaften Brei aus Getreide, Brühe und zerkleinertem Fleisch, und Reijinara zuckte zur Antwort mit den Schultern. Darlynx lachte trocken. "Dieses Gesindel hungert noch mehr nach Blut als dein Volk. Du bist eine reinrassige Borgon-Dun, nicht wahr?" Reijinara seufzte. "Und wenn dem so wäre, dann ist es doch auch nicht mehr wichtig. Wir alle stehen in der gleichen Arena." "Hm..." Darlynx zog eine Augenbraue hoch. "Nicht alle. Der Arenenmeister sagte mir, daß du von den Schauspielen ausgeschlossen bist. Der Fürst befahl es!" Reijinara sah ihn erstaunt an, dann aber nickte sie bedächtig. "Das kann ich mir gut vorstellen. Ich bin nicht hier, um durch ein Schwert zu sterben." Darlynx musterte sie nachdenklich. "Hm..." Ehe er jedoch mehr sagen konnte, trat der Arenenmeister durch ein Tor und schlug mit seinem Stab gegen einen Gong. "Genug der Faulenzereien! Bringt euch in Bewegung! ich will euch schwitzen sehen!" Die Gladiatoren gehorchten mit dem üblichen Murren. Als sie in ihre Zelle zurückkehren wollte, hielt ein Aufseher Reijinara zurück. "Heute nicht!" erklärte er und packte sie am Arm, während er sie in einen anderen Gang zerrte, gut sichtbar für die anderen Männer. "Was soll das? zischte Reijinara und spannte ihren Körper an. Sie war bereit, jeden Augenblick zuzuschlagen. "Versuch es ja nicht..." knurrte der Aufseher. "Es sind genug andere hier, um dich einzufangen und zu bestrafen." "Ekelhaftes Stinktier! Was hast du mit mir vor?" Der Wächter lachte nur dreckig und zog sie vor eine andere Zellentür, bei der schon ein anderer Wächter stand und breit grinste. "Hier Lyron!" rief er in die Zelle. "Hier ist noch ein kleiner Spaß für dich, ehe du morgen in die Arena gehst, um zu sterben!"
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rief er, als er die Tür aufriß, und der andere sie hineinstieß. Reijinara stolperte in den Raum hinein und fing sich katzengleich ab, ehe sie stürzen konnte. Die Tür fiel mit einem lauten Knall hinter ihr zu. "Hab deinen Spaß mit der Wildkatze und laß dich nicht allzusehr zerkratzen!" erklang eine dritte Stimme. Reijinara ging in Angriffshaltung und musterte den Blonden, der an der Mauer, ihr gegenüber lehnte, und sie kalt anfunkelte. Er hatte die Arme vor der Brust gekreuzt, und ein spöttischer Zug lag in seinen Mundwinkeln. "Auch sie wollen ihren Spaß haben", grollte er und blickte bedeutungsvoll nach oben. "Und sie werden ihn bekommen!" zischte er und griff sie unvermittelt an. Reijinara hatte ähnliches geahnt wich aus und griff ihrerseits an. "Verdammt, was soll das? Wer bist du und warum greifst du mich an. Welchen Haß hegst du gegen mich, daß du mich töten willst!" fauchte sie, als sie versuchte, seinen Kopf in den Schwitzkasten zu nehmen. "Du warst das auf dem Schiff." Er nutzte ihren Schwung aus und schleuderte sie gegen die Wand, halb auf sein Lager. Er fing die zu Krallen gekrümmten Hände Reijinaras ab und riß sie herum. "Weil ich Grund dazu habe" keuchte er. "Deye!" Er spieh das Wort förmlich hervor, während er ihren Arm verdrehte, aber den anderen freigeben mußte. "Ich habe lange darauf gewartet, die Hure von Torgan-Dyl in meine Finger zu bekommen, die gemeinsame Sache mit der Hexe von Lydon machte..." "Was ist mit...Sadia!" Reijinara stöhnte auf, schaffte es aber zu treten. Er ließ sie los, was die Borgon-Dun nutzte, sich von der Pritsche zu winden und auf die Beine zu kommen. "Was ist Lyron? Sonst hast du die Kätzchen immer schneller flachgelegt, oder ist sie doch zu viel für dich!" Reijinara blickte einen Augenblick nach oben, von wo die Stimme gekommen war, und wurde so von Lyron überrascht. Er schleuderte sie gegen die Wand und begann sie zu würgen. Reijinara krallte ihre Hände in seine Arme. "Versuch nur dich zu befreien, du schwarze Ausgeburt der Dämonen. Du steckst hinter dem Mord an meinem Bruder Seram, dem Fürsten von Lydon! Du..." Reijinara rang nach Luft. Sie schaffte es, ihm das Knie in den Unterleib zu rammen, so daß er sie losließ und mit schmerzerfülltem Keuchen zurücktaumelte. Sie schlug ihn ins Gesicht und stieß ihn zu Boden. "Narr!" gab sie mit rauher Stimme hastig zurück. "Ich habe weder den Befehl gegeben, noch wußte ich vonihrem Verrat! Verdammter Lydoner, warum ist keiner von euch nach Organ-Dyl gekommen?" "Weil sie die Aufständischen fortschaffen ließ!" Mit einem Keuchen schaffte der Mann es, wieder auf die Beine zu komen. "Aber trotzdem will ich die Genugtuung habe, dich zu töten." Sie umklammerten einander. Jeder versuchte an des anderen Hals zu kommen, doch ihre Hände waren so ineinander verkrallt, daß sie es nicht vermochten. Sie rangen um die Oberhand, einander zornig in die Augen blickend. Grau traf auf Purpur und ein stummes Duell entspann sich zwischen ihren Seelen, während die Körper wie Bogensehnen nach dem Schuß zitterten. Der Blonde riß Reijinara mit einem gezielten Tritt von den Beinen, doch diese zog ihn mit sich, kam unter ihm zu liegen. Wieder vrsuchte er sie zu würgen... Plötzlich öffnete sich die Tür und vier Wachen stürmten hinein, trennten die Kämpfer und hielten sie fest, während der Kerkermeister hineinkam und finster nach oben blickte. "Wenn ich die erwische, die dafür verantwortlich waren..." Er musterte Reijinara und Lyron, die noch immer heftig nach Luft rangen und schüttelte den Kopf, aber in seinen Augen blitzte es. "So, ihr wolltet euch umbringen, und ihr wärt eine interessante Paarung, aber leider habe ich das nicht zu entscheiden. Du, Lyron wirst morgen die Zeche für dein Verhalten zahlen müssen." Der Blonde verzog nur das Gesicht, während Reijinara hinausgezogen wurde. Sie blickte noch einmal zurück. 21
In ihrer Zelle setzte Reijinara sich auf ihr Lager und streckte sich dann aus, um die schmerzenden Glieder zu entspannen und nachzudenken. Ein Lydoner! Sie hatte es geahnt, und doch beschäftigte sie jetzt mehr die Frage, was Sadia, die Oberbefehlshaberin der Truppen von Lydon bewegt hatte, die Macht zu ergreifen. Also stimmte das, was Olena angedeutet hatte. Sie begann mit sich zu hadern. Waren das die Ergebnisse ihrer kurzen Regentschaft gewesen, die sie mit Groll in ihrem Herzen begonnen hatte? Reijinara seufzte. Der Bruder Fürst Serams von Lydon. Sie glaubte sich zu erinnern, ihn einmal gesehen zu, und seinen Namen in Chroniken gelesen zu haben, die sie bearbeiten mußte. Er war Keladion...Kel... Keladhan von Lydon. Und er besaß einen starken, unbeugsamen Willen, der mit dem ihren zu vergleichen war. Und welch eine Energie war in seinen Augen und seinem Körper. 'Mit ihm könnte ich entkommen', dachte sie. 'Zusammen könnten wir das erreichen, was jeder von uns alleine nicht vermag. Wenn es doch nur Frieden und eine Zweckgemeinschaft zwischen uns geben könnte...' In dieser Nacht hatte sie einen Traum: Zwei Vögel, ein silberner und ein goldener saßen in Käfigen, die dicht beieinanderstanden, und versuchten sich zu befreien. Der eine besaß Geschick, der andere Kraft. Doch entkommen konnten sie erst, als der geschickte Vogel das Schloß des Tores öffnete, und der kräftige dieses anhob. Gemeinsam flogen sie durch ein Fenster in die Freiheit, und mit ihnen ein ganzer Schwarm von kleineren Gefiederten, die schon lange in einer Voliere dahingesiecht hatten. Reijinara schreckte erst hoch, als die Sonne ihr genau ins Gesicht schien. Sie war über die klaren, deutlichen Bilder verwirrt. >>> <<< Die Gladiatoren waren heute stiller als sonst. Keiner wußte, ob die Auserwählten den Abend überleben würden, und einige der Männer bereiteten sich entsprechend vor, auch Darlynx. Der alte Kämpfer versenkte sich, wann immer er Zeit dazu fand ins Gebet. Reijinara beobachtete ihn mit gemischten Gefühlen und empfand große Achtung vor dem Mann. Sie hätte sich gewünscht, solch einen wie ihn in ihrer Leibgarde zu haben. "Borgon ist mit dir", sagte sie schließlich und setzte sich mit ihren Becher neben Darlynx. "Borgon...aye. Doch ich fühle mich anders als sonst", er sufzte und sah sie traurig an. "Ich fühle meine Kraft schwinden. Dieser Kampf wird mein letzter sein." "Das darfst du nicht sagen!" Reijinara legte ihre Hand auf seinen Arm und betrachtete ihn besorgt. Sie kannte ihn immerhin so gut, daß sie merkte, daß es ihm ernst war. Er hatte über fünfzig Kämpfe auf Leben oder Tod ausgefochten, und sie sah in seinen Augen einen gehetzten Ausdruck. "Viele Male habe ich lebend die Arena verlassen, und meine Gegner blieben im Sand zurück. Tiere und Menschen. Ich weiß, daß es mich diesmal treffen wird." Er blickte sie an und erwiderte ihren Griff. "Ich habe von dir geträumt. Du warst eine Königin und wirst es wieder sein." Reijinara sah sich gehetzt um, ob noch jemand ihren Worten gelauscht hatte. Darlynx streichelte sie beruhigend. "Doch da war noch etwas anderes. Du hast kein Schwert getragen..." Er seufzte. "Ich rede wirres Zeug. Wirst du mich vor dem Kampf massieren?" Reijinara nickte. "Das werde ich mit Freuden." sagte sie. Unter den Gladiatoren war es üblich, daß sie sich gegenseitg massierten, wenn sie ihre Kämpfe beendet hatten, und da der Arenenmeister zugelassen hatte, daß Reijinara und
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Darlynx sich halfen, so würde sie es auch jetzt tun. Ein wenig erinnerte sie das an die Tage mit ihren alten Kampfgefährten, bevor sie zur Herrscherin geworden war. Als sie aufstand sah sie, daß Lyron, nein Keladhan, sie aufmerksam beobachtet hatte. >>> <<< "Komm mit!" Der Kerkermeister winkte Reijinara zu sich, die wie die anderen Gladiatoren in weißes Leder gekleidet war. Nur die auserwählten Kämpfer trugen Rot. "Du sollst dir die Spiele auch ansehen, vielleicht lernst du dann die Ernsthaftigkeit der Arenenkämpfe besser zu verstehen." Er schob sie in einen Mauergang, der gleich an das Sandrund grenzte und gebot einem speerbewaffneten Wächter, auf sie zu achten. Reijinara sah den Mann nur an und stützte dann die Hände auf die Mauer. Sie hatte nicht vor, Ärger zu machen. Und das kommende Schauspiel faszinierte sie. Selbst in der Arena von Organ-Dyl war sie dem Geschehen nicht so nah gewesen. Die Menge johlte, nicht anders als dort, wenn sie auch barbarischer wirkte. Um sie anzuheizen fochten drei Paarungen Scheingefechte aus. Sie benutzten die klassischen Übungen, und Reijinara wandte ab und an ihren Blick ab, um die Menge oder den Arenenmeister zu beobachten. Es würde drei tötliche Kämpfe geben, wie sie erfahren hatte: zweimal Mensch gegen Tier und einmal Mensch gegen Mensch. Das Los hatte entschieden, daß Lyron und Darlynx gegen einen Bären kämpfen sollten. Reijinara war neugierig auf das Raubtier, dessen Gebrüll bereits durch die Arena gedröhnt hatte. Gesehen hatte sie ein solches, in Borgon-Dyl unbekanntes Untier noch nie. Es würde der Abschluß dieses Blutfestes sein, und inzwischen teilte Reijinara die Befürchtungen des alten Kampfgefährten. Sklaven hatten die Leichen weggeräumt und neuen Sand gestreut. Fackeln erleuchteten das Rund, und die Menge tobte nach immer noch mehr Blut. Das der Gladiatoren, die bereits ihr Leben gegeben hatten, genügte ihnen nicht. Das Gebrüll des Bären, der in einem Verlies unter den Mauern wartete, übertönte zeitweise die Stimmen. Lyron und Darlynx betraten die Arena. Wie die anderen trugen sie nur wenig an Kleidung und Rüstung: Armschienen aus verstärktem Leder, einen kleinen Schild, Schwerter, Lendenschurze und Stiefel. Das Haar beider war noch einmal geschnitten worden und ihre Körper glänzten vor Öl. Mit Schwertern gegen ein Raubtier? Reijinara schnaubte. Warum gaben sie ihnen nicht gleich einen Dolch. Ein Speer wäre eine viel sinnvollere Waffe gewesen! Auch dem Arenenmeister schien dies nicht zu gefallen. Aber es war zu spät, um etwas zu ändern. Die beiden Gladiatoren nahmen vor der Tribüne Aufstellung und grüßten den Kapitän, zu dessen Ehren das Blutbad veranstaltet wurde. Dieser winkte nur, und ein Gitter wurde hochgezogen. Ein pelziges Ungeheuer tapste heraus. Reijinara rang nach Luft. Das überstieg ihre schlimmsten Vorstellungen, und zudem waren deutliche Narben zu erkennen. Das Tier war nicht nur riesig, fast zweimal so groß wie ein Mensch, sondern auch noch alt und gefährlich. Sie krallte die Hände in die Mauern. "Borgon, gib ihnen Mut und Kraft!" sagte sie leise, denn diesen brauchten sie. Das Tier erfüllte alle Erwatungen der Menge. Nur seine Schnelligkeit rettete den Lydoner, der sich duckend und springend den Pranken auswich. Ihrgendwann warf Lyron seinen Schild gegen den Bären und verteidigte sich nur noch mit dem Schwert. Darlynx versuchte die Aufmerksamkeit den Raubtiers auf sich zu ziehen, um seinem jüngeren Mitkämpfer die Möglichkeit zu geben, von hinten an das Tier zu kommen. Doch der Bär war schlau. Als Lyron auf seinen Rücken sprang, drehte er sich mit einem Grollen und schleuderte ihn nicht nur wieder von sich, sondern zerfetzte mit einem Hieb auch noch Darlynx' Gesicht. Die Menge gröhlte begierig, während Reijinara die Fäuste ballte und
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mit einem Wutschrei das Brechen der Knochen des alten Gladiators beantwortete, der von der Bestie noch einmal hochgerissen wurde. Lyron, der gegen eine Mauer geprallt war, rappelte sich taumelnd und benommen hoch. Nun war sie nicht mehr zu halten. Sie wandte sich wie eine Furie dem jungen Wächter zu und entriß ihm den Speer, während sie ihn mit einem Fausthieb niederschlug. Dann flankte sie über die Mauer und landete sicher im Sand der Arena. Es war, als erfülle sie die Kraft Borgons, als sie so schnell sie ihre Füße tragen konnten auf den Bären zurannte, sich durch einen Sprung hochkatapultierte und dem Tier den Speer mit einem wilden Geheul in den Hals rammte, so daß er auf der anderen Seite wieder herauskam. Sie klammerte sich an der Waffe Fest, und irgendwie gelang es ihr, auf dem Rücken der vollkommen überraschten Bestie zu bleiben, die in ihrem Todeskampf wütete, und sich herumwarf. Ihre Tunika färbte sich rot von Blut, und auch an Armen und Beinen spürte sie das klebrige Naß. Schließlich brach er zusammen, und Reijinara spürte das letzte Zucken seiner Muskeln unter ihren Füßen. Sie lachte und stieß einen wolfsähnlichen Siegesruf aus, während das Blut bis in ihre Ohren pochte. Die Menge, die ob der überraschenden Wendung verstummt war, begann nun zu johlen, sie hatten etwas erlebt, das sie so nicht erwartet hatten, und es gefiel ihnen. Lyron, der sich gegen die Wand stützte, beachtete keiner mehr, aber ein Regen aus Geld und Schmuck prasselte auf Reijinara hinab. Diese löste ihre zerschundenen Hände von dem Speer und blickte auf die Schürfwunden, während der Arenenmeister Befehle bellte. Lyron sah sie nur an und formte ein lautloses "Warum!" mit seinen Lippen. Doch ehe sie antworten konnte, winkte sie der Kapitän zu sich. Er warf ihr einen goldenen Dolch vor die Füße. "Da, Wölfin. Erkauf dir damit die Freiheit. Du wärst in meiner Leibgarde willkommen!" Reijinara seufzte und blickte den Arenenmeister an, der ihr Zeichen gab, sich als Siegerin feiern zu lassen. Mit einer Handvoll Schmuck und dem dolch verließ sie schließlich die Arena. Drinnen erwartete sie der Kahlköpfige und streckte die Hans aus. "Gib mir die Waffe, Sklavin. Du hast die Anweisungen des Herrn gebrochen. Ich muß dich bestrafen, aber bei den Göttern, du warst wunderbar, eine Gladiatorin, wie man sie nur selten findet." Er nahm Reijinara den Schmuck und den Dolch ab, während zwei Wächter sie von hinten packten. "Sechs angedeutete Hiebe", sagte er. "Und dann laßt sie die Nacht über im Gestell hängen." Reijinaras Kopf sackte immer wieder nach unten. Erst jetzt spürte sie die Erschöpfung, die der Kampf in ihr erwirkt hatte und zitterte unter dem kühlen Nachtwind, denn die Wächter hatten die Tunika auf den Hüften hängen gelassen. Die Schläge der Peitsche hingegen waren nicht zu spüren gewesen. Von innen drang Lärm. Der Kaptän hatte den Gladiatoren Essen, Wein und Mädchen von seiner Tafel geschickt. "Verdammt!" krächzte Reijinara. "Warum gibt mir denn keiner Wasser? Ich habe Durst." Ein Schatten löste sich von der Hausmauer. Reijinara erkannte Lyron-Keladhan, sie versuchte sich an seinen richtigen Namen zu gewöhnen, der sich gewaschen hatte, während an ihr noch immer das Blut des Bären klebte. Er blieb vor ihr stehen. "Bist du gekommen, um mich zu verhöhnen?" fragte sie und blickte auf den Becher, den er in seinen Händen hielt. "Nein. ich wollte nur wissen, warum du eingegriffen hast." "Zuerst gib mir zu trinken." "Selbst jetzt stellst du noch Forderungen, obgleich du in der ungünstigeren Lage bist", bemerkte er. "Du bist zum Befehlen geboren - wie?" Aber er setzte ihr das Gefäß an die Lippen und neigte es. Reijinara trank das lauwarme Naß gierig, das sie erfrischte und blickte
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ihn dann wieder an. Seine Hand blieb unter ihrem Kinn und stützte es. "Warum hast du mich gerettet?" fragte er eindringlicher. "Ich habe etwas erkannt", antwortete sie. Jetzt war nicht die Zeit für Stichelleien. Sie sagte ihm die Wahrheit. "und zwar, daß wir unsere Kraft nicht aneinander vergeuden sollten. Gemeinsam könnten wir es schaffen, zu fliehen." "Fliehen? Natürlich. Daran denkt nur eine eigensüchtige Borgon-Dun. Ich habe hier Freunde und Vertraute, glaubst du ich gehe ohne die, die mit mir verschleppt wurden?" Reijinara erinnerte sich an ihren Traum. "Dann wird es einen Weg geben, auch sie hier herauszuholen. Mit meiner Klugheit, meiner...List, deinem Willen und deiner Stärke..." Er hielt ihr den Mund zu. "Genug geredet, Reijinara von Borgon-Dyl. Ich werde es mir überlegen" Dann ließ er sie los und verschwand in der Dunkelheit, weil einer der Wächter aufmerksam wurde. Am Morgen löste man ihre Fesseln und brachten sie nicht in die Zelle, sondern in das kleine, der Arena angegliederte Bad. Reijinara empfand es als Erleichterung, daß sie ihre geschundenen Glieder und erschöpften Muskeln entspannen konnte und genoß die Massage durch eine ältere Sklavin. Als sie gerade Öl einrieb, betrat der Arenenmeister den Raum und musterte sie. "Du bist noch immer in aller Munde, Rilta. Natürlich war es ein glücklicher Zufall, einer der seltenen Meisterstöße, der selbst einem erfahrenen Kämpfer nur selten gelingt, aber das Volk will dich wieder sehen - wenn Fürst Telentrah es zuläßt. Du hast zwar seinem Befehl zuwidergehandelt, aber du bist für ihn noch wertvoller geworden. Nutze das, Mädchen. Du könntest bald frei sein." Reijinara lächelte ihn an. "Und dann? Wie lange soll ich fechten, und immer fürchten müssen, den Kampf nicht zu überleben." "Überleg es dir!" sagte er Arenenmeister nach einer Pause und legte vor sie auf den Boden ein Tuch, das er noch entfaltete. "Der Schmuck hier ist schon ein hoher verdienst, nur den Dolch muß ich behalten, da er eine Waffe ist." "Behaltet sie und bezahlt Darlynx ein Begräbnisritual nach den Reeln Borgons. Das hat er verdient." Der Meister nickte. "Ich werde mein bestes tun." Er hielt sein Wort. Darlynx wurde mit allen Ehren bestattet, so als sei er ein freier Mann gewesen. Auch sonst erfüllte der Arenenmeister ihr fast jeden Wunsch und gewährte ihr größere Freiheiten. Sie spürte, daß sie bei ihm an Achtung gewonnen hatte, sondern auch bei den anderen - sogar den Aufsehern. Sie begann die Männer mit anderen Augen zu sehen. Nicht alle waren grausame, hinterhältige Bastarde, wie die, die sie vergewaltigt hatten, in einigen erkannte sie sogar Träume, Wünsche und Hoffnungen wieder, die auch ihre Kampfgefährten gehabt hatten. Ob nun hell- oder dunkelhäutig, so sehr unterschieden sie sich nicht voneinander. Keladhan, den sie nun nicht mehr Lyron nannte, wenn sie alleine waren, behandelte sie auch anders. Der Haß war gewichen und hatte einer aufmerksamen Beobachtung Platz gemacht. Wann immer es ging, unterhielten sie sich leise, und Reijinara erfuhr nach und nach, was in Lydon, zu Beginn ihrer Regierungszeit, vorgefallen war. Sadia von Lydon, die Vertreterin Borgon-Dyls in der Stadt, die sich erst vor kurzer Zeit dem Reich angeschlossen hatte, riß brutal die Macht an sich, indem sie Fürst Seram ermorden ließ. Aufständische und gefährliche Männer und Frauen hatte sie noch in jener Nacht ergreifen und verschleppen lassen. Sie hatte es so aussehen lassen, als handelte sie auf Befehl der Deye und sich so sicherheit verschafft. Kein Wunder, daß Keladhan sie für alles verantwortlich gemacht hatte, und seinen Haß auf Reijinara projeziert.
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Nun, da er sie besser kennenlernte, und sie nicht mehr über ihm stand, lernte er die junge Frau kennen, die er nur als Deye gekannt hatte, erfuhr von ihrer Verbitterung und ihren Haß, in die Rolle der Thronfolgerin gedrängt zu sein, die zu einem Abbild ihrer Vorgängerin werden sollte. Bald wußten sie mehr voneinander, als sie sonst von anderen erfahren hätten, und etwas anderes schlich sich unerwartet zwischen sie. Liebe. Die Nachricht, das der Piratenfürst zurückgekehrt war, ließ Reijinara aufschrecken. Sie wußte, daß ihre Tage in der Arena damit gezählt waren, und nun galt es die wenige Zeit zu nutzen, die sie noch hatte, ehe man sie wieder von ihren Freunden - und Keladhan trennte. Als sie wieder in ihre Zelle eingeschlossen werden sollte, wandte sie sich einem der Aufseher zu und steckte ihm einen ihrer goldenen Armreifen zu. "Du bekommst noch einen, wenn du mich heute Abend zu Lyron sperrst!" flüsterte sie. Das gierige Glitzern in ihren Augen bestätigte ihre Hoffnungen. Er war so bestechlich, wie es die anderen erzählten, die sich für Münzen Wein und verbotene Leckereien bringen ließen. Und so öffnete er, als alles still war die Tür ihrer Zelle und streckte die Hand aus. Reijinara schüttelte den Kopf. "Erst, wenn ich bei ihm bin." Der Mann verzog das Gesicht, aber er ergriff ihren Arm und zog sie mit sich. "Ich habe ihm absichtlich kein Mädchen zugewiesen", sagte er dann anzüglich und neigte den Kopf, als sie an einer Zelle vorbei kam, aus der Lustgestöhn klang. Dann öffnete er Keladhans Tür und streckte erneut die hand aus. Reijinara legte den Armreif hinein, dann betrat sie den Raum. Keladhan saß auf seinem Bett und hatte ihr den Rücken zugewandt. Ich habe doch gesagt, daß ich kein Weib will." erklärte er deutlich. "Nicht einmal mich?" Blitzuschnell fuhr er herum. Reijinara lächelte, denn diesmal war er in Angriffsstellung. Er entspannte sich dann und seufzte. "Was willst du hier?" fragte er dann scharf. "Der Fürst ist zurückgekommen" sagte Reijinara. "und meine Tage in der Arena sind gezählt, wenn ihm zu Ohren kommt, was geschah." "Und das ist alles?" "Ich wollte noch einmal mit dir reden", flüsterte sie bedeutsam und setzte sich auf sein Lager. Ein Träger ihrer Stofftunika verrutschte leicht und gab eine ihrer Schultern frei. "Kel, wir haben unsere Chance vertan..." "Noch nicht!" Er setzte sich neben sie und blickte Reijinara in die Augen. Und dann fühlten sie den Grund, der Reijinara zu ihm geführt hatte. Sie ließ es zu, daß er seine Arme um sie legte und ließ ihre Hände über seinen Rücken gleiten. Was auch immer sie noch hatte sagen wollen, es wurde unwichtig. Was empfanden sie nun. Liebe? Leidenschaft? Es war beides. Vor Wochen hatten sie noch miteinander gekämpft, jetzt entkleideten sie einander zärtlich, liebkosten sich herausfordernd und wild, einander ergänzend. Reijinara spürte das Blut in ihren Adern pulsen, als sie sich mit ihm vereinte, und spürte, wie sich das Band zwischen ihnen festigte, als sich sich leidenschaftlich liebten. Erst in der Dämmerung ließen sie voneinander ab und schliefen erschöpft ein. Reijinara ließ ihren Kopf auf seiner Brust ruhen und spürte Keladhans Hände in ihrem Haar. Erst der Aufseher trennte sie, als er sie kurz vor der Morgenglocke weckte und Reijinara unbemerkt zu ihrer Zelle zurückführte. Dort fühlte sie sich kalt und verlassen, überkreuzte schaudernd die Arme und harrte der Dinge, die kommen würden. Doch es vergingen noch Tage, bis Telentrah sich an sie erinnerte. Er begab sich selber in die Arena und musterte seine Kämpfer, ehe sein Blick auf sie fiel. Sie hatte Keladhan in den
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folgenden Nächten nicht mehr besuchen können, weil der Aufseher in einer Kneipenprügellei verletzt worden war, und auch am Tage hatten sie nur wenige Worte wechseln können. "Ich erinnere mich", sagte der Fürst scharf und lächelte boshaft. "Das Pantherweibchen. Nun, nun, als Gladiatorin hast du einen besseren namen. Aber ich habe zuvor noch anderes mit dir vor. Hast du in der Arena Disziplin gelernt?" "Ja, aber auch an Stärke gewonnen!" gab Reijinara zurück und sah ihm tief in die Augen, um ebenso boshaft zurückzulächeln. Telentrah kniff die Augen zusammen. "In den Harem!" befahl er seinen Leibwächtern, die an Reijinaras Seite traten und sie packten. "Sagt den Frauen, sie sollen aus ihr wieder ein richtiges Weib machen" ordnete er noch an, ehe sie die Männer sie mit sich zerrten. Sie warf einen letzten Blick auf Keladhan. Telentrah musterte die Männer weiter. Dann blieb er vor einem blonden Kämpfer stehen und schlug mit der Peitsche leicht gegen dessen Brust, da er abgelenkt schien. Dem Piratenfürsten entging nicht, wohin er geblickt hatte. Er lächelte bösartig. "Das ist Lyron", erklärte der Arenenmeister. "Der Mann, der Rilta sein Leben verdankt. Ansonsten ein guter Mann." "Aber nicht gut genug für mich", entgegnete Telentrah abschätzig. "Er hat in einem einfachen Kampf versagt und mußte sich von einem Weib retten lassen. So einen lächerlichen Gladiator kann ich nicht gebrauchen. Ans RAD mit ihm." Keladhan ballte die Fäuste und war nahe daran, sich auf den Piratenfürsten zu stürzen, als die Wächter, die dies vorausahnten, ihm einen Hieb gegen den Kopf gaben und den Zusammensinkenden in einen festen Griff nahmen. "Bastard!" schnautzte Telentrah und schlug ihn ins Gesicht, ehe er sich abwandte und den Arenenmeister beiseitewinkte. Die Wächter schleppten den Benommenen fort, während ihm seine ehemaligen Kameraden bedauernd nachsahen. Das RAD war das Ende vieler Sklaven. Tief unter der Erde angekettet betrieben sie mit ihrer Muskelkraft eine Pumpe, die das Trinkwasser der Insel an die Oberfläche holte. Dort unten war es stickig und feucht - und wer ein Jahr überlebte war von großer Ausdauer. Die Männer starben dort unten wie die Fliegen. >>> <<< Von all dem ahnte Reijinara nichts. Sie ging gehorsam zwischen den beiden Leibwächtern, die den festen Griff, argwöhnisch wie sie waren aber nicht lockerten. Sie brachten sie in ihre alten Gemächer und ließen sie dort allein. Die Borgon-Dun kauerte sich mit verschränkten Beinen auf ihr Lager und dachte nach. In den letzten, aber recht einsamen Nächten hatte sie seltsame Träume gehabt, die sie zunächst als Ausdruck ihrer Verwirrung deutete. Doch der Traum mit den Vögeln hatte sie nicht in Ruhe gelassen, und sich mit Erinnerungen aus ihrer Jugend vermischt. Warum nur tauchten in den Alpbildern immer wieder Jhiru und Erlara auf? Beides Weise Frauen der Keiiris, die ihr versucht hatten innere Kraft und Verantwortungsbereitschaft zu geben. Warum sah sie glühende Schwerter, fliehende Kinder und Frauen, die den zusammenfallenden Mauern ihrer Häuser nur knapp entwichen und ihre Hände Reijinara entgegenstreckten? Sie fasste sich an den Kopf. Das waren nicht nur die Bilder von Wenjalin der Pirateninsel, auf die sie sich vor dem Zorn ihrer Tante geflüchtet hatte, um in Jhiru soetwas wie eine Lehrmeisterin und Vertraute ihrer Seele zu finden. Das waren nicht nur die Kämpfe ihrer wilden Zeit auf dem Meer! Was hatte das zu bedeuten? Warum kamen ihr immer öfter Worte Erlaras in den Sinn? Warum handelte sie nicht mehr zuerst nach den Tugenden Borgons?
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"Keirris?" flüsterte sie und schrak zusammen, als sich die Tür öffnete und die weißhaarige Sklavin eintrat. "Ich hörte, du bist zurück", sagte Olena leise. "Mir ist befohlen worden, dich herauszuputzen, da du heute Abend an einem Fest zu Ehren unseres Herrn teilnehmen sollst!" "Er verliert keine Zeit", murmelte Reijinara nachdenklich und sprang auf die Beine. Olena zuckte zusammen, als sie auf sie zueilte und an den Armen fasste. "Ich habe Prinz Keladhan von Lydon kennengelernt", flüsterte Reijinara, während sich die Augen der Weißhaarigen vor Erstaunen weiteten. "Ihr habt euch kennengelernt. Das bedeutet..." "Er wollte mich zuerst töten, aber er hat schließlich seinen Haß überwunden... doch hör mir zu Olena. Kennst du Sklaven, denen wir vertrauen können?" wisperte sie weiter. In kurzen Worten erzählte Reijinara Olena, was in der Arena geschehen war und erläuterte die Pläne, die Keladhan und sie gefasst hatten. Dabei begannen sie auch Gewänder auszuwählen und die Borgon-Dun umzukleiden, und noch während Reijinara sich selbst frisierte, wechselte sie leise Worte mit der Frau aus Lydon, die mit Keladhan verschleppt worden war, wie sie jetzt wußte. Schließlich erhob sich Reijinara und betrachtete sich zufrieden in einem Metallspiegel. Sie hatte vieles selber übernommen - Dinge, die sie seit Jahren nicht mehr angewandt hatte und nickte. Das schlichte weiße Gewand aus Leinen war praktisch und behinderte sie ebensowenig wie die darübergeschlungenen purpurnen Schleier. Schmuck trug sie nur sehr wenig - Armreifen und eine goldene Schnur die sie als Gürtel nutzte. Selbst die Sandalen waren nur lose geschnürt. Und so erwartete sie nun die Wächter, die sie nach unten führen würden. Reijinara fühlte sich erstaunlich ruhig und gelassen. Wo blieb die Anspannung, wo der Zorn? Etwas war in ihr, das sie sich nicht erklären konnte... Drogengeschwängerte Luft umfing sie, als sie den großen Saal betrat. Musikanten spielten für einige Tänzerinnen auf, die von den Anwesenden kaum beachtet wurden. Reijinara sah sich um - die Stadien einer Orgie zeigten sich ihren Augen. Einige der überwiegenden männlichen Gäste gaben sich schon verschiedensten Vergnügungen hin - sie sprachen dem Wein übermäßig zu, ließen sich von halbwüchsigen Jungen mit exotischen Leckerbissen füttern, sogen an Wasserpfeifen. Einige befriedigten ihre Lust an den nackten Sklavinnen oder Knaben, die sie zuvor bedient hatten. Nur wenige waren noch klaren Sinnes und unterhielten sich. So auch Telentrah. Er unterbrach sein Gespräch mit einem düster wirkenden Mann, als die Wächter Reijinara zu ihm drängten und sie nötigten, sich auf einem Kissenberg niederzulassen. Sie gehorchte ruhig und wies den Wein, den einer der Diener ihr reichen wollte ab. Telentrah lächelte bösartig und winkte eine Sklavin herbei. "Ganz recht, mein schwarzes Kätzchen. Du solltest bei klaren Sinnen bleiben, denn der Abend hat seinen Höhepunkt nicht einmal erreicht." "Ich sehe es!" entgegnete Reijinara schnippisch, während Telentrah aus sie deutete und seinem Gast erklärte: "Dies ist meine wertvollste Sklavin, auch wenn ihr es nicht glauben mögst. Sie ist zwar noch ein wenig wild, aber das wird sich geben." Er nippte an seinem Pokal, während das Sklavenmädchen Reijinara eine Schale mit Wasser reichte. "Aber die Götter und die Zeit werden ihr Herz erweichen, denke ich..." Seine Augen glitzerten. "Es wäre schade ein Weib aus dem Hochadel des Schwarzen Volkes zu verlieren. Nun... es ist immer schmerzhaft, kostbaren Besitz aufgeben zu müssen. So habe ich einen meiner besten Gladiatoren an das RAD schicken müssen, weil sie ihn lächerlich machte..." Rejinara zuckte zusammen, denn sie spürte genau, daß diese Worte mehr an sie, denn an den Fremden gerichtet waren. Ihre Hände krampften sich um die Schale, die sie schnell zum Gesicht hob, um ihre Gefühlsregungen zu verstecken. Vielleicht nicht rechtzeitig genug... 28
Dabei nahm sie den leicht süßlichen Geruch des Wassers wahr und ahnte, daß Telentrah sie mit Drogen willig machen wollte. Was auch immer sie zu sich nehmen würde, es war bestimmt vergiftet... Der Fremde, Reijinara versuchte ihn genauer anzusehen, hatte aber das Gefühl, daß sein Anblick immer wieder verschwamm, lachte spöttisch auf. "Sklaven sind Vieh!" Er musterte Reijinara und kniff die Augen zusammen. Einen augenblick glaubte diese einen Blick auf seine wahre Gestalt zu erhaschen. Der Fremde war von Magie umgeben, und hörnerartige Ausbeulungen krönten seine Stirn. Telentrah klatschte in die Hände und schreckte sie aus ihrer Betrachtung. "Die Gaukler sollen uns unterhalten!" Der Abend verlief langweilig. Akrobaten wechselten sich mit Tänzerinnen ab, und immer mehr Gäste vergnügten sich berauscht auf ihren Divanen. Reijinara saß wie eine Statue da und beobachtete. Sie war nur leicht benommen. Sie hatte bisher weder getrunken und gegessen und das, was ihr Telentrah reichte, in den Kissen verschwinden lassen. Der Piratenfürst schien nur darauf zu warten, daß die Drogen ihre Arbeit taten und sie schneller atmen ließ, sie benommen machten und in die Kissen zurücksinken. Reijinara beschloß schließlich ihn zu täuschen und ahmte die ersten Anzeichen nach, stöhnte, fasste sich schwankend an die Stirn und seufzte wohlig, als sich seine Hand auf ihr Knie legte und den Stoff zurückschob. Er hatte mit dem dunklen längere Zeit in einer Sprache geredet, von der Reijinara nur Brocken verstanden hatte. Aber sie spürte immer deutlicher, daß es um finstere Dinge ging, Menschenopfer, Dämonenbeschwörungen und vielleicht Verrat. Um eine große Insel und einen Vulkan. "Und nun habe ich noch ein Schauspiel für euch", sagte der Piratenfürst wieder in der allgemeinen Sprache. "Es ist ein Schauspiel, nach einer alten Sage meiner...früheren Heimat gestaltet. Ich habe auf meiner letzten Reise jungfräuliche Geschöpfe von erlesener Schönheit gefunden, die gebranntmarkt werden sollen, und dann mögt ihr eure Riten an ihnen vollziehen." "Ihr kennt die Riten?" Der Fremde blickte dabei auf Reijinara, die erregt keuchte, als Telentrahs Hand den Schenkel hinaufglitt. Er gab ein Zeichen. Wächter brachten ein Feuerbecken mit glühenden Kohlen hinein, zwischen denen Eisenstäbe staken. "Ich habe von ihnen gehört..." sagte Telentrah und knetete Reijinaras Fleisch. Sie mußte all ihre Beherrschung aufbringen, um sich nicht zu verraten. "Ist es nicht erregend verschlossene Pforten zu durchstoßen, und zu entdecken, was hinter ihnen liegt, während das Herzblut durch geschickt gesetzte Schnitte aus den Adern pulst ,oder der Atem durch eine Würgeschnur zum Stocken gebracht wird?" "Ja, und ihnen schließlich die Brust aufzureißen, und das Herz in den Händen auszupressen." Reijinara stöhnte, mehr aus Ekel, denn aus Entzücken, während sich ihre Augen weiteten und sie den Kopf in den Kissen vergrub. Erst als Gewimmer erklang, blickte sie auf. Telentrah zog seine Hand zurück und drehte ihr den Rücken zu. Er glaubte Reijinara so unter Drogen gesetzt, daß sie keine Gefahr mehr für ihn bedeutete. Die Borgon-Dun starrte wie die anderen Gäste auf die sechs Mädchen, die von Wächtern hineingetrieben wurden. Es waren fast noch Kinder. Sie schienen sich vor den vielen Männern zu fürchten, jedoch nicht zu ahnen, was auf sie zukam. Ja! Leben kam in den Körper Reijinaras, ehe sie überhaupt begriff, warum! Sie drehte sich, kam auf die Füße, riß sich die Schleier hinunter und sprang auf einen der Wächter zu. Der Mann 29
sank betäubt zu Boden, als sie ihn mit der Faust gegen das Kinn schlug, und sein Schwert zu fassen bekam. Es war nur eine durchschnittliche Waffe, aber in ihren Händen gewann es an Güte. Wie ein Rachedämon fuhr Reijinara unter die Gäste noch ehe dieser begriffen, was geschehen war - noch ehe der düstere Fremde sich aufrichten und eine Gestenfolge seiner Hände beenden konnte. Sie verfiel in einen Blutrausch. Sie sah wie sie den Kopf des Fremden von den Schultern trennte und der gehörnte Schädel, seiner Illusion nun beraubt über den Boden rollte. Sie sah den bepelzten Körper des Mannes, der doppelt so breit war wie der eines Menschen fallen und seine vier Arme im Todeskampf zucken. Ein behufter Fuß stieß den kleinen Beistelltisch in einem letzten Zucken um, und dann sprang Reijinara den Wächtern entgegen. Selbst einige Gäste versuchten zu ihren Waffen zu greifen, aber in ihrer Benommenheit waren sie den Kämpfern nur im Wege. Wie eine Besessene wütete Reijinara unter ihnen, bis sie schließlich eine ganze Gruppe zu fall brachte und ihr das Schwert entwand. Gut ein Dutzend Hände und Füße nagelten sie am Boden fest, als der Verstand der Borgon-Dun wieder einsezte. Längst war das Gewand zerrissen, nachdem sie mehrmals heftig gegen den Boden geschleudert worden war. "Laßt sie leben!" kreischte Telentrah über die schreienden und brüllenden Menschen hinweg. "Diese schwarze Hündin soll leben, wenn ich sie bestrafe!" Er trat in ihr Gesichtsfeld. "Du hast es schon wieder gewagt, mir zu trotzen, elende Hure! Aber das treibe ich dir jetzt ein für alle Man aus! Du sollst leben, aber ich werde dir zeigen, was es heißt, sich mir zu widersetzen..." Sein Gesicht verzerrte sich zu einer grausamen Maske und in seinen Augen schimmerte dämonische Grausamkeit, wie schon zuvor. "hebt sie auf den Tisch, aber laßt diese schlüpfrige Ratte nicht entkommen!" befahl er und fegte Becher und Karaffen von einem breiten Metallgestell. Es war kalt, als sie sie auf es legten und Reijinara wand sich verzweifelt in den festen Griffen, aber die Übermacht war zu groß. "Bindet sie!" ordnete Telentrah an. Er warf etwas in das Kohlebecken, während die Männer gehorchten und sie auf dem Gestell mit Stricken fixierten. "Nicht an den Handgelenken - und schafft endlich die Sklavinnen fort!" Dicht an Reijinara herantretend sagte er dann: "Du wirst dein Verhalten bitter bereuen..." "Und wenn auch. Ich bin froh, euch geschadet zu haben!" spieh Reijinara hervor. "Borgon weiß, wie tapfer ich in den Tod gehe!" "Dein Gott ist also Borgon, dieser einfältige Bock? Oh, wirst du tapfer sein, wenn du erfährt, was ich mit dir vorhabe?" "Wiederholt euch nicht!" fand Reijinara noch Worte des Spottes, obgleich ihr danach nicht mehr zumute war. "Vergewaltigung hatten wir schon. Auspeitschungen und die Kiste auch." Telentrah schlug über eine von ihren Händen. "Aber diesmal werde ich glühende Metallreifen um deine Handgelenke legen lassen. Und überlebst du dies, so kommst du ans RAD, meine Schöne. Wie lange wirst du da bleiben?" Reijinaras Augen weiteten sich, als sie seine kalte Entschlossenheit sah. Sie schwieg und presste ihre Lippen aufeinander. Und dann sah sie die glühenden Armreifen, die einer der Knechte aus dem Feuer zog. Sie waren aus Kupfer, das fast seinen Schmelzpunkt erreicht hatte. "Haltet sie fest!" Ein Wächter warf sich über Reijinara und presste ihren Körper auf den Tisch, zwei andere umklammerten die Unterarme. Reijinara schloß die Augen. "Keiiris... hilf...mir!" flehte sie in diesem Augenblick. Dann kam der Schmerz. Weißglühendes Metall schloß sich um ihre Gelenke und verbrannte die Haut und die Muskeln. Das eisige Brennen wurde unerträglich, und Reijinaras Körper zuckte heftig, als sie zu versuchte, keinen Laut von sich zu geben. Doch das half nicht.
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Reijinara schrie sich in die Bewußtlosigkeit, und ihre Stimme erstarb erst, als auch ihr Körper erschlaffte. Telentrah blickte mit zufrieden glitzernden Augen auf den schlaffen Körper herab und betrachtete mit einem sadistischen Funkeln die rauchenden Handgelenke der Borgon-Dun. "Bringt dieses Aas in ein Verließ und schickt die Weißhaarige mit. Befehlt ihr, sie am Leben zu halten. Wenn die schwarze Hure stirbt, mauert beide ein, und dann räumt hier auf. Der Unrat stinkt widerlich!" befahl er seelenruhig und wandte sich ab. >>> <<< Der Zustand der Fiebernden verschlechterte sich. Olena Shandal saß neben der Borgon-Dun und versuchte mit den wenigen Mitteln, die man ihr überlassen hatte, Reijinara zu helfen. Längst war Rilta vergessen, denn sie hatte beobachten könen, was die einstige Deye getan hatte. "Einen Boten der finsteren Mächte hast du erschlagen", sagte sie, "Kinder gerettet aber ist die Sklaverei um so vieles besser als der Opfertod?" Sie schob das schmutzige Tuch wieder unter eine der schwärenden Wunden. "Aber was hat es dir gebracht? Doch nur den Tod." Wenn Olena auch nicht viel von der Heilkunde verstand, so doch so viel, daß sie spürte, daß das Fieber Reijinara von innen her verbrannte. Sie würde bis zum Morgen tot sein, und Olena nicht viel später, denn die Wachen würden den Befehl ihres Herrn ausführen. Deshalb hatte Olena schon spitze Steinsplitter unter dem Stroh verborgen, um ihre Qualen zu beenden, ehe sie richtig begannen. Draußen wurde es ruhiger. Der Abend schien angebrochen zu sein, aber hier, in dieser fast lichtlosen Zelle, die mehr durch die Fackeln hinter den Gittern erhellt wurde, vermochte sie die Tageszeit nur schwer abzuschätzen. Das zählte jetzt nicht mehr. Rejinara hatte in der Zeit ihres Fiebers viel gesprochen. Viele Namen geflüstert, die ihr etwas bedeuteten, und so der Gelehrten ein ganz anderes Bild als das der verhassten Deye gegeben. "Wenn uns doch nur mehr Zeit bliebe..." Plötzlich zuckte sie zusammen. Gehetzt blickte sie sich um, aber das Licht, das plötzlich erstahlte, kam nicht von außen. Es umgab Reijinara. Sanft, blau und kühl, als Olena in es fasste, und ihre hand scheu wieder zurückzog. Um die Handgelenke war es am stärksten, umgab sie wie ein blauer Nebel, der wogte und waberte. Reijinaras Sturz in die Dunkelheit endete an einem warmen, beschützten Ort, der sie wieder zu sich kommen ließ. Aber etwas war anders. Sie wußte, daß sie nur mit ihrer Seele hier weilte, ihr Körper verdörrte in einer schmutzigen Zelle. Sie rollte sich zusammen wie ein Kind im Mutterschoß und wollte sich vertrauensvoll in ihn sinken lassen, als ein blaues Leuchten sie umgab und durch ihre geschlossenen Lider drang. Sie sah durch ihre NichtAugen, obgleich sie nichts wahrnehmen wollte. Bilder wechselten in schnellen Folgen mit Symbolen ab. Wirkliches vermischte sich mit Phantasiegebilden. Willst du leben? "Für was soll ich leben? Ich bin dir Jahre nicht gefolgt und nun willst du mich als Krüppel am Leben erhalten, Keiiris?" klagte Reijinara. Willst du leben? Ein Licht erstrahlte in ihr, wurde immer größer und füllte sie aus, bis es durch ihre Körpermitte entwich und zu einer kleinen, zierlichen Gestalt mit hellerer Haut als der ihren wurde. Wenn nicht für dich, so für sie? Reijinara schluchzte, als sie ihre Tochter, das Noch-Nicht-Kind in den Armen hielt, das nicht mehr sein konnte als ein erster Funke des Lebens in ihrem Leib. 31
"Aber soll sie als Sklavenkind aufwachsen? Unfrei, Gefangen, Ausgeliefert?" Als sie keine Antwort erhielt, sprach sie weiter. "Wir hatten einen Plan, Keladhan und ich." Ich gab dir einen Traum. Es liegt an dir, ihn zu erfüllen! Reijinara zögerte. Dann spürte sie, wie das Noch-Nicht-Kind in ihren Armen verblaßte. "ICH WILL!" sagte sie mit entschlossener Stimme. "Ja, ich will! Ich werde dem Traum folgen, was immer er auch bringt, und auf welchen Pfad er mich führen mag. SELDANA ESH KEIIRIS! Bei deinem heiligen Eid. IN DEINEM NAMEN." So sei eingeweiht, Weise Frau. Handle gerecht und wissend. Das Licht verblaßte, und Reijinara fiel in die Wirklichkeit zurück. Olena starrte verwundert auf das Leuchten. Auch wenn es voller Frieden und Trost war, berührte sie es nicht mehr, denn es galt nicht ihr. Dann murmelte Reijinara etwas mit heiserer Stimme und in kurzen Abständen. "Ich will. Seldana esh Keiiris. In deinem Namen." Olena blickte erstaunt auf die Borgon-Dun. Keiiris? Die friedliche, stille Göttin der BorgonDun, der sich zumeist die einfachen Menschen verschworen hatten. Aber achteten die Adligen Borgon nicht mehr und hatten ihn zu ihrem Herrn gemacht? Vor allem die Deye? Das Licht schwand, und in dem selben Augenblick setzte sich Reijinara auf, und blickte auf die Handgelenke. Dort waren nur noch Narben zu sehen, nicht mehr. Einen Moment schien sie verwundert, dann blickte sie Olena mit seltsam schimmernden Augen an. "Morgen holen sie dich und ketten dich ans RAD. Es wäre besser für dich gewesen, du wärest gestorben. Von dort unten kehrt keiner zurück." sagte die Gelehrte lahm, weil sie nicht wußte, was sie sonst sagen sollte. Aber Reijinara klang zuversichtlich, als sie die Hände auf ihre Schultern legte und antwortete: "Dennoch wird dieser Fall unser aller Rettung sein. Auch Keladhan ist dort unten und ich habe einen Traum zu erfüllen, den ich nur mit ihm durchführen kann. Hör mir zu, denn wir haben nicht viel Zeit..." Und sie redete lange und mit einer solchen Entschlossenheit auf Olena ein, daß sie glaubte alles zu vergessen, aber dem würde nicht so sein. Jedes Wort hallte in ihrem Inneren wieder, und die Gelehrte erkannte, daß die Hand der Götter im Spiel war. Und vielleicht sollte sie so vertrauensvoll sein, diese Hilfe anzunehmen... Am nächsten Morgen aber kamen die Wächter um erneut nach den Sklavinnen zu sehen. Als sie Reijinara sahen - wichen sie zunächst aus abergläubischer Furcht zurück, doch dann überwog die Angst vor Telentrah. Sie packten Reijinara und brachten sie in noch tiefere Gewölbe, während Olena in die Frauengemächer zurückkehren konnte, und dort über das Gehörte nachdachte. Reijinara aber führte man an den tiefsten Punkt der Insel. Sie blickte gefasst auf die enge Höhle, in der die Männer Seite an Seite, Schritt für Schritt einen Mechanismus bewegten, der an der Oberfläche das Wasser hervorbrachte. Die Sklaven waren zumeist schon so stumpfsinnig, daß sie gar nicht aufschauten, als das Rad anhielt, um einen leeren Platz zu füllen.
Das Versprechen der Königin Der Schein vieler Fackeln erhellte den tiefen Schacht, der eher einer Grube glich und gerade einmal das RAD aufzunehmen vermochte und sonst nur wenig Raum bot. Der Wächter saß auf einem Holzstamm, der über den Rand des oberen Geschosses hinwegreichte und ließ dann 32
und wann seine Peitsche knallen. Immer wieder griff er zu einem Schlauch aus Ziegenleder und nahm einen Schuck des Gebräus darinnen zu sich. Anders ließ sich sein Dienst in diesem stinkenden, widerlichen Loch auch nicht überstehen, der ihm ohnehin zu lang dauerte. Er beneidete seine Kumpane, die weiter oben saßen und würfelten. Er hörte ihr Lachen , wenn es nicht durch das Quietschen des Rades, der mächtigen Apparatur, die das Wasser an die Oberfläche der Insel pumpte. Dumpf machte sich die Pumpe in einem Nebenraum bemerkbar, einem Herzschlag gleichend, der bewies, wem sie alle dienten, und von was sie abhängig waren. Nein, den dienst hier unten konnte ein Mann nur berauscht ertragen. Der Gestank, der aus der Grube heraufstieg war widerlich, doch er roch ihn längst nicht mehr. Er sah nur auf die verschwitzten, gebeugten Körper, die Schritt um Schritt, Kreis um Kreis das RAD antrieben und nicht anhalten durften. Massige Gestalten - der Wächter hatte immer das Gefühl es wären keine richtigen Menschen - stießen und trieben sie an. Früher hatte er auch diesen Dienst verrichten müssen, jetzt war er froh, die Oberaufsicht zu haben. Der Wächter ließ seinen Blick über die Gefangenen schweifen. Es waren Männer, Sklaven und Verurteilte, die ihr in der schwülen Wärme schufteten und dort in der zermürbenden Arbeit ihren Willen und ihre Stärke verloren. Der Wächter erinnerte sich an Gladiatoren, die nach wenigen Monden ausgezehrt und an Fieber verreckt aus dem Schacht oder den Zellen geholt worden waren, in die man sie schaffte, wenn eine Schicht getan war. Doch an einem der Körper blieb sein Blick hängen. Nicht nur, daß er dunkelhäutig war und sich trotz des Schmutzes aus der Masse der hellen Leiber hervorhob, es war eine Frau! Ein Weib, daß den Zorn Telentrahs, des mächtigen Herrn so sehr herausgefordert hatte, daß sie jetzt den qualvollsten aller Tode starb. Und doch hatte sie bereits eine Folter überlebt - die Narben ihrer Handgelenke schimmerten auch unter den Eisenfesseln hervor. Noch beugte sie ihren Rücken nicht, zeigte ihren Stolz und ihre Kraft, aber der Wächter wußte, daß dies nach einem Mond oder wenig mehr vorüber sein würde. Die Hitze weichte die Knochen auf, sie würde husten und stöhnen wie die anderen und sich nur noch dahinschleppen. Noch war sie ansehnlich und erregend. Wie lange....Der Wächter leckte sich mit der Zunge über die Lippen und hob seine Peitsche, um sie über ihren Rücken zu ziehen, als sie unter ihm vorrüberging. Er sah, wie ihre Schultern zuckten, sie sah aber nicht auf, wie sie es noch vor einigen Tagen getan hatte. Das war das erste Zeichen des Verfalls. Schritt um Schritt. Es kostete Reijinaras gesamte Selbstbeherrschung, um nicht in den Trott der anderen zu verfallen, und dann auch noch zu verlernen zu denken. Sie hielt ihren Kopf aufrecht, auch wenn es schon längst nicht mehr nötig war. Doch zum ungezählten Male prägte sie sich das ein, was sie sehen konnte. Keladhan neben ihr ging längst gebeugt, aber er tat dies nur, "weil er Kraft sparen wollte". Aber der junge Mann neben ihm, ein Angehöriger der "Purpurnen Bruderschaft", wie Reijinara durch seine Äußerungen erfahren hatte, verhöhnte Keladhan und nannte ihn einen Schwächling. Jered Seendi war neben ihnen beiden angekettet - später gekommen und noch ungebrochen. Er lehnte sich gegen jeden Kuß der Peitsche auf - und gerade weil er den Rhythmus störte, war sie ihm dankbar. Er verhinderte, daß sie in Lethargie sank. Reijinara wußte, daß sie nicht viel Zeit hatte. Das Kind in ihr wuchs, und jeden Tag, den sie hier unten verbrachte, würde ihm schaden, und ihr mehr und mehr die Kraft nehmen. Oh Keiiris, wann war der richtige Zeitpunkt gekommen? Sie wartete verzweifelt auf ein Zeichen, aber seit ihrer Heilung war die Nähe der Göttin gewichen, Reijinara auf sich alleine gestellt. Genauso wie sie... Reijinara drehte leicht den Kopf und blickte Keladhan an, der mit einer verstohlenen Geste ihre Hand berührte. Vermochte er aus ihren Augen mehr zu lesen, als Liebe? 33
Doch der Wächter hatte scharfe Augen und ließ die Peitsche dicht über ihrem Körper knallen. Sie fuhr hoch. Jered Seendi grinste breit und rasselte mit seinen Ketten. Schön ist dein Schmuck, Schwarzhaut..." Er fluchte, als ihn die Peitsche eines Aufsehers in den Nacken traf und nach vorne schleuderte. "Du elender Hund!" fuhr er den fremdartigen Wächter an. "Eines Tages werde ich dich...mit deiner eigenen Peitsche erwürgen!" "Wie soll das gelingen? Die Wächter sind Telentrahs hündisch ergebene Sklaven und wir besitzen nicht einmal die entsprechenden Waffen! Viele von uns können nicht einmal damit umgehen. Und da redest du von Flucht? Hat dich die schwarze Wilde mit ihrem Wahnsinn angesteckt?"Jikanda kreuzte abwehrend die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf, so daß ihre Haare flogen und die Ohrgehänge klimperten. Sie war die einzige der fünf Sklavinnen, die mit Olena in einem der Frauengemächer saßen, um Näharbeiten zu erledigen, die Misstrauen und Argwohn zeigte. Olena hatte diesen Widerstand erwartet und nickte. "Wahnsinn? Der ist es nicht. Ich fühle, daß es gelingen wird, wenn wir wie einer zusammenhalten und dann beginnen, wenn ein Zeichen gegeben wird." "Was wird dies für eines sein?" fragte Maiave, eines der Sklavenmädchen, ein scheues, zierliches Ding, das in seinem ganzen Leben nichts anderes gekannt hatte, als die Unterwürfigkeit einer unfreien Dienerin. "Das Zeichen..." Olena seufzte. "Das Zeichen ist Tumult am RAD. Wenn die Sklaven dort freikommen, gelingt es auch uns." Jikanda schnappte wütend nach Luft. "So? Das RAD wird zu gut bewacht. Die einzigen Sklaven, die es verlassen sind die Toten, die man den Haien zum Fraße vorwirft. Und was dann? Wenn wir aus dem Palast gekommen sind?" "Das wird sich alles ergeben..." sagte Olena, wenn sie auch selber daran erinnert wurde, daß in der Tat keiner bedacht hatte, was danach sein würde." "Du glaubst daran." Eine hellhaarige, aber dunkelhaarige Frau hatte ihre Stimme erhoben. Es war "Mila" oder "Taube", wie Khellion, die Taranerin genannt wurde. Sie sprach nur sehr selten. Sie war so schweigsam, daß wiele sie für stumm hielten, wie an Jikandas Erstaunen zu bemerken war. "Glaube ist eine Macht, die stärker als Gewalt, Haß und Unterdrückung ist. Glaube ist eine Kraft, die Berge versetzen und Völker befreien kann, wenn man sie nicht verliert..." Sie verstummte wieder, doch Olena hatte das Leid in der zitternden Stimme gespürt. Impulsiv legte sie ihre Näharbeit nieder und eine Hand auf die Schultern der jungen Frau. Sie spürte, wie es zwischen ihnen zu kribbeln begann. Mila blickte auf, ihre Augen waren erstaunt geweitet. "Ja,", sagte sie plötzlich. "Ich glaube daran. dein Vertrauen in SIE ist so stark, obgleich du ihr fern bist, daß du IHRE Kraft mit mir teilst. Ich werde dir folgen und helfen..." Zum ersten Mal sah Olena Mila lächeln. Auch die anderen kamen näher und begannen Fragen zu stellen, nur Jikanda nicht. Sie würde Zeit brauchen. Wie Reijinara... >>> <<< 'Keiiris! Beende endlich diese Qual. Tag um Tag gehe ich hier im Kreis und jeder Tag läßt meine Kraft mehr und mehr schwinden...' Reijinara sandte diese stumme Bitte zu ihrer Göttin, während sich ihr Körper zusammenkrümmte und sie hustend Galle erbrach. Ihr war entsetzlich schlecht, und sie machte sich Sorgen um das Kind... Sie kauerte in einem Winkel der kleinen Zelle, in die sie immer dann gebracht wurden, wenn die andere Schicht sie ablöste. Und als ob es das Schicksal so bestimmt hätte, war ihr Zellengenosse Keladhan. Er kauerte neben ihr und stützte sie. War dies die Fügung Keiiris'? Oder einfach nur der Mutwillen der Wächter, die sie oft genug beobachteten, als erwarteten sie nur das Eine.
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"He!" schallte da die Stimme Jered Seendis durch das Gewölbe. Er kauerte in einem Käfig ihnen gleich gegenüber und trotz der Hiebe, die seinen Rücken zernarbten, hatte sein Jähzorn ihn nicht verlassen. "He! Seit Tagen sitze ich nun schon hier und bekomme nichts zu sehen! Du hast das Weib! Du könntest dein Leben erträglicher machen, aber du nutzt sie nicht! Hat das RAD deine Manneskraft erlahmen lassen? He Wächter! Gib sie mir! Ich weiß was ich mit 'ner Frau anfangen kann!" reizte er Keladhan wieder. Reijinara beobachtete, wie der Lydoner nach vorne kroch und mit seinen Händen das Gitter umklammerte. "Halt endlich deinen großen Mund, du Abschaum der Meere! Warum hast du dich dieser Schlingerbrut denn nicht angeschlossen?" Jered Seendi lachte. "Warum? Diese heruntergekommenen Schweine sind..." Seine Augen wurden schmal. "Was fragst du überhaupt so neugierig? Zeig mir lieber, daß du ein Mann bist..." "Genug!" Reijinara kroch ebenfalls nach vorne und krächzte leise: "Hört auf euch zu streiten. Ihr ruft nur die Wächter herbei und dann gibt es wieder..." "Halt den Mund du vorlautes Weib!" Reijinara musterte Jered mit einem kalten Blick, dann sprach sie unbeirrt weiter: "Ihr vergeudet eure Kraft! Wir brauchen sie noch, auch deine, Jered Seendi!" "Aber deine scheint zu schwinden. Warum so schnell Reijinara?" fragte Keladhan und zog sie sanft vom Gitter weg. "Was ist mit dir los?" In der wenigen Zeit, die ihnen zwischen der Schufterei und dem Schlaf blieb, hatte sie leise miteinander gesprochen, und voneinander erfahren, warum sie hier unten waren. Aber Keladhan vermochte nicht zu glauben, daß sich eine göttliche Macht um sie kümmerte. "Die Götter haben uns verlassen; Borgons Kraft, Chnums Ausdauer. Klammere dich nicht an den Glauben" hatte er zu ihr gesagt. "Wenn es Keiiris gibt, so hätte sie uns bereits geholfen. Mit einem Wunder, einem Zeichen ihrer Macht! Pflegt das nicht der Götter Art zu sein?" 'Doch es ist nicht ihr Weg! Nicht Keiiris Pfad. Ich weiß es...und doch, warum gefährdest du unschuldiges Leben?' Das Kind. Noch durfte sie ihm nichts davon erzählen, noch war es zu gefährlich und unüberlegt. "Die Wärme und die Nässe macht mir zu schaffen", sagte sie wahrheitsgemäß. "Aber es wird vorübergehen." Aber dem war nicht so. Reijinara wußte bald gar nicht mehr, wie viele Tage vergingen, denn einer wie der andere tauchte sie in ein Meer von Schmerzen. All ihre Kraft verwandte sie darauf, aufrecht zu bleiben und nicht in den Staub zu sinken, um von den anderen zertrampelt zu werden, wie es einem Kranken geschehen war. Oder gar von den tierähnlichen Aufsehern zu Tode geprügelt zu werden. Ihre Haut trocknete aus, glühte im Fieber doch dieses brachte ihr auch innere Klarheit und Reinigung. Mehr als Keladhan zu glauben vermochte, der ihr einen Teil seiner Nahrung gab, um ihr Siechtum zu verlangsamen, wurde ihr offenbar, wie sehr er sie liebte. Er gab ihr die Kraft auszuharren und stärkte ihren Glauben - ohne es zu ahnen. "Wie lange, glaubst du, macht es die Wilde noch?" "Einen oder zwei Monde...wer weiß! He, Kleiner, was interessiert dich das? Hübsch ist sie schon gar nicht - nach all diesem Dreck. Sieh sie dir an - und außerdem trink. Das hilft dir, den Gestank hier unten besser zu ertragen." Der Wächter reichte seinem Nachfolger, einem jungen Mann mit schulterlangen rotbraunen Haaren den Ziegenlederschlauch. Dieser setzte ihn an und nahm mehrere tiefe Schlucke, bis ihm der Ältere diesen wieder entriß. Der Jüngling wischte sich mit der Hand über den Mund und verfolgte die Gestalten am Rad genauer die der Frau - mit funkelnden Augen. Das Pochen der Pumpe schien sich seinem Herzschlag anzugleichen. Er war knapp zwanzig und schon bei Telentrah dank seines großen Mundwerkes in Ungnade gefallen. Doch er konnte noch von Glück reden - es hätte nicht viel 35
gefehlt, und er wäre einer von den Totgeweihten in der Grube gewesen. Er hätte bald auch nicht besser als die Frau ausgesehen, die viel von der Würde verloren hatte, die sie noch im Festsaal damals gezeigt hatte. >>> <<< Du glaubst mir immer noch nicht, Jikanda?" "Warum sollte ich? Fast zwei Monde faselst du jetzt von der großen Flucht, und noch ist nichts geschehen. Wo bleibt denn das versprochene Zeichen? Der Aufstand?" "Er wird kommen!" Olenas Stimme war fest, aber in ihrem Inneren spürte sie die ersten Zweifel. Warum hatte sich noch immer nichts getan? Die mutigsten der Sklaven wurden langsam unruhig und begannen zu zweifeln, denn zu lange vertröstete sie schon. Olenas Blick wanderte zu dem Steingebäude, unter dem sich das Rad befand. Das Plätschern der Springbrunnen klang wie Hohn in ihren Ohren. 'Das darf es nicht gewesen sein, Reijinara. Was ist mit deinen Hoffnungen, deinem Glauben. Das was du versprachst, muß bald geschehen... oder hast du selber den Glauben verloren?"" "Was murmelst du da vor dich hin?" fragte Jikanda misstrauisch. "Ist es etwas wichtiges?" Olena sah sie nachdenklich an. "Nein... aber ich werde auch schon unruhig. Und dabei ist dies der günstigste Zeitpunkt. Andraytor der Priester hat mir berichtet, daß Telentrah die Insel mit seiner "Schlingertod" der Hälfte seiner Flotte verlassen hat. Zudem herrscht unter den zurückgebliebenen Kapitänen Unruhe." "Dann möchte ich nur wissen, wie und wohin...!" "Auf ein Schiff..." murmelte Olena, dann begriff sie, was sie gesagt hatte. Ein Schiff war also das Ziel? Nur würden sie fähig sein damit umzugehen, würden alle einen Platz finden? Sie sah, wie sich der Himmel verdunkelte. Es würde ein Unwetter geben. Als sie ihre Zelle erreicht hatte, sank Reijinara in das schmutzstarrende Stroh und schlief ein. Die Erschöpfung und das Fieber überwältigten sie, und ließen sie nicht einmal spüren, wie Keladhan sich über sie beugte und sie schüttelte. Reijinara spürte nur, daß die Bilder in ihrem Geist klar und deutlich wurden und ihr Kraft gaben. Die Augen einer Schlange. Purpurglühend bannten sie den Tiger und zwangen ihn, sich zu beugen, und seine Beute zurückzulassen. Doch diese Beute war ein Schwert. Ein Schwert aus Holz, das den härtesten Stahl durchschlug. Ein Schlüssel öffnete viele Schlösser und Schatten eilten einen gewundenen Gang hinauf, um sich in Möwen zu verwandeln und dem Meer entgegenzufliegen. Weiße Schwingen wurden zu Segeln eines Schiffes. Sie sah einen Mann und eine Frau - Schatten, die in den Sonnenuntergang blickten. Seine Arme uumschlangen sie. Reijinara erwachte übergangslos, als Keladhan sie sanft schüttelte. Seine Augen leuchteten blaß aus dem verwirrten Gesicht. "Was war das?" fragte er. "Um deine Handgelenke bildeten sich plötzlich Schlangen aus Licht, die seinen Körper hinaufkrochen und in deiner Brust und deinem Bauch verschwanden. Ich konnte sie nicht aufhalten, denn sie waren nicht greifbar." Reijinara berührte ihn an der Wange. Sie spürte selber, daß jeglicher Schmerz aus ihrem Körper gewichen war - sie konnte wieder frei atmen und das Stechen in ihrer Brust war fort. Zaghaft berührte sie ihren Bauch. Sie umarmte Keladhan impulsiv und küßte ihn. Nicht einmal das Rattern eines Knüppels an den Gittern konnte ihr mehr Angst machen, als die Wächter kamen, um sie wieder an das RAD zu ketten. Seit Jahren lebte er schon hier und tat seinen Dienst. Ob nun hier, oder in einem anderen Tempel seinem Herrn zu folgen war Andraytor nicht wichtig. Er dachte längst nicht mehr darüber nach, daß er auch nur ein Sklave war. Aber er besaß eine besondere Stellung unter 36
ihnen, war er doch ein Diener Noryttons, des Herrn der Meere und Patron der Reisenden dieses Elementes. Selbst Telentrah, der unumschränkte Herrscher der Insel, der anderen Herren zu opfern schien kam manchmal zu ihm und erbat die Gnade des Gottes. Andraytor gehorchte dem Piratenfürsten, aber in gleichem Maße diente er den anderen Gefangenen. Dies hielt er für seine wichtigere Aufgabe, nicht die Beschwichtigung der Naturgewalten. Er blickte aus dem Fenster. Es würde bald wieder ein Gewitter und Sturm geben, was ihn nicht wunderte. Zu dieser Zeit des Jahres war so schlechtes Wetter üblich. Er mußte nur daran denken, seine Gehilfen anzuweisen, die Opfergaben unter ein schützendes Dach zu bringen. Zunächst betrat er aber den inneren Raum des kleinen, von ihm geweihten Heiligtums und stutzte. Eine zierliche, schlanke Gestalt kauerte vor dem einfachen Bild des Gottes, das er mit eigenen Händen der Statue seines Muttertempels nachempfunden hatte, und sie schien zu beten. Andraytor hielt die Luft an und lauschte den Worten. Er erkannte das Mädchen an der dunklen Haut und den hellen Haaren. Mila. "ich habe schwer gesündigt, weil ich zuließ, daß sie mich schändelten, oh gütiger Herr, aber soch bitte ich dich... gib mir die Kraft zu glauben wieder. und wenn nicht, so bitte ich doch für alle die anderen, die nun Hoffnung haben, daß diese sich erfüllen möge. Ich habe dir einst gedient, und ich will dir auch weiterhin diesen... und müßte ich dafür..." Andraytor trat näher und berührte das Mädchen. Es schreckte aus, und er sah in ihren Augen panische Angst und tiefes Leid. Er sah sie, wie sie einst gwesen sein mußte, und unwillkürlich machte er eine segnende Geste. "Was auch immer war, die Schuld soll von dir weichen, Mädchen, die du einst eine Priesterin meines Herrn weihst. Du hast diesen Ort nicht entweiht, sondern neue Kraft gebracht. Ich verbiete niemandem der glaubt Sein Haus. Nun erhebe dich, und wenn du willst, nehme ich dich in meinen Dienst." Sie sah ihn mit großen Augen an. "Ich danke euch, aber ...", sie blickte auf die Statue, "ich spüre, daß Norytton mich nicht an diesem Ort für seinen Dienst bestimmt..." Ihre Stimme zitterte und sie zuckte zusammen als ein Blitz den Raum erhellte. Andraytor seufzte. "Das Unwetter ist heute stark" sagte er. Ihre Antwort erstaunte ihn. "Es ist gutes Wetter. Es ist der Beginn!" flüsterte sie und fiel dabei in eine Sprache, die Andraytor von Rilta der Borgon-Dun kannte. Immer wieder musterte Jered Seendi sie von der Seite, beugte sich vor, um an Keladhan vorbeizublicken und verzog das Gesicht. Er schien zu bemerken, daß Reijinara wieder sicher ging und den Rücken nur noch leicht beugte. Und es lag Misstrauen in seinem Blick. Reijinara wußte, daß die Kreaturen sie diesmal mit Absicht außen angekettet hatten, weil es der Wächter über ihr befohlen hatte. Er war anders als seine Kumpane, weniger abgebrüht, gleichgültig und vorsichtig, und würde mit Sicherheit irgendwann das Gebot Telentrahs, sie nicht anzurühren übertreten. Die anderen hatten darübr gelacht und gespottet, ihn schien es nur noch mehr angestachelt zu haben. Sie drehte den Kopf nur leicht und lächelte Keladhan an. Er hatte nicht begriffen, warum sie heute ihr Haar mit den Fingern entwirrt und ihren Körper mit Stroh abgerieben hatte. Aber ein Gefühl hatte sie dazu veranlaßt, daß sie sicher machte. Das Zeichen der Göttin, ihre erneute Heilung war der Auslöser gewesen. "Vertrau mir..." wisperte sie, als sich ihre Blicke trafen. Der junge Wächter ließ seinen Blick über die Sklaven schweifen. Den Weinschlauch hatte er griffbereit neben sich liegen, aber er dürstete nach etwas anderem. Diesmal würden sie ihm nicht auf die Schliche kommen, denn Telentrah war weit fort und die anderen Wächter waren zu sehr mit dem starken Wein, den Weibern, die sie sich geholt hatten und den Würfeln
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beschäftigt, als daß sie nach ihm sehen würden. Wenn das RAD kurz anhielt würde es nicht auffallen - kam das einige Male am Tag vor - wenn er... Er verschlang den Körper der Frau mit seinen Blicken. Bevor sie ganz unansehnlich werden würde, wollte er sie noch einmal spüren... besitzen und dann würde er ihr ihren Mund mit einer scharfen Klinge versiegeln. Die Männer sanken erschöpft nieder und griffen gierig nach den Wasserschalen, die ihnen die Wächter hinhielten. auch Reijinara wollte dies tun, da spürte sie, wie jemand an der großen Zugkette hantierte, die sie und die beiden Männer an den Balken fesselte. Das Quietschen einer Winde verriet, daß sie angezogen wurden und wenn sich nicht erdrosselt werden wollten, mußten Reijinara, Keladhan und Jered so schnell wie möglich auf die Beine kommen. Sie wurden an das Holz gezogen, so daß sie sich kaum noch bewegen konnten. Jered gab unflätige Flüche von sich, Keladhan versuchte sich aus seiner Stellung zu lösen, doch Reijinara verhielt sich ruhig. Sie probierte nur aus, ob sie sich etwas dehen konnte. Die Stimme des Wächters, der die Kreaturen fortschickte und seine Schritte nahm sie deutlich wahr. Dann spürte die rauhes Leder auf ihrem Rücken und holte tief Luft. "Elendes Schwein!" zischte Keladhan. "Wenn ich freikomme, dann...!" "Was dann?" höhnte der Wächter. "Macht es was aus, wenn ich mit deinem Weibchen tue, was mir gefällt. Soll ich dir zeigen, wie es mich mögen wird?" Er zerriß Reijinaras knappes Gewand und wollte die Lumpen hinunter zerren, als diese ihren Kopf drehte, so weit sie konnte. In ihr wurde der Traum lebendig und sie spürte, wie die Kraft ihrer Augen funkensprühend zu wirken begann. Der junge Wächter erstarrte. Er ließ seine Hand sinken. "Ich habe Schmerzen. Bitte löse meine Fesseln..." sagte sie sanft und spürte, wie der Mann die Bolzen mit seinem Schlüssel entfernte. die Gefangenen begannen zu raunen und erwachten aus ihrer Lethargie. Keladhan schnappte nach Luft und stieß sie pfeifend wieder aus. Jered Seendi gab einen unwilligen Laut von sich, doch Reijinara beachtete keinen. Als sie von den Ketten befreit war, nahm sie dem willenlosen Mann Schwert und Schlüssel ab und schlug ihn mit der flachen Seite der Klinge nieder. Dann wandte sie sich Keladhan und Jered zu und half auch ihnen, sich zu befreien, während sie Schweigen gebot. Niemand wußte, wann die Tierwesen zurückkommen würden. Maiave klammerte sich an Olena, während diese das Gewitter beobachtete, das über der Insel tobte. Doch die Naturgewalten waren anders als sonst. Olena hatte das unbestimmte Gefühl, daß sie die drückende Atmosphäre vertrieben, die seit Tagen über der Insel geherrscht hatte. War dies ein Omen? Keiner starrte auf Reijinaras nackten Oberkörper. Die Männer waren zu sehr mit ihrer eigenen Befreiung beschäftigt, als daß sie jetzt an Lust denken konnten. Noch hingen die Eisenbänder an ihren Armen und Beinen, aber die Ketten wurden bereits zu Waffen umgewandelt. Sie folgten Reijinara, Keladhan und Jered, die als erste frei gekommen waren, und ihre Lage erkundeten. Die Borgon-Dun hatte das Schwert Keladhan überlassen. Nicht, weil sie nicht damit umgehen konnte, sondern weil sie um seinen Stolz wußte. Jered hingegen fuchtelte mit einer Peitsche herum, das Messer des Wächters, dem er die Kehle durchgeschnitten hatte, in der Linken haltend. Er hatte mittlerweile auch die Führung an sich gerissen. "Durch diesen Gang!" sagte er laut und deutete nach vorne. Im nächsten Augenblick zuckte er vor einem der Tiermenschen zurück. "Nun, auf dich habe ich nur gewartet! Du stellst dich mir zum letzten Mal in den Weg!" knurrte Jered, nachdem er seine Überraschung überwunden hatte und ging im nächsten Moment mit einem Kampfschrei der Bruderschaft auf das Wesen los. Er glaubte sich im Vorteil, doch der Angriff gelang nicht so wie Jered sie sich vorgestellt hatte. Er wurde von einer behaarten Pranke weggeschleudert und prallte gegen die nächste 38
Wand. Keladhan fluchte laut über die Unvernunft des Piraten und griff, weil ihm nichts anderes übrig blieb, als sich das Wesen zur Flucht wandte, ein. Der Kampflärm lockte nun auch die Wächter herbei, die sich schwerfällig von ihren Vergnügungen gelöst hatten und ärgerlich über die Störung nach ihren Waffen gegriffen hatten. Die zehn Männern in den leichten Lederrüstungen sahen sich nun den befreiten Sklaven des Rades gegenüber - die zwar in der Überzahl, aber waffenlos und zum Teil sehr geschwächt waren. Zwei oder drei von ihnen fielen schon nach den ersten Säbelhieben sterbend zu Boden, aber das stachelte den Mut und die Entschlossenheit der anderen noch mehr an. Sie fielen über ihre Peiniger her, die nicht ihre ganze Kampfeskraft besaßen benommen von Wein und den Spielen der Lust. Reijinara nutzte die Überraschung eines der Wächter, der zu lange auf ihre Brüste gaffte und schlug ihn nieder. Geschickt entwand sie ihm den Säbel und fühlte die vertraute Schwere in ihrer Hand. Sie hatte in den Monden ihrer Gefangenschaft nichts vergessen und flehte doch: "Verzeih mir dies, Keiiris, aber nun muß ich eine Tochter Borgons sein, bis wir diese Insel verlassen haben!" Dann stürzte sie sich mit einem alten Kampfruf ihres Volkes, einem wilden Heulen in das Gemetzel. Olena seufzte, als sich die Wolken wieder lichteten und die Sonne strahlend hervorbrach. Ein kühler Wind wehte über die Insel. Er trug Geräusche zu ihr hinüber, die sie irritierten: Kampflärm! "Seeker, Hüter des Wissens!" flüsterte sie und wandte sich zu Maiave, die sich im Hintergrund gehalten hatte und sie nun erschreckt ansah. Olena packte das Mädchen und zog es mit sich. "Komm!" sagte sie nur. "Jetzt müssen wir fort von hier." Schier endlos erschien ihnen die Wendeltreppe, aber die Hoffnung gab ihnen die Kraft, Stufe um Stufe zu überwinden und nach oben zu gelangen, näher an die Freiheit. Längst waren sie nicht mehr als zehn und zwei davon mußten getragen werden. Keladhan hatte den einen übernommen, während Jered und Reijinara vorauseilten und ihre Schritte erst verlangsamten, als sie ein großes Tor erreichten. Ein Flügel stand ein Stück auf und bot genug Sicht auf den Innenhof. Um das Haupthaus und den Ausgang der Festung zu erreichen mußten sie ihn überqueren, aber eine große Anzahl von Wachen patrouillierten auf ihm. "Wir werden sie in zwei Gruppen angreifen. Die Kräftigeren stürmen vor und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, die anderen folgen und..." "Nein", unterbrach Reijinara Jered mit einer knappen Geste. Ihr Gesicht war angespannt und ernst. "Es geht einfacher!" erklärte sie und deutete mit ihrer Hand auf eine Statue, die inmitten des Platzes stand. Fast unmerklich war die Geste, die sie vollführte, und dann hielt Jered geräuschvoll die Luft an. Plötzlich war die Statue von einem Purpurfeuer umgeben, das den Stein aber nicht zerstörte. Doch das wabernde Licht erfüllte seinen Zweck und lenkte die Männer auf dem Hof ab, die sich dem "Wunder" verwirrt durcheinander rufend näherten. "Jtzt!" befahl Reijinara und stürmte als erste hinaus. Der nun folgende Kampf hatte nur das Ziel auf die andere Selte zu gelangen. Hinter dem Haupthaus lag die Freiheit. Aber auch dort brach der Aufstand aus. Nachdem das Unmögliche - die Flucht aus der Grube des RADES deutlich geworden war, gab es auch für die mutigeren unter den Hausdienern kein Halten mehr, die schon nicht mehr an die Erfüllung von Olenas Worten geglaubt hatten. Wächter sahen sich plötzlich mit Knechten konfrontiert, die ihre Besen oder Grabstöcke als Waffen gegen sie richteten, oder wurden von kreischenden Frauen überwältigt. Viele ließen ihre Arbeiten fallen und rannten durch die Gänge, dem Haupttor entgegen.
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Befehle gellten durch das Haus, aber sie führten dazu, daß der Tumult nur noch unübersichtlicher wurde, als Sklaven das Tor zum Innenhof aufrissen, um den Vorkämpfern beizustehen. Reijinara hatte Jered und Keladhan in dem Chaos aus den Augen verloren. Aber sie machte sich keine Sorgen, denn etwas sagte ihr, daß sie hier richtig war. Barfüßig eilte sie einen, mit Marmor gefliesten Gang hinunter und hetzte, als eine Abteilung von Wachen näher kam in die prunkvollen Gemächer Telentrahs. Sie verbarg sich hinter einem Wandbehang, doch die Männer liefen an dem Zimmer vorbei. Dann wollte sie den Raum wieder verlassen. Plötzlich kam ihr aber der Gedanke, zumindest einige Seekarten und navigatorische Hilfsmittel an sich zu nehmen. So lernte sie auch die anderen Gemächer Telentrahs kennen und stellte fest, daß auch diese Räume von geschmacklosem Prunk überhäuft waren. Und so starrte die plötzlich auf einen Käfig, in dem ein hochgewachsener Mann hockte. Wie seltsam dieser wirkte - aber Reijinara wußte von den Bewohnern eines abgeschiedenen Nachbarlandes ihrer Heimat, in dem es Wesen wie ihn gab. Sie zuckte zusammen, als sie der Elf mit heiserer Stimme ansprach: "Bin ich dir zu fremdartig?" Sein Akzent war seltsam, doch Reijinara machte sich keine weiteren Gedanken. Sie zerschlug als Antwort mit dem Säbel das Schloß seines Gefängnisses und riß die Tür auf. "Folge uns in die Freiheit, Elf, oder geh deine eigenen Wege!" Eine langgliedrige Hand berührte ihre Schulter. "Ein Sklavenaufstand?" Reijinara nickte bejahend und sah sich dann nach Karten um, doch der Elf hielt sie weiterhin fest. "Die brauchst du nicht, Frau!" sagte er und deutete auf einen Tisch. "Sie sind ohnehin ungenau. Ich werde euch helfen, wenn wir ein Schiff erreichen. Ich bin Isisten der Navigator." Reijinara starrte ihn an, blickte in seine Augen und es war ihr, als späche er die Wahrheit. "Dann laß uns nicht länger Zeit verlieren und von hier verschwinden." Sie stand schon in der Tür, als er noch einmal zurückeilte und nach zwei an der Wand hängenden, fein gearbeiteten Schwertern griff. Da erfaßte sie ein Schwindelgefühl. Reijinara mußte sich an den Pfosten festklammern und sank dennoch zu Boden, als ihr Körper mit einem Schwächeanfall gegen die Belastung protestierte. Doch das rettete ihr das Leben und bewahrte sie vor dem tödlichen Pfeil eines Bogenschützen. Eine Schar von Wächtern durchquerte den Wohnraum Telentrahs - doch plötzlich fuhr ein Schatten unter sie - Isisten der trotz seiner Größe von sieben Fuß oder mehr, schnell und wenig war. Er machte die Männer nieder, durchbohrte mit seinen Klingen die Körper und kehrte erst dann zu Reijinara zurück, als er die Klingen an deren Kleidung gereinigt hatte. Dann half er ihr auf. "Geht es?" "Ja..." keuchte sie und berührte ihren Bauch, von dem ein dumpfer Schmerz kam. Dann holte sie tief Luft. "Komm!" Die fliehenden Sklaven waren durch nichts aufzuhalten, als sie den Hügel hinunter auf den Hafen und die Siedlung zu stürmten. Reijinara und der Elf waren zu den anderen gestoßen und nach dem ihr Säbel am Helm eines Soldaten zerbrochen war, hatte die Speer und Schild eines anderen an sich gerissen. Wie eine Verkörperung ihres kriegerischen Gottes stand sie nun auf einem Felsen und lenkte die Fliehenden so gut es ging zusammen. Keladhan war an ihrer Seite, unterstützende Befehle gebend. Die Vorhut bildeten Männer, dann folgten Mädchen, Frauen und Kinder mit den Verletzten. Hinten deckten weitere Kämpfer die Fliehenden. ihnen schlossen sich Keladhan und Reijinara schließlich an, um zur Vorhut aufzuschließen und neue Anweisungen zu geben. >>> <<< Das Schiff, das sie sich ausgesucht hatte, war das einzigste, das aufbruchbereit erschien. Alle anderen wirkten unbe- oder entladen, dieses hingegen lag tiefer im Wasser und nur wenige 40
Männer befanden sich an Bord. Es war Reijinaras Gespür gewesen, das sie zu diesem Schiff gelockt hatte. Während Keladhan noch an der Reling stand und die Männer und Frauen an Bord wies, begab sich Reijinara auf das Hinterdeck. Dort befand sich Jered bereits. "Ich befehlige dieses Schiff!" sagte er kalt und begann Anweisungen zu brüllen, doch die, die ihn hörten, starrten ihn nur verständnislos an. Reijinara lachte, auch wenn ihr dazu nicht zumute war. "So? Ich sehe nichts davon. Auch ich weiß ein Schiff zu kommandieren. Zwei Jahre..." "Ach was. Kein Weib ist fähig..." Reijinara überhörte seinen Einwand und ließ ihre klare Stimme nun über das Deck erschallen. "Ihr da, ihr kräftigen Männer. Holt den Anker an Bord oder kappt ihn. Wer klettern kann hinauf - Löst die Verschnürungen egal wie." Kurz bemerkte sie, wie Jered neben ihr erst überrascht, dann wütend schaute. "Am Ufer postieren sich Bogenschützen. Organisiere die Verteidigung!" befahl sie, um ihn aus den Augen zu haben. Sie bemerkte, daß Isisten hinter ihr die Position des Steuermannes eingenommen hatte. Sie fiel in eine Art von Trance, hatte ihre Augen überall und bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit über das Deck, hier Anweisungen gebend und dort beruhigend einwirkend. Ein günstiger Wind kam auf und blähte die Segel, trug das Schiff hinaus aus der schmalen Bucht, dem offenen Meer entgegen. Doch noch waren sie nicht sicher - andere Schiffe konnten sie einholen und stellen. Erst als die Dunkelheit über sie hereingebrochen war und nur das Licht der Sterne das Deck erhellten, weil die Flüchtlinge nicht wagten, Feuer zu entzünden, gönnte sich Reijinara Ruhe und kauerte sich auf die Treppenstufen, die zum Hinterdeck führten. Unbeirrt stand Isisten am Steuerrad und bestimmte den Kurs. Reijinara vertraute ihm. Sie seufzte und barg den Kopf in Händen, entspannte sich und vertrieb wirre gedanken. Sie schreckte erst hoch, als Keladhan sich neben sie setzte und einen Arm um sie legte. "Ich hätte nie daran geglaubt, wäre es nicht geschehen", sagte er. "Doch du hast mich eines besseren belehrt. Wir sind frei und können heimkehren." "Heim..." Ihre Stimme klang traurig und sie schmeckte nur Bitternis. "Ja, wir sind frei." Sie blickte auf und ließ ihren Blick über die anderen schweifen, die sich über das Deck verteilt hatten und müde zusammenhockten. "Und doch gibt es noch viel zu tun." Dann sank ihr Kopf gegen Keladhans Schulter. Sie schlief ein. Sie benötigten Tage, um Ordnung in das Chaos auf dem Schiff zu bringen und sich noch weiter von Telentrahs Insel zu entfernen. Isisten hatte einen Kurs nach Süden, der auch Ophis genannt wurde, eigeschlagen und jeder wußte, wohin dieser führte. Alle, die arbeiten konnten, taten dies, auch wenn sie nur darin bestand, das Deck zu schrubben und die Blutflecken von den Planken zu scheuern, oder die Segel zu flicken. Andere wieder überprüften die Lagerräume und verteilten die Essensrationen an die anderen. Wieder andere berieten den Kurs und ihre Ziele. Reijinara wanderte von einem zum anderen. Noch immer hatte sie kein anderes Gewand angezogen, auch wenn sie sich schon mit Salzwasser gewaschen hatte. Nun stand sie neben Isisten und seufzte. "Das ist ein gutes Schiff. Schnell, wendig und hochseetüchtig trotz seiner Größe! Und den Göttern sei gedankt, daß dem so ist!" Isisten lächelte. "Dieses Schiff ist gebaut worden, um es zu lieben", stellte er fest. Reijinara nickte. "Wohin führt dein Kurs?" fragte sie dann. "Ataris oder Borgon-Dyl?" "ich werde sehen. So wie unsere Vorräte reichen so soll auch unser Weg sein. Und..." "Über den genauen Kurs muß ich mit den anderen sprechen", murmelte sie. So geschah es auch. Alle versammete sich an Deck und lauschten gebannt den Worten Reijinaras. Doch plötzlich erhob sich eine Stimme übr die Menge, und der Jüngling erhob sich, um auf sie zu deuten. Reijinara erschauderte, aber sie hatte geahnt, daß es so kommen 41
würde. "Ich weiß, wer du bist, Reijinara, Deye von Borgon-Dyl. Du kannst in dein Reich zurückkehren und deinen Platz wieder einnehmen, doch wir wären, auch wenn du uns deine Gastfreundschaft gewährst, heimatlos und erneut Gestrandete in einem fremden Land. Du kannst deinen Weg gehen, wir haben keinen mehr!" Keladhan wollte ihm empört den Mund verbieten, doch Reijinara gebot ihm mit einer verdeckten Geste zu schweigen. Sie selber blieb eine Weile stumm und senkte den Kopf, als müsse sie in sich gehen, dann jedoch blickte sie die Menschen mit einem seltsamen Leuchten in den Augen an. "Ich spüre, daß viele von euch so fühlen. Wenn dem so ist, dann schwöre ich bei den Göttern, die ich achte, und Keiiris, die ich verehre diesen Eid. Bei Keiiris, bei dem Reiter der Wellen und dem Vater der Kraft: Ich bringe jeden, der will zurück in seine Heimat und koste es soviel Zeit, wie es wolle. Ich bin es euch schuldig und müßte ich auch zum Rande der Welt segeln. Wer aber bei mir bleiben will, der soll es dann sagen..." "Was aber ist mit deinem Thron und deinem Reich Reijinara?" fragte Keladhan mit einem scharfen Unterton in der Stimme. "Was ist mit ihnen? Gilt deine erste Pflicht nicht deinem Volke?" Reijinara senkte dem Kopf. Tränen schimmerten in ihren Augen, aber es waren keine der Scham. "Monate sind vergangen, seit ich verschwand, und inzwischen regiert eine andere Deye. Wenn ich jetzt zurückkehre ist es das Gleiche, als wenn es erst in einigen Jahren sein wird. Ich habe zu lernen und das kann ich allein von euch. Und sollte ich meinen Thron auf immer verlieren - Macht ist weniger wertvoll als Verständnis und Vertrauen, denn indem ich von euch höre, erfahre ich, wie euer Volk lebt, und wie es fühlt. Das ist jetzt meine Aufgabe." Keladhan trat an ihre Seite und bat sie leise um Verzeihung, aber die anderen sprachen schon laut über den Eid. Reijinara spürte, daß sie gewonnen hatte, und dies ihr Schicksal für einige Zeit sein würde, die sie nicht missen mochte. 'Jetzt nach Borgon-Dyl zurückzukehren ist Wahnsinn. Shayol regiert und wird die Wolfskrone nicht hergeben wollen. Auch wenn ich mich auf einen Machtkampf und Bürgerkrieg einlassen würde, so könnte ich ihn nicht durchstehen.' Sie seufzte und dachte an das Kind unter ihrem Herzen. Ihre Tochter. Der Funke des Lebens, der sie auf einen anderen Pfad gedrängt hatte, den sie zunächst nur unwillig gehen wollte. Aber Keiiris hatte ihr auch noch etwas anderes geschenkt: Ein freies, ungebundenes Leben auf Jahre. Mit einem Schiff, das sie liebte und einem Gefährten und Freunden an ihrer Seite. Den Eid empfand sie nicht als Bezahlung für die Rettung, sondern als Gnade. Als sie alleine in der Kabine waren, die man ihnen zugeteilt hatte - den Kapitänsraum - setzte sich Keladhan auf den Tisch und blickte Reijinara mit einem ärgerlichen Ausdruck an. "Dieser Eid ist zwar edel, aber auch verrückt. Wir sind Borgon-Dyl so nahe und es wäre leicht gewesen...." "Mehr als ein halbes Jahr ist vergangen. Man hält mich für tot. Mittlerweile regiert Shayol meine Base und es würde zu Machtkämpfen und vielleicht einem Bürgerkrieg kommen, wenn ich jetzt zurückkehren würde..." "Bis du nicht eine Tochter Borgons, die die Herausforderung liebt?" "Ich bin eine Tochter der Keiiris und meine Wege werden ganz andere sein. Ich will meinen Namen nicht noch mehr mit Blut und Haß beflecken, und kämen wir jetzt zurück, müßte ich wohl die um Hilfe bitten, die du so sehr haßt. Und werden sie mir dann noch vertrauen? Nein Kel, ich träume nicht mehr von der Macht. Das war der Haß und der Zorn einer jungen, von vielen mißverstandenen Frau. Und ich würde einen Kampf nicht gewachsen sein, nicht in den nächsten Monaten. Soll unsere Tochter auf einen Schlachtfeld geboren werden?" Nun war es heraus und Keladhan musterte sie mit geweiteten Augen. "Unsere Tochter?"
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"Ja. Ich spreche die Wahrheit, denn dieses Kind hielt mich am Leben, als ich nahe daran war, aufzugeben und ein Schatten zu werden. Und nun muß ich es ihr danken..." Reijinara lächelte. "Das will ich auch. Und du hast mir gegenüber keine Verpflichtungen. Die Gebräuche der Borgon-Dun dürften dir nicht fremd sein." "Aber das Kind ist ein Teil von mir. Ich will an deiner Seite bleiben, und bitte verzeihe mir nun meine Vorwürfe..." Sie streckte die Arme aus und zog ihn an sich, als er näher trat, dann barg sie ihren Kopf an seiner Schulter. Sie blickte durch eines der Fenster auf das Meer und lächelte...
Epilog Reijinara fand nur zweieinhalb Jahre den ersehnten Frieden auf dem Meer. Die Thalismeryonde - so nannten die Flüchtlinge schließlich das Schiff, die "Freiheitsvogel", durchkreuzte viele Meere und Reijinara sah viele Küsten und Völker - Umntor, Sandramoris, Athanesia, und wie siesonst noch alle hießen und schließlich auch den Rand der Welt, an dem die Eruptionen der Vulkane in der Ferne den Himmel in den Nächten rot färbte. Nicht immer war das Schiff ein Ort des Friedens - oft genug mußten die Flüchtlinge Stürme ertragen, Piratenüberfälle abwehren und eigene Streitigkeiten schlichten. Wie es sich Reijinara gewünscht hatte, wurde ihre Tochter Jhiru auf dem Meer geboren und Keladhan hielt sein Wort und wurde ihr Gefährte, obgleich es zwischen ihnen noch oft Meinungsverschiedenheiten gab, weil er aus einer gänzlich anderen, männerdominierten Kultur stammte. Doch sie lernten einander schließlich zu verstehen, um Jhiru gute Eltern zu sein. Und dann, knapp zwei Jahre später wurde ein weiteres Kind geboren, Hescard, ein Sohn. Die Mutterschaft und ihre Erfahrungen während der Reisen der Thalismeryonde ließen Reijinara reifen. Sie war nicht mehr die wilde Kriegerin, die mit dem Kopf durch die Wand wollte. Sie lernte zu verhandeln, zu täuschen, mit List und Verstand zu entkommen oder klugem Taktieren Freunde zu gewinnen. Einem inneren Ruf folgend kehrte sie im Herbst des Jahres 411 nach Borgon-Dyl zurück und mußte feststellen, daß gerade ihr Vater, der sie früher immer unterstützt hatte, ihr nicht verzeihen konnte und wollte und sie mit heftigen Worten von sich wies. Ohne Hoffnung suchte Reijinara Kontakt zu ihren anderen Verwandten, um wenigstens mit diesen Frieden zu schließen. Gerade von der, der sie es am wenigsten erwartete, wurde sie um so mehr überrascht. Ihre Base Shayol, die derzeitige Herrscherin Borgon-Dyls empfing Reijinara wie eine Freundin in der Grenzburg Macheran bei Ataris. Da Shayol selber einer Bestimmung folgte Krieger ihres Volkes auf einem Lichtfeldzug zu führen, der gegen die dunklen Mächte ging, überließ sie Reijinara die Krone. Die Ironie des Schicksals hatte ihre Lebenswege genau umgekehrt, Reijinara war nun so besonnen und weise wie man es Shayol in ihrer Jugend nachgesagt hatte, und Shayol spürte nun die Kampfeslust in sich pochen, und war begierig darauf, in die Welt hinauszuziehen. Der Thron war vielleicht ohne Probleme zurückgewonnen, aber Reijinara mußte das Vertrauen ihres Volkes wieder zurückgewinnen, die Treue der Menschen, die nach ihrem Verschwinden im Jahre 408 von ihren Günstlingen in einen Bürgerkrieg geführt worden waren. Doch das ist eine andere Geschichte, die hier nicht erzählt werden soll. 43
ENDE
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