DONAUSAGEN für die Jugend ausgewählt und neu erzählt
MAX STEBICH
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DONAUSAGEN für die Jugend ausgewählt und neu erzählt
MAX STEBICH
scan by: crazy2001 correction by: klr VERLAGSBUCHHANDLUNG JULIUS BREITSCHOPF JUN. WIEN
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Schutzumschlag und Illustrationen von Hildegard Hostnig
Alle Rechte, insbesondere die der Dramatisierung und Rundfunkbearbeitung, vorbehalten. © 1958 by Verlagsbuchhandlung Julius Breitschopf jun. Wien Gesamtherstellung: Wiener Verlag, Wien
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VORWORT Wandern wir doch in diesem Buche einmal unsere liebe Donau entlang und horchen wir auf das, was sie uns erzählt, was an uralten Sagen aus dem Rauschen ihrer Wellen und aus dem Echo ihrer Ufer klingt! Geheimnisvolle Kunde von Gutem und Bösem, von Menschenschicksalen in frohen und schweren Zeiten werden wir erfahren. Da wir gründliche Leute und tüchtige Wanderer sind, wollen wir an den Quellen unseres Stromes die Fahrt beginnen und sie nicht früher beenden, als bis uns die Brandung des Meeres entgegenrauscht, in das unser Strom mündet. Keine Grenze soll uns hindern, kein Schlagbaum aufhalten. Wir folgen unserem Strom, dessen schimmerndes Band mehr als ein anderer Fluß Europas die verschiedensten Völker und ihre Kulturen an seinen Ufern verbindet und zu einem bunten Ganzen zusammenfügt. Bei all diesen Völkern erzählt man sich vom Strom und seinen Ufern seltsame, merkwürdige Dinge. Die wollen wir hören, denn sie sind schön, und auch manche nützliche Erkenntnis, manche gute Lehre läßt sich aus ihnen schöpfen. Wo aber finden wir die Quellen des Donaustromes, damit wir unsere Reise beginnen können? Da müssen wir weit mit der Sonne gehen, bis wir in den deutschen Schwarzwald kommen, von dessen Höhen der Blick nach Westen schon über den Rhein bis nach Frankreich reicht. Inmitten dieses wundervollen, weit über Berge und Täler gedehnten Waldes entspringen zwei Bäche, Brigach und Brege, die sich nach kurzem Lauf bei dem Städtchen Donaueschingen zur Donau vereinigen. In dem Städtchen selbst aber liegt ein alter Schloßpark, in dem entspringt -3-
eine dritte Quelle unserer Donau, ein kleines dünnes Wässerchen, wohl schön gefaßt, wie es sich in einem Schloßpark geziemt, aber noch so schwach und arm, daß einmal einer meinte, es mit seiner Hand zurückstauen zu können und so den Donaustrom zum Versiegen zu bringen. Diese drei Quellen, geeint, eilen fort durch das Schwabenland. Sie nehmen große und kleine Brüder mit: so wächst die kleine Donau zum ansehnlichen Fluß. Sie zwingt die Brücken, immer weitere Bogen zu spannen. Im Bayerland ist sie schon stark genug, selbst große Schiffe zu tragen. Durch Österreich zieht sie immer mächtiger dahin. Hier verklingt auch an ihren Ufern die deutsche Sprache. Slowaken und Ungarn, Kroaten und Serben, Bulgaren und Rumänen, ja selbst Russen und Türken nennen die Donau mit ihren Zungen. Nun ist sie Europas zweitgrößter Strom. Durch Gebirge hat sie sich den Weg gebahnt, durch sonnendurchglühte Steppen ist sie gezogen. Sie hat sich geteilt und wieder vereinigt. Von Ufer zu Ufer reicht kaum noch der Blick, so breit ist sie geworden. Und schließlich ist es, als ob sie die Arme breite, weit, weit, um das Schwarze Meer zu begrüßen. Noch bunter als die Völkerschar, die heute am Donaustrom wohnt, sind die Völker, die im Laufe der Zeit seine Ufer berührt haben, stromauf oder stromab gezogen, geblieben oder wieder verschwunden sind: Illyrer und Kelten, die mächtigen Qaden, Goten und Vandalen, byzantinische Griechen, asiatische Völker auf schnellen, kleinen Rossen: Hunnen, Avaren und Magyaren. Von Kreuzfahrern und Türkenheeren, von Zügen deutscher Bauern, die eine neue Heimat suchten, von aufblühenden Reichen am Strom und ihrem Vergehen, von Kämpfen gegen andringende Feinde und -4-
heißer Verteidigung der geliebten Heimat, von Freude und Leid der Menschen und von seltsamen Wesen und Ereignissen, an die unsere Vorväter glaubten, von all diesem bewahrt die Donau in ihrem Sagenschatz wunderbare Kunde. Hört zu, junge Fahrtgesellen, ein echter Dichter unserer Tage, den ihr vielleicht schon kennt und liebt, Max Stebich, erzählt sie euch. Julius Breitschopf Verleger
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DAS MUTESHEER IM SCHWARZWALD In den Rauhnächten zwischen dem Weihnachtsabend und dem Dreikönigstag braust über dem Schwarzwald das Mutesheer mit lautem Gejohle durch die Luft. Ein Warner eilt ihm voraus und ruft: „Aus dem We(g), aus dem We(g), daß niemand was g’scheh!“ Gleich hinter dem Warner stürmt auch schon auf einem schwarzen, schnaubenden Roß der leibhaftige Satan daher. Ihm folgt sein ganzes teuflisches Gesinde und ein schier endloser Schwarm kreischender Hexen, die auf Besen und Mistgabeln reiten. Eine Meute kläffender Hunde, pfauchender Katzen, krächzender Raben und grunzender Schweine jagt hinterdrein. So geht es hoch in den Lüften dahin, über Berge und Schluchten, über Felder und Wälder und Wiesen. Wehe dem nächtlichen Wanderer, der den Ruf des Warners mißachtet und sich nicht gleich mit abgewendetem Gesicht zu Boden wirft! Das wilde Heer reißt ihn mit sich fort und hetzt ihn zu Tode. Nur auf einem Friedhof, auf einer grausigen Richtstätte, im Bannkreis einer Ruine oder in einem verlassenen Haus läßt sich das Mutesheer nieder. Dort müssen die Hexen dem Teufel über ihr Tun und Treiben berichten, sie werden von ihm gelobt oder getadelt und erhalten neue Befehle zu bösen Taten. Dann wird gegessen, getrunken, musiziert und getanzt. Das Zechen und Lärmen dauert so lang, bis die Sterne am Himmel verblassen. Noch ehe der Morgen anbricht, jagt das Mutesheer durch die Lüfte wieder davon. Nun geschah es einmal, daß ein Handwerksbursch, der durch den Schwarzwald zog, gegen Abend zu einem einsam gelegenen Gehöft kam und um ein Lager für die Nacht bat. Der Bauer wies es ihm in einer leeren, -6-
halbverfallenen Scheune an. Der Bursch dankte ihm dafür, machte es sich in einem Winkel der Scheune bequem und schlief bald ein. Um Mitternacht aber weckten ihn laute Musik und ohrenbetäubender Lärm aus dem tiefen Schlaf. Er richtete sich auf und sah zu seinem Schrecken, daß die Scheune hell erleuchtet war und es in ihr von Teufeln und Hexen wimmelte. Mitten im Raum stand eine lange Tafel mit goldenem Geschirr und kristallenen Bechern. Auf dem vornehmsten Platz saß furchterregend und gebieterisch der Fürst der Hölle. An beiden Seiten des Tisches aber schmausten und tranken die kleineren Teufel und die Hexen um die Wette. Plötzlich hörte der Bursch, wie eine der häßlichen Hexen ihre Nachbarin fragte: „Könnten wir heute nicht noch etwas Besonderes tun?“ Die andere Hexe erwiderte grinsend: „Ich weiß ein neugeborenes Kind, das noch nicht getauft worden ist. Wir könnten es rauben und hierherbringen.“ Und schon standen sie heimlich von der Tafel auf, und jede griff nach ihrem Besen, den sie an eine Wand der Scheune gelehnt hatte. Dann ritten sie zur offenen Tür hinaus. Es dauerte nicht lange, da waren sie mit dem Kindlein auch schon wieder zurück. Sie zeigten es ihrem Herrn und Meister und der ganzen höllischen Gesellschaft. Dann wollten sie es töten. Als der Handwerksbursch hörte, was die Hexen mit dem armen Kind vorhatten, sprang er aus seinem Winkel und rief mit lauter Stimme: „Das verhüte Gott! Das verhüte Gott!“ Im selben Augenblick wurde es in der Scheune stockfinster, und die Teufel und Hexen stoben in die -7-
Nacht hinaus. Nur der Tisch stand noch da, und auf ihm lag, kläglich wimmernd, das geraubte Kind. Der Handwerksbursch nahm es gleich an sich, eilte damit ins Haus des Bauern und weckte ihn und sein Weib aus dem Schlaf. Als die beiden Leute hörten, was sich in ihrer Scheune zugetragen hatte, und sie auch das Kindchen sahen, waren sie starr vor Entsetzen.
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Da brach aber schon der neue Tag an, und nun wagten sie es, mit dem Burschen in die Scheune zu gehen. Dort fanden sie richtig noch den Tisch, an dem die Teufel und Hexen gesessen hatten, mit allem Geschirr darauf. Es bestand aber nicht aus Gold und Kristall, sondern aus faulem Holz und schmutzigen Pferdehufen. Statt der köstlichen Speisen lagen Kuhfladen und Pferdemist auf den hölzernen Tellern. Viele Tage vergingen, bis die braven Bauersleute die Mutter des geraubten Kindes fanden und ihr das Liebste, das sie auf Erden besaß, wieder in die Arme legen konnten. Das Mutesheer aber zeigte sich seit jener Nacht nie mehr in dieser Gegend.
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DER RIESE VON VILLINGEN Auf einer Hochebene des östlichen Schwarzwaldes liegt am Ufer der Brigach das Städtchen Villingen. Noch heute erinnern seine Tore daran, daß es einst von wehrhaften Mauern umgeben war. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde es zweimal von den Schweden belagert, doch jedesmal konnte es sich seiner Feinde erwehren. In einem der Häuser der Stadt lebte vor mehr als vierhundert Jahren ein Mann namens Romaius Mans. Er war nahe der Stadt, auf dem Käferberg, geboren worden. Obwohl seine Eltern nicht groß gewesen waren, wuchs ihr Sohn zu einem solchen Riesen heran, daß er den Villingern, die in den zweiten Stockwerken wohnten, von der Straße aus in die Stuben sehen konnte. Drei lange Pfauenfedern, die er auf dem Hut trug, ließen ihn noch größer erscheinen. So lang er war, so stark war er auch. Eines Tages hatte Romaius Mans auf einen ochsenbespannten Wagen zwei schwere Baumstämme geladen und wollte sie in die Stadt fahren. Aber sosehr sich die beiden Tiere auch plagten, sie brachten den Wagen nicht von der Stelle. Da packte Romaius die Ochsen, lud auch sie auf den Wagen, spannte sich selbst davor und zog die schwere Last, munter vor sich hin pfeifend, nach Hause. Romaius arbeitete aber nicht nur für ein Dutzend Männer, er aß auch für zwölf. Sooft er sich als erster an eine volle Schüssel setzte, die für das ganze Gesinde bestimmt war, blieb für alle anderen nichts mehr übrig. Da gab es oft Ärger, doch keiner wagte mit dem Villinger Samson anzubinden. Schließlich aber konnte sich der Bauer, bei dem er arbeitete, einen solchen Freßsack nicht - 10 -
mehr länger leisten, und er entließ ihn. Nun fand Romaius Mans keinen Dienstplatz mehr, und weil er Hunger litt, holte er sich seine Mahlzeiten aus dem Wald, indem er den Jagdherren die Böcke vor der Nase wegschoß. Allmählich wurde er zu einer Plage, deren sich - 11 -
niemand zu erwehren wußte. Aber das Blatt sollte sich wenden. Es kamen für Villingen schwere Jahre. Die Stadt war mit anderen Orten in Fehde geraten und brauchte starke, tapfere Männer. In ihrer Bedrängnis beschlossen die Stadtväter, Mans zum Anführer einer Schar Landsknechte zu machen. Romaius nahm das Anbot der Obrigkeit freudig an. Als er kurz darauf mit seinem Fähnlein vor dem benachbarten Rottweil lag, die Stadt sich ihm aber nicht ergeben wollte, da watete er einfach bei Nacht durch den Stadtgraben und kletterte auf der anderen Seite zum feindlichen Stadttor hinauf. Dort überwältigte er die Wache, drückte das Tor ein und hob mit einem gewaltigen Ruck die beiden Flügel aus den Angeln. Dann nahm er den einen Torflügel auf die linke Schulter, hängte den anderen mit der Eisenklinke an seinen rechten Mittelfinger und lief mit seiner Beute davon. Unterwegs nach Villingen hielt er auf einem Bühel einen Augenblick im Laufen inne, um zurückzuschauen, ob ihn die Rottweiler am Ende gar verfolgten. Weil er aber keine Menschenseele sah, ging er den Rest des Weges gemächlich dahin. Er brachte das schwere Stadttor von Rottweil als Trophäe in seine Vaterstadt und übergab es den Stadtvätern, die es zur Erinnerung an die Heldentat ihres Samsons in einen ihrer Türme einbauen ließen. Ein anderes Mal hob Romaius die schwere Glocke des Münsters zu Düningen aus dem Turm und trug auch sie drei Stunden weit als Beute nach Hause. Je höher das Ansehen des Villinger Riesen bei seinen Landsleuten, aber auch deren Furcht vor ihm stieg, desto übermütiger und kecker wurde er. Er spottete sogar über - 12 -
die Räte seiner Vaterstadt und weigerte sich, ihre Anordnungen zu befolgen. Um seinem Übermut nun ein für allemal ein Ende zu setzen, beschlossen die Räte der Stadt, Romaius Mans in den Michaelsturm zu sperren. Wie aber sollte der Riese dorthin gebracht werden? Freiwillig ging er gewiß nicht ins Gefängnis, und mit Gewalt war diesem Burschen nicht beizukommen. Da griff der Stadtrat zu einer List. Er gab Romaius den Auftrag, aus dem Verlies des Michaelsturms die schweren Ketten heraufzuholen, und versprach ihm dafür eine gute Belohnung. Völlig arglos stieg der Riese über eine lange Leiter in die Tiefe hinab. Kaum war er aber unten angelangt, da zogen auch schon ein paar Knechte die Leiter aus dem Verlies heraus, und Romaius war gefangen. Damit er jedoch nicht zu hungern brauche, ließen ihm die Stadtväter jeden Tag ein gebratenes Kälbchen oder ein Schaf hinunterwerfen. Romaius Mans war jedoch noch schlauer als die listigen Stadtherren. Er aß mit Vergnügen das gebratene Fleisch, steckte aber die abgenagten starken Knochen in die Ritzen und Löcher der Mauer, bis er auf ihnen wie auf einer Treppe emporsteigen konnte. Oben angekommen, durchstieß er die Decke des Verlieses, und nun kam er ganz leicht bis unter das Dach des Turmes. Hier fand er eine Menge Stroh, aus dem drehte er ein starkes Seil und befestigte es mit dem einen Ende an einem Balken. Das andere Ende warf er bei Nacht durch ein Mauerloch ins Freie, sodaß das Seil außen hinunterhing. Nun konnte er ganz leicht daran abwärtsklettern und entkommen. Um sich mit dem Rat wieder gutzustellen, beschloß Romaius Mans, seiner Vaterstadt einen besonderen - 13 -
Dienst zu erweisen. Er begab sich schnurstracks vor die Feste Kusenberg, deren Besitzer Villingen eben arg drangsalierte, und belagerte sie ganz allein, bis sie sich ihm ergab. Zum Lohn für diese Heldentat nahmen die Villinger ihren Riesen wieder in Gnaden auf. Als Romaius Mans schließlich ein alter Mann geworden war, gab ihm der Rat der Stadt eine schöne Pfründe im Heiligengeistspital. Dort lebte er still und zufrieden und sonnte sich im Ruhm seiner Taten bis zum Tode. Die Villinger nannten später den Michaelsturm, in dem Romaius Mans gefangen gewesen war, auch den „Romaiusturm“ und brachten ein Bildnis des Riesen an der Stadtmauer beim Oberen Tor an. Dort war es so lange als Wahrzeichen von Villingen zu sehen, bis die Mauern dem Wachsen der Stadt zum Opfer fielen. Auch eine Inschrift, die von seinem Leben berichtete, ist dabei verschwunden.
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DER EDLE MÖRINGER In Möringen an der Donau lebte vor Zeiten ein Ritter, der im ganzen Schwabenland in hohem Ansehen stand. Von seiner Burg auf dem Hügel konnte er weithin über den Strom und das Land schauen. Ringsum waren fruchtbare Felder und üppige Wiesen, herrliche Wälder, viele stattliche Gehöfte und eine Mühle am Ufer der Donau. Dies alles war sein Eigen. Möringers erste Gemahlin war bei der Geburt eines Töchterleins gestorben, und erst nach Jahren, als er schon nicht mehr jung war, dachte er daran, sich ein zweites Mal zu vermählen. Seine Wahl fiel auf das schönste Fräulein im ganzen Umkreis, auf die Tochter des verarmten Edelmannes von Hohenberg. Der Vater der Braut war froh, einen reichen Schwiegersohn zu bekommen, und fragte nicht viel danach, ob Agnes mit dem viel älteren Mann auch glücklich werden könne. Bald wurde mit großer Pracht Hochzeit gehalten, und Agnes zog als Herrin in die Burg zu Möringen ein. Sie wurde ihrem Gemahl eine brave Frau und seinem Töchterchen aus der ersten Ehe eine gute Mutter. Je länger sie mit ihrem Gatten beisammen lebte, desto mehr liebte und schätzte sie ihn. Eines Tages wurde der Ritter in einer Fehde so schwer verwundet, daß er lange Zeit zwischen Leben und Tod schwebte. Da gelobte er, wenn er wieder genese, als Kreuzfahrer ins Heilige Land zu ziehen. Und er genas. Als er sich wieder kräftig genug fühlte, traf er sogleich alle Vorkehrungen für die weite Pilgerfahrt, die ihn jahrelang von der Heimat fernhalten sollte. Er wollte aber seine junge Gattin und das Töchterchen nicht schutzlos zurücklassen. Deshalb rief er - 15 -
den greisen Schloßkastellan Harro zu sich und bat ihn, er möge die Herrin und das Schloßfräulein in seine Obhut nehmen. Der Kastellan erschrak darüber und erwiderte: „Edler Herr, für diese Aufgabe ist mein Arm schon zu schwach und mein Herz zu müde. Ich bitte Euch, betraut einen jüngeren mit diesem ehrenvollen Amt!“ Der Möringer mußte dem alten Kastellan rechtgeben und suchte sogleich nach einem anderen Edelmann, dem er Weib und Kind und Hab und Gut anvertrauen konnte. Er fand ihn auch bald in dem jungen Grafen von Neufen, der schon oft in der Burg Möringers zu Gast geweilt hatte. Der Junker nahm auch den ehrenden Auftrag an und versprach dem Ritter, ihm Frau und Kind und Hab und Gut aufs beste zu behüten. Damit war dem Möringer eine große Last vom Herzen genommen, und als er von seiner Gemahlin Abschied nahm, sagte er zu ihr: „Mein liebes Weib, wartet sieben Jahre auf mich. Wenn ich während dieser Zeit nicht zurückgekehrt bin, liege ich gewiß schon in fremder Erde begraben.“ Seine junge Frau versprach, es zu tun, und der Ritter zog fort. Ein Jahr um das andere verging. Der junge Graf von Neufen verwaltete alles Hab und Gut des Möringers und verteidigte es gegen jeden, der es an sich zu reißen versuchte. Der Schloßherrin und des jungen Mädchens aber, deren Hoffnung auf die Rückkehr des Gatten und Vaters immer geringer wurde, nahm er sich mit der Sorge und Güte eines Freundes an. Der Ritter Möringer war indessen nach Palästina gekommen, hatte allerlei Abenteuer rühmlich bestanden und bei der Eroberung Jerusalems durch die Christen als erster die Mauern der Heiligen Stadt erstiegen. Bald - 16 -
danach war aber im Heer der Kreuzritter eine gefährliche Seuche ausgebrochen, die auch ihn befiel. Nachdem er wieder genesen war, trat er die Heimfahrt an. Doch das Schiff, auf dem er sich befand, geriet in einen Sturm und strandete an der Küste Ägyptens. Mit vielen anderen fiel so der edle Möringer in die Gefangenschaft des Sultans, mußte wie ein Sklave schwere Arbeiten verrichten und hatte keine Aussicht, je wieder in die Heimat zu kommen. Eines Tages, als der Ritter von der Arbeit erschöpft eingeschlummert war, erschien ihm ein Engel und sprach: „Heute sind es gerade sieben Jahre her, daß du dein Schloß verließest. Die Frist, die du deiner Gemahlin gegeben hast, ist verstrichen. Schon morgen wird sie sich mit dem Grafen von Neufen vermählen!“ Kaum hatte der Engel diese Worte gesprochen, da war er wieder verschwunden. Der Ritter erwachte, aber er zweifelte nicht an der Wahrheit der seltsamen Botschaft und flehte zu Gott um Hilfe. Darauf sank er wieder in einen wundersamen, tiefen Schlaf. Als er die Augen abermals aufschlug, lag er in einem zerschlissenen Pilgerkleid am Ufer der Donau. Vor ihm ragte seine Burg in die letzten goldenen Strahlen der untergehenden Sonne empor. Mit einem Freudenschrei sprang er auf und dankte Gott, daß er ihn auf so wunderbare Weise heimkehren ließ. Dann ging er in seine Mühle am Ufer der Donau und bat um Speise und Trank. Der Müller erkannte seinen Herrn nicht wieder, gab ihm aber gleich zu essen und zu trinken und setzte sich zu ihm an den Tisch. Als ihn der Ritter fragte, was man denn im Schloß und unter den Leuten über den alten - 17 -
Möringer erzähle, da meinte der Müller: „Der ist gewiß im Heiligen Land ums Leben gekommen. Seine Frau wartete sieben Jahre auf ihn, aber jetzt hat sie sich doch entschlossen, noch einmal zu heiraten. Der große Besitz verlangt einen Herrn.“ Nun wollte der Möringer noch mehr wissen und fragte: „Wen heiratet sie denn, und wann soll die Hochzeit sein?“ Da erzählte der Müller, daß der junge Graf von Neufen als Herr in die Burg einziehen werde und daß man soeben oben in der Burg den Vorabend der Hochzeit feiere. Der Möringer hörte traurig zu. Dann dankte er dem Müller für die gewährte Rast und stieg zur Burg hinauf. Dort pochte er ans Tor und bat den Wächter, der ihm öffnete: „Sag deiner Herrin, ein müder Pilger aus dem Heiligen Land bitte sie um der Seele des edlen Möringers willen, ihm für heute nacht Herberge zu gewähren!“ Der Torwart eilte zur Burgfrau, die eben in großer Gesellschaft mit ihrem Bräutigam an der Tafel saß, und meldete ihr den späten Gast. Agnes befahl sogleich, den Pilger in die Burg einzulassen, ihm Speise und Trank zu geben und ihm ein Lager zu richten. Nun kehrte der Wächter zu dem vermeintlichen Pilger zurück und ließ ihn ein. Im Burghof sank der Alte müde und schwach auf eine der steinernen Bänke, die da standen. Aus den Fenstern des Rittersaales drangen fröhliches Stimmengewirr und festlicher Kerzenschimmer in die Nacht hinaus. So hatte sich der Burgherr seine Heimkehr wahrlich nicht vorgestellt! Plötzlich wurde Agnes von einer seltsamen Unruhe
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erfaßt. Sie wandte sich an ihren Bräutigam und sagte zu ihm: „Laßt doch den Pilger zu uns in den Saal holen. Als mein Gemahl noch lebte, war es Brauch, daß jeder, der bei ihm Herberge suchte, ein Lied zum besten gab. Vielleicht weiß auch dieser Fremde uns etwas vorzusingen!“ „Wenn es früher auf Eurer Burg so Brauch gewesen - 19 -
ist“, entgegnete der Bräutigam, „dann wollen wir es auch weiter so halten.“ Und er befahl einem Diener, den Pilger in den Saal zu führen. Der Alte trat ein. Er senkte den Blick, als blendete ihn das helle Kerzenlicht. Agnes ließ ihm eine Laute reichen und bat ihn, ein Lied zu singen. Er aber erwiderte: „Ich weiß nur ein einziges Lied, das hat mir ein Ritter im Heiligen Lande vorgesungen, es ist jedoch zu traurig für dieses fröhliche Fest.“ „Sing es trotzdem!“ sagte Agnes, und alle andern wünschten es auch. Da griff der greise Pilger in die Saiten und besang sein eigenes Schicksal. Als er mit dem Liede zu Ende war, erfüllte bedrücktes Schweigen den Raum. Die Augen der Burgfrau standen voller Tränen. Sie griff nach einem goldenen Becher, hieß den Mundschenk, ihn mit Wein zu füllen und dem Sänger zu reichen. Der aber zog seinen Trauring vom Finger und ließ ihn unbemerkt in den Becher fallen. Dann bat er den Mundschenk: „Trage den Becher wieder zu deiner Herrin. Ich lasse sie bitten, zuerst daraus zu trinken!“ Und Agnes erfüllte diesen Wunsch. Kaum aber hatte sie den Becher an die Lippen gesetzt und ein wenig vom Weine getrunken, da erblickte sie am Grunde des Bechers den goldenen Ring. Sie holte ihn heraus und erkannte in ihm den Ring ihres Gemahls. In höchster Erregung sprang sie vom Stuhle auf und rief: „Das ist der Ehering meines Herrn! Das ist des Möringers Ring. Er ist hier! Er ist hier!“ Und sie eilte auf den Pilger zu, erkannte ihn, fiel vor ihm auf die Knie und schluchzte: „O mein Gemahl! Daß Ihr nur wieder gekommen seid! Gott ist mein Zeuge, daß ich Euch keinen Augenblick vergessen habe oder - 20 -
leichtfertig gewesen bin! Ich liebe Euch noch immer.“ Als sie aber Zweifel im Antlitz ihres Gatten bemerkte, bat sie demütig: „Glaubt mir doch! Wenn Ihr mich aber für schuldig findet, dann laßt mich einmauern, damit ich büße!“ Nun trat auch der junge Neufen vor den heimgekehrten Möringer hin und sagte: „Wenn Ihr glaubt, daß ich Eures Vertrauens unwürdig war, dann nehmt mein Haupt zur Sühne!“ Der Möringer blickte die beiden lange wortlos an, dann sagte er: „Gott hat mich auf wunderbare Weise wieder heimgebracht. Ich will ihm dafür dankbar sein und über euch nicht Gericht halten.“ Dann wandte er sich Agnes zu und sprach: „Ich bin ein alter Mann! Wenn Ihr nicht mehr bei mir bleiben wollt, geb’ ich Euch frei. Wollt Ihr aber bleiben, dann sollt Ihr es keine Stunde bereuen!“ Kaum hatte er dies gesagt, da fiel ihm Agnes schluchzend an die Brust, und nun wußte er, daß sie nur ihn liebe und bei ihm bleiben wolle. Inzwischen hatte der alte Schloßkastellan auch das Töchterchen des Ritters in den Saal geholt, überglücklich begrüßte es den heimgekehrten Vater, der es voll Stolz betrachtete und sich nicht genug wundern konnte, wie groß und schön es während seiner Abwesenheit von der Burg geworden war. Schließlich nahm er es an der Hand, führte es dem jungen Neufen zu und sagte: „Junker, Ihr habt viele Gäste zur Hochzeit eingeladen. Ich glaube, wir sollten sie nicht enttäuscht nach Hause gehen lassen. Nehmt meine Tochter zur Frau! Ich hoffe, euch beide glücklich zu machen!“ Da erfüllte lauter Jubel den Saal, die Pfeifer spielten und die Becher kreisten. Sooft aber der edle Möringer an - 21 -
diesem Abend in die leuchtenden Augen des jungen Paares blickte, wußte er, daß er richtig gehandelt hatte.
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DAS KISTENMÄNNLEIN Tuttlingen, die gewerbefleißige Stadt vor der ersten Donauenge, hat schon viel Schweres erduldet. Die Glaubenskämpfe während der Reformation, jahrelange heftige Kriege und verheerende Brände haben ihr viel Ungemach zugefügt. Aber ihre günstige Lage an der Vereinigung von fünf Tälern und der Fleiß ihrer tüchtigen Bewohner haben sie nach jedem Schicksalsschlag wieder aufs neue erblühen lassen. Von einem Hügel über der Stadt blickt die Ruine Honberg wie ein uralter Wächter weithin ins Land. Vor vielen, vielen Jahren, als sie noch eine mächtige, mauerumgürtete Feste gewesen war, hauste auf ihr ein hartherziger Vogt, der nichts anderes im Sinne hatte, als recht viel Geld zusammenzuscharren. Er empfand niemals Mitleid mit seinen zinspflichtigen Bauern und bestand auch in Zeiten bitterster Not darauf, daß sie ihre Abgaben pünktlich entrichteten. Wer das nicht tat, wurde in den Schuldturm geworfen und mußte dort so lange bleiben, bis ihn ein anderer auslöste. Geschah dies aber nicht, dann ließ ihn der Vogt im Turm jämmerlich zugrunde gehen. Es bekümmerte den Vogt wenig, wenn er die Gefangenen vor Qualen stöhnen und wimmern hörte. Er raffte gierig Goldstück auf Goldstück zusammen und warf sie jedesmal zu seinem heimlichen Schatz, den er in einer Kiste im untersten Turmverlies versteckt hielt. Oft schlich er mitten in der Nacht, wenn im Schloß schon alle schliefen, durch einen geheimen Gang zur Eisentür des Verlieses, die nur von außen zu öffnen war, er sperrte sie auf, eilte zur Schatzkiste, hob den Deckel und ließ die vielen Goldstücke so lange durch die habgierigen Finger - 23 -
gleiten, bis er davon müde wurde. Dann erst kehrte er in sein Schlafgemach zurück. Einmal aber, als er wieder in das unterste Verlies schlich, drang ihm durch die offene Tür aus dem anstoßenden Schuldturm das markerschütternde Stöhnen und Jammern der Eingekerkerten unliebsam ans Ohr. Das ärgerte ihn so, daß er die Tür des Verlieses hinter sich zuwarf, um nichts zu hören. Jetzt vernahm er das Wehklagen nicht mehr, und er konnte sich ungestört der Freude an seinen Schätzen hingeben.
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Nachdem er lang genug in dem vielen Gold gewühlt hatte, wollte er in sein Schlafgemach zurückkehren. Die schwere Eisentür war aber geschlossen, und von innen vermochte er sie nicht zu öffnen. Er schlug mit seinen Fäusten daran, bis sie bluteten, er rief um Hilfe, bis ihm die Stimme versagte – doch niemand hörte ihn. So mußte der Burgvogt von Honberg gleich seinen Gefangenen Hungers sterben. Zur Strafe für seine Untaten und seine Habgier fand er aber auch im Tod keinen Frieden. In allen hellen Mondnächten wandert sein Geist mit der Schatzkiste auf dem Rücken zwischen den Trümmern des einstigen Schlosses umher. Dabei hält er Ausschau nach einem Armen, dem er das Gold schenken könnte. Es muß aber einer sein, der schuldlos in Not geraten ist. Erst wenn der Geist des Honberger Vogtes die Kiste losgeworden, kann er zur ewigen Ruhe eingehen. Bis heute hat es aber noch niemand gewagt, ihm zu begegnen, und so ist das Kistenmännlein noch immer nicht erlöst worden.
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DER LAPP VON WILDENSTEIN Wie ein Geierhorst blickt Wildenstein, die alte Trutzburg, über Wald und Fels hinaus ins Donautal. Im fünfzehnten Jahrhundert kam sie in den Besitz des gutmütigen und fröhlichen Johannes von Zimmern. Die Bauern ringsum nannten ihn insgeheim nur den „Lapp“, weil er immer voll schrulliger Einfälle steckte und sich vieles bieten ließ, ohne darüber böse zu werden. Da erfuhren einmal die Bauern von Wittersdorf, daß der Lapp an ihrem Dorf vorbeikommen werde. Um sich nun einen rechten Spaß mit ihm zu machen, setzten sie sich auf einer Wiese am Straßenrand im Kreise nieder und verschränkten ihre Beine fest ineinander. Als gleich darauf der Graf des Weges kam, fingen sie an, miteinander zu streiten und riefen um Hilfe. Der Burgherr von Wildenstein eilte auf sie zu und fragte: „Was ist denn hier los?“ „Ach, Herr Graf“, jammerten sie, „wir hielten hier Rast und haben dabei aus Versehen unsere Beine durcheinandergebracht. Jetzt, da wir aufstehen und heimgehen wollen, kann keiner mehr die seinen finden.“ Johannes von Zimmern, der zwar fröhlich und gutmütig, aber nicht dumm war, wußte sogleich, daß ihn die Bauern zum besten halten wollten. Er tat jedoch so, als hielte er ihren Spaß für Ernst, betrachtete immer wieder kopfschüttelnd die vielen verschränkten Beine und fragte dann: „Was gebt ihr mir, wenn ich euch helfe, sie wieder zu finden?“ „Jedes Jahr einen Sack Korn!“ rief einer der Bauern, und die anderen stimmten ihm zu. „Es gilt!“ rief der Burgherr, und schon schwang er seinen derben Haselstecken und schlug damit kräftig auf - 26 -
die Beine der Bauern los. Jetzt hatte ein jeder im Nu die eigenen Beine wiedergefunden und sprang schleunigst vom Boden auf. Nun mußten sich die Bauern für die Hilfe, die ihnen zuteil geworden war, auch noch bedanken und auf der Stelle eine Urkunde über die jährliche Kornabgabe ausstellen und unterschreiben. Als sie dann wieder heimgingen, wußten sie nicht recht, wer denn eigentlich angeführt worden war, sie oder der „Lapp“. Sie trösteten sich aber damit, daß ein Sack Korn ja ohnedies nicht viel sei. Den Grafen von Zimmern verdroß es jedoch, daß sich die Bauern solche Späße mit ihm erlaubten. Er beschloß, sie dafür zu bestrafen, und als die Ernte eingebracht worden war, schickte er seinen Vogt mit einem riesigen Sack, den er eigens hatte anfertigen lassen, nach Wittersdorf, damit die Bauern ihre Verpflichtung halten und ihn mit Korn füllen sollten. Jetzt verging ihnen freilich das Lachen, denn sie fürchteten, daß sie nun jedes Jahr einen solchen Riesensack voll Korn abführen müßten. Sie setzten sich noch am selben Abend im Wirtshaus zusammen und hielten Rat, wie sie den Schaden hereinbringen könnten. Endlich glaubten sie, es zu wissen. Schon am nächsten Tag gingen sie zum Grafen und sagten zu ihm: „Wir wollen in unserem Dorf ein neues Haus bauen, dazu bräuchten wir aber den Stamm eines besonders großen Baumes. Erlaubt uns, Herr, daß wir einen solchen in Eurem Walde fällen! Der „Lapp“ war damit einverstanden, und die Bauern zogen schmunzelnd und zufrieden ab. Nicht lange danach gingen sie in den gräflichen Forst und fällten mitten drinnen den mächtigsten Baumriesen. Dann sandten sie - 27 -
einen Boten ins Schloß. „Was führt dich zu mir?“ fragte ihn Johannes von Zimmern. Der Bote erwiderte: „Ich komme aus Wittersdorf. Die Bauern lassen Euch sagen, daß sie den Baum nicht aus dem Wald ziehen können, wenn sie nicht auch den Weg dafür ausholzen dürfen. Sie bitten Euch, es zu gestatten.“ „Gut, gut“, erwiderte der „Lapp“, „das mögen sie ruhig tun!“ Auf diese Antwort aber hatten die Bauern nur gewartet. Sie legten nun den Waldriesen quer auf den Wagen und fällten rechts und links alle Bäume, die der Fuhre im Wege standen. Das gab einen ganzen Wald gefällter Bäume. Als der „Lapp“ hörte, wie ihn die Bauern hineingelegt hatten, da zürnte er ihnen so sehr, daß sie heillose Angst vor ihm bekamen und alles taten, um ihn so rasch als möglich wieder zu versöhnen.
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DIE ULMER SPATZEN Das schönste und edelste Bauwerk von Ulm ist das Münster mit dem höchsten Kirchturm der Welt. Er ragt hundertzweiundsechzig Meter empor und gleicht einem gewaltigen Finger, der gegen den Himmel weist. Als im Jahre 1377 der Grundstein zu dem Gotteshaus gelegt wurde, setzten die Bürger der Stadt ihren Ehrgeiz darein, die Kirche ganz allein und außerdem so hoch und prächtig zu bauen, wie keine andere Stadt eine habe. Voller Begeisterung gingen sie an ihr Werk. Wer nicht Gold und Silber zur Deckung der ungeheuren Kosten geben konnte, der fuhr Sand und Steine herbei oder versuchte sich auf eine andere Art nützlich zu machen. Unzählige Bildwerke und steinerne Zieraten schmücken den Dom. Darunter ist auch ein in Stein gebildetes Spätzlein zu sehen, das einen Halm der Länge nach in sein Nest schiebt. Damit hat es folgende Bewandtnis: Als die Ulmer mit dem Bau des Münsters begannen, benötigten sie auch Holz für die Gerüste. So zog denn eine Schar Zimmerleute vor das Stadttor, um im nahen Wald Bäume zu fällen und zu behauen. Es dauerte nicht lang, da war der erste gewaltige Balken fertig. Sechs Männer nahmen ihn auf ihre Schultern. Um sicherer zu gehen, trugen sie ihn nicht der Länge, sondern der Breite nach. Hinter ihnen schritten sechs andere, die die ersten ablösen sollten, wenn sie müde geworden waren. Alles ging gut, bis die biederen Schwaben zur Stadtmauer kamen, denn jetzt zeigte es sich, daß das Tor viel zu schmal war, als daß sie den Balken der Breite nach hätten hindurchbringen können. Darüber waren die zwölf Männer sehr betroffen und berieten, wie sie ihn - 29 -
doch noch durch das enge Tor tragen könnten. „Wir sollten ein Stück absägen“, sagte einer der Männer. „Dann ist er aber zu kurz für den Bau“, meinte ein zweiter. „Am besten wäre es, das Tor wegzurücken“, sprach ein dritter. Dieser Vorschlag gefiel allen so gut, daß sie gleich darangingen, ihn auszuführen. Aber das Tor rührte sich nicht von der Stelle. Nun wußte ein vierter einen neuen Rat. „Es wird uns nichts anderes übrigbleiben“, sagte er, „als rechts und links von der Mauer soviel niederzureißen, daß der Balken hindurchgeht!“ „Das dürfen wir aber nicht, ohne den Rat der Stadt zu - 30 -
befragen“, warf ängstlich ein fünfter ein. Ein sechster erwiderte ihm jedoch: „Das geht auch nicht, denn bis der Rat der Stadt zusammentritt und darüber beschließt, können Wochen vergehen. Sollen wir hier mit dem Balken so lange stehenbleiben?“ Nun waren sie ganz ratlos. Während sie so berieten, wie sie den Balken in die Stadt bringen könnten, hatte sich eine Menge Bürger um sie versammelt und hörte ihnen verdutzt zu. Auch ein kleiner Bub war darunter, der schaute wie alle andern auf das viel zu schmale Stadttor. Plötzlich aber rief er: „Seht doch das Spätzlein dort oben!“ Und als die Bürger in die Richtung blickten, in die der Knabe wies, sahen sie einen Spatzen, der eben einen langen Strohhalm in sein Nest tragen wollte. Weil er ihn aber der Quere nach geradesowenig durch das kleine Loch brachte wie die Ulmer ihren Balken durch das Stadttor, schob der kluge Spatz seinen Halm der Länge nach hinein. Und nun ging es auf einmal ganz leicht. „Macht es doch auch so!“ rief das Büblein den verblüfften Zimmerleuten zu – und damit war die Lösung gefunden. Nun nahmen gleich die zweiten sechs Männer den Balken der Länge nach auf die Schultern und brachten ihn mit Leichtigkeit durch das enge Tor und auf den Bauplatz. Von dieser Stunde an werden alle Balken nur so befördert. Das Spätzle aber, das die Ulmer auf diesen guten Gedanken gebracht hatte, erhielt an dem fertigen Münster ein ehrendes und bleibendes Abbild. Die biederen Ulmer jedoch werden seitdem spottweise „Spatzen“ genannt. Und das hören sie gar nicht gern.
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DIE INSCHRIFT Einmal im Winter fror die Donau bei Gundelfingen, Offingen und Leipheim so fest zu, daß Fuhrleute sogar mit Roß und schwerbeladenem Wagen von einem Ufer zum andern über das Eis fahren konnten. Weil dies jedoch seit Menschengedenken nicht vorgekommen war, feierten die Bürger von Leipheim dieses Ereignis durch ein besonderes Fest. Mitten im fröhlichsten Tun und Treiben aber fragte plötzlich einer von ihnen: „Was könnten wir tun, um auch noch unseren Nachfahren von diesem seltenen Ereignis zu berichten?“ Der Bürgermeister wußte sogleich Rat und sagte: „Wir sollten es in einer Inschrift verewigen.“ „Das ist ein großartiger Gedanke!“ riefen ihm die meisten zu. „Wo aber könnten wir diese Inschrift am besten anbringen?“ Darüber begann nun ein längerer Streit. Der Gemeindeschreiber meinte: „Am besten an der Kirchenmauer, gleich neben dem Portal.“ Dieser Platz aber paßte einigen frommen Bürgern nicht. Sie fanden, daß es besser wäre, die Mauer des Rathauses damit zu zieren. Auch einer von den alten Schiffsleuten erhob seine Stimme: „Wenn die Schrift daran erinnern soll, daß die Donau zugefroren war, dann sollte man die Tafel doch an der Ufermauer befestigen!“ Aber auch dieser recht vernünftige Vorschlag fand nicht die Zustimmung aller. Nachdem über den besten Platz für die Erinnerungstafel noch eine Weile hin und her beraten worden war und die Köpfe sich darüber schon ordentlich - 32 -
erhitzt hatten, ergriff der Bürgermeister noch einmal das Wort: „Es gibt nur einen einzigen Platz dafür“, sagte er überzeugt, „und zwar die Donau selbst! Wir müssen die Inschrift in das Eis meißeln lassen!“ Da waren die Leipheimer alle froh über diesen Rat und stolz auf ihren Ältesten. Sie schämten sich nur, daß nicht schon früher einer von ihnen auf diesen Gedanken gekommen war. Gleich am nächsten Tag wurde der Vorschlag des Bürgermeisters verwirklicht. Ein Steinmetz schlug mit seinem Spitzhammer den vom Gemeinderat verfaßten Vers in das Eis: Laßt uns zum ew’gen Angedenken der Nachwelt diese Urkund’ schenken, damit sie niemals vergesse das Jahr, in dem die Donau zur Gänze zugefroren war. Als der Steinmetz mit der Arbeit fertig war, kamen die Leipheimer mit ihren Frauen und Kindern herbeigeströmt und betrachteten voll Stolz das gelungene Kunstwerk. - 33 -
Von diesem Tage an wußten sie es auch immer so einzurichten, daß sie auf ihren Wegen und Fahrten an der Inschrift im Eise vorbeikamen und sie bewundern konnten. Bald wehte aber ein warmer Wind, und das Eis auf der Donau begann zu springen und in Schollen stromabwärts zu treiben. Jetzt standen die Leipheimer freilich ganz traurig da und sahen zu, wie die für die Nachwelt so wichtige Urkunde dahinschwand. Sie ist auch nie wieder gefunden worden. Die Leipheimer aber wurden seitdem die „Spitzhämmer“ genannt, und dieser Spottname ist ihnen bis heute geblieben.
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DAS SELTSAME GASTMAHL Der berühmteste Sohn der Stadt Lauingen an der Donau ist Albertus Magnus. Er war ein Dominikanermönch von großer Gelehrtheit, reiste viel in der Welt herum und wurde schließlich Bischof von Regensburg. Bei seinen Zeitgenossen galt er auch als Zauberer und frommer Wundertäter. Sowohl bei Hofe als auch von seinem Volke war er gern gesehen, und viele Lieder, Balladen und Sagen verherrlichen ihn. Im Winter des Jahres 1248 lud Albertus Magnus den deutschen König Wilhelm und sein Gefolge für den Dreikönigstag ins Kölner Dominikanerkloster zu einem Mahl ein. Der König war darüber sehr erstaunt und meinte: „Wir kämen ja gern zu dir, wie aber kannst du uns alle unterbringen? Deine Zelle ist doch viel zu klein, und auch der Klostersaal faßt nicht die vielen Gäste!“ „Laßt das ruhig meine Sorge sein, Herr“, erwiderte Albertus, „kommt nur, es wird Euch gewiß nicht reuen!“ Der König nahm die Einladung an, sagte aber lachend zu seinen Begleitern: „Das wird ein seltsames Gastmahl werden! Ich glaube, wir haben ein solches noch nie erlebt!“ Als dann der Dreikönigstag gekommen war, riet der König seinem Gefolge: „Zieht euch nur ja recht warm an, ich fürchte, wir werden unsere Pelze brauchen!“ Im dichtesten Schneetreiben machten sie sich auf den Weg. Er führte sie über vereiste Flüsse und Bäche und über verwehte Pfade, auf denen die Pferde nur mühsam weiterkamen. Erst nach einigen Stunden erreichten sie das Dominikanerkloster. Albertus Magnus erwartete mit fünfzig Klosterschülern seine hohen Gäste vor dem Tor und hieß - 35 -
sie herzlich willkommen. Die Knaben versorgten die Pferde, Albertus Magnus aber führte die Herren durch viele dunkle Gänge und öffnete schließlich eine kleine Pforte. Durch sie traten der König und sein Gefolge erstaunt in einen verschneiten Garten, in dessen Mitte eine große, gedeckte Tafel stand. „Nehmt Platz, werte Herren!“ lud Albertus seine Gäste ein. Die hohen Herren sahen einander an, und einer murrte: »Hier? Mitten im Schnee und eisigen Wind? Da möge der Teufel speisen!“ Weil aber der König ruhig blieb und sich gleich an die Tafel setzte, mußten es auch alle anderen tun. Als endlich die ganze Gesellschaft Platz genommen hatte, sprach Albertus Magnus: „Edle Herren! Es gereicht mir zur Ehre, Euch hier als meine Gäste begrüßen zu dürfen. Ich sehe es Euch aber an, daß Ihr von diesem Ort nicht sehr erbaut seid. Ihr würdet gewiß lieber unter Blüten als unter verschneiten Bäumen sitzen. Nun, ich will Euch diesen geheimen Wunsch erfüllen!“ Und er hob einen Krug Wein vom Tisch, ging damit um die Tafel herum und goß dabei den Wein in weitem Umkreis in den verschneiten Garten. Da schmolz sogleich der Schnee, und ein prächtiger grüner Rasen kam hervor. Der grauverhangene Himmel hellte sich auf, und die Sonne strahlte warm und golden hernieder. Die Bäume schüttelten ihre Schneelast ab und bedeckten sich mit Knospen, Blüten und Blättern. Der Springbrunnen erwachte aus seiner Erstarrung und warf glitzernde Wasserstrahlen empor. Aus ungezählten Vogelkehlchen ertönte frohes Gezwitscher und Geträller. Die Gäste waren darüber so verwundert, daß sie kein Wort hervorbrachten. - 36 -
Da sagte Albertus Magnus: „Nun, edle Herren, legt Eure Pelze ab und laßt Euch die Speisen und den Trunk köstlich munden!“ Er winkte, und schon kam eine große Anzahl prächtig gekleideter, zierlicher Diener gelaufen und brachte volle Schüsseln und Krüge. Jetzt erst löste sich die schweigende Verwunderung, und der König sprach: „Was wir hier sehen, ist nicht zu fassen! Wir wollen uns aber trotzdem des Wunders freuen und die schönen Stunden genießen. Laßt uns dem freundlichen Gastgeber danken für das seltsame Gastmahl!“ Und er griff nach seinem vollen Becher und trank Albertus Magnus zu. Die hohen Herren seiner Begleitung folgten freudig dem Beispiel ihres Königs, und dann ging es ans Essen und Trinken unter den blühenden Bäumen. Erst als die Sonne sank, erhob sich König Wilhelm von der Tafel. Im selben Augenblick aber verschwanden die Blätter und Blüten, die Bäume und der Rasen waren wieder verschneit, und alles Leben in der Natur war erloschen. Auch die zierlichen Diener waren verschwunden. Nun schlüpften der König und die übrigen Gäste wieder in ihre Mäntel, um heimzukehren. Albertus Magnus begleitete sie bis vor das Klostertor. Draußen lag, so wie zuvor, kniehoher Schnee, und der Wind pfiff eisig über die Fluren. Als die Herren ihre Pferde bestiegen hatten, sagte der König zu Albertus Magnus: „Du hast uns in den engen Klostermauern einen goldenen Frühlingstag und ein seltsames Gastmahl erleben lassen. Zum Danke dafür will ich dir und dem Kloster eines meiner schönsten Güter samt Land und Leuten schenken. Sorge dafür, daß auch bei ihnen das ganze Jahr über Frühling ist!“ - 37 -
Albertus verbeugte sich lächelnd und erwiderte: „Für das, was ich Euch heute geboten habe, will ich keine Belohnung. Ich nützte nur die Macht, die mir gegeben ist, zu Eurer Freude und Ehre! Was aber die Jahreszeiten betrifft, so folgen sie weisen Gesetzen, die ein Höherer erlassen hat und die ich nicht ändern möchte, selbst wenn ich es könnte!“ Der König nickte lächelnd dazu und ritt mit seinem Gefolge durch das dichte Flockentreiben davon.
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DAS NEUNUHRGLÖCKLEIN Vor langer Zeit verirrte sich einmal ein braver Mann aus Dillingen weit außerhalb des Ortes im winterlichen Schneesturm. Seine Füße sanken immer tiefer in den Schnee, und schließlich war er so erschöpft, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. In Dillingen aber warteten seine Frau und seine Kinder auf ihn. Dieser Gedanke gab dem Verirrten neue Kraft, er stapfte Schritt für Schritt weiter, brach dabei immer wieder im tiefen Schnee ein, arbeitete sich wieder heraus und suchte und suchte, ob er nicht doch noch den richtigen Weg finden könnte. Als aber der Abend hereinbrach, verließ den Umherirrenden die letzte Hoffnung, denn nun war er schon so müde, daß ihn fast der Schlaf überwältigte. Doch das wäre in dem eisigen Schneesturm sein sicherer Tod gewesen. In dieser höchsten Not flehte der Mann laut zu Gott: „Laß mich doch hier nicht umkommen, Herr! Sei mir gnädig und zeige mir den Weg nach Hause!“ Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, da hörte er ganz deutlich in der Ferne ein helles Kirchenglöcklein läuten. Er deutete es als die Stimme Gottes, faßte neue Kraft und neue Hoffnung, raffte sich noch einmal auf und stapfte nun in der Richtung weiter, aus der die Glockentöne kamen. Je länger er ging, desto lauter hörte er sie. Und dann sah er plötzlich noch weit vor sich viele Lichter und eine Weile später auch schon die dunklen Umrisse von Häusern und Türmen, es war Dillingen! Im selben Augenblick, als er wußte, daß er gerettet sei, verstummte die Glockenstimme. Und nun dauerte es nicht mehr lange, bis er daheim war. - 39 -
Als der Mann völlig durchfroren und erschöpft in seine Stube trat, wurde er von seiner Frau und seinen Kindern, die sich schon sehr um ihn geängstigt hatten, mit Tränen in den Augen begrüßt. Es dauerte lange, bis er ihnen von seinem Erlebnis und der Glocke erzählen konnte, deren Klang ihn gerettet hatte. Darüber war seine Frau sehr verwundert. „Welche Glocke?“ fragte sie ihn. „In Dillingen wird doch so spät keine Glocke geläutet!“ „Ich hörte sie aber“, beteuerte ihr Mann, „ich hörte sie so lange, bis ich die Häuser der Stadt sehen konnte.“
Am nächsten Morgen fragte er den Mesner, ob er noch spät am Abend die Glocke geläutet habe. Aber auch der Mesner schüttelte verwundert den Kopf. Und da auch sonst in ganz Dillingen kein Mensch das späte Glockenläuten gehört hatte, erkannte der Mann, daß ein Wunder an ihm geschehen war. Nun spendete er zum Dank für seine Errettung dem Dillinger Gotteshaus eine große Summe Geldes und - 40 -
knüpfte daran die Bitte, daß fürderhin während des Winters jeden Abend um neun Uhr eine Glocke geläutet werden möge. Ihr Klang sollte allen verirrten und späten Wanderern sicher den Weg in die Stadt weisen. Dies geschah auch viele Jahrzehnte hindurch. Und die Bürger von Dillingen wußten, daß sie sich auf ihr Neunuhrglöcklein verlassen konnten.
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DAS ABENTEUER DES SPIELMANNS Das „Donaumoos“ am rechten Ufer der schwäbischen Donau ist heute saftiges Wiesenland. Vor vielen Jahren aber, als der Strom noch ungebändigt immer wieder aus seinem Bette stieg und weite Gebiete überschwemmte, da war das Donaumoos ein einziger großer Sumpf, über dem oft dicke Nebel brauten und in den Nächten Irrlichter huschten. Die Leute sagten verängstigt: „Dort spukt es“, und wichen ihm in weitem Bogen aus. Einmal verirrte sich ein alter Spielmann in dieser Gegend. Er wollte heimgehen, war aber im dichten Nebel und in der Dunkelheit immer weiter in die Nähe des Moors geraten. Als er schon nicht mehr wußte, wohin er die Schritte lenken sollte, vernahm er ein Gewirr von Stimmen und lautes Lachen. Jetzt atmete er erleichtert auf, denn er sagte sich: „So bin ich also doch nicht in die Irre gegangen. Wo lustige Leute beisammen sind, da gehöre ich hin!“ Und er ging stracks auf den Lärm zu. Kaum war er einige Schritte gegangen, da erhellte ein Licht den Nebel, und wieder wenige Schritte weiter, da sah er auch schon viele vornehme Herren und Damen in loderndem Fackelschein an einer festlich gedeckten Tafel sitzen und üppig zechen und schmausen. Dem Spielmann lief das Wasser im Munde zusammen. Ohne sich lang zu besinnen, trat er an die Tafelgesellschaft heran, verbeugte sich und fragte höflich: „Edle Damen und Herren, darf ich euch vielleicht zum Tanz aufspielen?“ „Ja, ja!“ riefen alle und klatschten vergnügt in die Hände. „Fiedle nur, wir wollen dazu tanzen!“ Kaum hatte der Alte zu fiedeln begonnen, da erhob sich ein stattlicher Herr mit feuerroter Perücke und bat - 42 -
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eine zierliche Dame zum Tanz. Der Alte geigte, so gut er konnte, und bald drehte sich die ganze Gesellschaft im Kreise. „Spiel doch schneller, viel schneller!“ riefen ihm die Tanzenden zu, und er tat es. Schließlich wirbelten die Paare so wild auf dem Platz umher wie der Staub im Winde. Erst als der Alte erschöpft seine Geige sinken ließ, hielten sie im Tanzen inne und kehrten an die Tafel zurück. Der Herr mit der roten Perücke aber trat auf den Musikanten zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Du hast deine Sache gut gemacht. Komm mit mir und hol dir deinen Lohn!“ Und er führte den Spielmann zu der reichgedeckten Tafel. Dort bekam er Torten- und Bratenstücke, einen Berg Dukaten und herrliche Edelsteine. Er stopfte sein Ränzel damit voll und war über diesen unerwarteten Lohn so glücklich, daß er zuerst kein Wort über die Lippen brachte. Dann aber rief er in überquellender Freude: „Gott lohn es euch, meine Herren und Damen! Gott lohn es euch tausendmal!“ Im selben Augenblick erbebte die Erde, die Tafel sank in die Tiefe, die Fackeln erloschen und rote Flammen loderten ringsum auf. Die vornehmen Herren und Damen wurden zu Teufeln und Hexen und stürzten durch die Flammen davon, hinein in den nächtlichen Sumpf. Der alte Spielmann aber erschrak so sehr, daß er besinnungslos zu Boden sank. Als er wieder erwachte, schien bereits die Sonne. Er rieb sich die Augen, richtete sich auf und sah, daß er die ganze Nacht am Rande des Sumpfes gelegen war. Er fühlte sich steif wie ein Stock. Noch verwirrt von dem erst so schönen und dann so greulichen Traum, stand er auf, um weiterzugehen. - 44 -
Er griff nach seinem Ränzel und wollte es auf den Rücken nehmen, es war aber so schwer, daß er es kaum heben konnte. Sollte ich doch nicht geträumt haben, dachte der Alte, und bin ich vielleicht wirklich so reich beschenkt worden? Und er öffnete rasch sein Ränzel und griff hinein. Da aber fand er statt der köstlichen Speisen, der glänzenden Dukaten und Edelsteine bloß bleiches Gebein, morsches Holz, Kohlen und Kieselsteine darin. Von Ekel und Grauen gepackt, warf er den ganzen Inhalt seines Ränzels in den nächsten Tümpel und kehrte dem unheimlichen Ort schaudernd den Rücken.
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DIE MARIENSTATUE VON INGOLSTADT Das altbayrische Ingolstadt birgt in seinen Festungsmauern neben eng aneinandergedrängten, hochgiebeligen Bürgerhäusern, dem spätgotischen Herzogsschloß und anderen baulichen Schätzen auch die Liebfrauenkirche, die Meister Konrad Glätzel nach dem Vorbild des Ulmer Münsters erbaut hat. In ihr befindet sich – kunstvoll aus Gold geschmiedet und mit Edelsteinen geschmückt – ein Bildnis der Gottesmutter auf dem Thron. Herzog Ludwig im Bart hatte es aus Frankreich hieher gebracht und der Kirche geschenkt. Vor vielen, vielen Jahren hat sich nun folgendes begeben: Während auf dem Hochaltar eine Messe gelesen wurde und die Blicke und Gedanken der Gläubigen ganz auf die heilige Handlung gerichtet waren, kniete eine einzige Beterin im Dunkel der letzten Säulen vor diesem Bildnis aus Gold und Edelsteinen und klagte der Gottesmutter ihr Leid. „Gebenedeite“, stammelte sie, „daheim liegt mein einziges Kind in hohem Fieber. Mein Mann ist längst gestorben, und wenn mir auch das Kind, meine letzte Freude, genommen wird, will ich nicht mehr länger leben. Die Leute sagen, daß du Wunder wirken kannst. Ich flehe auf den Knien zu dir, erhöre mich und laß mein Kind genesen!“ Die tränenvollen Augen der Frau blickten dabei forschend zum Antlitz der Gottesmutter empor. Weil sich aber in den milden Zügen des Bildnisses nichts regte, fuhr die Frau fort: „Gib mir ein Zeichen, Maria, gib mir ein einziges Zeichen, daß du meine Bitte erhören willst!“ Doch die Gottesmutter blickte noch immer gleich - 46 -
milde lächelnd auf das Jesuskind in ihren Armen herab und regte sich nicht. Da ergriff die Frau wilde Verzweiflung. Sie stand auf, nahm das Kindlein aus den Armen der Statue und trug es - 47 -
in einen entfernten Winkel des Domes. Dann kehrte sie wieder zu dem Bildnis zurück und sagte: „Nun fühle auch du, wie es eine Mutter schmerzt, ihr Kind zu verlieren. Vielleicht wirst du jetzt meine Bitte erhören!“ Einige der Kirchenbesucher hatten aber den Frevel bemerkt, sie eilten aus den Kirchenstühlen auf die Frau zu, faßten sie und wollten sie mit Gewalt aus der Kirche schleppen. Inzwischen hatten andere das Jesuskind aus dem Winkel geholt und legten es nun dem Bildnis wieder in die Arme. Im selben Augenblick huschte ein wunderbares Lächeln über das Antlitz Mariens. Die arme Frau aber und die übrigen Kirchenbesucher sanken, von heiligem Schauer ergriffen, auf die Knie und begannen zu beten. Dann eilte die Frau nach Hause. Und als sie in das Zimmer trat, da streckte ihr das Kind aus dem Bettchen lachend die Arme entgegen. Es hatte kein Fieber mehr und fühlte sich wieder gesund. Nun wußte die Frau, daß die Gottesmutter ihre Bitte doch erhört und an dem todkranken Kind ein Wunder getan hatte. Die Kunde davon verbreitete sich rasch im ganzen Land, und bald kamen von weit und breit sorgenbeladene Menschen nach Ingolstadt, um bei dem wundertätigen Bildnis in der Liebfrauenkirche Trost und Hilfe zu finden.
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DER TREUE STAR Vohburg war einst der Sitz der tatenlustigen und auf allen Turnieren siegreichen Markgrafen von ChamVohburg. Einst wurde ein kleines Mädchen dieses Grafengeschlechtes von Zigeunern geraubt und von ihnen kreuz und quer durch das Land mitgeschleppt. Ein gelehriger Star aber, der im Schloß aufgezogen worden war und an dem Mädchen mit großer Liebe hing, folgte den Räubern überall nach. Sooft sie irgendwo rasteten, setzte er sich in der Nähe auf einen Baum und ließ von den Zweigen herab all die Lieder und Worte vernehmen, die er im Schloß gelernt hatte. Wenn die Zigeuner weiterzogen, flog er ihnen wieder nach, von Baum zu Baum, von Dach zu Dach, viele Stunden und Tage lang, ohne sie auch nur einmal aus den Augen zu verlieren. Die Zigeuner fürchteten, der Star könnte sie verraten, und stellten ihm nach. Aber er ließ sich weder treffen noch fangen. Schließlich wurde er ihnen so unheimlich, daß sie das unschuldige und hilflose Kind im Vorbeiziehen auf die Türschwelle einer einsamen Herberge im Böhmerwald legten, bloß um den widerlichen Vogel loszuwerden. Der Star aber hatte sie dabei beobachtet, flog sogleich auf den Giebel des Hauses und kreischte dort so lang und so laut, bis die Wirtin ihn hörte und aus dem Haus kam, um zu schauen, was es denn gäbe. Als sie das Kindlein auf der Schwelle liegen sah, hob sie es sogleich auf und nahm es liebevoll in den Arm. Da flog aber auch schon der geschwätzige Star vom Giebel herunter und der guten Frau zutraulich auf die Schulter. Sie trug nun das Kindchen ins Haus. Drinnen bemerkte sie, daß es ein feines Hemdchen am Leibe trug, in das ein - 49 -
Wappen eingestickt war. Dies erweckte in der einfachen Frau die Gewißheit, daß das Kind vornehmen Leuten gehört haben mußte. Weil sie aber keine Kenntnis von dem Raub auf der Burg hatte und sich selber schon lang ein Kind wünschte, betrachtete sie es als ein Geschenk des Himmels und behielt es bei sich. Jahr um Jahr verging, und das Kind wuchs in der Obhut der einfachen Frau zu einem blühenden Mädchen heran. Sein einziger Freund und Gespiele aber war die ganzen Jahre hindurch nur der Star, dem es seine Rettung zu verdanken hatte. Eines Tages stieg vor der Herberge ein junger Ritter vom Pferd, er trat in die Stube, setzte sich an einen Tisch und begehrte ein Krüglein Wein. Während er auf den Trunk wartete, hüpfte der Star hinter dem Ofen hervor und flog eine Weile in der Stube umher. Dann setzte er sich auf das Fenster neben dem Gast und ließ wieder alle die Lieder und Worte hören, die er seit seiner Jugend kannte. Der Ritter horchte erstaunt auf. Ihm schien, als hätte er den Vogel schon früher einmal gesehen und gehört. Als gleich darauf die Wirtin mit dem Wein an den Tisch kam, fragte er sie, was es denn mit dem Vogel für eine Bewandtnis habe. Nun erzählte ihm die Frau, welchen Fund sie vor Jahren auf der Schwelle ihres Hauses gemacht hatte, holte auch das feine Kinderhemdchen aus dem Schrein und zeigte es dem Gast. Der Ritter traute seinen Augen nicht, das Wappen auf dem Hemdchen war das der Markgrafen von ChamVohburg. Nun wollte er auch das Mädchen sehen. Die Wirtin holte es sogleich in die Stube, und als es, schön wie eine Blume, vor dem vornehmen Gast stand, bat er es, das Tüchlein ein wenig von der rechten Schulter zu - 50 -
ziehen. Das Mädchen tat es und enthüllte damit ein Muttermal, das die Form einer Kreuzdornblüte hatte. Erst jetzt, da der Ritter das seltsame Zeichen sah, wußte er mit Bestimmtheit, daß seine Schwester vor ihm stand, die als Kind aus dem Schloß geraubt worden war. Er gab sich ihr zu erkennen, umarmte sie vor Freude und sagte zu ihr: „Komm gleich mit mir nach Hause! Deine Mutter soll sich nicht mehr länger grämen!“ Unter vielen Tränen nahm das Mädchen noch am selben Tag Abschied von der guten Frau. Dann hob der junge Ritter sein Schwesterchen auf das Pferd und sprengte mit ihm davon. Der treue Star aber flog ihnen freudig kreischend voraus.
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Das Glück des alten Grafen von Vohburg und seiner Gemahlin über die Heimkehr ihrer Tochter war unbeschreiblich. Sie luden sogleich alle Verwandten und Freunde und auch die Ziehmutter ihres Töchterleins zu einem Freudenmahl ein, und während sich die vielen Gäste die Speisen und Getränke munden ließen, durfte der Star, als Held und Retter gefeiert, auf der Tafel nach Herzenslust umherstolzieren und von allen Tellern naschen.
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DIE PFÖRRINGER LEBERWURST Als die Schweden während des Dreißigjährigen Krieges ganz Bayern überfluteten, wurde auch der Marktflecken Pförring von ihnen belagert. Der stark befestigte Ort leistete ihnen aber tapfer Widerstand und schlug jeden Angriff zurück. Weil die Schweden den Ort nicht mit Waffen erobern konnten, beschlossen sie, die Pförringer auszuhungern, damit sie sich ergeben sollten. So zogen sie denn einen engen Kreis von Zelten und Wachen um den Marktflecken und ließen keinen Menschen hinein und keinen heraus. Die Pförringer sparten nun ihre Lebensmittel, so gut sie konnten. Trotzdem wurde die Nahrung immer weniger und weniger, und schließlich war der Mangel schon so groß, daß den tapferen Bürgern vor Hunger der Magen krachte. Da kam eines Tages auf der Donau zufällig eine große Leberwurst geschwommen, die ein Metzger in Vohburg nach dem Schlachten irrtümlich zusammen mit Abfällen in den Strom geworfen hatte. Ein Pförringer Wachtposten bemerkte das kostbare Treibgut, fischte es voller Freude heraus und wollte es gleich verzehren. Die anderen Soldaten hinderten ihn aber daran und verlangten, daß die Wurst unter ihnen aufgeteilt werde. Weil nun keiner nachgeben wollte, stritten sie lange hin und her, bis ein pfiffiger Kopf einen Einfall hatte: „Hört endlich auf zu streiten!“ rief er seinen Kameraden zu. „Die Wurst darf überhaupt keiner verzehren, sie kann uns anders viel nützlicher werden!“ „Nützlicher, als wenn wir sie äßen?“ fragten einige erstaunt. „Das gibt es doch gar nicht!“ - 53 -
„Und ob es das gibt!“ erwiderte der Pfiffige. „Wir werden sie nämlich an eine Stange binden und über die Stadtmauer hinausstecken, damit die Schweden glauben, wir hätten noch genug zu essen!“ Und das taten die Pförringer auch. Kurze Zeit später sahen die Belagerer hoch über der Pförringer Ringmauer eine große, appetitliche Leberwurst lustig im Winde baumeln. Dazu hörten sie Jubeln und Singen und das Klappern und Klirren von Krügen, als ginge es in Pförring hoch her. Nachdem sie das seltsame Zeichen lang genug bestaunt und voll Ingrimm betrachtet hatten, erstatteten sie auch ihrem Hauptmann Meldung von dem Treiben in dem belagerten Ort. Der Hauptmann überzeugte sich gleich mit eigenen Augen von der Richtigkeit und sagte dann unwillig: „Ich hoffte, daß die Pförringer vor Hunger bald mürbe würden. Wenn sie aber noch immer so viele Schweine haben, daß sie ein Schlachtfest abhalten können, dann müßten wir gewiß noch lange auf ihre Ergebung warten! Das aber wollen wir nicht. Laßt uns keine kostbare Zeit vergeuden! Brecht die Zelte ab und zieht die Posten ein, wir maschieren noch heute weiter!“ Auf diese Art hat eine Leberwurst den Bürgern von Pförring die Freiheit gerettet.
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DIE STROMKÖNIGIN UND DIE DONAUNIXE Eine der großartigsten Strecken des Donaustroms ist die Enge bei Weltenburg, denn hier ragen zu beiden Seiten kahle, zerklüftete Felswände zum Himmel empor. An vielen Stellen dieser Wände sind eiserne Ringe befestigt, an denen sich früher die Schiffer durch die brausenden Fluten stromaufwärts zogen. Die Schiffer waren es auch, die den Felsen ihre Namen gaben: „Peter und Paul“, „Kuchelfelsen“, „Hohe Rinne“, „Kanzel“, „Unsere liebe Frau“, „Drei Brüder“ und „Die Jungfrau“. Sie alle stehen als verzauberte steinerne Wächter zu beiden Seiten des Reiches der Stromkönigin, die auf der „Langen Wand“ ihren Thron hat und weithin den Strom überblickt. Wehe dem Schiffer, der es wagte, zu ihr hinauf zuschauen, er bezahlte seinen Vorwitz mit dem sicheren Tod in den Wellen. An der Stelle nun, wo „Die Jungfrau“ aus den Fluten der Donau emporragt, wiegte sich einmal des Nachts eine Nixe auf den kühlen Wellen. Ihr goldenes Haar und ihre weißen Arme glänzten im Licht des vollen Mondes. Ein junger Fischer, der auf den Strom hinausgerudert war, lenkte sein Boot ganz leise zu ihr hin und warf das Netz über sie. Erschrocken versuchte die Nixe, dem Netz zu entfliehen, doch es gelang ihr nicht. So bat sie denn den Fischer, mit ihr Erbarmen zu haben und ihr wieder die Freiheit zu geben. Er aber wollte davon nichts wissen, zog die schöne Nixe ans Ufer und sagte zu ihr: „Du gefällst mir so gut, daß ich dich nie wieder hergeben und dich zu meinem Weibe machen will!“ - 56 -
Aber die Nixe erwiderte: „Ich bin eine von den Töchtern der Stromkönigin! Uns ist es streng verboten, mit Menschen in Berührung zu kommen. Bitte, gib mich wieder frei!“ Der Fischer aber wollte sich nicht mehr von ihr trennen, erst als die schöne Nixe versprach, am nächsten Abend wiederzukommen, ließ er sie zögernd frei. Von nun an trafen sie einander jede Nacht an derselben Uferstelle, und weil die Nixe den Schwüren des jungen Fischers glaubte, schenkte auch sie ihm ihre Liebe. Einmal jedoch wartete sie vergebens auf ihn. Die ganze Nacht saß sie am Ufer, blickte den Strom hinauf, den Strom hinab, aber er kam nicht. Erst als die Sterne verblaßten, glitt die Nixe wieder ins Wasser und schwamm davon. Auch in den folgenden Nächten ließ sich der Fischer nicht blicken. Da wußte die Nixe, daß er nichts mehr von ihr wissen wolle. Nun trug sie aber schon ein Menschenkindchen unter dem Herzen. Darüber war ihre Mutter, die Stromkönigin, so böse, daß sie die ungehorsame Nixe von sich stieß und in einen Felsen verwandelte. Der leichtsinnige Fischer dachte bald nicht mehr an die verlassene Nixe und heiratete ein Mädchen aus seinem Dorf. Als er eines Tages zum erstenmal mit seiner jungen Frau im Kahn auf den Strom hinausfuhr, kam er zu einem einsam aufragenden Felsen, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Er betrachtete ihn näher, und da erkannte er im Stein das gramvolle Antlitz der Nixe, die er verlassen hatte. Jetzt erfaßte ihn bittere Reue, und er beschloß, die Stromkönigin zu bitten, sie möge ihrem Kinde verzeihen und ihm die frühere Gestalt wiedergeben. Er ruderte zur - 57 -
„Langen Wand“, stieg an ihrem Fuße ans Ufer und bat seine Frau, im Kahn auf ihn zu warten. Dann ging er in eine nahe Schlucht, um die Stromkönigin zu suchen. Drei Tage und drei Nächte lang wartete die Fischersfrau auf ihren Mann. Er kam aber nicht wieder. Nur eine Schar krächzender Raben flatterte aus der Schlucht. Da erfaßte die Frau Grauen und Verzweiflung, und sie fuhr, zu Tode erschöpft, allein nach Hause. Seither haben Regen und Schnee und Wind das gramvolle und doch so schöne Steingesicht der Nixe zerstört. Noch heute steht sie als einsam aufragender Fels im Reiche der Stromkönigin, und aus dem Rauschen des Wassers hören die Fischer noch dann und wann ihr schmerzliches Schluchzen und Weinen.
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DER EINWALD BEI KELHEIM Wo sich das Tal der Donau wieder weitet und die Alt in den Strom mündet, liegt die schöne alte Stadt Kelheim. In ihrer Nähe erhebt sich ein bewaldeter Hügel, auf dem einst ein stattliches Schloß stand, von dem nur die Sage etwas weiß. Es gehörte drei reichen, aber unverträglichen, zänkischen Schwestern. Weil sie immer in Unfrieden miteinander lebten, wollten sie sich eines Tages trennen, vorher aber ihr Vermögen untereinander aufteilen. Nur ein Stück ihres Waldes sollte als Lohn für seine Treue der Verwalter des Schlosses bekommen. Sie ließen ihn also rufen und sagten zu ihm: „Wir wollen dich mit einem Teil unseres Waldes belohnen. Sattle ein Pferd und reite ihn entlang. So weit du in einer Stunde kommst, soll er dir gehören!“ Der Verwalter befolgte sogleich den Auftrag der drei Schwestern, gab dem Pferd die Sporen und trabte den Wald entlang. Als eine Stunde verstrichen war, hatte er schon eine so große Strecke zurückgelegt, daß er mit dem Geschenk der drei Schloßherrinnen zufrieden sein konnte. Weil dieses Stück Wald nun ihm allein gehörte, nannte er es den „Einwald“. Jetzt gingen die zänkischen Schwestern auch daran, ihr Geld aufzuteilen. Weil sie aber sehr viel davon besaßen, mußten sie es mit dem Scheffel messen. Nun war eine der drei Schwestern blind. Das wollten die beiden anderen ausnutzen, um sie zu betrügen. So stülpten sie denn für die Blinde das Maß jedesmal mit dem hohlen Boden nach oben und legten nur so viele Goldstücke darauf, wie in dem seichten Raum Platz fanden. Wenn das blinde Schloßfräulein dann prüfend - 59 -
darüber tastete, meinte es, der Scheffel wäre bis zum Rande mit Geld gefüllt. Erst als fast der ganze Schatz auf solche Weise ungerecht aufgeteilt worden war, merkte die Blinde doch, daß die Schwestern sie betrogen hatten. Darüber geriet sie so sehr in Wut, daß sie ihre beiden Schwestern, den Schatz, das Schloß und den übrigen Besitz verfluchte. Im selben Augenblick aber öffnete sich der Hügel, und alles versank in ihm. Nur der Einwald, der dem treuen Verwalter gehörte, blieb stehen. Viele Jahre nach diesem Ereignis verirrte sich ein junger Mann des Nachts im Einwald. Plötzlich stand eine weißverschleierte Frau vor ihm und sprach ihn an: „Fürchte dich nicht und folge mir! Wenn du mutig bist und alles tust, was ich von dir verlange, wirst du es nicht bereuen!“
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Der junge Mann ging der seltsamen Erscheinung Schritt für Schritt nach. Vor einer Höhle, die in das Innere eines Hügels führte, blieb sie stehen, reichte ihm einen Schlüssel und sagte: „Geh in die Höhle hier und öffne mit diesem Schlüssel die eiserne Truhe, die drinnen steht. Sie birgt einen kostbaren Schatz, wenn du ihn herausnehmen kannst, soll er dir gehören. Laß dich aber durch nichts beirren und durch nichts von deinem Vorhaben abhalten!“ Der junge Mann dachte: Was könnte mich schon davon abhalten, den kostbaren Schatz aus der Truhe zu nehmen und reich zu werden? Und er betrat mutig die Höhle. Es war stockfinster darin. Als er aber weiterging, glühten ihm plötzlich zwei rote Lichter entgegen, es waren die Augen eines riesigen Hundes, der auf der eisernen Truhe lag. Der junge Mann fürchtete sich jedoch nicht und ging auf die Schatztruhe zu. Er hatte kaum einige Schritte getan, da richtete sich eine große, häßliche Schlange vor ihm auf und zischte ihn an. Jetzt fuhr er freilich erschrocken zurück, und kaltes Grauen rieselte ihm über den Rücken. Gleich aber dachte er wieder an die Worte der geheimnisvollen, verschleierten Frau, stieß die Schlange mit dem Fuß von sich und eilte zur Truhe. Nun sprang aber der Hund auf und spie so viel Feuer und Schwefel, daß den jungen Mann nun wirklich der Mut verließ. Er wandte sich um und stürzte zitternd und bleich aus der Höhle. Kaum war er wieder im Freien, da dröhnte es wie ein gewaltiger Donnerschlag, und die Höhle war spurlos verschwunden. Aus dem Innern des Hügels aber drang lautes Weinen und Schluchzen. Es kam von den zwei zänkischen Schwestern, die durch den Fluch der - 61 -
betrogenen Blinden in die Tiefe gesunken waren und noch immer ihrer Erlösung harrten. Eine von ihnen klagte: „O hättest du doch mehr Mut bewiesen! Erst wenn wir den unseligen Schatz verschenkt haben, können wir unsere Ruhe finden! Nun müssen wir wieder warten! Wer weiß wie lange, wie lange noch!“
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DAS RÄTSEL VON MARIA ORT Auf der spitzen Landzunge, die die Naab und die Donau bei ihrer Vereinigung oberhalb Regensburg bilden, steht das Wallfahrtskirchlein Maria Ort. In dem schmucken Gotteshaus befindet sich eine wundertätige Statue der Gottesmutter. Sie ist fünf Schuh hoch, aus einem Stein gemeißelt, den es im ganzen Bayernlande nicht gibt, und so schwer, daß vier starke Männer sie kaum tragen können. In der linken Hand hält Maria eine fremdartige Blume, wie sie nur im Morgenlande wächst. Auf dem rechten Arm trägt sie das Jesuskind mit einem braunen Wiesel in den kleinen Händchen. Am Rücken der Statue aber ist ein starkes, eisernes Öhr befestigt, mit dem sie früher einmal an einem Haken gehangen sein muß. Vor vielen Jahrhunderten, noch ehe Karl der Große auch über diese Gegend seine Herrschaft ausgebreitet hatte, kam diese Statue der Gottesmutter, auf einem Wacholderstrauch stehend, die Donau herauf und an die spitze Landzunge geschwommen, wo sie stehenblieb. Einige Frauen aus dem Dorf, das heute Maria Ort heißt und am anderen Ufer der Naab liegt, wuschen eben Wäsche am Fluß und sahen sie kommen. Sie eilten sogleich atemlos in das Dorf und berichteten dort, was sie Seltsames gesehen hatten. Die Leute liefen in Scharen an den Fluß und blickten ergriffen zu der Statue hinüber. Vier starke Männer lösten eine Zille vom Ufer und setzten damit über den Fluß. Drüben stiegen sie aus, sanken vor der Gottesmutter auf die Knie und beteten. Dann hoben sie die Statue in die Zille und brachten sie über den Fluß in ihr Dorf. - 63 -
Schon am nächsten Tage beschlossen die Dorfbewohner, für die Muttergottesstatue ein Kirchlein zu erbauen. Sie sammelten sogleich Geld dafür, und bald begannen sie auf dem schönsten Platz mit der Arbeit. Was sie aber am Tage an Holz, Sand, Steinen und Kalk herbeigeschafft hatten, war am nächsten Morgen wieder verschwunden. So fingen sie denn immer wieder von vorne an, aber immer wieder war am nächsten Morgen der Bauplatz leer. Die Dorfbewohner ergriff eine ungeheure Erregung, sie vermuteten einen Bubenstreich und suchten den Täter. Eines Tages aber sah ein Mann aus ihrem Ort, der über die Naab gefahren war, das ganze bisher zusammengetragene Baumaterial genau an der Stelle liegen, wo die Statue aus der Donau an das trockene Land gekommen war. Da erkannten die Leute, daß ihnen ein höherer Wille befahl, das Kirchlein auf der schmalen Landspitze zwischen Naab und Donau zu erbauen. Es dauerte gar nicht lang, da war das Kirchlein fertig. Die Statue wurde darin aufgestellt, und der Wacholderstrauch, der sie donauaufwärts getragen hatte, an der äußeren Kirchenmauer eingepflanzt. Dort wuchs, grünte und blühte er immer schöner und schöner, obwohl er gar oft von Gläubigen, die sich von ihm ein Zweiglein als Andenken mitnahmen, arg zugerichtet wurde. Bald pilgerten alljährlich Tausende Menschen zu dem Kirchlein mit der steinernen Muttergottes und rühmten ihre wundertätige Hilfe. Sie kamen aus allen Teilen des Reiches und auch aus fernen Ländern, sogar Kaiser, Könige und Päpste kamen, um vor dem Muttergottesbild von Maria Ort zu beten. Woher die Statue stammt, ist bis heute ein Rätsel geblieben. Vielleicht kam sie aus Griechenland, wo der - 64 -
Kaiser von Byzanz, Leo III. im Jahre 726 verboten hatte, Heiligenbilder zu verehren und sie ins Meer werfen ließ. Daß sie aber von dort übers Meer und stromaufwärts bis nach Maria Ort schwimmen konnte, ist und bleibt eben ein Wunder.
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DER BRÜCKENBAU ZU REGENSBURG Einer der interessantesten Orte an der Donau ist die Bischofsstadt Regensburg. Einstmals war sie freie Reichsstadt, stark befestigt und immer wieder heiß umkämpft. Sie besitzt eine große Anzahl prächtiger Bauwerke, darunter allein fünfundfünfzig Kirchen, Kapellen und Klöster. Zur Zeit der Kreuzzüge bestiegen hier Ritter aus allen Ländern die Schiffe, um donauabwärts ins Heilige Land zu fahren. Eine steinerne Brücke, die dreihundertzwölf Meter lang und sieben Meter breit ist und auf fünfzehn granitenen Bogen ruht, spannt sich über den Strom. Sie soll zur selben Zeit erbaut worden sein wie der herrliche Dom. Die Sage erzählt darüber: Der Baumeister des Domes und der Erbauer der Brücke wetteiferten miteinander. Jeder der beiden wollte sein Werk zuerst vollendet sehen. Um sich nun zu besonderer Eile anzuspornen, verabredeten sie miteinander, daß der Unterliegende in dem Wettstreit auf dem „hölzernen Esel“, einem alten Folterwerkzeug, durch die Stadt reiten sollte. Es war nicht gut auf diesem Esel zu sitzen, denn in seinem Rücken staken viele spitzige Nägel. Außerdem war es für jeden, der ihn besteigen mußte, eine arge Schande. Die beiden Baumeister trieben ihre Arbeiter zu fieberhafter Eile an. Während aber der Dom von Tag zu Tag zusehends wuchs, wollte es mit der Brücke nicht recht vorwärtsgehen. Kaum war ein Brückenpfeiler errichtet worden, riß ihn der brausende Strom wieder fort. Bald gab es keinen Zweifel mehr, daß der Dom zuerst fertig werden würde. Als dies auch der Erbauer der Brücke erkannte, rief er - 66 -
den Teufel zu Hilfe. Der war auch sogleich zur Stelle und fragte den Meister: „Was willst du von mir?“ „Ich sehe, daß es mit dem Bau der Brücke nicht weitergeht“, erwiderte ihm dieser. „Drum möchte ich, daß du mir hilfst!“ Der Teufel bedachte sich eine Weile und sagte dann heimtückisch grinsend: „Ich helfe dir gern, nehme mir aber dafür die Seele dessen, der als erster die fertige Brücke betritt!“ Der verblendete Brückenbauer war damit einverstanden. Von dieser Stunde an wuchs die Brücke überraschend schnell, denn der Teufel und sein ganzes Höllengesinde werkten während der Nächte daran mit. Gleichzeitig von beiden Ufern aus senkten sie Pfeiler ins Wasser, spannten die Bogen darüber und kamen immer weiter der Mitte zu. Die Bürger von Regensburg verfolgten das rasche Wachsen der Brücke mit größtem Erstaunen. Als nunmehr der Dombaumeister sah, daß er die Wette verlieren werde, war er so verzweifelt, daß er auf den halbfertigen Turm des Domes stieg und sich in die Tiefe stürzte. Endlich kam der Tag, an dem die Donaubrücke fertig war. Eine riesige Menschenmenge drängte sich schon seit dem frühen Morgen vor dem ersten Pfeiler, um der Brückenweihe beizuwohnen. Bald nahten in einer feierlichen Prozession die Priester, Räte und vornehmen Bürger der Stadt. An ihrer Spitze aber schritt der Bischof, der die Brücke einweihen sollte. Nun war auch für den Teufel der Augenblick gekommen, in dem er seinen Lohn holen wollte. Heimlich kroch er unter den ersten Pfeiler und lauerte dort auf die Seele, die ihm gehören sollte. - 67 -
Der Erbauer der Brücke erkannte sogleich die Absicht des Satans und dachte verzweifelt nach, wie er sie vereiteln könne. Gerade noch rechtzeitig kam ihm ein rettender Einfall. Er riß sich den Hut vom Kopf, pfiff seinem Pudel und warf dann den Hut weit hinaus auf die Brücke. Der Hund sprang sofort dem Hute nach, um ihn seinem Herrn wiederzubringen. Im selben Augenblick war aber auch schon der Teufel zur Stelle und griff ohne Besinnen zu. Als er merkte, daß er betrogen worden war, riß er vor Wut dem Hund den Kopf ab. Dann fuhr er zur Hölle. Der Bischof konnte nun die Einweihung der Brücke ungestört vollziehen. Der Baumeister aber ging in sich und bereute seinen vermessenen Ehrgeiz. Noch heute ist in der Brüstungsmauer der Regensburger Brücke ein steinerner Hund ohne Kopf zu sehen.
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DIE HIRTIN IM ZWERGENBERG Deggendorf an der Donau ist rings vom Bayrischen Wald umgeben. Zu Beginn des Sommers treiben die Bauern ihr Vieh auf den Rusel, wo es bis zum Herbst bleibt. Nun hauste seit Jahren im Innern des Rusels ein Zwerg. Die Wände der Gänge und Kammern, die er bewohnte, bestanden aus funkelnden Edelsteinen, und statt der Sonne leuchteten helle Kristalle. Sein Hausrat war ganz aus Silber und Gold. Trotz aller Schätze aber fühlte sich der Zwerg nicht glücklich, denn er war immer allein. Als er wieder einmal aus seinem Reich hinauf ans Tageslicht stieg, erblickte er ein kleines Mädchen, das ein paar Schafe hütete. Das Kind gefiel ihm so gut, daß er gleich mit ihm Freundschaft schließen wollte. Er holte rasch ein paar glitzernde Steine aus dem Berg, um es damit zu beschenken. Doch als das Mädchen den Zwerg auf sich zukommen sah, erschrak es so sehr, daß es davonlaufen wollte. Der Gnom lächelte es aber freundlich an und hielt ihm die funkelnden Steine entgegen. Da faßte es Zutrauen zu ihm und ließ ihn an sich herankommen. Es dauerte nicht lang, da waren sie gute Freunde, die jeden Tag zusammenkamen und miteinander plauderten. Aber der Sommer verging, und die kleine Hirtin sollte mit ihren Schafen nach Deggendorf heimkehren. Den ganzen Tag saß der Zwerg traurig neben seiner kleinen Freundin und dachte daran, wie lang und einsam der kommende Winter ohne sie für ihn sein würde. Schließlich bat er sie flehentlich: „Bleib doch bei mir! Du sollst es in meinem Reich so schön und gut haben wie - 69 -
eine Königin. Du wirst von goldenen Tellern essen, auf goldenen Stühlen sitzen und in einem goldenen Bettchen schlafen!“
Die kleine Hirtin lauschte gespannt seinen Worten und fragte ihn dann: „Ist es denn nicht finster und kalt in deinem Berg?“ „Bei mir ist es immer warm und immer hell vom Funkeln der vielen Edelsteine“, erwiderte der Zwerg. „Es wird dir bei mir gewiß so gut gefallen, daß du nicht mehr fortgehen wirst.“ „Ich muß doch die Schafe nach Hause treiben!“ gab ihm die kleine Hirtin zu bedenken. Aber der Zwerg meinte: „Die Schafe? Die finden auch ohne dich heim!“ Und weil er nicht aufhörte, das Kind zu überreden und ihm immer mehr von den Wunderdingen in seinem Reich erzählte, entschloß sich die Kleine, bei ihm zu bleiben, und stieg mit dem Zwerglein in den Berg hinunter. Der Zwerg hatte nicht übertrieben. Es war so wundervoll in seinem Reich, daß die Hirtin aus dem Staunen nicht herauskam. Schließlich fühlte sie aber großen Hunger. Da stand auch schon auf einem goldenen - 70 -
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Tischchen ein köstliches Mahl, und als sie müde war, durfte sie sich in ein goldenes Bettchen legen. Darin schlief sie tief und ohne zu träumen bis zum Morgen. Als sie wieder erwachte, sagte der Zwerg: „Nun bist du hier zu Hause und darfst alles tun, was dir Freude macht. Nur mußt du darauf achten, daß du nichts von all den Schätzen zerbrichst!“ Die Hirtin lebte von da an glücklich und zufrieden tief unten in dem Berg. Sie vergaß die Welt, aus der sie gekommen war, sie merkte auch nicht, daß die Zeit wie im Fluge verrann. Ein Jahr um das andere verstrich, sie aber meinte, es wären erst wenige Tage vergangen. Im Innern des Berges gab es weder Sommer noch Winter, die kristallenen Ampeln leuchteten hell wie Sonne und Mond, und nichts veränderte sich. Auch die Hirtin wurde nicht älter und nicht größer. Da geschah es einmal, daß sie im Reich des Zwerges einen herrlichen Kranz aus gläsernen Lilien entdeckte, den sie vorher noch nie gesehen hatte. Sie nahm ihn in die Hand und bewunderte ihn. Dabei entglitt er aber ihren Fingern, fiel zur Erde und zersplitterte. Als der Zwerg das Klirren vernahm, kam er erschrocken dahergelaufen und klagte: „Was hast du denn nur getan? Jetzt ist alles zu Ende!“ „Was soll denn zu Ende sein?“ fragte die Hirtin erstaunt. Aber schon sah sie, daß ihre Glieder plötzlich wuchsen und wuchsen und daß ihr Haar immer länger und länger wurde. Bald war sie schon so groß, daß sie in der niederen Höhle nicht mehr aufrecht stehen konnte und sich setzen mußte. Sie war aber auch in wenigen Augenblicken um all die Jahre älter geworden, die sie bisher im Reich des Zwerges verbracht hatte. Und nun erinnerte sie sich mit einemmal auch wieder - 72 -
jener Welt, die sie als Kind verlassen hatte. Da wollte sie gleich nach Deggendorf zurückkehren. Aber sie war jetzt so groß, daß sie das Zwergenreich durch das niedere und enge Felstor nicht mehr verlassen konnte. Der Rusel hielt sie für immer gefangen. Darüber grämte sie sich so sehr, daß sie an gebrochenem Herzen starb. Der vereinsamte Zwerg fertigte nun einen Sarg aus purem Gold und legte die liebe Tote hinein. Dann setzte er sich daneben hin und weinte und weinte. Seine Tränen aber durchbrachen als zwei Quellen das harte Gestein und liefen den Hang des Rusels hinab. Noch heute weint der Zwerg um das Mädchen, und jedem, der aus den Quellen trinkt, wird sonderbar traurig ums Herz.
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DAS „KACHLET“ BEI VILSHOFEN Bei Vilshofen rauscht die Donau zwischen mächtigen Granitbergen in einer wilden, klippenreichen Enge dahin. Früher einmal war dieser Teil des Stromlaufes den Donauschiffern sehr gefährlich, heutzutage aber wird er nicht mehr gefürchtet, denn ein Wehr staut das Wasser neun Meter hoch, so daß die Schiffe an keiner Klippe mehr zerschellen können. Auf der ersten hohen Felswand am Beginn der Stromenge hatte vor vielen, vielen Jahren der Teufel sein Lieblingsplätzchen. Von dort oben sah er jedes Schiff in die gefährliche Enge einfahren, und wenn er wollte, konnte er es jederzeit zerschmettern. Die Schiffer blickten denn auch immer voller Angst zur Höhe des Felsens empor. Sahen sie oben den Teufel hocken, dann wußten sie, daß ihnen ein Unheil drohte. Als Kaiser Rotbart seinen Kreuzzug ins Heilige Land unternahm, fuhr auch er, an der Spitze vieler Fürsten, Ritter und Priester, mit vierzigtausend Kriegern die Donau abwärts. Auf allen Schiffen blitzte und funkelte es von Waffen und Rüstungen, und die Fahne der Kreuzfahrer flatterte weithin sichtbar im Wind. Während die Schiffe des Kaisers an Vilshofen vorüberglitten, war der Himmel über dem Donautal von der untergehenden Sonne blutrot gefärbt. Auch diesmal hockte der Teufel oben auf der steilen Felswand und blickte hinunter auf den schäumenden Strom. Als er die Kreuzfahrer sah, wußte er sogleich, was sie vorhatten, und er beschloß, mit aller Gewalt ihre Weiterfahrt zu verhindern. Zuerst tobte und lärmte er so sehr, daß den Männern an den Rudern und Steuern ganz unheimlich zumute wurde. Weil sie sich dadurch aber - 74 -
trotzdem nicht beirren ließen, richtete sich der Teufel in seiner ganzen riesigen Größe auf, riß mit unheimlicher Kraft den Gipfel des Felsens los und hob ihn mit beiden Händen hoch, um ihn im nächsten Augenblick in die Tiefe zu schleudern und das Schiff, auf dem sich der Kaiser befand, damit zu zerschmettern. Als die Kreuzfahrer den Satan mit dem mächtigen Felsblock in den Händen oben auf der Wand erblickten, standen sie wie gelähmt. Nur der Kaiser verlor keinen - 75 -
Augenblick die Fassung. Er griff blitzschnell nach dem goldenen Kreuz auf seiner Brust und hielt es wie einen Schild dem Teufel entgegen. Im selben Augenblick entglitt der Felsblock den Händen des Teufels. Jener sauste in die Tiefe und zerbarst über den Köpfen der frommen Krieger, seine Trümmer aber prasselten wie riesige Schloßen zu beiden Seiten der Schiffe ins Wasser. Jetzt erkannte der Teufel in ohnmächtiger Wut, daß eine höhere Macht die Kreuzfahrer beschützt hatte, und er verschwand mit Pech- und Schwefelgestank von der Höhe der steilen Wand. Die Trümmer des Felsens aber, mit dem er den Kaiser und sein Gefolge hatte vernichten wollen, ragten noch jahrhundertelang als gefährliche Klippen aus den Fluten der Donau heraus. Das Volk nannte sie „das Kachlet“.
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DIE PEST IM BAYRISCHEN WALD Der Fährmann des Dörfchens Haining hatte bereits den Kahn am Ufer festgebunden und wollte Feierabend machen, da klopfte an seine Hüttentür noch ein Fremder. Der hatte ein hageres, knochiges Gesicht und trug einen weiten, blutroten Mantel und einen breitkrempigen Hut. Als ihn der Fährmann fragte, was er denn wolle, erwiderte er: „Bring mich über die Donau! Ich hab’ noch auf der anderen Seite zu tun.“ So ging denn der Fährmann noch einmal ans Ufer, doch als er schon den Kahn losmachen wollte, wehrte der Fremde ab und sagte: „Der Kahn ist mir zu klein. Nimm die Plätte!“ Der Fährmann war darüber sehr erstaunt und meinte: „Die Plätte ist für uns beide zu groß, auf der bring’ ich vollbeladene Wagen mitsamt den Pferden hinüber.“ Der Fremde aber befahl ihm: „Tu, was ich dir befohlen habe! Drüben werd’ ich dich dafür reichlich entlohnen!“ Da löste der Fährmann kopfschüttelnd die schwere Plätte von den Pflöcken, hieß den Fremden auf ihr Platz nehmen und stieß dann vom Ufer ab. Je weiter sie gegen die Mitte des Stromes kamen, desto tiefer sank das breite Schiff, als wäre es nicht bloß mit zwei, sondern mit Hunderten von Menschen beladen. Schließlich schlug das Wasser schon über den Rand. Der hagere Mann im wehenden blutroten Mantel stand die ganze Zeit regungslos mitten auf der Plätte, sprach kein Wort und blickte unentwegt zum andern Ufer hinüber. Dem alten Fährmann wurde es unheimlich, und er - 77 -
ruderte mit aller Kraft, damit er den Fremden so rasch als möglich wieder loswerde. Endlich erreichte er das andere Ufer. Der Fremde stieg aus, nahm mit seiner Knochenhand aus der Tasche ein Goldstück und bezahlte damit die Überfahrt. Wenige Augenblicke später war er nirgends mehr zu sehen. Dem braven Fährmann graute vor dem Lohn des unheimlichen Fremden. Er warf das Goldstück in weitem Bogen ins Wasser, dann griff er wieder nach den Rudern und kehrte über den Strom in seine Hütte zurück. Noch am selben Abend brach im Bayrischen Wald die Pest aus, und ein Sterben ohne Ende begann. Ganze Dörfer wurden in kurzer Zeit entvölkert, die verödeten Häuser verfielen, Brennesseln wuchsen aus den leeren Fensterhöhlen und Sträucher aus den Dächern. Bald gab es keinen Pfarrer mehr, der die Verstorbenen einsegnete, und keinen Totengräber, der sie bestattete. Das Vieh verendete in den Ställen, weil es niemand versorgte, und keiner verscharrte es. Schließlich soll der Tod selbst die Leichen auf die Friedhöfe geführt und begraben und die Tierkadaver verscharrt haben. In Winkelbrunn war ein einziger Mann, in Hinterschmieding eine einzige Frau am Leben geblieben. Keines von beiden wagte zum ändern zu gehen, weil jedes fürchtete, von der Pest befallen zu werden. Sie gaben bloß täglich einander ein Zeichen durch den Herdrauch, daß sie noch nicht gestorben seien. Dia Pest griff auch übers Gebirge nach Böhmen. Sie raffte in Wallern alle Leute dahin, die am rechten Bachufer wohnten. Bald war auf dem Friedhof kein Platz mehr für die vielen Toten, sie mußten auf freiem Felde begraben werden. Der Schulmeister fürchtete sich so sehr vor der Ansteckung, daß ihm die Angehörigen der Toten - 78 -
das Geld für die Bestattung nicht in die Hand geben durften, sondern durch ein Guckloch in eine Schüssel voll Wasser werfen mußten. Aber auch er starb an der schrecklichen Seuche. Zu spät erkannte der Fährmann von Haining, daß er den Tod über die Donau gefahren hatte. Das schreckliche Sterben dauerte lang. Es nahm erst ein Ende, als ein Waldvogel den verzweifelten Menschen ein Mittel dagegen verriet, indem er zwitscherte: „Eßt Enzian und Pimpernell, dann sterbt ihr nicht so schnell!“ - 79 -
JOHANN VON PASSAU Wo der Inn und die Hatz in die Donau münden, liegt Passau mit dem stolzen Dom von St. Stephan, dem Residenzpalast, dem stilvollen Rathaus und vielen anderen prächtigen Gebäuden. Nicht weit davon entfernt thront auf einer Anhöhe des Bayrischen Waldes die Feste Oberhaus. Ihre Mauern und Bastionen ziehen sich, von wildem Grün überwuchert, durch den dunklen Tann hinunter zur Burg Niederhaus, deren Gemäuer von den Wellen der Donau und der Hatz umspült wird. Hier lebte um das Ende des dreizehnten Jahrhunderts der stolze Ritter Johann von Passau. Er war ein Mann, der weder den Tod noch den Teufel fürchtete. Aber so mutig und siegreich er sich auch im Kampfe zeigte, den Feind in der eigenen Brust, den Jähzorn, konnte er nicht bezwingen. Wenn er zornig war, schwollen ihm die Adern an den Schläfen, und er fluchte so fürchterlich, daß sich alle, die ihn hörten, bekreuzigten. Nun liebte Johann von Passau aber das schöne und sanftmütige Edelfräulein Agnes und hielt eines Tages um ihre Hand an. Sie gab ihm zwar ihr Jawort, knüpfte aber daran die Bedingung, daß ihr künftiger Gemahl sich beherrschen müsse und nie mehr fluchen dürfe. Er versprach es ihr feierlich. Bald nach der Hochzeit und den ersten gemeinsamen glücklichen Tagen verfiel der Ritter aber trotzdem wieder in seinen alten Fehler. Er tobte und fluchte bei jeder Gelegenheit und trieb es schließlich ärger als je zuvor. Es dauerte nicht lange, da mieden ihn alle Edelleute, und sein Gesinde schlich ängstlich im Schloß umher. Agnes aber kränkte sich darüber so sehr, daß sie von Tag zu Tag bleicher wurde. Johann bemerkte gar nicht, daß seine - 80 -
junge Gemahlin vor Kummer und Leid dahinschwand. Wenn sie weinend oder gar krank zu Bette lag, schrie er herzlos: „Hol der Teufel das sieche Weib! Ich hab’ mir den Ehestand heiterer vorgestellt!“ Als Johann von Passau es wieder einmal so schrecklich trieb, sank Agnes mit einem erstickten Aufschrei zu Boden und regte sich nicht mehr. Johann glaubte, sie sei in Ohnmacht gefallen und rief barsch ihre Kammerfrau Hildegard zu Hilfe. Die alte treue Dienerin aber erkannte, daß ihre Herrin tot sei. - 81 -
Nun erfaßten den Wüterich Schmerz, Reue, ja wilde Verzweiflung. Er raufte sich Haar und Bart, schlug sich gegen die Brust und brüllte wie ein verwundetes Tier. Nur mit Mühe hielten ihn seine Diener davon ab, daß er seinem Leben ein Ende machte. Noch am selben Tag wurde Agnes in der Burgkapelle aufgebahrt. Die Armen aus der Umgebung von Niederhaus schritten weinend und klagend an ihr vorbei, um sie, die ihnen immer nur Wohltaten erwiesen hatte, noch einmal zu sehen. Sobald aber die Kapelle für das trauernde Volk geschlossen wurde, kniete Johann an der Bahre seiner Gemahlin nieder und klagte und weinte um sie. Als er in der letzten Nacht vor dem Begräbnis wieder bei Agnes wachte und im Schmerz seine Stirn an ihre Brust preßte, da war ihm, als hörte er plötzlich ihr Herz schlagen. Er hob den Kopf, blickte der Toten ins Gesicht, und nun sah er im Schein der flackernden Kerzen, daß ihre Lider zuckten und zwei Tränen über ihre bleichen Wangen rollten. Gleich darauf öffneten sich ihre Augen, sie blickte ihn an und dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Der Schmerz des Ritters hatte dem Tod die holde Beute wieder entrissen. Voll dankbaren Glückes hob Johann von Passau seine Gemahlin von der Bahre und trug sie auf den Armen in ihr Schlafgemach. Es dauerte nicht lange, da war Agnes wieder ganz bei Sinnen. Sie richtete sich auf, nahm ihren Gemahl an der Hand und sagte zu ihm: „Deine Reue hat den Himmel versöhnt, dein Schmerz mich wieder ins Leben zurückgerufen. Versprich mir, daß du nie mehr fluchst, denn bei deinem nächsten Fluch müßte ich wieder in die Welt zurück, aus der ich gekommen bin!“ Da sank der Ritter zerknirscht auf die Knie und - 82 -
versprach seiner Gemahlin, was sie von ihm verlangte. Die Nachricht von der wunderbaren Begebenheit auf Burg Niederhaus verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Umgebung, doch keiner wollte sie so recht glauben. Da beschloß Johann von Passau, auf der Burg ein Fest zu geben und lud die Ratsherren von Passau und viele Freunde von früher dazu ein, damit sie Agnes mit eigenen Augen sehen könnten. Agnes aber fürchtete den Lärm und Trubel und sagte zu ihrem Gemahl: „Sag das Fest ab! Die Leute werden mich noch oft genug sehen, auch ohne daß sie auf die Burg geladen worden sind. Laß uns lieber allein bleiben und Gott in aller Stille für das Wunder danken, das er an mir vollbracht hat.“ Johann wollte jedoch nichts davon wissen und erwiderte unwirsch: „Es bleibt bei dem Fest! Ich will wieder einmal fröhliche Menschen auf der Burg sehen und will selber singen und lachen und mich des Glückes freuen!“ Aber auch Agnes beharrte auf ihrem Wunsch und sagte: „Ich glaube nicht, daß viele zu dem Fest kommen werden. Niemand ist gern mit einem Menschen beisammen, den der Tod bereits in den Armen hielt!“ Jetzt aber schoß Johann von Passau wieder die Flamme des Zorns ins Gesicht. Er vergaß, was er seiner Gemahlin versprochen hatte, schlug mit der Faust auf den Tisch und brüllte: „Verflucht!“ „Verflucht…!“ hallte es von den Wänden zurück. Johann fuhr bestürzt zusammen, aber es war schon zu spät. Agnes wurde vor seinen Augen immer bleicher und durchscheinender und entschwand schließlich wie ein Gebilde aus Nebel. Johann wollte nach ihr fassen und sie festhalten, griff aber nur noch ins Leere. - 83 -
Als am Abend die Ratsherren von Passau und einige Freunde zum Freudenfest auf die Burg kamen, lag Agnes schon wieder tot auf der Bahre. Stumme Bitterkeit lag auf ihrem Gesicht, und ihre Lippen waren schmerzlich zusammengepreßt. Kaum war sie zu Grabe getragen, da trieb die Verzweiflung ihren Gatten aus den verödeten Räumen der Burg. Niemand wußte, wohin er gegangen war, und niemand hat ihn wieder gesehen. Jahrhunderte sind inzwischen verflossen, aber noch heute kann man in mondhellen Nächten im Gemäuer der verfallenen Burg Seufzen und Klagen hören.
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DAS MOOSWEIBLEIN Vor undenklichen Zeiten hausten im Bayrischen Wald bei Passau noch die Moosweiblein und Moosmännlein. Sie glichen winzigen Zwergen, trugen Kleider und Röcklein aus Moos und Schürzen aus Tannenreisig, sie wohnten in Erdlöchern unter moosbewachsenen Steinen oder in hohlen Baumstämmen. Ihr größter Feind war der Wilde Jäger, wenn er auf seiner Jagd durch die Wälder eines von ihnen sah, stellte er ihm nach und tötete es. Eines Tages erblickte ein junger Holzfäller ein solches Moosweiblein. Es hockte auf einem Baumstrunk und warf unentwegt mit Bucheckern nach einem Eichhörnchen, das hinter dem Stamm einer Fichte hervorlugte. Sooft eines der leichten Geschosse geflogen kam, duckte sich das Tierchen hinter dem Baum. Das belustigte das Moosweiblein so sehr, daß es immer wieder hellauf lachte. Der Holzfäller sah diesem Treiben eine Weile zu, dann wollte er das Moosweiblein einfangen. Er schlich lautlos an das niedliche Wesen heran, als er aber nach ihm griff, hüpfte es ihm vor der Nase davon. So machte sich denn der junge Mann wieder an seine Arbeit, schwang das Beil und sägte bis in den sinkenden Tag hinein. Dann wollte er nach Hause gehen. Da stand plötzlich wieder das Moosweiblein einige Schritte vor ihm, hob die Händchen und flehte: „Geh nicht heim, bevor du in jeden gefällten Baum drei Kreuze gekerbt hast, sonst sind wir verloren!“ „Warum solltet ihr denn verloren sein?“ fragte der Holzfäller erstaunt. Das Moosweiblein erwiderte: „Weißt du denn nicht, daß uns der Wilde Jäger nachstellt? Sobald er eines von - 85 -
uns erwischt, tötet er es. Nur wenn wir auf einem Baumstamm sitzen, in den drei Kreuze geschlagen sind, sind wir sicher vor ihm.“ Da fühlte der rauhe Bursch Mitleid mit dem winzigen Geschöpfchen, nahm noch einmal die Axt zur Hand und hieb in jeden Baum, den er gefällt hatte, drei deutliche Kreuze. Als er aber damit fertig war, kamen von allen Seiten aus dem Dunkel des Waldes Moosweiblein und Moosmännlein auf ihn zu, und jedes schenkte ihm einen glänzenden Tannenzapfen. „Nimm sie zum Lohn dafür, daß du uns vor dem Wilden Jäger in Sicherheit gebracht hast!“ riefen sie. „Wir verden es dir nie vergessen!“ Es lagen zwar rundum genug Tannenzapfen auf dem Boden des Waldes, aber der Holzfäller wollte die kleinen Geschöpfe nicht kränken, deshalb nahm er ihre Geschenke dankend an und steckte sie in sein Ränzel. Dann ging er nach Hause. - 86 -
Daheim wollte er die Tannenzapfen gleich in den Schuppen werfen. Zu seiner Überraschung kollerten aber keine braunen, trockenen, sondern lauter goldene Zapfen aus seinem Ranzen. Der Bursch verkaufte sie und bekam dafür so viel Geld, daß er für sein ganzes Leben ausgesorgt hatte.
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FRAU ISA VOM JOCHENSTEIN Unterhalb der Burg Viechtenstein ragt ein wuchtiger Felsen, der Jochenstein, aus dem reißenden Strom auf. Er trägt die Wappen Bayerns und Österreichs, denn hier verläuft die Grenze zwischen diesen beiden Ländern. Ein Stückchen weiter stromabwärts treten die dunklen Waldhänge zu beiden Seiten der Donau weit zurück, dort liegt in lieblich-sonniger Landschaft Engelhartszell. Der Jochenstein aber – so sagen die Schiffsleute und Fischer – ist der Bergfried eines kristallenen Schlosses auf dem Grunde des Stromes, das von Frau Isa bewohnt wird. Jeden Abend steigt sie auf den Felsenturm, läßt sich auf ihm nieder und blickt den Strom hinauf und hinab. Bei Nebel warnt sie oft die Schiffer durch ihren weithin hallenden Ruf vor dem gefährlichen Felsen. Manchmal aber sitzt sie oben und singt. Dann klingt ihre Stimme so schön und verlockend, daß manch einer von den Schiffern, der sie hört, auf Klippe und Wogenwirbel nicht mehr achtet und den Verzauberten der Strom ins Reich der Frau Isa zieht. Früher einmal war Engelhartszell ein stilles, bescheidenes Dörfchen, und die meisten seiner Bewohner lebten vom Fischfang. Sie liebten ihre Donau, fürchteten sie aber auch, denn immer, wenn sie lehmgelb und reißend über die Ufer trat, brachte sie ihnen Unglück und Tod. Als einer der alten Fischer wieder einmal seine Netze flickte, saß sein Enkel Peter, ein junger Bursch, traumverloren neben ihm. Plötzlich fragte er den Alten: „Großvater, hast du auch schon einmal Frau Isa gesehen?“ „Nicht nur gesehen“, erwiderte der Fischer, „ich habe - 88 -
sie auch singen gehört!“ „Und ist sie wirklich so schön, wie die Leute sagen?“ forschte der Bursch weiter. „Sie ist schöner als jedes menschliche Wesen!“ versicherte der Alte. „Viel, viel schöner!“ „Ich möchte sie auch einmal sehen“, sagte Peter und blickte dabei ganz versonnen auf den Strom hinaus. „Das wünsche dir lieber nicht!“ entgegnete erschrocken der Fischer. „Es könnte leicht geschehen, daß sie dich mit ihrem Gesang betört.“ Einige Tage danach fuhr der Bursch mit seinem Vater stromaufwärts, um ihm ein Stück oberhalb des Jochensteins beim Schneiden von Weidenruten zu helfen. Sie arbeiteten den ganzen Tag, und erst als es schon dunkelte und dichter Nebel über den Strom hinstrich, dachten sie an die Heimfahrt. Bald schoß das Boot, mit Weidenruten beladen, in der reißenden Strömung dahin. Der Vater führte das Ruder, der Bursch saß vorn im Kahn und blickte durch den brauenden Nebel unverwandt nach dem Jochenstein aus, an dem sie jeden Augenblick vorüberkommen mußten. Plötzlich hörten sie einen weithin hallenden Ruf. „Frau Isa warnt uns!“ sagte der Vater und riß dabei das Steuer mit aller Kraft herum. Gleich darauf schossen sie knapp am Jochenstein vorbei. Seit diesem Erlebnis fand Peter weder Rast noch Ruhe. Er wollte die schöne Nixe unbedingt einmal sehen. Dieser Wunsch wurde in ihm so stark, daß er eines Nachts heimlich aus dem Hause schlich, das Boot vom Ufer löste und allein zum Jochenstein ruderte. Die Nacht war mondhell, und nichts war zu hören als das Glucksen und leise Rauschen des Stromes. Als der Bursch aber ganz an den gefürchteten Felsen herankam, - 89 -
vernahm er plötzlich eine wundersam lockende Frauenstimme. Er hielt im Rudern inne, und als er zur Höhe des Felsens emporschaute, sah er ganz deutlich - 90 -
Frau Isa auf den Zinnen ihres Turmes sitzen. Von ihrem Gesang angelockt, sprang Peter aus dem Boot und kletterte auf den Felsen. Jetzt sah er die Nixe ganz nahe. Sie trug ein grünes Schleiergewand und Wasserrosen im schwarzen Haar. Sie war so schön, daß er seine Blicke nicht mehr von ihr wenden konnte. Frau Isa lächelte ihm zu und fragte ihn: „Willst du nicht immer bei mir bleiben?“ „Das möchte ich schon“, antwortete Peter. „Wie aber könnte ich es?“ „Du müßtest nur alles vergessen“, sprach die Nixe, „deinen Vater, deine Mutter, deine Heimat und alles, was dir bisher lieb gewesen ist.“ Der Bursch blickte die schöne Frau wie verzaubert an und sagte: „Ja, ich will auf immer bei dir bleiben und alles vergessen!“ Da nahm ihn Frau Isa an der Hand und sprach: „Dann komm hinunter in mein Schloß, dort sollst du von nun an mit mir wohnen!“ Darauf stiegen sie miteinander über weiße Marmorstufen hinunter, immer tiefer und tiefer, bis sie in Frau Isas Palast waren. Er bestand ganz aus Kristall, und durch seine Wände leuchtete blaugrün das Wasser des Stromes. Wohin Peter blickte, überall schimmerte es von Gold und Perlen, die Tische, Stühle und Schränke waren aus purpurroten Korallen, das Bett der Nixe aber war aus tausenden rosaschimmernden Muscheln zusammengefügt. Peter stand mitten in all der Pracht und brachte vor Verwunderung kein Wort über seine Lippen. Frau Isa aber sagte: „Hier wollen wir nun miteinander leben, und du sollst in diesem Reich König sein!“ Kaum hatte sie dies gesagt, da hörte der Bursch aus - 91 -
der Höhe herab seinen Namen rufen. Er schreckte wie aus einem Traum auf und sagte: „Ich muß doch wieder heim, mein Vater ruft nach mir!“ Frau Isa schlang jedoch ihren Arm um seinen Nacken, hielt ihn fest und sprach: „Daheim bist du nur noch bei mir!“ Da hörte Peter seinen Vater ein zweites Mal rufen. Aber auch jetzt gab die Nixe den Burschen nicht frei. „Du hast mir versprochen, für immer bei mir zu bleiben“, sagte sie, „und mußt dein Wort auch halten!“ Da hörte Peter auch seine Mutter rufen. Aus ihrer Stimme klangen Schmerz und Verzweiflung. Er riß sich mit aller Kraft von der Nixe los und lief durch alle Räume ihres Palastes, bis er wieder zu der weißen Marmortreppe kam. Er wollte sie schon emporsteigen, da brauste und rauschte aber ringsum das Wasser auf ihn ein, und dann sah und hörte er nichts mehr. Als es wieder Tag wurde, sahen die beiden armen Fischersleute vom Ufer aus ihren toten Sohn auf dem Strom treiben. Frau Isa sitzt noch immer in hellen Mondnächten auf dem Jochenstein und singt ihr betörendes Lied.
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DAS SCHNEIDERSCHLÖSSEL Unterhalb der Stadt Passau wird das Bett der Donau wieder von gewaltigen Granitfelsen eingeengt und zu starken Krümmungen gezwungen. Über einer davon erhebt sich die Ruine Krämpelstein, die die Leute auch „das Schneiderschlösser nennen. Als der letzte Besitzer des Schlosses ohne Erben gestorben war, verfielen die Räume und Mauern immer mehr und mehr. Es stieg niemand zu dem verödeten Schloß hinauf, denn nachts drangen daraus seltsame Stimmen bis ins Tal hinunter. Eines Tages aber wählte ein armer Schneider, der nichts mehr besaß als eine weiße Ziege und nirgends Unterschlupf finden konnte, das verfallene Gemäuer zu seiner Wohnstatt. Nur ab und zu ging er ins Tal hinunter und suchte in den Dörfern nach Arbeit. Kam er dann wieder zurück, begrüßte ihn seine weiße Ziege mit freudigem Gemecker. Sooft er auf der Felsplatte vor der Ruine saß und fleißig nähte, war sie bei ihm oder rupfte ganz in seiner Nähe das bißchen Gras ab, das zwischen den Steinen wuchs. War das Futter jedoch schon knapp geworden, dann teilte der Schneider sein letztes Stück Brot mit ihr, und sie lohnte es ihm täglich mit einem Töpfchen schmackhafter Milch. So lebten der Schneider und seine Ziege genügsam und zufrieden in dem verfallenen Schloß und freuten sich ihres Lebens. Als der Schneider eines Tages wieder von seiner Behausung zur Donau hinabstieg, begegnete er einem Mädchen, das er bisher noch nie gesehen hatte und das ihm über alle Maßen gefiel. Er forschte ihm nach, und bald wußte er, daß es nur noch einen Bruder hatte und mit ihm in einer der Fischerhütten am Strom wohnte. Der - 93 -
Schneider dachte Tag und Nacht an das schöne Mädchen, und weil er allein in der Welt stand, beschloß er, es zu fragen, ob es seine Frau werden wolle. In seinem besten Gewand trat er vor das junge, hübsche Geschöpf hin und trug ihm mit viel Anstand und wohlüberlegten Worten sein Anliegen vor. Das Mädchen hörte ihm eine Weile zu, lachte ihm aber dann hellauf ins Gesicht und sagte schnippisch: „Glaubst du denn, daß ich zu dir in die Ruine zieh’? Dafür bin ich mir zu gut. Bleib nur allein mit deiner Geiß - 94 -
und laß mich in Frieden!“ Diese Antwort kränkte den Schneider sehr. Er verließ von diesem Tag an nur noch selten die Ruine. Er wollte am liebsten keinen Menschen mehr sehen. Um so zärtlicher war er jetzt seiner weißen Ziege zugetan. Die war aber schon sehr alt, und eines Morgens lag sie tot auf der Streu. Da setzte sich der Schneider zu ihr hin und vergrub sein tränennasses Gesicht in den Händen. Dann wollte er das tote Tier verscharren, aber es gab rundum nur Felsen, sodaß er keine Erde ausheben konnte. So fand denn der Schneider keinen anderen Ausweg, als die Ziege in die Donau zu werfen. Er legte sie über die Achsel und trug sie an den Rand des Felsens. Dabei verfingen sich, ohne daß er es merkte, die Spitzen der Hörner in seinem Wams, und als er das Tier in die Tiefe fallen ließ, riß es ihn mit in das rauschende und wogende Grab. In hellen Nächten jedoch soll der arme Schneider noch heute auf der Felsplatte sitzen, und dann soll auch das Meckern der Ziege zu hören sein. Schloß Krämpelstein aber erhielt für alle Zeiten den Namen „das Schneiderschlössel“.
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DER FINDLING Wo unterhalb Engelhartszell die Ranna in die Donau mündet, steht heute auf einem hohen Felsen das stolze Schloß Rannariedl. Es ist auf den Trümmern der alten, gleichnamigen Burg erbaut, ist aber viel größer und prächtiger, als diese je war. Als das alte Rannariedl vor langer Zeit von feindlichen Heerscharen erobert und bis auf die Grundmauern zerstört wurde, blieb fast keiner seiner Bewohner am Leben. Nur einer Magd gelang es, mit dem einzigen Söhnchen des Burgherrn zu flüchten. Sie lief, immer die Verfolger hinter sich, mit dem Kinde kreuz und quer durch den dichten Wald, der die Burg umgab, und dann hinunter zur Donau. Zu ihrem Glück lag da gerade ein Kahn. Sie legte hastig das Knäblein hinein, band den Kahn rasch los, setzte sich an die Ruder und stieß vom Ufer ab. Wenige Augenblicke später war aber auch schon einer ihrer Verfolger zur Stelle. Wütend darüber, daß ihm die Magd entwischt war, legte er den Bogen an und schoß ihr einen wohlgezielten Pfeil nach. Mitten in die Brust getroffen, stürzte die Unglückliche über den Rand des kleinen Schiffes und versank gleich darauf in den Fluten. Den Kahn aber, mit dem hilflosen Kind, faßte die Strömung und riß ihn fort. Erst unweit des Schlosses Heichenbach bemerkten zwei Fischer vom Ufer aus das auf den Wellen der Donau treibende Boot. Sie sprangen sogleich in ihren Kahn, ruderten dem Treibgut nach und brachten es ans Ufer. Wie groß war aber ihr Erstaunen, als sie darin das Knäblein liegen sahen. Sie nahmen es heraus, trugen es hinauf ins Schloß und erzählten ihrer Herrschaft, auf - 96 -
welche Art sie das Knäblein gefunden hatten. Die Gräfin nahm das Kind in ihre Arme, betrachtete es liebevoll und sagte dann zu ihrem Gemahl: „Schau doch, wie hübsch es ist! Am liebsten möchte ich es behalten und aufziehen als mein eigenes. Wir haben uns doch schon lange ein Kind gewünscht, aber keines bekommen. Jetzt hätten wir endlich eines!“ Der Graf, dem das Kind genauso gut gefiel wie seiner Frau, hatte gegen diesen Wunsch nichts einzuwenden, und so behielten sie den Findling im Schloß. Mit den Jahren wuchs das Kind zu einem Jüngling heran, der alle guten Eigenschaften und Tugenden eines Ritters besaß und seine vermeintlichen Eltern über alles liebte. Selbst als er erfuhr, daß er nicht der Sohn des Grafen und der Gräfin von Heichenbach, sondern ein Findling sei, änderte er seine Gefühle für die Zieheltern nicht. Auch an dem Mädchen, das die Gräfin inzwischen - 97 -
geboren hatte, hing er mit großer Zärtlichkeit. Eines Tages aber trat er vor den Grafen und die Gräfin und sagte zu ihnen: „Ich bin schon alt genug, um meine Kraft und meinen Mut zu erproben. In den Trümmern der Burg Rannariedl sollen Schätze vergraben sein. Nach denen laßt mich suchen. Mit dem Geist will ich wohl fertig werden!“ Seine Ziehschwester aber bat ihn angstvoll: „Tu es lieber nicht. Wenn du auch noch so stark und mutig bist, ein Geist ist immer noch stärker als du!“ Der Jüngling aber erwiderte lachend: „Dann will ich es erst recht mit ihm aufnehmen. Vielleicht kann ich ihn doch besiegen!“ Und er rüstete sich mit Waffen und Werkzeugen und machte sich noch am selben Tag auf den Weg nach Rannariedl. Aber wie seltsam! Je näher er seinem Ziele kam, desto weniger dachte der Jüngling an Kampf und Abenteuer und desto weniger war es ihm auch noch darum zu tun, die vergrabenen Schätze zu heben. Nur eine unerklärliche, nie gefühlte Sehnsucht beflügelte seinen Schritt. Als er dann endlich vor der Ruine stand, fragte er sich ganz bestürzt: „Warum bin ich denn mit einemmal so traurig? Ich habe doch schon so manche verfallene Burg gesehen, ohne daß ich von ihrem Schicksal ergriffen gewesen wäre!“ Aber er wußte keine Antwort darauf, setzte sich auf einen kleinen Hügel und starrte trüb auf das ringsum wuchernde Unkraut. Plötzlich stand der Schloßgeist vor ihm. Er sah jedoch nicht furchterregend, sondern wie ein alter, würdevoller Kastellan aus und sprach freundlich: „So seid Ihr endlich doch wiedergekommen, junger Herr! Ich habe viele Jahre lang auf Euch gewartet und die Schätze gehütet, die Euer Vater Euch hinterlassen hat! Kommt nun mit mir, damit - 98 -
ich sie Euch übergebe!“ Dann führte er den erstaunten Jüngling durch die Trümmer der alten Burg zu einer steinernen Treppe. Auf ihren brüchigen Stufen stiegen sie in die Tiefe und kamen zu einer verrosteten Tür. Hier hob der Geist seine rechte Hand, die Tür sprang auf, und sie betraten ein niederes Gewölbe, in dem mehrere große Truhen standen. Der Schloßgeist wies auf sie hin und sagte: „Hier drinnen sind die Schätze, junger Herr! Sie gehören jetzt Euch, denn Ihr seid der einzige Sohn und Erbe der Toten. Unter dem Hügel, auf dem Ihr vorhin gesessen seid, liegen Euer Vater und Eure Mutter begraben!“ Kaum aber hatte der Geist das letzte Wort gesprochen, da war er verschwunden. Der junge Graf öffnete sogleich die Truhen, sie waren bis oben mit Gold und Edelsteinen gefüllt. Schon ein Jahr später erstand auf den Trümmern der alten Burg ein neues Schloß. Als es fertig war, ließ der junge Graf die Gebeine seiner Eltern in schönen Särgen in der Gruft unter der Kapelle beisetzen. Und als wieder ein Jahr vergangen war, da machte er seine Ziehschwester, das schöne Töchterlein des Burgherrn von Heichenbach, zu seiner Gemahlin, er lebte dann viele, viele Jahre mit ihr glücklich in dem neuen, prächtigen Schloß.
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DIE BURGFRAU VON FALKENSTEIN Wo sich der Rannabach zwischen dunkelbewaldeten Bergen in die Donau ergießt, stehen auf vielen Höhen stolze Burgen. Eine davon ist Falkenstein. Es ist schon Jahrhunderte her, da zog einmal ihr Besitzer, der junge Othmar von Falkenstein, nach Aachen in die Kaiserpfalz, um von Maximilian, dem neugekrönten deutschen Kaiser, den Ritterschlag zu empfangen. Als er wieder heimreiste, mußte er einen ganzen Tag entlang dem Ufer des Rheins reiten. Ehe er aber den nächsten Ort und eine passende Herberge für die Nacht erreichte, wurde es bereits dunkel, und bald stieg auch am Himmel der volle Mond empor. In seinem silbernen Licht bemerkte Othmar plötzlich am Ufer des Rheins ein Mädchen. Er ritt zu ihm hin und sah, daß es blond und sehr schön war. Da fragte er es: „Seid Ihr ein Mensch oder ein Wesen, das auf den Strahlen des Mondes zur Erde gekommen ist?“ Das Mädchen erwiderte lächelnd: „Ihr meint, ich sei eine Elfe? Nein, nein, Ihr irrt. Ich wohne in einem Schloß und liebe es, bei Mondschein in den Wellen des Rheins zu baden.“ „Darf ich Euch heimbegleiten?“ fragte der junge Ritter, dem das Schloßfräulein immer besser gefiel. „Das dürft Ihr, wenn es Euch Freude macht“, erwiderte das Mädchen, „es ist auch schon spät, und bis zur nächsten Herberge habt Ihr noch eine gute Weile zu reiten. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr die Nacht auch in meinem Schloß verbringen. Ein Lager für Gäste steht immer darin bereit!“ Der Ritter nahm diese Einladung mit Freuden an, hob - 100 -
die zierliche Gestalt gleich auf sein Pferd und führte das Mädchen den Weg, den es ihm wies. Im Schlosse angekommen, saß der Ritter noch eine Weile mit dem Fräulein an der Tafel, und erst gegen Mitternacht gingen sie zur Ruhe. Schon zeitig am Morgen stand Othmars Roß gesattelt auf dem Hof. Doch ehe der junge Ritter von der Herrin des Schlosses Abschied nahm, bat er sie, seine Gemahlin zu werden. Da sah ihn das Fräulein eine Weile lang aus unergründlichen Augen an, dann sagte es ernst: „Ich nehme Eure Werbung an, doch nur unter einer Bedingung!“ „Nennt sie mir“, bat der Ritter stürmisch, „ich will jede Bedingung erfüllen!“ „Ihr müßt mir versprechen, daß ich in den Nächten des - 101 -
Vollmondes allein sein darf und Ihr mich niemals fragen werdet, was ich dann tu’!“ „Das verspreche ich Euch gern!“ erwiderte der Ritter, und er schloß seine schöne Braut glückselig in die Arme. Bald darauf wurde Hochzeit gefeiert und Othmar zog mit seiner schönen Frau heim auf die Burg Falkenstein. Nun befand sich oberhalb der Feste ein Turm. Betrat man ihn, so kam man zu einer Treppe, die hinab zu einem tiefen Becken voll klaren Wassers führte. Diesen Turm erwählte sich nun die Schloßfrau zu ihrem Aufenthalt, wenn sie allein sein wollte. Der Ritter ließ sie gewähren, ohne weiter zu fragen. So lebten denn die beiden sehr glücklich. Niemals trennte sich eines vom ändern, nur wenn der volle Mond über der Burg stand, erhob sich die junge Frau von ihrem Lager und ging in den Turm, wo sie so lange verweilte, bis der Mond wieder unterging. Das beobachteten aber auch die Knechte und Mägde. Sie steckten die Köpfe zusammen, und bald taten das auch die Leute unten im Dorf. Sie raunten einander zu, daß die neue Schloßherrin eine Hexe sein und im Turm schändliche Dinge treiben müsse. Als dieses Gerücht eines Tages auch dem jungen Grafen zu Ohren kam, fand er keine Ruhe mehr. Sein Mißtrauen gegen die schöne Gemahlin war plötzlich erwacht und ließ ihn Tag und Nacht nicht mehr los. Schließlich konnte er sich nicht mehr bezwingen, und als die Frau wieder einmal in den Turm ging, schlich er ihr nach. Vor dem Turm wartete und lauschte er erst eine Weile. Da er aber nichts hörte, öffnete er mit einem zweiten Schlüssel die Tür und stieg lautlos die Treppe hinunter. Auf einer der letzten Stufen blieb er wie gebannt stehen, denn jetzt sah er im Mondlicht, das durch ein - 102 -
vergittertes Fenster ins Innere des Turmes fiel, seine Frau in dem steinernen Becken baden. Sie schwamm im klaren Wasser munter umher und schüttelte ihre nassen Locken. Sooft sie aber untertauchte, schnellte ein schuppiger Fischschwanz aus dem Wasser empor. – Sie war eine Nixe! Da rief sie der Ritter entsetzt bei ihrem Namen. Die Nixe schrie auf, als hätte ein Pfeil sie ins Herz getroffen. Nun raste Othmar die Treppe wieder hinauf und aus dem Turm ziellos in die Nacht hinaus. „Das ist es also“, sagte er sich, „was sie vor mir verborgen hat! Sie ist eine Nixe, die der Liebe eines irdischen Mannes bedarf, um eine Seele zu bekommen. Darum hat sie auch die Gestalt eines Mädchens angenommen. In den Vollmondnächten aber ist sie wieder, was sie war – eine seelenlose Nixe!“ Von solchen Gedanken gehetzt, jagte der Ritter stundenlang kreuz und quer durch den Wald, der sich hinter seiner Burg hügelauf und hügelab hindehnte. Dabei bemerkte er gar nicht, daß ein schweres Gewitter aufzog. Erst als der Sturm die Bäume bog, als es taghell blitzte und die Erde von schweren Donnerschlägen erzitterte, besann er sich wieder und kehrte in die Burg zurück. Indessen hatte aber die Liebe zu seiner Gemahlin allmählich über seine Enttäuschung und seine Verzweiflung gesiegt. „Es ist nicht ihre Schuld, daß sie eine Nixe ist“, sagte er sich. „Sie liebt mich und hat mich glücklich gemacht. Ich muß ihr diese Liebe vergelten und ihr treu sein bis zum Tode, damit sie eine Seele bekomme und nach dem Tod in die ewige Seligkeit eingehe!“ Als er jedoch im Morgengrauen das Gemach seiner Frau betrat, war sie nicht mehr da. Er suchte sie in allen - 103 -
Räumen, fand sie jedoch nirgends. Sie hatte ihn, da er sein Wort gebrochen hatte, verlassen müssen und blieb für alle Zeiten verschwunden. Der Schmerz um sein verlorenes Glück verdüsterte Othmars Sinne, und er starb einsam und umnachtet in seiner Burg. Der Wasserturm steht heute noch. Er trägt das Wappen der Herren von Falkenstein und die Jahreszahl 1488. Dreißig Stufen führen zu dem steinernen Becken hinunter, in das sich einst eine Quelle ergoß, doch ist das Wasser längst versiegt.
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DIE HEIDENSTADT Zwischen Wesenufer und Schlögen, wo sich heute saftige Wiesen und fruchtbare Felder ausbreiten, soll vor undenklichen Zeiten ein großer, prächtiger Ort, die „Heidenstadt“, gestanden sein. In ihr erhoben sich viele Paläste aus weißem Marmor, die von goldenen Türmen und goldenen Kuppeln gekrönt waren. Wenn die Sonne schien, spiegelte sich diese märchenhafte Schönheit im ruhig dahinfließenden Strom. Die Bewohner waren so reich, daß sie niemals an Arbeit dachten, sondern nur dem Vergnügen nachgingen und schwelgten und praßten. In ihrem Übermut verfielen sie in Abgötterei, ließen einen Tempel erbauen, der alle Paläste noch hoch überragte, und stellten darin ein goldenes Kalb auf, um es anzubeten. Kaum aber war der Tempel fertig, und viele prächtig gekleidete Menschen waren zum erstenmal vor dem Götzenbild versammelt, da verfinsterte sich der Himmel, die Erde erbebte, barst auseinander, und die ganze Stadt samt ihren sündigen Bewohnern stürzte in die Tiefe. Nichts mehr gemahnte an sie als ein Hügel, unter dem der Tempel der Heidenstadt verschüttet war. Jahrhunderte waren seitdem vergangen, die Bauern bestellten über der versunkenen Stadt den Boden, und er trug Früchte wie jeder andere. Einmal aber wollte ein Bauernbursch doch allzu gern wissen, wie tief auf dem Hügel eine Eisenstange in die Erde eindringen würde. Als er das nächstemal auf dem Feld über dem verschütteten Tempel zu pflügen hatte, nahm er aus dem Schuppen eine lange eiserne Stange mit und stieß sie mit aller Kraft in den Boden. Dabei hörte er ein seltsames Klingen. Das machte ihn aber erst recht - 105 -
neugierig. Jetzt nahm er auch noch einen Stein und schlug damit einige Male auf das eine Ende der Stange, das aus dem Boden herausragte. Die Stange drang bei jedem Schlag tiefer in das Erdreich ein und verschwand schließlich ganz darin. Gleich darauf hörte der Bursch aus der Tiefe ein lautes Klirren, als wäre das Eisen in einem leeren Raum auf etwas Hartes aufgefallen. Nun lief es ihm freilich kalt über den Rücken, denn er sagte sich: „Vielleicht stehe ich wirklich über dem verschütteten Götzentempel, von dem die Leute immer wieder erzählen, und habe die Stange durch das Dach gestoßen, sodaß sie auf den Boden der Halle fiel. Wer weiß, was nun geschieht!“ Schreckerfüllt ließ er die Ackergeräte liegen und stehen und lief, so schnell er konnte, nach Hause. Daheim erzählte er seinen Leuten, was er erlebt hatte, und die erzählten es wiederum weiter. Niemand wagte es mehr, den Hügel über dem Tempel zu betreten. Es dauerte nicht lang, da begann Unkraut und wildes Gesträuch darauf zu wachsen und zu wuchern. So ist denn die Heidenstadt mit ihren unermeßlichen Schätzen bis heute verschüttet geblieben.
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DIE SCHLANGENINSEL Am Zusammenfluß der großen Mühl und der Donau stand vor Zeiten das Schloß Neuhaus, die Trutzburg der Grafen von Schaunberg. Ihre Besitzer hatten das Recht, von den vorbeiziehenden Schiffen Zölle einzuheben, sie bedienten sich dazu ihrer Vögte, die aber durch Grausamkeit und Erpressungen das Recht, das sie besaßen, rücksichtslos mißbrauchten. Am ärgsten trieb es der Burgvogt Wernhard Gneuß, der um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts Neuhaus verwaltete. Eines Tages kam wieder einmal ein schwerbeladenes Schiff aus Regensburg donauabwärts gefahren und versuchte bei Neuhaus zu landen, um den vorgeschriebenen Zoll zu entrichten. Doch ehe es noch anlegen konnte, war der heimtückische Vogt schon zur Stelle und befahl seinen Knechten, das Schiff mit eisernen Haken ans Ufer zu ziehen. Sie gehorchten und führten dann den Kaufherrn vor den Vogt. Wernhard Gneuß stand breitbeinig da und brüllte den Kaufherrn an: „Ihr wolltet vorüberfahren und mich um den Zoll prellen. Ich hab’ Euch jedoch durchschaut!“ Der Kaufherr aber beteuerte: „Ihr irrt Euch, Vogt, ich bin ein ehrlicher Mann und hatte meinem Steuermann bereits befohlen anzulegen.“ „Er tat es aber nicht!“ schrie der Vogt. „Er tat es nicht, und deshalb ist die Fracht verfallen!“ Und schon gab er seinen Knechten ein Zeichen, auf das Schiff zu springen und die Waren herauszuholen. Weil sich aber die Schiffsleute mit allen Kräften gegen die Plünderer zur Wehr setzten, befahl der Vogt seinen Knechten auch noch: „Bindet sie und bringt sie hinauf auf die Burg!“ - 107 -
Da konnte sich der Kaufherr nicht mehr länger beherrschen und schrie dem Vogt ins Gesicht: „Ihr mißbraucht Euer Recht, das ist Gewalt, nichts als rohe Gewalt!“ Wernhard Gneuß winkte wieder seinen Leuten und befahl ihnen mit höhnischem Lächeln: „Bringt auch diesen Mann auf die Burg, er soll die Herren von Regensburg eine schöne Stange Lösegeld kosten!“ Noch ehe die Knechte den Kaufherrn fesselten, erhob dieser die Faust gegen den Vogt und rief mit gewaltiger Stimme: „Sei verflucht, du teuflischer Räuber und Schurke! Du sollst nicht sterben wie ehrliche Leute, sondern elend zugrunde gehen!“ Im nächsten Augenblick aber schleppten ihn schon zwei bärenstarke Knechte vom Ufer fort ins Burgverlies. Wernhard von Gneuß lachte nur über den Fluch und sah dann zu, wie seine Knechte das Schiff ausräumten. Der Regensburger Kaufherr und seine Schiffsleute aber blieben auf Neuhaus so lange gefangen, bis die Regensburger Stadtherren für sie das hohe Lösegeld bezahlten, das der Vogt gefordert hatte. Bald danach ließ Wernhard von Gneuß auf einer nahen Insel einen Turm erbauen, damit er den Strom besser überwachen lassen könne. Das Amt des Turmwarts aber übertrug er seinem Knappen Walter, der so gewissenlos war wie sein Herr. Die Klagen über das schändliche Treiben des Burgvogts von Neuhaus drangen schließlich bis an den Hof Albrechts des Weisen. Der Herzog aber berichtete darüber auch dem Kaiser, damit dieser der Willkür des Vogtes Einhalt gebiete. Als Wernhard von Gneuß davon erfuhr, flüchtete er auf die Insel, auf der der Wartturm stand. Am nächsten - 108 -
Tag schickte er Walter in die Burg, um aus der Vorratskammer Essen und Trinken für lange Zeit zu holen. Als der Knappe aber wenige Stunden später auf die Insel zurückkehrte, lag sein Herr tot vor dem Turm. Ein ganzes Heer von schwarzen, giftigen Vipern hatte seinen Leib und sein Gesicht zerfressen. Da schüttelte den Knappen eisiges Grauen. Er wollte davonlaufen, stolperte aber über einen Stein und fiel mitten in das Gewimmel der Vipern hinein. Die Schlangen bereitete ihm dasselbe schreckliche Ende wie seinem Herrn. Der Fluch des Regensburger Kaufherrn hatte sich grauenvoll erfüllt. Die Insel aber, auf der dies geschehen war, wurde von den Schiffern nur noch „die Schlangeninsel“ genannt.
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DAS FAUSTSTÖCKL Auf einem Felsen des Landshaagberges, gegenüber dem Orte Aschach an der Donau, steht ein einstöckiges, schloßähnliches Haus. Weil Doktor Johannes Faust darin gewohnt haben soll, heißt es „das Fauststöckl“. Doktor Faust war einer von jenen Fahrenden Gesellen, die im Mittelalter zu Tausenden kreuz und quer durch die Länder zogen. Er war ein gelehrter Mann und berühmter Schwarzkünstler, der mit großer Geschicklichkeit abergläubische und einfältige Menschen zu täuschen vermochte. Weil sich die Leute jedoch seine Zaubereien nicht erklären konnten, glaubten sie fest daran, daß er mit dem Teufel im Bunde stehe. Faust hatte auch wirklich einen Pakt mit dem Fürsten der Hölle geschlossen. Der Satan sollte ihm jeden Wunsch auf Erden erfüllen und zum Lohn dafür nach einer bestimmten Frist die Seele Fausts bekommen. Sobald er aber einen Wunsch nicht erfüllen könne, sollte der Pakt null und nichtig sein. Gleich nachdem Faust mit einem Tröpflein seines Blutes diesen Vertrag unterschrieben hatte, trat er auch in Kraft, und Faust begab sich mit dem Teufel als Diener auf die Reise. Er besah sich die weite Welt und genoß das Leben in vollen Zügen. Eines Abends kamen die beiden auch in das Dörfchen Landshaag an der Donau. Faust war schon recht müde und wollte einmal ordentlich ausruhen. Er betrachtete die Gegend, wies dann mit der Hand auf den Berg hinter“ dem Dorf und sagte zu seinem Begleiter: „Hier ist es sehr schön. Bau mir dort oben ein Schlößchen, ich will noch heute darin übernachten!“ Der Teufel war solche sonderliche Wünsche seines - 110 -
irdischen Gebieters gewohnt. Er verzog keine Miene, eilte so schnell wie der Blitz den Berg hinan und rief gleich seine dienenden Geister zur Arbeit aus der Hölle herauf. Kaum waren sie zur Stelle, da begannen sie auch schon fürchterlich zu rumoren, zu hämmern und zu sägen. Während Faust im Dorfwirtshaus saß, erstand auf der Anhöhe ein stattliches, einstöckiges Haus, das der Teufel auch gleich auf das prächtigste einrichtete. Als Faust es dann fertig sah, gefiel es ihm so gut, daß er beschloß, nicht einen Tag nur, sondern viele Tage darin zu bleiben. Schon am nächsten Morgen stieg er vom Berg hinunter, ging in das Dorf und ließ dort die neugierigen Leute durch seine unerhörten Kunststücke aus dem Staunen gar nicht herauskommen. Es dauerte nicht lang, da war Faust auch im Donautal als Zauberer bekannt und berühmt. Aber trotz aller Freuden und Genüsse, die der Teufel ihm verschaffte, war Faust seines Lebens nicht froh, denn d«r Satan an seiner Seite lauerte unentwegt auf seine Seele. Um diese zu retten, ersann Faust Wünsche und Aufträge, von denen er hoffte, daß sie der Teufel nicht erfüllen könne. So verlangte er eines Tages von ihm: „Schlage kurz vor meinem galoppierenden Roß über den Strom eine Brücke und reiße sie hinter ihm sofort wieder ab!“ Der Teufel kratzte sich nachdenklich hinter den Ohren und rief dann wieder seine Gehilfen herbei. Als eine Weile später Faust auf seinem Pferd an das Ufer gesprengt kam, war die Brücke auch schon fertig. Er galoppierte darüber, und als er ans andere Ufer setzte, stürzte sie augenblicklich ein und versank in den Fluten. Ein anderes Mal wollte Faust den Bauern von - 111 -
Landshaag ein Festmahl geben. „Stell für heute mittag eine lange Tafel auf“, befahl er zeitig am Morgen dem Teufel, „und belade sie mit den köstlichsten Speisen und Getränken. Auch eine Kegelbahn mitten auf dem Strom schaff mir herbei, ich möchte nach dem Essen mit den Bauern kegeln!“ Auch diesen schwierigen Auftrag konnte der Teufel - 112 -
ausführen. Pünktlich zu Mittag stand eine lange Tafel bereit, die mit Braten, Wildbret und Würsten, Früchten und Krügen voll des besten Weines über und über beladen war. An ihr saßen dann die bäuerlichen Gäste und aßen und tranken, bis ihre Bäuche voll waren. Nach dem Essen aber lud Faust sie ein, mit ihm auf der Donau zu kegeln. Die Bauern sahen zwar die spiegelglatte, glitzernde Bahn mitten auf dem Strom, wagten aber nicht, das Wasser zu betreten. So ging denn zu ihrer Verwunderung Faust allein bis in die Mitte des Stroms, blieb dort stehen, rief eine Schar kleiner Teufel zum Spiel und befahl dann ihrem höllischen Gebieter: „Du geh ans obere Ende der Bahn und setz die Kegel auf!“ Der Satan brummte zwar, gehorchte aber auch diesmal. Nun begann ein Kegelspiel, bei dem die Kugeln auf dem spiegelglatten Wasser nur so dahinsausten und die getroffenen Kegel rechts und links weit über die Ufer des Stroms hinausflogen. Der Teufel sprang dahin und dorthin, um die Kegel wieder herbeizuschaffen, und schwitzte dabei, daß ihm das Wasser von der Stirn rann. Als er einmal einen Kegel nicht gleich finden konnte, warf Faust ihm eine Riesenkugel mit solcher Wucht an den Kopf, daß er vor Schmerz laut aufschrie. Das Spielchen dauerte den ganzen Nachmittag. Erst als Faust müde geworden war, kehrte er wieder vom Wasser ans Ufer zurück. Die Kegelbahn aber und die Teufelchen, die mitgespielt hatten, waren im selben Augenblick spurlos verschwunden. Zuletzt mußte der Teufel aber auch noch im Handumdrehen eine gepflasterte Straße vom Fauststöckl bis zum Schlosse Neuhaus erbauen. Auch diese Arbeit - 113 -
leistete er, wie Faust sie ihm befohlen hatte. Und nun freute er sich schon auf die Seele des Doktors, denn die im Pakt vereinbarte Zeit war um. Und richtig! Eines Nachts hörten die Leute von Landshaag und auch die drüben in Aschach aus dem Fauststöckl lautes Ächzen und Stöhnen. Gleich danach erbebte die Erde, und grelle Blitze zuckten über den mitternächtigen Himmel. Die letzte Stunde für den großen Zauberer war gekommen. Am ganzen Leibe zitternd, verkroch er sich in einen Winkel seines Hauses, doch es half ihm nichts. Der Teufel kam durch die Luft dahergefahren, fand ihn auf den ersten Blick, packte ihn und fuhr mitten durch die Mauer mit ihm in die Nacht hinaus. Nun rief der Doktor den Himmel um Gnade an. Aber es war zu spät, und der Teufel entführte ihn in die Hölle. Am nächsten Morgen sahen die Landshaager das riesige Loch in der Mauer. Faust aber war und blieb für immer verschwunden. Das Mauerloch ist heute noch zu sehen, und jedesmal, wenn die Schiffer an Landshaag vorüberfahren, deuten sie hinauf auf „das Stöckl“ und sagen: „Von dort oben schaut Doktor Faust herunter!“
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DER SPRINGERWIRT Am Donauufer, nicht weit von Eferding, stand früher einmal ein alter Gasthof. Der Wirt sah immer griesgrämig drein, denn die Bauern, die nur jeden Samstag und Sonntag trübselig genug in der Gaststube beisammensaßen, machten keine große Zeche. An einem schwülen Nachmittag im Sommer hockten nun wieder ein paar Eferdinger Bauern hinter ihren Gläsern, die mit saurem Wein gefüllt waren, sie sprachen kaum ein Wort miteinander. Der Wirt saß hinter dem Schanktisch und war nahe daran, vor Langeweile einzuschlafen. Doch plötzlich drang durch das offene Fenster fröhliches Pfeifen in die Stube. Die Bauern hoben neugierig ihre Köpfe und sahen auf der Straße einen lustigen Gesellen, der geradewegs auf das Gasthaus zukam. Gleich darauf betrat er auch schon die Wirtsstube, grüßte die Bauern und rief dem Wirt zu: „Holla, Herr Wirt! Verzeiht mir, daß ich Euer Schläfchen störe. Ich bin aber durstig und möchte ein Glas Wein! Doch bringt mir den besten, den Ihr im Keller habt!“ Als der Wirt hörte, daß der Bursch den besten Wein wünsche, war er im Augenblick munter. Er eilte gleich in den Keller, füllte einen Krug mit dem allerbesten und teuersten Wein und kehrte damit in die Stube zurück. Dort schenkte er davon ein Glas voll, stellte es vor den Burschen, setzte sich zu seinem Gast an den Tisch und sagte: „Wohl bekomm’s!“ Nachdem der Bursch einen tüchtigen Schluck getan hatte, fragte ihn der Wirt: „Wie schmeckt er Euch?“ „Vortrefflich“, erwiderte der Geselle, „es ist ein guter Tropfen!“ - 115 -
„Der beste, den ich in den Fässern habe“, beteuerte der Wirt. „Es gibt auch keinen besseren weit und breit!“ Dann aber wollte der Wirt auch etwas über den neuen Gast wissen, und er sagte zu ihm: „Ihr kommt gewiß von weit her, sonst müßte ich Euch kennen.“ „Da habt Ihr recht“, gab der Bursch zur Antwort. „Ich habe halb Europa durchwandert.“ „Seid Ihr vielleicht ein Handwerksgeselle?“ fragte der Wirt weiter. Aber der fröhliche Gast wehrte lachend ab und sagte: „Da habt Ihr weit daneben geraten! Ich bin ein Doktor der Magie.“ Der Wirt riß erstaunt die Augen auf und wiederholte voll Ehrerbietung: „Ein Doktor der Magie?“ „Und was für einer!“ setzte der Fremde fort. „Meine Kunststücke wurden sogar von den höchsten Herrschaften, von Fürsten und Grafen bewundert.“ Jetzt rückten auch die Bauern, die den beiden zugehört hatten, näher an den Tisch des Zauberkünstlers heran, damit ihnen nur ja kein Wörtchen entgehe. Der Wirt wollte auch einmal ein solches Zauberkunststück mit eigenen Augen gesehen haben und bat den Doktor: „Mit Verlaub, wollt Ihr mir nicht auch eines von Euren Kunststückchen zeigen?“ „Recht gern!“ erwiderte der Gast. „Wenn Ihr wollt, werde ich sogleich höher springen als Euer Haus!“ Der Wirt lachte hellauf und rief: „Höher als mein zweistöckiges Haus? Das glaub’ ich Euch nicht!“ „Und wenn es fünf Stockwerke hätte“, antwortete der Magier selbstsicher, „ich spränge immer noch um vieles höher. Was gilt die Wette?“ „Da wett’ ich um was Ihr wollt!“ erklärte der Wirt, „denn ich gewinne auf jeden Fall.“ - 116 -
„Dann soll also folgendes gelten“, sagte der Fremde. „Ich zahle fünfzig Humpen Eures besten Weines, wenn ich die Wette verliere. Gewinn’ ich sie aber, gehört Euer Haus - 117 -
mir!“ „Gut!“ rief der Wirt. „Auf diese Wette geh’ ich ein.“ Und er schlug dabei dem Gast kräftig in die Hand. Der aber wandte sich den Bauern zu und sagte: „Ihr habt unsere Wette gehört. Wenn es nötig sein sollte, seid Ihr meine Zeugen!“ Dann erhob er sich, ging mit dem Wirt und den Bauern vors Haus und krempelte draußen zum Spaß noch die Hosenbeine bis zu den Knien auf. Als er damit fertig war, rief er: „Seht her!“ und schon sprang er vom Boden auf. Er kam aber nicht höher als einen Meter und stand gleich wieder auf den Füßen. Der Wirt hielt sich vor Lachen den Bauch und rief: „Fünfzig Humpen verloren!“ „Noch nicht, noch nicht!“ erwiderte der Bursch. „Jetzt bin erst ich gesprungen. Nun kommt die Reihe noch an Euer Haus.“ Und er befahl ihm: „Also hüpf, du alter Kasten!“ Da wurde der Wirt vor Wut krebsrot im Gesicht und schrie: „So war die Wette nicht gemeint! Ihr seid ein Betrüger!“ Die Bauern aber lachten über den Hereinfall des Wirtes und bezeugten, daß der Fremde behauptet habe, daß er höher springen könne als das Haus. Und das habe er auch wirklich bewiesen, denn das Haus konnte überhaupt nicht springen. Damit aber habe er die Wette gewonnen. „Mein Haus bekommt er aber trotzdem nicht!“ schrie der Wirt, „und wenn er hundertmal die Wette gewonnen hat!“ „Ich will es auch gar nicht haben“, antwortete der Bursch lachend. „Es war ja nur ein Scherz von mir. Ich wäre schon zufrieden, wenn ich bei Euch arbeiten dürfte, denn das Herumwandern freut mich schon lang nicht - 118 -
mehr.“ Als der Wirt dies hörte, atmete er erleichtert auf, und weil er hoffte, daß der junge Spaßvogel mehr und mehr Gäste anlocken würde, stellte er ihn als Schankburschen an. Der Wirt hatte sich nicht geirrt. Es sprach sich bald weit und breit herum, daß der Schankbursch in dem alten Gasthof bei Eferding ein junger Doktor der Magie sei, der jeden Tag die unglaublichsten und lustigsten Kunststücke zum besten gebe. Bald fand sich in der Wirtsstube kein leerer Platz mehr. Die Gäste aßen und tranken, und der Schankbursch belustigte sie immer wieder mit neuen Spaßen und Schnurren. Gleichzeitig war er aber auch so fleißig und tüchtig, daß der Wirt allen Grund hatte, sich zufrieden die Hände zu reiben. Es dauerte nicht lang, da konnte die alte Wirtsstube die vielen Gäste gar nicht mehr fassen und mußte einer größeren und schöneren weichen. Der Wirt aber wurde ein reicher Mann. Einige Jahre später brach eine böse Seuche im ganzen Land aus und raffte auch den lustigen Gesellen dahin. Der Wirt beklagte seinen Tod tief, als wäre ihm ein eigener Sohn gestorben, und ließ ihn auf dem Gasthausschild verewigen. Das Bild zeigte den Schalk als einen springenden Harlekin. Es gab auch dem Wirtshaus den Namen „Zum Springerwirt“.
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DER ALTE BURGKELLER Am Beginn einer von Granitfelsen und bewaldeten Bergen gebildeten Pforte, die die Donau vor Linz durchfließt, liegt am linken Ufer des Stroms Ottensheim mit seinem prächtigen Schloß und am rechten Wilhering mit dem gleichnamigen Zisterzienserstift. Hoch über Wilhering aber stand mitten im Kürnberger Wald früher einmal eine Burg der Ritter von Kürnberg. Als die Burg schon längst verfallen war, stieg eines Tages ein Bürger aus Ottensheim zur Ruine hinauf. Er war in trübe Gedanken versunken, denn seine Frau lag daheim krank danieder, und kein Arzt konnte ihr helfen. Der Mann und seine Kinder hingen aber in großer Liebe an ihr und wollten sie nicht verlieren. Als der Mann dann zwischen den Mauertrümmern der Burg umherging, entdeckte er eine steinerne Stiege, die in die Tiefe führte. Neugierig stieg er auf ihr hinab und sah, daß sie vor einer schweren eisernen Tür endete. Diese ließ sich öffnen, und der Mann stand nach einigen Schritten in einem großen gewölbten Keller. Rechts und links an den feuchten Wänden lagen riesige Weinfässer, aber nur in das größte war eine Pipe geschlagen. Da sagte sich der Mann: „Wenn das Faß noch Wein enthält, muß er jahrhundertealt sein!“ Dann blickte er um sich und sah in einem Winkel des Kellers einen irdenen Krug stehen. Er nahm ihn und hielt ihn unter die Pipe. Als er sie aufdrehte, floß ein Wein aus dem Faß, der so gelb wie Gold war und herrlich duftete. Der Mann kostete ihn und dachte: Das wäre ein Wein für meine kranke Frau, der würde ihr gewiß wieder Kraft geben. Und er ließ den Krug vollaufen. Als er aber den Keller mit dem köstlichen Trunk - 120 -
wieder verlassen wollte, standen plötzlich drei Gestalten in uralter schwarzer Tracht vor ihm und sahen ihn wortlos und finster an. Da erschrak der Mann und stammelte: „Seid ihr vielleicht die Kellermeister der Burg?“ Die drei aber sprachen wieder kein Wort, sondern nickten nur. „Ich ahnte nicht, daß der Keller dieser verfallenen Burg noch jemandem gehöre“, beteuerte ihnen der Ottensheimer, am ganzen Leib zitternd. „Ich wollte den Krug voll Wein meinem kranken Weibe bringen.“ Jetzt nickten die drei schon viel freundlicher, aber jeder legte dabei den Zeigefinger der rechten Hand an die geschlossenen Lippen, sie gaben dem Mann so zu verstehen, daß er allen Menschen gegenüber schweigen solle. Der Ottensheimer verstand, was sie meinten, und sagte: „Ja, das verspreche ich euch!’’ Da nickten sie ein drittes Mal, und gleich darauf verschwanden sie so plötzlich, wie sie gekommen waren. Nun ging der Mann guten Mutes mit dem vollen Krug nach Hause. Daheim gab er seiner kranken Frau gleich ein Gläschen daraus zu trinken. Der schwere Wein tat ihr so gut, daß sie sich bald kräftiger fühlte. Nach einigen Tagen war aber das Krüglein leer. Da stieg der Ottensheimer wieder zur Ruine hinauf, um den Krug aufs neue mit dem heilsamen Wein zu füllen. Diesmal ließen sich die drei geheimnisvollen, schweigenden Gestalten nicht sehen. Der Mann konnte das Gefäß ungestört vollaufen lassen und den Keller ebenso ungestört wieder verlassen. Seine Frau fühlte sich nun von Tag zu Tag kräftiger, und es dauerte nicht lange, da war sie wieder ganz gesund. - 121 -
Aus Freude darüber holte der Ottensheimer nun noch eine große Kanne voll von dem herrlichen alten Wein und lud seine Nachbarn ein, mit ihm die Genesung seiner Frau zu feiern. Den Gästen mundete der Wein so gut, daß sie sich immer wieder die Gläser füllen ließen. Schließlich wollten sie unbedingt wissen, wo der herrliche Tropfen gewachsen sei. - 122 -
Der glückliche Gastgeber aber verriet es ihnen nicht. Erst als der schwere Wein auch ihm die Zunge löste und die Gäste noch immer nicht aufhörten, ihn nach der Herkunft des Weines zu fragen, da vergaß er, was er den dreien im Keller versprochen hatte. Doch die Gäste lachten und riefen: „Das glauben wir nicht! Von diesem Keller müßten auch wir etwas wissen, denn jeder von uns ist schon in dem alten Gemäuer umhergestiegen.“ Am nächsten Tag erfuhren auch die Räte von Ottensheim von der geheimnisvollen Herkunft des seltsamen Weines. Sie glaubten, er sei gestohlen worden, nahmen den Mann in Haft und befahlen ihm, diesmal mit zweien von ihnen um einen Krug Wein in den Keller der Ruine zu gehen. Jetzt freilich bereute der biedere Ottensheimer seine Schwatzhaftigkeit, aber es war zu spät, er mußte gehorchen. So stieg er denn mit den beiden Ratsherren zur Ruine hinauf und zwischen den Steintrümmern über die Stiege hinunter. Kaum aber hatten sie die Tür des Kellers geöffnet, da fuhr ihnen ein so heftiger Windstoß entgegen, daß allen die Sinne schwanden. Als sie wieder zu sich kamen, lagen sie mit schmerzenden Gliedern vor der Ruine. Nur mühselig rafften sie sich auf, kehrten dann mit schreckensbleichen Gesichtern nach Ottensheim zurück und berichteten den anderen Ratsherren, was sie erlebt hatten. Jetzt blieb diesen nichts anderes übrig, als ihren Bürger, den sie der Lüge und des Diebstahls beschuldigt hatten, wieder freizulassen. Später haben noch viele Leute nach dem geheimnisvollen Keller mit dem lebensrettenden Wein gesucht – aber niemand hat ihn wiedergefunden.
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DAS WASCHWEIBLEIN Vor Jahrhunderten gab es noch viele Wichtlein, die den Menschen heimlich bei der Arbeit halfen. Auch im Schwabenland, in Bayern und in den Dörfern des Böhmerwaldes, der bis an die Donau reicht, trieben sie sich herum. Sie waren nicht größer als einjährige Kinder, aber flink, fleißig und tüchtig. Sie pflügten und eggten, säten und mähten und halfen in Küche, Stube und Keller. Wenn eine Hausfrau mit ihrer Arbeit am Tag nicht fertig geworden war, dann kamen des Nachts die Wichtlein und vollendeten alles aufs beste. Besonders freundlich gesinnt waren sie den Donaufischern, denen sie immer wieder während der Nacht die zerrissenen Netze flickten und die beschädigten Boote instand setzten. Jede Arbeit leisteten sie unbelohnt und unbedankt. Den aber, der sie für ihre guten Dienste belohnen wollte, verließen sie tiefgekränkt. Ihre Frauen, die niedlichen Wichtelweiblein, liebten es, unter Weiden und Erlengebüsch am Strom und an seinen Nebenflüssen und Nebenbächen zu baden. Sie wuschen aber auch ihre Wäsche und die Windeln ihrer Kinder darin und hängten sie auf den Sträuchern zum Trocknen auf. Solange ihnen die Menschen bloß von fern dabei zusahen, ließen sie sich in ihrem geschäftigen Treiben nicht beirren. Wenn ihnen aber jemand zu nahe kam, dann rafften die Waschweiblein ihre Wäsche schnell zusammen und liefen schreiend davon. Einmal wollte ein Bauernbursch gar zu gern eines der Waschweiblein fangen und stellte dazu zeitig am Morgen am Ufer eine Falle auf. Es dauerte nicht lange, da fing sich wirklich eines von den Weiblein darin. Es war barfuß, hatte ein sauberes, weißes Leinenkleidchen an - 124 -
und besaß schimmerndes Haar, das bis auf die zarten Schultern herabfloß. Kaum war es in die Falle gegangen, da sprang der Bursch aus seinem Versteck hervor, befreite das Weiblein wieder und nahm es auf die Arme. Ohne daß es sich wehrte, trug er es nach Hause zu seinen Eltern. Hier sah sich das Waschweiblein gleich mit seinen munteren schwarzen Äuglein nach einer Arbeit um, streckte die Ärmel seines Kleidchens auf, schürzte das Röcklein und begann zum Erstaunen und zur Freude der Bauersleute in der Hütte geschäftig umherzulaufen. Es kehrte und rieb den Boden, wischte den Staub von den Möbeln, putzte die Fenster blank und wusch das Geschirr. Unentwegt lief es dahin und dorthin, und überall fand es etwas zu tun. Die Bauersleute wollten das fleißige Waschweiblein, das ihnen alle Arbeit im Haus abnahm, bald nicht mehr entbehren. Sobald es aber Abend wurde, hörte das Waschweiblein zu arbeiten auf. Da sprang es ans Fenster, stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte sich, damit es hinaussehen könne. Und immer kam dann ein Wassermännlein zur Hütte gelaufen, sprang an der Mauer empor und hielt sich mit seinen kleinen Händchen am Rand des Fensters fest. Dann plauderten die beiden so leise und heimlich miteinander, daß niemand ein Wörtchen hören konnte. Schließlich nahmen sie wieder herzlich voneinander Abschied. Als das Waschweiblein schon einige Wochen lang im Haus war, wollten ihm die Bauersleute als Lohn für seinen Fleiß ein Paar Schuhe machen lassen. Weil es sich aber nicht Maß nehmen ließ, bestreuten sie den Boden mit Mehl und nahmen das Maß von den Fußtritten. Als dann die Schuhe fertig waren, rief der Bauer das - 125 -
Weiblein in die Stube und sagte zu ihm: „Nimm diese Schuhe als Lohn für deine Arbeit. Du hast sie dir redlich verdient!“ Da begann das Waschweiblein bitterlich zu weinen, streifte die Ärmel und das geschürzte Röcklein hinunter und lief schluchzend auf und davon. Zu spät erst erkannten die Bauersleute, daß sie das Waschweiblein mit der Belohnung gekränkt hatten. Sie eilten ihm nach und riefen es, das Weiblein aber kam nicht mehr zurück.
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DER ZAUBERSPIEGEL Vor vielen, vielen Jahren lebte in Linz ein armer Schneider namens Freisinger mit seinem Sohn Peter. Der Bursch trat bei einem Goldschmied in die Lehre und zeigte sich bald selbst bei den schwierigsten Arbeiten sehr geschickt. Als er schließlich Geselle geworden war, begab er sich auf die Wanderschaft, um in der Fremde noch etwas dazuzulernen. Nach einigen Wochen kam er nach Mailand und trat dort bei einem alten Goldschmied ein. Der Meister gewann ihn bald so lieb wie einen eigenen Sohn und setzte ihn einige Jahre später als einzigen Erben ein. Kurz vor dem Tod aber reichte er Peter auch noch einen alten Handspiegel und sagte: „Nimm diesen Spiegel, er ist das Kostbarste, was ich besitze!“ Peter betrachte den Spiegel und dachte: Ich habe zwar noch nie so einen alten Spiegel gesehen, finde aber nichts an ihm, was ihn besonders kostbar machte. Da flüsterte der sterbende Meister: „Du denkst gewiß, der Spiegel sehe wie jeder andere aus. Und doch ist er so kostbar und seltsam wie kein zweiter. Er zeigt dir alles, was du zu sehen begehrst. Wenn du von einem Menschen wissen willst, wie er wirklich ist, dann brauchst du nur dem Spiegel zu befehlen, daß er dir diesen Menschen zeige. Bleibt der Spiegel dabei hell und klar, ist der Mensch ohne Fehler und Schwächen, je mehr sich aber der Spiegel trübt, desto größere Fehler und Schwächen hat der Gezeigte, und du kannst dich danach richten.“ Bald darauf starb der greise Goldschmied und wurde zu Grabe getragen. Peter trat das reiche Erbe an. Er arbeitete jetzt noch fleißiger als früher, wurde bald Meister und stand bei den Leuten in hohem Ansehen. - 127 -
Er wurde aber des Alleinseins müde und sah sich darum nach einem Mädchen um, das er zu seiner Frau machen könnte. Es dauerte nicht lange, da glaubte er auch schon, eines gefunden zu haben. Nun fiel ihm ein, daß er einen Spiegel habe, der ihm zeigen solle, wie jeder Mensch sei, und er wollte ihn gleich einmal erproben. Er holte ihn also aus der Truhe, in der er aufbewahrt lag, und befahl ihm: „Zeige mir das Mädchen, das ich heiraten möchte!“ Kaum aber hatte Peter das letzte Wort ausgesprochen, da zeigte ihm der Spiegel trüb und verschwommen, wie sich das Mädchen gerade mit eitlem Putz behängte, sich selbstgefällig hin- und herdrehte, aus dem Schrank immer andere Kleider und Spitzen nahm und sich damit schmückte. Jetzt wußte Peter, daß ihm der alte Goldschmied wirklich einen Spiegel von besonderem Wert hinterlassen hatte, er wußte aber auch, daß das Mädchen, das er heiraten wollte, viel zu eitel sei, um ihm eine gute Frau zu werden. Als er einige Zeit später den Spiegel nach einem anderen Mädchen befragte, zeigte der auch dieses wieder trüb und verschwommen, wie es eben in heftigen Zorn geriet und mit seinen Geschwistern keifte. Wieder eine Zeit später zeigte ihm der trübe Spiegel ein Mädchen, das bei hellem Sonnenschein noch faul im Bett lag, während in seiner Stube die ärgste Unordnung herrschte. Immer wieder befragte Peter den alten, kostbaren Spiegel. Er zeigte ihm auch Mädchen beim Kochen, beim Nähen und beim Wäschewaschen, aber ganz hell und rein war er auch bei ihnen nicht. Da sagte sich Peter: Es ist - 128 -
besser, wenn ich nicht mehr weiter suche, sondern doch allein bleibe. Einige Jahre vergingen. Peter arbeitete so fleißig wie bisher und wurde sehr reich, war aber trotzdem nicht glücklich, denn das Heimweh quälte ihn immer mehr und mehr. Eines Tages befahl er dem alten Spiegel: „Zeige mir doch meine Heimat!“ Und sieh, der Spiegel zeigte ihm ungetrübt die Donau mit Linz auf dem rechten und Urfahr auf dem linken Ufer sowie die große Brücke, die beide Orte miteinander verbindet. In allen Straßen und Gassen von Linz herrschte reges, geschäftiges Treiben, denn es war gerade Markttag. - 129 -
Nun wollte Peter aber auch wissen, was seine Eltern taten, die er vor vielen Jahren verlassen hatte, und befahl dem alten Spiegel: „Laß mich doch auch meinen Vater und meine Mutter sehen!“ Der Spiegel zeigte auch diesmal ein Bild, aber weder den Vater noch die bescheidene Schneiderwerkstatt, in der dieser sein Lebtag lang gearbeitet hatte, und auch nicht die Mutter, sondern einen Grabhügel, auf dem keine einzige Blume blühte. Jetzt hielt es ihn nicht mehr länger in der Fremde. Er verkaufte alles, was er nicht in die Heimat mitnehmen konnte, verließ Mailand und kehrte als reicher Mann nach Linz zurück. Sein erster Weg führte ihn zum Grab seiner Eltern, das er nun aufs schönste schmücken ließ. Dann wollte er auch seine Freunde aus der Jugendzeit aufsuchen, aber auch von ihnen waren schon viele gestorben. Bald nach seiner Heimkehr kaufte Peter das schönste Haus an dem Hauptplatz der Stadt und betrieb auch hier wieder sein edles Goldschmiedehandwerk. Die Leute staunten nicht wenig, als sie in den Schaufenstern die herrlichsten handgeschmiedeten Schmuckstücke und über dem Laden in großen Buchstaben den Namen Peter Freisingers erblickten. Es sprach sich rasch herum, daß er der heimgekehrte Sohn des verstorbenen Schneiders Freisinger sei, der es nur durch seine Tüchtigkeit und seinen Fleiß zu solchem Reichtum gebracht habe. Die angesehensten Bürger der Stadt luden ihn ein, ihr Gast zu sein, viele boten ihm ihre Freundschaft an, und manches brave Bürgermädchen wäre gern seine Frau geworden. Peter Freisinger aber glaubte weder an wahre Freundschaft noch an Liebe und Treue. Hinter allen aufrichtigen Beteuerungen vermutete er doch nur - 130 -
Falschheit und Eigennutz. Er zog sich immer mehr von den Menschen zurück, sperrte schließlich seinen Laden für immer zu und wurde ein einsamer Sonderling. Als Peter Freisinger alt und gebrechlich geworden war, überlegte er, wen er als Erben seines Reichtums einsetzen könnte. Er hatte aber weder Verwandte noch Freunde, auch keinen anderen Menschen, der ihm würdig schien, das große Vermögen zu erben. Eines Tages fiel ihm wieder der alte, seltsame Spiegel in die Hände. Er blickte hinein und sah sein eigenes Antlitz, erst hell und klar, allmählich aber nur noch wie im Nebel und schließlich gar nicht mehr. Jetzt erst erkannte Peter, daß auch er viele Schwächen besaß und daß es sein größter Fehler gewesen war, den Mitmenschen weder etwas Liebes erwiesen noch Güte und Verständnis entgegengebracht zu haben. Noch in der letzten Stunde seines Lebens raffte er sich auf, ein anderer Mensch zu werden. Er verschrieb seinen Reichtum den Schulen, Spitälern und Altersheimen seiner Vaterstadt. Den Spiegel aber zerschlug er, damit niemand mehr die Fehler anderer Menschen darin sehe und dabei die eigenen vergesse.
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DER EISERNE HANDSCHUH In der Burg zur „Eisernen Hand“ bei Linz lebte einmal ein schönes Edelfräulein, das besaß einen Hund, den es überaus liebte. Das Tier begleitete seine Herrin auf Schritt und Tritt und hing mit grenzenloser Liebe und Treue an ihr. Wenn es jemand gewagt hätte, dem Edelfräulein auch nur nahe zu kommen, wäre er von dem Tier gewiß zerrissen worden. Zu seiner Herrin aber war es so sanft wie ein Lamm. Eines Tages hielt ein Ritter um die Hand des schönen Fräuleins an, und die beiden verlobten sich bald. Das war aber dem Hund gar nicht recht. Sooft er seine Herrin mit dem Ritter beisammen sah, ließ er kein Auge von ihm, knurrte ihn an und zeigte ihm die scharfen Zähne. Der Ritter mochte noch so gut zu ihm sein, es nützte nichts. Da wußte sich das Fräulein nicht anders zu helfen, als daß es den Hund immer in den Zwinger sperrte, wenn der Ritter zu Besuch in die Burg kam. Dann aber hockte das Tier gekränkt in einer Ecke, wollte weder fressen noch trinken und starrte unentwegt nach der Gittertür, ob es seine Herrin nicht hole. Auch als das Edelfräulein und der Ritter Hochzeit hielten und das junge Paar mit vielen Gästen an der reichgedeckten Tafel saß, mußte der Hund im Zwinger bleiben. An diesem Tag war er noch viel böser als sonst. Immer sprang er, laut bellend, an den Gitterstäben in die Höhe oder raste wie ein wildes Tier im Zwinger auf und ab. Erst nach dem Mahl, als die Gäste bereits die Burg verlassen hatten, erinnerte sich die junge Burgherrin auch ihres Hundes, den sie in ihrem Glück ganz vergessen hatte. Sie nahm ein Stück Fleisch und sagte zu ihrem - 132 -
Gemahl: „Jetzt muß ich auch meinem Hund ein paar Bissen vom Hochzeitsschmaus bringen!“ Der Ritter aber erwiderte: „Du weißt doch, daß der Hund in der letzten Zeit sehr mürrisch und bissig geworden ist. Ich rate dir ab, zu ihm zu gehen. Es gibt genug Mägde und Knechte in der Burg, die ihn füttern können.“ „Mir wird er bestimmt nichts tun“, sagte die junge Frau. „Ich zog ihn auf, fütterte ihn immer selbst und war immer gut zu ihm. Warum sollte ich ihn fürchten?“ „Er gebärdete sich heute so böse wie nie zuvor“, gab der Ritter zu bedenken. „Geh lieber nicht zu ihm!“ Die junge Frau schlug aber alle Warnungen ihres Gemahls in den Wind und sagte lachend: „Damit du beruhigt bist, werde ich mir aus der Rüstkammer einen eisernen Handschuh holen und ihn anziehen, bevor ich dem Hund das Futter reiche, dann kann mir nichts geschehen.“ „Und ich werde mit dir gehen und auf alle Fälle mein Pistol mitnehmen“, erklärte der Ritter. So gingen denn beide zuerst noch in die Rüstkammer, die junge Frau lachend und scherzend um einen eisernen Handschuh, der Ritter ernst und besorgt um seine Waffe. Als sie danach zu den Gitterstäben des Zwingers kamen, lag der Hund in einer Ecke. Er spitzte nicht die Ohren, erhob sich nicht und wedelte auch nicht mit dem Schwanz. Seine funkelnden Augen aber wanderten unentwegt zwischen seiner Herrin und dem neuen Herrn hin und her. Erst als die Frau ihre Hand im eisernen Handschuh durch das Gitter streckte und ihm ein Stück Fleisch entgegenhielt, erhob er sich und kam Schritt für Schritt näher. Plötzlich sprang er an das Gitter heran, schnappte aber nicht nach dem Fleisch, sondern nach - 133 -
dem Handschuh und hackte mit einem einzigen Biß seine scharfen Zähne durch das Eisen in die Hand der jungen Frau, daß diese vor Schmerz laut aufschrie. In diesem Augenblick streckte auch schon ein Schuß aus dem Pistol den rasenden Hund zu Boden. Trotz der schmerzhaften Verletzung, die sie erlitten hatte, weinte die Frau jetzt um das Tier, denn sie wußte ja, daß es nur so böse geworden war, weil sie ihre Liebe nicht mehr ihm allein geschenkt hatte. Zur dauernden Erinnerung an den Hund ließ sie den durchgebissenen eisernen Handschuh über dem Tor der Burg befestigen. Dort hängt er noch heute.
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DER SCHWARZE FISCH An einem schönen Sommertag vor vielen, vielen Jahren wusch die Tochter eines Bauern, dem der Heinrichshof bei Mauthausen gehörte, die Wäsche. Als sie damit fertig war, ging sie zu einem nahen Weiher, um sie zu schwemmen. Dabei mußte sie sich mit jedem einzelnen Stück auf das Wasser niederbeugen. Nachdem sie schon eine Zeitlang fleißig gearbeitet hatte, war ihr plötzlich, als hörte sie aus der Tiefe des Weihers eine Stimme. Sie hielt im Schwemmen inne und lauschte. Nun hörte sie ganz deutlich, wie die Stimme flehte: „Zieh mich heraus! Zieh mich heraus!“ Im nächsten Augenblick tauchte auch schon der Kopf eines riesigen schwarzen Fisches aus der Tiefe empor. Sein Maul schnappte Luft, seine Augen aber glotzten das Mädchen so furchtbar an, daß ihm angst und bange wurde. Da flehte der Fisch wieder: „Zieh mich doch heraus! Zieh mich doch heraus!“ Das Mädchen aber ließ vor Schreck die Wäsche aus den Händen fallen, lief, am ganzen Leib zitternd, nach Hause und rief dem Vater schon in der Tür zu: „Im Weiher ist ein scheußlicher, schwarzer Fisch, der redet wie ein Mensch!“ Der Bauer lachte hellauf und sagte: „Von einem Fisch, der reden kann, hab’ ich mein Lebtag noch nicht gehört. Wer weiß, was du gesehen hast.“ „Einen Fisch, einen riesigen schwarzen Fisch!“ beteuerte das Mädchen, noch immer schreckensbleich. „Und gebeten hat er mich: ‚Zieh mich doch heraus! Zieh mich doch heraus!’ Ganz wie ein Mensch!“ „Du hast wohl geträumt“, erwiderte der Bauer - 135 -
ärgerlich. „Ein Fisch ist froh, im Wasser zu sein.“ Und er stapfte aus der Stube und warf die Tür hinter sich zu. Das Mädchen aber wagte an diesem Tag nicht mehr, zum Weiher zu gehen und die Wäsche fertig zu schwemmen. Erst am nächsten Morgen ging es wieder hin. Diesmal tauchte der Fisch nicht aus der Tiefe auf, er ließ sich auch im ganzen Weiher nirgends sehen. Da glaubte das Mädchen schon, daß es am Tag vorher wirklich geträumt habe, und begann wieder zu schwemmen. Doch kaum tauchte es das erste - 136 -
Wäschestück in das Wasser, da hörte es den Fisch schon wieder. Er bat aber nicht „Zieh mich heraus! Zieh mich heraus!“, sondern klagte: „Warum hast du mich nicht aus dem Wasser gezogen? Nun muß ich weiter verwunschen bleiben und lange, lange auf meine Erlösung warten!“ Dann schwieg er, und es war nichts mehr zu hören. Das Mädchen schwemmte die Wäsche rasch zu Ende, warf sie in den bereitgestellten Korb und eilte damit heim. Diesmal erzählte es aber dem Vater nicht, was es erlebt hatte, damit er es nicht wieder ausspotte. Seitdem sind schon viele Menschen an dem geheimnisvollen Weiher bei Mauthausen vorübergegangen, sind daran stehengeblieben und haben in sein Wasser geblickt. Manche sahen auch einen großen schwarzen Fisch darin, aber der war genauso stumm wie alle anderen Fische.
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DER GESPENSTISCHE SCHIFFSZUG Ein Fischer fuhr einmal in einer hellen Sternennacht die Donau stromabwärts. Sein Kahn trieb lange Zeit ruhig auf den Wellen dahin, und sie wiegten ihn allmählich in sanften Schlummer. Doch plötzlich schreckte der Fischer auf. Er hörte ein wildes, unheimliches Heulen und Brausen in der Luft, das immer näher kam. „Nur gut“, sagte er sich, „daß ich rechtzeitig aufgewacht bin. Es kommt ein schrecklicher Sturm!“ Und schon griff er nach den beiden Rudern und drehte den Kahn einer Insel im Strom zu. Dort sprang er ans Ufer, band das Boot an einen Weidenstamm fest und setzte sich dann daneben hin, um das drohende Unwetter abzuwarten. Obwohl das wilde Sausen und Brausen immer noch lauter wurde, blieb der Himmel sternenhell. Auch die Bäume und Büsche am Ufer regten sich nicht. Das ist aber sonderbar, dachte der Fischer, ein solches Wetter hab’ ich noch nie erlebt. – Und ihn bangte, was da noch kommen würde. Es dauerte nicht lange, da bemerkte der Fischer in der Ferne auf dem Strom den dunklen Umriß eines mächtigen Segelschiffes. Je näher es kam, desto größer und unheimlicher wurde es. Die sturmgeblähten Segel knatterten, daß es wie Schüsse durch die Nacht gellte, und an den Spitzen der turmhohen Mäste flammten grelle Blitze auf. Alle Luken waren hell erleuchtet, aber auf dem ganzen Schiff war kein Mensch zu sehen. Dicht hinter dem ersten Schiff kam noch ein zweites, ein drittes und ein viertes, eines größer und schauriger als das andere. Das war ein Knattern, Toben und Tosen, ein Sausen und Brausen und Heulen, daß dem Fischer fast - 138 -
Hören und Sehen verging. Dazu schlugen auch noch die schäumenden Wellen so wild an die Insel, daß er sich mit aller Kraft an den Weidenstamm klammerte, um nicht am Ende fortgerissen zu werden. - 139 -
Nacheinander jagten die gespenstischen Schiffe an der Insel vorbei. Als aber das letzte in die Nähe des schreckensbleichen Fischers kam, da sprang ein greller Blitz von der Spitze des Mastes auf die kleine Insel und schlug mit solchem Krachen in einen ihrer Bäume, daß der Fischer die Besinnung verlor. Nach einer Weile kam er wieder zu sich und sah den gespenstischen Schiffszug ein Stück stromabwärts von seiner Insel in den tosenden Wogen versinken. Im selben Augenblick aber war es ringsum wieder ganz still. Die Sterne funkelten am nächtlichen Himmel, und die Donau floß friedlich in ihrem Bett dahin. Dennoch wagte der Fischer erst gegen Morgen die Heimfahrt. Der Schreck lag ihm noch lang in allen Gliedern, und bis in seine Todesstunde konnte er das gespenstische Erlebnis nicht vergessen.
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DER FISCHER VON WALLSEE Der Ort Wallsee war vor hunderten Jahren nur ein armes Dörfchen. Seine Bewohner lebten vom Verkauf der Fische, die sie im Strom gefangen hatten, und boten ihre schuppige Ware auf der Römerburg feil, die auf der Berghöhe oberhalb ihrer Hütten thronte. Eines Tages aber brachten die Hunnen Tod und Verderben in das Land und zerstörten auch die Burg. Die wenigen Fischer, die ihnen entrannen, hatten nun niemanden mehr, der ihre Fische kaufte. Sie wurden in ihrer Not selber Raubgesellen und begannen gestrandete Schiffe zu plündern. Es bot sich ihnen auch reichlich Gelegenheit dazu, denn die Felswand, die ein Stück donauaufwärts den Strom zu einem scharfen Bogen zwingt, bedeutete für Schiffe eine große Gefahr. Wenn sie von den reißenden Fluten erfaßt und gegen die Wand geschleudert wurden, waren sie fast immer verloren. Die Fischer von Wallsee aber hatten sich mit langen Stangen und Stricken ausgerüstet, an denen Widerhaken befestigt waren, und lauerten nur darauf, die Schiffe zu berauben und das Treibgut aus dem Wasser zu ziehen. Als einst die Donau Hochwasser führte und die Ufer überflutete, war sie so wild, daß sie sogar die Kirche von Loren mitriß. Alle Kostbarkeiten des schönen Gotteshauses wurden von den lehmgelben Wogen stromabwärts getragen. Die Mönche, die die Kirche betreuten, konnten kein einziges Stück davon retten. Am meisten schmerzte sie der Verlust eines Kreuzes, das besonders schön und wertvoll gewesen war. Die Fischer von Wallsee aber hatten ihren besten Tag. Sie holten das kostbare Kirchengut aus dem Strom, schleppten es in ihre Hütten und verbargen es. Eberhart, - 141 -
dem ältesten unter ihnen, fiel neben anderen Kostbarkeiten auch das Kreuz in die Hände. Er war schon ein weißhaariger Mann, der nicht an Gott glaubte und keinen Menschen liebte als seinen einzigen Sohn. Eines Abends aber kam auf der Suche nach dem Kreuz einer von den Klosterbrüdern aus Lorch nach Wallsee und trat auch in Eberharts Hütte ein. Ein freudiges Staunen huschte über sein Gesicht, denn auf dem rohgezimmerten Tisch lag mitten unter anderen Kirchenschätzen auch das schöne Kreuz. Der alte Fischer erschrak zwar, als er den frommen Diener Gottes vor sich sah, fuhr ihn aber dann unwirsch an: „Was willst du von mir? Leute deines Schlages haben hier nichts zu suchen!“ Doch der Mönch erwiderte gelassen: „Du hast recht. Ich habe hier wirklich nichts mehr zu suchen, denn ich habe es gefunden. Was ich suchen wollte, liegt auf deinem Tisch!“ „Was auf meinem Tisch liegt, bleibt auch auf meinem Tisch“, schrie der alte Strandräuber zornig. „Ich hab’ es mit eigenen Händen dem Strom entrissen und gebe es nicht mehr her!“ „Du hast es zwar aus den Fluten geborgen“, sagte der Mönch, „hast aber die Pflicht, es uns zurückzugeben. Tust du es nicht, wird Gott dich für dein Verbrechen strafen.“ Da lachte der Alte und höhnte: „Gott wird mich strafen, sagst du? Kann er das überhaupt? Euer Gott konnte nicht verhindern, daß der Strom das Land überschwemmte und daß von den Fluten eure Kirche fortgerissen wurde. Und diesen Gott soll ich fürchten?“ Der Mönch aber entgegnete ihm: „Versündige dich nicht an ihm, alter Mann! Er besitzt die Macht, zu tun, - 142 -
was er will!“ „Und ich besitze auch die Macht, zu tun, was ich will!“ schrie der Fischer überheblich. „Das werde ich dir gleich beweisen!“ Und schon riß er die Hüttentür auf, rief seinen Sohn herbei und befahl ihm: „Schaff das Kreuz auf die Insel. Dort ist es sicherer aufgehoben als hier!“ Obwohl es schon finster wurde, gehorchte der Bursch. Er nahm das Kreuz an sich und ging damit wortlos aus der Stube. Kaum war er fort, da richtete sich der Mönch hoch auf und sagte: „Wenn du auch an Gott nicht glaubst, so ist er doch da! Und wenn du auch seinen Zorn nicht fürchtest, so wird er dich doch eines Tages für diesen Frevel bestrafen!“ Dann verließ er die Hütte. Der Bursch war indessen schon in den Kahn gesprungen und ruderte bereits mit Leibeskräften den Strom hinauf und der Insel zu. Kaum aber hatte er sie erreicht, da ging ein furchtbarer Wolkenbruch nieder. Es blitzte und donnerte, als wäre die Hölle los. Der Sturm peitschte das Wasser der Donau zu schäumenden Wogen, die sich immer höher und höher türmten und schließlich auch über die Insel schlugen. Und wieder liefen die raubgierigen Fischer von Wallsee ans Ufer, um auf Beute zu lauern. Auch Eberhart litt es nicht in der Hütte. Er riß den Strick mit dem Widerhaken von der Wand und eilte zum Strom. Der Sturm zerzauste ihm das dichte, weiße Haar, das Wasser spritzte ihm ins zerfurchte Gesicht, aber es störte ihn nicht. Er stand fest auf seinen alten Beinen und lauerte wie ein Fuchs, was ihm der tobende Strom bringen würde. Plötzlich sah er irgend etwas herantreiben. Mit - 143 -
sicherer Hand warf er den Widerhaken danach und zog die Beute ans Ufer. Im selben Augenblick aber erhellte ein greller Blitz das Dunkel der Nacht und zeigte ihm, daß die Leiche seines Sohnes an dem Haken hing. Da verließ den alten Mann die Kraft, das Seil riß ihn vom Ufer, und er und sein Sohn verschwanden für immer in den Fluten der Donau.
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DER SCHUSTERSTEIN Am Beginn des Strudengaues, bevor die Donau in eine von steilen Felsen überragte, einst Wirbel- und klippenreiche Enge tritt, liegt Grein. Das Städtchen, von bewaldeten Bergen umgeben, schaut freundlich auf den Strom. Es besitzt auch ein schönes, hochgelegenes Schloß, die Greinburg, die schon auf manches Jahrhundert zurückblickt. In Grein geschah es einmal, daß ein junger Schuster an der Tochter eines Ratsherrn Gefallen fand. Er wollte sie auch heiraten, doch das schöne, stolze Mädchen lachte nur über ihn, denn es gab reiche und vornehme Männer genug im Städtchen, unter denen es einen Bräutigam erwählen konnte. Der Schuster aber gab seine Hoffnung auf das Mädchen nicht auf, und weil er es nicht mit seiner Liebe gewinnen konnte, nahm er zu einem anderen Mittel Zuflucht. Eines Abends ging er zu einem alten Weib, das am Waldrand wohnte und als Hexe verschrien war, und sagte zu ihm: „Ich habe gehört, daß du allerlei Tränklein brauen kannst.“ „Das stimmt schon“, erwiderte die Alte, „was für eines willst du denn?“ „Ein Liebestränklein“, gab der Bursch verlegen zur Antwort. „Ein Liebestränklein?“ erwiderte das Weib grinsend. „Das kannst du schon haben. Aber es ist nicht billig, denn die Krauter dazu sind schwer zu finden, und was sonst noch alles dazu gehört, kostet mich selber viel Geld.“ Der Schuster erwiderte rasch: „Koste es, was es wolle, - 145 -
wenn es nur hilft!“ Da nickte die Alte zufrieden und versprach dem heiratslustigen Burschen, daß er das Tränklein schon am nächsten Abend haben könne. Und wirklich, am Abend darauf war das Tränklein gebraut, der Schuster bezahlte es und trug das Fläschchen nach Hause. Nun wollte es der Zufall, daß er zu dieser Zeit gerade ein Paar zierlicher Schuhe für das geliebte Mädchen herzustellen hatte. Jetzt machte ihm die Arbeit erst recht Freude, und er nähte vom Morgen bis zum Abend, um sie - 146 -
fertigzumachen. Als die Ratstochter kam, um die Schuhe abzuholen, schien gerade die Sonne so heiß, daß sie sehr durstig war und den Schuster um ein Glas frischen Wassers bat. Nun sah der junge Meister den Augenblick für gekommen, an dem geliebten Mädchen den Zaubertrank zu probieren. Er eilte aus der Werkstatt, füllte ein Glas zur Hälfte mit Wasser, zur Hälfte mit dem farblosen Tränklein, kehrte dann zu dem Mädchen zurück und gab es ihm. Das Mädchen leerte das Glas auf einen Zug, merkte aber, daß das Wasser anders als sonst schmeckte, und fragte den Schuster: „Was war denn das für ein Wasser?“ „Ich hab’ es frisch aus meinem Hausbrunnen geholt“, antwortete der Schuster ängstlich. „Ihr könnt gewiß sein, daß es ein gutes Wasser ist.“ Aber noch am selben Tag erkrankte das Mädchen, und weil es keinen anderen Grund dafür wußte, gab es dem seltsamen Wasser die Schuld daran. Der Arzt, den der Ratsherr rufen ließ, schüttelte bedenklich den Kopf, verschrieb dem Mädchen eine Arznei und ging dann zu dem Schuster, um sich von ihm den Brunnen und das Wasser daraus zeigen zu lassen. Als der Schuster erfuhr, daß die Ratstochter schwer krank daniederliege, gestand er dem Arzt erschrocken seine Tat. Darauf wurde er und auch die angebliche Hexe ins Gefängnis geworfen. Die Alte starb bald darauf im Kerker, der Schuster jedoch wurde vom Gerichtsherrn von Werfenstein zum Tod verurteilt. Inzwischen war die Tochter des Ratsherrn aber wieder gesund geworden. Jetzt tat ihr der junge Mann, der doch nur ihre Liebe gewinnen wollte, von Herzen leid. Sie ging zum Gerichtsherrn, bat ihn, er möge Gnade vor - 147 -
Recht ergehen lassen und sagte dann: „Er wollte mir bestimmt nichts Böses antun. Nur die alte Hexe ist an allem schuld. Die aber ist tot und steht bereits vor einem höheren Richter.“ Der Gerichtsherr von Werfenstein dachte nach, was er tun solle, und sagte dann: „Wohlan, so ziehe ich denn mein Todesurteil zurück und will es Gott überlassen, über die Schuld oder Unschuld des Schusters zu entscheiden.“ Und er verkündete öffentlich: „Wenn der Schuster imstande ist, auf der hohen Felsenspitze über dem tosenden Strudel des Donaustroms ein Paar Schuhe zu machen, dann soll er frei sein!“ Als dann der Tag anbrach, an dem das Gottesurteil entscheiden sollte, standen die Bewohner von Grein dichtgedrängt am Ufer der Donau und schauten voll Grauen und Bangen zu der schwindelerregenden Felsenspitze hinauf. Es dauerte nicht lang, da sahen sie auch schon den Schuster mit einem vollen Ränzel auf dem Rücken am Felsen emporklettern. Jeder falsche Handgriff, jeder unvorsichtige Tritt mußte sein sicherer Tod sein. Der Schuster aber kletterte behend immer höher und höher hinauf, und als er die Spitze endlich erreicht hatte, ließ er sich darauf wie auf einem Sattel nieder, nahm Leder und Werkzeug aus dem Ränzel und begann zu arbeiten. Weder die gähnende Tiefe vor ihm noch das Rauschen und Tosen des Stroms brachten ihn aus der Ruhe. Er arbeitete den ganzen Tag. Als die Sonne unterging, waren die Schuhe fertig, und er kletterte wieder am schroffen Felsen hinunter. Am Ufer der Donau empfingen ihn die Bewohner von Grein mit lautem und herzlichem Jubel. Der Gerichtsherr gab ihn sofort frei. Die Tochter des Ratsherrn aber fiel ihm gleich darauf schluchzend um den Hals und - 148 -
versprach ihm, doch seine Frau zu werden. Der Felsen, auf dem der Schuster so wagemutig gearbeitet und damit seine Unschuld bewiesen hat, heißt bis zum heutigen Tag „der Schusterstein“.
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DAS WÖRTHERKREUZ Unterhalb von Grein, bald nach dem gefährlichen Greiner Schwall, ragt die Insel Wörth aus dem Strombett auf. Sie zwingt die Donau, sich in zwei Arme zu teilen. Der linke war in alten Zeiten sehr gefährlich, denn er führte an den Riffen des „Bombengehäkels“ vorüber und bildete zwischen vielen Klippen einen grausigen, tosenden Strudel. Waren aber die Schiffe, die hier hereingerieten, den drohenden Gefahren auch glücklich entronnen, kamen sie gleich darauf hinter dem auf hoher Felswand thronenden Schloß Struden abermals zu einem Inselfelsen, dem Hausstein, an dem sich die reißenden Fluten schäumend brachen und einen zweiten, noch schlimmeren Wirbel bildeten. Erst bei Sankt Nikola waren für die Schiffsreisenden alle Gefahren vorüber. Dort dankten sie dann Gott, daß er ihnen über alle Fährnisse hinweggeholfen hatte, und warfen in den Almosenkasten, der jedesmal in einem Boot an das Schiff herangebracht wurde, eine klingende Opferspende zu Ehren des heiligen Nikolaus, des Schutzpatrons der Schiffer. Einmal – es war im Jahre 1540 – wollte ein Graf aus Tirol mit seiner Gemahlin donauabwärts nach Wien reisen. Das Schiff hatte den Greiner Schwall schon glücklich durchfahren, da stieß eine überflutete, spitzige Klippe in den Boden des Fahrzeugs ein Loch, das Schiff drehte sich mehrmals im Kreise herum, füllte sich rasch mit Wasser und ging schließlich unter. Der Graf und sein Diener konnten sich noch schwimmend auf die Insel Wörth retten, von der Gräfin aber und den anderen Schiffsleuten war schon wenige Augenblicke später nichts mehr zu sehen. - 150 -
Besorgt um seine Gemahlin, erklomm der Graf sogleich die Felsenspitze der Insel und blickte von dort nach seiner geliebten Frau aus. Er rief auch nach ihr, so laut er konnte, doch bald mußte er überzeugt sein, daß sie in den reißenden Fluten des Stroms ums Leben gekommen sei. Das schmerzte ihn so sehr, daß er beschloß, bis zu seinem Tode auf der Insel zu bleiben, um die Stätte, wo seine Gemahlin ertrunken war, immer vor Augen zu haben. Der alte Diener, der seinen Herrn noch niemals im Stiche gelassen hatte, wollte ihm auch jetzt und in aller Zukunft die Treue halten und entschloß sich ebenfalls, auf der Insel zu bleiben. Noch am selben Tag wählten beide in den Resten alter Gemäuer, die sich noch seit der Römerzeit auf der Insel befanden, einen geeigneten Platz für ein Obdach, trugen dann angeschwemmte Pfosten und Schiffslatten zusammen, errichteten davon eine bescheidene Hütte und deckten sie mit Laub und Schilf. Die vielen Beerensträucher, die sich auf der Insel befanden, und Fische waren lange Zeit ihre einzige Nahrung. Tage, Monate und Jahre vergingen. Immer wieder fuhren Schiffe die Donau hinab, so manches wurde vom Strudel erfaßt und von ihm an einen der Felsen geworfen, wo es zerschellte. Trieben dann Kisten und Fässer mit Nahrungsmitteln an der Insel vorüber, dann fischten sie der Graf und sein Diener aus dem Strom, um ihr Leben fristen zu können. Für die beiden Männer waren es Jahre der Not und Entbehrungen, für den Grafen überdies auch noch Jahre der Trauer und des Schmerzes um die verlorene Gemahlin. Die Schiffer aber, die den gefährlichen Strudel und - 151 -
Wirbel heil hinter sich gebracht hatten, erzählten überall, wohin sie kamen, daß sie auf der Insel Wörth zwei Männer, vermutlich Schiffbrüchige, gesehen hätten. Die Kunde davon drang auch nach Wien. Hier aber lebte die Gemahlin des Grafen bei Verwandten. Sie war nach dem Zerschellen des Schiffes weit stromabwärts getrieben, aber noch lebend ans Ufer geworfen worden und hatte all die Jahre hindurch geglaubt, daß ihr Gemahl ertrunken sei. Als jetzt auch sie von den beiden Männern auf der Insel erfuhr, sagte ihr die Ahnung, daß einer von ihnen ihr Gatte sein müsse. Um sich darüber Gewißheit zu verschaffen, machte sie sich sogleich auf die Reise nach dem Schloß Struden, und als sie dort angekommen war, ließ sie sich von einem Fischer zur Insel bringen. Kaum aber hatte sie die Insel betreten, da stand auch wirklich ihr Gemahl vor ihr. Wind und Wetter, Entbehrungen und Kummer hatten ihm tiefe Furchen ins Antlitz gegraben und Haar und Bart gebleicht. Dennoch erkannte sie ihn auf den ersten Blick. Jubelnd und mit Tränen der Freude und des Glücks in den Augen, fielen sie einander in die Arme. Noch in derselben Stunde verließen sie mit dem Diener die Insel und traten bald darauf die Rückkehr in ihre Heimat an. Zum Dank dafür, daß Gott sie aus den Fluten des Stroms gerettet und nach Jahren der Trennung wieder zusammengeführt hatte, ließen sie später auf der Felsenspitze der Insel, weithin sichtbar, ein steinernes Kreuz errichten. Es trägt die Jahreszahl 1552 und ist auch heute noch für alle, die daran vorüberkommen, ein Mahnmal unverbrüchlicher Liebe und Treue.
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DER FÄHRMANN UND DAS DONAUWEIBCHEN An schönen, warmen Abenden oder in mondhellen Nächten kann man im Donaustrom das Donauweibchen schwimmen sehen. Es trägt ein feines, weißes Gewand, hat goldblonde Locken und das Haupt mit einem Kränzlein bunter Blumen geschmückt. Es wohnt in der Tiefe des Stroms und ist so launisch wie er. Das eine Mal zeigt sich die Nixe sanft und spendet verschwenderisch Gaben, das andere Mal verlockt sie die Menschen und zieht sie in die grausige Tiefe. Zuweilen steigt das Donauweibchen auch aus den Fluten, um mit Kindern zu spielen und ihnen bunte Steine und Muscheln zu schenken, die sich später in Edelsteine oder in Gold und Silber verwandeln. Besonders gern gesellt es sich zu den Menschen, wenn sie an Festtagen in den Schenken tanzen. Dann ist seine Gestalt von einem seltsamen Glanz umflossen und sein Antlitz ist unsagbar schön. Aber noch ehe der Morgen graut, beginnt der Saum seines weißen Gewandes feucht zu werden, und aus seinen Locken fallen glitzernde Tropfen. Dann ist es Zeit für das Donauweibchen, in die Tiefe des Stroms zurückzukehren, und es verschwindet vom Tanzboden so plötzlich, wie es gekommen ist. Nun lebte einst am Hößgang, nahe bei der Insel Wörth, ein junger Fährmann mit seiner kranken Mutter. Tagtäglich war er großen Gefahren ausgesetzt, denn die Donau bildete an dieser Stelle tückische Wirbel, die schon viele Opfer gefordert hatten. Auch sein Vater war darin umgekommen. Einmal, an einem Sommerabend, baten einige betrunkene Burschen den jungen Fährmann, sie ans - 153 -
andere Ufer zu bringen. Als sie aber an der Insel Wörth vorüberkamen, erblickten sie im Schilf das Donauweibchen. Sie begannen zu johlen und riefen dem Fährmann zu: „Schnell, schnell, fahr uns zu ihm hin, wir wollen unseren Spaß mit ihm haben!“ Der junge Schiffer aber erwiderte den Burschen: „Laßt mir die Nixe in Frieden! Sie hat schon manchem von uns Gutes getan, und viele verdanken es nur ihr, daß sie noch leben!“ Und er steuerte das Boot in weitem Bogen an der Insel vorbei. Zu jener Zeit fielen die Türken vom Osten her in das Land ein und versuchten Wien zu erobern. Einzelne ihrer wilden Horden verließen die Fahne, zogen planlos weiter nach Westen, brannten ganze Dörfer nieder und raubten und plünderten. Wer gesunde Beine hatte, ließ Hab und Gut im Stich und floh vor ihnen ins Ungewisse. Einmal, es war in einer finsteren, stürmischen Nacht, klopfte jemand an die Tür der Hütte, in der der junge Fährmann mit seiner kranken Mutter wohnte. Er sprang aus dem Bett, öffnete und sah draußen eine vornehme Frau mit drei Kindern stehen. Sie war sehr erregt und stieß atemlos hervor: „Ich bitte Euch um alles in der Welt, bringt mich und meine Kinder rasch über den Strom! Die Türken sind dicht hinter uns her! Sie haben mein Schloß zerstört und mein ganzes Gesinde getötet. Nur wir vier sind ihnen wie durch ein Wunder entkommen. Wenn sie uns einholen, sind wir verloren!“ Der Fährmann zögerte keinen Augenblick, der Frau den Wunsch zu erfüllen. Er lief ans Ufer, machte die Zille los, half der Frau und ihren Kindern hinein und stieß trotz des Sturms vom Ufer ab. In der herrschenden tiefen Dunkelheit aber verlor er bald die Richtung und trieb immer näher auf den gefährlichen Strudel zu. Plötzlich hörte er eine Stimme rufen: „Da her! – Da - 154 -
her!“ Da riß der Bursch die Zille herum, legte sich mit aller Kraft gegen die reißende Strömung in die Ruder und fuhr in die Richtung, die ihm die geheimnisvolle Stimme gewiesen hatte. So kam er glücklich ans andere Ufer. Dort brachte er die vier Geretteten in eine Hütte und bestieg gleich wieder die Zille, um zur kranken Mutter zurückzukehren. Jetzt brauste aber der Sturm noch heftiger als zuvor, und die Wogen der Donau schäumten und tosten, als ob das Wasser kochte. Von der Strömung erfaßt, wurde die Zille wie ein Spielball unheimlicher Mächte hin- und hergeworfen. Der Fährmann umkrampfte beide Ruder, stieß sie - 155 -
verzweifelt gegen die Fluten und versuchte mit letzter Kraft, dem Strudel auszuweichen. Da schlug ihm eine mächtige Welle die Ruder aus den Händen und schleuderte die Zille hoch empor. Jetzt ist es mit mir zu Ende! dachte er, und er warf sich verzweifelt auf den Boden der Zille und schloß vor dem Tode, der ihm drohte, die Augen. Aber es folgte kein Unheil, und als er seine Augen wieder öffnete, sah er das Donauweibchen glanzumflossen am Bug der Zille stehen, sie führte das Schiff lein ohne Steuer aus dem wilden Strudel heraus und immer näher dem anderen Ufer zu. Dort stieß das Boot knirschend auf den sandigen Grund, und der Bursch war gerettet. So dankte das Donauweibchen, das im Augenblick der Landung wieder verschwand, dem Fährmann dafür, daß er es einst vor den Schmähungen der betrunkenen Gesellen bewahrt hatte. Nicht lange danach wurden die Türken überall aus dem Lande vertrieben. Die fremde Frau aber kam eines Tages in die Hütte des jungen Fährmanns und belohnte ihn für seine mutige Tat so reich, daß er und seine Mutter, die bald wieder ganz gesund wurde, noch viele Jahre sorglos leben konnten.
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DER DONAUFÜRST Auf dem Grunde des Stroms erhebt sich inmitten eines Gartens aus grünen Algen der Kristallpalast des Donaufürsten. Unzählige Fische flitzen um die funkelnden Zinnen, wie zu Lande die Schwalben um die Dachfirste. Vor dem prächtigen Muschelportal hält ein riesiger Waller mit einem großen Maul voll spitzer Zähne, an dem lange Bartfäden hängen, Wache. Seine kleinen, tückischen Augen jagen, sogar den Töchtern des Donaufürsten, den Donauweibchen, Angst und Schrecken ein. Sooft sie von der Oberwelt zurückkehren, huschen sie an dem Wächter so rasch wie möglich vorbei. Sie wollen von ihm nicht gesehen werden, denn er verriete dem Donaufürsten, daß sie dessen Gebot mißachtet hatten und bei den Menschen gewesen waren. Dann aber zürnte ihnen der viele Tausend Jahre alte, häßliche, glotzäugige Vater mit dem Fischmaul, dem blauen Haar und dem langen blauen Bart, daß sie auch ihn fürchteten, denn er liebt die Menschen nicht. Wenn er mit der perlen- und edelsteingeschmückten Krone auf dem Haupt und dem Purpurmantel um den Schultern aus der Tiefe auftaucht, faßt er mit seinen bemoosten Händen nach jedem Menschen, den er zu erreichen vermag, und zieht ihn ins Wasser hinunter. Mitunter zeigt er sich seinem Opfer zuerst freundlich und spricht mit gütiger Stimme: „Fürchte dich nicht vor mir. Ich bin heraufgekommen, um dir jeden Wunsch zu erfüllen!“ Sobald der Angesprochene aber einen Wunsch geäußert hat, lädt ihn der Donaufürst ein, mit in seinen Kristallpalast hinunterzusteigen, denn nur dort könne der Wunsch Wirklichkeit werden. Das aber bedeutet den sicheren Tod. Nur ein geweihter Talisman kann vor dem - 157 -
Unhold schützen. Vor langer, langer Zeit, als noch hoch über der Donau an Stelle der heutigen Ruine die stolze Burg Freyenstein thronte, lebte zu ihren Füßen ein alter Fischer mit seiner Tochter. Sie war sehr brav und fleißig und seine einzige Freude. Jedesmal, wenn er auf Fischfang fuhr, begleitete sie ihn bis ans Ufer, schob mit ihm gemeinsam das Boot ins Wasser und winkte ihm weit auf den Strom hinaus nach. Wenn er aber wieder heimkehrte, empfing sie ihn mit großer Freude und führte ihn in die blitzblanke Stube, in der das Essen bereits auf dem Tische stand. Eines Abends aber war das Mädchen zum erstenmal nicht ans Ufer gekommen, um den Vater zu begrüßen. Vor der Fischerhütte jedoch standen viele Männer und Frauen, die erregt miteinander redeten. Der Fischer eilte auf sie zu und fragte sie: „Was ist denn geschehen?“ Zuerst wagte niemand, dem alten Mann von dem Unglück zu sagen, das ihn betroffen hatte, dann aber faßte einer doch Mut und sprach: „Der Donaufürst hat dein Mädel geholt!“ „Der Donaufürst hat mein Mädel geholt?“ stammelte der alte Fischer entsetzt und begann am ganzen Leibe zu zittern. Jetzt gab auch ein anderer sein Schweigen auf. „Ja, ja“, bestätigte er, „ich hab’ es mit eigenen Augen gesehen. Ich saß gerade in meinem Kahn, als das Mädchen an einer seichten Stelle des Stroms badete. Plötzlich hörte ich schreien, ich blickte hin und sah zu meinem Entsetzen, daß der Donaufürst auftauchte, nach dem Mädchen faßte und es in die Tiefe zog.“ „Und bist du meinem Kind nicht zu Hilfe geeilt?“ fragte der Fischer vorwurfsvoll. „Ich wollte es ja tun!“ erwiderte der Mann. „Das - 158 -
ganze Ufer suchte ich ab, aber es war von dem Mädchen keine Spur mehr zu finden. Du weißt doch selbst, daß der Donaufürst keinen mehr freigibt, den er in die Tiefe gezogen hat.“ - 159 -
Da wankte der Vater gebrochen in seine Hütte. Die ganze Nacht schloß er kein Auge, und als der Morgen graute, fuhr er selber das Ufer entlang, um das Mädchen vielleicht doch noch zu finden. Aber auch er suchte vergeblich. Seit diesem Tag trug sich der alte Fischer nur noch mit einem Gedanken. Immer wieder sagte er sich: „Wenn ich dem Unhold begegne, dann will ich mich an ihm rächen!“ Und er fuhr jetzt nicht nur am Tag, sondern oft auch in der Nacht auf den Strom hinaus. Als dann das nächste Mal der Vollmond schien, tauchte plötzlich mitten im Strom der Donaufürst aus den Wellen. Auf seinem häßlichen Kopf saß die zackige Krone und blitzte und funkelte hell im Mondlicht. Er schwamm an das Boot des Fischers heran, und als er ihm ganz nahe war, fragte er mit geheuchelter Freundlichkeit: „Hast du vielleicht einen Wunsch? Ich könnte ihn dir im Augenblick erfüllen!“ Der Fischer aber gab keine Antwort. Er hatte eines der beiden Ruder mit einem geweihten Rosenkranz umwickelt. Das hob er rasch in die Höhe und ließ es mit solcher Wucht auf den Kopf des Unholds niedersausen, daß vier der größten und herrlichsten Steine aus dessen Krone in weitem Bogen ans Ufer flogen und der Donaufürst, wie von einem Blitz getroffen, untertauchte. Seit jener Nacht irrt er ruhelos und klagend an den Ufern der Donau auf und ab, um die vier Steine zu suchen. Erst wenn er sie wieder gefunden hat, kann er in seinen Palast zurückkehren. Bis dahin aber bewohnen die Donauweibchen mit der geraubten Tochter des alten Fischers allein das kristallene Schloß. Weil aber der Donaufürst vier Steine aus seiner Krone verlor, darf jeder Mensch, der im Strom ertrinkt, - 160 -
vier Tage lang darin wohnen. Die Fischerstochter windet dann jedesmal einen Kranz und schickt ihn hinauf an die Oberfläche des Stroms, damit die Menschen wissen, daß wieder einer der Ihren in den Wellen sein Grab gefunden hat.
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DER SCHWARZE MÖNCH Gegenüber der Felseninsel des Haussteins ragte einst auf einer hohen Wand ein Turm auf. Das Volk nannte ihn den Teufelsturm, denn ein unheimliches Wesen hauste darin. Es trug eine rabenschwarze Kutte und hatte einen ebenso schwarzen Bart, der ihm bis zum Gürtel reichte. Die Donauschiffer, denen der Spuk auf der Fahrt durch die gefährlichen Wirbel erschien, schlugen jedesmal schreckensbleich ein Kreuz und riefen: „Der schwarze Mönch! Uns droht ein Unglück!“ Es war auch wirklich so! Sooft der Tod eines bedeutenden Menschen, eine Überschwemmung, eine Feuersbrunst, eine böse Seuche oder ein Krieg bevorstand, erschien der schwarze Mönch auf der Zinne des Turmes mit warnend erhobenen Armen. Zu Beginn des elften Jahrhunderts fuhr Kaiser Heinrich III. mit großem Gefolge auf einem prächtigen Schiff von Passau die Donau abwärts. Er wollte nach Ungarn reisen, um in Arpads Fürstenhaus Frieden zu stiften, vorher aber einer Einladung der schönen Gräfin Richlinde Folge leisten und sie in ihrem Schloß Persenbeug besuchen. Richlinde war die Tochter eines bayrischen Grafen. Ihr Gatte Albero war als Letzter seines Geschlechtes gestorben und hatte seine Güter Persenbeug und Ybbs dem Kloster Ebersberg vermacht. Richlinde aber wollte, daß der Kaiser dieses Vermächtnis ihres Gemahls für null und nichtig erkläre und ihren Neffen zum Erben einsetze. Der Abt des Klosters hatte bereits auf die Güter freiwillig verzichtet und auch den Erzieher des Kaisers, Bischof Bruno von Würzburg, dafür gewonnen, daß er Richlindens Bitte beim Kaiser unterstützen möge. Seit - 162 -
Wochen traf die schöne Grafentochter selbst alle Vorbereitungen, um den allerhöchsten Gast gebührend zu empfangen und in frohe Stimmung zu versetzen. Kaiser Heinrichs Schiff war indessen schon an Linz vorbeigefahren und in die Nähe von Grein gekommen. Auf dem Deck, das mit kostbaren Teppichen belegt war, stand der Kaiser unter einem purpurnen Thronhimmel und dankte den Menschen, die zu Hunderten auf beiden Ufern standen und ihm zujubelten, für ihren Gruß. Dann wandte er sich an Bischof Bruno und sagte: „Seht doch, wie herrlich es hier ist. Ich habe in meinem ganzen Reich noch nirgends ein schöneres Stromtal gesehen!“ Der Bischof nickte zustimmend und meinte: „So schön es hier ist, so treu ist auch das Volk, das hier lebt. Es hat tapfer gegen die wilden Horden der Hunnen und Magyaren gekämpft und viel Leid und Ungemach erlitten.“ „Sobald ich in Ungarn den Frieden hergestellt habe“, erwiderte Heinrich, „will ich alles tun, damit die Wunden wieder heilen, die diesem Land und seinen Menschen geschlagen wurden.“ Der Bischof hielt jetzt den Augenblick für gekommen, den Kaiser auf Richlindens Anliegen vorzubereiten und sagte: „Dazu wäre es freilich gut, daß Ihr Euch auf treue und starke Helfer stützen könntet. Ich denke dabei an die Burgen Persenbeug und Ybbs, die sich besser in den Händen eines tapferen Ritters als im Besitze der gottesfürchtigen und friedlichen Klosterbrüder von Ebersberg befinden sollten.“ „Dieser Meinung bin auch ich“, antwortete Heinrich nachdenklich. „Albero war aber ein tapferer und treuer Vasall, und meine Dankbarkeit verbietet es mir, seinen letzten Willen zu mißachten.“ - 163 -
„Wenn aber der Abt von Ebersberg freiwillig auf die beiden Burgen verzichtet“, fuhr Bischof Bruno fort, „würdet Ihr dann den Wunsch der Gräfin erfüllen und das Erbe ihrem Neffen geben?“ Der Kaiser zögerte mit der Antwort. Schließlich aber sagte er: „Ich will es mir überlegen!“ Nun war das kaiserliche Schiff schon an Grein vorbeigekommen und steuerte der Insel Wörth zu. Das Wasser rauschte und schäumte und schlug donnernd an - 164 -
ihre Felsen. Die Männer an den Rudern setzten jetzt ihre ganze Kraft ein, damit das Schiff nicht in den gefährlichen Strudel gerate. Nach einigen Minuten höchster Gefahr schoß es an der Insel, an den Klippen und schließlich auch an Schloß Werfenstein vorüber. Als es aber zum Teufelsturm kam, verfinsterte sich plötzlich der Himmel, ein greller Blitz flammte um die Zinnen des Turmes auf, und in seinem Feuer stand riesenhaft der schwarze Mönch und hob drohend den Arm. Von Angst und Grauen erfaßt, schrien die Schiffsleute: „Der schwarze Mönch! Der schwarze Mönch!“ Und alle bekreuzigten sich. Da war aber die Erscheinung auch schon wieder verschwunden, und die Sonne strahlte wie zuvor. Der Schrecken legte sich, nur Bischof Bruno blieb in sich gekehrt. Das Schiff glitt, allen Gefahren entronnen, an Sankt Nikola und an den Burgen Sarmingstein und Freyenstein vorüber und kam schließlich nach Persenbeug. Hier empfingen den Kaiser und sein Gefolge helles Trompetengeschmetter und lauter Jubel. Richlinde stand mit ihren Kammerfrauen am Ufer, ging Heinrich bis auf die Schiffsbrücke entgegen und entbot ihm ihren Willkommengruß. Nach der Begrüßung geleiteten sie den Kaiser und sein Gefolge in die Burg. Der Rittersaal war mit grünen Tannenreisern geschmückt und von vielen Kerzenlichtern erhellt. Auf der langen Tafel standen herrliche Pokale und goldenes und silbernes Geschirr. Der Kaiser nahm oben an der Tafel, die Gräfin zu seiner Rechten, Bischof Bruno zu seiner Linken Platz. Die übrigen Gäste saßen an den beiden Längsseiten des - 165 -
Tisches. Wieder ertönten Trompeten, und dann trugen Knappen Speisen und volle Krüge auf. Nun wurde geschmaust und getrunken und dazwischen ein Trinkspruch nach dem andern dem Kaiser und der Gräfin dargebracht. Schließlich erhob sich auch Heinrich selbst, nahm den vollen Pokal in die Hand und sprach zu Richlinde: „Ich danke Euch für den schönen Empfang, der mir lange in Erinnerung bleiben wird. Bischof Bruno verriet mir bereits, daß Ihr diese Burg sowie die Feste Ybbs lieber in den Händen Eures Neffen als im Besitze der Mönche von Ebersberg sähet, denn das Land bedürfe starker Burgen und tapferer Ritter, um sich seiner Feinde zu erwehren. Ich habe mich entschlossen, Euch diesen Wunsch zu gewähren.“ Und er erhob den Pokal, um ihn auf das Wohl der Gräfin und des neuen Herrn von Persenbeug und Ybbs zu leeren. Kaum aber hatte er ihn an die Lippen gesetzt, da krachte der Boden des Saales. Gleich darauf begannen die Mauern zu wanken, die Tafel stürzte um, die Gäste wurden von den Stühlen geworfen, die Säulen barsten, und die Decks des Saales brach nieder. Kaum war dies geschehen, da kamen von weit und breit Menschen zur Burg gelaufen, um die Verschütteten aus den Trümmern zu befreien. Zur Freude der Retter zeigte sich, daß fast alle nur leichtere Verletzungen erlitten hatten. Kaiser Heinrich war wie durch ein Wunder unverletzt geblieben. Ein einziger, Bischof Bruno von Würzburg, war tot. So hatte auch diesmal der schwarze Mönch auf dem Teufelsturm ein Unheil angekündigt, das dann grauenvoll genug über die Menschen hereingebrochen war. - 166 -
Die vielen Gefahren, die im Strudengau die Schiffahrt bedrohten, sind längst gebannt worden, von den Felsenriffen ist keines mehr zu sehen. Auch der Hausstein ist gesprengt worden und der Teufelsturm in Schutt und Trümmer gefallen. Nur die Sage vom schwarzen Mönch hat sich bis auf heute erhalten.
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DAS MELKER KREUZ Auf dem rechten Ufer der Donau steht auf einem steil abfallenden Granitfelsen das berühmte Benediktinerstift Melk. Es hat eine prachtvoll ausgestattete Kirche mit einer besonders schönen Orgel, eine reichhaltige Bibliothek und eine wertvolle Gemäldesammlung. Als kostbarsten Schatz aber verwahrt das Stift ein goldenes, edelsteingeschmücktes Kreuz, das einen Splitter vom Kreuze Christi mit Spuren seines heiligen Blutes enthält. Dieses Juwel befand sich einst unter den Schätzen König Stefans des Heiligen von Ungarn. Einer seiner Nachfolger schenkte es Markgraf Adalbert dem Siegreichen von Österreich, um ihn nach dem Kriege gegen Kaiser Heinrich III. für die Vermittlung eines ehrenvollen Friedens zu gewinnen. Adalbert aber gab es dem Benediktinerstift. Jahr um Jahr pilgerten nun viele Christen aus allen Teilen des Landes nach Melk, um das Kreuz zu sehen und davor zu beten. Eines Tages aber war es zum Entsetzen der Mönche verschwunden und konnte nirgends gefunden werden. Erst mehrere Jahre später erfuhren die Mönche, daß der Schatz mit der kostbaren Reliquie auf rätselhafte Weise nach Wien in das Schottenkloster gekommen sei. Da reiste Abt Siegehard sogleich von Melk nach Wien und verlangte mit aller Entschlossenheit von den Schotten den Schatz zurück. Aber sowohl die Mönche als auch Markgraf Leopold, der damals in Wien seine Residenz hatte, und die Räte der Stadt lehnten diese Forderung ab. Siegehard gab sich jedoch damit nicht zufrieden und schlug vor, daß man am besten den Himmel selbst entscheiden lassen möge, ob das Kreuz in - 168 -
Wien bleiben oder nach Melk zurückgebracht werden solle. Es möge, so meinte er, zwischen ihn und den Abt der Schotten gestellt werden und dann dem gehören, dem es sich ohne menschliche Hilfe nähere. Damit waren alle einverstanden. Das Kreuz wurde sogleich herbeigeholt und zwischen die beiden Äbte gestellt. Und nun geschah das Wunder: Das Kreuz rückte von selbst zu Abt Siegehard hin. Die verdutzten Wiener wollten sich aber plötzlich auch dieser Entscheidung nicht beugen, verlangten noch ein zweites Zeichen des Himmels und schlugen vor, man - 169 -
möge einen Kahn vom Ufer der Donau losbinden, das Kreuz hineinlegen und nun sehen, was der Wille Gottes damit tue. Treibe das Schifflein stromaufwärts, dann solle das Kreuz dem Stift Melk gehören, sollte es aber stromabwärts treiben, dann müsse das kostbare Juwel auch fürderhin im Besitz des Schottenstiftes bleiben. Aber auch diesmal geschah das Unglaubliche: Der Kahn mit dem goldenen Kreuz trieb stromaufwärts. Nun wagten die Wiener nicht mehr, das Heiligtum den Melker Benediktinern streitig zu machen, und schon am nächsten Tag brachte Abt Siegehard das Kreuz nach Melk zurück.
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DIE WASSERJUNGFRAUEN In einem Gasthaus an der Donau kamen jeden Sonntag die Mädchen und Burschen aus dem Dorf zusammen. Während sie sich nach dem Takt der Musik lustig im Tanze drehten, saßen die alten Leute gemütlich plaudernd an den Tischen. Einer kannte den andern, denn alle waren miteinander aufgewachsen, und wenn einer von den Burschen heiraten wollte, holte er sich seine Braut aus den Mädchen des eigenen Dorfes. Einmal aber waren auch drei Mädchen gekommen, die niemand kannte. Sie trugen duftige weiße Kleider und hatten Blumenkränze im Haar. Weil sie viel schöner waren als die Mädchen aus dem Dorf, rissen sich die Burschen um sie und führten sie unentwegt zum Tanz. Das ärgerte aber die anderen bald so sehr, daß sie die Köpfe zusammensteckten und boshaft hin und her rieten, woher die drei Fremden wohl gekommen sein konnten. Aber keines von allen Mädchen wußte darauf eine Antwort. Als es schon spät geworden war und die Musikanten, vom vielen Spielen müde, ihre Instrumente zusammenpackten, wollten einige Burschen die drei schönen Mädchen nach Hause begleiten. Die aber hatten, ohne Abschied genommen zu haben, das Gasthaus bereits verlassen und waren nirgends mehr zu sehen. Am folgenden Sonntag kamen die drei schönen Mädchen wieder, doch auch diesmal verließen sie den Tanzboden so unbemerkt wie am ersten Abend. Dieses geheimnisvolle Gehaben der drei fremden Tänzerinnen ließ den Burschen keine Ruhe. Um endlich zu erfahren, was denn eigentlich dahinterstecke, überredeten sie die Musikanten, daß sie am nächsten - 171 -
Sonntag länger spielen sollten als sonst. Die Burschen aber wollten die drei Schönen die ganze Nacht nicht aus den Augen lassen. Und wirklich! Die Mädchen kamen auch am dritten Sonntag wieder zum Tanz. Sie flogen von einem Arm in den ändern und bemerkten dabei gar nicht, daß es immer später und später wurde und schließlich der neue Morgen anbrach. Da fielen aber schon zu ihrem Schrecken vom Saum der weißen Kleider schwere Tropfen nieder, und auch ihr Haar unter dem Kranz von Blumen wurde ganz naß. Nun wollten sie aus dem Saale fliehen, doch die Burschen faßten nach ihnen und hielten sie fest. Dabei zerriß eines ihrer dünnen Kleider, und daraus leuchtete eine goldene Schuppenhaut hervor. Da erhoben die neidischen Bauerndirnen sogleich ein großes Geschrei: „Seht doch“, riefen sie triumphierend, „seht doch! Sie sind Wasserjungfrauen und haben uns die Burschen nehmen wollen! Das soll ihnen aber nicht gelingen!“ Und schon stürzten sie sich auf die drei schönen Geschöpfe, packten sie an den Armen, schleppten sie vor das Haus des Richters und weckten ihn. Es dauerte nicht lang, da trat er aus der Tür und fragte noch ganz verschlafen: „Was gibt es denn so früh am Morgen?“ Da schrien die Bauerndirnen: „Wir haben drei Wasserjungfrauen gefangen! Sagt, was mit ihnen geschehen soll!“ Erst jetzt wurde der Richter richtig wach. Er betrachtete die drei Mädchen genauer und fragte sie: „Ist es wahr, daß ihr Wasser Jungfrauen, seid?“ Aber keines von ihnen gab ihm eine Antwort. Darüber geriet er so sehr in Wut, daß er die Mädchen auf der Stelle zum Feuertod verurteilte. - 172 -
Bald war mitten auf dem Dorfplatz ein hoher Scheiterhaufen errichtet, und immer mehr Leute kamen herbei, um die Wasserjungfrauen brennen zu sehen. Eine von den Bauerndirnen sagte schadenfroh: „Es geschieht ihnen schon ganz recht. Warum sind sie nicht dort geblieben, wohin sie gehören?“ „Sie hätten sich ihre Männer im Wasser suchen und unsere Burschen in Ruhe lassen sollen!“ rief eine andere. In diesem Augenblick wurden die Wasserjungfrauen von den Bütteln des Gerichts bereits auf den Dorfplatz gebracht. Kaum aber hatten die Mädchen den Scheiterhaufen - 173 -
bestiegen, da züngelten auch schon aus dem trockenen Holz die ersten Flammen empor und faßten nach ihren Kleidern. Zur gleichen Zeit tauchte aber aus den Wellen der Donau ein Riesenfisch auf, der spie in großem Bogen einen gewaltigen Wasserstrahl über den brennenden Scheiterhaufen und löschte damit die Flammen wieder aus. Die drei Jungfrauen aber betraten den Wasserbogen, kehrten auf ihm wie über eine Brücke zur Donau zurück und verschwanden in ihren Fluten. Seit damals haben die Wasserjungfrauen nie mehr ihr geheimnisvolles Reich verlassen, und kein menschliches Auge hat jemals wieder eine von ihnen erblickt.
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DIE HUNDE VON KUENRING Unterhalb von Melk blickt noch heute von einem der höchsten und schroffsten Berge am rechten Ufer der Donau die mächtige Ruine der einstigen Feste Aggstein herab. Auf ihr hauste am Anfang des dreizehnten Jahrhunderts Hadmar III. von Kuenring. Er und sein Bruder Heinrich I. zu Weitra waren die gefürchtetsten Raubritter jener Zeit. Hadmar ließ kein Schiff auf der Donau, Heinrich keinen Wagen und keinen Wanderer auf den Straßen unbehelligt. Voll Stolz nannten sie sich selber die „Hunde von Kuenring“. Um nun die Schiffe auf der Donau rechtzeitig ausspähen zu können, ließ Hadmar zwischen Schönbühel und Aggsbach einen Turm, das Blashaus, errichten. Sobald ein beladenes Schiff die Donau herunterkam, stieß der Wächter auf den Zinnen des Blashauses ins Horn und meldete es so seinem Herrn. Dann eilten sogleich die Raubgesellen Hadmars von der Burg hinunter an den Strom, zwangen das Schiff mittels einer Kette, die von einem Ufer zum anderen gezogen war, zur Landung und plünderten es. Die Kaufleute, denen die Waren auf den Schiffen gehört hatten, mußten froh sein, wenn sie mit dem nackten Leben davonkamen. Waren sie reich, wurden sie in den Kerker der Burg geworfen und nur gegen ein hohes Lösegeld wieder freigelassen. Hadmar scheute nicht einmal davor zurück, Herzog Friedrich den Streitbaren zu berauben, als dieser einmal auf der Donau nach Wien fuhr. Selbst als der Bischof von Passau deshalb den Kirchenbann über ihn verhängte, änderte sich Hadmar nicht. Auf der Feste Aggstein fühlte er sich sicher, war sie doch die stärkste unter den zehn - 175 -
Burgen, mit denen die Hunde von Kuenring des Herzogs Macht wie mit eisernen Fingern niederhielten. Sie nannten sie deshalb stolz und überheblich ihren „Ringfinger“. Jahre mußten vergehen, bis es Herzog Friedrich gelang, die Burg Zwettl, in der sich Hadmars Bruder Heinrich eben aufhielt, zu erstürmen. Mit knapper Not und Mühe konnte der Kuenringer noch entrinnen und sich nach einer tagelangen Flucht auf Aggstein in Sicherheit bringen. Um nun dem Treiben der beiden Hunde von Kuenring doch ein Ende zu setzen, griff Herzog Friedrich schließlich zu einer List. Er gewann den reichen Wiener Kaufmann Rüdiger dafür, daß er unverzüglich nach Regensburg reise. Dort sollte er ein großes Schiff mit wertvollen Waren beladen, unter dem Deck jedoch eine Schar herzoglicher Kriegsknechte verstecken und dann die Donau abwärts fahren. Das geschah auch. Kaum hatte der Wächter auf den Zinnen des Blashauses das stattliche Schiff gesichtet, stieß er, wie immer, kräftig in sein Hörn. Wenige Minuten später waren bereits die Raubgesellen der Kuenringer zur Stelle und zwangen den Steuermann durch die eiserne Kette, anzulegen. Als sie die kostbare Ladung sahen, sandten sie einen Boten zu ihrem Herrn, der ihm den guten Fang meldete. Hadmar eilte sogleich von der Feste hinunter, um das Ausladen des Schiffes selbst zu überwachen. Kaum aber hatte er das Deck betreten, da stieß das Schiff vom Ufer ab, die Kriegsknechte brachen aus ihrem Versteck hervor und nahmen Hadmar gefangen. Seine Raubgesellen versuchten zwar, ihn wieder zu befreien, wurden jedoch von den herzoglichen Bogenschützen getötet oder in die - 176 -
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Flucht geschlagen. Die Kette wurde in die Donau versenkt. Den gefangenen Kuenringer aber brachte man im Triumph nach Wien und warf ihn ins Gefängnis. Seine Burg konnte bald darauf erstürmt und zerstört werden. Dabei geriet auch Heinrich in die Gefangenschaft, Hochherzig schenkte Herzog Friedrich den beiden Brüdern das Leben, nach einigen Jahren sogar auch wieder die Freiheit, doch mußten sie allen Schaden, den sie angerichtet hatten, gutmachen. Hadmar aber pilgerte voller Reue nach Passau, um die Lösung vom Kirchenbann zu erflehen. Er erreichte jedoch die Bischofsstadt nicht mehr, in einem Dörfchen an der Donau ereilte ihn der Tod.
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SCHRECKENWALDS ROSENGÄRTLEIN Nachdem die Feste Aggstein fast zweihundert Jahre lang als düstere Ruine in das Donautal hinabgeblickt hatte, baute sie der Ritter Georg Scheck vom Walde, den Herzog Albrecht zum Lehensherrn über das Donautal eingesetzt hatte, wieder auf. Der neue Herr auf Aggstein war aber ein habgieriger und grausamer Mann, der es nicht besser trieb als die „Huride von Kuenring“. Er unterdrückte das Volk, das ihm unterstand, mißbrauchte sein Mautrecht auf der Donau in unverschämter Weise, indem er die Kaufleute ihrer Waren beraubte und sie zu Gefangenen machte, und erwarb mit dem gestohlenen und erpreßten Geld eine Burg nach der anderen. Bald wurde er weit stromauf und stromab nur noch „Schreck vom Wald“ oder „der Schreckenwald“ genannt. Aus der neuerstandenen stolzen Burg Aggstein aber führte jetzt ein schmales Pförtchen auf eine Steinplatte, die kaum drei Schritte lang und ebenso breit war. Unter ihr gähnte der tiefe, schauerliche Abgrund. Hieher ließ Schreckenwald die Gefangenen bringen, die seine Knechte gemacht hatten und von denen er kein Lösegeld erpressen konnte. Er stellte sie vor die Wahl, entweder langsam zu verhungern oder sich gleich in den Abgrund zu stürzen. Schreckenwald nannte diesen Teil seiner Burg spöttisch das „Rosengärtlein“. Eines Tages aber nahm der Raubritter einen jungen Kaufmann gefangen, der ein kühner, gewandter Springer und Kletterer war. Als er von den Knechten des Ritters durch das Pförtlein auf die Steinplatte hinausgestoßen wurde, maß zwar auch er mit schauderndem Blick die grauenvolle Tiefe, da er unten aber Bäume aufragen sah, nahm er allen Mut zusammen, befahl Leib und Seele - 179 -
Gott und sprang in den Abgrund. Und er hatte Glück. Er fiel so günstig in den Wipfel eines Baumes, daß er sich an einem starken Ast festklammern konnte. Nach einer Weile stieg er wohlbehalten vom Baum hinunter. Kaum hatte er festen Boden unter sich, eilte er ins Tal, erzählte überall von seinem Erlebnis und rief die Leute zur Vergeltung an dem grausamen Lehensherrn auf. Schon nach wenigen Tagen hatten sich viele mutige Ritter zusammengeschlossen. Sie lauerten dem Schreckenwalder auf, überfielen ihn, nahmen ihn gefangen und schleppten ihn vor das Gericht. Er mußte - 180 -
seine Verbrechen eingestehen und wurde zur Strafe dafür enthauptet. Das „Rosengärtlein“ wird noch heute jedem Besucher der Ruine Aggstein gezeigt. Es ist auch in einer Redewendung erhalten geblieben: Wenn sich nämlich ein Mensch aus höchster Not nur noch unter Lebensgefahr zu retten vermag, dann sagt man: „Er sitzt in Schreckenwalds Rosengärtlein.“
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DIE TUCHNERKLIPPEN IN DER WACHAU Zu Füßen des dunkelwaldigen Jauerlings liegt, von Obstgärten und Weinbergterrassen umgeben, der Ort Spitz. Hier fand nach altem Brauch alljährlich am 29. September der Michaelimarkt statt, zu dem von weit und breit Händler mit ihren Waren kamen und sie in rasch zusammengezimmerten Buden feilboten. Dabei ging es immer recht munter zu, denn die vielen Leute, die an diesem Tag nach Spitz strömten, feilschten und lärmten, aßen und tranken und ließen sich nichts abgehen. Der gute Wein vom Tausendeimerberg, der sich mitten im Ort erhebt, tat das Seine dazu, die ausgelassene Stimmung noch zu erhöhen. An diesem Tage geschah es einmal, daß die Leute an dem Stand des spindeldürren, listigen und habgierigen Tuchhändlers Klaus vorbeihasteten, als böte dahinter kein Händler, sondern der Teufel selbst seine Ware an. Sie alle kannten ihn nur zu gut. Es hatte sich ja längst herumgesprochen, daß er nicht nur Tuch verkaufte, sondern auch Geld zu hohen Zinsen verlieh und seinen Schuldnern das Hemd vom Leibe zog, wenn sie die geliehene Summe nicht auf den Tag genau zurückgeben konnten. Das war auch der Grund, warum die Leute den Händler haßten und ihm nur höhnisch und verächtlich antworteten, wenn er ihnen mit vielen schönen und verlockenden Worten seine Ware als die beste und billigste anpries. Darüber geriet aber Klaus so sehr in Wut, daß er die Vorübergehenden mit den unflätigsten Worten beschimpfte und ihnen mit seiner Vergeltung drohte. - 182 -
Das ließen sich jedoch die Leute nicht gefallen. Sie gingen zum Marktrichter, verklagten Klaus und verlangten seine Bestrafung. Der Richter gab den Beleidigten recht und verurteilte den Tuchhändler zu einer hohen Geldbuße. Darüber geriet Klaus noch mehr in Zorn. Er raffte auf der Stelle seine Tuchballen zusammen, warf sie auf sein Wägelchen, spannte seinen - 183 -
alten Klepper davor und verließ schimpfend den Markt. Obwohl der September schon zu Ende ging, war es damals noch hochsommerlich heiß. Dunkle Wolken zogen in der Ferne auf und kündigten ein Gewitter an. Um noch vor dem Unwetter nach Hause zu kommen, trieb Klaus jetzt sein Pferd zur Eile an. Als er bald darauf durch Schwallenbach fuhr, grollte bereits der Donner, und der Sturm peitschte auf der Straße den Staub auf. Es wurde immer finsterer, bald fielen die ersten Tropfen, und schließlich entlud sich das Gewitter mit solcher Heftigkeit, wie sie Klaus noch nie erlebt hatte. Es regnete in Strömen, und es blitzte und krachte, als sollte die Welt untergehen. Klaus schlug unentwegt auf seinen Klepper ein, und der lief, so schnell er gerade noch konnte. Vor Gossam aber ereilte den Tuchhändler das Verhängnis. Ein greller Blitzstrahl traf das Pferd und schmetterte es zu Boden. Der Wagen fiel um, und die wertvollen Tuchballen wurden von einem reißend gewordenen Bach, der vom Jauerling zur Donau niedertoste, fortgerissen. Zwei Ballen Tuch waren alles, was Klaus noch retten konnte. Er nahm sie auf die Schulter und versuchte, mit ihnen den Berghang, der die Straße säumte, emporzuklettern. Dabei rutschte er jedoch auf dem nassen Boden aus, die beiden Tuchballen fielen ihm von der Schulter, kollerten den Hang hinunter und verschwanden in der Dunkelheit. Da packte den habgierigen Geizkragen wilde Verzweiflung. Er hob beide Fäuste gegen den wolkenschwarzen Himmel und schrie: „Beim leibhaftigen Satan und allen Höllengeistern! Lieber sollen sich die Ballen in Steine verwandeln, als daß sie ein anderer fände!“ - 184 -
Kaum hatte er das letzte Wort zum Himmel geschrien, da fuhr ein langer zackiger Blitz aus den Wolken nieder, und der gleichzeitige Donnerschlag ließ den Berg wie bei einem Erdbeben erzittern. Am nächsten Tag fand ein Einsiedler, der in der Nähe seine Klause hatte, die beiden Tuchballen, aber auch den geizigen Händler, in Klippen verwandelt. Sie waren noch jahrhundertelang bei Gossam zu sehen. Wenn sie auch längst wieder zerfallen sind, so glauben doch noch heute manche Leute, sie hätten bei schweren Gewittern auf dem Abhang des Jauerlings den Händler mit den Tuchballen auf der Schulter erblickt.
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DAS KRÄUTLEIN WIDERTOD Gegenüber der Ruine Aggstein liegt inmitten grüner Matten das Dörfchen Groisbach. In seinem Rücken ragen dunkle, bewaldete Berge auf, aus denen in einem tiefen Graben der Groisbach der Donau zufließt. Vor vielen Jahren stand an dem Bach eine alte Mühle, darin lebte ein Müller mit seiner Frau und dem einzigen Töchterchen Grete. Alle drei waren immer genügsame, zufriedene Menschen. Eines Tages aber wurde die Müllerin krank und mußte sich zu Bett legen. Von Tag zu Tag wurde sie schwächer, doch niemand wußte, was daran schuld sei. Auch die Ärzte, die der Mann zu Rate zog, standen vor einem Rätsel. Die dreizehnjährige Grete hatte es damals besonders schwer, sie mußte die kranke Mutter pflegen und außerdem auch noch alle Arbeiten verrichten, die sonst immer die Mutter besorgt hatte. Da kam eines Morgens ein alter Mann in die Mühle, der hoch oben auf dem Jauerling wohnte. Grete setzte ihm ein Glas Milch und ein Stück Schwarzbrot vor, und als er davon getrunken und gegessen hatte, fragte er das Mädchen, wo denn die Müllerin sei. Nun erzählte ihm Grete, daß die Mutter erkrankt sei und noch kein Arzt sie habe wieder gesund machen können. Der alte Mann hörte aufmerksam zu, dachte dann eine Weile nach und sagte schließlich: „Ich wüßte wohl ein Mittel, das deiner Mutter helfen könnte, es ist aber sehr schwer zu beschaffen.“ Da fragte ihn das Mädchen: „Was für ein Mittel ist es denn?“ „Das Kräutlein Widertod“, erwiderte der Alte. „Ich hab’ es zwar selbst noch nie gesehen, aber mein - 186 -
Großvater hat mir oft davon erzählt. Es soll eine unscheinbare Pflanze mit winzigen blauen Blüten sein, die zwischen ‘bemoosten Steinen wächst und in den Nächten des Vollmondes betäubend duftet. Zu dieser Zeit muß sie auch gepflückt werden, aber nur von einem Menschen, der reinen Herzens und frei von jeder Selbstsucht ist. Darum kann man das Kräutlein Widertod auch nirgends kaufen.“ Die kleine Grete hörte dem Alten aufmerksam zu und fragte ihn dann: „Wo könnte ich denn das Kräutlein finden?“ „Da mußt du schon hinauf bis zum oberen Rand der Groisbachschlucht gehen“, antwortete der Alte geheimnisvoll. „Der Weg ist aber gefährlich! Ein einziger unachtsamer Schritt kann dich dein Leben kosten.“ „Ich fürchte mich nicht“, sagte Grete, „wenn ich nur meiner kranken Mutter helfen kann!“ „Dann versuch es, mein Kind“, erwiderte der Fremde. Darauf reichte er dem Mädchen zum Abschied seine Hand und ging wieder seines Weges. Grete aber wartete nur, bis der nächste Vollmond aufging, und stieg dann in der Schlucht des Groisbaches über die vielen kreuz und quer liegenden Steinblöcke immer höher und höher hinauf. Dichtes Geäst und Gestrüpp, spitzige Dornen und Stacheln zerrissen ihr Hände und Beine. Immer lauter und wilder toste der Bach, und immer unheimlicher wurde der Wald. Aber das Mädchen ließ sich durch nichts schrecken, ging unbekümmert weiter und dachte nur an seine kranke Mutter, der es helfen wollte. Endlich erreichte Grete den Rand der Schlucht, und nun stand sie vor dem letzten Felsen. Sie wollte ihn - 187 -
schon umgehen, da öffnete sich aber plötzlich vor ihr ein Tor, aus dem strahlte ihr helles Licht entgegen. Im nächsten Augenblick trat auch schon aus dem Felsentor ein Zwerg auf sie zu und sagte zu ihr: „Komm mit mir! Die Bergkönigin vom Jauerling erwartet dich.“ Grete traute zwar zuerst ihren Augen und Ohren nicht, folgte dann aber doch dem Zwerg, der ihr voranschritt und sie durch einen langen gewölbten Gang in einen herrlichen Saal führte. Hier waren die Wände von Gold und Silber und der Boden aus spiegelndem Bergkristall. Auf einem Thron, der mit Diamanten und Rubinen übersät war, saß die Bergkönigin. Eine Schar langbärtiger Zwerge stand zu ihrer Rechten und Linken. Als sie Grete vor sich stehen sah, lächelte sie und sprach: „Sei mir willkommen, mein liebes Kind! Ich freue mich, daß du den Weg durch die Nacht gewagt hast, um das Kräutlein Widertod zu finden.“ Grete aber fragte ganz erstaunt: „Wieso wißt Ihr denn, daß ich das Zauberkräutlein suche?“ Die Bergkönigin lächelte wieder und antwortete: „Ich weiß alles, was in meinem Reiche vorgeht, denn der Wind, die Bäume und das Wasser berichten es mir. Das Kräutlein aber, das du suchst, wächst in meinem Garten. Komm mit mir, ich führe dich gleich hin!“ Sie erhob sich von ihrem kostbaren Thron und schritt mit Grete durch den Saal einer der vielen Türen zu. Zwei Zwerge in goldstrotzender Livree öffneten sie. Da lag nun ein herrlicher Garten im silbernen Mondlicht vor ihnen. Große schillernde Schmetterlinge flogen wie am sonnigsten Tage von Blüte zu Blüte, von Blume zu Blume, und in den Zweigen der Bäume zwitscherten und trällerten gefiederte Musikanten aus voller Kehle. Aus einem Marmorbecken sprang ein - 188 -
mächtiger glitzernder Wasserstrahl hoch in die Luft, und auf einer blumigen Wiese tanzten Kinder jauchzend einen Reigen. Grete war von all der Pracht so überwältigt, daß sie die Hände zusammenschlug und immer wieder ausrief: „Hier ist’s ja wunderbar! Wirklich wunderbar!“ Die Bergkönigin aber sagte: „Wenn es dir hier so gut gefällt, kannst du auch bei mir bleiben! In meinem Reich gibt es kein Leid und keine Sorgen, und jeder Wunsch wird dir erfüllt. Die Kinder, die dort auf der Wiese spielen, haben das längst erfahren. Sie werden dich gern in ihre Mitte nehmen.“ Grete erwiderte jedoch: „Ich bin nicht hergekommen, um weder Leid noch Sorgen zu haben, sondern nur um das Kräutlein Widertod zu finden und es meiner Mutter zu bringen, damit sie gesund werde. Ich will nirgends sein, wo nicht auch sie ist, und wäre es noch so schön!“ Diese Worte des Mädchens gefielen der Bergkönigin, und sie sagte gütig: „Komm mit mir, ich zeige dir, wo das Wunderkräutlein wächst.“ Und sie ging mit Grete so nahe an dem Springbrunnen vorbei, daß sein feiner, funkelnder Wasserstaub dem Mädchen über und über das Haar und das Kleid benetzte. Einige Schritte weiter blieb die Königin plötzlich stehen, zeigte auf einige bemooste Steine und sprach: „Dort ist das Kräutlein Widertod! Soeben öffnet es seine blauen Blüten. Riechst du nicht den wunderbaren Duft? Er allein vermag jede Krankheit zu heilen. Pflück es nur rasch!“ Da beugte sich Grete auf die bemoosten Steine nieder und brach ein Kräutlein ab. Als sie sich dann wieder aufrichtete, war von der Bergkönigin und ihrem ganzen Reich nichts mehr zu sehen, das Mädchen stand im ersten - 189 -
Strahl der Morgensonne wieder vor der alten Mühle am Groisbach. Mit dem Kräutlein Widertod in den Händen eilte es nun gleich ans Bett der Mutter. Die kranke Frau schlug langsam ihre Augen auf, sog gierig den Duft der blauen Blüten ein, begann mit einemmal zu lächeln und sagte: „Ich fühle mich plötzlich ganz wohl, mir ist, als war’ ich gar nicht mehr krank!“ Sie erhob sich, stieg aus dem Bett – und war wirklich wieder gesund. In ihrer Freude umschlang sie Grete, um ihr für das heilsame Kräutlein zu danken. Da sah sie, daß das Haar und das Kleid ihres Kindes ganz seltsam schimmerten. Die Tropfen des Springbrunnens hatten sich daran in echte Perlen verwandelt. Nun gab es für die beiden Menschen kein Leid und keine Not mehr, und sie lebten in ihrer Mühle am Groisbach glücklich und sorgenlos bis an ihr Ende.
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DIE TEUFELSMAUER Gegenüber von Schwallenbach liegt das Dörfchen St. Johann. In seiner alten gotischen Kirche stand eine Statue des heiligen Albin, des Schutzpatrons aller Donauschiffer. Diese Statue schleppten einmal ein paar mutwillige Schiffsknechte auf ihr Schiff und entführten sie stromaufwärts nach St. Nikola, wo sie vor der Einfahrt in den gefürchteten Strudel nächtigen wollten. Vorher aber kehrten sie in einem Wirtshaus ein, aßen und tranken und redeten noch vergnügt von ihrem Streich. Einer von ihnen sagte: „Ich hätte ja nur zu gern gesehen, wie dumm die Bauern von St. Johann dreinschauen werden, wenn sie den Heiligen nicht mehr finden!“ Auch die anderen lachten und spotteten über den Schutzpatron, der unfreiwillig eine Schiffsreise unternehmen mußte. Dann zechten die Burschen noch eine Weile, hielten die Mädchen zum besten und gingen schließlich schlafen. Als sie aber am nächsten Morgen weiterfahren wollten, mußten sie zu ihrer Überraschung feststellen, daß der steinerne Schutzpatron spurlos verschwunden war. Bald darauf mußten sie abermals von Wien stromaufwärts fahren. Als sie jedoch nach St. Johann kamen, konnten sie ihre Pferde, die das Schiff zogen, trotz aller Flüche und Peitschenhiebe nicht an der Kirche vorüberbringen. Sie versuchten es mit einem anderen Paar, aber auch das brachte das Schiff nicht weiter. Der Pfarrer, der mit vielen anderen Bewohnern des Dorfes ihren vergeblichen Bemühungen zusah, riet den Schiffsknechten, doch von ihrem Schutzpatron Hilfe zu - 191 -
erflehen. Daraufhin gingen die Burschen in das Kirchlein und fanden zu ihrem größten Erstaunen den Heiligen wieder auf seinem alten Platze stehen. Weder der Pfarrer noch der Mesner noch sonst jemand wußte, daß die Statue jemals fortgewesen war. Da verstummten sogleich die Knechte vor diesem Wunder und opferten, von Reue ergriffen, die Hufeisen ihrer Pferde. Nun erst konnten sie ihre Fahrt unbehindert fortsetzen. » Dieser Vorfall und noch viele andere Wunder verbreiteten den Ruf des Heiligen im ganzen Donautal. Bald pilgerten immer mehr Schiffsleute zur wundertätigen Statue ihres Schutzpatrons. Sie kamen sogar in Prozessionen und brachten ihm reiche Gaben dar. Die häufigen Wallfahrten und das viele Singen und Beten erregten schließlich den Zorn des Teufels, und er beschloß, dem frommen Treiben ein Ende zu bereiten. Zu diesem Zweck wollte er quer durch die Donau eine riesige Mauer bauen. Sie sollte von der Höhe des Schloßberges in Schwallenbach bis hinüber zur Roten Wand bei St. Johann reichen und das Wasser so hoch stauen, daß es die beiden Orte überflute. Diese gewaltige Arbeit mußte er freilich bis zum ersten Hahnenschrei verrichtet haben, denn dann war seine ganze Macht wieder dahin. Deshalb wollte er sich mit List eine längere Arbeitszeit sichern. Damit am nächsten Morgen nur ja kein einziger Hahn im Dorf krähe, verwandelte sich der Höllenfürst in einen Händler, kaufte in St. Johann und in Schwallenbach den Bauern alle Hähne ab und schlachtete sie. Am Abend konnte er sich zufrieden seine Hände reiben, seine Höllenknechte zusammenrufen und gemeinsam mit ihnen - 192 -
den Bau der gewaltigen Mauer beginnen. Die ganze Nacht lang arbeiteten sie. Mit ihren kralligen Fingern rissen sie die größten Felsblöcke los und türmten sie aufeinander. Die unheimliche, verderbenbringende Mauer wuchs von Stunde zu Stunde, und die Donau stieg vor ihr immer höher und höher. Als der Morgen graute, war die Mauer zwar noch nicht fertig, aber der Teufel bangte trotzdem nicht um sein Werk, denn es lebte ja weit und breit kein Hahn mehr, der krähen konnte. - 193 -
Plötzlich aber geschah ein Wunder, mit dem der Teufel nicht gerechnet hatte. Der kupferne Hahn auf dem Kirchturm von St. Johann wendete sich mit dem Kopf zur Mauer und schrie aus voller Kehle: „Kikeriki! – Kikeriki! – Kikeriki!“ Da geriet der Teufel in höllische Wut. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher und schoß ihn nach dem Turmhahn. Aber es war schon zu spät! Die Teufelsmauer stürzte bereits krachend zusammen und wurde von den Fluten der Donau fortgerissen. Nur auf den beiden Ufern blieben einige kärgliche Reste zurück. Sie zogen sich bei Schwallenbach und St. Johann an den Berglehnen hinauf und sind auch heute noch zu sehen. Auch der kupferne Turmhahn mit des Teufels Pfeil im Leibe dreht sich noch immer auf dem Kirchturm. Er krähte zwar niemals wieder, aber das war auch nicht mehr notwendig.
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DER GEFANGENE AUF DÜRNSTEIN Am dritten Kreuzzug nahm auch Herzog Leopold V. von Österreich teil. Als das christliche Heer schließlich Akkon, die stärkste Feste des Sultans von Syrien und Ägypten, erreichte, war es durch viele Verluste und Entbehrungen schon so geschwächt, daß es den Angriff auf das heidnische Bollwerk nicht wagen konnte. Es mußte noch auf die Kreuzfahrer warten, die König Philipp aus Frankreich und König Richard Löwenherz aus England zu Schiff über das Mittelländische Meer heranführten. Als Akkon dann mit vereinten Kräften bezwungen wurde, war es Herzog Leopold von Österreich, der als erster auf ihren Zinnen seine Fahne hißte. Darüber geriet aber Richard Löwenherz in grenzenlose Wut. Er ließ das österreichische Banner wieder herunterreißen, trat es selber in den Staub und pflanzte dafür die englische Fahne auf. Diese Schmach wollte Leopold nicht auf sich beruhen lassen, und er schwur, sich dafür an Richard Löwenherz zu rächen. Erst ein Jahr nach der Einnahme Akkons gingen die englischen Kreuzfahrer wieder auf ihre Schiffe, um heimzukehren. Auf der Fahrt übers Meer gerieten sie in einen schrecklichen Sturm. Das Schiff, auf dem sich der König befand, wurde von den anderen Schiffen getrennt, ins Adriatische Meer verschlagen und nach tagelangem Ringen mit den tobenden Wogen bei Aquileja an die Küste geworfen. Von hier zog der schiffbrüchige König als Pilger verkleidet auf geheimen Wegen und Waldpfaden gegen Norden, um nach Böhmen zu kommen und dort Zuflucht und Hilfe zu suchen, auf die er in den Ländern Leopolds von Österreich nicht rechnen - 195 -
konnte. Dabei verging der ganze Herbst, und ein eisiger Winter brach herein. Richard Löwenherz hatte indessen alles Geld ausgegeben und war eines Tages hungernd und frierend bis in die Nähe von Wien gekommen. Weil er aber gehört hatte, daß Leopold bereits heimgekehrt sei und ihn suchen lasse, wagte er nicht, in der Residenz des beleidigten Herzogs zu übernachten. Er entschloß sich deshalb, lieber in einer Herberge im Dörfchen Erdberg zu bleiben, wo nur Fuhrleute und Händler einkehrten. Hier würde man einen König bestimmt nicht vermuten. So trat er denn, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, in die matterhellte Stube des Gasthauses ein und bat fürs erste um ein wenig Essen. Der Wirt aber hatte für arme Pilger und streunendes Bettelvolk nichts übrig und sagte kurz angebunden: „Wenn du etwas zu essen haben willst, dann verdien es dir! Arbeit gibt es bei mir genug. Geh hinüber in die Küche, stell dich an den Bratspieß und dreh das Huhn über dem Feuer!“ Da ging der König wirklich in die Küche und drehte den Spieß. Der Wirt aber, dem der Mann mit dem langen, verwilderten Bart recht sonderbar, ja verdächtig schien, folgte ihm auf dem Fuß und ließ ihn nicht aus den Augen. Dabei bemerkte er, daß der arme Pilger an seiner Rechten einen überaus wertvollen Ring trug, wie ihn nur reiche Leute besitzen konnten. Jetzt fiel dem Wirt ein, daß ihm erst wenige Tage vorher jemand erzählt hatte, der König von England befände sich im Lande und werde von den Reisigen überall gesucht. Als der Wirt bald darauf durchs Fenster blickte und zwei herzogliche Reiter dahertraben sah, schlich er auf die Straße hinaus, hielt sie an und verriet ihnen, welche Entdeckung er gemacht habe. - 196 -
Die beiden Reiter sprangen sogleich von den Pferden und folgten ihm ins Haus. Als sie in die Küche traten, wußte Richard Löwenherz, daß es für ihn kein Entrinnen mehr gebe. Einer der Reiter fragte ihn: „Seid Ihr der König von England?“ Da schlug Richard Löwenherz die Kapuze zurück und erwiderte stolz: „Ja, der bin ich!“ Noch in derselben Nacht wurde Englands König nach Wien und am nächsten Tag auf Befehl Herzog Leopolds nach Dürnstein ins Verlies gebracht. Wochen um Wochen vergingen. Das englische Volk glaubte, daß der König während des Sturms im Adriatischen Meere Schiffbruch erlitten und den Tod gefunden hätte. Es trauerte eine Weile um ihn, huldigte dann aber seinem Bruder Johann. Ein einziger im ganzen Reiche glaubte nicht an Richards Tod: es war Blondel, des Königs getreuer Spielmann. Unermüdlich und ohne je die Hoffnung auf die Wiederkehr seines Herrn zu verlieren, forschte er unter den heimgekehrten Kreuzfahrern und unter den Fremden, die nach England kamen, ob sie nichts von seinem König wüßten. Das tat er so lange, bis ihm eines Tages das Gerücht zu Ohren kam, daß König Richard lebe, aber irgendwo in Deutschland auf einer Burg gefangengehalten werde. Da machte er sich sogleich auf, ihn zu suchen und wieder heimzubringen. Zuerst zog er den Rhein stromaufwärts. Vor jeder Burg hielt er inne und sang zu seiner Laute ein Lied, das er noch mit dem König gemeinsam gesungen, bevor dieser ins Heilige Land gefahren war. Er hoffte, daß Richard, wenn er es höre, seinen Diener daran erkennen und ihm ein Zeichen geben würde. - 197 -
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Nachdem Blondel vor allen Burgen am Rhein vergeblich gesungen hatte, zog er quer durch den Schwarzwald ins Donautal. Auch hier wanderte er von Burg zu Burg, immer den Strom entlang, bis er eines Tages auch zur Feste Dürnstein kam. Er stieg den steilen und steinigen Weg zu ihr hinan, griff vor ihrem Turm nach der Laute und sang wieder das gleiche Lied. Jetzt klang seine Stimme nicht mehr so kräftig und hell wie früher, denn während des wochenlangen Suchens war seine Hoffnung, den geliebten Herrn wiederzufinden, immer geringer geworden. Nachdem er die erste Strophe zu Ende gesungen hatte, lehnte er sich müd an die Mauer und lauschte. In den Wipfeln der Bäume, über die hinweg er auf das silberne Band der Donau blicken konnte, rührte sich kein Lüftchen und keine Vogelstimme. Eine Weile hörte er nichts als sein Herz klopfen. Doch horch! Plötzlich drang, leise wie ferner Widerhall, aus einem winzigen, vergitterten Fenster des Turms die gleiche Melodie an sein Ohr, wie er sie gesungen. Blondel hatte seinen Herrn gefunden! Alle Traurigkeit des Herzens war im Augenblick verflogen, und Tränen des Glückes und der Freude liefen ihm über die Wangen. Nun eilte er sogleich nach England zurück, erzählte dort, was er erlebt hatte, und bestürmte das Volk, so rasch wie möglich das nötige Lösegeld für die Freilassung des Königs zu sammeln. Nachdem es aufgebracht und Herzog Leopold überreicht worden war, konnte Richard das Gefängnis auf Dürnstein verlassen und in sein Reich heimkehren. Schon fünf Jahre später starb er. Sein Spielmann Blond sl aber war bei ihm geblieben, bis zum Tode ein treuer Diener seines Herrn.
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DER SÄGEFEILER UND DER TEUFEL Nachdem die Schweden am 26. März 1645 das Städtchen Dürnstein eingenommen und die Burg zerstört hatten, fand sich kein Ritter mehr, der sie wieder aufbauen wollte. So verfiel sie denn von Jahr zu Jahr mehr und mehr. Bald nisteten Eulen und Krähen in ihrem Gemäuer, und auf den Höfen, Stiegen und Gängen wucherte das Unkraut. In manchen Nächten aber drang aus den leeren Fensterhöhlen ein gespenstisches Licht und aus den verlassenen Räumen ein wüster Lärm ins Freie. Die Menschen, die in den Häusern zu Füßen der Ruine wohnten, fürchteten den unheimlichen Ort und wagten es nicht mehr, in der Dunkelheit auf den Berg zu gehen. Da kam eines Abends ein Sägefeiler in das Städtchen Dürnstein, der Arbeit suchte. Er hatte nichts im Ränzel als ein wenig Wegzehrung, einen Schraubstock und eine Feile. Weil es schon dunkel wurde, sah er sich nach einer Herberge für die Nacht um, fand aber nirgends mehr eine freie Bettstatt. Während er von Haus zu Haus ging, begegnete er einem heimkehrenden Bürger der Stadt und klagte ihm seine Not. Als aber auch der nur bedauernd mit der Achsel zuckte, wurde der Sägefeiler ärgerlich und sagte: „Ich will aber nicht mehr weitergehen, und wenn ich hier im Ort kein Obdach bekomme, dann such’ ich mir eben dort auf der Ruine eines!“ Der Bürger aber beschwor ihn: „Tut das nur ja nicht! Dort oben spukt es, das kann Euch ein jeder hier bestätigen!“ „Und wenn es auch spukt“, erwiderte der Sägefeiler, „ich fürchte mich nicht. Meinetwegen mögen die Gespenster die ganze Nacht durch die leeren Räume - 200 -
geistern, mit Ketten rasseln und ihren Unfug treiben! Wenn ich einmal schlafe, wecken sie mich nicht so leicht auf.“ „Die Leute behaupten aber, daß der Teufel selber dort oben hause!“ meinte der ängstliche Dürnsteiner. „Ich werde ihn bestimmt nicht stören!“ gab der Sägefeiler spöttisch zur Antwort und setzte noch hinzu: „Auf jeden Fall danke ich Euch für die wohlgemeinte Warnung. Und nun gehabt Euch wohl, und schlaft so gut und fest, wie ich es bald tun werde!“ Damit ließ er den kopfschüttelnden Mann stehen und stieg raschen Schrittes den steilen, steinigen Weg zur Ruine hinauf. Oben angekommen, fand er bald in einem der halbverfallenen Gemächer ein wind- und wettergeschütztes Plätzchen. Er streckte sich gleich hin und schlief bald darauf ein. Um Mitternacht aber riß ihn lautes Lärmen, Klirren, Rasseln und Poltern aus dem tiefen Schlaf. Er rieb sich die Augen und richtete sich auf. Der Raum, in dem er sich befand, war mondhell, und niemand war darin zu sehen. Der Lärm kam also aus den anderen Räumen der verfallenen Burg. Er war so groß, daß der Sägefeiler trotz der Müdigkeit, die er verspürte, nicht wieder einschlafen konnte. So lehnte er sich denn, auf dem Boden sitzend, gegen die Wand, nahm gelassen einige Nüsse aus seiner Hosentasche, knackte eine nach der anderen mit seinen festen Zähnen auf und begann sie zu essen. Doch plötzlich stand ein kohlschwarzer Teufel vor ihm und fauchte ihn an: „Was tust du denn hier?“ Der Sägefeiler aber erwiderte seelenruhig: „Ich esse Nüsse, weil ich bei dem Lärm nicht schlafen kann.“ Der Teufel blickte erstaunt auf die Nüsse und sagte: „Die kenn’ ich ja gar nicht. Gib mir doch auch eine - 201 -
davon zu kosten!“ „Von Herzen gern!“ entgegnete der Sägefeiler. „Ich habe zwar nur ein paar, aber ich kenne keinen Neid.“ Dabei griff er in seinen anderen Hosensack, zog ein paar nußgroße Kieselsteine, die er um Form und Farbe willen irgendwo eingesteckt hatte, heraus und hielt sie dem Teufel hin. Der griff gierig danach und steckte den größten gleich in den Mund. Als er ihn aber aufbeißen wollte, schlugen helle Funken aus dem Stein. Da spuckte - 202 -
er ihn sofort wieder aus und rief wütend: „Zum Donnerwetter, die Nuß ist aber hart!“ Der Sägefeiler lachte hellauf und sagte: „Hart ist sie freilich. Aber wenn man frischgeschärfte Zähne hat, so wie ich, dann kann man sie schon aufbeißen.“ Und wieder knackte er eine Nuß und aß mit Behagen den süßen Kern. „Wer hat dir denn die Zähne geschärft?“ fragte der Teufel begierig. „Ach, das kann ich selbst“, antwortete der Mann, „ich bin ja ein gelernter Zähnefeiler!“ „Dann schärfe sie mir doch auch“, sagte der Teufel ungeduldig, „damit ich die Nüsse aufbeißen kann.“ „Recht gern“, erwiderte der Mann, „doch muß ich dazu deinen Schädel in den Schraubstock spannen, sonst bewegst du ihn, und ich kann nicht ruhig arbeiten.“ Das sah der Teufel ein. Der Sägefeiler holte nun seinen Schraubstock aus dem Ranzen, befahl dem Teufel, seinen Kopf mit dem Gesicht nach oben zwischen die beiden eisernen Backen zu legen, und drehte rasch die Schraube zu. Der Teufel aber strampelte und schrie vor Schmerz: „Hör doch schon auf zu drehen! Das halt’ ich ja nicht aus!“ „Fällt mir ja gar nicht ein!“ erwiderte der Sägefeiler und drehte noch weiter zu. „Ich bin froh, daß ich dich in meiner Gewalt habe. Frei geh’ ich dich erst wieder, bis du mir versprichst, daß du dich hier nie mehr sehen läßt!“ „Das schwör’ ich dir“, winselte der Teufel verzweifelt. „Das schwör’ ich dir bei meiner Großmutter!“ Jetzt drehte der Sägefeiler die Schraube wieder zurück, und der befreite Teufel fuhr fluchend und mit höllischem Schwefelgestank aus der Ruine hinaus. - 203 -
Der Sägefeiler aber legte sich wieder aufs Ohr und schlief bis zum hellen Morgen. Dann stand er frohgemut auf, ging hinunter in das Städtchen und suchte sich einen Arbeitsplatz. Von dieser Nacht an hatte der höllische Spuk auf der Ruine ein Ende. Dem Sägefeiler aber gefiel es in Dürnstein so gut, daß er sich darin für immer niederließ. Als er jedoch eines Tages durch den Wald nach Weinzierl ging, um dort auf einem Bauernhof die Sägen zu schärfen, stand plötzlich wieder der Teufel vor ihm und fuhr ihn an: „Warte nur, du Halunke! Jetzt bist du in meiner Gewalt!“ Der mutige Sägefeiler ließ sich aber auch diesmal nicht schrecken und erwiderte: „Das bin ich noch lange nicht! Komm nur näher!“ Dabei holte er rasch den Schraubstock aus dem Ranzen und stellte ihn vor sich hin. Kaum aber hatte der Teufel das schreckliche Werkzeug erblickt, da zog er auch schon heulend den Schwanz ein und raste so schnell wie der Blitz wieder davon. Von nun an hatte der Sägefeiler vor ihm Ruhe, und auch in der ganzen Wachau ließ sich der Teufel nie wieder blicken.
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SANKT KOLOMAN Markgraf Heinrich, der älteste Sohn Leopolds des Erlauchten, residierte zu Melk in einer recht gefährlichen und unsicheren Zeit. Sein Vater hatte schwere Kämpfe gegen die Ungarn zu bestehen gehabt, er aber mußte sich lange Zeit der Böhmen und Polen erwehren. Außerdem durchzogen immer wieder Spione das Donautal, um eine neue Gelegenheit für feindliche Einfalle auszukundschaften. Da war es denn auch kein Wunder, daß die Menschen jeden Fremden verdächtigten, ein solcher Spion zu sein. Das mußte einmal auch ein frommer Pilger an sich erfahren, der todmüde nach Stockerau kam und in fremder Sprache in einer Herberge um ein Nachtlager bat. Die Bitte wurde ihm zwar gewährt, als aber der neue Tag anbrach, ließ ihn der Wirt, der auch in ihm einen Spion witterte, durch die Stadtwache ins Gefängnis bringen. Auch dem Richter konnte sich der Fremde nicht verständlich machen, dazu kam aber noch, daß sich in seinem Besitz ein großer Geldbetrag und mehrere Schriftstücke befanden, die der Richter nicht lesen konnte. Das waren auch für ihn Gründe genug, in dem Verhafteten wieder einmal einen feindlichen Kundschafter zu erblicken, und ihn auf dem freien Feld, das zwischen dem Ort und der Donau lag, grausam foltern zu lassen. Dort hauchte der Ärmste auch, begafft und umjohlt von einer Menge erregten Volkes, auf einem Steinblock seine Seele aus. Gleich darauf hängten die rohen Schergen des Gerichtes den Leichnam an einen verdorrten Baum am Ufer der Donau und überließen ihn den Raben zum Fräße. - 205 -
Da aber geschah ein Wunder: Die vertrockneten Zweige trieben plötzlich wieder Knospen, Blätter und Blüten! Es flogen auch keine Raben herbei, sondern Scharen von Singvögeln, und die jubilierten vom Morgen bis zum Abend. Als die Leute jetzt den Baum wieder blühen sahen und in seinen Zweigen die Vögel singen hörten, als sie nach vielen Tagen auch noch feststellen mußten, daß der Leichnam nicht verweste, da erkannten sie, daß diesmal ein Unschuldiger gefoltert und hingerichtet worden war. Jetzt nahmen sie, von Reue erfüllt, den Toten vom Baum herunter, schaufelten unter den breiten Ästen ein Grab, legten den Fremden hinein und wölbten einen Hügel darüber. Bald darauf setzten heftige Regenfälle ein, die Donau stieg über die Ufer, und ihre lehmgelben Fluten verwüsteten die Wiesen und Felder. Sie rissen alles nieder, was ihnen im Wege stand, und drangen bis Stockerau vor. Der niedere Hügel aber, unter dem der unschuldig hingerichtete Fremde begraben lag, blieb seltsamerweise von dem Hochwasser verschont. Als auch Markgraf Heinrich einige Monate später von diesen wunderbaren Begebenheiten erfuhr, befahl er, das Grab des Pilgers noch einmal zu öffnen, um seine sterblichen Überreste in geweihter Erde bestatten zu lassen. Und sieh, der Leib des Begrabenen war noch immer völlig unversehrt! Jetzt wurde auf Geheiß des Markgrafen der Leichnam nach Melk gebracht und in der Stiftskirche mit allen Ehren beigesetzt. Um diese Zeit kam wieder ein Mann nach Stockerau, der dieselbe Sprache redete wie jener vermeintliche Spion, sich aber doch einigermaßen verständlich machen - 206 -
konnte. Er nannte sich Gotthalm und erzählte, daß er seinen geliebten Herrn, den irländischen Prinzen Koloman, suche, der vor Jahren eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen, habe, seitdem aber nichts mehr von sich hören ließ. Nachdem er den Leuten auch noch beschrieben hatte, wie der verschollene Prinz ausgesehen habe, erkannten die Stockerauer entsetzt, daß der Fremde, den sie für einen Spion gehalten und zu Tode gemartert, nur Prinz Koloman gewesen sein konnte. Tieferschüttert erzählten sie nun dem treuen Diener, welch schreckliches Ende der Prinz gefunden und welche Wunder sich nach seinem Tode ereignet hatten. Dann - 207 -
rieten sie Gotthalm, nach Melk zu gehen, wo er das Grab seines Herrn finden würde. Der treue Diener machte sich sogleich auf den Weg, war aber von der langen Reise, die er schon hinter sich hatte, so geschwächt und von der schrecklichen Nachricht über den Tod seines Herrn so gebrochen, daß er, noch eh er ans Ziel kam, in einem Bauernhof starb. Auch sein Leichnam wurde nach Melk gebracht und an der Seite des Prinzen bestattet, damit der treue Diener wenigstens im Tode wieder bei seinem Herrn sei. Koloman wurde später als Märtyrer heiliggesprochen. Seine Gebeine ruhen noch heute in der Stiftskirche von Melk in einem steinernen Sarkophag. Die Bürger von Stockerau errichteten an der Stelle, wo er unter unsäglichen Qualen sein Leben ausgehaucht hatte, eine Sühnekapelle. Der Stein aber, über den Kolomans Blut geflossen war, kam nach Wien, wurde in einen Messingrahmen gefaßt und am Bischofstor der Stephanskirche eingemauert. Dort ist er noch heute zu sehen.
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GREIFENSTEIN Wo der nördlichste Pfeiler des Wienerwaldes steil zur Donau abfällt, blickt von einem vorspringenden Felsen die Burg Greifenstein weit ins Land hinaus. Schon zur Zeit der ersten Babenberger stand hier eine stolze Feste. In ihr lebte ein Graf namens Reinhard. Er war ein finsterer Mann und leidenschaftlicher Jäger. Seine Frau war früh gestorben, sodaß er sein Töchterchen Eteline von dem alten Burgkaplan Emmerich erziehen lassen mußte. Als Eteline zu einem blühenden Mädchen herangewachsen war, erfüllte sie die Räume der Burg mit klingendem Lachen und hellem Frohsinn. Sie war Greifensteins Sonnenschein, ein Sonnenschein freilich, der sich nur dann hervorwagte, wenn der grimmige Vater nicht auf der Burg weilte. Schon frühzeitig mußte der Edelknappe Rudolf sie im Reiten und Jagen unterweisen. Es dauerte nicht lange, da liebten die beiden jungen Menschen einander von ganzem Herzen. Weil sie jedoch wußten, daß der stolze Vater nie und nimmer mit ihrer Vermählung einverstanden sein würde, beschlossen sie eines Tages, während der Abwesenheit des Grafen aus der Burg zu entfliehen. Vorher aber weihte Eteline den greisen Kaplan als einzigen in den Plan ein und bestürmte ihn so lang mit flehentlichen Bitten, bis er bereit war, sie vor der Flucht mit Rudolf zu vermählen. Als der Graf bald darauf wieder auf seine Burg zurückkehrte, erfuhr er, daß seine Tochter mit dem Edelknappen geflohen sei. Darüber geriet er in heftige Wut. „So also habt Ihr mein Kind behütet?“ fuhr er den Kaplan an. „Das werdet Ihr mir büßen! Solange ich lebe, sollt Ihr das Tageslicht nicht mehr sehen, das schwör’ ich - 209 -
Euch!“ – Und schon rief er die Wache in den Saal und befahl ihr, den Kaplan ins Burgverlies zu werfen. Dann ließ der Graf seine Knechte weitum nach den beiden Flüchtlingen suchen, aber keiner fand eine Spur von ihnen. Das Leben auf der Burg war jetzt noch unerträglicher als zuvor. Graf Reinhard ging nur noch mit düsterer, eisiger Miene umher, gönnte keinem Menschen ein freundliches Wort und verbreitete, wo immer er sich blicken ließ, nur Furcht und Schrecken. Auch wenn er Gäste zur Jagd geladen hatte und mit ihnen bis zum grauenden Morgen zechte, herrschte kein Frohsinn im Haus. Das Gesinde schlich ängstlich umher und fürchtete ständig Zornesausbrüche seines betrunkenen Herrn. Als dann im Lande tiefer Winter herrschte, wurde dem Grafen eines Tages gemeldet, daß sich in den Wäldern hinter der Burg ein Bär herumtreibe, der das Wild anfalle und auch die Menschen gefährde. Da machte sich Reinhard sogleich mit seinen Knechten und vielen Hunden auf, um das gefürchtete Tier möglichst rasch zur Strecke zu bringen. Den ganzen Tag lang stapften sie durch kniehohen Schnee, durch verwehte Schluchten und Gräben und über vereiste Bäche, ohne daß ihnen der Bär zu Gesicht gekommen wäre. Plötzlich aber kam einer der Knechte atemlos zum Grafen gelaufen und meldete ihm: „Ich habe im Schnee die Fußspur eines Menschen gesehen, bin ihr gefolgt und bin zu einer niederen Reisighütte gekommen, aus der ich Stöhnen und Wimmern vernahm. Es klang so unheimlich, daß ich mich nicht in die Hütte wagte.“ Ohne noch lang zu überlegen, ließ sich der Graf von dem Knecht zur Reisighütte führen, zog zur Vorsicht sein - 210 -
Jagdmesser und trat dann rasch entschlossen in den Unterschlupf ein. Zu seiner Überraschung erblickte er darin auf einer Streu aus dürrem Laub eine junge, aber abgezehrte und verhärmte Frau, die ihr Kind an der Brust hielt, und neben ihr einen Mann mit wirrem Bart und Haar. Als er dann genauer hinsah, erkannte er in der Frau seine Tochter Eteline und in dem verwilderten, hohläugigen Mann seinen Edelknappen Rudolf. Da war der harte, finstere Graf zum erstenmal in seinem Leben zu Tränen gerührt. Er vergaß allen bösen Groll, den er so lange gehegt, reichte seiner Tochter und dem Knappen die Hand und nahm das Kind der beiden auf seinen Arm. Dann mußten die Knechte aus Ästen und Stricken eine Tragbahre zusammenfügen, sie mit Reisig - 211 -
bedecken und darauf die junge Mutter mit ihrem Kind in die Burg tragen. Als Eteline dann daheim in ihrem Gemach lag, wollte sie auch den Kaplan wiedersehen. Kaum aber hatte sie nach ihm gefragt, da verfinsterte sich das Gesicht des Grafen wie eh und je, und er sagte: „Er hatte dich nicht sorgsam genug behütet, ich ließ ihn dafür auf immer in den Kerker werfen.“ „In den Kerker?“ rief Eteline entsetzt. „Das durftet Ihr nicht, mein Vater! Er hat mir doch nur meinen sehnlichsten Wunsch erfüllt. Laßt ihn jetzt wieder frei!“ Der Graf wußte erst nicht, was er seinem Kinde antworten sollte, denn er hatte ja einmal den Schwur getan, daß der Kaplan das Tageslicht nicht wiedersehen solle, solange sein Herr lebe. Schließlich sagte er sich, daß ein Schwur, im Zorn getan, keine Gültigkeit haben könne, und er versprach Eteline, daß er selbst in den Kerker hinuntersteigen und den Kaplan in die Freiheit zurückholen werde. Dann verließ er das Gemach, um das Versprechen, das er Eteline gegeben, auch gleich zu erfüllen. Als er aber die Stiege hinuntereilte, die vom Hof der Burg zum Eingang in den Turm führte, strauchelte er auf einer der steinernen Stufen, er versuchte, sich an einem vorspringenden Stein an der Ecke des Turmes festzuhalten, stürzte aber und blieb am Ende der Stiege tot liegen. So war sein Schwur, den er einst in maßlosem Zorn getan hatte, doch in Erfüllung gegangen, denn als der Kaplan das Tageslicht wiedersah, lebte der Graf nicht mehr. Der Stein aber, an dem er sich einen Augenblick lang im Sturze angeklammert hatte, hieß seitdem nur der - 212 -
„Schwurstein“. Sooft dann ein späterer Besitzer der Burg einen Eid zu leisten hatte, legte er seine rechte Hand darauf und sprach dabei die Worte: „So wahr ich greife an den Stein!“ Davon erhielt die Burg den Namen Greifenstein. Der Schwurstein aber wurde im Verlauf der Jahrhunderte durch das Auflegen schwerer Ritterhände immer tiefer ausgehöhlt, und diese handförmige Vertiefung ist noch heute deutlich zu sehen.
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DER WASSERMANN Im Burghof zu Kreuzenstein ist ein tiefer Brunnen. Der soll durch einen Stollen mit der Donau unterirdisch in Verbindung gestanden sein. In ihm hauste einmal ein Wassermann, der war sehr häßlich, hatte Glotzaugen, ein Froschmaul, lange Zähne, Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen und war außerdem über und über mit Moos bewachsen. Tagaus und tagein lauerte er heimtückisch im Brunnen auf Kinder und junge Mädchen. Blickte eines hinunter auf das Wasser, dann ließ er darauf ein rotes Band oder eine schöne Blume schwimmen. Sobald aber das menschliche Wesen danach griff, faßte er es blitzschnell an der Hand und zog es in die Tiefe. Eines Abends wollte eine junge Magd aus dem Brunnen Wasser holen. Als sie das rote Band schwimmen sah, griff auch sie nach ihm, und schon war es um sie geschehen! Sie ertrank aber nicht, sondern sank immer tiefer hinab und kam schließlich in die Wohnung des Wassermanns. Als sie dort den häßlichen Kerl erblickte, schrie sie vor Entsetzen laut auf. Der Wassermann aber sagte zu ihr: „Fürchte dich nicht, ich tu dir nichts zuleide. Ich habe dich nur heruntergeholt, weil ich eine Magd brauche. Wenn du mir ein Jahr lang mein Haus in Ordnung hältst, gebe ich dir die Freiheit wieder. Du sollst die Arbeit nicht umsonst verrichten, ich werde dich dafür reichlich belohnen!“ So blieb denn die Magd im Hause des Wassermanns und tat alles, was er wünschte. Sie sorgte dafür, daß der Boden der Stube trocken sei, was ihr nicht immer leichtfiel, denn der Wassermann trug an seinen plumpen - 214 -
Füßen oft Schlamm und Schlick herein oder kam triefnaß nach Hause. Manchmal fror der Alte ganz jämmerlich, da mußte sie gleich einen großen Ofen heizen, über dem Ofen standen auf einem Gesimse viele umgestülpte Töpfe. Diese erregten die Neugier des Mädchens, und so fragte es eines Tages den Wassermann, was sich denn unter den Töpfen befände. Der unheimliche Kerl aber fuhr sie unwillig an: „Unterstehe dich nur ja nicht, einen der Töpfe umzudrehen. Unter jedem von ihnen halte ich die Seele einses Ertrunkenen gefangen, die ich mir aus der Donau oder aus dem Schloßbrunnen geholt habe.“ Dem Mädchen taten die schmachtenden Seelen von Herzen leid, es traute sich aber doch nicht, auch nur einen der Töpfe umzukehren, weil es sich viel zu sehr vor dem Wassermann fürchtete. Als ein Jahr vergangen war, sagte er verdrossen zu der braven Magd: „Dein Jahr bei mir ist um, wenn heute die Mittagsglocke von Kreuzenstein läutet, kannst du wieder auf die Oberwelt zurückkehren. Als Lohn darfst du dir den Kehricht mitnehmen, den du in meinen Stuben zusammengefegt hast.“ Dann verließ er seine Behausung und schwamm durch den langen unterirdischen Stollen zur Donau, um zu sehen, ob wieder jemand in ihren Fluten ums Leben gekommen sei. Die Magd aber fragte sich enttäuscht: „Der Kehricht soll die Entlohnung für meine Arbeit sein? Was fange ich denn damit, an?“ Doch sie griff trotzdem nach dem Eimer, schüttete das Häuflein Schmutz, das sich darin befand, auf ihr ausgebreitetes Kopftuch und knotete die vier Ecken zusammen. Schon war die Mittagsstunde nicht mehr fern, und die - 215 -
Magd wartete gespannt, auf welche Weise sie nun zur Oberwelt zurückkehren würde. Nochmals sah sie sich in der Stube des Wassermanns um, in der sie ein Jahr lang getreulich alle Arbeit getan hatte. Da fiel ihr Blick wieder auf die Töpfchen auf dem Gesimse über dem Ofen, und sie mußte an die armen gefangenen Seelen denken. Die - 216 -
taten ihr so leid, daß sie ihre Angst vor dem Wassermann überwand, auf die Ofenbank stieg und flugs ein Töpfchen nach dem anderen auf dem Gesimse umdrehte. Da waren die Seelen der Ertrunkenen endlich frei. Klopfenden Herzens, ihr Bündelchen fest in der Hand, stieg die Magd von der Ofenbank. Da hörte sie es vom Turme zwölf schlagen, und kaum war der letzte Glockenton verhallt, da stand sie – sie wußte selbst nicht, wie es geschah – im Burghof, und der langentbehrte, liebe Sonnenschein flutete warm über sie. Das Bündel in ihrer Hand aber war plötzlich unglaublich schwer geworden, sie öffnete es und fand statt des Kehrichts Hunderte funkelnder Goldstücke darin.
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DER RATTENFÄNGER Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde Korneuburg von den Schweden erobert, erst nach heftigen Kämpfen konnten die Truppen Kaiser Ferdinands III. die Stadt den Feinden wieder entreißen. Aber große Teile Korneuburgs waren zerstört und verwüstet. Überall türmten sich Schutt und Unrat. Bald wimmelte die Stadt von Ratten, sie drangen in alle Küchen und Keller, in alle Stuben und Bodenräume ein, zernagten, was ihnen in den Weg kam, und ließen die Leute nicht einmal mehr in den Betten in Frieden. Es gab auch kein Mittel, sie zu vertilgen oder zu vertreiben, sodaß die verzweifelten Bürger schon ernstlich daran dachten, auszuwandern und die Stadt den Ratten zu überlassen. Die Räte von Korneuburg wollten noch einen letzten Versuch machen, der Ratten Herr zu werden. Sie schrieben einen hohen Lohn aus für den, der die Stadt für immer von der schrecklichen Rattenplage befreien würde. Es dauerte nicht lang, da kam ins Rathaus ein fremder Mann, er erklärte, daß er ein Rattenfänger sei und seine Kunst in den Dienst der Stadt stellen wolle. Die Ratsherren waren über dieses Anerbieten sehr erfreut und trugen ihm auf, nur ja so rasch wie möglich mit der Vertreibung der Ratten zu beginnen. Die Kunde von dem Rattenfänger verbreitete sich mit Windeseile in der ganzen Stadt. Die verzweifelten Bürger schöpften wieder neue Hoffnung und harrten mit großer Spannung der Dinge, die da kommen würden. Sie brauchten nicht lange zu warten, denn schon am frühen Morgen des nächsten Tages, als kaum die Tore - 218 -
geöffnet worden waren, kam der Rattenfänger wieder in die geplagte Stadt. Diesmal aber trug er ein rotes, geschlitztes Wams, enge Hosen, auf dem Kopf ein federngeschmücktes Barett und an der Seite eine lederne Weidtasche. Aus ihr holte er sogleich eine schwarze Flöte hervor und begann darauf zu spielen. Es waren aber keine lieblichen Weisen, die er dem Rohr entlockte, sondern greulich quiekende, quarrende Töne, die nur den Ratten zu gefallen schienen, denn sie kamen, wunderlich davon angezogen, aus allen Winkeln und Schlupflöchern hervor und folgten dem Flötenspieler in hellen Scharen. Der aber zog, unentwegt die Flöte blasend, kreuz und quer durch die ganze Stadt und schließlich durch eines ihrer Tore hinaus und zur Donau. Kaum war er dort angekommen, da löste er einen Kahn vom Ufer, bestieg ihn und ließ sich von den Wellen immer weiter gegen die Mitte des Stromes treiben. Unablässig blies er dabei die Flöte und lockte mit ihren greulichen Tönen die Ratten, sich in den Strom zu stürzen und ihm nachzuschwimmen. In der reißenden Strömung aber erlahmten bald ihre Kräfte, kein einziges von den vielen, vielen Tieren kam mit dem Leben davon. Auf diese Weise hatte der Fremde mit einem Schlage Korneuburg von der Rattenplage befreit. Die Bewohner der Stadt umjubelten ihn dafür und führten ihn in einem wahren Triumphzug zum Rathaus. Als er aber dann in der Amtsstube stand und den ausgeschriebenen Lohn entgegennehmen wollte, da war dem Bürgermeister plötzlich leid um das viele Geld. Er zog die Stirne kraus und fragte: „Wie heißt Ihr denn eigentlich, und woher kommt Ihr?“ Der Fremde erwiderte freundlich: „Ich heiße Hans Mäuseloch und stamme aus Wien. Dort kennt mich ein - 219 -
jeder als Rattenfänger vom Magdalenengrund.“ Der Bürgermeister maß den Mann vom Kopf bis zu den Füßen und sagte dann: „Daß Ihr Euch auf das Rattenfangen versteht, haben wir alle gesehen. Wir wissen aber auch, daß es dabei nicht mit rechten Dingen zuging. Eure Kunst hat Euch der Teufel gelehrt, und einem Mann, der mit dem Satan im Bunde steht, dem brauchen wir ein gegebenes Wort nicht zu halten. Seid froh, wenn wir Euch laufen lassen!“ Der Rattenfänger geriet über diese Worte so sehr in Zorn, daß er drohend ausrief: „Das werdet Ihr noch bitter bereuen!“ Dann stürmte er zur Tür hinaus. Kurze Zeit später kam der Rattenfänger ein zweites Mal nach Korneuburg. Er war noch prächtiger gekleidet als früher und hatte eine goldene Flöte. Auf der blies er so wundervoll, daß die Leute die Fenster aufrissen, um seine Weisen besser zu hören. Die Kinder aber kamen aus den Häusern gelaufen und folgten ihm genauso wie einige Tage vorher die Ratten. Der Mann zog auch diesmal kreuz und quer durch die Stadt und schließlich zur Donau, an deren Ufer ein großes, schönes Schiff mit bunten Segeln lag. Er bestieg es, und die Kinder drängten ihm nach. Sobald alle an Bord waren, lichtete das Schiff den Anker und fuhr mit vollen Segeln davon. In der Stadt warteten die Eltern auf die Rückkehr ihrer Kinder. Als sie auch bis zum Abend nicht heimgekommen waren, wußten alle, daß der Rattenfänger sie entführt hatte. Darüber gab es viele Tränen und bittere Vorwürfe gegen den Bürgermeister, der daran allein die Schuld trug. Erst lange Zeit später hörten die unglücklichen Bürger Korneuburgs, daß im selben Jahr, in dem der - 220 -
Rattenfänger ihre Kinder entführt hatte, auf dem Sklavenmarkt in Konstantinopel viele christliche Knaben und Mädchen zum Kauf angeboten worden waren. Da wußten die Eltern, daß es nur ihre Kinder gewesen sein konnten. Jahrhundertelang erinnerte ein Gedenkstein im Pfarrgäßchen an diese Ereignisse. Er zeigte eine Ratte und eine Umschrift in gotischen Lettern. Der Stein verwitterte aber im Laufe der Zeit und ist schließlich verschwunden.
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DER TEUFEL AUF DEM BISAMBERG Kurz vor Wien erhebt sich auf dem linken Ufer der Donau ein Berg, von dessen Höhenrücken man ins Tullnerfeld und übers Marchfeld bis zu den Kiemen Karpaten, über den Strom hinweg aber auf den Wienerwald und darüber hin bis zum Hochwechsel und zum Schneeberg sieht. Am Fuße dieses Berges stand einmal der stolze, aber arg verschuldete Steinbauernhof. Um ihn dem Besitzer zu retten, sollte dessen einzige Tochter den reichen Nachbar zum Manne nehmen. Resi liebte aber den armen Knecht auf dem Hofe ihres Vaters und wollte nur ihn heiraten. Die Aussichtslosigkeit ihrer Liebe machte die jungen Leute unglücklich. Da stieg der Knecht einmal in einer hellen Mondnacht im Sommer auf den Bisamberg, setzte sich dort an einer Wegkreuzung unter eine mächtige Steineiche und hing seinen trüben Gedanken nach. Plötzlich stand ein Jäger mit verkniffener Miene vor ihm und fragte ihn: „Was tust du bei Nacht in meinem Revier?“ Der Knecht erkannte in ihm sofort den Teufel und erschrak auf das heftigste. Weil er jedoch aus seiner Herzensnot keinen anderen Ausweg wußte, faßte er sich und klagte dem Satan sein Leid. Der aber fragte: „Was gibst du mir, wenn ich dir zu deinem Glück verhelfe?“ „Was du willst“, erwiderte der junge Knecht, ohne erst zu überlegen. „Ich gebe dir, was du willst!“ Da grinste der Teufel übers ganze tückische Gesicht und sagte: „Ich verlange nicht mehr als bei jedem anderen Handel, den ich mit einem Menschen abschließe. - 223 -
Du brauchst mir nur deine Seele zu verschreiben!“ Jetzt lief es freilich dem Burschen eiskalt über den Rücken, doch der Höllenfürst ließ ihm keine Zeit, sich lang zu besinnen und setzte fort: „Wenn du auf den Pakt eingehst, bist du in wenigen Stunden ein reicher Mann, und der Bauer gibt dir gern seine Tochter zur Frau!“ Und schon holte er ein Blatt Papier und einen Federkiel aus seiner Jagdtasche, hielt dem Knecht beides hin und forderte ihn auf: „Da, unterschreibe! Ein Tröpfchen Blut aus deinem Finger genügt.“ Während der Knecht nach dem Papier und dem Federkiel griff, durchzuckte ein rettender Gedanke seinen Kopf, und er sagte: „Ich unterschreibe nur dann, wenn du dich verpflichtest, meine Seele nicht eher zu holen, als bis die Eiche, unter der ich sitze, kein einziges Blatt mehr trägt!“ Diese Frist konnte dem Teufel nur recht sein, denn bis zum Herbst fehlten ja nur noch einige Wochen. Er nahm also die Bedingung in den Pakt auf, dann ritzte sich der Knecht eine winzige Wunde in den Finger, tauchte die Spitze des Federkiels in das Blut und setzte seinen Namen unter den Vertrag. Kaum war dies geschehen, da sagte der Teufel zu dem Knecht: „So, und jetzt geh nach Hause und grabe beim Birnbaum vor dem Garten deines Bauern die Erde auf. Du wirst dort einen Schatz finden, der dich zum reichsten Mann in der ganzen Umgebung macht.“ Und schon war er verschwunden. Der Bursch lief heim, holte sich eine Schaufel und grub noch während der Nacht die Erde unter dem Birnbaum auf. Und richtig! Da stieß er auf einen Topf, der bis zum Rand mit Goldstücken gefüllt war. Jetzt war er mit einemmal so reich, daß er den verschuldeten - 224 -
Steinbauernhof kaufen konnte und der Bauer ihm seine Tochter mit Freuden zur Frau gab. Nun vergingen Tage und Wochen, und das Obst auf den Bäumen und die Trauben auf den Weinstöcken wurden reif. Die Blätter auf den Bäumen und Sträuchern färbten sich gelb, rot und braun, und die letzten Blumen verblühten. Schließlich kamen die Spätherbsttage mit Nebelschwaden, Regenschauern und Stürmen und beraubten die Bäume ihres Blätterschmucks. Zu dieser Zeit trieb sich der Teufel jede Nacht auf dem Bisamberg herum. Er freute sich, daß die Bäume bereits kahl wurden. Mit Mißvergnügen jedoch stellte er fest, daß die Blätter der großen Steineiche zwar auch schon braun und unansehnlich geworden waren, aber nicht von den saftlosen Zweigen fielen. Da schüttelte er ärgerlich den Kopf und hoffte auf den Winter. Doch selbst das heftigste Schneegestöber und der klirrende Frost änderten an der Eiche nichts. Ihre Blätter fielen auch jetzt noch nicht ab, sondern lugten braun und vertrocknet unter der Schneelast hervor. Nun setzte der Teufel seine Hoffnung auf den Frühling. Der kam denn auch nach wenigen Monaten und brachte laue Lüfte und hellen Sonnenschein mit. In das Geäst der Sträucher und Bäume stieg der junge Saft, und die Knospen schwollen. Da dachte der Teufel: Jetzt müssen ja doch die alten Blätter von den Zweigen fallen! Und er rieb sich grinsend die Hände. Als er aber die Steineiche näher betrachtete, da bemerkte er zu seiner Verblüffung, daß zwar ihre abgestorbenen Blätter nach und nach zu Boden fielen, daß aber auch schon ungezählte Knospen aufgesprungen waren und die Äste mit jungem Grün schmückten. - 225 -
Zu spät erkannte der Satan, daß der arme Knecht ihn überlistet hatte. Darüber geriet er in solche Wut, daß er mit seinen Fingern in den Wipfel der Eiche fuhr und ihre jungen zarten Blätter zerkrallte. Dann fuhr er, grimmig fluchend, zur Hölle hinunter und ließ sich auf dem Bisamberg nie wieder sehen. Seitdem aber kann man an den Rändern der Eichenblätter die Spuren der wütenden Teufelskrallen erkennen.
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DIE GRÜNDUNG VON KLOSTERNEUBURG Acht Tage nach ihrer Vermählung mit dem Markgrafen Leopold II. von Österreich, der nach seinem Tode der Heilige genannt wurde, unternahm Agnes, die Tochter Kaiser Heinrichs IV. mit ihrem jungen Gemahl einen Spazierritt auf den Kahlenberg. Sie wollten ein schönes Kloster erbauen lassen und berieten miteinander, wo es stehen solle. Während sie mit ihren Blicken das herrliche Land zu Füßen des Berges nach der schönsten Stelle dafür absuchten, entriß ein Windstoß der Gräfin den kostbaren Schleier und trug ihn mit sich fort. Die junge Markgräfin war über diesen Verlust untröstlich. Ihr Gemahl sprengte sogleich mit seinem Gefolge los, kreuz und quer durch den Wald, um den Schleier zu suchen. Sie durchstöberten alle Büsche und jedes Dickicht, konnten aber den wundervollen Kopfputz nicht mehr finden. Ein Jahr ums andere verging. Eines Tages war der Markgraf wieder einmal auf der Jagd. Da schlugen die Hunde besonders heftig an. Leopold glaubte, daß sie ein seltenes Wild gestellt hätten, und eilte, so rasch er konnte, an die Stelle, wo sie bellten. Da sah er zu seinem Erstaunen auf einem Holunderstrauch den zarten Schleier hängen, den der Wind vor Jahren seiner Gemahlin entrissen hatte. Er war all die Jahre wie durch ein Wunder trotz allen Unbilden des Wetters rein und unversehrt geblieben. Der Markgraf löste ihn sogleich aus dem Geäst, ritt damit in seine Burg zurück und brachte ihn freudestrahlend seiner Gemahlin. Beide sahen in dem wunderbaren Fund eine göttliche Fügung. Zum Danke - 227 -
dafür beschloß nun das junge Paar, an der Stelle des Holunderstrauches, auf dem der Schleier gehangen, das schon so lang geplante Kloster erbauen zu lassen. Weil es aber ganz in der Nähe der neuen Burg des Markgrafen erstand, erhielt es den Namen „Klosterneuburg“. Heute blickt der prächtige Bau zu Füßen des Leopoldsberges weithin über den Strom. In seinem Kreuzgang befindet sich ein gläserner Schrein, in dem liegen ein Stück jenes Holunderzweiges, ganz in Gold gefaßt, und der wertvolle Schleier der Markgräfin für immer aufbewahrt. Das Stift besitzt aber zur Erinnerung an die Entführung und Wiederfindung des Schleiers der Markgräfin auch noch eine goldene Monstranz, die die Form eines Strauches hat und mit Blüten aus schimmernden Perlen geziert ist. Ihr zu Füßen kniet, von seinen Jagdhunden umgeben, Markgraf Leopold der Heilige. - 228 -
DER PFAFF VOM KAHLENBERG Als Herzog Otto der Fröhliche im Jahre 1335 nach Wien kam, verlieh er seinem Kaplan und lustigen Rat Wiegand von Theben die Pfarre am Fuße des Leopoldsberges, der damals noch Kahlenberg hieß. Am Anfang hatte es der neue Pfaffe vom Kahlenberg, wie Wiegand jetzt genannt wurde, gar nicht leicht, die Schäflein seiner Gemeinde für sich zu gewinnen. Ein reicher Bürger, der in dem schönen Pfarrhof lieber seinen Neffen gesehen hätte, versuchte nämlich, die Gemeinde gegen ihn aufzuhetzen und ihm damit das Leben so sauer wie möglich zu machen. Er wandte sich zuerst an die sparsamen Hausfrauen des Dörfchens und sagte zu ihnen: „Ich habe gehört, daß es der ‘neue Pfaffe vortrefflich versteht, die Gläubigen ordentlich zu schröpfen. Steckt deshalb, wenn ihr in die Kirche geht, immer genug Geld in euren Beutel. Ihr werdet es brauchen. Schon am nächsten Sonntag wird er in seiner ersten Predigt verlangen, daß das schadhafte Kirchendach ausgebessert werde. Das kostet euch aber ein schönes Stück Geld!“ Die Frauen waren darüber sehr entrüstet und riefen: ‘„Das Dach war bis jetzt gut genug und wird es auch noch weiter sein!“ „Das ist nur der Anfang“, fuhr der Bürger listig fort. „Nach der Ausbesserung des Daches soll die ganze Kirche neu gestrichen werden, dann kommen die Fenster an die Reihe, schließlich werden dem neuen Pfaffen auch unsere Bilder und Fahnen nicht mehr schön genug sein. Und ihr werdet immer nur Geld hergeben dürfen, euer sauer erspartes bißchen Geld!“ „Von uns bekommt der neue Pfaffe nichts!“ erwiderten die Frauen wütend. Und sie eilten stracks - 229 -
nach Hause und wiegelten auch ihre Männer gegen Wiegand auf. Der boshafte Bürger wollte jedoch den neuen Pfaffen auch noch lächerlich machen. Deshalb ging er zu einem Maler und gab ihm den Auftrag, sogleich einen großen Wolf zu malen, der einer Schar Schafe eine Predigt hält. „Wozu braucht Ihr dieses Bild?“ fragte der Maler. Da erwiderte der Bürger grinsend: „Es handelt sich um einen Riesenspaß, den ich mir ausgedacht habe. Der Wolf soll nämlich unsern neuen Pfaffen und die Schafe sollen die Männer und Frauen seiner Pfarre versinnbildlichen. Ich will das Bild nach seiner ersten Predigt am Pfarrhaus aufhängen lassen, damit er sieht, was wir von ihm denken. Beeilt Euch also, damit es rechtzeitig fertig wird.“ Der Maler versprach zwar, den Auftrag auszuführen, weil ihn aber die Hinterlist des Mannes ärgerte, eilte er gleich in den Pfarrhof und verriet der Köchin, was dem neuen Pfarrer drohe. Von ihr erfuhr es auch Wiegand. Der ließ den Maler zu sich rufen, unterhielt sich eine Weile hinter verschlossenen Türen mit ihm über den seltsamen Auftrag und entließ ihn wieder mit fröhlichem Lachen und herzlichem Händeschütteln. Am nächsten Sonntag war die Kirche bis auf das letzte Plätzchen gefüllt und aller Augen waren erwartungsvoll auf den neuen Pfarrer gerichtet. Der stand auf der Kanzel, sprach zu den Schäflein seiner Gemeinde in schlichten, zu Herzen gehenden Worten, würzte aber seine Predigt stellenweise auch mit derbem Humor. Nachdem er das sonntägige Evangelium verlesen und gedeutet hatte, kam er, wie erwartet, auf das schadhafte Kirchendach zu sprechen. Er sagte: „Ihr wißt, liebe Christen, daß das Dach - 230 -
unserer Kirche schon längst ausgebessert werden sollte. Weil ich euch aber das viele Geld, das dazu notwendig wäre, nicht aus der Tasche ziehen will, so stell’ ich es euch frei, zu entscheiden, ob gleich das ganze Dach oder erst nur der Teil über dem Altar und der Kanzel erneuert werden soll.“ Die Gläubigen antworteten wie aus einem Munde: „Zuerst den Teil über dem Altar und der Kanzel!“ und - 231 -
atmeten erleichtert auf. Als sie nach dem Gottesdienst die Kirche verließen, meinten sie sogar: „Eigentlich ist unser neuer Pfaffe ein recht verständiger und vernünftiger Mann, mit dem können wir schon zufrieden sein.“ Auf dem Dorfplatz aber drängten sich bald viele Leute vor einem riesigen Bild, das am Pfarrhof aufgezogen war. Es zeigte einen Wolf, der einen Menschenkopf hatte und – einer Schar Gänse predigte. Der Kopf des Wolfes trug aber nicht die Züge Wiegands von Theben, sondern die des ränkesüchtigen Bürgers, der den Auftrag gegeben hatte, dieses Bild zu malen und es weithin sichtbar an die vordere Mauer des Pfarrhauses zu hängen. Als der Besteller des Bildes bald darauf auch auf den Platz kam und schon von weitem die vielen Menschen vor dem Pfarrhaus hellauf lachen hörte, da rieb er sich vor Freude die Hände. Wie groß war aber seine Empörung, als er dann im Gesicht des Wolfes seine eigenen Züge erblickte und überdies noch den Hohn und Spott der Leute über sich ergehen lassen mußte. Da ergriff er, krebsrot im Gesicht, die Flucht und ließ sich lange nicht mehr sehen. Das Bild aber, das ihn so lächerlich machte, kaufte er, um es dem Spott der Dorfbewohner für alle Zeiten zu entziehen. Einige Wochen später zog der Herbst mit Regen und Wind ins Donauland ein. Nun war aber das Kirchendach über dem Altar und der Kanzel bereits instand gesetzt, sodaß der Pfaffe predigen und die Messe lesen konnte, ohne etwas von dem schlechten Wetter zu verspüren. Auf die Gläubigen aber in und zwischen den Kirchenstühlen tropfte der Regen durch das löchrige Dach ohne Unterlaß nieder, sodaß sie mit nassem Haar und nassen Kleidern die Kirche nach dem Gottesdienst verließen. Da sahen sie endlich ein, daß auch der übrige - 232 -
Teil des Kirchendaches erneuert werden müsse. Schon wenige Tage später hatten sie auch das nötige Geld dafür beisammen. Sie brachten es dem Pfarrer, der nahm es schmunzelnd entgegen und ließ den Dachdecker gleich mit der Arbeit beginnen. Nach einigen Monaten war das ganze Dach neu. Im folgenden Sommer wollte Wiegand auch das Innere der Kirche verschönern lassen. Dazu brauchte er abermals viel Geld. Lange dachte er nach, wie er es von seinen Pfarrkindern bekommen könnte. Schließlich fiel ihm ein, daß er den vielen Wein, der im Keller des Pfarrhauses lagerte, verkaufen könnte. Nun war der Herbst des Vorjahres für die Trauben zu naß und zu kalt gewesen, sodaß der Wein recht sauer geraten war. Wer würde aber einen sauren Wein für gutes Geld kaufen wollen? Wiegand mußte, ob er nun wollte oder nicht, neuerdings zu einer List Zuflucht nehmen. Am Sonntag vor dem Peter- und Pauls-Fest bestieg er, wie an jedem Sonntag, die Kanzel, um zu predigen. Als er am Ende das Amen gesprochen hatte, teilte er den Gläubigen mit todernstem Gesicht mit, daß er versuchen wolle, am bevorstehenden Feiertag vom Kirchturm aus über die Donau zu fliegen. Dann stieg er, heimlich schmunzelnd, von der Kanzel herunter und begab sich in die Sakristei, um für das Hochamt das Meßgewand anzulegen. Die Kunde von diesem Vorhaben des schrulligen Pfaffen verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen umliegenden Donautal, und am Peter-und-Pauls-Tag strömten von überall die Menschen in hellen Scharen herbei, um das noch nie dagewesene Ereignis miterleben zu können. Vom Dorfplatz bis zur Donau standen sie Kopf an Kopf, und jeder blickte gespannt zum schlanken - 233 -
Spitzturm des Kirchleins hinauf. Aber Stunde um Stunde verging, ohne daß Wiegand sich blicken ließ. Die Sommersonne stieg immer höher am Himmel empor und brannte bald so heiß auf die Menschen hernieder, daß ihnen der Schweiß in Bächen von der Stirne rann. Sie wurden auch schrecklich durstig, fanden aber nirgends Wasser, das sie trinken konnten. Als sich unter ihnen schließlich noch die Nachricht verbreitete, daß Wiegand mit seinen Vorbereitungen für den Flug noch lange nicht fertig sei, da drängten immer mehr Leute in seinen Weinkeller, in dem schon der Kirchendiener und einige Burschen auf die Durstigen warteten. Sie sagten zwar, daß der Wein recht sauer sei, die Leute nahmen ihn aber doch, weil es keinen besseren gab und sie glücklich waren, ihren Durst löschen zu können. Wiegands Kellergehilfen hatten alle Hände voll zu tun, die vielen Menschen zu bedienen. So wurden die Weinfässer bald leer, des Pfarrers Geldbeutel aber wurde zum Platzen voll. Jetzt endlich stieg Wiegand von Theben auf den Kirchturm, beugte sich aus einem Fenster und rief der gaffenden Menge zu: „Es ist soweit, meine Lieben! Aber habt ihr schon einmal einen Menschen fliegen gesehen?“ Die Leute antworteten: „Noch nie! Noch nie!“ Darauf rief Wiegand über die erregte Menge hin: „Dann werdet ihr auch mich nicht fliegen sehen. Geht also wieder nach Hause! Für das Geld aber, daß ihr in meinem Weinkeller gelassen habt, sag’ ich euch ein herzliches Vergelt’s Gott!“ Dabei hielt er den prallen Geldbeutel zum Fenster hinaus und schwenkte ihn einige Male mit erhobenem Arm hin und her. Dann zog er sich vom Fenster zurück. Die enttäuschten Leute murrten zwar zuerst über ihren - 234 -
Pfaffen, nahmen ihm aber dann seine kleine List doch nicht krumm und lachten sogar darüber. Auch Wiegand hatte Grund, zu lachen, denn er konnte nun von dem Geld das Innere der Kirche verschönern lassen.
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DAS DONAUWEIBCHEN Als Wien noch ein ganz kleines Städtchen war, standen am Ufer der Donau viele Fischerhütten. Die Leute darin lebten fast nur von dem, was ihnen der Strom schenkte. Solange es das Wetter zuließ, gingen die Männer auf Fischfang, im Winter aber knüpften oder flickten sie Netze, dichteten die leckgewordenen Kähne, schnitzten neue Ruder und fertigten Fischkästen an. Einmal, an einem Wintertag, saßen ein Fischer und sein erwachsener Sohn in der warmen Stube und flickten ein zerrissenes Netz. Da fragte der Bursch den Vater: „Sag einmal, hast du schon jemals das Donauweibchen gesehen? Ich glaube nämlich nicht, daß es eines gibt.“ „Gesehen hab’ ich es noch nie“, erwiderte der Alte, „aber hätten denn die Fischer zu allen Zeiten von ihm und dem Donaufürsten erzählt, wenn es die beiden nicht gäbe?“ In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein liebliches Mädchen trat, von hellem Glanz umflossen, in die ärmliche Stube. Es trug ein wallendes weißes Kleid und einen Kranz Wasserlilien in den schwarzen Locken. „Erschreckt nicht“, sagte es mit sanfter Stimme. „Ich bin zu euch gekommen, um euch zu warnen. Es dauert nicht mehr lange, dann wird der Schnee auf den Bergen schmelzen, und die Flüsse werden der Donau so viel Wasser zuführen, daß sie über die Ufer treten und das Land überfluten wird. Packt eure Habe zusammen und flieht, sonst seid ihr verloren!“ Und schon war das schöne Mädchen verschwunden. Der alte Fischer und sein Sohn meinten zuerst, daß sie geträumt hätten. Weil sie aber beide dasselbe gehört und gesehen hatten, glaubten sie der Warnung, eilten sogleich - 236 -
aus der Stube und sagten auch den anderen Fischern, welche Gefahr ihnen drohe. Am nächsten Morgen luden alle ihre Habseligkeiten auf Wägelchen und Karren, verließen ihre Hütten am Strom und zogen weiter ins Land hinein. Ein paar Tage später begann der Föhn über die Berge Tirols und Salzburgs zu brausen, und die Sonne schien warm wie im Frühling. Da tauten der Schnee und das Eis, die Bergbächlein schwollen zu tosenden Wildbächen an, die Flüsse in den Tälern stiegen immer höher und höher, und die Donau, in die sie mündeten, wuchs zu einem schmutziggelben unbändigen Strom, der über die Ufer trat und die Hütten der Fischer bis zum Dache unter Wasser setzte. Daß dabei kein einziger Mensch ertrunken war, hatten die Fischer nur dem Donauweibchen zu verdanken. Als später das Hochwasser sank und der Strom wieder seinen alten Lauf nahm, kehrten die Fischer mit ihren Frauen und Kindern in die Hütten zurück. Jetzt hatten sie alle Hände voll zu tun, um allen Schutt und Schlamm, den die Fluten zurückgelassen hatten, fortzuräumen und die Schäden wieder gutzumachen. Der Sohn des Fischers aber ging Abend für Abend wie ein Träumer am Ufer auf und ab. Immer wieder blieb er stehen und blickte den Strom hinauf und hinab, ob er die liebliche Donaunixe nicht noch einmal sähe. Auch bei Nacht fand er keine Ruhe. Stundenlang lag er wach, immer ihr holdes Bild vor Augen, immer ihre gütige Stimme hörend. Mit jedem Tag und jeder Nacht wuchs seine Sehnsucht nach ihr. Bald hielt es ihn nachts nicht mehr in der Hütte, denn er hoffte, daß sie sich ihm vielleicht bei Mondenschein zeigen würde. Der Vater beschwor ihn, daheim zu bleiben, doch der Bursch hörte - 237 -
nicht auf ihn, lief ans Ufer, fuhr mit dem Kahn auf den Strom hinaus und kehrte erst am Morgen wieder zurück. Eines Tages aber kam er nicht mehr. Der Vater suchte verzweifelt das Ufer nach ihm ab, fand aber schließlich nur den leeren Kahn, den die Wellen an eine seichte Stelle geworfen hatten. Seit jener Zeit hat kein Fischer mehr das - 238 -
Donauweibchen gesehen.
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DAS LINDENWUNDER VON ST. STEPHAN Von Rebenhügeln und Obstgärten, von Wiesen und Wäldern umgeben, liegt Wien an der Schwelle einer weiten Ebene, durch welche die Donau den Völkern des Ostens entgegenströmt. In stetem Wechsel haben sich hier viele Jahrhunderte hindurch Kelten, Römer, Germanen, Awaren und Madjaren niedergelassen und der Stadt und ihrer Umgebung immer wieder ein anderes Antlitz geprägt. Als der Babenberger Heinrich Jasomirgott nach dem zwar glanzvollen, aber kläglich beendeten zweiten Kreuzzug wie viele andere Fürsten in sein Land zurückkehrte, verlegte er seinen Sitz nach Wien. Jetzt blühte das Städtchen rasch auf. Das älteste Pfarrkirchlein, St. Ruprecht, und das Fischerkirchlein „Maria am Gestade“, an dem ein Arm der Donau vorbeiführte, wurden erneuert, an Stelle einer kleinen, alten Kapelle an der Stadtmauer aber sollte eine dem heiligen Stephan geweihte größere Kirche erbaut werden. Der Baumeister brauchte selbstverständlich auch den entsprechenden großen Platz dazu. So kam es, daß er zuerst einmal die schönen Bäume fällen ließ, die rings um die alte Kapelle standen. Der künftige Pfarrherr Eberhard freute sich zwar schon auf das neue Gotteshaus, war aber über das Entfernen der prächtigen Bäume doch sehr traurig. Als schließlich auch sein Lieblingsbaum, eine eben blühende Linde, umgesägt werden sollte, da ging Eberhard zu dem Bauherrn und bat ihn inständig: „Laßt doch wenigstens die junge Linde stehen! Meßt den Platz, den ihr für die Kirche braucht, noch einmal genau ab, vielleicht ist er schon groß genug, auch wenn Ihr den Baum weiter - 240 -
wachsen und blühen laßt!“ Der Baumeister erfüllte dem frommen Mann diesen Wunsch, und wirklich, der Platz war groß genug, so daß die Linde stehenbleiben konnte. Als dann neben der neuen Kirche auch noch der Pfarrhof erbaut werden sollte, bat Eberhard den Baumeister, er möge ihn so anlegen, daß die gerettete Linde vor dem Haustor stehe und er sie vom Fenster seiner Stube sehen könne. Auch das geschah. Sooft dann der Baum voller Blüten stand, drang ihr herrlicher Duft in die Stube des Pfarrers und erquickte und beglückte ihn. Die Jahre vergingen im Flug. Die Linde vor dem Pfarrhof wurde hoch und breit, und der Pfarrer hatte immer mehr und mehr Freude an ihr. Als es aber wieder einmal Winter geworden war und die kahlen Zweige der Linde über und über mit Schnee bedeckt waren, da lag der Pfarrherr todkrank in seiner stillen Stube, rings um ihn standen seine Freunde, die ihn in der Sterbestunde nicht allein lassen wollten. Plötzlich aber richtete sich Eberhard im Bette auf und bat seine Freunde: „Öffnet doch ein wenig das Fenster!“ Nachdem sie ihm diesen Wunsch erfüllt hatten, huschte ein wehmütiges Lächeln über das Gesicht des Pfarrers. Er wies mit müder Hand auf die verschneite Linde und seufzte: „Ach, könnt’ ich doch meine liebe Linde noch einmal im Blütenschmuck sehen. Dann wollte ich gerne sterben!“ Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, da schmückte sich mitten im tiefsten Winter die Linde mit Blättern und Blüten, und ihr Duft drang berauschend durchs offene Fenster in die Stube des Pfarrers. Der aber saß, das Antlitz von Freude und Glück überstrahlt, in - 241 -
seinem Bett und wandte keinen Blick mehr von dem Wunder, das da geschehen war. Als aber Eberhard wenige Augenblicke später tot auf das Kissen zurückfiel, da war auch das Wunder vorbei, und die Linde, die dem frommen Mann in der Sterbestunde noch einmal für ihre Rettung gedankt hatte, stand wieder so kahl und schneebedeckt wie zuvor im eisigen Wintertag.
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DIE TOTENMETTE In der Christnacht des Jahres 1363 saß der greise Pfarrherr von Sankt Stephan in seiner Stube über einer alten Chronik. Er war darin so vertieft, daß er nicht einmal den Sturm hörte, der über den Friedhof dahinbrauste und heftig an den Fenstern des Pfarrhauses rüttelte. Das Haupt in die Hand gestützt, las er immer wieder die fast vergilbten Worte: „Wen du in einem Grabgewand zur Christnacht siehst im Gotteshaus, dem löscht, bevor das Jahr entschwand, der Tod das Lebenslichtlein aus.“ Plötzlich aber hob er den Kopf und lauschte. Ihm war, als hätte er drüben in der Kirche beten gehört. „Es kann doch niemand mehr in der Kirche sein“, sagte er sich erstaunt. „Ich habe sie am Abend selber zugesperrt und drinnen keinen Menschen gesehen.“ Dann trat er ans Fenster, öffnete es und horchte wieder. Jetzt drang das Gemurmel der Betenden noch lauter an sein Ohr. Da warf sich der alte Pfarrherr den Mantel über die Schultern, steckte die Laterne an, nahm den Schlüsselbund und verließ die Stube. Er überquerte mit raschen Schritten den verschneiten, mondhellen Friedhof und sperrte, heftig pochenden Herzens, das Kirchentor auf. Was aber sah er jetzt? Das Innere der Kirche war vom fahlen Licht des Mondes, das durch die hohen Fenster hereinflutete, gespenstisch erhellt, und sämtliche - 243 -
Kirchenstühle waren von betenden Menschen besetzt, die ein langes weißes Totenhemd trugen. Als der Pfarrer dann durch die Reihen der vielen Männer, Frauen und Kinder schritt und jeden Beter genauer ansah, da erkannte er, daß die meisten von ihnen Gläubige seiner Gemeinde waren. Langsamen Schrittes begab sich der Pfarrer zum Hochaltar. Dort stand aber schon ein anderer greiser Priester, der wandte sich eben um und spendete den Betenden den Segen. Als jetzt der Pfarrherr auch das Gesicht des Priesters sah, lief es ihm eiskalt über den Rücken, denn er sah – sein eigenes Antlitz! Im selben Augenblick schlug die Turmuhr eins, und der mitternächtige Spuk war verschwunden. - 244 -
Dem alten Pfarrer wankten die Knie. Schritt für Schritt tastete er sich durch das Dunkel der Kirche zum Tor. Er schloß es und kehrte in seine Stube zurück. Dort setzte er sich gleich wieder zur alten Chronik und schrieb auf die letzte Seite, die noch leer war, die Namen der Pfarrkinder, die er kurz vorher in der Kirche gesehen hatte. Nachdem er den letzten Namen darauf vermerkt hatte, blieb auf der ganzen Seite nur noch ein winziges Plätzchen frei. Dorthin setzte der Pfarrer mit zitternder Hand seinen eigenen Namen. Übers Jahr lag wieder weihnachtlicher Schnee in den Gassen und Straßen der Stadt. In keinem Hause aber gab es auch nur ein Fünkchen Freude, denn der „Schwarze Tod“ hatte das ganze Jahr hindurch unter den Wienern furchtbare Ernte gehalten. Alle, die der greise Seelenhirte in der Geistermette gesehen hatte, und auch er, waren von der Pest hinweggerafft worden. Ihre Namen aber hatte der Pfarrherr von Sankt Stephan noch selbst auf der letzten Seite der alten Chronik für alle Zeiten festgehalten.
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DAS ZAUBERREIS Am linken Ufer der Donau liegt hinter Auen und Föhrenwäldern das fruchtbare Marchfeld. Nicht alle Menschen, die dort wohnen, genießen den reichen Erntesegen seiner Äcker, Wiesen und Obstgärten. In den Dörfern, die in das freundliche Grün und Gold der großen, von der March durchströmten Ebene gebettet sind, leben auch viele, die nur in Not und Armut ihr Leben fristen. Einer von diesen Menschen war der Holzfäller Hans, der von einem Tag auf den ändern nicht wußte, wie er sein Weib und seine Kinder sattfüttern sollte. Als einmal im Winter seine Not wieder unerträglich geworden war, erinnerte er sich der Hexe Katschinka, die irgendwo im nahen Föhrenwald ihre Hütte haben sollte. Die Hexe selbst ließ sich nur selten sehen. Geschah es aber doch einmal, dann ging ihr jeder in einem großen Bogen aus dem Weg. Unfolgsamen Kindern brauchten die Mütter nur zuzurufen: „Die Katschinka kommt!“, und schon waren sie wieder brav. Wenn eines von ihnen wie wild auf dem Hof umherlief und dabei niederfiel, hieß es auch: „Siehst du, jetzt hat die Hexe dir ihren Besen vor die Füße geworfen!“ Von der Hexe Katschinka erzählten sich die Leute aber auch, daß sie alle Tiere und Pflanzen des Waldes kenne und ein Zauberreis wisse, das jeden reich mache, der es besitze. Dieses Zauberreis wollte sich nun eines Abends der Holzfäller Hans holen, um seiner Not ein Ende zu bereiten. Erst als sein Weib und seine Kinder zu Bett gegangen waren, stahl er sich aus dem Haus. Der Schnee lag kniehoch, sodaß der arme Mann den Wald nur - 246 -
mühsam erreichen konnte. Zum Glück schien der Mond so hell, daß sich Hans auch im dichtesten Gehölz zurechtfand. Immer tiefer geriet er in den Wald, ohne die Hütte der Hexe zu finden. Schließlich war er schon so erschöpft, daß er sich auf den Strunk eines Baumes setzen und ausruhen mußte. Während der Holzfäller nun so dasaß und wieder an sein Elend dachte, sah er im hellen Mondlicht die Hexe Katschinka, wie sie eben in der einen Hand einen Birkenbesen hielt und mit der anderen, etwas suchend, den Stamm einer Föhre betastete. Plötzlich brach sie ein Zweiglein vom Baume und steckte es kichernd in ihre Schürzentasche. Schließlich ging sie dreimal um die Föhre. Dann aber tat sie einen gellenden Pfiff, und im nächsten Augenblick stürzte ein schwarzer Eber aus dem Dickicht. Er blieb vor ihr stehen, die Hexe setzte sich auf seinen Rücken, schwang ihren Besen und ritt auf dem Tier davon. Als es ringsum wieder still war, schlich sich Hans zu der Föhre. Es war nichts Besonderes an ihr zu sehen. Auf dem Schnee zu ihren Füßen aber blinkten drei goldene Dukaten. „Die muß Katschinka verloren haben!“ dachte der Holzfäller. „Gewiß hat sie von der Föhre auch das Zauberreis gebrochen.“ Und er hob die blinkenden Münzen auf und steckte sie in seine Tasche. Dann schnitt er drei Kerben in den Baum, damit er ihn wiederfinden könne, und ging frohen Herzens heim. Jetzt war eine Zeitlang wieder Geld in der kleinen Hütte. Aber der Winter war lang und hart, und eines Morgens war auch der letzte Rest der Dukaten ausgegeben. Da ging Hans ein zweites Mal zu der Föhre, zu deren - 247 -
Füßen er die Goldstücke gefunden hatte. Er erkannte den Baum auch gleich an den drei Kerben im Stamm. Aber, o Wunder! Gleich darüber war mitten im eisigen Winter ein frisches Zweiglein gesprossen, das schien einmal so weiß wie eine Reiherfeder, dann wieder so gelb wie Safran. „Das ist gewiß das Zauberreis“, dachte der Holzfäller und brach es ab, um es nach Hause zu tragen. - 248 -
Kaum aber hielt er es in seiner Hand, da vernahm er unheimliches Krachen, Stampfen und Schnauben, das immer näher kam. Hans erschak so sehr, daß er am ganzen Leibe zitterte, dann aber sprang er hinter einen mächtigen Baum und wartete beklommenen Herzens, was nun geschehen würde. Es dauerte nur wenige Augenblicke, und schon kam der schwarze Eber mit der Hexe dahergejagt. Vor der Föhre stieg Katschinka von seinem borstigen Rücken und tastete den Stamm ab. Als sie die frische Wunde an der Rinde fühlte, stieß sie einen greulichen Fluch aus und ritt wütenden Gesichts und mit hochgeschwungenem Besen wieder auf dem Eber davon. Erst nachdem es ganz still geworden war, wagte sich der Holzfäller aus seinem Versteck hervor. Er hoffte, daß er auch diesmal einige Dukaten zu Füßen des Baumes finden würde, doch sosehr er auch weitum suchte, es waren nirgends welche zu sehen. Weil er aber nun selber ein Zauberreis besaß, ging er doch lustig und guter Dinge nach Hause. Daheim legte er das Zweiglein in die Dachrinne, damit nur ja keines seiner Kinder darüberkäme. Im Frühling wollte er es dann in die schneefreie Erde vor seiner Hütte setzen. Doch schon am nächsten Tag wurde es warm, und der Schnee begann zu tauen. Unzählige Wassertropfen fielen aus der Dachrinne zur Erde und mit ihnen viele, viele goldene und silberne Münzen. Nun hatte die Not im Hause für immer ein Ende, denn der Holzfäller ließ das Zauberreis in der Dachrinne liegen, so daß jedesmal, wenn es regnete, mit dem Wasser auch Gold- und Silberstücke herausflossen. Er fing sie in einer großen Tonne auf, die er unter die Traufe gestellt, und wenn er Geld nötig hatte, brauchte er es nur - 249 -
mit beiden Händen herauszuschöpfen.
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DIE GEISTERGRÄFIN VON FISCHAMEND An der Einmündung des Fischabaches in die Donau liegt der kleine Markt Fischamend. Hier stand einmal ein gräfliches Schloß, für dessen Besitzerin es kein größeres Vergnügen gab, als das Wild zu hetzen und es zu erlegen. Selbst an Sonntagen, an denen andere Leute in die Kirche gingen, sprengte sie auf ihrem Schimmel quer durch die üppigen Wiesen und fruchtbaren Felder dem Walde zu, um ihrer Leidenschaft zu frönen. Die Bauern baten sie kniefällig, sie möge doch wenigstens die mit so viel Mühe und Schweiß bebauten Äcker schonen, aber die Gräfin hatte nur ein höhnisches Lachen für sie und jagte sie mit der Peitsche davon. Als die herzlose Frau wieder einmal an einem Sonntag mit ihrem Gefolge kreuz und quer durch den Wald ritt, kamen ihre Treiber einem prächtigen Hirschen auf die Spur. Die Gräfin nahm sogleich seine Verfolgung auf, geriet aber dabei immer tiefer und tiefer in den dichten Wald. Bald mußte sie feststellen, daß sie bei dem wilden Ritt ihre Begleiter verloren hatte. Dennoch gab sie ihrem Pferde aufs neue die Sporen und jagte weiter. Das gehetzte Wild aber floh vor ihr durch das dichteste und wildeste Gestrüpp davon und kam schließlich keuchend und schweißbedeckt zu einer Einsiedelei, wo eben der alte Klausner vor dem Bildstock der Gottesmutter kniete und ein stilles Gebet verrichtete. Während der fromme Mann noch dem zitternden Tiere, das bei ihm Zuflucht suchte, gütig zusprach und es liebevoll streichelte, sprengte bereits die Gräfin heran. Da stellte er sich ihr in den Weg und beschwor sie mit erhobenen Händen: „Stört doch um Himmels willen nicht - 251 -
den Frieden dieses Ortes und habt Mitleid mit der armen Kreatur!“ Doch die Gräfin, von unbändiger Jagdlust getrieben, hörte nicht auf ihn. Sie legte den Bogen an, zielte und schoß, und der prächtige Hirsch sank, mitten in die Brust getroffen, tot zu Boden. Darüber war der alte, fromme Mann so entrüstet, daß er die geballten Fäuste zum Himmel erhob und der Gräfin zurief: „Hartherziges Weib! Ihr habt diesen Ort des Friedens geschändet und den Sonntag durch Eure Mordgier entweiht! Darum sollt Ihr bis zum Jüngsten Tag keinen Frieden mehr finden!“ Da wandte die gottlose Frau, von Angst und Schrecken gepackt, ihr Pferd, schlug ihm die Sporen in die Weichen und jagte davon. Nach einer Weile hielt sie es wieder an und stieß mit aller Kraft ins Jagdhorn. Aber ihr Gefolge hörte sie nicht. So ritt sie denn allein weiter, kreuz und quer durch den riesigen Wald, fand aber bis zum Abend nicht aus ihm heraus. Schließlich war sie vom Reiten so erschöpft, daß sie sich kaum noch im Sattel halten konnte. Erst als es schon ganz dunkel geworden war, hörte sie in weiter Ferne die Glocke von Fischamend läuten. Da ritt sie dem Tone nach und gelangte schließlich doch wieder zu ihrem Schloß zurück. Als sie aber drei Tage später wieder auf die Jagd ritt, fiel sie während des wilden Galopps aus dem Sattel und brach sich beim Sturz das Genick. Ihr Leichnam wurde zwar in der gräflichen Gruft bestattet, aber ihr Geist fand keinen Frieden. Immer noch sind im Brausen des Sturms und im Rauschen des Waldes der Hufschlag und das Wiehern ihres Pferdes, ihr Hifthorn und das Kläffen der Hunde zu - 252 -
hören. Erst wenn in Fischamend die Abendglocke läutet, verstummt der Lärm der Jagd. Das wird so gehen bis zum Jüngsten Tag, an dem hoffentlich auch die Geistergräfin von Fischamend ihre ewige Ruhe finden wird.
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DAS HEIDENTOR VON PETRONELL Am rechten Ufer der Donau, wo einst die römische Grenzstadt Carnuntum stand, liegt heute der Ort Petronell. In seiner Nähe erhebt sich als Überrest eines gewaltigen Grabmals das Heidentor. Daneben liegt ein mächtiger Steinblock, als hätte ihn eine riesige Hand aus dem Tor gebrochen. Vor vielen, vielen Jahren soll hier ein Hirt seine weidenden Rinder gehütet haben. Als er sie dann am Abend nach Hause treiben wollte, sah er über den Boden vor dem Heidentor ein bläuliches Flämmchen dahinhuschen. Weil er nun irgend einmal gehört hatte, daß solche geheimnisvolle Lichtlein die Stelle anzeigten, wo vergrabene Schätze ruhen, beschloß er, am nächsten Tag mit Krampen und Schaufel wieder herzukommen, um sein Glück zu versuchen. Schon zeitig am Morgen begann er mit der Arbeit. Er hatte noch nicht allzu tief gegraben, da stieß er auf eine mächtige Steinplatte, und als er sie völlig freigeschaufelt hatte, sah er, daß darunter ein Sarkophag stand. Neugierig, was sich darin befinde, wollte er sogleich die Platte mit dem Krampen heben. Als er ihn aber ansetzte, riß ihn eine starke Hand an der Schulter zurück, und eine unheimliche Stimme rief ihm zu: „Verwegener! Stör nicht die Ruhe der Toten, sonst trifft dich ihr Fluch!“ Der Bursch ließ erschrocken das Werkzeug fallen, wandte sich jählings um, konnte aber nirgends einen Menschen sehen. Seine Rinder aber waren indessen in einen der umliegenden Weingärten eingebrochen und ließen sich die Reben trefflich schmecken. Um die Weinstöcke vor weiterem Schaden zu bewahren, sprang der Hirt mit einem Satz aus der Grube, lief zu den - 254 -
Rindern und trieb sie auf den Weideplatz zurück. Plötzlich aber vernahm er vom Heidentor her einen gewaltigen Krach. Er blickte sich um und sah, wie eben ein riesenhafter Mann einen gewaltigen Stein aus dem Tor brach, ihn mit unmenschlicher Kraft auf die offene Grube schleuderte und gleich darauf spurlos verschwand. Der Steinblock hatte die Grube, in der sich der - 255 -
Sarkophag befand, wieder geschlossen, und so lagen unter seinem ungeheuren Gewicht die kostbaren Schätze, die er verbarg, für alle Zeiten dem Zugriff gieriger Menschenhände entzogen.
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DER RITT AUF DEN HEXENBERG In Deutsch-Altenburg lebte einmal eine Bäurin, die wurde immer, wenn Vollmond war, seltsam unruhig. Dem jungen Knecht, der auf ihrem Hofe arbeitete, war dieses Gehaben schon längst aufgefallen, und als wieder einmal der Vollmond am Himmel stand, versteckte er sich in der Küche im Backtrog, um die Frau zu belauschen. Kaum hatte die Uhr der Dorfkirche elf geschlagen, da kam die Bäurin in die Küche geschlichen, holte eine kleine Büchse hinter dem Ofen hervor, öffnete sie und rieb sich mit der Salbe, die darinnen war, die Arme und Beine ein. Dann griff sie nach dem Besen in der Ecke, klemmte ihn zwischen die Beine und murmelte: „Oben aus und nirgends an!“ Und schon ritt sie auf ihm zum Schornstein hinaus. Das gefiel dem Knecht so gut, daß er es der Bäurin gleich nachmachen wollte. Er rieb sich also auch mit derselben Salbe ein, holte aus der Stube nebenan einen zweiten Besen, setzte sich rittlings darauf und sagte: „Oben aus –!“ Mehr aber hatte er von dem Gemurmel der Bäurin nicht verstanden. Im selben Augenblick hopste er auch schon auf dem hölzernen Roß gegen die Küchendecke. Weil er jedoch nur die Hälfte des Sprüchleins gesagt hatte, stieß er erst oben und dann an allen Wänden so heftig an, daß er vor Schmerzen laut aufschrie und froh war, als ihn der Besen wieder abwarf. Kaum aber hatte er sich von allen vieren erhoben, da hörte er jemanden vom Gesinde kommen, den das Gepolter aus dem Schlaf geschreckt haben mußte. Nun überlegte er nicht lang, sprang durch das offenstehende - 257 -
Fenster ins Freie und lief in den Stall, in dem sich sein Nachtlager befand. Dort streckte er sich aufs Stroh, aber weder die schmerzhaften Beulen, die er sich beim Sturz vom Besen zugezogen hatte, noch die Gewißheit, daß seine Bäurin eine Hexe war, ließen ihn einschlafen. Er wollte aber der Sache auf den Grund kommen. Darum kroch er auch in der nächsten Vollmondnacht wieder in den Backtrog, und wieder schlich die Bäurin nach dem elften Glockenschlag in die Küche, bestrich sich die Arme und Beine mit der geheimnisvollen Salbe, bestieg den Besen und murmelte: „Oben aus und nirgends an!“ Diesmal war aber dem jungen Knecht kein einziges Wörtchen entgangen, und als die Bäurin auf dem Besen davongeritten war, da tat er alles genauso, wie sie es getan hatte, sagte zuletzt auch noch das ganze Sprüchlein und ritt ihr schon im nächsten Augenblick durch den Schornstein nach. Es war ihm ein herrliches Gefühl, im hellen Mondlicht hoch über den Dächern des Ortes dahinzujagen, überall sah er Hexen, junge und alte, und alle ritten gegen Hainburg. Dort stand auf dem Hundsheimerberg, den das Volk den Hexenberg nennt, eine reichgedeckte Tafel, an der saßen bereits ein vornehmer, rotgekleideter Herr, der eine lange Hahnenfeder auf dem Hute trug, und viele Teufel und Hexen. Dem jungen Knecht, dem ein gutes Essen über alles ging, lief beim Anblick der köstlichen Speisen das Wasser im Munde zusammen. Er setzte sich am unteren Ende der Tafel unauffällig zwischen zwei alte Hexen und ließ sich die Speisen trefflich munden. Als er endlich so satt war, daß er keinen Bissen mehr hinunterbrachte, stopfte er sich auch noch alle Taschen mit Essen voll. - 258 -
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Dann schlich er sich von der Tafel und versteckte sich in einem nahen Gebüsch. Es dauerte nicht lang, da erhoben sich auch die anderen Tafelgäste und begannen kreischend und singend einen wilden Reigen zu tanzen. Dieses Treiben dauerte so lange, bis der Vollmond unterging. Dann bestieg jede Hexe ihren Besen, murmelte einen Spruch und flog wieder dorthin, woher sie gekommen war. Erst nachdem auch der rotgekleidete Gastgeber und die Teufel verschwunden waren, wagte sich der junge Knecht aus dem Versteck hervor. Nun wollte auch er so rasch wie möglich nach Hause zurückkehren, aber, o Schreck, er hatte den Spruch nicht gehört, den die Hexen gemurmelt hatten, um heimreiten zu können. So blieb denn dem fürwitzigen Burschen nicht anderes übrig, als über Stock und Stein den weiten Weg vom Berg hinunter und dann weiter auf der staubigen Straße nach Altenburg zu gehen. Erst am Morgen kam er todmüde heim. Um diese Zeit aber waren alle anderen Mägde und Knechte bereits aufs Feld gegangen, ohne ihm vom Frühstück etwas übriggelassen zu haben. Er folgte ihnen und begann sogleich zu arbeiten. Weil ihm aber schließlich doch der Magen knurrte, griff er in eine seiner Taschen, die er sich beim Hexenmahl mit Speisen gefüllt hatte, um den Hunger zu stillen. Was aber fand er jetzt darin? Nichts als Kuhfladen, Krötenschenkel und Spinnen! Das verdarb ihm jede Lust, noch ein zweites Mal auf den Hundsheimerberg zu reiten und sich mit Teufeln und Hexen an eine Tafel zu setzen.
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DER SCHATZ IM SCHLOSSBERG Auf dem Schloßberg bei Hainburg stand einst als westlichste Grenzfeste des Hunnenreiches die Heunenburg. Viele Jahrhunderte hindurch war sie immer wieder Schauplatz heftiger Kämpfe, bis die Türken sie im Jahre 1683 zerstörten und alle ihre Bewohner niedermetzelten. Hundertfünfzig Jahre später erstand sie jedoch aufs neue und schöner denn je. In der langen Zeit, in der sie nichts als ein wüstes Gewirr von verödeten Hallen, Bogen und Steintrümmern war, wagte es niemand, dem Schloßberg nahezukommen, denn es hieß, daß es dort nicht mit rechten Dingen zugehe. Alljährlich, wenn die Fronleichnamsprozession durch die Gassen Hainburgs zog, soll sich nämlich plötzlich der Schloßberg gespalten haben und aus einer eisernen Tür ein riesiges Gerippe ins Freie getreten sein. Die Leute behaupteten, es habe um die Schultern einen weiten, blauen Mantel und auf dem Totenschädel einen Helm getragen, sei dann mit einem großen Buch in den Knochenhänden rund um die Ruine gegangen und schließlich wieder durch die eiserne Tür verschwunden. Wem das Gerippe begegne, der müsse sterben, wer aber, von ihm ungesehen, durch die Eisentür trete, der finde im Innern des Berges ungeheure Schätze. Er müsse sich nur sehr beeilen, denn die eiserne Tür schließe sich bald darauf wieder und bleibe dann bis zum Fronleichnamstag des nächsten Jahres geschlossen und unsichtbar. Nun wollte auch einmal eine arme Frau, mit ihrem Kind auf dem Arm, zur Fronleichnamsprozession nach Hainburg gehen. Sie war aber von ihrer Hütte, die ein gutes Stück außerhalb des Ortes am Waldrand stand, zu - 261 -
spät aufgebrochen, sodaß sie sich noch nicht auf dem halben Weg befand, als die Glocken von Hainburg den Beginn des feierlichen Umzuges verkündeten. Die Frau beschleunigte zwar sogleich ihren Schritt, aber es half ihr nichts. Als sie zum Schloßberg kam, verstummte das Geläute, denn die kirchliche Feier war bereits zu Ende. Nun wollte die arme Frau gleich wieder umkehren, da bemerkte sie aber, wenige Schritte entfernt, im Felsen eine offene Eisentür, die sie noch nie gesehen hatte. Ohne zu ahnen, daß erst kurz vorher das gefürchtete Gespenst von seinem Gang um die Ruine in den Berg zurückgekehrt war und die Türe nur noch wenige Augenblicke offenstehen werde, trat die Frau an den Eingang heran und schaute neugierig hinein. Jetzt gingen ihr freilich vor Staunen die Augen über, denn in der Höhle lagen ganze Berge von Gold, Silber und Edelsteinen. Das arme Weib konnte sich an den vielen Schätzen gar nicht sattsehen und dachte: Wenn ich nur einige von diesen Kostbarkeiten besäße, wäre für mich und mein Kind gleich alle Not zu Ende! Und schon unterlag die Frau der Versuchung. Mit wenigen Schritten betrat sie die Höhle, setzte ihr Kind auf den Boden, gab ihm ein paar von den glitzernden Steinen zum Spielen und raffte dann von den gleißenden Schätzen so viel sie konnte in ihre Schürze. Plötzlich aber knarrte etwas hinter ihr. Die Frau wandte sich jäh um und sah, daß sich die eiserne Tür langsam schloß. Da faßte sie ein solcher Schrecken, daß sie alles um sich vergaß und mit den zusammengerafften Schätzen in der Schürze ins Freie stürzte. Erst draußen erinnerte sie sich wieder ihres Kindes. Jetzt wollte sie gleich wieder in die Höhle zurück, es war - 262 -
aber schon zu spät. Die Tür war bereits ins Schloß gefallen und verschwunden, nur nackter Felsen ragte noch an ihrer Stelle auf. Der Schmerz um ihr Kind drückte der Frau schier das Herz ab! Was konnte ihr schon aller Reichtum bedeuten, wenn sie gleichzeitig ihr Liebstes verloren hatte? Tag und Nacht zehrte nun der Kummer an ihr, daß ihr Kind im Innern des Berges eines qualvollen Todes sterben mußte, ohne daß sie ihm Hilfe bringen konnte. So verstrich ein volles Jahr. Am Abend vor dem nächsten Fronleichnamsfest aber entschloß sich die Frau, - 263 -
am andern Tag noch einmal zum Schloßberg zu gehen. Diesmal wollte sie keine Schätze nehmen, sondern nur den Leichnam ihres Kindes holen, um ihn in geweihter Erde bestatten zu lassen. Wenn das Gespenst im blauen Mantel sie dabei ertappen und töten sollte, dann – so dachte sie – würde sie mit ihrem Kinde wenigstens im Tode vereint sein. Als sie zeitig am Morgen hinkam, stand wirklich die geheimnisvolle Eisentür wieder offen. Die Frau säumte keinen Augenblick, sondern eilte gleich in die Höhle. Schon nach wenigen Schritten erlebte sie jedoch eine große Überraschung: Ihr Kind saß spielend inmitten Tausender Edelsteine, und als es die Mutter kommen sah, sprang es auf und streckte ihr jauchzend die Arme entgegen. Da riß die Frau es, von Freude und Glück überwältigt, sogleich an sich und lief mit ihm, so rasch sie konnte, wieder ins Freie und nach Hause. Die Kunde von dem Wunder, das sich an dem Kinde zugetragen hatte, durchlief noch am selben Tag die ganze Stadt und ihre Umgebung. Übers Jahr aber öffnete sich im Schloßberg keine Eisentür mehr, und auch das Gespenst im blauen Mantel wurde von niemandem gesehen. Die Leute meinten, daß es für alle Zeiten seinen Frieden gefunden habe, weil es ein ganzes Jahr lang ein unschuldiges Kind behütet und vor einem qualvollen Tode bewahrt hatte.
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SCHLOSS THEBEN Die Stromenge der Donau zwischen den Kleinen Karpaten und dem Hundsheimerberg wird die Ungarische Pforte genannt. Hier steht auf einem steilen Felskegel die Ruine Theben. Sie ist der Überrest eines prächtigen Schlosses, das angeblich Arpäd, der erste Großfürst der Madjaren, errichten ließ. Vor fast tausend Jahren war er an der Spitze seines Reitervolkes in das Land zwischen den Flüssen Gran und Waag und der Donau eingedrungen und hatte es in blutigen Kämpfen erobert. Dabei schleppten seine Horden alle gefangenen Männer mit sich fort und machten sie zu Arbeitssklaven. Dieses grausame Schicksal traf auch Thebo, einen jungen Mann aus angesehenem Geschlecht. Die Arbeiten, die ihm aufgezwungen wurden, waren so schwer, daß er dabei vor Erschöpfung fast zusammenbrach. Damals gab es aber in Arpäds Reich noch aus der Zeit des Römischen Reiches viele Tempel römischer Gottheiten. Eines Tages hatte Thebo das Glück, als Sklave in einem heiligen Hain der Göttin Vesta befohlen zu werden. Jetzt brauchte er nur Holz für das Altarfeuer zu fällen, die Opfertiere zu hüten und Girlanden und Kränze für den Schmuck des Tempels zu winden. Während dieser Arbeiten lernte er die schöne Priesterin Blandine kennen, die das Hüten des Feuers, die Reinigung des Tempels und die Bewachung der Heiligtümer zu besorgen hatte. Die beiden jungen Menschen gewannen einander auf den ersten Blick so lieb, daß sie bald darauf beschlossen, gemeinsam zu fliehen und bis zum Tode beisammenzubleiben. Auf ihrer - 265 -
Flucht kamen sie auch an das Ufer der Donau. Hier fanden sie in dem feinen Sand eine Menge goldener Körner, die der Strom angeschwemmt hatte. Sie lasen sie auf und erstanden dafür bäuerliche Kleider und einen Speer, den sie zu ihrem Schutz brauchten. Dann zogen sie die Donau entlang weiter gegen Westen, um jenseits der Grenze des madjarischen Reiches vor allen Verfolgungen sicher zu sein. Während sie durch die riesigen Auwälder flohen, hörten sie plötzlich jemanden um Hilfe rufen. Thebo eilte sogleich zu der Stelle, woher die Rufe gekommen waren, und sah einen Mann, der gerade von einem Bären angefallen wurde. Da warf er, ohne zu zögern, seinen Speer nach dem wilden Tier, traf es tödlich und rettete damit dem Unbekannten das Leben. Jetzt erfuhr Thebo aus dem Munde des Geretteten, daß er dem Großfürsten Arpäd zu Hilfe gekommen war. Zum Danke dafür durfte er einen Wunsch aussprechen, der ihm schon im voraus gewährt war. Da warf sich der Jüngling dem mächtigen Beherrscher der Madjaren zu Füßen, gestand ihm, daß er mit dem Mädchen dem Sklavenleben entflohen sei, und bat ihn um Gnade. Arpäd besann sich eine Weile und sagte dann: „Ich will mein Wort halten und dir die erbetene Gnade gewähren. Ja, noch mehr, weil du mir das Leben gerettet hast, will ich die Burg, deren Bau ich am Ufer der Donau plane, dir und deiner künftigen Gemahlin schenken!“ Ein Jahr später erstand wirklich auf einem Felsen unweit, von Preßburg eine stolze Feste, und als sie fertig war, zogen Thebo und Blandine, die inzwischen seine Frau geworden war, darin ein. Nach ihrem Besitzer aber wurde sie Burg Theben genannt. - 266 -
Die Flucht der Priesterin war jedoch längst im ganzen Lande bekanntgeworden und auch Arpäd zu Ohren gekommen. Ohne zu ahnen, daß Thebos Gemahlin Blandine die Entflohene sei, befahl er, sie im ganzen Lande zu suchen und gefangenzunehmen, damit sie dafür bestraft werde. Blandine aber hatte in ihrer Arglosigkeit einer ihrer Dienerinnen anvertraut, daß sie früher einmal Priesterin der Göttin Vesta gewesen. Als die Magd erfuhr, daß eine Vestalin entflohen sei und gesucht werde, da ahnte sie gleich, daß diese nur Blandine sein könne. Neidisch auf das Glück ihrer Herrin, holte sie noch am gleichen Tag einige Häscher, verriet ihnen, was sie wußte, und führte sie durch einen geheimen Gang in die Burg. Blandine und Thebo wurden gefangengenommen und gemeinsam mit der verräterischen Dienerin vor den Großfürsten geführt. Als Arpäd in der gesuchten Vestalin die Gemahlin seines Lebensretters erkannte, war er zutiefst betrübt. Er wandte sich zuerst der Dienerin zu und sagte: „Du hättest deiner Herrin eine treue, verschwiegene Magd sein sollen, hast sie jedoch verraten. Dafür sollst du bestraft werden, wie du es verdienst!“ Und er winkte dem Henker, daß er seines Amtes walte. Danach sagte er zu Thebo: „Du hast mir einmal das Leben gerettet. Deshalb will ich dich bloß aus meinem Lande weisen.“ Zuletzt sprach er zu Blandine: „Auf deinem Verbrechen steht der Feuertod. Ich will aber auch dir gegenüber Milde walten lassen und dich nicht den Flammen, sondern den Fluten der Donau übergeben!“ Und schmerzerfüllt wandte er sich von den beiden - 267 -
Verurteilten ab. Im nächsten Augenblick faßten zwei seiner Krieger Blandine an den Armen, schleppten sie ans Ufer des Stroms und warfen sie in das Wasser. Als Thebo dies sah, riß er sich von den Männern, die ihn hielten, los und stürzte der geliebten Frau nach. Er konnte sie gerade noch erreichen und umfassen, gleich darauf zog ein Stromwirbel beide in die Tiefe. Arpäd befahl, die Ufer des Stroms nach ihren Leichen abzusuchen, als sie gefunden worden waren, ließ er sie gemeinsam bestatten und über ihrem Grab ein steinernes Mal errichten. Dieses Grabmal ist längst verschwunden, und auch die Burg auf dem Felsen bei Preßburg ist den Stürmen der Zeit zum Opfer gefallen. Nur ihr Name Theben erinnert noch heute an Thebo, ihren ersten unglücklichen Besitzer.
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DAS TEUFELSGEMÄLDE ZU PRESSBURG Zwischen Hainburg und Theben betritt die Donau die Ungarische Tiefebene. Am rechten Ufer wird sie von der grünen Wildnis ausgedehnter Auwälder, am linken von den letzten Hügelwellen der Kleinen Karpaten eingesäumt. Zu deren Füßen liegt Preßburg, einst die Krönungsstadt der Könige von Ungarn. Die Stadt besitzt neben dem prächtigen Dom auch ein schönes, bald siebenhundert Jahre altes Rathaus, über dessen Tor eine seltsame Freske zu sehen ist. Sie zeigt das Brustbild eines schwarzgekleideten, bärtigen Mannes mit einem Gesetzbuch. Er soll im vierzehnten Jahrhundert ein reicher Ratsherr der Stadt gewesen sein. Niemand wußte, woher er gekommen war. Obwohl er große Güter besaß, erwarb er immer noch neue dazu, lebte aber trotzdem so arm wie ein Bettler. Er fuhr nicht wie andere Reiche in einer vornehmen Kutsche, ging unscheinbar gekleidet und hielt sich keine Bedienten. Nur eine alte Magd sorgte notdürftig dafür, daß in seinem Hause Ordnung und Sauberkeit herrschten. Auch sie wußte nicht, wozu der alte Geizhals immer mehr Güter brauchte und überdies auch noch viel Geld scheffelte. Eines Tages war der Rat der Stadt, dem er angehörte, wieder einmal versammelt. Da trat ein armes Weib weinend in den Saal und rief: „Hört mich an, ihr Herren! Viele Jahre lang haben ich und mein Mann glücklich und sorgenlos miteinander gelebt. Wir besaßen zwar nur ein Fleckchen Erde, hatten jedoch damit genug. Vor kurzem aber ist mein guter Mann gestorben, und gleich hat mir mein reicher Nachbar auch das einzige Fleckchen Erde weggenommen. Ich bitte euch, verhelft mir doch zu - 269 -
meinem Recht!“ Erst war es eine Weile lang ganz still im Saal, dann fragte der älteste der hohen Herren die weinende Frau: „Wer ist denn der Mann, der dich um dein Hab und Gut gebracht hat?“ „Dort sitzt er!“ rief die Frau aufs höchste erregt. Und sie zeigte auf den reichen Ratsherrn, der unter den anderen am Tische saß. Er lächelte höhnisch darüber, stand vom Stuhle auf, zog eine Urkunde aus der Tasche und hob sie so hoch, daß sie alle sehen konnten. Dann sagte er: „Das Grundstück ist nach Recht und Gesetz mein eigen. In dieser Urkunde steht es schwarz auf weiß, daß ich es dem Manne dieser Frau nur auf Lebensdauer überließ, damit er es bebauen und davon leben könne.“ Die arme Frau aber erwiderte ihm entrüstet: „Ihr lügt! Das Grundstück gehörte schon dem Großvater meines Mannes! Die Urkunde, die Ihr den Herren zeigt, habt Ihr gefälscht!“ Kaum hatte sie diese schwere Anklage gegen den Ratsherrn erhoben, da sprangen einige andere von ihren - 270 -
Stühlen auf und prüften die Echtheit des Dokuments. Dann steckten sie die Köpfe zusammen, machten bedenkliche Mienen und tuschelten einander ihre Meinung zu. Weil sie sich aber allzulange nicht entschließen konnten, die Urkunde für echt oder gefälscht zu bezeichnen, rief die Frau verzweifelt: „Laßt ihn doch einen Eid schwören, daß die Schrift wirklich echt ist!“ Damit waren die ehrbaren Stadtväter einverstanden. Sie forderten den Beschuldigten auf, vor die Mitte des Tisches zu treten, seine linke Hand auf das Gesetzbuch zu legen und vor dem Kruzifix zu schwören, daß die Urkunde nicht gefälscht sei. Als der Ratsherr aber die rechte Hand zum Schwur erhob und die Worte stammelte: „Ich schwöre – daß…“ da zuckte ein greller Blitz durch den Saal, ein gewaltiger Donnerschlag ließ die Mauern des Rathauses bis in den Grund hinein erbeben, und dicker Schwefelrauch erfüllte den Raum. Als er sich wieder verzogen hatte, war der angeklagte Ratsherr verschwunden. In einem Fenster des Saales aber gähnte ein riesiges Loch. Durch dieses war der Teufel mit dem meineidigen Geizhals ins Freie und geradewegs hinunter in die Hölle gefahren. Schaudernd über das Schicksal ihres verruchten Amtsgenossen, sprachen die Ratsherren der armen Frau das Grundstück wieder zu, denn keiner von ihnen fand noch einen Grund, an dem Recht der Frau zu zweifeln. Als die hohen Herren an diesem Tag das Rathaus verließen, sahen sie oberhalb des Tores das Bildnis des vom Teufel Entführten und das Buch an die Wand gemalt, in dem die Gesetze des Landes niedergeschrieben waren. Sooft man später auch versuchte, es abzuschaben oder zu übertünchen, die Malerei kam doch immer - 271 -
wieder zum Vorschein. Deshalb meinten die Leute auch, daß es der Teufel selber für alle Zeiten hingemalt habe.
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WIE DIE UNGARN ZU IHREM LAND KAMEN Um die Mitte des 9. Jahrhunderts kamen die Madjaren, von Arpäd angeführt, aus dem südwestlichen Rußland zuerst nach Erdely, das später Siebenbürgen genannt wurde. Dort blieben sie eine Zeitlang, schlugen Zelte auf und weideten ihre Herden. Bald aber erfuhren sie, daß weiter im Süden, am Ufer der Donau, die Erde noch besser und das Wasser des Stroms von erquickender Frische sei. Da rief Arpäd sogleich seinen Kundschafter Kusid zu sich und trug ihm auf, bis zur Donau zu reiten und vom Wasser des Stroms sowie von der Erde an seinem Ufer Proben zu holen. Kusid ritt mehrere Tage und Nächte lang nach Süden. Je näher er der Donau kam, desto fetter wurde die Erde und desto üppiger wurden die riesigen Weideflächen. Endlich am Strom angekommen, kostete er gleich das Wasser. Es schmeckte vortrefflich und war klar und frisch wie noch keines bisher. Von den Leuten, die am Strom ihre Hütten hatten, erfuhr Kusid, daß Herzog Swatopluk, der Beherrscher des Großmährischen Reiches, das von Böhmen bis an die Nordgrenze Bulgariens reichte, ganz in der Nähe eben auf seiner Burg weile. Da entschloß sich der Kundschafter, noch am selben Tage zu ihm zu reiten und ihm Arpäds Grüße zu entbieten. Swatopluk vermutete hinter dem Besuch nichts Arges, empfing Kusid mit herzlichen Worten, bewirtete ihn aufs beste und ließ ihm für die Nacht ein Lager bereiten. Am nächsten Morgen verließ Kusid wieder die Burg und kehrte an die Donau zurück. Dort füllte er ein großes Hörn mit Wasser aus dem Strom, hob ein Stück - 273 -
grasbewachsener Erde aus dem Uferland aus und ritt mit diesen Dingen wieder heim. Als er vor Arpäd stand, überreichte er diesem das Wasser und die Erde, die er mitgebracht hatte, und berichtete ihm von seinen Erlebnissen. Arpäd und einige seiner Madjaren kosteten das Wasser und betrachteten die Erde. Sie fanden beides so gut, daß sie keinen anderen Wunsch mehr hatten, als dieses Land und den Strom zu besitzen. Nachdem sie darüber lange genug Rat gehalten hatten, sandte Arpäd seinen Kundschafter Kusid ein zweites Mal zu Swatopluk. Er sollte dem Herzog einen feurigen Schimmel mit goldenem Zaum und goldenem Sattel bringen. Diesmal wurde Arpäds Bote am Hofe des Herzogs mit allen Ehren empfangen. Swatopluk konnte sich an den prächtigen Geschenken gar nicht sattsehen. Immer wieder klopfte er dem Pferd den Hals, ja, er ließ es sich nicht nehmen, auch gleich einen Ritt darauf zu machen. Schließlich sagte er zu Kusid: „Dein Herr hat mich fürstlich beschenkt. Womit könnte ich ihm dafür danken und auch ihm eine Freude bereiten?“ Auf diese Frage antwortete Kusid, wie Arpäd ihm aufgetragen hatte: „Ihr könnt meinen Herrn mit keinem Geschenk mehr erfreuen als mit Erde, Wasser und Gras!“ Swatopluk fand diesen Wunsch sehr bescheiden und erwiderte ahnungslos: „Von diesen Dingen kann dein Herr haben, soviel ihm beliebt.“ Nun ritt Kusid sogleich wieder heim, um Arpäd über den zweiten Besuch am Hofe des Herzogs zu berichten. Jetzt aber brach Arpäd sogleich mit allen seinen Madjaren auf, um die Gebiete an der Donau gewaltsam an sich zu reißen. Als er das Land betrat, erhielt - 274 -
Swatopluk bald Kunde, daß Arpäd mit seinem Heer das Land überschwemme und es für sich in Anspruch nähme. Da ließ Swatopluk Arpäd sogleich durch einen Boten warnen, seine Güte zu mißbrauchen. Arpäd aber lachte bloß und erwiderte dem Boten: „Melde deinem Herrn, daß ich alles bereits bezahlt habe: die Erde mit dem Schimmel, das Gras mit dem goldenen Zaum und das Wasser mit dem goldenen Sattel!“ Als Swatopluk von dieser hochmütigen Antwort - 275 -
erfuhr, ließ er unverzüglich das prächtige Pferd töten, den goldenen Zaum auf einem Acker vergraben und den goldenen Sattel in die Donau werfen. Dann rief auch er ein großes Heer zu den Waffen und zog den Madjaren entgegen. Arpäd aber war indessen bereits bis an die Donau vorgedrungen und erwartete die unvermeidliche Schlacht. Wenige Tage darauf kam es zum Zusammenstoß der beiden Heere. Nach stundenlangem, unentschiedenem Kampf stellte sich das Kriegsglück auf die Seite der Madjaren. Verzweifelt über diese Niederlage stürzte sich Swatopluk in voller Rüstung in die Donau und versank in den Fluten. Die Madjaren aber blieben für immer in dem eroberten Land und erhoben Arpäd zum ersten Großfürsten ihres Reiches.
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DER EISERNE HAHN ZU RAAB Ein Stück unterhalb Preßburgs zweigt von der Donau nordwärts die neunzig Kilometer lange „Kleine Donau“ ab. Von hier bis zu ihrer Wiedervereinigung mit dem Hauptstrom liegt zwischen den beiden Wasserläufen eine Insel, die die „Große Schutt“ genannt wird. Wieder eine Strecke weiter bricht auch südwärts ein Arm, die Wieselburger Donau, aus. Zwischen ihr und dem Strom befindet sich die „Kleine Schutt“. Kurz bevor dieser Arm wieder in die Donau mündet, liegt an ihm die uralte Stadt Raab, die jahrhundertelang eine der stärksten Festungen Ungarns gewesen ist. Als die Türken zum erstenmal das ungarische Land überfluteten, fiel auch diese Stadt in ihre Hände. Bald darauf erschien zwar Erzherzog Maximilian vor ihren Toren, sein Heer erlitt aber so schwere Verluste, daß es die Belagerung wieder aufgeben mußte. Dieser Erfolg machte Ali Pascha, der die türkische Besatzung befehligte, über alle Maßen hochmütig und siegessicher. Jetzt ließ er am Abend die Stadttore nicht mehr schließen, die Zugbrücken nicht aufziehen und die Wachtposten nur noch schwach besetzen. In seinem Übermut ließ er auch noch einen hohen prunkvollen Turm errichten und auf seine Spitze einen weithin sichtbaren eisernen Hahn setzen. Dann befahl er, die Pauken zu schlagen, und verkündete: „Diese Stadt soll den Christen erst wieder gehören, bis der eiserne Hahn auf dem Turm dreimal gekräht hat!“ Diese Worte Ali Paschas wurden auch auf alle großen Geschütze geschrieben. Vier Jahre lang blieben die Türken Herren der Stadt. Inzwischen hatten aber Freiherr von Schwarzenberg und - 277 -
Fürst Palffy in Komorn eine auserlesene Schar tapferer Lanzenreiter und wohlgerüstetes Fußvolk unter der ungarischen Fahne gesammelt, um die Stadt zurückzuerobern. Eines Tages brachten ihre Späher die Nachricht, daß Ali Pascha in seinem sorglosen Hochmut die besten Janitscharen um Geld, Proviant und neues Kriegsgerät nach Ofen gesandt und dadurch die Kampfkraft der Besatzung empfindlich geschwächt habe. Jetzt brachen die beiden Feldherrn unverzüglich mit ihrem Heere auf. Mitten in der Nacht standen sie vor Raab. Fünf Husaren, die der türkischen Sprache mächtig waren, sprengten an eines der Tore heran und riefen der Wache zu: „Schnell, schnell! Macht uns auf! Wir sind unsern Janitscharen vorausgeritten und werden von Christenhunden verfolgt!“ Da öffneten die arglosen Posten schleunigst das Tor, wurden aber gleich darauf mit kräftigen Säbelhieben niedergeschlagen. Nun ergoß sich das christliche Heer, ohne noch auf einen Widerstand zu stoßen, unter Schwarzenbergs Führung in die stille Stadt. Jeder Haufen wußte genau, welchen Platz er besetzen sollte. Durch das Gewieher und Gestampfe der Pferde sowie durch das Gerassel der Waffen wurden die Türken aber doch aus ihrem Schlaf geschreckt. Sie eilten ins Freie und warfen sich den eingedrungenen Christen wütend entgegen. Ein erbitterter Straßenkampf tobte. Dreimal wurden die Christen zurückgeworfen, dreimal jedoch stießen sie wieder vor. Um endlich die Entscheidung herbeizuführen, rief Schwarzenberg die Reiterschar Palffys, die vor der Stadt geblieben war, zu Hilfe. Die Husaren wollten aber ihre - 278 -
Pferde nicht im Stich lassen. Erst als Palffy selbst von seinem Rosse stieg, taten auch sie es. Nun stürzte sich auch Ali Pascha in die Schlacht. Es dauerte aber nicht lang, da streckte ihn der Säbelhieb eines Ungarn zu Boden. Die Türken jedoch fochten trotzdem weiter. Schließlich brach der neue Tag an, und da geschah etwas Unerwartetes und Seltsames: Der eiserne Hahn krähte! Jetzt horchten die Türken auf. Zuerst glaubten sie, sie hätten sich getäuscht. Da krähte aber der Hahn schon wieder und gleich darauf zum dritten Mal. Nun erinnerten sie sich, daß Ali Pascha verkündet hatte, die Christen würden erst wieder die Stadt erobern, bis der eiserne Hahn dreimal gekräht habe. Da dies nun wirklich geschehen war, bemächtigte sich ihrer ein panischer Schrecken. Sie hielten den Kampf für verloren, und weil sie lieber starben als in die Gefangenschaft zu gehen, stürzten sich Ungezählte von ihnen von den Zinnen der Burg in die Tiefe. Damit war der Kampf entschieden. Den Siegern fiel eine unermeßliche Kriegsbeute in die Hände. So hatte der eiserne Hahn die Stadt Raab von den Türken befreit. Er stand noch viele Jahre auf der Spitze des Turmes, die Erinnerung an ihn ist aber auch in unseren Tagen noch nicht verblaßt.
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DIE PROPHEZEIUNG Wo die Neograder Berge die Donau zwingen, ihre west-östliche Richtung aufzugeben und südwärts zu fließen, liegt die Bischofstadt Waitzen, welche die Ungarn Väcs nennen. Als von ihr noch kein Stein auf dem ändern lag, stand Ungarns König Salomo mit seinen beiden Vettern, den Herzögen Geza und Ladislaus, in heftigem Streit, weil sie die Krone für sich selber beanspruchten. Vor Mogyorod sollten die Waffen entscheiden. Bevor es jedoch zur Schlacht kam, ritten die Brüder Geza und Ladislaus miteinander durch den Wald, um die Gegend zu erkunden. Dabei kamen sie zu einer Klause, vor der ein Eremit eben kniend sein Gebet verrichtete. Die beiden Herzöge hielten sogleich die Rosse an, um ihn nicht zu stören. Er hatte sie aber doch schon gehört, hob sein Haupt und richtete seinen Blick erstaunt auf Geza. Der Herzog fand dies sonderbar und fragte verwundert: „Warum blickst du mich denn so seltsam an?“ Der Klausner aber erwiderte: „Weil ich nicht nur dich, sondern über deinem Haupte auch noch zwei Engel schweben sehe. Der eine hält einen Lorbeerkranz, der andere eine Krone in den Händen. Sie verkünden mir, daß du König werden wirst.“ Geza war von dieser Prophezeiung tief ergriffen und sagte: „Wenn mir Gott wirklich den Sieg beschert, will ich zum Dank dafür auf diesem Platz eine herrliche Kirche erbauen lassen. Das gelobe ich dir!“ Dann fragte er den frommen Mann noch nach seinem Namen. „Ich heiße Väcs“, antwortete der Klausner. Und als - 281 -
gleich darauf die beiden Herzöge ihren Pferden die Sporen gaben, um den Erkundigungsritt fortzusetzen, rief er Geza noch nach: „Vergiß dein Gelübde nicht! Was ich dir sagte, wird in Erfüllung gehen!“ Bald darauf erfochten Geza und Ladislaus wirklich den Sieg. König Salomo aber floh nach ödenburg und entsagte dort zugunsten Gezas der Krone. - 282 -
Nun wollte der neue König, eingedenk des Gelübdes, seinen Würdenträgern die Stelle zeigen, wo die neue Kirche erbaut werden solle. Drei Tage lang streifte er mit ihnen kreuz und quer durch den riesigen dichten Wald, von der Klause aber war nirgends mehr eine Spur zu finden. Als die hohen Herren sich jedoch am dritten Abend eben unter den Kronen der Bäume zur Ruhe gelegt hatten, schritt plötzlich ein mächtiger weißer Hirsch mit leuchtendem Geweih majestätisch mitten durch ihr Lager. Geza sprang sogleich auf und schlich ihm nach. Wenige Schritte hinter dem König folgten die andern. Der weiße Hirsch ließ sich nicht beirren, schritt bald aus dem Wald ins Freie und dann der Donau zu. Kaum hatte er sie erreicht, da schoß ein heidnischer Kumane vom Rücken seines Pferdes aus einen wohlgezielten Pfeil nach ihm. Im selben Augenblick jedoch war der Hirsch vom Erdboden verschwunden. König Geza beschloß nun, die Kirche, die er an Stelle der Klause zu erbauen gelobt hatte, hier errichten zu lassen, wo der weiße Hirsch mit dem leuchtenden Geweih zuletzt gestanden war. Nur wenige Jahre später erhob sich hier ein herrliches Gotteshaus, um das allmählich eine Stadt entstand. Sie erhielt nach dem Einsiedler Väcs ihren Namen.
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DAS WUNDER VON OFEN Wo die ungarische Tiefebene, das „Alföld“, beginnt, liegt am linken Ufer der Donau Pest, an ihrem rechten Ofen mit der königlichen Burg, in der alle Könige Ungarns residierten. Einer von diesen Königen war Geza. Als er starb, sollte sein Vetter Salomo die Krone tragen. Salomo entsagte ihr aber und überließ die Regierung Herzog Ladislaus, einem Bruder des verstorbenen Königs. Doch schon zwei Jahre später bereute er, daß er auf den Thron verzichtet hatte. Weil er aber jetzt auf geradem Wege nicht mehr zur Herrschaft kommen konnte, griff er zu einer List und lud König Ladislaus zu einer Jagd ein, um ihn dabei gefangenzunehmen. Der König erfuhr jedoch noch rechtzeitig, welche Gefahr ihm drohte, und ließ sich von einer großen Schar bewaffneter Reiter begleiten. Aber auch Salomo kam mit vielen Kriegern ins Revier. So entbrannte zwischen beiden Parteien bald ein heftiger Kampf. Salomo wurde geschlagen und in den Turm der Festung Visegräd gebracht. Ladislaus aber ließ sich zum König von Ungarn krönen. Einige Jahre später sollte ein großartiges Fest gefeiert werden: Stephan, der erste König von Ungarn, war heiliggesprochen worden. Da sollte sein Sarg aus der Gruft in der Kapelle der königlichen Burg gehoben und feierlich zur Schau gestellt werden. Schon am frühen Morgen kamen viele Menschen aus allen Teilen des Landes nach Ofen, um der Feier beizuwohnen. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Zuletzt zog König Ladislaus mit den höchsten Würdenträgern seines Reiches in das Gotteshaus ein. Er begab sich sogleich in - 284 -
den Altarraum, wo sich die Gruft des heiligen Stephan befand, um sie auf ein Zeichen des päpstlichen Legaten zu öffnen. Sie war nämlich mit einer prunkvollen Deckelplatte verschlossen. -…………… Nun kam der große Augenblick. Der König und sein erster Ratgeber traten an die Gruft heran, beugten sich darauf nieder und ergriffen die Ringe, um den Deckel zur Seite zu schieben, aber es gelang ihnen nicht. Da gab der König seiner Leibwache ein Zeichen, ihnen zu helfen. Zwei Hünengestalten sprangen sogleich aus der Reihe, faßten die eisernen Ringe und versuchten mit vereinten Kräften, den Deckel von der Stelle zu rücken, vermochten es aber auch nicht. Als die Leute in der Kirche dies sahen, ging ein leises Murmeln durch die Menge. Sie fragten sich, ob am Ende der König nicht würdig sei, die Gebeine seines großen Ahnherrn zu heben. Ladislaus wandte sich bleichen Angesichts der Menge zu und sprach: „Laßt uns heimgehen und drei Tage lang fasten und beten. Dann wollen wir noch einmal herkommen. Vielleicht gelingt es uns dann, die Gruft zu öffnen!“ Als der König nach drei Tagen abermals in die Kirche kam, da kniete vor dem Altar eine Nonne, die vom ungarischen Volke als Seherin verehrt wurde. Sie erhob sich, trat vor Ladislaus hin und sagte: „Es wird dir auch heute nicht gelingen, die Gruft des Heiligen zu öffnen, denn dies vermag nur der, der so handelt, wie es ihm das Gebot Christi befiehlt. Der Herr sagte: Liebet eure Feinde! Du aber hältst Salomo noch immer grausam gefangen. Erst wenn du ihm vergibst und ihn freiläßt, wirst du imstande sein, die Ruhestätte König Stephans zu öffnen und sein Fest zu begehen!“ Da ging der Herrscher in sich. Sogleich sandte er nach - 285 -
Visegräd und befahl, den Gefangenen aus dem Gefängnis zu entlassen und ihm seinen ganzen Besitz zurückzugeben. Kaum aber hatte der Bote die Kirche verlassen, da rückte der Deckel der Gruft von selber zur Seite. Der König und alle Leute, die das Wunder mit eigenen Augen sahen, sanken ergriffen aufs Knie. Jetzt konnte der Sarg aus der Gruft gehoben und auf dem vorbereiteten Piedestal zur Schau gestellt werden. Der Turm, in dem Salomo geschmachtet hatte, ist noch heute zu sehen. Das Volk nennt ihn den Salomoturm und hält von Geschlecht zu Geschlecht die Erinnerung an jene wunderbare Begebenheit lebendig.
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DER OFENER HUNDEMARKT Zur selben Zeit, als in Ungarn König Matthias herrschte, raubten türkische Freibeuter einem armen Bauern alle seine Schafe. Nichts war ihm von der ganzen Herde übriggeblieben als seine sechs Schäferhunde. Da beschloß er, in die „Schwarze Schar“ einzutreten, die die türkischen Räuber bekämpfte, damit er mit ihrer Hilfe vielleicht doch wieder zu seinen Schafen komme. Die Hunde aber wollte er in seiner Einfalt bis zu seiner Rückkehr dem König geben, damit sie es bei ihm gut hätten. Er pfiff also seine sechs Hunde zusammen und ging mit ihnen nach Ofen und den steilen Weg zur Burg hinan. Weil er es aber nicht wagte, hier Einlaß zu begehren und vor den König zu treten, setzte er sich bescheiden vor das Burgtor und wollte hier geduldig auf Matthias warten. Der Torhüter wollte jedoch wissen, was der Bauer vorhabe, und fragte ihn: „Was willst du denn hier mit den Hunden?“ Da erzählte ihm der Bauer von dem Unglück, das ihn betroffen, und sagte schließlich treuherzig: „Weil ich aber nicht weiß, wann ich aus der ,Schwarzen Schar’ wieder heimkehre, möchte ich meine braven Hunde bis dahin beim König in sicherer Hut wissen. Sie sind sehr treu und wachsam und werden ihm gewiß gute Dienste leisten.“ Es dauerte nicht lange, da wußte das ganze Burggesinde von dem einfältigen Bauern und seinen sechs Hunden, und schließlich erfuhr auch der König davon. Ihn rührte das Schicksal des Mannes, und er beschloß, ihm zu helfen. Deshalb sagte er zu den Herren seines Hofstaates, die eben bei ihm weilten: „Wer mir - 287 -
einen Gefallen erweisen will, der kaufe dem Bauern einen seiner sechs Hunde ab. Ich werde dies zu schätzen wissen!“ Weil sich nun jeder der Herren der besonderen Gunst seines Königs erfreuen wollte, eilten alle sogleich aus dem Saal und vor das Burgtor, um einen Hund zu erstehen. Weil aber nur sechs zu verkaufen waren, begannen die vielen Herren um jedes Tier hitzig zu streiten und überboten einander immer mehr in den Preisen. Der Bauer wußte nicht, wie ihm geschah. Schließlich hatte er auf so unerwartete Weise alle sechs Hunde an den Mann gebracht und hielt einen großen Beutel voll Geld in den Händen. Damit kehrte er überglücklich in sein Dorf zurück. Jetzt konnte er ja zu Hause bleiben und sich eine noch viel größere Schafherde kaufen, als er vorher besessen hatte. Sein Nachbar aber, ein kalter Rechner und Geizhals, der ihm das Glück nicht gönnte, dachte neidisch: Wenn die Herren in der Burg zu Ofen für Hunde so gute Preise zahlen, dann müßte es einem verständigen Mann wie mir doch leicht gelingen, steinreich zu werden! Und er beschloß, die Gelegenheit gleich beim Schopfe zu fassen. Schon am nächsten Tag ging er von Dorf zu Dorf, um überall Hunde zusammenzukaufen, so viel und so gut er sie finden konnte. Die Bauern merkten gar bald, daß ihm an den Hunden gelegen sei, und verlangten unverschämte Preise für die Tiere. Der sonst so geizige Mann feilschte aber erst gar nicht mit ihnen, sondern bezahlte, was sie verlangten, denn er hoffte ja, seine Auslagen vielfach hereinzubringen. Schließlich hatte er zwei Dutzend Hunde beisammen. Es war nicht leicht, ihnen Leinen um den Hals zu legen - 288 -
und sie daran fortzuführen. Die einen zerrten nach rechts, die ändern nach links, einige wollten in wilden Sätzen vorwärts, andere wieder legten sich auf den Boden und waren kaum weiterzubringen. Bald rann dem Mann der Schweiß von der Stirn, und er glaubte, vor Ärger bersten - 289 -
zu müssen. Nur der Gedanke an das viele Geld, das er sich für die Hunde erhoffte, half ihm darüber hinweg. Endlich vor dem Tor der Burg angekommen, atmete er erleichtert auf und begehrte sogleich Einlaß. Doch der Torhüter fuhr ihn barsch an: „Scher dich zum Teufel! Mit diesen Kötern kommst du mir nicht in die Burg!“ „Ich will sie aber den Herren Räten des Königs verkaufen!“ sagte der Bauer. „Sie sind ganz närrisch nach Hunden!“ „Wenn einer hier närrisch ist, dann bist es nur du!“ erwiderte der Torhüter spöttisch. „Für deine Hunde gibt dir keiner der Herren etwas. Die haben schon mehr als genug in der Burg!“ Während die beiden noch ein Wort um das andere wechselten, begannen die vierundzwanzig Hunde fürchterlich zu kläffen und zu heulen und so heftig aufeinander loszufahren, daß der Bauer sie kaum noch an den Leinen festhalten konnte. Der Lärm war so groß, daß das Gesinde aus den Stuben und Ställen und schließlich auch die Herren des Hofstaates aus ihren Gemächern herbeigelaufen kamen. Als sie nun hörten, was der Bauer vorhatte, lachten sie ihn aus und jagten ihn schließlich mitsamt seinen Hunden davon. Jetzt blieb dem habgierigen Mann nichts anderes übrig, als sich mit den zwei Dutzend Hunden wieder nach Hause zu trollen. Die Bauern empfingen ihn dort mit lautem Gelächter, so daß er zu allem Ärger auch noch den Spott hatte. Es dachte auch keiner daran, seinen Hund wieder zurückzukaufen, und der Geizkragen wußte nicht, was er mit den vielen hungrigen Kötern anfangen solle. Schließlich ließ er sie in seiner Wut einfach laufen, und sie kehrten mit freudigem Gewedel und Gebell zu - 290 -
ihren früheren Besitzern zurück. Seit jener Zeit aber gibt es in Ungarn das Sprichwort: „Nur einmal ist in Ofen Hundemarkt gewesen!“
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SZÄPARYS RACHE Nach der Schlacht bei Mohacz wurde Ofen von den Türken besetzt. Hundertfünfzig Jahre lang hausten sie in der Stadt und im ganzen Lande so wild und grausam, daß sie von allen Ungarn glühend gehaßt wurden. Einer ihrer erbittertsten Feinde war Peter von Szäpary, der nahe bei Ofen seine Güter hatte und auf ihnen eine große Anzahl Bauern beschäftigte. Mit ihnen überfiel er immer wieder aus dem Hinterhalt türkische Truppen und Trosse und brachte ihnen so schwere Verluste bei, daß ihr Befehlshaber Hansa-Bei darüber in maßlose Wut geriet und allmählich auch um sein eigenes Leben fürchtete. Diese Furcht verlor er erst, als seine Janitscharen Szäpary in eine Falle gelockt, gefangengenommen und ihn, trotz blutender Wunden, in Ketten ins Zelt gebracht hatten. Jetzt war für Hansa-Bei die Zeit gekommen, sich an seinem gefährlichsten Feind zu rächen. Er behandelte ihn aufs schimpflichste, ließ ihm die Fußsohlen peitschen und schließlich dem Wesir in der Ofener Burg überstellen. Der Wesir wußte, was Hansa-Bei wollte, und befahl sogleich, den Aufrührer in das Burggefängnis zu werfen. Dort mußte er auf faulem Stroh schlafen und Hunger und Durst leiden. Seine Wunden waren noch immer offen und brannten so furchtbar, daß er den Schmerz kaum noch aushielt. Damit gab sich aber Hansa-Bei noch nicht zufrieden. Er befahl, daß Szäpary auch noch zu den schwersten Arbeiten herangezogen werde. Eines Tages kam Hansa-Bei selber nach Ofen. Auf dem Weg in die Burg sah er unter einigen Gefangenen, die eben Steinblöcke bergan wälzten, auch Szäpary. Er - 292 -
trat an ihn heran und fragte ihn höhnisch: „Wie geht es dir, du Christenhund?“ Szäpary aber kehrte ihm stolz den Rücken und antwortete nicht. Das erboste den Statthalter noch mehr, und er schrie voller Wut: „Beim Bart des Propheten, ich werde deinen Stolz schon noch brechen!“ Und er befahl dem Aufseher, den hochmütigen Gefangenen vor einen Pflug zu spannen und ihn wie ein Zugtier über die Felder zu treiben. So mußte denn Peter von Szäpary auch diese schmachvolle Arbeit verrichten. Bald darauf kam sein Freund und Nachbar Battyany zu Hansa-Bei und bat ihn, er möge endlich Gnade walten lassen und dem Gefangenen gegen ein Lösegeld wieder die Freiheit geben. Der türkische Befehlshaber wollte zuerst von diesem Handel nichts wissen, besann sich aber dann und sagte mit beißendem Spott: „Nun gut, ich werde ihn um den Preis von 30.000 Gulden freilassen!“ Denn er wußte, daß eine so hohe Summe gar nicht aufzubringen war. Battyany eilte sorgenvoll heim, nahm sein ganzes Geld und legte noch jeden Gulden dazu, den Szäparys Freunde und selbst die Bauern im ganzen Umkreis seines Gutshofes beisteuerten. Aber alle Opfer waren vergeblich. Er brachte kaum die Hälfte des Lösegeldes zusammen, und Szäpary blieb gefangen. Es verstrichen drei volle Jahre. Dann reiste einmal ein hoher Aga mit wichtigen Befehlen von Belgrad nach Ofen. Battyany hatte davon erfahren, legte sich mit einer Schar Männer an der Straße auf die Lauer, überfiel den türkischen Fürsten und sein Gefolge und nahm ihn nach heftigem Kampfe gefangen. Kaum hatte Hansa-Bei davon Kunde erhalten, da - 293 -
befahl er auch schon einem seiner Unterhändler, zu Battyany zu reiten und mit ihm über die Freilassung des Agas gegen ein Lösegeld zu verhandeln. Battyany, der jetzt die Stunde der Befreiung für den Freund gekommen sah, forderte jedoch kein Geld, sondern schlug dem Unterhändler vor, den einen Gefangenen gegen den ändern auszutauschen. Und das geschah auch. - 294 -
Es dauerte lange, bis Szäparys gemarterter Körper wieder gekräftigt war. Bald darauf hörte er, daß eine österreichische Armee auf dem Weg nach Ungarn sei, um die Hauptstadt den Türken wieder zu entreißen. Jetzt litt es ihn nicht mehr auf seinen Gütern und er eilte zu den österreichischen Fahnen. Bei der Erstürmung der Stadt stand er in den vordersten Reihen. Unter den Gefangenen aber, die den Österreichern in die Hände fielen, war auch Hansa-Bei. Nachdem in der eroberten Stadt wieder Ruhe eingekehrt war, gab es ein festliches Mahl, zu dem auch Szäpary eingeladen war. Dabei sagte der siegreiche Feldherr zu dem ungarischen Edelmann: „Deiner Tapferkeit gebührt ein besonderer Lohn. Ich überlasse dir Hansa-Bei, deinen erbittertsten Feind. Behandle ihn, wie er es verdient.“ Während aber die Sieger noch vergnügt die köstlichen Speisen und Weine genossen, eilte schon ein Diener heimlich zu Hansa-Bei und rief ihm höhnisch zu: „Von nun an ist Szäpary dein Herr! Sieh zu, daß du gut mit ihm auskommst!“ Der türkische Feldherr erstarrte vor Schreck und dachte: „Jetzt wird es mir genauso ergehen, wie es ihm erging! Er soll sich aber zu früh gefreut haben!“ Und schon griff er nach einem Fläschchen Gift, das er bei sich hatte, und trank es aus. Gleich darauf trat Szäpary zu ihm ins Gefängnis und fragte ihn: „Kennst du mich noch?“ „Du bist Szäpary“, erwiderte der Türke, „und bist zu mir gekommen, um dich an mir zu rächen.“ „Du irrst“, antwortete Szäpary, „ich bringe dir die Freiheit.“ „So großmütig kann ein Feind nicht sein“, sagte - 295 -
Hansa-Bei verwirrt. Szäpary aber erwiderte: „Nicht meine Großmut, sondern mein Glaube gebietet es mir.“ Da fiel Hansa-Bei seinem edelmütigen Feind gerührt zu Füßen und schluchzte: „Ich danke dir für deine Güte, sie kommt aber schon zu spät. Ich habe soeben Gift getrunken und werde nur noch kurze Zeit leben. Wenn du mir aber noch eine letzte Gnade erweisen willst, dann lasse deinen Priester zu mir kommen, damit er mich taufe, denn dein Glaube ist der edlere.“ So trat denn Hansa-Bei noch in den letzten Minuten seines Lebens zum christlichen Glauben über. Und als er die Augen für immer geschlossen hatte, ließ Szäpary ihn mit großem Prunk zu Grabe tragen.
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ZIGEUNERSAGE Gleich hinter Budapest zweigt von der Donau neuerdings ein Arm ab, der die große Insel Csepel und vierzehn kleinere Inseln umschließt und erst fünfzig Kilometer weiter südlich wieder in den Strom zurückkehrt. Eine riesige baumlose Steppe, die nur stellenweise von fruchtbarem Boden unterbrochen wird, dehnt sich hier aus. Es ist die Pußta. In ihr ist kein Hügel und kein Stein, sondern nur Rasen, Sand oder dunkler Lehm zu sehen, der von der Glut der Sonne ausgedörrt und aufgerissen wird. Nach der Schneeschmelze aber ist der Boden schier grundlos und jeder Verkehr zwischen den weit voneinander entfernten Dörfern unmöglich. Dann kleidet sich die Pußta für eine kurze Zeit in das frische Grün der Gräser und in das Farbenkleid der Blumen, und riesige Rinder- und Pferdeherden werden auf die Weiden getrieben. Bald aber wird die weite Ebene, aus der da und dort ein Ziehbrunnen aufragt, unter der glühenden Sonne wieder braun, und das Federgras, das im Mondlicht wie blondes Haar aussieht, wuchert überall in dichten Büscheln. Der Ungar nennt es Waisenmädchenhaar. In einem der einsam gelegenen Pußtadörfer lebte nun vor mehreren hundert Jahren eine arme Frau mit einem Buben namens Gabor. An den schönen Abenden im Frühling und im Sommer ging der Bub gern zu einem steinernen Kreuz, das, ein Stück von der Hütte entfernt, einsam in der Steppe stand. Es erinnerte an ein unschuldiges Mädchen, das, von einigen Türken bis hierher verfolgt, zu Gott um Hilfe gefleht hatte und plötzlich auf wunderbare Weise spurlos in die Erde - 297 -
versunken war. An diesem Kreuz saß an solchen Abenden auch immer der Zigeuner Mischko. Er spielte auf seiner Geige, und Gabor lauschte ihm so andächtig, als wäre er von den schwermütigen Weisen verzaubert. Eines Abends aber bat der Bub den Zigeuner, er möge ihn doch auch einmal spielen lassen. Mischko reichte ihm die Geige – und sieh!, ohne es jemals gelernt zu haben, entlockte Gabor ihren Saiten so wundervolle Klänge, daß dem Zigeuner Tränen der Ergriffenheit über die verwitterten Wangen - 298 -
rollten. Und dann kam ein Tag, da kehrte Gabor nicht mehr nach Hause zurück. Aber auch der Zigeuner ließ sich nicht mehr sehen. Einige Jahre später wanderten ein alter Mann und ein Jüngling am Ufer der Donau gegen Budapest. Es waren Mischko und Gabor. Jeder von ihnen hatte eine Geige bei sich. Ein Stück vor der Stadt war eine Schenke. Vor ihr hielt der Alte an und sagte zu Gabor: „Ich bleibe hier, um den Leuten da drinnen aufzuspielen und mir etwas zu verdienen. Du aber geh allein in die Stadt und tu dort, was ich dir geraten habe!“ Dann nahmen die beiden voneinander Abschied. Am nächsten Morgen strömte eine große Menge festlich gekleideter Menschen in den Dom. Auch viele vornehme Herren und Damen kamen und nahmen im Gotteshaus die vordersten Plätze ein. Gleichzeitig begaben sich viele Männer mit allerlei Musikinstrumenten auf den Chor. Gabor stand am Tor der Kirche, sah die Leute mit erstaunten Augen an und schlich dann den Männern nach, die die schmale Stiege zum Chor emporstiegen. Bald begann die Orgel zu spielen, und gleich darauf setzten auch die Geigen ein. Jetzt war für Gabor der große Augenblick gekommen. Mit leisen Schritten trat er an die Brüstung, legte die Geige an das Kinn und begann die Saiten zu streichen. Er spielte so schön, daß die anderen Geiger ihren Bogen absetzten und ihm staunend lauschten. Aber auch unten in der Kirche war jeder von dem Spiel des unbekannten Künstlers wie gebannt. Als der Gottesdienst zu Ende war, wollte Gabor die Kirche rasch wieder verlassen. Plötzlich aber spürte er, daß ihn jemand an der Schulter berührte. Er wandte sich - 299 -
um und sah, daß es ein besonders vornehmer Herr sei. Der sagte: „Du hast wundervoll gespielt. Wie heißt du und woher kommst du denn?“ „Ich heiße Gabor“, erwiderte der Jüngling, „und komme aus der Pußta.“ „Aus der Pußta“, wiederholte der Herr, „und was willst du bei uns in der Stadt?“ „Ich will mir eine Arbeit suchen“, antwortete Gabor. Da zog der Herr seinen Geldbeutel aus der Tasche, reichte ihn Gabor und sagte: „Nimm dieses Geld, kleide dich ordentlich darum und komme morgen abend in das Haus mit den roten Säulen auf dem Domplatz. Ich werde hohe Gäste haben, ihnen sollst du etwas vorspielen!“ Gabor nahm das Geld, dankte dem Herrn dafür und versprach ihm, zu kommen. Am nächsten Abend hatten sich im Hause des vornehmen Herrn viele Gäste eingefunden. Der Marmorsaal, in dem sie sich versammelt hatten, war von hunderten Kerzenflammen erhellt. Die Herren trugen glitzernde Orden auf der Brust und an der Seite zierliche Degen. Die Damen hatten ihre schönsten Kleider und wertvollen Schmuck aus Gold, Edelsteinen und Perlen angelegt. Alle nahmen auf purpurnen Damaststühlen Platz. Dann trat erwartungsvolle Stille ein, und der Herr des Hauses gab Gabor ein Zeichen, mit dem Spiel zu beginnen. Gabor stand in der Mitte des prächtigen Saales. Er setzte die Geige an, und schon begann sie zu tönen, so schön wie noch nie. Sie jauchzte und schluchzte hell und zart, so voller Glut und Sehnsucht, daß die Gäste meinten, die Klänge kämen aus einer anderen Welt. Als er dann den Bogen wieder absetzte, zollten ihm die hohen Herren und Damen endlosen, stürmischen Beifall. - 300 -
Niemand dachte mehr daran, woher er gekommen war und daß seine Wiege in der armseligen Hütte eines Pußtadorfes gestanden. Die junge und bildschöne Gräfin Anka, die an ihm auf den ersten Blick Gefallen gefunden hatte und die auch ihm gefiel, lud ihn sogar ein, in das Haus ihrer Eltern zu kommen. Es dauerte nicht lange, da war Gabor in der ganzen Stadt berühmt. Durch sein Spiel wurde er mit der Zeit so reich, daß er sich ein schönes Haus kaufen konnte. Ankas Eltern freilich wollten ihm ihre Tochter trotzdem nicht zur Frau geben. Ihnen war der Sohn eines armen Weibes aus der Pußta viel zu gering. Da ließ Gabor aus Schmerz darüber eines Tages all sein Hab und Gut im Stich und ging aus der Stadt seiner Triumphe, ohne von jemandem Abschied genommen zu haben. Nur seine geliebte Geige nahm er mit. Jetzt trieb es ihn wieder in sein stilles Pußtadorf zurück. Die große Einsamkeit, in der das Waisenmädchenhaar wucherte, die riesigen Herden weideten und die Ziehbrunnen sich vom Himmel abhoben, nahm ihn wieder in ihre schweigenden, aber liebevollen Arme. Als er jedoch zur Hütte kam, in der er einst gewohnt hatte, pochte er vergebens an die Tür. Niemand öffnete ihm. Gleich darauf ritten ein paar Männer vorbei, die sagten ihm, daß die alte Frau längst gestorben sei. Da wandte sich Gabor traurig von der unbewohnten Hütte ab und ging nachdenklich zu jenem Kreuz, an dem er in seiner Jugend so manchen Abend verbracht hatte. Dort saß auch der uralte Mischko wieder und strich seine Geige. Ihm erzählte Gabor, was er in der großen Stadt erlebt hatte. Und als er damit zu Ende war, setzte er hinzu: „Ich habe allzulange im Überfluß gelebt und dabei - 301 -
die Mutter vergessen. Es ist meine Schuld, daß sie arm und einsam gestorben ist.“ Da faßte sich Mischko ein Herz, ein langgehütetes Geheimnis preiszugeben, und sagte: „Du hast gewiß nicht recht gehandelt, doch sollst du jetzt wissen, daß nicht diese alte Frau, sondern eine Zigeunerin deine Mutter war. Ich aber bin dein Vater. Freue dich, daß du tausende Menschen mit deinem Spiel beglücktest. Und wenn dir in der Stadt so bitteres Leid widerfuhr, dann denke daran: Die Welt ist groß und die treueste Gefährtin, die dich in allem Kummer tröstet, wird dir immer deine Geige sein.“
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DIE SCHWARZE MUTTERGOTTES VON APATIN Als Kaiser Josef II. nach der Vertreibung der Türken viele Deutsche aus dem Schwabenland als Kolonisten nach Ungarn rief, fuhr auf einer Ulmer Schachtel auch eine Frau namens Magdalena Gerber die Donau abwärts. Sie besaß aber nur das, was sie gerade am Leibe trug, und eine schwarze Muttergottesstatue, die sie während der Einäscherung ihres Dorfes durch die Franzosen aus der brennenden Kirche gerettet hatte. Weil die Frau sehr gläubig war, wollte sie sich zeitlebens von der schwarzen Muttergottes nicht mehr trennen und sich nur dort niederlassen, wo die Statue ihr dazu ein Zeichen geben würde. Deshalb trug die Frau, sooft das Schiff irgendwo anlegte, die schwarze Muttergottes ans Ufer, stellte sie dort auf und wartete ehrfürchtig auf das himmlische Zeichen. Sooft sie dies jedoch auf der langen Fahrt auch tat, jedesmal fiel die Statue, kaum daß sie ans Ufer gestellt worden war, wieder um. Das aber war für die arme Frau immer ein Beweis, daß die Muttergottes hier noch nicht bleiben, sondern die Reise fortsetzen wolle. So trug denn die Frau die Statue immer wieder auf das Schiff und fuhr mit ihr weiter donauabwärts. Viele der Mitreisenden ergriffen die Gläubigkeit und fromme Zuversicht der schlichten Frau so tief, daß sie beschlossen, es ihr gleichzutun und nur dort die neue Heimat zu suchen, wo auch die schwarze Muttergottes sie finden würde. Als nun Magdalena Gerber eines Tages die Statue wieder vom Schiff ans Ufer getragen und dort aufgestellt hatte, sieh, da blieb sie zum erstenmal stehen! Jetzt - 303 -
glaubte die Frau, und auch die Leute auf dem Schiff glaubten es, daß die Muttergottes diese Stelle für sich und sie zum Bleiben ausersehen habe. So blieben sie denn alle hier, fertigten für das Standbild sogleich ein notdürftiges Dach an und zimmerten sich rundum bescheidene Hütten, um darin zu wohnen. Als diese fertig waren, taten sie mit bienenemsigem Fleiß und großer Zähigkeit einen Schutzdamm gegen die Fluten der Donau auf, denn im Frühling, wenn ihr die Nebenflüsse das Schmelzwasser von den Bergen zuführten, stieg sie immer wieder über die Ufer und überschwemmte weithin das flache Land. Dennoch ereignete es sich noch oftmals, daß der hochgehende und brausende Strom auch den Damm durchbrach und die Felder verwüstete. Die fleißigen deutschen Kolonisten behoben aber stets wieder alle Schäden, die sie dabei erlitten hatten. Sie liebten den großen Strom trotz seiner Gefahren, denn er kam ja aus - 304 -
ihrer Heimat geflossen und trug auf seinem Rücken das viele Gold des Korns, das hier, in der Batschka, jedes Jahr wuchs und geerntet wurde, den Häfen am Schwarzen Meere zu. Bald entstand hier eine Stadt, der die deutschen Kolonisten den Namen Apatin gaben und deren größter Schatz die Statue der schwarzen Muttergottes war. Aus allen Teilen des Landes pilgerten gläubige Menschen zu ihr hin, und es wird noch heute erzählt, daß die schwarze Muttergottes von Apatin an ihnen gar manches Wunder getan.
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DAS GESPENST DER HEIDE Ehe noch deutsche Siedler, von Maria Theresia und Kaiser Joseph gerufen, in die Batschka und ins Banat kamen, gab es dort in der Nähe der Donau nur Moore und Sümpfe und dahinter eintöniges, endloses, sandiges Heideland. Hier hauste ein unheimliches Gespenst. Es sah aus wie ein altes Weib, hatte das Gesicht voller Runzeln und war so dürr wie ein Grashalm, den die Sonne versengt hat. Seine Arme aber waren schrecklich lang und knochenhager, und die Finger an seinen Händen endeten in Saugnäpfen. Den ganzen heißen Sommer lang hockte es wie leblos und mit weitaufgerissenen, hohlen Augen im Sand oder hinter einem Schlehdorngebüsch und glotzte in die Weite. Wenn sich aber ein Mensch in der riesigen, baumlosen Heide verirrte, begann sich das Gespenst zu regen. Es erhob sich, gebot selbst dem leisesten Windhauch stillzuhalten und schlich sich an den Umherirrenden tückisch heran. Wenn es ihm nahe genug gekommen war, streckte es blitzschnell die langen Arme nach ihm aus, hielt ihn mit beiden Händen fest und sog ihm so viel Blut aus, daß er immer matter und matter wurde und schließlich erschöpft zusammenbrach. Mit jedem Tropfen aber, den es getrunken, wuchsen seine Kräfte mehr und mehr. Seine Runzeln glätteten sich, die Spinnenarme wurden voll und rund, und seine Augen begannen vor Lust zu funkeln und zu glühen. Erst wenn der Abend hereinbrach, ließ es gesättigt den Verirrten los, wich aber dennoch die ganze Nacht nicht mehr von seiner Seite. Ging er am frühen Morgen nach bleiernem Schlaf wieder weiter, dann blieb das Gespenst geduckt im Sande sitzen und folgte ihm nur mit gierigen - 306 -
Blicken. Sobald aber die Sonne im Mittag stand und der Heidesand von ihren sengenden Strahlen zu glühen begann, da sprang es wieder dem Menschen nach und sog ihm aufs neue Tropfen um Tropfen aus dem Leibe. Schließlich mußte jeder Verirrte mit Entsetzen erkennen, daß es für ihn in der riesigen, wasserlosen und sandigen Heide nur noch den Tod gab. Hatte das Heidegespenst sein Opfer zur Strecke gebracht, ließ es den Toten liegen, und der Wind wehte Sand über ihn. Als sich später viele deutsche Einwanderer am Rande - 307 -
der Heide niederließen, begannen sie sogleich dem gefürchteten Gespenst Stück für Stück seines sandigen Reiches abzuringen. Sie zogen in jahrelanger, mühevoller Arbeit Kanäle quer durch das Land, gruben Brunnenschächte und bewässerten und bebauten den Boden. Das Heidegespenst aber mußte sich vor den Pflügen und Sensen der fleißigen Ansiedler immer weiter zurückziehen und erhob schließlich nur noch in ohnmächtiger Wut seine Fäuste gegen ihre Ährenfelder, über deren goldenem Wogen die Lieder der Lerchen erklangen.
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DER TÜRKENSCHATZ Es war gegen Ende August, und der Himmel prangte voller Sterne. Da sah ein alter Mann, der nicht einschlafen konnte, in der Nähe von Silz eine goldene Flamme lodern. Er schaute lange nach ihr hin und erinnerte sich, gehört zu haben, daß eine solche Flamme einen vergrabenen Schatz aus der Türkenzeit anzeige. Er prägte sich nun genau die Stelle ein, wo er sie gesehen hatte, und erzählte am nächsten Tag sein Erlebnis den Nachbarn. Die aber waren sehr beherzte Männer, und drei von ihnen beschlossen, sogleich nach dem Schatz zu graben. Der Alte aber ermahnte sie: „Vergeßt nur nicht, daß ihr kein Sterbenswörtchen sprechen dürft, solange ihr den Schatz nicht gehoben habt. Tut ihr es doch, dann versinkt er vor euren Augen sofort wieder auf sieben Monate in die Erde. Ihr könnt euer Glück nur dreimal versuchen. Habt ihr auch beim drittenmal den Schatz noch nicht in eurem Besitz, so ist er euch für immer verloren. Das hat man mir noch in meiner Jugend so erzählt.“ Einer von den drei Männern erwiderte selbstsicher: „Er wird uns schon beim erstenmal gehören!“ Und dann nahmen er und die beiden anderen jeder einen Spaten und machten sich gleich auf den Weg nach Silz. Nachdem sie schon stundenlang gegangen waren, wurde es dunkel. Bald darauf erblickten sie wirklich nicht mehr weit vor sich eine zuckende, goldene Flamme, die bei jedem Schritt, den ihr die Schatzsucher näherkamen, kleiner wurde und schließlich verlöschte. Die drei beherzten Männer blieben nun stehen und begannen an Ort und Stelle mit ihren Spaten die Erde aufzustechen, daß ihnen der Schweiß von der Stirn rann. - 309 -
Sie arbeiteten eine ganze Weile, dann aber stießen sie gegen etwas Hartes, und gleich darauf blitzte es in der Grube silberhell auf. „Wir haben den Schatz!“ rief einer der Männer freudig aus. Im selben Augenblick war es in der Grube auch schon wieder stockfinster, und vom Schatz war keine Spur mehr zu sehen. Da schrien die beiden anderen wütend: „Warum konntest du denn nicht den Mund halten? Durch deine Schuld ist der Schatz wieder verschwunden, und nun müssen wir sieben lange Monate warten, bis wir ein zweites Mal nach ihm graben können!“ Es blieb den dreien nichts anderes übrig, als die Grube wieder zuzuschütten und – weil es schon spät in der Nacht war – sich ein dürftiges Lager zu bereiten und sich zum Schlaf hinzulegen. Am Morgen bezeichneten sie noch die Stelle, wo sie gegraben hatten, durch ein eingepflanztes Birkenreis und kehrten dann betrübt nach Hause zurück. Sieben Monate später – es war im März – versuchten sie ihr Glück abermals. Wieder sahen sie die goldene Flamme leuchten, und auch das Birkenreis steckte noch im Boden und zeigte ihnen, wo sie nach dem Schatz graben sollten. Nach einer Weile blitzte es auch in der Grube wieder silberhell auf. Diesmal aber sprach keiner ein Wort. Jeder warf Erdbrocken auf Erdbrocken aus der Grube heraus, und nicht lange, da hatten sie den Deckel einer großen silbernen Truhe freigelegt, der im Mondlicht herrlich schimmerte. Während sie ihn schweigend bewunderten, sprengte ganz nahe an ihnen ein Reiter so wild und windschnell - 310 -
vorbei, daß von den Hufen seines Schimmels die Funken stoben. Nicht lange danach kam mühselig auf einem hinkenden Schwein ein zweiter geritten. Er erblickte die drei Männer und fragte sie: „Habt ihr einen Reiter auf einem Schimmel dahinjagen gesehen?“ Die Männer antworteten ihm jedoch nicht. Da rief ihnen der seltsame Reiter großmäulig zu: „Wenn ihr auch schweigt, ich finde dennoch seine Spur und hol’ ihn ein!“ Darüber mußten freilich die drei Schatzgräber aus - 311 -
vollem Hals lachen, einer von ihnen aber rief dem närrischen Kauz spöttisch nach: „Einholen willst du den? Auf diesem hinkenden Schwein?“ Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, da war nicht nur das Schwein mit seinem Reiter, sondern auch die silberne Truhe verschwunden. Nun mußten die drei Schatzgräber wieder sieben Monate lang warten. Im Oktober versuchten sie ihr Glück zum drittenmal. Nun aber waren sie fest entschlossen, sich durch nichts beirren zu lassen und auf keinen Fall – was auch geschehen sollte – wieder den Mund aufzutun. Als sie jedoch mit viel Mühe und Schweiß die silberne Truhe freigelegt hatten, da, o Schreck! sprengte auf einem Rappen der Teufel selber auf sie zu und stieß mit einer glühenden Gabel nach ihnen. Die Männer sprangen rasch zur Seite, ließen aber keinen Laut hören. Gleich darauf ritt auf dürren Besen eine Schar häßlicher Hexen über die Grube hin. Sie kreischten und drohten, doch die Männer blieben auch jetzt standhaft und schwiegen. Als auch dieser Spuk vorüber war, machten sich die drei Männer daran, die Schatztruhe aus der Grube zu heben. Zwei von ihnen faßten die Henkel, der dritte half mit dem Spaten nach. Aber die Truhe war ungeheuer schwer. Kaum war sie ein wenig gehoben, fühlte schon einer von den dreien, daß seine Kraft erlahmte. „Laß los! Laß los!“ rief er den ändern zu, „ich kann nicht mehr!“ Damit verschwand aber der Türkenschatz auf immer. Nur einer der silbernen Truhengriffe war in der Hand des stärksten der drei Schatzgräber geblieben. Die Männer nahmen ihn mit nach Hause und verkauften ihn in der nächsten Stadt. Sie erhielten dafür fünf Gulden, und das - 312 -
war viel Geld. Nun ahnten sie erst, welch ungeheuren Reichtum sie verloren. Aber was half ihnen aller Ärger? Zuletzt waren sie noch froh, daß sie nicht ganz vergebens gegraben hatten.
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DIE BREUNER-EICHE Am rechten Ufer der Donau liegt in einer ehemals sumpfigen Gegend die Stadt Peterwardein. Dort erhebt sich auf einem Serpentinfelsen die obere, zu ihren Füßen die untere Festung. Prinz Eugen erfocht hier an einem heißen Augusttag des Jahres 1716 einen seiner glänzendsten Siege über die Türken. Während der Kampf um den Besitz der wichtigen Feste noch unentschieden hin und her wogte, war es den Janitscharen gelungen, einen der Tapfersten im österreichischen Heer, den Grafen Breuner, gefangenzunehmen. Sie schleppten ihn in Ketten vor den türkischen Großwesir und fragten ihn: „Großer Ali Pascha, was sollen wir mit dem Gefangenen tun?“ „Führt ihn auf den Burgfelsen, wo die alte Eiche steht“, befahl der Großwesir, „ich werde euch folgen und dort über sein Schicksal entscheiden!“ Die Janitscharen führten Breuner unter lautem Triumphgeschrei an die bezeichnete Stelle und warteten dort auf ihren Heerführer. Der kam auch bald, trat auf Breuner zu und sagte zu ihm: „Du weißt, was in meiner Macht steht. Ich will aber die Entscheidung über deine Freiheit oder deinen Tod dir überlassen, denn du warst einer der tapfersten Krieger in deines Kaisers Heer. Wenn du nun auf unsere Seite trittst und ebenso tapfer kämpfst, sollst du leben.“ Breuner schoß über diese Zumutung die Flamme der Empörung ins Gesicht. „Ich bin ein österreichischer Soldat“, rief er, „und werde lieber sterben als einer fremden Fahne dienen!“ „Das gefällt mir“, erwiderte der türkische Wesir höhnisch, „ich habe von dir auch keine andere Antwort - 314 -
erwartet.“ Dann kehrte er sich den Janitscharen zu, wies auf die alte Eiche, und befahl ihnen: „Kettet ihn dort an den Baum, damit er das Schlachtfeld gut überschauen und zusehen kann, wie der Adler Österreichs vor dem Halbmond flieht.“ Kaum hatte Ali Pascha das letzte Wort gesprochen, da wurde Breuner auch schon von den Händen einiger Janitscharen gefaßt und zu der Eiche geschleppt. Dort wanden sie um ihn und den Stamm des Baumes eine schwere Kette und schmiedeten ihre beiden Enden zusammen. Nachdem dies geschehen war, befahl der Wesir auch noch sieben seiner rohesten Gesellen, bei Breuner Wache zu stehen. - 315 -
Dann sprengte er auf seinem kleinen, aber schnellen Pferd davon und warf sich an der Spitze seiner auf Tod und Leben kämpfenden türkischen Soldaten in das mörderische Schlachtgetümmel. Brenner aber sah von der Eiche aus, wie die Schlachtreihen hin- und herwogten, sah hüben die türkischen, drüben die österreichischen Reiter im wilden Gefecht, sah hier die Roßschweife des Wesirs und dort den Doppeladler des Prinzen Eugen die Reihen anspornen und hörte von beiden Seiten das Kampfgeheul wie mächtige Stürme brausen. Graf Breurier sah und hörte dies alles und betete inbrünstig um den endgültigen Sieg der Seinen. Plötzlich aber stürmten einige hundert aus frischen Wunden blutende Janitscharen den Burgfelsen hinan und riefen, als sie an der Eiche vorbeikamen, den Wächtern zu: „Flieht, flieht! Ali Pascha ist tot! Wir sind geschlagen! Bringt euch in Sicherheit!“ Doch ehe die Wächter von der Stelle wichen, legten sie noch rasch ihre Bogen an und jagten Breuner sieben Pfeile in die Brust. Zu Tode getroffen grüßte er noch mit letzter, versiegender Kraft die heranstürmenden österreichischen Kameraden, dann sank er tot zusammen. Noch Jahrhunderte später stand auf dem Hügel bei Peterwardein jene Eiche, an der Graf Breuner sein Leben ausgehaucht hatte. Ein schlichtes Holzgeländer umschloß sie, die längst nicht mehr rot war vom Blut des Helden, aber noch immer die Breuner-Eiche genannt wurde.
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DIE ÄHRENLESE Auf dem Schumich bei Groß-Schemlak im Banat stand einmal ein prächtiges Schloß. In ihm wohnte ein reicher und habgieriger Grundherr, dem alles Land in weitem Umkreis gehörte. Er war so hochmütig und hart, daß ihn nicht nur die fremden Leute fürchteten, sondern auch seine einzige Tochter Elisabeth. Als sie erwachsen war und sich vermählen sollte, fragte ihr Vater sie erst gar nicht nach ihren Wünschen, er erklärte ihr kurz und bündig, daß sie ihren Bräutigam nur aus reichem und angesehenem Haus wählen dürfe. Elisabeth aber liebte längst Heinrich, einen armen und tüchtigen Burschen aus dem nahen Dorf. Die beiden jungen Menschen hatten einander insgeheim auch schon geschworen, fürs Leben beisammen zu bleiben. Eines Tages faßte sich Heinrich ein Herz, er ging ins Schloß und bat den Vater des Mädchens ehrerbietig, er möge ihm Elisabeth zur Frau geben. Der Schloßherr starrte ihn zuerst verblüfft an, dann aber lachte er hellauf und antwortete höhnisch: „Du willst wohl sagen, daß dir das Leben hier heroben in meinem Schloß besser gefiele als in deiner armseligen Dorfhütte und daß es dir lieber wäre, an einer üppigen Tafel zu speisen, als mit den Mäusen das Brot zu teilen?“ Der Bursch erbleichte zwar, wagte aber doch zu erwidern: „Es geht mir weder um Euer Schloß noch um die üppige Tafel, sondern einzig um Eure Tochter. Ich kann arbeiten und das Brot für uns beide verdienen. Wir werden bestimmt glücklich werden!“ „Glücklich?“ wiederholte der Schloßherr höhnisch. „Glaubst du das wirklich? Du gefällst mir immer besser, Bursche! Noch besser gefielst du mir freilich, wenn du - 317 -
wenigstens nur sämtliche Körner besäßest, die heuer, wie jedes Jahr, nach der Ernte auf meinen Feldern liegenbleiben. Sieh zu, daß du sie alle einbringen kannst! Dann sollst du auch meine Tochter zur Frau bekommen.“ Nach diesen Worten kehrte er Heinrich den Rücken und ließ ihn stehen. Am nächsten Tag kam ein Bettelmönch ins Schloß und bat Elisabeth um ein Almosen. Weil sie ein gutes Herz hatte und niemals einen Armen von der Schwelle wies, eilte sie auch jetzt in die Küche, um für ihn etwas zum Essen zu holen. Als sie bald darauf mit einem Päckchen in der Hand zurückkehrte und es dem Armen reichte, kam gerade ihr Vater dazu. Er wurde vor Wut feuerrot im Gesicht und fuhr Elisabeth an: „Haben wir denn überhaupt keine Ruhe mehr vor diesem Bettelvolk?“ Dann aber sah er, daß seine Tochter verweinte Augen hatte, besann sich und sagte herablassend: „Also gut, nachdem ich gestern den einen Bettler davongejagt habe, magst du diesem hier etwas schenken, ich lege noch ein Geldstück dazu!“ Da beugte der Mönch vor dem Schloßherrn das silberhaarige Haupt und sagte demütig: „Ich danke Euch, Herr! Gott möge Euch tausendfach wiedergeben, was Ihr mir geschenkt!“ Der Schloßherr aber erwiderte hochfahrend: „Spar dir dein Sprüchlein, Alter! Auf meinen Feldern wächst so viel, daß ich deines Dankes und deiner Fürbitte nicht bedarf!“ Dann ließ er Elisabeth und den Mönch stehen und ging wieder seines Weges. Der Alte aber blickte das Mädchen forschend an, sah sein kummervolles Gesicht und fragte es, warum es denn so betrübt sei. Da erzählte ihm Elisabeth, daß ihr Vater den Burschen, der um ihre Hand angehalten, seiner Armut - 318 -
wegen verächtlich abgewiesen habe, daß sie aber nur ihn liebe und ohne ihn nicht glücklich werden könne. Der Mönch hörte ihr aufmerksam zu und sagte dann: „Ich will für euch beide beten. Vielleicht läßt euch Gott doch noch glücklich werden.“ Wenige Tage später begann auf den riesigen Feldern des Gutsherrn die Ernte. In der glühenden Hochsommerhitze schnitten die Knechte das reife Korn, und die Frauen und Mädchen banden es zu Garben zusammen und stellten diese in endlosen Reihen auf. Wieder einige Tage später schwankten die hochbeladenen Wagen von den Feldern in die Scheunen. Als aber die letzte Fuhre eingebracht war, ließen sich riesige Schwärme von Tauben, Wachteln, Rebhühnern, Spatzen und Lerchen auf den Stoppelfeldern nieder, pickten alle liegengebliebenen Körner und Ähren auf, flogen damit zur Hütte, in der Heinrich wohnte, und ließen sie dort wieder zu Boden fallen. Es kamen aber auch hunderte und aberhunderte Mäuse, Hamster und Hasen und halfen dabei mit. Es dauerte nicht lange, da wuchs der Berg der aufgelesenen und zusammengetragenen Körner und Ähren über das Dach der Hütte hinaus. Als dann der nächste Morgen anbrach, war auf den Feldern des Gutsherrn kein einziges Körnchen mehr zu sehen. Heinrich traute zuerst seinen Augen nicht! Dann aber dankte er Gott für das Wunder, das hier geschehen war. Noch am selben Tag ging er wieder ins Schloß, erzählte dem reichen Mann, was sich während der Nacht ereignet hatte, und hielt ein zweites Mal um Elisabeths Hand an. Der Schloßherr stieg gleich mit dem Burschen ins Dorf hinunter, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß Heinrich die Wahrheit gesprochen. Als - 319 -
er bald darauf vor dem riesigen Berg aufgelesener Körner und praller Ähren stand, da erkannte er, daß hier ein höherer Wille als der seine am Werk gewesen war. Er mußte, was er dem Burschen versprochen hatte, auch halten und gab ihm seine Tochter zur Frau.
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DER GARABONCZA Einst wanderte ein Garaboncza, ein herumziehender Gaukler, im Banat von Dorf zu Dorf, die Donau entlang. Trotz der Hitze hatte er einen zerlumpten, weiten Mantel an, auf dem Kopf trug er einen alten, rundum mit Federn besteckten Hut und auf dem Rücken einen Sack. Zum Schlafen legte er sich unter einen Baum, und wenn er Hunger hatte, bettelte er vor den Türen. Abergläubische Frauen schrieben ihm geheimnisvolle Kräfte zu und gaben ihm gern Brot, Speck, Milch oder Käse. Was er von ihnen bekam, gab er gleich in den Sack, zum Dank aber sagte er immer: „Du hast gegeben und sollst immer zu geben haben!“ Wenn ihn jedoch einmal eine geizige Bäuerin von der Tür wies und ihn anfuhr: „Es ist nichts da, schau, daß du weiterkommst!“, dann sagte er stets: „So soll auch bald wirklich nichts mehr da sein!“ Kam dann Unheil in ein Haus, raffte eine Seuche das Vieh hinweg, vernichteten Feuer, Hagel und Sturm das Hab und Gut der Menschen oder stieg gar die Donau über die Ufer und überflutete weitum das Land, dann gaben die abergläubischen Weiber jenen anderen die Schuld daran, die den Garaboncza herzlos abgewiesen hatten. Sie behaupteten, daß er darüber in Zorn geraten sei und aus dem Sumpf den Wasserdrachen heraufgelockt habe, damit er über das Land und die Menschen Not und Unglück bringe. Eines Tages nun begegnete dem Garaboncza auf der Landstraße ein hochbeladener, ochsenbespannter Heuwagen. Der Bauer saß ganz oben auf der Fuhre und döste vor sich hin. Da rief ihm der Garaboncza zu: „Laß mich aufsitzen und mitfahren! Heute ist es gar so heiß, - 321 -
und ich bin schon müde.“ Der Bauer hatte nichts dagegen einzuwenden und rückte auf dem Heu ein wenig zur Seite, so daß der Garaboncza auf den Wagen klettern und sich neben den Mann setzen konnte. Es dauerte jedoch nicht lange, da streckte sich der Gaukler in seiner ganzen Länge auf das Heu hin, zog sich den alten Hut übers Gesicht und sagte: „Ich kam während der Fahrt auch schlafen!“ Und bald begann er zu schnarchen. Der Bauer, der schon so manches über die Garabonczas erfahren hatte, war neugierig, was der Kerl neben ihm bei sich habe. Als er ihn nun so tief schlafen hörte, griff er rasch nach dem Sack, öffnete ihn und stöberte darin herum. Zuerst fand er nichts anderes als Brot und Speck, einen halbverschimmelten Käse und allerlei alten Kram. Dann aber stieß er auf ein schwarzes Büchlein, das seine Neugier erregte. Er öffnete es und sah auf jeder Seite ein Sprüchlein. Sollten dies alles Zaubersprüche sein? fragte sich der Bauer, und dann las er, was gleich auf der ersten Seite stand, und sprach jedes Wort halblaut vor sich hin: „Nicht mehr weiter im alten Trott, sondern hinauf mit Hü und mit Hott!“ Kaum aber hatte er das letzte Wort ausgesprochen, da erhob sich zu seinem Entsetzen der heubeladene Wagen mitsamt den Ochsen in die Luft und rollte der Sonne zu. Bald glich die Donau nur noch einem silbernen Band, dann gar nur einem dünnen silbernen Faden. Schließlich war von der Erde tief unten überhaupt nichts mehr zu sehen, denn zwischen ihr und dem Wagen lag eine dichte, weiße Decke aus Dunst und Wolken. Hoch oben aber stand ungeheuer groß die Sonne. Sie brannte so - 322 -
heiß, daß der Bauer vor Angst, sie könnte das Heu auf dem Wagen in Flammen setzen, den schlafenden Garaboncza am Arm faßte und schrie: „Wach doch auf und hilf mir!“ Als der Gaukler sah, was der Bauer mit seiner Neugierde angerichtet hatte, fuhr er ihn wütend an: „Was hattest du denn in meinen Sachen zu kramen?“ Zugleich riß er ihm das schwarze Buch aus der Hand, schlug darin die nächste Seite auf und las mit lauter - 323 -
Stimme: „Nicht mehr hinauf mit Hü und mit Hott, sondern weiter im alten Trott!“ Und schon glitt der Wagen aus der Höhe langsam wieder tiefer und tiefer hinab, die Sonne brannte immer weniger heiß, die Wolkendecke löste sich in nichts auf, und schließlich rollten die Räder auf der staubigen Landstraße dahin. Der Garaboncza steckte das schwarze Büchlein wieder in den Sack und sagte zu dem Bauern: „Es war höchste Zeit, daß du mich geweckt hast. Ein paar Augenblicke später wären wir alle verbrannt und als Asche vom Himmel gefallen!“ Dann sprang er vom Wagen hinunter und schlenderte seines Weges. Der Bauer aber wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und brauchte noch lange, um sich von dem erlebten Schreck zu erholen.
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TROJAN, DER FÜRST DER NACHT Im serbischen Volk lebte einmal ein Fürst namens Trojan. Er bewohnte ein uraltes Schloß und durfte niemals die Sonne sehen, denn schon an der Wiege war ihm vorausgesagt worden, daß sie ihn einmal töten würde. Deshalb schlief er den ganzen Tag und stand erst nach Sonnenuntergang auf. Dann aber ließ er sein Pferd satteln und ritt im Schein des Mondes und unterm Glanz der Sterne durch die weiten Wälder und Auen, über die Berge und durch die Täler des Landes. Wenn es ihm beliebte, erschien er irgendwo zu frohem Spiel oder ernstem Kampf. Verblaßten aber Mond und Sterne, dann ritt er eilig heim, denn noch vor Sonnenaufgang mußte er wieder in seiner Burg sein. Die Serben nannten ihn „Fürst der Nacht“. Eines Abends nun wollte Serbiens kühnster Held, Marko Kraljevic, den Fürsten der Nacht besuchen. Weil aber Trojan schon ausgeritten war, entschloß sich Marko, über Nacht in der Burg zu bleiben und dem Freund erst am nächsten Morgen seine Aufwartung zu machen. Doch der Morgen begann zu grauen, und Trojan war noch nicht nach Hause gekommen. Da fragte Marko den ersten Diener des Fürsten: „Wo mag denn dein Herr so lange bleiben?“ „Er ist gewiß wieder zu dem alten Jurko geritten“, erwiderte der Diener. „Der Graukopf erzählt ihm gern von jenen Zeiten, da wir Serben noch ein großes, mächtiges Volk gewesen sind. Hoffentlich ist mein Herr früh genug zur Heimkehr aufgebrochen!“ Dabei blickte er besorgt nach dem östlichen Himmel. »Wo wohnt der alte Jurko?“ fragte Marko Kraljevic weiter. - 325 -
„Jenseits des Waldes, den Ihr vor uns seht“, erwiderte der Diener, „ganz nahe dem Strom.“ Marko Kraljevic blickte in die Richtung, in die der Diener wies und sagte: „Das ist ja gar nicht weit. Sattle rasch meinen Sarac, ich werde hinreiten und deinen Herrn holen!“ „Bleibt lieber in der Burg, edler Herr“, erwiderte jetzt der Diener sehr besorgt. „Im Wald hausen böse Vilen, die könnten Euch gefährlich werden.“ Marko Kraljevic lachte hellauf und sagte: „Glaubst du vielleicht, daß ich sie fürchte? Ich werde mit ihnen schon fertig werden. Bring mir nur gleich mein Roß!“ Da ging der Diener in den Stall, sattelte den Schecken und führte ihn auf den Hof. Marko schwang sich sogleich in den Sattel und gab dem Roß die Sporen. Und schon jagte es zum Tor hinaus und dem Wald zu, daß der Wind dem Reiter um die Ohren pfiff. Der aber hatte sich seine Lammfellmütze, den Kaipak, über die schwarzen Locken tief ins Gesicht gezogen und sich ganz auf die flatternde Mähne des Pferdes gebeugt. Seine Brust schützte ein goldenes Panzerhemd, im Gürtel hatte er den Handschar stecken und um die Schultern trug er einen Mantel aus dem Fell eines Bären, den er selber erlegt hatte. Doch kaum war Marko Kraljevic in den Wald gekommen, da geriet er auch schon in ein undurchdringliches Dickicht. Jetzt stieg er aus dem Sattel, zog den Handschar aus dem Gürtel und schlug damit sich und seinem Pferd einen Pfad durch das dichte Gestrüpp. Bald aber mußte er mit Entsetzen erkennen, daß er sich verirrt hatte. Während er nun versuchte, wieder auf den richtigen Weg zu kommen, sah er plötzlich ganz nahe vor sich ein silbernes Leuchten. Er war zu einem Donauarm - 326 -
gekommen, der sich mitten in der Au seeförmig erweiterte. Marko führte sein Pferd ans Ufer, und weil er schon recht durstig war, holte er sein Trinkhorn hervor, um es mit Wasser zu füllen. In diesem Augenblick aber rief ihm von oben eine Stimme warnend zu: „Trink nicht aus dem See! Die Wasservila schläft im Erlengebüsch, wenn sie erwacht und dich sieht, bist du des Todes!“ Marko blickte empor, sah aber nur eine weiße Wolke. Da dachte er, es ist die Wolkenvila, die mich warnt, und beugte sich trotzdem auf den Wasserspiegel nieder und füllte das Horn. Kaum hatte er es wieder aus dem See genommen, da erwachte die böse Vila und trat in ihrem grauen Schleiergewand auf ihn zu. Sie trug einen Köcher voller Pfeile im Gürtel, eine giftige Schlange am Arm und einen Kranz aus Schilf und Wasserrosen auf dem schwarzen Haar. „Verlasse auf der Stelle mein Reich“, rief sie ihm zu, „oder ich schicke alle Schrecken des Waldes über dich!“ Marko Kraljevic, der noch vor keiner Gefahr geflohen war, achtete nicht auf die Drohung, hob sein volles Hörn und rief spöttisch: „Auf dein Wohl, schöne Wasserfee!“ Dann stillte er mit einigen kräftigen Zügen seinen Durst. Die böse Vila aber stieß einen gellenden Ruf aus, und schon wurde es ringsum schauerlich lebendig. Eulen, Krähen und Dohlen kamen in Scharen dahergeflogen und umflatterten krächzend den Helden. Mächtige Adler und Geier stürzten auf ihn herab, und heulende Wölfe brachen aus dem Dickicht, um ihn anzufallen. Auf einem nahen Baum duckte sich ein Luchs zum Sprung auf den Hals des Pferdes, und durch das Gras raschelten - 327 -
gräßliche Schlangen heran, um Roß und Reiter durch ihre giftigen Bisse zu töten. Marko aber kannte weder Angst noch Schrecken. Trotz aller Gefahren, die ihn bedrohten, hob er sein Hörn ein zweites Mal und rief der Vila zu: „Auf dein Wohl, schöne Wasserfee!“ Und wieder tat er einige kräftige Züge von dem kühlen Donauwasser. Darüber geriet die Vila in heftigen Zorn. Sie wand die Schlange vom Arm und befahl ihr: „Töte ihn!“ In diesem Augenblick der höchsten Gefahr erschien über Markos Haupt die Wolkenvila, die ihn schon früher gewarnt hatte, breitete einen dicken, weißen Mantel über den Helden und entzog ihn so den Blicken seiner gefährlichen Feinde. Dann ließ sie ihn das Ufer der Donau und Jurkos Schloß finden, das sich dort in den Wellen spiegelte. Marko stieg sogleich vom Pferd und eilte ins Schloß. Drinnen saßen Trojan und der alte Jurko an einem Tisch und spielten mit Würfeln. Sie waren so vertieft, daß sie den Eintretenden gar nicht bemerkten. Da rief Marko: „Fürst Trojan, hör auf zu spielen, es rötet sich schon der Himmel!“ Jetzt erst blickte sich Trojan nach ihm um, dann sah er zum Fenster hinaus, warf die Würfel auf den Tisch und eilte aus dem Gemach. Wenige Augenblicke später sprengte er bereits auf seinem Roß aus der Burg, und Marko folgte ihm. Kaum aber waren sie eine Strecke Wegs geritten, da stieg der glühende Ball der Sonne über den Horizont. Immer heißer trafen ihre Strahlen die Reiter. Schließlich sprang Trojan aus dem Sattel und rief Marko zu: „Wenn mich die Sonne noch länger bescheint, bin ich verloren! Ich muß hierbleiben und mich auf den taufeuchten Boden legen. Deck mich mit deinem Mantel - 328 -
zu!“ Da zog Marko seinen Bärenfellmantel von den Schultern, breitete ihn über Trojan und sagte dabei: „Ich bleibe bei dir, bis es Abend wird. Dann reit’ ich mit dir heim.“ Trojan lehnte aber diesen Freundesdienst ab und erwiderte: „Laß mich nur allein! Kein Serbe soll seinen Fürsten leiden sehen!“ So band denn Marko das Pferd Trojans an den Knauf seines Sattels und ritt dann auf seinem Sarac davon. Als ihn die Diener allein in die Burg zurückkehren sahen, fragten sie ihn besorgt: „Wo ist denn unser Herr?“ Und Marko antwortete: „Er hat auf Jurkos Schloß versäumt, vor Tag aufzubrechen und mußte sich vor der Sonne verbergen. Ich hab’ ihn mit meinem Mantel bedeckt und werde am Abend zu ihm zurückreiten.“ „Habt Ihr ihn denn nicht rechtzeitig zur Heimkehr mahnen können?“ fragte der erste Diener erstaunt. „Das ist mir nicht mehr geglückt“, erwiderte Marko, „die böse Wasservila hat mich mitten im Wald viel zu lange aufgehalten.“ Als die Diener dies hörten, sahen sie einander erschrocken an. Dann schlichen sie bedrückt davon. Auf dem halben Weg aber zwischen der Burg und der Donau lag Trojan auf dem feuchtkalten Boden. Die Sonne stieg immer höher und höher empor, beschien den Mantel, der den Fürsten der Nacht bedeckte, und trocknete und erwärmte auch die Erde darunter, daß Trojan sich vor Schmerzen wand. Um die Mittagszeit trieben zwei junge Hirten, die noch nicht lange im Land waren, ihre Herden vorüber. Sie erblickten den Bärenfellmantel und hoben ihn auf. Wie erstaunt aber waren sie, als sie darunter einen fremden Mann liegen sahen, der am ganzen Leib zitterte - 329 -
und sie bat: „Bedeckt mich doch wieder, sonst verbrennt mich die Sonne!“ Die beiden Hirten glaubten, der Mann wäre nicht bei Sinnen, und lachten. Der ältere von den beiden warf sich gleich den wertvollen Mantel über die Schulter, ging damit davon und rief Trojan zu: „Wenn du ihn wieder haben willst, dann hol ihn dir!“ Gleich darauf verschwanden beide in der Staubwolke, die die Herde hinter sich aufgewirbelt hatte. Trojan, der Fürst der Nacht, lag nun in der glühenden Sonne, und der Schweiß brach ihm aus allen Poren. Bald bedeckten seinen Körper Millionen und Millionen Wasserperlen, und schließlich wurde er ganz zu Wasser. Das sickerte in die Erde ein oder verdunstete in der Sonne. Als es endlich Abend geworden war, kam Marko, Trojans Pferd am Halfter haltend, wieder auf seinem Sarac dahergeritten. Er fand aber weder seinen Mantel noch den Fürsten der Nacht. Da kniete er auf dem Boden nieder und beweinte den verlorenen Freund.
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DIE ERBSCHAFTSTEILUNG Als einst ein Fürst der Serben gestorben war, teilten seine beiden Söhne Dmiter und Bogdan die Erbschaft unter sich auf. Dmiter erhielt riesige Ländereien und das ganze Banat an der Donau, Bogdan das flache Sirmien, das Savegebiet und einen großen Teil von Serbien. Sogar die Festung Belgrad teilten sie brüderlich, der eine nahm den unteren Teil mit dem Nebojscha-Turm, der andere den oberen mit der Kirche Ruschitza. Nur über einen kleinen Rest des reichen Erbes, über den Besitz eines schwarzen Rosses und eines grauen Falken, konnten sie sich nicht einigen. Dmiter glaubte, als der Ältere einen größeren Anspruch darauf zu haben, Bogdan aber wollte das Vorrecht der Erstgeburt nicht anerkennen. Darüber gerieten sie miteinander in so heftigen Streit, daß sie sich haß- und wuterfüllt voneinander trennten. In der nächsten Nacht lag Dmiter stundenlang wach und brütete Rache. Schließlich faßte er einen schrecklichen Plan. Er stand zeitig auf und nahm den Falken und das schwarze Roß, um auf die Jagd zu reiten. Bevor er jedoch in den Sattel stieg, nahm er seine Gemahlin beiseite und sagte zu ihr: „Höre, Angelia! Bogdan will mir als dem Älteren den Besitz des Rappen und des Falken nicht gönnen. Ich sähe keinen anderen Ausweg, als den Bruder beiseite zu schaffen. Willst du noch länger mein Eheweib sein, mußt du ihn vergiften. Bei meiner Heimkehr am Abend darf er nicht mehr leben!“ Angelia erschrak über diesen Auftrag so sehr, daß sie kein Wort über die Lippen brachte. Dmiter aber nahm Bogen und Pfeile an sich, eilte auf den Hof, schwang sich - 331 -
auf das Pferd und ritt mit dem Falken auf der Faust zum Tor hinaus. Angelia stand am Fenster und blickte ihm nach. Es war ihr unfaßbar, daß Dmiter ein solches Verbrechen von ihr verlangte und ihr drohte, sie aus dem Hause zu jagen, wenn sie seinen Auftrag nicht erfülle. Unentwegt grübelte sie, wie sie den unseligen Zwist zwischen den beiden Brüdern schlichten und sie wieder miteinander versöhnen könnte. Sie kannte den unbeugsamen Stolz der beiden Männer, von denen keiner vor dem ändern zurücktreten und nachgeben würde. Endlich glaubte sie einen Ausweg gefunden zu haben. Sie holte aus dem Schrein einen kostbaren goldenen Becher, den sie von ihrem Vater als Hochzeitsgabe erhalten und aus dem sie mit Dmiter bei der Trauung den geweihten Wein getrunken hatte, stieg in den Keller hinab und füllte ihn mit dem besten Wein. Dann ging sie damit zu Bogdan, neigte sich vor ihm tief und bat ihn: „Nimm diesen Becher, lieber Schwager! Er ist das Kostbarste, das ich besitze, und schenke mir dafür das schwarze Roß und den Falken, um die ihr Brüder miteinander gestritten habt!“ Bogdan erkannte, welch großes Opfer Angelia brachte, um Frieden zu stiften. Er reichte ihr die Hand und sagte gerührt: „Du hast ein edles Herz, Angelia. Ich will deinen Wunsch erfüllen. Dein sei Roß und Falke! Tu mit ihnen, was dir gefällt.“ Dmiter war zu dieser Zeit noch immer im Walde, hatte aber noch kein einziges Tier erjagt. Als es schon gegen Abend ging, kam er auf eine Lichtung und zu einem Weiher. Auf dem Wasser schwamm eine goldgeflügelte Ente, die sich sogleich hoch in die Lüfte erhob. Schnell riß er dem Falken die Kappe ab und ließ ihn steigen. - 332 -
Doch kaum war der jagende Vogel in die Nähe der Ente gekommen, da wandte sie sich wütend gegen ihn, brach ihm im Kampfe einen Flügel, und der Falke stürzte ins Wasser. Als Dmiter das sah, sprang er vom Pferd, warf das Gewand von sich und holte das wunde Tier, das hilflos auf dem Wasser trieb und unterzugehen drohte, ans Land. Dann fragte er den Falken voll Mitleid: „Wie fühlst du dich, armer Vogel, mit nur einem Flügel?“ - 333 -
Da sprach der Falke: „So wie ein Bruder ohne den Bruder!“ Jetzt erwachte Dmiters Gewissen. Er bereute, was er seinem Weibe befohlen hatte. Voll Angst schwang er sich mit dem verletzten Falken in den Sattel und sprengte, so schnell das Roß konnte, heimwärts, um die schreckliche Tat noch zu verhindern. Als er aber über die hölzerne Donaubrücke jagte, trat das Pferd durch eine morsche Stelle, stürzte und brach sich ein Bein. Da riß ihm Dmiter rasch den schweren Sattel vom Rücken, nahm ihn auf die Schulter und lief zu Fuß weiter. Schweißbedeckt und atemlos kam er zu Hause an, eilte ins Gemach seiner Frau und rief ihr zu: „Um Gottes willen, du hast doch meinen Bruder nicht vergiftet?“ Da trat Angelia lächelnd auf ihn zu und sagte: „Sei unbesorgt, Dmiter! Ich fand einen anderen Weg, den Streit zu enden. Jetzt ist alles wieder gut!“ Und sie erzählte ihrem Gemahl, was sie getan und daß Bogdan auf das schwarze Roß und den grauen Falken verzichtet hatte. Nun war Dmiter von der schrecklichen Angst um den Bruder befreit. Erleichtert atmete er auf und schloß sein Weib dankbar in die Arme. Dann ging er zu seinem Bruder, um ihm die Hand zur Versöhnung zu reichen.
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DER BABAKAJFELSEN Beim Städtchen Bazias betritt die Donau rumänisches Land. Viele Stunden lang engen finstere, schroffe Wände ihren Weg ein, sie tost und schäumt, spritzt hoch auf und hämmert an die steilen Ufer. Wie eine ungeheure, gereizte Schlange windet sie sich kriechend an schroffen Krümmungen und trotzigen Felsstürzen vorbei und über Klippen und Steinblöcke hinweg. Wo sie am wildesten tobt, ragt mitten auf ihrem Weg ein nackter Felsen empor. Die Türken, die einst auch dieses Gebiet ihr eigen nannten, gaben ihm den Namen Babakaj, das heißt „Das schreiende Weib“. Von ihm erzählt die Sage: Ein alter, grausamer Bei hatte einmal ein junges, schönes Mädchen in seinen Harem gesperrt. Das Mädchen aber fühlte schreckliche Abscheu vor ihm und dachte immer nur an Flucht. Ein Palasthüter, der die Arme hinter dem vergitterten Fenster oft bitterlich weinen sah, empfand Mitleid mit ihr und beschloß, sie zu befreien. Nachdem er sich insgeheim mit ihr verständigt hatte, führte er sie eines Nachts durch eine kleine Hinterpforte aus dem Palast und gab ihr andere Kleider, damit sie unerkannt fliehen könne. Da aber wurden sie entdeckt, ergriffen und vor den Bei gebracht. Der ließ in seinem grimmigen Zorn den Palasthüter auf der Stelle töten, das Mädchen aber am nächsten Morgen in einem Boot zu dem Stein mitten in der Donau bringen und dort anketten. Nachdem die schwarzen Sklaven des Fürsten seinen Befehl ausgeführt hatten, fuhren sie wieder davon und ließen das Mädchen allein. Nun war es einem grausamen Schicksal überlassen. Tage- und nächtelang wartete und hoffte es, daß - 335 -
vorbeifahrende Schiffer mit ihm Erbarmen haben und es retten würden. Als aber kein Schiff kam, schrie es in seiner Verzweiflung, so laut es konnte, um Hilfe. Doch das Rauschen und Brausen der anprallenden Wellen und das Pfeifen und Heulen des Sturms, der durch das enge Felsental jagte, waren noch tausendmal lauter als die Stimme des Mädchens. Schließlich nahm es der Tod in seine Arme und befreite es von allen Schrecken und - 336 -
Qualen. Seit damals sind hunderte Jahre vergangen, doch immer noch glauben die Schiffsleute, die am Babakajfelsen vorbeifahren, im Heulen des Sturms und im Brausen des Stroms die Hilfeschreie jenes armen Mädchens zu hören.
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DIE GOLUBACER MÜCKEN In der Nähe der verfallenen serbischen Feste Golubac, die das erste christliche Bollwerk gewesen war, das Sultan Bojazid II. erobert hatte, befindet sich eine Felsenhöhle. Aus ihr schwärmen im Sommer Millionen und Abermillionen Mückeft in die Gebiete zu beiden Seiten der Donau, wo sie durch ihre giftigen Stiche den Menschen und Tieren gefährlich werden. Darüber weiß die Sage folgendes zu erzählen: Am Ende des dritten Jahrhunderts lebte in der Walachei ein König, dessen junge, liebreizende Tochter von einer geheimnisvollen Krankheit befallen war. Keiner der weisen Männer des Landes wußte ein Mittel, sie wieder gesund zu machen. Eines Tages aber trat ein uralter Mann vor den König hin und riet ihm: „Laß doch deine Tochter in unserem heiligen Brunnen baden! Sein Wasser hat schon manches Wunder bewirkt. Vielleicht wird sich seine heilende Kraft auch an deinem Kinde erweisen. Du mußt dem Mädchen aber bewaffnete Männer mitgeben, denn in der Gegend rings um den heiligen Brunnen treiben gefährliche Tiere ihr Unwesen.“ Dieser Rat erfüllte den König mit neuer Hoffnung, und noch am selben Tag schickte er seine Tochter mit Hofdamen und einer Schar Männer auf die Reise zum heiligen „Brunnen. Zur selben Zeit lebte hoch über der Felsenschlucht, in der sich der Brunnen befand, ein junger, frommer und kühner Ritter namens Georg. Während die Tochter seines Königs mit ihrem Hofstaat schon in die Nähe der wundertätigen Quelle gekommen war, lag er gerade oben im Schatten einer Eiche. Er hatte die Lanze an den - 338 -
Stamm des Baumes gelehnt, ließ seinen Schimmel grasen und genoß seine Rast. Plötzlich hörte er aus der Tiefe der Schlucht gellende Schreie. Er sprang sogleich auf, trat an den Rand der Felswand und blickte in die Schlucht hinunter. Plötzlich sah er einen Drachen, der mit den Pranken gegen eine Schar bewaffneter Reiter hieb und sie wie dürre Halme zu Boden mähte. Ein Häuflein entsetzter - 339 -
Frauen aber schrie um Hilfe und versuchte, sich vor dem Ungeheuer in Sicherheit zu bringen. Da gab es für den kühnen Ritter kein langes überlegen: Er griff nach seiner Lanze, schwang sich auf den Schimmel, drückte ihm die scharfen Sporen in die Weichen, daß das Tier sich bäumte, und sprang auf ihm in die grausige Tiefe. Der Sprung glückte! Unten angekommen, ritt Georg sogleich mit eingelegter Lanze gegen den schrecklichen Drachen los, der soeben feuerspeiend an die ohnmächtig auf dem Boden liegende Königstochter heranstampfte. Der Ritter war aber schneller als das Untier und stellte sich ihm in den Weg. Nun begann ein Kampf auf Leben und Tod. Mutig und gewandt griff Georg den wütenden Drachen immer aufs neue an und stieß ihm endlich die Lanze durch den Schuppenpanzer mitten ins Herz hinein. Ein mächtiger Blutstrahl entsprang der Wunde. Der Drache krümmte sich vor Schmerzen, schlug aber selbst im Todeskampf noch mit seinem Schweif so wild um sich, daß er alle Bäume in seiner Nähe umriß. Schließlich aber fiel er doch tot hin. Bald darauf kam die Königstochter wieder zu sich, und sie und ihre Hofdamen dankten dem kühnen Ritter, daß er ihnen das Leben gerettet hatte. Georg aber wollte von Worten des Dankes nichts wissen. Er geleitete die Tochter seines Königs noch zum heiligen Brunnen, wartete, bis sie gebadet hatte, und blieb ihr auch auf der Rückkehr in die königliche Burg als Beschützer zur Seite. Sein Heimweg führte ihn wieder durch die Felsenschlucht, in der der tote Drache lag. Den ganzen ungeheuren Kadaver beiseite zu schaffen, vermochte Georg nicht. So trennte er ihm nur das Haupt - 340 -
vorn Rumpfe und warf es wegen seiner Scheußlichkeit in eine nahe Höhle. Die Königstochter wurde bald wieder gesund. Die Kunde von dem wunderbaren Sieg des Ritters Georg über den furchtbaren Drachen verbreitete sich weitum durch alle Länder im Westen und Osten. Und obgleich er seine Unerschrockenheit und Treue später noch durch viele tapfere Taten bewies, ist er bis heute auf allen Bildern, die man von dem frommen Helden anfertigte, im Kampf mit dem Drachen dargestellt. Weil aber Böses wieder nur Böses zeugt, so entstanden im verwesenden Drachenschädel ungeheure Mengen giftiger Mücken. Sie schwärmten aus der Höhle ins Freie, überfielen das weidende Vieh und töteten es durch ihr Gift. Noch heutzutage sind die Golubacer Mücken eine von Menschen und Tieren gefürchtete Plage.
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JIANU, DER GROSSE RÄUBERHAUPTMANN Im neun Kilometer langen Kazanpaß wird die Donau, die hier fast fünfzig Meter tief ist, von hohen Felswänden bis auf eine Strombreite von 170 Meter eingeengt. An ihrem linken Ufer führt die kunstvoll angelegte Szechenystraße, auf ihrem rechten die schon von dem römischen Kaiser Trajan zu Beginn des 2. Jahrhunderts angelegte Trajanstraße durch die schaurigschöne Talenge. Einer der Orte an dieser Straße hieß Caracal. Dort lebte einmal ein Bojar namens Jancu Jianu, der die Griechen wütend haßte, weil sie seine Heimat wie ein riesiger Heuschreckenschwarm überfallen hatten. Sie taten und trieben, was sie wollten. Den alteingesessenen Bojaren nahmen sie Hab und Gut weg und verteilten es unter die Ihren. Die Töchter der Bojaren wurden gezwungen, griechische Männer zu heiraten. Auch die ärmsten Bauern wurden ausgeplündert, solange sie noch ein Stück Vieh oder einen Sack Korn besaßen. Es gab weder Recht noch Gerechtigkeit, weder Sitten noch Anstand. So stieg denn der Jammer von Tag zu Tag und mit ihm auch die Verbitterung der Menschen. Auch Jancu Jianu hatte alles verloren, und weil er sich dafür an den Griechen rächen wollte, aber kein Heer dazu besaß, so wurde er der Anführer einer ansehnlichen Schar verwegener Räuber. Mit ihm an der Spitze, zogen sie sengend und plündernd durch das Land. Vor allem fielen sie über jene Gutshöfe her, auf denen jetzt die griechischen Eindringlinge saßen, nahmen ihnen das Vieh und die Ernte weg und linderten damit die Not der kleinen Bauern und Armen. Am liebsten überfiel Jancu - 342 -
Jianu mit seiner Räuberschar die verhaßten Griechen in stürmischen Winternächten, da konnte er mit seinen Leuten im dichten Schneetreiben so schnell wieder verschwinden, als hätte sie der Erdboden verschluckt. Eines Tages aber gelang es den Feinden doch, ihn gefangenzunehmen. Sie fesselten ihm die Hände auf den Rücken und führten ihn vor ihren Fürsten Caragea. Der unterzog ihn nur einem kurzen und strengen Verhör und verurteilte ihn dann zum Tode durch den Strang. - 343 -
Der Galgen wurde gegenüber dem fürstlichen Palaste aufgerichtet. Nachdem dies geschehen war, wurde Jianu mitten durch eine große Menge Volkes, das jetzt nicht wagte, seiner Wut Luft zu machen, zur nahen Hinrichtungsstätte geführt. Kaum aber hatte Jianu seinen Fuß auf die erste Sprosse der Leiter gesetzt, auf der er zum Galgen emporsteigen sollte, da hielt ihn der Henker zurück. Er legte Jianu zwar noch den Strick um den Hals, rief aber dann mit lauter Stimme in das Volk: „Nach dem Gesetz der Griechen ist jeder zu begnadigen, der unter dem Galgen zum Manne begehrt wird. Ist eines unter den Mädchen, das Jancu Jianu, der zum Tode verurteilt worden ist, heiraten will?“ Doch keines der vielen Mädchen wagte, aus der Menge hervorzutreten. Da fragte der Henker noch lauter: „Ist keines unter euch?“ Aber auch jetzt folgte nur tiefes Schweigen. Jancu Jianu blickte verächtlich in die Menschenmenge. Da aber öffnete sich die Pforte des Palastes, die Tochter des Fürsten Caragea selbst trat auf den Platz und schritt, schön wie die Morgenröte, zur Richtstätte hin. Dort angekommen, legte sie ihre Rechte auf die Schulter des Verurteilten und sprach mit fester Stimme: „Ich bin bereit, Jancu Jianu zum Manne zu nehmen!“ Jetzt brach das Volk in hellen Jubel aus und trug Jancu und seine tapfere griechische Braut auf den Schultern vom Richtplatz in den Palast. Schon wenige Tage später heirateten sie, und Jancu Jianu wurde von den Bojaren zum Subpräfekten erhoben. Unter ihm herrschten strenge Zucht und Ordnung. Kein - 344 -
Dieb und kein Räuber ließ sich in seinem Distrikt blicken. Er stand bis zu seinem Tode in Amt und Würden und blieb der Held seines Volkes bis in unsere Tage.
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DIE BEIDEN SCHWESTERN Bald nachdem die Donau aus der Enge des Kazanpasses hinausgetreten ist und wieder durch breitere Gefilde fließt, liegt an ihrem linken Ufer die Stadt Orsova. Hier mündet auch die dunkle Cerna in den Strom. Sie entspringt in den südlichen Karpaten und vereinigt sich zu Füßen eines Gebirgsstockes, der die Bäder von Mehadia voneinander trennt, mit ihrer hellen Schwester Belareka. Vor urdenklichen Zeiten gehörten diese beiden Bäche zwei wunderschönen Wasserfeen gleichen Namens, die gern Hand in Hand dahinliefen und sich niemals voneinander trennen wollten. Eines Tages jedoch verliebte sich der Berggeist in die dunkle Cerna. Sie aber wollte von ihm nichts wissen und verlachte ihn nur. Darüber wurde er so zornig, daß er einen hohen Berg zwischen die beiden warf, damit künftig jede nur allein und die andere suchend durch das Land laufen müsse. Der mächtige Geist hoffte nun im stillen, das Herz der geliebten Cerna doch noch erobern zu können. Er lockte sie in das Innere des Berges, zeigte ihr dort, was er an glänzendem Golde besaß, und sagte zu ihr: „Sobald du mein Weib wirst, schenke ich dir von diesen Schätzen, soviel du willst!“ Cerna tat nun, als hätte sie sich besonnen, und nahm seine Werbung an. In seiner grenzenlosen Freude darüber begann der Berggeist sogleich mit den Vorbereitungen zum Hochzeitsfest. Er schmückte die beiden Ufer des Baches mit blühenden Bäumen, bunten Blumen und duftenden Krautern und rief unzählige gefiederte Musikanten in die Bergwälder, damit sie rechtzeitig für das festliche Konzert am Hochzeitstag übten. Und - 346 -
wirklich, kaum hatten sie sich in den Wipfeln niedergelassen, da begann auch schon ein vielstimmiges Singen und Jubilieren, ein Flöten und Tirilieren, das vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang währte. Indes aber der Berggeist mit den Vorbereitungen für die Hochzeit noch alle Hände voll zu tun hatte, lief die listige Cerna unentwegt durch den Berg und nahm sich von dem gleißenden Gold, soviel sie in der Eile erraffen konnte. Dabei fiel ihr auch der Zauberstab in die Hände, der ihrem Bräutigam die Macht über sie und alles Leben und Weben in der Welt der Berge gab. Kaum hatte sie ihn in ihren Händen, da spaltete sie mit ihm das Gebirge, das die eine Schwester von der anderen so lange getrennt hatte, und nun liefen sie wieder, aufs innigste vereint, der Donau entgegen. Die nahm sie mit Freuden an das wogende und schäumende Herz. Erst jetzt erkannte der gewaltige Geist, daß ihn die listige Cerna hintergangen hatte. Ohne den Zauberstab aber konnte er ihr nicht mehr viel anhaben. In seiner ohnmächtigen Wut packte er bloß einen Felsblock und warf ihn ihr in den Weg. Dadurch entstand ein tiefes Loch, in dem häuften sich die Körner Goldes, die ihm die Ungetreue noch immer aus seinem geheimnisvollen Reich entführte. Viele davon holte sich der zornige Berggeist wieder zurück, nur einzelne, die er übersah, blieben liegen. So findet man auch noch heute Spuren von Gold im Flüßchen Cerna.
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DIE GOLDENE FORELLE Donauabwärts von Orsova schiebt sich unter dem Wasserspiegel eine fast zwei Kilometer lange, unsichtbare Felsbank, das Eiserne Tor, in das Bett des Stromes. Noch vor Jahrzehnten war sie für die Schiffahrt ein gefährliches Hindernis. Später aber sprengten die Menschen eine schmale Fahrrinne heraus, seitdem strömt die Donau durch sie mit ungeheurer Kraft in das Tiefland der Walachei. Es wird erzählt, daß vor vielen tausend Jahren drei Schwestern aus der Gegend dieses Eisernen Tores zu jener Stelle kamen, wo sich die beiden Flüßchen Cerna und Belareka vereinigen. Die Mädchen ließen sich zur Rast am Ufer nieder, lachten und scherzten eine ganze Weile und beugten sich dann über das Wasser, um davon zu trinken. Als sie dabei zum erstenmal auch ihr Spiegelbild erblickten, mußten die zwei älteren zu ihrem Schrecken feststellen, daß Luzinde, die jüngste, auch die schönste von allen dreien sei. Dies erregte den Neid der anderen so sehr, daß sie heimlich beschlossen, sich von Luzinde zu trennen und sie in der einsamen Gegend allein zu lassen. Um nun dieses böse Vorhaben gleich auszuführen, schlugen sie ihrer jüngsten Schwester vor, ein wenig zu schlafen. Luzinde war damit einverstanden. So streckten sich denn alle drei am Ufer hin, und als die jüngste fest schlief, schlichen die beiden älteren Mädchen davon. Luzinde erwachte erst, als es bereits Abend geworden war. Sie blickte um sich, sah aber nirgends ihre beiden Schwestern. Da rief sie nach ihnen so laut sie konnte, erhielt jedoch keine Antwort. Jetzt wurde ihr mitten in der weiten Einsamkeit angst und bange. Sie lief dahin - 348 -
und dorthin, fand aber von ihren Schwestern keine Spur. Plötzlich vernahm sie hinter sich ein unheimliches Geräusch, als sie sich jäh umwandte, stockte ihr vor Schreck fast das Herz, denn ein scheußlicher Drache mit glühenden Augen und weitaufgerissenem, feuerspeiendem Rachen tappte auf sie zu. Luzinde schrie entsetzt auf, kehrte ihm den Rücken und lief so rasch sie konnte davon. Der Drache aber folgte ihr und kam ihr bald so nahe, daß sie schon seinen glühenden Atem verspürte. Da sprang Luzinde in ihrer Angst und Verzweiflung in die Cerna. Die Fee des Flusses aber erbarmte sich ihrer und verwandelte sie sogleich in eine goldene Forelle. Der Drache stand nun keuchend und schnaubend am Ufer und glotzte wütend, wie das Fischlein - 349 -
davonschnellte. Dann beschnupperte er das Gras und fand die Spur der beiden anderen Mädchen, die schon längst den Heimweg angetreten hatten und inzwischen bis vor Turn-Severin gelaufen waren. Dort überkam sie solche Müdigkeit, daß sie rasten mußten. Ihr schlechtes Gewissen ließ sie nicht lange ruhen, immer wieder blickten sie auf den Weg zurück, den sie hierhergekommen waren, ob ihnen die verlassene Schwester nicht doch folge. Plötzlich aber begann die Erde zu beben, und dann stampfte der furchtbare Drache hinter ihnen einher. Als sie das Untier so geradewegs auf sich zukommen sahen, erstarrten sie vor Schreck beide zu Stein. Diese zwei Steine ragen noch heute vor Turn-Severin am Ufer der Donau empor. Nicht lange, nachdem sich an den beiden Mädchen die harte Strafe vollzogen hatte, erblickte ein Donaufischer die goldene Forelle. Lüstern nach einem so seltenen Fang, warf er sein Netz nach ihr aus. Doch die Forelle stand unter dem Schutz der Wassergeister. Die wühlten den Strom zu so hohen, schäumenden und tosenden Wellen auf, daß er die Ufer zu überfluten drohte, und ließen die goldene Forelle dem ausgeworfenen Netz entschlüpfen. Der Fischer aber lief auf und davon, um sich vor den Fluten in Sicherheit zu bringen. – Seitdem hat kein Fischer mehr die goldene Forelle gesehen.
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MARKO KRALJEVIC UND DER KREUZADLER Marko Kraljevic ist der Nationalheld der Serben wie der Bulgaren. Die Burg, in der er hauste, war an einen hohen Felsen gebaut, ist aber längst in Schutt und Trümmer gefallen. Die Leute erzählten von ihm, daß er übernatürliche Kräfte besaß und daß auch sein prächtiger Schecke, der Sarac, kein gewöhnliches Pferd gewesen sei. Eines Tages – so berichtet die Sage – ritt Marko Kraljevic mit einer Schar Krieger durch einen Wald, in dem ein riesiger Brand gewütet hatte. Dabei war mit dem Wipfel eines hohen Baumes auch der Horst eines Adlers samt den Jungen ein Raub der Flammen geworden. Der alte Adler aber lag mit gräßlichen Wunden an den Fängen und mit versengten Schwingen regungslos neben dem verkohlten Stamm. Keiner von Markos Kriegern, die an dem König der Lüfte vorüberritten, kümmerte sich um das Tier. Marko Kraljevic jedoch stieg sogleich von seinem Sarac und kniete mitleidig bei dem Vogel nieder. Da sah er, daß der Hals des Vogels völlig nackt gescheuert war, und er dachte: Es ist gewiß einer von den Kreuzadlern, die die Wagen der Vilen durch die Lüfte ziehen, denn sein Hals trägt die Spuren der Koppel und der Riemen des Geschirrs! Als er den Adler sanft berührte, spürte er, daß dessen Herz noch klopfte. Da hob er ihn vom Boden auf und legte ihn über den Sattel. Dann nahm er seinen Schecken am Halfter und kehrte mit dem Kreuzadler in die Burg zurück. Daheim übergab er das edle Tier seiner Mutter und bat sie: „Nimm dich, bitte, des armen Vogels an! Wenn ihm - 351 -
noch jemand das Leben retten kann, dann bist es nur du!“ Die alte Frau erfüllte ihrem Sohn die Bitte, bestrich Tag für Tag die Brandwunden des Adlers mit einer heilenden Salbe und fütterte ihn. Bald sah sie zu ihrer Freude, daß der Vogel - 352 -
lebensfreudiger und kräftiger wurde, sein Gefieder sich erneuerte und seine Augen wieder leuchteten. Als er schließlich ganz gesund war, trug ihn Marko auf den Söller und entließ ihn in die Freiheit. Einige Monate später zog Marko allein zu neuen Taten aus. Plötzlich aber befiel ihn ein böses Fieber, das seine Riesenkräfte rasch aufzehrte. Bald war er so matt, daß er sich nicht mehr im Sattel halten konnte. Er stieg vom Roß und sank unter der schattenspendenden Krone eines Baumes auf den moosigen Boden. Dort fiel er in tiefe Bewußtlosigkeit. Als er wieder zu sich kam, sah er zu seinem Entsetzen hoch über sich einen Schwärm riesiger Raubvögel. Sie zogen ihre Kreise immer enger und enger, und es schien, als wollten sie auf ihn herabstürzen und ihn noch bei lebendigem Leibe zerfleischen. Marko wollte sich vor ihnen in Sicherheit bringen, aber er war schon so schwach, daß er sich nicht mehr von der Stelle schleppen konnte. So blieb ihm denn nichts anderes übrig, als sein Schicksal abzuwarten. Da schoß ein riesiger Kreuzadler auf die kreisenden Raubvögel zu, trieb sie in die Flucht und stieß dann blitzschnell aus den Lüften hernieder. Er setzte neben Marko auf den Boden auf und sagte zu ihm: „Kennst du mich noch? Du hast mir einmal das Leben gerettet! Jetzt ist es an mir, mich dafür dankbar zu erweisen. Gedulde dich, ich komme gleich wieder!“ Und schon flog er davon. Bald aber kehrte er zurück und brachte in einer Fruchtschale, die er im Schnabel trug, frisches Wasser, damit Marko, der schon nahe am Verdursten war, sich daran erquicke. Dann blieb er noch lange neben seinem Lebensretter sitzen und fächelte ihm mit seinen mächtigen Schwingen lindernde Kühlung zu. - 353 -
Dadurch schwand allmählich das gefährliche Fieber, und Marko sank in einen tiefen Genesungsschlaf. Als er wieder erwachte, war er allein. Er fühlte sich jedoch schon so kräftig, daß er in den Sattel steigen und weiterreiten konnte. Während des Rittes aber kreiste unentwegt der dankbare Kreuzadler über ihm. Er entschwand erst in den Wolken, als Marko die nächste menschliche Siedlung erreichte und es keine Gefahr mehr für sein Leben gab.
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GRUICA Marko Kraljevic saß einmal im Kreise junger bulgarischer Helden in einer Schenke nahe der Donau. Neledica, das schönste Mädchen weit und breit, bediente die Gäste. Sie gefiel den Burschen so gut, daß ein jeder sie zur Frau haben wollte. Sie aber sagte lachend, während sie Becher auf Becher füllte: „Am Gestade des Schwarzen Meeres steht ein Apfelbaum, der goldene Früchte trägt. Ich nehme nur den zum Manne, der mir drei dieser Früchte bringt!“ Als die übermütigen Burschen diese Bedingung hörten, verstummten sie im Augenblick, denn jeder wußte, daß auf dem Weg dahin viele Gefahren drohten. Nur Gruica, der jüngste von allen, sprang auf und rief: „Ich werde versuchen, dir die drei Äpfel zu bringen, auch wenn es mich das Leben kostet!“ Und schon lief er aus der Stube, holte seinen Falben aus dem Stall und sattelte ihn. Dann klopfte er dem schönen Tier liebevoll auf den Hals und sagte zu ihm: „Jetzt zeige, was du kannst! Du mußt mich über die Donau ans Gestade des Meeres tragen!“ Das Roß aber bäumte sich hoch auf und ließ seinen Herrn nicht in den Sattel steigen. Gruica sprach ihm gütig zu, doch der Falbe blieb so störrisch wie zuvor, er schlug ihn mit der Gerte, aber auch das half nichts. Das sonst so folgsame und ruhige Tier war wie ausgewechselt und schlug bei jedem Versuch, es zu besteigen, mit den Hinterbeinen aus. Da trat auch Marko aus der Schenke auf die Straße, und als er sah, wie wild das Pferd sich gebärdete, sagte er zu Gruica: „Hör doch auf, es zu schlagen! Es ist viel klüger als du und ahnt die Gefahr!“ - 355 -
„Es muß mir aber gehorchen!“ erwiderte Gruica, „denn ich will mir das Mädchen unbedingt erringen.“ Weil Marko nun sah, daß er Gruica von dem Abenteuer nicht abhalten könne, sagte er zu ihm: „Wenn du schon den gefährlichen Ritt wagen willst, dann nimm lieber meinen Sarac. Er hat die Donau schon dreimal durchschwomen und kennt den weiten Weg zum Meer!“ „Das werde ich dir nie vergessen!“ beteuerte Gruica voller Freude und brachte sogleich seinen Falben, der ihm nun willig gehorchte, wieder in den Stall. Marko Kraljevic aber holte seinen Sarac, sattelte ihn und führte ihn am Zügel vor die Türe der Schenke. Dort wollte Gruica aufsitzen, doch sieh! auch Markos braver Schecke sträubte sich heftig dagegen, bäumte sich immer wieder, schlug aus und ließ Gruica nicht einmal in den Bügel steigen. Da nahm ihn Marko an die Kandare, kraulte beruhigend seine Stirn und redete ihm zu: „Sei gut, Sarac, sei gut! Laß ihn aufsitzen und bring ihn über die Donau bis ans Meer! Du allein kannst es. Und wenn du ihn wieder heimgebracht hast, dann soll niemals mehr ein anderer auf dir reiten als ich!“ Der Sarac beruhigte sich sogleich, wieherte einige Male und ließ willig Gruica in den Sattel steigen. Dann aber flog er mit dem Reiter auf dem Rücken so schnell wie der Wind quer über die Felder der Donau zu. Obwohl sie zu dieser Zeit Treibeis führte, stürzte sich der Schecke sogleich mutig in die Fluten und schwamm quer durch die reißende Strömung ans andere Ufer. Drüben angekommen, galoppierte er unermüdlich weiter, bis er schließlich das Gestade des Meeres erreichte. Dort sah Gruica auch wirklich den seltsamen Apfelbaum stehen. An seinen Ästen hingen gerade noch - 356 -
drei goldene Früchte. Jetzt sprang der Bursch voller Freude vom Pferd, um sie zu pflücken. Sie hingen jedoch so fest, daß er sie nicht abreißen konnte. Da riß er einfach das Bäumchen samt der Wurzel aus dem Boden, legte es über den Hals des Pferdes und band es fest. Dann machte er sich mit dem Schatz sofort wieder auf den Heimweg. Und wieder sollte ihn der Sarac schwimmend über die Donau bringen. Als sie jedoch in die Mitte des Stromes kamen, tauchten plötzlich zwischen den treibenden Eisschollen zwei schöne Nixen auf. Sie kamen ganz nahe an das Pferd heran, lächelten Gruica anmutig zu und winkten ihm, ihnen zu folgen. Dabei ließen sie sich von der Strömung erfassen und einem gefährlichen Wirbel entgegentreiben. Gruica, der noch niemals Nixen gesehen hatte, fand - 357 -
sie so bezaubernd, daß er den Blick nicht mehr von ihnen wenden konnte. Er wollte ihnen auch gleich folgen und den Schecken zum verderbenbringenden Wirbel lenken, da warnte ihn jedoch das Roß: „Laß dich von den Nixen nicht ins Unheil locken! Sie wollen nichts als deinen Tod. Denke doch lieber an das schöne Mädchen, dem du die goldenen Äpfel bringen willst!“ Kaum hatte Gruica diese Worte vernommen, da änderte sich sein Sinn, er wandte sich von den beiden Nixen ab und ließ das kluge Tier wieder unbeirrt seinen Weg quer durch den Strom nehmen. Es schwamm nun so schnell es konnte zwischen den eisigen Schollen hindurch dem sicheren Ufer zu und brachte Gruica wohlbehalten zurück zur Schenke. Dort erwarteten ihn schon Marko Kraljevic und die übrigen Helden. Gruica stieg vom Roß, trug das Bäumchen mit den drei goldenen Äpfeln in die Stube, reichte es Nedelica und fragte sie: „Willst du nun meine Frau werden?“ Das Mädchen hielt, was es versprochen hatte. Schon wenige Tage später feierten die beiden Hochzeit, und Marko Kraljevic führte, auf seinem Sarac reitend, den Hochzeitszug an.
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SCHALGA Auf ihrem ebenen Lauf gegen Osten, zwischen den Ländern Bulgarien und Rumänien hin, legt sich der Donau schließlich in der Nähe der Stadt Silistria wie eine hemmende Stufe eine waldlose Hochfläche, die Dobrudscha, in den Weg. Sie zwingt den gewaltigen Strom, an ihr entlang nach Norden abzubiegen. Sein linkes Ufer bleibt auf weite Strecken hin flach und sumpfig, auf dem rechten aber schauen von der ansehnlichen Höhe schöne Bauerngehöfte weit ins Land. So stand da auch vor langer Zeit ein großes Haus, das nur eine Witwe namens Schalga und die Mutter ihres verstorbenen Mannes bewohnten. Zu dem Hause gehörte auch ein reiches Gestüt. Es mußte von acht Pferdehirten und einer Anzahl scharfer Wolfshunde bewacht werden, denn immer wieder kamen selbst in die entlegensten Gehöfte der Umgebung Banden und raubten und plünderten. Um die schöne Witwe hatte sich schon so mancher Mann beworben. Ein jeder sagte zu ihr: „Es ist viel zu gefährlich für dich, in dieser Einsamkeit ohne Gatten zu leben. Deine Hirten und Hunde hüten wohl das Gestüt, wer wird aber dich und deine alte Schwiegermutter beschützen, wenn eines Tages auch in dein Haus Räuber kommen sollten?“ Die junge Witwe jedoch lachte, schlug alle Warnungen in den Wind und erwiderte jedem: „Mich braucht niemand zu beschützen, denn ich besitze mehr Mut als ein Dutzend Männer und fürchte die Räuber nicht!“ Und sie schlug jede Bewerbung um ihre Hand kurzweg ab. Eines Nachts aber kam der Räuberhauptmann - 359 -
Caräcatuci mit seinen Heiducken geritten. Er schoß die Hunde nieder, ließ die Hirten binden und die Pferde vor sich hertreiben. Dem schönsten und stärksten der Hirten, dem obersten Bace, mußten seine Heiducken die Ellbogen am Rücken so eng zusammenschnüren, daß er die Arme nicht mehr bewegen konnte. So entführte er Menschen und Tiere der Donau zu. Es war das Werk weniger Minuten, und die Räuber lachten über den wohlgelungenen Streich. Der Bace aber dachte unentwegt nach, wie er die Räuber überlisten könnte. Endlich hatte er einen Plan. Er sprach mit klagender Stimme zu Caracatuci: „Ach, laß doch meine Fesseln ein wenig lockern, sie schneiden mir so tief ins Fleisch, daß ich die Schmerzen nicht länger aushalte. Deine Heiducken bewachen mich ja ohnedies so gut, daß ich ihnen nicht entrinnen kann!“ Der Räuberhauptmann war damit einverstanden und ließ dem jungen Hirten die Fesseln lockern. Kaum aber konnte der Bace sich wieder etwas rühren, da griff er nach seinem Hörn und stieß dreimal kräftig hinein. Caracatuci wußte nicht, was die Hornrufe bedeuten sollten, und fuhr den Hirten an: „Wozu bläst du denn mitten in der Nacht?“ „Damit die Pferde beisammen bleiben“, erwiderte der Bace listig, „wenn sie mein Hörn hören, bricht keines aus.“ „Wenn es notwendig sein sollte, werde ich dir schon befehlen zu blasen“, schrie Caracatuci dem Bace aus dem Sattel zu, „jetzt sind die Pferde ohnedies beisammen!“ Der Bace aber hatte mit den Hornrufen erreicht, was er erreichen wollte: Schalga hatte sie gehört, war sogleich aus dem Bett gesprungen und zu ihrer Schwiegermutter geeilt. Sie rüttelte die alte Frau aus dem tiefen Schlaf und - 360 -
sagte zu ihr, aufs höchste erregt: „Der Bace hat ins Hörn gestoßen. Da stimmt etwas nicht! Entweder haben sich einige Pferde verlaufen oder es sind Räuber da. Ich muß gleich hinaus, um nachzusehen!“ Sie schlüpfte schnell in ihr Kleid und lief dann in die mondhelle Nacht hinaus. Draußen bewaffnete sie sich mit einer schweren Keule, holte ihr Pferd aus dem Stall und jagte dann auf ihm in die Richtung, aus der die Hornrufe zu hören gewesen waren. Immer wieder gab sie dem Roß die Sporen, daß es noch schneller laufe. Dabei blickte sie gespannt nach allen Seiten, ob sie nicht irgendwo ihre Pferde entdecke. Plötzlich war sie ihnen dicht auf den Fersen. Und schon sah sie auch die Heiducken, die mit gezogenem Pallasch hinter den gestohlenen Pferden und gefangenen Hirten einherritten. Ohne sich auch nur einen Augenblick lang zu besinnen, sprengte Schalga sogleich mit hochgeschwungener Keule und weithin hallendem Schrei auf die Räuber zu. Die wandten sich jählings um, und als sie das Weib erblickten, das wie ein Gespenst der Rache im Mondlicht dahergestürmt kam, erfaßte sie ein solcher Schrecken, daß sie Caracatuci im Stiche ließen und in wilder Flucht davonstoben. Dem Räuberhauptmann aber rief Schalga mutig zu: „Bleib stehen! Ich will mit dir kämpfen! Ich werde dich lehren, Pferde stehlen und Hirten gefangennehmen!“ Aber auch der gefürchtete Caracatuci hatte nicht den Mut, den Kampf mit ihr aufzunehmen, und ergriff die Flucht. Schalga holte ihn jedoch ein, schwang die Keule und ließ sie auf sein Haupt niedersausen, daß er tot vom Rosse fiel. Dann befreite die tapfere Frau noch ihre Hirten von den Fesseln und kehrte mit ihnen und den Pferden auf ihren Hof zurück. - 361 -
Seit jener Zeit wurde Schalgas Gestüt von keinem Räuber mehr heimgesucht. Im ganzen Lande wurde ihr Mut gepriesen, und bis in die heutige Zeit ist der Name der unerschrockenen Frau nicht vergessen.
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DIE ALGENSPINNERIN Bevor die Donau ihr Ziel erreicht und die schaumgekrönten Wogen des Schwarzen Meeres ihre grauen Fluten empfangen, teilt sie sich in drei starke Wasserarme, von denen sich jeder einzelne noch unzählige Male teilt und wieder mit ändern vereinigt. Ein unübersehbares Gebiet, in dem niemand weiß, wo das trockene Land endet und der Strom beginnt, breitet sich hier aus. Da dehnen sich tückische Sümpfe und schwimmende Schilfdecken, die von Wind und Wasser zusammengetrieben und wieder auseinandergerissen werden. Scharen von Reihern, Kormoranen und Kranichen, Störchen, Pelikanen und Fischadlern verfinstern manchmal im Flug mit ihren Fittichen die Sonne, ganze Wolken von Mücken ziehen über das ruhelos rauschende Schilf, und das eintönige Quaken der Frösche und Unken hört sich an wie eine schaurige Musik. Es ist eine Welt voll der Wunder und Geheimnisse, in der sich bei Tage millionenfältiges Leben regt und des Nachts unzählige Irrlichter gespenstisch aufflackern und wieder verlöschen. Wo dann schon die Wellen des Schwarzen Meeres ans Land schlagen, werfen sie ungeheure Mengen von Algen ans Ufer. Auf dieses bleiche „Gras des Meeres“ wartet bereits die Algenspinnerin, von der sich die Leute erzählen: Der mächtige Gott des Meeres, Poseidon, wollte einst ein schönes Fischermädchen zur Gemahlin nehmen. Das Mädchen aber fürchtete sich vor ihm und wies ihn ab. Darüber ergrimmte der Gebieter der Wogen und Winde so sehr, daß er es verwünschte, bis in alle Ewigkeit Algen zu spinnen. - 363 -
So sitzt denn das schöne Mädchen Tag für Tag auf einer der schaumumflogenen Felsenklippen und spinnt und spinnt. Der Sturm wirft ihr in riesigen Mengen das bleiche Gras des Meeres vor die Füße und heult ihr unentwegt zu: „Rege nur deine Hände, schönes Kind! Entwirre die Algen und spinne sie auf deiner Kunkel! Beeile dich aber, denn es gibt noch unendlich viel davon im Meer!“ Die schöne Fischerstochter weint darob zwar viele - 364 -
salzige Tränen, muß aber trotzdem tun, was ihr der Bote Poseidons befiehlt. Ohne jemals zu rasten und zu ruhen, entwirrt sie das verfitzte Gras der Meerestiefe und spinnt es dann auf ihrem Rocken. Kaum ist sie mit einem Berg Algen fertig, trägt ihr der Sturm schon wieder einen neuen zu. Am Abend aber, wenn der Schein des Mondes das weite Meer mit flimmerndem Silber übergießt, schreitet die schöne Spinnerin die schäumenden Wellenkämme entlang und breitet dem zürnenden Gott die fertige Arbeit hin. Er aber hat das Mädchen längst vergessen, und nur der Mond allein betrachtet das Wunderwerk, das, kunstvoll gesponnen, von den Wellen geschaukelt wird…
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INHALTSVERZEICHNIS Das Mutesheer im Schwarzwald.................................006 Der Riese von Villingen ..............................................010 Der edle Möringer ........................................................015 Das Kistenmännlein .....................................................023 Der Läpp von Wildenstein...........................................026 Die Ulmer Spatzen .......................................................029 Die Inschrift..................................................................032 Das seltsame Gastmahl................................................035 Das Neunuhrglöcklein .................................................039 Das Abenteuer des Spielmanns...................................042 Die Marienstatue von Ingolstadt .................................046 Der treue Star................................................................049 Die Pförringer Leberwurst...........................................053 Die Stromkönigin und die Donaunixe ........................056 Der Einwald bei Kelheim ............................................059 Das Rätsel von Maria Ort ............................................063 Der Brückenbau zu Regensburg..................................066 Die Hirtin im Zwergenberg .........................................069 Das „Kachlet“ bei Vilshofen .......................................074 Die Pest im Bayrischen Wald......................................077 Johann von Passau .......................................................080 Das Moosweiblein........................................................085 Frau Isa vom Jochenstein ............................................088 Das Schneiderschlössel................................................093 Der Findling .................................................................096 Die Burgfrau von Falkenstein .....................................100 Die Heidenstadt............................................................105 Die Schlangeninsel.......................................................107 - 366 -
Das Fauststöckl ............................................................110 Der Springerwirt...........................................................115 Der alte Burgkeller.......................................................120 Das Waschweiblein......................................................124 Der Zauberspiegel ........................................................127 Der eiserne Handschuh................................................132 Der schwarze Fisch ......................................................135 Der gespenstische Schiffszug......................................138 Der Fischer von Wallsee..............................................141 Der Schusterstein .........................................................145 Das Wörtherkreuz ........................................................150 Der Fährmann und das Donauweibchen.....................153 Der Donaufürst.............................................................157 Der schwarze Mönch ...................................................162 Das Melker Kreuz ........................................................168 Die Wasserjungfrauen..................................................171 Die Hunde von Kuenring.............................................175 Schreckenwalds Rosengärtlein....................................179 Die Tuchnerklippen in der Wachau ............................182 Das Kräutlein Vidertocl...............................................186 Die Teufelsmauer.........................................................191 Der Gefangene auf Dürnstein......................................195 Der Sägefeiler und der Teufel .....................................200 Sankt Koloman.............................................................205 Greifenstein ..................................................................209 Der Wassermann..........................................................214 Der Rattenfänger ..........................................................218 Der Teufel auf dem Bisamberg ...................................223 Die Gründung von Klosterneuburg.............................227 Der Pfaff vom Kahlenberg ..........................................229 Das Donauweibchen ....................................................236 Das Lindenwunder von St. Stephan............................240 Die Totenmette.............................................................243 - 367 -
Das Zaubereis ...............................................................246 Die Geistergräfin von Fischamend .............................251 Das Heidentor von Petronell .......................................254 Der Ritt auf den Hexenberg.........................................257 Der Schatz im Schlossberg..........................................261 Schloß Theben..............................................................265 Das Teufelsgemälde zu Pressburg ..............................269 Wie die Ungarn zu ihrem Land kamen.......................273 Der eiserne Hahn zu Raab ...........................................277 Die Prophezeiung.........................................................281 Das Wunder von Ofen .................................................284 Der Ofener Hundemarkt ..............................................287 Szäparys Rache ............................................................292 Zigeunersage ................................................................297 Die schwarze Muttergottes von Apatin ......................303 Das Gespenst der Heide...............................................306 Der Türkenschatz .........................................................309 Die Breuner-Eiche........................................................314 Die Ährenlese ...............................................................317 Der Garaboncza............................................................321 Trojan, der Fürst der Nacht .........................................325 Die Erbschaftsteilung...................................................331 Der Babakajfelsen ........................................................335 Die Golubacer Mücken................................................338 Jianu, der große Räuberhauptmann.............................342 Die beiden Schwestern ................................................346 Die goldene Forelle......................................................348 Marko Kraljevic und der Kreuzadler ..........................351 Gruica............................................................................355 Schalga..........................................................................359 Die Algenspinnerin ......................................................363
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